Götter der Nationen: Religiöse Erinnerungsfiguren in Serbien, Bulgarien und Makedonien bis 1944 9783412217310, 9783412222444

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Götter der Nationen: Religiöse Erinnerungsfiguren in Serbien, Bulgarien und Makedonien bis 1944
 9783412217310, 9783412222444

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Götter der Nationen

Visuelle Geschichtskultur He­raus­ge­ge­ben von Stefan Troebst und Arnold Bartetzky In Verbindung mit Steven A. Mansbach und Małgorzata Omilanowska Band 14

Stefan Rohdewald

Götter der Nationen Religiöse Erinnerungsfiguren in Serbien, Bulgarien und Makedonien bis 1944

2014 BÖHL­AU VER­LAG KÖLN WEI­MAR WIEN

Gedruckt mit Unterstützung des Förderungs- und Beihilfefonds Wissenschaft der VG WORT

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://portal.dnb.de abrufbar.

Umschlagabbildung: Der heilige Kyrill. Gemälde von Ivan Mărkvička in der Nevskij-Denkmalkirche in Sofia (um 1912). Bildnachweis: Vasiliev (1970), Abb. 84.

© 2014 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Wien Weimar Ursulaplatz 1, D-50668 Köln, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Korrektorat: Patricia Simon, Langerwehe Gesamtherstellung: WBD Wissenschaftlicher Bücherdienst, Köln Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier ISBN 978-3-412-22244-4

Inhalt A Einleitung  ............................................................................................................................  A 1 Historiographischer Kontext, Fragestellung und Gliederung  .......................  A 2 Forschungsstand  .........................................................................................................  A 2.1 Orte, narrative Figuren und Diskurse  .......................................................  A 2.2 ,Natio‘, ,patria‘, moderner Nationalismus …  .. .......................................  A 2.3 … und religiöse Memoria, Religion sowie Politik  . . .............................  A 2.4 Untersuchungen über südosteuropäische religiöse Erinnerungsfiguren  .. .......................................................................................  A 3 Quellen  . . ........................................................................................................................  A 4 Danksagung  .................................................................................................................  B Heilige Lehrer, Herrscher und Hauptstädte – Religiöse Erinnerungsfiguren bis ins 18. Jh.  .....................................................  B 1 ,Erzieher und Lehrer der Slaven‘ Konstantin-Kyrill und Method  . . .............  B 1.1 Leben und älteste Verehrungskontexte  ....................................................  B 1.2 Byzantinische Bulgarisierung der Verehrung durch Theophylaktos  . B 1.3 Die Aneignung der Verehrung durch bulgarische Herrscher in Tărnovo  ....................................................................................  B 1.4 Weite, aber nur gelehrte Verehrung in der frühen Neuzeit  . . ...............  B 2 Gelehrte, Schutzheilige, Wundertäter – Kliment von Ohrid und Naum  ....  B 2.1 Leben und frühe Verehrung im bulgarischen Patriarchat Ohrid  . . .....  B 2.2 Gräzisierung der Verehrung als Begründer des Erzbistums Ohrid und als Wundertäter  .. .........................................................................  B 2.3 Patron des Erzbistums ,ganz Bulgariens, Serbiens, Albaniens, beider Makedonien‘  . . .....................................................................................  B 2.4 Drucke als Medien transethnischer Verehrung Kliments und Naums im 18. Jh.  . . ...................................................................................  B 3 Heilige als Stützen der bulgarischen Herrschaft in der neuen Zarenstadt  . B 3.1 Die Herrscher Boris und Petăr als Heilige  . . ............................................  B 3.2 Ioann von Rila und seine Überführung nach Tărnovo  ........................  B 3.3 Die Überführung der hl. Petka nach Tărnovo  ........................................  B 3.4 Ioann von Rila nach dem Fall Tărnovos  .. ................................................  B 3.5 Indienstnahmen ,bulgarischer‘ Heiliger nach dem Fall Tărnovos – das Beispiel Cetinje  .......................................................................................  B 3.6 Ioann von Rila im serbischen und ,illyrischen‘ Zusammenhang im 17. und 18. Jh.  .............................................................  B 4 Exkurs: Ioakim, Gavriil und Prohor – slavisch-byzantinische Heilige zwischen bulgarischer und serbischer Herrschaft  ............................................ 

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Inhalt

B 5 Heilige Herrscher Rasziens oder Serbiens  .........................................................  B 5.1 Der lateinisch-bulgarische Jovan  . . .............................................................  B 5.2 Der west- und ostkirchliche Stefan Nemanja  . . .......................................  B 5.3 Der hl. Sava Nemanjić, das Neue Israel und das Kloster Mileševa  . B 5.4 ,Sie sind aus einer fruchtbaren Wurzel eines Ölbaumes‘ – die übrigen Nemanjiden und ihre Klöster  ...............................................  B 5.5 Die Verehrung der Nemanjiden bis ins 18. Jh.  . . ......................................  B 6 ,Pro patria mori‘ – die Schlacht auf dem Amselfeld, Lazar und der Veitstag  ..............................................................................................  B 6.1 Der Zugang zum ,himmlischen Reich‘ – frühe geistliche Verehrung  . B 6.2 Der Märtyrertod in den Chroniken  .. ..........................................................  B 6.3 Lieder und die mediale Revolution der Verehrung im 18. Jh.  ............  B 7 Serbische und bulgarische heilige Kirchenfürsten  . . .........................................  B 8 Heilige Despoten Branković – die fortgesetzte Erfindung der heiligen Dynastie in Ungarn  . . ..........................................................................  B 9 Bilanz – religiöse Erinnerungsfiguren bis ins 18. Jh. als Medien homogener ,nationaler Konfessionskulturen‘?  ...........................  C Die Erfindung europäischer, christlicher Nationen zur Überwindung des ,asiatischen Jochs‘ im langen 19 Jh.  .....................  C 1 Geistliche als Nationalheilige: der Aufstieg Savas zum ,Retter‘ und ,neuen Schöpfer‘  ................................................................................................  C 1.1 Die Institutionalisierung Savas in den österreichisch-ungarischen Gebieten und im serbischen Fürstentum  .................................................  C 1.2 Sava im Osmanischen Reich bzw. in ,Altserbien und in Makedonien‘  ................................................................  C 2 Geistliche als Nationalheilige: Ivan als ,einziger allnationaler Heiliger‘ und sein Kloster Rila  .. ...............................................................................................  C 2.1 Neuanfänge nach 1760 und 1830  ................................................................  C 2.2 Die mediale Wiederentdeckung nach 1860 – Rila als ,einzige Verehrungsstätte des bulgarischen Volkes‘  .............  C 2.3 Die mediale Aufbereitung nach 1860 – Ivan als Schulheiliger  .........  C 2.4 Ivans Aufstieg in der kirchlichen Publizistik nach 1895  .....................  C 3 Geistliche als Nationalheilige: die Wiederentdeckung Kyrills und Methods als ,Genies‘ zwischen transnationalem Panslavismus und Nationalismus  .............................................................................................................  C 3.1 Kyrill und Method in der bulgarischen ,Wiedergeburt von unten‘ bis 1869  . . ............................................................................................................  C 3.2 ,Erlöser unserer Nationalität‘ – die Brüder in der bulgarischen ,Wiedergeburt‘ nach 1870  .. ...........................................................................  C 3.3 Die Millenniumsfeier 1885 als Inszenierung Bulgariens  ....................  C 3.4 Kyrill und Method in serbischen und kroatischen Kontexten bis 1885  ......................................................................................... 

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Inhalt

C 3.5 Kyrill und Method in ,Makedonien‘ (1860 – 1885)  . . ..............................  C 3.6 Sakralisierung und Militarisierung – Kyrill und Method in (makedonisch)bulgarischen Kontexten nach 1885  . . ..............................  C 3.7 Kyrill und Method in serbischen Kontexten nach 1885  ......................  C 4 Geistliche als Nationalheilige: vom Erzbischof und ,Ohrider Babalăk‘ zum ,Erlöser des Slaventums‘ und ,Schmied der bulgarischen Nationalität‘ – Kliment in Ohrid und Bulgarien  . . .............................................  C 4.1 Neue Anfänge: von Paisij über Ohrid nach Sofia  .................................  C 4.2 Die Vorbereitung des Millenniums 1916  ..................................................  C 4.3 Die ,Befreiung‘ als ,Wunder‘ – akademische Millenniumsfeiern 1916 in Sofia  . . .....................................  C 4.4 Kliment als ,Alpha und Omega der bulgarischen Eigenart‘ – Feiern im besetzten Skopje  .. ........................................................................  C 4.5 Kliment als ,Führer‘ – kirchliche Stimmen zu den Feiern  .................  C 4.6 Weitere religiöse und weltliche Überlappungen im Kontext des Ersten Weltkrieges  . . ................................................................................  C 5 Der kontroverse Nationalmythos – die Schlacht auf dem Amselfeld und der Veitstag als nationales Mythengeflecht  . . ..............................................  C 5.1 Neuentwürfe diskursiver Stränge und ihre Politisierung bis zur Mitte des 19. Jh.  .................................................................................  C 5.2 Auf der Suche nach Erklärungen des Mythos: Antikeneuphorie und serbische Götter  .. ...................................................  C 5.3 Sakralisierung der Nation und Kontroversen: Ilarion Ruvarac  ........  C 5.4 Die 500-Jahr-Feiern 1889 und neue Kontroversen: Jovan Vučković  . C 5.5 Die fortschreitende Sakralisierung der Nation  ......................................  C 5.6 Sakrale Kriegsvorstellungen im Mythos  .................................................  C 6 Heilige serbische Herrscher – Stefan der Erstgekrönte und die übrigen Nemanjiden im Schatten Savas  ..............................................  C 6.1 Säkularisierung und Stefan von Dečani als Medium des Aufstands  . C 6.2 Fürstliche und geistliche Geschichtspolitik und die Nemanjiden im Drama  ..................................................................  C 6.3 Die Legitimierung des Königreiches durch die Nemanjiden  ............  C 7 Heilige bulgarische Herrscher – Boris als ,Schöpfer der bulgarischen Nationalität‘  ..........................................  C 7.1 (Trans)Nationale Verehrung von Herrschern in bulgarisch-griechisch-serbischer Verflechtung  .................................  C 7.2 Der Begründer einer bulgarischen ,Nationalkirche‘ – die Entdeckung Boris’ I.  . . .............................................................................  C 7.3 Erste soziale Ausweitung nationaler Diskurse über Boris  .................  C 7.4 Die Aneignung des Diskurses durch die Presse der Kirche nach 1895  . . .........................................................................................................  C 7.5 ,Gegen (…) die Türken, die Griechen und die Serben‘ – Feiern und Umzüge 1907  .. ............................................................................ 

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Inhalt

C 8 Der ,bulgarische Gott‘, das serbische ,heilige Land‘ sowie Klöster und Regionen – Raumentwürfe durch religiös-nationale Erinnerung  ........  C 8.1 ,Unser Gott hat (…) Serbien auferstehen lassen‘ – religiöse räumliche Vorstellungen der serbischen Nation  ..................  C 8.2 ,Gott und Bulgarien‘ – die Vergöttlichung der Nation im Krieg  ......  C 9 Zwischenbilanz  . . ......................................................................................................... 

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Abbildungen  .............................................................................................................................  449 D Mobilisierung und Sakralisierung der Nation durch religiöse Erinnerung (1918 – 1944)  ..........................................................  D 1 Vom Mythos zur ,Ideologie‘ – das Amselfeld und der Veitstag im SHS-Staat  . . .............................................................................................................  D 1.1 Diskursive Weichenstellungen in der Provinz – die Niederlage als Sieg  .................................................................................  D 1.2 Die Festigung des Diskurses im Kosovo  .. ...............................................  D 1.3 Vidovdanfeiern in Belgrad und Sarajevo als Inszenierungen der Massen  .......................................................................................................  D 1.4 Diskursive Veränderungen und Massenveranstaltungen in den 1930ern auch in den Provinzen  ......................................................  D 1.5 Die Kulmination des Kosovodiskurses zum 550. Jubiläum 1939 und im Krieg  ..........................................................................................  D 2 Geistliche als Nationalheilige: die diskursive und geographische Ausweitung des Savakults im ,Kampf der Ideologien‘  ..................................  D 2.1 Von der ,Ideologie‘ des ,Svetosavlje‘ zu Sava als ,serbischer Gottheit‘  ......................................................................................  D 2.2 Sava im Kosovo und in Makedonien oder ,Alt-‘ und ,Neuserbien‘  . D 2.3 Sava in Bosnien-Herzegowina und in Kroatien  ....................................  D 3 Geistliche als Nationalheilige: Kliment zwischen Serbien, Makedonien und Bulgarien  . . ...................................................................................  D 3.1 Kliment als Medium exilmakedonischer und bulgarischer Visionen bis 1935  ...................................................................  D 3.2 Kliment und die Legitimierung der Besetzung Makedoniens 1941  .  D 3.3 Der Begründer der ,slavischen Zivilisation‘ – Kliment im SHS-Staat  ..................................................................................  D 4 Geistliche als Nationalheilige: Kyrill und Method  ..........................................  D 4.1 ,Die Wiedergeburt unserer Rasse‘ – Kyrill und Method im SHS-Staat  ...................................................................................................  D 4.2 ,Heilig ist unser Land!‘ Bulgarisch(-makedonische) Erinnerungsdiskurse bis 1939  .. ....................................................................  D 4.3 Kyrill und Method im Krieg als nationale ,Erlöser‘ (bis Ostern 1941)  .............................................................................................  D 4.4 Die Brüder und die Besetzung Vardar-Makedoniens (1941 – 1944)  . 

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Inhalt

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D 5 Der Feiertag Ivans von Rila als ,Tag der Volkserwecker‘  . . ............................  D 5.1 Debatten zur Einrichtung des Feiertags  ...................................................  D 5.2 Kirchliche und exilmakedonische Aneignungen der Massenfeiern  . D 5.3 Die Militarisierung der Feiern im Krieg  . . ................................................  D 6 Geistliche als Nationalheilige: der ,heilige Führer‘ Ivan von Rila und sein Kloster  . . ........................................................................................................  D 6.1 Ivan als Folie für gesamtgesellschaftliche nationalreligiöse Entwürfe  .. .........................................................................  D 6.2 Moderner Tourismus in Rila als ,bulgarischem Jerusalem‘  . . .............  D 6.3 Rila als ,nationales Hauptzentrum‘ – die Festigung nationalreligiöser Diskurse nach 1935  ......................................................  D 7 Heilige Herrscher – Boris als ,Gottgesandter Führer‘  .. ...................................  D 7.1 Boris als Medium der Kirche in der Zwischenkriegszeit  ...................  D 7.2 Geistliche Nationaltheologie – der ,Führer‘ als ,Gott‘ im Krieg  . . ....  D 7.3 Vom Muster der Zarenstadt zum nemanjidischen Modell – das Begräbnis Boris’ III. in Rila 1943  ..............................................................  D 8 Heilige Herrscher – die Karađorđević in den Fußstapfen der Nemanjiden?  ........................................................................................................  D 8.1 Der König als ,Rächer des Kosovo‘ – aber nicht als Nemanjide  .....  D 8.2 Die Festigung des Verweises auf die Nemanjiden und Aleksandar als ,Märtyrerkönig‘  .................................................................  D 9 ,Heilige Heimat‘ und nationale Götter – Bulgarien, Serbien und Makedonien als religiös-nationale Erinnerungsräume  .. ..................................  D 9.1 Von der ,heiligen serbischen Erde‘ zum ,himmlischen Serbien‘  . . ....  D 9.2 Bulgarien und Makedonien  .........................................................................  D 10 Zwischenbilanz  . . ......................................................................................................... 

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E Schluss  . . ...............................................................................................................................  E 1 Transethnische Missionare, Wundertäter, Zarenstädte und Dynastien – religiöse Erinnerungsfiguren im Mittelalter und in der frühen Neuzeit  . . ...  E 2 Religiöse Erinnerungsfiguren zwischen Politik und Nation – Weichenstellungen im ,langen 19. Jh.‘  .................................................................  E 3 Religiöse Erinnerungsfiguren als Medien der Entwürfe moderner Massengesellschaften und die Sakralisierung der Nation (1918 – 1944)  .....  E 4 Rekapitulation im europäischen Rahmen  ...........................................................  E 5 Religiöse Erinnerungsfiguren im diachronen Blick zwischen ,longue durée‘ und Diskontinuität  .. .......................................................................  E 6 Ausblick  . . ...................................................................................................................... 

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Inhalt

F Anhang  .................................................................................................................................  F 1 Abkürzungen (vgl. auch F 2, F 4 – 5)  .. ..................................................................  F 2 Bibliographien, Enzyklopädien, Lexika  . . ............................................................  F 3 Ungedruckte Quellen und Filme  ...........................................................................  F 4 Offizien, edierte Texte, Selbstzeugnisse, Broschüren ohne Autor oder Herausgeber  .. ...............................................................................  F 5 Zeitungen und populärpublizistische Zeitschriften  . . ........................................  F 6 Darstellungen bis 1945  . . ............................................................................................  F 7 Darstellungen nach 1945  ..........................................................................................  F 8 Bildnachweis  ............................................................................................................... 

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G Register  ................................................................................................................................  894

A  Einleitung

A 1  Historiographischer Kontext, Fragestellung und Gliederung Haben denn, fragte er ungeduldig, nicht auch wir Bulgaren irgendeinen bulgarischen Heiligen, auf den wir sie [die Schule, S. R.] taufen können?1 Salčo Čomakov zu Najden Gerov, 1851

Die Untersuchung von Erinnerungskulturen erlebt eine „Hochkonjunktur“.2 In den letzten Jahren haben sich zahlreiche Forschungsgebiete herausgebildet. Neben interdisziplinären theoretischen Überlegungen 3 sind einzelne Erinnerungsorte 4, nationale und europäische Erinnerungskulturen 5, Kriegserinnerung sowie die Erinnerung an den Holocaust 6 oder die Fokussierung auf geschlechtergeschichtliche 7 Aspekte der Erinnerung zu nennen. Auch für Osteuropa liegen beispielsweise Arbeiten zu nationalen Gedächtnisorten 8, nationalen Erinnerungskulturen 9, zu nationalen Helden 10 und Heiligen 11, über







1 Plačkov (1894), S. 55. 2 Assmann (2002), S. 7. 3 Einführungen, Überblicke bzw. ein Lexikon: Erll (2005); Welzer (2001, 2005); Assmann/ Harth (Hg.) (1991); Pethes/Ruchatz (Hg.) (2001). 4 Paradigmatisch über Moses: Assmann (1998). Zum „Herrscherbild“ bzw. über Karl den Großen: Erkens (Hg.) (1999). 5 Flacke (Hg.) (1998); Neumann (Hg.) (2004 ff.); Buchinger/Gantet/Vogel (Hg.) (2009); François/Serrier (2012); Boer u. a. (Hg.) (2012). Zum „Kulturellen Vergessen“: Butzer/ Günter (Hg.) (2004). 6 Vgl. Cornelissen/Klinkhammer/Schwentker (Hg.) (22004); Koselleck/Jeismann (Hg.) (1994); Winter/Sivan (Hg.) (1999); Confino/Fritzsche (Hg.) (2002). Zur Kriegserinnerung in Südosteuropa im 19. und 20. Jh.: Höpken (2001) sowie die Aufsätze von Sundhausen und Weber in: Buschmann/Langewiesche (Hg.) (2003). 7 Vgl. Paletschek/Schraut (Hg.) (2008), dort zu „Mutter Bulgarien, Mutter Russland und ihre Schwestern“: Rohdewald (2008b). 8 Brix/Stekl (1997); Jaworski/Kusber/Steindorff (Hg.) (2003). 9 Hier nur zu Bulgarien und knapp Serbien: Zur bulgarischen Historiographie über die „Wiedergeburt“ bis heute: Daskalov (2004) [bulgarisch zuerst 2002 erschienen]; zur „Wiedergeburt“ bis um 1860 (Brucciani (2009)) bzw. bis 1878: Sampimon (2006a, 2006b); mit einem Fokus auf von (Kriegsveteranen)Vereinen getragene Erinnerungskulturen (1878 bis 1944): Weber (2006), vgl. S. 21; zu Serbien auch für erinnerungskulturelle Zusammenhänge grundlegend: Sundhaussen (2007b); Höpken (2006); zu Dalmatien: Clewing (2001). 10 Zu Levski: Todorova (2009); eine Rekontextualisierung Skanderbegs: Schmitt (2009). 11 Samerski (Hg.) (2007); paradigmatisch zu Aleksandr Nevskij: Schenk (2004a); zu Vladimir: Korpela (2001); Stefan der Große: Binder Iijima/Dumbrava (Hg.) (2005).

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Einleitung

den „Holodomor“ in der Ukraine 12 und zur (postkolonialen) Erinnerung an Imperien 13 sowie an den Kommunismus 14 und über Erinnerungsdiskurse in neuen Medien wie dem Internet 15 vor. Dennoch sind thematisch, regional und methodisch weiterhin viele Gebiete zu erschließen. Insbesondere wurden bisher kaum Vergleiche vorgenommen oder Verflechtungen 16 zwischen einzelnen Phänomenen im regionalen wie im gesamteuropäischen Zusammenhang herausgearbeitet – und noch viel seltener wurden diese über mehrere Jahrhunderte hinweg verfolgt.17 Die vorliegende Arbeit leistet dazu einen Beitrag, indem sie im Rahmen einer teilweise sozialgeschichtlich geerdeten Diskursgeschichte untersucht, wie sich dynastische bzw. herrschaftliche und später nationale Identitätsentwürfe mit und im Medium religiöser Erinnerungsfiguren 18 der orthodoxen Südslaven vom frühen Mittelalter an, insbesondere aber vom Ende des 18. Jh. bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges im Zeitalter des modernen Nationalismus in ihrer Verflechtung im (post)osmanischen und im gesamteuropäischen Kontext entwickelten. Ehe in den folgenden Abschnitten auf einzelne methodische und thematische Forschungsstränge eingegangen wird, sollen vorab die für die Studie wichtigsten Fragen und Vorgehensweisen vorgestellt werden. Eine religiöse Erinnerungsfigur soll hier nicht nur durch religiöse Inhalte und Formen des Gedenkens definiert sein. Von besonderem Interesse sind vielmehr die Verbindung religiöser Erinnerung mit einer herrschaftlich-politischen Rolle oder mit einem Entwurf kollektiver, gegebenenfalls „nationaler“ Zugehörigkeit sowie eine damit einhergehende Aufladung mit politischer oder nationaler Bedeutung. Die Logik des Wandels von mittel­ alterlicher religiöser Memoria zu national umgedeuteter Rückbesinnung auf historische Epochen und Schlüsselfiguren 19 in der Ablösung vom osmanischen Zusammenhang steht im Zentrum der Arbeit. Zu untersuchen sind Veränderungen der mit den Erinnerungsorten verbundenen zeitlichen Horizonte, der inhaltlichen Vorstellungen, die mit ihnen vergegenwärtigt wurden, und der Formen kollektiver Identität, die die jeweiligen Akteure durch diese Vergegenwärtigungen in der jeweiligen sozialen bzw. „nationalen“ Situation herstellten, bestärkten oder bestritten. Im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen letztlich gesamtgesellschaftliche Identitätsentwürfe und Auseinandersetzungen über diese – falls es zu ihnen kam: Für die Gegenwart hält Troebst gerade am Beispiel 12 Jilge (2004). 13 Zu den Nachfolgestaaten der Reiche der Habsburger und der Osmanen: Feichtinger/Prutsch/ Csáky (Hg.) (2003); Sindbaek/Hartmuth (Hg.) (2011). 14 Knigge/Mählert (2005); Brunnbauer/Troebst (2007). 15 Heinemann u. a. (Hg.) (2011). 16 Aust (2009); Aust/Ruchniewicz/Troebst (Hg.) (2009); Hahn/Loew/Traba (Hg.) (2012 ff.). 17 Vgl. Schenk (2004b); Troebst (2005). Zu Schottland, Norwegen und Litauen: Eriksonas (2004). 18 Jetzt mit knappen Aufsätzen zu zahlreichen christlichen religiösen Erinnerungsorten Ost­mittelund Südosteuropas ohne explizite Vergleichsarbeit abgesehen von der sehr konzisen Einleitung (Wünsch (2013)): Bahlcke/Rohdewald/Wünsch (Hg.) (2013). Zu Erinnerungsorten des Christentums: Markschies/Wolf (Hg.) (2010). 19 Vgl. Oexle (1995).

Historiographischer Kontext, Fragestellung und Gliederung

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Bulgariens eine Abwesenheit innergesellschaftlicher Auseinandersetzungen über nationale Erinnerungsdiskurse fest: „Das Erinnerungskollektiv ist hier nahezu deckungsgleich mit der Gesamtgesellschaft, seine Reihen sind fest geschlossen. Entsprechend findet weder eine öffentliche Debatte noch ein fachlicher Diskurs statt.“ 20 Ohne aber diese Geschichtsbilder und Diskurse insgesamt und systematisch zu untersuchen, wird hier nur der Bereich exemplarisch analysiert, der im Zusammenhang mit zentralen religiösen Erinnerungsfiguren stand. Peter Brown betont, „ein großer Teil der mittelalterlichen Geschichte“ sei „undenkbar ohne die vorausgegangene Entscheidung, den Toten eine zentrale Stellung im Kult einzuräumen“.21 Inwieweit trifft dies auch für orthodoxe, südslavisch dominierte ­soziale und staatliche Verbände im Mittelalter sowie in der frühen Neuzeit zu? Wie veränderten sich die imaginierte Beziehung zwischen Toten und Lebenden sowie die durch sie getragenen kulturellen Funktionen während der Emanzipation vom osmanischen Kontext im 19. und 20. Jh.? Wesentlich für die religiöse Anziehungskraft eines Heiligenkultes auf breitere Kreise war und ist nicht zuletzt die als konkret vorgestellte Aussicht, in den Genuss seiner Heilungskraft zu kommen.22 Überdies soll hier in Anlehnung an Bourdieu 23 von ,sakralem Kapital‘ religiöser Erinnerungsfiguren gesprochen werden, das situativ sowie kontextuell eingesetzt wurde, um im herrschaftlichen bzw. politischen Sprach- und Handlungsfeld politische Argumentationsmuster bzw. politisches Kapital als symbolisches Kapital zu maximieren: Beispielsweise waren Heilige unter den religiösen Erinnerungsfiguren im Mittelalter nicht nur Medien religiöser Hoffnungen etwa auf Heilung und Für­sprache; insbesondere die heiligen Könige und Zaren unter ihnen dienten zur Inszenierung, Festi­ gung und Legitimierung von sakral begründeter Herrschaft. Vom 19. Jh. an wurden religiöse Erinnerungsfiguren neben älteren sakralen, dynastischen und herrschaftlichen Funktionen zu Produkten, aber auch zugleich im Prozess des Schreibens 24 zu – so die These – Kristallisationspunkten nationaler Historiographie und Publizistik, die für den jeweiligen Entwurf nationaler Identität charakteristisch und zentral waren. Welche konkreten Funktionen kamen religiösen Erinnerungsfiguren während der „Befreiung“ von der immer mehr als „Joch“, ja „Fremdherrschaft“ – der Begriff ist als Substantiv eine deutsche Erfindung des 19. Jh.25 – dargestellten osmanischen Herrschaft bzw. der „Rückkehr nach Europa“ 26 während des 19. Jh. zu? Übergreifend ist im Zusammenhang mit dem Entwurf orthodoxer „Modernitäten“ (auch die Kritik der Moderne erfolgt nur im



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Troebst (2007), S. 15. Brown (1993), S. 55, vgl. Oexle (1995), S. 36 f. Hasluck (1929) 1, S. 68 f. Zur Interdependenz „verschiedener Arten von Kapital“: (1994), S. 56 passim. White (1991). Koller (2005). Sundhaussen (2007a), S. 120.

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Einleitung

Kontext der Moderne)27 und Vergangenheiten bzw. eigener „Antiken“ 28 nach Strategien der Selbsteuropäisierung und Selbstokzidentalisierung durch die Orientalisierung der osmanischen Zeit zu fragen, oder andernfalls nach bewusster Abgrenzung vom modernen Europa.29 Kam es bis zum Ersten Weltkrieg in den südosteuropäischen Diskursen anders als oder ähnlich wie im Deutschen Reich zu einem Kulturkampf zwischen christlichen konfessionellen nationalstaatlichen Gruppen und der Kirche bzw. zwischen der Kirche und laizistischen Liberalen wie etwa in den „deux France“?30 Oder kann etwa für Serbien im 19. Jh. der Vergleich mit Italien hilfreich sein, wo ein „Antagonismus zwischen Staat und Kirche“ nicht überschätzt werden darf, trotz eines ausgeprägten „Antiklerikalismus“?31 Oder waren religiöse Erinnerungsfiguren schlicht unbedeutend, zumal Sundhaussen der serbischen orthodoxen Kirche für Identitäts- bzw. Wertedebatten im 19. Jh. nur eine „Nebenrolle“ zuerkennt?32 Wo lagen in diesem Zusammenhang Unterschiede und Gemeinsamkeiten in der Selbstinszenierung südosteuropäischer orthodoxer Monarchen im Zusammenhang mit Religion und Nation gegenüber der russländischen Monarchie?33 Hatte der bis zum Ende des Osmanischen Reiches geförderte „Osmanismus“ als transnationaler Entwurf einer imperialen Identität eine Chance,34 und welche Rolle spielten religiöse Erinnerungsfiguren in diesem Zusammenhang oder im Rahmen der panslavischen Idee 35 im Sinne „alternativer Europäizität“?36 In welcher Aus­prägung entwickelte sich im Diskurs über religiöse Erinnerungsfiguren im Ersten Weltkrieg wie „in allen beteiligten europäischen Staaten“ 37 auch in Bulgarien und Serbien eine regelrechte „Kriegstheologie“ 38? Inwiefern erfüllte das immer intensivere Gedenken an natio­nale Heilige nach dem in Bulgarien als nationale Katastrophe gedeuteten Ausgang des Ersten Weltkrieges ein situatives Bedürfnis nach nationaler Identitätssicherung? ­Welchen Funktionswandel erfuhr die Erinnerung an nationale Heilige der Serben mit der Gründung des SHS-Staates, als sich serbische Identität in Debatten um den Entwurf des

27 Eisenstadt (Hg.) (2002); Eisenstadt (1999), S. 20 f. Am Beispiel Frankreichs: Schubert (2004). 28 Klaniczay/Werner/Gecser (Hg.) (2011). 29 „Modernity, whatever this might mean, came from Europe“. Daskalov (1994), S. 38; Heppner/ Preshlenova (Hg.) (1999); Daskalov (2004), S. 39 – 47; Mishkova (2004); Mishkova (2006), S. 58; Stojčeva (2007); Mishkova (2011). 30 Mollenhauer (2004), S. 202; zum europäischen Kontext von „Culture Wars“: Clark/Kaiser (Hg.) (2003). 31 Janz (2004), S. 241. 32 Sundhaussen (2007a), S. 143. 33 Paradigmatisch: Wortman (2006). 34 Cooperman (1991), S. 284 f.; Adanir (2008); Vezenkov (2009); vgl. Blumi (2011). 35 Milojković-Djurić (1994). 36 Hasselhorn (2012), S. 242. 37 Mishkova (2004), S. 190. 38 Systematisch: Hammer (1971).

Historiographischer Kontext, Fragestellung und Gliederung

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„neuen jugoslawischen Menschen“ wandelte 39 und die Kirche im serbischen Kontext „die Distanz zwischen Kirche und Bevölkerung“ überwand?40 Ist die jugoslawische bzw. serbisch-kroatische Situation mit der tschechoslowakischen nach 1918 vergleichbar, wo konfessionelle Gegensätze die Nation zur „Arena von Deutungskämpfen“ machten?41 Wurden die südslavischen Monarchen etwa im Medium reli­giöser Erinnerungsfiguren zu modernen Herrschern?42 Welche Veränderungen sind in der Rhetorik der religiösen und nationalen Erinnerung unter dem Eindruck der Regime in Italien und Deutschland in den 1930er-Jahren und bis 1945 zu beobachten? Neben der Frage nach der Nationali­ sierung der Erinnerung an bestimmte Heilige ist dabei jeweils zu untersuchen, inwieweit gleichzeitig eine Sakralisierung der nationalen Identität zu beobachten war. Ist für Bulgarien und Serbien von spezifischen Ausformungen orthodox beeinflusster Argumentation im Kontext von allgemeinen „nationaltheologischen Denkfiguren“ 43 bzw. „politischer Theologie“ 44 moderner Nationalismen zu sprechen? Es ist zu keiner Zeit von einer realen Existenz von Erinnerungsorten in einer dynastischen, imperialen oder nationalen Erinnerungskultur oder von einer realen Topographie der nationalen Erinnerung auszugehen. Es ist vielmehr für jeden Text und Zusammenhang annäherungsweise zu bestimmen, welche Wünsche und Zielutopien der Autor der Quelle hegte, und nach Möglichkeit die vom Autor imaginierte, erwünschte oder vom Autor vorweggenommene Rezeption des Textes zu erkennen sowie dessen oft sehr beschränkte Wirkung einzuschätzen. Die Reproduktion, die Wiederholung kollektiver Erinnerung etwa an Jahrestagen einzelner Heiliger ist als bewusste oder unbewusste rhetorische (Re)Konstruktion zu verstehen. Zu fragen ist damit nach der Rolle, die die Beschreibung religiöser Erinnerungsorte in den Worten der Akteure spielen sollte. Die Dynamik des Wandels von Funktionen, Bedeutungszuschreibungen, medialer Vermittlung und auch des Grades der Sakralität oder Säkularität einzelner „Erinnerungsfiguren“ als narrativer Formationen ist letztlich am besten diskursgeschichtlich zu untersuchen: Ein Diskurs ist bestimmt durch spezifische Kommunikationsmittel, thematische Inhalte, Argumentationsstrategien, Denkfiguren, Verfahren, Begriffs­ felder, Satzformationen und Sinnzusammenhänge, Legitimationslogiken oder Wahrheitsentwürfe. Wichtig sind die Grenzen der Diskurse bzw. jene diskursiven Praktiken oder spezifischen Satzkonstruktionen sowie Begriffsfelder, die Horizonte und Inhalte kollek­tiven Handelns begrenzen und ermöglichen.45 Nicht weniger als mündliches 39 Vgl. Sundhaussen (2007a), S. 120; Nielsen (2002), S. 306. Zum Jugoslawismus: Bakić (2004); Djokić (Hg.) (2003); Džaja (2002). 40 Vgl. Sundhaussen (2007a), S. 143. 41 Schulze Wessel (2004), S. 137. 42 Vgl. zu Deutschland: Biskup/Kohlrausch (2008). 43 Wehler (2004), S. 29. 44 Exemplarisch zum „politisch-theologischen Selbstverständnis“ Wilhelms II.: Hasselhorn (2012). Zum Begriff vgl. auch Brokoff/Fohrmann (Hg.) (2003); Fohrmann (2003). 45 „Aussagen, die sich hinsichtlich eines bestimmten Themas systematisch organisieren, formieren einen Diskurs.“ Landwehr (2001), S. 98 f., S. 152. Im Sinne der „Begriffsgeschichte“:

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Handeln 46 ist dabei schriftliche Kommunikation als sozialer Handlungszusammenhang anzusehen.47 Handlungsfelder sozialer Akteure sind auf ihrer sprachlichen Ebene als Diskurse zu verstehen.48 Für den Aufbau der Abhandlung und die konkrete Analyse ausschlaggebend soll daher das Verständnis von Diskurs als einer „Form sozialer Praxis“ sein: Diskurse stehen hier nicht für eine rationalistische Utopie von Öffentlichkeit im Sinne von Habermas und auch nicht nur für Machtbeziehungen (Foucault), sondern in Anlehnung an ­Giddens für die „Dualität von Struktur“: Alle Sprechakte sozialer Akteure sind in Diskurse eingebunden und konstituieren sowie reproduzieren diese. Zudem können Akteure auf der Ebene des Diskurses durchaus in übergreifende Ordnungsvorgänge eingreifen: „Der Diskurs ist zugleich Beobachtungs- und Steuerungsmodus von Praxis“ und „reflektiert soziales Handeln“.49 Ein Diskurs formt und begrenzt ein Handlungsfeld auf der sprachlichen Ebene als Sprachfeld. Wichtig sind sowohl inhaltliche Grenzen der Diskurse als auch soziale sowie räumliche Grenzen ihrer Herstellung als konkrete Handlungsfelder durch konkrete Akteure, charakteristische Argumentationslogiken, rhetorische Überzeugungsstrategien und Schreibstile, einzelne spezifische Satzkonstruktionen sowie Begriffsfelder. Diese begrenzen und ermöglichen die Horizonte und Inhalte kollektiven Handelns. Handlungsfelder können verschiedene soziale Reichweiten erlangen, verschiedene „Felder“ der Auseinandersetzung um oder im physischen Stadtraum sowie im „relationalen sozialen Raum“ sein.50 Zudem können sie besondere Handlungslogiken 51 und in der Konkurrenz von Kommunikationsakten eine eigene Ausprägung von „Öffentlichkeit“ hervorbringen. Grundsätzlich ist von unterschiedlichen Öffentlichkeiten mit verschiedenen räumlichen und sozialen Reichweiten auszugehen.52 So werden Kommunikationszusammenhänge innerhalb von Vereinen als „kleine Öffentlichkeit“, Massenmedien als „mittlere“ sowie eine übergreifende „große Öffentlichkeit“ unterschieden.53 Entscheidend für jeden Kommunikationsvorgang in einer Öffentlichkeit, in die auch kollektive Erinnerung einzubetten

Daskalov (2004), S. viii f. 46 Vgl. Landwehr (2001), S. 100. Die Sätze hier und auf der folgenden Seite sind ähnlich in: Rohdewald (2005), S. 20 f., S. 29. 47 Kommunikation in und zwischen Gruppen wird als eine „Sozialhandlung“ verstanden, als eine „notwendig von mehreren gemeinsam durchgeführte Handlung“. Lenke/Lutz/Sprenger (1995), S. 122 f. 48 Der Begriff Diskurs steht so für sprachlich hergestellte Handlungs- und Sinnzusammenhänge, für einen „Spielraum des Sagbaren“, für die sprachlichen Grenzen eines Handlungsfeldes. Vgl. Hardtwig (1997), S. 17. 49 Welskopp (2000), S. 56 f. 50 Bourdieu (1991), S. 26 – 34. 51 Bourdieu (31999), S. 25 f. 52 Beispielsweise zum 20. Jh.: Hofmann/Wendland (2002); zur frühen Neuzeit: Hofmann (2001); zum Mittelalter bzw. „okkasioneller Öffentlichkeit“: Thum (1990). 53 Vgl. Hofmann/Wendland (2002), S. 13 – 18; Neidhardt (1994), S. 10 f.

Historiographischer Kontext, Fragestellung und Gliederung

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ist, sind alle Elemente des Prozesses: Produzenten, Intentionen, Konzepte und Ideologien, Medien, Stilmittel, Publikum und Rezeption. Erinnerungsfiguren stehen aus der Sicht der Sprechenden und Schreibenden dabei in erster Linie als Medien zur Ver­fügung. Durch die Medialisierung kann sich aber sowohl der Inhalt der zu ver­breitenden Nachricht verändern als auch das Medium. Dies gilt es gerade an den Grenzen und in den Überlappungsgebieten zwischen dem religiösen Sprach- und Handlungsfeld mit den Diskursen des Nationalismus und der Politik zu beachten. Diskursgeschichte und damit die Sprachfelder, in denen sich narrative Erinnerungsfiguren formatieren, sind als Handlungsfelder von Akteuren mit der sozialen Trägerschaft der Erinnerung und so mit der Sozialgeschichte zu verbinden. Auch für den gegebenen Untersuchungsgegenstand sind für die einzelnen Erinnerungsfiguren dabei jeweils ihre Verbindungen nicht nur mit einem, sondern mit mehreren Sprachfeldern zu unterscheiden, deren wechselseitige Abgrenzung oder Überlagerung von besonderem Interesse sind. Konkret sollen in dieser Arbeit nicht zuletzt Angaben zum Tätigkeitsfeld der Autoren der hier untersuchten Texte eine sozialgeschichtliche Einordnung ermöglichen: Wo solche Angaben im Weiteren fehlen, soll der Leser auch dort, wo dies nicht ausdrücklich angemerkt ist, annehmen, dass keine relevanten biographischen Hinweise gefunden werden konnten. Wo kein Verfasser von Zeitungstexten genannt wird, war bereits in der Zeitung keiner angegeben. Für jede der durch diese Texte konturierten narrativen Figuren ist zu untersuchen, zu welchem Zeitpunkt und in welchen sozialen Kommunikationssituationen sie in unterschiedlichen Sprachfeldern zum Einsatz kamen – namentlich in einem kirchlich-sakralen, in einem dynastisch-herrschaftlichen, einem ständisch-adeligen, einem vaterländischen, einem imperialen oder einem nationalen Diskurs.54 Es ist jeweils zu klären, wann und in welcher Form sich welche dieser Diskurse mit der Figur verbanden oder sich in wechselseitiger Konkurrenz aus- oder gegeneinander bewegten. Für den Übergang vom vormodernen Nationenverständnis zum modernen Nationalismus bleibt besonders zu beachten, ob sich seit dem 19. Jh. Religion tatsächlich dem Nationalismus als absolutem Wert und Leitvorstellung unterordnete. Anhand der Erinnerungsdiskurse wird zu untersuchen sein, inwiefern die traditionelle Nähe der orthodoxen Kirchen zur Herrschaft im Sinne der byzantinischen „symphonia“ sich im 19. und 20. Jh. zu einer spezifischen Nähe zur modernen Staatlichkeit und zum modernen Nationalismus entwickelte. Zwar wurde spätestens für die Zeit der Balkankriege festgestellt, Geistliche hätten nicht weniger als Politiker nationale Bestrebungen propagiert. Diese Aktivität als „Träger und Förderer nationaler Identität“ ist aber als weitgehend neu, und nicht als eine alte Kontinuität der Osmanenzeit anzusehen,55 wie zu sehen sein wird. Auch die These bleibt zu prüfen, die Orthodoxie habe

54 Vgl. Schenk (2004a), S. 87 f., S. 142 f., S. 171 f.; Schenk (2004b), S. 334 passim. Zur deutschen Rezeption des in der römischen Antike entstandenen Vaterlandsdiskurses: Hirschi (2006), S. 37 passim. 55 Anders: Boeckh (1996); vgl. Kraft (2003).

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in Anlehnung an den Staat Macht gewonnen und behalten können, indem sie sich als Medium nützlich machte, um die Einwohner mit dem Staat zu verbinden sowie Angehörige anderer konfessionsethnischer Gruppen auszugrenzen:56 Die konkrete inhaltliche und sprachliche Umsetzung dieser Funktion ist weitgehend unerforscht. Die Deutung des Einsatzes des hl. Blasius in Dubrovnik als Medium „horizontal verlaufender Kommunikation“ zur Schaffung einer „Gesamtöffentlichkeit“ der in Stadt und Land fragmentierten Gesellschaft seit dem Spätmittelalter erscheint hier wegweisend.57 Mit dem Blick auf die genannten Begriffe der „politischen“ oder „weltlichen Religion“ sowie „religiöser Politik“ sind alle Phänomene einer Neuausrichtung oder einer prinzipiellen Veränderung traditioneller christlicher Religion im nationalen Bezugsrahmen genau zu beobachten.58 Die Berücksichtigung von Forschungen zu Beziehungen zwischen Natio­ nalismen, autoritären Regimen und Katholizismus sowie Protestantismus im europäischen Rahmen soll eine überregionale Einordnung ermöglichen. Die Frage nach inhaltlichem Wandel religiöser Erinnerungspraktiken ist eng mit derjenigen nach ihrem medialen Wandel verbunden. Offizien, Viten und Chroniken sind die Texte, in denen im Mittelalter sowie in der frühen Neuzeit Kulte in Worte gefasst, inszeniert, legitimiert, gefestigt und mit deren Hilfe die Erinnerungsfiguren sich im Rahmen sozialer Praktiken wie der Andacht im kollektiven Gedenken verbreiteten. Die allmähliche Entstehung einer bulgarischen 59 bzw. serbischen Zeitungslandschaft und die ersten Publikationen mit größeren Auflagen in der zweiten Hälfte des 19. Jh. sowie die Blüte der Tageszeitungen und der historischen Publizistik in der Zwischenkriegszeit förderten die Entstehung moderner nationaler Erinnerungskulturen und veränderten die Funktion, die Trägerschaft und die Reichweite nationaler Erinnerung. Sie waren für die zunehmende Lösung des Gedenkens an Heilige aus dem kirchlichen Bereich wesentlich. In der vorliegenden Arbeit soll sich das weite Feld der beschreibbaren Erinnerungsorte religiös und konfessionell auf die von orthodoxen Südslaven initiierten und von diesen getragenen beschränken. Auf die äußerst vielfältigen spätantiken bzw. byzantinischen Landschaften religiöser Erinnerungsorte wie muslimischer Erinnerungsfiguren wird nur am Rande verwiesen werden können. Albanische, türkische, bosnische, walachische oder aromunische, rumänische und auch griechische sowie armenische und jüdische Kontexte, die zur Erinnerung an die hier untersuchten Gedächtnisorte gehören, werden damit nur teilweise berührt werden. Auch Erinnerungsfiguren christlicher bzw. kirchlicher Gruppen der Slaven, die aus der Sicht der orthodoxen Kirchen außerhalb der Orthodoxie standen, wie Bogumilen sowie die bosnische Kirche, aber auch Katholiken und Griechischkatholische bzw. Unierte werden hier in der Regel ausgeklammert

56 Boeckh (1996). 57 Malz (2002), S. 6. 58 Neben ihrer Rolle als Herrschaftsstütze ist für die Orthodoxie im frühneuzeitlichen Polen-­Litauen eine traditionelle Distanz zum ,alltäglichen‘, säkularen politischen Sprachfeld mit Aus­wirkungen bis ins 19. Jahrhundert als These behauptet worden. Brüning (1998). 59 Sampimon (2006b), S. 134 – 140.

Historiographischer Kontext, Fragestellung und Gliederung

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bleiben müssen.60 Diese wie auch antike bzw. byzantinische Erinnerungsfiguren ­werden allerdings nach Möglichkeit angesprochen, wo sie sich mit nationalen religiösen Erinnerungsfiguren der orthodoxen Südslaven etwa als Vorbilder 61 berührten oder im Streit um solche Erinnerungsfiguren in ein explizites Konkurrenzverhältnis zueinander gerieten. So wird wenigstens exemplarisch auf mit ihnen verbundene Aspekte hingewiesen, die vorgeblich nur von einer Ethnie oder Nation gepflegten Heiligenkulten landeskirch­ liche Grenzen überschreitende oder transnationale, transkonfessionelle, ja transreli­ giöse Dimensionen verliehen. Orte, die für die Orthodoxie zentral waren, aber in den herrschaftlichen Konzepten des Spätmittelalters oder in den nationalen Bewegungen keine richtungweisende Rolle spielten, wie die Klöster auf dem Berg Athos,62 werden nur für die Verehrung der hier im Zentrum stehenden Heiligen berücksichtigt. Für die Wallfahrt ins Heilige Land nach Jerusalem soll hier der Hinweis auf eine transkulturelle und transreligiöse Praxis genügen: Selbst orthodoxe Mönche und Kirchenfürsten wie die Patriarchen von Peć trugen den Ehrentitel der Muslime für die Wallfahrer nach Mekka und wurden nach ihrer Reise nach Jerusalem entsprechend als „hajji (arab. al-ḥağğī, türk. hacı, griech. Χατζη, bosn. hadžija, bulg. chаdži, serb(okroat). hadži)“ bezeichnet.63 Letztlich stehen nur jene Erscheinungen im Zentrum des Interesses, die im politischen Diskurs der südslavisch beherrschten Personenverbandsstaaten des Mittelalters wesentlich waren, und/oder im 19. und 20. Jh. für die Nationalbewegungen (die bulgarische, serbische bzw. jugoslawische und makedonische) entscheidend wurden. Mit dieser Beschränkung, aber auch über diese hier aufgezählte Liste hinausgehend kann es insgesamt nicht das Anliegen sein, einem Anspruch auf Vollständigkeit nachzukommen. Namentlich interessieren die Verehrung von serbischen und bulgarischen Herrschern als Heilige, der hl. Sava, der Kosovomythos, Kyrill und Method – seit 1980 bzw. 1985 Kopatrone Europas –, Kliment von Ohrid, Ivan von Rila, aber auch heilige Zaren wie Boris und die mit diesen Heiligen verbundenen Klöster. Die Erinnerungsfiguren werden als separate Sprachfelder untersucht, wobei im übergreifenden Vergleich ihre Charakteristik gegenüber den anderen Figuren herausgearbeitet wird. Mit der Beschränkung auf ausgewählte zentrale religiöse Erinnerungsfiguren und den Wandel ihrer Verehrung soll die Entstehung wesentlicher Elemente nationaler Identi­tät der orthodoxen Südslaven in einen gemeinsamen, den Kontext eines nationalen Erinnerungsgefüges überschreitenden Zusammenhang gestellt werden können. 60 Sampimon (2006b), S. 23 – 38. 61 Zu Kriegerheiligen: Walter (2003). 62 Hervorragend zum Kloster Hilandar in der serbischen (Erinnerungs)Politik: Radić (1998); zum bulgarischen Kloster Zograf: Boškov/Vasiliev (1981). 63 Ein Beispiel eines Mönchs des Athos-Klosters Zograf: „und so ist er laut uns mit dem Namen hadži zu nennen“. Stari srpski zapisi i natpisi 4, Nr. 6954 (1666), S. 174. Über den Patriarchen von Peć „kir haži [sic] Maksim“: Nr. 7038 (1680), S. 188 f.; vgl. „pri patrijarhu hadži kir ­Kaliniku“: Stari srpski zapisi i natpisi 5, Nr. 7316 (1704), S. 6. Eine Notiz des Belgrader Metro­ politen: „mitropolit beligradsky hadži kir Simeon“: Nr. 7080 – 7081 (1682, 1684), S. 195 f.

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Die überregionalen Heiligenkulte der Südslaven des Mittelalters und der frühen Neuzeit waren oft nicht auf eine Volksgruppe oder ein Staatswesen begrenzt. Im 19. und 20 Jh. wiesen auch die Nationalheiligen der Nationalbewegungen oft Wirkungskreise auf, ­welche die zeitweiligen Grenzen des als Nationalstaat verstandenen Gemeinwesens überschritten. Insbesondere, aber nicht nur für Makedonien lässt sich im Streit um nationale Gebietsansprüche ein Wettkampf um die Identität lokaler Gruppen beobachten,64 für den der Einsatz religiöser Erinnerungsfiguren nicht nur beispielhaft aufgezeigt werden kann, sondern in dem diesen – so eine weitere These – eine entscheidende Rolle zukam. Wie dargestellt, wurden Erinnerungsfiguren bisher meist in nationalen Rahmen untersucht. Die Untersuchung orthodoxer südslavischer Erinnerungsorte und ihrer Wechselwirkungen soll nun nicht zuletzt einen Beitrag darstellen, Zusammenhänge der eng aufeinander bezogen entstandenen serbischen, bulgarischen und makedonischen nationalen Identitätsenwürfe zu verdeutlichen. Aus einer vergleichenden Perspektive sollen Erinnerungslogiken dieser sich nach und nach in Diskursen konturierenden Groß­ gruppen bzw. ihrer religiösen und politischen Eliten herausgearbeitet werden. Gleich­zeitig ist stets zu hinterfragen, ob die einzelnen Kulte als Bestandteile eines übergreifenden Repertoires religiöser Erinnerungsorte der orthodoxen Südslaven verstanden werden können. Die Analyse von Erinnerungsorten bietet sich als Modellfall zur Anwendung der Ansätze der histoire croisée an, die sich mit der Betonung von Phänomenen der „Verflechtung“ und der „Pluralisierung der Sichtweisen“ gegen nationale Perspektiven wendet. „Transnationalen“ kulturellen Prozessen wird in diesem Kontext eine „eigene Logik“ zugeschrieben.65 Die Erforschung „transnationaler“ Verflechtung hat sich dabei nicht nur auf das 19. und 20. Jh. zu beschränken.66 Transnationale Verflechtungen der Erinnerungsdiskurse im Wettstreit einer dynamisch verstandenen Erinnerung als aktiver Konstruktion sind von besonderem Interesse.67 Für das Mittelalter wie auch für die frühe Neuzeit bietet es sich an, das Verhältnis von Slaven und Byzanz respektive von christlichen Slaven und dem Osmanischen Reich im Rahmen des Konzeptes der „Kontaktzone“ im Sinne von Marie Louise Pratt zu untersuchen.68 Kulturelle (soziale und diskursive) Praktiken sind auch in diesem Zusammenhang im Sinne der cultural studies als diskursive Konstruktion und in der Pragmatik, in ihrer (Re)Produktion und im performativen Hervorbringen von Sinnzuschreibungen begründet.69 Der Blick soll sich dabei nicht nur im serbischen, sondern gerade auch im bulgarischen Fall nicht nur auf die sicherlich dominante Wirkung byzantinischer Zusammenhänge auf bulgarische Diskurse und die im Verhältnis zu Konstantinopel mimetische

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Immer noch grundlegend: Adanir (1979); Boeckh (1996). Werner/Zimmermann (2002), S. 635. Vgl. Krieger (2004). Zu sozialen Beziehungen durch Verflechtungen: Elias (1970), S. 75 – 109. Zu „Zentraleuropa“: Rider/Csáky/Sommer (Hg.) (2002). Dort auch zur religiösen Komponente des ungarischen Stephansmythos: Pribersky (2002), S. 67 – 77. 68 Pratt (1992), S. 4, S. 6; vgl. Rohdewald (2012); Rohdewald/Frick/Wiederkehr (Hg.) (2007). 69 Hörning (2004), S. 139.

Historiographischer Kontext, Fragestellung und Gliederung

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sowie nacheifernde Intention bulgarischer Akteure richten,70 sondern gegebenenfalls in der Wechselwirkung als „Verflechtungsgeschichte“ etwa auch auf die Aneignung „bulgarischer“ kultureller Praktiken oder Entwürfe durch byzantinische Akteure.71 Mit der hier gewählten Begrifflichkeit werden in vieler Hinsicht bereits offene Türen eingerannt, so spricht auch Avenarius von der „Verflechtung“ und der Beeinflussung auch byzantinischer Diskurse durch bulgarische.72 Eine Analyse, die die Begrifflichkeit im angezeigten Sinne reflektiert und sich dabei noch weiter von der Vorstellung einheitlicher Kulturen entfernt sowie Mittelalter und frühe Neuzeit in einen Zusammenhang stellt, steht aber aus.73 Eine Konzeptualisierung der frühneuzeitlichen osmanisch-europäischen Verflechtung als „osmanisches Europa“ beginnt gerade erst.74 Es kann nicht das Ziel der vorliegenden Arbeit sein, umfassend die Ziele der Orthodoxie oder der Nationalbewegungen im Untersuchungsgebiet zu erarbeiten. Nur jene Aspekte, die über das Medium religiöser Erinnerungsfiguren popularisiert und verbreitet wurden, sind hier von Interesse. Erinnerungskulturen um nationale Heilige wurden im 19. und 20. Jh. zu wesentlichen Kristallisationspunkten moderner nationaler Historio­ graphie und Identität der orthodoxen Südslaven. Wesentlich ist deshalb für diesen Zeitraum die Untersuchung des Verhältnisses zwischen Nationalisierung und Säkularisierung religiöser Erinnerung sowie Sakralisierung der Nation im Kontext moderner Massenideologien. Von zentraler Bedeutung ist hier die Analyse der Rolle, die Diskurse über nationale religiöse Erinnerungsfiguren im Rahmen von kontroversen Debatten über Staats- und Gesellschaftsentwürfe innerhalb der jeweiligen nationalen Eliten spielten.75 Am ­Beispiel der religiösen Erinnerungsfiguren wird zu exemplifizieren sein, ob die schmalen Eliten mit der Betonung des Reichtums sogenannter Volkskultur die kulturelle Distanz zwischen der Bevölkerung der neuen Staaten und ihnen selbst verringern und die Imagination einer nationalen und sozialen Einheit fördern konnten.76 Die Konzentration auf religiöse Erinnerungsfiguren verspricht Aufschluss über nicht-sozialistische Moderneentwürfe nominal orthodoxer Gesellschaften. Insgesamt soll erkennbar werden, auf welche Weise und teilweise auch mit welchem Erfolg religiöse und (bildungs)politische Eliten im weiten Sinne, und damit einschließlich der klein­städtischen und dörflichen Geistlichkeit sowie Grund- und Mittelschullehrerschaft, religiöse Erinnerungsfiguren zur Verbreitung nationaler Zielutopien instrumentalisierten und zur Festigung der kollektiven Identität möglichst großer Gruppen in ethnisch und 70 Vgl. Avenarius (2000), S. 211 – 216. 71 Zur Analyse transkultureller oder hybrider Phänomene des europäischen Mittelalters inklusive Byzanz und der arabischen Welt: Borgolte u. a. (Hg.) (2008); Borgolte/Schneidmüller (Hg.) (2010). 72 Vgl. Avenarius (2000), S. 12 – 15. Speziell zum bulgarischen Kontext dort: S. 144 – 176. 73 Eine auf das Mittelalter beschränkte Vorarbeit: Rohdewald (2012a). 74 Helmedach u. a. (Hg.) (2014). 75 Zur Spaltung der serbischen Elite im Diskurs über „Europäisierung“ teilweise nach russischem Vorbild seit dem 19. Jh.: Sundhaussen (2007a). 76 Ėtkind (2002), S. 290.

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religiös stark heterogenen Regionen zur Umwandlung von Bauern zu Bulgaren oder Serben einsetzten. Es gilt, anhand der Verehrung von religiösen Figuren das Zusammenspiel von kirchlichen, nationalen und politischen Diskursen exemplarisch zu untersuchen und in einen gesamteuropäischen Zusammenhang zu stellen. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit soll auch, stärker als es bislang der Fall war, der Blick auf die grundlegenden mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Texte der Memoria und Heiligenverehrung intensiviert werden, damit narrative Veränderungen in den späteren Jahrhunderten und insbesondere im 19. und 20. Jh. konsequent kontextualisiert werden können. Nach der dennoch knappen Aufarbeitung der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Grundlagen sowie der ersten Blüte der Nationalbewegungen steht der Zeitraum von 1900 bis 1945 im Zentrum der Abhandlung. Die Verehrung nationaler Heiliger in den sozialistischen Staatssystemen stellt einen eigenen Forschungsgegenstand dar, wie auch ihre Renaissance seit den 1980er-Jahren. Hier wird, abgesehen von einem sehr knappen Ausblick am Ende der Arbeit, nur indirekt auf die Zeit nach 1945 eingegangen werden, namentlich in kurzen historiographischen Bemerkungen zu wissenschaftlichen Werken, welche die Entwicklung vor diesem Zeitpunkt betreffen, jedoch später erschienen sind. Um Entwicklungen in gesamteuropäische Zusammenhänge einzuordnen, wird sowohl im Haupttext als auch in der Endzusammenfassung exemplarisch auf vergleichbare Diskurse hingewiesen. Der Fragestellung folgend werden in der vorliegenden Untersuchung für die jeweiligen Zeitabschnitte der mediale Einsatz und die Funktionen der einzelnen Erinnerungsfiguren dargestellt, die ihnen durch Geistliche, Lehrer, Historiker und Politiker oder Gläubige zukamen. Am Anfang der Analyse der einzelnen Zeitabschnitte wird dabei jeweils ein äußerst knapper Überblick über den grundlegenden historischen Rahmen stehen. Im Verlauf der einzelnen Kapitel ist, verflochten mit der diskurs- und kommunikations­ geschichtlichen Aufarbeitung der Verehrungspraktiken, auch über die Akteure und Institutionen der Verbreitung und des Einsatzes und über Rezipienten religiöser Erinnerungsfiguren zu berichten. Von erstrangiger Bedeutung ist das kulturwissenschaftliche Credo – die Wahrnehmung der Erfahrung und der Selbstpräsentation der Akteure und damit die Untersuchung der zeitgenössischen Sprache und ihrer Begriffe.77 Auch in diskursiven Bereichen, zu denen bereits teilweise wichtige Forschungen erstellt worden sind, wird mit der Methode der exemplarischen Fokussierung auf einzelne Texte, die nicht zuletzt in marginalen Publikationen erschienen, Neuland betreten. Die Kapitel sind nach den einzelnen Erinnerungsfiguren und ihren regionalen Medialisierungen angeordnet. Die Darstellung religiöser Erinnerungsfiguren in der bildenden Kunst, auch auf Ikonen und Gemälden sowie im Film und in der Belletristik bzw. der Poesie kann hier angesichts der Masse der Umsetzungen etwa allein des Kosovomythos auch dort nur

77 Burke (2000), S. 22 passim.

Forschungsstand

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teilweise berücksichtigt werden, wo bereits Vorarbeiten bestehen.78 Die ausgewählten Illustrationen sollen der visuellen Dimension der (Re)Produktion der Erinnerungs­figuren exemplarisch Rechnung tragen. A 2  Forschungsstand

Zunächst ist zu besprechen, wie vergleichbare Ansätze und Themen bisher definiert und umgesetzt worden sind. Überdies ist mit ersten Hinweisen in den (südost)europäischen Zusammenhang von Beziehungskonfigurationen von Herrschaft, Nation, Religion und religiöser Memoria einzuführen. Erst darauf wird der Forschungsstand zu Südost­europa skizziert. A 2.1  Orte, narrative Figuren und Diskurse

Das neue Interesse an Erinnerungskulturen ist nicht zuletzt auf die von Pierre Nora zu französischen „lieux de mémoire“ herausgegebenen Bände zurückzuführen.79 Etienne François und Hagen Schulze brachten den Zugang dem deutschen Publikum näher.80 Beide Projekte stützen sich auf die Überlegungen des Soziologen Maurice Halbwachs, der in seinen Werken „Les cadres sociaux de la mémoire“ (1925)81 und „La mémoire collective“ (1950)82 individuelles Erinnern ausschließlich im kollektiven Zusammenhang begründete. Dabei unterschied er soziale, zeitliche und räumliche „Rahmen (­cadres)“ der kollektiven Erinnerung.83 Halbwachs spricht zudem von „Erinnerungsbildern (les

78 Eine 650 Seiten zählende Sammlung literarischer Werke zum Kosovomythos: Kosovski boj u srpskoj književnosti. Zu Njegošs Bergkranz und Miloš Crnjanski vgl. Wachtel (1998, 2004); Mašek (2004); Sundhaussen (2007b), S. 296 – 298. Zur Literatur der bulgarischen „Wieder­ geburt“ beispielsweise: Smochovska-Petrova (2002); Aretov (2006). Zu Kunst und nationalen Entwürfen jetzt: Smith (2013). 79 Nora (Hg.) (21997). 80 Nicht nur etwa mit der Untersuchung eines „Weißwurstäquators“ wird bei François/Schulze zum Problem, dass die Kriterien für die Auswahl der Orte nicht explizit offengelegt werden. Die Beiträge sind essayistisch gehalten und bemühen sich nur teilweise, den konkreten Wandel der Erinnerung für alle Perioden im ,Lebenslauf‘ der einzelnen Orte mit Beispielen aus allen relevanten Quellengattungen nachzuzeichnen. François/Schulze (Hg.) (2001). Drei Bände zu italienischen „luoghi della memoria“: Isnenghi (Hg.) (1996 f.). 81 Halbwachs (21994). 82 Halbwachs (21997). 83 Echterhoff/Saar (2002), S. 16. Mit Assmann nimmt Halbwachs eine „,Rahmenanalyse‘ des Erinnerns“ vor, analog zu Goffmanns „Rahmenanalyse der Erfahrung“ bzw. zu dessen Theorie sozialen Handelns in „frames“. Zu Goffmann: Willems (1997), hier S. 35 passim. Zu religiöser Erinnerung: Halbwachs (21994), S. 178 – 221.

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images-souvenirs)“,84 von „unseren Erinnerungen, Bildern oder Ensembles konkreter Bilder“, die „aus einer Kombination von Schemen, oder von Rahmen“ bzw. aus „kollek­tiven Repräsentationen“ hervorgehen.85 Vergangenheit kann nicht wiederauf­ leben, sondern nur in kollektiven Kommunikationsprozessen situativ bedingt evoziert werden.86 In seiner exemplarischen Studie zur „legendären Topographie“ des Heiligen Landes arbeitet Halbwachs auch den räumlichen Bezug kollektiver Erinnerung heraus.87 Jedoch ist weniger metaphorisch von einem „Gedächtnis der Nation“ zu schreiben als nach Möglichkeit der einzelne Akteur als Träger und Reproduzent von Erinnerung im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu belassen, allerdings jeweils „in Abhängigkeit von den ,Rahmen‘, die seine Erinnerung organisieren“.88 Von „Erinnerungsorten“ wird im übertragenen Sinn gesprochen: Auch „reale wie mythische Gestalten und Ereignisse, Gebäude und Denkmäler, Institutionen und Begriffe“ sowie Kunstgegenstände und Bücher sind als „loci memoriae“ für soziale Gruppen zu Erinnerungsorten geworden.89 Mit François und Schulze bestehen Erinnerungsorte in der Produktion und Reproduktion durch ihre soziale Trägergruppe: Sie sind „langlebige, Generationen überdauernde Kristallisationspunkte kollektiver Erinnerung und Identität, die in gesellschaftliche, kulturelle und politische Üblichkeiten eingebunden sind und die sich in dem Maße verändern, in dem sich die Weise ihrer Wahrnehmung, Aneignung, Anwendung und Übertragung verändert“.90 Der damit umrissene stetige Wandel von Formen, Inhalten, Medien und Funktionen der Erinnerung ist von grundlegender Bedeutung für das Verständnis von Erinnerungsorten. In Anlehnung an Halbwachs schreibt Jan Assmann sodann von „Erinnerungs­figuren“. Diese seien „kulturell geformte, gesellschaftlich verbindliche ,Erinnerungsbilder‘“. ­Assmann zieht „den Begriff der ,Figur‘ dem des ,Bildes‘ deshalb vor, weil er sich nicht nur auf ikonische, sondern z. B. auch auf narrative Formung bezieht“. „Erinnerungs­ figuren“ wie „Erinnerungsorte“ und „Erinnerungsbilder“ sind jedoch alle gleicher­maßen metaphorisch zu verstehen: Sie bezeichnen nicht geographische Orte und nicht reale



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Halbwachs (21994), S. 1 – 39. Halbwachs (21994), S. 279. „Erinnerungen sind Vergangenheitsversionen, keine Abbilder.“ Echterhoff/Saar (2002), S. 18. Zur Erinnerung an das „Heilige Land“: Swanson (Hg.) (2000). Jan Assmann kommentiert ­Halbwachs: „Jede Gruppe, die sich als solche konsolidieren will, ist bestrebt, sich Orte zu schaffen und zu sichern, die nicht nur Schauplätze ihrer Interaktionsformen abgeben, sondern Symbole ihrer Identität und Anhaltspunkte ihrer Erinnerung.“ Diese Erinnerung ist räumlich angelegt, aber nicht an den physischen Raum gekoppelt: „Gruppe und Raum gehen eine symbolische Wesensgemeinschaft ein, an der die Gruppe auch festhält, wenn sie von ihrem Raum getrennt ist, indem sie die heiligen Stätten symbolisch reproduziert.“ Assmann (42002), S. 39. 88 Assmann (42002), S. 36. 89 Sie entsprechen den „loci memoriae“ der klassischen Mnemotechnik, in der Gedächtnisinhalte räumlich angeordnet werden, und beschränken sich nicht auf physische Orte. François/Schulze (2001), S. 18. 90 François/Schulze (2001), S. 18.

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Persönlichkeiten oder Figuren, sondern in der Erinnerung thematisch, bildlich und narra­tiv gestaltete Einheiten. „Erinnerungsfiguren“ weisen einen „konkreten Bezug auf Zeit und Raum“ sowie zu einer sozialen Gruppe auf und bestehen mit Halbwachs in der „Rekonstruktivität als eigenständigem Verfahren“.91 Laut Assmann konzentriert sich das „kulturelle Gedächtnis“ im Gegensatz zum „kommunikativen Gedächtnis“ nicht auf die junge Vergangenheit, sondern „auf Fixpunkte in der Vergangenheit“. Die Rede von „Fixpunkten“, Gerinnungsprozessen 92 und Institutionalisierung 93 lenkt die Aufmerksamkeit auf die Festigung von Strukturen.94 Dagegen steht die Dynamik der Kommunikationsvorgänge der Rekreativität, wie sie Halbwachs feststellte, in Assmanns Konzeption des „kulturellen Gedächtnisses“ im Hintergrund.95 Diese statische Charakterisierung des „kulturellen Gedächtnisses“ ist aus mehreren Gründen zu hinterfragen. So ist nicht von vornherein von einer Unabänderlichkeit der „mythischen Urgeschichte“ in der wiederholten Erzählung auszugehen, auch wo diese den Akteuren selbstverständlich scheint. Vielmehr sind gerade ihr Wandel und seine Bedingungen in den Mittelpunkt des Interesses zu rücken. Das „kulturelle Gedächtnis“ muss auch nicht vorwiegend sakral sein.96 Die Reproduktion insbesondere nationaler „Mythen“ folgt immer aktuellen Interessen namentlich zu nennender Akteure, die sich an ein bestimmtes Zielpublikum wenden. Überzeitliche narrative „Erinnerungsfiguren“ dienen nicht zuletzt dazu, aktuelle Ereignisse zu „erklären“ und in einen diskursiven Kontext zu stellen. Wo aber kurze Zeit zurückliegende Ereignisse und Vorgänge untrennbar mit überzeitlichen Deutungszusammenhängen verknüpft werden, verschwimmt die Trennlinie zwischen „kommunikativem“ und „kulturellem Gedächtnis“. Assmann entwickelt diese Unterscheidung im Zusammenhang mit frühen Hochkulturen und spricht hauptsächlich im religiösen Kontext vom kulturellen Gedächtnis. Aber gerade auch im religiösen Bereich ist der Wandel der Erinnerungsfiguren in ihrer Reproduktion ins Zentrum des Interesses zu rücken. Ebenso sehr sind dabei überdies nach Möglichkeit die individuellen Akteure als soziale Trägerschaft der kollektiven Erinnerung sowie die

91 Assmann (42002), S. 38. 92 Die ferner zurückliegende Vergangenheit „gerinnt“ zu „symbolischen Figuren“, „an die sich die Erinnerung heftet“. Der Mythos als „fundierende Geschichte, eine Geschichte, die erzählt wird, um eine Gegenwart vom Ursprung her zu erhellen“, ist gleichfalls als Erinnerungsfigur anzusehen. In der „Erinnerung wird Geschichte zum Mythos“ und damit zur „Wirklichkeit im Sinne einer fortdauernden normativen und formativen Kraft“. Assmann (42002), S. 52. 93 Assmann versteht das „kulturelle Gedächtnis“ als „institutionalisierte Mnemotechnik“. Assmann (1992), S. 52. 94 Das „kulturelle Gedächtnis“ ist ihm gemäß inhaltlich durch „mythische Urgeschichte“ geprägt, seine Formen besitzen einen „hohen Grad an Geformtheit“. Seine Medien sind „feste Objektiva­ tionen“, und die Trägerschaft „spezialisiert“. Assmann (42002), S. 56. 95 Dies, obschon Assmann auf diesen Aspekt des Halbwachs’schen Konzeptes hinweist: Assmann (42002), S. 42 – 44. 96 Kultureller Erinnerung hafte generell „etwas Sakrales“ an, zudem sei sie zeremoniell. Assmann (42002), S. 52 f.

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mit ihnen verbundenen Veränderungen zu beachten und damit Aspekte, die weder bei Halbwachs noch bei Assmann im Vordergrund stehen. Aber nicht nur die sozialen Grenzen der Reichweite von Erinnerungspraktiken, sondern auch die sich wandelnden Medien und Medialisierungen der Erinnerungsdiskurse sowie die Textproduzenten, die durch die Autoren und Redner vertretenen Institutionen sowie das Zielpublikum sind entsprechend den Kommunikationskontexten jeweils klarzustellen. So ist nach Möglichkeit die Kommunikationssituation, in deren Rahmen auf religiöse Erinnerungsfiguren als Medialisierungsmittel zurückgegriffen wurde, zu rekonstruieren. Intentionen und Zielvorstellungen der Autoren sowie deren Position gegenüber anderen Entwürfen sind erst auf dieser Grundlage erkennbar. Wesentlich sind daher die Situierung der Texte und die Aufarbeitung von Diskursen um einzelne Erinnerungsfiguren nicht nur im Rahmen lokaler, hauptstädtischer oder parteipolitischer und staatlicher sowie kirchlicher öffentlicher Auseinandersetzung, sondern auch in der transnationalen Öffentlichkeit internationaler Konkurrenz nationaler Identitätsentwürfe. Entscheidend für die in der vorliegenden Arbeit untersuchten Erinnerungsfiguren sind Nationen- bzw. Nationalismusdiskurse in ihren Verknüpfungen mit Religion und Politik. A 2.2  ,Natio‘, ,patria‘, moderner Nationalismus …

Halbwachs legte seine richtungweisende Studie zur Erinnerung an das Heilige Land im konfessionellen Rahmen des (lateinischen) Christentums an. Dennoch findet die Er­­ forschung von Erinnerungsorten seit den Arbeiten von Nora, François und Schulze meist im Kontext nationalgeschichtlicher Zusammenhänge statt. Dies gilt auch für Untersuchungen, die sich auf die Jahrhunderte des Mittelalters sowie die frühe Neuzeit beziehen,97 für die von Nationalismus im modernen Sinn keine Rede sein kann. Entscheidend ist auch in diesem Kontext die Entwicklung einzelner Begriffszusammenhänge und Diskurse: Begriffe wie „gens“ sowie „natio“ etwa werden heute in der Mediävistik denn auch nicht mehr als statische, sondern höchst dynamische Konzeptionen analysiert.98 Die Rede von der „Nation“ im Mittelalter dient nur als ein analytisches Hilfskonstrukt, um ausgehend vom modernen Nationalismus ältere Phänomene als etwaige Vorläufer zu diesem in ein historisches Verhältnis zu stellen. So wird argumentiert, die soziale Reichweite des „Großgruppenbewußtseins“ sowie „die Formulierung der Zielvorstellungen“ hätten sich in der Neuzeit gegenüber dem Mittelalter verändert, aber „nicht 97 François/Schulze (2001), S. 18. Nora behandelt in seinem mehrbändigen Werk sowohl Museen als auch Jeanne d’Arc oder die Grabstätten der Könige in Saint-Denis sowie Notre-Dame und Versailles. François und Schulze nehmen in ihre Auswahl neben Karl dem Großen, Canossa, Nürnberg und Weimar auch das Nibelungenlied, das Völkerkundemuseum und die Mauer auf. 98 Vgl. Goetz (1999), S. 185 – 193. Zusammenfassend zu Nation und Nationalismus seit dem Mittel­alter: Langewiesche (2000), S. 14 – 34. Grundlegend zur Begriffsgeschichte bis ins 20. Jh., mehrere Autoren: „Volk, Nation, Nationalismus, Masse“, in: GG 7, S. 141 – 431. Dort auch zum Begriff „patria“: Sp. 222 – 225.

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so sehr die Integrationsformen an sich“.99 Die Suche nach einem „missing link“ in der frühen Neuzeit zwischen mittelalterlichen Nationskonzepten und modernem Nationalis­ mus ist erst kürzlich in Angriff genommen worden.100 Die Entstehung des modernen deutschen Nationalismus wurde jüngst im Zusammenhang mit der Überlagerung des antiken, im Spätmittelalter intensivierten Vaterlandsdiskurses 101 mit dem erst im 15. Jh. entstehenden Nationendiskurs und später mit dem frühneuzeitlichen „humanistischen Nationalismus“ sowie dem „konfessionellen Nationsdiskurs“ untersucht.102 Ähnlich sind bulgarische und raszische bzw. serbische Entwürfe von lokaler und imperialer Herrschaft, dynastischer oder (proto)nationaler Identität sowie Vaterlandskonzepten nach byzantinischen 103, aber auch mitteleuropäischen Vorbildern sowohl für das Mittelalter als auch für die frühe Neuzeit auf ihre konzeptuelle Entwicklung und soziale Reichweite hin zu untersuchen. Nicht nur für die Zeit der osmanischen Oberherrschaft ist dabei auf dynamische Veränderungen von instabilen, situationsbedingten sozialen Gruppenidentitäten in plurikonfessionellen Vielvölkerreichen hinzuweisen.104 Die Entstehung neuer und die Veränderung alter Erinnerungsdiskurse und Vorstellungen kollektiver Identität standen sodann im 19. Jh. auch in Südosteuropa im unmittelbaren Kontext mit west- und mitteleuropäischen Vorstellungshorizonten der modernen Gesellschaft nach der Französischen Revolution: Mit der Entstehung der modernen Geschichtswissenschaft und unter dem Einfluss der spekulativen Geschichtsphilosophie wurden „Volk“, „Nation“, „Nationalsprache“, „Volksgeist“, „Staat“, „Fortschritt“ und „Nationalkirche“ oder „Volkskirche“ und „Kultur“ oder „Nationalkultur“ auch im Rahmen der südosteuropäischen Entwürfe von Nationalstaaten zu idealistischen Leitvorstellungen von Historikern, Theologen und anderen Gebildeten.105 Die Historisierung des gesellschaftlichen Bewusstseins stiftete Orientierung im nachrevolutionären Zeitalter und legitimierte und förderte den Aufbau nationaler Staatlichkeit als höchste „sittliche Werte“ und Ausdruck von „Fortschritt“ 106 und Modernität,107 ja als „Heiligstes“.108 Der Vorgang wurde durch die 99 J. Ehlers, „Natio“, in: LexMA 6, Sp. 1035 – 1038, hier Sp. 1036. 100 Zu Vorstellungen von Nation im Großfürstentum Litauen der frühen Neuzeit: Niendorf (2006). 101 Eichenberger (1991); Kantorowicz (1951, 71997); Contamine (21997). 102 Hirschi (2005), S. 80 f. passim. 103 Ivánka (1968); Nikolaou (2005), S. 78 – 105, besonders S. 88 – 91. 104 Zu transkulturellen Phänomenen im frühneuzeitlichen Litauen und „Ruthenien“: Rohdewald/ Frick/Wiederkehr (Hg.) (2007). Ein Beispiel zu Albanern/Makedonen: Kaser (2005). 105 Vgl. die Verweise in den folgenden vier Fußnoten. Zu Theologen, Historikern und National­ ökonomen als „Propheten des deutschen Nationalismus“: Gramley (2001). Eine Liste des Einsatzes des Begriffs „Volksgeist“: Kantorowicz (1912), S. 295 – 305. 106 Reinhard Koselleck, Christian Meier, „Fortschritt“, in: GG 2, S. 351 – 423; Hölscher (1999). 107 Mit einem weiten, auf Europa ausgeweiteten Historismusbegriff: Jaeger/Rüsen (1992); begriffsgeschichtlich präziser: Wittkau (1992). Zur „Nation als sittlicher Idee“ bei Droysen: Birtsch (1964). Vgl. auch Iggers (1994), S. 141 – 143. Zu Serben, Kroaten und Slowenen etwa: Jelavich (1990). 108 Der Historiker Heinrich Luden zit. gemäß Bernd Schönemann, „Volk, Nation, Nationalismus, Masse. Frühe Neuzeit und 19. Jh.“, in: GG 7, S. 281 – 380, hier S. 343.

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Geschichte entworfen und gerechtfertigt: „Die Idee des Volks“ oder der „Volksgeist“ als „ein geschichtliches Ergebnis (…) baut sich den nationalen Körper aus den Menschen“, wie Droysen behauptete.109 In seiner „Historik“ proklamierte er richtungweisend: „Die praktische Bedeutung der historischen Studien liegt darin, dass sie – und nur sie – dem Staat, dem Volk, dem Heer usw. das Bild seiner selbst geben.“ 110 Nur noch im Rahmen der Zielutopie eines gerade durch Historiker im Aufbau 111 befindlichen Nationalstaates schien ein Entwurf gemeinsamer bzw. „nationaler“ Zukunft maximale Legitimität zu genießen.112 Unmittelbar damit verbunden war die europaweite Entstehung des modernen nationalen Militarismus.113 In Bulgarien, wo sich die stolze Selbstbeschreibung als „Preußen des Balkans“ ausgestaltete, zeigte er sich etwa in der Selbsteuropäisierung.114 Die Unterhöhlung des transnationalen osmanischen Vielvölkerreiches durch Natio­ nalbewegungen mag dabei wie im Falle Österreich-Ungarns 115 und des Russländischen Imperiums 116 mit Gewinn in einen postkolonialen Interpretationszusammenhang gestellt werden: In der Abgrenzung von der Epoche der Zugehörigkeit zum osmanischen Imperium und der Herstellung und Betonung kultureller Differenz wurden mittel- und westeuropäische Strategien der Inszenierung als Kulturnation übernommen und angepasst. Mit der Neuerfindung als gleich gutes, wenn nicht besseres Europa wurden die Grundlagen für neue kulturelle Praktiken regionaler Hegemonie gelegt, die bereits Seton-Watson als „small-power imperialisms“ bezeichnet hat.117 Analytisch ist bei übertriebenem Selbstbewusstsein von der Kompensation einer „Selbstkolonisierung“ zu sprechen.118 Nicht nur das Osmanische Reich trat spätestens in der zweiten Hälfte des 19. Jh. mit der Mimikry einer „mission civilisatrice“ auf,119 sondern auch gleichzeitig die südslavischen Nachfolgestaaten, deren Wortführer sich mit kompensatorischem Nachdruck in europäische Diskurse einschrieben, um legitim zu erscheinen.120 Insbesondere die muslimischen, aber auch jüdische Minderheiten der neuen Staaten wurden in diesem Rahmen ihrerseits orientalistisch als Objekte einer Zivilisierung bzw. als „innerer Orient“ beschrieben.121

109 Droysen (61971), S. 216. 110 Droysen (61971), S. 364. 111 Zu Historikern Ostmittel- und Südosteuropas als „Nation-Builders“: Deletant/Hanak (Hg.) (1988); Krzoska/Maner (Hg.) (2005). 112 Beispielsweise: Breuilly (1982), S. 334 – 351. 113 Leonhard (2008). 114 Mirtchev (2002); Mishkova (2006). 115 Feichtinger/Prutsch/Csáky (Hg.) (2003). 116 Nur ein exemplarischer Hinweis: Shkandrij (2001). 117 Seton-Watson (1945), S. 320 – 360. 118 Daskalov (2004), S. 45. 119 Reinkowski (2005), S. 25, S. 249 – 253. 120 Sundhaussen (2007b), S. 139, S. 142. Zu Bulgarien hervorragend: Stojčeva (2007). Vgl. ­Chiakrabarty (22007), S. 40 f. 121 Müller (2005), S. 18; Neuburger (2004). Übergreifend zu Muslimen in Südosteuropa: Clayer/ Bougarel (2013).

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Die verstärkte Untersuchung der Rolle kollektiver Erinnerungsdiskurse im Rahmen der Entstehung von Nationalbewusstsein bezeugt den Einfluss der neuen Kultur­geschichte auf die Nationalismusforschung. Waren zunächst strukturgeschichtliche Synthesen und Typologien das wichtigste Anliegen auch der Erforschung des Nationalismus in Südosteuropa gewesen,122 rückten nach dem Erscheinen der Bände „The Invention of Tradition“ 123 sowie „Imagined Communities“ 124 konkrete Kommunikationsvorgänge ins Zentrum des Interesses, in denen neue, moderne kollektive Identitätsentwürfe in sozialen und diskursiven Situationen performativ produziert und reproduziert wurden.125 Die Herstellung und Festigung kollektiver Identität wird anhand konkreter sozialer Situa­ tionen der Erinnerung wie nationaler Jubiläen erforscht.126 Dabei gilt zu berücksich­tigen, dass meist von einer „Tradition der Erfindung“ von Tradition die Rede sein kann.127 Nationale sowie europäische „Schlüsselfiguren“ auch osteuropäischer Länder werden als „Mythen“ und zentrale Bestandteile nationaler Erinnerungskulturen analysiert.128 Nicht nur für den südosteuropäischen Raum, gerade aber für ihn gilt dabei unbedingt zu beachten, dass sich bis ins 20. Jh. einheitlich entworfene Nationen oder homogene Ethnien nicht einmal als Konstrukte entwickelt hatten: Soziale Gruppen gliederten sich nicht nach Nationalitäten oder ethnischen Identitäten.129 Die Idee von der Nation als „constitutive element of modernity“ machte Nationalis­ mus zum Resultat von „Modernisierung“ und hat mithin zur Definition von Modernität

122 Mit dem Ziel einer „Typologie der nationalen Ideologie“ anhand des serbischen und kroatischen Nationalismus: Behschnitt (1980). Eine Synthese zur Frühgeschichte des Nationalismus bzw. zu konfessionellem Nationalismus im Donau- und Karpatenraum: Turczynski (1976). Ausführlich zur serbischen bzw. bulgarischen „Nationalbewegung“: Springborn (1983); Friesel-Kopecki (1983). Mit Beiträgen zu bulgarischen und serbischen „nationalrevolutionären Bewegungen“: Choliolčev/Mack/Suppan (Hg.) (1992). Überblicke: Sundhaussen (1993); Sundhaussen (1997); Steindorff (2000). Auch: Nationalism in the Balkans. An Annotated Bibliography. 123 Hobsbawm/Ranger (1983); Hobsbawm (32005); zu Hobsbawm auch: Hroch (2005), S. 148 f. 124 Anderson (21991) [Erstauflage 1983]. 125 Vgl. Brubaker (2004), S. 17 f. Aus der umfangreichen Literatur beispielsweise zu „Politischen Feiern“ und damit zu politischer Erinnerungskultur als „Inszenierungen des Nationalstaats“ in Deutschland und Italien: Behrenbeck/Nützenadel (Hg.) (2000). Zu Dalmatien bzw. Bulgarien: Clewing (2001); Weber (2006). 126 Mit deutschen Beispielen: Müller (Hg.) (2004). 127 Suter (2001); vgl. Ursprung (2005), S. 16 f. 128 Mehrere osteuropäische Beispiele sind unter den „Mythen der Nationen“ im europäischen Zusammenhang berücksichtigt: Flacke (Hg.) (1998). Einleitend u. a. François/Schulze (1998). Vgl. die Bände „Mythen Europas“: Neumann (Hg.) (2004 ff.). Smith ist es mit seinen unter dem Titel „Myths and Memories of the Nation“ gesammelten Aufsätzen ein Anliegen, die in der angelsächsischen Historiographie lange separierten Forschungsbereiche „ethnicity“ sowie „nations and nationalism“ zusammenzuführen. Smith (1999), Preface [ohne Seitenzahl]. 129 Z. B. Sundhaussen (1993). Vielfach besteht auch bei Forschungen zum westlichen Mitteleuropa, deren Fragestellungen sich an nationalen Rahmen orientieren, die Tendenz, soziale Grenzen kollektiver Erinnerung zu statisch zu denken.

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durch Nationalismus geführt.130 Der Nationalstaat wird aus dieser Perspektive zum gesellschaftlichen Gefäß, zum kulturellen Organisationsrahmen der Moderne.131 Auch südosteuropäische Gesellschaftsentwürfe sind dahin gehend zu untersuchen, ob sie sich als „multiple Modernitäten“ vom westeuropäischen Regelfall unterschieden, ohne ­weniger Teil der Moderne zu sein.132 Im engen Zusammenhang mit Entwürfen von Nationen soll dazu hier der Blick auf Überlagerungen mit religiösen Diskursen gerichtet werden. A 2.3  … und religiöse Memoria, Religion sowie Politik Oh, lebendig ist der bulgarische Gott, unser / großer Gott, und er wirkt für uns Wunder. Ivan Vazov, Februar 1913133 Teutsche Freiheit, teutscher Gott, / Teutscher Glaube ohne Spott / Teutsches Herz, und teutscher Stal / Sind vier Helden allzumal Ernst Moritz Arndt, 1813134

Memoria war im Christentum des Mittelalters und noch bis ins 18. Jh. mit der sozialen und rechtlichen Vergegenwärtigung des Verstorbenen verbunden: Wie beim Totenmahl wurde auch beim Heiligenkult, der aus der Totenmemoria entstand, „der Tote als wirklicher Teilnehmer erlebt“.135 Das Gedenken an verstorbene Anführer von Personen­ verbänden war konstitutiv für soziale wie herrschaftliche Beziehungen, angefangen mit der Gebetsgemeinschaft.136 Es wird zu sehen bleiben, bis zu welchem Grad diese für den lateineuropäischen Adel und Dynastien angestellten Überlegungen auch auf



130 Greenfeld (1992), S. 18. 131 Vgl. Breuilly (1982), S. 352 – 365. 132 Vgl. Eisenstadt (Hg.) (2002); Eisenstadt (1999), S. 20 f.; Sundhaussen (2007b), S. 209. 133 Ivan Vazov. Săbrani săčinenija v 22 toma, Bd. 4, Lirika 1913 – 1921, S. 96. 134 Arndt (1813), S. 114 f. 135 Oexle (1995), S. 34. Mit der Memoria wurden rhetorische, philosophische und theologische Elemente der antiken Mnemotechnik verbunden. Oexle (1995), S. 35. 136 „Ohne Memoria gibt es keinen ,Adel‘ und deshalb auch keine Legitimation für adlige Herrschaft. Deshalb ist in den adligen ,Häusern‘ und ,Geschlechtern‘ die kulturelle Produktion von kommemorativen, die ,Kultur‘ der Gruppe konstituierenden und repräsentierenden Ritualen, Texten, Bildern und Denkmälern besonders vielfältig.“ Hervorzuheben ist „die Verbindung von retrospektiver pietas und prospektiver fama; die ‚Allianz‘ zwischen adliger Herkunft und adliger Herrschaft, und – im Zusammenhang damit – die Verräumlichung der Memoria in der Bezeichnung des Territoriums adliger Herrschaft und Grablegen“. Oexle (1995), S. 38.

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Herrschaftskonzeptionen im ostkirchlichen Raum zutreffen.137 Die sakrale Bedeutungsaufladung der Herrschaft, der Dynastie oder einzelner Herrscher im Rahmen der christ­lichen Heilsgeschichte war jedenfalls nicht nur für das orthodoxe Europa bzw. Byzanz, sondern in mehreren Fällen auch im lateinischen Westen grundlegend für die Festigung, Legitimierung und Reproduktion von Herrschaft.138 Seit der Bekehrung der Merowinger beherrschte die „Geschichtstheologie“ der „nationalen Chroniken“ die Gleichsetzung des Staatsvolks mit dem „Neuen Israel“.139 Auch in diesem Bereich wird in der jüngeren Forschung das Augenmerk immer stärker auf konkrete kulturelle Praktiken gerichtet, in deren Rahmen religiös beeinflusste politische oder soziale Kommunikation stattfand.140 Religion und Politik sind nicht für das westliche Mittelalter – trotz Augustins – und schon gar nicht für Byzanz als zwei konsequent getrennte Sprach- und Handlungs­felder anzusehen, sondern für Letzteres mit Hans-Georg Beck vielmehr als „eine mystische Einheit, zwei Aspekte desselben Lebens erlöster ­Christen“ 141. Während Endre von Ivánka mit Verweis nicht nur auf Eusebius von Caesarea die Einheit von Reich und „Gottesvolk“ 142 betont, schreibt Beck von byzantinischer „politischer Orthodoxie“, die von slavischen Herrschaftsträgern übernommen und auch im Milletsystem unter osmanischer Herrschaft „ungebrochene Lebenskraft“ an den Tag gelegt habe.143 Die äußerst enge Verquickung von Herrschaft und Kirche ist dabei für den serbischen Fall hervorgehoben, aber bisher nicht als Erinnerungskultur untersucht worden. Insbesondere steht aus, inwieweit diese gegenüber dem byzantinischen Fall noch zugespitzte „symphonia“ zwischen Herrscher und Geistlichkeit 144 zum Anknüpfungspunkt während der Gestaltung des Verhältnisses von Religion, Nation und Staat im 19. und 20. Jh. wurde. Das für die deutsche frühe Neuzeit entworfene makrotheoretische „Konfessionalisierungsparadigma“ ist als Triade im Zusammenwirken mit „Sozialdisziplinierung“ und „Modernisierung“ konzipiert worden.145 Es wird auch für deutschsprachige Gebiete,146 insbesondere aber für das lateinisch geprägte Ostmitteleuropa nur unter Vorbehalt angewandt oder ganz abgelehnt.147 Dagegen scheint das Konzept der „Konfessionskultur“, das die Aufmerksamkeit auf nationale Zusammenhänge lenkt, flexibler zu sein. Seine

137 Vgl. Steindorff (1994). 138 Zu „dynastischer Heiligkeit“ bei den Ottonen: Corbet (1986); vgl. Goetz (1999). Epochenübergreifend: Erkens (Hg.) (2002). Zu Byzanz: Matschke (2002); zu Frankreich: Haran (2000). 139 Delgado (2002), S. 123. 140 Sawilla (1999), S. 222. 141 Beck (1959), S. 1. 142 Ivánka (1968). 143 Beck (1978), S. 108. 144 Vgl. Kämpfer (1994), S. 435. 145 Schmidt (1992); Reinhard (1995, 1997, 1999); Schilling (1999). 146 Greyerz (2000), S. 71 – 82, S. 102 – 110. 147 Vgl. Eberhard (1999), S. 102 f.; Müller (1999), S. 417; Deventer (2004); Plaggenborg (2003); Rohdewald/Wiederkehr/Frick (2007).

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Anwendung auf eine südosteuropäische frühe Neuzeit ist weiter zu prüfen.148 Auch die Erforschung „nationaler Konfessionskulturen“ des 19. und 20. Jh. verspricht, ergiebig zu sein.149 Gleichfalls von Bedeutung sind auch gerade im ethnisch und konfessionell so vielfältigen Südosteuropa Konzepte wie „Transkonfessionalität“ 150 und der Blick auf „transkulturelle“ soziale Praktiken.151 Umgekehrt waren west-, mittel-, süd- oder nordeuropäische Landeskirchen einschließlich des Anglikanismus und des Gallikanismus, die nach dem Prinzip „cuius regio, eius religio“ an Dynastien und Adelsnationen gebunden waren, nicht weniger als an Herrschaftsgebieten ausgerichtete orthodoxe Kirchen im 19. Jh. auf dem Weg, zu Nationalkirchen umgebaut zu werden. Auch wo moderne Verfassungen Kirche und Staat formal zu trennen versuchten, spielten sie dennoch entscheidende Rollen beim Entwurf und bei der Festigung sowie Predigt nationaler Identität:152 Auch im Zeitalter des modernen Nationalismus waren die diskursiven sowie die praktischen Grenzen zwischen Religion und Nation nie klar. Dennoch wurde der wechselseitige Zusammenhang bis vor dem „linguistic turn“ selten erforscht.153 Die Analyse des Verhältnisses von Nationalismus, Politik und Religion in modernen Gesellschaften sowie Religion insgesamt als Faktor der Moderne in Modernisierungs-154 aber auch wichtigen Nationalismustheorien 155 wurde mit wenigen Ausnahmen 156 vernachlässigt oder nachrangig verfolgt. In der politologisch ausgerichteten Forschung sind moderner Nationalismus oder die Nation per se als Religion definiert worden. George L. Mosse hat den modernen Nationalismus bereits 1975 als „weltliche Religion“ beschrieben.157 Dieser Zugang steht dem Konzept Voegelins von „politischen Religionen“ nahe.158 Mit Gentile wer-

148 Zu Südosteuropa, ohne Einleitung und ohne den Begriff „Confessionalisation“ im Register: Crăciun/Ghitta/Murdock (Hg.) (2002). Vgl. dagegen die ergiebige Anwendung des Konzepts bei Krstić (2011). 149 Vgl. Schulze Wessel (2001). 150 Greyerz (Hg.) (2003). 151 Das Konzept der „Transkulturalität“ überwindet die Vorstellung, „Kulturen seien homogene Einheiten mit stabilen Grenzen“. Sandkühler/Lim (2004), S. 6. Vgl. Hepp/Löffelholz (Hg.) (2002). 152 Vgl. Blückert (2000), S. 135 – 142. 153 Geyer (2004), S. 11. 154 Maner/Schulze Wessel (2002), S. 7 f. 155 Anderson (21991); Breuilly (1982), S. 45 – 50; Greenfeld (1992); Hobsbawm (32005). 156 Z. B. Smith (2004). 157 Er definiert den „Gemeinwillen“ im Contrat social Jean-Jacques Rousseaus von 1762 als „weltliche Religion“, die vom Konzept der „Volkssouveränität“ sowie vom modernen „Nationalbewusstsein“ getragen wurde: „Die Huldigung vor dem Volk“ wurde zu einer „diesseitigen Religion“. Mosse (1976), S. 11. Analog Gentile (32005), S. 5 f. 158 Maier (Hg.) (22002).

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den „politische Religionen“ 159 sowie „zivile Religionen“ 160 übergreifend als Formen von „Sakralisierung der Politik“ zum „Phänomen der weltlichen Religion“ gezählt.161 Die Verweltlichungs- oder Säkularisierungsthese wird jüngst aber zugunsten einer kon­fessionellen Deutung abgelehnt. Aber nicht nur die Politik, insgesamt wurden die neukonzipierte moderne Geschichtswissenschaft wie auch popularisierte Darstellungen von Geschichte in die ausdrückliche Nähe zu Religion gebracht: Der Historismus wird „als letzte Religion der Gebildeten Europas“ beschrieben.162 Mit der „Sakralisierung der Nation“, die in Europa im Rahmen der Entstehung einer „nationalen Religion“ seit der Französischen Revolution beobachtet worden ist, erhielt die Nation „religiösen Charakter“ und der Staat eine „Bildungsmission“.163 Neben der Stilisierung nationaler „Orte und Taten“ zu „religiösen ­Einrichtungen“ ist die Verwendung christlicher religiöser Traditionen als „Symbolspeicher“ zur „religiösen Aufladung“ nationaler Aspekte zu beachten.164 Darüber hinaus wird unter „Sakralisierung der Nation“ aber auch generell die „­kreative“  165 „Übertragung von Funktionen und Ausdrucksformen von der Religion

159 Emilio Gentile definiert die „politische Religion“ anhand der Beispiele NS-Deutschlands und des faschistischen Italiens als „die Sakralisierung einer Ideologie und einer vereinnahmenden politischen Bewegung, die keine Koexistenz mit anderen Ideologien und politischen Bewegungen akzeptiert“. Entweder habe sie zum Ziel, „traditionelle Religionen“ zu „eliminieren“ oder sie „in das eigene System von Überzeugungen und Mythen zu inkorporieren, wo ihr eine untergeordnete Hilfsfunktion bleiben soll“. Allerdings sei die Unterscheidung oftmals nicht möglich, „auch die zivile Religion kann sich in besonderen Situationen in eine vereinnahmende, intolerante politische Religion verwandeln“. Gentile (22002), S. 172 f. 160 Die „zivile Religion“ dagegen sei eine „Form der Sakralisierung der Politik“, die zwar ein „übernatürliches, göttlich konzipiertes Wesen benötigt“, aber nicht nur von einer einzelnen politischen Bewegung propagiert wird, sich als „überparteilichen und überkonfessionellen ,­zivilen Glauben‘ darzustellen“ bemüht sowie „die Trennung von Staat und Kirche klar einhält“. Als Beispiel nennt Gentile die USA. Gentile (22002), S. 172. 161 In ihrem Rahmen wird „einer weltlichen Einheit“ Heiligkeit zugeschrieben, „sodass sie primäre Quelle von Inspiration für die eigene Lebensführung sowie Objekt der Ergebenheit und des Kultes wird“. Gentile (22002), S. 173. 162 „Geschichte gewinnt also eine eminent religiöse Bedeutung. Die Geschichte der Nation verrät den Sinn des Lebens und bindet die Lebenden mit den Toten zusammen in eine gottähnliche nationale Gemeinschaft. Man hat mit Recht den Historismus als letzte Religion der Gebildeten Europas bezeichnet: Die innerweltliche Entwicklung nationaler Größe ersetzt den christlichen Gedanken von Tod und Auferstehung im Prozeß der Heilsgeschichte. Das erklärt auch die Inbrunst, mit der die Vergangenheit des eigenen Volkes historiographisch lebendig gemacht, als Schlüssel zur kollektiven Identität vergegenwärtigt wurde.“ Jaeger/ Rüsen (1992), S. 78. 163 Gentile (32005), S. 6 f. Abbé Coyer bezeichnete das „Vaterland“ bereits 1775 als „Gottheit“. Gentile (32005), S. 5 f. 164 Geyer (2004), S. 21 f. 165 Geyer (2004), S. 22.

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Einleitung

auf die Nation“ verstanden. Dabei entstehe eine „Strukturanalogie“ zwischen Nation und Religion im Allgemeinen, welche aber nicht mit der Bevorzugung einer bestimmten (traditionellen) Religion im nationalen Kontext in einem Zusammenhang stehen müsse.166 Betrachtet man etwa „arteigene Glaubenssysteme“ als parallel zu christlichen Konfessionen entstandene „völkische Religionen“, kann der „radikale Nationalismus“ auch selbst als „neue deutsche Religionsschöpfung“ angesehen werden.167 Am Beispiel des Nationalsozialismus ist dabei das politologische Konzept der „politischen Religion“ aber jüngst erneut kritisiert worden. Von der makrotheoretischen Perspektive und der etwa von Mosse vertretenen Konzentration auf den „politischen Stil“ abrückend wird der Inhalt der Ideologien in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit gerückt und gefragt, ob die Vertreter des Regimes ihre Ideologie oder Elemente von ihrer Umsetzung selbst als Religion oder religiös bezeichneten oder nicht.168 Nach den Maßgaben der Diskurs- und Kulturgeschichte wird damit der Wortgebrauch der Akteure als maßgeblich angesehen. Auch für das faschistische Italien zieht Steigmann-Gall die Rede von „religiöser Politik (religious politics)“ derjenigen von einer „politischen Religion“ vor. Ein solches zu entwickelndes Konzept „religiöse Politik“ sollte im Gegensatz zur Theorie über „politische Religion“ Gewicht auf den religiösen Inhalt anstatt auf die Form eines als religiös analysierten Rituals legen.169 In diesem Sinn wird eine „äußerst restriktive Position“ unterschieden, die den „Religionsbegriff“ nur auf jene Zusammenhänge bezieht, die zum Feld der traditionellen Religionen gehören.170 Auf diesen Bereich sind Vorgänge der „Nationalisierung der Religion“ zu beziehen, die für Entwicklungen stehen, in denen „der religiöse Mensch auch das Wertesystem der Nation in sein Denken und Handeln aufnimmt“ 171 sowie Phänomene der „Politisierung von Religion“ durch Geistliche wie Politiker.172 Beispielsweise wurde die Übertragung der Golgatha- oder Kreuzigungsvorstellung auf die moderne Nation jüngst an den Beispielen Polens, Frankreichs, Deutschlands, Irlands und Palästinas komparatistisch erforscht.173 Noch breiter vergleichend hat Anthony Smith unter dem Titel „Chosen Peoples“ gearbeitet.174 „Klerikaler Faschismus“ wurde als Konzept für einen Zugang zu Verbindungen von Kirche und Nationalismus in der Zwischenkriegszeit diskutiert. Ähnlich eingehende Untersuchungen zu moderner „politischer Orthodoxie“ oder zur „Fusion von Faschismus mit klerikaler Ideologie“ auch im Sinne „alternativer Modernität“ 166 Schulze Wessel (2006), S. 7. 167 Geyer (2004), S. 19. Gentile schreibt von der „religione della patria“ allerdings nur in Anführungszeichen. Gentile (32005), S. 5 – 8. Vgl. Walkenhorst (1996), S. 516. 168 Steigmann-Gall (2004), S. 390 – 393. Zu christlicher Rhetorik im „Dritten Reich“: ­Steigmann-­Gall (2003). 169 Steigmann-Gall (2004), S. 394 f. 170 Hervieu-Léger (1999), S. 150. 171 Schulze Wessel (2006), S. 7. 172 Falina (2007a), S. 257. 173 Davies (22010). 174 Smith (2004).

Forschungsstand

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(Eisenstadt) stehen für Serbien bzw. Jugoslawien und Bulgarien für die Zeit vor 1945 mit wenigen Ausnahmen aus.175 Wenn der moderne Nationalismus sich dadurch charakterisiert, dass mit ihm erstmals in der Geschichte nationale Ideologien als absolut höchste Wertesysteme galten,176 ist im Verhältnis moderner nationaler Diskurse zu Religionen oder Konfessionen jeweils für jeden Diskursstrang und Text zu unterscheiden, inwieweit eine solche Wertehoheit Gültigkeit hatte. Religion sowie religiöses Verhalten wird in Osteuropa auch nach 1989 erst allmählich zu einem Untersuchungsgebiet einer konfessionell unabhängigen Geschichtswissenschaft.177 Eine enge Beziehung von moderner nationaler Identität, Politik und Religion ist aber weniger als osteuropäisches Spezifikum,178 sondern wie die meisten der bisher angesprochenen Bereiche gleichfalls als allgemeineuropäisches Charakteristikum anzusehen.179 Nach der Oktoberrevolution entfalteten sich orthodoxe Nationalkirchen nur noch in Südosteuropa sowie in der russischen Diaspora in einem ihr nicht prinzipiell feind­ lichen politischen und gesellschaftlichen Umfeld, sieht man vom Phänomen des Sowjet­ patriotismus unter Stalin und von seinem Aufruf zum „heiligen Krieg“ ab.180 Aber nur in Südosteuropa waren orthodoxe Kirchen nach dem Ende des Ersten Weltkrieges weiterhin dauerhaft 181 in der Lage, Nationalstaaten als eigene Projekte aufzufassen und zu deren Promotoren und Stützen zu werden. Nur hier hatten orthodoxe Geistliche und Politiker Gelegenheit, Antworten auf die Herausforderungen der modernen Gesellschaft in einem Staat zu entwerfen und anzubieten, den sie trotz seiner weltlichen Konstitution

175 Feldmann/Turda (2007), S. 209 f. Vgl. die Beiträge zu West-, Nord- wie Südeuropa bei ­Feldmann/Turda (Hg.) (2007), dort zu Serbien: Falina (2007a). Im Überblick zu Faschismus in Südosteuropa: Ursprung (2006). 176 Langewiesche (2000), S. 16 passim; Hirschi (2005), S. 36 f. 177 Vgl. Maner/Schulze Wessel (2002), S. 7 f. Im älteren Standardwerk des englischen Sprach­ raumes zur südosteuropäischen Geschichte vom 18. bis ins ausgehende 20. Jh. fehlt für die Zeit der Nationalstaaten eine Darstellung des Verhältnisses von Kirche und Staat ganz: Jelavich (1983). 178 Hans Kohns Unterscheidung von früherem, zivilem (westlichem) Nationalismus, basierend auf „säkularisierter christlich-stoischer Tradition“, sowie späterem, ethnischem (deutschem, italienischem und osteuropäischem) Nationalismus, begründet auf einem „engen“ und „ritu­ alistischem“ Verständnis von Religion, kann als überholt gelten. Kohn (2005), S. 574 passim. Nicht nur die Suche nach libertären oder emanzipatorischen Elementen in osteuropäischen nationalen Diskursen blieb ausgeklammert, sondern auch die Entstehung westeuropäischer Nationalgeschichten als imaginierter Gemeinschaften. Vgl. etwa Iggers (1994), S. 134. 179 Zu west- wie osteuropäischen Beispielen: Haupt/Langewiesche (Hg.) (2004); Smith (2004). 180 Miner (2004). 181 Kraft (2003), S. 94. Nur in einer extremen Bedrohungssituation und damit temporär ist für die Sowjetunion im Sowjetpatriotismus auch eine offizielle Resakralisierung von Erinnerungs­ figuren wie Aleksandr Nevskij zu beobachten: Schenk (2004), S. 395 – 404.

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Einleitung

weitgehend als den ihren betrachten konnten.182 Insgesamt fehlt es zum Verhältnis von Orthodoxie und Moderne an neueren Synthesen.183 Praktiken und Diskurse der Verehrung von religiösen Erinnerungsfiguren sind damit nicht nur aus religionsgeschichtlicher 184 Perspektive zu erforschen, sondern in gesellschafts- und kulturgeschichtliche Fragestellungen einzubetten. A 2.4  Untersuchungen über südosteuropäische religiöse Erinnerungsfiguren

Eine Gesamtdarstellung des für Südosteuropa umrissenen Forschungsgegenstandes fehlt.185 Robert Elsie nennt als Hintergrund albanischer Traditionen zahlreiche ursprünglich spätantike, frühchristliche Märtyrerkulte, die trotz der bewegten Siedlungs­geschichte über die Jahrhunderte hinweg von unterschiedlichen Ethnien und christlichen konfessionellen Großgruppen verehrt worden sind.186 Für die Zeit bis 1459 hat Gerhard Podskalsky ein grundlegendes Handbuch zu theologischer bulgarischer und serbischer Literatur erstellt.187 Leontije Pavlović gibt für die Heiligen bzw. „Kultpersonen“ „bei den Serben und Makedonen“ vom Mittelalter bis ins 19. Jh. einen enzyklopädischen und systematischen Überblick.188 Weitere kürzere Werke mit Nachschlagecharakter und bereits an der Grenze zur Erinnerungsliteratur skizzieren „die Heiligen Serben“.189 Češmedžiev widmet dem „historischen Gedenken“ an die als Heilige verehrten Brüder Kyrill und Method in Bulgarien während des Mittelalters eine Untersuchung. Insbesondere hebt er die „Bulgarisierung“ des Kultes um die Heiligen im zweiten bulgarischen Zarenreich hervor.190 Stanislaus Hafner hat für den serbischen Kontext grundlegende Königs- und Heiligenviten übersetzt und kommentiert.191 Frank Kämpfer untersuchte in Aufsätzen die Entstehung und Entwicklung der Kulte um serbische Herrscher im Mittelalter sowie in der frühen Neuzeit.192 In einem zusammenfassenden Aufsatz gibt er eine richtungweisende Gesamtschau politischer Heiligenverehrung unter den südosteuropäischen

182 Kraft (2003), S. 94. 183 Vgl. Nikolaou (2005). 184 Beispielsweise Angenendt (1997). 185 Bereits erwähnt: Bahlcke/Rohdewald/Wünsch (Hg.) (2013); auch zu byzantinischen Hei­ ligen: Anguševa-Tichanova (Hg.) (2012); vgl. Konev u. a. (Hg.) (1996). 186 Nur für den hl. Michael sowie die hl. Petka bzw. Veneranda vermerkt Elsie eine Verehrung sowohl durch katholische wie orthodoxe Christen als auch durch Muslime: Handbuch zur albanischen Volkskultur, S. 151 f., S. 218 f. 187 Podskalsky (2000); zur griechischen Theologie vom 15. Jh. bis ins 19. Jh.: Podskalsky (1988). 188 Pavlović (1965). 189 Milošević (1968); Mileusnić (1989). 190 Češmedžiev (2001). Wichtig auch bereits: Angelov (1955); Kiselkov (1963). Übergreifend zu ihrer Verehrung bei den orthodoxen Slaven im Mittelalter: Lis (2004). 191 Serbisches Mittelalter, 2 Bde. 192 Kämpfer (1972).

Forschungsstand

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orthodoxen Slaven.193 Boško Bojović hat grundlegend zur Herrschaftsideologie der Nemanjiden gearbeitet und dabei auch erinnerungskulturelle Aspekte berücksichtigt.194 Die Historiographie zum mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Kult um den hl. Sava war bereits in den 80er-Jahren vielfältig.195 Einen knappen Vergleich lokaler südslavischer Kulte erstellte Radoslava Trifonova für das 13. Jh.196 Dmitry I. Polyviannyi hat eine wichtige Skizze zur Rolle von Heiligen in der „politischen Ideologie“ der bulgarischen Reiche vorgelegt.197 Podskalsky hat einen Überblick über die Verehrung Ioanns von Rila besorgt.198 Eastmond gesteht in einem wichtigen Aufsatz „lokalen“ orthodoxen Heiligenkulten der Südslaven im byzantinischen Einflussgebiet im Hochmittelalter mit Recht nur eine sehr enge, auf die Elite der Personenverbandsstaaten beschränkte soziale Reichweite zu.199 Ivan Biljarski hat eine Synthese zur Verehrung des hl. Zaren Petăr und der hl. Petka in der Zarenstadt Tărnovo vorgelegt.200 Viele Fragen der frühneuzeitlichen Überlieferung und Reproduktion selbst der Verehrung Kyrills und Methods sind offengeblieben, trotz der weitläufigen kyrillomethodianischen internationalen Forschung.201 Machiel Kiel ist der Frage nach der Kontinuität bulgarischer kirchlicher Kultur unter der osmanischen Herrschaft nachgegangen.202 Konzeptuell wegweisend sind exemplarische und theo­retische Überlegungen zu Synkretismen im frühneuzeitlichen Osmanenreich in einem Konferenzsammelband, den Gilles Veinstein 2005 herausgab.203 Der Übergang von dem multiethnischen „millet-i Rum“ bzw. der (griechisch)orthodoxen Kirche des osmanischen Vielvölkerreiches, deren Hierarchie als korrupt und „empire inside the empire“ charakterisiert wird,204 zu den Nationalkirchen im 19. Jh. ist immer noch eine Forschungslücke.205 Bonju Angelov veröffentlichte 1969 eine in vieler Hinsicht bahnbrechende Monographie zum „Kampf um das Werk Kyrills und Methods“ im Bulgarien des 19. Jh., die aber gleichzeitig teilweise selbst als Teil der sozialis­tischen Erinnerungskultur anzusehen ist.206 Der Amselfeldmythos und damit

193 Kämpfer (1994). 194 Bojović (1995). 195 Ein Forschungsüberblick: Samardžić (1981). Beispielsweise: Slijepčević (1962), Bd. 1, S. 130 – 141. Zwei wichtige Sammelbände: Đurić (Hg.) (1979); Ćirković (Hg.) (1998). 196 Trifonova (2002). 197 Polyviannyi (1999). 198 Podskalsky (1999). 199 Eastmond (2003). 200 Biljarski (2004). 201 Ein Überblick zur Entwicklung ihres Gedenktages in Bulgarien: Petrana Koleva, „Praznikăt na Kiril i Metodij“, in: K-ME 3, S. 269 – 277; vgl. Simeonova (1994). 202 Kiel (1985), S. 351 f. 203 Veinstein (Hg.) (2005). 204 Findlet (2008), S. 28. 205 So einleitend in der richtungweisenden Skizze: Kraft (2003), S. 394; vgl. Makrides (2005). 206 Angelov (1969).

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Einleitung

verbundene Deutungsmuster sind mehrfach untersucht worden,207 auch die Verehrung des Fürsten Lazar wurde bearbeitet.208 Dennoch erfordert die konkrete Reproduktion der Kulte in der Publizistik weitere Arbeiten. Der Amselfeldmythos wird hier insbe­sondere in Bezug auf religiöse Aspekte der Erinnerung verfolgt werden. Keith Brown hat eine Überblicksdarstellung zur makedonischen nationalen Erinnerungskultur verfasst.209 Gatja Simeonova hat zwei umfangreiche Untersuchungen zum Gedenken an Kyrill und Method vorgelegt. Sie geht von einer unbefriedigend belegten und hier zu überprüfenden, angeblich starken populären Verehrung der Brüder in der osmanischen Zeit sowie in der ersten Hälfte des 19. Jh. aus.210 Hierauf stützt Claudia Weber die ­Thesen ihrer grundlegenden Untersuchung nationaler bulgarischer Erinnerungskultur von 1878 bis 1944 zur Verehrung Kyrills und Methods.211 Auch dieses eindrückliche Standardwerk konzentriert sich auf eine einzelne nationalstaatliche Perspektive. Die Rolle der beiden Heiligen in nationalen Bewegungen des 19. Jh. ist abgesehen von dem bulgarischen Zusammenhang bisher etwa im tschechischen bzw. mährischen 212 sowie im makedonischen 213 Kontext untersucht worden, aber erst in Ansätzen im serbischen 214 und nicht im jugoslawischen. Zu einzelnen Heiligen liegen Konferenzbände vor, die den jeweiligen Forschungsstand exemplifizieren, in einigen Fällen aber selbst wieder zur Verehrung beitrugen.215 Die ausgezeichnete Studie von Smilja Marjanović-Dušanić zum Kult des Königs Stefan von Dečani steht bisher ohne weitere vergleichbare Untersuchungen zur Erinnerungsgeschichte eines serbischen Heiligen alleine.216 Angesichts der Arbeiten über Kyrill und Method steht das hervorragende Werk von Todorova über den ab 1996 auch als Heiligen verehrten Unabhängigkeitskämpfer Vasil Levski 217 ­weniger isoliert in der bulgarischen Forschungslandschaft.

207 Eine Auswahl: Sundhaussen (32008); Nitsche (2003); Anzulovic (1995); Vuchinich/Emmert (Hg.) (1991); Emmert (1990); Popović (21977); Braun (1937). 208 Božić/Đurić (Hg.) (1975); Kämpfer (1972); Mihaljčić (1984). 209 Brown (2003). 210 Simeonova (1993, 1994). 211 Weitere neuere Monographien zur bulgarischen „Wiedergeburt“: Brucciani (2009); Daskalov (2004). 212 Machilek (2004). 213 Polenakovik´ (1963); Balabanov (1988). Zur Verehrung Kliments und Naums sowie zu den Brüdern aus Saloniki: Trajanovski (1995). 214 Durković-Jakšić (1986a). 215 Zum Nemanja-Kult: Kalić (Hg.) (2000); zu Sava: Ćirković (Hg.) (1998); zum Fürsten Lazar: Božić/Đurić (Hg.) (1975); Pavle u. a. (Hg.) (1989). 216 Marjanović-Dušanić (2007). Andrew Wachtel über Njegoš: Wachtel (1998, 2004). Zu Jovan Vladimir: Trajković-Filipović (2013). 217 Todorova (2009).

Quellen

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Mehrere Arbeiten untersuchten die bildliche Darstellung von Heiligen.218 Eine übergreifende Untersuchung zu religiösen Erinnerungsorten der Südslaven auch des 20. Jh.219 liegt ebenso wenig vor wie eine Arbeit, die in diesem übergreifenden Zusammenhang auch weltliche Figuren kollektiver nationaler Erinnerung berücksichtigen würde. Die Erforschung der Wirkung und Funktion religiöser Erinnerungsorte der orthodoxen Südslaven ist für das Mittelalter, die frühe Neuzeit und das 19. Jh. in vieler Hinsicht zu ergänzen und zu konkretisieren. Die Untersuchung von Erinnerungskulturen, die sich vornehmlich um religiöse Erinnerungsorte und Erinnerungskontexte entwickelten, ist gegenüber der Erforschung weltlicher Geschichtsbilder noch weitgehend im Hintergrund geblieben. Für die erste Hälfte des 20. Jh. sind diese Fragen bisher nur in Überblicksdar­stellungen und in Ansätzen untersucht worden. Ihre konkrete situative Reproduktion, die Ver­ quickung religiöser Konzeptionen mit nationalen Identitäten und ihre soziale Reichweite in der Zwischenkriegszeit sind sowohl für den serbischen als auch für den bulgarischen und makedonischen Zusammenhang aufzuarbeiten. Eine übergreifende und komparatistische Kontextualisierung und Analyse der nationalen religiösen Erinnerungsorte der orthodoxen Südslaven liegt noch nicht vor.220 A 3  Quellen

Die grundlegenden Texte religiösen Gedenkens an überregionale bzw. nationale Heilige der orthodoxen Südslaven im Mittelalter und in weiten Strecken auch für die Neuzeit liegen heute größtenteils in wissenschaftlichen Anforderungen genügenden Editionen vor. Einige dieser Ausgaben und Texte zu diesen Epochen, die vor 1945 veröffentlicht wurden, werden in späteren Abschnitten der vorliegenden Arbeit jedoch selbst zum historiographiegeschichtlichen Untersuchungsgegenstand. Wichtige Festreden und Artikel sind in der entstehenden bulgarischen Publizistik nach der Mitte des 19. Jh. enthalten.221 Die zunächst sehr geringe Zahl von historiographischen Monographien in

218 Übergreifend zu bulgarischen Heiligen: Vasiliev (1987); zu Kyrill und Method: Vasiliev (1970), zu Kliment: Vasiliev/Vasilieva (1967); Balabanov (1993). Zum serbischen Barock u. a. Medaković (1980), (1988); Timotijević (1996); zum Kosovomythos im 19. und 20. Jh. M ­ edaković (1990). Zu Heiligen Makedoniens bis ins 18. Jh.: Grozdanov (2007). Hervorragend und im europäischen Rahmen über „serbische visuelle Kultur im Dienst der Nation“: M ­ akuljević (2006), zur kirchlichen Kunst: Makuljević (2007). 219 Grobe Skizzen anhand der Beispiele Savas, Kliments und Ivans von Rila: Rohdewald (2007) sowie Kyrills und Methods: Rohdewald (2008a, c). 220 Vgl. zu südslavischen nationalen Konzepten in Schulbüchern bis 1914, ohne Bulgarien: J­ elavich (1990). 221 Neben dem Verweis auf Editionen, Spezialbibliographien und die bibliographische Aufführung aller verwendeten Quellen im Anhang hier der exemplarische Hinweis auf eine vorbildliche Edition bulgarischer Zeitungsberichte auch zu Feiern anlässlich des Gedenkens an Kyrill und Method: Izvori za bălgarskata etnografija, Bd. 1 – 4.

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diesem Zusammenhang wuchs erst während des letzten Drittels des 19. Jh. an. Gleichzeitig begannen Broschüren wichtig für die Popularisierung der Verehrungsinhalte zu werden. Zur Wende ins 20. Jh. brachte eine gefestigte kirchliche Publizistik zahlreiche richtungweisende Artikel hervor. Die Zeitungs- und Zeitschriftenlandschaft gewann im ersten Jahrzehnt des 20. Jh., insbesondere aber in den 20er-Jahren in Bulgarien wie in Jugoslawien eindrücklich an Vielfältigkeit. Religiöse nationale Erinnerungs­figuren fanden in ihr einen prominenten Niederschlag. Durch die Publikation wichtiger Jubiläumsbroschüren und zahlreicher wissenschaftlicher Aufsätze und Monographien weiteten sich die Thematisierung und die Forderung nach der Erinnerung an religiöse Gedächtnisorte in der Zwischenkriegszeit stark aus. Während der 30er-Jahre und im Zweiten Weltkrieg ist eine oft sehr nationalistische, schillernde Blüte dieser Literatur zu beobachten. Neben der Untersuchung der offiziellen Publizistik der Kirchen und etwa den Werken etablierter Universitätsprofessoren soll die ganze Bandbreite der Literatur über Erinnerungsformen an nationale religiöse Gedächtnisorte exemplarisch und damit auch anhand einiger marginaler Veröffentlichungen mit geringer Auflage und sozialer Reichweite aufgezeigt werden. Für die wichtigsten Zeiträume und Regionen wird mit Beispielen gearbeitet, die exemplarisch bleiben müssen: Angesichts des weiten und umfangreichen Quellenspektrums sowie der großen Zeitspanne kann kein Anspruch auf Vollständigkeit bestehen. A 4  Danksagung

Mein Dank richtet sich in Passau an Prof. Dr. Thomas Wünsch, ohne den die vor­liegende Habilitationsschrift nicht entstanden wäre, sowie Prof. Dr. Dirk Uffelmann und Prof. Dr. Hans Krah. Ihnen konnte ich meine Überlegungen mehrfach vorstellen, oft im Rahmen der gemeinsamen Forschungskolloquien der Osteuropahistoriker und Slavisten in Horní Planá und Český Krumlov. Entsprechend danke ich auch meinen langjährigen Kolleginnen und Kollegen im Passauer Mittelbau. Dank gilt auch Prof. Dr. Nada Boškovska, Prof. Dr. Markus Koller und Prof. Dr. Stefan Troebst, die die Arbeit in unterschiedlichen Stadien unterstützt haben. Letzterem ist überdies die Aufnahme in die Reihe zu verdanken. Sodann bedanke ich mich, ­wieder in alphabetischer Reihenfolge, bei Prof. Dr. Ulf Brunnbauer, Prof. Dr. Julia Obertreis, Prof. Dr. Christoph Schmidt, Prof. Dr. Martin Schulze-Wessel und Prof. Dr. Holm ­Sundhaussen, in deren Oberseminaren ich das Projekt zur Diskussion stellen durfte. Meinen Gießener Kollegen Prof. Dr. Thomas Bohn, Prof. Dr. Hans-Jürgen Bömelburg und Prof. Dr. Peter Haslinger danke ich für die kollegiale und produktive Atmosphäre an der JLU Gießen, an der ich das Manuskript zum Druck vorbereitet habe. Zudem sei meinen Kollegen vom DFG-Netzwerk „Das Osmanische Europa“ gedankt für die langjährige Zusammenarbeit in der Annäherung an die osmanische Frühneuzeit. Für die zwei­fache Lektüre und Korrektur des Textes bedanke ich mich herzlich bei ­meinem Vater, Dr. August Rohdewald, und bei David Bruder sowie Patricia Simon für das umsichtige Lektorat. Dem Verlag ist für den sorgfältigen Satz zum Druck zu danken.

B  Heilige Lehrer, Herrscher und Hauptstädte –   Religiöse Erinnerungsfiguren bis ins 18. Jh.

Im 6./7. Jh. geriet das oströmische, byzantinische Herrschaftsgebiet in Südosteuropa zu großen Teilen in die Gewalt von Awaren, die mit (proto)bulgarischer bzw. onogurisch/ türkischer, gepidischer und slavischer Beteiligung kämpften. Erst als Ergebnis dieses Zusammenwirkens kulturell und sprachlich oder ethnisch äußerst uneinheitlicher und unbeständiger sozialer Gruppen erfolgte eine langsame „Slavisierung“ großer Teile der zugewanderten wie der lokalen Bevölkerung.1 In der Spätantike entstandene Städte wie Sirmium, Salona oder Epidaurum wurden aufgegeben, bzw. ihre Bevölkerung flüchtete an neue, leicht zu verteidigende Orte wie Ragusa/Dubrovnik oder in den Palast ­Diokletians, Spalato/Split. Teile der früheren Einwohnerschaft etwa von Serdika (Sofia), Naissus (Niš) und Singidunum (Belgrad) mögen in den Städten geblieben sein. Aber auch in ihnen ist zu dieser Zeit nicht mehr von starken christlichen Gemeinden auszugehen – abgesehen von der Großstadt Saloniki/Solun, aber wohl auch von Philippopel, dem späteren Plovdiv. In Makedonien blieb der Gegensatz von griechischsprachiger Stadt- und slavischsprachiger Landbevölkerung bis ins beginnende 20. Jh. bestehen.2 Getaufte Südslaven sind nur in Einzelfällen anzunehmen, bevor mit der Christianisierung (proto)bulgarischer und slavischer Führungsschichten im 9. Jh. sowie der nominalen Taufe der ansässigen thrakisch/illyrischen bzw. eingewanderter slavischer Untertanen weitere Kreise, aber nicht die gesamte Bevölkerung, bekehrt wurden.3 Im 19. Jh. berichteten romantisch beeinflusste und an der heidnischen Antike interessierte Historiker von weiterhin gepflegten heidnischen kulturellen Praktiken der Bevölkerung: Die Bauern gelten bis zu diesem Zeitpunkt als nur „oberflächlich christianisiert“.4 Sowohl im ersten bulgarischen Reich, das seine Existenz mit dem Status eines „von den Byzantinern anerkannten, halbautonomen Foederaten-Staates“ 5 begann, als auch zu Ende des 12. Jh. im zweiten bulgarischen Reich sowie gleichzeitig im raszisch-serbischen Herrschaftsgebiet spielte die christliche Religion ganz nach dem Vorbild von Byzanz eine entscheidende herrschaftsstabilisierende Rolle. Bereits Khan Omurtag machte mit einem „christlich klingenden“ Herrschertitel dem oströmischen Kaiser das „Weltherrschaftsmonopol“ streitig.6 Kulturelle Praktiken der erfinderischen Anlehnung an Byzanz sollten ein Kennzeichen der entstehenden Kontaktzone zwischen Byzanz und seinen neuen nördlichen Nachbarbevölkerungen werden:7 Als die neuen Herrscher Gebiete

1 2 3 4 5 6 7

Pohl (2002), S. 206 – 212; Curta (2001). Mazower (2002), S. 99. Podskalsky (2000), S. 29, S. 35 f., S. 44 – 47. Zum Forschungsstand: Sundhaussen (2007b), S. 103 f. Podskalsky (2000), S. 40. Podskalsky (2000), S. 48; Avenarius (2000), S. 150 – 154, S. 164. Vgl. Rohdewald (2012a).

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Religiöse Erinnerungsfiguren bis ins 18. Jh.

am Rande des byzantinischen Weltreiches für sich sicherten, traten sie mit ihm früher oder später auch in einen Wettstreit. In dieser hier transkulturell genannten Interaktion, in der auch Rom jeweils eine Rolle spielte, begannen sie in einem zweiten Schritt auch gegenüber ihren eigenen Untertanen ihre Herrschaft in neuen Verfahren zu legitimieren. Dabei wurden byzantinische religiöse und herrschaftliche Vorstellungen nicht einfach übernommen, sondern nachgeahmt, modifiziert und damit neu erfunden.8 Im Streit mit dem zusehends geschwächten byzantinischen Reich erreichten die unbeständigen und transethnischen Personenverbandsstaaten zeitweise große, aber stark schwankende Ausdehnungen. Als dynastische Herrschaften mit geringer Wirkungsmacht über die engere, selbst sehr i­ n­stabile Gefolgschaft (die nicht mit Adelsprivilegien zu einem Stand stabilisiert wurde) und die höhere Geistlichkeit hinaus blieben sie naturgemäß labil. Im 14. Jh. zerfielen sie und gerieten dabei – im Falle des rhomäisch-slavischen Reiches Dušans danach – unter die Herrschaft der Osmanen. Das ,Illyricum‘ und damit große Teile Südosteuropas stellten aber immer wieder auch im Kontakt mit Rom eine ,frontier‘ dar. Nach dem Untergang des zweiten bulgarischen Reichs 1393 und der serbischen Herrschaftsgebilde im Zuge der Expansion des Osmanischen Reiches kannten die orthodoxen Slaven mit der Ausnahme weniger serbischer Geschlechter keinen als Stand gefestigten Adel. Die wenigen mittleren oder größeren Städte der Region waren – abgesehen vom österreichisch-ungarischen Novi Sad und vielleicht Belgrad – zur Mehrheit durch andere konfessionsethnische Gruppen bewohnt: Türkisch, Slavisch oder, je nach Region, Albanisch sprechende Muslime stellten in den Städten des Osmanischen Reichs die Führungsschicht. Türkische, griechische, Griechisch sprechende aromunische und slavische orthodoxe (weniger auch griechisch-katholisch unierte) Kaufleute, sephardische und teilweise auch aschkenasische Juden, sowie Kiptschakisch sprechende orthodoxe oder unierte Armenier beherrschten den Fernhandel, neben katholischen, Slavisch und in Dalmatien Italienisch sprechenden Händlern insbesondere aus Dubrovnik/Ragusa. Erst nach der Mitte des 18. Jh. traten mehr slavische orthodoxe bzw. serbische und bulgarische Nah- und Fernhändler hinzu.9 Bis ins 18. Jh. und damit bis zum Ende des in diesem Kapitel behandelten Zeitraumes reproduzierten die Südslaven christlich beeinflusste Lebenswelten unter den osmanischen „Zaren“ nur in sehr wenigen Stadtteilen (nur einer von 50 christlichen Bulgaren lebte im 17. Jh. in einer Stadt 10), sowie, in sozial sowie geographisch oft sehr isolierter Form, in Klöstern. In den Dörfern ist bis weit ins 19. Jh. von einem Halbglauben auszugehen, in dem sich vorchristliche Glaubensformen trennungslos mit christlichen vermischten: Das Ideal der anachoretischen Heiligen und hesychastische Strömungen in der orthodoxen Geistlichkeit minderten die in der Orthodoxie ohnehin schwach ausgeprägte Seelsorge, insbesondere auf dem Land. Für alle Epochen, und nicht nur während des Bestehens des osmanischen Vielvölkerreichs, ist insgesamt für Südosteuropa von höchst

8 Vgl. Avenarius (2000), S. 153, S. 176. 9 Springborn (1983), S. 295 f. 10 Crampton (22005), S. 35.

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heterogenen ethnischen und religiösen Gesellschaften auszugehen, die durch zahlreiche Migrationsbewegungen auch nicht stabil mit einer Landschaft verbunden waren. Im Rahmen des Osmanischen Reiches waren auch die kirchlichen Strukturen der orthodoxen Südslaven transethnisch und nicht national organisiert: Das nominal bulgarische Erzbistum von Ohrid wurde von Griechen im „sozialen, nicht ethnischen“ Sinne geleitet, während das Patriarchat von Peć im 18. Jh. große Teile des heutigen Nordwestens Bulgariens unter seine Jurisdiktion brachte, einschließlich des Klosters Rila. Bis zu 15 der Patriarchen des osmanischen Konstantinopel sollen griechisch sozialisierte ethnische Bulgaren gewesen sein.11 Die Zeit der osmanischen Herrschaft wurde seit dem 19. Jh. immer mehr als „Fremdherrschaft“ beschrieben, während die frühneuzeitliche Geschichtswahrnehmung und auch die Lage der Kirche im „osmanischen Europa“ durchaus komplizierter waren.12 Synadinos, ein griechischer orthodoxer Priester aus Serres, konnte im 17. Jh. in seiner Lokalchronik örtliche Konflikte mit Muslimen beschreiben, insgesamt aber die Herrschaft der Sultane im Stil der byzantinischen Herrschaft wahrnehmen und akzeptieren.13 Unter osmanischer Herrschaft sind nicht nur „neue Märtyrer“ der Orthodoxie belegt,14 sondern auch zahlreiche neu errichtete orthodoxe Kirchen: Machiel Kiel erklärt dies mit dem rechtlichen Prinzip des „istislah“, das Notwendigkeiten gemäß der „ratio utilitatis“ des römischen Rechts pragmatisch anerkannte.15 Es gilt nun zu umreißen, in welcher Form sich in den unterschiedenen Phasen unter den orthodoxen Südslaven religiöse Erinnerungsfiguren entwickelten und welche Funktionen ihnen beim Entwurf, bei der Festigung oder Wiederherstellung sowie Um­ge­ staltung kollektiver Identität und herrschaftlicher oder dynastischer Loyalität zukamen. B 1  ,Erzieher und Lehrer der Slaven‘ Konstantin-Kyrill und Method B 1.1  Leben und älteste Verehrungskontexte

Die bald nach ihrem Tod als Heilige verehrten Brüder Konstantin (mit dem Mönchsnamen Kyrill, ca. 826/827 – 869) und Method (ca. 815 – 885) wurden in Saloniki als Sprösslinge einer hohen Beamtenfamilie geboren. In der zweitgrößten Stadt des ­Reiches wuchsen sie möglicherweise in einem ethnisch heterogenen griechisch-slavischen Umfeld auf. Sie können aber „weder in kultureller noch nationaler Beziehung als ­Slaven (Bulgaren)“ angesehen werden.16 Im Dienst des oströmischen Kaisers unternahm der gelehrte

11 Sampimon (2006b), S. 23 f., S. 39 – 41. 12 Jetzt: Petrovszky (2013); anders: Geier (2001). 13 Strauss (2002), S. 200 f. 14 Petrovszky (2013), S. 197. 15 Kiel (1985), S. 192 – 198; vgl. Gradeva (1994). 16 Podskalsky (2000), S. 171; Avenarius (2000), S. 66; Podskalsky (1994), S. 1 – 4. Gemäß der Methodvita hat Method vom byzantinischen Kaiser ein slavisches Fürstentum zur Verwaltung bekommen, „damit er alle slavischen Sitten lerne und sich allmählich an sie gewöhne“.

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­Konstantin 860/861 eine erfolglose Missionsreise zu den Chazaren. 862 bat der slavische Fürst an der Morava, Rastislav, der eine politische Lösung von Ludwig dem Deutschen sowie eine kirchliche Emanzipation vom bayerischen Klerus anstrebte, den byzantinischen Kaiser um Lehrer, um in seinem Herrschaftsgebiet das Christentum zu verbreiten. 863 führten Kyrill und sein Bruder Method, der zuvor wichtige Verwaltungsämter eingenommen hatte, die Gesandtschaft zu Rastislav an. Nach 868 stand das Handeln der Brüder unter dem Schutz des Papstes in Rom, wo Konstantin unter dem Mönchsnamen Kyrillos 869 starb. Papst Hadrian II. weihte Method zum Erzbischof von Pannonien mit Sitz in Sirmium, heute Sremska Mitrovica, um seinen Einfluss auf das Illyricum wiederherzustellen. Method wurde aber nie vor Ort in sein Amt eingesetzt,17 sondern geriet in bayerische Gefangenschaft. Nach Jahren der Auseinandersetzungen mit dem fränkischen Klerus unternahm Method 881/883 eine Reise nach Konstantinopel. Dabei suchte er auch den bulgarischen Fürsten Boris I. auf, unter dessen Herrschaft seine Schüler nach seinem Tod Zuflucht fanden.18 Konstantins Bruder Methodios wird häufig als Verfasser seiner Vita angesehen,19 die Frage nach dem Autor ist aber weiterhin offen.20 Der Text liegt erst und nur in Auszügen in kroatisch-glagolitischen Breviarien des 14. Jh. sowie in anderen Handschriften seit dem 15. Jh. vor.21 Die Methodvita stammt von einem seiner Schüler, möglicherweise von Kliment von Ohrid (um 835 – 916)22 oder von Konstantin von Preslav.23 Beide Viten entstanden noch im letzten Drittel des 9. Jh.24 Die Konstantinsvita wurde mit dem Untertitel „erster Erzieher und Lehrer des slavischen Volkes“ versehen.25 Außer Bezeichnungen für das Mährische Reich wurden in der Vita aber keine ethnischen Gruppen innerhalb der Slaven unterschieden. So war weder von Bulgaren noch von Serben die Rede. Zu beachten ist die Wertschätzung, die dem Papst als „apostolischem Vater“ bei der Beerdigung Konstantins in Rom entgegengebracht wurde.26 Konstantin wurde als einer „guten Wurzel guter Spross“ beschrie-





Zwischen Rom und Byzanz, S. 113. Die für liturgische Zwecke angefertigte „Kurze Vita“ hält fest, dass Method dort die slavische Sprache erlernte. Zwischen Rom und Byzanz, S. 218. Auch ­Konstantins Muttersprache dürfte daher Griechisch gewesen sein. Zum Forschungsstand auch: V. Tăpkova-Zaimova/D. Češmedžiev, „Proischod na Kiril i Metodij“, in: K-ME 3, S. 343 – 349. 17 Podskalsky (2000), S. 65. 18 Ch. Hannick, „Konstantin und Method“, in: LexMA 4, Sp. 1382 – 1385. 19 Ch. Hannick, „Konstantin und Method“, in: LexMA 4, Sp. 1382 – 1385, hier Sp. 1382. 20 Podskalsky (2000), S. 273 f. 21 Ch. Hannick, „Konstantin und Method“, in: LexMA 4, Sp. 1382 – 1385, hier Sp. 1384. 22 Mehr zu Kliment im nächsten Kapitel. 23 Ch. Hannick, „Konstantin und Method“, in: LexMA 4, Sp. 1382 – 1385, hier Sp. 1382; ­Podskalsky (2000), S. 274. Ihre älteste erhaltene Abschrift befindet sich in einer im 12./13. Jh. in Černigov und Kiew erstellten Predigtsammlung und belegt das Gedenken an ihn auch in der Rus’. Ch. Hannick, „Uspenskij sbornik“, in: LexMA 8, Sp. 1342. 24 Podskalsky (2000), S. 274. 25 Zwischen Rom und Byzanz, S. 54. 26 Zwischen Rom und Byzanz, S. 105 f.

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ben.27 Die biblische genealogische Metaphorik stand in diesem Kontext ganz außerhalb herrschaftlich-dynastischer Instrumentalisierungen. Auch die Methodvita betonte die Rolle des Papstes. Beide Texte förderten das religiöse Gedenken an die christlich-missionarische Leistung der Brüder im heilsgeschichtlichen 28 bzw. apostelgeschichtlichen Zusammenhang ohne politischen Bezug. Eine Lobrede zu Ehren Kyrills, die „das strahlende Gedächtnis unseres aller­seligsten Vaters Kyrill, des neuen Apostels und Lehrers aller Länder“ fördern sollte, gilt als ein Werk Kliments von Ohrid.29 Kyrill wurde in ihr mit der Sonne und einem „Cherubim“ verglichen sowie als Spender der „Strahlen der Gottheit“ als unmittelbares globales Medium Gottes verherrlicht.30 Konstantin-Kyrillos wurde auch mit einem „Adler“ gleichgesetzt, der „über alle Länder“ flog 31 und wie für andere Völker auch für „das ­slavische Volk, das in Unwissenheit und in sündiger Finsternis verhielt“, zum erlösenden „­Lehrer“ wurde: Er „lenkte alle mit dem geschriebenen Wort auf den Weg der Rettung“.32 Der Satz bezeugt, wie Wissen aus theologischer Sicht nur im Zusammenhang mit dem christlichen Glauben und nur als Hilfsmittel auf dem Weg der Heilsgeschichte denkbar war, jedoch keineswegs einen aufklärerischen Selbstzweck darstellte. Wurde damit zunächst das „slavische Volk“ als Einheit beschrieben, trat es gleich darauf äußerst fragmentiert in Erscheinung, nur geeint durch Kyrills Kranz und Gottes Kraft: „Mit einem gottgewirkten Kranz bekränzte er die vielfältigen slavischen Sprachen.“ 33 Kyrill wurde nicht nur wie Christus beschrieben, sondern tritt in einzelnen Sätzen an seine Stelle. So erscheint er gewissermaßen als Teil der Dreifaltigkeit: „Und in gleicher Weise werden der omnipräsente Vater und der Heilige Geist gerühmt.“ 34 Auch die Beschreibung der Kirche als Körper Christi wurde auf Kyrill übertragen: „Ich preise selig deine ehrenreiche Kirche, in der dein überaus kluger und gottgefälliger Leib ruht.“ 35 27 Zwischen Rom und Byzanz, S. 55; Podskalsky (2000), S. 275. 28 Podskalsky (2000), S. 275 f. 29 „Es leuchtet uns, ihr Christus Liebenden, das strahlende Gedächtnis unseres allerseligsten Vaters Kyrill, des neuen Apostels und Lehrers aller Länder.“ Kliment Ochridski 1, S. 426; Stara ­bălgarska literatura 2, S. 81; zit. gemäß der Übersetzung von Baumann (1983), S. 157. Zum Text: Podskalsky (2000), S. 183 f. 30 „Er erstrahlt durch seine Frömmigkeit und Schönheit auf der Erde wie die Sonne und ­erleuchtet mit den Strahlen der Gottheit die ganze Welt.“ Kliment Ochridski 1, S. 426; Stara bălgarska literatura 2, S. 81; zit. gemäß der Übersetzung von Baumann (1983), S. 157. 31 Kliment Ochridski 1, S. 426; Stara bălgarska literatura 2, S. 82; zit. gemäß der Übersetzung von Baumann (1983), S. 157. 32 Kliment Ochridski 1, S. 426; Stara bălgarska literatura 2, S. 82; zit. gemäß der Übersetzung von Baumann (1983), S. 158. 33 Kliment Ochridski 1, S. 427; Stara bălgarska literatura 2, S. 83; zit. gemäß der Übersetzung von Baumann (1983), S. 159. 34 Kliment Ochridski 1, S. 427; Stara bălgarska literatura 2, S. 82; zit. gemäß der Übersetzung von Baumann (1983), S. 159. 35 Kliment Ochridski 1, S. 427; Stara bălgarska literatura 2, S. 84; zit. gemäß der Übersetzung von Baumann (1983), S. 160. Vgl. Podskalsky (2000), S. 184; vgl. Ladner (1959), S. 115 f.

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Schließlich wurde Kyrill als ein Lebendiger angesprochen und als Heiler von der „Krankheit der Sünde“ gelobt,36 nicht aber von anderen, körperlichen Krankheiten. Außerdem segnete Kliment „die Stadt, die den dritten Erfüller der Vorsehung Gottes“ – offenbar nach Peter und Paul – aufgenommen habe, und damit Rom, wo die Gebeine Kyrills ruhten: Der Verehrungszusammenhang umfasste hier sowohl Byzanz als auch Rom. Zudem ordnete Kliment ihn in die Reihe der lebendigen Gemeinschaft der Apostel und Engel und Propheten ein: Er war „mit den Propheten ein Prophet und mit allen Heiligen ein Teilhaber an der Herrlichkeit Gottes. Mit ihnen bete für uns“.37 Das Gebet des im Jenseits Lebendigen diente in Kliments Verständnis zur Verankerung und Festigung des gegenwärtigen und zukünftigen Heils der Christen. Wo der Text nicht allumfassend christlich ausgerichtet gestaltet wurde, zielte er auf die Slaven insgesamt bzw. auf „mein Volk“ ab. Von Bulgaren oder Bulgarien war an keiner Stelle die Rede. Eine zweite, gleichfalls Kliment zugeschriebene Lobrede über beide Brüder verglich diese mit Moses und Aaron.38 Erneut wurde Kyrill mit einem „Adler“ gleichgesetzt, der nun „mit geistigen Flügeln“ ausgestattet wurde.39 Method wurde nach dem Vorbild byzantinischer Texte auch mit Salomon verglichen, und ihm wurde sogar kriegerisches Talent „wie Samson und Gideon und Josua“ verliehen.40 Kyrill sei überdies gemäß dem Text „als Gefäß vom Heiligen Geist auserwählt“ worden.41 Die gleiche Ehre kam am Ende des Textes beiden Brüdern zu: „Ihr wart ein Sitz für Gottes Vorsehung, ausgewählte Gefäße für den Heiligen Geist.“ 42 Kyrill „erstrahlte damit für alle durch seine philosophische Gelehrsamkeit und wurde als ein unerschöpflicher Schatz befunden. Wie eine Quelle, die das ganze All erfüllt, tränkte er die nach Gottes Wort Dürstenden, wie selber unser 36 „Ich preise selig deine lichte Seele, durch die meine Seele von der Krankheit der Sünde genas“. Kliment Ochridski 1, S. 427; Stara bălgarska literatura 2, S. 84; zit. gemäß der Übersetzung von Baumann (1983), S. 160. 37 „Mit ihnen bete für uns, ehrwürdiger Lehrer, die wir dein ruhmreiches Entschlafen zum Preise der allerheiligsten Dreifaltigkeit, des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes ehren, jetzt und immerdar und in Ewigkeit.“ Kliment Ochridski 1, S. 428; Stara bălgarska literatura 2, S. 84; zit. gemäß der Übersetzung von Baumann (1983), S. 161. 38 Kyrill und Method „führten die Menschen aus dem tiefdunklen Meer des Teufels, sie ertränkten den geistigen Pharao“. Und: „Sie führten das Volk nicht in die Wüste, sondern lenkten es in die Helle der Gotteserkenntnis“. Kliment Ochridski 1, S. 470; Stara bălgarska literatura 2, S. 88; zit. gemäß der Übersetzung von Baumann (1983), S. 166; Podskalsky (2000), S. 274 f. 39 Kliment Ochridski 1, S. 468; Stara bălgarska literatura 2, S. 85; zit. gemäß der Übersetzung von Baumann (1983), S. 162; Podskalsky (2000), S. 278. 40 „Mit Flügeln versehen war er auch im Krieg wie Samson und Gedeon und Josua und trat schrecklich auf.“ Kliment Ochridski 1, S. 469; Stara bălgarska literatura 2, S. 86; zit. gemäß der Übersetzung von Baumann (1983), S. 163. Zu wenigen Gemeinsamkeiten und zahlreichen Unterschieden der Lobrede gegenüber vergleichbaren byzantinischen Texten: Avenarius (2000), S. 155. 41 Kliment Ochridski 1, S. 468 f.; Stara bălgarska literatura 2, S. 85; zit. gemäß der Übersetzung von Baumann (1983), S. 162 f.; Podskalsky (2000), S. 278. 42 Kliment Ochridski 1, S. 473; Stara bălgarska literatura 2, S. 92; zit. gemäß der Übersetzung von Baumann (1983), S. 171; Podskalsky (2000), S. 278.

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Herr und Gott Jesus Christus sagte“.43 Kyrill wurde damit erneut ohne Unterschied als Christus 44 verherrlicht und mit universaler Funktion ausgestattet. Beide Heiligen wurden zu Ende des Textes als Fürsprecher vor Gott für die Gegenwart und die Zukunft der Christen gemacht. Die Fürbitte für „eure auserwählte Herde“ blieb dabei ganz im christlichen Zusammenhang.45 Auch hier wurde Papst Hadrian als Unterstützer der Brüder geehrt und Kyrill als Wundertäter und durch die Römer als Heiler von Kranken verehrt beschrieben.46 Die Taten der Brüder blieben auch hier auf die ganze christliche Ökumene und insbesondere auf die Slaven bezogen, die „neue Apostel“ des „neuen Volkes“ wurden, „indem sie ihm Buchstaben schufen“.47 Die Annäherung der Darstellung Kyrills an diejenige Christi trat hier ergänzend neben seine Inszenierung als Apostel, ohne diese zu ersetzen. In der Lobrede sprach Kliment weder von Bulgaren noch von der Vorstellung eines „auserwählten Volkes“ oder Herrschaftswesens. Obschon Kliment lange Jahre in Bulgarien bzw. in Ohrid wirkte, in dessen Nähe er vom bulgarischen Herrscher Boris als erster „bulgarischer Bischof“ eingesetzt worden war, machte Kliment die Brüder nicht zum Medium eines lokalen oder bulgarischen Kultes. Die Verehrung war christlich, universal und anational angelegt, wenngleich öfters auf slavische Zusammenhänge hingewiesen wurde. Zu Ehren Kyrills wie auch Methods entstanden möglicherweise bereits im 9. und 10. Jh. je ein slavisches Offizium (Služba) sowie ein Drittes, das beiden gewidmet war.48 Das Offizium zu Ehren Kyrills soll bereits in Mähren entstanden sein.49 Von diesem liegen am meisten Abschriften vor. Die Ältesten unter ihnen stammen aus dem 12. und 13. Jh. und sind in der russischen sowie der bulgarischen Redaktion des Kirchenslavischen gehalten. Aus dem 15. Jh. datiert eine serbisch-bulgarische Redaktion.50 Als Autor des

43 Kliment Ochridski 1, S. 468 f.; Stara bălgarska literatura 2, S. 85; zit. gemäß der Übersetzung von Baumann (1983), S. 162 f.; Podskalsky (2000), S. 278. 44 Mit Podskalsky wurde Kyrill „Christus an die Seite gestellt als lebensspendende Geistquelle“. Podskalsky (2000), S. 278. 45 „Betet unablässig und hartnäckig für eure auserwählte geistige Herde, wie ihr auch unsere Leiden vertreibt und uns von Not und Unglück erlöst! Erleuchtet die Augen unserer Herzen und festigt unseren Verstand, damit wir würdig euren Fußstapfen folgen! Wenn ihr unser Unvermögen auf euch nehmt, gebt uns aus der Höhe Kraft, damit wir vor Christus würdig leben, damit wir die Erben eurer Arbeiten werden und Prediger des wahrhaftigen Glaubens, den ihr uns verkündet habt, (…) heute und in aller Ewigkeit. Amen!“ Stara bălgarska literatura 2, S. 92. 46 Kliment Ochridski 1, S. 472 f.; Stara bălgarska literatura 2, S. 90; Baumann (1983), S. 168 f. 47 Kliment Ochridski 1, S. 470 f.; Stara bălgarska literatura 2, S. 89; zit. gemäß der Übersetzung von Baumann (1983), S. 166 f. 48 Podskalsky (2000), S. 429; D. Poppov, „Služby za Kiril i Metodij starobălgarski“, in: K-ME 3, S. 652 – 666, hier S. 652. 49 Češmedžiev (2001), S. 17. 50 Iz starata bălgarska ruska i srăbska literatura 2, S. 3, S. 5; vgl. Bălgarski starini iz Makedonija, 2 1931, S. 290; Podskalsky (2000), S. 429.

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Offiziums zu Ehren Methods ist Konstantin von Preslav anzunehmen.51 Es liegt in drei Abschriften aus dem 11./12. Jh. vor, wie auch u. a. in einer bulgarischen Abschrift aus Skopje und einer serbischen aus Saloniki, die beide aus dem 13. Jh. stammen.52 Abge­ sehen von den Viten ist die Memoria des hl. Konstantin-Kyrill am 14. Februar bereits im Assemani-Evangeliar belegt, das in der zweiten Hälfte des 10. Jh. vermutlich in Ohrid entstand.53 Die Entstehung und Überlieferung der Texte belegen eine Ausbreitung des Kults der Heiligen bereits im 12. und 13. Jh. über die Grenzen von Herrschaftsgebieten mehrerer orthodoxer Fürsten hinweg. Auch in der in Sofia aufbewahrten Abschrift des Kyrilloffiziums aus dem 13. Jh. wurde Kyrill als Person angesprochen und in Gesängen verehrt.54 Mit seiner auch hier zentralen Funktion als Fürbitter 55 war die Bitte um die Vernichtung moralischer und häretischer Feinde verbunden.56 Während seine Bezeichnung als „Slowenischer Lehrer“ sein Wirken auf die Slaven beschränkte, blieb er dank des Vergleichs mit Moses – der sich auch auf Method bezog –57 sowie der Rede von „Städten und Ländern“,58 in denen er gewesen sei, in einem universalen Bezugsrahmen verortet. Auch in diesem Text war weder von Bulgaren noch von Serben die Rede. Die Brüder erschienen damit zunächst als transethnische Akteure in einer nicht zuletzt durch ihre Handlungen (re)produzierten multiplen Kontaktzone zwischen Byzanz, mehreren slavischen Herrschaftsgebieten, Rom und auch Bayern. Ihre Verehrung war aber universal und nicht regional beschränkt angelegt. In welche Richtung entwickelte sich die zunächst im Wettstreit zwischen Byzanz und Rom um die Mission im frühen Mittelalter übergreifend entstehende und an keiner ethnischen Etikette ausgerichtete Verehrung in späteren Kontexten?

51 Podskalsky (2000), S. 432. Auch Kliment von Ohrid wird als Autor vermutet: Iz starata bălgarska ruska i srăbska literatura 2, S. 9. 52 Iz starata bălgarska ruska i srăbska literatura 2, S. 5. 53 D. Minev, „Asemanievo evangelie“, in: K-ME 1, S. 124 – 134, hier S. 125 f.; vgl. Ch. Hannick, „Konstantin und Method“, in: LexMA 4, Sp. 1382 – 1385, hier Sp. 1384. 54 „Deshalb ehren wir dich in heiligen Gesängen.“ Iz starata bălgarska ruska i srăbska literatura 2, S. 10. 55 „Daher bitten wir dich, erbarme dich unser, damit wir die Gnade erlangen“. Iz starata bălgarska ruska i srăbska literatura 2, S. 10. So wie die beiden Brüder zu ihren Lebzeiten „unablässig für ihre Herde gebetet haben“, so sollten sie bzw. Kyrill nun „im Himmel mit den Engeln sein, und mit ihnen für die Rettung der Seelen beten“. Iz starata bălgarska ruska i srăbska literatura 2, S. 12. 56 Iz starata bălgarska ruska i srăbska literatura 2, S. 16. 57 Iz starata bălgarska ruska i srăbska literatura 2, S. 12. 58 Iz starata bălgarska ruska i srăbska literatura 2, S. 16.

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B 1.2  Byzantinische Bulgarisierung der Verehrung durch Theophylaktos

Theophylaktos, der um 1120/26 verstorbene griechische bzw. byzantinische Erzbischof von Ohrid, der Metropole der Kirchenprovinz Bulgarien,59 gilt „inzwischen auch fast unumstritten“ 60 als Verfasser einer griechischen Vita des hl. Kliment von Ohrid, die für die in der Region entstehende religiöse Erinnerungskultur um die beiden Brüder entscheidende Stellen enthält.61 Der zur Mitte des 11. Jh. auf Euboia Geborene brachte den Diskurs über Kyrill und Method erstmals nachhaltig in einen begrifflichen Zusammenhang mit „Bulgarien“: Der Hauptschauplatz dieser Vita Kliments und anderer Schüler Kyrills und Methods war nun, ganz anders als in den bisher besprochenen Texten, „das Land der Bulgaren“. Die Brüder selbst wurden dabei „zur Rechten Gottes“ imaginiert.62 Die Erinnerung an die Brüder und das Verständnis der Gegenwart verschmolzen hier in der für die Viten und die liturgischen Gesänge charakteristischen Logik: Kyrill und Method lebten in den Augen von Theophylaktos als lebendige, wenn auch im Jenseits befindliche Kommunikationspartner fort. Das Werk Methods und Kyrills betraf laut dem Text allgemein die Slaven, aber zunächst die Bulgaren oder ihr Land, obschon das Wirken der Brüder in Mähren und Pannonien nicht verschwiegen wurde: Hier wie dort war das Hauptmotiv ihres Handelns die Bekehrung „der Slaven oder Bulgaren“ zum christlichen Glauben. Die Erfindung neuer Buchstaben und die Überführung der „Fackel der Schrift“ dienten vorrangig diesem Zweck.63 Auch in dieser Vita wurde das Wirken der Brüder mit dem der Apostel verglichen, aber sie wurden nicht mit ihnen gleichgesetzt.64 59 Podskalsky (2000), S. 233; Beck (1959), S. 649. 60 Podskalsky (1994), S. 13. 61 Podskalsky (2000), S. 285; anders: Avenarius (2000), S. 158. Als ihre Grundlage galten lange Zeit von Theophylaktos lediglich überarbeitete, angeblich slavische Quellen. Materialy dlja istorii žizni, S. 129; I. Dujčev, „C. v. Ochrid, I. Leben und kirchenpolitisches Wirken“, in: LexMA 2, Sp. 2146 f. 62 „Also erleuchteten auch das Land der Bulgaren in diesen letzten Zeiten selige Väter und Lehrer, die durch ihre Belehrungen und Wunder, durch ihr Leben und ihr Wort erstrahlend zur Rechten Gottes stehen.“ Zwischen Rom und Byzanz, S. 137. 63 „Da aber das Volk der Slaven oder Bulgaren die in griechischer Sprache abgefassten Schriften nicht verstand, hielten dies die Heiligen für den größten Schaden, und sie machten sich den Umstand, dass die Fackel der Schrift im dunklen Land der Bulgaren nicht entzündet wurde, zu einer Sache untröstlichen Schmerzes. (…) Was tun sie also? Sie schauen auf den Tröster hin, dessen erste Gabe die Sprachen sind und die Hilfe der Rede. Und von Ihm erflehen sie die Gnade, Buchstaben zu erfinden, die der Rauheit der bulgarischen Sprache angepasst sind, und die Heilige Schrift in die Sprache des Volkes übersetzen zu können.“ Dank der gewährten Gnade „erfinden sie die slavischen Buchstaben, übersetzen die von Gott inspirierten Schriften aus der griechischen Sprache in die bulgarische und bemühen sich, den fähigeren unter ihren Schülern die göttliche Lehre zu übergeben“. Zwischen Rom und Byzanz, S. 138 f. 64 „Da sie aber wussten, dass auch Paulus den anderen Aposteln sein Evangelium mitgeteilt hat, eilten auch sie nach Rom, um dem Heiligen Vater das Übersetzungswerk der Schrift zu zeigen.“

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Method pflegte in der Darstellung von Theophylaktos, schon als er sich beim mährischen Fürsten Rastislav aufhielt, Beziehungen zum bulgarischen Herrscher Boris. Die Aufnahme der Flüchtlinge und die unter seiner Herrschaft einsetzende Christianisierung Bulgariens sicherten Boris, „der unter dem Kaiser der Rhomäer Michael lebte“, das Lob des Hagiographen.65 Die Erfindung der „slavischen Schrift“ wurde erst hier – im Gegensatz zu den früheren Texten – ganz auf die Bulgaren bezogen dargestellt. Die Taufe und der Kontakt mit den ins Slavische übersetzten christlichen Schriften brachten in der hier entworfenen religiösen Sichtweise „das Volk der Bulgaren“ als kollektiven Akteur vom Irrweg auf den Heilsweg.66 Nachdem die Schüler Kyrills und Methods von den Lateinern aus Mähren vertrieben worden seien, flüchteten sie in den Worten von Theophylaktos nach Bulgarien: Sie „wollten nach Bulgarien, sie dachten an Bulgarien, von Bulgarien erhofften sie sich Ruhe“.67 Angelangt in dieser sicheren Zufluchtsstätte schilderten sie dem bulgarischen Herrscher Boris die Geschehnisse. Dieser stilisierte sie sodann in der Darstellung der Vita wegen ihrer missionarischen und ausbildenden Bemühungen zu „Dienern als Wohltäter Bulgariens“.68 Theophylaktos schilderte das Verhältnis zwischen Fürstenherrschaft und Kirche mit diesen Sätzen als ein äußerst enges. Er stellte die Taten der Geistlichen als Dienst an „Bulgarien“ dar. Dabei ist zu beachten, dass er mit Bulgarien weniger die zum Zeitpunkt der Niederschrift der Vita bereits untergegangene, in das byzantinische Reich eingegliederte bulgarische Herrschaft beschwor, als vielmehr die Kirchen­provinz Bulgarien kräftigte, der er in Ohrid vorstand: Indem er Kliment und mit ihm Kyrill sowie Method verehrte, festigte er als Nachfolger Kliments den heilsgeschichtlichen Status oder das sakrale Kapital seines eigenen Erzbistums. Die Verehrung der Brüder durch Theophylaktos wurde in der jüngeren Forschung als Versuch einer byzantinischen Aneignung „der Kyrillomethodianischen Sache“ gedeutet.69 Diese Aneignung stand aber abgesehen von den älteren, universalistischen Texten allein und wetteiferte mit keinem Zwischen Rom und Byzanz, S. 139. 65 „Aber auch den Bulgarenfürsten Boris, der unter dem Kaiser der Rhomäer Michael lebte, auch ihn hatte der große Methodios schon früher zu seinem Sohn gemacht und ihn an seine eigene, überaus schöne Sprache geheftet, (…). Dieser Boris war auch sonst von rechtem Sinn, der auch das Gute annimmt. Unter ihm begann das Volk der Bulgaren der heiligen Taufe gewürdigt zu werden und sich zum Christentum zu bekennen.“ Zwischen Rom und Byzanz, S. 144. 66 „Und so vom skythischen Irrtum befreit, erkannte das Volk der Bulgaren den wahren und untrüglichen Weg, Christus, wenn es auch spät, um die elfte oder zwölfte Stunde, durch die Gnade dessen, der es dazu berief, in den göttlichen Weinberg eingetreten war. Die Berufung dieses Volkes geschah nämlich im Jahre 6377 (869) seit Erschaffung der Welt.“ Zwischen Rom und Byzanz, S. 145. 67 Zwischen Rom und Byzanz, S. 164. 68 „Als er sich dies angehört hatte, dankte der Fürst Gott innig, dass er ihm solche Diener als Wohltäter Bulgariens gesendet habe, solche Lehrer und guten Einrichter des Glaubens geschenkt habe, nicht irgendwelche gewöhnlichen Leute, sondern Bekenner und Märtyrer.“ Materialy dlja istorii žizni, S. 115. 69 Simeonova (1994), S. 27 f.

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anderen ethnisch markierten Diskurs. Zudem wurde gerade mit diesem Text erstmals ein konsequenter bulgarischer Bezug hergestellt. Wie wenig es sich dabei auch ­später um eine umstrittene oder eine spezifisch bulgarische Angelegenheit handelte, zeigt sich darin, dass keine bulgarische Übersetzung des wichtigen Textes vor dem 19. Jh. bekannt ist.70 Die Bulgarisierung der Verehrung durch einen Byzantiner soll hier als charakte­ ristische (trans)kulturelle Praxis der Kontaktzone zwischen Byzanz und seinen slavischen Nachbarvölkern bzw. Vasallen gelten. B 1.3  Die Aneignung der Verehrung durch bulgarische Herrscher in Tărnovo

Während der Wiederherstellung eines bulgarischen Reiches zu Beginn des 13. Jh. wurde im Rahmen des vierten Kreuzzuges eine Annäherung, ja die Union mit Rom betrieben: In der neuen Hauptstadt Tărnovo residierte möglicherweise schon um 1186 ein Erz­ bischof, der 1235 vom römischen Papst den Primastitel erhielt, sich selbst aber als Patri­ arch titulierte.71 Gleichzeitig wurde eine erneute „Bulgarisierung“ der Erinnerung an die beiden Brüder gefördert. So wurden ihre Leistungen für die Orthodoxie im Sinodik der bulgarischen Kirche von 121172 auf die „bulgarische Sprache“ und das „bulgarische Geschlecht“ bezogen.73 In der schwer zu datierenden und anonymen „Legende von Thessaloniki“ (11.–12. Jh., eher 74: 13.–14. Jh.) wurde Kyrill als Grieche aus Kappadokien sowie als Täufer der Bulgaren beschrieben.75 Die in dem Text beobachtete „Idee der besonderen Auserwählung des bulgarischen Volkes“ 76 bzw. der „starke bulgarische Messianismus“ wird von der bulgarischen Forschung als Reaktion gegen den bisherigen, griechisch orientierten „offiziellen Kult Kyrills und Methods“ gedeutet.77 Die 70 Im Gegensatz zu Podskalsky sieht Avenarius die Vita weiterhin nur als Übersetzung einer verlorenen slavischen Urfassung. Podskalsky (2000), S. 285; Avenarius (2000), S. 158, S. 174. 71 Beck (1959), S. 185. 72 Češmedžiev (2001), S. 92. Boris N. Florja hielt 1988 fest, Konstantin-Kyrill sei mit dieser Erwähnung zum „wahren nationalen Helden der Bulgaren“ geworden Vgl. Češmedžiev (2001), S. 92. Diese Einschätzung ist jedoch unangebracht: Die Begriffe „Held“ und „national“ waren für den bisher aufgearbeiteten Kontext nicht gebräuchlich. 73 Dem Verzeichnis kam eine wichtige Rolle in der Organisation des Ablaufs des liturgischen Kirchenjahres zu. Eine darin enthaltene Lobrede lautete: „Für Kyrill den Philosophen, der die göttliche Schrift aus der griechischen in die bulgarische Sprache übersetzt hat und das bulgarische Geschlecht aufgeklärt hat, ein neuer zweiter Apostel, während der Herrschaft Michaels und der orthodoxen Kaiserin Theodora, seiner Mutter, welche die göttliche Kirche gefestigt haben mit heiligen Ikonen und die Orthodoxie gestärkt haben, ewiges Gedenken (pameť).“ Auch für Method, der wie Kyrill „viel für das slavische Buch getan hat“, wurde „ewiges Gedenken“ gefordert. Sinodik carja Borila, S. 77; vgl. Češmedžiev (2001), S. 92. 74 Podskalsky (2000), S. 173, S. 284. 75 Ivan Dobrev, „Solunska Legenda“, in: K-ME 3, S. 707 – 715. 76 Podskalsky (2000), S. 284. 77 Češmedžiev (2001), S. 85 f., S. 101.

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Legende schildert, dass Kyrill von Gott den Auftrag bekommen habe, die Bulgaren zu missionieren. Zunächst erschreckt von der bulgarischen Sprache, soll Kyrill darauf die Kenntnis der griechischen verloren haben.78 Die Passage beschrieb und konstruierte damit kulturelle Differenz und gleichzeitig ihre Überwindung im Rahmen der Kontaktzone zwischen Konstantinopel und seinen slavischen Nachbarn. In einer kurzen Prologvita Kyrills, die als „Entschlafung Kyrills“ bekannt ist und in der Hauptstadt Tărnovo im 13. Jh. entstanden sein dürfte,79 wurde er hingegen als Bulgare dargestellt.80 Die ältesten Fassungen des Textes liegen in einer serbischen sowie einer walachisch-bulgarischen Sammelhandschrift des 15.–16. Jh. bzw. von um 1450 vor.81 Die Überlieferungssituation lässt auf eine nur konfessionell einheitliche, ethnisch bzw. protonational aber sehr heterogene, an herrschaftlichen Strukturen ausgerichtete Verehrungskultur schließen. Das Gedenken an die Brüder wurde direkt zu staatstragenden Zwecken eingesetzt: „Mit seinen Gebeten bekräftige der Herrgott alle Zarentümer der orthodoxen Christen in alle Ewigkeit“.82 In einer möglicherweise älteren Fassung bezog sich der Satz nur auf das bulgarische Reich.83 Tatsächlich sind Kyrill und Method für diese Zeit weniger als Medium einer ethnischen Einigung zu deuten 84 denn als Mittel zur Festigung der Herrschaft u. a. des bulgarischen Zarentums. In einer bulgarischen Redaktion des Kyrilloffiziums, die in den in der damaligen Metropolie von Skopje entstandenen sogenannten „Minäen von Skopje“ aus dem 13. Jh. enthalten ist, wurde der Tag des letzten Gerichtes ins Auge gefasst und erneut die Funktion des Heiligen als Fürbitter betont.85 Zudem wurde nun festgestellt, die beiden ­Brüder hätten als Apostel der ganzen Welt ihre Mission „mit bulgarischen Büchern“ und ausgehend von Bulgarien ausgeführt.86 Das Gedenken an die Brüder wurde damit zum Medium eines entstehenden, an der Herrschaft orientierten bulgarischen kollektiven Selbstverständnisses. Das Slavische wurde mit dem regional vorherrschenden Bulgarischen gleichgesetzt.87 Spezifisch für die Verehrung der Brüder ist, dass ihre Leichname nicht in Bulgarien begraben wurden und weder eine ihnen gewidmete Kirche noch ein Kloster zum

78 Iz starata bălgarska ruska i srăbska literatura 2, S. 63 – 66; vgl. Bălgarski starini iz Makedonija, 2 1931, S. 282 f. 79 Podskalsky (2000), S. 284. 80 „Die Geburtsstadt unseres seligen Vaters Kyrill war die vielgerühmte und große Stadt Saloniki. Er wurde in ihr geboren. Er ist bulgarischer Herkunft.“ Kiril i Metodi 2, S. 115 – 118. 81 Kiril i Metodi 2, S. 118. 82 Stara bălgarska literatura 4, S. 66; Češmedžiev (2001), S. 94. 83 Stara bălgarska literatura 4, S. 513; Češmedžiev (2001), S. 94. 84 Simeonova (1994), S. 29. 85 „Erbarme dich unser, damit wir deine Gnade am Gerichtstag erlangen“. Bălgarski starini iz Makedonija, 21931, S. 291; Češmedžiev (2001), S. 96. 86 Bălgarski starini iz Makedonija, S. 290. Mehrfach ist von „bulgarischen Büchern“ die Rede. Bălgarski starini iz Makedonija, 21931, S. 291 f.; Češmedžiev (2001), S. 96. 87 Češmedžiev (2001), S. 80 f.

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frühen Mittelpunkt ihres Kultes wurde, wo ihnen die Heilung von Krankheiten hätte zugeschrieben werden können. Eine Entstehung des Kultes „von unten“ blieb deshalb weitgehend aus. Vielmehr verbreitete sich die von den Schülern der beiden nach Bulgarien gebrachte Erinnerung an sie „mit der unmittelbaren Unterstützung der staatlichen Macht – sowohl der administrativen wie der kirchlichen“.88 Ihre zunehmende Anrufung als Fürbitter steht für einen wachsenden Glauben an ihre sakrale Bedeutung in Krisenzeiten.89 Besonders stark wurde diese Rolle auch in der Fassung des Methodoffiziums hervorgehoben, die in den „Draganover Minäen“ enthalten ist.90 Diese wurden im 13. Jh. verfasst und im Zograf-Kloster auf dem Athos aufbewahrt.91 In der neuen bulgarischen Hauptstadt Tărnovo wie auch an anderen Orten unter der erneuerten bulgarischen Herrschaft entstanden somit mehrere Texte zum Gedenken an die Brüder, die ihr Gedächtnis in den erneuerten staatskirchlichen bulgarischen Zusammenhang einbanden. Die in Tărnovo aufgesetzten Texte standen dabei in einem Wettstreit mit dem Gedenken an die Brüder in dem seit 1204 vom lateinisch besetzten Konstantinopel unabhängigen griechischen Erzbistum der Kirchenprovinz Bulgarien in Ohrid, wo die Verehrung der Brüder wie gezeigt schon früher, und maßgeblich durch Griechen, entstanden war. Nach der byzantinischen ist damit gewissermaßen eine zweite, bulgarische Erfindung ihres Kults im Osten der Balkanhalbinsel festzustellen. Ihre Verehrung gelangte erst mit ihr ins Zentrum der erneuerten kirchlichen und weltlichen Macht: Neben ihre provinzielle kirchenpolitische Rolle in Ohrid trat eine neue, mit dieser konkurrierende hauptstädtische Funktion in Tărnovo, die weltlich bzw. herrschaftlich und sakral zugleich war. Die mit dem Vorgang einhergehende aufgezeigte sogenannte „Bulgarisierung“ der Verehrung Kyrills und Methods ist allerdings nur in wenigen bulgarischen Dokumenten zu beobachten. Bemerkenswerterweise ist sie gerade auch in serbischen geistlichen Texten belegt.92 Die bulgarische Umdeutung wurde in diesen nicht durch eine ,Serbisierung‘ ausgehebelt und überboten, sondern übernommen und dadurch bestärkt. Die Brüder wurden im Spätmittelalter sowohl in Ohrid wie auch in Tărnovo vornehmlich in elitären Kreisen verehrt: Ihr Kult konnte nur über die Buchkultur möglich sein, nicht aber auf wundertätigen Gebeinen beruhen, da diese ja verschollen waren bzw. in Rom ruhten.93 Noch im zweiten bulgarischen Zarenreich ist dabei nach der „Zentralisierung des kirchlichen Gedenkens“ aber bald ein „schrittweises Verschwinden“ Kyrills 88 Češmedžiev (2001), S. 18. 89 Eine weitere Abschrift des Kyrilloffiziums in bulgarischer Redaktion befindet sich gleichfalls in den sogenannten „Draganover Minäen“. Neu ist die Formulierung: „an diesem Tag feiern wir dein strahlentragendes Gedächtnis“. Bălgarski starini iz Makedonija, 21931, S. 297. Deut­ licher als in den älteren Fassungen ist die Fürbitte beschworen, zwei Mal ist wiederholt: „Bete unablässig für uns.“ Bălgarski starini iz Makedonija, 21931, S. 299. 90 Bălgarski starini iz Makedonija, 21931, S. 303. 91 Bălgarski starini iz Makedonija, 21931, S. 300 f. 92 Češmedžiev (2001), S. 96. 93 Češmedžiev (2001), S. 158.

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und Methods sowie der anderen slavischen Heiligen aus den monatlichen liturgischen Verzeichnissen (Meseceslov) zu beobachten: Diese wurden noch während des Bestehens des bulgarischen Patriarchats in Tărnovo mehr und mehr den Texten der konstantino­ politanischen Kirche angepasst und dabei gräzisiert.94 Das Schwinden der Verehrung der Brüder in der frühen Neuzeit kann daher nicht mit dem „elitären“ Charakter des Kultes begründet werden, der auf den engen sozialen Kreis der Trägerschaft eines unabhängigen bulgarischen Gemeinwesens sowie einer bulgarischen Kirche angewiesen gewesen sei – es wurde gerade von den Vertretern der bulgarischen Kirche vorangetrieben.95 Die oft griechischen Kirchenfürsten in Preslav und Tărnovo hatten stets das so nahe Konstantinopel als Vorbild und verfolgten immer wieder die Nachahmung, wenn nicht die Nachfolge und Absorption von Byzanz als Zielutopie. Dies spiegelt sich bereits im Titel des Zaren Simeon als „Zar der Rhomäer und Bulgaren“ 96 und später im Titel von Ivan Aleksandr im 14. Jh. als „Selbstherrscher über alle Bulgaren und Romaer [sic]“ 97, aber auch in dem Stefan Dušans als „Kaiser aller serbischen und griechischen Länder und der Küstenländer, Albaniens und des großen Abendlandes“.98 Solche Substitutionspläne konnten nur mit der Akzeptanz und Berücksichtigung des byzantinischen Kommunikationsrahmens entworfen werden, der in diesen Phasen nicht durch bulgarische oder serbische ersetzt werden sollte oder konnte. Dieser in eine Kontaktzone einzuordnende Vorgang dürfte wichtiger sein für das langfristige Vergessen des Kults als der spätere Zerfall des bulgarischen Zarentums und die Herrschaft der Osmanen,99 während der sich die Gräzisierung fortsetzte. Die jährliche religiöse Memoria der Brüder als eine Einheit am 11. Mai bildete sich möglicherweise noch im 12. Jh. unter der Oberhoheit von Konstantinopel heraus, oder aber erst zu Beginn des 13. Jh. im Kontakt mit Rom.100 Im Zuge der genannten spätmittelalterlichen Entwicklungen verschwand das gemeinsame Gedenken am 11. Mai allerdings bald wieder.101 Hingegen hielt sich die separate Verehrung der Brüder am 14. Februar (Kyrills Todesdatum) sowie am 6. April (Methods Tod) besser.102 Auch kroatisch-glagolitische katholische Missalien und Breviarien verzeichnen seit dem 14. Jh. ein Fest der hll. Kyrill und Method am 14. Februar.103

94 Češmedžiev (2001), S. 136. 95 Anders: Simeonova (1994), S. 38 f. 96 Avenarius (2000), S. 164. 97 Schaeder (1957), S. 6. 98 Schaeder (1957), S. 6. 99 Kiselkov (1963), S. 345. 100 Simeonova (1994), S. 26 f. 101 Simeonova (1994), S. 32 f. Im 16. und 17. Jh. wurde der Brüder in Novgoroder und Moskauer Minäen am 11. Mai gedacht. Dort hielt sich damit die Praxis, der beiden Brüder am 11. Mai gemeinsam als allgemeinslavischer Lehrer und Aufklärer zu gedenken, aber am 14. Februar und am 6. April als separater Heiliger. Kiselkov (1963), S. 344 f. 102 Simeonova (1994), S. 34. 103 Ch. Hannick, „Konstantin und Method“, in: LexMA 4, Sp. 1382 – 1385, hier Sp. 1384.

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Ein Beispiel für die diskursive Konstruktion kultureller Differenz bzw. der rhetorischen Geringschätzung des Bulgarischen durch Bulgaren oder vielmehr ein gänzliches Fehlen nationalsprachlicher Orientierung und stattdessen einer transethnischen Ausrichtung an der stilistischen Ästhetik zeigt sich etwa in einer um 1400 verfassten Schrift von Konstantin von Kostenec – der wie Konstantin-Kyrill auch als „Philosoph“ angesprochen wurde. In dem grammatischen Traktat schrieb er, die beiden Brüder ­hätten nicht aus dem Griechischen ins Serbische oder Bulgarische übersetzt, sondern in die „feinere und schönere russische (ruš’kyi) Sprache“, mit Beimischungen aus „der bulgarischen, serbischen, bosnischen, slovenischen, teilweise der tschechischen, und der kroatischen Sprache“. Wie in der zu Beginn des 12. Jh. in Kiew entstandenen so­ genannten Nestorchronik verstand er unter dem „Russischen“ das Kirchenslavische.104 Das Bulgarische zeichnete sich damit in seiner Wahrnehmung nicht durch höchste kulturelle Bedeutung aus. Für die Landschaft Makedonien ist im 15. Jh. nur ein neues Fresko im Kloster Kalište-Struško zu nennen, das die Brüder oder Kyrill und Kliment von Ohrid darstellte.105 B 1.4  Weite, aber nur gelehrte Verehrung in der frühen Neuzeit

Über die Verehrung der Brüder durch bulgarische Mönche ist vom 15. bis ins 18. Jh. wenig bekannt.106 Eine Verehrung durch Bauern und Städter ist auch für diese Zeit nicht nachgewiesen.107 In einem 1483 sowie zu Beginn des 16. Jh. verfassten Verzeichnis der monatlichen Gedenktage (Mesecoslov) wurde der 14. Februar als Tag „des hl. Kyrill, des Philosophen, des slavischen Lehrers“ in der bulgarischen Redaktion des Kirchen­ slavischen festgehalten. Kyrill wurde dabei als „Blitz“ beschrieben, der „das All“ bzw. „die Welt“ erhellte, und ganz ohne Verweis auf einen bulgarischen Kontext dargestellt. Die Handschrift, die auch Passagen in der serbischen Redaktion des Kirchenslavischen enthält, gehört zum Bestand des Rilaer Klosters.108 Selbst in diesem später als Zentrum der Bulgarizität dargestellten Kloster ist damit eher eine allgemeinslavische, konfessio­nelle Verehrung Kyrills als eine (proto)nationale bulgarische nachweisbar. Zudem ist die Verehrung der Brüder in diesem Kloster nur schwach bezeugt.109 Gleiches gilt für orthodoxe 104 105 106 107 108

Kiril i Metodi 2, S. 146 f.; Schaeder (1957), S. 10 f. Balabanov (1993), S. 60 f. Kiselkov (1963), S. 346. Simeonova (1994), S. 38 f. „Mit festem Verstand und von Gott eingegebener Lehre erleuchtet er die Welt. Mit überaus ­hellen Strahlen hat er wie ein Blitz das All erfüllt, und das Wort Gottes verstreut. Im Norden und im Westen und im Süden erhellt er alle“. Slavjanski răkopisi v rilskija manastir 1, Nr. 48, S. 88. 109 Das in zwei Bänden angekündigte, aber offenbar nur in einem Band erschienene Register von Handschriften des Klosters enthält nur den gerade genannten Hinweis auf eine Verehrung der Brüder. Slavjanski răkopisi v rilskija manastir 1, Nr. 48, S. 88.

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geistliche Bücher, die in der frühen Neuzeit etwa in Cetinje, Venedig, Lemberg, Kiew und Moskau gedruckt wurden. In ihnen wurde der Brüder ohne bedeutende inhaltliche Veränderungen gegenüber den spätmittelalterlichen Texten gedacht.110 Immerhin dürfte das neue Medium breitere Kreise erreicht haben. Die Brüder gelangten hingegen nie in den Bereich einer Verehrung durch breitere soziale Schichten, da keine Grablege und keine Reliquien zum Zentrum eines Kults werden konnten: Das Grab Kyrills in Rom war zu weit entfernt und Methods Gebeine blieben gänzlich verschollen. Nennenswert ist aber das Aufgreifen der Verehrung Kyrills im erneuerten serbischen Patriarchat von Peć nach 1560: Das Fresko stellte ihn als „hl. Kyrill Philosoph“ anatio­nal dar.111 Tatsächlich sind im serbischen Zusammenhang im 16. Jh. mehrere Dar­stellungen belegt, so 1571 im montenegrinischen Kloster Morača und Kolašin, in Prizren im Kosovo in den 1580er-Jahren und 1588 im ungarländischen Sremska Mitrovica sowie im Kloster Hopovo in der Fruška Gora 1608.112 Im makedonischen Kloster Slivnica am Prespa-See wurde Kyrill 1606/1607 geehrt. 1612 folgte dort ein Fresko der heiligen Siebenzahl, das Kyrill und Method zum Zentrum hatte. Für das 17. Jh. sind neue bildliche Darstellungen zudem in einer Kirche in Pirin-Makedonien (1614) sowie erneut in Morača (1640) – Kyrill gemeinsam mit den hl. Sava, Simeon und dem ­Fürsten Stefan Vukanović, der das Kloster 1252 gestiftet hatte, ganz in einem dynastischen serbischen Zusammenhang – bekannt. Diese Vereinigung serbischer Fürsten mit Sava und Kyrill ist einmalig.113 Für 1668 ist überdies eine Darstellung Kyrills im Kloster Studenica bezeugt.114 Bis zu diesem Zeitpunkt ist somit eine wiederholte und prominente serbische Aneignung Kyrills (nicht aber Methods) durch das Patriarchat von Peć und Montenegro zu beobachten. Kyrill und Method spielten zu keinem Zeitpunkt eine Rolle in der bulgarischen Geschichtsschreibung. Diese blieb gegenüber ihrem übermächtigen diskursiven Vorbild, der byzantinischen Historiographie, immer nur schwach entwickelt 115 und brach unter der osmanischen Herrschaft ganz ab.116 Hingegen hielt sich eine später ent­standene weltliche serbische Geschichtsschreibung, in der der Brüder allerdings gleichfalls kaum gedacht wurde. Immerhin wurden Kyrill und Method von einem serbischen geistlichen Historiographen zu Beginn des 16. Jh. zur schematischen Abgrenzung von Epochen eingesetzt: Die Brüder sollten die mit Konstantin dem Großen beginnende Zeitspanne beenden und den Anfang der Phase bis zum Wirken des ersten serbischen Erzbischofs

110 111 112 113 114

Angelov (1963), S. 373. Balabanov (1993), S. 60 f.; Grozdanov (2007), S. 304. Balabanov (1993), S. 64, S. 73 f. Balabanov (1993), S. 73 f. Balabanov (1993), S. 64; Grozdanov (2007), S. 304 – 307. Zum Kloster: Osam vekova ­Studenice. (1986). 115 Vgl. Svetlina Nikolova, „Istoričeski săčinenija“, in: K-ME 2, S. 129 – 138; im dritten Band der Ausgabe „Stara bălgarska literatura“ sind zahlreiche Fragmente gesammelt, die weniger Exzerpte aus größeren Texten als beinahe alle erhaltenen Passagen darstellen. Kyrill und Method bleiben in ihnen ungenannt. 116 Kaser (22002), S. 157.

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Sava markieren. Kyrill wurde dabei als Philosoph und Schöpfer der „Wörter“ bzw. Buchstaben der slavischen Sprache dargestellt, Method als Bischof und „sein Bruder“ – beide wurden aber nicht als Heilige bezeichnet. Die Brüder dienten in diesem Text nur zur Mehrung des symbolischen oder sakralen Kapitals Savas, der als heilig und „Apostel“ beschrieben höher als diese eingestuft wurde.117 Die Brüder wurden auch in Chronikabschriften der zweiten Hälfte des 17. Jh.118 knapp erwähnt, etwa als Übersetzer „der heiligen Bücher aus der griechischen Sprache in die slavische“.119 In einer weiteren Abschrift hieß es, „unsere Worte wurden durch den hl. Kyrill den Philosophen und den Lehrer der bulgarischen Sprache geschrieben (naša slovesa napisaše)“.120 Dies sind die einzigen beiden Erwähnungen der Brüder in der maßgeblichen Edition serbischer Chroniken – es kann damit auch in diesem Diskurs höchstens eine sehr schwache Tradition der Referenz auf die Brüder festgehalten werden. Wie wenig zentral Kyrill und Method gerade im bulgarischen Erinnerungshaushalt waren, bezeugen auch Vorworte und Vorbemerkungen von Autoren und – viel öfter – Abschreibern sowie Kompilatoren meist geistlicher, der bulgarischen Tradition zugeschriebener Handschriften des 10. bis 18. Jh.: Sie enthalten keinerlei Verweise auf die Brüder.121 In der kulturellen Interaktion mit dem Habsburgerreich entstanden sodann historio­ graphische Neuanfänge im ostmitteleuropäischen humanistischen Kontext, beispielsweise die kurze „Chronik der Slaven der Illyrica, Ober- und Untermösiens“ des ­Grafen – und, wie er ausführlich (aber ohne ausreichenden Beleg) versuchte darzulegen, Nachfahren serbischer Despoten – Đorđe Branković, die von 1684 bis 1687 in Bukarest in rumänischer Sprache entstand.122 Branković behauptete zudem eine implausible Verwandtschaft mit Mihail Viteazul und vertrat damit einen überethnischen Identitätsentwurf. Er wünschte sich mit erhoffter, aber abgelehnter Hilfe der Habsburger auch nicht einen

117 Ein 1521 in Goražde gedrucktes Psalmen- und Stundenbuch gliederte chronistische Angaben mit dem Zwischentitel: „Von Kyrill dem Philosophen zum hl. Sava dem ersten serbischen Erz­ bischof, Lehrer und Aufklärer, dem neuen und wahrhaftigen Apostel, und seinem Bruder Stefan dem erstgekrönten serbischen König“. Stari srpski rodoslovi i letopisi, S. 116. 118 Stari srpski rodoslovi i letopisi, S. XLVII f. 119 Stari srpski rodoslovi i letopisi, S. XLVII f. 120 Stari srpski rodoslovi i letopisi, S. 159, vgl. auch S. 115. 121 Beležki na bălgarskite knižovnici X–XVIII vek, 1 – 2. 122 Der Diplomat in siebenbürgischen und walachischen Diensten behauptete, vom serbischen Despoten Đurađ Branković abzustammen, und versprach vor der Habsburger Offensive in Wien einen serbischen Aufstand. Stattdessen wurde er dort festgehalten und blieb auch inhaftiert, als ihn serbische Wortführer nach der Wanderung der Serben nach Norden im Jahr 1690 zum Despoten wählten: In Wien wurde ein unabhängiger serbischer Staat abgelehnt. Kaser (22002), S. 158. Die kurze rumänische Fassung der Chronik (Đorđe Branković. Hronika slovena Ilirika, Gornje Mezija i Donje Mezije) und sogar die fast 3000 Seiten umfassende slavische Version (Đorđe Branković. Hronike slavenosrpske) wurden früh von kleinen Kreisen rezipiert. Đorđe Branković. Hronike slavenosrpske, Bd. 1, S. 430.

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serbischen Staat, sondern einen „der illyrischen Völker“.123 In seiner rumänischen Chronik beschrieb er mit einem Verweis auf Sebastian Münster die Brüder als Missionare „in ganz Slovenien“, aber nicht als Heilige.124 Ihre Erwähnung in seiner weitaus längeren, von 1703 bis 1711 in der Gefangenschaft der Habsburger verfassten 125 „Slavoserbischen Chronik“ war nicht umfangreicher.126 Nur schwach ausgeprägt war die Verehrung der „Siebenzahl“, die als eine Erinnerungsfigur Kyrill und Method, Kliment, Naum, Gorazd, Angelarius und Savvas sowie auch Laurentius umfasste. Letztere waren teilweise wenig bekannte Weggefährten der noch zu schildernden hll. Kliment und Naum. Eine Grundlage ihrer Ausge­staltung war die Nennung der Schüler Kyrills und Methods in der Kurzvita des hl. Kyrill. Neben Abbildungen in Albanien sind eine Darstellung mit slavischer Legende 1612 im ­Kloster Slimnica am Prespa-See, im serbischen Kragujevac 1735 sowie im Kloster des hl. Naum 1806 belegt.127 Für die Siebenzahl war die Verehrung wundertätiger Heiliger ent­scheidend, wie zu sehen sein wird – Kyrill und Method konnten hierzu nichts beitragen. Um 1700 erschien vermutlich in Venedig eine erste gedruckte Akoluthie zum „Gedenken an die heilige und apostelgleiche Siebenzahl Bulgariens und Dalmatiens Kyrill und Method, Kliment, Naum, Gorazd, Angelarios und Sava“.128 Im gräzisierten aromunischen Moschopolis druckte der Geistliche Griorije Konstantinidis 1742 die Akoluthie verändert erneut.129 Kyrill und Method waren aber trotz dieser Verehrung im Rahmen der „Siebenzahl“ insgesamt „in der Kultur von Moschopolis als einzelne Heilige kaum vertreten“: Wichtiger war etwa der hl. Cyrillus von Alexandrien.130 Dennoch war die Erneuerung des Gedenkens an die Heiligen in Moschopolis unter anationalen und transethnischen Vorzeichen eine sehr wichtige und interessante Phase, ohne die etwa eine bulgarische Erneuerung der Diskurse später noch schwieriger gewesen wäre. Wesentlich für die erneuerte Verbreitung des Gedenkens zumindest an Method wurde aber seine Darstellung in einem anderen, populären Druck: Hristofor Žefarović, ein – wie er sich oft selbst nannte – „illyrisch-rasisch [serbischer, S. R.] Maler“,131 übersetzte das 1701 von Paul Ritter Vitezović veröffentlichte Wappenbuch („Stemmatographia“) der

123 Fine (2006), S. 542; Cîrstea (2012). 124 „Kyrill der Philosoph hat mit seinem Bruder Method, nachdem sie den Slaven 38 Wörter [Buchstaben, S. R.] angefertigt hatten, die heiligen Bücher aus der griechischen Sprache in die slavische übersetzt. Und dann predigten sie den Glauben Christi in Mähren und in ganz Slovenien Donauabwärts (…). So schreibt auch der Kosmograph Münster in den polnischen Geschichten.“ Đorđe Branković. Hronika slovena Ilirika, Gornje Mezija i Donje Mezije, S. 30. 125 Kaser (22002), S. 158. 126 Đorđe Branković. Hronike slavenosrpske, Bd. 1, S. 60, S. 193 f. 127 Peyfuss (1989), S. 172, vgl. S. 130 – 132. Zu Naum u. a. Risteski (1990). 128 Ακολουθεία των αγίων και ισαποστόλων επτά φωστήρων της Βουλγαρίας κ’ Δαλματίας; Peyfuss (1989), S. 129 f. 129 Peyfuss (1989), S. 129 – 132; Balabanov (1993), S. 83 f. 130 Peyfuss (1989), S. 172. 131 Balabanov (1993), S. 81 – 83.

Konstantin-Kyrill und Method

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„Illyrer (Illyricorum)“ 132 in die serbische Redaktion des Kirchenslavischen und stellte seinem gemeinsam mit dem Wiener Graveur Thomas Mesmer 1741 in Wien publizierten Druck der „Stematografija“ Abbildungen voran.133 Die Sechste bildete Method als „Erzbischof von Mähren“ ab, neben Efrem, einem heiligen serbischen Kirchen­fürsten.134 Der transimperial angelegte Band enthielt eine Reihe serbischer, aber auch bulgarischer Heiliger. Die Aufnahme nur Methods und nicht Konstantin-Kyrills bezeugt dessen noch schwächere Verehrung. Es kann damit für diese Zeit nicht von einer gefestigten Erinnerungs­figur ausgegangen werden, die das Gedenken an beide Brüder gleichermaßen geformt hätte. Dennoch entstanden im Zusammenhang mit den Moschopoliter Drucken im 18. Jh. in der Region neue Fresken der hl. Siebenzahl und damit auch der Brüder Kyrill und Method.135 Die Brüder erschienen folglich zunächst als transethnische Akteure in einer nicht zuletzt durch ihre Handlungen (re)produzierten multiplen Kontaktzone zwischen Byzanz, mehreren slavischen Herrschaftsgebieten, Rom und auch Bayern. Ihre Verehrung etwa als Moses zielte anational und universal auf das Lob der Christianisierung ab. Die nominale Bulgarisierung ihrer Verehrung durch den byzantinischen Bischof Theophylaktos von Ohrid zu Beginn des 12. Jh. soll hier als charakteristische (trans)kulturelle Praxis der Kontaktzone zwischen Byzanz und seinen slavischen Nachbarvölkern bzw. Vasallen gelten. Im 13. Jh. umfasste die Verbreitung ihrer Verehrungstexte mit dem makedonischen Skopje Gebiete Südosteuropas, die damals unter der Hoheit der Nemanjiden standen. Spezifisch für die Verehrung Methods und Kyrills blieb, dass ihre Reliquien nicht in Bulgarien aufbewahrt wurden und weder eine ihnen gewidmete Kirche noch ein Kloster zum frühen Mittelpunkt ihres Kultes wurde, an dem sie Wunder hätten wirken können. Eine Entstehung des Kultes „von unten“ blieb aus. Stattdessen ist im zweiten bulgarischen Reich in Tărnovo gewissermaßen eine zweite Neuerfindung ihres Kults im Osten der Balkanhalbinsel im Sinne einer herrschaftlichen Erinnerungspolitik festzustellen. Ihre Verehrung gelangte erst mit ihr ins Zentrum der erneuerten kirchlichen und weltlichen Macht: Neben ihre provinzielle kirchenpolitische Rolle in Ohrid trat eine neue, mit dieser konkurrierende hauptstädtische Funktion in Tărnovo, die weltlich bzw. herrschaftlich und sakral zugleich war. Noch im bulgarischen Zarenreich war aber ein „schrittweises Verschwinden“ Kyrills und Methods sowie der anderen slavischen Heiligen aus den monatlichen liturgischen Verzeichnissen (Meseceslov) zu beobachten. Dieser Vorgang war für die schwache Verehrung der Brüder in den folgenden Jahrhunderten bedeutsamer als die osmanische Herrschaft: Unter dieser war zunächst im 16. Jh. sogar ein Wiederaufgreifen der Verehrung im serbischen Patriarchat von Peć zu beobachten. Im 18. Jh. erneuerte sich das Gedenken an die Heiligen im aromunischen



132 133 134 135

Bene (2010). Medaković (1980), S. 226 f. Hristofor Žefarović i Tomas Mesmer. Stematografija. Izobraženije oružij iliričeskih, S. 6. Grozdanov (2007), S. 309 – 314.

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Moschopolis unter anationalen und transethnischen Vorzeichen im Medium des Buchdrucks.136 Die damals zuerst in Venedig und dann vor Ort gedruckten griechischen Texte sind als eine der wichtigsten Grundlagen der Verehrung der Heiligen im Osmanischen Reich im 19. Jh. anzusehen. Eine gefestigte und lokal verankerte Erinnerungskultur zu Ehren der Brüder entwickelte sich seit dem Spätmittelalter nicht im orthodoxen, sehr wohl aber im katho­ lischen Zusammenhang Mährens, namentlich in Velehrad. Die Verehrung der Brüder in den Ländern der böhmischen Krone, die zur Herrschaftslegitimation der Přemysliden und der Luxemburger sowie später zur Gegenreformation zählt, muss aber in diesem Rahmen ausgeklammert bleiben.137 B 2  Gelehrte, Schutzheilige, Wundertäter – Kliment von Ohrid und Naum B 2.1  Leben und frühe Verehrung im bulgarischen Patriarchat Ohrid

Der hl. Kliment von Ohrid gehört aus der Sicht der bulgarischen Tradition zum „kyrillo-­ methodianischen Kreis“.138 Kliment (Clemens) schloss sich in jungen Jahren Method an und begleitete diesen und seinen Bruder Kyrill auf ihren Missionsreisen auf die Krim und nach Großmähren. Die Priesterweihe empfing er offenbar in Rom 868. Nach der Flucht aus Großmähren nahm der bulgarische Khan Boris auch ihn in Pliska auf und entsandte ihn 887/888 in das von ihm beherrschte Makedonien bzw. in den Südosten des heutigen Albanien, wo Kliment missionarisch, literarisch sowie als Lehrer tätig wurde. 893 ernannte Zar Simeon ihn laut der Vita in Drevenica bzw. Velica, ­dessen genaue Lage unklar ist, zum ersten Bischof „bulgarischer Sprache“.139 Trotzdem ist auch für ihn unklar, ob er griechischer oder slavischer Herkunft war.140 Im Gegensatz zu Kyrill wie auch Method wurde Kliment in der Region seiner Tätigkeit in dem von ihm in Ohrid gegründeten, dem hl. Panteleimon gewidmeten Kloster beigesetzt.141 Nicht zuletzt dieser Unterschied erleichterte es, dass er – gleichfalls anders als Kyrill und Method – nach seinem Tod von den Massen verehrt wurde: Seine Gebeine wirkten angeblich Wunder

136 Vgl. auch Sampimon (2006b), S. 44. 137 Hier nur wenige Hinweise: Machilek (2004); Zlámal (1969). Im Überblick: Beham/Rohdewald (2013), S. 477 – 485. 138 Podskalsky (1999), S. 419. 139 Grăckite žitija na Kliment Ochridski, S. 128 f.; Materialy dlja istorii žizni, S. 122 f.; Podskalsky (2000), S. 178. 140 Podskalsky (1994), S. 21 f., S. 38; Podskalsky (2000), S. 176, Fußnote 752. Dagegen zum ­Forschungsstand aus bulgarischer Sicht z. B. Dujčev: Kliment „entstammte der slavischen Bevölkerung im Gebiet von Thessalonike“. I. Dujčev, „C. v. Ochrid, I. Leben und kirchen­ politisches Wirken“, in: LexMA 2, Sp. 2146 f. 141 Podskalsky (2000), S. 105.

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Moschopolis unter anationalen und transethnischen Vorzeichen im Medium des Buchdrucks.136 Die damals zuerst in Venedig und dann vor Ort gedruckten griechischen Texte sind als eine der wichtigsten Grundlagen der Verehrung der Heiligen im Osmanischen Reich im 19. Jh. anzusehen. Eine gefestigte und lokal verankerte Erinnerungskultur zu Ehren der Brüder entwickelte sich seit dem Spätmittelalter nicht im orthodoxen, sehr wohl aber im katho­ lischen Zusammenhang Mährens, namentlich in Velehrad. Die Verehrung der Brüder in den Ländern der böhmischen Krone, die zur Herrschaftslegitimation der Přemysliden und der Luxemburger sowie später zur Gegenreformation zählt, muss aber in diesem Rahmen ausgeklammert bleiben.137 B 2  Gelehrte, Schutzheilige, Wundertäter – Kliment von Ohrid und Naum B 2.1  Leben und frühe Verehrung im bulgarischen Patriarchat Ohrid

Der hl. Kliment von Ohrid gehört aus der Sicht der bulgarischen Tradition zum „kyrillo-­ methodianischen Kreis“.138 Kliment (Clemens) schloss sich in jungen Jahren Method an und begleitete diesen und seinen Bruder Kyrill auf ihren Missionsreisen auf die Krim und nach Großmähren. Die Priesterweihe empfing er offenbar in Rom 868. Nach der Flucht aus Großmähren nahm der bulgarische Khan Boris auch ihn in Pliska auf und entsandte ihn 887/888 in das von ihm beherrschte Makedonien bzw. in den Südosten des heutigen Albanien, wo Kliment missionarisch, literarisch sowie als Lehrer tätig wurde. 893 ernannte Zar Simeon ihn laut der Vita in Drevenica bzw. Velica, ­dessen genaue Lage unklar ist, zum ersten Bischof „bulgarischer Sprache“.139 Trotzdem ist auch für ihn unklar, ob er griechischer oder slavischer Herkunft war.140 Im Gegensatz zu Kyrill wie auch Method wurde Kliment in der Region seiner Tätigkeit in dem von ihm in Ohrid gegründeten, dem hl. Panteleimon gewidmeten Kloster beigesetzt.141 Nicht zuletzt dieser Unterschied erleichterte es, dass er – gleichfalls anders als Kyrill und Method – nach seinem Tod von den Massen verehrt wurde: Seine Gebeine wirkten angeblich Wunder

136 Vgl. auch Sampimon (2006b), S. 44. 137 Hier nur wenige Hinweise: Machilek (2004); Zlámal (1969). Im Überblick: Beham/Rohdewald (2013), S. 477 – 485. 138 Podskalsky (1999), S. 419. 139 Grăckite žitija na Kliment Ochridski, S. 128 f.; Materialy dlja istorii žizni, S. 122 f.; Podskalsky (2000), S. 178. 140 Podskalsky (1994), S. 21 f., S. 38; Podskalsky (2000), S. 176, Fußnote 752. Dagegen zum ­Forschungsstand aus bulgarischer Sicht z. B. Dujčev: Kliment „entstammte der slavischen Bevölkerung im Gebiet von Thessalonike“. I. Dujčev, „C. v. Ochrid, I. Leben und kirchen­ politisches Wirken“, in: LexMA 2, Sp. 2146 f. 141 Podskalsky (2000), S. 105.

Kliment von Ohrid und Naum

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und es verbreiteten sich in der Region Legenden um sie.142 Schon im nach 950 vermutlich in Ohrid entstandenen glagolitischen Assemani-Evangeliar wurde nicht nur Konstantin-Kyrills gedacht, sondern auch Kliments.143 Die Päpste versuchten während der Herrschaft Samuils (997 – 1014) in Ohrid offenbar auch mit der Erhebung der Stadt zum autokephalen Erzbistum verlorenen Einfluss im Illyricum zurückzu­gewinnen, allerdings ohne dauerhaften Erfolg.144 Tatsächlich wurde Ohrid um 1000 zum Sitz des von der Hauptstadt Preslav in mehreren Schritten nach Westen verschobenen bulgarischen Patriarchats, dem große Regionen unterstellt wurden – von Belgrad, Prizren und Sofia im Norden bis Serbia südlich Saloniki im Süden.145 Trotz der Zerschlagung des (west) bulgarischen Reiches 1018 überdauerte es als heruntergestuftes autokephales „Erzbistum Bulgarien“, dessen Zuständigkeitsbereich sogar noch beachtlich ausgedehnt wurde: So zählten nun auch Ioannina im Südwesten und Adrianopel im Osten dazu.146 Der Kaiser selbst und nicht der Patriarch besetzte das Amt beinahe ausschließlich mit griechischen bzw. byzantinischen Würdenträgern. Ab Mitte des 12. Jh. bezeichneten sich die Bischöfe mithilfe manipulierter Nachweise als Rechtsnachfolger des spätantiken Erzbistums Justiniana Prima.147 Im Rahmen kultureller Praktiken der transethnischen Kontaktzone wurde damit von Byzantinern die „bulgarische“ Etikette als eine (kirchen)rechtliche Einheit im byzantinischen Vielvölkerreich integriert. Dies zeigte sich insbesondere in der Veränderung der Diskurse über Kliment. B 2.2  Gräzisierung der Verehrung als Begründer des Erzbistums Ohrid und als Wundertäter

Wie bereits erwähnt, verfasste Theophylaktos, einer der Nachfolger Kliments auf dem erzbischöflichen Thron von Ohrid, der 1120/26 starb, in griechischer Sprache eine ausführliche Vita seines Vorgängers.148 Er nannte „Gorazd, Klemens [Kliment, S. R.], Naum, Angelarios und Savvas“ als fähigste unter den „Schülern“ Kyrills und Methods.149 Theophylaktos stellte das Handeln Kliments demjenigen des Apostels Paulus gleich

142 Češmedžiev (2001), S. 19. 143 Teodorov-Balan (1919), S. 38 f.; D. Minev, „Asemanievo evangelie“, in: K-ME 1, S. 124 – 134, hier S. 125 f.; vgl. Ch. Hannick, „Konstantin und Method“, in: LexMA 4, Sp. 1382 – 1385, hier Sp. 1384. 144 Podskalsky (2000), S. 65. 145 Gelzer (1902), S. 3 f. 146 Gelzer (1902), S. 4. 147 Beck (1959), S. 184; Podskalsky (2000), S. 23, S. 71 f. 148 Podskalsky (2000), S. 285. Anders: Zwischen Rom und Byzanz, S. 129. 149 „Es tranken nämlich nicht wenige vom Quell ihrer Belehrung. Die Auserlesenen unter ihnen und die Anführer des Chores waren Gorazd, Klemens, Naum, Angelarios und Savvas.“ Zwischen Rom und Byzanz, S. 139.

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und machte damit die Bulgaren zu „zweiten Korinthern“.150 Kliment – und nicht Fürst Boris oder Kyrill und Method – ermöglichte „uns – den Bulgaren“ in der Darstellung der Vita das „Gedächtnis an Gott und die Heiligen“.151 Der Bezug Kliments zu den „Bulgaren“, wie Theophylaktos die unter dessen Obhut stehenden Gläubigen nannte, blieb damit betont. Indem er sich selbst zu ihnen zählte, stellte er aber klar, dass er nur von einer kirchenprovinziellen Zugehörigkeit im Rahmen des universellen byzantinischen Reiches schrieb. Zar Simeon drängte laut Theophylaktos Kliment wegen dessen wichtiger Funktion, die auch für die Festigung seiner zarischen Herrschaft wesentlich war, das Bischofsamt nicht frühzeitig abzugeben und ins Kloster zu gehen. Die „priesterlichen Segnungen“, die Kliment von seinem Bischofsthron dem Reich zuteilwerden ließ, wurden in der Darstellung des Herrschers in der Vita zur Bedingung der Herrschaft.152 Umso wichtiger war es, diesen Segen andauern zu lassen: So wirkte dieser, in den Worten des Hagiographen, in der Gegenwart und Zukunft und zeigte sich in der heilenden Wirkung der Gebeine, die „noch heute (…) alles Leiden und jede Krankheit“ heilten.153 Kliment blieb, ganz in der Tradition religiöser Memoria, im Gedächtnis lebendig. Durch ihn bzw. durch seine Gebeine bewirkte, detailliert beschriebene Heilungswunder unterstrichen diese Lebendigkeit.154 Seine Verehrung als Wundertäter beschränkte sich dabei gemäß der Vita nicht auf die Gegend um Ohrid: „Bulgaren allen Alters“ ohne

150 „Er hielt an allen Feiertagen Predigten, einfache und klare, ohne groben noch zu weisen Inhalt, sondern solche, die selbst dem unverständigsten Bulgaren zugänglich waren. Mit diesen Worten ernährte er die Seelen der einfachsten Bulgaren, die Milch getrunken hatten und keine festere Nahrung zu sich nehmen konnten und er war ein zweiter Paulus für die zweiten Korinther – die Bulgaren“. Grăckite žitija na Kliment Ochridski, S. 132 f.; Materialy dlja istorii žizni, S. 126 f. 151 „Und überhaupt alles, was die Kirche betrifft, und womit das Gedächtnis an Gott und die Heiligen geziert wird, und das in die Seele dringt, gab Kliment uns – den Bulgaren.“ Grăckite žitija na Kliment Ochridski, S. 132 f.; Materialy dlja istorii žizni, S. 126 f. 152 „Was sagst Du da, Vater? Wie könnte ich es ertragen, auf Deinem Thron zu Deinen Leb­zeiten einen anderen sitzen zu sehen? Wie kann ich mein Reich deiner priesterlichen Segnungen berauben? Verlässt Du den Bischofsthron, ist das für mich ein unerfreuliches Vorzeichen des Verlustes des zarischen Thrones.“ Grăckite žitija na Kliment Ochridski, S. 138 f.; Materialy dlja istorii žizni, S. 132 f. 153 „So schien es, er sei von uns fortgegangen, und hätte dieses Leben verlassen, aber sein Segen entfernte sich nicht, und die Überreste des Lehrers verrichten noch heute Wohltaten, und heilen alles Leiden und jede Krankheit.“ Grăckite žitija na Kliment Ochridski, S. 142 f.; Materialy dlja istorii žizni, S. 136 f. 154 So berichtet die Vita: „Er selbst war aus Ohrid, und hat eine langjährige Qual unter dieser Krankheit erlitten, und deshalb, überwältigt nicht weniger durch Hilflosigkeit als durch die Krankheit, dachte er daran, sich vor dem heiligen Grab zu verneigen, damit Kliment, der in allem die Kraft in Christus hat, sein Trost werde. Und so, kriechend auf den Armen und Beinen, näherte er sich dem Grab des Seligen, dann befand er sich in Extase und sah einen gewissen Alten, der ihm, nachdem er ihn berührt hatte, befahl aufzustehen“. Grăckite žitija na Kliment Ochridski, S. 142 – 145; Materialy dlja istorii žizni, S. 136 f.

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geographische Einschränkung seien eifrige Verehrer Kliments.155 Mit der Beschreibung einer ­weiten Verehrung ­Kliments mehrte Theophylaktos das sakrale Kapital Kliments und den Geltungs­anspruch seines Bischofsstuhls. Schließlich besang Theophylaktos Kliment als „göttliches und heiliges Haupt“, als „Leuchter, der nicht nur tags oder nachts führt, sondern Tag und Nacht erhellst Du uns mit segensreichen Gaben!“ 156 Auch als „Trompete, durch die uns der Tröster ruft“, wurde Kliment beschrieben.157 Die heilsgeschichtliche Rolle, die Kliment sodann für „das ganze bulgarische Land“ 158 als „Führer der Blinden“ und Vorbereiter des christlichen und offenbar nicht herrschaftlich eingeschränkt imaginierten „auserwählten Volkes“ zugeschrieben wurde, verpflichtete ihn in den Augen des Hagiographen zur Schutzherrschaft gegen das „Skythenschwert“ in der Gegenwart und in der Zukunft.159 Dabei gewann das Gedenken an den gänzlich unkriegerischen Kliment eine militärische Dimension. Der Bischof wurde in Anlehnung an Demetrios von Saloniki sowie andere byzantinische Kriegerheilige zum Schutzheiligen und Friedensstifter des ihm 155 „Das sagte ein zuvor Gelähmter, indem er aus der Tiefe des Herzens die Worte der Predigt verbreitete, und die Umstehenden waren sich einig und verehrten den Seligen mit dankenden Worten. Aber warum muss ich dieses und das andere aufzählen? Wer weiß nicht, wie vielen Besessenen, wie vielen auf andere Art Leidenden die Erlösung von den Leiden, die sie be­lasteten, geschenkt wurde, sei es, dass sie zum Grab kamen, oder nur seinen Namen anzurufen beabsichtigten, wenn sie nur den Glauben hatten, diesen wahrhaft wirkenden Helfer? Daher legen die Bulgaren allen Alters, die den Segen des Heiligen empfangen, bei seiner Verehrung einen Eifer an den Tag, der so groß ist, dass es unmöglich ist zu sagen, und jeder bringt nach Kräften Gaben.“ Grăckite žitija na Kliment Ochridski, S. 144 f.; Materialy dlja istorii žizni, S. 136 f. 156 Grăckite žitija na Kliment Ochridski, S. 144 f.; Materialy dlja istorii žizni, S. 136 – 139. 157 Grăckite žitija na Kliment Ochridski, S. 144 f.; Materialy dlja istorii žizni, S. 138 f. 158 Schließlich wandte sich der Verfasser direkt an den lebendigen Kliment: „Durch dich hat das ganze bulgarische Land Gott erkannt! Du selbst hast die Kirchen mit Liedern und Psalmen­ gesängen gefüllt, und Feiertage mit Lesungen geheiligt. Durch dich bedienen sich die Mönche der Viten der Väter zur Askese, durch dich lernen die Priester gemäß den Kanones zu leben! O, dreielliger [menschlicher, S. R.] Engel und göttlicher Mensch!“ Grăckite žitija na Kliment Ochridski, S. 144 f.; Materialy dlja istorii žizni, S. 138 f. 159 „Du, der du für den Herrn das auserwählte Volk bereitet hast, du Förderer guter Dinge, den er in dir sah! Aber beobachte dein Erbe weiter und weiter, der du jetzt über ungleich bedeutendere und größere Kraft verfügst, als zuvor, als du im Körper warst, und vertreibe die böse Häresie, die als tödliche Krankheit zum Verderben deiner Herde vorgedrungen ist, besonders nach d­ einer Errettung in Christus, (…). Bewahre uns, die du genährt hast, unberührt von barbarischen Einfällen, und schaue immer, besonders aber jetzt, wo die Trübsal nahe ist, und niemand da ist, der hilft, wo das Skythenschwert mit bulgarischem Blut trunken ist, wo die Hände der Gott­losen die Leichen deiner Kinder den Himmelsvögeln vorwerfen, sie zerstörst du mit der rechten Hand Gottes, dem du dientest, und gibst deinem Volk Frieden, damit wir für dich Feiertage abhalten in aller Freude, und durch dich den Vater und den Sohn und den Geist, den einen Gott verehren, dem jeder Ruhm, Ehre und Verneigung gefällt, nun und immer und in alle Ewigkeit Amen.“ Grăckite žitija na Kliment Ochridski, S. 146 f.; Materialy dlja istorii žizni, S. 138 – 141.

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übereigneten „Volkes“. Theophylaktos gestaltete Kliments Vita und damit die Erinnerung an ihn als Integrationsmedium im Rahmen des Christentums unter bulgarischen Vorzeichen gegenüber den Heiden sowie als Stütze der Herrschaft Simeons bzw. seines Rechtsnachfolgers, des byzantinischen Kaisers. Im Sinodik der bulgarischen Kirche von 1211 wurde Kliments aber nicht als eines Wundertäters, sondern nur als eines Schülers von Kyrill und Method neben Sava, Gorazd und Naum gedacht.160 Ebenfalls aus der ersten Hälfte des 13. Jh. ist nicht nur eine eindrückliche Holzstatue Kliments erhalten (Abb. 1), sondern auch einige Kanones aus den Offizien zu Ehren Kliments vom damaligen Haupt der „byzantinischen autokephalen Kirchenprovinz Bulgarien“ Demetrios Chomatenos/Chomatianos (ca. 1216–ca. 1236)161. Dieser bedeutende Erzbischof Ohrids steigerte in ihnen die Verehrung Kliments als Wundertäter „im ganzen mysischen Land“, das hier allerdings nicht als „Bulgarien“ erschien.162 In einer Chomatenos zugeschriebenen Kurzvita Kliments wurde dieser aber als „unser heiliger Vater, Erzhierarch und Wundertäter, Bischof Bulgariens in Ohrid“ bzw. als „unser großer Vater und bulgarischer Leuchter“ eingeführt.163 Kliment stammte mit Chomatenos „von den europäischen Misiern, welche das einfache Volk Bulgaren nennt“. Kliment wurde so als „Führer des ganzen mysischen Volkes in die Frömmigkeit“ beschrieben und gemeinsam mit „den Vätern und Lehrern“ – etwa Kyrill und Method – in einen Volkszusammenhang gestellt.164 Während ihn schon Theophylaktos als „Führer“ beschrieben hatte, verglich Chomatenos Kliment nachdrücklicher mit Moses: Seine Schriften „ehren das ganze Volk wie die von Gott geschriebenen Tafeln Moses’“.165 Chomatenos betonte dabei wie Theophylaktos die politische Bedeutung Kliments, wo er ihm die Taufe des Fürsten Boris zuschrieb. Er stellte damit die christliche Gläubigenschar sowie das bulgarische Volk unter politischer Herrschaft eines christlichen Zaren – dessen Taufe Chomatenos als „Wiedergeburt“ beschrieb – als erstmals durch Kliment hergestellte Einheit dar.166 Kliment habe auch die slavische Schrift reformiert und mit seiner Lehrtätigkeit „ein barbarisches und rohes Volk in ein heiliges Volk umgestaltet, so hat er ein apostolisches Werk vollbracht und verdient deshalb apostolischen

160 „Kliment, seinem Schüler, dem Bischof von Groß Mähren (velikie moravi) und seinen ­Schülern Sava und Gorazd und Naum, da sie sich sehr stark um slavische Bücher bemühten, ewiges Gedenken.“ Sinodik carja Borila, S. 77; vgl. Kiselkov (1963), S. 344. 161 G. Prinzing, „Chomatenos“, in: LexMA 2, Sp. 1874 f.; Demetri Chomateni Ponemata diaphora; Beck (1959), S. 709. 162 Teodorov-Balan (1919), S. 7, S. 52 f. 163 Grăckite žitija na Kliment Ochridski, S. 174 f. 164 Grăckite žitija na Kliment Ochridski, S. 176 f. 165 Grăckite žitija na Kliment Ochridski, S. 178 f. 166 „Wie er ihren Fürsten Boris mit dem Taufbecken der Wiedergeburt erneuerte, und nach ihm auch seinen Sohn Michail, der sich als erster Zar der Bulgaren nannte, hat er diese auch überzeugt, gemäß christlichem Brauch zu regieren, später bemächtigte er sich des ganzen Volkes wie eines einzigen Menschens und führte es nicht mit Gewalt, sondern in Freiwilligkeit auf dem engen und steilen Weg Christi.“ Grăckite žitija na Kliment Ochridski, S. 178 f.

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Segen“.167 Nach seinem Tod habe er „durch Wunder und alltägliche Heilungen“ gewirkt und sei „gemeinsam mit den Aposteln“ und „wahrlich ein Apostelgleicher“.168 Seinem Grab schrieb Chomatenos als „unschätzbarem Schatz seiner Herde und als Besitz, der so viel kostet wie die ganze Welt,“ globale 169 und täglich erneuerte Bedeutung zu: „Täglich heilt sein Grab die unterschiedlichsten Krankheiten und dank ihm ist dieses heilige Kloster von Gott gegeben als allgemeine und unentgeltliche Heilstätte für die, die diese suchen.“ 170 Besonders konkret entfaltete er sein Leben nach dem irdischen Tode: „Nach seinem Tod ehrt ihn Gott mit Wundern und täglichen Heilungen, jetzt sitzt er gemeinsam mit den Aposteln und ist ein Verkünder der Wahrheit und apostelgleich, er lebt gemeinsam mit den Märtyrern (…), und gemeinsam mit den Hierarchen und Seligen erhebt er Gebete zum Herrn für seine Herde und die ganze Welt“.171 Noch zwei weitere, offenbar byzantinisch/griechische Erzbischöfe Ohrids des 13. Jh. verfassten geistliche Gesänge zu Ehren Kliments und beließen ihn in einem bulgarischen Zusammenhang: So schrieb Grigori , Kliment werde durch „das ganze bulgarische Volk“ als „dreizehnter Apostel“ verehrt.172 Die Prologvita von Chomatenos wurde schon im 13. Jh. ins Slavische übersetzt.173 Die Theophylaktvita sowie die Prologvita von Chomatenos wurden im 14. Jh. während der serbischen Herrschaft ins Kirchen­ slavische serbischer Redaktion übersetzt.174 Dennoch blieb auch in dieser Zeit der „griechische Charakter“ Ohrids bestehen.175 Die nominal ethnisch „bulgarisch“ bezeichnete Erzdiözese diente als Gefäß konfessioneller Herrschaft von Griechen über zahlreiche Völker in unterschiedlichen Reichen. Kliment genoss als „Führer“ und „Moses“ sowie Wundertäter aber auch eine lokale Verehrung. Die aufgezeigten Techniken ihrer (Re) Produktion sollen hier gleichfalls als charakteristische kulturelle Praxis der multiplen Kontaktzone gelten. Für die in der Ausnahme schon im frühen Mittelalter transreligiöse Verflechtungsgeschichte des Bistums zeugt Leo II.: Der Nachfolger von Theophylaktos auf dem Thron in Ohrid war offenbar ein konvertierter Jude.176

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Grăckite žitija na Kliment Ochridski, S. 180 f. Grăckite žitija na Kliment Ochridski, S. 182 f. Grăckite žitija na Kliment Ochridski, S. 178 f. Grăckite žitija na Kliment Ochridski, S. 178 f. Grăckite žitija na Kliment Ochridski, S. 182 f. Teodorov-Balan (1919), S. 9. Podskalsky (2000), S. 297. Pavlović (1965), S. 12. Gelzer (1902), S. 19. Le Quien (1740), Bd. 2, S. 294.

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Religiöse Erinnerungsfiguren bis ins 18. Jh.

B 2.3  Patron des Erzbistums ,ganz Bulgariens, Serbiens, Albaniens, beider Makedonien‘

Beginnend mit Abbildungen in der ihm gewidmeten Kirche in Ohrid und in der dortigen Sophienkathedrale verbreitete sich die ikonographische Darstellung Kliments bis ins 15. Jh. in einem weiten Gebiet bis hin zum serbischen Kloster Studenica, dem Kloster Matejče bei Kumanovo – als dieses unter serbischer Hoheit stand – und Kastoria in Nordgriechenland.177 Mehrere im 15. und 16. Jh. erstellte Abschriften der Klimentvita von Theophylaktos, die in den Klöstern des Athos aufbewahrt wurden, bezeugen, dass Kliments Gedenken nicht ins Vergessen geriet. Der Text lag allerdings weiterhin nur auf Griechisch vor. Slavische Handschriften dieser Jahrhunderte hingegen enthielten nur selten die Klimentvita, so Übersetzungen der Vita von Chomatenos.178 Kliment blieb unter osmanischer Herrschaft von entscheidender Bedeutung als Integrationsmedium des Erzbistums, das nun sogar den Patriarchentitel beanspruchte.179 Davon zeugt nicht nur, dass „bei den dortigen Einwohnern“ das Protokollbuch des Patriarchats „Kodex des heiligen Klemens“ genannt wurde 180– allerdings nicht in den offiziellen Texten des Patriarchats.181 Die darin enthaltenen formelhaften „Enthronistiken“ der Erzbischöfe riefen in ihren letzten Zeilen Christus, Maria und Kliment und „alle Heiligen“ an: „und unseren unter den Heiligen weilenden Vater Kliment, den Erzbischof von Achrida, den Wundertäter“.182 Auch geographisch weiteten sich die Ansprüche, die unter dem ­Patronat ­Kliments erhoben wurden: So sah sich Dorothej 1457 als „Erzbischof von Prima ­Justiniana und der Bulgaren, Serben und der nördlichen Gebiete und der übrigen dem frommen, von Gott geschenkten und Christus liebenden Herrn Johann Stephan, dem Wojewoden von ganz Moldowlachia“. Allerdings blieb ein solcher Anspruch auf der Grundlage des gefälschten Chrysobulls von Justinian ohne tatsächliche Folgen: Die Fürstentümer an der Donau blieben stets außerhalb der Oberaufsicht Ohrids.183 Dennoch umriss auch eine Buchwidmung das Gebiet des Erzbistums 1490 einschließlich dieser Gebiete: „Über den Ohrider Thron, der auch der bulgarische heißt, des seligen Erzbischofs der Prima ­Justiniana unseres Vaterlandes, das immer unter sich hat die Bischöfe der Eparchie Dakien, das heißt Ugrowlachien, die Mediteranija, das heißt das ungarische Land, und Dakronija, das heißt das serbische Land, bis zum Westmeer (…), das heißt von der Donau bis Saloniki (Solun) und sogar bis Albanien (Avlona) und sogar bis Korinth“.184

177 Kiel (1985), S. 308 mit Verweis auf die eingehenden Studien von Cvetan Grozdanov, jetzt gesammelt: Grozdanov (2007). 178 Teodorov-Balan (1919), S. 9. 179 Podskalsky (2000), S. 72. 180 Gelzer (1902), S. 35. 181 Gelzer (1902), S. 185. 182 Gelzer (1902), Nr. 8 (1691), S. 51, Nr. 11 (1688), S. 54 passim. 183 Gelzer (1902), S. 22 f. 184 Beležki na bălgarskite knižovnici X–XVIII vek 2, Nr. 500, S. 120.

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Gemäß diesem Herrschaftsanspruch sollte Ohrid der größte Teil Südosteuropas unterstellt sein und osmanisches wie habsburgisches und venezianisches Territorium umfassen. 1691 beschrieb die Synode der Kirchenprovinz den Titel des Erzbistums „von Prima Justiniana, Ohrid und ganz Bulgariens, Serbiens, Albaniens, beider Makedonien, des Westmeeres (Πόντου δυτικου) und der übrigen“ Gebiete. 1706 und 1708 sind ähnlich barocke, noch umfassendere Versionen des Volltitels belegt.185 Sie belegen einen sehr ausgeprägten transethnischen oder transnationalen kirchlichen Herrschaftsanspruch der Ohrider Kirchenfürsten, der sich im Namen und im Einsatz Kliments sowie der griechischen Sprache in der Konkurrenz zum Patriarchat von Peć entwickelte, das sich gleichfalls um die – allerdings auf die Slaven beschränkte – Orthodoxie im Rahmen des Osmanischen Reiches bemühte. Kliments wurde damit durchweg in griechischen Texten seitens des byzantinisch/ griechischen Klerus von Ohrid gedacht. Mit der demonstrativen Verehrung Kliments als eines Bulgaren mag der Klerus eine Eingliederung der slavischen Gläubigen angestrebt haben.186 Wichtiger dürfte die andere Seite der Medaille gewesen sein: Mit der Umarbeitung älterer bulgarischer Kontexte in griechische wurde als Wechselwirkung im Kontext der Kontaktzone auch eine Integration der griechischen Amtsträger und Bevölkerungsgruppen in den diskursiven Zusammenhang des Erzbistums voran­getrieben. Gleichzeitig konnten der bulgarische Zusammenhang in einen byzantinischen reintegriert werden und die kirchliche Herrschaft später unter serbischer und osmanischer Obhut weiter legitimiert werden. So spielte Kliment in der ohnehin fragmentarischen und stark an byzantinische Texte angelehnten, in bulgarischer Sprache gehaltenen ­Chronistik sowie in der stärker entwickelten serbischen Geschichtsschreibung zu keiner Zeit eine nennenswerte Rolle.187 B 2.4  Drucke als Medien transethnischer Verehrung Kliments und Naums im 18. Jh.

Mit der Tätigkeit Kliments in Mähren wie in Ohrid waren weitere Heilige verbunden. Hier sei zunächst nur auf seinen Schüler Naum eingegangen.188 Die ältere der beiden ihm gewidmeten slavischen Viten wird ins 10. Jh. datiert und ist in einer im 15. Jh. in einem Dorf im Gebiet Debar (alb. Dibra/Dibër, heute zwischen Albanien und Makedonien geteilt) verfassten und später im Zograf-Kloster auf dem Athos aufbewahrten Abschrift erhalten, die jüngere basiert auf der Klimentvita von Theophylaktos.189 Naum wurde in ihnen gleichfalls als Wundertäter dargestellt, aber nur formal und weitaus weniger stark 185 Gelzer (1902), S. 177. 186 Kämpfer (1994), S. 427. 187 Stari srpski rodoslovi i letopisi. Auch in handschriftlichen Bemerkungen von Kompilatoren bulgarischer Handschriften des 10. bis 18. Jh. sind keine Verweise auf ihn zu finden. Beležki na bălgarskite knižovnici X–XVIII vek 1 – 2. 188 Podskalsky (2000), S. 104 f. 189 Podskalsky (2000), S. 281 f.; Bălgarski starini iz Makedonija, 21931, S. 305.

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als Kliment bei Theophylaktos.190 Im 13. Jh. folgte eine griechische Vita, die vermutlich von Konstantinos Kabasilas stammte, einem weiteren griechischen Erzbischof Ohrids. Eine zweite Legende ist erst durch einen Druck von 1740 bekannt und entstand womöglich erst damals als „metabyzantinische“, erfundene Tradition.191 Sie wurde zusammen mit einem griechischen Offizium Naums in Voskopoja gedruckt:192 Die im 17. und 18. Jh. aufgeblühte Fernhandelsstadt im Erzbistum Ohrid, südlich des Ohridsees und heute in Albanien gelegen, wurde in den in ihr erstellten Drucken insbesondere zur Mitte des 18. Jh. als antikisiertes und gräzisiertes Moschopolis inszeniert. Aromunische, Griechisch sprechende und schreibende Kaufleute führten den Fernhandel der Stadt und förderten eine orthodoxe, anationale Identität, deren Inhalt und Gefäß nicht zuletzt das Erzbistum und seine Heiligen waren. Schon zu Ende des 17. Jh. druckten Moschopoliten in Venedig einzelne entsprechende Texte, so das genannte griechische Offizium Naums.193 Der Drucker­mönch Gregorios machte sodann 1746 Naum zum Patron der bekannten Druckerei der Stadt.194 Seine Druckerei wurde zum medialen Interessenvertreter des Erzbistums Ohrid, das einzelne Drucke in Auftrag gab – etwa 1742 eine Kliment-­Akoluthie – und wohl auch die Druckerei finanziell förderte.195 Damit kann nicht nur im 12. und 14. Jh., sondern unter erneut gänzlich veränderten Rahmenbedingungen zur Mitte des 18. Jh. beobachtet werden, wie Ohrider Erzbischöfe zur Mehrung des sakralen Kapitals ihres Bischofsthrones die kyrillomethodianische und gerade die Tradition der Verehrung Kliments und Naums aufgriffen, erneuerten oder weiterentwickelten.196 Die Verehrung Naums hatte sein Kloster am Südufer des Ohridsees zum Zentrum und war im Kern zumindest so alt wie dieses. Eine wesentliche Neuerung ist spätestens in der frühen Neuzeit mit seiner Verehrung nicht nur durch orthodoxe, sondern bis zu Beginn des 20. Jh. auch durch muslimische Albaner bzw. Anhänger der Bektaşi hervorzuheben, die in dem Kloster eines der angeblich sieben Gräber des Sarı Saltuk zu verehren glaubten. Der als heilig und Nachfahre des Propheten verehrte Krieger hatte laut umfangreichen und zahlreichen Verehrungstexten bei der Ausbreitung der osmanischen Herrschaft und des islamischen Glaubens nördlich und westlich von Konstantinopel eine wichtige Rolle gespielt. Dabei wurde trotz oder mithilfe religiöser Heterodoxie, wie sie aus späterer, orthodoxer Sicht vorlag, durch Bekehrungen und den Kampf gegen ­Christen gerade religiöse Differenz hergestellt und mit Nachdruck behauptet. So schildern Legenden um Sarı Saltuk, wie dieser mit dem Verweis auf den Messias die Konvertierung von Christen erreichen wollte.197 Laut Frederick Hasluck verehrten Christen zu Beginn des 20. Jh. heilige Orte der Bektaşi mit deren Zustimmung transreligiös 190 191 192 193 194 195 196 197

Bălgarski starini iz Makedonija, 21931, S. 307, S. 313; Stara bălgarska literatura 4, S. 81, S. 83. Podskalsky (2000), S. 283. Peyfuss (1989), S. 109 – 115. Peyfuss (1989), S. 110; Ακολουθία του οσίου και Θεοφόρου πατρός ημών Ναούμ. Peyfuss (1989), S. 83, S. 85. Peyfuss (1989), S. 86. Podskalsky (2000), S. 439. Krstić (2011), S. 69 f.

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als christlich: Das Wissen um strikt voneinander getrennte Religionen kann nicht vorausgesetzt ­werden.198 Älteste Darstellungen Naums auf Fresken und Ikonen sind in der Region seit dem 14. Jh. belegt, sie wurden aber erst in der ersten Hälfte des 18. Jh. sehr zahlreich und verbreiteten sich in Richtung Athos wie auch nach Ungarn und Wien. Die soziale und geographische Reichweite der Verehrung und Medialisierung auch Naums erfuhr zur Mitte des 18. Jh. gerade auch mit den erwähnten Drucken bedeutende Veränderungen. Die Wallfahrten von Orthodoxen wie auch Muslimen zu seinem Kloster wurden so bedeutend, dass 1727 der aus Moschopolis stammende Erzbischof Ioasaph seinen Festtag vom 23. Dezember auf den 20. Juni verlegte. Beim Kloster wurden Kupfer­stiche und griechische, gedruckte Offizien verkauft.199 Kliment dagegen war damals „in Moschopolis und Umgebung“ „weit weniger populär“, obschon er in Ohrid weiterhin die zentrale Rolle als Stütze des Erzbistums einnahm und seine Abbildungen in Makedonien schon seit dem 11. Jh. „Legion“ waren.200 Auf dem heutigen Gebiet Bulgariens sind sie ebenfalls zahlreich. Und auch im heute in der griechischen Provinz Makedonien gelegenen Kastoria, das als Metropolie und Sitz des „Protothronos“ bzw. des Statthalters des Erzbischofs oder Patriarchen von Ohrid zum Erzbistum Ohird gezählt hatte,201 ist eine Abbildung Kliments in einer albanischen ­Stiftung bekannt.202 Noch schwächer ausgeprägt war die Verehrung der bereits für Kyrill und Method genannten „Siebenzahl“, die als eine Erinnerungsfigur neben Kyrill und Method auch Kliment und Naum sowie weitere Weggefährten der Brüder umfasste. Auf Abbildungen in Albanien, am Prespasee und Ohridsee sowie im serbischen Zusammenhang wurde verwiesen.203 Zudem ist zu wiederholen, dass mit den Moschopoliter Drucken im 18. Jh. in der Region neue Fresken der hl. Siebenzahl erstellt wurden.204 Offenbar erst über diese aromunische und albanische Medialisierung, die nach katholischem Vorbild und ähnlich wie unter den Orthodoxen unter ungarischer Hoheit eine sakrale publizistische Öffentlichkeit entstehen ließ, wurde das Interesse von Bulgaren an Kliment und Naum geweckt: Partenij Pavlovič, geboren in der Dobrudža, war 1726 vom Belgrader Metropoliten und Erzbischof von Sremski Karlovci zum Geistlichen geweiht worden. Dieser bulgarischstämmige Geistliche der serbischen Kirche hielt sich sodann auch in dem Kloster des hl. Naum „in Albanien“ auf. Er schrieb 1746 in seiner kurzen „Autobiographie“ zu Naums Erklärung, dieser sei „nicht der Prophet Naum, 198 Nušić (1894), S. 21, S. 104; Hasluck (1929) 1, S. 70, Bd. 2, S. 436 – 439; Handbuch zur albanischen Volkskultur, S. 157, S. 188; Bartl (1967), S. 124; Norris (1993), S. 98, S. 146 – 154; Norris (2006); Norton (2001), S. 185 f. Zu Synkretismen: Veinstein (Hg.) (2005) und dort: Stoyanov (2005). 199 Peyfuss (1989), S. 4, S. 211 passim. 200 Peyfuss (1989), S. 170 f. 201 Gelzer (1902), S. 20. 202 Peyfuss (1989), S. 170 f. 203 Peyfuss (1989), S. 172, vgl. S. 130 – 132. 204 Grozdanov (2007), S. 309 – 314.

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sondern ein anderer von der Siebenzahl, die als Apostel predigten“. Er verwies auf das genannte, 1740 in Moschopolis gedruckte „griechische Buch“ mit einem Offizium und einer Vita Naums,205 um diese Siebenzahl zu erklären. Alle sieben hätten dem Druck zufolge „ein gottgefälliges Leben geführt, Leute im orthodoxen Glauben belehrt und unterrichtet und die westlichen Länder davon überzeugt, zu glauben, dass der Heilige Geist vom Vater ausgeht,“ weshalb sie verhaftet worden seien. „Sie lehrten nicht nur die Völker, sondern heilten die Kranken von verschiedenen Krankheiten, indem sie die überaus heilige und lebensspendende Dreifaltigkeit anriefen“. Die geschilderte Wiederbelebung der Verehrung Naums und Kliments durch gräzisierte Aromunen fand damit sehr rasch eine Rezeption seitens eines bulgarischen Angehörigen der Geistlichkeit der serbischen Kirche, der als Vorläufer Paisij Chilendarskis gilt. 1767, ein Jahr nach der Aufhebung des serbischen Patriarchats von Peć (İpek), wurde auch das Erzbistum Ohrid im Rahmen innerkirchlicher Konflikte aufgelöst.206 Die von beiden beanspruchten Gebiete wurden damals im Rahmen des von griechischsprachigen Phanarioten dominierten, in Konstantinopel gelenkten „millet-i Rum“ vereint. Die nominal ethnisch als „bulgarisch“ bezeichnete Erzdiözese diente somit früh und auch im Rahmen des Osmanischen Reiches als Gefäß konfessioneller Herrschaft von Griechen über zahlreiche Völker in unterschiedlichen weltlichen Herrschaftsgebieten. In Kliments Namen wurde bis zur Aufhebung des den Titel eines Patriarchats beanspruchenden Bistums von Ohrid im 18. Jh. die kirchenrechtliche Zuständigkeit über Bulgarien, Serbien, Makedonien, Albanien aber auch die Walachei sowie die Moldau und Ungarn beansprucht. Wesentlich für eine Erneuerung der Verehrung Kliments und seiner Weggenossen, der Siebenzahl, war damals der in Moschopolis von gräzisierten Aromunen betriebene, ästhetisch und technisch im Rahmen des Barock einzuordnende Buchdruck, der auch von einzelnen bulgarischen Geistlichen wahrgenommen wurde. Im Rahmen dieses Diskurses fand eine muslimische, transreligiöse Verehrung Naums und offenbar auch Kliments allerdings keinen expliziten Niederschlag: Erst in Texten des beginnenden 20. Jh. wurde die angebliche Verehrung Kliments auch unter „den Türken“, die ihn als „Sinanbaba“ bezeichneten sowie unter „den Albanern“ mehrfach beschrieben:207 Lokal galt Kliment als Wundertäter. B 3  Heilige als Stützen der bulgarischen Herrschaft in der neuen Zarenstadt

Nicht nur Herrscher wie Boris/Bogoris-Michail und Petăr wurden zur Stützung der Herrschaft als Heilige verehrt – auch zunächst unpolitische Einsiedler wurden dazu eingesetzt, wie Ioann von Rila oder die hl. Petka/Paraskeva. Die herrschaftliche Instrumentalisierung

205 Partenij Pavlovič, S. 70, S. 67. Vgl. auch Ακολουθεία των αγίων και ισαποστόλων επτά φωστήρων της Βουλγαρίας κ’ Δαλματίας. Zu Partenij: Angelov (1963), Bd. 1, S. 5 – 61. 206 Koller (2011), S. 267 f. 207 Sněgarov (1917), S. 21; Bălgarskata proslava, S. 12 f.

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sondern ein anderer von der Siebenzahl, die als Apostel predigten“. Er verwies auf das genannte, 1740 in Moschopolis gedruckte „griechische Buch“ mit einem Offizium und einer Vita Naums,205 um diese Siebenzahl zu erklären. Alle sieben hätten dem Druck zufolge „ein gottgefälliges Leben geführt, Leute im orthodoxen Glauben belehrt und unterrichtet und die westlichen Länder davon überzeugt, zu glauben, dass der Heilige Geist vom Vater ausgeht,“ weshalb sie verhaftet worden seien. „Sie lehrten nicht nur die Völker, sondern heilten die Kranken von verschiedenen Krankheiten, indem sie die überaus heilige und lebensspendende Dreifaltigkeit anriefen“. Die geschilderte Wiederbelebung der Verehrung Naums und Kliments durch gräzisierte Aromunen fand damit sehr rasch eine Rezeption seitens eines bulgarischen Angehörigen der Geistlichkeit der serbischen Kirche, der als Vorläufer Paisij Chilendarskis gilt. 1767, ein Jahr nach der Aufhebung des serbischen Patriarchats von Peć (İpek), wurde auch das Erzbistum Ohrid im Rahmen innerkirchlicher Konflikte aufgelöst.206 Die von beiden beanspruchten Gebiete wurden damals im Rahmen des von griechischsprachigen Phanarioten dominierten, in Konstantinopel gelenkten „millet-i Rum“ vereint. Die nominal ethnisch als „bulgarisch“ bezeichnete Erzdiözese diente somit früh und auch im Rahmen des Osmanischen Reiches als Gefäß konfessioneller Herrschaft von Griechen über zahlreiche Völker in unterschiedlichen weltlichen Herrschaftsgebieten. In Kliments Namen wurde bis zur Aufhebung des den Titel eines Patriarchats beanspruchenden Bistums von Ohrid im 18. Jh. die kirchenrechtliche Zuständigkeit über Bulgarien, Serbien, Makedonien, Albanien aber auch die Walachei sowie die Moldau und Ungarn beansprucht. Wesentlich für eine Erneuerung der Verehrung Kliments und seiner Weggenossen, der Siebenzahl, war damals der in Moschopolis von gräzisierten Aromunen betriebene, ästhetisch und technisch im Rahmen des Barock einzuordnende Buchdruck, der auch von einzelnen bulgarischen Geistlichen wahrgenommen wurde. Im Rahmen dieses Diskurses fand eine muslimische, transreligiöse Verehrung Naums und offenbar auch Kliments allerdings keinen expliziten Niederschlag: Erst in Texten des beginnenden 20. Jh. wurde die angebliche Verehrung Kliments auch unter „den Türken“, die ihn als „Sinanbaba“ bezeichneten sowie unter „den Albanern“ mehrfach beschrieben:207 Lokal galt Kliment als Wundertäter. B 3  Heilige als Stützen der bulgarischen Herrschaft in der neuen Zarenstadt

Nicht nur Herrscher wie Boris/Bogoris-Michail und Petăr wurden zur Stützung der Herrschaft als Heilige verehrt – auch zunächst unpolitische Einsiedler wurden dazu eingesetzt, wie Ioann von Rila oder die hl. Petka/Paraskeva. Die herrschaftliche Instrumentalisierung

205 Partenij Pavlovič, S. 70, S. 67. Vgl. auch Ακολουθεία των αγίων και ισαποστόλων επτά φωστήρων της Βουλγαρίας κ’ Δαλματίας. Zu Partenij: Angelov (1963), Bd. 1, S. 5 – 61. 206 Koller (2011), S. 267 f. 207 Sněgarov (1917), S. 21; Bălgarskata proslava, S. 12 f.

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der beiden Letzteren und ihre Verbindung mit Herrschern und der Hauptstadt dominiert die um sie geschriebenen Texte so sehr,208 dass es sich anbietet, die vier genannten Heiligen in diesem übergreifenden narrativen Kontext zu skizzieren und (noch) nicht als primär selbstständige Erinnerungsfiguren. B 3.1  Die Herrscher Boris und Petăr als Heilige

Im Rahmen der Streitigkeiten zwischen Rom und Kontantinopel um die kirchliche Hoheit über das Ostillyricum ließ sich Khan Boris (von Bogoris, tatar. „klein“) vermutlich im Jahr 865 durch Ostrom bekehren und nahm den Namen Michail an. Der byzantinische Kaiser Michael III. übernahm die Patenschaft, und damit auch die Vorherrschaft über Bulgarien.209 Da Patriarch Photios Bulgarien nur den Rang einer Kirchenprovinz im Rahmen des byzantinischen Reiches mit griechischer Geistlichkeit zugestand, folgten weitere – erfolglose – Versuche, um unter dem Schutz des Papstes eine vorteilhaftere Stellung zu erreichen.210 Nach dem Muster byzantinischer Herscher zog sich der alternde Boris-Michail 889 in ein Kloster zurück. Bald nach seinem Tod (907) wurde er wegen der Taufe in Anlehnung an Konstantin den Großen auch als heilig verehrt 211 und sowohl von der orthodoxen wie der römischen Kirche kanonisiert.212 In apokalyptischen Texten, die unter der byzantinischen Herrschaft über Bulgarien (1018 – 1186) entstanden, wurde Boris dabei auch als eschatologischer Herrscher und Befreier beschrieben – ganz wie byzantinische Kaiser in analogen Visionen.213 Die Klimentvita stellte Boris indes als gläubigen und eifrigen Helfer bei der Errichtung von Kirchen dar, aber nicht als heilig.214 Tatsächlich gibt es keine Hinweise darauf, dass im Mittelalter eine Vita, ein Offizium oder eine Lobrede zum Gedenken an Boris-Michail verfasst worden wäre.215 Gründe dafür mögen die fragliche soziale Reichweite der Christianisierung, die Konkurrenz des häretischen Bogomilismus sowie die lange byzantinische Vorherrschaft bzw. kurze bulgarische Unabhängigkeit sein.216 Unter diesen Umständen war es möglich, dass sein nur schwach ­ausgeprägter

208 Eine ausgezeichnete Skizze: Polyviannyi (1999); vgl. Gjuzelev (1989); Tăpkova-Zaimova (1985). 209 Podskalsky (2000), S. 52 f. 210 Podskalsky (2000), S. 54 – 58. 211 Čišmedžiev (1999); Podskalsky (2000), S. 60. 212 Polyviannyi (1999), S. 403. 213 Podskalsky (2000), S. 61. 214 „Der genannte Zar der Bulgaren Michail gehorchte seinen Worten so sehr, dass er ihm beim Bau von Kirchen half und bereit war, alles zu erfüllen, was er befahl.“ Grăckite žitija na Kliment Ochridski, S. 180 f. 215 Čišmedžiev (1999), S. 173; Kämpfer (1994), S. 426; Podskalsky (1999), S. 423. Ein Offizium ist unbekannten, aber späteren Datums: Podskalsky (2000), S. 61. 216 Podskalsky (2000), S. 62.

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Kult durch den des Erzengels Michael absorbiert werden konnte.217 Immerhin entsprach dieses Muster dem byzantinischen Vorbild: Zwar trugen alle Kaiser „von Amtes wegen“ auf Abbildungen die Aureole,218 so auch die bulgarische Herrscherfamilie auf einer Miniatur in einem Evangelium von 1356 (Abb. 5), als Heilige wurden aber nur sehr wenige verehrt. Tatsächlich verfolgten Boris und die ihn stützenden Kirchenfürsten wie auch ihre Nachfolger die Strategie, in der selektiven Adaption des byzantinischen Vorbildes die imperiale oder kirchliche Hauptstadt mit Reliquien, die in sie überführt wurden, stärker als die herrschende Dynastie bzw. den (vorhergehenden) Herrscher zu sakralisieren: So versuchte Boris nach byzantinischem Muster den durch ihn eingerichteten Bistumssitz Kliments in Bregalnica (dessen Lage unbekannt bleibt) mit der Überführung von Reliquien dreier byzantinischer Heiliger aus Tiberiupolis (Strumica) mit sakralem Kapital auszustatten und zu festigen.219 Boris wurde aber im von Polyviannyi ahistorisch sogenannten „nationalen ­Pantheon der Heiligen des mittelalterlichen Bulgarien zu keiner wichtigen Figur“, obwohl er in Rom wie in Byzanz als heilig verehrt wurde.220 Auch in der frühen Neuzeit blieb die Erinnerung an Boris-Michail schwach, weltlich, und kaum in bulgarischen Texten nachweisbar: In der in ihren serbischen Teilen in der zweiten Hälfte des 16. Jh. ver­fassten Branković-Chronik wurde zwar unter dem Jahr 637 (863) eine Taufe der Bulgaren erwähnt, aber nicht Boris’ Name genannt: Erst als toter „czar“ wurde er namentlich angeführt.221 Abgesehen von einem frühen Fresko im Kloster Naums ist ein Fresko aus dem 15. Jh. in Verona sowie eines von 1689 in Rom bekannt – in Bulgarien aber ­wurden erst im 19. Jh. weitere angefertigt.222 Boris’ Sohn Simeon griff das Vorgehen seines Vaters auf, als er seine Hauptstadt Preslav als „Neues Konstantinopel“ entwarf und nach dem Vorbild der byzantinischen Reichsmetropole die hl. Maria zur Schutzherrin der Stadt machte sowie offenbar Reliquien dorthin überführen ließ. Entsprechendes wiederholte sich gemäß dem bereits als Handlungsmuster gefestigten Verfahren im makedonischen Prespa, dem Zentrum der Herrschaft des Zaren Samuil, und in Bitola, wo Zar Ivan Vladislav 1015 – 1016 herrschte: Die Festung wurde der hl. Maria und den hll. Peter und Paul gewidmet.223 217 218 219 220 221

Čišmedžiev (1999), S. 174. Kantorowicz (71997), S. 79 f. Polyviannyi (1999), S. 401 f. Polyviannyi (1999), S. 403. Die ältesten Passagen der nur in einer lateinischen Übersetzung erhaltenen sogenannten Branković-Chronik werden dem ausgehenden 16. Jh. zugerechnet und entstanden möglicherweise in Peć, die jüngsten hingegen stammen von der Wende zum 18. Jh. Als Kompilatoren werden der Patriarch Pajsije von Peć (1614 – 1647) und nur für die am Schluss stehenden Verzeichnisse der kirchlichen Würdenträger Graf Đorđe Branković vermutet. Brankovićev letopis/Die Branković Chronik, S. 115, S. 179 f. 222 Vasiliev (1987), S. 41 – 45. 223 Polyviannyi (1999), S. 402 f.; Dall’Aglio (2011).

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Auch Zar Petăr I. von Bulgarien (927 – 30. Januar 969/970), der Nachfolger Simeons, wurde religiös verehrt. Sein Kult begann sich bereits unter der byzantinischen Herrschaft (1018 – 1186) zu entwickeln, als er apokryph in einigen entfernt gelegenen Klöstern in der Gegend um Serdika verehrt wurde. Erst im zweiten bulgarischen Reich wurde sein Gedächtnis stärker.224 Festzuhalten bleibt vorläufig eine nur fragmentarisch entwickelte Verehrung lediglich zweier bulgarischer Herrscher des Mittelalters als Heiliger. Im Gegensatz zur serbischen Entwicklung wurden weniger Herrscher zu Heiligen gemacht, als vielmehr orthodoxe (aber keineswegs unbedingt bulgarische) Heilige in die jeweilige Hauptstadt überführt. Die im Wettstreit mit Byzanz im Rahmen der Kontaktzone mehrfach nachgeahmte kulturelle und nicht spezifisch „bulgarische“, sondern schlicht herrschaftsstabilisierende Praxis erwies sich als richtungweisend. B 3.2  Ioann von Rila und seine Überführung nach Tărnovo

Ioann von Rila (um 876 – 946) zählt neben der Gruppe um Kyrill und Method zum „zweiten Kreis hesychastischer“ Heiliger.225 Den größten Teil seines Lebens verbrachte er als Anachoret in der Einöde im Rila-Gebirge. Das Rila-Kloster gilt der heutigen bulgarischen Forschung als „größtes Kloster Bulgariens, eines der bedeutendsten religiösen, geistigen und kulturellen mittelalterlichen Zentren der Balkanhalbinsel“.226 Die älteste Vita von Ivan Rilski ist eine sogenannte Volksvita. Sie entstand im 11. oder 12. Jh. und zeichnet sich durch einen „ausgeprägten Wunderglauben“ aus. Zudem enthält sie Passagen, die auch Podskalsky als „Volksüberlieferungen“ beschreibt.227 In ihrer Überschrift wird Ivan als „unser seliger Vater“ angesprochen sowie als „Rilaer Wüstenbewohner“. Die Berge wie auch die Menschen sollten sich über den Heiligen freuen.228 Die Vita stellte den Mönch in einen engen Bezug zu Zar Petăr, der sich bemühte, Ivan zur Festigung seiner Herrschaft einzusetzen.229 1068/70 wurden die Gebeine Ivans nach Serdika überführt.230 Damit mehrte er das mit der Verehrung des Einsiedlers ­verbundene

224 G. Prinzing, „6. P. (Petăr) I.“, in: LexMA 6, Sp. 1928; Polyviannyi (1999), S. 404; Biljarski (2004), S. 21. 225 Podskalsky (1999), S. 419. 226 V. Gjuzelev, „Rilakloster“, in: LexMA 7, Sp. 851. 227 Podskalsky (2000), S. 288 f. 228 „Freue dich, meine strahlende Sonne in der Rilaer Wüste, freut auch ihr Berge euch, die ihr den Leuchter in der Wüste angenommen habt, freut euch alle ihr irdischen Geschlechter, die ihr vor den Reliquien des Wüstenbewohners Ivan hinfallt, freue auch du dich, Wüste, die ihren Leuchter entgegengenommen hat“. Žitija na sv. Ivana Rilski, S. 33. 229 „Da füllte Zar Petăr“, nachdem er selbst ein Gotteszeichen beobachtet hatte, „eine Schale mit Gold und gab sie ihm und sagte: Nimm dies von meinem Zarentum, damit du die Nahrung wirst, die es wünscht“. Žitija na sv. Ivana Rilski, S. 35. 230 Podskalsky (2000), S. 289.

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religiöse Kapital und brachte es in einem engen Zusammenhang mit der zarischen Herrschaft in den wichtigen regionalen städtischen Herrschaftssitz.231 Die Vita endet mit der nicht auf den bulgarischen Zusammenhang beschränkten, allgemein christlichen Hoffnung, Ioann würde als „Helfer“ im Jenseits hilfreich sein.232 Der Text beschreibt Ivan damit nicht als Bulgaren, wohl aber als Stütze der Herrschaft Petărs. Die zweitälteste Lebensbeschreibung Ioanns von Rila stammt aus der Feder des griechischen Byzantiners Georgios Skylitzes. Der Autor war 1166 kaiserlicher Sekretär und wurde darauf offenbar als Verwalter von Sofia eingesetzt. Skylitzes berichtet von seiner eigenen Heilung durch das Myron der Reliquien Ioanns.233 Er verfasste die Vita vermutlich zwischen 1166 und 1183 in griechischer Sprache 234 und führte damit die Verehrung des Heiligen durch Herrschaftsträger fort. Sowohl in den kirchenslavischen Übersetzungen wie auch in der griechischen Fassung wurde er darin als „unser Vater“ angesprochen. Neu im Vergleich zur Volksvita war der in der Überschrift enthaltene Zusatz, dass der Heilige „an allen Tagen große Wunder tat“. Der byzantinische Amtsmann stellte Ioann transethnisch als auch von ihm bzw. von Griechen verehrten wundertätigen Heiligen und Bulgaren vor, dessen „Vaterland“ oder dessen Herkunftsort 235 „die Stadt Serdika“ sei 236 und nicht Skrino/Struma bei Serdec.237 Seine Verehrung hatte aber nicht nur Serdika zum Mittelpunkt, sondern auch das Kloster in den Bergen von Rila, das trauernde Gläubige bald eingerichtet hatten, wie Skylitzes berichtete.238 So beschrieb er Wunder und Heilungen sowie zahlreiche Menschen, die deswegen zum Grab Ivans auf 231 Als Ivan gestorben war, so berichtet die Vita, „erschien ihm [Zar Petăr, S. R.] im Traum ein Engel des Herrn, er sollte den Leichnam des heiligen Vaters nehmen, denn dieser genannte Körper des Heiligen sollte in der Stadt Serdika liegen“. Mit göttlicher Unterstützung und „auf Befehl Gottes“ wurde die sterbliche Hülle überführt. Zu seinem Sarkophag in der zu seinen Ehren errichteten Kirche „kommen die Leidenden und erhalten ihre Heilung“. Žitija na sv. Ivana Rilski, S. 36 f. 232 „Dies sind die Wunder des gerühmten hochwürdigen Vaters Ivan des Anachoreten (…). Er sei uns ein Helfer, den Gehorsamen und Lesenden und Schreibenden, um Liebe zu erlangen und die Erlassung unserer Sünden am Tag des Gerichts, mit dem Segen und der Menschenliebe unseren Herrn Jesus Christus“. Žitija na sv. Ivana Rilski, S. 36 f. 233 Podskalsky (2000), S. 292. 234 Žitija na sv. Ivana Rilski, S. 36 f. 235 Vgl. Eichenberger (1991), S. 37 f., S. 46 f.; Nikolaou (2005), S. 94; Pratsch (2005), S. 56; A. Berger, „Patria“, in: LexMA 6, Sp. 1785. 236 „Denn heute, am Fastentag (v postnicě), da wir diesen verehren, Ivan, der groß an Wundern war, und Bulgare, sein Vaterland (oťč’stvo) war die Stadt Serdika, die schon von den Alten gerühmt wurde“. Žitija na sv. Ivana Rilski, S. 46. 237 Podskalsky (2000), S. 292. 238 „Und sein Ruhm verbreitete sich mit schnellen Flügeln. Denn sie waren traurig, sie kamen, um ihn zu verehren. Diese und andere, die herkamen, richteten auf dem Berg eine Hütte ein und beschlossen, mit denen, die mit dem großen Vater waren, zusammenzuleben. Und so viele kamen zu diesem göttlichen Berg, wie Flüsse ins Meer mit unablässiger Geschwindigkeit. (…) Nach einiger Zeit aber und als der Glaube an den Seligen immer noch wegen einer Menge von

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den „göttlichen Berg“ zogen.239 Aber auch die Überführung seiner Gebeine nach Serdika und die dortigen Wunder sowie seine Verehrung beschrieb er mit einigen Sätzen, etwa die Wirkung seiner Reliquien während eines Stadtbrandes. Skylitzes berichtete überdies von der Heilung des byzantinischen Herrschers Manuel I. Komnenos am Grab des Heiligen, als dieser Serdika besuchen wollte.240 Damit gliederte er Ivan ganz in den Kontext byzantinischer politischer und christlicher Frömmigkeit ein und machte ihn zu einer Stütze byzantinischer Herrschaft 241 über die Bulgaren.242 Mit dem Aufstand von 1185/86 konnte das zweite bulgarische Reich gegründet werden. Der Vorgang fand von Anfang an unter transethnischen Vorzeichen sowie unter dem Schutz von Heiligen statt: Die Aufständischen ernannten Demetrios, den Beschützer Salonikis vor den Slaven, in einer dem griechisch-byzantinischen Heiligen geweihten Kirche in Tărnovo zum Patron der Erhebung,243 die auch von Kumanen und Walachen getragen wurde: Die neue Dynastie der Aseniden stammte aus ihren Reihen.244 Die Überführung einer Ikone des Demetrios und möglicherweise Teilen seiner Gebeine zur Herstellung von Myron waren unmittelbar Teil des Wettkampfes um Saloniki selbst bzw. um den Status als „zweite Stadt in der orthodoxen Welt nach Konstantinopel“.245 Bereits 1195 folgte, ganz nach dem bereits vorgegebenen Handlungsrahmen, eine Überführung der Gebeine Ioanns von Rila in die neue Hauptstadt Tărnovo durch den bulgarischen Zaren Ioann Asen I.246 Die vermutlich im 13. Jh. entstandene erste Prologvita zu Ehren Ivans 247 berichtete über diese. Ivan wurde in diesem Text schon zu Beginn ausdrücklich als Bulgare eingeführt, im Gegensatz zur „Volksvita“, in der dieser Hinweis fehlt. Neben dem bulgarischen Zaren wurde aber gleichrangig auch der byzantinische genannt.248 Laut der Vita „verbreitete sich

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Wundern anwuchs, erbaute jemand der Gottliebenden ein Gebetshaus, zu Füßen der Hütte, Zellen wurden eingerichtet und ein Kloster entstand“. Žitija na sv. Ivana Rilski, S. 46. Žitija na sv. Ivana Rilski, S. 47. Žitija na sv. Ivana Rilski, S. 50. Er schloss mit einer Anrufung Ivans als „Helfer, als Vollfüller der höheren Welt (vyšněgo mira ispľnitelju) (…), dass er die Herrschaft über uns (dr’zavja nad nami) gut und gottliebend einrichte“. Ähnlich wie in der Volksvita wird die wichtigste Aufgabe Ivans am Schluss genannt: „Wenn Gott auf dem Richterthron sitzt und unsere Taten und Worte gerecht prüfen wird, lege deine Leiden und Werke vor (…), und bitte den Seligen, der wegen uns selbst den Kreuztod auf sich genommen hat, damit wir zu den Geretteten gehören“. Žitija na sv. Ivana Rilski, S. 51. Auch die Angabe seiner Lebensdaten orientierte sich an der Herrschaft des Kaisers Konstantinos VII. und nicht Zar Petărs. Podskalsky (2000), S. 291. Podskalsky (2000), S. 74; Polyviannyi (1999), S. 404 f. Vásáry (2005), S. 41; Ostrogorsky (22000), S. 345 f. Polyviannyi (1999), S. 405 f. Podskalsky (2000), S. 290. Podskalsky (2000), S. 290; Žitija na sv. Ivana Rilski, Einleitung, S. 11 f. „Der hl. Ivan war nämlich aus der Umgebung der ruhmreichen Stadt Serdika, aus dem Dorf genannt Skrino, im Zarentum des christusliebenden bulgarischen Zaren Petăr, sowie des

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der Ruhm des Seligen auf dieser ganzen Erde“.249 Neu ist sodann die Nachricht von einer Überführung Ivans durch den ungarischen König 1183 nach Ungarn.250 Ivan schien damals „groß vor Gott und gerühmt wegen seiner Wunder in allen Ländern“. Als der lateinische Erzbischof von Gran die Heiligkeit Ivans anzweifelte, belehrte ihn angeblich dessen Wundertätigkeit sogleich eines Besseren. Der ungarische König ließ die Gebeine darauf 1187 „mit großer Ehre erneut nach Serdika“ bringen.251 Die ungarische Episode steht für eine Ausdehnung der transkonfessionellen Reichweite des Ivankultes. Auch in diesem Zusammenhang diente Ivan zur Stütze eines Herrschers – der allerdings römisch-katholisch war. Wie die Kontakte Kyrills und Methods mit Rom sowie die dortige Verehrung von Boris ist auch diese Entwicklung im Zusammenhang einer ,multiplen Kontaktzone‘ zu deuten. Die Erzählung von der Überführung nach Ungarn diente letztlich zur Erhöhung der Bedeutung der Überführung Ivans nach Tărnovo, die in der Vita ausführlich beschrieben wurde: „Nachdem viel Zeit vergangen war, als es Gott gestattete, das gefallene Heiligtum (skinija) wiederaufzurichten und die bulgarische Herrschaft (vlasť) zu erneuern, die durch griechische Gewalt schwach geworden war, da erhob sich das Horn des bulgarischen Zarentums unter dem christusliebenden Zaren Asen, dessen Name nach der heiligen Taufe Ivan war. Dieser erneuerte nämlich zu Beginn seines Zarentums die gefallenen bulgarischen Städte, kam bis Serdika und eroberte es, und sah den Heiligen und seligen Vater, und hörte sehr Ruhmreiches von ihm, und verneigte sich vor dem Sarg des Heiligen, und küsste seine hochverehrten Gebeine, sowie befahl dem heiligen Patriarchen Vasilij (…), die verehrten Gebeine zu nehmen und mit großer Ehre vor sich herzutragen zu einer Kirche in der Stadt Tărnovo, und er stellte Tausend ausgewählte Kämpfer zur Begleitung des Heiligen.“

Die Überführung begleiteten auch „die Mönche des Klosters des Heiligen“. Weiter heißt es: „Der gottverehrende Zar Ivan selbst beeilte sich und kam zuvor in die zarische Stadt (carskyi grad), und befahl, rasch eine Kirche in der Stadt Trapezici (v grade Trapezici) zu errichten, um den Heiligen niederzulegen. Und als er sah, wie sich Patriarch Vasilij und alle, die mit ihm waren und den Heiligen trugen, näherten, ging er selbst heraus ihm entgegen auf den Graben, und alle Boljaren und Herren (vlastele), die mit ihm waren, die ganze Menge an Leuten, sie freuten sich körperlich und lobten mit dem Geist, und als sie sie sahen, verneigten sie sich vor den Reliquien des seligen Vaters und freuten sich mit unaussprechlicher Freude.“ 252

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griechischen Konstantin Diogenes. Seine Eltern waren ehrlich und nicht sehr reich, von bulgarischer Abstammung.“ Žitija na sv. Ivana Rilski, S. 52. Žitija na sv. Ivana Rilski, S. 53. Es wird beschrieben, wie er „vorrückte und das griechische Land gefangennahm, und sogar bis Serdika gelangte, und die Arme mit dem Körper des Seligen an sich nahm, denn selbst der König hatte von den Wundern des Seligen gehört, und er befahl mit großer Ehre den Sarg zu tragen in sein Land und in einer Kirche mit Ehre niederzulegen, in der Stadt genannt Esztergom“. Auch in Ungarn ließ der Heilige laut der Vita nicht ab, in der Nähe des Leichnams Wunder zu wirken. Žitija na sv. Ivana Rilski, S. 53. Žitija na sv. Ivana Rilski, S. 54. Žitija na sv. Ivana Rilski, S. 54.

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Der feierliche Einzug entfaltete eine situative sakrale Öffentlichkeit, eine Einheit von Herrscher, Gefolgschaft, Menge, dank Ioann in der Nähe zum Thron Gottes, die mit ihrer Beschreibung in der Vita immer wieder memoriert und reproduziert werden sollte.253 Ioanns Rolle als Herrschaftsfestiger wurde damit bekräftigt; er sollte zum wichtigsten Heiligen der neuen „zarischen Stadt“ werden. Die bulgarische Geistlichkeit setzte Ioann von Rila im 13. und 14. Jh. in diesen Texten als „Integrationsmedium“ 254 ein, um die Herrschaft der Dynastie in der Hauptstadt zu festigen. Als Zar Kalojan 1203 im Windschatten des gegen Byzanz umgeleiteten vierten Kreuzzuges unter anderem die auf dem Gebiet der heutigen griechischen Provinz Makedonien gelegene Festung Măglen eingenommen hatte,255 ließ er analog die Gebeine Hilarions, der im 12. Jh. als griechisch-byzantinischer Bischof der Festung gewirkt hatte, in seine Hauptstadt Tărnovo überführen.256 Beim Eintreffen der Gebeine vor den Toren wurde auch in diesem Fall in situativer sakraler Öffentlichkeit eine feierliche Prozession inszeniert und die Überführung fortan regelmäßig gefeiert und memoriert. Indem die Reliquien in Zukunft „unter seiner Gewalt“ sein sollten, sollte seine Herrschaft über das neueroberte Gebiet und der Rang Tărnovos als die „herrschende Stadt (carstvuѫštij)“ gefestigt werden, wie die im 13. Jh. entstandene Prologvita Hilarions nahelegt: Der Eroberer „der griechischen Länder, Thrakiens, Makedoniens, Neadiens (Neadja) und Helladiens, (…) wollte die Gebeine des Heiligen in seine Hauptstadt, in die herrschende Stadt Tărnovo überführen, denn sie sollten unter seiner Gewalt sein“.257 Die Überführung des Griechen und seine Vita stehen für den Versuch und festigten zugleich den Rahmen, das erneuerte Zarentum dauerhaft als transethnisch und – mit dem Herrschaftsanspruch über die Franken auch konfessionelle Grenzen überschreitend – zu begründen: „Und es vergingen viele Jahre und Zeit, und es übernahm das herrschende Szepter ein neuer Zar, Ioann Asen, der Sohn des alten Zaren Asen. Und er herrschte als Zar und hatte in seiner Gewalt die Bulgaren und die Griechen und die Franken und die Serben wie auch die Albaner und alle Städte vom Meer zum Meer.“ 258

Auch die Gebeine des Bulgaren Michail Voin, der im 9. Jh. gegen Heiden gekämpft hatte und später angeblich ein Ungeheuer tötete, ließ Zar Kalojan nach der Eroberung von 253 Auch am Ende dieses Textes wurde Ivan von Rila, am göttlichen Thron stehend und „das Licht der einheitlichen Dreifaltigkeit“ sowie den Gesang der Cherubime und der Engel genießend, um Fürsprache bzw. darum gebeten, „deine Verwandten zu retten“. Žitija na sv. Ivana Rilski, S. 55. 254 Podskalsky (1999), S. 428. 255 Polyviannyi (1999), S. 402 – 405. 256 Podskalsky (2000), S. 311; Georgiev (1997), S. 163. 257 Bălgarski starini iz Makedonija, 21931, S. 419 f. Ivan Asen II. errichtete in Tărnovo die Kirche der hl. Vierzig Märtyrer und ordnete an, die Reliquien des Heiligen dort aufzubewahren. Offenbar der Tag dieser zweiten Überführung, der 21. Oktober, ging in den Kirchenkalender ein. An diesem Tag wurde die Translatio regelmäßig gefeiert. Georgiev (1997), S. 164. 258 Bălgarski starini iz Makedonija, 21931, S. 420.

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dessen Geburtsstadt Potuka um 1206 „in die von Gott gerettete Zarenstadt (Carigrad) Trănov [sic]“ überführen.259 Diese Bezeichnung als „Zarenstadt“ stand traditionell und bis ins 19. Jh. nur Konstantinopel zu. Die mimetische Inszenierung der neuen Hauptstadt als ebenbürtig mit der älteren Zarenstadt festigte sich als transimperiale kulturelle Praxis im Rahmen der Kontaktzone. In diesem Kontext wurde die Verehrung des Zaren Petăr gefestigt. So nannte ihn der bulgarische Sinodik von 1211 als Heiligen.260 In den bereits erwähnten „Draganover Minäen“ des 13. Jh. ist ein ihm gewidmetes Offizium enthalten, das in einer zweiten Version aus dem 13. oder 14. Jh. auch in Belgrad vorliegt. Petăr wurde darin als „Zar der Bulgaren von Gottes Gnaden und Beschützer der Gotteshäuser“ bzw. als „Bekräftigung der Kirchen und deiner Stadt Preslav“ und damit nun auch als Schutzheiliger seiner Hauptstadt verehrt.261 Dem in Tărnovo umgesetzten Entwurf der neuen Hauptstadt wurde damit eine in der Vergangenheit legitimiert liegende Vorläuferin geschaffen. Der Zar wurde zum „Erneuerer“ Roms und des Reiches.262 Die weite Verbreitung der Verehrung Ivans spiegelt sich in der bald wachsenden Zahl der Viten und Offizien, die zu seinen Ehren verfasst bzw. gefeiert wurden. In einer serbischen Redaktion aus dem 14. Jh. ist ein Offizium zu Ehren Ioanns erhalten, das nach der Überführung seiner Gebeine nach Tărnovo entstanden war, angeblich schon zur Wende vom 12. ins 13. Jh.263 In dem Text wurde er nachdrücklich zur Stütze des neuen Staates gemacht. Er „festigt die rechtgläubigen Zaren gegen die Feinde“, Ivan von Rila sei „ein unerschütterlicher Pfeiler gegen feindliche Einfälle“. Emphatisch war der Hymnus des sechsten Liedes, in dem er als „Sonne“ und „Siegeskranz unseres Zaren“ bezeichnet wurde.264 In der Ivansvita des letzten Patriarchen von Tărnovo (1375 – 1393) Evtimij, „des bedeutendsten bulgarischen Autors im Mittelalter“,265 wurde noch deutlicher als in den bisherigen Texten dargestellt, wie Zar Petăr sein Reich und seine Legitimation als 259 Bălgarski starini iz Makedonija, 21931, S. 424. Georgiev (1997), S. 166 f.; Podskalsky (2000), S. 61. 260 G. Prinzing, „6. P. (Petăr) I.“, in: LexMA 6, Sp. 1928. 261 „Kommt alle Gläubigen, Petăr den Mönch wollen wir loben, der durch Gott bulgarischer Zar war. Freue Dich fester Stein des Glaubens an Christus, freue dich Petăr, Bekräftigung der ­Kirchen und deiner Stadt Preslav. (…) Heute ehren wir freudig dein seliges Gedächtnis, der du mit Peter, dem gerühmten, gekommen bist. Wir warten, durch dich Gottes Gnade zu erhalten und unserer Sünden Vergebung.“ Ein Versuch einer Rekonstruktion des ältesten Textes: Kožucharov (2004), S. 78 f.; vgl. Bălgarski starini iz Makedonija, 21931, S. 387 – 393. 262 Ausführlich: Biljarski (2004), S. 17 – 42. 263 Georgiev (1997), S. 159. 264 „Freue dich, der du auf den Bergen wie die Sonne strahltest, Freue dich, der du die Einöde und Gärten mit Gesang gefüllt hast, Freue dich, der du die Städte und Dörfer mit Wundern erleuchtet hast, Freue dich, der du alle Länder mit Wohltaten erhellt hast. Freue dich, du feste Begründung unserer Städte, Freue dich, du Siegeskranz unseres Zaren.“ Starobălgarski tekstove 1, S. 276 f.; Georgiev (1997), S. 159. 265 Podskalsky (2000), S. 308.

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christlicher Herrscher im Kontakt mittels Ioanns zu festigen suchte.266 So wurde die Verehrung des Zaren als „ehrwürdiger Selbstherrscher des bulgarischen Szepters“ durch Ioann betont.267 Dieses „bulgarische Szepter“ darf als Schritt hin zu einer abstrakten Vorstellung der staatlichen Herrschaft angesehen werden, in Ansätzen vergleichbar der ungarischen Stephanskrone. Ioanns angebliches Schreiben liest sich als Fürstenbelehrung.268 Auch die Überführung der Gebeine Ioanns von Rila durch Ioann Asenaus Serdika nach Tărnovo wurde in der Vita verändert dargestellt. So war nicht schlicht die Rede von der „bulgarischen Macht (vlasť)“, sondern vom „bulgarischen Reich“. Als er in Serdika vom Ruhm Ivans hörte, hielt er Rat. „Zur größeren Ehre und Festigung seines Zarenums“ entschloss er sich, „die Reliquien des Seligen Vaters in seine sehr gerühmte (preslavnyj) Stadt Tărnovo zu überführen“. Im Text wurde darauf ein angebliches ­Schreiben des Zaren an Vasilij, den Patriarchen „der großen Stadt Tărnovo“, wiedergegeben: „Dem hochverehrten göttlichen Erzpriester (archierei) Herrn (kir) Vasilij und dem geistlichen Vater unseres mächtigen Zarentums (dr”žavnago carstva). Gemäß dem göttlichen Willen bin ich in diesen Bezirk der Stadt Serdika gelangt, um die verehrten Gebeine des seligen Vaters Ivan, des Bewohners der Rilaer Wüste, zu erhalten, durch Wunder und Heilungen erfüllt, ich glaubte vor Freude wie in der Luft zu schweben, denn mit großem Ruhm ist dieses ganze Land erfüllt, und [die Gebeine, S. R.] tun wunderbare und überaus ruhmvolle Heilungen, und nicht nur hier, sondern auch im ganzen ungarischen Reich schallen sie (oglasišja). Daher beurteile den Gedanken unseres mächtigen Zarentums, dass deine Heiligkeit mit dem ganzen kirchlichen Klerus und mit großer Ehre hierher komme, und diese ehrwürdigen Reliquien des seligen Vaters mitbringe, in unsere ruhmreiche zarische Stadt, zur Verehrung der Kirche als Ganzes und zur Festigung unseres ehrwürdigen Zarentums.“ 269

Gemäß den erhaltenen Quellen war es damit erst Evtimij, der die Rolle Ivans in diesen dem Zaren in den Mund gelegten Worten unumwunden und eindrücklich als Mittel zur Festigung des Zarentums als herrschaftliche, religiöse und soziale Einheit bestimmte. Spätestens mit dieser Fassung der Vita war Ivan als Stütze der Herrschaft eine zen­ trale staatstragende Funktion in einem vorgeblich exklusiv bulgarischen Zusammenhang zugeschrieben.

266 In den Text fanden zwei – gekürzte oder fingierte – untereinander ausgetauschte Schreiben der beiden Eingang. Zar Petăr, der vom anachoretischen Leben Ivans gehört hatte, bat diesen um eine Begegnung: „nicht wenig Nutzen wird mir aus deinem Anblick erwachsen (…) Da ich diesen Segen entbehre, ich unglücklicher, wegen meiner zahlreichen Sünden, bitte ich und falle vor deine Heiligkeit, damit du uns gewissen Trost sendest und die Hitze der Trauer abkühlst, denn wisse, wisse deine Heiligkeit, dass der Weltensturm groß ist, und Sturmwolken haben sich daran gewöhnt, das Herz des Zarentums aufzuwühlen.“ Žitija na sv. Ivana Rilski, S. 68. 267 Der Erwiderung Ivans wurde folgende Anrede vorangestellt: „dem ehrwürdigen Selbstherrscher des bulgarischen Szepters (skiptra) dem Zaren Petăr, vom armen Ivan“. Žitija na sv. Ivana ­Rilski, S. 68. 268 „Also, möchtest du mit dem irdischen auch das himmlische Reich erben, sei großzügig, wie unser göttlicher Vater großzügig ist.“ Žitija na sv. Ivana Rilski, S. 69. 269 Žitija na sv. Ivana Rilski, S. 71.

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B 3.3  Die Überführung der hl. Petka nach Tărnovo

Die unauflösliche Verflechtung bulgarischer und byzantinischer Zusammenhänge zeigt sich auch in der Verehrung der hl. Petka: Nach dem Muster Ioanns und der anderen Heiligen wurden zwischen 1204 und 1234 auch die Gebeine der hl. Petka nach Tărnovo überführt. Paraskeva aus Epibatai bei Konstantinopel lebte um die Jahrtausendwende. Zwei griechische Viten bezeugen ihre Verehrung bereits vor dem 12. Jh.270 Laut der ersten bulgarischen Prologvita sowie der ausführlichen Vita des Patriarchen Evtimij, die 1376/1382 entstand, wünschte sich der militärisch erfolgreiche Ioann Asen II. ihre Gebeine als Tribut anstatt Geld von den fränkischen Besatzern Konstantinopels: Evtimij schilderte ausführlich die Überführung in die bulgarische Hauptstadt unter Teilnahme der ganzen Zarenfamilie. Auch diese einmalige, situativ inszenierte sakrale Öffentlichkeit der Prozession in die Stadt wurde zur memorierten Grundlage der Gegenwart der Heiligen in Tărnovo und neuer, ihnen dort zugeschriebener wunderbarer Heilungen.271 Es galt, das sakrale Kapital der eigenen Hauptstadt und Herrschaft auf Kosten von Byzanz, aber nach dessen Vorbild zu mehren. Ihre Verlagerung nach Tărnovo sollte wie die übrigen Heiligen in Tărnovo die Herrschaft der zu neuer Macht gelangten Dynastie in der Hauptstadt nach byzantinischem Muster festigen. Insbesondere die Überführung dieser griechisch-byzantinischen Heiligen ohne jeden vorherigen Bezug zu einem bulgarischen Kontext bezeugt aber den umfassenden Anspruch, der mit dem Ansinnen der Aseniden verbunden war, die Herrscherrolle über die Oikumene, die bisher Konstantinopel zugekommen war, zu übernehmen. Der Anspruch war weniger, ein bulgarisches Reich neben Byzanz zu errichten, als ein neues, übergreifendes und allumfassendes Zarentum an der Stelle des untergegangenen byzantinischen zu festigen – nach dem Vorbild etwa der Exilreiche in Trapezunt und Epirus. Ioann Asen II. nannte sich mit transethnischem Herrschaftsanspruch – ähnlich wie später Stefan Dušan – „Zar der Bulgaren und Griechen“ 272. Auch Petka/Paraskeva ist nur eine weitere unter zahlreichen Heiligen, die mit dem Schutz der Hauptstadt beauftragt wurden: Die Apostel Peter und Paul wurden gleichfalls zu Beschützern Tărnovos.273 Insgesamt sind etwa 45 Kirchen und zahlreiche Reliquien bekannt, die in Tărnovo eingerichtet bzw. aufbewahrt wurden – die Stadt sollte als neuer bzw. erneuerter Sitz des Zaren und des bulgarischen Patriarchats „in einem in Bulgarien bislang unbekannten Ausmaße“ als „Zentrum des Reliquienkults“ inszeniert werden. Unter Anrufung bzw. im regelmäßig wiederholten Erinnern an die hier durch ihre Gebeine versammelten Heiligen sollte die Stadt als „neues Jerusalem, Rom

270 Podskalsky (2000), S. 313. Ausführlich: Biljarski (2004), S. 50 – 105. 271 Werke des Patriarchen von Bulgarien Euthymius, S. 65; Bălgarski starini iz Makedonija, 21931, S. 424, S. 432; Stara bălgarska literatura 2, S. 190, S. 198; Podskalsky (2000), S. 314 f. 272 Podskalsky (2000), S. 75 – 79. 273 Polyviannyi (1999), S. 402 – 405.

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und Konstantinopel“ 274 diese Städte neu verkörpern.275 Als ernsthaftem Gegenentwurf zur byzantinischen Herrschaft sollte ihm möglichst dauerhaft maximales symbolisches und politisches bzw. sakrales Kapital zukommen. Dieses Prestige diente im Wechsel der Intensität der Kontakte zeitweise der Förderung der Union mit Rom, dann aber nur der Inszenierung Bulgariens in der Nachfolge von Byzanz. In einer im 14. Jh. entstandenen Služba zu Ehren Petkas, die in den in Skopje verfassten Draganover Minäen von 1420 enthalten ist, wurden die Wunderwirkung ihrer Gebeine und die Pilgerfahrt in die „herrschende Stadt“ beschrieben und damit sowohl dokumentiert als auch gefördert – von Bulgaren oder Bulgarien war aber keine Rede.276 Evtimij trieb in seiner jüngeren Vita der Heiligen seinerseits die Verehrung Petkas nach Kräften voran, beschrieb nun aber keine Einheit von Griechen und Bulgaren mehr, sondern bulgarisierte die Erinnerungsfigur: „Du bist die Schönheit, Fürsprecherin und Beschützerin der Bulgaren, mit dir rühmen sich unsere Zaren, durch deine Fürsprache widerstehen wir allen, die gegen uns kämpfen, mit dir bekräftigt sich unsere Stadt und erlangt den hellen Sieg“.277 Sowohl das Volk „der Bulgaren“ als auch die Herrscher und die Hauptstadt wurden mit dem Medium der „Mutter“ und der Braut Christi 278 als siegreiche Einheit imaginiert und gefestigt. Die griechische Petka wird trotz ihres in keiner Weise mit Bulgarien verbundenen irdischen Lebenslaufs auch in der Einschätzung der modernen internationalen Forschung als „zweite bulgarische Nationalheilige“ (­Podskalsky) neben Ivan von Rila angesehen.279 Angebrachter ist ihre Deutung als Ergebnis der in der Kontaktzone charakteristischen (trans)kulturellen Praxis der Überführung und Aneignung ethnisch fremder Heiliger, durch die sie zur zweitwichtigsten Stütze der bulgarischen Herrschaft in Tărnovo wurde. In einer vor 1344 erstellten bulgarischen Übersetzung der byzantinischen Chronik des Manasses erreichte die Beschreibung der bulgarischen Herrschaft nach dem (ost) römischen Vorbild ihren Höhepunkt: Anstatt des byzantinischen Kaisers Manuel I. Komnenos wurde „der bulgarische Zar Asen, genannt Alexander (…), Zar der Bulgaren“, als Herrscher über „unsere neue Zarenstadt“ beschrieben, im Gegensatz zum „alten Rom“. Im griechischen Text wurde damit Konstantinopel als neues Rom beschrieben. Die übliche Lesart liegt nahe, die Beschreibung auf Tărnovo, die tatsächliche Residenz Asens, bezogen zu deuten.280 Allerdings geht die Mimesis so weit, dass der Name Tărnovo nicht genannt wird: Die Passage bezieht sich letztlich im inhaltlichen Kontext sowohl der griechischen Chronik wie auch ihrer bulgarischen Übersetzung auf Konstantinopel. 274 Mit Verweisen auf die auch zu diesem Thema reiche Literatur: Podskalsky (2000), S. 74 f. Zum archäologischen Forschungsstand: Neševa (2000). 275 Kantorowicz (71997), S. 83. Zum Hof im hauptstädtischen Tărnovo nach dem Vorbild von Konstantinopel: Gjuzelev (1994). 276 Podskalsky (2000), S. 313; Bălgarski starini iz Makedonija, 21931, S. 426 f. 277 Werke des Patriarchen von Bulgarien Euthymius, S. 74. 278 Werke des Patriarchen von Bulgarien Euthymius, S. 72 f. 279 Podskalsky (2000), S. 313. 280 Tăpkova-Zaimova (1985), S. 258; vgl. Stara bălgarska literatura 3, S. 279 f.; vgl. Schaeder (1957), S. 19.

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Jedenfalls blieb in der Übersetzung der Chronik der bulgarische Herrschaftsanspruch transimperial und transethnisch (bulgarisch-griechisch) als Ersatz der Herrschaft der Kaiser des rhomäischen Vielvölkerreiches entworfen.281 Mit dem schrittweisen Sieg der Osmanen legte sich ein neuer Herrschaftszusammenhang über die bereits bestehende Kontaktzone, die damit weiter an Komplexität gewann und spätestens nun zu einer ,multiplen Kontaktzone‘ wurde: 1393 fiel Tărnovo an die Osmanen, das Patriarchat wurde vor 1410 „zur einfachen, griechischen Metropolie“ herabgestuft.282 Die Funktion von Petka blieb aber auch nach der Eroberung Tărnovos durch die Osmanen 1393 der Schutz von Städten – so wurden ihre Gebeine 1393 nach Vidin und 1396 gemäß dem Wunsch der Fürstin Milica nach Belgrad überführt.283 Der möglicherweise aus einem byzantinischen Geschlecht stammende Grigorij Camblak, der in Tărnovo dem Patriarchen Evtimij nahestand, dann Igumen des Klosters im serbischen Dečani und später Kiewer Metropolit wurde,284 beschrieb, wie sich die serbischen Herrscher die Gebeine von den Türken erbaten.285 Im Rahmen der gemeinsamen orthodoxen Religion wurde die Rühmung des mit einem ethnischen Adjektiv gekennzeichneten Herrschaftsverbandes ausgetauscht: „Es nimmt der Herr den bulgarischen Ruhm von ihr, und gibt ihr den serbischen, denn jener [der bulgarische, S. R.] bleibt in keinem Fall! So war die Überführung der lobenswerten Mutter, denn Gott macht dies gemäß der Vorsehung, damit sich auch die westlichen [Länder, S. R.] durch ihren Lauf aufklären und sich zum Besseren wenden.“ 286

Als Belgrad 1521 seinerseits osmanisch wurde, gelangten die Reliquien nach Konstantinopel und 1641 nach Iaşi.287 Mit dem Fall Tărnovos veränderte sich damit auch das Gedenken an die mit der Hauptstadt aufs Engste verbundenen Heiligen. Petka gehört wie Ivan zu jenen, an die weiterhin erinnert wurde. Schon 1536 und 1547 wurde die Vita Petkas von Evtimij in Venedig gedruckt. Die serbische Branković-Chronik erwähnt die Überführung ihrer Gebeine in einem Atemzug mit derjenigen der Reliquien Ioanns von Rila durch Zar Ioann Asen II.288 Auch die Überführung aus Belgrad nach Konstantinopel wurde knapp notiert.289 281 Die vatikanische Handschrift der Manasses-Chronik illustriert das Herrschaftsbild mit einer Illumination und der Legende: „Johann Alexander durch Christi des Herrn Erbarmen rechtgläubiger Zar und Selbstherrscher über alle Bulgaren und Griechen“. Zit. gemäß Schaeder (1957), S. 20. 282 Podskalsky (2000), S. 84. 283 Podskalsky (2000), S. 313; Georgiev (1997), S. 170; ausführlich: Popović (2006), S. 286 – 292. 284 Podskalsky (2000), S. 198 f.; Podskalsky (1994), S. 33. 285 Bălgarski starini iz Makedonija, 21931, S. 434 f. 286 Bălgarski starini iz Makedonija, 21931, S. 436; Stara bălgarska literatura 4, S. 382. 287 Podskalsky (2000), S. 313. 288 Brankovićev letopis/Die Branković Chronik, S. 38. 289 Brankovićev letopis/Die Branković Chronik, S. 59 f.

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Petkas war zwar insbesondere als Schutzheiliger der bulgarischen Hauptstadt und Herrschaft gedacht worden, ihre Verehrung weitete sich aber aufgrund ihrer dort ­geleisteten Heilungen und ihrer Überführungen nach Belgrad und in die Moldau „auf der ganzen Balkanhalbinsel“ aus.290 Die im Rahmen der Kontaktzone längst bekannte kulturelle Praxis der Translation von Gebeinen aus einem Herrschaftsbereich in einen anderen wurde unter neuen Vorzeichen fortgesetzt. Auch die mehrfachen späteren Über­führungen machten sie erneut zu einer transethnischen Heiligen, die aus dem bulgarischen Zusammen­hang gelöst verehrt wurde. So war sie etwa auch im ausgehenden 18. Jh. im Kloster Fenek im ungarländischen Syrmien als „unsere Mutter“ verehrt.291 Ikonen und Fresken der hl. Petka von Tărnovo sind in der Mitte des 17. Jh. in einem Fall in Kastoria im heutigen Nordgriechenland sowie in Bulgarien zahlreich belegt. Auf einigen hält sie allerdings ein Kreuz in der rechten Hand, wie auf der besonders prächtigen in Peć, die 1728 durch einen Würdenträger namens Stojan aus Skopje gestiftet wurde (Abb. 7) – ein Zeichen für die Überlagerung mit der Verehrung einer Heiligen gleichen Namens, die unter Diokletian in Ikonien den Märtyrertod gefunden hatte.292 Eine dritte Paraskeva, von lat. Venera oder Veneranda, starb unter Antonius, ihre Gebeine wurden nach Konstantinopel überführt. Ihr Kult überlagerte sich zum einen mit dem der Venus – venerdì –, zum anderen mit dem der beiden Petkas, die gleichfalls „Freitags­ heilige“ waren. Der Venerandakult wurde in Albanien möglicherweise gefördert, um die Attraktivität der Freitagsmesse gegenüber dem moslemischen Freitagsgebet zu stärken. Auf dem heutigen albanischen Gebiet waren in der Neuzeit zahlreiche katholische und orthodoxe Petkakirchen belegt. Zu einer Venerandakirche im Kurbintal zogen offenbar im 19. Jh. sowohl Christen wie Moslems.293 Das Beispiel der Verehrung Petkas weist somit wegen ihrer ausgeprägten Rolle als Heilerin über das Beispiel des Austausches bulgarischer durch serbische herrschaftliche Instrumentalisierung oder montenegrinische klösterliche Funktionalisierung im postbyzantinischen, osmanischen Zusammenhang hinaus: Die mehrfachen Überführungen ihrer Gebeine förderten ihren Kult auf der ganzen Balkanhalbinsel und festigten sie als transethnische Heilige. Die unterschiedlichen Petkakulte vermischten sich zu einem nicht mehr auf das Christentum beschränkten, transreligiösen Feld. B 3.4  Ioann von Rila nach dem Fall Tărnovos

Während Petka in den serbischen Herrschaftskontext übertragen wurde und ihre über­regionale Verehrung nicht abließ, wurde Ivan zum Medium heils- sowie

290 Zitat von: Bălgarski starini iz Makedonija, 21931, S. 424; Valtchinova (2000), S. 105 – 110; Biljarski (2004), S. 98 – 102; vgl. Kałužniacki (1899). 291 Stari srpski zapisi i natpisi 5, Nr. 8473, S. 190. 292 Vasiliev (1987), S. 103 f. 293 Handbuch zur albanischen Volkskultur, S. 218 f.

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reichs­geschichtlicher Geschichtsbilder und zurück ins Gebirge, nach Rila, überführt: Zwischen 1469 und 1479 verfasste Dimitrij Kantakuzin eine weitere Vita Ivans, mög­ licherweise zunächst in griechischer Sprache.294 Kantakuzin erweiterte die Vita um eine „traurige Erzählung“ 295 und gab ihr damit die Funktion, die nur fragmentarische und schwach ausgeprägte bulgarische Chronistik zu substituieren. Die angefügten Passagen berichten über die osmanische Besatzung, die als göttliche Strafe für die Kämpfe unter den ­Christen und damit „zwischen dem griechischen und dem bulgarischen Volk und teilweise auch der Serben, die damals die Schwächsten waren und diesen unterstanden“.296 Die osmanische Herrschaft wurde bereits im Zusammenhang mit der bisherigen, orthodoxen Herrschaft transreligiös beschrieben: Sultan Mehmed II. war „derjenige, der jetzt über uns herrscht, groß und selbstherrschaftlich, und allen, die zuvor herrschten, an Kraft und Ruhm und Größe des Zarenreiches voran“. Der Beschreibung der Neugründung des Klosters Rila nach 1350 durch drei „gebürtige Bulgaren“ aus Velbužd – aus dieser Zeit ist eine prächtige Ikone Ioanns erhalten (Abb. 6) – folgte die Darstellung der Über­führung der Gebeine Ivans unter seiner Herrschaft sowie unter der schützenden Hand von Mara Branković, der Witwe Sultan Murads II. und Tochter des serbischen Despoten Đurađ Branković, aus Tărnovo nach Rila 1469.297 Die Wiederherstellung des ­Klosters im 14. Jh. war dabei mit serbischen Bezügen zu dem Kloster verbunden gewesen: Bereits 1335 hatte der serbische Großdomestikos Hreljo einen noch heute stehenden Wehrturm errichtet, 1342/3 wurde der inzwischen von Stefan Dušan Abgesetzte in dem Kloster durch Stefans Leute ermordet.298 Ein zur Wende ins 16. Jh.299 erstellter Anhang zur ersten, bereits genannten Prolog­vita beschreibt gleichfalls die Wiederherstellung des Klosters. Blutvergießen ­zwischen Bulgaren und Griechen, „die alle beide Christen sind“,300 strafte Gott mit der osmanischen Eroberung und Verwüstung Bulgariens. Auch die Kirche des hl. Ivan in der Hauptstadt wurde zerstört, „und der Körper des Heiligen liegt einfach irgendwo in Tărnovo in großer Vernachlässigung“. Erstaunlicherweise wurde weder das Zarentum genannt, noch sein Zerfall ausdrücklich beklagt: Das Thema der Klage waren das Schwinden und die Erneuerung der Ehrung des Heiligen. So nahmen drei Brüder den Mönchsstatus an, die „auf den Rilaer Berg zogen und die verwüstete Kirche des Heiligen erneuerten“. Die Erneuerung und Überführung aus Tărnovo wurde als „eine Sache der göttlichen Vorsehung“ geschildert, begleitet von „nicht geringen Wundern“. Diese ließen auch später nicht ab: „Und noch bis zum heutigen Tag liegt der wundertätige Körper des Seligen hier, und die unentgeltliche Heilung strömt wie eine stetig fließende Quelle. (…) Bitte den allergnädigsten Herrn,

294 295 296 297 298 299 300

Podskalsky (2000), S. 349. Žitija na sv. Ivana Rilski, S. 95. Žitija na sv. Ivana Rilski, S. 95. Žitija na sv. Ivana Rilski, S. 98 f.; Podskalsky (2000), S. 107 f., S. 351; Popović (2010), S. 151. Podskalsky (2000), S. 107. Žitija na sv. Ivana Rilski, Einleitung, S. 13, S. 55. Žitija na sv. Ivana Rilski, Einleitung, S. 55.

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deine Stammesgenossen zu retten, denn einig ist das Volk, die Bulgaren und die Serben, und hilf unseren herrschaftlichen Herren, und unterwerfe ihnen alle ihre gegnerischen Feinde unter ihre Füße. Hüte den unbefleckten Glauben, festige unsere Städte und befriede die ganze Welt“.301

In der gesamten „Zugabe“ blieb der untergegangene bulgarische Staat ausgeklammert. Möglicherweise wurde an dieser Stelle auch der Serben gedacht, weil serbische Mönche bei der Wiederherstellung des Klosters geholfen hatten.302 Mit der Nennung der Serben und der Bitte um Hilfe für „unsere Herrschaftsträger“ kann damit auch die Hoffnung auch der Bulgaren auf serbische Despoten wie die Branković zum Ausdruck gebracht worden sein, wenn nicht der Sultan gemeint war. Gleichzeitig stellte aber die Erneuerung des Klosters ohne Unterstützung eines namentlich genannten (orthodoxen) Herrschers ein Novum dar – es galt nun, trotz des Untergangs des Reiches eine christliche Existenz neu zu entwerfen. Ioann, der bisher als Herrschaftsstütze hergehalten hatte, sollte diese Herrschaft durch seine intensivierte Wundertätigkeit gewissermaßen substituieren. Er wurde zur einzigen Hoffnung stilisiert und aus dem bisher entscheidenden Herrschaftszusammenhang gelöst. Mit dem Untergang der erst im 14. Jh. bulgarisierten Herrschaft von Tărnovo schwand auch die erst damals erfolgte bulgarisierte Deutung Ioanns – und wurde im Rahmen einer multiplen Kontaktzone unter osmanischer Obhut durch eine Annäherung an die Reste serbischer Herrschaft ersetzt. Seine Rolle als Herrschaftsstütze trat hinter die des transethnischen populären Heilers von Krankheiten zurück. Auch jüngere Varianten der genannten ersten Prologvita standen ganz im Kontext der veränderten herrschaftspolitischen Umstände bzw. des Wegfalls des bulgarischen ­Reiches: So hieß es in mehreren Abschriften des 15. Jh. und in einer weiteren von 1602, es sei „das bulgarische Volk von einem Stamm“ und Ivan sollte es vor „Angriffen Andersstämmiger“ schützen und dem Zaren in seinem Kampf gegen seine „Feinde“ helfen.303 In anderen frühneuzeitlichen Abschriften der Prologvita steht statt „das bulgarische Volk ist von einem Stamm“ „die Bulgaren und die Serben sind von einem Stamm“, und in einer Kiewer Ausgabe von 1671 hieß es: „denn das rechtgläubigchristliche Volk ist von einem Stamm“.304 Alle Fassungen zeigen, wie wenig ethnische Konzepte gegenüber konfessionellen für die Verehrung Ivans auch in der frühen Neuzeit entscheidend waren. Ein Heiliger konnte von Angehörigen anderer erinnerter Herrschaftsverbände oder geistlicher Führungsgruppen ohne Schwierigkeiten angeeignet und in ihren religiösen Diskurs eingeschrieben werden.

301 Žitija na sv. Ivana Rilski, S. 56 f. 302 Podskalsky (2000), S. 291. 303 „Bitte den allmächtigen Herrn, deine Verwandten zu retten, denn die bulgarische Zunge ist von einem Stamm (edinorodnyj ti jazyk’ bl’’garsky), und hilf unserem mächtigen Zaren, und unterwerfe alle seine gegnerischen Feinde unter seinen Fuß, behüte den reinen Glauben, festige unsere Städte, befriede die ganze Welt, befreie uns von Hunger und Unheil und schütze uns vor Angriffen Andersstämmiger“. Žitija na sv. Ivana Rilski, S. 55. 304 Žitija na sv. Ivana Rilski, S. 55.

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B 3.5  Indienstnahmen ,bulgarischer‘ Heiliger nach dem Fall Tărnovos – das Beispiel Cetinje

Für beinahe alle in diesem Kapitel genannten, mit Tărnovo verbundenen Heiligen kann am Beispiel des Klosters Cetinje die Übertragung ihrer Verehrung bzw. der ihrer gedenkenden Texte in einen weit entfernten, aber konfessionell zugehörigen Raum aufgezeigt werden: 1484 durch den ersten Fürsten Montenegros Ivan Crnojević gegründet, wurde es zum Sitz des Bischofs der Zeta, die sich nach 1493 „Vladika“ bzw. Bischof „Montenegros und des Küstenlandes“ nannten. Das Kloster nahm damit im lokalen Maßstab zentralörtliche Funktionen ein.305 Ein Heiligenverzeichnis aus dem 14. Jh. in serbischer Redaktion nennt Petka/Paraskeva sowie Ivan, schrieb aber bei Ivan wie andere Abschriften serbischer Herkunft nicht „deine verwandte, bulgarische Zunge“, sondern „rette deine Verwandten, deine verwandte Zunge, die Bulgaren nämlich und die Serben, und hilf unserem staatsherrschaftlichen (dr’žavnomu) Zaren“.306 Zudem ist eine in den orthographischen Traditionen von Tărnovo geschriebene Handschrift hervorzuheben, die an moldawische kalligraphische Traditionen erinnert und zu Ende des 16. Jh. entstanden war. Neun verlorene Blätter am Anfang dieses Heiligenverzeichnisses für die Wintermonate wurden später in serbischer Redaktion ergänzt 307 –, offenbar um den Text wieder für den Gebrauch herzustellen. Der Text gedenkt der hl. Petka/Paraskeva , Ivans von Rila („unser Vater Ivan“), aber auch des hl. Hilarions und sowie des Michail Voin – alles Heilige, deren Gebeine in Tărnovo verehrt worden waren.308 Aber auch in zwei serbischen Handschriften der zweiten Hälfte des 16. Jh. wurde „unserer Mutter Petka Paraskeva“ und Ivans von Rila gedacht.309 In einer Heiligenminäe des beginnenden 17. Jh. in serbischer Redaktion wurde in den Sätzen über Petka/Paraskeva an Stellen, wo in bulgarischen Texten Tărnovo genannt worden war, „das serbische Land“ gesetzt.310 Damit ist auch in Montenegro im Rahmen der ,multiplen Kontaktzone‘ eine Überlagerung bulgarischer Erinnerungsfiguren mit serbischen religiösen und herrschaftlichen Diskursen festzustellen. Möglicherweise knüpften die Mönche dabei an die Erinnerung an die Herrschaft Jovan Vladimirs an, der im 10. Jh. über die Region unter bulgarischer Obhut geherrscht hatte. Jedenfalls schienen sie aber das sakrale Kapital des vergleichsweise jungen Klosters Cetinje mit der Verehrung der Heiligen von Tărnovo als Teil des serbischen Landes erhöhen zu wollen.

305 306 307 308 309 310

Ivanova (1985), S. 47. Ivanova (1985), S. 55 f. Ivanova (1985), S. 52. Ivanova (1985), S. 52 f. Ivanova (1985), S. 53 f. Ivanova (1985), S. 55.

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Auch die serbische Branković-Chronik erwähnt die Überführung der Gebeine Ioanns unter Ioann Asen II. knapp.311 Auch die Überführung der Gebeine Ivans aus Tărnovo nach Rila wurde unter dem Jahr 1469 kurz genannt.312 B 3.6  Ioann von Rila im serbischen und ,illyrischen‘ Zusammenhang im 17. und 18. Jh.

Ioanns Volksvita ist in zwei Handschriften des Rila-Klosters aus dem 15. Jh. und um 1600 überliefert.313 Auch die Vita von Skylitzes ist in bulgarischen Handschriften aus dem 15. Jh. im Rila-Kloster, in Sofia, sowie im Dreifaltigkeitskloster in Etropol östlich Sofias und auch im russischen Volokolamsker Kloster erhalten. Zudem liegt eine weitere Handschrift aus Rila von 1602 vor.314 Seine erste Prologvita liegt heute in einer bulgarischen sowie in einer serbischen Fassung vor, die beide aus dem 14. Jh. stammen. Die Verbreitung der Vita bezeugt eine geographisch weite und bulgarische wie auch serbische Verehrung des Asketen: Von den sieben in der Edition Ivanovs weiter genannten Abschriften befanden sich in der Zwischenkriegszeit zwei im Rila-Kloster, eine in Sofia, eine weitere in Ohrid in der Kirche der hl. Gottesmutter und des hl. ­Kliment, eine andere im Zograf-Kloster sowie je eine im serbischen Kloster Ravanica und im Kloster Krušedol auf der ungarländischen Fruška-gora.315 Während in Bulgarien nach dem Vorbild Konstantinopels versucht wurde, die Herrschaft der Zaren in der Hauptstadt mit Heiligen zu sichern, wurde im serbischen Zusammenhang – mangels bzw. angesichts des mehrmaligen Scheiterns der Etablierung einer festen Hauptstadt 316 – „zentrifugal“ 317 in mehreren Klöstern die Dynastie Gegenstand der religiösen Verehrung. Mit dem Zusammenbruch der Herrschaft wurde rasch an der bestehenden serbischen Herrschaft angeknüpft, wie im Falle der Petka, oder aber – mit einer Wartezeit von einem Jahrhundert – auf die inzwischen vergessene Klosterruine in Rila zurückgegriffen und diese als Grablege erneuert. Tărnovo selbst wurde nur noch als Metropolie oder als „heilige Metropolie“ beschrieben.318

311 „Tunc et reliqiuas S. Joannis Rilski accepit et transtulit in urbem suam Ternovam.“ Brankovićev letopis/Die Branković Chronik, S. 38. 312 „Hoc anno Irrlijani attulere corpus sancti Joannis ex Ternova ad monasterium Rilski.“ Brankovićev letopis/Die Branković Chronik, S. 56. 313 Erst nach 1756 folgen fünf weitere bulgarische Handschriften. Žitija na sv. Ivana Rilski, Einleitung, S. 4 f. 314 Žitija na sv. Ivana Rilski, S. 36 f. 315 Der Text wurde bereits 1642 erstmals in Moskau gedruckt. Žitija na sv. Ivana Rilski, Einleitung, S. 11 f.; Podskalsky (2000), S. 290. 316 Ćirković (1994), S. 80 – 85. 317 Trifonova (2002). 318 Stari srpski zapisi i natpisi 3, Nr. 5642 (1611), S. 165.

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Für beide hagiographischen Gruppen, denen Kliment und Ivan zugeordnet ­werden, wird der starke Anteil byzantinischer Autoren hervorgehoben, der die Entstehung einer „nationalkirchlichen“ bulgarischen Erinnerungskultur sowie eine kontinuierliche bulgarische „Reichsideologie“ im Spätmittelalter 319 – und damit auch in der frühen Neuzeit – im Gegensatz zum serbischen Kontext hemmte. Deuten wir den Vorgang im regionalen Kontext kultureller Praktiken der Übersetzung, die nicht mit einzelnen ethnischen Etiketten charakterisierbar sind, können wir von der dieser Analyse immer noch zugrundeliegenden, wenngleich nicht vorgefundenen, Vorstellung einer homo­ genen bulgarischen Kultur absehen. Allerdings war der Herrschaftsentwurf der Zaren von Tărnovo wie gezeigt erst in der zweiten Hälfte des 14. Jh. und namentlich in den Schriften von Evtimij primär bulgarisch zu nennen, während vorher von einem nicht primär bulgarischen, sondern eher von einem rhomäisch-griechisch-byzantinisch-bulgarischen Herrschaftskonzept zu sprechen wäre. Unter der slavischen Geistlichkeit blieb Ivan in seinem Kloster im 15. und 16. Jh. verehrt, wie Stiftungswidmungen und Notizen von Abschreibern in Handschriften bulgarischer, aber auch häufig serbischer Redaktion 320 belegen. Das stauropigiale Kloster unterlag, so wird angenommen, wechselnd Ohrid, Tărnovo und Peć, bis es die Osmanen um 1463 unter das Ohrider Erzbistum stellten. Von 1557 an unterstand es dann dem wiederhergestellten Patriarchat von Peć.321 Im 16. und 17. Jh. überwiegen deshalb Handschriften serbischer Redaktion.322 In seiner langen „Slavenoserbischen Chronik“ nannte Đorđe Branković Ioann nur kurz im Zusammenhang mit seiner Überführung aus Tărnovo nach Rila.323 Die Zugehörigkeit Rilas zum Patriarchat von Peć war aber nicht stabil: Da sich die serbischen Patriarchen als schwache Beschützer des Klosters vor den türkischen Amtsleuten erwiesen, richtete sich das Kloster mehrfach an den Patriarchen in Konstantinopel. 1721 erwirkte dieser einen Ferman zugunsten des Klosters.324 Als Beispiel einer bewussten Verehrungshandlung eines hohen Kirchenfürsten darf der mit einer Notiz belegte

319 Podskalsky (1999), S. 419 f., S. 423. Selbst für die beiden als heilig verehrten Herrscher Khan Boris sowie Zar Petăr liegen keine Viten vor, möglicherweise gingen sie verloren. Podskalsky (1999), S. 422; Kämpfer (1994), S. 425 – 427. Ivan von Rila wird aufgrund der spätmittelalter­ lichen Viten „Volksnähe und Beliebtheit“ zugeschrieben, seine „Funktionalisierung als Reichsheiliger“ in der Hauptstadt Tărnovo blieb aber nur eine „zeitweilige“. Podskalsky (1999), S. 427. Zu Ivan um 1204: Eastmond (2003), S. 745. 320 Ljubomir Stojanović nahm diese Einträge in seine Sammlung serbischer Inschriften auf – offenbar, weil die Sprache in seinen Augen der serbischen Redaktion des Kirchenslavischen näher war als der bulgarischen. Stari srpski zapisi i natpisi 1, Nr. 735 (1577), S. 224; Stari srpski zapisi i natpisi 3, Nr. 5574 (1478), S. 146 f.; Nr. 5578 – 5584 (1483 – 1503), S. 147 – 149. 321 Kamburova-Radkova (1972), S. 27; Slijepčević (1962), Bd. 1, S. 334 – 337. 322 Kamburova-Radkova (1972), S. 46. 323 Đorđe Branković. Hronike slavenosrpske, Bd. 2, S. 271. 324 Kamburova-Radkova (1972), S. 35.

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Besuch des Metropoliten von Skopje 1706 in Rila „zur Verehrung des heiligen Vaters von Rila“ gelten.325 Offenbar um seinen Herrschaftsanspruch zu bekräftigen, suchte 1725 „Arsenije von Peć“ die Einöde auf: „Ich ging in das Kloster von Rila zur Verneigung vor dem heiligen Vater und Wüstenbewohner Ioann von Rila“.326 Arsenijes Verehrung Ivans ist in den Zusammenhang der seitens der Patriarchen von Peć schon seit jeher erhobenen transethnischen konfessionellen Herrschaftsansprüche auch über Bulgarien zu stellen. Arsenije, damals Metropolit von Raška und Gehilfe sowie vorläufiger Erbe von Mojsije, des Erzbischofs von Peć, erneuerte wie dieser 327 den Anspruch nicht nur auf den Titel des serbischen, sondern des „serbischen und bulgarischen Patriarchen“ für sich.328 1735 suchte er als Arsenije IV. „das heilige und hochgeehrte Kloster Rila zum zweiten Mal“ auf, um „unseren Vater“ Ivan von Rila zu ehren. „Mit eigener Hand“ unterschrieb er als „Erzbischof von Peć und aller Serboslaven, Bulgaren und des ganzen Illyricums Patriarch“ und bekräftigte so mittels Ivans seinen kirchlichen Herrschaftsanspruch über das riesige Gebiet.329 Dennoch erließ Sultan Mahmud I. 1739 einen Schutzferman, in dem er das Rila-Kloster unter der Jurisdiktion des Patriarchen von Konstantinopel beschrieb. 1742 setzte sich aber erneut das Patriarchat von Peć für das Kloster ein, unter dessen Obhut es bis 1766 blieb.330 Der eindrückliche Freskenzyklus zur Vita Ivans in der ihm geweihten Kapelle des serbischen Klosters Hilandar auf dem Berg Athos aus dem Jahr 1757 ist in diesen Zusammenhang einzuordnen. Bezeichnenderweise ist dieser Zyklus das älteste Zeugnis einer Verehrung Ivans in Fresken der osmanischen Zeit.331 Der ­Stifter, der Kaufmann Kyr Hadži Valčo aus Bansko, ein ­jüngerer Bruder des Vaters Paisij, ließ neben der Kapelle auch Mönchszellen einrichten.332 Als Zwischenergebnis ist zu betonen: Die wiederholte Inszenierung der einander ablösenden Herrschaftssitze von in zwei Fällen als heilig verehrten Zaren als jeweils gegenüber Konstantinopel mimetisch entworfenes „Neues Konstantinopel“ mithilfe zahlreicher Heiligenkulte ist als narrative Erinnerungsfigur und kulturelle Praxis „politischer Orthodoxie“ zu verstehen. Sie wurde hier als weitere, für die Kontaktzone charakteristische (trans)imperiale Praxis im exemplarischen Zusammenhang mit den wichtigsten Heiligen umrissen. Die schwache Verehrung lediglich zweier bulgarischer Herrscher des Mittelalters als Heiliger blieb in diesem Rahmen unwichtig. Ganz im Gegensatz zum serbischen Herrschaftskontext wurden weniger Herrscher zu Heiligen gemacht, als vielmehr orthodoxe Heilige gleich welcher Herkunft in die jeweilige Hauptstadt 325 Stari srpski zapisi i natpisi 3, Nr. 5747, S. 186. 326 Stari srpski zapisi i natpisi 2, Nr. 2453 (1725), S. 67; Stari srpski zapisi i natpisi 3, Nr. 5774 (1725, 1734), S. 190. 327 Stari srpski zapisi i natpisi 2, Nr. 2265 (1714), S. 33. Vgl. Đurić/Ćirković/Korać (1990), S. 316. 328 Stari srpski zapisi i natpisi 2, Nr. 2400 (1721), S. 58; Nr. 2442 (1725), S. 65; Nr. 2459 (1725), S. 67; Stari srpski zapisi i natpisi 4, Nr. 6652 (1624, 1630, 1729), S. 124. 329 Stari srpski zapisi i natpisi 3, Nr. 5783 (1735), S. 192. 330 Kamburova-Radkova (1972), S. 35. 331 Kiel (1985), S. 314 f. 332 Kiel (1985), S. 139.

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überführt. In der Konkurrenz mit Byzanz festigte sich dieses Byzanz nachahmende Vorgehen im Rahmen der Kontaktzone als eine nicht spezifisch „bulgarische“ herrschaftsstabilisierende Praxis. Dieser Zusammenhang gestaltete sowohl die Praktiken der Verehrung des hl. Ivan als auch die der hl. Petka um. Mit dem allmählichen Sieg der Osmanen legte sich ein neuer Herrschaftszusammenhang über die Kontaktzone, die damit weiter an Komplexität gewann und spätestens in diesem Vorgang zu einer ,­multiplen Kontaktzone‘ wurde. Das Verschwinden der erst im 14. Jh. bulgarisierten Herrschaft von ­Tărnovo führte zum Erlöschen der erst damals erfolgten bulgarisierten Verehrung Ioanns. Diese wurde unter osmanischer Obhut durch die Annäherung seiner Verehrung an Reste serbischer Herrschaft ersetzt. Ivans entscheidende Rolle in der Hauptstadt Tărnovo als Herrschaftsstütze trat nun hinter die des überethnischen Wundertäters. Die Beispiele der Verehrung Ivans und der hl. Petka in Cetinje bezeugen, wie sich in der ,multiplen Kontaktzone‘ eine Verflechtung bulgarischer religiöser und herrschaftlicher Diskurse mit serbischen Erinnerungsfiguren bildete. In diesem Zusammenhang bediente sich auch das ­Patriarchat von Peć der Verehrung Ivans, um einen transethnischen, die bisherigen Grenzen kirchlicher Gerichtsbarkeit überschreitenden Anspruch auf Rila und die umliegenden Territorien zu legitimieren. Das Beispiel der Verehrung Petkas weist dabei wegen ihrer ­bedeutenden Rolle als Heile­rin über das Beispiel des Austausches bulgarischer durch serbische herrschaftliche Instrumenta­ lisierung oder montenegrinische klösterliche Funktionalisierung im postbyzantinischen, osmanischen Überlagerungszusammenhang hinaus: Die zahlreichen Überführungen ihrer Gebeine verbreiteten ihren Kult auf der ganzen Balkanhalbinsel und festigten sie als transreligiöse Heilige. B 4  Exkurs: Ioakim, Gavriil und Prohor – slavisch-byzantinische Heilige zwischen bulgarischer und serbischer Herrschaft

Die Schüler Ivans von Rila des 11. Jh. Ioakim, Gavriil und Prohor werden mit der Begründung oder Festigung dreier wichtiger Klöster in spärlich bewohnten Gegenden des Nord­ostens Makedoniens verbunden: Lesnovo, Pčinja und Osogovo.333 Ihnen gemeinsam ist ein anachoretisches Leben im Sinne Ivans. Sowohl Gavriils als auch Prohors Viten sind mit Herrschern verbunden. Nur Ioakim gelang es, sich an das angebliche Testament Ivans 334 zu halten, worin er seinen Mönchen u. a. anriet, Fürsten und Königen fernzubleiben: Er verwehrt sich in seiner im 12. Jh. verfassten Vita dagegen, dass sich jemand Stifter seines Klosters nennen würde, „denn ich selbst werde Stifter

333 Podskalsky (2000), S. 107; Pavlović (1965), S. 26 – 33; Hadži-Vasiljević (1900); Ivanov (1906), S. 84 – 109. 334 Podskalsky (2000), S. 107.

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überführt. In der Konkurrenz mit Byzanz festigte sich dieses Byzanz nachahmende Vorgehen im Rahmen der Kontaktzone als eine nicht spezifisch „bulgarische“ herrschaftsstabilisierende Praxis. Dieser Zusammenhang gestaltete sowohl die Praktiken der Verehrung des hl. Ivan als auch die der hl. Petka um. Mit dem allmählichen Sieg der Osmanen legte sich ein neuer Herrschaftszusammenhang über die Kontaktzone, die damit weiter an Komplexität gewann und spätestens in diesem Vorgang zu einer ,­multiplen Kontaktzone‘ wurde. Das Verschwinden der erst im 14. Jh. bulgarisierten Herrschaft von ­Tărnovo führte zum Erlöschen der erst damals erfolgten bulgarisierten Verehrung Ioanns. Diese wurde unter osmanischer Obhut durch die Annäherung seiner Verehrung an Reste serbischer Herrschaft ersetzt. Ivans entscheidende Rolle in der Hauptstadt Tărnovo als Herrschaftsstütze trat nun hinter die des überethnischen Wundertäters. Die Beispiele der Verehrung Ivans und der hl. Petka in Cetinje bezeugen, wie sich in der ,multiplen Kontaktzone‘ eine Verflechtung bulgarischer religiöser und herrschaftlicher Diskurse mit serbischen Erinnerungsfiguren bildete. In diesem Zusammenhang bediente sich auch das ­Patriarchat von Peć der Verehrung Ivans, um einen transethnischen, die bisherigen Grenzen kirchlicher Gerichtsbarkeit überschreitenden Anspruch auf Rila und die umliegenden Territorien zu legitimieren. Das Beispiel der Verehrung Petkas weist dabei wegen ihrer ­bedeutenden Rolle als Heile­rin über das Beispiel des Austausches bulgarischer durch serbische herrschaftliche Instrumenta­ lisierung oder montenegrinische klösterliche Funktionalisierung im postbyzantinischen, osmanischen Überlagerungszusammenhang hinaus: Die zahlreichen Überführungen ihrer Gebeine verbreiteten ihren Kult auf der ganzen Balkanhalbinsel und festigten sie als transreligiöse Heilige. B 4  Exkurs: Ioakim, Gavriil und Prohor – slavisch-byzantinische Heilige zwischen bulgarischer und serbischer Herrschaft

Die Schüler Ivans von Rila des 11. Jh. Ioakim, Gavriil und Prohor werden mit der Begründung oder Festigung dreier wichtiger Klöster in spärlich bewohnten Gegenden des Nord­ostens Makedoniens verbunden: Lesnovo, Pčinja und Osogovo.333 Ihnen gemeinsam ist ein anachoretisches Leben im Sinne Ivans. Sowohl Gavriils als auch Prohors Viten sind mit Herrschern verbunden. Nur Ioakim gelang es, sich an das angebliche Testament Ivans 334 zu halten, worin er seinen Mönchen u. a. anriet, Fürsten und Königen fernzubleiben: Er verwehrt sich in seiner im 12. Jh. verfassten Vita dagegen, dass sich jemand Stifter seines Klosters nennen würde, „denn ich selbst werde Stifter

333 Podskalsky (2000), S. 107; Pavlović (1965), S. 26 – 33; Hadži-Vasiljević (1900); Ivanov (1906), S. 84 – 109. 334 Podskalsky (2000), S. 107.

Exkurs: Ioakim, Gavriil und Prohor

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meines Ortes sein“.335 Allerdings erlangte sein Kult nur eine geringe Ausbreitung.336 Wie die der anderen lässt sich auch seine Verehrung nicht entlang ethnischer Linien fest­ machen: Die Vita enthält sich jeder Zuschreibung. Noch 1789 wurden eine Abschrift eines Offiziums und eine Vita „unseres Vaters Ioakim Osogovski“ mit einer Vorbemerkung in bulgarischer Redaktion im „slavjanoserbischen“ Kloster Hilendar erstellt.337 Prohors nur in drei Abschriften aus dem 19. Jh. erhaltene sogenannte Volksvita 338 handelt zu zwei Dritteln von seiner Kommunikation mit dem byzantinischen Kaiser Romanos IV. Diogenes (1069 – 1071). Als dieser noch Dux in Serdika war, prophezeite ihm Prohor, er würde Kaiser werden, und ermahnte Romanos, ihn danach nicht zu vergessen. Nach seinem Tod vernachlässigte aber Romanos das versprochene Gedenken – erst nachdem ihm der bereits verstorbene Prohor erschienen war, suchte und fand er dessen Gebeine und errichtete über dem Grab Prohors im Tal der Pčinja ein Kloster.339 Prohor wird in zwei der drei erhaltenen Abschriften der Volksvita als „gebürtiger Bulgare“ eingeführt.340 Ein weiterer undatierter, sehr kurzer Text ist offenbar eine Zusammenstellung von Legenden zu Fresken mit Darstellungen von Szenen aus dem Leben Prohors und konzentriert sich ausschließlich auf die Beziehung zwischen Prohor und dem Kaiser. Er bezeugt zum einen die Verehrung Prohors während der frühen Neuzeit, gleichzeitig aber auch das damalige Verkümmern der schriftlichen Tradition, als die Textgattung der Viten nicht mehr gepflegt wurde.341 Prohor kann als typischer byzantinischer Heiliger angesehen werden, dessen bulga­ rische Herkunft den transethnischen religiösen kulturellen Praktiken von Byzanz in keiner Weise entgegenstand – im Gegenteil diente der Aufbau seines Kultes direkt zur Inte­ gration des Vielvölkerreiches. Der serbische König Stefan Uroš II. Milutin (1281 – 1321) erneuerte das Kloster 342 und machte damit gleichfalls mit der Hilfe des Heiligen seinen nun bis in diese Region reichenden Herrschaftsanspruch geltend. Diesem wurde insofern nachgekommen, als seither im Kloster der serbischen heiligen Herrscher gedacht wurde. Auch Gavriils „Volksvita“ ist nur in einer Handschrift von 1868 (!) überliefert, während die Prologvita in bulgarischer Rezension 1330 im Kloster Lesnovo verfasst wurde.343 Nach seinem Tod half er dem bulgarischen Fürsten Michail im Kampf gegen Heiden. Zur Mitte des 14. Jh. errichtete laut der Vita der serbische Lokalherrscher und Despot Jovan Oliver eine neue Kirche für das schon zu Lebzeiten Gavriils bestehende Kloster und festigte damit die Eingliederung des Gebiets in seinen und Stefan Dušans Machtbereich.

335 Stara bălgarska literatura 4, S. 183. 336 I. Božilov, „J[oachim]. v. Osogovo“, in: LexMA 5, Sp. 487. 337 Beležki na bălgarskite knižovnici X–XVIII vek 2, Nr. 512 (1), S. 204. 338 Stara bălgarska literatura 4, S. 166, S. 566; Podskalsky (2000), S. 296. 339 Stara bălgarska literatura 4, S. 167 – 169. 340 Stara bălgarska literatura 4, S. 166, S. 566. 341 Stara bălgarska literatura 4, S. 169 f., S. 566. 342 Ch. Hannick, „Prohor v. Pčinja“, in: LexMA 7, Sp. 243. 343 M. Gligorijević, „G[abriel]. (Gavrilo) v. Lesnov“, in: LexMA 4, Sp. 1074.

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Allerdings überführte der bulgarische Patriarch seine Gebeine nach ­Tărnovo, um sie vor Sultan Murad zu schützen.344 Alle drei wurden laut der Viten schon zu Lebzeiten wegen besonderer Fürbitten aufgesucht. Nach ihrem Tod pilgerte man zur Heilung von Krankheiten zu ihren Reliquien.345 Gavriil soll einen (monophysitischen) Armenier geheilt haben,346 über weitere transkonfessionelle oder transreligiöse Heilungen ist in den Viten nichts enthalten. Abbildungen der Heiligen sind in einem weiten Gebiet von Westmakedonien bis in die Nähe Sofias belegt. Auch in diesen Fällen ist selbstverständlich nicht vorauszusetzen, dass die Fresken ein bulgarisches „Nationalgefühl“ der Bevölkerung der Region bezeugen, wie es in der modernen bulgarischen Forschung oft getan wird.347 B 5  Heilige Herrscher Rasziens oder Serbiens

Von Anfang an ist eine klare Unterscheidung entlang nationaler oder ethnischer Trennlinien unmöglich: Das Gebiet der serbischen bzw. raszischen Fürsten des 9. und 10. Jh. unterstand zwischenzeitlich bulgarischer Herrschaft. Frühe Bistümer auf dem Gebiet des späteren Serbien entstanden in der zweiten Hälfte des 9. Jh. im Rahmen der bulgarischen Kirche.348 B 5.1  Der lateinisch-bulgarische Jovan

Der Fürst von Diokleia (Djokla bzw. Zeta – Bereiche um den heute in Albanien gelegenen See von Skutari) Jovan Vladimir verbündete sich zunächst mit Byzanz, wurde dann aber von Samuil, dem bulgarischen Zaren in Ohrid, besiegt und zu dessen Vasall sowie Schwager. Darauf unterlag er 1016 wie dieser dem byzantinischen Kaiser Basileios II. und wurde getötet.349 Mit seinem Tod begann seine Verehrung als Heiliger: Die angeblich auf die letzten Jahrzehnte des 12. Jh. zurückgehende slavische Chronik des Popen von Duklja, die aber erst in einer lateinischen Fassung des 16. Jh. überliefert ist und im 17. Jh. in italienischer und kroatischer Übersetzung und damit im Rahmen römisch-­ katholischer Verehrung vorlag,350 beinhaltet Passagen, die, so der Text, angeblich einer 344 Stara bălgarska literatura 4, S. 174 f. 345 Prochor: Stara bălgarska literatura 4, S. 169; Gavriil: Stara bălgarska literatura 4, S. 174 f.; ­Ioakim: Stara bălgarska literatura 4, S. 182 – 188; Podskalsky (2000), S. 295 f. 346 Stara bălgarska literatura 4, S. 172. 347 Hierzu Kiel (1985), S. 311. 348 Podskalsky (2000), S. 85. 349 Podskalsky (2000), S. 63; Ostrogorsky (22000), S. 260 – 263. Zum Staat Samuels: Pirivatrić (1997). 350 Stephenson (2000), S. 119; Koljević (1980), 18 f.; Letopis popa Dukljanina, S. 26 – 28. Jetzt zu der Vita als einer erfundenen Tradition: Trajković-Filipović (2013).

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Allerdings überführte der bulgarische Patriarch seine Gebeine nach ­Tărnovo, um sie vor Sultan Murad zu schützen.344 Alle drei wurden laut der Viten schon zu Lebzeiten wegen besonderer Fürbitten aufgesucht. Nach ihrem Tod pilgerte man zur Heilung von Krankheiten zu ihren Reliquien.345 Gavriil soll einen (monophysitischen) Armenier geheilt haben,346 über weitere transkonfessionelle oder transreligiöse Heilungen ist in den Viten nichts enthalten. Abbildungen der Heiligen sind in einem weiten Gebiet von Westmakedonien bis in die Nähe Sofias belegt. Auch in diesen Fällen ist selbstverständlich nicht vorauszusetzen, dass die Fresken ein bulgarisches „Nationalgefühl“ der Bevölkerung der Region bezeugen, wie es in der modernen bulgarischen Forschung oft getan wird.347 B 5  Heilige Herrscher Rasziens oder Serbiens

Von Anfang an ist eine klare Unterscheidung entlang nationaler oder ethnischer Trennlinien unmöglich: Das Gebiet der serbischen bzw. raszischen Fürsten des 9. und 10. Jh. unterstand zwischenzeitlich bulgarischer Herrschaft. Frühe Bistümer auf dem Gebiet des späteren Serbien entstanden in der zweiten Hälfte des 9. Jh. im Rahmen der bulgarischen Kirche.348 B 5.1  Der lateinisch-bulgarische Jovan

Der Fürst von Diokleia (Djokla bzw. Zeta – Bereiche um den heute in Albanien gelegenen See von Skutari) Jovan Vladimir verbündete sich zunächst mit Byzanz, wurde dann aber von Samuil, dem bulgarischen Zaren in Ohrid, besiegt und zu dessen Vasall sowie Schwager. Darauf unterlag er 1016 wie dieser dem byzantinischen Kaiser Basileios II. und wurde getötet.349 Mit seinem Tod begann seine Verehrung als Heiliger: Die angeblich auf die letzten Jahrzehnte des 12. Jh. zurückgehende slavische Chronik des Popen von Duklja, die aber erst in einer lateinischen Fassung des 16. Jh. überliefert ist und im 17. Jh. in italienischer und kroatischer Übersetzung und damit im Rahmen römisch-­ katholischer Verehrung vorlag,350 beinhaltet Passagen, die, so der Text, angeblich einer 344 Stara bălgarska literatura 4, S. 174 f. 345 Prochor: Stara bălgarska literatura 4, S. 169; Gavriil: Stara bălgarska literatura 4, S. 174 f.; ­Ioakim: Stara bălgarska literatura 4, S. 182 – 188; Podskalsky (2000), S. 295 f. 346 Stara bălgarska literatura 4, S. 172. 347 Hierzu Kiel (1985), S. 311. 348 Podskalsky (2000), S. 85. 349 Podskalsky (2000), S. 63; Ostrogorsky (22000), S. 260 – 263. Zum Staat Samuels: Pirivatrić (1997). 350 Stephenson (2000), S. 119; Koljević (1980), 18 f.; Letopis popa Dukljanina, S. 26 – 28. Jetzt zu der Vita als einer erfundenen Tradition: Trajković-Filipović (2013).

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bestehenden Vita entnommen worden waren.351 Diese schildern ihn als Nachkommen der Herrscher von Raszien und „wahrhaft heiligen Mann“,352 der von den Schergen Vladislavs in Anwesenheit des Basileios’ in Prespa geköpft worden sei.353 Seine Witwe Kosara, eine Tochter Samuils und eine Cousine Basileios’, bestattete ihn in der Zeta in Krajina, wo er Hof gehalten hatte. Seine Gebeine seien intakt und duftend. „Jedes Jahr versammeln sich zu seinem Festtag viele Leute in der Kirche, und durch seine gnädige Vermittlung erhalten die mit einem tugendhaften Herzen Betenden bis zum heutigen Tag viele Wohltaten.“ 354 Die Verehrung Jovan Vladimirs als heilig steht am Anfang der langen Reihe heiliger raszischer und später serbischer Herrscher. Hervorzuheben ist die Entstehung seiner Verehrung im byzantinischen Kontext, aber die Überlieferung seiner Verehrung ganz überwiegend in Kompendien, die von Katholiken erstellt wurden: Den lateinischen Kompilatoren galt er offenbar als katholischer Heiliger. Kirchlich zählten seit dem Tod Jovan Vladimirs die östlichen Gebiete seiner früheren Herrschaft bzw. Sirmium, Ras und Prizren zum autokephalen Erzbistum Ohrid, die westlichen aber weiterhin zu Split, Ragusa/Dubrovnik sowie Bar und verblieben damit unter der Oberhoheit Roms.355 Diese westlichen Gebiete bzw. die Zeta konnten sich schon 1077 als lateinisches Königreich etablieren,356 in dessen Rahmen Jovan als Märtyrer verehrt wurde: Seine Vita ist nur in einer um 1180 gekürzt zusammengestellten lateinischen Fassung erhalten 357 und an lateinischen narrativen Vorlagen ausgerichtet.358 Durch seine Heirat mit Kosara erlangte Jovan aber auch im bulgarischen Diskurs Verehrung.359 Seit dem 14. Jh. ruhten seine Gebeine in dem ihm gewidmeten Kloster in Elbasan: 1381 erneuerte der albanische Fürst Karl Thopia die Klosterkirche, wovon eine griechische, serbische und lateinische Inschrift zeugt. Wallfahrten zu dem Kloster überlagerten sich mit dem dortigen regelmäßigen Viehmarkt. Jovan wurde als Shën Gjon Vladimiri auch durch katholische, orthodoxe und muslimische Albaner verehrt. Auch die in der Region lebenden Griechen und Walachen bzw. Aromunen begingen seinen Festtag.360 Dar­stellungen Jovans sind in Mittelalbanien und in der Region um Ohrid sehr verbreitet,361 aber keine der Ikonen datiert vor 1600.362 Erst 1690 druckte Ioannēs Papa aus Elbasan in Venedig ein ihm gewidmetes griechisches Offizium sowie eine Vita, die ihm Kosmas, der damalige

351 Letopis popa Dukljanina, S. 122, S. 341 f.; Novaković (1893), S. 203. 352 Letopis popa Dukljanina, S. 331. 353 Letopis popa Dukljanina, S. 339. 354 Letopis popa Dukljanina, S. 340. 355 S. Ćirković, „Serbien“, in: LexMA 7, Sp. 1777 – 1781. 356 Serbisches Mittelalter 1, S. 10. 357 Podskalsky (2000), S. 63. 358 Podskalsky (2000), S. 63. 359 Podskalsky (2000), S. 272, S. 355 f. 360 Novaković (1893), S 225 f.; Handbuch zur albanischen Volkskultur, S. 110 f.; Peyfuss (1989), S. 123, S. 178, Fußnote 51. 361 Peyfuss (1989), S. 123, S. 178 – 180. 362 Pavlović (1965), S. 37.

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Vorsteher des Klosters in Elbasan, überreicht hatte: Kosmas schrieb im Vorwort des Offiziums, ein „großes Buch“ habe „mehr über das Offizium sowie über die Taten“ berichtet. Dies sei verloren, „aber in serbischen Büchern ist über das Leben und die Wunder des Heiligen“ Material zu finden. Diese unbekannten „serbischen Bücher“, falls sie existierten und nicht zur Wiedererfindung des Heiligen gehörten, waren kaum dieselben, die auch bereits der Priester von Duklja erwähnt hatte: Novaković hielt es eher für möglich, dass Kosmas eine neue Niederschrift aufgrund mündlicher F ­ assungen vornahm.363 Auch Jovan Vladimir wurde in der Ausgabe des Wappenbuchs von Žefarović 1741 mit einer Gravur verehrt.364 1742 wurden das Offizium und die Vita als Ausdruck des bereits geschilderten orthodoxen „Lokalpatriotismus“ 365 um Ohrid und Moschopolis in der Druckerei der Fernhandelsstadt weitgehend übereinstimmend mit der venezianischen Edition erneut herausgegeben. In Wien wurde im gleichen Jahr ein Votivblatt zum Gedenken an den Heiligen gedruckt.366 In ihr fand eine Lithographie Vladimirs mit einer Legende Aufnahme, die diesen sowohl als heiligen „Wundertäter“ als auch als „frommen Basileus ganz Albaniens und Bulgariens“ bezeichnete. Zudem enthielt sie Kosmas zugeschriebene, dem hl. Jovan gewidmete „Verse“, die diesen als Herrscher in „dem ganzen illyrischen Land, Albanien, Bulgarien, Mösien, Dalmatien und Serbien“ verehrten.367 Die Verehrung Jovans zeigt eindrücklich, wie sich noch gerade zur Mitte des 18. Jh. transethnische, regionale bzw. an das Erzbistum und das Grab gebundene, aber keine nationalkirchlichen Praktiken um den serbischen Herrscher entfalteten. Der aus dem bulgarischen Silistra stammende Geistliche der serbischen Kirche Partenij Pavlovič suchte Elbasan auf: Er schrieb 1746 in seiner kurzen „Autobiographie“ über die dort „in Albanien“ aufbewahrten „überaus schönen Gebeine des heiligen Zaren Joan Vladimir“, sie „geben all denen Heilung aller Krankheiten, die im Glauben und mit Ehrfurcht herbeikommen“.368

363 Peyfuss (1989), S. 124; Novaković (1893), S. 204, S. 250 – 253, S. 276; Ακολουθία του αγίου ενδόξου βασιλέως, και μεγαλομάρτυρος Ιωάννου του Βλαδιμήρου, S. 27. 364 Hristofor Žefarović i Tomas Mesmer. Stematografija. Izobraženije oružij iliričeskih, S. 15. 365 Peyfuss (1989), S. 192. 366 Peyfuss (1989), S. 122 f.; mit falscher Datierung: Novaković (1893), S. 240. 367 Übersetzt bei Novaković (1893), S. 270 f. Zur Lithographie und den übrigen, geringfügigen Veränderungen in der Ausgabe von 1690: Novaković (1893), S. 246 f. Beides erneut 1858 in: Ακολουθία του αγίου ενδόξου βασιλέως, και μεγαλομάρτυρος Ιωάννου του Βλαδιμήρου, S. 32; Peyfuss (1989), S. 122, S. 217. 368 Partenij Pavlovič, S. 70, S. 67.

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B 5.2  Der west- und ostkirchliche Stefan Nemanja B 5.2.1  Nemanja, die Wurzel Jesse und Israel – die Texte seines Sohnes Sava

Stefan Nemanja (1113 – 1199) wurde in die Familie der Könige von Duklja bzw. der Zeta und der Großžupane von Raška, genannt nach dem städtischen Herrschaftszentrum Ras,369 geboren. 1158 – 1159 erhielt Stefan östliche Landesteile Rasziens und bekam von ­Kaiser Manuel I. Komnenos das Gebiet Dubočica verliehen. 1166 übernahm er ohne Billi­ gung Konstantinopels die Herrschaft in Raška. Seine Herrschaft stand für den Versuch einer Einigung mehrerer vorwiegend slavischer Gebiete bzw. „serbischer ­Stämme“.370 Gleichzeitig sollten eine weiträumigere Herrschaft gefestigt sowie erste Schritte ihrer Ablösung von Byzanz eingeleitet werden. Allerdings musste Byzanz zunächst der erste Rang in der Hierarchie der Staaten zuerkannt bleiben.371 Sein Sohn Rastko, der später gleichfalls als heilig verehrte Sava, verfasste 1208 – 1217 Nemanjas erste Vita.372 In diesem Text, der nach der Gattung der Stiftungstypika byzantinischer Klöster dem Typikon des Klosters Studenica als Leben des Stifters vorangestellt wurde, stand an erster Stelle die Anrufung Simeons als lebendige Person im Jenseits, als „unser ehrwürdiger Vater“ und Stifter des Klosters.373 Sava stellte Nemanja sodann ganz nach byzantinischem Vorbild 374 als von „Gott (…) eingesetzt“ dar, um über das gerade erst geeinte, und nun umso mehr als Einheit inszenierte „ganze serbische Land“ als „alleinherrschender Herr“ „zu regieren“.375 Die Herrschaft Nemanjas stellte Sava als „von Christus verliehen“ dar. Als Nemanja 1196 seinen Sohn Stefan krönte, tat er dies selbst, und nicht etwa ein Bischof. Der Akt in der „okkasionellen Öffentlichkeit“ 376 einer Reichsversammlung nach byzantinischem Muster (vgl. Abb. 3) fand Aufnahme in die Vita und damit in die mit ihr geförderte religiöse Erinnerungskultur. Nemanja bezeichnete Stefan dabei in den Worten Savas als „eine gute Wurzel, hervorgegangen aus meinem Leibe,“ und segnete ihn auch selbst, „wie einst Isaak seinen Sohn Jakob“. Sava setzte in diesem zentralen Text der raszischen Geschichte das ihm überantwortete Volk bzw. die „Herde“ mit dem „Israel“ Gottes gleich.377 Er folgte dabei dem schon mit der Christianisierung der

369 J. Kalić, „Ras“, in: LexMA 7, Sp. 445. 370 Serbisches Mittelalter 1, S. 11. 371 J. Kalić, „Stefan Nemanja“, in: LexMA 8, Sp. 85 f. 372 Serbisches Mittelalter 1, S. 32. 373 „Wie unser ehrwürdiger Vater und Stifter Herr Simeon dieses heilige Kloster [das Mutter­ gotteskloster in Studenica, S. R.] [als Lohn] erhielt, und wie sein Leben war, vor Gott und den Menschen.“ Serbisches Mittelalter 1, S. 35 f. 374 Matschke (2002), S. 162. 375 Serbisches Mittelalter 1, S. 35. 376 Thum (1990). 377 1196 dankte Stefan ab und krönte seinen Sohn Stefan zu seinem Nachfolger: „Und so ließ er seine edelgeborenen Kinder und alle auserwählten Magnaten, die höheren und die niederen, versammeln, (…) [und sprach: S. R.]: „,Diesen hier nehmet an meiner Statt, er ist eine gute

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Merowinger etablierten europäischen Muster.378 Stefan selbst wurde nach dem Vorbild des byzantinischen Weltenherrschers als diesem ebenbürtiger, alttestamentarischer und ungesalbter König inszeniert.379 Mit der Beschreibung dieser Szene in der Vita Nemanjas wurden nicht nur Nemanja und seine Herrschaft verherrlicht, sondern gleichzeitig auch das Gedenken an die Krönung Stefans aufs Nach­haltigste legitimiert und seine Herrschaft sakralisiert. Die Vita diente damit nicht nur zur Erinnerung und zum Gedenken an Simeon, sondern direkt als Medium der damit wiederum sakralisierten sozialen und herrschaftlichen Integration des „ganzen Serbischen Landes“ unter der neuen, nichtsdestoweniger als alttestamtentarisch dargestellten und geheiligten Herrschaft. Tradition wurde erfunden, um dem Projekt einer neuen Herrschaft zum Erfolg zu verhelfen. Gemäß Sava übertrug Nemanja sodann seinem Sohn Stefan dem Erstgekrönten (um 1160 – 1227) die Verantwortung über die Kirchen, damit die Geistlichen „für dich beten“.380 Im Gebet, in der sozialen Praxis des Gedenkens an den Herrscher durch Geistliche sollte sein Königtum begründet sein. Nemanja ließ in den Worten Savas an der Motivation der Verehrung von Kirchen rhetorisch keinen Zweifel, wenn er seinen Nachfolgern ans Herz legte: „verherrlicht die Kirchen, damit auch sie euch verherrlichen“.381 Religiöse Memoria war das direkteste Mittel zur sakralen Stütze der Herrschaft. Politische Herrschaft sollte sich im gefestigten raszischen Reich ganz nach dem Vorbild anderer christlicher Personenverbandsstaaten, insbesondere aber nach dem Beispiel von Byzanz wesentlich auf die Kirche stützen und wurde so im Rahmen der Heilsgeschichte sakralisiert. Nemanja verbrachte seine letzten Lebensjahre als Mönch mit dem Namen Simeon auf dem Berg Athos, gemäß der Vita in den „Gefilden des Friedens mit dem prächtigen Baume“, wo Simeon selbst „im rechten Glauben Wurzeln schlagend und hell leuchtend, wie ein wundervoller Baum, der im geschützten Hafen, will sagen, auf dem heiligen Berg [Athos, S. R.], steht“.382 Simeon wurde hier mit den traditionellen Mitteln christlicher Paradiesrhetorik beschrieben.383 Sein Sohn Stefan, der bei der Schilderung s­ einer Krönung in der Vita als Nemanjas noch als „Wurzel“ aus seinem Leib beschrieben worden war,

378 379 380 381 382 383

Wurzel, hervorgegangen aus meinem Leibe, und diesen setze ich auf den Thron in dem mir von Christus verliehenen Reiche‘, und er selbst krönte ihn und erteilte ihm einen besonderen Segen, wie einst Isaak seinen Sohn Jakob mit reichem Segen bedacht hatte, und begann ihn zu lehren, in seinem Reiche bei jeder guten Sache Eifer zu zeigen, gutherzig der Christenwelt gegenüber zu sein, die er als seine von Gott behütete Herde ihm übergebe mit den Worten: ,Mein geliebter Sohn, weide dieses mein Israel, nimm dich seiner an und führe es wie Josef das Lamm.‘“ Serbisches Mittelalter 1, S. 41. Delgado (2002), S. 123. Matschke (2002), S. 154, S. 162. Serbisches Mittelalter 1, S. 41. Serbisches Mittelalter 1, S. 44. Serbisches Mittelalter 1, S. 50. Baehr (1991), S. 22 f. Diese Rhetorik deutete den antiken „locus amoenus“ christlich um. ­Curtius (111993), S. 206. Nicht zum Paradiestopos: Serbisches Mittelalter 1, S. 141; Haustein (1985), S. 207 – 210.

Heilige Herrscher Rasziens oder Serbiens

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wurde nun zum Spross eines Paradiesbaumes stilisiert. Für diese Über­lagerung des Diskurses dynastischer Herrschaft mit dem Paradiesdiskurs oder der Rede von der „Wurzel Jesse“ gibt es wie gezeigt in Ansätzen lateinische Vorbilder, aber kaum byzantinische: Der Kaiser sollte zwar Gott als Urbild seiner Herrschaft nachahmen, die explizite Paradiesmetaphorik fehlt aber in den handlungsleitenden Fürstenspiegeln, wie auch die Referenz auf alttestamentarische Könige – so etwa in einem Fürstenspiegel des Erzbischofs der bulgarischen Kirchenprovinz Theophylaktos von Ohrid.384 Gerade Theophylaktos unterschied ausdrücklich das Paradies vom Königreich.385 In der frühchrist­lichen Zeit konnte die Kirche als in die Welt gepflanztes Paradies verstanden werden.386 Im byzantinischen Herrschaftsdiskurs herrschte die Imagination des Kaisers als „drittes Abbild“ von Gott und damit als Vertreter des „regnum dei“ vor,387 zu dem das Paradies nur als Vorstufe diente. Stefan der Erstgekrönte übernahm auch die Verantwortung über die Mönche des durch seinen Vater gestifteten Klosters Studenica, das Sava ausdrücklich als „heiligen Ort“ beschrieb.388 Das in einem abgelegenen Tal gelegene Kloster sollte bald nach dem Tod Nemanjas zur dynastischen Grablege und damit zum nicht nur geographisch zentralen Ort raszischer Herrschaft werden. Als solches Zentrum der herrschaftlichen Erinnerungskultur wurde es inszeniert: Die Gebeine Simeons wurden nach Studenica überführt – eine Translatio, die Sava mit Josefs Überführung der Gebeine Jakobs aus Ägypten verglich 389 – und in dem Kloster beigesetzt.390 Am Ende der Vita stand die

384 385 386 387 388

Byzantinische Fürstenspiegel, S. 95 f. Vgl. dort Thomas Magister: S. 146. Delumeau (1995), S. 29. Ladner (1959), S. 70. Ladner (1959), S. 131 f. „Dem Herrscher, seinem Sohne, den er in seiner ihm von Gott gegebenen Herrschaft zurückließ, befahl er, zu allen [anderen] Aufträgen auch für dieses unser Kloster zu sorgen und seine Fertigstellung zu betreiben. Und unser seliger Vater und Stifter, der Herr Simeon, setzte, als er fortging, einen Hegumenos für diesen heiligen Ort ein, indem er einen ehrwürdigen Mann, den Hieromonachos namens Dionisije, auserwählte und ihm auftrug, für die Herde Christi, die an diesem heiligen Orte lebt, zu sorgen und diese zu behüten.“ Serbisches Mittelalter 1, S. 48. 389 Wegen der Unruhen während der Anwesenheit der Lateiner in Konstantinopel baten die Brüder Savas Stefan II. Nemanja und Vukan diesen, den Leichnam Simeons vom Berg Athos nach Raszien zu überführen, damit sie sich der „Wirkung seines Segens“ sicher sein konnten: „Siehe, in jenem Lande herrscht Aufruhr unter den Völkern, und unser seliger Vater, der Herr Simeon, unser einstiger Herrscher und Lehrer, liegt dort [begraben]. Deshalb bitten wir dich inständig, um des Herrn willen, dass du uns nicht überhörst; nimm die ehrwürdigen Gebeine unseres Herrn Simeon und bringe sie hierher, damit die Wirkung seines Segens an uns offenbar werde.“ ­Serbisches Mittelalter 1, S. 58. 390 „Und ich erreichte mit den ehrwürdigen Gebeinen Hvostno. Als sein Sohn, der Herrscher ­Stefan Nemanja, und dessen Bruder Fürst Vukan es erfuhren, riefen sie die Bischöfe, die Priester, die Hegumenoi mit vielen Mönchen zusammen, und sie freuten sich mit allen in Freuden und waren fröhlich in Fröhlichkeit (…). Denn wie der herrliche Josef den Leichnam seines Vaters Jakob aus Ägypten mitnahm und ihn in das Gelobte Land brachte, so nahmen auch die beiden gottgefälligen und wohlgestalten Söhne und der ganze Staat ihn auf, und sie freuten sich in Freuden

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Hoffnung auf die Fürbitte Simeons, der neben Christus und die Gottesmutter gestellt wurde.391 Sava beabsichtigte mit der Abfassung der Vita keineswegs nur die überzeitliche, heilsgeschichtliche Sakralisierung und Legitimierung der Herrschaft seines Vaters, ­sondern er bzw. sein Bruder, der ihn zur Überführung aufgefordert hatte, verfolgten auch ganz tagespolitische Ziele: Der ins Leben gerufene Kult Simeons im Kloster S ­ tudenica sollte die sich streitenden Söhne Stefan und Vukan versöhnen und die Herrschaft der Dynastie stabilisieren.392 Auch in einem 1209 – 1213 von Sava verfassten Offizium verglich dieser seinen Vater bzw. den „neuen serbischen Simeon“ mit einer „fruchtbringenden Rebe“, die „eine Traube hervorgebracht“ habe.393 Überdies habe er „wie eine Kiefer des Libanon“ die Zahl seiner Kinder gemehrt.394 Damit wurde die Rede von den Nemanjiden als „­Wurzel Jesse“ ansatzweise Teil liturgischer Schriftlichkeit und religiöser Praktiken direkt im Gottesdienst. Im Gegensatz zur Vita war in diesem liturgischen Text zudem häufig vom „Vaterland“ die Rede. So zeige Simeon, der „das irdische Zarenreich zurückgelassen“ 395 habe, aus dem Jenseits „in seinem Vaterland den Weg den Herrschenden“ und erleuchte es: „Du bist dem Vaterland ein Leuchter“.396 Im Gegensatz zur Vita wurde die wunderbare Wirkung seiner Gebeine betont.397 Als Fürbitter sollte er „von Gott Frieden für das Vaterland“ 398 erwirken. In diesem Text wurde die bisherige Bedeutung des Begriffs „Vaterland“ im Sinne von Land oder Herkunftsprovinz nicht nur mit Elementen der Paradiesrhetorik sowie der Friedensidee verbunden, sondern überdies mit einer Bedeutung aufgeladen, die ähnlich in gleichzeitigen westeuropäischen „Patria“-Diskursen in Verbindung mit der „theokratischen Königsidee“ zu beobachten war.399

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(…). Und mit großen Ehren setzten sie ihn in dieser heiligen Kirche [in Studenica, S. R.] bei, in der vorausbestimmten Grabstätte, die der Selige selbst von allem Anfang an für sich vorbereitet hatte.“ Serbisches Mittelalter 1, S. 59. Am Ende der Vita steht der Satz: „Aus diesem Grunde schickt es sich, meine geliebten Brüder, uns Sorgen zu machen und schon in diesem Leben so zu denken, als ob wir [bereits] fern von dieser Welt wären und schon das himmlische Leben lebten; dieses unser irdisches Leben wollen wir in Frieden verbringen und die Hoffnung hegen, dass wir die zukünftigen ewigen Güter erlangen, bei Jesus Christus, unserem Herrn, durch die Fürsprache unserer allerheiligsten Herrscherin, Gottesmutter und Wohltäterin und dank den Gebeten unseres ehrwürdigen und seligen Vaters und Stifters, des Herrn Simeon.“ Serbisches Mittelalter 1, S. 61. Kämpfer (1994), S. 431. Srbljak 1, S. 16; Haustein (1985), S. 207. Srbljak 1, S. 20. Srbljak 1, S. 14. Srbljak 1, S. 8 und S. 22. Srbljak 1, S. 24 passim. Srbljak 1, S. 18. Eichenberger (1991), S. 248 f. Bereits Cyprian von Karthago (ca. 200 – 258) sowie insbesondere Caesarius von Arles (470/471 – 542) als Träger der augustinischen Tradition verbanden im

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B 5.2.2  Simeon als ,Moses‘ – Texte seines Sohnes Stefan des Erstgekrönten

Auch Stefan der Erstgekrönte verfasste eine Lebensbeschreibung seines Vaters Simeon. Auch er betonte die Einrichtung neuer Klöster in dessen Herrschaftsgebiet und beschrieb sie als Schritte auf dem Weg der Emanzipation von Byzanz.400 Er stellte Simeon aber anders als Sava sehr ausführlich in einen Kontext mit dem hl. Georg, den Simeon mehrfach als „Nothelfer“ 401 gegen seine Brüder und auch als Kriegerheiligen angerufen habe. Mit seiner Hilfe sollte er wie Joseph zum Pharao vom Herrn „mit seiner starken Hand“ befreit und „auf den Thron seines Vaterlandes“ geleitet werden: Gott „erhob ihn zum großen Herrscher der ganzen Welt“.402 In dieser rhetorischen Überspitzung 403 bleiben das byzantinische Vorbild und ein trotz mangelnder Ressourcen überraschend universaler Machtanspruch bemerkenswert. Nemanja habe „mit Gottes und des hl. Georg (…) Hilfe“ sein „Vaterland“ und damit sein Herrschaftsgebiet verteidigt, das nicht etwa als Serbien bezeichnet wurde.404 Demetrios von Saloniki, der andere Krieger­ heilige der Region, wurde hingegen nur genannt im Zusammenhang mit einer Kirche, die Nemanja in Saloniki errichtet habe.405 König Stefan beschrieb die Feinde seines Vaters als „gottlos“, die Nemanja ähnlich wie in einem Kreuzzug „mit dem Kreuz“ zu „vernichten“ gehabt habe.406 Das Ziel der Handlung war das Auslöschen des ­Gedächtnisses

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theologischen Diskurs die allegorische Beschreibung des Paradieses mit der Rede vom Vaterland sowie dem Königreich Christi. Ladner (1959), S. 247, S. 414. „Obwohl diesen Heiligen der Kaiser liebte und er die Gunst des Kaisers sah, brannte sein Herz im göttlichen Feuer, Gott [allein] zu gefallen und den heiligen Dienern Heiligtümer zu errichten. Als er angekommen war, ging er ohne zu zögern daran, in seinem Vaterlande in Tplica bei der Mündung des Flüsschens Kosanica der heiligsten Gottesmutter eine Kirche zu bauern; er stattete sie mit allen kirchlichen Privilegien aus, setzte eine Mönchsgemeinschaft ein, [alles] unter Mitwirkung seiner ehrwürdigen und gottergebenen Gefährtin namens Anna, und ihr übergab er die Kirche der Heiligsten, sie möge in jeder Beziehung dafür und für die in diesem heiligen Ort eingesetzten Mönche sorgen.“ Serbisches Mittelalter 1, S. 77. Serbisches Mittelalter 1, S. 81 f. Serbisches Mittelalter 1, S. 80. Serbisches Mittelalter 1, S. 153. „Da unser Heiliger damals seine Feinde wegen ihrer bösen Widerrechtlichkeiten in fremde Länder vertrieben hatte, schmiedeten diese, vom Satan angestiftet, im griechischen Kaiserreich ungebührliche Pläne, wie man dort Hilfe erlangen könne, um den Heiligen und das Andenken an ihn zu vernichten, seine guten Werke zu zerstören und sie mit der Wurzel auszurotten; aber Gott hörte nicht auf sie. Und sie warben griechische Söldner, Franken, Türken und andere ­Völker, zogen gegen den Heiligen und drangen in sein Vaterland ein zu dem Ort, den man ­Pantino nennt. (…) Mit Gottes und des hl. Georg, des glorreichen Märtyrers Christi, Hilfe besiegte er [Stefan Nemanja] seine Feinde, die fremden Völker, und alle fielen durch die Waffen, und das Andenken an sie verschwand vom Erdboden.“ Serbisches Mittelalter 1, S. 82 f. Serbisches Mittelalter 1, S. 90. Die Tochter eines orthodoxen Magnaten, die mit einem Bogomilen verheiratet war, bat Stefan: „Vernichte mit dem Kreuz jene, die sich gegen dich erheben, damit die gottlosen Feinde [an

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an die Ketzer bzw. die sogenannten Bogomilen und ihren angeblichen Führer.407 Aber auch Nemanjas als Verteidigungskrieg dargestellter Kampf gegen Byzanz wurde zur Mehrung von „Reichtum und Ruhm seines Vaterlandes“ sowie seiner Gefolgschaft geführt 408 und mit einer alttestamentarischen, kriegerischen Referenz legitimiert, in der Stefan seinen Vater mit Moses gleichsetzte.409 Der nur im Windschatten der Lateiner aufstrebende Herrscher machte offenbar nach ihrem Vorbild seine eigenen Feldzüge zu Kreuzzügen und deutete die erschwachte byzantinische Dominanz zur Barbarei um. Mit dem Gedenken an Simeon als Stifter und als christlicher bzw. alttestamentarischer Heerführer, als Moses, ließ Stefan die Untertanen – hier noch implizit – zu Angehörigen eines neuen Israel werden. Diese Form der Sakralisierung des Herrschers und seines Herrschaftsverbandes war bereits im fränkischen Reich bekannt, das auch als neues Königreich Davids bzw. dessen Herrscher Ludwig der Fromme von Amtes wegen als Verkörperung Davids, als „Neuer David“, besungen wurde.410 Die soziale Reichweite dieser Vorstellung dürfte sich aber auch im raszischen Fall auf die Dynastie, die höhere Geistlichkeit sowie die engere Gefolgschaft beschränkt haben. Simeons Verehrung als Heiliger brachte ihm auch die traditionelle Rolle eines lebendigen Fürsprechers im Jenseits ein. Simeon selbst wurde in der ganz pragmatisch als Handlungsanweisung beschriebenen und empfohlenen sozialen Praxis des kollektiven Gedenkens zum Integrationsmedium der weltlichen und geistlichen Herrschaftsträger.411 Auf der Grundlage

sich] erfahren, welche Kraft deinem Glauben innewohnt, o Herr.“ Serbisches Mittelalter 1, S. 85. 407 „Die ketzerischen Bücher verbrannte er, ihn [ihren Lehrer, S. R.] vertrieb er des Landes und verbot, seinen dreimal verfluchten Namen jemals wieder zu nennen oder seiner je zu gedenken.“ Serbisches Mittelalter 1, S. 86. 408 „Nach all diesen Ereignissen kam in der Stadt Konstantins ein anderer Kaiser ans Ruder, ein grausamer Blutvergießer, der den Frieden mit dem Ehrwürdigen und Heiligen brach; so sperrte er seinen Mund weit auf und wollte auch andere Reiche verschlingen, was er aber nicht zuwege brachte, der Törichte, ja nicht einmal zu planen verstand; er wollte nur den Arglosen und ­Heiligen verbittern; er besiegelte damit seinen Untergang, [brachte] seinem Kaisertum Schande und Verwüstungen. Denn der ehrwürdige und heilige Simeon zog mit dem ungarischen König [gegen Byzanz] und erreichte die Stadt Sredac [Serdika, Sofia, S. R.], zerstörte sie und machte sie dem Erdboden gleich. (…). Diese Burgen [und Siedlungen] zerstörte er und machte sie dem Erd­ boden gleich, denn kein Stein blieb auf dem anderen, ohne zertrümmert zu sein, und man baute sie bis zum heutigen Tage noch nicht auf. Ihre Ländereien, ihren Reichtum und Ruhm verwandelte er in den Reichtum und Ruhm seines Vaterlandes und in den Ruhm seiner Würdenträger und Gefolgsleute.“ Serbisches Mittelalter 1, S. 86 f. 409 „Er besiegte seine Feinde wie Moses den Amalek, indem er, ohne zu ermüden, das Kreuz Christi vor sich hertrug und mit seiner Hilfe die feindlichen Barbaren überwand.“ Serbisches Mittelalter 1, S. 86 f. 410 Kantorowicz (71997), S. 81 – 83; Kantorowicz (1951); Smith (2004), S. 107; Haran (2000), S. 32. 411 Vgl. das kollektive Gedenken an den Herrscher am Sterbelager Simeons: „Und alle sprachen wie aus einem Munde: ,Gedenke unser, Ehrwürdiger, in deiner seligen Ruhe.‘“ Serbisches Mittel­alter 1, S. 107.

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der von ihm im der Vita dargelegten angeblichen Heiligkeit des Handelns seines Vaters rechtfertigte Stefan sodann aber gerade seinen eigenen, von seinem Bruder Vukan angefochteten Machtanspruch.412 Sein eigener Sieg sollte durch die Überführung der Gebeine Simeons noch weiter gesichert werden, ja die Sakralität des „entheiligten“ „Vaterlandes“ sollte wiederhergestellt werden.413 Das raszische Herrschaftsgebiet wurde damit rhetorisch annäherungsweise als heiliges Land bzw. wie das „Heilige Land“ beschrieben – eine diskursive Überlagerung, die in der Beschreibung Frankreichs zur Wende ins 14. Jh. eine immer wichtigere Rolle einnahm.414 Stefan inszenierte den Leichnam seines Vaters unmittelbar als Integrationsmedium der sakralisierten Herrschaft – so bedankte er sich bei Gott und Sava nach der Überführung dafür, dass nun „das alle Teile des serbischen Landes erleuchtende Licht“ zurück sei.415 Um die legitimierende Kraft dieses Integrationsangebots an die Führungselite s­ einer Herrschaft möglichst weit in die Zukunft zu verlängern und um dem ­Gedenken einen festen Ort zu geben, setzte er seinen Vater, wie es schon Sava schilderte, in Studenica bei. Mit dem Ziel, die Vorstellung Simeons als eines Heiligen weiter zu festigen, beschrieb Stefan durch ihn gewirkte Wunder, die in der Vita aus Savas Hand f­ ehlten. Die ­ersten drei waren ganz von einem christlichen Heiligen zu erwarten, so das „wunderwirkende Öl“, das aus seinem Sarg rann, die Heilung eines Besessenen sowie eines Lahmen. Das vierte aufgezählte Wunder machte Simeon zu einem Schutzheiligen: Stefan erklärte die Abwehr des bulgarischen Zaren Boris und des lateinischen Kaisers über Byzanz, Heinrich v. Flandern, u. a. mit der Hilfe Simeons.416 Auch das 412 „Er führte Fremdlinge in sein Land, beraubte mich des Landes und verwüstete es, dieser Wildling, ohne den Geboten des Herrn zu gehorchen, der da spricht: ,Ehre Vater und Mutter‘ und das übrige. Obwohl bei ihm die Söldnerscharen der Fremdlinge wuchsen, waren Gottes Mächte dank dem Vermächtnis und dem Gebete jenes Heiligen ganz und gar nicht mit ihm.“ Serbisches Mittelalter 1, S. 108. 413 „Deshalb also bitte ich dich inständig, unser ehrwürdiger Vater Sava, höre auf die Stimme, die ich aus der Tiefe meines Herzens zu dir schicke, lass mein Bitten nicht unerhört, hebe die Gebeine des Heiligen und Ehrwürdigen und tue uns die Gnade, uns in gebotener Eile die wohlriechenden Gebeine des Heiligen zu überbringen, auf dass sein Vaterland durch die Übertragung der Gebeine und durch deine Ankunft erleuchtet werde, denn unser Land wurde von unseren Gesetzesfrevlern entheiligt, durch Bluttaten gemordet, und wir selbst gerieten zu Fremdlingen in Gefangenschaft.“ Serbisches Mittelalter 1, S. 109. 414 Smith (2004), S. 108 f.; Kantorowicz (71997), S. 237 f.; Strayer (1969). 415 „Gesegnet bist du, Herr und Gott unserer Väter, des Abraham, Isaak und Jakob, der du die Gerechten liebst und Bitten von Sündern nicht abschlägst, weil er [Sava] meine, eines Sünders, Bitte nicht übersehen und das alle Teile des serbischen Landes erleuchtende Licht seines Vaterlandes gebracht hat.“ Serbisches Mittelalter 1, S. 110. 416 „Und sie gingen hochfliegenden Gedanken nach, die Heimat des Heiligen zu vernichten, mich bis aufs äußerste zu beleidigen und womöglich aus meinem Reich zu vertreiben. Ich hatte auf Erden als Helfer nur meinen Herrn Jesus Christus, die allerheiligste Muttergottes und diesen meinen heiligen Herrn“. Serbisches Mittelalter 1, S. 112 f. Vgl. in der Vita Savas von ­Domentijan zu Krankenheilungen Simeons: Domentijan. Žitije svetoga Save, S. 138.

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fünfte Wunder betraf herrschaftliches Geschehen, nämlich den plötzlichen Tod des bulgarischen Herrschers Strez 417. Dieser Tod wurde mit Verweis auf Demetrios von Saloniki als „Hilfe und Schutz“ Simeons und damit als Wunder gegenüber „seinem Vaterland“ gedeutet.418 Auch das sechste Wunder handelte von dem Schutz des ­Reiches als „Besitz“ des im Jenseits wirkenden Heiligen.419 Das Gedenken an Simeon als einen Heiligen war in der Darstellung Stefans ganz auf seine Herrschaftssicherung konzentriert. So diente er als „Fürsprecher“ gegenüber „deinem Vaterland“,420 und war ­dessen gegenwärtige „geistige Burg“.421 Die Umarmung des Sarges des Heiligen sowie seine Anrufung waren angeblich unerlässlich, um meist politische Wunder erwarten zu dürfen.422 Simeons Wirken konnte so als auch in der fernen Zukunft gesichert dargestellt werden.423 Der Kult um Nemanja wurde damit zunächst unmittelbar von seinen Söhnen entworfen, mit den zentralen Texten ausgestattet und durch diese Verfahren institutionalisiert. Anders als Sava setzte Stefan der Erstgekrönte die Referenz auf Nemanja direkt zur Legitimierung seiner eigenen Herrschaft ein.424 Der Kult wurde von der Dynastie der Nemanjiden und den Nebendynastien bis zum Untergang des Personenverbandsstaates

417 S. Ćirković, „Stefan der Erstgekrönte“, in: LexMA 8, Sp. 86 f. 418 „Wie einst der ruhmvolle, schutzgewährende und sein Vaterland liebende Dulder Demetrios den Zaren, einen Verwandten [des Strez], durchbohrt hatte und ihn eines üblen Todes sterben ließ, damit sein Vaterland nicht Schaden leide, so bot auch mein heiliger Herr seinem Vaterland Hilfe und Schutz, indem er diesen Bösewicht durchbohrte“. Serbisches Mittelalter 1, S. 117. 419 „,Und lagert sich ein Heer um mich, mein Herz bleibt unerschrocken. Seinem [des Simeon] Vermächtnis bleibe ich treu, solange meine Seele lebt. Durch dich, Herr, will ich meine Feinde vertreiben, bis sie vernichtet sind.‘ Und wiederum [zu Simeon] gewendet, rief ich aus: ,Mein heiliger Herr, Heiden sind in deinen Besitz eingedrungen und haben deine heilige Kirche geschändet, deinen Diener gekränkt, nun schicken sie sich an, sich deines Vermächtnisses zu bemächtigen. Bitte deinen Gebieter und Herrn, dass sie, in ihren Hoffnungen getäuscht, von dannen ziehen. Denn du bist meine Zuflucht und meine Burg und du beschirmst dein Vaterland vor jedem drohenden Unheil‘“. Serbisches Mittelalter 1, S. 119. 420 „Du aber hast dich deinem Vaterlande gegenüber als großer Fürsprecher gezeigt“. Serbisches Mittelalter 1, S. 121. 421 „Freue dich, geistige Burg deines Vaterlandes.“ Serbisches Mittelalter 1, S. 123. 422 Die Bedrohung Rasziens durch den ungarischen König Andreas und den lateinischen Kaiser Heinrich v. Flandern, die sich „gegen das Land des hl. Simeon, mein Vaterland,“ wandten, gab Gelegenheit zu weiteren Wundern. Serbisches Mittelalter 1, S. 125. 423 „Wir aber (…) lobten Vater, Sohn und den Heiligen Geist und diesen dreimal seligen Simeon, unseren schnellen Helfer in der Not, jetzt, immerdar und in alle Ewigkeit.“ Serbisches Mittelalter 1, S. 128 f. 424 Schon Stanojević stellte fest, dass er immer wieder unterstrich, Nemanja habe ihn und seine Nachkommen als Herrscher über die Serben eingesetzt, dies sei sein Vermächtnis. Solange das Volk dies beachte, werde Nemanja es schützen und verteidigen. Stanojević (1933), S. 37 f.

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fortgeführt.425 Auch die serbische Historiographie hebt die Verehrung Nemanjas in erster Linie durch die Dynastie selbst hervor.426 B 5.2.3  Nemanja als Nachkomme Konstantins und Augustus’ – Verehrung bis ins 17. Jh.

Teodosije, ein Mönch des Athos-Klosters Hilandar, verfasste zwischen 1307 – 1310427 ein Offizium zu Ehren Simeons, in dem er diesen erneut explizit mit Moses verglich, und sein Volk erneut ausdrücklich mit Israel parallelisierte: „und wie einst das unbotmäßige Israel, / verwunderst du deine gehorsamen Leute, / mit Zeichen und Wundern bist du vor ihnen gerühmt, / wie ihr wohlgefälliger Moses“.428 Auch die weltliche serbische Chronistik beschrieb Nemanja nicht nur als politischen Herrscher, sondern hob religiöse Aspekte hervor. Die zu Beginn des 16. Jh. entstandene Genealogie von Sremski Karlovci 429 etwa würdigte ihn als jenen Herrscher, der die „Ras’sa“ „in die Kirche der heiligen Apostel Peter und Paul“ eingliederte.430 Nach der Schilderung der Gründung des Klosters Studenica schrieb sie wie auch die Zagreber Fassung seinen dort ruhenden Gebeinen eine bis in die Gegenwart reichende Wirkung zu, die für einen Ölheiligen typisch war: „denn auch bis heute liegen seine heiligen Gebeine dort, ihnen entströmt viel Öl allen, die gläubig zu seinen Gebeinen heran­treten“.431 Eine andere in einer Handschrift des 17. Jh. erhaltene Fassung schreibt dagegen nur von ­„seinen Gebeinen“, die dort beigesetzt werden sollten, aber nicht von Wundern.432 Auch die Pejatovićev-Genealogie hob nur den Übertritt in den Mönchsstand hervor, der auch in drei der vier älteren Fassungen der „Genealogie“ ganz analog zur Heiligenlegende als Verzicht auf das „irdische Reich“ beschrieben wurde.433 Die Branković-Chronik beschrieb Stefan Nemanja als Herrscher, der zum Mönch wurde und dessen „heiliger Leichnam (sanctus corpus)“ dann nach Studenica überführt sowie von der Geistlichkeit und „allen Wohlgeborenen (svi blagorodni)“ verehrt wurde.

425 Kämpfer (1994), S. 429, S. 435, S. 438; Kämpfer (1973), S. 7 – 22. 426 Die Beispiele, die Stanojević bereits 1933 zusammenstellte, belegen die in erster Linie herrschaftslegitimierende Funktion der Referenz auf Nemanja: „Alle Herrscher der Nemanjiden­dynastie, aus dem direkten und aus den Nebengeschlechtern, haben immer mit Stolz hervorgehoben, dass sie Nachkommen Nemanjas seien, und er ihr Vorfahre sei, dass sie mit seinen Gebeten und ­seiner Hilfe herrschen, sich das Land aneignen und sich retten.“ Stanojević (1933), S. 38 f. 427 Srbljak 4, S. 278 f. 428 Srbljak 1, S. 150. 429 Stari srpski rodoslovi i letopisi, S. IX. 430 Stari srpski rodoslovi i letopisi, S. 16. 431 Dort ganz ähnlich auch die Zagreber Fassung: Stari srpski rodoslovi i letopisi, S. 18. 432 Stari srpski rodoslovi i letopisi, S. 19. 433 „Und danach gab er das irdische Reich auf und nahm die heilige Form der Engel an“. Stari srpski rodoslovi i letopisi, S. 46. Dieser Satz fehlt nur in der Pajsijev-Fassung der Genealogie: Stari srpski rodoslovi i letopisi, S. 18 – 20.

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Dennoch wurde sein Name nicht mit dem Adjektiv „heilig“ versehen, vielmehr wurde seiner als Dynastiebegründer und als „Begründer des Vaterlandes (beati Patris nostri fundatoris)“ gedacht.434 Graf Đorđe Branković hingegen kontextualisierte Nemanja in seiner rumänischen „Chronik der Slaven des Illyricums, Ober- und Untermösiens“ zu Ende des 17. Jh. in einem bereits ganz mit der Referenz auf die Antike gewendeten, humanistischen Zusammenhang und machte ihn als Nachkommen Konstantins und Augustus’ sowie des „illyrischen Zaren“ Bela Uroš zum „Herrscher aller Slaven des Illyricums und des mösischen Serbien“.435 Erst in einem zweiten Schritt, nach Sätzen zu seinem Sohn Rastko/Sava, stellte Branković ihn auch als „hl. Simeon“ vor, aus dem „heiliges Öl floss“.436 Die Verehrung Simeons als Wundertäter wurde damit in einen überregionalen und transnationalen Rahmen gestellt. Erst in seiner späteren „slavoserbischen“ Chronik stand er am Anfang der „Könige des serbischen Volkes“ und damit in einem deutlicher serbisch markierten Erinnerungszusammenhang.437 Weitere Zeugnisse seiner Verehrung bis ins 18. Jh. folgen in anschließenden Kapiteln zu Sava und den übrigen Nemanjiden, mit denen Nemanja gemeinsam verehrt wurde. B 5.3  Der hl. Sava Nemanjić, das Neue Israel und das Kloster Mileševa B 5.3.1  Sava und die ,Erneuerung unseres Vaterlandes‘ – Verehrung bis ins 15. Jh.

Der hl. Sava, Sohn Stefan Nemanjas, zog sich um 1192 in ein Kloster auf dem Berg Athos zurück. Er unternahm jedoch für seinen Bruder, Stefan den Erstgekrönten, mehrere diplo­matische Missionen. Am oströmischen Hof in Nikäa erreichte er 1219 die Erlaubnis zur Errichtung eines serbischen autokephalen Erzbistums mit Sitz im ­Kloster Žiča, das sein Vater 1208 im Zentrum Rasziens erbaut hatte. Als dessen Erzbischof übernahm er auf dem bisherigen nördlichen Gebiet des Erzbistums Ohrid bestehende Bistümer und gründete mehrere neue Bischofssitze.438 Zudem hatte er an der Entstehung der Verehrung seines Vaters Nemanja als Heiliger großen Anteil. Er starb im bulgarischen Tărnovo auf der Rückkehr aus dem Heiligen Land. Domentijan, ein Mönch des Klosters Hilandar, verfasste 1242/43 oder 1253/54 die bis heute ausführlichste Vita Savas.439 Er stellte Savas Einsetzung als Erzbischof und seine Kontaktaufnahme mit der Bevölkerung bzw. dem „Volk“ seines in der Vita sehr 434 Brankovićev letopis/Die Branković Chronik, S. 40 – 42. 435 „Nemanja, Sohn des Homilat, Enkel des slavischen Zaren des Illyricums mit Namen Bela Uroš, der aus dem Geschlecht des Licinius stammte, des Sohnes Konstantins“. Đorđe Branković. Hronika slovena Ilirika, Gornje Mezija i Donje Mezije, S. 31. 436 Đorđe Branković. Hronika slovena Ilirika, Gornje Mezija i Donje Mezije, S. 33. 437 Ausführlich: Đorđe Branković. Hronike slavenosrpske, Bd. 1, S. 211 – 218. 438 Prinzing (1972), S. 169 – 172; Beck (1959), S. 185; Gelzer (1902), S. 11. 439 S. Ćirković, „Domentijan“, in: LexMA 3, Sp. 1179.

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oft beschworenen „Vaterlandes“ nachdrücklich als „Erneuerung (obnovljenie, vgl. renovatio 440 bzw. anakainōsis 441)“ dar. So bedankte sich sein Bruder Stefan der Erstgekrönte für die „Erleuchtung und Erneuerung unseres Vaterlandes“ und die „wiedergebürtliche Rettung (pakybytěiskoe spasenie 442, vgl. palingenesia 443)“. Damit wurde er als christlicher Erneuerer in die Nachfolge Konstantins des Großen im Sinne von Eusebius gestellt.444 Als Sava seine Schüler „in alle Länder seines Vaterlandes“ schickte, um „Mängel“ zu beheben, und etwa die kirchliche Heirat von Eheleuten nachvollziehen ließ, erhob ihn Domentijan im Lob seiner Schüler in den christus­gleichen Rang eines „Erneuerers des menschlichen Geschlechts“.445 Sava „erneuerte sein Vaterland in jeder Weise, die einen lehrte er Frömmigkeit, die anderen erleuchtete er mit dem Heiligen Geist und dem ihm von Gott gegebenen Segen“.446 Sava wurde dabei als „zum Ende der Zeiten“ gesandter „Schüler seines Herrn“ 447 in einen endzeitlichen Zusammenhang gestellt. Diese P ­ assagen zur Erneuerung standen vor einer Schilderung der Krönung Stefans mit einer Königskrone aus Rom, die damit offenbar als Teil des Vorganges verstanden wurde.448 Die Darstellung des kirchlichen Handelns Savas als Erneuerung entsprach west- wie ostchristlichen theologischen Vorstellungen.449 Die Verbindung des Erneuerungs­diskurses mit dem politischen Patriadiskurs hingegen scheint innovativ gewesen zu sein. Domentijan beschrieb sodann Sava, Simeon und Stefan den Erstgekrönten in der Vita als „drei Leuchter des Zeugnisses Gottes, durch den wahrhaftigen Gott ­errichtet zur Führung ihres Vaterlandes zu Gott“.450 Er stellte sie sogar kollektiv als an­­näherndes Abbild von Gott, dem Sohn und dem Heiligen Geist als Dreifaltigkeit dar.451 Indem Sava „seinen Bruder alle Gottliebe lehrte“ sowie „der verständigen Herde seines Vaterlandes allen guten Glauben zeigte“ und sich selbst „seinem Herrn anglich“, „erfüllte er sein ganzes Vaterland mit allem gutem Glauben und mit guten Gesetzen (blagozakonija) und festigte es überall“.452 Das politisch-theologische Ziel war die Erneuerung der Menschen

440 T. Struve, „renovatio“, in: LexMA 7, Sp. 731 – 734. 441 Ladner (1959), S. 44 f. 442 Domentijan. Žitije svetoga Save, S. 214. 443 Ladner (1959), S. 44 f. 444 Ladner (1959), S. 119 f. 445 Domentijan. Žitije svetoga Save, S. 244. 446 Domentijan. Žitije svetoga Save, S. 246. 447 Domentijan. Žitije svetoga Save, S. 246. 448 Domentijan. Žitije svetoga Save, S. 248 – 250. 449 Ladner (1959), S. 44, S. 52, S. 70, S. 80 f. 450 Domentijan. Žitije svetoga Save, S. 250. 451 „Drei, die sich der Dreifaltigkeit unaufhörlich angleichen, Tag und Nacht, dem Vater, dem Sohn und dem Heiligen Geist.“ Domentijan. Žitije svetoga Save, S. 250 – 252. 452 Domentijan. Žitije svetoga Save, S. 252.

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seines Vaterlandes im Rahmen eines ortho­doxen Staates, um diese „auf die Antwort vor dem himmlischen Zaren“ 453 am Tag des Jüngsten Gerichtes 454 vorzubereiten. Domentijan verglich Sava bereits an einer früheren Stelle 455 und später sehr ausführlich erneut mit Moses.456 Aus dem Vergleich folgte, Sava habe „Gott ein zweites Israel errichtet und dem Herrn neue Menschen zugeführt“.457 Tatsächlich habe Sava Moses und das „neue Israel“ 458 das erste Israel übertroffen: „Dieser große Prophet hat mit der Hand des Herrn für seine Sache die Fürsten Ägyptens geschlagen, jener Allererleuchtetste aber hat Israel den Vorrang genommen und ist zu Christus dem Herrn selbst, dem F ­ ürsten der von den Toten [auferstanden ist, S. R.], im höheren Jerusalem übergesiedelt.“ 459 Sava sei „seinem Vaterland ein Führer des guten Glaubens und des Heiligen geworden, und ein neuer Gesetzgeber, der dem neuen Segen auf der wahrhaftigen apostolischen Grundlage diente, und den Osten wie den Westen hat er mit Wundern überrascht“.460 Während Moses von den Israeliten wünschte, sie sollten drei Tage rein sein, habe Sava gegenüber den Geistlichen „und all seinen Verwandten und allen Kindern seines Vaterlandes“ gefordert, sie sollten „an allen Tagen eures Leben heilig an Körper und Geist“ sein.461 Domentijan stellte mit diesen Passagen eine soziale Ausweitung des religiösen Anspruchs auf die gesamte Gesellschaft dar, die auf eine Heiligung des „Vaterlandes“ bzw. aller seiner „Kinder“ abzielte. Damit kam Domentijans Passage Beschreibungen des fränkischen Reiches bzw. Frankreichs als neues auserwähltes Königreich nahe – ­heilig sollte hier allerdings eine additiv, in konzentrischer Ordnung beschriebene Anzahl sozialer Gruppen sein, und nicht ein einheitlicher Körper in Anlehnung an einen „corpus mysticum“.462 Dabei war selbst im Vergleich mit Frankreich die über einen Vergleich hinausgehende direkte Bezeichnung als neues bzw. zweites Israel außergewöhnlich.463 Wie Moses habe Sava sodann den späteren Erzbischof und gleichfalls als Heiligen verehrten Arsenije „als zweiten Lenker (praviteľ) und Führer seines Vaterlandes“ eingesetzt.464 Von der „serbischen Rebe“ ist in seiner Lebensbeschreibung aber keine

453 Domentijan. Žitije svetoga Save, S. 252. 454 Domentijan. Žitije svetoga Save, S. 334. 455 So habe Sava im Kampf gegen den bulgarischen Herrscher Strez als „zweiter Prophet Moses“ „seinen Feind den zweiten Amalik“ besiegt. Domentijan. Žitije svetoga Save, S. 180. Das gleiche Wunder hatte Stefan der Erstgekrönte in der Vita Simeons diesem zugeschrieben: Serbisches Mittelalter 1, S. 117. 456 Žitije svetoga Save, S. 376 – 392. 457 Žitije svetoga Save, S. 376. 458 Žitije svetoga Save, S. 380. 459 Žitije svetoga Save, S. 386. 460 Žitije svetoga Save, S. 376. 461 Žitije svetoga Save, S. 376. 462 Vgl. Smith (2004), S. 107 – 111; Kantorowicz (71997), S. 237 f.; Kantorowicz (1951), S. 478 f., S. 486 f. 463 Vgl. Strayer (1969), S. 14 – 16. 464 Domentijan. Žitije svetoga Save, S. 391.

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Rede: Sava wurde nicht als Angehöriger der heiligen Dynastie beschrieben, sondern als eigenständiger heiliger Hierarch. Gleiches gilt für die Kurzvita, die in einer Fassung des 14. Jh. erhalten ist.465 Der vermutlich früheste liturgische Text zu Savas Gedenken ist die Messe (služba) zur Überführung seiner Gebeine aus Tărnovo ins bei Prijepolje gelegene Kloster Mileševa (1237), die erst in einer Abschrift aus dem Jahr 1600 vorliegt. Der Text diente aber einem anderen zur Vorlage, der bereits in einer Handschrift des beginnenden 14. Jh. erhalten ist. Sein Autor dürfte ein unbekannter Schüler Savas sein.466 In dieser Liturgie wurde Savas Entscheid, ein den Anforderungen der Heiligkeit entsprechendes Leben zu führen, gelobt, und das „Leben der himmlischen Ränge“ dem „stürmischen Leben auf der Welt“ vorgezogen zu haben.467 Zudem stand seine Rolle als Glaubensverbreiter im Vordergrund. Sein Werk wurde dabei nicht nur mit dem Verweis auf das „Vaterland“ gelobt, sondern in erster Linie als „apostolisch“ dargestellt.468 Sava wurde in diesem Text dennoch häufig mit dem „Vaterland (otačastvo)“ in einen engen Zusammenhang gebracht – insbesondere bei der Rückführung seiner Gebeine aus Bulgarien: „dann aber wirst du ruhmreich in dein Vaterland überführt“,469 „aus der Stadt Tărnovo in dein Vaterland“.470 Stand „Vaterland“ hier für seine Heimatstadt, blieb die Bedeutung doch auch auf das gesamte Herrschaftsgebiet bezogen. Zudem wurde Sava auch als „Befestigung des Vaterlandes“ bezeichnet.471 Die Rückkehr seiner Gebeine soll angeblich nicht nur durch einen kleinen Kreis gefeiert worden sein, sondern gab Anlass zur Imagination einer einheitlichen Feier durch alle Untertanen: „und es feiern die Leute des serbischen Landes“.472 Als „Geheiligter unter den Heiligen“ 473 wurde Sava in dem Text in den allgemeinen Kreis der Heiligen eingegliedert. Auch er wurde dabei als „vor dem Thron Gottes stehend“ als lebendiger Mensch im Jenseits beschrieben.474 Auch in der Funktion eines 465 Prološko žitije Sv. Save, S. 3 f. 466 Srbljak 1, S. 34. 467 „Du hast das Leben der himmlischen Ränge geliebt, / und das stürmische Leben auf der Welt verachtet, du hast dich selbst als reinstes und ehrenvolles Geschenk / der Dreifaltigkeit dar­ geboten, / du hast alle gelehrt / den Vater und den Sohn und den Heiligen Geist zu loben.“ ­Srbljak 4, S. 273, S. 275 f. 468 „Du hast apostolisch gearbeitet in den Dörfern und in den Städten und in den Ländern“. Srbljak 1, S. 51. Andernorts war dieser Verweis stärker: „Du hast das Vaterland aufgeklärt mit kirch­ lichen Lehrern, / die du durch den Geist und durch göttliche Lehren geboren hast“. Allerdings stand auch hier die Verbreitung der Religion im Vordergrund und nicht das Vaterland. Srbljak 1, S. 52. 469 Srbljak 1, S. 36. 470 Srbljak 1, S. 59. 471 „Du bist die Befestigung (utvrždenije) des Vaterlandes und den Kirchen die Mauer“. Srbljak 1, S. 52. 472 Srbljak 1, S. 83. 473 Srbljak 1, S. 51. 474 Srbljak 1, S. 83.

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Schutzheiligen trat er im Text über die Rückführung seiner Gebeine auf:475 Die an ihn herangetragenen Bitten verlangten von Sava auch, „dein Vaterland“ zu schützen, sowie für „die Leute deiner Herde“ zu kämpfen.476 Sava wurde als von Gott Entsandter ­gedeutet und – wie Simeon – implizit mit Moses verglichen.477 In diesem wie in anderen Texten wurde Sava immer wieder als Fürbitter „für die Rettung unserer Seelen“ 478 angerufen: „Bitte den gnädigen Gott, uns schnell durch deine Gebete zu erlösen“.479 Die Gläubigen, die diese Liturgie feierten, versammelten sich und sollten im Gedenken an Sava die Erfahrung „geistigen Segens“ feiern.480 Wesentlich für diesen Text war überdies die Besingung der Wundertätigkeit seiner Gebeine.481 Im liturgischen Text „Die Entschlafung unseres heiligen und seligen Vaters Sava, des ersten Erzbischofs der serbischen Länder unter den Heiligen“, der in einer Handschrift des beginnenden 14. Jh. vorliegt,482 wurde Sava ebenfalls zu Beginn als Verbreiter des Christentums angesprochen. Die Bitte um Frieden und Gnade war hier nicht auf das Vaterland beschränkt, sondern auf die Gruppe der Feiernden.483 Der auch bei diesem Text unbekannte Verfasser, möglicherweise ein Mönch des Klosters Mileševa,484 wandte sich an Sava aber wenige Zeilen später auch mit dem Wunsch, dem „Vaterland“ Frieden zu schenken: „bitte Christus, Seliger, deinem Vaterland Einmütigkeit (suvakupljenije), Frieden und große Gnade zu geben“.485 Zudem wurde er als Schutzheiliger um Sieg für das „Vaterland“ gebeten.486 Erneut kam damit Sava im Zusammenhang mit Krieg

475 „Unserer Rechtgläubigkeit aber helfe, und dein gleichnamiges Vaterland behüte (sachranjaj), erbitte ihm Friede und große Gnade“. Srbljak 1, S. 36. 476 „Heile unsere offenen Wunden, / bete für uns, die Leute deiner Herde, / (…), von allem Bösen erlöse den christusliebenden König, / und dein Vaterland, / orthodoxe Christen, / und kämpfe für sie, / wie der Große Archistratege für Jesus den Nazarener“. Srbljak 1, S. 60. 477 „In Ägypten hast du einst, von einem Mädchen an der Hand geführt, / einen dämonischen heidnischen Tempel erschüttert, / nach Serbien aber hast du Sava entsandt, / damit alle deine Menschwerdung verstehen, / und Gottes sowie dein Geheimnis, Christus.“ Srbljak 1, S. 62. 478 Srbljak 1, S. 43, S. 89, S. 137 passim. 479 Srbljak 1, S. 72. 480 „Wir rufen heute mit Freude / und freudig singen wir / und klatschen hell mit den Händen / es sammelt uns nämlich der geistige Segen im Gedächtnis (va pamet) der Überführung der ehrenvollen Gebeine des Geheiligten Christi, / unseres Gott in sich tragenden Vaters Sava, (…).“ Srbljak 1, S. 46. 481 Srbljak 1, S. 85 f. 482 Srbljak 4, S. 275. 483 „Seliger (prepodobne) Vater zunächst für diejenigen, die ihm Singen, um Frieden gebeten: „(…) bitte Christus, Seliger (prepodobne), den dir Singenden Frieden und große Gnade zu geben.“ Srbljak 1, S. 92. 484 Srbljak 4, S. 275. 485 Srbljak 1, S. 94. 486 „Bewahre dein Vaterland unbesiegt, / denn du bist seine Befestigung (utvrždenije)“. Srbljak 1, S. 110.

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zum Einsatz. War im Text zur Überführung der Gebeine um inneren Frieden gebeten worden, wurde nun die Unbesiegbarkeit des „Vaterlandes“ gegenüber äußeren Feinden gewünscht. Aber in beiden Texten stand Sava in einem übergreifenden, gesamtchrist­ lichen Verehrungszusammenhang, der sich an vielen Stellen nicht exklusiv auf Raszien bezog. Zu Beginn des Textes wurde Sava auch als Wunderheiler angesprochen.487 Die Grundlage dafür, auf Savas Fürbitte zu hoffen, war seine Verehrung durch seine „Herde“ unter Christus – nicht aber eine Zugehörigkeit zu einer explizit genannten konfessionsethnischen Gruppe.488 Teodosije, ein Mönch des Klosters Hilandar auf dem Berg Athos, verfasste auf der Grundlage der Vita Savas aus der Feder Domentijans gleichfalls eine Lebensbeschreibung Savas.489 Diese war jedoch rhetorisch und stilistisch weniger ausgefeilt – Ver­gleiche mit Moses etc. fehlen. Wohl im ersten Viertel des 14. Jh.490 schrieb er eine Liturgie zu Ehren Savas, welche die Verehrung Savas zu neuen rhetorischen Höhepunkten führte. Weiterhin blieb aber auch hier der gesamtchristliche (orthodoxe) Rahmen der Verehrung deutlich im Vordergrund.491 Das Gedächtnis an sich wurde mit der „Sonne“ verglichen. Sava erschien als „Vaterlandsliebender und Vorsteher“.492 Die Fürbitte für das Seelenheil blieb die wichtigste Rolle Savas, ja sie wurde in diesem Text zum Refrain.493 Der Bezug zum „Vaterland“ wurde dabei betont, so erschien Sava nun als ein „dem Vaterland leuchtender Leuchter“.494 Erst selten wurde nun auch das Adjektiv „serbisch“ mit Sava verbunden.495 Die elaborierte Memoria war zur Grundlage der Fürbitte geworden. Das Gedenken an die Wunder Savas nahm dabei einigen Platz ein – so etwa die Abwendung des „ungarischen Zaren, des Feindes“ vom „Vaterland“,496 die ihn erneut 487 „Du heilst Krankheiten“. Srbljak 1, S. 92. 488 So auch in einem Sava gewidmeten Kanon, der in einer Abschrift von 1330 erhalten ist und von einem unbekannten Autor offenbar bereits kurz nach der Liturgie zur Überführung der Gebeine Savas verfasst wurde (Srbljak 4, S. 277): „Erhelle deine Herde ewiglich / mit deinen Gebeten an Gott“; „rette mit deinen Gebeten unsere Seelen“. Srbljak 1, S. 136. Auch dieser Text gliederte Sava in die allgemeine (orthodoxe) Christenheit ein: „mit Christus herrschst Du in Ewigkeit“. Srbljak 1, S. 126. 489 S. Ćirković, „Teodosije“, in: LexMA 8, Sp. 546 f. 490 Srbljak 4, S. 281 – 283. 491 „Gott in sich tragender Geheiligter / und Hirt der Wahrheit / und unerschütterlicher Pfeiler, / unbewegliche Begründung des Glaubens, (…), und Quell von Wundern“. Srbljak 1, S. 220. 492 „Heller als die Sonne erstrahlt dein erleuchtetes Gedächtnis / den Gläubigen, deinen Leuten, / die vom göttlichen Glanz erhellt werden, / Sava, überaus gütiger geheiligter Vater, / und die Dämonen vertreibst du damit, deshalb segnen wir dich / und singen dir Bittgebete / als Vaterlandsliebender (otačastvoljupca) und Vorsteher, / als Beter um unsere Seelen.“ Srbljak 1, S. 220. 493 „Sava, gesegneter und geheiligter Vater, / nimm uns auf, die dich loben, / bitte Christus um unsere Seelen.“ Srbljak 1, S. 222. 494 Srbljak 1, S. 228, analog: S. 252. 495 „Sava, Gott in sich Tragender Vater, / serbische Lobrede (pohvalo) und Zierde, / der du heute vor Christus und Gott stehst, / bete für die, die dein heiliges Gedenken pflegen.“ Srbljak 1, S. 290. 496 Srbljak 1, S. 274.

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zum Schutzheiligen machte. Der Hauptgrund für die Verehrung Savas war aber neben der Fürbitte sein Gedenken als eines Mannes Gottes und als eines Verbreiters der Heilslehre im „Vaterland“.497 In mehreren kirchlichen Texten wurde Savas gemeinsam mit seinem Vater Simeon gedacht, so in drei Liturgien Teodosijes. Eine von ihnen war gleichzeitig Christus gewidmet – auch hier blieb damit der allgemeinchristliche Kontext der Verehrung Savas bestehen, und seine Funktion als Fürbitter gemeinsam mit der seines Vaters bekräftigt.498 Die gemeinsame Verehrung Savas mit Simeon unterstreicht die funktionelle Form der Erinnerung, die keine Individualität in den Vordergrund stellte, sondern die Heiligkeit der Personen und die mit ihr erlangte Fähigkeit zur Fürbitte. Gleichzeitig festigte sich mit der Produktion und Reproduktion dieser Texte die Hoffnung auf Fürsprache durch die Heiligen der herrschenden Dynastie der Nemanjiden. Auch in einer weiteren Liturgie Teodosijes, die vorrangig Simeon gewidmet war, wurde mehrfach Savas gedacht: „Gott in sich tragender Simeon, hl. Sava, / serbisches Lob und Zierde, / Hirten und Lehrer“.499 Wurde Simeons in einem liturgischen Text als „unser Fürsprecher, Abraham gleich“, gedacht, wurde Sava zum „zweiten Isaak“ stilisiert.500 Tatsächlich entwickelte sich auch in anderen Textgattungen, insbesondere in Inschriften sowie herrschaftlichen Urkunden, der Verweis auf die beiden Heiligen zur formelhaften Legitimationsreferenz, die bis ins 18. Jh. verwendet wurde. Wie schon Simeon wurden Sava und auch sein Bruder König Stefan konsequent als Heilige etabliert; es wird von „gezielter Verkultung“ gesprochen.501 B 5.3.2  Sava als Heiliger ,im ganzen slavischen Illyricum‘ vom 16. bis ins 18. Jh.

Sava wiederum wurde auch in Tărnovo verehrt, sowie im 15. und 16. Jh. im Moskauer Zarentum – wo sein Kult nicht zuletzt zur Inszenierung der ökumenischen Bedeutung Moskaus beitragen sollte.

497 „Du folgtest den göttlichen Gesetzen, / und erschienst als Gesetzesgeber, / als gottgefälliger Geheiligter, / als zuverlässigste Regel, / als Lehrer den Irrenden, / als überaus heller Leuchter, / hast du dein Vaterland erleuchtet, / gottweiser Sava.“ Srbljak 1, S. 252. 498 „Mit den himmlischen Rängen steht ihr vor dem Herrn Christus, / mit ihnen, Gesegnete, betet / damit er eine gesegnete Lebenszeit gebe, / und die Früchte der Tugend mehre, / Sava und Simeon, / unter denen, die zu euren Gedenken singen.“ Srbljak 1, S. 306. 499 Srbljak 1, S. 162, S. 186 passim. 500 Srbljak 1, S. 459. 501 Kämpfer (1994), S. 429. Mehrere Könige und Erzbischöfe, die teils die Dynastie, teils ihr ­nächster Umkreis stellten, wurden zu Heiligen erklärt, Kämpfer spricht von „Reichsheiligen“. Im mittelalterlichen Serbien wurde die Umsetzung der oströmischen Lehre von der „Symphonia“ erkannt, es ist die Rede von „dynastischer Kultpropaganda“ und „Sakrifizierung der politischen Gewalt“. Kämpfer (1994) S. 435, S. 438. „Wie das Brüderpaar Stefan und Sava Staat und Kirche gemeinsam regierten, so sollten sich auch ihre Nachfolger Macht und Verantwortung in Serbien teilen.“ Kämpfer (1973), S. 7 – 22, hier 10.

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Auch in der weltlichen serbischen Chronistik und Genealogie spielte Sava eine bemerkenswerte Rolle: Seine administrative Leistung, die Errichtung der neuen Bis­ tümer, wurde etwa in der Genealogie von Sremski Karlovci, die zu Beginn des 16. Jh. entstand,502 gewürdigt, im Zusammenhang mit dem Verweis auf „sein Vaterland“ und „die serbischen Länder“ – er wurde dabei als „sehr gelehrter (prěosveštenii) und ­erster serbischer Erzbischof“ beschrieben, jedoch erst im hinteren Teil als Heiliger.503 In zwei zur Mitte des 17. Jh. geschriebenen Fassungen analoger Stammbücher hingegen wurde er bereits in früheren Passagen als „hl. Sava“ angesprochen.504 In diesen Fällen ­blieben aber Wundertaten und ähnliche Attribute der Heiligenlegende ausgespart. Nicht Nemanja, sondern Sava wurde von einem geistlichen Historiographen zu Beginn des 16. Jh. als einschneidende historische Figur verstanden und als Nachfolger Kyrills und „neuer Apostel“ dargestellt.505 In der Branković-Chronik spielte der hl. Sava als Angehöriger der Dynastie sowie als Festiger der Kirche eine wichtige Rolle und wurde mehrfach als Heiliger bezeichnet („sanctus Sava“).506 Zudem verwies die Chronik darauf, dass seine Gebeine nach der Überführung in Mileševa ruhten, „bis zu der Zeit, als die Türken seinen Leichnam in Belgrad verbrannten“.507 Dieses Ereignis wurde sodann ausführlich beschrieben.508 Ivan Mrnavić (Marnavitius) berichtete in seiner 1630 in Rom gedruckten lateinischen Fassung der Vita Savas über die Aufstände nach 1594 über den Einsatz der Referenz auf den Heiligen als transethnisches Feldzeichen „der Bulgaren und der Serben“: „Bulgarosque ac Servios, Sancti Sabbae imagine militaribus vexillis exornatis“. Auch er beschrieb sodann die Verbrennung des „sacrum corpus“, und erwähnte dabei, Sava werde in Mileševa stark verehrt: „ubi magna veneratione cultae habebantur“.509 Patriarch Pajsije machte in seiner 1642 geschriebenen Vita des Zaren Stefan Uroš V. einen „Arbanassen“ bzw. Albaner dafür verantwortlich, dass der osmanische Großwesir 502 503 504 505

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Stari srpski rodoslovi i letopisi, S. IX. Stari srpski rodoslovi i letopisi, S. 22 – 28, S. 30. Stari srpski rodoslovi i letopisi, S. 25, S. 27. Ein 1521 in Goražde gedrucktes Psalmen- und Stundenbuch gliederte chronistische Angaben mit dem Zwischentitel: „Von Kyrill dem Philosophen zum hl. Sava dem ersten serbischen Erz­ bischof, Lehrer und Aufklärer, dem neuen und wahrhaftigen Apostel, und seinem Bruder Stefan dem erstgekrönten serbischen König“. Stari srpski rodoslovi i letopisi, S. 116. Brankovićev letopis/Die Branković Chronik, S. 41 f. „Hic aedificavit Milesevo templum Ascenisonis quo etiam Sanctum Savam transtulit ex illustri urbe Ternova mansitque Sanctum corpus Milesevi usque ad haec tempora: cum Turcae Sanctum corpus ejus combusserunt Belgradi instigande Daemone.“ Brankovićev letopis/Die Branković-Chronik, S. 4 f. So habe der osmanische Sinan Pascha („Sinan passa“) „invidens Daemon prodigiis quae sanctus Saba Patrabat instigavit quendam begum ut sic loqueretur: Credunt Turcae sancto Savae et cruce se signant et babtizantur [sic]. Et Sardar combussit Corpus sancti Savae Belgradi prodigiis clarum, mense aprili 27 festo sancti Symeonis martyris Christi cognati.“ Brankovićev letopis/ Die Branković-Chronik, S. 60. Život svetoga Save, S. 134; Kämpfer (1973), S. 15.

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albanischer Herkunft Sinan Pascha (türk. Koca Sinan Paşa) von der Verehrung Savas durch Türken vernahm 510 und die Gebeine 1594 oder 1595 verbrennen ließ.511 Ab­gesehen von „einfachen Klosterannalen“ blieb bis gegen Ende des 17. Jh. die serbische Historiographietradition ohne Fortsetzung. In der „Chronik der Slaven des Illyricums, Ober- und Untermösiens“ des Grafen Đorđe Branković von 1684 – 1688 spielte Sava als Heiliger und Einsetzer von Bischöfen „im ganzen slavischen Illyricum und in den serbischen und bulgarischen Mösien“ eine zentrale Rolle.512 Damit kam aber auch Sava in diesem Text keine spezifisch serbische Bedeutung zu, obschon die Chronik den Versuch einer Legitimation des Anspruchs auf die staatliche Unabhängigkeit unter Brankovićs eigener Führung darstellte, wie auch seine äußerst umfangreiche slavische Chronik.513 In ihr wurde Sava gleichfalls vor­rangig als Heiliger eingeführt.514 Sava war im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit jedoch nur einer neben weiteren wichtigen Heiligen der serbischen Dynastie, wie im folgenden Kapitel zu sehen sein wird. Außerhalb der Verehrung als Reichsheilige war die Verehrung lokaler Heiliger als Wundertäter auch in der Neuzeit nicht konfessionsethnisch oder religiös beschränkt – Sava 515 und wie gezeigt offenbar auch Kliment sowie Naum wurden auch von Muslimen verehrt. In der Genealogie von Sremski Karlovci wird beschrieben, wie Sava die Gebeine ­seines Vaters nach Studenica überführte, „wo beide noch heute liegen“ und verehrt wurden.516 1734 oder 1735 schrieb der in der serbischen Kirche dienende Geistliche bulgarischer Herkunft Partenij Pavlovič zum Ende einer Vita des hl. Sava in einer Handschrift im Rila-Kloster: „Das ist alles wahr, wie es hier erzählt ist, aber heute, wegen unserer Sünden, wie auch ich mit eigenen Augen gesehen habe, ist das Kloster Mileševa zerstört und abgebrannt, die Gebeine des heiligen Sava (wie man sagt) – sind verbrannt von den verfluchten Agarjanen; aber [die Gebeine, S. R.] der heiligen Simeon und des Königs Stefan des Erstgekrönten habe ich im Kloster Studenica geküsst, wo sie sich zu unserer Beruhigung noch heute unberührt befinden, wie auch in Dečani der heilige König Stefan, und in Sofia, d. h. in Sardikija – der heilige Milutin, in dem Frušker Land – der heilige Fürst Lazar, der heilige Uroš, der heilige Stefan Stiljanovič und [auch, S. R.] in dem serbischen Patriarchat in Peć sind die Gebeine völlig erhalten“.517

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Stare srpske biografie, S. 150. Hierzu u. a.: Slijepčević (1962), Bd. 1, S. 349. Đorđe Branković. Hronika slovena Ilirika, Gornje Mezija i Donje Mezije, S. 32. Kaser (22002), S. 158. Đorđe Branković. Hronike slavenosrpske, Bd. 2, S. 224 – 226. Zirojević (1998). Stari srpski rodoslovi i letopisi, S. 30. Partenij Pavlovič, S. 62. Zu diesen Heiligen dort Parfenovič auch in seiner „Autobiographie“ von 1746: S. 70.

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In dem Text verstand der bulgarische Geistliche der serbischen Kirche Sava als Teil eines überregionalen, transethnischen Zusammenhanges und der durch ihn selbst ge­übten Praxis der religiösen Verehrung serbischer Herrscher. B 5.4  ,Sie sind aus einer fruchtbaren Wurzel eines Ölbaumes‘ – die übrigen Nemanjiden und ihre Klöster B 5.4.1  Die Nemanjiden als ,Wurzel Jesse‘

Gemäß dem narrativen Vorbild, das Sava und Stefan der Erstgekrönte vorgegeben hatten, versah Erzbischof Danilo II . (1270/75 – 1337)518 auch den jüngsten Sohn Stefans des Erstgekrönten, Stefan Uroš I. (um 1220 – 1277),519 sowie seine Gattin Jelena, deren Sohn Stefan Dragutin (um 1252 – 1316),520 und Stefan Uroš II. Milutin (um 1254 – 1321)521 sowie drei Erzbischöfe mit „Hagiobiographien“.522 Von diesen Herrschern wurde nur Stefan Uroš II. Milutin schon etwa 60 Jahre nach seinem Tod wie Stefan Nemanja als „heiliger König“ verehrt.523 Ein Schüler Danilos II., der in der ersten Hälfte des 14. Jh. lebte,524 bedachte sodann bis 1340 auch Stefan Uroš III. Dečanski (1275 – 1331)525 – der schon nach 1343526 gleichfalls als Heiliger verehrt wurde – sowie Stefan Dušan 527 mit Viten, wobei sich um Dušan dennoch kein Heiligenkult entwickelte.528 Alle diese Herrscherbiographien entstanden ganz im diskursiven Rahmen der älteren Texte um Sava und Stefan den Erstgekrönten.529 Mit der Eingliederung in den narrativen Zusammenhang der biographischen Reihe, die Danilos Schüler etwa um 1340 möglicherweise nach dem Vorbild einer „lateinischen Parallelbiographienreihe“ vornahm, wurden auch Herrscher mit Viten versehen, um die bisher kein Kult entstanden war.530 Bis heute erhalten sind vollständige und partielle Abschriften des Textes aus dem 16. Jh. sowie aus dem 518 S. Ćirković, „Danilo II.“, in: LexMA 3, Sp. 542 f.; Serbisches Mittelalter 2, S. 32 – 34. 519 S. Ćirković, „Stefan Uroš I.“, in: LexMA 8, Sp. 87. 520 S. Ćirković, „Stefan Dragutin“, in: LexMA 8, Sp. 88 f. 521 S. Ćirković, „Stefan Uroš II. Milutin“, in: LexMA 8, Sp. 89 f. 522 Vgl. Kämpfer (1994), S. 436. 523 Vgl. Kämpfer (1973), S. 11. 524 Serbisches Mittelalter 2, S. 35. 525 Irrtümlich mit dem Todesdatum 1321: S. Ćirković, „Stefan Uroš III. Dečanski“, in: LexMA 8, Sp. 90. 526 Serbisches Mittelalter 2, S. 22. 527 S. Ferjančić, „Stefan Dušan“, in: LexMA 8, Sp. 90 f. 528 Serbisches Mittelalter 2, S. 34. 529 Ihre heute vorliegende Form ist dem Schüler Danilos II. zu verdanken, der die von ihm selbst sowie von seinem Lehrer verfassten Viten zusammenfasste und redigierte. Entscheidend für diese Überarbeitung war offenbar das Vorbild lateinischer Biographienreihen. Serbisches Mittel­ alter 2, S. 35. 530 Kämpfer (1994), S. 436; Serbisches Mittelalter 2, S. 22.

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18. Jh., die, soweit bekannt, in den Klöstern Hilandar, Sopoćani und Studenica hergestellt worden sind.531 Mit der fortschreitenden „Verkultung“ der ganzen Dynastie (Kämpfer) veränderte sich aber auch das Gedenken an Stefan Nemanja und Sava. Ihr Gedächtnis wurde immer stärker im kollektiven Zusammenhang der Herrscherfamilie imaginiert, während ihre Verehrung als individuelle Herrscher oder Heilige zurücktrat. Auch die Nemanjiden, die nicht direkt als Heilige verehrt wurden, wurden im Rahmen der Verehrung des gesamten Herrscherhauses in einen sakralen Zusammenhang eingegliedert. Nach und nach lud sich die Verehrung der Dynastie auch mit ethnischen Begriffen auf. Die allmählich entstehende Textsammlung wurde konstitutiv für die Inszenierung und Legitimation des Staates und seiner sakralisierten Herrscher im Kreis der gebildeten Geistlichkeit sowie der „aristokratischen Laien“ im Spätmittelalter.532 Danilos Schüler begann seine übergreifende Einleitung zu den Lebensbeschreibungen, indem er insgesamt die „christusliebenden Könige des serbischen [Landes, S. R.] und des Küstenlandes“ als rhetorische Figur einführte. Herrschaftsgebiet, christliche und verehrungswürdige Dynastie sowie ethnisches Adjektiv gingen damit eine Synthese ein. Danilo II. bezeichnete dabei „ihren Stammvater“ als „unseren heiligen Vater Simeon Nemanja“. Die Vorstellung der Familie der Nemanjiden gipfelte in der von den Geist­ lichen und Gläubigen imaginierten dynastischen Vaterfigur.533 Das „Vaterland“ der Könige, das aus den älteren Texten bekannt ist, wurde zum „serbischen Land“ umgedeutet.534 Die Könige wurden dabei als geneaologische Gruppe als kollektive Erinnerungsfigur beschrieben, deren Ursprung direkt auf Gott zurückgeführt wurde: „Sie sind aus einer fruchtbaren Wurzel eines Ölbaumes, von der Rechten Gottes gepflanzt, von der Kraft göttlichen Öles genährt, vom Heiligen Geist aufgezogen“.535 Die Nachkommen 531 Serbisches Mittelalter 2, S. 36 – 41. 532 Serbisches Mittelalter 2, S. 28 f. 533 „Lebensbeschreibung und Berichte über die gottgefälligen Taten der […] christusliebenden Könige des serbischen [Landes] und des Küstenlandes; von ihnen wollen wir preisen ihren Stammvater, unseren heiligen Vater Simeon Nemanja, den neuen serbischen Ölheiligen, und seinen Sohn, den ehrwürdigsten Erzbischof Kir Sava, und seinen Bruder, den ehrwürdigsten erstgekrönten König Stefan, und dessen Söhne, die Könige Radoslav und Vladislav, und ihren Bruder, den frommen und großen König Uroš, und dessen Gemahlin, die fromme Königin Jelena, im Engelstand Nonne Jelena genannt, und dessen Bruder, den frommen, christusliebenden und durch Gott Alleinherscher über das gesamte serbische [Land] und das Küstenland, Herrn und König Stefan Uroš, und seinen Sohn, den allerhöchsten und frommen König Stefan Uroš III., und dessen Sohn, den mächtigen und alleinherrschenden König Stefan, den Enkel des heiligen Königs Stefan Uroš. Die Lobpreisung ihres Lebens wurde zusammengestellt vom ehrwürdigsten Erzbischof Kir Danilo [zum] Gedächtnis an ihr Dahinscheiden. Herr, gib deinen Segen.“ Serbisches Mittelalter 2, S. 51. 534 „Denn heute feiern wir das göttliche und lobpreisende Andenken der frommen und christus­ liebenden Könige, die in ihrem Vaterlande, das heißt im serbischen Lande, erstrahlten.“ Serbisches Mittelalter 2, S. 53 f. 535 Serbisches Mittelalter 2, S. 54.

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des Sohnes Simeons, Stefans des Erstgekrönten, seien wie „Zweige“ dieses paradiesischen christlichen Baumes „wie Blüten im Paradies, wohlriechend und bunt und vom Heiligen Geist erfüllt“ hervorgegangen.536 Trotz der zentralen Rolle Stefans des Erst­ gekrönten wurde dieser aber nicht mit einer eigenen Vita bedacht.537 Danilo verglich damit den Stammbaum der heiligen Nemanjiden nachdrücklich mit einem Baum im Paradies. Analogien sind, wie schon besprochen, in den Viten Simeons von Stefan dem Erstgekrönten sowie Sava und auch im um 1380 von dem späteren Patriarchen Danilo III. verfassten Offizium Milutins zu finden.538 Spätestens mit diesem Text wurde die Ver­ ehrung der Dynastie liturgischer Bestandteil von Gottesdiensten: Dynastische und kirchlich-sakrale Verehrung verschmolzen zu einem einzigen Diskurs. Diese Beschreibung der Dynastie stand sowohl im byzantinischen als auch im lateineuropäischen Zusammenhang mittelalterlicher Vorstellungen von Genealogie und Stammbäumen.539 Außergewöhnlich ist dabei die explizite Sakralisierung der Herrscherdynastie als eines durch Gott gepflanzten Baumes. Diese Vorstellung kommt der im lateinischen, allerdings auf Heilige beschränkten seit dem 11. Jh. verbreiteten 540 „Wurzel Jesse“ nahe, die bildlich unter Christus dargestellt wurde.541 Auch in Serbien wurden zur selben Zeit des textuellen Auftretens der „Wurzel“ zu Beginn des 14. Jh. auch Fresken der Herrscherdynastie unter einem schwebenden Brustbild Christi und mit Engeln sowie Nimben gemalt (Abb. 2).542

536 „Ich meine [damit] diesen meinen Herrn und Lehrer, den ersten Erneuerer und Aufklärer seines Vaterlandes und neuen Ölheiligen des serbischen Landes, unseren heiligen und ehrwürdigen Vater Simeon, genannt Nemanja, und seinen Sohn, seine Heiligkeit den Erzbischof Kir Sava, [ferner] seinen zweiten Sohn, Stefan den Erstgekrönten, aus dem ehrenwerte und mannigfache Zweige hervorgingen, wie Blüten im Paradies, wohlriechend und bunt und vom Hl. Geist erfüllt, wunderbare Erscheinungen für alle, die sie betrachten. Denn seiner Söhne sind drei, der erste König Radoslav, der zweite König Vladislav, und der dritte, der große König Uroš.“ Serbisches Mittelalter 2, S. 54. 537 Kämpfer (1973), S. 16. 538 „Versammelt im Segen des göttlichen Geistes, / freuen wir uns und kommt, damit wir gemeinsam loben, / die wie Sprossen von der Wurzel Jesse sind, / von Gott gepflanzte Zweige / der Weinrebe der Frömmigkeit, des gesegneten Simeons, / von dem eine reine Traube, der geheiligte Sava gewachsen ist, und von dem uns eine von Gott erwählte Zweiheit ist“, Simeon und Sava. Srbljak 2, S. 90 f., vgl. Radojčić (1934), S. 40; Haustein (1985), S. 208. Zur Datierung: Srbljak 4, S. 297 f. 539 E. Freise, „Genealogie“, in: LexMA 4, Sp. 1216 – 1221; G. Jászai, „Stammbaum“, in: LexMA 8, Sp. 43 f. 540 Radojčić (1934), S. 42. 541 U. Nilgen, „Wurzel Jesse“, in: LexMA 9, Sp. 382. 542 Die ikonographische Darstellung der Nachkommen Stefan Nemanjas als heilige „serbische Rebe“ ist eingehend erforscht: Radojčić (1934), S. 39 – 43; Haustein (1985); Kämpfer (1994), S. 436 – 438; Kämpfer (1973), S. 10. Zu den entsprechenden narrativen Beschreibungen: B ­ ojović (1995); Haustein (1985), S. 207 – 210. Erstaunlicherweise interpretiert keine der genannten ikonographischen Analysen die Abbildungen des Baumes im Zusammenhang ausdrücklich mit Verweisen auf Vorstellungen vom Paradies. Stattdessen werden Elemente frühchristlicher

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Die byzantinische Vorstellung des christlichen Staates als mimetisches Abbild des Königreiches Gottes im Himmel und Gottes als eines Urbildes des christlichen Königs 543 sowie die christliche bzw. byzantinische Vorstellung der Kirche als eines irdischen Abbildes des himmlischen Paradieses 544 gingen damit in der paradiesischen „Wurzel Jesse“ der heiligen Könige der Nemanjiden in Text und Bild eine sehr eindrückliche Synthese ein.545 Die Konsequenz der Sakralisierung königlicher Herrschaft geht deutlich über die im Falle der Ottonen zu beobachtenden, dennoch verwandten Phänomene hinaus.546 Auch wurde die bildliche Darstellung der „Wurzel Jesse“ weder in Hildesheim noch in St. Denis und auch nicht in Orvieto unmittelbar in die Abbildung der Dynastie eingegliedert. Selbst wenn die dortige Darstellung denen der Nemanjiden zum direkten Vorbild gedient haben mag, bleibt für alle genannten Beispiele der größere, durch Byzanz dominierte Zusammenhang deutlich.547 Danilos Schüler stellte die Viten nicht zusammen, um die „gottgefälligen Leben“ an sich zu beschreiben, sondern „wie sie den Thron des Königtums des serbischen Landes mit Kraft und alleinherrschend im Besitze hielten“.548 Dem Geistlichen wie auch Erz­bischof Danilo ging es nicht um Frömmigkeit, sondern um die Inszenierung politischer und religiöser Erfolge der sakralisierten Herrscher und ihrer Herrschaft, um diese für die Gegenwart und die Zukunft zu festigen. Es galt, mithilfe eines wirksamen Inte­grationsmediums den Anspruch der Herrscher auf die Loyalität schmaler Eliten gegenüber dem jungen Personenverbandsstaat und der ihn konstituierenden Dynastie mit heiliger Legitimität zu versehen. Paradiessymbolik wie Weinranken und Akanthusornamente auf nicht christliche Stilelemente der Antike zurückgeführt: Vgl. Haustein (1985), S. 22 f. Dagegen etwa: Bojović (1995), S. 391. 543 Mit Verweis u. a. auf Eusebius: Baehr (1991), S. 16 f.; vgl. Haustein (1985), S. 125 f.; K ­ ämpfer (1978), S. 97 f. 544 Baehr (1991), S. 14 f., S. 26 545 Eine ähnliche Verquickung ist später im moskowitischen Zusammenhang nachweisbar: vgl. die von Simon Ušakov 1668 für die Kaufmannsfamilie Nikinikov gemalte Ikone „Baum des Russischen Staates“. Der Baum wächst aus dem Moskauer Kremľ und trägt bzw. umrankt unter einem Abbild Christi Bilder von Zaren und Hierarchen, mit der Gottesmutter und dem Kind in der Mitte. Kämpfer (1978), S. 226 – 231; Baehr (1991), S. 24 – 26. Auf die „Serbische Rebe“ geht Baehr nicht ein. 546 Für die Ottonen wird – angesichts der Vorstellung der königlichen „stirps beata“ sowie der Verehrung mehrerer weiblicher Familienangehöriger als Heiligen, aber der Heiligsprechung nur Heinrichs II. – ein „Typus des heiligen Königs“ in Abrede gestellt. Boshof (1993), S. 111; Corbet (1986), S. 112 f., S. 242 – 245. 547 Vgl. Haustein (1985), S. 151 – 157 und Kämpfer (1994), S. 436 – 438. 548 „Die Lobpreisung ihres gottgefälligen Lebens haben wir unternommen [um, S. R.] zusammenzustellen, wie sie den Thron des Königtums des serbischen Landes mit Kraft und alleinherrschend im Besitze hielten und wer von ihnen wie lange auf dem Thron der Herrschaft saß. Fürwahr, wir halten es für unsere Pflicht, das zu berichten, was wir gehört und mit unserem Verstande begriffen, oder es waren alte Männer Zeugen der Taten, die jene zu ihren Lebzeiten vollbrachten, und das wollen wir nun der Reihe nach vorbringen.“ Serbisches Mittelalter 2, S. 54.

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Der religiöse Kontext der Erinnerung oder das kontinuierlich wiederholte „heilige Andenken“ war zentral für die Herrschaftskonzeption der Dynastie und ihre konkrete Reproduktion. Damit sich eine andauernde Verehrung entwickeln konnte, war die Bestattung in einem – so das Ziel der Akteure – möglichst dauerhaft bestehenden und mit dem Kult an Bedeutung gewinnenden Kloster unabdingbar. B 5.4.2  Die ersten Nachfolger

Paradigmatisch hierfür und die Fortsetzung der hagiographischen Biographien war die kurze Notiz zu König Stefan Radoslav (1227 – 1234), einem der Söhne Stefans des Erstgekrönten: „Dieser König Radoslav also regierte in seinem Vaterlande, (dem s­ erbischen Lande), sechs Jahre und übergab seinen Geist dem Herrn, und sein Leichnam wurde in der Kirche der hl. Gottesmutter, genannt Studenica, beigesetzt und liegt hier bis zu diesem Tage, und seiner großen Wohltaten und seines frommen Lebens wegen ist er bis heute in unserem Andenken lebendig.“ 549 Von seinem Bruder und Nachfolger, König Vladislav (1234 – 1243), hieß es: „Er [Vladislav, S. R.] regierte im frommen Glauben und machte sich um sein Vaterland Sorge. Dem Heiligen Berg [Athos, S. R.], den Klöstern Gottes dort gab er viele Spenden zum göttlichen (seligen) und heiligen Andenken für sich und seine Eltern.“ 550 Danilo II. beschrieb Vladislav dabei als „frommen“ und gemäß nur einer Abschrift auch „christusliebenden“ Herrscher, aber nicht als Heiligen.551 Entscheidend war seine Herkunft: „Denn dieser, der das alleinherrschende und mächtige Königtum des serbischen Landes und des Küstenlandes in Empfang nahm und vom Herrn der großen und wunderbaren Ehre für würdig befunden wurde, war wie eine prächtige und wunderbare Blüte aus einer guten Wurzel hervorgegangen.“ 552 Er erklärte es zum Ideal des jungen Königs, sich „für die Welt abzutöten“ und „in die höchsten himmlischen Wohnorte“ zu streben – was weder in Byzanz noch im westlichen Spätmittelalter zum üblichen sozialen Habitus weltlicher Herrscher zählte. Die Stiftung von Klöstern wurde unumwunden mit dem Ziel begründet, in den Himmel zu gelangen.553 Das Einrichten neuer Klöster zählte zu den zentralen Praktiken der Festigung und räumlichen Ausweitung religiös begründeter Herrschaftsansprüche über die Region und gegenüber anderen Zweigen der Dynastie.

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Serbisches Mittelalter 2, S. 169. Serbisches Mittelalter 2, S. 56. Serbisches Mittelalter 2, S. 55 f. Serbisches Mittelalter 2, S. 55. „So eiferte dieser Jüngling, schwere Lasten auf sich zu nehmen und sich für die Welt abzutöten, um auf diese Weise für gute Werke lebendig zu sein, vom Wunsche getrieben in die höchsten himmlischen Wohnorte zu gelangen. Mit aller erdenklichen Schönheit errichtete er auf Erden Gotteshäuser, stattete sie mit Stiftungen, Geschenken und allen kirchlichen Ehren, wie gesagt, im Überfluss aus.“ Serbisches Mittelalter 2, S. 55.

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So stiftete König Vladislav das im zentralen serbischen Herrschaftsgebiet Raszien gelegene Kloster Mileševa um 1235554 nicht zuletzt, da er keinen Zugriff auf die ältere Grablege Studenica hatte, über die sein älterer Bruder Radoslav verfügte. Vladislav gab dem Kloster eine möglichst bedeutende Rolle in der dynastischen religiösen Er­innerungskultur, indem er dank seiner guten bulgarischen Beziehungen 1237 hierher die Gebeine des hl. Sava aus Tărnovo überführen konnte. Bis in die Gegenwart ­ruhten die Reliquien Savas dort, so Danilo II., und sie wirkten in dem Kloster unzählige „Wohltaten den Armen, Fremden und Kranken“.555 Vladislav machte Mileševa zum Konkurrenzheiligtum zu Studenica: Das Kloster wurde als Stauropegion zum zweitwichtigsten Kloster Rasziens. Damit begann sich die „Idee des Eigenklosters“ gegenüber der zentralen Grabstätte der Dynastie durchzusetzen.556 Wie Sava ließ er dann auch sich selbst in Mileševa bei­setzen, um dort „bis heute bei Gott in ehrenvollem Gedenken“ zu ruhen.557 Es gelang ihm, das Gedenken an ihn mit der Bindung an diesen Ort zu festigen: Nach seiner ersten Zerstörung 1459 durch die Osmanen blühte das Kloster bald wieder auf. Bis zu seiner zweiten Vernichtung durch die Osmanen 1688 spielte das Kloster eine zentrale Rolle in der Reproduktion der Erinnerung an den Herrscher, die Dynastie und die Kirche.558 Nach der dritten Zerstörung zu Ende des 18. Jh. blieb es bis ins 19. Jh. verlassen.559 Danilo II. beschrieb auch das Leben von Vladislavs Bruder und Nachfolger ­Stefan Uroš I. auf mehreren Seiten: Sein Königtum sei ihm „von Gott gegeben“, und in ihm „erblühte die Heiligkeit des Herrn“.560 Er stiftete nach dem Vorbild Studenicas und Mileševas um 1265 das Eigenkloster Sopoćani als Grablege.561 Auch die Gebeine Stefans des Erstgekrönten, seines Vaters, überführte er aus Studenica in dieses Kloster westlich von Novi Pazar.562 Als seine „Frau königlichen Geblüts, aus französischem Geschlecht,

554 Serbisches Mittelalter 2, Anmerkungen, S. 279 f. 555 „So errichtete dieser fromme König Vladislav von Grund auf das dem Erlöser geweihte Gotteshaus namens Mileševo, wo er den Körper des großen Erzbischofs in Christo, Sava, nachdem er ihn von der berühmten Stadt Trnovo übertragen hatte, bestattete, er ruht hier bis zu diesem Tage in Ehren, und unzählbar [unsagbar] sind seine Wohltaten den Armen, Fremden und ­Kranken gegenüber in Gedanken an jenen grauenvollen Tag des fürchterlichen und schrecklichen Gerichts, vor dem wir Schuldbeladene alle mit schamrotem Gesicht und mit zu Boden gesenkten Augen stehen werden müssen“. Serbisches Mittelalter 2, S. 56. 556 Kämpfer (1994), S. 433. 557 „Sein gottgefälliger Leichnam wurde mit prunkvollen und (wunderbaren) Lobpreisungen in dem von seinen Händen erbauten Kloster in der Erlöserkirche im Ort namens Mileševo beigesetzt. Und hier ruht er bis heute bei Gott in ehrenvollem Gedenken.“ Serbisches Mittelalter 2, S. 56. 558 Serbisches Mittelalter 2, Anmerkungen, S. 279 f. 559 Stojančević (1987), S. 301. 560 Serbisches Mittelalter 2, S. 57. 561 Kämpfer (1994), S. 434. 562 1526 wurden die Reliquien Stefans des Erstgekrönten nach Crna Reka übertragen, damit sie vor den Türken geschützt waren. 1701 wurden sie zurück in die erste Begräbnisstätte der Nemanjiden, nach Studenica, überführt. In Sopoćani ruhten auch die Gebeine seiner Mutter, Königin

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genannt die fromme (und christusliebende) Königin (und Herrin) Jelena“ 563 ihren ersten Sohn Stefan Dragutin gebar, hieß es: „Als die Zeit der Geburt nahte, gebar sie nach dem Willen und gemäß der Gnade des gütigen Gottes ihren Sohn, einen von Gott gepflanzten Sproß einer fruchtbaren Wurzel.“ 564 Nur mithilfe der Truppen seines ungarischen Schwiegervaters sollte es Stefan Dragutin gelingen, die Herrschaft seines Vaters anzutreten und sich „Stefan [Dragutin, S. R.], frommer, christusliebender, alleinherrschender König aller Länder Serbiens“ und weiterer Gebiete zu nennen.565 Stefan Uroš I. wurde nach seinem Tod „feierlich überführt und im Kloster, das er erbaute, in der Kirche zur Heiligen Dreifaltigkeit in Sopoćani beigesetzt, und dort liegt er bis zum heutigen Tag.“ 566 Um ihn entfaltete sich kein gesonderter Heiligenkult, obschon auch er in den bildlichen Darstellungen der „serbischen Rebe“ mit einem Heiligenschein versehen wurde. Dies entsprach ganz der byzantinischen ikonographischen Tradition: Der Kaiser war in der Überlagerung antikrömischer Traditionen mit christlichen Vorstellungen als Kaiser, aber nicht als Person mit der Aureole ausgestattet – nur ausnahmsweise wurden Herrscher individuell als Heilige verehrt, wie Konstantin der Große.567 Aber auch sein Sohn Stefan Dragutin, dessen Vita insbesondere nach seinem Verzicht auf den Thron 568 zugunsten seines Bruders Stefan Uroš II. Milutin ganz auf eine Heiligenverehrung als „zweiter schwergeprüfter Ijob“ oder Abraham abzielte,569 sollte nach seinem Tod nicht als ein solcher verehrt werden. Dragutin verhinderte in den Worten Danilos II. noch zu seinen Lebzeiten, dass er als Heiliger verehrt würde:570 Die

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Anna Dandolo, die Tochter des Dogen von Venedig Enrico Dandolo, der 1204 Konstantinopel erobert hatte. Serbisches Mittelalter 2, Anmerkungen, S. 283. Serbisches Mittelalter 2, S. 60. Serbisches Mittelalter 2, S. 61. Serbisches Mittelalter 2, S. 67. Serbisches Mittelalter 2, S. 67 f. Kantorowicz (71997), S. 79 f. „Er ließ den Ruhm der irdischen Herrschaft und seinen Thron im Stich, er fand an diesen kurzlebigen Dingen einfach kein Gefallen mehr“. Serbisches Mittelalter 2, S. 76. „Dieser Fromme trug tatsächlich ein großes Verlangen in sich, möglichst sicher jene gewaltigen und wunderbaren Gefilde zu schauen, (…), da er mit dem gottgefälligen Lebenswerk des großen Erzpriesters Christi, Kir Sava, wetteiferte, was dessen Werke und Reisen betrifft, deretwegen dieser in der Vita verherrlicht wird. So wollte es auch dieser mein Herr halten.“ Serbisches Mittelalter 2, S. 86 f. „Dieser Christusliebende war auch als Wohltäter der Armen, Fremden, Kranken, Lahmen und Blinden unaufhörlich tätig. Von seiner Güte hörten nicht nur alle in seinem Vaterlande, sondern auch alle bei den fremden Völkern. Alle pilgerten zu ihm an seinen berühmten Hof in Srěm, dem Ort namens Debrac“. Serbisches Mittelalter 2, S. 89. „Und sie [die Anwesenden] sangen das ganze Totenoffizium, nahmen den Leichnam des seligen aus dem Lande Srěm fort und trugen ihn gegen Osten. Und sie gelangten nach Ras zur Kirche des heiligen Märtyrers Christi, Georg, in sein [des Königs] eigenes Klosters. (…), und hier ruht er bis heute. Er [Stefan Dragutin] befahl noch zu seinen Lebzeiten und sprach es aus mit einem (fürchterlichen) Schwur: Falls sich an ihm irgendeine Gnade Gottes zeigen sollte, dürfe man seinen Körper nicht aus der Erde Staub heben.“ Serbisches Mittelalter 2, S. 97. „Das waren die

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Verehrung sollte aus dynastischen Überlegungen und im Interesse des Reiches seinem Bruder Stefan Uroš II . Milutin zukommen.571 Sein Beispiel zeigt, wie sehr sowohl sein Aufbau als potentieller Heiliger, als Beschenker von Klöstern, die weit außerhalb ­Serbiens lagen,572 und auch seine Verwerfung ganz von machtpolitischen Überlegungen der obsiegenden Herrscher und Hierarchen abhingen. Gleiches gilt für die Verehrung seiner Mutter Jelena als Heilige:573 Ihr Kult erlangte keine weiterreichende Bedeutung, zumal Stefan Uroš II. Milutin als neuer „Heiliger König“ feststand. B 5.4.3  Stefan Uroš II. Milutin

Auch Danilos II. Lebensbeschreibung von Stefan Uroš II. Milutin stand als ein Sohn des „gute Früchte tragenden Zweiges“ der Dynastie ganz im Zusammenhang mit denen der älteren Nemanjiden.574 In dem bereits genannten Offizium des Adligen Danilo, der in Milutins Stiftungskloster Banjska als Mönch Dorotej lebte, bevor er 1390 als Danilo III. zum Patriarchen geweiht wurde, wurde Milutin um 1380 mehrfach mithilfe der Erzählfigur des Baumes der Nemanjiden als von Gott bestimmter Herrscher und Baum im paradiesischen Weingarten Gottes beschrieben.575 Erst er wurde damit wieder, wie die Begründer der Dynastie der Nemanjiden, nicht nur im Rahmen der bildlichen Dar­stellung

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Kämpfe, Leiden und gottgefälligen Taten dieses Seligen, und durch sie erlangte er den Kranz des himmlischen Reiches, der nie verwelkt.“ Serbisches Mittelalter 2, S. 97. Serbisches Mittelalter 2, S. 32, S. 97, Anmerkungen, S. 289. Die Verteilung und Wahrnehmung heiliger Orte war nicht auf die Grenzen des eigenen Herrschaftsgebietes eingeschränkt: So hieß es in der Lebensbeschreibung Stefan Dragutins: „Sogar nach Russland schickte er oft seine Gesandten mit kostbaren Geschenken zu Gotteshäusern (und Klöstern) und manche Almosen für die Armen. (…). Was sage ich da, nur in dieses Land? Nicht nur hierher, sondern auch in die heilige Stadt Jerusalem, zum Grabe des Herrn und an die heiligen Stätten, die sich dort befinden, auf den Berg Sinai (…), und in andere Orte dort, welche zu Jerusalem gehören.“Serbisches Mittelalter 2, S. 86 f. Serbisches Mittelalter 2, S. 99 – 144. „Im Namen deiner Kraft also beginne ich die ersten Zeilen dieses meines Anfanges der Vita ­deiner gottgehorchenden Knechte, die durch deine starke Herrschergnade im Reich, das du ihnen verliehen hast, in ihrer Heimat zu Macht gelangten, und zwar ihr erster Begründer und ihr Lehrer, der ehrwürdige Vater Simeon Nemanja, und der gute Früchte tragende Zweig ­seines Sprosses, der Fürbitter deines Ruhmes und die Leuchte seines Vaterlandes, des serbischen ­Landes, unser Herr und Meister, der Diener der strahlenden Gottheit, der Erzbischof Kir Sava.“ Serbisches Mittelalter 2, S. 147. „Als gemäß Vorsehung Gottes / dir das Los deines Vaterlandes zufiel, / und das Szepter deiner Ahnen, / bist du gut in deren Fußstapfen getreten, / aus heiliger Wurzel ein ruhmreicher Spross, / bist du deinem Vaterland erschienen“. Srbljak 2, S. 82. „Du blühtest wie ein Phönix am Hofe des Herrn, / und wie eine Zeder hast du deine Tugenden vermehrt, / und wie ein fruchtbarer Weingarten im Hause des Herrn / ist uns geistiger Wein geflossen / aus deinen wohltätigen Früchten, / von dem wir trinken, / und das Herz mit göttlicher Freude füllen“. Srbljak 2, S. 84; Srbljak 4, S. 297 f. Vgl. oben zu Srbljak 2, S. 90 f.

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der „heiligen Rebe“, sondern auch früh narrativ als Heiliger verehrt. Danilo II. beschrieb ihn als „heiliggeborenen“,576 „gottgefälligen“ und von Gott eingesetzten Herrscher und „Erbauer“ und „Erneuerer“ von Klöstern.577 So stattete er etwa „das Gotteshaus des Märtyrers Christi, Georg“ im zentralraszischen Gebiet Kičava mit Gaben und Privi­ legien aus.578 In Studenica „im Kloster der allerheiligsten Gottesmutter, gründete er die Kirche der beiden heiligen Gerechten Joachim und Anna“. Milutin etablierte mit dem Bau dieser Kirche, in der sein Porträt und das seiner Frau als Stifterfresken noch heute zu sehen sind, seine Gegenwart in dem von Stefan Nemanja gegründeten Kloster.579 Damit und mit weiteren Stiftungen festigte er im Kommentar des Biographen die Herrschaft über den „Regierungsbereich seines Vaterlandes“. Unter dem Vorwand, „die alten Rechte seiner Eltern und Ahnen“ lediglich zu erneuern, versuchte er, seine Herrschaft auch in Prizren und in Gračanica bei Prishtina zu stärken.580 Tatsächlich erneuerte Milutin das bei Prishtina auf dem Amselfeld gelegene Kloster Gračanica grundlegend. Er erbaute auf den Gemäuern einer Basilika, die ins 6. Jh. datiert wird, eine Kreuzkuppelbasilika. Auch in ihr ließ er neben Abbildungen des serbischen Heiligen und Stifters Nikolaus überdies eine Darstellung seiner selbst sowie einen Stammbaum der Nemanjiden anfertigen.581 Insbesondere mithilfe der Politik religiöser Memoria und der Erneuerung von Klöstern sollte in ethnisch sehr vielfältigen Gebieten, die erst jüngst in den raszischen Herrschaftsbereich eingegliedert waren, sein in erster Linie dynastisch und religiös legitimiertes Königtum etabliert werden. Auch im noch weiter südlich, in neu erworbenen Gebieten gelegenen Treskavac bei Prilep stiftete er bei einer bestehenden byzantinischen Kirche ein Kloster „für sich selbst zum ewigen Andenken und als Bitte um barmherzige Stärkung und Hilfe der 576 Serbisches Mittelalter 2, S. 145. 577 „Die Rechte der Herrscherkraft selbst [die Rechte Gottes, S. R., Serbisches Mittelalter 2, An­ merkungen, S. 298] krönte ihn mit einer nie welkende Krone und gab ihn seinem Vaterlande als eine hellstrahlende Leuchte, als einen, der sich nach göttlicher Vorsehung in steigendem Maße mit gottgefälligen Werken Ruhm erwarb und das verlorene väterliche Reich sammelte, der ein guter Hirte vernunftbegabter Schafe seines ganzen Landes war, ihr guter Lehrer und Meister, ein (unermüdlicher) Erbauer von Gotteshäusern, ich will sagen nicht nur Erbauer, sondern auch ein Erneuerer Zugrundegegangener“. Serbisches Mittelalter 2, S. 148. 578 Serbisches Mittelalter 2, S. 180. 579 Serbisches Mittelalter 2, S. 181, Anmerkungen, S. 306. 580 „Und wegen dieser seiner Wohltätigkeit, der unsagbaren Güte und der zahllosen Gaben für den heiligen Ort wird bis zum heutigen Tag seiner gedacht. Und im Regierungsbereich seines Vaterlandes errichtete er viele göttliche Klöster von Grund auf neu, zeichnete sie mit hohem Rang aus, und da er fürwahr selbst vom Hl. Geiste erneuert war, erneuerte er auch die alten Rechte seiner Eltern und Ahnen und vollendete sie nach dem Willen Gottes von Grund auf. Er gründete die Kirche zu Ehren Mariä Himmelfahrt, genannt Bischofssitz von Prizren, ebenso die Kirche zu Ehren der Verkündigung der allerheiligsten Gottesmutter, den Bischofssitz von Gračanica.“ Serbisches Mittelalter 2, S. 179 f. 581 Radojčić (1934), S. 182; V. J. Djurić, „Gračanica“, in: LexMA 4, Sp. 1630; Serbisches Mittelalter 2, Anmerkungen, S. 305.

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Allerheiligsten für sein Vaterland“.582 Gleiches geschah in und in der Umgebung Skopjes: Er stiftete „die Kirche, genannt zur dreihändigen Mutter Gottes, in der berühmten Stadt Skopje [bis zur Eroberung durch die Osmanen 1392 Sitz des Bischofs der Stadt, S. R.]583, dann die Kirche des heiligen Georg am Flusse Serava, die Kirche des heiligen Konstantin in der Stadt Skopje selbst, die Kirche des heiligen Georg in Nagoričino (…) und in Dabar die Kirche des heiligen Märtyrers Christi, Georg, im Ort mit Namen Orahovica und die Kirche des heiligen Märtyrers Christi, Nikita, unweit der Stadt Skopje“.584

Die Georgskirche von Staro Nagoričino sowie das Kloster des hl. Georg an der Serava bei Skopje waren byzantinische Gründungen, welche Milutin erneuerte und sich damit aneignete.585 Der Neubau von Kirchen und die Erneuerung byzantinischer Kirchen und Klöster in und um Skopje verankerten die Herrschaft Milutins über die Region – wie auch der Vergleich des serbischen Königs mit dem „makedonischen König“ ­Alexander.586 Gerade diese Errichtung von zahlreichen Kirchen und Klöstern wurde denn auch in ­seiner Vita zu den Leistungen Milutins gerechnet, dessen vier Ehen kaum dem Leben eines Heiligen entsprachen.587 So weitete Milutin die Geltung seiner Herrschaft in den ­Worten seines geistlichen Biographen durch Eroberungen und neuen Ruhm räumlich aus.588 Neben Gott half dem König sein gleichfalls angeflehter Urahn: „Richte jene, Herr, die mich beleidigen (…). Und du aber, mein heiliger Herr, ehrwürdiger Vater Simeon, eile herbei und hilf mir, denn wenn du willst, so ist es dir möglich.“ 589 Wie Simeon wurde aber auch der hl. Sava als lebendiger Schutzherr des Reiches bekräftigt: „Denn hier besiegte sie die Kraft des Herrn und die Fürbitte des heiligen Erzpriesters Sava“.590 Und bei anderer Gelegenheit, im Kampf gegen den

582 „Diesem Tun gab er sich unaufhörlich hin, und auch im Hinblick auf die Zukunft machte er sich, was das Lob Gottes betrifft, folgendes zur Herzensangelegenheit: das Kloster der allerheiligsten Gottesmutter, der gütigen Ernährerin des christlichen Geschlechts, im Ort genannt Treskavci. Auch dieses versorgte er mit seinen unaussprechlichen Schenkungen, mit allem, was für den Dienst Gottes und den Dienst seiner allerreinsten Mutter gebraucht wird; für sich selbst zum ewigen Andenken und als Bitte um barmherzige Stärkung und Hilfe der Allerheiligsten für sein Vaterland.“ Serbisches Mittelalter 2, S. 179 f. 583 Serbisches Mittelalter 2, Anmerkungen, S. 305. 584 Serbisches Mittelalter 2, S. 181. 585 Serbisches Mittelalter 2, Anmerkungen, S. 305. 586 Serbisches Mittelalter 2, S. 184. 587 Kämpfer (1973), S. 11. 588 „Aller dieser Gebiete bemächtigte er sich beim ersten Einmarsch, legte sie zum Herrschafts­bereich seines Vaterlandes hinzu und verwandelte den Ruhm und den Reichtum dieser Länder in seinen Reichtum und Ruhm seiner Mächtigen und seines Gefolges.“ Serbisches Mittelalter 2, S. 152. 589 Serbisches Mittelalter 2, S. 154. 590 Es „sandte ihnen Gott, dank den Gebeten seiner Diener, der hll. Simeon und Sava und des hl. Arsenije, des Erzpriesters Christi, der hier in der Apostelkirche ruht, ein großes, schreckliches

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Tatarenherrscher Nogai, erinnerte sich Stefan laut seinem Hagiographen an diese Personen und gab ihnen grundlegende Bedeutung: „Und auch euch beide flehe ich an, meine heiligen Herrn, ehrwürdiger Vater Simeon und Kir Sava, ihr führt eine freimütigere Sprache mit dem Gebieter, missachtet meine Bitten nicht und überantwortet euer Vaterland nicht den Händen eines Fremdlings, das ihr beide als Erbe empfangen und mit euren Gebeten felsenfest verankert habt.“ 591

Die als Lebendige im Jenseits angerufenen heiligen Vorfahren leisteten mit ihren Ge­beten die tägliche Verankerung der Herrschaft.592 Die Vorfahren gaben auch das Muster für die Machtteilung zwischen König und Kirche vor: Milutin habe mit seinem Bruder Sava II. wie Sava und Stefan der Erstgekrönte das Erzbistum und das Königsamt brüderlich geteilt und so das „Himmelreich“ gewonnen.593 Danilos Schüler verglich Milutin in der Beschreibung seines Lebens überdies mit dem hl. Demetrios – wie schon ­Stefan Nemanja in seiner Vita in einen Bezug zu diesem Schutzpatron Salonikis gestellt worden war.594 Dem byzantinischen Kaiser wurde in den serbischen Herrscherviten nur selten ausdrücklich der Vorrang gegenüber den serbischen Herrschern zugeschrieben. So wurde Andronikos II. als „heiliger Weltenkaiser“ oder als „Träger des heiligen Namens“ angesprochen.595 Dieser sprach Milutin in den Worten des Schülers von Danilo als „Geliebter Sohn meines Staatskaisertums“ oder als „Süßer und geliebter und auch meinem Herzen am nächsten stehender Sohn meines gottesstaatlichen Kaisertums“ an. Milutins Herrschaft stand in dieser Darstellung ganz im Glanze des maßgeblichen byzantinischen Herrschers.596 Milutin beabsichtigte sodann, seine eigenen Gebeine ähnlich wie die seines Ahnen Simeon bestatten zu lassen: „In seinem gütigen Herzen nährte er das Andenken an seinen ehrwürdigen Ahnen, den heiligen Vater Simeon, und den Gedanken, was für ein Bauwerk und welchen kirchlichen Prachtbau er als Aufbewahrungsort und als Ruhestätte

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Himmelszeichen, ein Zeichen solcher Art, als ob man eine große Feuersäule vom Himmel herab­ragen sähe“. Serbisches Mittelalter 2, S. 152. Serbisches Mittelalter 2, S. 152. Serbisches Mittelalter 2, S. 152. „Und wie du auch dem heiligen Herrn, meinem Vorfahren Stefan dem Erstgekrönten, einen leiblichen Bruder, den Erleuchter des serbischen Landes, Kir Sava, beigegeben hast, und dieser mit seinem heiligen Gebete für sich selbst und für ihn das himmlische Reich erwarb, ebenso hast du, o Herr, in deiner Güte meinem Vater einen leiblichen Bruder gegeben [Sava II., einen Sohn Savas I., S. R.], der deinen Thron des Bischofsamtes verwaltete und ihm die geistlichen Gesezte bewahrte, und beide erwarben sich das Himmelreich.“ Serbisches Mittelalter 2, S. 195. „Vernehmt nur noch von diesem Seligen die wunderbare und überaus rühmliche göttliche Barmherzigkeit, wie er dies alles tat, die Seinen nie verließ und sich stets um dieses sein Vaterland Sorgen machte, genauso wie der hl. Demetrius.“ Serbisches Mittelalter 2, S. 183. Serbisches Mittelalter 2, S. 152, S. 184, S. 190. Serbisches Mittelalter 2, S. 188 f.

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seiner heiligen Gebeine errichten solle“.597 In der Darstellung des Biographen erreichte er ­dieses Ziel: Die Schilderung der reichen Ausstattung des Klosters Banjska bei Kosovska Mitrovica, das König Milutin von 1313 bis 1317 als Königskloster nach dem Vorbild Studenicas errichtete, schließt mit dem erklärenden Satz: „Selig bist du, frommer und christusliebender König, du hast dir eine Ruhestätte und ein Angedenken von Geschlecht zu Geschlecht verschafft.“ 598 Trotz dieser eindrücklichen narrativen Steilvorlagen und der materiellen bzw. architektonischen Anstrengungen blieb die Verehrung von Stefan Uroš II. Milutin aber nicht dauerhaft: Nachdem seine Gebeine um 1460 aus dem von ihm gestifteten Kloster Banjska nach Sofia überführt worden war, wo sie bis zu ihrer Überführung 2007 ins kosovarische Banjska blieben, verlor der Kult sein Zentrum: Das Kloster wurde in eine Moschee umgewidmet, der Kult erlosch.599 B 5.4.4  Stefan Uroš III. Dečanski

Langfristig erfolgreicher war sein Sohn, der später dauerhaft als heilig verehrte König Stefan Uroš III. Dečanski. Der Schüler Danilos II. verfasste auch ihm zu Ehren eine erste Vita. Stefan „übernahm nach Gottes Ratschluß den Königsthron“ und wurde gleich in einem Atemzug mit Salomon, Konstantin dem Großen und Moses verglichen.600 Er besiegte in der Schlacht von Velbužd (Kjustendil) 1330 den bulgarischen Zaren Michail [Šišman, S. R.], nachdem er in Nagoričino den hl. Georg und den hl. Ioakim um Hilfe gebeten und an den angeblich mithilfe Savas erreichten Tod von Strez erinnert hatte.601 Sein Biograph legte ihm die Worte in den Mund: „alle Völker umringten mich, ich wehrte sie ab in des Herrn Namen“ 602 und verglich ihn erneut mit Moses, aber auch mit dem „mächtigen makedonischen Kaiser Alexander“.603 Gleichfalls in die Vita aufgenommen wurde die Schilderung seines Einzuges in Bulgarien, der in der Unterwerfung der bulgarischen Wortführer gipfelte und eine übergreifende, nach byzantinischem Vorbild transethnische Herrschaft entwarf: „Von nun an sollen das serbische Königreich und das bulgarische Zarenreich eine Einheit werden, und es wird Frieden herrschen.“ 604 Im

597 Serbisches Mittelalter 2, S. 192. „Gemäß seinem Befehl und seiner Klugheit, die ihm der Herr gab, wurde das alte Gebäude der Kirche abgetragen, und ein neues erbaute er [Bischof Danilo II., S. R.] von Grund auf und vollendete es nach dem Vorbild der hl. Gottesmutter von Studenica, gemäß dem Befehl des Herrn und allerhöchsten Königs Stefan Uroš [II. Milutin], damit die Gebeine dieses Seligen und Gottgefälligen an diesem Ort aufbewahrt werden und ruhen, dann, wenn er einmal aus dieser unruhigen Welt zu Christus heimkehren wird.“ Serbisches Mittelalter 2, S. 194. 598 Serbisches Mittelalter 2, S. 194. 599 Kämpfer (1973), S. 11; Serbisches Mittelalter 2, Anmerkungen, S. 397. 600 Serbisches Mittelalter 2, S. 214. 601 Serbisches Mittelalter 2, S. 225, S. 227. 602 Serbisches Mittelalter 2, S. 228. 603 Serbisches Mittelalter 2, S. 231. 604 Serbisches Mittelalter 2, S. 239.

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Kampf gegen Byzanz erweiterte er sodann seine Herrschaft nach Süden über „viele Bezirke Griechenlands“ in Makedonien.605 Diese Erfolge gegenüber einem christlichen Nachbarn wurden in seiner Hagiobiographie gleichsam als Wunder gefeiert: Er erlangte sie „gemeinsam mit seinem allerliebsten Sohn, dem jungen König [Stefan Dušan, S. R.], dank der Hilfe Christi und dank den Gebeten seiner Herren, des hl. Simeon und des Erleuchters Sava, zur großen Ehre und zum Ruhme Gottes und zum Glanz und zu seiner eigenen Würde und seines Sohnes Namen“.606 Durch „die Kraft des Heiligen Geistes“ zu einem „Bollwerk ihres Vaterlandes, des serbischen Landes“ geworden,607 machte er sich und sein Vaterland mit dem Apostel Paulus zu „Auserwählten Gottes“.608 Diente die Sakralisierung der Dynastie zunächst der Einigung der zerstrittenen Eliten und Wort­ führer der serbischen Kerngebiete unter einer monarchischen Herrschaft, wurde die Meistererzählung bald zur religiösen Legitimation der Ausweitung des Herrschafts­gebiets und zur Delegitimierung der Feinde eingesetzt. Die Gleichsetzung der „Patria“ mit den „Auserwählten Gottes“ war dabei im europäischen Rahmen keine außer­gewöhnliche rhetorische Spitze – sie entsprach der Beschreibung des „regnum Franciae“ als „populum electum a Domino“ durch Clemens V. zu Beginn des 14. Jh.609 Nach der Beschreibung dieser Siege wurde in seiner Vita das Thema gewechselt. Stefan Dečanski wandte sich an den „allerheiligsten Erzbischof Danilo“ mit den ­Worten: „Da gute und fromme Denkmäler meiner Eltern, die sich selbst zum ehrwürdigen und ewigen Gedächtnis Gotteshäuser errichtet haben, meine Trägheit bloßstellen, will ich meinem Gott und Heiland Christus ein Gotteshaus erbauen.“ 610 Er stiftete darauf das Kloster Dečani westlich von Prishtina im Südwesten seines Herrschaftsgebiets. Auch der bereits erwähnte Grigorij Camblak verfasste zu Ehren Stefans zu Beginn des 15. Jh. eine Heiligenlegende mit Offizium.611 Er gedachte Stefans als eines „heiligen Großmärtyrers unter den Zaren, Stefans des serbischen von Dečani“ und als „Zaren des großen und sehr gerühmten serbischen Volkes“.612 Mit seinem gleich folgenden Lob der Kriegstüchtigkeit und des Reichtums des serbischen Volkes liegt der Schluss nahe, dass er nicht Träger einer serbischen Identität war. Vielleicht ist damit auch zu erklären, weshalb er die Dynastie nicht insgesamt als „heilige Rebe“ bezeichnete und sogar Simeon bzw. Stefan Nemanja nicht als Heiligen beschrieb, sondern bloß als „Wurzel des Stammes der Nachfahren und des Zarentums“ und als „guten Krieger des großen Heerführers“ Christus.613

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Serbisches Mittelalter 2, S. 241. Serbisches Mittelalter 2, S. 242. Serbisches Mittelalter 2, S. 242. Serbisches Mittelalter 2, S. 244. Kantorowicz (71997), S. 237 f. Serbisches Mittelalter 2, S. 246. Žitie na Stefan Dečanski; Kämpfer (1973), S. 11. Žitie na Stefan Dečanski, S. 64. Žitie na Stefan Dečanski, S. 64.

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Allerdings hielt auch er sich in anderen Einschätzungen nicht zurück: So sollte ­ tefan in seinem Leiden etwa Josef übertreffen. Camblak verklärte sodann im narrativen S Rahmen des Vergleichs Stefans mit Josef Ersteren und die Serben zum „Herrscher von auserwählten Leuten und eines heiligen Volkes, eines zarischen Heiligtums, des Volkes Christi“.614 Auch sei Stefan „wie ein zweiter Moses“ sowie geistiger und frommer als David, keuscher und weiser als Salomon gewesen.615 Seine irdische „Selbstherrschaft“ sei durch und durch auf das himmlische Reich ausgerichtet gewesen: „die Krone dieses irdischen Zarentums war ihm die Vermittlerin des himmlischen Zarentums“.616 ­Camblak beschrieb ihn auch als im Jenseits lebendigen Fürbitter und Beschützer „­seines K ­ losters“ 617 und „der engelgleichen Ordnung in ihm“. Überdies sah er ihn aber als „göttlichen und strahlenden Kämpfer“.618 Camblak, der wie bereits mehrere genannte Autoren nicht eindeutig als Bulgare, Serbe oder Grieche bezeichnet werden kann,619 beschrieb den bulgarischen Zaren Michail, der mithilfe der Goten kämpfte, als „Tier“,620 und die Kämpfer unter Stefan als die „Unsrigen“.621 Der „allerchristlichste Stefan“ habe aber mit den Worten Camblaks Michail aufgefordert, gegen die „Barbaren“ zu kämpfen, „und nicht gegen die Leute Christi“.622 Camblaks Lob Stefans und des serbischen Volkes bezeugt eine situative Identität des Verfassers, die explizit christlich war, und nicht ausdrücklich serbisch – Stefan kehrte laut Camblak nach dem Kampf „in sein Haus“ zurück, wie auch Michail „in sein Land“.623 Der Text steht für ein transethnisches, christliches Gemeinschaftskonzept gegenüber heidnischen „Barbaren“, wie es für Byzanz charakteristisch war. B 5.4.5  Stefan Dušan als Begründer des Patriarchats in Peć

Stefan Dečanski entzweite sich allerdings früh von seinem als „junger König“ ein­gesetzten Sohn Stefan Dušan,624 der ihn nach langen Auseinandersetzungen und s­ einem Tod im 614 Und wenn dieser „Zar Ägyptens“ geworden sei, wurde nicht der andere „Zar der Serben? Allein jene waren vom alten Gesetz, vor dem Gesetz des Segens und er ein Herrscher eines gottlosen und unreinen Volkes, aber jene – im höchsten Segen, und er ein Herrscher von auserwählten Leuten und eines heiligen Volkes, eines zarischen Heiligtums, des Volkes Christi“. Žitie na Stefan Dečanski, S. 124. 615 Žitie na Stefan Dečanski, S. 126. 616 Žitie na Stefan Dečanski, S. 128. 617 „Weil seine ehrenhaften Gebeine bei uns sind, glauben wir, dass auch seine dreimalgesegnete Seele mit uns ist, und uns unsere Bitten um die Rettung (…) erfüllen“. Žitie na Stefan Dečanski, S. 128. 618 Žitie na Stefan Dečanski, S. 136. 619 Podskalsky (1994), S. 38. 620 Žitie na Stefan Dečanski, S. 108. 621 Žitie na Stefan Dečanski, S. 106. 622 Žitie na Stefan Dečanski, S. 106. 623 Žitie na Stefan Dečanski, S. 110. 624 Serbisches Mittelalter 2, S. 251 – 257.

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Kloster Dečani beisetzte. Die Vita von Danilos Schüler äußerte sich nicht über Wunder nach dem Ableben Stefans. Der Schüler Danilos bedachte auch Stefan Dušan mit einer ausführlichen Lebensbeschreibung. Da Christus „das ganze serbische Land mit der Huld seiner Gnade krönte“, wurde Dušan als von „Gott erhöhter Sohn“ „alleinherrschender König“. Er übertraf dabei seine heiligen Vorfahren: Er „erwarb sich einen großen und überaus berühmten Namen, der größer war als der der Herrscher der Antike, seiner Eltern und Ahnen“.625 Dennoch folgte er letztlich nur dem Weg, den „Simeon Nemanja und als fruchtbarer und prächtiger Sproß sein Sohn Kir Sava“ als „Vorbild“ etabliert hatten.626 Während in den anderen Texten aber hervorgehoben worden war, wie diese das „irdische Reich“ zugunsten des „himmlischen“ gewählt hatten, wurden sie nun hier gelobt, da sie fähig waren, „den Thron des irdischen Reiches“ „gut“ zu halten, und sich das „Himmelreich“ zudem „eroberten“.627 In der Beschreibung der Herrschaft Dušans schien sich der Gegensatz von weltlich und himmlisch aufzulösen. Er wurde nicht als heiliger, aber als „frommer König“ beschrieben, der „in der Gnade Gottes erblühte“.628 Sein Thron wurde denn auch „dank der gottgefälligen Gebete ­seiner heiligen Herren, unseres frommen und seligen Vaters Simeon und des allerheiligsten Kir Sava“ von Gott „mit unerschütterlicher Kraft gefestigt“.629 „Durch Gottes Hilfe beschirmt“ gelangen ihm der Sieg gegen den bulgarischen Zaren wie der Angriff „in das Innere des griechischen Kaisertums“, bis der bisher als Weltenkaiser 630 beschriebene byzantinische Herrscher nach Saloniki flüchtete und ihm ein Bündnis vorschlug.631 Die „Festungen und griechischen Gebiete“, die Stefan mit dem Friedensschluss nicht zurückgab, „an erster Stelle die berühmte Stadt Ohrid , die berühmte Stadt Prilep“ „vereinigte er mit seinem Vaterland“.632 Seine Kriegserfolge wurden als Zeichen weltweit einzig­artiger Gnade Gottes sakral aufgeladen und legitimiert 633 – Dušan war selbst dabei, zum Welten­kaiser der Ökumene zu werden. Der Vergleich mit Moses durfte nicht fehlen.634 Obwohl aber „Gott an diesem seinem treuen Diener unaussprechbare Wunder“ geschehen ließ, beschrieb ihn sein Biograph bis zum Schluss nicht als Heiligen– offenbar war sein Scheitern allzu offensichtlich. Seine Krönung zum „Zaren der Serben und Rhomäer“ in Skopje 1346 und die dortige und gleichzeitige Erhebung des Erzbischofs von Peć (ganz in der Nähe von Dečani)

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Serbisches Mittelalter 2, S. 259. Serbisches Mittelalter 2, S. 260. Serbisches Mittelalter 2, S. 260. Serbisches Mittelalter 2, S. 261. Serbisches Mittelalter 2, S. 264. Beispielsweise: Serbisches Mittelalter 2, S. 207. Serbisches Mittelalter 2, S. 266 f. Serbisches Mittelalter 2, S. 269. „Denn der gütige Gott, der im Lichte seiner Heiligen zu Ruhm gelangt, sandte vom ruhmreichen Thron seines Reiches seine überreiche Gnade und machte diesen Frommen berühmt, damit alle Völker, die an die dreifach strahlende Gottheit glauben, überzeugt seien, daß er auf der ganzen Erde als einziger so glorreich ist.“ Serbisches Mittelalter 2, S. 270. 634 Serbisches Mittelalter 2, S. 272.

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zum Patriarchen, gegenüber dem das Erzbistum Ohrid autokephal blieb, ­wurden nicht genannt,635 auch das Begräbnis des 1355 Verstorbenen blieb unbeschrieben. Dennoch wurde er zu Lebzeiten als „heiliggeborener“,636 „christusliebender heiliger Zar ­Stefan, der serbischen und griechischen Länder“ tituliert.637 1347 ehrte er seine „heiligen Ahnen“, die hll. Sava und Simeon, mit einem Besuch ihrer auf dem Athos gestifteten K ­ löster und mit neuen Stiftungen und nannte sich „Zar und Selbstherrscher der Serben, Griechen und Bulgaren“.638 1348 wurde daraus im gleichen Kontext der Titel „Zar und Selbstherrscher der Serben, Griechen, Bulgaren und der Albaner“.639 Im gleichen Jahr sakralisierte Stefan seine Herrschaft mithilfe seines Stammbaumes, dem „Zweig aus guter Wurzel“, dem „meine heiligen“ Vorfahren entsprangen, wie auch Sava, der ihm „das Szepter meines gottgegebenen Zarentums“ überreichte. Stefan schrieb von sich, „ich folge dem Leben (…) der heiligen Zaren“, und namentlich dem des „großen und apostelgleichen und ersten Christen, Konstantins“.640 Seine Genealogie, die in dieser Urkunde nicht als eine serbische bezeichnet wurde, wurde analog zu der Konstantins umfunktioniert und ganz in den byzantinischen Zusammenhang gestellt. Die transethnische Natur sowohl der Herrschaft wie auch der Dynastie der Nemanjiden stand zu dieser Zeit ganz im Vordergrund: Das Ziel war ganz im Rahmen und nach dem Vorbild des Vielvölkerreiches Byzanz die Substitution der Herrschaft Konstantinopels. Der Patriarch von Peć, der dem die Herrschaft Dušans ablehnenden Patriarchen von Konstantinopel entsprechen sollte, nannte sich folgerichtig fortan „Patriarch (…) der Serben und Griechen“.641 Um dem neuen Rang Ausdruck zu geben, wurde in Peć nach dem Vorbild Konstantinopels eine Kirche der hl. Apostel errichtet. Zudem wurde eine Kirche des hl. Demetrios erbaut und damit – wie eineinhalb Jahrhunderte zuvor in Tărnovo – der Schutzheilige der zweitgrößten byzantinischen Stadt angeeignet. Diese Kirche wurde mit Fresken serbischer Bischofsversammlungen unter Sava und Stefan Nemanja ausgestattet. Der neue Patriarch Joanikie, Dušan und sein Sohn wurden in goldenen Gewändern mit Aureole neben Sava dargestellt (Abb. 4).642 Die Dynastie der Nemanjiden wurde so in den neuen, den raszischen oder serbischen Zusammenhang transzendierenden Kontext übertragen und ihre Sakralität imperial erneuert. Beide Strategien sollten Peć festigen und es ihm erlauben, zur kirchlichen Stütze eines betont transethnisch entworfenen Versuches zu werden, imperiale Herrschaft zu entfalten. Während sich um Dušan nach seinem Tod und dem Zerfall seines Reiches trotz aller Bemühungen zu seinen Lebzeiten kein Heiligenkult entwickelte, erwies sich das Patriar­ chat als erstaunlich dauerhaft. 635 636 637 638 639 640 641 642

Serbisches Mittelalter 2, S. 329. Stari srpski zapisi i natpisi 1, Nr. 75 (1342), S. 31; Nr. 89 (um 1347), S. 35. Stari srpski zapisi i natpisi 1, Nr. 102 (1353), S. 38; Nr. 92 (1348), S. 35 f.; Nr. 96 (1350), S. 36. Monumenta Serbica, Nr. 112, S. 124 – 128, hier S. 128. Monumenta Serbica, Nr. 115, S. 129 – 132, hier S. 132. Monumenta Serbica, Nr. 116, S. 133 – 135, hier S. 133 f. Stari srpski zapisi i natpisi 1, Nr. 103 (1355), S. 39; Nr. 145 – 146 (1354 – 1375), S. 47. Đurić/Ćirković/Korać (1990), S. 185 – 207.

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1375 war es vom Patriarchen Konstantinopels anerkannt worden. Unter der osmanischen Herrschaft erfolgte 1463 – ohne Zerstörung der Kirchen und Fresken – seine Aufhebung. 1557 wurde es aber durch Bemühungen des damaligen Zweiten Wesirs des Osmanischen Reiches, Mehmed-Pascha Sokolović (türk. Sokollu Mehmet Paşa), wieder eingerichtet – er, serbischer Herkunft, war im Rahmen der Knabenlese konvertiert worden. Seine Bemühungen führten zur Einsetzung seines Verwandten Makarije Sokolović als Patriarch von Peć und sind letztlich transreligiös einzustufen. Sehr bald beanspruchte es nicht nur den Titel eines serbischen Patriarchats „aller Serben und der nördlichen Länder“,643 sondern auch das eines „aller Serben und Bulgaren und des westlichen Küstenlandes und der nördlichen Länder“.644 Dieser transethnische kon­fessionelle Zuständigkeitsanspruch wurde im 17. Jh. nicht immer betont (etwa abgekürzt in der Form: „Patriarch von Peć und der übrigen Länder“),645 er wurde aber vom Ende des Jahrhunderts an, nach der erfolgreichen Abwehr der Belagerung Wiens, wieder aufgegriffen 646 und entfaltete sich weiter: 1706 nannte sich der unter die Obhut Habsburgs geflüchtete Arsenije III. Crnojević „Erzbischof von Peć und aller Serben, Bulgaren und des ganzen Illyricums Patriarch“.647 Offenbar erwartete sich der Patriarch unter der Ausweitung der habsburgischen Herrschaft eine Erweiterung seiner eigenen Macht: 1720 trug er den Titel: „Erzbischof von Peć, und serbischer und bulgarischer Patriarch und der übrigen Orthodoxen des Gesetzes der östlichen griechischen Kirche unter der Macht des allerleuchtendsten römischen Kaisers Leopold des Ersten“.648 Zur Untermauerung dieser transimperial und über konfessionelle Grenzen hinweg formulierten und legitimierten Ansprüche suchte „Arsenije von Peć“ 1725 und 1735 wie bereits erwähnt die Einöde in Rila auf, um „unseren Vater“ Ivan von Rila zu ehren. In den 1730er-Jahren beanspruchte Arsenije IV. den Titel als „Erzbischof von Peć und ganz Serbiens, Bulgariens und des ganzen Illyricums Patriarch“.649 1742 beschrieb sich dieser sodann als Erzbischof und Patriarch von Peć, und zwar als „serbischer, bulgarischer, des west­lichen Küsten­landes, Dalmatiens, Bosniens, und beider Seiten der Donau und des ­ganzen ­Illyricums“.650 Arsenije V. ging noch weiter: Er nannte sich als Erzbischof von Peć auch Patriarch „Ungarns, Serbiens, Bulgariens, Bosniens, Griechenlands, Dalmatiens, des kroatischen Slavonien und des ganzen Illyricums“.651

643 Stari srpski zapisi i natpisi 4, Nr. 6350 (1570), S. 71. Zu den Titeln auch: Hadrovics (1947), S. 110 – 112; Slijepčević (1962), Bd. 1, S. 334 f. 644 Stari srpski zapisi i natpisi 4, Nr. 6341 (1568), S. 69; Nr. 6418 (vor 1587), S. 84. 645 Stari srpski zapisi i natpisi 4, Nr. 7022 (1677), S. 186: „Patrijarh Peksky i pročim stranam’“. 646 Stari srpski zapisi i natpisi 4, Nr. 7122 (1685, 1690), S. 202: „Patrijarh Pekskyi i v’sem ­Sr’bljem i Bľgarom i Gor’njago Podunavija“. 647 Stari srpski zapisi i natpisi 5, Nr. 7347 (1706), S. 11. 648 Stari srpski zapisi i natpisi 5, Nr. 7535 (1720), S. 40. 649 Stari srpski zapisi i natpisi 2, Nr. 2616 (1733), S. 93; Nr. 2830 (1741), S. 134. 650 Stari srpski zapisi i natpisi 2, Nr. 2841 (1742), S. 136. 651 Stari srpski zapisi i natpisi 2, Nr. 2960 (1748), S. 158.

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B 5.5  Die Verehrung der Nemanjiden bis ins 18. Jh.

In der Perspektive, die in den Viten der Nachfahren Nemanjas eingenommen wurde – und die deshalb hier und nicht im Kapitel zu Stefan Nemanja zu beschreiben ist – erschienen Stefan Nemanja und seine Nachfolger gewissermaßen als Anbeginn serbischer Geschichte: Entsprechend der Gattung der Heiligenlegende wurden in seiner Vita, aber dann auch in denen seiner Nachfolger, die vor Stefan zurückgehenden Vorfahren und die Vorgeschichte ihrer Herrschaftsgebiete praktisch ganz ausgeblendet und die Herrschaft der heiligen Nemanjiden als absoluter Neuanfang dargestellt. Konstantin von Kostenec, genannt der Philosoph, ein Slave bzw. vermutlich ein Bulgare, verfasste eine Vita Stefan Lazarevićs, des Sohnes des Fürsten Lazar. Im Gegensatz zu den bisher behandelten Texten setzte er den Beginn seiner Erzählung in alttestamentarische Zeiten und skizzierte auch einen mythischen antiken historischen Rahmen, wobei er die später serbischen Länder im Paradies verortete bzw. die Donau als einen der vier Flüsse im Paradies bezeichnete.652 Die „Genealogie der Nemanjiden“ führte er auf Abraham und Isaak,653 dann aber auf Constantius Chlorus, den Vater Konstantins des Großen zurück bzw. auf den Adoptivsohn Diokletians Licinius, der „Serbe von Geburt“ gewesen sei.654 Der Verfasser schrieb dabei sehr wohl von genealogischen „Wurzeln“ und „Ästen“, aber sakralisierte diese nicht ausdrücklich.655 Auch die weltliche serbische Chronistik des Spätmittelalters bzw. des beginnenden 16. Jh. setzte nicht mit der Schilderung der Herrschaft Nemanjas ein, sondern mit der Antike. So betonte die zu Beginn des 16. Jh. entstandene Genealogie von Sremski Karlovci 656 Diokletian, der als „aus der Zeta stammend“ beschrieben wurde:657 „Denn Diokletian war ein Serbe“.658 Auch hier war das erwartete Prestige des dynastischen Verweises auf Rom wichtiger als die Religion, gilt doch Diokletian als Christenverfolger. Als Stammherren und Wurzeln der „sehr frommen Rebe“ bzw. des „Stammes der raszischen Herrschaft“ und damit der späteren Nemanjiden wurden in der Zagreber Fassung aber Konstantin und Augustus inszeniert.659 Die Einbindung der Dynastie in eine mythische, auf Rom verweisende Geneaologie dürfte auf westliche Vorbilder zurückgehen. Jedenfalls situierten die Verfasser bzw. die Kompilatoren und Abschreiber 652 653 654 655 656 657 658 659

Stare srpske biografie, S. 50 f. Stare srpske biografie, S. 56. Stare srpske biografie, S. 55 f. Stare srpske biografie, S. 54 – 56. Stari srpski rodoslovi i letopisi, S. IX. Stari srpski rodoslovi i letopisi, S. 2. Stari srpski rodoslovi i letopisi, S. 40, analog S. 44. „Es erstrahlt der wohlgewachsene Zweig aus sehr frommem Stamm (loza)“: „Damals gab der herrschende Herr und Zar unter den Zaren mit seiner allmächtigen Rechten das Szepter des Zarentums dem großen Zaren Konstantin, diesem aus der Rebe (loza) mit Wurzel im Stamm der raszischen Herrschaft und in Verwandtschaft mit dem Kaiser Augustus“. Stari srpski rodoslovi i letopisi, S. 4.

Heilige Herrscher Rasziens oder Serbiens

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mit der (Re)Produktion dieser neuen narrativen Rahmung die Nemanjiden in einem auf Rom ausgerichteten Zusammenhang. Eine aus dem 17. Jh. stammende serbische Genealogie beschrieb unter dem Titel „über das Leiden dieses heiligen Königs“ Stefan Uroš III. Dečanski ausführlicher als alle anderen Nemanjiden.660 Auch die Branković-Chronik stellte insbesondere Stefan Uroš III . von Dečani nicht nur in einen herrschaftlichen und dynastischen, sondern auch sakralen Zusammenhang, wo sie die Überführung seiner Gebeine in das Kloster Dečani beschrieb, und die anhaltende Wunderwirkung schilderte.661 In der Chronik wurde die Dynastie aber nicht übergreifend als „heilige Rebe“ verehrt. Die sogenannte Zagreber Fassung der Genealogie der serbischen Herrscher des 17. Jh. trägt den Titel: „Stammbuch der heiligen serbischen Stifter (ktytor) und Herrscher“.662 Im Gegensatz zu anderen Fassungen des Textes, die nur „über die serbischen Herrscher“ oder „Zaren“ zu berichten vorgaben, wurde damit die Sakralität der ganzen Gruppe serbischer Herrscher betont.663 Auch die im 16. Jh. (möglicherweise 1563 – 1584) entstandene, aber erst in einer Handschrift des 18. Jh. erhaltene Ruvarčev-Genealogie schrieb nicht ingesamt von heiligen Königen als dynastische Gruppe, betonte aber bei zahlreichen Nemanjiden, dass ihre „Gebeine heil und unbewegt“ in den jeweiligen Grabstätten bzw. Klöstern ruhten.664 Diese den Heiligenviten entnommene Ehrbezeugung kam auch ansonsten nicht als heilig verehrten Herrschern zu, so etwa Vladislav, einem Sohn Stefan Nemanjas.665 Der Text endete sodann mit der Bitte: „Und wegen der Gebete dieser Heiligen erbarme dich unser, Amen“ – und wurde damit ganz in den Zusammenhang religiösen Gedenkens gestellt.666 Erst nach der Verbrennung der Gebeine Savas 1594 oder 1595 durch die Osmanen festigte sich die Verehrung Stefans des Erstgekrönten: Um 1600 wurden seine Gebeine exhumiert und wenig später verfasste Patriarch Pajsije eine Vita und ein Offizium, die der Verehrung Stefans des Erstgekrönten als Heiligen eine Grundlage geben sollten.667 Die Erinnerung an ihn wurde damit neu erfunden und unabhängig vom Gedenken an Simeon und Sava in das Zentrum der Aufmerksamkeit der Gläubigen gestellt. Obschon bereits Domentijan Stefan deutlich als heilig beschrieben hatte,668 war sein Kult wenig

660 Pejatovićev rodoslovie, Stari srpski rodoslovi i letopisi, S. XI, S. 49. 661 „Corpus ejus translatum est in monasterium Dechani quod ipse extruxerat, ubi hodieque jacet incorruptum multaque miracula et sanitates patrat odoremque suavissimum exhalat.“ Brankovićev letopis/Die Branković Chronik, S. 46. 662 Stari srpski rodoslovi i letopisi, S. X, S. 2. 663 Pavlović (1965), S. 56. 664 Stari srpski rodoslovi i letopisi, S. VIII, S. 53 f. 665 Stari srpski rodoslovi i letopisi, S. 54. 666 Stari srpski rodoslovi i letopisi, S. 53. 667 Die Vita ist bisher unediert: Pavlović (1965) S. 52; vgl. Kämpfer (1973), S. 8, S. 16. Srbljak 4, S. 349 f. Jetzt zu Pajsije: Petrovszky (2013). 668 „Drei, die sich der Dreifaltigkeit unaufhörlich angleichen, Tag und Nacht, dem Vater, dem Sohn und dem Heiligen Geist.“ Domentijan. Žitije svetoga Save, S. 250 – 252.

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Religiöse Erinnerungsfiguren bis ins 18. Jh.

entwickelt geblieben.669 Wesentlich dabei ist, dass er kein Kloster als eigene Grablege besaß – seine Reliquien erfuhren bis ins 20. Jh. 15 Überführungen, sodass er auch als „Wanderheiliger“ bezeichnet wird. Bedeutsam war die Flucht der Mönche des Klosters Sopoćani 1686 mit seinen Gebeinen, die sie im Kloster Crna Reka vor den Türken in Sicherheit brachten, bis die Reliquien 1701 nach Studenica gelangten.670 Das Kloster legitimierte sich in der Folge auch im 18. Jh. als „heilige und zarische Lavra“ mit dem nachdrückliche Verweis auf die heiligen Könige und Kirchenfürsten der Nemanjiden, wie insbesondere prächtige Gravuren bezeugen (Abb. 9).671 Graf Đorđe Branković schrieb in seiner „Chronik der Slaven der Illyrica, Oberund Untermösiens“ zu Ende des 17. Jh., der „hl. Sava“ habe „mit dem ganzen Volk der Serben und der Slaven des Illyricums“ Stefan den Erstgekrönten mit einer Krone des byzantinischen Kaisers zum ersten König des „serbischen Königreiches“ gekrönt. Stefan selbst stellte er dabei nicht als einen Heiligen dar.672 König Milutin beschrieb er knapper und bezeichnete nur seinen Tod als „heilig“, nicht aber ausdrücklich ihn selbst.673 Hingegen führte Branković Stefan Uroš III. von Dečani mit mehren Sätzen als König ein und darauf in einem eigenen Kapitel als Heiligen. Hier schilderte er seinen Sieg gegen den bulgarischen Zaren Michail als Wunder.674 Sein Text ist noch stärker als die genannten weltlichen Chroniken von der Beschreibung einer „heiligen Rebe“ entfernt. Branković kontextualisierte die Geschichte der serbischen Herrscher nicht nur mit dem Verweis auf ihre römisch-illyrische Herkunft in einem transnationalen Zusammenhang: Er widmete auch Otto III.675 sowie einzelnen byzantinischen Kaisern Passagen.676 Sava war wie Simeon und die übrigen heiligen Nemanjiden im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit nur einer neben weiteren wichtigen Heiligen der serbischen ­Dynastie oder der sie darstellenden „heiligen Rebe“, die in ihrer Funktion mit der „heiligen Krone“ der Ungarn verglichen wird.677 Sein Kult war „noch nicht separiert“.678 Wie sehr die heilige Dynastie als eine einzige Erinnerungsfigur imaginiert wurde, zeigt sich etwa in einem „Lob der serbischen Könige“ des bulgarisch schreibenden, in der südlichen Dobrudža in Silistra geborenen Partenij Pavlovič, der 1726 vom Belgrader Metropoliten und Erzbischof von Sremski Karlovci zum Geistlichen geweiht worden war: „Auf die Kränze der himmlischen Gleichnamigen [vgl. Stefan für griechisch Kranz,

669 670 671 672 673 674 675 676 677 678

Kämpfer (1973), S. 15 f. Kämpfer (1973), S. 16. Đurić (Hg.) (1988), Abb. 215 (1733), S. 274, Abb. 219 (1758), S. 281. Đorđe Branković. Hronika slovena Ilirika, Gornje Mezija i Donje Mezije, S. 33. Đorđe Branković. Hronika slovena Ilirika, Gornje Mezija i Donje Mezije, S. 34. Đorđe Branković. Hronika slovena Ilirika, Gornje Mezija i Donje Mezije, S. 34 – 36. Đorđe Branković. Hronika slovena Ilirika, Gornje Mezija i Donje Mezije, S. 30. Đorđe Branković. Hronika slovena Ilirika, Gornje Mezija i Donje Mezije, S. 34, S. 38. Kämpfer (1994), S. 442. Kraft (2003), S. 407.

Heilige Herrscher Rasziens oder Serbiens

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S. R.] / Στέφανοι πολύτιμοι ούρανοπολίταις, / Ihr seid wie Sterne – ewig leuchtende“.679 Pavlovič vertrat in diesem 1733 in einem Nikolauskloster nördlich von Sofia verfassten Gedicht eine uneingeschränkte, transethnische Verehrung der serbischen Herrscher als „Beschützer“ vor „Angriffen und Bösartigkeiten der Völker“ und „lügnerischer ­Häre­tiker“.680 Orthodoxe Herrschaft trug damit zwar das Adjektiv „serbisch“, war aber ganz selbstverständlich in der Lage, auch die Hoffnungen eines gebürtigen Bulgaren zu nähren, zumal kein vergleichbarer Kult um bulgarische Herrscher bestand. Wohl auch unter dem Eindruck der Titulatur des Patriarchen von Peć, die – wie gezeigt – zu dieser Zeit auch Bulgarien beinhaltete, veränderte sich zur Mitte des 18. Jh. die Bezugnahme auf die Vergangenheit. So beschrieb eine Inschrift im Kloster Dečani 1742 den Titel von Stefan Uroš III. Dečanski als „großer serbischer und bulgarischer König und des ganzen Donaulandes und Dalmatiens“.681 An die Stelle der in spätmittel­ alterlichen Herrschertiteln genannten Herrschaft über die Griechen war – wie schon zuvor bei den Titeln der Patriarchen zu beobachten – die über die Bulgaren gerückt. Tatsächlich regte sich unter den damaligen Kirchenfürsten von Peć die Erinnerung an vergangene Zeiten – und gerade das Gedenken an die heiligen Herrscher diente dazu als Medium: Ioan Georgijević, Archimandrit von Dečani und Exarch des Patri­archats von Peć, notierte in einer Handschrift nach deren Lektüre: „O armes Serbien! Wo sind unsere heiligen Könige und Zaren? Ruhm und Ehre, Mut, wohin seid ihr gegangen?“ 682 1760 doppelte er nach und rühmte Dečani, als er im Banat war: „Das oben genannte heilige Kloster, genannt Dečani, wurde errichtet durch den ehrwürdigen und aller­höchsten serbischen König den hl. Stefan, mit weltlichem Namen Simeon Uroš V. genannt Nemanjić, der damals über Serbien, Bulgarien, Dalmatien, Bosnien, die Herze­gowina, Albanien, Makedonien und das ganze westliche Küstenland, wie auch über Ober- und Unter­ mösien in Illyrien herrschte.“ War hier der König zwar serbisch, aber sein angebliches Herrschaftsgebiet transnational, trat in der folgenden Passage jedoch ein „all­serbisches“ Band in Erscheinung, aber auch eine Pluralität anscheinend gleichberechtigter Zarentümer, unter denen nun auch das griechische erschien: „Und sein heiliger Körper ruht im Sarg im heiligen Kloster und beschenkt die gläubigen Besucher mit Heilungen, denn es singt die allserbische orthodoxe östliche Kirche: Stefan, mein Lob und Bekräftigung. Und meine Tränen! So ruhmreiche Herrschaften und ehrfurchtgebietende Zaren­ tümer, das griechische, serbische, bulgarische und andere Fürstentümer, Gotteshäuser, Kirchen und heilige Orte, und dann kamen die Heiden vom izmailitischen türkischen Geschlecht und haben die Würde des Reichs zerstört und die heilige Kirche Gottes beschmutzt! (…) Schau vom Himmel und sieh und erlöse deinen Weingarten und pflanze deine Rechte, Amen.“ 683

679 680 681 682 683

Partenij Pavlovič, S. 60. Partenij Pavlovič, S. 60. Stari srpski zapisi i natpisi 2, Nr. 2852 (1348, 1742), S. 138. Stari srpski zapisi i natpisi 2, Nr. 2912 (1745), S. 148. Stari srpski zapisi i natpisi 2, Nr. 3165, S. 201.

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Der Heilige diente damit zur Erinnerung, aber auch zum Entwurf der Erneuerung ­mehre­rer orthodoxer Herrschaftswesen, nicht aber einer bestimmten einzelnen, geschweige denn nationalen Herrschaft. Wesentlich für die Imagination auch der heiligen serbischen Herrscher wurde ihre erneuerte Verehrung in Sremski Karlovci mithilfe neuer Printmedien: Hristofor Žefarović übersetzte das 1701 von Paul Ritter veröffentlichte Wappenbuch („Stemmatographia“) der „Illyrer (Illyricorum)“ in die serbische Redaktion des Kirchenslavischen und stellte seinem gemeinsam mit dem Wiener Graveur Thomas Mesmer 1741 in Wien erstellten Druck der „Stematografija“ Abbildungen voran.684 Die erste von ihnen zeigte Stefan Nemanja und Stefan den Erstgekrönten gemeinsam in einem Druckbild. Es folgte eine Reihe von weiteren Doppelabbildungen serbischer, aber auch bulgarischer Heiliger, so an dritter Stelle des weitgehend vergessenen „heiligen bulgarischen Zaren David“ des 10. Jh. Das Werk bezeugt damit die sakrale Begleitung weltlicher Herrschafts­zeichen. Es war aber transregional bzw. transimperial und transethnisch angelegt – wie auch die Widmung „Arsenije IV., Erzbischof aller Serben, Bulgaren, des westlichen Küsten­landes, Dalmatiens, Bosniens, beider Donauseiten und des ganzen Illyricums Patriarch“. Der Druck ist daher ungeeignet, die Rede von der Vorstellung einer separierten und exklu­ siven „Serbia sacra“ oder „Serbia sancta“ zu rechtfertigen.685 Zudem ist die barocke Apotheose Stefan Dušans als Herrscher mit Helm und ohne Nimbus im Kreise der im Buch repräsentierten Wappen – von Moskowitien bis Bulgarien, Makedonien, Griechenland, Kreta, Istrien, Venetien und Böhmen – vielmehr auf­geklärt weltlich verherrlichend oder antik-sakral als christlich-sakral oder gar als national isolierte „Serbia sacra“ zu lesen.686 Diesen barock-antiken Zusammenhang bezeugt das dem Titelblatt folgende Gedicht, das etwa auf Apollo verwies.687 Das Ziel war es, unter dem Schutz der Habsburger das Projekt serbischer Staatlichkeit und Herrschaft zu entwerfen, und sei sie bloß kirchlich: 1741 bat Patriarch Arsenije VI. Maria Theresia um die Juris­diktion über das ganze Illyricum und beschwor in einem Gedicht „Alle Zaren, alle Heiligen“, sie sollten ihre Hoffnung für Serbien nicht verlieren.688 Ganz in diesen situativen Zusammenhang der intensiven Versuche, am Hof in Wien Legitimität herzu­stellen, gehört auch der Kupferstich Žefarovićs von 1741, der mit Sava im Zentrum die serbischen Heiligen des Hauses Nemanja darstellte – auch hier erneut einschließlich des hl. Zaren David, allerdings ohne den direkten Hinweis auf einen Bezug zu Bulgarien. Das die Abbildung begleitende Gedicht ehrte den „serbischen Adler“ und nannte die beanspruchten Zielregionen wie Makedonien, Bulgarien und Slavonien sowie Bosnien. Auch die abschließende Widmung an Maria Theresia blieb weltlich.689 Die Kupferstiche dienten als Medien kirch­licher und politischer Strategien 684 Hristofor Žefarović i Tomas Mesmer. Stematografija. Izobraženije oružij iliričeskih; vgl. ­Medaković (1980), S. 226 f. 685 Anders: Timotijević (1998), S. 397. 686 Anders: Timotijević (1998), S. 406. 687 Hristofor Žefarović i Tomas Mesmer. Stematografija. Izobraženije oružij iliričeskih. 688 Medaković (1980), S. 226. 689 Medaković (1980), S. 225 f., Abb. 151; größer: Medaković (1988), hintere Bucheinbandrückseite.

Amselfeld, Lazar und der Veitstag

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Arsenijes und seines Hofes in Sremski Karlovci, können aber nicht als „politisches und geist­liches Programm des serbischen Volkes im 18. Jh.“ ausgeweitet gedeutet werden.690 Von Anfang an ist folglich eine klare Unterscheidung der als H ­ eilige verehrten Herrscher entlang nationaler oder ethnischer Trennlinien unmöglich: Die Verehrung Jovans zeigt eindrücklich, wie sich noch gerade zur Mitte des 18. Jh. transethnische, regionale bzw. an das Erzbistum und das Grab gebundene, aber keine nationalkirchlichen Praktiken um den serbischen Herrscher entfalteten. Der Kult um Nemanja wurde unmittelbar von seinen Söhnen entworfen: Die Verehrung Simeons als Wundertäter wurde aber im 17. Jh. gleichfalls in einen überregionalen und transnationalen Rahmen gestellt. Gleiches gilt für Sava – dieser war im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit nur einer neben weiteren wichtigen Heiligen der serbischen Dynastie. Mit der „Verkultung“ der ganzen Dynastie (Kämpfer) wurde die Verehrung Savas und Simeons in den kollektiven Zusammenhang der Herrscherfamilie eingebettet. Die Herrschaft der Neman­jiden war im 14. Jh. transethnisch und in der Nachfolge von Byzanz universal angelegt. Das Beispiel des wichtigen Autors Camblak zeigt, wie die Verehrung der Dynastie der Nemanjiden auch im 15. Jh. nicht ausdrücklich serbisch zu sein brauchte. Im 18. Jh. betonten die Kirchenfürsten in Peć gleichfalls eine sehr großräumige anationale kirchliche Herrschaft, die das „ganze Illyricum“ umfassen sollte. Zur Untermauerung dieser Ansprüche argumentierten sie zeitweise unter dem Schutz der Habsburger. Der hl. Stefan der Erstgekrönte diente 1760 zur Erinnerung, aber auch zum Entwurf der Erneuerung mehrerer orthodoxer Herrschaftswesen, nicht aber einer bestimmten einzelnen, geschweige denn nationalen Herrschaft. Schließlich ist zu betonen, dass die Sakralisierung so vieler serbischer Könige im gesamteuropäischen Zusammenhang kein Einzelfall war, vielmehr ist das französische Beispiel vergleichbar: Seit dem 13. Jh. galten nicht nur das Reich und das Volk als auserwählt, sondern die meisten seiner Könige als heilig.691 Allerdings stand neben der Sakralisierung der Könige der Kult um den hl. Dionysius im Zentrum der Legitimation der Herrschaft sowie der Krone. Fand dieser in der Krone des hl. Stephan in Ungarn eine Entsprechung, so diente im serbischen Fall zur Repräsentation der Dynastie und ihrer sakralisierten Herrschaft die Vorstellung der Rebe. B 6  ,Pro patria mori‘ – die Schlacht auf dem Amselfeld, Lazar und der Veitstag B 6.1  Der Zugang zum ,himmlischen Reich‘ – frühe geistliche Verehrung

Im Jahr 1388 bat Đurađ II. Balšić um osmanische Unterstützung, um gegen den bosnischen König vorzugehen. Nach der Niederlage versuchte Sultan Murad I. 1389 durch den von serbischen Adligen beherrschten Kosovo erneut gegen Tvrtko zu ziehen. Dabei stieß er

690 Anders schon: Medaković (1975), S. 331. 691 Smith (2004), S. 110.

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Arsenijes und seines Hofes in Sremski Karlovci, können aber nicht als „politisches und geist­liches Programm des serbischen Volkes im 18. Jh.“ ausgeweitet gedeutet werden.690 Von Anfang an ist folglich eine klare Unterscheidung der als H ­ eilige verehrten Herrscher entlang nationaler oder ethnischer Trennlinien unmöglich: Die Verehrung Jovans zeigt eindrücklich, wie sich noch gerade zur Mitte des 18. Jh. transethnische, regionale bzw. an das Erzbistum und das Grab gebundene, aber keine nationalkirchlichen Praktiken um den serbischen Herrscher entfalteten. Der Kult um Nemanja wurde unmittelbar von seinen Söhnen entworfen: Die Verehrung Simeons als Wundertäter wurde aber im 17. Jh. gleichfalls in einen überregionalen und transnationalen Rahmen gestellt. Gleiches gilt für Sava – dieser war im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit nur einer neben weiteren wichtigen Heiligen der serbischen Dynastie. Mit der „Verkultung“ der ganzen Dynastie (Kämpfer) wurde die Verehrung Savas und Simeons in den kollektiven Zusammenhang der Herrscherfamilie eingebettet. Die Herrschaft der Neman­jiden war im 14. Jh. transethnisch und in der Nachfolge von Byzanz universal angelegt. Das Beispiel des wichtigen Autors Camblak zeigt, wie die Verehrung der Dynastie der Nemanjiden auch im 15. Jh. nicht ausdrücklich serbisch zu sein brauchte. Im 18. Jh. betonten die Kirchenfürsten in Peć gleichfalls eine sehr großräumige anationale kirchliche Herrschaft, die das „ganze Illyricum“ umfassen sollte. Zur Untermauerung dieser Ansprüche argumentierten sie zeitweise unter dem Schutz der Habsburger. Der hl. Stefan der Erstgekrönte diente 1760 zur Erinnerung, aber auch zum Entwurf der Erneuerung mehrerer orthodoxer Herrschaftswesen, nicht aber einer bestimmten einzelnen, geschweige denn nationalen Herrschaft. Schließlich ist zu betonen, dass die Sakralisierung so vieler serbischer Könige im gesamteuropäischen Zusammenhang kein Einzelfall war, vielmehr ist das französische Beispiel vergleichbar: Seit dem 13. Jh. galten nicht nur das Reich und das Volk als auserwählt, sondern die meisten seiner Könige als heilig.691 Allerdings stand neben der Sakralisierung der Könige der Kult um den hl. Dionysius im Zentrum der Legitimation der Herrschaft sowie der Krone. Fand dieser in der Krone des hl. Stephan in Ungarn eine Entsprechung, so diente im serbischen Fall zur Repräsentation der Dynastie und ihrer sakralisierten Herrschaft die Vorstellung der Rebe. B 6  ,Pro patria mori‘ – die Schlacht auf dem Amselfeld, Lazar und der Veitstag B 6.1  Der Zugang zum ,himmlischen Reich‘ – frühe geistliche Verehrung

Im Jahr 1388 bat Đurađ II. Balšić um osmanische Unterstützung, um gegen den bosnischen König vorzugehen. Nach der Niederlage versuchte Sultan Murad I. 1389 durch den von serbischen Adligen beherrschten Kosovo erneut gegen Tvrtko zu ziehen. Dabei stieß er

690 Anders schon: Medaković (1975), S. 331. 691 Smith (2004), S. 110.

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auf dem Amselfeld auf Heere serbischer und bosnischer Adliger.692 Innerhalb von dreißig Jahren nach der Schlacht auf dem Amselfeld im Jahre 1389 entstanden mindestens zehn kirchlich-sakrale Texte über sie und den Fürsten Lazar, der dort mit vielen seiner Kämpfer und Verbündeten umgekommen war.693 Einer der ersten dieser sakralen Texte ist eine in erster Person als „Egodokument“ aufgesetzte Kurzvita. Sie wurde zwischen 1390 und 1398 vermutlich durch einen Mönch des von Lazar gestifteten Klosters Ravanica verfasst, wohin 1391 die Gebeine des Fürsten aus Prishtina überführt wurden.694 Die Verehrung Lazars als Heiliger übertrug sich bereits in diesem Text über den „Auto­kraten und Fürsten aller serbischen Länder“ auf alle „orthodoxen Christen, die mit ihm zu Tausenden in Frömmigkeit durch die Hände dieser verfluchten Leute Hagars starben“.695 Erst später schrieb der Mönch im Text auch von den „mit ihm Gleichgesinnten und den übrigen Völkern (ezyky), die mit ihnen waren“.696 Die ethnische und religiöse Heterogenität der Mitkämpfer Lazars, unter denen auch Ungarn, Bosnier, Deutsche und andere Slaven [bzw. Bulgaren 697] sowie Albaner bzw. ­„Krieger aus allen Völkern“ 698 waren, wie auch die Christen – „Griechen, Genuesen und andere“ – auf der Seite Murads 699 spielten aber im Weiteren in diesem wie in anderen sakralen Texten keine Rolle. Der anonyme Autor fuhr fort: „Mein Christus, ich spreche von deinem Freund, dem edlen und friedfertigen Lazar, dem frommsten Ast einer frommen Wurzel“.700 Zudem brachte er Lazar mit der „Frömmigkeit des Vaterlandes“ in einen Zusammenhang.701 Auch Lazar wurde damit im liturgischen, sakralen Gedenken mithilfe der auf das „Vaterland“ räumlich ausgeweiteten dynastischen Erinnerungsfigur des heiligen Stammbaumes der Nemanjiden imaginiert. Kirchlich-sakrale, dynastisch-herrschaftliche Vorstellungshorizonte und der Patriadiskurs wurden auch mit Lazar verflochten. In dieser Wiederholung der Verknüpfung von Dynastie und Vaterland mit Religion reproduzierte sich ihre geballte symbolische Bedeutung im Rückblick auf den Untergang der weitgehend unabhängigen raszischen Herrschaft: Die Geistlichkeit, die Lazar die byzantinische Anerkennung des serbischen Patriarchats Peć 1375 verdankte und ihn deshalb schon früh stützte, machte ihn nach seinem Tod zum Heiligen und zum Träger der Vorstellung vom Reich, dessen weiteres Bestehen sein Kult sichern sollte.702

692 Schmitt (2008), S. 58. 693 Trifunović (1975), S. 260; Trifunović (1968), S. 13. 694 Pohvala knezu Lazaru sa stihovima, S. 251; vgl. Emmert (1990), S. 62; Trifunović (1968), S. 14. 695 Pohvala knezu Lazaru sa stihovima, S. 251. 696 Pohvala knezu Lazaru sa stihovima, S. 251. 697 Sundhaussen (2007b), S. 32. 698 So die zur Mitte des 15. Jh. entstandene Chronik des Uruǧ: Braun (1937), S. 52 f. 699 Emmert (1990), S. 54 f. 700 Pohvala knezu Lazaru sa stihovima, S. 251; analog im Offizium zu Ehren Lazars: Srbljak 2, S. 196. 701 Pohvala knezu Lazaru sa stihovima, S. 251; vgl. Emmert (1990), S. 62 f. 702 Sundhaussen (2007b), S. 34, S. 96.

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Der gleiche Text schilderte, wie Simeon und Sava Gott um einen günstigen Ausgang baten und die Kämpfer „bewaffnet mit diesen Gebeten“ einen „strahlenden Sieg“ erlangt haben sollen, der sich insbesondere im Tod des Sultans und „sehr vieler“ seiner Leute zeigte. Andererseits haben Lazar „und eine Menge seiner edlen Krieger“ sich „um des christlichen Glaubens willen widersetzt und Christus vorgestellt“ bzw. sie starben: Und „der Herr schmückte alle mit Märtyrerkränzen, die heller als Sonnenstrahlen leuchteten“. Lazar wurde hier zum „neuen Lazar“.703 Während in diesem Loblied zunächst noch über den Tod geklagt wurde, wurde doch bereits eine Verehrung aller getöteten Kämpfer Lazars als Heilige formuliert. In ­späteren geistlichen Texten wurde ein beabsichtigtes Selbstopfer Lazars und seiner Leute beschrieben. So hieß es in einer „Erzählung (slovo) über den Fürsten Lazar“ von Patriarch Danilo III. (1392 – 1396): „für das Vaterland (o(ť)č’stvo) müssen wir ­sterben“, „wir sterben, damit wir auf immer leben werden, wir geben uns Gott als lebendes Opfer“ 704 und „damit wir ewig im Himmel leben, geben wir uns den Namen von Kriegern ­Christi“.705 Das „serbische Land“ sollte diese „Tapferen und Wohlgeborenen“ hervorgebracht haben, „wie wunderbare Pflanzen, und Auserlesene [Zedern? S. R.] des Libanons (jako prěkrasnye lětorasli, i iz’branna Livanova)“.706 Nachdrücklich wurde der kollektive Aspekt des Opfers betont: „Wir sind ein (edino) menschliches Wesen mit gemeinsamen Leidenschaften (pod(o)bostrastny) und ein Grab werden wir haben und ein Feld wird unser Fleisch mit den Knochen aufnehmen, wenn uns der strahlende Garten Eden (edemska sela) aufnehmen wird“ 707 und im „himmlischen Reich“ 708 das ewige Leben winkt. Die Festigung und weitere sakrale Aufladung der religiösen Deutung der Schlacht und des Todes Lazars wurden damit von dem führenden Kirchenfürsten Rasziens getragen. Auch diese Passagen sind in einen überregionalen Zusammenhang zu stellen: „Pro patria mori“ wurde im west- und mitteleuropäischen Spätmittelalter und namentlich in Frankreich mit der Übernahme von Elementen der Kreuzzugnarrative wie auch dem Bild von der „terra sancta“ zum Kern des erneuerten Patriadiskurses und mit der Deutung des ­Staates analog zur Kirche bzw. zu Christus als „corpus mysticum“ verbunden.709 Die Rede von „einem menschlichen Wesen“ der gefallenen Kämpfer Lazars kommt dieser Körpermetapher sehr nahe und unterscheidet sich von früheren additiven Beschreibungen der Dynastie und der sozialen Gruppen des Herrschaftsgebietes. Auch in einer frühen „Predigt über den Fürsten Lazar“ wurde davon geschrieben, dass „alle gemeinsam mit dem Kranz gebunden (věncěm uvězoše se)“ wurden.710 Das

703 Pohvala knezu Lazaru sa stihovima, S. 252. 704 Siluan i Danilo II., S. 90; vgl. Emmert (1990), S. 64. 705 Siluan i Danilo II., S. 89; vgl. Emmert (1990), S. 63. 706 Siluan i Danilo II., S. 90. 707 Siluan i Danilo II., S. 90; vgl. Emmert (1990), S. 64. 708 Siluan i Danilo II., S. 101. 709 Vgl. Kantorowicz (71997), S. 231 f., S. 237 f.; Kantorowicz (1951), S. 478 f., S. 486 f. 710 [Slovo] O knezu Lazaru, S. 112.

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„ganze Volk“ 711 oder „unser Land“ und alle sozialen Gruppen „allen Alters“ 712 wurde hier in der tiefen Trauer geeint beschrieben sowie als „Neues Israel“ 713 mit maximalem sakralem Kapital ausgestattet. Aber auch in diesem Text wurden nicht alle Getöteten, sondern nur Lazar als explizit Heiliger und als „unser Fürsprecher“ bezeichnet.714 Des Weiteren sind liturgische Verse (stihire) in mehreren Dutzend Abschriften erhalten, von denen die älteste spätestens zur Mitte des 16. Jh. erstellt wurde. Zusätzliche entstanden zum Ende des 17. Jh. Die ersten Strophen 715 stellten den Rahmen des Gedenkens klar: „Dem frommen Eiferer und / dem außerordentlichen Dulder / singen heute die Engel im Himmel, / und das Menschengeschlecht feiert auf der Erde mit, / zum Gedenken des neuen Märtyrers Lazar, / den die Engel als höchsten Sieger bekränzen, / die Leute aber staunen über seine Wunder und sagen: / Oh, du bist eine unaussprechliche Freude, Lazar.“ 716

Das „Menschengeschlecht“ war hier nicht der Initiator des Gedenkens, sondern die himmlischen Engel, deren Gesang sich die Menschen nur zugesellen.717 Lazar wurde in dem Gesang als „höchster Sieger“ geehrt – obschon bzw. indem er auf dem Schlachtfeld den Tod fand, habe er „mit seinem Blut die Erde geheiligt“. Auch wurde Lazar als F ­ ürbitter um das Gebet vor Gott „um unsere Seelen“ gebeten.718 In den weiteren Strophen der Liturgie wurde Lazars Tod weiter als Opfer- und Märtyrertod gedeutet: „Als du dich im Glauben und in der Liebe und in der Wahrheit / ganz Gott übereignet und gegeben hast / und sich eine Schatzkammer der Tugenden erhebt / da rühmt dich auch der höchste mit äußerstem Lob, / das kirchliche Szepter überreicht er den Irdischen / dir aber, Heiliger, gibt er / im Himmel das ewige Reich.“ 719

Durch den Tod soll Lazar das himmlische Reich erlangt haben. Mit dieser Deutung wurde die in den serbischen kirchlichen Texten seit Sava überaus häufige Gegenüberstellung des „irdischen Reiches“ und eines „himmlischen Reiches“ aufgegriffen und mit neuer Bedeutung aufgeladen: Nicht dank einer geistigen Entwicklung, wie es in christlichen Heiligenviten und in den serbischen verbreitet ist, sondern durch den als Märtyrertod interpretierten Untergang in der Schlacht erreichte Lazar – und gemäß dem oben zitierten Text auch seine mit ihm getöteten Kämpfer – Zugang zum „himmlischen

711 712 713 714 715

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[Slovo] O knezu Lazaru, S. 117. [Slovo] O knezu Lazaru, S. 114. [Slovo] O knezu Lazaru, S. 116. [Slovo] O knezu Lazaru, S. 118. Diese sollen älter als die übrigen und an zwei oder drei Orten im Morava-Tal entstanden sein. Srbljak 4, S. 300 f. Srbljak 2, S. 138. Diese Vorstellung entsprach ganz der orthodoxen Tradition – bereits die Chrysostomos-Liturgie beschrieb, wie die irdische Kirche gemeinsam mit den Engeln und Cherubim Gottesdienste feierte. Felmy (1990), S. 195. Srbljak 2, S. 140. Srbljak 2, S. 146.

Amselfeld, Lazar und der Veitstag

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Reich“.720 Tatsächlich kann die zitierte Passage so gedeutet werden, dass Lazar analog zur durch das Szepter getragenen irdischen Herrschaft die Herrschaft im ewigen Reich übertragen werden sollte. Alle bisher genannten Texte und damit der Kult Lazars an sich sind ein Erzeugnis der gelehrten höheren Geistlichkeit.721 1690 brach die Verehrung Lazars im Kloster Ravanica abrupt ab, als die Mönche sich nach der Niederlage der österreichischen Truppen und der mit ihnen verbündeten lokalen Kämpfer deren großer Wanderung nach Norden in die habsburgisch-ungarischen Gebiete anschlossen.722 Von 1697 an lagen die Gebeine im Kloster Verdnik in der ungarländischen Fruška Gora – Mönche aus Ravanica übernahmen das Kloster.723 Bis 1718 blieb Ravanica ganz verlassen.724 In mehreren Kirchen und Klöstern befinden sich Fresken, die Lazar und zwölf Kämpfer analog zu Christus und seinen Aposteln bei der Einnahme des Letzten Abendmahls darstellen. Ein spätestens im 19. Jh. aufgezeichnetes Volkslied nennt sich denn auch „Das Abendmahl des Fürsten“ und berichtet wie die Legende von einem Verräter unter den Versammelten – erneut in Analogie zu den Aposteln.725 Neben Lazar wurde auch Miloš Obilić, der angeblich Sultan Murad heimtückisch ermordete, in wenigstens zwei Klöstern auf Fresken als Heiliger dargestellt und verehrt. Andererseits entwickelte sich neben diesem kirchlichen Kult seine Verehrung in Legenden und Gesängen insbesondere in den späteren Phasen osmanischer Herrschaft. Dabei stand seine Verehrung im Kontrast zur weniger gegen die Osmanen gerichteten Verehrung des Fürsten Marko.726 In den geistlichen Texten um Lazar blieb er aber ganz ausgeklammert. In den sakralen Texten seitens der höheren Geistlichkeit zum liturgischen Gedenken an Lazar und seine Mitkämpfer wurde Lazar folglich mithilfe der auf das „Vaterland“ räumlich ausgeweiteten dynastischen Erinnerungsfigur des heiligen Stammbaumes der Nemanjiden imaginiert. Schon in älteren Texten entwickelte Elemente wurden neu gebündelt, aktualisiert und deutlicher in ihrer sozialen Reichweite beschrieben: Nicht nur die Herrscher, sondern alle sollten als „neues Israel“ imaginiert werden. Mit der Rede von „einem menschlichen Wesen“ der gefallenen Kämpfer Lazars schrieben die orthodoxen Geistlichen die Schlacht von 1389 in gleichzeitige westund mitteleuropäische Diskurse ein: Etwa in Frankreich wurde die Übernahme von Elementen der Kreuzzugnarrative wie auch des Bildes von der „terra sancta“ zum Kern des Patriadiskurses, verbunden mit der Vorstellung des Staates als „corpus 720 Trifunović (1975), S. 256 f., S. 260 f. 721 Sundhaussen (2007b), S. 98. 722 Stari srpski zapisi i natpisi 3, Nr. 5284, Nr. 5286, S. 94 f.; Sundhaussen (2007b), S. 99; vgl. Mihaljčić (1984), S. 203 f. 723 Stari srpski zapisi i natpisi 3, Nr. 5289, S. 95. 724 In diesem Jahr kehrte ein Mönch dorthin zurück: Stari srpski zapisi i natpisi 3, Nr. 5302, S. 97. 725 Anzulovic (1999), S. 12. 726 Anzulovic (1999), S. 13; zu Obilić: Aković (2005); zu Marko Kraljević: Kostić (2002). Eine makedonische Perspektive: Ristovski (2001), S. 145 – 178.

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mysticum“. Mit der Migration auch serbischer Geistlicher verschoben sich dieser Diskurs und die mit ihm verbundenen liturgischen Praktiken in der frühen Neuzeit nach Ungarn, wo sie zur Festigung lokaler Identität beitrugen, ohne zu einer „Rache“ der Schlacht auf dem Amselfeld aufzurufen. B 6.2  Der Märtyrertod in den Chroniken

In der Chronistik wurde die Schlacht zunächst nur teilweise, später aber zunehmend mit Elementen aus dem sakralen Diskurs überlagert dargestellt. Sowohl in lateinischen wie auch in serbischen und anderen orthodoxen Texten wurde Lazars Tod als Märtyrer­ tod beschrieben.727 Zur These, die Vorstellung „pro patria mori“ im serbischen Kontext nicht zuletzt auf westliche Einflüsse zurückzuführen, fügt sich die freie Übersetzung der Chronik des byzantinischen Historiographen Dukas ins Italienische: Der zu Ende des 15. Jh. entstandene griechische Bericht kam ohne einen Verweis auf das Vaterland aus, während die italienische und veränderte Übersetzung schreibt, Lazar habe seine Leute ermahnt: „a morir gloriosamente per amor de Christo nostro redemptore et per defensione dela cara patria (…), dela fede et sacra et sancta legge evangelica sotto l’insegna dela ­sancta croce“.728 Hierin kann sich die angeblich „ausgezeichnete Kenntnis der serbischen mündlichen Überlieferung“ des italienischen Literaten niedergeschlagen haben 729 – allerdings spielt der Begriff „Vaterland“ in den epischen serbischen Liedern im Gegensatz zu den sakralen Texten über die Geschehnisse keine Rolle. Gleiches gilt für den Hinweis, dass sich die Schlacht „am Tag des verehrten Gedenkens an den seligen, heiligsten Vitus, den ruhmreichen Märtyrer“ stattfand, wie der Senat von Florenz dem bosnischen König Tvrtko auf dessen – nicht erhalten gebliebenen – Brief antwortete, und ihm für den damals noch als Sieg dargestellten Ausgang der Schlacht gratulierte. Tvrtko hatte mit seinen Scharen Lazar in der Schlacht unterstützt.730 Auch eine italienische Chronik aus Dubrovnik datierte die Schlacht 1389 auf den Tag des hl. Veit.731 Die Schlacht wurde vor der Mitte des 18. Jh. nur und sehr selten in im katholischen Kontext entstandenen Quellen mit dem Tag des hl. Veit am 15. Juni als Datumsbeschreibung in Verbindung gebracht.732 Der sogenannte Text von Sremski Karlovci setzte eine Genealogie fort und schrieb von Lazar ganz im weltlichen Sinn. Er erwähnte nur, dass sein „Körper in dem Kloster

727 Orthodoxe Chronistik: Braun (1937), S. 30, S. 32, S. 37. Lateinische Quellen: Braun (1937), S. 15, S. 19, S. 22, S. 28. 728 Die italienische Erweiterung der griechischen Urfassung bei: Ducae nepotis historia byzantina, S. 352 – 355; vgl. Braun (1937), S. 22. 729 Braun (1937), S. 21. 730 Emmert (1990), S. 44 – 46. 731 Sundhaussen (2007b), S. 101. 732 Popović (21977), S. 63.

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Ravanica abgelegt“ worden sei.733 Die Ruvarčev-Genealogie betonte hingegen nicht nur, seine „Gebeine“ seien „heil und unbewegt“ im Kloster Ravanica, sondern sie wirkten auch „große Heilungen“.734 Die Branković-Chronik der zweiten Hälfte des 16. Jh. beschrieb die Ereignisse im Jahr 1389 und auch Lazar nüchtern und ganz im säkularen, machtpolitischen Kontext, stellte dann aber die Gebeine Lazars mit den Attributen von Reliquien eines als heilig Verehrten dar: Als seine Witwe Milica nach zwei Jahren und acht Monaten seinen Leichnam in Prishtina aufsuchte, um ihn nach Ravanica zu überführen, fand sie ihn „integrum et odorem amoenum exhalans“ vor.735 Der sakrale Diskurs konnte somit in der transkonfessionellen Verflechtung mit lateinischen Texten die weltliche Chronistik umdeuten und Lazar auch hier als Märtyrer erscheinen lassen. Gleichwohl wurde in diesen vornationalen Anfängen der Historiographie der Tod Lazars und seiner Mitstreiter nicht zum Aufruf zu tagespolitischem Handeln oder zu einer „Rache“ für die Niederlage eingesetzt. B 6.3  Lieder und die mediale Revolution der Verehrung im 18. Jh.

An die Schlacht auf dem Amselfeld wurde nicht nur in diesen geistlichen und chronis­ tischen Quellen erinnert. Lieder über Themen der Schlacht auf dem Amselfeld entstanden unter bäuerlichen Sängern an der Adria womöglich schon seit dem 15. Jh. und sind seit dem 16. Jh. belegt. Sie bauten auf den bereits vorgestellten sakralen Texten auf, unterschieden sich von diesen aber stark, standen sie doch in der Tradition ­epischer Gesänge, wie sie seit dem Spätmittelalter für die Region indirekt belegt sind.736 Das „Lied von der Schlacht auf dem Amselfeld“ ist in seiner ältesten schriftlichen Fassung erst seit dem 18. Jh. belegt.737 Obschon diese Gesänge sprachlich wie formal und inhaltlich weitaus weltlicher ausgerichtet waren, spielten religiöse Vorstellungshorizonte auch in ihnen eine Rolle.738 So sind Übernahmen aus den ältesten sakralen Texten hierzu in Liedern festzustellen, die in Handschriften des 18. Jh. bezeugt sind: Etwa wurde Lazar als Stifter zahlreicher Kirchen und Klöster, insbesondere Ravanicas,

733 734 735 736

Stari srpski rodoslovi i letopisi, S. 41. Stari srpski rodoslovi i letopisi, S. VIII, S. 53 f. Brankovićev letopis/Die Branković Chronik, S. 49. Emmert (1990), S. 122; Narodne pesme o kosovskom boju, S. 11, S. 13; Priča o boju kosovskom, S. 197 f.; Braun (1937), S. 7; Antologija narodnih epskih pesama 1, S. 157 – 188. Beispielsweise ist 1530 die Rede von heroischen Liedern, die über Milos Kobilović (später Obilić) vom Amselfeld bis nach Kroatien gesungen würden – diese imaginierten ihn allerdings als berühmten Grenzkämpfer und Vorbild „unter den Kroaten“, nicht aber als Verteidiger eines unabhängigen Serbien. Koljević (1980), S. 11 – 19, S. 22. 737 Koljević (1980), S. 59. 738 Narodne pesme o kosovskom boju, S. 29 – 36, S. 47 – 64.

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eingeführt.739 Am Vorabend der Schlacht wurde ihm im Rahmen einer Referenz auf das Letzte Abendmahl der Gedanke nahegelegt, „für den christlichen Glauben zu sterben“.740 Der Prophet Elias sei Lazar erschienen und habe eine Entscheidung Lazars für das himmlische Reich anstelle des irdischen herbeigeführt.741 Diese Vorstellung wurde zwar von Lazar auf „die Serben“ als Gemeinschaft übertragen, die „im heiligsten Namen Jesu“ kämpften,742 es wurde aber auch in diesen Liedern nicht ausdrücklich von einem ,heiligen‘ oder ,himmlischen Serbien‘ geschrieben. Zudem wurde der Verlust des irdischen Reiches beklagt, nicht aber der Gewinn des himmlischen gepriesen.743 Andere Zeilen entwarfen exklusivere Identitätskonzepte, die nicht religiös aufgeladen waren: „Wer Serbe und von serbischer Geburt, / von serbischem Blut und Geschlecht ist, / aber nicht in die Schlacht auf dem Amselfeld gegangen ist“, um das „Ehrenkreuz“ anzunehmen (das wie gezeigt ursprünglich den Treueschwur gegenüber dem Fürsten bezeugte), wurde aus der Vorstellung kollektiver Ehre und Gemeinschaft ausgeschlossen.744 Diese ­Lieder dürften dank ihrer vorwiegend mündlichen Verbreitung erheblich größere Kreise erreicht haben als die sakralen Texte im engeren Sinn. Entstanden sie als überwiegend weltliche Epen womöglich gleichzeitig wie die religiösen Texte, waren sie von diesen nur im gezeigten beschränkten Ausmaß beeinflusst. Gleichfalls erst zur Wende ins 18. Jh. entstanden die ersten Handschriften der so­­ genannten „Erzählung über die Schlacht auf dem Amselfeld (Priča o boju kosovskom)“ 745 bzw. der „Erzählung vom Leben des Fürsten Lazar und seines Herzogs (voivoda) Miloš Obilić und aller übrigen serbischen Herren, die auf dem Amselfeld waren“.746 Obschon der Prosatext damit einen an die sakralen Texte angelehnten Titel trug, spielten in ihm religiöse Motive aus diesen Texten eine noch geringere Rolle als in den Liedern – allerdings wurden sie durchaus markant eingebracht: „heute schlagt zu, meine mutigen serbischen Kämpfer, lasst uns unser Blut nicht schonen, lasst uns den toten Körper nicht beklagen, lasst uns (mit dem Tod) das Leben erkaufen, lasst uns heute allen Mut zeigen auf dem Amselfeld für den orthodoxen christlichen Glauben und für die Kirche Gottes und für unser Vaterland, und wenn jemand nicht Gottes Gnade liebt und das orthodoxe Gesetz, dann soll er mit dem seelenlosen und untreuen Vuk Branković laufen“.747 Wie auch die Lieder stärkte aber dieser Text eine epische Heroisierung mythischer Heldenund Kämpfergestalten. Der Treueschwur auf das Kreuz (časni krst), dessen Bruch bzw. der Verrat und Heldentaten stehen im Zentrum der Aufmerksamkeit. Diese im 19. Jh. 739 740 741 742 743 744 745 746 747

Sidanje Ravanice: Antologija narodnih epskih pesama 1, S. 106 f. Antologija narodnih epskih pesama 1, S. 163. Antologija narodnih epskih pesama 1, S. 166 f. Antologija narodnih epskih pesama 1, S. 174. „Hier haben die Serben das Zarenreich / des verehrten irdischen Zaren verloren“. Antologija narodnih epskih pesama 1, S. 174. Antologija narodnih epskih pesama 1, S. 170, S. 172. Priča o boju kosovskom, S. 219. Priča o boju kosovskom priopćio Stojan Novaković, S. 40. Priča o boju kosovskom priopćio Stojan Novaković, S. 71.

Serbische und bulgarische heilige Kirchenfürsten

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als Volkslieder gesammelten Texte sind damit nicht im engeren Sinne christlich oder religiös zu nennen, sondern vielmehr mythisch und sagenhaft. Nur in den spät belegten Liedern bzw. dem Lied über den Kampf auf dem Amselfeld – hingegen nicht in der Prosaerzählung über die Schlacht in ihrer Fassung des 18. Jh., und schon gar nicht in den alten sakralen Texten – liegt dabei auch ein Bezug auf den „Veitstag (Vidovdan)“ vor, etwa in der Ausgabe von Vuk Karadžić aus dem Jahr 1815.748 Lazars mediale Funktion erfuhr im Fahrwasser der Initiativen von Arsenije IV. von Peć zur Legitimation seines Anspruches auf das Illyricum gleichfalls eine Erneuerung: Im illyrischen Wappenbuch von Žefarović erschien er 1741 in Wien neben den heiligen serbischen Königen in gleicher barocker Ausgestaltung als mächtiger Herrscher.749 Noch prächtiger war seine Darstellung auf einem Kupferstich von Zaharije Orfelin um 1746. Der Druck zeigte in seiner zweiten Auflage 1773 Lazar als gänzlich weltlichen Herrscher im Paradeporträt, den nur der Nimbus sakralisierte (Abb. 10).750 Zusammenfassend ist festzuhalten, dass in den sakralen Texten zum Gedenken an Lazar und seine Mitkämpfer an diese in Anlehnung an die dynastische Erinnerungsfigur des heiligen Stammbaumes der Nemanjiden sowie gleichzeitig entstehende westeuropäische Diskurse als kollektive Märtyrer erinnert wurden. Mit der Migration verschob sich dieser Diskurs in der frühen Neuzeit nach Ungarn. Der sakrale Diskurs konnte in der transkonfessionellen Verflechtung mit lateinischen Texten die weltliche Chronistik umdeuten und Lazar auch hier als Märtyrer erscheinen lassen. Gleichwohl wurde weder in den sakralen Texten noch in diesen vornationalen Anfängen der Historiographie der Tod Lazars und seiner Mitstreiter zum Aufruf zu einer „Rache“ für die Schlacht auf dem Amselfeld. In bäuerlichen, epischen Liedern, die wohl weit verbreitet waren, aber erst für das 18. Jh. schriftlich vorliegen, wurde stärker auf eine serbische Identität ver­ wiesen. Diese war aber stark von vornationaler Ehre und dynastischer Loyalität geprägt. Noch deutlicher war die anationale, illyrische Prägung der Erinnerung Lazars in den vom mitteleuropäischen Barock beeinflussten Drucken des 18. Jh. B 7  Serbische und bulgarische heilige Kirchenfürsten

Charakteristisch für die bulgarischen Kontexte der Verehrung von geistlichen Würdenträgern ist, dass nur für einen einzigen Hierarchen eine Vita erhalten ist: Die Kurzvita eines unbekannten Autors ehrte Patriarch Ioakim I. (ca. 1234/35 – 1246).751 Auch kirchliche Texte anderer Gattungen zu Ehren bulgarischer Kirchenfürsten sind selten. Einen der eindrücklichsten verfasste Grigorij Camblak: Er ist der Autor einer

748 Popović (21977), S. 64. 749 Hristofor Žefarović i Tomas Mesmer. Stematografija. Izobraženije oružij iliričeskih; vgl. ­Medaković (1975), S. 330. 750 Kämpfer (1973), Abb. 8; Medaković (1975), Abb. 3. 751 Podskalsky (1999), S. 422.

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als Volkslieder gesammelten Texte sind damit nicht im engeren Sinne christlich oder religiös zu nennen, sondern vielmehr mythisch und sagenhaft. Nur in den spät belegten Liedern bzw. dem Lied über den Kampf auf dem Amselfeld – hingegen nicht in der Prosaerzählung über die Schlacht in ihrer Fassung des 18. Jh., und schon gar nicht in den alten sakralen Texten – liegt dabei auch ein Bezug auf den „Veitstag (Vidovdan)“ vor, etwa in der Ausgabe von Vuk Karadžić aus dem Jahr 1815.748 Lazars mediale Funktion erfuhr im Fahrwasser der Initiativen von Arsenije IV. von Peć zur Legitimation seines Anspruches auf das Illyricum gleichfalls eine Erneuerung: Im illyrischen Wappenbuch von Žefarović erschien er 1741 in Wien neben den heiligen serbischen Königen in gleicher barocker Ausgestaltung als mächtiger Herrscher.749 Noch prächtiger war seine Darstellung auf einem Kupferstich von Zaharije Orfelin um 1746. Der Druck zeigte in seiner zweiten Auflage 1773 Lazar als gänzlich weltlichen Herrscher im Paradeporträt, den nur der Nimbus sakralisierte (Abb. 10).750 Zusammenfassend ist festzuhalten, dass in den sakralen Texten zum Gedenken an Lazar und seine Mitkämpfer an diese in Anlehnung an die dynastische Erinnerungsfigur des heiligen Stammbaumes der Nemanjiden sowie gleichzeitig entstehende westeuropäische Diskurse als kollektive Märtyrer erinnert wurden. Mit der Migration verschob sich dieser Diskurs in der frühen Neuzeit nach Ungarn. Der sakrale Diskurs konnte in der transkonfessionellen Verflechtung mit lateinischen Texten die weltliche Chronistik umdeuten und Lazar auch hier als Märtyrer erscheinen lassen. Gleichwohl wurde weder in den sakralen Texten noch in diesen vornationalen Anfängen der Historiographie der Tod Lazars und seiner Mitstreiter zum Aufruf zu einer „Rache“ für die Schlacht auf dem Amselfeld. In bäuerlichen, epischen Liedern, die wohl weit verbreitet waren, aber erst für das 18. Jh. schriftlich vorliegen, wurde stärker auf eine serbische Identität ver­ wiesen. Diese war aber stark von vornationaler Ehre und dynastischer Loyalität geprägt. Noch deutlicher war die anationale, illyrische Prägung der Erinnerung Lazars in den vom mitteleuropäischen Barock beeinflussten Drucken des 18. Jh. B 7  Serbische und bulgarische heilige Kirchenfürsten

Charakteristisch für die bulgarischen Kontexte der Verehrung von geistlichen Würdenträgern ist, dass nur für einen einzigen Hierarchen eine Vita erhalten ist: Die Kurzvita eines unbekannten Autors ehrte Patriarch Ioakim I. (ca. 1234/35 – 1246).751 Auch kirchliche Texte anderer Gattungen zu Ehren bulgarischer Kirchenfürsten sind selten. Einen der eindrücklichsten verfasste Grigorij Camblak: Er ist der Autor einer

748 Popović (21977), S. 64. 749 Hristofor Žefarović i Tomas Mesmer. Stematografija. Izobraženije oružij iliričeskih; vgl. ­Medaković (1975), S. 330. 750 Kämpfer (1973), Abb. 8; Medaković (1975), Abb. 3. 751 Podskalsky (1999), S. 422.

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ausführlichen „Lobrede“ Patriarch Evtimijs, den er als „unseren heiligen Vater“ 752 und mehr Lob als Aaron verdienendes „Opfer“ 753 sowie als „zweiten Moses, als Anführer des Volkes“ bezeichnete.754 Ganz anders entwickelte sich die Verehrung von Hierarchen im raszischen, dann serbischen Zusammenhang: Im 14. Jh. wurden die Erzbischöfe Arsenije, Jevstatije und Nikodim sowie der Partiarch Jefrem als Heilige verehrt.755 Ihre Verehrung bewegte sich rhetorisch aber in einem sehr einheitlichen, kirchlich-liturgischen Rahmen, der mit dem Diskurs über weltliche Herrschaft nur in einzelnen Passagen wie auch nur gelegentlich mit (proto)nationalen Identitätskonzeptionen verbunden war. So wurden sie jeweils in einen Kontext mit Sava als „erstem Erzbischof des serbischen Landes“ und ihrem Vorläufer in einen Zusammenhang gestellt.756 Der „Thron des hl. Sava“ 757 wurde regelmäßig als Institution in Erinnerung gerufen und wurde „von Gott gegeben“ 758 oder war „göttlich“.759 Etwa hieß es in einem Offizium, das vermutlich aus der Feder von Danilo II. stammt,760 über den Nachfolger Savas, Erzbischof Arsenije (1234 – 1263)761: „Es gefällt dem serbischen Geschlecht (rod), / Arsenije immer als Erzhierarchen zu haben, / wie eine zarische Verzierung“.762 Des Weiteren wurde er als „kirchlicher Behüter und Verteidiger des serbischen Landes, / ein Mitkämpfer unseres wohlgläubigen Zaren“ beschrieben. Auch gefalle der „Fluss“ seiner „vielen Wunder“ dem „Serbischen Land“.763 Als „der serbischen Kirche erster Priester / und der ganzen Welt Leuchter und Wundertäter“ 764 wurde seine sakrale Bedeutung in einen über den serbischen Zusammenhang hinausweisenden globalen Rahmen gerückt. Domentijan hingegen stellte Arsenije als Nachfolger Moses bzw. Savas in ein deutlicher politisch aufgeladenes Sprachfeld: Sava habe Arsenije „als zweiten Lenker (praviteľ) und Führer seines Vaterlandes“ eingesetzt.765 Das Gedenken an heilige Kirchenfürsten war höchstens auf den Kreis der höheren Geistlichkeit beschränkt und stand in einem sehr engen Bezug zur Dynastie der Nemanjiden. Mit ihrem Verschwinden wuchs die Funktion der Verehrung der Kirchenfürsten kompensatorisch.

752 753 754 755 756 757 758 759 760 761 762 763 764 765

Pochvalno slovo za Evtimij, S. 112. Pochvalno slovo za Evtimij, S. 114; Podskalsky (2000); S. 331 f. Pochvalno slovo za Evtimij, S. 142; Podskalsky (2000); S. 332. Kämpfer (1973), S. 8. Zu Arsenije: Životi kraljeva i arhiepiskopa srpskih, S. 237, S. 240, S. 248 f. Zu Jefrem: Životi kraljeva i arhiepiskopa srpskih, S. 386. Zu Arsenije: Životi kraljeva i arhiepiskopa srpskih, S. 272. Zu Jevstatije: Životi kraljeva i arhiepiskopa srpskih, S. 308. Srbljak 4, S. 293. Podskalsky (2000), S. 397. Srbljak 2, S. 12. Srbljak 2, S. 20. Srbljak 2, S. 26. Domentijan. Žitije svetoga Save, S. 391.

Heilige Despoten Branković

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B 8  Heilige Despoten Branković – die fortgesetzte Erfindung der heiligen Dynastie in Ungarn

Nach dem Tod Lazar Hrebeljanovićs gewann die bereits unter dessen Oberherrschaft über das Amselfeld gebietende Adelsfamilie der Branković an Macht. Nach der Versöhnung mit Stefan, dem kinderlosen Sohn Lazars, wurde der mit Irene Kantakuzenos verheiratete Đurađ Branković 1427 – 1456 zum Despoten Serbiens bzw. der ihm übertragenen Despotengüter in Ungarn. Im Versuch, seine Stellung gegenüber den Osmanen zu festigen, gab er eine seiner Töchter Sultan Murad II. zur Frau. Nachdem Serbien 1459 von den Osmanen erobert worden war, zogen sich die Branković aber ganz nach Ungarn zurück. Stefan Branković wurde nach seinem Tod 1476 von seiner Gattin Angelina, der Tochter eines albanischen Granden, auf Einladung von Matthias C ­ orvinus unter dessen Hoheit 1486 in Kupinovo in Syrmien bzw. Srem begraben, wo sein Sohn Đorđe mit dem von Matthias Corvinus verliehenen Titel eines serbischen Despoten über einige Bezirke herrschte.766 Unmittelbar nach der Überführung seiner Gebeine setzte dort die Verehrung Stefans als „neuer Stefan“ ein. Ein unbekannter Einwohner von Kupinovo verfasste zwischen 1486 und 1491 ein Offizium zu seinem Gedenken.767 Stefan wurde darin in mehreren Schritten mit verschiedenen Erzählsträngen des ­Kultes um die Dynastie der Nemanjiden verbunden: So sollte die „serbische Kirche“, die ihren „Anfang bei Simeon und ihre Festigung mit Sava“ erfahren hatte, „die Erneuerung unter Stefan“ erlebt haben.768 Stefan wurde zudem als „Abkömmling und Enkel, der in nichts geringer ist als seine Vorfahren“ 769, mit Nachdruck in eine dynastische Tradition gestellt. Diese bezog sich aber auf den ersten Blick nur auf die Branković und nicht ausdrücklich auch auf die Nemanjiden. Wurde er in dem Offizium als „von zarischer Wurzel“ 770 beschrieben, dürfte sich dies nicht weniger auf seine Verwandtschaft mit den byzantinischen Herrschern aus den Häusern der Kantakuzenos und Paläologen bezogen haben. Auch der in den älteren Texten über die Nemanjiden gebräuchliche Vergleich mit Israel wurde in dem Offizium aufgegriffen und verstärkt. Die Gefolgsleute Stefans sollten gemäß der Anleitung des Textes im Gedenken an Stefan eine kollektive Identität als das „neue Israel“ festigen: „Aber wir, das neue Israel, / die um das Grab Stefans versammelt sind / wie um den Bund (zavet) des neuen Lebens“.771 In der Beschreibung Stefans als „Kranz des Vaterlandes“ 772 sowie als „Sonne“ 773 erreichte das Offizium ­weitere rhetorische Höhepunkte.

766 Ch. Hannick, „Brankovići“, in: LexMA 2, Sp. 572 – 574. 767 Srbljak 4, S. 324. 768 Srbljak 2, S. 420. 769 Srbljak 2, S. 440. 770 Srbljak 2, S. 444. 771 Srbljak 2, S. 422. 772 Srbljak 2, S. 440. 773 Srbljak 2, S. 448.

Heilige Despoten Branković

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B 8  Heilige Despoten Branković – die fortgesetzte Erfindung der heiligen Dynastie in Ungarn

Nach dem Tod Lazar Hrebeljanovićs gewann die bereits unter dessen Oberherrschaft über das Amselfeld gebietende Adelsfamilie der Branković an Macht. Nach der Versöhnung mit Stefan, dem kinderlosen Sohn Lazars, wurde der mit Irene Kantakuzenos verheiratete Đurađ Branković 1427 – 1456 zum Despoten Serbiens bzw. der ihm übertragenen Despotengüter in Ungarn. Im Versuch, seine Stellung gegenüber den Osmanen zu festigen, gab er eine seiner Töchter Sultan Murad II. zur Frau. Nachdem Serbien 1459 von den Osmanen erobert worden war, zogen sich die Branković aber ganz nach Ungarn zurück. Stefan Branković wurde nach seinem Tod 1476 von seiner Gattin Angelina, der Tochter eines albanischen Granden, auf Einladung von Matthias C ­ orvinus unter dessen Hoheit 1486 in Kupinovo in Syrmien bzw. Srem begraben, wo sein Sohn Đorđe mit dem von Matthias Corvinus verliehenen Titel eines serbischen Despoten über einige Bezirke herrschte.766 Unmittelbar nach der Überführung seiner Gebeine setzte dort die Verehrung Stefans als „neuer Stefan“ ein. Ein unbekannter Einwohner von Kupinovo verfasste zwischen 1486 und 1491 ein Offizium zu seinem Gedenken.767 Stefan wurde darin in mehreren Schritten mit verschiedenen Erzählsträngen des ­Kultes um die Dynastie der Nemanjiden verbunden: So sollte die „serbische Kirche“, die ihren „Anfang bei Simeon und ihre Festigung mit Sava“ erfahren hatte, „die Erneuerung unter Stefan“ erlebt haben.768 Stefan wurde zudem als „Abkömmling und Enkel, der in nichts geringer ist als seine Vorfahren“ 769, mit Nachdruck in eine dynastische Tradition gestellt. Diese bezog sich aber auf den ersten Blick nur auf die Branković und nicht ausdrücklich auch auf die Nemanjiden. Wurde er in dem Offizium als „von zarischer Wurzel“ 770 beschrieben, dürfte sich dies nicht weniger auf seine Verwandtschaft mit den byzantinischen Herrschern aus den Häusern der Kantakuzenos und Paläologen bezogen haben. Auch der in den älteren Texten über die Nemanjiden gebräuchliche Vergleich mit Israel wurde in dem Offizium aufgegriffen und verstärkt. Die Gefolgsleute Stefans sollten gemäß der Anleitung des Textes im Gedenken an Stefan eine kollektive Identität als das „neue Israel“ festigen: „Aber wir, das neue Israel, / die um das Grab Stefans versammelt sind / wie um den Bund (zavet) des neuen Lebens“.771 In der Beschreibung Stefans als „Kranz des Vaterlandes“ 772 sowie als „Sonne“ 773 erreichte das Offizium ­weitere rhetorische Höhepunkte.

766 Ch. Hannick, „Brankovići“, in: LexMA 2, Sp. 572 – 574. 767 Srbljak 4, S. 324. 768 Srbljak 2, S. 420. 769 Srbljak 2, S. 440. 770 Srbljak 2, S. 444. 771 Srbljak 2, S. 422. 772 Srbljak 2, S. 440. 773 Srbljak 2, S. 448.

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Stefans Sohn Đorđe trat um 1496774 zugunsten seines Bruders Jovan als Despot zurück und wurde zum Kirchenfürsten. Darauf errichtete er das Kloster Krušedol auf der Fruška Gora und starb 1516 als Metropolit von Belgrad.775 Bereits 1523 wurde eine Etablierung seines Kultes in die Wege geleitet: Ein unbekannter Schreiber verfasste eine heute verschollene Kurzvita. Später entstand ein nur in Abschriften des „Srbljak“ – der Sammlung liturgischer Texte mit serbischem Bezug – von 1761, 1765 und 1861 erhaltenes Offizium, das ihn als „von strahlender und heiliger Wurzel“ beschrieb.776 Auch er habe wie Simeon und Sava zugunsten des „irdischen Reiches“ das „himmlische“ 777 gewählt und erreicht – „ganz deine Ahnen nachahmend, den Priester / Simeon den Seligen und Sava den Heiligen“.778 Expliziter noch als sein Vater wurde er damit entgegen den Tatsachen als leiblicher Nachkomme der Nemanjiden dargestellt.779 Jovan herrschte bis zu seinem Tod 1502 und wurde bald gleichfalls in Krušedol als Heiliger verehrt.780 Das dort gelegene Kloster wurde damit rasch ganz nach dem bisher bekannten nemanjidischen Muster der dynastischen Grablege zum Zentrum der Verehrung der Branković: Im Rahmen des ungarischen Herrschaftsgebietes festigte sich eine ganz traditionell sakral legitimierte, aber zumindest geographisch gänzlich neue und räumlich offen entworfene serbische Herrschaft.781 In dem Jovan gewidmeten Offizium eines anonymen Autors aus dem Kloster Krušedol wurde nun stärker als in den bisher besprochenen Texten Gewicht auf die Imagination einer sakral entworfenen sozialen Gruppe mit einer übergreifenden Identität gelegt: „Freue dich, von Gott gesammelte Schar des serbischen Volkes“ und: „Komme, ­ganzes serbisches Volk, / alt und jung, / reich und arm, / finden wir uns in der Kirche der Gottesmutter ein“.782 Ihre religiöse Verehrung, aber nicht explizit auch ihre Herrschaft, wurde stärker als in den älteren Texten über sakral verehrte Angehörige des Geschlechts der Branković mit Verweisen auf Sava und Simeon legitimiert, indem die Nemanjiden neben die Branković gestellt wurden.783 Dennoch wurde dabei aber nicht direkt der Nemanjidenstammbaum, sondern ein – anderer, paralleler – „erlösender Weintrauben­ spross“ imaginiert, der aus der gleichfalls als heilig verehrten Angelina gewachsen sei.784

774 Ch. Hannick, „Brankovići“, in: LexMA 2, Sp. 572 – 574. 775 Srbljak 4, S. 329 f. 776 Srbljak 2, S. 469. 777 Srbljak 2, S. 469. 778 Srbljak 2, S. 475. 779 Analog: Srbljak 2, S. 480. 780 Srbljak 4, S. 333. 781 Zum ungarländischen Zusammenhang der serbischen Erinnerung an die Nemanjiden: Koller (2010), S. 72 – 76. 782 Srbljak 3, S. 53, erneut: S. 136. 783 „Freue dich, Sava der Prediger, / Führer der Orthodoxie und Lehrer der Reinheit, / freue dich, Simeon, Wurzel der Frömmigkeit, / freue dich, Despot Stefan, / denn von dir stammt / eine schöne Frucht geistigen Genusses ab“. Srbljak 3, S. 64. 784 Srbljak 3, S. 64.

Heilige Despoten Branković

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Jovan sei „der Kirche der Gottesmutter strahlende Zierde / und des serbischen Landes Festigung“. Auch in diesem Text wurde die Bevölkerung als „neues Israel“, als auserwähltes Volk Gottes konzipiert.785 Dieses Volk, „Mönche und Weltliche“, sollte sich wie auf Erden so im Himmel versammeln: „Jovan du wahrhaftiger, Mönche und Weltliche, / die du mit uns hier versammelt hast, / sammle uns auch dort, im himmlischen Reich“.786 Die mit dem antiken Namen Sirmium historisierte Landschaft „Syrmien mit den anliegenden Ländern“ oder „euer Land Syrmien und die Versammlung der durch Gott Erwählten, der Mönche und der Weltlichen“ wurde zur Abendmahlsgemeinschaft 787 als Ort des „neuen Israel“ in Analogie zum auserwählten, wie das „alte Israel“ durch die Wüste gewanderten 788 Volk religiös aufgeladen. Zwar war auch weiterhin von den weniger abstrakt gedachten „serbischen Ländern“ 789 in der Mehrzahl die Rede, diese wurden aber einzig mit dem Verweis auf Syrmien konkretisiert und nicht etwa auf das Amselfeld. Syrmien wurde dabei gemeinsam mit der „heiligen Metropolie“ bzw. der Kirche der Gottesmutter sowie den heiligen Branković als Einheit beschrieben: „Freue dich, Syrmien, serbisches Land, / freue dich, heilige Metropolie, / Kirche der Gottesmutter“, und: „Euch hat das Land Syrmien und eure durch Gott gesammelte Herde“.790 Mithilfe religiöser Sprach- und Handlungsfelder sollte die neue Herrschaft sowie die neue Bevölkerung am neuen Ort maximal gefestigt und integriert werden. Die Branković wurden in einem gegen Ende des 16. Jh.791 verfassten Sammel­offizium auch als „durch Gott gerühmte Despoten“ 792 als Gruppe beschrieben. Nicht eine Erinnerung an alte Territorien, sondern die Beschreibung des Stammes der Branković neben dem und analog zum Baum der Nemanjiden – aber nicht explizit als einer seiner Äste – war das Ziel: Die neue Herrschaft über das neue serbisch entworfene Syrmien unter ungarischer Obhut sollte möglichst traditionell legitimiert werden. Der Verweis auf andere serbische Gebiete wurde dabei vergessen: Vom Verlust war keine Rede, auch nicht vom Kosovo, über den die Branković geherrscht hatten – nur die Gegenwart sollte gewonnen werden und damit die Zukunft gesichert werden, die nicht von Rück­eroberungsplänen, Rache oder Nostalgie geleitet war. Jovan wurde folgerichtig in der Muttergotteskirche bestattet, die damit als Grablege der Branković etabliert wurde. In seinem Offizium wurde auf die Muttergottes mehrfach verwiesen – spiegelte sich hier eine Rezeption ostmitteleuropäischer, katholischer Marienkulte? Stefans Gattin albanischer Herkunft überlebte ihre Söhne und wurde nach ihrem Tod 1516 oder 1520 in der Klosterkirche Krušedol als Heilige verehrt. 1716 zerstörten 785 786 787 788 789 790 791 792

Srbljak 3, S. 64. Srbljak 3, S. 80. Srbljak 3, S. 68. Srbljak 3, S. 90. Srbljak 3, S. 76. Srbljak 3, S. 92, wiederholt: S. 130. Srbljak 4, S. 337 f. Srbljak 3, S. 170.

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die Osmanen das Kloster, nur die linke Hand Angelinas blieb erhalten.793 Auch in dem bald nach ihrem Tod zu ihren Ehren verfassten Offizium wurde das „neue Israel“ 794 ­beschworen, auch sie wurde zur „zweiten Sonne“.795 Überdies wurde sie als „fruchtbare Wurzel“ beschrieben, die dort durch Christus gepflanzt worden sei, „wo der Baum des Lebens“ sei.796 Sie wurde damit lexikalisch ganz in den Kontext der übrigen Texte gestellt, ohne mit der Nemanjidendynastie explizit verbunden zu werden. Die Branković fehlten im illyrischen Wappenbuch, das Hristofor Žefarović 1741 in Wien druckte. Aber 1746 widmete er einen seiner barocken Kupferstiche in Wien vier Heiligen ihres Hauses. Der Begleittext beschwor die „türkische Tyrannei“ und die Heiligen als „serbische Leuchten“, ohne den Familiennamen der Branković explizit zu nennen.797 1753 folgte eine dieselben Heiligen darstellende prächtige Ikone in Vršac im Banat, die aber offenbar eine ältere, verschollene Ikone zum Vorbild hatte.798 Im Rahmen des ungarischen Herrschaftsgebietes festigte sich damit im Kloster ­Krušedol ganz nach dem bisher bekannten nemanjidischen Muster der dynastischen Grablege eine traditionell sakral legitimierte, aber zumindest geographisch gänzlich neue serbische Herrschaft: Nicht eine Erinnerung an alte Territorien, sondern die Beschreibung des Stammes der Branković analog zum Baum der Nemanjiden sollte möglichst traditionell legitimiert werden. Der Verweis auf früher beherrschte Gebiete wie den Kosovo blieb aus – nur die gegenwärtige Situation sollte mit der Referenz auf die Vergangenheit gewonnen und damit die Zukunft gesichert werden. B 9  Bilanz – religiöse Erinnerungsfiguren bis ins 18. Jh. als Medien homogener ,nationaler Konfessionskulturen‘?

Welche religiösen Erinnerungsfiguren entwickelten sich also unter den orthodoxen Südslaven und welche Funktionen kamen ihnen beim Entwurf, bei der Festigung oder Wiederherstellung sowie Umgestaltung kollektiver Identität und herrschaftlicher oder dynastischer Loyalität bis ins 18. Jh. zu? Kyrill und Method lassen sich mit Gewinn als transethnische Akteure in einer nicht zuletzt durch ihre Handlungen (re)produzierten multiplen Kontaktzone zwischen Byzanz, mehreren slavischen Herrschafsgebieten, Rom und auch Bayern beschreiben. Ihre Verehrung etwa als Moses zielte transethnisch, anational und universal auf das Lob der Christianisierung ab. Die bulgarische Aufladung ihres Gedenkens durch den byzantinischen Bischof Theophylaktos von Ohrid zu Beginn des 12. Jh. darf als charakteris­ tische (trans)kulturelle Praxis der Kontaktzone zwischen Byzanz und seinen slavischen 793 794 795 796 797 798

Srbljak 4, S. 331. Srbljak 3, S. 14. Srbljak 3, S. 18. Srbljak 3, S. 24, siehe auch S. 30. Medaković (1991), S. 53. Medaković (1980), S. 39, Abb. 60; Medaković (1991), S. 133 – 139.

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die Osmanen das Kloster, nur die linke Hand Angelinas blieb erhalten.793 Auch in dem bald nach ihrem Tod zu ihren Ehren verfassten Offizium wurde das „neue Israel“ 794 ­beschworen, auch sie wurde zur „zweiten Sonne“.795 Überdies wurde sie als „fruchtbare Wurzel“ beschrieben, die dort durch Christus gepflanzt worden sei, „wo der Baum des Lebens“ sei.796 Sie wurde damit lexikalisch ganz in den Kontext der übrigen Texte gestellt, ohne mit der Nemanjidendynastie explizit verbunden zu werden. Die Branković fehlten im illyrischen Wappenbuch, das Hristofor Žefarović 1741 in Wien druckte. Aber 1746 widmete er einen seiner barocken Kupferstiche in Wien vier Heiligen ihres Hauses. Der Begleittext beschwor die „türkische Tyrannei“ und die Heiligen als „serbische Leuchten“, ohne den Familiennamen der Branković explizit zu nennen.797 1753 folgte eine dieselben Heiligen darstellende prächtige Ikone in Vršac im Banat, die aber offenbar eine ältere, verschollene Ikone zum Vorbild hatte.798 Im Rahmen des ungarischen Herrschaftsgebietes festigte sich damit im Kloster ­Krušedol ganz nach dem bisher bekannten nemanjidischen Muster der dynastischen Grablege eine traditionell sakral legitimierte, aber zumindest geographisch gänzlich neue serbische Herrschaft: Nicht eine Erinnerung an alte Territorien, sondern die Beschreibung des Stammes der Branković analog zum Baum der Nemanjiden sollte möglichst traditionell legitimiert werden. Der Verweis auf früher beherrschte Gebiete wie den Kosovo blieb aus – nur die gegenwärtige Situation sollte mit der Referenz auf die Vergangenheit gewonnen und damit die Zukunft gesichert werden. B 9  Bilanz – religiöse Erinnerungsfiguren bis ins 18. Jh. als Medien homogener ,nationaler Konfessionskulturen‘?

Welche religiösen Erinnerungsfiguren entwickelten sich also unter den orthodoxen Südslaven und welche Funktionen kamen ihnen beim Entwurf, bei der Festigung oder Wiederherstellung sowie Umgestaltung kollektiver Identität und herrschaftlicher oder dynastischer Loyalität bis ins 18. Jh. zu? Kyrill und Method lassen sich mit Gewinn als transethnische Akteure in einer nicht zuletzt durch ihre Handlungen (re)produzierten multiplen Kontaktzone zwischen Byzanz, mehreren slavischen Herrschafsgebieten, Rom und auch Bayern beschreiben. Ihre Verehrung etwa als Moses zielte transethnisch, anational und universal auf das Lob der Christianisierung ab. Die bulgarische Aufladung ihres Gedenkens durch den byzantinischen Bischof Theophylaktos von Ohrid zu Beginn des 12. Jh. darf als charakteris­ tische (trans)kulturelle Praxis der Kontaktzone zwischen Byzanz und seinen slavischen 793 794 795 796 797 798

Srbljak 4, S. 331. Srbljak 3, S. 14. Srbljak 3, S. 18. Srbljak 3, S. 24, siehe auch S. 30. Medaković (1991), S. 53. Medaković (1980), S. 39, Abb. 60; Medaković (1991), S. 133 – 139.

Bilanz

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Nachbarvölkern bzw. Vasallen gelten. Im 13. Jh. umfasste die Verbreitung ihrer Ver­ ehrungstexte mit dem makedonischen Skopje auch Gebiete Südosteuropas, die damals unter serbischer Hoheit standen. Spezifisch für die Verehrung der Brüder blieb, dass ihre Gebeine nicht nach Bulgarien gelangten und weder eine ihnen gewidmete ­Kirche noch ein Kloster zum Ort ihres Kultes wurden. Eine Entstehung des Kultes „von unten“ blieb daher aus. Stattdessen ist im zweiten bulgarischen Reich in Tărnovo eine erneute Erfindung ihres Kultes im Osten der Balkanhalbinsel im Sinne einer vornehmlich herrschaftlichen Erinnerungspolitik festzustellen. Ihre Verehrung gelangte mit ihr ins Zen­ trum der erneuerten geistlichen und politischen Macht: Neben ihre kirchenprovinzielle Rolle in Ohrid trat eine neue in der Hauptstadt Tărnovo, die weltlich bzw. herrschaftlich und sakral war, aber nicht dynastisch. Noch im bulgarischen Zarenreich war sodann ein „schrittweises Verschwinden“ Kyrills und Methods sowie der anderen slavischen Heiligen aus den monatlichen liturgischen Verzeichnissen zu beobachten. Dieser Vorgang war für die schwache Verehrung der Brüder in den folgenden Jahrhunderten wichtiger als die osmanische Herrschaft: Unter dieser war zunächst im 16. Jh. sogar eine Erneuerung der Verehrung im serbischen Patriarchat von Peć zu beobachten. Im 18. Jh. erneuerte sich das Gedenken an die Heiligen im aromunischen Moschopolis unter anationalen Vorzeichen im für den orthodoxen Zusammenhang neuen Medium des Buchdrucks. Die damals zuerst in Venedig und dann vor Ort gedruckten griechischen Texte sind als eine der wichtigsten Grundlagen der Verehrung der Heiligen im Osmanischen Reich bis ins 19. Jh. anzusehen. Die unter dem Patronat des hl. Kliment stehende, nominal ethnisch als „bulgarisch“ bezeichnete Erzdiözese Ohrid diente früh und auch im Rahmen des Osmanischen Reiches als Gefäß konfessioneller Herrschaft von Griechen über zahlreiche Völker in unterschiedlichen weltlichen Herrschaftsgebieten. Zudem wurde Kliment vor Ort auch als Wundertäter verehrt. In seinem Namen wurde bis zur Aufhebung des den Titel eines Patriarchats beanspruchenden Bistums von Ohrid im 18. Jh. die transethnische kirchenrechtliche Zuständigkeit über Bulgarien, Serbien, Makedonien, Albanien aber auch die Walachei sowie die Moldau und Ungarn beansprucht. Wesentlich für eine Erneuerung der Verehrung Kliments und seiner Weggenossen, der Siebenzahl, war damals der in Moschopolis von gräzisierten Aromunen betriebene, ästhetisch und technisch in den Kontext des Barocks einzuordnende Buchdruck, der auch von einzelnen bulgarischen Geistlichen wahrgenommen wurde. Im Rahmen dieses Diskurses fand eine muslimische, transreligiöse Verehrung Naums allerdings keinen expliziten Niederschlag. Aber nicht nur Missionare, Bischöfe und geistliche Wundertäter wurden verehrt: Auch nachdrücklich herrschaftsbezogene Diskurse verbanden sich mit religiösen Verehrungspraktiken. Die Inszenierung zarischer Herrschaftssitze als gegenüber Konstantinopel mimetisch entworfene „Neue Konstantinopel“ mithilfe zahlreicher Heiligenkulte kann selbst als narrative religiöse Erinnerungsfigur und kulturelle Praxis „politischer Orthodoxie“ gelten. Sie wurde hier als für die Kontaktzone charakteristische (trans)imperiale Praxis beschrieben. Die Verehrung nur zweier bulgarischer Herrscher des Mittelalters als Heiliger blieb selbst in diesem Rahmen sehr schwach. Anders als im serbischen Herrschaftszusammenhang machten die multiethnischen Eliten der „bulgarischen“ Reiche

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weniger ihre Herrscher zu Heiligen: Vielmehr überführten sie orthodoxe Heilige gleich welcher Herkunft in die jeweilige Hauptstadt. Im Wettstreit mit Byzanz festigte sich dieses Konstantinopel nachahmende Vorgehen im Rahmen der Kontaktzone als nicht spezifisch „bulgarische“ herrschaftsstabilisierende Praxis. Sowohl die Praktiken der Verehrung des hl. Ivan als auch die der griechischen hl. Petka wurden in diesen transethnischen, transimperialen Rahmen eingebettet. Mit der Expansion des Osmanischen Reiches legte sich ein neuer Herrschaftszusammenhang über die bereits bestehende Kontaktzone, die weiter an Komplexität gewann und spätestens nun zu einer ,multiplen Kontaktzone‘ wurde.799 Der Untergang der erst im 14. Jh. bulgarisierten Herrschaft von Tărnovo führte auch zum Verschwinden der erst damals erfolgten bulgarischen Bedeutungsaufladung der Verehrung Ioanns. Ivans in der Hauptstadt Tărnovo bekräftigte Rolle als Herrschaftsstütze trat mit dem Untergang dieser Stadt nun zurück, stattdessen wurde seine Funktion als transethnischer Wundertäter und Klosterbegründer wichtig. Anhand der Verehrung Ivans und der hl. Petka im montenegrinischen Cetinje wurde gezeigt, wie sich im Rahmen der ,multiplen Kontaktzone‘ eine großräumige Verflechtung bulgarischer religiöser und herrschaftlicher Erinnerungsfiguren mit serbischen Verehrungspraktiken festigte. In diesem Zusammenhang bediente sich auch das Patriarchat von Peć der Verehrung Ivans, um einen transethnischen, die bisherigen Grenzen kirchlicher Gerichtsbarkeit überschreitenden Anspruch auf Rila und die umliegenden Gebiete zu legitimieren. Das Beispiel der Verehrung Petkas weist dabei wegen ihrer bedeutenden Rolle als Heilerin über das Beispiel des Austausches bulgarischer durch serbische herrschaftliche Instrumentalisierung oder montenegrinische klösterliche Funktionalisierung im postbyzantinischen, osmanischen Überlagerungszusammenhang hinaus: Die zahlreichen Überführungen ihrer Gebeine verbreiteten ihren Kult in ganz Südosteuropa und etablierten sie als transreligiöse Heilige. Während sich Herrschaft unter bulgarischen Vorzeichen immer nach dem Vorbild Konstantinopels in sakralisierten „Zarenstädten“ konzentrierte, um (Ost)Rom zu ­be­erben, konstituierte sich serbische Herrschaft in der Konzentration auf eine sakralisierte Dynastie. Die Entwicklung der Darstellung als Rebe ist in einen gesamteuro­ päischen Zusammenhang zu stellen, der die Techniken der legitimierenden Darstellung sowohl byzantinischer als auch lateinischer Herrscher umfasst. Erst spät wurde auch hier versucht, das Beispiel der Zarenstadt zu übernehmen.800 Von Anfang an ist aber für die Herrscher der Zeta und Rasziens eine klare Unterscheidung der als Heilige verehrten Herrscher entlang nationaler oder ethnischer Trennlinien unmöglich. Die Verehrung Jovans zeigt, wie sich noch zur Mitte des 18. Jh. transethnische und regionale bzw. an sein Grab gebundene, aber keine nationalkirchlichen Praktiken um den Herrscher ­Rasziens entfalteten. Der Kult um Nemanja wurde unmittelbar von seinen Söhnen entworfen. Die Verehrung Simeons als Wundertäter fügte sich im 17. Jh. gleichfalls

799 Vgl. zur Thesenbildung für dieses Thema bis 1500: Rohdewald (2012a). 800 Ćirković (1994), S. 80 – 85.

Bilanz

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in einen überregionalen und transnationalen Rahmen. Gleiches gilt für Sava: Er war im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit nur einer neben weiteren wichtigen Heiligen der serbischen Dynastie. Mit der fortschreitenden Sakralisierung der gesamten Dynastie veränderte sich das Gedenken an Stefan Nemanja und Sava: Ihr Gedächtnis wurde im kollektiven Zusammenhang der Herrscherfamilie imaginiert. Die Herrschaft der ­Nemanjiden war im 14. Jh. transethnisch und wie die bulgarischen Reiche in der Nachfolge von Byzanz universal angelegt. Im 18. Jh. betonten die Kirchenfürsten des erneuerten Patriarchats von Peć eine weiträumige, gleichfalls transethnische kirchliche Herrschaft über das „ganze Illyricum“. Zur Untermauerung dieser Ansprüche argumentierten sie zeitweise transkonfessionell unter dem Schutz der Habsburger. Der hl. Stefan der Erstgekrönte diente 1760 zur Erinnerung, aber auch zum Entwurf der Erneuerung mehrerer ortho­doxer Herrschaftswesen, nicht aber einer bestimmten einzelnen, geschweige denn nationalen Herrschaft. Schließlich ist zu betonen, dass die Sakralisierung so vieler serbischer Könige im gesamteuropäischen Zusammenhang kein Einzelfall war, vielmehr ist das französische Beispiel vergleichbar: Ab dem 13. Jh. wurden das Reich und das Volk als auserwählt bezeichnet sowie mehrere Könige als heilig verehrt. Die Verehrung des hl. Dionysius kann mit dem Kult der Krone des hl. Stephan und der serbischen Vorstellung der „heiligen Rebe“ verglichen werden. Zum Kosovomythos ist festzuhalten, dass an Lazar und seine Mitkämpfer ähnlich wie an die dynastische Erinnerungsfigur des heiligen Stammbaumes der Nemanjiden sowie vergleichbare westeuropäische Diskurse kollektiv als Märtyrer erinnert wurde. Mit der Abwanderung eines Teils der serbischen Bevölkerung und ihrer Wortführer nach Norden verschob sich dieser Diskurs im 17. Jh. nach Ungarn. Der sakrale Diskurs beeinflusste in transkonfessioneller Verflechtung mit lateinischen Texten die säkulare Chronistik, sodass Lazar auch hier als Märtyrer verehrt wurde. Gleichwohl wurde weder in den sakralen Texten noch in vornationalen Anfängen der Historiographie der Tod Lazars und seiner Mitkämpfer zum Aufruf zu einer „Rache“ der Niederlage auf dem Amselfeld eingesetzt. Bäuerliche, epische Lieder, die möglicherweise weit verbreitet waren, aber erst für das 18. Jh. schriftlich vorliegen, festigten eine serbische Identität. Diese war aber nicht national ausgerichtet, sondern von kollektiver Ehre und Loyalität gegenüber der Dynastie geprägt. Das Gedächtnis heiliger Kirchenfürsten war auf die höhere Geistlichkeit beschränkt und stand in einem sehr engen Bezug zur Dynastie der Nemanjiden. Mit ihrem Verschwinden wuchs die Verehrung der Kirchenfürsten nur wenig, aber sie wurde vergleichsweise wichtiger. Im Rahmen des ungarischen Herrschaftsgebietes festigte sich jedoch im Kloster Krušedol ganz nach dem bisher bekannten nemanjidischen Muster der dynastischen Grablege eine sakral legitimierte, geographisch aber ganz neue serbische Herrschaft: Nicht eine Erinnerung an verlorene Gebiete, sondern die Beschreibung des Geschlechts der Branković analog zum Baum der Nemanjiden sollte möglichst traditionell legitimiert werden. Der Verweis auf früher beherrschte Gebiete wie den Kosovo blieb dabei aus. Mehrere der Beispiele stehen für die Herstellung kirchlicher und herrschaftlicher kleinräumiger aber auch überregionaler Raumkonzepte, die sich nicht auf eine einzige

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ethnische Gruppe einschränken lassen, sondern für eine additive Reihe solcher Gruppen funktionieren sollten, die alle an der Orthodoxie teilhatten. Das Verweisinventar dieser Diskurse bezog sich dabei transimperial auf die früheren, durch das Osmanische Reich verdrängten Zarentümer und Königreiche. Versteht man die einzelnen Belege der Verehrung als Sprechakte, lässt sich ein sehr dynamisches Kommunikationsgeflecht rekonstruieren, in dem sich die Entfaltungen kirchlicher transethnischer Projekte, meist mit Ohrid und Peć als Zentren, weiträumig gegenseitig überlagerten. Mit dem Patriarchat von Peć sowie der hl. Petka überschritten diese Projekte zudem konfessionelle Grenzen und bewegten sich auch im Rahmen katholischer imperialer Herrschaft bzw. katholischer kirchlicher Ansprüche. Im Falle Petkas und insbesondere Naums entstanden auch transreligiöse Praktiken, die teilweise von Muslimen getragen wurden. Die Geistlichen Grigorij Camblak und Partenij Pavlovič schließlich zeigen, wie flexibel kirchliche oder geistliche situative Identität sich in diesem Verflechtungszusammenhang wandeln konnte – sei es zur Wende ins 15. Jh. oder im 18. Jh. Solche Verflechtungen waren nicht die Ausnahme, sondern die Regel und für die Region charakteristisch. „Bulgarische“ Verehrungspraktiken standen von Anfang an ganz in einem übergreifenden, griechischen oder byzantinischen Zusammenhang. Ihre damalige und spätere schwache Ausprägung kann nicht mit der osmanischen Herrschaft erklärt werden, die ihrer weiteren transkirchlichen und transethnischen Reproduktion nicht im Wege stand.801 Der Anteil der Kumanen an den Dynastien des spätmittelalterlichen bulgarischen Reichs, die Miteinbeziehung von türkischen bzw. osmanischen Kämpfern in bürgerkriegsähnliche byzantinische Parteienkämpfe 802 sowie die teilweise unter Christen zu beobachtende heilsgeschichtliche Einordnung des neuen Universalherrschers in Konstantinopel als Zar 803 und auch die Verbreitung einer rhomäischen bzw. Rumi-Identität unter muslimischen Eliten in Konstantinopel und in Kleinasien 804 auch während der frühen Neuzeit stehen für weitere soziale und erinnerungskulturelle Praktiken, die zusammen mit zwischenreligiöser Polemik und in Zeit und Ausmaß beschränkten Fällen von Zwangskonvertierung 805 als Verfahren in einer überethnischen und überreligiösen osmanisch-europäischen Kommunikationsregion gelten können.

801 Kiel (1985), S. 351 f. Anders: Hupchik (1983). 802 Goffman (2002), S. 42 f. 803 Petrovszky (2014). 804 Özbaran (2004); Kafadar (2007); Krstić (2011), S. 3 f., S. 67 – 77. 805 Baer (2008).

C  Die Erfindung europäischer, christlicher Nationen   zur Überwindung des ,asiatischen Jochs‘ im langen 19 Jh.

Die gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, ideengeschichtlichen und insgesamt kultu­rellen Veränderungen, die sich im 18. Jh. in West- und Mitteleuropa von der Aufklärung bis zur industriellen und französischen Revolution beschleunigten, fanden auch in allen anderen Teilen Europas – mit starken regionalen und sozialen Unterschieden – nach und nach ein Echo. Sie brachten den Wandel vorantreibende Akteure und lokal adaptierte Diskurse hervor. Im westlichen Teil Mitteleuropas versuchten im 19. Jh. Wortführer des Bürgertums ihre vom modernen Nationalismus geprägten kulturellen Normen, gesellschaftlichen Vorstellungen und Zielutopien der Neuordnung staatlicher Gemeinwesen durchzu­setzen. Allerdings erfüllten sich politische Bestrebungen des Bürgertums zumeist nur sehr beschränkt, wie die gescheiterten Revolutionen von 1848 zeigten: Die italienische wie die deutsche nationalstaatliche Einigung waren nicht ohne Monarchen zu verwirklichen. Noch mehr spielte in den ostmitteleuropäischen Ständestaaten im politischen Rahmen und auch bei den Entwicklungen des 19. Jh. weiterhin der Adel eine oft größere Rolle als das in konfessionsethnische und bald ethnonationale Fraktionen zersplitterte Bürger­ tum der wenigen großen Städte. Dennoch veränderten sich etwa mit dem Vereinswesen die politischen Strukturen der europäischen Gesellschaften. Damit einher ging ein t­ iefer Umbruch der Rolle und Konzeption von Religion in Gesellschaft, Politik und beim Entwurf oder der Planung nationaler Zugehörigkeit. Bis um 1830 blieb der griechische Kontext die „Metropole“, an der sich bulgarische Wortführer orientierten.1 Die als Kaufleute meist griechisch sozialisierten Südslaven 2 unter den zahlreichen konfessionsethnischen und religiösen Gruppen, die in den Städten des europäischen Osmanischen Reichs lebten, bildeten durchwegs kleine soziale Eliten heraus, die nur in den Großstädten Konstantinopel oder in dem seit 1492 mehrheitlich jüdischen Saloniki stärker waren. Diese kamen im Rahmen der osmanischen Tanzimat 3 und dem gesamteuropäischen Wachstum und Wandel der Städte 4 als Kaufleute, mittelständische Handwerker oder Geistliche und bald auch weltliche Gebildete und Lehrer in Berührung mit ,Bürgerlichkeit‘ als sozialem und kulturellem Habitus. Ihre Kinder besuchten die neuen Schulen oder gingen später zum Studium ins europäische Ausland:5 Zunächst Griechenland, dann aber auch Russland boten sich seit der ersten Hälfte des



1 2 3 4 5

Mishkova (2006), S. 33 – 37. Sampimon (2006b), S. 23 f., S. 39 – 41. Findlet (2008); Hopkins (2009), S. 84 – 86. Lenger (2013). Mitev (1999); Gavrilova (1999).

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Die Erfindung der Nationen

19. Jh. neben Konstantinopel als Räume des europäischen Austausches an.6 Die Mehrheit der bulgarischen Intelligenz der Jahre 1856 bis 1878 genoss eine Aus­bildung in Russland.7 Ein slavisches orthodoxes Bürgertum hingegen gab es kaum: Hand­werker, reichere Händler oder Bauern bzw. Viehzüchter wurden in Dörfern und mittleren ­Städten im Rahmen der Festigung bulgarischer Gemeinden erst im 19. Jh. zahlreicher 8 und entwickelten spät ein bulgarisches Bewusstsein: Erst 1849 wurden die Bulgaren Konstantinopels als „bulgarmiletani“ in einem osmanischen Erlass (Ferman) nicht einfach als Mitglieder des „millet-i Rum“ beschrieben und es wurde ihnen erlaubt, eine eigene ­Kirche zu errichten.9 Erst von 1856 an bezeichnete sich etwa die im Rahmen des ­„millet-i Rum“ bisher „Romeische Gesellschaft“ genannte orthodoxe Gemeinde in Samokov als „Bulgarische Kirchengemeinde in Samokov“.10 Auch wo bulgarische Gemeindevorstände oder Bürgermeister amtierten, verhielten sich diese zunächst dem griechischen Patriarchat und der osmanischen Regierung gegenüber loyal.11 Mit Bürger­lichkeit verbundene gesellschaftliche, politische, religiöse und natio­nale Vorstellungen begannen sich noch bis ins letzte Viertel des 19. Jh. nur in sehr engen Kreisen zu verbreiten. In diesem Umfeld begannen einzelne Wortführer, nach mitteleuropäischem Vorbild nationale Ziel­ utopien für die ,eigene‘, erst nach und nach als Erwartungshorizont ins Bewusstsein gerufene und zu schaffende Gesellschaft zu verfassen und zu verbreiten. Zunächst war mit den Tanzimat-Reformen aber die Festigung einer osmanischen Gesellschaft der soziale Handlungskontext: Mit der Einrichtung der einen großen Teil des von Bulgaren beanspruchten Gebietes umfassenden Donauprovinz (osm. Vilâyet-i Tuna) durch den Reformer pomakischer, also bulgarisch-muslimischer Herkunft, Ahmed Şefik Midhat Pascha, 1864 waren die Einrichtung von städtischen Munizipalverwaltungsorganen nach französischem Muster, Schulen, der Ausbau der Verkehrsinfrastruktur sowie weitere Maßnahmen wie die Publikation von Gesetzen sowohl in osmanischer wie in bulgarischer Sprache verbunden. Die Provinz galt im Kontext der Tanzimat als exemplarisch reformiert und wurde zum Vorbild der neuen Provinzverwaltungen, die Midhat Pascha 1865 in Bosnien und bis 1867 auch im übrigen Osmanischen Reich einführte.12 Loyalitäten gegenüber dem Osmanischen Reich und neuen nationalen Ent­würfen wurden bis zum Untergang des Reichs in zunehmender Polarisation ausgehandelt.13 Auch die Geistlichkeit des 19. Jh. ist zunächst nicht mit der Kategorie des modernen Nationalismus fassbar: Das Konzept einer unabhängigen Nationalkirche entstand erst auf

6 Mishkova (2006); zu Bulgarien: Aretov (1995), S. 74 – 136; zu Serbien nach 1850: Buchenau (2011). 7 Mishkova (2006), S. 189 – 193. 8 Vgl. Karl Kaser, ,Bürgertum (Balkan)‘, in: LexSOE, S. 152 – 155; Samardžić (1984); Todorov (1983); Höpken (2007); Sundhaussen (2007b), S. 160 – 166; Springborn (1983), S. 295 f. 9 Hopkins (2009), S. 111. 10 Springborn (1983), S. 337. 11 Springborn (1983), S. 338. 12 Hanioğlu (2008), S. 86 f.; Blumi (2011), S. 98 f. 13 Grandits/Clayer/Pichler (Hg.) (2011).

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ausländischen Druck. Das orthodoxe Patriarchat, aber auch die bulgarische Geistlichkeit blieben bei dem Wunsch, dem Sultan gegenüber loyal zu sein. Nationalrevolutionäre Elemente wurden bekämpft: Das Bistum Plovdiv aberkannte 1864 Vasil Levski wegen revolutionärer Tätigkeit seine Priesterschaft. Gerade im Augenblick der Gewährung des Exarchats 1870 seitens des Sultans Abdülaziz und der einseitigen Lösung vom Patriarchen von Konstantinopel 1872 blieb die Loyalität gegenüber dem osmanischen Staat bekräftigt: Das neue bulgarische „millet“ formierte sich im Rahmen des Reiches. Die Untersuchungen der Kirche gegen Levski führten zu seiner Verhaftung und Hinrichtung 1873. Auch während des Aufstandes 1876 denunzierte die Kirche bulgarische Agitatoren gegenüber osmanischen Behörden.14 Das Ziel der Hierarchie war die Förderung des Kirchenslavischen und einer religiösen kulturellen Identität, aber nicht nationalen Selbstbewusstseins. Die gegenteilige Darstellung der Kirche als jahrhundertealte Stütze des „Bulgarentums“ unter dem „türkischen Joch“ ist als Ergebnis der erst nach 1872 einsetzenden glorifizierenden Erinnerungskultur zu sehen.15 Nach der Einrichtung des bulgarischen Fürstentums blieb die Kirche durch die Verfassung vom Staat eingeschränkt: Sie verlor ihre durch das Exarchat erlangte politische Funktion weitgehend und befand sich fortan in einer „sehr schwierigen“ Lage. Während der weltlich ausgerichtete Staat keine enge Beziehung zur Kirche wünschte, war sie ihm doch nützlich zur Förderung der nationalen Konsolidierung sowie – als die einzige Staatsgrenzen überschreitende Institution – zur Rechtfertigung des Ziels der Expansion.16 Kirchlicherseits wurde die Verfassung von Tărnovo als Garantie der Souveränität der Kirche über den Staat gelesen. Das Verhältnis der Kirche im bulgarischen Staat und der Hierarchie des Exarchats, einer weiterhin osmanischen Behörde in Konstantinopel, gegenüber dem Fürstentum blieb über Jahrzehnte hinweg ungeklärt und umstritten. Staat und Kirche standen sich bis 1950 in einem oft scharfen Antagonismus gegenüber. Die meist in Russland ausgebildeten Kirchenfürsten – namentlich Metropolit Kliment von Tărnovo – traten in zeitweise militantem Gegensatz insbesondere zum Katholiken Ferdinand von Sachsen-­ Coburg für eine sehr enge Beziehung zu Russland ein.17 In der österreichisch-ungarischen Vojvodina in Novi Sad bzw. in Karlowitz (serbokroat. Sremski Karlovci) grenzten sich bereits in den 1830er-Jahren eine sehr schmale serbische bürgerliche Elite und serbisch orientierte Geistliche unter der Führung des Metropoliten von bald rumänisch ausgerichteten Orthodoxen sowie von Ungarn ab.18 Die politischen Wortführer des von 1830 an seitens des Osmanischen Reiches akzeptierten, aber bis 1878 weiterhin unter der Oberherrschaft des Sultans stehenden serbischen Fürstentums um Belgrad hingegen waren im 19. Jh. säkular und einem laizistischen Verfassungstaatsprojekt nach französischem und belgischem Vorbild verpflichtet. Nach



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Hopkins (2009), S. 132 f. Hopkins (2009), S. 104, S. 140 f.; auch: Daskalov (2004), S. 5 f. Hopkins (2009), S. 177 f. Raikin (1988), S. 162 – 168. Jensen (1985), S. 75 – 78; zur serbischen Kirche insgesamt: Bremer (1992).

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absoluter Herrschaft strebende Fürsten konnten sich nur zeitweise durchsetzen. Auch ihre Politik war weltlich orientiert und nicht etwa am Vorbild des sakral und kirchlich gestützten Konzepts der „Selbstherrschaft (samoderžavie)“ der Zaren Russlands aus­ gerichtet. Immerhin gewann die Metropolie Belgrad 1831 innerhalb des konstantinopolitanischen Patriarchats eine autonome Stellung. Im serbischen wie auch im bulgarischen Staatswesen setzten sich nach Rückschlägen gegen Ende des 19. Jh. und zu Beginn des 20. Jh. parlamentarisch eingeschränkte Monarchien durch, die erst mit dem Berliner Kongress 1878 (Serbien) bzw. 1908 (Bulgarien) uneingeschränkt unabhängig gegenüber dem osmanischen Sultan wurden. Alle Verfassungen waren zentralistisch angelegt und gingen von einem staatsstragenden homogenen bulgarischen oder serbischen Volk aus. Verfassungsrechte, die ethnischen oder konfessionellen Minderheiten 1878 zugesichert worden waren, kamen vor Ort kaum oder nicht zur Anwendung.19 Der national begründete Etatismus galt selbst in liberalen Parteien als wesentliches Mittel zur Anpassung des politischen Systems an den Westen.20 Bei Liberalen wie bei Konservativen waren für den Entwurf nationaler Identität daher die – neu erfundene – „serbische Staatsidee“, aber auch die – nun wahrgenommene – „historische Rolle der Orthodoxie während der Türkenherrschaft“ grundlegend.21 1879 gewann der Belgrader Metropolit die Autokephalie. Allerdings wurde die Kirche, deren Geistlichkeit direkt in politischen Parteien engagiert war, 1881 mit der Absetzung des Belgrader Metropoliten Mihailo in die Schranken gewiesen: Die Regierung besetzte die Synode mit ihr wohlgesonnenen Laien und übernahm letztlich die Kontrolle über die Kirche.22 Die Orthodoxie wurde zwar 1888 bzw. 1903 in Serbien zur Staatsreligion,23 aber ihre Rolle blieb stark eingeschränkt und der kirchlichen Hierarchie wurden darüber hinaus keine gesellschaftspolitischen Zugeständnisse gemacht: Sie ordnete sich dem neuen Staat unter. Der moderne Nationalismus blieb ein „säkulares ideologisches System“, so der ältere Forschungsstand: Bei Serben wie bei Kroaten sei die Religion im 19. Jh. zu keinem starken ideologischen Faktor nationaler Identität geworden. Die Konfessionszugehörigkeit wurde zweitrangig. Sie blieb aber wohl zur Unterscheidung wichtig, da die Sprache dazu nicht dienen konnte.24 Unter der Annahme, moderne Nation bereits zu sein, forderten serbische sowie später bulgarische Wortführer nach italienischem und deutschem Vorbild einen alle angeblichen Teile der imaginierten Nation vereinenden Staat. Dieser sollte

19 Holm Sundhaussen, „Verfassungen“, in: LexSOE, S. 724 – 728; Peter Bartl, „Serbien (seit 1830)“, in: LexSOE, S. 610 – 614; Gerhard Sewann, „Minderheiten“, in: LexSOE, S. 444 – 448; Clayer/Bougarel (2013), S. 78 f. 20 Wolfgang Höpken, „Liberalismus“, in: LexSOE, S. 411 – 414. 21 Behschnitt (1980), S. 103. 22 Ramet (1988), S. 253. 23 Sundhaussen (2007b), S. 204; vgl. Ramet (1988), S. 253. 24 Der Ersatz der serbischen Redaktion des Kirchenslavischen bzw. des Slavenoserbischen durch die südslavische serbokroatische Volkssprache Karadžićs als Literatursprache schwächte die Position des Klerus. Behschnitt (1980), S. 243 f.

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dann mit seiner schrittweisen Entstehung nach beschleunigtem französischen Muster als Zentralstaat die Bevölkerung des gesamten Staatsterritoriums zur Nation umgestalten.25 Parallel zur Metropolie in Belgrad bestand zwischen 1691 und 1920 die orthodoxe Metropolie von Karlowitz als kirchliche Einrichtung für die Orthodoxen in der Habs­ burgermonarchie, später für die Orthodoxen der Länder Ungarn und Kroatien. 1848 wurde die Metropolie zum Patriarchat und zum Austragungsort eines langen Streits zwischen weltlichen und geistlichen Reformern sowie Konservativen um die Frage der Beeinflussung der serbischen Gesellschaft durch die Kirche. Im Zuge dieser Auseinandersetzung übernahm die Kirche das nationale Geschichtsbild der Liberalen und schrieb sich selbst eine führende Rolle zu. Diese Weichenstellung blieb für das serbische Verständnis der Kirche im nationalen Erinnerungshaushalt bis heute entscheidend.26 Vom Ende des 18. Jh. an entwickelten sich in ersten vereinzelten Ansätzen auch in Südosteuropa im gesamteuropäischen Zusammenhang der Erfindung von modernen Nationen neue Formen der geschichtlichen Erinnerung und der Vorstellung einer in der Nationalgeschichte begründeten Gegenwart und Zukunft. Zunächst handelte es sich um historiographische Schriften meist von Mönchen, die ganz im europäischen Kontext standen. Nach und nach begannen aber auch weltlich gebildete Gelehrte in den ­Städten, den Diskurs aufzugreifen und stärker national zu deuten. Gerade die vorwiegend muslimischen bzw. im Falle Salonikis jüdischen Städte wurden damit zum Ort, wo Christen homogene Nationsentwürfe erstellten und verbreiteten. Unter den orthodoxen Südslaven entwickelten sich im 19. Jh. Entwürfe nationaler Identität unterschiedlicher Ausprägung. Im Gegensatz zu Kroaten und Ungarn konnten sowohl serbische als auch bulgarische Akteure nicht an einem spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen stände­ staatlichen Adelsnationsbegriff anknüpfen: Stattdessen wurde auf die im Spätmittel­alter untergegangenen König- und Zarenreiche verwiesen. Für Serben wie für Griechen ging Phase A des Hroch’schen Modells (unpolitischer Gelehrtenpatriotismus) dank der frühen Einrichtung eigenstaatlicher Institutionen bereits in den 30er-Jahren des 19. Jh. in Phase B (zielstrebige politische Tätigkeit einer Minderheit mit nationalem Bewusstsein) über. Für den bulgarischen nationalen Diskurs wird dieser Übergang erst nach der Entstehung des Exarchats und dann des Fürstentums im letzten Drittel des 19. Jh. beobachtet, im makedonischen sowie albanischen Kontext erst im 20. Jh. Zugehörigkeit zu einer Nation sollte aufgrund sprachlicher Kriterien bzw. in der Kombination mit konfessionellen Merkmalen bestimmt werden. Wesentlich wurde bald die Behauptung und ausführliche historische Darlegung einer „Abstammungsgemeinschaft“.27 Sowohl für Serben als auch Bulgaren ist allerdings das Hroch’sche Modell zu modifizieren, zumal in beiden Fällen staatliche Institutionen vor der Phase des Massennationalismus eingerichtet wurden und nicht danach. Um teleologische Vorstellungen zu vermeiden, ist für Bulgarien zudem auf proosmanische und prosultanische Loyalität in den Eliten

25 Sundhaussen (1997), S. 81; vgl. Weber (2006). 26 Aleksov (2013); Bremer (1992). 27 Im Überblick: Holm Sundhaussen, „Nationsbildung“, in: LexSOE, S. 470 – 476.

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oder Versuche der Union mit Rom zu verweisen: Das orthodoxe nationale bulgarische Projekt war nur eines unter anderen,28 und gerade das nationale Projekt war im osmanischen Kontext der Aneignung europäischer Diskurse verortet.29 Sowohl die geistlichen ,Vorläufer‘ als auch die städtischen Propagandisten werden von der bulgarischen Historiographie mit zur „Renaissance“, zur „Wiedergeburt (Văzraž­dane)“ des bulgarischen Volkes gezählt. Das programmatische Ziel der Träger dieser „Bewegung“ war es zunächst, die kirchliche Autonomie einer nun bulgarisch verstandenen Kirche wiederherzustellen.30 Erst in den Augen sehr weniger sollte aber nach dem Vorbild der nationalen Bewegungen Zentraleuropas – auf der ersten, am Hambacher Fest 1832 entworfenen deutschen Trikolore stand die Parole „Deutschlands Wiedergeburt“ 31 – ein bulgarischer Nationalstaat errichtet werden. Die Orientierung an den nationalstaatlichen Idealen des westeuropäischen Bürgertums versprach die Unterstützung westeuropäischer Staaten bei den eigenen Bestrebungen gegenüber der Hohen Pforte. Die Trägerschaft dieses Gedankengutes blieb aber überaus lange gering: Noch mit der Einrichtung des bulgarischen Fürstentums 1878 geht die Forschung von einem „Staat ohne Nation“ aus.32 Dennoch ist zunächst von einem „nation building“ von unten zu sprechen, sodass seit dem letzten Drittel des 19. Jh. ein mehr oder weniger einheit­ licher „Mythenkanon“ entstand.33 Hierzu ist gerade die Rede von der in der Vorstellung schon 1878 abgeschlossenen „Wiedergeburt“ zu zählen. Diese Vorstellung steht für den Vorgang, der zuerst von dem russischen Historiker und Slavisten Jurij Venelin und Vasil Aprilov schon seit den 1820ern respektive seit 1842 sowie dann immer häufiger herbeigeschrieben wurde: Das bulgarische Volk sollte, so die ganz nationalromantische Vorstellung, aus einem Schlaf erwachen und zu nationalem Bewusstsein kommen.34 In der entstehenden Slavistik kam dem mittelalterlichen Bulgarien für die Slaven derselbe Stellenwert wie dem antiken Griechenland für Europa zu.35 Der bulgarische Staat betrieb, so der Forschungsstand weiter, erst zur Wende ins 20. Jh. eine nationale Identitäts- und Erinnerungspolitik.36 Im „langen“ 19. Jh. erfolgte der Wandel von mittelalterlicher religiöser Memoria und der Imaginierung der Heiligen als lebendiger Fürbitter im Jenseits zu national

28 Sampimon (2006b), S. 264, zu Loyalität von Christen gegenüber dem Sultan: Ashley (1984), S. 296 f., S. 309. Jetzt: Stephanov (2012, 2013a, 2013b). Zur makedonischen Unionsbestrebung: Dimevski (1988). 29 Mishkova (2006), S. 193 – 196; Vezenkov (2009). 30 Vgl. Kraft (2003). 31 Zu weiteren Verwendungen der Metapher in deutschen Texten des 19. Jh.: Gramley (2001), S. 70, S. 78, S. 219, S. 308, S. 348 f. Zum europäischen Kontext der Verwendung des Begriffes auch: Kessler (1981), S. 102 f. 32 Weber (2006), S. 123. 33 Weber (2006), S. 385. 34 Daskalov (2004), S. 2, S. 12. 35 Mishkova (2004), S. 190. 36 Weber (2006), S. 163, S. 384.

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umgedeuteter Rückbesinnung auf historische Epochen und ihre Schlüsselfiguren.37 Inwieweit religiöse Erinnerungsfiguren dabei zu bloßen Medien neuer Vorstellungen kollektiver Identität wurden oder sie diese mitbeeinflussten, bleibt zu klären. Mit ­diesen Fragen nach Neuerungen in den Verehrungspraktiken bleibt die Frage nach Unter­ schieden zwischen den Diskursen über die einzelnen Figuren entscheidend, die sich in der entstehenden verwissenschaftlichten Nationalhistoriographie, im politischen und anderen weltlichen Zusammenhängen wie der Bildung sowie im an die gesellschaft­ lichen Veränderungen angepassten kirchlichen Kontext entwickelten. Mit der erst im 19. Jh. stärkeren Verbreitung des gedruckten Buches und um 1850 den ersten Zeitungen erlangten die Deutungshoheit der Schriftlichkeit über die Gegenwart, die Geschichte und Vorstellungen von der Zukunft immer wichtigere Bedeutung. Im Rahmen der Verbreitung von Zeitungen, ihren Korrespondenten und Abonnementen, festigten sich imaginierte Gemeinschaften (Anderson). Neben Sofia und Belgrad waren für die serbische wie die bulgarische Publizistik hierfür große städtische Zentren wie Konstantinopel und Budapest, aber auch Bukarest entscheidend.38 Dabei bleibt aber im Blick zu behalten, dass von den hier berührten Fragen nur die von den sich im natio­nalen Wettkampf ausweitenden Volksschulen alphabetisierte Bevölkerung betroffen war. Diese stellte bis zu Beginn des 20. Jh. trotz Schulpflicht in ländlichen Regionen höchstens bis zu zehn Prozent und nur in den Städten mehr als die Hälfte der Bevölkerung dar.39 Vor der Einschulung ist für die slavische orthodoxe Bevölkerung von ethnonational indifferenten, lokalen, höchstens konfessionellen oder kirchlichen Identitäten auszu­gehen, nicht aber von einem ausgebildeten serbischen, makedonischen oder bulgarischen Bewusstsein.40 Umso wichtiger war die Wirkung von Versammlungen, bei denen auf das gesprochene Wort als Medium gesetzt wurde – seien es regelmäßige religiöse Feiern in Kirchen oder größere öffentliche Umzüge in den Städten. Entsprechend den einleitend erklärten Fragestellungen ist somit auch für dieses Zeitfenster zu fragen, welche Sprach- und Handlungsfelder, welche Diskurse der Gesellschaft sich an welchen religiösen Erinnerungsfiguren durch welche Akteure kristallisierten, weiterentwickelten und von welchen sozialen Gruppen aufgegriffen wurden. Wo immer möglich, sollen Argumentationsstrategien einzelner Interessengruppen auch innerhalb eines nationalen Kontextes von anderen in demselben Zusammenhang unterschieden werden. Auch für dieses Hauptkapitel bleiben wie im vorherigen transkirchliche bzw. (trans)nationale Verflechtungen – und sei es die inszenierte oder unreflektierte Auf­ lösung von ihnen – zwischen den sich voneinander abgrenzenden nationalen Diskursen von Interesse. Wie eingangs geschildert ist die These zu prüfen, ob gerade erneut 37 Vgl. Oexle (1995). 38 Zur serbischen Publizistik im ungarländischen Kontext bis 1914: Krestić (2003). Exemplarisch zum Netzwerk einer in Bukarest erscheinenden bulgarischen Zeitung: Mirčeva (2005). Zu Bukarest als Kulturzentrum der Bulgaren: Žečev (1991). 39 Für Serbien: Sundhaussen (2007b), S. 170 f.; Mayer (1994); zum Kosovo: Schmitt (2008), S. 160; zu Bulgarien: Bojadžieva (1994). 40 Schmitt (2008), S. 160.

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aufgegriffene und für moderne Zwecke umgedeutete religiöse Erinnerungsfiguren für die neuen, national ausgerichteten Diskurse der orthodoxen Südslaven und für zentrale Aspekte ihrer gesellschaftlichen und politischen Modernitätsentwürfe im Rahmen des Osmanischen Reiches und dann suzeräner und erst spät unabhängiger Staaten insgesamt charakteristisch oder entscheidend wurden. Noch konkreter stellen sich etwa folgende Fragen: Welche Sprach- und Handlungsfelder, welche Diskurse der Gesellschaft formten sich im Rahmen des Verweises auf welche religiösen Erinnerungsfiguren? Welche Akteure griffen die Diskurse auf und entwickelten sie in welchem sozialen Rahmen weiter? Welche Rollen beanspruchten die zunehmend nationalen kirchlichen Hierarchien, trotz oder gerade wegen ihrer verfassungsrechtlich stark eingeschränkten bzw. im bulgarischen Fall umstrittenen Positionen? C 1  Geistliche als Nationalheilige: der Aufstieg Savas zum ,Retter‘ und ,neuen Schöpfer‘ C 1.1  Die Institutionalisierung Savas in den österreichisch-ungarischen Gebieten und im serbischen Fürstentum

Die erste gedruckte Darstellung serbischer Geschichte erstellte der Offizier und Diplo­ mat im Dienste Russlands, Pavle Julinac: Er nannte Sava in seiner 1765 in Venedig erschienenen „Kurzen Einführung in die Geschichte der Herkunft des slaveno-serbischen Volkes“ 41 zunächst ganz im dynastischen Zusammenhang der Beschreibung der Nemanjiden und erst später als Heiligen.42 Die Geringschätzung Savas dauerte aber nicht lange: Wenige Jahre später veränderten sich Rolle und Funktion Savas grundlegend. Unter habsburgischer Herrschaft erklärte eine Bischofssynode 1774 Sava „zum Nationalheiligen und Patron des serbischen Volkes“ unter ungarischer Oberhoheit. Die Feiertage der anderen serbischen Heiligen wurden zu Arbeitstagen heruntergestuft.43 Die Verringerung der Anzahl konfessioneller Feiertage war als Anliegen aufgeklärter

41 Kaser (22002), S. 158. 42 „Rastko, der dritte Sohn von Stefan Nemanja, nahm den Mönchsstand an und wurde Erzbischof seines serbischen Volkes, unter dem Namen Savas des Ersten.“ Julinac (1765), S. 56. Julinac stützte sich in seiner Geschichte auf die Chronik des Grafen Đorđo Branković von 1703 – 1711. Kaser (22002), S. 158. Julinac sprach ihn erst beim abschließenden Verweis auf die Übertragung seiner Gebeine aus Tărnovo nach Mileševa als Heiligen an. Julinac (1765), S. 60. 43 Kämpfer (1973), S. 21. Diese Beschränkung setzte Maria Theresia auf einer Bischofssynode 1774 durch. Die Kaiserin bestätigte am 19. Januar 1775 einen Beschluss der Synode, „dass der Feiertag des Nationalheiligen (narodnog svetitelja) Sava, den der Synod zum Beschützer des serbischen Volkes erklärt hat“, mit dem ausdrücklichen Verweis auf das Vorbild des griechischen Nationalfeiertags. Ohne exakte Quellenangabe in serbokroatischer Übersetzung zit. bei: Grujić (1935a), S. 143. Die Regelung wurde unter Kaiser Joseph II. 1786 und 1788 bestätigt. Grujić (1935a), S. 143 f.

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Herrscher ein mitteleuropäisches Phänomen, von dem bisher in erster Linie die Katholiken betroffen gewesen waren. Entsprechend anderen Ländern der Monarchie sollte auch Serbien mithilfe eines Nationalpatrons einen Landespatriotismus entwickeln können. Die Wahl Savas zum einzigen Patron für die Serben dürfte auch eine politische gewesen sein: Sava, der bisher nicht alleine im Zentrum des politischen Heiligenkultes gestanden hatte, mag als der politisch ungefährlichste ausgewählt worden sein. Eine etwaige zukünftige Gefahr der Beanspruchung politischer Rechte seitens serbischer Wortführer mit der Referenz auf ihre zahlreichen heiligen Könige konnte so gemindert werden. Orthodoxe Gläubige und Geistliche leisteten in der Folge jahrelangen Widerstand gegen die Einschränkung und erklärten „Überschwemmungen und Missernten mit dem Zorn der entrechteten Heiligen“.44 Langfristig zeitigte die erinnerungspolitische Umgewichtung und bewusste Neuausrichtung der Diskurse und Praktiken ,von oben‘ aber wichtige Folgen: Die von nun an gedruckten reduzierten Kalender wurden nicht nur im österreichisch-ungarischen Staatsgebiet verbreitet, sondern auch in den Gebieten unter osmanischer Herrschaft. Die Erinnerungskultur um die übrigen heiligen serbischen Könige und Kirchenfürsten wurde nur sehr eingeschränkt fortgeführt.45 Die vormals für den dynastischen Kult zentralen Erinnerungsfiguren gerieten in den folgenden Jahrzehnten nach und nach ins Hintertreffen, während die Verehrung Savas aus der dynastischen „serbischen Rebe“ gelöst wurde und als eigenständige Erinnerungsfigur immer vorrangiger wurde. Diese Verengung auf einen führenden „Patron“ erfolgte noch vor dem Beginn der Genese eines modernen Nationalbewusstseins unter den serbischen Eliten. Sie war eine umso wichtigere Weichenstellung für die Entwicklung eines späteren serbischen nationalen Erinnerungshaushaltes.46 Neben und beeinflusst von monarchisch-geistlicher Geschichtspolitik mithilfe Savas entfaltete sich auch seine Rolle in der entstehenden modernen südslavischen Historiographie: Archimandrit Jovan Rajić aus Sremski Karlovci gilt als wichtigster serbischer Barockhistoriker. Seine 1794 – 1795 in der imperialen Hauptstadt Wien in vier ­Bänden erschienene „Geschichte verschiedener slavischer Völker, vor allem der Bulgaren, ­Kroaten und Serben“ – wobei nur Letztere typographisch hervorgehoben wurden – bildete die Grundlage der neueren Geschichtsschreibung. Der orthodoxe Geistliche schrieb hier transnational und an den Reichen ausgerichtete slavische Geschichte in die zeitgenössische, am aufgeklärten imperialen Staatsbürger orientierte hauptstädtische Historiographie ein.47 Laut dem Untertitel des Werkes war es sein Ziel, die Geschichte der Völker „aus der Finsternis des Vergessens genommen und im historischen Licht dar­gestellt“ ins Gedächtnis zu rufen: Sie sollte zum Bestandteil der Existenz einer

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Kämpfer (1973), S. 21. Kämpfer (1973), S. 21 f. Grujić (1935a), S. 144. So schrieb Rajić in der Einleitung vom „Schöpfer“, und von der „Zarischen Macht, die am Steuer­ruder sitzt und sich um die Wohlbefindlichkeit und den Frieden der ganzen Gesellschaft kümmert“, und damit die „wohlbehaltene Gesellschaft“ und den „wohlbehaltenen (blago­ ključimji) Bürger“ gewährleistet. Rajić (1794) 1, Einleitung [ohne Seitenzählung].

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modernen orthodoxen kollektiven Gegenwart werden. Rajić räumte Sava als Heiligem in diesem Geschichtsbild trotz seiner bereits erfolgten Kür zum Nationalpatron, die er verschwieg, aber noch ganz wie zuvor Julinac nur zögernd Platz ein.48 Der Geistliche Rajić versuchte erstmals ausdrücklich einen politischen historiographischen Diskurs von einem sakralen, kirchlichen zu trennen.49 Zwar hatten sich schon zuvor die Chronistik und der sakrale Diskurs weitgehend gelöst voneinander entfaltet, jedoch ohne konzeptuelle Reflexion und ohne Verweis auf eine zu schreibende Kirchengeschichte. Die hier den Diskurs beobachtende und lenkende Unterscheidung einer politischen, weltlichen Beschreibung Savas von einer sakralen Beschreibung blieb für die weitere Entwicklung der mit dem Heiligen verbundenen Diskursstränge zentral. Die bewusste Differenzierung eröffnete die Möglichkeit zu späteren wechselseitigen diskursiven Überlappungen. Nicht nur die Ausgestaltung der weltlichen, sondern auch der reli­giösen Feiern war dabei zunächst noch zu festigen. C 1.1.1  Die Festigung des Feiertags als Schulfeiertag

Bis zur Mitte des 19. Jh. war der Tag des hl. Sava selbst im kirchlichen Rahmen in den ungarländischen Gebieten etwa in Novi Sad sowie in der Bačka nicht mit speziellen Predigten bedacht worden.50 Dies führte dazu, dass der traditionelle, kirchliche Diskurs um Sava durch das Entstehen eines weltlichen Savadiskurses in Einzelfällen bereits neue Bedeutung gewann. So rief der Geistliche Georgije Aleksić im ungarischen Arad in der Kirche des Gelehrten und zweiten Präsidenten der Serbischen Matica (1838 – 42) Sava Tekelija bereits 1806 flammend zur Verehrung Savas auf. Er vertrat trotz seines Standes und des Rahmens des Gedenkens eine weitgehend säkulare Deutung Savas. Die Verehrung von Nationalpatronen wie namentlich die des hl. Stephans bei den Ungarn sowie die der heiligen Fürsten Vladimir und Aleksandr Nevskij unter den konfessionell verwandten Russen sollte seinen „Hörern“ zum Vorbild dienen:51 Aleksić beob-

48 „Obschon in diese Geschichte der serbischen Könige das Leben Savvas des Heiligen nicht hingehört, sondern zur Kirchengeschichte des serbischen Königreiches“, schilderte er es doch, da es für die politische Geschichte des Königreiches wichtig sei. Ausführlich umriss er sodann politische Bezüge und erklärte erneut, dass es in diesem Rahmen nicht angehe, auch seine Wunder­taten zu schildern – der Leser sollte sich dazu in den kirchlichen Büchern umsehen. Rajić (1794) 2, S. 339. 49 Siehe die vorhergehende Fußnote. Immerhin waren die Grenzen dieser Diskurse für ihn so schwankend, dass er sich nicht einen weiteren Exkurs verkneifen konnte: „Indes sei um des ehrfürchtigen serbischen Gedenkens willen, das diese [die Serben, S. R.] zu ihrem Heiligen hatten, auch dies zu nennen gestattet“ – nämlich dass „die Belgrader“ noch heute genau ­wissen, an welcher Stelle vor der Stadt Sinan Pascha Savas Gebeine verbrannt habe. Rajić (1794) 2, S. 348 f. 50 Grujić (1935a), S. 144. Zur Entwicklung der Feiern auch: Makuljević (2006), S. 55 – 58. 51 „Ich habe Sie eben gebeten, geehrte Hörer, Ihre Augen auf andere Völker zu richten und zu sehen, wie diese ihre Patrone verehren, und wie sie sich mit ihnen rühmen, damit diese Ihnen

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achtete im transnationalen Vergleich mit der Verehrung nationaler Heiliger bei anderen ­ ölkern einen Nachholbedarf der Serben und gab damit einer weiteren neuen Ebene V des Savadiskurses Ausdruck. Die Verehrung Savas als Nationalpatron stand nach dem Synodalbeschluss von 1774 für die ungarländischen Serben sowie auch im regionalen, überkonfessionellen Vergleich und im orthodoxen konfessionellen Bezugsrahmen seit einigen Jahren als Konzept zur Verfügung. Die Ansprache zeigt aber, dass diese neue Verehrung noch keine eingeübte soziale Praxis darstellte. Form und Inhalt der Verehrung, die Gewichtung ihrer religiösen und weltlichen, nationalen Bestandteile waren weiterhin auszuhandeln. Der orthodoxe Geistliche Aleksić entschied sich für einen tagespolitischen Einsatz und eine stark weltliche Deutung der Erinnerungsfigur: Er sprach Sava in dieser Predigt als Nationalpatron, aber nicht als traditionellen, im Jenseits lebendigen Heiligen an. Andererseits verknüpfte Aleksić den neuen Diskurs auch mit religiösen Elementen: „Erhebt die Posaunen und Psalmenbücher, Kämpfer, erhebt die serbischen Waffen“. Sava sollte als Medium der Mobilisierung militärischen Kampfgeistes, aber auch dynastischer Loyalität dienen, wo er „die Ehre Serbiens“ mit dem „serbischen Fürstengeschlecht“ verband.52 Der Kampf gegen die Willkür der lokalen osmanischen Janitscharen 53 sollte durch die Beschwörung einer serbischen nationalen und religiösen Gemeinschaft aufrechterhalten bleiben – die Rebellion gab dem ungarländischen Geistlichen Anlass zur rhetorischen Herstellung einer solchen nationalen Sakralgemeinschaft im Rahmen eines orthodoxen Gottesdienstes. Savas frühe Rolle als Heerführer blieb zunächst aber nachrangig. Sie wurde erst zur Wende ins 20. Jh. wieder aufgegriffen und weiterentwickelt. Savas Funktion als National­ patron trat gleichfalls zunächst in den Hintergrund, wurde aber bereits zur Mitte des 19. Jh. intensiviert. Eine für die kommenden Jahrzehnte entscheidende Etappe in der Entwicklung des weltlichen Gedenkens an Sava war hingegen seine Feier als Schul­patron in den nach westlichem Vorbild vereinzelt eingerichteten weltlichen Schulen sowie die Festigung eines entsprechenden Diskursfeldes. Bereits 1809 soll Sava Vuković den 14. Januar und damit den Savatag, gewählt haben, um 20 000 Forint zur Gründung eines

ein lobenswertes Vorbild werden und damit Sie diese nach Möglichkeit nachahmen“. Pro­pověd na den svjatago otca našego Savvy pervago arhiepiskopa serbskago, meseca ianuaria 14 dne, lěta 1806, u Tjukelinoj cerkvi svjatyh apostol Petăra i Pavla govorena Georgiem Aleksič’, tojaže cerkvi parohom, Budim 1806, S. 10, zit. gemäß Grujić (1935a), S. 145 f. 52 „Nehmt also das Vorbild dieser erleuchteten (prosvjaščeni) Völker an (…) – Erhebt die Posaunen und Psalmenbücher, Kämpfer, erhebt die serbischen Waffen; dehnt eure Stimmen, erhöht den Ton und den Kanonendonner; dass die Erde zittert, dass die Lüfte sich hüten und die Himmel sich erfreuen – die Serben rühmen Serbien (Serblja), und geben dem serbischen Fürstengeschlecht die Ehre Serbiens; freut euch groß und klein, wenn ihr unseren Patron feiert!“ Propověd na den svjatago otca našego Savvy pervago arhiepiskopa serbskago, meseca ianuaria 14 dne, lěta 1806, u Tjukelinoj cerkvi svjatyh apostol Petăra i Pavla govorena Georgiem Aleksič’, tojaže cerkvi parohom, Budim 1806, S. 10, zit. gemäß Grujić (1935a), S. 145 f. 53 Sundhaussen (2007b), S. 65 – 67.

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serbischen Gymnasiums in Novi Sad zu stiften.54 Staatliche Schulordnungen sollten die Feiern Savas institutionalisieren und in feste Rahmen lenken: Eine am 1. November 1812 im gleichfalls ungarländischen Zemun in Kraft getretene Schulordnung legte fest: „Der Tag des 14. Januars, d. h. der serbische Aufklärer, der heilige Sava, soll der Pa­tron unserer Schulen sein. An diesem Tag soll die Schulfeier sein und jedes Jahr soll all jener gedacht werden, die etwas beigetragen haben“, und zwar sowohl der Lebenden als auch der Verstorbenen. „Zudem soll einer der älteren Schüler eine kurze Ansprache zum Lob aller Gründer halten, oder zum Nutzen der Wissenschaft und der Bildung.“ 55 Eine 1826 gedruckte Ordnung erweiterte diese gänzlich weltlichen inhaltlichen Vorgaben mit der Veränderung, dass eine Rede „zum Nutzen der christlichen Lehre und B ­ ildung“ zu halten sei.56 Säkulare Aufklärung und Wissenschaft sowie die Verehrung von weltlichen Gelehrten sollten in einen religiösen Zusammenhang gestellt, aber auch der traditionelle konfessionelle Kontext an die Herausforderungen der modernen gesellschaftlichen ­Bildung angepasst werden. Vorerst blieb es aber bei der Veröffent­lichung von Vorgaben, die den Diskurs und die konkreten mit ihm verbundenen Praktiken norma­tiv formen sollten. Der Herausgeber und Redakteur der „Serbischen Volksnachrichten“ Theodor Pavlović hielt 1846 fest, der hl. Sava sei in den serbischen Schulen der Vojvodina bis 1839 nicht gefeiert worden.57 Für die Festigung der Feiern als soziale Institution wurde die Etablierung eines für diese entworfenen Liedes wichtig: Im Jahr 1839 sangen die Schüler zur Savafeier im ungarischen Szeged das Lied „Wir rufen mit Liebe den hl. Sava an“. Dieses wurde fortan an den Schulfeiern zum Savatag auch im serbischen Fürstentum mit Vorliebe gesungen.58 In der damaligen Fassung des Liedes gedachte man Savas weniger als eines Heiligen, denn als eines „Hirten“ und Hierarchen, der mit der serbischen Identität, dem „Serbentum“, aufs Engste verwoben war.59 Die entstehenden Schulen sollten im ­Rahmen der sich entfaltenden diskursiven Praxis der Schulfeiern im Gedenken an Sava von Anfang an zum Ort werden, an dem mithilfe Savas serbischer Nationalstolz unter den heranwachsenden Generationen einzupflanzen war. Der Vorgang der Festigung der Feiern verlief zunächst nur sehr zögerlich: Zwar hatte die in Buda erscheinende Zeitschrift der Serbischen Matica, die 1826 nach dem Vorbild insbesondere der Ungarischen Wissenschaftlichen Gesellschaft gegründet worden war, 1827 ein knappes Porträt über den „Heiligen Savva, den ersten serbischen Erzbischof“, 54 Das Gymnasium konnte aber erst 1818 eingerichtet werden. Veselinović (1908), S. 33 f. 55 Zit. gemäß Sreten L. Popović. Putovanje, S. 142; vgl. Vučković (1895), S. 181; Grujić (1909), S. 232; Grujić (1922), S. 149. 56 Veselinović (1908), S. 26. 57 Veselinović (1908), S. 29. 58 Veselinović (1908), S. 115. 59 Zeilen aus dem Text, an den sich zu Beginn des 20. Jh. ein Informant Veselinovićs erinnerte: „Wo unser serbische Hirte Sava ist, / Singt ihm, Serben, ein Lied (…) / Erhör unseren Ruf, Sava, / Kirchliches (Arhierejska) Haupt, / Und verehre (proslavi) Serbien und das ganze Serbentum (Srbadiju).“ Veselinović (1908), S. 97.

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veröffentlicht. Dieser Text gab eine faktographische, eher an die Chronistik als an die Viten Savas erinnernde Darstellung. Damit entsakralisierte der mit dem Kürzel „E. I.“ zeichnende Autor die Erinnerungsfigur und stellte Sava seinem kleinen, gelehrten Leserkreis als historische, weltliche Gestalt vor.60 Aber auch die „Matica Srpska“ beschloss erst im Dezember 1842, am bevorstehenden Gedenktag des hl. Sava diesen Heiligen „erstmals als Patron der Matica“ zu feiern.61 Der erste Nachweis zu einer tatsächlich abgehaltenen Feier im Gymnasium in Novi Sad liegt sogar erst für das Jahr 1854 vor.62 Diese beginnende Praxis des weltlichen Gedenkens an Sava als Schulpatron war damals mithin ein Ergebnis der Rezeption der Feier Savas im Osmanischen Reich, die sich nach den österreichisch-ungarischen normativen Vorgaben entwickelt hatte: Der bisher geschilderte ungarländische Zusammenhang hatte schon in den 1820er-Jahren eine Ausweitung auf Belgrad erfahren. So gab am 5. Februar 1827 die Kanzlei des 1817 eingerichteten serbischen Fürstentums eine Anordnung des Fürsten Miloš zur Ab­haltung orthodoxer Feiertage zu Protokoll. Sie erklärte den Tag des hl. Sava, anknüpfend an die älteren österreichisch-ungarischen kirchlichen Vorgaben, mit Gesetzeskraft zum erstrangigen „Landesfeiertag“. Das junge serbische, dem osmanischen Sultan weiterhin tributpflichtige Staatswesen übernahm damit freiwillig das im österreichisch-ungarischen Zusammenhang entstandene Projekt und eignete sich die damit verbundenen Diskurse und Praktiken an, um sich mithilfe staatlicher Schul- und Geschichtspolitik in mittel­europäische Kommunikationskreise einzuschreiben. Das Ziel war kein religiöses, sondern ausdrücklich die Europäisierung der Gesellschaft: Der Zweck der Verordnung war es, „nach dem europäischen Vorbild in dieser Gesellschaft Gesetzesfurcht (strahopočitanie k zakonima) herzustellen“. Der Savatag schien am besten dazu geeeignet zu sein – noch vor den übrigen Feiertagen, zu denen hier auch das Gedenken an „die Serbischen Könige“ gezählt wurde.63 Die Zugehörigkeit zum orthodoxen Glauben wurde in der Verordnung zum Hebel, eine als europäisch verstandene staatsbürgerliche Gesinnung einzufordern. Das damit vom Fürsten zum Ausdruck gebrachte und staatlich geförderte Verständnis von Staatsbürgerschaft blieb wegen des konfessionellen Charakters der Feiertage aber auf die sozialen Gruppen und Ethnien orthodoxen Glaubens beschränkt. Das mit Zwangsmaßnahmen vertretene Identitätsangebot richtete sich nicht an Andersgläubige wie muslimische und jüdische Bürger. Der Diskurs vom hl. Sava als Schulpatron war von Beginn an Medium staatlicher Bemühungen, alle 60 Mit dem Kürzel „E. I.“ signiert: Svetyj Savva, Pervyj Serbskij Arhiepiskop, umr. L. H. 1237, in: Serbskij Lětopis 2 (1827) 1, S. 6 – 13, hier S. 6. 61 Veselinović (1908), S. 34. 62 Veselinović (1908), S. 35. 63 Allen Orthodoxen wurde vorgeschrieben, „an Landesfeiertagen (u prazdnike zemaľske) wie am Tag des hl. Sava, am Veitstag, an den Tagen der Feier des Gedenkens an die serbischen Könige in die Kirche zu gehen, und sie gleich tüchtig wie die Serben (iste podobno Srbima) zu feiern, sei er Grieche, oder Aromune (Cincarin), oder Bulgare, wenn er nur östlicher Konfession ist.“ Protokoll der fürstlichen Kanzlei vom 5.2.1827, Nr. 1, Nr. 124, 1908 im Belgrader Staatsarchiv, zit. gemäß Veselinović (1908), S. 39 – 41.

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orthodoxen Staatsbürger, und ausdrücklich auch jene anderer nationaler Zugehörigkeit, mit einer nur vordergründig staatlichen und übernationalen, im Wesentlichen aber serbischen Identität auszu­statten.64 Die Vorschrift richtete sich an Orthodoxe und damit auch an Griechen bzw. die sozioprofessionell sowie sprachlich und weniger ethnisch definierte Gruppe der Kaufleute 65 in der Vielvölkerstadt Belgrad.66 Gerade mithilfe der neuen Erinnerungskultur um den Schulpatron verfolgte der neue serbische Staat von Anfang an die Herstellung einer einheitlichen kollektiven Identität seiner uneinheitlichen Bevölkerung. Zu ­diesem Zweck schien ihm nicht nur die weltliche, sondern auch die kirchliche Verehrung Savas geeignet. Fürst Miloš instrumentalisierte serbische Erinnerungsfiguren bewusst zur Festigung der neuartigen, modernen serbischen Staatlichkeit und des Bewusstseins der kollektiven Identität der Serben als – wie angeblich bereits im Mittelalter, so nun auch im 19. Jh. – staatstragendes Volk.67 Die Maßnahmen des Fürsten wurden rascher als die neuen Schulordnungen in Ungarn umgesetzt, sodass der neue, hier staatlich vorgegebene Diskurs Savas als Schulpatron in kurzer Frist eine die wenigen Schüler und ihre Eltern erreichende Verbreitung fand: Zum Savatag 1829 ist die Ansprache des Lehrers Mihail Nikolić überliefert, die dieser in einer Belgrader Schule hielt. Sie begann zwar mit einer Anrufung Savas: „An­sprache (slovo) dem Erzbischof Savva, dem serbischen Aufklärer!“ –, sie konzentrierte sich im Weiteren aber nicht auf Sava, sondern auf die gesellschaftliche Rolle von B ­ ildung.68 Obschon allgemeinen Charakters und auf die Bildung der Menschheit bezogen, schränkte ­Nikolić die Reichweite seiner Rede auf den nationalen Bezugsrahmen ein. Er schloss seine Ansprache mit der namentlichen Nennung des herrschenden Hauses sowie der kirchlichen Hierarchen 64 In dieselbe Richtung – der Einsatz der konfessionellen Zugehörigkeit zur Ausweitung staatlicher serbischer Identität – wies Paragraph drei derselben Verordnung, der den Gebrauch der „serbischen Landessprache“ in den (orthodoxen) Kirchen vorschrieb. Veselinović (1908), S. 40. 65 Sundhaussen (1993), 237 f. 66 Wenige Tage zuvor, am Savatag des Jahres 1827, so erinnerte sich M. Đ. Milićević zu Beginn des 20. Jh. an eine Erzählung eines Herrn Popadijć im Jahre 1878, habe Fürst Miloš in Požarevac davon gehört, dass die Belgrader Griechen nicht zum Gottesdienst zu Ehren Savas haben gehen wollen. Miloš rief darauf angeblich einige von ihnen zu sich, und verlangte von ihnen, den hl. Sava so zu ehren, wie die Serben auch griechische Heilige verehrten. Veselinović belegt den Vorgang durch den Verweis auf einen Eintrag im Protokollbuch der fürstlichen Kanzlei über die Vorladung von Belgrader Griechen vor das Gericht der Stadt. Veselinović (1908), S. 43 – 45. 67 Veselinović (1908), S. 38 f. 68 „Der Mensch wird nur durch die Bildung zum Menschen“ lautete der folgende Satz. Unter diesem Titel setzte der Text fort. Sava stand aber als „serbischer Patron“ im Zentrum der „Freude“ über die „Segnungen“ der Bildung: „Kann sich ein Ruhm auf der Welt mit dem ihren vergleichen? Können wir, die wir solche unbeschreibliche Segnungen (blaga) genießen, mit größter Redekunst den angemessenen Ruhm, den Dank und die Dankbarkeit gegenüber unseren Wohltätern schaffen und ausdrücken? Nur unser Herz, das am allerfreudigsten und feierlichen heutigen, überaus wohlgestalteten (preukrašennog) Tag des serbischen Patrons (Patrona), des Heiligen Erz-Bischofs Sava in Freude schwimmt.“ Zit. ohne weitere Angaben aus Privatbesitz gemäß Veselinović (1908), S. 45 – 48, hier: S. 46.

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und entsprechenden Glückwünschen im Gebet. Nach gehal­tener Rede schenkte Mihail Nikolić seinen Text dem Fürsten Miloš und bezeugte damit natio­nale und staatliche Loyalität ,von unten‘.69 Die säkularisierte Erinnerungskultur um Sava war hier auch als Medium zur Mehrung persönlichen sozialen Kapitals im Staat einsetzbar. Sava wurde als Segner und Beschützer des Vaterlandes angerufen: Neue nationale Bezugsrahmen und Funktionen griffen alte Formen der Verehrung Savas als Schutzheiligen auf. Die Ansprache verdeutlicht, wie groß der inhaltliche Freiraum war, den das Gedenken an Sava zu diesem Zeitpunkt bot: Bildungspolitische Reflexionen traten weitgehend abgelöst von dem Hintergrund der überlieferten Vorstellung des Heiligen als lebendiger Person und als Fürbitter hervor, obschon diese doch reproduziert wurde. Die Erinnerungskultur um Sava schien das geeignete Medium, das neue Schulwesen zu fördern. Sava vermochte diesem den sowohl vom Fürsten wie von den Lehrern erwünschten patriotischen Anstrich zu geben. Inhalt und Form der Verehrung Savas wandelten sich soweit, dass von einer Neuerfindung der Erinnerungsfigur zu sprechen ist: Der Diskurs von Sava als nationalem Schulpatron wurde bald weit stärker vertreten als der ältere Diskurs seiner religiösen und dynastischen Verehrung, wo er sich nicht mit ihm überlagerte und ihn in sich aufnahm. Der vorläufige Höhepunkt der serbischen gesetzgeberischen Bestrebungen zur Festi­ gung Savas als modernen Schulpatron ist auf 1840 zu datieren: Fürst Mihailo ­Obrenović erklärte am 2. Januar: „Im Konsens mit dem Rat wird gutgeheißen, den Serbischen Aufklärer, den hl. Sava zum Patron aller Schulen in unserem Vaterland zu erklären.“ 70 Mit dieser Verordnung wurden die staatlichen Schulen amtlich mit der orthodoxen, bald aber serbisch-national gedeuteten Konfession verbunden, trotz der auch in den Grenzen des damals noch kleinen serbischen Fürstentums bestehenden religiösen und ethnischen Vielfalt. Der Fürst unter osmanischer Oberherrschaft übernahm damit in Österreich-­Ungarn im geistlichen Rahmen eingeführte Praktiken und adaptierte sie zur Festigung der nationalen Ausrichtung seines in den Kinderschuhen steckenden welt­ lichen Schulwesens. Mit der Entstehung einer serbischen Presse wurden die Feiern zu Themen der überaus schmalen Zeitungsöffentlichkeit: Über den Verlauf der Feier im „Lizeum und Gymnasium des serbischen Fürstentums in Kragujevac“ im Januar 1840 berichteten die „Serbischen Nachrichten“ ausführlich, jedoch ohne Angaben zum Inhalt der nach der kirchlichen Feier in der Schule gehaltenen Rede. Immerhin sei dort ein Lied zu Ehren Savas gesungen worden, das der Poetiklehrer Vukašin Radišić verfasst hatte. Jeder Serbe sollte, so das Lied, seine Bildung betreiben, und zu diesem Zweck Sava sowohl als Heiligen als auch als Lehrer und Beschützer anrufen.71 Das nach west- bzw. 69 „So gieße deinen Segen übervoll über uns, dem Vaterland zum Ruhm und zum Schutz, den Wohltätern zur Freude, den Eltern zum Trost, (…). – Amen.“ Veselinović (1908), S. 48. 70 Archivmaterial ohne weitere Angaben zit. gemäß Veselinović (1908), S. 51. 71 „Sing, Serbe, Sing! / Führe deinen Verstand in den Himmel! (…) Ruhm dem Heiligen! / Dank dem Lehrer! / Ruhm dem Aufklärer, / unserem Beschützer!“ Novine Srbske, 1840, Nr. 4, S. 29 – 32, zit. gemäß Veselinović (1908), S. 54. Später datiert Veselinović das erste Singen dieses Liedes auf 1837. Veselinović (1908), S. 114, 1838: S. 107.

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mitteleuropäischem Vorbild eingeführte säkulare Staatsschulmodell wurde wie in vielen Hauptstädten in einen nationalen, aber mithilfe Savas von Anfang an auch in einen religiösen Zusammenhang gestellt. Zur gesellschaftlichen Verankerung und Finanzierung der neuen Feiern wurden auch die Honoratioren herangezogen.72 Im Rahmen des Gedenkens an Sava sollten die Namen dieser weltlichen Förderer des nationalen Projektes kirchlich sanktioniertes Ehrver­ mögen und soziales Kapital erhalten. Sakrale und nationale Öffentlichkeit wurden mit dem Medium des Schulpatrons als Einheit entworfen. Die sozialen Rahmen der Feier waren damit früh normiert und festigten sich weiter. C 1.1.2  Sava als ,Erlöser‘ und ,Seele‘ des Volks – Reden zum Schulfeiertag

Die sich bald regelmäßig wiederholenden Reden trieben die Weiterentwicklung des Diskurses über Sava voran. Während die Funktion des Gedenkens an den Schulpatron oder der Inhalt von Reden an seinem Feiertag, wie gezeigt, bereits zu Beginn des 19. Jh. ganz säkularisiert sein konnte und sich eine historisierende Darstellung Savas als eines Heiligen in ersten Ansätzen zeigte, wurde diese erst zur Mitte des 19. Jh. ausführlicher formuliert und inhaltlich ausgeweitet. Sie war dabei jedesmal aufs Neue zu denken und in Worte zu fassen. Die Beschreibungsversuche erfordern trotz des gemeinsamen Rahmens eine individuelle Analyse, die sich auch im Weiteren exemplarisch nur auf innovative Elemente beschränkt. So führte etwa der in Novi Sad geborene Schriftsteller Sergije Nikolić in seiner Rede zum Feiertag des hl. Sava 1845 am „Fürstlich-Serbischen Lyzeum“ in Belgrad, dessen Rektor er damals war, die Zuhörerschaft zunächst „in das goldene Zeitalter des nationalen Daseins“ ein und stellte Sava als Patrioten dar.73 Die Verbindung der Dar­stellung der Person Savas mit modernen nationalen Vorstellungen blieb in beinahe jedem weiteren Text über ihn dominant. Auch die Schilderung der Aufgabe, deren Bewältigung Nikolić Sava 1845 zuschrieb, war nicht religiös geprägt und entsprach ganz den aktuellen gesellschaftlichen Zielutopien zur Mitte des 19. Jh.: „Es musste einmal ein öffentliches und nationales Volksleben begonnen werden, das diesem würdig war, aber nur als gebildetes und freies Volk“.74 Nikolić, der in Pest an der Philosophischen und der Juris­tischen 72 1841 legten die Satzungen der staatlichen Bildungsbehörde des Fürstentums fest, dass – „Zur weiteren Erweckung (pobuđenju) unserer Kompatrioten (sootečestvenika)“ – Beiträger zum Schulfonds in den Gottesdiensten zu Ehren Savas genannt werden sollten. Sbornik zakona i uredba, II častj, S. 17 – 29, Beograd 1845, zit. gemäß Veselinović (1908), S. 56. 73 „Begeben wir uns heute geistig in das goldene Zeitalter des nationalen Daseins (narodnog byćja), und gedenken wir der Zeit, zu der der serbische Aufklärer (prosvetitelj Srbskij) Sava Nemanić sich vom geliebten Geschlecht und vom lieben Vaterland trennte, das Lebensland (zemlě žitelj) verließ und in die Wahrhaftigkeit überging.“ Nikolić (1845), S. 1. 74 Der Satz fährt fort: „und wiederum nur in gerade diesem Jahrhundert und zu dieser Zeit, als die Bildung und Freiheit überall stark zurückging, und an die Stelle der beiden eine allgemeine Barbarei trat und die Welt vernichtete“. Nikolić (1845), S. 2.

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Fakultät studiert hatte, entwarf den Ausweg aus der angeblichen natio­nalen Krise des 12. und 13. Jh. mit dem religiösen Bereich entlehnten Vorstellungen. Das „Volk“ sollte in Anlehnung an Vorstellungen der christlichen Religion national­theologisch zu einer von einer einzelnen Person als „Erlöser“ geretteten und als „Schöpfer“ angeblich nur erneuerten „Nation“ entworfen werden.75 Eine Erneuerung des Glaubens war für Nikolić die Voraussetzung zu allgemeinem Fortschritt bzw. zum Erreichen der „höchsten (…) Ebene der Bildung“.76 Entscheidend war für Nikolić und viele andere, die zu Savas Ehren sprachen, weniger die religiöse Ebene allein als ihre Verbindung mit einer angeblichen nationalen Dimension des Handelns Savas. Sava sollte nicht explizit vom Heiligen Geist, sondern von einer vergeistigten „reinen Nationalität“geleitet worden sein.77 Der ­Lehrer machte Sava somit zum Symbol einer Nation, welche er mit Vorstellungen entwarf, die er der traditionellen, orthodoxen Religion entlehnte. Nikolić verfolgte des Weiteren eine konsequent nationalgeschichtliche Deutung der Kirchengeschichte. Mit der Rede von der „Kirche der freien serbischen Nationalität (narodnosti)“ 78 begann Nikolić im Rahmen der bisher ganz durch traditionelle religiöse Memoria geprägten Erinnerung an Sava mit den historiographischen Mitteln der 40er-Jahre des 19. Jh. die Sakralisierung der Nation. Die hier bisher auf das Spätmittelalter bezogene Situationsanalyse Nikolićs wie auch der empfohlene Ausweg deckten sich zu großen Teilen mit dem Verständnis der zur Mitte der 40er-Jahre des 19. Jh. wahrgenommenen nationalen Probleme oder Desiderate. Die Einbettung des Redners und seines Textes in die zeitgenössische Geschichtsschreibung und den sich im europäischen Kontext heraus­differenzierenden serbischen nationalen Diskurs bestimmten die Wortwahl und Deutung ganz. Gerade der Diskurs des Schulpatrons wurde so zum Medium und zur Plattform der Entwicklung sowie der sozialen Verbreitung, ja Lehre neuer nationaler Vorstellungen. Mit dem Entwurf eines „öffentlichen und nationalen Volkslebens“ im Rahmen des Gedenkens an Sava als Schulpatron ging die Säkularisierung der Vorstellung der Person Savas einher: Zwar erinnerte etwa Nikolić 1845 mit dem Verweis auf Savas Übergang „in die Wahrhaftigkeit“ an diesen als lebendige Person im Jenseits. Gleichzeitig fiel

75 „Kurz, das Volk brauchte einen Erlöser und gewissermaßen einen neuen Schöpfer.“ Nikolić (1845), S. 2 f. 76 „Es war notwendig, dass er sein Volk und zwar das ganze Volk aufklärte, und besonders zur Kenntnis dieser rettenden Wahrheit führte, (…) ohne die das Menschengeschlecht keinesfalls auf die bisher höchste erreichte Ebene der Bildung gelangt wäre.“ Nikolić (1845), S. 3. 77 „Aber insbesondere hat er bei allem, was er für die Kirche und für das Volk getan hat, mündlich und schriftlich, den Geist der reinen Nationalität (čiste narodnosti) geatmet.“ Nikolić (1845), S. 8. 78 „Die innere, verstandesmäßige und religionsgesetzliche (verozakonna) Freiheit und Unabhängigkeit ist bereits eine ausreichende Grundlage und Fundament auch der übrigen, vollen Volksfreiheit (narodne slobode); aber der serbische Aufklärer wollte nicht die Kirche der freien serbischen Nationalität (hram slobodne narodnosti Srbske) nur beginnen, und ihr Fundament legen, sondern sie vollendet und bekräftigt sehen, wohl wissend, dass sie ohne ihn schwerlich vollbracht und gesichert würde.“ Nikolić (1845), S. 10.

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aber das Gedenken an Sava mit der skizzierten Vorstellung eines nationalen „goldenen Zeitalters“ zusammen. Diese Überlagerung der religiösen Memoria mit nationaler Erinnerung, die antike säkulare Geschichtsbilder von Zeitaltern aufs Neue aktualisierte, war zu diesem Zeitpunkt noch keine Selbstverständlichkeit. Bei der Neugestaltung Savas galt es ganz konkret, die alte Erinnerungsfigur aus dem kirchlichen Diskurs und den damit verbundenen sozialen und rhetorischen Praktiken und den mit ihnen verbundenen Orten zu lösen: Nikolić bekannte demütig nicht nur seine Furcht vor seiner rhetorischen Unzulänglichkeit, über Sava zu sprechen, sondern auch die vor der Unangemessenheit, dies an einem säkularen Ort zu tun. Der Redner versuchte deshalb bewusst, zwei Diskurse voneinander zu unterscheiden: Savas kirchliche Heiligkeit einerseits und seine Qualität als „menschlicher und serbischer Heiliger“ in einem weltlichen, nationalen Rahmen andererseits.79 Erst nach dieser diskursiven Trennung war es Nikolić und den folgenden Rednern zum Tag des Schulpatrons möglich, Sava zum „großen Menschen“ zu machen, wie es für die Mitte des 19. Jh. neu und charakteristisch war: Sava sollte als „wahrlich großer Mensch“, wegen nicht explizit religiöser „großer Taten“ als Vorbild gelten.80 Nikolić erläuterte in diesem Rahmen die Rolle des Heiligen als „Spiegel“ für die nationale Gesellschaft der Gegenwart weiter. Dabei trennte er Sava von dem bisher vorherrschenden religiösen Zusammenhang und machte ihn als „Menschen“ und „Serben“ zum Prototypen eines ,großen Mannes‘, der im Sinne des Historismus Geschichte gemacht haben sollte. Die Funktion des Verweises auf Sava erklärte er offenherzig: Er sollte unter den gegenwärtigen Umständen zum optimalen nationalen Handeln animieren, „unserem heutigen Serbien als Vorbild und Spiegel dienen“.81 Nikolić säkularisierte dabei die bisherige „heilige“ Qualität der Verehrung Savas und begründete sie durch Savas Funktion als „Wohltäter“ und angeblicher Förderer der nationalen Wissenschaft.82 Nikolić stilisierte Sava auf dieser Grundlage nicht nur wie gezeigt zum „Erlöser“ und „Schöpfer“, sondern auch zur „Seele“ des 79 „Aber wenn ich mich anschicke, über einen heiligen Menschen zu sprechen, fürchte ich, dass heute abend weder dieser Ort ihm, als orthodoxen Verehrer (ugodnika) Gottes, noch meine Rede würdig sein werden. (…), denn er ist nicht [nur] kirchlich heilig, sondern auch ein menschlicher und Serbischer Heiliger, und für uns hier außergewöhnlich heilig.“ Nikolić (1845), S. 2. 80 „Das Gedächtnis eines wahrlich großen Menschen ist immer eines, an dem große Taten belebt werden und ein allgemeiner Spiegel, in dem sich nicht nur die Größe des Menschen ansieht, sondern mit dem sich auch die Nachkommen ihre Vorbilder schaffen“. Nikolić (1845), S. 1. 81 „So möchte ich, dass wir an der heutigen Feier schauen und sehen, was er uns wirklich war, und was [er, S. R.] uns heute sein muss; was er für ein Mensch ist, und was ihn als Serben der Liebe und Ehre und Nachahmung würdig machte, und worin er uns hier und unserem heutigen Serbien als Vorbild und Spiegel dienen kann.“ Nikolić (1845), S. 2. 82 „Dies sind die großen Werke (děla) unseres orthodoxen Aufklärers, deretwegen er nicht nur seinen Glaubensgenossen und jedem Volksgenossen (sanarodniku) als Wohltäter des Volkes, sondern auch jedem Menschen als mittelbarer Wohltäter der ganzen Menschheit heilig ist und verehrt wird. Und namentlich als Begründer und wahrer Verkünder der Wissenschaft und Volksbildung muss er mit besonderer Liebe in den nationalen (narodnym) wissenschaftlichen Einrichtungen verehrt werden.“ Nikolić (1845), S. 15.

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Volkes: „Er, der die Seele seines Volkes war, und der dieses gerade am meisten zum Volk gemacht hat“.83 Die Vorstellung ist logisch schwer nachzuvollziehen – sie stellte offenbar eine maximale Unabhängigkeit bzw. Souveränität des Volkes klar, das sich seine monadische Existenz als imaginäre Substanz einer Art Autopoiesis durch seine eigene Seele – Sava – zu verdanken schien. Sava wurde zur Verkörperung des seit dem ausgehenden 18. Jh. in der westeuropäischen Aufklärung und Romantik entworfenen volksgeschichtlichen Prozesses.84 Des Weiteren führte Nikolić Sava als „Denkbild oder Ideal für das heutige Serbentum (myšleobraznik ili ideal)“ ein.85 Von diesem „Ideal“ ausgehend formulierte der Redner zeitgemäße „patriotische Tugenden“.86 Die asketische Tugend der Selbstverneinung, die bisher nur in Heiligenviten als solche anerkannt war, wurde nun im Rahmen der umgedeuteten Erinnerung an Sava auf den patriotischen Serben säkularisiert übertragen. Gleichzeitig gewann der nationale Bezugsrahmen damit an Sakralität, wie die Rede von der patriotischen „Pflicht“ zur Selbstaufopferung „auf dem Altar der nationalen Bildung“ zeigt.87 Der preußische Kultusminister Eichhorn benutzte 1840 die Begriffe vom „Nationalwerk“ sowie vom „Opfer auf dem Altar des Vaterlandes“, um die Arbeit am Deutschen Wörter­buch der Brüder Grimm voranzutreiben:88 Nikolić schrieb den serbischen nationalen Diskurs in den vom Historismus geprägten politisch-theologischen Diskurs der Staats- und Nationsverehrung Englands, Frankreichs und der deutschen Länder ein.89 War es im religiösen Zusammenhang das Ziel, zum selbstlosen und vergeistigten Heiligen zu werden, sollte es schon mit Nikolić nun das patriotische Ziel sein, zum „Geist“ zu ­werden: „Mehr als Mensch zu sein heißt es, ein Geist zu sein. Der Geist wächst und wird stark durch Bildung und er wird fähig, den Volksgeist zu wecken.“ 90 Die ausdrückliche Referenz auf Herder legt den diskursgeschichtlichen Zusammenhang der Rede vom „Volksgeist“ offen. Auch Nikolić übernahm die Zukunftsvision, die Slaven könnten „das mächtigste Volk auf der Erde“ werden.91 Gerade die Serben sollten 83 Nikolić (1845), S. 15. 84 Vgl. Carl Schmitt zu Edmund Burke: „Das Volk wird die objektive Wirklichkeit, die geschicht­ liche Entwicklung aber, die den Volksgeist produziert, zum übermenschlichen Schöpfer“. ­Schmitt (1919), S. 56. 85 Nikolić (1845), S. 15. 86 „Die erste patriotische Tugend und Bedingung der Blüte aller übrigen Tugenden ist der Sieg über sich selbst oder seines Geistes über sich selbst, ist die Verneinung seiner selbst“. Nikolić (1845), S. 17. 87 „Deshalb ist es die Pflicht jedes rechten Patrioten und das größte Verdienst, auf dem Altar der nationalen Bildung ein möglichst großes Opfer zu bringen, und sich selbst schonungslos anzuerbieten.“ Nikolić (1845), S. 17. 88 Hass-Zumkehr (2000), S. 236. 89 Vgl. Jaeger/Rüsen (1992), S. 77 f. 90 Nikolić (1845), S. 19. 91 „Vielleicht daher, dass es der berühmte Herder, der für die allgemeine Bildung der Menschheit das größte geleistet hat, in seiner Meinung über die Slaven sagte: Damit sie, wenn sie sich einigten, das mächtigste Volk auf der Erde würden“. Nikolić (1845), S. 25.

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gemäß seiner Lektüre Herders vor der Wahl stehen: „Entweder sich bilden und dies in der Nationali­tät und im Zeitgeist (u narodnosti i vremena duhu), oder sich nicht bewegen und nie zu einem Volk im rechten Sinne zu werden“.92 Die Genese des serbischen Volkes, die zuvor Sava für das 13. Jh. zugeschrieben worden war, galt es nun, zur Mitte des 19. Jh., entsprechend dem „Geist der Zeit“ zu aktualisieren und zu reproduzieren. In den letzten Sätzen der Rede legte Nikolić dies der Zuhörerschaft und dem Zielpublikum, der „ausgewählten serbischen Jugend“, ans Herz.93 Der Text steht für eine weitgehende Umdeutung der bisher ganz überwiegend im Rahmen der traditionellen religiösen und dynastischen Memoria verharrenden Konzeption der Erinnerungsfigur Savas. Erste Anfänge der wissenschaftlichen, romantisch-national ausgerichteten Historiographie im Zeichen der Rezeption des Historismus stellten den bisherigen Rahmen des Gedenkens an den hl. Sava auf den Kopf. C 1.1.3  Sava als weltlich unsterblicher Träger des ,Fortschritts‘

Der Diskurs über Sava als Schulpatron wurde in seiner regelmäßigen Hervorbringung und Reproduktion zum Gefäß und Testgebiet für alle damals denkbaren nationalen und modernen Aufladungen: Jeder Redner zu seinen Ehren, der sich der Nation verpflichtet fühlte, nahm in den folgenden Jahren die bisher aufgezeigten diskursiven Rahmen der Imagination Savas auf sowie festigte und entwickelte sie gleichzeitig mehr oder ­weniger produktiv weiter: Geschichtsprofessor Isidor Stojanović, der Nikolić in der Ehre des Rektors des Lyzeums noch 1845 folgte, sprach 1846 zum Gedenken an Sava. Er verstärkte im Vergleich zu Nikolić die Einbettung der Erinnerung in den weltgeschicht­ lichen Rahmen der Kulturgeschichte und des Fortschritts.94 Stojanović erneuerte damit den schon bei Sava Tekelija 1806 beobachteten transnationalen Vergleich der Entwicklung Serbiens im Rahmen und mittels des Savadiskurses. Eine Vorstellung Europas war hier das Ziel des nationalen Projektes. Stojanović imaginierte Serbien als am Beginn seines Weges nach, aber noch außerhalb Europas befindlich. Dieses dem Stand der damaligen Geschichtswissenschaft entsprechende Weltbild stellte Stojanović jedoch im gleichen Atemzug in einen religiösen Zusammenhang: Die handlungsweisende Idee vom „allgemeinen Fortschritt der Menschheit“ war „die heilige Bestimmung (odredba)

92 Nikolić (1845), S. 35. 93 Nikolić (1845), S. 37. 94 Das Ziel musste es sein, „Primitivität“ und „Barbarei“ hinter sich zu lassen, und die „Stufe an Bürgerlichkeit“ zu erreichen, die „Europa“ (einschließlich Russlands) und Amerika vorgaben. So sprach er von „gewaltigen Veränderungen, die sich an der Grenze zwischen der Primitivität (prvobytnosti) oder der Barbarei und der bis heute höchsten bekannten Stufe an Bürgerlichkeit (građanosti) befanden (…). Die heutige Vollendung des Engländers und Franzosen, des Deutschen und Russen in Europa und Amerika ist die Frucht von mehr als Tausend Jahren, und ist begründet auf der einstigen Bildung der alten Griechen und Römer.“ Stojanović (1846), S. 3.

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Gottes“.95 Im Diskurs über den Schulpatron wurde hier und in späteren Texten damit auch die Vorstellung des Charakters sowie der Rollen und Funktionen von Religion in der modernen, nationalen Gesellschaft ausgearbeitet. Dieser allgemeine, religiös legitimierte Rahmen „der Förderung des Fortschritts“ wurde für den Diskurs richtungweisend.96 Sava nahm hierbei für die Serben eine zentrale Stellung ein. Er habe „die Serben aus der Finsternis ins Licht“ geführt und „sie im christlichen und bürgerlichen (građanskij) Leben unterrichtet“. Der Historiker führte seine modernen Vorstellungen über Christliches und Bürgerliches, ja auch das „Serbentum“ ganz auf Sava zurück. Stojanović verdichtete die Vergangenheits- wie die Zukunfts­vorstellung seines Entwurfs eines „Serbentums“ auf Sava. Mit dem Gedenktag zu seinen Ehren entwarf der Redner einen homogen imaginierten serbischen Geschichtsprozess und personifizierte ihn in der Figur Savas.97 Ganz im Sinne des Historismus glaubte sich der Historiker in die Epoche Savas einzufühlen und deutete diesen als geschichtlichen Akteur, als Träger und Repräsentanten des epochalen Zeitgeistes. Im Rahmen dieses Beschreibungsversuches machte Stojanović anhand Savas eine serbische National­geschichte zum Pars pro Toto nicht nur für das Christentum, sondern insgesamt für die Menschheits- und Weltgeschichte. Im Einzelnen löste auch Stojanović christliche Handlungsmaximen aus dem reli­giösen Kontext und deutete diese zu nationalen um: Er säkularisierte so die „Nächstenliebe“ zur Liebe zur Nation und zum Vaterland.98 Er knüpfte zudem an der ursprünglich frühneuzeitlichen, aber auch für den Staat wie das Bürgertum des 19. Jh. wichtigen Tugend der Orientierung am politischen bonum commune an, wenn er Sava einen „durch die Liebe zum allgemeinen Wohl begeisterten Mann“ nannte.99

95 „Aber, wenn ich diesen allgemeinen Fortschritt der Menschheit zeichne, bin ich froh, sie, meine vielverehrten Hörer, und namentlich die hoffnungsvollen Schüler dieser Einrichtung, dieser Wahrheit zu versichern, von der ich selbst stark überzeugt bin; dass dies die heilige Bestimmung (odredba) Gottes ist“. Stojanović (1846), S. 4. 96 „Schauen wir, auf welchem Weg (…) der Förderung des Fortschritts (napredovanja) der Menschheit wir einst waren und auf welchem wir heute sind“. Stojanović (1846), S. 5. 97 „Sava ist folglich der erste, der die Serben aus der Finsternis ins Licht führte, sie im christlichen und bürgerlichen (građanskij) Leben unterrichtete, das serbische Buchwesen begann, und mit seinem heiligen und nachahmenswürdigen Leben den Kreis der serbischen Heiligen vermehrte. Seine Erinnerung (spomen) und der heutige Tag wirkt wohltuend (blagotvorno) auf das Serbentum und wird wohltuend auf das serbische Geschlecht einwirken, wird ewig wirken. – Und so hat Sava das Christentum definiert, und mit dieser gleichzeitigen Bestimmung des Serbentums und der Humanität entsprach er ganz den Umständen und dem Geist dieser Zeit.“ Stojanović (1846), S. 10. 98 Die „reine und wunschlose Liebe“, die Sava auf dem Athos übte, „blieb nicht fruchtlos, sondern entpuppte und entwickelte sich in seinen reiferen Jahren zur Nächstenliebe und zur Liebe zum ihm nächsten Serbentum, oder zur Liebe zum Volk (ljubav k rodu) und zum Vaterland.“ Stojanović (1846), S. 6. 99 Stojanović (1846), S. 9.

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Die Konstruktion Savas als eines nicht im Jenseits, sondern im Diesseits Unsterblichen war zur Mitte des Jahrhunderts nicht mehr aufzuhalten. In diesem Zusammenhang wurde nicht nur die Person Savas verweltlicht, sondern auch die Vorstellung der „Unsterblichkeit“ an sich: Die Erinnerung an Sava gab etwa Vukićević [offenbar Nikola Vukićević, S. R., der seit 1853 am Lehrerseminar im ungarländischen Sombor unterrichtete] 1858 anlässlich des Gedenktages zu Ehren Savas Gelegenheit, eine moderne weltliche, nationale Vorstellung von Unsterblichkeit nicht ohne Anlehnung an die traditionelle, religiöse zu entwerfen.100 Das Volksgedenken „schon auf dieser Welt“ blieb im Zentrum seiner Ansprache. Aus Pest schrieb der Literaturkritiker Kosta Ruvarac im Jahrbuch der Serbischen Matica für 1861 ähnlich: Es galt „Männer“ aufzuweisen, deren Gedächtnis durch ihre „Werke“ auf der „Welt“ „niemals stirbt“. Die früher für das Jenseits imaginierte Unsterblichkeit sollte im Diesseits gelten. Auch die den „Männern“ geltende „Flamme unserer Dankbarkeit“ steht für eine Säkularisierung religiöser Erinnerungsformen.101 Es galt, die für Sava erprobten diskursiven Rahmen auszuweiten auf die Beschreibung auch weltlicher Helden der Nation.102 Wurde Sava damit verweltlicht, erhöhte sich der Rang von bürgerlichen Akteuren des 19. Jh. Die moderne Nation gewann eine ins Mittelalter reichende genealogische Legitimationslinie, eine Dynastie, die auf Bildungsleistung begründet und weder sakral noch monarchisch war. Die Entwicklung des sprachlichen Diskurses über Sava wurde begleitet und geformt durch eine neue Konjunktur seiner bildlichen Darstellung.103 C 1.1.4  Sava als Medium internationalen Prestiges und ,Staatsbegründer‘

Der Diskursrahmen über den Schulpatron eröffnete die Möglichkeit, Veränderungen der Wahrnehmung der Geschichte zu reflektieren: 1867 unterschied der Wiener Medizin­ student und spätere serbische Premierminister (1897 – 1900) Vladan Đorđević in der 100 „Das ewige Gedenken im Herzen eines mit sich glücklichen Volkes ist wahrlich die schönste Zierde, der bekannteste Beweis, durch den sich die Unsterblichkeit der Gattung wackerer ­Männer – wenn wir so zu sprechen wagen – schon auf dieser Welt im vollen Maß bezeugt.“ Vukičević (1858), S. 39. 101 „Männer, die mit Werken bezeugen, dass sie einst auf der Erde gelebt haben, und zwar mit ­solchen Werken, für die sich die zukünftige Welt über mehrere Jahrhunderte an sie erinnert, ehrt und segnet: Solche Männer sind seltene Erscheinungen, und werden nur durch Epochen geboren (vekovi rađaju). In diesem Feld steht unser Volk nicht den anderen hintan; auch es kann mühelos (bezazorno) bezeugen (podiciti), dass aus seinen Schwingen (iz négova kryla) ­Männer hervorgegangen sind, die sich mit W e r k e n verdient gemacht haben, damit ihr Gedächtnis (spomen) niemals stirbt, damit die Flamme unserer Dankbarkeit ihnen gegenüber niemals erlöscht (utrne).“ Ruvarac (1860), S. 33. 102 Ruvarac zählte nur drei seiner Landsgenossen zu diesen „Männern“ – „An ihrer Spitze steht der hl. Sava, der erste serbische Erzbischof und Aufklärer (prosvetitelj), ihm folgt Sava Tekelija, der erste serbische Mäzen, und Sava Vuković, der patriotische (rodoljubivyj) Begründer des serbischen Gymnasiums in Novi Sad.“ Ruvarac (1860), S. 33. 103 Zahlreiche Beispiele: Makuljević (2006), S. 102 – 104.

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literarischen Zeitschrift „Matica“ in Novi Sad von einem älteren, auf Machtkämpfe unter Königen fixierten Geschichtsverständnis ein neueres, das sich am Fortschritt der „menschlichen Kultur“ in erster Linie im Rahmen von „Völkern“ und nicht an einzelnen Personen ausrichte. Erst in diesem Rahmen sollte Savas – hier zum Bürger „Rasko Nemanjić“ säkularisiert – wahrer „Platz in der Geschichte des serbischen Volkes“ 104 dargelegt werden können.105 Die reflektierte Rezeption des idealistisch geprägten Histo­ rismus ,verwissenschaftlichte‘ die Wahrnehmung auch Savas und sollte seine Verehrung in eine neue Richtung lenken: Nicht mehr die traditionelle religiöse Erinnerung wurde reproduziert, stattdessen formulierte Đorđević eine neue Folie, die ihn – im Sinne einer popularisierten Rezeption Hegels – als Träger des Wirkens einer scheinbar zeitlosen Idee im Rahmen einer allgemeinen, aber doch in erster Linie nationalen, auf ein Volk konzentrierten Geschichte einschätzbar machen sollte. Alte Erinnerungsstränge versuchte er, in ein neues geschichtsphilosophisches Gewand zu kleiden, das einen zeitgemäßen wissenschaftlichen Wahrheitsanspruch markieren konnte. Nicht nur Savas „Platz in der Geschichte“, sondern mit ihm der des „serbischen Volkes“ musste gefunden und bekräftigt werden, damit dieses im Kontext der benachbarten Nationen bestehen konnte. Bisher stand in Texten zum Schulpatron und auch in der Ansprache von Đorđević das Volk im Zentrum der Aufmerksamkeit. Der Medizinstudent begann nun aber die Etappe der Legitimation auch von Staatlichkeit mithilfe des Diskurses über Sava: Er bezeichnete Sava als „Begründer des serbischen Staates“, der mit der Schaffung der „serbischen nationalen Kirche (srpska narodna crkva)“ „die zeitgenössische I d e e seines Volkes“ begriffen und sich angeeignet habe.106 Auch „n a t i o n a l e S c h u l e n (narodne škole), die gleichzeitig mit ihnen [den Klöstern, S. R.] errichtet“ worden seien, sowie „das n a t i o n a l e B u c h “ führte der Autor auf Sava zurück. Sava wurde zum staats­tragenden „Vater des

104 „Wenn man alle Reden zusammenstellt, die bis heute gehalten wurden über seine Verdienste um das serbische Volk, würde eine beachtliche Literatur zusammenkommen, aber ich denke wiederum, dass bis heute niemand ihm den Platz in der Geschichte des serbischen Volkes gegeben hat, der ihm wirklich zukommt. Dies kommt daher, dass bei uns die Geschichte bis in die letzten Tage wie auch in der restlichen Welt bis vor kurzem angesehen wurde, das heißt, als Erzählung (priča) darüber, wie viele Könige welches Volk hatte, wer wen tötete, damit er selbst auf den Thron gelangen konnte“. Đorđević (1867), S. 495. 105 „Erst in unserer Zeit wird die Geschichte so verstanden, wie sie verstanden werden soll, d. h. als ein Buch über die Entwicklung der menschlichen Kultur im Allgemeinen, in dem vermerkt wird, wie viel welche I d e e dazu beitrug, dass das Menschengeschlecht gefördert werde (da se unapredi). In einer solchen Geschichte sind die sogenannten ,historischen Persönlichkeiten‘ nichts anderes als Repräsentanten dieser Ideen, die die Völker bewegten, als sie lebten, in ihr sind die V ö l k e r das Wichtigste, denn nur wenn man i h r vergangenes Leben erforscht, lässt sich sagen, wie sich die Kultur des ganzen Menschengeschlechts entwickelt. Es ist daher kein Wunder, dass auch bei uns der Wunsch auftaucht, dass wir unter diesem Blickwinkel schauen, was der hl. Sava, oder nennen wir ihn bei seinem bürgerlichen Namen, was R a s k o N e m a n j i ć in der serbischen Geschichte ist.“ Đorđević (1867), S. 495. 106 Đorđević (1867), S. 517.

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Vaterlandes“ säkularisiert.107 Đorđević weitete mit diesen Sätzen die bisher mit Sava verbundene thematische Bandbreite merklich aus: Sava geriet in dieser Ansprache umfassender als etwa bei Nikolić zur Personifizierung des Ursprungs mehrerer aus moderner Sicht grundlegender Einrichtungen eines imaginierten serbischen Volkes und Staates. Die Rede konzipierte eine gesamte Gesellschaft, an der auch die Geistlichen teilhaben sollten: „Der serbische Geistliche“ wurde zum „mittellosen Lohnarbeiter, Lehrer und Arzt des Volkes“ scheinbar säkularisiert und in die Zielutopie einer modernen serbischen Gesellschaft eingeschrieben.108 Die „serbische Nationalität“ wurde hier als durch Sava gefestigtes historisches Faktum bezeichnet, das vornehmlich dank der durch Sava geprägten Geistlichkeit überdauerte. Die Verweltlichung Savas und der Geistlichkeit war aber nur ein Schritt zur Sakralisierung der Nation, die in der Hierarchie der leitenden Vorstellungen an die Stelle der allgemeinchristlichen Religion treten sollte: Mit dem Anspruch geschichtswissenschaftlicher Plausibilität vereinnahmte Đorđević die Bezeichnung Savas als Heiligen für die nationale Argumentationslogik. Sava war nun zwar immer noch ein „großer Gottesmensch“, aber das Gedenken an ihn war nur wegen seiner „Verdienste am Volk“ ein „Heiligtum“ – das folgerichtig von der Existenz der Serben abhing. Sava wurde mit wenigen Sätzen vom traditionellen Heiligen zum Heiligen einer sakralisierten Nation umgedeutet: Letzterer, und nicht Gott, verdankte Sava in der hier eingeführten Logik seine Heiligkeit. Seine Wunder konnten nicht mehr zum Grund der Verehrung dienen.109 Dem religiösen Bereich entnommenes Vokabular half dem Medizinstudenten, über Sava den Kult der Nation in Worte zu fassen und zu sakralisieren. Nicht nur der Diskurs Savas, der wieder als Nationalpatron beschrieben wurde, sondern auch die mit ihm verbundene Soziabilität veränderte sich: Die Feier des Schulpatrons wurde für Đorđević in Novi Sad deutlicher als in den bisherigen Texten zur Gelegenheit der Imagination eines durchgehend gefeierten Volksfestes zu Ehren Savas über staatliche Grenzen und große geographische Distanzen hinweg: Er beschrieb einen „allgemeinen Volksfeiertag“, der das „gespaltene“ „serbische Volk“ einte.110 Die

107 „Daher denke ich, dass der hl. Sava nicht nur der erste serbische Aufklärer ist, sondern wirklich der Vater des Vaterlandes.“ Đorđević (1867), S. 518. 108 „Ihnen hat Sava gelehrt, dass es erhaben ist, Lehrer des Volkes zu sein“. „Der serbische Geist­ liche sei, obschon er in seinen Kirchen und Klöstern die serbische Nationalität (narodnost) durch solche Schrecklichkeiten und Stürme bewahrt habe, die Jahrhunderte andauerten, – dasselbe wie er es zu Zeiten des hl. Sava gewesen sei, ein mittelloser Lohnarbeiter (siromah težak), ein Lehrer und Arzt des Volkes, sein Beistand in allem.“ Đorđević (1867), S. 518. 109 „Dies ist es, was Rasko Nemanjić in der serbischen Geschichte ist, und unser Gelehrter ist froh, ihn wie das ganze Volk einen H e i l i g e n zu nennen, denn er weiß, dass dieses Wort nicht irgendeinen ,Wundertätigen‘ bezeichnet (…), sondern einen großen Gottesmenschen (božski čovek), der mit seinen Verdiensten um das Volk erreicht hat, dass sein Gedächtnis in ihm ein Heiligtum (svetinja) durch alle Jahrhunderte bleibt, solange auch nur ein Serbe übrig bleiben (ustraje) wird.“ Đorđević (1867), S. 543. 110 „Es gibt einen Tag im Jahr, der in allen serbischen Ländern gefeiert wird, als allgemeiner Volksfeiertag (opšte-narodna slava), und das ist der Tag des Gedenkens an den hl. Sava, das heißt

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Feier schien in dieser Vision eine Vereinigung der zu verschiedenen Staaten gehörenden Bevölkerung mit serbischem kollektivem Bewusstsein vorwegzunehmen. Das Gedenken an Sava wurde hier zum Medium der Vorstellung einer geeinten Nation in einem auf homogener ethnisch-konfessioneller Grundlage geeinten Staat, sieht man von der Erwähnung der Serben in der europäischen Diaspora ab. Weltliche Gelehrte setzten sich in der Wahrnehmung Đorđevićs mit ihrer Erinnerungskultur von der traditionellen religiösen Verehrung des „einfachen“ Volkes ab. Đorđević unterschied kirchliche sowie gelehrte sowie kommunale weltliche Erinnerung und beobachtete zwischen ihnen einen edlen Wettstreit in der Verehrung Savas: „An diesem Tag wetteifert die serbische Kirche mit akademischen Gesellschaften, bürgerlichen Gemeinden und Schulen, wer den hl. Sava mehr verehrt.“ 111 Weltliche kollektive Akteure sowie die Kirche standen in dieser beobachtenden und steuernden Reflexion der um Sava entstandenen Diskurse nicht im inhaltlichen Streit, sondern versuchten, sich gegenseitig in der Aneignung Savas zu überbieten. Der Schulfeiertag Savas war zwar ursprünglich durch staatliche Ordnung etabliert worden – hier erschien seine nationale Verehrung aber als ein „von unten“ und ohne staatliche Lenkung sich entwickelnder Vorgang. Die dabei bisher untersuchten, seltener von Geistlichen als von Lehrern propagierten Vorstellungen unterschieden sich nur graduell in ihrer religiösen oder weltlichen Ausrichtung: Allen gemeinsam war die gegenwärtige Förderung eines zukünftigen Nationalstaats und zahlreicher damit verbundener Aspekte wie moderner „Künste und Wissenschaften“ mithilfe Savas.112 Auf der Grundlage der geschilderten Texte war der Schritt zur Verweltlichung Savas auch zum „Staatsmann“ nur ein kleiner: 1869 beschrieb der liberale Politiker Svetozar Miletić in einem Beitrag in der von ihm in Novi Sad herausgegebenen Zeitung „Zastava“ den hl. Sava als Medium der Anpassung der spätmittelalterlichen serbischen Gesellschaft an die damalige zeitgenössische überregionale Umgebung.113 Sava sei „kein

der 14. Januar. Von Pest bis Peć, von Niš und Timok bis zur Adria, in allen vier Staaten, in die das serbische Volk heute gespalten ist, und in allen europäischen Staaten und Städten, wo auch nur ein paar Serben sich aufhalten, überall wird der hl. Sava geehrt.“ Đorđević (1867), S. 495; Aleksov (2003), S. 51. 111 „Dies ist nicht ein Heiliger, den nur das ,einfache‘ Volk feiert, sondern auch jene, die gewöhnlich sagen, dass sie nicht an Gott glauben, geschweige denn an Heilige, auch sie lassen an diesem Tag ihre staubigen Bücher (knižurine) beiseite, und ehren den hl. Sava, und drücken damit ihre tiefe Dankbarkeit im Gedenken an diesen großen Serben aus.“ Đorđević (1867), S. 495. 112 Denn, so Đorđević in die Zukunft blickend, „im Übrigen kommt die Welt voran“, und „die Serben gehen mit dem Geist der Zeit voran“. „Künste und Wissenschaften erneuern sich bei den Serben; das Denken begründet die Freiheit von innen heraus“ – „die Idee der ,Nationalität‘ (narodnosti), dieses erhabene Denken des heutigen Jahrhunderts“ gibt „wie ein wegweisender Stern“ die Richtung vor, und „das Volk rühmt nicht die Orthodoxie, sondern trägt sich mit anderen zeitgemäßen Ideen und Sehnsüchten“. Zastava, 1869, Nr. 6, S. 150. 113 „Zu dieser Zeit, als seelische Bande benötigt waren, um das serbische Volk in eine Einheit zu fassen, nahm es daher der hl. Sava in Angriff, in den Staat des Vaters und des Bruders, in das serbische Volk das zeitgenössische Denken fließen zu lassen“. Miletić entwarf Sava nicht nur vor

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Hierarch“ gewesen, sondern „sowohl Patriot als auch Staatsmann“.114 Während Đorđević mit dem Medium des Gedenkens an Sava für eine Einigung des politisch geteilten Volkes eingetreten war, versuchte Miletić mithilfe Savas gesellschaftliche Trennlinien zu überwinden: Säkularen übergreifenden Entwicklungen sowie konkreten Positionen der Geistlichkeit im Fürstentum Serbien und in Montenegro stellte Miletić die Haltung der eigenen, im österreichisch-ungarischen Rahmen beheimateten Geistlichkeit gegenüber: „Wie aber steht unsere Hierarchie, unser Klerus – wir wollen nicht sagen unsere Kirche, denn auch das Volk ist Teil der Kirche – zu diesen Ideen und zum Streben des verjüngten serbischen Volkes?“ 115 Ihm gemäß „kannte die heiligsavische Orthodoxie (svetisavino pravoslavlje) keinen Ultramontanismus, keine Machtliebe der Kirchenfürsten oder des Klerus; laut ihr ist der Klerus nicht nur Teil der Kirche, sondern auch des Volkes“.116 Miletić hielt deshalb einen Kulturkampf nach deutschem Vorbild für unnötig und erklärte sich bereit, der Geistlichkeit „immer die Hand zu reichen“, „wo sie mit uns auf dem kulturellen, dem gesellschaftlichen, und auch auf dem Feld des politischen Fortschritts selbst“ zusammenarbeiten wollte.117 Wie Đorđević war auch Miletić für eine konstruktive Einbindung des Klerus in das nationalstaatliche Projekt. Seine die Diskurse übergreifend reflektierende und richtungweisende Kritik verlangte eine verstärkte aktive Mitarbeit der Kirche und beschrieb nur implizit Unterschiede in den Nationalstaats- und Nationalgesellschaftsentwürfen. Wesentlich ist zudem, dass Miletić sein Plädoyer ohne expliziten Bezug auf den Diskurs über Sava als Schul­patron hielt: Er bezog sich vielmehr auf den bisher in dessen Schatten stehenden Diskurs als Nationalpatron. Dieser gab die Möglichkeit, die verweltlichte und nationalisierte Erinnerungsfigur Sava als diskursiven Rahmen für die Debatte vom Verhältnis der Kirche zur Nation auch von der Schule gelöst einzusetzen. Gleichzeitig festigte sich Savas führende nationalgeschichtliche Rolle auch neben seiner Funktion als Schulpatron in den Lehrmitteln, die in diesen Schulen zum Einsatz kamen.118 Lehrer blieben zentral bei der Propagierung beider Aspekte: Etwa veröffentlichte der Lehrer am Gymnasium in Novi Sad Aleksandar Sandić 1869 eine ausführliche, an Eltern wie auch an Kinder gerichtete Broschüre über Sava als „Ersten Serbischen Erzbischof und Aufklärer des Volks“, an deren Ende er behauptete, der Orthodoxie sei es zu verdanken, dass das serbische Volk „beinahe fünf Jahrhunderte des Leidens“ überstehen konnte.119



dem Hintergrund der weltlichen Nation, sondern machte ihn auch zu deren Schöpfer. Zastava, 1869, Nr. 6, zit. gemäß Izabrani članci Svetozara Miletića, S. 148 – 155, hier S. 149 f. 114 Zastava, 1869, Nr. 6, zit. gemäß Izabrani članci Svetozara Miletića, S. 149 f. 115 Zastava, 1869, Nr. 6, zit. gemäß Izabrani članci Svetozara Miletića, S. 151. 116 Zastava, 1869, Nr. 6, zit. gemäß Izabrani članci Svetozara Miletića, S. 154. 117 Zastava, 1869, Nr. 6, zit. gemäß Izabrani članci Svetozara Miletića, S. 155. 118 Grundlegend: Jelavich (1990), S. 127, S. 177, S. 220, S. 268; Stojanović (2004), S. 334. 119 Sandić (1869), S. 7, S. 38. Weitere Reden zu Ehren Savas ab 1874: Simić (1881, 1886).

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C 1.1.5  Sava als ,Großgeist‘ – Nationaltheologie aus der Hand eines Katecheten

Dennoch blieb die Schulfeier zunächst die wichtigste soziale Institution zur Thematisierung Savas. Dabei nahmen sich nicht nur Gelehrte, Studenten, Lehrer und Politiker Savas an, sondern selbstverständlich auch Geistliche: Die bisher beobachtete Auf­ladung Savas mit neuen gesellschaftlichen Rollen legte es in einem darauffolgenden Schritt nahe, ihm auch aus geistlicher Perspektive neue Funktionen zuzuschreiben und sich damit den Diskurs neu anzueignen. Beispielsweise im dalmatischen Zadar hielt der „Katechet“ und Professor am dortigen theologischen Institut Ljubomir ­Vuinović 120 zum Savatag des ­Jahres 1879 eine Rede, in der er eine neue Steigerung der historischen Abstraktion erreichte. Zwar sei seine Rede „im Geist der Liebe und der Einheit in ­Christus“ zu vernehmen, und damit „im Namen des fundamentalen Prinzips“, das „uns unser Erstaufklärer als Geheiß vermacht hat“.121 Nach dieser Einleitung kehrte er sich aber von religiöser Verehrung ab, ja auch von der angeblich bereits „üblichen“ Verehrung Savas als „Person“ und als Festiger der orthodoxen Kirche unter den Serben.122 Vuinović beobachtete und reflektierte hier den bestehenden Verehrungs­diskurs. Er versuchte darüber hinaus, in die Entwicklung steuernd einzugreifen und in der Abgrenzung von diesem Diskurs eine eigene ideengeschichtliche Perspektive auf „unsere serbische Geschichte“ und damit auf das „nationale Leben“ zu entwerfen. Der Theologe war mit seinen anschließend formulierten Sätzen einer der ersten Wortführer, die im Umfeld der orthodoxen Kirche explizit und ganz unter dem Einfluss eines popularisierten Idealismus eine ideelle Einheit von Nation und Religion im „Serbentum“ feststellten und gleichzeitig propagierten. Wesentlich war seine Herleitung dieser Einheit durch sein sogenanntes „Volksverständnis“ und damit gewissermaßen aus der Empirie und nicht aus der Theorie. Auf dieser Grundlage kehrte er zum Bezugsrahmen der Rede, zu Sava, zurück: „Die enge Vereinigung religiöser Ideen mit der nationalen Idee“ 123 sei womöglich dessen bewusster

120 Rajćić (2005), S. 343. 121 Vuinović (1879), S. 5. 122 „Der hl. Sava wird als Person verherrlicht, die die Orthodoxie unter dem serbischen Volk festigte und ordnete, und deshalb werden bei der Feier seines Gedenkens gewöhnlich Reden gehalten, in denen alle seine großen und weisen Taten bei der Ordnung der Kirche aufgezählt und gelobt werden; (…). Aber ich möchte heute über keine der genannten Tugenden unseres Erstaufklärers sprechen“. Vuinović (1879), S. 5. 123 Er richtete die Aufmerksamkeit der Hörer vornehmlich „auf eine Erscheinung in unserer serbischen Geschichte, die sich in dem gesamten bisherigen nationalen Leben gezeigt hat, ins­ besondere aber in wichtigen Momenten seiner Geschichte, – auf eine Erscheinung, die, je stärker sich im Volk Bestrebungen zur intellektuellen Selbständigkeit zeigten, desto stärker zur Oberfläche hervortrat. Dies ist die Erscheinung: die enge Vereinigung der religiösen Idee mit der nationalen Idee (sa idejom narodnom) im Leben des serbischen Volkes; – das ist die Idee des Serbentums mit der Idee der Orthodoxie. Dass diese beiden Ideen eng miteinander verbunden sind, bestätigt das nationale Alltagsverständnis von ihnen, denn wer sich an eine der beiden genannten Ideen erinnert, bekräftigt auch die andere, und wird die eine verneint, bedingt dies

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Wille gewesen.124 Vuinovićs Thesenbildung gipfelte in der Formulierung: „Mit anderen Worten, war er ein gewöhnlicher Akteur auf dem kirchlich-nationalen Feld oder ein Großgeist (veleum), in dessen Tätigkeit sich der Genius des Volks personifizierte?“ 125 Vuinović beantwortete diese rhetorische Frage, wie es vom Publikum zu erwarten war: Er sah Sava als ein geistiges Medium an, in dem der „Genius des Volkes“ zur Person wurde. Seine daraus abgeleitete Folgerung war vor nationalromantischer und populärhistoristischer Übersteigerung kaum noch nachvollziehbar: Die Ideen, die Sava als „Großgeist auf dem historischen Schauplatz“ eingebracht habe, sollten sich „im Volk bis zum Ende des nationalen Lebens“ weiterentwickeln. Die Metapher vom Volk als organischem Lebewesen wurde hier auf eine geistige Reifizierung eines nationalen „Großgeistes“ zugespitzt und dessen „Ideen“ vor einem national-eschatologischen Horizont zum quasiheilsgeschichtlichen Lebensinhalt des Volkes gemacht.126 Vuinović benutzte die Erinnerung an Sava im institutionellen Rahmen einer theologischen Bildungsanstalt als Experimentierfeld nationaltheolo­gischer Rhetorik über die Vorstellungsfigur der „Nation“: Nicht das Verhältnis von Gott zur Christenheit, sondern das Savas zum Serbentum wurde in dieser Phase des Wetteiferns in der Verehrung Savas zum Gegenstand der politisch-theologischen Spekulation. C 1.1.6  Die Heilig-Sava-Gesellschaft – Festigung der Verehrung Savas im Vereinswesen

Die dynamische inhaltliche Ausgestaltung und Weiterentwicklung des Diskurses im Rahmen der Schulfeiern, aber auch im Zusammenhang mit der Gestaltung des National­patrons fanden bald eine soziale Festigung im Vereinswesen: Die regelmäßige Verein­nahmung Savas zur Förderung der nationalen und staatsbürgerlichen Bildung führte mithin dazu, dass die Bibliotheksgesellschaft der Fabrikarbeiter in Timişoara (­Temesvár), der Hauptstadt des von 1849 bis 1860 bestehenden Kronlandes Serbien und Banat, Sava 1853 zum Beschützer ihrer Bibliothek ernannte.127 Damit ist als Folge der verwelt­lichten Verehrung Savas zuerst im Rahmen von wenigen Lehrern an national orientierten Lehranstalten

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die Verneinung auch der anderen. Daher formierte sich im Volksverständnis die Identität dieser beiden Ideen.“ Vuinović (1879), S. 6. „Woher kommt diese enge Verbindung der beiden Faktoren im Leben des serbischen Volkes? (…) Hat letztlich der hl. Sava, als Begründer der Orthodoxie im Serbentum, bewusst die Notwendigkeit dieser Vereinigung vorausgesehen, und deshalb alle seine Arbeit auf die Verwirk­ lichung dieser Vereinigung gelenkt?“ Vuinović (1879), S. 6. Vuinović (1879), S. 13. „Deshalb ist der hl. Sava dieser Großgeist, dessen Tätigkeit eng mit dem nationalen Schicksal verbunden ist; denn von der Stunde an, zu der sich ein solcher Großgeist auf dem historischen Schauplatz zeigt, sind die Ideen dieses Großgeistes lebendig und entwickeln sich im Volk bis zum Ende des nationalen Lebens. Solcher Art ist die folgenschwere Bedeutung des hl. Sava in der Geschichte des Serbentums!“ Vuinović (1879), S. 15. Ohne explizite Nennung einer ethnischen Orientierung des Vereins: Veselinović (1908), S. 35.

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ein Ansatz zur Ausweitung der neuen Verehrung Savas in die gleichfalls zahlen­mäßig äußerst schmale Industriearbeiterschaft der Region belegt. Für den ungarländischen Rahmen blieben überdies staatliche Versuche der Lenkung des Gedenkens wichtig: Die durch Kaiser Franz Josef 1861 in Sremski Karlovci zu Mariä Verkündigung einberufene serbische Versammlung („Blagoveštenski sabor“) von 75 Vertretern, darunter 28 kirchlichen, wandelte den formalrechtlichen Status des hl. Sava als Patron der Serben mit Verweis auf den ungarischen hl. Stephan zu dem eines territorialen Landespatrones aller Orthodoxen der Vojvodina.128 Der Beschluss bezeugt erneut, wie sehr die noch weitgehend ungefestigte Verehrung Savas als moderner Landes­patron – außerhalb des schulischen Zusammenhanges – im Rahmen der Konkurrenz der Verehrung des hl. Stephan seitens der Ungarn stand. Nach der Wiedereingliederung des nur kurzlebigen kaiserlichen Kronlandes Woiwodschaft Serbien und Temesvarer Banat in den ungarländischen Verband 1860 sollte eine Besserstellung der Serben als Volk im ungarischen Staat wenigstens durch eine Aufwertung dieser Feiern symbolisch hergestellt werden. Die bisher besprochenen Texte zeigen, dass bereits vor diesem staatlichen Handeln der Diskurs über Sava den Schulrahmen gesprengt hatte. Eine entscheidende Phase der festeren sozialen Verankerung und der Institutio­ nalisierung der Trägerschaft der Verehrung Savas im modernen Verein begann, als 1886 in Belgrad die „Heilig-Sava-Gesellschaft“ gegründet wurde. Die Gründung betrieben vorab Svetomir Nikolajević – 1881 Mitbegründer der Radikalen Partei, 1883/1884 Sekretär der philologischen und philosophischen Abteilung der Serbischen Gelehrten Gesellschaft und Literaturgeschichtsprofessor an der universitären „Hohen Schule“–, Sreta J. Stojković – Lehrer am Belgrader Gymnasium und wie Nikolajević Frei­maurer – sowie Đoka Milovanović, Bibliothekar und Zeichenlehrer der „Hohen Schule“,129 in deren Räumlichkeiten am 29. August die erste Versammlung der Gesellschaft stattfand. Auch die übrigen unter den etwa zehn wichtigsten Wortführern waren entweder Lehrer oder Beamte an Ministerien. Nur ein Kaufmann (Kosta Šumenković) sowie ein Rechtsanwalt (Pera Tatić)130 sind zu diesem Kreis „herausragender nationaler und öffentlicher Arbeiter des Königreiches Serbien“ zu rechnen. Zu ihnen zählten aber auch der Geistliche und Lehrer Firmilijan.131 Das kleine, aber wachsende, bürgerlich und national ausgerichtete Vereinswesen stellte das Gedenken an Sava mit dieser wichtigen Gründung in einen transnationalen Zusammenhang des Wettstreits „gemäß dem Vorbild des griechischen ,Silogos‘ [Συλλογος, S. R.]“, nicht aber nach dem Vorbild der bulgarischen 128 „Der hl. Sava ist in der Vojvodina als Landespatron zu feiern, und die anderen Konfessionen in der Vojvodina sollen an diesem Feiertag keine Arbeiten ausüben, wie sich die Anhänger der östlichen orthodoxen Konfession am Feiertag des hl. Königs Stephan als Landespatron Ungarns zurückzuhalten haben.“ Jovan Đorđević, Radnja Blagoveštenskog sabora naroda srbskog u Sremskim Karlovcima 1861, Novi Sad 1861, S. 28, S. 95, čl. XIV, zit. gemäß Grujić (1935a), S. 149. 129 Hadži-Vasiljević (Hg.) (1936), S. 4. Die Berufsangaben: Društvo svetog Save…(1886), S. 3. 130 Društvo Sveti Sava. Dokumenti (1886 – 1891), Nr. 5, S. 27. 131 Mikić (1975), S. 67.

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„Kyrill-und-Method-Gesellschaft“, wie der serbische Historiker und Jura-Professor an der Universität Belgrad Slobodan Jovanović 1934 behauptete:132 Letztere wurde vielmehr umgekehrt erst 1891 nach dem Muster der Sava-Gesellschaft eingerichtet.133 Die Fehleinschätzung aus der Zwischenkriegszeit bezeugt die auch für das ausgehende 19. Jh. geltende Logik des transnationalen Wettkampfes, in dem sich die Akteure durch die Handlungen der Gegner legitimierten und antreiben ließen. Der Verein sollte gemäß seiner Satzung allen sozialen Schichten zugänglich sein: Als Motto trug der erste Vereinsbericht der Gesellschaft den Wahlspruch: „Jeder Serbe und jede Serbin sowie jeder Freund des Serbentums und der Volksbildung kann Mitglied der Gesellschaft werden.“ 134 Die Assoziation förderte den Diskurs Savas als Nationalpatron, aber auch als Schutzherr der Bildung: Der erste Paragraph der Satzung legte fest: „,Die Gesellschaft des hl. Sava‘ wird mit der Aufgabe gegründet: die Bildung zu verbreiten und das Nationalgefühl und die Größe im serbischen Volk zu fördern.“ 135 Schon bald besaß die Gesellschaft in allen größeren Städten Serbiens Filialen.136 Bereits 1887 zählte die Gesellschaft 4742 Mitglieder, von denen 1302 außerhalb des Königreiches lebten. 1033 waren Beamte, 1143 Händler, 540 Bauern, 436 „Lehrer und Professoren“ sowie 301 Geistliche. 112 zählten zu „fremden Nationalitäten“.137 Der Verein wurde damit zum Kern einer übergreifenden, soziale Unterschiede ausklammernden nationalen Gesellschaft. Allerdings schwand die Zahl der Mitglieder bereits 1888 auf nur noch 1162. Ihr Präsident Svetomir Nikolajević, der 1887 für einige Monate Bürgermeister Belgrads war, erklärte den Einbruch im Februar 1889 mit Versetzungen und Entlassungen von lokalen Beamten, aber auch durch mehrere unglückliche Auswahlen von Vertretern. Der Präsident klagte über die Berichterstattung über die Heilig-Sava-Gesellschaft in der serbischen Presse zu diesem Thema. Er bezeugte damit eine sich auch in der Debatte über die Sava-Gesellschaft festigende Zeitungsöffentlichkeit: „unsere Journalistik“ habe eine „Feindschaft“ gegenüber der Gesellschaft entwickelt. Dennoch konnte Nikolajević über Unterstützung seitens des Belgrader Metropoliten berichten, der der Gesellschaft einen Teil seines Hauses zur Verfügung stellte, sowie des Bildungsministeriums, das u. a. den kostenlosen Druck der Zeitschrift der Gesellschaft in der Staatsdruckerei erlaubte. Darüber hinaus spendeten mehrere Privatpersonen und Vereine.138 Die Hinweise bezeugen die 132 Jovanović (1934), Bd. 1, S. 90, vgl. den Verweis auf dieses Werk mit falscher Seitenangabe bei: Mikić (1975), S. 67. Zu Jovanović, einem späteren (Exil)Politiker: Djordjevic (1973). 133 Ustav na družestvoto „Sv. Kiril i Metodij“…, S. 1. 134 Društvo svetog Save…(1886), Titelblatt. 135 Društvo svetog Save…(1886), S. 5. 136 Mikić (1975), S. 68. 137 Društvo Sveti Sava. Dokumenti (1886 – 1891), Nr. 8, S. 36. 138 „Diesen Vorwurf verdienen bald die Organe aller unserer Parteien… Und was werden wir über die anderen kleineren serbischen Blätter sagen? Für die Illustrierten genügt es in Erinnerung zu rufen, dass es hier kürzlich einen Aufsatz gab, der voller falscher Angriffe auf die Leitung der Gesellschaft des hl. Sava war, und auch auf die Gesellschaft selbst, der den serbischen Redakteuren so sehr gefiel, dass wir ihn lesen sollten, wiedergedruckt, es scheint mir aus dem

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soziale und institutionelle Verankerung der Tätigkeit der Bruderschaft in Staat, Gesellschaft und Kirche zumindest in der Hauptstadt des Königreichs. Nikolajević stellte in diesem Rechenschaftsbericht vor der dritten Hauptversammlung der Gesellschaft am 10. Februar 1889 im Rahmen von Vereinsöffentlichkeit eine im Entstehen begriffene, über die staatlichen Grenzen reichende serbische publizistische Öffentlichkeit dar, in der durchaus Missstände in einer das nationale Projekt stützenden Assoziation sowie Kritik an expansiver nationalistischer Politik wahrgenommen wurden. Ihre schlechte Presse tat dem Ansehen des Vereins in der Zeitungsöffentlichkeit keinen Abbruch: So bat die jüdische Gemeinde Belgrads wenige Wochen später am 26. März, in die „Reihe der wohltätigen Mitglieder dieser Gesellschaft“ aufgenommen zu werden und spendete ihr 500 Silberdenare: Es sei das Anliegen der „Serben mosaischen [Glaubens, S. R.] (Srba – Mojsijevaca)“, an der „Verbreitung des serbischen Patriotismus“ teilzuhaben, an „dieser heiligen Mission, dem sogenannten nationalen Separatismus, der Erweckung des nationalen Selbstbewusstseins aus der Grundlage, – der Verwirklichung des künftigen Ideals des Serbentums im großen internationalen Wettkampf“. Indem sich die Gemeinde auf die angeblich in der Sava-Gesellschaft geltende „bedeutende“ und „große Devise: ,Der Bruder ist lieb, welchen Glaubens auch immer‘“ berief,139 versuchte sie, sich mit transreligiöser Argumentation in die serbische Nationalbewegung einzugliedern. Die Sava-Gesellschaft bot sich als eine der modernsten und expansivsten ihrer Vereinigungen dazu besonders an. Mit der Sava-Gesellschaft entstand auch ein vereinseigenes Publikationsorgan, das sich gerade der Weiterentwicklung der nationalen Bedeutungsaufladung des Sava­ diskurses und dem Verhältnis zwischen Religion und Nation widmete. Tatsächlich trug es rasch zur verschärften nationalen Aufladung Savas bei: So schrieb M. V. Radonjić – über den nichts weiter in Erfahrung zu bringen ist – 1887 im dritten Buch der Zeitschrift „Bruderschaft (Brastvo [sic])“ der Heilig-Sava-Gesellschaft in Belgrad unter dem Titel „Kampf um die Nationalität (narodnost)“ auch von Sava.140 Er sprach für die Zeit bis ins 9. Jh. von den „serbisch-kroatischen Stämmen“, gar von „den beiden Bruder­völkern – oder

,Jugendblatt (Olmadinski List)‘ in mehreren serbischen politischen Blättern. (…) Darf ich ihnen auch mitteilen, dass man in einem serbischen, dalmatischen Blatt vor einem Jahr einen Appell las, gerichtet an die Adresse der österreichischen Regierung: damit diese die Verbreitung der Gesellschaft des hl. Sava in Bosnien-Herzegowina verbiete?!, – dass an mehreren Orten in Serbien Predigten gehalten wurden, dass es einen Verrat am Vaterland darstellte, Mitglied der Gesellschaft des hl. Sava zu sein?! usw. (…) Ich verstehe, dass man die Arbeit der Leitung der Gesellschaft kritisieren kann; ich verstehe, dass man daran arbeiten muss, dass sich die Leitung verändert (…) aber, ich sage ihnen die Wahrheit, ich verstehe die Feindschaft nicht oder zumindest die Gleichgültigkeit der serbischen Journalistik gegenüber der Gesellschaft selbst, die eine so patriotische Aufgabe hat“. Društvo Sveti Sava. Dokumenti (1886 – 1891), Nr. 57, S. 119 – 122. 139 Društvo Sveti Sava. Dokumenti (1886 – 1891), Nr. 62, S. 130 f. 140 Er beschränkte den Zusammenhang nach einer auch die westslavischen Völker miteinbeziehenden Einführung explizit auf „jene Momente“, „die von besonderer Bedeutung für die serbische Nationalität“ seien. Radonjić (1887), S. 88.

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besser dieses [einen, S. R.] Volkes mit zwei verschiedenen Namen“.141 Mit der Kirchenspaltung aber trennten sich seines Erachtens die Wege: In Bosnien erkannte er als Folge des Wirkens der „Schüler von Kyrill und Method“ im „religiösen Streit“ einen „wahren Kampf um die Nationalität“.142 Sava sodann habe „auf die Fortdauer der Natio­ nalität“ eingewirkt und „sein Volk (…) mit geistiger Waffe zum Kampf“ gerüstet, den er vorhersah.143 Mit der Krönung seines Bruders „wollte er (…) lehren, dass das serbische Volk nur in sich selbst seine Rettung findet“.144 Sava wurde hier mit militärischem Vokabular zum geistigen Aufrüster eines exklusiv entworfenen Nationalismus erklärt, dessen Wirkung funktional ganz auf die in der Gegenwart anzustrebende Ziel­utopie einer von „fremden Einmischungen“ freien, monadischen Existenz der Nation gebündelt wurde. Der anfangs erwähnte kroatische Bezug ging darüber verloren, stattdessen wurde eine serbisch-bulgarische „Liebe“ beschworen.145 Radonjić ließ nur zwei Jahre nach dem bulgarisch-serbischen Krieg von 1885 keinen Zweifel an seinen über­regionalen Sympathien, die er konfessionell begründete: Er beschrieb die „Katholizität“ als Quelle nationalen „Leidens“ slavischer Völker.146 Die Orthodoxie bezeichnete er im Zusammenhang mit Auseinandersetzungen unter den Nemanjiden dagegen als „nationalen Glauben (narodnu veru)“.147 Mit Verweis auf aktuelle angebliche Verfolgungen hielt er fest: „Unsere Geschichte zeigt uns, dass sich unser Volk dort am besten hielt, wo es imstande war, seinen reinen orthodoxen Glauben aufrechtzuerhalten“.148 Mit Blick auf die Lage der Serben in Österreich-Ungarn wandelte er die frühneuzeitliche Formel „cuius regio, eius religio“ um in: „,cujus [sic] regio, ejus natio‘“.149 Diese ganz bewusst reflektierte Umdeutung und Vertauschung diskursiver Stränge, der Ersatz konfessioneller Identität durch nationale, ist als richtungweisende Beobachtung von Bedeutung 141 Radonjić (1887), S. 89. 142 Radonjić (1887), S. 90. 143 „Wir wissen, wie der Sohn Nemanjas, der hl. Sava, auf das Volksdenken, und gleichzeitig auch auf die Fortdauer der Nationalität wirkte. Indem er Klöster, Kirchen und Schulen errichtete, wollte er sein Volk ausbilden, und es mit geistiger Waffe zum Kampf rüsten, den sein großer Geist voraussah; indem er ihm die kirchliche Unabhängigkeit erwirkte, wollte er jede äußere, fremde Einmischung in die serbischen nationalen und staatlichen Angelegenheiten abwehren.“ Radonjić (1887), S. 92. 144 Radonjić (1887), S. 92. 145 „Aber sein Tod in der Hauptstadt unseres bulgarischen, gleichgläubigen Brudervolkes ist der Beweis (…), dass er in der gegenseitigen Hilfe und Liebe dieser beiden Völker ihre Rettung gegen den gemeinsamen Feind sah.“ Radonjić (1887), S. 92. 146 „Der große Geist des hl. Sava und sein unschätzbares Verdienst am serbischen Volk ist auch darin erkennbar, dass er versuchte die serbische nationale Kirche (narodnoj crkvi) an den Osten anzulehnen, und nicht an Rom. Er sah zweifelsohne bereits zu dieser Zeit das Leiden des kroatischen, des slowenischen und vielleicht auch des tschechischen Volkes, das ihnen die Katholizität zufügte“. Radonjić (1887), S. 93. 147 Radonjić (1887), S. 93. 148 Radonjić (1887), S. 97. 149 Radonjić (1887), S. 98.

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für die in diesen Jahren im serbischen Kontext ganz im europäischen Zusammenhang neue Dimensionen annehmende Ausgestaltung nationaler Identität: Mit ausdrück­ lichem Verweis auf die Durchsetzung konfessioneller Identität in der frühen Neuzeit durch territoriale Herrscher wurde auch die Integration der regionalen Bevölkerung in den nationalen Identitätsentwurf als ein aus dem Machtzentrum gesteuerter Prozess imaginiert und betrieben. Da „politische Vereinigung und Befreiung“ mittelfristig nicht möglich seien, müsse „nationales Bewusstsein“ in den Schulen hergestellt werden.150 Wenn nicht „mit dem Säbel“, so sollte mit der „Macht“ der Schulen das erforderliche „Wissen zum gegenwärtigen Kampf und zur Existenz“ und damit das Wissen um die Abstammung „von einem Nemanja und vom hl. Sava“ und weiteren Nationalhelden propagiert werden.151 Der Bezug auf Sava diente hier zur Entfaltung programmatischer Vorstellungen über den Einsatz der Volksschule als Mittel zur Förderung angeblicher serbischer nationaler Ziele. Er spielte eine Spitzenrolle, nahm aber doch nur den zweiten Rang hinter seinem Vater ein. Zudem standen neben ihm mehrere weitere, ganz überwiegend weltliche Erinnerungsfiguren. Sava war zentral für die Argumentation, den Identitätsentwurf und den strategischen Plan Radonjićs, er stellte aber noch nicht alle anderen Erinnerungsfiguren der serbischen Nationalbewegung in den Schatten. Durch diese nationale Erinnerung im Rahmen seiner älteren Funktion als Schulpatron erfuhr Sava aber eine doppelte Instrumentalisierung. Mit der Umdeutung der Schulen zum Machtmedium und zum Ersatz für Säbel in einem nationalen „Existenzkampf“ wurde Sava zum Kämpfer. Die Darstellung „Der heilige Sava segnet die Serbenkinder“ von Đorđe Krstić 1891 stand für die nationale Deutung des Heiligen,152 aber noch nicht für eine kämpferische Aufladung des Gedenkens. Gleichzeitig wuchs das Interesse an der transkonfessionellen Frage, ob Sava auch als Heiliger der katholischen Kirche angesehen werden konnte.153

150 Zur Erläuterung dessen, was durch die Schulen erreicht werden sollte, zitierte Radonjić den „patriotischen“ Gelehrten Karić: Es „erfordert nationales Bewusstsein (osećanjana narodnog), dieses erhabene, wirklich bewusste Empfinden, das auch kleine Völker so stark, geradezu unbesiegbar macht: Es braucht die Bereitschaft zur Aufopferung für die Ideen, die auf die Fahnen geschrieben sind“. Zit. ohne weitere Hinweise gemäß Radonjić (1887), S. 98. 151 „Die Schulen sind eine Macht. Und solange Serbien nicht imstande ist, seine Brüder mit dem Säbel und dem Bajonett gegen starke Feinde zu schützen, so kann es dies viel leichter mit der Schule tun. Die Schule, die neben dem nötigen Wissen zum gegenwärtigen Kampf und zur Existenz ihren Schülern auch über ihre Verwandtschaft und Herkunft von einem Nemanja und vom hl. Sava, von einem Dušan und einem Lazar, Miloš und Marko, Karađorđe, Sinđelić und Obrenović, Dositej und Vuk unterrichtet, diese Schule wird imstande sein [zu helfen], dass auch das serbische Volk in seinem schweren Existenzkampf schönere und bessere Umstände erlangt, wenn ihm die Tage der Freiheit und der Vereinigung aufleuchten.“ Radonjić (1887), S. 99. 152 Ein Einblick in die Debatte: Ruvarac (1889). 153 Makuljević (2006), S. 104.

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C 1.1.7  Die Aneignung des Diskurses durch die Kirchenführung

Nicht nur Lehrer an weltlichen sowie theologischen Schulen und Bürger und Vereine oder ein lokaler Katechet, auch die Kirchenführung sprang schließlich auf den längst fahrenden Zug auf und setzte Sava zur Förderung ihres politisch-theologischen Entwurfes des modernen nationalen Projektes ein: Metropolit Mihailo sprach am 13. Oktober 1890 zur Eröffnung des „Heiligsavischen Hauses“ in Belgrad, wie die Zeitung „Großserbien (Velika Srbija)“ der Radikalen Partei berichtete: Das Gebet Savas und „der Patriotismus unseres Volkes“ sollten gemeinsam die „Gesellschaft“ in ihrer „Existenz“ festigen. Hierzu schaffe auch Sava ein „allgemeines serbisches Haus“: „Und dieses neue Haus, das an seinem Kopf das heilige Symbol trägt, das Heiligtum des serbischen Geschlechts in den künftigen Zeiten, wird den serbischen Namen und Glauben hüten“. Das Haus und die Gesellschaft erschienen in den Worten des Kirchenfürsten als Ergebnis und Vollstrecker des Willens Savas. Mihailo entwarf dabei ein organistisches Nationsbild und rechtfertigte die territoriale Expansion:154 Sein Ziel und das des neuen Hauses war, die Wünsche „des ganzen Volkes“ zu einen, „damit erneut serbisch werde alles und überall, wo es früher serbisch war!“ 155 Das „Heiligsavische Haus“ stand über diese religiöse nationale Aufladung hinaus für die räumliche und weitere institutionelle Festigung der sozialen Gruppe, die sich um die Sava-Gesellschaft im Sinne einer serbischen, nationalen Gesellschaft kristallisierte. Die Rede des Präsidenten der Sava-Gesellschaft Svetomir Nikolajević – er wurde 1894 für mehrere Monate auch zum Ministerpräsidenten Serbiens – zu diesem Anlass verstärkte die symbolische Aufladung des Hauses weiter: Das Haus „bezeugt, dass der Patriotismus unseres Volkes groß“ sei. Deshalb könnte es „wahrlich das Haus des ganzen Serbentums genannt werden, denn das ganze Serbentum hat es erbaut“, oder „Denkmal der serbischen Eintracht und des Nationalbewusstseins“.156 Der Wortführer der Sava-Gesellschaft schlug hier selbst mehrere Entwürfe vor, um eine gegenwärtige und ­zukünftige nationale Bedeutung mit dem Haus zu verbinden und in Worte zu fassen. Noch expliziter als der Metropolit betonte er den expansiven Horizont: In dem Haus sollten „Kinder aus der Šumadija, Montenegro, Vojvodina und Dalmatien, Bosnien und

154 „Der Schutz des Gebets des großen Heiligen Gottes des hl. Sava, des serbischen Erstinthronisierten (prvoprestolnika), und der Patriotismus unseres Volkes werden der Gesellschaft helfen, ihre Existenz zu sichern und zu bekräftigen. (…) Auch der hl. Sava, geleitet durch die göttliche Weisheit, schafft ein allgemeines serbisches Haus, das durch alle schweren Zeiten das Volk behüten, den serbischen Namen hüten wird. (…) Auf dass dieses heiligsavische Haus die verständige, geistige Ader werde und das allgemeine serbische Denken kröne, zur Freude aller Serben, wo immer sie auch sind.“ Društvo Sveti Sava. Dokumenti (1886 – 1891), Nr. 129, S. 222 f. 155 „Möge der überselige Herrgott geben, dass eure Arbeit das Denken eint, das Wünschen, die Sorgen des ganzen Volkes, damit erneut serbisch werde alles und überall, wo es früher serbisch war!“ Društvo Sveti Sava. Dokumenti (1886 – 1891), Nr. 129, S. 222 f. 156 Društvo Sveti Sava. Dokumenti (1886 – 1891), Nr. 130, S. 223 f.

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Makedonien“ lernen, ja es sollte zum „Tempel“ der „Vereinigung des Serbentums“ werden.157 Im Rahmen der Verehrung Savas sollte die Nation über die momentanen staatlichen Grenzen hinaus geeint werden und die Nation mit einem „Tempel“ sakralisiert werden. Die Sava-Gesellschaft schien Nikolajević in seiner Ansprache zur fünften regulären Versammlung der Gesellschaft am 11. Februar 1891 als „heute im serbischen Stamm gemessen an ihrer Mitgliederzahl die stärkste Assoziation im serbischen Stamm“ g­ eeignet, die serbische politische Elite zu einigen und Kontroversen zu überbrücken.158 Vereinsöffentlichkeit sollte die allgemeine Öffentlichkeit einen. Auch in Österreich-Ungarn wurde die Gesellschaft bald von oberster kirchlicher Ebene gefördert: Am Savatag 1894 richtete Patriarch Georgij von Sremski Karlovci den „Heilig-Sava-Fonds“ ein, dessen Zweck die Förderung der serbischen Schulen insbesondere in Ungarn sein sollte. Der Schritt bezeugt, wie unmittelbar das säkulare staatliche Schulwesen in der österreichisch-ungarischen Vojvodina in der Vorstellung des Patriarchen unter kirchlichem Einfluss stehen sollte: Die wöchentlich erscheinende Zeitung der Metropolie Sremski Karlovci mit dem Titel „Serbisches Zion (Srpski Sion)“ berichtete ein Jahr später aber vom spärlichen Erfolg dieser Gründung „zu unserem nationalen Bildungsfortschritt (za prosvetni razvitak naš narodni) und für die serbische Schule“.159 Der Fonds war in dieser Darstellung als Antwort auf die „Gefahr“ ­gegründet worden, in der sich „unsere serbischen Grundschulen in Ungarn“ befänden. Jedoch erhielt der Aufruf, den Fonds mit Spenden zu speisen, offenbar „kein Echo“.160 Die Metropolie sah die Förderung des Volksschulwesens nicht nur als Aufgabe der „Intelli­ genz“ und des „Volkes“ an, sondern ganz selbstverständlich als die eigene, kirchliche Mission, die allerdings der säkularen gesellschaftlichen Unterstützung bedurfte. Das moderne Schulwesen wurde auch in diesem Kontext als eine Grundbedingung für die nationale Existenz angesehen. Ihre Förderung wurde seitens des offiziellen Kirchenblattes mit dem Verweis auf den mahnenden „Geist des hl. Sava“ sakralisiert. Wurde die Funktion der Schule dabei in erster Linie als eine bewahrende beschrieben, war sie, wie die Übernahme der Rede vom Fortschritt aus dem Repertoire der älteren säkularen

157 Für Belgrad werde deshalb „dieses Haus seine stolzeste Zierde sein, denn es wird symbolisch die Vereinigung des Serbentums darstellen; denn wenn Gott gegeben haben wird, dass sich die serbischen Länder vereinigen in einem einigen Staat, dann wird dieses Haus vor allen anderen erleuchten denn es wird der älteste Tempel (hram) sein, der dem Ruhm und der Einheit des serbischen Stammes gewidmet ist“. Društvo Sveti Sava. Dokumenti (1886 – 1891), Nr. 130, S. 224. 158 In ihr „vereinigt sich das Werk der Parteien“. Das „großartige Gebäude der Heiligsavischen Gesellschaft“ sei „eines unglücklichen Tages“ höchstens durch „unselige Söhne“ zerstörbar, die „parteiliche Engstirnigkeit“ in die Gesellschaft hineintragen. Društvo Sveti Sava. Dokumenti (1886 – 1891), Nr. 147, S. 258 f. 159 Srpski Sion, 1895, Nr. 1, S. 4 f. 160 „Lieben unser Volk, seine Intelligenz, unser Patriotismus die serbische Volksschule noch?“ Die zu fördernden Schulen standen unter der Verwaltung „unserer höchsten autonomen Schulbehörde, des Schulrates der Metropolie,“ und waren damit direkt unter der Obhut der Kirche. Srpski Sion, 1895, Nr. 1, S. 5.

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Gedenkansprachen und seine nationalisierende Zuspitzung zum „serbischen Fortschritt“ zeigen,161 ganz bewusst eine kreative, in die Zukunft gerichtete: Auch die Kirchen­ führung nahm nun wahr, dass wie in den meisten Nationalbewegungen des 19. Jh. auch in Serbien der Volksschule eine entscheidende Funktion bei der massenhaften Verbreitung und Festigung des entstehenden neuen, modernen Nationalbewusstseins zukam. Die orthodoxe Kirche hielt sich, wie dieser und weitere Beiträge im „Serbischen Zion“ zeigen, nicht zurück bei der Sakralisierung des Projektes des Aufbaus der Nation: Die Unterstützung der explizit als „konfessionell (veroispovedna)“ 162 definierten Volksschulen des „Heilig-Sava-Fonds“ wurde zu „unserer heiligsten Pflicht“ erklärt. Zwar wurde die Förderung der Bildung in der kirchlichen Zeitschrift auch säkular-romantisch legitimiert – sie sollte „im Geiste des serbischen Genius“ erfolgen, der sich etwa in einem „Volkslied“ offenbarte. Deutlicher aber noch wurde die Schulfrage mit religiöser Bedeutung aufgeladen: Die Erfüllung der Pflicht gegenüber dem Fonds sollte die Liebe Savas ermöglichen. Angesichts des geringen Echos früherer Aufrufe setzte die Kirche das Disziplinierungsmittel einer konfessionellen Gewissensfrage für die Mobilisierung von Geldspenden für das nationale Aufbauwerk ein.163 Die Kirche sakrali­sierte das nationale Projekt damit nachdrücklich. Die Metropolie Sremski Karlovci nahm das in den Jahrzehnten zuvor von Lehrern und weltlichen Akademikern aufgebaute Medium des Schul- und Nationalpatrons in der entstehenden Zeitungsöffentlichkeit in den Spalten des eigenen Blattes ganz in ihre eigenen Dienste: Zum Savatag 1895 hieß es im „Serbischen Zion“: „Mit der ­Kirche, der Schule und dem Buch, damit war der hl. Sava dem Serbentum der Vater.“ 164 Die kulturelle Praxis der Erinnerung an Sava als „Vater“ bzw. das Licht der zu seinen Ehren entzündeten Kerze sollten „die Seele und das serbische Herz“ durchdringen und offenbaren, wer zu diesem „Serbentum“ gehörte und wer nicht.165 Mittels der Erinnerung an Sava imaginierten diese Sätze nicht nur die Nation unabhängig von Staatsgrenzen, sondern schufen und homogenisierten sie auch durch die Imagination und Propagierung

161 Der nicht signierte Beitrag hielt mit Referenz auf den Patriarchen fest: „die serbische Schule ist für uns eine Bedingung für die nationale Existenz (narodnog opstanka). Reagieren wir, denn dies verlangt von uns das Serbentum, die serbische Fortdauer und der serbische Fortschritt. Reagieren wir, denn der Geist des hl. Sava ermahnt uns und beschwört uns dazu (preklinje).“ Srpski Sion, 1895, Nr. 1, S. 5. 162 Srpski Sion, 1895, Nr. 2, S. 23. 163 „Erfüllen wir gegenüber dem Fonds des hl. Sava unsere Pflicht, dann, aber nur dann, werden wir mit leuchtendem Gesicht die Augen zum Himmel und zum hl. Sava erheben können, und nur dann werden wir fröhlichen Herzens und ruhigen Gewissens singen können: ,Wir rufen mit Liebe den geheiligten Sava an!‘“ Srpski Sion, 1895, Nr. 2, S. 23. 164 Srpski Sion, 1895, Nr. 3, S. 36. 165 „Das ganze Serbentum zündet diese Kerze an, und sie brennt heute überall, wo es einen Serben gibt, der das Serbentum nicht vergessen hat. Dieses Licht streut ungezählte Strahlen, die die Seele und das serbische Herz durchdringen, alt und jung, ohne Unterschiede der Stellung, des Wissens und des Besitzes.“ Srpski Sion, 1895, Nr. 3, S. 36.

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einer Soziabilität, die soziale Unterschiede überdeckte. Die inhaltliche Veränderung des Gedenkens veränderte dessen Form und Art nun selbst in dieser kirchlichen Zeitschrift: Die bildungsgeschichtliche Hinterlassenschaft Savas wurde zum wichtigsten Grund seines säkularisierten ewigen Gedenkens erklärt, nicht mehr aber die Heiligkeit und jenseitige Lebendigkeit seiner Person.166 Allerdings war seine Hinterlassenschaft – ­Kirche, Schule und Buch – angeblich himmlischen Ursprungs.167 Sava war letztlich nur das Medium der göttlichen Liebe, die „das Serbentum“ und nicht einzelne Christen liebte. Das Gefäß der Nation wurde als Individuum mit Herz und Seele beschrieben, das im Rahmen eines heilsgeschichtlichen Geschichtskonzeptes in den Genuss der Liebe Gottes kam.168 Dieser Einschätzung lag kein Anspruch auf eine messianische Auserwähltheit des serbischen Volkes zugrunde: Die „Kraft“, die „Kirche, Schule und Buch“ darstellten, soll die Serben nur auf die „Höhe“ erheben, „auf der auch andere Völker“ seien.169 Die Besonderheit der Serben lag in ihrem nationalen Opferstatus – „Das serbische Volk ist das Volk der großen Versuchungen (iskušenja)“ –, der bisher den Durchschlag dieser Kraft gehemmt habe. Sava und die nationale Bildung wurden so als ,modernisierende‘ Faktoren beschrieben, um ein empfundenes Entwicklungsgefälle der Serben gegenüber anderen Völkern auszugleichen. Neben der religiösen Deutung und Aufladung der nationalen Geschichte übernahm die offizielle kirchliche Zeitschrift im Rahmen des Gedenkens an Sava in demselben Text auch die diskursive Praxis, ihn säkular-romantisch als „Genie“ und gleichzeitig religiös als „ersten Geheiligten“ zu verehren. Romantischer Geniekult und religiöser Heiligenkult überlagerten sich bewusst reflektiert zu einem „doppelt“ übersteigerten Gedenken an die „Geheiligtheit des Genius des eigenen Volkes“. Sowohl die exzessive Aneignung des nationalromantischen Geniekults als auch besonders die Rede von der nationalen Elektrisierung des Serben auch im kirchlichen Diskurs des Gedenkens an Sava zeigte das Bemühen der Geistlichkeit, in der deutlichen Wahrnehmung

166 „Ewig ist das Gedenken an den Geheiligten, ewig ist die Kraft dieser Erinnerung; ewig weil der Erstaufklärer seinem Volk Gaben der Ewigkeit hinterlassen hat: die Kirche, die Schule und das Buch.“ Srpski Sion, 1895, Nr. 3, S. 36. 167 „Dies sind die drei Gaben aus dem himmlischen Reich, die seinem Volk, dem serbischen Volk, zu schenken der hl. Sava für würdig befunden wurde, sie diesem in der grenzenlosen Liebe Gottes zu schenken, die sich wünschte: dass das Serbentum sein wird und bleiben wird.“ Srpski Sion, 1895, Nr. 3, S. 36. 168 „Die Vorsehung Gottes, die die Welt beherrscht, und in der Geschichte des Volkes Ordnung macht, gemäß unergründlichen Plänen, aber mit der Gewalt ihrer Allmacht, überschüttet das serbische Volk übervoll mit ihrer grenzenlosen Liebe. Auch die Erscheinung des hl. Sava im serbischen Volk ist ein Akt der Vorsehung Gottes und seiner allmächtigen Bemühung um das serbische Volk.“ Srpski Sion, 1895, Nr. 3, S. 36. 169 Kirche, Schule und Buch, bzw. die „Kraft“, die sie darstellten, „hätte das serbische Volk zu der Höhe erhoben, auf der auch andere Völker sind, die eine Kirche als Beschützerin und Erzieherin ihrer Seele haben, und Schule und Buch, als Lehrer und Verteidiger ihres Verstandes.“ Srpski Sion, 1895, Nr. 3, S. 37.

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eines Wettstreits mit den anderen gesellschaftlichen Akteuren ein möglichst attraktives, interdisziplinär ausgeschmücktes kollektives Identitätsangebot auf der Höhe moderner Wissenschaft auszuarbeiten. Nicht Sava selbst, sondern der Nationalstolz, den er hervorrufen sollte, machte hier die Größe des Gedenkens an ihn und damit der Erinnerungsfigur aus:170 Die Nation überragte selbst aus geistlicher Sicht die Religion an Bedeutung. In derselben geistlichen Wochenschrift „Serbisches Zion“ fand im Februar 1895 auch eine ausführliche Stellungnahme des Priesters Jovan Vučković zu behördlichen Kontroversen um die Feier des Gedenktages des hl. Sava in österreichisch-ungarischen Schulen Platz: Behörden des nordöstlich Zagrebs gelegenen Komitats Bjelovar und Križevci (ung. Belovár und Körös) hätten sich an die Landesverwaltung in Zagreb u. a. mit der Frage gewendet: „Darf man erlauben, dass die Vorsteher (parosi) am Tag des hl. Sava die Schuljugend aus der Kirche (crvke) in Prozessionen unmittelbar in die Schule führen, und dass sie dort mit Liedern, Deklamationen und Reden den hl. Sava rühmen, während die katholische Jugend, auch wenn sie in der Mehrheit ist, nach Hause geschickt wird?“ 171 Vučković argumentierte auf der Grundlage von Schulgesetzen von 1888 und 1889, dass dies „nicht nur zugelassen werden soll, sondern genau dieses Heimschicken (otpuštanje) ist angeordnet“.172 Der Geistliche vertrat seinen Standpunkt darauf in Fortsetzungsbeiträgen über zahlreiche Seiten hinweg. Die Feier des Schulpatrons in konfessionell gemischten Gemeinden wurde zu einem über verwaltungsrechtliche Fragen der Schulpflege hinausgehenden Streit mit überregionaler publizistischer Beteiligung: Orthodoxe Geistliche betrieben die Propagierung und Durchsetzung der Verehrung Savas mittels Printmedien vor Ort in Abgrenzung von katholischen Bevölkerungs­teilen an vorderster Stelle. Auch die Frage nach dem „Charakter“ der Feiern wurde im Rahmen dieser Kontroverse gestellt – kroatischerseits wurde geklagt, die Feiern sollten kirchlichen Charakters sein, „aber sie war dort allzu sehr weltlichen Charakters“.173 Vučković verteidigte diesen weltlichen Charakter sodann, indem er sogenannte „Eigentümlichkeiten des serbischen Geistes“ 174 und der nationalen Religiosität schilderte.175 Aus diesem Grund müsse die Feier durchaus auch weltlich sein. Vučković führte zum Beweis sogar die 170 „Der hl. Sava ist ein solches Genie des serbischen Volkes, und noch mehr als ein Genie, – er ist sein erster Geheiligter (Prvosvetitelj). Das Gedenken an ihn elektrisiert bei einem Serben den serbischen Stolz und entflammt die orthodoxe Seele, bis zum Entzücken, bis zur Begeisterung. Hier, in dieser doppelten, ungewöhnlichen Größe des Gedenkens an den hl. Sava, liegt der Grund unserer heutigen und alljährlichen national-kirchlichen Feier am heutigen Tag.“ Srpski Sion, 1895, Nr. 3, S. 37. 171 Vučković (1895), S. 113. 172 Vučković (1895), S. 114 f. 173 Vučković (1895), S. 113; Vučković (1895), S. 157. 174 Vučković (1895), S. 158. 175 Insbesondere sei „der hl. Sava der Taufname der ganzen Volksfamilie (narodne porodice), des ganzen serbischen Volkes“. Vučković (1895), S. 159.

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österreichisch-­ungarischen Eingriffe in den nationalen Erinnerungshaushalt im ausgehenden 18. Jh. an.176 Der Geistliche setzte sich damit in der offiziellen kirchlichen Zeitschrift gerade für die Verteidigung des weltlichen Anteils der Verehrung Savas ein. Vučković unterschied sodann mehrere Ebenen in der Feier des Heiligen: So würden an seinem Tag sowohl die serbische Kirche wie auch Sava als ein Heiliger Gottes und als serbischer Heiliger gefeiert und um „Rettung“ gebetet.177 Damit aber nicht genug: „Mit der Kirche zusammen wird am Tag des hl. Sava auch die serbische Gesellschaft (srpska zadruga) gefeiert, das serbische Haus“.178 Der Schulfeiertag sollte so zur Inszenierung des Ideals der serbischen Gesellschaft dienen. Zudem nehme auch die „nationale Bildung“ einen wichtigen Platz in der Feier des Savatages ein, und damit ganz vordringlich die Schule.179 Vučković war kritisch genug zu bemerken, dass die Verehrung Savas in serbischen Schulen erst im Zuge der Entstehung des neuen serbischen Schulwesens im 19. Jh. begonnen habe.180 Dafür sei von Anfang an, wie er aus einem bereits zitierten Text zu einer Feier in Novi Sad im Jahre 1812 schließt, die Feier weltlich und kirchlich zugleich gewesen.181 Der implizite Vorwurf, „die Serben hätten ihre svetosavische Feier wider die Kroaten zusammengeflickt, und aus dem Kirchlichen etwas Nationales, Weltliches gemacht“, sei haltlos, denn das aufgezeigte Beispiel aus dem Jahr 1812 sei „aus jener Zeit, als es diesen Antagonismus zwischen Serben und Kroaten nicht gab“. Die Feier sei daher in „unserer kommunalen Schule“ zuzulassen, zumal die Schule „dem konfessionellen Element, und auch dem nationalen Element Platz gibt, so wird in ihren

176 „Denn dass es die Wahrheit ist, dass der hl. Sava der Taufname auch jenes Teils des serbischen Volkes ist, der in Österreich-Ungarn lebt, und somit auch in Kroatien und Slavonien (Slavoniji), dazu genügt es mir, mich darauf zu berufen, dass schon 1774 und 1786 der hl. Sava ,als Patron‘ des serbischen Volkes auch von unseren staatlichen Behörden anerkannt wurde und als solcher 1786 in Ruhe gelassen wurde, während die zivilen (građansko) Feiern der übrigen Geheiligten serbischer Nationalität abgeschafft wurden.“ Vučković (1895), S. 159. 177 Vučković (1895), S. 159 f. 178 „Zu seiner Feier bringt man ihm Dankbarkeit entgegen, zu seiner Anerkennung gibt man ihm seine Seufzer als Gebet um die Rettung der ihm Treuen“. Vučković (1895), S. 159 f. 179 Vučković (1895), S. 160. 180 Vučković (1895), S. 181. 181 „Daraus sehen wir 1.), dass unsere Schule, bereits bei ihrer Entstehung, in den Kreis der allgemeinen kirchlich-nationalen svetosavischen (svetosavske) Feierlichkeiten eingeht, und 2.), dass schon zu Beginn des 19. Jh. der Charakter der svetosavischen, und gerade der schulischen Feierlichkeiten, zusammengesetzt ist aus Elementen kirchlichen und weltlichen Charakters, denn dieses Gedenken an die Lebenden und die Toten, gekennzeichnet dadurch, dass es gemäß der kirchlichen Ektenie abgehalten werden soll, ist charakteristisch für das Kirchliche, und die Schüleransprache über die Wohltäter, die Bedürfnisse und den Nutzen der Wissenschaft und der Bildung ist charakteristisch für das Weltliche. Diesem gemischten Charakter begegnen wir bei den schulischen svetosavischen Feierlichkeiten während dieses ganzen Jahrhunderts.“ ­Vučković (1895), S. 181 f.

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Räumlichkeiten beispielsweise auch die römisch-katholische Feier des ,Weihnachtsbaums‘ abgehalten“.182 Die Schule wurde in diesem Diskurs zum Ort der konfessionell-nationalen Auseinandersetzung, wenngleich sich Vučković im publizistischen Kontext gleichzeitig vorgeblich für ein pflegliches Nebeneinander von katholischen Kroaten und orthodoxen Serben einsetzte. Der Verfasser verstand seinen Beitrag als direkte Aufforderung an die staatlichen Behörden, die Feiern zu Ehren des hl. Sava in seinem Sinne zu gestalten.183 Schon im Januar 1897 wurde sodann eine weitere „Anordnung der k. kroat.-slav.-dalm. Landbehörde“ erlassen und auch in der Wochenzeitung „Serbisches Zion“ publiziert, die ganz den Ansichten Vučkovićs entsprach.184 Vučkovićs Engagement bei der Aushandlung der kommunalen und staatlichen Rahmenbedingungen der Feiern zu Ehren Savas auf dem Gebiet Österreich-Ungarns steht für die zaghafte Entstehung einer auch von serbischen kirchlichen Medien getragenen, über einen innerserbischen Textzusammenhang teilweise hinausreichenden publizistischen Öffentlichkeit. Beispielsweise beschrieb Vučković im „Serbischen Zion“ auch die Rezeption der Verehrung Savas als Schulpatron in der katholischen kroatischen Presse.185 Über mehrere Seiten hinweg ließ er seinem Ärger über die Beschreibung und die beim Autor vermutete abwertende Haltung zur Feier Savas freien Lauf. Das härteste Urteil schien in seinen Augen, ganz im postosmanischen Zusammenhang, der Vergleich mit „den Türken“ zu sein: Er kam zum Schluss: „Ihr habt recht. Seid glühende, begeisterte Kroaten, – aber seid nicht schlechter als die anderen. (…) Wir sind nicht aggressiv. Aber in einer Gemeinschaftsschule, wenigstens, wo es uns gibt, und wenn wir uns auch als uns zeigen, als Serben und Orthodoxe, dann seid nicht deswegen gleich – leider muss ich sagen – schlimmer als die Türken!“ 186

182 Vučković (1895), S. 182. 183 Hinter der Kritik an der bisherigen Praxis vermutete er die „römisch-katholische kroatische Geistlichkeit“: „Ich bin mir sicher, dass ich mich nicht täusche und nicht sündige, wenn ich denke und sage, dass die Opposition gegen unsere heiligsavischen Feierlichkeiten von Kreisen der römisch-katolischen kroatischen Geistlichkeit kommt. Hierzu gibt es genügend Hinweise“. Vučković (1895), S. 184. 184 Allerdings wurde eine Mindestzahl von 15 orthodoxen Schülern festgelegt, die anwesend sein müssten, damit in einer Schule eine Savafeier abgehalten werden dürfte. Srpski Sion, 1897, Nr. 2, S. 17 f. 185 So griff er eine „ungeschickte Persiflage der diesjährigen heiligsavischen Schulfeierlichkeiten, die, wie mir scheint, in Grđevac abgehalten wurde“, in der kroatischen Zeitung ,Hrvatska‘ auf: „Es wurde dieses Bild vorgestellt: Eine Ikone des hl. Sava, (…) ein Geistlicher, ein Lehrer, ­Kinder, Volk, ein Mädchen, das vor dem Bild des hl. Sava ein Lied deklamiert, in dem es sagt, sie möchte mit einem Serben gehen, d. h. sich mit einem Serben verheiraten. Und das geschätzte Publikum des Organs der Rechtspartei, des Blattes ,Hrvatska (Kroatien)‘, behauptet (poziva se), es werde eine ,Meditation‘ über dieses Gemälde abgegeben!“ Vučković (1895), S. 184. 186 Vučković (1895), S. 184.

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Aus der publizistischen Auseinandersetzung geht hervor, dass die Verehrung des heiligen Sava auch in der Wahrnehmung der katholischen Nachbarn als Inbegriff der Inszenierung eines serbischen Nationalgefühls galt. Die ironische, aber nicht bösartige Berichterstattung der kroatischen Presse über eine orthodoxe serbische Schulfeier und die durch sie hervorgerufene, aufgeregte Reaktion im „Serbischen Zion“ bezeugen sich gerade in den Texten der neuen Medien festigende nationale Gegensätze und Empfindlichkeiten. Gerade anlässlich der engen Begegnung nationaler Erinnerungskulturen im Rahmen der kommunalen, nicht konfessionell getrennten Schule scheint sich das Bedürfnis der Abgrenzung ,eigener‘ von anderen nationalen Identitäten markant herausgebildet zu haben. Auch dieser Fall entspricht der These Frederik Barths, der die Konstitution kollek­tiver Identitäten vornehmlich in der Begegnung mit und in Abgrenzung gegenüber anderen Identitätsentwürfen wahrnimmt.187 Mit den Texten der geistlichen Publikation des „Serbischen Zion“ zur Mitte der 1890er-Jahre ist damit eine vielseitige und intensive Vereinnahmung des in mehreren Schritten zuvor entstandenen Diskurses über Sava als Schulpatron und säkularisierten Helden durch Geistliche festzustellen. Auch das Vereinswesen sollte sich weiter in einen geistlichen Rahmen fügen und die Geistlichkeit damit als Avantgarde der gesamtgesellschaftlich entworfenen nationalen Bewegung erscheinen: 1895 unternahm in Belgrad ein Bürgerkomitee unter dem Vorsitz des Metropoliten Mihailo erste Schritte mit dem Ziel, als architektonische Verkörperung des modernen Nationalismus eine gewaltige Kirche zu Ehren Savas auf dem Vračar zu errichten, wo 1594/1595 seine Gebeine verbrannt worden sein sollen.188 Die Voraussetzung dazu war die Auffindung des genauen Orts der Verbrennung. Schon 1847 war an der mutmaßlichen Stelle ein Kreuz zum ­Gedenken an Sava angebracht worden.189 Die Debatte über den wirklichen Ort wurde in den 1870er-Jahren erneuert.190 1896 veröffentlichte die „Gesellschaft zur Errichtung einer Kirche des hl. Sava auf dem Vračar“ ihre Vereinssatzungen. Ihr Ziel war, „dass sich der alte Wunsch jeglichen (vaskolikog) Serbentums erfüllte, die Errichtung einer sehr schönen Kirche auf dem Vračar, als Ort, wo die heiligen Reliquien des gottgefälligen Menschen (Božieg ugodnika) und ersten serb. Erzbischofs und Aufklärers verbrannt wurden“. Dieser Zweck wurde als „patriotische Aufgabe“ beschrieben.191 Die neue Gesellschaft wollte ihr Ziel gemäß der kirchlichen Zeitung „Serbisches Zion“ durch eine Mobilisierung aller Serben sowie aller denkbaren säkularen und kirchlichen serbischen Einrichtungen und mit Sammlungen bei öffent­lichen Veranstaltungen erreichen.192 Die 187 188 189 190 191

Barth (21998), S. 15. Aleksov (2003), S. 50, S. 52. Makuljević (2006), S. 292. Makuljević (2006), S. 288. „Zum Gedenken an den 300. Jahrestag der Verbrennung“ hatte der „provisorische Hauptausschuss“ dort bereits eine gleichfalls „provisorische Kapelle“ errichtet, die am 27. April 1895 geweiht wurde. Srpski Sion, 1896, Nr. 13, S. 224. 192 Wie die Zeitung berichtete, „mit Beiträgen von Serben und Serbinnen aus allen serbischen Gebieten; mit Hilfe des serbischen Staates, der Kreise, Bezirke, Gemeinden und Finanz­institute“

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Namen der Spender sollten in einem Buch veröffentlicht werden, „damit der Nachkommenschaft ein sichtbares Gedenken an die Aufopferung und den Patriotismus der frommen Beiträger“ bleibe.193 Im Rahmen des Vereins­wesens und mithilfe der modernen Publizistik versuchten Kirche und Bildungsbürgertum gemeinsam, Sava ein als zeitgemäß befundenes kirchliches Monument zu errichten – und festigten damit nicht nur das Projekt einer geeinten serbischen Nation, sondern auch den eigenen Führungsanspruch zur Umsetzung dieser Vision. Allerdings blieb das Echo zunächst schwach.194 C 1.1.8  Weitere Säkularisierung und Militarisierung in der Presse ab 1900

Neben der Stärkung der Propagierung des Savakults durch neue Vereine sowohl ­seitens der Bürger und erst später der Geistlichkeit entwickelte sich auch Savas mediale Rolle im sich entfaltenden Pressewesen weiter: Seit Jahresbeginn 1904 erschien in Belgrad die „Politika“, die bald wichtigste serbische Tageszeitung. Am 14. Januar stellte sie zum Savatag Dositej Obradović als einzigen „würdigen Nachfolger“ Savas dar.195 Tags darauf berichtete die Zeitung von Feiern zu Ehren Savas an der Belgrader „Hohen Schule“, wobei „der König selbst“ teilnahm und der Gesangsverein „Obilić“ auftrat. Der aus Novi Sad stammende Historiker Stanoje Stanojević, der in Wien bei führenden Gelehrten wie dem Historiker Constantin Jireček und dem Slavisten Vatroslav Jagić studiert hatte sowie seit 1900 Dozent und von 1903 an Professor für Geschichte an der Belgrader Hochschule war, hielt zu diesem Anlass eine Ansprache, in der er „das serbische Volk an der Grenze der Vertreter der östlichen und der westlichen Kulturen“ verortete und von beiden bedroht darstellte. „Fortschritt und Kultur des serbischen Volkes in den alten Staaten“und damit „die Resultate der Arbeit des hl. Sava“ seien durch „die Türken“ verloren gegangen. Im bisher geschilderten diskursiven Rahmen der Imagination internationaler Zusammenhänge war dieser Verweis auf die Osmanen und die Behauptung einer bedrohten Lage zwischen Ost und West eine Neuerung. Der Savatag war für Stanojević, der zu den einflussreichsten Historikern Serbiens zählen sollte, der Tag, dem König, den Gelehrten und der gesamten Gesellschaft Rechenschaft über die gesamte staatliche und „nationale“ Entwicklung zu geben, zumal alles auf Sava zurückgeführt wurde.196

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sowie der Gläubigen und der Kirche, aber auch durch „Einkünfte von Lehrveranstaltungen, Vorstellungen, Konzerten, Unterhaltungsveranstaltungen (zabava)“ etc. Srpski Sion, 1895, Nr. 11, S. 225. Srpski Sion, 1895, Nr. 11, S. 225. Aleksov (2003), S. 55. „Als eines Tages, nach so vielen Jahrhunderten, die Serben zu den Waffen griffen, und seinen heiligen Namen riefen, wie sie ihn auch heute rufen, als sie noch nicht frei waren und erneut ihren Staat begründeten, erschien erneut ein neuer Aufklärer, ein würdiger Nachfolger des hl. Sava, Dositej“. Politika, 14.1.1904, Nr. 3, S. 1. „Schließlich schilderte der Redner die schwierigen heutigen Aufgaben des Königreiches Serbien auf dem nationalen, wirtschaftlichen und kulturellen Feld“. Politika, 15.1.1904, Nr. 4, S. 2.

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Im beginnenden 20. Jh. sollte Sava nicht mehr nur Männer für die Nation mobilisieren, sondern auch Frauen: Pavle Aršinov, ein Absolvent der Universität Budapest und Professor am Ersten Belgrader Gymnasium sowie Mitglied der Leitung der 1897 in Zagreb gegründeten „Serbischen Ökonomischen Gesellschaft (Geschäftsmann)“, hielt am 13. Januar 1907 am Gedenktag zu Ehren des hl. Sava eine Ansprache am Belgrader Lehrerinnenseminar unter dem Titel „Der hl. Sava und unsere nationale Arbeit“. Zunächst versetzte er dabei das Publikum in ein unendliches Raum-Zeit-Kontinuum.197 Orientierung in dieser Endlosigkeit sollten „leuchtende Taten (svetle dela) großer Leute“ bieten. Aršinov, der in Prag und Pest Naturwissenschaften studiert, aber auch Pädagogie und Philosophie belegt hatte, legte den jungen Frauen das männliche Ideal der „großen Leute“ im „heldenhaften Kampf“ ans Herz. Sava stilisierte er zum „Stern am serbischen Himmel“, der dem serbischen Volk den Weg wies.198 Den Glauben der Orthodoxie setzte er mit dem „Glauben an die nationale Zukunft“ gleich und nationalisierte ihn damit.199 Nationale Zukunft, Glaube, Bildung und Patriotismus wurden hier zur durch das Medium der Erinnerungsfigur Sava hergestellten Einheit. Der Tag Savas wurde nun zum wichtigsten Nationalfeiertag, kein anderes Volk habe einen „nationaleren“ Feiertag.200 Der Redner reflektierte damit bis zu einem gewissen Grad die Säkularisierung des Heiligen zum nationalen Lehrer und zum Kern der nationalen Identität im schon von anderen imaginierten globalen Wettstreit der Nationen. Auf dieser Grundlage kam Aršinov aber im Gegensatz zu bisherigen Vergleichen nicht zum Befund des Nachholbedarfs, sondern er reklamierte für Serbien eine Spitzenstellung.201 Nicht nur sollte Sava so das Serbentum ,intern‘ einigen. Durch seine existentielle Funktion

197 „Wie auf einer Brücke stehen wir in der Gegenwart und sehen – vor uns die endlose Zukunft, hinter uns die endlose Vergangenheit.“ Aršinov (1908), S. 1. 198 Die weihnachtliche Reise der drei Weisen zur Verehrung Christi deutete der Redner in einen über Jahrhunderte währenden serbischen „Kampf“ um: „Was die Sterne am Himmel der Vergangen­ heit sind, das sind die leuchtenden Taten großer Leute uns, den Nachkommen, solange die Welt und das Säkulum dauern. Am serbischen Himmel der Vergangenheit übertrifft alle Sterne an Größe und Glanz jener, der den Geheiligten (Svetitelja) Sava verkündet (kazuje). Wie der Stern von Bethlehem die Verehrer geführt hat, so führte der Stern des hl. Sava unsere Vorfahren durch die Jahrhunderte, indem er ihnen mit Licht (svetlošću) den Weg durch alle schweren Versuchungen wies, und mit sengender Hitze ihre Brüste erwärmte, damit sie nicht in ihrem heldenhaften Kampf erschlaffen.“ Aršinov (1908), S. 1. 199 „Was dieser Stern an Helligkeit ausstrahlt, das ist die Bildung, und die Hitze ist der Glaube – der warme Glaube der Orthodoxie, und der feste Glauben an die nationale (narodnu) Zukunft. Aber Glaube und Bildung verfließen im Patriotismus (rodoljublje). Und so beleuchtet und erwärmt der Stern des hl. Sava uns mit dem Patriotismus.“ Aršinov (1908), S. 2. 200 „Auf diese Weise ist der hl. Sava unser erster Lehrer und Aufklärer, und auch ein Vorläufer des serbischen Patriotismus. Auf der Welt gibt es heute keinen nationaleren (nacijonalnijeg) Feiertag als bei uns Serben den des hl. Sava.“ Aršinov (1908), S. 2. 201 „Einen Heiligen dieser Bedeutung hat kein anderes Volk der Erde. Daher ist der hl. Sava der größte nationale Heilige der Welt.“ Aršinov (1908), S. 2.

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für das Serbentum sollte ihm auch in einem als global beschriebenen Wettbewerb der Nationalheiligen der erste Rang zukommen. Die Konstitution der serbischen Nation verwirklichte sich gerade in der Zelebrierung des Gedenkens an den zum multifunktionalen und zentralen Medium nationaler Erinnerung gewordenen Heiligen – der nicht als Heiliger, sondern als „größter Aufklärer und Patriot“ gefeiert wurde. Der Naturwissenschaftler Aršinov, als Patronatsmitglied der genannten serbischen Gesellschaft „Geschäftsmann“ in Zagreb und ein Wortführer der entstehenden schmalen bürgerlichen Gesellschaft, erklärte die säkulare Schule explizit zur Kirche, zum Gotteshaus der nationalen Bildung.202 Diese Vereinigung im Gedenken entwarf er aber als „Vorläufer der politischen“ Vereinigung.203 Aršinov beobachtete den Diskurs über Sava und lenkte ihn in der Beschreibung als Medium und Katalysator der „seelischen“ Vereinigung des „Serbentums“, die zur Vorstufe der politischen dienen sollte. Die Funktion der Erinnerung beschränkte sich auf die geistige Konsolidierung und die politische Konstitution der Nation. Auf dieser Grundlage und mit der Berufung auf Sava forderte der Redner von den jungen Frauen die Bereitschaft zur Bildung und insbesondere zu Kriegen.204 Die Aufgabe der zukünftigen Lehrerinnen wurde in klare Worte gefasst: Es galt, „die zukünftige Gesellschaft zu ihrem Glück auszubilden, zu unserem Ruhm und Stolz, und zur Ehre und Größe unseres serbischen Geschlechts“. Aršinov verstand das Projekt „Volksschule“ als wichtigsten Schlüssel zum Aufbau einer nationalen Gesellschaft, der Zielutopie eines stolzen „Serbentums“. Zur Motivation, Disziplinierung und Legitimierung dieses Projektes diente die Definition der pädagogischen Arbeit als Dienst am hl. Sava und als „wirkliche nationale Arbeit“.205

202 Kein territorialer Rahmen, sondern nur der Besuch einer Schulfeier zu Ehren des Heiligen definierte das „Serbentum“: „Soweit es Serbentum (Srpstva) in alle vier Richtungen gibt, versammelt es sich an diesem heiligsavischen Tag in der Schule, im Tempel der Aufklärung (u hram prosvetni), um dort seinem ersten und größten Aufklärer und Patrioten einen Gottesdienst zu feiern.“ Aršinov (1908), S. 2. 203 „Dieser Dienst (služba) vereinigt das ganze Serbentum seelisch (…). Die seelische Vereinigung ist aber der Vorläufer der politischen. Und wie der hl. Sava durch sich das zerstückelte Serbentum seelisch vereint, so bereitet er es auch auf seine zweite wichtige Vereinigung vor, auf die politische.“ Aršinov (1908), S. 2. 204 Bildung war nur das Mittel, die „verlässlichste Waffe“ zum Sieg des „Volkes“ über seine „Feinde“. Auch diesen Auftrag der Volksbildung und zum Kampf führte Aršinov auf Sava zurück: „Aber er hat uns auf den Weg gegeben, dass wir uns ausbilden (prosvećujemo), denn die Bildung ist die verlässlichste Waffe, mit der ein Mensch sich sein Glück erkämpfen kann, und mit der ein Volk seine Feinde schlägt, um seine Zukunft zu bekräftigen.“ Aršinov (1908), S. 2. 205 „Unsere Pflicht ist es, die zukünftige Gesellschaft zu ihrem Glück auszubilden, zu unserem Ruhm und Stolz (na diku i ponos svoj) und zur Ehre und Größe unseres serbischen Geschlechts. Wenn wir die Jugend ausbilden, wie es sich gehört, dienen wir (u službi smo) der wirklichen nationalen Arbeit (nacijonalnog rada), und mit diesem wahrhaftigen Dienst dienen wir dem Geheiligten Sava.“ Aršinov (1908), S. 3.

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Das Vorbild zu diesem Entwurf der Arbeit für nationale Bildung als Ort der Produktion der „zukünftigen Gesellschaft“ gaben die „westlichen Völker“ab, während das Römische Reich wie auch „die östlichen Reiche“ wegen „Faulenzerei“ (nerad) untergegangen seien. Die den Mädchen im Rahmen des Gedenkens an Sava ans Herzen gelegte Haltung war explizit nach „Westen“ ausgerichtet.206 Die wichtigste Rolle bei der Festigung „nationalen Gefühls“ komme aber den Müttern zu.207 Die Übergabe nationaler Werte war somit durch Geschlechterrollen gewährleistet und im inter­nationalen Vergleich mit Polen und Italien legitimiert.208 Die Mütter sollten gemäß seinen Sätzen ausdrücklich eine staatstragende Funktion erfüllen.209 Aršinov versäumte es trotz dieser Exkurse nicht, seine Ausführungen schließlich wieder mit Sava in einen Zusammenhang zu bringen, und er forderte „Taten“ statt „leere Worte“ ein, um den Segen Savas erwarten zu können. Der nationale Aufbau erschien damit ganz als religiöser Dienst gegenüber dem als lebendigen Heiligen imaginierten Sava.210 Aršinov auferlegte den jungen Frauen im „Dienst an Sava“ und damit für „die nationale Arbeit“ die Erhaltung der Nation – die Männer hingegen entlastete er teilweise von diesem Dienst.211 Auch die Vorstellung, die Serben würden mit dieser nationalen

206 „Durch Arbeit und glückliches Leben haben sich die westlichen Völker erhoben. Wenn wir das Glück wollen, müssen wir uns an den Westen halten, und keinesfalls an den Osten.“ Namentlich Englands „Nationalgefühl“ wurde als nachahmenswert, weil „die zuverlässigste Zukunft“ versprechend, hervorgehoben: „Da sind die aufgeklärten Engländer, die um kein Haaresbreit von ihren alten Gebräuchen und Traditionen abweichen, und deshalb das Volk mit dem kräftigsten und zuversichtlichsten Nationalgefühl sind, und dadurch auch die zuverlässigste Zukunft haben.“ Aršinov (1908), S. 4 f. 207 „Aber es liegt in den Händen der Mütter, dass sich im Volk Gebräuche und Traditionen der Vergangenheit festigen, und damit auch nationales Gefühl (osećanje).“ Aršinov (1908), S. 5. 208 Am Beispiel Polens zeigte Aršinov auf, was in seiner Wahrnehmung Mütter durch die Anerziehung nationalen Bewusstseins erreichen konnten. Die serbischen Mütter sollten es ihnen gleichtun, damit das freie Serbien als „Piemont“ Serbiens die „Sklaverei“ der übrigen Serben beenden könnte. „Wenn die serbische Mutter nicht durch den Patriotismus erwärmt wäre, und sie keine Volkslieder hätte, um von Heldentaten zu singen, wüssten die Serben heute nicht, durch welche schweren Prüfungen bis heute das serbische Volk gegangen ist.“ Aršinov (1908), S. 6. 209 „Der Staat ist zerfallen, in dem die Bedeutung der Mutter nicht geschätzt wurde.“ Aršinov (1908), S. 7. 210 „Wie können wir denn den Segen des hl. Sava erwarten, wenn wir ihm nicht mit Taten, sondern mit leeren Worten dienen, und wenn wir in unserem Königreich nicht versuchen, unser eigenes Leben zu leben, sondern ein fremdes.“ Aršinov (1908), S. 9. 211 „Wer den wahrhaftigen Dienst am hl. Sava leisten möchte, der muss sich mit seinem ganzen Herzen und mit seiner ganzen Seele der nationalen Arbeit widmen. Und die nationale Arbeit liegt in der Ausbildung seines Volkes. Sowohl der männlichen als auch der weiblichen Jugend muss man auf den Weg geben, dass sie später ihre heimischen Herdstätten voranbringen und festigen, denn darauf ruht die Macht des Staates und des Volkes; der weiblichen Jugend ist dazu noch auf den Weg zu geben, wie sie dafür sorgen soll, dass diese Herdstätten dauerhaft serbisch bleiben.“ Aršinov (1908), S. 9.

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Arbeit ein „Denkmal des hl. Sava“ errichten, sollte seine nationalen Wünsche bündeln und bezeugt eine Säkularisierung der Erinnerungsfigur.212 Nicht für religiöse Werte, sondern für das nationalbewusste Serbentum sollte dieses Denkmal stehen. Letztlich betrieb er aber die Sakralisierung der Nation: Das gesamte erwünschte Wohlergehen der Nation, selbst das Anstreben von Tugenden wie Sparsamkeit und Fleiß, wurden nun in den Dienst der Verehrung des Heiligen gestellt, und sollten die „wahre Verherrlichung des Geheiligten Sava“ sein 213– offenbar im Gegensatz zur gemäß dieser Argumenta­ tions­logik unwahren traditionellen religiösen Verehrung. Noch allgemeiner und wieder auf die Zukunft der Lehrerinnen zugespitzt, formulierte er zuletzt die Erziehung zum Fleiß als „stärkste“ Verherrlichung Savas, als Weg zur Fortschrittlichkeit und zum Glück sowie zu einem zufriedenen Auftreten gegenüber dem heiligen Sava.214 Teilweise im Sinne Max Webers protestantischer Arbeitsethik entwarf Aršinov eine pragmatische moderne serbisch-orthodoxe Lehre des alltäglichen Handelns im Dienste der Nation. Anstatt eine genuin feminin verstandene gesellschaftlich vorbildliche Weiblichkeit zu entwerfen, versuchte er das mithilfe Savas entworfene Männlichkeitsideal geringfügig angepasst auf Frauen zu übertragen. Im Vorfeld der Balkankriege verstärkten sich eine messianische und die zuerst zu Beginn des 19. Jh. beobachtete militaristische Aufladung der Erinnerungsfigur: Pavle Sofrić, der in Pest an der Philosophischen Fakultät studiert hatte und an serbischen Gymnasien Geschichte unterrichtete, schrieb 1909 in einer historischen Skizze unter dem Titel „Die Seele des serbischen Volkes zur Zeit Stefan Nemanjas und des hl. Sava“, Sava sei ein gläubiger „Staatsmann und Feldherr“, ja ein „angriffslustiger und gott­ gefälliger Kämpfer“, insbesondere aber ein gemäß den „geographischen Gegebenheiten“ geschickt zwischen West und Ost agierender Pragmatiker gewesen.215 Diese krie 212 „Jede Generation des serbischen Volkes hat von seiner Seite zur Errichtung des Denkmals (spomenika) des hl. Sava beizutragen. Und dieses Denkmal liegt in unserer Seele, und in unserem Herzen, und in unserem ganzen Wesen.“ Aršinov (1908), S. 9. 213 „Wenn unser serbisches Volk durch fleißige, geschickte Arbeit und vernünftiges, sparsames, gewandtes, weises und serbisches Leben stark wird, dann wird dies die wahre Verherrlichung des Geheiligten Sava sein.“ Aršinov (1908), S. 10. 214 „Aber am stärksten verherrlichen wir ihn, wenn wir unsere Jugend zur dauerhaften Arbeit und zum Haushalten erziehen und unterweisen, damit diese in unserem glücklichen und fortschrittlichem Volk mit Zufriedenheit und mit Recht vor Liebe zum Geheiligten Sava aufschreien können“. Aršinov (1908), S. 10. 215 „Sich an die unerschütterlichen Dogmen der orthodoxen Kirche haltend, arbeitete er als Westler (kao zapadnjak) für die Verwirklichung der Gelöbnisgedanken (zavetne misli) der Serben. Im engen Verband mit Byzanz, stand er in intimen Beziehungen mit dem Westen, den sie hier gut kennen und auf den sie rechnen. Seinem Glauben hingegeben ist er gleichzeitig ein Staatsmann und Feldherr außerordentlich praktischen Geistes und von unbeugsamer Ausdauer. Solange sich Byzanz vor ihm fürchtet, solange beschützt ihn der Westen freundschaftlich. Auf dem Balkan ist er gefeiert als Herrscher und Krieger, aber im Westen wird er Gegenstand romantischer Erzählungen als angriffslustiger und gottgefälliger Kämpfer. Diese seine Zweiheit (dvojnost) ist soweit das Resultat unserer besonderen geographischen Gegebenheiten, wie es auch das

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gerische und geopolitische Wahrnehmung Savas ist gegenüber den bisher betrachteten Texten eine markante Neuerung und ganz in den zeitgenössischen Kontext der Balkankriege bzw. des aufziehenden Ersten Weltkrieges zu stellen. Bemerkenswert ist dabei die Unterscheidung verschiedener Erinnerungskulturen an Sava seitens des „Westens“ sowie „auf dem Balkan“. Sava wurde in dem Text als mit „göttlichen Gaben“ ausgestattete Persönlichkeit beschrieben, aber nicht als Heiliger.216 Nicht ein göttlicher Heilsplan, sondern scheinbar „legendärer Glanz“ erklärten den Einfluss Savas als „Riese (velikan)“ auf „breite Massen“.217 Jedoch blieb die Einordnung Savas als Mobilisierer von „Massen“ trotz dieser weltlichen Beschreibung auch religiös.218 Diese sakralen Elemente blieben in der Beschreibung aber schwächer als die säkularen.219 Mit der rhetorischen Anlehnung Savas an Nemanja sollte der Heilige gemeinsam mit diesem und wie dieser als Kriegsherr und weltlicher Motor des Fortschritts imaginiert werden. Aber nicht Sava oder sein Vater, sondern die „Seele“ des serbischen Volkes stand im Vordergrund der Geschichtsbetrachtung des Gymnasiallehrers.220 Es bleibt zu unterstreichen, dass Sava erst unter habsburgischer Herrschaft durch gezielte Geschichtspolitik zum Nationalpatron erhoben wurde. Bereits 1806 aber griffen serbische Wortführer seine Verehrung auf und setzten diese zur Mobilisierung für den neuen Fürsten ein, der damit in die Tradition der Nemanjiden gestellt wurde. Im serbischen Fürstentum wurde seine Verehrung unter osmanischer Oberherrschaft im Sinne eines weltlichen Landes- und Schulheiligen von den habsburgischen Territorien übernommen und mit geschichtspolitischen Schritten etabliert. Nur ausnahmsweise wurde

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Geheimnis seines Erfolges ist und die wichtigste Lehre, die uns unsere Geschichte bereithält.“ Sofrić (1909), S. 18. Weitere, „kulturhistorische“ Texte zu Sava desselben Verfassers: Sofrić (1910). „Der hl. Sava ist ein Mensch von sehr großem (velikanskog) Verstand, Geist und Charakter, und er ist glücklich, und wir sind es mit ihm, dass er seine göttlichen Gaben erfolgreich im großen Werk (u velikanskomo delu) der geistlichen Verwandlung unseres Volkes erfolgreich eingesetzt hat.“ Sofrić (1909), S. 21. „Der Einfluss von Genies (velikana) auf breite Massen hängt von ihrem legendären Glanz (bleska) ab.“ Sofrić (1909), S. 21. So verehrte „das Volk“ laut dem Geschichtslehrer auch „ewig dankbar die Autorität des Gottgesandten ersten serbischen Lehrers“. Sofrić (1909), S. 22. So deutete Sofrić Sava mit Nemanja als Träger des „weltlichen historischen Fortschritts“, ja als Erwecker des Volkes aus „einem tiefen Traum“. Zur Zeit vor seinem Wirken schrieb Sofrić: „Unser Volk verweilte bis zu dieser Zeit in einem tiefen Traum und war von keinerlei weltlichem historischen Fortschritt berührt“. Sofrić (1909), S. 12. „Gemäß all diesem zu urteilen, können wir den Schluss ziehen, dass die Seele unseres Volkes zur Zeit dieser Periode kräftig, gesund, voller Empfänglichkeit für das Gute und Erhabene, vollen Schwungs und Expansivität (ekspanzivnosti) war. Und all diese Eigenschaften finden sich in riesigem Ausmaß (u velikanskoj meri) und in sehr reiner Gestalt bei Stefan Nemanja und dem hl. Sava, weshalb sie auch die wahren Vertreter dieser Periode sind.“ Sofrić (1909), S. 12.

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Sava von kroatisch ausgerichteten Historikern vereinnahmt.221 Von der Mitte des 19. Jh. an diente Sava zunehmend zur Formulierung einer Vision einer modernen, in Ansätzen sakralisierten Nation. Politiker kritisierten dabei die Geistlichkeit und forderten diese zur Einnahme einer modernen Rolle in der Gesellschaft auf. Die Einrichtung der Sava-Assoziation 1886 gab der gesellschaftlichen Erinnerungskultur einen gefestigten sozialen Rückhalt unter den Wortführern der Belgrader Elite. Sie wurde als in kurzer Zeit größter serbischer Verein und Medium gesellschaftlicher Entwürfe sowie staatlicher und kirchlicher nationaler Politik zum Rückgrat serbischen Nationalismus. Es entwickelten sich in der entstehenden Zeitungsöffentlichkeit Kontroversen über sie sowie eine teilweise durch sie selbst getragene intensivierte religiöse und nationale Publizistik. Erst ab 1894 forcierte auch die Kirchenführung die Förderung Savas als Schulheiligen sowie als Medium zur Sakralisierung der Nation. Der Verweis auf Sava diente zur Formulierung und Propagierung pragmatischer Handlungsanweisungen im Sinne eines modernen, von weltlichen wie kirchlichen Akteuren neben- und mitein­ander entworfenen religiösen Nationalismus. Die Feiern sollten als Erfahrungsräume der Beteiligten deren Erwartungshorizonte konstituieren. Durch Stahldrucke verbreiteten sich moderne bildliche Darstellungen Savas unter der Bevölkerung.222 Im Zusammenhang der Kriege der ersten Jahre des 20. Jh. wurde das Gedenken an Sava militarisiert. C 1.2  Sava im Osmanischen Reich bzw. in ,Altserbien und in Makedonien‘

Das Gedenken an Sava veränderte oder verbreitete sich mit einiger Verzögerung auch in Gebieten außerhalb Österreich-Ungarns sowie des serbischen Fürstentums. C 1.2.1  Die Heilig-Sava-Gesellschaft als Motor des nationalen Wettkampfs

Eine entscheidende Rolle bei der Verbreitung der Verehrung Savas in den osmanischen Gebieten spielte die 1886 in Belgrad wie geschildert gegründete Heilig-Sava-Gesellschaft. Bereits 1887 richtete das Ministerium für „Bildung und kirchliche Angelegenheiten“ die „Abteilung für serbische Schulen und Kirchen außerhalb Serbiens“ ein. Die Aufgabe der neuen Behörde sollte es sein, die Kommunikation der Regierung mit der Sava-Gesellschaft zu gewährleisten sowie sie zu beaufsichtigen. Gleichfalls 1887 rief Serbien in Skopje und Saloniki sowie in Bitola und Prishtina Konsulate ins Leben.223 Die Zusammenarbeit der Vertreter des Bildungsministeriums und der Diplomaten war von Beginn an sehr eng: Als der Rechtsanwalt Ilija Tišma im Juni 1887 beim serbischen Generalkonsul in Saloniki zusätzliche Mittel für eine serbische Schule erhalten wollte, gab er an, sowohl vom Bildungsministerium wie auch von der Gesellschaft entsandt

221 Zu Ante Starčević: Jelavich (1990), S. 13 f. 222 Makuljević (2006), S. 248. 223 Mikić (1975), S. 69 f.

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worden zu sein.224 Umgekehrt bat der serbische Vizekonsul in Skopje P. Manojlović im Januar 1888 den Vorsitzenden der Gesellschaft Nikolajević, ihm Geld zu überweisen, um im Wettkampf um die Beeinflussung der Gesinnung der lokalen Bevölkerung mit den Bulgaren mithalten zu können: „Jeden Erfolg, den die Bulgaren bei diesem Volk für drei Lira erreichen können, erlangen wir und werden wir erreichen für eine Lira, aber es ist auch höchste Zeit, dass man uns dieses Drittel davon sendet von dem, was die Bulgaren ausgeben.“ 225 1888 richtete die Gesellschaft in Belgrad für Kinder aus „Altserbien“ bzw. dem Kosovo sowie Makedonien, das zunächst auch als „Altserbien“ beschrieben wurde,226 die „Heiligsavische Abendschule“ ein und begann, Schüler aus diesen Gebieten zu unterstützen.227 Die Gesellschaft bemühte sich etwa, serbischen ­Lehrern im osmanischen „Altserbien“ und in „Makedonien“ staatliche serbische Gehälter zu verschaffen: So bat ihr Vorsitzender Svetomir Nikolajević am 24. August 1888 den Bildungsminister, einem Lehrer in Kastoria im „südlichsten und entferntesten Gebiet, in dem Serben leben, und wo sie auf das griechische Element treffen“, Lohn zu gewähren.228 Die politische Mission war dabei allen beteiligten Seiten, vielleicht mit Ausnahme der Schüler, klar: „Der serbische Lehrer in den serbischen Gegenden jenseits der Grenzen [Serbiens, S. R.] wird eher als politischer Agent angesehen denn als Lehrer“,229 wie der von der Sava-Gesellschaft als Lehrer in Peć „in Altserbien“ vorgeschlagene Risto D. Protić 1887 dem Bildungsminister schrieb. Die Aussicht auf finanzielle Unterstützung rief von Mitrovica 230 und Prizren 231 im Kosovo bzw. im „Nördlichen Altserbien“ sowie Saloniki 232 und Kastoria im Süden, von „alten Serben“ in Ohrid 233 im Südwesten bis zum Kloster des hl. Jovan Bigorski im Osten Anfragen hervor, die im Einzelfall auch mit der Verehrung Savas begründet wurden. Der Vorsteher dieses Klosters schrieb am 4. März in Belgrad: „Unsere Bruderschaft hat von der Gesellschaft des hl. Sava und ihrer hohen und heiligen Idee gehört, und sie hofft stark, dass auch uns unser gemeinsamer Beschützer der hl. Sava mit seinem Segen erfreuen und uns Geist und Hilfe für das weitere Erdulden geben wird.“ Das Kloster sei eine „Stiftung der serbischen Könige und Zaren“, ja: „was Dečani im nördlichen Alten Serbien ist, das ist [das Kloster des, S. R.] hl. Jovan ,Bigorski‘ im südlichen Alten Serbien“.234 Der Außenminister Sava Grujić schrieb Svetomir Nikolajević im Juli 1889 über „unsere

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Društvo Sveti Sava. Dokumenti (1886 – 1891), Nr. 14, S. 49. Društvo Sveti Sava. Dokumenti (1886 – 1891), Nr. 26, S. 63 f. Društvo Sveti Sava. Dokumenti (1886 – 1891), Nr. 45, S. 99; Nr. 49, S. 103. Mikić (1975), S. 71 – 81. Društvo Sveti Sava. Dokumenti (1886 – 1891), Nr. 43, S. 96 f. Društvo Sveti Sava. Dokumenti (1886 – 1891), Nr. 18, S. 55. Društvo Sveti Sava. Dokumenti (1886 – 1891), Nr. 22, S. 58 f. Društvo Sveti Sava. Dokumenti (1886 – 1891), Nr. 32, S. 84 f. Društvo Sveti Sava. Dokumenti (1886 – 1891), Nr. 14, S. 49 f. Društvo Sveti Sava. Dokumenti (1886 – 1891), Nr. 47, S. 101 f. Društvo Sveti Sava. Dokumenti (1886 – 1891), Nr. 60, S. 128 f.

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Propaganda“: Die Gesellschaft unterstütze bereits 70 Lehrer und Lehrerinnen „in Alt­ serbien und in Makedonien“.235 Die Ausweitung des Gedenkens an Sava erfolgte vor der Folie der Vorstellung des mittelalterlichen Reiches von Stefan Dušan: Im ersten Jahrgang der Zeitschrift der Heilig-­Sava-Gesellschaft umriss Dimitrije S. Jovanović, Geschichtslehrer am Gymnasium in Kragujevac, 1887 „die Südgrenzen des Zarenreiches Dušans“. Gleich nach einer ­Einleitung 236 kam die Rede auf den hl. Sava: „Er ritt, gemäß dem Volksglauben der Um­ gebung von Skopje, auf einem weißen Pferd auf den heiligen Berg [Athos, S. R.], um mit den Engeln Christi Geburt zu feiern.“ „Die Stärke des Volksgeistes“ zeige sich in einem entsprechenden Lied.237 Das Gedenken an Sava erschien in der hier aus Belgrader Perspektive ins Auge gefassten Region fest verankert. Die Argumentation diente deutlich der Mobilisierung nationaler Solidarität und der Legitimation der Expansion nach Süden. Die Expansion wurde von wichtigen Wortführern aktiv gefördert: Der führende Histo­ riker und Politiker Stojan Novaković schrieb nicht nur für das erste Heft der Zeitschrift der Gesellschaft,238 sondern überwachte in Konstantinopel auch den Druck serbischer Schulbücher für die Verteilung in „Altserbien“ 239 und erteilte strategische Ratschläge zum Einsatz der Historiographie bei der Formulierung territorialer Ansprüche: So schrieb er im Januar 1888 dem Präsidenten der Heilig-Sava-Gesellschaft Svetomir Nikolajević, ausgehend von bulgarischen Schriften über das „bulgarische ethnographische Recht an Makedonien“ bzw. der Karte, die dem Vertrag von San Stefano zugrunde lag: „Was die Bulgaren tun, ist vom Standpunkt ihrer Nationalität gesehen lobenswert. Auf Ihnen, die Sie in Belgrad sind, liegt die Verpflichtung, so zu handeln, dass dasselbe Lob auch über die Serben und Serben vom Standpunkt der serbischen Nationalität gesehen gesagt werden kann. (…) Ich bin mir sicher, dass es in der Sprache (mindestens) oder besonders in der Geschichte, in den Traditionen, Bräuchen (…) viele Gründe gibt, die man ohne jeden Scharlatanismus zu unserer Verteidigung einsetzen kann.“ 240

Aus Konstantinopel übermittelte Novaković im Juni 1888 dem serbischen Außen­ minister auch konkrete Unterstützungswünsche im Zusammenhang mit Aktivitäten der Sava-Gesellschaft, etwa zur Renovation der Patriarchatskirche in Peć im Kosovo 235 Društvo Sveti Sava. Dokumenti (1886 – 1891), Nr. 74, S. 149 f. 236 Nach einer Referenz auf ein Lied über den Königssohn Marko (Kraljević Marko), hielt er fest: „so besingt auch heute das Volk in Makedonien die Taten (dela) der alten Vorfahren, die sich den Feinden des serbischen Namens bei ihrer Arbeit zur Ausrottung (na iskorenjenju) des Serbentums widersetzten. Die Makedonen wissen, dass die Nemanjiden einst die schönen Gegenden des Südbalkans beherrschten.“ Jovanović (1887), S. 108. 237 Allerdings scheint sich das Lied nicht auf den hl. Sava, sondern auf einen späteren Klostervorsteher (iguman) Sava zu beziehen, der nicht als Heiliger tituliert wird. Jovanović (1887), S. 108 f. 238 Društvo Sveti Sava. Dokumenti (1886 – 1891), Nr. 29, S. 81 f. 239 Društvo Sveti Sava. Dokumenti (1886 – 1891), Nr. 63, S. 131. 240 Društvo Sveti Sava. Dokumenti (1886 – 1891), Nr. 30, S. 82 f.

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sowie der dortigen serbischen Kirchschulgemeinde.241 Er beschrieb 1889 auch, dass eine Dorfgemeinschaft bei Veles bereit sei, einen vom bulgarischen Exarchat bezahlten Lehrer auszuschlagen und einen serbischen anzunehmen, um nicht – wie im Gegenzug verlangt – dem Exarchat beitreten zu müssen.242 In diesem Rahmen der Konkurrenz um die Verbreitung der Deutungshoheit schrieb P. Manojlović, der serbische Vizekonsul in Bitola, nicht mehr von „Altserben“ oder „Serben in Altserbien“, sondern von „Serbo­ makedonen“. Griechen und Vlachen seien dort „unsere aufrichtigen Freunde (…) in unserer Mission, die Bulgaren zurückzuschlagen, die sie nur als Protestanten in der orthodoxen Kirche ansehen“.243 Auch die Regierung stand hinter dem Vorhaben: Die neue Regierung gründete 1889 die „Bildungs- und Propagandaabteilung“ im Rahmen des Außenministeriums. Damit wurde die Hauptabsicht und selbst gesetzte Aufgabe der Sava-Gesellschaft, serbische Propaganda außerhalb Serbiens zu fördern, auch vom Staat übernommen: Die Gesellschaft unterstand von nun an dem Außenministerium.244 1890 führte ein Streit um einen von der Sava-Gesellschaft unterstützten osmanischen Untertanen zum vor­ übergehenden Abbruch diplomatischer Beziehungen zwischen Serbien und Bul­garien.245 Der Lehrer Rista Ognjanović, der durch die Sava-Gesellschaft gefördert worden war, schilderte Ende 1890 in einer Bittschrift an den Außenminister ausführlich, wie viel mit wenig Geld erreicht werden könnte: Die lokale Bevölkerung, die angeblich aus „Serben orthodoxen Glaubens“ bestehe, sei konkret im Dorf Galičnik „sehr indifferent gegenüber den Verände­rungen“, die mit der Einrichtung des bulgarischen Exarchats und einer bulgarischen Schule einhergegangen seien.246 Der Minister sollte nicht denken, das Volk sei „bulgarisiert und für uns für immer verloren“.247 Auch Svetomir Nikolajević stellte die serbischen Bestrebungen und die Darstellung von Ognjanović direkt in den Zusammenhang des Konkurrenzkampfes mit bulgarischen und griechischen Aktionen.248 Es entsteht der Eindruck, die Eltern wollten ihren Kindern in erster Linie eine gute Schulbildung zuteilwerden lassen, egal ob mit griechischer, bulgarischer oder serbischer Unterrichtssprache. Nicht nur der Belgrader Metropolit Mihailo unterstützte sie, wie seine bereits zitierte Rede 1890 zeigte, sondern auch andere Kirchenfürsten wie Sava, der Bischof von Žiča: Er gratulierte der Gesellschaft zum fünften Jahr ihres Bestehens 1891, indem er noch stärker als Mihailo die territoriale Expansion zur Sprache brachte: Der hl. Sava habe „die evangelische Lehre in allen Teilen unserer weiten Heimat verbreitet und die rettende Sonne der Wahrheit hat das ganze serbische Volk vom Meer zum Meer, und bis 241 242 243 244 245 246 247 248

Društvo Sveti Sava. Dokumenti (1886 – 1891), Nr. 34, S. 86. Društvo Sveti Sava. Dokumenti (1886 – 1891), Nr. 65, S. 133 f. Društvo Sveti Sava. Dokumenti (1886 – 1891), Nr. 72, S. 143 f. Mikić (1975), S. 69 f. Društvo Sveti Sava. Dokumenti (1886 – 1891), Nr. 146, S. 204 f.; Nr. 114, S. 206 f.; Nr. 119, S. 214 f. Društvo Sveti Sava. Dokumenti (1886 – 1891), Nr. 131, S. 225 f. Društvo Sveti Sava. Dokumenti (1886 – 1891), Nr. 131, S. 228. Društvo Sveti Sava. Dokumenti (1886 – 1891), Nr. 137, S. 240 – 243.

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zu den Füßen der Karpathen bestrahlt“. Er beschwor das „Gericht der Zukunft“, die „junge Generation“ und „unsere Bewegung d. h. das Volk“, das mittels der Heilig-Sava-­ Gesellschaft die Befreiung „unserer noch nicht vereinten Brüder“ erreichen sollte, und drohte mit Strafen: „Alles (…), was diesem angefangenen Werk hinderlich sein könnte, wäre eine unverzeihliche Todsünde“. Zudem sakralisierte er die nationalen Handlungs­ horizonte der Gesellschaft: Die „Befreiung und Vereinigung des ganzen Serbentums“ sei eine „heilige Sache“, das Werk der Gesellschaft eine „heilige Arbeit“. Auch diese Rede zur Hauptversammlung der Gesellschaft wurde durch ihre Veröffentlichung in der Zeitung „Großserbien“ einem über die Vereinsöffentlichkeit hinausreichenden, breiteren Publikum zugänglich gemacht.249 Im September 1891 setzte das Außenministerium die Unterstützung der Sava-Gesellschaft aus,250 um offenbar den serbischen Konsuln die Arbeit für die serbische Sache vor Ort zu überlassen.251 Die Tätigkeit der Gesellschaft in den osmanischen Gebieten blieb aber vielfältig: 1895 gab sie etwa der Kirchschulgemeinde von Prishtina Kredit.252 1904 unterstützte sie auch die zweisprachige Zeitschrift „Albanien (Albanija)“, die Nikola Ivanov herausgab, um die „Idee der Annäherung von Arbanassen und Serben“ zu propagieren.253 Zu den Gründungsmitgliedern der Gesellschaft zählte Milojko V. Veselinović. Wie es im Vorwort der Denkschrift zum 50. Jubiläum der Gesellschaft 1936 hieß, war er „einer der aktivsten Mitglieder des Hauptausschusses der Gesellschaft und einer der hingebungsvollsten Freunde der Gesellschaft insgesamt“.254 C 1.2.2  Die Feier des Schulpatrons als Anspruch auf den Raum

Milojko V. Veselinović, als Beamter des Kriegs- und Außenministeriums Serbiens sowie Konsul im europäischen Teil des Osmanischen Reiches und Mitglied der Heilig-Sava-­ Gesellschaft ein aktiver und strategisch denkender Förderer des serbischen Nationalismus, berichtete 1908 in einer wichtigen historischen Skizze über Sava als Schulpatron bei den Serben, in Prishtina sei der Tag des hl. Sava von 1864 an gefeiert worden. Nicht zufällig ging die Initiative dazu auf einen Lehrer aus dem österreichisch-ungarischen Gebiet zurück. Veselinović versuchte, den konkreten Ablauf der Feier zwischen Kirche und Schule in der schon damals mehrheitlich muslimischen osmanischen Stadt detailliert zu schildern und die soziale Praxis der Feier zu typologisieren: Er konnte keine Volksversammlung beobachten, sondern nur, dass der Lehrer mit den Schülern die einzelnen Häuser besucht hatte. Der gesamte Raum der Vielvölkerstadt wurde damit erst

249 250 251 252 253 254

Društvo Sveti Sava. Dokumenti (1886 – 1891), Nr. 146, S. 256 f. Društvo Sveti Sava. Dokumenti (1886 – 1891), Nr. 167, S. 289 f. Društvo Sveti Sava. Dokumenti (1886 – 1891), Nr. 156, S. 269 f. Mikić (1975), S. 81. Mikić (1975), S. 81. Hadži-Vasiljević (Hg.) (1936), S. VIII.

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ansatzweise zur Bühne einer „kirchlich-nationalen“ Inszenierung.255 Veselinović stützte seine Beobachtung offenbar auf eine Zuschrift eines Lehrers, wie bei einem weiteren Bericht zu Feiern zu Ehren Savas 1874 im Dorf Gnjilan im Sandžak Prishtina.256 Dabei konnte Veselinović eine Veränderung vom kirchlichen Feiertag hin zum Schulfeiertag nachzeichnen. Die beschriebene Form der feierlichen sozialen Praxis entsprach aber offenbar doch noch nicht dem die Norm vorgebenden Belgrader Vorbild: Sie beschränkte sich immer noch nur auf eine „Lehrerfeier“ und entfaltete weiterhin keine öffentliche Wirkung im Stadtraum.257 Für die Stadt Tetovo hielt Veselinović fest, hier „wird der heilige Sava seit dem Jahr 1893 regelmäßig gefeiert“. Er ergänzte jedoch: „Aber in dieser Stadt wurde der heilige Sava schon früher gefeiert, denn in Tetovo blieb die serbische Schule ununterbrochen bestehen, seit sie auf neuen Grundlagen gegründet worden war, d. h. seit die Schüler mit Lehrbüchern aus Belgrad zu lernen begannen. Dies ist der einzige Ort im südlichen Altserbien, an dem die Serben ihre Schule vor den verschiedenen An­greifern bewahrt haben, sogar während der Kriegszeit der Jahre von 1876 – 1878.“ 258 Die alleinige ­Existenz national ausgerichteter Schulen schien bereits die Verehrung Savas in ihrem Rahmen zu belegen. Savas neue Verehrung als Schulpatron ist in anderen Städten der Region aber erst einige Jahre später belegt: So hielt Veselinović 1908 fest, „in Skoplje am Vardar, in der alten serbischen königlichen und zarischen Hauptstadt, wurde der hl. Sava in der Schule erstmals 1894 gefeiert“. Die serbischen Schulen der Stadt hatten zwar den Tag

255 „Aber diese Feier verlief nicht so wie heutige Schulfeiern, sondern der Lehrer hat bloß ­Weizen gekocht (er hat ein Koljivo [Weizengericht, oft bei religiösen Ritualen eingesetzt, S. R.] zubereitet) und mit den Schülern hat er dieses Koljivo am 14. Januar zur Kirche getragen. Die Schüler sangen dem hl. Sava ein Tropar [liturgischer Gesang, S. R.], aber das Volk ist an diesem Tag nicht in die Schule gegangen, und es wurde auch kein Kuchen angeschnitten, sondern der Lehrer ist mit den Schülern nach dem Gottesdienst nur von Haus zu Haus gegangen, ein Tropar dem hl. Sava singend und andere kirchlich-nationale (crkveno-narodne) Lieder, die für gewöhnlich an Weihnachten und zu Neujahr gesungen werden.“ Veselinović (1908), S. 66 f. 256 „Dies ist, was mir Z. R. Popović schreibt: ,Als ich in Gnjilan ein Kind war, um 1866, da wurde der hl. Sava in der Schule nicht gefeiert, sondern es war nur ein kirchlicher Feiertag. Aber als ich im Jahr 1874 als Lehrer nach Gnjilan kam, erzählte man mir mit Dank: Wie der hl. Sava in der Schule zur Zeit des Lehrers Sava Popović gefeiert wurde; wie in der Schule Wasser geweiht wurde, wie dem hl. Sava Lieder gesungen wurden und der Lehrer eine Rede (slovo) hielt.‘“ Veselinović (1908), S. 67 f. 257 „Damals wurde in der Schule kein Kuchen angeschnitten, und es war auch keine Schulfeier, wie sie in Belgrad und an anderen Orten ist, wo es einen Hausherren- und Schulausschuss (domaćin i školski odbor) gibt; nein, es wurde vielmehr als Lehrerfeier (učteljeva slava) angesehen; der Lehrer bereitete das Koljivo vor, und an demselben Tag gingen die Leute, gewöhnlich Junge und Soldaten (momčadija) zum Lehrer auf einen Schnaps (na rakiju) – zur Feier.“ Veselinović (1908), S. 68. 258 Veselinović (1908), S. 73.

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des hl. Sava schon vor 1863 begangen, aber jeweils ohne Ansprache durch den ­Lehrer.259 ­Veselinović war „selbst anwesend bei der Schulfeier in der „Zarenstadt“ in der serbischen Schule im Jahr 1893, später in Skopje 1894, in Solun 1896, und in Bitola 1898“.260 Als serbischer Vize-Konsul scheint er direkt an der Inszenierung dieser Feiern beteiligt gewesen sein. Zumindest zählte er aber zu den Honoratioren, durch deren Anwesenheit diese Anlässe an Prestige gewannen und die zum Kern des Zielpublikums solcher lokaler Demonstration nationalpolitischer Gesinnung gehörten. Zur Feier in Bitola schrieb er von besonderer „Begeisterung“ der „Serben von Bitola unter dem gerechten und mächtigen Schutz ihres erhabenen, weisen und aufgeklärten Sultans“ Abdülhamid II. Veselinović stellte dabei für die Leser des Organs der „Heilig-­ Sava-Gesellschaft“ in Belgrad einen Vergleich dieser Feiern an. Zur Dokumentation griff er auf einen Bericht zurück, der ihm vom Direktor des Gymnasiums sowie vom Leiter der Grundschule nachgereicht worden war. Darin stand: „Es ist uns angenehm, Ihnen mitteilen zu können, dass die Bitolaer Serben, unter dem gerechten und mächtigen Schutz ihres erhabenen, weisen und aufgeklärten Sultans Seiner Imperatorischen Exzellenz Abdul Hamid Han II., dieses Jahr erstmals auf feierliche Weise unseren großen Lehrer und Aufklärer den hl. Sava erlebt und gefeiert haben.“ 261

Trotz des Bestrebens der örtlichen Lehrerschaft, sich durch die Veranstaltung prächtiger Schulfeiern hervorzutun, sowie der Befriedigung, die Veselinović als Beobachter und Vermittler dieser patriotisch wertvollen und zu weiteren Schritten motivierenden ­Feiern empfinden musste, stellte die Loyalitätserklärung der Lehrer gegenüber dem Sultan die politischen Grenzen des Unterfangens klar: Sava wurde im Osmanischen Reich nur als „Lehrer und Aufklärer“ der Serben, als Schulpatron gefeiert. Damit entsprach die Feier allerdings gerade dem von Veselinović historiographisch nachgezeichneten und gleichzeitig aktiv geförderten Konzept, zu dem – wohl nicht zuletzt aus kluger politischer Taktik – keine von der Schule gelöste Feier als Nationalheiliger gehörte. Der Bericht aus Bitola zeigt, wie die Feier unter vorheriger Benachrichtigung der lokalen osmanischen Behörden organisiert wurde. Auch die Rede wurde vorab „dem hiesigen Maurifat (osm. mârifet, auch: Bildungsbehörde, S. R.)“ überreicht und dann abgesegnet.262 Nur begleitet durch „türkische Fahnen“ und bei gleichzeitiger Referenz 259 Veselinović (1908), S. 66 f. 260 Veselinović (1908), S. 80. 261 Jedoch „scheint es mir, dass sich die Schulfeier dieses Jahr in Bitola durch ihre Begeisterung hervortat und [die anderen, S. R.] weit übertraf. Dies zeigt sich am eindrücklichsten aus den Schulnachrichten, die mir die Lehrer gegeben haben: ,Dem Herrn M. V. Veselinović, könig­ licher Vice-Konsul in Bitol‘. Veselinović (1908), S. 80. 262 „Die Feier fand an der Ersten Grundschule für Knaben statt, an der alle Schüler und Schülerinnen beider Grundschulen und beider Gymnasien mit allen ihren Lehrern teilnahmen. Einige Tage vor dem Tag des hl. Sava wurde der hiesige Valija (Gouverneur) über diese Feier benachrichtigt, und auch die vom Direktor des hiesigen Gymnasiums gehaltene Ansprache wurde dem hiesigen Maurifat übergeben und von ihr gut geheißen.“ Veselinović (1908), S. 80 f.

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auf den Sultan wurde des hl. Sava und Vuk Karadžićs gedacht, selbst innerhalb der Räumlichkeiten der serbischen Schule: „Am Tag vor dem hl. Sava haben die werten Lehrer der Ersten hiesigen Knabengrundschule die Räume und Höfe mit türkischen Fahnen und verschiedenem Grünzeug geschmückt und dekoriert. Das Klassenzimmer, wo die Wasserweihe und das Aufschneiden des Kuchens stattfand, wurde mit Bildern des Sultans, des hl. Sava, Vuks und anderer verschönert.“ 263

Das Bekenntnis zu einer serbischen Identität musste im Rahmen des Vielvölkerreiches mit der gleichzeitigen Demonstration von Loyalität gegenüber dem muslimischen Herrscher einhergehen. Der tags darauf abgehaltene öffentliche Umzug „der serbischen Schüler“ durch die Straßen der Stadt wurde mit Stolz beschrieben.264 Der Bericht umschiffte die Klippe, dass sich die Mehrheit der Einwohner der Vielvölkerstadt die inszenierte serbische Identität kaum aneignen wollte, indem er stattdessen eine unspezifische, angeblich allgemeine Bewunderung hervorhob. Immerhin wurde mit dem Verweis auf „andere Schulen“ und auf das Innehalten der Passanten deutlich, dass das Publikum nicht wegen der Feiern in den Straßen versammelt war, und die inszenierte serbische „Ordnung“ im Konkurrenzkampf mit von anderen Gemeinschaften getragenen Schulen stand. Zudem fand die Feier nach dem Zug durch die Straßen doch nur in einer räumlich geschlossenen Umgebung statt: „Es waren so viele Menschen da, dass die Schulzimmer und der Schulhof gedrängt voller Volk waren.“ 265 Die Darstellung betonte die Teilnahme von lokalen Vertretern der staatlichen Behörden bzw. von „einigen ausgezeichneten Türken“ sowie der Polizei.266 Während der Feier dankte der Direktor des Gymnasiums denn auch zunächst dem Sultan und erklärte dann den Kindern, dass sie lernen müssten, „um gute Bürger und treue Untertanen S[einer]. M[ajestät]. des Sultans zu werden und zu sein“.267 Schließlich berichteten die Schulleiter, es sei zu Ende der Feiern oft ausgerufen worden: „Gott lasse unseren größten Vater, unseren lieben Sultan leben, dass er uns die Schule und die Freiheit geschenkt hat, unsere liebe serbische Sprache zu lernen.“ 268 Die Stelle ließ offenbar Veselinović kursiv drucken. Der Bericht macht überdeutlich, wie bei Feiern zu Ehren Savas nicht weniger intensiv die Loyalität zum Sultan beschworen wurde. Zudem illustriert der Text durch seine Aufnahme in die historische Skizze des Vize-Konsuls Veselinović das enge 263 Veselinović (1908), S. 80 f. 264 „Die ganze Menschenmenge, die auf den Straßen umherging, hielt inne, und die Fenster aller Häuser öffneten sich rasch, denn groß und klein, Frauen und Männer beobachteten die serbischen Schüler, und bewunderten ihre Ordnung, ihr Benehmen und die Schönheit ihrer Kleidung, wie sie derzeit keine der anderen Schulen hat.“ Veselinović (1908), S. 81. 265 Veselinović (1908), S. 84. 266 „Bei der Wasserweihe ließ sich auch der Terdžuman des Maurifat des Vilayet blicken. Die Ordnung war vorbildlich, und die Polizei ist oft gemessenen Schrittes vor der Schule vorübergegangen und hat ihre Aufgaben erfüllt.“ Veselinović (1908), S. 85. 267 Veselinović (1908), S. 82. 268 Veselinović (1908), S. 84.

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Verhältnis zwischen der aktiven Organisation der Feiern, der Berichterstattung über sie sowie der übergreifenden Historiographie: Die Skizze des Nationalaktivisten sollte demonstrieren, dass auf allen Ebenen die Konstitution der Nation über das Medium der Erinnerungsfigur des hl. Sava, aus politischer Korrektheit gegenüber den osmanischen Behörden gekleidet im harmlosen Deckmantel des Schulpatrons, ziel­strebig vorangetrieben wurde. Der öffentliche Raum wurde damit zumindest okkasionell serbisch markiert. Aber auch transethnische Inszenierungen waren erwünscht: Wo es wie in Prilep 1898 sogar gelang, Vertreter anderer ethnischer Gruppen wie der Griechen und der Walachen sowie Muslime in die Feiern miteinzubeziehen, unterstrich dies Veselinović: So schrieb er zu den Feiern in der Stadt Prilep im Vilayet Bitola 1898, der ihm vom Vorsteher der serbischen Schule zugesandte Bericht zeige, „dass in der Schule recht viele Menschen anwesend waren (naroda dosta bilo), und dass die Vorsteher (opštinari) der griechischen und der walachischen Schulen die serbische Schule aufsuchten und die Feier des hl. Sava beehrten“. Zur Abendunterhaltung gesellten sich auch hier „hervorragende Türken mit dem Chef der Polizei“.269 Die Feiern wurden prominent inszeniert und die Berichterstattung über sie auch durch kirchliche Medien verbreitet: 1899 hielt Archimandrit Firmilijan in der Erlöserkirche in Skopje eine Ansprache zu Ehren Savas, die im Belgrader „Boten der Serbischen Kirche“ veröffentlicht wurde. Zunächst sprach er Sava persönlich an: „Hl. Sava, Zarensohn (careviću), sanfter (blagi) Lehrer, (…) – dir sei Ehre und Ruhm, Dank und Dankbarkeit für deine Arbeit und Bemühungen für die Volksschule und die nationale Ausbildung“.270 Der Geistliche rückte hier ganz das aktuelle Anliegen in den Rahmen der Erinnerung an Sava – die Förderung nationaler Schulen. Dabei blieb er politisch korrekt und redete nicht einer serbischen politischen Herrschaft über die Region das Wort – Sava blieb verehrt als „unser Patron der Schule, der Kinder und der Schüler“.271 Stolz auf Sava sollte aber auch seitens „aller serbischen Lehrer und Lehrerinnen – treuen Nachfolgern des heiligen Sava“ gehegt werden wie auch seitens „aller serbischen Geistlichen – geistigen Söhnen des Geheiligten; und des ganzen serbischen Volkes – der edlen Nachkommenschaft Savas!“ 272 Der Stolz auf Sava seitens „des ganzen serbischen Volkes“, das hier im Blick auf die monumental stilisierte „riesige und kolossale Größe der Arbeit und des Verdienstes des heiligen Sava“ insgesamt auf den Heiligen zurückgeführt wurde, schien im Laufe der Geschichte stetig zu wachsen.273 Firmilijan thematisierte dabei den Zusammenhang 269 270 271 272 273

Veselinović (1908), S. 86. Firmilijan (1899), S. 314. Firmilijan (1899), S. 315. Firmilijan (1899), S. 314. „Wenn ich zu euch, Brüder, über den hl. Sava spreche, erhebt sich uns gerade heute die riesige und kolossale Größe der Arbeit und des Verdienstes des hl. Sava vor Augen, – eine solche und derartige Größe, dass, solange die Jahrhunderte viele große Taten und menschliche Visionen der Vergessenheit zuführen, solange werden dieselben Jahrhunderte die Taten und den Namen unseres Geheiligten Sava immer weiter und immer stärker, immer heller und immer mächtiger

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von Vergessen und Erinnern und gestand implizit ein, dass die Erinnerung an den hl. Sava – womöglich gerade in der Region, in Vardar-Makedonien – nicht konstant gewesen war. Er erklärte dem Publikum und der Leserschaft, dass es plausibel sei, wenn andere Erinnerungsfiguren zurückträten und in Vergessenheit gerieten und stattdessen der hl. Sava in den Vordergrund träte. Damit erläuterte er, wie es möglich sein sollte, dass Sava zum einzigen Medium der Imaginierung des serbischen Volkes, seiner „Nachkommenschaft“ werden sollte. Weiter als mit dieser Beschwörung des Volkes konnte oder wollte Firmilijan nicht gehen, der osmanische politische Rahmen des Anlasses war fest vorgegeben: Am Ende stand auch hier der überschwängliche Dank gegenüber „unserem weisen und aufgeklärten Zaren und Sultan Abdul Hamid-Han, der uns, seine aufrichtigen und treuen Untertanen, mit vielen und großen, großzügigen und herrschaftlichen Gnaden überhäuft hat“.274 Wie unmittelbar Veselinović an mehreren Feiern nicht nur als geehrter diploma­ tischer Gast aktiv beteiligt war, sondern darüber hinaus mitwirkte sowie die einzu­ setzende Rhetorik steuerte, geht aus seinen Bemerkungen zu Veränderungen des bereits angesprochenen und anlässlich der Feiern häufig gesungenen Lieds „Wir rufen mit Liebe den heiligen Sava an“ für die Feiern in Skopje 1894 hervor: Zur zweiten Strophe schrieb ­Veselinović, er selbst habe diese „leicht verändert und vervollständigt in Skoplje, solange ich dort bis zum Ende des Jahres 1893 wohnte, und nach den damals mög­ lichen Umständen in der Türkei haben sie die Schüler der serbischen Schule in einem Gut des Klosters Dečani in Pajko-Mahali auf der linken Seite des Vardars, in der Stadt Skoplje, der alten serbischen zarischen Hauptstadt, zum ersten Mal an einer Schulfeier gesungen am 14. Januar 1894“.275 Veselinović versuchte auch hierzu eine historische Skizze – und war dabei ganz direkt in die Veränderungsvorgänge eingebunden. In dieser zweiten Strophe seiner Fassung, die an der „Svetosavischen Abendschule in Belgrad“ 1902 gesungen wurde, hieß es u. a.: „Heute feiert das ganze Serbentum den heiligen Sava“.276 Diesen Vers habe er seinerzeit als Grundschullehrer in Vranja bereits zum Savatag 1873 und 1874 eingefügt, da ein Wort des älteren Textes („Du bist ein voller Korb, arbeitsames Serbien“) in den „süd-östlichen Gebieten“ nicht geläufig war. Die markante inhaltliche Veränderung hin zu einer weiteren Nationalisierung des Gedenkens überging Veselinović in seinem Kommentar. Er sah sich bei seinen Änderungen bezeichnenderweise nicht als kreativen Dichter, sondern berief sich gerade für diesen zitierten Vers auf das „Volksempfinden (po narodnom osećanju)“.277 Gewissermaßen drückte er dieses Empfinden nur als Medium aus. Damit unterschätzte er allerdings seinen Einfluss auf den Diskurs.

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vor der Nachkommenschaft hervorbringen und sich vor uns beziffern, damit wir auf die Werke Savas schauen; damit wir den hl. Sava bewundern und stolz auf ihn sind!“ Firmilijan (1899), S. 315. Firmilijan (1899), S. 315. Veselinović (1908), S. 117. Veselinović (1908), S. 115 f. Veselinović (1908), S. 117.

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Die durch Veselinović eingefügte Feststellung, das „Serbentum“ besinge Sava, wurde sodann in der dritten Strophe der Fassung von 1902 anders geographisch konkretisiert als in älteren Versionen: „Unsere Mutter Serbien, die Schwester Montenegro, / Grüßt euch, Makedonien und Altserbien, / Liebes Bosnien, munter warst du (živa bila), / Und du, flaches heiliges Srem, / Lasst uns die Feier des heiligen Vaters Sava feiern (…)!“ 278 Der Gruß an Makedonien und Altserbien sei auf einen Lehrer an der „Svetosavischen Abendschule“ – offenbar jener in Belgrad – zurückzuführen, der früher in Gnjilan im Vilayet Kosovo gelehrt habe, er wurde aber nicht näher datiert.279 Diese Fassung las sich wie eine flächendeckende Beschreibung des gesamten Gebietes, das Sava ver­ ehren, zum „Serbentum“ gehören und serbisch sein sollte. Eine andere, offenbar ältere Version war jedoch noch zum Zeitpunkt der Abfassung der Skizze durch Veselinović verbreitet und insbesondere in Kinderliedbüchern gedruckt worden.280 Veselinović ließ seiner Verärgerung über diese in seiner Darstellung jüngere, verschlimmbesserte Version freien Lauf: „Und durch diese unpassenden Ausbesserungen ist es dazu gekommen, dass nur „Bosnien und Herzegowina das Erbland (dedovina) des hl. Sava“ sind! Und die übrigen Gebiete des Serbentums? Sind sie etwa nicht das Erbland des hl. Sava?! Das ganze Serbentum ist das Stammland des hl. Sava.“ Mit nationalem Zorn versuchte Veselinović, hier gemäß dem imaginierten „Volksempfinden“ die Tradition zu verur­ teilen und durch die von ihm für gut befundene überarbeitete Fassung zu ersetzen: Er griff bewusst richtungweisend in den Diskurs ein. Die Erinnerungskultur um den hl. Sava war für ihn eine plastische Masse, die gemäß seiner Vorstellung von einem „politischen Serbien“ zu gestalten war.281 Entsprechend dem Gestaltungswillen des Diplomaten wechselte seine bisher historisch gehaltene Abhandlung nun die Argumentationslogik und wurde zu einer Handlungsanweisung für die Lehrer aller serbischen Schulen: „Die Hymne des hl. Sava muss in allen serbischen Schulen auf die gleiche Weise gesungen werden, denn auch der hl. Sava ist allen Serben der gleiche, wo sie auch wohnen mögen. Ich denke, dass dieser Text, den die Schüler der „Svetosavischen Abendschule in Belgrad“ singen, am passend­ sten ist, denn er ist typisch, kurz, und voller Ausdruck und Empfinden und er ist dem

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Veselinović (1908), S. 115. Veselinović (1908), S. 118. Veselinović (1908), S. 118. „So wird wiederum unpassend und unsinnig an einer anderen Stelle gesungen, dass Serbien jemandes Schwester sei! Und so breiten sich falsche und unsinnige Strophen in Belgrad und im Königreich Serbien unter den Serben aus (se pružaju), dass sie aus ihnen lernen, dass Serbien jemandes Schwester sei! (…) Das hat keinen Sinn, es kann nicht sein. Serbien ist die Mutter aller Serben, wo sie auch sind, und im Gespräch, in der Literatur, und in diesem Falle im Lied, und allgemein im Empfinden, überall soll es ein politisches Serbien sein (pa mag de bila politička Srbija).“ Veselinović (1908), S. 118 f. Veselinović nahm damit polemisch Bezug auf die von ihm bereits zitierte, schon 1839 bekannte Fassung, die von Serbien als „leibliche Schwester der Hercegowina“ sprach, und auch die „Fruška Gora“als geographischen Anhaltspunkt erwähnte. Diese „errötet durch den Leichnam des Fürsten Lazar“. Veselinović (1908), S. 97.

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Original von Stamatović am nächsten.“ 282 Die Intention der Geschichtsschreibung von Veselinović folgte ganz dem Ziel der Vereinssatzung der Heilig-Sava-Gesellschaft – der Verbreitung serbischer Identität. Veselinović begann den Abschnitt seiner Skizze über die Verehrung Savas als Schulpatron außerhalb des Fürstentums und der Vojvodina unter dem Verweis auf die sogenannten „klassischen Gebiete (in Altserbien und in Makedonien)“.283 Mit minimalem Aufwand vertrat er damit ganz selbstverständlich den Anspruch, es handle sich historisch um zum serbischen Staatswesen gehörende Regionen. Er schloss seinen materialreichen Beitrag mit der zu erwartenden Aussage: „Und so wurde die Schulfeier (školska slava) in den serbischen Schulen eingeführt, so verbreitete sie sich bald während des ganzen 19. Jh., und umfasste im Zeichen (pod senkom) des hl. Sava das gesamte Serbentum. Der geistige Grundstein des hl. Sava, begründet im Patriotismus (rodoljublje) und im christlichen Glauben, und erwärmt durch rein serbisches Empfinden (osećaj), erfasst alle Serben in einem Kreis, und alle Serben fühlen sich in diesem Geist geeinigt.“ 284

Ging es bisher noch nicht explizit aus den Reden zu Ehren Savas hervor, so sprach ­Veselinović doch in diesem Kommentar – der in dem Text vor seinen Reflexionen über die Lieder zu Ehren Savas stand – Klartext: Durch das Medium des Gedenkens an den hl. Sava sollten in seinen Augen „das Serbentum“ oder „alle Serben“ unabhängig von der ganz in den Hintergrund getretenen derzeitigen staatlichen Zugehörigkeit „durch rein serbisches Empfinden“ „geeinigt“ werden. Politische Rücksichtnahme gegenüber den Osmanen, wie sie im Verlauf der lokalen Feiern peinlichst genau geübt wurde, fiel in der in Belgrad verfassten Bilanz des Vize-Konsuls weg. Der politische Pragmatismus Veselinovićs wird auch deutlich, wo er zur zitierten dritten Strophe des Savalieds, in der die Ausdehnung des Serbentums mit der Nennung ganzer geographischer Regionen so, als ob sie bereits erreicht sei, in den Raum gestellt wurde, schrieb: „Und wenn heute vielleicht in den serbischen Schulen in der Türkei und in Österreich-Ungarn die dritte Strophe nicht überall zugelassen wird, ist es genug damit, wenn die erste und die zweite gesungen werden, denn auch in ihnen ist alles, was der Serbe bei diesem Anlass empfindet, gesagt.“ 285 Als ob das Jahrhundertprojekt, flächen­ deckend serbische Schulen einzuführen, noch nicht explizit mit dem Ziel der Konsti­ tution einer serbischen Nation verbunden gewesen wäre, so sollte sie im Zeichen Savas, des Schulpatrons, explizit und durch die öffentlichen Feiern und Prozessionen auch für die anderen konfessionsethnischen Gruppen der Vielvölkerregion unübersehbar werden. Veselinovićs Quellen waren ganz überwiegend ihm zugesandte Berichte von den Schulleitern, die diese Feiern organisiert hatten – die Vermutung liegt nahe, dass er selbst in seiner Funktion als Vize-Konsul entscheidend an der Verbreitung der Feiern

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Veselinović (1908), S. 120. Veselinović (1908), S. 66. Veselinović (1908), S. 93. Veselinović (1908), S. 120.

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mitgewirkt hatte. Mit seiner ausführlichen historischen Skizze, die in ihren letzten ­Teilen einem Rechenschaftsbericht gleichkam und jeden Nachweis einer erstmaligen Feier des Schulpatrons in Städten und Dörfern verzeichnete, trieb er die bewusste Arbeit an der Propagierung und Verwirklichung der nationalen Zielutopie nun auch für die Zielgruppe des Belgrader Bürgertums voran. Die Vorstellung sollte zum Erwartungshorizont der sozialen Gruppe werden. Entscheidend für die Einschätzung der beabsichtigten Funktion seines historio­ graphischen Beitrages sowie überhaupt seiner Förderung der Feier Savas als Schulpatron sind aber die Sätze in der ersten Fußnote dieses Textes zur Entstehung und Verbreitung der Verehrung Savas als Schulpatron der Serben: „Die Griechen feiern in ihren Schulen die drei Hierarchen – jedes Jahr am 30. Januar –, den ­Feiertag großer Geheiligter und ökumenischer Lehrer: Basilius der Große, Gregor den Theo­logen (­Bogoslov) und Johannes Chysostomos. In Russland feiert jede Schule diesen Tag, seit sie besteht. Die Bulgaren feiern heute und in der neuesten Zeit in ihren Schulen die allgemeinslavischen ­Apostel Kyrill und Method am 11. Mai jeden Jahres.“ 286

Der anschließende Kommentar Veselinovićs zu dieser Thematik wurde schon zitiert. Hier genügt die Feststellung, dass die Förderung Savas als Schulpatron spätestens zu Ende des 19. Jh. ganz bewusst unter Adaption von und in einer Konkurrenzsituation gegenüber analogen Feiern anderer konfessionsethnischer Gruppen verstanden wurde. Diese Wahrnehmung eines zugespitzten Wettkampfes der Deutungshoheit über die Identität und Geschichte der slavischen Bevölkerung und den politischen Anspruch auf die Landschaft Makedonien wurde von außen in diese hineingetragen: Dies bezeugt indirekt ein zunächst überaus seltener Einblick in den „slavisch-makedonischen“ Blickwinkel auf Sava im umfangreichen Werk von Ǵorǵija M. Pulevski. Der aus dem Dorf Galičnik am Südhang des Šar-Gebirges gebürtige Autodidakt und frühe Vertreter einer makedonischen Schriftsprache hatte zu seinem Tod 1893 seine „Slavisch-makedonische allgemeine Geschichte“ im bulgarischen Exil weitgehend beendet: Die Handschrift schrieb er, so erklärte der Untertitel eigens, „im slavisch-makedonischen Dialekt (narečenije), damit sie von allen Slaven der Halbinsel verstanden werden kann“.287 Pulevski widmete in dieser Darstellung allen Nemanjiden viel Raum und auch Sava, den er ausdrücklich als heilig beschrieb.288 Allerdings beschränken sich seine Angaben auf die Wiedergabe älterer Chronisten und serbischer Historiker in eigenen Worten. Er betonte, Sava hätte sich „für beide Konfessionen beider Glauben (Religionen)“ eingesetzt, sodass auch die Anhänger „der westlichen Konfessionen (…), beide Glauben gemischt leben“ können sollten.289

286 Veselinović (1908), S. 22. 287 Ǵorǵija M. Pulevski. Slavjansko-maḱedonska opšta istorija, vor S. 1. Vgl. Marinov (2009), S. 131. 288 Ǵorǵija M. Pulevski. Slavjansko-maḱedonska opšta istorija, S. 452, S. 454 f. 289 Ǵorǵija M. Pulevski. Slavjansko-maḱedonska opšta istorija, S. 457.

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C 1.2.3  Veränderungen im Kriegszusammenhang

Im Kontext der Kriege zu Beginn des 20. Jh. veränderte sich auch der Einsatz des Gedenkens an Sava. Ein Schlaglicht darauf wirft beispielsweise die im seit 1915 unter dem Schutz der Alliierten stehenden Saloniki erscheinende Zeitung „Großserbien“: In ihrer Nummer zum 14. Januar 1917 kündigte sie unter der Überschrift „Die Feier des hl. Sava“ in der Rubrik „Tagesnachrichten“ an: „Heute, zum Tag des hl. Sava, des ersten serbischen Erzbischofs und größten serbischen Auf­klärers, hat die hiesige serbische Kirche seinen Ruhm gefeiert. Nach der Liturgie in der Kirche fand eine kleine Schulfeier in der hiesigen serbischen Schule im Flüchtlingslager statt (…). Heute um 5 Uhr nachmittags wird die Musik der Königsgarde ein Volkskonzert veranstalten.“ 290

Gewissermaßen im Exil und unter fremdem Schutz diente Sava zur Aufrechterhaltung der Fahne eines freien, umso größer imaginierten Serbien. Die nächste, auf denselben Tag datierte Ausgabe der Zeitung enthielt eine bei dieser Gelegenheit zu Ehren Savas gehaltene Rede, leider ohne Angabe des Sprechers: Nach einer Würdigung seiner Leistung als Errichter der serbischen autokephalen Kirche und der Erhöhung des Groß­ županstvo zu einem Königreich wurde zu seinem „asketischen Leben“ festgehalten, es „manifestiert nachdrücklich die Größe der Seele des serbischen Volkes, in dem sich alle Eigenschaften einer kräftigen, sehnigen und fähigen Rasse äußern“.291 Der bisher als Heiliger Verehrte wurde hier ohne Skrupel zum Repräsentanten einer „Seele des serbischen Volkes“ und zum Vertreter einer körperlich überlebenstauglichen natio­nalen „Rasse“ umgedeutet. Damit ist in Saloniki im Rahmen des Ersten Weltkrieges eine erste, wie sich im Vergleich zeigt, frühe Überlagerung religiöser Erinnerungsfiguren mit modernem Rassismus 292 zu beobachten. Gleichzeitig wurden „Patriotismus“ und „Fortschritt“ gepredigt: „Die kirchliche Schulfeier begann nach dem Gottesdienst in der Soluner Kirche, und sie war dem Namen des ersten Lehrers der evangelischen Wahrheit, des Fortschritts, des serbischen Patriotismus (rodoljublje), der brüderlichen Eintracht, der Liebe und des Friedens gewidmet.“ 293 Auch die Feier in Monastir im Januar 1917 war der Zeitung eine Meldung wert: „Während der Gefahr der Bombardierung wurde in Bitola im Gebäude der Metropolie feierlich der Ruhm des hl. Sava gefeiert an jener Stelle, wo während der Türkenzeit erstmals im Jahr 1897 die Hymne des ersten serbischen Aufklärers vernommen werden konnte. An der Feier waren neben Vertretern der Behörden zahlreiche Leute beider Geschlechter anwesend.“ 294 Die Feier Savas wurde zum Zeichen des Widerstandes vor Ort.

290 Velika Srbija, 15.1.1917, Nr. 277, S. 3. 291 Velika Srbija, 15.1.1917, Nr. 278, S. 1. 292 Vgl. Hund (2007); zu Südosteuropa: Promitzer (2003). 293 Velika Srbija, 15.1.1917, Nr. 278, S. 1. 294 Velika Srbija, 17.1.1917, Nr. 280, S. 3.

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Die Erfindung der Nationen

In den osmanischen Gebieten, namentlich im Kosovo, wurde der Tag des hl. Sava folglich erst seit 1864 begangen, im makedonischen Tetovo erst seit 1893. Wichtig für diese erinnerungspolitische Expansion aus Belgrad und zur Etablierung der Feiern vor Ort waren die Mitglieder der Sava-Gesellschaft. Diese förderte aber bei Weitem nicht nur das Gedenken an Sava, sondern vielmehr insgesamt die Verbreitung serbischen natio­ nalen Bewusstseins: Volksschulen und die Alphabetisierung der Schulkinder sollten die serbische Meistererzählung in der Konkurrenz zur bulgarischen und zur griechischen durchsetzen. Allerdings blieb in den osmanischen Provinzen die Loyalität zum Sultan auch und gerade im Gedenken an Sava mit Nachdruck gewahrt. Der Einsatz Savas als Schul- und Nationalpatron folgte insgesamt dem gesamteuropäischen Vorbild: Serbische Wortführer eigneten sich andernorts bereits erprobte Verfahren an und reproduzierten diese verändert, um sich selbst als sprechende Subjekte und Träger von Europäizität zu konstituieren. Zwar war der lokale Kontext in den osmanischen Bildungsreformen 295 verankert, die Vorstellungshorizonte der Handelnden orientierten sich aber am westlichen Ausland. In diesem übergreifenden Zusammenhang kann die expansive Politik Belgrads als postkoloniale Strategie des Nachweises zur Befähigung, andere zu kolonisieren, als Nachahmung der Großmächte gelesen werden. Die im lokalen Handlungszusammenhang bis zum Ende öffentlich proklamierte Loyalität gegenüber dem Sultan widersprach dem nur vor Ort. C 2  Geistliche als Nationalheilige: Ivan als ,einziger allnationaler Heiliger‘ und sein Kloster Rila C 2.1  Neuanfänge nach 1760 und 1830

Der Athosmönch Paisij Chilendarski wird seit dem 19. Jh. als „Begründer der bulgarischen Historiographie“ beschrieben.296 Da auch für das Mittelalter und ohnehin für die frühe Neuzeit nur Fragmente bulgarischer Chronistik bekannt sind, gilt diese Einschätzung epochenübergreifend.297 Nach einem Aufenthalt in Sremski Karlovci, wo Paisij möglicherweise die „Stematografija [sic]“ von Hristofor Žefarović (1741) mit knappen Skizzen über die bulgarischen und serbischen Herrscher sowie das Werk Orbinis und Baronius in russischer Übersetzung und griechische Texte wie den „Chronographos“ von Dorotheos von Monemvasia exzerpierte,298 stellte er 1762 seine handschriftliche „Slavobulgarische

295 Findlet (2008), S. 22 f.; zum bulgarischen Kontext im Osmanischen Reich: Hopkins (2009), S. 84 – 86. 296 Angelov (1985), S. 7. Zu Paisij u. a.: Christov (1972). 297 Zu griechischen bzw. ins Lateinische übersetzten, teilweise nur unter Katholiken zirkulierenden Vortexten auch Nikolov (2010). 298 Springborn (1983), S. 285; Sampimon (2006a), S. 91; Sampimon (2006b), S. 98 f.; Dall’­Aglio (2010).

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In den osmanischen Gebieten, namentlich im Kosovo, wurde der Tag des hl. Sava folglich erst seit 1864 begangen, im makedonischen Tetovo erst seit 1893. Wichtig für diese erinnerungspolitische Expansion aus Belgrad und zur Etablierung der Feiern vor Ort waren die Mitglieder der Sava-Gesellschaft. Diese förderte aber bei Weitem nicht nur das Gedenken an Sava, sondern vielmehr insgesamt die Verbreitung serbischen natio­ nalen Bewusstseins: Volksschulen und die Alphabetisierung der Schulkinder sollten die serbische Meistererzählung in der Konkurrenz zur bulgarischen und zur griechischen durchsetzen. Allerdings blieb in den osmanischen Provinzen die Loyalität zum Sultan auch und gerade im Gedenken an Sava mit Nachdruck gewahrt. Der Einsatz Savas als Schul- und Nationalpatron folgte insgesamt dem gesamteuropäischen Vorbild: Serbische Wortführer eigneten sich andernorts bereits erprobte Verfahren an und reproduzierten diese verändert, um sich selbst als sprechende Subjekte und Träger von Europäizität zu konstituieren. Zwar war der lokale Kontext in den osmanischen Bildungsreformen 295 verankert, die Vorstellungshorizonte der Handelnden orientierten sich aber am westlichen Ausland. In diesem übergreifenden Zusammenhang kann die expansive Politik Belgrads als postkoloniale Strategie des Nachweises zur Befähigung, andere zu kolonisieren, als Nachahmung der Großmächte gelesen werden. Die im lokalen Handlungszusammenhang bis zum Ende öffentlich proklamierte Loyalität gegenüber dem Sultan widersprach dem nur vor Ort. C 2  Geistliche als Nationalheilige: Ivan als ,einziger allnationaler Heiliger‘ und sein Kloster Rila C 2.1  Neuanfänge nach 1760 und 1830

Der Athosmönch Paisij Chilendarski wird seit dem 19. Jh. als „Begründer der bulgarischen Historiographie“ beschrieben.296 Da auch für das Mittelalter und ohnehin für die frühe Neuzeit nur Fragmente bulgarischer Chronistik bekannt sind, gilt diese Einschätzung epochenübergreifend.297 Nach einem Aufenthalt in Sremski Karlovci, wo Paisij möglicherweise die „Stematografija [sic]“ von Hristofor Žefarović (1741) mit knappen Skizzen über die bulgarischen und serbischen Herrscher sowie das Werk Orbinis und Baronius in russischer Übersetzung und griechische Texte wie den „Chronographos“ von Dorotheos von Monemvasia exzerpierte,298 stellte er 1762 seine handschriftliche „Slavobulgarische

295 Findlet (2008), S. 22 f.; zum bulgarischen Kontext im Osmanischen Reich: Hopkins (2009), S. 84 – 86. 296 Angelov (1985), S. 7. Zu Paisij u. a.: Christov (1972). 297 Zu griechischen bzw. ins Lateinische übersetzten, teilweise nur unter Katholiken zirkulierenden Vortexten auch Nikolov (2010). 298 Springborn (1983), S. 285; Sampimon (2006a), S. 91; Sampimon (2006b), S. 98 f.; Dall’­Aglio (2010).

Ivan als ,einziger allnationaler Heiliger‘

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Geschichte“ fertig. Dort nannte er Ivan auf einer Liste der „bulgarischen Heiligen“ 299 erst an 17. Stelle, jedoch mit einiger Wertschätzung: Paisij schilderte die angeblich bestehende Praxis von „Bulgaren“, die zu Ivans Gebeinen zur „­Heilung“ aus einem als landschaftliche Einheit verstandenen Bulgarien – „aus ganz Bulgarien“ – pilgerten. Paisij stellte dazu fest, sein Kloster habe erst durch den Verlauf der Geschichte an Gewicht für „alle Bulgaren“ gewonnen, ohne von Beginn wichtig gewesen zu sein: Erst mit dem Verschwinden anderer Klöster sei Rila bedeutend geworden.300 Damit reflektierte er die Verehrungsgeschichte Ivans erstaunlich distanziert. Auch Ivan diente im Geschichtsentwurf Paisijs zur Festigung des Bewusstseins von einer bulgarischen Gemeinschaft, die dieser zu Beginn seines Werks und später immer wieder als „Geschlecht“ bzw. „Stamm“ oder „Nation (rod [vgl. natio im Sinne von Geburt, S. R.])“ mit einer gemeinsamen Sprache sowie einer bedeutenden Staatsgeschichte beschrieb.301 Paisijs Werk und sein Entwurf Ivans als heilender Heiliger mit nationaler Bedeutung ist mithin ganz in den damaligen mitteleuropäischen Zusammenhang der Erfindung nationaler Gemeinschaften und Traditionen zu stellen. Die bis zu 60 erhaltenen Abschriften, von denen die meisten erst in den 1830ern erstellt wurden,302 fanden aber bis nach der Mitte des 19. Jh. auch angesichts der äußerst geringen Alphabetisierung nur „wenig Resonanz“ in der Bevölkerung: Paisij „hat selbst keine Bewegung ausgelöst“. Auch der Beginn der bulgarischen „Wiedergeburt“ wurde von ihren Akteuren zunächst im unbedingten Kontext der osmanischen Tanzimat-Reformen nach 1839 gesehen und nicht in einen älteren Kontext gestellt. Erst Christaki Pavlovič druckte den Text 1844 in Budapest. Der in Kiew und Moskau ausgebildete Historiker und Philologe Marin Drinov, 1869 einer der Mitbegründer der „Bulgarischen Literarischen Gesellschaft“ in Brăila in der Walachei, der Vorläuferorganisation der „Bulgarischen Akademie der Wissenschaften“ 303, sowie Dozent und dann Professor an der Universität Char’kov, machte Paisij 1871 erst im Rückblick zum Begründer der „Wiedergeburt“. Damit ließ er sie mehr als ein halbes Jahrhundert früher als in den bisherigen Darstellungen beginnen: Die staatstragende „Wiedergeburt“

299 Paisij Chilendarski. Istorija Slavenobolgarskaja. Nikiforov prepis ot 1772 g., S. 142. 300 „[A]us ganz Bulgarien kommt das Volk herbei zur Anbetung der Reliquien des heiligen Vaters Joan. Und die Bulgaren, die mit Eifer zu ihm und in sein heiliges Kloster zur Anbetung herbeikommen, empfangen viel Heilung und seelische Erbauung. Von dem ganzen bulgarischen Ruhm, da es anfangs so viele und große Klöster und Kirchen in Bulgarien gab, hat Gott in ­unserer Zeit dank der Gebete des heiligen Vaters Joan einzig das Rila-Kloster unangetastet bestehen lassen. Es ist allen Bulgaren zu großem Nutzen, deshalb sind alle Bulgaren verpflichtet, dieses heilige Rila-Kloster zu hüten und Almosen an es zu geben, damit der so große bulgarische Nutzen und Lobpreis nicht erlösche, den sie von diesem Rila-Kloster durch die Gebete unseres heiligen Vaters Joan, des ruhmreichen bulgarischen Heiligen, erhalten.“ Paisij Chilendarski. Istorija Slavenobolgarskaja. Nikiforov prepis ot 1772 g., S. 148. Zit. in der Übersetzung: Païssi von Chilandar. Slavobulgarische Geschichte, S. 89 f. 301 Springborn (1983), S. 287. 302 Sampimon (2006b), S. 101. 303 Sampimon (2006b), S. 156.

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erhielt auf diesem Wege ein vergleichsweise vorzeigbares Alter und wurde so selbst zur legitimierenden Erinnerungsfigur. Paisij kristallisierte sich zu ihrem Kern.304 Diese nationale „Wiedergeburt“, die der führende Historiker entwarf, unterschied sich selbstverständlich grundlegend von der christ­lichen, die etwa Chomatenos bei der Taufe von Boris festgestellt hatte.305 Drinov war als Bildungs- und Religionsminister im Kabinett der russischen Übergangsregierung und einer der Begründer der modernen bulgarischen Geschichtswissenschaft 306 maßgeblich an der Einrichtung der den Brüdern Kyrill und Method geweihten Nationalbibliothek in Sofia 1878/1879 beteiligt.307 Neben dem diskursiven Entwurf Ivans in der von Mönchen getragenen weltlichen Geschichtsschreibung 308 als Nationalheiliger stand das neue bauliche Wachstum des Klosters in Rila: Die bisherigen, aus dem 14. Jh. stammenden Gebäude wurden nach mehreren Bränden von 1778 bis 1827 jeweils trotz osmanischer Verbote erweitert erneuert, bis das Kloster nach und nach bedeutend größer wurde.309 Die Neubauten finanzierten Stifter, die Rila als Wallfahrtsort verehrten. Die Blüte ist zunächst in den Rahmen neuer Volksfrömmigkeit zu stellen und erst zweitrangig in den Kontext allererster Anfänge eines neuen Nationalgefühls, wie es in der bulgarischen Forschung auch im Sozialismus üblich war.310 Immerhin ist der Kaufmann Kyr Hadži Valčo aus Bansko, 1764 einer von drei bulgarischen Kaufleuten, die im bulgarischen Kloster Zograf die Kirche Mariä Entschlafung stifteten, in der er sich auch selbst abbilden ließ, als jüngerer Bruder von Vater Paisij durchaus in einen Zusammenhang mit dessen Schriften zu stellen. Diese Kirche enthielt zwei Fresken zu Ehren Ivans.311 Die im Kloster vom 18. Jh. an gesammelten russischen Handschriften und Drucke stehen für den Einfluss konfessioneller Literatur aus dem Russländischen Reich, der die Wirkung der bisher zahlreichen serbischen Handschriften minderte.312 Anhänger des Starcen Paisij Veličkovskij aus der Moldau fanden in Rila Zuflucht und gaben der Buchkultur 313 und der Frömmigkeit neue Impulse. In den Dörfern des Klosters e­ ntstanden 304 Springborn (1983), S. 283, S. 287; Daskalov (2004), S. 2. Zu Drinov: Weber (2006), S. 40 f.; Popnedelov (1999), S. 146 – 148. 305 Grăckite žitija na Kliment Ochridski, S. 178 f. 306 Popnedelov (1999), S. 148. 307 Weber (2006), S. 54. 308 Der auch in Rila wirkende Mönch Spiridon nannte 1792 im Zusammenhang mit seiner in altmodischer, chronistischer Manier erstellten, mit der Ausnahme der Passagen zu Kyrill sehr stark auf die Herrscher ausgerichteten handschriftlichen slavobulgarischen Geschichte Ivan nur beiläufig. Spiridon Ieroschimonach. Istorija vo kratce o bolgarskom narode slavenskom, Blatt 35v.; Kamburova-Radkova (1972), S. 45. Beim serbischen Historiker Rajić fehlte hingegen – ganz in der Tradition der von byzantinischen Chronisten dominierten westlichen frühneuzeitlichen Geschichtsschreibung wie des Werks von Mauro Orbini – jeder Hinweis auf Ivan von Rila. 309 Kamburova-Radkova (1972), S. 39 f. 310 Kamburova-Radkova (1972), S. 36 – 39. 311 Boškov/Vasiliev (1981), S. 52, S. 89, Abb. 57, Abb. 69; Kiel (1985), S. 139. 312 Kamburova-Radkova (1972), S. 46. 313 Kamburova-Radkova (1972), S. 45.

Ivan als ,einziger allnationaler Heiliger‘

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erste Schulen, die Kirchenslavisch unterrichteten.314 Diese wie die späteren sind in den osmanischen Rahmen des Ausbaus von Schulen zu stellen, der mit den Tanzimat-­ Reformen 1839 noch stärker vorangetrieben wurde.315 1833 folgten ein neuer Großbrand und ein großzügig erweiterter Wiederaufbau, den die Mönche ganz bewusst stark am architektonischen Vorbild der Athosklöster ausrichteten. Die damaligen großräumigen Sammel- und Spendenaktionen, die den Bau ermöglichten, bezeugen aber weiterhin in erster Linie überkirchliche und transethnische Frömmigkeit und nicht primär National­ bewusstsein. So war die materielle Hilfe gerade serbischer, griechischer und walachischer Pilgergruppen wichtig: Die Rechnungsbücher des Klosters gaben „sehr oft“ Spenden dieser ethnischen Gruppen an.316 Auch die neue Kirche wurde nicht nur mit Fresken bulgarisch gedeuteter Heiliger wie Ivans, Ioakims, Gavriils und Prohors, der Petka von Tărnovo sowie neuer Heiliger ausgestattet, sondern auch mit Fresken russischer Heiliger und „mit vielen Abbildungen serbischer Heiliger“ wie des hl. Sava und Simeons, Vladislavs sowie von Stefan Uroš I.317 Die Ausgestalter der Kirche knüpften damit an die bis zur Auflösung des Patriarchats von Peć 1766 bestehenden Ansprüche der serbischen orthodoxen Kirche an. Im 19. Jh. drückten sie mit diesem Vorgehen eine überethnische, orthodoxe Frömmigkeit aus und keine exklusiv bulgarisch-national zu deutende Gesinnung. Ganz in diesem transnationalen Zusammenhang sind auch die ersten slavischen Drucke zu Ehren Ivans zu deuten: Der an der Entstehung des bulgarischsprachigen Schulwesens beteiligte, gleichfalls mit Rila verbundene Geistliche Neofit Rilski ver­ öffentlichte 1836 in Belgrad, das weiterhin unter allerdings eingeschränkter osmanischer Oberhoheit stand, einen ersten kirchenslavischen Druck zweier Offizien zu Ehren „unseren Vaters“ Ivan sowie seiner Vita gemäß Evtimij von Tărnovo. Die Erneuerung des Gedenkens an Ivan sei, so Neofit in der Vorrede, „zum allgemeinen Nutzen aller orthodoxen Christen“. Neben der Erwähnung der Druckerlaubnis seitens des serbischen Fürsten Miloš und des serbischen Metropoliten Petr nannte Neofit im Vorwort keinerlei bulgarischen Zusammenhang.318 Auch diese Erneuerung der Memoria Ivans ist damit in einen transethnischen Verflechtungszusammenhang der Orthodoxen unter den Osmanen zu stellen. Die Interaktion umfasste auch Griechenland: Auf der Grundlage dieser Texte entwickelte sich nach 1848 an der Theologischen Schule auf der Insel Chalki nahe Rhodos im Kreis eines griechischen Lehrers mit Sympathien für die Slaven und mit der Vermittlung Neofit Rilskis, der dort 1848 – 1852 das Kirchenslavische lehrte,319 auch eine moderne griechische Verehrung Ivans von Rila. Es entstand sogar ein zweisprachiges



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Kamburova-Radkova (1972), S. 50. Findlet (2008), S. 22 f.; Hopkins (2009), S. 99 – 102. Kamburova-Radkova (1972), S. 59 f., S. 98. Kamburova-Radkova (1972), S. 105, zu Abbildungen Savas und Simeons S. 66, S. 70, S. 88. Γόνης (1997), S. 69 f.; Rylec (1879), S. 9; Dorosiev (1931), S. 118. Zu Neofit: Radkova (1975); Bojčeva (2006). 319 Bojčeva (2006), S. 109 f.

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Offizium mit je einem slavischen sowie einem griechischen Chor.320 In den 1830ern und 1840ern wurden in Rila mit Wiener Druckmaschinen überdies zahlreiche Szenen aus dem Leben Ivans gefertigt und an die Pilger verkauft. Die Drucke verbreiteten sich bis nach Serbien und Russland. Gerade mithilfe dieses neuen Mediums machten die ­Mönche Ivan auch aus ökonomischem Interesse zu einem weit verehrten Heiligen – dessen aber eher transethnisch und noch kaum national gedacht wurde.321 C 2.2  Die mediale Wiederentdeckung nach 1860 – Rila als ,einzige Verehrungsstätte des bulgarischen Volkes‘

Erst einige Zeit nach der transkirchlichen und nicht nationalen Erneuerung des Inter­ esses an Ivan in diesem überregionalen Zusammenhang erneuerte sich sein Kult auch im Kloster selbst: Von 1860 bis 1868 arbeitete derselbe Neofit von Rila anfangs als Abt des Klosters an seiner „Beschreibung des bulgarischen heiligen Rila-Klosters“, die er 1879 in Sofia drucken ließ. Das mehrseitige Vorwort zu diesem Text datiert vom 20. April 1860.322 Der Text ist als Weiterentwicklung der sich gerade um 1860 entfaltenden neuartigen Überlegungen um Nation und Religion so aufschlussreich, dass er hier in diesem Zusammenhang und nicht nur zum Zeitpunkt seiner gewiss breiteren Rezeption nach der Drucklegung 1879 zu besprechen ist: Das Vorwort liest sich als Aufruf zur bereits 1860 einsetzenden medialen Revolution. Mit dem im osmanischen Bulgarien erst zu dieser Zeit intensiver genutzten Medium gedruckter Bücher sollte bewusst ein größerer Kreis erreicht werden und eine vermittelte Besichtigung des Erinnerungs­ ortes ermöglicht werden. Das Lob der medialisierten Visualisierung begründete Neofit nicht religiös – mit „Historien“ von „Schriftstellern“ und nicht von Mönchen sollte dem Bedürfnis von „Gernlesenden“ entsprochen werden, so reflektierte der Geistliche das Medium. An erster Stelle stand aber weiterhin die persönliche Verneigung in der Gegenwart des „heiligen Ortes“.323 Auch der Abt griff zunächst den beschriebenen Diskurs der Bedeutung des Rila-­ Klosters im überregionalen, die ganze Orthodoxie umfassenden Rahmen auf, ohne vorrangig einen nationalen Zusammenhang herzustellen: Bemerkenswert ist dabei die 320 321 322 323

Γόνης (1997), S. 72 – 75, S. 123 – 130; Dorosiev (1931), S. 79 – 84. Anders nur hinsichtlich der Bezeichnung als „Nationalheiliger“: Sampimon (2006b), S. 97. Rylec (1879), S. 9. „Diese werden beschrieben oder wurden von verschiedenen Schriftstellern persönlich wahrgenommen und dargestellt (Takiva opisanija sirěč’ gledame napisani) oder von den verschiedenen, zahlreichen Reisenden aus unterschiedlichen Ländern und Reichen, die diese heiligen Orte gewöhnlich besuchen, nur um sie zu sehen und zu beschreiben. Und auch ganze Historien werden über sie geschrieben, mit denen auch alle jene Gernlesenden ihren Wunsch befriedigen können, die [diese Orte, S. R.] besichtigen möchten und sich vor ihnen in eigener Gegenwart verneigen möchten, aber dies wegen bestimmter Hindernisse nicht vermögen.“ Rylec (1879), S. 4 f.

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Verortung Rilas innerhalb der „Makedonischen Grenzen“.324 Allerdings war zu dieser Zeit noch kein politischer Anspruch mit dieser geographischen Einordnung verbunden. Für den Versuch Neofits, die angeblich herausragende Bedeutung des Klosters zu klären, war auch wesentlich, dass das Kloster nicht nur von Bulgaren geschätzt wurde, sondern auch von „den anderen Völkern“.325 Neofit versuchte hier gegenüber einer bulgarischen Leserschaft in ersten Ansätzen die Einzigartigkeit des Klosters im bulgarischen Zusammenhang zu belegen, er betonte aber dennoch einen transethnischen Kontext. Neofit war dabei bereits stark von einem romantischen Nationalismus beeinflusst: In dem Text überlagerte sich ein Bewusstsein, das sich am bulgarischen Volk auszurichten begann, mit althergebrachtem religiösem Glauben an „Heilung von Seele und Körper“. Das Rila-Kloster wurde neben und analog zum allgemeinchristlichen „Grab Christi“ sowie gleich wie der „Heilige Berg“ Athos zum „Heiligen Ort“ und als „einzige Bulgarische Verehrungsstätte“ zum Mittelpunkt Bulgariens stilisiert. Die heilsgeschichtliche Funktion, die das Kloster angeblich für das „einstämmige bulgarische Volk“ eingenommen hatte, bestand sowohl in der „Unterrichtung und Lehre“ als auch in den Wundern Ivans. Beide Aspekte rechtfertigten die Verehrung des „heiligen und geheiligten Ortes“ durch jede „christliche Seele“.326 Nation und Religion

324 In dem Vorwort nannte Neofit das Kloster im selben Atemzug mit dem Kiewer Höhlenkloster „und anderen ähnlichen heiligen Orten“. Erst danach hob Neofit eine territoriale und nationale Bedeutung des Klosters hervor, als er seine Einzigartigkeit „unter diesen heiligen Orten“ „in ganz Bulgarien“ lobte und es zum würdigsten Objekt der Aufmerksamkeit „der Bulgarischen Brüder“ erklärte. „Unter diesen heiligen Orten ist auch das heilige Rila-Kloster einer, es liegt in den Makedonischen Grenzen in der großen Rilaer Einöde, von der es auch seinen Namen angenommen hat. Es ist geheiligt durch das übernatürliche und engelsgleiche asketische Leben, und die großen und zahlreichen Wundertaten unseres Seligen und Gott in sich Tragenden (Bogonosnago) Vaters Ivan, des in der Wüstenei Lebenden und Wundertäters, und es ist einzigartig in ganz Bulgarien, und ist am meisten der Aufmerksamkeit und des Wissens unserer Stammesgenossen würdig, der Bulgarischen Brüder.“ Rylec (1879), S. 4 f. 325 „Nur dieses Kloster wird vor den anderen Völkern so gerühmt und gelobt (chvaljat i krasjat). Und wenn noch jemand sagt, es gäbe nicht wenige andere Klöster in Bulgarien, und nur dieses nennt ihr das einzige! (…) Das ist wahr, es gibt noch andere Klöster in Bulgarien, aber zwischen diesem und solchen Klöstern ist ein großer Unterschied!“ Rylec (1879), S. 4 f. 326 „Denn dieses Kloster ist verziert mit all jenen Gaben, die nur einem zarischen Kloster und dem eines Patriarchen zustehen. Es ist das einzige Kloster [Bulgariens, S. R.], das den zarischen und denen des Patriarchen, den Klöstern des Heiligen Berges vollständig gleich ist, mit allen diesem Rang zugehörigen (těm prinadležašti činii) Bauten. Das heißt, es ist wegen seines Alters verehrt, wegen seiner Lage in der Einöde, wegen seines großen Gründers und Erleuchters (osvjatitel). Es wird bewundert von allen für seine bekannte Kirchenregel, und wegen des ganzen guten inneren Aufbaus (blagoustrojstvo), wir loben es auch wegen seiner äußeren Schönheit, und wegen der Vielzahl seiner Mönche, am meisten aber wegen des Nutzens, den es seit so vielen Jahrhunderten für sein einstämmiges bulgarisches Volk (edinoplemennyj rod Bolgarskij) wirkt, mit seiner Unterrichtung und Lehre in den schlimmsten Zeiten, den [Nutzen, S. R.] es noch bis heute ausübt. Wegen all diesen genannten Gaben (darby), die den anderen

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traten damit nebeneinander auf und überlagerten sich. Allgemeinchristliche Zentren, „heilige Orte“, dienten zum Vorbild und zum Vergleichszusammenhang des Entwurfs nationalkirchlicher Orte. Die nationale Bedeutung gewann dabei aber noch nicht wie für den modernen Nationalismus kennzeichnend das klare Übergewicht gegenüber der religiösen (Langewiesche). Auch in anderen Passagen des Textes ist eine bereits weitgehende Entgrenzung und Vermischung der alten religiösen Diskurstradition und des neuen nationalen Sprachund Ideenfeldes zu beobachten. So suchte Neofit die Begründung modernen, national motivierten kollektiven Handelns in der älteren konfessionellen, interreligiösen Konkurrenz: Die Verehrung heiliger Stätten, die der Autor den Bulgaren nahelegte, erklärte er nicht zuletzt mit dem Verweis auf die Gedenkpraktiken der Muslime in Mekka und der Juden in Jerusalem. Damit kam die christliche, bulgarische Gemeinschaft in eine globale Wettbewerbssituation zwischen den Religionen, insbesondere aber zwischen den „Völkern“ zu liegen.327 Neofit verband die Niederschrift seiner „Erzählung“ ganz direkt mit dem von ihm beobachteten und begrüßten Vorgang der nationalen „Wiedergeburt“ des bulgarischen Volkes.328 Dabei machte er sich selbst ganz bewusst zum Akteur: Seine publizistische Leistung sah er als unmittelbaren Beitrag dazu, dass „alle einstämmigen bulgarischen Brüder“ von der „einzigen Verehrungsstätte des bulgarischen Volkes“ wüssten.329 Das Kloster diente damit vorrangig zum Medium der Inszenierung nationaler Identität und Homogenität. Der Dienst, den Ivan von Rila und sein Kloster dem „bulgarischen Volk“ geleistet hatten, wurde nun nicht mehr als Verehrungsgrund dargestellt – vielmehr sollte die Verehrung des Klosters zur „Festigung der ganzen Christenheit, aber insbesondere“ bulgarischen Klöstern fehlen, nennen es unsere bulgarischen Brüder selbst zu recht das einzige in Bulgarien, das heißt das einzige, das ihrer Aufmerksamkeit und Verehrung würdig ist, wie sie auch die anderen nicht verachten. Und daher wollen alle gleichermaßen, sei es zum Grab Christi oder zum Heiligen Berg, so sollen sie auch zu diesem Heiligen Ort und ihrer einzigen Bulgarischen Verehrungsstätte (čtilište) kommen zur Verneigung, damit sie sich vor den heilen und heilenden Gebeinen unseres seligen Vaters verneigen, vor Ivan von Rila, dem Wundertäter, zur Heilung von Seele und Körper (…). Und was anderes kann wünschenswert und ehrend sein für eine gottliebende und die Welt liebende christliche Seele, als einen solchen heiligen und geheiligten Ort zu besuchen, wo übernatürliche göttliche Wunder zur Rettung der Menschheit und zur Stärkung unseres orthodoxen christlichen Glaubens einwirken?“ Rylec (1879), S. 4 f. 327 „Und wenn selbst die Ungläubigen und nicht christlichen Völker solche Hartnäckigkeit (userdija) und Pflichten der Verehrung kennen, was wollen da die orthodoxen Christen zu dieser alten und gottgefälligen christlichen Gewohnheit sagen? (…) Es gibt wahrlich keine andere Antwort als die Entschuldigung vor Gott! (…). Rylec (1879), S. 9. 328 „Und dies betrifft alle Völker, aber besonders unser bulgarisches Volk, das nun beginnt erneut geboren zu werden (načina da se vozroždava), und ähnlich ist auch diese unsere Erzählung mit seiner Wiedergeburt [verbunden, S. R.]!“ Rylec (1879), S. 9. 329 „Eine Beschreibung dieses heiligen bulgarischen Klosters (das, wie schon erwähnt, die einzige Verehrungsstätte des bulgarischen Volkes ist) gab es bis heute nicht, nun sollen alle einstämmigen bulgarischen Brüder von ihm genaue Kunde haben“. Rylec (1879), S. 9.

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des als homogen beschriebenen „einstämmigen bulgarischen Volkes“ beitragen.330 Hier lag die Spitze der Argumentation Neofits, hierin lag der Zweck der Veröffentlichung des Buches. Der Text ist ein frühes Bekenntnis zum romantischen Nationalismus durch einen führenden bulgarischen Geistlichen. Die Bedeutung Ivans und des Rila-Klosters nahm schon zuvor eine wichtige Stellung im erneuerten bulgarischen Erinnerungshaushalt ein – mit dem Erscheinen dieses Textes wurde Ivan von Rila aber erstmals mit dem Bedeutungspotential und dem Vorstellungshorizont ausgestattet, den anderen Erinnerungsfiguren des bulgarischen Zusammenhanges den Vorrang streitig machen zu ­können. Noch blieb die religiöse Verehrung des Klosters und Ivans aber auch in diesem Text nicht schwächer als ihre nationale Aufladung. Zudem ist zu betonen, dass gerade Neofit sich gleichzeitig als „großer Verehrer der griechischen Zivilisation, Sprache und ­Kultur“ durch seine Skepsis gegenüber bulgarisch-nationalem Gedankengut auszeichnete. Wie auch seine beiden Nachfolger Pantelejmon II. Rilski und Kiril Rilski wollte er es sich nicht mit dem griechischen Patriarchen des „millet-i Rum“ in Konstantinopel ver­derben.331 Insgesamt vertrat die bulgarische Geistlichkeit damals zwar eine bulgarische Identität, aber diese war – ganz im osmanischen, transnationalen Rahmen – eher kirchlich als national.332 Tatsächlich kam es in den folgenden Jahren zu Unmuts­bezeugungen von „jungen“, national gesinnten Rilaer Mönchen, gegenüber der national weniger engagierten Klosterführung.333 C 2.3  Die mediale Aufbereitung nach 1860 – Ivan als Schulheiliger

Eine wichtige Etappe in der erneuerten Erinnerung an Ivan war seine Medialisierung über Bücher und Votivdrucke hinaus: Zu Beginn der 1860er-Jahre begann sich außerhalb des Klosters eine bulgarische weltliche Verehrung Ivans zu entfalten, für die das entstehende Zeitungswesen entscheidend war: Am 5. November 1863 schrieb die in

330 „Aber warum gab es diese Beschreibung bis heute nicht? Weil die Bulgaren bis heute dieses Interesse und diese mentale Entwicklung nicht hatten, die sie nun haben, und die sie vor kurzer Zeit bekommen haben, und hoffentlich ahmen sie die aufgeklärtesten Völker in allem nach, von dem auch ihr ganzes Wohlergehen (blagopolučie) abhängt. Aber wir wünschen ihnen von ­ganzer Seele Erfolg in allen guten und dem Volk nützlichen (narodopolezno) Angelegenheiten, wir erinnern an sie, dass sie auch solche bulgarische heilige Stätten (svjaštenni města) (die Klöster) bedenken und beaufsichtigen (nadziravat), und dass sie diese in dem guten Zustand erhalten, den sie heute haben, zur Verehrung und Festigung der ganzen Christenheit, aber besonders des eigenen einstämmigen bulgarischen Volkes.“ Rylec (1879), S. 9. 331 Die national ausgerichtete bulgarische Historiographie wirft der damaligen Klosterleitung eine „schwankende und doppelspurige Politik“ vor, wo nicht direkt von „antinationalem Handeln“ geschrieben wird. Vgl. Kamburova-Radkova (1972), S. 136 – 138. 332 Hopkins (2009), S. 104. 333 Kamburova-Radkova (1972), S. 141 f.

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Konstantinopel erscheinende Zeitung „Bulgarien“ mit der Einführung „Man schreibt uns aus Tatar-Pazardžik“: „Letzte Woche am 19. desselben [Monats, S. R.] wurde der Feiertag des hl. Ivan von Rila strahlender als in anderen Jahren begangen. Die Kirchen waren morgens voller Volk und der Gottesdienst wurde mit einer größeren Zeremonie“ begangen.334 Die Feier stand ganz im kirchlichen Zusammenhang und erfolgte mit einer transreligiösen Bezeugung der Loyalität gegenüber dem Sultan: „Man besang die Langjährigkeit unseres Zaren, des Sultans Azis, und nach dem Evangelium wurde die lange Vita des hl. Ivan vorgetragen, die das ganze Volk mit großer Andacht hörte, damit ihm ein wenig von den Worten unseres bulgarischen Volksheiligen nütze, den ganz Bulgarien verehrt als seinen Vater und Beschützer. Den ganzen Tag feierten wir festlich und fröhlich.“ 335

Im Rahmen dieser sich gerade erst begründenden Zeitungsöffentlichkeit wurde von ­ersten Schulfeiern zu Ehren Ivans berichtet: Am 25. November 1863 beschrieb ein nicht namentlich genannter „Einwohner der Stadt Bolgrad“ in Bessarabien in der in der osmanischen Hauptstadt erscheinenden Zeitung „Săvetnik (Ratgeber)“ seine Wahrnehmung der Entstehung des „Volksfeiertages“ zu Ehren Ivans von Rila. Das Gedenken an Ivan durch „unsere Bulgaren“ sei bis vor Kurzem ganz wie das Kyrills und Methods nicht gefeiert worden bzw. auf Rila beschränkt gewesen. Heute aber würden Bulgaren „aus entfernten Ländern“ anreisen, und das Kloster schicke seine Priester „überall in Bulgarien hin“.336 Die moderne abstrakte Vorstellung eines territorial und ethnisch einheitlichen Bulgarien zeigte sich auch hier erst im Entstehen begriffen und gerade im Zusammenhang mit dem Kloster und Ivan konkret gestaltbar. Die Hervorbringung nationaler religiöser Erinnerungsorte ging mit der Gestaltung dieser Vorstellung einher, festigte und förderte sie. Bemerkenswert ist der Hinweis darauf, der Kult sei noch vor kurzer Zeit nur ein lokaler gewesen. Ivan sei vergessen worden, weil sein Feiertag nicht im griechischen Regelwerk enthalten war, und die griechische Hierarchie sei somit schuld.337 334 Bălgarija, 5.11.1863, Nr. 30, S. 239. 335 Bălgarija, 5.11.1863, Nr. 30, S. 239. 336 „Die Erinnerung (Pamjať-ta) an den hl. Ivan, den Wundertäter von Rila, war bis vor wenigen Jahren von unseren Bulgaren nicht gefeiert worden, außer in der Umgebung von Rila, also dort, wo dieser Heilige seine Großtaten vollbracht hat. Wenn auch die Frömmigkeit unserer Bulgaren heute Verehrer aus entfernten Ländern ins Rila-Kloster führt, wenn auch das genannte Kloster seine Prediger überall hin in Bulgarien entsendet, dennoch war dieser Feiertag vernachlässigt, wie auch der Feiertag unserer Aufklärer Kyrill und Method.“ Săvetnik, 25.11.1863, Nr. 14, S. 1. 337 „Er war am Rande des Unbewusstseins (nesăznanie) des Volkes, denn das griechische Kirchentipikon hatte diesen unseren Heiligen nicht in die Reihe der göttlichen Heiligen auf­genommen. Es ist nicht erstaunlich, dass sein Tag nicht gefeiert wurde in dieser glänzenden Zeit der griechischen Lehnsleute, der Bischöfe. Die armen Rilaer Geistlichen (taksidioty), die unter dem Volk lebten, konnten und wagten es nicht, eine öffentliche Feier für bulgarische Heilige ein­zuführen, die nicht im griechischen Tipikon stand, und es war sogar gefährlich für sie, es zu wünschen. War es möglich, dieses Tipikon zu zerstören? Insgeheim dachten die geistlichen Führer aus unserem Volk, die griechischen Bischöfe seien Agenten des Panhellenismus“. Săvetnik, 25.11.1863, Nr. 14, S. 1.

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Die Ausbreitung des Kultes hing davon ab, inwieweit es der niedrigen, von einem bulgarischen Bewusstsein geleiteten Geistlichkeit gelang, orthodoxe Gotteshäuser als bulgarische in Szene zu setzen – was mit dem „Erscheinen der Morgenröte des Volkes“ mehr und mehr gelungen sei. Heute, so blickte der Autor bereits zurück, sei die Feier „in allen bulgarischen Kirchen“ flächendeckend verbreitet, und Ivans „Volksfeiertag“ nehme den zweiten Rang nach Kyrill und Method sowie den Heiligen der Siebenzahl ein.338 Die potentielle Kraft Ivans als Medium der Vorstellung eines homogenen Volkes stellte hier seine bisher entscheidende Heilkraft bereits ganz in den Hintergrund. Sie ermöglichte in der romantisch-nationalistischen Argumentationslogik des Verfassers die Umgestaltung des religiösen, von Frömmigkeit geleiteten lokalen Gedächtnisses zur Inszenierung eines nationalen und territorialen „Volksfeiertages“. Die Zeitung wurde bald zum Medium der Verbreitung der sozialen und emotionalen Erfahrung konkreter Feiern: Der Zeitungsartikel ging über zur Begehung des Feiertages in Bolgrad. Der Tag wurde dort damals „unter unseren bessarabischen Landsleuten“ zum ersten Mal begangen.339 Es waren laut dem Bericht die Schüler und nicht ihre Eltern, die den Direktor um diese Feier baten. Er genehmigte sie, unter der Bedingung, „dass sie die große Glocke nicht läuten“. Die Glocke, die die Schüler im Weiteren dennoch schlugen, wurde damit zum Medium, „allen Bürgern“ den Heiligen und insbesondere das Land, „wo auch sie geboren wurden und eine Zeit lang gelebt haben“, in Erinnerung zu rufen.340 Dieser Wunsch der Schüler, den von „allen Bulgaren in Bulgarien und anderswo“ begangenen Feiertag in Bolgrad zu feiern, stieß aber auf den Widerstand des russischen Geistlichen, der ihn nicht in seinem kirchlichen Feiertagskalender verzeichnet fand.341 In Bolgrad waren es somit bereits nicht mehr Mitglieder der niederen 338 „Mit der Schwächung des phanariotischen Einflusses, mit dem Erscheinen der Morgenröte des Volkes, und, selbstverständlich, zum Nachteil des griechischen Tipikons, entstand auch die Feier des Gedenkens (pamjať-ta) an die heiligen Männer unseres Volkes. Heute wird die Liturgie des hl. Ivan, des Rilaer Wundertäters, in allen bulgarischen Kirchen gefeiert, und der Volksfeiertag (naroden prazdnik) nimmt den zweiten Platz ein nach den Feiertagen für unsere Aufklärer Kyrill und Method sowie für ihre Mithelfer, die zur Siebenzahl gehören (sedmočislennicy).“ Săvetnik, 25.11.1863, Nr. 14, S. 1. 339 „Der Gottesdienst [zu Ehren, S. R.] des hl. Ivan von Rila wird dieses Jahr zum ersten Mal im hiesigen Gebiet unter unseren bessarabischen Landsleuten in der Bolgrader Kirche gefeiert.“ Săvetnik, 25.11.1863, Nr. 14, S. 1. 340 „Aber die Schüler konnten schon am Vorabend des Feiertags der Versuchung nicht wider­stehen „und läuteten auch diese. Alle Bürger bemerkten nun, welcher Tag der morgige Tag sein werde, alle waren zufrieden in ihrer Frömmigkeit, dass es den Gottesdienst für einen Heiligen zu hören geben wird, der seine Großtaten in dem Land vollbracht hatte, wo auch sie geboren wurden und eine Zeit lang gelebt haben.“ Săvetnik, 25.11.1863, Nr. 14, S. 1. 341 „Nur einer erregte sich, nur einer erzürnte ob dem Klang: Seine Hochwürden der Protoierej Herr Nikifor.“ Die Schüler erklärten ihm am folgenden Tag, „dass heute der Feiertag des hl. Ivan Rilski ist und sie baten ihn, dass er ihnen das Läuten erlaube, und ihn zu feiern, denn an diesem Feiertag findet sein Gottesdienst statt und er wird von allen Bulgaren in Bulgarien und anderswo (i prč.) gefeiert.“ Der russische Geistliche versuchte aber, die Feier zu unterbinden,

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­Geistlichkeit, die einer Umdeutung der orthodoxen Kirchen zu bulgarischen Kirchen zuarbeiteten, sondern jugendliche „Schüler der höheren Klassen“ einer städtischen Zentralschule, die sicherlich im Geiste eines oder mehrerer ihrer Lehrer handelten. Die fromme Zufriedenheit der fern von Bulgarien lebenden bessarabischen Bürger wurde in der Wahrnehmung des Berichterstatters durch die Erinnerung an eine Volkszu­ gehörigkeit erreicht. Der Beitrag belegt den Versuch der Begründung einer bulgarischen kollektiven Identi­ tät und damit einer bulgarischen Gesellschaft in der peripheren bessarabischen Vielvölkerstadt auf dem Weg des Einsatzes der Erinnerungsfigur des Heiligen als Medium dieser nationalen Vergemeinschaftung. Mit der Veröffentlichung des Aufsatzes in einer der ersten Nummern einer der ersten Tageszeitungen in Sofia wurde Ivan sowohl zum lokalen Medium wie auch zum Zentrum der Vorstellung einer bulgarischen Nation, der sich auch die Sofioter zugehörig fühlen sollten. Durch die wiederholte Berichterstattung über das Ereignis wurde Ivan von Rila zum Kristallisationspunkt eines ,hauptstädtischen‘ öffentlichen bulgarischen Diskurses.342 Die Imagination bulgarischen nationalen Gesellschaftslebens ging aber der tatsächlichen Verbreitung nationaler Gesinnung Meilenschritte voraus: Selbst zur Mitte der 1880er-Jahre entsprach das Kloster in Rila kaum der Rolle, die es in der Vorstellung von national engagierten Bürgern spielen sollte. Der Publizist, Kämpfer für das Exarchat und Präsident des Staatsrats (1882) Todor Ikonomov berichtete 1886 in einer in Russe gedruckten Broschüre über einen dreitägigen Aufenthalt im Rilaer Kloster bereits mit deutlich mehr Abstand zur traditionellen religiösen Rolle des Klosters – allerdings war er auch kein Geistlicher. Die Funktion, die das Kloster in seinen Augen spielen sollte, stand schon vor dem Besuch fest: Es erschien dem Autor als unzweifelhaftes „bulgarisches Heiligtum“ und als „fester Kämpfer für den Glauben, die Gerechtigkeit (pravdata) und den nationalen geistigen Erfolg“ am besten geeignet, „nationale Traditionen und Hoffnungen“ zu hüten sowie weiterzuvermitteln.343 Der Zugang Ikonomovs zum

da „in der russischen [Kirchen-, S. R.]Ordnung (ustav) dieser Heilige nicht vermerkt war“. Săvetnik, 25.11.1863, Nr. 14, S. 1. 342 Am 14. Dezember 1863 berichtete eine weitere in Konstantinopel erscheinende Zeitung „Gajda (Dudelsack)“ über die Ereignisse in Bolgrad, die Schüler, den „Volksheiligen“ und den russischen Geistlichen: „Die Schüler der Bolgrader Zentralschule wollten das Gedächtnis an den großen Wohltäter und unseren Volksheiligen (naroden naš svetec), den seligen Ioann von Rila feiern, aber der dortige Protopop O. Nikifor, von Geburt ein Russe, untersagte es ihnen. Die Schüler versammelten sich nachher, um diesen Feiertag zu feiern, aber diese Sache führte zu unangenehmen Zusammenstössen und Gereiztheit zwischen den Schülern, den Direktoren und dem Protopopen.“ Gajda, 14.12.1863, Nr. 14, S. 1. 343 Er motivierte seine Reise nach Rila mit den einführenden Worten: „Ich wünschte schon lange, das Rilaer Kloster zu besuchen, und ich suchte eine Gelegenheit; dieses bulgarische Heiligtum hat meinen Verstand schon immer gefüllt und erschien mir wichtig und groß nicht nur wegen seiner vergangenen, sondern auch mit seiner gegenwärtigen und seiner zukünftigen Bedeutung für die religiöse Bildung unseres Volkes. Das Rilaer Kloster war in meinem Denken der

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Kloster war abstrakt und kaum mit den bisherigen Texten und Erinnerungstraditionen um Ivan sowie Rila verbunden: Es diente ihm nur als religions- und geistesgeschichtliche Andockstelle eines unabhängig vom Kloster entworfenen nationalen Projektes.344 In der Reflexion über Rila stellte der Politiker und Publizist insgesamt für die ­Klöster Bulgariens fest, diese haben „zur Rettung unserer Nationalität (narodnosť), unseres ­Glaubens und unserer Literatur (…) wie auch zur Erweckung des nationalen Geistes“ viel beigetragen.345 Religion wurde hier zu einem wesentlichen nationalen Element neben anderen, die Nation und der „nationale Geist“ aber zur wichtigeren, den Glauben übergreifenden Vorstellung. Im Gegensatz zu dieser hoffnungsvollen Einleitung folgte ein äußerst ernüchterter Bericht über den tatsächlichen Besuch, den Ikonomov im Gefolge des Delegierten des Exarchats mit zwei weiteren Bischöfen Rila im ­Februar 1885 machte. Ikonomov klagte über scherzende und leichtfertige Mönche.346 Auch beklagte er die „Mechanik“ ihrer Frömmigkeit im Gottesdienst, von der er offensichtlich andere, ideali­ sierte Vorstellungen hatte.347 Zudem kritisierte er häufige Gewaltanwendung 348 sowie Missstände im schulischen Bereich 349 und ließ sich über das in den Klöstern angeblich

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beste Bewahrer (paziteľ) kirchlicher Schönheit (blagolěpie) und ein zuverlässiger Erläuterer vieler nationaler Traditionen und Hoffnungen, ein Fortführer der geistigen Reichtümer, derer sich dieses Kloster einst rühmte, ein Pflanzgarten (razsadnik) der Frömmigkeit und ein fester Kämpfer für den Glauben, die Gerechtigkeit (pravdata) und den nationalen geistigen Erfolg (prěuspěvanie).“ Ikonomov (1886), S. 3. Die Mönche des Klosters lebten in seiner Wahrnehmung nicht aus religiösen Gründen dort, sondern um gewissermaßen staatsbürgerlich den „seelischen Nutzen der bulgarischen Gesellschaft“ zu fördern. Ikonomov (1886), S. 3. „Auf diese Weise über das Rilaer Kloster zu denken, bin ich durch die Versicherung unserer neuen Geschichte berechtigt, in der sich zeigt, dass zur Rettung unserer Nationalität (narodnosť), unseres Glaubens und unserer Literatur durch die für Bulgarien schweren und dunklen Zeiten hindurch, wie auch zur Erweckung des nationalen Geistes (na narodnij duch) die Klöster und die durch sie in unser Vaterland entsandten Geistlichen viel beigetragen haben.“ Ikonomov (1886), S. 4. „Wir erwarteten Ordnung, Ruhe, Schönheit (blagolěpie), und erlebten Schreie, Gezeter, und Unordnung.“ Ikonomov (1886), S. 7. Der Mitternachtsgottesdienst war nicht nur spärlich besucht, auch die Form der Feier missfiel dem Beobachter: „Die Mechanik (mašinalnosť) der Gottesdienstteilnehmer war so groß und so unverdeckt, dass im Verstand eines Menschen unwillentlich der Gedanke wuchs, für wen wird dieses Spiel gespielt, wer wird damit angelogen?“ Ikonomov (1886), S. 12. Nach einer kurzen Liste von Geistlichen, die im Kloster gewalttätig ums Leben gekommen seien, schrieb Ikonomov: „Ich weigere mich aus Achtung vor dem Leser und vor der historischen Bedeutung dieses Ortes, auf den wir alle mit Achtung und Ehrfurcht blicken, weiter über Verbrechen im Kloster zu schreiben.“ Ikonomov (1886), S. 17. Das Kloster sei „nicht in der Lage, gute Mönche“ als Lehrer auszubilden, ja der Aufenthalt von Kindern sei für diese „um so schädlicher, je früher diese Schüler in das Kloster eingelassen werden und je länger sie die dortige Atmosphäre atmen“. Ikonomov (1886), S. 20.

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gelebte Zerrbild des weltabgewandten Lebens aus.350 Während er ein abschätziges Bild des traditionellen orthodoxen Einsiedlers, der sich selbstvergessen im Hesychasmus übt, zeichnete, näherte er sich mit den von ihm vertretenen Maximen letztlich einem bürgerlichen bzw. westeuropäischen Verständnis von karitativem Handeln an. Bezeichnenderweise waren seine Ideale stärker als die gegenwärtige Wirklichkeit: Trotz seines tief enttäuschten Befundes 351 ließ sich Ikonomov in seinen Hoffnungen für die Zukunft, einer „Erneuerung“ des Klosters, nicht beirren.352 Die Vorstellungen, die sich Ikonomov als ein Wortführer der schmalen weltlichen, national und modern gesinnten bulgarischen gesellschaftlichen Elite von der Lebensweise und der Funktion der Mönche für Bulgarien machte, hatten – so seine eigene Erfahrung – keinerlei Bezug zu den klösterlichen Lebenswelten. Dennoch wurden diese Ideale eines modernen bulgarischen Bildungsbürgertums, die ganz im Kontext des europäischen 19. Jh. entworfen wurden, so wichtig, dass sie richtungweisend und Wirklichkeit werden sollten: Ikonomov hielt mit seinem Text ein Plädoyer für die Erneuerung des Klosterlebens, damit dieses den ehrgeizigen nationalen Utopien gerecht werden konnte, um in Zukunft die Rolle einnehmen zu können, die es angeblich über Jahrhunderte hinweg ausgeübt habe: Es sollte Träger des bulgarischen Volksgeistes und der nationalen Traditionen sein. Rila sollte sich erneuern, um im modernen, explizit angesprochenen zwischenkonfessionellen Wettbewerb dem Protestantismus eine erneuerte bulgarische Konfessionsnation entgegenstellen zu können.353 Wie sehr dabei nicht die Vergangenheit, sondern ein gänzlich neuer Entwurf handlungsleitend war, zeigt sein Vorschlag zur Lösung der von ihm wahrgenommenen Krise: Als ein Mittel, das ­Kloster auf den rechten Weg „zurück“zubringen bzw. um es den modernen Zielutopien der bulgarischen Bildungselite anzupassen, empfahl Ikonomov dem bulgarischen Fürsten, „das Kloster Rila zum Berghof Seiner Hoheit zu erklären, wie er das Kloster von Varna zum Küstenhof erklärt hat, und wenn man ersteres durch einen Kauf von 350 „Ein guter Mönch kann nicht aus denen hervorgehen, die ihre Jugend im Kloster verbringen, und scheinbar demütig und gehorsam auf allen Stufen der geistigen Sklaverei emporgehen, und in sich selbst nicht nur menschliche Würde töten, sondern jede gedankliche Bewegung, sondern von jenen, die eine innere Berufung zum Dienst an Gott und am Nächsten spüren (…), um des Nutzen willen, den sie ihrem Nächsten sind, wegen der Ehre, die sie ihrem Stand beitragen, wegen der Befriedigung, die sie durch ihre Treue zur Pflicht und deren genaue Erfüllung erfahren.“ Ikonomov (1886), S. 21. 351 Ikonomov verwies auch voller Abscheu auf „Skandalgeschichten“ über das „mönchische Leben“ und die zahlreichen, tagelangen Besuche der Mönche in Frauenklöstern der Umgebung sowie über Arbeiten, die Dorfleute in Frauenklöstern verrichten mussten: „So schrecklich und widerlich sind diese Erzählungen!“ Ikonomov (1886), S. 33. 352 Das Kloster werde „in zehn bis 15 Jahren so viele neue und ausgebildete Brüder bekommen, dass seine innere, geistig-sittliche Erneuerung möglich und zuverlässig stattfinden wird.“ I­ konomov (1886), S. 22. 353 „Wenn, nicht fern vom Kloster, in Razloško, der Protestantismus wächst, trägt daran das Rilaer Kloster keine geringe Schuld, mit seiner Untätigkeit im Glauben, mit seiner deutlichen Heuchelei in Glaubensangelegenheiten und seinem verführerischen Leben.“ Ikonomov (1886), S. 37.

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den ­Mönchen erwirbt, soll es wie jenes in Varna ein allgemeinnationales Kloster werden“.354 Nur eine Verstaatlichung und damit ein harter Bruch der bisherigen und unter den Osmanen bestehenden Autonomie des Klosters und seiner Mönche sollte die Verwirklichung der erfundenen Tradition gewährleisten können: Der gegenwärtige Zustand hingegen – der so neu nicht sein konnte – durfte nicht anhalten.355 Die Besitzungen des Klosters ­könnten schlimmstenfalls „sogar in die Hände der Juden wechseln“.356 Der monarchische Nationalstaat erschien Ikonomov als das entscheidende Ideal, dem sich auch die Geistlichkeit unterzuordnen hatte. Die Aufnahme Rilas in den Kreis der wichtigsten weltlichen nationalen Erinnerungsorte geschah spätestens 1892 mit dem Reisebericht des Schriftstellers Ivan Vazov „Die große Einöde von Rila“.357 1899 folgte sein Gedichtzyklus „Im Schoß von Rila“. Ivan und sein Kloster standen im Zentrum des Werks von 1892, das sich aber nun auch der Wahrnehmung der Natur und der Beschreibung des Gebirges widmete.358 Während Ivan im entstehenden bulgarischen Erinnerungshaushalt eine außerordentlich positive und an Intensität zunehmende nationale und emotionale Wertschätzung erfuhr, blieb er in serbischen Texten unwichtig: Der serbische Schriftsteller Dr. Milan Savić kanzelte ihn in seiner 1878 in Novi Sad auf Serbisch veröffentlichten „Geschichte des Bulgarischen Volkes bis zum Niedergang seines Staates“ mit wenigen Worten als „verdrießlichen“ Anachoreten ab.359 Der Belgrader Historiker und Anführer von Freiwilligen im serbisch-osmanischen Krieg 1876 – 1878 Miloš Milojević beschrieb 1881 in seiner Broschüre „Unsere Klöster und das Mönchstum“ für einmal das Rila-­Kloster als serbisch und bezeichnete „Jovan“ als Serben.360 Damit nationalisierte er den früheren kirchlichen Anspruch des Patriarchats von Peć auf Rila. Serbische Vereinnahmungsversuche Ivans von Rila blieben aber sehr selten. Allerdings griff der prominente serbische Historiker und Politiker Stojan Novaković 1893 – damals war er Präsident des serbischen Staatsrats, nachdem er ab 1872 der Nationalbibliothek sowie dem Nationalmuseum vorgestanden hatte – die Verehrung Ivans in seinem Werk über „Erste Grundlagen der slavischen Literatur bei den Balkanslaven“ auf. Er beschrieb sie ganz in einem übergreifenden südslavischen Zusammenhang. Die entstehende „slavische Literatur“ sah er als „neuen Faktor“ im „geistigen Volksleben“ und als Teil der „Entwicklung der 354 Ikonomov (1886), S. 37 f. 355 „Wenn das Kloster in seinem heutigen Zustand belassen wird, so ist es zum Untergang ver­ urteilt.“ Ikonomov (1886), S. 38. 356 Ikonomov (1886), S. 38. 357 Erstausgabe in: Sbornik na narodni umotvorenija, nauka i knižnina, 1892, Nr. 7; 1904 als selbstständige Publikation. Ediert: Ivan Vazov. Săbrani săčinenija v 20 toma, Bd. 10, S. 25 – 121. 358 Ivan Vazov. Săbrani săčinenija v 20 toma, Bd. 10, S. 25 f. 359 „Unter der Herrschaft Simeons nahmen frische und begeisterte Leute den ersten Rang in der Literatur ein, während der Herrschaft Petars aber verdrießliche (sumorni), die die menschliche Gesellschaft mieden, wie I v a n v o n R i l a , der spätere bulgarische Patron“. Savić (1878), S. 47. 360 Milojević (1881), S. 53.

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südslavischen Nationalitäten (narodnosti)“.361 „Jovan Rilski“ bezeichnete er nicht als Bulgaren, sondern als „einen der ersten unter den Balkanslaven“, die in den Mönchsstand eintraten.362 Ivan blieb in dieser Perspektive auch für das 19. Jh. bewusst transethnisch und überkirchlich beschrieben.363 In den ersten Anfängen einer an einem makedonischen Geschichtsbild ausgerichteten Historiographie spielte Ivan hingegen keine Rolle: Ǵorǵija M. Pulevski verwies in seiner „Slavisch-makedonischen allgemeinen Geschichte“ 364 1893 nicht auf bulgarische Quellen bzw. Viten und damit auch nicht auf Ivan von Rila. C 2.4  Ivans Aufstieg in der kirchlichen Publizistik nach 1895

Wichtig für die über das Kloster hinausgehende Verehrung Ivans war die Gründung der „Sofioter geistlichen Bruderschaft ,Hochwürdiger Ioan von Rila‘“ 1879. Die in ihr versammelte hauptstädtische Geistlichkeit leistete in den kommenden Jahren und Jahrzehnten auch mit Veröffentlichungen und ihrer Zeitschrift „Christliches Bruderwort“ einen intensiven Beitrag zur Förderung der „moralischen Wiedergeburt des bulgarischen Volkes“.365 Tatsächlich war die Indienstnahme Ivans durch die im Entstehen begriffene kirchliche periodische Publizistik eine weitere entscheidende Etappe in der Entwicklung bulgarischer Diskurse über Ivan: Auch diese förderte eine moderne, nationale Verehrung Ivans und seines Klosters und lenkte die damit verbundenen Diskurse und Handlungsfelder bewusst in eine neue Richtung, jenseits von der Reproduktion der alten Viten.366 Die im ersten Jahrgang 1895 erscheinende „Bulgarische Kirchliche Revue“ druckte in ihren ersten acht Heften eine Skizze des einflussreichen Geistlichen Ignatij von Rila: Ignatij hatte am Geistlichen Seminar in Moskau studiert und als Lehrer in Rila sowie später in Sofia eine breite publizistische Tätigkeit entfaltet. Über die Geschichte des Klosters in Rila schrieb er, „das ganze Leben des bulgarischen Volkes“ sei „so eng mit dem Kloster des hl. Ivan von Rila“ verbunden, dass die Geschichte des Klosters zwingend zu beachten sei,

361 Novaković (1893), S. 155. Er stellte Ivan mit Ioakim von Osogovo, Prohor von Pčinja und ­Gavriil von Lesnovo in die Reihe der „ältesten Heiligen der balkanischen Slaven“ und bezeichnete diese als „erste Frucht der neuen christlichen Bildung“. Novaković (1893), S. VI. 362 Novaković (1893), S. 165. 363 Novaković nahm auch die kurzfristige Besetzung des Klosters Pčinja durch „unsere Truppen nach dem Krieg 1878“ nicht zum Anlass, Prohor als serbischen Heiligen zu vereinnahmen, ­sondern beließ ihn im Kontext der „Balkanslaven“. Novaković (1893), S. 179 f. 364 Ǵorǵija M. Pulevski. Slavjansko-maḱedonska opšta istorija. 365 Chimitlijski (1911), S. 5. 366 Eine Ausgabe der Kurzvita Ivans erschien 1891 bereits in einer zweiten, überarbeiteten Auflage in einem säkularen Verlag: Kratko žitie na Svetij Ivan Rilskij čudotvorec s Obraza. Vgl. eine Ausgabe von 1910 aus Stara Zagora: Kratko žitie na Svetij Ivan Rilskij čudotvorec.

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„wenn man die Geschichte des bulgarischen Volkes lernt (…). Die neue Wiedergeburt Bulgariens, die nach einem schrecklichen lethargischen Schlaf begonnen hat, der im ganzen Land ausgelöst worden war durch das fremdgläubige Joch und die fremdsprachige Geistlichkeit und noch keinerlei Zeichen eines Endes zeigte, hat, so sagen wir, in gerade diesem Kloster des hl. Ivan begonnen und ist dort geboren worden“.

Der Geistliche beschwor ein „fremdgläubiges Joch“, das durch „die fremdsprachige Geistlichkeit“ doppelt fremd gewesen sei. „Nationaler Dienst“ und „christlicher Gehorsam“ überlagerten sich zum kirchlichen und patriotischen Dienst in der Verwirklichung des Projekts der „Wiedergeburt“. Aus der angeblich nationalen Rolle des Klosters unter der ,Fremdherrschaft‘367 leitete er Ansprüche auf die Gegenwart und Zukunft ab. Erst lange nach der Erlangung der kirchlichen Unabhängigkeit sowie der politischen Autonomie wechselte damit eine führende Stimme der Kirche auf einen Gottesdienst und Dienst am Vaterland ausdrücklich zusammendenkenden Kurs.368 Im Rahmen der Argumentation des Geistlichen wurde nationale Religion aber nicht unmissverständlich der Nation untergeordnet, sodass deren für den modernen Nationalismus charakteristische absolute Priorität noch nicht eindeutig vorlag bzw. diskursiv vermieden wurde. ­Ignatij festigte in seiner Einleitung zudem die Aneignung der Erinnerungsfigur der „neuen Wiedergeburt“ durch Geistliche sowie den Mythos einer dauerhaft bulgarisch-nationalen Ausrichtung der Mönche von Rila. Die Verbindung von beiden Themen war, so der Autor, neu und sein Text als Beitrag zu einer Kontroverse gedacht. Es galt ihm, das bestehende Geschichtsbild zu korrigieren und die Rilaer Mönche an die Spitze der „Wiedergeburt“ zu stellen.369 Er warf dann den „gelehrten Bulgaren“ seiner Zeit vor, „nicht einmal wenden sie sich zur früheren und jetzigen rein geistlichen Seite des Volkes – seiner rein religiösen Tätigkeit“, sondern sie beschränkten sich nur auf „politische Ereignisse“. Sie untersuchten „nur den Körper, aber denken nicht über die Seele nach“.370 Dem Geistlichen schien es an der Zeit, die weltliche, nationale Erinnerungsfigur der „Wiedergeburt“ nicht nur zu übernehmen, sondern sie mit religiöser Bedeutung zu überschreiben. Rila bzw. Ivan war ihm dazu am besten geeignet. Die Aneignung und

367 Vgl. Koller (2005). 368 „– hier, vielleicht nicht ohne gute Grundlage, bestätigte sich, dass das Leben des Volks ununter­ brochen lebte, trotz allem, dass es böse Zwischenzeiten gab, die es mit dem Tod bedrohten. Das Rilaer Kloster lebte immer im Volk und mit dem Volk und dies unterschied es von allen ­anderen orthodoxen Klöstern, infolgedessen es auch genannt werden kann in seiner Beziehung als Erfüllung seiner religiös-sittlichen Verpflichtung eines strahlenden nationalen Dienstes, der in der heiligen Grundlage des christlichen Gehorsams liegt – der Dienst an der Kirche und am Vaterland.“ Rilski (1895) 1, S. 12 f. 369 „Fast niemand, so wie es sich in der modernen Aufarbeitung des historischen Materials der vergangenen Tage in Bulgarien darstellt, denkt auch nur daran, auf die Bedeutung des ­Klosters hinzuweisen und auf dessen Kreuz, das es eine zeitlang für das Leben des Volkes getragen hatte, und das es noch heute trägt, da es auch jetzt noch nicht seine Bedeutung verliert.“ Rilski (1895) 1, S. 13. 370 Rilski (1895) 1, S. 13.

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religiöse Aufladung der „Wiedergeburt“ sollte der Geistlichkeit eine die „Seele“ des Volkes repräsentierende Funktion verschaffen. Neben Ikonomov nahmen sich auch weitere Politiker Ivans an: Der frühere Justizminister Ostrumeliens und sehr produktive Publizist Stefan S. Bobčev,371 der etwa die Zeitschrift „Bulgarische Sammlung (Bălgarska Sbirka)“ herausgab, veröffentlichte 1898 einen ausführlichen Bericht über seine eigene Wallfahrt nach Rila. Dabei beschwor und idealisierte er dessen Rolle in der Vergangenheit.372 Es sollte, so schloss der heraus­ ragende öffentliche Akteur, „auch in Zukunft so nützlich für unseren Glauben, unsere Sprache, unsere Nationalität“ sein.373 Seinen Lesern gab er ein Vorbild persönlicher Frömmigkeit und Pilgerschaft. Erst spät wurde in Sofia eine den neuen Bildungsanforderungen entsprechende geistliche Ausbildungsstätte eingerichtet: Auch hierbei empfahl sich Ivan als Medium: So bot 1897 das Sofioter Bürgermeisteramt der Ivan Rilski geweihten theologischen Schule am Kloster Peter und Paul in Ljaskovo an, nach Sofia umzuziehen. Bereits im Januar 1903 wurde sie dort als geistliches Seminar wiedereröffnet. Der Schritt wurde im 1900 gegründeten offiziellen Organ der bulgarischen orthodoxen Kirche, dem „Kirchen­ boten“, 1904 direkt in den Zusammenhang mit der Zuerkennung der staatlichen Unabhängigkeit gestellt,374 obschon die Aufhebung der Tributpflicht gegenüber dem Sultan noch bis 1908 auf sich warten ließ. Um gegen die wahrgenommene „Inkonsistenz der ,modernen‘ Lehren“ anzugehen, kam auch die theologische orthodoxe Ausbildung nicht um eine Anpassung an die Moderne umhin: „Der Geistliche kann nicht in intellek­tueller Hinsicht niedriger als seine Gemeinde (pastvo) stehen“.375 In der gleichen Ausgabe der Zeitung wurde sodann Ivan Rilski als „Patron des Geistlichen Seminars“ eingeführt.376 Der Heilige stehe „auf dem ersten Platz“ unter den „berühmten Namen“, von denen die „Geschichte des bulgarischen Volkes“ „voll“ sei, und sein Kloster sei „der bulgarische ,Heilige Berg‘ [bzw. das bulgarische Athos, S. R.], der bulgarische ,Sinai‘“. Zur Mehrung des Ruhms Ivans und Bulgariens wurde der Einsiedler hier im transnationalen Ausgriff zudem zum serbischen „Nationalheiligen“ 377 stilisiert – obschon er in Belgrad, wie gesehen, kaum eine Rolle spielte. Ivan wurde zum Christus Bulgariens.378

371 Vgl. Aretov (1995), S. 139 – 145; Clarke (1988), S. 151 – 156. 372 Während in „ganz Bulgarien“ und in den Kirchen „eine fremde Sprache herrschte“, sei im K ­ loster „das altbulgarische Wort nicht verstummt, bulgarische Gebete erhoben sich zum ­Großen Halter (dăržateľ) der nationalen (narodnitě) Schicksale“. Bobčev (1898), S. 17. 373 Bobčev (1898), S. 68. 374 Cărkoven Věstnik, 15.10.1904, Nr. 42, S. 501 – 503 [gezeichnet mit dem Kürzel G.]. 375 Cărkoven Věstnik, 15.10.1904, Nr. 42, S. 501 – 503, hier S. 502. 376 Cărkoven Věstnik, 15.10.1904, Nr. 42, S. 503 – 505, hier S. 503 [gezeichnet mit dem Kürzel D. B.]. 377 Ivan sei „auch unter allen anderen slavischen Völkern sehr populär“ und werde etwa in ­Serbien als „Nationalheiliger (naroden svjatija)“ verehrt. Cărkoven Věstnik, 15.10.1904, Nr. 42, S. 503 – 505, hier S. 503. 378 Christus sei laut dem Evangelium der einzige, der „unsere Erlösung“ vollbracht habe, aber Ivan sei „einer von jenen, die Bulgarien geschaffen haben, als Staat, und die es erlöst (spasili) haben

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Seine Schüler seien „die wichtigsten Popularisatoren (glavni populjarizatori) der heiligen Bücher unter dem Volk“ gewesen. Ihre „Bestimmung“ sei es nicht nur gewesen, sich selbst zu erlösen, sondern „auch die anderen aufzuklären und zu erlösen“. Das einzige bulgarische Geistliche Seminar trage „den Namen des einzigen allnationalen (vsena­roden) Heiligen und Aufklärers. Unter seinem Schutz“ sollte es „das Werk der allseitigen wahrlich nationalen Aufklärung [bzw. Bildung, S. R.] (narodno prosvěštenie)“ fortführen, das Ivan begonnen habe.379 Mittelalterliches Anachoretentum wurde zur Grundlage der „Mission“ einer modernen, hauptstädtischen Bildungseinrichtung uminterpretiert.380 Ivan wurde zum Retter bzw. Erlöser des modernen bulgarischen ­Staates umgestaltet. Nationaler Aufbau war hier untrennbar mit christlicher Religion und Ideen der Auf­klärung 381 verbunden und stand dabei an erster Stelle. In diesem Rahmen ver­öffentlichte Dr. L. Miletić 1902 in Sofia eine wissenschaftliche Edition mehrerer Quellen über das Rilaer Kloster.382 Der neue Diskurs wurde von den höchsten Kirchenfürsten sowie der Regierung getragen und inszeniert – allerdings vorerst in einem sehr engen sozialen Rahmen: Wenige Tage später weihte der Heilige Synod der bulgarischen orthodoxen Kirche am 26. Oktober 1904 die Ivankirche am Seminar ein. Anwesend waren neben führenden bulgarischen Geistlichen der Fürst Bulgariens sowie Minister.383 Simeon, Metropolit von Varna und Prěslav, hielt als Vorsitzender des Synods eine Ansprache, in der er sich für die Unterstützung des Baus der Kirche bei „allen Schichten der bulgarischen Gesellschaft“, insbesondere aber beim Zaren bedankte. Er hoffte, dank dem Seminar und der Ivankirche könnten „die jungen Zöglinge des Seminars, aufgeklärt durch die christliche Wissenschaft (nauka), und gestählt (zakaleni) im Geist unseres Vaters Ivan von Rila dem Einsiedler“ werden und das „christliche Licht“ verbreiten.384 Das Seminar sei an­ gesichts der modernen „Bedürfnisse unseres neuen staatlichen und nationalen (naroden) Lebens“ nötig geworden. Der Zar selbst gab der Hoffnung Ausdruck, die Schule möge „Persönlichkeiten“ wie „die Paisievci, Sofronievci, Neofitovci hervorbringen, die, der Kirche dienend, die ersten Grundlagen unserer geistlichen (duchovno) und politischen Befreiung gelegt haben“.385 Die jungen Geistlichen sollten sich am Christentum

während der finsteren Zeiten der doppelten Sklaverei“. Sein weltabgewandtes Leben sei „in diesen dunklen Zeiten wahrlich rettend gewesen für die bulgarische Gesellschaft“. Cărkoven Věstnik, 15.10.1904, Nr. 42, S. 503 – 505, hier S. 504. 379 Cărkoven Věstnik, 15.10.1904, Nr. 42, S. 503 – 505, hier S. 504. 380 Sein Kloster habe während beinahe einem Jahrtausend „von seinen Rilaer Gipfeln seine ­Schüler zur aufklärerischen und schöpferischen Arbeit in alle Gegenden des bulgarischen Vaterlandes gesandt. Dieselbe Mission hat auch das Seminar“: Es sollte „das Volk im Volksgeist und im christlichen Glauben“ unterrichten. Cărkoven Věstnik, 15.10.1904, Nr. 42, S. 503 – 505, hier S. 505. 381 Vgl. Daskalov (2004), S. 27 f., S. 38. 382 Spomen ot Rilskija manastir. 383 Cărkoven Věstnik, 29.10.1904, Nr. 44, S. 527 – 529 [gezeichnet mit dem Kürzel D. B.]. 384 Cărkoven Věstnik, 29.10.1904, Nr. 44, S. 528. 385 Cărkoven Věstnik, 29.10.1904, Nr. 44, S. 529.

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o­ rientieren, aber auch „an den Kämpfern für unsere Wiedergeburt durch die Kirche“.386 Der Monarch gab damit der Kirche die Hauptrolle in der sogenannten Wiedergeburt und wollte diese Deutung auch auf die Gegenwart und Zukunft angewendet sehen. Ivan sollte vor religiösen und politischen Führern zum Symbol eines sozial bzw. ständisch stufenlosen Projektes einer modernen bulgarischen Gesellschaft werden.387 Der Tag Ivans wurde auch 1905 als „Patronatsfeiertag“ mit einem Gottesdienst und Predigten feierlich begangen.388 Eine „mit 9 Photographien“ aufwendig gestaltete Broschüre des Archimandriten Dositej Kovačev trug 1911 dazu bei, die nationale Bedeutung der Gebeine sowie „anderer kostbarer Altertümer“ im Kloster einem breiteren Publikum näherzubringen: Die Reliquien „waren der einzige Trost des bulgarischen Volks während seiner schrecklichen, unerträglichen Versklavung“.389 Zum Gedenktag 1914 war nicht nur Bischof Neofit anwesend, sondern auch der Minister für Volksbildung Pešev. Der Verweis auf Ivan in diesem Rahmen sollte religiöse Überzeugungen im modernen Umfeld bestärken helfen: Die Geistlichkeit suchte ganz bewusst nach dem transkon­ fessionellen Vorbild des katholischen Klerus Anerkennung und eine angemessene Rolle in der modernen Gesellschaft.390 Es bleibt festzuhalten: Bereits der geistliche Historiograph Paisij unterstrich die Bedeutung Ivans für das bulgarische „Volk“, fand damit aber bis zur Mitte des 19. Jh. kaum einen Widerhall. Vielmehr blühte im Rahmen der Verehrung Ivans eine transethnische Frömmigkeit auf. Der Geistliche Neofit Rilski veröffentlichte in Belgrad erst 1836 einen ersten Druck zu Ehren Ivans. 1860 stilisierte er das Rila-Kloster zum nationalen „heiligen Ort“ und schrieb es in den Zusammenhang der „Wiedergeburt“ ein – gleichzeitig war er aber als Klostervorsteher gegen eine Lösung vom griechischen Patriarchen 386 Cărkoven Věstnik, 29.10.1904, Nr. 44, S. 529. 387 Die „glücklichen Zeiten der großen Epoche der Wiedergeburt“, als „die ganze Intelligenz, ohne Ständeunterschied“ für „die Größe des Vaterlandes und den geistigen (umstvenoto), sittlichen und materiellen Aufbau“ des Volkes gearbeitet habe, sollten in den Augen des Zaren gerade durch die Bemühungen der Geistlichkeit wiederkehren. Cărkoven Věstnik, 29.10.1904, Nr. 44, S. 529. 388 Antim, Metropolit von Tărnovo, geistl rief die anwesenden Schüler und Geistlichen auf, angesichts der Angriffe seitens vieler Leute „ohne Gutes Gewissen“ im Vertrauen auf den Schutz Ivans nicht zu „verzweifeln“. Cărkoven Věstnik, 21.10.1905, Nr. 42, S. 502. 389 Kovačev (1911), S. 7. 390 Nach der Liturgie besichtigte man die Räume des Seminars, wobei einige der Gäste, die laut dem Verfasser mit dem Kürzel „M.“ „falsche Vorstellungen“ von dem Seminar hatten, „mit besonderem Interesse das physische und das chemische Kabinett besichtigten“. So werde das Seminar von einigen die „Bastille“ genannt, wie die „Einpflanzerin der Finsternis“, wo „mittel­ alterliche scholastische Haarspaltereien (mădruvanija)“ studiert würden. Stattdessen würden „patriotische und aktuelle Gedichte“ deklamiert. Das vermittelte Wissen sollte „dem Programm des klassischen Gymnasiums“ entsprechen. „Die westliche Geistlichkeit hat sich einen gebührenden Platz in der Familie und in der Gesellschaft wie auch im Staat erkämpft, auf dem sie den anderen Ständen in nichts nachsteht. Aber bei uns?“ Cărkoven Věstnik, 8.11.1914, Nr. 45, S. 532 f.

Die Wiederentdeckung Kyrills und Methods

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in Konstantinopel und wollte keine national ausgerichtete Schule am Kloster einrichten. Ivans Tag galt dennoch durch das seit Beginn der 1860er-Jahre auftretende Engagement von Bürgern und Lehrern bald als wichtigster Feiertag neben dem der Brüder Kyrill und Method sowie der Siebenzahl. Eine weitere Festigung des weltlichen Feiertages blieb aber aus, da die Klosterleitung stärker an der Beibehaltung ihrer Autonomie im Osmanischen Reich interessiert war als an der Nationalbewegung. Die national orientierte Idealisierung des Klosterlebens führte zu Kritik am tatsächlichen Alltag orthodoxer Frömmigkeit. Aus der Sicht des einflussreichen serbischen Historikers und Politikers Novaković hatte Ivan aber ganz im anationalen Kontext der „Balkanslaven“ zu stehen. Nach 1895 versuchte sodann die nun fester institutionalisierte bulgarische orthodoxe Kirche mit der Erinnerungsfigur des Heiligen aus Rila, sich einen Platz im Entwurf einer modernen Gesellschaft zu sichern: Zunächst sollte Ivan in das sich heraus­ bildende Geschichtsbild der „neuen Wiedergeburt“ und der Abwerfung des doppelten „fremdgläubigen“ und „fremdsprachigen [phanariotischen, S. R.] Jochs“ nachträglich ein­geschrieben werden. Später diente Ivan unter zarischer Mitwirkung als Patron des Sofioter Seminars, das sich moderner gesellschaftlicher Vorstellungen offensiv annahm. Kirche und Staat festigten seine Verehrung zur Wende ins 20. Jh. weiter. C 3  Geistliche als Nationalheilige: die Wiederentdeckung Kyrills und Methods als ,Genies‘ zwischen transnationalem Panslavismus und Nationalismus

Geistliche südslavische Historiker der zweiten Hälfte des 18. Jh. griffen den Verweis auf die Brüder nur zurückhaltend auf. Das in der frühen Neuzeit nur religiöse und gelegentliche, mangels Reliquien nicht fest verankerte Gedenken wurde von Geistlichen in den Zusammenhang einer orthodoxen Adaption aufgeklärter, erst teilweise national ausgerichteter konfessioneller Historiographie eingeschrieben und in diesem Rahmen historisiert. Paisij von Chilendar widmete Kyrill und Method in seiner „Slavobulgarischen Geschichte“ nach dem Vorbild der russischen Kormčaja 391 1762 ein eigenes Kapitel mit dem Namen „Über die slavischen Lehrer“. Er schilderte die Brüder dabei aber nicht als Slaven, sondern vermerkte entsprechend einer der Viten, Method habe die sla­vische Sprache gelernt, als er „slavischer oder bulgarischer Herzog (voivoda)“ gewesen sei.392 Folgerichtig nahm Paisij die Brüder auch nicht in seine umfangreiche Liste „bulgarischer Heiliger“ auf. Vor der Missionierung in Mähren beschrieb Chilendarski aber irrtümlich 393 eine Taufe des bulgarischen „Zaren“ Omurtag durch Method mit dem

391 Kiselkov (1963), S. 347. 392 Paisij Chilendarski. Istorija Slavenobolgarskaja. Nikiforov prepis ot 1772 g., S. 133. 393 Aretov (2006), S. 117.

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in Konstantinopel und wollte keine national ausgerichtete Schule am Kloster einrichten. Ivans Tag galt dennoch durch das seit Beginn der 1860er-Jahre auftretende Engagement von Bürgern und Lehrern bald als wichtigster Feiertag neben dem der Brüder Kyrill und Method sowie der Siebenzahl. Eine weitere Festigung des weltlichen Feiertages blieb aber aus, da die Klosterleitung stärker an der Beibehaltung ihrer Autonomie im Osmanischen Reich interessiert war als an der Nationalbewegung. Die national orientierte Idealisierung des Klosterlebens führte zu Kritik am tatsächlichen Alltag orthodoxer Frömmigkeit. Aus der Sicht des einflussreichen serbischen Historikers und Politikers Novaković hatte Ivan aber ganz im anationalen Kontext der „Balkanslaven“ zu stehen. Nach 1895 versuchte sodann die nun fester institutionalisierte bulgarische orthodoxe Kirche mit der Erinnerungsfigur des Heiligen aus Rila, sich einen Platz im Entwurf einer modernen Gesellschaft zu sichern: Zunächst sollte Ivan in das sich heraus­ bildende Geschichtsbild der „neuen Wiedergeburt“ und der Abwerfung des doppelten „fremdgläubigen“ und „fremdsprachigen [phanariotischen, S. R.] Jochs“ nachträglich ein­geschrieben werden. Später diente Ivan unter zarischer Mitwirkung als Patron des Sofioter Seminars, das sich moderner gesellschaftlicher Vorstellungen offensiv annahm. Kirche und Staat festigten seine Verehrung zur Wende ins 20. Jh. weiter. C 3  Geistliche als Nationalheilige: die Wiederentdeckung Kyrills und Methods als ,Genies‘ zwischen transnationalem Panslavismus und Nationalismus

Geistliche südslavische Historiker der zweiten Hälfte des 18. Jh. griffen den Verweis auf die Brüder nur zurückhaltend auf. Das in der frühen Neuzeit nur religiöse und gelegentliche, mangels Reliquien nicht fest verankerte Gedenken wurde von Geistlichen in den Zusammenhang einer orthodoxen Adaption aufgeklärter, erst teilweise national ausgerichteter konfessioneller Historiographie eingeschrieben und in diesem Rahmen historisiert. Paisij von Chilendar widmete Kyrill und Method in seiner „Slavobulgarischen Geschichte“ nach dem Vorbild der russischen Kormčaja 391 1762 ein eigenes Kapitel mit dem Namen „Über die slavischen Lehrer“. Er schilderte die Brüder dabei aber nicht als Slaven, sondern vermerkte entsprechend einer der Viten, Method habe die sla­vische Sprache gelernt, als er „slavischer oder bulgarischer Herzog (voivoda)“ gewesen sei.392 Folgerichtig nahm Paisij die Brüder auch nicht in seine umfangreiche Liste „bulgarischer Heiliger“ auf. Vor der Missionierung in Mähren beschrieb Chilendarski aber irrtümlich 393 eine Taufe des bulgarischen „Zaren“ Omurtag durch Method mit dem

391 Kiselkov (1963), S. 347. 392 Paisij Chilendarski. Istorija Slavenobolgarskaja. Nikiforov prepis ot 1772 g., S. 133. 393 Aretov (2006), S. 117.

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Namen Michail und nannte die Brüder deshalb an dieser Stelle „bulgarische Apostel“.394 Der Mönch verortete die Ereignisse in Bulgarien in einem übergreifenden Kontext der Konkurrenz unter den slavischen Völkern, und insbesondere der Russen und Serben, denen sie historisch vorangegangen seien.395 Paisij verehrte Kyrill und Method nicht als Heilige, sondern lobte die Taufe, die Herrscher und Kirchenfürsten sowie das Lesen in der ,eigenen‘ Sprache. Paisijs Schrift ist in den regionalen Kontext der Moschopoliter Drucke einzuordnen, die zur Mitte des 18. Jh. angefertigt worden waren.396 In diesem Zusammenhang standen auch Abbildungen der Brüder in der Kirche Mariä Ent­schlafung, die der Kaufmann Kyr Hadži Valčo aus Bansko – ein Bruder von Paisij – 1764 mit zwei weiteren bulgarischen Kaufleuten im bulgarischen Athoskloster Zograf stiftete.397 Auch bei Pavle Julinac, dem Autor der ersten gedruckten serbischen Geschichte, stand nicht die Heiligkeit der Brüder im Zentrum der Aufmerksamkeit. Vielmehr schrieb er die beiden Heiligen, derer bisher ausschließlich religiös gedacht worden war, als Missio­ nare in einen weltlichen historiographischen Zusammenhang ein und gab ihnen eine teilweise säkularisierte Rolle.398 Der Beginn des weltlichen Diskurses über die Brüder in slavischen Texten kann in diese Zeit datiert werden. Desgleichen spielte in der nur handschriftlichen „Kurzen Geschichte des bulgarischen slavischen Volkes“ des mit dem Kloster Rila verbundenen Mönchs Spiridon die Funktion der Brüder als Lehrer, aber nicht als Heilige die Hauptrolle: Spiridon widmete 1792 Kyrill als „slavischem Lehrer“ mehrere Seiten, die er, wie er wiederholt vermerkte, weitgehend dem Kardinal und Kirchenhistoriker der Renaissance Caesar Baronius entliehen hatte.399 Vermittelt durch die katholische, lateinische Geschichtsschreibung der frühen Neuzeit entdeckte Spiridon damit ähnlich wie vor ihm Paisij eine Vergangenheit, die er zur eigenen, orthodoxen machte. Kyrill und sein Bruder hätten „die bulgarische Sprache“ bereits in der Kindheit erlernt.400 Auch in der später folgenden Passage über die Brüder betonte er „die bulgarische Sprache“, aber erwähnte zudem die „slavische

394 Paisij Chilendarski. Istorija Slavenobolgarskaja. Nikiforov prepis ot 1772 g., S. 133 f. 395 „So empfingen die Bulgaren früher als alle slawischen Völker den rechten Glauben, früher ­hatten sie einen Patriarchen und Zaren und sie fingen an, in ihrer Sprache zu lesen.“ Paisij ­Chilendarski. Istorija Slavenobolgarskaja. Nikiforov prepis ot 1772 g., S. 136. Zit. in der Übersetzung: Païssi von Chilandar. Slavobulgarische Geschichte, S. 81. 396 Grozdanov (2007), S. 309 – 314. 397 Boškov/Vasiliev (1981), S. 89, Abb. 57, Abb. 69. 398 Er nannte Kyrill und Method 1765 sehr knapp in ihrer Rolle als Missionare von Bulgaren und Slaven – aber nicht als Heilige. „Zu seiner und der Zeit seines Sohnes erhielten die Bulgaren und die Slaven durch Kyrill und Method, die in der Heiligen Schrift bewandert waren und an Christus glaubten, von ihnen die Heilige Schrift in slavischer Sprache, wie auch die slavischen Buchstaben.“ Julinac (1765), S. 18 f. 399 Spiridon Ieroschimonach. Istorija vo kratce o bolgarskom narode slavenskom, Blatt 26v–27. 400 Da „das bulgarische Land nicht weit von Saloniki liegt (…), waren die Kinder Leos immer mit den Bulgaren und kannten die bulgarische Sprache“. Spiridon Ieroschimonach. Istorija vo kratce o bolgarskom narode slavenskom, Blatt 27.

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Sprache“.401 Die Weiterverweisung auf den slavischen Rahmen fing gerade im neuen weltlichen Diskurs an, von einer transethnischen zu einer transnationalen Bedeutungs­ ebene zu wechseln. Paisijs wie auch Spiridons Texte, die die Brüder als Lehrer beschrieben, erreichten aber über lange Zeit nur über Abschriften einen sehr kleinen Leserkreis. Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jh. wurde Paisij, wie bereits angemerkt, selbst zu einer Erinnerungsfigur und zum Auslöser der „Wiedergeburt“ des nationalen und natio­ nalstaatlichen bulgarischen Bewusstseins gemacht.402 In der neueren serbischen Geschichtsschreibung kam den Brüdern zunächst größere Aufmerksamkeit auch als Heiligen zu: Ihr Begründer, der orthodoxe Archimandrit Jovan Rajić, widmete ihnen im Rahmen seiner „Geschichte der Slavischen Völker“ 1794 bei der Darstellung der Taufe der Slaven einigen Raum.403 Mit Mauro Orbini ehrte er sie transethnisch als „Apostel und Lehrer“ „aller Slaven“, so „der Bulgaren, Serben, der Dalmatiner, der Russen“ etc.404 Er schilderte den historiographischen Streit um die Taufe der Tschechen und Mährer und zitierte dabei den Begründer der pragmatischen Kirchengeschichtsschreibung Johann von Mosheim, der beide als Griechen bezeichnete.405 Diese ethnische Zuschreibung der Brüder schien auch Rajić unbestritten und selbstverständlich. Am 22. Mai 1813 fand laut einem auf diesen Tag datierten Brief des armenischen Geistlichen und Historikers Minas Păžăškjan in Šumen eine bemerkenswerte Feier statt: In einem „Salon“ des lokalen Theaters wurde eine Szene aufgeführt, „in griechischer Sprache, weil sich in dem Salon griechische Geistliche aufhielten“, wie der „bulgarische Kaufmann Stovjan Mavrodioglu“ (oder Mavridi) dem Reisenden erklärte. Danach begann ein Tanz, während „Türken“ in einem anderen Teil des Salons anwesend waren. Auf dem Heimweg erklärte Mavrodioglu, „der gesellige Abend fand anlässlich des bulgarischen Feiertages der Schriftlichkeit“ statt, „benannt nach Kyrill und Method“. Aber „niemand wagt über diesen Feiertag zu sprechen (…), weil die Griechen ihnen dies verbieten“.406 Das Ereignis dürfte aber nur ein sehr isoliertes geblieben sein.407 Erst nach der Mitte des 19. Jh. spielten die früher zunächst religiösen Erinnerungs­ figuren Kyrill und Method als nationale Erinnerungsfiguren in der Entstehung nationaler Identitäten eine immer wichtigere Rolle. Zum einen wurden sie für die panslavische Bewegung 408 zentral. Im Rahmen der Entwicklung der Geschichtswissenschaft und der

401 402 403 404 405 406

Spiridon Ieroschimonach. Istorija vo kratce o bolgarskom narode slavenskom, Blatt 31 – 32v. Springborn (1983), S. 283, S. 287. Rajić (1794) 1, S. 279 – 314. Rajić (1794) 1, S. 49, S. 279 f. Rajić (1794) 1, S. 286. Armenski pătepisi za Balkanite XVII–XIX v., S. 215 f. Freundlicher Hinweis von Svetlina Nikolova. Der Brief wurde kürzlich erneut untersucht und für authentisch befunden. Vgl. ein Bericht der Internetzeitung Dariknews vom 12.2.2013: http://dariknews.bg/view_article.php?article_id=1039272 (Stand vom 16.8.2013). 407 Nikolova (2011), S. 12. 408 Mihojković-Djurić (1994), vgl. S. 13.

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Slavistik als Philologie im Kontext der Romantik 409 und damit durch tschechische, s­ päter auch russische, aber auch deutsche Anstöße 410 veränderten sich die Grund­narrative über die Brüder. Pavel Jozef Šafářík etwa fasste 1826 den Historiker und Orientalisten August Ludwig von Schlözer zusammen, der bereits 1805 in seiner Edition der sogenannten Nestorchronik die Brüder als „Genies“ beschrieben und ihre Leistung im Vergleich zur deutschen Entwicklung als sehr viel höher stehend dargestellt hatte.411 Es entstand eine tschechische 412 und slowakische 413 sowie eine russische nationalromantische, slavophile Erinnerungskultur um die Brüder, die hier ausgeklammert bleiben muss. Sie waren Teil der Erfindung einer eigenen, slavischen Antike als Europäizität, in deren Kontext den Südslaven und besonders den Bulgaren gegenüber den Ostslaven Ancienni­tät und entsprechendes Prestige zukamen.414 In Budapest erschienen bereits 1827 und 1835 Texte in serbischen zeitungsähnlichen Publikationen, die das Alphabet bzw. die Viten der ­Brüder im transnationalen slavischen Zusammenhang in diesen neuen Medien verehrten.415 Beeinflusst durch diese slavophile Wiederbelebung der „Slavenapostel“ verbreitete der katholische Bischof von Ljubljana Anton M. Slomšek im Kontext mit dem entstehenden nationalen slowenischen Diskurs bereits 1846 das Gedenken an die Brüder unter den Slowenen als Apostel und Lehrer der Slaven.416 Im Juni 1851 gründete er unter Geistlichen die „Kyrill-und-Method-Bruderschaft“, um die kirchliche Einheit mit den orthodoxen Slaven zu fördern.417 Seine Absicht war damit katholisch, aber im zweiten Schritt transkonfessionell, und panslavisch. Die damit angesprochene katho­lische oder später die ökumenische Verehrung der Brüder durch Slowenen und Kroaten kann hier jedoch nur am Rande angeschnitten werden: Im Zentrum sollen auch für diesen Zusammenhang die orthodoxen Südslaven bleiben.

409 Simeonova (1994), S. 42 f. 410 Angelov (1969), S. 120, S. 123. 411 „,Willkommen also hier‘, rufen wir mit Schlözer (Nestor III. 187) aus, ‚ihr unsterblichen Er­ finder der slavonischen Schrift, die ihr es zuerst wagtet, eine rohe Sprache, die eine Menge ihr eigenthümlicher Laute hat, dem Volke so zu sagen aus dem Munde zu nehmen, und mit griechischen Buchstaben zu schreiben, aber wie Genien dabei verfuhret (…); wie tief steht unter euch der Elsasser Mönch Ottfried, oder wer der Teutsche seyn mag, der sich zuerst erkühnte, seine Sprache zu schreiben, aber dabei das lateinische ABC nur sclavisch copirte!‘“ Schaffarik (1826), S. 94. 412 Dobrowsky (1823). 413 Schaffarik (1826), S. 81 – 120; Machilek (2004). 414 Mishkova (2011), S. 233 f. 415 Durković-Jakšić (1986a), S. 35. 416 Grivec (1927), S. 144 – 146. 417 Grivec (1927), S. 146 f.

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C 3.1  Kyrill und Method in der bulgarischen ,Wiedergeburt von unten‘ bis 1869

Die schon in der frühen Neuzeit stark geschwächte kirchliche Verehrung Kyrills und Methods blieb bis zur Mitte des 19. Jh. im Gegensatz etwa zu derjenigen von Kliment und Naum mit ganz wenigen Ausnahmen erloschen. Makedonischerseits wird heute darauf verwiesen, dass abgesehen von der Landschaft Makedonien, einschließlich des Klosters Rila, in Bulgarien nach den wenigen bildlichen Darstellungen des Mittelalters keine neue Abbildung vor 1840 nachzuweisen ist.418 Erst damals entstand im angesprochenen neuen Rahmen der wissenschaftlichen, romantischen und nationalen Diskurse auch im bulgarischen Zusammenhang eine neue Phase der Erinnerung an Kyrill und Method. Wesentlich war dafür im bereits geschilderten philologisch und romantisch ausgerichteten Rahmen das Bedürfnis nach einer historischen Legitimation einer bulgarischen Volks- und Literatursprache. Etwa der Arzt und Enzyklopädist Ivan Bogorov – er hatte am angesehenen Griechisch-Orthodoxen Lyzeum im Konstantinopeler Stadtteil Phanar sowie in Odessa studiert – verband schon zur Mitte der 1840er-Jahre in einem Zeitungsartikel die „neubulgarische“ Literatursprache mit den Namen der Brüder – obschon sich diese gerade vom Kirchenslavischen der Volkssprache zuwandte. Aber auch die Ausformulierung der Ziele der neuen Bildung, die kirchliche Unabhängigkeit sowie Handlungsspielräume der zivilen Verwaltung wurden in diesem entstehenden Rahmen der Zeitungsöffentlichkeit thematisiert.419 Allmählich bildeten sich ganz in diesem Kontext Diskurse und Praktiken der weltlichen Feier des Gedenkens an die Brüder heraus. Da ihre kirchliche Verehrung in einem slavischen Zusammenhang weitgehend abgebrochen und in Vergessenheit geraten war, ist dabei weniger als etwa im Falle Ivans von Rila eine Herauslösung aus dem kirchlichen Zusammenhang als eine ganz weit­ gehende Neuerfindung des Gedenkens unter weltlichen, romantischen Vorzeichen ohne ältere Vorläufer zu beobachten.420 Stärker als bisher in der bulgarischen Forschung ist der anfangs vorherrschende und auch später nie ganz ausgeblendete transnationale Inhalt der Feiern in seinem Verhältnis zum Entwurf einer bulgarischen Nation zu beachten.421 C 3.1.1  Die Brüder und die Volksschulen

Die Anfänge der Entwicklung von neuen Funktionen der Brüder im Schulwesen erfolgten in kleineren Städten und nicht in den Zentren der Region: Nach der Einrichtung 418 Balabanov (1993), S. 103 f. 419 Simeonova (1994), S. 43. 420 Bonju Angelov beschreibt dagegen einen kontinuierlichen Wandel der Verehrung Kyrills und Methods weg vom lediglich „kirchlichen Charakter“ für das 19. Jh. im Kontext der „Wieder­ geburt“ durch seinen „anderen Inhalt“ – er habe nun „einen aufklärerischen, erweckenden (buditelsko), im Kontext der Wiedergeburt stehenden (văzroždensko), die revolutionäre Bewegung im Kampf um die nationale Befreiung unterstützenden“ Sinn. Angelov (1969), S. 127. 421 Auch die Einengung der Feiern auf einen sozialistisch-revolutionären Kontext, dessen Ziel­ publikum das Arbeitervolk gewesen sein soll, ist abwegig: Angelov (1969), S. 127.

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erster griechischsprachiger Schulen durch Bulgaren um 1816 und 1819 wurde um 1835 in Gabrovo bei Tărnovo „die erste europäische Volksschule in Bulgarien“ eröffnet, wie der tschechische Historiker Jireček 1876 schrieb.422 Fortschritt als Ausrichtung an einem „europäischen“ Vorbild wurde dort zunächst gerade im Rahmen osmanischer Herrschaft entworfen: Die Eröffnung stand am Beginn einer „neuen Bewegung“, die sich dann wenige Jahre später „aus den Bergen in die grossen halb graecisierten Städte des Flachlandes, namentlich nach Sophia und Trnovo“ ausbreitete.423 Der Einsatz der Brüder als Namenspatrone von „neubulgarischen“ weltlichen Schulen nach der „Bell-­ Lancaster’schen Methode“ 424 setzte aber gerade nicht zuerst im zentralbulgarischen Balkangebirge ein, sondern in der Landschaft Makedonien: Schon 1836/37 nahm die kirchliche Schulgemeinde von Üsküp (Skopje) den Bau einer „volksgemeindlichen“ Schule mit dem Namen „Heilige Kyrill und Method“ in der unmittelbaren Nähe der 1835 durch die Gemeinde gebauten Gottesmutterkirche in Angriff.425 1841 wurde offenbar an dieser bulgarischen Schule in Skopje das Fach „Geschichte Kyrills und Methods“ eingeführt.426 1843 trug sodann auch eine Schule in Prilep den Namen der Brüder.427 1844 wurden ihnen im zentralbulgarischen Elena separate Schulstunden gewidmet.428 Am Anfang der Verbindung der Brüder mit den Schulen stand ihre Festigung als Namensgeber für Schulen und als Unterrichtsgegenstand. Gleichzeitig wurden auch bulgarische Texte über ihre gegenwärtige historische Einschätzung häufiger. Erste publizistische Kontroversen zu diesem Thema fanden in einem transnationalen Bezugsrahmen vornehmlich in der Diaspora statt: Vasil Aprilov, der als Kaufmann im russländischen Odessa zunächst an der griechischen Bewegung teilgenommen hatte, vertrat später eine andere Identität und veröffentlichte 1841 als einer der Wortführer der bulgarischen Bildungs- und Nationalbewegung zwei Texte, in denen er das kyrillische Alphabet als ein bulgarisches bezeichnete, um serbischen Ansprüchen auf dessen Erfindung entgegenzuwirken.429 Er verwies zu diesem Zweck gegen die Thesen des in Odessa lebenden „serbischen Literaten D[imitrije]. P. Tirol“ in einer Odessaer Zeitung auf die serbische Historiographie des 17. und 18. Jh., namentlich auf Đorđe Branković und Rajić, ­welche die Taufe der Bulgaren derjenigen der Serben vorangehen ließen.430 Wie er – Aprilov – bereits in einem Brief an Jurij Venelin 431, den aus den Karpaten stammenden früheren Hauslehrer des russischen Slavophilen Konstantin Aksakov, 1836 bewiesen habe, müssen Kyrill und Method „echte Bulgaren gewesen sein“ und „haben die griechisch-hellenische 422 423 424 425 426 427 428 429 430 431

Jireček (1876), S. 541; Sampimon (2006b), S. 111, S. 113. Jireček (1876), S. 542. Jireček (1876), S. 540. Trajanovski (1995), S. 327. Simeonova (1994), S. 43. Andernorts mit der Angabe des Jahres 1844: Simeonova (1994), S. 46. Angelov (1969), S. 121; Simeonova (1994), S. 44; Trajanovski (1995), S. 325. Simeonova (1994), S. 43. Weber (2006), S. 46. V. E. Aprilov. Săčinenija, S. 214 f. Sampimon (2006b), S. 178 – 192; Clarke (1988), S. 132 – 150.

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Sprache vermutlich in der Zarenstadt gelernt“.432 Überdies schrieb er in seinem Buch über die „neu-bulgarische Bildung“, angesichts der „Vorurteile der Griechen“ gegenüber den Slaven, die sich bis heute halten würden, könne davon ausgegangen werden, dass „Kyrill und Method bulgarischer Herkunft“ gewesen seien.433 Die Aneignung der Brüder durch bulgarische Wortführer war in diesem prominenten Fall durch eine vorhergehende serbische Inbesitznahme und damit durch den transnationalen Wettbewerb um historisches symbolisches Kapital bedingt. Die diskursive Vorbereitung des Einsatzes der Brüder ausdrücklich als Schutzheilige einer Schule ist für die alte Vielvölkerstadt Plovdiv bezeugt: So ist für 1851 durch eine Aussage des Schriftstellers und Sprachwissenschaftlers Najden Gerov vor 1894 überliefert, wie dieser, mit Dr. Stojan Čomakov – er hatte in Athen und Pisa studiert – zu Gast bei dessen Bruder Salčo Čomakov, beschlossen haben soll, eine 1850 „in einem alten Haus“ eröffnete Schule 434 in Plovdiv mit einem Patron auszustatten: Im Gespräch über Schulangelegenheiten sei die Frage aufgetaucht, „welchen Namen wir der Schule geben. Wir zählten einige Namen von Heiligen und anderen auf, aber der čorbadži Salčo war mit keinem zufrieden. – ,Haben denn‘, fragte er ungeduldig, ,nicht auch wir Bulgaren irgendeinen bulgarischen Heiligen, auf den wir sie taufen können?‘ Als Lehrer musste ich die Antwort geben. Ich erzählte dem wohlhabenden Kaufmann (čorbadži) Salčo genau, wer die beiden heiligen Brüder Kyrill und Method waren, und was sie für die Bulgaren geleistet haben.“

Die Wahl fiel darauf rasch auf die Brüder.435 Die Brüder, die nicht an erster Stelle auf der Kandidatenliste der Schutzheiligen genannt wurden, dienten zur Antwort auf das Bedürfnis nach „irgendwelchen bulgarischen Heiligen“. Die Erzählung, so sehr sie im Rückblick rhetorisch zugespitzt worden sein mag, legt nahe, dass Kenntnis über die Brüder selbst unter den wenigen wohlhabenderen bulgarischen Städtern kaum verbreitet war. An erster Stelle stand der gerade erst entstehende Wunsch nach geeigneten Medien bulgarischer Identität. Der Bericht zeigt auch, dass eine bewusste Bezugnahme auf traditionelle religiöse Kontexte anfangs fehlte. Sowohl dieser Text als auch die für die frühe Neuzeit aufgezeigte, spärliche Verehrung der Brüder in bulgarischen Kontexten legen nahe: Die Erfinder nationaler Tradition konnten im Gegensatz zur Darstellung in der Forschung kaum auf ein bestehendes Repertoire traditioneller, mit konfessioneller Identität aufgeladener Symbole kollektiver bulgarischer Erinnerung zurückgreifen.436 Vielmehr mussten sie auch diese ganz weitgehend neu entwerfen, um sie im gleichen Atemzug „in Erinnerung rufen“ zu können. Dabei stand auch in Plovdiv die Auseinandersetzung mit der griechisch orientierten Geistlichkeit und weltlichen sogenannten „Gräkomanen“

432 V. E. Aprilov. Săčinenija, S. 219, S. 222. 433 V. E. Aprilov. Săčinenija, S. 28 f. 434 Zum Gymnasium: Dimov (2000). 435 Plačkov (1894), S. 55; vgl. Angelov (1969), S. 130; Dimov (2000), S. 102 f. 436 Anders: Simeonova (1994); Weber (2006), S. 45 – 47.

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am Anfang der Suche nach einer geeigneten bulgarischen Antwort.437 Gerov beschrieb als ein am Vorgehen in Plovdiv beteiligter Akteur die damaligen Ereignisse später als Ausgangspunkt einer gesamtbulgarischen Entwicklung.438 Die den Brüdern in Skopje und Prilep schon früher geweihten Schulen waren ihm entgangen. Erst diese Schulwidmung in Plovdiv zog laut Gerov einen weiteren Schritt nach sich: „Wenn die Schule ,Heilige Kyrill und Method‘ heißt, dann brauchte es auch einen Feiertag, an dem gefeiert wird. Die Schule führte diesen Feiertag ein, der bestehen blieb und auch in Zukunft gefeiert wurde.“ 439 Die Entwicklung der Brüder zu Schulpatronen und die Entstehung eines Schulfeiertages zu ihren Ehren verliefen folglich ungeplant und in mehreren unvorhergesehenen, ,emergenten‘ Schritten: Der Vorgang der Ausgestaltung entsprechender diskursiver und sozialer Praktiken konnte nicht wie in Serbien im Falle des hl. Sava durch obrigkeitliche, nationalstaatliche Verordnungen unterstützt werden: Er verdankte sich im Rahmen der osmanischen Reformen der Initiative ,von unten‘. Wie im Falle des Klosters von Rila und der Verehrung Ivans als bulgarischen Natio­ nalheiligen war die Kirche auch in diesem Kontext zunächst keine Stütze: Gerov berichtete, die orthodoxe Geistlichkeit sei damals in Plovdiv vorläufig noch nicht nationalbulgarisch ausgerichtet gewesen, obwohl ethnische Bulgaren in ihr Ämter ausübten: Die Kirche „nahm, wie sich versteht, zu Beginn nicht Teil an der Feier. Zum ersten Mal tauchte sie 1856 oder 1857 auf, ich erinnere mich nicht gut. Damals wurde ­Wasser geweiht und die erste Ansprache von Kostadin Gerov gehalten“.440 1856 kannten weder Najden noch Kostadin Gerov das genaue Datum des Gedenktages, wie sich aus ihrem Briefverkehr ergibt. Am 1. Juli 1856 ließ Kostadin als Lehrer der den Brüdern in ­Plovdiv gewidmeten Schule eine Ikone zu Ehren der Brüder weihen. 1857 veranstaltete er einen Schulfeiertag mit Gesang: Die Schüler sangen zum 11. Mai „einige kirchliche und Schullieder vor der Schulikone“.441 Damit wurde der neue Diskurs der Schulpatrone in soziale Praktiken auch religiöser Art eingebettet. In den folgenden Jahren stellten lokale und überregional namhafte Maler für Kirchen und neue Schulen zunehmend häufiger Ikonen und historistisch beeinflusste Gemälde nicht nur der Brüder, sondern auch Kliments und der Siebenzahl her (Abb. 11, 12, 13, 14).442 Auch im entstehenden Diskurs der in diesem Rahmen gehaltenen Ansprachen zu ihren Ehren herrschten aber weltliche Bezüge vor. Die Brüder standen zunächst sogar nur im Hintergrund: Die erste im Wortlaut bekannte Ansprache anlässlich einer Schulfeier zu Ehren der Brüder ist die Kostadin Gerovs in Plovdiv vom 11. Mai 1856: Das Bewusstsein, in der 437 Angelov (1969), S. 139 f. 438 Er fasste um 1894 rückblickend zusammen: „Gemäß dem Beispiel der Plovdiver begann man später an vielen Orten in Bulgarien seine Schulen nach dem Namen der beiden heiligen Brüder zu nennen.“ Plačkov (1894), S. 55. 439 Plačkov (1894), S. 55; vgl. Angelov (1969), S. 130. 440 Plačkov (1894), S. 55. Weitere Angaben: Angelov (1969), S. 130 f. Konstantin, der Bruder Najdens Gerovs, war diesem damals bereits auf seine Lehrerstelle gefolgt. 441 Bogdanov (1934), S. 4 – 6; Dimov (2000), S. 106. 442 Zur osmanischen Landschaft Makedonien: Balabanov (1993), S. 113 – 139.

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Vielvölkerstadt eine konfessionelle Minderheit zu sein, wurde in ihr zum wichtigsten Grund der Auseinandersetzung mit Schulwissen und dem „­Glauben“, der von den „Vorvätern“ überkommen sei. Der Lehrer setzte sich zum Ziel seines ­Handelns, das Wissen des „Volkes“ über den orthodoxen Glauben zu schärfen und gegen die be­stehende Vermischung mit „Andersgläubigen“ vorzugehen.443 Zudem sollte dem als ethnische und nationale Einheit entworfenen „Volk“ mithilfe des Verweises auf die Brüder eine eigene, bulgarische Identität vermittelt werden. Religion diente nur als Markierung einer nationalen Zugehörigkeit. Nicht dem Wohl des (osmanischen) S ­ taates, sondern dem des (bulgarischen) Volkes galt es laut dem orthodoxen Geistlichen zu dienen.444 Erst in diesen Jahren entstand der Wunsch, eine bulgarische Kirche aus dem über­greifenden, griechisch-phanariotisch beherrschten Verband des „millet-i Rum“ bzw. des ökumenischen Patriarchats herauszulösen.445 Zu Beginn der 1850er-Jahre häufte sich die Erwähnung der Brüder in ihrer Funktion als Heilige, insbesondere aber als Schulpatrone in der entstehenden, schmalen Publizistik auch in Veröffentlichungen, die eine breite Leserschaft ansprechen sollten.446 In den ­Jahren 1857 und 1858 gab die in Konstantinopel erscheinende bulgarischsprachige ­Zeitung „Zarenstädter Bote (Carigradskij Vestnik)“ sogar Raum zu einer Debatte über die richtige Organisation des Gedenktages an Schulen. Gerade im Zentrum des Osmanischen Reiches und der dort geführten Diskurse über Europa 447 festigte sich im übernationalen Wettstreit auch eine bulgarische Teilöffentlichkeit. Die Feiern der Schul­patrone anderer, oft nicht genannter Nationen – sicherlich aber etwa der Serben – waren in diesen Beiträgen maßgeblich.448 Die Träger des publizistischen Diskurses über die Brüder als Schulpatrone beobachteten die Organisation der Feiern und lenkten damit selbst den Diskurs: Der Vorgang förderte einen überregionalen Wettkampf unter den bulgarischen Gemeinden und lokalen Eliten, sich bei der Ausgestaltung der Feierlichkeiten gegen­ seitig zu überbieten. Bereits 1859 berichteten mindestens neun Zeitungsartikel über acht Veranstaltungen zu Ehren der Brüder.449

443 „Und für das Volk wird es höchst notwendig, dass es genauer lernt, welcher Art dieser Glaube ist, der ihm von unseren Vorvätern überlassen ist, und dem man dienen muss, denn wir mischen uns mit Andersgläubigen, weshalb wir ohne dies sehr leicht in den Irrtum fallen können.“ Slovo-to, kazano ot Konstantina Gerova na izpytanie-to v Plovdivsko-to učilište na 11 Maja 1856 l., za koeto se spomenuva v g. Gerovyj razgovor, vollständig wiedergegeben in und zit. gemäß Plačkov (1894), S. 57 f. 444 Gerov stellte in der Ansprache nach der nur kursorischen Erwähnung der „bulgarischen Erstlehrer, die hll. Kyrill und Method“, die Schule in den Dienst „für das Wohl und den Nutzen unseres ganzen Volkes“. Plačkov (1894), S. 58. 445 Vgl. Kraft (2003), S. 405. 446 Ein 1853 erschienener bulgarischsprachiger Kalender verzeichnete den 11. Mai bereits als Feiertag der Brüder und schrieb ihnen eine bulgarische Abstammung zu. Angelov (1969), S. 126. 447 Mishkova (2006), S. 193 – 196. 448 Angelov (1969), S. 132 – 134. 449 Izvori za bălgarskata etnografija, Bd. 1, S. 303 – 309. Ebenda zahlreiche weitere Zeitungsberichte über Feiern bis 1869: S. 310 – 428.

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C 3.1.2  Geistliche Beteiligung an den Schulfeiern

In einem weiteren Schritt begannen sich zu Beginn der 1860er-Jahre in Ergänzung des nationalen säkularen Grundmusters der Feier des Schulpatronats auch bulgarisch orientierte Geistliche an dem Ablauf der Feierlichkeiten in den jeweiligen städtischen Öffentlichkeiten stärker zu beteiligen. Ioakim Gruev, Lehrer des Kyrill-und-Method-Gymnasiums in Plovdiv und Schüler seines Begründers Najden Gerov, erinnerte sich 1906: Während an den Feiern in Plovidv 1858 und 1859 die Geistlichkeit nicht teilnahm, wurden 1860 nun auch ein Gottesdienst sowie ein Umzug mit Schülern und Geist­lichen sowie weiteren Teilnehmern von der Kirche zur Schule abgehalten. Später versammelten sich Familien mit ihren Kindern, Gesang und Spiele folgten außerhalb der Stadt. „So wurde die Grundlage gelegt zur feierlichen Begehung des 11. Mai, der sich von Jahr zu Jahr nicht nur im Plovdiver Bistum, sondern in ganz Bulgarien verbreitete, und vom Schulfeiertag, der er zu Beginn war, zu einem allgemeinem Volksostern (­vseobšten ­Velikden) wurde“.450 Tatsächlich weiteten sich die Schulfeiern in diesen Jahren auf mehrere Stadtschulen aus.451 Der Diskurs und das mit ihm verbundene Handlungsfeld waren bald gefestigt genug, um im Rahmen der entstehenden transnationalen Zeitungsöffentlichkeit die Aufmerksamkeit ausländischer Beobachter hervorzurufen: Serbische Journalisten nahmen die Institutionalisierung des Schulfeiertages und der Feier des Gedenkens an die Brüder als ein bulgarisches Phänomen wahr und kommentierten es mit Anerkennung: 1860 schrieb die „Serbische Tageszeitung (Srbski dnevnik)“ im österreichisch-ungarischen Novi Sad: „Von der Begehung des Feiertages der hll. Kyrill und Method in Bulgarien erreichen uns von überallher Nachrichten. In Gabrovo, Jambol, Panagjurište, Sopot, Veles und vielen anderen großen Städten gab es Feierlichkeiten zur Verherrlichung und Ehre aller bulgarischen Aufklärer und Literaten. Diese Feierlichkeiten zeigen das tiefe Gefühl, das die Bulgaren gegenüber ihrer Nationalität hegen und das Verlangen nach Aufklärung; diese Feiern werden den Weg zum nationalen Glück öffnen. Der diesjährige Feiertag der hll. Kyrill und Method – der 11. Mai – wird immer mit goldenen Buchstaben in die bulgarische Geschichte eingeschrieben bleiben, denn an diesem Tag hat sich der größere Teil der bulgarischen Städte besonnen und die phanariotische Herrschaft abgestoßen. Bestimmt wird dieser Feiertag in Zukunft mit noch größerer Feierlichkeit begangen werden.“ 452

450 Gruev (1906), S. 19; vgl. Bogdanov (1934), S. 10. 451 In Teteven begingen bis zu 300 Kinder 1861 unter der Führung des neuen Lehrers Pavel Kostov den Feiertag, zu dem Kostov eine Ansprache hielt. Toma Vasiljov, ein ehemaliger Schüler, er­innerte sich 75 Jahre später daran: Sbornik Kiril i Metodi, S. 61 – 63. 452 Srbski dnevnik, Novi Sad, 12.6.1860, Nr. 46, übersetzt gemäß der Übersetzung aus dem Serbokroatischen in: Dokumenti i materialy, Nr. 89, S. 105 f., sowie: Makedonija. Sbornik ot dokumenti, Nr. II 35, S. 165 f. Die Aufnahme dieses Artikels in den hier zitierten bulgarischen Sammelband im Jahre 1969 und seine Reproduktion im Band von 1978 steht für die positive Wertschätzung der Feierlichkeiten auch zur Zeit des Sozialismus. In diesem Kontext die Einschätzung von: Angelov (1969), S. 140.

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Zu der hier in einem nationale Grenzen affirmativ beschreibenden publizistischen Rahmen vertretenen und unterstützten Vorstellung Bulgariens als einer Nation zählte die serbische Zeitung ganz selbstverständlich auch das südlich Skopje gelegene Veles. Die Feiern zu Ehren der beiden Brüder standen hier in keinem Zusammenhang mit einer übergreifenden südslavischen Identität: Der serbische Berichterstatter nahm den Anlass ganz in einem nationalen bulgarischen Rahmen wahr. Seine Einschätzung war voller Wohlwollen gegenüber den Bulgaren auf ihrem „Weg zum nationalen Glück“. Der Feiertag wurde hier immer noch mit der Bedeutung verbunden, die Vorherrschaft der griechischen Geistlichkeit abzuschütteln. Diese entfernt an den Kulturkampf in Deutschland gemahnende Funktion bestimmte auch bei den in den folgenden Jahren begangenen Feiern dieses Festtages dessen Charakter weitgehend. Die weltlichen und teilweise kirchlichen Feiern wurden zum Anlass, öffentlich eine bulgarische Gesinnung gegenüber immer klarer definierten Kommunikationspartnern an den Tag zu legen. Dieses nationale Bekenntnis richtete sich aber immer noch nur gegen die als fremd empfundene Geistlichkeit und noch nicht gegen osmanische Behörden, wie etwa aus den Erinnerungen Najden Gerovs hervorgeht: Er blickte um 1894 auf die ersten Jahre der Feiern in Plovdiv zurück: „Zunächst (…) dachten die Griechen und die Gräkomanen (gr’komanitě) nicht, dass dieser Feiertag eine so große Zukunft erlangen könnte, dass er ein gesamtnationaler (vsenaroden) Feiertag würde. Sie sahen mit Verachtung auf die ersten Agitationen einiger verdrehter (izvějani) (gemäß ihnen) Bulgaren (…). Als sie sahen, dass von Jahr zu Jahr mit den ,Verdrehten‘ immer mehr auch das Volk ging, wurden sie sich dessen bewusst, aber es war schon zu spät. Die Bewegung (dviženieto) kam nicht zur Ruhe. Anfangs gab ihr auch die türkische Regierung keine Beachtung; später betrachtete sie dies alles aufmerksam, auf das Gesuch der Griechen hin, aber sie untersagte die Feier nicht.“ 453

In den Augen Gerovs führte das Gedenken an die Brüder zu einer Verunsicherung nicht zuletzt sogenannter „Gräkomanen“. Damit waren etwa bulgarische Kaufleute gemeint, die sich von alters her des Griechischen als Lingua franca bedienten und die sich nun eine griechische Identität aneigneten. Der Kreis der Teilnahme an den Feiern dehnte sich in der Wahrnehmung ihrer Träger von der anfangs eng auf die Schule und Lehrer beschränkten sozialen Reichweite auf weitere Kreise aus, etwa einzelne „Esnafi“ bzw. lokale Korporationen oder Zünfte.454 Die eher zufällig mit den beiden Brüdern verbundenen Schulfeiern entwickelten eine Eigendynamik, die auch zu einer neuen inhaltlichen Reflexion über die Heiligen führte. 453 Plačkov (1894), S. 55. 454 Weiter Najden Gerov: „Auch für das Volk (…) war es zunächst ungewöhnlich, dass dieses kleine Ostern (malăk Velikden), wie einige damals den Feiertag nannten, begangen wurde; aber im vierten oder fünften Jahr feierte es mit der Schule. Zu den Esnafi ist bemerkenswert, dass in dieser Bewegung, wie in allen anderen nach der Wiedergeburt, am meisten Anteil das Esnaf von Abadžij (abadžijskija esnaf) nahm. Als sich in den späteren Jahren eine größere Menge am Feiertag zu versammeln begann, begann man auch Volksbelustigungen außerhalb der Stadt auf dem Edi-kardaš abzuhalten.“ Plačkov (1894), S. 56.

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Die in bescheidenen Schritten entstehende bulgarischsprachige Zeitungsöffentlichkeit griff die Feiern der Schulpatrone immer öfter auf und verbreitete Organisationsmuster lokaler Feiern, aber auch die inhaltliche Ausgestaltung des Diskurses als Muster für die gesamte Leserschaft. Nicht nur in den Provinzen mit bulgarischer Bevölkerung und am Rande des Imperiums, auch im Zentrum des Osmanischen Reiches sollten der Tag begangen und der Diskurs weiter entwickelt werden: Über die Feier des Gedenkens an Kyrill und Method am 12. Mai 1863 in Konstantinopel schrieb ein anonymer Berichterstatter – „ein Bulgare“ – in der dort publizierten Zeitung „Ratgeber (Săvetnik)“, das „Gedächtnis an die beiden Brüder“ bedeute das Gedenken an die Übernahme des Christen­tums, welches „zum Fundament des neuen Lebens“ geworden sei und dem „Wohl“ der historischen Entwicklung des Volkes zuträglich gewesen sei. Ganz in der Manier romantischer Historiker versuchte er, damit die Bedeutung von Epochen­wenden in der Geschichte „seines“ Volkes zu erfassen und die Entwicklung „neuen Lebens“ im Mittelalter zu beschreiben. Weniger die Religion war für die Argumentationslinie dieser Erzählfigur entscheidend als die Verbesserung der Sitten des Volkes, die sich mit der Taufe eingestellt haben soll.455 Die für das Mittelalter angestellte Beobachtung sollte als Schablone für das in der Gegenwart angestrebte Projekt einer ,bulgarischen Wieder­geburt‘ dienen. Die Brüder wurden zu einem geeigneten Medium zur Verbreitung dieser Vorstellung. Der Diskurs gestaltete sich auch in dieser Phase in einem transnationalen Rahmen: Die rhetorische Logik des Journalisten verortete die Erinnerungspraxis seines imaginierten Volkes gerade im internationalen Vergleich und im Wettstreit mit Bürgern „aufgeklärter Völker“, und besonders mit den Tschechen.456 Nur aus diesem Vergleichszusammenhang konnte er ein Zurückbleiben von „uns“, dem bulgarischen Volk, hervorheben. Die Wahrnehmung dieses ,Rückstandes‘ verlangte in seinen Augen ein Aufholen. Im Wettstreit mit den Tschechen galt es, die Feiern zu Ehren der Brüder zu stärken. Die „Großtaten“ der Brüder seien nur kurz zu schildern, damit deren „Heiligkeit“

455 „Jedes Volk hat gewisse Tage, die in seiner Geschichte wie Zeichen für seine Epochen stehen, wann seine Sitten entstanden und sich verbesserten, sich frühere Elemente seines Lebens veränderten, die sich als ungenügend für sein Wohl erwiesen, und an ihre Stelle andere traten, die als überaus reine Vergangenheit zum Grund und zum Fundament des neuen Lebens wurden, die ruhmreicher und glücklicher waren und den sittlichen (nravstvenny-tě) Prinzipien besser entsprachen. Wir haben keinen anderen solchen Tag, sondern nur jenen, von dem an wir unseren Eintritt in die Christenheit rechnen. Ein solcher Tag war der Gestrige, an dem wir das Gedächtnis an die beiden Brüder feierten“. Săvetnik, 20.5.1863, Nr. 9, S. 2 f., hier S. 2. 456 „Die Wichtigkeit dieses Tages anerkennen alle von ihnen aufgeklärten (prosvěteny) Völker, besonders die Tschechen, sie begehen das Gedächtnis (pameť-ta) der beiden Aufklärer mit ­solcher Freude, wie kein anderer Stamm. Aber können denn wir hinter ihnen zurückbleiben, wir, die wir uns rühmen, und mit Recht, dass die Sprache, in der das Wort Gottes bei den anderen mit uns verwandten Völkern gepredigt wurde und in die die heiligen Bücher übersetzt wurden, unsere ist?“ Săvetnik, 20.5.1863, Nr. 9, S. 2.

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verstanden werden könne.457 Diese Notwendigkeit der Erklärung der Grundinforma­ tionen über die ­Brüder war nur in diesen ersten Jahren der Nationalisierung des Gedenkens an Kyrill und Method erforderlich. Bald konnte das umdefinierte Wissen um sie als bekannt vorausgesetzt werden. Wenige Fingerzeige genügten, es zu vergegenwärtigen. Die ethnische Zugehörigkeit der Brüder blieb bei dem anschließenden Abriss ihres Lebens unerwähnt. Der Text leitete schließlich nahtlos in die Kontroverse mit dem griechischen Klerus über, die von nationalbewussten bulgarischen Kreisen in den 60er-Jahren des 19. Jh. ausgetragen wurde.458 C 3.1.3  Schulfeiern als Loyalitätsbezeugung gegenüber dem Sultan

Die Feiern wurden in dieser frühen Phase gerade in der Straßenöffentlichkeit von ­Städten seltener in einem exklusiv bulgarisch-nationalen Zusammenhang als vielmehr in einem bulgarisch-osmanischen Kontext inszeniert: In der Zeitung „Bulgarische Biene (Bălgarska pčela)“ liegt für das „feierliche Begehen des Gedenkens an die hll. Kyrill und Method, unserer Aufklärer“ im Mai 1864 in der mit bis zu zu 25 000 Einwohnern größten Stadt des später eingerichteten bulgarischen Fürstentums, der Vielvölkerstadt und damals Hauptstadt der Donauprovinz (osm. Vilâyet-i Tuna) Russe (Rusčuk),459 ein ausführlicher Bericht vor. 400 Schüler der bulgarischen Schule sollen am Gottesdienst teilgenommen haben: Der Text bezeugt die Beanspruchung des öffentlichen Raumes der Provinzhauptstadt durch eine bulgarisch-osmanische Feier. Die Berichterstattung und die beteiligten Akteure zeigten sich mit Nachdruck loyal gegenüber der osmanischen Dynastie. Die Schüler und ihre Lehrer führten die „Parade“ an, gefolgt von einer „zahlreichen Menge“. Sie ließen mit „Begeisterung“ den „Zaren“ hochleben. Die ­Straßen waren „schön geschmückt mit allerlei Grün“ und auch mit Bildern der Heiligen sowie des Sultans: „Auf dem Weg sangen die Schüler wie aus einer Stimme nationale (narodny) und türkische Lieder, die gerade zu diesem Anlass komponiert worden waren, mit Grüßen und Wünschen der Langlebigkeit an unseren Zaren, unseren Gouverneur, die Vorsteher (nastojateli) und Bürger.“ 460

457 „Aber damit wir die Würde und die Heiligkeit dieser beiden Aufklärer genauer verstehen, halten wir es für nötig, kurz die Großtaten (podvizy tě) der beiden gotterfüllten Männer darzulegen und ihre Gedanken“. Săvetnik, 20.5.1863, Nr. 9, S. 3. 458 Săvetnik, 20.5.1863, Nr. 9, S. 3. Vgl. in diesem Sinne auch die Ansprache von Dobri Vojnikov (1866) zu Ehren der Brüder, die er offenbar im ostrumänischen Brăila hielt, wo er damals unterrichtete: V pamjat pokojnomu, userdnomu, trudoljubivomu…, S. 4, S. 6. 459 Die Stadt war 1878 mit nur 26 000 Einwohnern die größte Stadt des damals eingerichteten Fürsten­tums Bulgarien. 460 „Schon haben viel kleinere Städte, in denen viel weniger Bulgaren leben, Schulen und Kirchen errichtet, eine Gedenkfeier (pamjať-ta) an unsere Erstlehrer auf die Beine gestellt und sich mit riesigen Schritten vorwärts bewegt“. „Seit einigen Jahren wird dieser Feiertag unserer herbei erinnerten (prispopemjatny) und seligen Aufklärer in unserer Stadt jedes Jahr feierlich begangen;

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Die beschriebene Menge der Beteiligten dürfte von der Feierlichkeit an sich eingenommen gewesen sein, aber auch von ihrem bildungspolitischen und kirchlichen Inhalt und schließlich auch von dem staatspolitischen, transethnischen Osmanismus.461 Der bulgarischen Bewegung ging es auch in der Emigration nicht um einen politisch unabhängigen Nationalstaat: 1867 schlugen bulgarische Wortführer in Bukarest dem ­Sultan vor, König der Bulgaren zu werden.462 Dass Bulgaren auch in dieser Stadt nur eine Minder­ heit unter anderen darstellten, ging hier wie in anderen bereits besprochenen Texten wie selbstverständlich unter. Die Beschreibung der Feier wurde damit auch hier wie die Feier selbst zum Medium der Imagination eines homogenen bulgarischen Volkes sowie einer ethnisch einheitlichen bulgarischen Stadt – „unserer Stadt“, allerdings unter osmanischer Herrschaft. C 3.1.4  Reflexionen über die nationale Erinnerungskultur

Die Festigung der Brüder als neue Erinnerungsfigur zeigte sich nicht nur in Feiern mit Umzügen und Gottesdiensten, Ansprachen und Zeitungsartikeln in transnationalen Zusammenhängen, sondern in demselben Rahmen auch in der immer weiter zurück­ blickenden historischen Reflexion der Erinnerungskultur: Am 4. Juli 1864 veröffentlichte die Sofioter Zeitung „Der Ratgeber“ eine Rede des Lehrers Botja Petkov, die dieser am Tag der beiden Brüder zu ihren Ehren an einer geistlichen Schule hielt. P ­ etkov dachte über das Erwachen eines „Empfindens der Ehrfurcht und Anerkennung“ gegenüber den Brüdern nach, das er als Begleiterscheinung der „allmählichen Entwicklung eines Natio­nalgefühls“ sah. Er rechtfertigte die Verehrung, indem er in ihr nichts Neues, sondern nur eine Rückbesinnung auf die frühere Erinnerung an Kyrill und Method erkannte. Letztlich sei die Verehrung aus historischer Sicht vielmehr eine Kontinuität.463 Diese sei nicht durch osmanischen, sondern durch den Einfluss der ­griechischen

aber dieses Jahr wurde es sehr ausgezeichnet, und die Begeisterung des Volkes war allgemein außerordentlich. (…) Es lebe unser Zar!“ Bălgarska pčela, 2.7.1864, Nr. 1, S. 3. 461 Cooperman (1991), S. 284 f. 462 Gottas (1992), S. 89 f.; Weber (2006), S. 43. 463 Die Verehrung habe im Spätmittelalter „während der ganzen Dauer unserer kirchlichen Unabhängigkeit“ angehalten – wegen der „religiösen und nationalen Bedeutung“ des Feiertages. „Mit der allmählichen Entwicklung eines Nationalgefühls (narodnoto čjuvstvo) in unserem Volk erwacht immer mehr ein Empfinden der Ehrfurcht und Anerkennung gegenüber unseren Aufklärern den hll. Kyrill und Method, welche, durch ihre unermüdlichen Bemühungen in der apostolischen Sache, die Bulgarische Kirche nach ihrem Tod zu der Zahl der Heiligen zählte. (…) Tatsächlich hatte ihr Feiertag in unserem Volk große Bedeutung während der ganzen Dauer unserer kirchlichen Unabhängigkeit, wie es sich jeder vorstellen kann, wenn er seine Aufmerksamkeit auf dessen [des Feiertags, S. R.] religiöse und nationale (narodnoto) Bedeutung lenkt. Als Beweis dafür dienen die feierlichen Worte, die an ihrem Feiertag ausgesprochen wurden und die Gottesdienste, die bis heute in unseren schriftlichen Denkmälern gehütet sind.“ Săvetnik, 4.7.1864, 4, S. 4.

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Geistlichkeit unterbrochen worden: Die Unterstellung der „Ohrider ­Kirche, des letzten Überbleibsels unserer kirchlichen Unabhängigkeit, unter die Gewalt des griechischen Patriarchen“ 464 habe zum kollektiven „Vergessen“ der Heiligen, ja zu einer „Epoche der völligen Un­wissenheit im bulgarischen Volk“ geführt.465 Wurde zunächst die angebliche Dauer­haftigkeit des Gedächtnisses hervorgehoben, stand nun das völlige „Vergessen“ im Zentrum ­seiner widersprüchlichen Rhetorik. Das Erzbistum Ohrid, das schon seit dem 11. Jh. ganz unter griechischem Einfluss stand und bis zu seiner Aufhebung 1767 nur noch nominal auf Bulgarien verwiesen hatte, sollte mit dieser Argumentationsstrategie zur Vorstellung der Kontinuität einer bulgarischen Kirche dienen und ihre „Wieder­ erstehung“ nahe­legen. Neben dieser Argumentation, die sich gegen griechischen Einfluss richtete, galt es aber auch, die im 19. Jh. früher als die bulgarische aufgelebte mährische Verehrung der Brüder zurückzustufen: Der Lehrer Petkov hob hervor, „dass die großen Prediger Kyrill und Method in erster Linie bulgarische Aufklärer waren, und erst in zweiter ­mährische“.466 Bulgarische Wortführer der Erinnerung an die beiden Heiligen wollten den Anspruch auf sie nur in dieser Reihenfolge mit anderen teilen. Aus dem über­greifenden transnationalen slavischen Kontext vermochte Petkov sie jedoch nicht zu lösen. Für die Genese des bulgarischen Nationalbewusstseins war die Abgrenzung gegenüber den Griechen wichtiger.467 Aus dem ,Türkenjoch‘ wurde ein Phanariotenjoch 468: Die Bulgaren erschienen als Opfer einer doppelten Unter­drückung durch Fremde. Die Geschichte der Erinnerung an die Heiligen wurde in dieser Argumentationslogik als 464 „Die wichtigsten Gründe, aus denen das Gedenken (pamjaťta) an unsere großen Lehrer verloren ging, sind die gewaltsame Unterordnung der Bulgarischen Kirche unter die Gewalt der Griechischen, die Einführung des Gottesdienstes in den meisten Orten Bulgariens in griechischer ­Sprache.“ Nach der „gesetzeswidrigen Unterordnung der Ohrider Kirche, des letzten Überbleibsels unserer kirchlichen Unabhängigkeit, unter die Gewalt des griechischen Patriarchen“ seien die Gottesdienste in den Städten nun auf Griechisch zelebriert worden. In den griechischen Büchern seien die Heiligen nicht enthalten gewesen, „weil sie an die Selbständigkeit der Bulgarischen Kirche erinnerten“. „In einigen Orten Bulgariens, wo der Gottesdienst weiterhin auf Bulgarisch gefeiert wurde, hat andererseits die ungelehrte Bulgarische Geistlichkeit“ die handgeschriebenen Bücher aus Bequemlichkeit durch gedruckte ersetzt, in denen „dieser Gottes­ dienst unserer Aufklärer nicht enthalten war“. Săvetnik, 4.7.1864, Nr. 14, S. 4. 465 „Aus diesen Gründen ist das Gedenken an die Heiligen von Jahr zu Jahr mehr ins Vergessen geraten, bis in der letzten Zeit ihre Namen gänzlich unbekannt geworden waren. Wahrlich ­traurig ist diese Epoche der bulgarischen Geschichte. Es ist die Epoche der völligen Unwissenheit im Bulgarischen Volk.“ Săvetnik, 4.7.1864, Nr. 14, S. 4. 466 Săvetnik, 4.7.1864, Nr. 14, S. 4. 467 Gemäß Petkov wollten griechische Geistliche „das Volksgefühl (narodnoto čjuvstvo) bei den Bulgaren ganz ausrotten“. Die alte, längst eingegangene kirchliche Verehrung setzte er mit der nationalen seiner Jahre gleich, die gegenwärtige Situation verlagerte er über eineinhalb Jahrhunderte zurück: „Mehr als 150 (?) [sic, zu ergänzen: Jahre, S. R.] war das bulgarische Volk unter dem Joch der Phanarioten, ohne es zu wagen, sich bei der Regierung zu beschweren“. Săvetnik, 11.7.1864, Nr. 15, S. 3 (Fortsetzung). 468 Zur Darstellung von Griechen in bulgarischen Schulbüchern des 19. Jh.: Danova (1996).

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,erfundene Tradition‘ zum roten Faden der Geschichte des bulgarischen Selbstbewusstseins, dessen Kontinuität es nachzuweisen und gleichzeitig (wieder)herzustellen galt. Die geschichtliche Rechtfertigung der Feiern und die damit verbundene Vor­stellung einer ununterbrochenen bulgarischen (Leidens)Geschichte sollte die Feiern in der Gegenwart weiter festigen: Wie wenig verankert die ,erneuerte Erinnerung‘ in Petkovs Augen noch war, bezeugen die vielen Sätze, die er zu ihrer Erklärung für notwendig hielt. Die Begegnung einiger Vertreter der „bulgarischen Jugend“ mit romantisch-nationalen Vorstellungen in „Europa“ stand dabei am Beginn der Entstehung eines verweltlichten und nationalisierten Gedächtnishaushaltes in einem transnationalen, europäischen Zusammen­hang.469 Petkov erfand die abgebrochene religiöse Erinnerung an die Heiligen ganz bewusst aufs Neue, um sie zur Begründung einer nationalen kollektiven Identität in einem ganz neuen Kontext einzusetzen.470 C 3.1.5  Feiern in der Diaspora

Auch in der Diaspora wurde der Feiertag der hll. Kyrill und Method nicht nur festlich begangen, sondern der Diskurs über sie in Zeitungsartikeln intensiviert: Ein Artikel über die Feiern zu Ehren der Brüder im Jahr 1864 in Bukarest verdeutlicht, wie auch die entstehende Öffentlichkeit der Zeitungen bulgarische Gemeinschaften „überall“ unter Konkurrenzdruck setzte, den Gedenktag der Heiligen mit umso mehr Begeisterung zu inszenieren:471 „Schon haben viel kleinere Städte, in denen viel weniger Bulgaren leben, Schulen und Kirchen errichtet, eine Gedenkfeier (pamjať-ta) an unsere Erst­lehrer auf 469 „Unter der Herrschaft des Vorgängers des jetzigen Sultans begann beim bulgarischen Volk ein Gefühl des Selbstbewusstseins (samosăznanie) zu erwachen, da einige der bulgarischen Jugend das Glück hatten, in Europa erzogen zu werden. Wir alle erkannten, dass wir ein besonderes Volk sind, die Bulgaren, mit einer besonderen Sprache, einer besonderen Schriftlichkeit, die in unseren wertvollen Denkmälern bewahrt ist, welche die griechischen Bischöfe nicht zu verbrennen vermochten. Es ist natürlich, dass jedes Volk, das während einiger Jahre zu Mitgefühl zurückgelangt, zu seinem Altertum strebt, zu seinem Ursprung. Das sind die Anzeichen dafür, dass bei einem Volk die Liebe zur Aufklärung erwacht. Es ist nicht erstaunlich, dass, wenn auch wir unser Altertum entdecken, wir notwendigerweise zum Anfang unserer geistigen Entwicklung gelangen, zu den Begründern unserer Schriftlichkeit, namentlich zu unseren ersten und großen Aufklärern den hll. Kyrill und Method.“ Săvetnik, 11.7.1864, Nr. 15, S. 3 (Fortsetzung). Seine Sätze begründeten das Gedenken an die Heiligen nun ganz außerhalb des religiösen Kontextes, der zuvor noch im Zentrum der Argumentation gestanden hatte. 470 „Um zu zeigen, dass wir Nachkommen dieser Bulgaren sind, die gleichzeitig die Verdienste ihrer Aufklärer zu schätzen wissen, ist es notwendig, dass wir ihre Erinnerung erneuern, die durch die genannten Umstände verwischt wurde.“ „Daher begannen wir jedes Jahr den heutigen Tag feierlich zu begehen und möchten ihn ewig feiern.“ Săvetnik, 11.7.1864, Nr. 15, S. 3 (Fort­ setzung). 471 Aus Bukarest etwa hieß es über „die Feier des Gedenkens an die hll. Kyrill und Method“: „Und wirklich wird die Feier jedes Jahr großartiger und der Feiertag nimmt immer größere Ausmaße an. Aber wann wird das Volk überall (na vrěd) sich bemühen, den Grad der Feierlichkeit zu

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die Beine gestellt und sich mit riesigen Schritten vorwärts bewegt“.472 Erst im Vergleich zu diesen Feiern erschienen dem Beobachter die bisherigen Feierlichkeiten in Bukarest als ungenügend. Die Feier des Festtages in der Hauptstadt des osmanischen Staates wurde bald zum Stolz der dortigen bulgarischen Gemeinschaft: Die in der „Zarenstadt“ erscheinende Zeitung „Makedonien“ war bei ihrem Bericht über die „Feier dieses großen und natio­ nalen bulgarischen Feiertags“ vom 11. Mai 1868 des Lobes voll über die „hervorragende“ Organisation der Feierlichkeiten in Konstantinopel. Der „nationale bulgarische Feiertag“ in der osmanischen Hauptstadt gipfelte im kirchlichen Rahmen in der Teilnahme am Gebet für die Brüder. Die bulgarische Nation wurde an dieser Stelle zum „nationalen Pflanzgarten“ unter dem Schutz Kyrills und Methods stilisiert, das kollektive Gebet der kleinen bulgarischen Minderheit in der Weltstadt zum Kern der Konstitution einer imaginären nationalen Gemeinschaft, die es wie eine Baumschule zu kultivieren galt. Die ,Geburt‘ des sittlichen Slaventums durch die „Gebärer“ vor tausend Jahren wurde in einen direkten Zusammenhang mit der Erfindung der aktuellen „Wiedergeburt“ der bulgarischen Nation gestellt und war ihr das legitimierende und motivierende Vorbild.473 Die Feier in der imperialen Hauptstadt wurde nicht nur von den Spitzen der bulgarisch orientierten Geistlichkeit getragen: Sie wurde zum sozialen Rahmen, in dem sich nach 1840474 unter der bulgarischen Bevölkerung in der „Zarenstadt“ gesellschaftliche ­Gruppen mit bulgarischem Selbstbewusstsein festigten.475 Die performative Herstellung der bulgarischen Gesellschaft in der Inszenierung des Gedenkens an die Brüder war dank ihrer Feier als Schulpatrone generationenübergreifend und auf „unsere Zukunft“ hin angelegt.476 Die Feierlichkeiten wurden mit einer für diesen Rahmen erstmals belegten

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erreichen, für den diese heiligen Männer einstanden, kann es sein, dass unsere hiesigen Kompatrioten kaltblütig und unbekümmert bleiben?“ Bălgarska pčela, 2.7.1864, Nr. 1, S. 3. Bălgarska pčela, 2.7.1864, Nr. 1, S. 3. „Dieses Jahr haben die Carigrader Bulgaren den Feiertag unserer großen Aufklärer, der hll. Kyrill und Method, gefeiert. Die Schulaufsicht hat sich viel Zeit genommen, um alle Notwendigkeiten zur hervorragenden (priličnoto) Feier dieses großen und nationalen bulgarischen Feiertags vorzubereiten: Mit verschiedenen wohlriechenden Blumen haben sie die Kirche, die Schule und die Ikonen der Heiligen geschmückt; großartige Blumenkränze zieren auch die Türen der Schule und der Kirche. Die Behörde (nastojatelstvoto) hat Einladungsbillette an alle unsere Kompatrioten, die in der Hauptstadt sind, geschickt, damit sie an dem Gebetsritual (molebnyj obrjad) teilnehmen, das jährlich für die Stifter, Wohltäter und Helfer zu diesem nationalen Pflanzgarten abgehalten wird, der unter dem Schutz dieser sittlichen Gebärer der ganzen slavischen Schöpfung steht.“ Makedonija, 18.5.1868, Nr. 25, S. 2. Springborn (1983), S. 340 f. „Am Gottesdienst haben (…) Ilarion Makariopolskyj und Paisij Plovdivskyj; alle Erstklässler und eine große Menge Volks teilgenommen. Nach dem Gottesdienst hat die Schulaufsicht Besuche in der Schule empfangen: Ähnliche Besuche und Empfänge statteten sich auch alle Bulgaren untereinander ab.“ Makedonija, 18.5.1868, Nr. 25, S. 2. „Aber auch die Jungen, unsere Zukunft, die goldene nationale Hoffnung, die wie arbeitsame Bienen in den schulischen und kirchlichen Einrichtungen in den verschiedenen Vorstädten der

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Theateraufführung und klassischer Musik abgerundet und im Bericht für vorbildlich erklärt.477 Gerade im Machtzentrum des Reichs sollten sich Bulgaren in der Formulierung der Deutungshoheit über eine angeblich ,eigene‘ Geschichte und Zukunft als sprechende, osmanische Subjekte konstituieren.478 C 3.1.6  Der ,Altar der slavischen Wiedergeburt‘ – Sakralisierung des Slaventums

Die diskursive Ausgestaltung der performativ und öffentlich gefestigten Erinnerungsfigur erlangte nun eine noch stärkere Intensität. Euphorische rhetorische Höhenflüge gerade im Diskurs über Kyrill und Method beflügelten die Vorstellung eines modernen bulgarischen nationalen und orthodoxen Selbstbewusstseins: Im Jahr 1869 wurde das mutmaßlich tausendste Todesjahr des hl. Kyrill begangen. Die konstantinopolitanische Zeitung „Makedonien“ führte in dem diesem Anlass gewidmeten Leitartikel vom 1. ­Februar ganz historistisch den „heiligen Glauben und die Literatur (kniževnosť), das Wort Gottes und die Sprachlichkeit (slovesnosť), Sprache und Nationalität (narodnosť), mit einem Wort unsere ganze sittliche Existenz“ auf Kyrill zurück.479 Der anonyme Journalist weitete sodann den im Rahmen des Gedenkens an Kyrill gespannten Zeit­horizont auf ein Kontinuum von zwei Jahrtausenden aus – bis seine Sicht gleichermaßen in die Vergangenheit wie in die Zukunft reichte und die Gegenwart damit ins Zentrum der Aufmerksamkeit gestellt war. Der durch ihn beschworene „Altar der slavischen Wieder­geburt“, auf dem Kyrill seine „großen Opfer“ dargebracht haben soll, wurde zeitlos entworfen.480 Die Beschreibung der slavischen und damit transnationalen „Wieder­geburt“ mit religiösen Vorstellungen wie dem „Altar“ war ein deutlicher Schritt in Richtung zu ihrer Sakralisierung. Der Text ging darüber hinaus weitere Schritte in diese Richtung: In diesen Zeilen wurde im Rahmen der Erinnerung an Kyrill ein „Existenzkampf“ des bulgarischen

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Hauptstadt verbreitet waren, haben dieses Jahr ihre Hingabe (privěržennosť) und Hochachtung gegenüber den bulgarischen Volksaufklärern auf glänzendere Weise gezeigt.“ Makedonija, 18.5.1868, Nr. 25, S. 2. Am Ende des enthusiastischen Berichts stand der Wunsch, die Feier zu Ehren der „gerühmten bulgarischen Aufklärer, der hll. Kyrill und Method“, möge jedes Jahr „noch fröhlicher und noch feierlicher“ begangen werden. Makedonija, 18.5.1868, Nr. 25, S. 2. Allgemein zur bulgarischen Presse als Ort der Herstellung sprechender Subjekte: Stojčeva (2007), S. 122 f. Der 14. Februar, an dem Kyrill verschieden sei, „war das letzte Ende aller großen Großtaten, die dieser unermüdliche Kämpfer für unser Wort in diesem Land hier geleistet hat, zur sittlichen Besserung aller slavischen Stämme insgesamt, aber am meisten von uns Bulgaren. – Der heilige Glaube und die Literatur (kniževnosť), das Wort Gottes und die Sprachlichkeit (slovesnosť), Sprache und Nationalität (narodnosť), mit einem Wort unsere ganze sittliche Existenz hat seinen Beginn von diesem in Saloniki Geborenen.“ Makedonija, 1.2.1869, Nr. 10, S. 1. „Groß waren die Großtaten dieses unvergesslichen Großtäters, groß die Opfer, die er auf dem Altar der slavischen Wiedergeburt (văzroždenie) darbrachte, groß der Großtäter selbst, groß ist für uns auch der Tag seines Gedenkens (spomenăt), groß im übrigen muss auch die Feier ein Jahrtausend nach diesem Gedenken sein!“ Makedonija, 1.2.1869, Nr. 10, S. 1.

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Volkes entworfen, der an vorderster Front von der Geistlichkeit geführt wurde, aber auch vom ganzen Volk. Diese Imagination eines nationalen „Kampfes“ war eine gänzlich moderne Vorstellung und umso mehr die Überlagerung mit militarisierter Religiosität, die in dem Gedanken hervortrat: Kyrill sei „unsichtbar“ als „­großer Heerführer“ und „Krieger Christi“ gegenwärtig und persönlich ein Teilnehmer des politisch-theologisch legitimierten „Kampfes“.481 Kyrill diente direkt zur Sakralisierung des Nationalismus. Er wurde überdies – immer ohne Verweis auf seinen Bruder – zum nationalen Widerstandskämpfer für „nationale Rechte“ und zum Spender einer nationalen historischen Identität im internationalen Rahmen bzw. einer „Bürgerschaft in der Weltgeschichte“: Erst mit ihm schien die bulgarische Geschichte bedeutsam oder im globalen historischen Zusammenhang legitim geworden zu sein. Die Sätze sprachen Kyrill die Erfüllung aller jener nationaler Wünsche zu, die sich die wenigen bulgarischen Wortführer gerade zu diesem Zeitpunkt im Jahre 1869 sehnlichst erhofften. Der anonyme Autor der in der osmanischen Hauptstadt erscheinenden Zeitung beschränkte sich dabei auf die „kirchliche Selbständigkeit“.482 Der Verweis auf Kyrill sollte aber nicht nur die bulgarisch ausgerichtete orthodoxe Geistlichkeit zu eben­bürtigen „Großtaten“ mobilisieren, ­sondern „jeden Bulgaren“. Die Rede von „nationalen Notwendigkeiten“ griff weltlich geprägte Begriffe staatlicher und kommunaler Handlungslegitimation auf. Der „Altar der nationalen Bildung“ hingegen war eine moderne Vorstellung einer ­sa­kralen Funktion nationaler Aufklärung. Das gesamte „Werk“ der bulgarischen natio­nalen „Wieder­geburt“ sollte unter dem Segen des „Geistes des hl. Kyrill“ stehen, der hier weiter­hin als traditioneller, im Jenseits lebendiger Segensspender und Fürbitter imaginiert wurde. Modern war die Vereinigung dieser unterschiedlichen Elemente, insbesondere aber die Verpflichtung jedes Bulgaren zur unbedingten Mitwirkung an dem universalgeschichtlichen 481 „Im Vergleich dieser Lage unseres heutigen Zustandes mit jenem von vor tausend Jahren wird uns das Gedächtnis (pamjaťtă) des unerschrockenen Kämpfers und Kriegers Christi noch teurer, und noch bedeutender der Tag des tausendsten Gedenkens an ihn. Unsere Geistlichkeit ist auch heute auf demselben Betätigungsfeld im Begriff, eine Großtat zu tun, und das ganze bulgarische Volk kämpft um seine Existenz mit seinem nationalen Namen (s narodnoto si ime), mit seinen nationalen Besitzungen (prinadležnosti): Das Gedenken (spomenăt) also an den Namen und die Arbeit dieses ersten Großtäters kann unsere Geistlichkeit in ihrer Großtat unterstützen, und sie mit der Kraft und Energie des Volkes in ihrem grausamen Kampf begeistern. Und was kann kräftigender und ermutigender sein, als wenn wir unter uns die Gegenwart des großen Heerführers (voevoda) spüren, der gekämpft hat und der auch heute unsichtbar in unseren Reihen für uns kämpft?“ Makedonija, 1.2.1869, Nr. 10, S. 1. 482 „Also ehren und rühmen wir das tausendjährige Gedenken (pameť) an diesen unseren ersten und obersten nationalen Hierarchen (naroden Ierarch), der sich so heldenmütig für unser nationales Wort und unsere nationalen Rechte einsetzte (sja podvizaval), der mutig den Feinden unserer nationalen Entwicklung Widerstand leistete, der als erster den Grundstein unserer Nationalkirche legte, das Alphabet sich ausdachte, die Heilige Schrift übersetzte, unsere Sprache adelte, unser Volk liebte und es rühmte, indem er ihm das Recht auf die Bürgerschaft in der Weltgeschichte gab, uns den Weg der Wissenschaft eröffnete, und uns das Große Vermächtnis (Velikyj Zavět) unserer kirchlichen Selbständigkeit hinterließ.“ Makedonija, 1.2.1869, Nr. 10, S. 1.

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Projekt der „Wiedergeburt“. Wurde sie zuvor noch allgemeinslavisch genannt, war sie hier, allerdings eben in dem entfalteten transnationalen Rahmen, auf den bulgarischen Kontext eingeschränkt.483 Im Vergleich mit der Zeitungspublizistik nahm sich die gerade zum Höhepunkt des Ringens um eine bulgarische kirchliche Autonomie erschienene erste ausführliche und den Anforderungen der damaligen internationalen Geschichtswissenschaft genügende Gesamtdarstellung der „Bulgarischen Kirche“ zurückhaltend aus: Der in Kiew und Moskau ausgebildete Historiker Marin Drinov führte in seinem „Historischen Überblick über die bulgarische Kirche“ Kyrill und Method als „Makedonische Slaven“ ein bzw. als „Soluner“. Dabei säkularisierte er ihre Bedeutung in historischer Perspektive und sah nicht die Bekehrung der Slaven, sondern das Zusammenstellen der „slavischen Schrift“ als ihr „größtes Verdienst“.484 Erst darauf nahm Drinov Stellung gegen die angeblich von vielen vertretene These der „griechischen Abstammung“ der beiden, um zu beweisen, dass diese „Slaven, und namentlich von den bulgarischen Slaven“ gewesen seien.485 Die beiden Brüder standen in seiner Darstellung aber deutlich nicht im Zentrum seines Interesses. Das Aufgreifen der Brüder als Medium nationalkirchlicher und dann nationaler Ziele ist ganz in einem regionalen Zusammenhang zu verorten. Wurden sie im Rahmen ihrer erneuerten Erinnerung in Schulen und mit Volksfesten gefeiert, so sind diese gleichfalls als weitgehende Neuerfindungen anzusehen und konnten nur sehr beschränkt an bestehende Praktiken ,einfacher Bulgaren‘ anknüpfen.486 Mit der Entstehung erster moderner Volksschulen im Kontext auch der osmanischen Reformen griffen damit nach 1840 mehrere Träger der Schulen das Gedenken an die beiden Brüder auf und machten sie zu deren Patronen. Gleichzeitig entwickelten sich Feiern zu Ehren ihres Gedenktages. Alljährlich wurde ein sozial und zeitlich beschränkter, aber feierlicher Raum in der jeweiligen städtischen Öffentlichkeit hergestellt. Gerade für dieses Thema kann in den ersten bulgarischsprachigen Zeitungen in den 1850er-­Jahren die Entfaltung eines nationalbulgarischen Sprachfeldes nachgezeichnet werden,487 dessen Reichweite sich allerdings nur auf die schmalen lesenden Kreise oder auf die Lehrer beschränkte. Dennoch wirkten diese Texte als Multiplikatoren und etablierten die Feiern als soziale Institutionen. Der Rückgriff auf Kyrill und Method konnte dabei kaum an bestehende Verehrungspraktiken anknüpfen, zumal ihr Gedächtnis auch unter bulgarischen Mönchen in der frühen Neuzeit sehr 483 „Es möge jeder Bulgare hören und auf die Stimme der nationalen Notwendigkeit achten – es möge jeder nach Kräften seine Gabe auf dem Altar der nationalen Bildung darbringen, und so soll der Geist des hl. Kyrill ewig mit dem bulgarischen Volk sein und seine Großtat und seine Arbeit am Werk seiner Wiedergeburt und Aufklärung segnen.“ Makedonija, 1.2.1869, Nr. 10, S. 1. 484 Drinov (1869), S. 10 f. 485 Drinov (1869), S. 12. 486 Anders Weber (2006), S. 45 – 47, S. 49 – 51, aufbauend auf Simeonova (1994), S. 9 – 41. 487 Weber (2006), S. 52.

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stark zurückgegangen war: Die ­Brüder mussten vielmehr als Erinnerungsfigur neu erfunden werden. Erst in den ausgehenden 1860er-Jahren trat die engagierte Teilnahme auch orthodoxer Geistlicher hervor. In ­diesen Jahren verbanden erste Vertreter einer modernen historischen Wissenschaft den entstehenden Diskurs über eine nationale „Wiedergeburt“ aufs Engste mit dem ­Gedenken an die Brüder. Der Feiertag wurde zu einem zentralen Medium der Gestaltung und der Verbreitung von Entwürfen nationaler Zugehörigkeit sowie zum Zentrum der Kristalli­sation von Vorstellungen modernen orthodoxen Lebens. C 3.2  ,Erlöser unserer Nationalität‘ – die Brüder in der bulgarischen ,Wiedergeburt‘ nach 1870

Am 27. Februar 1870 ließ Sultan Abdülaziz die Errichtung eines bulgarischen Ex­archats und damit einer nationalen geistlichen Hierarchie zu. Der Schritt gilt als ein wichtiger Erfolg der sehr jungen und schmalen bulgarischen Nationalbewegung und ihrer Wortführer. Das Gedenken an Kyrill und Method hatte den ersten Zweck, zu dem es nach und nach eingesetzt worden war – die Erlangung der kirchlichen Unabhängigkeit – erreicht. Es stand nach diesem Erfolg in einem neuen Kontext und bot sich zu weiteren Bedeutungsaufladungen an. Das Ereignis stellte die nach diesem Zeitpunkt zu Ehren der Brüder vortragenden Redner in deren Augen vor die Aufgabe, das Exarchat durch die Verehrung der Brüder zu erklären und zu legitimieren. Daraus ergab sich ein weiterer Reflexionsschub der diskursiven Deutung der Brüder: Am 19. Mai 1870 veröffentlichte die Bukarester Zeitung „Vaterland (Otečestvo)“, deren Texte in Bulgarisch und parallel dazu auch in Rumänisch erschienen, eine Rede des Lehrers R[ajko]. I[liev]. Bl[ă] skov „Zum Feiertag der hll. Kyrill und Method“. Der Redner stellte die kurz zuvor erlangte kirchliche Autonomie in den engsten Zusammenhang mit dem Gedenken an Kyrill und Method.488 Die Errichtung der „Volkskirche“ und damit ein religiöses, aber zugleich nationales Anliegen war hier weiterhin das höchste wünschbare und nun glücklich erreichte Ziel. Es stand aber in einem weiteren Zusammenhang: Die Erinnerung an Kyrill und Method erschien hier als das Resultat der Entstehung einer säkularen „Volksbewusstseinswerdung“: Erst die Suche nach den als verloren empfundenen, verschütteten Ursprüngen des eigenen Volkes habe zur Entdeckung der „ersten Wohltäter“ geführt. Ihr Beitrag wurde sowohl religiös und heilsgeschichtlich als auch kulturell geschätzt. Der für das Mittelalter beobachtete dynamisierende Beitrag der Brüder zur Volksgeschichte wurde zum legitimierenden Fundament, zum Spiegel- und Vorbild des 488 „Ja, das Andenken (pamjať-ta) an unsere Erstlehrer und Apostelgleichen wird heute mit unaussprechlicher Freude geehrt, und mit den wärmsten Gebeten an Gott, für die Erneuerung unserer Volkskirche (narodnata čerkva), die unsere Erstheiligen (P’rvosvjatiteli) gegründet und verziert hatten durch ihre apostelgleichen Werke (trudove), die sie geleistet haben um sie [die Kirche, S. R.] mit der Übersetzung der Heiligen Schrift in unsere altbulgarische Sprache zu verschönern.“ Otečestvo, 19.5.1870, Nr. 41, S. 163.

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zeitgenössischen nationalen „Erwachens“ 489 als selbstbewusste Subjekte im internationalen Zusammenhang.490 Hier war nun bereits kein Zweifel mehr daran, dass die Eltern der Brüder „wohlgeborene und ehrhafte Slavobulgaren (slaveno-B’lgare)“ waren.491 Der Lehrer gedachte auch der sieben Schüler, die den Brüdern „in ihrem schweren Wirken (v trudnoto dělo)“ geholfen hatten und es nach ihrem Tod fortsetzten. Die vorbildliche Wirkung der Brüder auf das Handeln dieser Schüler wurde zu einem neuen Thema. Bl[ă]skov versuchte, mithilfe der in Erinnerung gerufenen Vergangenheit die Brücke zu den Aufgaben der Gegenwart zu schlagen und die „süße Zukunft“ zu entwerfen. Die durch ihre „Volksbewusstseinswerdung“ mit einer kollektiven Identität ausgestatteten Bulgaren erinnerten an das „Wirken“ der mittelalterlichen Geistlichen, das zum „heiligen Unterpfand“ und zur Verpflichtung für ihr in die Zukunft gerichtetes Handeln zum „allgemeinen Wohl“ des „Vaterlandes“ wurde. Der Feiertag zu Ehren der Brüder war in den Augen des Redners eines der wichtigsten Medien, das Volk auf seine neue „patriotische Pflicht“ einzuschwören:492 Im Diskurs der Erinnerung an die Brüder zeichneten sich damit Horizonte einer staatsbürgerlichen Gesinnung in einem zu schaffenden 489 „Wir müssen die Wahrheit selbst bekennen, dass das Erwachen unseres Volkes (narodno probuždenie) und die geistige Entwicklung zur unabhängigen Kirche geführt haben! Sobald die strahlende Sonne der Aufklärung erschien, und ihre hellen Strahlen auf den Bulgarischen Horizont niederschickte, sind wir wieder zu uns gekommen (okopiteni), wie aus einem tiefen Traum, wir haben unsere Nationalität (narodnosť) erkannt und angefangen, unser Verlorenes zu suchen. Diese Volksbewusstseinswerdung (narodnosvestjavanie) oder dieses Selbstbewusstsein führt uns dazu, unsere ersten Wohltäter zu erkennen, die Täufer und Aufklärer Kyrill und Method; denn diese Gottweisen (Bogomădri) und Aufklärer haben uns nicht nur im wahr­haften christlichen Glauben unterrichtet sowie uns den errettenden Weg der evangelischen Lehre gezeigt, sondern sie haben gleichzeitig auch die altbulgarische Schriftlichkeit geschaffen, mit der Zusammen­ stellung des slavischen Alphabets, genannt Kyrillica, nach dem Namen des hl. Kyrill.“ Otečestvo, 19.5.1870, Nr. 41, S. 163. 490 Stojčeva (2007), S. 122. 491 Otečestvo, 19.5.1870, Nr. 41, S. 163. 492 „Daher, liebe Zuhörer, mögen wir daran denken, dass es nicht genügt, dass wir die Erinnerung (pamaťta) an unsere Aufklärer K. und M. anerkennen und ehren, wir müssen auch ihr gutes Vorbild für ihre Nationalität (narodnosťta) und den Glauben hervorheben. Es möge sich unter uns brüderliche Liebe, Konsens und Eifer für das allgemeine Wohl (obštoto blago) unseres Vaterlandes verbreiten, insbesondere für unsere Volksaufklärung (narodnoto naše prosvěštenie), die letztlich das einzige Mittel für jedes Wohlergehen (blagopolučieto) des Volkes ist. (…) Aber gerade dieser Feiertag auferlegt uns auch eine Pflicht, die Pflicht von Patrioten. Erfüllen wir sie? Die heute gefeierten Aufklärer gaben uns zusammen mit dem Glauben auch die Buch­ kultur (kniževnosť), dieses heilige Unterpfand (svjati zalog), das nicht weniger heilig ist als der Glaube selbst. Ein solches Unterpfand müssen wir aber nicht nur behüten, wir müssen es auch bearbeiten (obrabotvame). Diese Verpflichtung müssen wir erfüllen, genauso wie die religiöse gegenüber diesen heiligen Männern. Damit wir allerdings aufrichtige und nicht heuchlerische Verehrer unserer nationalen (narodni) und seelischen Aufklärer sind, müssen wir sie nicht nur mit Worten ehren, sondern auch mit der Tat (s dělo), (…) wir sollen sie nachahmen in der Arbeit, wie sie zu ihrer Zeit für die Volksaufklärung arbeiteten. Und die Aufklärung wird durch die

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bulgarischen Vaterland ab. Noch 1870 war der Feiertag zu Ehren Kyrills und Methods dabei im bessarabischen Bolgrad ein Anlass, den mehrere slavische Natio­nalitäten der Stadt transnational gemeinsam begingen.493 Im Familienkreis hatte der Lehrer mit seiner nationalbulgarischen patriotischen Erziehung Erfolg: Einer seiner Söhne, Andrej ­Blăskov, wurde General des bulgarischen Heeres und kämpfte sowohl im russländisch-osmanischen Krieg 1877 – 78 als auch im serbisch-bulgarischen Krieg 1885 sowie in den Balkankriegen. Tatsächlich wurde das Gedenken an die Brüder seit dem Beginn der 1870er-Jahre in einem nächsten Schritt ganz gezielt eingesetzt, um militärische Kämpfer zu mobilisieren.494 Vorerst blieb diese Militarisierung des Gedenkens aber die Ausnahme. Erst nach der Erlangung der kirchlichen Unabhängigkeit mit dem Exarchat diente das Gedenken an die beiden Brüder in einem transnationalen Rahmen dazu, die Wahrnehmung zu entkräften, die Bulgaren befänden sich in ihrer „Entwicklung“ gegenüber den Nachbarvölkern sowie westeuropäischen Nationen insgesamt im Rückstand: Ein Bericht in der Bukarester bulgarischen Zeitung „Unabhängigkeit“ vom 11. Mai 1873 über den Feiertag der Brüder legte nahe, die Bulgaren wüssten nicht, dass es unter ihren Reihen einst – offenbar aber nicht in der Gegenwart – „Entwicklung“, „Wissenschaft“ und „Buchkultur“ gegeben habe: Kyrill und Method sollten sie daran erinnern. Auch in der Selbstwahrnehmung hielten sie sich in der Meinung des Autors für wenig kultiviert. Die Referenz auf Kyrill und Method, die hier bereits ohne große Umschweife als „bulgarische“ Heilige vereinnahmt wurden, sollte nationales Selbstbewusstsein und kollektiven Selbstwert durch eine eigene Europäizität stiften.495 Im Rahmen der Reflexion über die Feiern kam der Erinnerung an die Brüder bald eine wichtigere Rolle zu als den Brüdern selbst: Mit der Festigung der sprachlichen Rahmen Volksbelehrung erreicht, durch die Volksschule.“ Otečestvo, 27.5.1870, Nr. 42, S. 168 (Fortsetzung). 493 Der bulgarische Berichterstatter, der in der Zeitung „Vaterland“ darüber berichtete, war wegen seiner kaufmännischen Interessen in der Stadt, „an diesem für alle Slaven gedenkenswerten (dostopameten) Tag, besonders aber für die Bulgaren, aus dem Busen dieser Grossen Männer sind sie hervorgegangen, (…). (…) Kurz vor dem 11. Mai führte die Bolgrader Jugend zu Ehren des Fürsten Karl I. und im Angedenken (v pamět) an die Slavischen Aufklärer die hll. Kyrill und Method ein Theaterstück ,Die Taufe am Hof von Preslav‘ auf, ein Drama in 4 Akten, an welcher Vorstellung ich die Ehre hatte, selbst Zuschauer zu sein; (…) das Publikum setzte sich aus verschiedenen Nationalitäten (narodnosty) zusammen, wie: Bulgaren, Rumänen, Polen, Slovaken und weitere“. Otečestvo, 27.5.1870, Nr. 42, S. 167. 494 1871 dienten die „Brüder aus Solun“ dem „Bulgarischen Zentralen Revolutionskomitee“ als Schutzpatrone zum Beginn des zunächst auf den 11. Mai angesetzten Aprilaufstandes. Für sie sollte gebetet werden, damit sie Hilfe und Schutz leisteten. Simeonova (1994), S. 61; Weber (2006), S. 47. 495 „Heute ist der Feiertag der bulgarischen heiligen apostelgleichen Kyrill und Method. Dieser Feiertag erinnert uns daran, dass auch die Bulgaren einst Leute waren, die ihre Entwicklung hatten (svoe razvitie), ihre Wissenschaft, ihre Lehrer und ihre Buchkultur und dass diese nicht nur sich selbst nützlich sein konnten, sondern auch anderen.“ Nezavisimosť, 12.5.1873, Nr. 34, S. 265.

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der Kyrill-und-Method-Erzählung wurden ihr zugleich immer mehr Funk­tionen übertragen. Sie wurde so immer mehr zur eigentlichen Geschichte des Anfangs der Slaven und der Bulgaren, zum Mythos der Nationalgenese sowie zum roten Faden der nationalen und transnationalen, panslavischen Fortschrittsgeschichte. Die Verbreitung der „heiligen Wahrheit“ wurde 1873 zum Prinzip des „Fortschritts“.496 Im Rahmen der fortschreitenden Reflexion des Diskurses spielten nicht mehr Kyrill und Method, sondern der Tag ihres Gedenkens die entscheidende Rolle für die Gegenwart: Er wurde bewusst als Medium zum Träger des „Fortschritts“, zum „Erretter [bzw. Erlöser (spasiteľ), S. R.] unserer Nationalität“, zum „Motor“ auf dem Weg in die bulgarische Moderne stilisiert.497 Der Gedenktag und die mit ihm verbundenen Sprach- und Handlungsvorstellungen waren bereits so weitgehend zur Institution geworden, dass der Tag selbst zum Medium der nationalen Imagination wurde und sich von den Brüdern lösen konnte. Nach der Erlangung der kirchlichen Unabhängigkeit wurde die bisherige Funktion des Feiertages, für diese zu kämpfen, hinfällig. Ein reiner „Nationalfeiertag“ war nun gefragt, kein kirchlicher Feiertag.498 Die Rede vom Tag als „Erlöser“ übertrug dabei christologische Vorstellungen aus der Theologie in einen teilweise national­theologisch gefassten politischen Entwurf. Kyrill und Method wurden hier dennoch stärker in einen allgemein­slavischen Zusammenhang gestellt, als es bisher der Fall gewesen war. Gleichwohl blieb der Wunsch sehr deutlich, an Kyrill und Method in einem bulgarischen Zusammenhang zu erinnern.499 Und obschon die frühere Indienstnahme der ­Feiern im Kirchenstreit ausgedient haben sollte, holte der Redner im Weiteren ganz wie ehedem gegen „den phanariotischen Belze­ bub“ bzw. die griechische Geistlichkeit aus.500 Der Redner rief überdies zu einer neuen 496 „Die Bulgarischen Apostel waren unermüdlich (neumorimi). Böhmen und Mähren, Kroatien und Dalmatien, Russland und Serbien haben sehr bald die heilige Wahrheit erfahren (…); mit einem Wort, Kyrill und Method wurden nicht nur zum Anfang oder zum ABC der bulgarischen Aufklärung und [ihres, S. R.] Fortschritts, sondern der slavischen Aufklärung insgesamt.“ Nezavisimosť, 12.5.1873, Nr. 34, S. 265. 497 „Und so ist der heutige Feiertag der Beginn unserer Existenz, der Vorläufer unserer Auf­klärung und des Fortschritts, der Anführer (predvoditeľ) unserer nationalen Bestrebungen (narodni strěmlenija), der Erlöser (spasiteľ) unserer Nationalität (narodnosť), der Motor zu unserem zukünftigen Glück und der historische Wegweiser unserer historischen Befreiung.“ Nezavisimosť, 12.5.1873, Nr. 34, S. 265. 498 „Außerdem zeigt uns dieser Feiertag sehr klar, welcher Nationalität unsere Freunde sind, und welche Völker unsere Unterdrücker (goniteli). Den Tag Kyrills und Methods feiern nicht nur die Orthodoxen, sondern auch die katholischen und protestantischen Slaven. All dies zeigt uns, dass dies ein Nationalfeiertag ist und dass seiner kirchlichen Bedeutung kein großes Gewicht zukommt.“ Nezavisimosť, 12.5.1873, Nr. 34, S. 265. 499 „Aber Kyrill und Method waren die ersten, die diese heilig-menschliche Stimme erhoben haben, die die göttliche Wahrheit eröffnet hat und die den Bulgaren sagte: ,Ihr seid Bulgaren, folglich sollt ihr auch das Wort Christi in euren Kirchen in bulgarischer Sprache lesen.‘“ Nezavisimosť, 12.5.1873, Nr. 34, S. 265. 500 „Wie vor tausend Jahren die hll. Kyrill und Method den byzantinischen Hochmut besiegt haben, und den slavischen Gottesdienst in der ganzen slavischen Welt verbreitet haben, gerade so wird

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Christianisierung auf, um die Bevölkerung von „Aberglauben“ und von „allen mohammedanischen Gebräuchen“ zu reinigen:501 Anstatt von einer plurireligiösen Bevölkerung auszugehen, sollte die Vorstellung einer homogen christlichen Bevölkerung aufgebaut werden. Schließlich betonte er erneut die Bedeutung des Gedenktages als „Feiertag unserer sittlichen Befreiung“ und verlangte, der „Ruhm dieses Tages“ sollte „ewig gefeiert“ werden. Der Erinnerungsdiskurs diente zur Imagination der Bulgaren als alter Kulturnation, zur kirchen­gemeinschaftlichen Abgrenzung gegenüber den Griechen sowie dem islamischen Erbe und nun auch zu „unserer sittlichen Befreiung“.502 Die reflexive Beobachtung des Diskurses über die Brüder brachte neue Ebenen der Analyse hervor: 1873 konnte der Lehrer N. I. Bacarov aus Russe in der Zeitung „Ruhm (Slava)“ bereits die erneuerte Erinnerung an Kyrill und Method zum Thema eines Rückblickes machen. Dieser Rückblick und nicht das unmittelbare Gedenken an Kyrill und Method sollten das neue Selbstbewusstsein, das „nationale Gefühl in unseren Herzen“ weiter stärken.503 Das Bewusstsein, bereits etwas geleistet und erreicht zu haben, sollte die kollektive Imagination einer Nation weiter festigen. Indem der Redner die gegenwärtige historische Situation mit jener vor einem Jahrtausend gleichstellte, ermöglichte er eine maximale Aktualität des Gedenkens an das Wirken der beiden Brüder.504 Erst mit der Festigung des Projekts einer bulgarischen Gesellschaft wendete sich die diskursive Argumentation über „Feinde“ von außen nach innen: Eine in der Rede von Bacarov nahegelegte Gemeinsamkeit des Mittelalters mit der Gegenwart lag im Kampf mit „Feinden“: „In ihrem ganzen Leben haben sie große Widerwärtigkeiten von den Feinden unserer Aufklärung und unserer Gottesdienste erlitten und besiegt.“ Während

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auch die heutige bulgarische Bewegung (dviženie) den phanariotischen Belzebub schlagen (săkruši) und die heilige Idee der Befreiung des menschlichen Verstandes verbreiten, die von jeder einzelnen geistlichen (kalugersko) Irrung und von jeder einzelnen pharisäischen Götzenverehrung befreit.“ Nezavisimosť, 12.5.1873, Nr. 34, S. 265 f. „Die gläubigen Christen sollen ihr Gewissen reinigen von allem dämonischem Aberglauben, von allen irregulären Sitten (baši-bozuški nravi) und von allen mohammedanischen Gebräuchen“. Nezavisimosť, 12.5.1873, Nr. 34, S. 266. „Heute ist der Feiertag der hll. Kyrill und Method; und dieser Feiertag ist der Feiertag ­unserer sittlichen Befreiung. Auf dass der Ruhm dieses Tages ewiglich gefeiert (se slavi) werde!“ Nezavisimosť, 12.5.1873, Nr. 34, S. 266. „Es ist erst wenig Zeit vergangen, seit das vergessene Gedenken an unsere Aufklärer sich in unseren Herzen erneuerte und begonnen wurde, es in unseren Kirchen und Schulen feierlich zu begehen. Umso mehr wird in unseren Herzen nationales Gefühl geweckt, umso glücklicher wird für uns der heutige Tag, an dem wir das Gedächtnis dieser heiligen Männer begehen“. Slava, 1.7.1873, Nr. 12, S. 177. „Die heutige Zeit gleicht stark jener, zu der die hll. Kyrill und Method lebten; unsere Bestrebungen sind dieselben Bestrebungen, mit denen diese heiligen Männer ihre Mitgefangenen (ednoplennite si), ihre bulgarischen Brüder begeistert und erweckt (sabudili) haben.“ Slava, 1.7.1873, Nr. 12, S. 177.

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die sogenannten „Feinde“ – insbesondere deutsche Katholiken – Kyrills und Methods aber äußere gewesen seien, waren sie im 19. Jh. in dieser Darstellung innere: „Aber, um auf die gewünschten Stufen zu gelangen, haben wir andere große Hindernisse, die aus unserer Mitte erwachsen, von uns selbst… Unter uns ist ein zerstörerischer (gubitelen) Wind, der für uns schrecklicher ist als alle äußeren Winde. Dies ist der Wind, der sich aus unseren Leidenschaften erhebt, wie: dumme Selbstliebe, Stolz, Neid, Hass“.505

Die Brüder dienten hier im Rahmen einer gesellschaftlichen Kontroverse zur Abgrenzung gegenüber angeblich „verderblichen“, unsittlichen Erscheinungen und zur nationalen Disziplinierung einer innergesellschaftlichen Öffentlichkeit, die bereits außerhalb des osmanischen Zusammenhanges entworfen war. Eine Wegmarke in der literarischen Aufbereitung des Themas war die den Brüdern gewidmete Ode Ljuben Karavelovs, die das Periodikum „Wissen (Znanie)“ 1876 ver­ öffentlichte: In ihr nationalisierte dieser wichtige kulturelle und politische Wortführer, er war Herausgeber der Bukarester Zeitung „Freiheit (Svoboda)“ und Mitbegründer des Bulgarischen Revolutionären Zentralkomitees sowie Bruder des Politikers Petko ­Karavelov, Kyrill und Method ganz. Er argumentierte gegen Šafáříks Befund, diese seien „reine Griechen“ gewesen, sie könnten „nicht von fremder Wurzel“ gewesen sein.506 Gegenüber der Entwicklung des Reflexionsgrades des bulgarischen Diskurses über die Brüder hinkte ihre internationale Beobachtung nur kurze Zeit hinterher: Der Historiker Constantin Jireček, der 1876 mit 22 Jahren in Prag die erste moderne Gesamtdarstellung der „Geschichte der Bulgaren“ veröffentlichte, führte die Brüder darin bereits ganz im weltlichen Zusammenhang ein. Er begann damit eine neue Phase ihrer Erinnerung: Von ihrer Verehrung als Heilige war keine Rede und nur in der Kapitelüberschrift nannte er sie „Slavenapostel“. Zwar beschrieb Jireček sie im gleichen Kapitel über die „Christianisirung der Bulgaren“, aber nicht als Bulgaren, sondern als Slaven: Der Historiker hielt ihre Abstammung „aus einer slavischen Familie“ für „sehr wahrscheinlich“.507 In einen bulgarischen Zusammenhang gelangte die Tätigkeit der Brüder nur durch ihre Schüler, die „das in Mähren vereitelte Werk“ unter Boris fortführten.508 Eine Analyse des Einsatzes ihres Gedenkens im Rahmen des Aufbaus einer bulgarischen Nation blieb bei Jireček aus. Sein Werk wurde zur Grundlage eines bulgarischen Gymnasiallehr­buches und hatte auch auf diesem Wege Einfluss auf die Festigung eines bulgarischen Geschichtsbewusstseins. Seine transnationale Biographie steht für die 505 Slava, 1.7.1873, Nr. 12, S. 177. 506 Znanie 1 (6) (1875), zit. gemäß Ljuben Karavelov. Săbrani săčinenija, Bd. 4, S. 215 f.; vgl. Weber (2006), S. 46; Mishkova (2011), S. 232. 507 Jireček (1875), S. 150 f. Auch im Kapitel über die „Altbulgarische Literatur“ behandelte er den allgemeinslavischen Zusammenhang und insbesondere die Kontroversen zwischen dem Tschechen Dobrovský (1823), dem Slowenen Kopitar (1822) und später Šafářík (1837) sowie Miklosich, der letztlich von ältesten „pannonischen“ Denkmälern der Slaven sprach. Jireček (1875), S. 424 – 426. 508 Jireček (1875), S. 160.

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direkte Ein­bettung der nationalgesellschaftlichen bulgarischen Entwicklung in gesamteuropäische Zusammenhänge: Er diente als bulgarischer Bildungsminister und war von 1879 bis 1884 Direktor der Nationalbibliothek und des Nationalmuseums.509 In der Folge war er Professor an der Karls-Universität in Prag und später in Wien. Erst nach der Säkularisierung des Gedenkens an die beiden Brüder im nationalen Diskurs als Schulpatrone und mit der Einrichtung des Fürstentums Bulgarien nach dem Berliner Kongress 1878 veränderte sich ihre Beschreibung nun in einer diskur­ siven Rückkoppelung auch im engeren religiösen Bereich: Der Geistliche Todor Mitov, geistiger Beistand des Revolutionärs Vasil Levski, veröffentlichte 1879 in Sofia eine Sammlung teilweise sehr stark durch ihn aufbereiteter Heiligenlegenden, die er durch die in diesem Jahr eingerichtete 510 „Sofioter geistliche Bruderschaft ,Hochwürdiger Ioan von Rila‘“ herausgeben ließ, zu deren „Hauptbegründern“ er zählte.511 Mitov berücksichtigte in seiner mit geistlicher Zustimmung veröffentlichten Auswahl orthodoxer Heiliger auch Kyrill und Method mit besonderer bulgarischer Bedeutung. Er beschrieb die Brüder zunächst nur als „Aufklärer der slavischen Stämme“. Ihre Herkunft „aus der Stadt Solun (in Makedonien)“ war – laut ihm – ganz selbstverständlich keine slavische.512 Mitov stellte erst zu Ende der Vita mit der Beschreibung der Flucht der Schüler der Brüder aus Mähren einen Bezug zu Bulgarien her: Während die gesäten „Samen“ der Brüder bei den übrigen Slaven angeblich wegen „der Barbarei der papistischen Ignoranz“ nicht keimten, wurde „nur Bulgarien damit geehrt, dass es erblühe in Bildung und Frömmigkeit“.513 Mit solchen Sätzen sollten die transnationale katholische Vereinnahmung der Brüder in Mähren und Rom ausgehebelt und der Alleinanspruch Bulgariens auf das kyrillomethodianische Erbe erhoben werden. Die Beschreibung der Brüder als „Leitsterne“ knüpfte an ältere rhetorische Formen an, ihre kontextuelle Verwendung mit Bezug auf die Träger der nationalen Bewegung hingegen war neu.514 Dennoch blieb das Gedenken an sie „heilig“. Es näherte sich aber trotz der transnationalen, christlichen Verankerung mit dem Umweg über das Slaventum dem nationalen, bulgarischen Zusammenhang an: Ihre Verehrung sollte einen definitorischen Bestandteil der neuen ortho­doxen bulgarischen nationalen Identität ausmachen, ja „jeder Bulgare

509 Popnedelov (1999), S. 149 f. 510 Chimitlijski (1911), S. 7. 511 Chimitlijski (1911), S. 5. 512 M[itov] (1879), S. 12. 513 „Die Samen der verständigen Frömmigkeit und der Orthodoxie wurden von den heiligen ­Brüdern Kyrill und Method in den weiten südwestlichen slavischen Siedlungen großzügig gesät, sie verstummten (zaglăchnăli) aber unter der Barbarei der papistischen Ignoranz. Und nur Bulgarien wurde damit geehrt, dass es erblühe mit Bildung und Frömmigkeit.“ M[itov] (1879), S. 22. 514 „Unsere heiligen slavischen Aufklärer Kyrill und Method waren für uns zu allen Zeiten helle Leitsterne in Richtung unserer nationalen (narodno) Aufklärung und geistigen Wohlentwicklung (blagoprěuspějanie). Ihre Großtaten und Selbstverleugnung im Werk der Predigt und Lehre sollen jedem ein lebendiges und leuchtendes Beispiel für alle unsere geistlichen Lehrer, Volks[schul, S. R.]lehrer und Schriftsteller sein.“ M[itov] (1879), S. 22.

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und jede Bulgarin“ sollte verpflichtet sein, die Heiligen zu kennen und zu verehren.515 Ihre Lebensführung sollte jedem Einzelnen zum „Spiegel“ und Vorbild eines nationalbewussten, modernen Lebens werden: Nachlässigkeit „im Werk unseres Fortschrittes“ sollte nicht weniger ein schlechtes Gewissen und Scham erzeugen als traditionelle Sünden.516 Der Geistliche stellte nationale Disziplinierung im Rückgriff auf religiöse Disziplinierung her. Mitov schloss mit einem inhaltlich national gewendeten, äußerlich aber traditionellen Gebet: Modernes Nationbuilding sollte dank der Fürbitte der Heiligen durch Gott ermöglicht werden. Der zivile, „bürgerliche Aufbau“ sollte „auf das unerschütterliche Fundament der Lehre unserer heiligen orthodoxen Kirche“ gestellt werden. Der Geistliche vertrat damit eine nationalreligiöse Konzeption eines modernen Staatsbürgertums auf angeblich orthodoxer Grundlage. Die in dem Gebet an die Brüder beschworene nationale „Wiedergeburt“ als unabgeschlossener Vorgang, in dem sich das Volk selbst (wieder)gebäre, beschwor und inszenierte diesen mit aller Kraft erwünschten und herbei­gesehnten Prozess.517 Der orthodoxe Geistliche machte Kyrill und Method zu modernen Nationalheiligen, von deren Fürbitte der gesamte gesellschaftliche Aufbau der Nation erwartet wurde. Das Gebet bezeugt die Dringlichkeit des Wunsches nach der Erfüllung der bürgerlichen und nationalen Zielutopie selbst unter der orthodoxen Geistlichkeit, und sei es zu eigennützigen Zwecken: Mitov entwarf die orthodoxe ­Kirche als beschützende Kraft des gesellschaftlichen Fortschritts, um sie in dieser Funktion an die Spitze des modernen nationalen Diskurses zu stellen. C 3.3  Die Millenniumsfeier 1885 als Inszenierung Bulgariens

Die Feier des tausendsten Todesjahres von Method im Jahr 1885 machte den Diskurs der Verehrung der Brüder zum wichtigsten Medium nicht mehr nur der Vorstellungen von nationaler Bildung, Nation, Kirche und Staat, sondern auch zur Bühne der Inszenierung der höchsten Vertreter der diese Vorstellungen repräsentierenden Institutionen. Die Spitzen der bulgarischen Gesellschaft gaben sich in Sofia im Rahmen des

515 „Ihr Gedächtnis ist für uns so heilig, dass wir unsere Kinder schon von klein auf mit ihren unschätzbaren Diensten an der Christenheit allgemein und an der slavischen Welt im Besonderen bekannt machen. Jeder Bulgare und jede Bulgarin muss wissen, was diese Heiligen für uns sind und soll sie angemessen verehren.“ M[itov] (1879), S. 22. 516 „Ihr Leben muss sich jeder von uns wie einen Spiegel vor seine Augen halten, in dem wir ihre Großtaten sehen, damit wir uns unserer Nachlässigkeit (nechajstvo) im Werk unseres Fort­ schrittes schämen.“ M[itov] (1879), S. 23. 517 „O heilige apostelgleiche slavische Aufklärer Kyrill und Method! Mit euren heiligen Gebeten erbittet vom Allmächtigen Gott, vor dessen Thron ihr steht, dass er unser sich wiedergebärendes (văzraždajušt sja) Volk mit Kraft von oben erleuchte, damit es seinen geistigen und bürgerlichen Aufbau (graždansko ustroenie) auf das unerschütterliche Fundament der Lehre unserer heiligen orthodoxen Kirche stellen kann, und zwar in dem Geist, in dem ihr uns gepredigt habt. Amen.“ M[itov] (1879), S. 23.

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Gedenkens an die Brüder die Ehre: Zur Begehung des Jubiläums Kyrills und Methods setzte die „Bulgarische Literarische Gesellschaft (Bălgarskoto Knižovno Družestvo)“, aus der 1911 die Bulgarische Akademie der Wissenschaften hervorgehen sollte, noch im Jahr 1884 eine Kommission ein, „die sich um die leuchtendere Feier dieses großen nationalen (naroden) und allslavischen Feiertags kümmern soll“. Ihre Aufgabe war es, „überallhin, wo es Bulgaren gibt“, Einladungen zu schicken, „damit sie Vertreter zum Festtag entsenden“. Die Feier wurde folglich von Sofia aus geplant und auf die Hauptstadt konzentriert. Das Volk sollte ungeachtet politischer Grenzen durch „Vertreter“ in Sofia als Einheit repräsentiert und reifiziert werden.518 Die bestehenden politischen Grenzen wurden damit symbolisch außer Kraft gesetzt. Als am Morgen des 6. April in der Kirche „Heilig König“ der Gottesdienst zu Ehren der Brüder stattfand, waren „alle Gegenden des weiten bulgarischen Vaterlandes“ durch Schülergruppen in Trachten und mit Fahnen vertreten.519 Das Gotteshaus diente zur Inszenierung der ,mental map‘ einer homogenen und territorialisierten Nation. Die in dieser Passage erstmals dokumentierte Eingliederung explizit auch jüdischer Schüler in Feiern zu Ehren der Brüder wurde im Text, der die Feierlichkeiten beschrieb, nicht weiter kommentiert – er steht aber für den staatlichen Rahmen des Ereignisses als transreligiöser Schulfeiertag, in dem die Teilhabe der Juden geplant und akzeptiert war. C 3.3.1  Die Ansprachen des Metropoliten und des Fürsten

Am Feiertag, dem 6. April, sprach der in Odessa und Kiew ausgebildete Geist­liche Vasil Drumev – Ministerpräsident von 1879 bis 1880 und von 1884 an mit dem Namen ­Kliment Metropolit von Tărnovo – vor der Volksversammlung zu Ehren der beiden Brüder. Er betonte den allgemeinslavischen Zusammenhang sowie den christlich-heilsgeschichtlichen Kontext: „Die Vorsehung“ war für den politisch tätigen Kirchenfürsten weg­weisend.520 Der nationale Kontext sei zwar wichtiger, stand aber doch an

518 Chiljadogodišnij jubilej…, S. 3. 519 „Im Hof waren, neben der Menge, Schüler und Schülerinnen der staatlichen Knaben- und Mädchen­gymnasien, Schüler und Schülerinnen der Volksschulen und Stipendiatenschüler von der israelischen (izrailskoto) Schule. Jede Abteilung hatte ihre Fahne mit der Aufschrift der Nummer der Abteilung. Die Banner- und Fahnenträger waren gekleidet in verschiedene Volkskostüme, die alle Gegenden des weiten bulgarischen Vaterlandes darstellten; und die israeli­ tischen (Izrailtjanitě) Schüler waren über Kreuz (kr’stom) umgürtet (prěpasani) mit breiten weißen Kordeln, auf denen in goldenen Lettern auf bulgarisch die Worte geschrieben standen ,zu Ehren und zum Gedächtnis an die slavischen Aufklärer Kyrill und Method, von der Israeli­ schen Gesellschaft in Sofia.‘“ Chiljadogodišnij jubilej…, S. 5 f. 520 Die aus einem traditionellen religiösen Verehrungstext zitierte Aufforderung, das Gedenken an die Brüder zu feiern, kommentierte er: „Dies sind Worte der allslavischen Geschichte (vseslověnskata Istorija), dies ist die Stimme der allslavischen Schicksale, die von der Vorsehung vorbestimmt sind.“ Sbirka ot rěči i skaski…, S. 33.

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zweiter Stelle.521 Blieb der Metropolit in diesem Bereich stärker in einem transnationalen Zusammenhang, sprach er deutliche Worte zur – anzustrebenden – territorialen Gestalt Bulgariens: „Das Land, in dem unser Volk siedelt, und das heute unter dem allgemeinen Namen ,Bulgarien‘ bekannt ist (gemeinsam mit Thrakien und Makedonien)“.522 Schließlich definierte er mit „unserem orthodoxen Glauben“ und „unserer Schriftlichkeit“ „zwei allmächtige Kräfte“, die „unsere und die allslavischen Schicksale“ bestimmen würden und den Brüdern zu verdanken seien.523 Mit dieser nationaltheologischen Begriffsbestimmung bewegte sich der Metropolit nicht mehr im traditionellen religiösen Rahmen: Er versuchte, die von weltlichen Rednern eingebrachten historistischen und nationalen Vorstellungen mit dem orthodoxen religiösen Diskurs politisch-theologisch zu verbinden. Mit der Rede von der Schrift als einer „allmächtigen Kraft“ neben dem Glauben betrat der Kirchenfürst erfinderisch Neuland und weitete den bisherigen religiösen Diskurs aus. Indem er den weltlichen Diskurs darin einbettete, vereinigte er beide Diskursstränge und gab mit dem Entwurf der Synthese eine neue Richtung vor, die die Kirche an die Spitze der diskur­siven Entwicklung der Nation stellte: Drumev beanspruchte virtuos die Deutungshoheit über die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft Bulgariens für sich selbst. In diesem Sinne erinnere der Tag die Bulgaren daran, „was für uns von Kyrill und Method getan wurde, das uns Leben und Fortschritt gab, gibt und ewig geben wird“.524 Damit verbunden war die Formulierung von Handlungsanweisungen für die Gesellschaft: Die Feiern und Prozessionen an diesem Tag seien nur die „äußere Seite“ oder das „Symbol“ dessen, was „innerlich“ vollbracht werden sollte: „Dass wir uns bemühen, nicht nur das alles, was uns von den hll. Kyrill und Method gegeben wurde, zu bewahren, sondern dass wir es entwickeln und vervollkommnen“. Diese Tätigkeit bezeichnete er sodann als staatsbürgerlichen und nationalen „uneigennützigen Dienst am Volk“.525 Der hohe Geistliche und frühere führende Politiker bettete in diese Sätze den in den Jahren zuvor entwickelten welt­ lichen Diskurs des Gedenkens an die beiden Brüder in den geistlichen Diskurs ein und stellte sich und die Kirche als Kraft des Fortschritts einer nationalen und orthodoxen Staatsgesellschaft dar. Nach dem Metropoliten hielt Fürst Aleksandr von Battenberg im Parlament eine wegweisende Ansprache und eignete sich seinerseits den bisher gerade nicht durch Staatsmänner vorangetriebenen Diskurs an: Gleich im ersten Satz machte er deutlich, 521 Der Tag sei „sehr freudig für alle Slaven. Aber er ist es am meisten für uns – die Bulgaren.“ Der Metropolit war bemüht, eine angemessene Formel zu finden, die nicht zu sehr von der überlieferten allgemeinslavischen Verehrung abrückte: „Das bulgarische Volk feiert das tausendste Jubiläum seiner allslavischen Apostel und Aufklärer!“ Sbirka ot rěči i skaski…, S. 34. 522 Sbirka ot rěči i skaski…, S. 35. 523 „Aber diese beiden allmächtigen Kräfte, durch die der Schöpfer nicht nur unsere, sondern auch die allslavischen Schicksale vorgezeichnet und festgelegt hat, sind uns von unseren heiligen Aposteln und Aufklärern Kyrill und Method gegeben worden.“ Sbirka ot rěči i skaski…, S. 39. 524 Sbirka ot rěči i skaski…, S. 39. 525 Sbirka ot rěči i skaski…, S. 40.

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dass es sich bei den beiden Brüdern um „unsere apostelgleichen Heiligen“ handelte.526 Ihre „kirchliche Tätigkeit“ sei, so der Fürst, „zu ihrer Zeit auch national (narodna)“ gewesen. Die geschenkte Schriftlichkeit ermöglichte es angeblich nicht nur, die Bibel „in der eigenen Sprache“ zu lesen. Der Gebrauch des neuen Mediums gab „dem Volk“ auch die Möglichkeit, „seine Erinnerungen zu bewahren“ und – als direkte Folge – die Fähigkeit zur Selbsterkenntnis der „Individualität“ als Volk. Dies alles sei das Ansinnen der Brüder gewesen.527 Religiöse Kommunikation mit Gott in der angeblichen „Muttersprache“ und der in ihr entstandene „religiöse Geist“ waren nicht das eigentliche Ziel der Brüder, sondern der wesentliche Faktor, damit „die slavische Nationalität“ in der „Geschichte“ eine zweite Geburt erfahren konnte. Für diese Nationalität – nicht aber nur für die Bulgaren – verlangte der Fürst einen „Ehrenplatz“ in der Menschheitsgeschichte.528 Von der Darlegung dieser angeblichen ,Selbstwiedergeburt‘ und Selbstpositionierung in der Geschichte während des 9. Jh. ging Aleksandr in die frühe Neuzeit und darauf in die Definition der Gegenwart über. Erst an dieser Stelle vollzog der Fürst den Sprung von der Beschreibung der „slavischen Nationalität“ zum „bulgarischen Volk“: Alle bisherigen Bemerkungen bezogen sich auf das Slaventum insgesamt, nicht aber explizit auf die Bulgaren. Der „Geist“ des bulgarischen Volkes, der sich aus dessen muttersprach­ lichen Beziehung zu Gott entfalten sollte, stellte in der Logik seiner nationaltheologischen Argumentation die Existenz der Bulgaren vom 9. Jh. bis ins 19. Jh. sicher – aus ihm wurde der bulgarische Staat geschaffen.529 Die Brüder aus Saloniki wurden sodann 526 Chiljadogodišnij jubilej…, Beilagen, S. 28; Auch: Sbirka ot rěči i skaski…, S. 41 f. 527 Über den Zweck ihres so lange zurückliegenden Handelns fuhr er fort: „Sie hatte zum Ziel, das slavische Volkstum (bzw. die Nationalität: narodnosť) von Völkern und Kräften zu trennen und zu erhalten, die sie umgaben, sowie ihre geistige, sittliche und religiöse Erhöhung (văzvišenie). Mit diesem Ziel gaben sie dem Volk in erster Linie die Schriftlichkeit, die es ihm ermöglichte, seine Erinnerungen zu bewahren und in der Geschichte seiner Gewohnheiten und Gebräuche seine Individualität (individualnosť) als Volk zu erkennen, das in der Beziehung zu den anderen unabhängig ist. Mit diesem Ziel gaben sie unserem Volk die Bibel in seiner Muttersprache“. Chiljadogodišnij jubilej…, Beilagen, S. 28. 528 Mit demselben Ziel, so der Fürst, „gaben sie dem Volk die Möglichkeit, sich im Gottesdienst mit Gott in der eigenen Sprache zu verständigen und so seine seelische Einigung mit ihm zu sichern. Und jawohl, durch diesen ihren religiösen Geist wurde die slavische Nationalität wieder­geboren (im Bulgarischen reflexiv: se e văzrodila), mithilfe ihres Glaubens ist sie in die Geschichte eingetreten (vlězla v istorijata) und hat sich in ihr einen Ehrenplatz gesichert.“ Chiljadogodišnij jubilej, Beilagen, S. 28 f. 529 „Insbesondere das bulgarische Volk hat sich während der Zeit seiner Versklavung (robstvo) durch diesen seinen Geist [der „religiöse Geist“, der zuvor als jener aller Slaven beschrieben worden war? S. R.] behauptet, und die Worte ,für den Glauben‘ waren die Devise, mit der ­Paisij, Sofronij, Neofit – Bozveli, die Akteure (dějatelitě) des heiligen Rila-Klosters und andere den Weg für die große Sache (velikoto dělo) der Befreiung bereiteten. Weil es anerkannt ist, dass Staaten sich nur aus dem unterhalten (poddăržat) können, woraus sie geschaffen wurden, soll dies uns als Lektion und Unterweisung dienen, vor allem im religiösen Leben die tiefen ­Wurzeln unserer Kraft zu suchen.“ Chiljadogodišnij jubilej, Beilagen, S. 29.

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als Bulgaren hervorgehoben, deren „Gabe“ an alle übrigen Slaven nicht zuletzt die aktuellen Interventionen St. Petersburgs zugunsten Bulgariens als einen ohnehin seit Jahrhunderten ausstehenden Akt russischer Dankbarkeit erklären sollte. Sowohl die Rede vom „Genius des bulgarischen Volkes“, welches die Brüder hervorbrachte, als auch die vom zeitlich unbefristeten, in der Erinnerung zu vergegenwärtigenden „heiligen Vermächtnis“ der Brüder, das die Bulgaren offenbar treuer als andere hüteten,530 verwiesen auf seit August Ludwig von Schlözer und Šafářík nicht mehr so explizit erneuerte gedankliche Horizonte der nationalen Romantik. Die beiden Heiligen wurden in den Sätzen des Fürsten zu Garanten der zukünftigen Entwicklung des Volkes in jeder Hinsicht. Aleksandr sprach von ihnen, als ob sie gegenwärtig wären, und ihre Gegenwart wies in seinen Worten den „Geist“ im Volke nach. Dieser wiederum sollte auch die in der Konkurrenz mit den benachbarten Nationen wahrgenommene Rückständigkeit bei der Verwirklichung der Zielutopie des gesellschaftlichen Fortschritts überwinden helfen können.531 Die Arbeit „im Geist“ der Brüder erschien als das vielversprechendste Mittel, selbst die noch unbekannten nationalen Aufgaben der Zukunft zu meistern. Die direkte Energiequelle für das Volk sollte die aktive Erinnerung darstellen, die Vergegen­ wärtigung der Brüder – allerdings nicht mehr in der Form traditioneller Heiliger, sondern als Erzeugnisse des „Genius“ der Bulgaren.532 Aleksandr stellte sich mit dieser Rede und dem Diskurs über die Brüder seinerseits an die Spitze des bulgarischen Nationaldis­ kurses, den er im Vergleich zum Metropoliten Kliment in eine deutlich weniger religiös und überwiegend weltlich-romantisch aufgeladene Richtung wies. Noch wichtiger als für Drumev war bei dem deutschen und katholischen Adligen das Anliegen, sich damit innen- und außenpolitisch selbst als Fürst der Bulgaren zu legitimieren und die eigene Stellung zu festigen.

530 „Mit den beiden heiligen Brüdern Kyrill und Method hat das Genie (genija) des bulgarischen Volkes – denn dies ist unser leuchtendes Doppelgestirn – den slavischen Mitbrüdern eine solch große Gabe gegeben, wofür es sich das Recht auf ewige Anerkennung verdient hat, die sich noch verstärkt hat durch die Treue, mit der wir allem Ungemach zum Trotz das heilige Vermächtnis (svetoto zavěštanie) der heiligen Apostelgleichen gehütet haben.“ Chiljadogodišnij jubilej, Beilagen, S. 29. 531 „Seither haben wir, gehemmt durch Hindernisse, wirklich wenig zur begonnenen Entwicklung der Slavischen Nationalität beitragen können. Aber die heiligen Brüder Kyrill und Method sind ein Unterpfand dafür, dass in unserem Volk ein tiefer und weitsichtiger Geist verborgen ist, der nur freier Tätigkeit bedarf, damit auch wir würdig vor die Welt treten und uns in die Reihe der fortgeschritteneren unserer Slavischen Brüder einordnen.“ Chiljadogodišnij jubilej, Beilagen, S. 29 f. 532 „Und so möge der heutige Tag der großen Erinnerung für uns ein Ansporn sein, unermüdlich im Geist dieser großen Lehrer des Slavischen Stammes zu arbeiten, für unsere innere Entwicklung, und dass wir uns damit darauf vorbereiten können, den Aufgaben gewachsen zu sein, welche die Zukunft uns auferlegt. Gott möge uns dabei helfen.“ Chiljadogodišnij jubilej, Beilagen, S. 30.

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C 3.3.2  Reden von akademischen nationalen Wortführern

Den Ansprachen der beiden kirchlichen und politischen Führer, die um die diskursive Führung in der Gesellschaft wetteiferten, folgte im Parlamentsgebäude ein Literaturabend, zu dem die „Bulgarische Literarische Gesellschaft in Srědec“ einlud. In diesem Rahmen hielt einer ihrer Begründer, das frühere Mitglied des Staatsrats und damaliger Direktor der Nationalbibliothek Vasil D. Stojanov, eine Ansprache zur „globalen Bedeutung der Großtaten und Werke der hll. Kyrill und Method“.533 Auch dieser Wortführer der schmalen Gruppe bulgarischer Gelehrter, der mit Drumev und Drinov 1869 in Brăila die „Bulgarische Literarische Gesellschaft“ ins Leben gerufen hatte, vermittelte gerade mit dem Medium der Erinnerung an die Brüder den Zuhörern und Lesern die Vor­stellung, die Nation als Einheit zu denken. Die orthodoxe Religion war auch für den früheren Politiker neben der Nationalität die wichtigste Bedeutungsebene, mit der er das ­Handeln der Brüder in einen Zusammenhang stellte. So sah er ihre Taten ganz in einem gottgelenkten, heilsgeschichtlichen Kontext.534 Obschon Stojanov das bulgarische Volk auch hier vor den übrigen Slaven nannte, verband er mit dem Gedenken an die Brüder zahlreiche transnationale, auf das Slaventum insgesamt ­zielende Inhalte.535 Der Redner brachte dabei eine verklärte, Tugenden und Religiosität der Slaven romantisierende Sicht zum Ausdruck und sprach nur für die Slaven insgesamt von „Nationalität (narod­nosť)“.536 Die „Bedeutung [des Werks der Brüder, S. R.] für die ganze Menschheit“ zeigte sich in der dem Slaventum zugeschriebenen, den rechten Glauben bringenden Rolle.537 Stojanov unterschied den „großen slavischen Stamm“ als „einen der jüngeren Brüder der übrigen europäischen Völker“ von angeblich älteren Völkern Europas und behauptete, dieser sei „von der Vorsehung selbst aufgerufen, das Ideal des christlichen göttlichen Glaubens zu verwirklichen“.538 Der Direktor machte die Brüder zum höchsten Prinzip 533 In ihr diente die Feier des Jubiläums an erster Stelle als Gelegenheit zur Imagination eines als homogen entworfenen bulgarischen Volkes und der übrigen Slaven, ungeachtet ihrer Kon­fession: „Das ganze bulgarische Volk feiert in diesen Minuten aufs Feierlichste das tausendjährige Gedenken an Method von seinem Tod bis jetzt. Dieses Gedenken wird auch in allen anderen slavischen Ländern, in den orthodoxen wie in in den nichtorthodoxen, begangen.“ Stojanov (1885). 534 Sie waren tätig, „um ihre durch die Vorsehung vorbestimmte Aufgabe ruhmreich zu erfüllen, den christlichen Glauben unter dem bulgarischen Volk und den anderen slavischen Stämmen“ zu verbreiten. Stojanov (1885), S. 43. 535 „1. Von allen Völkern der Welt, besonders in Europa, ist bekannt, dass nur die Slaven sich bis zum Äußersten (ot kraj) an Güte (dobrota), Menschenliebe, Gastfreundschaft, wahrer gegenseitiger Ehrung u. a. auszeichneten, mit anderen Worten, dem Slaven ist am stärksten dieses Element angeboren, das, so kann man sagen, das Wesen des wahrhaften christlichen Glaubens ausmacht.“ Stojanov (1885), S. 44. 536 Stojanov (1885), S. 45 f. 537 „Am fähigsten sind die Slaven, die Orthodoxie zu tragen und unter den Völkern der ganzen Welt den wahrhaften christlichen Glauben zu verbreiten“. Stojanov (1885), S. 48. 538 Stojanov (1885), S. 48.

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der slavischen Nationalität.539 Stojanov schrieb ihnen als prädestinierten Verwirklichern des christlichen Ideals und den Slaven als Nation eine globale messianische Rolle zu: Nation und Religion erschienen als unauflösliche Einheit, wobei der Nation noch keine a priori wichtigere Rolle zukam. Das Gedenken an die Brüder wurde in dieser Rede eines der Wortführer des jungen Staates und seiner wissenschaftlichen Elite konsequent dazu eingesetzt, das gescheiterte großbulgarische Projekt von San Stefano zu propagieren und zu legitimieren. Die Beschwörung des Slaventums verdankte sich der Erwartung, das „heilige Russland“ werde sich weiterhin als politisch-theologisches Instrument der Vorsehung territorialpolitisch zugunsten Bulgariens einsetzen.540 Der Text bezeugt ein in Bulgarien bisher kaum so euphorisch vertretenes Bekenntnis zum Slaventum als Nationalität. Auch andere führende Gelehrte und Politiker meldeten sich zu Wort: In einer erweitert auch gedruckten Fassung einer Rede auf der Abendveranstaltung der „Bulgarischen Literarischen Gesellschaft“ am 8. April beschrieb ein weiteres ihrer Mitglieder, der bis 1884 zweimalige Außenminister Bulgariens Marko Balabanov, die Brüder als „aus­erwählte und selbstentsagende Krieger (vojnici) im grenzenlosen Feld der menschlichen Bildung“. Der Jurist zitierte Chateaubriands Eulogie auf die zwölf Apostel in dessen Werk über das „Génie du Christianisme“.541 Die Militarisierung des Gedenkens an die Brüder, noch dazu durch einen früheren Außenminister, blieb aber zunächst weiterhin die Ausnahme. Nach einem weitschweifigen Exkurs zur so­genannten „Ostfrage“ und zur bulgarischen Geschichte im Zusammenhang mit Byzanz erweiterte Balabanov den Inhalt der Erinnerungskultur aus dem missionarischen und bildungsgeschichtlichen Bereich hin zum kriegerischen und staatspolitischen Diskurs. Balabanov distanzierte sich zwar von der Imaginierung der Heiligen als „Eroberer“ und „Staatsleute“. Indem er die Differenz des Inhalts des Gedenkens zu den direkten Taten der Heiligen hervorhob, zeigte er, dass er sich über den erfinderischen Charakter der von ihm selbst vorgenommenen Bedeutungsaufladung im Klaren war. Balabanov war in der Lage, den Diskurs reflektiert zu beobachten, wie die Beschreibung der Brüder als „Hebel“ zur „politischen Wiedergeburt“ bezeugt.542 Der langjährige

539 Kyrill und Method seien „unser größter Stolz, sie sind unsere Allnationalität (vsenarodnosť) und Ehre vor der gesamten Menschheit“. Stojanov (1885), S. 49. 540 In diesem Sinne gab er der politisch-religiösen Hoffnung Ausdruck, dass „mit der großherzigen Hilfe unseres gotterwählten Befreiers, des heiligen orthodoxen Russland, es möglich wird, dass unser ganzes Volk das heilige Gedächtnis an Kyrill und Method dort feiert, von wo zuerst die Morgenröte (…) auf das ganze slavische Geschlecht ausstrahlte, – in S o l u n , dem Heimatort der hll. Kyrill und Method“. Stojanov (1885), S. 50. 541 Balabanov (1885), S. 53. 542 „Das Werk der beiden Soluner Brüder, indem es die Ostslaven [sic!] während ganzer Jahrhunderte vor dem völligen Untergang (zatrivanje) bewahrte und durch verschiedene historische Peripetien, dient ihnen in dieser Richtung auch als Hebel zu ihrer politischen Wiedergeburt. Die Slavischen Erstlehrer waren keine Eroberer, aber sie eroberten durch ihre Predigten eine ganze Welt und unterwarfen sie der christlichen Zivilisation; sie waren wirklich keine Staatsleute

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Politiker Balabanov, der noch 1901 Parlamentsvorsitzender wurde, setzte den Diskurs ganz bewusst pragmatisch ein: So stellte Balabanov Überlegungen über ihre Eignung zur Verehrung als angebliche Förderer von Nationen an.543 Als einer der ersten Redner versuchte Balabanov, sich in die Begriffswelt der Zeit des Wirkens der Brüder hineinzudenken und diese von seinen zeitgenössischen national-romantischen Diskursen zu unterscheiden. Diese Einschränkung hinderte ihn nicht, die Brüder wegen von ihnen nicht beabsichtigten Folgen ihrer Mission zu verehren: Das „Werk“ der Brüder „dient unserem Volk als heiliges Banner bei der noch lebendigeren (po-životo) Erweckung im gegenwärtigen Jahrhundert; es wird auch eine der ersten Bedingungen zu seiner Auferstehung zu neuem politischen Leben sein“.544 Der Gebrauch der religiösen Vorstellung von der „Auferstehung“ zur Vorstellung des Neuanfangs im „Leben“ einer Nation oder eines Reiches war zu diesem Zeitpunkt längst in den deutschen Diskurs eingeschrieben.545 Etwa schrieb ein Flugblatt im Frühling 1813: „Der Tag des Heils ist da, der Tag der Errettung, der Erlösung und Auferstehung“.546 Wie die Rede von der „Wiedergeburt“ der Nation war der Begriff der „Auferstehung“ von Balabanov aus diesem bzw. dem übergreifenden europäischen Diskurs übernommen worden. Diese gegenwärtige Bedeutung der Brüder erklärte er in der Förderung panslavischer Zusammenarbeit bis hin zu einer „slavischen Konföderation“ im Bereiche „geistiger, wissenschaftlicher und literarischer Tätigkeit“.547 Die Referenz auf Danilevskij bezeugt den panslavischen Kontext dieser Wünsche, obschon der Autor auf ideologische Unterschiede verwies.548 Auf dieser Grundlage kam der ehemalige Außenminister Balabanov zur gegenwärtigen Bedeutung der – nicht als junge Erfindung der Nationalbewegung, sondern als alte Tradition dargestellten – Feier des Gedenkens an die Heiligen: Ihre „höhere

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(dăržavnici), aber sie trugen am meisten bei zur Grundlegung der Wiedergeburt ganzer Staaten.“ Balabanov (1885), S. 78 f. „Tatsächlich hatten sie als Männer ihrer Zeit und ihren Berufes unsere heutigen Begriffe von Nationalität nicht und konnten sie nicht haben und sie verstanden den Patriotismus nicht so, wie er in Athen und in Rom verstanden worden war, oder wie wir ihn heute verstehen; (…) aber durch ihr aufklärerisches und bildendes Werk haben sie ganze Nationalitäten gestaltet und einen großen Teil der Menschheit zum Bewusstsein gebracht (svěstili).“ Balabanov (1885), S. 79. Balabanov (1885), S. 79. Gramley (2001), zu Theodor Mommsen 1848: S. 227, zu Adolph Wagner 1871: S. 349. An die Deutschen jenseits der Elbe [Frühjahr 1813], recto, in: [Bayerische Staatsbibliothek München] Sammlungen von Flugblättern, Proclamationen, Armeeberichten u. s. w. aus den Kriegsjahren 1812 – 184, namentlich 1813, o. O. [1812 – 1814], zit. gemäß Leonhard (2008), S. 257. Eine Einigung der Slaven „in einem politischen Körper“ möge „Theorie“ oder „Utopie“ ­bleiben, für den Bereich von „geistiger, wissenschaftlicher und literarischer Tätigkeit“ hingegen sei „aber eine Form einer slavischen Konföderation (…) nicht unmöglich“. „Auf diese Weise müsste sich nicht nur das Vermächtnis der beiden Soluner Brüder breiter erfüllen, nicht nur im tatsächlichen Sinn, sondern auch ein neuer Horizont würde sich am Himmel für die zukünftigen Schicksale des Slaventums eröffnen“. Balabanov (1885), S. 81. Balabanov (1885), S. 81.

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Bedeutung“ sollte darin bestehen, „die bulgarische Bevölkerung“ für die Vollendung des „zivilisatorischen Werks“ der Brüder „erneut zu begeistern“.549 Um den Diskurs in diese Richtung zu lenken, versuchte er, diese Funktion mit der Rolle der Religion in der modernen Gesellschaft zu belegen.550 Durch die gehäufte Referenz auf polito­logisch-philosophische Ikonen des Bürgertums des späten 19. Jh., aber auch das russische Vorbild 551 versuchte Balabanov, die Modernität einer religiös-gesellschaftlichen Bedeutungsaufladung des Gedenkens an die beiden Brüder nachzuweisen. Kyrill und Method wurden so zum Medium der Propagierung eines orthodoxen Entwurfs einer bürgerlichen, liberalen Modernität. Die Brüder blieben dabei auch als religiöse Erinnerungsfiguren, als Segensspender, bewusst bestehen, wenngleich nur im Hintergrund.552 Auch die Naturwissenschaften wurden 1885 mit dem Diskurs über Kyrill und Method verbunden: In derselben Broschüre,553 die dem Jubiläumsjahr gewidmet war und in der die bisher besprochenen Reden publiziert worden waren, erschien auch ein Beitrag „Über die Beziehung der Naturphilosophie zum Glauben“ des Chirurgen und Mitglieds der Fortschrittlich-Nationalen Partei Dr. D. Mollov. Der russophile Absolvent der Moskauer Universität und ehemalige Bildungsminister (1883 – 1884) ließ keinen Zweifel an seinem Glauben an die Segnungen der Wissenschaft.554 Anspielend auf das Werk der Brüder stellte er fest, im Gegensatz zur katholischen Kirche habe „die orthodoxe

549 „Die Feiertage und Feierlichkeiten, die seit so langer Zeit (tolkoz vrěme) bis heute in diesem Volk zu Ehren der beiden slavischen Erstlehrer abgehalten werden, sind nicht nur und sollen nicht nur Mittel oder Gelegenheiten zur Unterhaltung und Belustigung sein. Sie haben eine höhere Bedeutung. Sie sollen dazu dienen, die ganze bulgarische Gesellschaft von neuem zu ­begeistern, wie sie ihr gleichzeitig Anlass geben, das zivilisatorische Werk, das die beiden Wohltäter der Menschheit vor einem Jahrtausend vollbracht haben, gerechter und höher zu schätzen.“ Balabanov (1885), S. 82. 550 Mit Verweisen auf Montesquieu, den Liberalen und Heidelberger Professor Bluntschli und andere fand er die Grundlagen dieser Gesellschaft in der Religion: „Ohne Religion hat die Gesellschaft im eigentlichen Sinne nicht existiert, ohne Religion zerfallen die Grundlagen und der Eckstein jeder menschlichen Gesellschaft, ohne Religion löst sich auch selbst die Freiheit auf.“ Balabanov (1885), S. 86. 551 Nicht nur das Vorbild Russlands („Ohne hier von der Kraft zu sprechen, mit der die Religion den mächtigen slavischen Staat Russland stärkt, errichtet und erhöht“) als insbesondere die Beispiele England und Amerika sollten dies belegen. Balabanov schloss mit dem Voltaire-Zitat „God and Liberty!“ ganz in liberal-nationalem, bürgerlichem Sinne. Balabanov (1885), S. 86. 552 „Gott und Freiheit! Hoffentlich werden diese beiden bedeutsamen Worte, die hier auf diese Weise anlässlich einer großartigen national-religiösen Feier eingebracht wurden, für immer die Grundlage und der Kranz des allgemein nationalen (obšnarodni) bulgarischen Daseins (bit) sein und seiner ununterbrochenen Entwicklung unter dem unsichtbaren Segen der beiden Soluner Brüder, Prediger und Befreier“. Balabanov (1885), S. 86 f. 553 Sbirka ot rěči i skaski…. 554 „Mit dem wissenschaftlichen Aufschwung“ der letzten Jahre sei es „natürlich (…), dass auch die Lösung solcher Fragen erwartet wird, die nicht der Erfahrung und Beobachtung unterliegen,

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Kirche der Wissenschaft geholfen und sie hilft ihr; das leuchtendste Beispiel sind wir Bulgaren“.555 Kyrill und Method sollten als Beweis herhalten.556 Dank des Glaubens sollten die Bulgaren in den Wissenschaften der „Sackgasse des Sozialismus“ oder dem „Labyrinth des Atheismus“ entgehen.557 Nicht nur für die Politik und den Aufbau eines Nationalstaates auf der Grundlage einer zu entwickelnden national-religiösen Philosophie, sondern auch im Bereich der modernen Wissenschaften sollte Bulgarien dank der Brüder in der Gegenwart unter den übrigen europäischen Nationen Anerkennung finden und mit eigener Europäizität ebenbürtig auftreten dürfen sowie in Zukunft eine glänzende Rolle übernehmen können. C 3.3.3  Die Feiern als Leistungsschau des modernen Nationalstaatsprojekts

Die in der Publikation enthaltenen Ansprachen stellten eine eigentliche performative Leistungsschau der Wissenschaften und der parlamentarischen politischen Führung Bulgariens dar: Die staatstragende wissenschaftliche Elite stellte gemeinsam mit der politischen und religiösen Führung des jungen Staates mit trendigen Bedeutungsaufladungen der beiden Brüder ihre Modernität und damit ihre Existenzberechtigung und die Zukunftschancen ihres Projektes, des bulgarischen Staatswesens als parlamentarische Monarchie, unter Beweis. Das erste wie das letzte Wort sollte Vasil Drumev alias Metropolit Kliment haben, der noch vor Fürst Aleksandr im Parlament gesprochen hatte: Er stellte der Broschüre eine Einleitung mit einer historistischen Sicht auf die Ereignisse voran.558 Die Euphorie über die wenige Jahre zuvor erfolgte Einrichtung des

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nämlich philosophischer Fragen: über die Seele, den Ursprung der Welt und des Menschen“ und auch über das Wesen Gottes. Mollov (1885), S. 89. Mollov (1885), S. 92 f. „Aber es gibt keine Zweifel, dass die Wissenschaft bei uns tiefe und gesunde Wurzeln wachsen lassen wird, wie sie die Predigt der Soluner Brüder hat wachsen lassen“. Mollov (1885), S. 93. „Unter dieser Bedingung und wegen des positiven Charakters und des gesunden Verstandes des Bulgaren, wird unser Volk nicht nur nicht in Widerspruch zum Glauben seiner Väter treten, sondern sich die positive und gesunde moderne Wissenschaft aneignen und gemeinsam mit seinen orthodoxen slavischen Brüdern zu ihrem Leuchter werden. Und wie es im 9. Jh. zum Vermittler der christlichen Lehre unter den Slaven vom Osten nach Westen wurde, wird es in Zukunft zum Verbreiter der westlichen Wissenschaft nach Osten werden; dazu hilft ihm auch die geographische Lage. Und in diesem Fall können wir mutig hoffen, dass Bulgarien die ­heutige Feier noch eine ungezählte Anzahl von Jahrtausenden feiern wird.“ Mollov (1885), S. 93. Erst nach vier Seiten kam er explizit auf die Brüder zu sprechen – auf den Seiten zuvor hielt er es für angebracht, die historische Bedeutung des Ereignisses in allgemeinen Sätzen anzu­ deuten. Wesentlich ist der nationales und historisches Bewusstsein mobilisierende Charakter seines Textes. „Wir sind nicht nur Zeugen und Augenzeugen sehr großer, für unser Volk sehr wichtiger Ereignisse in unserer Geschichte, sondern – was das Wichtigste ist – uns ist das Los zugefallen, lebendig und aktiv an ihnen teilzunehmen und für ihre Entwicklung zu arbeiten. Unsere Generation ist geehrt zu sehen, wie die 500 Jahre alten flammenden Wünsche und Erwartungen unserer Väter, Großväter und Vorväter in Erfüllung gehen.“ Drumev (1885), S. 2.

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­bulgarischen Fürstentums ließ den Autor die Bulgaren in einem Aufbruch epochalen Ausmaßes verorten. Darauf äußerte sich der Metropolit über die Qualität der „natio­ nalen Freiheit (svobodata narodna)“ 559 und definierte den „wahrhaften Patrioten“.560 Der Feiertag wurde als „Denkmal der Kraft und Wohltätigkeit (blagotvornosť) des nationalen Genius (na narodnija Genij)“ zur Projektionsfläche aller nur denkbaren nationalen, säkularen Zielutopien und Sehnsüchte nach dem Vorbild des romantisch-nationalen mitteleuropäischen Bürgertums 561 – ohne dass der Name der Brüder in diesem Text ­bisher erwähnt worden wäre. Die inhaltliche Aufladung der Erinnerung an sie hatte sich weitgehend verselbstständigt. Von traditioneller religiöser Memoria war in diesem Text des Kirchenfürsten und Politikers keine Spur mehr übrig. Der Wunsch und das vorgebliche Anrecht auf einen „Ehrenplatz in der Menschheitsgeschichte“ waren das höchste Ziel Drumevs – er formulierte ihn zur Sicherheit gleich noch einmal, nun mit dem expliziten Hinweis auf die Brüder.562 Dieses Anrecht war letztlich wichtiger als die Brüder selbst, die nur als Mittel zu diesem Zweck herangezogen wurden. Nach dem Erlangen der kirchlichen Autonomie und der Souveräni­tät des 559 „Ein Schönes, Unbezahlbares, Göttliches Ding ist die nationale Freiheit.“ Drumev (1885), S. 2. 560 „ – nur wenn wir aufrichtig unser Volk lieben, wenn wir wahrlich das Gute wünschen, und wenn wir bereit sind, mit allen unseren Kräften für dieses Wohl zu arbeiten, wenn wir also wahr­haftige Patrioten sind“. Drumev (1885), S. 3. 561 „Der 6. April dieses Jahres ist für uns ein großes historisches Ereignis. An diesem Tag begeht unser Volk einen der größten Feiertage, wie sie selten in der Geschichte der Völker sind, es feiert ein Ereignis, das Völker selten feiern, ein Ereignis, – das nicht nur den nationalen Geist weckt, sondern auch reine und heilige Freude über die Gegenwart, gerechten Stolz auf die Vergangenheit und festen, unerschütterlichen Glauben an die Zukunft; denn ein solches Ereignis ist das ewige Denkmal der Kraft und Wohltätigkeit (blagotvornosť) des nationalen Genies (na narodnija Genij), untrüglicher (neziblemo) Beweis kräftiger sittlicher Grundlagen zum dauerhaften nationalen Bestehen, unerschöpflicher Quell geistiger Nahrung, Kraft und Mittel zum Kampf, zum Sieg und zum ständigen Fortschritt des Volkes in sittlicher und geistiger Beziehung, durch welchen Fortschritt Freiheit und nationaler Wohlstand (blagopolučie) erobert werden, sowie ein Ehrenplatz in der Geschichte der Menschheit.“ Drumev (1885), S. 4 f. 562 Erst an dieser Stelle wurde auch klar, dass Drumev die Bulgaren als Volk vom „ganzen Slaventum“ unterschied und bisher nicht eine slavische Nationalität beschrieben hatte. Die Bedeutung des Feiertages liege im Gedenken an die tausendjährige „bewusste Existenz“ des Volkes und die „Erscheinung unseres nationalen Genies“, welche die Bulgaren erst zum „historischen“ Volk gemacht habe, und zwar mit Anspruch auf den genannten „Ehrenplatz“: „Dieser große Feiertag, dieses für unser Volk und das ganze Slaventum große, historische Ereignis ist das Tausendjahrjubiläum des seligen Verscheidens des h l . M e t h o d , des Bruders des hl. Kyrill, – unserer allslavischen Aufklärer und Apostel. Die Bedeutung dieses Feiertages ist für uns eine zweifache, zwei große Fakten in unserer Geschichte begehen wir am 6. April dieses Jahres, namentlich: Das t a u s e n d j ä h r i g e J u b i l ä u m unserer verständigen (razumno) und bewussten Existenz und das t a u s e n d j ä h r i g e J u b i l ä u m der Erscheinung unseres nationalen Genies in einem solchen Ausmaß, dass es fortan nicht mehr möglich war, dass wir nicht nur ein h i s t o r i s c h e s Volk werden, sondern dass wir auch Anrecht auf einen Ehrenplatz in der Geschichte der Menschheit haben.“ Drumev (1885), S. 5.

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Fürstentums musste auch der kulturhistorische Nachweis auf ein eigenstaat­liches Existenzrecht geleistet werden – und möglichst gleich auf dem „Ehrenplatz“ der Geschichte. Nach Ausführungen zum „gesunden sittlichen Organismus“ 563 eines Volkes sowie zum „nationalen Leben“ als „Kampf“ 564 beschrieb Drumev das „große und heilige Werk“ der Brüder nicht nur in romantischer Metaphorik als „Grundlage unseres gesunden Volksorganismus“, sondern auch als „unerschöpfliche Quelle unserer gesunden sittlichen Kräfte“.565 Das „Werk“ wurde zur Begründung einer legitimen Daseinsberechtigung dieses Volkes und seiner „Selbstständigkeit“ im globalen historischen Kontext.566 Der Kirchenfürst stilisierte das Werk der Brüder sowohl nach innen als auch gegenüber den „anderen historischen Völkern“ zur alles umfassenden Legitimation des historischen, gegenwärtigen und zukünftigen Daseins der Bulgaren. Die Einforderung der gänzlichen politischen Selbstständigkeit, die mit der Schaffung des weiterhin tributpflichtigen Fürstentums noch nicht erlangt war, wurde als Konsequenz aus dem Werk der Heiligen legitimiert. Aber nicht nur im nationalen, auch im slavischen Zusammenhang suchte und fand der Metropolit Grund zu Respekt heischenden Einschätzungen.567 Das Slaventum beschrieb auch der Kirchenfürst als ein einheitliches „Volk“ und nicht explizit transnational gedacht: Die kurz zuvor eingeforderte bulgarische nationale Selbstständigkeit nahm Drumev im slavischen Zusammenhang – zugunsten der angeblichen historischen Rolle des Slaven­ tums – zurück. Das Projekt einer selbstständigen bulgarischen Nation schien noch nicht genug ausgereift und selbstverständlich zu sein, um ohne den übergreifenden slavischen nationalen Kontext eingefordert werden zu können.568 Die Heiligkeit des Werks 563 Drumev (1885), S. 6. 564 Drumev (1885), S. 7. 565 „Das Werk unserer heiligen Erstlehrer und Apostelgleichen (…) ist die Grundlage unseres gesunden Volksorganismus, die unerschöpfliche Quelle unserer gesunden sittlichen Kräfte, die lebensspendende Nahrung für diese Kräfte. Dieses ihr großes und heiliges Werk gibt uns nicht nur die Möglichkeit (…), in der Geschichte zu leben, ein historisches Volk zu sein, sondern auch, dass wir in der Menschheitsgeschichte eine Stellung einnehmen, die zwar sehr bescheiden ist, aber doch so, dass sie uns ein Recht auf Ehre und Achtung gibt“. Drumev (1885), S. 10. Von einem Anspruch auf den „Ehrenplatz“ war hier keine Rede mehr. 566 „Das Werk der hll. Kyrill und Method ist es namentlich, das unserem Volk die Möglichkeit gibt, eine solche Stellung in der Geschichte und unter den anderen Völkern einzunehmen und das uns eine gute Zukunft sichert. Durch dieses Werk können wir nicht nur unsere nationalen Besonderheiten bewahren und – sozusagen – unsere sittliche Selbständigkeit, die die Grundlage jeder anderen Selbständigkeit ist“. Drumev (1885), S. 11. 567 „Daher ist das Slaventum eines der Hauptelemente in der Entwicklung und im Fortschritt der Menschheit. Aber der Grund, weshalb das Slaventum ein solches Element werden konnte, ist das Werk der hll. Kyrill und Method, denn dieses Werk ist die einzige und die Hauptgrundlage des allslavischen Bewusstseins und dessen Entwicklung, sowie der slavischen Wissenschaft.“ Drumev (1885), S. 12. 568 Parallel zur Einforderung der Zielutopie einer bulgarischen homogenen und politisch unabhängigen Nation arbeitete er am Entwurf einer slavischen nationalen Identität. Sowohl im nationalen

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der Brüder stand für eine weitgehend säkularisierte und nationalisierte Ehrerbietung, jedoch nicht für traditionelle Religiosität:569 Zuletzt betonte der Metropolit den zuvor auf die Grundlage des Werks der Brüder gestellten „gesunden Volksorganismus“ und dessen Recht auf eine „gute Führung“.570 Drumevs Engagement sowohl als Politiker wie auch als Kirchenfürst steht für die Teilhabe führender Geistlicher an der Spitze des Projektes eines bulgarischen Nationalstaates. Kyrill und Method dienten auch ihm als das geeignetste Medium zur Festigung und Etablierung dieses Entwurfes einer modernen orthodoxen Gesellschaft. Der Tag der Brüder wurde spätestens mit den Jubiläumsfeiern des Jahres 1885 zur nationalpolitischen, von den Spitzen von Kirche und Staat getragenen Institution: Die Feiern um Kyrill und Method 1885 waren die ersten, die über regionale Identitäten und Erinnerungspraktiken hinaus nachdrücklich eine homogene Nation inszenierten und dabei von einer breiteren sozialen und institutionellen Trägerschaft gestützt wurden: Alle Institutionen und Gruppen, die maßgeblich an der Herstellung nationaler Erinnerungspraktiken beteiligt waren, wie die Kirche, Vereine sowie Lehrer und der Staat, nahmen an ihnen teil.571 Darüber hinaus ist festzuhalten, dass auch die inhalt­liche Aufladung des Feiertages 1885 die bisher entstandenen diskursiven Stränge bündelte und zu einer bisher nicht beobachteten Verdichtung führte: Die Brüder dienten den politischen und religiösen Wortführern der jungen, bulgarisch definierten Gesellschaft der neuen Hauptstadt zum Entwurf einer modernen, durch „Geist“ und „Genius“ beseelten bulgarischen Zusammenhang als auch im transnationalen slavischen schrieb ­Drumev den Brüdern eine alles Übrige in den Schatten stellende Bedeutung zu – ihr Werk habe „den Völkern Leben“ gegeben: „Durch dieses Werk bahnt sich das Slaventum einen Weg zum Fortschritt, durch den es in der Reihe der anderen Völker stehen kann, durch welchen sich das Slaventum auch eine dauerhafte, große Zukunft bereitet. Dieses also große und heilige Werk, das den ­Völkern Leben gab, das die Möglichkeit gab, dass die Völker hartnäckige und fürchterliche Kämpfe um ihre Existenz aushielten und als Sieger aus ihnen hervorgingen, (…) ist uns bekräftigt und gesichert.“ Drumev (1885), S. 12. Der Plural „Völker“ entlarvt allerdings die beschriebene slavische Einheit als einen nicht zu Ende gedachten Entwurf. 569 „Kyrill und Method haben mit ihren unablässigen Mühen und Predigten bei uns ihr großes, erlösendes (spasitelno) und lebensschaffendes Werk gefestigt und für uns und die ganze Slavenheit gesichert. Durch ihre Qualen, Schmähungen, und Vertreibungen, denen sie während ihrer ganzen mühseligen Predigttätigkeit ausgesetzt waren, zeigten sie uns, dass es wert ist, sich zu verteidigen, damit ein solch großes und rettendes Werk erhalten bleibt.“ Drumev (1885), S. 12. In diesen Sätzen fasste Drumev die Personen Kyrill und Method genauer und führte die Argumentation näher an sie heran als im restlichen Text. In Anlehnung an die traditionellen Viten wurden hier aus ihrem Leben exemplarisch nationale Tugenden abgeleitet. Auch die Adjektive „lebensspendend“ und „erlösend“ wurden aus dem traditionellen religiösen Zusammenhang in den nationalen Kontext übertragen – zum einen wurden sie damit säkularisiert, zum anderen erfuhr der nationale Kontext eine sakrale Aufladung. Auch das Adjektiv „heilig“ wurde im Text nicht durchgehend eingesetzt. 570 Drumev (1885), S. 14 – 18. 571 Weber (2006), S. 117.

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Nation auf einem „Ehrenplatz“ in der europäischen und globalen Geschichte. Im Versuch, moderne Wissenschaft und orthodoxe Religion zu vereinen, sollten der junge Staat sowie die als „gesunder sittlicher Organismus“ imaginierte Nation ihre Daseinsberechtigung erhalten. Religion und Nation gingen dabei eine Synthese ein, ohne die Gesellschaft in einem Kulturkampf zu spalten, im Gegensatz zu anderen jungen Nationalstaaten derselben Zeit.572 Trotz der Einbeziehung von Schülerabordnungen aus dem ganzen als bulgarisch imaginierten Gebiet beschränkte sich die Inszenierung 1885 weitgehend auf das Parla­ment in Sofia: Der öffentliche urbane Raum wurde noch nicht zur Bühne der Feiern. Die Erinnerungskultur war aber reif genug, auch die serbischen Nachbarn nicht auszuklammern: Die „Zentrale Kommission für das Jubiläum“ in Sofia schrieb an die „Serbische Gelehrte Gesellschaft“, „das bulgarische Volk“ gratuliere „dem brüderlichen serbischen Volk für seinen Fortschritt und die Festigung der slavischen Einheit, die auch die heiligen Brüder aus Saloniki gepredigt hatten“. Es unterschrieb der Vorsitzende des Komitees Metropolit Kliment.573 Die ersten Feiern hatten in kleinen Städten stattgefunden. Erst 1885 standen die Feier­lichkeiten im Rest des Landes ganz im Schatten der hauptstädtischen Inszenierung. Es galt dabei, Bulgarien als legitimen Staat in den europäischen Zusammenhang einzuschreiben. Aus postkolonialistischer Sicht sprachen die Subalternen dabei nicht im Rahmen der „mimicry“ der osmanischen imperialen Metropole, sondern sie konstituierten sich – ganz im osmanischen Zusammenhang –574 als selbstständige Subjekte mit der Nachahmung und Aneignung der Meisternarrative des modernen europäischen National­staats.575 Das Pflanzen von Obstbäumen durch Schüler in Sofia 576 gehörte mithin zu den neuen Mitteln, das Gedenken sozial und räumlich zu verankern. Die 1885 bestehende wechselseitige Stützung von Monarchie, Parlament und Kirche war aber überaus kurzlebig: 1886 nahm Kliment von Tărnovo an einem Putsch gegen den protestantischen Fürsten von Battenberg teil. Als Ministerpräsident der Putschisten trat er sodann auf Druck des Parlamentspräsidenten Stefan Stambolov nach wenigen Tagen noch im August 1886 zurück. 1887 kam es zum Eklat, als Metropolit Kliment offen gegen die Orientierung des neuen, katholischen Fürsten Ferdinand von Sachsen-Coburg für eine politische Ausrichtung Bulgariens an Russland predigte.577

572 Clark/Kaiser (Hg.) (2003). 573 Archiv SANU, Nr. 3751 (Archiv SUD 1885/36), zit. gemäß Durković-Jakšić (1986a), S. 72. 574 Mishkova (2006), S. 193 – 196. 575 Stojčeva (2007), S. 122 f. 576 Weber (2001), S. 263. 577 Raikin (1988), S. 166 f.

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C 3.4  Kyrill und Method in serbischen und kroatischen Kontexten bis 1885

In der ersten Hälfte des 19. Jh. gaben serbische Kalender den 11. Mai als Feiertag des hl. Method und diesen etwa als „unseren seligen Vater“ und „Bischof“ an. Erst von 1852 an verwiesen auch staatliche Ausgaben auf den hl. Kyrill und schrieben von dessen Rolle als „Philosoph und slavischer Lehrer“. Ab 1868 kann die Bezeichnung der beiden als „slavische Apostel“ beobachtet werden.578 C 3.4.1  Slavistische und konfessionelle Kontroversen im Kampf um die Brüder

Der damit bekräftigte allgemeinslavische Diskurs war aber bereits in den 1840er-­Jahren nicht ohne Gegenstimme: Schon für 1841 ist eine exklusiv serbische Aneignung der ­Brüder zu beobachten. Dimitrije Tirol, der bereits 1827 in Wien eine „Slavische Grammatik“ veröffentlicht und sich von 1835 an für die 1841 erfolgende Gründung der „Serbischen Philologischen Gesellschaft“ eingesetzt hatte, schrieb 1841 in Odessa – wie sein bulgarischer Mitbürger Vasil Aprilov kritisierte – Kyrill habe „in einem serbischen Kloster“ in Saloniki gelernt und die „Heilige Schrift in die serbische Sprache“ übersetzt und dazu das „serbische (kyrillische) Alphabet“ benutzt.579 Diese Thesen seitens eines führenden serbischen Philologen sowie die rasche publizistische Reaktion von bulgarischer Seite bezeugen den engen transnationalen Zusammenhang des Wettbewerbs um symbo­lisches Kapital, um das die Diasporagesellschaften in den imperialen Metropolen Wien und Odessa mit der Deutung der Brüder untereinander wetteiferten. Im Rahmen des entstehenden serbischen Journalismus spielten die Brüder rasch eine prominente Rolle: Bereits die erste Seite der ersten Nummer der in Novi Sad 1852 – 1858 erscheinenden populärwissenschaftlichen Wochenzeitschrift „Sedmica“ begann mit einer diskur­siven Bündelung der internationalen weltlichen Historiographie.580 Der Diskurs entwickelte sich sodann in der Verflechtung mit serbischen Akteuren auch im kroatischen Rahmen lebhaft: Führende katholische Geistliche versuchten, sich den wissenschaftlichen slavistischen Diskurs über die Brüder anzueignen und der katholischen Kirche bzw. ihrem südslavischen Projekt nützlich zu machen: So ist für 1857 eine Monographie von Franjo Rački hervorzuheben. Der katholische Priester und Wiener Doktor der Theologie schrieb über die Verdienste der Brüder „um das slavische Volk“.581 Der Förderer nationaler bzw. slavischer Projekte in Zagreb und 1866 Mit­begründer der Jugoslawischen Akademie der Wissenschaften und Künste nannte die Vor­gaben des philologischen Diskurses über die Brüder, die seiner Stellungnahme 578 Durković-Jakšić (1986a), S. 42. 579 V. E. Aprilov. Săčinenija, S. 214 f. 580 Sie gab Passagen aus Cyprien Roberts Werk „Die Welt der Slaven“ (1852) wieder sowie übersetzte Abschnitte aus einem Beitrag von Šafařík über die „Hll. Kyrill und Method“ (1848): Die Bekehrung der Slaven zum Christentum habe diesen den Weg in die Geschichte gezeigt. Durković-Jakšić (1986a), S. 37. 581 Rački (1857), S. V.

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zugrunde lagen.582 Es ging ihm um den Beginn einer neuen Epoche im slavischen Geistesleben und um Anerkennung durch „die Ausländer“: Die Rückwendung zu den Brüdern sollte eine „zweite Auferstehung“ herbeiführen.583 Säkularisierte sakrale Metaphern gaben der nationalen Mobilisierung den Rahmen. Kyrills Verdienste in der „Volksbildung“ ließen ihn Rački dabei als „Riese und Koloss in der Geschichte der Menschheit“ erscheinen. Der katholische Geistliche unterstellte diesem „Riesen“ epochale diskursive Weichenstellungen wie die Vereinigung von Religion und Nation.584 Der spätere Politiker und Vertreter einer jugoslawischen Einigung schrieb hier bereits von einer „südslavischen Geschichte“ 585 sowie vom „Herz und Geist des südslavischen Volkes“.586 Wohl um das Projekt nicht unnötig zu verkomplizieren und Bruderstreit entgegenzuwirken, waren Kyrill und Method bei ihm ganz selbstverständlich „griechischen Blutes“.587 Transnational entwarf Rački „im Geiste des (…) Katholizismus“ einen „Bund zwischen dem Westen und dem Osten“.588 Das Projekt erhielt bald wichtige Unterstützung: Ende 1860 forderte der katholische kroatische, gleichfalls die südslavische Sache propagierende Bischof von Đakovo Josip Juraj Strossmayer in einem Brief an die von ihm unterstützte süd­slavische Akademie in Zagreb, es seien in den als Träger und Zielpublikum entworfenen Kreis der Serben und Kroaten auch die Slowenen und die Bulgaren einzubeziehen, da bei ihnen die Orthodoxie Kyrills und Methods nicht untergegangen sei.589 Katholische Geistliche eigneten sich damit den philologischen slavistischen Diskurs über Kyrill und Method an, um einen weit nach Osten reichenden Umarmungsversuch zu entwerfen. C 3.4.2  Die Brüder als Träger orthodoxer Modernität – die Tausendjahrfeiern 1863

Akademisches Vereinswesen und religiöse Identität gingen nicht nur in Zagreb, ­sondern auch in Belgrad miteinander einher: Am 12. Februar 1863 ermutigte der Belgrader M ­ etropolit Mihailo die akademische „Gesellschaft der Serbischen Philologie (društva srbske slovesnosti)“, deren Ehrenmitglied er war, wie „die Slaven überall“ die

582 Er verwies im Vorwort auf die „unsterblichen: Dobrovský, Šafařík, Kopitar, Schlözer, Pogodin, Filaret, Miklošić, Sreznjevski [sic], Grigorović und die übrigen“. Rački (1857), S. XI. 583 „In der neuen Zeit beginnt sich das geistige Leben bei den Slaven allgemein, aber bei den süd­ lichen insbesondere sehr stürmisch zu entwickeln, dass nicht einmal die Ausländer mehr wagen, vor den geistigen Früchten die Augen zu verschließen, die daraus hervorgingen.“ Rački (1857), S. VII. Das Erbe der Brüder habe das „Slaventum“ „mehrfach aus der toten Schwerfälligkeit zu neuem Leben erhoben“. Rački (1857), S. 420. 584 „Er wusste mehr als jeder andere, den Glauben mit der Nationalität (s narodnostju) zu verbinden“. Rački (1857), S. 236. 585 Rački (1857), S. XV. 586 Rački (1857), S. 44. 587 Rački (1857), S. 86. 588 Rački (1857), S. 236. 589 Sedmica, 25.6.1852, Nr. 1, S. 1 – 3.

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Tausendjahrfeier der Brüder bzw. ihrer Mission in Mähren auch in Belgrad zu begehen.590 Die 1841 gegründete Gesellschaft, eine der ersten und wichtigsten Gelehrtengemeinschaften Belgrads, griff den Vorschlag des Kirchenfürsten sofort auf und machte sich die Sache zu eigen. Rasch wurde geplant, zu den Feierlichkeiten den Fürsten und Regierungsmitglieder einzuladen.591 Am 11. Mai 1863 beging die Gesellschaft sodann die Tausendjahrfeier „zum Gedenken an die slavischen Apostel die hll. Kyrill und Method“. Vor der Versammlung in der Belgrader Bibliothek begaben sich Bürger und geladene Gäste in die Kathedrale, wo Metropolit Mihailo eine auch gedruckt verbreitete Predigt hielt. Der orthodoxe Kirchenfürst nutzte die Gelegenheit, den Diskurs über die Brüder zu übernehmen und zu versuchen, sich und die serbische orthodoxe Kirche öffentlich gleichfalls an die Spitze seiner Entwicklung zu stellen: Er bezeichnete im allgemein­ slavischen Rahmen das „Hüten unserer Nationalität“ als Verdienst des Glaubens.592 Dagegen begann der Vorsitzende der Gesellschaft, Dimitrije Matić, der in den 1840er-Jahren in Berlin Philosophie und in Heidelberg Jura studiert hatte, 1859/1860 Bildungsminister Serbiens und 1862 – 1866 Hauptsekretär des Staatsrates war, seine Rede ganz in einem weltlichen Rahmen: Er führte in seiner Ansprache in der Belgrader Bibliothek vor den Bürgern und geladenen Gästen die Brüder als „große Leute“ ein, die sich nach den Bedürfnissen der „Zeit“ gefunden hätten, um „das slavische Volk“ zu „führen“.593 Matić wollte vor dem ausgewählten Publikum „ohne viele Worte zeigen, wie viel unsere Aufklärer zur Entwicklung der Bildung und der Förderung der slavischen

590 Brief des Metropoliten an die Assoziation, Arhiv SANU: Arhiv DSS 1863/9, zit. gemäß Durković-­ Jakšić (1986a), S. 45. 591 Auf den 17. Februar wurde eine außerordentliche Sitzung einberufen, um den Ablauf der Feier festzulegen. Durković-Jakšić (1986a), S. 46 – 48. 592 So rühmte er die Brüder als Bekehrer, als „slavische Apostel“ und deren Einsatz der Sprache „unseres Volkes“. „Und wir feiern heute die Organe dieser Verdienste des Glaubens im Hüten unserer Nationalität (vere u čuvanju narodnosti naše)“. Universitätsbibliothek Belgrad, Sign. PB/10, 3845, zit. gemäß Durković-Jakšić (1986a), S. 50 – 53. 593 „Wenn die Zeit kommt, wenn das Land oder das Volk im Voraus beginnt, sich zu feiern, finden sich große Leute, die es dazu vorbereiten und es führen. Und das slavische (slavenski) Volk hat lange auf solche Schaffenden (radenicima) gewartet.“ Hiljadugodišnja svetkovina, S. 1. Nach dieser Einführung wandte sich der Redner Serbien als einem „Zweig des allgemeinen slavischen Stammes“ zu und verwies auf den gleichentags abgehaltenen Gottesdienst der „Serbischen Kirche“ zu ihren Ehren. Mit Bezug auf seine Gelehrtengesellschaft sprach er die Brüder aber nicht als Heilige, sondern als „Volkslehrer“ an: „Auch Serbien, als ein Zweig des allgemeinen slavischen Stammes, nimmt an der allgemeinen Verehrung des Volkes herzlich teil, wenn auch auf wirklich bescheidene Weise, entsprechend den gegenwärtigen Umständen. Die serbische Kirche, die das Wort Gottes so verkündet, wie es unsere Apostel in die slavische Sprache übersetzt haben, feierte diesen bemerkenswerten Tag mit einem erzpriesterlichen Gottesdienst. Auch die Serbische Philologische Gesellschaft, die sich mit dem Buchwesen beschäftigt, schätzt die Verdienste unserer Volkslehrer, und möchte ihre Empfindungen am heutigen Feiertag aus­drücken.“ Hiljadugodišnja svetkovina, S. 2 f.

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Zukunft beigetragen haben“.594 Der Wissenschaftler sprach von Kyrill und Method als dem slavischen Ursprungsnarrativ. Dieses schien die linear imaginierte kollek­tive Geschichte, Gegenwart und Zukunft der Slaven und insbesondere der angeblich 66 Millionen orthodoxen unter den insgesamt 86 Millionen Slaven, die „Gott in ihrer Sprache“ und nicht in Latein ehrten, maßgeblich zu lenken.595 Erst in diesem Zusammenhang berührte auch Matić den Glauben: Wesentlich für diesen Diskurs wie die Feier war die Beschwörung eines europäischen Rahmens des internationalen Wettkampfes der Nationen und Konfessionen. Europa diente zur Vorstellung eines feindlichen Rahmens, nicht aber zur Imagination eines Europa schützenden ,Antemurale‘.596 Trotz der Ablehnung des katholischen Europa wurde das Modell des modernen Staates übernommen: Gerade die Verehrung der Brüder diente in einem übergreifenden, allgemeinslavischen Zusammenhang zum Entwurf einer fortschrittlichen staatlichen Führung und zum Lob auf „den guten Herrscher (vladaoca), der in seinem Land eine höhere Schule einführt und die Bildung (prosvetu) und damit auch den Wohlstand (blagostanje) des Volkes fördert (unapredjuje)“.597 594 Hiljadugodišnja svetkovina, S. 3. 595 Im Gegensatz zur früheren, religiös geprägten Erinnerungskultur wurden nun nicht mehr zunächst die Brüder verehrt und als Lebendige in Erinnerung gerufen und vergegenwärtigt: Metaphorisch wurde ihr „reiner Same“ zum Verehrungsgegenstand, der bzw. ihre „Arbeit“, die das „Geschlecht (rod)“ der orthodoxen Slaven „gebar“. Damit rückte ein genealogisch imagi­nierter Prozess der Entstehung einer auf „Sprache“ und „Buchkultur“ begründeten trans­nationalen, allgemein­ slavischen Gemeinschaft ins Zentrum der Erinnerung. „Diese Darstellung erklärt uns, weshalb die Arbeit unserer Lehrer und Apostel eine Arbeit der Ewigkeit (rad večitosti) ist, die ihre Lebendigkeit und Fruchtbarkeit über zehn Jahrhunderte hinweg gezeigt hat. Das erklärt uns, weshalb der reine Same, den sie auf einer genährten, fruchtbaren Wiese gesäht haben, bei allen widrigen Schwierigkeiten, die sie in ihrem Leben gestört hatten und auch ­später ihre Schüler [behinderten, S. R.], ein schönes, unschätzbares Geschlecht (rod) geboren hat. Gegenwärtig ehren von den 86 Millionen Slaven 66 Millionen Gott in ihrer Sprache und setzen die Buchkultur fort, welche die hll. Kyrill und Method begründet haben.“ Hiljadugodišnja svetkovina, S. 22 f. 596 Matić machte die „Institutionen“, die den beiden Brüdern angeblich zu verdanken waren – „die nationale christliche Kirche (narodnu christovu crkvu) und die nationale Buchkultur (narodnu književnost)“ – angelehnt an popularisierte geschichtsphilosophische Entwürfe zur Triebfeder des vergangenen und zukünftigen Fortschritts des „slavischen Volkes“ in dessen internationalem „Kampf“ „gegen die furchtbarsten Gegner ganz Europas“: „Es vollenden sich tausend Jahre, seit diese unter den Slaven die christliche Volkskirche (narodnu christovu crkvu) und die nationale Buchkultur (narodnu književnost) begründet haben. Und diese großen Einrichtungen sind während dieser Zeit nicht nur nicht erschöpft, sondern haben sich wunderbar fortentwickelt (napredovale), und werden mit Gottes Hilfe auch künftig das slavische Volk vorwärts bringen (napredovati kod slavenskog naroda). Dieses hat um Leben und Tod gegen die furchtbarsten Gegner ganz Europas gekämpft, und sich in diesem Kampf nur umgestaltet, und wird mit verjüngter Kraft unablässig weiter voranschreiten (napred ide).“ Hiljadugodišnja svetkovina, S. 23. Zum ostmitteleuropäischen Antemuralediskurs bis in die Gegenwart: Srodecki (2013). 597 Hiljadugodišnja svetkovina, S. 23.

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Die Betonung moderner Wissenschaftlichkeit war entscheidend für den Diskurs in Belgrad: So setzte der Redner die Verweltlichung und Fortschrittsorientierung der Bedeutungsaufladung der Brüder in der Verwissenschaftlichung des Diskurses auch über Religion fort:598 „Fortschritt“ und „dem Stand der Zeit gemäße Wissenschaft“ sollten mit Matić in keinem Widerspruch zur Religion stehen.599 Der Verweis auf Konstantin-­ Kyrill, der auch der „Philosoph“ genannt wurde, diente ihm zum Beweis 600 eines slavischen und orthodoxen Modernitätsentwurfes: Kyrill wurde in der Darstellung Matićs die Qualität eines Erkenntnistheoretikers zugeschrieben, der im frühen Mittelalter über modernere und zukunftsträchtigere Konzepte verfügt haben sollte als die lateinische Kirche mit ihrer „Inquisition“.601 Die damaligen Weichenstellungen sollten „in unferner Zukunft“ das „große und ewige (večito) Prinzip der Nationalität“, das „immer mehr zu all­gemeinem Bewusstsein“ komme, verwirklichen. Auf dem Weg zu einer mithilfe Kyrills entworfenen orthodoxen Moderne bzw. der „Entwicklung des slavischen Lebens“ sollte gewissermaßen die säkularisierte heilsgeschichtliche Erlösung nationalisiert und im Diesseits erlebt werden können. Immer noch sollte dies Gott zum Ruhm geschehen.602 598 Matić wechselte zum Thema einer „wissenschaftlichen Beziehung von Glauben und Philosophie“. Dabei stellte er sich als Vertreter des Standpunktes „zeitgenössischer Wissenschaft“ dar und bezeichnete sowohl den Glauben wie die Philosophie als Wissenschaften, die beide „die Beziehung zwischen Gott und dem Menschen“ zum Gegenstand hätten: „Die zeitgenössische (savremena) Wissenschaft zeigt, dass der Glaube und die Philosophie ein und dasselbe Objekt zur Aufgabe haben, und sich nur in der Form unterscheiden. Der Gegenstand von beiden ist Gott, als vollendetes Wesen, dem wir uns mit dem Glauben auf unmittelbare Weise nähern, durch die reine Ergebenheit; während die Philosophie ihren Gegenstand mithilfe des ­Verstandes behandelt und ihn mit wissenschaftlichen Untersuchungen zu erreichen strebt. Beide diese Wissenschaften laufen hauptsächlich darauf hinaus, die Beziehung zwischen Gott und dem Menschen aufzuzeigen. Sie erklären diese jede auf ihre Weise.“ Hiljadugodišnja svetkovina, S. 24 f. 599 „Mit dem Fortschritt der Wissenschaft“ hätten sich „Glauben und Philosophie zum ersehnten Konsens“ zusammengefunden. Hiljadugodišnja svetkovina, S. 25. 600 „Bedenken wir, wie groß der Fortschritt ist in der Bildung des Menschengeschlechts, der damit erreicht wurde (time učinio) und wie sehr sich darüber jeder freuen muss. Und zur (…) slavischen Ehre fügt es sich glücklich, dass der erste slavische Apostel sowohl Lehrer der Philosophie als auch des Glaubens war, sodass sich der Verstand nicht vom Glauben spaltet und sich der Gottesbegriff erhellt und erhoben wird zur Quelle allen Segens und aller Tugend.“ Hiljadugodišnja svetkovina, S. 25. 601 „Der große Geist unserer Lehrer musste diesen beschriebenen Kampf aushalten, aber deshalb zeigt auch die Geschichte der slavischen Kirche, die sie begründeten, keine schwarzen, der Welt angedrohten Blätter der Inquisition auf, widerwärtig Gott und den Menschen, und solche Grässlichkeiten, wie wenn man Menschen wegen ihres Glaubens ins Feuer wirft.“ Hiljadugodišnja svetkovina, S. 25 f. 602 „Alle Umstände haben sich also so gefügt, dass zur Entwicklung des slavischen Lebens und der Zukunft glückliche Bedingungen geschaffen wurden. Und wir können hoffen, dass mit der Zeit sich auch das erfüllen wird, was sich bisher aus verschiedenen Gründen nicht hat vollenden können. Das große und ewige (večito) Prinzip der Nationalität (narodnosti) kommt immer mehr zu allgemeinem Bewusstsein (opšte svesti). Die unferne Zukunft wird zeigen, ob sich auch

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Im Zeichen der Romantik wurde die christliche Denkfigur der kollektiven ­Er­lösung kopiert und vorgeblich wissenschaftlich zum Kern des modernen Nationalismus. Die entfaltete Zukunftsvision beinhaltete überdies ein ethnisch und physiognomisch „­reines“ Ziel: Mit Gottes Hilfe sollte „ein ganzes slavisches Volk bestehen (…) mit rein slavischen Gesichtern und rein slavischem Charakter“.603 Matić war sich darüber im Klaren, dass er die bisher mit den Brüdern verbundenen diskursiven Horizonte der Erinnerung nicht nur beobachtete, sondern auch veränderte. Mithilfe der Vorstellung einer „Weltgeschichte“ sollten die Slaven dank der Brüder im Zeichen der „Bruderschaft“, des Fortschritts und der „Entwicklung des Menschen­ geschlechts“ bzw. der Eingliederung in die Moderne „zu dem auserwählten unter den auserwählten Völkern“ werden.604 Die Erzählfigur nationaler Auserwähltheit, die nicht nur auch im deutschen Nationalismus verbreitet war,605 sondern insgesamt grundlegend war für nationale Entwürfe,606 wurde hier auf die Slaven insgesamt übertragen, ohne einen explizit serbischen Messianismus zu entwerfen. Mit der Referenz auf Kyrill und Method entfaltete Matić eine moderne Ideologie kollektiven Lebens in der nahen Zukunft, deren Konzeption an das nahende Reich Gottes angelehnt war. Der mit dieser rhetorischen Strategie als unterlegen dargestellte (katholische) Rest Europas, der vorgeblich in den Klauen der Inquisition gefangen war, sollte mit ihrer Hilfe überholt werden können. Die aufwendig organisierte Feier 1863 wurde nicht aus der Kasse der Gesellschaft der Serbischen Philologie bezahlt, sondern durch den Eintritt zur Abendunterhaltung und Spenden. Dabei stifteten Metropolit Mihailo und der Premier- sowie Außenminister Ilija Garašanin den höchsten Betrag.607 Die Veranstaltung markierte einen vorläufigen Höhepunkt der öffentlichen Propagierung einer erneuerten, modernen Verehrung der Brüder seitens der Staats- und Gesellschaftsspitzen sowie der Kirchenführung in Belgrad.

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vollenden wird, dass alle Slaven mit ihrer Sprache Gott rühmen und die Bücher mit slavischer Schrift schreiben.“ Hiljadugodišnja svetkovina, S. 25 f. „Gemessen daran, was bei anderen entwickelten Völkern eines Stammes in dieser Hinsicht schon geschehen ist und gemäß dem gesunden Gedächtnis (pameti) und der Nationsliebe (rodoljublju) der slavischen Stämme in allen Ländern, können wir sagen, dass die Zeit nicht mehr fern ist, und es wird nicht zu früh sein, wenn diese erste solche Erinnerungsfeier (svetkovina) insgesamt möchte, dass, so gebe Gott, ein ganzes slavisches Volk bestehen werde (zastati) mit rein slavischen Gesichtern und rein slavischem Charakter.“ Hiljadugodišnja svetkovina, S. 26. „Da möchte man die slavischen Heiligen, deren Gedächtnis (spomen) wir heute feiern, und die diesen großen Gedanken auch begannen, in erneuertem Ruhm zeigen, und eine wahrhaftige Bruderschaft zwischen den slavischen Stämmen segnen in Eintracht und ewiger Dauer, dass die Slaven, erwärmt durch die Bruderliebe, fortschrittlich (napredniie) ihren großen Anteil zur Entwicklung des Menschengeschlechts beitragen können, und sich damit in der Weltgeschichte zu dem auserwählten unter den auserwählten Völkern machen.“ Hiljadugodišnja svetkovina, S. 26 f. Gramley (2001), S. 28, S. 31, S. 83 – 88. Smith (2003). Durković-Jakšić (1986a), S. 49 f.

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Kirchliche und weltliche Feier wurden hier der von Matić behaupteten diskursiven Einheit von Nation und Glaube folgend zusammengestellt. Matić stellte sich, die philologische Gesellschaft sowie das Slaventum an die Speerspitze einer imaginierten Auseinandersetzung mit dem Rest der Welt. Metropolit Mihailo versuchte dasselbe für sich und seine Kirche. Bildungsbürger sowie kirchliche und politische Wortführer machten das Gedenken an die Brüder auch andernorts zur Bühne der Inszenierung einer allgemeinslavischen und serbischen Zukunft im europäischen Rahmen. Auch im österreichisch-ungarischen Karlowitz sowie in Novi Sad und in Zagreb führten Geistliche und Lehrer Schüler und Bürger 1863 in Gymnasien und Lesesälen sowie in Kirchen zum Gedenken an die ­Brüder. Insbesondere wurden weltliche Lieder gesungen.608 C 3.4.3  Orthodoxe Erinnerungspolitik und weitere serbische Kontexte

Ein weiteres Schlaglicht auf die Reproduktion des Diskurses durch den Kirchen­fürsten Mihailo wirft eine offenbar im Jahr 1870 aufgesetzte undatierte, 1871 veröffentlichte Ansprache zum „Tag des hl. Kyrill, des slavischen Apostels“: Nun stand auch im ­Zentrum des Interesses des Metropoliten die Rolle der „Wissenschaft“. Er setzte dabei seine Hoffnung darauf, dass sich „bei uns die Wissenschaft in einem festen Verbund mit dem Glauben“ entwickelte: Er fürchtete eine selbstständige weltliche Wissenschaft im modernen Sinne. Vielmehr wollte er mit einer religiös gelenkten Wissenschaft „unsere Einigkeit“ fördern, um „die gesundheitlichen Krankheiten und Wunden zu heilen, unter denen die heutige Menschheit leidet, die von der verlogenen Zivilisation auf den Irrweg verleitet worden ist“.609 Kyrill sollte zum Heilmittel gegen Erscheinungen der Moderne dienen – eine Vorstellung, die Mihailo nur im Rahmen der Moderne formulieren konnte. Kyrill wurde für ihn zum Kristallisationspunkt einer Kritik der modernen Gesellschaft. Auch 1874 äußerte er sich zu den Brüdern, wobei er Bedeutungen ihres „Werks“ in verschiedenen Bereichen unterschied: „sowohl im kirchlichen als auch im politischen und im zivilen Bereich“. Zudem verortete er ihre Mission der Slaven in einem euro­päischen Rahmen bzw. „im ganzen europäischen Raum, in dem die mit uns verwandten slavischen Völker siedelten“.610 Die in diesen Jahren zunehmende Intensität des Diskurses über die Brüder war aber nicht nur affirmativ und wetteifernd, sondern auch kontrovers: Ihre Bedeutungsauf­ ladung stieß auch auf Widerstand: Der Sozialist Vasa Pelagić lehnte das Gedenken an sie 1874 in der Zeitschrift „Mlada Srbadija (Serbisches Jungvolk)“ ab, da sie weder Bulgaren noch Serben seien, und schlug stattdessen die Verehrung der Bogumilen vor.611 608 Durković-Jakšić (1986a), S. 54 f. 609 „Kyrill und Method waren die ersten Arbeiter, die ersten Lehrer, die ersten Träger der Wissenschaft unter den Slaven“. Mihail [Jovanović], Pravoslavnij propovednik, Beograd 1871, IV., S. 292 – 294, zit. gemäß Durković-Jakšić (1986a), S. 56 f. 610 [Mihailo Jovanović], Pouke iz žitija svetih, Beograd 1874, S. 129 – 132, zit. gemäß Durković-­ Jakšić (1986a), S. 59 f. 611 Durković-Jakšić (1986a), S. 61.

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Das wachsende Interesse an den Brüdern spiegelte sich auch in Reiseberichten: 1860 bereiste der in Budapest geborene jüdische Archäologe und Ethnologe Felix Philipp Kanitz mehrere Gegenden Serbiens. Der später mit dem Heilig-Sava-Orden Geehrte sowie sein Werk genossen in serbischen Kreisen bald Ansehen. In seinen 1868 erschienenen Erinnerungen berichtete er in einem eigenen Kapitel zum „Sveti Methud[sic]-­ Fest“ 612 ausführlich über einen Gedenkgottesdienst zu Ehren der Brüder auf einem Hügel unter freiem Himmel.613 Wesentlich für seine visuelle Wahrnehmung der Feier waren klassische Bildtypen, wie er ausführlich erklärte.614 Die in seinem Buch enthaltene und eine zweite, auf 1860 datierte Zeichnung des Festes stehen für die Reproduktion ­dieser Wahrnehmung.615 Auch andere Aspekte versuchte er, typologisch zu erklären.616 So alt der Beobachter den Vorgang einschätzte, so gegenwärtig sah er seine materielle Grundlage: Die Geistlichen sammelten das erhaltene Geld und „schienen – nach ihren freudigen Mienen zu schließen – mit der Ausbeute zufrieden“.617 Der Bericht bezeugt die lebendige lokale Verehrung Methods in einer ländlichen Umgebung an der Grenze

612 Kanitz (1868), S. 227. 613 Ein „Kapitain“ habe ihn, so seine Schilderung, „zur Saborfeier auf die am Fuße des Kopaonik [nordwestlich von Novi Pazar] liegende Sveti Methudhöhe [sic]“ eingeladen. Auf dem Weg dorthin „stießen wir auf die ersten Pilgergruppen, die beritten und zu Fuße zum heil. Methud-Feste zogen.“ Das „grosse Zeltlager“, das Kanitz dann sah, wurde nicht zuletzt durch sein eigenes Auftauchen lebendig: Kanitz (1868), S. 226. „Hier und da schlossen sich schäkernde Burschen und Mädchen, angefeuert von dem heiteren Pissar, oder einem der uns nachziehenden Dorfkmeten, zum Kolo zusammen. Dudelsack und Svirala spielten bald um die Wette“. Kanitz (1868), S. 230. 614 Der Beobachter reihte seine Eindrücke in dem Reisebericht in den bekannten Wissensstand ein: „Tausend Jahre lagen zwischen den Tagen, an welchen die heil. Brüder Cyrill und Methodius in diesen Gegenden das Christenthum gepredigt und vielleicht auf dieser Sveti-Method-Höhe das erste Kreuz an der Stelle eines Götzenbildes aufgerichtet hatten. Die primitive Taufhandlung, deren Zeuge ich soeben gewesen war, (…) zauberten mir eines jener Bekehrungsbilder aus alten Zeiten lebendig vor die Augen, wie sie die Dürer’schen Holzschnitte, die Radirungen Rembrandťs, die Zeichnungen von Führich, Schnorr und Overbeck mit so einfachen technischen Mitteln für alle Zeiten typisch verewigt haben. So viele Jahre auch verflossen sind, seitdem der heil. Method in diesen Gegenden sein apostolisches Mahnwort erschallen ließ, wirkt der Einfluss desselben noch ungeschwächt fort bei den Nachkommen der ersten slavischen Christen.“ Kanitz (1868), S. 233. 615 Kanitz (1868), S. 232 f.; Durković-Jakšić (1986a), S. 40. 616 „Auch in Sveti Methud fand ich wieder Kranke, die geheilt, unfruchtbare Weiber, die gesegnet, Epileptische, welchen der Teufel ausgetrieben werden sollte, und hundert anderer Wünsche mochten wohl weniger offenkundig, im Wege der Beichte, an die Geistlichen gestellt worden sein. Hart vor dem hohen Kreuze war ein ebenso roh gezimmerter Altartisch aufgerichtet, auf dem der Mönch mit dem Popen von Bruss gemeinsam einen lebhaften Handel mit geweihten Bildern, Kerzen, Amuletten und Rosenkränzen unterhielt.“ Kanitz (1868), S. 233. 617 Kanitz (1868), S. 233 f.

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des Fürstentums Serbien zum eigentlichen Osmanischen Reich. Er kann aber nicht das Alter der stereotyp wahrgenommenen Abläufe klären.618 In der sich entwickelnden serbischen Historiographie spielten die Brüder keine herausragende Rolle.619 Ein serbischer Anspruch auf die Brüder wurde auch in Belgrad nicht erhoben, solange sie in Bulgarien mehrheitlich nicht bloß als Bulgaren, sondern als Slaven definiert wurden. Wichtiger blieb für den Diskurs die transkonfessionelle Interaktion zwischen Katholiken und Orthodoxen. C 3.4.4  Erneute katholisch-orthodoxe Kontroversen

Die Verbindung des romantisch-nationalen Gedenkens an die Brüder mit der Förderung moderner akademischer Wissenschaftlichkeit und katholischen Versuchen, mit den ­Brüdern die Orthodoxen an sich zu binden, blieb mit religiöser Memoria ver­bunden: Der kroatische Bischof Strossmayer trat zu Beginn der 1880er-Jahre erneut als einer der Vordenker einer Einigung der als südslavisch bezeichneten Völker gerade mit Bezugnahme auf Kyrill und Method für deren Einheit unter der Obhut des Papstes ein.620 Bald entwickelte sich zu diesem Thema eine transnationale Debatte in der entstehenden Zeitungs­öffentlichkeit zwischen Prag, Budapest, Wien und Belgrad.621 Zu Pfingsten 1881

618 Ähnlich schrieb Kanitz vom „Genius“ Kyrills, der „die slavische Buchstabenschrift“ erfunden habe. Kanitz (1868), S. 226. 619 1878 deutete der in Leipzig ausgebildete Historiker Dr. Milan Savić in seiner in serbischer Sprache im ungarländischen Novi Sad verfassten „Geschichte des Bulgarischen Volkes bis zum Niedergang seines Staates“ die Rolle der Brüder ganz im weltlichen, historisierten und allgemeinslavischen Zusammenhang einer „geistigen Entwicklung“. Savić sprach die „Brüder“ hier nicht einmal mehr als Heilige an und deutete ihre Rolle ganz in einem weltlichen, national-, bildungs- und kulturgeschichtlichen Kontext. Der Sekretär der „Matica srpska“ beschrieb die „slavische Welt“ und die „slavische Kultur“ übergreifend als Einheit. Kyrill und Method sollten ihre Aufnahme „in den Kreis der gebildeten europäischen Völker“ gewährleistet haben: „Zu dieser Zeit begann eine große Veränderung in der geistigen Entwicklung der südlichen und westlichen Slaven. Die Brüder K o n s t a n t i n und M e t h o d erschienen als Aufklärer der slavischen Welt. Sie gaben der slavischen Kultur eine nationale Richtung (narodni pravac) und führten die Slaven in den Kreis der gebildeten europäischen Völker, denn sie begründeten ihre Literatur und Liturgie in ihrer Muttersprache.“ Savić (1878), S. 38. 620 Strossmayer (1881), S. 25. Am 4. Februar 1881 schrieb er über die beiden Brüder, „die gesammte [sic] slavische Nation“ verehre die beiden und sie seien dieser „dasselbe (…), was der h. Petărus und Paulus der ganzen Christenheit“. Insbesondere „wir katholische Slaven“ sollten diese stärker verehren, zumal Papst Leo XIII. 1880 angeordnet hatte, die Gedenktage der beiden Brüder seien feierlicher zu begehen. Strossmayer (1881), S. 4. 621 Ein anonymer Beitrag in den „Serbischen Nachrichten (Srpske Novine)“ vom 13. Juni zitierte einen Text aus dem „Pester Lloyd“, „eine Wiener Zuschrift“: „In wenigen Tagen wird die ­slavische Pilgerfahrt sich nach Rom bewegen. Diesen Weg lenkt seit langer Zeit eine würdige und fleißige Hand. Dieser Weg trägt in sich eine eminente – erhöhte – politische Tendenz, auch wenn dies viele tschechische Blätter grundsätzlich bestreiten. Diese Idee des ,Romismus‘ hat

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antwortete der orthodoxe Bischof Stefan von Dalmatien und Istrien in der Belgrader Zeitschrift „Christlicher Bote (Hrišćanski Vesnik)“, indem er mit ­Johannes von katholischen „Lügenpropheten“ schrieb.622 Ähnliche Ablehnung findet sich in einer weiteren, anonymen Schrift in derselben Zeitschrift wenig später, in der allerdings auf die Rolle der von der lateinischen Kirche ausgewiesenen Schüler der Brüder wie Kliment und Naum „zum Nutzen der Orthodoxie und des Slaventums (…) im bulgarischen Staat“ hingewiesen wurde. Die Rede über Strossmayer als „Verräter“ zeugte von einer zunehmenden Zuspitzung der aggressiven konfessionellen und nationalen, slavischen Identitätsbildung durch Abgrenzung.623 Andererseits versuchte Strossmayer, seine katholische Initiative transnational auszugestalten: Tatsächlich nahmen an der von Strossmayer angeregten „slavischen Pilgerfahrt nach Rom“ im Juli 1881 neben Gruppen von Polen gemeinsam mit unierten Ruthenen und Tschechen sowie Slovaken noch Slovenen und Kroaten aus „Kroatien und Slavonien, aus Bosnien und Herzegowina“ teil. Sogar „eine größere Anzahl albanesischer Katholiken, welche in ihrer Kirche slavisch sprechen“, nahmen teil, „außerdem kam mit ihnen der bekannte türkische Beg Jbraga aus Mostar“. Auch 14 „Bulgaren“ begaben sich mit ihrem unierten Bischof Nil Izvorov von Kilkis (bulg./ maked. Kukuš) im osmanischen Makedonien mit den übrigen Gruppen nach Rom.624 Vor diesem Hintergrund intensivierte sich die publizistische Debatte weiter. Auch ein orthodoxer Geistlicher publizierte nun ein umfangreiches Buch, um sich Gehör zu verschaffen: In der unmittelbaren Auseinandersetzung mit den Initiativen des Papstes und Strossmayers veröffentlichte Archimandrit Nikodim Milaš im Dezember 1881 in Zadar eine Monografie mit dem Titel „Die hll. Kyrill und Method und die Wahrheit der Orthodoxie“. Bereits im Vorwort beschrieb der Autor die Brüder als „große Kämpfer der Orthodoxie (…) im Kampf mit den Feinden der Orthodoxie“.625 Der „Plan“ Roms

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ihren Anfang vor allem im Kopf des Bischofs Strossmayer von Đakovac, an dessen Gedanken zur Verwirklichung dieser Ziele sich später die Kooperation des dalmatinischen Gesandten Dr. Klajić gesellt hat.“ Der Text, in dem das übersetzte Zitat und der Kommentar im Weiteren ungetrennt blieben, ging sodann auf das Echo in Polen ein und erklärte, die Aktion sei hauptsächlich „gegen Russland“ und „namentlich“ gegen die „Bemühungen der Partei des Ivan Aksakov“ gerichtet. Srbske Novine, 13.6.1881, Nr. 129, S. 815; vgl. Durković-Jakšić (1986a), S. 62. Rom erwarte tatsächlich, die orthodoxen Gläubigen würden sich aus Dankbarkeit über die Anerkennung Kyrills und Methods „vor dem Papst verneigen“. Dabei würden die Brüder „in der orthodoxen Kirche seit dem Tag ihres Todes als Geheiligte anerkannt“ und seither würde ihrer gedacht. Der Bischof schrieb nur von „Slaven“, ohne Ethnien oder Nationen zu unterscheiden. Stefan Episkop Dalmatinski i Istrijski (1881), S. 195, S. 200. In Abgrenzung gegen Strossmayer und seine katholische Initiative sollten ein „slavisches Bewusstsein“, das implizit orthodox war, „auferstehen“ und „Verräter“ ihre Strafe büßen. Hrišćanski Vesnik (1881), S. 217 – 221. Gleichfalls ohne Autor: Die slavische Pilgerfahrt nach Rom. Bericht eines Theilnehmers, in: Weckstimmen für das katholische Volk; 12,7, Wien 1881, S. 6. „Für die orthodoxen Slaven haben Kyrill und Method große Bedeutung, sei es von Seiten der Religion, sei es von Seiten der Kultur.“ Milaš (1881), S. V f. Die derzeitige Strategie Roms und des „Westens“ sowie Strossmayers sei es, den Slaven „als einem starken Volk, das nicht von dem

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bestehe darin, sich der Brüder dabei zu bedienen. Umgekehrt müssten die Orthodoxen gemäß dem Vorbild Roms analog handeln und den Brüdern höhere Wertschätzung er­weisen.626 Obschon der Geistliche die Brüder als „Griechen“ beschrieb,627 ging die Auseinandersetzung nicht nur um Religion, sondern um „das zukünftige nationale Leben“ der Slaven.628 Erst die hier delegitimierte Aneignung der Brüder durch Rom provozierte die Veröffentlichung einer umfangreichen Monographie über Kyrill und Method aus der Perspektive eines Orthodoxen.629 Erst als Ergebnis der Dynamik der zwischen­konfessionellen Polemik begann damit, eine über Ansprachen und einzelne Zeitschriftentexte hinausgehende publizistische Öffentlichkeit zum Thema der Verehrung bzw. der Instrumentalisierung der Brüder zu entstehen. Das Werk erfuhr mehrere Über­ setzungen und wurde in Besprechungen kontrovers diskutiert, auch von Strossmayer.630 C 3.4.5  Kulminationen des katholisch-orthodoxen Wettbewerbs zum Jubiläum 1885

Auch im Weiteren entwickelte sich der Diskurs als transnationaler Interaktionszusammen­ hang: 1885 riefen mährische Verehrer der Brüder die „serbischen Brüder“ dazu auf, in Velehrad des tausendsten Todestages Methods zu gedenken und so die Kirche zu einen. Der Aufruf erschien auch in dem offiziellen „Boten der Serbischen Kirche (Vesnik Srpske Ckrve)“ und rief in einer Belgrader Zeitung scharfe Ablehnung hervor.631 Als Antwort wurde dort und auch seitens der serbischen Geistlichkeit eine Einigung der Slaven unter orthodoxen Vorzeichen propagiert: „Lasst Rom den romanischen Völkern, mögen sie sich um es sammeln, aber unsere Erlösung liegt in der orthodoxen Kirche“.632 Orthodoxe und slavische Identität sollte sich aus kirchlicher Sicht überlagern, ohne von einer serbischen Nationalität zu schreiben. Ein Ausweg bestand in der Minderung der Feiern der Brüder: Im österreichisch-­ ungarischen Patriarchat von Sremski Karlovci untersagte der orthodoxe Patriarch sogar die spezielle Feier des Gedenktages mit Verweis auf die Synode von 1779, welche die Feiertage der Orthodoxen stark reduziert hatte, aber offenbar ohne direkte Anweisung

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Westlertum angesteckt ist, vorherzusagen, sie würden eine starke kulturelle Kraft werden, um ­ artel den verdorbenen Westen wiedergeboren werden zu lassen“. Milaš (1881), S. VI. Vgl. D (1984), S. 71 – 77. „Man muss deshalb zuerst Kyrill und Method zu Eigenen machen, die Liebe zeigen, die Rom ihnen gegenüber hegte und hat“. Milaš (1881), S. VIII. Milaš (1881), S. IX. Milaš (1881), S. X. Milaš schilderte sodann einzelne Beiträge zu dieser Debatte im überregionalen Rahmen, aber auch in Dalmatien. Sein Buch sollte auf diese Region abzielen und die „Ziele“ sowie die „Mittel“ Roms entlarven und die Orthodoxie „verteidigen gegen die Angriffe“. Milaš (1881), S. XIX. Durković-Jakšić (1986a), S. 62. Durković-Jakšić (1986a), S. 64 – 66. Vesnik Srpske Crkve 1885, S. 311 – 313, zit. gemäß Durković-Jakšić (1986a), S. 64 – 66.

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staatlicher Behörden. Dies rief eine Reaktion der Zeitung „Zastava (Fahne)“ in Novi Sad hervor. Tatsächlich beging man den Gedenktag trotz des Verbotes in Vukovar, in Sombor und zahlreichen weiteren Orten, begleitet vom Auftritt von Gesangsvereinen und vereinzelt explizit „wie am Savatag“.633 Wichtiger wurde aber eine andere Strategie: die Übernahme des Vorbilds und die entsprechend intensivierte Feier. So wurde das Jubiläum 1885 in Belgrad, der Hauptstadt des Königreiches, überaus feierlich und erstmals im Rahmen einer aufwendig inszenierten sakralen Aufladung des öffentlichen Raumes begangen.634 Elemente der Begehung eines sakralen Feiertags sollten sich planmäßig mit denen eines Schulfeiertags sowie einem weltlichen Volksfest in der urbanen Öffentlichkeit ergänzen.635 Dieser Rahmen wurde religiös besetzt: Archimandrit Nikanor Ružičić, der Rektor des Theologischen Seminars, hielt in der Kathedrale eine Predigt: Er erörterte, in welcher bedrohlichen Situation sich die Slaven befunden hätten, als nur die hebräische, die griechische und die lateinische Sprache für die Mission infrage gekommen seien. Ružičić konstruierte eine damalige Krisenlage in Anlehnung an neue geschichtswissenschaft­ liche Konzepte, er beschrieb sie und die beiden Brüder aber in einem traditionellen, ­barocken Stil.636 Der Verweis auf die „Vorsehung Gottes“ machte die weiterhin bestehende heilsgeschichtliche Aufladung seiner Predigt deutlich. Moderner wurde seine Rhetorik erst, als er eine „slav. Nationalität“ in das Zentrum seiner Darstellung rückte 637 sowie

633 Durković-Jakšić (1986a), S. 67 f. 634 Gemäß dem in den „Serbischen Nachrichten“ veröffentlichten Programm sollten nach dem Gottes­dienst in der Kathedrale „alle Schulen an den Feierlichkeiten dieses Tages“ teilnehmen. „Auf dem großen Platz (na velikoj pijaci), auf der errichteten Tribüne, werden alle Gesangs­ vereine dem Heiligen ein Tropar und andere Lieder singen“. Danach „wird das Volksfest beginnen auf dem großen Platz und in der Stadt, wo die Kriegsmusik aufspielen wird“. Srpske Novine, 6.4.1885, Nr. 75, S. 375. 635 Offenbar parallel dazu, aber ohne sich mit den Feierlichkeiten zu Ehren der Brüder zu über­lagern, verliefen an diesem Tag die Feiern zum Gedenken an die Befreiung der Stadt von osmanischer Hoheit. Srpske Novine, 6.4.1885, Nr. 75, S. 375; anders: Durković-Jakšić (1986a), S. 70. Die Zeitung erklärte der Leserschaft zur Information knapp die Vita der Brüder: „Heute wird in der ganzen slavischen Welt das tausendjährige Jubiläum des heiligen Apostel Method gefeiert, und auch in unserem Vaterland“. Über ihre Herkunft sagte der mit dem Kürzel „S. N.“ unterzeichnende Autor nur, sie seien „in der Stadt Saloniki in Makedonien geboren“ worden. Srpske Novine, 6.4.1885, Nr. 75, S. 375 f. 636 Die beiden Brüder seien in dieser „größten Gefahr“ für „das Slaventum“ dank der „Vorsehung Gottes“ als „leuchtende Sterne“ aufgetaucht: „Und erst als dem Slaventum in religiöser und nationaler (narodnosnom) Beziehung die größte Gefahr drohte, als die größte schwarze Wolke aufzog und undurchlässige Finsternis über dem slavischen Volk – da erschienen am slavischen Himmel zwei leuchtende Sterne, die mit ihrem grellen Licht in das Herz jedes Slaven ein­ drangen.“ Srpske Novine, 10.4.1885, Nr. 78, S. 389 f. 637 „Die hll. Brüder Kyrill und Method haben die slav. Schriftlichkeit geschaffen und haben den Slaven die Mittel zur Ausweitung slavischer Gedanken und Ideen gegeben; und dies hat wiede­rum

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deren angebliche Entwicklung hin zu „slavischer Kraft und Größe“.638 Diese slavische „Einheit“ sah Ružičić jedoch bald unter dem Einfluss der katholischen und deutschen „Fremdheit (Tuđinštini)“ zerbrechen, bei katholisch-slavischer Mitwirkung.639 Die Treue von Völkern gegenüber dem „Geheiß“ der Brüder überwand in seiner Logik langfristig den angeblich wegen Sünden gerechtfertigten Verlust staatlicher Freiheit.640 Auch die entfremdeten Bruderstämme seien daher – dank der gemeinsamen Rückbesinnung auf Kyrill und Method – heilsgeschichtlich nicht auf ewig verloren.641 Tatsächlich überwand in der Darstellung Ružičićs das Gedenken an die beiden Brüder in der Gegenwart die konfessionelle Trennung der Slaven.642 Der angebliche mittelalterliche Einheitsgedanke sollte „aufs Neue geboren werden“ und zum gemeinsamen Gottesdienst führen.643 Die Brüder wurden so zum Medium der Definition von „Fremd“ und „Eigen“. Von Einigung und Eintracht war die Rede, auch vom „slavischen Volk“, nicht aber von Nationalität. Die kyrillomethodianische „Verehrung Gottes“ in slavischer Sprache war das Band, das die Slaven über konfessionelle Grenzen hinweg als Volkseinheit konstituieren sollte. Der Entwurf war ein Schritt zu einem panslavischen Nationalismus, in dessen trans­nationalen Rahmen „die Serben“ gestellt wurden.644 Neben dieser romantisch-na-

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die Entwicklung und Kräftigung der slav. Nationalität (narodnosti) und der brüderlichen Gemeinschaft gefördert.“ Srpske Novine, 10.4.1885, Nr. 78, S. 389. Srpske Novine, 10.4.1885, Nr. 78, S. 389. „Einige slavische Stämme, und, was schwärzer und fataler ist, sogar jene unter ihnen, die als erste die slav. Sprache und den slav. Gottesdienst hörten, (…) diese Stämme vergaßen auch als erste das Geheiß der slavischen Apostel“. Srpske Novine, 10.4.1885, Nr. 78, S. 390. Katholische Slaven „zerstörten die slav. Gemeinschaft und, was noch mehr ist, sie begannen ihre Brüder zu hassen, die dem Geheiß (anametu) der hll. Brüder treu blieben. – Tatsächlich sind auch die orthod. Slaven für ihre Sünden in fremde Hände gefallen; aber der Herr hat sie wieder befreit, denn sie blieben auch in den größten Gefahren immer dem Geheiß der slav. Apostel treu“. Srpske Novine, 10.4.1885, Nr. 78, S. 390. „Aber, Gott sei Dank, lösen sich die dichten Wolken am trüben slavischen Himmel auf! Da unsere getäuschten Brüder ihren Fehler erkannten, beeilen sie sich, ihn zu korrigieren. – Heute nach so vielen Jahrhunderten, wo wir alle gleichgesinnt (u jednoj misli) sind (…). Heute ­feiern wir alle gemeinsam in allen Gebieten der slavischen Welt das tausendste Gedenken an den slav. Apostel, den Schöpfer des slav. Buches und Gottesdienstes! [Abkürzungen im serbischen Original, S. R.]“ Srpske Novine, 10.4.1885, Nr. 78, S. 390. Den Feiertag „begeht heute feierlich die ganze orthod. und nichtorthod. slavische Welt“. Srpske novine, 10.4.1885, Nr. 78, S. 389. „Diese ihre aufrichtige Vereinigung (družba) und Freundschaft (prijateljstvo) erscheint erneut unter den Slaven; dieser gemeinsame slavische Gedanke, mit dem sich einst unsere Vorfahren gekräftigt haben und der sie getragen hat, er soll aufs Neue geboren werden in der Seele aller Slaven; die einstige einmütige (edinodušno) und einstimmige Verehrung Gottes beginnt heute in allen slavischen Kirchen“. Srpske Novine, 10.4.1885, Nr. 78, S. 390. So tauchte eine serbische Referenz in dem Text nur an einer einzigen Stelle auf, wo es galt, das Jahr 862 in deren „religiösen und nationalen (narodnog) Leben“, „Geschichte“ und „Kultur“ zu verankern: „Deshalb stellt das Jahr 862 in der slavischen Geschichte, und daher auch in der

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tionalen Grundstimmung des Inhalts des Gedenkens blieben aber auch Bestandteile traditioneller religiöser Memoria lebendig. Der Entwurf einer gesamtslavischen Identität seitens des Geistlichen war damit nicht aus einem heilsgeschichtlichen Rahmen gelöst: Die politisch-theologische Volkseinheit wurde mit der Referenz auf die beiden Brüder sakra­lisiert und als Triumph gepriesen.645 Im gleichen Rahmen der Feiern 1885 in Belgrad wurde aber gleichzeitig auch die weltliche Fassung des Diskurses über die Brüder aktualisiert: So hielt der Rektor der „Hohen Schule“ und Geschichtslehrer Panta S. Srećković zum Jubiläum am 6. April „auf dem Platz (na pijaci) vor der Hohen Schule“ eine Ansprache zu Ehren der ­Brüder.646 Srećković war wie mehrere seiner Kollegen an der „Hohen Schule“ ein führendes Gründungsmitglied der Heilig-Sava-Gesellschaft.647 Der Bezugsrahmen seiner Rede war ein „weltweiter Existenzkampf auf der Grundlage der Idee der Natio­ nalität (nacionalnosti)“.648 Auch für ihn blieb das gesamtslavische Projekt wichtiger als eine serbische Nationalität. Dieses stellte er in einen transimperialen Zusammenhang umfassender gesellschaftlicher Modernitätsentwürfe.649 Der moderne Erfolg sei direkt durch das kyrillomethodianische Erbe zu erklären.650 Sein Vergleichshorizont war europäisch sowie rassisch und national ausgerichtet.651 Der Wettstreit der Aneignung des Diskurses wurde auch in den imperialen Zentren selbst ausgetragen: Eine weitaus weniger kämpferische Bezugnahme erfolgte zum gleichen Anlass in St. Petersburg. Der Vortrag des bedeutenden kroatischen Slavisten Vatroslav Jagić, den dieser am 5. April 1885 vor der „Zweiten Sektion der zarischen Akademie der Wissenschaften“ in Petersburg hielt, wurde als Übersetzung auch Bestandteil der serbischen publizistischen Öffentlichkeit.652 Jagić betonte zunächst die Lebendigkeit des Gedenkens an

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serbischen, im religiösen und nationalen (narodnog) Leben; in der Geschichte und in ihrer allgemeinen Kultur eine große Epoche dar“. Srpske Novine, 10.4.1885, Nr. 78, S. 390. „So soll die slavische Eintracht und Einheit unter dem Schutze Gottes und den heiligen Ge­beten der heiligen Brüder Kyrill und Method von neuem triumphieren. – Amen“. Srpske Novine, 10.4.1885, Nr. 78, S. 390. Srećković (1885), S. 307. Društvo Sveti Sava. Dokumenti (1886 – 1891), S. 8. Srećković (1885), S. 307. „Wir sehen heute das große Russische Reich mit einer riesigen Literatur in allen Wissenschaftszweigen, mit mehreren Universitäten, Lyzeen, Theatern und allseitigem Fortschritt“. Srećković (1885), S. 306. „Wir sehen, dass alle die slavischen Völker, die die , K y r i l l i c a ‘ bewahrt haben, damit auch die n a t i o n a l e I d e e bewahrt haben, sie blieben unerschütterlich beim Glauben und schufen selbständige Staaten“. Srećković (1885), S. 306. „Von allen europäischen Rassen und Völkern haben die slavischen Völker als erste nach den Griechen und nach ihrem Vorbild begonnen, in ihrer Muttersprache zu schreiben“. Srećković (1885), S. 306. Er wurde noch im selben Jahr übersetzt in der gleichen Jahres zum ersten Mal erscheinenden Zeitschrift „Nastavnik“ des serbischen Lehrerverbandes veröffentlicht.

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die Brüder bei „allen slavischen Völkern“.653 Jagić gab ganz im Rahmen der Slavistik als einer jungen Wissenschaft, die aber bereits „tiefe Wurzeln in der Mitte der anderen philologischen Disziplinen geschlagen hat“,654 einen umfassenden Forschungsüberblick über „die Frage nach Kyrill und Method“ bzw. deren „Bedeutung (…) in der Geschichte der kulturellen Entwicklung der slavischen Völker“.655 Die Festigung der jungen Wissenschaft verband er unmittelbar mit den Brüdern – die Untersuchung ihres Werks nehme „den ersten Platz in der wissenschaftlichen Forschung der Slavistik“ ein.656 Er bezeichnete dabei die Brüder als „aus Saloniki“ stammend, ohne sich auf die Frage ihrer Herkunft einzulassen.657 Die Wissenschaft stellte er ganz bewusst in den Dienst der Entstehung nationalen Selbstbewusstseins.658 Aber auch serbischerseits wurde Petersburg mit in den Diskurs eingebunden: Am 11. April richtete die „Serbische Gelehrte Gesellschaft“ eine Grußnote an die „Slavische Wohltätigkeitsgesellschaft“ in Petersburg, die weitaus deutlicher national und serbisch ausgerichtet war als die übrigen Texte aus Belgrad zu diesem Anlass und den Diskurs mit Sava verband.659 In die Zukunft gerichteter serbischer Nationalismus blieb aber auch hier in den transnationalen slavischen Rahmen eingebettet. Im Rahmen des Jubiläumsjahres 1885 entwickelte sich auch die historiographische Wahrnehmung der Brüder weiter: Etwa nahm Stojan Bošković, der 1874 wie Stojan Novaković – einer der Begründer der serbischen Geschichtswissenschaft – Lehrer am Belgrader Gymnasium gewesen war,660 unter dem Titel „Gemälde aus der Zeit der Re­formation“ zum Anlass der Tausendjahrfeier des Todestages Methods eine ver­ gleichende religionsgeschichtliche Einordnung der historischen Rolle der Brüder vor:

653 „Das Gedenken [an Method, S. R.] (…) lebt nicht nur noch heute, sondern (…) erscheint mit unerwarteter Kraft (…) überall, wo die slavische Sprache hörbar ist. Das Gedenken an den tausend­sten Todestag des Apostels Method wird als allgemeiner Feiertag aller slavischen ­Völker begangen, so sehr sich auch ihre Lebenswege unterscheiden.“ Jagić (1890), S. 4 f. 654 Jagić (1890), S. 47. 655 Jagić (1890), S. 54. 656 „Die Erfolge der Slavistik und die Frage über die Arbeit Kyrills und Methods stehen in einer unauflösbaren Verbindung“. Jagić (1890), S. 5. 657 Jagić (1890), S. 5. 658 „Wenn es kein allgemeines Bewusstsein der Dankbarkeit gegenüber den Wohltätern gegeben hätte, wäre keine slavische Wissenschaft entstanden – diese unaussprechliche Quelle des Selbstbewusstseins des Volks“. Jagić (1890), S. 8. 659 „Mit dem slavischen Buch und der slavischen Sprache verteidigte der mährische Fürst Rastislav seine Nationalität (narodnost); mit dem slavischen Buch und der slavischen Sprache bekräftigte der Fürstensohn Rastislav Nemanjić, der hl. Sava, das Serbentum; der slavische Glaube, das Buch und die Solidarität sind auch heute, nach einem Jahrtausend, unsere Ideale, die Verteidigung der Nationalität, die Rettung (spas) der Zukunft.“ Archiv SANU, Nr. 3447 (Archiv SUD 1885/32. Sitzung IV vom 11. April 1885, Nr. 3), zit. gemäß Durković-Jakšić (1986a), S. 64 – 66. 660 Djordjevic (1973), S. 21 – 23.

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Er stellte sie in den Kontext der Reformation 661 und deutete sie damit wie schon Herder als Vor­läufer von Luther in einem „schrecklichen Kampf“.662 „Die Slaven“ beschrieb er in einem ­kultur-, geistes- und politikgeschichtlichen Zusammenhang als eines der „drei wichtigsten Völker des christlichen Europa“.663 Kyrill und Method wurden hier zu Vorläufern, ja Erfindern der Reformation stilisiert und dienten zur vorteilhaften, trans­nationalen Einordnung der slavischen Geschichte in die allgemeineuropäische Historie.664 Mit dieser Taktik der Selbsteuropäisierung erschien slavische Geschichte nicht als rückständig, sondern als innovativ und mit einem Vorsprung von mehreren Jahrhunderten richtungweisend für die sich damals an der Spitze der Fortschrittlichkeit wähnenden Engländer und Deutschen. Auch im unter unmittelbarer osmanischer Verwaltung stehenden Kosovo gedachten serbische Kreise des tausendsten Todestages Methods: Ein „Ausschuss des serbischen bürgerlichen Lesesaals“ in (Kosovska) Mitrovica bat den Geistlichen Uroš ­Milutinović, zum Gedenktag einen Gottesdienst zu feiern und „zu diesem Anlass dem Volk eine Predigt zu halten über die Bedeutung und Wichtigkeit dieser ersten slavischen Lehrer und Aufklärer“.665 Der Geistliche Milutinović lobte damit die ­Brüder im Auftrag einer bürgerlichen Assoziation zunächst als weltliche Helden.666 In der Rede stand der slavische Zusammenhang im Zentrum, mit keinem Wort wurde ein serbischer Kontext

661 „Groß ist der zeitliche Abstand, der die slavischen Apostel von dem englischen und dem deutschen Reformator trennt. Die Länder, in denen sie arbeiteten, und die Umstände, unter denen sie sich bewegten, sind sehr unterschiedlich. Aber die Hindernisse (smetnje) zum Erfolg ihres Werks waren angetrieben durch dieselben oder ähnliche Quellen. Und auch die Folgen ihrer ewig bedeutsamen und ertragreichen Arbeit waren in einem gewissen Sinne gleich. Die hll. Kyrill und Method haben den slavischen Völkern mit der Übersetzung der Heiligen Schrift und der Predigt der evangelischen Reden (reči) in der alten slavischen Sprache (…) die Grundlage und die Gestalt zur geistigen und aufklärerischen (prosvetno) Einheit gegeben.“ Bošković (1885), S. 1 f. 662 Wyclif wie auch Hus und Luther hätten wie die Brüder „in ihrem schrecklichen Kampf“ die Übersetzung der Bibel „in die einfache Volkssprache“ als „Mittel“ eingesetzt. Bošković (1885), S. 1 f. 663 „Diese großen kulturellen Ereignisse gaben für lange die Richtung der geistigen und politischen Entwicklung der drei wichtigsten Völker des christlichen Europa vor, der Slaven, der Deutschen, und der Angelsachsen.“ Bošković (1885), S. 1 f. 664 Im bulgarischen Kontext ist eine Deutung der „Wiedergeburt“ als „Reformation“ erst um 1939 nachweisbar. Daskalov (2006), S. 39 f. Schon in der zweiten Hälfte des 19. Jh. wurden die Brüder in Bulgarien aber gerade wegen ihrer Übersetzungsleistung geehrt. 665 Milutinović (1885), S. 3 f. 666 Er führte Method als den älteren Bruder Kyrills ein. Kyrill sei zwar jünger, aber „an Hoch­ verständigkeit und in der Triebkraft seines großen Geistes der ältere Bruder“. Milutinović würdigte nach einer Darlegung der Viten der beiden insbesondere die Schaffung der slavischen Liturgiesprache. Selbst der Geistliche tat dies in einem weltlichen Kontext, wenn er sie als ein zeitloses „wunderbares Denkmal in der Brust jedes bewussten Slaven“ bezeichnete. Ihr sprach er das Erreichen der – offenbar kulturellen – Gleichstellung der Slaven „mit den Lateinern, den

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hergestellt.667 Insgesamt stand aber in der dem „Volk“ gehaltenen Predigt der religiöse Anteil des Gedenkens im Vordergrund.668 Auch der göttlichen „Herrschaft“ gedachte er 669 und behauptete damit eine Parallelloyalität neben dem „irdischen staatlich-bürgerlichen Leben“, das eine ausdrückliche Ergebenheit gegenüber der osmanischen Herrschaft erforderte: Die Treueerklärung gegenüber dem Sultan stand in einem eindringlichen, mit seiner Stellung am Schluss der Predigt zum Gedenken an die Brüder betonten Gebet für ein friedliches transethnisches und transreligiöses Zusammenleben.670 Das Gedenken an Kyrill und Method wurde somit zum lokal durch einen explizit serbischen Verein eingesetzten Medium, „slavisches“ Bewusstsein mit den Worten eines orthodoxen Geistlichen ganz im Rahmen und in Anerkennung des Vielvölkerreiches zu fördern. In den entstehenden kroatischen sowie serbischen Diskursen über die wiederentdeckten Brüder spielte von 1860 an ihr Einsatz für Entwürfe moderner Wissenschaftlichkeit und Fortschrittlichkeit sowie einer historistisch begründeten nationalen Antike und einer daraus abgeleiteten legitimen Modernität im europäischen Rahmen eine entscheidende Rolle. Die beiden Brüder wandelten sich historisiert zum Ursprung des „Geschlechts“, d. h. der „Nation“ der orthodoxen Slaven. Führende geistliche Gelehrte und welt­ liche Slavisten sowie Historiker und Politiker sowie Kirchenfürsten versuchten, das ­Gedenken im Dienste übergreifender integrativer Ziele zu festigen. Dem Gedenkanlass unter Gelehrten 1863 folgten Auseinandersetzungen in der entstehenden Publizistik um die katholische Initiative zur Verehrung der Brüder sowie die von breiteren Schichten in Belgrad besuchten Feiern von 1885. Standen zunächst katholische Kroaten an der Spitze der Initiatoren, rückten als Ergebnis der Interaktion in der kontrovers geführten zwischenkonfessionellen Debatte serbische Wortführer nach. Für Feiern an Orten

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Griechen und den anderen, und auch mit den benachbarten Deutschen“ zu. Milutinović (1885), S. 5. Die beiden Brüder hätten entweder im Spiel mit slavischen Kindern oder durch ihre Mutter, womöglich eine Slavin, die slavische Sprache erlernt. Milutinović (1885), S. 5 f. So verehrte Milutinović die beiden Brüder in biblischer Rhetorik als „unermüdliche Arbeiter und bittere Leider im großen slavischen Weingarten Gottes“. Im abschließenden Gebet zu Gott beschwor er in traditioneller Weise die Lebendigkeit der Heiligen und ihre Anwesenheit im Gottesdienst. „Dir hat beliebt, die beiden gerühmten Brüder auszuwählen und sie heute in deinen slavischen Weingarten zu senden, damit sie diesen in Gemeinschaft begehen“. Milutinović (1885), S. 5 f. Alle sollten „unter der ausschließlichen Regierung (upravom) Deines eingeborenen Sohnes und unter den Gewölben Deiner einzigen (jedinitog) geistlichen Stadt, des heiligen Zion“ stehen. Milutinović (1885), S. 23. „Aber in unserem irdischen staatlich-bürgerlichen Leben stärke uns in der Gemeinschaft mit all jenen, mit denen zu leben es sich uns ergeben hat, damit wir mit ihnen in Liebe, Frieden und Eintracht ohne Unterschied im Glauben und in der Sprache leben können; und stärke uns in der alten Treue und Ergebenheit gegenüber Seiner Hoheit, unserem geliebtesten Herrscher und seinem glänzendsten Haus, wie auch in der Unterwürfigkeit und im Gehorsam vor allen durch ihn eingesetzten Behörden!“ Milutinović (1885), S. 24.

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unter osmanischer Herrschaft ist die komplexe Beschreibung gleichzeitig bestehender Loyalitäten und Identitäten hervorzuheben. Dieser Aspekt wird auch im anschließenden Abschnitt wichtig sein. C 3.5  Kyrill und Method in ,Makedonien‘ (1860 – 1885) C 3.5.1  Nationales neben Transnationalem – erste Feiern und Schulen

Anfänge der weltlichen Verehrung der Brüder in Prilep und Skopje zu Beginn der 1840er-Jahre wurden bereits aufgezeigt. Ein Beleg griechischer Verehrung der Brüder in Saloniki ist 1850 zu nennen,671 diese blieb aber vergleichsweise schwach. Es dauerte bis Ende der 1850er-Jahre, bis in der Region neue Initiativen zur Verehrung der Brüder publik wurden:672 1858 berichtete die „Bulgarische Literatur (Bălgarski knižici)“ in der „Zarenstadt“ aus Kilkis, einem Städtchen im nördlichen Hinterland Salonikis: Dort sei „vor einigen Monaten (…) die bulgarische Sprache in der Schule und in den Kirchen“ eingeführt worden.673 Laut dem anonymen lokalen Berichterstatter – einem Träger „bulgarischen Nationalgefühls“ – wandte sich die dortige Bevölkerung mit diesem Schritt von ihrer bisherigen „Irrung“ ab: Gemeint war die Abkehr von einer griechischen Orien­tierung. Der Journalist war erfreut, „Nationalgefühl“ in Regionen zu beobachten, in denen dieses in seinen Augen bisher nicht zu Bewusstsein gelangt war: Das Geschehen in Kilkis deutete er als Erwachen des Volks aus „tiefem Schlaf“. Mit dem Verweis auf Kyrill und Method rechtfertigte er die Einführung des bulgarischen Sprachunterrichtes und machte sie zum Merkmal der „Bewusstseinswerdung“. Die beiden Brüder standen in dem Text aber nicht alleine im Vordergrund: Er legitimierte die nationale Besinnung mit religiösen Anliegen. Der anonyme Verfasser machte im Rahmen dieser Logik seiner Leserschaft klar, dass „auch

671 So besingt die 1850 in Athen erschienene zweite Auflage eines zuerst 1805 in Leipzig gedruckten Buches des Theologen und zweiten Wortführers der religiösen Bewegung der Kollyvaden Athanásios von Paros (1721/22 – 1813, Zelepos (2012), S. 223 – 231) Saloniki in einem kurzen Vers als „Vaterland der neuen Apostel“, als welches es „von allen bulgarischen Stämmen“ mit Dank bedacht werde. Zit. gemäß Bălgarski starini iz Makedonija, 21931, S. 187, Nr. 22. 672 Die Ende der 1830er-Jahre bzw. in den 1850ern belegten ersten bulgarischen Druckereien der Stadt verlegten keine auf die Brüder bezogenen Texte: Bălgarski starini iz Makedonija, 21931, S. 192 – 198. 673 „Mit besonderer Freude und Zufriedenheit sehen wir, dass das Nationalgefühl auch in den Gegenden erwacht, wo es bisher im tiefen Schlaf lag, und ganz von Fremdstämmigen (ot inorodno) unterdrückt und erstickt war. So wurde vor einigen Monaten die bulgarische Sprache in der Schule und in den Kirchen von Kukuš eingeführt. Und kann diese sehr erfreuliche Erscheinung anderes sein als der klare Hinweis, dass die Kukušer sich besonnen haben und aufgewacht sind und so ihre frühere Irrung erkannten und den falschen Weg, auf dem sie bisher gegangen waren?“ Bălgarski knižici Nr. 10, kn. 2, Mai 1858, S. 19, zit. gemäß Makedonija. Sbornik ot dokumenti, Nr. II 23, S. 154 – 156, hier S. 154.­

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wir“ zum bulgarischen Volk zählten. Die Arbeit an einem Nationalbewusstsein mittels der Forderung nach einem nationalen Sprachbewusstsein wurde hier religiös begründet.674 Auch in Skopje ist nach der frühen Gründung einer Kyrill und Method gewidmeten Schule bereits im Jahr 1836 erst 1860 auch eine Feier des Gedenkens an die Brüder nachweisbar: Dem Gottesdienst in der Kirche folgte damals eine Schulfeier.675 Für dieselbe Zeit zeigt ein Beispiel aus Prilep, wie sehr griechische und slavische Diskurse sich damals ohne deutlichen nationalen Bezug im osmanischen Rahmen überlagern konnten: An der dortigen griechischen Schule fanden zu Beginn der 1860er-Jahre jeweils Ende Juli Prüfungen statt, die im Rahmen von Gemeindeversammlungen abgehalten wurden. Der in Ohrid geborene Lehrer und Folklorist sowie Publizist Kuzman Šapkarev ließ in diesem Zusammenhang am 22. Juli 1862 seinen Schüler Ioann Georgiev offenbar auf Griechisch eine in bulgarischer Fassung überlieferte 676 Ansprache zur Abschluss­ prüfung unter dem Motto „Väter erzieht eure Kinder in der Lehre und den Geboten des Herrn“ halten. Dabei zählte er Kyrill und Method in der Reihe antiker „Philo­sophen (weise Männer)“ auf.677 Diese standen aber nicht im Mittelpunkt seiner und ähnlicher Examensreden. Ebenso wenig förderte er damit griechisches, bulgarisches oder makedonisches Nationalbewusstsein: Vielmehr versuchte er, eine nachdrücklich im „europäischen“ Kontext entworfene, auf orthodoxen Traditionen fußende zeitgemäße Bildung zu beschreiben, die eine entsprechende osmanische Staatsbürgerschaft fördern sollte: Bildung sollte dem gehuldigten Sultan und damit „dem Vaterland nützliche“ 678 und „wohlgesittete (Staats)Bürger (graždani)“ 679 bringen. 674 Das Ziel war es, dass „das bulgarische Volk, dessen Mitglieder auch wir sind, das Gesetz ­Gottes“ vernimmt und „Gott in seiner Muttersprache lobt“: „Und überdies – warum wurde schon vor 1000 Jahren, das heißt, als sich die Bulgaren gerade tauften, die Heilige Schrift durch Kyrill und Method auf bulgarisch übersetzt, mit der Zustimmung und Ermunterung der Carigrader Kirche, wenn nicht deshalb, damit das bulgarische Volk, dessen Mitglieder auch wir sind, das Gesetz Gottes und die hohen göttlichen und erlösenden Wahrheiten hört und Gott in seiner Muttersprache lobt?“ Bălgarski knižici Nr. 10, kn. 2, Mai 1858, S. 19, zit. gemäß Makedonija. Sbornik ot dokumenti, Nr. II 23, S. 156. Die Argumentationslogik ging davon aus, dass die lokale Bevölkerung ihre Muttersprache in der Schule lernen sollte – sprachliche oder dialektale Unterschiede jenseits des entstehenden normierten Neubulgarischen konnten kein Thema sein und blieben undenkbar. 675 Trajanovski (1989), S. 377. 676 BAN NA S, f. 15k, 1, 3r–10r, hier 3r.: „übersetzt und gehalten an der Prüfung“. Seine Memoiren, mit Nennungen Kyrills und Methods: Kuzman A. Šapkarev. Zapisi, S. 19, S. 63. Vgl. Kuzman A. Šapkarev. Za văzraždaneto …; Trajanovski (1992). 677 In einer Reihe von „Pythagoras, Aristoteles, dem Lehrer Alexanders des Großen“, römischen Kaisern und Napoleon, David und Salomon sowie griechischen Kirchenvätern nannte er auch Kliment sowie Kyrill und Method. Letztere ehrte er als „die beiden Brüder, die das slavische Geschlecht aufgeklärt haben (presvetia)“. BAN NA S, f. 15k, 4r. Vgl. Trajanovski (1989), S. 377. 678 BAN NA S, f. 15k, 1, 8r. 679 BAN NA S, f. 15k, 1, 6r.

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Neben einzelnen Feiern sind um 1860 erneut Gründungen von Schulen zu beobachten, die den Brüdern gewidmet wurden – so 1860 in Košišta durch Einwohner Ohrids, bekräftigt durch Dimităr Miladinov, den Mitherausgeber der „Bulgarischen Volks­ gesänge“ (Zagreb 1861).680 Aus ,gesamtbulgarischer‘ Sicht stand diese Entwicklung im Zusammenhang mit der Ausbreitung des Gedenkens an die Brüder in der zweiten Hälfte der 60er-Jahre zusehends auch in Schulen kleinerer Städte. Bemühungen von Lehrern bzw. Gemeinden und ihrer bulgarischen Schulen, den Tag der Brüder zum Schulfeiertag umzuwandeln, stießen jedoch gerade in der Landschaft Makedonien rasch auf Widerstand phanariotisch bzw. griechisch orientierter Geistlicher, so in Nevrokop 1863.681 Der Diskurs über die Brüder als Schulpatron veränderte sich erst später in eine natio­ nale Richtung: Šapkarev sprach als Lehrer in Kilkis erst 1866 in einem national-bulgarischen Ton zum Tag der Brüder. Zuerst erklärte er dabei den Anwesenden den Grund für ihre Versammlung sowie die Rahmen der sowohl weltlichen als auch kirchlichen Feiern in „allen bulgarisch-slavischen Kirchen und Schulen“ und legte damit gleichzeitig ihre bulgarische und zugleich slavische Identität fest.682 Šapkarev zweifelte nicht an der Herkunft der Brüder: „Die hll. Kyrill und Method wurden von ehrgebietenden Bulgaren in Saloniki geboren“.683 Nur bei der Beschreibung der Sprache der Brüder erwähnte er in der Rede einen „bulgarisch-makedonischen“ Bezug.684 Nachdrücklich galt es, den Versammelten nationale Handlungshorizonte und Vorstellungen bei­zubringen.685

680 Die makedonisch orientierte Forschung schreibt dabei von einer „makedonischen“ Schule: Apostolski (1978), S. 127; Trajanovski (1989), S. 374. 681 Georgi Kostov Iserlakli schrieb am 11. Mai 1863 aus Nevrokop an Stefan Zachariev in Pazardžik: „Als wir heute den 11. Mai wohlbehalten erreicht hatten, sprachen wir mit der bulgarischen Gemeinde, damit wir heute den Feiertag der hll. Kyrill und Method begehen, und den Gottesdienst bulgarisch feiern, aber die Gräkomanen ließen das nicht zu, dafür lachten sie uns aus, was das für ein Feiertag sei, der Feiertag des hl. Buk und des hl. Dăp, und sie sagten dem Geistlichen, dass er nicht am Abend das Abendmahl feiern sollte, damit wir nicht mit Gewalt in die Kirche eindrängten (…) aber wir sind in unsere bulgarische Schule gegangen und haben durch den Geistlichen Christofor Wasser geweiht und haben uns die Kanones der hll. Kyrill und Method vorgelesen“. Bălgarski starini iz Makedonija, 21931, S. 214, Nr. 17. 682 „Aber vor allem schauen wir zuerst, ob wir die einzigen sind, die sich heute versammeln? (…) Nein, Brüder, denn heute ist alles, was bulgarisch ist, alles, was slavisch ist, alles ist in Bewegung. An dem heutigen Tag betet man in allen bulgarisch-slavischen Kirchen und Schulen Gebete und Danksagungen von der sittlichen bulgarischen Geistlichkeit. Heute halten in allen bulgarischen Schulen die unermüdlichen Lehrerarbeiter (rabotnici-učitelite) Reden, um möglichst genau die Bedeutung der heutigen Versammlung zu erklären.“ BAN NA S, f. 15k, 1, 22r. 683 BAN NA S, f. 15k, 1, 23r. 684 Die Brüder übersetzten Bücher „in die bulgarische Sprache“ bzw. „in die damalige make­ donisch-bulgarische Sprache, die heute Kirchenslavisch genannt wird“. Nur knapp erwähnte er ihre Verehrung „auch in anderen slavischen Ländern, wie in Böhmen und in Mähren“. BAN NA S, f. 15k, 1, 24v. 685 „Nun, Brüder-Bulgaren, sind wir uns nicht auch der Verpflichtungen bewusst, an die uns diese Feierlichkeiten erinnern? (…) Sind wir uns der Entwicklung und des Wohlstands (bezbědnosť-tja)

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Der Versuch, bulgarische Identität zu stiften, erfolgte aber weiterhin ganz im Rahmen der Beschwörung der Loyalität gegenüber dem osmanischen „Zaren“ und „­Sultan“: ­Šapkarev bat die Versammelten, mit ihm „unseren erhabensten Zaren den Sultan A. Aziz um ­Frieden, Liebe und Konsens zu bitten, unter dessen Schutz wir heute das Mittel finden zur geistigen Entwicklung und zur Bildung“.686 C 3.5.2  Saloniki in der Zeitungsöffentlichkeit auf dem Weg zur bulgarischen Stadt

Die entstehende Zeitungsöffentlichkeit verbreitete und (re)inszenierte die in diesen Jahren mit den Feiern verbundene Begeisterung: So berichtete ein in der bulgarischsprachigen Zeitung „Makedonien“ in Konstantinopel am 27. Mai 1867 veröffentlichter Leserbrief aus Kilkis, wo damals – so der Text – erst zum zweiten Mal das Gedenken an die Brüder feierlich begangen wurde. Der Brief gab Auskunft über die Abgrenzung von als Bulgaren auftretenden Einwohnern von den übrigen ethnischen Gruppen der Stadtbevölkerung im situativen Zusammenhang der Feiern der beiden Brüder. Die Erinnerung an die beiden Brüder als „bulgarische Apostel“ wurde dabei als Kern der bulgarischen Selbstdefinition „der Kukušaner“ (von bulg. Kukuš für Kilkis) gegenüber einem Griechen dargestellt. Dennoch spielte für einen im Bericht genannten Griechen aus Saloniki die Verbindung der ihm offenbar unbekannten Brüder mit Saloniki im Gespräch mit Wortführern der Stadtbevölkerung eine größere Rolle als ihre bulgarische Bedeutungsaufladung.687 Die Festigung bulgarischen nationalen Bewusstseins vor Ort fand im unmittelbaren Kontakt mit den übrigen Stadtbewohnern statt. Die für die Feierlichkeiten angestrebte Präsenz im öffentlichen Stadtraum musste zwischen den

der bulgarischen Nationalität (narodnosť) bewusst, welche die reichen Früchte der hll. Kyrill und Method wurden? Gebe Gott, dass das heutige Gedenken an die hll. Kyrill und Method die bulgarischen Herzen mit diesen Gedanken erfülle. Gebe der Herr, dass der heutige Tag alle Bulgaren mit den gleichen Gefühlen tränke (napoj): Alles, was bulgarisch ist, ist es nicht wunderbar, alles Bulgarische soll für das Bulgarische arbeiten.“ BAN NA S, f. 15k, 1, 24a v. 686 BAN NA S, f. 15k, 1, 24a v. 687 „Da war ein Laut, der aus dem Mund eines angesehenen Griechen kam, und der mich heute stark aufhorchen ließ, als ich den Kukušer Markt entlang ging. Es sei, so antwortete einer der Kukušer Honoratioren, der mit dem genannten Griechen vor einem Laden saß, die Begehung der Feier der bulgarischen Aufklärer der hll. Kyrill und Method, die vor 10 Jahrhunderten die Bulgaren und alle Slaven durch die Evangelische Wahrheit aufgeklärt haben und auch das bulgarische Alphabet geschaffen haben, die bulgarisch-slavische Schriftlichkeit begründet haben etc. Daher feiern auch wir heute als Bulgaren, gemäß der heiligen Pflicht ihr heiliges Gedächtnis, das, gemäß Euch, Herr, die heutige ungewöhnliche Feierlichkeit ist, die ihr heute in unserer Stadt seht. Nach diesen Worten erzählten die Kukušaner so gut sie konnten das Leben der bulgarischen Apostel, und als er hörte, dass sie aus Solun waren, bedankte er sich vor Freude, sah sich um, und grüßte alle, die sich um ihn befanden, und beides gab zu verstehen, dass er aus Saloniki sei.“ Makedonija, 27.5.1867, Nr. 26, S. 2 f., hier S. 2.

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Korporationen ausgehandelt werden.688 Die Verknüpfung des Gottesdienstes mit der Feier in der bulgarischen Schule stand für eine neue Qualität des Erinnerns. Die Konsolidierung des Diskurses und der mit ihm verbundenen sozialen Praktiken gerade in der Großstadt Saloniki wurde auch durch die Berichterstattung in der überregionalen bulgarischen Zeitungsöffentlichkeit gefördert. Beispielsweise ein auf den 21. Mai 1868 datierter, mit einem Pseudonym sowie dem Motto „Ein Soluner für alle“ unterschriebener Leserbrief an die Zeitung „Makedonien“ bzw. „An unsere Volks­vertreter in der Zarenstadt“ berichtete, „wie der feierliche Feiertag unserer Volksaufklärer, der hll. K y r i l l und M e t h o d am 11. dieses Monats“ in Saloniki begangen worden sei. Auch dort war der Feiertag sowohl geistlich als auch weltlich gefeiert und mit nationalen „makedonobulgarischen“ bzw. religiösen Wünschen aufgeladen worden.689 Der Sultan galt dabei als eine explizit geehrte Instanz, von der konkrete Hilfe zu erwarten war: Die zum Feiertag Versammelten stimmten „Lieder über den Sultan“ sowie geistliche Gesänge über die Heiligen an. Der Schreiber berichtete von einer Bittschrift von „dreitausend christlichen orthodoxen bulgarischen Einwohnern“ bzw. dem „Volk“ an den Metropoliten von Saloniki. Falls der Metropolit es ablehnte, eine der Stadtkirchen an die Bulgaren abzutreten, drohten die Bittsteller, sich mit einem osmanischen Ferman die Erlaubnis zum Bau einer neuen Kirche „mit dem Namen unserer nationalen Auf­ klärer“ zu beschaffen. Der Wunsch nach konfessionsethnischer Abgrenzung und Selbst­ ständigkeit mithilfe des Gedenkens an die Brüder wurde zur Gelegenheit, einen Willen des „Volkes“ selbstbewusst in Worte zu fassen. Der Verweis auf Kyrill und Method wurde zum inhaltlichen Rahmen dieses kollektiven Handelns, dessen letzte Hoffnung in den osmanischen Behörden lag.690 Das Ziel war aber weiterhin kirchliche Autonomie und keine nationale und politische Unabhängigkeit.

688 „Alle Zünfte“ gaben am Tag zuvor ihr Einverständnis, während der Liturgie und der anschließenden Schulfeier die Läden geschlossen zu halten. Die Veranstalter der Feiern betonten ihre „Begeisterung“ über den erfolgreichen Abschluss dieser Vereinbarung: So hieß es im gleichen Bericht: „Der Grad unserer Begeisterung erklärt sich aus dem folgenden. Schon zwei Tage vorher hatten sich alle Handwerkerinnungen (esnafi, osm.: Zünfte, bulg. auch: Handwerker, S. R.) einverstanden erklärt, dass an diesem Tag, soweit es nötig ist, wegen des Bazars der Markt geöffnet sein sollte, aber wenn die heilige Liturgie in der Kirche gefeiert wird und bei der darauffolgenden Feier in der Schule soll niemand die Tore seines Ladens öffnen; und so war es auch.“ Makedonija, 27.5.1867, Nr. 26, S. 2. Damit wurde möglicherweise über ethnische und eventuell religiöse Grenzen hinweg ein Konsens erlangt. 689 Der Brief erzählte vom „bulgarischen Gottesdienst“ sowie davon, wie „die Prüfung in reiner Makedonobulgarischer Sprache in unserer neugebauten Schule abgehalten“ wurde. Makedonija, 1.6.1868, Nr. 27, S. 3 [108]. 690 „Danach haben alle, das wirklich angespornte Volk, eine Bittschrift an den Metropoliten von Saloniki aufgesetzt, damit er eine der 13 Kirchen mit Besitz bestimme, damit sie unter der unbeschränkten autonomen Verfügung des hiesigen bulgarischen Volkes stehe. Falls er sich ­weigert, was wir nicht annehmen, wollen wir durch Euch, [geehrte, S. R.] Herren, einen Ferman besorgen, damit wir eine neue Kirche bauen mit dem Namen unserer nationalen Aufklärer. Wir sind

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Im Rahmen der überregionalen bulgarischen Zeitungsöffentlichkeit und des Dis­ kurses über die Brüder verbreitete sich die Vorstellung, Saloniki in den Zusammenhang einer bulgarischen ,mental map‘ einzugliedern. Die bulgarischsprachige Zeitung „Türkei (Turcija)“ zitierte 1869 aus der Rede eines nicht genannten Lehrers zur Eröffnung der bulgarischen Schule in Saloniki und sprach die Bulgaren Salonikis dabei als „die Kompatrioten (săotečestvennicitě) der bulgarischen Aufklärer“ an. Mit der Veröffentlichung der Rede wurde über das in Saloniki situativ versammelte Publikum hinaus auch die Leserschaft der konstantinopolitanischen Zeitung zu noch mehr Ehrgeiz in der gegenwärtigen Entwicklung der nationalen Bildung angespornt. Vergleichsstädte des Lehrers waren „Plovdiv, Sofia, Veles, Prilep, Bitola, Ohrid “. Er stellte Saloniki wie Makedonien damit in einen gesamtbulgarischen Zusammenhang. Die „ehrwürdige bulgarische Gemeinschaft von Saloniki“ bekräftigte bei dieser Gelegenheit erneut die Absicht, „in unserer Stadt eine nationale bulgarische Kirche, geweiht den hll. Kyrill und Method, zu errichten“.691 Bereits dieser kollektiv formulierte Wunsch stabilisierte örtliche Netzwerke und brachte sich verfestigende soziale Praktiken unter den bulgarisch orientierten Bürgern Salonikis hervor. Das Anliegen blieb über Jahre bestehen und wurde bald auch durch Assoziationen vertreten: Es wurde zu einem zentralen Begehren der lokalen „Gesellschaft ,Wiedergeburt‘“. Ein Leserbrief, unterschrieben mit „ein Soluner (edin, Solunjanin)“ vom 15. Mai 1873, berichtete in der Zeitung „Recht (Pravo)“ von den Feiern zu Ehren der Brüder in diesem Jahr: „Dieses Jahr begehen die Bulgaren in Solun das Gedenken an die hl. Soluner Zweiheit (Dvoica) – der beiden Slavischen Apostel noch feierlicher als früher (otkolkoto laně). Der Vorstand der Gesellschaft ,Wiedergeburt‘ wandte sich mit der Bitte an die griechischen Ältesten, dass diese ihnen eine Kirche für den Tag des 11. Mai zur Verfügung stellten“.692

Die Anhänger des 1870 im Rahmen des Osmanischen Reiches eingerichteten bulgarischen Exarchats besaßen immer noch keine Kirche und waren deshalb vom guten Willen der Griechen bzw. griechisch orientierten Gläubigen unter dem Patriarchen von Konstantinopel abhängig. Tatsächlich folgten die „griechischen Ältesten“ dieser Bitte. Sie stellten aber die Bedingung, dass im Gottesdienst der Name des Exarchen Antim nicht genannt würde. Zudem beanspruchten sie die Brüder als „Soluner“ und als dreitausend christliche orthodoxe bulgarische Einwohner“, „das Volk“ möchte bulgarische Geistliche. Makedonija, 1.6.1868, Nr. 27, S. 3 [108]. 691 „Vorwärts, vorwärts, Brüder, denn wir sind stark im Rückstand geblieben gegenüber unseren übrigen Landsleuten (edinorodci). Lasst uns einen Blick werfen auf unsere Brüder beispielsweise in Plovdiv, Sofia, Veles, Prilep, Bytolj, Ohrid und in viele andere Städte und kleine Städtlein um zu sehen, welchen Erfolg sie erreicht haben in der Aufklärung, aber wir, die Kompatrioten (săotečestvennicitě) der bulgarischen Aufklärer, der hll. Kyrill und Method, die auch heute im 19. Jh. die Vordersten in der Bildung sein sollten, sind, im Gegenteil, die Letzten geblieben.“ Turcija, 20.9.1869, Nr. 31, S. 3 f., zit. gemäß Sněgarov (1937), Dokument Nr. 13, S. 241 – 243. 692 Pravo, 25.5.1873, Nr. 11, S. 2.

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„Ruhm unserer Stadt“ für sich selbst.693 Der damit von beiden Seiten für sich erhobene Anspruch auf die Herkunft der Heiligen aus Saloniki stand für den Wettstreit um den Anspruch auf die mehrheitlich jüdische Stadt insgesamt. Die Definition der „heiligen Soluner Zweizahl“ als „Begründerin des Ecksteins der bulg. Kirche“ ließ keine griechische Teilhabe zu. Dennoch lud die bulgarische „Gesellschaft“ zur Feier „mit Karten alle Esnafi ein, soweit sie sich aus gräzifizierten Bulgaren (Bălgare pog’rčeny), er­klärten Bulgaren und aus Griechen zusammensetzten“.694 Im Zeichen der national vereinnahmten Brüder als „Bulgarische Apostel“ sollte im Kirchenkampf eine bulgarische Gemeinschaft erst entstehen.695 C 3.5.3  Kontroversen um die Deutungshoheit – Saloniki als ,allgemeinslavisches Jerusalem‘ oder bulgarisches ,Denkmal‘

Während dieser Bericht eine partielle religiöse Zusammenarbeit, vor allem aber Kontro­ versen von Griechen und Bulgaren schilderte und von anderen Slaven, etwa Serben, nicht schrieb, sprach ein wenige Tage später erstellter Bericht der Bukarester Zeitung „Unabhängigkeit“ im Zusammenhang mit denselben Ereignissen in Saloniki von einer geplanten gesamtslavischen Zusammenarbeit, ohne eine griechische Teilhabe zu bedenken: Die neue Kirche in Saloniki sollte „ein allgemeinslavisches Jerusalem werden“.696 Das Gedenken an die beiden Brüder wurde an dieser Stelle nicht durch 693 „,Als Soluner (Solunny)‘, sagten einige der geehrten Ältesten, ‚ist es an uns, das Gedächtnis der beiden Soluner Apostel zu ehren, sie sind der Ruhm unserer Stadt, ihr Gedenken ehrt die orthodoxe Kirche, in deren Schoß sich die Erst-Lehrer (părvo-učitelie) der Slavischen Welt ernährten.‘ Die Bulgarische Gesellschaft hatte – dieses Jahr erstmals – Gemeindepfarrer in der Griechischen Kirche darauf vorbereitet, den Gottesdienst durch zwei Soluner Geistliche, von ihrer Herkunft Bulgaren, auf slavisch zu feiern. Diese hatten dieses Jahr in der Schule der hll. Kyrill und Method gelernt, das Slavische zu lesen“. Pravo, 25.5.1873, Nr. 11, S. 2. 694 Pravo, 25.5.1873, Nr. 11, S. 3. 695 Die Feier des Gottesdienstes verzögerte sich am 10. Mai, da sich die sogenannten „Griechlein (g’rčjulita)“ – bzw. griechisch orientierte, angeblich als Slaven geborene Orthodoxe – gegen die slavische Feier des Gottesdienstes durch den Geistlichen zur Wehr setzten. Der Gottesdienst am 11. Mai verlief dennoch reibungslos, mit der Teilnahme des russischen Konsuls sowie „vieler Griechen“. Pravo, 25.5.1873, Nr. 11, S. 3. 696 Unter dem Titel „Bukarest, 18. Mai“ hieß es 1873 in dem nicht gezeichneten Leitartikel der Bukarester „Unabhängigkeit“: „Aus Solun verkünden sie, dass in dieser Stadt sich ein G ­ remium zusammengetan habe, das die Absicht hegt, eine ,Reiche Kirche‘, gewidmet den bulgarischen apostelgleichen Kyrill und Method, zu errichten. (…) Da die hll. Kyrill und Method die allgemeinen (obšti) Aufklärer aller slavischen Stämme sind, muss die Soluner Kirche ein all­ gemeinslavisches Jerusalem werden. Daher müssen nicht die Bulgaren diese Kirche errichten, sondern alle Slaven gemeinsam. Anders kann es nicht sein. Jeder, der eine slavische Seele und slavisches Blut hat, muss seine Hilfe vor dem Altar der slavischen Lehrer beitragen, die die wichtigste Quelle der slavischen Annäherung sind, der slavischen Bruderschaft und der slavischen sittlichen Einheit. Wer seinen Namen und seine Nationalität (narodnosť) ehrt, der soll

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deren Heiligkeit begründet, sondern als Pflicht „vor dem Altar der slavischen Lehrer“ sowie gegenüber einer allgemeinslavischen nationalen Ehre. Saloniki sollte mithilfe des Verweises auf die Brüder zum Zentrum der Slavenheit werden, in Abgrenzung von den Griechen, aber nach ihrem ausdrücklichen Vorbild sowie dem der Verehrung von „Volksaposteln“ durch „andere Nationalitäten“. Wie diese sollten auch die „slavischen Stämme ihren heiligen Aposteln je eine Kirche in jedem Dorf und in jeder Stadt errichten; aber Saloniki soll der Mittelpunkt aller slavischen Kirchen werden“.697 Der Wunsch der Initiatoren nach den Brüdern geweihten Dorfkirchen steht für ihr Anliegen, deren Verehrung und damit das „slavische“ Bewusstsein aus der Großstadt aufs Land zu tragen und vor Ort zu verbreiten. Die Vorstellung der „slavischen Stämme“ reichte über den nationalen R ­ ahmen hinaus: Diese standen offenbar insgesamt als eine „Nationalität“ im Wettstreit mit anderen, schienen aber angeblich innerhalb dieser slavischen Nationalität als „Stämme“ einträchtig zu handeln. Auch jeweils eine „slavische Schule“ sollte dort errichtet und durch Spenden durch „jede slavische Gemeinschaft“ finanziert w ­ erden. Im Rahmen dieser „slavischen“ Identität sollte die bulgarische gefestigt ­werden: Die bestehende transethnische religiöse Praxis, „für das Grab Christi, für den heiligen Sinai“ bzw. „in den bulgarischen Kirchen (…) Spenden für griechische Klöster Geld“ zu sammeln, sollte durch national ausgerichtete Gaben von Bulgaren „für die eigenen Heiligtümer“ ab­gelöst werden.698 Die Initiatoren des Projektes konnten sich im eigenen multi­ethnischen Kontext orientieren, der nun national aufgeladen und um­ gedeutet wurde. Die Ver­öffentlichung dieses und der anderen genannten Leserbriefe in überregionalen Zeitungen steht für den ­ersten Beginn der Entwicklung einer staatliche Grenzen überschreitenden weiträumigen bulgarischen Öffentlichkeit gerade im Diskurs über Kyrill und Method. Diese in der Bukarester Zeitung entworfene slavische Eintracht als Integrations­ angebot fand aber rasch Widerspruch: Am 18. Juli 1873 prangerte St[efan?]. Bobčev, offenbar der spätere Justizminister Ostrumeliens und bedeutender Publizist, in der Istanbuler Zeitung „Makedonien“ Serben und Rumänen an, „unsere Brüder in Makedonien zu serbisieren oder zu rumänisieren“ mithilfe von Lehrern, Büchern, ja Grundschulen. Bobčev richtete denselben Vorwurf auch an Griechen – diese würden Bücher „speziell auch den Geburtsort seiner Apostelgleichen ehren.“ Nezavisimosť, 19.5.1873, Nr. 35, S. 273 f., hier S. 273. 697 „So wie die Griechen und andere Nationalitäten (narodnosti) Kirchen ihren Volksaposteln errichten, ihren Märtyrern und berühmten Patrioten, so sollen auch die slavischen Stämme ihren heiligen Aposteln je eine Kirche in jedem Dorf und in jeder Stadt errichten; aber Solun soll der Mittelpunkt aller slavischen Kirchen werden.“ Nezavisimosť, 19.5.1873, Nr. 35, S. 273. 698 „Wir wissen, dass es in unseren Kirchen Disken (diskozi) für das Grab Christi, für den heiligen Sinai, den heiligen Berg [Athos, S. R.], für Bačkovo und ähnliches gibt; mit einem Wort, wir wissen, dass in den bulgarischen Kirchen bis heute Spenden für griechische Klöster gesammelt werden, für griechische Kirchen und griechische Geistliche; aber da alles dies so ist, wird unser Volk mit treuem Herzen auch für seine eigenen Notwendigkeiten spenden, das heißt für die eigenen Heiligtümer (světinja).“ Nezavisimosť, 19.5.1873, Nr. 35, S. 273.

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über diese Apostel“ verbreiten. Als Gegenmaßnahme seien Kirchen zu bauen und Schulen zu errichten sowie bulgarische Bischöfe zu entsenden. Die in Saloniki zu Ehren Kyrills und Methods zu bauende Kirche sollte ein „ewiges Denkmal unserer ewiglich erinnerten (prisnopametnitě) Aufklärer“ werden. Erst auf der Grundlage dieses in der Abgrenzung von Serben und anderen konfessionsethnischen Gruppen formulierten bulgarischen Anspruches auf Saloniki nahm Bobčev zaghaft einen allgemeinslavischen Kontext der Verehrung der Brüder in den Blick.699 Der Kirchenbau in Saloniki wurde spätestens nun zu einem eine gesamtbulgarische Zeitungsöffentlichkeit festigenden Diskurs. C 3.5.4  Weitere makedonisch/bulgarische Aufladungen – die Brüder als Aufruf zum Aufstand

Eine exklusiv makedonische Aufladung der Brüder ist für diese Zeit nicht zu beobachten: Der Autodidakt Ǵorǵija M. Pulevski, der 1893 eine umfangreiche makedonische Geschichtsdarstellung hinterlassen sollte, nannte 1875 im Vorwort zu seinem in Belgrad gedruckten „Wörterbuch dreier Sprachen, s[lavisch]-makedonisch, albanisch und türkisch“ die Brüder, um die Vorstellung einer Kontinuität der vermeintlich bereits zur Zeit der antiken makedonischen Könige bestehenden slavischen Besiedlung der Region durch „Altslaven“ zu untermauern.700 Die Brüder blieben dabei in einem allgemein­slavischen Zusammenhang und wurden nicht selbst als Makedonen dargestellt. In einem weiteren Schritt dienten die Brüder in einem makedonisch-bulgarischen Zusammenhang bald auch als Medium zum gewaltsamen Aufstand: Kyrill und Method dienten im Programm des Aufstandes von 1878 mithin zum Entwurf einer bulgarischen „Befreiung Makedoniens“ von „türkischer Sklaverei“: Sein neunter Paragraph forderte „die Befreiung Makedoniens, das Land der gerühmten slavischen Aufklärer und Lehrer Kyrill und Method, das seit Jahrhunderten unter türkischer Sklaverei leidet“.701 Das Gedenken an die Brüder im bulgarischen Fürstentum blieb aber wie gezeigt zunächst nur unregelmäßig mit Makedonien in einen Zusammenhang gebracht. Die Bedeutungsaufladung der Brüder war immer noch gestaltbar und nicht abgeschlossen: Etwa verstärkte Šapkarev, der zwischen 1868 und 1874 mehrere bulgarische Schulbücher veröffentlichte, in seiner Ansprache zum Tag der Brüder 1881 in Voden (Edessa) im heutigen Griechenland im Vergleich zu seiner Rede von 1866 überkirch­ liche, ja transkonfessionelle und transnationale Aspekte ihrer Verehrung: „Heute, Brüder, feiert man auch die Regeln unserer orthodoxen Kirche, und aller orthodoxen Christen, und diesen großen Tag müssen nicht nur die Orthodoxen heute feiern, sondern auch alle 699 „Saloniki als Ort, wo die heilige Zweizahl geboren wurde; angesichts dieses Denkmals werden die Augen nicht nur auf uns Bulgaren geworfen, sondern vielleicht auch auf die anderen slavischen Stämme.“ Makedonija, 18.7.1873, Nr. 17, zit. gemäß Sněgarov (1937), Dokument Nr. 19, S. 248 f. 700 Ǵorǵija M. Pulevski. Slavjansko-maḱedonska opšta istorija, S. X [Einleitung der Herausgeber]. 701 Dokumenti po Kresnenskoto văstanie ot 1878 god., hg. v. Gavril Katsarov, Ivan Kepov, Sofija 1940, dok. 88. Zit. gemäß Katardžiev (1981), S. 54.

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Christen des westlichen christlichen Bekenntnisses“, nur im Kalender lag der Unterschied. Die Brüder erschienen hier als „Apostelgleiche und Kompatrioten, Makedonen (Makedonci)“, die „die Bulgaren und alle slavischen Geschlechter aufgeklärt“ haben. Wie 1866 beschwor er dabei „alles, was Bulgarisch ist“ – Makedonier blieben hier als regionale, landschaftlich definierte Untergruppe der Bulgaren verstanden.702 Der Tag der Brüder sei heute für „mehr als 100 Millionen Seelen“ bzw. „für alle slavischen Völker“ der „größte, wichtigste und der höchstverehrte Feiertag“.703 Erst vor diesem Hintergrund beschrieb er die Verehrung der sakralisierten, nationalen Leistung der „Erlöser“ als Pflicht jedes einzelnen Angehörigen der neuen, imaginierten bulgarischen nationalen Gemeinschaft.704 Trotz dieser bulgarischen Einrahmung ist in dieser Rede im Vergleich zu seinen früheren erstmals das Auftauchen einzelner charakteristischer makedonischer sprachlicher Eigenarten zu bemerken.705 Zudem fehlte auch hier nicht die Ehrerbietung gegenüber „unserem Zaren, dem Sultan (…), unter dessen Schutz wir die Mittel finden werden zur geistigen Entwicklung und Bildung“.706 C 3.5.5  Die Inszenierung eines bulgarischen Volkes in der Öffentlichkeit der Vielvölkerstadt

Die Lage in Saloniki blieb auch nach der Einrichtung des bulgarischen Fürstentums ein wichtiges Thema der entstehenden überregionalen bulgarischen Zeitungsöffentlichkeit: 1883 berichtete der spätere makedonische Revolutionär und damalige Schüler am Gymnasium in Saloniki Gjorce Petărov (heute maked. Ǵorče Petrov) in der Sofioter Zeitung „Balkan“ von Differenzen bei der Organisation des Gedenkens an die Brüder in Saloniki zwischen angeblichen „neuen bulgarischen Aristokraten“ bzw. der Gemeindeleitung und der Leitung des 1880 unter dem Patronat der hll. Kyrill und Method eingerichteten bulgarischen Knabengymnasiums unter dem Rektor Kuzman Šapkarev. Die Gymna­ siumsleitung versuchte, den „einzigen Volksfeiertag in Makedonien“ zum multifunk­ tionalen Medium der Inszenierung eines „bulgarischen Volkes“ zu machen: Sowohl der „Volksgeist“ der „hiesigen bulgarischen Bevölkerung“ als auch der der ganzen Region sollte mit diesem Vorgehen „belebt“ werden. Das „Wichtigste“ aber sei, im Rahmen der großstädtischen Öffentlichkeit „vor den anderen Nationalitäten“ zu demonstrieren, dass unter den Bulgaren „nationale Akteure“ geehrt werden. Die Inszenierung gelang aber in der eigenen Einschätzung „nur bis zu einem gewissen Grad“.707 Dies lag zum einen an 702 BAN NA S, f. 15k, 1, 57. 703 BAN NA S, f. 15k, 1, 57v. 704 „Vor solch großen Lehrern (…), die mit Recht die zweiten Erlöser seines Volkes genannt werden können, muss jeder Bulgare höchste Dankbarkeit“ zeigen. BAN NA S, f. 15k, 1, 60. 705 „dali ke [sic]“. BAN NA S, f. 15k, 1, 60. 706 BAN NA S, f. 15k, 1, 60. 707 „Die Feier der hll. Kyrill und Method in ihrem Heimatort war beinahe großartig, wenn sie auch gegen den Willen von vielen stattfand, darunter auch neue selbsternannte Aristokraten. Zumal es der Feiertag des hiesigen Gymnasiums ist, hat die [dessen, S. R.] Leitung schon vor drei Wochen

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den Bemühungen des Gemeindeleiters, die Publizität auf ein möglichst ­geringes Maß zu reduzieren.708 Andererseits standen die maßgeblichen Akteure, die Lehrer, angeblich unter dem Druck der „Gesellschaft“. Eine öffentliche Prozession nach dem Gottesdienst von der Kirche in den Schulhof, die den Anspruch auf den öffentlichen, in diesem Rahmen sakral definierten Raum der Stadt bedeutet hätte, blieb aus.709 An­wesend waren hauptsächlich Kaufleute, die aus der ganzen Umgebung zur Feier nach Saloniki gekommen seien, sowie „alle bulgarischen Händler aus Saloniki“. Dagegen vermisste Petărov die Bulgaren aus Debăr – „sie arbeiteten“, obwohl sie sonst an allen Feiern teilnähmen: „Dies zeigt, dass dieser ruhmreiche Feiertag sich noch nicht im Volk verkörpert hat (ne se e văplătil v naroda). In der Menge gab es nicht wenige Griechen, die teils aus Neugier, teils mit Hintergedanken gekommen waren.“ Petărov legte damit Wert auf eine über­ nationale Beachtung der Feiern. Auch der Direktor einer türkischen Schule sei an­wesend gewesen.710 Trotz dieses gemischten Publikums war die Veran­staltung ausdrücklich bulgarisch-national gehalten: Der Redner im Hof des Gymnasiums, der Literatur- und Geschichtslehrer Kitančev, stellte zunächst die rhetorischen Fragen: „Brüder! Warum haben wir uns heute in diesem Hof versammelt? Warum begehen wir diesen Feiertag so freudig, lustig und feierlich? Was haben die hll. Kyrill und Method für uns Bulgaren und allgemein für das gesamte Slaventum getan, dass sie nur überall dort gefeiert werden, wo es Bulgaren und Slaven gibt?“

begonnen zu bedenken, wie die Feier dieses einzigen Volksfeiertags in Makedonien strahlender, festlicher werden könnte. Dies war wünschenswert aus dem Grund, weil auf diese Weise der eingeschlafene Volksgeist der hiesigen bulgarischen Bevölkerung belebt würde. Viele Händler, die aus beinahe allen Städten Makedoniens hergekommen sind, sollten sehen und verstehen, wie Volksfeiertage zu feiern sind; zudem sollten davon solche Schüler lernen, die morgen, an einem anderen Tag sich in Makedonien als nationale Akteure (narodni dějci) verbreiten; aber das Wichtigste: Auch wir, die Bulgaren in Saloniki, mussten vor den anderen Nationalitäten (narodnosti) zeigen, dass wir das Gedächtnis unserer nationalen Akteure (narod­nitě si dějateli) ehren, besonders der Brüder aus Saloniki, die im ganzen Slaventum einen solchen historischen Umbruch bewirkt haben. Aber das ist nur bis zu einem gewissen Grad gelungen.“ Balkan, 1.6.1883, Bd. 1, Nr. 23, S. 9 f., o. A. 708 Der „Vorsitzende der Gemeinde“, ein „Aristokrat aus Debăr (debărskija aristokrat)“ beanspruchte für sich die Kontrolle über den Feiertag, da dieser „allgemeinnational (vsenaroden)“ sei, und nicht nur eine Feier der Schule. So habe die Feier „soweit möglich leiser“ stattzufinden, und „vieler Worte [bzw. Ansprachen, S. R.] benötige es nicht, und wenn ein oder zwei gesprochen werden“, sollten sie vorgängig von der Gemeinde „bzw. von ihm“ durchgesehen werden. ­Balkan, 1.6.1883, Bd. 1, Nr. 23, S. 9. 709 „Bei alledem konnten die Lehrer nicht gänzlich kaltblütig bleiben, denn sie wussten, dass schließlich die Gesellschaft (obšestvoto) alle Schuld ihnen zuschreiben würde, und keinem anderen. Sie haben die für solche Anlässe üblichen Verzierungen dennoch angebracht, und am 11. Mai ist das Volk nach dem Gottesdienst, wenn auch ohne Prozession, von der Kirche in den Hof des Gymnasiums gezogen.“ Balkan, 1.6.1883, Bd. 1, Nr. 23, S. 9. 710 Balkan, 1.6.1883, Bd. 1, Nr. 23, S. 9.

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Er schloss mit dem Ruf: „,Es lebe das bulgarische Volk‘, worauf alle riefen ,es lebe‘“.711 Nach dem Gesang eines Chores löste sich die Menge auf. Das Gedenken an die Brüder führte damit zur jährlich wiederholten intensiven, aber zeitlich, räumlich und sozial sehr begrenzten Vorstellung eines lebendigen Volkes. Der unspektakuläre kirchliche Teil des Gedenkens stand nicht im Vordergrund der Wahrnehmung des Berichterstatters:712 Nicht der Geistliche machte sich mithilfe der B ­ rüder zum medialen Vereiniger der Bulgaren, sondern die weltliche Lehrerschaft. Gleichfalls eher am Rande der Aufmerksamkeit des Journalisten standen die jedoch explizit geschilderten Ehrerweisungen der Lehrer gegenüber osmanischen Amts­personen und Behörden.713 Loyalität gegenüber der Dynastie und dem Staat, nationale In­szenierung und kirchliche Andacht waren getrennte, aber unerlässliche soziale Praktiken des­selben Anlasses und derselben Akteure. Sowohl während der Feier als auch in der Sofioter Berichterstattung über sie war das Ziel der Inszenierung klar: die Mobili­sierung bulgarischen Bewusstseins, auch gegen den innergemeindlichen Widerstand der griechisch oder allgemein weniger national, ja loyal zur osmanischen Dynastie ausgerichteten ,Neureichen‘. Dies gelang nur in der abgeschlossenen Teilöffentlichkeit im engen Hof des Gymnasiums, aber noch nicht auf den Straßen und in den orthodoxen Gottes­häusern der mehrheitlich jüdischen Metropole. Zum tausendsten Todestag Methods versuchten die Feiernden nach Kräften, einen größeren Teil des öffentlichen Raumes für sich in Anspruch zu nehmen: Am Anfang der Feierlichkeiten stand am 26. April 1885 laut einem Bericht in der Plovdiver ­Zeitung „Marica“ ein Gottesdienst in einer kleinen Kirche, der teilweise sogar auch auf Türkisch stattfand. „Die Kirche und die Straßen in ihrer Nähe waren voller Volk“. Der nicht genannte Berichterstatter betonte die Anwesenheit von „Vertretern aller makedonischen Städte“ sowie von Trachtenträgern. Der Chor, der „vor zwei Jahren von den Schülern des Gymnasiums zusammengestellt worden war, gab dem Gottesdienst größere Bedeutung und Großartigkeit“.714 Stärker als 1883 wurde damit auch der von Gesang begleitete Gottesdienst zum Medium der nationalen Inszenierung. Im scharfen Gegensatz zu den Feiern im Jahr 1883 wurde überdies eine öffentliche Prozession abgehalten: „Nach der Beendigung des Gottesdienstes zog die Geistlichkeit, gefolgt von den Lehrern, den Schülern und vom Volk, auf der Hauptstraße zur Schule. Dieser Marsch bot ein herrliches Bild. Vor 4 – 5 Jahren war Saloniki eine griechische und jüdische Stadt; alle Bulgaren waren versunken in Gräzismen; die Sprache der hll. Kyrill und Method war hier nicht vernehmbar. Und jetzt, was sehen Sie? Mehr als 800 Schüler bewegen sich im Marsch auf der Straße, und hinter ihnen eine zahllose Menge, alles Bulgaren. Was für eine angenehme Erscheinung, wahrlich! Saloniki erwacht“.715 711 „Ich vergaß zu sagen, dass auch in der Kirche nach dem Evangelium eine Rede (slovo) vom Archimandriten von Saloniki gehalten wurde, die nichts anderes war als eine Zusammenfassung der Biographie der Heiligen, wie sie in der ,Kinderwelt‘ von Mančev steht.“ Balkan, 1.6.1883, Bd. 1, Nr. 23, S. 10. 712 Balkan, 1.6.1883, Bd. 1, Nr. 23, S. 10. 713 Balkan, 1.6.1883, Bd. 1, Nr. 23, S. 10. 714 Marica, 26.4.1885, Nr. 709, S. 3 f., o. A. 715 Marica, 26.4.1885, Nr. 709, S. 4.

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Der Bericht für die Plovdiver Zeitung bezeugte eine zunehmende Verbindung des regionalen makedonischen Kontextes mit einem gesamtbulgarischen. Die mit den Feierlichkeiten verstärkt inszenierte Öffentlichkeit im Stadtraum Salonikis diente hierzu als medialer Raum. Eine über gelegentliche Umzüge hinausreichende, dauerhafte Teilhabe am Stadtraum blieb aber weiterhin nur beabsichtigt und unerreicht: Dies bezeugt die zunächst folgenlose Legung eines Grundsteins der seit 1869 gewünschten, den Brüdern zu weihenden „bulgarischen Kirche“ im Hof des Gymnasiums, wie die „Marica“ berichtete: „Der bulgarischen Gemeinde ist es noch nicht gelungen, ein Grundstück für die Kirche zu kaufen“.716 Mit dem Verweis auf das Sabbatfest der Juden und darauf, dass sich das „zahlreiche Publikum aus verschiedenen Nationalitäten“ zusammensetzte, wurde Saloniki anlässlich der Feier nicht als durchweg bulgarische Stadt imaginiert: Die Gegenwart der bulgarischen Inszenierung wurde vielmehr im bewussten Zusammenhang eines symbolischen Wettstreits der sich wechselseitig ausschließenden „Autochthonieansprüche“ 717 als Anspruch auf den gesamten Stadtraum beschrieben: „Die Stadt Saloniki erwacht, das Bulgarentum (bălgarštinata) wird von Tag zu Tag stärker.“ 718 Das bulgarische Gymnasium, zu dem Bulgaren des Umlands „wie zur Verehrung zogen“, diente dennoch als teilweise sakralisiertes Pars pro Toto der Rede von Saloniki. Mithilfe der Vor­stellung der Landschaft Makedonien wurde so ein unterschwellig exklusiver bulgarischer Anspruch auf die Stadt sowie das Umland erhoben.719 Zur Entwicklung dieser Vorstellung sollte ganz zentral das Gedenken an die Brüder beitragen. Die Brüder wurden zu vorbild­lichen, modernen Akteuren der „Errichtung ihres Vaterlandes“ stilisiert. Konkretisiert mit den Stichworten Bildung, Fortschritt, Arbeit, Sittlichkeit bzw. Disziplin und Rationalität wurde dieses Projekt als nationale Modernisierung vorgestellt: Zum „Patriotismus“ gehörte dem orthodoxen Mönchswesen entlehnte „Selbstentsagung“, die – implizit nach westlichem Vorbild – zum Dienst am Staat und der Nation säkularisiert wurde.720 Indem Handlungsmaximen idealer Patrioten und moderner Staatsbürger

716 Marica, 26.4.1885, Nr. 709, S. 4. 717 Hofmann/Wendland (2002), S. 21. 718 „Saloniki wird schon von ganz Makedonien als Zentrum des Bulgarentums und der ausge­ wähltesten bulgarischen Intelligenz angesehen.“ Marica, 26.4.1885, Nr. 709, S. 4. 719 „Nach einigen Jahren nährt sich die Hoffnung, dass Saloniki ein starkes und einflussreiches Zentrum wird, das alle Städte und Dörfer als Beispiel und als Lehre in der geistigen Wiedergeburt nehmen. (….) Makedonien an der Spitze und Saloniki voran.“ Marica, 26.4.1885, Nr. 709, S. 4. 720 „Es gibt keinen Zweifel, dass die ruhmreiche Feier des 1000. Todestages des hl. Method den Einfluss der Stadt Saloniki in Makedonien vergrößern wird“. Die Umlandbewohner sahen „am 6. April, dass auch die Bulgaren etwas haben, worauf sie stolz sind; dass auch die Bulgaren Söhne haben, die alle ihr Leben für die Bildung und den Fortschritt ihrer Brüder gegeben haben; dass auch die Bulgaren Arbeiter besitzen, die in ihren Bemühungen zur sittlichen und rationalen (umstvenno) Errichtung ihres Vaterlandes voller Patriotismus und Selbstentsagung waren.“ Marica, 26.4.1885, Nr. 709, S. 4.

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im Gewand orthodoxer, angeblich traditioneller Nationaltugenden gekleidet propagiert wurden, gerieten bisher auf das Klosterleben beschränkte asketische Tugenden zum Medium des nationalbulgarischen Fortschritts. Im Zusammenhang mit der deutlicheren Beschwörung eines slavischen Territoriums „Makedonien“ war auch in diesem Text klar, dass der Berichterstatter für die Plovdiver Zeitung diese regionale Vorstellung als Teil des bulgarischen Projektes ansah. Nicht nur die Deutung der ins Gigantische stili­ sierten „riesigen Taten“ der Brüder, sondern auch ihre Verehrung war dabei gänzlich säkularisiert, auch wenn sie weiterhin mit teilweise traditionellen rhetorischen Mitteln als „Sterne“ beschrieben wurden.721 Laut demselben Zeitungsbericht hielt unter anderen der Lehrer G. P’rličev (heute maked. Grigor Prličev, bulg. Grigor Părličev) im „Salon des Gymnasiums“ eine An­ sprache zu Ehren der Brüder.722 Möglicherweise war dies die Rede, die bisher nur auf die Jahre seiner Tätigkeit als Lehrer in Saloniki 1884 – 1890 datiert werden konnte.723 P’rličev hob, konfessionelle Grenzen überwindend, Papst Hadrian II. positiv hervor, der die Mission in slavischer Sprache anerkannt hatte, und betonte die Ehrung der Brüder auch seitens „des heutigen Papstes, der die Männer und ihre Arbeiten schätzt, wie er die Größe ihres Werks schätzt, und sie apostelgleich nennt“. Deshalb seien auch die Feiern des „ganzen slavischen Geschlechts“ viel größer als nur diejenigen in Saloniki. Im lokalen Zusammenhang innovativ war die starke (landes)patriotische Aufladung des Gedenkens in dieser Rede. P’rličev machte „sein Vaterland“ zum „Vaterland der hll. Kyrill und Method“. Zudem verglich er die Brüder erstmals mit Alexander dem ­Großen und beschrieb sie als gleichrangig mit diesem bedeutendsten weltlichen ­Helden der Region als Söhne einer „Mutter Makedonien“. „Makedonien“ sei „fruchtbar“ und könne weitere „große Männer“ gebären, nicht weniger als „aufgeklärte ­Staaten“. P’rličev gab der Historisierung der Brüder zu „großen Männern“ und Söhnen allegorischer Nationen nach dem impliziten Vorbild der benachbarten europäischen nationalen Projekte mit der Betonung religiöser Elemente ein sakrales Gesicht, wo er von Makedonien als

721 „Die hll. Kyrill und Method waren solche Sterne, dass Jahrhunderte vergehen müssen, bis sie erneut erscheinen; sie haben solche riesigen Taten vollbracht, dass der Mensch nicht anders kann, als vor ihrem Schatten (prěd sěnkitě) ehrfürchtig zu sein; sie haben nicht nur ein Volk, sondern einen ganzen Stamm, nicht nur einen Staat, sondern ganze Imperien aus dem Schlamm gezogen.“ Marica, 26.4.1885, Nr. 709, S. 4. 722 Marica, 26.4.1885, Nr. 709, S. 4. 723 In dieser Rede erklärte P’rličev den Schülern ganz wie in dem Zeitungsartikel in der „Marica“ zum Jubiläum 1885, die Leistung der Brüder sei nicht durch Wunder, sondern durch „Bescheidenheit, Demut und dank Arbeitsamkeit“ erreicht worden. Dem orthodoxen Mönchsleben bzw. indirekt dem westlichen Vorbild „großer Männer“ entlehnte Maximen dienten auch hier als Legitimationsmittel zur Disziplinierung der Jugend im Sinne einer angeblich orthodoxen und bulgarischen Ethik des Fortschritts in die Moderne, die protestantischer Arbeitsethik in nichts nachstand. Text publiziert in: Avtobiografija na Grigor S. Părličev, S. 150 – 152. Dem modernen Makedonischen angepasst: Grigor Prličev. Odbrani stranici, S. 139 – 142, Datierungsversuch: S. 145. Zu P’rličev u. a. Părličev (1928); Risteski (1989); Stalev (Hg.) (1986).

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dem „heiligen Land, auf dem die Füße“ der Heiligen geschritten seien, sprach. Der „Segen“ sei den Makedonen sicher, „wenn ihr dem Vaterland Kyrills dient“. Seine Rede ­gipfelte in der Gleichstellung Salonikis als das räumliche Zentrum Makedoniens und Pars pro Toto für Makedonien mit dem Grab Christi.724 In dem Text stellte P’rličev damit die Landschaft oder das Land Makedonien als Herkunftsregion Kyrills unter dessen Patronat und entwarf eine Grundlage für ein sakralisiertes regionales Bewusstsein. Er markiert einen Höhepunkt makedonischen ,Landespatriotismus’‘. P’rličev hatte an der Athener Akademie Medizin und Philologie studiert. Makedonische oder bulgarische Identität war für ihn kein Widerspruch zur Perfektionierung von Altgriechischkenntnissen: Als hervorragender Gräzist übersetzte er, postkolonialistisch gelesen die vorherrschenden ­kulturellen Hierarchien unterminierend, Homers „Ilias“ in seinen lokalen Ohrider Dialekt.725 Das tausendste Todesjahr Methods wurde 1885 aber nicht nur in der makedonischen Metropole Saloniki begangen: 1932 erinnerte sich der als Lehrer und spätestens von 1898 an in der „Inneren Makedonischen-Adrianopeler Revolutionären Organisation (VMORO)“ aktive Todor Stankov 726 mit einiger Nostalgie, wie er die Feiern 1885 als Schüler in Prilep erlebt hatte: „Von dem Podest sang die Geistlichkeit ein Lebehoch auf den Sultan, ein Chor der Bürger und der Schüler sang den sultanischen Marsch (Našri nur [osm. naşir-i nur, der „Lichtspender“, S. R.]). (…) Nach der Durchführung des ganzen Programms wurden die Gäste mit Lokum und Šerbet verpflegt. Mit tausend Komplimenten, dem Ausdruck der Zufriedenheit (…) verabschiedeten sich der Kajmakam (osm. kaymakam, Kreisvorsteher, S. R.) mit den ihn begleitenden Türken“.727

Es bleibt festzuhalten: In der Vielvölkerstadt Saloniki festigten sich neue Formen der Verehrung der Brüder gerade in der übernationalen Konkurrenz. Die anfängliche ­Förderung von bulgarischem „Nationalgefühl“ in der Landschaft Makedonien durch den Sprachunterricht stand neben einer vornationalen, überethnischen Wiederentdeckung der Brüder auch im griechischen Kontext. Der Einsatz für eine Kyrill und Method geweihte Kirche gab sodann in Saloniki den Rahmen für lang anhaltende und zu­nehmende Mobilisierung, der mit dem Verein „Wiedergeburt“ eine organisierte, weltliche Trägerschaft zuarbeitete. War diese zunächst in Diskurse osmanischer Loyalität eingebunden, wurde mit der demonstrativen Inszenierung des Anspruches auf den städtischen Raum bei Umzügen und der rhetorisch versuchten Adaption staatsbürgerlichen Handelns in den Kontext orthodoxer Traditionen das Eintreten für ein sakralisiertes und 724 Die Reise von Kollegen nach Saloniki sei „fern davon, weniger wert als die Verneigung vor dem Grab Christi (poklonenie na Božija grob)“ zu sein: Stets stehe Makedonien unter dem Segen der Brüder „aus der Höhe des Himmels“. Text publiziert in: Avtobiografija na Grigor S. Părličev, S. 150 – 152. Dem modernen Makedonischen angepasst: Grigor Prličev. Odbrani stranici, S. 139 – 142, Datierungsversuch: S. 145. 725 Slapšak (2011), S. 445. 726 Pandev (2000), S. 207. 727 Stankov (1932), S. 145.

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nationales makedonisch-bulgarisches „Vaterland“ der Brüder denkbar. Schon früh war die lokale Entwicklung in Makedonien eingebunden in die entstehende überregionale bulgarische Zeitungsöffentlichkeit. C 3.6  Sakralisierung und Militarisierung – Kyrill und Method in (makedonisch)bulgarischen Kontexten nach 1885

1885 wurde Ostrumelien dem jungen bulgarischen Fürstentum zugeschlagen. 1886 anerkannte der Sultan den bulgarischen Herrscher als Gouverneur des Gebietes im Verband des Osmanischen Reiches. Nach diesem Etappensieg wurden im Rahmen der Feiern zu Ehren der Brüder im Fürstentum Bezugnahmen die Verweise auf das ganz unter osmanischer Herrschaft verbliebene Makedonien verändert sowie häufiger: Dies zeigte sich zuerst in weltlichen, dann aber auch in kirchlichen Kontexten. Erst nach 1900 ist für beide Erzählstränge eine Militarisierung des Diskurses festzustellen. C 3.6.1  Die Brüder als Medien einer bulgarischen Einigung

Den Wandel des Diskurses bezeugt zunächst etwa eine Ansprache, die der Gymnasiallehrer Paunin 1887 zum „Feiertag der Feiertage“ der bulgarischen Nation in Vidin an der Donau hielt.728 An diesem Tag sollte sich ein den Brüdern zu verdankendes, politisch und national separates Volk, nicht aber eine religiöse bulgarische Gesellschaft konstituieren.729 Die beiden bereits ganz selbstverständlich als säkularisierte „Männer“ 730 und „bulgarische Genien“ 731 beschriebenen Brüder sollten die ethnokulturelle Einheit der Bulgaren angesichts der vermeintlich drohenden griechischen Akkulturation bewahren

728 „Der heutige ist der wichtigste Feiertag von allen anderen, der größte Feiertag für das bulgarische Volk.“ Paunin beschrieb den Feiertag dabei ganz außerhalb religiöser Zusammenhänge nur im Vergleich mit politischen Nationalfeiertagen: „Der 11. Mai ist der Feiertag der Feiertage. Vor ihm fallen sogar solche bedeutende nationale (narodni) Feiertage, wie der 19. Februar, der Tag der Erklärung unserer politischen Unabhängigkeit und der Festlegung der Grenzen Gesamtbulgariens, sowie auch der 6. September – der Tag unserer Vereinigung mit Thrakien; zudem auch der 6. November – unser Sieg bei Slivnica. Warum ist das so? Weil alle unsere Nationalfeiertage aus dem heutigen geboren wurden, deshalb ist der heutige Feiertag der Vater von allen.“ Paunin (1887), S. 3. 729 „Ohne den 11. Mai, ohne Kyrill und Method, hätten wir keine Nationalfeiertage, denn wir könnten nicht als einzelnes Volk leben.“ Paunin (1887), S. 3. 730 „Aber was für Männer sind dann diese beiden, und was haben sie für Bulgarien getan, dass ihr Feiertag so bedeutend ist für uns? Lasst uns sehen.“ Paunin (1887), S. 3. Erst bei ihrer dritten Erwähnung führte Paunin sie als „die hll. Kyrill und Method“ und damit als Heilige ein. Paunin (1887), S. 5. Ihre Herkunft klärte Paunin nicht. Offensichtlich hielt er sie aber ohne Zweifel für Bulgaren. 731 Paunin (1887), S. 5.

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und den bulgarischen Charakter der „Mutter Bulgarien“ schützen.732 Kyrill und Method hätten Bulgarien von der drohenden Gräzisierung „erlöst“.733 Den Diskurs als solchen beobachtend deutete Paunin den Tag der Brüder als Propagandamedium der Nationalbewegung, das unabhängig von einer inhaltlich begründeten Verehrung der Brüder seine Wertschätzung verdiente: Auf dieser Grundlage zählte er auch den politisch-nationalen Emanzipationsprozess und die Nationalbewegung der Bulgaren im 19. Jh. zum „Werk“ der Brüder.734 Der Feiertag war in den Augen Paunins „groß“, weil er 1885 auch von den übrigen, ja den katholischen Slaven gefeiert worden war.735 Seine Freude war aber eben beeinträchtigt, da „Makedonien“ als „Mutter“ der Brüder unter osmanischer Herrschaft weiterhin eine „Sklavin“ sei.736 Diese Deutung erfolgte ganz analog zu anderen Allegorien von Müttern europäischer Nationen: Auf „Mutter Bulgarien“ folgte „Mutter Makedonien“. Implizit verstand sich in dem Text, dass die Region ethnisch einheitlich von orthodoxen Bulgaren besiedelt zu sein schien und in

732 „Dies sind die beiden großen Pfeiler, die sich fest gegen Griechenland stellen und nicht zulassen, dass ihre Mutter Bulgarien eine Griechin wird.“ Paunin (1887), S. 5. 733 „Deshalb ist es kein Wunder, dass Bulgarien beinahe gräzisiert wurde. Aber wer hat es erlöst? Die hll. Kyrill und Method haben es erlöst: Der Igumen Paisij hat hier und dort aus den Klosterzellen, wo er sie fand, einige Reste alter Literatur ausgegraben. Er schrieb eine bulgarische Geschichte, die über die alten Zeiten erzählte, über den vergangenen Ruhm, über das vergangene Reich der Bulgaren. Der Feiertag des 11. Mai, den man in Bulgarien ständig (zumindest seit dem Krimkrieg) feierte, wurde wie zu einem Mittel zur Propaganda der Ideen Paisijs und allgemein zu einem Erwecker der nationalen (narodnitě) Gefühle.“ Paunin (1887), S. 8. 734 Inhaltlich sollte der Feiertag in erster Linie die Ideen Paisijs verbreiten, nicht aber solche, die explizit mit Kyrill und Method zu tun hatten: „Diese Feiertage, welche die Türken als geistliche nicht untersagten, führten zu unserer kirchlichen Frage mit den Griechen. Nach dieser Frage kamen auch politische mit der Türkei hinzu, und noch später auch unsere politische Befreiung. Dies ist, in Kürze, das Werk der hll. Kyrill und Method.“ Paunin (1887), S. 8. 735 „Dass der Feiertag groß ist, zeigt sich auch darin, dass vor zwei Jahren (am 6. April 1885) alle Slaven es für nötig befunden hatten, ein allgemeines Jubiläum des hl. Method zu feiern, an dem sogar die katholische Kirche teilnahm. Aber bis jetzt, so ist es bekannt, wurde der 11. Mai nur unter den Bulgaren abgehalten.“ Paunin (1887), S. 8. Ein allgemeinslavischer, transnationaler Inhalt spielte in der Verehrung der Brüder hier aber keine weitere Rolle, sondern diente nur zum Nachweis der bulgarischen Bedeutung des Feiertages. 736 „Warum können wir heute, wenn wir diesen so wichtigen Feiertag begehen, warum können wir uns nicht gänzlich der Feier hingeben?“ Paunin kannte zwei Gründe: An der Donau, an der nördlichen Grenze Bulgariens, personifizierte Paunin „Makedonien“ als eine unter osmanischer Herrschaft befindliche Region im fernen Südwesten sowie als „Sklavin“ und als „Mutter“ der Brüder. Kyrill und Method wurden zu Erzeugnissen dieser Region reduziert, die – durch sie – „Freiheit“ gespendet haben soll: „Der erste ist, dass das Land, welches die heutigen Leuchten geboren hat, die, wie wir gesehen haben, den ganzen slavischen Horizont beleuchtet haben; dass sich das Land, welches Licht den anderen gab, heute in Finsternis befindet; das Land, das den anderen die Freiheit gegeben hat, ist heute versklavt. Makedonien, die Mutter der hll. Kyrill und Method, ist eine Sklavin!“ Paunin (1887), S. 9.

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der Zielutopie ein Teil des übrigen Bulgarien war.737 Paunins Broschüre enthielt auch Gedichte zu Makedonien und Kyrill und Method sowie schließlich ein Lied, in dem „Bulgarien seine unglückliche Schwester [Makedonien, S. R.] tröstete“.738 Ganz gemäß seiner eigenen Definition des Diskurses machte der Gymnasiallehrer selbst den Feiertag zum Medium und Forum für alle relevanten nationalen Fragen.739 Dem Publikum sowie der Leserschaft, insgesamt den „Bürgern“, legte er mit der Referenz auf Kyrill und Method die „Selbstaufopferung für das Vaterland“ nahe.740 Mit dem Rückblick in die mithilfe der Brüder als ruhmreich stilisierte Vergangenheit sollte in der aktuellen regionalpolitischen Situation staatsbürgerlicher Mut beschworen werden. Die Referenz auf die Brüder sollte dazu ermuntern, die bereits erlangten staatspolitischen Ergebnisse international im europäischen Rahmen zu vergleichen und mit Selbstbewusstsein zu vertreten. Im imperialen Vergleich sollte Russland schlechter wegkommen als das Osmanische Reich: „Jetzt ist es an der Reihe, auch die Große Beschützerin zu fragen, wo ist ihre Konstitution? Ist es denn nicht in ganz Europa bekannt, dass, nach der Türkei, die schlechteste Regierung in Russland ist.“ 741 Der Gymnasiallehrer in Vidin vertrat politische Thesen, die im Kontext der gescheiterten liberalen Revolutionen Europas beachtlich waren. Gleichzeitig stellte er sich damit selbst an die Spitze der Vertreter einer bulgarischen Europäizität. Am Anfang der Liste der von Paunin beschworenen „großen Leuchten“ Bulgariens standen zwar die beiden Brüder. Sie teilten die Aufmerksamkeit aber mit vielen welt­ lichen Helden, derer an diesem wichtigsten Nationalfeiertag gleichfalls gedacht werden musste,742 damit dieser die gesellschaftliche Funktion des „größten Feiertages für das 737 Paunin (1887), S. 9. 738 Paunin (1887), S. 16. 739 So wandte sich der Redner markig gegen zu großen Einfluss Russlands, ja gegen eine Ein­ gliederung Bulgariens als „Transdanubisches Gouvernement (Zadunajska Gubernja)“ ins russ­ ländische Reich. In drei Punkten formulierte er tagespolitische Ziele der Nation. Paunin (1887), S. 20 – 22. 740 „Ja, Bürger, wir werden unseren Wunsch erreichen, das heißt unsere Freiheit und Unab­hängigkeit, aber es ist Courage (koraž) dazu nötig, und Konsens, es braucht eine große Liebe und Selbstaufopferung für das Vaterland. (…) Von allen Slaven sind wir in der alten Zeit die ersten, die das Christentum angenommen haben; wir hatten als erste einen Patriarchen; wir haben zwei ­Apostel gegeben, denen das Slaventum seine Aufklärung verdankt; (…) vor uns zitterte Carigrad.“ ­Paunin (1887), S. 21. 741 „Aber schauen wir auch in die heutige Zeit. Wer unter den Slaven wird mit einer solch freien Verfassung regiert? Wo ist die Verfassung der Herren Tschechen, die uns so sehr vorwerfen, dass wir nicht wüssten, uns zu regieren, dass wir keine gescheite Politik führten? (…) Und welche habt ihr, die Herren Serben?“ Paunin (1887), S. 21 f. 742 „Daher, vorwärts, Bulgarien! Du, die du solche große Leuchten geboren hast, wie die hll. Method und Kyrill; du, die du Paisij, Rakovski, Ch. Dimităr, Karadža, Levski geboren hast; Du, die du Luben, Botev und andere Genies und Helden geboren hast; Du, die du solche politischen Männer geboren hast, wie die heutigen Regenten und Minister; letztlich Du, Bulgarien, die du solche mutige Krieger und Offiziere geboren hast, die wissen, ihr Vaterland heldenhaft zu verteidigen,

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bulgarische Volk“ wirklich einnehmen konnte: Bulgarien wurde angerufen und nicht Kyrill und Method. Religiöses Gedenken wurde in diesem Rahmen nicht mehr gepflegt, es war ganz durch die säkularisierte Verehrung der Nation und ihrer weltlichen und politischen Helden ersetzt. Die Publikation widmete Paunin denn auch nicht den Brüdern, sondern dem „neuen bulgarischen Fürsten“ Ferdinand I. C 3.6.2  Die Kyrill-und-Method-Gesellschaft – die soziale Festigung der Verehrung

Eine wichtige soziale und institutionelle Festigung fand die Organisation der Verehrung der Brüder im Jahr 1891, als – nur fünf Jahre nach der Einrichtung der „Heilig-Sava-­ Gesellschaft“ in Belgrad – in Sofia eine weltliche „Gesellschaft ,Hll. Kyrill und Method‘“ ins Leben gerufen wurde. Laut ihrer Satzung befand sie sich „unter dem Höchsten Schutz SEINER ZARISCHEN HOHEIT des Bulgarischen Fürsten“.743 Der von den europä­ischen Großmächten gering geschätzte Herrscher versuchte auch mit der Eröffnung des National­ museums 1892 und der Gründung der „Bulgarischen Archäo­logischen Gesellschaft“ 1901, sich selbst als ein Fürst zu profilieren, der den bulgarischen Staat und die Nation aufbaute sowie zur durch seine Schritte historisch legitimierten erstrebten Selbstständigkeit führte. Damit einher ging der Ausbau des kleinstädtischen osmanischen Sofia zur an gesamteuropäischen Vorbildern ausgerichteten zarischen Hauptstadt mit Boulevards, Plätzen und Denkmälern:744 Es galt, Europäizität auch urbanistisch zu inszenieren. Die Gründer der Gesellschaft ,Hll. Kyrill und Method‘ waren 1891 realistisch genug, nicht von einem vorhandenen Nationalbewusstsein „unter allen Bulgaren“ außerhalb des Fürstentums auszugehen – vielmehr machten sie es sich gerade zum Ziel, ein solches zu entwickeln.745 Die Beobachtung des Diskurses führte zu seiner bewussten Lenkung. Die Referenz auf die Brüder wurde ganz offen zur Förderung der expansionistischen Ziele des projektierten Nationalstaates eingesetzt – selbst die serbische Heilig-­SavaGesellschaft war in ihren Satzungen zurückhaltender. Ganz wie das ältere Belgrader Gegenstück setzte auch die „Gesellschaft ,Hll. Kyrill und Method‘“ zur Verwirklichung ihrer Ziele auf die Einrichtung von national orientierten Volks­schulen.746 Zudem sollten orthodoxe Kirchen unterhalten und „verschönert“ werden sowie „national-­nützliche (narodo-polezni) Bücher, weltliche oder geistliche, unter den genannten Bulgaren“

743 744 745 746

Du, die du überall bedeckt bist mit autonomen patriotischen Gesellschaften; – Du, Bulgarien, wirst nicht untergehen!“ Paunin (1887), S. 23. Ustav na družestvoto „Sv. Kiril i Metodij“…, S. 1. Schaller (1994), S. 344 – 347; zu Ferdinands Herrschaft auch: Opfer (2004). „Das Ziel der Gesellschaft ist es, die Nationalität, den Glauben und die Aufklärung unter allen Bulgaren zu begünstigen, die außerhalb der Grenzen des Fürstentums leben.“ Ustav na družestvoto „Sv. Kiril i Metodij“…, S. 1. Als erstes Mittel zur Erreichung dieser Ziele wurde festgelegt: „Die Eröffnung und Unter­stützung von Volksschulen in armen Gemeinden, sowie auch die Vorbereitung des Lehrpersonals dieser Schulen.“ Ustav na družestvoto „Sv. Kiril i Metodij“…, S. 2.

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verbreitet werden.747 Zum Zeitpunkt der Publikation der Ordnung wurde der Verein durch ein am 11. Mai 1891 gewähltes Komitee geleitet, das „zur Sammlung freiwilliger Hilfe zugunsten der Vereinigung“ eingesetzt worden war.748 Mehrere der etwa 30 Gründungsmitglieder 749 dürften der „Bulgarischen Literarischen Gesellschaft“ angehört haben: Im Falle des Erlöschens des Vereins sollten dieser wichtigen Assoziation, aus der später die Akademie der Wissenschaften hervorging, die Besitztümer überschrieben werden.750 Später wurden auch die Stadtgemeinde Sofia sowie der Sofioter Metropolit Partenij zu den Gründungsmitgliedern gezählt.751 Neben dem Fürsten wurde die Assoziation damit durch die Spitze der bulgarischen Kirche sowie die Kommune der Hauptstadt des ­jungen Staates und eine sich verbürgerlichende Elite getragen. Ein Jahr nach der Gründung erläuterte ihr Vorsitzender, der liberale Bürgermeister von Sofia Dimitr Petkov, die diskursiven Rahmen des geplanten kollektiven Handelns. Auch seine Sätze gingen nicht von einer bereits bestehenden „kulturellen Vereinigung“ der Bulgaren aus, sondern forderten von den Mitgliedern der Gesellschaft gerade die konstruktivistische Arbeit daran. Im Namen Kyrills und Methods sollte die bulgarische Nation insbesondere außerhalb der bestehenden politischen Grenzen konstituiert und gefestigt werden.752 Mit dieser Zielsetzung stieß die Gesellschaft „im ganzen Fürstentum“ offenbar auf ein befriedigendes Echo der Bevölkerung, wie erste Spenden aus zahlreichen Städten und Dörfern zeigten.753 Bereits 1891 zählte die Vereinigung zählte 65 Zweiggesellschaften, die sich auf 20 Städte und 45 Dörfer verteilten. Die zum Fürsten­tum zählenden Teile der Landschaft Makedonien um Kjustendil und Radomir südwestlich Sofias waren dabei am stärksten vertreten, aber auch Silistra an der Donau im Nordosten.754 Unter den 27 versammelten Vorstandsmitgliedern waren 1891 nur zwei Geistliche. Neben dem Bürgermeister Petkov, der 1892 Parlamentspräsident und 1893 747 748 749 750 751 752

Ustav na družestvoto „Sv. Kiril i Metodij“…, S. 2. Ustav na družestvoto „Sv. Kiril i Metodij“…, S. 11. Părv godišen otčet za dejatelnosťta…, S. 1. Ustav na družestvoto „Sv. Kiril i Metodij“…, S. 12. Četvărti godišen otčet za dejatelnostta…, S. 8. Es sollte eine „allgemein nationale (obštenarodno) Gesellschaft“ sein, „deren Hauptziel die kulturelle Vereinigung und Entwicklung des bulgarischen Volkes sein soll, indem sie namentlich auf die unter unseren Volksgenossen (sănarodnici) wirken soll, die unter fremder Macht leben.“ Părv godišen otčet za dejatelnosťta…, S. 1. 753 Bereits das vorbereitende Komitee konnte laut eigener Einschätzung große Sympathie mobilisieren, wie aus den eingegangenen oder versprochenen finanziellen Spenden geschlossen wurde: „Die Mittel, die das Komitee bereitstellen konnte, waren genügend groß, dass ersichtlich war, dass überall im Fürstentum diese Initiative als vollständig zeitig und als eine solche anerkannt wurde, die jede Unterstützung zu ihrer gänzlichen Verwirklichung verdiente.“ Părv godišen otčet za dejatelnosťta…, S. 1. Allerdings räumte der Vorsitzende ein, dass die für das erste Jahr ausgewiesenen 46 105 Lev Einkünfte und 25 679 Lev Ausgaben „für eine allnationale Gesellschaft bescheiden“ seien. Der Anfang sei aber doch so vielversprechend, dass „in kurzer Zeit Zehntausende Mitglieder gezählt werden“ dürften. Părv godišen otčet za dejatelnosťta…, S. 2. 754 Părv godišen otčet za dejatelnosťta…, S. 11 – 16.

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Regierungsmitglied wurde, zählte auch sein Parteifreund und Regierungschef Stefan Stambolov sowie einer von dessen Ministern, das Mitglied der „Bulgarischen Litera­ rischen Gesellschaft“ Dimitr Grekov, zu den „Gründungsmitgliedern“. Dies waren ­solche Mitglieder, die mit 200 Leva mehr als den Grundbeitrag von 50 Leva einzahlten: Damit waren drei bedeutende Politiker unter den Wortführern der neuen Assoziation. Den größten Betrag stiftete aber mit 300 Leva der führende Sofioter Unternehmer – von 1903 – 1912 Vor­sitzender des durch ihn begründeten Bulgarischen Industriellenverbandes und gleichfalls Mitglied der Liberalen Partei – Todor Balabanov, der auch Kassenwart des Vereins war. Auch der spätere Mitbegründer einer Möbelfabrik Gančo Gavrilov ­stiftete 200 Leva.755 Die Gesellschaft förderte konkret Kirchgemeinden „in Makedonien“ mit liturgischen, aber auch publizistischen Mitteln. 1000 Lev wurden für die Lieferung der Zeitschrift „Knižnica“ nach Makedonien eingesetzt sowie 4000 Lev für den Kauf von „national nützlichen Büchern, die in der Türkei gedruckt wurden, damit sie sich ungehindert unter unseren Volksgenossen in Makedonien verbreiten können.“ 756 Die Spenden und die nationale Begeisterung der Bulgaren blieben in den kommenden vier Jahren dennoch hinter den Erwartungen der Gesellschaft zurück.757 Die Mobilisierung der Bevölkerung gelang diesem Verein als Transmissionsriemen der Sofioter Gesellschaft von ,oben nach unten‘ sowie vom Zentrum in die bulgarische Peripherie erst sehr partiell. C 3.6.3  Die Kyrill-und-Method-Hymne

Ein wichtiges musikalisches und diskursives Medium künftiger Feiern wurde 1892 entworfen: Zum damaligen Tag der heiligen Brüder schrieb der Schriftsteller und Musiklehrer Stojan Michajlovskij in Russe die „Hymne der hll. Kyrill und Method“ als Schulhymne: Das Lied wurde als Medium der nationalen Mobilisierung kon­zipiert. Es wurde rasch und blieb Bestandteil des Kerns des Diskurses über die Brüder sowie das nationale Schulwesen bis in die Gegenwart.758 Diese im gleichen Jahr im ersten Jahrgang der bald für die ganze bulgarische literarisch interessierte Gesellschaft bedeutenden Zeitschrift „Gedanke (Misăl)“ in Russe publizierte Hymne „Erhebe dich, wieder­geborenes Volk“ rief zur Teilnahme am „globalen Kampf“ mit den Waffen der Wissenschaft im Ringen um den Fortschritt auf: „Vorwärts!“ Bulgarien sollte dem „Vermächtnis“ der „­Soluner Brüder“ treu bleiben, die angeblich „das Volksgenie (narodnen genij) auf­erstehen“ ­ließen. 755 Părv godišen otčet za dejatelnosťta…, S. 10 f. 756 Die Ausgaben verteilten sich 1891 überdies auf die Versorgung von 80 Dorfkirchen „in Makedonien“ mit Kirchenbüchern, auf den Kauf von liturgischen Gefäßen und Gewändern „für arme Dorfkirchen“ sowie „arme Kirchen in Makedonien“, für die Fertigstellung eines Kirchenbaus in der Stadt Lěrin sowie zur Begleichung von Schulden wegen des Baus einer neuen Dorfkirche in der Umgebung von Bitola. Părv godišen otčet za dejatelnosťta…, S. 2. 757 Das Budget der Vereinigung hatte sich auch vier Jahre später noch nicht verdoppelt und die Zahl der Mitglieder war ebenfalls nicht enorm angewachsen. Četvărti godišen otčet za dejatelnostta…, S. 9 f., S. 62 f. 758 Stojan Michajlovski, Bd. 1, S. 29, S. 271 f.; Vgl. Weber (2006), S. 46 f.

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Dieses war nämlich „in der tiefen Finsternis (tămnina) einge­schlafen“, ja der Bulgare, „der tapfere Sohn des Balkans“, hatte „gesenkt das Haupt unter dem Joch / des osmanischen Herrschers“.759 Fürst Aleksandr hatte diesen Vorgang 1885 umgekehrt beschrieben, sah er doch die Brüder als Produkt des Volksgenies. Die zwar varianten­reiche Ver­ bindung der Vorstellung vom „Volksgenie“ sowie der nationalen „Auf­erstehung“ und die Befreiung vom „Joch“ der Osmanen wurde aber mit diesem in der Folge regel­mäßig erneut publizierten und gesungenen Lied zu einem der dauerhaftesten und festesten Kerne bulgarischer Identität. C 3.6.4  Die Festigung des Diskurses in Feiern

Neben diesen sozialen, institutionellen sowie medialen Festigungen der Verehrung zeigte sich die diskursive Konsolidierung der Feiern in konkreten Reden etwa in der Wiederholung der Anregung, die Feierlichkeiten selbst zum Thema der Erinnerung zu machen und in der Suche nach neuen rhetorischen Zuspitzungen einer Sakralisierung des Diskurses: Ebenfalls zur Feier der Brüder im Jahr 1892 und am gleichen Ort erklärte D. Cuchlev, Lehrer an dem den Brüdern gewidmeten Staatlichen Realgymnasium in Russe, die „Bedeutung der Tätigkeit der hll. Kyrill und Method für das bulgarische Volk“. Zunächst gedachte er dabei der bereits endlos scheinenden Wiederholung des Feiertages. Um historische Kontinuität zu behaupten, verdrängte der Lehrer so, dass der Tag erst seit wenigen Jahrzehnten als Schul- oder Volksfeiertag begangen wurde. Die gemeinschaftlich gesungenen Lieder, ja die „Feier“ selbst wurden in seinen Worten zu einer imaginativen „Volksstimme“, die er in einem weiteren Schritt bedenkenlos zur „Stimme Gottes“ sakralisierte.760 Damit erlangte die in dem Diskurs entworfene Über­ lagerung von Nation und Religion eine neue Dimension, wenngleich die säkulare Ebene wichtig blieb.761 Trotz der Nennung einer allgemeinslavischen Bedeutung des Feier­tages 759 Michajlovskij (1892), S. 597 – 599. 760 „Das bulgarische Volk kommt in seinem geistigen, religiös-sittlichen, historischen und politischen Leben nach tausend und mehr Malen noch einmal auf den heutigen Feiertag, und dennoch begegnet es ihm, wie immer, fröhlich, und feiert ihn mit Ehrfurcht und vermacht der zukünftigen Generation offenherzig [wörtlich: mit offener Stirn, S. R.] und klarer Stimme, dass sie diese Gesänge und Loblieder auf ihn nicht unterbrechen wird. Genau diese Feier, diese Volksstimme, das ist auch die Stimme Gottes, sie zeigt, dass der heutige Feiertag groß und einer Feier würdig ist.“ Cuchlev (1892), S. 5. 761 Die Zugehörigkeit zum Volk definierte sich durch das entsprechende Gefühl „jedes Bulgaren“ gegenüber den „hll. Soluner Brüdern“. Das Werk der Brüder wurde, ganz getrennt von deren religiöser Verehrung, zur „Quelle“, zum „Eckstein“ der säkularen Entwicklung sowohl des bulgarischen Volkes als auch des Landes und des „gesamten Slaventums“ stilisiert: „Wie teuer und großartig ist dieser Feiertag für jeden Bulgaren, der alle Kraft und Bedeutung der Tätigkeit der hll. Soluner Brüder brennend spürt! Sie ist die Quelle für die Tätigkeit, für die Entwicklung und Vollendung des gesamten Bulgarischen Volkes und für das gesamte Slaventum insgesamt; sie dient als Eckstein, auf dem die mächtige Kraft Bulgariens gründet und seine allgemeine Entwicklung gebaut wird.“ Cuchlev (1892), S. 6.

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stand der sakralisierte bulgarische Zusammenhang im Zentrum seiner Ansprache.762 Das Missionswerk der Brüder sah er als Beginn der „normalen“ historischen „Existenz“ und Entwicklung der Bulgaren.763 Der Gymnasiallehrer stellte schließlich den Missionserfolg der Brüder als siegreichen Eroberungsfeldzug dar und übertrug diese Rhetorik nahtlos auf die Gegenwart. In diesem Rahmen erfand er eine weitere Kombination von „Genie“, „Volk“ und Brüdern, indem er sie mittels ihres Genies als Wiedergebärer des Volks darstellte. Die Wiederholung dieser Vorstellungen festigte deren Verankerung im Diskurs. Der weltliche Lehrer gab mit der Rede vom Volk als der „Stimme Gottes“ einer Sakralisierung dieser nationalpolitisch-theologischen Spekulationen Vorschub. Die Austauschbarkeit ihrer Rollen bezeugte jedoch den ungefestigten Entwicklungsgrad der Vorstellungen. Der internationale oder zwischenkirchliche Zusammenhang des Diskurses zeigte sich nicht nur im europäischen Wettbewerb, sondern auch im lokalen Streit: Auch für Cuchlev war die Propagierung eines Kampfes gegen „griechische“ Bischöfe wichtiger als ein solcher gegen die imperiale osmanische Herrschaft: Er verknüpfte dabei den „Sieg“ über das mittelalterliche Konstantinopel in einem Atemzug mit dem aktuellen Kirchenkampf gegen „griechische phanariotische Bischöfe“. Die Erinnerung an die beiden Brüder wurde auch bei Cuchlev wie nun immer öfter im bereits „befreiten“ bulgarischen Gebiet mit der Klage über den Zustand der orthodoxen Slaven in Makedonien verbunden oder der „Bulgaren“, die „das schöne Makedonien“ bewohnen.764 Die Thematisierung der Feier sollte nicht nur für diese Region wirken: Das als Einheit imaginierte Volk sollte auf diesem Weg „erzieherisch“ in „Würde“ und „Fähigkeiten“ 762 Laut Cuchlev wuchsen die Brüder zweisprachig slavisch und griechisch auf. Zur Herkunft der Brüder hielt Cuchlev nüchtern fest: „Saloniki war damals, wie viele weitere europäische und kleinasische Städte des Byzantinischen Reiches, zweisprachig. Jeder Soluner Bürger sprach nicht nur slavisch, sondern auch griechisch.“ Cuchlev (1892), S. 10. 763 „Seit dieser Zeit ging Bulgarien auf dem normalen Weg seiner Existenz. Das Werk der hll. Kyrill und Method errang einen vollen Sieg über den verhängnisvollen Byzantinismus, als es das bulgarische Volk und allgemein alle Südslaven eroberte“. Cuchlev (1892), S. 13. 764 Wenn Kyrill und Method „mit ihrem Genie, mit ihrer Arbeit und ihren Großtaten“ das „bulgarische Volk“ gerettet und „wiedergeboren“ haben, so besiegten sie den „Byzantinismus“ von damals – und wenn sich das bulgarische Volk dies heute als „Beginn seiner verstandesmäßigen Existenz“ und damit gewissermaßen als Geburtstag in Erinnerung ruft, so siege es auch gegen die gegenwärtigen Phanarioten: „Und so, geehrte Damen und Herren Bürger und Bürgerinnen, begeht das bulgarische Volk, wenn es heute das Gedächtnis seiner beiden gerühmten Väter und Apostel, der hll. Kyrill und Method ehrt, die mit ihren Fähigkeiten, mit ihrem Genie, mit ihrer Arbeit und ihren Großtaten dieses vor dem Untergang gerettet haben und es zu einem neuen Leben wiedergeboren haben, gleichzeitig auch den Beginn seiner verstandesmäßigen Existenz; heute feiert das Bulgarische Volk den ruhmreichen Sieg über den verderblichen Byzantinismus, der, eine Schande angesichts dieses ruhmvollen Sieges, auch in der heutigen Zeit, mit den ­Mündern einiger verdorbener (razvaleni) griechischer phanariotischer Bischöfe, sich stärkt, um seine zersetzenden Elemente unter jene Bulgaren zu gießen, die das schöne Makedonien be­­ siedeln.“ Cuchlev (1892), S. 13.

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gefördert werden und „seine zukünftige Größe noch weiter gesunden“.765 Cuchlev stellte die Brüder hier nicht mehr in einen traditionell-religiösen Zusammenhang. Sie dienten nur zum Medium der Förderung der säkular imaginierten Nationalgemeinschaft. Ihr Feiertag wurde zum Geburtstag Bulgariens umgedeutet. C 3.6.5  Anfänge eines exklusiv makedonischen Identitätsentwurfes im nationalen Wettbewerb

Ein ausdrücklich mit einem ausschließlich makedonischen Identitätsentwurf verbundener Diskurs war damals erst im Entstehen: Etwa hinterließ Ǵorǵija M. Pulevski 1893 mit seinem umfangreichen Manuskript einen „slavisch-makedonischen“ Zugang zu den Brüdern: Seine „Slavisch-makedonische allgemeine Geschichte“, verfasst „im slavisch-makedonischen Dialekt (narečenije)“,766 ging deutlich weiter in der Aneignung der Brüder als das bereits erwähnte Vorwort zu seinem Wörterbuch von 1875: „So waren Kyrill und Method slavisch-makedonische Söhne, somit waren die vorgenannten Heiligen slavische Aufklärer und (…) schrieben rein im makedonisch-slavischen Dialekt“.767 Dennoch machte Pulevski sie nicht zu makedonischen Aufklärern, sondern nannte sie „slavische Apostel“.768 Die Brüder erfuhren in seinem Werk etwa gegenüber der Darstellung der Nemanjiden nur eine sehr knappe Würdigung. Dennoch ist seine stilistisch altertümliche Geschichtsdarstellung und mit ihr die Einbettung der Erinnerung an die Brüder ein frühes Zeugnis einer deutlich von serbischen wie bulgarischen Geschichtsbildern separierten makedonischen Selbstwahrnehmung und Selbstbeschreibung. Zunächst blieb sie eine marginale Ausnahmeerscheinung. 1932 erinnerte sich Todor Stankov, wie er die Feiern 1894 in Saloniki erlebt hatte: Die Stadt sei damals „mit Recht die Hauptstadt Makedoniens“ gewesen, dort „befand sich die Basis der VMRO“ (Innere Makedonische Revolutionäre Organisation). Zu den Feierlichkeiten reisten „bulgarische Delegationen aus fast allen bulgarischen Städten und den größeren Dörfern Makedoniens und Thrakiens“ heran. Selbst „die Türken“ hätten damals keinen „nationalen Feiertag“ gehabt, der mit gleicher Feierlichkeit wie der Tag zu Ehren der Brüder begangen wurde.769 Erneut war osmanische Loyalität der Rahmen der Feiern: „Gemäß dem offiziellen Programm begannen die Feiern mit dem Singen der sultanischen Hymne durch die Schüler und die Bürger“.770 Die Bedeutung der Feierlichkeiten sei aber eine übernationale gewesen: 765 „Aber die Erinnerung an diese großen Ereignisse aus dem Leben des Volkes, so gemeinsam, wie wir heute sind, kann nur große Bedeutung haben. Diese Ereignisse wirken gewöhnlich erzieherisch auf unser Volk, bewegen seine geistige und sittliche Würde und Fähigkeiten, und lassen seine zukünftige Größe noch weiter gesunden.“ Cuchlev (1892), S. 13 f. 766 Ǵorǵija M. Pulevski. Slavjansko-maḱedonska opšta istorija, vor S. 1. 767 Ǵorǵija M. Pulevski. Slavjansko-maḱedonska opšta istorija, S. 38. 768 Ǵorǵija M. Pulevski. Slavjansko-maḱedonska opšta istorija, S. 39, S. 443. 769 Stankov (1932), S. 24. 770 Stankov (1932), S. 29.

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„Die Feier der hll. Kyrill und Method wurde nicht nur für uns Bulgaren, sondern für alle Nationalitäten in der Stadt und die Ausländer das Symbol der bulgarischen Feier, des Bulgarentums, denn nur die Bulgaren begingen das Fest mit ganzer Seele und Eifer, dessen Ausdruck alle Erscheinungen von Größe, nationalem Stolz, Selbstachtung und Toleranz gegenüber den Seinen und den Fremden war.“ 771

Besonders in der Landschaft Makedonien entwickelte sich die Verehrung der Brüder zur Wende ins 20. Jh. ganz explizit im Verflechtungszusammenhang der beiden mitein­ander wetteifernden bulgarischen und serbischen nationalen Projekte: Durch die Bericht­erstattung in Sofioter und anderen bulgarischen Periodika über sie wurde dieser Wettstreit darüber hinaus einer wenngleich schmalen Leserschaft in anderen Städten bewusst gemacht. Zum 2. Mai 1896 liegt etwa eine Ansprache zu Ehren Kyrills und Methods vor, die ein nicht genannter Redner an „geehrte Bulgaren von Skopje“ gerichtet hatte: Sie wurde im selben Jahr in der Sofioter Zeitschrift „Religiöse Erzählungen“ veröffentlicht. An ihrem Beginn stand die Feststellung, „jedes Volk“ habe einen „Nationalfeiertag“. Der bulgarische „nationale Schulfeiertag“ wurde hier nachdrücklich in einen inter­nationalen, implizit europäischen Wettstreit eingebettet, ausdrücklich aber in Konkurrenz zu Griechen und Serben. Der Verweis auf Praktiken der nationalen Identitätsinszenierung der orthodoxen Nachbarvölker legitimierte eine eigene Praxis und machte den Zuhörern deutlich, in welche Richtung sich diese zu entwickeln hatte. Mit dem Verweis auf Russland räumte der Redner ein, dass Kyrill und Method nicht ausschließlich von den Bulgaren in Anspruch genommen werden konnten: „Der heutige Tag wird am feierlichsten, am glänzendsten bei uns Bulgaren und bei den Russen gefeiert.“ 772 Im Rahmen der Begehung des Schulfeiertages als modernes, säkulares Ereignis blieben traditionelle Elemente der Heiligenverehrung beibehalten und wurden im neuen Zusammenhang aktualisiert:773 Der Redner unterstrich die „Heiligkeit“ des Feiertags in „unserer orthodoxen Kirche“ und erhob einen Anspruch der Bulgaren auf den Tag 771 Stankov (1932), S. 29. 772 „Geehrte Christen, jedes Volk hat einen sogenannten Nationalfeiertag (naroden prazdnik). Einen solchen Feiertag haben auch die Griechen, sowie die Serben, und alle anderen Völker. Für uns, die Bulgaren, ist der nationale Schulfeiertag (narodno-učilišten prazdnik) der 11. Mai – das Gedenken an die slavischen Aufklärer, die hll. Kyrill und Method. Der heutige Tag wird am feierlichsten, am glänzendsten bei uns Bulgaren und bei den Russen gefeiert.“ Ohne Verfasser­ angabe: Slovo za Sv. sv. Kiril i Metodi, kazano v Skop’e na II Maj 1896 god., in: Religiozni Razkazi (1896) 11 – 12, S. 499 – 508, hier S. 499. Das Gedenken an die Brüder war bereits so weit gefestigt, dass der Redner nachdrücklich davon absah, allgemein bekannte Einzelheiten ihrer Viten zu wiederholen. Nur auf ihre Abstammung aus Saloniki legte er Wert, ohne dabei ihre ethnische, nationale Herkunft anzusprechen: „Ihr, geehrte Bulgaren von Skopje, habt in den vergangenen Jahren Gelegenheit gehabt, viel aus dem Leben über die heiligen Brüder zu erfahren. Ihr wisst, dass sie aus Solun stammten.“ Slovo za Sv. sv. Kiril i Metodi, kazano v Skop’e na II Maj 1896 god., in: Religiozni Razkazi (1896) 11 – 12, S. 499. 773 „Die heiligen Brüder Kyrill und Method mögen vor Gott, dem Höchsten, die Erlösung u­ nserer Seelen erbitten!“ Slovo za Sv. sv. Kiril i Metodi, kazano v Skop’e na II Maj 1896 god., in: Religiozni Razkazi (1896) 11 – 12, S. 499.

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Kyrills und Methods als sakralen Feiertag der bulgarischen orthodoxen Nationalkirche, der von den „umliegenden orthodoxen christlichen Nationalitäten (narodnosti)“ nicht so „glänzend“ begangen werde.774 Die Feier und das Gedenken an die Brüder sollte bewusst aus dem immer noch vergegenwärtigten gesamtslavischen oder transnationalen, orthodoxen Zusammenhang gelöst und in der Abgrenzung von den Verehrungspraktiken der Nachbarn bzw. „fremdstämmiger (inorodni) Christen“ 775 nationalisiert werden. Nach deren Vorbild sollte mithilfe der Brüder ein sowohl weltlicher wie auch sakraler bulgarischer National- und Kirchenfeiertag ins Leben gerufen werden. Der Feiertag sollte laut dem ­Redner glänzen­der als Nationalfeiertage anderer Völker begangen werden, aber Kyrill und Method kam nicht automatisch auch eine diskursive Spitzenstellung im bulgarischen Heiligenhaushalt zu: Ivan von Rila sowie Kliment wurde bei der gleichen Feier in Skopje im Rahmen des Gedenkens an die Brüder als „Beschützer unseres Volkes“ eine besondere Stellung eingeräumt, die den Brüdern versagt blieb.776 Der transnationale Diskurs blieb für den Redner entscheidend: Er sah „unsere Seite“ als „Aufklärer des ganzen slavischen Geschlechts“, worauf „wir Bulgaren stolz sein können“.777 Wie bei Paunin war aber die hier weiterentwickelte geschichtliche und nationale Bedeutungsaufladung der Region „Makedonien“ für die Ansprache entscheidend: Ganz in einem allgemeinslavischen Rahmen wurde die Gegend, ausgehend von Saloniki und den Klöstern, als bulgarische sowie als „Wiege der slavischen Orthodoxie“ dargestellt, 774 „Ich habe gerade diese Frage gewählt, da ich denke, es gibt noch da und dort einfache, naive Leute, die sich wundern, weshalb nur wir diesen Feiertag so glänzend (blěskavo) begehen, und nicht auch die anderen umliegenden (okolni) orthodoxen christlichen Nationalitäten (narodnosti).“ Slovo za Sv. sv. Kiril i Metodi, kazano v Skop’e na II Maj 1896 god., in: Religiozni Razkazi (1896) 11 – 12, S. 500. 775 Die Argumentation mündete in die rhetorische Frage: „Welche Sünde begehen daher einige einfache fremdstämmige (inorodni) Christen, die es sich erlauben, gegen die Heiligkeit unseres heutigen Feiertags anzureden? Es wird von ihnen nicht erwartet, dass sie feierlich feiern – das fällt nur uns zu, denn die hll. Kyrill und Method haben namentlich für uns gearbeitet. Diese aber mögen einen anderen, ihren nationalen Schulfeiertag (narodno-učilišten tăržestven ­prazdnik) haben. Die Griechen beispielsweise haben die ,Drei Heiligen‘ (30. Januar). Die Serben den ,Heiligen Sava‘ (14. Januar).“ Slovo za Sv. sv. Kiril i Metodi, kazano v Skop’e na II Maj 1896 god., in: Religiozni Razkazi (1896) 11 – 12, S. 506. 776 Es folgte in der Rede eine Auflistung u. a. Kliments, Naums bzw. der sogenannten hl. Siebenzahl. Als „weitere bulgarische Gelehrte“ – nicht aber als Heilige – wurden Ivan von Rila, ­Ioakim Osogovski, Gavril Lěskovski und Prohor Pčinski genannt. Slovo za Sv. sv. Kiril i Metodi, kazano v Skop’e na II Maj 1896 god., in: Religiozni Razkazi (1896) 11 – 12, S. 506. 777 „Insgesamt ist unsere Seite gefüllt mit unseren, bulgarischen Heiligen. Wir Bulgaren können stolz sein, als Aufklärer des ganzen slavischen Geschlechts. Von uns kamen der Glaube, die Schrift, die Bücher und die Wissenschaft zu den anderen Slaven.“ Dieser Stolz beruhte in dieser Darstellung explizit auf transnationaler Verehrung: Russen und Serben erinnerten sich „mit Ehrfurcht (blagogověnie) an unsere bulgarischen Orte“. Slovo za Sv. sv. Kiril i Metodi, kazano v Skop’e na II Maj 1896 god., in: Religiozni Razkazi (1896) 11 – 12, S. 506.

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aber nicht als „Makedonien“ bezeichnet.778 Der Rückblick gab das Schema für die Gegenwart vor, in der die Region und nicht Bulgarien zur „Wiege der ersten Arbeiter der Wiedergeburt“ geworden sei, ermöglicht durch den in den Klöstern angeblich tradierten „Volksgeist“.779 Zur Legitimierung der gegenwärtigen Bemühungen um eine Stärkung bulgarischen Nationalbewusstseins wurde die Vorstellung eines seit dem Mittelalter bestehenden und nie abgebrochenen Wirkens der Brüder und ihrer Schüler für eine angeblich bulgarische Sache hergestellt, das räumlich angeblich gerade in der noch nicht zum neuen bulgarischen Staat gehörenden Region verortet wurde: Die Peripherie wurde mithilfe der Brüder zum Pars pro Toto und als imaginiertes Zentrum als natürliches Expansionsgebiet des Fürstentums beschrieben. Zudem bettete der Redner mit der Betonung orthodoxer Wissenschaftlichkeit ein schon in den Reden 1885 in Sofia entworfenes Motiv vor Ort in der makedonischen Provinz ein: So führte er die Beziehung der Bulgaren und der Slaven zu Gott, dem Glauben, den Büchern und der Wissenschaft ganz auf die Brüder zurück.780 Sie wurden damit als Zugang gerade der gegenwärtigen, modernen Nation sowohl zum religiösen als auch weltlichen, wissenschaftlichen Handlungsraum dargestellt. Der Entwurf von Modernität nach westeuropäischer Maßgabe sollte so gerade dank ,eigener‘ historischer, orthodoxer Vorbilder als ,eigener‘ Weg – als orthodoxe Modernität – denkbar werden und nicht als bloße Nachahmung. Trotz des in Reden beschworenen Nationalismus fanden Feiern in Makedonien weiter­hin im Rahmen osmanischer Loyalität und unter Teilhabe zahlreicher „Nationalitäten“ statt, die in der späteren Retrospektive möglicherweise geschönt erinnert wurden. So schrieb Metropolit Maksim in einer 1929 veröffentlichten Erinnerung an Feiern in Skopje vor den Balkankriegen: „Wie immer wurde der Feiertag der hll. Kyrill und Method in Skopje sehr feierlich begangen. Die Kathedralkirche war geschmückt, wie auch die Hauptzentralschule, mit Kränzen, Blumen und Pflanzen. Das ganze Volk strömte zum Feiertag; Tausende Kinder, Lehrende und Lernende nahmen lebendig teil an der Feierlichkeit. Hingegen war niemand der orthodoxen Konsuln da, wenn

778 „Hier ist die Wiege (ljulkata) der slavischen Orthodoxie und Aufklärung (prosvěštenie). Mit vollem Recht wird gesagt, dass Saloniki (Solun), Ohrid, die hiesige Umgebung, die Klöster bis Brěgalnica Wallfahrtsorte (města za otivanje na poklonenie) sind.“ Slovo za Sv. sv. Kiril i Metodi, kazano v Skop’e na II Maj 1896 god., in: Religiozni Razkazi (1896) 11 – 12, S. 506. 779 „Dieses unser Land ist bekanntlich auch in der neuen Zeit die Wiege der ersten Arbeiter der Wiedergeburt (văzraždanjeto) unseres Volkes. (…) Der Grund für all dies sind jedoch die ­Klöster; in ihnen sind das bulgarische Buch und der Volksgeist nie erloschen. (…) Es ist daher klar, wie sich in unseren Ländern (v našitě strani) ununterbrochen die aufklärerische Arbeit der hll. Kyrill und Method und ihrer Schüler fortsetzt.“ Slovo za Sv. sv. Kiril i Metodi, kazano v Skop’e na II Maj 1896 god., in: Religiozni Razkazi (1896) 11 – 12, S. 507. 780 „Wie ihr seht, ist alles, was sich auf Gott bezieht, auf den Glauben, auf Bücher, auf die Wissenschaft – alles dies ist uns gegeben und allen Slaven durch die hll. Kyrill und Method.“ Slovo za Sv. sv. Kiril i Metodi, kazano v Skop’e na II Maj 1896 god., in: Religiozni Razkazi (1896) 11 – 12, S. 507.

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auch nur zwei von ihnen die slavischen Staaten vertraten! Gemäß der Gewohnheit gehen die Schüler der Stadtschulen mit allen Lehrern und den Bürgern aus der Stadt zum Ort ,Tachta-kale‘ [osm. tahte l-kale: ,Unter der Burg‘, S. R.]. Dort bereiten sie ein Mittagessen auf großen Tischen, bewirten sich, spielen, und singen Lieder, es ist eine allgemeine Fröhlichkeit. Es nehmen auch andere Nationalitäten (narodnosti) teil: Türken, Juden u. a. Die Feier dauerte bis zum Abend. Alle, begonnen mit den Lehrenden und den Schülern, kehren in die Stadt mit Liedern und Ovationen zurück und gehen auf dem Quai dem Vardar entlang, an den Konsulaten vorbei. Die russischen und serbischen Konsuln, stehen, es versteht sich, mit Firmilijan, an den Fenstern des russischen Konsulats, im Dunkeln, und beobachten den Marsch. Vor dem Konsulat singen Kinder zu Ehren und zum Ruhm der heiligen Brüder, der slavischen Aufklärer, einige von ihnen rufen H u r r a , andere S u l t a n b i n j a š a [ osm. Sultan bin (yıl) yaşa, ,Der Sultan lebe tausend (Jahre)‘, S. R.]. Die Feier wird in der bulgarischen Pension beendet. Erschöpft gingen die Kinder früh schlafen. Alles war ruhig, nur die slavischen Konsuln, der Pascha und die Polizei waren munter und unruhig. Der bulgarische Bischof zog sich in seine Metropolie zurück. Aber es erschienen bei ihm die Polizeivorsteher, – die Majoren (binbašijata von osm. binbaşı, S. R.) und der erste Polizeikommissar“.781

C 3.6.6  ,Erlöser‘ und ,Genien‘ – die Brüder als zentrale Medien nationalen Stolzes

Kyrill und Method dienten in der Phase der Festigung des Konzeptes vom Nationalstaat bis zum Ende des 19. Jh. innerhalb der bulgarischen Elite vorrangig dazu, Nationalstolz herzustellen und zu legitimieren. Dieser Vorgang wurde diskursiv beobachtet und sollte nach Kräften gerade ,von unten‘ beeinflusst sowie in der Absicht einzelner Beiträger gelenkt werden: So beklagte sich der heute nicht weiter bekannte Ivan Vizirev 1899 im ersten Satz seiner Broschüre mit dem Titel „Unsere großen Männer. Die slavischen Aufklärer, die hll. Kyrill und Method“. Vizirev stellte angesichts des Interesses der bulgarischen Leserschaft an Biographien über ausländische „Große“ ein Defizit an Literatur über bulgarische „Große“ fest.782 Die Schriftsteller, zu denen sich Vizirev offenbar auch zählte, mussten es laut weiteren Sätzen als ihre „Pflicht“ gegenüber „Volk und Vaterland“ sehen, den „großen Männern“ als „würdige Söhne“ literarische Kränze zu winden – damit die Erinnerungskultur um sie sich entwickle und im Volk gegenwärtig

781 Otec Paisij, 1929, Nr. 3, S. 54 f. 782 Wie sehr es ihm selbst an nationalem Selbstbewusstsein fehlte, zeigt der Hinweis auf „viel­ gelehrte Leute“, die lachen würden, falls Vizirev von „großen“ Bulgaren sprechen würde: „Seit einiger Zeit sind auch bei uns in bulgarischer Übersetzung Biographien der größten und bemerkenswertesten Ausländer (chora-čuždenci) erschienen. Und unser lesendes Publikum, das zur Mehrheit aus jungen Schülern besteht, liest sie mit besonderem Interesse.“ Dies sei zum einen zwar zu begrüßen, rief aber doch auch deutliches Missfallen seitens Vizirevs hervor: „Schade ist nur, dass, während diese Übersetzer mit einer unerhörten Geschwindigkeit wetteifern, Biographien Fremder zu übersetzen, alte und neue, man nur sehr selten jemanden findet, der auch nur eine kleine Biographie unserer Bemerkenswertesten (wir sagen nicht Großen, damit vielgelehrte Leute nicht lachen) schreibt oder zusammenstellt“. Vizirev (1899), S. 3 f.

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bleibe.783 Vizirev dachte bei seinem Projekt namentlich an „unsere politischen Männer, die Rebellen (buntovnici)“, sowie „unsere kirchlich-schulischen Akteure“, aber nicht ausdrücklich an Heilige.784 In seiner Liste „an großen Männern, mit denen sich sicherlich nur eine Minderheit der Fremden messen kann“, standen Herrscher unterschiedslos neben den beiden Brüdern als den einzigen explizit Heiligen, Mönche neben Kämpfern der „Wiedergeburt“.785 Ivan von Rila oder Kliment von Ohrid hingegen fehlten. Vizirev schrieb von den zu verfassenden Biographien dieser Männer, diese sollten zur Förderung eines bulgarischen Selbstbewusstseins entscheidend sein.786 Kyrill und Method waren in der Einschätzung Vizirevs unter diesen „großen Männern“ aber von solch vorrangiger Bedeutung, dass zunächst gerade sie als solche im publizistischen Rahmen inszeniert werden sollten. Diese hätten „den Grundstein unseres – in jeder Hinsicht – bewussten Lebens“ gelegt. Die „Existenz als Volk, und als christliches Volk“ sei ihnen zuzuschreiben. Die Bulgaren „wie alle Slaven“ verdankten ihnen „unser Leben bis ­heute“.787 Er bezeichnete die Brüder als „Slaven aus der Stadt Saloniki (Makedonien)“,788 aber nicht ausdrücklich als Bulgaren – obschon der bulgarische Bezug der Broschüre, wie die Zusammensetzung der gesamten Gruppe „unserer“ „großen Männer“ zeigte, ganz im Vordergrund stand. Vizirev unterschied damit zur Förderung des bulgarischen nationalen

783 „Aber, wie lange, ich bitte Sie, werden wir noch nur das Fremde als schön, und Unseres als schlecht ansehen? Haben wir denn keine bemerkenswerten Leute, die unserer aufgeklärten Aufmerksamkeit und einer Untersuchung würdig sind? Wir haben genügend bemerkenswerte, und wahrhaftig große Leute, und der Herr hat uns auch fähige Schriftsteller gegeben, damit sie ihr Gedächtnis (pamjat) mit der Beschreibung ihres Lebens und ihrer Tätigkeit verewigen, damit ein gutes Gedenken (spomen) an sie unter uns bleibt; aber… ach, dieses verfluchte aber!… dies treibt uns, unsere Pflicht gegenüber diesen zu erfüllen, genauso wie gegenüber dem Volk und unserem Vaterland, als dessen würdige Söhne.“ Vizirev (1899), S. 4. 784 Vizirev (1899), S. 4. 785 „Wir haben eine ganze Menge an großen Männern, mit denen sich sicherlich nur eine Minder­ heit der Fremden messen können, wir haben Krum, Boris, Simeon, Asěn, Samuil, Upravda (Justinian), die heiligen Brüder Kyrill und Method, unsere gerühmten Aufklärer, Kliment, Ivan Rilskij, Eftimij, den Patriarchen von Tărnovo, Paisij Chilendarski, Neofit Bozvel, Sofronij, den Bischof von Vraca, die Brüder Miladinov, Aprilov, und viele weitere wie diese.“ Vizirev (1899), S. 5. 786 „Im Übrigen, lasst uns sie zusammenstellen und verbreiten wir sie so stark und weit wie nur möglich unter dem Volk.“ Vizirev (1899), S. 5. 787 „Aus der oben genannten Reihe nehmen zweifelsohne den ersten Rang unsere Aufklärer, die hll. Kyrill und Method ein. Es ist unstrittig, dass diese mit der Erfindung des slavischen Alphabets und mit ihren unermüdlichen Bemühungen, uns zur ,Erkenntnis der Wahrheit‘ zu führen und zu unserer Aufklärung ,mit dem Licht des Verstandes‘, das seit der Geburt unseres Erlösers hier, auf der Erde, leuchtet, den Grundstein unseres – in jeder Hinsicht – bewussten Lebens gelegt haben; und sogar mehr: unserer Existenz als Volk, und als christliches Volk. Ja, ihnen ver­danken wir, wie auch alle Slaven, unser Leben bis heute, dies sind unsere wahrhaftigen Lehrer und geistigen Väter.“ Vizirev (1899), S. 5. 788 Vizirev (1899), S. 10.

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Projektes nicht zwischen einer national-bulgarischen und transnationalen, slavischen Verehrung der Brüder. Die Feier zu Ehren der Brüder war inzwischen so fest institutionalisiert, dass eine Teilnehmerzahl von weniger als 2000 Personen in Sofia als Ausdruck „allgemeiner ­Apathie“ kritisiert wurde: 1902 sollen die Feierlichkeiten deswegen eher eine „Begräbnis­ prozession – das Begräbnis der nationalen (narodnite) Ideale“ gewesen sein.789 Die Verehrung der Brüder war bald so dominant, dass ihr Diskurs auch den anderer nationaler religiöser Erinnerungsfiguren formte: Am 1. Mai 1907 feierte man in Sliven den tausendsten Todestag des heiligen Zaren Boris. In der Rede zu seinem Gedächtnis mussten aber auch Kyrill und Method eine entscheidende Rolle spielen: Chr. V. ­Dimitrov, ein Lehrer am Slivener Mädchengymnasium, entwarf dort vor seiner Zuhörerschaft, zu der auch der Metropolit von Sliven zählte, ein Raum-Zeit-Kontinuum, das zeitliche und inhaltliche Brüche überbrückte: Sowohl die Bemühungen Kyrills und Methods als auch diejenigen Paisijs dienten der bulgarischen Bewusstseinswerdung, der „natio­ nalen Erweckung“. Getrennt waren sie nur durch den „totengleichen“ Schlaf des Volkes. Dass dieser immerhin über beinahe ein Jahrtausend hinweg andauerte, spielte keinerlei Rolle. Die „neue Wissenschaft“ stand ausschließlich im Dienst der nationalen „Wiedergeburt“, ihre Vertreter waren „Apostel“ und „Helden“ zugleich – und verhießen eine „goldene Zukunft“.790 Nationalismus und Wissenschaft gingen im Diskurs der bulgarischen Nationalbewegung eine immer engere Symbiose mit traditionellen religiösen Erinnerungsfiguren ein, und insbesondere mit Kyrill und Method. Eine Trennung, eine Differenzierung eines historiographischen Diskurses aus dem nationalistischen, stark religiös beeinflussten Diskurs war nicht vorgesehen, vielmehr lag eine inhaltliche und methodische Einheit dieser Argumentationszusammenhänge vor: Es galt, mithilfe der orthodoxen Heiligen eine bulgarische moderne Europäizität zu entfalten.

789 Večerna Pošta, 14.5.1902, Nr. 359, S. 3, zit. gemäß: Izvori za bălgarskata etnografija, Bd. 4, S. 328. 790 „Am heutigen Tag, Eure hochwürdige Eminenz, sieht das bulgarische Geschlecht durch die dunkle Galerie von 10 Jahrhunderten unserer Vergangenheit die hll. Kyrill und Method in den Zellen, wie sie sich quälen und die bulgarische Schriftlichkeit schaffen; heute erinnern wir uns an den dunklen Athosmönch Paisij, der in den Aschen der bulgarischen politischen Vergangenheit einige historische Funken suchte, die dieser entfachte und in den Raum über den verknechteten Horizont warf, über das totengleich schlafende bulgarische Volk mit dem Ausruf: ,Wissenschaft! Bildung!‘ Diese Devise, beleuchtet von der Dämmerung des neuen bulgarischen politischen Morgens, schuf eine neue Ära, schuf eine Epoche der nationalen Erweckung (probuždane), eine Epoche der bulgarischen Wiedergeburt, als sie auf den bulgarischen politischen Horizont ein Sternbild großer Namen warf – und in die Städte, in die Dörfer, in die Berge und Felder einen Schwarm (orljak) von Aposteln sendete, von Helden und Sängern, um die neue Wissenschaft zu predigen; um in den Herzen der Einfachen und Ängstlichen süße Hoffnungen auf eine goldene Zukunft zu säen.“ Tăržestvena ovacija prěd Sv. Slivenska Mitropolija…, S. 9.

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Der Diskurs über die Brüder als Schulheilige war auch zu Beginn des 20. Jh. ­weiter zu aktualisieren: Am 11./21. Mai 1909 hielt Anton P. Stoilov [auch Popstoilov] als Direktor des bulgarischen Knabengymnasiums in Saloniki vor einem Publikum in der abgegrenzten Teilöffentlichkeit des Hofes der Schule eine Rede, die sich stärker als die bisherigen Texte durch geschichtsphilosophische Überlegungen auszeichnete: „Der Geist der heiligen Brüder“ wurde in seinen Worten zum Medium, das die Vorstellung eines homogenen Volkes mit der Menschenansammlung im Schulhof zu einer zeitlosen Einheit verbinden sollte: Er „schwebte“ über beiden. Wichtiger als „alle Annalen unserer Vergangenheit“ sollten die Tage mit dem heutigen Datum des Gedenktages sein. Die Heiligen wurden hier als „Antlitze“ säkularisiert zu Produkten zwar auch der „Vor­sehung“, aber insbesondere der „Geschichte“ und der „Umstände“. Die Brüder wurden als „Seele“ zu einem Erzeugnis von Heilsgeschichte und Geschichte zu Vorbildern „natio­naler Arbeiter“ umgedeutet.791 Das Ziel war die Disziplinierung und Mobilisierung der bulgarischen Bevölkerung zur Verwirklichung des nationalen Projekts. Ein religiöser Hintergrund wirkte nur noch eingegliedert in ein romantisches Verständnis von Historie, das einer in der Religion begründeten, aber weltlichen Philosophie gleichkam. Der Direktor des Gymnasiums versuchte sich auf dieser Grundlage im Sinne religiöser Politik als Nationaltheologe. Kyrill und Method wurden als zweiter Christus, als Erlöser und als Genien sowie als Geschenk des bulgarischen Volkes an die Welt dargestellt.792 Sowohl die Sehnsucht nach messianischer Erlösung als auch der Geniekult waren eng mit dem romantischen Nationalismus verbunden: Hier gingen sie im Medium der umgedeuteten Erinnerungsfigur der Brüder eine neue, spezifische Synthese ein. Saloniki als „Wiege 791 Diese letzten drei Faktoren hätten sich „abgesprochen, um einen Charakter im hohen Stil zu erzeugen, eine Seele zu erschaffen mit aller Güte und Selbstverleugnung der nationalen ­Arbeiter (narodni truženici) und Heiligen“: „Der Geist der heiligen Brüder schwebt über diesen, über dem ganzen (cělokupnija) bulgarischen Volk, über der Bildungseinrichtung, in deren Hof wir uns heute versammeln, um ihr Gedächtnis zu ehren. Wie wertvoll sind die Erinnerungen nur an diesem einen Tag! Vernichtet alle Annalen unserer Vergangenheit bis auf eine Seite nur, die gerade den heutigen Tag als Datum trägt, und doch wird es nichts geben, das davon verloren geht, was den Stolz und den Ruhm eines Volkes ausmacht. Umsonst schlagen wir die Geschichte der Völker auf und suchen ein Ereignis mit solch bedeutender Wichtigkeit; umsonst blicken wir durch die Ferne der Jahrhunderte, um ein Antlitz zu sehen, das so strahlend und groß (velik) ist, wie die Gesichter der slavischen Apostelgleichen. Es scheint, als ob sowohl die Vorsehung, als auch die Geschichte, und die Umstände sich abgesprochen hätten, um einen Charakter im hohen Stil zu erzeugen, eine Seele zu erschaffen mit aller Güte und Selbstverleugnung der nationalen Arbeiter (narodni truženici) und Heiligen.“ Die Auszüge veröffentlichte er 1921 in einer vom Bildungsministerium herausgegebenen Broschüre zum Gedenken an die beiden Brüder. Sv. Sv. Kiril i Metodi, S. 21. 792 Der „heutige Tag“ sei „in seiner riesigen historischen Bedeutung“ nicht weniger wichtig als der „leuchtende Feiertag des Gottmenschen, denn im Antlitz der beiden Brüder aus Solun erkennen wir einen zweiten Retter, einen zweiten Messias. (…) Dieser Tag erinnert uns daran, dass unser Volk der Welt zwei Genies geschenkt hat, wie man sie selten in der Weltgeschichte trifft.“ Sv. Sv. Kiril i Metodi, S. 21.

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der beiden Heiligen“ wurde so nicht nur für die bulgarische Nation enorme Bedeutung zugeschrieben, sondern für die ganze Welt. Stoilov deutete die Heiligen bzw. ihre Ikone nach dieser globalen Bedeutungszuschreibung als Garanten der lokalen Schaffung und Ausweitung eines bulgarischen Bewusstseins.793 Damit gestand der Redner sein Wissen darum ein, dass die Verbreitung eines bulgarischen Bewusstseins der Förderung durch Aktivisten wie ihn selbst bedurfte. C 3.6.7  Kirchliche Verehrung

Auch der religiöse Diskurs über die Brüder entwickelte sich zu Ende des 19. Jh. ­markant weiter. Im Rahmen dieses Vorgangs wurden auch traditionelle Formen kirchlicher Verehrung der Brüder oft auf eigene Initiative in neuen Medien reproduziert. So ver­ öffentlichte der Geistliche Nikola Krapčanski 1896 „zu Ehren des Namenstages“ des erst einjährigen zweiten Sohnes des Fürsten Bulgariens – mit offiziellem Titel Fürst Kiril von Preslav – in Sofia ein Büchlein über die Brüder. Mit dem neuen Medium ­billiger Broschüren versuchte der Geistliche, althergebrachte religiöse Rhetorik über Kyrill und Method unter das Volk zu bringen und gleichzeitig die Loyalität breiterer Kreise der Bevölkerung gegenüber dem neuen Fürstenhaus zu stärken. Dieser herrschafts­ bezogene Kontext spielte aber im weiteren Text keine Rolle – Krapčanski zielte ganz auf die „ewige Erlösung“ von „ewigem Verderben“.794 Zudem verlangte aber auch er, dass „heute jeder Bulgare“ Gott und die Brüder ehre.795 Ein der Broschüre beigelegtes undatiertes liturgisches Lied bzw. Tropar schrieb von „Bulgarischen Sternen aus Solun“, die „das ganze bulgarische Land“ christianisierten.796 Der im übrigen Text gleichzeitig bemühte slavische Hintergrund wurde durch diese Stellen mit bulgarischer Bedeutung überdeckt. Der Geistliche sakralisierte in seinem Entwurf ,von unten‘ die „jeden Bulgaren“ einbindende nationale Integration mit dem Erlangen der „Erlösung“. Der kirchliche Diskurs über die Brüder und die ihn tragenden Medien und Akteure brachten erst spät eine regelmäßige offizielle Berichterstattung über die kirchliche Verehrung Kyrills und Methods hervor: Der 1900 als offizielles Publikationsorgan der bulgarischen orthodoxen Kirche (BOK) ins Leben gerufene „Kirchenbote“ berichtete zum 11. Mai des Jahres, wie „unsere Kirche“ das Gedenken an die Brüder gefeiert habe. Der Leitartikel ehrte Kyrill und Method als „von Gott erwählte Apostel“. Mit einem Zitat des 793 „Wollt ihr eine Stadt oder ein Dorf mit der bulgarischen Wissenschaft (nauka) aufklären, mit bulgarischem Gefühl, dann begeht den Feiertag mit der Ikone der Soluner Erstlehrer, und der Erfolg ist euch gewiss: Wo die Ikone der hll. Kyrill und Method hingekommen ist, dort festigten sich die Bulgaren im Glauben, in der Sprache und in ihrer Nationalität (narodnosťta).“ Sv. Sv. Kiril i Metodi, S. 21. Eine Auswahl an Zeitungsberichten über Feiern zu Ehren der Brüder zwischen 1900 und 1912: Izvori za bălgarskata etnografija, Bd. 4, S. 327 – 329, S. 337 – 342, S. 346 f., S. 361, S. 404 f. 794 Krapčanski (1896), S. 5 f. 795 Krapčanski (1896), S. 6. 796 Krapčanski (1896), S. 13.

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bedeutenden, in Charkiv lebenden bulgarischen Historikers Marin Drinov, der während der russischen Regierung 1878/1879 Bildungsminister Bulgariens gewesen war, betonte der Text aber nach dieser religiösen Einordnung nicht die Mission, sondern die Erfindung des slavischen Alphabets als ihr wichtigstes Verdienst. So seien damit die „slavischen Stämme“ „in die Familie der gebildeten europäischen Völker“ eingegliedert worden.797 Auch Texte des kirchlichen Diskurses über die Brüder waren zu Beginn des 20. Jh. weitgehend säkularisiert: So rief der „Kirchenbote“ 1902 mit einem Leitartikel zum 11. Mai zwar noch zum Dankgebet auf und beschrieb Kyrill und Method als erste Missio­ nare „auf dem slavischen Feld (niva)“ sowie als „erste Apostel der slavischen Einheit“, wendete sich dann aber noch nationaleren Themen zu:798 So sollten die Brüder „Einheit und Brüderlichkeit unter den Slaven“ gepredigt haben.799 Aus diesem „Samen der ­slavischen Einheit“ gehe heute erneut eine „Idee der slavischen Einheit“ und „Solidarität“ hervor, als „Parallele“ zu Einigungsbestrebungen der „teutonischen Stämme (tevtonskitě kolěna)“. Erst nach der Beschwörung der slavischen Einheit wurde sodann auch ein bulgarischer Bezug entworfen und den Brüdern die nationale Einigung der Südslaven und der Bulgaren zugeschrieben: Ihre „Namen und Werke“ bzw. „die bulgarische Literatur“ hätten das Volk „wiedergeboren“ und als „rettendes Glied“ Kirche, Schule und Volk medial verbunden.800 Im offiziellen Organ der bulgarischen orthodoxen Kirche griff diese den modernen nationalen Diskurs auf und stellte sich selbst mithilfe Kyrills und Methods als Vertreterin einer unauflösbaren Synthese zwischen Religion und Nation dar. Gerade Kirchenleute brachten den Diskurs damals innovativ voran: In einer Predigt des Geistlichen Chimitlijski zum Gedenken an Kyrill und Method am 11. Mai 1910 trat ein bulgarischer Zusammenhang zugunsten des „Ruhms der Slaven“, wie die An­sprache überschrieben war, noch weiter in den Hintergrund.801 Derselbe Geistliche er­läuterte in einer weiteren Predigt, die er am 11. Mai 1912 in der Kirche „Sv. Nedělja“ in Sofia hielt, nochmals den Zusammenhang zwischen den „slavischen Erstlehrern“ und der „bulgarischen Wiedergeburt“.802 Zunächst definierte er erneut die Namen der Brüder als „Fahne des Slaventums“. Deutlicher als im Text von 1906 schilderte er sodann die gesellschaftliche Zukunftsvision, die unter diesem Banner zu erreichen sei. Zum einen sollte „das Werk

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Cărkoven Věstnik, 12.5.1900, Nr. 5, S. 1 f. Cărkoven Věstnik, 10.5.1902, Nr. 3, S. 1 f. Cărkoven Věstnik, 10.5.1902, Nr. 3, S. 2. „Wie die bulgarische Literatur zur Grundlage der südslavischen und slavischen Einheit gedient hat, so hat diese zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts das bulgarische Volk wiedergeboren und geeint. Die Namen und Werke der hll. Kyrill und Method waren ein rettendes (spasitelno) Glied für das bulgarische Volk: Ihre Werke gelangen durch die Bulgarische Kirche in die bulgarische Schule, und von der bulgarischen Schule – in das Herz des bulgarischen Volkes.“ ­Cărkoven Věstnik, 10.5.1902, Nr. 3, S. 2. 801 Rěč’, govorena v c. „Sv. Kiril i Metodij“, na 11 maj 1910 g; in: Cărkoven Věstnik, 1910, Nr. 19, vollständig wiedergegeben in und zit. gemäß Chimitlijski (1914), S. 12 f., dort o. S. 802 Slavjanskitě părvoučiteli i bălgarskoto văzraždane, in: Slavjanski Glas 5 – 6 (1912), vollständig wiedergegeben in und zit. gemäß Chimitlijski (1914), S. 14 f.

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unserer ewigen Erlösung (spasenie)“ erfüllt werden, zum anderen der „Lebensweg“ begangen werden, der „Weg der Bildung, der Wissenschaft und der gesellschaftlichen Wohlgestaltung (blagoustrojstvo), der Weg der globalen historischen Tätigkeit (dejnosť) …“ 803 Die religiöse „Erlösung“ wurde hier noch vom historischen „Weg“ unterschieden, beide waren aber unter dem gleichen Banner zu verfolgen: Im Gedenken an Kyrill und Method wurde die religiöse Aufladung des panslavischen Nationalismus nicht als traditionalistische und isolationistische Nostalgie, sondern als moderner „Lebensweg“ in die Zukunft propagiert. Diese von Chimitlijski in seiner Rede ausgesprochenen Sätze waren allerdings ein Zitat oder eine Paraphrase eines ungenannten „russischen Predigers“.804 Der Geistliche machte sich aber nicht nur die Meinung des Russen zu eigen, sondern stellte den ­Glauben an die Zukunft der slavischen Nation neben denjenigen an die orthodoxe Religion. Indem er die Nation auf die Ebene der Religion setzte und über diese Ebene Überlegungen anstellte, hob er die Orthodoxie bis zu einem gewissen Grad aus den Angeln und nahm ihr ihre heilsgeschichtlich absolute Selbstverständlichkeit.805 Die Brüder sollten unmittel­bar zum Sinnbild für das Neue, für eine orthodoxe, nationale Moderne werden.806 803 So sei an „unsere Bedeutung und unsere Bestimmung in der Welt“ wie auch an „unsere Vergangenheit“ und insbesondere „unsere Zukunft“ in einer Zeit „der religiösen Gleichgültigkeit, des Zweifels und der Verneinung“ mit den „Namen der heiligen Brüder“ zu „erinnern“: „Diese Fahne ist die Fahne der Orthodoxie, der slavischen Einheit und der slavischen Nationalität (narod­nosť). Mit dieser Fahne, unter diesem Banner müssen wir nicht nur das Werk unserer ewigen Erlösung (spasenie) erfüllen, sondern allgemein auch unseren Lebensweg gehen, – den Weg der Bildung, der Wissenschaft und der gesellschaftlichen Wohlgestaltung (blagoustrojstvo), den Weg der globalen historischen Tätigkeit (dejnosť)… Besonders jetzt müssen wir dieses Banner hochhalten, wo der Geist gekühlt wird durch den zerstörerischen Wind der religiösen Gleichgültigkeit, des Zweifels und der Verneinung. Die Namen der heiligen Brüder mögen uns an unsere Orthodoxie erinnern, an unsere slavische Nationalität, an unsere Bedeutung und unsere Bestimmung in der Welt, an unsere Vergangenheit und an unsere Zukunft…“ Chimitlijski (1914), S. 14. 804 „So spricht zu uns über die Mühen der slavischen Erstlehrer ein kirchlicher russischer P ­ rediger; so flammt vor Freude das Herz eines Bruderslaven, eines bescheidenen Pastors Christi, der an diesem für die Slaven großen Tag diese Worte des Glaubens an die Zukunft des slavischen Geschlechts und der Orthodoxie in einer fernen russischen Kirche aussprach…“ Chimitlijski (1914), S. 15. 805 Die Begeisterung für das Slaventum seitens der Bulgaren war erklärungsbedürftig, und sei es aus rhetorischen Gründen. Den Glauben an die Nationalität des Slaventums begründete Chimitlijski mit dem Wirken der Brüder in Bulgarien – ein Gedankengang, der in der Tat die Definition der Brüder als Slaven und nicht als Bulgaren bedingt. Sie standen für die Entwicklung der Bulgaren „in der Neuzeit“ und ihr „Schreiten auf dem Weg einer neuen Kultur“: „Warum entflammt das bulgarische Herz und brennt an diesem Tag durch den Glauben an das slavische Geschlecht und die Orthodoxie? Das bulgarische Herz flammt, weil die slavischen Erstlehrer eben diese waren, die das bulgarische Geschlecht aufgerichtet (izdignacha) haben, in deren Namen sich in der Neuzeit unser großes nationales (nacionalno) Werk vollendet hat – die Wiedergeburt, unsere Erweckung und unser Schreiten auf dem Weg einer neuen Kultur.“ Chimitlijski (1914), S. 15. 806 Chimitlijski schrieb ihnen noch 1914 die Festigung des „Nationalbewusstseins bei den Slaven“ zu, die er sodann als einzelne „Völker“ auflistete. Chimitlijski (1914), S. 3.

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C 3.6.8  Die Militarisierung des Diskurses nach 1900

Zu Beginn des 20. Jh. lässt sich in bulgarischen weltlichen wie kirchlichen Publika­tionen im europäischen Zusammenhang eine kriegerische oder militärische Aufladung auch des Diskurses über die Brüder feststellen. Auch in diesem Kontext ist zu beobachten, wie sich die BOK in ihrem offiziellen Organ Elemente der gefestigten weltlichen Beschreibung der Brüder aneignete. So kühl das Verhältnis zwischen der Monarchie und dem Exarchat blieb: Bei der Festigung bulgarischen Bewusstseins in Make­donien unterstützten sich beide Institutionen wechselseitig. Die Bistümer des Exarchats waren die einzigen bulgarischen Einrichtungen, die das gesamte Territorium Bulgariens gemäß dem in Berlin abgelehnten Vertrag von San Stefano umfassten.807 So übernahm die K ­ irche die Klage über das Leid Makedoniens und spitzte den Diskurs in einem slavischen Zusammenhang noch zu: 1903 beschwor der „Kirchenbote“ am Vorabend des Gedenktags der beiden Heiligen eine angeblich durch diese geschaffene „sittliche Verbindung“ der „Masse“ des slavischen „Stammes“.808 Dieses Jahr habe der Gedenktag „besonders wichtige Bedeutung für die gesamte Slavenheit“, und zwar wegen des durch „unsere fünfhundertjährigen Feinde“ angerichteten „Unglücks im viel erleidenden (mnogo­stradalna) Makedonien“, in der „Heimat“ und im „Vaterland“ der „Erstlehrer“. War früher die Ablehnung griechischer Geistlicher das Hauptziel gewesen, richtete sich der Diskurs erst jetzt ausdrücklich gegen Konstantinopel: Der Widerstand gegenüber der osmanischen Herrschaft geriet zum „Kampf mit dem asiatischen Bar­baren“, um das „türkische Joch“ abzuschütteln.809 Mit der Orientalisierung des imperialen Oberherrschers ging eine Europäisierung der eigenen Identität einher. Das Publikationsorgan der Kirche bettete damit die Beschreibung der Brüder ganz in den seit den 1870er-­Jahren ent­wickelten weltlich nationalen Diskurs ein: Die osmanische Herrschaft galt nun auch der Kirche als Inbegriff für Rückständigkeit und Unterdrückung sowie Fremdherrschaft.810 Namentlich Russland wurde zur militärischen Umsetzung seiner angeblichen „historischen Aufgaben“ gegenüber den übrigen Slaven und insbesondere den Bulgaren aufgerufen. Die Verbesserung „schwieriger politischer und ökonomischer Bedingungen“ wurde als das „Endziel (krajnata cěľ)“ der Missionierungstätigkeit der Brüder bezeichnet und deren Werk damit radikal verweltlicht.811 Die BOK vertrat an dieser Stelle die weltliche Sicht auf die Brüder und orientalisierte als Mittel der Mobili­sierung zum Krieg die Osmanen zu „Barbaren“. Die Beobachtung und Versuche der Lenkung des Diskurses sowie der mit ihm verbundenen Handlungsfelder fanden zunehmend gerade im „Kirchenboten“ statt. Auch 807 Raikin (1988), S. 168. 808 Dank „gelehrter Slavisten“ sei diese als „Idee der Solidarität zwischen den unterschiedlichen Teilen der Slaven“ im vergangenen Jahrhundert „auferstanden“. Cărkoven Věstnik, 10.5.1903, Nr. 19, S. 1 – 3, hier S. 1. 809 Cărkoven Věstnik, 10.5.1903, Nr. 19, S. 2. 810 Zum weltlichen Diskurs: Daskalov (1994), S. 6 f. 811 Cărkoven Věstnik, 10.5.1903, Nr. 19, S. 3.

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hier wendete sich die Richtung des Diskurses von der Abgrenzung nach außen hin zu einer inneren sozialen Grenzziehung: Es sollten auch innerhalb der bulgarischen Gesellschaft selbst Kontroversen öffentlich und härter ausgefochten werden. Der Absolvent der Czernowitzer Theologischen Fakultät und spätere Rektor der Universität Sofia, Stefan Cankov, vertrat im „Kirchenboten“ 1905 sein Projekt, „Kyrillomethodia­nische Lesesäle“ einzurichten. Diese Initiative stellte er ganz in den Zusammenhang des allgegen­wärtigen, ja „täglichen“ Wandels der „Lebensbedingungen“ und des „Geistes“ des Lebens. Wünschenswert war eine „Geistesveränderung im Leben des intelligenteren Teiles einer Gesellschaft im guten, progressiven, sittlichen Sinne“ im Kampf gegen „ungesunde“ und „antireligiöse“ „Agitatoren“, die er auf dem Vormarsch sah. Angesichts dieser Bedrohung bedürfe die „christliche Seele“ des Volkes der Stärkung.812 Kyrillomethodianisch sollten die von ihm eingeforderten Lesesäle heißen, damit in ihnen „immer“ „der kyrillometho­dianische christlich-aufklärerische und gärtnerische (razsadničeski) Geist“ herrsche. Cankov gestand dabei ein, dass die „Idee“ solcher Leseräume „nicht neu“ sei.813 Ihm war folglich bewusst, dass er ein Mittel übernahm, das seine vermeintlichen Gegner vorgelebt hatten: Evangelische Konfessionen und Sekten sowie sozialistische Vereinigungen machten den Einsatz von Lesekreisen zur Erhöhung der Breitenwirkung von Frömmigkeit und Ideologie vor. Dies wie die Betonung fortschrittlichen und rationalen Handelns stand für eine deutliche Ausrichtung der orthodoxen Kirche an den Herausforderungen der Gesellschaft der Moderne: Orthodoxe Lehrtraditionen sollten mithilfe neuer Medien wie Zeitschriften und Broschüren sowie in hohen Auflagen gedruckter Bücher zum Kern bulgarischer christlicher Fortschrittlichkeit aktualisiert und umgedeutet werden. Die Rede von „ungesunden Agitatoren“ gab einen Vorgeschmack auf die Auseinandersetzungen der Zwischenkriegszeit. Gerade Geistliche benutzten zu Beginn des 20. Jh. die Verehrung der Brüder als allgemeinslavische Erinnerungsfiguren zum Entwurf von Vorstellungen von Kampf und Krieg: Der Geistliche Michail Chimitlijski stellte 1906 die Feiern zu Ehren Kyrills und Methods in der Zeitschrift „Der Verkünder der guten Nachricht (Blagověstiteľ)“ unter dem Titel „Kämpfer für die Orthodoxie und das Slaventum“ in eine Reihe mit Feiern zu Ehren von „Kriegern für das bulgarische Buch und die Sprache“. Neben der neuartigen Militarisierung des Gedenkens an die Heiligen als „slavische Riesen“ 814 durch den Geistlichen zeichnet den Text aber auch eine bisher beispiellose Sakralisierung der 812 In seinen Augen waren „christliche Wahrheit und Fortschritt und die wahrhaftige Entwicklung unseres Volkes“ zu fördern. Dies galt es „am rationalsten“ zu tun, und zwar mithilfe der Einrichtung von Lesesälen. Diese sollten „mit den populärsten religiösen und sittlichen gesellschaftlichen Büchlein (knižki) und Zeitschriften“ ausgestattet werden. Cărkoven Věstnik, 28.10.1905, Nr. 43, S. 508 f., hier S. 508. 813 Cărkoven Věstnik, 28.10.1905, Nr. 43, S. 509. 814 Er militarisierte die Beschreibung der Brüder mit einer kämpferischen Rhetorik und beschrieb die Brüder als „die ersten slavischen Riesen (velikani), die das Banner der Orthodoxie und des Slaventums hoch erhoben haben und einen gigantischen Kampf mit den Feinden dieser Orthodoxie und des Slaventums geführt haben – mit dem römischen Papst und den deutschen

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„Nationalen Wiedergeburt“ im Rahmen der Referenz auf die Brüder aus.815 Durch die Überlagerung der Rede von der „Wiedergeburt“ mit der Vorstellung der „Auferstehung“ setzte der Geistliche einen „Volksgeist“ nationaltheologisch an die Stelle Christi und imaginierte Völker als lebendige Einheiten. Als „Wiedergebärer“ nahmen die Brüder in dem Denkmodell des Geistlichen eine weitaus stärkere Position ein, als traditionellen Heiligen zukommen konnte. Die Brüder seien für „ihren Glauben und slavische Ideen“ 816 eingetreten, ja „Krieger für allgemeinslavische Ideen“ gewesen – das Engagement im Kampf um die Durchsetzung undefinierter ethnischer Interessen trat als weltlicher Handlungshorizont an die Stelle des Einsatzes für die universale christliche Mission. Für die Gegenwart hoffte Chimitlijski, die Brüder würden die Slaven zu „neuem politisch-kulturellem Leben erwecken (probužda)! Und die Feinde der Slaven sehen dieses große historische Drama und sie wagen nicht, ihre Sympathie zu zeigen, denn es entwickelt sich nicht so, wie sie es sich wünschen!“ 817 Die Wirkung der Tätigkeit der Brüder war hier gänzlich politisch-theologisch historisiert und in den Dienst eines allgemeinslavischen Nationalgefühls sowie des Krieges gestellt. Gegenüber dieser kämpferischen Bedeutungsaufladung der Brüder war die Gründung eines Ordens zu ihren Ehren, der den Sachsen-Ernestinischen Hausorden im bulgarischen Staatswappen ersetzen sollte, nach der Selbsternennung zum Zaren ein friedlicher Schritt Ferdinands auf dem Weg der nationalen und staatlichen Aneignung des symbolischen Kapitals der Erinnerungsfigur.818 Mit dem Balkankrieg gewann die Unterstützung des Kriegsdiskurses an Aktualität. Aber nicht nur bulgarisch-nationale Stellungnahmen sind zu finden: Zum Ende des ­Ersten Balkankrieges und zu Beginn des Zweiten druckte der „Kirchenbote“ zum 18. Mai 1913 einen Aufsatz erneut, den die Petersburger „Slavische Wohltätigkeits­organisation“ am 13. Mai veröffentlicht hatte und der noch weiter in der Reduktion der bulgarischen

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Prälaten!“ Sv. Sv. Kirili i Metodij – borci za pravoslavie i slavjanstvo, in: Blagověstiteľ 4 (1906) 3, S. 121 – 123, zit. gemäß Chimitlijski (1914), S. 6 – 8, hier S. 6. So beschrieb Chimitlijski die Brüder mit „heiliger Freude“ auch als „Wiedergebärer (văzroditeli) des Slaventums“: Die „volle Auferstehung des slavischen Geistes, die Wiedergeburt (văzraždane) aller slavischen Völker“ (einschließlich der katholischen) hielt er für einen kontinuierlichen, sich über ein Jahrtausend erstreckenden Vorgang. Dieser sei „durchdrungen von den Vermächtnissen der hll. Brüder Kyrill und Method, Vermächtnisse, die unserer ganzen slavischen Geschichte zugrunde liegen“: „Heute, Brüder Bulgaren, sind wir übervoll vor heiliger Freude, wir haben uns vor die leuchtenden Antlitze der heiligen Soluner Brüder gestellt, mit herzlicher Rührung mögen wir ein warmes Gebet an den Schöpfer des großen Werks erheben, das vor mehr als zehn Jahrhunderten begonnen worden war, und das noch heute nicht vollendet ist – die volle Auferstehung des slavischen Geistes, die Wiedergeburt (văzraždane) aller slavischen Völker: der Bulgaren, der Russen, der Tschechen, der Serben, der Kroaten, der Polen etc., – durchdrungen von den Vermächtnissen der heiligen Brüder Kyrill und Method, Vermächtnisse, die unserer ganzen slavischen Geschichte zugrunde liegen.“ Chimitlijski (1914), S. 6. Chimitlijski (1914), S. 7. Chimitlijski (1914), S. 8. Polyviannyi (2009), S. 118.

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Aufladung der Brüder ging: Laut dem redaktionellen Kommentar „stellt der Autor [die Brüder, S. R.] als Slaven ohne nationales Bewusstsein und [ethnischen] Namen dar“. Entscheidend war der Anspruch auf Saloniki: „Die Stadt Saloniki ist h e i l i g f ü r a l l e S l a v e n “.819 Auch diese Vereinnahmung kümmerte sich nicht um die seit 1492 bestehende jüdische Bevölkerungsmehrheit in der Stadt. Saloniki ging als Ergebnis des scheiternden bulgarischen Angriffes gegen die griechisch-serbische Allianz Bulgarien dennoch verloren und wurde Teil Griechenlands. Erst nach den Balkankriegen und im direkten Vorfeld des Ersten Weltkrieges beschrieb Bischof Neofit Velički 1914 zum Tag der „hll. slavenobulgarischen Aufklärer“ die ­Brüder im „Kirchenboten“ in einem ähnlich wie in den serbischen Texten zu beobachtenden stärker bulgarisch-national aufgeladenen Ton und wünschte sich „Kämpfer“ für die Ideale der Brüder: Wesentlich war dabei aber die Auseinandersetzung mit inneren Schwächen der bulgarischen Gesellschaft. Die beiden „Riesen (velikany)“ seien als Abkömmlinge des „bulgarischen Stammes dessen Verbindung mit den Kulturvölkern (s kulturnite narodi), dessen Beitrag zum Pantheon der aufgeklärten Menschheit“.820 Auch hier ging es darum, mithilfe der Brüder für Bulgarien maximales symbolisches Kapital zu beanspruchen. Kyrill und Method spielten in den Augen des Bischofs eine in erster Linie welt­ liche Rolle: Insgesamt sei die homogen und stabil entworfene Kultur der Bulgaren eine „kyrillomethodianische“.821 Die spätere Zeit charakterisierte der Bischof als „Sklaverei (robstvo)“ 822, für die das „Byzantinertum (vizantijštinata)“ bzw. byzantinische Herrscher, ethnisiert und diffamiert als „feige Griechen“, doppelt verantwortlich gemacht wurden, da diese „die Türken zu Hilfe gerufen“ hätten. Auch die bulgarischen Herrscher hätten aber „unzählige Gebrechen (nedăzi, auch Missstände) im staatlichen Organismus“ zu verantworten. In dieser Zeit, besonders aber unter den Osmanen, habe die Geistlichkeit die „göttliche Wache“ über die „Nationalität“ gehalten. Später, während der „Wiedergeburt“, haben Männer wie Paisij geholfen, dass „das nationale (narodnoto) Selbstbewusstsein erweckt und wiedergeboren“ werde. Bischof Sofronij von Vraca habe „mit seiner nationalen (narodna) Predigttätigkeit“ geholfen. Letztlich seien zunächst die Politiker bzw. „das gesellschaftliche Leben“ für die „Sklaverei“ verantwortlich gewesen, nicht aber die Stärke von Byzanz oder der Osmanen – genauso wie die „Wiedergeburt“ als Folge einer angeblichen sittlichen gesellschaftlichen Genesung dargestellt wurde.823 819 Cărkoven Věstnik, 18.5.1913, Nr. 34, S. 628 f. 820 Cărkoven Věstnik, 10.5.1914, Nr. 19, S. 217 – 219, hier S. 217. 821 Mit ihnen sollte die „rein-slavische bulgarische Kultur“ begonnen haben, die „reine“ bulgarische „Sitten“ hervorbrachte. Seine Begeisterung für den sich festigenden Staat („Mächtig war damals die bulgarische Kraft“) brachte er deutlich zum Ausdruck. Die weltlichen Akteure verdankten ihre Erfolge in seiner Sicht dabei den Brüdern: Das „Ideal der heiligen Brüder“ habe „die Tätigkeit der bulgarischen Zaren, Staatsleute, Erzieher und Literaten gelenkt“. Cărkoven Věstnik, 10.5.1914, Nr. 19, S. 217. 822 Cărkoven Věstnik, 10.5.1914, Nr. 19, S. 218. 823 „Die Laster und Defekte im gesellschaftlichen Leben, die dieses in die Sklaverei geführt ­hatten, existieren jetzt bereits nicht mehr. Auch das nationale (nacionalnoto) Gefühl wurde leicht

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Die „Sklaverei“ bzw. insbesondere die byzantinische, aber auch die osmanische Herrschaft erschienen in dieser Deutung immer noch gewissermaßen als göttliche Strafe für „Laster“. Das „kyrillomethodianische Ideal“ sei dann auch zu einem Ideal „der anderen slavischen Völker geworden“, die Solidarität aber bald verflogen: Mit dem Resultat des Zweiten Balkankrieges verlor Bulgarien die seit San Stefano ersehnten und kurzzeitig eroberten Gebiete. Wer war dafür verantwortlich? „Der Zar, die Staatsmänner (dăržavnicitě), Defekte (defektitě) in unserem Leben?“ 824 Der Bischof hielt den Augenblick der Krise für günstig, mithilfe Kyrills und Methods einen Führungsanspruch der Kirche in der Gesellschaft und im Staat zu beanspruchen: Er stellte die Kirche als Garantin der Existenz des Staates wie des Volkes vor – sie sichere „die national eigentümliche (narodnoto samobitno) und staatlich unabhängige Zukunft“. Die Orthodoxie sei „Fleisch und Blut“, die „Seele“ des bulgarischen Volkes, das „in ihr geboren und aufgewachsen“ sei. Nur das angeblich „rein bulgarisch“ gewordene „kyrillomethodianische Ideal“ und damit die dieses bzw. die Orthodoxie als „Pfand“ zu hüten und zu verwalten vorgebende Kirche versprach „Freiheit und Unabhängigkeit“. Der kirchliche Anspruch, in der byzantinischen Tradition der „symphonia“ Stütze des Staates zu sein, wurde zu einer Rolle als Existenzgrundlage der nationalen und staatlichen Existenz ausgeweitet. Bischof Neofit anerkannte das Parlament als politische Kraft. Er beanspruchte aber, vorgeblich legitimiert durch Kyrill und Method, für die Kirche eine leitende Funktion im Staat.825 Die Rechtfertigung für den gesellschaftlichen Führungsanspruch in der Gegenwart lag in der Vergangenheit: In der „Sklaverei“ habe nur die Kirche die „strahlende Zukunft des Volkes“ angezeigt.826 Auch in den heutigen Tagen des „Unglücks“ gäbe es „nichts Rettenderes“ als das „heilige Ideal (zavětnija ideal)“ „unserer leiblichen Riesen (rodni velikani)“. Die Erinnerung an die Brüder sollte ganz bewusst im Kampf um die öffent­ liche Meinung eingesetzt werden: Bulgarien sei heute „eine Arena des Partisanentums (na partizanstvo), lasterhafter Leidenschaften, eine Arena der Lehren, die auch im Westen als Wunschträume (blěnove) gelten“. Aber der angebliche „jahrhundertealte Wächter des bulgarischen Volkes“ – die Kirche – werde „die Stimme gegen“ diese Strömungen sowie die „Verneinung“ erheben. Der Bischof machte es zur Aufgabe der Kirche, „wahrhafte und positive Bürger“ heranzuziehen, „hingebungsvolle und patriotische Staatsleute“, „wahrhafte Kämpfer für das kyrillomethodianische Ideal“ – das „vor allem“ die „natio­ nale Vereinigung“ darstellte: Die ,Irredenta‘ Vardar-Makedonien und andere Gebiete

wiedergeboren (lesno se văzraždaše).“ Cărkoven Věstnik, 10.5.1914, Nr. 19, S. 218. 824 Cărkoven Věstnik, 10.5.1914, Nr. 19, S. 218. 825 „Außerhalb der Orthodoxie sind wir als Staat verloren.“ Die Kirche sei dabei – großzügigerweise – bereit, „den politischen Strömungen im Land zu folgen. Aber diese müssen auf das Erreichen der kyrillomethodianischen Ideale hinarbeiten.“ Cărkoven Věstnik, 10.5.1914, Nr. 19, S. 218. 826 Cărkoven Věstnik, 10.5.1914, Nr. 19, S. 219.

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galt es zurückzugewinnen.827 Der Bischof definierte die Geistlichkeit als „ergebenste Mitarbeiter des Staates“ und verlangte von diesem, sie voll zu unterstützen und nicht als „rufende Stimme in der Wüste“ zu negieren.828 Er beanspruchte damit eine zentrale politische und gesellschaftliche Bedeutung für die Orthodoxie. Von einer Trennung von Kirche und Staat sollte in seinen Augen gewiss keine Rede sein. Die hier den Brüdern zugeschriebene Bedeutung machte sie zum Kampfmittel im Wettstreit um die Loyalität und Weltanschauung der Teilnehmer an der entstehenden bulgarischen Öffentlichkeit. Die Feiern des 11. Mai wurden 1914 mit größerer Begeisterung als zuvor begangen und vermittelten auch in der Berichterstattung der liberalen Presse die Forderung nach der gänzlichen Eroberung Makedoniens: „Niemals bis heute hat die Hauptstadt Bulgariens den Feiertag der großen slavischen Aufklärer mit größerem Enthusiasmus gefeiert. In den vergangenen Jahren herrschte am 11. Mai die Verpflichtung, die Tradition vor, aber gestern kam an den Feierlichkeiten eine unerwartete und große Freude auf. Die Seele des ganzen Volkes manifestierte auf glänzende Weise ihre Sorgen und Sehnsüchte. Alle Herzen wurden von ein und denselben Gefühlen aufgewühlt und gaben ein nicht dagewesenes und unvorstellbares Abbild des nationalen (narodna) Stolzes und des unerschütterlichen Glaubens an die großen Volksideale. Alle Gesellschaften, alle Korporationen, Professoren und Militärs nahmen sehr lebhaften Anteil an der Feier. Es war ein schöner und berührender Anblick, als die Schüler der Schulen, die Junker und die Soldaten vorbeidefilierten. Sie sangen Lieder, in denen frühere und unvergessliche große Großtaten anklangen. Diese Lieder, von denen jedes Lied einen Sieg beinhaltete, bewegten die Herzen tief. (…) Den ganzen Tag über feierte gestern ganz Sofia“.829

Einem von der Universität morgens organisierten Anlass im Nationaltheater folgte am Abend eine Belustigung im Garten „Aleksandăr I.“. Wichtig war die territoriale Ausweitung der Vorstellung von den hauptstädtischen Feierlichkeiten auf die nationale ,mental map‘: „Der gestrige Tag wurde außergewöhnlich feierlich begangen in ganz Bulgarien und auch in den neuen Ländern.“ 830 Auch der „Kirchenbote“ beschwor am Ende der Beschreibung der Feierlichkeiten die nationale Einheit: Er besang „die Freiheit der Versklavten und die Vereinigung des bulgarischen Stammes“.831 Die Feier war nun ganz zur emotionalisierten nationalen Siegesfeier umgewandelt. Dem Organ der Demokratischen Partei war dies aber zu wenig: Ein Kommentar auf der ersten Seite kritisierte, dass das Nationaltheater am Abend kein „nationales Stück“ aufgeführt hatte:

827 Der unmittelbar anschließende Aufsatz über „Terror in Makedonien“, wo die angebliche Zerstörung der „Altäre und Ikonen der hll. Kyrill und Method“ beklagt wurde („Erinnert euch an die Heimat der slavischen Aufklärer und gebt ihr eure mächtige Bruderhand, denn diese siecht unter dem Joch ungeheuerlichen Terrors von ,kultivierten Eroberern‘ dahin“), gab den Kontext. Cărkoven Věstnik, 10.5.1914, Nr. 19, S. 219 f. 828 Cărkoven Věstnik, 10.5.1914, Nr. 19, S. 219. 829 Prěporec, 12.5.1914, Nr. 106, S. 3. 830 Prěporec, 12.5.1914, Nr. 106, S. 3. 831 Cărkoven Věstnik, 17.5.1914, Nr. 20, S. 238 f.

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Es mangele ihm an „nationalem Selbstbewusstsein“.832 Die vergleichsweise wichtige Tageszeitung machte damit deutlich, dass die seit 1885 vielleicht am besten besuchte Inszenierung nationaler Einheit und emotionaler Bindung möglichst massenhaft und lückenlos sein sollte. Bei einem Treffen des Exarchen mit Angehörigen der Universität machte dieser die „bulgarische universitäre Jugend“ zum ewigen „Träger des bulgarischen Glaubens und des bulgarischen Denkens“. Die „heilige und patriotische Freude“ im Gedenken an die Brüder stand im Zeichen dessen, dass das „Dritte, das heutige Reich beginnt, die Ideale zu verwirklichen, und Makedonien fast befreit“ habe. Die „Jugend bewegt sich gemeinsam mit der Kirche“. Der Kirchenfürst zeigte sich dankbar für den so beschriebenen Beitrag seiner Zuhörer zum „Fortschritt des bulgarischen Volkes“:833 Kirche, Nation, Jugend und Wissenschaft waren in seinem Entwurf die Garanten der Zukunft bzw. einer orthodoxen Modernität. Zum Gedenken an die Brüder fassten „Professoren und Studenten der Universität“ die „edle Initiative, einen Fonds einzurichten zur Errichtung eines Denkmals der hll. Kyrill und Method in der Hauptstadt“. An dem feierlich inszenierten Beschluss nahm auch der Exarch der BOK teil, der gleich eine erste bedeutende Geldspende von tausend Leva zusprach.834 Auch hier gingen Universität und Kirche vereint vor. Die Verehrung der Brüder blieb auch im Kriegsdiskurs mit den Erinnerungsfiguren der slavischen Nachbarn verbunden: Während des Ersten Weltkrieges hielt ein bulgarischer Offizier während der Begehung des Feiertages zu Ehren der beiden Brüder an der Front bei Bitola anlässlich einer militärischen Parade eine Rede zum „großen Feiertag des Bulgarischen Landes“. Der Militär verglich in seiner Rede die Brüder direkt mit Nationalheiligen anderer slavischer Nationen: „die Serben verehren den hl. Sava, die Russen – den hl. Aleksandr Nevskij, die Tschechen – den hl. Nepomuk“. Im Gegensatz zu diesen seien aber die Brüder von größerer, transnationaler Bedeutung, da sie „das ganze slavische Geschlecht aus der Dunkelheit und vor dem Untergehen (zatrivane) gerettet“ haben sollten.835 In der Zukunft würde dies von allen verstanden werden: „Dann werden alle anerkennen, dass Bulgarien in den Schatz des Slaventums am meisten eingebracht

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Prěporec, 12.5.1914, Nr. 106, S. 1. Cărkoven Věstnik, 17.5.1914, Nr. 20, S. 239. Cărkoven Věstnik, 17.5.1914, Nr. 20, S. 239. „Bulgarische Söhne! Heute ist der große Feiertag des Bulgarischen Landes (zemja). Am heutigen Tag gedenken (spomvat) bulgarische Herzen überall, wo sie sich befinden, mit Dankbarkeit der beiden Soluner Brüder Kyrill und Method, die ihrer Heimat (Rodinata) und der ganzen slavischen Welt das Licht (světlina) durch das Wort und durch das Alphabet [spendeten, S. R.]. (…) Jeder der slavischen Stämme hat seine Heiligen: die Serben verehren den hl. Sava, die Russen – den hl. Aleksandr Nevskij, die Tschechen – den hl. Nepomuk. Aber was haben diese Heiligen getan? Das weiß jedes Geschlecht (rod) von seinem Heiligen, aber kein slavischer Stamm kann sagen wie wir Bulgaren: Schaut, diese unsere Brüder haben nicht nur Bulgarien, sondern das ganze slavische Geschlecht aus der Dunkelheit und vor dem Untergehen (zatrivane) gerettet.“ Sv. Sv. Kiril i Metodi, S. 8.

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hat, – das Licht des Wortes. Gesegnet sei das Gedenken (pametăta) an die bulgarischen großen Heiligen Kyrill und Method!“ 836 Nicht nur Politiker und Geistliche sowie Offiziere, auch Philologen griffen den Kämpferdiskurs auf: Eine bulgarische Sicht der Dinge vertrat Benjo Conev in seiner in Sofia 1915 publizierten Broschüre „Ruhm Kyrill und Method!“. Der Linguist und Dekan der Historisch-Philologischen Fakultät der Kliment-Universität beantwortete die Frage nach der ethnischen Herkunft der Brüder sowie insgesamt der Heiligen der „Siebenzahl“ nicht einfach im bulgarischen Sinne, sondern gewissermaßen konstruktivistisch – sie seien wegen ihrer Verdienste als „Pfeiler der bulgarischen Kirche und Kämpfer für das bulgarische Wort“ von den Bulgaren so zu verehren, „als ob sie wirkliche Bulgaren gewesen wären“.837 Conev problematisierte damit direkt den transnationalen, gesamtslavischen Zusammenhang der Verehrung insbesondere der Brüder aus Saloniki. ­Während bisher mit dem Medium der beiden Brüder ein bulgarisches Nationalbewusstsein zumeist ausgehend vom übergreifenden Rahmen einer slavischen kollektiven Identität entworfen worden war, löste sich nun die selbstbewusstere Kon­ struktion einer bulgarischen nationalen Identität aus diesem Zusammenhang. Abgesehen von der Herkunft thematisierte Conev auch die Bezeichnung der Sprache der Brüder und bulgarisierte beide.838 Erst auf dieser Grundlage wurde sodann der allgemeinslavische Kontext thematisiert – als Grund für bulgarischen Ruhm.839 Die Feier der Brüder war primär eine bulgarische Angelegenheit, und erst sekundär, zur Unterstreichung der Bedeutung, eine gesamtslavische. Zu Beginn des 20. Jh. wurde die Bedeutung der Feier nicht mehr nur mit den Taten der Brüder begründet, sondern auch mit der Erinnerung an die Feier selbst – der Feiertag 836 Sv. Sv. Kiril i Metodi, S. 8. 837 „Ohne Rücksicht auf die Frage, ob alle diese sieben Heiligen von ihrer Herkunft Bulgaren waren, und ob alle unter Bulgaren lebten und wirkten, verehren wir sie so, als ob sie wirkliche Bulgaren gewesen wären, weil sie die ersten waren, die den Anfang für das bulgarische Buch gelegt haben, weil sie als erste das evangelische Wort auf Bulgarisch übersetzt haben und damit wahrhaftig Pfeiler der bulgarischen Kirche und Kämpfer für das bulgarische Wort wurden.“ Conev (1915), S. 3; vgl. Weber (2006), S. 172 f. 838 „In verschiedenen alten Quellen, aus denen wir Nachrichten über die Tätigkeit von Kyrill und Method schöpfen, wird ständig gesagt, dass die hll. Kyrill und Method ‚das slavische Buch‘ gelehrt haben, dass sie „die slavische Schrift“ ausgedacht hätten, aber uns lehrt man schon von klein auf, dass Kyrill und Method die bulgarische Schrift ausgedacht haben, dass sie auf Bulgarisch übersetzten etc. Was ist richtiger? Das eine und das andere ist richtig, falls ,slavisch‘ dasselbe wie ,bulgarisch‘heißt.“ Conev (1915), S. 8 f. 839 Den Schülern Kyrills und Methods sei große Ehre geschuldet, „weil unsere bulgarische ­Sprache eine solche kulturelle Rolle in der slavischen Welt spielte; dank ihres großen Werkes sind die hll. Kyrill und Method nicht nur slavische Aufklärer, sondern auch die geistigen slavischen Einiger, die Einiger durch unser heimatliches (rodno) Wort. Daher soll ihr Feiertag auch unser großer Nationalfeiertag sein; er soll der Feiertag der bulgarischen Bildung sein, der Feiertag des bulgarischen Wortes und damit gemeinsam auch das Symbol der bulgarischen nationalen (narodno) Einheit.“ Conev (1915), S. 11 f.

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wurde zum „Tag des nationalen Stolzes“ und nicht der Heiligen.840 Die Feiern wurden im Rückblick zum Bulgarisierungsmittel stilisiert, das – stärker als im damaligen Kontext – ethnisch einheitliche Städte geschaffen haben sollte. Die demographische Tatsache, dass auch nach der Ablösung des phanariotischen Klerus durch bulgarische Geistliche alle Städte der Gegend Vielvölkerstädte waren und blieben, wurde noch deutlicher ausgeklammert, als es in den 70er-Jahren denkbar gewesen war. Der idealisierende Rückblick auf die Zeiten der „Wiedergeburt“ wurde nun der Gegenwart gegenübergestellt: Die neue „Versklavung“ durch die Serben sei schlimmer als diejenige durch die Türken – und sie zeige sich insbesondere in der Verdrängung des eigenen Diskurses. Nicht ein Verbot, sich als Bulgaren (oder Makedonier?) zu bezeichnen, wurde explizit genannt, sondern die Umdefinition der Heiligen. Der bewusste Eingriff in den bisherigen Diskurs um die Brüder, der die neue staatliche Zugehörigkeit untermauern sollte, wurde in Sofia als übergreifendes Zeichen der „Versklavung“ gedeutet. Conev nahm die Darstellung der Brüder in serbischen Zeitungen sehr aufmerksam wahr: „Und wenn mit den überaus leuchtenden Namen und dem heiligen Gedächtnis der bulgarischen ersten Aufklärer Spott getrieben wird, berichten die serbischen Zeitungen darauf, dass dieses Jahr der 11. Mai am feierlichsten in ganz Alt- und Neuserbien gefeiert worden sei; ja, er wird gefeiert, aber nachdem Kyrill und Method zu Serben erklärt wurden!“ 841

Die bulgarische Beobachtung serbischer Diskurse führte im post-osmanischen Zusammenhang zu einer positiven Bewertung „türkischer“ Herrschaft: „Oh weh, es brauchte den Sieg über die Türken, um zu bemerken, wie tolerant sie uns gegenüber waren! Überall, von wo die Türken verschwanden, verschwand auch unser nationaler Feiertag; heute wird er nur in unserem freien Zarentum gefeiert und in dem kleinen Stück türkischen Landes, das noch in Europa liegt, aber in unseren christlichen und slavischen Nachbarreichen ist dieser als bulgarischer Feiertag verschwunden.“ 842

840 „Dieser erhielt bereits eine wichtige historische Bedeutung für unsere Nationalität (narodnosť). In unserer unfernen Vergangenheit, als unsere Väter den Kampf um die kirchliche Freiheit aufnahmen, war das leuchtende Antlitz von Kyrill und Method ihr stolzes Banner, und der 11. Mai war der Tag des nationalen (narodna) Stolzes, er war der Erwecker-Feiertag (praznik-buditeľ) des bulgarischen Geistes, der Spiegel-Feiertag (praznik-ogledalo) der bulgarischen nationalen Kraft: Sobald in einer Stadt des bulgarischen ethnischen Gebiets Kyrill und Method gefeiert wurden, war diese schon gewonnen für die bulgarische Nationalität; wenn nicht beim ersten Mal, dann bei der zweiten, bei der Feier verschwanden die Gräkomanen und diese Stadt wurde bulgarisch.“ Conev (1915), S. 12. 841 Conev (1915), S. 12. 842 „Heute wagen unsere Gleichstämmigen (edinorodci), die Bewohner des Landes, wo die hll. Kyrill und Method das göttliche Licht gesehen haben, wo sie aufwuchsen und als erste das Wort Gottes in die eigene (rodna) slavische Sprache übersetzten, heute wagen unsere bedauerns­ werten Brüder in Makedonien nicht einmal des Namens Bulgare zu gedenken, geschweige denn den bulgarischen Feiertag zu feiern. Ja unsere unglücklichen Brüder im noch unglücklicheren Makedonien denken nicht an Feiertage, sie schauen nur, wie sie ihren Besitz retten, ihre Ehre

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Der „Kampf“ des 19. Jh. im Zeichen der Brüder sollte nun zum Vorbild der (neuen) Versuche einer nationalen Einigung werden: „Lasst uns ein Beispiel nehmen an unseren Vätern, wie gemeinsam und einig sie den Kampf um die nationale Kirche führten, und deshalb schnell Erfolge erreichten. Die heiligen Antlitze Kyrills und Methods waren ihnen Helfer und Ermunterer in ihrem nationalen Werk. Auch jetzt mögen unsere Heiligen uns ein Symbol für die Eintracht (sgovor) sein, damit wir durch sie eine Zeit geistiger Einheit erreichen, ja jetzt (tăj i sega), geschlossen und einträchtig (edinodušno): Kirche, Schule, Heer und Bürgerlichkeit (graždanstvo), um die allnationale (vsenarodno) Einigung zu erreichen. Ruhm Kyrill und Method!“ 843

Die Brüder sollten laut dem Dekan der Universität zum Schlachtruf nicht mehr nur eines Kirchenkampfes, sondern der staatlichen Erweiterung gegen außen sowie und insbesondere der nationalen gesellschaftlichen Homogenisierung gegen innen werden. Ganz in diesem Zusammenhang ließ Zar Ferdinand nach dem Angriff der russischen Flotte auf Varna die als „Gedenkkirche“ für die während des Befreiungskampfes Gefallenen nach 1879 geplante und von 1882 bis 1913 erbaute Nevskij-Kathedrale in Sofia 1915 bzw. 1916 zu Ehren Kyrills und Methods umweihen.844 Bereits 1912 war das Gebäude mit einem großflächigen, historistischen Gemälde und mehreren weiteren Dar­stellungen der Heiligen ausgestattet worden (Abb. 19).845 1913 veröffentlichte die Zeitung „Utro“ eine bulgarisch-französische Broschüre mit zahlreichen sorgfältigen Stahldrucken der Kirche, sodass die Rezeption über die Hauptstadt hinaus verstärkt wurde (Abb. 20, 21).846 1916 sollte der Feiertag der Brüder bzw. der „Tag der bulgarischen Bildung“ in Sofia wieder voller Freude und Zuversicht begangen werden: Die „Katastrophe von 1913“,847 als mit der Niederlage im von Bulgarien begonnenen Zweiten Balkankrieg die Landschaft Makedonien bei Serbien und Griechenland blieb, war nun mit der Eroberung Make­doniens bis nach Ohrid im Rahmen des Ersten Weltkrieges überwunden. Das Gedenken an die Brüder konnte erneut zur Imagination eines geeinten Territo­riums eingesetzt werden: „Von der Donau bis zum Weißen Meer (von osm. Akdeniz für Ägäis, S. R.), und vom Schwarzen Meer bis zur Morava, zum Šar-Gebirge und nach Ohrid wird das Gedächtnis der Brüder ohne Behinderung gerühmt und gelobt, die den bulgarischen Stamm mit dem erhabenen Ideal zur Freiheit und Bildung begeistert haben.“ Das Feindbild, das bisher auf die Osmanen gerichtet war, wandte sich auch in diesem Text gegen Serben und Griechen: Die „falschen Freunde“ seien „gefährlicher als die türkische Sklaverei (robstvo)“ gewesen. Kyrill und Method wurden nun auch im „Kirchen­boten“ als grundlegende Bedingungen bulgarischer nationaler und kultureller

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und ihr Leben, denn ihre neuen Versklaver nehmen ihnen alles weg, und nehmen ihnen sogar den Namen weg.“ Conev (1915), S. 12 f. Conev (1915), S. 15. Radkova (1999), S. 12 f., S. 93; Polyviannyi (2009), S. 119. Vasiliev (1970), Abb. 83 – 85. Stavropigialen chram pametnik Sv. „Aleksandr Nevski“. Cărkoven Věstnik, 27.5.1916, Nr. 20, S. 197 f., hier S. 197.

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Existenz beschworen.848 Neu war die öffentliche Rede von „Sklaverei“ in Bezug auf das Osmanische Reich und nicht die Phanarioten. Die Feier des Kyrill-und-Method-Tages wurde zunächst für Sofia geplant, dann aber vom 8. bis 10. August in Skopje und Ohrid gefeiert.849 Ein wichtiger Schriftsteller wie Elin Pelin veröffentlichte in einer Zeitschrift des Kriegsministeriums eine Erzählung über „Die Heiligen Brüder“, in der eine Ikone erfolgreich vor dem serbischen Raub bewahrt werden konnte.850 Zusammenfassend ist festzuhalten, dass nach 1885 die Feier Kyrills und Methods in mehreren Schritten zum zentralen Feiertag der Inszenierung der „Wiedergeburt“ der bulgarischen Nation wurde: Die Brüder wurden in eine Reihe mit anderen geistlichen, aber auch weltlichen Helden gestellt. Seit der Vereinigung mit Ostrumelien blieb bei der Feier Makedonien sowohl als „unglückliche Schwester“ Bulgariens wie auch gleich­zeitig als bulgarisches Gebiet mitgedacht. Ab 1891 (und damit viel später als in Saloniki) stand auch in Sofia eine Assoziation unter dem Patronat der Brüder hinter der Organisation und Verbreitung der Feiern in Bulgarien sowie in Makedonien – ganz nach dem Vorbild der Belgrader Heilig-Sava-Gesellschaft. Als „nationaler Schulfeiertag“ festigten sich Rahmen seiner Begehung als weltlicher wie als sakraler Feier. Inhaltlich wurde er ganz zum Medium der „Wiedergeburt“ sowie der Gestaltung eines orthodoxen „Lebenswegs“ in die Moderne. Auch in der geistlichen Presse war seine Verehrung zu Beginn des 20. Jh. säkular ausgerichtet: Erst nach der Aneignung dieser Grundlage begannen Geistliche, das nationale Gedenken sakral aufzuladen und der Kirche eine neue Rolle und Legitimation im bisher laizistischen Staatswesen zuzuschreiben. Nach der um­fassenden Ausweitung ihrer weltlichen Verehrung boten sich Kyrill und Method als ein geeignetes Medium an: In der Kritik der modernen Gesellschaft sollten sie resakralisiert und wieder für den Dienst an der Kirche zurückgewonnen werden. Im Zusammenhang mit den Balkankriegen ist eine Militarisierung, aber auch eine weitere Sakralisierung der Nation in den anlässlich der Feiern verfassten Texten festzustellen. Damit bewegten sich die Diskurse ganz im europäischen Rahmen: Auch etwa für Frankreich wird bis 1914 die „Sakralisierung der Nation im Krieg“ festgestellt, wobei sich diese „von den ursprünglich christologisch-heils­geschichtlichen Erlösungsinhalten der Monarchie abgekoppelt hatte, und die religiöse Formensprache immer mehr auf den Erlösungsanspruch der Nation selbst übertragen wurde“.851 Diese Entwicklung sollte sich in Bulgarien wie in serbischen Diskursen bis 1944 intensivieren. Für die feste Etablierung der Brüder im bulgarischen Erinnerungshaushalt steht ihre marginale Erwähnung als Erfinder des „bulgarischen Alphabets“ im für das bulgarische Geschichtsbild im osmanischen Zusammenhang bedeutenden Roman mit 848 „Nur eine hohe Kultur, nur ein Volk mit großem moralischen und nationalen (nacionalno) Bewusstsein“ garantiere das Bestehen Bulgariens. Dafür stehen „die Vermächtnisse und Beispiele der heiligen Brüder“, die „das leitende Prinzip in unserem Leben sein sollen“. Cărkoven Věstnik, 27.5.1916, Nr. 20, S. 197 f. 849 Koneva (1995), S. 67; Opfer (2005), S. 111; Weber (2006), S. 199 f. 850 Weber (2006), S. 199. 851 Leonhard (2008), S. 823.

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dem bezeichnenden Titel „Unter dem Joch“ (1893) von Ivan Vazov ­während einer Schullektion.852 C 3.7  Kyrill und Method in serbischen Kontexten nach 1885

Während das Jubiläum im Jahr 1885, wie gezeigt, ein breites Echo in Belgrad und an anderen Orten Serbiens hervorgerufen hatte, verhallte dieses danach ganz weitgehend. Nur wenige Texte in Zeitungen und einige neue bildliche Darstellungen aktualisierten das Gedenken bis zur Wende ins 20. Jh.853 Allerdings gab es Ausnahmen: 1893 ver­öffentlichte der für die serbische Geschichtsschreibung entscheidend wichtige Gelehrte Stojan Novaković, der von 1873 bis zu diesem Zeitpunkt mehrfach Bildungsminister des serbischen Fürstentums gewesen war, in Belgrad sein wegweisendes Werk: „Erste Grundlagen der slavischen Literatur“. Über die Brüder schrieb er nüchtern: „Wahr ist, dass Kyrill und Method Saloniker waren; wahr wird sein, dass sie schon in der Kindheit die Sprache der makedonischen Slaven in der Nachbarschaft von Saloniki lernten.“ 854 Im Weiteren bezog Novaković noch deutlicher Stellung gegen eine bulgarische oder serbische ethnische Vereinnahmung der Brüder, indem er Method als „Griechen“ bezeichnete.855 Es war ihm selbstverständlich, für die südliche Balkanhalbinsel der Spätantike und des Mittelalters nicht von einer ethnisch einheitlichen Bevölkerung auszugehen – trotz der byzantinischen Schreiber, die von der „Slavinia“ schrieben: „Es muss nicht erwähnt sein, dass dies kein einheitlich durch Slaven bewohntes Gebiet war, sondern dass in diesem Raum zu dieser Zeit die Slaven mit den übrigen Völkern vermischt wurden (stanovali izmešani), namentlich mit Römern (s Romanima), mit Griechen, und teilweise auch mit Arbanassen.“ Zusätzlich seien sodann als weniger kultiviert gezeichnete bulgarische Herrscher vorzustellen, die über diese Gegend geboten.856 Für die Slaven südlich und südwestlich Ohrids, „die getrennt lebten von den serbischen und bulgarischen Massen im Norden und im Nordosten“,857 betonte er: „Dieses süd-westliche Gebiet war zu ­dieser

852 Sie traten dabei mithilfe einer Abbildung als lebendige Heilige in Erscheinung: „Raina streckte ihr bis zum Ellbogen nacktes Ärmchen, ohne etwas zu sagen, zur Wand und zeigte auf Kyrill und Method, die wohlwollend auf sie herabblickten.“ Zit. in der Übersetzung: Iwan Wasow. Unter dem Joch. Roman 1876, S. 87. 853 Durković-Jakšić (1986a), S. 73 – 81. 854 Novaković (1893), S. 50 f. 855 „Und obwohl Method Grieche war, kannte er die Slaven schon seit seiner Kindheit“. ­Novaković (1893), S. 99. 856 So sei „für gewöhnlich (…) der bulgarische Herrscher ein kräftiger und flinker Mensch“ ­gewesen. Novaković (1893), S. 101. 857 „All dies bezeugt, dass in der Sprache dieser Gegenden, die getrennt lebten von den serbischen und bulgarischen Massen im Norden und im Nordosten, eine bemerkenswerte Besonderheit erhalten geblieben ist: Spuren des Nasalismus.“ Novaković (1893), S. 111.

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Zeit rein slavisch, und weder serbisch noch bulgarisch“.858 Method, so hielt Nova­ ković zudem fest, hatte seine Sprachkenntnisse als „vieljähriger Gouverneur unter den epirisch-thessalischen Slaven“ verbessert.859 Damit nahm er im Rahmen seiner streng wissenschaftlichen Argumentation einen neutralen, im Ergebnis nicht nationalen Standpunkt ein: Die kyrillomethodianische Sprache führte er auf ein allgemeines Slavisch zurück, und nicht auf eine bulgarische oder serbische Variante. Seine nicht nationale, philologisch und geschichtswissenschaftlich argumentierende nüchterne Sicht auf die Vergangenheit der Region lag damals quer zum jungen, aber vorherrschenden Trend der Nationalisierung der Brüder teilweise in Serbien, insbe­sondere aber in Bulgarien und in der Landschaft Makedonien selbst. Auch im Mittelschullehrbuch der „Geschichte des serbischen Volkes“ von Ljubomir Kovačević und Ljubomir Jovanović, das 1894 in Belgrad erschien, galten die Brüder als Einwohner von Saloniki, die als solche die slavische Sprache kannten, ohne dass sie als Slaven beschrieben wurden.860 Die Autoren wurden 1894 bzw. 1905 Universitäts­professoren, Kovačević war mehrfach Bildungsminister unter dem Historiker ­Novaković,861 Ljubomir Jovanović wurde zunächst Innenminister und dann gleichfalls Bildungsminister. Immerhin fanden diese beiden Historiker nationalromantische Sätze für die Arbeit der Brüder, die in Großmähren sowie dann den „Slaven des Balkans“ als „Mittel zur Verteidigung ihres Volkslebens“ gedient haben sollte, zuerst unter den ­Kroaten sowie den Bulgaren.862 Sima Lukin Lazić hingegen stellte in seinem gleichfalls 1894 in Zagreb gedruckten Geschichtslehrbuch für Sekundarschulen Kyrill und Method als mutmaßliche Serben dar: „Sie stammten aus dem Soluner Serbien, und es scheint, sie waren serbischer Herkunft.“ 863 Dennoch betonte er im gleichen Werk, dass es das serbische Volk angesichts Savas und der übrigen serbischen Heiligen nicht nötig habe zu fragen, „ob auch die hll. Kyrill und Method Serben gewesen sind“.864 Kyrill und Method blieben aber für Serben zur Wende ins 20. Jh. gerade dann interessant, sobald sie ihre Verehrung in einem nationalen Konkurrenzverhältnis gegenüber Bulgaren wahrnahmen: Am 6. Juni 1902 berichtete der in serbokroatischer Sprache in der osmanischen Hauptstadt erscheinende „Zarenstädter Bote (Carigradski Glasnik)“, „viele unserer Volksgenossen in der Zarenstadt, Anhänger des Exarchats“ – wenn nicht Serben unter dem (einzigen) bulgarischen Exarchat, so Bulgaren – hätten nach der Berichterstattung über eine Feier des Serbischen Gymnasiums zum Gedenken an Kyrill und Method den serbischen Zeitungsmachern die Frage gestellt:

858 859 860 861 862 863 864

Novaković (1893), S. 114. Novaković (1893), S. 112. Kovačević/Jovanović (1894), S. 61. Jelavich (1990), S. 177 f. Kovačević/Jovanović (1894), S. 94, S. 96, S. 98 f. Lazić (1894), S. 42; Jelavich (1990), S. 140. Lazić (1894), S. 104.

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„Warum feiern wir [die Serben, S. R.] ihre [die der Anhänger des bulgarischen Exarchats S. R.] Leute? Denn die Serben haben ihren Aufklärer und Schulpatron, den hl. Sava, aber Kyrill und Method sind die bulgarischen Schulpatrone und Volksaufklärer; also wie kommt es, dass das ­Serbische Gymnasium heute den bulgarischen Schulpatron feiert?“

Der Kommentator mit dem Kürzel „H.“ erklärte hierzu auf der gleichen Seite: „Vor allem kann kein einziges slavisches Volk mit Recht Kyrill und Method als seine Volks­genossen erklären, aus dem einfachsten Grund, dass es sehr unsicher ist, ob sie überhaupt Slaven gewesen sind. Ohne den zweifelhaften Wert dessen in Betracht zu ziehen, was bulgarische und gewisse serbische Schreiber darüber geschrieben haben, muss man sagen, dass es nirgends klare Nachrichten über ihre Nationalität gibt; sondern, gemäß dem Denken der meisten Schreiber, slavischer und nicht slavischer, (…) waren sie Griechen“.

Und selbst wenn sie Slaven gewesen sein mögen, „so war es doch nicht so, wie es unsere Gegner wünschen, denn zu dieser Zeit waren noch nicht einige Slaven und die alten Bulgaren in eine Einheit der Sprache und des Typs verschmolzen: Die heiligen Brüder können daher keinesfalls Bulgaren gewesen sein“. Die diskursive Situation rief eine übergreifende transnationale Überlegung hervor: „Es ist eine andere Frage, weshalb wir, abgesondert, den hl. Sava verehren, aber die Bulgaren Kyrill und Method.“ Die Letzteren hätten „für die Kirche“ gehandelt, „aber der hl. Sava hat später „sowohl aus Liebe zur Kirche, als auch zu seinem Volk“ gearbeitet. Tatsächlich „hat er der K ­ irche einen nationalen (narodni) Typ verliehen. Dagegen haben die Bulgaren keinen hl. Sava: Der, der ihnen hätte sein können, was uns der hl. Sava war, Patriarch Jeftimije, wurde zu spät geboren“. Deshalb haben sie „mangels eines reinen eigenen Volksaufklärers nur die allgemeinen slavischen Apostel verehrt, und damit sie selbst befriedigt waren, haben sie die Geschichte verdreht. Wir aber müssen uns nicht winden; und was zu unserem Nutzen ist, daran sind wir nicht schuld.“ Aus dem Vergleich des Wirkens der Brüder mit dem Savas folgerte er, „daher werden die serbischen Schulen auch weiterhin ihren Patron den hl. Sava feiern und die gemeinschaftlichen slavischen Apostel Kyrill und Method“.865 Ausgehend von der Wahrnehmung der sozialen Praxis der gemeinsamen Feier des Gedenkens an die Brüder entfaltete sich damit in der Diaspora in der imperialen Hauptstadt eine Abgrenzung in der transnationalen Konkurrenz mit bulgarischen Deutungen der Brüder. Zudem überlagerte sich das Gedenken an Kyrill und Method mit dem an Sava. Der Text zeigt, wie wegen eines Zeitungsartikels kurzfristig eine gesellschaft­ liche und öffentliche Debatte über die Frage der Medialisierung der nationalen Identität mithilfe religiöser Erinnerungsfiguren bei Serben und Bulgaren entstand. Auch in den folgenden Jahren beobachteten Vertreter der serbischen Sache bulgarische Feiern zu Ehren Kyrills und Methods aufmerksam und wurden in diesem Vorgang zu analogen Schritten angespornt. Entscheidend wurde dabei die Verknüpfung mit der damals serbisch umgedeuteten ,mental map‘ Makedonien: So schrieb Milojko

865 Carigradski Glasnik, 6.6.1902, Nr. 23, S. 1.

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­ eselinović 1908 in der ersten Fußnote seiner Abhandlung über die Verehrung des hl. V Sava als Schulpatron der Serben – gerade auch in den zu „klassischen Gebieten“ und damit quasi antiken Bestandteilen eines serbischen Staates stilisierten Räumen „Alt­ serbien und Makedonien“:866 „Die Bulgaren feiern heute und in der neuesten Zeit in ihren Schulen die allgemeinslavischen ­Apostel Kyrill und Method am 11. Mai jeden Jahres. Mit dieser Feier hat die Bulgaren eine gewisse politische Manie erfasst, und durch sie getäuscht denken sie, dass eben Kyrill und Method die Bulgaren im Jahr 864 getauft und die Heilige Schrift aus dem Griechischen in die ,altbulgarische Sprache‘ übersetzt hätten, und deswegen sowie auch zur Ermunterung ihrer Jugend im nationalen Geist (u nacionalnom duhu) feiern sie diese in ihren Schulen. Indessen ist all dies eine gewisse politische Täuschung (obmana) unter den Bulgaren: Weder haben die slavischen Apostel Kyrill und Method die Bulgaren getauft, noch haben sie die Heilige Schrift aus dem Griechischen ins ,Altbulgarische‘ übersetzt, sondern griechische Priester (popovi) haben die Bulgaren getauft, gesandt aus der Zarenstadt. Diese falsche Hypothese zur bulgarischen Geschichte haben gelehrte Slavisten schon lange bekämpft.“

Veselinović verwies dazu auf das bereits erwähnte, 1885 und erneut 1890 in der serbischen Presse publizierte Werk des kroatischen Slavisten Vatroslav Jagić.867 Vielmehr hätten „die Soluner Brüder und slavischen Apostel Kyrill und Method die kirchlichen Bücher aus der griechischen in die slavische Sprache übersetzt, die heute in der Literatur altslavisch genannt wird, (…) Aber erst später, zu Beginn des 10. Jh., durch die Arbeit und die Bemühungen der Schüler Kyrills und Methods, der heiligen Kliment und Naum, begann sich diese slavische Sprache am Ohrider See unter den Slaven, Serben und auch unter den Bulgaren zu verbreiten. Letztlich ist es gut, dass die Bulgaren die slavischen Apostel in den Schulen feiern, aber es ist nicht gescheit, wenn sie damit eine wunderliche eigene Politik betreiben.“ 868

Das Beispiel dieser Fußnote, die die Verehrung Savas kontextualisierte, belegt eine aufmerksame transnationale Öffentlichkeit im überregionalen Wettkampf des Einsatzes religiöser Erinnerungsfiguren zum Aufbau nationaler Projekte. Ganz in diesen Verflechtungszusammenhang von (Gegen)Strategien der An­eignung der Brüder zu nationalen Zwecken wurde der 11. Mai nach den Balkankriegen in ­Serbien als Tag der hll. Kyrill und Method zum staatlichen Feiertag erklärt. Von 1914 an sollte er in allen Kirchen und Schulen Serbiens feierlich begangen werden.869 Die Aktion wurde in Sofia wahrgenommen und abgelehnt. Sie blieb aber in Serbien wenig nachhaltig.870 Dennoch ist zu Beginn des Ersten Weltkrieges insbesondere für die Ge­staltung einer räumlichen Vorstellung eines serbischen Makedonien eine Intensivierung einer

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Veselinović (1908), S. 66. Veselinović (1908), S. 22; Jagić (1890). Veselinović (1908), S. 22 f. Mit Quellenverweisen: Durković-Jakšić (1986a), S. 85. Weber (2006), S. 198.

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Die Erfindung der Nationen

serbisch-nationalen Aneignung Kyrills und Methods zu beobachten: 1913 schrieb M. Bašić, offenbar der Belgrader Gymnasiallehrer und Publizist Milivoje Bašić, im für ein breites Publikum veröffentlichten Kalender für 1914 („Auferstehung“) von ihnen als „serbisch-slavische Apostel“. Als Voraussetzung zu dieser serbischen Deutung legte der Autor zunächst dar, dass „Slaven und Serben zwei Namen für ein und dasselbe Volk sind“.871 Im gleichen Atemzug erklärte er für „unser Volk in Makedonien“: „Dies sind und waren nur Serben“.872 Die Erinnerung an die beiden so zu Serben erklärten Heiligen gab Anlass, mithilfe weiterer religiöser Erinnerungsorte wie Klöster ein weit gefasstes Gebiet Makedonien zur „Wiege des alten serbischen Ruhmes“ werden zu ­lassen.873 Aber auch Bašić beließ die Verehrung der Brüder bis zu einem gewissen Grad in einem transnationalen Rahmen, indem er erklärte, „dass die hll. Kyrill und Method in erster Linie serbische Apostel waren, und dann auch slavische, im weiteren Sinne“.874 Auf dieser Grundlage ging Bašić unmittelbar gegen Vereinnahmungen der Brüder durch bulgarische Wissenschaftler vor: „Keineswegs aber können sie ,bulgarische Apostel‘ gewesen sein, wie sie die bulgarischen Räuber (otimači) nennen, denen es im Blut liegt, Fremde zu berauben, und denen es mit Geld gelungen ist, für diesen Trend (smer) einige sogenannte Wissenschafter zu gewinnen. Ist es richtig, diesen Leuten den tatarischen Namen ,Bulgaren‘ zu geben, nur weil sie das Wort Gottes in serbischer Sprache dem serbischen Volk gepredigt haben, das zu dieser Zeit im Osten und Süden die Bulgaren beherrschte, die zu dieser Zeit noch ihre eigene tatarische Sprache gesprochen haben, die dem Volk unverständlich war, die sich zu dieser Zeit als Eroberer noch nicht mit dem Volk vermischt hatten (…)?“ 875

Die im Weiteren als „Serben“ bezeichneten Kyrill und Method hatten angeblich „über 200 Schüler“. Mithilfe eines übergreifenden, Kroaten und Slowenen ausdrücklich einschließend eingesetzten Verständnisses des Ethnonyms „Serben“ und des Verweises auf das Wirken der Heiligen zeichnete der Verfasser die Grundlegung einer angeb­lichen südslavischen Einheitskultur im „südlichen Serbien, um Ohrid und den Prespasee“ nach.876 Was Novaković neutral, weder proserbisch noch probulgarisch, formuliert hatte, stand nun unter polemischen und expansiven, serbischen Vorzeichen. Das ganz tagespolitische Ziel der Argumentation und der Verknüpfung des Gedenkens an die Brüder mit 871 Als Beleg dienten ihm die Lausitzer Sorben. Bašić (1913), S. 52. 872 Bašić (1913), S. 53. 873 „Wo ist die Wiege des alten serbischen Ruhmes, wo sind die Klöster und anderen Denk­mäler wenn nicht im Vardartal und im Drinatal (u Podrimlju), Gebiete, die kurz als Makedonien bezeichnet werden.“ Bašić (1913), S. 54. 874 Bašić (1913), S. 54. 875 Bašić (1913), S. 55. 876 Die Schüler der Brüder verteilten sich mit Bašić „auf der Balkanhalbinsel, unter den Serben, Kroaten und Slowenen, und dies waren drei Namen für ein und dasselbe serbische Volk. Die meisten von ihnen sind in das südliche Serbien gegangen, um Ohrid und den Prespasee.“ Bašić (1913), S. 59.

Die Wiederentdeckung Kyrills und Methods

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dem Dušans des Starken war es, nachträglich den „Sieg der serbischen Waffen“ kriegs­ theologisch zu legitimieren und ihn zu vervollständigen: Erst auch mit der vollständigen Vereinnahmung der Brüder als „Aufklärer des serbischen Volkes“ sollte die bisherige bulgarische Deutungshoheit über den Raum historisch getilgt und wirklich ersetzt sein. Zu diesem Zweck bemühte Bašić sogar die traditionelle religiöse Vorstellung des jenseitigen Lebens der Heiligen, die sich im Himmel über den Sieg freuen sollten.877 Diese in Belgrad entworfene Sicht auf ein serbisches Makedonien und auf Kyrill und Method fand ohne große zeitliche Verzögerung eine Vervielfältigung vor Ort: M. Đ. Miladinović beschrieb die beiden Heiligen in einer Ansprache anlässlich ihres Gedenktages 1914 im „Königlich-Serbischen Gymnasium in Bitoľ“, an dem er offenbar lehrte, in einem serbischen Kontext. Er nahm dabei jedoch eine weniger radikale Haltung ein. Zwar stellte auch er eine Verbindung der beiden mit dem serbischen Volk ins Zentrum seiner Rede: „Um die Festigung des christlichen Glaubens im serbischen Volk haben sich die beiden slavischen Apostel Kyrill und Method die größten Verdienste erworben“.878 Er sprach aber allgemein von den Slaven und Südslaven, ohne die Gleichsetzung von ­Slaven mit Serben einzufordern: „Der heutige Tag ist ein allgemeiner Feiertag aller Slaven, aber insbesondere der Südslaven.“ 879 Immerhin beanspruchte er für die „Bedeutung“ der Arbeit der Heiligen für die Serben den „ersten Rang“.880 Diese „Bedeutung“ projizierte er auf das riesige Gebiet des Reiches Stefan Dušans von der Adria bis zur Ägäis, dessen damalige und heutige Bevölkerung in seiner Darstellung in erster Linie aus Serben zu bestehen schien.881 Die Erinnerung an die Heiligen gab dem Redner den 877 „Nur die tatarischen und räuberischen (razbojnici) Bulgaren konnten in ihrer geistigen und moralischen Blindheit die heiligen Apostel Bulgaren nennen und mit ihren gottlosen Händlern nach unserem Volk in Makedonien greifen. Aber Gott und dem Bewusstsein des serbischen Volkes sei dank, welche die diabolische Intrige vernichtet haben, so dass dem serbischen Volk in Makedonien die Sonne der Freiheit in ihrem ganzen Glanz erscheint. In der Kirche des hl. Naum, des Schülers der hll. Kyrill und Method, und den übrigen Kirchen aus der Zeit dieser heiligen Arbeit, erhebt sich heute das Danklied dem Allmächtigen für den Sieg der serbischen Waffen, und die unsterblichen Geister der serbischen Apostel freuen sich dort im Himmel, dass ihre großmütige Arbeit in ihrem Vaterland fortgesetzt wird mit dem selben Eifer und Schwung, mit dem auch zur Zeit des Nemanjić und des Zaren Dušan des Starken gearbeitet wurde, was diese starken Klöster und Kirchen in Makedonien bezeugen. Ruhm den heiligen Aposteln Kyrill und Method, den Aufklärern des serbischen Volkes!“ Bašić (1913), S. 63. 878 Miladinović (1914), S. 3. 879 Miladinović (1914), S. 3. 880 „Diese slavischen Apostel haben durch ihre Arbeit und die Arbeit ihrer Schüler allgemeine Bedeutung nicht nur für alle slavischen Völker erlangt, sondern auch besondere Bedeutung für gewisse unter ihnen, worunter sich das serbische Volk auf dem ersten Rang befindet.“ ­Miladinović (1914), S. 3. 881 „Namentlich ist ihre Arbeit wichtig und bedeutend für jenen Teil des serbischen Volkes, der heute ein freies Leben im einstigen serbischen Reich führt, dessen Grenzen der mächtige, starke und gerühmte Zar Dušan von den Flüssen Save und Donau von Norden bis zum Weißen Meer im Osten und zur Adria im Westen ausweitete.“ Miladinović (1914), S. 3 f.

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Rahmen für die Referenz auf das gesamte Gebiet dieses ephemeren Reiches – und damit die Gelegenheit, einen serbischen Anspruch auch auf „die Gegend des schönen serbischen Ohrid“ zu legitimieren. Die Eingliederung dieses Raumes in eine serbische Geschichte des Wirkens Kyrills und Methods zog sich durch die gesamte Rede.882 Der Aktualitätsbezug des Gedenkens wurde aber nicht nur indirekt, sondern ausdrücklich reflektiert.883 Trotz der ethnisch serbischen Definition der Stadt Ohrid und des Gebiets sah ­Miladinović von einer ethnischen Zuordnung der beiden Brüder ab. Dennoch bemühte sich der ­Redner, im Leben der Heiligen weltliche, patriotische Tugenden zu erkennen. Ihre Tätigkeit habe Ohrid zum „Mittelpunkt der serbischen Aufklärung und Kultur gemacht“.884 Jeder bulgarische Zusammenhang mit der Gegend blieb verschwiegen. Gorazd, Sava und Naum, nicht aber Kliment wurden genannt.885 Die Folie des kurzlebigen Reichs Dušans überdeckte und umfasste den gesamten Zeitraum von der slavischen Landnahme bis in die Gegenwart. Trotz der starken nationalen Vereinnahmung und Verweltlichung des Gedenkens an die beiden Brüder blieb der kirchliche Aspekt ihres Handelns, ihre „gewaltigen Verdienste um den christlichen Glauben“, mithin zentral. Es waren aber ihre Verdienste um die Bildung, die ihnen besondere Bedeutung gaben: „Wegen ihrer Arbeit für die Literatur und serbische Aufklärung feiern die Schulen ihre Heiligen an diesem Tag und arbeiten nicht“. Im Gedenken wurden sie auf ihre Namen reduziert und an sie nicht als im Jenseits lebendige Personen erinnert: „Ihr Name wird ewig leben im dankbaren serbischen Volk, das ihrer ewig mit Verehrung gedenken wird.“ 886 Im Gedenken in den Schulen konnte das serbische Gebiet – inklusive der „unlängst befreiten“ – als Einheit imaginiert und beschrieben werden.887 Zu den Gebieten des 882 So gründeten die Schüler der beiden Brüder „Schulen in der Gegend des schönen serbischen Ohrid“. Miladinović (1914), S. 7. 883 „Für uns hier, die in diesen unlängst befreiten Gebieten leben, ist der heutige Feiertag von besonderem Wert, denn wir haben darauf gewartet, in Freiheit das Gedenken an die goldenen Namen der heiligen Apostel Kyrill und Method (…) zu begehen“. Miladinović (1914), S. 8. 884 „Aus dem Leben und der Arbeit dieser großen christlichen Streiter (pobornika) und slavischen Apostel können wir auch heute viel lernen, insbesondere: Wahrheitsliebe, Volksliebe (rodoljublju), und Vaterlandsliebe (otačastvoljublju).“ So habe auch die „grobe Kraft der deutschen Geistlichkeit und der deutschen Machthaber (vlasti), dieser ewigen Feinde der Slaven“, sie nicht von ihrem Vorhaben der Verbreitung der slavischen Liturgiesprache abbringen können. Die Serben erschienen ihrerseits als Vaterlandsliebende, zumal der Redner sie als großzügige Gewährer der Zuflucht für die Schüler der Brüder auftreten ließ: „Als sie um unser Ohrid ihre Schule begründeten, da hat sie hier niemand behelligt oder sie bei ihrer wohltätigen und umfangreichen Arbeit gestört, und diese haben Ohrid zum Brennpunkt der serbischen Aufklärung und Kultur gemacht“. Miladinović (1914), S. 8. 885 Miladinović (1914), S. 6. 886 Miladinović (1914), S. 9. 887 „An diesem Tag wird in allen Schulen der alten Gebiete unseres erweiterten Vaterlandes aller aufklärerischer Wohltäter gedacht, die mit ihren Beiträgen und Legaten der Schularmut geholfen haben und die Einschulung armer Schüler erleichtert haben. Im schönen Belgrad, der Hauptstadt

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Vaterlands wurden in diesem Text kommentarlos auch Kroatien und Dalmatien gezählt, wobei die Verehrung der Heiligen auch durch die katholische Kirche zuvor erklärt worden war. Konfessionsethnische Grenzen zwischen Slaven verschwammen hier in einem südslavischen, serbisch definierten Erinnerungsraum, der sich ausdrücklich nur gegen Italiener abgrenzte: Römisch-katholische Feiern zu Ehren der Brüder durch Südslaven konnten so – wurden sie denn abgehalten – miteinbezogen bleiben. Übergreifend ist sowohl für den bulgarischen als auch für den serbischen Kontext eine Verringerung von übernationalen Argumentationsmustern bei der Verehrung hin zur nationalen Aneignung der Brüder festzustellen. Dagegen schwächten sich serbische Indienstnahmen der Brüder ab, obschon ihr Feiertag 1913 im Rahmen der Balkankriege zum Staatsfeiertag erhoben wurde. Der Belgrader Slavist und führende Politiker Stojan Novaković war wohl der prominenteste Wissenschaftler, der Kyrill und Method in einen explizit weder serbisch noch bulgarischen Zusammenhang stellte und sich ihrer Natio­ nalisierung bewusst mit dem Verweis auf eine transnational gedeutete Vergangenheit entgegenstellte. Gleichzeitig war er allerdings in seiner Funktion als Bildungsminister Serbiens sehr gezielt an der Propagierung nationaler Geschichtsbilder und Mythen auch unter den Serben außerhalb des Fürstentums beteiligt.888 C 4  Geistliche als Nationalheilige: vom Erzbischof und ,Ohrider Babalăk‘ zum ,Erlöser des Slaventums‘ und ,Schmied der bulgarischen Nationalität‘ – Kliment in Ohrid und Bulgarien C 4.1  Neue Anfänge: von Paisij über Ohrid nach Sofia

Paisij nannte 1762 Kliment unter den „bulgarischen Heiligen“: „Der neunte ist der heilige Kliment, Erzbischof von Ochrid, ein großer Wundertäter. Bis heute noch ruhen seine Reliquien heil und ganz in Ochrid.“ 889 Kliments Bedeutung für Paisij bezeugt, dass er sein Amt als Erzbischof und die sich um ihn entwickelnde slavische Gelehrsamkeit bewusst in der falschen zeitlichen Reihenfolge vor die mährische Mission Kyrills und

des erweiterten Königreichs Serbien, feiert die Gesellschaft ,König aus Dečani (Dečanski)‘ für taubstumme Kinder die ,hll. Kyrill und Method‘ als ihre Patronatsfeier (kao svoju slavu). Im wunderbaren kroatischen Land besteht eine ,Kyrill-und-Method‘-Kulturgesellschaft, die den heutigen Tag ebenfalls feierlich begeht und Geldbeiträge für Waisenkinder sammelt. Auch im felsigen Dalmatien werden am heutigen Tag die Werke der großen slavischen Apostel Kyrill und Method verehrt, und Beiträge zur Eröffnung von Volksschulen gesammelt und für den kulturellen Kampf, den dort dieser Teil des serbischen Volkes gegen italienische Schulen und italienische Propaganda führt.“ Miladinović (1914), S. 9 f. 888 Höpken (2006), S. 355. 889 Paisij Chilendarski. Istorija Slavenobolgarskaja. Nikiforov prepis ot 1772 g., S. 146. Zit. in der Übersetzung: Païssi von Chilandar. Slavobulgarische Geschichte, S. 87.

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Vaterlands wurden in diesem Text kommentarlos auch Kroatien und Dalmatien gezählt, wobei die Verehrung der Heiligen auch durch die katholische Kirche zuvor erklärt worden war. Konfessionsethnische Grenzen zwischen Slaven verschwammen hier in einem südslavischen, serbisch definierten Erinnerungsraum, der sich ausdrücklich nur gegen Italiener abgrenzte: Römisch-katholische Feiern zu Ehren der Brüder durch Südslaven konnten so – wurden sie denn abgehalten – miteinbezogen bleiben. Übergreifend ist sowohl für den bulgarischen als auch für den serbischen Kontext eine Verringerung von übernationalen Argumentationsmustern bei der Verehrung hin zur nationalen Aneignung der Brüder festzustellen. Dagegen schwächten sich serbische Indienstnahmen der Brüder ab, obschon ihr Feiertag 1913 im Rahmen der Balkankriege zum Staatsfeiertag erhoben wurde. Der Belgrader Slavist und führende Politiker Stojan Novaković war wohl der prominenteste Wissenschaftler, der Kyrill und Method in einen explizit weder serbisch noch bulgarischen Zusammenhang stellte und sich ihrer Natio­ nalisierung bewusst mit dem Verweis auf eine transnational gedeutete Vergangenheit entgegenstellte. Gleichzeitig war er allerdings in seiner Funktion als Bildungsminister Serbiens sehr gezielt an der Propagierung nationaler Geschichtsbilder und Mythen auch unter den Serben außerhalb des Fürstentums beteiligt.888 C 4  Geistliche als Nationalheilige: vom Erzbischof und ,Ohrider Babalăk‘ zum ,Erlöser des Slaventums‘ und ,Schmied der bulgarischen Nationalität‘ – Kliment in Ohrid und Bulgarien C 4.1  Neue Anfänge: von Paisij über Ohrid nach Sofia

Paisij nannte 1762 Kliment unter den „bulgarischen Heiligen“: „Der neunte ist der heilige Kliment, Erzbischof von Ochrid, ein großer Wundertäter. Bis heute noch ruhen seine Reliquien heil und ganz in Ochrid.“ 889 Kliments Bedeutung für Paisij bezeugt, dass er sein Amt als Erzbischof und die sich um ihn entwickelnde slavische Gelehrsamkeit bewusst in der falschen zeitlichen Reihenfolge vor die mährische Mission Kyrills und

des erweiterten Königreichs Serbien, feiert die Gesellschaft ,König aus Dečani (Dečanski)‘ für taubstumme Kinder die ,hll. Kyrill und Method‘ als ihre Patronatsfeier (kao svoju slavu). Im wunderbaren kroatischen Land besteht eine ,Kyrill-und-Method‘-Kulturgesellschaft, die den heutigen Tag ebenfalls feierlich begeht und Geldbeiträge für Waisenkinder sammelt. Auch im felsigen Dalmatien werden am heutigen Tag die Werke der großen slavischen Apostel Kyrill und Method verehrt, und Beiträge zur Eröffnung von Volksschulen gesammelt und für den kulturellen Kampf, den dort dieser Teil des serbischen Volkes gegen italienische Schulen und italienische Propaganda führt.“ Miladinović (1914), S. 9 f. 888 Höpken (2006), S. 355. 889 Paisij Chilendarski. Istorija Slavenobolgarskaja. Nikiforov prepis ot 1772 g., S. 146. Zit. in der Übersetzung: Païssi von Chilandar. Slavobulgarische Geschichte, S. 87.

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Methods stellte. Pasisij legte besonderen Wert darauf, dass Kliment und seine Mit­streiter ihre Bücher zuerst den Bulgaren zur Verfügung stellten: „[U]nd sie übergaben sie zunächst den Bulgaren; und sie wurden die bulgarischen Bücher genannt, so wie sie die Griechen es noch bis heute wissen. Alles Volk und die vier Patriarchen, Jerusalem, der Sinai, der Heilige Berg [Athos, S. R.] – sie alle sprechen vom bulgarischen oder wolgarischen Buch, nicht aber vom serbischen oder slawischen.“ 890

Kliment, nicht Kyrill und Method, war der eigentliche Held Paisijs. Seine personale Umgruppierung und national angelegte Aktualisierung des bestehenden Diskurses fand aber weder ein direktes Echo, noch konnte sich Kliment als ein die Brüder aus Saloniki an Bedeutung überragender Nationalheiliger behaupten. Erst zur Mitte des 19. Jh. ist eine die traditionelle Verehrung verändernde Wieder­ belebung der Erinnerung an Kliment zu beobachten: Der sowohl von Bulgaren als auch Makedonen heute für die jeweilige Nationalbewegung beanspruchte, im nordgriechischen Ioannina sowie im Naum-Kloster ausgebildete Dichter und Herausgeber Dimităr Miladinov lehrte in Struga, Ohrid, Kilkis sowie in Prilep und führte dort den Unterricht der entstehenden, von lokalen Dialekten ausgehenden neubulgarischen Schriftsprache ein. Sein Umfeld war aber anfangs nicht zuletzt ein Griechisches: Am 25. Februar 1846 forderte er in einem auf Griechisch in Ohrid verfassten Brief den russischen Slavisten Viktor Grigorovič in Wien auf, die Suche nach den Reliquien Kliments voranzubringen. Dabei war für ihn nicht in erster Linie deren Wunderwirkung wichtig: Es ging ­Miladinov um den „Nutzen“ seiner kurz zuvor in Ohrid eröffneten Schule.891 Die Neugründung von Schulen ging ersten Anzeichen von neuen Formen kollektiver Identität sowie der erneuerten, wenngleich weiterhin vorwiegend traditionellen Verehrung Kliments voran: Bewohner der Stadt Struga unterzeichneten am 25. November 1859 als „Bulgaren“ („wir, die ergeben unten unterschreibenden Bulgaren, Bewohner von Struga in der Gegend von Ohrid“) einen Brief, um dem Bischof der bulgarischen Gemeinde in Konstantinopel und Kämpfer für eine bulgarische kirchliche Hierarchie Ilarion Makariopolski für liturgische Gewänder zu danken, die Russland zur Verfügung gestellt hatte. Das dabei beschriebene Gedenken an Kliment, „der gemeinsam mit dem seligen (prepodobnago) Naum den allgemeinslavischen Wohltätern Kyrill und Method folgte“, war ganz im traditionellen religiösen Rahmen belassen und wurde mit dem

890 Paisij Chilendarski. Istorija Slavenobolgarskaja. Nikiforov prepis ot 1772 g., S. 135 f. Zit. in der Übersetzung: Païssi von Chilandar. Slavobulgarische Geschichte, S. 79. 891 „Sehr schön und wünschenswert wäre es, wenn durch deine Mitwirkung von der Regierung die Gebeine des hl. Kliment von Ohrid gefunden werden, die durch die große Kirche Christi bezeugt sind, wie du dich mit deinen eigenen Augen überzeugen wirst, und auf deine Initiative wirst du sie suchen. Und die Schritte vor den hiesigen Behörden wegen der genannten heiligen Reliquien werden überdies dazu beitragen, dass Euch Lobpreisungen gegeben werden, und unserer neu eröffneten Schule wird es zum Nutzen gereichen.“ Bratja Miladinovi. Prepiska, S. 15.

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anderer Heiliger verbunden.892 Die traditionelle religiöse Verehrung Kliments wurde auch in Ohrid zur Gelegenheit, mit neuartigem Selbstbewusstsein als Gruppe von Bulgaren aufzutreten. Der erneuerte Diskurs über den Heiligen stand im engen Zusammenhang mit der Herausbildung einer „neubulgarischen“ Literatursprache sowie deren Unterrichtung in neuen Schulen: Einen Monat später, am 25. Dezember 1859, bedankten sich die Vorsteher des Klosters des hl. Naum in Ohrid in einem durch Dimităr Miladinov gleichfalls in griechischer Sprache aufgesetzten Brief bei Ivan Denkoglu in Leipzig für ein dem Kloster geschenktes, goldbesticktes liturgisches Gewand. Der Brief berichtete über einen Gottesdienst zu Ehren Kliments und gab gleichfalls traditionelle Frömmigkeit sowie den Stolz auf den neuen bulgarischen Sprachunterricht wieder. Auch hier überlagerte sich die religiöse Verehrung Kliments und Naums, Kyrills und Methods mit neuen nationalen, schulischen Anliegen: Mehrere „slavische Heilige“ wurden als Gruppe auf Bulgarisch um Fürbitte gebeten, um „muttersprachliche“ pädagogische Ziele zu erreichen.893 Mithin stand aber eine übergreifende slavische Identität im Zentrum des Interesses und nicht nur eine bulgarische. Abgesehen von Redaktionen des Kirchenslavischen sowie des Griechischen sollte von nun an die entstehende moderne neubulgarische Literatursprache als das selbstverständliche, weitgehend formalisierte schriftsprachliche Medium dienen. Gleichzeitig konnte aber eine davon abweichende,

892 „Gebe Gott! Mit Gebeten des hl. Kliment feiern wir heute am 25. Tag des Monats November [den hl. Kliment, S. R.], der gemeinsam mit dem seligen (prepodobnago) Naum den allgemeinslavischen Wohltätern Kyrill und Method folgte! Und diesen heutigen heiligklimentischen Feiertag begingen wir feierlich mit einem slavischen heiligen Gottesdienst, die Geistlichen in den erbetenen Gewändern, und wir küssten ehrerbietig das Evangelium mit der ewigen Ehre der Heptarythmen (sa slava ot eptaritmi večna) und heimlich haben wir im heiligen Geheimnis (i tajno vo svjatij tajnost) der ruhmreichen Namen unserer landsmännischen (sorodnicite) bulgarischen Wohltäter gedacht. Sei der Name des Herrn gesegnet heute und in alle Ewigkeit.“ Archiv vnešnej politiki Rossii, f. Slavjanskij stol, 1860, d. 3915, l. 3 – 3ob., Original auf Bulgarisch, zit. und übersetzt gemäß Makedonija. Sbornik ot dokumenti, Nr. II 29, S. 162 f. 893 Eines der wichtigsten Ziele der Vorsteher war es dabei, ihre Kinder zum Schulgang zu motivieren: „Nach Eurem Geschenk und Geschenken weiterer landsmännischer Geber, die Wohltaten für den ganzen slavischen Stamm bewirken, haben wir durch Carigrad Gewänder, geistliche und kirchliche, sowie slavische Bücher erhalten, mit denen am vergangenen 25. November, als das heilige Gedächtnis des hl. Kliment begangen wurde, ein glänzender feierlicher Gottesdienst in der Metropolitankirche abgehalten wurde.“ Dabei „wurde der gerühmten Namen der slavischen Wohltäter gedacht, und einer der Geistlichen sprach an diesem Gottesdienst eine passende kurze Ansprache in bulgarischer Sprache. Damit sich die guten Hoffnungen durch die Fürbitte (zastăpničestvoto) der slavischen Heiligen Kliment, Naum, Kyrill und Method besser erfüllen, haben wir auch einen Lehrer in der uns angeborenen Muttersprache angestellt, damit er das Bulgarischlesen und Schönschreiben unterrichtet und unsere eigenen (rodni) Kinder wie Lämmer in die Schule gehen, um die Muttermilch zu saugen.“ Bratja Miladinovi. Prepiska, Sofija 1964, S. 104 – 106, Original auf Griechisch, zit. und übersetzt gemäß der bulgarischen Übersetzung in: Makedonija. Sbornik ot dokumenti, Nr. II 32, S. 163 f.; Trajanovski (1989), S. 374.

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nicht hochsprachlich als Literatursprache fixierte makedonische Sprache als „unsere Sprache“ oder „unser Dialekt“ beschrieben werden: Mit diesem sollten „die anderen Bulgaren“ bekannt gemacht werden, wie Briefe des in Moskau ausgebildeten Slavisten und Publizisten Konstantin Miladinov, Dimitărs Bruder, aus dem Jahr 1859 zeigen.894 In einem weiteren Schritt fanden die Verehrung Kliments sowie die Festigung der neubulgarischen Schulen in der osmanischen Landschaft Makedonien eine interessierte Beschreibung auch in der entstehenden bulgarischen Publizistik: Am 2. Januar 1865 veröffentlichte etwa die Sofioter Zeitschrift „Der Ratgeber“ unter dem Titel „Ohrid, 25. November“ einen Bericht, der mit den folgenden Sätzen begann: „Der heutige Tag, der Feiertag des bulgarischen Aufklärers und geistlichen Führers (svjaštenonačalnik) des hl. Kliment, ist für alle Bulgaren bemerkenswert. Die Ohrider, die nie aufgehört haben ihn feierlich und großartig zu feiern, bringen jedes Jahr mit Freude ihre tiefe Achtung gegenüber dem Ohrider Babalăk (so nennen ihn die Ohrider Türken) zum Ausdruck“.895

Hier erschien der Feiertag zu Ehren Kliments ganz im religiösen und regionalen, traditionellen Kontext des Ohrider Bistums, das vom einheimischen Berichterstatter nicht zu Bulgarien gerechnet wurde. Bemerkenswert ist der Hinweis darauf, wie die direkt mit den Bulgaren kontextualisierten „Ohrider Türken“ Kliment als „Babalăk“ bezeich­neten: Offenbar wurde der Heilige auch von Muslimen transreligiös verehrt, sodass sich ihre Bezeichnung auch unter den „Bulgaren“ der Stadt durchgesetzt hatte. Der Berichterstatter, beeindruckt von der religiösen Soziabilität der Ohrider Bevölkerung, zu der er offenbar ebenfalls zählte, machte sich aber nicht dafür stark, den Feiertag auch „in Bulgarien“ zu feiern. Erst mit dem Wechsel zur Beschreibung der Geldnöte der lokalen Schulen schrieb der Journalist den Ohrider Kontext und die Verehrung Kliments sowie seiner Mitstreiter eindeutig in einen übergreifenden patriotischen und weltlichen Zusammenhang ein.896 Der Berichterstatter setzte sich insbesondere für den bulgarischsprachigen Unterricht ein. Das Griechische sollte aber als „zweitrangige Sprache“ weiter­hin gelehrt

894 Konstantin Miladinov. Izbor, S. 17 f. 895 „Herausgeputzt wie zur heiligen Auferstehung, sind sie (…) versammelt in seinem Gotteshaus, die dem hl. Kliment gewidmete Kirche nimmt in unserer Stadt den ersten Rang ein, es wird ein Gottesdienst zelebriert, der großartig und festlich ist. Nach dem Auslass aus der Kirche gehen alle zueinander auf Besuch, wie an Ostern. Wie das Fest und die Feier war, versteht jeder, wenn er daran denkt, wie in Bulgarien die Ersten Bulgarischen Aufklärer, die hll. Kyrill und Method, gefeiert werden. Ich weiß nicht, ob dieser Tag in Bulgarien gefeiert wird.“ Săvetnik, 2.1.1865, Nr. 39/40, S. 1. 896 Es sei an der Zeit, dass „die das Volk liebenden (rodoljubivitě) übrigen Kaufleute und Esnafi in Ohrid und alle Bürger (graždani) ihre Volksliebe (rodoljubieto) zeigen, dass sie nicht des allgemeinen Lobes entbehren, sondern sich als würdige Bürger der einst ruhmreichen Stadt Ohrid, der Prima Justiniana, erweisen, von wo aus das Licht auf alle unsere bulgarischen ­Brüder leuchtete durch die Aufklärer Kliment, Naum, Gorazd, Savva und Angelarius. (…) Jetzt ist die Zeit, seine Volksliebe und die Liebe zum Vaterland (otečestvoto) zu zeigen.“ Săvetnik, 2.1.1865, Nr. 39/40, S. 2.

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werden. Diese Überlegungen legitimierte er mit dem Verweis auf „unser allgemeines Wohl und den vaterländischen Fortschritt“.897 Damit bettete er den Diskurs nicht zuletzt in den osmanischen Zusammenhang ein. Die Besinnung auf eine bulgarische, auf der Sprache begründeten Identität blieb mit dem neuen Verehrungsdiskurs über Kliment auf das Engste verbunden: Eine Rede zu Ehren Kliments in Ohrid von Grigor P’rličev, der von 1861 bis mindestens 1868 in Ohrid unterrichtete, wird mit der Erwähnung einer solchen Ansprache in der in Kon­ stantinopel erscheinenden Zeitung „Makedonien“ auf den Jahrestag des Heiligen 1867 datiert. In ihr sprach er ihn ganz als traditionellen Heiligen und Wundertäter an. Neben dem Bezug auf Ohrid sprach er darin aber auch von „unserer Sprache“ und „bulgarischen Büchern“, die von Griechen verbrannt worden seien: „Fast kein Bulgare konnte irgendetwas lernen. Wir schämten uns sogar, uns Bulgaren zu nennen, denn unser Name wurde negativ ausgelegt“.898 Die neu eingerichteten Schulen erschienen hier im Zusammenhang mit Kliment als Epochengrenze, die nationales Bewusstsein in der Erinnerung an die vorherige Zeit strukturierte. Im Kontext der neuen Schulen wurden auch Ikonen Kliments und der Siebenzahl in der Landschaft Makedonien immer häufiger hergestellt (Abb. 12, 13), die sich in ihrer an Gravuren erinnernde Bildsprache von traditionellen Ikonen deutlich unterschieden.899 Eine Festigung einer neuartigen sozialen Verankerung des Gedenkens an Kliment in einem nationalen Zusammenhang setzte mit der Entstehung von Vereinen nach 1870 ein: 1872, als in der Region um und in Ohrid Kuzman Šapkarev und Grigor P’rličev als Lehrer wirkten, wurde in der Stadt ein Lesesaal unter dem Patronat des hl. Kliment gegründet. In demselben Jahr wurde auch die Gesellschaft „Heiliger Kliment“ eingerichtet.900 1885 riefen überdies Lehrer und ehemalige Schüler des Gymnasiums in Saloniki eine gleichfalls dem hl. Kliment gewidmete Schülervereinigung in Ohrid ins Leben.901 In diesem Zusammenhang entwickelte sich 1886 ein „Geheimer revolutionärer Kreis“, dessen Mitglieder beim Namen „des hl. Kliment, des Volkes und allem, was mir allerliebst ist,“ schworen, sich „für unser Volk“ durch Bildung, aber auch „terroristisch“ zu betätigen, und andernfalls durch die übrigen Verschwörer umgebracht zu werden.902 Kliment diente hier im Rahmen des Vereins- und Schulwesens in der radikalen Ausnahme zur sakralen Legitimation revolutionären, ja terroristischen politischen Handelns.

897 898 899 900 901 902

Săvetnik, 2.1.1865, Nr. 39/40, S. 2. Grigor Prličev. Odbrani stranici, S. 134 – 137. Zur osmanischen Landschaft Makedonien: Balabanov (1993), S. 113 – 139. Risteski (1983), S. 252 f.; Trajanovski (1995), S. 324. Džambazovski (1955), S. 107. „Ich schwöre beim Namen Gottes und des hl. Kliment, des Volkes und allem, was mir allerliebst ist, dass ich ab heute mit allen meinen Kräften für unser Volk arbeite, durch die Bildung und terroristisch (teroristički). Wenn ich den Eid breche, soll ich von meinen Freunden getötet werden.“ Zit. gemäß Risteski (1983), S. 252 f., dort ohne genaue archivalische Angabe. Vgl. Risteski (1988); Trajanovski (1995), S. 324.

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Der spätere Kirchenfürst Natanail Ohridski wurde 1820 in der Gegend um Skopje geboren und graduierte 1851 an der Kiewer Akademie, einem der führenden theolo­gischen Institute der Orthodoxie. Seine Dissertation erschien 1858 – 1860 in der Publikationsreihe „Bulgarische Literatur“ (Bălgarski knižici): Natanail versuchte darzu­stellen, dass das bulgarische Erzbistum in Ohrid weder vom Patriarchen in Konstantinopel noch vom römischen Papst abhängig gewesen sei. Die Arbeit stellte den ersten aka­demischen Beitrag zum Kirchenkampf von bulgarischer Seite dar.903 Eine überarbeitete Fassung der These ließ Natanail als erster Ohrider Bischof des bulgarischen Exarchats (1872 – 1880) 1873 in Sofia drucken: In dieser Monographie beschwor der Bischof die „Ohrider heiligklimentische Kirche (Ohridska Svjato-Klimentova cerkva)“ und beklagte die Auflösung des Patriarchats in Ohrid 1766 – aber auch die des Patriarchats Peć 1767: „Ohrid und Peć sind zwei Namen, die aus dem bulgarischen Herzen, aus der bulgarischen Seele nicht entfernt werden können!“ 904 Die Klage über Peć dürfte mit dem kirchenrechtlichen Anspruch der Ohrider Kirchenfürsten auch auf die serbischen Bistümer erklärbar sein, den Natanail im gleichen Text mit einem Beispiel aus dem ­frühen 17. Jh. dar­ legte.905 Im Rahmen des Diskurses über die „heiligklimentische Kirche“ argumentierte er somit transethnisch, auch wenn er eine „bulgarische Seele“ beschrieb. Eine makedonische Identität war bei ihm ganz in eine bulgarische eingebettet: „Ja, ein Makedone, wie auch jeder Bulgare, schaut auch heute auf die heiligklimentische ­Ohrider Kirche wie auf die Kirche seiner Patriarchen, denn in ihr war das gesegnete Haus Gottes von dieser Zeit bis heute“. Ohrid stand für „ganz Bulgarien“: „In diesem kirchlichen bulgarischen Ruhm und in der Größe des Erzbistums von Ohrid und ganz Bulgarien“ sei die „gläubige bulgarische Herde“ versammelt gewesen.906 Die Rede von der „heilig­ klimentischen ­Kirche“ verdeutlichte schon damals die Abgrenzung zur „heiligsavischen Kirche“. Diese Sprachregelung wurde aber erst nach 1980 im makedonischen Zusammenhang wieder aufgegriffen und wirksam.907 1885 gab der führende Historiker Marin Drinov im Windschatten des Jubiläums Methods als zweite Nummer der Reihe „Bulgarische Bibliothek“ der „Bulgarischen Literarischen Gesellschaft“ in Sofia eine bulgarische Übersetzung der Vita Kliments durch D. Matov heraus.908 Auch zu Beginn der 1890er-Jahre beschränkte sich aber das Gedenken an Kliment weitgehend auf Ohrid. Dies bezeugt ein Versuch, seine Verehrung territorial auszu­ weiten: 1892 schrieb die konstantinopolitanische Zeitung „Neuigkeiten“ von Kliment, als ob er dem „bulgarischen Publikum“ gänzlich unbekannt sei: „Wir werden die Leser mit seinem Leben, seinen Wundern und Taten bekannt machen“. Sein Feiertag, den in dieser Darstellung die „orthodoxe Kirche Christi“ und nicht etwa die bulgarische 903 904 905 906 907 908

Natanail Ohridski. Borba za Bălgarija, S. 286 f. Natanail Ohridski. Borba za Bălgarija, S. 67. Natanail Ohridski. Borba za Bălgarija, S. 63. Natanail Ohridski. Borba za Bălgarija, S. 67. Rohdewald (2007), S. 210 – 212. Život, dějanie, izpovědanie i kratko izloženie za čudesata na sv. naš otec Kliment, bălgar­ ski archiepiskop.

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beging, werde „besonders ruhmvoll und feierlich in Ohrid und dessen Umgebung abgehalten“.909 Schließlich sei Kliment „wohl eine der verdientesten Persönlichkeiten am Anfang des kirchlichen Lebens des bulgarischen Volkes“. Erst dieser anonyme Autor wünschte sich daher, das Gedenken an Kliment möge in ganz Bulgarien und nur von Bulgaren gefeiert werden.910 Aber selbst in der Landschaft Makedonien war Kliment noch wenig verankert: Ǵorǵija M. Pulevski, der 1893 eine sehr umfangreiche und erstmalige „Slavisch-makedonische allgemeine Geschichte“ weitgehend fertigstellte, verwies an keiner Stelle auf Kliment: Dies muss als ein weiterer Hinweis auf die stark regional begrenzte und auf religiöse Bereiche eingeschränkte Verehrung Kliments gelten. Auch der hl. Naum blieb in diesem Werk ausgeklammert bis auf eine Nennung als Kloster- und Ortsname.911 Als Fürst Ferdinand 1894 seinen Sohn Boris auch auf den Namen Klemens zunächst katholisch taufen ließ, verwies er sowohl auf Papst Clemens von Rom, dessen angebliche Gebeine Kyrill und Method von der Krim nach Rom zurückgebracht hatten, als auch auf Kliment von Ohrid. Beides sollte der Legitimierung der dynastischen Herrschaft der deutschen Familie dienen.912 1896 veröffentlichte D. Matov, der bereits 1885 eine bulgarische Übersetzung der Vita Kliments vorgelegt hatte, eine leichter lesbare Fassung des Textes, „damit dieses wertvolle Denkmal unserer lesenden Gesellschaft zugänglicher wird“.913 Aber erst zu Beginn des 20. Jh. wurde der Wunsch nach einer weiteren Verbreitung der Verehrung Kliments auch in einem zentralen Sofioter Medium aufgegriffen. Bezeichnenderweise handelte es sich um das im Jahr 1900 eingerichtete neue wöchentliche Publi­kationsorgan der BOK: Hier fand 1901 die anlässlich einer Priesterweihe durch den Exarchen gehaltene Rede Platz, die Kliment ganz im sakralen, aber doch nationalisierten Sprachfeld beschrieb. Der Exarch sprach dabei Kliment in der zweiten Person als lebendig an: „Du hast ein ganzes Programm der neuen geistlichen Tätigkeit gegeben“, „du hast das Volksgefühl (narodnoto čuvstvo) erweckt, und so die bulgarische Nationali­ tät (narodnosť) vor der ihr drohenden Gefahr gerettet“. Kliments Handeln wurde als „Wiedergeburt“ beschrieben: „Wegen der jahrhundertelangen ungünstigen Umstände für die geistige Wiedergeburt der Zeitgenossen des hl. Kliment“ sei „ein großer Teil“ des Volks weiter „in tiefem Unwissen“, sodass „das Beispiel des hl. Kliment auch heute eine volle Nachahmung seitens unserer Geistlichen und Aufklärer verdient“.914 Kliment als „wahrhafter Volkslehrer“ sollte dem neu zum Priester Geweihten das Beispiel sein, 909 „Das ganze bulgarische Volk sollte das Gedenken an diesen verdienten Lehrer ehren. Dies sollte am meisten ein Feiertag der Lehrer sein, denn der hl. Kliment war unter den ersten bulgarischen Lehrern und Schriftstellern. (…) Es ist ein Fehler, dass der Heilig-Kliment-Tag kein allnationaler (vsenaroden) Feiertag ist.“ Novini, 21.7.1892, Nr. 85, S. 1 f. 910 Novini, 21.7.1892, Nr. 85, S. 2. 911 Ǵorǵija M. Pulevski. Slavjansko-maḱedonska opšta istorija, S. 911. 912 Polyviannyi (2009), S. 114 f. 913 Životopis na sv. Klimenta bălgarski archiepiskop, Vorwort ohne Paginierung. 914 Cărkoven Věstnik, 16.5.1901, Nr. 50, S. 3 – 5, hier S. 4.

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„würdig vor dem Altar der Kirche und des Vaterlandes“ zu dienen.915 Der Führer der bulgarischen Kirche selbst entwarf damit eine Einheit von Kirche und Vaterland, die vor einem Altar zu verehren sei. Als die BOK mithilfe ihres neuen Printmediums zu Beginn des 20. Jh. die orthodoxe Kirche als gesellschaftliche Kraft mit modernen Mitteln zu etablieren suchte und 1903 gegen einen Aufsatz in der Lehrerzeitschrift „Bewusstsein (Săznanie)“ anschrieb, der behauptete, die bulgarische Geistlichkeit sei „gegen die kulturelle Erhebung des Volks“, diente gerade „die Tätigkeit des hl. Kliment“ zum Gegenbeweis. Kliment war der einzige in der Liste der aufgeführten geistlichen Buchgelehrten, der als heilig verehrt wurde. Die genannten Geistlichen sollten immer für „die Interessen des Volks“ gehandelt haben.916 Antiklerikale Rhetorik, wie sie gegen die katholische Kirche etwa in Deutschland im Kulturkampf längst bekannt war, sollte so abgewehrt werden. Tatsächlich vertrat der „Kirchenbote“ in weiteren Beiträgen das Christentum als „Religion des Fortschritts“.917 Die orthodoxe Nationalkirche sollte als führende Beiträgerin zu einer nationalen bulgarischen Modernität erscheinen. C 4.2  Die Vorbereitung des Millenniums 1916

Erst nach den Balkankriegen begann neben der Kirche auch die zarische Staatsführung in der Hauptstadt im Ersten Weltkrieg eine Einschreibung der Verehrung Kliments in den Kern des bulgarischen nationalen Diskurses: 1916 stand das tausendste Todesjahr Kliments an. Zu diesem Anlass intensivierte sich die nationalreligiöse Deutung Kliments in Sofioter Publikationen der BOK: „I. Evtimij“, offenbar ein Geistlicher, möglicherweise der spätere gleichnamige Archimandrit und Theologieprofessor an der Kliment-Universität, schrieb bereits 1913 im „Kirchenboten“ im Zusammenhang mit dem Jubiläum von der nationalen Bedeutung Kliments, indem er historisierende, erfundene Zitate in seinen Text einbrachte. Dabei arbeitete er mit der „Seele eines Volkes“ und bekräftigte, „der Fortschritt verbirgt sich in der eigentümlichen Natur eines gesamten Stammes“.918 Die als Individuum imaginierte Nation rückte politisch-theologisch als Kollektiv in die Stellung eines Christen: Mit dem „Ruf Christi zu Reue und Vervollkommnung bringt er diesem Volk auch den Ruf zu nationalem (narodno) Bewusstsein und Selbstbestimmung, den Ruf, die Volkskräfte und die Seele auf die eigentümliche Vervollkommnung aus­ zurichten – und ruft seine Lehrer an, die hll. Kyrill und Method“. Neben der „Volksseele“ war auch die metaphorische Rede von dem „Volkswald (narodnata dăbrava)“, der mit Gottes Hilfe seit Kliments Zeit „das bulgarische Land“ zu bedecken begann. Evtimij ging nicht davon aus, dass Kliments Schriften von vielen Bulgaren gelesen würden.

915 916 917 918

Cărkoven Věstnik, 16.5.1901, Nr. 50, S. 5. Cărkoven Věstnik, 15.3.1903, Nr. 11, S. 1. Cărkoven Věstnik, 4.6.1904, Nr. 23, S. 273 – 275; Cărkoven Věstnik, 11.6.1904, Nr. 24, S. 285 – 287. Cărkoven Věstnik, 14.12.1913, Nr. 64, S. 911 – 913, hier S. 912.

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Er stellte sich aber Kliment als lebendigen Heiligen im Jenseits vor: „Ich sehe den hl. Kliment lebendig angesichts der Leiden und Opfer des gesamten Volkes“. Im Zusammenhang mit dem „Werk“ Kliments schrieb Evtimij: „Goldene Klöster bedeckten das bulgarische Land, geflügelte Kämpfer umgaben sie“. „Und es auferstand (…) ein heiliges und mächtiges Werk – es entwickelte sich die bulgarische Volkskirche (narodna cărkva)“, die zu einem „Unterpfand der Existenz und Vervollkommnung eines ganzen Volkes wurde“.919 Gleichfalls zum anstehenden Jubiläum erschien 1914 in der zarischen Hofdruckerei auch eine Broschüre unter dem Titel „Bulgarische Lobpreisung (pro­slava)“. Kliment wurde in dem Heftlein, das bis 1916 vier Auflagen erfuhr,920 dargestellt als einer der „Slaven, welche die damaligen Länder Misien, Thrakien und Makedonien besiedelten, und mit der Zeit die bulgarische Nationalität (narodnosť) herausbildeten“. Nach einer kurzen Skizze zu „Kliment als Mitarbeiter Kyrills und Methods“ in Pannonien und Mähren betonte der unbekannte Verfasser des Textes das Wirken Kliments nach dem Tode von Method im „Kampf“ gegen Lateiner und Deutsche.921 Die Tätigkeit, die Kliment im Auftrag des bulgarischen Herrschers Boris in der Region um Ohrid leistete, fand hier zunächst in der Würdigung von Gebäuden ihren Niederschlag.922 Das Kloster und die später zur Moschee umgewandelte Kirche gaben dem Verfasser die Gelegenheit, einen direkten Bezug zur Gegenwart herzustellen. Insbesondere wurde eine ethnische bulgarische Identität Kliments behauptet.923 Neben seinem Einfluss im religiösen Bereich wurde er darüber hinaus als Aufklärer des „Volkes“ beschrieben und als dessen „Vorbild“ zum Integrationsmedium.924 Kliment erschien in dem Text sodann als Begründer von bulgarischer Schriftlichkeit, Schule, Gottesdienst, Aufklärung ja sogar Architektur und Wirtschaft und wurde in eine Stellung gehoben, die für das bulgarische Volk nicht von größerer Bedeutung

919 Cărkoven Věstnik, 14.12.1913, Nr. 64, S. 912. 920 Weber (2006), S. 191. 921 „Nach dem Tod Methods (am 6. April 885) verteidigten der Mähre Gorazd und der Bulgare ­Kliment das slavische Wirken (slověnskoto dělo) ihrer Lehrer besonders heftig gegen lateinische und deutsche Diener und Hörige. (…) Die alte bulgarische Kirche bewertet den Kampf (borbata) der beiden slavischen Lehrer und ihrer fünf genannten Schüler [Gorazd, Kliment, Naum, Angelarius und Sava, S. R.] mit großer Ehre“. Bălgarskata proslava, S. 5. 922 „Und Kliment errichtete sich selbst in Ohrid ein Kloster und eine Kirche. Die Klosterkirche widmete er dem hl. Panteleimon. Die Türken wandelten sie in eine Moschee um (džamija). Heute ist sie zerstört. Die Bevölkerung nennt die Ruinen noch heute ,alter heiliger Kliment‘.“ Bălgarskata proslava, S. 7. 923 Simeon, der Sohn von Boris, ließ Kliment zum Bischof von Velica bzw. Drembica weihen, beide Orte wurden (und werden) in der Region von Ohrid vermutet: „In diesem Land war er der erste Bischof aus dem Volk der slavischen Bulgaren und für dieses slavische Volk. Daher wird er in den Büchern auch ,slavischer Bischof‘ genannt“. Bălgarskata proslava, S. 7 f. 924 „Unter seiner Hand eigneten sich die Geistlichen die Riten, die Gottesdienste und die Kunst des Kirchengesangs an. Das Volk klärte sich durch sein Wort und sein Vorbild auf.“ Bălgarskata proslava, S. 8.

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hätte sein können.925 Er wurde zum Platzhalter für „tausend Jahre Leben und Schicksal des bulgarischen Volkes“ erklärt und damit zum wesentlichen Faktor des Überlebens des bulgarischen Volkes „auf dem Weg des humanen Fortschritts“. Die Erinnerung an ihn garantierte in einer politisch-theologisch begründeten, nur scheinbar säkularen, geschichtsphilosophischen Vorstellung das Anrecht auf Unterstützung und globale „Anerkennung“ in der Gegenwart sowie die Aussicht auf eine „dauerhafte Zukunft.926 Die junge völkerrechtliche Unabhängigkeit des Staates und sein weiteres Gedeihen in der internationalen Gemeinschaft sollten mit dem Verweis auf Kliment weiter gestärkt werden. Dem Verweis auf staatliche und kirchliche Verehrung Kliments seit dem 13. Jh.,927 der die aktuelle Propagierung des Klimentkults als alte Tradition darstellen sollte, folgte die Beschreibung des Gedenkens der „bulgarischen Bevölkerung in Ohrid und seiner Umgebung“. Dabei klammerte der bulgarisch gesinnte Verfasser auch Kliments transethnische und transreligiöse Verehrung durch Griechen, christliche Albaner und Moslems nicht aus: „Die bulgarische Bevölkerung in Ohrid und seiner Umgebung ehrte ihren Lehrer, den Bischof und Heiligen Kliment von Ohrid, von Anfang an, und sie ehrt ihn noch heute. So sind viele Erinnerungen an ihn in Gegenständen und Überlieferungen bewahrt worden. Die Hochachtung vor Kliment von Ohrid und die Legenden über ihn haben sich sogar unter den christlichen Nachbarn ausgebreitet, den Albanern und den Griechen. Auch die Türken erwiesen ihm Ehre, unter dem Namen Sinan-baba, als sie sein Kloster in eine Moschee umwandelten.“ 928

Erst auf der Grundlage dieses Blickes zeitlich zurück und räumlich nach dem weiterhin osmanischen Ohrid rückte „die erste Bulgarische Universität, die 1904 aus der damaligen ,Hochschule in Sofia‘ hervorging“ ins Zentrum des Interesses. Diese habe Kliment 925 „Mit dem Namen Kliment ist der Anfang des Buchwesens (kniževnata dějnosť) in Bulgarien selbst verbunden. Mit seiner Vita beginnen auch die schriftlichen Beiträge (kniževnitě podatki) über die Schule bei unserem Volk, über den bulgarischen kirchlichen Gottesdienst und zum Gesang, über die bulgarische Aufklärung (prosvěta), zur bulgarischen Architektur und über den kirchlichen Dekor, sowie zur bulgarischen Wirtschaft.“ Bălgarskata proslava, S. 12. 926 „Tausend Jahre von damals bis heute sind tausend Jahre bulgarischer Aufklärung oder K ­ ultur. Die Tausendjahrfeier Kliments bedeutet für uns tausend Jahre Leben und Schicksal des bulgarischen Volkes, für das aus seiner Mitte bulgarischsprachige Aufklärer erschienen, die ihm die Bedingungen für die Volksaufklärung gaben, es auf den Weg des humanen Fortschritts brachten (izkaracha go na stăgdata na čověškija napredăk) und es davor bewahrten, unter den anderen Völkern unterzugehen. Das Volk ist glücklich, ein solches tausendjähriges Jubiläum aufzu­weisen (da soči) und zu ehren, es verdient eine schöne Anerkennung von der Geschichte und in der Menschheit; es hat das Recht, für sich alles Mitgefühl zu suchen und eine dauerhafte Zukunft für sich zu erhoffen.“ Bălgarskata proslava, S. 12. 927 „Der bulgarische Staat und die Kirche ehren die Verdienste Kliments von Ohrid um die Bulgaren seit langem. Schon aus dem Jahr 1211, aus der Zeit des bulgarischen Zaren Boril, haben wir Belege, dass in unserem Zarentum angeordnet war, des hl. Kliment jedes Jahr am 27. Juli kirchlich zu gedenken.“ Bălgarskata proslava, S. 12. 928 Bălgarskata proslava, S. 12 f.

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zu ihrem Patron erklärt, und deshalb „die Initiative zur Verherrlichung (proslava) der Tausendjahrfeier des Todes Kliments und von tausend Jahren bulgarischer Aufklärung“ ergriffen.929 Das Gedenken sollte zum Medium der Imagination einer territorialen wie nationalen Einheit dienen: „Die Lobpreisung (proslavata) muss allbulgarisch“ sein und „die Bulgaren aller Länder und Gegenden“ müssten teilhaben, „an jedem Ort“. Die Erinnerung an Kliment wurde zur territorialisierten nationalen und religiösen Pflicht aller Bulgaren gegenüber der Menschheit stilisiert und die Auswirkungen seines Handelns auf alle Völker ausgedehnt.930 Die Feiern sollten aber nicht nur von der BOK, sondern von einer breiteren gesellschaftlichen Trägerschaft begangen werden: Zur Organisation der Feier wurde an der Universität zu Sofia „aus den Vertretern der für diesen Anlass wichtigsten staatlichen, kirchlichen und gesellschaftlichen Einrichtungen“ ein Komitee eingerichtet. Das Projekt wurde damit zum einen von Wissenschaftlern vorangetrieben, zum andern aber auch von politischen, religiösen und (staats)bürgerlichen Akteuren getragen. Damit sollte ein möglichst einheitliches, geballtes Auftreten des ,Klimentdiskurses‘ institutionell abgesichert werden – orthodoxe Religiosität, moderne Politik, Wissenschaft und Bürgerlichkeit sollten geeint das gemeinsame nationale Projekt ermöglichen und ­tragen. Das Komitee verlangte dabei von „jedem, der sich zu seinem bulgarischen Namen bekennt (izpovědva)“, sich über die „Pflicht“ im Klaren zu sein, des Namens Kliments zu gedenken. Die angemahnte, einmalige Handlung kollektiven Erinnerns sollte die nationale „Gemeinschaft“ in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft beschwören und als gefühlte Lebenswelt verwirklichen.931 Das Bekenntnis zum Bulgarentum verpflichtete zum Gedächtnis Kliments und wurde damit selbst religiös. Das Gedenken wurde zum Anlass, sich und die imaginierte Gemeinschaft seines Volkes in die Weltgeschichte

929 Sie „erklärte Kliment von Ohrid zu ihrem Patron, den vordersten Aufklärer bei den Bulgaren zu Beginn ihrer Literatur. Gerade die bulgarische Universität in Sofia hat die Initiative zur Verherrlichung (proslava) der Tausendjahrfeier des Todes Kliments und von tausend Jahren bulgarischer Aufklärung zu ergreifen“. Bălgarskata proslava, S. 13. 930 „Aber die Anlässe für diese Verherrlichung haben große Bedeutung für das ganze bulgarische Volk, und auch die Lobpreisung (proslavata) muss allbulgarisch sein. Die Bulgaren aller Länder und Gegenden haben die Pflicht vor sich und gegenüber der Menschheit, sich an ein Wirken (dělo) zu erinnern, das ihr bulgarisches ist, und welches das Leben der Völker ziert (se krasi). Sie sind verpflichtet, ihm all ihre Hochachtung (počit) zu erweisen; sie haben auch das Recht, mit Geist oder mit dem Körper an jedem Ort, wo es die Möglichkeit dazu gibt, teilzunehmen, irgendeine würdige Verherrlichung dieses Wirkens zu veranstalten.“ Bălgarskata proslava, S. 13. 931 „Mit dieser Vorankündigung erklärt sich das ,Klimentkomitee (otbor)‘ gegenüber jedem, der sich zu seinem bulgarischen Namen bekennt (izpovědva), um ihn an die Pflicht und das Recht gerade vor dieser großen bulgarischen Tausendjahrfeier zu erinnern. Möge jeder Bulgare und jede bulgarische Gemeinschaft oder Genossenschaft sich gemeinsam ihrer Vergangenheit er­innern, aus der die bulgarische Gegenwart hervorgegangen ist, und freudig darüber Glauben an die bulgarische Zukunft fassen.“ Bălgarskata proslava, S. 14.

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der „Aufklärung“ und des „Fortschritts der Bulgaren“ einzuordnen.932 Seit 1902 war der Tag der Siebenzahl bzw. Kliments der Feiertag der Universität, seit 1905 führte die Universität Kliment offiziell in ihrem Siegel.933 Der junge, aus Ohrid stammende, in Konstantinopel am Geistlichen Seminar sowie in Kiew ausgebildete Kirchenhistoriker und zwischenzeitlich beim bulgarischen Ex­archat beschäftigte Ivan Sněgarov trieb im September 1914934 die publizistische Aufbereitung des Anlasses im „Kirchenboten“ voran. Zunächst erklärte der Redakteur des Blattes das „Klimenter Komitee (otbor)“ an der Universität Sofia und dessen Anliegen, zum Ge­denken an das tausendste Todesjahr „Kliments, des slavischen oder Ohrider Bischofs“ ein Denkmal Kliments zu errichten: Die Gruppe habe zum Ziel ihres kollektiven Handelns „die Erfüllung eines sehr wichtigen Werks der geistigen Macht des bulgarischen Volkes – der Apotheose (apoteozirane) des bulgarischen Gedankens (misăľ), der bulgarischen Aufklärung (prosvěta), der Herstellung der Unsterblichkeit der bulgarischen Nationalität (obezsmărtvane na bălgarskata narodnosť), der Verewigung der bulgarischen Gaben vor dem Altar der slavischen Kultur“.935

Der Synod habe 5000 Exemplare der vom Komitee gedruckten Broschüre gekauft, um sie in Klöstern den Pilgern zukommen zu lassen: Die Popularisierung des Vorhabens sollte unter Einsatz der neuesten zur Verfügung stehenden Medien vorangetrieben ­werden. Das Handeln des Synods wurde mit diesen Publikationen zum Beispiel für „alle Bulgaren“ gemacht. Im religiösen Gedenken an Kliment sollten sie als „imagined community“ sozial und national geeint erscheinen: „Alle Bulgaren – große und kleine, Bürger und Bauern, Reiche und Arme – müssen zur Feier des Gedenkens an den hl. Kliment mit ihren Pfennigen (lepta) herkommen.“ Kliment sei ein „unverderblicher Kranz für den geistigen Sieg“ des „bulgarischen Volks“. Ihm und Ohrid wurden dabei als „Zion“ des bulgarischen Volkes eine im bulgarischen Zusammenhang einzigartige Rolle zugeschrieben: „In der bulgarischen Geschichte hat nur einer aller Gedenknamen auch in den finstersten Jahrhunderten (v naj-tămnite věkove) geleuchtet“ und die „Zauberkraft“ gehabt, um „das Herz aller Bulgaren“ an sich zu binden „wie Kanaan die Juden“ oder das „Land des goldenen Vlieses – die hellenischen Argonauten oder Jerusalem – die Kreuzritter“. Kliment und Ohrid dienten als „bulgarisches Jerusalem“ zum Medium der Beschreibung bzw. zur Erfindung und zum Beweis einer kontinuierlichen nationalen Einheit über mehrere Jahrhunderte hinweg. Ohrid wurde als „heilige bulgarische Stadt“ sakralisiert, aber mit dem Verweis auf die Argonautensage auch in eine gelehrte Antikeneuphorie eingeschrieben. Die „geistige Größe“ und die vorgestellte Existenz 932 Das Komitee appellierte an jeden, „der mit der Aufklärung und dem Fortschritt der Bulgaren sympathisiert“. Bălgarskata proslava, S. 14. Ausführlich: Weber (2006), S. 193 – 196. 933 Arnaudov (1939), S. 196 f. 934 Ivan Sněgarov war einer der Wortführer der kleinen makedonischen Intelligenz – und stand für eine intensive Verbindung der religiösen Verehrung Kliments mit ihrer nachdrücklichen Instrumentalisierung für nationale Zwecke. Bereits während des Studiums am Carigrader geistlichen Seminar vertrat er dort die Interessen der VMRO. Božilov (1995), S. V. 935 Cărkoven Věstnik, 20.9.1914, Nr. 38, S. 447 f., hier S. 447.

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des bulgarischen Volkes hingen von der sozialen Praxis des Gedenkens Ohrids ab und nicht unmittelbar von Kliment: „Ohrid ist ein Emblem, eine jahrhundertealte Fahne der bulgarischen geistigen Größe, und solange das bulgarische Volk dieses Banner nicht vergisst, wird es nicht sterben.“ Das Gedenken wurde damit in einen weltlichen Rahmen eingebettet. Auch das Problem des Ruhens des Gedenkens wurde bedacht: Das Volk „kann für eine gewisse Zeit einschlafen (…), aber, da es in seinem Bewusstsein dieses Emblem seiner jahrhundertealten Existenz (věkuvane) trägt, wird es sich wieder zu neuen Siegen erwecken, zu neuem Ruhm. Ohrid ist die geheimnisvoll belebende Quelle des bulgarischen Volkes, der Quell von Siloah (siloamskijat iztočnik) [in Jerusalem, S. R.], wo, wenn das Volk schwach wird, es Heilung finden wird. Es hat keine Bedeutung, unter wem diese Stadt politisch steht, wie es keine Bedeutung hat, wer Jerusalem beherrscht.“

Trotz der zwischenzeitlichen „fremden Herrschaft (čužda vlasť)“ bzw. Fremdherrschaft sei es ein „Symbol der bulgarischen Ideale“ geblieben. Ohrid schien hier an Bedeutung Kliment zu überflügeln. Seine Bedeutung sollte aber von Kliment ausgehen: „Worin liegt die geheimnisvolle Kraft Ohrids? Darin, dass sich über ihm der Geist des großen Bulgaren, des hl. Kliment, erhebt; dass es der Weingarten war“, den Kliment errichtet hatte, der „das ganze bulgarische Volk bewahren und erfrischen soll“. Kliment habe „das bulgarische Genie zu Leben erweckt“. „Kliment ist der Befruchter des bulgarischen, wilden Bodens, er ist der Sämann des Korns, aus dem die bulgarische Kultur entstanden ist.“ Zwar sei „die Idee zur Formierung der bulgarischen Nation (nacija) aus den slavischen Stämmen gleicher Herkunft (ednorodni)“ zuerst bei Boris entstanden, aber „erst durch das Genie Kliments“ wurde sie „verwirklicht“. Deshalb sei Kliment „der Maurer (zidar) der bulgarischen Nationalität (narodnosť)“. Erst in zweiter Linie bezeichnete der Historiker ihn als ersten bulgarischen Hierarchen und als die „apostolische Grundlage der bulgarischen Kirche, er ist der bulgarische Paulus“.936 Aber damit nicht genug: „Kliment hat die gleiche Bedeutung für das bulgarische Volk, die Moses für das hebräische Volk hatte. Kliment führte das bulgarische Volk aus der Gefangenschaft des Heidentums“.937 Sněgarov griff damit einen Vergleich auf, den bereits ­Chomatenos angestellt hatte. Kliment habe „Bulgarien in das Zentrum der slavischen Welt des Mittel­ alters“ gerückt. Er habe „das bulgarische Volk erhöht sowie die ganze slavische Welt vor dem Untergang bewahrt und ihm den breiten Weg des Fortschritts gewiesen“. Der Kirchenhistoriker entwarf für Kliment die Rolle des Wegbereiters eines orthodoxen, slavischen Fortschritts, der in die triumphale Modernität der Gegenwart führte: Das tausendste Jubiläum seines Todestages sollte „zum Feiertag des bulgarischen Genies werden, der bulgarischen geistigen Kraft, ein Triumph der geistigen Geburt des bulgarischen Volkes“. Mit der Imagination der „geistigen Geburt“ war auch die Ausweitung der räumlichen Vorstellung von Ohrid auf ein territorial einheitlich entworfenes Bulgarien als Rahmen des Gedenkens verbunden: „Ganz Bulgarien soll geziert ­werden durch

936 Cărkoven Věstnik, 20.9.1914, Nr. 38, S. 447. 937 Cărkoven Věstnik, 20.9.1914, Nr. 38, S. 448.

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Denkmalkirchen (pametnici-chramove), Denkmalschulen, Denkmalstatuen des ersten bulgarischen ­Hierarchen.“ Vor dem „großen historischen Tag“ sollten „alle gegen­seitigen Streitigkeiten“ vergessen werden, damit das „leuchtende Bild (obraz’) des Inspirators (oduchotvorjavača) des bulgarischen Volks, Kliment“ betrachtet werden kann. Die auch politisch fragmentierte Gesellschaft des gesamten Staates sollte gerade im Zeichen ­Kliments national geeint werden. Der Kirchenhistoriker gab der Aufforderung zum kollektiven Gedenken einen direkten persönlichen und emotionalen religiös-nationalen Rahmen, in dem sich die Gesellschaft als Einheit vorstellen sollte: „Lasst uns unsere Herzen öffnen, damit in uns sein heiliger Geist, seine flammende Liebe zu Bul­ garien, sein unerschütterbarer Glaube an die kulturelle Wirkungsfähigkeit und historische Bedeutung des bulgarischen Volks einkehre! Lasst uns alle begeistert sein durch das Ideal Kliments, geeint durch sein jahrhundertealtes bulgarisches Banner“.

Kliment wurde so als Medium einer durch seinen „heiligen Geist“ hergestellten säkularen und geschichtsmächtigen Nation eingesetzt. Sněgarov wünschte sich, die bereits genannte Broschüre „Bulgarische Lobpreisung“ des Klimentkomitees sollte in ganz Bulgarien gekauft und verbreitet werden. Neben dem Sofioter Klimentkomitee sollten lückenlos über das ganze bulgarische Territorium verteilt weitere Komitees tätig werden: „Es sollen neben den Geistlichen, den Lehrern, den Beamten und Offizieren, die ersten Bürger in jeder Stadt und jedes Dorfes die Initiative ergreifen, Komitees zu gründen, (…) zur lokalen feier­ lichen Begehung des tausendjährigen Jubiläums des hl. Kliment und zur lokalen Monumentalisierung (monumentirane) seines Gedenkens“.938

Der Historiker stellte hier der Gesellschaft eine Reflexion des Diskurses über Kliment vor, die ihn zum zentralen Medium der Nation machen sollte. Die Wegleitung wurde dankbar aufgegriffen: Der Heilige Synod der bulgarischen Kirche unterstützte das Feier­ vorhaben nicht nur finanziell, sondern auch mit eigenen Texten als eigene Plattform für einen zeitgemäßen nationalistischen kirchlichen Diskurs über Kliment. In einer Rede im Sofioter Geistlichen Seminar umriss der Theologe und zeitweilige Mit­arbeiter sowie Redakteur des „Kirchenboten“ Danail Laskov am 14. April 1915 Motivation und Vorgehen. Der Synod druckte den Text noch im gleichen Jahr. Unter dem Titel „Leben und Wirken“ des Heiligen erklärte Laskov, es sei das Ziel des an der Universität von Professoren gegründeten Komitees, „den Namen und die Verdienste“ Kliments zu „popularisieren (popolerizira [sic])“, damit „das ganze bulgarische Volk bewusst an den Feierlichkeiten teilnimmt. Genau eine solche Kommission ist auch am Heiligen Synod der Bulgarischen Kirche zusammengestellt worden“. Sie sollte die Teilhabe der Kirche an „diesem allnationalen (vsenaroden) Feiertag“ vorbereiten.939 Bereits sei „zur Verewigung des Gedenkens“ an den Heiligen entschieden, ein „großartiges Denkmal am angesehensten Ort in der Hauptstadt“ zu errichten. Es sollte „an der Kreuzung, wo sich die Boulevards

938 Cărkoven Věstnik, 20.9.1914, Nr. 38, S. 448. 939 Laskov (1915), S. 3.

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,Ferdinand‘ und ,Befreier-Zar‘ schneiden, unterhalb der Volksversammlung, vor dem künftigen Gebäude der Universität und dem zukünftigen Zarenpalast“ zu stehen kommen.940 Kliment sollte damit aus dem marginalen Ohrid sowohl in das geistige wie in das physische und politische Zentrum des neuen bulgarischen Staates und seiner Gesellschaft eingepflanzt und zum Symbol Bulgariens werden. Die hauptstädtische Baustelle sollte plausibel gemacht werden mit dem Verweis auf „die Großtaten des bescheidenen bulgarischen Lehrers und Geistlichen im Aufbau (v izgraždaneto) des gesamten bulgarischen Vaterlandes“.941 Der aktuelle Aufbau des modernen Nationalstaates sollte sich im mittelalterlichen Leben des Heiligen spiegeln, das Neue und Beispiellose legitim und im Einklang mit orthodoxer Tradition erscheinen. Zugleich wurde damit diese so definierte Tradition zum Kern der gegenwärtigen und zukünftigen urbanen und nationalen Moderne erklärt. Laskov, der 1916 eine weitere Übersetzung der Klimentvita von Theophylaktos ins Bulgarische veröffentlichte, gab dem Vorhaben zusätzlich Bedeutung: Kliment sollte für einen „heldenmütigen“ nationalen bulgarischen Gegenentwurf gegen „schreck­lichsten Militarismus“, „blutige Kriege“, „religiösen Indifferentismus“ stehen, sein Denkmal ­solchen von „Generälen“ und „Imperatoren“ entgegenstehen. Der damit angeblich demonstrierte „religiöse Geist“ und „gesunde Verstand des bulgarischen Volkes“ betonte einen pazifistischen, antiimperialen und religiösen Charakter des nationalen Projektes.942 Es galt, den die Region beherrschenden Imperien Europas ein im Kontext der Moderne entworfenes, aber gleichzeitig als ,eigenes‘, orthodox wahrzunehmendes nationales Gegenstück entgegenzusetzen: Bulgarien sollte mithilfe Kliments eine postkoloniale, moralisch angeblich bessere Moderne repräsentieren. Laskov, der sich wie die anwesenden Seminaristen anschickte, „auf demselben Feld“ zu arbeiten wie Kliment, verglich ferner auf der Grundlage dieses Überblicks über die nationale Erinnerungskultur „das Volk“ mit der „Vorsehung – diese ist langsam, aber sie vergisst nicht“. Obschon der Redakteur des „Kirchenboten“ sich damit im Feld der offiziellen Kirche situierte, stellte er doch die Nation rhetorisch in eine Analogie mit Gott.943 Gleichzeitig ließ er keinen Zweifel daran, wer in seiner Wahrnehmung im Namen des „Volkes“ handelte: „sowohl das Bildungsministerium, als auch der Heilige Synod der bulgarischen Kirche haben angeordnet, dass in den Kirchen und Schulen Reden und Ansprachen über diesen 940 Laskov (1915), S. 3. 941 Laskov (1915), S. 4. 942 Angesichts der Initiative der Universität sowie des Engagements des Staates sei hervorzuheben, dass in einer künftigen Geschichte des Slaventums des 20. Jh., „des Jahrhunderts des schrecklichsten Militarismus und der fürchterlichsten blutigen Kriege, des Jahrhunderts des religiösen Indifferentismus und des ideellen Skeptizismus, ein kleines, aber heldenmütiges slavisches Volk, nach einem siegreichen Krieg zur Befreiung seiner unterdrückten Brüder, Denkmäler errichtet nicht von Generälen und Heerführern, nicht von Zaren und Imperatoren, sondern von bescheidenen Pionieren der geistigen Kultur, eines Volkslehrers und friedlichen Geistlichen!“ Laskov (1915), S. 4. 943 Laskov (1915), S. 4.

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großen Aufklärer und Lehrer des bulgarischen Geschlechts“ abgehalten würden, damit dessen „volksnützliche (narodopoleznata) Tätigkeit“ bekannt werde:944 Die Erinnerung an Kliment war ,von oben‘ angeordnet und erwünscht. Regierung und Kirche traten gemeinsam als Verkünder des angeblichen Willens des Volkes auf. Die Umsetzung ­solcher Anweisungen allerdings hing ganz von der Bereitschaft der lokalen Akteure ab. Zumindest in der Hauptstadt und im Seminar entzogen sie sich dieser Aufgabe nicht. C 4.3  Die ,Befreiung‘ als ,Wunder‘ – akademische Millenniumsfeiern 1916 in Sofia

1916 war es soweit: Am 9. August hielt der aus Bessarabien stammende und in Prag ausgebildete Philologe und Universitätsprofessor Aleksandăr Teodorov-Balan, der 1889 der erste Rektor der Universität sowie von 1907 – 1910 Sekretär des bulgarischen Exarchats gewesen war und in den Kriegsjahren für die Zensur des Kriegsministeriums ­arbeitete,945 vor der „feierlichen Versammlung der bulgarischen Akademie der Wissenschaften zur Lobpreisung des Millenniums seit dem Tod des Heiligen“ eine „akademische Rede“ unter dem Titel „Der hl. Kliment von Ohrid in der literarischen Erinnerung und in der wissenschaftlichen Forschung“: Der wissenschaftliche Diskurs über Kliment in der Literatur und in der Historiographie wurde Teil der Erinnerungsfigur. Wie Paisij, den die „bulgarische Wissenschaft“ – gemeint war der Historiker Marin Drinov 946 – erst 1871 zum „Stammvater (rodonačalnik) der bulgarischen Wiedergeburt“ gemacht und „für unser gesellschaftliches und nationales (narodnostno) Bewusstsein e n t d e c k t “ habe, sollte nun auch Kliment in den Diskurs der „Wiedergeburt“ eingeschrieben werden und diesen weiter legitimieren.947 Die Funktion nationaler Wissenschaft war es in dem beobachteten und bewusst vorangetriebenen Diskurs, die Festigung der Nation als ein selbstständiges historisches Subjekt zu fördern. Teodorov-Balan gestand die bewusste Erfindung von angeblichen bulgarischen Traditionen ein – nur für die Gegend um Ohrid stellte er eine alte Verehrung Kliments fest. Das „Leben der Bulgaren im südwest­lichen Makedonien“ und ihre „Freundschaft“ zu dem in alter religiöser Denkweise als lebende Person imaginierten Heiligen 948 standen dabei im Gegensatz zur beschworenen ­modernen, 944 945 946 947

Laskov (1915), S. 4 f. Weber (2006), S. 40. Weber (2006), S. 40. „Verehrte Versammlung! Ein ganzes Jahrhundert haben im geistigen Leben der Bulgaren die Gedanken und Aufrufe von Paisij Chilendarski gearbeitet, durch seine bekannte ,Slaveno­ bolgarische Historie‘ (1762); aber die bulgarische Wissenschaft hat diesen Gründervater (rodonačalnik) der bulgarischen Wiedergeburt erst 1871 für unser gesellschaftliches und nationales (narodnostno) Bewusstsein e n t d e c k t (otkri)! (…) so hat die slavische Wissenschaft auch unserer und der fremden Welt erst 1843 K l i m e n t d e n S l a v e n entdeckt“. Teodorov-­ Balan (1919), S. 3. 948 „Aber das Leben der Bulgaren im südwestlichen Makedonien, namentlich in der Gegend um Ohrid (v Ochridsko), ist mehr als ganze neun Jahrhunderte alt geworden in der ehrwürdigen

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wissenschaftlichen Vision Kliments: Die Inszenierung der Tausendjahrfeier sowie die Ansprache Teodorov-Balans fanden ihren Ort nicht in einem religiösen Zusammenhang, sondern in einer nationalbewussten, „akademischen“ Veranstaltung. Teodorov-Balans Rhetorik war dennoch flammend: Ein Beispiel angeblicher authentischer Volksfrömmigkeit sollte Kliment als Fürbitter im „Krieg um die Vereinigung des bulgarischen Vaterlandes“ erscheinen lassen. Er sollte „die Gebete erhört“ haben, und Ohrids „Befreiung von der dreijährigen serbischen Herrschaft“ als „Wunder“ erwirkt haben.949 Kliment schien in dieser Darstellung in der Kriegssituation ähnlich wie Demetrios von Saloniki von der lokalen orthodoxen Bevölkerung als Schutzheiliger, als Erlöser von militärischer Herrschaft durch andere, imaginiert worden zu sein. Zudem sei seine Verehrung entgegen den Thesen der gelehrten Slavistik bis ins 19. Jh. nicht abgebrochen.950 Teodorov-Balan reflektierte sodann das Gedenken an den Heiligen aus wissenschaftlicher Warte und unterschied mehrere Ebenen. Auf einer Metaebene der Interpretation beschrieb der Philologe zunächst die angeblich bestehende lokale religiöse Verehrung Kliments durch „orthodoxe Betende“, die religiöse Lieder sangen, als „gewohnheits­ mäßiges, traditionelles Wissen“. Dieses unterscheide sich als „unbewusste Überlieferung, als Erinnerung an ein Ereignis, wie eine persönliche Gewohnheit“ vom „literarischen und wissenschaftlichen Denken“, das etwa der Historiker Marin Drinov im Zusammenhang mit Paisij Chilendarski förderte. Dieses bezeichnete Teodorov-Balan als „Segen des Bewusstseins, als interpretierte Tatsache, als Inhalt des aktiven Gedächtnisses“, das „auf das Verstehen des Lebens ausgerichtet“ sei. Dieses wissenschaftliche Denken sah Teodorov-Balan ganz im nationalen Rahmen: „Die Entdeckung von Paisij Chilendarski durch Drinov war eine wirkliche Bereicherung der Lehre vom bulgarischen nationalen Lehre, gerade in der Freundschaft mit diesem Heiligen, und auch die Nachkommen sollen ihn bitten in aller Unfreiheit und in ihren Nöten um jeden Segen“. Teodorov-Balan (1919), S. 3. 949 „Wie flammend und freundschaftlich der Ohrider Bulgare immer mit Kliment dem Slowenen verkehrt hat, der im Volk in Makedonien und in den Kirchen ganz Bulgariens nur als der ­Ohrider bekannt ist, haben wir auch in dem heutigen Krieg um die Vereinigung des bulgarischen Vaterlandes verstanden. Als unser siegreiches Heer voriges Jahr (1915) am 25. November (alter Rechnung) in Ohrid eingezogen ist, – dem kirchlichen Feiertag des hl. Kliment, des römischen Papstes, und des hl. Kliment, des slavischen Bischofs, – begrüßte eine Ohrider Frau, aus der feierlichen Stimmung ihres Herzens heraus, einen bulgarischen Hauptmann gemäß dem alten Brauch mit einem Krug Wein, und bespritzte sein Pferd dem Krieger zum Gruß; worauf die leidende Seele dem hl. Kliment Dankbarkeit äußerte für die Befreiung von der dreijährigen serbischen Herrschaft. ,Der Goldene‘ – so wird der Beschützer-Heilige im Mund der Ohrider zärtlich genannt – ,unser Goldener hat die Gebete erhört‘, dies war ein aufrichtiger Ausdruck des Glaubens der Ohrider an das Wunder Kliments, ihre neue Freiheit.“ Teodorov-Balan (1919), S. 3 f. 950 „So war der hl. Kliment unter den Nachkommen seiner früheren Herde und seiner Volksgenossen (sănarodnici) lebend und lebendig, als der russische Gelehrte Vukol Michailovič U n d o l s k i verkündete, er habe ein neues Licht im literarischen Himmel der altbulgarischen und slavenischen (slověensko) Zeit entdeckt; er habe einen Schüler der slavischen Erstlehrer Kyrill und Method entdeckt, – ihren bemerkenswertesten Schüler, den Bischof K l i m e n t d e n ­S l a v e n (Slověnski).“ Teodorov-Balan (1919), S. 4.

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Bewusstsein, war ein Licht im Gang, im Prozess der bulgarischen Wiedergeburt“. Die „Entdeckung“ Kliments durch den Slavisten Undolski fand nun in einem allgemein­ slavischen, „kultur-historischen“ Diskurs statt.951 Mit diesen Sätzen liegen Beobachtungen zur Rolle des gelehrten national- oder kirchengeschichtlichen, historiographischen Diskurses zur Zeit des Ersten Weltkrieges vor. Diese analytischen Überlegungen reflektierten das Gedenken an Kliment und waren ihm gleichzeitig gewidmet. Die Unter­scheidung eines „unbewussten“ Gedenkens von jenem des „bewussten“, „wissenschaftlichen“ Deutens war nur eine Differenzierung der Formen des Gedenkens: Die Reflexion der Erinnerungskultur um die Erinnerungsfigur Kliments und seiner „Entdeckung“ sollte zielstrebig der „Wiedergeburt“ dienen, wie die Rede des Weiteren demonstrierte. Nach diesen einführenden Sätzen schilderte Teodorov-Balan Anfänge einer Wertschätzung des Heiligen unter seinen „unmittelbaren Schülern“.952 Entscheidend waren in seinen Augen lokale Erinnerungstraditionen, die er als ausschließlich slavische und solche des „Bulgarentums“ darstellte und in einen Zusammenhang mit der Gegenwart stellte.953 Auf dieser Grundlage verband Teodorov-Balan bulgarische Wissenschaft und 951 „Auch vor der Entdeckung Undolskis haben slavische und griechische Bücher Christus liebenden Lesern vom Leben und den Taten (dělata) Kliments des Slaven oder von Ohrid erzählt und schon vorher haben ihm orthodoxe Betende Kanones zum Gedenken (za pomen) und zur Ehre gesungen. Aber auch Paisij Chilendarski las man, kopierte ihn, man hörte von ihm erzählt, er sei der empfindsame Zeuge seines Geschlechts (roda si) und der Sprache der Bulgaren, bevor ihn unser berühmter Marin Drinov entdeckte und im literarischen und wissenschaftlichen Denken vorstellte. Aber gerade dort ist der Unterschied zwischen dem gewohnheitsmäßigen, traditionellen Wissen und der wissenschaftlichen Entdeckung: Denn das erste besteht als unbewusste Überlieferung, als Erinnerung an ein Ereignis, wie eine persönliche Gewohnheit. Das zweite aber zählt als ein erworbener Segen des Bewusstseins, als interpretierte Tatsache (raztălkuvana podatka), als Inhalt des aktiven Gedächtnisses (pameť), das auf das Verstehen des Lebens ausgerichtet ist. Welchen Reichtum an Daten, Glauben, Wissen und Kunst enthält die mündliche Volksüberlieferung, und wie diese Überlieferung jeden Tag und jede Stunde im Denken und Handeln der Individuen des Volkes (na narodskija individ) und der Gesellschaft wirkt; aber die Wissenschaft beginnt ihn erst jetzt aus der Ferne zu beobachten und teilweise zu erforschen, und verkündet dann in den Räumen ihres Reiches die eine oder andere ihrer Entdeckungen von etwas, das ihr bisher unbekannt war! Die Entdeckung von Paisij Chilendarski durch Drinov war eine wirkliche Bereicherung der Lehre vom bulgarischen nationalen Bewusstsein, war ein Licht im Gang, im Prozess der bulgarischen Wiedergeburt; aber die Entdeckung Kliments des Slaven durch Undolski, der ihn als den Verfasser einer Reihe altbulgarischer Schriften angibt und bestimmt, stößt das slavische Denken zur kultur-historischen Erfassung all dessen, was die ihm gewidmeten slavischen und griechischen Legenden und Lobpreisungen über Kliment von Ohrid berichten und singen.“ Teodorov-Balan (1919), S. 4. 952 So schrieb er, „schon die unmittelbaren Schüler Kliments haben die Würde und Verdienste ­dieses Geistlichen im Vergleich zu anderen bemerkt“. Teodorov-Balan (1919), S. 5. 953 „Die Erinnerungen waren noch tief in den Gegenden, in denen Kliment tätig war, und die lokale Kirche hat sie besonders gehütet wegen des Slaventums, des Bulgarentums (poradi ­slověn­štinata, bălgarštinata) des gottgefälligen Wirkers (děec) und seines Werks. Nur wegen dieser T i e f e und wegen des B u l g a r e n t u m s sind die durch die Jahrhunderte und bis heute gehüteten Gefühle

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das Gedenken an Kliment als „bulgarischen Vorlehrer, Buchgelehrten und Priester“ ­weiter miteinander, indem er eine „würdige Untersuchung seines Lebens und seiner Tätigkeit“ durch die bulgarische Akademie der Wissenschaften „zur Feier des tausendsten Jahres nach seinem Tod und tausend Jahre bulgarischer Bildung“ ankündigte:954 Die Beschreibung Kliments als Begründer bulgarischer Wissenschaft und Bildung sollte das gegenwärtige Ansehen der modernen bulgarischen Wissenschaft mehren. Abschließend stellte Teodorov Kliment „als Lehrer“ in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit und hielt fest, er habe „Tausende von Schülern erzogen“. Religiöse Bildung beschrieb er als Beitrag zum gesellschaftlichen, „gläubig-gemeinschaftlichen slavischen Aufbau“. Wichtiger als religiöse Aspekte waren ihm aber nationale, weltliche: Kliment wurde zum Hirten, der seine „Herde“ „zum ordentlichen national-kulturellen (pravilen narodnostno-kulturen) Leben“ geführt habe. Diese Rolle als nationale Leitfigur einer als einheitlich imaginierten Kultur, aber auch seine angebliche „wirtschaftliche Fürsorge“ sowie seine Gebeine, von denen Wunder erwartet wurden, seien die Grundlage zu seiner religiösen und allgemeinen Verehrung „unter seinen Volksgenossen (sănarodnici) fern und weit“ geworden.955 Mit dem Zitat eines Gebets eines modernen Dichters beschwor er den „Glauben an seine Gebeine und die Schutzherrschaft bei der Bevölkerung im Ohrider Land“ und rief ihn in traditioneller Weise als Fürbitter vor Gott und lebendigen Heiligen im Jenseits an. In diesem religiösen Text im Rahmen weltlicher Literatur diente Kliment ganz modern als vorrangig nationale Integrationsfigur: „Hl. Kliment, wir lieben dich: / du bist Bulgare, du bist unser Heiliger!“ 956 Der Text zeigt auf, wie auch im sich weiter etablierenden wissen­schaftlichen Diskurs die Erforschung der Erinnerungskultur um Kliment untrennbar mit seiner Aufladung mit nationalem Sinn verbunden war und und Gedanken der Bulgaren in Makedonien gegenüber Kliment zu verstehen“. ­Teodorov-Balan (1919), S. 5. 954 Teodorov-Balan (1919), S. 26. 955 „Als Lehrer hat Kliment Tausende von Schülern erzogen, aus denen sich kirchliche Diener und Priester mit verschiedenen Titeln rekrutierten. Als Lehrer und Bischof brachte er seine Herde zum gläubig-gemeinschaftlichen slavischen Aufbau und führte sie zum ordentlichen national-­ kulturellen (pravilen narodnostno-kulturen) Leben. Nach ihm [nach seinem Tod, S. R.] schrieben diese Lobeslieder auf den Heiligen und Belehrungen zu den Feiertagen. Mit dem Wort und dem Buch breitete sich sein Ruhm unter seinen Volksgenossen (sănarodnici) fern und weit aus; und mit seinem persönlichen Beispiel, mit den kirchlichen Gebäuden und der wirtschaftlichen Fürsorge ließ er eine unauslöschliche Erinnerung (spomeni) in seinem engeren Bischofsgebiet zurück. Diese Erinnerung vereinigte sich zu noch größerer und erhöhter Dauer in Bezug auf seine Überreste, von denen die gläubigen Nachkommen alle Heilung erwarten und erlangen.“ Teodorov-Balan (1919), S. 30 f. 956 „So besteht die Erinnerung an Kliment und der Glaube an seine Gebeine und die Schutzherrschaft bei der Bevölkerung im Ohrider Land und in der Umgebung bis heute, sodass ein ­heutiger Poet mit Recht sagt, und wir alle mit ihm: ,Hl. Kliment, Gottes Priester, / bitte vor Gott um uns auch dort! … / Hl. Kliment, wir lieben dich: / du bist Bulgare, du bist unser ­Heiliger! … / Hl. ­Kliment, gib, dass unsere Kinder, / dass sie nicht wie wir böse Qualen sehen …‘“ T ­ eodorov-Balan (1919), S. 31.

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einen wichtigen Teil der Reproduktion der Erinnerung darstellte: Teodorov-Balan stellte sich als Wortführer der schmalen akademischen Gemeinschaft und früherer Hauptfunktionär der bulgarischen Kirche mithilfe Kliments an die Spitze des nationalen Diskurses. Aber nicht nur in der Hauptstadt, auch Schüler in der Provinz sollten zur Verankerung des Gedenkens Bäume zu Ehren Kliments pflanzen, wie der „Kirchenbote“ verlangte.957 C 4.4  Kliment als ,Alpha und Omega der bulgarischen Eigenart‘ – Feiern im besetzten Skopje

Im August 1916 wurde der erste Todestag des Heiligen nach der erneuten bulgarischen Besetzung großer Teile Vardar-Makedoniens vor Ort besonders gefeiert.958 Der Kirchenhistoriker und damals den „Kirchenboten“ redigierende Ivan Sněgarov, nach eigenen Angaben ein „Journalist mit höherer theologischer Bildung“, „der selbst unter dem unmittelbaren Eindruck der Volkslegenden um den hl. Kliment aufgewachsen“ sei,959 hielt am 9. August in Skopje eine Ansprache zu Ehren Kliments mit dem Titel „Ein großer Leuchter über dem bulgarischen Land: Der hl. Kliment von Ohrid und seine geistig-kulturelle Bedeutung“. Kliment diente in diesen Augusttagen ganz direkt als Medium der Imagination einer bulgarischen Nation und Kultur in Vardar-Makedonien und damit zur Rechtfertigung der Besetzung: Die „im Namen des hl. Kliment“ versammelte „gesamte Bürgerschaft jeden Alters“ sollte ein tagespolitisches „Zeichen“ sein für die lebendige Gegenwart eines „nationalen Geistes“ im „Kampf“ gegen „Unterdrücker“ – in der Vergangenheit wie in der Gegenwart.960 Diese politisch-theologische Konstellation war eine grundlegende Neuerung, die aber nicht als solche erscheinen sollte, sondern eben an der fernen Vergangenheit anknüpfte: Wie angeblich vor tausend Jahren sollte der „Ruhm des hl. Kliment von Ohrid“ in „ganz Bulgarien“ erschallen, und „das ganze bulgarische Volk zu seinem heiligen Gedenken (pameť)“ sich verneigen. In dieser imaginierten kollektiven Handlung sollte „das ganze geeinte Volk von der Donau und dem Schwarzen Meer bis zum Blauen Meer“ gleichzeitig die geographischen Teilgebiete einen und – „an der Spitze die Kranzträger Boris und Simeon“ – als politische Einheit vorgestellt werden.961 Das moderne nationalstaatliche bulgarische Projekt, das 957 958 959 960

Weber (2001), S. 264. Weber (2006), S. 201 f. Sněgarov (1917), S. 3. „Meine Seele erfüllt sich mit Freude, wenn ich die gesamte Bürgerschaft allen Alters hier im Namen des hl. Kliment versammelt sehe. Ich freue mich, denn dies ist ein deutliches Zeichen, dass in dieser ruhmreichen historischen Stadt, die als erste den Kampf gegen die geistlichen Unterdrücker aufgenommen hat, auch heute ein wacher nationaler Geist lebt“. Sněgarov (1917), S. 5. 961 „Es mussten tausend Jahre vergehen, dass der Ruhm des hl. Kliment von Ohrid wieder in ganz Bulgarien erschallt, wie zur Zeit seines irdischen Lebens. Tausend Jahre mussten vergehen, bis sich das ganze bulgarische Volk zu seinem heiligen Gedenken (pameť) verneigt, von einem bis zum anderen Ende des vereinigten bulgarischen Vaterlandes, wie es sich vor seinem engel­haften

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in Vardar-Makedonien im Oktober 1915 nur dank des Ersten Weltkrieges eine Chance zur Verwirklichung bekommen hatte, sollte als Rückkehr des mittelalterlichen Bulgarien erscheinen, obschon dieses u. a. ganz andere Grenzen gehabt hatte. Für Sněgarov war in erster Linie die Instrumentalisierung der Erinnerungsfigur als Medium der Imaginierung und Legitimierung einer territorialen staatlichen und nationalen Einheit der Bulgaren von Bedeutung, in der das frisch besetzte Vardar-Makedonien als wesentlicher, ja zentraler Bestandteil erscheinen sollte. Der nur Monate zurückliegende Zeitpunkt der Besetzung sollte durch das Alter Kliments maximal kompensiert werden. Das Volk habe zuvor, wie Sněgarov zugab, „die Erinnerungen (spomenitě) an den ewigstrahlenden Leuchter (světilnik) vergessen, der in der Morgenröte seiner Kulturgeschichte geleuchtet hatte“. Begriffe, wie sie in den traditionellen Gesängen und Viten gebräuchlich waren, wurden hier in ein kulturgeschichtliches Sprachfeld der Vorstellung einer einheitlichen Nationalkultur eingeflochten. Praktiken religiöser Erinnerung beschrieb Sněgarov dabei mit einer gewissen Distanz: Nur in der Nähe seiner Gebeine, „in Ohrid und in den Nachbarstädten“, seien die „heiligen Erinnerungen“ „lebendig“ geblieben. Aus dieser Gegend habe sich mit „der Wiedergeburt des bulgarischen Volkes“ die Verehrung „wie aus einem Tempel Gottes (Božija skinija)“ insbesondere dank der Schulen „im bulgarischen Vaterland“ verbreitet. Weltliche Schulen dienten so zum Medium einer sakralen Verehrung. Die ganze Region wurde in dieser Vorstellung im Rahmen des Rückblicks auf die Erinnerungsgeschichte politisch-theologisch zu einem „Tempel Gottes“ sakralisiert. Ohrid wurde zur „Zuflucht (pazilište) der Erinnerungen an den hl. Kliment“ stilisiert und an ihn als Ausgangspunkt seiner erneuerten Verehrung während der „Wiedergeburt“ erinnert.962 Die Eingliederung Vardar-Makedoniens in den bulgarischen Staat sollte nun unter diesem Blickwinkel als nationalhistorische Selbstverständlichkeit erscheinen. Zur Rechtfertigung der Besetzung Makedoniens machte Sněgarov Kliment zur zentralen Figur der bulgarischen Nation, ja nationaltheologisch zum „Inspirator (oduchotvoriteľ) der bulgarischen Nationalität“. Hierzu war seine Säkularisierung nötig: Kliment verdiene die durch das Volk erwiesene „Ehre“ nicht als wunderwirkender Heiliger, sondern als historische „Persönlichkeit von erstrangiger Größe, eine Persönlichkeit, welche die Geschichte jedes der großen ­Völker zieren Antlitz verneigte, als dieser auf der Erde wirkte, das ganze geeinte Volk von der Donau und dem Schwarzen Meer bis zum Blauen Meer, an der Spitze die Kranzträger Boris und Simeon.“ Sněgarov (1917), S. 5. 962 „Das bulgarische Volk, das durch Feuerstürme und schreckliche historische Umbrüche gegangen ist, hat größtenteils die Erinnerungen (spomenitě) an den ewigstrahlenden Leuchter (světilnik) vergessen, der in der Morgenröte seiner Kulturgeschichte geleuchtet hatte. Diese heiligen Erinnerungen blieben nur dort lebendig, wo die Gebeine des Heiligen liegen, in Ohrid und in den Nachbarstädten (Struga, Rěsen, Kičevo, Debăr). Von hier, wie aus einem Tempel Gottes (Božija skinija), begann es sich nach der Wiedergeburt des bulgarischen Volkes nach und nach durch die Schule im bulgarischen Vaterland zu verbreiten. Und heute strömt das bulgarische Volk eifrig zusammen, um von seinen geistlichen und gesellschaftlichen Führern zu hören, was der Anlass der heutigen großen Feier ist.“ Sněgarov (1917), S. 5.

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würde“.963 Sein „Werk“ wurde zum wichtigsten Faktor im imaginierten kulturhisto­ rischen Wachstumsprozess des bulgarischen Volkes und politisch-theologisch zu dessen Lebensgrundlage in der Gegenwart: „durch sein Werk wurde das bulgarische Volk in der Vergangenheit groß (văzveliči se) und lebt in der Gegenwart. Der hl. Kliment hat in sich das Genie (genija) des bulgarischen Volkes verkörpert [kursiv im Text, S. R.].“ 964 ­Kliment wurde als „Persönlichkeit“ nicht direkt zum „Genie“ des Volkes erklärt, ­sondern – angelehnt an religiöse Vorstellungshorizonte – zur Inkarnation dieses nationalen Genies. Er wurde nationaltheologisch zum Medium, zum Geschöpf der Nation umgedeutet und ganz aus dem traditionellen christlichen Zusammenhang gelöst: Nicht Gott schien er unter diesem politisch-theologischen Blickwinkel gedient zu haben, sondern der Nation. Auf dieser Grundlage wurde er auch für den Gebrauch als historischer Akteur säkularisiert, ja gar zum „Eckstein unserer Geschichte“ erklärt. Sněgarov ging in seiner nationalpolitisch-theologischen Deutung Kliments aber noch weiter: So stellte er die Vermutung an: „Und, vielleicht hat Zar Boris, ganz im kalten Schweiß, nachdrücklich Gott gebeten, dass er ihn von diesem ausweglosen Pfad erlöse, und erbat vom Himmel einen Funken, der die Fackel der bulgarischen Bildung anzünden sollte. Und diesen Funken überbrachte der hl. Kliment.“ War diese Vorstellung noch einigermaßen in sich folgerichtig entworfen, steigerte Sněgarov seine politisch-theologische Rhetorik gleich noch weiter: „Er war der Engel, der das jungfräuliche Bulgarien [auf Bulgarisch ist der Landesname feminin, S. R.] besamte, und ihm eine göttliche Frucht schenkte. Diese rettete Bulgarien vor dem Untergang.“ 965 Gott stiftete gemäß diesem Konzept den von Boris erbetenen Funken, und Kliment befruchtete Bulgarien, dem die Rolle der Jungfrau Maria zugeschrieben wurde. Die heranwachsende „Frucht“, in Anlehnung an Christus entworfen, war offenbar die „geistige“ und lebendige Dimension der „Nation“, deren „physische Seite“ Zar Boris „wie ein Bildhauer“ geschaffen habe. Kliment habe diesen „bulgarischen Elementen“ dann „den Atem des Lebens“ eingehaucht. Kliment erschien in der Vorstellung Sněgarovs als Fleischwerdung des „Genius“ des Volkes sowie dann als Samenspender und nun als lebensspendender „Erschaffer der bulgarischen Nationalität (narodnosť)“.966 Logisch wie theologisch im traditionellen Sinne waren diese rhetorischen Blüten kaum nachvollziehbar: Der Fleischwerdung des Genius des bereits existierenden Volkes in Form eines Samens sollte die Geburt der Nation folgen, wobei der Samenspender Kliment allein und nicht auch die Jungfrau „Bulgarien“ als ­Schöpfer gelten sollte. Überdies sei Boris gemäß dieser Nationaltheologie der „Bildhauer“.

963 „Der heute verehrte Geheiligte verdient die Ehre, die ihm das ganze freie bulgarische Volk erweist, vollumfänglich.“ Sněgarov (1917), S. 17. 964 Sněgarov (1917), S. 17. 965 Sněgarov (1917), S. 17. 966 „Zar Boris hat die physische Seite der bulgarischen Nationalität geschaffen, der hl. Kliment aber – die geistige. Boris sammelte wie ein Skulpteur die bulgarischen Elemente und gab ihnen eine äußere Gestalt, während Kliment ihnen den Atem des Lebens einhauchte – er ist der Erschaffer der bulgarischen Nationalität (narodnosť).“ Sněgarov (1917), S. 17.

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Dem Zaren Boris – und nicht Boris als Heiligem – wurde in diesen Sätzen eine zwar wichtige, aber deutlich weniger glanzvolle Rolle als Kliment zugestanden. Kliment und nicht Boris stand am Anfang der Zeit, zu der „die bulgarische Nation“ entstand und „einen besonderen Platz in der Geschichte der kultivierten Menschheit“ einnahm. Der „Geist des bulgarischen Volkes“ sei „der Geist Kliments“, wobei Kliment gleichzeitig, wie zuvor beschrieben, die Inkarnation des Volksgenius gewesen sein soll. „Die ganze bulgarische Kulturgeschichte“ erschien nun im Rahmen der Referenz auf Kliment, ja sie sei „nichts Anderes als die Entwicklung des Geistes Kliments“.967 Sněgarov bezog auch die kulturellen Handlungsmaximen und Lebensideale der bulgarischen Elite der „neuen Zeit“ ganz auf Kliment: „Die ganze Plejade (pleada) der Akteure des Volks (na­rodni dějci) in der alten wie in der neuen Zeit haben als Lebensprinzip und Zentrum den hl. Kliment.“ 968 Kliment sei nicht nur „der erste bulgarische Lehrer“ und „der erste bulgarische Buchgelehrte“, sondern „der erste bulgarische Kulturträger“. Er sollte zudem zum Grundleger der Bereiche bulgarischer Existenz werden, die aus moderner kulturgeschichtlicher und sozialökonomischer Perspektive ins Blickfeld gerieten: „Er machte den Anfang der bulgarischen materiellen Kultur, der bulgarischen Wirtschaft“.969 Neben diesen Innovationen, die Kliment erstmals zum Vorbild des imaginierten und sich entwickelnden Bürgertums machen sollten, blieben religiöse Diskurselemente eingesetzt: Kliment habe als angeblicher Begründer der bulgarischen Kirche dieser die „Kraft“ gegeben, „im Verlauf von tausend Jahren die Arche Noah des bulgarischen Volkes zu sein“.970 Kliment kam bei Sněgarov neben dieser religiösen, gesamtgesellschaftlichen, materiellen und wirtschaftlichen überdies eine transnationale messianische Dimension zu. Unter dem Zwischentitel „Der hl. Kliment – Erlöser (spasiteľ) des Slaventums“ schrieb der Historiker: „Der hl. Kliment rettete nicht nur Bulgarien, sondern die ganze slavische Welt.“ Denn ohne ihn wäre „das Werk der hll. Kyrill und Method ohne Frucht“ geblieben.971 Kliment, meist im Schatten Kyrills und Methods gesehen, sollte diesem Text zufolge eine nicht weniger wichtige Rolle als diese selbst eingenommen haben. Der schon weitaus stärker gefestigte Diskurs um die Brüder sollte auf Kliment übertragen werden und diesem zum Sprungbrett in die Stellung eines „Erlösers des Slaventums“ 967 „Seit seiner Zeit begann sich die bulgarische Nation (nacija) herauszugestalten und nahm einen besonderen Platz in der Geschichte der kultivierten Menschheit ein. Und der Geist des bulgarischen Volkes, das mehr als tausend Jahre später erfrischt und verjüngt lebt – dies ist der Geist Kliments. Die ganze bulgarische Kulturgeschichte ist nichts anders als die Entwicklung des Geistes Kliments.“ Sněgarov (1917), S. 17. 968 Sněgarov (1917), S. 17 f. 969 Sněgarov (1917), S. 18. 970 „Ist es erforderlich überdies zu sagen, dass der hl. Kliment als erster bulgarischer Bischof der Errichter der bulgarischen Kirche ist, indem er ihr die Kraft gab, in den Stürmen und Kata­ strophen (krušenija) im Verlauf von tausend Jahren die Arche Noah des bulgarischen Volkes zu sein.“ Sněgarov (1917), S. 18. 971 Sněgarov (1917), S. 18.

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dienen. Unter diesem Blickwinkel sei auch aus einer gleichfalls internationalen Perspektive das „hohe nationale Selbstbewusstsein“ der Tschechen und Polen – die mit Mickiewicz bekanntlich als „Messias der Völker“ gelten sollten – nicht nur den Brüdern, sondern auch Kliment und seinen Freunden zu verdanken, die dort „für das Kyrillomethodianische Werk kämpften“.972 Zudem dehnte Sněgarov Kliments Bedeutung auf Russland aus: Sein Diskurs wurde zum Medium, Russland zu einem Allianzwechsel im Ersten Weltkrieg aufzurufen.973 Insgesamt pries Sněgarov Kliment in einem säkularisierten Zusammenhang als den „idealen bulgarischen Patrioten“: „Alles für das Volk, nichts für sich selbst“ sei „das Grundprinzip seines Lebens“ gewesen.974 Religiöse Selbstentsagung vor Gott wurde in einem politisch-theologischen Zusammenhang zu solcher gegenüber dem Volk um­­ gedeutet. Gleichzeitig rief Sněgarov Kliment aber auch als „Heiligen und Wundertäter“ in Erinnerung: Er sei ein „Heiliger, der auch jetzt lebt und er ist der Fürsprecher (chodataj) und Fürbitter (molitvenik) vor Gott für seine Stadt und das ganze bulgarische Land“.975 Der Redner griff hier die traditionellen Texte – er zitierte auch Theophylaktos – auf und fügte sie in das moderne Rollenrepertoire der Erinnerungsfigur ein. Allerdings nahmen traditionelle Funktionen Kliments in dem neuen Erinnerungsgefüge nur noch eine marginale Rolle ein. Sněgarov betonte aber Aspekte der traditionellen Verehrung Kliments, die ethnische und konfessionelle Grenzen überschritten. Die angebliche Verehrung Kliments auch unter „den Türken“, die ihn als „Sinanbaba“ bezeichneten, sowie unter „den Albanern“ steht für die Ausweitung seiner Rolle als Medium zur Legitimierung der Eingliederung der besetzten Gebiete in den bulgarischen Staat auch auf trans­ ethnische Argumentationsstrategien.976 Der Kirchenhistoriker schloss seinen Text mit einem Rundumschlag, der die Erinnerungsfigur Kliment zur beherrschenden Referenz des religiösen wie des weltlichen und zivilgesellschaftlichen Alltagslebens der bulgarischen Gesellschaft der Gegenwart und

972 „Dieses hohe nationale Selbstbewusstsein, das die Tschechen und die Polen haben, wie auch die anderen katholischen Slaven, ist, abgesehen vom hl. Method, auch dem hl. Kliment zu verdanken, der mit der Mitwirkung seiner Freunde tapfer in Mähren für das kyrillomethodianische Werk kämpfte“. Sněgarov (1917), S. 18. 973 „Und was sollten die Russen ohne den hl. Kliment sein, die während mehrerer Jahrhunderte Licht aus seinen Werken (tvorenija) geschöpft haben, und sich die erhabenen christlichen Ideen durch seine Sprache angeeignet haben, und deren Alphabet und heutige Sprache Kraft aus der Sprache des hl. Kliment schöpft – aus der Sprache unserer Vorväter? Und am heutigen Tag der slavobulgarischen Aufklärung stehen die Russen mit der Waffe in der Hand gegen die Freiheit des Vaterlandes derjenigen, die ihnen das Licht und die geistige Kraft gegeben haben.“ ­Sněgarov (1917), S. 18 f. 974 Sněgarov (1917), S. 20. 975 Sněgarov (1917), S. 21. 976 „Auch heute rühmt sich Ohrid wegen seines großen Geheiligten und schöpft Zuspruch und Kraft aus dem Glauben in seine Wunderkraft. Sogar die Türken in Ohrid verehren ihn unter dem Namen Sinanbaba. Sein Gedächtnis lebt auch unter den Albanern.“ Sněgarov (1917), S. 21.

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Zukunft machen sollte: Die Reichweite des Gedenkens an sein „heiliges Bild“ sollte allumfassend sein und „die Seele jedes gesellschaftlichen Akteurs, jedes Lehrers und Priesters, jedes Bulgaren“ in seinem „volksnützlichen“ – nicht aber religiösen – Handeln leiten. Kliment wurde als „Alpha und Omega der bulgarischen Eigenart“ erneut zum Christus der bulgarischen Nationalität im Sinne einer essentialistisch vorgestellten und homogenen Nationalkultur stilisiert.977 Der „Geist Kliments“ wurde auch zur „Kraft“, die eine „bulgarische Nationalität“ schaffen konnte – und die Makedonien zu einer „Feuerstelle des bulgarischen Bewusstseins“ machen sollte. Sněgarov bedachte Makedonien so mit der Rolle eines Piemonts Bulgariens. Dieser Schachzug erlaubte es, makedonische Identität ehrenvoll in einen übergreifenden, bulgarischen Rahmen stellen zu können, ohne dass es von diesem gänzlich vereinnahmt worden wäre. Dennoch war es die „Mutter Bulgarien“, und nicht Gott oder Makedonien, die für die Geburt dieses „göttlichen Sohnes“ und „Kriegers“ verantwortlich zeichnete. Kliment war damit zur Gelegenheit geworden, die allegorische Vorstellung der Nation mit einer explizit göttlichen, religiösen Rolle zu versehen, die mit traditionellen theologischen Vorstellungen unvereinbar war. Seine Deutung als „Krieger“ ist nicht weniger weit von den früheren Texten um ihn entfernt, auch wenn als sein Kampfgebiet „Gerechtigkeit und Bildung“ galten.978 Für Sněgarov stellte der Bruch mit älteren Bedeutungsaufladungen aber kein Problem dar: Letztlich rief er die Bulgaren zum Lob des Herrn auf, dass er ihnen einen solch „zuverlässigen Wächter“ geschenkt habe. Er erneuerte so Kliments politisch-theologische Funktion als Schutzheiliger.979 Erst anlässlich der erneuten Besetzung Ohrids im Zweiten Weltkrieg sollte die in dieser Rede versuchte nationaltheologische Indienstnahme Kliments übertroffen werden.

977 „Sein Antlitz soll im bulgarischen Land die Gotteshäuser zieren, die Häuser der Bildung, die gesellschaftlichen Einrichtungen und die Privathäuser. Sein heiliges Bild soll die Seele jedes gesellschaftlichen Akteurs, jedes Lehrers und Priesters, jedes Bulgaren mit Begeisterung e­ r­füllen, denn der hl. Kliment ist das Urbild jeder volksnützlichen (narodopolezna) Tätigkeit, das Alpha und Omega der bulgarischen Eigenart (samobitnosť)“. Sněgarov (1917), S. 21. 978 Der Redner fuhr fort: „Denn der Geist des hl. Kliment ist jene geheimnisvolle Kraft, die das bulgarische Volk gesund bewahrt hat, frisch und munter bis heute, (…) denn dieser Geist ist jene Kraft, die in Makedonien eine starke, hartnäckige, während eines ganzen Jahrtausends durch keine feindlichen Schläge gebrochene bulgarische Nationalität geschaffen, und damit Makedonien dazu gerüstet hat, eine unerlöschliche Feuerstelle (ognište) des bulgarischen Bewusstseins, eine unerschöpfliche Quelle der bulgarischen Macht, eine ewige Wiege der bulgarischen Sehnsüchte und Ideale zu sein: weil schließlich der Ruhm des hl. Kliment der Ruhm der Mutter Bulgarien (majka Bălgarija) ist, die einen solchen göttlichen (božestven) Sohn geboren hat, einen solch großen Krieger (ratnik) für die Gerechtigkeit und Bildung.“ Sněgarov (1917), S. 21 f. 979 Sněgarov (1917), S. 22.

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C 4.5  Kliment als ,Führer‘ – kirchliche Stimmen zu den Feiern

Am gleichen Tag, dem 9. August 1916, fanden nicht nur in Skopje, sondern auch in Ohrid Feierlichkeiten zu Ehren des tausendsten Todestages Kliments statt. Der Ohrider Metropolit Boris sprach ein offenbar eigens zu diesem Anlass verfasstes Gebet „unserem heiligen Vater Kliment, dem Ohrider Erzbischof und Wundertäter“. Der Text erschien auch im Sofioter „Kirchenboten“, im offiziellen Organ der bulgarischen orthodoxen Kirche.980 Das in Ohrid auf Kirchenslavisch vorgetragene Gebet vereinte traditionelle kirchliche Rhetorik mit wenigen neuen nationalistischen Elementen. Der Metropolit sprach Kliment persönlich als „Führer (voditeľ)“ sowie als „Vollbringer der ewigen Er­lösung“ an, aber nicht für einzelne Gläubige, sondern „für das bulgarische Zarentum“.981 Er lobte Kliment zunächst für seine Verdienste um das Volk und dann erst für jene um die Kirche. Kliment wurde nicht zum „Führer“ und Vermittler vor Gott für einzelne Christen, sondern zum Fürsprecher der nationalen politischen Herrschaft umgedeutet. Das Gebet hatte die Vergebung für „unsere Ungesetzmäßigkeiten“ zum Inhalt, aber auch die zukünftige „starke Fürsprache“ zugunsten des Zaren und des nationalen ­Staates, den er stärken sollte.982 Der Geistliche erneuerte damit das Gedenken an Kliment in seiner alten Funktion als Schutzheiliger. Allerdings entsprach diese nur den Interessen der modernen bulgarischen Besetzer Vardar-Makedoniens. Der Metropolit gab damit eine eindeutige politische Stellungnahme ab. Der Text ging trotz dieser gleichfalls erkennbaren tagespolitischen Instrumentalisierung dennoch deutlich weniger weit mit dem Entwurf einer Nationaltheologie als die gleichentags gehaltene Rede Sněgarovs. In der Beschreibung Kliments im „Kirchenboten“ der BOK überlappte sich 1916 eine weltlich-historische Sicht mehrfach mit einer geistlichen: Der von 1911 bis 1914 in Czernowitz zum Theologen ausgebildete Diakon Ivan Gošev schrieb zum 12. August: „Es sind Jahrhunderte verflossen im Kampf und Unglück, Zarentümer sind verschwunden, Städte sind ausradiert, aber das Bild des hl. Kliment konnte nicht aus der Seele des bulgarischen Volkes ausgelöscht werden. Und noch mehr. Nicht nur ist er selbst über die Jahrhunderte ganz geblieben, er hat auch seine Unsterblichkeit bewahrt und einen Teil auf die übertragen, die ihn in ihre Seele gelegt hatten. Durch ihn und seine Ideale und Vermächtnisse sind die Bulgaren, besonders jene

980 Cărkoven Věstnik, 1916, Nr. 38, S. 39, zit. gemäß Sněgarov (1917), S. 23 f. 981 „Du hast für unser Volk und die Kirche Gottes große Großtaten und Arbeiten geleistet. Du, als du unser Land und deine Stadt mit dem Licht der Gotteserkenntnis und der Frömmigkeit erleuchtet hast, wurdest unser Führer (voditeľ), zum Urheber und Vollbringer der ewigen Errettung: du wurdest zum glühenden Beter und Vermittler (vor Gott) für das bulgarische Zarentum.“ ­Cărkoven Věstnik, 1916, Nr. 38, S. 39, zit. gemäß Sněgarov (1917), S. 23 f. 982 So wurde Kliment gebeten: „Beschütze und bewahre gesund und unbeschadet unseren frommen Zaren Ferdinand, und stärke den bulgarischen Staat mit unabänderlichem Frieden und Segen. Aber am meisten beschütze uns mit deinen bewaffneten Engeln, und erlöse uns vom Hunger, vom Unheil (paguba), vom Erdbeben und von der Sintflut, vom Feuer, vom Messer und von feindlichen Überfällen“. Cărkoven Věstnik, 1916, Nr. 38, S. 39, zit. gemäß Sněgarov (1917), S. 24.

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der südwestlichen Grenzen unserer Heimat, über Jahrhunderte des Kampfes und der Mühsal als Volk erhalten geblieben“.983

Kliment wurde damit auch durch die BOK die Erhaltung des „bulgarischen Volkes“ zugeschrieben. Der Diakon schilderte sodann, worin das „lebendige Feuer“ Kliments bestehe, aus dem das Volk heute erneut „schöpfen“ sollte: Zunächst sei Kliment ein Gläubiger gewesen, sowie ein „Idealist“ mit „erhabenen Idealen“. Erst an letzter Stelle führte Gošev aus, der hl. Kliment sei auch „ein bewusster Patriot (rodoljubec’)“ gewesen. „Heute, wo das ganze bulgarische Volk triumphiert und glückliche Tage hohen Selbst­bewusstseins und der nationalen (nacionalno) Stärkung“ erfährt, sei Kliments als eines der „wichtigsten Schöpfer unseres damaligen nationalen Bildes (naroden obraz)“ besonders zu gedenken.984 Der Heilige erschien damit zwar als gläubiger Christ, aber erneut auch in der Beschreibung durch einen Geistlichen ganz weitgehend als weltliche nationale Erinnerungsfigur. Seine der religiösen Vorstellungswelt entliehene Unsterblichkeit habe sich in den Seelen als entscheidend zur Erhaltung des säkularen nationalen Bewussteins bzw. des bulgarischen Volkes als solchen erwiesen. Die Verehrungs­ gemeinschaft ­Kliments sollte identisch mit der Vorstellung einer bulgarischen Nation sein. C 4.6  Weitere religiöse und weltliche Überlappungen im Kontext des Ersten Weltkrieges

In welch nahen Zusammenhang weltliche, nationale und religiöse Vorstellungsrahmen zu diesem Zeitpunkt gestellt wurden, bezeugte das in derselben Nummer des „Kirchen­ boten“ wiedergegebene Gedicht des „Volkserweckers“ Ivan Vazov mit dem Titel „Heiliger ­Kliment!“. Der als Nationaldichter Verehrte soll das Gedicht kurz nach der Rückeroberung Ohrids im Dezember 1915 verfasst haben.985 Es handelte sich um ein Gebet mit dem Ziel, Kliment in seiner Funktion als „unser Beschützer“ und Fürbitter für das bulgarische Volk zu gewinnen, um „die neue Sklaverei“ abzuschütteln, die mit der ­serbischen Herrschaft an die Stelle der türkischen getreten sei. Kliment sollte „die Kräfte stärken“. Die Eroberung Ohrids zum Gedenktag Kliments am 25. November belegte die Hilfe Kliments: „Lasst uns heute unsere Freiheit feiern, / Gemeinsam mit deinem geheiligten Tag!“ Kliment blieb hier ein traditioneller Heiliger, der aber zu nationalen Zwecken um Hilfe gebeten wurde. Nationales Gedicht und religiöses Gebet kamen textuell als kulturelle Praxis zu einer Einheit.986 Gleichzeitig hielt es die Redaktion des „Kirchenboten“ für notwendig, dem Publikum das offenbar wenig bekannte Ohrid historisch näher

983 Cărkoven Vestnik, 12.8.1916, Nr. 31, S. 285 f. 984 Cărkoven Vestnik, 12.8.1916, Nr. 31, S. 286. 985 Cărkoven Vestnik, 12.8.1916, Nr. 31, S. 287; Ivan Vazov. Săbrani săčinenija v 22 toma, Bd. 4, Lirika 1913 – 1921, S. 119 f. 986 Cărkoven Vestnik, 12.8.1916, Nr. 31, S. 287 f.

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zu bringen: Im gleichen Jahr veröffentlichte das Organ der bulgarischen Kirche einen Überblick von L. Laskov über die Stadt und „ihre kirchlichen Altertümer“. Die Teile des Aufsatzes erschienen nacheinander in mehreren Heften,987 was bezeugen kann, dass die Herausgeber dem Text eine herausragende Bedeutung zuschrieben. In einem mit publizistischen Maßnahmen intensivierten übergreifenden Kontext über Ohrid veröffentlichte der „Kirchenbote“ am 21. Oktober 1916 wenige Seiten nach einem Teil dieses Aufsatzes zudem ein Gedicht von Todor I. Băčvarov, dem Heraus­geber der 1898 – 1915 erschienenen Sofioter Zeitschrift „Heimat (rodina)“, mit dem Titel „Hl. Kliment, Beschützer Ohrids“ und dem Untertitel „Legende“.988 Zu Beginn des Textes ließ Băčvarov einen greisen „Imam“ Kinder davor warnen, „dieses verfluchte (kleti) Volk“ – offenbar die Bulgaren – zu beschimpfen: „Ich habe in meinem Leben etwas Wunderbares gesehen: / ein mächtiger Beschützer schützt es – ich weiß es.“ Die an das bulgarische orthodoxe Publikum gerichtete Zeitschrift wünschte sich offenbar, auch andere Imame ließen sich von Kliment beeindrucken: „Ja, ich weiß es! Und ich werde es nicht vergessen, / Was ich gesehen habe; dies war eine schreckliche Lehre für mich! / Ich erzähle immer, damit alle hören, / Dass es für alle auf dieser Welt einen ,Tag des Sehens (Vidov-den’)‘ gibt!“ Mit der Verbindung Kliments mit dem Kosovodiskurs, dem der „Vidov-den’“ zugehörte, erweiterte der Autor den bisher erarbeiteten Bestand der Textbezüge bulgarisch besetzter Diskurse: Die Bedeutung des Tages nicht als Gedenktag von Veit bzw. Vid, sondern eines „Tages des Sehens“ entsprach einer zur Mitte des 19. Jh. in Belgrad diskutierten Erklärung der Gedenkpraxis. Dabei ist zu bedenken, dass gerade die Volkslieder des Kosovozyklus lange nicht national gedeutet worden waren: Vielleicht stand die Übernahme in einen bulgarischen Kontext nicht als transnationale Verflechtung der Erinnerungspraktiken für eine bewusste Aushebelung der serbischen nationalen Argumentation. Zumindest kann sie zeigen, wie wenig national vereinnahmt der Vidovdan in der Region war und wie ungebräuchlich die Deutung als Veitstag war. In dieser Inszenierung Băčvarovs erinnerte sich der Imam darauf an eine Variante einer muslimischen Bartholomäusnacht: Im Zusammenhang mit einem muslimischen Fest (Bayram) sollten „verfluchte Ungläubige“ umgebracht werden. Diesem Plan trat dann ein „unbekannter Despot“ entgegen, der sich als „Heiliger der Ungläubigen“ bzw. als Kliment erwies. Die Rede von einem „grausamen Gemetzel“, vom „Volk“ und vom „Feind“ sowie der Vergleich mit dem Opfern von Schafen schufen die Vorstellung einer kollektiven Ermordung des andersgläubigen Nachbarn.989 Während Petar II . Petrović-Njegoš im „Bergkranz“ ein Massaker an Muslimen entworfen hatte, sollte Kliment vor einem solchen imaginierten religiösen Massaker schützen. Beiden Texten gemeinsam war die Denkmöglichkeit des religiös begründeten Massenmordes. Die Redaktion des „Kirchenboten“ machte ihre Publikation mit der

987 Cărkoven Vestnik, 21.10.1916, Nr. 41, S. 366 f.; 28.10.1916, Nr. 42, S. 374 f.; 4.11.1916, Nr. 43, S. 382 f. 988 Cărkoven Vestnik, 21.10.1916, Nr. 41, S. 369. 989 Cărkoven Vestnik, 21.10.1916, Nr. 41, S. 369.

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Veröffentlichung dieses und der genannten anderen Artikel zum Medium der Recht­ fertigung der Eroberung Vardar-Makedoniens. Die bereits behandelte Ansprache von Ivan Sněgarov 1916 in Skopje wurde im folgenden Jahr in Sofia als Broschüre veröffentlicht. Ihr Herausgeber, der Geistliche Kuzman Kacarov, forderte im Vorwort programmatisch: „Unsere verdienten Männer zu ehren, ist unsere unzweifelhafte Pflicht und soll gleichzeitig auch unsere Freude sein. Wenn wir diesen Ehre erweisen, ehren wir auch unser Volk selbst, das diese großen Söhne geboren hat, wir schätzen seine Vergangenheit, achten seine Geschichte, mit einem Wort, wir erweisen uns als Söhne, die mit Blutbanden mit ihrem Volk verbunden sind.“ 990

Das Ziel war offensichtlich, sich als würdige Söhne des Volks zu erweisen und damit die Zugehörigkeit zur nationalen Gemeinschaft zu untermauern. Beides setzte ganz selbstverständlich die Bekräftigung der offenbar ungefestigten Existenz dieser „mit Blutbanden“ hergestellten „imagined community“ voraus. Der Geistliche nahm hier von traditioneller Religiosität Abstand und trieb stattdessen die weitere Aufladung der Erinnerungsfigur mit nationaler, säkularer Bedeutung voran. In der Herstellung dieser Gemeinschaft mit dem Medium der Erinnerungsfiguren „verdienter Männer“ und in diesem Falle Kliments sollte sich die Gemeinschaft als soziale Wirklichkeit festigen. Das Wissen um und das Verhältnis zu Erinnerungsfiguren bzw. die „Einstellung der Leute gegenüber den nationalen (narodnitě) Akteuren“ wie Kliment sollten nach den Maßgaben des Geistlichen zum Lackmustest und Kern eines Bekenntnisses zum bulgarischen „nationalen Selbstbewusstsein“ und „Patriotismus“ werden.991 Kacarov blickte 1917 zurück auf die Diskurse der zweiten Hälfte des 19. Jh. und idealisierte diese als die „Zeit unserer Wiedergeburt, als der nationale Geist stürmisch war“. Nicht einzelne Intellektuelle, sondern umgekehrt „das Volk“ und dessen „hohes Selbstbewusstsein“, ja „der nationale Geist“ wurden hier als Motoren für die Einrichtung des Feiertages zu Ehren Kyrills und Methods angegeben. In der kollektiven sozialen Praxis, „der nationalen Akteure“ zu gedenken, „nehmen wir ihren Geist auf und erziehen uns dazu, sie damit nachzuahmen“:992 Das Ziel des Geistlichen war der ganz bewusste maximale Einsatz des Diskurses über den Heiligen zur Mitwirkung an der nationalen Erziehung, gleichrangig und ohne funktionalen Unterschied gegenüber weltlichen Erinnerungsfiguren. Auch über die Veränderung der medialen Situation des Gedenkens stellte der Geistliche Überlegungen an: Anstelle und analog zum mündlichen kollektiven Gedenken 990 Sněgarov (1917), S. 3. 991 „Deshalb kann man am besten an der Einstellung der Leute gegenüber den nationalen (narodnitě) Akteuren ihr nationales (nacionalno) Selbstbewusstsein und ihren Patriotismus (rodoljubie) einschätzen.“ Sněgarov (1917), S. 3. 992 „Während der Zeit unserer Wiedergeburt, als der nationale Geist stürmisch war, drückte das Volk zwanglos und feierlich seine Verehrung gegenüber seinen Schaffenden (truženici) aus. Der Feiertag der heiligen Brüder wurde zu dieser Zeit eingerichtet, auf den Druck des hohen Selbstbewusstseins des Volkes. Außerdem, wenn wir das Gedächtnis der nationalen Akteure (narodnitě děci) erleben, nehmen wir ihren Geist auf und erziehen uns dazu, sie damit nach­ zuahmen.“ Sněgarov (1917), S. 3.

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sollte das Volk das Gedächtnis der Brüder und Kliments lesend ehren: Es sollte „wie beim häufigen Gespräch mit weisen lebendigen Leuten“ nun „beim Lesen ihrer Werke und Gedanken“ sich „von ihrem wohltätigen Geist hinreißen lassen und das Streben zum erhabenen Leben spüren“.993 Dieses Gedenken, das in der angeblichen nationalen und weniger in der religiösen Bedeutung der „Werke“ der Erinnerungsfiguren gründete, kann kaum mehr im traditionellen Sinne religiös genannt werden, obschon es von einem orthodoxen Geistlichen entworfen wurde. Immerhin spiegelte sich in seiner Rede von ihrem „wohltätigen Geist“ die Vorstellung der persönlichen Gegenwart der erinnerten Figuren im Jenseits. Kacarov setzte alles daran, die Diskurse über die Heiligen zu Medien des modernen nationalen Aufbaus umzugestalten: Als er seinen Entscheid weiter begründete, „dieses Büchlein“ zu veröffentlichen, lobte er die Leistung Sněgarovs, in ihm „das großartige Bild unseres ersten Lehrers und Hierarchen, des Grundlegers unseres nationalen Daseins, sehr reliefartig hervorgehoben“ zu haben.994 Der Geistliche stilisierte Kliment zum „Grundleger“ des „nationalen Daseins“ der Bulgaren. Er schrieb die Erinnerungsfigur damit nicht nur in den nationalen Diskurs ein, sondern machte diese sogar zu seinem Begründer. Kliment erschien sodann als der „unermüdlichste Schmied“ und damit als demiurgischer Schöpfer und Gestalter der „bulgarischen Nationalität“.995 Das Bild vom Schmied gab ihm den Habitus eines Arbeiters und sollte den Heiligen als Handwerker offenbar neuen sozialen Schichten zugänglich machen. Gerade der Geistliche säkularisierte die Erinnerungsfigur noch nachhaltiger, als es in den bisherigen Umdeutungen zu beobachten war. Kliments so gedeutete historische „schöpferische Großtat“ gab nicht nur den Handlungshorizont für die Gegenwart, sondern auch für die Zukunft vor: „Wir schöpfen aus seinem Genius Ansporn zur Fortführung seines Werks – den Dienst am Volk durch kulturelle und aufklärerische Tätigkeit.“ 996 Der Geistliche trat für einen am Gottesdienst angelehnten „Dienst am Volk“ ein, der mehr mit einer Adaption national-romantischer Diskurse der Moderne durch den Geistlichen als mit traditioneller Theologie und Seelsorge gemein hatte: Von Gott war keine Rede. Als zu Beginn des 20. Jh. die noch unter osmanischer Herrschaft stehenden, „Makedonien“ genannten Gebiete zum Zankapfel Serbiens, Griechenlands und Bulgariens wurden, ist damit eine markante Konjunktur der neu erfundenen Verehrung Kliments zu beobachten. Mit dem Ersten Weltkrieg und der zeitweiligen Besetzung Vardar-­Makedoniens 993 „Wie beim häufigen Gespräch mit weisen lebendigen Leuten“ und „wie beim häufigen geistigen Gedächtnis an die verstorbenen heimatlichen (rodni) Weisen“, insbesondere aber eben nun „beim Lesen ihrer Werke und Gedanken, werden wir uns von ihrem wohltätigen Geist hinreißen lassen, und das Streben zum erhabenen Leben spüren“. Sněgarov (1917), S. 3. 994 Sněgarov (1917), S. 3. 995 Besonders wertvoll sei auch, „dass in ihr klar und bestimmt die allseitige Bedeutung des hl. ­Kliment für das bulgarische Volk ausgedrückt wird. Wenn wir dieses Buch lesen, begeben wir uns in diese ruhmreiche Epoche, als die bulgarische Nationalität (narodnosť) geschmiedet wurde, und wir sehen den unermüdlichsten Schmied in seiner ganzen Größe.“ Sněgarov (1917), S. 4. 996 Sněgarov (1917), S. 4.

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durch bulgarische Truppen sind insbesondere in Sofia große Bemühungen zu verzeichnen, Kliment als Legitimierungs- und Einigungsmedium zu benutzen. Kliment gewann damit erstmals seit langer Zeit außerhalb der Region um Ohrid eine Verehrerschaft. Selbst im fernen, nordöstlichen Šumen wurde seiner „mit nationalem (nacionalna) Stolz“ gedacht: M. Moskov veröffentlichte 1915 eine Broschüre zu ­seinem tausendsten Todestag im Jahre 1916, in der er auf mehreren Seiten die bulgarische Nationalität Kliments bekräftigte und seine Tätigkeit als „erster bulgarischer Lehrer“ insbesondere der „bulgarischen makedonischen Bevölkerung“ beschrieb.997 Serbische Publizisten schrieben zur Wende ins 20. Jh. selten über Kliment: Stojan Novaković, einer der wichtigsten Begründer der modernen serbischen Geschichts­ wissenschaft, stellte 1893 in seinen „Grundlagen der slavischen Schriftlichkeit“ fest, dass nicht Kyrill und Method, sondern „der hl. Kliment und seine Freunde die ersten und wahren Apostel des slavischen Buchs auf der Balkanhalbinsel“ 998 gewesen seien. Er widmete Kliment deshalb viel Raum:999 Seine „erste Lehrarbeit“ sei „die Einführung der Volksschriftlichkeit unter den Balkanslaven“ gewesen.1000 Die Beschreibung blieb hier ganz im übergreifenden slavischen, nicht nationalen Diskurs. Für wichtiger unter seinen Zeitgenossen hielt Novaković allerdings Gorazd: „Gorazd war noch berühmter und angesehener als Kliment, er nahm den ersten Rang ein nach Method und war wirklich auch der frühere Bischof slavischen Geschlechts als Kliment“. Allerdings sei er später im bulgarischen Gedächtnis vergessen worden.1001 Novaković war der erste hier besprochene Akteur, der Gorazd Kliment voranstellte. Auch seine ausführliche Reflexion der transethnischen Verehrung „slavischer Heiliger“ in Moschopolis bezeugt seine außerordentliche Sonderstellung: „Als damals im vergangenen Jahrhundert in der wichtigen zinzarischen [aromunischen, S. R.] Handelsstadt Moschopol das griechische Druckereiwesen begann, hat man auch die slavischen Heiligen dieser Gegenden Albaniens und Makedoniens nicht vergessen“.1002 Novaković rief ausführlich in Erinnerung, wie der russische Gelehrte V. I. Grigorovič 1844 in Ohrid auf eine lebendige Erinnerung an Kliment gestoßen war: „Demnach ist die Erinnerung in Ohrid so lebendig, dass noch heute die Wahrhaftigkeit dessen, was die alte Legende berichtet, bekräftigt wird.“ 1003 Auch im 1894 in Belgrad erschienenen gymnasialen Lehrbuch der „Geschichte des serbischen Volkes“ von Ljubomir Kovačević und Ljubomir Jovanović wurden Kliment einige Passagen gewidmet: Sein Wirken sei für das „Leben der Balkanslaven“ von ­g­­roßer Bedeutung gewesen.1004 Im Rahmen dieser transnationalen Einordnung konnten die Autoren ausführlich ein „Goldenes Zeitalter des slavischen Buches in Bulgarien“ 997 998 999 1000 1001 1002 1003 1004

Moskov (1915), S. 6, S. 12. Novaković (1893), S. 52. Novaković (1893), S. 52 – 88. Novaković (1893), S. 53. Novaković (1893), S. 58. Novaković (1893), S. 65. Novaković (1893), S. 67. Kovačević/Jovanović (1894), S. 103, S. 106 – 109, zit. von S. 109.

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anerkennen.1005 Alle damaligen Gelehrten seien vom „großen Gedanken Kyrills und Methods beseelt gewesen“, „alles zum Nutzen für das slavische Volk“ zu tun.1006 Die Verehrung des hl. Naum durch lokale Muslime ist für den Beginn des 19. Jh. wie auch für das beginnende 20. Jh. weiterhin belegt: Der Wiederaufbau des dem hl. Naum gewidmeten Klosters bei Korica wurde mit dem Bektaşi Ali Pascha von Ioannina in Verbindung gebracht.1007 1894 berichtete Branislav Nušić in einem in Belgrad publizierten Bericht seiner 1892 in die Region geführten Reise, das Grab Naums werde von „Türken“ verehrt. Das Dorf „Svetinaumsko (Heiliger Naum)“ werde nach Sarı Saltuk „Sarisaltik“ genannt.1008 Frederick William Hasluck erfuhr vor 1916 durch einen „orthodoxen Mohammedaner in Ohrid“, dass die „orthodoxen Sunniten den Heiligen als einen der ihren anerkennen, wobei sie darauf verweisen, (a) er habe vor dem Aufschwung der Bektaşihäresie gelebt und (b) die Christen hätten sein Grab usurpiert“.1009 Die damit auf die Umgebung um Ohrid beschränkte Verehrung Kliments spielte bereits zur Mitte des 19. Jh. eine Rolle bei der Einrichtung von Schulen, in denen in bulgarischer Sprache unterrichtet werden sollte. In ersten Publikationen im Rahmen des Osmanischen Reiches blieb ein transreligiöser Zusammenhang bedacht, während Mitte der 1880er-Jahre Kliment in Ohrid auch zum Patron einer geheimen terroristischen Vereinigung diente. Auch in einer makedonisch ausgerichteten Geschichtsschreibung spielte er aber noch um 1893 keine Rolle. Erst nach 1900 wurde die Erinnerungsfigur nicht nur für Ohrid, sondern auch in der Hauptstadt bedeutend: Das zu Beginn des 20. Jh. in Sofia eingerichtete Publikationsorgan der BOK benutzte Kliment, um sich selbst in den Diskurs der „Wiedergeburt“ und des „Fortschritts“ einzuschreiben. Führende Historiker und Geistliche beschrieben während der Balkankriege in Sofia mithilfe ­Kliments eine heilige bulgarische Nation mit Makedonien als Zentrum. Gerade Kliment sollte mit der Wiedereroberung des Gebiets 1916 als „Alpha und Omega der bulgarischen Eigenart“ im Rahmen einer Nationaltheologie den Kern des imaginierten bulgarischen nationalen Wesens darstellen. Gleichzeitig sei er transnational der „Erlöser“ der Slaven. In seltenen serbischen Texten über Kliment spielte dieser dagegen keine emotional aufgeladene Rolle, obschon Stojan Novaković ihn für bedeutender als Kyrill und Method erachtete. Während die Verehrung Savas aus der Hauptstadt Belgrad expandierte, sind damit für Kliment eine Übernahme und Ausweitung eines bisher lediglich in der osmanischen Peripherie lebendigen Kults im neuen politischen Zentrum festzustellen. Der lokalen transreligiösen Verehrung trat im Rahmen dieser Übersetzung des Kults die Sofioter Vorstellung einer sakralisierten, modernen bulgarischen Nation entgegen. Immerhin konnte im bulgarischen „Kirchenboten“ selbst 1916 auch eine transreligiöse Legende veröffentlicht werden, die Kliment im Kontext des Vidovdan bzw. des noch nicht national

1005 1006 1007 1008 1009

Kovačević/Jovanović (1894), S. 111 – 115. Kovačević/Jovanović (1894), S. 114. Hasluck (1929) 2, S. 586 – 591. Nušić (1894), S. 21, S. 104. Hasluck (1929), S. 70; Norton (2001), S. 185 f.

Das Amselfeld und der Veitstag

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gedeuteten Kosovomythos als Beschützer von Muslimen darstellen konnte. Weiterhin blieb eine transethnische und transreligiöse Verehrung Kliments bestehen. C 5  Der kontroverse Nationalmythos – die Schlacht auf dem Amselfeld und der Veitstag als nationales Mythengeflecht C 5.1  Neuentwürfe diskursiver Stränge und ihre Politisierung bis zur Mitte des 19. Jh.

Die ersten Anfänge der modernen serbischen Geschichtsschreibung stellten das Geschehen auf dem Amselfeld als weltlichen Diskurs dar: Pavle Julinac verband in seinem Geschichtswerk 1765 keinerlei sakrale Bezüge mit der „unglücklichen Schlacht“ und beschrieb auch keine religiöse Verehrung des gefallenen Lazar Hrebeljanović.1010 Damit klammerte er folgerichtiger als die bisherige weltliche Chronistik die religiösen Texte über das Ereignis und seine Akteure aus. Archimandrit Rajić wich in seiner umfangreichen Darstellung der bulgarischen, kroatischen und serbischen Geschichte nur wenig von diesem sehr säkularen Diskurs ab und festigte das weltliche Bild von der Schlacht. So schrieb er zwar vom „seligen Körper“ des getöteten Fürsten, der ins Kloster Ravanica überführt wurde, „da Gott ihn rühmen wollte“.1011 Aber nur implizit ließ er ihn als Heiligen erscheinen.1012 Im Vergleich zu Julinac ist dennoch eine stärkere Berücksichtigung des sakralen Diskurses zu beobachten. Rajić hielt sich in seiner Darstellung an die klassischen serbischen chronistischen und sakralen Quellentexte, in denen der slavische Veit wie auch Miloš Obilić keine Rolle spielten. Erst im 19. Jh. gaben auch serbische Texte und Fassungen von Liedern über die Schlacht das Datum des Ereignisses nach dem Vorbild der älteren Quellentexte aus dem katholischen Kontext mit dem römisch-katholischen hl. Vitus an.1013 Neu entstand im 19. Jh. der Verweis auf den Veitstag in literarischen Texten.1014 Ein Lied aus der Feder

1010 Julinac (1765), S. 90 f. 1011 Rajić (1794) 3, S. 69 f. Zudem ist vom „Zorn Gottes“ die Rede, den Lazar zu spüren bekommen habe. Rajić (1794) 3, S. 56. 1012 „Sein Gedenken wird von den Gläubigen ehrerbietig gefeiert am Tag der Schlacht auf dem Amselfeld und seines Todes, das heißt am 15. Juni.“ Rajić (1794) 3, S. 70. 1013 Popović (21977), S. 63. So hieß es in der Ausgabe von Karadžić von 1815 im entsprechenden „Volkslied“, der des zukünftigen Verrats bezichtigte Miloš (K)Obilić habe am sogenannten Fürsten­abendmahl geantwortet: „Es wird der Veitstag (Vidov’ dan) kommen, d. h. wir werden sehen [serbokroat. „videti (sehen)“], wer treu (prava věra) und wer untreu (ungläubig, nevěra) ist“. Narodna srbska pěsnarica 2, S. 110 f.; analog 30 Jahre später: Srpske narodne pjesme 2, S. 303; vgl. Popović (21977), S. 64, S. 66. Karadžić zit. in der Übersetzung seiner Tochter: Volksmärchen der Serben, S. 280. 1014 Aus dem Jahr 1817 ist ein Gedicht „Zum Veitstag (na Vidovdan)“ des Schriftstellers ­Lukijan ­Mušicki bekannt, das gleichfalls den Tag des Heiligen offenbar nur zur Datierung der Geschehnisse

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gedeuteten Kosovomythos als Beschützer von Muslimen darstellen konnte. Weiterhin blieb eine transethnische und transreligiöse Verehrung Kliments bestehen. C 5  Der kontroverse Nationalmythos – die Schlacht auf dem Amselfeld und der Veitstag als nationales Mythengeflecht C 5.1  Neuentwürfe diskursiver Stränge und ihre Politisierung bis zur Mitte des 19. Jh.

Die ersten Anfänge der modernen serbischen Geschichtsschreibung stellten das Geschehen auf dem Amselfeld als weltlichen Diskurs dar: Pavle Julinac verband in seinem Geschichtswerk 1765 keinerlei sakrale Bezüge mit der „unglücklichen Schlacht“ und beschrieb auch keine religiöse Verehrung des gefallenen Lazar Hrebeljanović.1010 Damit klammerte er folgerichtiger als die bisherige weltliche Chronistik die religiösen Texte über das Ereignis und seine Akteure aus. Archimandrit Rajić wich in seiner umfangreichen Darstellung der bulgarischen, kroatischen und serbischen Geschichte nur wenig von diesem sehr säkularen Diskurs ab und festigte das weltliche Bild von der Schlacht. So schrieb er zwar vom „seligen Körper“ des getöteten Fürsten, der ins Kloster Ravanica überführt wurde, „da Gott ihn rühmen wollte“.1011 Aber nur implizit ließ er ihn als Heiligen erscheinen.1012 Im Vergleich zu Julinac ist dennoch eine stärkere Berücksichtigung des sakralen Diskurses zu beobachten. Rajić hielt sich in seiner Darstellung an die klassischen serbischen chronistischen und sakralen Quellentexte, in denen der slavische Veit wie auch Miloš Obilić keine Rolle spielten. Erst im 19. Jh. gaben auch serbische Texte und Fassungen von Liedern über die Schlacht das Datum des Ereignisses nach dem Vorbild der älteren Quellentexte aus dem katholischen Kontext mit dem römisch-katholischen hl. Vitus an.1013 Neu entstand im 19. Jh. der Verweis auf den Veitstag in literarischen Texten.1014 Ein Lied aus der Feder

1010 Julinac (1765), S. 90 f. 1011 Rajić (1794) 3, S. 69 f. Zudem ist vom „Zorn Gottes“ die Rede, den Lazar zu spüren bekommen habe. Rajić (1794) 3, S. 56. 1012 „Sein Gedenken wird von den Gläubigen ehrerbietig gefeiert am Tag der Schlacht auf dem Amselfeld und seines Todes, das heißt am 15. Juni.“ Rajić (1794) 3, S. 70. 1013 Popović (21977), S. 63. So hieß es in der Ausgabe von Karadžić von 1815 im entsprechenden „Volkslied“, der des zukünftigen Verrats bezichtigte Miloš (K)Obilić habe am sogenannten Fürsten­abendmahl geantwortet: „Es wird der Veitstag (Vidov’ dan) kommen, d. h. wir werden sehen [serbokroat. „videti (sehen)“], wer treu (prava věra) und wer untreu (ungläubig, nevěra) ist“. Narodna srbska pěsnarica 2, S. 110 f.; analog 30 Jahre später: Srpske narodne pjesme 2, S. 303; vgl. Popović (21977), S. 64, S. 66. Karadžić zit. in der Übersetzung seiner Tochter: Volksmärchen der Serben, S. 280. 1014 Aus dem Jahr 1817 ist ein Gedicht „Zum Veitstag (na Vidovdan)“ des Schriftstellers ­Lukijan ­Mušicki bekannt, das gleichfalls den Tag des Heiligen offenbar nur zur Datierung der Geschehnisse

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des serbischen Dramatikers aromunischer Herkunft Jovan Sterija Popović von 1841 trägt gleichfalls den Titel „Zum Gedächtnis des Veitstags“. Es beklagte das Schicksal der Serben und verglich deren verlorene Macht mit der des alten Rom: „War nicht Roms alte Macht / einst halbgöttlich?“ Neben diesem Wunsch nach antiker, klassischer Größe stand der Hinweis auf einen „Genius“, der „über Lazar steht“.1015 Als es 1846 in Belgrad zwei Kasinos oder Lesesäle gab und sich weitere auch in Provinzstädten verbreiteten, wurden diese Texte dem schmalen Kreis der Lesenden zugänglich.1016 Bald wurden auch Bühnenstücke zum Kosovomythos geschrieben, die das Schicksal von Miloš Obilić und der Serben beklagten und über mehrere Jahre hinweg aufgeführt wurden.1017 Neben einem weltlichen literarischen und dramatischen Diskurs entwickelte sich zur Mitte des Jahrhunderts auch die Verbindung des Veitstages mit politischen Zielen: In Belgrad riefen liberale Studenten 1847 die „Gesellschaft der serbischen Jugend“ ins Leben, deren programmatisches Ziel die Sammlung aller Serben des mittelalterlichen Reichs war. Die Gründung erfolgte bewusst am Veitstag.1018 Im Revolutionsjahr 1848 erklärten Belgrader Studenten vor dem Veitstag mit einem Zitat der entsprechenden Zeile des epischen Liedes: „Daher werden wir am Veitstag sehen (videti), wer treu (ko je vera) und wer untreu (ungläubig, nevera) ist“. Der diskursive Zusammenhang war der der Verehrung heldenhafter Vorfahren. Ihr erinnertes Beispiel sollte handlungsleitend für die Zukunft der auf der Folie des mittelalterlichen Reiches imaginierten Gemeinschaft werden.1019 Der Diskurs blieb in diesem Fall säkular und nicht religiös aufgeladen. Aber auch Geistliche trieben die Politisierung voran: Im ungarländischen Karlovci war es 1848 der neu gewählte Patriarch Josip Rajačić, der den Mythos während der Revolution mit dem Kult der Nemanjidendynastie verband und politisierte. Er sprach, so ein Flugblatt, vor den Volksvertretern des „Maiparlaments (Majska skupština)“: „Ihr werdet heute beobachtet vom heiligen Stamm der Nemanjiden, durch Simeon, Sava und Uroš, Dušan und Lazar. Erinnert euch an Miloš Obilić… aber auch an den Verrat von Vuk Branković!“ Der orthodoxe „Metropolit des serbischen und walachischen Volks“ Rajačić beschwor in diesem Text ganz im Sinne des demokratischen Diskurses bzw. der „Volksbewegung, die in Westeuropa begonnen hat“ nationale Ansprüche und Gleichberechtigung: „Allen Völkern sind diese Rechte gemein: Nationalität (narodnost), ­Sprache, Selbständigkeit, Glaube, Tradition, die Freiheit des Denkens und seine Gedanken in Wort oder Schrift anderen mitzuteilen.“ Allerdings war diese serbische Europäizität nur im Rahmen eines regionalen Landespatriotismus unter der imperialen Herrschaft „unseres allergnädigsten Zaren Ferdinand“ denk- und sagbar.1020 Neben der

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einsetzte. Kosovski boj u srpskoj književnosti, S. 319 f. Jovan Sterija Popović, Pesme, proza, S. 24 f. Ekmečić (1991), S. 336. Vgl. zu einem weiteren Werk von Jovan Sterija Popović: Ekmečić (1991), S. 334. Djordjević (1991), S. 315. Građa za istoriju srpskog pokreta 1,1, Nr. 320, S. 414, vgl. Djordjević (1991), S. 315 f. Građa za istoriju srpskog pokreta 1,1, Nr. 181, S. 255 f., hier S. 256, vgl. Djordjević (1991), S. 316.

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säkularen Deutung des Mythos und der Verbindung mit dem (sakralen) Veitstag durch Studenten in Belgrad stand damit gleichzeitig im ungarländischen Rahmen die Politisierung des Mythos im Zusammenhang mit dem sakralen Element der Verehrung des hl. Lazar und der hl. Nemanjiden durch einen Kirchenfürsten. Offenbar fand erst am 27. Juni 1851 ein direktes Gedenken an den Veitstag im Rahmen einer weltlichen Versammlung statt: Beamte veranstalteten an seinem Vorabend eine Lesung im Belgrader städtischen Lesesaal zur Erinnerung an das letzte Abendmahl Lazars und seinen Schwur. Dabei soll der Vortragende dazu aufgerufen haben, in den Kosovo zu gehen und für die verlorene Unabhängigkeit zu kämpfen. In der Folge wurde er auf den Druck des Paschas von Belgrad entlassen.1021 C 5.2  Auf der Suche nach Erklärungen des Mythos: Antikeneuphorie und serbische Götter

Trotz dieser diskursiven Festigung mehrerer neuer Deutungsstränge des Tages und ihrer Instrumentalisierung auch für politische Zwecke war es noch 1852 der äußerst kleinen serbischen lesenden Öffentlichkeit ganz unklar, wie das Gedenken an den Veitstag in den serbischen Erinnerungshaushalt gekommen war. Die weltliche oder klassizistische Deutung des Mythos blieb in dieser Diskussion über ihn auf der Suche nach Erklärungen zunächst wichtiger als eine religiöse Aufladung: Jovan Sterija Popović lehnte damals die verbreitete These ab, der „Vidovdan“ sei mit dem Verb „sehen (viditi)“ verbunden und sei dank des Volksliedverses entstanden, am Tag darauf werde man sehen, wer treu ist und wer nicht. Stattdessen meinte er, das Gedenken an die Schlacht am 15. Juni sei wegen des römisch-katholischen Feiertages des hl. Veit an diesem Tag mit diesem verbunden worden.1022 1867 argumentierte der Lehrer Nikola Đ. Vukićević aus Sombor in der Vojvodina auf der Grundlage des „Volksliedes“, bereits vor der Schlacht habe Lazar nach katholischem Vorbild Veit verehrt, zumal er im westlichen Gebiet der Serben geboren worden sei und die Dalmatiner römischen Glaubens Veit als Heiler von Augenkrankheiten sehr verehrten.1023 Erst zur Mitte des 19. Jh. wurde eine Verbindung der Erzählung von der Amselfeldschlacht mit dem entstehenden gelehrten Diskurs über die Verehrung von Vid als einem 1021 Ekmečić (1991), S. 336. 1022 Die „Serben römischer Konfession“ bezeichneten den römisch-katholischen Veit (Vit) als Vid. Solange der julianische Kalender galt, sei dies auch ein Feiertag der Orthodoxen gewesen. Jovan Sterije Popović, Kritični pogledi u pověstnicu srbsku. Srbske Novine, 11.12.1852, Nr. 141, zit. gemäß Vučković (1889), S. 6. Die Argumentation war falsch, da in den serbischen Heiligenverzeichnissen auch zur Zeit des gemeinsamen Kalenders für das Datum andere Heilige genannt wurden, wie Popović später vorgehalten wurde. Vučković (1889), S. 11 f. 1023 Bereits zuvor sei bei den Elbslaven bzw. in Prag der heidnische Svetovit durch den lateinischen Vitus abgelöst worden: Vučković paraphrasierte einen Beitrag von Vukićević in einer Somborer Schulzeitung von 1867: Vučković (1889), S. 12.

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heidnischen Gott im Stile antiker Götter hergestellt. 1856 deutete gerade der orthodoxe Geistliche und Begründer der kritischen Schule der serbischen Historiographie,1024 Archimandrit Ilarion Ruvarac, Marko Kraljević, einen epischen, skrupellosen Kriegshelden der „Volkslieder“,1025 in romantischer Antikeneuphorie als Sonnengott:1026 Was den deutsch-nationalen Bildungsbürgern und Gelehrten im Historismus der Germanenkult war,1027 sollte im serbischen Diskurs mit der Erfindung antiker und heidnischer Traditionen sowie der Umdeutung von Helden der Volksepen im entsprechend erweiterten Rahmen des Kosovomythos ein ebenbürtiges Gegenstück erhalten. Die Antikeneuphorie wurde gleichfalls auf den schon um zur Mitte des Jahrhunderts in den serbischen Diskurs eingebrachten heidnischen Svetovit 1028 übertragen: Der Jurist und führende romantisch-nationale Schriftsteller sowie spätere Politiker Laza Kostić verfasste 1870 ein Gedicht mit dem Namen „Prometheus der Adria“: Dieser sollte als „serbischer Prometheus“ am „Tag des Veit (Vid)“, den er als einen „Riesen der Sonne“ beschrieb,1029 etwa nach dem Vorbild des Gemäldes des polnischen Prometheus Horace Vernets von 1831 seine Ketten abwerfen.1030 Veit wurde damit in der antikisierenden romantischen Belletristik zum göttlichen, heidnischen Helden stilisiert.1031 Diese antike Deutung und volkstümliche Aufladung Veits ist in einen mitteleuropäischen Zusammenhang zu ­stellen: St. Vitus und das „Veitsfeuer“ wurden 1858 auch in Schwaben nicht mehr nur wie schon seit langer Zeit mit der Sonnenwende in Verbindung gebracht, sondern auch mit einem antiken „Sonnengott“:1032 Antike sowie frühmittelalterliche (wieder)erfundene Traditionen wurden da wie dort unbekümmert aufgegriffen und in einem übergreifenden Wettstreit aktualisiert. Die vorgeblich wissenschaftliche Untermauerung ist als zweite Stufe der Festigung dieser Erklärung zu erkennen: 1884 hielt der dalmatinische Historiker, Parlamentarier, 1024 Djordjević (1988), S. 56. 1025 Vgl. Lauer (1995), S. 130 – 139. 1026 Popović (21977), S. 66. 1027 Kipper (2002); Leroy (2004); Wiwjorra (2006). 1028 Ein auf das Jahr 1845 datiertes Gedicht von Jovan Subbotić mit dem Titel „Slavische Götter“ enthielt auch eine Strophe, die „Svetovid“ in der ersten Zeile als Kriegsgott einführte. Děla Jovana Subbotića, Bd. 1, Pěsne lirske, S. 290 – 296, hier S. 294. 1867 konnte Dr. Božidar ­Petranović, einer der führenden Literaturhistoriker Serbiens, in einer Studie über „Bogumilen. Die Bosnische Kirche und die Bauern“ in einem regelrecht religionskomparatistischen, indogermanischen Diskurs Svetovit einfach als einen der slavischen Götter voraussetzen. Petranović (1867), S. 40. 1029 Kosovski boj u srpskoj književnosti, S. 383. 1030 Makuljević (2006), S. 221. 1031 Popović (21977), S. 66. 1032 „Das ,Veitsfeuer‘ in den Sonnwendtagen ist die christliche Fortpflanzung des einst dem Sonnengotte gefeierten Festes.“ Hierzu wurde auch „die orientalische Herakles-Sage“ bemüht („Herakles ist der jüngere Sonnengott, den Caesar noch als Sonne bei den germanischen Stämmen fand“) bzw. mit Grimms „Deutscher Mythologie“ auf Widukind von Corvey verwiesen, der Herkules neben Mars als zweiten Gott der Sachsen genannt hatte. Herberger (1858), S. 87 – 89.

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Zeitungsherausgeber und Gymnasiallehrer Nadko Nodilo, von 1857 an Professor für allgemeine Geschichte an der Universität Zagreb, an der Jugoslawischen Akademie der Wissenschaften und Künste in Zagreb einen ausführlichen Vortrag, in dem er den Kult Svetovits auf Rügen als eine Verehrung des Lichts und des Krieges umriss und als einen allgemeinslavischen Vitskult darstellte, der auch bei den Südslaven gegolten habe.1033 C 5.3  Sakralisierung der Nation und Kontroversen: Ilarion Ruvarac

Neben der Festigung des Heiden- oder Antikendiskurses, der mit der „Volkslegenden“und Märchenleidenschaft sowie mit der Verbreitung des Germanenmythos unter deutschen Romantikern in einem Zusammenhang stand, festigte sich auch eine erneuerte religiöse, orthodoxe Deutung des Tages: Trotz der ungeklärten Herkunft des Mythos wurde er schon 1852 auch von einem Geistlichen publizistisch eingesetzt, um den Blick im österreichisch-ungarischen Novi Sad auf die ganz unter osmanischer Verwaltung verbliebenen Gebiete zu lenken: 1852 veröffentlichte dort ein Priestermönch des ­Klosters Dečani, Gedeon Iosif Jurišić, eine Monographie über das Kloster im Kosovo, in der er auch Gedichte zum Vidovdan zitierte.1034 Sakralisierende Deutungen des Mythos blieben in den folgenden Jahren aber zunächst selten: Etwa stellte die 1866 gegründete „Ver­einigte Serbische Jugend“ in ihrem Publikationsorgan „Junges Serbien (Mlada Srbadija)“ die Niederlage auf dem Amselfeld als nationalen Diskurs zur geistigen und physischen Heilung eines als ein „aufgeschlitzter Körper“ imaginierten Volkes bzw. einer „Mutter Serbien“ durch die „Kraft des Obilić“ als Rache an Versklavern dar: Vasa Pelagić schrieb, man müsse „den alten serbischen Ruhm auferstehen [lassen], die Kraft des Obilić wiederherstellen, die beklagenswerten Wunden des blutigen Kosovo heilen, die wunderbaren Helden, die für die Freiheit gestorben waren, rächen, die ekligen Ketten der fünfhundertjährigen Sklaverei (ropstvo) abschütteln, die [uns] niedergeworfen haben, mit den verfluchten Tyrannen; das Netz des Unwissens zerreißen, die schwarze Zwietracht, die widerwärtigen Egoismen und Vorurteile; den aufgeschlitzten Körper der lieben Mutter Serbien vereinigen in eine allgemeine Einheit, unter einem Blut (pod jedan krov), und so erreichen, dass das eigentümliche (svakoliki) serbische Volk in brüderlicher allgemeiner Einheit sich geistig erhebt, gesellschaftlich und freisinnig, seelisch und körperlich unter den ersten aufgeklärten christlichen Völkern“.1035

Der Entwurf der modernen Nation erfolgte gerade in der Abgrenzung von der als „Sklave­ rei“ verteufelten osmanischen Herrschaft: Bis 1878 verblieb Serbien noch unter osmanischer Suzeränität. Gleichzeitig sollte auch der Bildungsstand eines der am ­weitesten „aufgeklärten christlichen Völker“ erreicht werden. Diese Denkfigur ist wie auch die

1033 Publiziert: Nodilo (1885); Popović (21977), S. 66 f. 1034 Jurišić (1852), S. 124 – 133. 1035 Mlada Srbadija, 1871, Nr. 2, zit. gemäß Bajić (1968), S. 538, vgl. Djordjević (1991), S. 316.

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Forderung, den „Ruhm auferstehen“ zu lassen, als eine nationalisierte Fassung der Kreuzigung und Auferstehung Christi zu erkennen. Der Tag wurde schließlich auch in den Kalender der orthodoxen Kirche aufgenommen: So wurde er 1869 im „Bosnischen Serbischen Kalender“ offiziell als „Tag Lazars, des Patriarchen Ephremos und des Märtyrers Vitus“ bezeichnet.1036 1879 forderte auch der „Christliche Bote“ der serbischen orthodoxen Kirche zur Begehung des Tages in Belgrad als „Tag der nationalen Reue, des Fastens und Betens“ auf.1037 Auch die junge Monarchie Serbiens wurde in der Publizistik in den Kontext des Kosovomythos gestellt: Als am 6. März 1882 Milan Obrenović sich zum König Serbiens erklärte, stellten Grußbotschaften von Vertretern der serbischen Gesellschaft in der offiziellen Zeitung „Serbische Nachrichten“ dies in einen direkten Zusammenhang mit dem Amselfeld: Das Volk grüße ihn „als das erste gekrönte Haupt nach dem Kosovo, es ist glücklich, in Deinem Antlitz“ die Erfüllung der „Verheißung“ zu erkennen.1038 Aber gerade ein Geistlicher war wenige Jahre später in der Lage, den Mythos historisch zu hinterfragen und Kontroversen zu entfachen: Archimandrit Ilarion Ruvarac kritisierte 1887/88, kurz vor der Fünfhundertjahrfeier der Schlacht, in einem zuerst in mehreren Folgen in der Zeitschrift „Stražilo“ in Novi Sad und dann als Buch erscheinenden ausführlichen Beitrag die Mythisierung der Schlacht. Insbesondere argumentierte er gegen „Gelehrte, Liederschreiber und Dichter“, der Verrat durch Vuk Branković sei nicht nachweisbar, wie es auch keine relevanten Hinweise für die Existenz von Miloš Obilić gebe. Insgesamt stellte er fest, das in den Liedern besungene sogenannte Fürstenabendmahl Lazars am Abend vor der Schlacht habe nicht stattgefunden.1039 Lazar selbst stellte er zwar im Vorwort seines Werks als Heiligen dar sowie im Zusammenhang mit dem Veitstag: „Noch ein Jahr und der Tag kommt, an dem es 500 Jahre von dem Tag sein werden, dem Veitstag, an dem der heilige serbische Fürst Lazar starb.“ Im Weiteren war aber die Abhandlung dezidiert sachlich und säkular ausgerichtet.1040 Mit der Demontage der Erinnerungsfigur des Fürstenabendmahls, die sich am Letzten Abendmahl Christi orientierte, setzte Ruvarac auch die im Liederdiskurs noch enthaltene religiöse Komponente außer Kraft. Seine kritische Stimme setzte sich aber im nationalen Diskurs nicht

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Ekmečić (1991), S. 342. Vidov dan, in: Hrišćanski Vesnik 1 (1879) 6, S. 123 zit. gemäß Ekmečić (1991), S. 342. Srpske Novine, 7.3.1882, Nr. 53, S. 1. „Und mögen Gelehrte, Liederscheiber und Dichter: die Mušicki, die Sterija und die Živkovići weiterhin die ,Mutter des Übels, das Fürstenabendmahl‘ beweinen und in Kantaten klar und laut derselben [der Helden, S. R.] gedenken, aber als serbischer Historiker, dessen Aufgabe eine ganz andere ist, als die des Guslaspielers, des Sängers (…), möge [man, S. R.] sich zurück­halten und dem Herzen nicht freien Lauf lassen, und wenn man die Geschichte über den Kampf auf dem Amselfeld schreibt, nicht auf die Lieder und Erzählungen hören (…), sondern fragen und in Erfahrung bringen, was sich in den ersten und ältesten (…) Quellen“ findet. Ruvarac (1887), S. 350 f., auch zit. bei Radojčić (1932), S. 212. 1040 Ruvarac (1887), S. VI.

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durch: In der Folge wurde er auch als „Verräter der serbischen Nation“ geschmäht.1041 Die Debatte über eine Dekonstruktion von Aspekten des Kosovomythos darf dennoch als Beginn einer kritischen serbischen Geschichtsschreibung gelten.1042 Die Deutung des Mythos wurde zunehmend auch in seiner bildlichen Darstellung ausgehandelt. Zunächst festigte sich dabei eine weltliche Erzählung vom militärischen Ereignis: 1870 erstellte Adam Stefanović eines der ersten monumentalen Historiengemälde der „Schlacht auf dem Amselfeld“.1043 C 5.4  Die 500-Jahr-Feiern 1889 und neue Kontroversen: Jovan Vučković

Eine weitere wichtige Etappe in der Festigung diskursiver und sozialer Praktiken zur Propagierung des Mythos war die Begehung des 500. Jahrestages der Schlacht auf dem Amselfeld.1044 Zu dessen Feier organisierte etwa ein „Vidovdanausschuss“ in der Kleinstadt Ruma im Kreis Srem einen Kompositionswettbewerb, aus dem die von Đura ­Strajić verfasste und vom tschechischen Komponisten Guido Havlas vertonte „Vidovdan­hymne“ erfolgreich hervorging. Die Hymne konnte allerdings zu den für 1889 im Kloster Ravanica geplanten Feiern nicht gesungen werden, da diese wegen der angespannten politischen Lage abgesagt wurden.1045 Im Vorfeld der Feiern wurde der Bevölkerung auch die Geschichte des Klosters in Erinnerung gerufen, „von dem jeder Serbe gehört“ haben sollte.1046 Die Veröffentlichung des Offiziums zu Ehren Lazars gemäß einer Ausgabe von 1761 sollte die sakrale Seite des Gedenkens fördern und gleichzeitig wohltätigen Zwecken dienen: Der Erlös sollte „verwitweten und verarmten“ Volksschullehrern zukommen.1047 Die junge Monarchie machte sich den Feiertag zur Selbstinszenierung und Legitimation zunutze: Am 15. Juni, am Veitstag und 500. Gedenktag der Schlacht, legte König Aleksandar Obrenović auf dem Amselfeld in Anwesenheit der Regierung und der Geistlichkeit sowie der Armee den Grundstein für ein Denkmal zu Ehren Lazars.1048 Am 20. Juni 1889 wurde der unmündige 15-jährige König Aleksandar Obrenović in Žiča in der Beschreibung des Anlasses durch den späteren Žičaer Bischofs Sava aus dem Jahr 1897 als „Erbe des Zarenreichs der Nemanjiden“ gesalbt.1049 Danach begab sich der König nach Studenica, um sich vor den Gebeinen Stefans des Erstgekrönten zu verneigen.1050 Die groß angelegten öffentlichen Feiern auf dem Amselfeld 1041 Vgl. Emmert (1990), S. 146; Höpken (2006), S. 354. 1042 Djokić (2009), S. 227. 1043 Vgl. Makuljević (2006), S. 78 – 82. 1044 Durković-Jakšić (1989). 1045 Spomenica proslave. 1046 Šapčanin (1886), S. 1. 1047 Služba svetom velikomučeniku Knez-Lazaru caru i samoderšcu Srspke zemlje. 1048 Jovanović (1897), S. 208 – 210. 1049 Jovanović (1897), S. 215 – 217; vgl. Stanojević (31926), S. 385. 1050 Jovanović (1897), S. 218 – 221; Makuljević (2006), S. 53 f.

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und in Žiča wurden mit ganzseitigen Collagen von Stahlstichen in einem für ein breites Publikum entworfenen Medium wie dem „Großen illustrierten Kalender Orao (Adler)“ wiedergegeben (Abb. 16).1051 Die Feiern sollten auch in den Gebieten unter osmanischer Herrschaft abgehalten werden, was aber nicht überall gelang.1052 Im ungarländischen Kroatien blieben Feiern zum Gedenken an die Schlacht verboten. Dennoch wurde an der Jugoslawischen Akademie in Zagreb ein Symposium zum Gedenken an den Jahrestag veranstaltet, an dem Franjo Rački das Gedenken verteidigte.1053 Von 1890 an wurde der Tag in offiziellen Kalendern als Staatsfeiertag Serbiens angeführt.1054 Aber auch in diesem Jubeljahr war es ein orthodoxer Geistlicher, der einer allzu einfachen serbischen Aneignung des Diskurses entgegenzuwirken versuchte: In Zadar hielt der Geistliche und Professor der dortigen orthodoxen theologischen Lehranstalt Jovan Vučković „zum 500. Jahrestag des Märtyrertodes des heiligen serbischen Fürsten Lazar“ eine Rede über den hl. Veit, um „eine Frage aus der Hagiologie der orthodoxen Kirche“ zu klären. Die Erinnerung an die Schlacht war auch für ihn wie 1866 die an eine Niederlage, die es zu „rächen“ galt. Aber der Erinnerung an die Niederlage sprach der Geistliche in seiner Darstellung eine alles andere in den Schatten stellende Bedeutung für die nationale Existenz der Serben zu. Dieser Bedeutung konnte sich angeblich kein Bereich des „Volkslebens“ entziehen, das durch diese Erinnerung ganz geprägt zu sein schien.1055 Vučković verstand dabei den Prozess der Erinnerung als einen der Bewahrung.1056 Nicht nur die Gegenstände der Erinnerung, sondern die Erinnerung selbst beschrieb er wie eine unveränderliche Masse, die es zu behüten und immer ­wieder vor dem Vergessen zu bewahren galt.1057 Nach diesen allgemeinen Bemerkungen ging Vučković zum kirchlichen Bereich über, der nur einen Teil der mit dem Amselfeld verbundenen Erinnerungskultur darstellte. Erst nach und durch die Niederlage sei also die Kirche mit „dem Volk“ eine Einheit eingegangen.1058 Sava und andere dynastische Heilige wurden hier ausgeblendet, die Erinnerungskulturen entwickelten sich in ­dieser

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Orao – veliki ilustrovani kalendar za godinu 1890, Novi Sad 1890, S. 23 – 26. Höpken (2006), S. 352 f. Djokić (2009), S. 228. Durković-Jakšić (1989), S. 387. „Dem Knecht blieben der Glaube und die Hoffnung, dass das Amselfeld nicht sein Schicksal für alle Ewigkeit besiegelt hatte. Der Ruhm der Zeit vor dem Kosovo (dokosovska) sollte erneut erstrahlen, das glaubte der Serbe. Das Amselfeld musste gerächt werden, das hoffte der Serbe. Mit dem Gedenken (uspomenom) an den Kosovo verband sich das ganze Volksleben.“ ­Vučković (1889), S. 5. 1056 „Daher ist es kein Wunder, dass unser Volk eifrig sogar jede Kleinigkeit gesammelt und eifersüchtig gehütet hat, die ihn an das traurige Amselfeld erinnerte.“ Vučković (1889), S. 5. 1057 „Und wann immer von diesen Erinnerungen etwas begann, vielleicht vergessen zu werden, da haben sich immer edelmütige Volkssöhne gefunden, die dies beklagten und daran erinnerten, sodass nichts vergessen gehe.“ Vučković (1889), S. 5. 1058 Von der Kirche schrieb er: „Gemeinsam mit dem Volk litt auch sie, aber sie ist deshalb auch mit dem Volk zusammengewachsen, und das Volk mit ihr.“ Vučković (1889), S. 5.

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Vorstellung getrennt und überlappten sich scheinbar kaum. Eine der „Spuren des Kosovo in unserem kirchlichen Leben“ war die Aufnahme „des Namens des Fürsten Lazar, des serbischen Herrschers und Märtyrers, in den Kreis der Heiligen“ der „serbischen orthodoxen Kirche“.1059 Die religiöse Verehrung Lazars wurde hier direkt als Weg zur Stärkung des „nationalen und kirchlichen Bewusstseins“ beschrieben,1060 während im traditionellen Zusammenhang zunächst die Verehrung der Heiligen und die Bitte um ihre Fürbitte im Zentrum gestanden hatten. Den größten Teil seines Beitrags widmete Vučković jedoch der Verehrung Vits: Zunächst hätten die Lieder des Guslaspielers den Namen Vits verbreitet, wenn er davon sang, dass die Schlacht am Tag des Vit stattfinden werde.1061 „Der Name Vits lebte im serbischen Volk schon vor der Amselfeldschlacht, aber nach dem Kosovo wurde er ­stärker belebt (oživjelo).“ Allerdings verhielt sich die serbische Kirche ablehnend gegenüber seiner Verehrung: „Und sogar zum 500. Jahrestag der Amselfeldschlacht erheben sich deswegen Klagen gegen die serbische orthodoxe Kirche, dass sie die feierliche Verehrung (svetkovanje) des heiligen Vit aufgegeben habe, und es stellt sich offen die Frage: Warum machte dies die Kirche, es wird nach­ gewiesen, dass sie vor dem Amselfeld den heiligen Vit verehrte, und dass sie ihn nach dem Amselfeld verehrte, und dass er an Orten auch am heutigen Tag noch verehrt wird.“ 1062

Der Geistliche hob seine transkonfessionelle Verehrung sowohl durch orthodoxe wie durch katholische, angeblich gleichfalls zum „serbischen Volk“ zählende Gläubige hervor.1063 Er besprach sodann von Laza Tomanović dargelegte Beispiele der Verehrung Vits in einzelnen, angeblich ihm gewidmeten Kirchen. Allerdings wollte Vučković ­keinen Fall gelten lassen. Mit seinem Beitrag leistete Vučković eine Dekonstruktion der serbischen Tradition, den Vidovdan zu feiern: Er führte für die westlichen, dalmatinischen und kroatischen

1059 Vučković (1889), S. 6. 1060 „Und wegen der Erinnerung an den heiligen Fürsten Lazar begann das Volk auch das Gedenken an den heiligen Propheten Amos zu begehen, der in der Überlieferung des Volkes der Taufname Lazars war. Zu Ehren des dreieinigen Gottes und zur Ehre und zum Gedenken an diese Geheiligten hat das Volk froh Kirchen errichtet, mit besonderer Liebe sammelte es Geld für diese Kirchen und Lazar und Amos verehrend und für sie Gottesdienste abhaltend erneuerte es seine Kraft und erhöhte sein nationales und kirchliches Bewusstsein“. Vučković (1889), S. 6. 1061 Vučković (1889), S. 6. 1062 Vučković (1889), S. 7. 1063 Vučković zitierte nun einen Bericht von Dr. Laza Tomanović, des Herausgebers der „Neuen Zeta“ in Cetinje, in dem dieser den Kult Vits in einer römisch-katholischen Kirche in Lastva beschrieb und fragte: „Gibt es einen Tag, der beim serbischen Volk bekannter ist, als der Tag Vits? Den Vidovdan vor Augen, beginnen sowohl bei den Katholiken, wie bei den Ortho­doxen, die Feuer zu brennen, sowohl bei den Katholiken wie bei den Orthodoxen ist der Name Vit genügend verbreitet, zumindest in diesen Gegenden.“ Laza Tomanović, in: Javor, Novi Sad 1888, Nr. 27, zit. gemäß Vučković (1889), S. 7.

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Gegenden bzw. für „den westlichen Teil der Südslaven“ 1064 die Feier auf den lateinischen Märtyrer Vitus zurück,1065 dessen Kult an die Stelle des Gottes Svetovit getreten sei, den die „nordwestlichen Slaven“ bis zu ihrer Christianisierung verehrt hatten. Bei den orthodoxen Serben hingegen sei dieser Heilige nicht im Kalender verzeichnet gewesen, da die Ostkirche ihn nicht kannte.1066 Der Professor akzeptierte die Darstellung Nodilos, Vid sei sowohl bei den Kroaten als auch bei den Serben verehrt worden. Er konnte aber keinerlei Verbindung dieses Kults mit dem des hl. Veit und dem 15. Juni gelten lassen, da eben die serbische Kirche anders als im katholischen Bereich den Kult Vids nicht durch denjenigen des hl. Veit abzulösen versucht hatte.1067 Die Feier des Veitstages sei erst durch die Übernahme gedruckter Kalenderbücher und jüngerer gottesdienstlicher Literatur aus Russland zu erklären, die aus alten orthodoxen Verzeichnissen stammten, die im Gegensatz zu den in Serbien verbreiteten die sizilianischen Heiligen wie vor dem Schisma weiterhin aufführten.1068 Eine Tradition der Feier des Veitstages sei für die serbische orthodoxe Kirche außerhalb dieser Übernahme nicht belegbar. Vučković schloss mit diesen Thesen: „Suchen wir nicht bei der serbischen orthodoxen Kirche den heiligen Vit, sie kann ihn uns nirgendwoher geben. Möchten wir einen heiligen Vit haben, dann finden wir ihn in russischen Heiligenviten, in russischen Prologen (prolozima), in russischen Kalendern. Sein Name ist dort. Auch seine Vita ist dort. Ein Offizium (službe) gibt es nicht. Es ist nicht die Wahrheit, dass die orthodoxe Kirche ihn jemals stark verehrt habe. Aber wir wollen etwas, das uns an das Amselfeld erinnert. Und wir kennen diesen ersten Fluch der Serben: ,Wer nicht die Pflicht und die Amselfeldtrauer (kosovsku tugu) sieht, den soll seine Mutter bis zum Täglein des Gerichts hassen (nenavidla)!‘ – und man möchte, dass dieser Fluch nicht wegen der Kirche an uns haftet. Er wird es nicht. Oder hat die serbische Kirche etwa die Trauer um den Kosovo nicht gesehen, sieht sie diese nicht? Aber was ist dann der Märtyrer des Kosovo, der heilige Lazar, der serbische Fürst.“ 1069

Der gelehrte Geistliche beobachtete den entstehenden Diskurs und kritisierte offen den Wunsch nach modellierten Erinnerungsfiguren, die ins nationale Konzept passten und von der serbischen Kirche als Heilige akzeptiert werden konnten. Sein Beitrag zielte darauf ab, eine neue Richtung zu weisen und Lazar zur wichtigsten Erinnerungsfigur zu erheben: Die Erinnerungskultur um Vit war noch nicht so fest etabliert, um nicht diese Figur gegen den Kult um den heiligen Lazar auszuspielen. Seine Thesen sind indessen stichhaltig: Die Verehrung von Veit war auf dem Balkan unter der westlichen, katholischen Bevölkerung viel stärker als bei den orthodoxen Serben, wie schon die Studie des Kroaten Nodilo 1885 nachgewiesen hatte.1070 Grimm stellte für den deutsch-slavischen 1064 1065 1066 1067 1068 1069 1070

Vučković (1889), S. 11 – 23. Vučković (1889), S. 24. Vučković (1889), S. 24 f. Vučković (1889), S. 25 f. Vučković (1889), S. 13 f., S. 28 – 31. Vučković (1889), S. 35. Popović (21977), S. 66 f.

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Zusammenhang fest: „Svjatovit oder Svantevit hat man vermengt mit dem heil. Vitus (…); unmöglich aber kann man aus Vitus den gott [sic] Svantevit entspringen lassen“.1071 Für die serbische Erinnerungskultur dominieren, abgesehen von wichtigen Ausnahmen,1072 die Hinweise auf eine relativ späte, neuzeitliche Rezeption dieses gemischten Veitskults der katholischen Slaven, mit russischer Vermittlung. Eine direkte, unvermittelte Tradition des Kults des Svantevit oder Svetovit von Rügen bis auf den orthodoxen Balkan und vom Mittelalter bis ins 19. Jh. ist angesichts bis ins 18. Jh. nicht vorliegender Quellen weder nachweisbar noch plausibel. Vučkovićs Argumentation und sein Versuch einer Weichenstellung sollte bis vor Kurzem folgenlos bleiben.1073 Selbst dem wichtigen Kritiker nationaler Mythen, ­Miodrag Popović, blieben in der zweiten Hälfte des 20. Jh. die serbisch-nationalen Thesen einleuchtender, trotz Kenntnis der Texte von Jovan Vučković. Popovićs Verweis auf das Anzünden von Feuern zur Sonnenwende am Vidovdan 1074 ist aber kein Beweis eines spezifisch serbischen antiken Kults – sondern, wie gezeigt, ausgesprochen typisch für die Begehung des Veitstages im katholischen Kontext. Die Vorstellung, dass der „natio­ nale Feiertag“ der Serben „den Namen eines fremden Heiligen trägt“, war damals wie noch 1977 nicht tolerierbar 1075 und daher unmöglich. C 5.5  Die fortschreitende Sakralisierung der Nation

Trotz dieser Kontroversen setzte sich eine national homogenisierende Deutung durch, die gerade auch von Geistlichen vertreten wurde: Zehn Jahre später, am Vidovdan des Jahres 1899, sprach der Geistliche Milutin Popović in einer Kirche in Ćuprije: „Heute ist der Tag des Gedächtnisses (pomen) der Märtyrer Gottes für die Freiheit des Serbentums, und der Tag der Verfluchung der Verräter der serbischen Herrscher und des serbischen Vater­landes. Der heutige Tag ist der Tag des ewigen Gedenkens (spomen) jener, die ihr Vaterland lieben und ihren Herrscher“.1076

Vit spielte in diesem Text keine Rolle, er gab nur durch seinen Namen den Rahmen zum Feiertag. Patrioten sollte er ermutigen und in ihrem Hass gegenüber sogenannten Verrätern einen. Die „Helden“ hätten „alles und auch das Leben gegeben, denn das ewige 1071 1072 1073 1074

Grimm (31854), S. 629. Marković (2006/2007), S. 44. Jetzt ausgehend von den Thesen Jovan Vučkovićs: Marković (2006/2007). Popović (21977), S. 64 f., S. 71 – 73. Eine Fassung des Textes von Jovan Vučković wird in der Bibliographie genannt, jedoch nicht im Haupttext aufgegriffen. Popović (21977), S. 206. 1075 „Letztlich, ist es überhaupt möglich, dass der nationale Feiertag, der die Serben zu Heldentaten anspornt, den Namen eines fremden Heiligen trägt?!“ Popović (21977), S. 65. Jetzt dagegen: Marković (2006/2007). Dort aber auch der Verweis auf jüngere populärwissenschaftliche ethno­graphische Studien, die immer noch einen heidnischen Vid nachzuweisen versuchen. 1076 Popović (1889), S. 626.

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ist mehr als das irdische Zarenreich!“ 1077 Die Wahl des ewigen Zarenreichs stand hier nicht zuletzt für individuelle Entscheidungen, die zum Märtyrertum der Helden zählten, deren Deutung aber nicht ausdrücklich Serbien insgesamt sakralisierte. Der Geistliche bedankte sich weniger für die Tat der „Helden“ als vielmehr für das so ermöglichte kollektive Gedenken. Der Dank richtete sich an die Helden, da sie dem „Volk“ ein Medium gegeben hätten, mit dem dieses sich während der Zeit ohne serbische Staatlichkeit habe schmücken können. Der „heilige Gedanke“, der aus dieser Deutung des Kampfes hervorging, habe die aktuellen Freiheitskämpfer unmittelbar hervorgebracht.1078 Die Erinnerung an die Auseinandersetzungen des 19. Jh. wurde so im Rückgriff auf den nationalisierten Kosovomythos sakralisiert. Die von Geistlichen der serbischen orthodoxen Kirche vorangetriebene Sakralisierung des Mythos fand auch seitens weltlicher Akteure zunehmend Nachahmer: Im entstehenden Rahmen eines transnationalen jugoslawischen Projektes und zu ­dessen Festigung entwarf der bedeutende kroatische Künstler Ivan Meštrović bereits 1904 den Plan des Baus eines gigantischen Tempels auf dem Amselfeld, um dort der Schlacht und der mit ihr verbundenen Diskurse sakral zu gedenken. Das Modell und mehrere monumentale Statuen von Helden des Kosovo, die den Tempel zieren sollten, ­wurden in den folgenden Jahren auf internationalen Ausstellungen gezeigt (Abb. 18).1079 Auf­gewachsen im dalmatinischen Hinterland, erlangte Meštrović in Wien als „erster moderner kroatischer Künstler internationalen Ruhm“.1080 Auch das Projekt des Kosovotempels entstand im transkonfessionellen internationalen Wettbewerb – die Kirche sollte „größer als St. Peter“ werden.1081 Die Idee, die Gedenkkirche transkonfessionell zu gestalten, stieß auf den Gegenvorschlag, eine orthodoxe Kirche mit einer Abteilung für Katholiken einzurichten.1082 Meštrović machte serbische Nationalepik zu moderner Kunst als Ausdruck des Jugoslawismus.1083 Kultur sollte zu „rassischem Messianismus“ ­werden.1084 Mit der Sakralisierung des Kosovomythos 1077 Popović (1889), S. 627. 1078 „Denn dieses euer leuchtendes Gedenken (svetli pomen) erinnert die Nachkommenschaft mit Dankbarkeit! Wohl euch, denn seit fünf Jahrhunderten schmückt sich das Volk nur mit euren Namen, und es zeichnet der Nachkommenschaft den hellen und lebendigen Gedanken, für den Ihr auf dem Kampffeld gefallen seid, denn aus eurem Blut geht der heilige Gedanke hervor: ,Für das Ehrenkreuz und die goldene Freiheit‘, der Gedanke, der während voller fünf Jahrhunderte auf den serbischen Feldern und in den Eichenwäldern widerhallte, und in den Kirchen sowie in den Klöstern, – und die Löwenherzen der Söhne und Rächer stählte, und auch die Helden geschaffen hat, die mit ihrem Blut und ihren Muskeln das serbische Königtum geschaffen haben, und die mit Gottes Hilfe das Serbentum einigen werden.“ Popović (1889), S. 627. 1079 Wachtel (1998), S. 55 – 60; Meštrović (2008), S. 51 – 59; Clegg (2006), S. 177 – 180; M ­ arković (2001), S. 626 f. 1080 Bacac (1984), S. 203 f. 1081 Milan Marjanović, Genij Jugoslovenstva Ivan Meštrović i njegov hram. New York [1915 ?], zit. gemäß Bacac (1984), S. 204. 1082 Makuljević (2006), S. 291. 1083 Bakić (2004), S. 181 – 187; Höpken (2006), S. 203 f. 1084 Bacac (1984), S. 202.

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entwarf Meštrović im Kontext der Sezession eine überkonfessionelle und transnationale, südslavische Modernität. Sein modellhaftes Projekt stand für die produktive Wiedererfindung 1085 der im 19. Jh. gefestigten nationalen Erinnerungsfigur. C 5.6  Sakrale Kriegsvorstellungen im Mythos

Eine weitere wichtige Etappe in der Ausgestaltung des Diskurses war die Verbindung des Mythos mit dem Krieg: Den mit dem Kosovo verbundenen Erinnerungssträngen kam dank der militärischen Erfolge serbischerseits weitere neue Bedeutung zu. Vor den Balkankriegen 1912 – 1913 verstärkte sich in Serbien die Mobilisierung nationalistischer Begeisterung. Die Medien verwiesen schon im Vorfeld durchweg auf die Schlacht auf dem Amselfeld und die entsprechenden Epen.1086 Während und nach den Kriegen wurde die Schlacht bei Kumanovo am 24. Oktober 1912 gegen das Osmanische Reich bzw. „die Türken“ als Rache für das Amselfeld 1389 gedeutet und als Beleg für eine vermeintliche Überlegenheit einer pseudowissenschaftlich rassentheoretisch begründeten „serbischen Rasse“ herangezogen.1087 In der Ausgabe des „Boten der Serbischen Kirche“ für die Monate Oktober bis Dezember 1912, die offenbar bereits nach dem Sieg der serbischen Einheiten am 24. Oktober 1912 über die türkischen Kräfte bei Kumanovo erschien, schrieb Nikolaj Velimirović, der zu diesem Zeitpunkt bereits in Bern promoviert hatte und Supplent am Priesterseminar in Belgrad war,1088 triumphierend gegen ein „zusammenhangsloses“ Geschichtsverständnis an, das sich gegen geschichtsphilosophische Entwürfe sträubte.1089 Stattdessen entwarf er eine nationalromantische Deutung der militärischen Erfolge durch die „Seele des serbischen Volkes“ bzw. durch die „Weissagung“ des Kosovo.1090 Auch Velimirović reflektierte damit den Diskurs bewusst und 1085 Höpken (2006), S. 358. 1086 Sundhaussen (2007b), S. 213. Vgl. Eine Kompilation des „Lieds vom Fall des serbischen Zarentums“ „gemäß den Volksliedern“ in Fortsetzung: Nova Iskra 3 (1901), Nr. 3, S. 77 f., Nr. 4, S. 102 f., passim. Ein Gedicht „Nächtliche Vision auf dem Amselfeld“: Nova Iskra 3 (1901), Nr. 5, S. 133. In diesem Jahrgang derselben Zeitschrift erschien auch die Abhandlung von Sreto Stojković „Kosovska epopeja“ über „die Versuche zum Inhalt des Volksepos“. Vgl. als Monographie: Stojković (1901). 1087 Boeckh (1996), S. 119 f. 1088 Zum frühen Wirken von Nikolaj: Buchenau (2011), S. 140 – 171. 1089 „Ihr möchtet nur ein Chaos von zusammenhangslosen Bildern und Szenen im Gedächtnis haben und stellt euch vor, ihr würdet eine Anthologie von Liedern durchlesen, oder eine Reihe musika­ lischer Potpourris. Die Geschichte als eine Anthologie oder ein Potpourri begreifen heißt, sie nicht als eine gedachte Einheit verstehen mit Anfang und Ende, sondern als eine zusammenhangslose Kette von Überraschungen und Phantasmen.“ Vesnik Srbske Crkve, oktobar-dec. 1912, god. 23, S. 841 – 853, vollständig wiedergegeben in und zit. gemäß Nikolaj Velimirović. Izabrana dela 12, S. 102 – 113, hier S. 105. 1090 „Weshalb sind unsere Siege unerwartet? Nur deshalb, weil sie mit der Vergangenheit und der Seele des serbischen Volkes bekannt machen, und mit der großen Prophezeiung, die in dieser

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versuchte, ihn über das maßgebliche Medium der serbischen orthodoxen Kirche (SOK) in eine neue Richtung zu lenken: Die territoriale Erweiterung Serbiens wurde zur Er­füllung der „himmlischen Gerechtigkeit“ und zum zweiten „Vidovdan“.1091 Insbesondere die Gesangstraditionen der Serben während der „Sklaverei“ wurden aus der Perspektive des Triumphierenden zur „Prophezeiung“.1092 Petar Karađorđević begab sich nach der Schlacht zum Kloster Dečani, um die legendäre Kerze anzuzünden, die erst nach der Rache des Amselfelds erleuchten sollte:1093 Mit dem symbolischen Akt stellte sich der Monarch in die Tradition der Nemanjiden und inszenierte sich als Haupt­darsteller in der zentralen nationalserbischen Erzählung. Im wichtigsten Publikationsorgan der SOK machte Nikolaj Velimirović 1913 den „Vidovdan“ zum Grundprinzip der Unterteilung historischer Perioden der nationalen Geschichte: „1. Aufstieg und Fall, 2. Sühne und 3. Auferstehung“. Der Geistliche machte die Nationalgeschichte zum „sakralen Drama“. Gleichzeitig theatralisierte, dramatisierte und sakralisierte er aus nationaltheologischer Warte die gesamte Menschheitsgeschichte.1094 Diese Interpretation legte er sodann konsequent dar: Im Mittelpunkt dieses „Dra-

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Seele während einiger Jahrhunderte mal schwieg, mal lärmte. Welche Weissagung? Die Voraussage des abschließenden Triumphes der Volksgerechtigkeit (narodne pravde), die Verheißung der Auferstehung, der Freiheit und der Größe. Das Kosovo gab dieser Weissagung den Anfang, den Anfang und die Berechtigung.“ Vesnik Srbske Crkve, oktobar-dec. 1912, god. 23, S. 841 – 853, zit. gemäß Nikolaj Velimirović. Izabrana dela 12, S. 105. „Die himmlische Gerechtigkeit forderte von dem Zaren Lazar und von seinem Volk das größte Opfer, und dieses Opfer wurde angenommen. Für dieses Opfer hat die himmlische Gerechtigkeit in der fernen Zukunft für das gequälte Volk eine Belohnung vorgesehen. Wir sind die Zeugen dieser Belohnung des Rechts Lazars, der Belohnung, die gerade erst jetzt gekommen ist. So ist der Tag gekommen, der so groß ist wie der Vidovdan, aber strahlender ist als dieser. Lange und hartnäckig wurde dieser Tag vorausgesagt. Alles war verloren außer der Glaube an diese Prophezeiung.“ Vesnik Srbske Crkve, oktobar-dec. 1912, 23, S. 841 – 853, zit. gemäß Nikolaj Velimirović. Izabrana dela 12, S. 107. „Unser Volk hat in schwerster Sklaverei gesungen, weil es fern von dem Gedanken war, dass diese Sklaverei das Ende seiner Geschichte sei, und weil es mit dem Glauben lebte, dass diese Sklaverei nur eine Brücke ist zwischen zwei großen Tagen. Unsere gesamte Volkspoesie ist prophetisch, nein: Sie ist eine Prophezeiung.“ Vesnik Srbske Crkve, oktobar-dec. 1912, 23, S. 841 – 853, zit. gemäß Nikolaj Velimirović. Izabrana dela 12, S. 109. Bokovoy (2001), S. 239; Bacac (1984), S. 292. Er unterschied unter dem Titel „Unsere Geschichte. Gedanken zum Vidovdan“ drei Epochen: „1. Aufstieg und Fall, 2. Sühne und 3. Auferstehung. Wenige Nationalgeschichten haben solch klare Perioden, so bestimmte Kämpfe und eine solche Einheit, technisch und ideal, als Ganzes wie auch die Teile, wie es unsere Geschichte hat. Ein wahrhaftiges und großes Drama. Ein sa­ krales Drama. Ein Drama der Sünde, des Leidens und der Auferstehung. Wenn man die Fakten zusammenfasst, sieht man dies nicht, aber ein Theologe kann dies bei weitem klarer sehen. Die gesamte Geschichte der Menschheit trägt sakralen Charakter.“ Glasnik Pravoslavne Crkve, 1913, Nr. 12, o. S. vollständig wiedergegeben in und zit. gemäß Nikolaj Velimirović. Izabrana dela 12, S. 20 – 25, hier S. 20 f.

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mas“ stand aus seiner Sicht das Amselfeld. Der Ort selbst sei „im Volksbewusstsein“ „eine heilige Gegend“,1095 ja: „Das Kosovo ist heilig. Und das Kosovo ist der Gipfel der Komplikation der dramatischen Handlung unserer Geschichte. Das Kosovo ist – mit einem Wort – das ganze Drama.“ 1096 Der promovierte Theologe und Bischof versah das nationale Epos mit sakralen Weihen. Eine „schwarze Tragödie“ wurde mit dem Sieg bei Kumanovo, wo serbische Einheiten am 24. Oktober 1912 die osmanischen Streitkräfte besiegten, zum Freudentag.1097 Mit den Mitteln der Selbstorientalisierung und Selbstjudaisierung sollte serbische Geschichte den Status des Altertums, der alttestamentarischen oder altägyptischen Geschichte erlangen. Imaginiertes kollektives Leiden sollte nationaltheologisch eine letztlich messianische Sonderstellung unter den „modernen Völkern“ und explizit den Anspruch auf die höchste historische Klassizität in Europa nahelegen.1098 Neben der paradoxen Europäisierung durch Selbstorientalisierung mithilfe des Diskurses über den Kosovo stand aber gleichzeitig auch die unmittelbare Selbstokzidentalisierung mit denselben Mitteln: Die in Saloniki erscheinende Zeitung „Großserbien“ berichtete am 15. Juni 1917 unter dem Titel „Veitstag“. Der Redner erinnerte an die Rolle Serbiens als „großer Verteidiger Europas“ und an die Leistung der Serben, als sie „den Westen

1095 „Jemand aus Lika hat jetzt zur Zeit des Krieges auf dem Amselfeld geschrieben, dass er ,den heiligen Kosovo liebe‘, (…). Im Volksbewusstsein ist das Kosovo eine heilige Gegend (sveto zemljište).“ Glasnik Pravoslavne Crkve, 1913, Nr. 12, zit. gemäß Nikolaj Velimirović. Izabrana dela 12, S. 22. 1096 Glasnik Pravoslavne Crkve, 1913, Nr. 12, zit. gemäß Nikolaj Velimirović. Izabrana dela 12, S. 22. 1097 „Der diesjährige Vidovdan ist der erste freudige Vidovdan seit der Schlacht auf dem Amselfeld. Bis heute war das Kosovo eine schwarze Tragödie, heute ist er ein helles Drama. Kumanovo hat den schwarzen Flor, der das Amselfeld bedeckte, abgezogen und zerrissen. 523 Veitstage hat das Amselfeld unter diesem schwarzen Flor gewartet. Im Drama des Fürsten Iva Vojnović ,Die Auferstehung Lazars‘ gibt es eine Szene, in der Kosover Elfen (vile) einen Klagereigen spielen und sprechen: ,Herr, die bittere Schale ist übervoll!‘ Dieses Jahr, am 523. Vidovdan, können die Feen Kosovos zum ersten Mal nach der großen Katastrophe einen Freudenreigen aufführen. Die bittere Schale ist bis zum Boden ausgetrunken.“ Glasnik Pravoslavne Crkve, 1913, Nr. 12, zit. gemäß Nikolaj Velimirović. Izabrana dela 12, S. 22 f. 1098 „Das Leiden ist ein zentraler Fakt unserer Geschichte. Das macht eine Geschichte geheiligt, ein Drama sakral. Jedes Leben ohne Leiden ist oberflächlich. Die Periode der nationalen Sklaverei hat unsere Geschichte vertieft und gab ihr dramatische Größe. Kein anderes Volk der modernen Völker hat für seinen Platz auf diesem Planeten Gottes teurer bezahlt. Welches Volk hat mehr Feinde als das serbische? (…) Die nationalen Tragödien des alten Ostens – namentlich Ägyptens und Israels – könnten am meisten Ähnlichkeit mit unserem nationalen Drama aufweisen. Die Serben sind, wahrhaftig, orientalische Erleider. Unsere Geschichte ist in dieser Hinsicht die klassischste – beinahe die einzige – Europas. Die Geschichte der übrigen europäischen Völker kennt diesen orientalischen Tragismus (tragizam) nicht. Unsere Geschichte unterscheidet sich von der ägyptischen und der israelitischen nur durch die Abwesenheit eines separaten Volksglaubens.“ Glasnik Pravoslavne Crkve, 1913, Nr. 12, zit. gemäß Nikolaj Velimirović. Izabrana dela 12, S. 23.

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vor dem eroberungslustigen Osten schützten“. Serbien wurde somit in diesem Text zum östlichen Vorposten eines westlichen, europäischen Antemurale gegen den „Osten“.1099 Erst im 19. Jh. bündelten damit führende serbische Intellektuelle unterschiedliche Erzählstränge des vielfältigen und zuvor anationalen Kosovomythos. Historiker wie Politiker, Dichter und Geistliche versahen ihn mit zahlreichen neuen Elementen und machten ihn zur wichtigsten sowohl der weltlichen als auch der religiösen nationalen Erzählfiguren. Dennoch wurden gerade diese Diskurse kontrovers ausgehandelt. Der zunächst weltliche Diskurs über die Schlacht wurde 1847 liberal-national aufgeladen und zum Thema von Theaterstücken. 1848 und in den 1860er-Jahren ist eine Aneignung des Diskurses durch Politiker festzustellen, die mithilfe der Erinnerungsfigur Erinnerungspolitik betrieben. In der entstehenden publizistischen Öffentlichkeit wurde die Herkunft der Verehrung Vits diskutiert, wobei in ersten Ansätzen eine Nationalisierung Gottes und eine Sakralisierung der Nation beobachtet werden können. Hinzu trat – gleichfalls im europäischen Kontext – eine Antikenbegeisterung, die sich in der weiteren publizistischen Gestaltung des Mythos ausdrückte. Bald beherrschte die Schlacht die gesamte Poesie und auch die Malerei.1100 Die Historienmalerei nahm sich der Themen an, die bisher auf Fresken und Ikonen behandelt worden waren, und machte sie zum Kern einer visuellen Nationalgeschichte. Die säkularisierte Darstellung der Schlacht auf dem Amselfeld blieb mit den religiösen Aspekten des Mythos verbunden oder verstärkte diese sogar: Die Ölgemälde „Tod des Fürsten Lazar“ (Abb. 15) oder „Auffindung des Haupts des Fürsten Lazar“ von Đorđe Krstić (1885 und 1905) beispielsweise stehen für eine moderne nationalreligiöse Malerei, die sich von traditionelleren allegorischen Abbildungen des Todes von Lazar unterschieden und entsprechende Debatten auslösten.1101 Neben der säkularen politischen Aufladung des Gedenkens wurden zu Ende des 19. Jh. erste Blüten einer nationalen kirchlichen Erinnerungspolitik erkennbar: Während des ersten Balkankrieges verklärte Nikolaj Velimirović in der offiziellen Zeitschrift der SOK den Kosovomythos zum „sakralen Drama“. Darüber hinaus spielte die Darstellung des Kosovomythos und aller seiner Akteure eine zentrale Rolle in der im 19. Jh.

1099 Das serbische Volk habe „für seine Befreiung so viel Blut vergossen wie kein anderes Volk bisher unter dem Himmel: „Heute ist Veitstag, unsere große Volksfeier, die so (…) großartig unseren nationalen (nacionalni) Individualismus charakterisiert (…). Am heutigen Tag feiern wir das Gedächtnis (uspomenu) der Kosovohelden, die in einer blutigen Schlacht gefallen sind für das Glück und die Ehre ihres vorbildlichen Zaren und ihres Volkes! Und noch mehr, der heutige Feiertag wird bei uns zum vielfältigsten Gedenken (uspomene) an die unermessliche Trauer, aber auch den nationalen Stolz, denn heute feiern wir das heilige Gedenken an unsere bekannten und unbekannten Ritter, die mit ihrer beispiellosen Tapferkeit und ihrer Aufopferung eines der wunderbarsten nationalen (narodnih) Heldenepen geschaffen haben, das noch jahrhundertelang eine Quelle nationaler (narodne) Kraft und Größe sein wird.“ Velika Srbija, 15.6.1917, Nr. 427, S. 1. 1100 Mit weiteren Literaturhinweisen: Höpken (2006), S. 351. 1101 Medaković (1990), Tafeln XVIII und XXII; Makuljević (2006), Abb. vor S. 209, S. 219 f., S. 233 f.

Heilige serbische Herrscher

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entstehenden serbischen Schulliteratur.1102 Bis zum Ersten Weltkrieg festigte sich die Feier als Inszenierung des gesamten Serbentums. In Belgrad entstand die Praxis, den Tag mit öffentlichen Umzügen zu feiern.1103 Die im 19. Jh. entstandenen bildlichen Darstellungen des Mythos fanden durch das neue Medium des Stahldruckes ein breiteres Publikum.1104 Der Besuch des österreichischen Thronfolgers und seine Ermordung am Vidovdan 1914 in Sarajevo intensivierten in den folgenden Kriegsjahren den Amselfeldmythos weiter.1105 C 6  Heilige serbische Herrscher – Stefan der Erstgekrönte und die übrigen Nemanjiden im Schatten Savas

Die Wahrnehmung der Nemanjiden war zur Mitte des 18. Jh. in einem transnationalen Rahmen entscheidend als Ansporn zum Entwurf auch eines erneuerten bulgarischen Geschichtsbildes: 1762 widmete Paisij Chilendarski in seiner „Slavobulgarischn Geschichte“ nach einem Überblick über die Herkunft des bulgarischen Volkes ein ausführliches Kapitel den „serbischen Königen“. Ganz zu Beginn stellte er klar, dass diese von Lateinern abstammten und nicht von Serben. Auch im Weiteren kritisierte er serbische diskursive Praktiken der Verehrung der Könige.1106 Paisij holte zu einer Schelte der serbischen Historiographie aus: „die Serben“ sollten sich den Text eines „lateinische[n] Philosoph[en]“, der „über die Völker in Europa“ geschrieben habe, angeeignet haben: „Das fanden die Serben und schrieben es Stefan dem Gewalttätigen zu, und sie bildeten ihn auf einem Stich ab“. „So selbstherrlich haben sie geschrieben: Wer von ­seiner Großmutter etwas über Stefan gehört hatte, der schrieb es über ihn nieder.“ 1107 Das Bedürfnis, im europäischen Austausch mit neuen Druckmedien intensivierte serbische Geschichtsschreibung im eigenen Werk ins rechte Licht zu rücken, stand in 1102 1103 1104 1105 1106

Jelavich (1990), S. 78, S. 113 passim. Vgl. Politika, 15.6.1913, Nr. 3383, S. 2; Politika, 15.6.1914, Nr. 3742, S. 1. Makuljević (2006), S. 248. Hierzu ausführlich: Sundhaussen (2007b), S. 222 – 229; vgl. Clark (2012), S. 368. Für Nemanja und Stefan hielt Paisij Attribute der Heiligkeit fest, wie die Verehrung der Gebeine, aber er nannte sie nicht heilig. Zu Dragutin bemerkte er, dass seine Gebeine „noch heute in Sofia“ seien, „aber die Sofioter denken und sagen, dies sind die Gebeine des Königs Milutin“: „Sie haben den Stammbaum der serbischen Könige nicht gelesen und begreifen nicht, um wen von ihnen es sich in der Lebensbeschreibung handelt“. Gerade Milutin aber lobte er, er „war ein weitberühmter und guter heiliger König“. Auch Stefan von Dečani stellte er als verehrten Heiligen dar. Darstellungen Stefan Dušans aber bemängelte er: „Er nannte sich Zar und richtete das serbische Königreich zugrunde, und in dieser Verfluchung (…) starb dieser Stefan. Einige Serben aber, ihm ähnlich in all ihrem Hochmut, (…) nennen ihn Stefan den Starken und halten ihn für einen Heiligen, weil er seinen Vater ermordete“. Paisij Chilendarski. Istorija Slavenobolgarskaja. Nikiforov prepis ot 1772 g., S. 102 – 105. Zit. in der Übersetzung: Païssi von Chilandar. Slavobulgarische Geschichte, S. 53 – 56. 1107 Paisij Chilendarski. Istorija Slavenobolgarskaja. Nikiforov prepis ot 1772 g., S. 105. Zit. in der Übersetzung: Païssi von Chilandar. Slavobulgarische Geschichte, S. 55.

Heilige serbische Herrscher

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entstehenden serbischen Schulliteratur.1102 Bis zum Ersten Weltkrieg festigte sich die Feier als Inszenierung des gesamten Serbentums. In Belgrad entstand die Praxis, den Tag mit öffentlichen Umzügen zu feiern.1103 Die im 19. Jh. entstandenen bildlichen Darstellungen des Mythos fanden durch das neue Medium des Stahldruckes ein breiteres Publikum.1104 Der Besuch des österreichischen Thronfolgers und seine Ermordung am Vidovdan 1914 in Sarajevo intensivierten in den folgenden Kriegsjahren den Amselfeldmythos weiter.1105 C 6  Heilige serbische Herrscher – Stefan der Erstgekrönte und die übrigen Nemanjiden im Schatten Savas

Die Wahrnehmung der Nemanjiden war zur Mitte des 18. Jh. in einem transnationalen Rahmen entscheidend als Ansporn zum Entwurf auch eines erneuerten bulgarischen Geschichtsbildes: 1762 widmete Paisij Chilendarski in seiner „Slavobulgarischn Geschichte“ nach einem Überblick über die Herkunft des bulgarischen Volkes ein ausführliches Kapitel den „serbischen Königen“. Ganz zu Beginn stellte er klar, dass diese von Lateinern abstammten und nicht von Serben. Auch im Weiteren kritisierte er serbische diskursive Praktiken der Verehrung der Könige.1106 Paisij holte zu einer Schelte der serbischen Historiographie aus: „die Serben“ sollten sich den Text eines „lateinische[n] Philosoph[en]“, der „über die Völker in Europa“ geschrieben habe, angeeignet haben: „Das fanden die Serben und schrieben es Stefan dem Gewalttätigen zu, und sie bildeten ihn auf einem Stich ab“. „So selbstherrlich haben sie geschrieben: Wer von ­seiner Großmutter etwas über Stefan gehört hatte, der schrieb es über ihn nieder.“ 1107 Das Bedürfnis, im europäischen Austausch mit neuen Druckmedien intensivierte serbische Geschichtsschreibung im eigenen Werk ins rechte Licht zu rücken, stand in 1102 1103 1104 1105 1106

Jelavich (1990), S. 78, S. 113 passim. Vgl. Politika, 15.6.1913, Nr. 3383, S. 2; Politika, 15.6.1914, Nr. 3742, S. 1. Makuljević (2006), S. 248. Hierzu ausführlich: Sundhaussen (2007b), S. 222 – 229; vgl. Clark (2012), S. 368. Für Nemanja und Stefan hielt Paisij Attribute der Heiligkeit fest, wie die Verehrung der Gebeine, aber er nannte sie nicht heilig. Zu Dragutin bemerkte er, dass seine Gebeine „noch heute in Sofia“ seien, „aber die Sofioter denken und sagen, dies sind die Gebeine des Königs Milutin“: „Sie haben den Stammbaum der serbischen Könige nicht gelesen und begreifen nicht, um wen von ihnen es sich in der Lebensbeschreibung handelt“. Gerade Milutin aber lobte er, er „war ein weitberühmter und guter heiliger König“. Auch Stefan von Dečani stellte er als verehrten Heiligen dar. Darstellungen Stefan Dušans aber bemängelte er: „Er nannte sich Zar und richtete das serbische Königreich zugrunde, und in dieser Verfluchung (…) starb dieser Stefan. Einige Serben aber, ihm ähnlich in all ihrem Hochmut, (…) nennen ihn Stefan den Starken und halten ihn für einen Heiligen, weil er seinen Vater ermordete“. Paisij Chilendarski. Istorija Slavenobolgarskaja. Nikiforov prepis ot 1772 g., S. 102 – 105. Zit. in der Übersetzung: Païssi von Chilandar. Slavobulgarische Geschichte, S. 53 – 56. 1107 Paisij Chilendarski. Istorija Slavenobolgarskaja. Nikiforov prepis ot 1772 g., S. 105. Zit. in der Übersetzung: Païssi von Chilandar. Slavobulgarische Geschichte, S. 55.

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Wechselwirkung mit dem Wunsch, eine bulgarische Geschichtsschreibung als eigene Tradition ins Gedächtnis zu rufen und zu erneuern. Gerade in diesem transnationalen Wettkampf um historisches Prestige und auch sakrale Legitimität lässt sich Paisijs Handschrift als Erfindung von Tradition verorten: Paisij setzte zur Delegitimation und Dekonstruktion des serbischen Nemanjidentextes an, um an dessen Stelle mit der diesem zugedachten Legitimität seine bulgarische Geschichte als die wahre Geschichte zu rücken.1108 C 6.1  Säkularisierung und Stefan von Dečani als Medium des Aufstands

Für den Diplomaten und Historiker Pavle Julinac spielte bei der Beschreibung der serbischen Dynastie ein bulgarischer Zusammenhang hingegen keine Rolle: Stefan Nemanja war für ihn 1765 ein weltlicher, genealogisch mit dem europäischen Rahmen verbundener Akteur.1109 Für den Geistlichen, säkular schreibenden Historiker Rajić war der bulgarische und kroatische Kontext wichtig zur parallelen Einbettung des serbischen Erzählstranges, aber nicht zur Beschreibung der serbischen Herrscher: Rajić beschränkte sich ganz auf eine säkulare Darstellung der Nemanjiden.1110 Er schilderte aber beim Tod König Stefans des Erstgekrönten, wie sein Bruder Sava diesen ­wieder zum Leben erweckte, um ihn zum Mönch geweiht sterben zu lassen. Die Passage zeigt die konfessionelle Bedingtheit des Verständnisses „historischer Wirklichkeit“ im Konzept des Geistlichen auf: Seine Unterscheidung von politischer Historie und sa­kralem Diskurs geriet aus den Fugen, da er die Wiedererweckung für wahr gelten lassen wollte. Dennoch diente das Wunder nur dem Ruhm Savas:1111 Rajić schilderte Stefan Nemanja nicht als heilig sowie ohne 1108 Paisij beklagte bitter, „die Serben“ ignorierten, dass „die Bulgaren so viele Jahre herrschten und so viele Zaren hatten“ „und die Serben haben über diese keinerlei Erzählung geschrieben, oder eine Lobpreisung“, sondern nur über ihren einzigen Zaren Stefan Dušan und ihre Nemanjiden. „Vor Unverstand scheint es ihnen, dass sie von Anfang an ruhmreicher als die Bulgaren“ gewesen seien. Diese Diskurse über „ihre Könige und Heiligen“ seien aber „unstimmig“ und „widersprüchlich“, weil es „weder lateinische noch griechische Zeugnisse“ über sie gebe – im Gegensatz zur Geschichte der bulgarischen Herrscher. Paisij Chilendarski. Istorija Slavenobolgarskaja. Nikiforov prepis ot 1772 g., S. 110. Vgl. die Übersetzung: Païssi von Chilandar. Slavobulgarische Geschichte, S. 58 f. 1109 Er wurde zwar nach seiner Abdankung Mönch, von einer Verehrung als Heiliger war aber keine Rede, auch die „serbische Rebe“ nannte Julinac nicht. Er schrieb nur, dass seine „Nachfahren serbische Könige waren“. Julinac (1765), S. 53. Auch die übrigen Nemanjiden stellte er in diesem Rahmen vor. Zu Stefan dem Erstgekrönten: Julinac (1765), S. 54 f. 1110 Er begann mit dem Kapitel „Stefan Nemanja I.“, dessen Mönchwerdung er nur knapp erwähnte, ohne Hinweis auf seine Verehrung als Heiliger. Rajić (1794) 2, S. 316 – 338. 1111 Das „äußerst ruhmreiche Wunder“ sei „historisch“, werde aber von serbischen und insbesondere von „ausländischen“ Historikern ignoriert – und selbst „welche von uns“ würden es als „­Märchen“ abtun, weise man sie darauf hin: „Aber diese Sache wird historisch geschildert“ und sei daher auch „mit historischer Wahrscheinlichkeit“ anzunehmen. Rajić (1794) 2, S. 367.

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Verweise auf weitere Wunder,1112 obschon gerade sein Kult zu dieser Zeit erneuert und verstärkt wurde.1113 Dagegen schrieb der Geistliche von „Wundern“, die Stefan Uroš III. in seiner Grablege Dečani gewirkt haben sollte, mit Verweis auf „unsere gerühmten Historiker“. Er unterschied dabei nicht zwischen der wie eine Heiligenvita angelegten Lebensbeschreibung des Erzbischofs Danilo II. und der weltlich ausgerichteten Chronik des Grafen Branković. Er schrieb von seinem „heiligen Körper“, ohne Stefan selbst als einen Heiligen zu bezeichnen: Sein Bezugsrahmen blieb weltlich-herrschaftlich.1114 Letztlich gelang es dem Geistlichen nicht, ein widerspruchsloses Konzept für seine Beschreibung der Dynastie zu finden. Während in der weltlichen Historiographie auch Rajićs Stefan der Erstgekrönte wie früher in der traditionellen Verehrung stark im Hintergrund stand, war er doch gerade in den Jahren zuvor zu aktueller, politischer Bedeutung gekommen: Zur Zeit der österreichisch-türkischen Kriege 1788 – 1791 soll er Karađorđe (türk/serb. für „Schwarzer Georg“) erschienen sein, um den schlafenden Schweinehirten zum Aufstand zu ermuntern: Er sollte „die übriggebliebenen serbischen Heiligtümer“ aufsuchen „und dort Rettung suchen“.1115 Mönche propagierten die „politische Legende“ in den folgenden Jahren.1116 Örtlicher Widerstand der orthodoxen Bevölkerung gegen den osmanischen Herrschaftsträger der Region sollte durch geistliche Mithilfe und mit dem Medium eines mittelalterlichen heiligen Königs legitimiert werden: Fahnen der Aufständischen bildeten im Jahre 1804 Stefan den Erstgekrönten ab.1117 Die Mönche stellten „die Volksmacht“ als „Nachfolgerin des Staats der Nemanjiden“ dar – so die moderne serbische Geschichtsschreibung. Ihr Ziel war aber die Erneuerung mittelalterlicher Rechte und Abgaben etwa des Klosters Studenica.1118 Am 15. August 1812 rief Karađorđe eine Volksversammlung „zum heiligen König“ beim Kloster Vračevšnica ein. Dort leisteten er und der Archimandrit des Klosters Studenica Melentije Nikšić „auf die Gebeine des erst­gekrönten König Stefan den Eid“, den Bukarester Friedensvertrag anzunehmen.1119 Nach der Nieder­schlagung des Widerstandes flüchteten die Mönche des Klosters S ­ tudenica mitsamt den Gebeinen ins ungarländische Kloster Fenek in Syrmien.1120 Trotz dieser politischen Instrumentalisierung des „heiligen Königs“ führte die noch sehr kleine Gruppe der serbischen Gelehrten später die Säkularisierung der Darstellung der Könige fort: Die Zeitschrift der 1826 in Budapest ins Leben gerufenen Serbischen Matica veröffentlichte 1827 ein ganz unpathetisches Porträt Stefan Nemanjas ohne 1112 1113 1114 1115 1116 1117 1118 1119 1120

Rajić (1794) 2, S. 339 – 349. Pavlović (1964); Kämpfer (1973), S. 16 f. Rajić (1794) 2, S. 597. Pavlović (1964), S. 65. Pavlović (1964), S. 90. Pavlović (1964), S. 65. Pavlović (1964), S. 65, S. 90. Golubica Nr. 5, 1814, S. 210, zit. gemäß Pavlović (1964), S. 66. Pavlović (1964), S. 67.

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Die Erfindung der Nationen

konzeptuellen Kommentar. Eher chronistisch als auf der Höhe der damaligen Historio­ graphie berichtete es über dessen politische Taten.1121 Die sich in Budapest herausbildende serbische literarische Elite nahm mit diesem und ähnlichen Beiträgen zu Sava 1122 und Klöstern 1123 eine allererste historisch ausgerichtete Bestandsaufnahme vor. Diese erfolgte bereits im modernen Gewand der Historie des beginnenden 19. Jh., aber noch in unverkennbarer Nähe zur traditionellen Annalistik.1124 Nemanjas Eigenschaft als Heiliger wurde nur in der letzten Passage über seine Zuwendung zum Mönchstum durch seine Anrede als Heiliger deutlich.1125 Eine politische Instrumentalisierung der Erinnerungsfigur blieb aus. Dagegen gab derselbe Autor die Krönung Stefans des Erstgekrönten durch dessen Bruder Sava im gleichfalls 1827 in dieser Zeitschrift veröffentlichten Porträt Savas mit Pathos wieder: „,Viele Jahre dem erstbekränzten König und serbischen Selbstherrscher Stefan!‘ (…). Mit derselben Krone wurden alle serbischen Könige bis zur Vernichtung des serbischen Zarentums gekrönt.“ 1126 Die Krönung Stefans stand damit ganz im ­Schatten Savas, der die Krönung vornahm. Nur im Text zu Sava wurde auch das Schicksal der Krone nach der osmanischen Eroberung geschildert – sie sei letztlich „in den Wiener Kaiserschatz gelangt, wo sie sich noch heute befindet“.1127 Dieser kommentarlose Hinweis kann im Budapester Zusammenhang als ein Loyalitätsbekenntnis der serbischen Intelligenz gegenüber der habsburgischen Herrschaft gelesen werden. C 6.2  Fürstliche und geistliche Geschichtspolitik und die Nemanjiden im Drama

Im gefestigten Fürstentum unter osmanischer Oberherrschaft nahm sich bald der Fürst des Diskurses an und ließ die Nemanjiden eine von ihm und seiner Verwaltung selbst geleitete geschichtspolitische Rolle spielen: Die Kanzlei des Serbischen Fürstentums verfasste am 5. Februar 1827 eine bereits zitierte Anordnung, die von allen Orthodoxen verlangte, „an Landesfeiertagen (u prazdnike zemaľske) wie am Tag des hl. Sava, am Veitstag, an den Tagen der Feier des Gedenkens der serbischen Könige in die Kirche

1121 Mit der Abkürzung „E. I.“ unterzeichnet: Stefan Nemanja, Pervyj kralj Serbskij rod. 1147., in: Serbskij Lětopis 2 (1827) 2, S. 17. 1122 Svetyj Savva, Pervyj Serbskij Arhiepiskop, umr. L. H. 1237, in: Serbskij Lětopis 2 (1827) 1, S. 6 – 13. 1123 Ohne Verfasserangabe: Serbskii monastyri, in: Serbskij Létopis 3 (1827) 2, S. 1 – 11. 1124 In den wenigen Sätzen, die Hinweise auf eine Charakterisierung Stefans in diesem Text geben, wurde sein „Mut“ hervorgehoben. Stefan Nemanja, Pervyj kralj Serbskij rod. 1147., in: Serbskij Lětopis 2 (1827) 2, S. 16. 1125 Seine Verehrung als Heiliger wurde lakonisch und unter primärer Verwendung seines weltlichen Namens angegeben: „Das Gedächtnis Stefan Nemanjas feiern die Serben unter dem Namen des hl. Simeon des Ölheiligen am 13. Febr.“ Stefan Nemanja, Pervyj kralj Serbskij rod. 1147., in: Serbskij Lětopis 2 (1827) 2, S. 17. 1126 Svetyj Savva, Pervyj Serbskij Arhiepiskop, umr. L. H. 1237, in: Serbskij Lětopis 2 (1827) 1, S. 9. 1127 Svetyj Savva, Pervyj Serbskij Arhiepiskop, umr. L. H. 1237, in: Serbskij Lětopis 2 (1827) 1, S. 10.

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zu gehen“.1128 Die Gedenktage der „Serbischen Könige“ wurden damit zu den Landesfeiertagen gerechnet, allerdings erst hinter dem Savatag sowie dem Veitstag. Weitere Schritte folgten: Fürst Miloš stiftete zum 2. August 1836 ein Gebäude im Kloster Dečani, wie eine entsprechende Inschrift laut einem Buch über das Kloster von 1852 bezeugte. Er erschien dort als „Stifter und Erneuerer, der strahlendste Herrscher und Fürst des serbischen Volkes Miloš Obrenović“.1129 Miloš hatte aber zunächst keinen Erfolg, die Reliquien Stefans des Erstgekrönten in das serbische Fürstentum bringen zu lassen. Erst 1839 wurden sie aus dem Kloster Kalenić auf österreichisch-ungarischem Gebiet nach Studenica in Serbien überführt. Die Bischöfe Serbiens sowie ein Regierungs­ vertreter und zahlreiche Bürger nahmen daran teil.1130 Zur Mitte des 19. Jh. finanzierten Fürstin Perside und Fürst Aleksandar aufwendig gearbeitete Sarkophage im Barockstil mit Darstellungen Stefans des Erstgekrönten im Kloster Studenica und Stefan Uroš’ III . Dečanski im Kloster Dečani.1131 Auch der Besuch der Klöster Ravanica, Manasije, Žiča und Studenica durch die Fürstenfamilie im Jahr 18521132 sollte den Kult der heiligen Könige erneuern. Die traditionslosen Herrscher der neuen Dynastie der ­Karađorđević versuchten sich mit diesen erinnerungspolitischen Handlungen in eine Verbindung mit den heiligen Königen der Nemanjiden zu stellen, um ihre eigene Legitimität und Macht zu stärken. Wie der Kosovomythos erfuhren auch die heiligen Könige zudem eine weltliche Theatralisierung: Anfang Dezember 1841 führte das Belgrader Volkstheater das Stück „Der Tod des Stefan von Dečani“ von Jovan Sterija Popović auf, in dem der König als „tragischer Held der nationalen Vergangenheit“ und gemeinsam mit Stefan Dušan als moderner Patriot inszeniert wurde. Das Stück wurde bis zu Beginn des 20. Jh. mindestens 17 weitere Male an verschiedenen Orten aufgeführt und „umriss damit den kulturellen Raum, der durch das serbische Volk bewohnt wird“.1133 Insgesamt wurden Stefan Dečanski bis 1900 fünf Dramen gewidmet, deren wiederholte Auf­führungen die theatralisierte Erinnerung an seine Person in der entstehenden bürgerlichen Gesellschaft beständig reproduzierten und festigten.1134 Der in Pest ausgebildete Jurist und Doktor der Philosophie sowie Herausgeber der „Chronik der Serbischen Matica“, Jovan ­Subotić, beschrieb 1846 in seinem auf eine Anfrage seitens der „Matica“ verfassten Epos „König von Dečani“ Stefan als Volksheiligen. Die Darstellung festigte das Zusammenspiel

1128 Protokoll der fürstlichen Kanzlei vom 5.2.1827, Nr. 124, 1908 im Belgrader Staatsarchiv, zit. gemäß Veselinović (1908), S. 39 – 41. 1129 Jurišić (1852), S. 71. 1130 Durković-Jakšić (1986a), S. 300 – 304; Pavlović (1964), S. 67 f., S. 91; Makuljević (2006), S. 61. 1131 Pavlović (1964), S. 68 – 82. 1132 Pavlović (1964), S. 68. Im Laufe des 19. Jh. wurde das Alter mehrerer Teile des Kloster­schatzes von Studenica und anderer Klöster zurückdatiert, um ihr symbolisches Kapital zu erhöhen. Makuljević (2006), S. 63 – 65. 1133 Marjanović-Dušanić (2007), S. 514. 1134 Marjanović-Dušanić (2007), S. 521 f.

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Die Erfindung der Nationen

von Volksstaat und Volkskirche, für die es sich zu sterben lohnen sollte.1135 Nationale Geschichte wurde als Königsdrama verbreitet. Die Erneuerung des Gedenkens wurde auch weiterhin von Geistlichen unterstützt: 1852 veröffentlichte in Novi Sad ein Priestermönch des Klosters Dečani, Gedeon Iosif Jurišić, eine erste gedrucke Monographie über das Kloster. In seinem Vorwort fasste er konkrete Ziele in Worte, die er damit erreichen wollte: Die Mönche der Region sollten „am Fortschritt interessierter sein und etwas von der Bedeutung auch des serbischen Altertums erfahren wollen, um es ihrem Volk ins Licht zu rücken“.1136 Der Blick des Mönches war auf die Herauslösung des Klosters aus dem osmanischen in einen christlichen und europäischen Rahmen gerichtet: „Alle diese unseren Heiligtümer, die durch die Jahrhunderte vor türkischem Vandalismus erhalten geblieben sind“, erwarten eine „christliche Macht“, zumal die „einst ganz Europa bedrohende“ Macht der Osmanen „ermattet“.1137 Nur der schon genannte Verweis auf die Stiftungstätigkeit des Fürsten Miloš 1836 gab einen Hinweis, wie diese Macht geartet sein sollte. Dabei war der Blick der Erinnerung nicht nur auf das Kloster gerichtet, sondern durchaus auch auf König Stefan, seinen Stifter. So verwies der Priestermönch auf Stefans sogenannten Traum über die Gestaltung des Klosters und auf eine an ihn gerichtete Fürbitte.1138 Die entstehende Zeitungsöffentlichkeit festigte sich auch in der Verbreitung der neuen, die Nation sakralisierenden Deutung des Diskurses: 1857 führten mehrere serbische ­Zeitungen eine intensive Debatte über die Errichtung eines Denkmals zum Gedenken an Karađorđe. Die Forderung, Žiča als „größtes serbisches Denkmal“ mit der Aufschrift „Tempel des serbischen Ruhms“ zu versehen, erfolgte ausdrücklich im europäischen Zusammenhang des Pariser Invalidendoms, italienischer Denkmäler und Westminsters. „Auch Karađorđe würde am süßesten in diesem ,Tempel des serbischen Ruhms‘ unter seinen Heerführern und Kämpfern ruhen“. In diesem Vorschlag ging es nicht um eine Verehrung Karađorđes im Sinne eines Heiligen: Die Grablege sollte vielmehr zu einem verweltlichten Ort einer nationalen Religion im Sinne eines nationalen Pantheons und Gedenkortes serbischer Europäizität werden, in der weltliche nationale „Könige, Helden und Schriftsteller“ verehrt sein sollten. Die Rolle des Gebäudes als Gotteshaus sollte implizit zurücktreten.1139 Die „Serbischen Nachrichten“ traten in einem Leitartikel für die Errichtung einer Kirche zu seinen Ehren ein: „Die Kirchen und Klöster – diese Aufbewahrungsorte des Heiligtums serbischen Namens – sind die einzigen, die uns durch die stürmischen Zeiten des nationalen Abgrundes bei unserem heiligen Glauben gehalten haben, mit dem unsere Nationalität so eng verbunden ist (…). Sie bringen uns die ruhmreichen Nemanjiden in Erinnerung – den hl. Simeon den Ölheiligen, Stefan den

1135 1136 1137 1138 1139

Marjanović-Dušanić (2007), S. 516 f. Jurišić (1852), S. IV. Jurišić (1852), S. 67. Jurišić (1852), S. 2, S. 41 – 43. Šumadinka, 23.2.1857, Nr. 23, o. S. zit. gemäß Tošić (1985), S. 142 f.; vgl. Makuljević (2006), S. 286; Marjanović-Dušanić (2007), S. 505 f.

Heilige serbische Herrscher

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Erst­gekrönten, den hl. Sava, Stefan von Dečani, – den Volksmärtyrer Fürst Lazar, die Mutter Angelina (…) sie halten uns bei der Nationalität, bei unserem Glauben“.

Deshalb sollte eine Kirche zur Erinnerung an Karađorđe errichtet werden, um „die göttliche Vorsehung zu loben, dass sie seine Großtaten segnete und die serbische Freiheit erstrahlt ist“.1140 Klöster, Kirchen, Nemanjiden und weltliche Helden wie Herrscher sollten als Einheit gebündelt zum Medium und Ort serbischer Nationalität werden. Die Intensität der Debatte bezeugt eine sich festigende weltliche Erinnerungskultur in der Zeitungsöffentlichkeit. Auch für erste überregionale politische Entwürfe spielten die Nemanjiden eine Rolle: Mihailo Polit-Desančić, der Wortführer des rechten Flügels der „Serbischen Nationalen Freisinnigen Partei“ von Svetozar Miletić, entwarf 1862 in seinem Pamphlet „Die orientalische Frage und ihre organische Lösung“ das Projekt einer Balkankonföderation, in deren Rahmen neben einem griechischen sowie einem rumänischen ein gemeinsamer serbisch-bulgarischer Bundesstaat entstehen sollte. Als Hauptstadt sollte Prizren dienen, „die alte Residenz der serbischen Könige und Zaren“.1141 Während die Nemanjiden hier ganz als weltliche Herrscher und nicht als Heilige ins Spiel gebracht wurden, sollte doch „die orientalische Kirche“ als das transnationale „gemeinsame Band“ dienen, um „Solidarität zwischen allen christlichen Nationalitäten der Türkei“ herzustellen.1142 Der Politiker deutete die „orientalische“ christliche Religion als Befähigung zu Kultur und Europäisierung sowie zur Abgrenzung vom „asiatischen Joch“ unter den Osmanen und den – soweit muslimisch – Albanern. An die Stelle des osmanischen Imperiums sollte, postkolonialistisch gedeutet, ein mangels Verwirklichungschancen kompensatorisch übermäßig selbstbewusster und mimetisch nachahmender imperialer Entwurf eines Verweises auf das spätmittelalterliche Vielvölkerreich der Nemanjiden treten. Neben der inneren Festigung des Fürstentums und darüber hinausreichender politischer Pläne kam als neue Funktion des Diskurses deren Legitimation auch seitens Geistlicher hinzu. Einzelne bedeutende Angehörige der serbischen Kirche griffen Vorstellungen der Expansion Serbiens auf und machten sich zu deren Verfechtern: 1864 gab Serafim Ristić, Archimandrit des Klosters Dečani, das „Klagelied des alten Serbien“ mit einem englischen Vorwort heraus, das die serbische wie die europäische Gesellschaft zur Verteidigung der Christen im osmanischen Kosovo aufrief. Ristić beschwor den „serbischen Ruhm“, den Stefan Nemanja „im Innern festigte und mehrte“ und die Gebietsgewinne und die Gründung eines „Zarentums“ unter Dušan. Dies zeigte, dass „der Serbe (…) würdig ist zum vollen Gebrauch der Freiheit und zur Verwirklichung der höchsten Ideale“.1143 Im gleichen Jahr veröffentlichte er auch den Band „Denkmäler

1140 Srbske Novine, 2.5.1857, Nr. 50, S. 1; vgl. Tošić (1985), S. 156 f.; vgl. Makuljević (2006), S. 286; Marjanović-Dušanić (2007), S. 505 f. 1141 Polith (1862), S. 38; vgl. Behschnitt (1980), S. 82, S. 92. 1142 Polith (1862), S. 17. 1143 Ristić (1864), S. 3.

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Die Erfindung der Nationen

von Dečani“. Die Widmung des Buches an den herrschenden Fürst Mihailo Obrenović bezeugt das reflektierte Geschichtsbild des Geistlichen: „Herrscher! Die Geschichte fällt vorzüglich den Herrschern zu, denn sie sind in ihr die Haupt­ akteure. (…) dies gibt mir die Freiheit, diese historischen Denkmäler, die ich in der Stiftung der ruhmreichen Nemanjiden gefunden habe, Eurer Durchlaucht zu widmen, dem Herrscher, auf den das ganze Serbentum wie auf den neuen Nemanjić schaut“.1144

Der Klostervorsteher einer wichtigen Grablege der Nemanjiden förderte mit beiden Veröffentlichungen eine weltliche Verehrung des neuen Fürsten im Rahmen des Verweises auf die verweltlichte Erinnerung an die heiligen Herrscher des Mittelalters. Bedeutsam waren die Lage dieses Klosters im Kosovo und die Interpretation des Kosovo als „altes Serbien“, das es wie die Region um Belgrad zu befreien galt. Das Zielpublikum war sowohl die höchste Belgrader Gesellschaft als auch die gesameuropäische Öffentlichkeit, wie die englische Widmung des Klageliedes an den Reiseschriftsteller William Denton als „a friend of my people“ klarstellte.1145 Auch die moderne Geschichtswissenschaft und Philologie kam um die Nemanjiden nicht herum: Ein wichtiges Zeugnis der damals einsetzenden editorischen Bemühungen sind die „Leben der serbischen Könige und Erzbischöfe“, die der in Wien ausgebildete Philologe Đuro Daničić 1866 in Zagreb herausgab. Dessen Vorwort blieb ohne Bezug auf die gegenwärtige Situation, abgesehen vom Verweis auf Šafářík, der eine solche Edition bereits als Desiderat erkannt hatte. Die Widmung des Werks der „serbischen Fürstin Julia M. Obrenović“,1146 der Gattin des Fürsten Mihailo Obrenović III., verriet die Absicht der politischen Nutzbarmachung der Texte. Die Verweltlichung des Gedenkens schritt insbesondere im Theater voran: Zum Tag des hl. Sava des Jahres 1870 führte das Volkstheater in Novi Sad das Drama „Kreuz und Krone oder die Krönung von Stefan Nemanja zum serbischen König“ von Jovan Subotić erstmals auf. Das „Bild aus der serbischen Vergangenheit“ stützte die Verklärung Nemanjas als serbischen Herrscher in seiner alten Verbindung mit dem nun viel stärkeren und erneuerten Savakult. Deutlich war dabei die Bemühung, die häufig genannte „Krone“ als „Krone des heiligen Stefan [des Erstgekrönten, S. R.]“ 1147 der ungarischen Stephanskrone bzw. Serbien Ungarn als ebenbürtig darzustellen: „Dem König Andreas ist König Stefan gleich“.1148 Andererseits beanspruchte Subotić auch gegenüber dem Zarenreich der Bulgaren für das neue serbische Königreich den gleichen Rang.1149 Überdies wurde die „Zukunft“ mehrfach beschworen 1150 – offensichtlich sollte der neue serbische 1144 Dečanski spomenici, o. S.; Marjanović-Dušanić (2007), S. 504, allerdings mit falschem Verweis auf Ristić (1864). 1145 Ristić (1864), nach dem Titelblatt o. S. 1146 Životi kraljeva i arhiepiskopa srpskih, S. V, S. III. 1147 Jovan Subotić. Krst i kruna, S. 27. 1148 Jovan Subotić. Krst i kruna, S. 28, S. 39 f. 1149 Jovan Subotić. Krst i kruna, S. 40. 1150 Jovan Subotić. Krst i kruna, S. 15 f., S. 34, S. 38.

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Staat die damit verbundenen Vorstellungen einlösen. Die explizit religiös unterstützte Inszenierung der Krönung 1151 stand im Gegensatz zur vorherrschenden laizistischen Staatsauffassung unter serbischen Wortführern des 19. Jh., die die Verweltlichung der Erinnerung an das Haus der Nemanjiden vorantrieben: Exemplarisch für diese Anknüpfung an die Legitimität der Tradition ist das 1871 gedruckte „Tableau“ der „serbischen Herrscher von Nemanja bis heute“: Im alten Rahmen der Weinrebe erschienen hier die bisher als heilig verehrten Könige als weltliche Herrscher in Gesellschaft mit den neuen Herrschern des 19. Jh.1152 C 6.3  Die Legitimierung des Königreiches durch die Nemanjiden

Neue herrschaftslegitimierende Bedeutung gewann der Verweis auf die Dynastie mit der Einrichtung des Königreiches: Am 6. März 1882 verkündete Milan Obrenović das Königreich Serbien und erklärte sich zum König. Nach seinem Besuch des Klosters Žiča verwies die Presse auf dessen Bedeutung als mittelalterliche Krönungsstätte serbischer Herrscher.1153 Das offizielle Blatt „Serbische Nachrichten“ veröffentlichte neben der entsprechenden Verlautbarung Grußbotschaften mit zahlreichen Unterschriften von Wortführern der serbischen Gesellschaft. Der Anlass ließ vor dem Hintergrund der imaginierten Vergangenheit neue Wünsche öffentlich werden: „Gebe Gott, dass er so schnell wie möglich die Einigung des Serbentums in Prizren mit dem Zarenkranz Dušans bekränzt!“ Auch auf die Nemanjiden insgesamt wurde verwiesen: Die Gratulanten wünschten sich, dass die „strahlende Vergangenheit unter den Nemanjiden“ zurückkehre. Deren sakrale Bedeutung blieb aber im Hintergrund und beschränkte sich auf die ­Nennung der „Rebe der Nemanjiden“: Es sei ein Glück, dass „nach der ruhmreichen Rebe der N ­ emanjiden der Stamm der Obrenović aufgetaucht ist und das Serben­tum im Fortschritt führt nach dem Vorbild der anderen fortschrittlichen Völker“.1154 Einen Tag später begann eine gleichfalls von mehreren Dutzenden Vertretern der serbischen Gesellschaft signierte Grußbotschaft am gleichen Ort mit dem Satz: „Ruhm dem ­Obrenović, der den Ruhm des Nemanjić übertrifft; die Erscheinung des Obrenović ist die Erscheinung des ­Messias, auf den dieses aufgrund seines historischen Schicksals überaus unglückliche serbische Volk fünf Jahrhunderte sehnsüchtig gewartet hat.“ Milan habe „das Königreich aus dem Grab auferstehen lassen“.1155 Hier verband der anonyme Verfasser die zuvor eingehaltene Linie und sakralisierte die neue Dynastie vor dem Hintergrund der alten zum nationalen Erlöser. Bei weiteren Grüßen stand wiederum der europäische Rahmen im Vordergrund:

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Jovan Subotić. Krst i kruna, S. 47 – 50. Reproduktion bei: Marjanović-Dušanić (2007), S. 509. Makuljević (2006), S. 53 f. Srpske Novine, 6.3.1882, Nr. 52, S. 1. Srpske Novine, 7.3.1882, Nr. 53, S. 1.

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„Die europäische zivilisierte Gesellschaft hat es erduldet und hat es gesehen, wir haben uns abgemüht und wir wurden gequält für die Idee, für Prinzipien, für den Fortschritt.“ 1156 Serbien sollte auch hier als das moralisch bessere Europa erscheinen. Nach der Etablierung des Königtums gewann eine religiöse Verehrung der Dynastie durch geist­ liche Publikationen an Einfluss: Sava Dečanac, seit dem 3. Juli 1889 Bischof von Žiča, beschrieb 1897 sehr ausführlich die feierliche Salbung Milans, „des ersten Königs nach dem Amselfeld“, die am 23. Juni 1868 erfolgt war.1157 Auch die Salbung von ­Aleksandar I. Obrenović im Kontext der Feier des 550. Jahrestages der Schlacht auf dem Amselfeld im Kloster Žiča am 20. Juni 1889 dokumentierte er auf mehreren Seiten.1158 Die b­ eiden Ereignisse standen am teleologischen Ende seiner mit dem Alten Testament und Byzanz beginnenden Monographie über das Krönungs- und Salbungsritual sowie das Verhältnis von Volk und Herrscher in der Rus’ und „bei den Serben“. Nahtlos stellte der Kirchenfürst die neuen Fürsten und Könige des 19. Jh. gerade auch mit den Nemanjiden in einen gemeinsamen, das neue politische System verfassungsgeschichtlich legitimierenden Zusammenhang. Seine umfangreiche, Handlungsanweisungen für die Gegenwart propagierende Darstellung stand neben Schriften, die sich an ein breiteres Publikum richteten: Die Wochenzeitung „Serbisches Zion“, das offizielle Publikationsorgan der Metropolie Sremski Karlovci, schrieb 1896 über die Verehrung von heiligen Herrschern in einem Text über Klöster bzw. die „Zarische Lavra in Serbien“: In der Kirche ruhen u. a. „die Gebeine des hl. Simeon des Ölheiligen – von Stefan Nemanja, dem Begründer und Stifter der Kirche (…) sowie des Mönchs Simon, des erstgekrönten Königs Stefan Nemanjić. (…) Das serbische Volk verehrt diese Geheiligten sehr und jeden Tag kommen deswegen viele Kranke, um sich zu heilen. Das Gedenken an den hl. Stefan ist hier so verbreitet, dass das umliegende Volk bei seinem Namen schwört: (bei König Stefan). Der Besuch des Klosters wird als Besuch des Königs bezeichnet: Gehen wir zum König.“ 1159

Auch zur Wende ins 20. Jh. trugen Geistliche die weltliche Deutung der Könige, in der analog zur Vorstellung Savas als „großer Mann“ im Sinne des Historismus etwa Stefan Nemanja zunächst nur als Staatsmann eine Rolle spielte: Zum Gedenken an den 700. Tag „des gesegneten Todes eines wahrhaftig Großen heiligen Serben namens Stefan Nemanja, als Mönch unter dem Namen des hl. Simeon des Ölheiligen bekannt – des Begründers der Dynastie der ruhmreichen und heiligen Nemanjiden, des ersten und bedeutendsten Vereinigers des serbischen Volks“ hielt der Geistliche und Lehrer Ilarion Vesić 1899 am 13. Februar im Saal des theologischen Seminars in Belgrad eine Ansprache „über die Bedeutung des Lebens und der Arbeit“ Stefans für das „politische und das reli­giöse

1156 1157 1158 1159

Srpske Novine, 7.3.1882, Nr. 53, S. 2. Sava Dečanac (1897), S. 196 – 204. Sava Dečanac (1897), S. 204 – 225. Srpski Sion, 30.6.1896, Nr. 27, S. 444.

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Leben des serbischen Volkes“.1160 Die breitere Schichten belehrende Funktion des Textes ist bereits mit diesen Angaben deutlich erkennbar. Hervorzuheben ist die doppelte Gewichtung Stefans als politischer wie als heiliger Akteur. Stefans „Leben und Arbeit“ hätten „nicht auszuglättende Spuren in der Geschichte des serbischen Volkes“ hinterlassen, an die sich „nicht nur wir – die heutige Generation, nach sieben Jahrhunderten, sondern auch unsere fernen fernen Nachkommen – nach mehr als tausend Jahren – bis zum letzten Gericht Gottes, mit Stolz, Dank und Dankbarkeit erinnern müssen“.1161 Die extreme zeitliche Ausweitung in die Zukunft und die damit verbundene moderne Imagination eines ewig existierenden serbischen Volkes führten gleichwohl zurück zum traditionellen, heilsgeschichtlichen Gedenken, zum Jüngsten Gericht. Die Begründung für dieses ewige Gedenken gab Ilarion gleich selbst: „Weshalb? Deshalb, weil wir im Leben und in der Arbeit dieses großen heiligen Serben eines der großartigsten, der schönsten und erhabensten Beispiele sehen, wie man mit Liebe, Selbstüberwindung und Hingabe seinem Vaterland dienen soll, seinem Volk und seinem schönen nationalen Glauben.“ 1162

Der Dienst am „schönen“ Glauben stand in dieser Prioritätenliste des Geistlichen an letzter Stelle. Wie wenig etabliert das religiöse Gedenken an Stefan war, zeigt Ilarions Hinweis auf die Vorbereitung der Feier: „Überraschend tauchte bei den Verantwortlichen der Gedanke auf, diesen Tag des 700. Jahrestages des Todes des hl. Simeon mit einem bescheidenen Akt in diesem geistlichen Pflanzgarten (rasadniku) zu begehen.“ Tatsächlich wurde die Gedenkfeier kurzfristig angedacht: Ilarion gab an, erst vor „zwei bis drei Tagen“ von seinen Kollegen die Aufgabe erhalten zu haben, einen entsprechenden Vortrag abzu­ fassen.1163 Trotz dieser gesellschaftlichen Geringschätzung machte der Geistliche in seinem Text Stefan zu einer herausragenden Person: „Nemanja hat daher mit seinem Leben und mit seiner Arbeit als erster den Grundstein zur serbischen staatlichen Einheit gelegt, und hat dem serbischen orthodoxen Glauben einen rein nationalen (nacionalni) Charakter gegeben. Er gab dem politischen und dem religiösen Leben des serbischen Volkes neuen Schwung, aus dem später aller Ruhm und Größe des Serbentums hervorgegangen sind.“ 1164

Zwar hatte der Geistliche im vorderen Teil seiner Rede auch Passagen aus den reli­giösen Quellen zum Leben Stefans zitiert – im späteren Verlauf trat aber der politische Aspekt, die mit Stefan in Verbindung gebrachte serbische Staatlichkeit, ganz in den Vordergrund. Sein Verdienst im religiösen Bereich lag nur in der angeblichen Nationalisierung, dem

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Vesić (1899), S. 199. Vesić (1899), S. 199. Vesić (1899), S. 199. Vesić (1899), S. 200. Vesić (1899), S. 208.

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„reinen nationalen Charakter“ seiner Kirche. Vesić griff zur Aktualisierung des Gedenkens an Stefan auch zum direkten Vergleich mit erst kürzlich verstorbenen Herrschern, namentlich mit Miloš. Nach einer Seite kam er hier zum didaktisch ausgearbeiteten Schluss: „Wir lernen aus dem Leben und der Arbeit dieser beiden Riesen (ova dva velikana), mit welcher Liebe, Energie und Hingabe man dem allgemeinen staatlichen Gedanken dienen muss. Ehren wir die monarchische staatliche Einheit und Zentralisation, als einzige rettungbringende (spa­sonosne) Grundlage zur Förderung, zum Glanz, zum Ruhm und zur Größe des serbischen Volkes. Er­richten wir neue, stellen wir alte Denkmäler wieder her, damit wir zum Ruhm Gottes unter uns und im Volk Sanftmut fördern, Frömmigkeit und Hingabe zu seinem heiligen alten Glauben und zur Kirche, nach dem Beispiel von Nemanja und Miloš, damit auch uns Gott helfe, damit wir die unbefreiten serbischen Randgebiete (pokraine) befreien, damit wir die Zarenherrschaft (carevinu) Nemanjas und Dušans sowie das Patriarchat erneuern, und im Serbentum Ordnung verwurzeln, Ordentlichkeit, Frömmigkeit (blagočašće) und allen Wohlstand (blagostanje), zum Ruhme Gottes und zur Ehre des Volkes.“ 1165

Religiöse Ziele blieben hier mitgenannt, sie waren aber ganz dem nationalen Kontext untergeordnet. Staatliche Zentralisation des Nationalstaats als Zielutopie des späten 19. Jh. wurde mit dem Medium Stefans als politisches und staatsbürgerliches Programm erläutert, legitimiert und verbreitet. Schließlich stimmte Ilarion auch nicht zu einem Gebet auf Stefan an, sondern blieb ganz bei der tagespolitischen Aktualisierung des Gedenkanlasses: „Und heute entspreche ich, so denke ich, ganz dem Wunsch von Ihnen allen, wenn ich Sie bitte, dass wir alle einmütig von Herzen und beseelt ausrufen: Ruhm dem großen Nemanja. Ruhm dem großen Miloš.“ 1166 Stefan war hier nur als Referenz auf den Gedanken der nationalstaatlichen Zentralisierung bedeutungsvoll, wie letztlich auch Miloš nur als Träger dieser Zielutopie von Interesse war. Das offizielle Medium der serbischen orthodoxen Kirche nahm sich mehrfach der Deutung der Nemanjiden an: In einer weiteren, ebenfalls im „Boten der serbischen Kirche“ veröffentlichten Kirchenpredigt anlässlich des 700. Todestages machte Milan Aleksić den Bedeutungsunterschied zwischen Sohn und Vater deutlich: „Das Werk Nemanjas ging nach 200 Jahren verloren, aber das Savas ist bis heute erhalten geblieben. Und darin liegt der Unterschied zwischen ihnen, dass sich der Vater um das irdische Reich bemühte, und der Sohn um das himmlische.“ 1167 Des Vaters gedachte Aleksić in seiner Rede nur mit gleichzeitiger Nennung des Sohnes. Die gegenwärtige Existenz der ­Serben führte er auf beide zurück: „Wären sie nicht gewesen, wären wir heute nicht, was wir sind, angesehen und geachtet in der Welt. Und wenn es das alte serbische Königreich nicht gegeben hätte, gäbe es auch nicht dieses neue heutige. Dies ist, was Ideen wirken, die von durch Gott Ausgewählten getragen werden.“ 1168

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Vesić (1899), S. 211. Vesić (1899), S. 211. Aleksić (1899), S. 235. Aleksić (1899), S. 235.

Heilige serbische Herrscher

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An popularisierten deutschen Idealismus angelehnte Überlegungen wurden hier in einer Synthese mit der Heilsgeschichte gedacht. Simeons wurde als „Begründer der Dynastie der Nemanjiden“ gedacht, und die Dynastie selbst – nach altem Vorbild – als heilig verehrt: „Die Dynastie Nemanjias ist insgesamt heilig (sva sveta) und verehrt“.1169 Diese Verehrung weitete Aleksić aber nicht auf die zu seiner Zeit Herrschenden aus. Mit der Erneuerung der Verehrung der Dynastie seitens der Geistlichkeit einher ging die Aktualisierung ihrer künstlerischen Darstellung: Der in Russland ausgebildete Nastas Stefanović erstellte 1900 ein Altarwandgemälde in der Belgrader Kathedrale, das vier Herrscher (mit Jovan Vladimir, ohne Stefan Nemanja) und einen Kirchenfürsten ganz im weltlichen bzw. frühsymbolistischen Stil und ohne Nimbus darstellte – allerdings mit Überschriften, die sie als Heilige auswiesen (Abb. 17).1170 Die weltliche moderne Malerei verdrängte an diesem zentralen Ort der Belgrader Orthodoxie die traditionelle sakrale Freskenmalerei. Die herrschenden Könige machten derweil ganz konkrete Anleihen an monarchischen Praktiken und den mit ihnen verbundenen geographischen Orten: Nach der Krönung in Belgrad ließ sich Petar im Herbst 1904 im Kloster Žiča, „der alten zarischen Stiftung aus der Zeit der Nemanjiden (…) als erster gekrönter König des Neuen Serbien“ feierlich salben, wie die offiziellen „Serbischen Nachrichten“ schrieben.1171 Der neue König trat bei der minutiös vom Spezialisten für mittelalterliche Kirchenarchitektur Mihailo Valtrović vorbereiteten Inszenierung seiner Legitimität bewusst in die Fußstapfen der mittelalterlichen Dynastie.1172 Das Ereignis wurde verfilmt, der Film dürfte aber vor dem Ersten Weltkrieg in diesem noch wenig verbreiteten Medium kaum einer größeren Öffentlichkeit zugänglich geworden sein.1173 Mit der Festigung des staatlichen Schulsystems, das bereits im Rahmen der Darstellung der Verehrung Savas als Schulpatron erwähnt wurde, entwickelte sich auch eine für den Schulbetrieb zugeschnittene Historiographie. 1883 bis 1899 wurde serbische Geschichte in der vierten Klasse als eigenes Fach unterrichtet. Später wurde „Geo­graphie mit serbischer Geschichte“ gelehrt, wobei weiterhin separate Geschichtslehrbücher zum Einsatz kamen.1174 Das Mittelalter spielte in allen diesen eine wachsende Anzahl der Schulkinder erreichenden Medien eine beträchtliche Rolle, insbesondere Stefan Nemanja, der heilige Sava und Dušan, abgesehen von der Schlacht auf dem Amselfeld. Nemanja wurde hervorgehoben wegen der von ihm begründeten Dynastie, der Einigung der zuvor zerstrittenen serbischen Gebiete und seiner Verehrung der Orthodoxie, die sich in der Stiftung von Klöstern zeigte.1175 Wichtig war die Festigung und Legitimation 1169 1170 1171 1172 1173

Aleksić (1899), S. 236. Makuljević (2007), Abb. 6 S. 165, S. 179; Marjanović-Dušanić (2007), Abb. S. 533. Srbske Novine, 28.9.1904, Nr. 208, S. 978; Sundhaussen (2007b), S. 205. Makuljević (2006), S. 199. The Coronation of King Peter the First (Krunisanje Kralja Petra I. Karađorđevića), Frank S. Mottershaw 1904: http://www.youtube.com/watch?v=aztL-ayD0F0 (Stand vom 18.8.2013). 1174 Jelavich (1990), S. 176. 1175 Jelavich (1990), S. 220.

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Die Erfindung der Nationen

des modernen säkularen Staatsprojektes mit dem Verweis auf das Mittelalter, etwa die Vorstellung von einem „unabhängigen“ weltlichen Staat, der eine „bedeutende Stellung unter den europäischen Staaten“ einnahm, den die Nemanjiden angefangen mit Nemanja auf dem Weg des „allgemeinen Wohls und des Fortschritts“ gefestigt und ausgeweitet hätten.1176 Aber nicht nur die Europäizität, auch die religiöse Bedeutung der Nemanjiden wurde betont, beispielsweise durch Sima Lukin Lazić in ­seinem Geschichtslehrbuch für Sekundarschulen: Der „serbische Glaube“ unterschied sich laut ihm vom allgemeinen orthodoxen durch wenige Bräuche, die mit dem Taufnamen sowie dem Ahnengedenken verbunden waren („slava“), sowie durch „seine besonderen serbischen Geheiligten“,1177 die in der namentlichen Auflistung überwiegend aus Herrschern des Mittelalters bestanden. Auch in der Darstellung der politischen Geschichte Serbiens nannte Lazić diese Herrscher jeweils auch als Heilige.1178 Auch ein kroatisch ausgerichteter Schulbuchautor und Historiker wie Stjepan Srkulj konnte Nemanja 1912 als hervorragende Persönlichkeit loben und als Beginn der ­serbischen Geschiche beschreiben.1179 Die Beschreibung der Grablegen der Nemanjiden und der Viten der übrigen Herrscher waren im Rahmen des romantischen ­Historismus ebenfalls in der Lage, serbische wie kroatische Leser anzusprechen.1180 Der Geschichtslehrer Pavle Sofrić aus dem ungarischen Szentendre (serb. Sentandreje) fasste in seiner bereits im Abschnitt zu Sava zitierten Skizze aus dem Jahr 1909 unter dem Titel „Die Seele des serbischen Volkes zur Zeit Stefan Nemanjas und des hl. Sava“ Sohn und Vater als eine einzige Erinnerungsfigur.1181 Die weltliche Konzeptualisierung eines monarchischen Staates und seine Legitimierung mithilfe des Verweises auf die alte Dynastie entwickelte sich nicht nur im Schulunterricht, sondern auch in Broschüren von Lehrern weiter: „Professor“ Rista Nikolić – derselbe, der anthropogeographische Schriften publizierte? – veröffentlichte 1903 eine Broschüre über „Stefan Nemanja und Rastislav Nemanjić“. In ihr schrieb er von beiden zunächst wie von einer Einheit: „… denn ihre Namen sollen nie vergessen gehen, sondern an sie soll unablässig erinnert sein und erinnert werden, solange die Sonne besteht, die Erde und auf der Erde das Serbentum.“ 1182 Ihr Gedenken hing damit vom Bestand des „Serbentums“ ab – es war national definiert. Einige Seiten später wiederholte er diesen Gedanken als noch eindringlichere Aufforderung an „jeden ­Serben“: „Diese beiden Namen muss jeder Serbe in seine Seele gießen, und dass er sie nie vergisst.“ 1183 Im Gedenken der an die beiden sollte eine homogene Nation eine gemeinsame Vergangenheit und Identität finden. In der Zusammenfassung seiner mit diesem 1176 1177 1178 1179 1180 1181 1182 1183

Mandrović (1903), S. 35 f. Lazić (1894), S. 103. Lazić (1894), S. 54, S. 57, S. 59, S. 74, S. 94, S. 103. Jelavich (1990), S. 220. Jelavich (1990), S. 222. Sofrić (1909), S. 3. Nikolić (1903), S. 3. Nikolić (1903), S. 9.

Heilige serbische Herrscher

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Ziel verfassten populärwissenschaftlichen Schrift hielt Nikolić einprägsam als Lehre für die Leserschaft fest: „… man muss gut hervorheben, dass ein monarchischer Staat nur dann gut vorwärtsschreiten kann, wenn ihm eine Dynastie gesichert ist, und ein fester staatlicher Glaube unter den Untertanen [im Original fett, S. R.]“.1184 Nemanja diente hier als Medium staatspolitischen Unterrichts und zur Förderung des von Nikolić sowie weiten Teilen der schmalen serbischen Elite bevorzugten staatskirchlich-monarchischen Modells. Nemanja habe dank dieses Modells in der Vergangenheit Serbien „zum geachtetsten Staat Europas“ gemacht, und den übrigen europäischen Staaten gezeigt, wie sie sich zu gestalten hätten: „Es ist an erster Stelle das Verdienst Nemanjas, dass der serbische Staat später unter der Herrschaft des Königs Milutin und des Zaren Dušan zum geachtetsten Staat in Europa wurde, denn er hat als erster den rechten Weg gebahnt und gezeigt, auf dem ein Staat gehen muss, wenn er richtig fortschreiten möchte.“ 1185

Mangelnde Anerkennung in der Gegenwart sollte durch die Vorstellung maximaler Europäizität im Mittelalter kompensiert werden. Die Verehrung, die Nikolić von ­seinen Landsleuten gegenüber Nemanja einforderte, war nicht religiös, sondern romantisch am Geniekult ausgerichtet: „Die Zeitgenossen Nemanjas, die ihn kannten und die über ihn schrieben, bekräftigten, dass Nemanja das größte Genie seiner Zeit war.“ Die Säkularisierung des heiligen Königs wurde ohne große Schwierigkeiten voll­ zogen – da er auch König war, war es leicht, das Gewicht der Verehrung auf sein politisch-­gesellschaftliches Handlungsfeld zu verlagern. Eine Restauration Nemanjas als politisch-nationaler Heiliger, wie er vor den synodalen Beschlüssen der 70er-Jahre des 18. Jh. bestand, erfolgte nicht. Während Nemanja meist im Schatten Savas stand, wurde in dieser Schrift umgekehrt Sava in den Schatten seines Vaters gestellt: „Sava war Nemanja bei der Ordnung des Staates der zuverlässigste Helfer.“ 1186 Das eigentliche Ideal blieb aber die Verehrung aller Nemanjiden: „Wie sehr das serbische Volk nicht nur Stefan Nemanja und den heiligen Sava, sondern alle Nemanjiden verehrt, zeigt uns dieses unser Volkslied“.1187 In der Debatte über den Wettbewerb und die Auswahl der Projekte zum Bau des Mausoleums der Dynastie der Karađorđević auf dem Hügel Oplenac bei Topola obsiegte der sogenannte serbisch-byzantinische, historistisch entworfene Stil, der sich an ­Bauten wie der Klosterkirche von Gračanica orientierte.1188 Am 24. September 1907, am Tag Stefans des Erstgekrönten, wurde der Grundstein gelegt.1189 Im Rahmen der Balkankriege versuchte sich die Monarchie, direkt in den Kosovo­ diskurs einzuschreiben: Petar Karađorđević begab sich nach der Schlacht gegen die 1184 1185 1186 1187 1188 1189

Nikolić (1903), S. 15. Nikolić (1903), S. 15. Nikolić (1903), S. 15. Nikolić (1903), S. 24. Jovanović (1989), S. 25 – 51; Makuljević (2006), S. 190 f.; Aleksov (2003), S. 56 f. Makuljević (2006), S. 290.

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Die Erfindung der Nationen

Osmanen und ihre albanischen Verbündeten beim makedonischen Kumanovo im Oktober 1912 zum Kloster Dečani, um die Kerze anzuzünden, die erst nach der Rache des ­Amselfelds leuchten sollte.1190 Mit diesem symbolischen Handeln stellte sich Petar in die Tradition Lazars und inszenierte sich als Hauptakteur im zentralen national­ serbischen Mythos. Währenddessen spielten die Nemanjiden etwa im nur fragmentarisch bestehenden makedonischen Zusammenhang noch lange eine gänzlich traditionelle herrschaft­liche Rolle: Der makedonische Historiograph Pulevski räumte in seiner 1893 im bulga­ rischen Exil in Sofia handschriftlich weitgehend fertiggestellten „Slavisch-makedonischen allgemeinen Geschichte“ den serbischen Nemanjiden sehr viel Platz ein. Trotz der eindrücklichen serbischen sakralen Überlieferung vermied er Hinweise auf ihre Verehrung als Heilige oder auf durch sie gestiftete Klöster:1191 Obschon Pulevski die Herrscherbiographien kannte, nannte er sie nur knapp.1192 Wie die bulgarischen Zaren blieben auch die serbischen Könige bei ihm als Fremde beschrieben, die über „makedonische Gegenden“ herrschten.1193 Die „Makedonen“ hätten „sich widersetzt“ gegen Stefan Dušans „Gefangennahme Makedoniens“.1194 Allerdings soll Dušan ohne näheren Nachweis „den Orden des heiligen Stefan“ eingeführt haben, um „verdienstvolle Leute für Ausgezeichnetes“ zu belohnen. Ob in der Meinung Pulevskis Dušan damit auf einen Stefan der Nemanjiden verweisen wollte, bleibt offen.1195 Serbische Diskurse über ihre heiligen Herrscher des Mittelalters waren um 1750 wieder so stark, dass sie dazu beitrugen, Paisij zur Abfassung seiner bulgarischen Geschichtsdarstellung zu bewegen. Gleichzeitig begannen auch serbische geistliche Historiker, diese Herrscher unter einem neuen, weltlicheren Blickwinkel zu betrachten. Während des Aufstandes wurde Stefan der Erstgekrönte zum Medium von politischem Widerstand. Ab 1836 bemühten sich die Obrenović, ihre neue Dynastie in den legitimierenden Zusammenhang mit den Nemanjiden zu stellen, indem sie etwa Klöster erneuerten. Von der Mitte des 19. Jh. an beschrieben säkulare Schauspiele eine neue Sicht auf die Könige, die als beispielhaft für die gegenwärtige Monarchie und historische Rolle Serbiens dargestellt wurden und die Ausrufung des Königreichs 1882 diskursiv vorbereiteten. Die historistische Nationalisierung der alten Dynastie schloss aber eine Sakralisierung als nationaler Erlöser nicht aus. Die weltliche moderne Malerei verdrängte zwar die traditionelle sakrale Freskenmalerei in der Darstellung heiliger Könige. Aber auch um 1900 förderten Geistliche die nationale und religiöse Deutung der ­Nemanjiden. Die neuen Herrscher blieben aber im Rahmen des staatskirchlich-monarchischen konstitutionellen Staatsmodells trotz der diskursiven Verbindung mit ihnen primär säkular beschrieben. Die Erinnerung an die vormoderne „Sakrifizierung der Monarchie mit Hilfe der 1190 1191 1192 1193 1194 1195

Bokovoy (2001), S. 239; Bacac (1984), S. 292. Ǵorǵija M. Pulevski. Slavjansko-maḱedonska opšta istorija, S. 448 – 509. Ǵorǵija M. Pulevski. Slavjansko-maḱedonska opšta istorija, S. 466, S. 469. Ǵorǵija M. Pulevski. Slavjansko-maḱedonska opšta istorija, S. 463. Ǵorǵija M. Pulevski. Slavjansko-maḱedonska opšta istorija, S. 477. Ǵorǵija M. Pulevski. Slavjansko-maḱedonska opšta istorija, S. 487.

Heilige bulgarische Herrscher

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Verkultung ihrer Könige“ diente im 19. Jh. zur Festigung der imaginierten Nation, obschon die Ermöglichung eines neuen „Bewußtseins ethnisch-religiöser Exklusivität“ 1196 nicht nur allein dieser Erinnerungsfigur zuzuschreiben ist und weltliche nationale Identitäten zunächst gleichfalls wichtig wurden. C 7  Heilige bulgarische Herrscher – Boris als ,Schöpfer der bulgarischen Nationalität‘ C 7.1  (Trans)Nationale Verehrung von Herrschern in bulgarisch-griechisch-serbischer Verflechtung

Als Paisij Diskurse über die serbische Dynastie zu dekonstruieren versuchte, war es sein Anliegen, eine ebenbürtige, ja überlegene bulgarische Tradition heiliger Herrscher an deren Stelle zu setzen: Paisji zählte 1762 auf der Grundlage auch der Chronik von ­Baronius sogar vier angeblich als Heilige verehrte bulgarische Zaren auf. Die Gebeine aller dieser Herrscher bis auf jene Michails sollten in oder bei Ohrid ruhen.1197 Die „­heiligen Reliquien“ Jovan Vladimirs“ seien „bis heute“ „unverwest im Land von Elbasan“.1198 Jovans Gebeine „gewähren viel Heilung“ und seinen Feiertag begehe „diese ganze Gegend“. Die Wunderwirkung der Gebeine war Paisij wichtiger als eine weltliche, politische Rolle des Heiligen zu seinen Lebzeiten. Der Mönch kritisierte aber die griechisch-serbische Überlieferung seiner Vita und beanspruchte den Herrscher für seinen bulgarischen Diskurs, „dieweil er aus dem Geschlecht der bulgarischen Zaren stammt“.1199 Paisijs Bemühung, eine bulgarische Tradition heiliger Herrscher zu entwickeln, hatte sich erst im Wettstreit mit dem von ihm intensiv wahrgenommenen 1196 Kämpfer (1994), 442. 1197 Allerdings unterliefen ihm bei der Darstellung von „Terwel“, einem legendären „heiligen König“, unter dessen Herrschaft „sich das ganze bulgarische Volk taufen“ lassen haben sollte, aber auch von „Michail oder Joan“, „David“ und Jovan Vladimir verschiedene Irrtümer. Paisij Chilendarski. Istorija Slavenobolgarskaja. Nikiforov prepis ot 1772 g., S. 142 f. 1198 Paisij Chilendarski. Istorija Slavenobolgarskaja. Nikiforov prepis ot 1772 g., S. 144. Zit. in der Übersetzung: Païssi von Chilandar. Slavobulgarische Geschichte, S. 85 f. 1199 „Seine Lebensbeschreibung und den Kanon gibt es ins Griechische übersetzt, und zwar sehr fehlerhaft; entweder wurde sein Leben später, nach langer Zeit, aufgeschrieben, oder irgendein Serbe oder Grieche hat es verändert und wollte sein Geschlecht verheimlichen, dieweil er aus dem Geschlecht der bulgarischen Zaren stammt; sie schrieben, daß er aus serbischem Geschlecht gewesen sei, ein Sohn des Nemanja Simeon.“ Die Autoren hätten sich „geirrt (…) oder das Geschlecht und das Vaterland des hl. Joan Wladimir verheimlichen wollen“. Paisij Chilendarski. Istorija Slavenobolgarskaja. Nikiforov prepis ot 1772 g., S. 86 f. Zit. Gemäß der Übersetzung: Païssi von Chilandar. Slavobulgarische Geschichte, S. 40. Paisij lag hier nur teilweise richtig: Jovan Vladimir ist, wie gezeigt, als zunächst raszischer bzw. serbischer Fürst anzusehen, der erst in einem zweiten Schritt zu einem Herrscher im bulgarischen Kontext geworden war. So lagen – wie bereits beschrieben – neben lateinischen bzw. italienischen Texten zunächst griechische

Heilige bulgarische Herrscher

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Verkultung ihrer Könige“ diente im 19. Jh. zur Festigung der imaginierten Nation, obschon die Ermöglichung eines neuen „Bewußtseins ethnisch-religiöser Exklusivität“ 1196 nicht nur allein dieser Erinnerungsfigur zuzuschreiben ist und weltliche nationale Identitäten zunächst gleichfalls wichtig wurden. C 7  Heilige bulgarische Herrscher – Boris als ,Schöpfer der bulgarischen Nationalität‘ C 7.1  (Trans)Nationale Verehrung von Herrschern in bulgarisch-griechisch-serbischer Verflechtung

Als Paisij Diskurse über die serbische Dynastie zu dekonstruieren versuchte, war es sein Anliegen, eine ebenbürtige, ja überlegene bulgarische Tradition heiliger Herrscher an deren Stelle zu setzen: Paisji zählte 1762 auf der Grundlage auch der Chronik von ­Baronius sogar vier angeblich als Heilige verehrte bulgarische Zaren auf. Die Gebeine aller dieser Herrscher bis auf jene Michails sollten in oder bei Ohrid ruhen.1197 Die „­heiligen Reliquien“ Jovan Vladimirs“ seien „bis heute“ „unverwest im Land von Elbasan“.1198 Jovans Gebeine „gewähren viel Heilung“ und seinen Feiertag begehe „diese ganze Gegend“. Die Wunderwirkung der Gebeine war Paisij wichtiger als eine weltliche, politische Rolle des Heiligen zu seinen Lebzeiten. Der Mönch kritisierte aber die griechisch-serbische Überlieferung seiner Vita und beanspruchte den Herrscher für seinen bulgarischen Diskurs, „dieweil er aus dem Geschlecht der bulgarischen Zaren stammt“.1199 Paisijs Bemühung, eine bulgarische Tradition heiliger Herrscher zu entwickeln, hatte sich erst im Wettstreit mit dem von ihm intensiv wahrgenommenen 1196 Kämpfer (1994), 442. 1197 Allerdings unterliefen ihm bei der Darstellung von „Terwel“, einem legendären „heiligen König“, unter dessen Herrschaft „sich das ganze bulgarische Volk taufen“ lassen haben sollte, aber auch von „Michail oder Joan“, „David“ und Jovan Vladimir verschiedene Irrtümer. Paisij Chilendarski. Istorija Slavenobolgarskaja. Nikiforov prepis ot 1772 g., S. 142 f. 1198 Paisij Chilendarski. Istorija Slavenobolgarskaja. Nikiforov prepis ot 1772 g., S. 144. Zit. in der Übersetzung: Païssi von Chilandar. Slavobulgarische Geschichte, S. 85 f. 1199 „Seine Lebensbeschreibung und den Kanon gibt es ins Griechische übersetzt, und zwar sehr fehlerhaft; entweder wurde sein Leben später, nach langer Zeit, aufgeschrieben, oder irgendein Serbe oder Grieche hat es verändert und wollte sein Geschlecht verheimlichen, dieweil er aus dem Geschlecht der bulgarischen Zaren stammt; sie schrieben, daß er aus serbischem Geschlecht gewesen sei, ein Sohn des Nemanja Simeon.“ Die Autoren hätten sich „geirrt (…) oder das Geschlecht und das Vaterland des hl. Joan Wladimir verheimlichen wollen“. Paisij Chilendarski. Istorija Slavenobolgarskaja. Nikiforov prepis ot 1772 g., S. 86 f. Zit. Gemäß der Übersetzung: Païssi von Chilandar. Slavobulgarische Geschichte, S. 40. Paisij lag hier nur teilweise richtig: Jovan Vladimir ist, wie gezeigt, als zunächst raszischer bzw. serbischer Fürst anzusehen, der erst in einem zweiten Schritt zu einem Herrscher im bulgarischen Kontext geworden war. So lagen – wie bereits beschrieben – neben lateinischen bzw. italienischen Texten zunächst griechische

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serbischen Diskurs entwickelt. Ganz ähnlich entwarf – ohne Verweis auf Paisij – der gleichfalls in Rila arbeitende Mönch Spiridon 1792 in seiner handschriftlichen „Kurzen Geschichte des bulgarischen slavischen Volks“ in einem Absatz „Über den hl. Vladimir, den bulgarischen Zaren“ eine bulgarische Identität Vladimirs.1200 Die transnationale Verflechtung mit serbischen Deutungen blieb für das 19. Jh. kennzeichnend für den Diskurs über „bulgarische“ heilige Herrscher. So thematisierte auch Archimandrit Jovan Rajić, der Begründer der neueren serbischen Geschichtsschreibung, bulgarische heilige Herrscher: Er berichtigte 1794 – 1795 in seiner „Geschichte verschiedener slavischer Völker“ die Verwechslung von Tervel mit Boris bei älteren Historiographen. Er beschrieb stattdessen Boris als ersten christlichen Herrscher (Michail) der Bulgaren und als Mönch, ohne ihn heilig zu nennen.1201 Auch bei der ausführlichen Zitierung von Passagen über Petăr sowie in seinem eigenen Kommentar fehlte jeder Hinweis auf eine religiöse Verehrung des Herrschers.1202 Rajić beschrieb (Jovan) Vladimir, der die Tochter des bulgarischen Zaren Samuil Kosara ­heiratete, mit dem Hinweis auf religiöse Tugend, aber ohne ihn als Heiligen darzu­stellen.1203 Der Geistliche war quellenkritisch bemüht und dachte anders als Paisij nicht an eine nationale Aufladung der Bedeutung der Herrscher. Noch zu Beginn und erneut zur Mitte des 19. Jh. blieb eine transethnische, griechischsprachige Verehrung Jovan ­Vladimirs aktualisiert und reproduziert.1204 Erst 1802 erschien eine Übersetzung von Jovan Vladimirs Offizium in einer Redaktion des Kirchenslavischen: Luka und P ­ artenij, zwei Mönche des Klosters Hilandar, ließen das Offizium gemäß der Ausgabe von 1690 wenig verändert aus dem Griechischen übersetzt auf „slavisch“ in Venedig d­ rucken. Sie vereinnahmten dabei Jovan im Titel als „serbischen Zaren“.1205 Im gleichen Jahr 1802 wurde in Wien ein Votivblatt – offenbar für die Wallfahrer in Albanien – mit griechischer und kirchenslavischer Beschriftung

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Texte seiner Verehrung vor, aber keine bulgarischen. Vgl. auch Novaković (1893), S. 233. Jede nationale Zuschreibung im modernen Sinne kann aber für das Mittelalter nur falsch sein. Ein Hinweis auf eine widersprechende serbische Vereinnahmung fehlte in diesem Text. Spiridon Ieroschimonach. Istorija vo kratce o bolgarskom narode slavenskom, Blatt 39. Rajić (1794) 1, S. 378 – 382. Rajić (1794) 1, S. 401 – 408. Rajić (1794) 2, S. 232. Ein in Venedig 1774 erstellter Nachdruck des griechischen Offiziums von 1690 reproduzierte dieses Werk kaum verändert. Nur die darin enthaltene Lithographie Vladimirs war stark umgestaltet: Nun trug auch das abgetrennte Haupt eine Krone und die Krone auf dem Körper war ausgeschmückt. Wie in der Ausgabe von 1690 verehrte die Bildlegende den Heiligen aber als heiligen „Wundertäter“ und als „frommen Basileus ganz Albaniens und Bulgariens“. Der Druck und besonders die neue Lithographie weisen auf ein Interesse an einer Verstärkung und einer Aktualisierung der Verehrung hin. 1858 wurde dieses Buch in Venedig unverändert erneut aufgelegt. Ακολουθία του αγίου ενδόξου βασιλέως, και μεγαλομάρτυρος Ιωάννου του Βλαδιμήρου, Abb. vor S. 1, zit. von S. 25, S. 32; Novaković (1893), S. 245, S. 270 f.; Peyfuss (1989), S. 122, S. 217. Novaković (1893), S. 243 f. Zu den wenigen Veränderungen: S. 246 – 248; Peyfuss (1989), S. 122 f., S. 217; Podskalsky (2000), S. 63, S. 454.

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hergestellt.1206 Erst nach 1860 festigte sich eine serbische Vereinnahmung des Heiligen: 1861 nahm Metropolit Mihailo das Offizium gemäß der Übersetzung von 1802 in die Belgrader Ausgabe des Srbljak, der Sammlung liturgischer Texte mit Bezügen zu Serbien, auf: Jovan Vladimir wurde erst zu diesem späten Zeitpunkt in die Reihe der serbischen Heiligen eingegliedert.1207 Auch danach wurde aber seine Verehrung transethnisch aktualisiert: 1868 entstand „auf Kosten des Vorstehers und des Mönchs Kosma“ am Kloster Elbasan eine „gedruckte Ikone“ Jovans, deren Begleittext ihn als „heiligen Zaren Ioann Vladimir vom bulgarischen Land und aus der zarischen Rebe ein Sohn des Nemanja, des heiligen Simeons“ einführte. Er „herrschte nicht nur über Bulgarien, sondern auch über Serbien, über die Arbanassen, über Dalmatien und Illyrien“.1208 Der Text betrieb die dynastische Legitimation transnationaler Herrschaft. Bald war aber wie schon bei Rajić Anerkennung für eine bulgarische Deutung der Herrscher in der serbischen Geschichtsschreibung vorherrschend: 1878 hielt Savić in seiner bereits genannten „Geschichte des Bulgarischen Volkes bis zum Niedergang seines Staates“ zum Herrscher „Mihajlo Boris“ fest: „Die Herrschaft von Boris wurde für die Bulgaren daher bedeutend, da er sich mit seinem ganzen Volk taufen ließ.“ Er beschloss das ihm und der „Taufe der Bulgaren“ gewidmete Kapitel, indem er ihn als ersten Nationalheiligen beschrieb: „Mit ihm beginnt der Kreis der Volksheiligen (kolo narodnih svetaca) der Bulgaren.“ 1209 Zum Zaren Petăr schrieb er, dieser sei „weder ein Eroberer noch ein Politiker, sondern ein friedliebender und frommer Herrscher“ ­gewesen. „Simeon eroberte sich einen Platz in der Geschichte als Gründer eines großen und starken Staates; Petăr strebte nach dem himmlischen Reich (za carstvo nebesno), er wurde – Heiliger.“ 1210 Savić schätzte Petăr als einen vermeintlich erfolglosen, sich nicht um seinen Staat kümmernden Frömmler gering. Die Wahl des „himmlischen Reiches“, vor die ihn Savić ganz gemäß dem serbischen Vorbild stellte, wurde hier im Gegensatz zu Lazars Entscheid negativ bewertet. Stattdessen rühmte Savić den machtpolitischen Erfolg Simeons und seinen deshalb verdienten „Platz in der Geschichte“.1211 Zumindest blieb aber Ivan bzw. Jovan Vladimir sowohl von bulgarischen wie auch serbischen Stimmen in unterschiedliche Zusammenhänge eingeschrieben. Der serbische Historiker und Politiker Stojan Novaković stellte 1893 in seinem richtungweisenden Werk „Erste Grundlagen der slavischen Literatur bei den Balkanslaven“ im Zusammenhang mit den Texten über den Herrscher Jovan Vladimir eindrücklich fest: „Wunderbarer Zufall! Angesichts des neuen Erwachens der slavischen Schriftlichkeit auf der Balkan­halbinsel lassen sich die ersten Bewegungen, gewissermaßen wie eine Vorgeschichte, unter den Vlachen und Griechen wahrnehmen, an den Orten, wo auf der Balkanhalbinsel früher die slavische Literatur geblüht hatte.“ 1212 1206 1207 1208 1209 1210 1211 1212

Peyfuss (1989), S. 22, S. 123, S. 180. Novaković (1893), S. 244. Novaković (1893), S. 278, S. 282 f. Savić (1878), S. 38. Savić (1878), S. 45. Savić (1878), S. 45. Novaković (1893), S. 239.

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Die Erfindung der Nationen

Eine solche Offenheit gegenüber nichtslavischen Trägern und transethnischen Aspekten der Entwicklung von Erinnerungsfiguren blieb als Ausnahme nur die Bestätigung der Regel.1213 Immerhin hielt auch Sima Lukin Lazić in seinem Geschichtslehrbuch für Sekundarschulen 1894 fest, Jovan Vladimir sei „bis heute sowohl in der orthodoxen wie in der römischen Kirche als Heiliger verehrt“.1214 Der „slavisch-makedonische“ Historiker Pulevski ließ in seiner handschriftlichen Darstellung 1893 im Stile der nicht durch die Texte über Ivan von Rila beeinflussten historiographischen Werke der frühen Neuzeit – mit Verweis etwa auf Mauro Orbini – Bezeichnungen von Boris-Michail und Petăr als Heilige aus.1215 In seiner Darstellung blieben die bulgarischen Herrscher Fremde, hingegen galten ihm die byzantinischen Kaiser der makedonischen Linie als Makedonen.1216 Als Makedonen bezeichnete er auch die Soldaten Samuils, die Basileios II. 1018 nach der Eroberung der Hauptstadt Ohrid als Verräter und nicht als Bulgaren geblendet habe.1217 Nicht nur die Aneignung Jovans durch serbische Geistliche und Historiker erfolgte spät: C 7.2  Der Begründer einer bulgarischen ,Nationalkirche‘ – die Entdeckung Boris’ I.

Auch eine nachhaltige Erneuerung eines bulgarischen Gedenkens an heilige Herrscher ist erst nach der Mitte des 19. Jh. zu beobachten. Stand zuvor auch die Wunderwirkung etwa Jovan Vladimirs im Zentrum der Verehrung, so wurden sie nun ganz als weltliche Herrscher entworfen. Marin Drinov, einer der Begründer der modernen bulgarischen 1213 Aber auch Novaković war das Denken in nationalen Kategorien nicht fremd. So zeigte er sich sichtlich irritiert über die Verehrung Jovans durch Griechen und Bulgaren, nicht jedoch durch Serben. Novaković beschrieb Jovan Vladimir zwar als Herrscher serbischer Herkunft, aber doch sehr differenziert in einem übergreifenden balkanslavischen Kontext, in dem sich un­mittel­bar serbische und bulgarische Aspekte überlagerten. „Wenn Jovan Vladimir wirklich in der Kirche der Allerreinsten in Krajina aufbewahrt worden wäre, hätte sich jemand gefunden, der während des Zerfalls der serbischen Herrschaft über ihn geschrieben hätte, oder man hätte ihn unter die serbischen Heiligen gezählt.“ Vielmehr sei er von Anfang an bei Elbasan aufbewahrt worden, sonst wäre er nicht so „vollständig verschwunden“. Dort sei er vom 11. bis in die Mitte des 14. Jh. außerhalb des serbischen Herrschaftsbereichs gewesen: „So sind Vladimir und sein Gedenken außerhalb der serbischen Grenzen geblieben, dem Zufall und dem guten Willen der Mönche überlassen, die seine Gebeine hüteten.“ Er erklärte weiter: „Es ist ein Wunder, dass weder unsere alten Listen noch unsere Kalender Vladimir irgendwo als Heiligen erwähnen, und dass er auch nicht in den ersten Srbljak, der zur Mitte des letzten Jahrhunderts erstellt wurde, aufgenommen wurde. Indessen haben die Griechen sein Gedenken und seinen Tod in ihr ­Synaxar unter dem 22. Mai 1015 eingetragen. So steht es auch im Synaxar von Nikodim Agiorit, das 1868 in Athen gedruckt wurde.“ Novaković (1893), S. 233, S. 202. 1214 Lazić (1894), S. 47. 1215 Ǵorǵija M. Pulevski. Slavjansko-maḱedonska opšta istorija, S. 289 f., S. 303 – 310. 1216 Ǵorǵija M. Pulevski. Slavjansko-maḱedonska opšta istorija, etwa S. 293. 1217 Ǵorǵija M. Pulevski. Slavjansko-maḱedonska opšta istorija, S. 315.

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Geschichtswissenschaft, beschrieb Boris 1869 in seiner bulgarischen Kirchengeschichte an keiner Stelle als Heiligen, sondern nur als weltlichen Herrscher und Kirchenbegründer.1218 In dieser Rolle nahm Boris eine vergleichbare Funktion ein, wie sie Sava im Herrschaftsgebiet der Nemanjiden zugekommen war – das Ausmaß seiner Verehrung im Rahmen der Erfindung der bulgarischen Nation im 19. Jh. war dennoch um ein Viel­faches geringer. In einer zugespitzten Fassung seiner Deutung zum „tausendsten Jahr der bulgarischen Nationalkirche 1870“ für die Zeitung „Makedonien“ unterstellte ­Drinov Boris den Gedanken, angesichts der Konkurrenz zwischen Byzanz und Rom eine „National­kirche“ einzurichten gewollt zu haben, die Teil der allgemeinen christlichen Kirche sein sollte, aber „rein national (čisto narodna)“ und „frei von jedem fremdvölkischen (čuždo-narodno) Einfluss“.1219 Er setzte sich am gleichen Ort für die Verschiebung der Millenniumsfeier der bulgarischen Kirche 1870 auf seinen Todestag ein. 1873 stellte einer der Begründer der bulgarischen historistischen Malerei, Nikolaj Pavlovič, „Die Taufe des Hofs in Preslav“ und damit von Boris 864 oder 865 auf einem monumentalen Ölgemälde dar, das für die Europäizität der bulgarischen National­geschichte stehen sollte.1220 Gleichfalls im Zusammenhang mit dem Millennium der Taufe Bulga­ riens stellte Najden Brajkovič auf einer undatierten Farblithographie die Taufe von Boris als Tat Kyrills und Methods dar.1221 Anlässlich der Einrichtung der bulgarischen Monarchie unter osmanischer Oberherrschaft diente Boris ganz direkt zur Herrschaftslegitimation: Während der Feiern des Jubiläums im Jahr 1885 zu Ehren Kyrills und Methods leitete der Philologe und 1869 neben Marin Drinov Mitbegründer der „Bulgarischen Literarischen Gesellschaft in ­Srědec“, Vasil Stojanov, im Parlamentsgebäude im Rahmen eines Literaturabends derselben führenden bulgarischen akademischen Vereinigung ganz erinnerungspolitisch die Legitimität der Herrscher Bulgariens und auch die des amtierenden Fürsten Aleksandr aus der Funktion Boris’ und seiner Nachfolger ab: Sie würden das „Vermächtnis“ der Brüder hüten. Dabei nannte Stojanov die Herrscher erst nach den gesellschaftlichen Akteuren – deutlicher konnte die Zweitrangigkeit der diesen und auch Aleksandr zugedachten ­Rollen nicht zum Ausdruck gebracht werden. Stojanov stellte im Rahmen des Verweises auf die Brüder das eingerichtete konstitutionell-monarchische Herrschaftsmodell dar. Er führte die Legitimität der Herrscher auf den Dienst an den Idealen der 1218 Er „riss sich von den päpstlichen Intrigen los und versöhnte sich mit den Byzantinern“ und war damit für eine wichtige, offenbar von Drinov begrüßte Weichenstellung verantwortlich. Zudem sei er für die Einrichtung einer bulgarischen Kirche verantwortlich und für die „christliche Aufklärung seines Volkes“. Überdies erbaute er sieben Kathedralen. Drinov (1869), S. 13, S. 29. 1219 Boris entwarf Drinov zufolge eine Kirche „die ohne dass sie sich innerlich von der Einigen, Katholischen (Săbornja) und Apostolischen Kirche unterscheiden würde, gegen außen rein national (čisto narodna) sein sollte, und frei von jedem fremdvölkischen (čuždo-narodno) Einfluss“. Makedonija, 17.2.1870, Nr. 26, S. 22 – 25. 1220 Vasiliev (1970), Abb. 53. 1221 Vgl. die Aufnahme im Katalog der Zentralen Bibliothek der Bulgarischen Akademie der Wissen­ schaften: http://collections.cl.bas.bg/Other/MusSofArt_NoImg/W0613.html (Stand vom 7.8.2013).

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übrigen, an erster Stelle genannten gesellschaftlichen Akteure zurück. „Wissenschaft“ und „Aufklärung“ waren die Leitbegriffe seines sprachlichen Horizontes. Wie unbedeutend in diesem Zusammenhang die religiöse Verehrung der Zaren war, zeigt sich daran, dass die Heiligkeit von Boris an dieser Stelle nicht hervorgehoben wurde.1222 Die Verehrung der Zaren stand ganz im Schatten Kyrills und Methods und wurde mit der Referenz auf die mächtigere Erinnerungsfigur der beiden Brüder gestützt. C 7.3  Erste soziale Ausweitung nationaler Diskurse über Boris

Bis zur Wende ins 20. Jh. blieb das Gedenken an heilige Herrscher in bulgarischen Texten selten. Wichtig für eine Neubelebung der Erinnerung an Boris war 1896 die Umtaufe des zunächst katholisch getauften Sohnes von Ferdinand durch das bulgarische Exarchat auf den Namen Boris III.: Ferdinand blieb in der Folge bis zur Mündigkeit Borisʼ III. vom Papst exkommuniziert. Allerdings verbesserte sich die Akzeptanz der Dynastie durch die orthodoxe Kirche danach dennoch kaum: Tatsächlich verfolgte Ferdinand weiterhin das Projekt einer Union mit Rom – Boris III. wurde insgeheim katholisch erzogen.1223 Načo A. Načov, der 1887 – 1891 Direktor des den hll. Kyrill und Method gewid­meten bulgarischen Knabengymnasiums in Saloniki gewesen war, veröffentlichte 1901 eine Broschüre unter dem Titel „Zeit und Leben des hl. Boris-Michail, des bulgarischen Herrschers und Aufklärers“. Er widmete sie dem Metropoliten Simeon von Varna und Prěslav, der gleichzeitig Vorsitzender der „Geistlichen Gesellschaft ,Heiliger Zar Boris‘“ in Varna war, die die Broschüre herausgab.1224 Die Bruderschaft belegt den Beginn einer sozialen Verankerung des Gedenkens an den hl. Boris unter der Geistlichkeit. Die geistliche Assoziation wurde mit der Veröffentlichung zur Plattform eines weltlichen Bildes von Boris: Nicht in erster Linie wegen seiner Qualität als Heiliger, sondern wegen seiner bildungsgeschichtlichen Verdienste sei an Boris und sein weithin vergessenes – so Načov – „großes Werk“ zu erinnern. Trotzdem beklagte Načov darauf die seines Erachtens defizitäre religiöse Verehrung von Boris in Bulgarien: Es galt, eine bulgarische

1222 „Am meisten zeichneten sich in der Bewahrung des Vermächtnisses der hll. Kyrill und Method unsere ersten geistigen wie weltlichen gesellschaftlichen Akteure aus; insbesondere unter den letzten standen an der Spitze nicht nur Lehrer und Schriftsteller, sondern vielfach auch unsere gotterwählten Kranzträger (věncenosci), wie Boris, Simeon, die Asěnevci, am meisten Ivan Asěn’ II., Aleksandr, Ivan Šišman etc. Aber jetzt, im erneuerten alten bulgarischen Staat, zeichnet sich zu unserem Glück unser erster geliebter Herrscher A l e k s a n d r I . unter anderem auch mit der heißesten Liebe zur Wissenschaft und zur Aufklärung im wahrhaftig christlichen Geist aus.“ Stojanov (1885), S. 50. 1223 Raikin (1988), S. 168; Opfer (2004), S. 278; Hopkins (2009), S. 155. 1224 Načov stellte im Vorwort zunächst fest: „Eine Geschichte der bulgarischen und allgemein der slavischen Bildung kann nicht sein, ohne dass schon auf ihren ersten Seiten der Name unseres Boris vermerkt wird. Leider ist das Bewusstsein des durch ihn vollbrachten großen Werkes bei uns beinahe völlig erloschen.“ Načov (1901), S. V.

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Erinnerung an Boris auszugestalten, um Schamgefühle angesichts seiner Aneignung durch westliche Wissenschaftler zu entkräften.1225 Načov erklärte das durch ihn angeprangerte „Vergessen“, indem er den gegenwärtig um sich greifenden „groben Materialismus“ ablehnte. Er klagte, „wir leben“ ohne „Verbindung mit ­unserer Geschichte“, und ­tatsächliche „Verderbnis“ gelte als „Progress“.1226 Das „Vergessen“ Boris’ gab so Anlass, allgemeine Gedanken über die Fortschrittsbegeisterung der modernen Gesellschaft anzustellen. Načov beklagte, „wir“ hätten „unsere historischen Akteure“ begraben „im Grab unseres Vergessens“.1227 „Aber welche erbaulichen Beispiele, ­welche leuchtenden Vorbilder könnten wir aus diesem Grab ausgraben!“ Die entscheidende Funktion des Gedenkens an „nationale Wohltäter“ war ihr Einsatz als „Vorbilder“ für kollektives Handeln im Zeichen der Nation. Mit dem Verweis auf die „Vorväter“, die angeblich „vor dem Volk verdienstvolle Personen“ – und nicht wundertätige Heilige – in „Kulten“ verehrten, warf Načov dem bulgarischen Volk Unkultiviertheit vor.1228 Der frühere Schuldirektor führte nicht nur die „Nachkommen von Boris“, sondern auch seine eigenen Zeitgenossen als Vorbilder an, um seinen Landsleuten „den Sinn unserer Geschichte“ vor Augen zu führen. Das „Werk Boris’“ als „unbesiegbare Kraft“ und Schutz der „Nationalität“ und der „nationalen Kirche“ wurde – zum Zweck der Imagination einer homogenen bulgarischen Nation – ganz nationalisiert und seiner religiösen Bedeutung beraubt.1229 Die Reduktion der bulgarischen Geschichte auf das „Werk“ und

1225 „Wir kennen nicht eine einzige Kirche, noch eine Schule, die Boris gewidmet ist. Selten sehen wir auch seine heilige Ikone, die alt und jung an die Großtaten unseres Aufklärers erinnern würde. Wir haben auch das Beispiel unserer Kirche aus älterer Zeit, den Feiertag des Heiligen jedes Jahr am 2. Mai zu begehen, völlig vergessen.“ Deutlicher kann das Fehlen einer kirch­ lichen Erinnerungskultur um Boris nicht festgestellt werden. Hierzu stellte Načov fest, bezeichnenderweise nur in einer Fußnote: „Es ist uns als einem Bulgaren peinlich, wenn wir unlängst bei einem westlichen Autoren lesen konnten, dass sich heute Orthodoxe und Katholiken in der Verehrung Boris’ übertreffen.“ Načov (1901), S. V. 1226 „Angesichts des groben Materialismus, der bei uns groß und klein erfasst hat, leben wir jetzt, als ob wir die Verbindung mit unserer Geschichte abgebrochen hätten, stattdessen gilt in ­unseren Tagen Nichtigkeit für Größe, Wahnsinn – als leuchtender Gedanke und eine aufklärerische Überzeugung, Werke niedriger Gelüste – als Großtaten, Verderbnis – als ,Progress‘ im Leben.“ Načov (1901), S. V. 1227 „Wir haben im Grab unseres Vergessens, unserer fehlenden Anerkennung oder Nachlässigkeit, unsere historischen Akteure begraben, unsere nationalen Wohltäter.“ Načov (1901), S. V. 1228 „Wir möchten niemanden beschuldigen. Wir konstatieren einfach ein Faktum, das überzeugend aussagt, dass es bei uns noch keinen Kult um große und vor dem Volk verdienstvolle Personen gibt, dass wir nicht kultiviert (kulturni) sind, oder, zumindest, dass wir in dieser Beziehung hinter unseren Vorvätern zurückstehen.“ Načov (1901), S. V. 1229 „Die nahen Nachkommen Boris’ machten ihn zum Heiligen. Dank ihrer Hingabe an das Werk Boris’ verteidigten und errichteten sie mit Eifer ihre nationale (narodna) Kirche, als sie mit Gewalt vernichtet wurde. Dank ihrer Hingabe an dasselbe Werk haben auch unsere Väter und Großväter die neueste Wiedererrichtung der bulgarischen geistlichen Hierarchie erreicht. Und, wenn wir gerecht sind, haben sie den Sinn unserer Geschichte besser als wir verstanden! Denn

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„die Kraft“ Boris’ erfolgte gemäß dem Vorbild der Verehrung und Bedeutungsaufladung des als bekannt vorausgesetzten „Werks“ Kyrills und Methods. Der „Sinn“ der bulgarischen Geschichte schien nicht das „Werk“ mehrerer großer Männer sein zu können, die Imaginierung „der Geschichte“ schien nur mit dem Medium einer Erinnerungsfigur gleichzeitig denkbar zu sein.1230 Nur zum Schluss des Textes ging Načov ganz knapp auf die Verehrung Boris’ als Heiliger ein, um festzustellen, dass Boris-Michail „unser erster nationaler Heiliger (nacionalen svetija)“ sei.1231 Ein religiöses Gedenken an den Zaren passte aber nicht in den Diskurs der nüchternen, geschichtswissenschaftlich gehaltenen Darstellung des Lebens Boris’. Das Gewicht lag ganz auf der nationalen Bedeutung ­seines Schaffens: „Mit seinem Werk hat der hl. Boris, wenn man so will, die bulgarische Nationalität gestaltet (prěsăzdade).“ 1232 Die Entstehung der „Nationalität“ wurde ganz vom „Werk“ und ihr Bestehen ganz von „der Kraft des Vermächtnisses“ Boris’ abhängig gemacht. Die nationale Historiographie hatte im Verständnis Načovs die Rolle, seiner „mit goldenen Buchstaben“ zu gedenken.1233 Erst die Verbindung von Boris mit Kyrill und Method führte über den bulgarischen Kontext hinaus in einen transnationalen. Kyrill und Method erschienen hier nicht als bulgarische Faktoren, sondern als allgemeinslavische – statt ihnen nahm Boris, wie vorher klargestellt, die Rolle des „Nationalheiligen“ ein. Bemerkenswert ist, dass mit den Worten Načovs nicht das bulgarische Volk, sondern nur Boris selbst einen „Platz in der Weltgeschichte“ verdiente: als Förderer „der slavischen Wissenschaft“, nicht aber des christlichen Glaubens.1234 Načovs Text steht für einen Versuch, die Erinnerungsfigur im Dienste des Aufbaus nationaler Kultur aus der Vergessenheit zu holen. In der Abgrenzung zu einem säkularen Fortschritt entwarf er eine alternative orthodoxe Modernität. Er bezeugt einen dennoch weitgehend weltlichen Zugang zu Boris dem Heiligen in einer durch Geistliche herausgegebenen Broschüre.

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während der finsteren Jahrhunderte unserer Vergangenheit, als wir sogar die Menschenrechte verloren, war das Werk (dělo) von Boris eine unbesiegbare und alles besiegende Kraft, die unsere Nationalität (narodnosťta) und unsere Sprache schützte.“ Načov (1901), S. V–VI. Erst außerhalb des Vorwortes, im Rahmen der wissenschaftlich gehaltenen und ausführlichen Darstellung der Rolle Boris’, wurden die beiden Brüder erwähnt. Načov (1901), S. 18 f., passim. Načov (1901), S. 95 f. Načov (1901), S. 96. „Bulgarien fiel zweimal, aber das bulgarische Volk blieb ganz, lebte bis heute und wird mit der Kraft des Vermächtnisses (zavět) Boris’ leben. All dies ist eine solche Großtat, die jedes Volk mit goldenen Buchstaben auf den Seiten seiner Geschichte vermerkt und den Urheber verehrt es als seinen größten Wohltäter.“ Načov (1901), S. 96. „Indem Boris-Michail das kyrillomethodianische Werk in dessen neuer Heimat unter seinen mächtigen Schutz stellte, gab er diesem die Möglichkeit, dass es für alle orthodoxen Slaven und (die nicht-Slaven) erhalten bleibt, dass sich die slavische Literatur entwickelt und die ­ersten Triebe der slavischen Wissenschaft sprossen. Mit diesem seinem Verdienst leistete er einen wichtigen Beitrag vor dem Altar der allgemeinmenschlichen Kultur und hat für sich einen Platz in der Weltgeschichte errungen.“ Načov (1901), S. 96 f.

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Derselbe Načo Načov sah 1907 das Gedenken an den Toten als willkommene Gelegen­ heit, den Bulgaren erneut eine nationale Geschichte in Erinnerung zu rufen: In seinem diesmal in Sofia herausgegebenen Werk „Heiliger Fürst Boris der Bulgarische“ zählte er Boris zu den „Leitsternen“ „unserer armen Geschichte“: Der mit dem Gebrauch der zweiten Person Plural gemeinsam entworfene Blick ins Mittelalter sollte nationale Einigkeit in der Gegenwart des politischen Streits stiften und eine imaginierte Gemeinschaft schaffen.1235 Ausgangspunkt des Rückblickes war, so Načov, mangelnde Geschichtskenntnis im Volk: „Wir kennen unsere Geschichte schlecht – diese Martyrologie unseres bis vor kurzem unglücklichen Volkes. Denn aus ihr können wir, wie aus jeder Geschichte, Belehrung und Ermutigung für die Zukunft schöpfen.“ 1236 Mit dem hagiographischen Begriff wurde die Nationalgeschichte als kollektive Heiligenvita des gesamten Volkes gefasst. Säkularisation des Heiligen und Sakralisierung der Nation begegneten sich im Medium des hl. Boris. Der Rückblick hatte die Aufgabe, einen hoffnungsvollen kollek­ tiven Handlungshorizont für die Zukunft zu ermöglichen. Boris selbst stand in der Meinung des Gymnasiallehrers zu Unrecht im Schatten des weltlichen Ruhmes seines Sohnes Simeon:1237 „Fürst Boris war eine herausragende Persönlichkeit: Seine Herrschaft stellt eine der ruhmreichsten Epochen unserer politischen und kulturellen Geschichte dar. Oder anders gesagt: Namentlich mit ihm beginnt sie in ihrem vollen Sinne. Er ist für uns wie Konstantin der Große für das Römische Imperium, Chlodwig – für die Franken, der hl. Vladimir – für die Russen, König Stephan I. – für die Ungarn. Und mehr noch.“ 1238

Načov stellte Boris in eine Reihe mit anderen europäischen Herrschern, die im 19. Jh. als Staaten- und Nationsgründer oder als heilige Nationalpatrone verehrt wurden. Mit der Referenz auf Boris gelang es dem Autor, die bulgarische Geschichte gleichrangig in einen Kontext mit der der – gemessen an ihrem Prestige – größten Völker Europas einzuordnen. Die Beschreibung der Taten des hl. Boris war aber nur in einem engen Zusammenhang mit dem Verweis auf die Brüder Kyrill und Method denkbar, ihnen – und nicht dem bulgarischen Volk – schrieb Načov einen „Ehrenplatz in der Weltgeschichte“ zu.1239 Die ausdrücklich europäische Bedeutung von Boris lag in der Christianisierung 1235 „Am zweiten Mai werden wir einen bemerkenswerten Jahrestag feiern – den Tod des bulgarischen Fürsten Boris. Es ist gut, dass solche Tage kommen, damit wir für einen Augenblick die privaten Sorgen und verschiedene Fragen, die uns erbittern, spalten und das Leben vergiften, vergessen. Werfen wir gemeinsam einen Blick zurück, durchwühlen wir die erhalten gebliebenen zerrissenen und staubigen Seiten unserer armen Geschichte und führen uns gewisse Namen und Daten vor Augen, die wie Leitsterne in unsere dunkle und stürmische Vergangenheit strahlen.“ Načov (1907), S. 5. 1236 Načov (1907), S. 5. 1237 „Von Anfang der Geburt des Ruhms von Boris war dieser verdunkelt von jenem seines würdigen Sohnes Simeon“. Načov (1907), S. 6. 1238 Načov (1907), S. 6. 1239 Načov (1907), S. 9.

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seiner Untertanen: „Er wurde der erste christliche slavische Herrscher Europas.“ 1240 Zudem wurde er als Hüter des „Werks“ der Brüder verehrt: „Boris und die Schüler Kyrills und Methods bewahrten und entwickelten das große Werk ihrer Lehrer.“ 1241 Obschon Načov die Brüder als Slaven identifizierte und ihre Sprache „Altbulgarisch“ nannte, blieb Boris der erste Heilige der Bulgaren. Schließlich rühmte er Boris nicht wegen seiner Vita als Heiliger, sondern wegen seiner nationalen Verdienste, die ihm den Rang eines ­Heiligen gegeben haben sollen. Die Anmerkung, es sei nicht bekannt, wo Boris starb und wo er begraben wurde, verdeutlichte aber auch den damaligen Lesern, wie brüchig die Tradition seiner Verehrung bisher gewesen war.1242 Am 22. September 1908 erklärte Fürst Ferdinand angesichts der innenpolitischen Schwäche des Osmanischen Reiches das bisher suzeräne Bulgarien in Veliko Tărnovo formell für unabhängig und nahm den Titel eines Zaren von Bulgarien an. Während das Ausrufen des Königreiches in Serbien 1882 auch in der „Politika“ zu den König und die Dynastie sakralisierenden Verweisen auf die Nemanjiden geführt hatte, fehlten in den Glückwünschen in der Zeitung der Demokratischen Partei, im „Banner ­(Prěporec)“, alle religiösen Bezüge und auch Referenzen auf historische Zaren.1243 Beides bezeugt die schwächere Ausprägung der Verehrung von Zaren in Bulgarien trotz der beobachteten kirchlichen Erinnerungspolitik und trotz der starken Bemühungen, die neue Monarchie zu legitimieren. Dennoch setzte sich die nationale und religiöse Deutung von Boris fort: 1907 veröffentlichte Ju. Trifonov eine durch den Heiligen Synod herausgegebene, der weltlichen Historiographie verpflichtete Broschüre über seine Herrschaft, in der Trifonov schließlich seiner „Größe“ gedachte.1244 Die Aufnahme des heiligen Herrschers in das nationale Pantheon in Form der Nevskij-Denkmalkirche mit einer Darstellung gegenüber den Nationalheiligen Kyrill und Method um 1913 bezeugt die Institutionalisierung seines Gedenkens (Abb. 21). Ein Meilenstein in der Festigung des geschichtswissenschaftlichen Gedenkens an den Zaren war die Veröffentlichung der zweibändigen, an der St. Petersburger Geistlichen Akademie als Dissertation eingereichten Studie über Boris und „seine kultur-geschichtliche und kirchlich-nationale Bedeutung“ von ­Aleksandr Čučulain 1914. Dieser rechnete ihm in erster Linie die christliche Taufe sowie die Überwindung „ethnischer Unterschiede“ an.1245 In Sněgarovs Broschüre zum hl. Kliment, die seine Ansprache in Skopje zum Gedenktag des Heiligen 1916 zum Inhalt hatte, beschrieb dieser Boris als „Schöpfer (săzdateľt) der bulgarischen Nationalität“ 1246 – während im Vorwort derselben Broschüre der Geistliche Kacarov Kliment als „Schmied“ d ­ ieser 1240 Načov (1907), S. 28. 1241 Načov (1907), S. 30. 1242 „Boris ist der erste bulgarische Heilige. Wegen seiner Verdienste an unserer Kirche und am Volk wurde er als ein solcher anerkannt. Ewiger Ruhm dem hl. Boris!“ Načov (1907), S. 32. 1243 Prěporec, 23.9.1908, Nr. 109. 1244 Trifonov (1907), S. 63. 1245 Čučulain (1914), Bd. 1, S. V. 1246 Sněgarov (1917), S. 4.

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Nationalität eingeführt hatte.1247 Auf diesen religiösen Diskurs soll im Folgenden besonders eingegangen werden. C 7.4  Die Aneignung des Diskurses durch die Presse der Kirche nach 1895

Die bereits genannte 1897 gegründete „Geistliche Gesellschaft ,Heiliger Zar Boris‘“ in Varna unter dem Vorsitz des Metropoliten Simeon von Varna und Prěslav bezeugt die soziale Festigung der Verehrung des Zaren seitens der Geistlichkeit. Ihre Mitgliedschaft setzte sich aus dem gesamten lokalen Klerus zusammen, aber auch Geistliche anderer Regionen sowie „fromme und rechtgläubige“ Christen durften Mitglied werden. Die Hauptaufgabe sollte die „sittliche und religiöse“ Förderung der „orthodoxen Christen“ sein, namentlich durch „Buchreihen und Broschüren“ sowie später „eine geistliche Zeitschrift“.1248 Tatsächlich ist auch für den Diskurs über heilige bulgarische Herrscher eine Festigung eines neueren religiösen Zugangs erst mit der entstehenden modernen Publizistik zu beobachten: Die Zeitschrift „Bulgarische kirchliche Revue (Bălgarski cărkoven pregled)“ gab in ihrem ersten Jahrgang 1895 unter dem Titel „Bulgarische Heilige“ Paisijs Liste mit zahlreichen Herrschernamen wieder. Paisij habe als „selbstentsagender Patriot versucht, das Gedenken an die bulgarischen Heiligen zu erneuern und vor dem Volk auszubreiten, die von der Zeit vergessen und zurückgelassen worden waren“.1249 Erst mit der Einrichtung des wöchentlich erscheinenden „Kirchenboten“ im Jahr 1900 ist zu beobachten, wie der Diskurs über Boris an Bedeutung gewann. Bereits im Programm der Zeitschrift wurde in ihrer ersten Nummer das Ziel festgesetzt, „der orthodoxen bulgarischen Kirche zu dienen und dem Vaterland, deren Interessen ein und dieselben und welche unteilbar sind“. Diese Rolle habe die Kirche seit ihrer Begründung im Mittelalter eingenommen: Der hl. Boris wurde in diesem Programm als erste Person genannt, gefolgt von der „Siebenzahl“. Die Zeitschrift sollte es der Kirche ermöglichen, „alle politischen Gruppen“, die „größtenteils“ aber offenbar nicht insgesamt „Fleisch und Blut des Volkes“ seien und „welche die herrschende Kirche im Staat darstellen“, auf „Prinzipien“ einzuschwören, die den „Idealen des Volkes“ bzw. den „vaterländischen Interessen“ dienen sollten, um dieses „Vaterland von Qualen zu befreien“.1250 Die BOK versuchte mithilfe ihrer Publizistik, die entstehende schriftliche gesellschaftspolitische Öffentlichkeit des durch sie als Teil dieser orthodoxen Kirche beschriebenen Staatsvolks – unter Ausgrenzung der Muslime, Juden und Katholiken und anderer – ganz direkt zu lenken. Sie verstand sich damit unter Berufung auf eine angeblich seit dem Mittelalter ununterbrochen gepflegte Tradition als ein aktiver politischer Faktor in der

1247 1248 1249 1250

Sněgarov (1917), S. 11. Ustav na sveštenničeskoto družestvo „Svjati car Boris“…, S. 3 f.; Načov (1901). Bălgarski cărkoven prěgled 1 (1895) 2, S. 47 – 51, S. 20 – 26. Cărkoven Věstnik, 7.4.1900, Nr. 1, S. 1.

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auch von der Kirche projektierten und geförderten modernen bulgarischen Gesellschaft und stellte sich selbst an die Spitze dieses Vorgangs. Schon in der vierten Nummer der Zeitschrift wurde dieses ausdrückliche publizistische Programm im Rahmen des Gedenkens an Boris in einem Leitartikel umgesetzt: Boris habe gewusst, dass die Bulgaren eine „nationale Idee (nacionalna ideja)“ und eine „selbständige Kultur“ benötigten, um nicht zum „Teig“ von Byzanz oder Rom zu werden. Unter ihm habe der bulgarische Staat eine größere Ausdehnung erreicht als die Grenzen von Bulgarien gemäß dem Vertrag von San Stefano. „Er hat nicht nur einen weiträumigen Staat begründet und in ihm alle Bulgaren zusammengebracht (splotil), sondern er hat ihm auch seinen schöpferischen Gedanken eingehaucht. Dieser Gedanke wurde von einem Jahrhundert ins nächste übergeben, von Zar zu Zar, von Hirte zu Hirte, von Generation zu Generation, und hat uns erreicht, die heutige Generation: Dies ist unser heiliges Vermächtnis, unser allnationales (vsenaroden) Ideal. Dieser schöpferische Gedanke sind der heilige orthodoxe Glaube, die Schulen, die sittliche Vervollkommnung, das Heer, die selbständige Kultur und alle Bulgaren mit einem Geist und in einem Vaterland. Diese sechs Strahlen stellen die Aureole des hl. Boris dar, die auch heute strahlt, diese hat den Weg beleuchtet, den die Geschichte und die göttliche Vorsehung dem frommen bulgarischen Volk auf der Halbinsel vorgezeichnet haben. Bulgarien muss von diesem schöpferischen Gedanken des hl. Boris durchdrungen werden, dieser Gedanke muss besonders das zarte und unschuldige Herz S. Z. Hoheit des Thronfolgers erhellen, der geehrt ist, den Namen des hl. Boris zu tragen.“ 1251

Das Organ der BOK machte damit den Feiertag des hl. Boris zum Feiertag der modernen, orthodoxen und nationalen Monarchie. Die Kirche schrieb sich durch eine religiöse Erinnerungspolitik eine die neue Dynastie legitimierende und die moderne Gesellschaft stützende Aufgabe zu. Diese Funktion und damit der Anspruch auf eine führende Rolle in der Gesellschaft wurden in der Folge ausgebaut: Die neue Zeitschrift der BOK gebrauchte Boris auch in ihrem zweiten Jahrgang unmittelbar für nationale, politische Kontroversen. So wetterte der Leitartikel des „Kirchenboten“ im Juni 1902 erneut gegen Lehrer, die aus ihren Schülern „Sozialisten, Kosmopoliten und Indifferente“ machen wollten und „die Ideale des Volks“ sowie „die Pflicht der befreiten Bulgaren gegenüber den nicht befreiten als Chauvinismus“ bezeichneten. Stattdessen wurde verkündet: „Während zwölf und mehr Jahrhunderten hatten die Bulgaren ein Vaterland – Bulgarien, eine Religion – die Orthodoxie, ein Ideal – sich zu vereinigen“.1252 Dieses Handlungs- und Sprachfeld wurde in diesem Beitrag nun in politischer Absicht mit der Erinnerungsfigur des heiligen orthodoxen Herrschers verbunden: „Für diese Aufgabe haben der hl. Zar Boris“ und seine Nachfolger auf dem Thron am meisten geleistet.1253 Die Zeitschrift hatte es sich seit ihrem Erscheinen zur Aufgabe gemacht, schulpolitische Stellungnahmen abzugeben.1254 Dabei dienten „alle

1251 1252 1253 1254

Cărkoven Věstnik, 5.5.1900, Nr. 4, S. 1 f. Cărkoven Věstnik, 7.6.1902, Nr. 7, S. 1 f. Cărkoven Věstnik, 7.6.1902, Nr. 7, S. 1. Eine Liste einschlägiger Aufsätze: Cărkoven Věstnik, 7.6.1902, Nr. 7, S. 1.

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kultivierten Länder“ als Vorbild: „in Deutschland, in Frankreich, in England, in Amerika, in Russland kultivieren die Grund-, Mittel- und Hochschulen die nationalen (nacionalnitě) Ideale in der Jugend, wenn sie diese im nationalen (nacionalen) Geist erziehen“ bzw. „im religiösen und nationalen Geist“.1255 Sie stütze sich dabei auf die Verfassung, welche „den orthodoxen Glauben als im bulgarischen Fürstentum herrschend“ beschrieb: „Die geistige und nationale (nacionalno) Einheit der Bulgaren ist das höchste Ideal des Fürstentums. Solange die Verfassung in Kraft ist, hat kein bulgarischer Bürger das Recht, den orthodoxen Glauben als böse und das gesellschaftliche Ideal als ,veraltet‘ und ,höfisch‘ zu bezeichnen. (…) Über alles im bulgarischen Staat kann man unterschiedlicher Meinung sein, aber zum Glauben und zu den Idealen Bulgariens gibt es nur eine Meinung: Das ist die Meinung des Volkes, die in speziellen Paragraphen der Verfassung ausgedrückt ist.“ 1256

Der hl. Boris wurde somit seitens der kirchlichen Presse zu einem Mittel der polemischen Auseinandersetzung in der entstehenden publizistischen Öffentlichkeit gemacht. Der Beitrag unterstreicht, wie sehr sich die Kirche als aktiver Faktor in der gesellschaftlichen Debatte verstand und wie sehr sie gewillt war, in diese mit dem neuen, modernen Medium der Wochenzeitschrift einzugreifen. Auch die explizite Ausrichtung an westlichen Gesellschaften bezeugt, dass damit ein modernes Verständnis der gesellschaftlichen Rolle von Religion einherging – ohne die damit implizit projektierte Modernität mit Liberalität verbunden zu sehen. C 7.5  ,Gegen (…) die Türken, die Griechen und die Serben‘ – Feiern und Umzüge 1907

Religiöse Deutungen von Boris blieben zu Beginn des 20. Jh. wichtiger als ausschließlich weltliche. Zum tausendsten Todestag des hl. Zaren Boris hielt der Geistliche Michail Chimitlijski am 2. Mai 1907 in der Sv. Nedělja-Kirche in Sofia eine Predigt, die er mit der Adresse „Brüder Bulgaren!“ begann. Er erklärte die Bedeutung des Datums damit, „dass es uns an den Urheber unseres Eintritts in die Reihe der christlichen Kulturvölker erinnert“.1257 Boris war dem Geistlichen dabei selbst im kirchlichen Kontext der Predigt nicht wegen traditioneller Qualitäten eines Heiligen heilig, sondern wegen seiner angeblich „unermüdlichen Arbeit“, „aus seinem Volk ein Ganzes, einen organisierten Staat mit einer eigenen (samobitna) nationalen Kultur und Kirche zu schaffen“.1258 Nicht Kyrill und Method oder Kliment, sondern Boris sollte mit seinem „Werk“, „der 1255 1256 1257 1258

Cărkoven Věstnik, 7.6.1902, Nr. 7, S. 2. Cărkoven Věstnik, 7.6.1902, Nr. 7, S. 2. Chimitlijski (1914), S. 22. „Dieses Datum, sage ich, ist deshalb bedeutend, weil es uns von einem, von unserem gerühmten bulgarischen Herrscher, dem hl. Zaren Boris berichtet, der alle seine Kräfte in der unermüdlichen Arbeit einsetzte, um aus seinem Volk ein Ganzes, einen organisierten Staat mit einer eigenen (samobitna) nationalen Kultur und Kirche zu schaffen.“ Chimitlijski (1914), S. 22.

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Taufe der Bulgaren“, als „Begründer des Gebäudes“ gelten, „das wir jetzt die bulgarische Kirche nennen, die bulgarische Schule, das bulgarische Vaterland – den Staat, die bulgarische Nationalkultur“.1259 Der Rahmen der Bezugnahme auf Boris schien dem nationalpolitisch argumentierenden Geistlichen geeignet, angeblichen tagespolitischen Gefährdungen „unseres gesellschaftlichen und staatlichen Lebens“ mit Entschlossenheit entgegenzutreten.1260 Boris geriet dabei als Erinnerungsfigur im Text ganz in den Hintergrund. Der Bedrohung, der sich der Prediger ausgesetzt sah, sei Bulgarien schon vor einem Jahrtausend gegenübergestanden.1261 So konkret er eine dauerhafte Gefahr beschwor, gab er auch vor zu wissen, wie dieser zu begegnen sei: „Was sollen wir tun? Auf diese Frage können wir entgegnen: Nichts anderes, als geeint in die Fußstapfen des heiligen Zaren Boris zu treten und in jene seiner großen Nachfolgerherrscher, die gezeigt haben, dass sie Kämpfer für das bulgarische Buch und die Rede waren, diese liebten, sich um sie bemühten, und durch sie daran arbeiteten, in der Seele des Bulgaren diese drei wegweisenden Prinzipien unseres Lebens zu bekräftigen: Orthodoxie, Nationalität und Slaventum (­pravoslovie [sic], narodnosť i slavjanstvo).“ 1262

Der Rückgriff auf die Uvarov’sche Formel vom russisch-nationalen autokratischen Imperialismus (pravoslavie, narodnosť, samoderžavie), dem bulgarischen politischen Kontext angepasst, sollte der inhaltlichen Schärfung des Projektes eines bulgarisch-allgemeinslavischen nationalen Handlungsentwurfes helfen, „in der Seele des Bulgaren“ sogenannte „Lebensprinzipien“ zu festigen. Es galt, mit der Anrufung auch der „hl. Siebenzahl und der Reihe der Arbeiter unserer neuen Wiedergeburt“ hochgesteckte Ziele zu erreichen: Alle „Bürger Bulgariens“ sollten von den Idealen dieser „historischen Akteure“ „durchdrungen“ werden, damit diese „den Glauben unserer Väter bewahren“ sowie „ihn zur Höhe eines kulturellen Faktors erheben“ und Orthodoxie und Slaventum schützen.1263 Das von Chimitlijski beschworene (trans)nationale „Sla-

1259 Chimitlijski (1914), S. 26. 1260 Das Gedenken an diese Inhalte sei gerade im aktuellen Moment von größter Wichtigkeit: „Diese Fragen muss sich jeder von uns in den heutigen schweren Momenten unseres gesellschaftlichen und staatlichen Lebens stellen, wenn die uralten Feinde des Bulgarentums, des Slaventums und der Orthodoxie über uns herfallen, und uns mit ihren Krallen schneiden möchten, damit ein für alle Mal diese unsere Hoffnung um die allgemeinbulgarische Befreiung und die allgemeinslavische Einheit zerschlagen sei.“ Chimitlijski (1914), S. 26. 1261 „Brüder Bulgaren! Das alte Byzanz und das alte Rom leben noch heute in der Gestalt des Carigrader Patriarchen und des römischen Papstes. Auch heute, wie vor Jahrhunderten und wie während ganzer Jahrhunderte, sind diese gierig, uns zu verschlingen.“ Chimitlijski (1914), S. 26. 1262 Chimitlijski (1914), S. 26. 1263 „Wir alle – vom ersten Bürger Bulgariens bis zum letzten – müssen durchdrungen werden von den Gedanken und Gefühlen dieser großen historischen Menge unserer und der slavischen Akteure, damit wir, wie gesagt, den Glauben unserer Väter bewahren, dass wir ihn zur Höhe eines kulturellen Faktors erheben – um aus ihm und der slavischen Aufklärung eine feste Mauer

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ventum“ blieb hier diffus. Deutlich ist aber sein Ansinnen, die Vorstellung einer nationalen kollektiven Identität zur Grundlage eines staatsbürgerlichen Bekenntnisses zu erheben. Der „Glaube der Väter“ sollte aus seinem bisherigen, traditionellen Bereich heraustreten und zu einem „kulturellen Faktor“ werden – nicht um des Glaubens willen, sondern um die Bulgaren als homogene Nation gegen „die Feinde unseres Volkes“ zu einen. Moderner Nationalismus und das Projekt der Imaginierung einer nationalen Gemeinschaft und einheitlichen Kultur fanden im Rahmen der Referenz auf den hl. Boris Platz in der Predigt eines Geistlichen in einer der größten orthodoxen Kirchen Sofias. Am Ende des Textes wurde diesem Ort des Gedenkens Rechnung getragen, indem Boris gemäß traditioneller religiöser Memoria angerufen wurde: „Singt heute ein Lied auf die aufgehende slavische Sonne zum Ruhme Gottes und seines apostelgleichen heiligen Zaren Boris.“ 1264 Neu war aber auch in diesem Satz die gleichzeitige Vergegenwärtigung des modernen Projektes eines slavischen Nationalismus. Der Zweck der Predigt, in der sechsmal die Anrede „Brüder Bulgaren!“ zu finden ist, lag ohne Zweifel darin, im Rahmen des Gottesdienstes eine nationale Erinnerungs- und Handlungsgemeinschaft zu stiften. Die nationale Aufladung des Gedenkens an Boris I. ging in diesem Text deutlich mit der kirchlichen Legitimierung des Nationalismus einher. Statt zur Inszenierung eines Zarenkultes wurde die Erinnerung an den Monarchen aber zum nationalen Appell an alle „Bürger Bulgariens“ eingesetzt. Dennoch ist das Vorgehen als kirchliche Erinnerungspolitik zur Förderung der Verwirklichung einer orthodoxen gesellschaftlichen Modernität zu verstehen. Der Geistliche Chimitlijski stand nicht alleine und machte dies auch dem Publikum deutlich: Er stellte zur Rede in derselben Kirche zum gleichen Feiertag drei Jahre später Texte zusammen, die anlässlich des tausendjährigen Gedenkens verfasst worden waren. Er verwies auf „Predigten, Ansprachen und Aufsätze in Zeitschriften“. Chimitlijski legte der in der Kirche versammelten Gemeinde einen Pressespiegel zum drei Jahre zurückliegenden Erinnerungsereignis vor und vergegenwärtigte dieses damit aufs Neue. Moderne Medien und Gottesdienst schufen in diesem thematischen Bereich mithilfe der Erinnerungsfigur des hl. Boris einen Kreislauf der wiederholten kollektiven Imagination moderner nationalgesellschaftlicher Einheit im Zeichen der Orthodoxie. ­Chimitlijski verwies zunächst auf den früheren Parlamentarier der Nationalliberalen Partei und Sekretär des Bulgarischen Exarchats (1894 – 1901), Dimităr Mišev, der Boris 1907 als „unseren größten Zaren“ bezeichnet habe: Der Hauptbegründer des „Kirchenboten“ und sein erster Redakteur schrieb, die Größe von Boris liege nicht „in der Eroberung und Zerstörung“, sie sei vielmehr „die Größe des schöpferischen staatlichen Genius, die durch die Jahrhunderte dominiert“.1265 Der Geist-

zu erbauen, an der die Feinde unseres Volkes, unserer Orthodoxie und unseres Slaventums sich ihre Köpfe einschlagen mögen.“ Chimitlijski (1914), S. 27. 1264 Chimitlijski (1914), S. 27. 1265 Chimitlijski zitiert hier wie zu den anderen Autoren ohne weitere Angaben. Chimitlijski (1914), S. 27.

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liche führte auch den russischen Gelehrten Viktor Grigorovič an, „einen weiteren slavischen Historiker“, der Boris als „Vorvater der slavischen Bildung“ bezeichnet habe. Als „das auserwählte Werkzeug der Vor­sehung Gottes“ dringe sein „Schein“ Grigorovič zufolge noch heute „in die Seele jedes ­Slaven“.1266 Der Herrscher wurde hier zwar zum „Werkzeug der Vorsehung“ ­stilisiert, im Übrigen aber blieb seiner in überraschend traditioneller Weise gedacht. Chimitlijski las darauf Verse im Stile traditioneller kirchlicher Hymnen vor: „Kommt heute alle vom slavischen Geschlecht, (…) wir ehren das heilige Gedenken (pamjať) des apostelgleichen Zaren Boris, des Aufklärers, Lehrers und Vaters der slavischen Länder. (…) Freue dich, allslavisches Land! Freue dich auch du, bulgarisches Land, freue dich und jubiliere, denn dich hat der Herr unter den slavischen Ländern erhöht, indem er in dir den großen slavischen Leuchter errichtet hat!“ 1267

Zu Ehren von Boris ist erst um 1902 ein offenbar junges Offizium gedruckt worden, ein älteres ist nicht bekannt.1268 Der Geistliche griff diese junge liturgische Verehrung des Heiligen auf und bezeichnete Boris hier zudem als „slavischen Herrscher“, als „Vorbild der allslavischen Wiedergeburt“ sowie als „Beschützer dieser Sippe“ bzw. des „bulgarischen Landes“. Bulgarien empfahl er: „Es soll sich freuen und jubilieren über seinen Triumph in diesem Jahrhundert des großen Kampfes um die Nationalität und die slavische Einheit, das bulgarische Land soll sich freuen und jubilieren, denn seine Akteure (văzdělateli) – staatliche und gesellschaftliche Männer – mögen sie unabweichlich in die Fußstapfen des heute verehrten, überaus seligen (treblažen) Christen und Zaren treten, sowie seine Gebote (zavětite) hüten und stärken: Die Gesamtheit (cělokupnosťta) dieses Landes, die geistige Einheit der heiligen bulgarischen Kirche und der nationalen (nacionalna) Schule, mögen sie die bulgarische Sprache und das Buch hüten, durch die der heilige apostel­gleiche Zar Boris sein Volk errichtet hat und ihm den Weg zum selbständigen Dasein und zur kulturellen Entwicklung eröffnet hat.“ 1269

Volk, Glaube, Nationalität und territoriale Einheit, ja die nationale Existenz insgesamt wurden monokausal auf das Wirken von Boris zurückgeführt. Chimitlijskis Ansichten sind nicht als Einzelfall anzusehen, zumal sie am 17. Mai 1914 den Segen des offi­ ziellen Publikationsorgans der bulgarischen orthodoxen Kirche erhielten und „unseren

1266 „Er war das auserwählte Werkzeug der Vorsehung Gottes beim Bau des slavischen Schicksals. Ein mächtiger Führer des slavobulgarischen Volkes, der erstberufene Christ seines Volkes, ein bescheidener Schüler unserer heiligen Erstlehrer Kyrill und Method, strahlt Fürst Boris-Michail jetzt durch das Dunkel der Jahrhunderte im hellen Schein, der in die Seele jedes Slaven eindringt.“ Chimitlijski (1914), S. 29. 1267 Chimitlijski (1914), S. 30. 1268 Podskalsky verweist auf eine mir unzugänglich gebliebene Služba sv. ravnoapostola carja Borisa narečennago v sv. kreštenii Michaila, Sofija 1902. Podskalsky (2000), S. 60 f. 1269 Chimitlijski (1914), S. 30.

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Volkspredigern“ empfohlen wurden.1270 Die These einer bewussten kirchlichen Erinnerungspolitik mit gesellschaftlichen und politischen Zielen wird damit bestätigt. Diese Erinnerungspolitik durch Geistliche beschränkte sich nicht auf die Hauptstadt, sondern fand auch in der Provinz ihre Anwendung: Metropolit Gervasij von Sliven veröffentlichte unter dem anonymen Motto: „Das beste, was uns die Geschichte geben kann, ist die Begeisterung, die uns durch große Volksfeiern in unserer Brust bewegt“, eine „feierliche Ovation vor der heiligen Slivener Metropolie 1907 anlässlich des tausendsten Jahrestages seit dem Tod des heiligen Zaren Boris“.1271 Dem Vorwort ist zu entnehmen: „Ich eile, um mit Euch, den gläubigen und würdigen Dienern der heiligen bulgarischen Kirche, meine unaussprechliche Freude zu teilen, dass die Intelligenz von Sliven zum 1000. Jahresjubiläum für den heiligen Zaren Boris zur feierlichen Ovation der heiligen Metropolie als Vertreterin unserer Volkskirche einen Fackelumzug abhält, um die hohe Anerkennung der heutigen jungen Generation vor den Verdiensten der Kirchen, Zellen, Klöster zu bezeugen, die während der versklavten Vergangenheit (robskoto minalo) die Volksheiligtümer unbeschadet gehütet haben: Den Glauben, das Volkstum (narodnosť) und die Sprache.“ 1272

Für diese Feiern waren ebenfalls nicht nur der Rückblick auf eine national aufge­ladene Geschichte der Versklavung, sondern auch die publizistisch geförderte und vom Metropoliten persönlich verlangte Erinnerung an sie selbst wesentlicher Teil der kirch­ lichen Erinnerungspolitik: „Ich sende Euch hier alles gedruckt, was an diesem für die heilige Kirche hochbedeutsamen Besuch geschehen ist, damit Ihr seht: In der patriotischen Stadt Sliven ist eine Jugend, die es weiß, ihre Hochachtung gegenüber ihren um das Volk verdienten Akteuren und Institutionen zu bezeugen. Jeder Geistliche und jede Kirche in meiner Gotterlösten Eparchie soll in ihrer Bibliothek ein Exemplar dieses Briefes aufbewahren, das ich Euch zur Erinnerung entsende.“ 1273

Aus der okkasionellen Erinnerungsöffentlichkeit sollte eine möglichst dauerhafte kulturelle Praxis werden. Laut diesem „Programm der Feierlichkeiten“ sollte um vier Uhr abends des 1. Mai „in allen Stadtkirchen“ der Abendgottesdienst zelebriert und das „Akathist dem heiligen apostelgleichen und wohlgläubigen Zaren Boris“ gelesen worden sein. An dem Abendgottesdienst sollten laut Programm „alle Schüler und Schülerinnen“ der aufgezählten Schulen teilnehmen.1274 Die Schülerschaft wurde einzelnen Kirchen zugeteilt, um sich darauf nach einem geordneten Umzug auf dem Platz „Ch. Dimitr“ zu versammeln. Die Einbindung der Schüler sollte die erwünschte Massenwirkung 1270 „Und wenn wir die Predigten des V[aters]. Chimitlijski empfehlen, so empfehlen wir unseren Volkspredigern (narodni pastiri) auch die Predigtvorbilder der allerersten nationalen (rodna) schöpferischen Tätigkeit, von denen in diesen Predigten die Rede ist.“ So die Kurzbesprechung unter dem Kürzel „E. N.“ Cărkoven Věstnik, 17.5.1914, Nr. 20, S. 238. 1271 Tăržestvena ovacija prěd Sv. Slivenska Mitropolija…, S. 1. 1272 Tăržestvena ovacija prěd Sv. Slivenska Mitropolija…, S. 3. 1273 Tăržestvena ovacija prěd Sv. Slivenska Mitropolija…, S. 3. 1274 Tăržestvena ovacija prěd Sv. Slivenska Mitropolija…, S. 4.

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garantieren. Am Morgen des 2. Mai sollte um fünf Uhr der Archimandrit Ilarion im Anschluss an die Liturgie eine „Rede auf das Leben des heiligen Zaren Boris“ halten. Um acht sollte ein „Fackelumzug“ zum Sitz der Metropolie, angeführt durch die Kriegsmusik, stattfinden, in folgender Reihenfolge: „die Gemeindepriester, die Schüler der höheren Klassen des Gymnasiums mit Fackeln und F ­ ah­nen, die Jugend, die Fahrradfahrer (velosipedistitě), das Lehrerkollegium der Grundschule, des Knabenund des Mädchengymnasiums, das Offizierskorps und die Beamten, die ethnischen Gruppenorgane (esnafi) mit ihren Fahnen, die Landwehrsoldaten (opălčenicitě) und die Kämpfer (pobornicite), die makedonische Emigration, – um ihre Achtung gegenüber den Verdiensten der Heiligen nationalen (nationalna) bulgarischen Kirche zu bezeugen“.1275

Der Fackelumzug wurde, wie frühneuzeitliche mitteleuropäische religiöse Prozessionen, begleitet durch instrumentale Musik und angeführt durch die Geistlichkeit und von Körper­schaften der Stadtbevölkerung, als Inszenierung der in sich gegliederten Einheit der Stadtgesellschaft in einer sakralen, nun national aufgeladenen Öffentlichkeit entworfen. Mit den Fahrradfahrern war auch das entstehende bürgerliche Vereinswesen vertreten: Auch der moderne Sport wurde zu einem Medium der gesellschaftlichen Integration in eine orthodoxe Modernität. Die „Fackelovation (fakelna ovacija)“ fand wie geplant statt: „In der festgelegten Reihenfolge erreichten sie um neun Uhr den Hof der Heiligen Metropolie, mit der Kriegsmusik am Anfang, allen Korporationen, die im Programm aufgezählt sind, außer den Militärs, von denen nur drei Offiziere kamen. Auf beiden Seiten der Pfeiler, die in das Tor der Metropolie führen, waren die Priester der Stadtkirchen angeordnet und der Protosingel (Bischofsvikar) Ilarion. Die Jugend mit ihrer Fahne und die Fahrradfahrer mit ihren Kollegen bildeten ein Spalier vom Wegtor bis zum Eingang in den Salon, von wo man erwartete, ihre hochwürdige Eminenz Gervasij werde heraustreten; unter den anderen Korporationen war mit der Fahne und ihrer Volkstracht (narodnata si nosija) die makedonische Emigration. Die Ansicht dieser Bruchstücke (otlomki) dieses Volkes, das in dieser Minute dieses Jubiläum nicht feiern konnte, ließ die Herzen der Anwesenden vor Trauer zusammenziehen. Jeder dachte bei sich: Mit welchen Hoffnungen und Bangen erwartet man im verknechteten Makedonien den Tag der Befreiung. Alle dachten sich, wie schätzen die Söhne dieses Landes, wo heute das Joch der Sklaverei lastet, das Gedächtnis des heiligen Zaren Boris, des ersten Befreiers der Slavenheit!“ 1276

Boris wurde hier zum „Befreier“ – in Anlehnung an die Verehrung des russländischen Zaren Aleksandr II ., der in Bulgarien nach der Errichtung des Exarchats mit einem Monument in der neuen Hauptstadt Sofia als „Befreier-Zar“ geehrt wurde, – nachdem er wegen der Bauernbefreiung bereits in Russland diesen Titel erworben hatte. Die Erinnerung an Boris wurde zum Bezugspunkt der Hoffnung auf eine zukünftige Befreiung durch das erneuerte bulgarische Staatswesen.

1275 Tăržestvena ovacija prěd Sv. Slivenska Mitropolija…, S. 7. 1276 Tăržestvena ovacija prěd Sv. Slivenska Mitropolija…, S. 7 f.

Heilige bulgarische Herrscher

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Auf dem Platz „Chr. Dimitr“ sollte der Lehrer am Slivener Mädchengymnasium Chr. V. Dimitrov eine „Begrüßungsrede“ vortragen sowie um neun Uhr der Metropolit ein feierliches Gebet abhalten. Überdies sollte „der Lehrer N. Kamburov eine Rede zur kulturellen Bedeutung des Jubilaren halten“.1277 Dimitrov imaginierte Boris folgendermaßen: „Heute, da sich das Vaterland mit gerechtem Stolz zum zivilisierten Europa zählen darf, ist es eine Tatsache, dass die Bulgaren als Volk nicht allein deshalb leben, da das großherzige Russland uns vor 30 Jahren befreite; sondern dass wir als Volk in unserer historischen Vergangenheit das tausendste Jahr des Triumphes der glänzenden christlichen Kultur haben, die durch den Glauben und die Schriftlichkeit den Serben, Rumänen und den Russen die Zivilisation gab. Heute, wenn wir dieses große Ereignis in der Geschichte des bulgarischen Lebens feiern, nach dem (slěd koeto) unser Vaterland zum Mittelpunkt (stožer) der slavischen Bildung wurde, nach dem Bulgarien zum kulturellen Projektoren wurde und Strahlen der Christenheit auf die umliegenden slavischen Horizonte warf; heute, wenn die ganze slavische Welt in dieser Feier sieht, dass auch wir, die Bulgaren als Volk, Verdienste am allgemeinmenschlichen Progress haben, kann ich nicht die nationalen und kulturellen Verdienste des heiligen Zaren Boris von den Verdiensten der Kirche und der Schulen trennen.“ 1278

Trotz des religiösen Rahmens der Feierlichkeit standen die dem Zaren zugeschrie­benen Verdienste ganz in einen universalgeschichtlichen Kontext, der mit den religiösen Aspekten seiner Qualität als Heiliger nichts zu tun hatte. Der Anlass erschien hier nur als günstige Gelegenheit, aus einer postkolonialen Situation die Erzählung von einer zivilisatorischen Mission Bulgariens in der Slavenheit im Rahmen einer diskursiven Selbsteuropäisierung zu entfalten, die Bulgarien vom ausgeblendeten osmanischen Hinter­grund distanzieren und als Träger maximaler Europäizität erscheinen lassen sollte. Auch die Religion spielte in diesem Zusammenhang nur insofern eine Rolle, als sie die Beschreibung einer Selbstzivilisierung ermöglichte: Kultur und Schriftlichkeit, nicht der Glaube standen im Vordergrund der Argumentation. Nationaler, „gerechter Stolz“ auf die Taten von Boris und ihre Folgen für die restlichen slavischen Völker sollte den späten Zeitpunkt der Entstehung der modernen bulgarischen Institutionen kompensieren. „Ich kann nicht anders, als an diese gigantische Reihe von uneigennützigen, idealistischen gesellschaftlichen Kämpfern zu erinnern, die in Kirchen, Zellen und Klöstern dienten. Sie erweckten das Volksbewusstsein (narodnoto săznanie) in Lesesälen und Schulen, hüteten mit der Pistole auf dem Balkan die Volksfreiheit (narodnoto svoboda), sie legten ihre Knochen dem zugrunde, worauf sich das neue Gebäude des politisch befreiten Bulgarien erhob. Aber all dies ist die Folge des reformatorischen Werks (dělo) des Zaren Boris. Dies ist es, weshalb wir die heilige Pflicht zur erhöhten Anerkennung gegenüber den verdienten Kindern der Mutter Bulgarien erfüllen, wenn wir vor dem großen Gedächtnis (pamet) stehen an alle gesellschaftlichen Akteure (Heilige, Priester, Mönche, Schulmeister, Freiheitskämpfer (chajduti), Aufständische, Landwehrsoldaten), die ihre Knochen in den Furchen zurückließen, die der weitsichtige Staatsmann (dăržavnik) der heilige Zar Boris vorgezeichnet hat, der mit der Übernahme des Christentums uns die Seiten der

1277 Tăržestvena ovacija prěd Sv. Slivenska Mitropolija…, S. 5. 1278 Tăržestvena ovacija prěd Sv. Slivenska Mitropolija…, S. 8.

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allgemeinmenschlichen kulturellen Geschichte als Vaterland eröffnet hat und das bulgarische Volk in die Zivilisation geführt hat.“ 1279

Die hier erkennbare diskursive Selbstzivilisierung eines bulgarischen Identitätsentwurfs zu Beginn des 20. Jh. sollte mit dem Verweis auf Boris ins Mittelalter verlegt werden und so ein möglichst hohes Alter erlangen. Handeln zugunsten nationaler Interessen sollte eine „heilige Pflicht“ werden. Der Feiertag zum Gedächtnis von Boris diente als Plattform übergreifender, tages­ politischer nationaler Zielutopien und Wünsche: „Am heutigen Tag, wenn wir das Jubiläum des reformatorischen Gedankens feiern, dem seit dem 10. Jh. in Bulgarien die Kirchen mit dem Glauben und die Schulen mit den Buchstaben der heiligen Soluner Brüder als Etappen dienen, wünschen wir der heiligen bulgarischen Kirche: Dass sie bald unsere politisch freien Brüder im unglückseligen Makedonien in ihren Schoß aufnehmen wird, wo heute in einem epischen Kampf das bulgarische Element mit unerhörtem Heroismus verteidigt wird gegen drei Hydren, drei Nationalitäten: die Türken, die Griechen und die ­Serben. Für unser allgemeines Vaterland wünschen wir heute: die Spitzen der Behörden, die Führer ­unseres nationalen Schicksals (na narodnitě ni sădbeni) und die Diener des Vaterlandes – mögen sie in Ein­mütigkeit eine Eintracht, eine Vereinbarung für das gemeine Wohl (obštoto blago) des Vaterlandes herbeiführen. Unsere heutige Intelligenz möge am Haupt der nationalen Neigungen stehen, wie es in der Wiedergeburt war, und die Vaterlandsliebe im Volk entwickeln, wie auch seinen Geist tränken mit den Träumen der nationalen lichten Zukunft, über die Größe Bulgariens, dass die gegenseitigen Feindseligkeiten beseitigt werden und dieser satanische Partisanengeist, den sonst nur unsere Volksfeinde (narodnitě ni neprijateli) gebrauchen!“ 1280

In der Erinnerung an die „Wiedergeburt“ im 19. Jh. sollte Vardar-Makedonien befreit werden und ein zerstrittenes Bulgarien gesellschaftlich geeint werden im Kampf gegen verteufelte fremde Nationalitäten: Staat und Intelligenz sollten am Tag des hl. Boris und im Rahmen des Gedenkens an ihn über alle politischen Gräben hinweg eine Einheit ­werden. Einer „gesellschaftlichen und staatlichen Maschine, die Bulgarien zum Licht und in die Zukunft führt (die Geistlichen, die Beamten und die Bürger)“, stand explizit die Geistlichkeit voran: Der Lehrer verlangte für die BOK die Führung der modernen, im Rahmen gesamteuropäischer Technikbegeisterung als Maschine beschriebenen Gesellschaft und des Staates. Das Gedenken an den heiligen Zaren Boris gab den Rahmen zu diesem Entwurf von „Vergangenheit und Zukunft“.1281 Der Metropolit, der gleich anschließend zu Wort kam, hieb als führender Geistlicher in dieselbe Kerbe:

1279 Tăržestvena ovacija prěd Sv. Slivenska Mitropolija…, S. 11 f. 1280 Tăržestvena ovacija prěd Sv. Slivenska Mitropolija…, S. 12. 1281 „Ich schließe meine Rede mit einem Aufruf an die vaterländische Vergangenheit und Zukunft: Ehre und Ruhm den Akteuren unserer historischen Vergangenheit, angefangen mit dem Zaren Boris! Es lebe die leuchtende, große Zukunft unseres schönen Bulgarien, unseres lieben Vaterlandes!“ Tăržestvena ovacija prěd Sv. Slivenska Mitropolija…, S. 13.

Heilige bulgarische Herrscher

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„Das Gemälde, das ich vor mir sehe, erfüllt mein Herz mit Freude. Ich finde nicht die Worte, mit denen ich meine Freude ausdrücken kann, dass unsere junge Generation ihre Hochachtung gegenüber der heiligen orthodoxen Kirche bezeugt, die die Wächterin war, und guten Gewissens die ihm anvertrauten Volksheiligtümer des Werks des heiligen Zaren Boris hütet.“ 1282

In einem Grußtelegramm an das Oberhaupt der bulgarischen Kirche, Exarch Iosif, bekräftigte der Metropolit die Botschaft erneut: „Ich habe im Namen der Kirche und in Eurem Namen gedankt, als ich einen unteilbaren Bund von Kirche, Schule und Intelligenz wünschte, damit sich die philosophischen Ideen des heutigen Jubilaren, des hl. Zaren Boris, verwirklichen.“ 1283 Es war nicht erforderlich zu klären, welchen Inhalts diese Ideen waren: Sie standen bereits metonymisch für den auch seitens des Kirchenfürsten eingeforderten Entwurf einer gesellschaftlichen und staatlichen orthodoxen Modernität. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass Paisijs Erinnerung an heilige Zaren der ­Bulgaren nur an nicht-bulgarische frühneuzeitliche historische Werke anknüpfen konnte, nicht aber an eine lokale „Volkstradition“. Sein Werk ist dabei als Antwort auf die erneuerte Verehrung serbischer Herrscher nach 1740 zu lesen, wie etwa seine Bulgarisierung des spärlich belegten Jovan Vladimir im Wettstreit mit Serbisierungsversuchen stand. Um ihn entwickelte sich bis in die Mitte des 19. Jh. ein immer wieder aufkommender transnationaler Diskurs mit serbischen und bulgarischen Akteuren. Erst im Rahmen des Gedenkjahres 1885 zu Ehren der Brüder Kyrill und Method wurde Boris – wenngleich nicht als Heiliger – in Reden zur Legitimation der neuen bulgarischen Herrscher des 19. Jh. erinnerungspolitisch eingesetzt. Die Gründung des „Kirchenboten“ 1900 führte zu einer weiteren publizistischen Aufbereitung seines Gedenkens, diesmal um kirchliche Staatsvorstellungen zu entwerfen, die „Idealen des Volkes“ dienen sollten. Eine kirchliche Verehrung Boris’ wurde erst jetzt als fehlend festgestellt. Das Defizit an mittelalterlicher und frühneuzeitlicher Tradition war aber kein Hindernis: Zu seinem tausendsten Todestag 1907 wurde Boris in der gleichen Liga wie Konstantin, Chlodwig, der hl. Vladimir und Stephan I. verehrt und mit öffentlichen Umzügen in den Straßen der Hauptstadt den Massen nahegebracht. Kirchenfürsten verbanden sein Gedenken mit dem Kampf um Makedonien. Die BOK versuchte mehrfach, durch eine religiöse Erinnerungspolitik eine die neue Dynastie legitimierende Rolle und auf diesem Weg in der modernen Gesellschaft eine politische Funktion zu erlangen. Erst während des Ersten Weltkrieges wurde Boris-Michail zum „Schöpfer der bulgarischen Nationalität“ erkoren. Anders als die Nemanjiden spielten heilige bulgarische Zaren bis zu Beginn des 20. Jh. angesichts der schon im Mittelalter sowie in der frühen Neuzeit nur sehr lückenhaft belegten Memoria keine bedeutende politische Rolle. Aber auch die protestantische bzw. katholische Konfession der neuen Fürsten dürfte hierbei mithin entscheidend gewesen sein.1284 Zar Petăr blieb ganz im nicht großen Schatten von Boris-Michail: Immerhin bedachte ihn Ivan Vazov in seinem Werk „Die große Einöde von Rila“ mit

1282 Tăržestvena ovacija prěd Sv. Slivenska Mitropolija…, S. 13. 1283 Tăržestvena ovacija prěd Sv. Slivenska Mitropolija…, S. 15. 1284 Vgl. Opfer (2004), S. 277.

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einer Passage, in der er Petărs Besuch in Rila schilderte.1285 Ausführlicher schilderte er mit nostalgischem Blick in die Vergangenheit die „Zarenstadt Tărnovo“. Auch Ivan von Rila und Petka wurden dabei erwähnt. Vazov verneigte sich „vor den alten bulgarischen Heiligen, Patriarchen, Herrschern und Boljaren“.1286 Seine historistische Wiederbelebung der im Spätmittelalter zentralen politischen religiösen Erinnerungsfigur der Zarenstadt blieb aber ohne großes Echo in der modernen Publizistik.1287 C 8  Der ,bulgarische Gott‘, das serbische ,heilige Land‘ sowie Klöster und Regionen – Raumentwürfe durch religiös-nationale Erinnerung

Bisher wurden einzelne Erinnerungsfiguren und auch die räumliche Ausweitung ihrer Verehrung auf neue oder verlorene Territorien behandelt. Hier sollen nun weitere Texte untersucht werden, die ganze Klosterkomplexe oder Regionen insgesamt im Zusammenhang mit religiösen Erinnerungsfiguren als geographische Räume imaginierten. C 8.1  ,Unser Gott hat (…) Serbien auferstehen lassen‘ – religiöse räumliche Vorstellungen der serbischen Nation

Bereits in den 1820er-Jahren ist mit der allmählichen Ausbreitung des Nationalismus unter serbischen Gelehrten eine Reflexion der Funktion als serbisch bezeichneter ­Klöster in einem nationalen Zusammenhang zu beobachten. Schon in den ersten Bänden der seit 1824 in Budapest erscheinenden „Serbischen Chronik“ der „Matica Srbska“ wurde eine Bestandsaufnahme vorgenommen. Unter dem Titel „Serbische Klöster“ hieß es 1827, eine „Beschreibung der Gründung, Festigung und des heutigen Zustandes“ der „Seelenrettenden Einrichtungen“ sei „eines unserer wichtigsten Vorhaben, schon bei Beginn der Herausgabe der serbischen Chronik, gewesen“.1288 Diesen einleitenden Worten folgte ein Aufruf an die Leserschaft, Informationen zur Dokumentation dieser „Reste des serbischen Altertums“ beizutragen. Die Phase der Definition und des Sammelns nationaler Denkmäler begann gerade erst. Zu einem der wichtigsten, gewissermaßen nationalpsychologischen „Charakterzüge des serbischen Geistes“ wurde „die übergroße Liebe zu seiner Religion“, dem „Heiligtum seines Herzens“, erklärt. Ihr Ursprung lag weniger in bedingungsloser Frömmigkeit, sondern war vielmehr durch die „traurigen Umstände“ der Geschichte des „Volkes“ bedingt.1289 Orthodoxe Religiosität wurde so 1285 Ivan Vazov. Săbrani săčinenija v 20 toma, Bd. 10, S. 56 – 58. 1286 Ivan Vazov. Săbrani săčinenija v 20 toma, Bd. 11, S. 174 – 193, hier S. 176, S. 183, S. 186. 1287 Ein früher, sehr umfangreicher archäologischer Überblick, der Interesse an der „Zarenstadt“ bezeugte: Beron (1886). 1288 Ohne Verfasserangabe: Serbskii monastyri, in: Serbskij Létopis 3 (1827) 2, S. 1 – 11, hier S. 1. 1289 Erklärend wurde erläutert: „Unter den wichtigsten und lobenswertesten Charakterzügen des Serbischen Geistes ist und war immer die übergroße Liebe zu seiner Religion gewesen, die auch

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einer Passage, in der er Petărs Besuch in Rila schilderte.1285 Ausführlicher schilderte er mit nostalgischem Blick in die Vergangenheit die „Zarenstadt Tărnovo“. Auch Ivan von Rila und Petka wurden dabei erwähnt. Vazov verneigte sich „vor den alten bulgarischen Heiligen, Patriarchen, Herrschern und Boljaren“.1286 Seine historistische Wiederbelebung der im Spätmittelalter zentralen politischen religiösen Erinnerungsfigur der Zarenstadt blieb aber ohne großes Echo in der modernen Publizistik.1287 C 8  Der ,bulgarische Gott‘, das serbische ,heilige Land‘ sowie Klöster und Regionen – Raumentwürfe durch religiös-nationale Erinnerung

Bisher wurden einzelne Erinnerungsfiguren und auch die räumliche Ausweitung ihrer Verehrung auf neue oder verlorene Territorien behandelt. Hier sollen nun weitere Texte untersucht werden, die ganze Klosterkomplexe oder Regionen insgesamt im Zusammenhang mit religiösen Erinnerungsfiguren als geographische Räume imaginierten. C 8.1  ,Unser Gott hat (…) Serbien auferstehen lassen‘ – religiöse räumliche Vorstellungen der serbischen Nation

Bereits in den 1820er-Jahren ist mit der allmählichen Ausbreitung des Nationalismus unter serbischen Gelehrten eine Reflexion der Funktion als serbisch bezeichneter ­Klöster in einem nationalen Zusammenhang zu beobachten. Schon in den ersten Bänden der seit 1824 in Budapest erscheinenden „Serbischen Chronik“ der „Matica Srbska“ wurde eine Bestandsaufnahme vorgenommen. Unter dem Titel „Serbische Klöster“ hieß es 1827, eine „Beschreibung der Gründung, Festigung und des heutigen Zustandes“ der „Seelenrettenden Einrichtungen“ sei „eines unserer wichtigsten Vorhaben, schon bei Beginn der Herausgabe der serbischen Chronik, gewesen“.1288 Diesen einleitenden Worten folgte ein Aufruf an die Leserschaft, Informationen zur Dokumentation dieser „Reste des serbischen Altertums“ beizutragen. Die Phase der Definition und des Sammelns nationaler Denkmäler begann gerade erst. Zu einem der wichtigsten, gewissermaßen nationalpsychologischen „Charakterzüge des serbischen Geistes“ wurde „die übergroße Liebe zu seiner Religion“, dem „Heiligtum seines Herzens“, erklärt. Ihr Ursprung lag weniger in bedingungsloser Frömmigkeit, sondern war vielmehr durch die „traurigen Umstände“ der Geschichte des „Volkes“ bedingt.1289 Orthodoxe Religiosität wurde so 1285 Ivan Vazov. Săbrani săčinenija v 20 toma, Bd. 10, S. 56 – 58. 1286 Ivan Vazov. Săbrani săčinenija v 20 toma, Bd. 11, S. 174 – 193, hier S. 176, S. 183, S. 186. 1287 Ein früher, sehr umfangreicher archäologischer Überblick, der Interesse an der „Zarenstadt“ bezeugte: Beron (1886). 1288 Ohne Verfasserangabe: Serbskii monastyri, in: Serbskij Létopis 3 (1827) 2, S. 1 – 11, hier S. 1. 1289 Erklärend wurde erläutert: „Unter den wichtigsten und lobenswertesten Charakterzügen des Serbischen Geistes ist und war immer die übergroße Liebe zu seiner Religion gewesen, die auch

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weiter in den nationalen Zusammenhang eingeschrieben und in diesem Rahmen zu einem der wichtigsten Konzepte modernen kollektiven Empfindens. In den Zielutopien national gesinnter serbischer Gelehrter im österreichisch-ungarischen Exil spielte der Staat keine wichtige Rolle, wohl aber wurden Loyalität und Dankbarkeit gegenüber der Doppelmonarchie bezeugt: Unter der Obhut der Habsburger sei es den Serben gestattet, „ihr größtes Wohl zu schützen, Gott in der eigenen Sprache zu dienen und ihre Orthodoxie unversehrt zu bewahren“. Das Zitat eines patriotischen Liedes sollte dies untermauern – „Der Glaube, die Sprache“ sind „Helm und Schild der Rettung“ des Volkes.1290 Dieses Lied besang Religion und Sprache als schützende Bestandteile einer Kampfausrüstung, während der vorhergehende Satz den Daseinszweck des serbischen Volkes oder sein höchstes Gut im volkssprachlichen Gottesdienst sah. Die existenzielle Funktion von Frömmigkeit begann, weniger wichtig zu werden als ein Verständnis von Religion, das stark durch das neue Konzept der Nation verändert war und in erster Linie als dessen Stütze diente. Dieser Vorgang zeichnete sich aber erst allmählich ab. Das Verhältnis zwischen reli­ giösem sowie nationalem Empfinden von Individuen wie Gruppen wurde, von weltlichen und wissenschaftlichen bzw. romantischen Vorstellungen beeinflusst, in der Zeitschrift der „Matica“ in ganz neue Worte gefasst und damit neu ausgehandelt. Die Verehrer der Klöster wurden in ihrer gemeinsamen Verehrung Gottes als „das Volk“ beschrieben wie auch mit der Beschwörung der von ihnen verlangten „Dankbarkeit gegenüber den heimat­liebenden Gründern und Festigern dieser Einrichtungen“ als solches imaginiert.1291 In der Fortsetzung dieser unter dem Titel „Vorstellung (Naznačenie) der Klöster in Serbien“ erschienenen Übersicht über als „serbisch“ angesehene Klöster beschrieb der anonyme Verfasser Klöster „in Serbien, das heute unter der Regierung seiner Durchlaucht (Sijatelnějšeg) des Fürsten Miloš Obrenović ist“, und damit abhängig von der politischen Herrschaft, als „serbische Denkmäler“. Diese kompakt gedachte nationale Erinnerungsfigur war zwar eine historisierte, weltliche Vorstellung. Dennoch blieb sie ganz im thematischen Rahmen der Erinnerung an die angeblich „von altersher“ und

während der stürmischsten Zeiten loderte, als diesem Heiligtum seines Herzens schreckliche Niederlagen und Zerstörungen drohten. – Daher ist der Grund dieser gutartigen Einrichtungen nicht nur im Genie (u geniju) der damaligen Zeit zu suchen (…), sondern zum größeren Teil in den traurigen Umständen, in denen sich das Serbische Volk fast ununterbrochen befand.“ Serbskii monastyri, in: Serbskij Létopis 3 (1827) 2, S. 2 f. 1290 Serbskii monastyri, in: Serbskij Létopis 3 (1827) 2, S. 3. 1291 „Die Großartigkeit der schön anzusehenden und mannigfaltigen Natur, mit Fleiß bearbeitet und mit Kunst verziert; die Einsamkeit und Ruhe, die nur durch Lobgesang lieblich unterbrochen wird, der dem höchsten Wesen dargeboten wird, ferner die Verehrung durch das Volk, das zahlreich hierher zieht, mit der Hoffnung auf Gott den Segenspender, – sie machen diese Einrichtungen zu einer besonderen Art Heiligtum, und flößen dem Besichtigenden dieses Gefühl der herzlichen Demut vor dem unfassbaren universalen Lenker ein, sowie Dankbarkeit gegenüber den heimatliebenden Gründern und Festigern dieser Einrichtungen!“ Serbskii monastyri, in: Serbskij Létopis 3 (1827) 2, S. 4.

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trotz „politischer Veränderungen“ dauerhafte Beständigkeit einer – gleichfalls ganz mit dem Pathos der Romantik empfundenen – religiösen „Glut“ der Serben.1292 Obschon die Zeitschrift in Ungarn erschien, wurde damit die Beschreibung der Klöster doch mit dem Fürsten Miloš verbunden. Die Klöster dienten dazu, den durch und durch welt­ lichen Fürsten in einen Zusammenhang mit „allen serbischen Königen“ zu stellen, die insgesamt – und nicht nur die Heiligen und Mönche unter ihnen –als „kräftige Vertei­ diger und Beschützer ihrer Orthodoxie“ in Erinnerung gerufen wurden. Miloš Obrenović wurde mit der Darstellung seiner Unterstützung des Wiederaufbaus von „Denkmälern der serbischen Frömmigkeit“ und damit von „heiligen Orten“, die Gott zum Dank für dessen Beschützerrolle ehren sollten, in die Reihe der serbischen Herrscher eingeordnet.1293 Sein Verhalten wurde als die Reproduktion eines traditionellen monarchischen Handlungsmusters gedeutet und gelobt. Zwar war von „serbischer Frömmigkeit“ die Rede, die Nationalisierung der Erinnerung an Klöster und die Imagination kollek­ tiver Frömmigkeit war jedoch noch nicht von einer Säkularisierung der Funktion der „­heiligen Orte“ begleitet. Ganz dem zeitgenössischen Verständnis von Geschichtswissenschaft entsprechend ging es in den einzelnen Texten darum, einen ersten Überblick über die „Altertümer“ zu gewinnen, gewissermaßen ein Inventar anzulegen.1294 Die Verbindung dieser Beiträge

1292 „In Serbien, das heute unter der Regierung des Strahlendsten (Sijatelnějšeg) Fürsten Miloš Obrenović ist, befinden sich viele Klöster, wertvolle serbische Denkmäler (pamjatnicy Serbske) ihrer [der Serben, S. R.] aufrichtigen Liebe zur Orthodoxie (…). Weder schreckliche politische Veränderungen, noch häufige Verwüstungen durch fürchterliche Barbarei haben die Glut (…) erlöschen können, die schon von alters her (ot starina) glüht, und die auch heute unmittelbar in den Busen der Serben brennt, mit der reinen Flamme der Frömmigkeit.“ Serbskii monastyri, in: Serbskij Létopis 3 (1827) 2, S. 1. 1293 „Alle serbischen Könige waren kräftige Verteidiger und Beschützer ihrer Orthodoxie. Viele von ihnen haben Szepter und Thron verlassen und sind selbst in den Mönchsstand eingetreten, haben Klöster gegründet und haben sie mit ihrer Großzügigkeit und ihrem Schutz gestärkt. Die serbischen Fürsten und Despoten haben das Beispiel ihrer Vorgänger nachgeahmt und sich dem Genius (po geniju) der damaligen Zeit entsprechend um das Wohlergehen der Kirche bemüht. Erinnern wir nur an den Fürsten Lazar, der das Kloster Ravanica gegründet hat und reich beschenkte. (…) Aber auch heute ist der Eifer von Miloš [Obrenović, S. R.] darin wahrlich hervorragend und löblich. Er hat diese verbrannten und durch ottomanische Hand zerstörten Denkmäler der serbischen Frömmigkeit erneuert und wiedererrichtet: Ohne Mühe noch Kosten zu scheuen, besteht er kräftig darauf, dass an diesen heiligen Orten erneut Gott Opfer gebracht werden, als wohlriechendes Weihrauchfass der Dankbarkeit, damit der Name des Schöpfers geehrt und gelobt werde, der mit liebendem (…) Auge den Serben behütet hat.“ Zum Beweis folgt die Liste der wiederhergestellten Klöster und Kirchen. Serbskii monastyri, in: Serbskij Létopis 3 (1827) 2, S. 2. 1294 „Wir haben gesagt, dass wir bei der Beschreibung der Serbischen Klöster besondere Aufmerksamkeit auf die Erforschung der Serbischen Altertümer legen; und daher möchten wir alles nennen, was wir in diesem Kloster gefunden haben.“ Serbskii monastyri, in: Serbskij Létopis 3 (1827) 2, S. 7.

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mit der Verehrung der erneuerten serbischen Monarchie gab ihnen einen tagespolitischen Hintergrund. Die genannten Texte stellten die Grundlage zur Entfaltung des Diskurses her. Als sich 1857 in serbischen Zeitungen eine Debatte über Projekte für ein Denkmal zum Gedenken an Karađorđe entfaltete, wurde auch auf Klöster und Kirchen ver­wiesen, die als weltliches Pantheon Serbiens dienen sollten.1295 Eine herausragende rhetorische Kulmination des Erzählstranges ist zu Beginn der 1860er-Jahre festzuhalten: Der liberale Politiker und Wortführer der Serben in der ungarländischen Vojvodina, Svetozar Miletić, schrieb am 4. Januar 1861 im Novi Sader „Srbski dnevnik“: „Unser Gott, der Montenegro erhalten hat und der Serbien nach vier Jahrhunderten hat auferstehen lassen, der die Herzen von Zmaj-Despot Vuk, des knez Pavel Jakšić, der Brüder Bakić, der Manastirlije und Hunderttausender serbischer Helden gefestigt hat – er ist noch lebendig, und er wird uns retten.“ 1296 Gott war hier natio­ nalisiert, sein Handeln und sein „Leben“ nur auf die Nation und weltliche Helden ausgerichtet. Die auferstandene Nation erschien hier Christus angenähert und sakralisiert. Der Kosovomythos gab höchstens implizit den diskursiven Rahmen zu dieser Apotheose, zumal zur Auferstehung der vorherige Tod am Kreuz gehörte. Der Mythos hatte bisher aber eine solche Zuspitzung auf einen serbischen Gott nicht gekannt: Der Text trug zur Entstehung der rhetorischen Figur einer explizit mit religiösen Vorstellungen arbeitenden Nationaltheologie zu politischen Zwecken bei. Der Kosovomythos gab in diesem Fall Gelegenheit zu einer ersten politisch-theologischen Nationalisierung Gottes. Auch hier ist dabei aber auf die weite Verbreitung der Vorstellung der „gekreuzigten Nation“ als Apotheose der modernen Nation zu verweisen.1297 Ganz im Rahmen des modernen Nationalismus setzte sich die ausdrückliche Politisierung des Diskurses fort: Der serbische Historiker und Politiker Miloš Milojević griff 1881 in seiner Broschüre über „Unsere Klöster und das Mönchstum“ die „in unseren Zeitungen“ sowie „an unseren hiesigen Versammlungen“ damals häufig gestellte „Frage über unser Mönchstum, und die Klöster“ auf. Seiner Meinung nach ergab sich aus ­seiner Beobachtung des Diskurses über den Klosterbesitz der „Schluss: dass sich unsere ­Klöster verringern, und zu irgendwelchen ,historischen Klöstern‘ zurückgeführt werden, in Wirklichkeit dabei aber geradezu vernichtet werden, und der Ordensstand in unserer Nationalität ganz verschwindet und ausstirbt“.1298 In seinem anschließenden Plädoyer definierte er Serbien mehrfach als „Organismus“ und sprach von der „unzertrennlichen organischen Grundlage der staatlich-nationalen Ganzheit von Volk und Herrscher“. Das Mönchstum stellte er dabei als den „oberen Teil des organischen Volksgefüges und des Organismus“ dar. Die klösterlichen Besitzungen seien „genau so alt, wie auch das Volk und die serbische Nationalität“.1299 Diesen Organismus projizierte er auf die in diesem 1295 Tošić (1985), S. 142 f., S. 156 f.; vgl. Makuljević (2006), S. 286; Marjanović-Dušanić (2007), S. 505 f. 1296 Sundhaussen (2001). 1297 Davies (22010), S. 116. 1298 Milojević (1881), S. 1. 1299 Milojević (1881), S. 2.

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Rahmen entworfene Landkarte einer serbischen Nation. „Adern, Puls, Venen, Arterien“ dieses Körpers sollten „in Verbindung mit dem orthodoxen ­Körper des großen und heiligen orthodoxen Russland, des orthodoxen Griechenland, der allgemeinen Orthodoxie in Europa und Asien“ stehen.1300 Die Beschreibung orthodoxer Klöster auf der Projektionsebene des ,organischen Nationalismus‘ führte zu einer interkontinentalen Verkörperlichung der Erinnerung. Dem hiermit geographisch verankerten und als Organismus metaphorisch nationalisierten Mönchstum kam Bedeutung zu, die jene des Staates übertraf: „Dies ist ein Teil unseres organischen serbischen Volkskörpers, der noch älter ist, als der Staat selbst“ und wie er von allen „Nationalitäten der Welt“ angestrebt werde.1301 Serbien schien zu Beginn dieses Vorganges der nationalen Vervollkommnung über einmalige Startbedingungen verfügt zu haben, soll doch „das serbische Volk in diesen Gebieten, und auf diesem seinem heiligen Land“ durch die „Apostel Christi selbst“ bekehrt worden sein.1302 Nicht nur die zuvor beschriebenen Gebiete wurden hier als „heiliges Land“ des in die Antike zurückprojizierten serbischen Volkes gefasst und sakralisiert, sondern alle Länder der Balkanhalbinsel, die kurzerhand als „Serbisches Dreieck (tropolj)“ dargestellt wurde.1303 Zudem sollen die Serben „als frühere römische Sklaven, zur Zeit der Geburt des Herrn und Erlösers Jesus Christus“ nicht nur die Lehre bald vernommen haben, sondern in ihrem „Wesen“ sollte sich eine „vielleicht“ einzigartige kollektive „Sehnsucht“ nach einer „göttlich-geheimnisvollen Gerechtigkeit“ im „gemeinsamen Leben“ entwickelt haben, „die hier und in diesem Jahrhundert, auf der Erde nicht verwirklichbar“ sei.1304 Der Vorzug ,himmlischer‘ Ideale gegenüber säkularen, die bald anstehende Entscheidung für das ,himmlische Reich‘ anstatt für das 1300 „Denn das heutige Fürstentum Serbien ist nur ein Glied Serbiens, und das obige ist die Frage einer Ader, die durch den ganzen Körper Serbiens geht, und durch das Fürstentum Serbien, als eines ihrer Teile, von oberhalb Kaloče bis Saloniki und vom Blauen Meer bis zur mittleren Marica, geht; überall steht sie in Verkehrsbeziehungen mit Tausenden von Tausenden anderen, kleineren, denen andere Ziele und Aufgaben zugeteilt sind: Adern, Puls, Venen, Arterien usw., und all dies wiederum steht in Verbindung mit dem orthodoxen Körper des großen und heiligen orthodoxen Russland, des orthodoxen Griechenland, der allgemeinen Orthodoxie in Europa und Asien“. Milojević (1881), S. 4. 1301 Der Satz fährt fort: „wie der oberste Gipfel der Vollendung, zu dem der Mensch, und allgemein die Menschheit, gelangen kann, zu dem auch jedes Volk und jede Nationalität der Welt strebt, aber der leider nur vom allerkleinsten Teil von ihnen erlangt wird“. Milojević (1881), S. 4 f. 1302 „Noch zur ersten Zeit nach Christus hat das serbische Volk in diesen Gebieten, und auf diesem seinem heiligen Land, das Christentum aus den Mündern der Apostel Christi selbst und ihrer ersten Lehrer angenommen“. Milojević (1881), S. 5. 1303 „1. Denn von Anfang an haben sie in allen diesen Ländern des heute sogenannten ,Balkan‘ – oder ,Hemus‘ –, besser aber ,Serbischen Dreiecks (tropolj)‘ unter ihren unterschiedlichen lokalen, partikularen und Stammesbezeichnungen gelebt.“ Milojević (1881), S. 5. 1304 So entstand „aber gerade eben im Wesen selbst vielleicht des einzigen Volkes auf der Welt, des serbischen Volkes, eine unfassbare, rätselhafte, ununterbrochene und dauernde Sehnsucht nach einer überirdischen, erhabenen und göttlich-geheimnisvollen Gerechtigkeit (pravdi), die hier und in diesem Jahrhundert, auf der Erde nicht verwirklichbar ist, Gleichwertigkeit, Gleichheit,

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,irdische Reich‘ wurden hier – mit leicht erkennbarer impliziter Referenz auf Sava und den Fürsten Lazar – in die Zeit der Apostelgeschichte zurückdatiert. Nationale Exklusivität wurde mit pseudohistorischen Argumenten bedenkenlos mit dem Christentum verbunden und sakralisiert als Zukunftsvision gemeinschaftlichen Lebens über Zeit und ein bestimmtes Territorium ausgeweitet. Nach einer Aufzählung einer Liste von 348 Personen, die angeblich als Serben bis ins Jahr 420 heilig geworden seien, kam Milojević zum nicht weniger an den Haaren herbeigezogenen Argument, die „serbische Kirche“ sei „älter als die römische und die griechische“.1305 Der Versuch, nationales Minderwertigkeitsgefühl durch eine Umdeutung der Geschichtsschreibung über die europäische Antike auszuhebeln, verleitete zu äußerst eigenwilligen Argumentationsstrategien. Die später aufgeführte Liste von Bistümern sollte deren Bezug zu Klöstern nachweisen – was wiederum der Hauptthese des Ver­fassers entsprach: „All dies ist ein klarer Nachweis, dass die Klöster, seit es Serben gibt und unter ihnen das Christentum, ein Bestandteil und unteilbarer organischer Teil des serbischen Volkskörpers sind, seines Staates und seiner Nationalität.“ 1306 Gerade anhand von Klöstern kristallisierte sich offenbar Milojevićs Vision eines Nationsund Staatskörpers. Mit dieser exklusiv nationalen Bedeutungsaufladung diente weltlich betrachtete Klostergeschichte nicht nur indirekt, sondern ganz offen als Medium zur Legitimierung territorialer Ansprüche des jungen Königreichs gegenüber den Nachbarstaaten: Es sei anzuerkennen, dass „in Serbien, oder in jenem Teil Serbiens, der heute zum bulgarischen Fürstentum zählt, namentlich im Sandžak von Sofia und Vidin (…) außer einigen wenigen Vlachen und Bulgaren (…) reine und ausschließlich die am reinsten entwickelten Serben leben, die stärker als alle serbischen Gebiete serbische Gebräuche etc. bewahrt haben und ehren“.1307

Und: Der Autor nahm an, dass „irgendwann die Bulgaren sich besinnen und uns diese beiden Sandžak Vidin und Sofia mit all ihren Bezirken (nahijama) am besten zurückgeben werden“. Selbst das Rila-Kloster sei serbisch: „ich nenne nur zwei, drei der wichtigsten Klöster, und lasse die übrigen unerwähnt, und zwar: das Rilaer Kloster des Serben, des hl. Jovan von Rila, und die allgemeine Kirche der hl. Gottesmutter, eine Stiftung des Königs [Stefan, S. R.] Dečanski“.1308 Unter den zehn in diesem Kontext aufgelisteten Klöstern stellte Milojević an dritter Stelle zu Sofia fest:

1305 1306 1307 1308

Brüderlichkeit, die dem gleichmäßigen und gemeinsamen Leben eigen ist.“ Milojević (1881), S. 5 f. „Denn die serbische Kirche ist älter als die römische und die griechische, dies bestätigte der Papst Johann II., in einer Schrift an den serbischen König Mihail“. Milojević (1881), S. 15. Milojević (1881), S. 20. Milojević (1881), S. 52 f. Milojević (1881), S. 53.

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„3. Die Weisheit Gottes, oder die hl. Sofija, im heutigen Sofia, oder im antiken serb. Sredac, wurde türkisiert und zerstört (…). Die Stiftung ist auch das ewige Haus des serbischen Königs Milutin, dies ist auch das antike serbische Sredac, das wegen dieser Stiftung Milutins Sofia genannt wurde. In Sofia befinden sich noch heute die vollständigen Gebeine des heiligen serbischen Königs ­Stefan Uroš II. Milutin.“ 1309

Die schlichte Referenz auf eine Kirche und Gebeine sowie eine serbische Folie zur antiken Geschichte der Stadt genügten vollauf zum Anspruch auf eine gesamte Vielvölkerstadt. Auch die Meteora-Klöster, die sich „im Serbien unter den Türken, oder im Wahren (Pravoj) (alten) Serbien“ befänden,1310 seien serbischen Ursprungs. Dennoch ließ sich der Verfasser in diesem Fall aber nicht zu Gebietsansprüchen hinreißen, sondern an­erkannte, angesichts der angeblich zugezogenen „Griechen und Arnauten [Albanern, S. R.]“ seien diese Klöster „für das Serbentum endgültig verloren“.1311 Aber die dort ruhenden Gebeine „serbischer Heiliger“ seien „mit den dortigen serbischen Altertümern, wie auch dem aussterbenden serbischen Volk“ ins serbische Fürstentum zu überführen.1312 Wo sogenannte serbische Klöster selbst mit den wildesten Phantasien nicht mit einer angeblich mehrheitlich serbischen regionalen Bevölkerung in Verbindung gebracht werden konnten und kein territorialer Anspruch formuliert wurde, waren der Exodus und die Heimführung alles angeblich Serbischen in den – nicht minder fälschlich – konfessionsethnisch homogen imaginierten Nationalstaat die einzige Alternative. ­Milojević brachte hier mit dem Medium der Klostergeschichte das moderne Konzept einer freiwilligen ethnischen Säuberung in den Vorstellungshorizont der wohl vornehmlich ­serbischen Leserschaft seiner Broschüre. Neben diesen 27 Klöstern, die der Autor den Griechen und Albanern überließ, zählte er 48 weitere unter damals osmanischer Herrschaft auf, die er ohne Wenn und Aber als serbische und in einem angeblich klar konturierten serbischen Raum gelegene definierte, „im sogenannten Wahren (alten) Serbien“.1313 Zu diesen Klöstern zählte etwa auch das Prohor in Pčinja geweihte Kloster in der Umgebung von Kumanovo. Prohor wurde damals auch als bulgarischer Nationalheiliger angesehen, hier beschrieb ihn Milojević

1309 Milojević (1881), S. 54. 1310 Milojević (1881), S. 55. 1311 „Alle diese Meteora-Klöster, wie auch die beiden bei Epirus, sind aber für das Serbentum endgültig verloren, denn die serbische Nationalität ist dort überwiegend erloschen, und erlischt noch heute, in der Umgebung, ganz und stirbt aus, übergossen von Griechen und Arnauten [Albanern, S. R.].“ Milojević (1881), S. 56. 1312 „Wenigstens müsste man die Reliquien serbischer Heiliger, die sich dort befinden, wie: des hl. Stefan Vladimir, des hl. Sipiša Varlama, des hl. Stefan Joasaf, der hl. Angelina etc. mit den dortigen serbischen Altertümern, wie auch dem aussterbenden serbischen Volk, überführen und hierhin ins Fürstentum Serbien übersiedeln.“ Milojević (1881), S. 56. 1313 „Dies sind ferner Klöster im noch vollständigen Serbien unter den Türken, im sogenannten Wahren (alten) Serbien, wo der Glaube und die Nationalität serbisch sind, und diese die Übermacht über alle anderen Glauben und Nationalitäten zusammen genommen bewahrt haben.“ Milojević (1881), S. 57.

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ohne Umschweife als „heiligen Serben“.1314 Gleiches gilt für den hl. Gavriil Lesnovski bzw. das Kloster in Lesnovo sowie das Kloster im Gebirge von Osogovo, das dem „­serbischen hl. Aćim [Ioakim, S. R.] von Osogovo“ geweiht war 1315 – diese Heiligen zählten im bulgarischen Diskurs fraglos zu den bulgarischen Heiligen. Vor dem Hinter­ grund des entsprechenden Exkurses zur Verehrung dieser Heiligen im Spätmittelalter sowie in der frühen Neuzeit werden beide Bedeutungszuschreibungen irrelevant. Der Verfasser legte sodann seine Absicht dar, mit seiner Broschüre gezielt Dis­ kussionen im serbischen Parlament über die Säkularisation von Klosterbesitzungen zu beeinflussen. Milojević hielt die dort besprochenen Maßnahmen für „dumm und unrealisierbar, und für unglücklich uns unseren Glauben und unsere Nationalität vernichtend – unsere Existenz als serbisches Volk auf der Erde“.1316 Seine Beschwörung des Mönchstums als Kernelement des Serbentums war somit innenpolitisch bedingt. Auch die beispielhaft durchexerzierte Möglichkeit, die Klöster für Gebietsansprüche gegenüber Nachbarstaaten zu instrumentalisieren, mag dieser innenpolitischen Begründung zu verdanken sein. Letztlich ging es dem Verfasser in erster Linie um die serbische Identität, wenn er über den Glauben schrieb: „Unser orthodoxer Glaube“ sei „mit unserer serbischen Natio­nalität“ so „vereint“ wie Seele und Körper.1317 Stärker als andere Historiker betonte er damit einen organischen Nationalismus, der sowohl in der Vorstellung von „Nationalität“ wie in dessen Verquickung mit Konfession begründet war. Neben der Deutung von Klöstern als Denkmäler der modernen Vorstellung einheitlicher serbischer Kultur zur Markierung expansiver Entwürfe der Nation durch Texte entwickelte sich gleichzeitig ihre bildliche Reproduktion. Etwa die Belgrader Zeitschriften „Iskra“ und „Nova Iskra“ bildeten 1898 – 1900 zahlreiche Darstellungen weltlicher Baudenkmäler, aber eben auch von Klöstern außerhalb, meist südlich und östlich der gültigen Grenzen Serbiens ab.1318 Während ausgehend von einzelnen Klöstern und anknüpfend an die Entwürfe weltlicher Historiker schon zur Mitte des 19. Jh. auch Geistliche nationale Visionen entwarfen, finden sich erst spät übergreifende Entwürfe aus der Hand eines Kirchenfürsten: Sava, der Bischof von Žiča, gratulierte der Heilig-Sava-Gesellschaft zum fünften Jahr ihres Bestehens 1891, indem er die territoriale Expansion andachte: Der hl. Sava habe „die evangelische Lehre in allen Teilen unserer weiten Heimat verbreitet und die rettende Sonne der Wahrheit hat das ganze serbische Volk vom Meer zum Meer, und bis zu den Füßen der Karpathen bestrahlt“.1319 1902 verfasste derselbe Bischof eine Schrift 1314 1315 1316 1317

Milojević (1881), S. 57. Milojević (1881), S. 57 f. Milojević (1881), S. 116 f. „Wenn ich vom Glauben spreche, dann deshalb, weil unser orthodoxe Glaube mit unserer serbischen Nationalität verflossen ist und sich so vereint hat, dass das eine ohne das andere undenkbar ist, und das eine ohne das andere, in seiner ganzen Gesamtheit, gänzlich und keineswegs bestehen kann, wie die Seele ohne Körper, und dieser ohne Seele.“ Milojević (1881), S. 117. 1318 Makuljević (2006), S. 146 – 148. 1319 Društvo Sveti Sava. Dokumenti (1886 – 1891), Nr. 146, S. 256 f.

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zur Unterstützung der Restaurierung des Klosters Dečani, in dem er zunächst allgemein das bisher anhaltende Leiden der „großartigen, nationalen, kulturellen, unbesiegbaren Festungen und nationalen Heiligtümer“ beklagte.1320 Sava beschwor eine Vision eines Landes, das „in direkter freier Verbindung mit allen Gebieten“ stehen sollte, „wo sich auch heute serbische Stiftungen, serbisches Volk, Heiligtümer, Sprache und Volks­ gebräuche befinden“. Dieses Land könnte „eine so wichtige Stellung in der Menschheit“ einnehmen, wie kein anderes „auf der ganzen Welt“.1321 Die Existenz „serbischer Stiftungen“ nicht weniger als die Existenz von serbischen Bevölkerungsteilen wurde hier aufs Engste mit dem Projekt der nationalen Vereinigung im Nationalstaat verbunden. Die Frage, ob sich an solchen Orten Gotteshäuser anderer Konfession oder Bevöl­ kerungsteile anderer Religion befanden, wurde nicht thematisiert. Der Bischof schrieb damit den Klöstern ein weit über die traditionelle religiöse Funktion hinausreichendes Rollenspektrum zu; kollektiv wurden sie übergreifend als „allererlösendste Institutionen“ oder „lebensspendende Kraft“ in jeder Hinsicht bezeichnet. Diese Einschätzung war nun nicht allein auf die Vergangenheit bezogen, sondern sollte ganz konkret den „außerhalb des Königreichs Serbien“ verbliebenen Kompatrioten Trost und Mut zusprechen. Der Kirchenfürst versuchte, sich mithilfe der Imagination einer homogenen serbischen religiösen Landschaft vor dem Hintergrund einer postkolonialen Deutung der osmanischen Zeit als „Sklaverei“ zum Wortführer der Rede über territoriale Expansionswünsche zu machen.1322 Die Religion sollte maximal nationalisiert werden: In der konfessionellen Polemik gegen sogenannte Nazarener schrieb das Organ der SOK 1895 ausdrücklich vom „serbischen Gott“, der im Gegensatz zu Satan die „serbische

1320 Dečanac (1902), S. 3. 1321 Dečanac (1902), S. 4 f. 1322 „Die serbischen Klöster sind die Stiftungen unserer Vorväter; die serbischen Klöster sind der erste Beginn des großen Wirkens in unserem Staat, der Beginn auch dieser ersten Begründer des serbischen Staates und der ersten großen heiligen Volksdynastie (narodne dinastije); die Klöster haben seit ihrer Errichtung in aller Hinsicht nicht nur eine besondere Bedeutung im Volksleben und in der nationalen Entwicklung eingenommen, sowohl in geistiger, physischer und materieller, als auch in moralischer und aufklärerischer Hinsicht –, sondern sie waren auch durch ihre günstige Lage, in der Freude und in der Not, (…) über Jahrhunderte hinweg unablässig in stärkster Verbindung mit dem Schicksal des serbischen Volks in allen Teilen der serbischen Länder geblieben; denn sie sind wahre nationale Einrichtungen (narodna ustanova) und die allererlösendsten Anstalten (najspasonosniji zavodi) für alle nationalen Fälle (slučajeve) und Erfordernisse; das heißt, sie waren für den Bestand und glänzenden Erfolg unseres Volkes von solchem Nutzen und Notwendigkeit, dass ihre Bedeutung in den Jahrhunderten wirklich wertvoll ist, und auch in der weiteren Zukunft nicht anders geschätzt wird denn als gesegnete lebenspendende Kraft, die in den glücklichen Tagen der serbischen Geschichte ein sichtbarer Ausdruck der Macht und des nationalen (narodne) Ruhms war, in den Tagen der Sklaverei aber war diese Kraft dem Volk alles: Lehrer und Tröster, was am meisten unsere Volksgenossen ­(sunarodnici) außerhalb des Königreichs Serbien schätzen können, denen noch heute die Klöster alles sind.“ Dečanac (1902), S. 5 f.

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Rasse“ nicht gefährdete.1323 Eine solche rhetorische Zuspitzung stand ganz im europäischen Zusammenhang, wie die frühere Rede vom „teutschen Gott“ bezeugt und wie jene vom „Gott Bulgarien“ und vom „makedonischen Gott“ zeigen sollte. Wie für alle besprochenen Erinnerungsfiguren ist mit den Balkankriegen auch für Klosterlandschaften und explizit räumliche Imaginationen eines sakralisierten Serbien eine Zuspitzung des Diskurses festzustellen: Nach der territorialen Ausweitung Serbiens im zweiten Balkankrieg galt es, den neuen Besitz als historisch zu legitimieren und das Gebiet in den serbischen Erinnerungshaushalt einzuschreiben. Im ersten Heftlein der in Belgrad erscheinenden Reihe „Bibliothek der slavischen Schule – serbische Denkmäler im Neuen Serbien“ veröffentlichte Dr. Čed. Marjanović 1914, Lehrer am Gymnasium in Skopje, mit dem Untertitel „Reisenotizen“ einen Bericht über das Marko-Kloster. Die „slavische Schule“, so ist in der Broschüre zu erfahren, wurde 1911 in Belgrad eingerichtet, um „das serbische Publikum mit den slavischen Sprachen und der serbischen sowie der slavischen Kultur bekannt zu machen“. 1913 sei per Beschluss des Bildungsministers aber auch die Gründung einer „Slavischen Schule in Skoplje“ gutgeheißen worden: „Die slavische Schule in Skoplje arbeitet neben den oben genannten Zielen in der ersten Arbeitszeit besonders an der Bekanntmachung der Einheimischen mit der serbischen Literatursprache, mit der Literatur und der serbischen Kultur.“ 1324 Die Reihe „Serbische Denkmäler“ war aber in erster Linie für die Belgrader Leserschaft bestimmt: „Mit dem Ziel sodann, das serbische Publikum mit den serbischen Denkmälern im Neuen Serbien bekannt zu machen,“ werde die „Slavische Bibliothek“ herausgegeben.1325 Der Lehrer begann, ganz der publizistischen Ausrichtung der Reihe entsprechend, mit einer Klage: „Sowohl die kirchlichen wie auch die weltlichen Beamten haben sich wenig darum gekümmert, dass unsere, die serbische Welt, von unseren vielen wichtigsten Denkmälern erfährt, von denen Altserbien und Makedonien so übervoll sind.“ 1326 Die bisherigen Publikationen etwa der „Heilig-Sava-Gesellschaft“ und wissenschaftliche Aufsätze hätten nur einen kleinen Kreis von Lesern erreicht. Der enge Rahmen wissenschaftlicher Zeitschriften sollte aber nun überwunden werden. Mit dem Anlass zu dieser publizistischen Ausweitung hielt Marjanović nicht hinter dem Berg: „Es soll kein Wunder sein, dass bei uns mit einem Mal begonnen wurde, viel über unsere Stiftungen zu sprechen, als die Frage über die Teilung des Territoriums zwischen uns und den Bulgaren auftauchte. Man begann namentlich über jene Stiftungen zu sprechen, in denen die Exarchisten alle serbischen Inschriften vernichtet haben.“ 1327

Das Marko-Kloster wurde für diese Gruppe stellvertretend hervorgehoben. Tatsächlich handelte die Broschüre kaum von der Klostergeschichte als vielmehr von ihrer

1323 1324 1325 1326 1327

Vesnik Srpske Crkve, 1895/3, S. 301, zit. gemäß Aleksov (2006), S. 173. Marjanović (1914a), S. 2. Marjanović (1914a), S. 2. Marjanović (1914a), S. 3. Marjanović (1914a), S. 3.

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nationalen Bedeutungsaufladung im Wettstreit mit bulgarischen Autoren: Der Text war gekennzeichnet von einer propagandistischen Aufladung und richtete sich mit Empörung gegen bulgarische Geistliche des Exarchats, aber auch mit stereotyper Überzeichnung und pseudowissenschaftlicher psychologischer Verallgemeinerung gegen „die Bulgaren“ insgesamt. Erst gegen Ende ließ der Autor von einer polarisierten Darstellung ab, die nur Türken, Albaner, Serben und serbische Muslime, aber keine Bulgaren unter der lokalen Bevölkerung zuließ, und gab zu erkennen, dass nicht nur die orthodoxen Slaven in den westlichen Teilen Makedoniens, sondern auch jene in der Gegend des Klosters in ihrer nationalen Orientierung bis in die jüngste Vergangenheit durchaus unsicher gewesen waren: „Auch das Marko-Kloster und seine Umgebung, es liegt in der Nähe Skopjes, musste sich erklären, denn dies wäre sonst eine wichtige Angelegenheit in der Zukunft der Frage selbst gewesen, und deshalb musste Vater Makarije, der Hüter der Lavra des Kraljević Marko, das Volk versammeln und eine Rede halten, in der er die umliegenden Dörfer aufrief, auf die serbische Seite zu gehen. Seine Ansprache ging ans Herz, und das Marko-Kloster war mit der Umgebung unter jenen, die als erste zu den Serben übergingen.“ 1328

Noch im gleichen Jahr veröffentlichte Marjanović die zweite Broschüre derselben Reihe und unterrichtete das Belgrader Publikum über das Kloster des hl. Jovan Bigorski bei Debra. Allerdings wählte er nun eine literarische Erzählung als Gattung, das Ziel der Reise ins Kloster sollte eine Wunderheilung sein.1329 Das serbische Nationalmuseum in Belgrad, aber auch andere Sammlungen und zahlreiche Kirchen wurden mit bildlichen Darstellungen der nationalen religiösen Erinnerungsfiguren ausgestattet zu Medien der Verbreitung der neuen Geschichtsbilder und stellten in sich und in der Vernetzung einen nationalen Erinnerungsraum her.1330 Die religiöse Aufladung nationaler räumlicher Entwürfe setzte im serbischen Diskurs schon im ersten Viertel des 19. Jh. ein. Schon zu Beginn der 1860er-Jahre kann beobachtet werden, wie ein Politiker im Kontext des Kosovomythos Gott nationalisierte sowie die sakralisierte Auferstehung der Nation beschrieb. Zwei Jahrzehnte später entwarf ein anderer Historiker und Politiker mit dem Verweis auf das Mönchstum einen organischen Nations- und Staatskörper und verkündete ein „heiliges Land“. Bischof Sava von Žiča übernahm 1891 solche Vorstellungen und sakralisierte die nationale Rolle der Klöster im Zusammenhang mit der Aufforderung zur territorialen Expansion als „allererlösendste Einrichtungen“. Im Rahmen der Balkankriege erlangte dieses Legitimationsmuster im 20. Jh. militärische Bedeutung, um analoge bulgarische Ansprüche abzuwehren.

1328 Marjanović (1914a), S. 21. 1329 Marjanović (1914b). 1330 Makuljević (2006), S. 267 – 274.

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C 8.2  ,Gott und Bulgarien‘ – die Vergöttlichung der Nation im Krieg

In den modernen, national aufgeladenen bulgarischen Diskursen über Klöster war, wie geschildert, die Beschreibung des Klosters in Rila lange richtungweisend. Erst spät finden sich in der Rede über Klöster übergreifende Entwürfe, die zur Einforderung einer staatlichen Expansion territorial angelegt waren. Nicht von ungefähr entstanden erste Beispiele hierfür im Wettstreit um das osmanische Makedonien: Die serbisch-bulgarische Auseinandersetzung um die von beiden Seiten beanspruchten multiethnischen makedonischen Gebiete wurde nicht zuletzt im historiographischen Diskurs ausgetragen. Aus makedonisch-bulgarischer Sicht nahmen dabei religiöse Erinnerungsfiguren eine zentrale Rolle ein: Christo Matov, von 1903 an ein „führender Kopf des rechten Flügels“ 1331 der VMRO, begann 1897 eine wissenschaftlich-historisch gehaltene polemische Schrift der Sofioter Gesellschaft „Heiliger Kliment“ gegen „serbische Ansprüche im westlichen Bulgarien“, indem er die bulgarische Qualität der Region in den Raum stellte und auch auf religiöse Erinnerungsfiguren verwies: „Ohne das Werk Kyrills und Methods hätten wir weder Simeon den Großen gehabt, noch den Aufklärer Kliment von Ohrid, noch das damalige goldene Zeitalter der bulgarischen Literatur; ohne das Werk eines Paisij, Gott weiß, wie lange wir noch im Halbschlaf schlummern würden. Kurz, dies ist es, was wir Makedonien verdanken.“ 1332

Nicht nur dienten damit als Bulgaren identifizierte Heilige zur Inszenierung eines Nachweises der bulgarischen Qualität Makedoniens: Makedonien sollte das Erwachen Bulgariens im Mittelalter genauso wie im 19. Jh. zu verdanken sein. Erst am Ende seiner Broschüre verließ er die Ebene der politischen Geschichte wieder und argumentierte mithilfe von Heiligen: „Es sei mir erlaubt, dass ich mich schließlich dem vernünftigen Serben zuwende, um daran zu erinnern, dass die Bevölkerung, welche der bulgarischen Geschichte Kyrill und Method, Kliment, Naum gegeben hat, und die anderen Mitglieder der Siebenzahl (sedmočislennici), Ivan von Rila, die Hauptstadt Ohrid, das Ohrider Patriarchat, den ersten Funken der Wiedergeburt des bulgarischen Volkes (…) – dass die Bevölkerung, möchte ich sagen, die all dies zur bulgarischen Geschichte beigetragen hat, der Eckstein des Bulgarentums (bălgarštinata) war und bleiben wird.“ 1333

Die massierte Lokalisierung nationaler religiöser Erinnerungsfiguren in einem sehr weit gefassten makedonischen geographischen Raum ließ die Randregion hier zum Herzstück einer nationalen bulgarischen ,mental map‘ werden. Die Zurechnung Ivans von Rila zum makedonischen Erbe war dabei großzügig, wird und wurde doch das Rilaer Gebiet in bulgarischen Texten nicht immer zur Landschaft Makedonien gerechnet.

1331 De Jong (1982), S. 399; Pandev (2000), S. 75 passim. 1332 [Matov] (1897b), S. 3. 1333 [Matov] (1897b), S. 16. Vgl. die Fortsetzung: [Matov] (1897a).

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Der bereits zitierte Lehrer am Slivener Mädchengymnasium Chr. V. Dimitrov bettete anlässlich der Feiern 1907 zum tausendsten Todestag des Zaren Boris das Gedenken an ihn in einen allgemeinen Kontext einer religiösen Erinnerungslandschaft ein: „Wir sind gekommen, um Euch zu sagen, dass wir die Verdienste der Kirchen, der Zellen und der Klöster hoch schätzen, die, gelegen in den grünen Falten der schönen bulgarischen Gebirge, nach dem türkischen Eindringen in Bulgarien als gastfreundliches väterliches Heim gedient haben, als behütende Mutter der nationalen Akteure (narodnitě děici), des Glaubens und unserer Sprache.“ Kirchen und Klöster wurden hier zum Hort, zur Zuflucht der „nationalen Akteure“, die sich ihnen anvertrauten. Sie ermöglichten als „Festungen der bulgarischen Nationalität“ die Aufzucht der „nationalen Wieder­geburt“ und die Rettung aus der „Sklaverei“.1334 An sich Stätten der religiösen Sakralität, wurden sie so zu „nationalen Heiligtümern“ – die Sakralität der Nation gab ihnen eine gänzlich neue Bedeutung in einem „nationalen Kampf“ der „nationalen Selbstverteidigung gegen griechische und türkische Feinde“.1335 Die nationale Sakralität, die hier ­beschworen wurde, machte die Klöster und Kirchen zu politischen Erinnerungsorten, die nicht im Einzelnen, sondern insgesamt angerufen und imaginiert wurden – gelegen in den „­grünen Faltern der bulgarischen Gebirge“. In ihrer argumentativen und kontextuellen Nähe wurden die nationalen „Kämpfer“ zu politischen „Märtyrern“ stilisiert. Mit Elementen des reli­giösen Diskurses wurden sie hier als lehrreiches Vorbild für die versammelte Hörerschaft zu Heiligen einer sakralisierten Nation umgedeutet.1336 Eine anonyme Broschüre mit dem Titel „Unsere Klöster“, die 1909 im Plovdiver Verlag „Makedonija“ erschien, schrieb von den Mönchen „nach dem Zusammenbruch“

1334 „Die Klöster waren Nester, wo sie sich schützten, wo sie großgefüttert wurden (otchranicha), und in Freiheit die Adlergedanken wachsen ließen, die die Morgendämmerung unserer geistigen und politischen Wiedergeburt verkündeten. Wir anerkennen, dass die Kirchen, Zellen, Schulen und Klöster die Festungen der bulgarischen Nationalität (narodnosť) waren, dass sie wie ein Schiff dienten, in das sich die Sprache und die Nationalität vor den schrecklichen Wellen des Meeres der Sklaverei retteten. Dieses Schiff bringt die nationalen Ideale ans rettende Ufer, es findet den Hafen unserer geistigen und politischen Freiheit.“ Tărzžestvena ovacija prěd Sv. Slivenska Mitropolija…, S. 9. 1335 „Die Kirchen und die Schulen waren die Festungen unserer nationalen Heiligtümer (nacionalni svetini); dort haben sich die Kämpfer vorbereitet, welche die Sprache und die Nationalität (narodnosťta) wie ihre Augäpfel hüteten. Die Kirchen und Schulen sind zwei Etappen unseres nationalen (nacionalnoto) Selbstbewusstseins während schrecklicher Zeiten der heldenhaften nationalen (narodna) Selbstverteidigung gegen griechische und türkische Feinde. In den Schulen und Kirchen ermutigten sie das Volk im ungleichen nationalen (nationalna) Kampf; dort schöpfte der Knecht neue Kraft für die unmenschliche Last und lichte Hoffnungen für die freie, helle Zukunft; hier traten die Märtyrer unserer politischen und geistigen Freiheit in die Fußstapfen Levskis (…) und starben mit Freude am Galgen, den Namen Bulgarien flüsternd.“ Tăržestvena ovacija prěd Sv. Slivenska Mitropolija…, S. 10. 1336 Tăržestvena ovacija prěd Sv. Slivenska Mitropolija…, S. 10.

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des zweiten bulgarischen Reiches als „einzige Pastoren und Führer des Volks“ und imaginierte dabei alle Klöster der Region als eine Einheit und als Vertreter der Nation.1337 Als maximale logische Fortführung der Überlagerung nationaler und christlicher Rhetorik bot sich die unmittelbare Vergöttlichung der Nation an: Der Sohn eines der Anführer der Liberalen Partei, Absolvent des Kyrill-und-Method-Gymnasiums in ­Plovdiv und Schriftsteller Penčo Slavejkov schrieb im fünften, 1911 veröffentlichten Gesang seines „Blutigen Liedes“: „Gott und Bulgarien – eine Einheit / in doppeltem Leib (v dvojna plăť) / Gott und Bulgarien rufen uns / zum Eid / Und diesen Eid geben wir / vor dem Kreuz / Für ihn leben wir, für ihn / sterben wir“.1338 Mit dieser Vorstellung setzte Slavejkov Gott und seine Nation gleich und dachte sie nationaltheologisch als Einheit. Die Rede vom „doppelten Leib“ oder der „Einheit in zweifachem Fleisch“ lehnte sich dabei an die zweifache Natur Christi an. Die politisch-theologische Gleichsetzung von Gott und Nation konnte im Kontext dieser diskursiven Logik im eskalierenden Rahmen der Balkankriege theoretisch auch als Anrufung eines „bulgarischen Gottes“ gedacht werden. Diese Denkmöglichkeit fand nur wenig später ihre Umsetzung: Der als einer der „Volkserwecker“ verehrte Ivan Vazov verfasste 1913 das Gedicht: „Der bulgarische Gott“: „Bewegte Tage, Große Tage! Ich weiß nicht, / ob solche ein anderes Volk erfahren hat. / Triumphe, Ruhm! – Aber an unserem Herz / nagt eine Schlange, sie lässt Gift in dieses fließen. (…) // Aber lebendig ist der bulgarische Gott. Dieser hat uns / in den dunkelsten Jahrhunderten behütet; er hütete uns / bei Šipka, Slivnica, Ljuleburgas – / und heute wacht er über unserem Schicksal. // Auch heute wacht er über uns, der unsichtbare Volkswächter / (straž Naroden), und er wird uns nicht verlassen, / Oh, lebendig ist der bulgarische Gott, unser großer / Gott, und er wirkt für uns Wunder. // Denn die Gerechtigkeit ist mit unserem Schwert, und wir haben hier eine große Berufung, / und eine ruhmreiche Rolle in der ewigen Geschichte / zeichnet uns das ausschauende Schicksal. // Und wieder werden wir es meistern! Und noch höher / wird unser freier Flug / den Kräften der Hölle trotzen! / Oh, lebendig, lebendig ist der bulgarische Gott!“ 1339

Eine höhere Stufe der kriegstheologischen Sakralisierung der Nation war im Rahmen der eingebundenen Diskurse undenkbar. Erst in den späten 1930er-Jahren und im Zweiten Weltkrieg sollten diese Zeilen in der bulgarischen Publizistik häufiger zitiert werden. Die Apotheose der Nation war für den modernen Nationalismus jedoch charakteristisch: Ernst Moritz Arndt hatte in seinem vielfach herausgegebenen Gedicht „Teutscher Trost“ schon 1813 einen „teutschen Gott“ entworfen.1340 1895 schrieb auch das Organ der SOK von einem „serbischen Gott“:1341 Die bulgarische nationaltheologische Zuspitzung entstand im Zusammenhang mit diesem europäischen und regionalen diskursiven Wettstreits.

1337 1338 1339 1340 1341

Našite Monastiri někoga i sega, S. 3. Slavejkov (1911), Bd. 2, S. 45. Ivan Vazov. Săbrani săčinenija v 22 toma, Bd. 4, Lirika 1913 – 1921, S. 95 f. Arndt (1813), S. 114 f.; Hammer (1971), S. 104 f.; Hasselhorn (2012), S. 148. Vesnik Srpske Crkve, 1895/3, S. 301, zit. gemäß Aleksov (2006), S. 173.

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Die Erfindung der Nationen

Der Historiker Jordan Ivanov, damals Lektor an der Kliment-Universität Sofia, hielt 1906 in den einleitenden Sätzen seines Werks über seine Heimatregion „Nordmakedonien“ fest, geographisch, historisch und ethnographisch „ist die heutige türkisch-bulgarische Grenze in jeder Hinsicht künstlich“. 1342 Mit einem Vorwort datiert vom 9. September 1915 veröffentlichte er sodann eine umfangreiche Sammlung von „Entdeckungen und Dokumenten“ über „Die Bulgaren in Makedonien“. Dort erklärte er die Absicht, angesichts von Ansprüchen auf Makedonien, die serbische Akademiker und die griechische Presse erhoben hatten, den bulgarischen Charakter der Bevölkerung der Region zu bezeugen. Namentlich wandte er sich etwa gegen K. N. Kostić, der behauptet haben sollte, „dass das bulgarische Patriarchat von Ohrid ,ein serbisches Patriarchat‘ war“.1343 Außerdem betonte er das „nationale (nationalno) Gefühl“, das am Hof Samuils geherrscht haben und das, so hoffte er, weiterhin „das bulgarische Geschlecht (rod)“ festigen sollte. Zudem hob er hervor, die damaligen Klöster um den Ohrider See „wurden als heiliges Land des bulgarischen Vaterlandes bezeichnet“.1344 Bereits 1908 hatte Ivanov eine grund­ legende Sammlung von „Bulgarischen Altertümern aus Makedonien“ vorgelegt, die die Geschichte der „bulgarischen Bevölkerung Make­doniens“ dokumentieren sollten.1345 Seine Publikationen im Staatsverlag waren letztlich Teil einer geschichtspolitischen Legitimation der Eroberung Vardar-Makedoniens durch bulgarische Truppen, die zum 1. November 1915 erfolgte. Auch nach diesem Datum wurden die akademischen Offensiven fortgesetzt: 1916 sprach der Kirchenhistoriker Ivan Sněgarov in seiner Ansprache zum Gedenktag Kliments in Skopje: „Schon der Zar Boris, der Schöpfer (săzdateľt) der bulgarischen Nationalität (narodnosť), ließ sich von Makedonien fesseln, das auch in der Neuzeit Generation nach Generation in seinem Zauber gefangen hielt – die Liebe zu ihm hat sich zu einem Kult des ganzen bulgarischen Volkes erhoben, zu einem Kult, für dessen Heiligkeit sich zahllose teure Opfer hingaben und sich noch hingeben werden. Diese Tatsache (fakt) überzeugt uns, dass die Liebe des bulgarischen Volkes zu Makedonien nicht zufällig ist, sondern ein wertvolles historisches Erbe von unseren ruhmreichsten alten Zaren.“ 1346

Sněgarov beschrieb hier eine „Liebe“ zu Makedonien, die sich durch Boris zu einem „Kult“ entwickelt habe, „dessen Heiligkeit“ „zahllose Opfer“ forderte. Makedonien wurde – im Zusammenhang mit der Referenz auf die hll. Boris und Kliment – zur bulgarischen nationalen ,Herzensangelegenheit‘ wie auch zu einer heiligen Sache erhoben. Neben der vereinzelten, aber aus prominenter Feder stammenden bedenkenlosen Vergöttlichung der Nation in der Rede über Makedonien wurde aber auch etwa die Bedeutung Rilas für einen bulgarischen Raumentwurf fortgeführt: Jordan Ivanov hielt 1917 fest:

1342 1343 1344 1345 1346

Jordanov (1906), S. IV. Bălgaretě v Makedonija, S. IV. Ohne entsprechenden Quellenverweis: Bălgaretě v Makedonija, S. LXXX. Bălgarski starini iz Makedonija, S. III. Sněgarov (1917), S. 4.

Zwischenbilanz

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„Es gibt drei Klöster, die den tiefsten Einfluss auf die religiöse und die nationale Lebensweise (vurchu verskija i nacionalen bit) des bulgarischen Volkes ausgeübt haben: Das Chilendar-, das Zograf- und das Rila-Kloster. Die stärkste Wirkung der ersteren umfasst das 18. und 19. Jh., das Zograf wetteifert mit dem Rila-Kloster um die lange Dauer des Einflusses, aber das letztere übertrifft das andere an der unmittelbaren Einwirkung auf das geistige und national-aufklärerische (nacionalno-prosvetni) Schicksal der Bulgaren.“ 1347

Für den bulgarischen Zusammenhang finden sich erst spät in der Rede über Klöster übergreifende Entwürfe, die zur Einforderung einer staatlichen Expansion territorial angelegt waren. Sie entstanden zu Ende des 19. Jh. im zwischen Bulgarien, Serbien und Griechenland ausgefochtenen Wettstreit um das noch osmanische Makedonien. Die Konzentrierung nationaler religiöser Erinnerungsfiguren in dem national umgedeuteten makedonischen Raum ließ die Region zum Kern einer nationalen bulgarischen ,mental map‘ werden. Die wichtigsten christlichen Kultorte der Gegend wurden zu Heiligtümern der Nation umgedeutet. Die Gleichsetzung von Gott und Nation in Fortführung dieser diskursiven Logik führte im Kontext der Balkankriege zum Entwurf eines „bulgarischen Gottes“ durch Schriftsteller, die sich mit solchen Texten als Apostel oder Propheten an die Spitze der imaginierten Nation stellten. Die Sakralisierung der Nation erreichte damit frühe diskursive Kulminationen, war aber noch lange kein Allgemeingut. C 9  Zwischenbilanz

Im ,langen 19. Jh.‘ wurden auch die europäischen Gebiete des osmanischen Staates von westeuropäischen Diskursen über Nationen, ihre Vergangenheit und Zukunft zunehmend beeinflusst. Serbische wie bulgarische Wortführer begannen, ihre Geschichte und Handlungshorizonte im gesamteuropäischen Zusammenhang neu zu entwerfen: Über die postbyzantinische, osmanische multiple Kontaktzone legte sich nach der schon im 18. Jh. etwa in Moschopolis spürbaren medialen Revolution im 19. Jh. verzögert, aber doch immer stärker ein neuer, europäischer Diskurs über moderne Nationen. Religiöse Erinnerungsfiguren spielten in der Aneignung und Adaption dieser neuen rhetorischen Rahmenfiguren eine entscheidende Rolle. An dieser Stelle folgt eine an den Erinnerungsfiguren ausgerichtete Kurzzusammenfassung. Eine längere Bilanz und eine systematische Darstellung der Ergebnisse zum 19. Jh. sind im Schlussteil zu finden. Sava wurde erst unter habsburgischer Herrschaft durch gezielte Geschichtspolitik zum Nationalpatron erhoben. Aber auch die neuen Fürsten sollten in die Tradition der heiligen Nemanjiden gestellt werden. Die Führung des Fürstentums unter osmanischer Oberherrschaft machte ihn nach habsburgischem Vorbild zum weltlichen Landes- und Schulheiligen. Von der Mitte des 19. Jh. an diente er zunehmend zur Ausgestaltung der Zielutopie einer modernen, eher säkularen als sakralisierten homogenen Nation. Die 1886 ins Leben gerufene Sava-Assoziation wurde in kurzer Zeit zum größten serbischen

1347 Ivanov (1917), S. 93.

Zwischenbilanz

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„Es gibt drei Klöster, die den tiefsten Einfluss auf die religiöse und die nationale Lebensweise (vurchu verskija i nacionalen bit) des bulgarischen Volkes ausgeübt haben: Das Chilendar-, das Zograf- und das Rila-Kloster. Die stärkste Wirkung der ersteren umfasst das 18. und 19. Jh., das Zograf wetteifert mit dem Rila-Kloster um die lange Dauer des Einflusses, aber das letztere übertrifft das andere an der unmittelbaren Einwirkung auf das geistige und national-aufklärerische (nacionalno-prosvetni) Schicksal der Bulgaren.“ 1347

Für den bulgarischen Zusammenhang finden sich erst spät in der Rede über Klöster übergreifende Entwürfe, die zur Einforderung einer staatlichen Expansion territorial angelegt waren. Sie entstanden zu Ende des 19. Jh. im zwischen Bulgarien, Serbien und Griechenland ausgefochtenen Wettstreit um das noch osmanische Makedonien. Die Konzentrierung nationaler religiöser Erinnerungsfiguren in dem national umgedeuteten makedonischen Raum ließ die Region zum Kern einer nationalen bulgarischen ,mental map‘ werden. Die wichtigsten christlichen Kultorte der Gegend wurden zu Heiligtümern der Nation umgedeutet. Die Gleichsetzung von Gott und Nation in Fortführung dieser diskursiven Logik führte im Kontext der Balkankriege zum Entwurf eines „bulgarischen Gottes“ durch Schriftsteller, die sich mit solchen Texten als Apostel oder Propheten an die Spitze der imaginierten Nation stellten. Die Sakralisierung der Nation erreichte damit frühe diskursive Kulminationen, war aber noch lange kein Allgemeingut. C 9  Zwischenbilanz

Im ,langen 19. Jh.‘ wurden auch die europäischen Gebiete des osmanischen Staates von westeuropäischen Diskursen über Nationen, ihre Vergangenheit und Zukunft zunehmend beeinflusst. Serbische wie bulgarische Wortführer begannen, ihre Geschichte und Handlungshorizonte im gesamteuropäischen Zusammenhang neu zu entwerfen: Über die postbyzantinische, osmanische multiple Kontaktzone legte sich nach der schon im 18. Jh. etwa in Moschopolis spürbaren medialen Revolution im 19. Jh. verzögert, aber doch immer stärker ein neuer, europäischer Diskurs über moderne Nationen. Religiöse Erinnerungsfiguren spielten in der Aneignung und Adaption dieser neuen rhetorischen Rahmenfiguren eine entscheidende Rolle. An dieser Stelle folgt eine an den Erinnerungsfiguren ausgerichtete Kurzzusammenfassung. Eine längere Bilanz und eine systematische Darstellung der Ergebnisse zum 19. Jh. sind im Schlussteil zu finden. Sava wurde erst unter habsburgischer Herrschaft durch gezielte Geschichtspolitik zum Nationalpatron erhoben. Aber auch die neuen Fürsten sollten in die Tradition der heiligen Nemanjiden gestellt werden. Die Führung des Fürstentums unter osmanischer Oberherrschaft machte ihn nach habsburgischem Vorbild zum weltlichen Landes- und Schulheiligen. Von der Mitte des 19. Jh. an diente er zunehmend zur Ausgestaltung der Zielutopie einer modernen, eher säkularen als sakralisierten homogenen Nation. Die 1886 ins Leben gerufene Sava-Assoziation wurde in kurzer Zeit zum größten serbischen

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Die Erfindung der Nationen

Verein. Auch mit ihrer Hilfe festigte sich in der entstehenden, Staatsgrenzen überschreitenden Zeitungsöffentlichkeit eine religiöse wie nationale Publizistik. Erst ab 1894 forcierte auch die Führung der als Staatskirche privilegierten Kirche selbst die Förderung Savas als Schulheiligen sowie als Medium zur Sakralisierung der Nation. Der Verweis auf Sava diente zur Propagierung eines modernen, von weltlichen wie kirchlichen Akteuren entworfenen religiösen Nationalismus und Militarismus nach mittel- und westeuropäischem Vorbild. In den weiterhin osmanischen Gebieten, etwa im Kosovo, wurde der Tag des hl. Sava erst ab 1864 begangen, im makedonischen Tetovo von 1893 an. Die Mitglieder der Sava-Gesellschaft waren für die Etablierung der Feiern vor Ort verantwortlich: Mittels Volksschulen sollte die serbische Deutung der Geschichte gegenüber der bulgarischen und der griechischen gefestigt werden. Die Gesellschaft stand dabei von Anfang an in einer sehr engen Beziehung zu mehreren Ministerien und genoss die Unterstützung serbischer Kirchenfürsten. Allerdings blieb bis zu den Balkankriegen in den Gebieten unter osmanischer Hoheit auch im Rahmen des Gedenkens an Sava die Treue gegenüber dem Sultan gewahrt. Im überregionalen Kontext folgte der Einsatz Savas als Schul- und Nationalpatron ganz dem westlichen bzw. griechischen Vorbild. Bereits zur Mitte des 18. Jh. unterstrich der Mönch und Historiograph Paisij die Bedeutung Ivans für das bulgarische „Volk“, seine Handschrift fand aber bis zur Mitte des 19. Jh. nur eine sehr schmale Leserschaft. Vielmehr blühte eine neue trans­ethnische Verehrung des Heiligen auf. Ivans Tag wurde dennoch nach 1860 rasch zu einem der wichtigsten nationalen Feiertage. Von 1895 an versuchte die bulgarische orthodoxe Kirche dann auch mit der Erinnerungsfigur des Heiligen aus Rila, sich eine führende Rolle im Entwurf einer modernen Gesellschaft anzueignen. Ausgehend von der Einrichtung erster Volksschulen im Rahmen der osmanischen Reformen während der 1830er-Jahre förderten in den folgenden Jahrzehnten mehrere Leiter von Schulen das Gedenken an Kyrill und Method und machten sie zu deren Patronen. In der Abfolge der Feiern festigten sich auch Formen der Begehung ihres Feiertages in der jeweiligen städtischen Öffentlichkeit. Dieses Thema stand mithin im Zentrum des sich in den ersten bulgarischsprachigen Zeitungen in den 1850er-Jahren entfaltenden nationalbulgarischen Sprachfeldes, dessen Reichweite sich aber nur auf die nur kleinen lesenden Kreise beschränkte. Dennoch trugen diese Texte zur sozialen Institutionalisierung der Feiern bei. Die Brüder mussten dabei als Erinnerungsfigur ganz weitgehend erst neu erfunden werden. Erst zehn Jahre später eigneten sich orthodoxe Geistliche den Diskurs stärker an. In diesen Jahren verbanden auch Vordenker einer modernen wissenschaftlichen Historiographie im Sinne des Historismus den ent­ stehenden Diskurs über eine nationale „Wiedergeburt“ unmittelbar mit dem Gedenken an die Brüder. Der Feiertag wurde zu einem zentralen Medium der Formulierung und der Verbreitung von Nationalbewusstsein sowie zum Kristallisationspunkt orthodoxer nationaler Modernitätsentwürfe. Die Initiativen lokaler Akteure der Verehrung Kyrills und Methods in kleinen Städten gingen Aktionen in der neuen Hauptstadt Bulgariens voran: Erst 1885 stand der Rest des Landes ganz im Schatten der Inszenierung in Sofia. Es galt dabei, Bulgarien, das

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weiter­hin unter osmanischer Suzeränität stand, im europäischen Kontext als legitimen Staat zu bekräftigen. Aus einer postkolonialistischen Warte gelesen sprachen die bisherigen Subalternen aber auch in diesem Fall nicht im Rahmen einer „mimicry“ Konstantinopels, sondern mittels der Nachahmung der westlichen Meisternarrative des modernen Nationalstaats, die zu dieser Zeit gerade auch im Zentrum des Reiches rezipiert wurden. In den sich entfaltenden kroatischen sowie serbischen Diskursen über die wieder­ entdeckten Brüder spielte von 1860 an ihre Verwendung zum Entwurf moderner Wissenschaftlichkeit, des nationalen Fortschritts sowie eines modernen, nationalen Geschichtsbildes im europäischen Zusammenhang gleichfalls eine zentrale Rolle. Die beiden Brüder wandelten sich auch hier historisiert zum Ursprung der „Nation“ der (orthodoxen) Slaven. Führende geistliche Gelehrte und weltliche Slavisten sowie Historiker und Politiker und Kirchenfürsten versuchten, das Gedenken im Dienste unterschiedlicher gesellschaft­licher Ziele zu festigen. Standen zunächst katholische Kroaten mit südslavischem Nationalbewusstsein an der Spitze der Initiatoren, rückten als Ergebnis der Interaktion in der kontrovers geführten zwischenkonfessionellen Debatte geistliche serbische Wortführer nach. Für Feiern an Orten unter osmanischer Herrschaft ist die öffentliche Zelebrierung hybrider osmanisch-christlicher Loyalitäten und Identitäten hervorzuheben. Am Beispiel des osmanischen Saloniki kann besser und früher als für andere Städte im übernationalen Wettstreit eine sich festigende Praxis der Erinnerung an die Brüder nachgezeichnet werden: Der Einsatz für eine Kyrill und Method geweihte Kirche gab hier den Rahmen für eine zunehmende Mobilisierung lokaler Slaven für die bulgarische Sache, die mit dem Verein „Wiedergeburt“ eine gefestigte Trägerschaft fand. In den Jahrzehnten nach 1885 wurde der Feiertag Kyrills und Methods zum entscheidenden Rahmen der performativen Inszenierung der „Wiedergeburt“ der bulgarischen Nation. Ab 1891 (viel später als in Saloniki) stand auch in Sofia eine Assoziation unter dem Patronat der Brüder hinter der Organisation und der Verbreitung der Feiern in Bulgarien und in Makedonien – ganz nach dem Vorbild der Belgrader Heilig-Sava-­ Gesellschaft. Als „nationaler Schulfeiertag“ festigte sich seine Feier im weltlichen wie im sakralen Rahmen. Rasch diente er zum Entwurf eines eigenen, orthodoxen Weges in die Zukunft. Mit den Balkankriegen radikalisierten und militarisierten auch Kirchenleute Gedenkreden zu Ehren der Brüder. Im gleichen Zusammenhang eigneten sich serbische Autoren Kyrill und Method für die eigene Sache an. Im bulgarischen wie im serbischen Kontext wurden transnationale Elemente der Verehrung schwächer, eine Nationalisierung der Brüder hingegen stärker. Die anfangs auf die Gegend um Ohrid begrenzte Verehrung Kliments spielte bereits zur Mitte des 19. Jh. bei der Einrichtung von Schulen mit bulgarischer Unterrichts­ sprache eine Rolle. Erste Veröffentlichungen über den Heiligen im Kontext des Osmanischen Reiches setzten zunächst einen transreligiösen, christlichen und muslimischen Verehrungskontext fort. Mitte der 1880er-Jahre konnte Kliment in Ohrid dann bereits zum Schutzheiligen einer geheimen terroristischen Vereinigung werden. In einer vorerst marginalen makedonisch ausgerichteten Geschichtsschreibung spielte er aber noch um 1893 keine Rolle. Erst im 20. Jh. begann die Verehrung Kliments aber nicht nur in Ohrid, sondern auch in Sofia eine wichtige Rolle zu spielen: Der „Kirchenbote“, das zu

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Die Erfindung der Nationen

Beginn des 20. Jh. eingerichtete Publikationsorgan der BOK, bediente sich Kliments, um die Kirche in die Sprachfelder der nationalen „Wiedergeburt“ einzuschreiben. Auch in der staatlichen, unter der Schirmherrschaft Kliments eingerichteten Sofioter Universität erschienen Veröffentlichungen, die die Rolle des Verweises auf Kliment zur Herstellung eines modernen bulgarischen Nationalstaates und zur Begeisterung großer Menschen­ gruppen unterstrichen. Angesehene Historiker und führende Geistliche beschrieben ­während der Balkankriege in Sofia im Rahmen des Gedenkens an Kliment eine sakralisierte bulgarische Nation, für die Vardar-Makedonien zum Mittelpunkt wurde. Kliment sollte mit der Wiedereroberung des Gebiets 1916 als „Alpha und Omega der bulgarischen Eigenart“ zum messianischen Schwerpunkt eines angeblichen bulgarischen Wesens werden. Anders als für die Verehrung Savas, die von Belgrad in den osmanischen Staat ausgeweitet wurde, können damit für Kliment die Übernahme und Intensivierung eines zuvor nur lokalen, im osmanischen Herrschaftskontext gepflegten Kults in der neuen politischen Metropole beobachtet werden. Erst im 19. Jh. bündelten führende serbische Intellektuelle unterschiedliche diskursive Bereiche des zuvor anationalen Kosovomythos. Historiker wie Politiker, Dichter und Geistliche versahen ihn mit neuen Elementen und machten ihn zur wichtigsten der weltlichen wie der religiösen nationalen Erzählfiguren. Dennoch wurden gerade die im Rahmen dieser Figur entworfenen Diskurse kontrovers ausgehandelt. In ersten An­sätzen erfolgten schon im 19. Jh. in diesem Rahmen eine Nationalisierung Gottes und eine Sa­kralisierung der Nation, die aber noch nicht durch die höchsten Würdenträger getragen wurde. Während des ersten Balkankrieges bekam der Cambridge-Absolvent Velimirović in der offiziellen Zeitschrift der SOK Raum, den Kosovomythos zum „­sa­kralen Drama“ zu verklären. Die neuen Staaten wurden als Monarchien und damit in Anknüpfung an Herrschaftsgebilde des Mittelalters entworfen: Serbische Diskurse über heilige Herrscher des Mittel­alters bewegten den Mönch Paisij nach 1750 dazu, seine bulgarische Geschichts­ darstellung zu verfassen. Gleichzeitig begannen auch serbische geistliche Historiker, diese Herrscher unter einem neuen, weltlicheren Blickwinkel zu betrachten. In den Jahren des Aufstandes schien Stefan der Erstgekrönte geeignet, als Medium von Erinnerungspolitik politischen Widerstand zu mobilisieren. Ab 1836 bemühten sich die Obrenović, ihre neue Dynastie in den legitimierenden Zusammenhang der Nemanjiden zu stellen, indem sie mittelalterliche Klöster erneuerten. Von der Mitte des 19. Jh. an förderten weltliche Schauspiele eine historisierende Sicht auf die Könige. Etwa der Vorsteher des Klosters Dečani trat für eine säkulare Darstellung der Obrenović als neue Nemanjiden ein, um die Befreiung des nun „altes Serbien“ genannten Kosovo zu erreichen. Als sich Paisij auf heilige Zaren der Bulgaren berief, verwies er weder auf bulgarische Schriften der Frühneuzeit noch auf eine lokale „Volkstradition“. Sein Werk entstand als Antwort auf die erneuerte Verehrung serbischer Herrscher nach 1740, wie auch seine Bulgarisierung des spärlich belegten Jovan Vladimir im Wettstreit mit Versuchen einer serbischen Aneignung des Heiligen zu verorten ist. Erst im Gedenkjahr 1885 zu Ehren der Brüder Kyrill und Method wurde der Verweis auf Boris zur legitimatorischen Festigung der neuen bulgarischen Monarchie eingesetzt. Der den Akteuren bekannte

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Mangel an mittelalterlicher und frühneuzeitlicher Tradition war auch später kein Hinder­ nis, ihn in die Reihe europäischer christlicher Staatsbegründer zu stellen: Zu seinem tausendsten Todestag 1907 wurde Boris mit Konstantin, Chlodwig, dem hl. Vladimir und Stephan I. verglichen und mit öffentlichen Umzügen in den Straßen der Hauptstadt den Massen nahegebracht. Führende Geistliche riefen im Rahmen des Gedenkens an Kliment zum Kampf um Makedonien auf. Die BOK versuchte mehrfach, durch religiöse Erinnerungspolitik eine die neue Dynastie legitimierende Rolle und auf diesem Weg eine gewichtige politische Rolle in der modernen Gesellschaft zu erlangen. Eine politische Indienstnahme von Boris zur direkten Legitimierung der Monarchie blieb gegenüber der nationalhistorischen und kirchlichen Bedeutungsaufladung von Boris schwach entwickelt. In serbischen Texten begann die religiöse Aufladung nationaler Raumentwürfe schon im ersten Viertel des 19. Jh. Auch hier galt es, einen ersten Überblick über die „Altertümer“ und die eigene, nun national gedeutete Geschichte zu gewinnen. Schon zu Beginn der 1860er-Jahre nationalisierte ein Politiker im Rahmen der Erinnerungsfigur des Kosovomythos Gott und sakralisierte die auferstandene Nation. Zwei Jahrzehnte später folgten der Entwurf eines organischen Nations- und Staatskörpers und die Sa­ kralisierung Serbiens als „heiliges Land“. Bischof Sava von Žiča setzte 1891 diesen Diskurs fort und verlieh ihm kirchliche Weihe. Erst spät entwarfen bulgarische Akteure in der Rede über Klöster übergreifende räumliche Bedeutungszusammenhänge, die zur Legitimation einer Expansion des Staatsgebietes dienten. Sie entstanden zu Ende des 19. Jh. in der regionalen Konkurrenz Bulgariens mit Serbien und Griechenland um das osmanische Makedonien. Die mehrfache Lokalisierung nationaler religiöser Erinnerungsfiguren in einem national homogen vorgestellten bulgarisch-makedonischen Raum ließ die außerhalb des bulgarischen Staates verbliebene Vielvölkerlandschaft zum neuen Mittelpunkt der nationalen bulgarischen ,mental map‘ werden. Die Klöster wurden zu „nationalen Heiligtümern“ um­gedeutet, Gott und Nation gleichgesetzt. In Fortführung dieser diskursiven Logik brachten Schriftsteller, die sich an die Spitze der Nation zu stellen versuchten, im Rahmen der Balkankriege einen „bulgarischen Gott“ hervor. Übergreifend kann festgehalten werden, dass religiöse Erinnerungsfiguren sowohl bei der Entstehung serbischer nationaler Diskurse wie bei der Festigung bulgarischer nationaler Entwürfe zentrale konsolidierende und wegweisende Rollen einnahmen. ­Farbige Stahldrucke verhalfen Historiengemälden auch religiöser Erinnerungsfiguren zu einem größeren Publikum und verbreiteten die neuen Geschichtsbilder. Durch die teilweise erfolgende Säkularisierung sakraler Erinnerungsfiguren wurden diese ganz wie die weltlichen historischen Erinnerungsfiguren – Claudia Weber betont Kriegserinnerungspraktiken 1348 – zur Gestaltung nationaler Identitätsmuster eingesetzt. Insgesamt kam ihnen in diesen Entwürfen wenn nicht mehr, so doch gleich große

1348 Weber (2006), S. 152 – 205.

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Bedeutung zu. Die Sakralisierung der Nation mit ihrer Hilfe war schon vor dem Ersten Weltkrieg bekannt, aber sie blieb zunächst marginal. Beinahe alle der für das Mittelalter sowie die Frühneuzeit wichtigen religiösen Erinnerungsfiguren wurden folglich im ,langen 19. Jh.‘ aufgegriffen und zu modernen Zwecken umgedeutet. Ein Anknüpfen an die älteren Erinnerungspraktiken war dabei in allen besprochenen Fällen diskontinuierlich und nicht teleologisch erklärbar: Vielleicht mit der Ausnahme der Nemanjiden hatten alle Erinnerungsfiguren bereits im Mittel­alter und dann in der frühen Neuzeit mehrfach gebrochene Entwicklungsphasen durch­laufen. Im Einzelfall schon nach 1760, spätestens aber nach 1800 entwickelten sich neue, im modernen Sinne nationale Erinnerungskontexte: Konzepte der Gesellschaft in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft wandelten sich damals im Rahmen des auf Nation und Staat fixierten Historismus und der politischen Säkularisierung grundlegend. Religiöse Erinnerungsfiguren wurden für die neuen, weltlich und national ausgerichteten Diskurse der orthodoxen Südslaven und für zentrale Aspekte ihrer gesellschaft­ lichen und politischen Modernitätsentwürfe im Rahmen des Osmanischen Reiches und dann suzeräner und erst spät unabhängiger Staaten charakteristisch und entscheidend. Nahezu jede Stellungnahme durch Politiker, Kirchenfürsten oder Historiker kann als Versuch gedeutet werden, sich selbst an die Spitze des nationalen Diskurses zu setzen und diesen auch zu verändern. Religiöse Erinnerungsfiguren wurden dazu mit Vorliebe eingesetzt. Sie erwiesen sich als zentrale Kristallisationspunkte von Entwürfen orthodoxer nationalstaatlicher und zunehmend kriegerischer Modernität im regionalen und gesamt­europäischen Wettstreit. Die nachdrückliche historische Legitimierung der jungen nationalgesellschaftlichen Entwürfe und Bedenken von Muslimen, in nicht mehr islamisch legitimierten Staaten zu leben, führten mithin zu Migrationsbewegungen: Im ,langen 19. Jh.‘ wurden Millionen von Muslimen zum Verlassen der abgetretenen europäischen Teile des osmanischen Staates gebracht.1349 Allein während der 1870er-Jahre sollen bis zu 1,5 Millionen von ihnen nach Kleinasien gewandert sein.1350

1349 Clewing (2011), S. 456 – 458; Toumarkine (1995); Höpken (1996); Clayer/Bougarel (2013), S. 70 – 76. Grundlegend: Popovic (1986). Zu ökonomischen und sozialen Gründen muslimischer Emigration aus Griechenland: Immig (2009). 1350 Sundhaussen (2011), S. 705.

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Hl. Kliment, Holzstatue, Klimentkirche in Ohrid um 1230.

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Die heilige Dynastie der Nemanjiden als Rebe oder „Wurzel Jesse“, Fresko in der Kathedrale in Peć um 1330.

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Reichsversammlung von Nemanja und Stefan Uroš II. Milutin, Fresko in der Dimitrijkirche in Peć um 1345.

4 Patriarch Joanikije, Zar Dušan, König Uroš, hl. Sava, Abbildung in der Dimitrijkirche in Peć um 1345.

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5 Zar Ivan Aleksandr, seine Gattin Theodora und die Söhne Ioann Šišman und Ioann Asen. Miniatur im Evangelium Ivan Alekandrs (1356). Gjuzelev (1993), Abb. 1, S. 8: British Library – London, Add. Ms. 39.627, f. 3 r.

6 Ikone Ioanns von Rila, Mitte des 14. Jh., Nationalmuseum Rila-Kloster.

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Ikone der hl. Petka im Kloster Peć von 1728 mit der Darstellung der Überführung ihrer Reliquien aus Epibatai und ihres Empfangs in Tărnovo.

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Darstellung der hll. Kyrill und Jefrem auf einer Gravur Hristofor Žefarovićs im „Wappenbuch der Illyrer“ 1741.

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Abbildung des „heiligen und zarischen“ Klosters Studenica unter dem Schutz der Gottesmutter und serbischer heiliger Herrscher und Kirchenfürsten auf einer Gravur von 1758.

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Abbildungen

10 Fürst Lazar als Barockfürst auf einem Kupferstich von Zaharije Orfelin 1773.

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11 Kyrill und Method, dargestellt als heilige Gelehrte, ikonenähnliches Gemälde von Stanislav Dospevski, einem der führenden Maler der „Wiedergeburt“ (1857).

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12 Ikone Kliments, Kyrills und Methods von Dik´o Zograf angefertigt im Auftrag des Schulvorstehers des Dorfes Maalo Kočišta bei Ohrid (1863).

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13 Ikone der hl. Siebenzahl aus dem Atelier von Dik´o Zograf, Ohrid um 1860.

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14 Ikone Kyrills und Methods von Adamk´e Najdov für die Verkündigungskirche in Prilep 1867.

Abbildungen 15 „Der Tod des Fürsten Lazar“, historistischnationalreligiöses Ölgemälde von Đorđe Krstić 1885.

16 Der „Große illustrierte Kalender Orao (Adler)“ machte die Feiern zum 500. Jahrestag der Schlacht auf dem Amselfeld und die Salbung des Königs 1889 mit Zusammenstellungen von Stahlstichen einem breiteren Publikum zugänglich. Orao – veliki ilustrovani kalendar za godinu 1890, Novi Sad 1890, S. 23–26.

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Abbildungen

17 Die heiligen Herrscher Milutin, Jovan Vladimir, Stefan der Erstgekrönte und Stefan von Dečani sowie Patriarch Joanikije (Mitte) auf einem ikonenähnlichen Fresko von Nastas Stefanović in der Kathedralkirche von Belgrad (1900).

Abbildungen 18 Modell des Tempels auf dem Amselfeld (Vidovdanski Hram) von Ivan Meštrović (1912).

19 Ausschnitt von einem Kyrill darstellenden Gemälde des bulgarischen Malers tschechischer Herkunft Ivan Mărkvička in der Nevskij-Kirche in Sofia um 1912 (Coverbild des vorliegenden Bandes).

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20 Darstellung Kyrills und Methods in der Aleksandr Nevskij geweihten „Denkmalkirche“ in Sofia um 1913.

Abbildungen

21 Abbildung des Herrschers Boris in der Aleksandr Nevskij-Kathedrale in Sofia um 1913.

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22 Leitartikel „Christus ist auferstanden!“ zu Ostern 1925 in der Sofioter Zeitung „Unabhängiges Makedonien“ mit einer Zeichnung unter dem Titel „Makedonische Karwoche“, die die Kreuzigung einer allegorischen Darstellung Makedoniens und ihre Peinigung durch je einen Serben und einen Griechen zeigte. Nezavisimaja Makedonija, 17.4.1925, Nr. 106, S. 1.

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23 Titelblatt des „Serbischen Kosovo“ mit dem Gedicht „Heiliges Amselfeld“ und einer Abbildung auch des Grabmals (serb. tulbe, von osm. türbe) des Sultans Murad. Srpsko Kosovo, 1.4.1925, Nr. 7, S. 1.

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24 Darstellung Petars I. Karađorđević als Stifter der Grablege Oplenac bei Topola auf einem Mosaik in der Kirche um 1930.

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25 Fotoreportage der wichtigsten Belgrader Tageszeitung „Politika“ über die Feiern des Vidovdan mit Massenformationen der Sokolvereine in Belgrad 1930. Politika, 28.6.1930, Nr. 7952, S. 9.

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26 Sokolmärsche in den Straßen Belgrads 1930 in der Darstellung der serbischen Zeitung „Politika“. Politika, 29.6.1930, Nr. 7953, S. 4.

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27 Bericht über Feierlichkeiten mit offizieller Beteiligung in den Straßen Sofias zum „Tag der heiligen Apostelgleichen“ Kyrill und Method in der Tageszeitung „Makedonien“ 1933. Makedonija, 26.5.1933, Nr. 1977, S. 1.

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28 Leitartikel „Das ganze Volk hat den Vidovdan, den Feiertag unseres Ruhms und unseres Stolzes, auf großartige Weise begangen“ zum 550. Jahrestag der Kosovo-Schlacht 1939 in der Zeitung „Politika“ mit einer Fotografie der Menschenmengen auf dem Amselfeld. Politika, 28.6.1939, Nr. 11161, S. 1.

D  Mobilisierung und Sakralisierung der Nation   durch religiöse Erinnerung (1918 – 1944)

Nach dem Ersten Weltkrieg prägten krisenhafte parlamentarische Systeme und mit der Weltwirtschaftskrise mehr und mehr autoritäre Königsherrschaften Südosteuropa:1 ­Während in Jugoslawien König Aleksandar schon im Januar 1929 die Herrschaft an sich riss, übernahm Boris III. in Bulgarien nach einem Militärputsch 1934 im folgenden Jahr die nur formal eingeschränkte politische Macht. Auch diese Entwicklungen fanden ganz im europäischen Rahmen statt: Autoritäre Regierungen setzten sich in Russland sowie in Italien, Deutschland und Spanien wie auch – in der Form von Präsidialdiktaturen – in Ostmitteleuropa vom Baltikum bis Ungarn durch. Mit diesem Vorgang verbunden waren neue Formen der gesellschaftlichen Integration: Massenideologien wie Faschismus und Nationalsozialismus sowie (sowjetischer) Kommunismus und Sozialis­ mus standen einander auch in Südosteuropa zunehmend im unmittelbaren Wettstreit gegenüber. Weitverbreitet war extremer Nationalismus, der sowohl von Vereinen als auch von Regierungen, staatlichen Bildungseinrichtungen und Behörden und Kirchen vertreten wurde. Die neuen Bewegungen vertraten jeweils eigene Entwürfe illiberaler Modernitäten, die aber gemeinsame Züge mit liberalen Vorstellungen und Diskursen der Moderne teilten, wie Technikeuphorie, Sportbegeisterung, Militarisierung und – zumindest im Kommunismus – Fortschrittsgläubigkeit. Wesentlich für alle Gesellschaften nach 1900 war die immer größere Bedeutung von Massenmedien. Im Zusammenhang mit autoritären Regimen kam ihnen sowie dem Parteien- und Vereinswesen eine zentrale Rolle bei den Versuchen der Mobilisierung von Loyalität und der Herstellung nationaler sowie ideologischer Homogenität, und sei es als „dreinamiges Volk“ im Sinne des Jugoslawismus, zu. Im Rahmen der Königsdiktaturen übernahmen weder in Serbien bzw. Jugoslawien noch in Bulgarien faschistische Massenparteien die Macht.2 Dem Faschismus nahestehende Diskurse sind aber in Bulgarien nicht nur in der VMRO – die exilmakedonische Bewegung war bestrebt, Vardar-Makedonien auch mit terroristischen Mitteln Bulgarien einzuverleiben und provozierte bis zum Militärputsch 1934 in Bulgarien immer wieder schwere innenpolitische Krisen –3 nachzuweisen, sondern auch in Jugoslawien: Immerhin erlangte etwa die religiöse Laienbewegung der „Bogomoljci“ unter der Führung des 2003 heiliggesprochenen Bischofs Nikolaj (Velimirović) zur Mitte der 1930er-Jahre eine Mitgliederzahl von bis zu 20 000.4 Sie förderte die „Annäherung

1 Oberländer (Hg.) (2001); Höpken (1997). 2 Zu Jugoslawien, weitgehend ohne religiöse Aspekte der integrativen Propaganda zu berücksich­ tigen: Marković (2001). Übergreifend zum „Jugoslawismus“: Sundhaussen (2002), S. 245 – 255. Zu Bulgarien: Daskalov (2004), S. 228 – 234; Weber (2006), S. 319 – 381. 3 Veličkova (2002); Poppetrov (2001), S. 385; Troebst (1987); Hoppe (1979), S. 45. 4 Aleksov (2006), S. 81; zu Nikolaj: Bremer (1992), S. 112 – 160; Buchenau (2011), S. 223 – 244, S. 391 – 408, S. 444 – 466.

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zwischen Kirche und serbischer Gesellschaft“ und war damals mit der von Dimitrije Ljotić geleiteten faschistischen Bewegung „Zbor“ „personell eng verflochten“.5 Unter der deutschen Besatzung begann diese klerikale, antisemitische und religiös-nationalistische Bewegung eine richtungweisende Rolle einzunehmen. Das Kollaborationsregime von General Nedić, der mit Ljotić nicht nur verwandtschaftlich verbunden war, stützte sich auch auf eine Legitimierung seitens der orthodoxen Kirche.6 Das Territorium des bulgarischen Exarchats war ohne die früheren Bistümer in Makedonien erst jetzt deckungsgleich mit dem Staatsgebiet. Die bulgarische Geistlichkeit konnte nach 1915 aber keinen Exarchen, geschweige denn einen Patriarchen einsetzen, zumal Boris III. keine Konkurrenz in seinem Anspruch auf die nationale Führungsrolle wünschte. Sie blieb damit de facto nur synodal organisiert.7 Die bulgarische Kirche versuchte, ihre zudem verfassungsrechtlich eingeschränkte Rolle zu sprengen, indem sie Entwürfe moderner und nationaler Orthodoxie verbreitete, um die Deutungshoheit über möglichst weite Bereiche der Gesellschaft zu erlangen. Die Geistlichkeit wurde dabei und in ihrem Kampf gegen den Kommunismus vom Regime bestärkt.8 Dennoch bestanden Animositäten zwischen Staat und Kirche fort. Aber mit der Taktik, nationale Bestrebungen zu unterstützen, ohne allen Forderungen des Staates nachzukommen, gewann die Kirche an Einfluss und erwies sich für die Politik zur diskursiven Vorbereitung und Rechtfertigung der nationalen Expansion nützlich: Ohne politische Mitsprache zu erlangen, konnte sie zu einem „Vermittler zwischen Staat und Gesellschaft“ werden.9 Spätestens mit dem Krieg setzte sie sich aus eigenem Antrieb und ermutigt durch das Regime für die nationale, christliche und militärische Mobilisierung der Gesellschaft etwa durch studentische Jugendorganisationen und Anlässe für Kinder ein. Die ­offi­zielle Kirchenzeitung feierte Hitler 1941 als „Befreier“ Makedoniens.10 Die serbische orthodoxe Kirche hingegen konnte mit Unterstützung und im ­Rahmen des neuen Gemeinwesens ihre bisher auf verschiedene Staaten verteilten Hier­archien vereinen und schon 1920 das Patriarchat wiederherstellen.11 Die SOK stützte mit ihren nationalreligiösen Entwürfen den Staat und die serbisch dominierte Regierung zu ­eigenen Zwecken. Aber wenngleich sie etwa in Zagreb eine Metropolie einrichten konnte, erreichte sie nur die Teile der Gesellschaft Jugoslawiens, die bereit waren, sich zur serbischen Nationalität zu zählen: Gerade im jahrelang schwelenden und 1937 eskalierten Konflikt mit der katholischen Kirche um das schließlich auf den Druck der SOK und von Bischöfen wie Nikolaj Velimirović nicht realisierte Konkordat konsolidierten sich konfessionsethnische Identitätsentwürfe.12 Die SOK bewahrte sich damit ihre eigene 5 Sundhaussen (2007b), S. 292 f.; zu Ljotić: Buchenau (2011), S. 371 – 390; Falina (2007a). 6 Ristović (2001), S. 636, S. 647 – 650; Ljubica (1996). 7 Raikin (1988), S. 169 f. 8 Raikin (1988), S. 170. 9 Hopkins (2009), S. 177 – 179. 10 Hopkins (2009), S. 172 – 176. 11 Ramet (1988), S. 234. 12 Ramet (1988), S. 235 f.; Perica (2001), S. 17 f.; Buchenau (2006a), S. 29.

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privilegierte Stellung, wie den Sitz des Patriarchen im Königlichen Rat sowie die Teilhabe mehrerer Geistlicher als Parlamentarier verschiedener Parteien am politischen Prozess. Beides hätte als Folge der Bestimmungen des Konkordats aufgegeben werden müssen.13 Eine weitere regionale Gemeinsamkeit der südosteuropäischen Gesellschaften war in den Augen nicht nur ihrer Eliten ihre im gesamteuropäischen Rahmen vergleichsweise schwache Urbanisierung, Bürokratisierung und Industrialisierung. Dies wie die hohe Dichte an religions- und konfessionsethnischen sowie nationalen Identitäten unter der soziokulturell fragmentierten Bevölkerung schränkte die Reichweite der autoritären Regime stark ein und trug zu ihrem mittelfristigen Scheitern bei.14 Für die vorliegende Untersuchung bleibt entsprechend den leitenden Fragestellungen zentral, welche Rollen in den hier nur sehr knapp angerissenen Entwicklungen religiösen Erinnerungsfiguren zukamen. Dabei bleibt wesentlich, die Veränderungen der Erinnerungsdiskurse nachzuzeichnen, die sich aus ihren teilweise neuen Funktionen ergaben. Schließlich ist auch abzuschätzen, inwieweit gerade religiöse Erinnerungsfiguren im jeweiligen gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang eine leitende, die kollektiven, in der Regel nationalen, Entwürfe charakterisierende Rolle übernahmen. Für den serbischen Zusammenhang ist dabei der gleichzeitige Entwurf jugoslawischer Identität zu berücksichtigen. Die Auseinandersetzung um Makedonien spitzte sich in der ersten Hälfte des 20. Jh. stark zu. Gegenüber den lautstark vorgetragenen und abwechselnd umgesetzten Ansprüchen Bulgariens und Serbiens bzw. Jugoslawiens auf die Landschaft bleibt immer im Auge zu behalten, dass Slaven gerade einmal die Hälfte der Bevölkerung ausmachten: 48 Prozent der Bewohner „Südserbiens“ waren im Jahr 1921 Muslime.15 Auch die andauernde Emigration von Muslimen aus den ehemals osmanischen Gebieten veränderte diese Größenverhältnisse nur langsam.16 D 1  Vom Mythos zur ,Ideologie‘ – das Amselfeld und der Veitstag im SHS-Staat D 1.1  Diskursive Weichenstellungen in der Provinz – die Niederlage als Sieg

Direkt nach dem Weltkrieg dekonstruierten mehrere wichtige serbische Schriftsteller, so auch Miloš Crnjanski, die militaristische und nationalpatriotische Lyrik der Kriegsjahre. Sie griffen nationale Erinnerungsfiguren wie „Dušans mittelalterliches Kaiserreich und den Kosovo-Mythos an und attackierten gleichzeitig die Kirche als traditionelle Trägerin nationaler Werte“. Allerdings lag die Antwort auch Crnjanskis in der Bekräftigung

13 Ramet (1988), S. 233, S. 236. 14 Sundhaussen (2001). 15 Jovanović (2002), S. 361. Zu den Versuchen einer gesellschaftlichen Integration Makedoniens in das Jugoslawien der Zwischenkriegszeit: Boškovska (2009). 16 Höpken (1997); Clayer/Bougarel (2013), S. 118 – 124.

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anderer Bestandteile der nationalen Mythen. So trat er für eine Verehrung von Marko Kraljević, eines Helden der Schlacht auf dem Amselfeld, ein.17 Das Projekt eines Kosovotempels von Meštrović wurde zum Zentrum einer intensiven Debatte unter Intellektuellen, in der Crnjanski in Gedichtform vorschlug, das Denkmal nicht dem Zaren Dušan, sondern Gavrilo Princip sowie dem Volk zu widmen.18 1919 wurde in der Darstellung serbischer Veröffentlichungen der „erste Vidovdan in der Freiheit“ begangen: Die Feiern in der Kleinstadt Ruma im Kreis Srem sowie im Kloster Ravanica sollen als Beispiel dazu dienen, welche Veränderungen damals festzustellen waren. Selbst in der Provinz wurde das Ereignis damals gefeiert. Die „belletristisch-journalistische Abteilung des Ausschusses zur Feier des Vidovdan in Ruma“ gab eine ­Broschüre heraus, die mit der „Vidovdanhymne“ aus dem Jahr 1889 begann.19 Neu war, zunächst auf die bestehende Erinnerungskultur zurückzublicken: Anders als 1889 schaute man 1919 sehr zuversichtlich in die Vergangenheit. Der Vorsitzende der „Abteilung“, der Advokat Dr. Stevan Dobričić, schrieb von dem Gedenken als Erinnerung an nun erfüllte, vorgeblich jahrhundertealte Wünsche.20 Damit ging er von einer völlig neuen Perspektive aus. Er gliederte die bisherige Erinnerung im Rückblick als abgeschlossenes Kontinuum in mehrere Phasen. Die Erinnerung an die Schlacht konnte nun, nach der Auflösung des Osmanischen Reiches, als sinnvoller Bestandteil der serbischen Geschichte gedeutet und als „in der Weltgeschichte einzigartiger Kult“ verstanden werden. Nicht an die Schlacht auf dem Amselfeld, sondern an die um sie entstandene Erinnerungskultur wurde erinnert. Die kulturelle Praxis der Memoria sei für das Überdauern der Serben „als Volk“ verantwortlich. Dobričić machte den Tag zum Mittelpunkt des nationalen „Glaubens“ des „serbischen Volkes“ an die nationale „Auferstehung“.21 Dobričić zog damit religiöse Begriffe zur Erklärung der im Rückblick als statisch und kontinuierlich entworfenen nationalen Erinnerungskultur heran. Entscheidend war in seinen Augen die soziale Funktion des Gedenkens an den „Vidovdan“ als „lebendige



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Mašek (2004), S. 69 f. Mašek (2004), S. 71; Wachtel (1998), S. 108 – 116. Spomenica proslave, S. 3. „Das, was wir während ganzer Jahrhunderte in unserem Herzen trugen, das, dem wir uns kräftig gewidmet haben, das, was wir alle lebhaft gewünscht haben: Es ist geschehen und hat sich erfüllt! Vollendet ist das große Werk unserer nationalen (narodnog) Befreiung und Vereinigung! Erstmals erwartet und feiert das serbische Volk den Vidovdan mit gänzlich verwirklichten natio­ nalen (nacionalnim) Bestrebungen, Wünschen und Hoffnungen, die es während ganzer Jahrhunderte in diesen Tag gelegt hat!“ Spomenica proslave, S. 5. 21 „Aus diesem seinem tragischen und katastrophalen nationalen (narodne) Unglück hat sich das serbische Volk seinen in der Weltgeschichte einzigartigen Kult und seine Tradition geschaffen, die es bis heute als Volk bewahrten und erhielten. Das serbische Volk hat dieses sein Kosovo-­ Unglück und den Untergang seines Zarentums so ruhmreich und großartig besungen und verewigt, dass aus dieser Erzählung (epopeje) unser gerühmter Vidovdan hervorging und entstanden ist, als Tag der allserbischen Hoffnung und des Glaubens an die Auferstehung der serbischen Einheit und Freiheit.“ Spomenica proslave, S. 5.

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Schule zur Errichtung eines serbischen Bewusstseins“: Die konkrete soziale Praxis der Erinnerung, nicht die Schlacht schuf laut ihm die nationale serbische Einheit.22 Dabei reflektierte der Jurist die Funktion des Gedenktages immer noch weitgehend unab­ hängig von religiös geprägten Deutungen der Schlacht. Der Tag wurde mit ihm aber zur Gelegenheit und öffentlichen Plattform für nationale, an sakrale Formen angelehnte Gelöbnisse. Die Rede vom „Altar der nationalen Freiheit“ 23 stand für die Überlagerung religiöser Metaphern mit nationalen Vorstellungen, wie sie auch in anderen europäischen nationalen Diskursen seit dem 19. Jh. üblich war. Der Vidovdan wurde mit Dobričić zum Tag der Rechenschaft und zum feierlichen Forum, in dessen Rahmen die zukünftigen Aufgaben in der „Volksarbeit“ zu formulieren waren.24 An die Stelle der Rache trat die Konsolidierung nicht Jugoslawiens, sondern des „serbischen Volkes“. Die Erinnerung an die Erinnerungskultur war auch für Petar Jović in derselben ­Broschüre von 1919 entscheidend. Zudem knüpfte er an den Entwurf eines Vidovdantempels im Sinne Meštrovićs an, als er „die Bedeutung des Vidovdan und des Amselfelds“ erklärte. „Unser Volk“ habe auf der Grundlage „der schrecklichen und schmerzhaften Kosovokatastrophe eine große nationale Vidovdankirche (narodni vidovdanski hram) errichtet und sie geschmückt und geziert mit seinen überragendsten und größten Kriegern und Kämpfern des Kosovo“.25 Jović beschränkte sich dabei auf die Beschreibung der Erinnerung an die Schlacht, ohne die Schlacht selbst ins Zentrum zu rücken. Mit dem Entwurf einer „nationalen Vidovdankirche“ stellte er diesen Erinnerungszusammenhang aber stärker als Dobričić in einen religiösen Kontext. Das Schlachtgedenken wurde selbst zur Religion, „Volkslieder“ über die vergöttlichten Kriegshelden wurden zu „Volksgebeten“, in denen sich die „serbische Seele“ ausdrückte.26 Das nationale Kollektiv sollte im quasireligiösen Erinnern an die Schlacht als Sakralgemeinschaft in dem 22 „So wurde und war der Vidovdan eine allnationale (svenarodni) serbische Versammlung, an der die Pflicht gegenüber den gestorbenen und gefallenen Kämpfern und serbischen Helden geleistet wurde. Gleichzeitig war er auch eine lebendige Schule zur Errichtung eines serbischen Bewusstseins (svesti) und eines serbischen Geistes und allmenschlicher Tugend im Volk und in der serbischen Jugend. Während ganzer Jahrhunderte hat unser gerühmter Vidovdan unser ganzes Volk begeistert und am Beispiel und Vorbild der tapferen Kämpfer und serbischen H ­ elden erzogen. Gerade hierin lag und gerade hierin liegt die ganze Größe unseres Vidovdans!“ ­Spomenica proslave, S. 6. 23 „Erhöhen wir den Ruhm unseres größten Volksfeiertages, indem wir uns an diesem Tag geloben, dass wir all unsere Kraft und Stärke und auch unser eigenes Leben auf den Altar der nationalen (narodne) Freiheit und unserer Heimat legen werden!“ Spomenica proslave, S. 7. 24 „Feiern wir unseren Vidovdan in der Erinnerung an alle Volksarbeiten (poslove narodne), betrachten und lernen wir aus den Fehlern der Vergangenheit, um die Aufgaben der Zukunft besser zu sehen und einzuschätzen, damit jeder von uns in der Volksarbeit mehr gibt als das, was er dem Volk zu leisten hat!“ Spomenica proslave, S. 7. 25 Spomenica proslave, S. 22. 26 „Und in dieser unserer Volkskirche wurden still und fromm bescheidene und aufrichtige Volksgebete und Wünsche gewispert, und das waren unsere schönen Volkslieder, in denen unsere serbische Seele auf die beste Weise und in den schönsten Zehnsilbern all dieses ganz groß und

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imaginären sozialen Raum einer aus dem Amselfeld hervorgehenden „Volkskirche“ hergestellt ­werden. Aus der Perspektive des Jahres 1919 stellte Jović den Erfolg der Gebete fest. Aber er gedachte nicht mehr der Schlacht, sondern der Erinnerungstraditionen. Auch führende Geistliche trieben nach dem Ersten Weltkrieg die Sakralisierung der Nation weiter voran: Anlässlich desselben Gedenktages hielt 1919 auch Nikolaj ­Velimirović, der im März 1919 zum Bischof von Žiča geworden war, eine Ansprache im von Lazar gestifteten Kloster Ravanica in Zentralserbien. Ihr Titel – „Der Sieg Lazars“ – wies die Richtung der Umdeutung der Niederlage zum Sieg, die er mit seinem Text erstmals explizit formulierte. Der neue Bischof begann mit dem bekannten Zitat aus dem Liedzyklus zur Wahl Lazars zwischen dem himmlischen und dem irdischen Reich.27 Velimirović verallgemeinerte die Entscheidung, die Lazar während der Schlacht voll­ zogen hatte, indem er sie aus dem Kontext der Schlacht nahm und zur Entscheidung eines jeden Einzelnen machte.28 Auf dieser Grundlage brachte er das Handeln Lazars seinen Zeitgenossen nahe und forderte sie zu Ähnlichem auf: „Wo sind heute die, welche das himmlische Reich mehr als das irdische lieben?“ 29 Diese Vergegenwärtigung stellte jeden Serben der Gegenwart in einen direkten Zusammenhang mit Lazars Entscheidung. Velimirović unterschied in dieser Deutung der Legende „die Welt“ vom „nationalen prophetischen Genius“, das das von außen als Niederlage Wahrgenommene „unerwartet“ zu einem „würdigen Opfer“ umdeutete.30 Die Nation wurde als überzeitlicher Autor der Volkslieder personifiziert. Das Volk habe fünf Jahrhunderte „an den Sieg geglaubt“ und so „Lazars Sieg“ auf sich ausweiten können.31 Aus der Existenz der Legende folgerte Velimirović den Glauben des Volkes an den Sieg – der aber nicht als ein gegenwär­tiger, sondern als ein zu erwartender galt. Diese Erwartung eines nationalen Sieges der Serben überdeckte die traditionelle christliche Idee vom „Reich Gottes“, das verdeckt schon

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schön besungen hat, was jeder Serbe und jede Serbin in seiner Seele trägt und für sein liebes Geschlecht fühlt.“ Spomenica proslave, S. 22. „Der Zar sprach sich für das himmlische Reich aus. / Da übermannten die Türken Lazar, / Und es starb der serbische Zar Lazar“. Velimirović (1934), S. 3. Velimirović (1934), S. 4. Velimirović (1934), S. 6. „Vor fünfhundert Jahren willigte Lazar in das himmlische Reich ein (se privoleo), was heißt: Er stand bei Christus und seinem Loyalitätseid (časni krst), und verlor sowohl Reich als Kopf. Die Welt dachte, dass Lazar eine unerhörte Niederlage erlitten hatte, und dass das serbische Volk für immer zerschlagen worden sei. So wurde die Angelegenheit von außen eingeschätzt. Aber innerlich enthielt die Sache einen unsichtbaren Glanz (sjaj), der nie erlosch. Da er die Sache von Innen, aus dem Geist sah und einschätzte, schloss das nationale prophetische Genie, nachdem es den schreklichen Fall und Abgrund beschrieben hatte, mit diesen unerwarteten Worten: ,Alles war heilig und rein. / Und dem lieben Gott aufgeschlossen (pristupačno).‘ Denn das würdige Opfer wurde als eine würdige Sache angenommen. Alles wurde Christus geopfert.“ ­Velimirović (1934), S. 6 f. „Wahrlich, es ist wichtig, dass Lazars Sieg das Volk erreicht hat, aber noch wichtiger ist, dass das Volk an den Sieg geglaubt hat und ihn fünf Jahrhunderte erwartet hat.“ Velimirović (1934), S. 8.

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vor dem Jüngsten Gericht auch auf Erden gegenwärtig sein soll und nicht auf Siege serbischer Armeen angewiesen ist. Die Niederlage auf dem Amselfeld sollte zum Sieg der „Südslaven“ werden.32 Diese Deutung als „Sieg Lazars“ und des ganzen Volkes schien Velimirović zufolge offenbar so wenig verbreitet zu sein, dass er seine Zuhörer zum Verständnis und zu ihrer Verbreitung aufforderte. Damit aber nicht genug – der Geistliche stilisierte die Wahl Lazars und sein „Opfer“ sogar zu einer selbstständigen „Religion“, die gerade „heute dem Volk so notwendig“ sei. An die Stelle der christlichen Religion sollte eine explizit isoliert entworfene nationalisierte Religion treten. „Welt­ liche Geschichte“ 33 wurde in Verbindung mit dieser Frage wieder zur Heilsgeschichte – allerdings nur für „das Volk“, nicht für die Menschheit oder das Christentum. Die nationale – es war offengelassen, ob serbische oder südslavische – Geschichte stand in einem unauflöslichen Zusammenhang mit dem göttlichen Heilsplan.34 Velimirović beanspruchte damit aber keine herausragende, messianische Rolle für seine Landsleute.35 Die Geschichte jeder Nation schien ein selbstständiges Buch Gottes zu sein. Der Weg zum Heil führte aber unausweichlich über die Vorstellung der Nation. Wie Velimirović zu Beginn seine Rede klarstellte, war die Entscheidung Lazars zwar die eines jeden Gläubigen. Sie war jedoch gemäß der Logik dieser Ansprache nicht außerhalb des „Volkes“ denkbar. Persönliches Heil ging im kollektiven, nationalen Heil auf, nur in ihm oder durch dieses war es zu erreichen. Gott selbst schien sich eher für das kollektive Leben als für Individuelles zu interessieren.36 Die so gewonnene „Freiheit“ des Volkes stand mit der nach dem Ende des Ersten Weltkrieges gefestigten politischen Selbstständigkeit

32 „Und es [das Volk, S. R.] erwartet ihn nicht nur, sondern feiert wartend den Tag des Kosovoabgrunds (kosovske propasti) als seinen größten nationalen (narodni) Tag! Das ist das größte Geheimnis unserer Geschichte, das Ausländer nicht durchschauen. Denn die übrigen Völker feiern gewöhnlich die Tage ihrer Siege als ihre nationalen Tage. Und sie fragen sich verwundert: Woher kommt es, dass die Südslaven den Tag ihrer großen Niederlage als ihren ,hauptsäch­ lichen‘ nationalen Tag im Jahr feiern? Aber wenn sich die Ausländer wundern, ist es doch nicht nötig, dass ihr euch wundert, denn ihr müsst es wissen. Ihr müsst wissen – und dieses Wissen sollt ihr euren Kindern sagen –, dass ihr, wenn ihr den Vidovdan gefeiert habt, stets den Sieg und nicht die Niederlage Lazars begangen habt.“ Velimirović (1934), S. 8 f. 33 „Verneigen wir uns deshalb vor dem Opfer des hl. Lazar. Seine Zustimmung (privolenje) zum himmlischen Reich bedeutet eine ganze Religion. Diese Religion Lazars ist heute dem Volk so notwendig wie je. (…) Und sie bedeutet auch, dass auch heute, wie zu Beginn, vor unserer freien und vereinten Nation das Buch offenliegt, das vom Himmel über Jerusalem herabsteigt, mit der wahrlich ewigen Frage, die mit Donner durch alle Tage der weltlichen Geschichte geht: ,Welchem Reich willst du zustimmen?‘“ Velimirović (1934), S. 11. 34 „Lest eure Geschichte, wie es sich gehört, und ihr seht das ganze Gesetz Gottes in sie ein­ gekerbt.“ Velimirović (1934), S. 12. 35 „Er hat es geschrieben und einheitlich (jednom) gedruckt in der Heiligen Schrift, aber er ist unermüdlich und erneuert sein Gesetz im Leben jedes Volkes.“ Velimirović (1934), S. 12. 36 „Mit wachem Auge geleiten himmlische Kräfte unser Leben in der Freiheit, für die ihr so sehr gebetet habt.“ Velimirović (1934), S. 12.

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in einem Zusammenhang, sie war mit ihr jedoch nicht deckungsgleich.37 Dennoch sollte Irdisches himmlisch werden: Velimirović verklärte seinen Staat hier nicht explizit zum „himmlischen Serbien“, aber das „zarische Volk“ sollte sich doch „in die Höhe des himmlischen Reiches“ erheben. Das Land – Serbien oder Jugoslawien? – sollte „aus den Knochen“ von Heiligen erbaut und zu einer „Festung Gottes“ werden.38 Der Bischof sah diese Vision noch nicht erreicht, aber doch als denkbares Ziel. Der geistige Status des Volkes blieb dabei nah an den politischen gebunden: „Mögen mit der Sklavenzeit die letzten Überbleibsel der Sklavenseele ohne Wiederkehr zurückbleiben.“ 39 Der Entwurf Velimirovićs lässt sich vor diesem Hintergrund als postkoloniale Identitätskonstruktion bezeichnen. Die politische Befreiung schien als die erste Stufe der über sie hinaus­reichenden religiösen nationalen Befreiung entworfen zu sein. Neben dieser religiösen Umdeutung des Kosovomythos entfaltete sich das G ­ edenken an den „Veitstag“ auf der obersten politischen Ebene weiter: 1920 berichtete die „Politika“ nur sehr knapp von Feiern in Ravanica, an denen auch der Religionsminister teilnahm.40 Zu den Feiern des Vidovdan durch die serbische Emigration in Paris schrieb das Blatt von der „Auferstehung und der Erneuerung Serbiens“.41 1921 überlagerte sich eine erneuerte politische Bedeutung des Tages mit dem Diskurs: In Jugoslawien trat die an diesem Tag verabschiedete und seither „Vidovdanverfassung“ genannte neue Konstitution in Kraft.42 Gleichzeitig wurde der „Vidovdan“ aber auch mit der Erinnerung an die Opfer der Kriege 1912 – 1918 verbunden: 1922 veröffentlichte die Zeitung „Politika“ auf ihrer ersten Seite unter dem Titel „Vidovdan“ einen Aufsatz über das Gedenken an die Kriegsopfer eines serbischen Dorfes, wo vom „Golgatha“ der Bauern geschrieben wurde. Dabei wurde die „Vidovdanverfassung“ zum Erinnerungsort und als Zeichen gedeutet, das „Volk“ sei „auf dem Weg des Fortschritts“.43 Die reflektierte Erinnerung an die Erinnerungskultur und damit die Sakralisierung der Nation durch weltliche wie geistliche Akteure sowie die Festigung des Diskurses und der mit ihm verbundenen sozialen Praktiken auch außerhalb Belgrads setzten sich in den folgenden Jahren fort.

37 „Die Freiheit ist ein seltener Gast aus der anderen Welt, und kein dauerhafter Bewohner dieser Welt.“ Velimirović (1934), S. 12. 38 „Dieses Land (ova zemlja), das aus den Knochen von Märtyrern und Großmärtyrern errichtet ist, muss zur Festung Gottes (tvrđava Božja) werden, in der der Name Gottes geehrt und mit Gedanken, Worten und Taten gesegnet wird, und in alle Seelen seiner Bewohner soll der feurige Ausspruch des Propheten geschrieben sein: Der Herr ist meine Kraft und mein Lied! Erhebe dich, zarisches Volk, in die Höhe des himmlischen Reiches (na visinu carstva nebesnoga), wo die Wahrheit, die Heiligkeit und das Gute leuchten.“ Velimirović (1934), S. 12 f. 39 Velimirović (1934), S. 12 f. 40 Politika, 27.6.1920, Nr. 4375, S. 3. 41 Politika, 2.7.1920, Nr. 4379, S. 1. 42 Politika, 28.6.1921, Nr. 4732, S. 1 – 3; Politika, 29.6.1921, Nr. 4733, S. 1 – 4. 43 Politika, 28.6.1922, Nr. 5091, S. 1.

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D 1.2  Die Festigung des Diskurses im Kosovo

Neben Ravanica und Srem sollte sich der Diskurs namentlich im nun vollständig zum SHS -Staat gehörenden Kosovo verbreiten: Die Redaktion der seit 1920 zunächst in Kosovska Mitrovica erscheinenden Jugendzeitschrift „Serbisches Kosovo“ leistete einen wichtigen Beitrag zu einer lokalen Aneignung und Umdeutung sowie Verbreitung der Erinnerungsfigur durch serbische Wortführer. Sie erklärte im Mai 1921 zum einjährigen Jubiläum ihrer ersten Ausgabe ihre Ausrichtung auf die Masse der Bevölkerung, die wirklich literarische Zeitschriften „noch nicht“ verstehe. Die Propagierung des Mythos als „Synonym unserer Nation“ unter den Massen war „Garantie“ und „Legitimierung“ genug für ihre Existenz. Das Amselfeld wurde in dieser Passage in eine Reihe nationaler Kriegserinnerungsorte anderer Nationen eingeordnet, deren Bedeutung nicht in erster Linie religiös aufgeladen waren.44 Dennoch wurde das Amselfeld auch in diesem stark national und kaum religiös ausgerichteten Text als „unsere Auferstehung“ bezeichnet. Allerdings wurden diese wie andere religiöse Begriffe und Konzepte gerade in dieser Zeitschrift derart gehäuft und kommentarlos verwendet, dass ihre religiöse Bedeutung zurücktrat und ganz durch eine oberflächlich sakralisierte, nationale überdeckt wurde. Die Redaktion begründete den Zweck der neuen Zeitschrift weiter damit, diese sei „das erste Blatt“, das im „durch die Arnauten verwilderten“ Kosovo selbst an diesen „heiligen (…) Namen erinnert“. Die Zeitschrift widme sich nur diesem Ziel und richte sich an Jung und Alt und „jedes serbische Haus“.45 Das Publikationsvorhaben stand für den bewussten Versuch der medialen Institutionalisierung des Gedenkens in der Region Kosovo selbst. Die Rede von der Schlacht auf dem Amselfeld überlagerte sich dabei stets und absichtlich mit dem staatlichen Herrschaftsanspruch der Serben über die Region Kosovo. Das Zielpublikum waren christliche Slaven bzw. die sich als Serben identifizierende Bevölkerung und insbesondere

44 „Für diese Volksmasse muss geistige Nahrung in einfacher und verständlicher Form geboten werden. Aber das ,Serbische Kosovo‘ hat überdies eine weitere, größere Bedeutung: Bereits das Wort ,Serbischer Kosovo‘ ist genügend Garantie für sein Bestehen und Legitimierung für sein Entstehen. Wer weiß, was das bedeutet: Das A m s e l f e l d f ü r e i n e n S e r b e n ? – Das ist dasselbe, was die Wolga und Moskau für den Russen, Orléans und die Marne für die Franzosen, Albion und der Ozean für die Engländer, die Thermopylen für die Griechen, der Weiße Berg für die Tschechen. Der serbische Kosovo ist unser Geheiß (anamet) seit 500 Jahren, unsere Tragödie und Hoffnung, unser Grab und unsere Auferstehung, unser Nachtlicht, das nie erlischt und dessen Elektrizität uns vorwärts treibt! Synonym unserer Nation, Symbol unseres Patriotismus!“ Srpsko Kosovo, 15.5.1921, Nr. 10, S. 2. 45 „Eben auf diesem serbischen Kosovo, der durch die Arnauten verwildert ist, auf diesem lebenden Feuer und auf der heiligen Brandstätte wurde das erste Blatt gegründet, durch das man von ihm weiß, das das Gedenken an ihn beleben und hüten möchte. (…) Nichts anderes wird es in diesem Blatt geben, es ist genügend, dass es den Serben an diesen heiligen und gigantischen (ispolinsko) Namen erinnert, dass es als solches vielleicht den Jungen und den Alten hilft und dass jedes serbisches Haus ihn bewahren muss.“ Srpsko Kosovo, 15.5.1921, Nr. 10, S. 2.

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die Jugend dieser Gruppe – lautete doch der Untertitel der Zeitschrift zunächst „Für die serbische Jugend“ bzw. ab 1922 „Für die serbische Jugend und die nationale Aufklärung (narodno prosvećivanje)“. Mit dem Blatt sollten die bisher weitgehend nur in Belgrad entworfene serbische Deutungshoheit der Geschichte und die Zugehörigkeit der Region zum serbisch dominierten Staat vor Ort eingepflanzt, vergegenwärtigt und legitimiert werden. Die Redaktion gab der Zeitschrift die Funktion eines „Wächters des Serbentums im Kosovo und eines eifrigen Propagatoren serbischen Denkens“.46 Die Herausgeber hielten mit ihrer propagandistischen Absicht keineswegs hinter dem Berg. Um ihre Ziele zu erreichen, setzte die Redaktion ein ausführliches inhaltliches Programm auf. Der erste von sechs Punkten machte die Zeitschrift zum Sammlungsort und Publikationsmedium jeglicher „serbischer nationaler Erinnerungen“ über den Kosovo.47 Überdies sollten „Volksgebräuche und Traditionen“ des Kosovo sowie örtliche dialektale Eigenschaften der „serbischen Volkssprache“ besprochen werden. Der räumliche Bezug wurde im vierten Punkt noch deutlicher: „Der ,Serbische Kosovo‘ wird einzelne Gegenden und Orte aus dem Gebiet Kosovo (iz Kosovske Oblasti) beschreiben: Festungen (varoši), Dörfer, Gebirge, Flüsse, Klöster und ähnliches im Zusammenhang mit ihrer Bedeutung in der Vergangenheit und dem Zustand, in dem sie sich heute befinden.“ 48

Regionale Geschichte sollte Schritt für Schritt flächendeckend verräumlicht vorgestellt und dabei als serbische Geschichte inszeniert und erinnert werden. „Mit allen möglichen Mitteln“ sollte das Blatt „die Geschichte des Kosovo beleben und in der serbischen Jugend dieses lebendige Feuer wecken, das unsere Vorfahren hatten, die den Kosovo verewigt haben“. So sollte gewährleistet sein, „dass der ,Serbische Kosovo‘ serbischen Idealen dient“.49 Im Rahmen des jugoslawischen Staates wurde damit ein diesen ausklammerndes, ausschließlich serbisches Bewusstsein gefördert. Während die bisher besprochenen, meist außerhalb des Gebiets Kosovo entstandenen Texte zum Gedenken an die Schlacht auf dem Amselfeld die Schlacht und die serbische Nation ins Zentrum ihrer Aufmerksamkeit stellten, rückte in dieser lokalen Zeitschrift das Kosovo als konkreter Raum in den Vordergrund: Es galt nun, die ­serbische staatliche Herrschaft „mit allen Mitteln“ in dem Vielvölkergebiet als rechtens darzustellen und den orthodoxen bzw. slavischen Bevölkerungsteilen ein serbisches Bewusstsein einzupflanzen. Ein in derselben Nummer der Zeitschrift publiziertes und auf den 7. März 46 „Der ,Serbische Kosovo‘ wird ein zuverlässiger Behüter des Serbischen Vermächtnisses (Srpskog Zaveta), ein wacher Wächter des Serbentums im Kosovo und ein eifriger Propagator serbischen Denkens, serbischer Zuversicht und Zukunft sein.“ Srpsko Kosovo, 15.5.1921, Nr. 10, S. 2. 47 „Der ,Serbische Kosovo‘ sammelt und veröffentlicht serbische nationale geistige Kunstwerke über den Kosovo: Sagen, Lieder und verschiedene historische Arbeiten, die in den nationalen Erinnerungen (u narodnim uspomenama) erhalten sind, Legenden und Überlieferungen.“ Srpsko Kosovo, 15.5.1921, Nr. 10, S. 2. 48 Srpsko Kosovo, 15.5.1921, Nr. 10, S. 2. 49 Srpsko Kosovo, 15.5.1921, Nr. 10, S. 3.

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1921 datiertes, in Cetinje entstandenes Gedicht von Mitar Drecunu unter dem Titel „Kosovo“ machte das Gebiet zum historischen, staatlichen und zukünftigen „Zentrum“ und „größten Heiligtum“ der Serben.50 Die gehäufte Rede vom „Zentrum“ steht für die intensivierte räumliche Vorstellung des Kosovo als Nabel einer serbischen ,mental map‘. Das Titelblatt der Zeitschrift repräsentierte das Bild von der Region, das mit der Publikation vertreten und gefördert werden sollte: Unter einer Abbildung des traditionsreichen Klosters Gračanica fanden links eine Darstellung der alten Stadt und Festung Zvečan sowie rechts das Grabmal Murads Platz (Abb. 23). Zwischen den beiden Gravuren wurde jeweils ein Gedicht zitiert, das auf den ganzen geographischen Raum Bezug nahm – beispielsweise mit akustischen Mitteln. So sollte am 1. Februar 1921 unter dem Titel „Dem serbischen Kosovo“ die Rede vom Klang der Kirchen­glocken nationalstaatliche serbische Herrschaft imaginieren. Auch die Vorstellung einer durch die Region rauschenden Hymne förderte eine national homogene Imagination des ethnisch und kulturell höchst fragmentierten Raumes. „Jedem Bruder“ sollte hörbar werden, dass ihn das „neue Vaterland ruft“.51 Die Zeitschrift „Serbischer Kosovo“ erschien nur bis 1922 in Kosovska Mitrovica – von 1923 an gab Stanojlo Dimitrijević sie in Skopje in seiner Druckerei „Altes Serbien“ heraus.52 Die „Südserbische Bank in Kos. Mitrovica“ blieb aber ihr größter Sponsor. Für 1923 zeichneten 72 Beiträger, davon nur vier aus dem Gebiet des Kosovo. Die Mehrheit der Übrigen schrieb aus Belgrad (zwölf) und Skopje (drei) bzw. anderen Orten in „Südserbien“, je zwei aber auch aus Sarajevo und Zagreb.53 Das traditionelle orthodoxe Osterfest gab in diesem Medium 1921 Gelegenheit, der Märtyrer des Kosovo zu gedenken und ihnen „heilige Ideale“ zuzuschreiben. Kollektive Interessen wie „euer Recht“ sollten wie Christus „auferstehen“ 54 und wurden damit sakralisiert. Die Nationalisierung christlicher Feiern, und insbesondere des Osterfestes, setzte sich in den 30er-Jahren fort. 1930 identifizierten die Verantwortlichen des „Serbischen Kosovo“ in einem Ostergruß das Schicksal des „christlichen Volkes orthodoxen

50 „Das Kosovo ist das Zentrum unserer fernen Vergangenheit (…). – das historische Zentrum unseres starken Staates. Das Kosovo ist der Ort des Grabes und der Auferstehung. (…) Das Kosovo ist der Serben größtes Heiligtum – das Zentrum des Königreiches zwischen den beiden blauen Meeren!“ Srpsko Kosovo, 15.5.1921, Nr. 10, S. 4 f. 51 „Warum entfaltest du nicht deine mächtigen Flügel? Das neue Vaterland ruft dich begehrlich (…) / Sag es jedem Bruder damit er dies hört, / Was ihm seine gerühmten Vorfahren als ihr Vermächtnis (zavet) gegeben haben; / Dass jedes Mal die Glocke von Gračanica über dem Amselfeld läutet, dass es uns gehört; (…). / (…) Es rauscht die ewige Hymne der serbischen Rächer.“ Srpsko Kosovo, 1.2.1921, Nr. 2 – 3, S. 1. 52 Vgl. Srpsko Kosovo, 15.5.1923, Nr. 10, S. 16. 53 Srpsko Kosovo, 1923, letzte Seite in der Ausgabe des Jahrbandes ohne Zählung. 54 Zu Ostern 1921 fanden folgende Zeilen auf der Titelseite Platz: „Christus ist auferstanden! (…) Euer Recht soll auferstehen! / Christus ist auferstanden, Märtyrer! / Mit dem heiligen Kreuz in der Rechten, / Kämpfer für heilige Ideale: / Kämpft gegen das Böse!“ Srpsko Kosovo, 1.5.1921, Nr. 9, S. 1.

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Glaubens“ mit dem Christi. Sie beschrieben ein „Golgatha“, dem die „Auferstehung unseres Vaterlandes, des unteilbaren Jugoslawien“ gefolgt sei.55 Die explizite Angleichung des imaginierten nationalen Schicksals an das von Jesus Christus erreichte damit einen neuen Höhepunkt. Mit der Nationalisierung der Auferstehung war auch im Falle der Imagination des Kovoso in der Zwischenkriegszeit mehrfach die Aneignung der Vorstellung vom „­Golgatha“ verbunden: Sie fand etwa auch in einer gleichfalls im „Serbischen Kosovo“ veröffentlichten Ansprache des Majors Aleksandar J. Jovanović am 17. November 1920 in Kosovska Mitrovica zu Ehren eines durch „arnautische [albanische, S. R.] Räuber“ getöteten ­Gendarmen Verwendung. In dem Text war die Rede vom „serbischen Golgatha der Soluner Stellungen“ oder übergreifend von den „schrecklichen Golgathas des serbischen Geschlechts“, die der Verstorbene Rista M. Tomašević überlebt habe. Die Motive des Albaners wurden als „Rache für das Blut unseres fünfhundert Jahre alten Kampfes in unserem ,Paradies‘“ beschrieben.56 Die religiösen Begriffe wurden wie Versatzstücke eingesetzt und schienen keiner weiteren Erklärung zu bedürfen. Ihre Funktion lag darin, nationales Pathos mit religiösen Elementen zu verstärken. Anlässlich des zehnten Jahrestages der Schlacht bei Kumanovo bezog sich nur Premier­minister Nikola Pašić auf die Amselfeldschlacht: Er stellte die „strahlende Rache der Amselfeldschlacht und die Befreiung von Altserbien“ in das Zentrum seiner Rede.57 Der Patriarch der SOK, König Aleksandar oder der Zagreber Erzbischof Ante Bauer stellten dagegen keine explizite Verbindung her. Das offizielle Organ der SOK berichtete jedoch, dass der Abgeordnete der Republikanischen Kroatischen Bauernpartei Karlo Hajzler die Schlacht von Kumanovo „glorifizierte“. In seinem Grußwort an den König und die übrigen Honoratioren sagte dieser, die Schlacht sei die „Grundlage der Einigung von Serben, Kroaten und Slovenen, und dass die Kroaten immer mehr und mehr bis zum letzten Blutstropfen die nationale Vereinigung verteidigen möchten“. Später reiste er aus Kumanovo bzw. Skopje auf das Amselfeld, „um sich vor den Schatten des Fürsten Lazar, von Miloš Obilić und den übrigen Helden des Kosovo zu verneigen“.58 Das Gedenken anlässlich der Feiern auf dem Amselfeld war ganz durch die Opfer des Ersten Weltkrieges und den Verweis auf die mittelalterliche Schlacht bestimmt.59

55 „Nach unerhörten Qualen, Qualen, die jenen von Jesus Christus gleichen, nach dem Blut­ vergießen nicht in Bächen, nicht in Flüssen, sondern nach einem Meer an vergossenem Blut, ruft das christliche Volk orthodoxen Glaubens [oder: ein christliches Volk, S. R.], angesichts des erreichten Erfolges und erlöst von den Qualen, nach dem Golgatha und der Auferstehung unseres Vaterlandes, des unteilbaren Jugoslawien, mit größtem Recht in alle Richtungen: Christus ist auferstanden!“ Srpsko Kosovo, 15.4.1930, Nr. 8, S. 2. 56 Srpsko Kosovo, 1.2.1921, Nr. 2 – 3, S. 2. 57 Glasnik, 15.(28.)10.1922, Nr. 20, S. 320 – 325. 58 Glasnik, 15.(28.)10.1922, Nr. 20, S. 320 – 325, hier S. 324. 59 Bokovoy (2001), S. 241.

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Das Kosovo wurde aber, ausgehend von den imaginären Entwürfen, bald mit dem Bau einer realen Kirche beschrieben – die Herausgeberschaft des „Serbischen Kosovo“, namentlich der Redakteur Stanojlo Dimitrijević,60 propagierte seit 1923 die Errichtung einer tatsächlichen Kirche auf dem Amselfeld: „Direkt nach dem Ende der Balkankriege, der Rache des unseligen (tužnog) Amselfelds, wurde die Idee von der Errichtung der ,Kosovokirche‘ geboren. Neben verschiedenen Gedanken gab es auch solche, dass diese Kirche oder wie gewisse andere sagen, das Denkmal, nicht auf dem Amselfeld, sondern in Belgrad errichtet werden sollte.“ 61

Diese erste Phase des Nachdenkens über ein solches Projekt war durch den Ersten Weltkrieg unterbrochen worden, auf den eine neue Phase der Erinnerung folgen solle: „Erst nach unserer Vereinigung haben wir diese Idee erneut belebt, und propagierten, dass diese Errichtung voranschreite, umso früher, und zwar direkt auf dem Amselfeld. Volle zwei Jahre haben wir darüber im ,Serbischen Kosovo‘ geschrieben und wir haben eine Umfrage zu dieser Frage eröffnet.“

Tatsächlich lief die öffentliche Debatte über das Thema teilweise über dieselbe Zeitschrift. Das Vorhaben sollte die Verankerung der serbischen Erinnerungskultur „in unserem Süden“ architektonisch einfordern und dauerhaft repräsentieren.62 Mit dem Plan des Baus der Kirche sollte die Eingliederung des realen Raumes in den Vorstellungsrahmen des imaginierten Raumes zum Kern serbischer Identität und staatlicher Herrschaft werden. Nicht nur nach Trägern des Projektes suchte man über das Medium der Jugendzeitschrift, auch die Umsetzung der Idee wurde hier erörtert. Die „heilige Kosovoerde“ sollte mit diesem Gebäude „zu unserem nationalen Ganges“ werden.63 Das Kosovofeld wurde als „unser größtes Heiligtum“ und „unser Jerusalem“ vorgestellt: „Denn es wird unser größtes Heiligtum werden, unser Jerusalem, unser Heiliger Berg oder besser gesagt unser Hadžiluk (Lehnwort aus dem Osm.: Wallfahrt, S. R.). In dieser Kirche oder neben ihr sollen alle unsere gefallenen Kämpfer untergebracht werden. Neben unseren großen Heerführern mögen auch ihre ruhmreichen Krieger liegen, mit denen sie und unser Volk Ruhm erwarben.“ 64

60 Srpsko Kosovo, 15.11.1925, Nr. 22, S. 9. 61 Srpsko Kosovo, 15.(28.)6.1925, Nr. 12 – 13, S. 6. 62 „Seit dieser Zeit erreichen uns Fragen von verschiedener Seite. Was hat es mit der Errichtung der ,Kosovokirche‘, oder wie gewisse andere sagen, des ,Kosovodenkmals‘, auf sich? Wir haben die Errichtung der Kirche propagiert, und warteten darauf, dass die Aufgerufenen die Initiative dazu in ihre Hände nehmen. Und mit Freude können wir bekannt geben, dass sich in unserem Süden (na našem Jugu), bereits angesehene Persönlichkeiten interessiert haben, so dass sich von der Idee die Sache verwirklichen wird…“ Srpsko Kosovo, 15.(28.)6.1925, Nr. 12 – 13, S. 6. 63 „Aber wenn wir diese Kirche auf den Knochen der Kosovohelden errichten, könnte man sich nichts Besseres denken, als wenn sich bei ihr die Gebeine aller bekannten und unbekannten Rächer des Kosovo sammeln, die zerstreut auf der ganzen weiten Welt sind. Auf diese Weise soll die heilige Kosovoerde zu unserem nationalen Ganges (Gang) werden.“ Srpsko Kosovo, 15.(28.)6.1925, Nr. 12 – 13, S. 6. 64 Srpsko Kosovo, 15.(28.)6.1925, Nr. 12 – 13, S. 7.

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Weltweit sollten die Gebeine Gefallener gesammelt werden. Der Ort sollte zum Zentrum der Erinnerung werden. Auch die osmanischen Kämpfer – oder dachte der Autor hier an die nichtserbischen Mitkämpfer des Fürsten Lazar? – sollten erstaunlicherweise in das dann transreligiöse Konzept miteinbezogen sein. Das zu errichtendende Denkmal oder Gotteshaus sollte aber nicht nur die Funktion erfüllen, den serbischen Besitz der Region und die Rache der Schlacht – die hier anders als 1919 durch Velimirović nicht als Sieg memoriert wurde – zu inszenieren: Mit demselben Mittel sollte zur selben Zeit die jugoslawische nationale Einheit der Serben, Kroaten und Slowenen beschworen werden. Gemeinsam am gleichen Ort im Gedenken an die Toten evozierte Trauer und Dankbarkeit sollten die Imagination einer nationalen Einheit herstellen.65 Diesen Zweck exemplifiziert ein Leserbrief von T. N. Lazarević, der von einem „heiligen Grab“ schrieb und erklärte: „Eine solche Kirche auf dem Kosovo wäre gleichzeitig ein Pantheon aller großen und verdienten Söhne unseres dreinamigen Volkes, die mit ihrer Arbeit zu unserer Einigung beigetragen haben.“ 66 Die Vorstellung von einem nationalen Pantheon, die seit dem 19. Jh. in Europa zirkulierte, wurde hier mit dem Kriegsgedenken, dem Projekt des „dreinamigen Volkes“ und dem Kirchenprojekt kombiniert. Lazarević brachte den Wunsch der geographischen Konzentration und der diskursiven Überlagerung auf den Punkt.67 Die gemeinsame Begräbnisstätte sollte Niederlage und späte Rache vereinen und der Erinnerung einen der gewünschten Wahrnehmung nationaler Geschichte nach dem Ersten Weltkrieg angepassten Ort geben. Tatsächlich errichtete 1923 die nahe dem Schlachtfeld gelegene Gemeinde Stimlje eine Kirche den Opfern des Kosovo – die Gemeinde hatte hierzu beinahe eine Million Dinar von den Bewohnern der Region sammeln können.68 Die Zeitschrift „Serbischer Kosovo“ steht exemplarisch für die Etablierung des veränderten Diskurses in der Provinz, die direkt durch den König finanziell gefördert wurde.69 Selbstverständlich ist damit nichts über die Ablehnung dieser Deutungsversuche durch die lokale Bevölkerung gesagt. Zudem ist die Verflechtung des Kosovomythos mit

65 „Und wenn wir unsere Pflicht, die wir unseren größten Söhnen schuldig sind, erfüllt haben, wenn wir an diesem heiligen, lieben und teuren Ort alle von Triglav bis Timok, von Đevđelije bis Subotica zusammengetragen haben, und wenn jeder seinem Lieben und Teuren eine Kerze anzündet, und wenn wir alle die Gräber mit Tränen der Dankbarkeit befeuchten, dann werden wir sehen, dass uns nichts anderes vereint hat, als diese heiligen Knochen der größten Söhne unseres Volkes. Dann werden wir klar sehen, dass wir Söhne eines Volkes sind, auch wenn sie sich nannten: Serben, Kroaten und Slowenen.“ Srpsko Kosovo, 15.(28.)6.1925, Nr. 12 – 13, S. 7. 66 Srpsko Kosovo, 15.9.1925, Nr. 18, S. 5. 67 „Diese Denkmalskirche (hram–spomenik) muss auf dem Amselfeld und an gerade dem Ort errichtet werden, wo die Schlacht im Jahre 1389 stattgefunden hat, damit die Knochen der Rächer des Kosovo gemeinsam mit den Knochen und der Asche der Märtyrer des Kosovo liegen.“ Srpsko Kosovo, 15.9.1925, Nr. 18, S. 5. 68 Bokovoy (2001), S. 242. 69 Auf Anordnung des Königs überwies ihr die Verwaltung des königlichen Hofes 3000 Dinar als Unterstützungsbeitrag, wie 1925 berichtet wurde. Srpsko Kosovo, 15.9.1925, Nr. 18, S. 2.

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der Verehrung des hl. Sava zu beachten: Gerade in diesem Zusammenhang kann 1925 erstmals die Rede von einem explizit „serbischen himmlischen Reich“ nachgewiesen werden: Die Imagination des serbischen Reiches nach seinem Untergang als „serbisches himmlisches Reich“ wurde für Dragomir Dimitrijević, Professor am Lehrerseminar in Skopje, zum Savatag 1925 zum Medium der Herstellung von serbischer Identität und Loyalität gegenüber Belgrad in den neu eroberten Gebieten.70 D 1.3  Vidovdanfeiern in Belgrad und Sarajevo als Inszenierungen der Massen

Gleichzeitig entwickelte sich auch mit der entstehenden Erinnerungskultur um die „Vidovdan­verfassung“ eine jugoslawische Bedeutungsebene: Im Leitartikel zum ­Vidovdan 1924 erklärte der Schriftsteller, Journalist und leitende Beamte im Bildungsministerium, Veljko Petrović, in der „Politika“ in einer reflexiven Beobachtung des Diskurses die mit der Praxis der Erinnerung verbundenen Wünsche: Zunächst machte er dabei nur einen vereinzelten Verweis auf einen serbischen Zusammenhang. Der Sieg bei Kumanovo sei „zum Ruhm Serbiens“ zu feiern. Der Tag und die Erinnerung an den Sieg sollten gemäß dem Beamten Gelegenheit zur Vorstellung der individuellen Zugehörigkeit zu einer „großen Volksseele“ geben.71 Entscheidend war der Wunsch nach einer integra­tiven Wirkung: „Kein Tag kann wie dieser uns so zu Bewusstsein ­kommen lassen“. Von diesem „Bewusstsein“ sollte ein Fortschrittsgedanke, ein Weg in eine jugoslawische Modernität unter religiösen Vorzeichen ausgehen: „Völker und ­Staaten“, denen das nötige Streben zur „großen Ganzheit“ abgehe, „fallen auf die niedrige Stufe des S ­ tammes und der Provinz“. „Völker und Staaten leben nur solange glücklich und machen Fortschritte (napreduju), solange sie unter sich den göttlichen Unfrieden der gesalbten Wiedergebärer fühlen.“ Am Schluss dieser nationaltheologischen Denkfiguren stand die entscheidende, neue Überlegung: „Wir glauben, dass der Vidovdan, schon heute, nicht mehr nur ein serbischer, sondern ein jugoslawischer Feiertag ist“.72 Der bisher nur serbische Diskurs sollte transnational erweitert werden.

70 „Es kamen unheilvolle Tage nach dem Ruhm und Glanz! Das serbische irdische Reich (carstvo) ist auf dem Amselfeld auf die Knie gefallen und zuletzt bei Smederevo. Das serbische himmlische Reich (Srpsko nebesko carstvo), die nationale (narodna) Kirche des hl. Sava ist aber weder jemals auf die Knie noch ist sie jemals gefallen, nicht vor der wilden (obesna) Kraft des Asiaten, nicht vor dem jesuitischen Angriff, dem österreichisch-ungarischen.“ Dimitrijević (1925), S. 30. 71 Laut Petrović gebe es „keinen anderen Tag im Jahr“, an dem „jeder sich selbst als Teil der großen Volkseele fühlt, wie ein Tropfen, der sich freudig in den Wellen des mächtigen Ozeans verliert“. Der Vidovdan wurde als „unser größter Feiertag“ zum „Feiertag des Sieges ,des Himmlischen über das Irdische‘, des Moralischen, Ideellen über das Materielle“ sowie zum „Tag des geistigen Tribunals, der Abrechnung der Volksseele mit sich selbst“. Politika, 28.6.1924, Nr. 5809, S. 1. 72 Politika, 28.6.1924, Nr. 5809, S. 1.

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Die Berichterstattung in der wichtigsten Tageszeitung der Hauptstadt über die öffentlichen Feierlichkeiten in Belgrad und in der Kathedralkirche brachte die Überlagerung des serbischen mit dem jugoslawischen Diskurs auf den Punkt: Mit dem Vidovdan seien die „größten Niederlagen und die größten Erfolge des serbischen Stammes, aber auch des gesamten jugoslawischen Volkes“ verbunden. Die Beschreibung der Feiern war gleichzeitig eine Anleitung zur erwünschten Praxis der Erinnerung auf den Straßen der Hauptstadt.73 Gleichzeitig führte die Berichterstattung den Lesern die an dem Tag erfolgte Inszenierung einer Einheit der Nation von der gewöhnlichen Stadtbevölkerung bis zur Regierung vor Augen: Die „Politika“ berichtete, die Kathedrale sei zur einen Seite mit Offizieren, zur anderen mit „Regierungsmitgliedern und hohen Beamten“ gefüllt gewesen. Sowohl Premierminister Pašić als auch „ein Gesandter des Königs“ waren anwesend, „aber auch reichlich Bürger“ fanden Platz. Das Ziel der transnatio­ nalen Integration der versammelten Führungsschicht des neuen Staates als Pars pro Toto für die Gesamtbevölkerung wurde ganz konkret im sozialen Rahmen des gemeinsamen interkonfessionellen liturgischen Gedenkens zu erreichen versucht.74 Im Rahmen der kulturellen Praxis des traditionellen, nun transkonfessionellen Gebets wurden die „dreinamige“ Nation und der Staat mit dem Segen der Kirche und der Monarchie sowie des Militärs und der bürgerlichen Gesellschaft sakralisiert. Etwa auch der Ethnograph Jovan Cvijić verband 1926 den Entwurf jugoslawischer Identität mit Lazar sowie Miloš Obilić, indem er über diese als charakteristische serbische Beiträge zu einer „jugo­ slawischen Zivilisation“ schrieb.75 Ähnlich wurde gleichzeitig in Sarajevo gefeiert, wie die „Politika“ dem Belgrader Publikum berichtete – ebenfalls in Anwesenheit eines Vertreters des Königs sowie hier des Bildungsministers Pribićević, vieler Konsuln und „einer Gesandtschaft der tschechoslowakischen Sokol[verbände] und Abgesandten aller unserer Sokol­vereinigungen“. Auch diese Feier war konfessionelle Grenzen überschreitend entworfen und um­gesetzt: Sie begann in der „serbisch-orthodoxen Kathedralkirche“ und wurde dann in der „römisch-katholischen Kathedrale“ mit einem Requiem fortgesetzt.76 Vielleicht noch stärker als die Belgrader Feier war diese Veranstaltung in Verbindung mit den Sportvereinen bereits auf Massen angelegt: Nach Hochrufen auf das Königshaus „erklangen 73 „Aber die gestrige Feier unterscheidet sich von den früheren, da es der zehnte Vidovdan seit dem Attentat von Sarajewo war. Wenn die Leute in die Kirche gehen, oder sich auf der Straße unterhalten und zu Hause, sind die Erinnerungen an diesen hellen Tag unserer Geschichte verbunden, und wenn sie gleichzeitig vom Kosovo und von der Vidovdanverfassung sprechen, beleben sie die Erinnerung an den Vidovdan 1914 und seinen Haupthelden wieder, der in unsere Volkserzählung (narodnu epopeju) gleichrangig mit Lazar und Miloš eingeht.“ Politika, 29.6.1924, Nr. 5810, S. 3 f., hier S. 3. 74 „In Gebeten aller Glaubensbekenntnisse wurden lange Offizien gehalten und der Helden vom Kosovo bis zur Vereinigung aller Serben, Kroaten und Slowenen in einem Staat gedacht, die dafür gefallen waren, was wir heute haben.“ Politika, 29.6.1924, Nr. 5810, S. 3 f., hier S. 3. 75 Wachtel (1998), S. 92; zu Cvijić: Clewing/Pezo (2005); Buchenau (2011), S. 158, S. 367. 76 Politika, 29.6.1924, Nr. 5810, S. 3.

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von allen Tribünen und von der riesigen Masse der geordneten Sokol[turner] stürmische Rufe und die Musik hat die Hymne gespielt“. Gerade mithilfe der bewusst zum Medium gesellschaftlicher Integration und Mobilisierung bestimmten Sportverbände sollte die Gelegenheit des Gedenkens an den Veitstag in der Vielvölkerstadt S ­ arajevo zu einem alle sozialen und konfessionsethnischen Grenzen nivellierenden Anlass gemacht werden: „Der jugo­slawische Sokol hat sich die Vereinigung aller Brüder auf die Fahne geschrieben“: Deshalb, so hieß es in der „Politika“, sei dieses Treffen „eine Manifestation unserer nationalen Kraft und unserer Einheit“.77 Auch auf dieser Ebene wurden Katholiken bzw. Slowenen in den Rahmen des Kosovogedenkens eingegliedert: ­Engelbert Hahn, ein Ältester des Verbandes, sprach „im slowenischen Dialekt von der Bedeutung des Vidovdan und unseres nationalen Kampfes“. Seiner Rede folgten „Rufe aus den ­Kehlen Tausender Sokol[turner und -turnerinnen], versammelt aus allen Gebieten unseres Vaterlandes“.78 Die Verbindung der Vidovdanfeierlichkeiten mit Sokolanlässen in Städten, die fern Belgrads waren, wurde beispielsweise 1931 wiederholt, als ein „Vidovdanausflug“ der Sokolverbände nach Split abgehalten wurde: Unter dem Zeichen des forcierten Patriotismus bzw. laut dem Grußwort des Königs „der Sokolidee des Südslavismus (jugo­ slovenstva)“ 79 kamen „große Massen von Sokol[turnern] aus dem ganzen Land“ sowie aus der Tschechoslowakei und Polen zusammen.80 Am Vidovdan 1934 fand sodann ­wieder ein großangelegter Sokolausflug nach Sarajevo statt.81 Die „Politika“ veröffentlichte dabei einen Aufsatz zur „Sokolbewegung unter den Muslimen“ und berichtete von einem „muslimischen Gruß“ der Zeitschrift der muslimischen kulturellen und Bildungsgesellschaft „Gajret (türk. gayret: Eifer)“ an den Sokolausflug anlässlich des Vidovdans nach Sarajevo.82 Der Leserschaft wurde damit eine integrative Wirkung des Tages suggeriert. In Belgrad feierten an der „Neuen Unversität“ 1924 überdies auch die Pfadfinder den Vidovdan, in Anwesenheit hoher Militärs und Akademiker: Professor Ilić eröffnete die Versammlung. Der Vorsitzende der Pfadfinder, Dr. Popović, „erklärte in einer schönen Ansprache den Sinn des Vidovdan in der Entwicklung unseres Staates“.83 Auch hier wurde der Vidovdan mit wissenschaftlicher Legitimation zur staatstragenden Erzählung von den Grundlagen der neuen gemeinschaftlichen und politischen Identität gemacht und einem möglichst großen Publikum einschließlich der Jugend vermittelt. Dieses Verfahren wurde in den folgenden Jahren zur Methode: In der Bericht­ erstattung der „Politika“ weitete sich das Gedenken an den Vidovdan auf immer mehr regionale Zentren Jugoslawiens aus. Schon 1924 wurde auch Novi Sad kurz erwähnt. 1925 ­wurden sodann auch Veranstaltungen in Skopje und Prishtina mit eigenen kurzen

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Politika, 29.6.1924, Nr. 5810, S. 3. Politika, 29.6.1924, Nr. 5810, S. 4. Politika, 30.6.1931, Nr. 8310, S. 8. Politika, 29.6.1931, Nr. 8309, S. 4. Politika, 28.6.1934, Nr. 9378, S. 5; 29.6.1934, Nr. 9379, S. 4. Politika, 29.6.1934, Nr. 9379, S. 5. Politika, 29.6.1924, Nr. 5810, S. 4.

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Notizen vorweg angekündigt: Wegen des Vidovdan kommen „aus dem ganzen Kosovo die Dorfleute in die Stadt“, „um für den Seelenfrieden der gestorbenen Legionen zu beten, auf deren legendären Knochen die Aureole unserer heutigen Freiheit strahlt“. Am Vorabend der Feiern wurde berichtet, bei der Gedenkstätte „Gazimestan“, und zwar genau, wo „gemäß der Überlieferung“ die Schlacht stattgefunden hatte, sollten „Schauspieler des Skopjoter Volkstheathers die Kosovoschlacht darstellen“. In Skopje sollten von der „Burg Dušans“ Böllerschüsse abgegeben werden und an den Feierlichkeiten „alle nationalen und kulturellen Institutionen der Zarenstadt“ teilnehmen.84 Sowohl „Altserbien“ als auch „Südserbien“ sollten an diesem Tag als unabtrennbare Teile Jugoslawiens erscheinen. In diesem Jahr 1925 traten die Sokolverbände in der Darstellung der „Politika“ auch an den Vidovdanfeiern in Belgrad stärker in Erscheinung: Sie zogen vom Bahnhof aus, formiert als „imposanter Festzug“, angeführt von der Reiterei und der Musik der Verbände. Auch Sokolvertreter aus Russland, der Tschechoslowakei sowie Polen nahmen mit ihren Fahnen teil und zogen durch das repräsentative Zentrum der Hauptstadt: Der Anlass wurde mit ihrer Teilnahme zur internationalen Demonstration. Es begab sich „eine riesige Masse“ zum großen Sportplatz „Koštunjak“, der nicht genügend Raum bot: „Alle umliegenden Höhen waren von riesigen Massen“ besetzt, angeblich insgesamt 20 000 Menschen: „Mit vollem Recht kann gesagt werden, dass Belgrad noch nie eine solch große Anzahl von Menschen an einem Ort versammelt gesehen hat.“ Auf der Tribüne waren neben dem Vertreter des Königs auch der Patriarch der SOK sowie mehrere Minister, unter ihnen auch der Kriegsminister, der die Feier der Sokol­verbände logistisch unterstützt hatte. Mit der Teilnahme der „männlichen und weiblichen Belgrader Kindersokolabteilung“, der auch Kinder ab vier Jahren angehörten, waren alle Generationen der Hauptstadt, die Kirche und der Staat an der Inszenierung in der hauptstädtischen Öffentlichkeit beteiligt. Abends wurde eine „Kirmes (Kermes)“ veranstaltet, während der auch der akademische Chor „Obilić“ sang. Aber nicht nur die Feiern in Belgrad, sondern auch jene auf dem Amselfeld, in Kruševac, Skopje, Novi Sad, Sarajevo, Livno, Zagreb und Prag wurden mit einigen Zeilen beschrieben:85 Auf der Gedenkstätte „Gazimestan“ im Kosovo seien bereits am Morgen 20 000 Menschen versammelt gewesen und alle Häuser der Gegend seien mit „nationalen Trikoloren geschmückt“ gewesen. Einer der Redner, Gliša Kuzmanović aus dem Banat (Banađanin), erklärte, begleitet von Böllerschüssen der Artillerie, „die Bedeutung des heutigen Tages für jeden Serben, und dass man nur auf einem dornigen Weg Aufnahme in das nationale Pantheon finden kann“. „Vertreter mehrerer gesellschaftlicher Korporationen“ hielten Ansprachen und „legten sieben schöne Kränze nieder“. Die bereits angekündigte Aufführung der ­Skopjoter Schauspieler „hypnotisierte“ darauf die „Massen“. Offenbar mit Erfolg wurde das reichlich versammelte Publikum in die dramatische Reinszenierung des Mythos miteinbezogen, was die angebliche Begeisterung selbst von Muslimen beweisen sollte:

84 Politika, 28.6.1925, Nr. 6168, S. 3. 85 Politika, 29.6.1925, Nr. 6169, S. 4 f.

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„Es ist charakteristisch, dass selbst die Muslime, von denen eine große Anzahl anwesend war, Miloš applaudierten.“ Auch die Muslime sollten damit zu Akteuren einer transreligiösen nationalen Mobilisierung gemacht werden. In Kruševac nahm der „Aeroklub Unser Flügel“ an den Feiern teil: Just am Vidovdan verkündete dieser mit gehöriger Technikbegeisterung, dass „an unserem Himmel nur unsere Flügel fliegen“ sollten. Auch in Skopje wurden lokale nationale gesellschaftliche und staatliche Verbände als Träger der Feierlichkeiten in deren Rahmen eingebunden: „Durch ganz Skopje haben Mitglieder des Kreises der Serbischen Schwestern und Mitglieder der Volksverteidigung (N. Odbrane) Kosovo Pfingstrosen verkauft, sodass die ganze Bürgerschaft von Skopje bis zum Mittag mit diesen Pfingstrosen geschmückt war.“ Am Fackelumzug am Abend zuvor hatte gleichfalls angeblich „die ganze Bürgerschaft bereitwillig teilgenommen, mit vielen Fahnen, allen nationalkulturellen und Bildungsorganisationen sowie allen Schulen“. Das Ziel war die möglichst umfassende Mobilisierung wenigstens der städtischen Gesellschaften des gesamten Staates und rhetorisch des „ganzen Landes“ auf den Straßen und die überschwängliche Berichterstattung darüber in der Zeitung. So titelte die „Politika“ zu den Feierlichkeiten 1926: „In der Residenzstadt und im ganzen Land wurde der Vidovdan feierlich begangen.“ Allein auf dem Amselfeld sollen damals 30 000 Menschen gefeiert haben, während in Ravanica, wo die Gebeine Lazars ruhten, „vielleicht noch nie mit einer so großen Teilnahme des Volkes“ gefeiert wurde. „Sonderzüge“ waren im Einsatz. In Zagreb wurden in „allen Gotteshäusern aller Glaubensrichtungen feierliche Gottesdienste in Anwesenheit einer großen Zahl von Bürgern, Beamten und Vertretern der zivilen wie der militärischen Behörden“ abgehalten – ganz ähnlich berichtete die Zeitung aus Sarajevo sowie Skopje. Dort wurde in einer Rede „die Wichtigkeit des heutigen Tages in der Geschichte des Serbentums“ erläutert sowie „in der orthodoxen Kathedralkirche, in der katholischen Kathedrale, in den Synagogen und Moscheen ein feierlicher, den gefallenen Helden des Kosovo gewidmeter Gedenkgottesdienst (­parastos) abgehalten“.86 Die Inszenierung des Kosovomythos diente hier und in Zukunft als Mittel der transreligiösen Integration der multiethnischen Bevölkerung in die Vorstellung einer Region namens „Südserbien“ eher unter serbischen als unter jugoslawischen Vorzeichen.87 Obschon diese Inszenierungen jeweils nur einen Tag im Jahr betrafen, begründeten sie doch eine wichtige Plattform der Inszenierung nationaler Identität, die in der Hauptstadt wie in immer mehr Provinzstädten fern Belgrads zur mit großem Aufwand wiederholten, institutionalisierten sozialen Praxis wurde. 1927, als das Gedenken an Gavrilo Princip und sein Attentat 13 Jahre zuvor im Zentrum der Veranstaltungen stand,88 dehnte sich die räumliche Reichweite des Gedenkens aus: Erstmals berichtete die Zeitung „Politika“

86 Politika, 29.6.1926, Nr. 6528, S. 4 f. 87 Politika, 29.6.1931, Nr. 8309, S. 3. 88 Politika, 28.6.1927, Nr. 6883, S. 1 f.

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unter der Losung „in Belgrad und im ganzen Land“ nun auch von Feiern in Ljubljana.89 In den folgenden Jahren festigte sich die Inszenierung des Vidovdan als zentralstes öffentliches gesellschaftliches Ereignis des Jahres „in Belgrad und im ganzen Land“ weiter.90 1928 nahmen in Belgrad – offenbar auf Befehl – „alle aktiven und Reserveoffiziere“ an den Feiern teil. Gleichzeitig bemühte man sich weiterhin, die Feier religions- und konfessionsübergreifend zu gestalten: „Drei Geistliche dreier unterschiedlicher Glaubens­ richtungen“ – ein orthodoxer, ein katholischer und ein muslimischer – lasen vor den versammelten Militärs ein Gebet für die „ruhmreich gefallenen Kämpfer für die Freiheit und Einigung“. Alle Kriegsopfer „von der Kosovoschlacht bis heute“ wurden hier im Rahmen des multireligiösen Gebets zu einer einzigen Menge vereinigt. Auf den Ruf „Ruhm ihnen!“ folgte eine „Revue mit Parademarsch“.91 Mit dem Beginn der Königsdiktatur verschärfte sich 1929 die sportliche Militarisierung des Gedenkens: Ein „Vidovdanoffizierswettlauf“ wurde abgehalten, der in den folgenden Jahren wiederholt wurde.92 Das Medium der Fotografie vermittelte die Militarisierung der Veranstaltung über die Zeitung „Politika“ einem noch größeren Kreis auch visuell: Das Blatt zeigte großformatige Fotografien des „Defilées der berittenen Königsgarde“ sowie der Artillerie. Ein Bischof Georgije erklärte in seiner auf derselben Zeitungsseite veröffentlichten Predigt, die er in der Kathedralkirche gehalten hatte, dass an diesem Tag „das ganze Volk vor das Antlitz Gottes“ trete. Die nationale „Freiheit und Einheit“ bezeichnete er als „große moralische Werte, ja Heiligtümer“. Der Sinn des Vidovdan bestehe in der „gemeinsamen Erneuerung der nationalen Gelübde“.93 Die führende Zeitung des Landes berichtete gerade in diesem Rahmen – auf der­selben Seite – erstmals auch ausführlich von einem dem Vidovdan gewidmeten Gottes­dienst in der Synagoge Bet Israel, in Anwesenheit des Gesandten des Königs und des Bildungsministers: der Rabbiner Dr. Alkalaj erklärte: „Der Vidovdan erinnert uns daran, (…) dass wir uns wirtschaftlich und in der Bildung fortbewegen, dass wir mit der Wissen­ schaft das vollenden und befestigen, was die Bajonette begonnen haben.“ Auch im Weiteren gliederte er seine Glaubensgemeinschaft in „unser Volk“ ein, sicherlich, wo er über „unser dreinamiges Volk“ sprach, aber wohl auch, wo er das „serbische Volk“ beschwor. Die Lobpreisung des im Zeichen des Vidovdan zu leistenden kulturellen Fortschritts war allerdings nicht spontan – seitens der Regierung war die Eingliederung der jüdischen Gemeinde in den sozialen Rahmen der Erinnerung an den Kosovo­ mythos erwünscht: Der Rabbiner erklärte, „dass auch wir im Geiste des Vidovdan heute einige Worte spenden, gemäß dem entsprechenden Rundschreiben des Herrn Bildungs­ ministers, des Ministers S. M. des Königs, des großen Initiators alles dessen, was heute die Lebensfrage unseres Volkes darstellt“. Tatsächlich war in der Rede die Verehrung

89 90 91 92

Politika, 29.6.1927, Nr. 6884, S. 1. Beispielsweise: Politika, 29.6.1932, Nr. 8667, S. 5; Politika, 29.6.1934, Nr. 9379, S. 6. Politika, 29.6.1928, Nr. 7241, S. 5. Politika, 28.6.1929, Nr. 7596, S. 8. Vgl. Politika, 28.6.1931, Nr. 8308, S. 10; Politika, 28.6.1932, Nr. 8666, S. 10. 93 Politika, 29.6.1929, Nr. 7597, S. 2.

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des Königs ausdrücklicher als die Identifizierung mit einer staatlichen Ideologie oder auch dem Kosovomythos.94 Die Loyalität gegenüber der jeweiligen Dynastie war für jüdische Gemeinden Europas traditionell wesentlich. Die Bemühungen um eine Eingliederung der jüdischen Gemeinde in den nationalen jugoslawischen Kontext mittels der Feiern des Vidovdan wiederholten sich in den folgenden Jahren.95 Wo es möglich war, wurden die Feiern transreligiös angelegt: So nahmen an den Feierlichkeiten auf dem Amselfeld 1935 „Geistliche orthodoxer, katholischer, muslimischer und jüdischer Glaubensrichtung teil“.96 D 1.4  Diskursive Veränderungen und Massenveranstaltungen in den 1930ern auch in den Provinzen

Erst 1930 wurden im Zusammenhang mit den Diskursen um den Vidovdan in der „Politika“ auch Heidentum und Rassismus thematisiert: Der Literaturkritiker und avantgardistische Dichter Dimitrije Mitrinović, der bis 1914 in Zagreb, Belgrad, Wien, München und Tübingen studiert hatte und seither in London lebte, schrieb unter dem Titel „Der Vidovdan Jugoslawiens“: „JUGOSLAWIEN WIRD DIESES ORGAN DER MENSCHHEIT WERDEN, DAS ZUM ERSTEN MAL DAS RASSISCHE IDEAL DER MENSCHLICHEN VOLLENDUNG VERKÖRPERN WIRD .“ Mitrinović kam zu diesem Schluss im Rahmen einer in der „Politika“ erstmaligen heidnischen Deutung Vids: Der einleitende Satz seiner Darlegung begann mit dem Teilsatz: „In der dumpfen Nacht des heiligen Vid, in der toten Mitternacht des Gottes Vid“, später schrieb er von der „heidnischen Überlieferung“. Der wirre Text spielte mit modernen naturwissenschaftlichen, philosophischen und soziologischen Vorstellungsformen, wenn er vom „Atom des Allmenschen“ und vom „Kollektivdasein“ handelte, und gipfelte in einer universalhistorischen Phasenunterteilung, in der sowohl die „heilige Vorsehung“ als auch „unsere Rasse“ und „persönliche Persönlichkeiten“, die „die südliche Slavia gebären werden“, entscheidend sein sollten, zusammengehalten durch die so flexible Erinnerungsfigur des Vidovdan. Mit der Selbstokzidentalisierung und Selbstmodernisierung im Sinne der Imagination einer „modernen (moderna) und westlichen“ Zukunft Jugoslawiens versuchte sich der Autor schließlich von der ,mental map‘ eines rückständigen, „balkanischen“ und „östlichen“, orientalischen Serbien zu verabschieden und Jugoslawien in kompensatorisch übersteigerter Selbstwertschätzung in den Rang „eines der Hauptreiche“ der Menschheit zu

94 Politika, 29.6.1929, Nr. 7597, S. 2. 95 1931 wohnten den Feiern in der Synagoge neben Delegierten mehrerer Ministerien auch „zahlreiche Reserveoffiziere“ bei. Politika, 29.6.1931, Nr. 8309, S. 3. Vgl. Politika, 29.6.1934, Nr. 9379, S. 6. 96 Politika, 29.6.1935, Nr. 9735, S. 1. Vgl. Politika, 29.6.1937, Nr. 10449, S. 7; Politika, 29.6.1938, Nr. 10805, S. 3; Politika, 29.6.1939, Nr. 11161, S. 3.

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erheben.97 Gerade der Rassismus erwies sich auch im jugoslawischen Fall als Bestandteil des Entwurfes einer identitätspolitischen Modernität.98 Auch 1930 spielten Massenaufmärsche der Sokolbewegung eine zentrale Rolle und besetzten den öffentlichen Stadtraum.99 Die „Politika“ titelte zum Beginn einer mehrseitigen Text- und Fotoreportage (Abb. 25, vgl. Abb. 26) mit großen Abbildungen von Gruppen, Massenformationen und dem Königshaus: „Belgrad war gestern ein einziges großes Stadion“.100 König Aleksandar erklärte in einer Ansprache an die versammelten männlichen und weiblichen Sokolturner, der Sokol, der „seit kurzem unter dem Vorstand meines erstgeborenen Sohnes“ stehe, sei „dem großen jugoslawischen Gedanken verpflichtet, und ein Träger des heldenhaften, nationalen Geistes“.101 Neben der Festigung des königlichen Patronats über den Sokol, der die gesamtjugoslawische Popularität des Königshauses fördern sollte, entwickelte sich auch die ideologische Aufladung der Sportbewegung weiter: In derselben Zeitungsnummer entwarf Dušan Bogunović eine messianische „Vidovdanideologie des Sokol“: in den Kriegsjahren 1914 – 1918 „entstand unter uns der Vidovdangedanke als Idee der Erhaltung, der Entwicklung und des Fortschritts aller größten Höhen unserer Rasse, als Idee des Kampfes der Freiheit gegen die Sklaverei, (…) zumal wir vor allen übrigen Slaven dazu berufen sind, das Kreuz des Kampfes zu tragen“.

Wesentlich waren dazu die „Idee des Bewusstseins, dass wir keine Sklaven (robovi) sind“, und die Vorstellung von einem „erniedrigten Slaventum“. Gemeinsam mit den Prinzipien des Vaters der Sokolbewegung, des als Friedrich Tiersch geborenen ­Miroslav Tyrš – die „in seelischer, körperlicher und moralischer Frische“ gründeten – ergab sich die „Vidovdanideologie des Sokol“, die „im Dorf, in der Armee und in der Schule“ einzupflanzen sei, um die „Idee der Einheit des Volkes und des Staates“ zu fördern. Die Ideologie reduzierte sich letztlich auf den Satz: „Wir wollen das himmlische Reich eher als das irdische Reich.“ 102 Moderne Körper- und Sportbegeisterung, dem religiösen Diskurs entlehnte Versatzstücke, Rassismus und moderner Massennationalismus

97 „Denn das wird die Gestalt Jugoslawiens sein, die jeden Tag im Geist ihres ersten Vidovdan lebt; und die Revision ihres Planes und ihrer historischen Orientierung in ihrer wahrlich (u pravcu) weiblichen Zukunft vollendet hat, getrieben, gelenkt wird sie durch ihre recht (pravcem) männliche Vergangenheit. (…) Der serbische Geist ist unsere Vergangenheit – Die Zukunft ist Jugoslawien, nicht nur eine östliche, balkanische Zukunft, sondern auch eine sehr nörd­ liche Zukunft, sehr slavische (slovenska), moderne (moderna) und westliche. Die Kroaten und ­Slowenen sind, wie die Serben, Jugoslawien; eines der Hauptreiche im menschlichen Drama.“ Politika, 28.6.1930, Nr. 7952, S. 2. 98 Zu jugoslawischem Rassismus: Promitzer (2003); Sundhaussen (2007b), S. 245 f.; Wachtel (1998), S. 93 f. 99 Faktographisch: Cvetković (1998), S. 61 – 65. 100 Politika, 28.6.1930, Nr. 7952, S. 4 – 9. 101 Politika, 29.6.1930, Nr. 7953, S. 1. Erneut mit großen Fotografien des Herrscherhauses und von geordneten Sportlermassen in den Straßen Belgrads sowie im Stadion: S. 1 – 7 (Abb. 26). 102 Politika, 28.6.1930, Nr. 7952, S. 4.

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f­ anden unter dem Dach des Vidovdan zu einer zeitgemäßen „Ideologie“ zusammen, die postkoloniale Minderwertigkeitskomplexe kompensieren sollte. 1930 verbreitete die damals in Skopje erscheinende Jugendzeitschrift „Serbischer Kosovo“ einen Aufsatz des Theologen Radoš Trebješanin mit dem Titel „Kosovoideale (Kosovski ideali)“. Erneut wurde hier serbische Geschichte gemäß popularisiertem geschichtsphilosophischem Idealismus interpretiert und stilisiert – diesmal seitens eines Theologen. Der Geistliche machte das Amselfeld bzw. den „Kosovogenius“ mit interdisziplinären Mitteln politisch-theologisch zum Stifter höchster serbischer und humaner Ideale und zum vielfachen Höhepunkt der Religions-, Kultur- und Menschheits­geschichte. Die zunächst angeführten Referenzen bezogen sich auf bildungsbürgerliche Ideale und Erzeugnisse, antike griechische Epen wie zeitgenössische russische und französische Romane. Auch der mehrfache Vergleich mit französischen Inhalten gab dem Bedürfnis Ausdruck, den serbischen Kontext am westeuropäischen zu messen und ihn gerade als diesem überlegen darzustellen. Die Aufladung mit weltlicher Bedeutung wurde jedoch durch die mit religiöser überdeckt, wurde doch das Amselfeld ideologisch Christus gleichgestellt.103 Nationalismus schien im serbischen Kontext gerade durch die In­sze­ nierung einer übersteigerten messianischen Religiosität wirklich anziehend zu sein. Die Grundlage für diese religiös-nationale Konzeption war der politisch-theologische Idealismus, mit dessen Hilfe der Theologe eine heterogene Vorstellung von Ideal­bündeln beschrieb: Die Serben sollten „polytheistische, svetosavische, KosovoVidovdan-­Ideale (Kosovske-Vidovdanske) und zuletzt albanische Ideale“ haben. Ohne Scheu vor Superlativen stattete Trebješanin in diesen Sätzen das serbische Volk mit einer „Kosovo­ideologie“ aus, deren Qualität den Erfolg im Wettstreit der „Rassen“ unter­einander garantierte. Die nationaltheologische anthropo- und christomorphe Vorstellung eines serbischen Volkes, das mit seinem „Golgatha“ gekreuzigt und danach auferstehen zu können schien, wurde überdies nationaldarwinistisch gesteigert. Als Ausgangspunkt der Erfindung und grenzenlosen Glorifizierung einer expliziten politisch-theologischen „Kosovoideologie“ ist schließlich die Erinnerung an eine Zeit der nationalen Erniedrigung erkennbar.104

103 „Das Amselfeld hat den Serben zum Genie gemacht.“ „Das Kosovo ist die serbische Ilias und Odyssee, aber nicht mythisch, sondern real, fühlbar und wahrhaftig. Homer hat wenig gegeben, das serbische Genie hat viel mehr gegeben. Das Kosovogenie hat gegeben: Ein Epos gleich dem Homers, eine Philosophie gleich derjenigen Dostoevskijs, eine Mutter-Frau, die der Mutter Hugos gleicht (slično Igovoj majci), ein Mädchen, das den Nymphen und Elfen ebenbürtig ist, Mut, der dem größten Kriegsgenie Bonaparte gleicht, eine Ethik, die Catos und Tolstojs Ethik gleicht, ein Nationalismus, der nur dem der Franzosen gleich ist und eine Religiosität wie diejenige der heiligen Väter. (…) Das Amselfeld hat Ideale gegeben, wie sie niemand zuvor der Menschheit gegeben hat, abgesehen vom Gottmenschen Christus. Das Amselfeld ist eine Schatzkammer, in der sich alles Menschliche, alles Übermenschliche finden lässt.“ Srpsko Kosovo, 15.8.1930, Nr. 16, S. 2 f. 104 „Der Idealismus ist allen Erfolgen aller Rassen aller Zeiten vorangegangen. Wir, zunächst die Serben, haben polytheistische, svetosavische, Kosovo-Vidovdan-Ideale (Kosovske-Vidovdanske)

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Obschon der Aufsatz den Titel „Kosovoideale“ trug, stand doch der Vidovdan im Zentrum der Schlussfolgerung: „Wir benötigen eine Vidovdanreligion (Vidovdanska religia), damit wir nur ein Ideal hätten: ,Für das Ehrenkreuz‘…“ 105 und damit für den Loyalitätseid. Diesen ideologischen Überlegungen folgten Forderungen für die erinnerungs­kulturelle Praxis: So kritisierte ein Leser, der „geheiligte“ 28. Juni sei „zu einem Schultag ge­worden“, an dem nur zwei und nicht zwölf Stunden „des Ruhmes“ gedacht werde.106 Da­rauf lobte der Leserbriefschreiber die Zeitschrift, die allein dem Gedenken „im Süden“ genügend Raum gebe und als „Strahl der Kosovosonne“ ein unverzichtbares Medium der serbischen Nationalideologie sei. Bemerkenswert ist dabei der Verweis auf Anfein­dungen gegen die Zeitschrift.107 Diese weisen indirekt darauf hin, dass sich die Publikation bis zu diesem Zeitpunkt als ein markantes, wenn auch kontroverses Verbreitungsmittel des serbischen Kosovodiskurses „im Süden“ etabliert hatte. 1932 schrieb Nikolaj Velimirović, der von 1920 an Bischof in Ohrid war, in der in Sarajevo erscheinenden Zeitschrift „Bruderschaft“ zum Vidovdan, die 1389 Gefallenen seien „unerschrockene Kämpfer“ und „Nachfolger des hl. Sava“. „Gemäß ihrer Ideologie“ und „ihren religiös-philosophischen Gedanken“ seien „ganze Generationen von Kämpfern“ erzogen worden. Auch die erneute Rede von einer „Kosovokonzeption“ stand für eine Festigung des Vokabulars und damit auch des Inhaltes der ideologi­sierten Kosovoerzählung. Neu war neben der Verknüpfung mit der Verehrung Savas eine Ästhetisierung des Diskurses – der „Geist“ der Gefallenen sei für Poesie, Architektur und Malerei entscheidend geworden und habe „feinste Vibrationen“ der „kollektiven Seele“ hervorgerufen sowie „unsere Vergangenheit zu einer erhabenen Symphonie des Schmerzes und der religiösen Begeisterung gemacht“. Die jüngsten Siege der Serben und zuletzt albanische Ideale. Aber die Kosovoideale sind größere als alle anderen, denn sie beinhalten in sich alle vorgängigen und folgenden Ideale. Die Kosovoideale sind breiter als jeder Raum, tiefer als jedes Wesen, höher als alle Gedanken. Deshalb ist die Kosovoideologie bis heute unübertroffen in der Geschichte der Menschheit. Niemals hat ein ganzes Volk auf diese Weise und so sehr empfunden (osećao) (…). Das Kosovo war das serbische Golgatha, aber auch die Serbische Auferstehung, die frisch in der Erinnerung eines ganzen erniedrigten und beschimpften Volkes bleibt.“ Srpsko Kosovo, 15.8.1930, Nr. 16, S. 2. 105 Srpsko Kosovo, 15.8.1930, Nr. 16, S. 3. 106 „Bei uns ist das Amselfeld bald vergessen. Die einzige Erinnerung an diesen geheiligten (­svetiteljski) Tag ist der 28. Juni, aber auch dieser ist zu einem Schultag geworden. Er wird ab­ gehalten mit einer zweistündigen Ehrenbezeugung in der Kirche, aber alles Übrige steht dazu im Widerspruch. So wird des Ruhmes nicht zwölf Stunden, sondern zwei Stunden gedacht. Ist das nicht ein Hohn, und muss das Amselfeld nicht ewig, ewiglich gerühmt werden?“ Srpsko Kosovo, 15.8.1930, Nr. 16, S. 3. 107 „Nur die Zeitschrift ,Serbischer Kosovo‘ unten im Süden, verworfen, vernachlässigt, bald auch verachtet, begleitet uns in diesem so Notwendigem. Sie ist ein Strahl der Kosovosonne, der Wohlgeruch der Pfingstrosen des Kosovo, der Segen der Kosovoopfer, der Glanz der Kosovoideale, das Blut der Kosovomärtyrer, der Wecker der verschlafenen Liebhaber (ljubitelja) des Kosovo und des Vaterlandes. Deshalb ist es nötig, den Kosovo zu lieben, denn jede Vaterlandsliebe ohne Liebe des Kosovo ist verlogen.“ Srpsko Kosovo, 15.8.1930, Nr. 16, S. 3.

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und die „Heiligung unseres Vidovdan“ seien von der „Vorsehung“ „vorbestimmt“.108 Die Aktualisierung der Erinnerung und ihre Verbindung mit militärischen Erfolgen der Gegenwart waren damit an die Erfüllung der angeblichen Prophezeiung verbunden. Die nun uneingeschränkt positiv gewendete Figur sollte in dieser Argumentationslogik weiterhin die Geschichte der Serben erklären, gerade weil nach den Siegen die sogenannte Prophezeiung als erfüllt gedeutet werden konnte. Der an Einfluss gewinnende Bischof arbeitete gerade im Rahmen des Diskurses über das Amselfeld weiter an einer Nationaltheologie als einer in seinen Augen zeitgemäßen Ausformung einer serbischen Orthodoxie und stellte sich mithilfe des politisch-theologischen Diskurses an die Spitze der Gesellschaft. Der Vidovdan wurde in den 30er-Jahren zur wichtigsten Gelegenheit nationalreli­giöser kollektiver Selbstvergewisserung und Massenmobilisierung. Auch in der Geschichtskonzeption des führenden und für die Schulbuchliteratur paradigmatischen serbischen Historikers, Vladimir Ćorović, war die Schlacht zentral, wie seine „Geschichte Jugoslawiens“ 1933 zeigte. Er verglich das Epos mit der „Ilias“ und dem „Nibelungenlied“ sowie zitierte mehrere Strophen. Religiöse Aspekte ließ er ganz aus und schrieb die ganz weltlich gedeutete „nationale Katastrophe“ den egoistischen und zerstrittenen „feudalen Herrschaftsträgern“ Serbiens zu.109 Die Erinnerungsfigur des Amselfeldes war dabei sehr flexibel und auch örtlich übertragbar. Auch die oberste Kirchenführung hatte sich den Diskurs bis zu diesem Zeitpunkt angeeignet und vertrat seine Popularisierung offensiv: 1935 beging Patriarch Varnava, der sich schon vor dem Ersten Weltkrieg als Bischof von Dabar-Veleš im osmanischen Makedonien als Förderer des serbischen Nationalismus hervorgetan hatte und 1920 Metro­polit von Skopje geworden war, den Vidovdan auf dem sogenannten „Dalmatinischen Amselfeld“, das zufällig denselben Namen trug wie das Schlachtfeld 108 „Dies waren unerschrockene Kämpfer für die heiligen Prinzipien der heiligen Orthodoxie, die den Himmel der Erde vorgezogen haben, das himmlische Reich dem irdischen, und deshalb besingt das Volk ihre Großtaten und erhöht sie zu den himmlischen Heiligen und Engeln. Dies sind die Nachfolger des hl. Sava, der die Personifikation der wahren Heiligkeit ist, des Aposteltums (apostolostva) und der Liebe, der in der Volksseele das großartige Bild des wahrhaftigen Christentums zurückgelassen hat und übermenschliche Großtaten des Heldentums. Durch ihre Aureole (oreolom) sind die Gesichter Jevrosims, der Mutter Jugovičs und des Kosovo­mädchens vergoldet. Gemäß ihrer Ideologie, ihren religiös-philosophischen Gedanken sind ganze Generationen von Kämpfern bis zum heutigen Tag erzogen worden. Ihr Geist hat unsere Poesie erhalten, unsere Architektur und unsere Malerei, ihr Geist gab der kollektiven Seele die feinste Vibration und hat unsere Vergangenheit zu einer erhabenen Symphonie des Schmerzes und der religiösen Begeisterung gemacht. (…) Ihre Konzeption des Kosovo (kosovska koncepcija) hat sich erfüllt und wir sehen heute mit unseren Augen, was einst ein Traum war, als Realität; wir haben heute vor uns den Beweis, dass ihre Idee unter dem Schutz Gottes steht und dass die Vorsehung unsere letzten Siege und die Heiligung unseres Vidovdan vorherbestimmt hat.“ Bratstvo, 1932, god 8, o. S. vollständig wiedergegeben in und zit. gemäß Nikolaj Velimirović. Izabrana dela 12, S. 36 f. 109 Ćorović (1933), S. 195 – 198.

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von 1389. Die Feier organisierte die „wirtschaftlich-kulturelle Matica für Norddalmatien gemeinsam mit den Kirchschulgemeinden“ der Region im Überlagerungsgebiet des Einflussbereiches der SOK und der kroatischen Bistümer der katholischen Kirche. Nachmittags veranstal­teten die lokalen Sokolverbände einen „Sokolausflug auf das Amselfeld“. An der Feier zu Ehren der „für das Vaterland Gefallenen“ nahmen „beinahe 10 000 Menschen“ teil. Unter ihnen waren fünf Bischöfe der SOK, von denen „Dr. Nikolaj“ als Bischof von Ohrid und Bitola an erster Stelle genannt wurde:110 Seine religiöse Laienbewegung der „Bogomoljci“ erlangte zur Mitte der 30er-Jahre eine Mitgliederzahl von bis zu 20 000.111 Wie die „Politika“ berichtete, sei eine so große Menge an diesem Ort seit 1914 nicht mehr zusammengekommen: Damals war „unmittelbar vor dem Weltkrieg der Helden des Vidovdan“ gedacht worden. Auch hier überlagerten sich Kriegsgedenken, religiöses Gedenken, Turnveranstaltung und kulturell-wirtschaftliches Engagement von Vereinen im flexiblen Rahmen des Vidovdan.112 Aber nicht nur im Innern des neuen Staates, sondern auch im Ausland diente der ­Vidovdan zur Festigung der jungen jugoslawischen Identität, allerdings in der Abgrenzung von der übrigen Bevölkerung: So fand das Gedenken an den Vidovdan im g­ leichen Jahr im mehrheitlich jüdischen Saloniki in der Darstellung der „Politika“ strikt im ­Rahmen der jugoslawischen Diaspora und ihrer Vereine statt. Diese veranstalteten einen Gottesdienst in der dortigen, dem hl. Sava geweihten Kirche. Es folgte der Besuch des serbischen Soldatenfriedhofs „Zejtinlik (von osm. zeytinlik für Olivenhain, S. R.)“.113 Nach der starken Intensivierung der Erinnerungsdiskurse um den hl. Sava im Jubiläumsjahr 1935 spiegelte sich dies 1936 auch in der Feier des Vidovdan: Patriarch ­Varnava fragte am „großen nationalen Feiertag“, der bereits ritualisiert „in der Thronstadt und im ganzen Land gefeiert“ wurde, rhetorisch: „Was wäre mit uns heute, wenn es nicht den großen Geist des hl. Sava gäbe, der auf ewig unser Volk mit Glauben gefüllt hat und es nach vorne geführt hat, in eine größere und glücklichere Zukunft.“ Heute gelte es, Jugoslawien zu „hüten“ – „Alle gemeinsam, die Serben, die Kroaten und die ­Slowenen“. „Deshalb bitten wir Gott, dass uns der Geist unserer Riesen (velikana), des hl. Sava, des Fürsten Lazar und des Königs Aleksandar nie verlasse.“ 114 Der Patriarch machte sich am Vidovdan den Schutz des Staates zur Aufgabe und formulierte dazu einen einheitlichen „Geist“, an dem auch der 1934 ermordete König Aleksandar teil­ haben sollte: Der Kirchenfürst reihte hier den früheren König diskursiv in die Reihe der wichtigsten Heiligen Serbiens bzw. Jugoslawiens ein. Im Jahr 1937 wurden zur Feier des „25. Jubiläumsjahres der Befreiung Südserbiens“ erstmals „Große Sokolfeierlichkeiten in Skopje“ veranstaltet. Vormittags fanden Feiern im Skopjoter Volkstheater statt: Velja Popović, der Vorsteher des Skopjoter Sokol­verbandes,



110 111 112 113 114

Politika, 29.6.1935, Nr. 9735, S. 6. Aleksov (2006), S. 81. Politika, 29.6.1935, Nr. 9735, S. 6. Politika, 29.6.1935, Nr. 9735, S. 1. Politika, 29.6.1936, Nr. 10092, S. 3.

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las dabei ein Grußwort des Vorstehers des Sokolverbandes des jugoslawischen Königreiches an den König vor, wobei er eine bis zur Schlacht von Kumanovo andauernde „Sklaverei“ beklagte, die „das kleine, mutige und heldenhafte Serbien“ beendet habe: „Das Amselfeld ist gerächt“. Nachmittags fanden Feierlichkeiten im „Sokolstadion“ statt, wo bis zu 30 000 Personen anwesend waren. Sport, Militär und Kosovomythos sollten als Plattform zur sakralen Inszenierung der Masse als Nation dienen: „Auf das Podium wurde ein hoher Opferaltar gestellt, der von einer breiten Trikolore umschlungen wurde.“ In Anwesenheit des Regierungsministers für „physische Erziehung“ Dr. Rogić und von lokalen staatlichen Honoratioren, des Entsandten des Königs – ein General – sowie von Konsuln und Vertretern der Sokolleitungen wurde mit einem Stafettenlauf an Kumanovo erinnert und anschließend Militärmusik gespielt.115 Der Vizevorsitzende des Sokol­bundes des Königreiches, der Architekt Milivoje Smiljanić, grüßte in einer Ansprache von der Terrasse des Offiziershauses am Marktplatz des Königs Peter den ersten Vorsitzenden des Sokols, „unseren König“ zum Vidovdan. Wie schon Rogić erinnerte er darauf die „Brüder und Schwestern“ an die 25 Jahre zuvor erfolgte „Befreiung“ auch dieser ­Regionen des „Vaterlandes“.116 Für die fortschreitende Militarisierung der Gesellschaft steht die Veröffentlichung von Beförderungen von Lehrern am ­Vidovdan 117 – und nicht am Tag des hl. Sava, der doch Schulpatron war. Führende Vertreter des Staates und der lokalen Gesellschaft sowie Sportler inszenierten bei dieser Gelegenheit in organisierter Öffentlichkeit das Konstrukt „Südserbien“. Mit der Institutionalisierung groß angelegter Vidovdanfeiern festigte sich auch in ­diesem Zusammenhang eine Erinnerung an die Erinnerungskultur: So schrieb die „­Politika“ zum Vidovdan 1937 über den Volkslieddichter Jovan Jovanović Zmaj (1833 – 1904), der „Kult der Helden des Kosovo schuf und schafft durch den Volksund Kunstgesang nicht nur einen allgemeinen nationalen Gedanken, sondern auch eine ganze Vidovdanethik“.118 Die Tagespresse griff damals auch die ideologische Aufladung der Feier wieder auf: Während die „Politika“ schon 1930 von einer „Vidovanideologie des Sokol“ ­geschrieben hatte, druckte ihre Redaktion 1937 einen Aufsatz unter dem Titel „Zum Vidovdan: Der nationale Kult der Vornehmheit und Ehrlichkeit“. Milorad Dragić erklärte dabei den „Nationalen (narodni) Kult des Staatsbegriffes“ als „spezifisch“ im „Epos des ­Vidovdan“ verankert: „Mit dem Vidovdan-Kosovo-Epos hat das Volk eine Form eines hohen Gefühls gegenüber dem Begriff des Staates, des Staatsmannes und des staatlichen Funktionärs gemeißelt…“ Das Gedenken an den Vidovdan wurde zu einer nationalen, staatspolitischen „Ethik des Vidovdan“ gedeutet. Entscheidend war die Bereitschaft zum Selbstopfer, das als „heiliges Prinzip“ wie auch der „Kult“ insgesamt in einem sakralen Rahmen



115 116 117 118

Politika, 28.6.1937, Nr. 10448, S. 6. Politika, 29.6.1937, Nr. 10449, S. 9. Politika, 29.6.1937, Nr. 10449, S. 8. Politika, 29.6.1937, Nr. 10449, S. 13.

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beschrieben wurde.119 Damit stand es dem modernen politologischen Verständnis einer „Zivilreligion“ nahe. D 1.5  Die Kulmination des Kosovodiskurses zum 550. Jubiläum 1939 und im Krieg

Der Vidovdan 1939 wurde mit großem Aufwand als 550. Jahrestag der Schlacht be­ gangen.120 Den eigentlichen Feiern gingen Deutungswegweisungen in der Tagespresse voran: Die „Politika“ veröffentlichte auf der ersten Seite einen pathetischen Leitartikel, der die gesamte serbische Existenz in der Gegenwart im Sinne des Mythos als Erzählung von den Anfängen auf das Ereignis zurückführte: „Dass wir heute einen Staat und eine Nation haben, verdanken wir ihm.“ 121 Diesem Text folgte auf der dritten Seite unter dem Titel „Der Geschichte ist es noch nicht gelungen, den historischen Kosovo vom legendären zu trennen“ ein Aufsatz von M. J. Dinić, der klarmachte, wie wenig über die Schlacht bekannt sei. Die in den wenigen Quellen überlieferten Zahlenangaben hielt der Autor für stark übertrieben. Zudem wies er auf den Wandel der christlichen Quellen hin, die zunächst von einem Sieg der Christen schrieben, dann von einer unentschiedenen Schlacht sowie schließlich von einer totalen Niederlage. Dinić bezweifelte, dass jemals mehr in Erfahrung zu bringen sei.122 Dieser Beitrag änderte aber an der fest institutionali­sierten Erinnerungskultur wenig: Für eine Dekonstruktion war die Erinnerungsfigur noch deutlicher als zu Zeiten der Kritik durch Ruvarac im 19. Jh. zu stark verankert. Die potentielle Sprengkraft seiner Kritik wurde umrahmt von anderen Texten, die den Mythos weiter festigten: Ihm folgte in der gleichen Ausgabe der Zeitung ein Beitrag zur Erinnerung an die Feiern zum 500. Jahrestag der Schlacht.123 Ein weiterer Artikel versuchte, „die Kroaten“ in den Diskurs zu integrieren, indem er fragte, wie diese das 500. Jubiläum gefeiert hatten. Der Beitrag war illustriert durch je eine Abbildung des gigantischen Entwurfs eines „Kosovotempels“ des kroatischen, jugoslawistischen Künstlers Ivan Meštrović sowie seines Kunstwerks „Die Kosovojungfrau“.124 Des Weiteren folgte in derselben Zeitung eine Predigt des damaligen Bischofs von Žiča, Nikolaj Velimirović. Er fragte sein Publikum am Vorabend des Vidovdan im Kloster Ravanica, wo laut einer Broschüre von Dušan Ružić seit der Einrichtung des Klosters vor den Reliquien Lazars der Veitstag begangen wurde:125 „Wer seid ihr, kleine Serben?“ Die Antwort lautete, sie seien „Kinder Gottes“ und „Menschen der arischen Rasse“. Dieser habe „das Schicksal derzeit die Aufgabe auferlegt“, „Hauptträger“ des Christentums zu sein. Rassismus und Nationalismus gingen in den Sätzen des Bischofs 119 Politika, 28.6.1937, Nr. 10448, S. 1. 120 Zu den Feiern auch: Perica (2002), S. 20 f. 121 Politika, 28.6.1939, Nr. 11160, S. 1. 122 Politika, 28.6.1939, Nr. 11160, S. 3. 123 Politika, 28.6.1939, Nr. 11160, S. 3 f. 124 Politika, 28.6.1939, Nr. 11160, S. 5. 125 Ružić (1934), S. 4.

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im Sinne religiöser Politik eine Synthese mit Religion ein. Laut Velimirović hatten die Slaven „an den Toren Europas Wache“ gehalten, damit keine „Stämme anderer Rasse und anderen Glaubens“ den „Fortschritt“ Europas behelligten. Die Serben seien „ein Volk, das Christus trägt“.126 Diese Sätze sollten ein offenbar wenig selbstbewusstes Verhältnis der angesprochenen Öffentlichkeit zur eigenen Geschichte umgestalten: Nicht das katholische und protestantische Ostmitteleuropa, sondern Serben sollten als Bollwerk Europas nicht nur dessen religöse, sondern auch eine angebliche ,rassische‘ Unversehrtheit bewacht haben. Die gesamte Existenz des Volkes in der Geschichte vor und nach der Schlacht wurde direkt auf das Gedenken an die Schlacht, das die Kirche verwaltet habe, zurückgeführt und durch dieses begründet.127 Die SOK wurde in dieser Darstellung im Bezugsrahmen des Gedenkens an die Schlacht zur zweiten Stütze und Beschützerin der Existenz des Volkes gemacht. Wie bei religiösen Heiligen wurde hier an die tatsächliche Anwesenheit der damaligen Helden in der Versammlung der Gedenkenden als im Jenseits nahe und lebende Helfer erinnert. Mit der Vergangenheitsform bei der Rede von den „heiligen Seelen“ wurde die Vergegenwärtigung dieser Seelen jedoch wieder infrage gestellt.128 Der religiöse Gehalt der Memoria war auch in der Wiedergabe durch den Bischof zu deutlich umgestaltet, um so fraglos und konsequent wie vor dem 19. Jh. reproduziert zu werden. Der Vidovdan und die physische Gedenkstätte waren in diesem Text stärker mit dem Staat als mit dem serbischen Volk verbunden, sodass auch die übrigen nominalen Staatsvölker 126 „Wer seid ihr, kleine Serben? Wir sind Kinder Gottes. Und Menschen der arischen Rasse, der das Schicksal derzeit die Aufgabe auferlegt hat, zum Hauptträger der Christenheit in der Welt zu werden. Wir sind Angehörige der großen slavischen Familie, die während vieler Jahr­hunderte stürmisch an den Toren Europas Wache hielt, damit Stämme anderer Rasse und anderen Glaubens nicht das getaufte Europa in seiner friedlichen Entwicklung und seinem Fortschritt behelligen. Wir sind ein getauftes Volk, ein Volk, das Christus trägt (narod christonosni).“ Vidovdanski govor, održan na 550. Vidovdan u man. Ravanici, 1939, o. S. vollständig wieder­gegeben in und zit. gemäß Nikolaj Velimirović. Izabrana dela 12, S. 38 – 44, hier S. 39. Vgl. Politika, 28.6.1939, Nr. 11160, S. 10; Politika, 28.6.1939, Nr. 11160, S. 6. 127 „Und wahrlich, das Volk blieb erhalten und hat alles ausgehalten, dank des Kosovo und der ­Kirche. Die Kirche war ihm der Dolmetscher des Amselfelds, und das Amselfeld war der Übersetzer all desjenigen, das vor und nach dem Fall des irdischen serbischen Zarenreiches geschah.“ ­Vidovdanski govor, održan na 550. Vidovdan u man. Ravanici, 1939, zit. gemäß Nikolaj ­Velimirović. ­Izabrana dela 12, S. 41. 128 „Diese unsere herrschaftlichen Vorfahren sind nicht tot. Ihre Seelen sind uns nah. Ich erzittere wegen des Gefühls, dass alle Seelen derjenigen, die anwesend waren bei der Einweihung von Ravanica vor etwa 560 Jahren, jetzt versammelt sind und anwesend sind mit uns an diesem Ort. Hier sind die Seelen des hl. Lazar und der gerühmten Zarin Milica. Hier sind die Seelen von Miloš Obilić, Strachinjić, Jugović, und der übrigen Helden des Kosovo. Hier sind Tausende Seelen des Volkes, die sich versammelt hatten, um gemeinsam für den Stifter zu Gott zu beten und das Herz zu erfreuen. Alle diese heiligen Seelen waren voll und übervoll des Gebets und der Liebe. Ihnen sei Ruhm und Ehre!“ Vidovdanski govor, održan na 550. Vidovdan u man. Ravanici, 1939, zit. gemäß Nikolaj Velimirović. Izabrana dela 12, S. 44.

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in das Gedenken mit der Bitte um die Einigung der imaginierten Gemeinschaft der nationalen „Geschwister“ eingebunden wurden. Der Text implizierte aber nicht, dass auch Kroaten und Slowenen an den Kosovomythos glauben sollten.129 Die Veröffentlichung großer Auszüge der Predigt in der wichtigsten Tageszeitung „Politika“ bezeugt die Bedeutung, die dem Bischof zugeschrieben wurde, wie auch eine große Reichweite des Textes. Gleichfalls 1939 erklärte auch Nikolaj Velimirović in der orthodoxen Zeitschrift „Misionar“ auf der Grundlage des Volksliedes die Schlacht auf dem Amselfeld zum serbischen „Golgatha“: „Der Kampf geht um ,das himmlische Reich‘, und nicht um den Staat, das Volk, oder den ­Fürsten, oder um etwas anderes Irdisches und Vergängliches.“ 130 „Dieses Reich, das nicht von dieser Welt ist, hat Lazar gebilligt, im vollen Bewusstsein, dass der Weg zu diesem Reich das Kreuz ist, ­Leiden und der Tod. Und im vollen Bewusstsein hat er seinem Golgatha zugestimmt, als Zugang zum himmlischen Reich.“ 131

Die seit dem Ende des Ersten Weltkrieges immer wieder aufgegriffene sakrale Denk­ figur vom nationalen „Golgatha“ erfuhr hier ihre nationaltheologische Weihe. Nach der Erläuterung des Volksliedes setzte Velimirović zu einem langen Kommentar an. Sein Ziel war es, die Einzigartigkeit der christlichen Deutung der Schlacht hervorzuheben: „Kein anderes christliches Volk hat in seiner Geschichte etwas, wie es das serbische Volk hat, kein anderes Volk hat einen Kosovo.“ 132 „Das Amselfeld ist ein Unikum in den zwanzig Jahrhunderten der Geschichte der christlichen Welt. Es täuschen sich jene, die sagen: Das Kosovo hat den Fluss unserer Geschichte gehemmt; er hat uns zurückgeworfen; wäre das Amselfeld nicht, wären wir heute ein großes Volk! Gerade das Kosovo hat uns zu einem großen Volk gemacht. Er ist unser Volksgolgatha (narodna Golgatha), aber gleichzeitig unsere Volksauferstehung (narodno vaskrsenje), geistig wie moralisch. Er hat den moralischen Zerfall des serbischen Volkes aufgehalten. Er hat uns eine Galerie der Ritter des Glaubens, der Verehrung und Aufopferung gegeben“.133

129 „Hilf uns, Gott, dass sich die Geschwister einigen, die Serben und Kroaten und Slowenen, und die übrigen ehrenwerten Untertanen unseres jungen Königs. Aber heute, wo ihr, mir zuhörend, euch darin versichert habt, dass keine menschliche Sache imstande ist, den Ruhm dieses Ortes und dieses Tags auszudrücken – Ravanica und Vidovdan – rufe ich euch zum frommen Gefühl auf, zum Gefühl des Gebets, welches Gott wahrlich so klar wahrnimmt wie Dinge.“ ­Vidovdanski govor, održan na 550. Vidovdan u man. Ravanici, 1939, zit. gemäß Nikolaj Velimirović. ­Izabrana dela 12, S. 44. 130 Kosovo, in: Misionar 1939 (19), Nr. 6, S. 1 – 10, vollständig wiedergegeben in und zit. gemäß Nikolaj Velimirović. Izabrana dela 12, S. 11 – 19, hier S. 13. 131 Kosovo, in: Misionar 1939 (19), Nr. 6, S. 1 – 10, zit. gemäß Nikolaj Velimirović. Izabrana dela 12, S. 14. 132 Kosovo, in: Misionar 1939 (19), Nr. 6, S. 1 – 10, zit. gemäß Nikolaj Velimirović. Izabrana dela 12, S. 16. 133 Kosovo, in: Misionar 1939 (19), Nr. 6, S. 1 – 10, zit. gemäß Nikolaj Velimirović. Izabrana dela 12, S. 17 f.

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Die Umdeutung des Ereignisses zum Sieg, die Velimirović schon 1919 entworfen hatte, bedurfte jedoch weiterhin der Erklärung: Das Opfer des eigenen Lebens für „göttliche Wahrheit“ machte die getöteten Kämpfer zu Siegern, obschon „die Schlacht technisch verloren war“.134 Die Umgestaltung der zuvor als Niederlage verstandenen Schlacht auf dem Amselfeld zum Sieg war immer noch voranzutreiben und nicht zum Allgemeingut geworden. Velimirović verehrte in dieser Rede die Leichname des implizit durchgängig serbischen Heeres ganz im Sinne frühneuzeitlicher religiöser Erinnerung an Heilige. Nicht nur Lazars Körper „heilt“ noch in der Gegenwart, sondern auch die „heiligen Körper“ der Übrigen haben „das ganze Land des Kosovo“ gerächt (osvetiti).135 Dabei machte er die Getöteten zu „Kreuzrittern“ und stellte sie damit deutlicher in den Zusammenhang des Kreuzzugdiskurses, als dies in den mittelalterlichen Texten selbst geschehen war. Das Kosovo sei „die größte Gruft christlicher Märtyrer, die an einem Tag gestorben sind“. Diese seien nicht als tote Besiegte, sondern als lebendige Sieger zu feiern.136 Für die Inszenierung des Gedenkens durch Velimirović bleibt die für die religiöse Memoria charakteristische Vorstellung der Gegenwart der Heiligen als Lebende damit wesentlich. Im Untertitel dieser Ansprache steht die Überschrift: „Das heilige Feld und die lebensspendende Gruft“.137 Die Vorstellung, das Amselfeld sei durch die Be­rührung durch die Märtyrer insgesamt zum heiligen Ort geworden, und die in derselben ­Passage genannte

134 „Es gehen jene fehl, die den Kosovo als Niederlage ansehen. (…) Wer sein Leben in einem Kampf um die göttliche Wahrheit und Gerechtigkeit opfert, hat das Größte geopfert, was er opfern konnte und zu opfern hatte, und – hat gesiegt. Auch wenn die Schlacht technisch ver­loren war, bleibt er Sieger. Und da das ganze serbische Heer auf dem Amselfeld gefallen ist – und das freiwillig – für die göttliche Wahrheit und Gerechtigkeit, hat auch dieses gesiegt.“ Kosovo, in: Misionar 1939, Nr. 6, S. 1 – 10, zit. gemäß Nikolaj Velimirović. Izabrana dela 12, S. 18. 135 „Der heilige Körper Lazars wurde dann aber durch die himmlische Kraft magnetisiert, und liegt noch heute ganz und heilt menschliche Gebresten. Auch die Leichname der übrigen Kreuzritter, die auf dem Schlachtfeld blieben, sind nicht verloren. Ihre Körper sind geweiht (osvećana) durch ihre heiligen Seelen, und durch ihre heiligen Körper ist das ganze Land des Kosovo gesegnet (osvećena). Deshalb ist das Amselfeld ein heiliges Feld geworden.“ Kosovo, in: Misionar 1939, Nr. 6, S. 1 – 10, zit. gemäß Nikolaj Velimirović. Izabrana dela 12, S. 18. 136 „Daher kommen Serben und Serbinnen aus allen Ländern – sogar jene aus Amerika – und ­nehmen eine Handvoll oder eine Tasche voll von der heiligen Erde, um sie als Heiligtum (svetinju) zu tragen und in ihren Kirchen und Häusern aufzubewahren. Wie es auch bei der Gruft des hl. Demetrios in Solun oder bei den Gräbern anderer christlicher Märtyrer ist. Das Kosovo ist die größte Gruft christlicher Märtyrer, die an einem Tag gestorben sind. Eine zweite solche und so große ist uns nicht bekannt. Und wie die Gefeierten (sveča) den Tag ihres Heiligen ehren, so feiert und ehrt das ganze serbische Volk den Vidovdan. Wer die heiligen Märtyrer ehrt, (…) – der ehrt nicht einen Besiegten sondern einen Sieger, nicht einen Toten sondern einen Lebenden. So verehren auch wir alle die große Armada der Märtyrer des Kosovo, wir feiern nicht Besiegte, sondern Sieger, nicht Tote sondern Lebende.“ Kosovo, in: Misionar 1939, Nr. 6, S. 1 – 10, zit. gemäß Nikolaj Velimirović. Izabrana dela 12, S. 18. 137 Kosovo, in: Misionar 1939, Nr. 6, S. 1 – 10, zit. gemäß Nikolaj Velimirović. Izabrana dela 12, S. 11.

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Praxis der Pilger, Erde heimzuführen, steht im Kontext byzantinischer Berührungs­ reliquien. Bemerkenswert sind der ausdrückliche Vergleich dieser Erinnerungsgewohnheit und ihre Legitimierung mit den am Grab des Demetrios von Saloniki beobachteten Praktiken. Im selben Atemzug erklärte Velimirović den Vidovdan zum „größten Ruhm (slava) des serbischen Volkes“ und auf dieser Grundlage zum Ort der Erinnerung „an den Sieg und an die Auferstehung“. Anstatt ihn mit Trauer zu begehen, verband er mit ihm „die strahlendste“ „Ernte Christi und Savas“.138 Das Verhältnis des einzelnen Serben zu dieser kollektiven Erinnerungsfigur entschied gemäß Velimirović über seine Nationalität, über seine Qualität als „wirklicher“ Serbe.139 Ein solcher sollte sich am Vidovdan „auf dem heiligen Land des Kosovo vor den heiligen Seelen seiner Vorfahren, die das Kreuz auf sich nahmen“, verbeugen. Nicht eine Kirche als Insti­tution, sondern das Volk sei der „Interpret“ dieses Gedenkens.140 Die konkrete soziale Praxis des Gedenkens auf dem Amselfeld entschied in der Rhetorik Velimirovićs über die Teilhabe an der vorgestellten nationalen Gemeinschaft. Der Vidovdan blieb in der Auslegung Velimirovićs auch 1939 religiös und nicht nur national geprägt. Velimirović schrieb in der Zeitung „Pravda“ zum 550. Gedenkjahr der Schlacht, wie Christusmystik, der messianische Glaube an eine Mission der Nation sowie die durch den Vidovdan garantierte Perspektive auf das „himmlische Reich“ und eine Selbstaufopferungs- und Kampfrhetorik eine enge nationaltheologische Synthese darstellen sollten, die sich gegen imaginierte „Verräter“ aus den eigenen Reihen zu ­richten habe: „Der Vidovdan donnert die Verfluchung gegen den Verräter des Volksglaubens 138 „Der Vidovdan ist der größte Ruhm (slava) des serbischen Volkes. Er ist Tag und nicht Nacht, sondern gerade – eine Gabe [im Serbokroatischen gleichlautend wie Tag (dan), S. R.]. Er erinnert uns an den Sieg und an die Auferstehung. Der Same des himmlischen Reiches, den der hl. Sava säte, ging rasch auf und ist groß gewachsen. Reiche Früchte dieses Samens sind auf dem Amselfeld gesammelt worden. Dies ist nicht die einzige Ernte Christi und Savas in unserer Vergangenheit, aber es ist die strahlendste (presjajna) und die einzige ihrer Art.“ Kosovo, in: Misionar 1939, Nr. 6, S. 1 – 10, zit. gemäß Nikolaj Velimirović. Izabrana dela 12, S. 19. 139 „Jene, die wegen des Kosovo die Stirn runzeln, die ihn verachten (podništavaju), verurteilen, hassen (mrze), oder ihn als Unglück und Abgrund ansehen, sie schauen mit den Augen und nicht mit dem Geist, sie bewerten technisch aber nicht moralisch. Diese sind keine wirklichen Serben, oder sie sind noch unter dem Fluch des (…) Fürsten, weil ihre Vorfahren nicht zum Kampf auf das Amselfeld wollten (…). Ein wahrer Serbe hingegen – was im Sinne des Kosovo bedeutet ein wahrer Christ – danke Gott dem Herrn, dass er ihm den Kosovo geschenkt hat, Stolz und Befriedigung, und eine nie versiegende Quelle der Eingebung; ein Purgatorium (čistlište) des Gewissens aller Generationen bis zum Ende der Zeit.“ Kosovo, in: Misionar 1939, Nr. 6, S. 1 – 10, zit. gemäß Nikolaj Velimirović. Izabrana dela 12, S. 19. 140 „Am heiligen Vidovdan nehme er die Kappe ab, und verneige sich auf dem heiligen Land des Kosovo (na svetoj zemlji kosovskoj) vor den heiligen Seelen seiner Vorfahren, die das Kreuz auf sich nahmen (krstonosnich). Doch dies geschehe in Harmonie mit dem ganzen Volk, das der größte Interpret (tumač) des Kosovo ist, es ertöne aus der Tiefe des Herzens und des Gewissens: ,Alles ist heilig und verehrt / und dem lieben Gott zugänglich!‘“ Kosovo, in: Misionar 1939, Nr. 6, S. 1 – 10, zit. gemäß Nikolaj Velimirović. Izabrana dela 12, S. 19.

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und der nationalen Mission“.141 Velimirović betonte sodann unter dem Zwischentitel „Religiöse Feiern (Svečarstvo)“ Lazars angebliche Verehrung des Propheten Amos vor der Schlacht. Dieses Gedenken stellte er in eine Reihe mit demjenigen der „serbischen Kämpfer“ 1919, um zu zeigen, wie „stark verwurzelt die sakrale Feierlichkeit im sveto­ savischen Volk“ sei.142 Ein Grund dafür sei, dass die Serben angeblich „nicht sogenannte große Leute“ verehren und damit weltliche Heroen, sondern nur die „Heiligen Gottes“, die „Gott und dem Volk nahe“ und die tatsächlich die „größten der größten Leute in der Geschichte“ seien. Diese werden „das ewige Reich übernehmen“. In der Verbindung dieser Heiligen mit „ihrem Land“ lag der Schlüssel zu der von Velimirović dem serbischen Volk verheißenen Zukunft: „Deshalb ist unser Volk der Träger des künftigen und rettenden Ideals, des biblischen und prophetischen, das letzten Endes das ganze Menschengeschlecht“ umfassen werde.143 141 „Der Vidovdan möchte Verehrer haben, er sucht Büßer. (…) Der Vidovdan predigt die Versöhnung mit Gott und dem Bruder. Der Vidovdan donnert die Verfluchung gegen den Verräter des Volksglaubens und der nationalen Mission. Der Vidovdan öffnet den Blick auf das himmlische Reich (carstvo nebesno) und stärkt den Opferwillen für dieses Reich. Der Vidovdan ist ­trunken vor Christusliebe. Der Vidovdan ermutigt, kräftigt (snaži) und vergibt Ruhmeskränze.“ O kosovskoj knjizi i kosovskoj nauci, in: Pravda, 1939, Nr. 12454, o. S. vollständig wiedergegeben in und zit. gemäß Nikolaj Velimirović. Izabrana dela 12, S. 55 – 62, hier S. 56. 142 „Heute Abend ist der Vorabend des heiligen Propheten Amos, der Vorabend des feierlichen Ruhms (svečarske slave) des Fürsten Lazar. Nicht einmal auf dem Schlachtfeld, direkt vor der Schlacht, vergaß der Fürst es, seinen Ruhm zu feiern. So war es vor 550 Jahren. Und vor 20 Jahren haben die serbischen Kämpfer ihre Gedenkfeier (svoje svečarske slave) in den feuchten Gräben sogar mitten im grausamen Kampf gefeiert. So stark verwurzelt ist die sakrale Feierlichkeit im svetosavischen Volk (u narodu Svetosavskom). Kein Volk der Erde verehrt die Heiligen Gottes (svece Božije) so sehr wie das serbische Volk.“ O kosovskoj knjizi i kosovskoj nauci, in: Pravda, 1939, Nr. 12454, zit. gemäß Nikolaj Velimirović. Izabrana dela 12, S. 57. 143 „Gibt es dafür einen Grund? Es gibt ihn, und einen gewichtigen. Wir feiern nicht sogenannte große Leute. Es gibt unter den großen Leuten in der Geschichte auch böse Feinde der Menschheit. Es gibt unreine, gottlose, seelenlose, selbstsüchtige, Räuber und Mörder. Unter den Heiligen Gottes gibt es keine solchen. Sie alle lieben Gott, die Menschen und das Volk. Sie sind Gott und dem Volk nahe, gottverwandte (srodnici Božiji) und Freunde des Volkes. Die Heiligen sind die größten der größten Leute in der Geschichte. Besser als die Besten; nützlicher als die Nütz­lichsten, und aktiver als die Aktivsten, denn sie wirken stark auch nach ihrem körperlichen Tod, wie die Vita des hl. Lazar bezeugt. Im Buch des Schicksals ist vorausgesagt, dass das letzte Reich der Welt das Reich der Heiligen Gottes sein wird. Wenn die Reiche der großen Leute geordnet werden und das tierische Reich, dann, so sagt er, werden die Heiligen des Höchsten das ewige Reich übernehmen. Der tiefe Sinn der sakralen Feierlichkeit bei unserem Volk ist der Glaube an diese Prophezeihung. Und das erhabenste Ideal unseres Volkes ist der heilige Mensch, das heißt der Mensch, der sich dem irdischen Reich versagt, der von Ungerechtigkeit und Eitelkeit rein ist (…). Wenn solche heiligen Leute beginnen werden, ihr Ideal in ihrem Land (po svoj zemlji) zu sehen, dann wird die Menschheit glücklich sein. Deshalb ist unser Volk der Träger des künftigen und rettenden Ideals, des biblischen und prophetischen, das letzen Endes das ganze Menschengeschlecht, das heute gezerrt und zerrissen wird von aufgeblähten irdischen

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Des Weiteren beschrieb Velimirović unter dem Begriff „Ritterlichkeit (viteštvo)“ das „Kosovoideal“ „als Opfer für die göttliche Wahrheit und als Verteidigung des ­Schwachen“. Das „Kosovoheer“ habe sich insgesamt „geopfert“ und so gesiegt, das „himmlische“ Reich gewonnen und die „asiatische Flut“ nur ins „Erdgeschoss“ eingelassen. Diese „Ritterlichkeit“ sollte „zum Ideal des ganzen Menschengeschlechts werden“.144 Erneut betrieb der Autor damit die martialische Bedeutungsaufladung des Gedenkens im Sinne eines christlichen und europäischen Bollwerks gegen Asien und stärkte die Vorstellungen vom universalen ethischen Vorbildcharakter des serbischen Volkes und seiner Europäizität. Der Bischof betrieb in demselben Text die nationale Sakralisierung des Gedenkens weiter: Er erklärte unter der Rubrik „Heiligtum (Svetinja)“ angebliche Wünsche Savas und machte diese im Rahmen des Gedenkens an das Amselfeld zu einem Programm der heilsgeschichtlichen Entwicklung des serbischen Volkes. So habe Sava „das serbische Volk zu einem heiligen Volk“ machen wollen. Auch „Kultur“, „Staat“, „Herrschaft“, „Dynastie“ und „Heer“ sollten neben der Kirche „heilig sein“. Die „Vorstellung vom heiligen Heer“ sollte „in das Herz und den Verstand aller Völker“ eindringen und die einzige Rettung für die in der Gegenwart empfundene globale Gefahr der „Barbarei“ darstellen. Vor dem Hintergrund des drohenden neuen Krieges war die Idee eines Heeres, „das nicht plündert, nicht entführt, nicht vergewaltigt“, sinnvoll. Velimirović verband diesen Wunsch mit der Vision eines Heeres, das „kämpferisch die göttliche Wahrheit und Gerechtigkeit verteidigt“.145 Indem er mit dem Verweis auf den Kosovo für die Größen, aufnehmen und sich aneignen wird müssen.“ O kosovskoj knjizi i kosovskoj nauci, in: Pravda, 1939, Nr. 12454, zit. gemäß Nikolaj Velimirović. Izabrana dela 12, S. 57 f. 144 „Auf dem vierten Blatt der Kosovo-Wissenschaft (Kosovske Nauke) stehen die Worte: Ritterlichkeit. Niemals hat es unser Volk für ritterlich gehalten, wenn ein kräftiger Mensch einen schwachen besiegte, oder wenn ein hochmütiges oder starkes Volk einen Brennpunkt entfacht (raskopa ognjište) und die Freiheit eines kleinen Volkes zerstört. Ritterlichkeit ist, wenn ein schwacher in der Verteidigung einer Gerechtigkeit einen Starken besiegt. (…) Ritterlichkeit ist immer ein Opfer. Das Kosovoheer ist zum Opfer gegangen. Und es hat sich ganz geopfert. Die Schlacht hat es verloren, es hat aber nicht den Sieg verloren. Den Körper hat es verloren, aber seine Seele hat es nicht verloren. Das irdische Reich ist gefallen, aber das himmlische ist geblieben. Die asiatische Flut hat nur das Erdgeschoss erfasst, aber die oberen Balkone sind unberührt geblieben. Ritterlichkeit, verstanden als Verteidigung der Gerechtigkeit, als Opfer für die göttliche Wahrheit und als Verteidigung des Schwachen, ist das Kosovoideal (ideal je Kosovski), ist das Ideal unseres Volkes bis zum heutigen Tag. Nach diesem Ideal schreit heute die ganze Welt. Und irgendwann (kadtad) muss diese Ritterlichkeit zum Ideal des ganzen Menschengeschlechts werden.“ O kosovskoj knjizi i kosovskoj nauci, in: Pravda, 1939, Nr. 12454, zit. gemäß Nikolaj Velimirović. Izabrana dela 12, S. 59. 145 „Auf dem fünften Blatt der Wissenschaft vom Kosovo steht: Heiligtum. Seid heilig, denn ich bin heilig, hat Gott der Schöpfer uns geboten. Und auch unser hl. Sava hatte es zum Programm, das serbische Volk zu einem heiligen Volk zu machen. Er hat das Heiligtum nicht nur auf die Kirche beschränkt, und es auch nicht in die Gemäuer eines Betenden (niti ju je zatvorio u zidine bogomolja) eingeschlossen. Er wünschte uns nicht nur eine heilige Kirche und eine heilige

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Gegenwart eine „heiligsavische“, durchgehend heilige bzw. sakralisierte Gesellschaft einforderte und den Kosovomythos mit den Diskursen um Sava verband, militarisierte er gleichzeitig die Funktion der Erinnerungsfigur des Amselfelds weiter und entwarf eine religiöse Kriegsethik. Die Zeitung „Pravda“ veröffentlichte auch die Ansprache Velimirovićs aus dem Jahr 1939, die er direkt den „Helden des Kosovo“ widmete: Laut dem Bischof von Žiča sei das Kosovo „dem serbischen Volk ein ganzer Glaube, eine vollständige Weisheit, und eine ganze Ethik“. Er zeige, dass sich „unsere Geschichte auf der höchsten Ebene abspielt“, auf der „Grenze des Himmlischen zum Irdischen, des Göttlichen und des Menschlichen“. Die Nachfolge Christi durch das gesamte Volk gab den sakralen ­Rahmen der nationaltheologischen Geschichtsimagination, derzufolge das Volk an­geblich den politisch-theologischen „göttlichen Thron“ erlangt habe.146 ­ ildung, eine heilige Kultur, eine heilige Dynastie, eine heilige Macht (vlast), ein heiliges Heer, B einen heiligen Staat, ein heiliges Volk. Das ist ein heiliges Heer, ganz in der Aureole (oreolu) des Heiligtums; ein Heer, das für die Volksheiligtümer gekämpft hat, für die christlichen Heilig­ tümer, für die europäischen Heiligtümer. Wenn jemand fragt, welches heute das Ideal der Masse unseres arbeitenden Volkes ist, kann man ihm sofort die zuverlässige Antwort geben: Das Heiligtum. Das Volk wünscht sich von ganzem Herzen eine heilige Kirche, eine heilige Schule, eine heilige Kultur, eine heilige Dynastie, eine heilige Herrschaft, einen heiligen Staat und – ein heiliges Heer. Ja, auch ein heiliges Heer. Das heißt ein Heer, das nicht plündert, nicht entführt, nicht vergewaltigt, sondern kämpferisch die göttliche Wahrheit und Gerechtigkeit verteidigt. Das Volk hat nach dem Kosovo nicht über das auf dem Amselfeld verlorene Heer gejammert, sondern sein Urteil gefällt und ausgesprochen: ,Alles ist heilig und ehrenhaft gewesen, und dem lieben Gott gefällig.‘ Solange eine solche Vorstellung vom heiligen Heer nicht in das Herz und den Verstand aller Völker eingeht, sehe ich nicht, wie die Welt sich vor der Barbarei, der Zerstörung und dem Abgrund verteidigen soll.“ O kosovskoj knjizi i kosovskoj nauci, in: Pravda, 1939, Nr. 12454, zit. gemäß Nikolaj Velimirović. Izabrana dela 12, S. 59 f. 146 „Das Kosovo war für unser Volk das erschütterndste Ereignis und die tragischste Inspiration. Er war dem serbischen Volk ein ganzer Glaube, eine vollständige Weisheit, und eine ganze Ethik. Der Glaube, der dessen gedachte (opominjala), dass Gott die Zarenreiche beherrscht. Die Weisheit, die tröstete, dass das Böse vergänglich ist wie der Mensch. Die Ethik, die aufzeigte, dass es reiner ist zu sterben als dreckig zu leben. / Das Kosovo ist unser zentrales Erlebnis / Die Zustimmung des Fürsten zum himmlischen Reich, ausgeführt im Namen des ganzen Volkes, war der stärkste Ausdruck des gesamten Gedankens und seiner regulativen Idee. Das Kosovo hat gezeigt, dass sich unsere Geschichte auf der höchsten Ebene abspielt, auf der tragischen und erhabenen Grenze des himmlischen zum irdischen, des Göttlichen und des Menschlichen. Waren wir als Volk in der Nemanjiden-Epoche – mit Christus in der Freiheit – und hatten Macht, Glanz und Stiftungen, so sind wir in der Epoche nach dem Amselfeld – mit Christus in der Sklaverei – nicht ermüdet, nicht gefallen, nicht zerfallen, sondern haben die überraschende Tiefe unserer Seele durch eine vielfältige Volkskunst gezeigt, und die Kraft derselben Seele durch siegreiche nationale Aufstände. Die Ordnung (sređa) war für uns sehr gefährlich und in der Unordnung sind wir zum göttlichen Thron aufgestiegen.“ Kosovskim Junacima, Žički episkop g. dr ­Nikolaj, Pravda 1939, vollständig wiedergegeben in und zit. gemäß Nikolaj Velimirović. Izabrana dela 12, S. 45 – 48, hier S. 45.

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Mobilisierung und Sakralisierung der Nation

Nicht nur Velimirović, als Bischof ein offizieller Wortführer der SOK, propagierte eine „Kosovoreligion“ – auch der Journalistenverband und die Regierung förderten dieses Konzept: Dušan Nikolajević, seit 1921 Präsident des serbischen und dann ­erster Vorsitzender des jugoslawischen Journalistenverbandes, schrieb in einer Broschüre zum Vidovdan des Jahres 1939, deren Erscheinen Dragiša Cvetković, der Vorsitzende der königlichen Regierung, ermöglichte:147 Der „Slavische Süden“ sei heute „frei“ und gedenke gegenwärtig der „Kosovoreligion“, die die „Kraft der Volksseele“ sei. Das Gedenken an die „Knochen Stefan Nemanjas, die Märtyrer des Kosovo und alle Helden“ sei die Grundlage der neuen, modernen Staatlichkeit wie auch der kollektiven, vom König verantworteten Zukunft.148 Mithilfe der Referenz auf die begrifflich als Konzept gefestigte „Kosovoreligion“, die „Volksseele“ und die Vergegenwärtigung der ­Knochen der Märtyrer – nicht aber der Märtyrer selbst – vermochte der Verfasser, direkt und ohne weiteren Erklärungsbedarf in die Gegenwart und die Zukunft von Volk und Staat überzugehen. Die zeitliche Differenz wurde im „Kosovogebet“ aufgehoben, die Vergangenheit zur Folie der Zukunft. Der Präsident des Journalistenverbandes legitimierte das Herrscherhaus durch ­dessen angebliche Nähe zur „Kosovoreligion“– anstatt einer „symphonia“ der SOK mit der Dynastie entwarf er eine Symbiose zwischen der Dynastie und der Kosovoreligion. Namentlich der königliche Statthalter Pavle verstehe und fördere den „Kult“ von H ­ elden im Sinne des an dieser Stelle genannten Thomas Carlyle.149 Nikolajević sprach zwar von einer „Kosovoreligion“, schilderte jedoch die Heldenverehrung ganz im säkularen, nationalromantischen Rahmen. Sein Verweis auf die romantische, auf historische Helden konzentrierte Geschichtskonzeption Carlyle’s, die in den 1930er-Jahren nicht zuletzt faschistisch gelesen wurde, steht für sein Abrücken von traditioneller reli­giöser ­Märtyrerverehrung, die er im Sinne des modernen Nationalismus verweltlichte. Er erklärte sein Verständnis vom „Heldenkult“ ausführlich, um es der Leserschaft nahezubringen. „Der Kult historischer Helden“ sei „eine wundertätige Kraft“ und „reinigt die Menschen“. Ihre „Mysterien“ tragen „den immanenten Willen der Geschichte“, der durch ihre Vermittlung den sie Verehrenden zugänglich werde, so dass diese seiner teilhaftig werden.150 Nikolajević verstand sich damit als innovativer Vertreter eines in seinen Augen

147 Nikolajević (1939), S. 11. 148 „Fünfhundertfünfzig Jahre sind verflogen (othujaše). Heute ist der Slavische Süden frei, und frei erinnert er die Kosovoreligion (religiju Kosovsku) lebendig, als ob sich die Kosovo­tragödie gestern ereignet hätte. Das ist die Kraft der Seele unseres Volkes. Die Kraft der Volksseele macht die Knochen Stefan Nemanjas, der Märtyrer des Kosovo und aller Helden deutlicher als jeden Granit, die, begeistert vom Ruhm unseres Zarenreiches und des Schmerzes des Kosovo, das Land von der Sklaverei befreit haben. Auf all diesen Knochen ruht unser heutiger, freier und fortschrittlicher Staat. Und unsere Zukunft. Der Gedanke an die Zukunft, das sind gleichzeitig das Kosovogebet und der Wunsch, dass unser junger König, Seine Königliche Hoheit Petar II., lebe und glücklich sei.“ Nikolajević (1939), S. 7. 149 Nikolajević (1939), S. 9. 150 „Der Kult historischer Helden, der von Beginn an in der menschlichen Natur angelegt ist, ist eine wundertätige Kraft. Er reinigt die Menschen von kleinlicher Selbstsucht. Durch ihn

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zeitgemäßen und einer breiteren Masse aktiv zu vermittelnden nationalgeschichtlichen Geschichtsverständnisses. Mit Versatzstücken romantischer Geschichtsphilosophie sowie des Historismus entwarf der Journalist eine seinen Vorstellungen modernen Denkens entsprechende Ideologie des sakralisierten Nationalismus. Nikolajević löste aber die Heldenverehrung nicht konsequent von religiösen Elementen. So sinnierte er zu Volksliedern und Legenden über die angebliche Rückkehr des während der Schlacht abgeschlagenen Kopfes des Fürsten Lazar zum Leichnam nach 40 Jahren, diese sei ein „Mysterium der Heiligkeit“ und „der Wille der Tiefe unserer Geschichte, damit wir wieder zu unserem Staat gelangen“. „Lazar mit Kopf, das ist – unser Staat“, der „auferstehen“ wird, „wenn das Volk auferstehen wird“, das „vom Türken verknechtet ist“.151 Der führende Journalist entwickelte so mithilfe alter epischer Lieder eine Legitimation eines neuen, in Anlehnung an Christus auferstehenden Staates. Lazar erlangte hier eine repräsentative staatliche Bedeutung, die entfernt mit der der Stephanskrone oder der Wenzelskrone vergleichbar ist. Nikolajević konkretisierte sodann, der „Sänger vom Kosovo“ habe „seinen Patriotismus (rodoljublje)“ mit dem „christlichen Karfreitag, aber auch mit dem Glauben an die Auferstehung unseres Staates“ verbunden. Diese staatliche Auferstehung setzte er in einen unauflöslichen Zusammenhang mit der gleichfalls durch das Lied prophezeiten „Auferstehung der Nation“.152 Die Legende wurde in der Logik des Mythos zur Prophezeiung mit angeblich zwangsläufiger Verwirklichungskraft umgedeutet und zur Nationaltheologie. Der Chef

er­griffen, erhöhen sich die Menschen, und sie werden fähig, einen höheren Wert zu empfinden. Und durch die Empfindung der Größe jener, die aus den historischen Tiefen kommen, die oftmals unerkennbar und nur innerlich erhellt sind, durch die Empfindung der Riesenhaftigkeit (­gorostasnosti) und der Mysterien jener, die stark und unerbittlich in ihrem Willen den immanenten Willen der Geschichte tragen; ja, erst durch den Kult historischer Botschafter werden wir alle, die Unwissenden, mit der wunderbaren Tugend ausgestattet, unersättlich und innig teilzu­nehmen an der gesegneten Gestaltung von allem, was dauerhaft ist, und was, mehr noch, das Leben der Generationen sichert, die uns folgen.“ Nikolajević (1939), S. 9. 151 „Unser Zar des Kosovo (Kosovski Car) ist mit seinem Märtyrertod zum Heiligen geworden, aber die Vereinigung seines Kopfes mit dem Leichnam ist nicht nur ein Mysterium der Heiligkeit (svetiteljstva): Sie ist auch der Wille der Tiefe unserer Geschichte, damit wir wieder zu unserem Staat gelangen. Der Kopf ist zur Leiche zurückgekehrt. Der Heilige ist nicht mehr geschändet, und unser Zar ist erneut da. Er ist körperlich tot, aber ganz, und aus seiner Stiftung (zadužbina) beherrscht sein Geist die Seele des Volkes, das vom Türken verknechtet ist. Lazar ohne Kopf, das war der ohnmächtige Torso unseres Staates; Lazar mit Kopf, das ist – unser Staat. Er ist vorübergehend tot. Er wird auferstehen. Und unser toter Zar, tot aber ganz, mit Leichnam und Kopf, ersehnt die Auferstehung. Und er, der die verflucht, deren Muskeln den Staat nicht verteidigen wollten, er, der Zar und Heilige, der Heilige und Zar, segnet die Stunde, wenn das Volk auferstehen wird und erneut seinen Staat errichten wird.“ Nikolajević (1939), S. 41. 152 „Die Auferstehung der Nation (nacije), die das Lied über den Kopf Lazars sang, musste kommen, denn sie trug bei sich, in ihrer Seele und in ihrem Geist, durch ihre Entstehung den Gedanken des Weltalls, den Sieg des Geistes.“ Nikolajević (1939), S. 41.

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Mobilisierung und Sakralisierung der Nation

der jugoslawischen Publizistik versuchte damit ganz bewusst, den diskursiven Rahmen des Kosovodiskurses der Gegenwart und der folgenden Jahre vorzugeben. Die in diesen Texten gipfelnde ideologische Aufbereitung des Mythos erfolgte aber nicht nur im Rahmen einer publizistischen Öffentlichkeit. Sie fand ihre Umsetzung und Verbreitung auch im sozialen Rahmen situativ zusammengetretener, großer Menschen­massen: Am 28. Juni 1939 versammelten sich auf dem Amselfeld „mehr als 100 000 Seelen“ (Abb. 28). „Große Vidovdanfeierlichkeiten wurden auch auf dem Dalmatinischen Amselfeld, im Kloster Ravanica und [im Kloster] Vrdnik abgehalten.“ Auf der Gedenkstätte Gazimestan feierte der Patriarch „assistiert durch 50 Geistliche“. Die „Politika“ berichtete des Weiteren aus dem Kosovo: „Das ganze jugoslawische Volk, vom König bis zum Bauern, hat heute den Helden des Kosovoepos Anerkennung und höchste Ehrung“ geschenkt. Schon in der Nacht „trafen immer neue und neue ­Gruppen des Volks aus allen Gebieten Jugoslawiens“ in Prishtina ein (Abb. 28).153 Erneut wurde der Vidovdan zur Plattform der Inszenierung einer räumlichen und nationalen jugo­ slawischen Einheit. Bora Nikolić, der Herausgeber einer Lokalzeitung, veröffentlichte ausführliche Broschüren, die über das Kloster sowie die Feierlichkeiten berichteten und so das Publikum der performativen Inszenierung ausweiten sollten.154 Eine gleichfalls angefertigte Verfilmung der Feiern dürfte allerdings zunächst kaum ein ­größeres ­Publi­kum erreicht haben.155 Auch zu den während des Zweiten Weltkrieges weniger groß angelegten Vidovdanfeiern im Jahr 1940 veröffentlichte die „Politika“ eine Rede Nikolaj Velimirovićs. In ihr setzte er, wie er behauptete, wie „unsere Kirche“ das „irdische“ und das „himmlische Reich“ mit „zwei Vaterländern“ gleich. Beide Reiche seien „ineinander verflochten, wie die Seele mit dem Körper“. Das national aufgeladene „Vaterland“ bereitete auf das damit gleichfalls nationalisierte „ewige Vaterland“ vor und stand in dessen Dienst. Über den christlichen Glauben stülpte er den Glauben ans Vaterland: „Mit dem Begriff des Vaterlandes stimmen auch der Glaube an die hohen Ideale überein, mit deren Hilfe sich der nationale Charakter herausgebildet hat und alle erhabensten Dramen unserer Volksgeschichte“. Allerdings blieb er doch im christlichen Rahmen: So sei „das Gesetz Gottes“ die „absolute Regel“. Wenn man dessen Willen folge, „würden Kriege unmöglich“.156 Nation und Glaube gingen hier eine Synthese ein, die nur noch äußerlich christlich bemäntelt wurde. Nach dem Ersten Weltkrieg und dem Ende des Osmanischen Reiches sind somit eine weitere Festigung der Verweise auf die bereits bestehende Erinnerungskultur als soziale Praxis und eine Erweiterung der Erinnerungskultur zu beobachten. Mehrere 153 Politika, 29.6.1939, Nr. 11161, S. 1. Knapp zur für ethnische Minderheiten Makedoniens „irritierenden“ Teilnahme von Sokolverbänden aus Skopje an den Feiern auf dem Amselfeld 1939: Jovanović (2007), S. 210. 154 Nikolić (Hg.) (1939a, 1939b). 155 Proslava 550. godišnjce Kosovske bitke 1939 (spätere Bearbeitung: Jugoslovenska kinoteka): http://www.youtube.com/watch?v=ZY8eo6pYC5c (Stand vom 18.8.2013). 156 Politika, 28.6.1940, Nr. 11518, S. 9.

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Autoren und insbesondere der an Einfluss gewinnende Bischof Velimirović deuteten die Geschehnisse nach dem Untergang des Osmanischen Reiches zum Sieg um und forderten eine eigenständige Religion mit der Erinnerungsfigur als Kern ein. Seit 1920 propagierten die Regierung sowie Wortführer der SOK und von 1925 an auch der Patriarch und die Vertreter des Königs die Begehung von Feierlichkeiten, die nicht nur in Belgrad, sondern auch in Skopje und Sarajevo zu Großereignissen werden sollten. In diesen Veranstaltungen sollte die oft explizit als serbisch, aber zunehmend als jugoslawisch bezeichnete Nationalideologie mit dem Kosovomythos als Kern zum Medium der Vergesellschaftung werden. Transreligiöse Feiern sollten die Jugoslawisierung auch der Muslime und der Juden erreichen. Gleichzeitig entfaltete sich eine Publizistik, die die Erinnerungsfigur vor Ort im Kosovo und in „Südserbien“ verbreiten sollte. Die Erzählstränge wurden zu einer „Vidovdanideologie“ und zu einer nationalen „Vidovdanreligion“ geformt. Minister, Militärs und Sportverbände machten die Feiern mit Sokolwettbewerben bzw. Sportinszenierungen zu immer größeren Massenanlässen. Die Vorstellung der Sakrali­sierung der nationalen Gesellschaft, des Staates und der Dynastie sollte im Rahmen dieser Feiern im Bewusstsein der Teilnehmenden verankert werden. Im Gegensatz zur zweiten Hälfte des 19. Jh. sind kaum Hinweise auf Kontroversen über die Feiern bzw. den Kosovomythos in serbischen Texten zu finden. Das bisher festgestellte Bestreben der Vertreter der Königsdiktatur, sich im kulturellen Fell übernational und jugoslawisch zu zeigen, wie es sich etwa im Verbot des Films „Serbiens Golgatha“ 1931 zeigte,157 ist vor diesem Hintergrund zu relativieren. Gleichzeitig verband sich der Diskurs über Sava mit dem über die Schlacht auf dem Amselfeld immer öfter.158 Zwar wurde der Vidovdan unter der Königsdiktatur nicht mehr als Staatsfeiertag begangen – nur noch in den Schulen sollte jährlich seiner gedacht werden. Inszenie­ rungen des Kosovomythos als Integrationsmedium traten aber auch in der Öffentlichkeit in den Jahren nach 1929 kaum zurück, vielmehr wiederholten sich Versuche, ihn auch in den Provinzen zu verankern.159 Das Werk von Miloš Crnjanski – einem der bedeutendsten modernen serbischen Autoren – steht für die literarische Bearbeitung und Verbreitung auch des Kosovomythos, der „Großen Wanderung“ um 1690 und der mit diesen Erzählsträngen verbundenen Deutungsmuster: Das serbische Geschichtsbild als Opfer der Osmanen wie die Abgrenzung von „Europa“ blieb beim Entwurf einer ,eigenen‘ Balkanidentität zentral in seinem Schaffen.160 Schon 1934 redete er als „Vertreter der rechtslastigen Moderne“ einem militarisierten Nationalismus und einem neuen großen Krieg das Wort.161

157 Marković (2001), S. 585. 158 Eine Edition von Texten des dalmatinischen serbisch-orthodoxen Bischofs Irinej Đorđević gibt hierzu weitere Beispiele: Episkop Irinej Đorđević, S. 125 – 136 (1940), S. 236 – 241 (1935). 159 Vgl. Höpken (2006), S. 363. 160 Mašek (2004), S. 49, S. 122, S. 217 – 219; Sundhaussen (2007b), S. 296 – 298; vgl. Wachtel (1998, 2004); Norris (1999), S. 51 – 59. 161 Mašek (2004), S. 169, S. 172; Buchenau (2011), S. 355.

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Mobilisierung und Sakralisierung der Nation

Für die weit fortgeschrittene Konsolidierung der Erinnerungsfigur steht, dass sie selbst unter der deutschen Besatzung Belgrads 1941 – 1944 zum Einsatz kam. Die Feiern mit Beteiligung der Regierung und von General Nedić persönlich sowie von Geistlichen sollten das Regime festigen.162 1942 wurden die Gebeine des Fürsten Lazar nach Belgrad überführt.163 Der Kosovomythos sollte in Publikationen des ehemaligen Diplomaten Dr. Miroslav Spaljaković, von Damjan Kovačević und von Dr. Branimir Maleš eine rhetorisch weiter zugespitzte Rolle als Grundlage einer „Rasse“ 164 und eines „nationalen Mythos“ einnehmen. Auch Nedić selbst verwies mehrfach auf den Mythos, um ein Handeln für ein nationalsozialistisches Europa zu verlangen.165 D 2  Geistliche als Nationalheilige: die diskursive und geographische Ausweitung des Savakults im ,Kampf der Ideologien‘ D 2.1  Von der ,Ideologie‘ des ,Svetosavlje‘ zu Sava als ,serbischer Gottheit‘ D 2.1.1  Erste Feiern nach dem Krieg

Die führende Belgrader Tageszeitung „Politika“ berichtete zum Savatag 1921, als der Feiertag „zum ersten Mal nach einer Reihe qualvoller und schwerer Jahre“ wieder begangen wurde: „Belgrad hat diesen Tag bis heute noch nie mit solcher Feierlichkeit begangen“. Obschon offiziell nur ein Feiertag „zweiten Ranges“, seien „wie beim größten Feiertag alle Läden geschlossen“ gewesen. „In allen Schulen versammelte sich unter der Ikone des heiligen Sava die Jugend“. An den Feiern an der Universität nahm auch „wie in den früheren Jahren der Thronfolger [und, S. R.] Regent Aleksandar“ teil, neben Regierungsministern, dem Patriarchen sowie Parlamentariern und Diplomaten. In ­Klammern wurde angemerkt, dass die gesamte Vertretung Frankreichs anwesend gewesen sei. Aber auch „eine große Zahl der angesehensten Bürger und Bürgerinnen Belgrads“ hatten sich eingefunden. Der Rektor der Universität betonte die Bedeutung dreier neuer Fakultäten – der medizinischen, der theologischen und der landwirtschaftlichen – für die „erfolgreiche Entwicklung Jugoslawiens“. „Die ganze Feier wurde beendet durch die Hymne des hl. Sava“, gesungen vom „Akademischen Gesangsverein ,Obilić‘“, der sodann mit dem „hl. Sava-Orden“ geehrt wurde.166 Die Begehung des Feier­ tages diente nun zur Inszenierung einer unter dem serbischen Banner Savas geeinten und auf den jugoslawischen Fortschritt eingeschworenen Gesellschaft der Hauptstadt

162 163 164 165 166

Ljubica (1996), S. 120 f., S. 267. Vgl. „Novo Vreme“, 28.6.1942, Nr. 354, S. 1. Ljubica (1996), S. 114 f. Zu diesem Kontext: Promitzer (2003). Ristović (2001), S. 654. Politika, 28.1.1921, Nr. 4585, S. 2.

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Mobilisierung und Sakralisierung der Nation

Für die weit fortgeschrittene Konsolidierung der Erinnerungsfigur steht, dass sie selbst unter der deutschen Besatzung Belgrads 1941 – 1944 zum Einsatz kam. Die Feiern mit Beteiligung der Regierung und von General Nedić persönlich sowie von Geistlichen sollten das Regime festigen.162 1942 wurden die Gebeine des Fürsten Lazar nach Belgrad überführt.163 Der Kosovomythos sollte in Publikationen des ehemaligen Diplomaten Dr. Miroslav Spaljaković, von Damjan Kovačević und von Dr. Branimir Maleš eine rhetorisch weiter zugespitzte Rolle als Grundlage einer „Rasse“ 164 und eines „nationalen Mythos“ einnehmen. Auch Nedić selbst verwies mehrfach auf den Mythos, um ein Handeln für ein nationalsozialistisches Europa zu verlangen.165 D 2  Geistliche als Nationalheilige: die diskursive und geographische Ausweitung des Savakults im ,Kampf der Ideologien‘ D 2.1  Von der ,Ideologie‘ des ,Svetosavlje‘ zu Sava als ,serbischer Gottheit‘ D 2.1.1  Erste Feiern nach dem Krieg

Die führende Belgrader Tageszeitung „Politika“ berichtete zum Savatag 1921, als der Feiertag „zum ersten Mal nach einer Reihe qualvoller und schwerer Jahre“ wieder begangen wurde: „Belgrad hat diesen Tag bis heute noch nie mit solcher Feierlichkeit begangen“. Obschon offiziell nur ein Feiertag „zweiten Ranges“, seien „wie beim größten Feiertag alle Läden geschlossen“ gewesen. „In allen Schulen versammelte sich unter der Ikone des heiligen Sava die Jugend“. An den Feiern an der Universität nahm auch „wie in den früheren Jahren der Thronfolger [und, S. R.] Regent Aleksandar“ teil, neben Regierungsministern, dem Patriarchen sowie Parlamentariern und Diplomaten. In ­Klammern wurde angemerkt, dass die gesamte Vertretung Frankreichs anwesend gewesen sei. Aber auch „eine große Zahl der angesehensten Bürger und Bürgerinnen Belgrads“ hatten sich eingefunden. Der Rektor der Universität betonte die Bedeutung dreier neuer Fakultäten – der medizinischen, der theologischen und der landwirtschaftlichen – für die „erfolgreiche Entwicklung Jugoslawiens“. „Die ganze Feier wurde beendet durch die Hymne des hl. Sava“, gesungen vom „Akademischen Gesangsverein ,Obilić‘“, der sodann mit dem „hl. Sava-Orden“ geehrt wurde.166 Die Begehung des Feier­ tages diente nun zur Inszenierung einer unter dem serbischen Banner Savas geeinten und auf den jugoslawischen Fortschritt eingeschworenen Gesellschaft der Hauptstadt

162 163 164 165 166

Ljubica (1996), S. 120 f., S. 267. Vgl. „Novo Vreme“, 28.6.1942, Nr. 354, S. 1. Ljubica (1996), S. 114 f. Zu diesem Kontext: Promitzer (2003). Ristović (2001), S. 654. Politika, 28.1.1921, Nr. 4585, S. 2.

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des neuen ­Staates auch vor internationalem Publikum. Zwei Jahre später fehlte in der Bericht­erstattung derselben Zeitung jeder verbale explizite Hinweis auf Jugoslawien – stattdessen war 1923 von der „politischen Einheit“ und der „geistigen Einheit des serbischen Volkes“ die Rede, die Stefan Nemanja und sein Sohn Sava hergestellt haben sollten.167 Der Feier­tag erfüllte zu diesem Zeitpunkt weltliche, nationale Zwecke und diente nicht zur Sakralisierung der Nation. Die Nachkriegszeit sollte unter dem Zeichen Savas stehen: Der Historiker Nikola Radojčić definierte die zentrale wissenschaftliche Einrichtung Serbiens, die Matica, in einer Rede zu „modernen (savremene) Ideen im Leben und im Werk“ Savas als eine „rein heiligsavische Institution“.168 Das Bewusstsein, an der Schwelle einer neuen Zeit zu stehen, für die neue Sprachregelungen gefunden werden mussten, war nach dem Ersten Weltkrieg auch an der Spitze der Geistlichkeit der SOK anzutreffen: Der neu eingesetzte Patriarch Dimitrije sprach bei der ersten Sitzung der „Orthodoxen Bruderschaft des hl. Sava“ in der Belgrader Kathedrale am 30. Oktober (12. November) 1922 nicht nur davon, wie „unser großer Geheiligter, der hl. Sava“ den Glauben des Volks „auf dem Fundament des orthodoxen Glaubens“ begründet und „das Volksleben auf den Weg der christlichen Kultur gelenkt“ habe sowie von der Entstehung von „Volkstraditionen“.169 Vielmehr ging es dem Patriarchen um die Auseinander­setzung mit der jüngsten Zeit: „Als es aber Gottes Gnade schenkte, dass (…) unser kleiner freier Staat entstand, (…) und unser Volk wünschte, in die Reihe der anderen glücklichen und fortschrittlichen Völker zu gelangen, wurde es notwendig, sich dem komplizierten, neuen Leben anzupassen“.170

Angesichts etwa der „heutigen modernen Vergnügungsstätten“ und des „Moralverfalls“ galt es nun, „unsere neue Gesellschaft, unsere Söhne“ – ohne Verweis auf die Töchter – davon zu überzeugen, „dass auch sie sich um (…) die Zukunft (…) unseres Stammes“ sorgen. „Man muss sich über die Verbreitung der Kultur in unserem Volk freuen“, aber sich nun darum kümmern, „dass in das Volk die Kultur getragen wird, die von ihren Beimengungen gereinigt ist, die die Volksseele zersetzen und töten“.171 Der Patriarch formulierte gegenüber der durch ihn beschriebenen Herausforderung der Moderne und damit in ihrem Kontext den Wunsch nach einer christlichen Antwort, einer orthodoxen Modernität im Sinne einer Erneuerung und Wiedergeburt: Es erfordere „große Arbeit“, damit „unser Volk erneut erstarke auf seinen alten Höhen und es geistig als eine echte christliche Zivilisation wiedergeboren wird“.172 Sava war hier der Kristallisationspunkt eines allgemeinen Gesellschaftsentwurfes seitens der Kirche, der gleichfalls ohne eine Sakralisierung der Nation auskam.

167 Politika, 28.1.1923, Nr. 5303, S. 3. 168 Radojčić (1921), S. 3. 169 Glasnik, 15.(28.)11.1922, Nr. 22, S. 356 – 358, hier S. 356 f. 170 Fortsetzung in: Glasnik, 1.(14.)12.1922, Nr. 23, S. 370 – 373, hier S. 370 f. 171 Glasnik, 1.(14.)12.1922, Nr. 23, S. 372. 172 Glasnik, 1.(14.)12.1922, Nr. 23, S. 373.

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Mobilisierung und Sakralisierung der Nation

Die immer konfliktträchtigere innenpolitische Lage Jugoslawiens spiegelte sich in der Feier des Gedenkens an Sava: Die stark institutionalisierte Universitätsfeier gab den Studenten im Januar 1925 nach der Verhaftung von Stjepan Radić von der Kro­atischen Bauernpartei eine öffentliche Plattform zum Protest gegen Bildungsminister Svetozar Pribićević: Es kam zu einer „Demonstration“ gegen den Minister „in An­wesenheit des Königs, dem zugejubelt wurde“. Der Vorfall „widerhallte schnell und weit in ganz Belgrad und wurde lebhaft kommentiert“ als ein Symptom für die politische Schwächung Pribićevićs.173 1926 versuchte der Rektor der Universität, drohende Proteste gegen den damaligen Bildungsminister Stjepan Radić zu unterbinden: „In Erinnerung an die unschönen Szenen, die sich bei den heiligsavischen Feiern vergangenen Jahres abspielten“, drohte der Rektor: „Die Studenten müssen ein für alle Mal ver­innerlichen, dass sie es nie mehr, absolut nie mehr wagen, ihren politischen Gefühlen in einem solch hohen und wichtigen Moment wie der heiligsavischen Feier Ausdruck zu geben.“ 174 Die Feier und Politik sollten getrennte Diskurse sein: Religion sollte nur zum affirmativen Rahmen von Politik dienen, aber keinesfalls zu ihrer Kritik. Sowohl der Patriarch 175 als auch der König traten auch dieses Jahr im Rahmen der Feier auf. Letzterer nutzte diese zur Mehrung seines Ansehens mit einer Stiftung eines Studenten­hauses.176 Die Zeitung „Politika“ berichtete in diesem Jahr gleichfalls über Feiern in einzelnen ­Schulen ­Belgrads, aber auch vom (gescheiterten) Versuch, diesen separaten gleichzeitigen ­Feiern eine gemeinsame Bühne zu geben: „Die Idee, diese stereotype Art der Feier des hl. Sava durch eine große Feierlichkeit zu ersetzen, wobei alle ­Schulen gleich­zeitig zur Teilnahme gebracht würden, hat sich als nicht durchführbar erwiesen.“ In der Hauptstadt dienten diese Feiern nicht zuletzt zur Inszenierung einer Einheit ­zwischen der Stadt und dem Land: Der Zeitungsaufsatz stand unter einer Abbildung von Schulkindern Belgrads in „Nationalen Trachten“ mit der Überschrift: „Der hl. Sava wird im ganzen Land feierlich begangen“.177 Schon 1926 argumentierte der Ethnograph Jovan Cvijić bei seinem Entwurf einer jugoslawischen Identität, neben Figuren des Kosovomythos sei auch Sava charakte­ ristisch für einen serbischen Beitrag zu einer „jugoslawischen Zivilisation“.178 Kurz vor der Einrichtung der Königsdiktatur erhob die Regierung im Dezember 1928 die Feier des Savatages zum Staats- und Schulfeiertag. Er sollte nun an allen Schulen des Staates zu feiern sein, ohne Rücksicht auf Religion oder Ethnie, und damit eine jugoslawische Identität fördern.179 Ein Zirkular des Bildungsministeriums schrieb vor, wie die Feiern abzuhalten seien. Nur in Schulen mit ausnahmslos serbisch-orthodoxen Schülern sollten der religiöse und der staatliche Teil der Feiern zusammen begangen 173 Politika, 28.1.1925, Nr. 6021, S. 3. Zur innenpolitischen Entwicklung vgl. Dragnich (1983), S. 36 f. 174 Politika, 26.1.1926, Nr. 6378, S. 3; vgl. Politika, 24.1.1926, Nr. 6376, S. 1. 175 Fotografie: Politika, 28.1.1926, Nr. 6380, S. 2. 176 Politika, 28.1.1926, Nr. 6380, S. 1. 177 Politika, 28.1.1926, Nr. 6380, S. 3. 178 Wachtel (1998), S. 92. 179 Nielsen (2002), S. 215; Mayer (1995), S. 63.

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werden. Unabhängig von der ethnischen oder konfessionellen Zusammensetzung sollte Sava als „nationaler Erzieher“ gefeiert werden.180 Die Zeitung „Politika“ gab erst 1930 inhaltliche Hinweise auf die Erinnerungskultur an, als sie bei der Beschreibung der Feiern an der Universität Sava als „großen Reformator“ bezeichnete. Wichtiger und innovativer war die Verbindung des Gedenkens an Sava mit dem des Krieges im Rahmen der Enthüllung einer „Gedenkplatte“ zu Ehren der „gestorbenen Dozenten und Studenten der Belgrader Universität. Beide diese Feier­ lichkeiten, symbolisch vereint an einem Tag, zeigen ungewöhnlich deutlich die ganze Schönheit unserer Geschichte, die Kraft unserer Generationen und die moralische Größe des verehrten jugoslawischen Volkes.“ Die Jugend habe sich 1912 – 1918 verhalten wie Rastko: „Sie opferte ihre Jugendlichkeit und gab sich zum Wohl des Volkes und für eine große Staatsidee“. Der akademische Chor der Universität „Obilić“ trieb von 1919 an das Vorhaben, eine Gedenkplatte anzubringen, voran. Schließlich wurde sie „im modernisierten byzantinischen Stil (u modernizovanom vizantiskom stilu)“ erstellt.181 Die Zeitung veröffentlichte eine Liste der gesammelten Namen als Rahmen einer monumentalen Abbildung Savas.182 Sava diente hier zur öffentlichen Darstellung einer ausdrücklich „modernisierten“ Orthodoxie. Tags zuvor schrieb Murat Sinanagić in der „Politika“ über Sava mit dem Titel: „Unser größter nationaler (narodni) Reformator“: „Denn seine Arbeit in Richtung der Stärkung des Volksstaates und der Ausweitung der Bildung im Volk gibt ihm den ersten Platz in unserer Geschichte und als solcher hat er unschätzbare Verdienste für uns alle ohne jeden Unterschied.“ Als Muslim übernahm und vertrat Sinanagić damit die für die jugosla­wische Ideologie zentrale Verehrung Savas.183 Die größte serbische Tageszeitung versuchte mit der Publikation dieses Beitrags offensichtlich, eine transreli­giöse Ausweitung der Wirkungskraft Savas als Medium der transethnischen Einigung zur Nation zu erreichen. Der Staat verfolgte zu diesem Zeitpunkt die Propagierung eines weltlichen ­Bildes Savas, um ihn nicht nur für Orthodoxe annehmbar zu machen: Ein Schreiben der Regierung an alle Distriktvorsteher und Schuldirektoren der Drina Banovina erklärte im Januar 1931 ausführlich die inhaltliche und programmatische Vorbereitung sowie Gestaltung des staatlichen Schulfeiertages: „Einer der ersten und größten Architekten unserer nationalen und staatlichen Einheit, der nationalen Kultur unseres schönen und großen Jugoslawien, war ohne Zweifel dieser Nemanjić (…) In Verbindung mit der Feier sollen alle Lehrer in den Unterrichtsstunden zur Nationalgeschichte sowie zur Geographie über das Leben und die Arbeit des hl. Sava sprechen. (…) Der schulische 180 „In diesem Sinne ist darauf zu achten, dass besonders in gemischten Schulen das Programm der Feier selbst (Ansprachen, Lesungen, Lieder etc.) insgesamt im breiten Geist der reli­giösen Toleranz und der nationalen Einheit gehalten ist.“ Arhiv Jugoslavije, 66(pov.)-86 – 234, zit. übersetzt gemäß der Übersetzung ins Englische bei Nielsen (2002), S. 218. 181 Politika, 27.1.1930, Nr. 7806, S. 1. 182 Politika, 27.1.1930, Nr. 7806, S. 2. 183 Politika, 26.1.1930, Nr. 7805, S. 2; Nielsen (2002), S. 215.

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Teil soll klar getrennt sein von der Feier in der Kirche. (…) Die Feier endet mit dem Singen der staatlichen und der Hymne des hl. Sava. (…) Eine große Anzahl von Bürgern – Eltern der Schulkinder, lokale Vertreter der Regierung und kulturelle sowie humanitäre Einrichtungen – werden in jeder Schule zur Feier versammelt sein.“ 184

Die Schulfeiern sollten gemäß der staatlichen Vorgabe zu einem der wichtigsten Medien der konkreten Inszenierung einer gesellschaftlichen Einheit und Identität auch in den Provinzen werden. D 2.1.2  Die Ausgestaltung des ,Svetosavlje‘ durch Theologiestudenten

Serbische Intellektuelle und namentlich junge Studenten der Theologie fassten die Er­­innerungskultur um Sava sehr pragmatisch und reflektiert als ein umfassendes gesellschaftliches Projekt auf, an dem es weiterzuarbeiten galt.185 So schrieb Dimitrije ­Najdanović, der zunächst Mitglied der Bogomoljcen Velimirovićs und später der faschistischen Vereinigung „Zbor“ von Ljotić wurde sowie 1940 in Berlin eine Monographie über Fichtes Geschichtsphilosophie veröffentlichen sollte,186 im ersten Jahrgang der theologischen Studentenzeitschrift „Svetosavlje“ 1932: „Die Versuche der Konstruktion der Person des hl. Sava sind erfolglos geblieben. Gänzlich erfolglos.“ Wie sich aus den darauffolgenden Sätzen ergibt, war sein Zugang zur Konzeptualisierung Savas historiographiegeschichtlich und kritisch geprägt. Zugleich befürwortete er einen personi­ fizierenden Bezug und führte körperliche Metaphern ein: Beschreibungen Savas in der älteren „patriotischen Historie“ zeichneten ihn „ohne Muskulatur und Blut­körper“. Sava sei in der bisherigen nationalen Rhetorik als „Phantom“ seiner selbst, als „Kinder­patron“ inszeniert worden.187 Aber auch die sachlichere, sogenannte „unpatriotische Historie“, die die religiöse Verehrung ausklammerte, konnte dem Verfasser nicht genügen: Sie habe sich als unfähig zur „Kreierung (u kreiranju) einer starken Gestalt des hl. Sava“ erwiesen, ja wie bei einer pathologischen Autopsie sei der „Körper“ der Volksgeschichte mit dem Skalpell behandelt worden.188 Die bisherigen Schulen der Geschichts­schreibung

184 Arhiv Bosne i Hercegovine, Sarajevo. Kraljevska banska uprava Drinske banovine, povjerlijivo 873/1932, zit. übersetzt gemäß der Übersetzung ins Englische bei Nielsen (2002), S. 216. Vgl. Buchenau (2006a), S. 27. 185 Zum Svetosavlje: Buchenau (2006b); Falina (2007a); (2007b); Dartel (1984), S. 77 – 83. 186 Buchenau (2011), S. 364 f. 187 „Ohne Muskulatur und Blutkörper, ganz ein Schatten (sav senka), mit einer Seele aus Märchen und Spinnweben, schwankte das Phantom (sen) dieses heiligen Helden (heroja-sveca) wie die Hitze erloschener Kohle unter dem Atemzug der patriotischen Reden. Ein solcher Heiliger Sava, eine süße Fiktion, eine zauberhafte Phantasmagorie, war und blieb ein Kinderpatron (dećji ­patron).“ Najdanović (1932), S. 62 f. 188 „Wie ein Pathologe bei der Autopsie (prosektor u prosekutri), ist sie uninteressiert am Schicksal der Schicksalsträchtigen, und hat den historischen Körper zerschnitten und zerkleinert (rubila), auf der Suche nach der Pathologie des Gewebes anstelle der Pathetik des Geistes, sich vertiefend in die Statik anstelle der Dynamik der Geschichte, die Anatomie anstatt der Physiologie der

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ließen den hl. Sava oder seine als „Svetosavlje“ bezeichnete und synthetisierte Lehre deshalb „unbelebt“.189 Die Historie hatte in seinem Verständnis die Aufgabe, Sava rhetorisch ein neues Leben einzuhauchen. Najdanović zeigte auch gleich, wie er sich dies konkret vorstellte. Den ungeeigneten historiographischen oder geschichtsphilosophischen Entwürfen stellte er seinen eigenen gegenüber. Dabei stellte er Sava als „Schöpfer des nationalen Evangeliums“ dar und der europäischen Qualität der Serben: Wie bei „allen Völkern Europas“ sei aus dem „evangelischen Bewusstsein“ das „ethnische“, das „Bewusstsein als Volkseinheit“ hervorgegangen. „Das christliche Ethos schuf – durch das Svetosavlje – das slavische (slovenski) Ethnos.“ Najdanović stellte Ethos und Ethnos hier in eine direkte Verbindung zueinander und versah das „slavische“ Einheitsvolk mit einer Identität. Sava wirkte durch seinen „Genius“ und seine christliche Lehre wie eine „Anthropogonie“, und schuf „einen neuen Menschen“ – den „slavischen Menschen“.190 Ausgehend vom christlichen Bezugsrahmen wurde ein von Sava dominierter ethnischer Zusammenhang im europäischen Rahmen des Diskurses über „neue Menschen“ hergestellt. Bemerkenswerterweise ist dabei von Serben noch keine Rede, sondern nur übergreifend von einem „slavischen Ethnos“. Die Begeisterung für die pseudowissenschaftliche Indienstnahme von Metaphern kannte bei Najdanović keine Grenzen, sie reichte bis in die Chemie.191 Aber nicht nur chemische Reaktionen wurden bemüht, auch der integrale Nationalismus wurde beschworen.

Vergangenheit erforschend. Diese Geschichte kann nicht in einer höheren historisch-philosophischen Weise durch das Skelett der Vergangenheit den Menschen und den Geist der Menschen erkennen, ihr sind in ihrer dürftigen Denkweise alle schöpferischen Faktoren der vergangenen Jahrhunderte eine Abfolge mechanischer Konflikte. Keine Spur eines Kobolds! Kein wenig ­Pietät vor den Manien (manima) der großen Verstorbenen! So haben wir eine Historiologie ohne Historiogonie, wie wir ein Jahrhundert zuvor ,eine Psychologie ohne Seele‘ hatten. Dem Prinzip multa non vera folgend, war sie ungeeignet zur historiosophischen Synthese, und zeigte sich insbesondere nicht in der Lage (impotentna) zur Kreierung (u kreiranju) einer starken Gestalt des hl. Sava (snažnog svetosavskog lika).“ Najdanović (1932), S. 62 f. 189 „Das kleine Herz der patriotischen Geschichte konnte nicht das große Svetosavlje in sich aufnehmen. Der kleine Verstand der unpatriotischen Geschichte konnte in seiner historischen Fragmentierung das Svetosavlje nicht integral denken. Deshalb blieben, im einen wie im anderen Fall, Idee, Geist, Inhalt und Qualität des Svetosavlja unbelebt.“ Najdanović (1932), S. 62 f. 190 „Der hl. Sava ist der Schöpfer des nationalen Evangeliums (narodnog evangelikona). Das Evangelium war allen Völkern Europas das ethnische synthetische Prinzip (etničko sintetičko načelo). Das Bewusstsein als Volkseinheit ist aus dem höheren evangelischen Bewusstsein hervorgegangen, aus dem transzendenten Bewusstsein von Gott und dem Menschen als onthologische Werte (vrednosti). Die christliche Anthropologie wirkte – umgesetzt durch das Genie des hl. Sava im Kern des slavischen Menschen – wie eine Anthropogonie: In der neuen Freude wurde ein neuer Mensch geboren. (…) Das christliche Ethos schuf – durch das Svetosavlje – das slavische (slovenski) Ethnos.“ Najdanović (1932), S. 63. 191 „Der durch das Svetosavlje eingetröpfelte evangelische Tropfen durchdrang und vereinigte das weiche, kleine und chaotische Element des Slaventums chemisch zu neuem Edelmut (­plemenitost).“ Najdanović (1932), S. 63.

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Najdanovićs Definition des Svetosavlje war zu einem erstaunlichen Grad selbst­ reflexiv gehalten: Ausdrücklich war von einer „maximalen Sanktifikation des nationalen Moments“ die Rede. Die Sakralisierung der Nation wurde in seinem Entwurf des Diskurses zum expliziten und selbstbewussten Ziel. „Nationaler orthodoxer Messianismus“ auch anderer Völker war in seinen Augen völlig legitim. Diese Anerkennung war aber aus einer „svetosavischen“, herabschauenden Perspektive lediglich gnädig gewährt – „svetosavisch“ sollte die „Idee der Übergeschichte und der Übernationalität“ sein, die diese Anerkennung zu einem selbstbewussten serbischen Gnadenakt stilisierte, der ganz im Schatten der monumentalen serbischen Auferstehung stand, die die „Pfingstrosen des Kosovo“ symbolisierten.192 Sowohl panslavischer Transnationalismus als auch Messianismus wurden so auf Sava und den Kosovomythos zurückgeführt. Metageschichte, Metanationalität und in den Himmel reichende Monumentalität – Najdanović geizte nicht mit pseudowissenschaftlichen Superlativen. Der Erinnerungskultur um Sava verlieh er damit nicht nur einen ganz neuen Wortschatz, sondern auch eine neue Funktion als quasiverwissenschaftlichter Diskurs. Die Nähe zur Geschichtswissenschaft blieb dabei entscheidend. Serbische Geschichte und „die Welt der messianischen Ideologie“ waren dem Verstand zugänglich nur durch das Prisma der Ideologie des Svetosavlje, der „einzigen konstruktiven Idee unserer Geschichte“.193 Wie der Autor erläuterte, sei diese „messianische Ideologie“ das einzige Überbleibsel der geschichtlichen Prozesse, als „heiliger Kelch“ geborgen im „Svetosavlje“, in der „Seele der Volksseele“. Die Idee bestand im „Gottmenschentum unserer Geschichte“ – der nationalen Geschichte.194 Das Volk wurde als Resultat (heils)geschichtlicher Vorgänge als kollektive Persönlichkeit gedacht insgesamt 192 „Im Svetosavlje ist die Nationalität (narodnost) als Kirchlichkeit gedacht (zamišljena kao ­crkvenost). Das Svetosavlje ist unsere slavische orthodoxe Katholizität: Die integrale Volkseinheit in Christus. (…) Das Svetosavlje ist die maximale Sanktifikation des nationalen Moments. Der erhabene (uzvišeni) Prozess des nationalen orthodoxen Messianismus (mesijaniteta) wurde durch das Svetosavlje begonnen. Der Messianismus eines jeden Volkes sei gesegnet, wenn er in das Leiden Christi blickt, die Liebe, Demut und Seligkeit! Tatsächlich, das ist die sveto­savische (svetosavska) Idee der Übergeschichte (nadistorije) und Übernationalität (nadnarodnosti), die oftmals (više puta) bis zur Monumentalität in den Himmel gewachsen ist. Aus ihr sind die Pfingstrosen des Kosovo hervorgegangen.“ Najdanović (1932), S. 64. 193 „Das Svetosavlje ist die einzige konstruktive Idee unserer Geschichte. Sie eröffnet ihren Verstandescharakter (intelegibilni karakter), die Welt der messianischen Ideologie.“ Najdanović (1932), S. 64. 194 „Durch die historischen Wirren und Prozesse, Abnutzung (pohabanost) und Vergänglichkeit wurde nur dieser heilige Kelch (sveta čaša) überliefert (pronešena). Denn dieser wurde im Svetosavlje getragen, in der Seele der Volksseele, der Seele der christlichen Seele (duše hristodušne). Denn dieser wurde wie ein Evangelium im Evangelium getragen, wie der Geist der Menschen im Gottmenschen. Das Gottmenschentum unserer Geschichte wurde durch das Svetosavlje in­ toniert. Auf der Klaviatur der Volksseele erklang mit dem Christusgotttum (hristobogovstvom) und dem Christusmenschentum (hristočovečanstvom) das svetosavische Präludium: mit dem ewigen Psalm der Ewigkeit der Seele.“ Najdanović (1932), S. 64.

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zu Christus. Der heilige Sava machte es als „Prototyp des Volkslebens“, als „Anfang und Ende unserer Geschichte“ vor. Savas Lebensweg „vom edlen Jüngling zum ­Heiligen“ wurde hier mit dem Gang der gesamten Nationalgeschichte gleichgesetzt –195 die Sa­kra­ li­sierung des Volkes analog zur Heiligung Savas zum Ziel erklärt. Auch im Weiteren sollte die Argumentation mit interdisziplinärer Metaphorik – Biologie kombiniert mit Physik, Philosophie und Theologie – die Wahrhaftigkeit und Objektivität der pseudowissenschaftlichen Gespinste plausibel machen. Das „Svetosavlje“ wurde zum „Embrio“ erklärt.196 Najdanović machte das Svetosavlje zudem als „unsere primäre und größte Wirklichkeit“ zur ontologischen Begründung des Slaventums. Die Rede von „unserem historischen Dornenkranz“ stellte dabei erneut das Slaventum als leidenden Christus dar. Ohne zu stocken, überging der Verfasser die Grenzen zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft und machte das Svetosavlje als Ausdruck „unseres prädestinierten Daseins“ zum politisch-theologischen Wesenskern der Slaven.197 Auch weitere Passagen des Textes können als nationaltheologische Superlative beschrieben werden, so die Deutung des Svetosavlje als „evangelische Palingenese“, als slavische „Wiedergeburt in Christus“.198 War der Text bisher auch ein Versuch, das Svetosavlje auf das „slavische Volk“ insgesamt zu beziehen, verengte sich die Perspektive des Argumentationsstrangs erst mit seiner wiederholten Verknüpfung mit dem Kosovodiskurs als „Golgatha“: Die Schlacht auf dem Amselfeld wurde ganz absorbiert durch das „Svetosavlje“: „Das Svetosavlje ist die Apotheose unseres Leidens, die Taufe eines ganzen Volkes im Blut.“ 199 Mit 195 „Das Leben des hl. Sava ist der große Prototyp des Volkslebens. Rastko – hl. Sava: Dies muss Anfang und Ende unserer Geschichte sein. Von der Biographie zur Hagiographie. Vom edlen Jüngling (junoše) zum Heiligen.“ Najdanović (1932), S. 64. 196 „Es gibt keine Kultur ohne Religion. Das Svetosavlje ist unsere höchste und erhabenste reli­ giös-kulturelle Idee. Genuines kulturelles Schöpfertum fand bisher im Bereich des Svetosavlje statt. Und es suchte [dort, S. R.] Zuflucht. Die Embriologie aller kulturellen Werte eröffnet uns einen alles Leben umfassenden (sveživotni) Embrio: das Svetosavlje. Unter allen anderskulturellen Sägespänen (inokulturnih opiljaka) befindet sich, als reiches evangelisch-magnetisches Feld, die svetosavische ουσια (Wesen, substantia).“ Najdanović (1932), S. 64. 197 „Das Svetosavlje ist unsere primäre und größte Wirklichkeit (stvarnost). Es hat sich in der Vergangenheit zahllos verwirklicht, evolutiv oder revolutionär, durch Persönlichkeiten oder Kollektive, in verschiedenen Gestalten. Es ist empirisch verifiziert. Auch heute gehen wir auf heiligen, qualvollen, zerklüfteten Spuren, mit der Last unserer Vergangenheit, und begegnen immer wieder, im dichten Nebel, einem Sonnenstrahl: eine feine Aureole vom reinen Goldplasma (od suvog zlata plamsa [sic]) unseres historischen Dornenkranzes. Das ist der Äquator unseres prädestinierten Daseins (preporođenog bića). Das ist der svetosavische strahlende Ex­trakt, erlangt durch die slavischen Länder und den evangelischen Geist. Das ist der feine Gürtel des angeeigneten Himmels, mit dem uns das Svetosavlje umgürtet hat.“ Najdanović (1932), S. 65. 198 „Das Svetosavlje ist unsere evangelische Palingenese (παλινγγενεσια [sic]), die Wiedergeburt in Christus.“ Najdanović (1932), S. 65. 199 „Unser Volk ist ohne Lächeln durch das Leben gegangen. Als Retter. Unsere historische Stellung (postolje) ist robust (stamenito). Denn im schweren Sediment der Märtyrerseele, wenn man sie entzwei schneidet, findet man auch heute die gebrochenen Herzen vieler Mütter von

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s­ olchen Sätzen war die auch in diesem Text implizit immer mitgedachte Konzentration des ­Svetosavlje auf das serbische Volk offenbar. Die direkte Verbindung des Kosovo­ diskurses mit dem Heiligen war bisher die Ausnahme geblieben. Sein Bezug zu Sava sollte durch die „svetosavische Dialektik“ erklärt werden und eine „Ethik vom svetosavischen Logos“ als Fundament für alle weiteren Überlegungen begründen.200 Auf dieser Grundlage sollte der nationaltheologische Entwurf philosophisch gefestigt werden. Nicht Sava als Person, sondern das abstrakte Konzept des Svetosavlje sei laut Najdanović für den „Genius des Volks“ – nicht aber für das Volk? – das Hilfsmittel, den heilsgeschichtlichen Erlösungszustand mit seinem eigenen „hellen Auge“ zu sehen. Der „Leitstern“ machte die Gegenwart des „himmlischen Reiches“ zugänglich: „Durch ihn, beleuchtet durch das Svetosavlje, hat das helle Auge, der Genius des Volkes, das Reich der ewigen Helligkeit gesehen: Das himmlische Reich.“ 201 Nach diesem rhetorischen Höhepunkt erklärte Najdanović schließlich den „Genius des Volkes“ (gleichbedeutend mit der „kollektiven Volksseele“) politisch-theologisch zum Kommunikationspartner der „Heiligkeit“, die durch das Svetosavlje vermittelt und „verwirklicht“ würde.202 Najdanović argumentierte in seiner „Kosmomythologie eines alten Volkes“ dichotomisch: Er erkannte eine gewissermaßen manichäistische Unterscheidung von „hellen Elementen“ und solchen „der Finsternis“, die sich hegelianisch-dialektisch – also nach „­svetosavischer Dialektik“ – im Lauf der Geschichte aufheben sollte. Für ­Najdanović wurde „unser historischer Prozess“ mit einer der Physik entliehenen Metaphorik Jugović (…), viele Arme von Damjan, das Gekrächze der Rabenkrähe, blutige Kosovoblüten. Blüten die nach Golgatha führten. Aus diesem mit Tränen und Seufzern gefüllten Schlund, den abgründigen Strudeln des Leidens hat sich das svetosavische Jubeln losgerissen, ist in der reinsten Katharsis in die Gipfelhöhen aufgestiegen und hat die Kategorie des Todes transzendiert.“ Najdanović (1932), S. 66. 200 „Im bleichen Zwielicht der Sklaverei haben sich das Herz und der Verstand des Volkes verkörpert (ovaplotili se), mittels der Mythologie und Ethik, in der unwiederholten herrlichen Amplitude der Ausdruckskraft, des Heldentums des Mörders – Kraljevićs. Dem elitären Herzen und Geist, der Blüte unserer Eleganz, blieb es überlassen, gedanklich und pektoral (pektoralno), mithilfe der Philosophie und der Religion, in einer unsterblichen Architektur das svetosavische Epos (epopeju) zu schaffen. Eine svetosavische Dialektik ist möglich und unentbehrlich, die die autochthonen seelischen Kräfte sammelt und zusammenfasst und eine Ethik vom svetosavischen Logos als normativem Prinzip aller zukünftigen religiös-philosophischen Gebäude entwickelt.“ Najdanović (1932), S. 66. 201 „Das Svetosavlje ist unsere ewige Idee. Über der historischen Pragmatik, der Zerstörung, der Unansehnlichkeit (neuobličenosti), dem ,Zufall‘ der unermesslichen historischen Fluktuation, steht (…) ein klarer Leitstern. (…) Lux ex tenebris!“ Najdanović (1932), S. 66. 202 „Das Svetosavlje ist unsere unmittelbare Gegebenheit (datost) und ontologische Aufgabe (­zadatost). Unmittelbare Gegebenheit: Denn es ist verwirklicht in der Heiligkeit (u ­svetiteljstvu). Die Heiligkeit, der erhabenste Bereich des neutestamentarischen Denkens und Handelns, ist die unmittelbarste Verifikation des svetosavischen lichttragenden (svetonosnog) Potentials. Dieses Potential flackert mit seinen Lichtwellen auf der Grundlage (bazom) der kollektiven Volksseele.“ Najdanović (1932), S. 67.

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„an­gestoßen durch den svetosavischen Impuls“. Im Rahmen seiner „Kosmomythologie“ bettete er den Vorgang in einen „überhistorischen Prozess“ ein. Die Dichotomie sollte durch einen umfassenden Sieg der „Heiligkeit“ überwunden werden. Der oben eingeführte politisch-theologische „Messianismus“ wurde hier erläutert: Die sogenannte „sveto­savische Ethnosophie“ sollte nicht nur das ganze „Volk“ heiligen, sondern in einem letzten Schritt die gesamte Menschheit erlösen. Najdanović formulierte mit dem Wortschatz und angelehnt an die Argumentationslogik des Historismus eine neue, nationaltheologische und messianisch „übernationale“, also bewusst transnationale Heilsgeschichte.203 Najdanović beendete seinen Essay, indem er die gegenwärtig anstehenden Schritte zur Verwirklichung seines Entwurfs eines „heiligen Volkes“ erläuterte. Die übernationale Erlösung trat dabei wieder in den Hintergrund, die Verwirklichung des slavischen bzw. implizit des serbischen Volkes als „heiliges Volk“, als „heiliger Organismus“ in den Vordergrund. „Svetosavische Energien“ galt es umzusetzen, ein „svetosavischer Aktivismus“ war zu beginnen.204 Diese theoretisch-nationaltheologisch begründete Handlungsanweisung ist als mo­ derner Entwurf nationaler Identität weitgehend im Kontext gleichzeitiger Versuche der Mobilisierung von Volksmassen durch nationale Ideologien im Europa der beginnenden 30er-Jahre zu sehen. Charakteristisch für den serbischen Zusammenhang und für das Svetosavlje ist der überaus stark in den Vordergrund gestellte religiöse Bezug. Der „rechtsintellektuelle“ Mathematiker und Philosoph Vladimir Vujić, der als Gymnasiallehrer in Belgrad arbeitete und sich 1937 als Übersetzer von Oswald Spenglers

203 „Die Kosmosmythologie eines alten Volkes plant das Ende des kosmischen Prozesses in der totalen Absonderung der hellen Elemente von den Elementen der Finsternis. Unser historischer Prozess, angestoßen durch den svetosavischen Impuls, muss sich in einen überhistorischen Prozess übertragen (da se transmetira), in dem sich das ganze Wesen des Volkes in die Heiligkeit des Evangeliums verwandelt. Von der Alltäglichkeit (nasušnosti) zur Heiligkeit (svetosušnosti): Das ist unsere svetosavische Ethnosophie (etnosofija). (…) Mit dem nationalen Svetosavlje zum konationalen, übernationalen, die ganze Menschheit umfassenden Christentum.“ Najdanović (1932), S. 67. 204 „Vor allem ist das Svetosavlje unsere größte Möglichkeit. Wir befinden uns vorläufig, nur irgendwie und einigermaßen, im svetosavischen Klima (podneblje). Und nur atmend nehmen wir den svetosavischen Sauerstoff auf. Nur mit dieser einfachen Partizipation (jednogubom participacijom) werden wir Mitglieder der svetosavischen Kirche. (…) Die Möglichkeit ist: die svetosavische Transsubstantiation. Die Möglichkeit, und gleichzeitig das Vermächtnis, sind: die svetosavische μεταβολη des ganzen nationalen Wesens (narodnog bića). Lasst uns ein heiliger Organismus sein, ,ein heiliges Volk‘. Nur so treten wir unmittelbar ins Programm des Neuen Testaments. Dies wäre nicht mehr ein Verhältnis, Passivität, nur das Aufsaugen und der Verbrauch der svetosavischen Impulse, sondern das Schaffen eines grenzenlosen Zentrums der svetosavischen Energien. So würden wir in die Phase des svetosavischen Aktivismus über­ gehen. Von uns, den svetosavisch Gewordenen (osvetosavljene), könnten man dann sagen: – Ecce populus!“ Najdanović (1932), S. 67.

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„Untergang des Abendlandes“ und Verbreiter dieses Werks hervortun sollte,205 setzte 1934 in derselben Zeitschrift Sava zur Abgrenzung gegenüber Dositej Obradović ein. Letzterer war für die liberalen Wortführer eines laizistischen nationalen Staatswesens schon im 19. Jh. zum Vorbild und zum bewusst eingesetzten identitätspolitischen Inte­ grationsmedium geworden.206 Vujić beschrieb dabei beide Personen als „Aufklärer“: Sava habe als Vertreter eines sogenannten „rechten Weges“ „die Fundamente der nationalen Kultur“ gelegt. Dositej hingegen sei „das Symbol des Bruchs mit ihr, und der Begründer der verlogenen zivilisierten Hülle, die mit dem Entstehen unseres ,Bürgertums‘ begann und heute mit dem Zerfall desselben beendet wird“.207 Vujić gilt als Vertreter einer antilaizistischen Interpretation des Svetosavlje, in deren Rahmen die Abwehr der im Rückblick auf das 19. Jh. beobachteten „Verweltlichung“ wichtiger als der Nationalismus angesehen worden sei.208 Hervorzuheben ist, dass Sava damit als heiliger „Aufklärer“ zum diskursiven Widersacher eines zutiefst weltlichen Politikers gemacht wurde: Sava wurde so nicht nur im Rahmen affirmativer nationalistischer und kirchlicher Diskurse, sondern auch in dem Diskurs der Auseinandersetzung mit dem Bereich der liberalen Politik imaginiert und instrumentalisiert. Andererseits kam dem Svetosavlje in dieser frühen Phase seiner Entstehung zunächst die Funktion zu, den Kreis der Hierarchen der mit der Gründung des SHS-Staates aus verschiedenen Ortskirchen zusammengefügten serbischen orthodoxen Kirche mit einer übergreifenden Identität zu integrieren. So wehrten sich Gläubige in Bosnien-Herze­ gowina sowie in der Vojvodina gegen die neue Macht des wiederhergestellten Patriarchats, das nun in der auch in anderen Bereichen stark an Einfluss gewinnenden Hauptstadt Belgrad eingerichtet wurde.209 Auch vor diesem Hintergrund ist das Svetosavlje in den Kontext der Einrichtung moderner Nationalstaaten bzw. Nationalkirchen zu stellen und als modernes Phänomen kirchlich-nationaler Identität zu verstehen. Immerhin verwehrten sich serbische Geistliche gegen eine allzu säkulare Deutung Savas, wie sich anhand der Debatten über eine Publikation von Miloš Crnjanski 1934 über Sava zeigte.210 Zu Beginn der 30er-Jahre war in Belgrad auch eine allgemeinslavische, transnational die gesamte Orthodoxie betreffende Definition des Svetosavlje zu beobachten, die sich aber nicht durchsetzen konnte.211 D 2.1.3  Diskursive Kulminationen im Jubiläumsjahr 1935

Der Feiertag des Heiligen 1935 markierte nur den Beginn des Jubiläumsjahres, des 700. Todesjahres des hl. Sava. Während etwa der Rektor der Universität Belgrad zum 205 206 207 208 209 210 211

Buchenau (2011), S. 360 – 363. Buchenau (2006b), S. 209 f. Vujić (1934), S. 99, zit. in der Übersetzung von Buchenau (2006b), S. 210. Buchenau (2006b), S. 210. Buchenau (2006b), S. 213. Buchenau (2011), S. 366. Buchenau (2006b), S. 212; Buchenau (2006a), S. 26.

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Schulfeiertag am Tage Savas 1933 ganz ohne einen Verweis auf Sava programmatische Überlegungen über die „moderne Universität“ anstellen konnte 212 und die Erinnerung an Sava ihm damit nur zum institutionellen Rahmen diente, wurden 1935 wichtige inhalt­ liche Aktualisierungen des Gedenkens an Sava vorgenommen: Seine Heiligkeit Patriarch Varnava eröffnete in Sremski Karlovci das Gedenkjahr mit einem Text zum Savatag, der am 27. Januar in der führenden Zeitung „Politika“ als Leitartikel veröffentlicht wurde: Sava wurde darin nacheinander als „unser Aufklärer, Erneuerer und seelischer Heilender (iscelitelj)“ sowie als „hünenhafter Riese des serbischen Volkes“ eingeführt.213 Der Patriarch war im Einsatz moderner Metaphern nicht weniger gewandt als Najdanović: Er legte den Serben ans Herz, sich Sava und seine Wirkungsgeschichte wie einen Film vorzustellen und zu vergegenwärtigen: „Das serbische Volk muss bei dieser Verehrung wie im Film sein lebendiges Bild, sein siebenhundertjähriges Leben sehen.“ Varnava verglich das Leben des Volkes mit demjenigen Hiobs und personifizierte damit die Vielzahl zu einem Individuum.214 Zudem stellte er das Schicksal dieser Vielheit ganz als durch die „Vorsehung Gottes“ geleitet dar.215 Das „serbische Volk“ erschien hier in einer nah an Christus angelehnten Opferrolle, den „höllischen Plänen“ der Feinde ausgeliefert. In seiner „Heiligsavischen Botschaft“ zum gleichen Anlass erinnerte Varnava das serbische Volk an „seine historische Aufgabe auf dem Balkan“.216 Auf der gleichen Seite der „Politika“ erstellte Stanoje Stanojević, damals Professor für Geschichte der Universität Belgrad, eine Chronologie des Werkes des „Schöpfers der lebenden und staatsschöpfenden (državotvorne) serbischen nationalen (narodne) ­Kirche, des Volksaufklärers und Geheiligten“.217 Die angebliche „staatsschöpfende“ Rolle der serbischen Kirche ging hier über den traditionellen Befund der Unterstützung des Staates durch orthodoxe Geistliche weit hinaus und war ein direkter tagespolitischer Anspruch auf die Mitwirkung der Orthodoxie im nach dem Attentat auf Aleksandar I. geschwächten Königreich Jugoslawien. Eine für breitere Kreise geschriebene Darstellung des Lebens Savas beendete Stanojević mit dem Satz: „Neben der kirchlichen Organisation ist der hl. Sava der Begründer der serbischen Literatur und der Schöpfer des serbischen Nationalismus, der zum Hauptcharakterzug und zur hervorgehobenen Eigenschaft unseres Volkstums (narognod bića) sowie zum Inhalt unseres nationalen (narodnog) Lebens geworden ist.“ Sava sollte als Kern eines vermeintlichen nationalen Wesens zentral für die moderne Gesellschaft werden.218 212 Politika, 28.1.1933, Nr. 8877, S. 3. 213 Politika, 27.1.1935, Nr. 9588, S. 1. 214 „In diesen sieben Jahrhunderten hat die Vorsehung Gottes unserem Volk, wie dem vielleidenden Hiob, verschiedenerlei Stunden zugeteilt, sowohl bittere wie freudige, qualvolle wie angenehme Jahre.“ Politika, 27.1.1935, Nr. 9588, S. 1. 215 Aber Gott, Christus und „unser hl. Sava haben es nie zugelassen, dass sich die bösen Absichten und die höllischen Pläne unserer Feinde verwirklichten.“ Politika, 27.1.1935, Nr. 9588, S. 1. 216 Varnava (1935), S. 7. 217 Politika, 27.1.1935, Nr. 9588, S. 1. 218 Stanojević (1935), S. 123.

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In einem weiteren Beitrag in der „Politika“ des 27. Januar 1935 reflektierte der Literatur­wissenschaftler Momir Veljković über den hl. Sava: „Er war der Schöpfer des serbischen staatlichen Denkens und der Kultur, die niemals erloschen sind.“ Gleichzeitig beschrieb er seine Wahrnehmung im Volk auch als „Statthalter Gottes auf Erden“ und rückte Sava damit in die Rolle eines serbischen Papstes. Sodann beanspruchte er globalen Respekt vor dem „Helden der Menschheit“.219 Insbesondere betonte er aber die überkonfessionelle Verehrung Savas sowohl durch Muslime als auch durch „katholische Jugoslawen“. Gerade katholische Theologen hätten seinen Kult gefördert:220 „Mehrere große Söhne des kroatischen Teils unseres Volkes haben sich für die Großtaten (­podvizima) des hl. Sava erwärmt, haben sie besungen sowie beschrieben und haben ihn als großen Sohn der katholischen Kirche angesehen.“ 221 Diese zunächst als kroatische Versuche, sich Sava anzueignen, dargestellten Verweise deutete Veljković um zu einem Beitrag einer übergreifenden, jugoslawischen Indienstnahme der Erinnerungsfigur. ­Veljković arbeitete mit diesem Beitrag in der Belgrader „Politika“ – und damit primär für eine serbische Leserschaft – aktiv an einer jugoslawischen Erinnerungskultur. In ihr sollte dem Heiligen eine Rolle als Integrationsfigur über konfessionelle Grenzen hinweg zukommen. Der jugoslawischen Konzeption zuwiderlaufende ethnische Entwürfe lehnte er ab, sprach er doch vom „kroatischen Teil unseres Volkes“. Auch den Jesuiten und bosnischen Bischof sowie Vikariatsbischof von Zagreb, Ivan Tomko Mrnavić, der 1630 in Rom ein bereits genanntes Werk über Sava veröffentlicht hatte, gliederte er in diese Konstruktion ein.222 Die „katholische Tendenz“ des Jesuiten, der zunächst einen Beitrag zur katholischen Erinnerungskultur an den Heiligen vorgelegt hatte, stellte Veljković nicht in Abrede. Er versuchte vielmehr, ihr vor der serbischen

219 Politika, 27.1.1935, Nr. 9588, S. 3. 220 „Die moralische Größe hat ihn über sein Volk erhoben und ihn in die Reihe der großen Helden der Menschheit eingefügt. Sein Leben ist eine berauschende Legende für alle Idealisten, wie auch sein Grab in Mileševo zum Wallfahrtsort (Hadžiluk) aller Gläubigen geworden ist, sowohl der Christen wie der Muslime. Die katholischen Jugoslawen haben auch genügend für seinen Kult getan. Die katholische theologische Wissenschaft lässt nicht ab, die herzlichen Bezie­hungen Savas zu Rom nachzuweisen, und verweist auf die päpstliche Aufmerksamkeit (pažnju) gegenüber Sava.“ Politika, 27.1.1935, Nr. 9588, S. 3. 221 „Dies war die Form, das Wesen anzuerkennen. Franjevac Kačić hat ihn den ,durch die Rose auserwählten (ružom izabranom)‘ genannt, des Weiteren sei Sava ,die Krone, die Zierde, der Ruhm und die Ehre der slavischen Menge (puka) und des Volks.‘“ Politika, 27.1.1935, Nr. 9588, S. 3. 222 „Aber weder der Dienst an Rom, noch die Ehre, die ihm der Papst erwies, haben bei ihm sein nationales (narodno) und slavisches Fühlen betäubt. Dies war ein Kroate, der die Herkunft seiner Familie auf die serbischen Könige Mrnjavčevići zurückführte. Im hl. Sava sah er eine slavische und christliche Größe und er wollte, ohne sich groß um historische Faktoren zu kümmern, dass diese Größe der ganzen Welt gezeigt werde. Die katholische Tendenz fühlt sich auch bei ihm, aber dass dies eine nötige Form war, lässt sich daran erkennen, dass er den ganzen Sava nahm und sein ganzes Werk.“ Politika, 27.1.1935, Nr. 9588, S. 3.

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Leserschaft die Spitze zu nehmen, indem er Mrnavić eine nicht belegte übergreifende Absicht unterstellte.223 Vladimir Ćorović, damals Rektor der Universität Belgrad und einer der bedeutendsten serbischen Historiker, veröffentlichte in derselben Ausgabe der „Politika“ einen Beitrag unter dem Titel „Das Werk Savas, eine lebendige historische Kraft“. Darin deutete er die Verbrennung der Reliquien Savas durch die Osmanen als Versuch, einer serbischen Verehrung Savas als Pars pro Toto für die mittelalterliche serbische Staatlichkeit entgegenzuwirken: Die frühneuzeitliche Verehrung gegenüber Sava sei das Gedenken an das „alte Serbien“, während die religiöse Dimension in den Hintergrund rückte.224 Savas „Werk“ stellten in den Augen des Historikers insbesondere seine Schriften dar und die durch ihn geförderte serbische Buchkultur. Nicht Sava erschien hier als (im Jenseits) lebendiger Heiliger, sondern sein „Werk“ wurde historisiert und zur „lebendigen Kraft“ in der Gegenwart und „in der Zeit der Sklaverei unter den Türken“ stilisiert.225 Der Universitätsprofessor gab damit in der größten Tageszeitung des Landes der maßlosen Überschätzung und nationalen Aufladung Savas seinen Segen. Im Gegensatz zu den kirchlichen Texten sprach er aber der SOK im Rahmen des Gedenkens an Sava keine führende Rolle im gegenwärtigen Staat zu. Schon in seiner „Geschichte Jugo­slawiens“ (1933) hatte er dem „Werk des heiligen Sava“ ein ganzes Kapitel gewidmet und beschrieb ihn als den intellektuellen Schöpfer des „serbischen Staatsgedankens“.226 Die Zeitschrift „Svetosavlje“, die Studenten der Theologischen Fakultät der Universität Belgrad herausgaben, entwarf eine Führerschaft der nationalen Religion, aber gleichfalls nicht der etablierten kirchlichen Hierarchie: Sie enthielt in diesem Jahr unter zahlreichen Sava gewidmeten Beiträgen auch eine Rede von T. Đukić zum Feiertag des Heiligen an einem Knabengymnasium. Diese trug die bezeichnende Überschrift: „Führer der Nation (Vođa nacije)“. „Große Geister“ wie Sava, die laut einem ungenannten serbischen Philosophen „Feiertage im Kalender der Menschheitsgeschichte“ seien, bezeichnete er als „Höhen des Verstandes und der Ideologie“ sowie „Sprachrohre der geistigen Führerschaft“. Sava wurde, in Anlehnung an einen romantisierten Historismus, als ein

223 Politika, 27.1.1935, Nr. 9588, S. 3. 224 „Sie wussten gut und sahen, dass auf die Serben nicht nur sein Kult einwirkte, sondern dass sich dieser Kult im Volk zu einer großen Idee entwickelte. Sava war der Vertreter des alten Serbien der Nemanjiden, das Kirchenoberhaupt, das dieses Serbien zum höchsten Ruhm gebracht hat, der letzte Überrest einer Größe, die gleichzeitig auch Optimismus darstellte. Der Kult Savas bedeutete den Kult an jenem alten Serbien, das das entmutigte Volk, geführt von Savas Geistlichkeit, auferstehen lassen wollte.“ Politika, 27.1.1935, Nr. 9588, S. 2. 225 „Die Wirkung dieser verschiedenen Schriften auf unserer Volk im Mittelalter und in der Zeit der Sklaverei unter den Türken (…) war von außerordentlicher Bedeutung und hat in großem Ausmaß unsere Volksepik beeinflusst. (…) Und diesbezüglich kann zu Recht das Werk Savas als eine lebendige historische Kraft gefühlt werden.“ Politika, 27.1.1935, Nr. 9588, S. 2. 226 Ćorović (1933), S. 108 f.

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weltlicher „großer Geist“ des serbischen „Stammes“ eingeführt, der dessen Leben und „Weg durch die Geschichte“ erhellte.227 Erst in den späteren Absätzen beschrieb Đukić den so verweltlichten, historisierten und vergeistigten auch als Heiligen: Sava habe „das kurzlebige irdische Reich“ ab­gelehnt „und ist auf den Stegen der geistlichen Bildung ins himmlische Reich gegangen“. Für die Zeit nach seinem Tode sprach Đukić von der „Idee Savas des Heiligen“, die sich „ideell wie eine Religion“ ausbreitete: „Ähnlich wie Volkslieder, die alle Generationen umfassen und alle bewegen, hat der Geist des hl. Sava die Vergangenheit mit der Gegenwart verbunden, die Jahrhunderte und Generationen vereint.“ 228 Diese Sätze lösten Sava aus dem gesamtkirchlichen orthodoxen Zusammenhang und machten den Kult um ihn zu einer nationalen Religion, die sich auch begrifflich – „ideell wie eine Religion“ – vom Christentum unterschied. Savas „Geist“ diente in der Theologie dieser nationalen Religion als Medium zur Vorstellung einer mit sakraler Bedeutung aufge­ ladenen Vereinigung des serbischen Volkes über die Grenzen der Zeit hinweg. Durch ihn sollten Vergangenheit und Gegenwart als Einheit denkbar werden. Die Beschreibung der Verehrung Savas rückte aber gleich wieder von dem nationalreligiösen Zusammenhang ab – aus Đukićs Rede wurde in ihrer gedruckten ­Fassung eine Einführung in die dem Gedenken an Sava gewidmete Jubiläumsausgabe der Zeitschrift: „Diese Jubiläumsausgabe erhellt allerdings unseren großen Aufklärer sowohl als ­Menschen, wie als Heiligen, und als realen Staatsschöpfer (državotvorca); und als ersten Buchgelehrten“.229 Die Ausgabe war damit als Teil der Verehrung Savas konzipiert, sie sollte ihn in allen seinen Facetten „erhellen“. Die Konzeption Savas als ­Heiliger und Politiker sowie Buchgelehrter erschien hier ganz durch die wechsel­seitige Beziehung zwischen ihm und seinem Volk bestimmt: Er war damit untrennbar mit dem „Volk“ verbunden und stellte es dar. Die Jubiläumsausgabe sollte den Leser ganz direkt „auf den Wegen des Lebens Savas zu einem Einblick in den Spiegel der Volksseele“ führen.230 Sava selbst wurde als dieser „Spiegel“ einer serbischen „Volksseele“

227 „Diese Feiertage in der Menschheitsgeschichte, diese Höhen des Verstandes und der Ideologie, diese Sprachrohre der geistigen Führerschaft und Bildung, erhellen die Perspektive des Volks­lebens und seines Wegs durch die Geschichte. Einen dieser hoch aufscheinenden Geister verehrt heute unser ganzer Stamm. Der hl. Sava ist wahrlich eine dieser Leuchten (svetilja), die nicht erlöschen, sondern mit der Zeit einen immer größeren hellen Kreis erreichen.“ Đukić (1935), S. 24. 228 „Die zweite Periode beginnt nach diesem Datum, sie macht die Idee Savas des Heiligen aus, dessen Name, neben der Erinnerung an den realen großen Lehrer des Volkes, zudem die Aureole eines legendären Wundertäters erhält. Weder zeitlich noch räumlich begrenzt, weitet sich die Rolle des hl. Sava ideell wie eine Religion aus.“ Đukić (1935), S. 25. 229 Đukić (1935), S. 25. 230 „Diese Ausgabe führt sie auf den Wegen des Lebens Savas zu einem Einblick in den Spiegel der Volksseele. Auf diesen Wegen sehen sie, wie das Volk seinem geistigen Führer ein Ehrenpodest errichtet hat, von der realen zur erdachten, von der menschlichen zur göttlichen Stufe.“ Đukić (1935), S. 25.

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zum „geistigen Führer“ erhoben, der auf einer „göttlichen Stufe“ stehe.231 Đukić machte den Heiligen in diesem politisch-theologischen Entwurf zum gottgleichen Führer der serbischen Nation. Er hielt die Imagination und Inszenierung dieser Rolle bewusst für die Aufgabe des Volkes: Die Lektüre des Heftes über Sava sollte als Weg zur Selbsterkenntnis des ­Volkes dienen. Das serbische Volk setzte Đukić im Weiteren mit einer homogenen Rasse gleich. Sava hingegen erhob er sowohl zur „größten Persönlichkeit unserer Rasse“ als auch zur Personifikation von „Glaube und Nation“.232 Sava konnte mit diesem Satz zum Träger auch der modernen Ideologie des Rassismus werden und stand für eine illiberale serbisch-orthodoxe Modernität. Die Verbrennung der Gebeine Savas durch die Türken habe nur „den Glauben und den Widerstand unseres Volkes“ sowie das „nationale Vermächtnis“ gestärkt.233 Die Erinnerung an Sava verband der Redner mit dem Gedenken an den Verlust vergleichbarer „ideeller Führer“ der Nation, die er mit „höchsten nationalen Heiligtümern“ der gänzlich nationalisierten und entchristlichten Religion gleichsetzte. Aus dem Schmerz sollten in völkerpsychologischer Logik „Höhenflüge der nationalen Einheit“ hervorgehen.234 Đukić stellte dabei die Verbrennung der Reliquien Savas und den aktuellen Mord an Aleksandar I. in Marseille in einen übergreifenden, Vergangenheit und Gegenwart verbindenden Zusammenhang. In diesem Kontext der „nationalen Heiligtümer“ trat Religion im traditionellen Sinn zurück und wurde ganz überlagert durch die essentialistisch als homogene rassische und auch psychische Einheit gedachte sakralisierte Nation. Savas Vita wurde nach dem alttestamentarischen Vorbild zur „Bundeslade, die das Volk zur Freiheit des Vaterlandes führte“.235 Sava selbst wurde damit implizit entweder zu Moses oder zum nationalen Gott. 231 Đukić (1935), S. 25. 232 „Aus der Familie der Nemanjiden hervorgehend, die den mittelalterlichen, mächtigen Staat geschaffen hat und diesen, durch qualvolle historische Umschwünge, von der kleinen Županije zum mächtigen und großen Zarentum machte, ist der Mönch vom heiligen Berg und Erzpriester der serbischen Kirche gewachsen, und hat sich in den Augen und in der Erinnerung des Volks zur größten Persönlichkeit unserer Rasse erhoben. In ihm personifizieren sich Weisheit und Moral, Glaube und Nation.“ Đukić (1935), S. 25. 233 Đukić (1935), S. 26. 234 „Wenn wir uns an diesen heiligen Märtyrer erinnern, können wir nicht anders als mit Schmerz auch unseres neuerlichen Großen Volksopfers gedenken, des in Frieden ruhenden Königs ­Aleksandars I. des Vereinigers. (…) Aber Menschen sterben, jedoch Ideen leben… Sowohl jener wie dieser erste Fall bestätigen nur die Wahrheit, dass tragische Momente ideeller ­Führer nur die Fackel ihres Lichts errichten und entzünden. Denn wie ein Schlag auf die höchsten nationalen Heiligtümer (vrhovne nacionalnih svetinja) immer weitere Wellen des Schmerzes hervorruft, so wachsen aus der Tiefe des allgemeinen Schmerzes die kräftigsten Bewegungen und Höhenflüge der nationalen Einheit.“ Đukić (1935), S. 26. 235 „Kirchen hat man uns zerstört, aber wir haben aus den Ruinen das Leben der Vergangenheit gerettet und in den Zufluchtsstätten gehütet. Die Vita des hl. Sava war uns auch während dieser schweren Zeiten die ,Bundeslade (kovčeg zaveta)‘, die das Volk zur Freiheit des Vaterlandes führte. Deshalb haben die Türken auch Seinen Körper verbrannt.“ Đukić (1935), S. 26.

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Die nationale Vergangenheit lag gemäß der in diesen Sätzen dargestellten Konzeption in erster Linie in den Kirchen. Aus ihren Ruinen sollte sie später gerettet werden ­können. Die Verbindung zur Vergangenheit sollte in diesem Entwurf nationaler Geschichte in erster Linie in der Erinnerung an Sava hergestellt worden sein. Die Anspielung auf den ersten Bund Israels mit Gott war hier mehr als eine Metapher: Sie ermöglichte es, das inszenierte schwere nationale Leid mit einem Konzept der nationalen und heils­ geschichtlichen Auserwähltheit zu verbinden und zu kompensieren. Elemente traditioneller Religion wurden im Kontext des modernen Nationalismus instrumentalisiert und bewusst verändert. Gleichzeitig wurde in diesem Vorgang traditionelle Religion durch modernen, sakralisierten Nationalismus aus dem politischen und nationalen Diskurs in monotheistischer Manier verdrängt. Đukić inszenierte die Anwesenheit Savas durch das Zitat eines Liedes, in dem Sava in den Mund gelegt wurde, er sei so lange „bei meinem Volk“, „solange mir die Schule das Herz kräftigt“: Die Volksschule sei der Ort seines „geistigen Lebens“, dort sei er „lebendig geblieben“.236 Sava lebte – wenn nicht mehr durch seine Reliquien und als traditioneller Heiliger im Jenseits, so durch die Schule. Die Praxis des „Ahnen­ gedenkens (slava)“, die Đukić in Abgrenzung von den anderen „slavischen Stämmen“ zur spezifisch ,serbischen‘ erklärte, habe Sava „zu einem allgemeinen Patron unserer Nation“ gemacht. Seine Funktionen seien die des „Beschützers“ und des „aufklärenden Wegweisers“.237 Đukić erklärte die kulturelle und soziale Praxis des Gedenkens an Sava zum entscheidenden Charakteristikum der mithilfe des damit verbundenen Diskurses imaginierten serbischen Nation. Blieb das Heiligsavatum bei der Propagierung einer Nationalreligion, trat Bischof Nikolaj nachdrücklich für eine Nationalkirche ein: Im gleichen Jahr 1935 hielt Nikolaj Velimirović an der Kolarčev-Volksuniversität in Belgrad einen Vortrag über den an­geblichen „Nationalismus des hl. Sava“. Velimirović sah Sava dabei als „Balkaner (Balkanac)“ und damit als „Menschen mit der größten Synthese des Ostens und des Westens in sich“ sowie als „großen Europäer“.238 Seine „Arbeit am serbischen Volk“ sowie

236 „Fürchtet euch nicht, liebe Brüder, / wenn euch eine schreckliche Kraft plagt, … / – – – – / Ich bleibe bei meinem Volk / lasst uns um die Freiheit kämpfen, / solange mir die Kirche die Seele besänftigt, / solange mir die Schule das Herz kräftigt. / – – – – / Lehrt meine Taten. Und das Volk ist dieser Stimme gefolgt. In der Stunde, in der die Reliquien (čivota) Savas in den Flammen endeten, übernahm die Flamme des Glaubens sein geistiges Leben in der Schule und in den Herzen der jungen Generationen… Dort ist er lebendig geblieben und beleuchtet mit anderem Feuer die Volksgedanken.“ Đukić (1935), S. 26. 237 „Wir Serben unterscheiden uns von den übrigen slavischen Stämmen durch unser Ahnen­gedenken (slava). Als Erbe alter Glaubenstradition hat jede Bruderschaft sich einen Familienpatron genommen. Doch die historische Rolle des jüngsten Sohnes Nemanjas hat diesen zu einem allgemeinen Patron unserer Nation gemacht. Das Bild des hl. Sava als Segner von Kindern stellt ihn als Beschützer und aufklärenden Wegweiser der jungen Generationen dar.“ Đukić (1935), S. 26. 238 „In einem meiner früheren Vorträge habe ich diese innere und hauptsächliche Bewegkraft des hl. Sava hervorgehoben, die diesen Mann Gottes und Volkshelden zu all seinen großen Taten

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seine „Aktivität als wahrhaftiger Europäer“ nannte Velimirović „den Nationalismus Savas“.239 Das Ziel war erneut die Herstellung der größtmöglichen Zugehörigkeit zu einer Vor­stellung von Europa. Velimirović begründete seinen Entwurf ganz auf seiner Vorstellung von der „National-“ oder „Volkskirche“: „Dieser Nationalismus Savas umfasst die Volkskirche (narodnu crkvu), die Volksdynastie, die Volkskultur und die Volksverteidigung. Die Basis und das Zentrum des gesamten Svetosavischen Nationalismus (Svetosavskog nacionalizma) stellt die Volkskirche dar. Sie ist wie ein Geist, der den gesamten Volksorganismus belebt“.240

Im nationalgeschichtlichen Entwurf Velimirovićs spielte neben der Kirche die Ver­ bindung von Staat und Volk als „Vaterland“ eine grundlegende Rolle. Die Ausweitung des Staatsgebietes unter Stefan Dušan auf das Gebiet des heutigen Makedonien deutete er als Abkehr vom ethnisch homogen konzipierten „Volksstaat des heiligen Sava“.241 Die Erinnerungsfigur Sava war der entscheidende Kristallisationspunkt der nationalen Rhetorik Velimirovićs: Als „Schöpfer der serbischen Volkskirche“ war er „der Schöpfer des gesamten serbischen Nationalismus“. Im Rahmen der „organischen“ Konzeption des Nationalismus, die das Volk als über die Jahrhunderte hinweg lebende, „atmende“ Einheit imaginierte, die mit einer „Volksseele“ ausgestattet sein sollte, wurde Sava gewissermaßen zum konzeptuellen „Schöpfer“ des Volks. Sava lebte in diesem Entwurf nicht als Heiliger im Jenseits – er wirkte nur abstrahiert und aus dem religiösen bewegte, die er vollbrachte, und die seine Nachkommenschaft (potomstvo) bis zum heutigen Tag als ihr unveräußerliches Eigenes besitzt. Diese Bewegkraft Savas war sein visionärer Glaube an den lebendigen Christus und eine brennende Liebe (…) Diese Fähigkeit, dass ein Mensch sich so sehr von der Erde löst (odzemlji) und im Himmel aufgeht (onebesi) (…) habe ich eine asiatische Fähigkeit genannt. (…) Aber als geborener Balkaner (rođeni Balkanac), das heißt als ein Mensch mit der größten Synthese des Ostens und des Westens in sich, hatte Sava einen Vorteil gegenüber den großen und genialen Asiaten darin, dass er aktiv und energisch im Dienst für die Allgemeinheit zur Vervollkommnung eines großen Europäers wurde.“ [Velimirović] (21994), S. 5 f. 239 „Zunächst war er der größte Erbauer seiner selbst, dann wurde er zum größten Maurer (zidar) seines Volkes. (…) War er für sich der arbeitsamste Sammler geistiger und moralischer Kraft, wurde er zum größten Ausdruck dieser Kraft auf der weiten Leinwand der Volksgeschichte (narodne istorije). (…) All seine Arbeit am serbischen Volk, all seine schnelle (užurbanu) und vielseitige Aktivität als wahrhaftiger Europäer, und die Früchte dieser Aktivität, möchte ich den Nationalismus Savas nennen (Savinim nacionalizmom).“ [Velimirović] (21994), S. 5 f. 240 [Velimirović] (21994), S. 6. 241 „Der Volksstaat des hl. Sava bedeutete das Vaterland (otaćbinu), das Land unserer Väter, in der ein und dasselbe Volk lebt. (…) Wenn es geschieht, dass sich der Staat ausweitet bis wohin die Macht zu reichen vermag, dann hört dieser Staat auf ein völkischer (narodna) zu sein, er hört auf, das Vaterland zu sein, und wird zum Imperium. In diesem Fall gewinnt der Staat territorial aber er stirbt moralisch, (…). Vom hl. Sava bis Dušan hatte das serbische Volk einen Volksstaat. Dušan entfernte sich vom Ideal des hl. Sava und schuf ein Imperium und leitete damit den Untergang des Vaterlandes ein, das heißt des Volksstaates.“ [Velimirović] (21994), S. 6.

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Kontext gelöst, säkularisiert, insofern, als seine „Prinzipien“ im „Geist“ und im „Blut“ der „Nation“ lebten und von der „serbischen Seele“ fortwährend „geatmet“ wurden.242 Mit diesen nationaltheologischen Sätzen bewegte sich der Bischof kaum noch im Rahmen des orthodoxen Christentums. Sava erschien ihm als das geeignetste Vehikel, Nationalismus und Religion zu einer neuen, der Gegenwart entsprechenden Synthese zu bringen: Diese Passagen dienten Velimirović zur Vorbereitung, den Bezug seines Vortrags direkt zu einer ideologischen Kritik der Moderne aus orthodoxer Sicht herzustellen: Sein Entwurf diente zur Grundlage für eine Attacke gegen die „seelenlose und kapitalistische Kultur“ des „bösen Feindes“, der „nationale Heiligtümer“ zerstören möchte.243 Rhetorischen Einwürfen, sein „Nationalismus des hl. Sava“ sei „eng, exklusiv und unzeitgemäß“, entgegnete der Verfasser, dieser sei weiterhin „eine ungebrochene lebendige Kraft“.244 Gegen den Vorwurf der nationalistischen Enge führte Velimirović ins Feld, Sava habe mehr als zwei Jahrzehnte auf dem Athos verbracht, „in einem internationalen, oder doch interorthodoxen (interpravoslavnoj) Milieu“. Dort sei er nicht zum Chauvinisten, sondern zum „glühenden evangelischen Nationalisten“ geworden, der allen Völkern helfend zugeneigt gewesen sei.245

242 „Und so war der Schöpfer der serbischen Volkskirche folglich der Schöpfer des gesamten serbischen Nationalismus. Alle Zweige des Volkslebens hat er organisch miteinander verbunden, sodass keiner von von ihnen getrennt oder abgetrennt werden kann, ohne dass alle übrigen Schmerz empfinden. Gemäß der Auffassung des hl. Sava ist das Volksleben eine unteilbare Ganzheit sowohl physisch als auch geistig und moralisch. Daher sind und bleiben alle Zweige des Volkslebens unteilbar, nicht mechanisch miteinander verknüpft und verwachsen, und die Lebenssäfte strömen vom einen in den anderen. Diese organische und heilige Auffassung des hl. Sava von der Nation hat der Geist und das Blut des Volks Savas aufgesogen und wurde so natürlich wie das Atmen. Und wahrhaftig hat die serbische Seele diese grundlegenden Prinzipien des Nationalismus des hl. Sava während aller sieben vergangenen Jahrhunderte geatmet.“ [­Velimirović] (21994), S. 9. 243 „Gegen Außen verhöhnt man die reklamatorische, seelenlose und kapitalistische Kultur witzig täglich und rügt sie, aber in seiner Seele fürchtet man sich vor ihr wie vor einem bösen Feind, der mit Hohnlachen in sein Land einzieht, um ihm seine nationalen Heiligtümer zu zerstören.“ [Velimirović] (21994), S. 9. 244 „Ist dieser unser Nationalismus des hl. Sava eng, exklusiv und unzeitgemäß? Schau, der hl. Sava lebte vor 700 Jahren, und wir befinden uns heute im 20. Jh.? Es ist wahr, dass der hl. Sava vor 700 Jahren lebte, aber sein Nationalismus lebte und hat sich verwurzelt und ist gewachsen im Volk Savas über alle sieben Jahrhunderte hinweg bis heute. Wir sind geboren in diesem Nationalismus, und dieser Nationalismus ist noch eine ungebrochene lebendige Kraft in uns.“ [Velimirović] (21994), S. 9. 245 „Aber obwohl er seine für Eindrücke empfänglichsten Jugendjahre in einem solchen internationalen Milieu verbracht hat, wurde Sava nicht zu einem Internationalisten, sondern zu einem glühenden evangelischen Nationalisten. Und auch später als Greis ließ er sein Herz nicht vom Chauvinismus einnehmen oder der Exklusivität gegenüber anderen Völkern, nahen und fernen, er richtete seine Hilfe an alle Völker Gottes auf der Erde“. [Velimirović] (21994), S. 9 f.

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Gegen das Argument, seine – bzw. angeblich Savas – Konzeption des Nationalismus sei anachronistisch, wandte er ein: „Hören wir nicht in unserer Zeit die Rufe in den Ländern des Westens: ,Für den Nationalismus!‘, ,Für die nationale Kirche!‘, ,Für die nationale Arbeitsfreude!‘, ,Für die nationale Kultur‘ und so weiter? Aber was der hl. Sava für das serbische Volk vor 700 Jahren geschaffen hat, haben auch die kultiviertesten Völker des Westens noch nicht erreicht. Der Kampf für eine nationale Kirche, die die Basis eines wirklichen, evangelischen und organischen Nationalismus ist, wurde in Europa in den gesamten 700 letzten Jahren geführt.“ 246

Velimirović kehrte mit dieser Umdeutung Savas zum Modernisierer den westeuropäischen Topos der Rückständigkeit der Völker auf dem Balkan um. Der angebliche Nationalismus Savas stellte sich aus dieser Perspektive als Antwort auf die aktuellsten Anforderungen und Bedürfnisse der „Rufe in den Ländern des Westens“ dar. Der serbische Nationalismus wurde in der Logik des Bischofs zum Modernisierungsvorsprung gegenüber den westlichen Ländern. Indem er Serbien zum Vorbild für das moderne Europa machte,247 entwarf er eine maximale Selbsteuropäisierung. Ganz in diesem Rahmen machte sich Velimirović auch den Begriff „Fortschritt“ im Sinne eines in den Ländern des westlichen Europa angestrebten säkularisierten Nationalismus in seiner Argumentation zu eigen: Er wandte sich gegen eine von den „Söhnen Europas“ im Zeichen des vermeintlichen „Progresses“ angestrebte „Trennung des Nationalismus vom Glauben, und des Staates von der Kirche“. Dies führe zu einer Trennung vom Volk, das am Glauben festhalten möchte.248 Das Festhalten am Glauben wurde hier zu einem erstaunlich pragmatischen Gebot, das nicht durch den Glauben an sich bedingt war, sondern durch die Annahme, eine Abkehr von ihm hätte den Erfolg des Nationalismus gefährdet. In Velimirovićs Wahrnehmung – und damals nicht nur in seiner – gab Hitler die angemessene Antwort auf die Bedürfnisse des deutschen ­Volkes. In den Augen Velimirovićs vollzog aber Hitler nur die 700 Jahre ältere Idee Savas: „Dennoch muss man dem heutigen deutschen Führer Ehre bezeugen, der als einfacher Handwerker und Mann aus dem Volk erkannt hat, dass ein Nationalismus ohne Glauben eine Anomalie ist, ein kalter und unsicherer Mechanismus. Und so ist er im 20. Jh. zu der Idee des hl. Sava gelangt, als

246 [Velimirović] (21994), S. 10 f. 247 „Das englische Volk hat mehr erreicht als der restliche Westen. Aber auch die nationale und staatliche Kirche Englands hat nicht alle Engländer erfasst. Keines von allen europäischen Völkern war in dieser Hinsicht so vollständig erfolgreich verglichen mit dem, was der hl. Sava erreicht hatte. Weder die Engländer noch die Skandinavier.“ [Velimirović] (21994), S. 11. 248 „In traurigem Irrtum leben jene unserer Leute die denken, dass die Trennung des Nationalismus vom Glauben, und des Staates von der Kirche, das Resultat eines ,Progresses‘ sei. Keines Progresses, sondern der Verzweiflung und nur der Verzweiflung. Was haben die Söhne Europas damit erreicht? Mit ihrer Trennung von Kirche und Staat haben sie sich auch selbst vom Volk getrennt. Und so sehen wir in diesen westlichen Staaten eine beispielslose Kluft zwischen der Intelligenz, die sich um jeden Preis bemüht, an nichts zu glauben, und dem Volk, das unbedingt den Glauben behalten möchte.“ [Velimirović] (21994), S. 12.

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Laie hat er für sein Volk diese allerwichtigste Angelegenheit unternommen, die nur dem Heiligen, dem Genie oder dem Helden zukommt.“ 249

Den „deutschen Führer“ bewunderte er, da er keinen „Nationalismus ohne Glauben“ vertrete, und setzte dessen Werk mit dem Savas gleich. Sava habe sich derselben Aufgabe bereits 700 Jahre zuvor angenommen.250 Damit lobte der Bischof den Versuch Hitlers, eine „deutsche Nationalkirche“ zu schaffen.251 Serbien wurde in dieser diskursiven Logik zum Vorreiter in der Errichtung eines nationalsozialistischen Europa. Nicht nur diese Aussage bezeugt die enge konzeptuelle Verflechtung des Entwurfs einer modernen und religiösen orthodoxen Nation mit gleichzeitigen europäischen Diskursen. Sava sollte sich aber nicht nur als Vorbild für moderne, religiöse Politik erweisen, sondern selbst „völlig zeitgemäß (savremen), und schon mehr als zeitgenössisch (­savremen)“ sein: Velimirović wies den Vorwurf des Anachronismus oder der Unzeitgemäßheit seiner Konzeption zurück und behauptete das Gegenteil: Sava sei deshalb nicht nur dem serbischen Volk ein Lehrer: „Er kann auch dem heutigen Europa der Lehrer im gesunden, evangelischen und organischen Nationalismus sein. Darin ist der hl. Sava völlig zeitgemäß, und schon mehr als zeitgemäß – er ist der Mensch der Zukunft. Und darin war und bleibt er bis zum heutigen Tag ein Europäer, und zwar der einzige unter den Europäern.“ 252

Velimirović stellte damit nicht Hitler, sondern allein den hl. Sava an die Spitze des „­heutigen Europa“ und des Europa der Zukunft. Religiöser Nationalismus erschien ihm als modernes und die Zukunft entscheidendes Gesellschaftskonzept, der hl. Sava als sein Erfinder und Adolf Hitler nur als ein begabter Epigone. Velimirovićs Konzeption entstand nicht nur wie die übrigen Texte des Svetosavlje 253 im Kontext der Moderne, sondern ist als Entwurf einer explizit modernen serbischen orthodoxen und europä­ ischen Gesellschaft zu verstehen. Der Bischof machte Sava zum Kristallisationskern seiner eigenen bzw. einer serbischen Selbsteuropäisierung und Selbstmodernisierung. Aus postkolonialer Sicht erscheint dieser Befund als eine übertriebene, kompensatorische Nachahmung der als treibende Kräfte der Moderne wahrgenommenen Gesellschaften. Der Bischof behinderte durch seine Reden, Publikationen und Eingaben die Verabschiedung des Konkordats des jugoslawischen Staates mit der katholischen Kirche

249 [Velimirović] (21994), S. 12. 250 „Daher ist der serbische Nationalismus als Realität der älteste Europas. (…) Und er ist nicht nur der ältere, sondern auch der vollendetere, denn er ist evangelisch und organisch.“ [­Velimirović] (21994), S. 12. 251 Sundhaussen (2007b), S. 293. 252 [Velimirović] (21994), S. 12. 253 Hebt trotz der Entstehung im Kontext der Moderne den diskursiv vertretenen „Antimodernismus“ hervor: Buchenau (2006b), S. 214.

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und wurde damit zu einem Faktor, der „zum Scheitern des innenpolitischen Ausgleichs mit den Kroaten“ beitrug.254 Der Beitrag des Bischofs wurde vom führenden bulgarischen Theologen und Pro­ fessor für Kirchenrecht an der Heilig-Kliment-Universität, Dr. Stefan Cankov, aufmerksam und kritisch beobachtet: „Heute predigt derselbe Bischof Nikolaj einen orthodox-serbischen Nationalismus, den er ideell auf den Begründer der unabhängigen serbischen Kirche, den Hl. Sava, zurückführt, und der eine Volksgeistlichkeit, eine Volkskirchensprache, einen Volksausdruck des Glaubens, eine Volksgewalt, eine Volkskirche, einen Volksstaat, eine Volksdynastie, eine Volkskultur und -aufklärung und eine Volksverteidigung gebietet. Zwar soll das kein Chauvinismus sein, jedoch was bewahrt die enge Verflechtung der Kirche mit dem Nationalismus und dem Chauvinismus?“ 255

Cankov betonte aber, dass Velimirović „in seiner Kirche im Blick auf diese Frage keines­wegs der Radikalste“ war.256 Im transnationalen Verflechtungszusammenhang ist festzuhalten, dass Cankov sich zwar an serbischer Nationaltheologie störte, nicht aber an bulgarischer, die er nur wenige Jahre später im Rahmen des Zweiten Weltkrieges selbst nachdrücklich vorantreiben sollte, wie zu sehen sein wird: Erschien ihm ­Nikolajs Rhetorik zunächst als eine Provokation, wurde sie ihm 1941 implizit zum Vorbild. Die unterschiedlichen Texte zum Jubiläum Savas zeigen damit die ganze Bandbreite der tagespolitischen Aufladung des Gedenkens auf, das sich im übergreifenden Rahmen einer religiös fundierten nationalistischen Denkweise entfaltete. D 2.1.4  Im ,Kampf der Ideologien‘

Die Erinnerungsfigur des hl. Sava wurde in den 30er-Jahren zum Kern eines wissenschaftliche Wahrhaftigkeit beanspruchenden, hypernationalistischen Diskurses, der zahlreiche erstaunliche Blüten hervorbrachte. Für diesen Zusammenhang zentrale Zeitschriften wie die bereits genannte Zeitschrift „Svetosavlje“ boten auch Raum für Texte wie die Rede „Der Kampf der Ideologien“. Unter diesem Titel hielt der wegen seiner Hinrichtung am Ende des Zweiten Weltkrieges inzwischen als heiliger Märtyrer verehrte Geistliche Luka Vukmanović als Professor der Theologischen Hochschule im montenegrinischen Cetinje am Gedenktag des hl. Sava des Jahres 1937 eine Ansprache. Zu diesem Anlass erklärte er Sava mit Verweis auf Carlyle’s Schriften über „historische Helden“ nicht nur zu einem Symbol des Volkes, sondern zum „Vater unserer Geschichte“ und „Gesandten Gottes“.257 In seinem Vortrag war dies die diskursive Grundlage, um sich gegen die 254 Buchenau (2011), S. 409 – 417; Buchenau (2006a), S. 29; vgl. Grill (1998), S. 28; Perica (2001), S. 17 f. 255 Zankow (1936/1937), S. 9. 256 Zankow (1936/1937), S. 9. 257 „Thomas Carlyle drückt die Überzeugung aus, dass große Leute Gesandte Gottes sind. Laut ­Carlyle schickt Gott große Leute auf die Erde, damit sie Geschichte schaffen (da stvaraju ­istoriju). (…) Unsere Geschichte zählt viele große Leute. (…) Der geistige Vater unserer Geschichte,

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„marxistische Ideologie“ und die „faschistische Ideologie“ auszu­sprechen. Letzterer hielt er zwar zugute, dass sie sich gegen den Marxismus stellte.258 Aber er verurteilte beide, insbesondere wegen der mit ihnen legitimierten Gewaltanwendung: „Europa ist zur Bühne der schrecklichsten Gemetzel geworden. Es kämpfen die Ideologien gegeneinander.“ Seine Verurteilung beider Ideologien gründete auf dem Christentum: „Das Christentum ist die einzige wahre Ideologie, die physische Kraft negiert.“ 259 Das Christen­tum erklärte er sodann „zum Fundament, auf dem die Menschen dauerhafte Werke und ewige Werte schaffen können.“ Dies galt auch für „unser Volk“ mittels Savas, der „Wegweiser unserer künftigen Geschichte“ sein sollte.260 Diese Betrachtungen bezeugen das Bedürfnis und den Versuch, mit Referenz auf die Erinnerungsfigur „Sava“ einen „ideologischen“ Gegenentwurf, einen kollektiven ideologischen Handlungshorizont gegenüber der Bedrohung durch Faschismus wie Kommunismus herzustellen. Beide Ideologien stellten eine Herausforderung dar, eine Konkurrenz, der Ebenbürtiges entgegenzusetzen war. Anhand dieses Textes kann die Möglichkeit eines gemäßigten Umganges mit dem Heiligen nachgewiesen werden: Auch Vukmanović stilisierte Sava zum gottgesandten „Vater der Geschichte“, das Ziel seiner Rede war aber ein Plädoyer für die christliche Gewaltlosigkeit. Auch er steht aber für den Entwurf einer im Rahmen der Moderne formulierten orthodoxen Modernität – der Diskurs wurde beobachtet und sollte mithilfe Savas in eine neue Richtung gewendet werden. Der ebenfalls junge Theologe Danilo Medan nahm sich vor, dieses Desiderat einer modernen christlichen „Ideologie“ weiterzuentwickeln. Im gleichen Jahrgang der Zeitschrift veröffentlichte er seinen Text „Konturen der svetosavischen Ideologie und ihrer Bedeutung in der Vergangenheit und Gegenwart“. Er berief sich ebenfalls ausdrücklich auf Carlyle, wo er zu Beginn von „Helden“ schrieb, die „die Volksherde führen“. Auch für ihn war Sava „ein solcher Riese und Held“ für „das serbische Volk“.261 Sava beschrieb er als unmittelbaren Schöpfer der „Ideologie“ des „Svetosavlje“. Nicht Sava als lebendiger Heiliger im Jenseits spielte hier eine Rolle, sondern die ihm zugeschriebene „Ideologie“, die sich „in die Seele des serbischen Volkes eingekerbt“ habe. Sie gewährleistete „unserem Volk“ offenbar nicht christliche Erlösung, sondern lediglich

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der die goldene Pleiade der großen Leute unseres Volkes schafft und beginnt, ist der hl. Sava Nemanjić. Er ist der wahrhaftige Vater unseres Volkes, der Schöpfer unserer Kirche und ­unseres Staates. Der hl. Sava hat seine Werke auf Christus errichtet (je zidao svoja đela na Hristu). Dem Beispiel des hl. Sava folgten alle großen Leute unseres Volkes. Deshalb sind ihre Werke und ihre Einwirkungen überzeitlich.“ Vukmanović (1937), S. 1. „Darin liegt ihre positive Seite.“ Vukmanović (1937), S. 4. Vukmanović (1937), S. 4. „Die Geschichte unseres Volkes ist die Geschichte des Schaffens dauerhafter Werke und ewiger Werte. Unsere Geschichte ist aufgebaut auf dem Evangelium Christi.“ Hierfür kam dem hl. Sava „das ewige Verdienst“ zu. „Er soll auch der Wegweiser sein unserer künftigen Geschichte.“ Vukmanović (1937), S. 5 f. Medan (1937), S. 86.

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„Orientierung“ – dafür aber „religiöse und kulturelle Orientierung“ und „durch die gesamte Geschichte“.262 Medan entwarf das Svetosavlje damit auf den ersten Blick als säkulare, weltliche Lebenshilfe für das serbische Volk – dennoch blieben angeblich christliche Aspekte wesentlich. Laut Medan sei die von ihm entworfene, Sava zugeschriebene „Ideologie“ „geschaffen auf christlicher Grundlage, auf der Orthodoxie“ und drücke den „orthodoxen evange­ lischen Geist“ aus.263 Seine zentrale Überlegung war die kollektive Ausweitung der individuellen Entscheidung für das „irdische“ oder das „himmlische Reich“ auf das gesamte „serbische Volk“: Dieses „Problem“ „kreuzigt (raspinje) jeden Menschen einzeln und die ganze Nation (naciju) als Ganzheit“. Sava habe mit seiner Wahl des himmlischen Reiches der serbischen Nation den Weg gewiesen und diese „umgewendet“.264 Medan verstand Savas Rückzug auf den Berg Athos und seine spätere Rückkehr in das serbische Herrschaftszentrum sowie sein Wirken auf „das Volk“ als Entscheidung für das „himmlische Reich“, die auch „das serbische Volk“ zu vollziehen hatte, wenn auch nicht gleichzeitig. Die Rede von der „gekreuzigten Seele des serbischen Volkes“ lässt keinen Zweifel an einer messianischen Dimension der nationaltheologischen Ideologie: Ähnlich wie beispielsweise im polnischen Messianismus, der Polen als „Christus der Völker“ imaginierte,265 nationalisierte Medan die Passion und Erlösung Christi und sakralisierte die serbische Nation. Ohne das Svetosavlje genauer zu bestimmen, erklärte Medan es politisch-theologisch zum „Anfang und Fundament unserer nationalen Kultur, die sich auf den Grundlagen der Orthodoxie entwickelt“.266 Die Ideologie diente damit seinem Anliegen, eine möglichst schlüssige Definition der eigenen Gesellschaft in Worte zu fassen. Wesentlich war für seine Darlegung der Kosovomythos, „unsere nationale Erzählung (narodnu epopeju)“ – und damit bewusst ein nationales Meisternarrativ. „Alle unsere kulturellen und Bildungsströmungen sind inspiriert durch svetosavische Ideen. Zur Illustration dieser Gedanken genügt es, unsere nationale Erzählung (narodnu epopeju) zu nehmen, die Ausdruck und Abdruck der Volksseele ist.“ 267 Die durch Sava mit seinem „­Stempel“

262 „Mit seinem Leben und seiner Arbeit hat er eine außergewöhnliche Ideologie geschaffen – das Svetosavlje, das unserem Volk religiöse und kulturelle Orientierung durch die gesamte Geschichte gab, und das sich tief in die Seele des serbischen Volkes eingekerbt hat.“ Medan (1937), S. 87. 263 Medan (1937), S. 87. 264 Medan (1937), S. 87 f. 265 Walicki (1970); Davies (22010), S. 6 – 24. 266 Medan (1937), S. 88. 267 „Von svetosavischem Geist ist der Kosovo-Held Lazar inspiriert, der, vor das Dilemma der zwei Reiche gestellt, sagte: ,Das irdische ist ein zu kleines Reich, das himmlische aber reicht von heute bis in die Ewigkeit (od sad do vjeka).‘ Durch den svetosavischen Geist inspiriert ist die Mutter Jevrosims, die ihrem Sohn rät: ,Verliere lieber dein Haupt, als deine Seele zu beflecken.‘ Von diesem Geist sind alle unsere nationalen geistigen Schöpfungen (narodne umotvorine) durchwirkt, was von dem nichtauszuglättenden Stempel zeugt, den der hl. Sava der Volksseele aufgedrückt hat.“ Medan (1937), S. 88.

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geprägte „Volksseele“ diente zur Erklärung des legendären Handelns Lazars und ­weiterer Personen der serbischen Volksmythologie – die sich wiederum in der „nationalen Erzählung“ ausdrückte. Auf der anderen Seite der Selbstaufopferung zugunsten der nationalen Religion stand der transnationale Messianismus. Hatte sich Medan in seiner Argumentation bisher ausdrücklich auf den serbischen Kontext beschränkt, so rückte er nun übergangslos eine panslavische Dimension ins Zentrum der Aufmerksamkeit. „Das Slaventum“ sollte unter Sava geeint eine universale heilsgeschichtliche Rolle als Hüter des „wahrhaftigen Christentums“, der Orthodoxie, spielen. Ausdrücklich wie einst Israel sollte damit den Slaven eine „Mission in der Menschheitsgeschichte“ zukommen. Slaven anderer Konfession blieben unerwähnt.268 Medans Entwurf einer illiberalen orthodoxen Modernität als nationaltheologischer Messianismus sollte auch eine explizit politische Ebene zukommen: Mit Worten der Politik der Gegenwart stilisierte er Sava überdies zum „Präsidenten“ einer orthodoxen „Liga“.269 Zudem arbeitete Medan das Svetosavlje auch als eine rassistische Ideologie aus, in der sich „das rassische serbische Element“ in eine „harmonische Ganzheit“ fügte. Die dabei reflektierte Distanznahme zu (panslavischem) „Chauvinismus“ und „Intoleranz“ stand im Gegensatz zum gleichzeitigen Entwurf eines rassistischen ethnonationalen Identitätskonzeptes.270 Das „Svetosavlje“ sollte dennoch „eine Ideologie des Taktes, der politischen Weisheit“ sein. Der hl. Sava habe „eine Politik der Liebe und der Friedensstiftung“ geführt.271 Neben dieser außenpolitischen Charakterisierung kam als weiteres 268 „Abgesehen von diesen wesentlichen Eigenschaften des Svetosavlje, durch die sie eine reine, erhöhte (uzvišena) evangelische Ideologie ist, ist sie zudem die Symbolik der slavischen nationalen Idee, der Annäherung und Vereinigung aller Slaven. Wie einst das alte israelitische Volk eine alle Menschen betreffende (svečovečansku) Mission in der Menschheitsgeschichte gespielt hat, so hat gemäß den Gedanken des hl. Sava auch das Slaventum seine alle Menschen angehende (svečovečansku) Mission. Sie hat das wahrhaftige Christentum in der Interpretation der Orthodoxie zu bezeugen, deren wahre Werke durch den römischen Katholizismus und den Protestantismus des Westens verfinstert wurden. Wegen dieser erhabenen Mission arbeitete der hl. Sava für die Annäherung aller Slaven und die Schaffung einer orthodoxen slavischen Kultur.“ Medan (1937), S. 88. 269 Medan schrieb über den heiligen Berg Athos und zitierte dabei ohne weitere Angaben eine undatierte Ansprache S. Troickis („Rede über den hl. Sava“): „Dort befanden sich neben S ­ erben auch Russen und Bulgaren, aus denen sich ,eine erste Liga der orthodoxen Völker dieser Epoche‘ herausbildete, ,und der hl. Sava war unaufgefordert der dennoch von allen anerkannte Präsident dieser Liga.‘“ Medan (1937), S. 88. 270 Der hl. Sava sei zwar ein „tiefer Orthodoxer und slavischer Patriot (rodoljub) gewesen, „aber er war es nicht im Sinne des Chauvinismus und der Intoleranz. (…) Im Svetosavlje ist das ­rassische serbische Element im slavischen untergetaucht, und dieses in das evangelische oder die gesamte Menschheit betreffende, sich der einzigen harmonischen Ganzheit unterordnend, in der aber die einzelnen Teile ihre rassischen Charakteristika und Eigenschaften behalten.“ Medan (1937), S. 89. 271 Medan (1937), S. 89.

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Merkmal des „Svetosavlje“ das Verhältnis von Staat und Kirche zur Sprache. Erst an dieser Stelle bezog Medan bestehende Institutionen wie die Kirche und den Staat in das Konzept ein. Sein Staatsbild beschrieb einen lebendigen Körper, dessen „Seele“ die Kirche und nicht das Volk war. Der Kirche und nicht der gar nicht erwähnten Gesellschaft kam in diesem organischen religiösen Nationalismus die Rolle des „Fortschritts“ zu.272 Mit dieser Charakteristik beschrieb der Theologe das Svetosavlje als Ideologie, in der sich „das christliche orthodoxe Element mit der serbischen und der slavischen Nation“ vereinigte. Seine erklärte Absicht war es, eine den ideologischen Anforderungen der modernen Gegenwart und Gesellschaft genügende Verbindung von Nationalismus und Orthodoxie in Worte zu fassen und zu propagieren: Das Ziel blieb der Entwurf einer modernen orthodoxen Gesellschaft. In der Ausformulierung seiner Nationaltheologie bewegte er sich aber auf neuen, unorthodoxen Wegen: Die „svetosavische Ideologie, in der der Geist des geheiligten Sava lebt und anwesend ist“, und damit nicht Sava selbst habe dem Volk „Orientierung“ gegeben in seiner „golgathischen“ Geschichte.273 Der Autor schwankte auch in dieser Passage zwischen serbischer und slavischer Identitätsstiftung: Die Absicht, das serbische Konzept vom „Svetosavlje“ auf die anderen orthodoxen slavischen Völker – und auch auf die katholischen? – auszudehnen, wurde angesprochen, aber nicht ausformuliert. Wesentlich für den Wandel der Erinnerungsfigur und der mit ihr direkt verbundenen Konzepte war Medans Rede vom „Geist“ Savas, der in der „Ideologie“ „lebt und an­wesend“ sei: Die traditionelle Vorstellung von den im Jenseits lebendigen Heiligen wurde hier auf die Ebene der Ideologie übertragen. Diese vorgebliche Verwissenschaftlichung der Beschreibung der Lebendigkeit Savas löste in den engen Grenzen des ideologischen Diskurses die religiöse Konzeption ab. Der Hinweis auf die „golgathische“ Geschichte der serbischen „Nation“ bestärkte die Säkularisierung und Nationalisierung der Religion sowie die Sakralisierung der als homogene Einheit gedachten Nation. Dieses Konzept, in welchem der Kirche die führende Rolle zugedacht war, brachte die Erklärung von Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft der Nation auf einen Nenner. An die Stelle der fehlenden staatlichen Kontinuität seit dem Spätmittelalter sollte die Ideologie des ­Sveto­savlje treten: Das Svetosavlje wurde nach dem Muster des katholischen Allerheiligsten zum „Heiligsten des Heiligsten“ der „Kirche Savas“ erklärt. Die Kirche „hütete“ 272 „Wie die Seele den Körper bewegt und wärmt, so erbaut (izgrađuje) die Kirche das Innere des staatlichen Organismus, während der Staat, wie der Körper, der ein Panzer und Verteidiger der Seele ist, die Kirche schützt und ihr eine völlig selbständige Entwicklung und den Fortschritt ermöglicht“. Medan (1937), S. 89. 273 „Dies sind die wesentlichen Charakterzüge des Svetosavlje, in dem sich auf einzigartige Weise das christliche orthodoxe Element mit der serbischen und der slavischen Nation vereinigen. Die so erzeugte svetosavische Ideologie, in der der Geist des geheiligten Sava lebt und anwesend ist, wie ein Leuchtturm über dem stürmischen Meer, gab dem serbischen Volk Orientierung sowohl in der Frage des Glaubens wie in der Frage der Nation, während seiner ganzen stürmischen und golgathischen (golgotsku) Geschichte.“ Medan (1937), S. 89 f.

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es und „schuf“ die „Märtyrer“, die sich für „svetosavische Ideale“ – namentlich für „den Glauben und die Nation“ – aufopferten, als nach der Schlacht auf dem Amselfeld der serbische Staat zerfallen war.274 Der unscharfe panslavische Anspruch der Reichweite der Ideologie sollte im jugoslawischen Staatsentwurf Gelegenheit zur Anwendung in der Gegenwart finden, und zwar wegen seiner angeblichen „rassischen, und gleichzeitig überrassischen und überkonfessionellen Breite“.275 Diese mit architektonischen Metaphern versuchte transkonfessionelle Umarmung und konzeptuelle Integration der südslavischen Nachbar­völker mithilfe des Svetosavlje stellte einen neuen Rechtfertigungsversuch des serbischen Anspruches auf Führung im jugoslawischen Staatenverbund dar. Das hier entworfene Konzept des Svetosavlje entstand, wie die Eingangspassagen des Textes offenlegen, im Kontext eines „Kampfes der Ideologien“ des Kommunismus und des Faschismus aus dem Gefühl eines ideologischen Defizits heraus. Diese Bedrohungslage wurde mit pathetischen Worten beschworen – und eine historische Notwendigkeit der „svetosavischen Ideologie“ behauptet.276 Das eben erst konstruierte, zeitgemäße Abstraktum „Svetosavlje“ sollte den Ausweg aus der aktuellen Bedrohung gewährleisten. Im jugoslawischen Staatenverbund sollte die Ideologie erneut nachdrücklich wegen „ihrer breiten überrassischen und überkonfessionellen Struktur“ politisch umzusetzen sein.277 In diesem Zusammenhang hielt Medan schließlich eine Klärung des Verhältnisses Savas zum Katholizismus für nötig. In seiner Darstellung war der Katholizismus keine von slavischen Völkern aktiv vertretene Position, sondern ein von nicht näher genannten „westlichen Völkern“ eingesetztes Unterdrückungsmittel. Erhaltenswert sei aber die 274 „Nachdem der serbische Staat mit der schrecklichen Kosovo-Tragödie unter den Schlägen der kolossalen türkischen Macht zusammengebrochen war, haben svetosavische Ideen, über Jahrhunderte von Generation zu Generation überliefert, das Volk gestärkt und seinen Glauben und die Nation bewahrt, damit sie nicht im tiefen ottomanischen Meer untergingen. Die Kirche Savas, in der als ,das Heiligste des Heiligsten‘, das Svetosavlje gehütet wurde, hat Märtyrer und Helden geschaffen, die ihr Leben für svetosavische Ideale hingaben – den Glauben und die Nation.“ Medan (1937), S. 90. 275 „Mit ihrem lebendigen, konstruktiven, organisatorischen und schöpferischen Geist, ihrer ­rassischen, und gleichzeitig überrassischen und überkonfessionellen Breite, hat die sveto­ savische Ideologie das Gelände für unsere staatliche und nationale (narodno) Einheit bereitet, was sich, möchte man sagen, in das große Gebäude des modernen Jugoslawiens eingemauert hat (uzidala je sebe u veliku zgradu moderne Jugoslavije).“ Medan (1937), S. 90 f. 276 „Seht, in einer solchen Zeit, wenn stolze Sinan-Paschas zu Vampiren werden, wenn sie ihr glühendes Feuer, mit dem sie die Körper der svetosavischen Märtyrer verbrennen, durch die niederträchtigen und unmenschlichen Mittel lügenhafter Zivilisation ersetzen, in einer Zeit, die neue Lazare und neue Jevrosime fordert, neue geistige und staatliche Riesen, ist die sveto­ savische Ideologie notwendiger, als sie es jemals in der Geschichte war.“ Medan (1937), S. 91. 277 „Die svetosavische Ideologie muss umso mehr wegen ihrer breiten überrassischen und über­ konfessionellen Struktur eine entscheidende Rolle in der neuen gesellschaftlichen und staat­ lichen Formation spielen.“ Medan (1937), S. 91.

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„rassische und kulturelle Individualität“ der katholischen slavischen Völker. Die Sava zugeschriebene Distanz zu Byzanz sollte ihn und seine Kirche als Mittelweg erscheinen lassen:278 „Deshalb wieder und wieder nur auf dem svetosavischen Weg. Er kräftigt uns geistig und moralisch, er bewahrt unsere nationale und rassische Elementarkraft ­(stihija), er führt uns zur geistigen Annäherung und Vereinigung aller slavischen Völker“.279 „Auf diesem Weg“ sollten auch katholische jugoslawische Vordenker wie die „brüder­ lichen Riesen Strossmayer, Rački“ und weitere in den Entwurf miteinbezogen werden.280 Ihre Integration auf dem „svetosavischen Weg“ wurde hier zwar rhetorisch eingefordert, aber nicht weiter durchdacht. D 2.1.5  Sava als ,Schöpfer unserer Rassenheit‘

Der im Svetosavlje angelegte Rassismus wurde auch in anderen Texten wichtig: In einem undatierten, nach 1938 publizierten 281 Aufsatz äußerte sich der promovierte Ethnologe Branimir Maleš, von 1930 an Leiter des Bereichs Anthropologie und „Rassenhygiene“ an der „Zentralanstalt für Hygiene“,282 über die „rassische Herkunft des heiligen Sava“. Die Erinnerung an Sava wurde nun über die bisher bemühten Verweise hinaus mit in Italien und Deutschland verbreiteten rassistischen Vorstellungen verbunden.283 Namentlich verwies Maleš auf den Anthropologen Giuseppe Sergi, der eine „Theorie über die mediterrane Rasse“ entworfen hatte. Die mit wissenschaftlichem Wahrheitsanspruch vertretene Vorstellung einer „Rasse“ stand hier nicht bloß für eine biologische Verwandtschaft, sondern auch für sprachliche, psychische sowie kulturelle Zugehörigkeit.284 Nachdem Maleš „eine ferne Verwandtschaft zwischen der dinarischen Rassengruppe und 278 „Der hl. Sava hat im Katholizismus als einer christlichen Bruderreligion keinen solchen Volksund Staatsfeind gesehen, aber er sah ihn in dessen Politik, genauer gesagt in der Politik der westlichen Völker, die das Banner des Katholizismus hochhielten, und deren Ziel die Ver­ sklavung und Unterdrückung der slavischen Völker war, die Verhinderung ihrer Erweckung und Entwicklung, das Schlucken (gutanje) ihrer rassischen und kulturellen Individualität. Er hat allerdings auch sein Volk vom byzantinischen Einfluss emanzipiert und es vor ihm geschützt, der so oft (pogđekada) unter der Maske des östlichen Christentums eroberische, antinationale (protunarodne) politische Tendenzen aufwies.“ Medan (1937), S. 92. 279 Medan (1937), S. 92. 280 „Auf diesem Weg wird in der neuen gesellschaftlichen und staatlichen Formation der Geist des geheiligten Sava niemals mit dem Geist der brüderlichen Riesen Strossmayer, Rački und anderer zusammenstoßen, er wird mit jenen kollidieren, die sich schändlich von ihren wahren Führern abwenden.“ Medan (1937), S. 92. 281 In dem Text verwies der Verfasser auf eine seiner Publikationen aus dem Jahr 1938. Maleš (o. J.), S. 40. 282 Promitzer (2003), S. 386 f. 283 Yeomans (2007), S. 96. 284 „Gemäß seiner Meinung (…) lebten einige Stämme und Völker, die in ihrer Sprache und aufgrund ihres Körpers ähnlich waren, ähnlich in ihren Gedanken und Wünschen, ähnlich in ihrer Kultur.“ Maleš (o. J.), S. 37.

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der nordischen Gruppe“ festgestellt hatte,285 wandte er sich Sava zu: Er allein habe als „markanteste und hellste Erscheinung unter den Serben (…) das Menschliche mit dem Göttlichen“ verbunden.286 Nach einer Untersuchung der Fresken im Kloster Mileševa schloss Maleš: „So kann auch der hl. Sava entweder ein Dinar (Dinarac) mit medi­ ter­ranen Zügen sein oder ein ausgeprägter Vertreter des atlantomediterranen Typs.“ 287 Seine weitere Deutung von Abbildungen brachte ihn dann aber zur These, dass Sava „zu einer der Formen der dinarischen Rassengruppe gehörte“. Dies zeigten „uns auch sein Leben und seine psychische Persönlichkeit“. Schließlich sei „er der typischste Vertreter unserer Rassenheit (rasnosti)“.288 Überdies verwies er „auf die Konzeption, die das Volk von seinem Heiligen hat“.289 Diese sah er sowohl als Ergebnis der Verehrungstradition des Volkes an als auch als Beitrag zur Schaffung eines „Vorbilds“, ja eines „Vertreters und Schöpfers unserer Rassenheit“. Ob Maleš dabei an Serben oder Südslaven dachte, geht aus dem Text nicht hervor. Das „Volk“ sollte sich folglich paradoxerweise selbst den „Schöpfer“ seiner Rasse geschaffen haben. Nach einer Wertschätzung von Savas Wirken im klösterlichen Leben stilisierte Maleš die Erinnerung an Sava zum „organischen“ Bestandteil der „Volksseele“.290 Sava wurde für alle Lebensbereiche zum Lehrer des Volkes ernannt: „Alles, was das Volk weiß“, habe „es vom heiligen Sava gelernt“.291 Diese Behauptungen versuchte der Autor mit seiner Deutung von Volkslegenden zu belegen. Die Reichweite der Idealisierung bezog

285 Im Zusammenhang mit einer angeblichen „Superiorität“ des sogenannten „nordischen Typs“ nannte er Houston Stewart Chamberlain sowie „eine große Zahl deutscher Autoren“. Maleš (o. J.), S. 39. 286 „Unbestritten ist der hl. Sava die markanteste und hellste Erscheinung unter den Serben. ­Kraljević Marko ist die Personifizierung des Heldentums, Miloš Obilić die des Rittertums, der Fürst Lazar die des Glaubens an die göttliche Gerechtigkeit. Aber einzig der hl. Sava hat die Tradition mit der Geschichte verbunden, die Imagination mit dem Ereignis, das Menschliche mit dem Göttlichen.“ Maleš (o. J.), S. 41. 287 Maleš (o. J.), S. 42. 288 „Das zeigen uns auch sein Leben und seine psychische Persönlichkeit. Er gehört rassisch wirklich zu uns, ich würde sagen, dass er der typischste Vertreter unserer Rassenheit (rasnosti) ist. Ich gedenke nicht, das aus der Geschichte Bekannte zu erneuern, ich werde nicht aufweisen, wie sein Leben und seine Arbeit waren, die Arbeit und das Leben eines typischen Dinaren.“ Maleš (o. J.), S. 42. 289 Dies „weil die nationale (narodna) Konzeption über Sava Nemanjić den psychischen Eigenschaften des Dinaren entspricht, weil das Volk sich einen Typ des höchsten und größten, erhabenen Vorbilds geschaffen hat, als Vertreter und Schöpfer unserer Rassenheit“. Maleš (o. J.), S. 42. 290 „So ist es in der Volksseele eingeschrieben geblieben, die nur das aufnimmt und nicht vergisst, was wirklich organisch mit ihr verbunden ist.“ Maleš (o. J.), S. 43. 291 „Der hl. Sava hat nicht nur Klöster errichtet, er hat das Volk nicht nur beten gelehrt, sondern auch zu pflügen und graben, zu weben, zu fischen und den Fang wilder Waldtiere (šumske zveri). Er kümmerte sich um die Rettung seiner Seele, aber auch um die Gesundheit seines Körpers. Alles, was das Volk weiß, hat es vom hl. Sava gelernt. (…) In allen Handwerken war er der erste Meister.“ Maleš (o. J.), S. 44.

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sich damit nicht mehr nur auf den Bereich der Religion und des Staates, sondern auch auf Gewerbe und Ackerbau. Auf der Grundlage dieser Argumente untermauerte er seine rassistische These und erklärte Sava physisch und psychisch rassisch zum „reinen Dinaren“.292 Die „dinarische“ Rasse unterschied Maleš vom „Mediterraner“ des Anthropologen Sergi. Dieser rassischen Gruppe ordnete er innerhalb der „eurindischen“ bzw. indoeuropäischen Übergruppe sein eigenes Volk zu. Gemäß seiner rassistischen Genealogie sei diese – offenbar in impliziter Anlehnung an die von Herder behauptete Jugendlichkeit der slavischen Völker – jung und daher körperlich und geistig den älteren überlegen.293 Maleš erklärte die Überlegenheit politisch: Die „Sklaverei“ beschrieb er dabei nicht als Unfähigkeit zur politischen Herrschaft, sondern euphemistisch als Gelegenheit zum Widerstand: „Weder fremde Eroberer, noch Tyrannei oder Sklaverei haben den demographischen Wert des Dinaren geschmälert. Und die physische Widerstandskraft (otpornost) und die vitale Kraft haben sie hundertfach bewiesen, als Besiegte wie als Sieger, hungrig wie durstig, von Gubec [der Bauern­ führer Matija Gubec, S. R.] und Wilhelm Tell bis zum serbischen Golgatha. Aber als Beispiel ­seiner psychischen Eigenschaften, seiner intellektuellen Fähigkeiten und der Stärke seines Willens dient uns der hl. Sava, der Organisator und Wirker (isposnik).“ 294

Wie Wilhelm Tell hier unter die Dinaren geriet, bleibt unklar. Sava wiederum diente wegen seiner angeblichen politischen Führungskraft als Beispiel für die Eigenschaften des „Dinaren“. Das serbische Volk war aber in der Vorstellung von Maleš nicht rassisch einheitlich: Nur „der größte Teil unseres Volkes“ sei dinarisch.295 Sava wurde gemäß dieser Argumentationslogik zum Kronzeugen und Beweis der „dinarischen Rassenheit“ der Serben. Gab das „Svetosavlje“ den Serben und Südslaven eine als mit dem Faschismus und Kommunismus konkurrenzfähig entworfene nationaltheologische Ideologie, vermittelte Maleš den Serben eine entsprechende nationalreligiöse Rassenlehre. Wie gesehen hatte bereits Medan das Svetosavlje mit rassistischen Überlegungen verbunden. Maleš aber brachte den rassistischen Diskurs ganz mit der Erinnerungskultur um Sava

292 „So wie Sava Nemanjić aufgrund seiner körperlichen Kennzeichen ein reiner Dinar ist, so ist er es gemäß seinen geistigen Eigenschaften, seinen Charakterzügen und seinem Intellekt.“ Maleš (o. J.), S. 45. 293 Ein „zweiter Zweig des großen eurafrikanischen Stammes, wie es Sergi denkt, oder eurindischen – wie ich es sagen würde –, dringt aus dem Osten gegen Westen ein, vom Norden gelangt er über das Meer nach Süden, die Welt organisierend, Staaten schaffend und Völker zu neuen Zielen führend. Den dritten Zweig, diesen dinarischen, würde ich am ehesten als den aus­geprägtesten europäischen nennen, der von der Anzahl am geringsten ist, und auch als der jüngste gilt, der aber maximale körperliche und geistige Werte erreicht.“ Maleš (o. J.), S. 45. 294 Maleš (o. J.), S. 45. 295 „Denn körperlich fällt er [Sava, S. R.] jener Rassengruppe [der dinarischen, S. R.] zu, wie auch der größte Teil unseres Volkes, und seine seelischen Eigenschaften weisen auf die Rassenheit jener hin, für die er gearbeitet hat und denen er sein Werk und sich selbst in der Volkstradition überlassen hat.“ Maleš (o. J.), S. 45.

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zusammen und verwendete ihn als Kronzeugen für seine abstrusen Überlegungen. In der Erinnerungskultur um den hl. Sava stellt seine pseudowissenschaftliche rassistische Aufladung aber auch in den 1930er-Jahren die Ausnahme dar. D 2.1.6  Die Grundsteinweihe der Sava-Kathedrale

Zum 650. Jahrestag der Schlacht auf dem Amselfeld weihte Patriarch Gavrilo am 10. Mai 1939 in Belgrad in Gegenwart zahlreicher Kirchenfürsten und des Regierungschefs sowie zweier offizieller Vertreter des Königs auf dem Vračar den Grundstein der seit 1895 angestrebten Sava-Kathedrale. Die kirchliche Zeitschrift „Kalendar“ des serbischen Patriarchats berichtete in ihrer Ausgabe für 1940 über die performative Handlung mit einem durch große Fotografien illustrierten Text.296 Das monumentale Projekt und das sorgfältig inszenierte Ereignis wurden großräumig wahrgenommen: Auch der Sofioter „Kirchenbote“ berichtete darüber ausführlich. Ganz am Schluss seines Berichtes stellte der Autor, der Geistliche Petăr Somlev, überregionale Überlegungen an: „Diese großartige Kirche wird nicht nur der Stolz des orthodoxen jugoslawischen Volkes werden, sondern auch aller orthodoxen slavischen Völker der Balkanhalbinsel und Europas.“ 297 Der bulgarische Geistliche stellte den geplanten Bau direkt in einen Zusammenhang mit der Nevskij-Kathedrale in Sofia. Sava stellte er neben den bulgarischen Ivan von Rila sowie Kyrill und Method, auf die er möglicherweise in einem übergreifenden, nicht bloß bulgarischen Bedeutungszusammenhang verwies. Der Belgrader Bau sollte so, mithilfe der Heiligen und Gottes, die Möglichkeit zu einer transnationalen Einheit der orthodoxen Balkanvölker geben. Die gesamte Region wurde hier homogen als orthodoxes Siedlungsgebiet imaginiert, dessen geistige und politische Einigung im Interesse aller orthodoxen Südslaven sei. Die namentlich von Bischof Velimirović während der 1930er-Jahre wiederholt her­ gestellte diskursive Verflechtung des Gedenkens an den hl. Sava mit dem Kosovomythos wurde im Kapitel zum Amselfelddiskurs bereits aufgearbeitet. Hier nur noch ein weiteres Beispiel für die Bedeutung dieser engen Verbindung: Der einflussreiche Wortführer der SOK erklärte zum Vidovdan im Jahr 1939 im Kloster Ravanica die Serben zu den „geistigen Nachkommen“ Savas, der mit der Einrichtung der „freien nationalen Kirche“ den „vollendeten historischen Weg angelegt“ habe, „auf dem Serbien noch heute schreitet“.298 296 Crkva za 1940 – Kalendar srp. Patriar., S. 88 – 91. Ohne Verweis auf das Ereignis: Aleksov (2003). 297 „Möge durch die Gebete, die wir unter den goldenen Dächern der beiden gigantischen Kirchen ,Hl. Al. Nevskij‘ in Sofia und ,Hl. Sava‘ in Belgrad an Gott richten, mit der Fürsprache vor Gott durch die großen slavischen Heiligen, die Lehrer und Aufklärer, die hll. Kyrill und Method, des hl. Iv. von Rila und des hl. Sava, über Bulgarien und Jugoslawien eine helle und lichtstrahlende Sonne des wahrhaften ewigen Friedens, der Bruderliebe und Einheit aufgehen, und die beiden Brudervölker ,mit einem Mund und einem Herzen‘ den überaus heiligen Namen Gottes loben und besingen.“ Cărkoven Vestnik, 14.7.1939, Nr. 29, S. 338 f. 298 „Wir sind die Kinder Christi und die geistigen Nachkommen des hl. Sava Nemanjić, dieses unvergleichbaren Mannes, der alles, alles für sein Volk tat; nicht was ein einzelner großer

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D 2.1.7  Sava im Krieg

Neben der nationalistischen, ja rassistischen Deutung der Erinnerung um Sava konnte dieser während des Zweiten Weltkrieges angesichts der Kriegsgeschehnisse auch als Friedensstifter angerufen werden: Zum Savatag 1941 hielt Inokentije Anisimov, Professor des „Bogoslovije“ in Sarajevo, eine Predigt unter dem Titel: „Die evangelische Konzeption des Friedens“.299 Der in Wien und Graz ausgebildete Historiker und Belgrader Universitätsprofessor Vasilj Popović schilderte sodann, wie berichtet wurde, „kraftvoll“ die „historische Gestalt des hl. Sava und seine riesige Rolle bei der selbständigen staatsschaffenden, nationalen und religiösen Formierung des serbischen Volkes, wobei er schließlich die allgemeine südslavische und balkanische (balkanski) Bedeutung der svetosavischen Ideologie unterstrich, welche den Rahmen der religiösen und der Stammesuneinigkeit (plemenske podvojenosti) überschreitet“.300

Noch einmal sollte angesichts der Katastrophe das zu diesem Zweck denkbar wenig geeignete Svetosavlje als übernationales Band für das Zusammenleben der süd­slavischen Völkerschaften herhalten. Mit der deutschen Besetzung Belgrads wurden auch die etablierten nationalen religiösen Erinnerungsfiguren in den Dienst des neuen Regimes gestellt: So berichtete die Zeitung „Neue Zeit (Novo vreme)“ ausführlich über die Feierlichkeiten zu Ehren Savas im Januar 1942, an denen neben der Kirchenführung auch General Milan Nedić teil­ nahmen. Sava stand nun im Dienst des „neuen Europa“. Auch in den Jahren 1943 und 1944 wurde seiner an der Universität in Anwesenheit von Bischöfen und Ministern sowie deutschen Repräsentanten ganz in diesem Kontext gedacht.301 Die „Neue Zeit“ definierte Mensch tun kann, nicht was Legionen großer Leute bei anderen Völkern zu vollbringen nicht in der Lage waren. Mehrere Jahrhunderte unseres geistigen Lebens (…) wurden im ­Schwanken zwischen der byzantinischen Kirchenmacht und der römischen Kirchenmacht verbracht. Jeder serbischer Priester hat geschätzt und bemessen, ob es besser für sein Volk ist, sich der byzantinischen oder der römischen Macht zu unterstellen. Der hl. Sava hat eine dritte Macht erdacht, weder die byzantinische noch die römische. Dies ist die Macht der freien nationalen Kirche. (…) Diese dritte Macht, die nicht fremd oder international ist, hat das jahrhundertelange Schwanken unserer Herrscher zwischen Byzanz und Rom beendet, und hat den vollendeten historischen Weg angelegt, auf dem Serbien noch heute schreitet.“ Vidovdanski govor, održan na 550. ­Vidovdan u man. Ravanici, 1939, vollständig wiedergegeben in und zit. gemäß Nikolaj Velimirović. ­Izabrana dela 12, S. 38 – 44, hier S. 39 f. 299 Er beschrieb darin „reliefartig (reljefno)“ Sava als Friedensliebhaber und Friedensstifter (sowohl in der Innen- wie der Außenpolitik): „angesichts der heutigen Umstände taucht die Notwendigkeit auf, dass sich die Menschen und Völker an Christus und seine Lehre vom Frieden, der Liebe und der Tränen zwischen den Völkern und Menschen wenden.“ Svetosavac (1941), S. 17. 300 Svetosavac (1941), S. 22. 301 Ljubica (1996), S. 116 – 119. Zu einem Text aus dem Jahr 1943 über Sava als „Schöpfer des serbischen Nationalismus“ von V. Jonić, der unter General Nedić als Bildungsminister diente: Ristović (2001), S. 645.

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den „heiligsavischen Nationalismus“ im angeblichen Unterschied zu anderen Nationalismen: „Die volle Einheit zwischen dem Volk, dem Staat und der ­Kirche, das ist das Kennzeichen des Svetosavlje“.302 Gleichzeitig diente Sava der Mobili­sierung des kommunistischen Widerstands.303 Dabei wurde etwa den „heiligsavischen Feiern“ im Januar 1945 zugeschrieben, „seit Jahrhunderten von nationalbefreiendem Charakter“ gewesen zu sein.304 Zugleich hielt Justin Popović, neben Velimirović „der andere zentrale Denker für das svetosavlje“ und wie dieser der faschistischen Organisation „Zbor“ von Dimitrije Ljotić nahestehend, vor serbischen Studenten Vorlesungen über das „Svetosavlje als Lebensphilosophie“. Indem er das Svetosavlje mit dem Gottmenschtum Dostoevskijs gleichsetzte, machte er es zum Kern eines „universalen Antiokzidentalismus“.305 D 2.1.8  Sava als Abbild des ,größten nationalen Gottes‘

Es bleibt der Hinweis auf einen weiteren Diskursstrang, der sich mit der Verehrung Savas verband: Bereits 1924 vertrat der in Belgrad, München und Leipzig ausgebildete vergleichende Religionswissenschaftler und Professor an der Theologischen Fakultät der Universität Belgrad, Veselin Čajkanović, u. a. in einem Aufsatz „Der hl. Sava und die Wölfe“ die These, „der hl. Sava der serbischen Legenden ist in Wahrheit eine alte serbische Gottheit, die den Namen Savas angenommen hat, aber ihre alten Funktionen behalten hat“.306 Um die Behauptung zu beweisen, deutete er in der Folge den großen Bestand an Legenden über Sava, die seit dem Ende des 19. Jh. in regionalen Zeitungen veröffentlicht worden waren, deren Alter aber kaum festzustellen ist. Zum überregio­ nalen Interpretationsrahmen dienten ihm ein Werk von Oskar Dähnhardt über sogenannte „Natursagen“ sowie die von Afanasiev zur Mitte des 19. Jh. gesammelten russischen Volksmärchen.307 1941 legte er eine systematische Darstellung „Über den höchsten ­serbischen Gott“ vor, deren erste Kapitel der Deutung Savas gewidmet waren.308 Im ersten Satz des Werks stand hier das Eingeständnis, „keine unmittelbaren Dokumente“ „über die alten serbischen Götter“ zu kennen. Dennoch hielt der Verfasser es dank der „Religionswissenschaft“ für möglich, „unsere mythische Vergangenheit zu rekonstruieren“ und insbesondere „die Persönlichkeit des alten serbischen höchsten Gottes, seine Natur, seinen Bereich und Funktionen“.309 Auf seinem Weg, diesen nirgends belegten Gott zu erfinden, stand Sava ganz am Anfang: „Auf dem ersten Platz steht unser

302 303 304 305 306 307 308 309

Novo Vreme, 27.1.1942, Nr. 226, S. 3. Dedijer (1979), S. 476 – 490 und dort folgende unpaginierte Seiten. Dedijer (1979), Beilage 2, S. 478. Diese Thesen erschienen erst nach 1945 im Druck: Buchenau (2006b), S. 221 – 223; Buchenau (2011), S. 455 f. Zu Popović: Bremer (1992), S. 161 – 252. Čajkanović (1924), S. 156. Čajkanović (1924), S. 158. Čajkanović (1941), S. 7 – 26. Čajkanović (1941), S. 4.

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natio­nalster Heiliger“.310 Savas in mehreren Legenden beschriebenen Zorn verglich Čajkanović mit dem des Zeus, mit dem „Zorn Gottes“, aber auch mit der indischen Gottheit Indra, mit babylonischen und assyrischen Kulten, Hermes und Wodan.311 Zum Schluss dieses höchst spekulativen ersten Kapitels versprach er dem Leser, es sei möglich, „die Persönlichkeit unseres einstigen höchsten Gottes“ zu „rekonstruieren“.312 Es folgte eine gekürzte ­Fassung seines Textes zu Sava und den Wölfen, der gleichfalls mit der Hypothese schloss: „Durch die Traditionen und kultischen Bräuche, die mit dem hl. Sava verbunden sind, können wir daher tatsächlich den alten serbischen Gott der Unterwelt erkennen.“ 313 Im Kapitel „Der hl. Sava als Gott der Gesetze“ lehnte ­Čajkanović die ­Deutung Savas als „allgemeiner Aufklärer und Verbreiter der Kultur“, so auch der Viehzucht, ab: Vielmehr sei Sava etwa „nicht als Lehrer, sondern als Gottheit“ anzusehen, „deren Bereich die Viehzucht und das Vieh sind“.314 Abschließend hielt er zum hl. Sava fest, „auch durch seine Funktion als Verteidiger der Schafe und des Viehs und als ihr Hirte manifestiert sich der hl. Sava als Gott der Unterwelt, wie es der griechische ­Hermes, der germanische Wodan, der gälische Dispater, der slavische Veles sind“.315 Diese These, die Möglichkeit der „Rekonstruktion“ „unseres früheren höchsten G ­ ottes“ aus Fragmenten über andere Heilige, ist am Ende zahlreicher Kapitel des Buches in Variationen vielfach wiederholt und beschworen.316 Ob es jemals einen solchen Gott gegeben hat und ob er mit einem homogenen slavischen, geschweige denn serbischen Volk zu tun gehabt hatte, war keine Frage: Das Anliegen war es, um jeden Preis und mit jedem Mittel eine Projektionsfigur zu schaffen, die als „unser größter nationaler (nacionalni) Gott, der mythische Stammvater des ganzen Volkes“ 317 bzw. als „nationale Gottheit (nacionalno božanstvo), der Gott und Stammvater des ganzen Volkes“ 318 imagi­niert werden konnte. Čajkanović schrieb die serbische Religionsgeschichte in einen indoeuropäischen bzw. germanischen Zusammenhang ein, indem er über­greifende ­Thesen für einen „­höchsten Gott“ wie Zeus, Wodan und Thor aufstellte. Mit dem ­ständigen Verweis auf deutsche Religionswissenschaftler auch der 1930er-Jahre gliederte er dabei den serbischen wissen­schaftlichen Diskurs zu diesem Thema in den damaligen, völkisch aufgeladenen Kontext des deutschen (Indo)Germanenkults ein.319 Der Tag Savas wurde damit weiterhin im neuen jugoslawischen Staat als Schulfeiertag in Belgrad von der Regierung und dem Patriarchen sowie der Universität gefeiert und zur Vorstellung gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Fortschritts eingesetzt.

310 311 312 313 314 315 316 317 318 319

Čajkanović (1941), S. 7. Čajkanović (1941), S. 8 – 12. Čajkanović (1941), S. 16. Čajkanović (1941), S. 21. Čajkanović (1941), S. 22 f. Čajkanović (1941), S. 26. Čajkanović (1941), S. 77, S. 122, S. 128 passim, mit dem Wort „Rekonstruktion“: S. 113, S. 156. Čajkanović (1941), S. 40. Čajkanović (1941), S. 46. So ganz zum Schluss: Čajkanović (1941), S. 167.

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1925 wurde der Rahmen der Feier auch zur Arena des politischen Konflikts. Die SOK setzte den Tag zur Propagierung einer orthodoxen Modernität ein, die sie im Kampf gegen „Moralverfall“ vertrat. Belgrader Theologiestudenten erfanden ab 1932 das Heilig­savatum als Ideologie im Kampf gegen Kommunismus und Faschismus und vertraten damit einen eigenen Modernitätsentwurf, der den „neuen Menschen“ Sava propagierte. Die „svetosavische Ethnosophie“ war eng mit der „Kosovomythologie“ verbunden. Bischof Velimirović stellte in seinen breit publizierten Reden und Auf­sätzen den „Nationalismus Savas“ ins Zentrum eines Entwurfs serbischer Modernität und verlangte als ein ideologischer Wortführer der SOK einen „Volksstaat des hl. Sava“, in dem die Kirche eine führende Rolle spielen sollte. Das „Svetosavlje“ diente zur Untermauerung eines serbischen Führungsanspruches unter der Königsdiktatur. Sava konnte vor diesem Hintergrund auch zur Illustration „unserer Rassenheit“ oder zur Erfindung eines „nationalen Gottes“ eingesetzt werden. Die Feiern zum 600. Todestag 1935 sowie die Legung des Grundsteins zur monumentalen Sava-Kathedrale 1939 stellten Höhepunkte inszenierter sakraler Öffentlichkeit dar. Die SOK und andere Verbreiter der mit Sava verbundenen Diskurse, teilweise aber auch die Regierung versuchten während der Königsdiktatur den autoritären Staat zur gesellschaftlichen Etablierung einer serbischen religiösen Ideologie zu nutzen und förderten diesen damit gleichzeitig, ohne ihn stabilisieren zu können. Im Zweiten Weltkrieg blieb Sava ein zentrales Medium für Vertreter eines serbischen Nationalismus sowie der SOK, auch unter der Regierung des von Deutschland abhängigen General Nedić. D 2.2  Sava im Kosovo und in Makedonien oder ,Alt-‘ und ,Neuserbien‘ D 2.2.1  Die Aneignung des Raums durch Schulen und Hochschulen

In den mit den Balkankriegen für Serbien und mit dem Ende des Ersten Weltkrieges 1918 für Jugoslawien im Süden gewonnenen Gebieten sollte das Gedenken an nun eine noch intensivere Rolle spielen als in den älteren Gebieten des serbischen Staates: Major Aleksandar J. Jovanović sprach am 17. November 1920 in Kosovska Mitrovica vom Kampf um Saloniki sowie vom Kosovo schlicht als von „unserem ,Paradies‘“, wie die in derselben Stadt erscheinende Zeitschrift „Serbischer Kosovo“ berichtete.320 Zur Feier des Savatages in Kosovska Mitrovica 1921 wurde dies dem Publikum ins Bewusstsein gerufen und mit den angeblich „überall“ verehrten „Werken des hl. Sava“ auch räumlich untermauert: Der räumliche Aspekt der Verehrung trat ins Zentrum des Diskurses. Ein ungenannter Journalist versuchte im „Serbischen Kosovo“, den Diskurs bewusst in diese neue Richtung zu lenken: Die Erinnerung an Sava sollte weitaus mehr als dem Zweck dienen, des Schulpatrons zu gedenken. Die Erinnerung an ihn sollte hier demonstrativ stärker als „in den alten Grenzen“ ins Bewusstsein gerückt werden, zur Kompensation

320 Srpsko Kosovo, 1.2.1921, Nr. 2 – 3, S. 2.

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des Verlustes von „Heiligtümern“, die ein absichtlich im Unklaren gelassenes anderes „Element“ vernichtet haben sollte.321 Die lokale, nicht-serbische Bevölkerung erschien nun als die „gestrigen Unterdrücker“. Die Erinnerung an Sava diente hier als Definitions- und Einigungsmittel der Serben gegen diese und damit implizit gegen die mit den Türken gleichgesetzten Albaner.322 Die neuen Gebiete standen nun in einem Gegensatz zu denen in den „alten Grenzen“. Neben den ersten Schritten einer historischen diskursiven Aneignung des neuen Raumes stand die soziale Integration seiner Bewohner und an erster Stelle der Schul­ kinder: Sava sollte auch hier als Schulheiliger eingeführt werden. Die kirchliche Feier war für die orthodoxen Schüler obligatorisch, katholische oder jüdische und musli­mische Schüler wurden „auf freiwilliger Basis“ zu den weltlichen Schulfeiern eingeladen.323 Das Vorhaben wurde rasch als Versuch zur Serbisierung des Königreichs gedeutet.324 Im Rahmen des Gedenkens an Sava im Jahr 1921 sollte etwa mit angeblichen „histo­rischen Beweisen“ der Anspruch auf die Herrschaft über die Region legitimiert werden.325 Mit ihrer Hilfe legte der Direktor des Gymnasiums Avram Popović in der Ansprache zu Ehren des Tages dar, dass „unser Mitrovica“ eine serbische Gründung und eine serbische Stadt sei.326 Das Gedenken an Sava wurde zum Gedenken an serbische Geschichte schlechthin. Auch in der Grundschule wurde gefeiert: Der Lehrer Vasa Orlović sprach „Über die Erziehung unserer Kinder“. Zudem fanden „Deklamationen“ seitens der ­Kinder statt, und es wurde auch „schön“ gesungen. Es folgte eine Abendunterhaltung, die 3000 Dinar einbrachte.327 Der Schulfeiertag stellte damit auch in Kosovska Mitrovica eine vom Bildungsministerium gelenkte soziale Einrichtung dar, die die Generationen verbinden und serbisches Geschichtsbewusstsein einpflanzen sollte. Auf dieser diskursiven und praktischen Grundlage wurde sodann versucht, über die Schule hinaus die gesamte Bevölkerung in das neue Sprach- und Handlungsfeld 321 „Die [Schul-]Kinderfeier zu Ehren des hl. Sava wurde auch in diesem Jahr feierlich begangen. Diese Feier muss gerade in unseren Gebieten anders gefeiert werden, mehr als in den alten Grenzen, weil wir bei einem Element wohnen, das unsere Heiligtümer vernichtet hat und unsere verdienten Söhne getötet hat, daran denkend, dass nicht ein einziger Serbe übrig bleibe! Aber es hat sich gründlich getäuscht. So grausam es war, so ausdauernd war der Serbe und ist unter ihnen noch stärker geworden. Dass dies ein Faktum ist, bezeugen uns die Werke des hl. Sava, die überall an jedem Ort gefeiert wurden.“ Srpsko Kosovo, 15.2.1921, Nr. 4, S. 10. 322 „Es gefällt unseren gestrigen Unterdrückern nicht, dass wir stark sind. Aber wir sind groß auch an Würde. Manchmal erinnern wir uns, wie die Feiern unter ihnen waren, als wir dies alles ertragen mussten, aber wenn wir heute feiern, sagen wir, der Gast ist willkommen, der glaubt!“ Srpsko Kosovo, 15.2.1921, Nr. 4, S. 10. 323 Buchenau (2011), S. 346. 324 Jelavich (1994), S. 130. 325 Srpsko Kosovo, 15.2.1921, Nr. 4, S. 10. 326 Srpsko Kosovo, 15.2.1921, Nr. 4, S. 10. 327 „Mit historischen Beweisen haben wir uns durch seine Rede überzeugen lassen, dass unser schönes Mitrovica eine historische Festung ist (varoš) und dass sie aus der Zeit der Nemanjiden stammt.“ Srpsko Kosovo, 15.2.1921, Nr. 4, S. 10.

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einzugliedern: Im gleichen Jahr 1921 wurde auch in Prishtina der Tag feierlich begangen und in der Jugendzeitschrift „Serbischer Kosovo“ darüber berichtet: Der Lehrer Janićije Popović schrieb in einem Leserbrief an seine „Brüder!“ über die „Pflicht gegenüber dem Vaterland“. Er wählte dieses Thema, da „über die Wichtigkeit des heutigen Tages für unser serbisches Geschlecht (rod), unsere Bildung und den Fortschritt“ schon häufig gesprochen worden sei. Während „unserer gestrigen Versklavung“ sei deutlich spürbar gewesen, dass das Lied mit den Zeilen „Vaterland, liebe Mutter (…), Segen der dies­ seitigen Welt!…“ nicht übertreibe. Popović bezog nun im Rückblick selbst die mit in die Beschreibung der Vaterlandsliebe ein, die „im feindlichen Lager waren“.328 Alle sollten eingegliedert und umso glücklicher darüber sein, dass dieser „Segen nicht mehr dieses kleine Serbien ist“, sondern das „große S. H. S. Königreich, das sich übers Kreuz erstreckt von Saloniki bis Maribor – von Caribrod bis Kotor“. Das neue Königreich stand kaum verhüllt für Großserbien. Das „weite“ Land rief die „Brüder“ nun auf, es aufzubauen und eine „beneidenswerte Stufe der Kultur, des Fortschritts und des Wohlstands“ zu erreichen. Das Vaterland wurde dabei als Körper verstanden, den „wir alle gemeinsam“ darstellen und der sich „zur vollen stolzen männlichen Kraft“ entwickeln sollte.329 Neid gegenüber den Nachbarn war hier ein Ansporn zum Entwurf des Aufbaus einer fortschrittlichen jugoslawischen Modernität mithilfe Savas. Wesentlich für die Verbreitung des Savadiskurses in diesen Gegenden waren Medien wie die Jugendzeitschrift „Serbischer Kosovo“. Sie erschien nur bis 1922 in Kosovska Mitrovica – von 1923 an wurde sie in Skopje herausgegeben. Ihr Einflussgebiet wurde damit ohne inhaltliche Veränderung noch weiter gen Süden verlagert. Die nationa­ listische Aufladung des hl. Sava setzte sich auch vom neuen Publikationsort aus fort. Die Erinnerungsfigur wurde in einen direkten Zusammenhang mit der Eingliederung auch dieser neu gewonnenen Gebiete in einen serbischen Kontext gestellt. Eine wichtige Rolle kam aber auch neuen Hochschuleinrichtungen in Skopje zu: So hielt etwa schon zum Savatag des Jahres 1922 der aus Belgrad stammende Absolvent des Priesterseminars in Sremski Karlovci und seit 1920 an der Philosophischen Fakultät von Skopje eine Professur für „Nationale Geschichte“ innehabende Dr. Radoslav Grujić einen Vortrag mit dem Titel „Träger und Pflanzstätten der ersten serbischen Zivilisation“. Nach einleitenden Abschnitten und Passagen zum hl. Kliment erklärte der Historiker mit theologischer Grundausbildung Sava nicht nur zur „zentralen Persönlichkeit unserer ganzen Aufklärung und Zivilisation“, sondern führte „eine der bedeutenden Epochen im Leben seines Volkes“ ganz auf sein Schaffen zurück.330 Diese umfassende säkulare Funktionszuschreibung ging über ältere hinaus. Nach Hinweisen auf die zahlreichen 328 „Sollten denn nun nicht alle gemeinsam, sowohl die im feindlichen Lager waren, als auch die zu den reichen verbündeten Ländern gegangen sind, und die zuhaus geblieben sind, ich sage, sollten wir alle gemeinsam nicht trauern um das verlorene Vaterland, wie ein Kleines hinter seiner verstorbenen Mutter geht.“ Srpsko Kosovo, 15.3.1921, Nr. 6, S. 6. 329 Srpsko Kosovo, 15.3.1921, Nr. 6, S. 6. 330 „Dennoch ist die zentrale Persönlichkeit unserer ganzen Aufklärung und Zivilisation der hl. Sava. – Er hat eine der bedeutenden Epochen im Leben seines Volkes geschaffen und ermöglichte

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Klöster, die unter Savas Einfluss sowie unter den späteren serbischen Herrschern entstanden, schrieb Grujić, Sava habe mit der Einrichtung der serbischen Kirche „gemäß den politischen Umständen“ als „ausgezeichneter Nationalist“ gehandelt.331 Grujić, der von 1921 an Mitglied der in Skopje zur Förderung der Eingliederung „Südserbiens“ in den Belgrader Machtbereich eingerichteten „Skopjoter Wissenschaftlichen Gesellschaft“ war und 1923 als ihr Vorsitzender diente – einer ihrer größten Sponsoren war die Heilig-­Sava-Gesellschaft –,332 würdigte sodann Savas „außerordentliche Verdienste“ im Bereich der Kunstgeschichte, der Aufklärung, der Literatur sowie der „Volksmoral“ und des Rechtswesens.333 Der Glaube und die Kirche sowie ihre Repräsentanten waren mit Grujić die „Pflanzstätten (rasadnici) unserer alten Kultur“ 334 – Sava wurde hier als der wichtigste unter ihnen dargestellt. Vom Heiligen im traditionellen Sinn war keine Rede mehr. Hier überwog ganz eine säkulare Indienstnahme der Erinnerungsfigur für eine als „Kultur“ sowie „Zivilisation“, nicht aber explizit als Religion verstandene Nation. Es ist kein Zufall, dass diese Zuspitzung der Rhetorik um Sava gerade in einer Region betrieben wurde, deren angebliche serbische Qualität damals seitens der neuen Machthaber mit großer Intensität propagiert wurde.335 Grujićs Indienstnahme Savas steht für die Aufgabe der zu Beginn der 1920er-Jahre in Skopje eingerichteten Philosophischen Fakultät, die serbische Deutungshoheit über den neu gewonnenen Süden durchzu­setzen.336 Grujić war der Wortführer der Professoren der Skopjoter Fakultät, die sich von 1923 an für die Einrichtung eines „Museums Südserbiens“ einsetzten.337 Die Eingliederung Vardar-Makedoniens in den SHS -Staat sollte gerade am Tag des Schulpatrons gefördert werden: Der Lehrer am Gymnasium in Skopje, Tomo ­Smiljanić-Bradina, nannte in seiner Rede zu Ehren Savas 1924 an derselben Schule zahlreiche von den Nemanjiden gestiftete Klöster und Kirchen in „Südserbien“ sowie Heilige, die dort verehrt wurden. So erwähnte er auch das Kloster Rila wegen des durch Hreljo gestifteten Turms, jedoch nicht Kliment oder Kyrill und Method.338 Gleichzeitig wurde Savas in Skopje aber in einer anderen Rede nicht anders gedacht, als in zentralserbischen Städten. So erwähnte der Erzpriester und Professor Miloš Magazinović in seiner Ansprache zu Ehren seines Feiertages 1924 keinen besonderen

es ihm, im Mittelalter so schön unter den aufgeklärten Völkern zu erglänzen.“ Grujić (1922), S. 17. 331 „Zudem hat der hl. Sava, als ausgezeichneter Nationalist, gemäß den politischen Umständen 1219 die vollständige Emanzipation der Serbischen Kirche im Staate des Nemanjiden von der Griechischen Kirche in Ohrid und in Carigrad durchgeführt, und hat ihr den Weg in die Richtung eines nationalen Pioniers gewiesen, eines großen und mächtigen Faktors im gesamten geistigen, politischen und materiellen Leben des Volkes.“ Grujić (1922), S. 20 f. 332 Jovanović (2002), S. 340 f. 333 Grujić (1922), S. 23 f. 334 Grujić (1922), S. 28. 335 Boškovska (2009). 336 Jovanović (2002), S. 333 f. 337 Jovanović (2002), S. 341 f. 338 Smiljanić-Bradina (1924), S. 4 f.

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Zusammenhang zur Region, als er in der in Skopje erscheinenden Zeitschrift „­Kirche und Leben“ den hl. Sava als „ersten serbischen Erzbischof in unserer nationalen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft“ thematisierte.339 Diese Selbstverständlichkeit, mit der Sava im Makedonien des SHS-Staates verehrt wurde, war nur eine einseitig vorgetäuschte: Krăsťo oder Krste Misirkov, 1894 ein „Mitinitiator der makedonischen Schülerinitiative ,Vardar‘ in Belgrad (…), gilt als Mitbegründer der makedonischen Schriftsprache“.340 Er beschrieb in der in Sofia erscheinenden Zeitung „Ilinden“ am 11. Mai 1924 ein Projekt makedonischen nationalen Selbstbewusstseins, das sich deutlich von bulgarischer Identität, noch stärker aber von serbischen Entwürfen abgrenzte. Bemerkenswert ist die gewissermaßen persönliche Reaktion gegenüber serbischen Vereinnahmungsversuchen: Das Empfinden, „beleidigt“ zu werden durch „das Antlitz“ des hl. Sava, brachte die Inszenierung kollektiver Identität in die Nähe der Beschreibung individueller sozialer Beziehungen:341 Sava stand hier in Sofia für die abgelehnte serbische Herrschaft. Aber auch im jugoslawischen Makedonien blieb der Zusammenhang Savas mit der Region weiter erklärungsbedürftig. Die Bewegung nach Süden musste zunächst für das Mittelalter beschrieben werden, um sie für die Gegenwart zu rechtfertigen: Dragomir Dimitrijević, Professor am Lehrerseminar in Skopje, erläuterte die Neuartigkeit der Situation aus serbischer Sicht zum Savatag 1925: In seiner programmatischen Rede „Über die Wirkung der Arbeit des hl. Sava auf das serbische Volk und die nationale (narodno) Einheit“ schilderte er zunächst im Rahmen einer Skizze des Lebens Savas die Eingliederung „Südserbiens“ in das serbische Herrschaftsgebiet unter König Milutin: Damals habe sich „der Mittelpunkt des serbischen Staates aus Raszien (Raške) in das Vardartal nach Skoplje verlagert“. Zar Dušans Maßnahmen zur Umorganisation der Herrschaft seien „der Bildungsarbeit zuzuschreiben, die die Nachfolger des hl. Sava fortführten“.342 D 2.2.2  Die lokale Verbindung Savas mit dem Kosovodiskurs

Noch bedeutsamer für die diesen neuen Raum betreffenden Diskurse war die Ver­bindung der Verehrung Savas mit dem Kosovomythos: Dimitrijevićs Rede im Gedenken an Sava wurde dann zum Träger des Kosovomythos in den neu eingegliederten Gebieten. Hier war das Amselfeld als Niederlage verstanden und die auf Sava reduzierte nationale Kirche 339 Magazinović (1924), S. 30. 340 De Jong (1982), S. 400. 341 „Wir werden eher Makedonen sein, als Bulgaren, aber Makedonen mit einem anderen als eurem serbisch-nationalen Selbstbewusstsein, mit einer eigenen historischen Vergangenheit, mit einer eigenen Literatursprache, gemeinsam mit der bulgarischen, mit einer eigenen makedonisch-bulgarischen nationalen Schule, mit einer eigenen Nationalkirche, in der das nationale und religiöse Gefühl des Makedonen nicht beleidigt wird durch das Antlitz und den Geist serbischer Heiliger wie des „hl. Sava“.“ Iinden, 11.5.1924, Nr. 5, zit. in eigener Übersetzung gemäß Dokumenti i materialy, Nr. 316, S. 452. 342 Dimitrijević (1925), S. 30.

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als das „himmlische Reich“ gedeutet. Die Vorstellung des untergegangenen serbischen Reiches als „serbisches himmlisches Reich“ wurde zum Medium der Herstellung von serbischer Identität und Loyalität gegenüber Belgrad in den neu eroberten Gebieten.343 Dimitrijević schrieb damit erstmals ausdrücklich von einem nationalen sakralisierten „serbischen himmlischen Reich“, das diskursiv bzw. nationaltheologisch eindeutig vom allgemeinchristlichen himmlischen Reich unterschieden war: Bezeichnenderweise geschah dies im Rahmen der Verehrung Savas und nicht in einem Text, der ausschließlich dem Kosovomythos gewidmet war. Während der postkolonial entworfenen an­geblichen „Sklaverei“ hätten die Serben „das Herz unserer Brüder gleichen Bluts, anderen ­Glaubens gewonnen: Die Kroaten und die Slowenen“. Diese hätten „in einer Reihe mit uns die Hymne des hl. Sava“ gesungen und das „Südslaventum“ gefördert.344 Das Beispiel sollte in der Rede in Skopje offenbar beweisen, dass Sava schon früher integrativ unter den südslavischen Völkerschaften gewirkt habe. Insgesamt seien die „Fortschritte“ der Serben im 19. Jh. „in der Bildung, der Kultur und der Politik“ – nicht aber explizit in der Religion – dem „führenden Stern“ Savas zu verdanken.345 Die Verflechtung des Diskurses über Sava mit dem Kosovomythos förderte eine weitere Verbindung mit den Aufständen im 19. Jh.: Auch ein Abriss des Kampfes unter „unserem Führer Karađorđe“ diente im lokalen Kontext zur Ermutigung zu zukünftigem Handeln im Zeichen des hl. Sava. Allerdings war im Weiteren nicht mehr von verschiedenen südslavischen Völkern die Rede, sondern vom „serbischen Volk und seiner Einheit“. Die ausführliche Rekonstruktion der serbischen Geschichte unter der Führung des hl. Sava war ausdrücklich mit Hoffnungen für die Zukunft verbunden, die neu­eroberten Gebiete mit Savas Segen wie zu Zeiten Dušans zum „Rückgrat dieses ­Landes“ zu machen. Explizit sollte Sava angesichts der „schweren Gegenwart“ Orientierung stiften und „die staatliche Festigung“, nicht aber die religiöse fördern. Implizit gestand der Redner ein, dass „unser Vaterland“ in diesen Gebieten derzeit wenige „begeisterte Vertreter“ aufwies.346 Dimitrijević differenzierte erst darauf die nationale

343 Dimitrijević (1925), S. 30. 344 „Der freisinnige (slobodoumni) Geist des serbischen Volkes hat die Aufmerksamkeit unserer geehrten Bürger geweckt, die in einer Reihe mit uns die Hymne des hl. Sava sangen und unter der fremden Kraft die Pfade (staze) des Südslaventums geweitet haben.“ Dimitrijević (1925), S. 31. 345 „Das 19. Jh. ist dem serbischen Volk mit der Gestalt (sa likom) des hl. Sava erschienen (­osvanuo je). Diesem führenden Stern folgend haben die Serben in einem Jahrhundert Fortschritte in der Bildung, der Kultur und der Politik gemacht, wie wenig andere Völker, angesichts der sehr erschwerten Umstände.“ Dimitrijević (1925), S. 31. 346 „Und so, meine Herren, indem wir die wichtigsten Momente der Wirkung der Kirche und der Schule des hl. Sava auf das serbisches Volk und seine Einheit berührt haben, sind wir zu den heutigen Tagen gekommen, die von großer historischer Bedeutung sind! Wenn wir uns der Vergangenheit besinnen, hoffen wir etwas, denn wer sich auf nichts besinnt, der erhofft sich nichts! Das Gedenken (uspomena) an den hl. Sava bedeutet uns ein Bedenken der schweren Gegenwart, die ihre Probleme hat, und man trifft (dobijaju) seine Entscheidungen im Zeichen des hl. Sava.

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Trägerschaft dieses staatstragenden Projektes weiter: Er unterschied lokale Serben und solche aus dem Norden, „die sie vom fremden Joch befreit haben“. Diese sollten den Altein­gesessenen ihre Rolle erklären.347 Dimitrijević betonte den Glauben an die Fähigkeit der lokalen Serben zur Umsetzung dieser Rolle dabei so nachdrücklich, dass Zweifel an ihrer staatspolitischen Zuverlässigkeit angenommen werden dürfen. Der Professor imaginierte die Zukunft der Region oder ihre „Morgenröte“ ganz im Zeichen Savas. „Dieses Volk“ brauche „gute Schulen“, damit ihm „die Gelegenheit gegeben wird, seine Vergangenheit zu erkennen“. Offenherzig gab der Redner zu, dass es der Zielgruppe am gewünschten historischen Bewusstsein fehlte – umso größer war die Aufgabe unter der Obhut Savas. Die „Propaganda“ anderer Staaten galt es in den neu organisierten staatlichen Schulen wirkungslos zu machen und mit anderen Vor­zeichen zu versehen.348 Der darauf entworfene Lehrplan verlangte explizit die Förderung serbischer nationaler Identität. Über den hohen Grad der Inszenierung dieser Identität war sich der Redner weitgehend bewusst, wenn er regionale Geschichte als Theateraufführung darstellte: Die Serben beschrieb er dabei im Unterschied zu anderen zwar als überdauernd, aber doch gleichfalls als nur ihre Rollen spielende Schauspieler.349 Nicht nur an der neuen Philosophischen Fakultät und am Lehrerseminar, auch an den Schulen Skopjes wurde Savas gedacht: Viktor M. Petărov ließ im Gymnasium in Skopje, an dem er offenbar lehrte, in einer Ansprache zum selben Anlass über „die Zusammenarbeit von Schule und Haus“ vor den versammelten Eltern ebenfalls keinen Zweifel an der Aufgabe der regionalen Schulen: die Erziehung „unserer Kinder im Geiste der ruhmreichen serbischen Vergangenheit, im Geiste des hl. Sava!“ 350 Savas Aufgabe als „geistiger Führer des serbischen Volkes“ konzentrierte sich im Entwurf Petărovs ganz

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In unserem staatlichen Leben taucht die Notwendigkeit der staatlichen Festigung auf der alten serbischen Feuerstätte (ognjštu) auf. Die Morava-Vardar-Tiefebene muss das Rückgrat dieses Landes werden! Aus diesen Gebieten soll unser Vaterland seine begeisterten Vertreter gewinnen!“ Dimitrijević (1925), S. 32. „Den Serben aus diesen Gebieten ist eine große Rolle bestimmt, und urteilend aufgrund ihres nüchternen Wesens kann nicht bezweifelt werden, dass sie diese Rolle erfüllen werden, die ihnen ihre Brüder aus dem nördlichen Serbien darbieten, die sie vom fremden Joch befreit haben“. Dimitrijević (1925), S. 32 f. „In diesen Gebieten dämmert die Morgenröte in der Gestalt des hl. Sava! Den Kindern dieser Gebiete müssen die Traditionen der Ahnen zurückgegeben werden. Gute Schulen mit tüch­tigen Lehrern sind in diesen Gebieten nötig, damit diesem Volk die Gelegenheit gegeben wird, seine Vergangenheit zu erkennen und dass es zur Besinnung kommt von den Erschütterungen unterschiedlicher Propaganda.“ Dimitrijević (1925), S. 33. „In den Schulen lehrt ihr, unsere Schüler, die künftigen Lehrer, unsere Generation, dass es das erste und das größte Ziel ist, das Werk (delo) von 1804 bis 1918 fortzusetzen. Sagt ihnen, dass die Serben als große Macht erst auf die Bühne der Balkangeschichte (balkanske istorije) ge­ treten sind, nachdem andere Staaten ihre vorübergehende (prolazne) Rolle ausgespielt hatten!“ Dimitrijević (1925), S. 33. Petărov (1925), S. 47.

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auf die Schulbildung, die er als Erziehung zum Tod für das Vaterland erklärte.351 Auch Petărov spielte auf den Kosovomythos nur an: Er war schon wie selbstverständlich mit dem „Geiste Savas“ als Einheit verstanden. Der „Geist“ des Heiligen war in erster Linie kämpferisch.352 Die „Befreiung und Einigung“ der Serben, Kroaten und Slowenen sei diesem Geist zu verdanken. Neben der nationalistischen Komponente enthielt das mit Sava verbundene Erziehungsprogramm aber auch Kritik an kulturellen Verände­ rungen. Lebensstile oder „Prinzipien“, die „dem Geist des hl. Sava fremd sind“, galt es zu ­tilgen.353 „Fremd“ waren mit Petărov modisches oder ungepflegtes Auftreten, der Einfluss der Kinowerbung, Reichtumswahn, „freie Liebe“ und fröhliches Leben.354 Sava diente so als Medium zur Kritik an den ersten kulturellen Einflüssen der Moderne in ihrer Form der „Golden Twenties“ im Vardarbecken. Die Feiern in Skopje dienten nicht nur zur Eingliederung der lokalen Gesellschaft und ihrer Honoratioren in einen vor Ort inszenierten serbischen Diskurs, sondern auch zur Integration der Region in die in Belgrad wahrzunehmende nationale Gemeinschaft: Die Belgrader Zeitung „Politika“ berichtete zu den Feiern 1926 in Skopje ausführlich, wie sowohl Geistliche als auch „alle Vertreter der militärischen und zivilen Behörden“ an ihnen teilnahmen und dass ein Kroate die Ansprache im Lehrerseminar hielt.355 Nicht nur Skopje, auch Dörfer sollten zu Zentren der Propagierung der neuen Deutungs­hoheit des Raums werden: Versuche, die vom Bildungsministerium angeordneten Feiern zu Ehren des Schulpatrons nicht wirklich enthusiastisch zu begehen, ­wurden von den Behörden argwöhnisch registriert: Ein Schulinspekteur stellte im Winter 1927 in einem abgelegenen Dorf fest, dass ein zur Kontrolle besuchter Lehrer die Feier zwar korrekt, aber nur halbherzig abgehalten hatte.356

351 Sava habe „in die serbische Schule diesen Geist getragen, gab der serbischen Schule diese Richtung und diese Prinzipien, gemäß denen alle unseren vorübergegangenen Generationen erzogen wurden, diese Generationen, die auf ihrem Banner ihren Glauben daran ausdrückten, dass nur ,Der Heilige Sava Serbien Rettet (Sveti Sava Srbiju Spasava)‘, Generationen unserer Vorfahren, die sich auch unter Folter als Helden erwiesen, die lebten, kämpften und sich opferten und starben ,für das Ehrenkreuz und die Goldene Freiheit‘!“ Petărov (1925), S. 35. 352 „In den Schulen des hl. Sava und im Geiste des Heiligen sind all jene erzogen worden, die im ständigen Kampf mit den bösen (ljutim) Feinden unseres Glaubens und unserer Nationalität (narodnosti) geboren wurden und starben.“ Petărov (1925), S. 35. 353 „Daher denke ich, bin ich im Recht, wenn ich am Tag der Feier des hl. Sava über die Erziehung neuer serbischer Generationen spreche, die in ihren bereits befreiten Ländern leben, aber gemäß solchen Prinzipien erzogen werden, die oft dem Geist des hl. Sava fremd sind und dem Geist unserer ruhmreichen heldenhaften Vergangenheit.“ Petărov (1925), S. 35. 354 Petărov (1925), S. 36 f. 355 Politika, 28.1.1926, Nr. 6380, S. 3. 356 Boškovska (2009), S. 272.

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D 2.2.3  Radikalisierung der Verehrung von der Königsdiktatur zum Jubiläum 1935

Das Gedenken an Sava wurde zur Zeit der Königsdiktatur immer mehr zum Medium allgemeinen serbischen Nationalismus, wie er in der Zeitschrift „Serbischer Kosovo“ propagiert wurde. Zum zehnjährigen Jubiläum der Zeitschrift reflektierte ihre Redaktion 1930 Leistung und Rezeption des Blattes. Auf den Vorwurf, der „Serbische Kosovo“ sei zu wenig literarisch, entgegnete sie: „Wir waren in der Lage, viele Briefe von Lehrern aus dem Volk zu zeigen, die uns unter anderem schreiben, dass, gäbe es den ,Serbischen Kosovo‘ nicht, und gäbe es in ihm nicht passende Deklamationen, so wüssten wir nicht, was wir den Kinder zum Heiligen Sava zu deklamieren geben würden.“ 357

Der Diskurs war über Jahre hinweg bewusst reflektiert und gelenkt worden. Gerade die Rezeption der Zeitschrift unter Lehrern war dabei wesentlich. Die dazu gewählte Sprache wurde nun immer radikaler: 1930 gedachte der „Ser­ bische Kosovo“ des hl. Sava „als Nationalisten“ (Sv. Sava kao nacionalista)“, indem es unter diesem Titel eine Ansprache des Schulleiters Tomo Lopičić zum Tag Savas im montenegrinischen Crnojević Reka von 1929 veröffentlichte: Sava habe mit der Kirchenorganisation die „Vereinigung der Stämme zu einer Einheit“ und insbesondere die „geistige“ Einigung erreicht. Mittels des orthodoxen Glaubens „fließt die Seele des Volkes zusammen (duše svoga naroda slije ujedno)“.358 „Der hl. Sava ist, wie aus alledem geschlossen werden kann, der Vater unseres nationalen Bewusstseins“. „Aus der Kette aller seiner Lebensfakten geht eine Personifizierung hervor: der Übermensch, weswegen er auch in unserer Geschichte und im lebendigen Gedenken (životnoj uspomeni) ein Heiliger geblieben ist.“ 359

Die Verehrung Savas als Heiliger wurde durch sein übermenschliches Handeln für die Nation begründet. Von einem orthodoxen Verständnis Heiliger konnte keine Rede sein. Das Gedenken an Sava musste aber noch zu Beginn der 30er-Jahre nicht un­bedingt der expliziten Förderung serbisch-nationaler Interessen und Identität dienen. So erwähnte Milan Petărović, „Supplent“ an der „Staatlichen Handelsakademie in Bitola“ in seiner „heiligsavischen Ansprache“ zum Tag Savas im Jahr 1931 Sava mit keinem Wort. Stattdessen sprach er – nur in ganz wenigen Sätzen – allgemein von „Lehrern und Aufklärern“, denen „unser Volk“ dankbar zu sein hatte. Zudem forderte er auch Dank gegenüber jenen ein, die sich „auf dem politischen Feld“ Verdienste erworben hätten.360 Der Rest seiner Ansprache war aber ganz der Pädagogik gewidmet, insbesondere dem Modell der Waldorfschulen im Sinne Rudolf Steiners. Der Tag Savas als Schulpatron diente hier zum Medium bildungstheoretischer Betrachtungen, die sich inhaltlich ganz

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Srpsko Kosovo, 1.8.1930, Nr. 15, S. 2. Srpsko Kosovo, 15.1.1930, Nr. 2, S. 2 f. Srpsko Kosovo, 15.1.1930, Nr. 2, S. 3. Petărović (1931), S. 3.

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von dem Gedenken an den Heiligen entfernt hatten. Zumal die Rede im „südserbischen“ Gebiet gehalten wurde, mag in dieser thematischen Öffnung auch eine Ausweich­strategie, eine diskursive Obstruktion der immer stärker geförderten Propagierung des hl. Sava als Medium serbischer Identität in dieser Region erkennbar sein. Subversives Verhalten wurde in diesen Jahren zum Gegenstand der Staatssicherheit: Ein Schreiben der Staatssicherheit an das Bildungsministerium in Belgrad zitierte 1931 Akten der Bildungsbehörde der Banschaft, laut denen ein Lehrer angeschuldigt wurde, das Bild Savas in seiner Schublade zu verwahren und es auch nicht am Feiertag aus ihr herauszunehmen. Eine Versetzung sei deshalb empfehlenswert.361 Die im Jubiläumsjahr 1935 veröffentlichten Reden hingegen entsprachen ganz den an sie in Belgrad gestellten Ansprüchen: Anlässlich des 700. Todestages des Heiligen hielt u. a. der Historiker Mita Kostić als Dekan der Philosophischen Fakultät in Skopje eine Ansprache an der „feierlichen Akademie“, die zu Savas Ehren im dortigen Offiziershaus veranstaltet wurde. Die in Skopje erscheinende Zeitschrift „Südliche Rundschau (Južni Pregled)“ veröffentlichte den Text noch im gleichen Jahr unter dem Titel „Der hl. Sava als Staatsmann (državnik)“.362 Die politische Verehrung Savas, des „möglicherweise größten und verdientesten Serben“, diente gerade im universitären Rahmen ganz unumwunden der Legitimierung serbischer Herrschaft über Vardar-­Makedonien. Der Redner wollte mit seiner Ansprache aber Neuland betreten: Sava sollte nicht mehr nur als „Begründer der serbischen nationalen autokephalen Kirche“ geehrt werden, sondern genauso sollte man ihn „als politischen Menschen und Staatsmann“ verehren.363 Der Erinnerungsdiskurs über den Heiligen wurde hier auch direkt an seinem Gedenktag ganz im wissenschaft­lichen Rahmen gepflegt, religiöse Erinnerung war ganz zurückgetreten. Die säkularisierte Besprechung der Erinnerungsfigur gliederte sich in der Reflexion des Dekans in verschiedene Bereiche seines Handelns. Gerade weltliche Felder seien zu erforschen. Mit der Überschrift „Der hl. Sava als Staatsmann“ war die Richtung, in die der Diskurs gelenkt wurde,

361 Boškovska (2009), S. 272. 362 „Unser Volk, ganz und überall, feiert und wird feiern in diesem Jahr das Gedenken an den hl. Sava (…). Auch die Philosophische Fakultät in Skopje, als höchste wissenschaftlich-kulturelle Ausbildungseinrichtung unseres nemanjidischen Südens (našeg nemanjićskog Juga), in dem der hl. Sava lebte und wirkte, gesellt sich mit voller Pietät dieser allgemeinnationalen (­opštenarodnoj) Feier zu.“ Kostić (1935), S. 202. 363 „Wir kennen den hl. Sava eher als kirchlichen Menschen, als Begründer der serbischen nationalen autokephalen Kirche und als Volksaufklärer, aber viel weniger als Menschen, Politiker und Staatsmann. In diesem heiligsavischen Jubiläumsjahr erscheinen bedeutende historisch-­ politische Darstellungen und [auch, S. R.] Arbeiten, die den hl. Sava als Menschen und Staatsmann darstellen, aber auch diese Darstellungen beeinträchtigen keineswegs die Sicht auf den hl. Sava, sondern führen im Gegenteil zum Schluss: Dass der hl. Sava, ein kirchlicher Mensch und Geheiligter, ebenso groß, wenn nicht größer war als Mensch denn als Heiliger. Wir wollen anlässlich dieser Rede uns darauf beschränken, kurz sowie summarisch über den hl. Sava als politischen Menschen und Staatsmann zu sprechen. Der hl. Sava war ohne Zweifel ausgeprägt politisch talentiert und temperamentvoll.“ Kostić (1935), S. 202.

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explizit – Sava sollte als weltlicher Akteur beschrieben und erfunden werden, um modernen Politikern in der Region zum Vorbild zu dienen. Nicht zufällig wurde sein Wirken im Vardargebiet als Beispiel herangezogen. Sava wurde dabei zum erfolgreichen Unterdrücker „separatistischen“ Handelns von „Bulgaren“, verbündet mit „Lateinern“ im Vardargebiet, stilisiert. Gleichzeitig wurde er damit in seiner Rolle als „Staatsmann“ direkt zur Rechtfertigung serbischer Herrschaft über Makedonien in der Zwischenkriegszeit herangezogen.364 Savas Handeln im Vardargebiet war aber nur das erste Beispiel – wichtiger war auch aus der politischen Perspektive die Errichtung der serbischen nationalen Kirche.365 Der Dekan schrieb Sava die Absicht zu, er habe einen konfessionsethnisch homogenen „Nationalstaat“ einrichten wollen: „Auch aus der geographischen Anlage der Eparchien Savas ist erkennbar, dass Sava einen einzigen Glauben in einem einheitlichen Nationalstaat einführen wollte“.366 Kostić verlegte Savas Rolle als wichtigster Nationalheiliger bereits in die Zeit vor dem 19. Jh. Er hielt es dabei immer noch für nötig, seine Deutung von den traditionellen religiösen Erklärungsmustern der Heiligenviten abzugrenzen. An Sava sollte nicht mehr zunächst als ein Heiliger erinnert werden, sondern als „großer Mensch, Heiliger und Staatsmann“, dessen Erfolge nicht durch Wunder, sondern durch seinen „Verstand“ und sein „Talent“ zu erklären seien.367 Nach Kostić hielt auch der bereits genannte Prof. Dr. Radoslav Grujić im Rahmen der Feierlichkeiten der Philosophischen Fakultät Skopjes eine Ansprache, die ebenfalls in der „Südlichen Rundschau“ veröffentlicht wurde.368 Nach Aleksandar I. war Sava sein 364 „Im Interesse des Staates war, ganz und gar fähig zuzuschlagen. Die aufrührerischen Magnaten (velmoža) Radomir Strez, verbündet mit den Stefan feindlich gesinnten Bulgaren und den Lateinern, führten eine separatistische Aktion im Vardargebiet. Sava nahm damals die erste uns bekannte ganz offen politische Mission auf sich, setzte sich persönlich der Gefahr aus.“ Kostić (1935), S. 204. 365 „Das größte und grundlegende glaubenspolitische Verdienst des hl. Sava ist, dass er die serbische nationale (narodna) Kirche so organisierte, dass sie gleichzeitig dem Glauben und dem Volk diente. Und hierin ist sein großer staatsmännischer Geist erkennbar.“ Kostić (1935), S. 204. 366 „Dazu führte er eine systematische Aktion aus, damit die Orthodoxie mit der Idee des serbischen Staates verschmilzt sowie sich ihre Interessen decken, und dass sich die Dynastie mit ihnen verbindet, sodass die Kirche ein grundlegender Bestandteil des ganzen Staatssystems wurde. In der Folge wurde die serbische Orthodoxie, ,der serbische Glaube‘, mit der Zeit immer mehr zur Verkörperung der serbischen nationalen staatlichen Traditionen, und der hl. Sava wurde immer mehr zu einem nationalen denn einem kirchlichen Heiligen.“ Kostić (1935), S. 206. 367 „Die alten Hagiobiographen stellen diese Erfolge in einen Zusammenhang mit den Fähig­keiten Savas als Heiliger, mit Gebeten und Wundern des Heiligen, die stärker wirken als alle ver­ nünftigen Ursachen, wir aber wissen, dass alle religiös-kirchlichen und staatlichen Erfolge des hl. Sava seiner persönlichen Vernunft und seinem großen staatsmännischen Denken und Talent zu verdanken sind.“ Kostić (1935), S. 206. 368 Unter dem Titel „Der hl. Sava als geistlicher Führer seines Volkes“ erklärte er die seines Erachtens zeitgemäßen Rollen und Funktionen nationaler Erinnerungsfiguren: Der Wissenschaftler erklärte im universitären Rahmen ganz im Kontext der nationalen Romantik und des Historismus „große Leute“ zu den wichtigsten Faktoren der Menschheitsgeschichte und des „Schicksals

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zweites Beispiel für „Führer“ des serbischen Volkes. Dieser „beherrscht durch den Geist seiner Ideen und mit der Kraft seiner patriotischen Arbeit noch heute unsere Herzen und entwickelt unsere Seele“.369 Immerhin kam Grujić als Historiker bei der Rekonstruktion des Kultes Savas nicht umhin einzugestehen, dass Sava zunächst gemeinsam mit Simeon verehrt worden war.370 Der Hinweis auf die Verehrung Savas im Titel des Bans Bosniens sollte in der Absicht Grujićs die „geistige Führerschaft (duhovno vođstvo)“ Savas über die Serben aller Gegenden darlegen,371 obgleich dieser Titel vielmehr als ein Beispiel für eine transkonfessionsethnische, dynastische Verehrung Savas anzusehen ist. Auch der „profilierte Rechtsintellektuelle“ 372 Prvoš Slankamenac, der in Zagreb mit einer Arbeit über Religionspsychologie promoviert hatte und an der Philosophischen Fakultät in Skopje half, die Pädagogik aufzubauen, sprach bei derselben Fakultätsfeier im Offiziershaus zu Ehren Savas, den er als „Aufklärer des serbischen Volkes“ vorstellte. Die serbische Lehrerschaft imaginierte er mit der Referenz auf den hl. Sava als „­Körper“, als wichtigsten Vertreter eines nationalen „Volkslebens“.373 Slankamenac verglich in derselben Rede Savas juristisches Wirken mit dem Karls des Großen.374 Der unbescheidene Vergleich rückte Savas Handeln in einen europäischen Rahmen und erhöhte gleichzeitig den Rang Savas als Erinnerungsfigur. Der Religionspsychologe stilisierte Sava anschließend zum Begründer des „Charakters der Serben“. ­Slankamenac führte

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des Volkes“: „Unsere Zeit, nebulös (maglovito) und unfriedlich, eine Epoche großer Wallung und Gärung unter den Völkern, zeigt lebendiger und plastischer, klarer und überzeugender als die größten und tiefschürfendsten Studien der Vergangenheit, von welcher Bedeutung für das Schicksal des Volkes, und darüber hinaus für die ganze Menschheit, einzelne wahrhaftig große Leute sind… – Sie sind, es gibt keinen Zweifel, die Hauptschöpfer (glavni tvorci) der Geschichte des Volkes, und zugleich, wie es die Dichter sagen würden, die Leitsterne durch den größten Nebel, Streit und alle anderen Widrigkeiten des Lebens, nicht nur zu seinen Lebzeiten, sondern weit über seinen Tod hinaus…“ Grujić (1935b), S. 208. Grujić (1935b), S. 208. „Später, so erscheint es durch das Prisma der Jahrhunderte, trennte sich der Kult des hl. Sava immer mehr vom Kult des hl. Simeon, seines großen Vaters, und er begann nur durch seine Helligkeit zu leuchten.“ Grujić (1935b), S. 220. So schrieb er, nach Sätzen zur Krönung Tvrtkos I. zum König Bosniens und Serbiens in Mileševa 1377, der „damalige Ban Bosniens, ob er nun römisch-katholisch war, oder Bogumil aus Hum, Herrscher Stepan Vučkić-Kosač hat 1449 in seinen Titel die Bezeichnung ,Herzog des hl. Sava‘ angenommen, sodass sich die Herzegowina seit dieser Zeit als Land des hl. Sava zu betrachten begann und sich als seine Woiwodschaft zu bezeichnen“. Grujić (1935b), S. 220 f. Buchenau (2011), S. 368. „Das Volksleben ist eine Gestalt, deren Körper die Lehrer darstellen. An ihrer Spitze steht er­­ haben und großartig die Person des hl. Sava.“ Slankamenac (1935), S. 222; Jovanović (2002), S. 338. „Während im Westen Karl der Große in derselben Arbeit unter Androhung des Knüppels als erste Lehre das Vaterunser und das Glaubenssymbol vorgeschrieben hatte, hat das Steuerbuch (Krmčija) Savas als erste christliche Lehre der Geistlichkeit und dem Volk die Psalmen vor­ geschrieben.“ Slankamenac (1935), S. 227.

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dabei den Kosovomythos, Lazars Wahl des „Himmlischen Reiches“, auf das Erbe Savas zurück und festigte so die diskursive Verflechtung der beiden Erinnerungs­figuren. Er beschrieb dabei die Orthodoxie in der Gestalt, in der sie Sava auf die Serben „übertragen“ habe, nicht als Religion in einem heilsgeschichtlichen Sinn, sondern als Stifterin nationaler psychologischer Tugenden. Die ausdrückliche Ablehnung „im­perialistischer ­Bestrebungen“ darf im Kontext der Feier im „südserbischen“ Skopje als eine implizite Abwehr anderslautender Vorwürfe an die serbische Adresse gelesen werden.375 Nicht die Förderung des Gedenkens an Sava als Heiligen war die Intention des Textes, sondern die ausdrückliche Aufforderung an das serbische Volk, sich auch in der Gegenwart gemäß den angeblich durch Sava hervorgebrachten National­tugenden zu verhalten.376 Die Lehre dieser Werte in „jeder Bildungsanstalt“ war die Antwort auf diese Frage. Unterricht gemäß den Sava zu verdankenden „Volkstugenden“ sollte die „serbischen Länder“ national einigen und insbesondere „Südserbien“ weiter in den Staatsverbund integrieren. Sava sollte aber auch zu einem „Lehrer der Menschheit“ werden.377 Der jugoslawische Staat stand auch hier ganz im Hintergrund eines serbischen Diskurses. Sava blieb das bevorzugte Medium für nationale, regionale und globale Integrationsutopien. Ideologisches Neuland betrat Vl. Vlahović, der auch zu mittelalterlicher Liturgie publizierte, in seiner Ansprache zu Ehren Savas, die er im Jubiläumsjahr 1935 zur „Personifizierung der Persönlichkeit (oličenje ličnosti) des hl. Sava in der Seele un­seres Volkes“ am „Serbischen orthodoxen Priesterseminar (bogoslovija) in Bitola“ hielt: Offenbar zählte er dort zur Lehrerschaft. So sei „ein Geist in unserer Geschichte und in unserem Leben“ erhalten, „der sich mit derselben Qualität durch alle Tage zieht. Dies kann bei keinem anderen europäischen Volk gefunden werden. Diesen einzigartigen und vortrefflichen Geist hat der hl. Sava in unser Volk gegossen, seine Persönlichkeit ist in der Seele unseres Volkes personifiziert (oličena).“ 378

375 „Die Größe des Werks Savas bestätigt von diesem Standpunkt auch den ganzen Verlauf unserer nationalen Geschichte. Es ist nicht nur ein schöner dichterischer Gedanke, dass Zar Lazar das himmlische Reich für sich und sein Volk gewählt hat. In diesem Bild liegt die volle Wahrheit. Das serbische Volk hat sein Leben immer als Kampf um höhere Werte begriffen, um die höhere Gerechtigkeit (pravda), die im göttlichen Recht oder im Naturrecht darin liegt, dass jeder gleicher­maßen das Recht hat, unter dem Himmelsdach zu leben und dass jeder gleichermaßen das Recht hat, über sein Schicksal zu verfügen, ohne sich von anderen Völkern abzusondern, aber ohne irgendwelche imperialistische Tendenzen. Diese Tradition hat den Charakter der Serben herausgestaltet. Toleranz, Freidenkertum, Selbständigkeit und Aufopferung sind die grundlegenden Tugenden unseres Volkscharakters. Sie sind eine Frucht der Orthodoxie, jener hohen geistigen Kultur, die Sava auf uns übertragen hat, und die seine orthodoxe Kirche weiter­ entwickelte.“ Slankamenac (1935), S. 228. 376 Slankamenac (1935), S. 228. 377 „In unseren Taten wird sich dann der hl. Sava nicht nur als Lehrer ,aller serbischen Länder‘ erweisen, sondern als Lehrer einer großen Weltkultur und als ein Lehrer der Menschheit.“ ­Slankamenac (1935), S. 229. 378 Vlahović (1935), S. 3.

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Diese persönlichkeitspsychologisch inspirierte nationale Vorstellung einer europäischen Einzigartigkeit des serbischen Volkes gründete aber auch in der historistischen „Theorie“, zu der sich Vlahović bekannte, nämlich „dass große Leute die Menschheitsgeschichte machen“.379 Die Vorstellung eines „Geistes“, der von Sava ausgehend sich über das Volk „ergießt“, und die einer „Personifizierung“ Savas im serbischen Volk, um nicht zu sagen die Fleischwerdung seines Geistes im Volk, rückten den Heiligen in eine Rolle, die in der traditionellen Religion Christus oder Gott für die Menschheit, aber nicht für eine Nation zukam. Die Nähe seines Entwurfes zu den „Großen Männern“ des Historismus und zur Vorstellung vom Zeitgeist im Sinne Hegels ist augenfällig. Sava wurde hier an einer Lehreinrichtung der serbischen orthodoxen Kirche mithilfe der Geschichts­philosophie des 19. Jh. als Kristallisationskern einer nationalen Sakralität, einer National­religion eingesetzt, die inhaltlich jenseits der etablierten Orthodoxie einzuordnen ist. Gemäß Vlahović stellte Sava den serbischen Staat her: „Der serbische Staat, als abgesonderte Einheit, ist sein Werk.“ 380 Seine Verehrung stellte zudem eine territoriale nationalstaatliche Einheit her: „Jeder Ort in unserem Land erzählt eine Erinnerung an seine Ankunft. Wohin ihr in unseren Gebieten geht, begegnet ihr einer Quelle, einem Berg, einem Stein, oder einem See, der mit seiner dortigen Durchreise ver­bunden war.“ 381 „Unsere Gebiete“ wurden als Territorium mit der imaginären Gegenwart Savas untrennbar verbunden. Diese Sätze bezogen sich nicht zuletzt auf die Region, in der der Redner sprach – Vardar-Makedonien wurde mittels der Referenz auf Sava zum selbstverständlichen Teil „unserer Gebiete“ und „unseres Landes“. Die imaginierte geo­graphische Reichweite der Verehrung des Heiligen stellte seine „Größe“ her. Bulgaren, Russen und Katholiken bzw. ihre „Dichter und Geistlichen“ verehrten ihn gleicher­maßen.382 Diese angebliche transnationale und transkonfessionelle Verehrung Savas durch andere slavische Völker geriet nach der Definition des serbischen Volkes als „Personifizierung“ Savas zur Wunschvorstellung einer transnationalen Verehrung der serbischen Nation. Diese Hinweise verfolgten andererseits das Ziel, Sava – angesichts der bunten konfessionsethnischen Wirklichkeit der Bevölkerungszusammensetzung des jugoslawischen Staates – zu einem Heiligen aller Ethnien zu erheben, dies allerdings nur bei gleichzeitiger Beibehaltung seiner im selben Text weiter zugespitzten Rolle für die Serben. Vlahović versuchte zudem, eine transreligiöse Integration auch „unserer Muslime“ in 379 380 381 382

Vlahović (1935), S. 4 f. Vlahović (1935), S. 7. Vlahović (1935), S. 10. „Die Größe des hl. Sava hat sich nicht nur bei den Serben erhalten, bei seiner geistlichen Herde, sondern sie hat sich auf alle Südslaven und auch Slaven ausgeweitet. (…) Mit derselben Kraft und Ehrerbietung wird die Feier des hl. Sava seit Jahrhunderten bei dem bulgarischen und dem russischen Brudervolk abgehalten. Und nicht nur die orthodoxen Südslaven, sondern auch die Katholiken haben ihn verehrt und der Kult des hl. Sava konnte bei ihnen nicht unbedeutend bleiben. Ihre Dichter und Geistlichen loben und ehren den hl. Sava als Geheiligten und Aufklärer. Antun Sasin nennt ihn ,den gerühmten Sava‘. Jeronim Kavanjila rühmt den hl. Sava mit diesen Worten: ,Weises Kind, hl. Sava‘.“ Vlahović (1935), S. 11.

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den serbischen Herrschaftsverbund explizit mit dem Verweis auf deren angebliche Verehrung Savas zu legitimieren.383 Die kultische Verehrung wurde damit über die muslimische Religion gestellt. Hier wie in anderen Texten war paternalistisch von „unseren Muslimen“ die Rede, die damit ungefragt in einen serbischen Kontext gestellt wurden. Sava war das Band, das Fremde in das Serbische integrieren sollte, angeblich nur von der serbischen Identität Abgefallene sollten wiedergewonnen werden.384 Wie in anderen Texten wurde auch in diesem Sava zum Medium der Beschwörung einer sinnvollen nationalen Zukunft.385 Auch in seinem weiteren Text ging Vlahović aber nicht explizit auf Vardar-Makedonien ein. Die mehrfache Projektion Savas auf das serbische Volk und auf die „serbischen Gebiete“ machte jedoch überdeutlich, dass die Region Vardar-Makedonien und die Stadt Bitola, in der Vlahović seine Rede hielt, ihm gemäß ganz selbstverständlich als ein Teil dieser Gebiete zu betrachten seien. Die rhetorische Reproduktion und Adaption des Diskurses über Sava sollte diese Annahme bekräftigen und zur selbstverständlichen ,Wirklichkeit‘ werden lassen. Aber auch nach dem Jubiläumsjahr setzte sich die Propagierung des hl. Sava in Makedonien fort: Noch deutlicher als Vlahović stellte 1937 Novak Radovanović Sava in einer Rede zum Savatag an der Handelsakademie in Bitola in einen übergreifenden südslavischen Zusammenhang.386 Er weitete Savas Bedeutung weit über einen serbischen Zusammenhang hinaus aus und machte ihn zu einem „Ideal“ auch der „­übrigen Balkan­slaven“, insbesondere „in Bosnien, in der Herzegowina, in Dubrovnik und in Bulgarien, das gleichfalls durch seine Arbeit in seiner Schuld stand“.387 In diesem transnationalen Rahmen, den er unter der osmanischen Herrschaft imaginierte, sei „der Kult des hl. Sava von entscheidender Bedeutung“ gewesen. Nur der serbischen orthodoxen Kirche sei es gelungen, „bei breiten Massen ein nationales Bewusstsein (svest) in Mileševa zu bewahren, am Grab des hl. Sava, wo sich nicht nur orthodoxe Serben, sondern auch Katholiken und Muslime versammelten“.388 Sava sollte zu einem 383 „Gemäß den Daten war der Kult des hl. Sava auch unter unseren Muslimen groß. – Deshalb soll die heiligsavische Idee in unserem Volk allgemein die Kraft und Stärke erreichen, die sie in der Vergangen­heit hatte, sodann soll sie auch jene umfassen, die sich von dieser Idee entfremdet (odrodili se) haben.“ Vlahović (1935), S. 12. 384 Vlahović (1935), S. 10. 385 Vlahović (1935), S. 10 f. 386 Der „Suplent [sic]“ sprach häufig von „uns“, aber selten von „orthodoxen Serben“ sowie von „Serben“ – die in anderen Texten allgegenwärtigen Begriffe vom „serbischen Staat“ oder vom „serbischen Volk“ fehlten hingegen. Stattdessen sprach er vom „kleinen Raszien (u malenoj Raškoj)“, insbesondere aber vom „slavischen Süden“ sowie von den „slavischen Völkern“. Radovanović (1937), S. 3 – 5. 387 „Aber die Bedeutung des hl. Sava verblieb nicht nur in den Grenzen des Nemanjidenstaates. Er wurde rasch auch bei den übrigen Balkanslaven als Ideal aufgegriffen, namentlich in Bosnien, in der Herzegowina, in Dubrovnik und in Bulgarien, das gleichfalls durch seine Arbeit in seiner Schuld stand.“ Radovanović (1937), S. 4. 388 „Während der fünfhundertjährigen Sklaverei war der Kult des hl. Sava von entscheidender Bedeutung. Als bald alle slavischen Staaten auf dem Balkan ausgelöscht waren und als die

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Medium einer transkonfessionellen und transreligiösen nationalen serbischen Identität dienen, die auch Katholiken und Muslime integrieren sollte. Radovanović löste Sava sodann teilweise aus der kirchlichen sowie der traditionellen Religion und stellte ihn als Erzeugnis eines „polytheistischen“, unchristlichen „Volksglaubens“ dar.389 Wichtiger als explizites Christen­tum war Radovanović die Unabhängigkeit „unserer selbständigen Kirche“. Gleich darauf weitete er seinen Bezugsrahmen erneut allgemein auf die „slavischen Völker“ aus. Diese Passagen bezogen sich auf eine konfessionell und religiös südslavisch ausgeweitete Konzeption serbischer Identität, wie auch ein in demselben Periodikum gleich anschließend publizierter Text über „Strossmayer und die südslavische Idee“ zeigte.390 D 2.2.4  Sava in Makedonien im Wettkampf der Nationalismen im Krieg

Im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg ist ein Wandel von der südslavischen zu einer nur noch serbischen Beschreibung festzustellen: Am 26. Januar 1940 hielt Ana Jazić anlässlich der Feier zu Ehren Savas im Offiziershaus in Skopje die Ansprache. Savas Funktion war hier die des Mediums zur Herstellung einer soziale Grenzen überschreitenden homogenen nationalen Gemeinschaft: „Dank dieser geistigen und ausbilderischen Arbeit an seinem Volk ist der Name des hl. Sava in das Herz jedes Serben eingeschrieben, ohne Rücksicht auf den Bildungsgrad und die gesellschaftliche Stellung.“ 391 Eine der wichtigsten, hier Sava zugeschriebenen Errungenschaften der serbischen Geschichte war die „Bekräftigung der nationalen Dynastie“.392 Jazić wollte im mittelalterlichen, ephemeren dynastischen Personenverbandsstaat einen an völkische Konzepte erinnernden ethnischen Staat, eine blutsverwandtschaftliche Verbindung von Herrschern, Volk und Religion als das „heiligsavische Ideal“ erkennen, dem „fremde“ Einflüsse nur schaden

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türkischen Einfälle drohten, alles zu zerreiben, was ihnen im Weg stand, war die serbische orthodoxe Kirche jene, der es mit der moralischen Hilfe anderer christlicher Staaten gelang, bei breiten Massen ein nationales Bewusstsein (svest) in Mileševo zu bewahren, am Grab des hl. Sava, wo sich nicht nur orthodoxe Serben, sondern auch Katholiken und Muslime versammelten.“ Radovanović (1937), S. 4. „Aber außerhalb des Rahmens der historischen Tatsachen lebt noch ein hl. Sava, den das Volk mit seinen Träumen selbst geschaffen hat, und der im Glauben des Volkes und seiner Tradition erhalten ist. Auf der Suche nach einer gewissermaßen realen Gottheit, ähnlich wie im poly­ theistischen Glauben, hat das Volk eine Legende um den hl. Sava geschaften, die an einigen Orten (mestimično) noch heute im Volksglauben erhalten ist. Hinter diesen Legenden liegt die Seele eines Volkes, klar und vollständig erzählt, mit ihren hellen wie auch ihren dunklen ­Seiten.“ Radovanović (1937), S. 4. Radovanović (1937), S. 5. Jazić (1940), S. 17. „Er krönte Stefan nicht deshalb zum König, da Stefan sein Bruder war, sondern weil er ein orthodoxer Serbe war und deshalb ein legitimer Träger der staatlichen Gewalt.“ Jazić (1940), S. 21.

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konnten.393 Innovativ waren in diesem Text weniger die Verbindung von Idealismus mit der Erinnerungsfigur Sava als die in diesem Rahmen geführte Reflexion des Imperialismusbegriffes: Die Rednerin definierte das „Vaterland“ als „Nationalstaat“, der mit einer Ausweitung der Grenzen zum „Imperium“ würde:394 „In diesem Fall gewinnt der Staat territorial, aber er verliert moralisch; (…). In einem solchen Staat entstehen Mischungen des Bluts, der Sprache und der Veranlagungen, und solche Vermischungen führen zu Angst, Unfriede, Egoismus, Raub und zum Gefühl einer dauerhaften Unsicherheit.“ 395

Jazić lehnte das transethnische Imperium ab und bevorzugte die Vorstellung des homogenen Nationalstaats. Sie kehrte sich damit auch von einer transnationalen Deutung des Savadiskurses ab und klammerte mit der zitierten Bedeutung der Religion auch die muslimischen Bürger Jugoslawiens aus. Die Angst vor ethnischer Uneinheitlichkeit – der Begriff der Rasse wurde im Text nicht bemüht – war hier der Grund für eine Angst vor Imperialismus. Serbische Herrschaft sollte mit dieser neuen Deutung im makedonischen Gebiet weiter gefestigt werden. Die Rede kam einem impliziten Eingeständnis eines serbischen Imperialismus und seiner Probleme in der Vardarprovinz gleich. Noch unmittelbarer vom aktuellen Kriegsgeschehen beeinflusst war die durch Jazić entworfene militärische Ausrichtung der Erinnerung an Sava wie die Verbindung Savas mit einem kirchlich gesegneten „nationalen“ Heer, bei dessen Zusammensetzung ethnische Kategorien wichtiger als staatsbürgerliche zu sein hatten.396 Gleich anschließend definierte Jazić den serbischen Nemanjiden-Staat – auf der Grundlage der angeblichen Anordnungen Savas – als „Körper, und die serbische orthodoxe Kirche als Seele“ 397 und damit im Sinne des organischen Nationalismus als Lebewesen. Kirchliche christliche Religion und Staat gingen in dieser Vorstellung als Nation eine körperliche Einheit ein. Auch in den letzten Sätzen betonte Jazić kriegerische Aspekte: Die Geschichte Serbiens 393 „Für Sava war die Verwandtschaft, die enge Verbindung des Dynasten mit dem Volk das wichtigste. Und diese Verwandtschaft mit dem Volk musste vollständig sein: Im Blut, in der Sprache, im Vaterland und im Glauben, Geist, Moral und in den Vorlieben. Dieses heiligsavische Ideal hat das serbische Volk während seiner Geschichte bis heute durchweg erfüllt. Und im Laufe seiner ganzen politisch freien Geschichte waren ihm ausländische politische Einflüsse und Dynastien fremd.“ Jazić (1940), S. 21. 394 „Der hl. Sava hat sein Volk sowohl gelehrt, was das Vaterland bedeutet, als auch, bis wohin seine Grenzen reichen. Das Vaterland ist das Land des Vaters, wo ein und dasselbe Volk lebt. Ein Nationalstaat (narodna država) reicht nicht, bis wohin der Traum reicht, der Traum darf vielmehr nur bis zur Grenze des Vaterlandes gehen. Wenn es erlaubt wäre, dass sich der Staat erstreckt, bis wohin der Traum reicht, dann würde der Staat aufhören, ein nationaler zu sein, würde nicht mehr das Vaterland sein und zum Imperium werden.“ Jazić (1940), S. 22. 395 Jazić (1940), S. 22. 396 „Der hl. Sava war zwar selbst kein Heerführer oder ein Organisator der Armee, er hat aber den Sinn und das Ziel des serbischen Heeres definiert. Das Heer muss national sein, um seine moralische Rechtfertigung zu haben und den Segen der Kirche. Es besteht aus Söhnen des Volkes und nicht aus Sklaven oder Söldnern.“ Jazić (1940), S. 22. 397 Jazić (1940), S. 22.

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stellte die Rednerin als „ruhmreichen Kampf“ dar, „den das serbische Volk um seine Freiheit und Einheit“ nur dank der „heiligsavischen Schatzkammer (riznica)“ ausgehalten habe. Erst auf dieser serbischen Grundlage ging Jazić sodann zum süd­slavischen Kontext über: „Denn ja, diese heiligsavische Schöpfung hat ihren großen und bedeutenden Anteil auch zur Schaffung unseres vereinten südslavischen Vaterlandes und Staates beigetragen.“ Indem die Rednerin im makedonischen Skopje eine Konkurrenz „­fremder Ideologien“ zum „heiligsavischen Geist“ feststellte und diesen den Kampf ansagte, situierte sie sich selbst als nationale Propagandistin und ihren eigenen heiligsavischen Enwurf als Gegenideologie.398 Erneut wird aus einer transnationalen Warte der regionale Wettkampf der Nationalismen als treibendes Movens des partikularen Nationalismus deutlich. Im Diskurs selbst diente der Begriff der „Ideologie“ als übergreifendes Konzept, nicht das der Religion. Die christliche Religion in der Gestalt der serbischen Kirche wurde zur expliziten modernen Ideologie umgewandelt. Sowohl im Kosovo bzw. in „Altserbien“ als auch in „Südserbien“ (Makedonien) ist damit in den 20er-Jahren der Einsatz Savas als Medium zur Eingliederung der neugewonnenen Gebiete in den jugoslawischen Staat und unmittelbar damit verbunden in einen serbischen Zusammenhang zu beobachten: Schulfeierlichkeiten an den lokalen Zentralorten und Bildungsanstalten insbesondere in Skopje sollten Kinder, Lehrer und Eltern gleichermaßen mobilisieren. Darüber hinaus diente etwa die Jugendzeitschrift „Serbischer Kosovo“ dazu, auch den Savadiskurs für die Lehrer- und Schülerschaft über die jährliche Feier hinaus zu festigen und mehrfach jährlich überregional zu reproduzieren. Die Reproduktion war dabei durchaus nicht mechanisch: Die Redner waren im Rahmen der Feiern immer wieder aufs Neue herausgefordert, rhetorische Zuspitzungen zu leisten, und festigten etwa die Rede von der Kirche Savas als dem „serbischen himmlischen Reich“ oder Savas Darstellung „als Nationalist“ und als „Staatsmann“. Mit der Königsdiktatur verschärfte sich die Rhetorik zusätzlich und griff 1940 auch militaristische Elemente auf. Auch die in Belgrad entworfene Ideologie des Svetosavlje fand bis zu diesem Zeitpunkt ihre konkrete Anwendung als moderne Ideologie in Makedonien. Sie wurde als staatstragendes Deutungssystem und als Fundament der gesellschaft­lichen Integration eingesetzt. Der Anspruch stand dabei seit den 20er-Jahren im Widerspruch zu subtilen Obstruktionshandlungen einzelner Lehrer vor Ort sowie der offenen Gegendarstellung seitens der makedonischen Emigration in Sofia.

398 „Zu einer Zeit, in der unter dem Einfluss fremder Ideologien sich unsere Jugend vom heilig­ savischen Geist und seinem Weg abzuwenden beginnt, (…)“ sei es an den Lehrern, dies zu verhindern und das Gedenken an „unseren nationalen Riesen (nacionalnog velikana), den hl. Sava“ zu ehren. Jazić (1940), S. 23.

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D 2.3  Sava in Bosnien-Herzegowina und in Kroatien

Mit der Herstellung des SHS -Staates sollte sich der erneuerte Kult Savas auch in ­Bos­nien­-Herzegowina festigen. Seine Propagierung in Kroatien sei hier nur am Rande berührt. D 2.3.1  Die Savabruderschaft in Sarajevo als Motor der Verehrung

Im Gegensatz zur Entwicklung in Skopje stand in Sarajevo in einer frühen Phase des Vorgangs die Gründung eines sozialen Netzwerkes in der rechtlichen Form einer konfessionsethnischen, national orientierten Laienbruderschaft: Vor Beginn des Jahres 1925 begründeten Nikola Stojkanović, ein Händler aus Sarajevo, Dr. Simeon Popović, der Rektor des Priesterseminars in Prizren, Danilo Ćorović, ein „Industrieller“ aus S ­ rednje, sowie „Mara Milanović, die Gattin von Mitro, Sarajevo“ die „Serbisch-ortho­doxe Bruder­schaft des hl. Sava“ in Sarajevo.399 Die Assoziation stattete sich groß­zügig mit einer Zeitschrift aus, die ihre Absichten klarstellte: Im Januar 1925 erschien das erste Heft der Zeitschrift „Bratstvo (Bruderschaft)“ mit dem Untertitel „Blatt zur religiösen und nationalen (narodno) Aufklärung“. Wie Savo Ljubibratić auf den ersten Seiten erklärte, hatte die „serbische Bruderschaft des hl. Sava“ zum Ziel, „religiöse, moralische und nationale Empfindungen zu entwickeln und zu stärken“.400 Religion, staat­ liche Herrschaft, Volk und Kultur wurden zur Einheit. In einem transnationalen Wettkampf mit ungenannten „gewissen“ anderen Völkern – waren Bosnier gemeint? – galt es, eine offenbar unbekannte vermeintliche eigene frühere kulturelle Überlegenheit zu inszenieren und die Gegenwart dadurch in einem neuen Licht erscheinen zu lassen.401 Der sodann folgende Verweis auf den Kosovomythos führte zur Beschreibung eines „Golgatha, das die strahlende Auferstehung erwartet“ sowie den „vorbereiteten Platz im himmlischen Reich“.402 Die Diskurse verschiedener Erinnerungsfiguren bündelten sich bereits im Vorwort zur Zeitschrift der Bruderschaft des hl. Sava zur Förderung der einen, nationalen Idee. Der Verein war sozial und finanziell gut in der serbischen Gemeinschaft Sarajevos verankert: Die Gesellschaft wurde in Sarajevo vom Ingenieur und Unternehmer ­Bogdan Babić (3000 Dinar) sowie von der Serbischen Zentralbank (2000 Dinar) sowie der „Landesbank (Zemaljska Banka)“ (1000 Dinar) unterstützt. Die Bruderschaft zählte 399 Ohne genauere Angaben zur Organisation, in: Bratstvo 3 (6/7) (1927), ohne Paginierung am Ende des Heftes. 400 Ljubibratić (1925), S. 1. 401 „Religiösen Charakters ist unsere ganze geistige und materielle Kultur, die Zeugnis unserer strahlenden und ruhmreichen Vergangenheit ist, des Wohlstandes und der Herrschaft (carevanja) (…), und die beweist, wie sehr das serbische Volk damals kultiviert war, als gewisse Völker, die heute auf einer hohen Kulturstufe stehen, in der Sklaverei der Unwissenheit und der Finsternis waren.“ Ljubibratić (1925), S. 2 f. 402 Ljubibratić (1925), S. 3.

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vor Ort bereits 25 „Mitarbeiter“: Unter ihnen waren fünf Doktoren, vier „Professoren“ bzw. Lehrer und zehn Geistliche. Sie verfügte in 14 größeren Orten der Provinz über gewählte „Vertrauensleute“ bzw. Vertreter.403 33 Bücher einschlägigen Inhalts konnten über die Bruderschaft erworben werden.404 Insbesondere Prof. Grigorije Petrov und Bischof Nikolaj [Velimirović] hatten „von Anfang an“ das Vorhaben unterstützt, wie sich Dr. Savo Ljubibratić in der Öffentlichkeit der Versammlung der Bruderschaft am 27. November 1927 erinnerte: Als Nikolaj „die Arbeit der ,Bruderschaft‘ durch­blätterte, sagte er, dass dies das Wichtigste ist, das es in Sarajevo gibt“, und erklärte seine Bereitschaft, für die Bruderschaft in der ganzen Provinz „zur Propagierung ihrer Idee“ umherzureisen.405 Wenige Händler und Unternehmer, einige Geistliche – einschließlich des entscheidenden Nikolaj Velimirović – sowie mehrere Lehrer oder Akademiker standen hinter der Bruderschaft und trugen sie. Die Beiträge zur Zeitschrift kamen der vorgegebenen diskursiven Richtung nach: Dem Vorwort folgte im ersten Heft ein Beitrag zu Weihnachten in Volksliedern – gezeigt am Beispiel von einem Lied über Sava.406 Ljubomir Špirić gedachte Savas in diesem ersten Jahr der Bruderschaft – und zitierte schon im zweiten Absatz einen Satz des Bischofs von Ohrid Nikolaj Velimirović, in dem dieser Vergangenheit und Gegenwart durch die metaphorische Vorstellung einer Ausstellung imaginierte: Das Gedenken an den „ersten und größten Volkslehrer“, Sava, sei, so Špirić, „wirklich wie eine feierliche Eröffnung einer herrlichen Ausstellung in einem großartigen Palast. Jahre und Jahrhunderte bauten unübersehbare Reihen von Baumeistern das Fundament, damit der jüngste Sohn Nemanjas ihn begründen konnte. Sie bauten einen Palast, der F r e i h e i t heißt, in dem der Genius des Volksruhms sich ständig aufhalten wird“.407

Sava erschien hier als Hausherr eines Nationalpalastes weltlicher und politischer Freiheit. Diese Vision war ganz dem modernen Nationalismus verpflichtet. Dieser Zeitschrift stand jedoch für die Abwehr „Moderner Werte (Moderne vrednosti)“.408 In der Aus­ einandersetzung mit der Moderne kam aber auch Velimirović nicht umhin, zu modernen Mitteln wie dem Nationalismus zu greifen – er arbeitete damit implizit an einer eigenen, orthodoxen Modernität. Aber nicht nur die Savabruderschaft, auch das Priesterseminar in Sarajevo wurde zu einem Ort der Verbreitung des Kults Savas: So sprach Dr. Jevto Prnjatović dort 1928 zu dessen Gedenken. Sein Beitrag habe darin bestanden, mit den „neugegründeten 403 404 405 406

Rubrik „Anmerkungen“, in: Bratstvo 1 (1) (1925), S. 22. Umschlagseiten Bratstvo 1 (1) (1925), o. S. Sitzungsprotokoll, in: Bratstvo 4 (1) (1928), ohne Paginierung am Ende des Heftes. Es war selbstverständlich, in diesem Rahmen auch auf die „vielzähligen Klöster“ zu ver­weisen, die „Pflanzstätten der Bildung und Hüter des Glaubens und der Kirche des hl. Sava waren und das Volk war über Jahrhunderte der heiligen Rebe der Nemanjiden ergeben.“ Karanović (1925), S. 6 – 8. 407 Špirić (1925), S. 26. 408 Papini (1926), S. 169 f.

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Bistümern“ der angeblichen „Zersplitterung des serbischen Staates durch die unterschiedlichen Kulturen“ mithilfe einer „Organisation“ mit „rein nationalem Charakter“ entgegenzuwirken. Die Kirche habe damit einen „rein nationalen, ja kämpferisch nationalen Charakter“ angenommen. „Andersgläubige“ wie „Bogumilen und der Katholizismus“ sollten so ausgegrenzt worden sein. Sava habe mit der Festigung „der Orthodoxie im Volk auch das allgemeine kulturelle Niveau des ganzen Volkes angehoben“ und ihm so die Entwicklung „des Denkens an die bürgerlichen Pflichten“ ermöglicht.409 Seine Darstellung der „Arbeit Savas“ entsprach damit ganz den Aufgaben und Lösungen, die sich serbische Staatserbauer in Bosnien in der Zwischenkriegszeit vorstellten: Er war Legitimation der Gegenwart und Vorbild für die Zukunft. D 2.3.2  Kontroversen unter der Königsdiktatur

Bereits auf die ersten Feiern Savas nach den neuen Vorgaben unter der Königsdiktatur 1930 reagierten die beiden wichtigsten nicht-orthodoxen kirchlichen Führer, der ­Reis-ul-­Ulema Džemaludin Čaušević und der Zagreber Erzbischof Ante Bauer, sehr kritisch. Ersterer argumentierte, es sei „nicht im Interesse der Nation, kirchliche Heilige mit der Nation zu vereinen, wie es in dem obgenannten Gesang [die sogenannte Hymne des hl. Sava, S. R.] getan wird“.410 Er verwehrte sich dagegen, muslimische Kinder dazu zu zwingen, den hl. Sava zu verehren. Čaušević gab an, bereits seit über elf Jahren gegen die Form der Feier zu protestieren. Am 24. Januar schrieb er an alle Religionslehrer in Sarajevo, den Feiertag zu boykottieren, und hielt in diesem Sinne in der Gazi-HuzrevBeg-Moschee eine Predigt. Der Provinzvorsteher konnte aber Belgrad mitteilen, der Boykott sei gescheitert. Der Bildungsminister war bereit gewesen, muslimische Kinder vom kirchlichen Teil der Feier zu befreien.411 Für 1932 ist ein weiteres Beispiel dafür belegt, dass die staatlichen Behörden auf Klagen von muslimischer Seite reagierten.412 Im Jubiläumsjahr 1935 veröffentlichte die auflagenstarke Belgrader Tageszeitung „Politika“ unter anderem einen Bericht des Ethnologen und Historikers Tihomir R. Đorđević 413 unter dem Titel „Der heilige Sava und unsere Muslime“. Đorđević veröffentlichte den Text nicht nur im hauptstädtischen Belgrad: Im gleichen Jahr publizierte ihn auch die in Sarajevo erscheinende Zeitschrift der bosnischen orthodoxen Diözese

409 Prnjatović (1928), S. 30 f. 410 Arhiv Bosne i Hercegovine, Sarajevo. Kraljevska banska uprava Drinske banovine, povjerlijivo 627/1930, zit. gemäß der Übersetzung ins Englische bei Nielsen (2002), S. 222. 411 Nielsen (2002), S. 222 – 226, S. 232. 412 So verlangte die Provinzverwaltung von der lokalen serbischen orthodoxen Kirche, als gegen einen ihrer Priester in Sarajevo geklagt worden war, diesen von der betroffenen, überwiegend von muslimischen Kindern besuchten Schule zu entfernen. Der Fall bezieht sich nicht direkt auf die Feier des hl. Sava, sei aber exemplarisch, zumal er in einer Polizeiakte über den Feiertag dokumentiert wurde. Nielsen (2002), S. 229. 413 Sundhaussen (2003b), S. 308, S. 310.

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„Novi Istočnik (Neuer Quell)“.414 Er behauptete zunächst die weite Verbreitung der Verehrung christlicher Heiligtümer unter den Muslimen der Gegend: „Unsere Muslime, Südslaven nach Blut und Sprache, haben sehr viele Erinnerungen an ihren alten Glauben eifrig gehütet und hüten sie bis heute, sie sind voller Ehrerbietung gegenüber ihren Heiligtümern. Selbst bis zum heutigen Tag ist unter ihnen der Glaube an die Kraft christlicher Heiligtümer nicht erloschen.“ 415

Đorđević reproduzierte damit das wenig plausible Erklärungsmuster, die muslimischen Bevölkerungsteile der Region seien nahezu ausnahmslos frühere südslavische Christen gewesen.416 Er stützte sich auf die Autorität Karadžićs.417 Đorđević schloss aus der ­lokalen Verehrung von Sava sowie weiteren Heiligen sowie Klöstern durch „unsere Muslime“, nicht sie seien für die Verbrennung der Gebeine Savas verantwortlich gewesen. Bei dieser Gelegenheit beschrieb er zahlreiche zentrale religiöse Erinnerungsfiguren des serbischen Diskurses als transreligiös: „Vuk S. Karadžić erzählt, wie die ,Serben türkischen Glaubens (zakona)‘ zum heiligen König in Studenica gehen und seine Gebeine küssen, ihm Gebete lesen und Gaben geben. In ähnlicher Verehrung sind unter unseren Muslimen auch andere unserer Kirchen (bogomolje) und ihre Heilige: der hl. Naum, das Kloster von Peć, Dečani, Devič, der hl. Vasilije Ostroški und andere unserer Klöster. Auch das Kloster Mileševa, in dem der Körper des hl. Sava lag, haben unsere Muslime gleichermaßen verehrt. Reiseberichte von Fremden, die das Kloster Mileševa während des 16. Jahrhunderts besuchten, zeigen das sehr deutlich.“ 418

Vertreter der osmanischen Herrschaft anderer Herkunft „hielten es für Blasphemie (za sablazan), dass der Leichnam des großen christlichen Heiligen so sehr auch von ­Muslimen verehrt wurde. Sie haben, schlicht aus religiösem Fanatismus, angeordnet, dass der Leichnam des Heiligen weggebracht und verbrannt werde.“ 419 Ein „gesundes Bewusstsein unseres Volkes“ habe „ohne Rücksicht auf den Glauben“ Sava als „Volksheiligen“ erkannt.420 Im Rahmen der Erinnerungskultur um den hl. Sava wurden „unsere Muslime“ wie schon seit Vuk Karadžić auch in der Zwischenkriegszeit als Verehrer des serbischen Nationalpatrons sowie als Angehörige des serbischen Volkes beschrieben. Sava wurde damit zum transreligiösen oder transkonfessionellen 414 Đorđević (1935). 415 Politika, 6.–9.1.1935, Nr. 9570, S. 7. 416 Der neuere Forschungsstand: Kiel (2009), S. 155; Zhelyazkova (2002); Minkov (2004); Baer (2008). 417 Politika, 6.–9.1.1935, Nr. 9570, S. 7. 418 Politika, 6.–9.1.1935, Nr. 9570, S. 7. 419 Politika, 6.–9.1.1935, Nr. 9570, S. 7. 420 „Das gesunde Bewusstsein unseres Volkes, ohne Rücksicht auf den Glauben, erkannte im hl. Sava einen nationalen Heiligen (narodnog sveca). Als Volksheiliger wurde der hl. Sava gerühmt und verehrt, seit seiner Grablegung bis heute. Dabei haben auch unsere Muslime keine Ausnahme gemacht. Mit seiner Verbrennung hatten sie nichts zu tun.“ Politika, 6.–9.1.1935, Nr. 9570, S. 7.

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Integrationsmedium, zum „nationalen Heiligen“ oder „Volksheiligen“ auch der Muslime stilisiert. Die behauptete ethnische Einheit sollte mit seiner Hilfe zu einer Einheit auch im religiösen Kult werden – und die angebliche ethnische Einheit als nationale Sakralgemeinschaft reproduzieren. Ohne Referenz auf Muslime, aber doch auf „unser teures Vaterland Jugoslawien“, gedachte Bischof Tihon in der Kathedrale von Mostar des 700. Todesjahres Savas als Fortführer der „Mission der heiligen Brüder Kyrill und Method, der slavischen Lehrer und Aufklärer“.421 Sava habe nicht nur „das serbische Volk“, sondern insgesamt „den slavischen Süden mit dem himmlischen Licht erleuchtet“.422 Auch im Weiteren betonte er diese zweifache, serbische und jugoslawische, Bedeutung Savas: Zum einen „hält (drži) der Geist des hl. Sava die serbischen Länder und Städte“ seither bis in die Gegenwart. Sowohl das Vermeiden des Untergangs als auch die „Auferstehung Serbiens“ seien auf diesen „Geist“ zurückzuführen, wie auch die „Einigung aller südlichen Slaven – worum sich auch der hl. Sava bemüht hatte – im großen und mächtigen heutigen Staat. Dies alles ist, in erster Linie, das Verdienst des Geistes des hl. Sava.“ 423 Weitaus deutlicher als in Belgrad wurde 1935 in der Vielvölkerstadt Mostar Savas sowohl in einem nationalen serbischen als auch transnational in einem jugoslawischen Zusammenhang gedacht. Der orthodoxe Bischof von Mostar imaginierte die südslavische Geschichte ganz als das Ergebnis des Wirkens des Heiligen. Er übernahm damit die Vorstellung einer sakralisierten Nation und verlieh ihr als Bischof Legitimität. Er wurde dabei von weltlicher Seite unterstützt: Auch Pavel Žiković vertrat zum gleichen Zeitpunkt in Mostar in seiner Ansprache im „Großen Gymnasium“ eine jugoslawische Bedeutungsaufladung Savas.424 Allerdings stieß diese Jugoslawisierung der Religion zu einer staatstragenden Funktion durch den Geistlichen im lokalen Diskurs über nationale Identitäten vor Ort auf Widerspruch. Noch vor der Predigt hatte die serbisch-orthodoxe Kirchgemeinde ­Mostars für die serbisch-orthodoxe Bürgerschaft eine „Verlautbarung“ veröffentlicht. Dieser Text vertrat deutlicher als die Ansprache Tihons einen serbisch-nationalen Standpunkt und beanspruchte die gesamte Herzegowina als Besitz der dank der Führung Savas geeinten serbischen Nation. Sava wurde auf dieser Grundlage sodann als „Beschützer“ der Herzegowina allein einem serbischen Kontext zugesprochen. Das jugoslawische Projekt, für das der Bischof in seiner Predigt eintrat, stieß hier schon vorab auf eine Gegenthese. Spannend ist die Übertragung asketischer Rhetorik in den nationalen Diskurs: Der „Geist des hl. Sava“ habe „unser Volk“ während siebenhundert Jahren nicht nur „geführt“, sondern auch „gestählt“ und „erhalten“. Der Text war insofern global 421 422 423 424

Tihon (1935), S. 33. Tihon (1935), S. 34. Tihon (1935), S. 35. Im Bericht des Geistlichen Marko S. Popović über die Feierlichkeiten in Mostar hieß es: „Herr Žiković, geboren in Istrien, hielt eine sehr dokumentierte, wissenschaftliche und erfolgreiche Vorlesung über das Leben und die Arbeit des hl. Sava, in der er hervorhob, dass die Arbeit des hl. Sava nicht nur für den serbischen Stamm nützlich und von Wichtigkeit war, sondern auch für alle Südslaven.“ Popović (1935), S. 74.

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angelegt, als er Sava als einzigartigen „Geheiligten, Aufklärer und Lehrer“ bezeichnete. Der serbischen Nation sollte daher „unter den Völkern der Welt“ ein „Sonderstatus“ zustehen.425 Auch in der Provinz und auch in einem Text, in dem regionale transnationale Aspekte ausgeklammert wurden, wurde die angebliche Einzigartigkeit der sakralisierten Nation in einem globalen Zusammenhang imaginiert. Abends um acht Uhr fand sodann im Offiziershaus ein „Svetosavisches Gespräch (Besjeda)“ statt, an dem auch der Bischof Tihon teilnahm, „mit der örtlichen Geistlichkeit, dem Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde Hrn. David Koen und Vertretern der lokalen kulturellen Einrichtungen, aber, leider waren weder römisch-katholische Glaubensrepräsentanten noch muslimische vertreten“.426 Der orthodoxe Berichterstatter bedauerte damit, dass die Feier – mit Ausnahme des jüdischen Gastes – kein konfessions­ethnische Trennlinien übergreifender Anlass war. Trotz der Inszenierung der Stadt als serbische Stadt – allerdings mit den aus den Häusern gehängten „staatlichen Fahnen“ doch auch als jugoslawische Stadt – war es damit aufmerksamen Beobachtern klar, dass Tihons Projektion konfessionsethnischer Einheit dem demographischen, multiethnischen und mehrkonfessionellen Alltag in Mostar wenig entsprach: Die Feier Savas geriet zur Inszenierung des Anspruchs einer partikularen nationalen Gruppe auf die Trägerschaft des Staates und seiner Institutionen in der Vielvölkerstadt. In Sarajevo hingegen verliefen die Feiern seitens der serbisch-orthodoxen Geistlichkeit offenbar ohne Kontroversen sowohl im jugoslawischen als auch im serbischen Zusammenhang: Marko Marković, der „Sekretär des Hauptausschusses“, den die serbisch-orthodoxe Kirchgemeinde Sarajevos zur Organisation der Feiern zu Ehren Savas für das Jubiläumsjahr 1935 eingesetzt hatte, hielt am Abend des Savatags eine Ansprache im Nationaltheater in Sarajevo im Rahmen der „heiligsavischen Gespräche“, welche die serbische „Bildungs- und Kulturgesellschaft ,Aufklärung (Prosveta, Bildung)‘“ organisiert hatte.427 Die geistliche Feier war damit durch eine führende weltliche nationale Assoziation unterstützt. Marković stellte das Gedenken an Sava zunächst nachdrücklich

425 „Unsere Nation (Nacija) und unsere serbische orthodoxe Kirche erwarten mit dem hl. Sava dieses Jahres eines der wichtigsten Daten unserer Geschichte. (…) Unter den Völkern der Welt ist ein solch verdienter Geheiligter, Aufklärer und Lehrer, wie es der hl. Sava dem serbischen Volk war, ein einzigartiges Beispiel. Wegen diesem Vorrang (tim prvenstvom) in der Welt erwarten wir mit dem höchsten Stolz die Siebenhundertjahrfeier des Todes des hl. Sava, die das ganze serbische Volk auf würdige Weise begehen wird. Die Herzegowina – die Woiwodschaft (­vojvodina) des hl. Sava mit seinem Sitz in Mostar – erwartet und feiert dieses bedeutende Siebenhundertjahrjubiläum ihres Beschützers mit besonderer Pietät. Der Geist des Geheiligten Sava hat unser Volk während voller sieben Jahrhunderte durch viele und schwere Prüfungen (iskušenja) geführt, er stählte es und erhielt es. Es ist an uns, die mit großen Opfern und unter der Führung des Geistes des hl. Sava errungene Freiheit, diese nationale und geistige Einheit zu bewahren.“ Zit. gemäß Popović (1935), S. 73, dort ohne weitere Publikationsangaben. 426 Popović (1935), S. 75. 427 Zum Organisatorischen unter dem Kürzel „P.“ in der Rubrik Leserbriefe: Proslava Sv. Save u Sarajevu, in: Novi Istočnik 2 (1935) 2 – 3, S. 69 – 73. Der Text der Rede: Marković (1935).

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Mobilisierung und Sakralisierung der Nation

gleichfalls in einen jugoslawischen Kontext: Ausgehend vom Präzedenzfall der mittelalterlichen angeblichen „seelischen Zusammenschmelzung“ der Serben zu einer Nation und analog zu diesem Vorgang sollte nun eine transnationale „seelische Einheit der Serben, Kroaten und Slowenen in einem einzigen südslavischen Staat“ geschaffen werden.428 Der Autor kam aber im weiteren Text nicht auf den südslavischen Zusammenhang zurück: Schließlich forderte er für die Gegenwart und Zukunft „heilig­savische Leute“, die wie Sava handeln sollten, nahm dabei aber keinen Bezug auf ein südslavisches Handlungsfeld.429 Der Diskurs über die angebliche Verehrung Savas durch Muslime um Mileševa wurde, wie gesehen, auch in Vardar-Makedonien aufgegriffen. Die Begehung des Jubiläumsjahres führte zu expliziten Unstimmigkeiten zwischen römisch-katholischen und serbisch-orthodoxen Bischöfen. Das mit der Erinnerungsfigur verknüpfte nationale Identitätsangebot, dessen Verbreitung durch die Funktion Savas als Schulpatron auch durch staatliche Gesetze betrieben wurde, erwies sich für den römisch-katholischen Erzbischof als unakzeptabel. Dr. Ante Bauer veröffentlichte am 7. Januar 1935 ein klärendes Rundschreiben, in dem er die Feiern als konfessions­ ethnische Feiern der orthodoxen Serben interpretierte, um die Katholiken von der Pflicht zur Teilnahme zu entbinden. Zudem verwahrte er sich gegen Zwang zur Anwesenheit.430 Seine Anordnung löste eine publizistische Debatte aus, die die bosnische Zeitschrift „Novi Istočnik“ mit dem Zitat von Passagen aus einer Replik Nikolaj Velimirovićs im

428 Nach einer Würdigung Savas als Förderer der Orthodoxie wechselte Marković markant das Thema: „Gehen wir nun über zur schönsten der zahlreichen Stiftungen Savas – gehen wir durch sein Leben; ich möchte Sie nur daran erinnern, damit Sie Ihre Erinnerungen auffrischen und mit unserer heutigen Zeit abstimmen, in der man sich, nachdem es gelungen ist, sich staatlich zu verwirklichen, bemüht, im Interesse des jugoslawischen Staatsdenkens auch eine nationale Einheit zu schaffen, eine seelische Einheit der Serben, Kroaten und Slowenen in einem ein­ zigen südslavischen Staat, wie es damals Vater und Sohn erstrebten und erlangten – der Kämpfer Nemanja physisch, aber der Aufklärer Sava intellektuell – dass ein serbischer Staat geschaffen werde und eine seelische Zusammenschmelzung (stapanje) der Serben herbeigeführt werde.“ Marković (1935), S. 35. 429 Marković (1935), S. 44. 430 „Auf Anfrage verschiedener Seiten wird allgemein entgegnet und verkündet, dass die Feier des ,svetosavischen Jahrs‘, angeordnet durch den Heiligen Erzpriesterlichen (Arhijerejskog) Synod, eine rein kirchlich-konfessionelle (crkveno-vjerska) und ethnische (plemenska) Angelegenheit ist, die sich nicht auf Angehörige anderer Konfessionen, und damit auch auf die Katholiken, bezieht. – Mit Rücksicht auf dies müssen die katholischen Gläubigen nicht an dieser Feier teilnehmen und niemand kann wagen sie zu zwingen, passiv an den Veranstaltungen der Feiern teilzunehmen, und noch weniger aktiv. Soviel hinsichtlich der hochwürdigen Geistlichkeit und zur eventuellen Mitteilung an die Gläubigen. Was aber die Schuljugend betrifft, so ist die Frage durch das Rundschreiben des Bildungsministeriums (…) vom 24. Januar 1934 über die Durchführung der Feier des hl. Sava als allgemeinen staatlichen Schulfeiertag (državno-školskog praznika) geregelt.“ Zit. gemäß dem Text „Die Feier des hl. Sava und die römisch-katholische Kirche“ in der Rubrik „Chronik“ (ohne Angabe des Verfassers) in: Novi Istočnik 2 (1935) 7, S. 237 f. Vgl. Politika, 13.1.1935, Nr. 9574, S. 2.

Die Ausweitung des Savakults

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„Boten des serbischen orthodoxen Patriarchats“ reflektierte.431 Die Deutung der Feiern zu Ehren Savas als exklusiv serbisch-orthodoxer konfessionsethnischer Anlass, die der Zagreber Erzbischof vornahm, war dabei in den Augen Velimirovićs in den Aufforderungen des Patriarchats nicht explizit formuliert worden. Mit „heiligsavischer Bescheidenheit“ habe der Ausschuss – trotz der Überzeugung, Sava sei der „unzweifelhaft größte Mann der Balkanhalbinsel“ – von einer Nennung der Trägerschaft der Feiern abgesehen. Diese Ungewissheit war es offenbar, die den Zagreber Erzbischof zu seinem ungewöhnlichen Schritt veranlasst hatte. Velimirović zeigte sich befremdet über die ablehnende Haltung des Erzbischofs gegenüber dem hl. Sava – sei dieser denn ein „Anarchist“? Er hielt ihm vor, nie habe sich ein Serbe dagegen gewehrt, dass Strossmayer in orthodoxen Schulen gefeiert würde.432 Tatsächlich diente der gleichzeitige Verweis auf Strossmayer und Sava mehrfach dem Versuch, eine südslavische Einheit zu imaginieren, auch im

431 „Auf dieses Rundschreiben hat Bischof Nikolaj im ,Boten des serbischen orthodoxen Patriarchats‘ würdig und friedlich geantwortet. Wir führen hier nur einige Passagen an, zum Beispiel: ,Obschon der hl. Sava unzweifelhaft der größte Mann der Balkanhalbinsel ist, seit unsere slavischen Väter sich mit dem Kreuz Christi tauften, hat der Ausschuss des Patriarchats zur Feier des heiligsavischen Jahres mit heiligsavischer Bescheidenheit nicht versucht, die diesjährige Feier weder in den Rahmen des Balkans auszuweiten, oder in den des Südslaventums, noch hat sie diese in den Rahmen bloß des orthodoxen Serbentums gestellt. (…) Mit keiner Akte hat der Ausschuss alle Balkanbewohner (sve Balkance) oder alle Südslaven aufgerufen, an dieser Feier teilzunehmen, noch die Serben oder nur die Serben.‘“ Mit Bezug auf Nikolaj Velimirović im Glasnik srp. Prav. Patrijaršije 2 (1935), S. 25 – 28, zit. gemäß dem Text „Die Feier des hl. Sava und die römisch-katholische Kirche“ in der Rubrik „Chronik“ (ohne Angabe des Verfassers) in: Novi Istočnik 2 (1935) 7, S. 237 f. 432 „Ich bewundere oft sehr den ungewöhnlichen Eifer des katholischen Klerus im Kampf gegen unchristliche Strömungen und Wirkungen, in diesem Fall, und, ich gebe es zu, fühle ich mich betrübt wegen dieses Rundschreibens, wegen des energischen Textes, und noch mehr wegen des Geistes, von dem dieser Text durchdrungen ist. Und ich frage mich verwundert: Hält der Zagreber Erzbischof den hl. Sava denn für einen Anarchisten, der die Anarchie in die Seele der kroatischen Brüder und in die kroatische Jugend hineinbringen könnte, dass er sich gezwungen sah, scharfe Vorsichtsmaßnahmen gegen die Verkündung und Feier seines Namens zu er­greifen? Oder begreift er ihn als einen Menschen schlechten Verhaltens, von dem die katholische Jugend durch das böse Beispiel angesteckt werden könnte? Oder hält er Sava für zerstörerisch für den Staat, das Slaventum und die Menschheit? (…) Hat man je davon gehört, dass irgendein orthodoxer Serbe, ein Geistlicher oder ein Laie, Protest eingelegt hätte dagegen, dass der Bischof Strossmayer in den orthodoxen Schulen gefeiert wird. Aber dass keiner von den Orthodoxen einen solchen Protest eingelegt hat, dies ist (…) das orthodoxe Prinzip der Verpflichtung zur Dankbarkeit gegenüber allen unseren Wohltätern, soweit sie von uns auch durch Blut oder Glauben entfernt sein mögen. Die serbische orthodoxe Kirche, die svetosavische Kirche, die nationale, hat seit jeher einen freien nationalen Staat als Bedingung für ein gesundes Glaubensleben und für die richtige moralische Vervollkommnung des Menschen angesehen.“ Zit. gemäß dem Text „Die Feier des hl. Sava und die römisch-katholische Kirche“ in der Rubrik „Chronik“ (ohne Angabe des Verfassers) in: Novi Istočnik 2 (1935) 7, S. 237 f.

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Mobilisierung und Sakralisierung der Nation

Rahmen „dramatischer Gemälde“.433 Derartige Inszenierungen fanden aber unter den Katholiken Zagrebs ganz offenbar kaum ein Echo. Auch in Dalmatien gehörte der „Tag des hl. Sava“ zu den staatlichen Feiertagen, die in den lokalen Öffentlichkeiten feierlich zu begehen waren.434 Auch hier führte die bevorzugte Stellung der serbischen orthodoxen Kirche gerade im Jubiläumsjahr 1935 zu Boykotten des Schulbesuchs in mehrheitlich katholischen Gebieten. Die Provinzverwaltung reagierte mit der Androhung von Gegenmaßnahmen.435 Hatte der moderne Savakult der Zwischenkriegszeit seinen Ursprung in Belgrad und wurde er zunächst dort von Staat und Kirche sowie nationaler und theologischer Intelligenz funktional und inhaltlich weiterentwickelt, so fand er spätestens von der Mitte der 20er-Jahre an im Kosovo bzw. in „Altserbien“ wie auch in „Südserbien“ (Makedonien) und Bosnien-Herzegowina sowie Dalmatien oder Zagreb Verwendung als Medium zur Integration der Bevölkerung der neu gewonnenen Gebiete in den jugoslawischen Staat und seine Gesellschaft. Ein serbischer Herrschaftsanspruch war trotz der jugoslawischen Verpackung meist augenscheinlich. Staatliche und kirchliche Feiern, der 1928 über­ greifend eingerichtete, Sava gewidmete Schulfeiertag, Zeitschriften oder Publikationen von Laienbruderschaften sollten eine serbisch-national und serbisch-orthodox bewusste Bürgerschaft als Träger des modernen Staates vor Ort mobilisieren und herstellen. Die angestrebte Festigung des Vielvölkerstaates scheiterte aber in mehreren Gegenden ganz offenbar. Die schon im 19. Jh. in den unterschiedlichen Erinnerungspraktiken herge­stellten Differenzen blieben auch während des integralen Jugoslawismus unüberbrückbar.436 D 3  Geistliche als Nationalheilige: Kliment zwischen Serbien, Makedonien und Bulgarien D 3.1  Kliment als Medium exilmakedonischer und bulgarischer Visionen bis 1935 D 3.1.1  Die Aneignung des exilmakedonischen Diskurses durch Kirche und Staat.

Trotz der Entwicklung regionaler (bulgarisch-makedonischer) und teilweise auch hauptstädtischer Diskurse um Kliment war das Gedenken an ihn kaum gefestigt: 1920 erschien in der Zeitschrift „Slavische Stimme“ unter dem Kürzel M. R. eine Rezension der 1919 mit einem ausführlichen wissenschaftlichen Apparat von der Akademie der Wissen­ schaften herausgegebenen Rede, die Teodorov-Balan anlässlich des tausendsten Todes­ tages ­Kliments von Ohrid vor der Akademie gehalten hatte. Der Rezensent beklagte, dass die Bemühungen, den tausendsten Todestag Kliments im Jahr 1916 zu feiern, gescheitert

433 434 435 436

Glumac (1927); vom „Sokol“ in Split publiziert: Herceg (1939). Jakir (1999), S. 362 f. Jakir (1999), S. 384. Höpken (2006), S. 361 f.

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Rahmen „dramatischer Gemälde“.433 Derartige Inszenierungen fanden aber unter den Katholiken Zagrebs ganz offenbar kaum ein Echo. Auch in Dalmatien gehörte der „Tag des hl. Sava“ zu den staatlichen Feiertagen, die in den lokalen Öffentlichkeiten feierlich zu begehen waren.434 Auch hier führte die bevorzugte Stellung der serbischen orthodoxen Kirche gerade im Jubiläumsjahr 1935 zu Boykotten des Schulbesuchs in mehrheitlich katholischen Gebieten. Die Provinzverwaltung reagierte mit der Androhung von Gegenmaßnahmen.435 Hatte der moderne Savakult der Zwischenkriegszeit seinen Ursprung in Belgrad und wurde er zunächst dort von Staat und Kirche sowie nationaler und theologischer Intelligenz funktional und inhaltlich weiterentwickelt, so fand er spätestens von der Mitte der 20er-Jahre an im Kosovo bzw. in „Altserbien“ wie auch in „Südserbien“ (Makedonien) und Bosnien-Herzegowina sowie Dalmatien oder Zagreb Verwendung als Medium zur Integration der Bevölkerung der neu gewonnenen Gebiete in den jugoslawischen Staat und seine Gesellschaft. Ein serbischer Herrschaftsanspruch war trotz der jugoslawischen Verpackung meist augenscheinlich. Staatliche und kirchliche Feiern, der 1928 über­ greifend eingerichtete, Sava gewidmete Schulfeiertag, Zeitschriften oder Publikationen von Laienbruderschaften sollten eine serbisch-national und serbisch-orthodox bewusste Bürgerschaft als Träger des modernen Staates vor Ort mobilisieren und herstellen. Die angestrebte Festigung des Vielvölkerstaates scheiterte aber in mehreren Gegenden ganz offenbar. Die schon im 19. Jh. in den unterschiedlichen Erinnerungspraktiken herge­stellten Differenzen blieben auch während des integralen Jugoslawismus unüberbrückbar.436 D 3  Geistliche als Nationalheilige: Kliment zwischen Serbien, Makedonien und Bulgarien D 3.1  Kliment als Medium exilmakedonischer und bulgarischer Visionen bis 1935 D 3.1.1  Die Aneignung des exilmakedonischen Diskurses durch Kirche und Staat.

Trotz der Entwicklung regionaler (bulgarisch-makedonischer) und teilweise auch hauptstädtischer Diskurse um Kliment war das Gedenken an ihn kaum gefestigt: 1920 erschien in der Zeitschrift „Slavische Stimme“ unter dem Kürzel M. R. eine Rezension der 1919 mit einem ausführlichen wissenschaftlichen Apparat von der Akademie der Wissen­ schaften herausgegebenen Rede, die Teodorov-Balan anlässlich des tausendsten Todes­ tages ­Kliments von Ohrid vor der Akademie gehalten hatte. Der Rezensent beklagte, dass die Bemühungen, den tausendsten Todestag Kliments im Jahr 1916 zu feiern, gescheitert

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Glumac (1927); vom „Sokol“ in Split publiziert: Herceg (1939). Jakir (1999), S. 362 f. Jakir (1999), S. 384. Höpken (2006), S. 361 f.

Kliment zwischen Serbien, Makedonien und Bulgarien

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waren. Kliment beschrieb er dabei als „großen bulgarischen Großtäter“, dessen Tag „unzweifelhaft ein echter nationaler Feiertag des bulgarischen Selbstbewusstseins sein sollte“.437 Noch war dem aber weiterhin nicht so. Mit dem Ende des Weltkrieges verstärkte sich die Reproduktion der Erinnerungskultur um Kliment aber – nun allerdings ganz unter dem Eindruck des Verlustes großer Teile Makedoniens, der Herkunftsregion Kliments, an den SHS-Staat. Erneut verschob sich dabei die Gewichtung der inhalt­lichen Themen und der Argumente, die mit Kliment verbunden wurden. Zunächst ging die Erinnerungspolitik der regierenden Bauernpartei zwar in eine andere Richtung: Im Rahmen der Versuche der Regierung Stambolijski, das Geschichtsbild auch in Schulbüchern zu revidieren, blieb Kliment aber mit großer nationaler Bedeutung und als Legitimation des Anspruchs auf ganz Makedonien beschrieben.438 Wesentlich wurde für die Aktualisierung Kliments die makedonische Emigration in Sofia: Erst sie stellte eine soziale Gruppe dar, die sich dauerhaft um die Verein­ nahmung und den Einsatz Kliments auch in diesem Kontext bemühte. Am 14. Dezember 1923 berichtete die Sofioter Zeitung „Unabhängiges Makedonien“, das in der „Hl. ­Kliment“-Druckerei erscheinende „Organ der makedonischen Emigration“, unter dem Titel „Aus dem Leben der Bruderschaften“ über die „25-Jahrfeier der Ohrider Wohl­ tätigkeitsbruderschaft ,Hl. Kliment‘ in Sofia“, den diese am 9. Dezember begangen hatte: Vor dem Hintergrund eines Gottesdienstes, den der im Sofioter Exil lebende Metropolit von Ohrid leitete, bezeichnete Kiril Părličev die Akteure der Eingliederung Vardar-­ Makedoniens in den jugoslawischen Staat als „Schänder des Werks des hl. ­Kliment“, und lobte den Opfertod für die „politische Unabhängigkeit“.439 Die Jubiläumsfeier 437 „Auf den 1000. Todestag des hl. Kliment (im Juni 1916) hatten sich die Bulgarische Akademie der Wissenschaften, die Sofioter Universität und die ganze bulgarische Gesellschaft schon lange vorzubereiten begonnen, um würdig das Gedächtnis dieses einen zu ehren, den wir wahrlich für den Begründer der bulgarischen Aufklärung, für den nationalen bulgarischen geistigen ­Schützer halten sollen und müssen. Der Name des hl. Kliment ist so unverändert nahe dem Herzen jedes Bulgaren, er ist so wertvoll für jeden, der sich mehr oder weniger bewusst gegenüber den Schicksalen Bulgariens verhält, dass das 1000ste Jahr seit dem Tag des seligen Verscheidens des großen bulgarischen Großtäters (podvižnika) unzweifelhaft ein echter nationaler Feiertag des bulgarischen Selbstbewusstseins sein sollte. Aber die vorgeschlagenen Publikationen zum Jubiläumstag konnten angesichts der politischen Ereignisse nicht erscheinen, und auch der Jubiläumstag selbst musste in Bulgarien ohne große glänzende Feierlichkeiten durchgeführt werden. Sicherlich muss man dies sehr bedauern, so wie viele Materialien zum Leben und den Werken des hl. Kliment, die beispielsweise durch die Bulgarische Akademie der Wissen­schaften gesammelt wurden, jetzt nicht besonders rasch erscheinen. So wird auch, angesichts der erlebten Ereignisse, die durch die Petersburger Akademie der Wissenschaften bereits begonnene Ausgabe der Materialien über das Leben und die Arbeiten des hl. Method (in erster Linie – des hl. Kliment) nicht bald beendet werden.“ Slavjanski glas 14 (1 – 2) (1920), S. 34 – 36. 438 Weber (2006), S. 215 f. 439 „Morgens fand ein Seelenmessgebet (panachida [sic!] moleben) in der Kirche ,Hl. Erlöser‘ aus diesem Grund statt. Seine Hochwürden, der Ohrider Metropolit Boris, begrüßte die Ohrider anlässlich der Feier und wünschte ihnen die rasche Heimkehr in ihre Heimat. Hr. Kiril Părličev

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wurde mit einem abendlichen Fest mit kulturellen Darbietungen abgerundet, welche die nationale Gesinnung unter der Jugend und allen Emigranten, die vorwiegend aus Ohrid stammten, festigen sollten.440 Die Wohltätigkeitsgesellschaft unter dem Patronat Kliments wurde ganz in aktuelle nationale Dienste gestellt. Abgesandte mehrerer politischer make­donischer Organisationen untermauerten dies zusätzlich.441 Der Verlauf des Abends war straff organisiert, ließ schließlich aber Raum für informellere Soziabilitätsformen. Der Klimenttag, für den die Klimentbruderschaft verantwortlich zeichnete, wurde als der „kulturelle Tag“ der „patriotischen“ Ohrider zu einem der wichtigsten jährlichen Anlässe, die Diasporagemeinschaft zu inszenieren.442 Diese stark national geleitete Deutung Kliments fand aber seitens der Wissenschaft in dem wichtigsten Organ der BOK Widerspruch: Zum Gedenken an Kliment wandten sich regelmäßig Wortführer der bulgarischen wissenschaftlichen Gesellschaft an die hielt eine Ansprache, in der er die Schänder des Werks (dělo) des hl. Kliment brandmarkte, die Selbstentsagung und den Idealismus der für die kulturelle und politische Unabhängigkeit gestorbenen Ohrider pries und an die Pflicht der Lebenden erinnerte, die allgemeinen Ideale zu erreichen.“ Nezavisima Makedonija, 14.12.1923, Nr. 36, S. 4. 440 „Am Abend versammelte sich die Kolonie zu einem Fest (večerinka). Der Salon des ,Trapezarijata‘ war übervoll. Der Chor der Jungen Makedonischen Eintracht (Mladežkija Makedonski Sgovor) sang schöne nationale (nacionalni) Lieder, es wurden patriotische Gedichte vorgetragen, ein Akt aus dem Stück ,Das neue Joch‘ wurde vorgespielt, und der Vorsitzende der Bruderschaft, Hr. An. Keckarov – nachdem er die Hauptmomente aus dem Leben und der Entwicklung der Bruderschaft von ihrer Gründung bis heute hervorgehoben hatte – richtete herzliche Worte an die Ohrider, forderte sie zur Freundesliebe (druželjubie) auf, zur Einigkeit um das Nationale Komitee, dass sie mit allen Kräften zur rascheren Rückkehr ins Freie Makedonien beitrügen, ohne Unterschied des Glaubens und des Volkstums (narodnosť).“ Nezavisima Makedonija, 14.12.1923, Nr. 36, S. 4. 441 Der unbekannte Verfasser berichtete dann von Danksagungen wegen erhaltener Spenden. Er fuhr fort: „Bei der Feier waren mehrere Delegierte anwesend. Im Namen des Nationalen Komitees überbrachte Hr. M. Gelev Grußworte; im Namen des Bundes der Makedonischen Jugend in Bulgarien grüßte Hr. D. Tomalevski, der aus der systematischen und hartnäckigen Tätigkeit der Bruderschaft Lehren für die makedonische Jugend zog, und die volle Unterstützung der jungen Generation versprach; im Namen der Ilindenorganisation entrichtete Hr. T. Stankov dem Wohltäter Hrn. Gr. Karagjulev warme Grüße, dem Vorsitzenden sowie den alten Veteranen der Makedonischen Sache (kauza), der Bruderschaft – den Ohridern, die uns als Vorzeigebeispiel aller Bruderschaften dienen, wie er auch unterstrich, dass die Ilinden-Leute (Ilindenci) immer die Flagge zugunsten unserer Sache hochhalten werden; von der Studentischen Makedonischen Vereinigung (Družestvo) ,Vardar‘ grüßte ein Student die Bruderschaft mit begeisterten Worten – und erwärmte das Herz aller Anwesenden.“ Nezavisima Makedonija, 14.12.1923, Nr. 36, S. 4. 442 „Nach der Durchführung aller Programmpunkte und bei der herrschenden guten Stimmung begannen die Leute auch zu tanzen, was bis nach Mitternacht andauerte. Das 25. Jubiläum des Jahrestags der Gründung war ein großes Ereignis für die Ohrider Kolonie. Der Vorstand der Bruderschaft hat Energie und Arbeit zu seiner Feier eingebracht, und die Ohrider, immer aufgeschlossen und patriotisch (rodoljubivi), haben ihren kulturellen Tag mit Würde vorbereitet und begangen.“ Nezavisima Makedonija, 14.12.1923, Nr. 36, S. 4.

Kliment zwischen Serbien, Makedonien und Bulgarien

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Öffentlichkeit: Am 15. Dezember 1923 veröffentlichte der „Kirchenbote“ den ersten Teil eines Abrisses des führenden bulgarischen Mediävisten Vasil Zlatarski über die „Lehrtätigkeit des hl. Kliment“.443 Der Absolvent der St. Petersburger Universität und in Berlin ausgebildete Historiker bemühte sich von 1895 an als erster Dozent für bulgarische Geschichte an der Sofioter Hochschule sowie später als Professor und mehrfacher Rektor der aus ihr hervorgegangenen Universität nachdrücklich darum, die bulgarische Wissenschaft im europäischen Rahmen zu entwickeln.444 Zlatarski, der auch stellver­ tretender Vorsitzender der Bulgarischen Akademie der Wissenschaften war, deren Ausbau er förderte, vermied in seinem Text den Begriff „Makedonien“ – stattdessen beschrieb das Mitglied der Südslavischen Akademie in Zagreb, wie das „westliche Randgebiet des bulgarischen Staates“ nach der „Katastrophe“, die die Kirche Methods in Mähren erlitten hatte, zu einem „ernsthaften und dauerhaften Hindernis“ für die Ausweitung des römischen Einflusses geworden sei.445 Zlatarski, der Vorsitzende der Bulgarischen historischen Gesellschaft und von 1910 über seinen Tod 1935 hinaus für lange Jahre einflussreichste Historiker Bulgariens, suchte somit auch im offiziellen Organ der BOK eine publizistische Plattform und öffentliches Ansehen für eine gemäßigte nationale Deutung der mit Kliment verbundenen Geschichte. Diese akademische, gemäßigte Interpretation blieb aber langfristig ohne Durchsetzungskraft: Kliments wurde seitens der publizistisch sehr gut organisierten make­ donischen Emigration weiterhin bewusst im Zeichen des nationalen Wettstreits gedacht. Arseni Jovkov, Redakteur der Zeitung „Ilinden“ und Mitglied des Führungsorgans der Ilindenorganisation, der am 14. September 1924 durch Mitglieder der VMRO getötet werden sollte,446 bekräftigte am 14. April desselben Jahres mithilfe des Diskurses um Kliment in einem Artikel in der Zeitung der Ilindenorganisation „20. Juli“ eine ­ethnische Identität der Slaven in Makedonien: Sein Ziel war es, die serbische Geschichtsdar­stellung mit der Darstellung der „wahrhaften historischen Wahrheit“ zu delegitimieren. Mit der Referenz auf Kliment glaubte er nachweisen zu können, seit dessen Zeit hätten „die makedonischen Slaven die Physiognomie der Bulgaren“ getragen.447

443 Cărkoven Vestnik, 15.12.1923, Nr. 43, S. 1 f. 444 Popnedelov (1999), S. 152 – 156; Clarke (1988), S. 157 – 161. 445 Cărkoven Vestnik, 15.12.1923, Nr. 43, S. 1 f. Zweiter und letzter Teil des Textes: Cărkoven ­Vestnik, 22.12.1923, Nr. 44, S. 4 f. 446 Palešutski (1993), S. 229. 447 „Für die wahrhaftige Wissenschaft aber, für die wahrhafte historische Wahrheit reihen sich die Fakten nicht so, wie es die Serben präsentieren. Sondern: 1. Seit dem Erscheinen der slavischen Schriftlichkeit und der slavischen Literatur zur Zeit des hl. Kliment haben die makedonischen Slaven die Physiognomie der Bulgaren. Ich weiß nicht, ob damals eine bulgarische Exarchie oder eine Kommission den hl. Kliment zu einem Bulgaren gemacht hat, aber alle späteren Viten des hl. Kliment und alle Schriften über ihn von den Ohrider Erzbischöfen behandeln ihn als einen bulgarischen Priester der bulgarischen Bevölkerung.“ „20. Juli“, 14.4.1924, Nr. 1, zit. in eigener Übersetzung gemäß Makedonija. Sbornik ot dokumenti, Nr. IV 30, S. 679 – 683, hier S. 680.

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Mobilisierung und Sakralisierung der Nation

Die Berichterstattung über den Feiertag Kliments blieb trotz der ihm zugeschriebenen Funktionen vorerst bescheiden: 1925 berichtete die Zeitung „Unabhängiges Make­donien“ über den „Feiertag der bulgarischen Universität“ nur mittels einer großformatigen Wiedergabe einer Abbildung des Kopfes von Kliment auf der Titelseite.448 Weiterhin blieb die akademische Forschung ein wichtiger Beitrag zur Festigung der neuen Erinnerungskultur: Der bereits genannte Mediävist Ivan Sněgarov legte 1927 als „ordentlicher Dozent“ der Kliment-Universität in Sofia in einem Jahrbuch der­selben Universität eine umfangreiche, auch separat publizierte Studie über Kliment vor, an deren Ende er „Kliment als bulgarischen Vorvater (praotec) und Erstaufklärer“ feierte.449 Wie sehr sich die makedonisch orientierte Deutung Kliments gegenüber einer übernationalen durchsetzte, bezeugt ein späterer Beitrag von Prof. Dr. Vasil N. Zlatarski: Dieser richtete sich 1928 mit einem Leitartikel in der Tageszeitung „Makedonija“, dem „Organ der makedonischen Emigration in Bulgarien“, mit der Überschrift „Die ­Mission des hl. Kliment in Makedonien“ an die Leserschaft. Laut dem damaligen Rektor der Kliment-Universität sei sie Boris I. zur „Nationalisierung der Kirche“ sowie als Mittel zur „politischen Unabhängigkeit“ gelegen gekommen.450 Die Boris unterstellte Haltung entsprach Zlatarskis eigenen Bestrebungen, den Kirchen- und Schulstreit des 19. Jh. unter neuen Bedingungen fortzuführen. Kliment habe den „lokalen makedonischen ­B u l g a r e n “ das auch in Zukunft zu beachtende Vermächtnis geschenkt, die „Muttersprache“ als „zuverlässigste und sicherste Beschützerin der Nationalität“ einzusetzen.451 Einer der führenden Historiker Bulgariens rechtfertigte damit die Ansprüche der Emi­ granten und des bulgarischen Staates auf Makedonien mit dem Rückblick ins Mittelalter und stellte sich selbst an die Spitze der Vertreter solcher Forderungen. In dem Artikel wählte er eine Begrifflichkeit, die stärker als in seiner mehrbändigen Darstellung des „bulgarischen Staates im Mittelalter“ national aufgeladen war, wenngleich die Argumentation nicht anders war.452 448 Nezavisima Makedonija, 4.12.1925, Nr. 138, S. 1. 449 Sněgarov (1927), S. 332. 450 „Denn i h m war klar, dass nur durch diese Nationalisierung der Kirche und der Schule die ­Kirche, aber auch die politische Unabhängigkeit garantiert werden könnte, und dass sich ein Weg zu einer selbständigen kulturellen Entwicklung des Landes eröffnete.“ Makedonija, 8.12.1928, Nr. 649, S. 1. 451 „Unter diesen Bedingungen konnte Kliment seine Aufgabe besser erfüllen als erwartet. Es gelang ihm nicht nur, eine Schule zu eröffnen und zahlreiche Schüler mit der Bildung makedonischer Bulgaren zu unterrichten, er führte nicht nur als Bischof von Debărca und Bělica erstmals die Volkssprache in der bulgarischen Kirche und Schule ein, sondern vermachte damit auch hartnäckigst (naj-nastojčivo) dem ganzen bulgarischen Volk, und auch den lokalen makedonischen B u l g a r e n sich streng an i h r e Muttersprache (roden ezik) zu halten, denn die Sprache ist die zuverlässigste und sicherste Beschützerin der Nationalität (narodnosť-ta), wie dies die makedonischen Bulgaren wirklich gezeigt haben, während ihrer schweren nahen und fernen Vergangenheit, und wie sie es sicherlich noch in der Zukunft zeigen werden.“ Makedonija, 8.12.1928, Nr. 649, S. 1. 452 Zlatarski (1927), Bd. 1, Teil 2, S. 223 – 225.

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Mit der Verlagerung und Reproduktion des im 19. Jh. weitgehend auf Ohrid und die nähere Umgebung beschränkten Gedenkens an Kliment nach Sofia veränderte sich auch die Funktion der Erinnerung an den Heiligen weiter: An die Stelle des Einsatzes der Erinnerungsfigur zur lokalen kulturellen Emanzipation trat ihre Verwendung mit dem ,großbulgarischen‘ Ziel, Makedonien aus dem jugoslawischen Staat herauszulösen und Bulgarien anzuschließen. Anstatt von einer Rolle der Kirche als Stütze der zarischen Herrschaft zu sprechen, stand ganz der angebliche nationale Zusammenhang im Vordergrund. Gleichzeitig wurde aber auch die nationale Indienstnahme Kliments ohne expliziten makedonischen Bezug durch den Staat gefördert: In der Reihe „Kunstbibliothek ,Altes Bulgarien‘“, die auf Anordnung des Kriegsministeriums mit der Erlaubnis des Bildungsministeriums 1926 eingerichtet worden war, bereitete Den. M. Ljuljakov das Leben des „Erstlehrers“ in einer kindergerechten illustrierten Fassung auf.453 Auch die kirchliche Publizistik sprang auf den nationalen Zug auf, vermied aber noch einen Anspruch auf Makedonien: Der „Kirchenbote“ widmete zum 8. Dezember 1928 seinen Leitaufsatz dem Gedenken an Kliment: Der Universitätsdozent Ivan Gošev, der bereits 1916 in diesem Organ der BOK über Kliment geschrieben und 1922 das „Kirchliche Historisch-Archäologische Museum“ des Synods gegründet hatte sowie bis 1958 dessen Direktor war, verehrte ihn hier als „unseren Erstlehrer“ und als einen der ersten christlichen bulgarischen „kulturhistorischen“ Akteure. Hingegen lasse seine derzeitige Verehrung viel zu wünschen übrig – die „Massen“ seien ihm „fern“: „Aber wir leben heute sehr wenig mit ihm, sein Antlitz ist noch sehr dunkel, sehr fern ist er in seiner Zeit und seelenmäßig von den Massen, als dass wir ihn lieben und ihm nacheifern würden. (…) Welcher Dramaturg führt ihn uns auf die Bühne, damit wir ihn von seinen Schülern umringt sehen, damit wir spüren, wie er sich um Bulgarien kümmerte (…). Der einzige Trost ist, dass das Volk noch das kirchliche Gedenken an diesen großen Bulgaren hütet, dass die Kirche jährlich mehrmals seines Namens gedenkt (…) und, am wichtigsten, dass unsere staatliche Universität den hl. Kliment als ihren Beschützer hat. Aber dieser (…), der mit seiner Lehrtätigkeit zur Ent­stehung der bulgarischen Nationalität beitrug und sie ermöglichte (…) – dieser Heilige und Genius verdiente es, von uns noch mehr verehrt zu werden“.454

Der Kirchenhistoriker und Archäologe sprach sich in dem Kirchenblatt folglich für eine Förderung der nationalen Verehrung Kliments im Rahmen einer modernen Massen­ gesellschaft aus. Auch an der bulgarischen Schwarzmeerküste kann in der Zwischenkriegszeit eine Verehrung Kliments beobachtet werden: 1929 veröffentlichte die Varnaer „Wohltätige Bildungsbruderschaft ,Heiliger Kliment von Ohrid‘“ eine Broschüre über „Leben, Tätigkeit und Bedeutung“ Kliments. G. Sucho-Rakovickij, ihr Verfasser, schätzte Kliments Bedeutung zuallererst im Rahmen des Bedeutungszuwachses Bulgariens unter Boris

453 Ljuljakov (1928). 454 Cărkoven Vestnik, 8.12.1928, Nr. 44, S. 521 f.

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und Simeon ein.455 Die vordringlichst zu beantwortende Frage war nun die nach der Nationalität Kliments – Sucho-Rakovickij entschied sie mit dem Verweis auf bereits zitierte Stellen seiner kurzen Vita zugunsten Bulgariens. Wichtig war für ihn aber auch der „Eifer“, mit dem Kliment sich in Bulgarien ans Werk machte: Er sei „ein genügend starker Nachweis für seine bulgarische Herkunft.“ Aus dem Bekenntnis zur Nation glaubte Sucho-Rakovickij auf die ,ethnische‘ Herkunft schließen zu können.456 Mit mehr Zurückhaltung stellte Sucho-Rakovickij die These auf, „dass unter den nach Bulgarien gelangten Schülern Methods keine Griechen waren, dass sie alle Slaven waren“.457 Maximale ethnische und nationale Homogenität waren die Messlatte zur Wertschätzung der Taten Kliments: Seine Lehrtätigkeit bei Ohrid und die Naums in Pliska und Preslav, laut den Viten nur sieben Jahre, „legten doch die Grundlagen für eine gesunde Natio­nalisierung (nacionalizirane) des Staates, welches eine der größten Aufgaben Boris’ war“.458 Auch die Einsetzung Kliments als Bischof „war ein Beginn zur systematischen Nationalisierung des bulgarischen Staates, eine planmäßige Erhebung der Volks­sprache (na rodnija ezik) nicht nur zur Sprache des Gottesdienstes und zur Literatursprache, sondern auch zu einem vollendeten Instrument, gemeinsam mit dem orthodoxen Glauben – man musste aus den Protobulgaren (prabălgari) und den Slaven eine einige, gesund vereinigte Nationalität (narodnosť) schaffen“.459 Sein Bistum wurde unter diesem nationalistischen Blickwinkel „zum Vorbild für alle und zum Pflanzgarten für die neue bulgarische Kultur.“ Er erreichte in der Darstellung des Autors das Ziel der Nationalisierung: Nicht nur seine nächste Umgebung und seine Schüler trauerten um ihn – „Es trauerte das ganze Volk, dass es einen Sohn verlor, der ihm gegenüber so hingebungsvoll gewesen war, und den ersten Geheiligten.“ Nicht Wunder oder seine Religiosität, sondern „die großen Verdienste des hl. Kliment, die Liebe, die das Volk ihm gegenüber hegte, festigten seinen Namen und seine Taten fest im Volksbewusstsein, und bald verbreitete sich der Kult um ihn so weit, dass er als Heiliger kanonisiert wurde.“ 460 Die bis ins 20. Jh. belegte Beschränkung seiner Verehrung als Wundertäter und Schutzheiliger auf die Region um Ohrid passte nicht in das hier gezeichnete Bild der nationalbewussten homogenen Volksmassen: Die Herstellung gerade einer solchen Volkseinheit in der Gegenwart war der publizistische Dienst, für den Kliment dem Verfasser als Medium herhalten sollte. Mit einer Anlehnung an die traditionelle Fürbitte durch das Medium des Heiligen wurden die gänzlich weltlichen Ziele als nationale 455 „Während der Zeit des hl. Zaren Boris und des Zaren Simeon erhob sich Bulgarien sehr hoch. Dies verdankte sich sowohl der persönlichen Verdienste dieser unserer beiden Zaren als auch der Tätigkeit einer Vielzahl von Buchgelehrten und Lehrern, Schülern der heiligen Brüder Kyrill und Method (…). Unter ihnen nimmt der hl. Kliment von Ohrid eine besonders hervorragende Stelle ein.“ Sucho-Rakovickij (1929), S. 1. 456 Sucho-Rakovickij (1929), S. 2. 457 Sucho-Rakovickij (1929), S. 2. 458 Sucho-Rakovickij (1929), S. 11 f. 459 Sucho-Rakovickij (1929), S. 13 f. 460 Sucho-Rakovickij (1929), S. 15.

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Deside­rate formuliert und sakral legitimiert. Sucho-Rakovickij machte dabei Kliment zum „Beschützer des bulgarischen Landes“ sowie der „Wissenschaft, Bildung und Kultur“: Er übertrug der Erinnerungsfigur eine umfassende und erstrangige nationale Funktion, die dieser bisher so explizit noch nie zugeschrieben worden war.461 Neben der inhaltlichen Weiterentwicklung sowie der geographischen und sozialen Streuung der Verehrung in einzelnen Vereinen bis nach Varna festigte sich auch die Inszenierung des Feiertages im relationalen Raum der hauptstädtischen Öffentlichkeit: Die illustrierte orthodoxe Zeitschrift „Volkswächter“ – der Titel des von 1937 an offiziell vom Bistum Sofia veröffentlichten Blattes ging offenbar auf ein Zitat Vazovs zurück – berichtete 1929 ausführlich darüber, wie der „Feiertag der Staatlichen Universität“ bzw. ihres Patrones Kliment begangen wurde: „Gemäß der Tradition findet am Tag des hl. Kliment eine feierliche Versammlung statt“, die diesmal im Volkstheater und „be­sonders feierlich“ abgehalten wurde: „Das Theater war übervoll. Um 10 Uhr traf S. H. der Zar ein, begleitet von I. Z. Hoheit der Fürstin Evdokija und S. Z. Hoheit Fürst Kyrill: Diese wurden mit anhaltendem Applaus begrüßt. Die feierliche Versammlung wurde eröffnet mit der Nationalhymne und der Hymne des hl. Kliment, ausgeführt vom Chor der Theologiestudenten.“

Im Rahmen der Feier berichtete der Prorektor über das vergangene Jahr im Universitätsleben und gab auch bekannt, dass die Physikalisch-Mathematische Fakultät dem Zaren einen Ehrendoktortitel verleihe. „Bei der feierlichen Versammlung waren viele angesehene Männer der Kirche und der Gesellschaft anwesend.“ Darunter waren fünf Minister, „Vertreter des Heiligen Synods und aller Bildungseinrichtungen“.462 Kliments Tag erschien hier als ein zentraler Anlass im Universitätskalender, an dem die staatliche und kirchliche Unterstützung und Nähe bezeugt wurde. Gleich anschließend schrieb der „Volkswächter“ über die Gesellschaft „Heiliger Kliment“ als einer der „studen­tischen orthodoxen christlichen Gesellschaften“ an der Theologischen Fakultät, die „von alters her“ an diesem Tag ihren Patron feierte. Sie „leitet auch die Angelegenheiten des Vereinigten Bruderrates, in dem die Leitung aller orthodoxen Schülergesellschaften zentrali­ siert ist“.463 Die Feier Kliments und seine Verehrung als Patron war so nicht nur mit der Monarchie, der Regierung sowie der Sofioter Kirchenführung und der Universität, sondern mit einem breiten sozialen Netzwerk von konfessionellen Assoziationen auch der Jugend verbunden.

461 „Hoffen wir, dass in den Tagen allgemeiner Bestrebungen um eine tiefere und allseitige Erforschung unserer Vergangenheit auch die Grundlagen unserer nationalen (nacionalno) Erziehung gesunden, und dass das Werk des hl. Kliment seinen Platz und eine würdige Einschätzung erlangen wird und lasst uns ihn – den Geheiligten und Beschützer des bulgarischen Landes, der bulgarischen Wissenschaft, Bildung und Kultur – um hellere Tage in der Zukunft und in aller Ewigkeit bitten.“ Sucho-Rakovickij (1929), S. 16. 462 Naroden Straž, 15.12.1929, kn. 17, S. 15 f. 463 Naroden Straž, 15.12.1929, kn. 17, S. 15 f.

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Auch die ausgiebigen Feiern auf den Straßen der Hauptstadt sollten unter einem makedonischen Licht stehen: 1932 berichtete die Zeitung „Makedonien“ über den Feier­ tag des Universitätspatrons Kliment: „Das Licht, das er aus dem westlichen makedonischen Gebiet auf ganz Bulgarien wirft, ist noch heute die Hauptstütze, auf die sich der bulgarische nationale (nacionalen) Geist stützt, damit er gegenüber den Anschlägen von inneren und äußeren Feinden besteht.“ Im Volkstheater fand zu diesem Anlass, ganz wie 1929, eine „feierliche Versammlung“ „mit ausgewähltem Publikum“ in Anwesenheit des Zaren, des Premierministers sowie zweier Minister statt. Der Chor der Theologischen Fakultät sang die Nationalhymne „Es rauscht die Marica“ und die Hymne des hl. ­Kliment.464 1933 wiederholte sich die bereits ritualisierte Feier, erneut in Gegenwart des Zaren sowie diesmal auch der Zarin, von vier Ministern und einem General.465 D 3.1.2  Veränderungen nach dem Staatsstreich Boris’ III.

Die BOK machte sich weniger den makedonischen Diskurs zu eigen als eine zunehmend nationalistische Deutung Kliments: Der Literaturkritiker und Herausgeber der Zeitschrift „Vermächtnisse (Zaveti)“ Nikola Balabanov schrieb im Sommer 1935 im „Kirchenboten“ der BOK unter dem Titel „Kämpfer des bulgarischen Geistes“ über „unsere nationale, politische und kulturelle Wiedergeburt“. Eine „besondere Rolle“ schrieb er dabei der Kirche zu, und als erste Person nannte er in seinem Aufsatz in diesem Zusammenhang Kliment. Gemeinsam mit Geistlichen des 19. Jh. war er als „Erschaffer der bulgarischen Schule“ der einzige Heilige, den er zu den „Kämpfern in der Armee der Festiger des bulgarischen Geistes unter den breiten Volksmassen in der Vergangenheit“ zählte. Im gleichen Absatz schrieb er dreimal von „Volksmassen“. Die bulgarische Geistlichkeit bzw. die dreifach genannten „Festiger des nationalen (nacionalnija) Geistes“ sollten der „Seele“ dieser Mengen „religiöses Gefühl und nationales Bewußtsein“ einflößen. Ein imaginärer „nationaler Geist“ war Balabanov deutlich wichtiger als ein christlicher Inhalt.466 Sein Beitrag bezeugt die Bemühung der Redaktion der offiziellen Kirchenzeitung, Führern des säkularen Kulturbetriebs auf ihren Seiten das Wort zu geben: Die weltliche Ausstrahlung der Publikation sollte mit einer nationaltheologischen Deutung Kliments ausgeweitet werden. Bischof Neofit von Vidin griff im gleichen Jahr zum Jahrestag Kliments gleichfalls im offiziellen Organ der BOK Kliment als Medium eines Entwurfs eines vorgeblich christlich bzw. explizit religiös untermauerten Nationalismus auf. In seinem Leitartikel „Wiedergeburt durch die Schuljugend“ verwies er auf die Lehranstrengungen Kliments und behauptete, dessen Tätigkeit habe „die Zweitgeburt (preraždane) der beiden ethnischen Elemente – die Bulgaren und die Slaven“ herbeigeführt und „eine einheitliche, gesunde Nation (nacija), ein bulgarisches Volk geschaffen, in dessen Seele die beiden

464 Makedonija, 8.12.1932, Nr. 1840, S. 1. 465 Makedonija, 8.12.1933, Nr. 2139, S. 1. 466 Cărkoven Vestnik, 29.6.1935, Nr. 27 – 28, S. 322 f.

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Gefühle zusammenflossen – das nationale mit dem religiösen“. Diese quasichemisch beschriebene Synthese führte zu einem dauerhaften, organischen Ergebnis: „Die beiden vereinigten Gefühle schufen damals den Puls der Jahrhunderte bestehenden bulgarischen nationalen (narodna) Eigentümlichkeit.“ Mit dem Wandel in die Moderne veränderten sich aber die Formen: „Aus der Zellenschule wurde eine moderne Musterschule“. Die gesamte Gesellschaft veränderte sich: „Neben der organisierten staatlichen Kriegskraft entstanden viele andere professionelle, sportliche und patriotische Organisationen. Es ist unstrittig, dass mit all diesem ein nationaler und geistig-­ kultureller Aufstieg des bulgarischen Volkes erwartet werden muss. Aber dazu kommt es nicht.“

„Indifferenz und Unglaube“, das „drohende Antlitz des Volksverrats“ und „moralische Erschwächung“ seien im Wege. Angesichts der Moderne und in ihrem Rahmen sei deshalb eine „nationale Erneuerung“ nötig: „Die Geschichte sagt uns, dass die nationale (narodna) Erneuerung (obnova) und die Wiedergeburt immer von der Kirche, gemeinsam mit der Schule, ausgegangen ist. So hat der hl. Kliment von Ohrid aus seinen Schülern Volkserneuerer gemacht.“ Die nationalpolitisch-theologische Mobilisierung der Jugend stellte sich der Bischof ganz konkret vor: „Drei große Feiertage sind über das Jahr in einer Reihe – der 24.5., 1.11. und 4.12. [die Tage zu Ehren Kyrills und Methods, Ivans von Rila sowie Kliments]– speziell zur Einflößung dieser Kräfte in die Seele unserer lernenden Jugend. Und an diesen drei Tagen hört diese Erzählungen, ­An­sprachen und Reden darüber, dass durch diese Kräfte das geistig-kulturelle und nationale Wachstum des bulgarischen Volkes geschaffen wurde. An diesen drei Tagen tritt die Jugend in eine enge Verbindung mit der heimischen Kirche – der göttlichen Lehrerin des Glaubens, des Patriotismus und der Menschlichkeit. Aber nur dies ist zu wenig für die Schulkinder, damit sich in ihnen die Wohltaten festigen. Die Schule und die Kirche müssen, wie in der Vergangenheit, in ständiger und unauflösbarer Verbindung sein“.

Nur dann könnte „die junge Generation ununterbrochen die sittliche und nationale Wieder­geburt und Erneuerung des bulgarischen Volkes“ erwirken.467 Als Antwort auf die Wahrnehmung ethischer Auswirkungen der Moderne entwarf der Bischof so mithilfe der Vorstellung des modernen Nationalismus eine orthodoxe Modernität, die aus einer durch Kirche und moderne Musterschule vollkommen nationalisierten und religiös mobilisierten, erneuerten Gesellschaft bestehen sollte. Gleichzeitig gedieh die weltliche Deutung Kliments im bulgarisch-makedonischen Zusammenhang weiter: 1935 veröffentlichte Nikola Nikitov als zweites Büchlein der „Bibliothek ,Große Bulgaren‘ Malerische Erzählungen“ eine literarische Fassung des Lebens Kliments – die erste Nummer der Reihe hatte derselbe Schriftsteller Kyrill und Method gewidmet.468 In der 1936 veröffentlichten bulgarischen Fassung seiner 1930 in serbokroatischer Sprache erschienenen Schrift über Kyrill und Method hob der

467 Cărkoven Vestnik, 30.11.1935, Nr. 42 – 43, S. 487 – 489. 468 Nikitov (1935a, 1935b).

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Publizist Todor Krajničanac, der gemeinsam mit dem Politiker und Slavisten Stefan S. Bobčev zu einer kleinen jugoslawischen, bulgarischen und polnischen Gruppe von Vertretern einer „all-slavischen“ Konföderation gezählt wird,469 den makedonischen Hintergrund des Wirkens Kliments hervor: „Dieser vermochte dank seiner hohen Intelligenz, ­Kultur und Bildung die Sympathien des makedonischen Volkes zu gewinnen und die slavisch-bulgarische Kultur ins alte und klassische Ohrid auszuweiten.“ Dabei unterschied er Makedonien deutlich von Bulgarien: Die Mehrheit der Schüler Kyrills und Methods „ging nach Makedonien, die anderen aber blieben in Bulgarien“.470 Auch in ihrer Frömmig­keit taten sich die „Bulgaren Makedoniens“ hervor. Der Religiosität Kliments wurde aber nur durch ihre angebliche Rolle im Kampf gegen die Osmanen Wert zugestanden: „Die Legenden sind voll von der Heiligkeit und Mystik der Bulgaren in Makedonien. Der hl. Kliment ist der Inspirator vieler Generationen im bulgarischen Land. Er ist ein großer Christ, denn er ist der größte Kämpfer gegen den heidnischen Angriff und gegen die Tyrannei der Sultane.“ 471 In der Abgrenzung von der osmanischen Vergangenheit vermengten sich die Jahrhunderte problemlos. Sowohl die „kulturelle und politische Wiedergeburt“, die hier für das 19. Jh. wie für das Mittelalter diagnostiziert wurde, als auch die „Selbsterhaltung des bulgarischen Volkes“ wurden auf seine Person zurück­geführt. Überdies garantiere „sein Geist“ transnational die „geistige Einheit aller Slaven“.472 Monographische Darstellungen Kliments oder seine Erwähnung in Broschüren blieben aber weiter selten. Zudem stand Kliment ganz im Schatten Kyrills und Methods: Am 24. Mai 1938 berichtete die Zeitung „Morgen (Utro)“ von der „öffentlichen Versammlung“ zu Ehren der Brüder, die Studenten zur Feier des „Tages der Bildung“ einberiefen. Der Rektor der Universität, der Jurist Prof. Georgi Genov sowie der Literaturwissenschaftler, frühere Volkstheaterdirektor und spätere Bildungsminister Prof. Dr. Boris Jocov sprachen über „Bulgarien und die slavische Welt“. Genov begann seine Rede zunächst mit dem Verweis auf „die große Rolle des hl. Kliment“ bei der Ent­stehung der bulgarischen Schriftlichkeit, „wegen dieses seines Verdienstes hat die bulgarische Universität ihn als ihren Patron gewählt“. Das Gedächtnis an die beiden Brüder war so etabliert, dass im Rahmen des Diskurses über sie die vergleichsweise schwächer ausgeprägte Erinnerungskultur um Kliment gefördert werden sollte.473 Nur der Feiertag an der Universität fand regelmäßig publizistische Aufmerksamkeit: 1938 erschienen bereits so viele Berichte über Kliment, dass der „Kirchenbote“ in der Spalte „aus der Presse“ vermerkte: 469 470 471 472

Penchev (2011), S. 101. Krajničanec (1936), S. 27. Krajničanec (1936), S. 27. „Sein Verdienst liegt in der kulturellen und politischen Wiedergeburt (văzraždane) und Selbsterhaltung des bulgarischen Volkes.“ Er sei „einer der größten Giganten in der Kulturgeschichte der slavischen Nation und sein Geist vereinigte die geistige Einheit aller Slaven.“ Krajničanec (1936), S. 27. 473 Utro, 23.5.1938, Nr. 8637, S. 6.

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„Und die Presse nimmt in dieser Lobrede nachdrücklich ihren natürlichen Platz ein. Unter den vielen Aufsätzen in verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften über diesen Feiertag verdient auch der wertvolle Leitartikel von P. M. Skopakov Aufmerksamkeit, der im Einführungsteil des Wochenblattes ,Literarische Stimme‘ platziert worden ist“.474

Besonders ausführlich berichtete der „Volkswächter“, die Zeitschrift des Bistums Sofia, am 1. Juni 1939 über die Begehung des „fünfzigsten Jahrestages der Universität ,­Heiliger Kliment von Ohrid‘“. Die Nevskij-Kirche „war übervoll von zahlreichen eigens einge­ ladenen Personen, begonnen mit allen Ministern, Mitgliedern des diplomatischen Korps, den Generälen, und Vorstehern der verschiedenen staatlichen Einrichtungen und vieler ausgewählter“ hochstehender Persönlichkeiten. Die Feiernden beanspruchten mit dem Marsch von der Universität zur Kathedrale das Zentrum der hauptstädtischen Öffentlichkeit für sich: „Am Anfang waren etwa 150 Studenten, die die Fahne der Universität und die bulgarische Trikolore trugen. Ihnen folgten die Rektoren der fremden Universitäten, gekleidet in ihre Rektorengewänder mit Auszeichnungen.“ Vor der Kirche wurde der Zar mit seiner Familie sowie einer „kleinen Suite“ „mit stürmischen Akklamationen von den Studenten und dem Volk“ empfangen. Mehrere Kirchenfürsten und Mitglieder des Heiligen Synods leiteten den Feiergottesdienst. Von der Kirche zur Universität wurde sodann erneut ein Umzug veranstaltet. In der Aula sammelte sich die gesamte Gesellschaft erneut und der Zar ergriff das Wort: „Ihre Hochheiligkeiten, Herren Rektoren, Damen und Herren! Das bulgarische Volk war schon zu frühen Zeiten dazu bestimmt, lebendig an dem allgemeinen kulturellen Aufbau teilzuhaben.“ Dies gelte auch für die Gegenwart: Die Absolventen der vor fünfzig Jahren gegründeten Universität „sind eingeflossen in den Lebensstrom (v života potik) der Erneuerung und in den Willen zum Aufbau des Fortschritts und der Kultur des Bulgaren“. „Auf dass ihr [der Universität] Streben nach Erkenntnis niemals erlöscht, und dass ewig in ihr die heilige Flamme des bulgarischen Geistes brennt!“ Nach dem Zaren ergriffen auch der Bildungsminister Bogdan Filov, der Universitätsrektor sowie der Heilige Synod das Wort. Letzter ließ verlauten: „,Wenn es keine bulgarische Kirche gäbe, dann gäbe es auch das bulgarische Volk nicht!‘“ Die mit Ovationen bedachte Losung zeigt, wie die Situation als Gelegenheit zur Erklärung von öffentlichen Machtansprüchen genutzt wurde. Im Namen der 91 an diesem Tag ernannten ausländischen Ehrendoktoren der Kliment-Universität sprach dann der „überaus bekannte Pädagoge“ Edouard Claparède, Professor an der Universität Genf, über die „jahrhundertealte nationale Kultur“ Bulgariens, deren „herrlicher Kranz“ die Universität sei, und er lobte Zar Boris III. als deren „Beschützer“.475 In d­ ieser hauptstädtischen und internationalen Öffentlichkeit spielten offensive make­donische Bedeutungsaufladungen Kliments weiterhin keine prominente Rolle. Anlässlich des Jubiläums der Gründung der Universität veröffentlichte Professor Michail Arnaudov eine erste grundlegende Monographie ihrer Geschichte. Er begann mit Verweisen auf die europäische Universitätsbewegung sowie auf die Bedeutung der Lehrtätigkeit

474 Cărkoven Vestnik, 23.12.1938, Nr. 48, S. 568 f. 475 Naroden Straž, 1.6.1939, Nr. 12, S. 3 – 5.

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­ liments von Ohrid, ohne institutionelle Unterschiede zu leugnen. Gleichzeitig hob er K byzantinische literaturgeschichtliche Entwicklungen des 11. und 12. Jh. hervor, die er als „Vorläufer des westeuropäischen Humanismus“ einordnete.476 Die Feier des Gründungstags überlagerte sich auch in diesem und im folgenden Jahr mit der Begehung des Tages Kyrills und Methods:477 Die Feiern zum Bildungstag im Jahr 1940 fanden ebenfalls Raum für den Verweis auf Kliment: Eine an der Demonstra­ tion teilnehmende Gruppe führte eine Ikone des hl. Kliment mit sich, welcher als „der erste Schüler der beiden Brüder“ in Erinnerung gerufen wurde. Kliment stand für die Universität und gleichzeitig für den bulgarischen Anspruch auf Vardar-Makedonien.478 Kliments Verehrung war zu Beginn der 1920er-Jahre in Sofia noch ganz unge­festigt gewesen. Mit dem Verlust Makedoniens an Jugoslawien zum Ende des Ersten Welt­ krieges wurde Kliment aber rasch zu einem der wichtigsten Medien der make­donischen Emigranten gerade aus Ohrid in der bulgarischen Hauptstadt. Sowohl wohltätige als auch politische Assoziationen und zudem die Universität beriefen sich bei bald institutiona­ lisierten öffentlichen Feiern auf ihn als Patron. Parallel hierzu festigte sich die Forderung, Makedonien für Bulgarien zu gewinnen. Vom Ende der 20er-Jahre an berichteten ­mehrere Sofioter Zeitungen ausführlich über die Patronatsfeiern an der Universität, denen regelmäßig auch der Zar sowie Minister und hohe kirchliche Würdenträger beiwohnten. Kliment wurde zum Botschafter einer orthodoxen Modernität, die eine nationalisierte erneuerte Gesellschaft sein sollte. D 3.2  Kliment und die Legitimierung der Besetzung Makedoniens 1941

Nach der Eingliederung Vardar-Makedoniens in den bulgarischen Herrschaftsbereich zu Ostern 1941 diente Kliment sehr rasch zur staatlichen Rechtfertigung der Besetzung, die als Vereinigung der Bulgaren gefeiert wurde.479 Akademisches und kirchliches publizistisches Handeln gingen auch hier Hand in Hand: Im offiziellen „Kirchenboten“ der BOK kündigte Professor G[ančo]. St. Pašev den Besuch des akademischen Rates der Universität Sofia in Ohrid Anfang Juli 1941 an. Pašev lud den Ausflug mit einiger Bedeutung auf – er sollte die „unzerstörbare Verbindung“der Bulgaren untereinander sowie ihrer Universität mit Ohrid „symbolisch“ ausdrücken. Ein einziger Besuch wurde in diesem Text als Beweis und Vergegenwärtigung einer „viele Jahrhunderte“ alten angeblichen Einheit gedeutet, die nur im Diskurs des modernen nationalistischen Entwurfs Bulgariens existierte. Die Wissenschaftselite des Landes und die „einzige bulgarische Universität“ stellten sich, aus gegebenem Anlass, vollständig in den Dienst dieser Zielutopie,

476 Arnaudov (1939), S. 2 f., S. 5. 477 Naroden Straž, 1.6.1939, Nr. 12, S. 3 – 5. 478 Dăga, 25.5.1940, Nr. 358, S. 4. 479 Vgl. Opfer (2005), S. 252 – 256; auch zur Dobrudža: Weber (2006), S. 371 – 379.

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die zu ihrem Erwartungshorizont wurde.480 Mit dem Besuch sollte der „akademische Rat“ der Universität zeigen, wie „lebendig“ „das bulgarische Nationalbewusstsein“ und „die bulgarische Wissenschaft“ „mit Ohrid und dem hl. Kliment“ zusammenhingen.481 Kliment sollte damit weit mehr sein als bloß ein formaler Patron der Universität – sein „Vermächtnis“ sollte auch den Inhalt der an ihr betriebenen Wissenschaft bestimmen. Kliment wurde dabei einerseits im traditionellen Sinne als lebendiger Heiliger imaginiert, andererseits aber wurde „sein Geist“ mit einer an gleichzeitige totalitäre Projekte erinnernden Funktion versehen. Ausflüsse aus Kliments „Seele“ wurden hier zum ­Inspirator des „Genius“ der territorial und ethnisch homogenen bulgarischen Nation.482 Die Verehrung des Heiligen wurde nun nachdrücklich über seine traditionellen regionalen Grenzen um Ohrid auf ganz Bulgarien – in seinen neuen Grenzen – ausgedehnt. Kliment wurde zu einem – weiteren – Medium der Legitimation und Imagination einer einheitlichen Nation in den 1941 annähernd erreichten Grenzen von San Stefano. Zugleich wurde auch die Selbstaufopferung für dieses Ziel mit Kliment eingefordert. Die vehemente Nachdrücklichkeit des Anspruchs auf die tatsächliche Verwirklichung dieser nationalen Zielutopie im Frühjahr 1941 bezeugt den Legitimierungsdruck, dem

480 „Dadurch wird die unzerstörbare Verbindung ausgedrückt, die über so viele Jahrhunderte das einige bulgarische Volk verband. Außerdem wird damit symbolisch auch die Verbindung ­zwischen dem Ursprungsmoment unserer Wissenschaft und Bildung und ihrem ersten Begründer, dem hl. Kliment von Ohrid, mit ihrem heutigen Zustand und ihrem heutigen Träger und Repräsen­ tanten ausgedrückt – der einzigen bulgarischen Universität.“ Cărkoven Vestnik, 4.7.1941, Nr. 28, S. 316. 481 Der akademische Rat bringe mit seiner Visite zum Ausdruck, „einerseits, die unerschütterliche Verbindung, die das bulgarische Nationalbewusstsein, die bulgarische geistige Einheit und die bulgarische Wissenschaft lebendig zu Ohrid und dem hl. Kliment hatten, und andererseits, um zu zeigen, dass diese unzerstörbare lebendige Verbindung sich nicht nur in äußerer Verehrung gegenüber dem Beschützer der Universität ausdrückt, sondern auch in der unveränderlichen Befolgung seiner geistigen Vermächtnisse (zaveti). Man muss denken und annehmen, dass der hl. Kliment nicht nur der Universität den Namen gibt, sondern all ihr Werk, ihre ganze Er­scheinung mit seinem Geist durchdringt.“ Cărkoven Vestnik, 4.7.1941, Nr. 28, S. 317. 482 „Die Unterordnung der höchsten bulgarischen Wissenschaft unter die Gebetsfürbitte des hl. Kliment von Ohrid muss mit wichtigen Begründungen und tiefen Gedanken verbunden sein. Und diese können offensichtlich nicht nur sein, dass der hl. Kliment der erste bulgarische Aufklärer und Lehrer ist (…). Es gibt noch etwas sehr Lebendiges, sehr Unmittelbares, Er­habenes und Unerlöschliches, das aus seiner Seele strömt und das mit unerschütterlicher Kraft das schöpferische Genie des einigen bulgarischen Volkes durchdringt, vom Schwarzen Meer bis Bistrica, Ohrid, Šar und das Moravagebiet (Pomoravieto), und von der Donau bis zum Weißen Meer, indem es dieses unterstützt und entflammt, es stolz macht, fest und überzeugt von seinem Recht, zu existieren, zu schaffen und sich zu errichten, um würdig den Platz einzunehmen, den ihm die Vorsehung unter den anderen Völkern zugeordnet hat – des Erschaffers (tvorci) historischer und geistiger Werte. Dies ist der große schöpferische Geist des hl. Kliment von Ohrid, der sich in alles gebender (vseotdajna) und opfernder Liebe zeigt.“ Cărkoven Vestnik, 4.7.1941, Nr. 28, S. 318.

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sich die wissenschaftliche Elite der bulgarischen Gesellschaft damals ausgesetzt sah. Andererseits schien sich diese auf der Ebene des Diskurses sehr bereitwillig dienstbar machen zu lassen und bewies eindrückliche Phantasie. Der „Geist“ Kliments wurde hier zwar als lebendig bezeichnet – aber er lebte gemäß demselben Text nicht nur im traditionellen Sinne für sich, er lebte insbesondere in der aktiven Erinnerung der Bulgaren.483 Kliments „Geist“ sollte die „nationale Seele“ „durchdringen“ und diese damit charakterisieren sowie sakralisieren. Der dauerhafte Bestand des „bulgarischen Geistes“ war das Anliegen der Fürbitte. Kliment lebte selbst als Fürbitter in erster Linie durch die ihm von den Einzelnen entgegengebrachte Verehrung. Der Heilige wurde hier tendenziell als Resultat von Erinnerung auf die Praxis der Erinnerung reduziert, sodass diese selbst zum Gegenstand der Verehrung wurde. Auch nicht kirchlich kanonisierte Legenden schienen Kliments Geist zu „beleben“.484 Pašev war damit aber noch nicht am Ende seiner nationaltheologischen Über­ legungen: Das Verhältnis des „Geistes“ Kliments zur „Volksseele“ sollte noch weiter definiert werden. Kliments „Geist“, sein „Werk“ und seine „Persönlichkeit“ wurden im Zusammenwachsen mit der „Volksseele“, aber offenbar ohne sich mit ihr zu vereinigen, zur „unerlöschlichen Flamme“, die diese „Volksseele“ schützen sollte.485 Der Begriff „Makedonien“ blieb in seinem Text ausgeklammert, als ob Pašev die herbeigeschriebene Einheitlichkeit Bulgariens nicht gefährden wollte. Er hob aber die Region, ohne sie zu nennen, durch eine besondere Intensität der Verehrung hervor.486 Pašev fasste zusammen: Das Volk habe „erkannt, dass namentlich der hl. Kliment die Grundlagen der selbständigen bulgarischen Kultur und Bildung gelegt hat“.487 483 „Dieser alles umfassende, liebende und nicht zu brechende Geist des hl. Kliment lebt in der Vielzahl der Akteure, welche die von ihm erhaltenen Kenntnisse in alle Häuser des Staates verbreiten und die geistige Einheit mit der Kraft seiner Liebe und Ergebenheit begründen. Dieser wird belebt in den vielen Kirchen und Schulen, die durch ihn und nach ihm gegründet wurden. Er durchdringt die nationale (narodnata) Seele tief und lebt weiter in der Erinnerung an sein Werk und in seiner wunderwirkenden Kraft, in seiner gebetlichen Fürbitte für die Einheitlichkeit und Unzerstörbarkeit des bulgarischen Geistes während aller Widrigkeiten seines historischen Lebens.“ Cărkoven Vestnik, 4.7.1941, Nr. 28, S. 318. 484 „Dieser wird belebt in der Vielzahl der Erzählungen und Legenden, in denen die sich erkenntlich zeigenden Bulgaren seine heilige Persönlichkeit schöpferisch darstellten, seine erhabenen Großtaten und die unübertroffene Liebe und Opferbereitschaft sowie sein großes Bildungswerk.“ Cărkoven Vestnik, 4.7.1941, Nr. 28, S. 318. 485 „Und die Persönlichkeit des Geheiligten, sein Werk, sein Geist wachsen so gesund mit der Volksseele zusammen, dass sie sich in eine unerlöschliche Flamme verwandeln, in ein sich nie verfinsterndes (nepomračima) Licht, in eine unzerstörbare Kraft, die mächtig und zuverlässig diese Seele vor der Schändung und dem Verderben bewahrt.“ Cărkoven Vestnik, 4.7.1941, Nr. 28, S. 318. 486 „Die Verehrung des hl. Kliment ist besonders lebendig und unerschütterlich bei dem bulgarischen Volk in den Grenzen seiner sich als so leuchtend erweisenden Tätigkeit.“ Cărkoven ­Vestnik, 4.7.1941, Nr. 28, S. 318. 487 Cărkoven Vestnik, 4.7.1941, Nr. 28, S. 318.

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Mit der Veröffentlichung dieses Textes im „Kirchenboten“, dem offiziellen Organ der BOK, bezeugten und propagierten Pašev als Professor der führenden Universität Bulgariens sowie die Redakteure dieser Zeitschrift eine einheitliche, national­politischtheologische Auffassung von Kirche und Wissenschaft. Medium der Inszenierung war die Erinnerungsfigur Kliment – Anlass war die gewaltsame territoriale Ausdehnung des bulgarischen Staatsgebietes, welche die bulgarische Elite nach innen wie außen zu vermitteln und zu legitimieren versuchte. Es blieb nicht bei diesem einen Text. D 3.2.1  Der ,Sieg des Geistes des hl. Kliment‘ – Reden der Leitung der Universität Sofia in Ohrid

Die Sofioter Universität „Heiliger Kliment von Ohrid“ veröffentlichte 1941 anlässlich dieser Reise ihres Akademischen Rates nach Ohrid am 2. Juli 1941 eine Broschüre des Universitätsdozenten Ivan Dujčev unter dem Titel „Hl. Kliment“. Im ersten Satz des ­Textes schrieb der Historiker der Taufe des bulgarischen Volkes durch Boris I. im Jahr 865 „schicksalsträchtige Bedeutung“ zu.488 Mit einem Ausrufezeichen versah er ein anderes Ereignis: „Aber als der bulgarische Herrscher die aus Mähren geflüchteten Schüler der slavischen Erstlehrer (părvoučiteli) aufnahm, erwarb er nur schon damit ewigen Ruhm (věčna slava): Er rettete das Werk (děloto) der hll. Kyrill und Method!“ 489 Dujčev formulierte eine historische Einschätzung, die im damaligen Zusammenhang nicht zuletzt gegen die Vereinnahmung der beiden Heiligen durch die Tschechen ausgerichtet war. Boris und der bulgarische Staat nahmen in seiner Darstellung die Rolle der Retter des heilsgeschichtlichen Wirkens der Heiligen ein.490 Das „Werk“ der beiden wurde in dieser Darstellung wie in einem Stafettenlauf als Substanz übertragen, durch Kliment und Naum.491 Der „Dienst“ am „Werk“ heiligte die beiden. Sie boten die Möglich­keit, den mit Kyrill und Method verbundenen „allgemeinslavischen“ Rahmen auf Bulgarien zu reduzieren, und sollten in diesem nationalen Zusammenhang die gleiche Stellung wie die Soluner Brüder im übergreifenden Kontext einnehmen.492 Am selben Tag, am 2. Juli 1941, hielt der Rektor der Universität „Heiliger ­Kliment von Ohrid“, der in Zürich promovierte Theologe und Jurist Protopresbyter Stefan C ­ ankov, 488 Duičev (1941c), S. 3. 489 Duičev (1941c), S. 4. 490 „Verfolgt und grausam gejagt, konnte sich das Werk (děloto) der slavischen Apostelgleichen kaum bei den Mähren, Tschechen und Polen festigen und hinterließ nur unbedeutende Spuren unter ihnen. In den Grenzen des bulgarischen Staates suchten die ersten Schüler und Helfer der hll. Kyrill und Method nach den grausamen Verfolgungen Zuflucht: Kliment und Naum. (…) So befand sich das für die weitentfernten slavischen Länder bestimmte Werk (dělo) der hll. Kyrill und Method wieder in seiner Heimat….“ Duičev (1941c), S. 4. 491 „Kliment und Naum setzten das durch ihre Lehrer Begonnene mit hingebungsvollem Dienst fort und festigten es.“ Duičev (1941c), S. 4. 492 „Dadurch wurden diese für das bulgarische Volk, was die hll. Kyrill und Method für den all­ gemeinslavischen Stamm (obštoslavjanskoto pleme) gewesen waren.“ Duičev (1941c), S. 4 f.

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„in der alten Kirche des hl. Kliment, in der ,Hl. Gottesmutter‘ in Ohrid“ eine Rede – während der heiligen Liturgie, die er „aus Anlass des Ehrenbesuchs des akademischen Rates der Universität in Ohrid“ zelebrierte. Der führende Akademiker erklärte, weshalb das Leitungsorgan der hauptstädtischen Universität an den fernen Gebirgssee gereist war – dies sei „einer der heiligsten Tage im Leben unserer Universität“ sowie ein „einzigartiger Tag auch in der Geschichte unseres Volkes“. Der persönliche Besuch des Führungsorgans sollte dessen Ausrichtung am „Vermächtnis“ Kliments öffentlich bekräftigen. Von Makedonien oder makedonischen Bulgaren, geschweige denn von Makedonen, war damals nicht die Rede, vielmehr erschienen Kliment und die Stadt Ohrid durch die bulgarisch ausgerichtete Erinnerung an Kliment als „altes Heiligtum des Bulgarischen Volkes“.493 Cankov verehrte Kliment „als ,Leuchte‘ Bulgariens, der bulgarischen Bildung und der bulgarischen Kultur“ sowie als „neuen Paulus“ der Bulgaren und der Slaven.494 Zudem sei Kliment ein „zuverlässiger Wächter (straž), unermüdlicher Verbreiter und berühmter Verwirklicher“ des „heiligen Vermächtnisses“ der „slavo-bulgarischen apostelgleichen“ Kyrill und Method und auch „bulgarischer Erstapostel“, der „gegen das Heidentum kämpfte“.495 Nicht nur seine neuartigen Bezeichnungen als „Wächter“ und als Kämpfer standen in einem engen Zusammenhang mit dem kriegerischen Umfeld, in dem dieses Gedenken stattfand: „Wir verehren und rühmen Kliment heute auch a l s g e i s t i g e n E i n i g e r (obediniteľ) u n d G e i s t s p e n d e r (oduchotvoriteľ) des bulgarischen Volkes.“ 496 Es ist daran zu erinnern, dass die bulgarische Presse Boris III. nur kurze Zeit zuvor nach der Eroberung Makedoniens und der anderen Gebiete zum „Einiger“ der Nation ausgerufen hatte. Die gleichen Lorbeeren, die sonst ohne Er­wähnung 493 „Dies ist einer der heiligsten Tage im Leben unserer Universität, die, seit sie besteht, dem hl. Kliment von Ohrid gewidmet ist, und dies ist ein bisher einzigartiger Tag auch in der Geschichte unseres Volkes. Im Bewusstsein um das heilige große Wirken des hl. Kliment von Ohrid für unser Volk und unsere bulgarische orthodoxe Kirche, wie auch im Bewusstsein unserer ­eigenen Berufung (prizvanie), erfüllt unsere einzige vaterländische Universität mit dem heutigen Verehrungsbesuch ihres höchsten Leitungsgremiums – des Akademischen Rats – in der Kirche des hl. Kliment, wo seine heiligen Gebeine ruhen, in der Stadt, in der er arbeitete und durch den heutigen heiligen Gottesdienst im Gebet zum Allerhöchsten und in Ehrfurcht vor Seinem berühmten Auserwählten dem hl. Kliment ihre heilige Pflicht, nachdem die Freiheit dieses alten Heiligtums des Bulgarischen Volkes – der alten Thronstadt Ohrid (staroprestolnija grad) erneut erlangt hat werden können, in ihr ihre ehrfürchtige Verehrung und tiefe Anerkennung zu ihrem Schutzheiligen sowie ihre unveränderte Hingabe zu seinem großen Werk und seinem heiligen Vermächtnis vor dem ganzen Volk (vsenarodno) zu bezeugen.“ Reči ot Rektora na Universiteta, S. 3. 494 „Wir verehren und rühmen den hl. Kliment als Erstaufklärer unseres Landes (na našata zemja), als Stammvater der bulgarischen Lehreinrichtung, als ,Aufklärer‘ des bulgarischen Volkes, als ,Leuchte‘ Bulgariens, der bulgarischen Bildung und der bulgarischen Kultur“ sowie als „neuen Paulus“ der Bulgaren und der Slaven. Reči ot Rektora na Universiteta, S. 4. 495 Reči ot Rektora na Universiteta, S. 4. 496 Reči ot Rektora na Universiteta, S. 4.

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Kliments Kyrill und Method zugeschrieben wurden, erschienen nun als Groß­taten Kliments.497 Cankov scheute sich nicht, Kliment als „wahrhaften Kämpfer Gottes“ zu bezeichnen. Selbst das Andenken an den Gelehrten wurde im Zweiten Weltkrieg mit der Erinnerung an heilige Gotteskrieger aufgeladen. Neu im Repertoire der Rollen Kliments war die mit diesen Sätzen begründete Funktion eines „Apostels der Freiheit und der Wahrheit“.498 Trotz dieser weltlichen Ausrichtung der Themenbereiche, die der Geistliche mit der Erinnerung an Kliment verband, führte Cankov das Gedenken zum Schluss der Predigt ganz in den religiösen Bereich zurück, der allerdings stark mit nationaler Bedeutung aufgeladen war.499 Die Verehrung Kliments blieb stärker als der Kult um die Brüder Kyrill und Method in den religiösen Kontext eingebunden – nicht zuletzt, da seine Reliquien und das durch ihn gegründete Kloster als Ort und materieller Gegenstand des Gedenkens erhalten geblieben waren. Dennoch kam ihm auch in der Meinung Cankovs keine geringere gesellschaftliche, nationale und historische Rolle zu.500 Der renommierte Mediävist und Kirchenhistoriker Ivan Sněgarov begann seine gleichen­tags in Ohrid gehaltene Rede („Das Wirken (děloto) des hl. Kliment von Ohrid“) voller nationalistischer Euphorie.501 Der Stadt Ohrid, durch die Bezeichnung als „bulgarisches Jerusalem“ und „Zion“ zum Abbild des himmlischen Jerusalem erhoben,

497 „Indem er mit bekennendem Eifer das Werk seiner beiden Lehrer, der hll. Kyrill und Method fortführte, schuf er den Anfang und die gesunde Grundlage, sowohl zur geistigen und nationalen (nacionalnoto) Einheit des bulgarischen Volkes als auch zu seiner nationalen Individualität.“ Reči ot Rektora na Universiteta, S. 6. 498 Reči ot Rektora na Universiteta, S. 6. 499 „Wir verneigen uns vor dem großen Geist, dem heiligen Werk (dělo) und dem heiligen Gedenken (pameť) an den hl. Kliment von Ohrid und als Zeichen unserer unveränderten Ergebenheit gegenüber seinem Vermächtnis und seinem Werk, wie auch in Ausführung des Auftrags des Akademischen Rates, übergeben wir, im Namen der Universität, dieser heiligen alten Kirche diesen kunstvollen Rahmen für die alte heilige Ikone des hl. Kliment, die sich in dieser Kirche befindet, wie auch diesen Leuchter für die heiligen Reliquien des hl. Kliment als Symbol ­unserer Verehrung der Wärme seiner Liebe zu unserem Volk und gegenüber dem Licht der Lehre und dem Vermächtnis dieses wertvollen Leuchters (světilo) Bulgariens.“ Reči ot Rektora na Universiteta, S. 7. 500 „Ewig seien der Ruhm und die lebensspendende geistige Kraft des hl. Kliment von Ohrid für den geistigen Fortschritt und allseitigen Wohlstand des einigen und freien Bulgarien, für die würdige Erfüllung seiner historischen Berufung und das Wachstum des Reiches Gottes.“ Reči ot Rektora na Universiteta, S. 8. 501 „Hier sind wir in der Stadt der ruhmreichen bulgarischen Vergangenheit. Hier sind wir in der heiligen Stadt, für die jedes bulgarische Herz mit Kraft schlägt. Hier sind wir in den Palästen des jahrhundertealten Volkstraumes (naroden blěn). Noch vor drei Monaten war das bulgarische Jerusalem unzugänglich. (…) Aber unerwartet, durch eine Geste des selbstlosen deutschen ­Volkes, glüht die Freiheit auch über dieser zauberhaften und heiligen bulgarischen Gegend. Heute haben wir die Ehre, im bulgarischen Zion zu stehen, wo der strahlende Himmel die bulgarische Erde am zärtlichsten küsst.“ Reči ot Rektora na Universiteta, S. 9.

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kam in seinem Geschichtsentwurf der höchste Rang unter allen bulgarischen Städten zu: Alle früheren Hauptstädte Bulgariens, sowohl Pliska als auch Preslav, seien „vom Antlitz der Erde“ verschwunden:502 Ohrid 503 und sein Erzbistum wurden zur einzigen kontinuierlichen institutionellen nationalgeschichtlichen Verbindung des Mittelalters mit der Gegenwart stilisiert: Seine Dauerhaftigkeit, die mit staatlicher Bedeutung versehen wurde, sollte in dieser Darstellung das Fehlen einer tatsächlichen bulgarischen Staatlichkeit „unter der türkischen Sklaverei“ kompensieren.504 Der Historiker stilisierte Ohrid mittels Kliments zum Stifter nationaler Einheit und zum „allbulgarischen Heiligtum“.505 Der Stadt kam damit eine für ganz Bulgarien entscheidende Rolle in der nationalgeschichtlichen Konzeption des Mediävisten zu. Sein Anliegen war es, diese angebliche Rolle Kliments und Ohrids zu vergegenwärtigen und Lücken im „historischen Gedächtnis“ des Volkes zu füllen. Er beklagte, Kliment sei selbst von der Kirche vergessen worden und ein Denkmal zu seinen und des Dritten Bulgarischen Reiches Ehren, das offenbar das Ergebnis „seiner geistigen Kraft“ sein sollte, sei nicht errichtet worden. Nur die Universität Sofia verehre ihn, der „das bulgarische Volk geistig geboren hat“ und dessen „ewiges Banner“ den „bulgarischen Fortschritt“ verheiße.506 Angesichts des eingestandenen Defizits an erwünschter Erinnerung erstaunt

502 Auch Tărnovo, „das während eines halben Jahrhunderts Gebieter über den größten Teil der Balkan­halbinsel war“, habe nach dem 17. Juli 1393 „für lange Jahrhunderte nicht nur aufgehört, der Leiter des politischen, sondern auch des geistlichen Lebens des bulgarischen Volkes zu sein.“ Reči ot Rektora na Universiteta, S. 9. 503 „Nur Ohrid, die Hauptstadt des listigen jugendlichen Zaren Samuil, überdauerte und durchlitt das nationale Unglück (narodnit bědstvija) während des Mittelalters, ohne dass seine führende Kraft geschwunden wäre.“ Reči ot Rektora na Universiteta, S. 9. 504 Das Ohrider Erzbistum „überdauerte (preodolěla) die byzantinsche und serbische (mittelalterliche) Herrschaft und wirkte beinahe 400 Jahre unter der türkischen Sklaverei. Durch es besaß das westliche Bulgarien oder Makedonien, wie es in der neueren Zeit genannt wird, beinahe acht Jahrhunderte ein völlig gesondertes inneres Leben. Zwar einem fremden Staat unter­geordnet, war Makedonien, angeführt durch Ohrid, eine geistlich souveräne Größe, die nicht nur von seinen Geistlichen Führern – den Ohrider Patriarchen, sondern auch von den Carigrader und den anderen Patriarchen offiziell Bulgarien (auf Griechisch Boulgaria) genannt wurde.“ Reči ot Rektora na Universiteta, S. 10. 505 Ohrid wurde zum „Amboss des neuen Apostel Paulus – des hl. Kliment von Ohrid für die neuen Korinther, d. h. die Bulgaren, (…). (…) Ohrid war der Leuchter (svěštnikăt), von wo das lebenspendende Licht des hl. Kliment von Ohrid über das ganze bulgarische Land leuchtete. Ohrid hat eifersüchtig den unschätzbaren Schatz gehütet, der es berechtigte, zum allbulgarischen Heiligtum zu werden – das ehrenhafte Grab des hl. Kliment und die ewigfrische Erinnerung (věčnosveži spomeni) an diesen großen bulgarischen Geheiligten (svetiteľ). Mit seinem heiligen Leben und wohltätigen Wirken hat der hl. Kliment auch seine irdische Heimstatt Ohrid ­würdig gemacht, seinen strahlenden Ruhm zu teilen. Durch Kliment ist Ohrid zur gottbestrahlten (bogoozaren) bulgarischen Stadt geworden.“ Reči ot Rektora na Universiteta, S. 10. 506 „Schicksalsschwangere Erschütterungen (sătresenija) haben das historische Gedächtnis (pameť) des bulgarischen Volkes geschwächt. Im Bulgarien des Altgebirges (v staroplaninska Bălgarija)

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der mit geschichtswissenschaftlichen Argumentationsstrategien überhöhte Glaube an die nationale sakrale Bedeutung und modernisierende Fortschrittlichkeit Kliments. Die Ausweitung des national definierten Gedenkens erschien von höchster Dringlichkeit. Der Historiker verband in seiner Rhetorik und in seinen Vorstellungen von Formen der Erinnerung ohne Bedenken wissenschaftliche mit religiösen Elementen. Die Verbindung der Universität und ihrer Studenten mit Kliment sollte „die Volksseele“ bestrahlen.507 Die zur „Kathedrale der Wissenschaft“ sakralisierte Universität wurde zum „Altar“ der Verehrung des „Namens“ Kliments stilisiert: Nicht Kliment, aber sein Name wurde als „lebendig“ bezeichnet – und auch damit wurde von traditioneller Religiosität abgewichen. Die „Kraft“ seines Namens sollte die Universität zum vordersten „Verteidiger der bulgarischen Nationalität“ machen.508 Die Funktion der nationalisierten Religion und sakralisierten Wissenschaft war die Mobilisierung zum fanatischen Nationalismus. Bulgarien wurde in der Logik der weiteren Rhetorik des Historikers zum Gegensatz des jugoslawischen Nationsentwurfs. Er setzte es in einem von Studenten wie Professoren geleisteten nationalen Eid insgesamt mit dem „Land des hl. Kliment“ gleich und Ohrid erneut mit Jerusalem.509

hat man das golderhellte Abbild des hl. Kliment von Ohrid vergessen. Sogar die Bulgarische Kirche ehrt nicht überall feierlich, wie es gebührt, das heilige Andenken (pameť) an den wunder­tätigen Ohrider Hierarchen, ohne den sie nicht bestehen würde. Seit 1916 quälen sich die Verehrer Kliments, um Mittel zu sammeln, damit ihm in Sofia ein würdiges Denkmal errichtet werde, das die Hauptstadt des Dritten [sic, S. R.] bulgarischen Zarentums heiligen und das jeden Bulgaren an die Ergebnisse (izvora) seiner geistigen Kraft erinnern würde (napomnja). Noch bis heute ist diese vornehme Idee nicht verwirklicht – diese Frucht einer tiefen Verehrung dessen, der, wie wir sehen werden, das bulgarische Volk geistig geboren hat (e rodil), – des hl. Kliment von Ohrid. Es ist daher das historische Verdienst der bulgarischen Kathedrale (chram) der Wissenschaft, der Universität Sofia, dass sich der Name des hl. Kliment von Ohrid stolz erhebt als ewiges Banner des bulgarischen Fortschritts.“ Reči ot Rektora na Universiteta, S. 10. 507 „Dieser heilige Name ziert an prominentester Stelle (na naj-lično město) die Mauern der Universität Sofia, die damit dem ganzen bulgarischen Volk zeigt, dass sie ihr Licht (světlina) bekommen hat, ihren geistigen Blick (zrenie) des alten allbulgarischen Leuchters (světilo) des hl. Kliment von Ohrid, dass dieser Geheiligte (svetiteľ) eine unzerstörbare Grundlage ihres historischen Seins ist (bitie). Tausende und Abertausende Studenten nehmen in ihre jungen Seelen das hellleuchtende Abbild des hl. Kliment von Ohrid auf und erwärmen durch seine heilenden Strahlen die Volksseele.“ Reči ot Rektora na Universiteta, S. 10 f. 508 „Die bulgarische Kathedrale der Wissenschaft ist auch der Altar, wo der Name des hl. Kliment geehrt wird. Dieser wunderbare (divno) Name ist nicht ein einfaches Symbol, sondern eine lebendige Kraft, die in der Universität Sofia wirkt und sie dazu bringt (pravi), dass sie der allereifrigste Verteidiger (braniteľ) der bulgarischen Nationalität (narodnosť) wird.“ Reči ot Rektora na Universiteta, S. 11. 509 Der Historiker fuhr fort: „Während viele gesellschaftliche Kräfte sich in Bulgarien auf fremde Schienen abgezweigt haben und die Ideale eines einheitlichen (integralen) Jugoslawiens besangen, hielt nur die Sofioter Universität ,Heiliger Kliment von Ohrid‘ an ihren Grundlagen fest – am Geist ihres himmlischen Beschützers. Die Universität von Sofia wird niemals das Land des

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Engstirniger Nationalismus ging im Denken des Rektors der führenden Universität Bulgariens eine überraschend weitgehende Vermengung mit heilsgeschichtlichen Vorstellungen ein. Der kollektive gegenseitige Eid der Studentenschaft und der Professoren­ schaft sollte eine religiös legitimierte Nationsgemeinschaft herstellen. Der Bruch des Eids sollte mit dem Verlust der Sprache als Exkommunikation aus der Nationsgemeinschaft durch eine religiöse Macht geahndet werden. Der universitäre „Verteidiger“ sah seine Feinde nicht nur im Ausland, sondern insbesondere in der Gruppe der jugo­ slawisch gesinnten Mitbürger – die nicht zuletzt zweifellos in der neu angegliederten make­donischen Region vermutet wurden. Der Besuch des Akademischen Rates in Ohrid durfte spätestens nach dieser Rede als bewusster Schachzug in der Konstitution einer bulgarisch nationalen Gesinnung in Makedonien gelten. Mit der Waffe der Wissenschaften sollte im sowohl mit Worten wie mit militärischen Mitteln ausgefochtenen Kampf gegen eine übergreifende südslavische Nationskonstruktion vorgegangen werden. Auf der Oberfläche dieses Diskurses blieb unaussprechbar, dass der eigentliche Anlass der Annexion eine Stabilisierungs- und Strafmaßnahme des deutschen Regimes war, nachdem die Hitler nicht unfreundlich gesinnte Regierung in Belgrad gestürzt worden war. In der Vorstellung Sněgarovs sollte die Reise der wissenschaftlichen Elite Bul­ gariens nach Ohrid diese vor den Augen der lokalen Bevölkerung die Lebendigkeit des hl. ­Kliment fühlen lassen.510 Nationalisierte Religion sollte verwissenschaftlicht sowie zum Medium der Integration der gewonnenen Gebiete in den bulgarischen Kontext werden. Der alte Glaube an die Gegenwart der religiös erinnerten Verstorbenen sollte in der Vorstellung des Rektors in diesen Tagen gerade unter den Gelehrten zu einer zentralen Konzeption werden und der Imagination einer sowohl die akademische Elite wie die lokale Bevölkerung umfassenden bulgarischen Nation dienen. Sofia, „das neue bulgarische Athen“, sollte dank dem Besuch mit dem „alten, Sofia mit Ohrid“ verbunden werden, sowie „das dritte bulgarische Zarentum mit dem Samuils“.511 Der Historiker

hl. Kliment vergessen, das so viel erlitten hat. Sowohl die Studenten als auch die Professoren haben sich den Eid geleistet: ,Jerusalem, Jerusalem! Wenn ich dich vergesse, nimm mir die Zunge (ezikăt) [bzw. die Sprache, S. R.].‘“ Reči ot Rektora na Universiteta, S. 11. 510 „Meine werten Mitbürger! Heute seht Ihr bereits mit Euren Augen den deutlichen Beweis der tiefen Liebe, welche die Universität von Sofia gegenüber der Stadt des hl. Kliment hegt. (…) Hier sind die Meister und erstrangigen Meister (părvomajstori) der bulgarischen Wissenschaft, bulgarische Gelehrte mit europäischer, sogar globaler Bekanntheit. Sie sind zusammenge­ kommen, um sich mit euch über die erlangte (izgrělata) Freiheit zu freuen und um mit [ihren, S. R.] aufgeklärten (prosvěteni) Seelen zu fühlen, dass der hl. Kliment lebt, wie die Ohrider seit Jahrhunderten glauben.“ Reči ot Rektora na Universiteta, S. 11. 511 „Freude erleuchte ihre weisen Gesichter, die würdig sind, auf dieselben Stellen zu treten, die geheiligt sind durch die apostolischen Füße des bulgarischen Erstlehrers, des hl. Kliment von Ohrid. Erstmals ist Ohrid mit einer solchen hohen Ehre gewürdigt worden, worin ich ein Unterpfand (zalog) sehen möchte, dass unsere heute erschöpfte Stadt von Neuem aufblühen wird und ihre alte Würde wiederherstellt – auf dass sie wieder zum Mittelpunkt der bulgarischen

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wurde nicht müde, alle denkbaren Kontinuitäten herzustellen, um aus der konstruierten Vergangenheit Zukunftsentwürfe abzuleiten, die der Gegenwart Sinn und Legitimität verleihen sollten. Der Moment der Anwesenheit des Rates unter der Bevölkerung am physischen Ort, der im Zentrum der Erinnerung stand, wurde zur sozialen und räum­ lichen Situation, die die Grundlage zum Denken dieser Dauerhaftigkeit und Erneuerung herstellen sollte. Die Beziehung der Universität zu Kliment und die Verehrung Kliments durch die lokale Bevölkerung blieben aber für Sněgarov so unterschiedlich, dass er es für notwendig hielt, zu erklären, wie sie in einen Zusammenhang gestellt werden konnten.512 Die Universität als „Laboratorium der reinen Wissenschaft“, die Kliment zu ihrem „glänzenden Bannerträger“ gemacht habe, war zunächst durch die „Gelehrsamkeit“ mit Ohrid verbunden, die auch dort gepflegt worden sei: In Ohrid habe es immer „die Gelehrsamkeit liebende (učenoljubivi) Männer gegeben, die unter dem Volk Wissen um den Schutzengel (angela-pazitelja) Ohrids und ganz Bulgariens verbreiteten, das sie sorgfältig aus den alten Viten und Gottesdienstliturgien schöpften“. Kliment scheine „seit tausend Jahren“ wie ein „wegweisender Stern (pătevodna zvezda)“. Erneut schrieb der Historiker den religiösen Anteil an der Erinnerung an Kliment sodann der lokalen Einwohnerschaft zu, und nicht der gesamten Bevölkerung Bulgariens.513 Erst darauf stellte Sněgarov eine postulierte überregionale, gesamtbulgarische Verehrung auf eine angeblich wissenschaftliche Grundlage. Die Grenzen zwischen einer ,wissenschaft­ lichen‘ und einer durch hagiographische Metaphern geformten Beschreibung blieben dabei nicht gewahrt. Bulgarien verklärte er im Glanz der „Strahlen des hl. Kliment“

Wissenschaft wird, wie sie es zur Zeit des hl. Kliment war. Der Besuch, den der Akademische Rat der Sofioter Universität ,Heiliger Kliment von Ohrid‘ abstattet, ist ein bemerkenswertes Ereignis mit allgemeinbulgarischer Bedeutung. Er verbindet zudem geistig das neue bulgarische Athen mit dem alten, Sofia mit Ohrid, das Dritte bulgarische Zarentum mit dem Samuils.“ Reči ot Rektora na Universiteta, S. 11. 512 „Die Bewohner Ohrids sind geboren unter der segenspendenden (blagoslavjaštata) Rechten des hl. Kliment, genährt und aufgezogen unter dem wundertätigen Zauber der Erzählungen von den geheimnisvollen Erscheinungen und Taten des großen bulgarischen Heiligen, und glauben mit ihren reinen Herzen an die himmlische Kraft des hl. Kliment und nennen seinen Namen mit ängstlicher Ehrfuhrt (strachopočitanie). Allerdings kann es sein, dass einige unter euch, meine Mitbürger, sich fragen und im Zweifel sind: Warum verehrt auch die Universität von Sofia – dieses Laboratorium der reinen Wissenschaft – so sehr unseren Heiligen, und hat ihn sogar zu seinem glänzenden Bannerträger (znamenosec) gemacht?“ Reči ot Rektora na Universiteta, S. 12. 513 Obschon die Wissenschaft über sehr wenige Kenntnisse zum Leben und der Tätigkeit des Heiligen verfüge, seien in Ohrid „verschiedene Überlieferungen“ um ihn bekannt. „In diesen Volkstraditionen (narodni predanija) kommen zum Ausdruck: 1) die große Liebe (obajanie), welche die beiden Ohrider Heiligen unter dem Volk genießen und 2) der ungebrochene Glaube der Ohrider Bevölkerung an deren Heiligkeit und wundertätigen Schutz.“ Reči ot Rektora na Universiteta, S. 12.

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zur „Heimstätte der slavischen Kultur“.514 Die Lehrtätigkeit Kliments wurde in der Argumentation des Mediävisten zum Ursprung bulgarischer nationaler Wissenschaft.515 Bulgarische Geschichte erschien dem Historiker im Rahmen eines weltweiten Überlebenskampfes der Völker „auf der Weltbühne“. Kliment und Boris sollten in der „grundlegenden Epoche“ des „historischen Lebens“ des Volkes eine „unerschütterliche Lebensfähigkeit“ gespendet haben.516 Beide hätten eine „neue Ära“ bulgarischer Geschichte geschaffen.517 Während Boris „aus den beiden verschiedenstämmigen (raznorodni) ethnischen Elementen in seinem Staat – den Turanobulgaren und den Slaven – ein einheitliches Volk“ schuf, kam Kliment mit der „Volksaufklärung“ mehr die Aufgabe der „geistigen Verbindung (duchovna spojka)“ und Vereinigung zu: „Wenn es erlaubt sei, sich in biblischer Sprache auszudrücken, so war Kliment der Engel, der das jungfräuliche Bulgarien erleuchtete (osěnil) und es mit einer göttlichen Frucht beschenkte.“ 518 Sněgarov griff mit einem gewissen Bewusstsein für die mit biblischen Metaphern verbundenen Gefahren zu einer Erklärungsfigur, die Kliment in die Nähe des Heiligen Geistes oder Gottvaters selbst stellte: Zwar blieb mit dem Verb „erleuchten“ das Wort „befruchten“ vermieden, dennoch war Kliment in den Worten des Historikers der Spender einer „Frucht“ im Körper einer zuvor „jungfräulichen Bălgarija“. Mit dem Ersatz der Befruchtung durch die Erleuchtung wurde die Schwängerung dieser femininen Ver­ körperung der Nation als geistiger Vorgang beschrieben, der unweigerlich an das katholische Dogma der Unbefleckten Empfängnis denken lässt. Der Historiker betätigte sich als Nationaltheologe und betrieb zumindest allegorisch die Vergöttlichung der Nation. Kliment stand aber nicht nur am Ursprung der Nationsgenese, er war auch der ­Retter Bulgariens: „Es wäre keine Übertreibung, wenn wir sagten, dass Kliment Bulgarien 514 „Die Strahlen des hl. Kliment erleuchteten ganz Bulgarien. Durch sein lichttragendes Wort wurde Bulgarien über Jahrhunderte zur Brutstätte der slavischen Schriftlichkeit, zur Heimstätte (ognište) der slavischen Kultur, durch den sich diese aufbaute, und war über das Mittelalter hinweg der wegweisende Leuchter der orthodoxen Slaven, der Serben und Russen, aber auch der Rumänen.“ Reči ot Rektora na Universiteta, S. 15. 515 „Daher wird deutlich, dass die Universität von Sofia den Namen des hl. Kliment von Ohrid angenommen hat, weil sie in ihm den ersten bulgarischen gelehrten Lehrer (prepodavateľ) sieht, oder, in der heutigen Sprache gesprochen, einen Professor, sie hält ihn gewissermaßen für den Stammvater der bulgarischen Diener an der Wissenschaft.“ Reči ot Rektora na Universiteta, S. 16. 516 „Wer aufmerksam die bulgarische Geschichte liest, der kommt nicht umhin zu bemerken, dass das bulgarische Volk so viel Unglück und Zerschlagung (razgrom) erlitten hat, und dabei nicht nur nicht verschwunden ist, wie viele andere Völker (die Thraker, die Illyrer, die Skythen, Hunnen, Awaren, Chazaren), sondern auf der Weltbühne stets verjüngt auftrat, mit neuen kämpferischen Kräften. Wo liegt das Geheimnis dieser unerschütterlichen Lebensfähigkeit des bulgarischen Volkes?“ Reči ot Rektora na Universiteta, S. 17. 517 „Der hl. Kliment und Fürst Boris haben mit ihrer Tätigkeit namentlich diese Epoche in der bulgarischen Geschichte geschaffen, eine neue Ära des bulgarischen Volkes.“ Reči ot Rektora na Universiteta, S. 17. 518 Reči ot Rektora na Universiteta, S. 18.

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gerettet hat vor dem Zerfall wegen ethnischer Gegensätze, vor dem Tod (pogibeľ) – vor der Gefahr, vom fremden Element verschlungen zu werden.“ 519 Der Historiker brachte seine Thesen noch einmal auf den Punkt: „Boris und Kliment sind die Schöpfer, die Eltern (roditelitě) der slavjanobulgarischen Nationalität (slavjanobălgarskata narodnosť). Der Erstere hat die äußeren Bedingungen zu ihrer Entstehung geschaffen, der Zweite hat die Seele eingehaucht (vdăchnal duša). Kliment ist der Geistspender (oduchotvoriteľt) der bulgarischen Nationalität (narodnosť). Seit der Zeit des hl. Kliment hat das bulgarische Volk begonnen, eine bestimmte geistige Gestalt (Physiognomie) zu erlangen und einen angesehenen Platz in der Geschichte der europäischen Zivilisation einzunehmen.“

Deutlichere Phrasen, Kliment eine erstrangige, grundlegende Rolle in der von Sněgarov konstruierten kollektiven geistigen Entwicklung des bulgarischen Volkes zuzuschreiben, sind kaum denkbar: Der Nationalhistoriker machte Kliment zum Lebens- bzw. „Geistspender“. Sowohl nationaltheologische Spekulation wie maximale Selbsteuropäisierung waren Teil der Stiftung nationaler Identität und einer nationalen „Physiognomie“. Der Rahmen dazu war die Historiographie. Sněgarovs politisch-theologische Argumentation war aber noch weit von ihrer rheto­ rischen Spitze entfernt: Kliments „Geist hat nie aufgehört, durch die Jahrhunderte wie eine helle Säule (světăl stălb) auf das bulgarische Land zu leuchten, um als grundlegende Kraft des bulgarischen Fortschritts zu wirken. Der Geist Kliments ist der Segen Gottes, der sich über das ganze bulgarische Land ergossen hat. Er verkörperte den Genius (genija) seines Volkes, der hl. Kliment ist wirklich der Eckstein seiner Geschichte geworden. Die schöpferische Einwirkung des hl. Kliment war so mächtig, dass der schöpferische Geist, den das bulgarische Volk vom 10. Jh. bis heute an den Tag legt (projavjava), eine Widerspiegelung (otraženie) des Geistes von Kliment ist. Die gesamte Geschichte der bulgarischen Kultur ist im Wesentlichen die Entwicklung des Besuchs (posětitě) der lebensspendenden Samen (živonosni sěmena) Kliments. Die Sehnsucht nach Licht und Freiheit, welche die alten und die neuen bulgarischen Generationen bewegte, hatte dem Volk zuallererst der hl. Kliment, sein Vorvater (praotec), eingeflößt.“ 520

Die zuvor vermiedene Metapher des Samens konnte sich der Historiker hier nicht mehr verkneifen. Kliment wurde hier als Verkörperung des „Genius des Volkes“ und – widersprüchlicherweise – gleichzeitig als Samen spendender „Vorvater“ des „Volkes“ zum Kristallisationspunkt einer nationalen Religion. Nur mit der Gleichsetzung des göttlichen Segens mit dem „Geist Kliments“ blieb der Verweis auf eine höhere, christliche Instanz gewahrt. Auf dieser Grundlage näherte sich Sněgarov wieder der direkten Bezugnahme auf die Gegenwart. Die „mächtige germanische Rechte hat den schweren Grabstein weggerollt“

519 Reči ot Rektora na Universiteta, S. 18. 520 Reči ot Rektora na Universiteta, S. 18.

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und so das „Bulgarentum“ in Makedonien auferstehen lassen.521 Die „Kräfte“ zu dieser Auferstehung seien aber nicht von außen gekommen, sondern als „Wunder“ Kliments Geist zu verdanken. Dennoch stellte der Text gerade durch die Abgrenzung von den „ausländischen Elementargewalten (…) – die Griechen, die Türken und die Serben“ bulgarische Identität her.522 Makedonien oder insgesamt Bulgarien wurde dabei zum „heiligen bulgarischen Land“ erklärt, das ganz unter der Lenkung Kliments gestanden habe.523 Nicht nur die Nation, auch das für sie reklamierte Territorium wurde zum heiligen Land sakralisiert. Der Mediävist stilisierte so Kliment nicht nur zum entscheidenden Faktor der Natio­ nalgenese und der späteren Rettung der Nation: Die Eroberung Vardar-Makedoniens mit deutscher Hilfe wurde als sein „Wunder“ erklärt. Sein in religiöser Tradition als lebendig imaginierter Geist beschützte und kräftigte das bulgarische Nationalbewusstsein der makedonischen Bulgaren. Wunder wirkte er nun nicht für Individuen oder Gläubige, sondern im nationalistischen, staatspolitischen Zusammenhang, der denkbar weit entfernt von christlichen Idealen war – auch durch „überirdische“ Kräfte sollte „der Geist des hl. Kliment“ nicht besiegt werden können. Kliment wurde zum Inbegriff der „­geistigen Verbindungen“ zwischen Makedonien und Bulgarien, die Okkupation Vardar-Makedoniens mit nationalsozialistischer Hilfe zum „Sieg des Geistes des hl. Kliment“.524 Kliment war in der hier entworfenen Nationaltheologie nicht mehr nur Schutzheiliger Bulgariens, sondern der nationale Geist schlechthin. 521 „Viele im freien Bulgarien dachten, dass die bulgarische Bevölkerung in Makedonien kaum der serbischen und griechischen Unterdrückung standhalten würde. Sie behaupteten, dass diese verschwinden würde, und sogar bereits ihr nationales Bewusstsein verloren habe. Aber nun vollzog sich vor unseren Augen gewissermaßen ein Wunder… Die mächtige germanische Rechte (děsnica) hat den schweren Grabstein weggerollt und im verknechteten Makedonien aufersteht hellstrahlend und jugendlich lebendig das Bulgarentum. Wir können unsere Tränen der Freude nicht zurückhalten.“ Reči ot Rektora na Universiteta, S. 18. 522 „Woher hat die vielgeprüfte (mnogostradalno) Bevölkerung diese Kräfte geschöpft, einst verachtet durch ihre Volksgenossen (sănarodnici) im bulgarischen Zarenreich, um einen hart­näckigen Kampf gegen die stürmischen Wellen der ausländischen Elementargewalten zu führen – die Griechen, die Türken und die Serben, und dass es sich bis zum heutigen Tag mit einem hohen, kristallklaren nationalen Selbstbewusstsein erhalte, mit einer grenzenlosen Liebe zu seinem Geschlecht und Namen, für dessen Heiligkeit es unzählige Opfer brachte? Auf diese Frage gibt die bulgarische Geschichte eine klare Antwort: im unsterblichen strahlenden Geist seines Erstaufklärers. Mehr als tausend Jahre sind seit dem gesegneten Tod des hl. Kliment vergangen, aber seine herrliche irdische Großtat (podvig) hat tiefe Spuren in seiner Herde zurückgelassen, deren Nachkommen ihn noch heute fühlen.“ Reči ot Rektora na Universiteta, S. 18. 523 „Sein Engelsgeist (angelski duch) hat nicht aufgehört über diesem wunderbaren Land zu ­schweben, der während dreier Jahrzehnte das heilige bulgarische Land mit seinen aposto­lischen Schritten (apostolski stăpki) begeistert und gelenkt hat.“ Reči ot Rektora na Universiteta, S. 18 f. 524 „Bis vor Kurzem trennten Stacheldraht und Wolfsgruben den Pflanzgarten (razsadnik) des Kliment – Makedonien – vom bulgarischen Zarenreich, aber, o sancta simplicitas (oh heilige Einfalt)! Die Feinde der Bulgaren haben sich selbst betrogen, dass auf diese Weise die geistigen

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Im letzten Teil seiner Ansprache ging der Kirchenhistoriker Sněgarov noch einen Schritt weiter in der Nationalisierung der Religion und stellte Kliment, teilweise im religiösen Diskurs, als „großen geistigen Führer“ dar, der auch durch Zar Simeon geachtet worden sei.525 Der Gebrauch des Wortes „Führer“ konnte 1941 nicht vom deutschen und italienischen politischen Diskurs der Zeit getrennt werden – auch wenn er hier auf einen Geistlichen des 10. Jh. bezogen wurde. Die Aneignung der Vokabel zeugt von dem Wunsch Sněgarovs, eben einen solchen „geistigen“ und politischen „Führer“ zu haben, der benachbarten militärischen Mächten auf Augenhöhe entgegentreten konnte. Sněgarov fasste sodann den Wissensstand über die Verehrung Kliments zusammen. Für die Gegenwart betonte er, wie „fremd“ die in Ohrid beobachteten Frömmigkeits­ formen dem „heutigen Jahrhundert des Rationalismus“ seien. Die von ihm beschriebene Vorstellung, „der hl. Kliment wache unsichtbar über sein Volk und lasse es nicht sterben“, war allerdings nicht ohne Weiteres traditionell – die Rede von der kollektiven Vitalität des Volkes verweist auf das 19. Jh.526 Ob er selbst den Glauben aufbringen konnte, den er unter der Ohrider Bevölkerung beobachtet haben wollte, bleibt offen. Die beobachtete Religiosität, die er „Ohrider Religion“ nannte und als „bulgarischen orthodox-christ­ lichen Glauben“ bezeichnete, wollte er aber zur „metaphysischen Grundlage im Leben des ganzen bulgarischen Volkes“ werden lassen:527 Der Historiker definierte im zeitgenössischen Rahmen der Moderne politisch-theologisch eine neue, nationale Religion.

Verbindungen reißen würden, die die beiden Ländern so stark und unauflöslich zu einem allgemeinbulgarischen Vaterland vereinten, wie während vieler Jahrhunderte. Der Geist des hl. Kliment ist weder durch irdische, noch durch überirdische, oder durch Kräfte aus der Unterwelt besiegbar. Die angebrochene Freiheit ist ein glänzender Sieg des Geistes des hl. Kliment.“ Reči ot Rektora na Universiteta, S. 19. 525 „Aus Nächstenliebe widmete sich Kliment der Pflege körperlich Gebrechlicher vor allem mit der Kraft des Gebets, weshalb er schon zu seinen Lebzeiten als wundertätiger Heiler angesehen wurde. Tatsächlich war Kliment ein großer geistiger Führer (vožd). Vor der Größe seiner Persönlichkeit und seiner kindlichen Demut verneigte sich auch der bulgarische Gebieter Simeon, vor dem Byzanz zitterte.“ Reči ot Rektora na Universiteta, S. 22. 526 „Auch heute sind noch frische und klare Erinnerungen (spomenitě) an den Ohrider Geheiligten und seine geistigen Nachfolger erhalten. Das Volk in Ohrid und seiner Umgebung glaubt aufrichtig und unerschütterlich, dass der hl. Kliment unsichtbar über sein Volk wache und es nicht sterben lasse; es versammelt sich an seinem Grab mit dem lebendigen Glauben an den goldenen hl. Kliment, an seine himmlische Kraft. Alle Gäste, die hier einige Tage verbringen, werden diesen Mystizismus spüren, der im heutigen Jahrhundert des Rationalismus fremd (­stranen) sein mag, aber trotz allem ist das Volk des hl. Kliment gesegnet dafür, dass es immer für sein Geschlecht und seine Sprache gekämpft hat.“ Reči ot Rektora na Universiteta, S. 23. 527 „Oh, wie unerlässlich ist es, dass sich diese Ohrider Religion, welche der klarste bulgarische orthodox-christliche Glaube ist, über alle bulgarische Gegenden ausbreite, und dass dieser lebendige Glaube an den allbulgarischen Geheiligten und himmlischen Beschützer zur metaphysischen Grundlage im Leben des ganzen bulgarischen Volkes werde!“ Reči ot Rektora na Universiteta, S. 23.

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Sein Anliegen war es, hier wie in anderen Publikationen „in der Presse“ die Verehrung Kliments als eine „allgemeinbulgarische“ zu propagieren. Seine Begründung des Kultes war nicht religiös, sondern national – Sněgarov trat nicht für den in Ohrid beobachteten Klimentkult ein, sondern für eine nationalistisch aktualisierte Form der Verehrung. Diese sollte in Kliment nicht mehr nur einen religiösen Heiligen erkennen, sondern den genealogischen und als Demiurg tätigen „Vorvater“, der der Verehrung „das schöpferische Leben“ gegeben habe. Als „ein Symbol der bulgarischen Kultur“ diente Kliment zum Medium für einen durch religiöse Elemente angereicherten und sakralisierten, aber im Wesentlichen weltlichen, modernen bulgarischen Nationalismus. An der ersehnten, immer noch nicht erreichten regelmäßigen Feier des Gedenkens an ihn sollte die Nation in der kulturellen Praxis der Erinnerung körperlich zu einer Einheit werden, „wenn das ganze bulgarische Volk mit einem Mund und einem Herzen jedes Jahr feierlich den Tag seines Vorvaters begehen wird“.528 Die Universität sollte dazu dienen, seine Vorstellung unter den Massen zu verbreiten. Kliments „Geist“ sollte nicht nur in den Kirchen, sondern – „Erhellt durch das Bewusstsein, das die Sofioter Universität vom unsterblichen Wert des Werkes des hl. Kliment (sv. Klimentovoto dělo) hat“ – auch „in den Städten und Dörfern“ und „in der letzten bulgarischen Hütte“ gegenwärtig sein. Der „Geist“ des „Erstvaters“ sollte zum wichtigsten Medium einer Imagination eines „lebendig“ geeinten, homogenen bulgarischen Volkes werden.529 Die Rede vom „Werk“ Kliments entsprach derjenigen vom „Werk“ Kyrills und Methods und stellte ihn auf die gleiche Ebene wie die Brüder. Diese traten im Diskurs über ihn ganz in den Hintergrund. Erneut überrascht die politisch-theolo­ gische Vermengung traditioneller Verehrungsformen mit modernen Aspekten eines sakra­ lisierten Nationalismus. Nicht nur Kirchen, auch Denkmäler sollten errichtet werden. Der Mediävist dankte sodann nicht Gott, sondern der „Vorsehung“, die den Bulgaren solch ein „Urbild für alle volksnützliche Tätigkeit“ gegeben habe. Vom Staatsmann bis zum einfachen Dorfbewohner sollte er allen – männlichen – Akteuren des bulgarischen

528 „Meine Kollegen wissen, dass ich nicht selten die Stimme in unserer Presse erhoben habe zur allgemeinbulgarischen Verehrung des hl. Kliment. Hoffentlich habe ich die Ehre diesen Tag zu sehen, wenn das ganze bulgarische Volk mit einem Mund und einem Herzen jedes Jahr feier­ lich den Tag seines Vorvaters begehen wird, der ihm das schöpferische Leben gegeben hat. Das leuchtende Abbild des hl. Kliment ist die klarste Personifizierung der geistigen Einheit des bulgarischen Landes, ein Symbol der bulgarischen Kultur.“ Reči ot Rektora na Universiteta, S. 23. 529 „Erhellt durch das Bewusstsein, das die Sofioter Universität vom unsterblichen Wert des Werkes des hl. Kliment (sv. Klimentovoto dělo) hat, mögen alle Bulgaren als ein heiliges und rettendes Banner ein heiliges Abbild des bulgarischen Erstlehrers und des großen Geheiligten hoch­heben. Lasst uns in den Städten und Dörfern zu Ehren des hl. Kliment Kirchen und Denkmäler errichten, und sein lebenschaffender Geist soll sogar in der letzten bulgarischen Hütte schweben und leuchten, denn alle Bulgaren, wo sie sich auch aufhalten, sollen sich lebendig vereint fühlen durch den hellen Geist ihres Erstvaters (Părvoroditeľ), des hl. Kliment von Ohrid.“ Reči ot Rektora na Universiteta, S. 24.

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Volkes zum idealen national-gesellschaftlichen Handlungsprogramm dienen.530 Bis auf den Dank ging diese Passage ganz von einem säkularisierten und nationalisierten Verständnis Kliments aus. Sogenannte „volksnützliche“ Aspekte seines „Werks“ wurden zum Ideal national orientierten Handelns erhoben. Kliment sollte zum Vorbild für Bulgaren aller sozialen Schichten werden, ungeachtet ihrer Ausbildung und ihres gesellschaftlichen Standes. Das Ziel, für das er eingesetzt wurde, war die Herstellung einer einheitlichen und klassenlosen modernen Gesellschaft. Eine ähnliche gesellschaftliche Integration wurde in zahlreichen politischen Systemen der Zwischenkriegszeit angestrebt, jedoch mit unterschiedlichen Mitteln. Dennoch zitierte Sněgarov gleich anschließend Kliments Aufforderung, an Gott zu glauben: „Es erstrahle ewig der Ruhm des hl. Kliment von Ohrid im ganzen bulgarischen Land! Lasst uns mutig und ohne Abweichung seinem heiligen Vermächtnis (zavet) folgen: ,Glaub an Gott und diene selbstentsagend deinem Geschlecht (rod) für mehr Helligkeit und Wahrheit!‘ So begeistert vom Geist des hl. Kliment werden wir ohne etwas Anderes (bez drugo) zu Erbauern einer lichten Zukunft (světla bădnina), eines neuen goldenen Zeitalters für Bulgarien.“ 531

Die Sehnsucht nach einer utopischen „lichten Zukunft“ ist auch für die Sowjetunion bekannt, dort jedoch als eine säkularisierte Form einer politischen Zielutopie, mithin einer politischen Religion. Im bulgarischen Zusammenhang war das religiöse Element hingegen deutlich stärker und expliziter vertreten. Sněgarovs Verweis auf eine mögliche Befremdung, die angesichts älterer Verehrungsformen im „Zeitalter des Rationalismus“ auftreten sollte, bezeugt aber, dass sein Entwurf trotz der religiösen Konnotation keine Rückkehr zu einer traditionellen, sondern den Aufbau einer modernen Gesellschaft zum Ziel hatte. D 3.2.2  Die Eroberung als Wunder – Kliment in Makedonien bis 1944

Die Verehrung Kliments erfuhr nach der Eroberung Makedoniens über die bisher be­­ arbeiteten Ansprachen des akademischen Rates der Kliment-Universität Sofia hinaus eine rasche Intensivierung. In der „Stimme Gottes (Božij glas)“, der offiziellen Jugendzeitschrift für orthodoxe Priesterseminaristen der Diözese Varna und Preslav, hieß es anlässlich seines Gedenktages am 8. Dezember am Ende eines Abrisses seines Wirkens: 530 „Wir müssen der Vorhersehung danken, dass sie dem bulgarischen Volk schon in der Morgendämmerung seines geistigen Lebens eine solch wunderbar helle Persönlichkeit geschenkt hat, die zum Urbild (părvoobraz) für alle volksnützliche (narodopolezna) Tätigkeit werden konnte; eine erhabene Persönlichkeit, in der ein anspornendes Vorbild (obrazec) und ein geistiger Hirte gesehen werden kann wie auch ein nationaler (narodnijat) Lehrer und ein bulgarischer Gelehrter und Buchmensch (knižovnik) und ein bulgarischer Arzt und ein dörflicher Hausherr (stopanin) und ein bulgarischer gesellschaftlicher Akteur (obštestvenik) und Staatsmann (dăržavnik).“ Reči ot Rektora na Universiteta, S. 24. 531 Reči ot Rektora na Universiteta, S. 24.

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„Das Gedächtnis des hl. Kliment wird am 8. Dezember feierlich begangen, und besonders dieses Jahr, in dem die Stadt Ohrid und ganz Makedonien befreit wurden und in die Grenzen unseres Vaterlandes eingegliedert wurden. Viele Schulen tragen seinen Namen und jedes Jahr feiern sie ihren Patron. Unsere höchste Schule – die staatliche Sofioter Universität, die den Namen des hl. Kliment trägt, feiert gemäß einer festgelegten Tradition das Gedächtnis des ersten Lehrers und Aufklärers Bulgariens besonders feierlich. An diesem Tag wird es im Sofioter Volkstheater (Naroden teatăr) in der Anwesenheit Ihrer Hoheiten des Zaren und der Zarin und der allerersten Leute Bulgariens – Metropoliten, Diplomaten, Professoren, höchste Militärs und andere – eine feierliche Ehrung des hl. Kliment von Ohrid geben. Teure Abonnenten, wenn ihr irgendwo ein demütiges Bild des hl. Kliment seht, nehmt Eure Mützen ab und erweist diesem großen Aufklärer die Ehre.“ 532

Der angesehene Mediävist, Schüler des führenden Historikers Vasil Zlatarski und gleichfalls Professor der Kliment-Universität, Petăr Mutafčiev, studierte 1920 in München 533 und forderte bereits 1935 eine „neue Wiedergeburt“ und die Schaffung einer „eigenen nationalen Ideologie“ 534 ein. Als Mitglied mehrerer Lehrbuchkommissionen setzte er sich für die Umsetzung dieses Anliegens ein.535 1941/42 verwies er auf eine gelebte Erinnerung an Kliment, um modernes bulgarisches Nationalbewusstsein in angeblich ethnisch homogenen Gegenden nachzuweisen.536 Die irrige Vorstellung ethnisch homogener Regionen in der Vergangenheit diente dem Historiker und Mitglied des „Makedonischen wissenschaftlichen Instituts“ in Sofia zu deren Herstellung in der Gegenwart. Gleichzeitig wurde Kliment in der bulgarischen Presse als eine Figur verehrt, die für ganz Bulgarien und nicht bloß Makedonien stand: Die Wochenschrift der „Unsrige (Našenec)“ veröffentlichte am 5. Dezember 1942 und erneut ein Jahr später unter dem Titel „Hl. Kliment“ zum „Tag der Bulgarischen Wissenschaft und der akademischen Jugend“ einen doppelseitigen Beitrag. Unter einem Abbild einer Büste Kliments stand der Hinweis: „Beschützer der bulgarischen Bildung und Wissenschaft“.537 Die ersten Seiten des Heftes erläuterten den historischen Hintergrund. Die Kriegsereignisse wurden dabei

532 533 534 535 536

Božij glas, 1942, Nr. 3, S. 2 f. Popnedelov (1999), S. 156 – 158. Mutafčiev (1935), S. 7. Weber (2006), S. 363. Die protobulgarischen Eliten begannen, die slavische Sprache anzunehmen: „Mit der Spracheinheit formierte sich auch ein allgemeinbulgarisches nationales Bewusstsein. Dieses belebte (zaživě) im weiten Raum von der Donaumündung bis zum P i n d o s [Gebirge im heutigen Nordgriechenland, S. R.] und von der Ägäis bis nach Untermähren (dolna Morava) während Jahrhunderten ein großes und innerlich gefestigtes (sploten) Volk – das Bulgarische. Auch wenn seine einstigen ethnischen Grenzen heute sehr verwischt (naštărbeni) sind, bewohnt es den größten Teil seines alten Patrimoniums. Und es ist kein Wunder, dass auch heute seine Verbundenheit zum Geschlecht (rod), zum Volksleben (roden bit) und seiner Sprache gerade dort am stärksten ist – in den Ländern am Vardar und um Ohrid. Ist nicht in diesen Ländern das Gedächtnis an den hl. Kliment lebendig, den ersten der verdientesten unter den Schülern der Soluner Brüder?“ Mutafčiev (1941 – 1942), S. 763. 537 Našenec, 4.10.1942, Nr. 99, S. 4 f.

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direkt mit der Erinnerung an ihn verbunden. Kliments „Same“ half, „zwei Sklavereien unter einem 700-jährigen Joch“ zu ertragen. Über den Studenten der ­Kliment-Universität „schwebt der Geist Kliments“.538 Die Besetzung wurde zum Endpunkt der „Wiedergeburt“ und der „makedonischen Befreiungsbewegung, Kliment und Naum zu ihren „Vorverkündern“ stilisiert.539 Nach dem Tod Boris III. schrieb die Tageszeitung „Morgen (Utro)“ am 4. September 1943, „der Vereiniger-Zar“ habe bei seinem letzten Besuch im „Heiligen Rilaer Kloster“ 1942 die erfolgreiche Besetzung Vardar-Makedoniens als ein durch Kliment ge­­wirktes Wunder bezeichnet.540 Kriegsglück im Zweiten Weltkrieg wurde als Wunder eines vor mehr als tausend Jahren Verstorbenen erklärt – und damit in das nationale Narrativ der bulgarischen Politik und Historiographie seit dem späten 19. Jh. eingeschrieben. Die Besetzung sollte die Erfüllung angeblich berechtigter nationaler Wünsche durch ­Heilige und Gott sein. Mit der erneuten Besetzung Makedoniens 1941 übertrug sich der in Sofia entwickelte religiös-nationalistische Diskurs mit Kliment als einem der zentralen Kristallisationspunkte auf das makedonische Territorium zur sakralen Legitimation der Eingliederung. Führende Sofioter Akademiker nationalisierten Religion und sakralisierten Wissenschaft, um radikalen Nationalismus zu propagieren. Kliments Rolle gewann in diesen Jahren an Gewicht: Er wurde als Engel, der das „jungfräuliche Bulgarien“ schwängerte, erst jetzt zu einem der wenigen zentralen Symbole für ganz Bulgarien. Er wurde als „Geist“ der Nation oder als Verkörperung des „Genius des Volkes“ zu einem Kern des Entwurfes religiösen Nationalismus im Dienste des expansiven Staates.

538 „Dort, wo vor einem halben Jahr das Donnern der Geschütze zu hören war – in Devol hinter dem Ohridsee – dort wurde vor mehr als tausend Jahren der Palast von Kliment errichtet. Dort waren auch seine Schulen. Unser heutiges Alphabet – die Kyrillica – ist das Werk des hl. ­Kliment. Mit diesem Alphabet und seinen Schulen hat Bischof Kliment im Laufe von 20 Jahren mehr als 3500 Schüler ausgebildet, (…). Der Same, den der hl. Kliment säte, fiel nicht auf Sand. Das Zarenreich des Zaren Samuil ging unter Bělasic unter, aber das Bistum des hl. Kliment existierte weiter bis ins 17. Jh. Das Volk, das Sprache und Schriftlichkeit hatte, starb nicht. Zwei Sklavereien mit einem 700-jährigen Joch wurden mit Härte ertragen. Der Funke der bulga­rischen Wiedergeburt kam aus der südlichsten Gegend Makedoniens. Die staatliche Universität in Sofia hat den hl. Kliment völlig richtig als ihren Beschützer gewählt. (…) 9000 Absolventen der Mittelschulen setzen heute ihre Bildung unter der Kuppel der staatlichen Universität fort. Über ihnen schwebt der Geist des hl. Kliment, der sie begleitet und ihnen den Weg zum treuen und hingebungsvollen Bildungsdienst am Volk weist.“ Derselbe Text wurde in ­dieser Zeitschrift ein Jahr später zum selben Anlass erneut gedruckt. Našenec, 5.12.1942, Nr. 99, S. 1; Našenec, 4.12.1943, Nr. 151, S. 2. 539 Karakostov (1942), S. 5, S. 11 – 20. 540 Als im Gespräch mit den Mönchen dabei die Frage aufkam, ob diese Ohrid besuchen würden, sagte der Zar gemäß dem Berichterstattenden: „Wir müssen unbedingt alle nach Ohrid und uns vor den Reliquien des hl. Kliment verneigen, denn es geschieht ein Wunder mit Bulgarien.“ Utro, 4.9.1943, Nr. 10220, S. 6.

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D 3.3  Der Begründer der ,slavischen Zivilisation‘ – Kliment im SHS-Staat

Kliment spielte im serbischen wie im jugoslawischen Zusammenhang keine hervor­ ragende Rolle und stand im Schatten Savas: Dies zeigt etwa eine Rede des Historikers und Universitätsprofessors Radoslav Grujić 1922 zum Savatag an der 1920 auch unter seiner Mitarbeit in Skopje „als Zentrum unserer Zivilisation“ eingerichteten Philosophischen Fakultät 541 unter dem Titel „Träger und Pflanzstätten der ersten serbischen Zivilisation“. In ihr erklärte er den hl. Kliment zum Begründer der „slavischen (…) Zivilisation“ in „unseren südlichen Gebieten“.542 Ohrid und Prespa verklärte der Redner zu „Zentren der gesamthaft wichtigsten literarischen und Aufklärungsarbeit aller orthodoxen Slaven“.543 Während der Titel deutlich auf einen serbischen Zusammenhang verwies, trat dieser in den Passagen zu Kliment zugunsten eines gesamtslavischen Kontextes zurück. Durch den retrospektiven Verweis auf „unsere südlichen Gebiete“ blieb der serbische Bezug allerdings dominant und aufrechterhalten.544 Einer der wenigen längeren Texte, die aus einer serbischen Sicht ganz Kliment gewidmet waren, erschien ebenfalls 1922 in der Belgrader Zeitschrift „Neues Leben“: Der Schriftsteller und Verfasser historischer Dramen Dragutin Ilić entfaltete mit dem Verweis auf Forschungen des 19. Jh. eine stark erweiterte Sicht auf den Heiligen und wies ihm Bedeutung „für das gesamte Slaventum von der Ägäis bis zur Ostsee und zum Ural“ zu.545 Diese Spannweite vertrat er mit dem Verweis auf führende Gelehrte des 19. Jh.546 Ilić versuchte sodann, „eine Stilisierung dieser Zeit und dieser Persönlichkeit“ und „ein noch plastischeres Gemälde einer Persönlichkeit“ zu geben. Sein bewusster Versuch der „Stilisierung“ führte bereits im nächsten Satz zu unbeholfenen Stilblüten: Kliment machte er zur „Amme“, die „das geistige Kind Kyrills und Methods“ ­nährte.547 541 Jovanović (2002), S. 333 f. 542 „So gelang es dem hl. Kliment, (…) die Grundlage der ersten slavischen christlichen Auf­klärung und Zivilisation in diesen unseren südlichen Gebieten zu legen.“ Grujić (1922), S. 15. 543 Grujić (1922), S. 15. 544 In vorangestellten Passagen sprach der Redner auch für diese Zeit von „unserem Volk“ – trotz des Titels geschah dies aber bis zu einem gewissen Grad unter einem allgemeinen slavischen, wenn auch geographisch auf Makedonien beschränkten Blickwinkel: Kliment legte die Grundlage der „slavischen Kultur in Makedonien“. Grujić (1922), S. 15. 545 „Der Name Kliments, des Schülers Kyrills und Methods (…), ist von ungeheurer Bedeutung nicht nur für die Balkanslaven, sondern auch für die russische Kultur, deren Ursprung bei den Balkanslaven liegt. Noch besser gesagt, ist dieser Name bedeutend für das gesamte Slaventum von der Ägäis bis zur Ostsee und zum Ural.“ Ilić (1922), S. 84. 546 „Miklosich, Hahn, Kovačević, Novaković, Jireček und andere haben sich so sehr in ihren histo­ rischen Forschungen mit diesem Namen beschäftigt, dass man sagen kann, dass über Kliment eine ganze Literatur besteht.“ Unübertroffen aber sei die Monographie von L. N. Tunickij. Ilić (1922), S. 84. 547 „Denn, so wie die Balkanhalbinsel die Wiege der Kultur des ganzen Slaventums gewesen ist, so war auch Kliment eine Amme, die an ihren Brüsten das geistige Kind Kyrills und Methods großzog.“ Ilić (1922), S. 84.

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Die Rückkehr der Schüler Kyrills und Methods auf den Balkan habe es der Kirche ermöglicht, „die Grundlage des nationalen Selbstbewusstseins des slavischen Geistes“ unter den Balkanslaven zu legen.548 Mit der kulturgeschichtlichen Popularisierung ­Kliments durch den Schriftsteller ging eine stärker personenbezogene Geschichtsauffassung einher: In Kliment sollte sich „der höhere kulturelle Geist auf dem Balkan“ personifiziert haben.549 Ilić setzte sich zum Ziel, „die Bedeutung dieses Menschen im vollen Maße zu schätzen“ – als „Reformator des kyrillomethodianischen Alphabets, als Literat, als kirchlichen Dichter und als glänzenden Prediger“.550 Die Verehrung Kliments als ­Heiliger stellte Ilić als Resultat der Wirkung seiner Persönlichkeit auf die Kirche und die Bevölkerung dar, und nicht als Folge seiner Heiligkeit. Sein „Geist“ wurde dabei aus einer säkularisierten Warte beschrieben, aber doch mit religiösen Referenzen ­geadelt, namentlich mit dem traditionellen Vergleich mit den Aposteln.551 Ilićs Sicht auf die regionale Geschichte stellte sich unter der Einwirkung des „­Geistes“ Kliments als eine transnationale heraus. Im Rahmen einer übernationalen Herangehensweise brachte der Autor neben der serbischen und der bulgarischen sogar eine dritte, makedonische Perspektive in seine Darstellung ein.552 Mit der Delegitimation des bulgarischen Anspruches auf Kliment sollte nicht nur die Aneignung Kliments, sondern die Eingliederung der ganzen Gegend in den serbischen Zusammenhang ermöglicht werden.553 Erst um 1100 sei von ihm in griechischen Quellen als Bulgare die Rede.554

548 Ilić (1922), S. 87. 549 „Die Persönlichkeit, in deren Person sich die gesamte slavische Literatur und der höhere ­kulturelle Geist auf dem Balkan von der zweiten Hälfte des 11. bis zum 12. Jh. konzentrierte, war Kliment von Ohrid.“ Ilić (1922), S. 87. 550 Ilić (1922), S. 87. 551 „Im unermüdlichen Geist dieses Aufklärers, den die orthodoxe griechische und die slavische Kirche mit dem Heiligenschein versahen, die Volkslegende aber – die noch heute, nach tausend Jahren, über ihn in ganz Makedonien erzählt wird – mit der Kraft des Wundertäters zierte, ­zeigten sich ungewöhnlicher Verstand, Geist und Charakter, wie sie sich nur bei den ersten Aposteln des christlichen Glaubens finden.“ Ilić (1922), S. 87. 552 „Die makedonischen, die serbischen und die bulgarischen Slaven entwickelten gemeinsam ihr nationales Selbstbewusstsein mithilfe der gemeinsamen Kirche, Schrift und Literatur, unter dem unmittelbaren Einfluss seines Geistes.“ Ilić (1922), S. 88. 553 „Insbesondere für die turkmenischen Bulgaren und für die von ihnen unterjochten Slaven hatte er herausragende Bedeutung als Aufklärer. Deshalb trachten die bulgarischen Historiker seine bulgarische Herkunft nachzuweisen, wobei sie auf Denkmäler verweisen, die viel später, nach seinem Tod entstanden sind, und die keinerlei Bezug zu den unmittelbaren, ihm zeitge­nössischen Quellen haben.“ Ilić (1922), S. 88. 554 In einer Fußnote nahm Ilić auf einleitende Sätze Bezug und erklärte, nicht ohne historische Berechtigung: „Erst Ende des 11. oder zu Beginn des 12. Jh. nennen ihn griechische Quellen einen Bulgaren und auch die slavische Sprache bulgarisch. Dies erklärt sich dadurch, dass erst zu dieser Zeit der neue ethnographische Typ des slavischen Volkes – die Bulgaren – im Nord­ osten des bulgarischen Staates vollständig abgeschlossen war. Von dieser Zeit an führten sie

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Der Schriftsteller gestand ein, über Kliments Herkunft „lässt sich nichts Fundiertes sagen“ – dennoch verwarf er ohne zu zögern die Thesen, die ihn als Griechen, Bulgaren oder als Einwohner Mösiens ansahen, „zugunsten seiner rein makedonischen Herkunft“. Er vermutete, Kliment habe „schon in seiner frühen Kindheit“ in Solun oder „in der nächsten Umgebung gelebt, wo Makedonen lebten, und nicht Bulgaren oder bulga­ rische Slaven“.555 Ilić spekulierte psychohistorisch („all dies muss man als psychischen Nachweis betrachten“ 556), Kliment dürfte im Alter an seinen Geburtsort zurückgekehrt sein. Deshalb müsse er „makedonischen und serbischen Stämmen“ zugehörig gewesen sein.557 Makedonen und Serben blieben hier in einem sehr nahen Zusammenhang gedacht, wenn nicht als Einheit. Die Makedonen waren dabei ohne Frage Juniorpartner der Serben und wurden an anderer Stelle im selben Text übergangen: Die „Ohrider Schule“ sah Ilić „als Schlüssel der ganzen mittelalterlichen serbischen, bulgarischen und russischen Schriftlichkeit und Literatur“.558 Kliment werde deshalb wie Kyrill und Method von allen Slaven verehrt.559 Er unterschied sie von der „Schule von Preslav“, die nur für die bulgarische Entwicklung und damit von minderer Bedeutung sei. In Preslav veränderte sich die „slavisch-makedonische Sprache (jezik) Kliments“, so Ilić, „gemäß dem Dialekt (govor) des neuen ethnischen Typs“,560 „des neuen nationalen bulgarisch-slavischen Typs“,561 der aus der Wechselwirkung von turkmenischen Bulgaren und Slaven entstand. Diese bulgarische Entwicklung stand in den Augen Ilićs auf einer tieferen Kulturstufe als die serbische: Er sprach von einem „noch ungenügend kultivierten Milieu des neuen nationalen Typs“.562 Ilić setzte Kliment – wie schon Grujić – mithilfe einer rassistisch verstärkten Kulturträgertheorie als Medium zur Erhöhung der Serben und Herabsetzung der Bulgaren ein: In einleitenden Sätzen hatte er (Proto)Bulgaren auch als „unkultivierte Rassen“ bezeichnet, im Unterschied zu Serben wie Kroaten.563 Zu Ende seines Aufsatzes nahm Ilić erneut eine allgemeinslavische Perspektive ein. Er unterstrich, das Handeln Kliments sei „im kyrillomethodianischen Geist“ erfolgt. Eine nationale Vereinnahmung sei daher nicht denkbar.564 Dies galt auch für seine letzte

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unter dem Namen der Bulgaren und der bulgarischen Sprache die Kultur der makedonischen Arbeit Kliments fort.“ Ilić (1922), S. 88. Ilić (1922), S. 116. Ilić (1922), S. 118. „Gemäß unserer Überzeugung stellen wir fest, dass Kliment in Ohrid geboren wurde – im ­Zentrum der südwestlichen makedonischen und serbischen Stämme.“ Ilić (1922), S. 117. Ilić (1922), S. 176. „Daher ist sein Name, wie auch die Namen der Erstlehrer, nicht nur einem slavischen Stamm eigen, sondern den bulgarischen, den serbischen, den russischen und allen slavischen Stämmen des alten Mähren und Pannonien.“ Ilić (1922), S. 180. Ilić (1922), S. 178. Ilić (1922), S. 179. Ilić (1922), S. 180. Ilić (1922), S. 86. Ilić (1922), S. 210.

Kliment zwischen Serbien, Makedonien und Bulgarien

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„Schaffensperiode“ in Bulgarien, „unter dessen Joch sich auch viele makedonisch-­ serbische Stämme befanden“.565 Bulgarien wurde hier als minderkultivierter Unterdrückerstaat geschildert – ein Bild, das der bulgarischen Selbstbeschreibung diametral widersprach. Kyrill und Method dienten dagegen zur transnationalen Delegitimation einer bulgarisch-nationalen Deutung Kliments. Die Person Kliments verehrte Ilić zunächst nur als eine weltliche, nicht aber als heilige.566 Erst später ging er auf den religiösen Kult um Kliment ein. Ilić beschrieb mit einigem Zynismus eine Überführung seiner Gebeine, die Abtrennung des Kopfes und seine Verehrung im Kloster Podrom als „höchstes Heiligtum der makedonischen Slaven“.567 Mit seiner gleichsam unter einem ethnographischen Blickwinkel ver­fassten Skizze zeigte er Distanz zur in seinen Augen unter den Slaven Makedoniens weit­verbreiteten religiösen Verehrung Kliments.568 Diese Beschränkung auf eine slavische Trägerschaft der Verehrung weitete er gleich anschließend auf „die Türken“ sowie „vertürkte Slaven“ aus: „Sein Gedenken ehren und hüten nicht nur die orthodoxen makedonischen Slaven, sondern sogar die Türken, die dies von den vertürkten (izturčenih) Slaven der alten Zeiten geerbt haben. Im Stamm ,Klimenti‘, der im 15. Jh. orthodox war, wird noch heute an seinem heiligen Tag der Lehrer gemäß dem alten serbischen Brauch der Ahnenfeier (,slavom‘) geehrt, sie schneiden den Gedenkkuchen aus Weizen an und zünden eine Gedenkkerze an. Wie die Orthodoxen wissen auch die Mohammedaner sehr gut, dass die Reliquien auf dem Plaošnik, der [das Kloster, S. R.] noch heute eine Ruine ist, einst das Kloster und die Grabstätte des Lehrers war. Dorthin kommen Tag für Tag kranke Mohammedaner und Orthodoxe wegen einer Heilung.“ 569

Bei dieser Skizze schien es Ilić aber weniger um die Wertschätzung eines transreligiösen Synkretismus zu gehen, als um den Nachweis der Beständigkeit slavischer Gebräuche unter türkischen Einflüssen. Im Rahmen der Schilderung der Verehrung Kliments 565 „Obschon sie unmittelbar Bulgarien gewidmet war, unter dessen Joch sich auch viele makedonisch-serbische Stämme befanden, war sie doch nur die Fortführung der allgemeinen slavischen Sache (stvari) im kyrillomethodianischen Geist, die für alle Slaven geschaffen wurde.“ Ilić (1922), S. 210. 566 „Nicht nur als Organisator der ersten systematisch eingerichteten Schulen und Kirchen, als Pädagoge, als Dichter als Literat und als Prediger, sondern auch als Mensch hat er seine Persön­ lichkeit höher als seine Zeitgenossen erhoben (uzneo).“ Ilić (1922), S. 210. 567 Früh kanonisiert, sei seine Ruhestätte im Kloster Pantelejmon auf dem Berg Plaošnik im Jahr 1408 zu einer Moschee umfunktioniert worden. Seine Reliquien seien ins später als Kloster des hl. Kliment bekannte Muttergotteskloster gebracht worden. Diese Überführung „war aber nicht die letzte Belästigung (uznemirenje) der Überbleibsel des Verschiedenen“: „,Christusliebend und fromm‘ trennten die Mönche des Klosters Podrom diesen [den Kopf, S. R.] von den Schultern des Heiligen und ,brachten ihn‘ in ihrem Kloster ,unter‘, wo er noch heute als höchstes Heiligtum der makedonischen Slaven gehütet wird.“ Ilić (1922), S. 212. 568 „Davon, wie verbreitet der Kult dieses Lehrers außerhalb der Kirche ist, zeugt am besten, dass in ganz Makedonien nicht ein Slave gefunden werden kann, der nicht umfassend über den ­heiligen Greis (starcu) zu erzählen vermag.“ Ilić (1922), S. 212. 569 Ilić (1922), S. 212.

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imaginierte er ein seit tausend Jahren bestehendes und fünfhundert Jahre leidendes Volk slavischer Makedonier als beseelte und beherzte Kollektivperson.570 Kliment war zwar nicht wichtig, aber doch auch der monarchischen Inszenierung des Staates nützlich: Die Belgrader Zeitung „Politika“ schrieb in ihrem Aufsatz über den Besuch des Königspaars im Mai 1926 „in Südserbien“ und auch in Ohrid von Kliments Kirche und seinen Gebeinen, aber nicht von einer spezifischen historischen Be­deutung des Heiligen. Nur der Hinweis, „die Bulgaren“ hätten während der „Okkupation“ 1915 – 1918 „rasch alle Gegenstände und Bilder entfernt, die den serbischen Charakter dieser Gebiete gezeigt hatten“,571 durfte nicht fehlen. Nur selten sind Hinweise auf die Verehrung Kliments im inoffiziellen Rahmen: So stellte ein Entsandter des Bildungsministeriums unter den Lehrern des Lehrerseminars und des Gymnasiums 1927 die Existenz einer „literarisch-kulturellen Gesellschaft“ mit dem Namen „Heiliger Kliment von Ohrid“ fest. Sie sei dem jugoslawischen Staat feindlich gesinnt und versuche, der Heilig-Sava-Vereinigung entgegenzuwirken. Der Beauftragte empfahl die Versetzung der „exarchistischen“ Lehrer. 1929 wurden beide Lehreinrichtungen im Rahmen einer gesamtstaatlichen Verringerung der Gymnasien aufgehoben.572 1930 deutete Todor Krajničanac, der für die 1920er-Jahre als Vertreter einer slavischen Konföderation gilt 573 und möglicherweise mit der den gleichen Familiennamen tra­genden „größten Druckerei in Skopje“ in Verbindung stand,574 in einer Schrift in serbokroatischer Sprache Kliment in einem übergreifenden panslavischen Zusammenhang als Aufklärer. Er wandte sich damit explizit gegen nationale Vereinnahmungen seitens der Serben wie der Bulgaren.575 Seine Verdienste lagen in seinen Augen zunächst nicht im religiösen Bereich, sondern in der Akkulturation und Zivilisation der lokalen „Nicht­ slaven (…) im Süden“.576 Für die „Slaven im Süden“ hob Krajničanac ihre Emanzipation von „der griechischen Geistlichkeit“ und Liturgie“ durch Kliment hervor.577 Gemeinsam

570 „Dies zeigt, wie kräftig der Name dieses großen slavischen Aufklärers des 10. Jh. in der nationalen Liebe (u narodnoj ljubavi) verwurzelt ist, dass weder die Dauer von tausend Jahren noch alle erschütternden Kämpfe und das fünfhundertjährige Leiden imstande waren, ihn aus dem Herzen und aus der Seele des Volkes (duše narodne) zu entfernen.“ Ilić (1922), S. 212. 571 Politika, 26.5.1926, Nr. 6498, S. 4 f. 572 Boškovska (2009), S. 269. 573 Penchev (2011), S. 101. 574 Boškovska (2009), S. 325. 575 „An Kliment wird in allen möglichen Geschichten als slavischer Aufklärer erinnert (spominje se) und nicht als serbischer oder bulgarischer.“ Krajničanac (1930), S. 23. 576 „Kliment vermochte es in sehr kurzer Zeit, allen Nichtslaven die wesentlichen Beweise und wichtige historische Denkmäler (spomenike) der slavischen Kultur und Zivilisation im Süden zu geben.“ Krajničanac (1930), S. 23. 577 Er war „der erste Geistliche, der die Slaven im Süden von der griechischen Geistlichkeit und Liturgie emanzipierte.“ Krajničanac (1930), S. 24.

Kliment zwischen Serbien, Makedonien und Bulgarien

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mit Naum sah er diesen als Grundsteinleger „unserer Buchkultur und Zivilisation“.578 Krajničanac beschrieb Ohrid als Ort des Wirkens Kliments und seiner Mitstreiter als „Mosaik der slavischen Kultur und Zivilisation“. Ein Besuch könne dies der Leserschaft „auch heute“ bestätigen.579 Die lange Einbettung Ohrids in griechisch-byzantinische Zusammenhänge überging er ganz selbstverständlich. Die Kontinuität einer slavischen Qualität Ohrids galt es zu unterstreichen, damit sie durch andere Persönlichkeiten vergegenwärtigt und mit neuer Geltung aufgeladen werden konnte: „Ohrid bleibt mit seinen großen historischen Denkmälern der Buchkultur einer der hellsten Punkte unserer slavischen Geschichte vom neunten Jahrhundert bis zum heutigen Tag unter (načelom) Seinen Hochwürden Herrn Doktor Nikolaj Velimirović, unserem größten Kenner und Vermittler christlicher Philosophie.“ 580

Velimirović war seit 1920 Bischof von Ohrid: Die Ideologie eines der glühendsten Ver­treter eines religiös aufgeladenen modernen serbischen Nationalismus konnte hier nahtlos in einen jahrhundertealten legitimierenden Zusammenhang gestellt werden. Der nationalistische Bischof nahm sich auch selbst Kliments an: Im Oktober 1928 schrieb der Bischof in der Zeitschrift „Christliche Einheit“ Kliment sehr deutlich in einen serbischen Zusammenhang ein: „Habt ihr gehört, wieviele Wunder geschahen und sich noch bis zum heutigen Tag durch die Leiber ereignen: des hl. Kliment und Naum in Ohrid, des hl. Simeon und des hl. Königs des Erstge­ krönten in Studenica, des hl. Vasilije in Ostrog, des hl. Petar in Cetinje, des hl. Prohor bei Ristovec, des hl. Stefan von Dećani, des hl. Grigorije in Gornjak, des hl. Fürsten Lazar in Ravanica, der hl. Mutter Angelina in Krušedol, des hl. Janićije in Devič im Kosovo und so weiter.“

Der sakrale Raum, den der Bischof hier entfaltete, reichte von Krušedol im Norden bis Cetinje im Westen und Ohrid im Süden: Kliment kam in diesem Text, der an „jeden Serben“ gerichtet war, die Funktion des südlichen Ecksteins der Landschaft serbischer Heiliger zu.581 1937 ordnete Velimirović in seinem Werk „Emanuil“ Kliment im ­Rahmen der „Fünfzahl (Petočisleniki)“ ein, „so werden die Schüler der hll. Kyrill und Method genannt, d. h.: Die heiligen Kliment, Naum, Angelarije, Gorazd und Sava. Bis 578 „Beide haben mit ihrer unermüdlichen kulturellen aufklärerischen Arbeit den Grundstein u­ nserer Buchkultur und Zivilisation gelegt.“ Krajničanac (1930), S. 25. 579 „Das klassische und alte Ohrid ist wirklich ein Mosaik der slavischen Kultur und Zivilisation. In dieser Gegend begegnen sich monumentale Denkmäler (spomenici) unserer Großen, die für die Buchkultur und die Religion gekämpft haben. In Ohrid selbst könnt ihr dies auch heute bestätigt bekommen durch ihre Überreste, die noch bis zum heutigen Tag demselben Ziel ­dienen, dem sie zubedacht worden waren. Fünf berühmte slavische Namen haben sich auf ewig mit Ohrid und seiner slavischen Geschichte verknüpft: Kliment, Naum, Erozmo, Jovan Bigorski und Jovan Vladimir.“ Krajničanac (1930), S. 24. 580 Krajničanac (1930), S. 24. 581 Nikolaj Velimirović. Sabrana dela 10, S. 530 – 533.

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Mobilisierung und Sakralisierung der Nation

heute sind die Gebeine des heiligen Kliment in Ohrid und die des heiligen Naum im Heilig-Naum-Kloster aufbewahrt.“ Der Bischof berichtete von einem Händler in Sarajevo, der an Scharlach erkrankt war: Eine Erscheinung der „Fünfzahl“ habe ihn geheilt. Zum Dank habe dieser in Bitola eine große Ikone dieser Heiligen in Auftrag gegeben und sie dann bei sich zu Hause aufgehängt.582 Diese Wunderbezeugung verklammerte sowohl Bosnien-Herzegowina als auch „Südserbien“ in der Verehrung Kliments durch den führenden Vertreter eines religiösen serbischen Nationalismus. Die Rede von der „Fünfzahl“ stand im Widerspruch zur im bulgarischen Diskurs gebräuchlichen Rede von der „Siebenzahl“, einer erweiterten Gruppe der Schüler von Kyrill und Method. In seinem grundlegenden Ohridski-Prolog spielte Kliment nur im Schatten des hl. Naum eine Rolle. Selbstverständlich war Kliment unter den Heiligen, die um 1930 mit Mosaiken in der Gedenkkirche der Dynastie der Karađorđević auf dem Hügel Oplenac geehrt wurden.583 Weitere jugoslawische Veröffentlichungen der 30er-Jahre führten die ­Be­mühungen fort, Kliment als Medium der Integration „Südserbiens“ in den neuen Staat bzw. in das serbische Erinnerungsgefüge einzusetzen. Der angesehene Historiker Vladimir Ćorović würdigte in seiner „Geschichte Jugoslawiens“ den „Einfluss, den das slavische Patri­ archat von Ohrid mit seiner slavischen Buchkultur, die in der Tradition des hl. Kliment erarbeitet wurde, auf unsere Länder“ hatte: Kliment sollte somit Make­donien „und unsere übrigen Gebiete“ verbunden haben.584 Prof. P. J. Todorović hin­gegen ging 1937 in der Zeitschrift des Bistums Niš in zwei Phasen vor. Zunächst schrieb er ausführlich direkt über Kliment, so über die Frage nach seiner Herkunft. Er bestritt die Lehrmeinung des Slavisten Franz von Miklosich, der dessen Geburt in Pannonien und dadurch seine slowenische Nationalität gesichert sah, zumal er stets als „episkop slovenski“ unterschrieben habe. Todorović hingegen hielt ihn für einen „Balkanslaven“ aus der Nähe von Saloniki. Mit dieser Einschätzung und weiteren Kommentaren löste er Kliment nicht nur aus der slowakischen Vereinnahmung, sondern auch aus der bulgarischen. Die Frage nach der oder den nationalen Identitäten der lokalen Bevölkerung stellte sich angesichts der angeblichen Jugendlichkeit des bulgarischen Volkes nicht.585 Zugunsten des Slaventums bzw. des Südslaventums sprach Todorović für diese frühe Zeit nicht vom Serbentum. Kliment sei vielmehr gemäß der kurzen Vita Bischof „ganz Illyriens (vsemu Iliriku)“ 586 gewesen – seine Bezeichnung als „Bulgarischer Bischof“ überging 582 583 584 585

Nikolaj Velimirović. Sabrana dela 5, S. 372. Jovanović (1989), S. 166. Ćorović (1933), S. 65. Die Frage, ob er Serbe oder Bulgare gewesen sei, umging er: Die Bulgaren schilderte er als „junges und stürmisches Volk“. Todorović (1937), S. 188 f. 586 Erwähnung fand seine Ernennung zum Bischof durch den bulgarischen Herrscher Boris, den „Neugetauften“. Die unter seiner Organisation entstehende kirchliche Struktur habe „Raszien, Bosnien und Zeta“ umfasst, und damit Kerngebiete des späteren serbischen Staates. T ­ odorović (1937), S. 191.

Kliment zwischen Serbien, Makedonien und Bulgarien

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Todorović. Er ­würdigte sodann Kliment als „große Persönlichkeit“, „Auf­klärer“ und „Missionar“ sowie als „wahren Fortsetzer der Arbeit der Brüder Kyrill und Method in der Festigung des Christentums unter den Slaven“.587 Seine „Organisation der ortho­ doxen Kirche slavischer Sprache“ lobte er als „liberal und national (narodna)“. Sie habe „die slavischen Massen“ stark beeinflusst und sei somit ein wichtiger Beitrag dazu, „dass sich die Slaven auch weiterhin als Slaven hielten“. Erst „später in der historischen Entwicklung formierten sie sich als nationale (narodnosne) Gruppen“.588 ­Kliments „­heiliger Name“ sei in der „Volksseele aufgegangen – offenbar in der Seele des Volks der (Balkan)Slaven.589 Der „liberale Geist, der die Volksgebräuche tolerierte“ und in der Liturgie nicht die griechische, sondern die slavische Sprache zum Einsatz brachte, zeige sich in der Beibehaltung der Slava-Feiern und in der Verehrung des H ­ eiligen als Haus­beschützer. Von diesem „Geist“ sei „unser Volk“ nie abgerückt, obschon das ­Ohrider Erzbistum gräzisiert wurde.590 Kliment wurde hier zum Ziehvater eines „liberalen ­Geistes“, dessen sich „unser Volk“ im „alten Slowenien“ auch später und bis in die Gegenwart erfreut habe, unter dem angeblich dauerhaften Schutz der serbischen orthodoxen Kirche. Indem Todorović schließlich den hl. Sava als Nach­folger Kliments sowie die serbische Kirche als Hüterin seiner Traditionen bezeichnete, wurde die Wirkung des „Geistes“ Kliments bis in die Gegenwart nur für den serbischen Kontext als unge­ brochene Kontinuität dargestellt.591 Sava und die serbische orthodoxe Kirche erschienen so als Erben Kliments, der „die ganze slavische Welt umfasste“, „in einer Reihe mit den hll. Brüdern Kyrill und Method“ zu stellen sei und „Apostel der Christenheit unter den

587 „Der hl. Kliment war eine große Persönlichkeit. Er war sowohl Aufklärer als auch Missionar.“ Todorović (1937), S. 193. 588 Todorović (1937), S. 193 f. 589 „Sein heiliger Name ging schon zu seinen Lebzeiten in die Volksseele über.“ Todorović (1937), S. 194. 590 Dieser „Geist (…) trug dazu bei, dass noch heute auf dem Gebiet des genannten alten Slowenien (Slovenije) sich im Volk hartnäckig die Feier (slava) zur Taufe (tj. Krsno) oder der Gottesdienst (služba) zu Ehren des Heiligen gehalten haben, als dem Verteidiger des Hauses, alte Volks­bräuche noch aus der polytheistischen Zeit, als der Gott als der Verteidiger des häuslichen Herdes verehrt wurde. Dieser Geist und die Tradition der slavischen Volkskirche haben sich hartnäckig alle gehalten bis heute, trotz aller Unbill (nezgoda), in der sich unser Volk in der Vergangenheit befand, und speziell das Ohrider autonome Erzbistum, in dem politische Umstände sogar auch den slavischen Gottesdienst unterdrückt haben. Von diesem Geist ist man weder in der Vergangen­heit noch in der Gegenwart in unserem Volk jemals abgerückt.“ Todorović (1937), S. 194. 591 „Der hl. Sava selbst war ein Vertreter der Ohrider orthodoxen Traditionen in unserem mittel­ alterlichen Staat Raszien. Weder das mittelalterliche Serbien, noch hohe Vertreter der serbischen orthodoxen Kirche haben sich während der Zeit der Sklaverei unter den Fremden, und auch nicht die heutige serbische orthodoxe Kirche, jemals von diesen Traditionen fortbewegt, die der hl. Kliment inauguriert hat (inaugurnisao).“ Todorović (1937), S. 194.

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Slaven, ins­besondere unter den Südslaven“ sei.592 Kliment wurde damit zum Südslaven gemacht und sein Erbe ganz Serbien zugeschrieben – eine Deutung, die bulgarischen Interpretationen diametral zuwiderlief. Die in diesen wenigen Texten in Ansätzen entwickelte serbische Sicht auf Kliment grenzte sich folglich bewusst von der bulgarisch- bzw. makedonisch-nationalen ab, indem sie ihn mit Nachdruck als gesamtslavische oder „südslavische“ Erinnerungsfigur imaginierte. Die serbische Beschreibung des Heiligen war oft auch übernational angelegt, um die bulgarisch-nationale Interpretation der Figur aus den Angeln zu heben. Nur in diesem serbisch dominierten Rahmen konnte auch eine makedonische südslavische Deutung möglich sein. Kliment spielte aber insgesamt in dem serbischen Erinnerungsgefüge keine große Rolle – vielleicht, um Konflikten mit einer makedonisch-nationalen Aufladung aus dem Weg zu gehen: Wo sich eine solche außerhalb des vorgegebenen Rahmens äußerte, wurde sie unterbunden. D 4  Geistliche als Nationalheilige: Kyrill und Method D 4.1  ,Die Wiedergeburt unserer Rasse‘ – Kyrill und Method im SHS-Staat D 4.1.1  Erste Feiern nach dem Krieg

Auch das Gedenken an Kyrill und Method wurde in der auflagenstarken Belgrader Zeitung „Politika“ in der Zwischenkriegszeit kaum vermerkt, ganz im Gegensatz zur Berichterstattung über den hl. Sava. Einer der wenigen Hinweise ist eine Kurznachricht am 25. Mai 1921 zum „Feiertag Kyrills und Methods“: „Gestern wurde im ganzen Land auf feierliche Weise der Feiertag der hll. Kyrill und Method begangen. In der Belgrader Kathedralkirche wurde ein Gottesdienst gehalten, an dem die Vertreter der zivilen Behörden und Offiziere der Belgrader Garnison teilnahmen. In Zagreb war ein Feiergottesdienst in der orthodoxen Kirche, und nach dem Gottesdienst musterte der Divisionsgeneral Pešić die Truppe.“ 593

Trotz der Kürze der Passage bezeugt die in ihr genannte Teilnahme von Beamten und Armeeangehörigen an Feierlichkeiten sowohl in Belgrad als auch in Zagreb eine beachtliche Wertschätzung der Brüder seitens des jungen Staates. Gleiches gilt dafür, dass 1921

592 „Groß an Geist, wie ihn auch seine Ikone in der Kirche der Allerheiligsten Gottsmutter in Ohrid selbst darstellt, umfasste der hl. Kliment die ganze slavische (slovenski) Welt, wie es auch seine großen Lehrer, die hll. Kyrill und Method, getan haben. Er, der slavische Bischof, wie er selbst unterzeichnete, steht wahrlich in einer Reihe mit den heiligen Brüdern Kyrill und Method, und ist ein Apostel der Christenheit unter den Slaven, insbesondere unter den Südslaven. – Sei ihm unter uns ewiger Ruhm (slava)!“ Todorović (1937), S. 195. 593 Politika, 25.5.1921, Nr. 4700, S. 3.

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Slaven, ins­besondere unter den Südslaven“ sei.592 Kliment wurde damit zum Südslaven gemacht und sein Erbe ganz Serbien zugeschrieben – eine Deutung, die bulgarischen Interpretationen diametral zuwiderlief. Die in diesen wenigen Texten in Ansätzen entwickelte serbische Sicht auf Kliment grenzte sich folglich bewusst von der bulgarisch- bzw. makedonisch-nationalen ab, indem sie ihn mit Nachdruck als gesamtslavische oder „südslavische“ Erinnerungsfigur imaginierte. Die serbische Beschreibung des Heiligen war oft auch übernational angelegt, um die bulgarisch-nationale Interpretation der Figur aus den Angeln zu heben. Nur in diesem serbisch dominierten Rahmen konnte auch eine makedonische südslavische Deutung möglich sein. Kliment spielte aber insgesamt in dem serbischen Erinnerungsgefüge keine große Rolle – vielleicht, um Konflikten mit einer makedonisch-nationalen Aufladung aus dem Weg zu gehen: Wo sich eine solche außerhalb des vorgegebenen Rahmens äußerte, wurde sie unterbunden. D 4  Geistliche als Nationalheilige: Kyrill und Method D 4.1  ,Die Wiedergeburt unserer Rasse‘ – Kyrill und Method im SHS-Staat D 4.1.1  Erste Feiern nach dem Krieg

Auch das Gedenken an Kyrill und Method wurde in der auflagenstarken Belgrader Zeitung „Politika“ in der Zwischenkriegszeit kaum vermerkt, ganz im Gegensatz zur Berichterstattung über den hl. Sava. Einer der wenigen Hinweise ist eine Kurznachricht am 25. Mai 1921 zum „Feiertag Kyrills und Methods“: „Gestern wurde im ganzen Land auf feierliche Weise der Feiertag der hll. Kyrill und Method begangen. In der Belgrader Kathedralkirche wurde ein Gottesdienst gehalten, an dem die Vertreter der zivilen Behörden und Offiziere der Belgrader Garnison teilnahmen. In Zagreb war ein Feiergottesdienst in der orthodoxen Kirche, und nach dem Gottesdienst musterte der Divisionsgeneral Pešić die Truppe.“ 593

Trotz der Kürze der Passage bezeugt die in ihr genannte Teilnahme von Beamten und Armeeangehörigen an Feierlichkeiten sowohl in Belgrad als auch in Zagreb eine beachtliche Wertschätzung der Brüder seitens des jungen Staates. Gleiches gilt dafür, dass 1921

592 „Groß an Geist, wie ihn auch seine Ikone in der Kirche der Allerheiligsten Gottsmutter in Ohrid selbst darstellt, umfasste der hl. Kliment die ganze slavische (slovenski) Welt, wie es auch seine großen Lehrer, die hll. Kyrill und Method, getan haben. Er, der slavische Bischof, wie er selbst unterzeichnete, steht wahrlich in einer Reihe mit den heiligen Brüdern Kyrill und Method, und ist ein Apostel der Christenheit unter den Slaven, insbesondere unter den Südslaven. – Sei ihm unter uns ewiger Ruhm (slava)!“ Todorović (1937), S. 195. 593 Politika, 25.5.1921, Nr. 4700, S. 3.

Kyrill und Method

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die Staatsdruckerei in Belgrad unter das Patronat der beiden Brüder gestellt ­wurde.594 Beides ist als Versuch zu deuten, eine staatlich bzw. jugoslawisch, bald serbisch gelenkte Lesart der beiden Heiligen zu institutionalisieren. Allerdings wurde dieser Ansatz zumindest im Rahmen der Zeitung „Politika“ nicht ernsthaft weiter be­­kräftigt: Erst 1924 berichtete das Blatt wieder, und noch knapper, über den Feiertag der ­Heiligen.595 1926 wurde unter der Überschrift „Tag der hll. Kyrill und Method – die Feier des Staatsfeiertages“ gar nur eine Fotografie des Patriarchen Dimitrije beim Verlassen der Kathedralkirche nach dem Gottesdienst in Belgrad veröffentlicht, lediglich be­­gleitet durch eine Bildlegende.596 Staat und Armee waren in dieser Aufmachung zugunsten des nationalen Kirchenführers ganz in den Hintergrund gerückt. Inwieweit waren die damit angedeuteten Tendenzen repräsentativ für die Medialisierung des Gedenkens an die Brüder im jungen SHS-Staat? D 4.1.2  Die Brüder als Medien jugoslawischer oder serbischer Integration

Wie stark reflektiert und damit bewusst umstritten die Bedeutungsaufladung der Brüder im jugoslawischen Zusammenhang zu Beginn der 20er-Jahre war, bezeugt ein Aufsatz des renommierten kroatischen Gelehrten Vatroslav Jagić, den die Zeitschrift „Bruderschaft“ der Belgrader „Heilig-Sava-Gesellschaft“ 1921 unter dem Titel „Kontantin (Kyrill) und Method. Die Begründer der slavischen Kirche und Literatur“ veröffentlichte. Der weithin bekannte Slavist fasste darin seinen bereits 1890 vertretenen gesamtslavischen Standpunkt zusammen, ohne diesen an die nach dem Weltkrieg grundsätzlich ver­ änderte Interessenslage Belgrads in Südosteuropa anzupassen. Die Gegenwart spielte in seiner Darlegung nur ganz zu Beginn eine Rolle. Dort hielt er fest, die „Meinung der Forscher“ gehe in der weitläufigen Literatur über die Brüder „in Vielem so weit auseinander“, da die Sicht der Gelehrten „durch die persönliche religiöse und nationale Einstellung“ gelenkt sei. Er selbst versuchte eine „objektivere“ Sicht einzunehmen 597 und verwahrte sich damit gegen nationale Lesarten der Erinnerungskultur um

594 So ist von der gegnerischen Seite, von Vertretern der makedonischen Emigration in Sofia, zu erfahren: Makedonija, 29.5.1921, Nr. 145, S. 1. 595 Damals wurde nicht einmal mehr wie 1921 in Telegrammform von zentralen Gottesdiensten zu Ehren der Heiligen berichtet, sondern nur von einer Feier der Staatsdruckerei sowie einer Patronats­feier der „Gesellschaft zum Schutze der Kinder“. Politika, 25.5.1924, Nr. 5777, S. 5. 596 Politika, 25.5.1926, Nr. 6495, S. 7. 597 „Über das Leben und die Taten der slavischen Apostel, wenn wir uns der durch sie ­angeeig­neten Bezeichnung bedienen, gibt es in allen slavischen und nichtslavischen Sprachen eine sehr ausgiebige Literatur, voller dramatischer Lebendigkeit, die noch immer nicht alles erklärt hat, was wir wissen wollten, da die Meinung der Forscher in vielem so weit auseinandergeht, wegen der unterschiedlichen Einschätzung der Hauptquellen, Legenden und historischen Dokumente, denen die einen glauben und die anderen nicht, und wegen der Subjektivität des Schreibers, die nicht nur durch Belesenheit und das Fachwissen bestimmt ist, sondern auch durch die persönliche religiöse und nationale Einstellung.“ Jagić (1921), S. 1.

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Mobilisierung und Sakralisierung der Nation

die Brüder. Für ihn war es daher selbstverständlich, dass diese aus einer „angesehenen griechischen Familie“ stammten 598 und nicht als Slaven, geschweige denn als Bulgaren oder Serben anzusehen seien. Neben in Belgrad publizierten Texten und geäußerten Ansprachen über die Brüder ist dabei ihre neue Rolle im Integrationsprozess der Gebiete zu beachten, die dem Staat während der Kriegsjahre eingegliedert worden waren. Anlässlich einer Rede zum Savatag erklärte etwa Prof. Dr. Radoslav Grujić an der Philosophischen Fakultät in Skopje 1922: „Unsere Küstengebiete waren mehrheitlich unter dem Einfluss des Westens und seiner lateinischen Kultur, deren Spuren sich auch in unseren zentralen Ländern erhalten haben, um Prijepolje im Sandžak, wo eine alte Kirche mit lateinischer Inschrift aus dem 9. Jh. gefunden wurde. Nach dem Jahr 886 kamen, über Kroatien und Dalmatien, aus Pannonien und Mähren die vertriebenen Schüler der slavischen Apostel Kyrill und Method, und begannen die erste Grundlage der slavischen christlichen Zivilisation in diesen unseren Gebieten zu legen.“

Wurden damit die älteren westlichen Einflüsse gebannt, oder sollen sie für die Slaven nicht wirksam gewesen sein? Jedenfalls erschienen Kyrill und Method hier als „slavische Apostel“ und nicht als Serben.599 In einer „kirchlich-historischen Skizze“ beleuchtete der Geistliche Ljub. Mitrović 1924 Kyrill und Method während eines Gottesdienstes zu ihrem Feiertag in einer Rede, die in der in Skopje erscheinenden Zeitschrift „Kirche und Leben“ publiziert wurde, aus einer anderen jugoslawisch-serbischen Perspektive: Er führte sie ein als die „heiligen serbisch-slavischen Brüder“.600 Mitrović schrieb damit den „rein makedonischen Charakter“ der „heiligen Tätigkeit“ der Brüder sowie ein als einheitlich serbisches Territorium imaginiertes Makedonien insgesamt als „heilige serbische Wiege“ in einen sakra­li­ sierten serbischen Zusammenhang ein. „Bulgarisches“ hingegen grenzte er als „Fremdes“ bzw. zur Zeit der Brüder abwesendes Element aus.601 Nicht ein säkularer Historiker wie ­Grujić, sondern ein Geistlicher erneuerte und verschärfte damit die schon zu Beginn des 20. Jh. erfolgte serbisch-nationale Aneignung der Brüder im makedonischen Gewand in einer geistlichen Zeitschrift. Mitrović zufolge seien die beiden Brüder Söhne von „Lev, dem Fürsten des um Saloniki gelegenen Fürstentums Serbien; dessen Hauptstadt war der Ort desselben Namens, später ,Srbica‘ – ,Srpčište‘ und türkisch ,Serfice‘“.602 Die Quintessenz seiner serbischen Lesart der Viten und mittelalterlichen Quellen lautete:

598 599 600 601

Jagić (1921), S. 2. Grujić (1922), S. 23. Mitrović (1924), S. 142. Sie seien „leibliche Brüder und in der heiligen serbischen Wiege – Makedonien – geboren; ihre ganze aufklärerische Arbeit trägt rein makedonischen Charakter. Hier hat es nichts Fremdes und namentlich Bulgarisches; während ihrer heiligen Tätigkeit hatte der bulgarische Fuß Südmakedonien noch nicht betreten.“ Mitrović (1924), S. 142 f. 602 Mitrović (1924), S. 143.

Kyrill und Method

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„Kyrill und Method sind Blut vom serbischen Blut, und Knochen vom serbischen Knochen; sie sind die ersten Schöpfer und Eltern der klassischen serbischen Kultur an sich (na po se), sowie der allslavischen im Allgemeinen. Die Sprache Kyrills und Methods ist von ihrer Herkunft rein serbisch, beziehungsweise altserbisch, und allslavisch wurde sie an jenem Tag, als sich die ­übrigen Slaven diese aneigneten.“ 603

Mit der totalen Vereinnahmung der Brüder mit Haut und Haar sowie als Pars pro Toto für Makedonien und dessen angeblich durchweg slavische Bevölkerung wurden diese wie die Region in einen „rein serbischen“ Zusammenhang eingegliedert. Diese und weitere Sätze dienten dabei gleichzeitig explizit und nachdrücklich zur Abgrenzung gegenüber den bulgarischen Nachbarn durch die Delegitimierung ihrer diskursiven Argumentationsstrategien.604 Zur Literatursprache „bulgarischer Redaktion“ bemerkte der Geistliche, es habe damals zwar einen bulgarischen Staat gegeben, aber keine bulgarische Sprache – so wie es einen österreichischen Staat gegeben habe, aber keine österreichische Sprache. Vielmehr handelte es sich um eine serbische Sprache: „Diese Schmuggelei mit dem größten serbischen kulturellen Gut (blago) seitens der habsüchtigen (lakomyh) Bulgaren“ sei folgendermaßen erklärbar: Die „Kyrillo-methodianische Sprache“ habe sich – nicht zufällig zur Zeit der „aufklärerischen Epoche des hl. Sava“ – zu einem „sehr wenig unterschiedlichen Derivat“ entwickelt, zum „raszisch-serbischen oder serbulischen (­serbuľski) Dialekt“. Auf dieser Grundlage sei die neuzeitliche serbische Literatur­ sprache entstanden, während „die originale kyrillische Sprache als verlassener Waise hinterblieb, aber nicht lang: Die Bulgaren behaupteten, dass die Serben das heilige Geheiß (amanet) der ruhmreichen Vorfahren verlassen hätten, stahlen und nahmen unser größtes kulturelles Gut (blago), – und so wurde aus der alt­ slavischen Sprache die ,bulgarische Redaktion‘!“

Seine Polemik war reflektiert genug, diese Bezeichnung im Zusammenhang mit der Verwissenschaftlichung der Philologie unter nationalen Vorzeichen zu sehen: „Durch dieses Plagiat (plagiaštva) der Bulgaren haben sich die Bruder-Slaven mit wissenschaftlich klingender (naučničkim) Stimme an unserem serbischen Volk schwer versündigt.“ 605 Mit einem Exkurs zur Einrichtung der oströmischen Provinz „Prima Justiniana“ sowie zur Christianisierung der Region wollte Mitrović keinen Zweifel daran lassen, dass die hier im 7. Jh. entstandene Kirche „schon zu Beginn ihrer Begründung und Existenz ganz durchdrungen vom serbischen Geist“ 606 gewesen sei. Die „Schüler“ der Brüder wie die Heiligen der Siebenzahl und damit auch Kliment sowie Gorazd, Naum und auch Ivan von Rila wurden als Organisatoren der „serbischen Kirche“ und als „überwiegend (mahom) 603 Mitrović (1924), S. 145. 604 „Die Bulgaren haben, anstelle von Anerkennung und Dankbarkeit für das Bewusstsein und die Sprache unserer Vorväter, die altserbische Sprache altbulgarisch genannt, und das Altslavische zur Sprache bulgarischer Redaktion“ gemacht. Mitrović (1924), S. 145. 605 Mitrović (1924), S. 146 f. 606 Mitrović (1924), S. 147 f.

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Serben-Makedonen (Srbi-Maćedonci)“ vereinnahmt.607 Die Brüder und ihre Schüler hätten vor ihrer Mission in Großmähren „heilige Arbeit in Make­donien“ ge­­leistet. Bis zur byzantinischen Rückeroberung habe die regionale Kirche des „serbischen Fürstentums“ „Serbische Metropolie“ geheißen, und unter diesem Namen an ökumenischen Konzilen teilgenommen.608 Die „christliche Aufklärung“ habe sich so „in unserer lieben Wiege – Makedonien“ entwickelt und dank „göttlicher Liebe“ habe „das serbische Volk allen slavischen Völkern geistige Giganten (velikane)“ gegeben. Neben den Brüdern seien diesem Umstand sowohl der hl. Sava wie auch Jan Hus zu ver­danken.609 Die Argumentation des Geistlichen war durch eine Rückprojektion natio­naler Identität in das Früh- und Hochmittelalter gekennzeichnet, verbunden mit einer religiösen Auf­ladung historisch interpretierter Handlungen ehemals traditioneller ­Heiliger. Sie erwiderte die Darlegung seitens bulgarischer Publizisten in manchen Punkten mit beachtlichem Geschick. Eine Fassung dieser Rede erschien auch in der bereits erwähnten Zeitschrift „Serbischer Kosovo“ und wurde damit weiter aus dem geistlichen Bereich in einen überwiegend weltlichen, nationalistischen Kontext gestellt.610 Mitrović nahm somit Tendenzen von Texten wie denen von Bašić auf und widersprach der gleichzeitig etwa in Belgrad vertretenen transnationalen Erinnerungskultur um die Brüder. Mitte der 1920er-Jahre kann auch für den bosnisch-herzegowinischen Zusammenhang eine serbisch-jugoslawische Aufladung der Erinnerung an Kyrill und Method beobachtet werden: Dr. Lazar Mirković, Dozent am Priesterseminar in Sremski K ­ arlovci für Kirchenslavisch und Liturgie, schrieb in der Zeitschrift „Bruderschaft“ der Savagesellschaft in Sarajevo zu ihrem Feiertag 1927 über sie als „apostelgleiche slavische Lehrer“. Er brachte sie darüber hinaus nur mit „Südslaven“ und weitaus häufiger mit Serben in einen Zusammenhang – ein makedonischer oder gar bulgarischer ex­­pliziter Bezug fehlte in seinem Text ganz. Wichtig ist sein Aufsatz durch die sehr starke ­Betonung der Gegenwart und Zukunft: Wie im Mittelalter sei „auch heute die christliche Lehre der Retter (spas) der Gesellschaft, und solange nicht die christliche Ethik und das Prinzip der Liebe der Regulator der gesellschaftlichen und internationalen Beziehungen wird, bleiben überall Erschütterungen und Unfrieden. Die soziale Frage kann man nur mit der christlichen Wahrheit lösen“. Ein guter Staatsbürger sei ein „Bürger, der an Gott glaubt“. „Der Beamte, der an Gott glaubt, wird nur im Interesse der Gesellschaft ar­­ beiten – zum Nutzen des Staates.“ Die oberste Maxime war die Erhaltung „der Freiheit unseres Staates“, die dem „Glauben an Gott“ zwar zu verdanken war, aber nicht weniger wichtig als dieser selbst zu sein schien. Diese Sätze gingen der Frage voraus: 607 „Diese Organisation der serbischen Kirche haben die Schüler der heiligen Brüder Kyrill und Method vollendet; Goradz, Kliment, Naum, Agelar, Lavrentije, Ivan von Rila (Jovan ­Riljski), Prohor Pčinjski und andere. Sie alle waren überwiegend (mahom) Serben-Makedonen (Srbi-­ Maćedonci).“ Mitrović (1924), S. 148. 608 Mitrović (1924), S. 148 f. 609 Mitrović (1924), S. 149. 610 Srpsko Kosovo, 1.7.1924, Nr. 12, S. 8 f.

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„Wir befinden uns heute in neuen Zeiten auf einer Wegscheide, und am Staatsfeiertag Kyrills und Methods müssen wir uns fragen, auf welchem Weg wollen wir weiter­ gehen?“ Zu wählen sei zwischen dem „Weg der christlichen Aufklärung (…) und der Opfer, die uns die heutigen slavischen Apostel geschenkt haben“, und dem „Weg des heutigen Materialismus“. Die Antwort, „von der unser Schicksal als Volk wie auch als Staat abhängt“, sollte natürlich „der Weg unserer Vorfahren, der Weg des christlichen Glaubens“ sein, dankbar den „gestrigen Generationen, die uns erhalten haben und uns die staatliche Freiheit gegeben haben“.611 Der Akademiker entwarf folglich am Staatsfeiertag der Brüder in einer in der Vielvölkerstadt Sarajevo publizierten Zeitschrift eine religiös verankerte moderne Staatsbürgerlichkeit „in neuen Zeiten“, die am als tradi­ tionell dargestellten orthodoxen Glauben ausgerichtet sein und die „soziale Frage“ lösen können sollte. Auch Kyrill und Method dienten zur Politisierung und Nationalisierung der serbischen orthodoxen Kirche. Aber auch in der Hauptstadt wurde die diskursive Einbettung der neuen Gebiete mithilfe der Brüder vorangetrieben: Der Belgrader Universitätsprofessor und Histo­ riker Vladimir Ćorović integrierte die neu eroberten Gebiete auch in Anlehnung an die Erinnerungskultur um Kyrill und Method in die serbische Kulturgeschichte. Er hielt seinen Vortrag „Südserbien in unserer Kultur“ im Februar 1928 angeblich „in allen wichtigsten Städten Südserbiens“.612 Augenscheinlich machte sich der Historiker damit persönlich zum Vermittler einer diskursiven Verankerung der neu gewonnenen Gebiete in den jugoslawischen Staat als „Südserbien“. Dabei behauptete er nicht, in der Region um und in Saloniki hätten zur Zeit der Geburt der Brüder hauptsächlich Serben gelebt – „zweifelsohne“ seien aber, gestützt durch den Verweis auf dieselben ­Quellen wie ­Mitrović, unter den dortigen slavischen Stämmen auch Serben gewesen. Das Schaffen der Brüder und ihrer Schüler stellte er dennoch ganz in einen über­ greifenden allslavischen Zusammenhang: „Die Schüler von Kyrill und Method schufen die Grundlagen slavischer Literatur auf der Balkanhalbinsel, bei den Serben und den Bulgaren, und später, mittelbar, auch bei den Russen.“ 613 Ćorović führte hier die ältere, gesamtslavische Erinnerungskultur fort, die – wie das Beispiel Jagićs zeigte – auch in Belgrad weiterhin vertreten werden konnte. D 4.1.3  Anfänge rassischer Aufladung unter der Königsdiktatur

Neben oder am Rande des sogenannten „südserbischen“ Zusammenhanges verlief die Entwicklung der Erinnerung an die beiden Brüder zu Beginn der Königsdiktatur im ­Rahmen eines rassischen Diskurses: Dabei vertrat etwa der Slavist Dr. Dim[itrije]. ­Đurović 1930 in seiner Ansprache zu Ehren der Heiligen an der staatlichen Handels­ akademie in Zemun bei Belgrad, wo er offenbar lehrte, weiterhin einen weitaus ­weniger

611 Mirković (1927), S. 82 – 85. 612 Ćorović (1928), S. 2. 613 Ćorović (1928), S. 6.

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stark auf die Inszenierung einer serbischen Identität ausgerichteten Standpunkt. Makedonien spielte in seiner Darstellung gar keine Rolle, zentral blieb das Slaventum im Allgemeinen. Dieses habe sich, bedrängt durch die drohende Einführung der griechischen oder der lateinischen Schrift, in einer dramatisch beschriebenen Lage befunden: Um „seiner Individualität“ nicht verlustig zu gehen und „im kulturellen Sinne“ zu sterben, sei ein „rassischer Genius“ erforderlich gewesen, den die Brüder dargestellt haben sollten.614 Auffallend war seine Übernahme des Begriffs von „Rassen“: „Eines der größten Verdienste“ der Brüder bestand darin, dass sie „unserer Rasse die Tore der Kirche der allmenschlichen (svečovečanske) Kultur und Zivilisation“ geöffnet hätten.615 Ohne Kyrill und Method hätten Jan Hus und Martin Luther nicht zu „großen rassischen Propheten“ werden können.616 Nach einem Verweis auf sprachgeschichtliche Befunde panslavischer, „nichtorthodoxer“ Gelehrter wie Kopitar, Miklosich und Šafařík stellte Đurović die Brüder als „die ersten Missionare der Idee einer Vereinigung der Slaven“ dar. Sie hätten wie ­später Bulgaren und Serben in bestimmten Epochen als „Kulturträger rassische Interessen“ verfolgt und nicht „die Entscheidung engstirnig nationaler (uskoplemenskih) Fragen“.617 Đurović machte in diesen Sätzen die Brüder zu Medien einer rassisch begründeten süd­ slavischen Einigung, die die Bulgaren transnational einschließe. Die Einheit der Slaven beschrieb er nachdrücklich in rassischen Begriffen – so sprach er vom „Altruismus der slavischen Rasse“, den die slavischen Bücher ausdrücken sollten, sowie von der „Idee der Rasseneinheit (jedinstva rase)“.618 Die Brüder sollten die „Volkskunstwerke ­(narodne umotvorine) der slavischen Völker“ mit Idealen „durchdrungen“ haben. Waren im 19. Jh. bürgerliche Pflichten mittels religiöser Erinnerungsfiguren im Dienste der Nation ­legitimiert und als angeblich authentische orthodoxe Tugenden propagiert ­worden, dienten die Brüder nun als Kristallisationspunkte zur Entfaltung eines Dis­kurses über

614 „Folglich war das Slaventum schon dem Verlust (gubljenju) seiner Individualität ausgesetzt, und nur ein Genie konnte es vor einem solch, im kulturellen Sinne, tödlichen Schlag schützen. Ein solches rassisches Genie erschien in der Gestalt der hll. Kyrill und Method, die den Slaven die geistigen Augen öffneten und ihnen die Möglichkeit gaben, ihre Kultur zu begründen.“ Đurović (1929/30), S. 4. 615 Đurović (1929/30), S. 5. 616 „Hätte es die hll. Brüder Kyrill und Method nicht gegeben, dann hätte es auch nicht Jan Hus oder Martin Luther gegeben, diese großen rassischen Propheten und Kämpfer für die Rechte der Volkssprache im Gottesdienst“. Đurović (1929/30), S. 5. 617 „Die Bücher der slavischen Erstlehrer waren auch die ersten Missionare der Idee einer Ver­ einigung der Slaven, wie es der Fall war bei den Serben und Bulgaren während der Epoche des Zaren Samuil, während der Zeit der Blüte der bulgarischen Literatur, während der Epoche der Nemanjiden, zur Zeit der Blüte der serbischen Literatur, namentlich in der Epoche Dušans, als die Kulturträger rassische Interessen im Auge hatten, und nicht die Entscheidung engstirnig nationaler (uskoplemenskih) Fragen.“ Đurović (1929/30), S. 7. 618 Đurović (1929/30), S. 7.

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„Wohltätigkeit“ und ein „höheres Wohl“ bzw. ein Gemeinwohl sowie „soziale Gerechtigkeit“ und „Altruismus“ zugunsten einer imaginierten Rasse.619 Đurović adelte diese mit gesellschaftsphilosophischem Anspruch vertretenen Gegenwarts- und Zukunftsentwürfe mit der Referenz auch auf Herder: Die „fortschrittlichsten (najnaprednijih) Vertreter des romanisch-germanischen Volkes“ hätten auf der Grundlage der „slavischen Volkskunstwerke“ eine „große Zukunft unserer Rasse“ voraus­ gesehen.620 Damit unterstellte Đurović Herder den Gebrauch des von diesem abge­ lehnten Rassenbegriffes. Gemäß der diskursiven Logik der gewählten rassistischen Deutung musste auch die Herkunft der Brüder bestimmt werden. Đurović schrieb hierzu zunächst: „In der Wissen­schaft gilt die Ansicht, dass unsere Apostel die hll. Kyrill und Method griechischer Abstammung sind.“ 621 Allerdings ließ er sich dadurch nicht weiter beeinflussen – ihre Zugehörigkeit zu „unserer Rasse“ sei schlicht zu „spüren“. Die in den Zusammenhang mit „Wissenschaft“ gestellte Logik des Rassismus verleitete unwiderstehlich zur rassischen Homogenisierung und Bereinigung auch der ethnischen Herkunft der Erinnerungs­figuren. Im Sog der Ideologie machte er sie zu „ersten Repräsentanten unserer ­geistigen Werte“, ja zu „Trägern und Erschaffern unserer geistigen Kultur“ und Lenker der gegenwärtigen „Wiedergeburt (preporoda) unserer Rasse“.622 Der Zweck der ideologischen Systematisierung der gesamtslavischen Geschichte mit dem Medium der Heiligen war es auch in diesem Fall, ausgehend von in der Vergangenheit angeblich erreichten Entwicklungsstufen eine gesellschaftliche Zielutopie für die Zukunft zu entwerfen. „Wir“ wurden mit der „Mission“ beauftragt, „während aller Jahrhunderte auf dem Wachposten der europäischen Kultur und Zivilisation“ vor 619 „Unter dem Eindruck der slavischen Bücher sind die Volkskunstwerke (narodne umotvorine) der slavischen Völker durchdrungen (ovejane) vom Geist eines hohen Altruismus und durchtränkt von der Idee einer Höheren Gerechtigkeit und eines Höheren Wohls (Višeg Dobra), wie auch von der Sehnsucht, das Leben im Geiste sozialer Gerechtigkeit zu ordnen. Die Idee der Wohltätigkeit und des hohen Altruismus geht wie ein roter Faden durch das geistige Schaffen der Volkskünstler slavischer Rasse.“ Đurović (1929/30), S. 7. 620 „Die Ideen der Menschlichkeit und Nationalität, die der hl. Kyrill ausdrückte, indem er die slavische Schrift und Sprache verteidigte, eigneten sich zu Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jh. die fortschrittlichsten (najnaprednijih) Vertreter des romanisch-germanischen Volkes an, als sie die slavischen Volkskunstwerke (narodne umotvorine) als Schlüssel zum Verständnis der slavischen Rasse und als Beweis ihres ungewöhnlichen geistigen Werts in der Geschichte der menschlichen Kultur und Zivilisation ansahen. Über sie urteilten die Führer der germanischen Wiedergeburt (germanskog preporada), wie es Herder war, hinsichtlich der großen Zukunft unserer Rasse.“ Đurović (1929/30), S. 8. 621 Đurović (1929/30), S. 9. 622 „Aber wenn wir die Erforschung ihrer Herkunft und Nationalität beiseite lassen, spüren wir, dass sie nicht nur unserer Rasse angehören, sondern dass sie die ersten Repräsentanten unserer geistigen Werte sind, die Träger und Erschaffer unserer geistigen Kultur. Sie und alle ihre Nachfolger, Vertreter unserer Rasse, haben mit ihrem Geist jede Seite der Wiedergeburt (preporoda) unserer Rasse besiegelt“. Đurović (1929/30), S. 9.

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den „Barbaren“ zu schützen: Đurović erwies sich in dieser Rede vor seinem Publikum als ein Praktiker der Diskurse der Selbsteuropäisierung und Selbstzivilisierung. Ohne ausdrücklich auf Antemurale-Vorstellungen ostmitteleuropäisch geprägter Nachbarn zu verweisen, war deren Nachahmung deutlich. Im Übergang „aus der Epoche des Wachestehens in die Periode des kulturellen Schaffens“ seien nun die „Ideale ­unserer Erstlehrer“ erneut zu befolgen.623 Diese „Ideale“ beschrieb Đurović nun nicht als Ideen sakralen Ursprungs, sondern er deutete sie säkularisiert tagespolitisch um und entwarf sie modernisiert als „soziale Gerechtigkeit“. Allerdings konzipierte Đurović nicht staatsbürgerliches Handeln für eine politische Nation, sondern die Vorstellung von Handeln für die „Rasse“ und die ethnische „Nation“. Auf diesem Weg sei „das Ziel von Kultur und Zivilisation“ zu erreichen, bestehend „in der Ordnung des Lebens auf dem Fundament der Gleichheit (jednakosti) der höheren und gesellschaftlichen Gerechtigkeit (Pravde)“. Das „Experiment“ Sowjetunion lehnte der Autor als „Ausdruck unmenschlicher Zivilisation“ ab. Stattdessen lobte er angebliche rassische slavische Leidensfähigkeit und „Selbstverleugnung“. Diese sowie russische Literatur und die in ihr teilweise angeblich entworfenen Ideale „evangelischer Gerechtigkeit“ führte Đurović ohne größere Umschweife auf Kyrill und Method zurück.624 Sein Beispiel zeigt, wie Schüler und Lehrerschaft einer staatlichen Handelsakademie zu Beginn der Königsdiktatur im Rahmen des Gedenkens an Kyrill und Method der Propagierung eines konfessionell definierten Entwurfes von Fortschrittlichkeit mithilfe rassisch-nationaler Ideen ausgesetzt werden konnten. Erst im Zusammenhang mit ähnlichen Texten im Diskurs der Verehrung des hl. Sava wird dabei über diesen Einzelfall hinaus eine Ausweitung rassistischer Interpretamente als charakteristisch für die damalige Entwicklung auch religiöser Erinnerungskultur erkennbar. 623 „Und sie hielten uns während aller Jahrhunderte auf dem Wachposten der europäischen Kultur und Zivilisation, damit wir die Nachkommen unserer Erstlehrer vor den Barbaren beschützen. Und diese große Mission haben wir mit ungewöhnlichem Altruismus erfüllt, voller Sorge um die geistige Vervollkommnung und die soziale Gerechtigkeit. Damit haben wir Sympathie bei früheren Feinden unserer Rasse, unserer Schrift und unserer Sprache erweckt. Aber wir dürfen nicht wagen, unsere Mission hiermit zu beenden, sondern müssen den Idealen unserer Erstlehrer folgen, wir müssen aus der Epoche des Wachestehens in die Periode des kulturellen Schaffens übergehen. Unsere rassischen Sehnsüchte müssen Eigentum eines Volkes mit hoher materieller Kultur und einer Sehnsucht nach Erfindern werden, und diese ihre Eigenschaften sollen sich mit unseren seelischen Eigenschaften verbinden, denn von einer solchen organischen Verbindung hängt die Schaffung sozialer Gerechtigkeit ab.“ Đurović (1929/30), S. 9. 624 „Das Ziel von Kultur und Zivilisation besteht in der Ordnung des Lebens auf dem Fundament der Gleichheit (jednakosti) der höheren und gesellschaftlichen Gerechtigkeit (Pravde). Im Namen eines solchen Lebens hat unsere Rasse alles Leiden und Unfreiheit ertragen und zuletzt zugelassen, dass in Russland (u licu Rusije) ein Experiment unternommen wird, das der größte Ausdruck unmenschlicher Zivilisation und lügnerischer Kultur ist. Der Sinn der Kultur, nach dem wir uns sehnen, ist ausgedrückt in den wunderbaren Bildern der russischen Literatur, durchdrungen von evangelischer Gerechtigkeit, vom Altruismus und der Selbstverleugnung der hll. Kyrill und Method.“ Đurović (1929/30), S. 9.

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Wichtiger blieb vorderhand die Instrumentalisierung der Brüder als Plattform für die Verbreitung eines homogenen Südslaventums: 1933 erschien in Belgrad unter dem Titel „Südslavische Riesen (Jugoslovenski velikani)“ 625 eine weitere Broschüre, die jugo­slawische Identität durch historische Erinnerungsfiguren stiften sollte. Ihr Verfasser, Damjan Rašić, der 1938 auch als Verfasser eines Geschichtsschulbuchs bekannt ist,626 stellte den in der ersten Hälfte des 9. Jh. herrschenden kroatischen Fürsten Ljudevit darin als den Begründer des „ersten südslavischen Staates“ vor. Auf ihn folgten in ­seiner Darstellung die beiden Brüder, nach ihnen sodann der kroatische König Tomislav. Bereits vor ihrer Wanderung nach Südosteuropa seien die Südslaven im polytheistischen Glauben geeint gewesen.627 Damit popularisierte er, wie insgesamt die Schulbuchliteratur unter der Königsdiktatur, die akademische Darstellung jugoslawischer Geschichte von Größen wie Vladimir Ćorović.628 Die beiden Brüder beschrieb Rašić implizit als Griechen.629 Die christliche Kirche erschien angesichts der Missionstätigkeit der Brüder in Mähren und ihres Aufenthaltes in Rom als geeint.630 Rašić ließ einen serbischen oder makedonischen Bezug des Wirkens der nicht namentlich genannten „Schüler von Kyrill und Method“ mit Ohrid ganz aus – stattdessen verknüpfte er beides mit den „Süd­slaven“.631 Auch für diese Zeit wurden die religiöse Einheit der Südslaven beschworen und das Schisma 1054 als „Teilung“ des Volkes beklagt.632 Das „südslavische Volk“ wurde in dieser zeitlosen Situation sodann als Kollektivperson mit dem Ausspruch zitiert, natio­nale Brüderlichkeit gehe über religiöse Zugehörigkeit.633 Nach dieser Passage rückte der Fokus aber wieder von den Südslaven zum allgemeinslavischen

625 Rašić (1933), S. 10. 626 Höpken (2006), S. 363. 627 „Damals waren die Serben, Kroaten und Slowenen eines Glaubens, und sie hatten dieselben Gebräuche.“ Rašić (1933), S. 9. 628 Höpken (2006), S. 361. 629 Sie „erlernten die slavische Sprache von den Slaven, die in der Umgebung von Solun siedelten“. Rašić (1933), S. 10. 630 Rašić (1933), S. 10. 631 Nach dem Tod der Brüder gingen ihre Schüler „zu den Südslaven und begannen, den christ­ lichen Glauben in der südslavischen Sprache zu predigen. Ohrid war der berühmteste Ort, von wo die Schüler von Kyrill und Method den slavischen Gottesdienst verbreitet haben.“ Rašić (1933), S. 10. 632 „Die Südslaven waren lange alle eines christlichen Glaubens, es gab keinerlei Unterschied im Glauben zwischen Serben, Kroaten und Slowenen. Das war so, bis sich die beiden größten christlichen Führer, der griechische Patriarch und der römische Papst, zerstritten. Sie teilten 1054 den christlichen Glauben in zwei Glauben, den westlichen – katholischen und den öst­lichen – orthodoxen. Diese Teilung hat das südslavische Volk am schwersten getroffen, denn sie teilte es in zwei. (…) So teilte die Glaubensspaltung leibliche Brüder (rođenu braću).“ Rašić (1933), S. 12. 633 „Aber, in diesem seinen Unglück tat das südslavische Volk einen sehr gescheiten Ausspruch (pametnu izreku): ,Er ist mein Bruder, welchen Glaubens auch immer.‘“ Rašić (1933), S. 12.

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Gedenken.634 Rašić erklärte diesen allgemeinslavischen Zusammenhang nicht weiter, abgesehen von der Nennung „slavischer Stämme in Mähren“. Die Bezugnahme diente vor allem zur erneuten D ­ elegitimation jeden bulgarischen Anspruchs auf die B ­ rüder: Diese sollten ausschließlich der Identitätsstiftung der (westlichen) Südslaven nützlich sein. In einer ähnlichen, vom Bildungsministerium getragenen Sammlung biographischer Skizzen „Bedeutender Jugoslawen“ mit der Bestimmung „Für die Schule und das Volk“ Dragutin Ilićs von 1930 waren die beiden Brüder noch nicht erwähnt worden, wohl aber Tomislav, Stefan Nemanja, der hl. Sava, Fürst Lazar und auch Strossmayer.635 D 4.1.4  Auf dem ,Kreuzweg der Unkulturen‘ – die Brüder als mediale ,Klammer‘ der ,slavischen Rasse‘ in ,Südserbien‘.

Die Brüder dienten über Publikationen im hauptstädtischen Belgrad hinaus etwa in Makedonien auch zur Imagination des „intregralen Jugoslaventums“ im provin­ziellen Rahmen: Todor Krajničanac veröffentlichte 1930 in Skopje eine Broschüre in serbokroatischer Sprache mit dem Titel „Kyrill und Method und das Slaventum“. Im Vorwort beschrieb er Strossmayer ganz wie Sava als Nachfolger Kyrills und Methods, der Slaven­apostel, die als „lokale Apostel“ die „Idee des Slaventums im Süden“ darstellten.636 Sava habe „mit seiner kolossalen praktischen Arbeit“ die Grundlage für „unsere jugoslawische, Strossmayer’sche Tätigkeit“ gegeben, die das „Fundament des heutigen großen und mächtigen Jugoslawien“ darstellen sollte. Diese „drei strahlenden Namen“ sollten „Geist und Idee der Geschichte und Literatur des Südslaventums“ beherrschen.637 634 „Aus Dankbarkeit nannten die Slaven Kyrill und Method die slavischen Apostel und sie feiern sie jedes Jahr als ihre Heiligen.“ Rašić (1933), S. 13. 635 Ilić (1930). 636 „In unserer kirchlichen Literatur sind drei Namen vermerkt als strahlend (svetla) und würdig, und dies sind Kyrill und Method, der hl. Sava und Bischof Strossmayer. Jeder Name bringt für unsere nationale Literaturgeschichte (nacionalnu istoriju književnosti) ein goldenes Zeitalter der Arbeit und Tätigkeit mit sich. Aber dennoch kann man ohne Zweifel sagen, dass Kyrill und Method, die slavischen Apostel, mit ihren unermüdlichen heiligen dogmatischen Arbeiten von uns Jugoslawen höher geschätzt sind als es unser geschätzter Jugoslawe und Vater der Idee des des Slaventums im Süden, Josip Strossmayer, der Bischof aus Đakovo, mit seiner klassischen und enzyklopädischen Arbeit werden konnte. Der hl. Sava und Strossmayer sind Apostel, aber mehr oder weniger lokalen Charakters. Sie sind Schüler und Nachfolger der Idee der slavischen Apostel Kyrill und Method.“ Krajničanac (1930), S. 3. 637 Sava „hat jenes zurückgelassen, was unsere jugoslawische, Strossmayer’sche Tätigkeit zum Fundament des heutigen großen und mächtigen Jugoslawien machen konnte. Sie mit ihrer ge­netischen Arbeit um die Erschaffung unseres slavischen Alphabets, der Literatur und Geschichte; der hl. Sava mit seiner praktischen Arbeit und der literarischen Arbeit, und Strossmayer mit seiner unermüdlichen politischen und literarischen Arbeit für die Idee des Jugoslaventums, dominieren diese drei strahlenden (svetla) Namen mit ihrem strahlenden Beispiel, solange der Geist und die Idee der Geschichte und Literatur des Südslaventums bestehen wird.“ Krajničanac (1930), S. 3.

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Gleich darauf ehrte er alle drei Erinnerungsfiguren sowohl im südslavischen wie im gesamtslavischen Zusammenhang als „Apostel und Heilige vor dem Altar der Slavenheit“.638 Mit diesen Worten entwarf er eine nationale Religion, die nicht Gott, sondern dem Slaventum ­huldigte. Trotz dieser maximalen Verquickung religiöser und nationaler Konzeptionen beschrieb er im Weiteren die Brüder als weitgehend säkularisierte Kämpfer für „die große Slavija“, „als Verkünder der kulturellen und politischen Freiheit“ der Südslaven und letztlich wie Stifter eines „integralen Jugoslawien“.639 Mit der Referenz auf die Brüder sollten die Idee des Jugoslawismus und damit sowohl der neue Staat als auch die Eingliederung Makedoniens in diesen weiter legitimiert werden. Eine zeitgemäße, gesellschaftlich wie politisch und kulturell attraktive Vision des Lebens sollte auf ur­eigensten, alten Traditionen begründet erscheinen. Krajničanac sprach den beiden Brüdern weit mehr als bloß die Rolle von Missionaren zu: Sie hätten „mit ihren unermüdlichen Mitstreitern“ Serben, Kroaten, Slowenen und Bulgaren aus ihrer Situation als „ewige germanisch-romanische Sklaven“ befreit.640 Trotz oder gerade wegen der Publikation des Textes in Skopje fehlte in dem Text von Krajničanac dabei jeder Hinweis auf einen makedonischen Erzählstrang: Die süd­ slavischen Stämme setzten sich aus Serben, Bulgaren, Kroaten und Slowenen zu­­ sammen. Als angebliche Grundleger des „slavischen Organismus“, den er körperlich mit „Hauptarterien“ ausgestattet beschrieb, kam den Brüdern eine Rolle zu, die an die

638 „Kyrill und Method, der hl. Sava und Strossmayer, das sind die Apostel und Heiligen vor dem Altar der Slavenheit, die die Idee des Südslaventums verbreitet haben, und dabei den Glauben und die Familie der Einheit des Geistes und der slavischen Kultur auf der ganzen Welt t­ ole­rieren.“ Krajničanac (1930), S. 3. 639 Sie hätten „eine enge Verbindung zwischen uns Slaven geschaffen, indem sie, das Kreuz in der Hand, die christliche Lehre gepredigt haben, die später zur kräftigen Spange zwischen den Slaven vom Kaspischen Meer bis zur Stadt Maribor und von Varna bis nach Warschau und von Wien bis Solun wurde. Für uns Südslaven sind sie nicht nur die Verkünder der kulturellen und politischen Freiheit, seine und ihre titanischen Werke sind die Grundlage unseres großen Jugoslawiens von Maribor bis Solun und von Varna bis Dubrovnik. Sie kannten keinen Stammeskampf, sie kannten kein Vergießen von Blut unter Brüdern, sondern kämpften mit ihrer großen Großherzigkeit für die große Slavija, für die große politische und kulturelle Unabhängigkeit des ganzen Slavischen Volkes, und wirklich musste viel Zeit vergehen, bis ein großes integrales Jugoslawien entstand.“ Krajničanac (1930), S. 10. 640 „Nun können wir uns fragen, wem der Verdienst zufällt für diese ungestüme (naglom) ­Be­kehrung der slavischen Stämme? Unbestritten können wir positiv antworten, dass es Kyrill und Method mit ihren unermüdlichen Mitstreitern waren: Kliment, Gorazd, Naum und Sava, sie haben es im 9. Jh. erreicht, dass kein slavischer Stamm mehr einen polytheistischen Glauben hatte und dass die Jugoslawen mit ihrer starken Kultur ihre Zivilisation und Bildung schufen, für all dies müssen wir den leuchtenden und ewigen Namen der slavischen Geschichte und Literatur danken, Kyrill und Method. Wir Serben, Kroaten, Slowenen und Bulgaren waren die ewigen germanisch-romanischen Sklaven (roblje). Sie haben uns die Augen geöffnet, gaben dem kultu­ rellen und moralischen Leben sowie der Bildung Helligkeit.“ Krajničanac (1930), S. 27 f.

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bewusste Mitwirkung an der Ethnogenese des Slaventums grenzte.641 Dieser „Organismus“ sollte sich auch politisch emanzipieren.642 Krajničanac hob nicht nur Strossmayer auf dieselbe Ebene wie die beiden Brüder, sie dienten ihm auch zur Erhöhung Masaryks.643 In ­letzter Konsequenz geriet das Werk Kyrills und Methods zur politischen Befreiungsarbeit. Religiöse oder heilsgeschichtliche Aspekte wurden zwar zunächst verbal nationa­lisiert, traten dann aber zugunsten politisch-kultureller Ziele ganz in den Hintergrund.644 Trotz des allgemeinslavischen Zusammenhanges, der breit ausgeführt wurde, verengte ­Krajničanac das Bestreben Kyrills und Methods doch immer wieder auf die Erschaffung einer nur südslavischen literarischen Kultur oder „Zivilisation“. Krajničanac veröffentlichte mehrere Broschüren ähnlichen Inhalts, so etwa eine zur „Ideologie des südslavischen Gedankens“, die 1932 ebenfalls in Skopje erschien – Kyrill und Method spielten in ihr aber keine nennenswerte Rolle.645 Die in diesen Jahren nicht zuletzt in Deutschland grassierende Rassenideologie spielte bei der Instrumentalisierung der Brüder in dem Text Krajničanacs noch keine explizite Rolle – im Gegensatz zu anderen damaligen Veröffentlichungen: In der damals in Skopje erscheinenden Zeitschrift „Serbischer Kosovo“ setzte Ž. Rasulić das Konzept gleichfalls in diesem Zusammenhang ein. Er beschrieb 1930 die beiden Brüder zunächst als Grundsteinleger der slavischen „Zukunft“ als „Apostel aller Süd- und Nordslaven“.646 Konfessionelle Differenzen unter den Slaven blendete er aus und beschwor stattdessen eine homogene „slavische Rasse“: Die kurze Skizze sollte die „gewaltigen Verdienste, die diese beiden Unsterblichen für ihre slavische Rasse geleistet haben“, aufzeigen.647 Nicht eine serbische oder bulgarische Herkunft, sondern eine slavische Abstammung 641 „Sie haben mit ihrer Sprache, dem christlichen Glauben und der slavischen Schrift das Fundament geschaffen für den ideal erdachten großen und mächtigen slavischen Organismus, mit den [folgenden, S. R.] Hauptarterien: der südslavischen, der bulgarischen, der polnischen, der tschechischen, der Lausitzer-sorbischen und der russischen.“ Krajničanac (1930), S. 27 f. 642 „Schon zur Zeit Kyrills und Methods dominierte die Idee des Slaventums, die auf der Grundlage der politischen und kulturellen Befreiung aller Slaven von barbarischen und fremden Völkern stand.“ Krajničanac (1930), S. 30. 643 „Kyrill und Method und Masarik, das sind die beiden [sic, S. R.] Figuren in der slavischen Geschichte, von denen die eine das Gebäude der slavischen Physiognomie der Literatur begann, die andere sie fortsetzte.“ Krajničanac (1930), S. 31. 644 „Kyrill und Method gelang es, mit ihren literarischen und philologischen Arbeiten die Slaven aus ihrer ewigen literarisch-politischen Sklaverei zu befreien, und damit wollten sie das Fundament einer großen jugoslawischen Buchkultur legen, die heute durch ihre zahlreichen literarischen und sozial-philosophischen Abhandlungen brilliert.“ Krajničanac (1930), S. 33. 645 Krajničanec (1932). 646 „Die hll. Kyrill und Method, die Brüder aus Solun (braća Solunjani) sind die größten slavischen Aufklärer (prosvetitelji); aber insbesondere sind sie Lehrer und Apostel aller Süd- und Nordslaven; denn sie haben den äußerst beständigen Grundstein zu ihrer Zukunft gelegt und haben ihn mit dem slavischen Alphabet auf ewige Zeiten gefestigt.“ Srpsko Kosovo, 24.5.1930, Nr. 10 – 14, S. 34 – 37, hier S. 34. 647 Srpsko Kosovo, 24.5.1930, Nr. 10 – 14, S. 34.

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mütterlicherseits wurde behauptet.648 Die „Methodianer“, die Schüler der beiden Brüder, und namentlich Kliment seien sodann in Bulgarien „schlecht aufgenommen worden und nach Makedonien gegangen, in die Umgebung des heutigen Ohrid“. Von Makedonien war hier ganz ohne Hinweis auf seine herrschaftliche Zugehörigkeit zu Bulgarien die Rede. Die Bevölkerung der Gegend bestand in seinen Augen offenbar nicht aus Bulgaren, geschweige denn aus Makedoniern, sondern aus Serben. Naum und Kliment wurden als Förderer des Werks der Brüder unter ihnen eingeführt.649 Erstaunlicherweise leitete Rasulić aus diesem Argument keine Sonderstellung der Serben in der Verehrungspraxis der Brüder ab. Vielmehr blieb er im übergreifenden, gesamtslavischen Diskurs. Hier unterschied er eine kirchliche von einer geschichtlichen Verehrung. Allerdings isolierte er dabei die Bulgaren von den Südslaven.650 Auch die katholischen Slaven wurden in der Skizze im Rahmen der Missionen der Brüder genannt. Schließlich aber, wo es um „den orthodoxen christlichen Glauben“ ging, klammerte er sie aus, soweit sie nicht durch die „heutigen Südslaven“ mitgedacht waren.651 Rasulić schrieb mit seinem Beitrag die Brüder in die für die serbische Bedeutungsaufladung der Region maßgebliche Zeitschrift ein. Über diese Publikationen hinaus nahm die Erinnerung an Kyrill und Method im jugoslawischen Makedonien in den 30er-Jahren aber auch organisiertere soziale Formen an: So trafen sich am 23. Mai 1933 die „zentrale Leitung und die lokale Abteilung der Jugoslawischen Jugend der Vardarprovinz (JOVB)“ in ihrem Sekretariat in Skopje zu ihrer „zweiten gemeinsamen feierlichen Tagung, die dem Gedenken an die geistigen Väter der Slaven, den hll. Kyrill und Method, gewidmet war“. Der Präsident der JOVB Ljubomir Marković hielt in seiner Ansprache für das Protokoll fest, die Vereinigung möchte den Tag der Heiligen „fortan jedes Jahr feierlich begehen“. Er begründete ­seinen Wunsch damit, dass die Brüder „die geistigen Aufklärer unserer Nation“ seien und dieser „die weitere Zivilisation ermöglicht“ hätten, indem sie das Alphabet und „den Anfang jeder Wissenschaft“ einrichteten.652 Die Brüder hätten die „kulturelle Entwicklung“ nicht nur

648 Ihr Vater sei Grieche gewesen, ihre Mutter aber „Slavin von ihrer Herkunft“. Srpsko Kosovo, 24.5.1930, Nr. 10 – 14, S. 34. 649 „Und so haben die Soluner Brüder Kyrill und Method weniger persönlich als vielmehr durch ihre Schüler, namentlich durch Naum und Kliment ihre größte Annahme (razumevanja) bei den Serben gefunden, zumal die Serben vor allen Slaven begannen in Massen zum Christentum zu übergehen und sich zu taufen.“ Srpsko Kosovo, 24.5.1930, Nr. 10 – 14, S. 36. 650 „Diese großen Verdienste [auch die Taufe Russlands etc. durch ihre Schüler, S. R.], welche Kyrill und Method ihrer Rasse geleistet haben, haben sowohl die Kirche als auch die Geschichte an­­erkannt.“ Einerseits verehre die „slavische Kirche“ sie und einige ihrer Schüler als Heilige, „und die Geschichte der Südlichen Slaven, der Bulgaren und Russen hat sie zu ihren größten ­Aposteln erklärt, und feiert sie jedes Jahr am 24. Mai, als größten Staatsfeiertag.“ Srpsko Kosovo, 24.5.1930, Nr. 10 – 14, S. 36. 651 Srpsko Kosovo, 24.5.1930, Nr. 10 – 14, S. 36 f. 652 „[D]enn die hll. Kyrill und Method sind, es gibt keinen Zweifel, die geistigen Aufklärer unserer Nation, die ihr die weitere Zivilisation ermöglicht haben, indem sie ihr das Alphabet und den Anfang jeder Wissenschaft gaben.“ Vardar, 28.5.1933, Nr. 87, S. 1.

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der „Jugoslawen, sondern auch des gesamten Slaventums“ angestoßen:653 „Deshalb müssen wir die hll. Kyrill und Method als erste Aufklärer des Jugoslaventums nummerieren, aber gerade hinter ihnen befindet sich der hl. Sava.“ Auf dem dritten Platz ­rangierte – allerdings mit konfessioneller Einschränkung – „im katholischen Teil unseres Volkes“ Strossmayer. Marković setzte sich damit nicht nur ganz pragmatisch dafür ein, die Brüder in jährlichen Gedenkveranstaltungen zu inszenieren, sondern stellte auch gleich eine Rangliste der jugoslawischen nationalen religiösen Erinnerungsfiguren auf. Die Vereinigung wollte schon im selben Jahr den Tag der Heiligen feierlich begehen – da er aber mit dem „Kinderausflug des Sokolkreises von Skopje“ zusammenfiel, sollte mit diesem Ausflug der Feiertag markiert werden. Die Jugend konnte nicht zuletzt über das gesellschaftliche Medium des Sokolverbandes den Botschaften südslavischer Einigung im angeblichen kyrillomethodianischen Geiste ausgesetzt werden. Der Text, der auf der ersten Seite der in Skopje erscheinenden Zeitung „Vardar“ veröffentlicht wurde, bezeugt den Wunsch einer Institutionalisierung der Feier in den Sportund Jugendverbänden der neuen südserbischen Provinz. Er steht auch für die Ausweitung einer jugoslawisch gedeuteten Verehrung der Brüder direkt in das Vardargebiet – von einer expliziten serbisch-nationalen Interpretation rückte man in diesem Text ab. Marković stellte dabei keine homogene ethnokulturelle Ausgangslage fest, sondern eine „Kreuzung verschiedener Kulturen“: „Wenn wir zum ersten Anfang unserer Gegenwart hier auf den Balkan gehen, werden wir sehen, dass wir alle schon damals eine Eigenart slavischen Typs hatten, aber wir waren zerrissen und gespalten, wir hatten keine gemeinsame Klammer (sponu), die uns fest gebunden und vereint hätte. Besonders hier im Süden, auf der Kreuzung (na raskršću) verschiedener Kulturen, wir können auch Unkulturen (nekultura) sagen, war es schwer, eine gemeinsame Zusammenarbeit aufzubauen. Diese Verbindung und diese Klammer gaben uns die Brüder Kyrill und Method.“ 654

Der erstaunlich freimütige Einblick zeigt, wie reflektiert das südslavische Integra­ tionsprojekt gerade in der Vardar-Tiefebene angegangen war: Kyrill und Method sollten als bewusst gewähltes nützliches Instrument, als Medium zum nationalen Zusammenwachsen beitragen: Der Diskurs wurde beobachtet und reflektiert gelenkt. Das in Jugoslawien eingegliederte Makedonien, das bisher in serbisch orientierten Texten gerade im Zusammenhang mit Kyrill und Method als Wiege der serbischen Kultur be­­schrieben worden war, wurde nun als zwar slavisch dominiert, aber doch äußerst vielfältig wahrgenommen. Es war hier nicht mehr das Ziel, eine serbische Identität einzupflanzen, sondern eine nationale Identitäten übergreifende „Zusammenarbeit“ im Zeichen Jugoslawiens zu ermöglichen. Die Brüder wurden daher nicht etwa wie bei Mitrović als Serben beschrieben und auch nicht als Südslaven, sondern als transnationale, ja bewusst als transkulturelle Heilige.

653 „Damit haben sie die kulturelle Entwicklung nicht nur von uns, der Jugoslawen, sondern auch des gesamten Slaventums ermöglicht.“ Vardar, 28.5.1933, Nr. 87, S. 1. 654 Vardar, 28.5.1933, Nr. 87, S. 1.

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Ein redaktioneller Kommentar lobte in derselben Ausgabe der Zeitung den Beschluss des Verbandes, den Tag der Heiligen jährlich zu feiern: Er verortete deren „zivilisa­ torische Aktivität“ im „Südlichen Serbien“, „auf dem Boden unserer heutigen Provinz“. Naum, Kliment und insbesondere Sava seien auf ihrem „Weg“ weitergegangen, als dieser sich gegen die griechische Geistlichkeit wandte und mit Russen und Bulgaren freundschaftliche Beziehungen schloss, denn „ohne Eintracht zwischen Serben und Bulgaren“ gebe es „für die Balkanslaven keine Rettung“.655 Die Redaktion der Zeitung unterstrich damit im Gegensatz zu dem auf derselben Seite veröffentlichten Text von Marković eine „südserbische“ Bedeutungsaufladung der Brüder. Die Redakteure machten aber gleichzeitig deutlich, dass eine nur auf serbische nationale Identität ausgerichtete Propaganda die Beziehungen zu Bulgarien zu sehr belasten würde, und suchten den Dialog mit Bulgarien. D 4.1.5  Kyrill und Method als ,Fremde‘ im Schatten Savas

Die Brüder wurden nach und nach so bedeutend, dass sie bald als Steigbügelhalter des den religiösen nationalen Diskurs beherrschenden Sava beschrieben werden konnten: 1935, im Gedenkjahr des 700. Todesjahres des hl. Sava, wurde auch der beiden Brüder gedacht. Petar Đorđić stellte in der Belgrader Zeitschrift „Svetosavlje“ die Erinnerung an sie unter dem Titel „Von Kyrill und Method zum heiligen Sava“ in einen über­greifenden Zusammenhang. Indem er Sava als Fortsetzer und Erben der beiden in­­szenierte, ­dienten die Brüder letztlich nur zu dessen Erhöhung.656 Zur impliziten Demontage der da­­ma­ ligen bulgarischen Erinnerungskultur und zur Erhöhung des hl. Sava konnten die beiden Brüder hier auch als „aus einem fremden Volk“ und somit als Griechen oder Byzantiner bezeichnet werden.657 Auf der Grundlage dieser Fremdheit gewann Đorđić den wesentlichen Unterschied zwischen ihnen und Sava: Dieser konnte angeblich auf der ge­­festigten serbischen Sprache aufbauen und „unter einer Masse, die sprachlich und nicht nur ethnisch einheitlich (jednorodnoj) war, eine Volkskirche schaffen, die sich natürlich

655 „Kyrill und Method haben ihre zivilisatorische Aktivität in Solun begonnen und haben sie wahrscheinlich zunächst auf dem Boden des Südlichen Serbien, auf dem Boden unserer heutigen Provinz entwickelt, hier, wo später im Geiste ihrer Lehre die hll. Naum, Kliment, Erazm und andere ihrer Schüler arbeiteten. Der hl. Sava ist im 13. Jh. nur weiter auf dem Weg gegangen, den sie gegangen waren, als er für die Emanzipation unserer Kirche von den Griechen kämpfte, und als er freundschaftliche und brüderliche Bande mit den Russen und Bulgaren knüpfte, unter denen er auch seine Augen schloss, sich darüber bewusst, dass ohne Eintracht zwischen Serben und Bulgaren und ohne eine breite politische Plattform auf der Basis des Slaventums es für die Balkanslaven keine Rettung gibt…“ Vardar, 28.5.1933, Nr. 87, S. 1. 656 „Sava hat in sich die Arbeit und Aufgabe beider slavischen Apostel vereint.“ Đorđić (1935), S. 28. 657 „Alle haben die christliche Bildung verbreitet: der hl. Sava bei seinem Volk, hingegen haben Kyrill und Method, die aus einem fremden Volk waren, auch nur fremde Völker unterrichtet.“ Đorđić (1935), S. 28.

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tief in die Seele des serbischen Volkes verankerte“.658 Sava wurde damit im Gegensatz zu den „neutralen übernationalen (nadnarodni)“ oder transnationalen „­Fremden“ aus Saloniki zum Erbauer einer „Volks-“ oder „Nationalkirche“ stilisiert, die in der „Seele“ der Nation ruhte.659 Während die Brüder lediglich eine „missionarische“ sowie eine „politische Mission“ hatten, sei das „Werk“ Savas „im vollen Umfang politisch und staatlich“ 660 gewesen und damit offenbar von höherer Bedeutung. Trotz der nationalen Rolle Savas sei aber auch dieser – wie die Brüder – überregional und transnational verehrt worden. In seinem Leben sollte sich deshalb „symbolisch die tausendjährige Einheit des Glaubens der orthodoxen Slaven“ spiegeln.661 Überdies sei im Gegensatz zum Gedenken an die beiden Brüder jenes an Sava kontinuierlich gewesen.662 Auch hier ist die Stilisierung Savas als Dekonstruktion der bulgarischen Verehrung Kyrills und Methods zu lesen. Đorđić setzte die Qualität des Gedenkens an die beiden Brüder deutlich herab – während Sava immer im Volk und seiner Tradition „lebte“, seien die „fremden“ Brüder im 19. Jh. „künstlich“ in Erinnerung zurück­gerufen worden.663 Offensichtlich zielte diese Argumentation auf die bulgarische „Wiedergeburt“, den zentralen Diskurs der bulgarischen Elite seit der zweiten Hälfte des 19. Jh. Kyrill und Method traten in diesem Text im Vergleich zu Sava noch weiter in den Hintergrund. Sava habe ihrem „Werk“ unter den Serben „das Leben“ gegeben.664 In der Konkurrenz mit den Brüdern konnte Sava so als serbischer, besserer Kyrill und Method inszeniert werden. Die Erinnerung an Kyrill und Method stand somit in den Jahren der Königsdiktatur ganz im Schatten der weitaus intensiver vertretenen Erinnerung an Sava: Die ­beiden „fremden“ Brüder und ihre „künstliche“ Verehrung dienten hier nur zur Konturierung der serbischen Nationalität Savas. Sava war der Nationalheilige – während die ­Erinnerung an Kyrill und Method in einem jugoslawischen Zusammenhang und auch in 658 Đorđić (1935), S. 28. 659 Die Brüder aus Saloniki „waren Fremde von ihrer Abstammung her, und sie blieben neutrale, übernationale (nadnarodni) Schöpfer der slavischen Bildung“. Đorđić (1935), S. 29. 660 „Kyrill und Method wird oft auch eine politische Mission zugeschrieben, nicht nur eine missio­ narische, wenn eine solche überhaupt bestehen konnte, während das Werk Savas im vollen Umfang politisch und staatlich war.“ Đorđić (1935), S. 29. 661 „Und wie sich die Viten Kyrills und Methods unter allen orthodoxen Slaven verbreitet haben, so ist auch der Kult des hl. Sava weit verbreitet, der sein mönchisches Leben in einem russischen Kloster begann, und sein irdisches Leben in der bulgarischen Hauptstadt beendete. So spiegelt sich im Leben Savas symbolisch die tausendjährige Einheit des Glaubens der orthodoxen ­Slaven wider.“ Đorđić (1935), S. 29. 662 „Deshalb hat das Gedenken (uspomena) an den hl. Sava in seinem Volk während allen Zeiten gelebt, von seinem Tod bis heute, während die Erinnerung an die hl. Brüder schon sehr früh verblasste.“ Đorđić (1935), S. 29. 663 „Er lebte in der Volkstradition, während das Gedenken an die heiligen Brüder in der Epoche der Wiedergeburt (preporoda) der slavischen Völker ganz (gotovo) künstlich erneuert werden musste.“ Đorđić (1935), S. 30. 664 „Denn auch das Werk der heiligen Brüder konnte beim serbischen Volk das Höchste [nur, S. R.] erlangen, da der hl. Sava es festigte und ihm das Leben gab.“ Đorđić (1935), S. 30.

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einem gesamtslavischen Kontext blieb. Da diente sie zur Herstellung gesamtstaatlicher Identi­tät, dort zur Festigung freundschaftlicher Beziehungen zu den übrigen slavischen Staaten, insbesondere Bulgarien. Der Philologe Pavle Popović, Professor an der Universität Belgrad, vertrat 1936 in einem Aufsatz in einer wissenschaftlichen Belgrader Zeitschrift ebenfalls eine all­ gemeinslavische und wenig serbisch-nationale Sicht auf das Wirken der beiden Brüder. Auch in seinen Augen waren sie keine Slaven: Ihre Eltern seien griechischer Ab­stammung gewesen.665 Ausführlich behandelte er die Beziehung der beiden Brüder zu Rom sowie zu Byzanz,666 auch mit Referenz auf Jagić.667 Popović hob dabei etwa hervor, dass anlässlich des Todes Konstantin-Kyrills im Petersdom der Gottesdienst „in slavischer Sprache“ gehalten wurde.668 Das Verhältnis von Papst Johannes VIII. zu Method, der diesen zum Erzbischof ernannte, schilderte er freundlich.669 Nach diesen Avancen gegenüber der katholischen bzw. slowenischen und kroatischen Verehrung der beiden Brüder sprach Popović dann konsequent von der „altslavischen Sprache“ der beiden. In Abgrenzung zur „pannonischen Theorie“ vertrat er eine sogenannte „makedonische Theo­rie“: Ihre Sprache entspreche „jenem slavischen Dialekt, der im 9. Jh. im Süden Makedoniens gesprochen wurde, in der nahen und fernen Umgebung Soluns“. ­Diesen Dialekt nannte er auch „makedonischen Dialekt“. Auch diese Sätze waren implizit gegen eine bulgarische Vereinnahmung der Brüder gerichtet und verorteten diese wie Makedonien stattdessen ganz in einem jugoslawischen bzw. serbokroatischen Zusammen­hang: Die entstandene „slavische Literatursprache“ „blieb über Jahrhunderte hinweg die Literatur­sprache der Serben und Kroaten, dann der Bulgaren, und, später, der Russen“.670 Am Ende seines Beitrages sah Popović aber von einer südslavischen Interpretation des ­Wirkens der ­beiden Brüder zugunsten einer allgemeinslavischen Bedeutungsaufladung ab.671 Neben dieser Ablehnung einer jugoslawischen Bedeutung der Brüder stand aber bald das Gegenteil: Der Historiker und Schüler von Constantin Jireček Jovan Radonić, gleichfalls Professor an der Universität Belgrad, stellte 1938 in seinem umfangreichen Buch „Gemälde aus der Geschichte und Literatur“ eine Reihe biographischer ­Skizzen von lieux de mémoire zusammen, die sich nicht auf südslavische Persönlichkeiten beschränkte, sondern auch Platz für Erinnerungsfiguren wie Johanna von Orléans und Katharina II. hatte. Am Anfang des in Belgrad veröffentlichten Bandes standen dennoch die beiden Brüder Kyrill und Method, gefolgt vom hl. Sava: Heilige spielten hier in derselben Liga wie die weltlichen Erinnerungsorte. Dem Beitrag zu Kyrill und 665 666 667 668 669 670 671

Popović (1936), S. 86. Popović (1936), S. 94 – 108. Popović (1936), S. 98. Popović (1936), S. 99. Popović (1936), S. 105. Popović (1936), S. 109. „Das kyrillomethodianische Werk schuf somit viele slavische Literaturen und gab ihnen einen ersten Anfang und Antrieb (podstrek). Und es bewirkte noch etwas Weiteres. Es wirkte während Jahrhunderten auf die allgemeine gesamte Kultur der Slaven.“ Popović (1936), S. 120.

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Method lag eine Rede vom Mai 1933 anlässlich des 1070. Jahrestages des Beginns der „­Mission der heiligen Brüder aus Saloniki“ zugrunde. Im Gegensatz zu bereits besprochenen jugo­slawischen Identitätsstiftungen mithilfe des Gedenkens an die beiden ­Brüder stand in dem Text Radonićs von 1938 ein südslavischer Zusammenhang, hier die Bulgaren mitein­schließend, eher im Hintergrund: Zunächst schrieb er öfter von den „ortho­doxen slavischen Völkern“ sowie von den Slaven insgesamt.672 Radonić betonte hier die ­Trennung orthodoxer von römisch-katholischen Slaven zur Zeit der Mission der beiden Brüder im Gegensatz zu anderen besprochenen südslavischen Instrumentalisierungsversuchen. Die hier als Südslaven beschriebenen Bulgaren, aber auch die Russen wurden mit in einen europäischen Erinnerungskontext eingegliedert. Anders als in den zuletzt hier angeführten Texten beschrieb Radonić die beiden Brüder als Kinder „vielleicht einer slavischen Mutter“ und eines „angesehenen byzantinischen Offiziers“.673 Auch von einer ausdrücklichen serbischen Vereinnahmung der „makedonischen Slaven“ sah er ab.674 Erst zum Ende des Textes trat ein südslavischer Zusammenhang stärker in den Vordergrund.675 Sava wurde hier – deutlicher als in anderen Texten – als Ergebnis der Tätigkeit der beiden Brüder dargestellt, ohne einen Gegensatz zu diesen zu bemühen. Seinerseits habe sodann er seinen „Nachfolgern“ die „Richtung“ gewiesen.676 Die transnationale Perspektive von Radonić umfasste in einem weiteren Schritt auch Bulgaren 677 und Russen.678

672 „Dank der Arbeit der slavischen Apostel festigte sich das Christentum bei den orthodoxen Slaven, es wurde der Grundstein (temelj) der Literatur bei den Serben, Bulgaren und Russen gelegt, und heute hören das Wort Gottes in slavischer Sprache 130 Millionen Seelen (…). Ihre Arbeit fand auch bei den Slaven römisch-katholischen Glaubens ein Echo, insbesondere bei den Kroaten und Tschechen, weshalb die heiligen Soluner Brüder bei ihnen überall gefeiert und verehrt waren. Besonders groß ist das Verdienst der heiligen Soluner Brüder, dass die Süd- und die Ostslaven erst nach ihrer wohltätigen Arbeit das Christentum fest angenommen haben und so in den Kreis der übrigen europäischen christlichen Völker eintraten.“ Radonić (1938), S. 7. 673 Radonić (1938), S. 8. 674 „Beide Brüder, als Soluner, kannten die makedonischen Slaven gut, die in Solun und der un­mittel­ baren Umgebung lebten, und haben in der frühen Kindheit ihre Sprache gelernt.“ Radonić (1938), S. 11. 675 „Mit dem Werk (delom) der heiligen slavischen Apostel und ihrer Schüler wurde der Grundstein (temelj) der slavischen Schriftlichkeit und Literatur auf dem Balkan gelegt. Diese Literatur hatte großen Einfluss auf die nationalen Literaturen der einzelnen südslavischen Völker. Sie formte bei uns den hl. Sava, den Begründer unserer alten Literatur.“ Radonić (1938), S. 17. 676 „Sava, als großer Schüler der heiligen slavischen Apostel, gab seinen Nachfolgern ein Beispiel, und diese führten die literarische Arbeit in der Richtung fort, die der hl. Sava angebahnt hatte.“ Radonić (1938), S. 17. 677 „Die Arbeit der slavischen Schüler unter den makedonischen Slaven und in Bulgarien gab Anlass zur Formierung der bulgarischen mittelalterlichen Literatur.“ Radonić (1938), S. 18. 678 Auch die Beeinflussung der russischen literarischen Entwicklung durch die „alte südslavische und byzantinische Literatur“ wurde „als Frucht der bedeutenden und erhabenen Arbeit der slavischen Apostel Kyrill und Method“ bedacht. Radonić (1938), S. 18.

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Auch in Schulbüchern der Zwischenkriegszeit dienten Kyrill und Method neben wenigen weiteren, auch weltlichen Erinnerungsfiguren zur erzieherischen Verbreitung der Konzeption der jugoslawischen Einheit.679 Kyrills und Methods Gedenktag wurde im SHS-Staat als Staatsfeiertag und getragen durch Beamte sowie die Armee und die Kirche begangen. Die Feiern entwickelten aber in Belgrad eine weitaus geringere Mobilisierung der Gesellschaft als das Gedenken an Sava. In „Südserbien“ spielten Kyrill und Method eine wichtigere Rolle: In Skopje galten die Brüder als Serben und wurden zur staatlichen Integration der neu gewonnenen Gegenden eingesetzt. Für Sarajevo ist mit der Referenz auf die Brüder der Entwurf einer orthodoxen innerweltlichen Askese zugunsten des Staates belegt – die christliche Lehre sollte die Erlösung auch der modernen, heutigen Gesellschaft gewährleisten. Gleichzeitig konnte der Feiertag zur Vorstellung einer „großen Zukunft unserer Rasse“ und zur Vorstellung eines ­rassisch begründeten slavischen Bollwerks im Kampf Europas gegen „Barbaren“ dienen. Während der Königsdiktatur intensivierte sich der Verweis auf die Brüder zur Bekräftigung einer südslavischen nationalen Religion, die sich auch in der Überlagerung ihres Gedenkens mit dem Kosovomythos und in Verbindung mit den Sokol- und Jugendverbänden niederschlug. Kyrill und Method wurden zu Beginn der 1930er-Jahre neben den serbischen heiligen Königen und Kirchenfürsten auch in das Bildprogramm des Mausoleums der Karađorđević – der Gedenkkirche auf dem Hügel Oplenac bei Topola – aufgenommen.680 Im Jubiläumsjahr Savas 1935 wurden die Brüder aber dennoch als „transnational“ und „fremd“ im Unterschied zu diesem beschrieben. Anders als in der bulgarischen Erinnerungskultur wurden die beiden Soluner Brüder in Jugoslawien von führenden Gelehrten als Griechen oder Byzantiner beschrieben, selten als Serben und als Jugoslawen, aber nicht als Bulgaren. D 4.2  ,Heilig ist unser Land!‘ Bulgarisch(-makedonische) Erinnerungsdiskurse bis 1939 D 4.2.1  Akademische und staatliche Erinnerungspolitik

Anders als in jugoslawischen oder serbischen Diskursen kam den Brüdern in Bulgarien auch in der Zwischenkriegszeit eine entscheidende Rolle bei der Konzeptualisierung nationaler Identität zu. Dabei sind direkt infolge der Kriegszeit einige Veränderungen festzustellen, wie wenige Beispiele aufzeigen sollen. Der Oberstleutnant der Reserve Vasil Petkov festigte 1919 die weltlichen Stränge des Diskurses, indem er Bulgarien in seiner knappen Broschüre gerade auch mit dem

679 Dimić / Alimpić (1996), S. 92, S. 95. 680 Jovanović (1989), S. 87, S. 202; Crkva sv. Đorđa na Oplencu, Tafeln im Anhang ohne Nummerierung.

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Verweis auf Kyrill und Method 681 als „Träger der Reformation, der Kultur und der Zivili­ sation“ einführte. Der Zweck der Veröffentlichung war offenbar: „Bulgarien muss sich innerlich festigen, sodass der Bulgare sich als kulturelles und zivilisiertes Wesen aufbaut, um die Feigheit und Verlogenheit seiner Nachbarn zu lähmen und so den wohlgeborenen Akteuren in Versailles die Möglichkeit gibt, den Triumph der Gerechtigkeit und der Wahrheit einzuleiten.“ 682 Der Schlüssel zu dieser Festigung in der Gegenwart sollte in der Vergangenheit und nicht zuletzt im Mittelalter liegen. Der Rahmen war kontinental und universal: „Deswegen schuldeten und schulden auch heute Europa und die Menschheit Bulgarien Liebe – als Erstquelle (părvoistočnik) der Reformation, der Kultur und der Zivilisation in der Menschheit.“ 683 1920 veröffentlichte der Folklorist und Literaturkritiker Dr. Nikola S. Bobčev, von 1902 an Mitglied der „Bulgarischen Literarischen Gesellschaft“, einen kurzen Aufsatz zum „Kampf der Bulgaren für eine unabhängige Kirche und die Vermächtnisse Kyrills und Methods (kirilo-metodievskitě zavěti)“ in der „Slavischen Stimme“. Herausgeber dieser Zeitschrift war die „Slavische Gesellschaft in Bulgarien“, der sein Bruder Stefan S. Bobčev vorsaß,684 einer der Mitbegründer der Universität Sofia. Nikola Bobčev schob in seinen Beitrag in diesem transnationalen Rahmen ein längeres Zitat eines ungenannten „bulgarischen Historikers“ ein, der Bulgarien bzw. den Brüdern eine entscheidende Rolle für die slavischen Völker und die Weltgeschichte zuschrieb. Dabei rückte er die religiöse Bedeutung des „Werks“ der beiden Brüder ganz in den Hintergrund und sprach nur noch von „politischen und kulturellen“ Aspekten. Die „Wächter“-Rolle Bulgariens – die Bewahrung des „Vermächtnisses“ Kyrills und Methods – sollte ein gemeinsames historisches „Schicksal“ der orthodoxen Slaven begründen.685 Diese geschichtliche 681 682 683 684

Petkov (1919), S. 8 f. Petkov (1919), S. 3. Petkov (1919), S. 52. Der Text war als Rede entworfen worden und hätte am 14. März anlässlich des 50. Jahrestages der Einrichtung des Bulgarischen Exarchats im Volkstheater gehalten werden sollen. Wegen eines nicht näher erläuterten „Missverständnisses“ sei es jedoch nicht dazu gekommen. Bobčev (1920), S. 1 f. 685 „Zu den Bestrebungen des mittelalterlichen Bulgarien, eine unabhängige kirchliche Hierarchie zu bekommen, sagt ein heutiger bulgarischer Historiker: ,Fürst Boris legte in seinen ­Bestrebungen, eine unabhängige Kirchenorganisation zu erlangen, eine gewisse schwankende Haltung zwischen Rom und Carigrad an den Tag und blieb der historischen Berufung des bulgarischen Volkes und des Staates treu: Mit seiner Absage gegenüber Rom und damit auch gegenüber einer Gruppe der westlichen christlichen Staaten bewahrte er nicht nur die politische und kirchliche Unabhängigkeit Bulgariens, sondern fügte auch dem westlichen beziehungsweise dem deutschen Einfluss auf der Balkanhalbinsel für viele Jahrhunderte den entscheidenden Schlag zu, wie er auch damit unserem Volk einen breiten Weg zur eigenen kulturellen Entwicklung auf dem nationalen Boden eröffnete. Aber es gibt keinen Zweifel daran, dass hauptsächlicher und letztlich wichtiger als die Absage an Rom und damit auch die Abwendung der deutschen Gefahr war, dass Bulgarien in der Gestalt des Fürsten Boris den durch die deutsche Geistlichkeit aus Mähren und Pannonien vertriebenen hll. Kyrill und Method eine freudige Aufnahme und Obdach gewährte und das

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Einschätzung diente Bobčev als diskursive Grundlage zur Deutung von Ereignissen des 19. Jh. Die konservative, den griechischen Charakter der Orthodoxie wahrende Haltung des Patriarchats von Konstantinopel schilderte er weiterhin als „Sklaverei“ der Bulgaren.686 Entsprechend stellte er die gegen diese „Sklaverei“ angehenden Bulgaren als „Kämpfer“ dar. Der Akademiker erklärte den „Kampf“ treu dem „Vermächtnis“ der beiden Heiligen gegen die „Sklaverei“ und für kirchliche, insbesondere aber „politische und kulturelle“ Unabhängigkeit zur dominanten Kontinuität, zum roten Faden nicht nur der bulgarischen, sondern der slavischen Geschichte insgesamt.687 Die mehrfache Analogisierung löste diese Bestrebungen aus ihrer zeitlichen Situation und verewigte sie gewissermaßen. Slavische Geschichte wurde postimperial auf eine denkbar einfache, einprägsame und durchweg von der bulgarischen Rolle beherrschte Deutung beschränkt sowie mit bulgarisch-nationalem Sinn aufgeladen. Es war die in Texten wie diesem zum Ausdruck gebrachte Form der weltlichen und nationalen Deutung der Brüder, die sich der Staat zunutze machen wollte. Sie war aber kontrovers diskutiert: Stojan Omarčevski, Mitglied der Bauernpartei und Minister für

Werk (děloto) der slavischen Apostel gerettet hat und der raschen Entwicklung der slavischen Literatur geholfen hat, wodurch Bulgarien zum Aufklärungszentrum für die anderen slavischen Völker wurde. Gerade hier liegt die allgemeinslavische und sogar die weltgeschichtliche Bedeutung Bulgariens: Gerade dies bestimmte ihre historische Rolle in Südosteuropa, als Wächter (straž) gegen allen fremden politischen und kulturellen Einfluss. Dies verband ihr Schicksal für immer mit dem Schicksal der anderen slavischen Völker und allgemein mit der Gruppe der östlichen christlichen Völker.‘“ Bobčev (1920), S. 1 f. 686 „Im Wesentlichen hat auch unser Kampf für die unabhängige Kirche in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts diese Bedeutung gehabt. Dies war ein Kampf für die geistige und die nationale (narodna) Kultur des einen slavischen Volkes, das die Carigrader Patriarchie in Sklaverei und Unwissenheit zu halten suchte, um es zu berauben, und sein nationales Bewusstsein (narodnostnoto săznanie) auszulöschen, das heißt, es von der slavischen Herde zu trennen.“ Bobčev (1920), S. 2. 687 „So haben unsere Kämpfer für eine unabhängige Bulgarische Kirche auch während des letzten Jahrhunderts eigentlich das Vermächtnis der hll. Kyrill und Method erfüllt; denn wie die Soluner Brüder haben auch sie für den slavischen Gottesdienst gekämpft, für die slavische Bildung und die slavische Schriftlichkeit. Unser heutiger Feiertag hat daher nicht nur lokale Bedeutung, ­sondern auch allgemeinslavische. Bulgarien hat ,allen Slaven das Buch gegeben, damit sie lesen‘ und war seit Jahrhunderten der Wächter des ganzen Slaventums auf dem Balkan. Auch unser poli­ tisches Leben in den letzten 40 Jahren zeigt, dass für uns und für die Slavenheit die unge­nügende Schätzung und Anerkennung dieser letzten Bedeutung unseres Landes immer verhängnisvoll war. Die Slaven aber sollen immer erinnern, dass die Kraft dieser Bedeutung Bulgariens auf der Vereinigung der bulgarischen Nationalität (narodnosť), auf der politischen und kulturellen Kraft des bulgarischen Volkes gründet. Wir unsererseits bleiben dem Vermächtnis Kyrills und Methods und unserer Streiter für den Kampf um unsere kirchliche Unabhängigkeit treu –, um nicht von der uns durch die Vergangenheit vorgezeichneten großen historischen Rolle abzuweichen. Und dies ist eine der Lehren des heutigen Volksfeiertags (vsenarodno prazdnestvo).“ Bobčev (1920), S. 2 f.

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Bildung bzw. Volksaufklärung, machte in der Parlamentsdebatte über eine Änderung des dem Bildungswesen zugrunde liegenden Gesetzeswerks am 25. Dezember 1920 auf eine Kontroverse um den Feiertag zu Ehren Kyrills und Methods aufmerksam: „Der bulgarische Staat sagt: wir haben einen Feiertag zu Ehren Kyrills und Methods, einen Feiertag nicht nur für das bulgarische Volk, sondern für die slavische Welt“. „Die ­Kommunisten sagen“ dagegen, wie er vorlas: „Besonders in den letzten paar Jahren haben verschiedene Bildungsminister gemeinsam mit der gesamten Bourgoisie dem Feiertag einen gänzlich patriotischen Charakter verliehen. Sie haben diesen Feiertag zu einer Demonstration ihrer Eroberungspolitik gemacht, zu einer chauvinis­tischen Feierlichkeit. Die Bourgeoisie legt in ihn ihr Klassenbewusstsein. Sie beweist mit ihren ,sehr gelehrten‘ Historikern, dass die beiden Brüder reinblütige Bulgaren waren, dass ihr Vaterland und die Länder um sie [um ihre Wirkungsorte, S. R.] bulgarisch sind, dass es die Bulgaren sind, die allen Slaven die Kultur gegeben haben und ihnen deshalb in politischer Hinsicht der erste Rang zukommt, dass der bulgarische Zar das Szepter über den Balkan halten muss.“

Die Beschuldigten „lenken uns dazu, dass wir alle Anderen verachten, und dass wir auf diese als unsere Feinde schauen, und dass wir den Monarchen sowie das Kriegswesen verherrlichen, die unser Volk zum Verderben geführt haben“.688 Tatsächlich versuchte die regierende Bauernpartei und namentlich der Bildungsminister Omarčevski, das Geschichtsbild auch in Schulbüchern zu revidieren. So wurden die Brüder nun zwar im Einzelfall auch als Griechen beschrieben, dennoch aber die Bedeutung Bulgariens als Lehrmeister der übrigen Slaven stark betont.689 D 4.2.2  Das Jubiläum von 1921 in der Deutung der Wortführer des Staates und der Wissenschaften

Minister Omarčevski begann die Einleitung einer zum Jubiläum am 24./11. Mai 1921 von seinem Ministerium herausgegebenen Broschüre unter dem Titel „Die hll. Kyrill und Method“ ganz im Zeichen der erst wenige Jahre zurückliegenden Kriegserfahrung. Er stellte „allgemeine Zersetzung“ fest, einen „Einsturz der Begriffe und Ideen der Moral“. War in den 60er-Jahren des 19. Jh. die kirchliche Unabhängigkeit das höchste Ziel bewusst bulgarischen kollektiven Handelns und der Anlass, sich an Kyrill und Method zu erinnern, so galt es nun, die angeblichen Folgen des Weltkrieges zu über­winden. Die Suche nach „gesunden Elementen“ in der Vergangenheit sollte die ­Existenz des ­bulgarischen Volkes in der Gegenwart, die als nationale und kulturelle Krise verstanden wurde, sowie in der Zukunft sichern und rechtfertigen.690 Auf seiner Suche im „vater 688 Omarčevski (1921), S. 71 f. 689 Weber (2006), S. 214 f. 690 „Inmitten der allgemeinen Zersetzung (razloženie), die in unserem Land herrscht und ­besonders seit dem Weltkrieg, inmitten der allgemeinen Unordnung im gesellschaftlichen, politischen und sozialen Leben, inmitten des allgemeinen Zerfalls und des Einsturzes (porutvane) der Begriffe und Ideen der Moral, des geistigen, und überhaupt des kulturellen Fortschrittes, ist uns, den

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ländischen Altertum“ fand er rasch den angeblich „wegweisenden Stern im Sturm“ der Gegenwart – das „Werk“ der Brüder.691 Ihnen verdankten die Bulgaren den Eintritt „in die Sphäre der Kulturvölker“ und damit die Subjektwerdung, dank ihnen werde „unser Altertum mit seinem Geist“ gerühmt.692 Auf diese Grundlage sei „das Gebäude für die jetzige Zeit“ zu bauen.693 Die eigentliche Begründung für die Erinnerungsleistung und den Neubau der Gegenwart folgte erst darauf: „Deshalb müssen wir heute, wo unserem Volk die größte Ungerechtigkeit zu tragen auferlegt wurde, die sich die gegenwärtige kultivierte Menschheit ausdenken kann, in unserer Seele unsere Nationalität (nacionalnosť) als Schild und Schutz errichten. Dieser Schild muss aus der Idee des Lichts und der Zivilisation hervorgehen. Eine dieser Ideen befindet sich im Wirken (děloto) der beiden Brüder: Lasst uns unter den breiten Volksmassen ihre Bedeutung auferwecken und ihre Seelen zur Tätigkeit (dějnosť) entflammen!“ 694

Der Bildungsminister nahm den zuvor angeprangerten „Zerfall“ folglich als ein Problem wahr, das äußerlich verschuldet sei, zumindest lag die Verantwortung der „Ungerechtig­ keit“ bei den Staaten, welche die Pariser Vorortverträge entstehen ließen. Kyrill und Method sollten nun als das wesentliche Element einer geistigen Festigung des Volkes angesehen werden: Sie wurden zum „Eckstein“ einer nationalen Verteidigungsstrategie gegen die mit dem Ersten Weltkrieg besiegelten territorialen Verluste Bulgariens umgewandelt. „Nationalität“ sollte zum ideologischen Schutzschild geeignet sein. Nicht nur auf dem Balkan, sondern gegenüber der gesamten „kultivierten Menschheit“ sollte sich

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Zeitgenossen dieses Einsturzes, auf deren Häupter auch seine Folgen fallen, die gebieterische Pflicht auferlegt, die gebieterische Pflicht, sowie die Verantwortlichkeit für die Zukunft, gesunde, unerschütterliche Elemente in unserer Vergangenheit zu suchen, in unserer Geschichte, im Gebäude des vaterländischen Altertums, um sie zu finden (da gi naměrim) und mit dem ­Willen, dem Gefühl und dem Bewusstsein von Schöpfern auf ihnen die Gebäude der Gegenwart auf­ zustellen, zu errichten und zu erbauen, und, folglich, auch die der Zukunft. Dieser Gedanke muss das Bewusstsein aller Bulgaren ergreifen, wo sie auch sind“. Sv. Sv. Kiril i Metodi, S. 3. „In den Strahlen unseres Altertums haben wir einen Faktor, ein leuchtendes Wirken (dělo), eine erhabene Idee, die wir zum Eckstein, sowie zum wegweisenden Stern im Sturm und in den Wellen unseres Lebens nehmen müssen – das ist das Wirken der heiligen Brüder – Kyrills und Methods.“ Sv. Sv. Kiril i Metodi, S. 3. „Diese haben uns die Schriftlichkeit vermacht, das Licht unserer Augen, den Weitblick unseres Verstandes, und sie haben uns darauf vorbereitet, in die Sphäre der Kulturvölker einzutreten. Dank diesem kann sich unser Altertum mit seinem Geist, seinem Drang und seiner hohen Kultur auf dem Balkan rühmen. (…) Dies war der Geist eines Bulgaren, gesund, lebendig, mächtig, oft gebremst und zurückgehalten von bösen und schrecklichen Plagen, von unerträglichem Unglück, aber er hat immer das Heiligste vom Heiligen seiner Seele bewahrt – seine Sprache und sein Geschlecht (roda si).“ Sv. Sv. Kiril i Metodi, S. 3. „Auf dieses hohe Bewusstsein, auf dieses unser wertvolles kulturelles Altertum und auf die moralischen und kulturellen Qualitäten unserer Gegenwart müssen wir folglich das Gebäude für die jetzige Zeit errichten.“ Sv. Sv. Kiril i Metodi, S. 3. Sv. Sv. Kiril i Metodi, S. 3.

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Bulgarien mit einer gewissermaßen messianischen, leidenden Rolle hervortun. „Breite Massen“ sollten bewusst für ihre „Ideale“ mobilisiert werden. Zu diesem Zweck sollte laut dem Bildungsminister „jedes Jahr zum Feiertag der hll. Kyrill und Method eine Zeitung erscheinen, und ich rufe alle unsere intelligenten Kräfte auf, sich von diesem Gedanken durchdringen zu lassen und mit allen Mitteln“ an der Propagierung dieses Feiertages zu arbeiten.695 Nun galt es, „die Jahre der Qual“ zu überstehen. Eine narzisstische nationale Volkspsychologie versah das romantisch konzipierte Kollektiv der Bulgaren nicht nur mit einer Seele, sondern verstand die heiligen Brüder als Beweis für einen starken Volks­charakter. Diese Einleitung erschien unter dem richtungweisenden Titel: „Zum Licht“.696 Kyrill und Method sollten die Antwort auf den Ersten Weltkrieg und die Zukunft geben können. Das Redaktionskomitee der Broschüre setzte die Inszenierung des Feiertags in ein anderes Licht: In einer einleitenden Bemerkung äußerte es sich abschätzig über „einen Teil der bulgarischen Intelligenz, der, leider, leichter fremden Traditionen folgt (vărvi ­po-­lesno).“ Die Redakteure, die sich implizit zum angeblich „gesunden Teil“ der ­bulgarischen Intelligenz zählten, wollten das Gedenken an die Brüder aus Saloniki ganz bewusst zum Kampf gegen „unbulgarische“ und „unreife“ Gesinnung einsetzen. Sie stellten den Feiertag in den Kontext eines öffentlichen Konkurrenzkampfes mit den international ausgerichteten sozialistischen Feiern zum Ersten Mai „unserer Nach­ahmer ausländischer Vaterlandsloser“.697 Ganz wie der Bildungsminister versuchten sie, den Feiertag zum Mittel und Medium der Bemühungen zu machen, eine einheitliche natio­nale Identität herzustellen und ihre Anerkennung in der Bevölkerung zu ver­breiten. Allerdings waren ihre Gegner in den bulgarischen Reihen, und nicht im Ausland. Damit ist kein Streit in einer publizistischen Öffentlichkeit über den Einsatz der Brüder bezeugt, wohl aber deren Instrumentalisierung als Mittel in einem öffentlichen politischen Wettstreit zwischen Sozialisten und Nationalisten.

695 Sv. Sv. Kiril i Metodi, S. 3. 696 „Durch hartnäckige Arbeit, durch unerschütterliche Beständigkeit, durch Härte, die unserem Volk eigen ist, werden wir die Jahre der Qual und Zerrissenheit überstehen und überwinden. (…) Unsere Kraft – die liegt in unserer Seele, das Licht, das uns leuchtet auf dem traurigen Lebensweg – das ist uns verheissen vor Jahrhunderten durch die heiligen Brüder.“ Sv. Sv. Kiril i Metodi, S. 3. 697 „Entsprechend der unbulgarischen (nebălgarskata) Tradition veröffentlichen unsere Nachahmer ausländischer Vaterlandsloser (bezotečestvenici)“ Broschüren, die „im Wesentlichen nur das verspätete Echo auf ausländische Gedanken und unbulgarisches Gefühl sind. Der gesunde Teil unserer Intelligenz hat dies mit einer gewissen herablassenden Verachtung zugelassen. Aber wir leben in zu harten und schweren Zeiten, um uns gegenüber dem Unsinn der geistig unreifen unter diesem Volk leichtfertig zu verhalten. Daher versucht eine Gruppe von Schriftstellern und Gelehrten, dem nachahmenden Sinn des ersten Mai dieses Jahr die tiefe Bedeutung des größten bulgarischen und slavischen Feiertags im Monat der erhöhten Lebendigkeit entgegenzustellen: den Feiertag der apostelgleichen Kyrill und Method.“ Sv. Sv. Kiril i Metodi, S. 4.

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In derselben Broschüre kamen „Stammautoren“ der Propagandazeitschrift des Kriegsministeriums zu Wort: Elin Pelin veröffentlichte seine bereits 1916 publizierte ­Erzählung über die gerettete, den Brüdern Kyrill und Method geweihte Ikone in einer leicht veränderten Form.698 Michail G. Popruženko, Emigrant aus Odessa und von 1920 bis 1941 Professor für russische Literatur an der Sofioter Kliment-Universität, stellte das Handeln Kyrills und Methods stärker in einen gesamtslavischen Zusammenhang, der jedoch nicht minder national verstanden war: In seinem Plädoyer sollten die ­Brüder nicht dazu dienen, eine bulgarische, sondern eine gesamtslavische Nation zu ent­werfen.699 Innerhalb der Großgruppe der Slaven sollten aber die Bulgaren – ebenfalls wegen der Brüder – eine Sonderstellung einnehmen, ja mit „Stolz“ rufen können: „Heilig ist unser Land!“ 700 Diesen Ansatz zur Sakralisierung des L ­ andes verfolgte er aber nicht weiter: In seinem Beitrag zur Broschüre ist kein Hinweis auf Fremdenfeindlichkeit oder einen ausschließenden bulgarischen Nationalismus zu erkennen. Dennoch benutzte auch er die Erinnerung an die beiden Brüder, um Interessen in der Gegenwart als ihr „Vermächtnis“ zu rechtfertigen. Auch in den anderen Artikeln der Broschüre wurde der Heiligen nie ganz außerhalb des allgemeinslavischen Zusammen­ hanges gedacht, stets aber die vorrangige Bedeutung der Bulgaren hervorgehoben. Die Erinnerung im Jahre 1921 an das Gedenken im Kriegskontext verdeutlicht, dass die mit dem Ende des Weltkrieges verunmöglichte Ausdehnung des bulgarischen Staatsgebietes weiterhin eine der ­wichtigsten Zielutopien bulgarischer Wortführer blieb. Kyrill und Method gehörten damals wie im Weltkrieg zu den Denkfiguren, die diese Expansion rechtfertigen und propagieren sollten.701 In der Broschüre fand auch eine Erinnerung des Juristen und Politikers sowie Mitbegründers der Sofioter Universität und Vorsitzenden der bulgarischen Akademie der

698 Weber (2006), S. 220; Sv. Sv. Kiril i Metodi, S. 12 f. 699 „Die Großtat (podvigăt) der heiligen Brüder Kyrill und Method war von großer historischer Bedeutung, weil dank ihr eine nationale (nacionalna) slavische Kirche entstand, ein Herd (­ogništeto) der nationalen slavischen Aufklärung (prosvěta). Dies war die Großtat der großen Idee zur Vereinigung der Slaven auf der Grundlage gemeinsamer kultureller Interessen (…). Diese Großtat kann sich nicht in der Form eines [staatlichen, S. R.] Verbandes (săjuz) verwirklichen, sondern bleibt nur ein Vermächtnis (zavět), sogar ein Ideal der slavischen Einigung. ­Dieses Vermächtnis und dieses Ideal müssen unveränderlich das Slaventum (slavjanstvoto) führen; nur sie können eine große Rolle des Slaventums in der Weltgeschichte möglich machen.“ Sv. Sv. Kiril i Metodi, S. 6. 700 „Wenn wir das Gedenken (pametăta) an die heiligen slavischen Erstlehrer (părvoučiteli) ehren, können die Bulgaren mit großem Stolz rufen: – ,Heilig ist unser Land!‘ Denn dieses hat die Werke (trudovetě) der Großtat (podvig) der hll. Kyrill und Method gesehen und wurde für würdig befunden, sie aufzunehmen. Und möge über Bulgarien und die Bulgaren der Segen der großen slavischen Großtäter (podvižnici), der Kämpfer für die slavische Volksaufklärung, für die slavische kulturelle Einigung und für den Frieden, und die Einstimmigkeit unter den Slaven kommen…“ Sv. Sv. Kiril i Metodi, S. 7. 701 Sv. Sv. Kiril i Metodi, S. 8.

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Wissenschaften, Stefan S. Bobčev, an Feiern zu Ehren Kyrills und Methods 50 Jahre zuvor in Konstantinopel Platz: „Die Bulgaren aus Ohrid und Tula, aus Vidin und Lozengrad, aus Solun und Rusuk trafen sich hier und hielten sich aufgrund der Kyrill-und-Method-Idee (s kirilo-metodievskata ideja) für Brüder, Blutsbrüder, Brüder in der Sprache, der Kultur, im Leiden und in der Tradition.“ 702

Bobčev, der seit 1909 Mitglied der Zagreber Südslavischen Akademie war, rief trotz dieser transnationalen akademischen Vernetzung vergangene, mithilfe der Brüder hergestellte Entwürfe nationaler Blutsbruderschaft nostalgisch in Erinnerung. Der frühere Politiker, Sekretär des Exarchats und mehrjährige Redakteur des „Kirchen­ boten“ Dimităr Mišev verwies an demselben Ort darauf, dass es „mehr als 112 ­Millionen orthodoxer Slaven“ gebe. „Aber die Lehrer-Brüder nehmen in den Herzen dieser Millionen Slaven nicht einen solch vorrangigen Platz ein, wie in ihrer kulturellen Geschichte. (…) Der Genius Kyrills und Methods hat Wunder in Taten vollbracht. Sie führten die slavische Rasse (rasa) aus dem heidnischen Dunkel“

und statteten sie mit dem „slavischen Alphabet und dem slavischen Buch“ aus.703 Die nicht explizit messianische, aber doch „rettende“ Rolle Bulgariens als Bewahrer des „Wirkens“ der Brüder und ihrer Schüler wurde in dieser Logik zur Legitimation, sich 1921 als stolze Bulgaren besinnen zu dürfen. Professor A. Teodorov-Balan hielt fest: „,Kyrill und Method‘ sind das Symbol für die Einheit des bulgarischen Volkes. Das uns von ihnen hinterlassene Buch fügte die Volksteile in ein Ganzes.“ Seine folgenden Sätze gingen über das bisher beobachtete Maß an nationaler Identifikation hinaus – Teodorov-Balan mobilisierte mittels der ­beiden Heiligen nicht nur Gleichgesinnte, sondern er erklärte jene für geisteskrank, die die Verknüpfung von Heiligenkult und dem Gefühl nationaler Würde nicht nachvollziehen konnten. War bisher Inklusion, die Integration des Volkes die vorherrschende Denkvorstellung gewesen, wurden hier Andersdenkende als innere Feinde bedroht und

702 Sv. Sv. Kiril i Metodi, S. 14. 703 „Und diese Sprache, die für alle Slaven zur gemeinsamen Kirchen- und Buchsprache wurde, ist ein bulgarisch-makedonischer Dialekt (narěčie). (…) Aber viele dieser Schüler, und die ­eifrigsten unter ihnen, deren Namen und Wirken uns die Geschichte überliefert hat, waren ihre Mitbürger (săgraždani), und sie waren namentlich aus Makedonien, das im sechsten Jahr­hundert Slavia genannt wurde, und später Bulgarien.“ Ohne die Aufnahme der Schüler der Brüder in Bulgarien hätte die slavische Buchkultur untergehen können. „Aber die slavische Literatur (knižnina) und die Buchgelehrten wurden gerettet. Bulgarien rettete sie. Das Verdienst dafür liegt beim bulgarischen Zaren Boris. Einzig Bulgarien hat das Wirken der slavischen Apostel aufgenommen und führt es fort. (…) Bulgarien hat zuerst und am frühsten den größten Stein zum Fundament der kulturellen slavischen Kirche gelegt. (…) Und im Unglück, das wir heute erleben, haben wir nicht nur das moralische Recht, auf diese Kostbarkeit stolz zu sein“. Sv. Sv. Kiril i Metodi, S. 9 f.

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ihre Rationalität infrage gestellt.704 Andererseits steht seine Argumentationsstrategie für eine weiter gesteigerte Reflexion der Instrumentalisierung des Gedenkens an die beiden Heiligen. Wie unmittelbar die Verehrung der Heiligen als Bestandteil zeitgenössischer, moderner intellektueller Denkmuster vertreten wurde, wird in einem Beitrag zur Broschüre aus der Feder des Kunsthistorikers und Archäologen Andrej Protić – der Ende des 19. Jh. in Deutschland studiert hatte sowie von 1908 – 1920 die Kulturabteilung des Bildungsministeriums und von 1920 – 1928 das Archäologische Museum leitete – zum Thema „Persönlichkeitskult bei uns“ deutlich: Der „Kult der bedeutenden Persönlichkeit“ wurde als Resultat der „geistigen Einheit und des Idealismus unseres Volkes“ beschrieben und sollte damit die Funktion eines Mediums der nationalen Homogenisierung wahrnehmen. Die „Ehrung des Gedenkens an die großen Vertreter des Volkes durch das ganze Volk“ kristallisierte sich an Kyrill und Method sowie Christo Botev. Der führende Intellektuelle nannte die Brüder hier gleichrangig mit weltlichen Natio­nalhelden und säkularisierte sie damit zu ebensolchen.705 Protić hielt mit dem Ziel der Erinnerung nicht hinter dem Berg und fasste die erwünschten Auswirkungen des Gedenkens in deutliche Worte – wichtiger als diese Erinnerungsfiguren war ihre Funktion: die alljährliche Herstellung und Imagination einer nationalen Gemeinschaft, das gemeinschaftliche Erleben und Erfahren von Ehrfurcht und Nationalstolz, die einer nationalisierten und entchristlichten Kommunion glich.706 Der Autor schilderte sodann Formen dieses „Kultes“, die aber nicht mehr mit den Heiligen in Verbindung gebracht wurden. Die partielle Säkularisierung 704 „Bei den Bulgaren werden diese Personen wie die wärmenden Strahlen ihres geistigen Lebens geschätzt, wie die Sonne ihrer Volkskraft (narodna mošť), wie ein ewiger Herd (ognište) ihrer Sehnsucht nach der völkischen Einheit (narodnostno edinstvo). Wenn die Bulgaren Kyrill und Method feiern, entfaltet sich bei jedem Mitglied des Volkes ein feierliches Selbstgefühl (samočustvo) bulgarischer Würde. Solche Gefühle wachsen bei Völkern mit langer geistiger Arbeit und sind das Wertvollste für die Volkszukunft (narodnata bădnina). Wer diese Gefühle vernachlässigt (…) der ist der Mörder eines ganzen Volkes, eines Teils der Menschheit, sogar der gesamten Menschheit; der ist ein bedauernswerter und gefährlicher Irrer, der eine ernsthafte geistige Heilung benötigt. Wenn wir ehrenhaft mit dem Begriff (ponjatieto) ,Kyrill und Method‘ als einer wertvollen Würde beschenkt wurden, so mögen wir ihn gesegnet hüten und weise verwenden für die bescheidenen nationalen (narodnostni) Initiativen der Zeit!“ Sv. Sv. Kiril i Metodi, S. 11. 705 „Eine der bedeutendsten Erscheinungen der geistigen Einheit und des Idealismus unseres ­Volkes ist dieser Kult der bedeutenden Persönlichkeit, dem man sich bei uns hingibt, wie kaum bei einer zweiten Nation. (…) Dieser Kult nimmt bei uns zwei Erscheinungsformen an. Die erste der beiden (…) ist die jährliche Ehrung des Gedenkens an die großen Vertreter des Volkes durch das ganze Volk (vsenarodnoto) – hauptsächlich Kyrill und Method einerseits, und andererseits Chr. Botev.“ Sv. Sv. Kiril i Metodi, S. 19. 706 „Jeder hat es erlebt, alle Jahre, und wird erleben, wie lebendig das Zittern (trepeta) der Vereini­ gung mit dem ganzen Volk ist, der Stolz, dass diese Riesen ihre Volksgenossen (sănarodnici) sind, und die Trunkenheit von der Sehnsucht (blěnovetě), die mit diesen Riesen und Arbeitern für die bulgarische Sache (dělo) verbunden ist.“ Sv. Sv. Kiril i Metodi, S. 19.

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des religiösen Gedenkens an die beiden Brüder führte, wenn nicht zu einer partiellen Sakralisierung der „Revolutionäre“, so doch zur Festigung ihres Kultes. In einem weiteren Beitrag hob N. Atanasov, offenbar der Komponist Nikola Atanasov, die, wie er ganz richtig feststellte, erst seit dem 19. Jh. bestehende vermeintliche „Tradi­ tion“ der nationalen Feier des Andenkens der beiden Heiligen hervor: Die Wahl des Feier­tages als Medium zur Herstellung nationaler Einheit erschien im Rückblick als eine bewusste Entscheidung: Die Rede vom „Feiertag zur Manifestation der bulgarischen nationalen (nacionalno) Vereinigung“ bestimmte die gegenwärtig mit dem Feiertag in Verbindung gebrachten Vorstellungen als erfundene „Tradition“. Neben dem Einsatz des Gedenkens für den „Fortschritt“ und „die demokratischen sozialen und kulturellen Errungenschaften“ setzte sich mit der Rede von „Siegen“ über die „Barbarei“ mithilfe des Feiertages auch die Militarisierung des mit ihm verbundenen Sprachfeldes fort: „Das bulgarische Volk hat noch unter türkischer Sklaverei (robstvo) zur Mitte des 19. Jh. den Feiertag ,Heilig Kyrill und Method‘ als Feiertag zur Manifestation der bulgarischen nationalen (nacionalno) Vereinigung gewählt (izbira), als Banner der Freiheit und der Aufklärung. Dieser Tradition folgen wir auch heute. Aber niemals war sie reaktionär gegen den Progress, gegen die demokratischen sozialen und kulturellen Errungenschaften. Für uns ist der Tag der Apostelgleichen die Erinnerung (spomen) an einen der größten Siege (pobědi) des bulgarischen Volkes über die Barbarei, an seine Befreiung von fremder geistiger Obhut und an das mutige Erscheinen seiner ersten schöpferischen Kräfte im Bereich der Gefühle und Gedanken.“ 707

Gleichzeitig verstärkte sich die bulgarisch-nationale Inbesitznahme Kyrills und Methods: Atanasov sprach sich zwar gegen eine Abkoppelung des nationalen Diskurses vom „allgemeinmenschlichen“ aus. Gleichzeitig bekräftigte er aber mit der Rede von Arterien die körperliche Metapher „des nationalen Leibes“. Deutlicher als zuvor stellte er die Genese des bulgarischen Volkes in „der großen menschlichen Familie“ als das Ergebnis des „Wirkens“ der Brüder dar. In diesem Text wurden diese nun endgültig zu „Nationalhelden“ und traten nicht als Heilige in Erscheinung.708 Der Feiertag wurde zu Beginn der 1920er-Jahre zum Zeichen des Versuchs, die Wunden des Weltkrieges zu heilen. Die Organisation der Feiern durch die Regierung führte aber zu einer innenpolitischen Kontroverse: Wegen des im Rahmen der Feierlichkeiten 707 Sv. Sv. Kiril i Metodi, S. 20. 708 „Auf diese Weise verbinden wir in dem Feiertag der beiden Brüder das Nationale (nacionalnoto) mit dem Allgemeinmenschlichen (obštočověškoto), verknüpfen die gegenwärtigen Aufgaben mit den ewigen. Aber in der jetzigen Zeit ziehen wir den Schluss, dass zwar eine breite Welle des Allgemeinmenschlichen durch die nationalen Arterien fließt, es kann aber keine historische Großtat (podvig) geben, solange sie sich nicht im Rahmen des nationalen Leibes befindet. Und wenn wir den Namen der beiden Apostelgleichen aussprechen, dann ehren wir sie nicht nur als Nationalhelden (nacionalni geroi), sondern auch als solche, die uns in die Familie der Völker geführt haben und uns ihnen annäherten. Durch das Wirken (děloto) der beiden Brüder wurden wir ein Volk, aber gleichzeitig auch ein Glied in der Kette der großen menschlichen Familie (čověško sěmejstvo).“ Sv. Sv. Kiril i Metodi, S. 19.

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und in den zu diesem Anlass veröffentlichten Texten vertretenen Nationalismus boykottierten die Kommunisten die Feiern.709 Offenbar der Dichter T[rifon]. Kunev erinnerte sich in derselben Publikation 1921 an die Rede seines militärischen Vorgesetzten zum Tag Kyrills und Methods an der Front bei Bitola. Der Kommandeur bediente sich der Brüder nicht zuletzt, um den Kampfeswillen der „bulgarischen Söhne“ zu beflügeln. Kunev blickte zurück auf die damalige Stimmung: „Unter uns, verdeckt durch die feindlichen Stellungen, verbarg sich Bitola, und dort irgendwo im Süden befand sich, voller Fremder, die Stadt Kyrills und Methods – Solun.“ 710 Die Passage illustriert die Einbettung des Gedenkens an die Brüder in den Kriegskontext. Saloniki wurde im Rahmen der vom Bildungsministerium herausgegebenen Broschüre als erstrangiges Kriegsziel in Erinnerung gerufen. Diese Schlagrichtung des neuen Gedenkens an die Brüder entsprach ganz den Zielen der makedonischen Organisationen in Sofia, die sich in diesen und den folgenden Jahren den Diskurs und die Feiern anzueignen versuchten. D 4.2.3  ,Sklaverei‘ in Vardar-Makedonien – die Brüder im Dienste makedonischer Emigranten in Sofia

Neben der staatlichen Indienstnahme der Brüder entwickelte sich eine publizistisch sehr intensive Kampagne zu ihrem Einsatz durch aus dem jugoslawisch bzw. serbisch besetzten Vardar-Makedonien Ausgewanderte und ihre Organisationen in Sofia: So veröffentlichte am 29. Mai 1921 die Zeitung „Makedonien“, das in Sofia erscheinende „Organ der makedonischen Bruderschaften in Makedonien“, das Inhaltsverzeichnis der gerade besprochenen staatlichen Broschüre und förderte damit deren Verbreitung.711 Gleichzeitig versuchte sie, ihre eigenen Interessen in den von der Regierung vor­ge­ gebenen diskursiven Rahmen einzuschreiben und zu propagieren: Die Zeitung, die das Motto „Makedonien den Makedoniern“ trug, berichtete in diesen Tagen ausführlich über Veränderungen in der Erinnerung an die beiden Brüder im nun serbisch beherrschten Makedonien sowie in Bulgarien. Am 23. Mai ließ das „Ausführende Komitee des ­Bundes der makedonischen Bruderschaften in Bulgarien“ in diesem Medium an prominenter Stelle einen „Aufruf“ drucken: Das Gedächtnis der „slavischen Aufklärer und Apostel“ sollte – so die in ­diesem Mobilisierungsbefehl zum Ausdruck gebrachte Wunsch­­vor­ stellung – gleichzeitig insgeheim in Makedonien und öffentlich „massenhaft“ in Bul­garien begangen werden. Die gemeinschaftliche Manifestation sollte der Weltöffentlichkeit die Lebendigkeit des „Geistes“ der Brüder beweisen, die offenbar nicht unabhängig von kollektivem Gedenken inszenierter Massen bestand.712 Anderer­seits diente die Feier im 709 710 711 712

Weber (2006), S. 219 f., S. 223 f. Sv. Sv. Kiril i Metodi, S. 8. Makedonija, 29.3.1921, Nr. 145, S. 1. „Makedonen[!], rassisch (po rasa) Verwandte und Fremde sind grausam mit uns umgegangen. Der Heimatort der slavischen Aufklärer und Apostel ist in geistiger und politischer Sklaverei: Das bulgarische Buch ist von dort vertrieben, die bulgarische Sprache verboten! In der anderen

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bulgarischen Kontext zur Festigung der Identität der nach Bulgarien ausgewanderten Makedonen: Das Gedenken an die beiden Brüder wurde auf derselben Seite als „Feier­ tag der großen Trauer“ gedeutet und erklärt. Im voran­gestellten Rückblick wurden die Sprache Kyrills und Methods zur „Sprache der makedonischen Bulgaren“ und die „Apostel“ zu Erweckern „einer großen Rasse, sie ließen die slavischen Völker auferstehen“. Rassische Einheit wurde mit einer geistigen, dem religiösen Vorstellungsinventar entliehenen Auferstehung zusammengebracht. Die Apostel wurden zum „auch dem einfachsten Bulgaren“ bekannten Fundament „­unserer kulturellen Geschichte“ stilisiert.713 Zwar fanden die Feiern im 19. Jh. „in traurigen und schweren Tagen“ statt, dennoch wurden sie nun im nostalgischen Rückblick als namentlich in Makedonien freudig und hoffnungsvoll begangene nationale Ereignisse „gegen die politische Sklaverei“ idealisiert – obgleich damals an der Oberfläche der öffent­lichen Berichterstattung gerade die politische Korrekt­heit gegenüber den osmanischen Oberherrschern unterstrichen worden war. Wie im 19. Jh. wurden die Brüder zwar als „Apostel“ bezeichnet, dennoch stand deutlicher als zuvor die kulturelle Bedeutungsaufladung ihres „Werks“ im Vordergrund. Diese wiederum stand ganz im Zeichen der Erinnerung an die identitätsstiftenden „nationalen Manifestationen“, die anlässlich der Erinnerung und Imaginierung dieses „Werks“ im 19. Jh. zustande gebracht worden waren: Letztlich gedachte der Verfasser dieser angeblichen massenhaften Mobilisierung des „Volkes“ und nicht der Brüder.714

Hälfte unseres Vaterlandes verleugnen slavische ,Brüder‘ mit schwarzer Undankbarkeit jene, welche ihnen die Augen geöffnet hatten, dort ragen die Galgen empor! Aber der Leuchter kann nur zeitweise erlöschen in dem Land, von dem aus die östliche Hälfte Europas das Licht (­videlina) erhalten hat. Aus Makedonien Vertriebene! Morgen ist der Feiertag der heiligen ­Soluner Brüder. Der 24. Mai ist ein feierlicher Tag für das ganze bulgarische Volk und für die ganze Slavenheit, aber vor allem ist dieser unser Ruhm und unser Stolz. Und zu dieser tragischen Zeit, wenn unsere Volksgenossen im verknechteten Land in den Häusern stillschweigend das Gedächtnis des hl. Kyrill und des hl. Method ehren, lasst uns hier massenhaft zur Feier zusammentreten, damit die Welt versichert ist, dass der Geist der heiligen Brüder auch nach tausend Jahren bei uns lebt.“ Makedonija, 23.5.1921, Nr. 144, S. 1. 713 „Die inspirierten Apostel wandelten mit dem Kreuz und dem Evangelium, geschrieben in der Sprache der makedonischen Bulgaren, in vielen slavischen Ländern, und ihr Weg war der Weg des glänzenden Triumphes, denn sie erweckten eine große Rasse, ließen die slavischen Völker auferstehen, die sie vereinten mit Bildung und Glauben. Auf den Glockenschlag am 11./24. Mai wird das ganze bulgarische Volk antworten, denn auch dem einfachsten Bulgaren ist das große Werk (dělo) der Soluner Brüder klar und tief in die Seele eingeprägt. Alle wissen, dass die Apostel der bulgarischen Sprache die Begründer unserer kulturellen Geschichte sind, unserer Bildung.“ Makedonija, 23.5.1921, Nr. 144, S. 1. 714 „In den traurigen und schweren Tagen der politischen Sklaverei, die das ganze bulgarische Geschlecht vereinte, war der Tag der hll. Kyrill und Method, der sowohl in Tulča, als auch in Ohrid und in Vidin und in Solun gefeiert wurde, eine stürmische nationale (narodna) ­Manifestation, ein mutiger Volksprotest gegen die politische Sklaverei und ein schönes Symbol der freien Zukunft! An diesem Tag zählte der bulgarische Stamm seine Reihen und maß seine kulturelle Macht. Der Klang der Glocken war damals mächtiger und drohender für unsere politischen und

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Das Exekutivkomitee stellte diese idealisierte Erinnerung an die Erinnerungskultur „in der Sklaverei“ in einen scharfen Gegensatz zur Gegenwart. Hier lag die eigent­ liche Botschaft des Aufrufs: Die heutigen Feiern seien „dumpfer und trauriger“, da die Bevölke­rung der verlorenen Gebiete nicht an ihnen teilnehmen könne: „Weder die Dobrudža, noch Thrakien, noch Makedonien nehmen an der Feier teil und der Feiertag ist daher düster! (…) Stumm ist Solun, die Heimatstadt der heiligen Brüder, Kliments, Naums und Părličevs Ohrid“. Die serbische Machtübernahme stand für den kulturellen Tod des Volks der makedonischen Bulgaren. Die staatliche Existenz im Rahmen Bulgariens als Zielvorstellung wurde mit dem kulturellen und gesellschaftlichen Leben insgesamt verbunden.715 Die staatliche Zugehörigkeit des Gebiets sollte mit dem Verweis auf die Brüder von einer politischen zu einer Frage um Leben und Tod werden. Die jugo­slawische bzw. serbische Herrschaft erschien in dieser Diskursstrategie als Nachfolgerin der phanariotischen und der osmanischen „Sklaverei“. Die grenzüberschreitende Beobachtung des serbisch-jugoslawischen Sprach- und Handlungsfeldes der Verehrung der Brüder war für die Argumentation der make­donischen Emigration entscheidend: Die Zeitung kritisierte in ihrem Leitartikel „Ein neuer Wind“ vom 29. Mai die serbische Instrumentalisierung der Erinnerung an die beiden ­Brüder: Bis 1913 habe nur die „serbische Wissenschaft“, aber nicht die Politik der ­Brüder gedacht – diese seien sogar aus den Kalendern gestrichen worden: „Aus Chauvinismus oder taktischen Überlegungen vermerkten die Serben den Feiertag der hll. K. und M. nicht einmal in ihren Kalendern.“ 716 Aus einer national orientierten Perspektive wurde die Gestaltung der religiösen und gesellschaftlichen Zeitordnung mit Kalendern als reines Instrument verstanden. Diese Wahrnehmung betraf dabei auch die eigene, bulgarische Seite. Die Feiern zu Ehren der Brüder im Rahmen der „bulgarischen nationalen Wieder­geburt“ seien trotz des bulgarischen Zusammenhanges damals auch in serbischen Zeitungen begeistert beschrieben worden: kulturellen Feinde als der unruhige Klang der Glocken Schillers. In der Sklaverei hatte unser Busen mehr Glauben, größere Freude!“ Makedonija, 23.5.1921, Nr. 144, S. 1. 715 „Es ist schrecklich daran zu denken, dass Slaven, verbündet mit Griechen heute ein Volk töten, das ihnen den Glauben und Bildung gegeben hat! Es ist schrecklich daran zu denken, dass ein Slave heute mit einer groben Geste die große, andauernde kulturelle Arbeit der B u l g a r e n in M a k e d o n i e n vernichtet! (…) Ein Volk, der erste Empfänger des großen Werks der hll. Kyrill und Method, das viele leuchtende Namen gegeben hat, das seine Kultur geschaffen hat und diese den anderen Völkern gegeben hat, das Tausende Kämpfer für seine geistige und politische Freiheit gegeben hat, das in der dauerhaften und dunklen Sklaverei nicht gestorben ist, das schreckliche Niederlagen ertragen hat, darf nicht sterben!“ Makedonija, 23.5.1921, Nr. 144, S. 1. 716 „Ein neuer Wind. Bis 1913 wäre es den Serben nicht in den Sinn gekommen, dass sie die ­beiden allslavischen Aufklärer, die hll. Kyrill und Method zu verehren hätten. Es versteht sich, die serbische Wissenschaft konnte den Soluner Brüdern die Verdienste um die slavische Kultur insgesamt nicht absprechen. Aber der eroberungslustige (zavoevatelnija) Geist der serbischen Politik konnte den Resultaten der Wissenschaft nicht zustimmen und ignorierte sie.“ Make­ donija, 29.5.1921, Nr. 145, S. 1.

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„Auf Initiative der Akteure der bulgarischen nationalen (nacionalno) Wiedergeburt der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts wurde der Tag der beiden Apostelgleichen zum Tag der allbulgarischen Feier. Selbst die Serben, die bis vor 50 Jahren weder nationale noch politische Ansprüche gegenüber Makedonien äußerten, schrieben in ihren Zeitungen begeisterte Zu­schriften zu kyrillomethodianischen Feiern in verschiedenen Städten Makedoniens und Bulgariens.“ 717

Darauf schilderte der Berichterstatter einen Strategiewechsel der Serben – und zwar den Übergang zur gänzlichen Ablehnung des Feiertages, die bis 1913 verfolgt worden sei. Das Handeln „der Serben“ sollte so denunziert werden und als ausschließlich politisch begründet erscheinen. Der angeblich serbische Versuch, Kyrill und Method sogar zu verfluchen, kann nicht nachgewiesen werden und steht für die überspitzte Darstellung durch den Verfasser.718 Neben diesem Ziel des kirchlich-religiösen Ausschlusses beschuldigte der Journalist die Serben weiterer Strategien: In seiner Darstellung wurde die Feier zu Ehren der Brüder selbst in den Dörfern zum Schauplatz „feindlicher“ Begegnungen. Die Wertschätzung der beiden Brüder sei dabei seitens der Serben mithilfe wissenschaftlicher Argumen­ tation geschmälert worden. In der Wahrnehmung des makedonischen Verfassers wurde im Kampf um territoriale Hegemonie Wissenschaft zum Instrument der Demontage religiöser Erinnerungsfiguren und ihrer Umdeutung zu nationalen. Die Serben hätten den Kult um Sava bewusst zur Verdrängung des Kultes um die Brüder propagiert: Sie „predigten ihren gekauften (kupeni) Anhängern die Wissenschaft von der Wertlosigkeit der hll. K. und M. im Vergleich zu ihrem Schüler, dem hl. Sava“.719 In der Konkurrenz der sich in diesem Wettstreit dynamisierenden Erinnerungskulturen hätten die Serben „Hass“ gegen den Feiertag der Brüder verbreitet, „da dieser rein bulgarisch national war,“ und stattdessen als Gegenmittel Sava gefeiert.720 Neben den Versuch der Ausgrenzung und wissenschaftlichen Entwertung der beiden Brüder sowie der Aufwertung Savas 717 Makedonija, 29.5.1921, Nr. 145, S. 1. 718 „In den letzten Jahrzehnten des vergangenen Jahrhunderts jedoch, als sie wegen starker Gegenwehr aus dem Norden und Osten ihre Bestrebungen nach Süden richteten, auf das Land des ,kranken Mannes‘, begannen sie dort Nester der nationalen Propaganda einzurichten. Die Serben ließen sich nicht nur nicht mehr durch den Feiertag der heiligen Brüder beeindrucken, sondern strebten ein Anathema [kirchliche Verfluchung, Exkommunikation, S. R.] des Feiertags wie der Heiligen selbst an.“ Makedonija, 29.5.1921, Nr. 145, S. 1. 719 „In Makedonien war der 11./24. [Mai, S. R.] der Tag, an dem in den Dörfern und Städten die Bulgaren feierlich das Wachstum ihres nationalen (nacionalnoto) Bewusstseins manifestierten. Die serbischen Agenten reagierten an diesem Tag an verschiedenen Orten entsprechend ihren Kräften, aber immer feindlich. Wo die Behörden aus verschiedenen Gründen ihnen nicht helfen konnten, sammelten sie sich in ihren propagandistischen Nestern (kotila) und knurrten machtlos oder predigten ihren gekauften Anhängern die Wissenschaft von der Wertlosigkeit der hll. K. und M. im Vergleich zu ihrem Schüler, dem hl. Sava.“ Makedonija, 29.5.1921, Nr. 145, S. 1. 720 „Woanders, wo sie die Unterstützung der Behörden hatten, organisierten sie alle möglichen Skandale, um die Bedeutung des Feiertags herabzusetzen o d e r diesen zu verderben. Diese Feindschaft gegen die hll. K. und M. wurde damals durch die Interessen der serbischen Propa­ ganda selbst diktiert. Die serbischen Agenten begriffen, dass es unerlässlich ist, Hass gegen

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trat nun die Strategie, die Feier des hl. Sava als Konkurrenzveranstaltung einzusetzen. Diese Phase endete im Rückblick der makedonischen Emigranten im Bulgarien der 1920er-Jahre mit der Eingliederung Makedoniens in den – so die Wahrnehmung – serbisch dominierten südslavischen Staat: Seit 1918 hingegen verliehen „serbische Be­­ hörden“ den Feiern „serbischen Charakter“ und setzten die Brüder bewusst als „Mittel zur Assimilation“ ein,721 wie man in Sofia beobachtete. Die Mobilisierung habe aber nicht funktioniert, „nur eine Minderheit leistete Folge“: „Aber sie täuschen sich. Es ist bekannt, dass, als zum ersten Mal die Serben in Makedonien die Freiheit zur Feier der hll. K. und M. erklärten, das Volk misstrauisch war: Es begriff, dass diese Freiheit, die der bisherigen serbischen Praxis widersprach, irgendeine Finte war – und nur eine Minderheit leistete Folge.“

Stattdessen hätte man sich zu Hause dem „Zauber der Erinnerung an die bulgarische Feier“ hingegeben.722 Die hier diffamierte neue Strategie, Kyrill und Method für serbische Zwecke zu vereinnahmen und als Medium der „Assimilation“ einzusetzen, brachte den Verfasser zu dem Eingeständnis, dass auch die früheren Feiern angeblich nicht Kyrill und Method ge­­ widmet gewesen seien, sondern ausschließlich dem makedonischen nationalen Bewusstsein. Diese Einschätzung widerspricht den Quellen der zweiten Hälfte des 19. Jh., in denen die beiden Brüder noch nicht ausschließlich als Vehikel eines säkularen Nationalismus imaginiert wurden. Im publizistisch inszenierten Kampf um die Identität der Bevölkerung Makedoniens säkularisierte sich das Gedenken an die beiden Brüder weiter. Dieser Vorgang erfolgte zu einem hohen Grad reflektiert und berechnet: Im weiteren Verlauf des Artikels wurde die Argumentationsstrategie des makedonischen Verfassers, der den Leitartikel mit dem Kürzel I. B. unterzeichnete, deutlich: Damit die Serben mit der Umdeutung der Heiligen zu Serben erfolglos bleiben sollten, schärfte er den diesen Feiertag zu kultivieren, da dieser rein bulgarisch national war, und ihm einen anderen entgegenzustellen – den des hl. Sava.“ Makedonija, 29.5.1921, Nr. 145, S. 1. 721 „So war es in Makedonien, bis serbische Behörden entstanden. Heute weht ein anderer Wind. Besonders seit dem Jahr 1918 haben die serbischen Behörden nicht nur die Feier erlaubt, sondern auch zur Begehung des Tags der bulgarischen Erstlehrer beigetragen. Und noch mehr: Dieses Jahr hat die serbische Staatsdruckerei den Tag der hll. Kyrill und Method zu ihrem Patronatsfeier­tag erklärt. Alles dieses zeigt, dass die Serben sich dazu entschlossen haben, anstatt sich über die bulgarische nationale Tradition in Makedonien zu ärgern und sich gegen sie zu wehren, wie es einmal war, sich nach ihr zu richten, um ihr auf diese Weise allmählich serbischen Charakter zu verleihen und sie als Mittel zur Assimilation zu verwenden.“ Makedonija, 29.5.1921, Nr. 145, S. 1. 722 „Der Feiertag ist dumpf verlaufen, unnatürlich und irgendwie angespannt. Denn diese, die bis 1913 an diesem Tag nicht Achtung vor den Schöpfern des slavischen Alphabets manifestierten, sondern ihr nationales Bewusstsein, fühlten sich gezwungen zu dieser ,Freiheit‘ und haben es vorgezogen, den Feiertag zuhause zu begehen, wo sie viel freier und nach eigenem Willen sowohl den Zauber der Erinnerung an die bulgarische Feier als auch ihre heutige Hilflosigkeit ausleben konnten.“ Makedonija, 29.5.1921, Nr. 145, S. 1.

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makedonischen Bulgaren ein, die Brüder hätten im Rahmen des nationalen bulgarischen Diskurses bereits im 19. Jh. keine „kirchlichen Heiligen“ dargestellt, „sondern zwei große Bulgaren“, die für zeitgenössische Helden standen und diese repräsentierten.723 Nur diese Verbindung des Gedenkens an die beiden Brüder mit der Erinnerung an nationale Helden des 19. und 20. Jh. schützte sie in den Augen des Verfassers vor einer erfolgreichen Vereinnahmung seitens der Serben. Die beiden Brüder verloren in dieser Logik als Erinnerungsfiguren ihren primär religiösen Charakter und wurden in erster Linie als Bulgaren verehrt. Mit dieser Argumentation versuchten die Wort­führer der emigrierten Makedonen, ihre eigene Gruppe und die in Makedonien ver­blie­benen Landsleute gegen die serbischen Maßnahmen zu immunisieren. Im Streit um die ­Formen der Erinnerung an die Brüder und um die öffentliche Inszenierung der Gedenk­feiern b­ ildeten sich feste Grenzen serbischer und makedonischer Diskurse heraus. Die ursprünglich religiösen Erinnerungsfiguren wurden in der wechselseitigen Konkurrenz zu wichtigen Kristallisationspunkten kollektiver nationaler Identität. In den Zeitungen der makedonischen Emigration interessierten insbesondere die Feier des Jubiläums im jugoslawischen Makedonien und die dortige Berichterstattung darüber. Ein Artikel vom 13. Juni 1921 in der Sofioter Zeitung „Autonomes Makedonien“ kommentierte einen solchen, nicht näher erklärten Bericht: „In Skopje wurde der Feiertag der Soluner Brüder ,hll. Kyrill und Method‘ besonders feierlich begangen. Schon am Vorabend wurde der Feiertag mit Kanonendonner angekündigt. Die Amtsgebäude waren mit Fahnen geschmückt. Am Morgen wurden weitere Kanonenschüsse zu Ehren des Feiertags abgegeben. Metropolit Varnava [der 1930 serbischer Patriarch werden sollte, S. R.] hielt die feierliche Liturgie und erklärte in einer Rede die Verdienste der Soluner Brüder für alle Slaven. Es wurde auch eine Parade der Streitkräfte der Garnison von Skopje abgehalten.“ 724

Diese nachdrücklich mit militärischer, behördlicher und kirchlicher Unterstützung in­­szenierte Präsenz in der Öffentlichkeit der Straßen von Skopje wurde in Sofia de­­ konstruiert: „Diese Nachricht in serbischen Zeitungen überrascht keineswegs, wenngleich die Serben während der ersten Besetzung diesen nationalen Feiertag der makedonischen Bulgaren grimmig verfolgt 723 „Die Serben können die heiligen Brüder ganz aus den bulgarischen Kalendern entfernen und zu ihren Patronen und sogar zu Serben erklären. Dies dient kaum ihren assimilatorischen Bestrebungen. Denn wir sagen: In den Personen der hll. Kyrill und Method sahen die makedonischen Bulgaren nicht Propheten Gottes oder kirchliche Heilige, und auch nicht die Gebärer der slavischen Wissenschaft, sondern zwei große Bulgaren, die eine gewisse Großtat um den Erfolg der bulgarischen nationalen S a c h e geleistet haben. Unbewusst, durch den Fluss der Zeit und der Ereignisse, führten ihn [den makedonischen Bulgaren, S. R.] diese in seinem Bewusstsein unmittelbar zu Goce Dělčevci, D. Gruevci und anderen, die Serben müssen letztere aus seiner Seele löschen, damit das Gedenken an erstere verschwindet. Aber dies wird kaum geschehen, solange die Serben Makedonien beherrschen.“ Makedonija, 29.5.1921, Nr. 145, S. 1. 724 Avtonomna Makedonija, 13.6.1921, Nr. 27, zit. in eigener Übersetzung gemäß Dokumenti i materialy, Nr. 311, S. 438. Auch in: Makedonija. Sbornik ot dokumenti, Nr. IV 21, S. 666.

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hatten. Sie haben verstanden, dass solcher Terror Makedonien nicht serbisieren kann (posărbjat). Sie haben gesehen, dass vor ihnen nicht eine amorphe, bewusstseinslose slavische Masse steht, wie der serbische Professor Cviić lügt, sondern ein Volk, das sich scharf von den Serben unterscheidet durch seine Kultur und das der Assimilation nicht zugänglich ist.“

Den „versklavten Bulgaren“ versuchten sie „einzuflößen, dass zwischen Serben und Makedonen kein ethnischer Unterschied bestehe. Aber umsonst! Das strahlende Gedächtnis an die größten makedonischen Bulgaren, die hll. Kyrill und Method und ihre Schüler Kliment und Naum, wird immer das bulgarische Volkstum (narodnost) in Makedonien schützen und die serbische Hinterhältigkeit, die derjenigen der Danaer gleicht, wird nicht erfolgreich sein und sie einnehmen (ja prevzeme)“.725

Der Artikel gibt die Wahrnehmung eines Berichtes in einer serbischen Zeitung durch makedonische Emigranten in der bulgarischen Hauptstadt wieder. In ihren Augen war nur der Versuch der serbischen Behörden zu erkennen, die Erinnerung an Kyrill und Method zur Legitimation ihrer eigenen Vorherrschaft über Makedonien einzusetzen. Während „die Serben“ offenbar die „allgemeinslavische“ Bedeutung der beiden Brüder unterstrichen, rief der unbekannte Verfasser die beiden Heiligen als die „größten der bulgarischen Makedonen“ und als Beschützer ihrer nationalen, bulgarischen Identität an. D 4.2.4  ,Volkskult‘ nicht ,Gotteskult‘ – Entwürfe der Exilmakedonen in Sofia

Die in Sofia als „Organ der makedonischen Emigration“ erscheinende Zeitung „Unabhängiges Makedonien“ beschrieb drei Jahre später, am 23. Mai 1924, eine ganz ähn­liche Reflexion der Erinnerungskultur um die beiden Brüder. Der Verfasser des Leit­artikels „Früher und Heute“ blickte zunächst zurück und stellte fest: Die Feiern dienten bereits im 19. Jh. den makedonischen Bulgaren dazu, „unter dem Anschein (pod vid) einer religiösen Feier ihr gewachsenes nationales Selbstgefühl (samočuvstvie) aus­zuleben.“ Wichtiger als das „Werk“ der Brüder sei bereits damals „die heilige nationale Sache (dělo)“ gewesen, der die Feiern zu Ehren der Brüder nur das Medium waren. Der Verfasser zeichnete damit eine erste Phase der Erinnerung an die Brüder nach, welche sich durch keine Ideologisierung ausgezeichnet habe und „instinktiv“ durch nationale Gefühle geleitet gewesen sei. Hervorzuheben ist dabei, dass bereits in dieser Phase der religiöse Diskurs und das religiöse Handlungsfeld der Feiern für die Heiligen als überlegt gewählte Tarnung einer nationalbewussten Demonstration gedient haben sollten. Er unterschied diese gewissermaßen natürliche Form der Erinnerung von einem „kalten“, durch Wissenschaftlichkeit vermittelten Gedenken. Zudem sei es nicht von oben angeordnet gewesen.726 Nicht nur von einer sachlichen Wissenschaftlichkeit, sondern

725 Avtonomna Makedonija, 13.6.1921, Nr. 27, zit. in eigener Übersetzung gemäß Dokumenti i materialy, Nr. 311, S. 438. 726 „Einst vor Jahren versammelten sich die Bulgaren in Makedonien während des Tags der Erstlehrer zu einer großen und bunten Menge, um unter dem Anschein (pod vid) einer religiösen

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auch vom traditionellen religiösen Kult unterschied der Verfasser damit die Stimmung, welche die makedonischen Bulgaren an diesem Tag lenkte – dem angeblich ohne Emotionen und Verständnis ausgeübten „Kult Gottes“ stellte er den „lebendigen“ „Kult des ­Volkes“ gegenüber.727 Er beschrieb damit für die Gegenwart die Zielutopie einer nationalen Religion, die das Volk zum Gott haben sollte. Der Feiertag habe damals eine die Seele entlastende, gewissermaßen psychologische Funktion eingenommen – ähnlich der religiösen Kommunion und Beichte sollte die nationale Feier von „Sünden“ gegen die Nation erlöst haben.728 Von der traditionellen Religiosität entfernt, sollte die Massenversammlung für die in der Feier konstituierte Nation eine ähnliche gesellschaftliche Rolle wie der Gottesdienst für die Gläubigen erfüllen: Christliche Religion diente zur ausdrücklichen Vorlage einer Religion der Nation, die sie ablösen und restlos ersetzen sollte. Diese aktuellen Bedürfnissen und Vorstellungen entsprechende Idealisierung ­früherer Erinnerungsformen, diese ,erfundene Tradition‘ stellte der Verfasser dem Verbot der ­Feiern in Vardar-Makedonien nach der Eingliederung in den serbischen Staat gegenüber.

Feier ihr gewachsenes nationales Selbstgefühl (samočuvstvie) auszuleben und zu manifestieren. Es gab da keine Gelehrten und Parteien, keine sektiererischen Scheuklappen. Eine Minderheit kannte die Wissenschaft um die hll. Kyrill und Method, eine Minderzahl begriff mit ihrem Verstand deren Bedeutung für die bulgarische und allgemeinslavische Bildung, aber alle, vom unausgewachsenen Kind bis zum weißhaarigen Greis, fühlten in ihrer Seele einen mystischen und unaussprechlichen Zauber der beiden großen Bulgaren, die einst, in der Dämmerung einer fernen und unbekannten Vergangenheit, eine gewaltige Großtat für ,die heilige nationale Sache (dělo)‘ vollbracht hatten. Ein gesunder nationaler Instinkt zeigte den makedonischen Bulgaren, dass ein geeinter Wille und die nationale Solidarität ihnen vor allem anderen nötig sein würden. Und diesen Willen, diese Solidarität unterstrichen sie in den kyrillomethodianischen Feiern eher als durch ein kaltes Wissen um das große Werk (dělo) der Erstlehrer und einer gewöhnlichen Dankbarkeit gegenüber ihren Verdiensten.“ Nezavisima Makedonija, 23.5.1924, Nr. 59, S. 1. 727 „Keine Macht, keine spezielle Kommission publizierte in Makedonien Aufrufe und Anord­ nungen, um die Volksmassen zur Feier während diesem Tag heranzuziehen. In ihrer Seele ­spürten die Makedonen den Befehl zu ihrer Pflicht und sie ordneten sich ihm mit Ehrfurcht unter. Den großen Feiertagen des Kalenders, der Geburt und Auferstehung Christi, gaben sich die makedonischen Bulgaren mit dem kalten Vermächtnis der Tradition hin, den Tag der hll. Kyrill und Method feierten sie mit ihrem ganzen Wesen, denn der Kult Gottes war in ihrer Seele ein gefrorenes (zamrăznala) Geheimnis geblieben, aber der Kult des Volkes – eine lebendige und mächtige Kraft. Am Feiertag der slavischen Aufklärer zeigte Makedonien sein wahres natio­ nales Antlitz.“ Nezavisima Makedonija, 23.5.1924, Nr. 59, S. 1. 728 „Die Arbeit und die Sorgen um das Alltägliche machten an diesem Tag einem feierlichen Aufschwung der Seele Platz; Feld und Bazar verstummten und das ganze Leben im Dorf und in der Stadt verlagerte sich um die Kirche und die Schule. Der mächtige Puls und der einige Wille der vereinten Volksmassen erhellte und zog viele verführte Gewissen mit sich. Denn im hellen Bild des Volkskonsenses erkannten sie ihre Sünde und schlossen sich mit gebeugtem Haupt der feiernden Mehrheit an, um sie [die Sünde, S. R.] auszulöschen.“ Nezavisima Makedonija, 23.5.1924, Nr. 59, S. 1.

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Die öffentlichen nationalen Feiern seien aus dem öffentlichen Raum und der offiziellen Zeitrechnung verbannt worden. Die Erinnerung an die früheren Feiern habe sich damit aber noch stärker mit nationalem Gedenken verbunden und von dem ursprünglichen Zusammenhang mit den Brüdern entfernt –729 bis sich mit dem Ende des Weltkrieges die serbische Politik verändert habe: Seither würden die Brüder als „große Serben“ „unter dem serbischen Etikett“ gefeiert und die „heiligsten nationalen (narodni) Gefühle“ verspottet.730 Der durch die Serben eingeführte Diskurs erschien den nach Sofia emigrierten makedonischen Bulgaren wie eine Häresie. Die unter serbischer Ägide veranstalteten Feiern wurden in ihren Augen zur Gelegenheit, sich insgeheim an frühere Feiern zu erinnern und sich diese wie eine „Vision“ für die Zukunft zurückzuwünschen. Die Feier im Exil, die gerade bedingt durch das Exil nach neuen, nationalistischeren Grundsätzen und im großstädtischen Umfeld abgehalten wurde, sollte Ersatz bieten: Über diesem Artikel rief die Zeitung zum „massenhaften“ Besuch der „großen städtischen Vergnügung“ im Sofioter Stadtpark auf, welche die Soluner Bruderschaft „Heilig Kyrill und Method“ anlässlich des Feiertages ihrer Patrone organisiere. Die angekündigte „Kriegsmusik“ stand für das revisionistische Ziel der Veranstalter.731 Unter diesem Aufruf und in direktem Zusammenhang mit dem Leitartikel über die serbischen Feiern zu Ehren Kyrills und Methods fand unter der Überschrift „Serbien serbisiert (sărbizira) Make­donien, wenn es verkündet, dass die heiligen Brüder Kyrill und Method serbische Heilige sind“ eine Karikatur Platz, auf der sich Kyrill und Method vor dem enttäuschten und ­zornigen 729 „So war es während Jahrzehnten, als niemand an einen serbisch-griechischen Überfall denken konnte. Nach 1913 verbrannten die neuen Herren über Makedonien in ihrer Bestrebung, alle Erinnerung an das Bulgarentum (bălgarština) auszulöschen, bulgarische Bücher, tilgten aus dem Kalender auch die bulgarischen Feiertage, und sie löschten auch den Feiertag der heiligen Erstlehrer aus. Der 24. Mai verwandelte sich in ein trauriges Gedenken (tăžen spomen), jede Feier wurde streng verboten. Jeder Bulgare musste ihn schweigend und insgeheim ausleben (izživěe) bei sich zu Hause vor der Leuchte oder in der Werkstatt mit dem Hammer in der Hand, die Tränen über die Qual verbergend, Drohungen und Verfluchungen ausstoßend.“ Nezavisima Makedonija, 23.5.1924, Nr. 59, S. 1. 730 „Seit 1918 wird, wie ein Wunder, in Makedonien der Feiertag der heiligen Brüder wieder gefeiert. Er wird aber, wie sich versteht, unter dem serbischen Etikett begangen. Die Brüder erscheinen als ,große Serben‘. Es werden Reden über die ,große‘ serbische Geschichte gehalten, über die ,große‘ serbische Bildung und am meisten über die ,großen‘serbischen Siege. Und das Volk hört alle diese ,Großen‘ reden und fühlt die satanische Verhöhnung der heiligsten nationalen ­(narodni) Gefühle. Und es ist wie eine Vision: Beim verzweifelten Applaus für die neuen Redner sieht man Figuren, die den alten vertriebenen Lehrern verwandt sind, man spürt beständig ihre warme angeborene Sprache, durch den Hohn der wirklichen Lügenfeier spürt man den gesegneten Anbruch eines anderen Tages, einer anderen Feier.“ Nezavisima Makedonija, 23.5.1924, Nr. 59, S. 1. 731 „Der Park wird mit Feuerwerk illuminiert, Kriegsmusik wird erklingen, Chöre, Kämpfe mit Konfetti etc. Makedonen! Besucht massenhaft die Vergnügung der Soluner.“ Nezavisima Makedonija, 23.5.1924, Nr. 59, S. 1.

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Sava entschuldigen: „Ärgere dich nicht, o Sava; nicht wir, die Serben machen dir durch uns Konkurrenz.“ 732 Die Zeitung „Unabhängiges Makedonien“ berichtete am 6. Juni 1924 über die Feier zu Ehren der beiden Brüder in der „Zarenstadt“ bzw. in Istanbul. Besonders hervorzuheben ist das Gewicht, das die Verknüpfung der öffentlichen Veranstaltung der Feiern mit sportlichen Aktivitäten damals einzunehmen begann: „Einen ausgezeichneten Eindruck auf das Publikum machten auch die gymnastischen Spiele und die sportlichen Wettkämpfe, welche Jugendliche und Schülerinnen, Mitglieder der Sportgruppe ,Kraft‘ austrugen, die an diesem Tag ihren Patronatsfeiertag begeht.“ Die Gruppe sei erst ein Jahr zuvor ins Leben gerufen worden.733 Die orthodoxen Heiligen wurden zu Vorbildern eines modernen Jugendsportvereins. Der Verfasser wies überdies auf die Erinnerungen der Teilnehmenden an früheren Feiern hin.734 Obschon die Feier im türkischen Istanbul stattfand, richtete sie sich im Zusammenhang mit der Erinnerung der Teilnehmer gegen frühere griechische und serbische Herrschaftspraktiken. Mithilfe des Diskurses über die Heiligen begann sich aber auch eine Emanzipation eines makedonischen nationalen Diskurses vom bulgarischen abzuzeichnen: In derselben Zeitung wurde am 22. Mai 1925 Kyrill und Method nicht nur die Rolle der Grundleger der bulgarischen Nation zugeschrieben, sondern auch die ihrer Einiger sowie die einer Garantiemacht der makedonischen Existenz.735 Der Beitrag endete mit dem Wunsch der transnationalen Einigung der Slaven durch „den Geist“ der Brüder.736 In dieser ­Nummer wurde auch eine Karikatur veröffentlicht, welche die beiden Brüder als „die beiden größten Serben“ darstellte.737 Die Vereinnahmung Kyrills und Methods durch serbische Wortführer wurde durch die makedonische Emigration mit Argus­augen beobachtet und zum Kristallisationspunkt einer eigenen Identität: Dasselbe Blatt druckte am 25. ­September 1925 einen Vortrag mit dem Thema „Makedonien“ ab, den Prof. Dr. Kassner vor Studenten in Berlin gehalten 732 Nezavisima Makedonija, 23.5.1924, Nr. 59, S. 1. 733 Nezavisima Makedonija, 6.6.1924, Nr. 61, S. 2. 734 „Jeder erinnerte sich seines Heimatortes, wie in der unfernen Vergangenheit derselbe Feiertag der hll. Kyrill und Method begangen und gefeiert wurde, den später die hinterhältigen Griechen und Serben verboten haben und sogar die Ikonen der beiden Brüder sehr vandalös zerbrochen und in den Dörfern am helllichten Tage verbrannt haben.“ Nezavisima Makedonija, 6.6.1924, Nr. 61, S. 2. 735 Im Leitartikel zum Tag der hll. Kyrill und Method wurde festgehalten: „Tausend und 62 Jahre trennen uns von dem unsterblichen, historischen und kulturellen Werk der heiligen Soluner Brüder (…). (…) Groß und genial ist das Werk der heiligen Brüder: Sie legten die Grundlage für die bulgarische Schriftlichkeit und Literatur: Diesem verdankt unser Stamm sein nationales Bewusstsein und seine nationale Vereinigung“. Nezavisima Makedonija, 22.5.1925, Nr. 110, S. 1. 736 „Der Geist der heiligen Soluner Brüder wird von neuem die Seelen der Slaven entbrennen ­lassen und schon naht der Tag, an dem diese sich brüderlich vor der allgemeinen Anerkennung des nationalen Daseins für alle durch alle verbeugen.“ Nezavisima Makedonija, 22.5.1925, Nr. 110, S. 1. 737 Nezavisima Makedonija, 22.5.1925, Nr. 110, S. 2.

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hatte. Darin stellte dieser fest, die Sprache der beiden Brüder sei „reines Makedonisch“ gewesen – dass es sich um eine bulgarische Sprachform handelte, stand hier nicht mehr im Vordergrund.738 Diese Emanzipation wandte sich gleichzeitig gegen die damals in Jugoslawien vorangetriebene Eingliederung in einen serbischen Identitätszusammenhang. Vasil Pundev, ein in Pirin-Makedonien geborener und in Sofia ausgebildeter Slavist und Historiker, der sich freiwillig zum Ersten Balkankrieg gemeldet hatte sowie Politiker der VMRO wurde, schrieb am 23. Mai 1928 in der von ihm herausgegebenen Zeitung „Makedonien“, dem Organ der makedonischen Emigration in Bulgarien, zum Gedenktag der beiden Brüder: Diese hätten als „makedonische Lehrer“ den Slaven „die kulturelle Taufe“ gebracht. Die religiöse Dimension ihres Handelns trat auch in diesem Text deutlich in den Hintergrund gegenüber der Betonung der weltlichen, „kulturellen“ Ergebnisse. Das 10. Jh. erschien in der Zwischenkriegszeit im Licht der nationalen „Wiedergeburt“ des 19. Jh. Makedonien wurde zum Kerngebiet dieser mittelalterlichen bulgarischen „Wiedergeburt“ erklärt.739 Welche Geburt diese wiederholte, ist nicht ersichtlich. Auch die zweite „Wiedergeburt“ ging gemäß diesem Text vom makedonischen Gebiet aus. Die Verbindung zur mittelalterlichen bulgarischen Renaissance war durch die schriftliche Kultur gewährleistet, die während der Jahrhunderte der „Sklaverei“ zur „Stütze und Tradition“ der Slaven wurde. Wie diese war auch die zweite „Wiedergeburt“ in den Worten Pundevs mit religiöser Bedeutung aufgeladen. Letztlich das „Werk“ der beiden Brüder sollte die Grundlage dazu sein, dass das bulgarische Volk „aufersteht zu einer

738 Nezavisima Makedonija, 25.9.1925, Nr. 127, S. 2 – 4. 739 „Vor zehn Jahrhunderten gaben die makedonischen Bulgaren ihr Land und ihre Sprache für das Feuer (za ognište) der slavischen Bildung. Dort wurde die Kultur der südöstlichen Slaven geboren, mit der Übernahme des Christentums und dem Beginn der bulgarischen Literatur (knižnina). Während des 10. Jh. begann für die bulgarischen Regionen eine Epoche der wirklichen Wiedergeburt (văzraždane), der nachdrücklichen geistigen Arbeit und der Begeisterung durch sie (ot neja), durch die Erhabenheit der Bestrebungen, über die wir heute auf den erfreulichen Seiten der alten bulgarischen Literatur lesen. Begeistert spürte damals der Bulgare die Bedeutung des begonnenen Werkes (dělo) und vor allem deshalb ist das Gedenken (spomena) an die Legenden um Kyrill und Method als slavische e r s t e Lehrer und H e i l i g e unseres geistigen Lebens mit solcher Dankbarkeit erhalten (zapazen). Vielleicht am besten drückt diese wiedergeborene (văzroditelna) Freude ihr fleißiger Schüler Bischof Konstantin [von Preslav, S. R.] in seinen Gedichten aus, welche den neuen Weg der christlichen Predigt und die Bildung durch Bücher preisen, und den Soluner Brüdern große Achtung erweisen, die den Slaven die kulturelle Taufe brachten. Dies sind die ersten bulgarischen Gedichte – der erste Schritt zum Vers (na stich) und zum Gesang – die es geradezu (sjakaš) brauchte, damit sie sich verbanden mit dem großen Anfang (načalo) des kulturellen Lebens, der in Makedonien gemacht wurde. Das erste bulgarische Lied ist eine Hymne auf das slavische Erwachen (probuda) zur geistigen Kultur, und die Gedichte des Bischofs Konstantin über das slavische Wort (slovo) übertragen sich auf das Gedächtnis (se nosjat nad pametăta) der makedonischen Lehrer, die ihn [den Anfang, S. R.] verkündeten und ihm Schwung gaben.“ Makedonija, 23.5.1928, Nr. 435, S. 1.

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neuen Existenz“. Die Interpretation der Rolle Makedoniens als Retter der „Nation“ steht für einen nationalisierten, nur teilweise säkularisierten Messianismus.740 Diese Argumentation nahm im folgenden Absatz deutlichere Konturen an: Nach der bisher geschilderten zweifachen Hauptrolle Makedoniens in der nationalen Geschichte der Bulgaren brachte der Verlust Makedoniens als Bestandteil des bulgarischen Staates zu Ende des Ersten Weltkrieges Makedonien eine besondere Geltung ein. Die vorher beschworene bulgarische Kultur schien in den übrigen Gebieten Bulgariens „ver­ gessen“ zu sein – nur über dem zum „Märtyrer“ personifizierten Makedonien schwebte der „­Heilige Geist“, nur mit Makedonien sollte Bulgariens, jetzt markant sakralisierte, Kultur denkbar sein.741 Die „makedonische Tragödie“ sollte „das Gewissen der Slavenheit und Europas“ belasten. Die Eingliederung Makedoniens in den jugoslawischen Staat und der Versuch seiner „Denationalisierung“ wurden zur Schändung des „Worts“ der Brüder. Dieses „Wort“ der heiligen Brüder wurde sodann zu dem der Geschichte ausgeweitet, es sollte „wieder fliegen“ – die Erinnerung gab das zukünftige Ziel, die nationale Einigung, vor. Diese Hoffnung sollte vor einer imaginierten europäischen Öffentlichkeit zum „Kampf um Makedonien“ aufrufen.742 Die Sakralisierung des Diskurses stand für die Skrupellosigkeit der Akteure in der Wahl ihrer politischen Mittel:

740 Das Werk „erstarkte in den bulgarischen Ländern, richtete sich an die anderen Slaven und währte durch die Jahrhunderte wie ihre teure Stütze und Tradition, obgleich es in ihrer ersten Heimat während der Sklaverei nicht am glücklichsten war. Dennoch verkündet in der neuen Zeit vor allem diese [die erste Heimat, S. R.] es den Bulgaren. Seine zweite Wiedergeburt (Vtoroto im văzraždane) ist erneut Makedonien. Von hier fliegt das Wort Paisijs und beginnt der Renaissance­ kampf (renesansovata borba) des bulgarischen Volkes mit all seiner Kraft und Erhabenheit (văzvišenosť). Erneut sind alle bulgarischen Länder erfasst, ein Volk aufersteht (văzkresi) zu einer neuen Existenz und zum Fortschritt. Der Ruf Makedoniens rettet die bulgarische Nation (nacija).“ Makedonija, 23.5.1928, Nr. 435, S. 1. 741 „Aber dieses Land, das zweimal die Heimat der bulgarischen Kultur war, hat selbst noch nicht den Frieden zum kulturellen Leben e r h a l t e n , den es hervorgerufen und unterstützt hat, und ist heute erschreckt von dem Unverstand der Beherrscher, welche die Quelle ausschalten wollen, durch die sie belebt worden sind. Heute ist das Wort des makedonischen Bulgaren (na makedonskija bălgarin) vergessen in seinem Land, aber dieses [das Wort Konstantins, S. R.] grüßt über seinen Grenzen wie die Taube des Heiligen Geistes über dem Leben eines Märtyrers.“ Makedonija, 23.5.1928, Nr. 435, S. 1. 742 „Welch tiefen, unerträglichen Vorwurf stellt die makedonische Tragödie für das Gewissen der Slavenheit und Europas dar – das sollen alle bedenken, die heute das Gedächtnis (pametăta) der hll. Kyrill und Method feiern. Ihr Wort wurde geschändet in ihrer Heimat durch einen ­Versuch der Entvölkerung (obezljudjavane) und der Denationalisierung (denacionalizacija), die die großen Linien der Geschichte vergessen [machen, S. R.] und die Unausweichlichkeit ihres Scheiterns [zeigen, S. R.], was jedenfalls nicht entschieden werden kann durch zufällige Eroberer und durch Anfälle eines gierigen Chauvinismus. Die Geschichte lässt sich nicht auslöschen, der Kampf um Makedonien hat nicht aufgehört und auch von dort wird ihr freies und mächtiges Wort wieder fliegen.“ Makedonija, 23.5.1928, Nr. 435, S. 1.

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Pundev sollte 1930 am Attentat auf den verfeindeten makedonischen Exilpolitiker Jоrdan Čkatrov mitwirken und im gleichen Jahr von dessen Anhängern erschossen werden.743 In diesem „Kampf“ lag auch die Berichterstattung über Feiern im bulgarischen Teil Makedoniens im Interesse der exilmakedonischen Publizistik: Eine Woche ­später erschien in derselben Zeitung ein Bericht über die Feiern zu Ehren der Brüder in ­Kjustendil, gelegen in Pirin-Makedonien. Wie in Sofia trat die aus Vardar-Makedonien geflüchtete Emigration im Rahmen der Inszenierung des Gedenkens an Kyrill und Method auch hier als geschlossene nationale Einheit auf, welche die lokale Bevölkerung beeindruckte, aber wohl nicht maßgeblich von ihr mitgetragen wurde. Der Bericht­erstatter und offensichtlich auch die Veranstalter legten Wert auf die gut choreographierte „massen­hafte Erscheinung in geordneten Reihen“ der Teilnehmer der Kundgebung mit Fahnen und Plakaten.744 In diesem Rahmen hielten nach einem Bittgebet des lokalen Bischofs ein Vertreter der Bürgerschaft sowie „die Vizevorsitzende der Makedonischen Frauen­ gesellschaft Fr. Olga Bojadžijska“ Ansprachen.745 Das bereits auch durch Frauen getragene bürgerliche Vereinswesen wurde damit in die Mobilisierung zum Gedenken einge­ bunden. Bojadžijska deutete die Brüder als „nationalen Stolz“ 746 und nahm die nati-

743 Troebst (1987), S. 459. 744 „Der Feiertag der beiden heiligen Brüder und Apostelgleichen wurde auch dieses Jahr mit der traditionellen Feierlichkeit begangen. Die makedonische Emigration ehrte die Soluner Brüder mit ihrer massenhaften Erscheinung in geordneten Reihen (v strojni redove) auf dem Platz vor der Lesehalle, wo das Bittgebet abgehalten (otslužen) wurde. Diese sammelte sich mit der Einladung unserer Bruderschaft schon vom Morgen an vor dem Klub der makedonischen Assozia­ tionen (družestva), wo die Musik aufwartete, an ihrer Spitze die Fahne der Gesellschaft und Plakate (plardi). Sie bewegte sich in geordneten Reihen zur ihr auf dem Platz zugewiesenen Stelle. Die Sympathie gegenüber den Volksfeiern hinterließ auch heute einen großen Eindruck in der Bürgerschaft (graždanstvoto).“ Makedonija, 30.5.1928, Nr. 490, S. 2. 745 „Nach der Abhaltung des Bittgebetes durch den hiesigen Bischof wurden Reden über die Bedeutung des Feiertags von Hrn. L. Georgiev vorgetragen, der im Namen der Bürgerschaft sprach, und seitens der Emigration – die Vizevorsitzende (podpredsedatelkata) der Makedonischen Frauengesellschaft Fr. Olga Bojadžijska. Letztere hielt eine Rede, die tief beeindruckte.“ Makedonija, 30.5.1928, Nr. 490, S. 2. 746 „Hier einige Gedanken aus der Rede von Fr. O. Bojadžijska. ,Heute, Bulgaren, ehren wir das Gedächtnis vieler unserer Heiligen, die in ihrem Leben und mit ihren Werken (dělata) würdig waren, dass sie einen Platz neben den Heiligen unserer orthodoxen Kirche einnehmen. Unter den vielen ragen aber zwei große Persönlichkeiten hervor, die einen Ehrenplatz in der Geschichte und im Herzen eines jeden Bulgaren einnehmen und die unser nationaler Stolz sind. Dies sind die beiden Brüder, die apostelgleichen hll. Kyrill und Method, geboren in Solun, deren ­Gedächtnis heute mit gefälliger Feierlichkeit geehrt wird. Das Werk (děloto) der Soluner Brüder ist ein großes, ihm verdanken wir ihre Schüler: Kliment, Naum, Savva, Gorazd und Angelarij, die gemeinsam mit den hll. Kyrill und Method die hl. Siebenzahl (Sedmočislenici) darstellen und die deren Werk ausweiteten und bekräftigten. Und wenn das bulgarische Volk heute seine Bücher und Kultur hat, dann verdankt es dies dem Werk der Apostel – der Brüder aus Solun, die allen Slaven die Schriftlichkeit gaben.‘“ Makedonija, 30.5.1928, Nr. 490, S. 2.

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onalbewusste Rückbesinnung zur Grundlage, die „Sklaverei“ und das „Leiden des heutigen Makedonien“ zu beklagen.747 Die Verehrung der Brüder blieb dabei zwar vom nationalen Schicksal abhängig, aber erstaunlich traditionell religiös entworfen.748 Trotz der physischen Trennung der Exilmakedonen vom übrigen Publikum und der Rede von „uns Makedonen“ im Text der Zeitung standen in der zitierten Rede Bulgarien und die Bulgaren im Zentrum der Aufmerksamkeit. Aber besonders die Entwicklung des Diskurses in Jugoslawien wurde aufmerksam beobachtet und einzelne provozierende Akteure angegriffen: In der Zeitschrift „Freiheit oder Tod (Svoboda ili smărt)“, einem seit 1924 in Sofia erscheinenden „Revolutionären Blatt (Revoljucionen list)“ der VMRO, griff ein anonymer Beitrag im Januar 1930 Nikolaj Velimirović, den einflussreichen Bischof von Ohrid, als einen Betreiber der „Entnationalisierung“ an: Dieser habe in einem Interview mit der bulgarischen Zeitung „Pravda“ von einer „altslavischen (staroslavjanski)“ Sprache gesprochen, nicht aber von einer „altbulgarischen“.749 Die beinahe allergische Entgegnung weist jedoch auf die isolierte Stellung der makedonischen Emigration in Bulgarien hin.750

747 „Aber am heutigen Tag der großen Feier können wir nicht völlig glücklich sein, und die ruhigen und unsere (nišite, sic!) Herzen ziehen sich schmerzhaft zusammen beim Gedanken, dass das Volk, aus dessen Mitte unsere Aufklärer hervorgegangen sind, und das Land, in dem sie das Licht der Sonne erblickten, heute über unterträgliche Sklaverei stöhnt. Die Leiden des heuti­ gen Makedonien kennen nicht ihresgleichen. Dort sind alle Aufgeweckteren ins Gefängnis ­geworfen und inquisitorischer Folter ausgesetzt. Wir können nicht ruhig sein, denn das Leiden eines Makedonen an Tagen wie dem heutigen ist doppelt so groß, da er seine Gefühle nicht frei manifestieren kann und freudig diesen großen Feiertag für den ganzen bulgarischen Stamm begehen kann. In Makedonien können sie heute nicht öffentlich warme Gebete an den Höchsten wenden in der Sprache, die ihnen die beiden Brüder vermacht haben.“ Makedonija, 30.5.1928, Nr. 490, S. 2. 748 „Dies alles erleben die Makedonen heute mit Schmerz, im festen Glauben, dass der Tag nicht fern sein wird, wenn auch in Makedonien Lobpreisungen gesungen werden an Gott und das Werk der hll. Kyrill und Method offen in der angeborenen Sprache (na roden ezik) manifestiert wird. Nach dem Vortrag der Reden und einigen Erklärungen von Schülern, bewegte sich die Emigration in der gleichen Ordnung wieder vor den Klub, wo der Vorsitzende der Bruderschaft, Hr. Chr. Zografov die Feiern mit einigen Worten über die hervorragende Bedeutung der hll. Kyrill und Method für uns Makedonen und für das slavische Volk abschloss.“ Makedonija, 30.5.1928, Nr. 490, S. 2. 749 „Hatte Bischof Nikolaj von Ohrid, als er sehr begeistert die Frömmigkeit der Ohrider und ihren starken Glauben an Gott hervorhob, nicht etwa die Sprache der heiligen Soluner Brüder Kyrill und Method vor Augen, deren Sprache nicht irgend eine altslavische Sprache ist, sondern eine altbulgarische Sprache, wie es alle kompetenten Slavisten anerkennen? Jene, die das Werk der vollen Denationalisation begehen, indem sie die lokale Sprache und das bulgarische Buch verfolgen, können sie über den Glauben an Gott sprechen?“ Svoboda ili smărt, 1.1.1930, Nr. 108, S. 8. 750 Zudem war sich der Verfasser sprachlich selbst nicht treu, schrieb er doch gleich später von „unseren Bischöfen“, welche „als Nachfolger ihrer Vorgänger, die Träger und Schützer gerade

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Exilmakedonische Organisationen und ihre Publikationsorgane benutzten gerade den Diskurs über die Brüder und die Berichterstattung über die angebliche „Sklaverei“ in Jugoslawien, um ihre Ziele in Sofia in Worte zu fassen und nach Kräften zu verbreiten. Die staatlichen Feiern zu Ehren der Brüder wurden in diesem Zusammenhang mit der Inszenierung makedonisch-bulgarischer Identität sowie der Propagierung revisionistischer Ziele verbunden. D 4.2.5  Nationaltheologie für ein bulgarisches Makedonien – die Aneignung des Diskurses in kirchlichen Publikationen bis 1934

Aber nicht nur die makedonische Emigration und damit eine einflussreiche Randgruppe in Sofia, sondern auch die den Staat tragende Kirche griff den makedonischen Diskurs auf und eignete ihn sich an: Auch im „Kirchenboten“, dem wichtigsten Publikationsorgan der BOK, wurden Kyrill und Method zu Beginn der 1920er-Jahre zusehends mit dem makedonischen Zusammenhang verknüpft. Vor den Feiern zu ihren Ehren schrieb Chr. Popov am 19. Mai 1923, die angebliche Herkunft der Brüder „aus unserem Stamm, aus unserem Geschlecht“ legitimierte die Rede von „unserem heimatlichen (rodna) Makedonien“ 751 und von Saloniki als „Herz Makedoniens“.752 Die Brüder „legten die Grundlage unserer nationalen (nacionalno) Existenz“ 753 und ihr „großes Werk und ihr helles Gedenken retteten unser Volk (…) auch während der fünfhundertjährigen ­Sklaverei“.754 Im 19. Jh. sei ihr „strahlendes Gedächtnis“ an ihrem Feiertag dann „nicht nur zum Feier­tag der bulgarischen Bildung und Kultur geworden, sondern auch zum Symbol der politischen nationalen (narodno) Einheit.“ Als „die Bulgaren aus allen Ecken der gemeinsamen Heimat vor der fremden Welt ihr Nationalgefühl (nacionalno čuvstvo) manifestierten (…) und an ihre ruhmreiche Vergangenheit erinnerten, festigte sich bei ihnen der Glaube an eine ehrenhaftere Zukunft für den bulgarischen Stamm“.755 Indem hier die kollektive Vorstellung als Nation mit dem Medium der Brüder im 19. Jh. beschrieben wurde, sollte zum einen die Nation in der Gegenwart reproduziert werden. Zum anderen diente die Erinnerung als Grundlage, um zum eigentlichen Thema überzugehen – Makedonien. Auch hier stand ein historischer Rückblick, eine Vergegen­ wärtigung der „erlebten heiligen Minuten“ des damaligen Gedenkens am Anfang, deren

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dieser Sprache und gerade dieser altslavischen (staroslavjanska) Kultur sind.“ Svoboda ili smărt, 1.1.1930, Nr. 108, S. 8. „Wie sehr müssen wir uns auf diesen Feiertag freuen, wie sehr müssen wir der Vorsehung ­danken, dass aus unserem Stamm, aus unserem Geschlecht, aus dem Schoß unseres heimatlichen (rodna) Makedonien die apostelgleichen Kyrill und Method hervorgegangen sind.“ Cărkoven Věstnik, 19.5.1923, Nr. 21, S. 1 f., hier S. 1. „Saloniki, das Herz Makedoniens, gibt dem gefährdeten Slaventum zwei Söhne – die beiden Brüder Kyrill und Method“. Cărkoven Vestnik, 19.5.1923, Nr. 21, S. 1. Cărkoven Vestnik, 19.5.1923, Nr. 21, S. 1. Cărkoven Vestnik, 19.5.1923, Nr. 21, S. 1. Cărkoven Vestnik, 19.5.1923, Nr. 21, S. 1.

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Funktion es ganz explizit war, „seelische Erregung“ in der Gegenwart hervorzurufen.756 Nationale Emotionalität, nicht religiöse Andacht war das Ziel. Der beschriebene Akt kollektiven Gedenkens glich dennoch stark einem Gottesdienst, einer Kommunion im Zeichen der sakralisierten Nation: „Dort vereinigte jeder seine Seele mit der Volksseele, jeder trank sozusagen (sekaš) Wasser aus einer gewissen unsterblichen Quelle, jeder war erfasst von heiligem Erzittern, von nationalen (narodni) Sehnsüchten“.757 Im wichtig­sten Publi­kationsorgan der BOK wurde bedenkenlos eine Synthese religiösen und nationalen Empfindens herbeigeführt. In den Feiern sollte sich auch Ausländern „das bulgarische nationale (nacionalen) Antlitz Makedoniens“ zu erkennen gegeben haben.758 Der Verweis auf Kyrill und Method blieb aber trotz dieser Verfestigung der Verbindung des Diskurses mit der makedonischen Emigration in der kirchlichen Publizistik gleichzeitig in einem parallelen Diskursstrang auch ohne einen solchen Bezug ver­treten: So stellte Vl. Iliev am 22. Mai 1926 im „Kirchenboten“ nur einen allgemeinslavischen sowie einen bulgarischen Zusammenhang her, ohne auf makedonische Aspekte explizit einzugehen. Bemerkenswert bleibt, dass in seinen Augen die Verdienste der Brüder an erster Stelle in der Christianisierung der „Volksmassen“ bestanden und erst in zweiter Linie in der Gewährleistung der „selbständigen Existenz als Volk“ und der Ermöglichung von „Kultur und Progress“.759 Sie blieben damit aber auch für das offizielle Organ der BOK mithin die Grundlage für Fortschrittlichkeit und Modernität. Auch 1928 klammerte Il. Ch. Bonev im „Kirchenboten“ makedonische Verweise aus, verstärkte aber die bulgarische nationale Aufladung des Gedenkens. So seien die beiden Brüder „zwei hell leuchtende Bilder, die wie die Sonne den Weg der bulgarischen Kultur erhellten“, um erst darauf über die „slavischen Völker“ insgesamt zu sprechen.760 Das „geniale Werk“ der Brüder sei notwendig gewesen, um „ihre nationale (nacionalna) Selbständigkeit zu bewahren“.761 Ähnlich wie der Tag Ivans von Rila wurde auch dieser Feiertag zur Gelegenheit, des ganzen Repertoires an „Volkserweckern“ zu gedenken und daraus Forderungen für die Gegenwart abzuleiten: „Das bulgarische Volk muss die heiligen Vermächtnisse des heiligen Zaren Boris, der hll. Kyrill und Method und ihrer Schüler, der heimischen (rodnitě) bulgarischen Heiligen und Patriarchen, der nationalen Erwecker und der Kämpfer für die geistige Unabhängigkeit als heilig bewahren“. Eines dieser „Vermächtnisse“ sei: „Die christliche Idee muss jeglicher staatlichen, nationalen, 756 „Wer auch nur einmal an den Feiern dieses Tages in Makedonien und Thrakien vor dem Jahr 1913 teilgenommen hat, der kann sich nicht an diese erlebten Momente erinnern, ohne eine starke seelische Erregung zu erfahren. Wer wird sich ohne seelisches Erzittern (trepet) an die erlebten heiligen Minuten erinnern“. Cărkoven Vestnik, 19.5.1923, Nr. 21, S. 2. 757 Cărkoven Vestnik, 19.5.1923, Nr. 21, S. 2. 758 „Wenn ein Ausländer das bulgarische nationale (nacionalen) Antlitz Makedoniens sehen wollte, war es ausreichend, dass dieser dort nur am Feiertag der apostelgleichen Kyrill und Method anwesend war.“ Cărkoven Vestnik, 19.5.1923, Nr. 21, S. 2. 759 Cărkoven Věstnik, 22.5.1926, Nr. 22, S. 225 f. 760 Cărkoven Věstnik, 19.5.1928, Nr. 20, S. 234 f., hier S. 234. 761 Cărkoven Věstnik, 19.5.1928, Nr. 20, S. 234.

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gesellschaftlichen und privaten Initiative zugrunde liegen, jeder kulturellen Angelegenheit“. Auch solle „jeder Bulgare“ die BOK „wie die leibliche (rodna) Mutter lieben, denn diese habe ihn ernährt und als Volk bewahrt ­während der schwersten Zeiten der Sklaverei (robstvoto). Und zu diesem Ziel ist es unerlässlich, dass Hundert­tausende bulgarischer Kinder, deren reine Gesichter vor Freude leuchten und deren un­ schuldige Münder Hymnen zur Verehrung der hll. Kyrill und Method singen, im Geist der heimischen orthodoxen Kirche erzogen werden“.

Aus der postimperialen Rückbesinnung auf die angebliche „Sklaverei“ sollten die gesamte gegenwärtige und zukünftige Gesellschaft und ihre Kultur abgeleitet werden: „Die Wurzeln dieses gewaltig verzweigten Baumes, den heute die reiche slavische Bildung und Kultur darstellt, liegen tief in der bulgarischen orthodoxen Kirche und werden auf ewig (…) in ihrem gesegneten Schoß, den Wurzeln der bulgarischen Kultur“ bleiben, „damit sie sich weiterentwickeln“.762

Der Aufsatz richtete sich denn auch an die „Lehrer und Eltern“, die zur Umsetzung dieses gesellschaftlichen Entwurfes aufgerufen wurden: Alle wichtigen Sprach- und Handlungsfelder der modernen Gesellschaft sollten durch die BOK bestimmt sein. Das Gedenken an die Brüder wurde nicht nur von Exilmakedonen zur eigenen ­sozialen Integration und zum gleichzeitigen Appell an das Nationalgefühl aller Bulgaren instrumentalisiert – die illustrierte orthodoxe Zeitschrift „Volkswächter“, die später explizit als Publikation des Bistums Sofia erschien, hielt unter dem Titel „Unsere Pflicht zum leuchtenden Gedächtnis der heiligen apostelgleichen Brüder Kyrill und Method“ 763 gleichfalls 1929 fest: „Indem wir das leuchtende Gedächtnis der heiligen slavischen Aufklärer ehren, müssen wir uns alle – Lehrer, Schüler, Armeeangehörige, Geistliche, Bürger aller Stände und gesellschaftlicher Positionen und jeden Alters, die freudig ihren Namen aussprechen, die Frage stellen: Ehren und schätzen wir ihr leuchtendes Gedächtnis genügend, ist unsere äußerliche Feier ausreichend für ihr großes und unschätzbares Verdienst, unsere Anwesenheit in der Kirche und unsere Teilhabe an den feierlichen Märschen und Manifestationen?“ 764

Die beiden anonymen Verfasser des Textes verneinten die rhetorische Frage – die „entsprechende innere seelische Haltung“ fehle manchen. Sie setzten sich hier als Hüter des Vermächtnisses Kyrills und Methods in Szene und forderten mittels der Brüder und moderner „Manifestationen“ eine homogene sakrale, im Sinne korporatistischer Gesellschaftsutopien alle sozialen Schichten übergreifende einheitliche nationale Gesinnung ein. Diese beschränkte sich beileibe nicht auf religiöse Bereiche: Die fragliche ­Haltung gehe „einigen der Fortsetzer des kyrillo-methodianischen Werks der Auf­klärung“ und

762 Cărkoven Věstnik, 19.5.1928, Nr. 20, S. 235. 763 Naroden Straž, 1.6.1929, kn. 8, S. 2 – 4. 764 Naroden Straž, 1.6.1929, kn. 8, S. 3.

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insbesondere Lehrern ab.765 Die Verfasser widersetzten sich mit der Ablehnung atheistischer oder sozialistischer Pädagogen dem Konzept eines laizistischen säkularen Schulwesens. Interessant ist dabei, dass Kyrill und Method hier weiterhin als all­gemeinslavische Aufklärer verehrt wurden, nicht aber als Schulpatrone Bulgariens lediglich in einen bulgarisch-nationalen Zusammenhang gestellt wurden. Als Unterstützer einer „slavischen Idee“ sollten die Brüder auch zum Einsatz gegen diffuse westliche Einflüsse sowie sozialistische Lehrer dienstbar gemacht werden. Die nationaltheologische Aufladung der Brüder setzte sich allgemein im religiösen Zusammenhang fort: Gleichfalls im „Volkswächter“ beschrieb G. Stefanov die ­beiden Brüder 1929 als „die größten Schätze, welche die Volksseele enthält“.766 Dieselbe Zeitschrift berichtete im Dezember 1929 auch über die an der Theologischen ­Fakultät der ­Kliment-Universität in Sofia gegründete Studentengesellschaft „Heilig Kyrill und Method“. Diese sei „zwar viel neuer“ als die Klimentgesellschaft an der gleichen Fakultät, aber sie entfaltete gleichfalls viele Aktivitäten, etwa Sprachkurse und die Einrichtung einer „populärwissenschaftlichen apologetischen Bibliothek“. Die Zeitschrift wünschte auch dieser Gesellschaft viel Erfolg.767 Die akademische theologische Jugend sollte mit dem zusätzlichen Verein nun auch im Rahmen der Verehrung der Brüder eine korporative Identität entfalten. Das führende Organ der BOK wurde zum Sprachrohr sowohl der nationalistischen Deutung der Brüder als auch ihrer Verknüpfung mit dem Anspruch auf den jugoslawischen und den griechischen Teil Makedoniens: Im „Kirchenboten“ hieß es 1932: „Der Tag der apostelgleichen Kyrill und Method ist unbestrittenermaßen der leuchtendste und größte bulgarische Nationalfeiertag (naroden Prazdnik).“ 768 Auch oder gerade in diesem wichtigsten Publikationsorgan der BOK stand der nationale Charakter vor der traditio­ nellen religiösen Bedeutung sowie der bildungspolitischen Funktion. Den übrigen Slaven wurde vorgehalten, sie würden das das Slaventum „erlösende“ „Werk“ der Brüder nicht genügend ehren. Der anonyme Autor begründete die angeblich intensiveren Feiern zu

765 „Gibt es nicht in unserem Vaterland Pädagogen und Aufklärer, die bewusste Vermittler gewisser ihrer utopischen Ideen und verderblichen, aus dem Westen hergetragenen Lehren sind, die in allem der christlichen Lehre widersprechen, der slavischen Idee, die durch die heiligen apostel­ gleichen Brüder so würdig unterstützt worden war?“ Naroden Straž, 1.6.1929, kn. 8, S. 3. 766 Naroden Straž, 15.6.1929, kn. 11, S. 3. 767 Naroden Straž, 15.12.1929, kn. 17, S. 15 f. 768 „Er ist wirklich ein allgemeinslavischer Feiertag, wenngleich er in keinem slavischen Land so innig (zaduševno) und feierlich gefeiert wird wie bei uns. Wahrlich, auch die anderen slavischen Völker verdanken, wie wir, den heiligen Soluner Brüdern sehr viel, aber diese fühlen sich ihnen entweder nicht so nah und leiblich (rodninski) verbunden mit ihnen, oder sie schätzen ihr großes und für das ganze Slaventum rettende (spasitelno) Werk gering. Aber uns, den Bulgaren, sind die Slavischen Aufklärer viel näher und lieber, denn sie sind unsere Kompatrioten und Volksgenossen (sănarodnici), denn sie sind Söhne Makedoniens, Bürger Soluns, dessen Bewohner im 9. Jh., mit den Worten des byzantinischen Kaisers Michail, alle rein slavisch sprachen.“ Cărkoven Vestnik, 21.5.1932, Nr. 21, S. 236.

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ihren Ehren in Bulgarien mit der vermeintlichen bulgarischen nationalen Identität der Brüder „als Söhne Makedoniens, Bürger Salonikis“. Die ethnonationale Inanspruchnahme und die intensivere Verehrung sollte den Bulgaren in diesem Zusammenhang eine herausragende Stellung vor den restlichen Slaven geben. Gleichzeitig wurde mit dem Medium der Feier im offiziellen Organ der BOK auf Makedonien sowie Saloniki verwiesen und damit der Anspruch auf die außerhalb Bulgariens verbliebenen Teile Makedoniens als rechtens dargestellt. Aufschlussreich ist das zur rhetorischen Betonung der gegenwärtigen Feierlichkeiten folgende Eingeständnis, das Gedenken an die beiden Brüder sei während der „Skla­ verei“ in Vergessenheit geraten:769 In der Zwischenkriegszeit wurde noch keine seit dem Mittelalter andauernde Kontinuität einer bulgarischen Verehrung der Brüder behauptet, wie es nach 1989 üblich wurde. Der Verfasser sprach dem Feiertag für das 19. Jh. eigene Kraft zu: „Aber der Feiertag der heiligen Brüder aus Saloniki schien eine geheime wieder­gebärende (văzroditelna) Kraft zu haben: Er gab den Enttäuschten Geist, Mut den erschütterten (razkolebanitě) Kämpfern, Munterkeit den vom Kampf Ermüdeten.“ 770 Diese Kraft schien nicht den Heiligen, geschweige denn ihrem Geist, zu verdanken zu sein, sondern direkt der kollektiven Verehrungspraxis. Die gesamte Nationalgenese, den Erfolg der „Wiedergeburt“, stellte der Autor in einen ursächlichen Zusammenhang mit der jährlichen Feier: „Ohne den Feiertag der hll. Kyrill und Method, ohne diese Quelle lebensspendenden Wassers, wäre unser Volk kaum das geworden, was es heute ist.“ Die Erinnerung an ,heroische Zeitalter‘ der „Wiedergeburt“ wurde hier über das Medium des Gedenkens an den Feiertag der Brüder konkretisiert, wie im 19. Jh. das Bulgarentum (im Rahmen des Slaventums) mithilfe der Brüder imaginiert worden war. Der Exkurs zur Feier der Brüder bei den übrigen Slaven sowie zur Rolle des Feiertags bei der „Wiedergeburt“ der Bulgaren im 19. Jh. diente aber nur zur Untermalung der gegenwärtigen Lage in Vardar-Makedonien. Denn erst auf dieser Grundlage führte der Text in den makedonischen Zusammenhang ein: „Indem es diesen Tag beging, freute sich Makedonien während eines halben Jahrhunderts und war stolz (…) und feierte ihr leuchtendes Gedächtnis aufs feierlichste“.771 Diese Feiern unter osmanischer Herrschaft, die der idealisierten Beschreibung gemäß mit Selbstbewusstsein begangen worden waren, wurden nun dem Zustand der Gegenwart gegenübergestellt, der durch die nationale Inanspruchnahme der Brüder durch die Serben bestimmt sei. Die makedonischen Slaven als „makedonische Bulgaren“ für die bulgarische Nation beanspruchend, wurde die serbische Instrumentalisierung der Feiern zu Ehren der Heiligen im Dienste ihrer Versuche zur Stiftung einer jugoslawischen Identität und Loyalität angeprangert. 769 Angeblich früher als die Verehrung der beiden Brüder in Russland nahmen die Bulgaren diese im 19. Jh. auf: „Aber unser Volk hat sehr bald nach seinem Erwachen aus dem viele Jahrhunderte dauernden Schlaf die Notwendigkeit hoher Vorbilder (obrazci) und Ideale gefühlt, von denen es sich begeistern lassen konnte, und erneuerte das während der langen Sklaverei v e r g e s s e n e Gedächtnis der Vo l k s - (rodnitě) Heiligen.“ Cărkoven Vestnik, 21.5.1932, Nr. 21, S. 236. 770 Cărkoven Vestnik, 21.5.1932, Nr. 21, S. 236. 771 Cărkoven Vestnik, 21.5.1932, Nr. 21, S. 236.

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Der Feiertag wurde ganz selbstverständlich als das entscheidende Element der Produktion und Reproduktion nationaler Identität wahrgenommen: Die Umdeutung der Feiern beträfen die „ganze nationale (nacionalna) Geschichte“ und das „ganze nationale (narodnostno) Dasein“ der makedonischen Bulgaren.772 Gänzliches Vergessen herrsche dagegen in dem Griechenland eingegliederten Teil Makedoniens.773 So berechtigt der Zorn über die griechische Minderheitenpolitik aus bulgarischer Sicht war, so wenig zutreffend ist doch die Beschreibung dieses Teils Makedoniens als homogen bulgarisch. Insbesondere Saloniki wies zu Beginn des 20. Jh. weder eine slavische noch eine griechische, sondern eine jüdische Bevölkerungsmehrheit auf. Insgesamt gab der Feiertag daher Anlass zu „Freude“, aber auch zu „großer Trauer“.774 Diese Darstellung der Erinnerung an die Brüder im Rahmen des Verweises auf die „türkische Sklaverei“ hatte das ganz konkrete tagespolitische Ziel vor Augen, angebliche nationale Unterdrückung in den Nachbarländern auf den seit San Stefano von Bulgarien beanspruchten Gebieten plastisch zu machen. Die Beschreibung der 772 „Heute begehen sie dort keine ähnlichen Feierlichkeiten zu Ehren der beiden Brüder. Im von den Serben beherrschten Makedonien wurden die bulgarischen Soluner Aufklärer zu serbischen Nationalheiligen (narodni svetci) erklärt, da sie von Nationalität Serben gewesen seien und die gottesdienstlichen Bücher in die serbische Sprache übersetzt worden seien. Mit welchem ­Herzen wird ein makedonischer Bulgare an Kyrillo-Methodianischen Feierlichkeiten teilnehmen, wenn diese von jenen abgehalten werden, die hemmungslos seine ganze nationale (­nacionalna) Geschichte korrigieren und verleugnen, sein ganzes nationales (narodnostno) Dasein?“ ­Cărkoven Vestnik, 21.5.1932, Nr. 21, S. 237. 773 „Und im südlichen Makedonien, das von den Griechen beherrscht wird, ist nicht einmal die Erinnerung an den Feiertag der hll. Kyrill und Method geblieben. Die Griechen haben bereits zu Beginn des 19. Jh., als sie davon träumten, die ganze Balkanhalbinsel zu hellenisieren und das einstige Byzantinische Reich wiederherzustellen, in ihren Gottesdienstbüchern die Namen der Soluner bulgarischen Geheiligten entfernt. Und nach ihrer Etablierung in der Heimat der Slavo-bulgarischen Aufklärer untersagten sie dort auch den slavischen Gottesdienst, slavische Bücher, das slavische Alphabet, wie sie auch in der Heimatstadt der heiligen Brüder die ihrem Namen geweihten Kirchen zerstörten. Und heute ist im Vaterland der ersten slavischen Schriftsteller, welche die ersten slavischen Bücher in ihrer Muttersprache schrieben und den Anfang der reichen slavischen Literatur machten, streng jedes slavische, jedes bulgarische Buch ver­ boten. (…) – in der Heimat der heiligen Brüder haben sie verboten, dass ihre Sprache ­gesprochen werde.“ Cărkoven Vestnik, 21.5.1932, Nr. 21, S. 237. 774 „Deshalb ruft der leuchtende Tag der Soluner heiligen Brüder, der (…) im ganzen Zarenreich feierlich begangen werden wird, neben Freude auch große Trauer hervor, denn er trägt uns in die verknechteten heimatlichen (rodni) Gebiete, er bringt uns dazu, dass wir an diese unsere unglücklichen Brüder denken, die sich mit qualvoll versteckten Tränen an die ruhmreichen und lieben Feiern dieses Tages in der unfernen Vergangenheit erinnern, und daran, dass es ihnen heute unmöglich ist, ihren eigenen (rodnitě) Heiligen die würdige Ehre zu erweisen. Make­donien und Thrakien, die während der türkischen Sklaverei stolz auf den Feiertag der hll. Kyrill und Method waren, leben heute nur mit den Erinnerungen der Vergangenheit an diesen all­nationalen (Vse­ naroden) Feiertag und sie schöpfen aus diesen lieben Erinnerungen Befriedigung und s­ tärken sich in ihrem jetzigen rechtlosen, schweren Leben.“ Cărkoven Vestnik, 21.5.1932, Nr. 21, S. 237.

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Entwicklung des Feiertags und der Erinnerung an seine Feiern sollte metonymisch für die bulgarische Geschichte die Gegenwart aus der Vergangenheit erklären und in der bulgarischen Leserschaft Sympathien stärken. Das offizielle Organ der BOK machte sich damit zum Sprachrohr expansiver nationaler territorialer Ansprüche der (exil) makedonischen Organisationen. D 4.2.6  Die Abkehr der nationalen Kirchenführer von der transnationalen Verehrung

Dennoch hielten sich Reste einer transnationalen Verehrung der Brüder: Noch 1934 waren im „Volkswächter“, der von 1937 an als Publikation des Bistums Sofia erschien, Zeilen von D. Rozalin auf Kyrill und Method zu lesen, die unter dem Titel „Die hll. Kyrill und Method und die slavische Einheit“ zur Einmütigkeit der Slaven aufriefen: „Unter den Brüdern werden die Russen, / Die Serben, Bulgaren und Tschechen, / Und die Kro­ aten und Slowaken, / Ihre Erfolge ernten. / (…) Den Geist der Boshaftigkeit – den bösen Geist – / besiegt ihr Wort: / Das wird sich in Belgrad zeigen, / Die beiden Kronen mögen sich treffen, / mit dem Ziel, den Geist des bösen Hasses / Zu vertreiben, mögen sie Erfolg haben! / (…) Heilige Kyrill und Method, / Ruhm euch, unsterblicher Ruhm, / Dass euer Geist / Die slavischen Völker vereinige!“ 775

Transnationale Verehrung stand aber direkt in der Konkurrenz zum Entwurf einer natio­ nalistisch gedachten orthodoxen Modernität: Gleichfalls die Zeitschrift „Volkswächter“ berichtete am 1. Juni 1934 zum „Feiertag der Bildung“ wie gewöhnlich auch und ­besonders vom „Werk der hll. Kyrill und Method“. Antim, Bischof von Trajanopol, passte dabei religiöse Erinnerung nicht nur dem nationalen Diskurs an. Er ging beinahe so weit, die religiöse Bezugsebene zugunsten der nationalen zunächst ganz auszublenden: So schrieb er von „Persönlichkeiten“, die für „die Kultur und die Zivilisation, für den riesigen (gramadnija) Fortschritt der modernen Menschheit (…) wissenschaftliche Erkenntnisse, ihre natürlichen Gaben zum allgemeinmenschlichen Nutzen auf den natio­ nalen Altar tragen“. Als Beispiele solcher „nationaler Werktätiger von globaler kultureller Bedeutung“ nannte er die Brüder, durch deren „geniales Werk“ die bulgarische Nation lebe.776 Ganz wie im weltlichen, kulturgeschichtlichen und nationalen Zusammenhang wurde hier der beiden Brüder in erster Linie als Kultur-, Zivilisations- und Modernitäts­träger 775 Naroden Straž, 15.5.1934, kn. 7, S. 2. 776 „Anlässlich des Feiertags der Bildung“ schrieb er zum „Werk der hll. Kyrill und Method“: „Für die Kultur und die Zivilisation, für den riesigen (gramadnija) Fortschritt der modernen Menschheit ist es unzweifelhaft, dass einzelne Persönlichkeiten geholfen haben und helfen, die ihre Entdeckungen, ihre wissenschaftlichen Erkenntnisse, ihre natürlichen Gaben zum allgemeinmenschlichen Nutzen auf den nationalen Altar tragen. (…) Auch wir, die Bulgaren, haben solche nationale Werktätige von globaler kultureller Bedeutung in den Personen der beiden Soluner Brüder, der hll. Kyrill und Method, durch deren geniales Werk das bulgarische Volk sich in der Vergangenheit erhöht hat und in der Gegenwart lebt.“ Naroden Straž, 1.6.1934, kn. 8, S. 3.

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gedacht. Neben diesen Sätzen stand in traditioneller, aber nationalisierter Rhetorik ein aktualisierter heilsgeschichtlicher Zusammenhang: „Sie sind unsere beiden lichttragenden Sterne, die am makedonischen Weißmeerhorizont erschienen, und unserem Volk den Weg Gottes gewiesen haben.“ 777 Bischof Antim hob sodann das Ziel hervor, die Brüder zu einem „Vorbild für die Belehrung der jungen Generation“ zu machen,778 und stellte sich damit selbst sowie die BOK insgesamt als Vorbild dar. Alte Formeln wie die der Apostelgleichheit der Brüder wurden neu in Worte gefasst und säkularisiert, Heilsgeschichte wurde in dem Text des Bischofs slavische, aber insbesondere bulgarische Geschichte.779 Die Nationalisierung der religiösen Erinnerung durch den Bischof ging weiter als in früheren Texten: Der Tag der Heiligen schien nicht primär Gelegenheit zu sein, diese um Fürbitte zu bitten, ­sondern sollte „das Symbol der geistigen Größe und Macht des bulgarischen Volks­ genius“ darstellen. Obschon die religiöse Verehrung der beiden Brüder in diesen ­Sätzen noch präsent war, trat nicht mehr Gott, sondern ein „bulgarischer Volksgenius“ als ­Demiurg zutage, der im Wettstreit mit einer „fremden kulturellen Welt“ stand.780 Kyrill und Method gaben dem Bischof Gelegenheit, sich die Kulturträgertheorie anzueignen und das eigene Volk zu einem regionalen und globalen Faktor zu „erheben“: Der Bischof vertrat die These, „das bulgarische Volk“ sei durch die beiden Brüder „zum kulturellen Faktor auch in der Weltgeschichte“ geworden.781 Immer wieder neu wurden der auf den heiligen Brüdern basierende Ursprungsmythos bulgarischen Bewusstseins und seine Erneuerung durch Paisij erzählt und neuen Generationen vermittelt.782 Auch die bereits 777 Naroden Straž, 1.6.1934, kn. 8, S. 3. 778 „Am Tag des allnationalen (vsenarodnija) bulgarischen Feiertages der Bildung gedenken wir deren nutzbringender (polzotvorni), kultureller Taten und Verdienste, wir ehren ihr Gedächtnis, wie wir ihr heiliges Leben als ein Vorbild für die Belehrung der jungen Generation erachten.“ Naroden Straž, 1.6.1934, kn. 8, S. 3. 779 „Die beiden Brüder nehmen in der Geschichte des Slaventums einen solch hohen Platz ein, wie die Apostel in der Geschichte der christlichen Völker.“ Naroden Straž, 1.6.1934, kn. 8, S. 3. 780 „Der Tag dieser Geheiligten (svetiteli) ist der Feiertag der bulgarischen Bildung, das Symbol der geistlichen Größe und Macht des bulgarischen Volksgenies (naroden genij), welches Riesen wie die hll. Kyrill und Method geschaffen hat, mit denen wir uns auch vor der fremden ­kulturellen Welt (pred čuždija kulturen svět) brüsten können.“ Naroden Straž, 1.6.1934, kn. 8, S. 3. 781 „Das bulgarische Volk erhob sich durch diese seine würdigen Söhne und durch ihr schöpfe­ risches Ausbildungswerk (prosvětno dělo) nicht nur in die Lage eines Kulturträgers (nositeľ na kultura) unter den genannten benachbarten Völkern, sondern konnte sich auch in der globalen (vsemirnata) Geschichte als ein kultureller Faktor erweisen.“ Naroden Straž, 1.6.1934, kn. 8, S. 3. 782 „Es gab aber eine Zeit, während der unser Volk in schwere und unerträgliche Not und Leiden gefallen war. (…) Während all dieser Zeit aber hielt sich der Geist der bulgarischen Erst­lehrer und Aufklärer in der Mitte der Finsternis dieser düsteren Sklaverei, und nicht nur einmal ­leuchteten helle Morgenlichter des nationalen Bewusstseins auf, bis zuletzt dieser Geist sich ganz offenbarte durch den Athosmönch Vater Paisij (…). Und das bulgarische Volk erschrak. Es bewegte sich und wurde sich erneut durch den Glauben und die Bildung bewusst, die ihnen die heiligen

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dargelegte Instrumentalisierung Kyrills und Methods im Streit um Makedonien spitzte Bischof Antim zu, wo er den „Geist“, der durch die Brüder „eingepflanzt“ worden sei, als nationale „Kraft“ beschrieb.783 Durch diesen „Geist“ oder diese „Kraft“ sei Makedonien „stark“ geworden und „schon zur türkischen Zeit“ „zu einer unauslöschlichen Feuerstätte des bulgarischen Bewusstseins“, zur „unerschöpflichen Quelle bulgarischer Kraft“ geworden.784 Makedonien sollte mit der Referenz auf die Brüder zum Wesenskern der bulgarischen Nation werden. Nach diesen Ausführungen – die eindeutig auf eine terri­toriale Aneignung Vardar-Makedoniens durch Bulgarien appellierten – erhob Bischof Antim das Gedenken an die beiden Brüder an ihrem Feiertag explizit zur „nationalen Pflicht.“ 785 Erst nach dieser nationalen Umdeutung und Aufladung des Gedenkens besann er sich auf religiösen Inhalt – allerdings ebenfalls im national gewendeten Sinne: Die schließlich genannte persönliche Existenz der Heiligen im Jenseits als „Fürsprecher“ entsprach alter Religiosität – neu war die Einschränkung und Verdichtung dieser Rolle durch „Blutsbande“ auf das „bulgarische Volk“.786 Dieser Text aus der Feder eines Bischofs setzte neue Maßstäbe in der Nationalisierung der Erinnerungskultur um die beiden Brüder – bisher waren sie stets auch in einem transnationalen Sinne verehrt worden, als Apostel der Slaven. Eine Rolle als Nationalheilige, als „Fürsprecher“ für das als homogene konfessionelle und ethnische Einheit imaginierte „ganze bulgarische Volk“ hatten sie noch nie gespielt. Bischof Antim ­weitete in diesem Text die Vermengung des in säkularen Reden bereits etablierten natio­ nalen Diskurses um die Heiligen mit dem sakralen Sprachfeld ohne Zurückhaltung aus.

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Brüder gegeben hatten, denn die Kirche und die Schule sind die mächtigen Faktoren, die die Volkskräfte stark und groß machen.“ Naroden Straž, 1.6.1934, kn. 8, S. 3. „Und waren wir nicht durch die Kirche und die Schule bis vor kurzem stark auch in Make­donien, wo das bulgarische Exarchat das Werk der hll. Kyrill und Method fortsetzte? Und heute, wenngleich unser Volk dort unter der Herrschaft von Nachbarn steht, so ist es doch genügend erstarkt und kämpft mit vollem nationalen Bewusstsein um seine Rechte für die Kirche und Schule, mit dem Geist in sich, der schon zur Zeit der heiligen Brüder eingepflanzt worden war.“ Naroden Straž, 1.6.1934, kn. 8, S. 3. „Dieser Geist ist jene Kraft, welche Makedonien stark gemacht hat, hartnäckig, ungebrochen (neprigăvana) von den feindlichen Schlägen durch die ganzen tausend Jahre der bulgarischen Nationalität, und damit hat er Makedonien zu einer unauslöschlichen Feuerstätte des bulgarischen Bewusstseins schon zur türkischen Zeit gemacht, eine unerschöpfliche Quelle bulgarischer Kraft, eine ewige Wiege bulgarischer Sehnsüchte und Ideale.“ Naroden Straž, 1.6.1934, kn. 8, S. 4. „Wenn wir am Tag des Feiertags der hll. Kyrill und Method ihr Gedächtnis ehren, erfüllen wir gegenüber ihnen unsere unzweifelhafte nationale Pflicht (nacionalen dălg). Und das muss auch unsere Freude und unser nationaler Stolz sein.“ Naroden Straž, 1.6.1934, kn. 8, S. 4. „Wenn wir diese ehren, ehren wir unser eigenes bulgarisches Volk, das diese großen Söhne geboren hat. Damit schätzen wir auch seine Vergangenheit hoch, ehren seine Geschichte – mit einem Wort, wir zeigen uns als gute bulgarische Söhne, verbunden durch Blutsbande mit dem eigenen Volk. (…) Ehre den heiligen Brüdern, die vor Gott für das ganze bulgarische Volk ­Vertreter und Fürsprecher (zastăpnici i chodatai) sind.“ Naroden Straž, 1.6.1934, kn. 8, S. 4.

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Wie weitere Beispiele zeigen, war er nicht der einzige Hierarch der BOK, der keine ­Hemmungen gegenüber einer nationalistischen Aufladung kannte. Vermehrt wurde die Erinnerung an die Erinnerung aufgegriffen – die unablässige Wiederholung der Erinnerungsanlässe führte zur Reproduktion und Vergegenwärtigung nationaler Identität. Stärker als im 19. Jh. wurde diese Verbindung nationaler mit kon­ fessioneller und ,historischer‘ kollektiver Identität auch in Predigten vertreten – und nicht nur in Kirchen, sondern auch in der übergreifenden Öffentlichkeit. So hielt Metro­polit Maksim in Plovdiv 1934 auf dem „großen Platz ,Zar Simeon‘“ eine der beiden Reden anlässlich des Feiertages der heiligen Brüder: „Die Rede seiner ehrwürdigen Eminenz (N. V. Preosveštenstvo) war kurz, aber umfasste die gewaltige historische Bedeutung des Feiertages vollumfänglich“, wie der Berichterstatter einführte. Der Metropolit fasste die 80-jährige Geschichte der Verehrung Kyrills und Methods an Plovdiver Schulen zusammen. Sie und der Kirchenkampf sollten „dem bulgarischen Geist, dem nationalen (narodnoto) Bewusstsein, einen großen Anstoß“ gegeben haben.787 Gerade die Feiern hätten damals die Stadt von einer griechischen Stadt zum bulgarischen Plovdiv gemacht – und damit die Grundlage für die Gegenwart sowie die Zukunft gelegt.788 Der Metropolit öffnete hier den Rahmen der religiösen Erinnerung auch zur Erinnerung an ihren weltlichen Einsatz als Schulpatrone. D 4.2.7  Die Nation als Glaubensfrage – Bischöfe im nationalpolitischen ­Wettkampf

Auch in den späten 1930er-Jahren wurde die Nationalisierung des Gedenkens an die Brüder gerade durch Kirchenfürsten gefestigt und vorangetrieben: Bischof Nikodim gab im „Kirchenboten“ 1939 den Inhalt der „Vermächtnisse (zavetitě) der hll. Kyrill und Method“ mit dem Erhalt der konfessionellen und der ethnischen Einheit des Slaventums an.789 Trotz dieses Beginns beschränkte sich seine Argumentation gleich auf einen immer engeren bulgarischen Zusammenhang: Die durch die Brüder gelegte Grundlage

787 „,Erst vor 80 Jahren, sagte seine ehrwürdige Eminenz, hat man hier in Plovdiv zum ersten Mal den Tag der hll. Kyrill und Method an der gelben Schule – am Seminar gefeiert. Die Kämpfe um die Kirchenfrage, die in Plovdiv geboren wurden, gaben dem bulgarischen Geist, dem natio­ nalen (narodnoto) Bewusstsein, einen großen Anstoß (tlasăk).“ Naroden Straž, 1.6.1934, kn. 8, S. 16. 788 „Die Ikone der hll. Kyrill und Method wurde von den Schülern getragen, und das Tropar ,Wie Apostel sittlich… (edinonravii)‘, gesungen, zwei Brüder, zwei Lichter, zwei Brillanten, mit ­diesen Volksfesten und Feiern, so schloss Vater Maksim, verwandelte sich Plovidv von der elinokotatipolis – zu Plovdiv, in welcher Stadt wir mit gleicher Menge und ebensolcher Feier­ lichkeit heute feiern. So leuchtend und feierlich feiert und wird heute und in Zukunft ganz ­Bulgarien feiern, das ganze bulgarische Volk heute und immer zu Ehren und im Gedächtnis an die heiligen Brüder: Kyrill und Method.“ Naroden Straž, 1.6.1934, kn. 8, S. 16. 789 „Das Vermächtnis der heiligen Brüder ist – dass alle Slaven in der orthodoxen Kirche Christi vereint werden und dass sie darin bestärkt werden, Slaven zu bleiben.“ Cărkoven Vestnik, 19.5.1939, Nr. 21, S. 242.

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bulgarischer Kultur, die „bulgarische Schriftlichkeit und die bulgarische selbständige nationale (narodna) Kirche“ seien „die Voraussetzungen für unsere politische Befreiung“, „das Unterpfand für unsere zukünftige kulturelle Tätigkeit als Volk“ sowie insgesamt „die Vermächtnisse der heiligen Brüder Kyrill und Method“.790 Der Bischof machte den Fortbestand des Volkes ganz von diesen „Vermächtnissen“ abhängig: „Wenn unser Volk sich an diese Vermächtnisse hält, dann wird es sich als Volk bewahren.“ Der Geistliche erklärte den Gläubigen, die Zugehörigkeit jedes einzelnen Bulgaren zur bulgarischen Nationalität sei vom individuellen Bekenntnis zu den sogenannten „Vermächtnissen“ der Brüder abhängig.791 Nicht ethnische Kriterien oder andere, sondern die Sprache und der Glaube, rhetorisch zugespitzt zur Loyalitätsfrage gegenüber den Heiligen, ­schienen gemäß der Zeitschrift der BOK den Bulgaren und den Fortbestand der gesamten Nation zu bestimmen sowie vor „Verehrern des Fremden“ zu schützen. Vor welchem „­Fremden“ glaubte aber das offizielle Organ der BOK, die Volksgenossen hüten zu müssen? Der aktuelle Anlass zur Formulierung der angeblich zeitlosen Vermächtnisse und zum Wunsch, die gesamte Bevölkerung auf sie einzuschwören, war ein Streit um den Besuch aus­ländischer Gymnasien.792 Mit dem Medium der Brüder glaubte Bischof Nikodim den als religiöse und ethnische Einheit vorgestellten Bulgaren vorschreiben zu können, was im aktuellen Alltag „Eigenes“ und was „fremde Ideologien“ seien. Über die Zu­ gehörigkeit zur Orthodoxie hinaus nahm der Bischof Kyrill und Method in den Dienst eines xenophoben Kulturverständnisses. Die Zugehörigkeit zur Nation wurde seitens der Kirche offiziell zur Glaubensfrage erklärt. Der Bischof wandte sich sodann aber gegen ein gänzlich säkularisiertes Verständnis des Gedenkens an die Brüder – ein solches sei vielmehr gerade den „geistig dem bulgarischen Volk und der Bulgarischen Kirche entfremdeten Leuten“ vorzuwerfen, denen der Tag nur ein „Kuriosum“ wie der „Neujahrswunsch“ sei und die „den Marsch der kirchlichen Prozessionen, der Militärtruppen und der begeisterten Schüler“ gering 790 „Der Beginn der bulgarischen geistlichen Kultur wurde ohne Zweifel von den hll. Kyrill und Method gemacht. Dieser Beginn ist die bulgarische Schriftlichkeit. Die bulgarische Schriftlichkeit und die bulgarische selbständige nationale (narodna) Kirche – das sind die Grundlagen unserer Kultur.“ Sie sind „die Voraussetzungen für unsere politische Befreiung. Sie sind auch das Unterpfand für unsere zukünftige kulturelle Tätigkeit als Volk. Dies sind die Vermächtnisse der heiligen Brüder Kyrill und Method, während Jahrhunderten von Geschlecht auf Geschlecht überliefert.“ Cărkoven Vestnik, 19.5.1939, Nr. 21, S. 242. 791 „Solange jeder von uns diesen Vermächtnissen dient und in die Richtung geht, die von den ­heiligen Brüdern und ihren Schülern vorgezeichnet ist, solange ist er ein Sohn seines ­Stammes. Leider sind heute sehr viele Gefangene und Verehrer des Fremden.“ Cărkoven Vestnik, 19.5.1939, Nr. 21, S. 242. 792 „Obschon von einer bulgarischen Mutter und einem bulgarischen Vater geboren, halten sich diese geistigen Fremdlinge unter uns nicht an die bulgarische Schriftlichkeit; sie schicken ihre Kinder in fremde Schulen und ernähren sich selbst mit fremder geistiger Nahrung. Diese sind keine lebendigen Mitglieder der bulgarischen orthodoxen Kirche; ihre Seele ist gefangen in fremden Ideologien, unterschiedlichen modernen Religionen (von denen eine der Kampf gegen das Christentum ist).“ Cărkoven Vestnik, 19.5.1939, Nr. 21, S. 242.

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schätzten.793 Nikodim kritisierte „vom Protokoll“ zur Anwesenheit verpflichtete Poli­ tiker – und damit rechtsgerichtete Politiker: „Allerdings hegen dieselben Leute oft den Anspruch, ,Führer (vodači)‘ des ,Volkes‘ zu sein, das etwas ihnen Fremdes ist – eine Masse, die sie lenken müssen, auf den rechten Weg weisen und zivilisieren.“ 794 Der Bischof wehrte sich nicht nur gegen ein verweltlichtes Verständnis der Feiern um die Brüder, sondern er verortete sich und seine Kirche in einem Wettkampf mit Politikern im Anspruch auf die Volksführerschaft. Nationale Identität war in den Augen des Bischofs untrennbar mit der BOK verbunden und nicht ohne religiöse Komponente denkbar. Er sah es offenbar als seine Aufgabe an, im Namen seiner Kirche die korrekte Praxis der Haltung zum Feiertag der Brüder einzufordern: Die Form der Teilnahme am Feiertag der beiden Brüder wurde zum entscheidenden Moment des öffentlichen Bezeugens der seitens der Staatskirche erwünschten nationalkonfessionellen und politischen Gesinnung. Nikodim fuhr des Weiteren fort, mit dem Mittel der konstruierten „Vermächtnisse“ der heiligen Brüder seine Feindschaft gegen „fremde“ Gesinnung zu rechtfertigen.795 Mit Kyrill und Method bewaffnet versuchte der Bischof, nicht nur im wichtigsten Publikations­organ der BOK öffentlich der – nicht explizit genannten – politischen Einflussnahme entgegenzuwirken, sondern letztlich auch eine Lösung der Schule von der Kirche zu bekämpfen und Meinungsfreiheit zu unterbinden. Sein politischer Gegenentwurf blieb nebelhaft und gründete auf dem Glauben sowie einer angeblichen „eigentümlichen bulgarischen Kultur“.796 793 „Für diese unserem Volk entfremdeten (otčuždeni) Leute ist der Feiertag der hll. Kyrill und Method im besten Fall so etwas wie der Neujahrswunsch oder der rituelle Weihnachtsgesang – etwas aus der guten alten Zeit, das sie gnädig als Kuriosum ertragen, das die graue Wirklichkeit vielfältig machen kann. Sie sind dem Enthusiasmus der Wiedergebärer (văzroditelitě) fremd, die diesen Feiertag zum bulgarischen Nationalfeiertag erklärt hatten. Sie sind geistig dem bulgarischen Volk und der Bulgarischen Kirche entfremdete Leute, wenn sie vom Protokoll verpflichtet sind, bei den Kyrillo-Methodischen Feierlichkeiten ,anwesend‘ zu sein, wenn sie in den Cafés mit Zigarre im Mund sitzen und mit gönnerhafter und abschätziger Miene den Marsch der kirchlichen Prozessionen verfolgen, der Militärtruppen und der begeisterten Schüler.“ ­Cărkoven Vestnik, 19.5.1939, Nr. 21, S. 243. 794 Cărkoven Vestnik, 19.5.1939, Nr. 21, S. 243. 795 „Fremde Schulen und fremde religiöse Propaganda, auf welche die innerlich vom Volk entfremdeten Personen teilnahmslos blicken und oft mit Sympathie, sind Mittel zur Zerstörung des eigentümlichen (samobitnija) bulgarischen Geistes (…). Wenn wir das Gedächtnis und Werk der hll. Kyrill und Method ehren würden, so würden wir den Verbreitern fremder Kultur in unserem Land nicht erlauben, dass sie ihre ,Verbundenheit‘ zu ihrem Ideal unterschiedlicher anders­ gläubiger Propaganda manifestieren. Wir würden es nicht erdulden, dass sie in unseren Schulen das Lehrfach entfernen, das die heiligen Brüder gelehrt haben: die rettende Lehre Christi. Wir würden es nicht erdulden, dass sie die Schriften unserer eigenen, durch jene geweihten (roden) Sprache schänden.“ Ebenso sei nicht zu dulden, „dass sie in derselben Sprache Hohn gegen deren und unseren Glauben schreiben und verbreiten“. Cărkoven Vestnik, 19.5.1939, Nr. 21, S. 243. 796 „Hoffentlich vereinen diese schweren und anstrengenden Zeiten, die wir durchleben, erneut alle Bulgaren um die von den heiligen Brüdern hinterlassenen Vermächtnisse: Orthodoxer Glaube

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Der „Kirchenbote“ ließ sich aber auch als Plattform eines weltlichen Nationalismus im Zeichen der Brüder gebrauchen: Der gleich anschließende Beitrag von Joto Nitov vertrat eine andere politische Einstellung. Er stand unter der Überschrift: „Die hll. Kyrill und Method – Symbol unserer nationalen Einheit.“ 797 Begeistert schrieb auch Nitov von den Feierlichkeiten und stellte zunächst den Feiertag zu Ehren der Brüder ins ­Zentrum, nicht aber diese selbst.798 Obschon das „Werk“ der Brüder dem Slaventum galt, standen ganz die „bulgarische Seele“ und die Identität „jedes Bulgaren“ sowie dessen Freiheits- und Glücksgefühl im Zentrum. Die Individualisierung der Erinnerung durch den exemplarischen „Bulgaren“ sollte eine weitere rhetorische Zuspitzung erzielen: „Das Feuer, das in der Seele des Bulgaren durch die Soluner Brüder entzündet worden war, ist nie erloschen.“ Es folgte ein postimperial wahrgenommenes Eingeständnis eines vermeintlichen historischen Rückstandes gegenüber anderen Völkern: „Es versteht sich, dass wir in vieler Hinsicht hinter den Völkern mit einer jahrhundertealten Geschichte sehr zurückstehen.“ Dies erkläre sich daraus, dass, während die Engländer und die Deutschen „sich ihrer Freiheit erfreuten“ und ihre „bedeutenden Denker und Philo­sophen hatten“, die Bulgaren „in schwarzer Sklaverei und in Vergessenheit“ verharrten. Dennoch seien die Leistungen der Bulgaren gleichermaßen respektabel: Sie hatten ihre „Riesen“ nicht in der Wissenschaft, „sondern im Werk (děloto) unserer natio­ nalen Einigung und Befreiung“.799 Für die aktuelle Situation seien „Selbstverneinung und Selbstaufopferung“ gefragt, um mit einem „Geist des einen Willens“ „die leuchtende Zukunft“ zu gestalten.800 Deutlich beeinflusst vom totalitären politischen Denken, das sich zu Beginn der 30er-Jahre in Italien und Deutschland durchgesetzt hatte, sollte der im Rahmen des Gedenkens an die Brüder beschworene „Geist“ das Volk zu einer homogenen Einheit auch im Denken verbinden, um dieses zum selbstlosen Werkzeug der politischen Führung des Zaren zu und eigentümliche bulgarische Kultur“. Cărkoven Vestnik, 19.5.1939, Nr. 21, S. 243. 797 Cărkoven Vestnik, 19.5.1939, Nr. 21, S. 243. 798 „Das bulgarische Volk hat einen leuchtenden Feiertag, an dem die Jugend sich beflügelt, b­ egeistert und geeint fühlt, mit erhabenem Drang zu Schaffenskraft und zu Opfern vor dem allgemeinen Wohl (obštoto blago) der Heimat. An diesem Tag erlebt jeder Bulgare, aber am meisten die lernende Jugend, ihre erhabensten Gefühle der Dankbarkeit und Anerkennung gegenüber dem großen Werk der beiden Soluner Brüder der hll. Kyrill und Method, das diese für das Slaventum vollbracht haben. Es gibt keinen Feiertag, an dem die bulgarische Seele sich so frei und be­­ flügelt fühlt, getragen vom Sturmwind der stürmischen Träume und Sehnsüchte, wie an ­diesem leuchtenden Feiertag!“ Cărkoven Vestnik, 19.5.1939, Nr. 21, S. 243. 799 „Aber damals träumten wir und kämpften um unsere Freiheit – diese hellste göttliche Gabe, und wir hatten unsere Riesen nicht in der Wissenschaft, in den Erfindungen und abstrakten Weisheiten, sondern im Werk (děloto) unserer nationalen Einigung und Befreiung.“ Cărkoven Vestnik, 19.5.1939, Nr. 21, S. 243. 800 „Heute, in diesen schweren Zeiten, in diesen wichtigen historischen Momenten für unser Volk und unseren Staat, müssen wir alle von diesem Geist des einen Willens, des einen Gefühls, des einen Denkens erfasst werden, damit wir die leuchtende Zukunft unserer Heimat schaffen.“ Cărkoven Vestnik, 19.5.1939, Nr. 21, S. 244.

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machen.801 Die Beschwörung der Einheit und des Gehorsams gegegenüber dem Zaren erfolgte vor dem Hintergrund einer strategischen Lagebeurteilung.802 Der Autor versuchte, die Bulgaren moralisch auf die Möglichkeit eines Krieges vorzubereiten. Der Sprung von der Lageanalyse und dem Rückblick auf frühere, tapfer geführte Kriege hin zu den „Vermächtnissen“ der beiden Heiligen allerdings war denkbar zusammenhangslos. Mit der Rede über die beiden Brüder als „Emblem“ und „Symbol“ von Vergangenheit und Zukunft näherte sich der Versuch ihrer nationalistischen Indienstnahme zu geopolitisch untermauerten, kriegerischen Zwecken der Absurdität. Dennoch gab das wichtigste Organ der BOK auch hierzu das „gut zum Druck“. D 4.2.8  ,Für die rassische Kultur und Zivilisation‘ – Kyrill und Method als Kern eines weltlichen Nationalismus

Der bereits in den 20er-Jahren einschlägig publizistisch tätige Folklorist Dr. Nikola S. Bobčev schrieb 1932 in der Zeitschrift „Slavische Bibliothek“ über Kyrill und Method weiterhin aus einer auf das Slaventum insgesamt blickenden Warte. Er grenzte dieses von der „römisch-katholischen Welt“ ab, welche die Feiern zu Ehren der Brüder zum Ausbau ihrer Vorherrschaft missbrauche.803 Damit wandte er sich gegen die Propa­ gierung der kyrillomethodianischen Idee, wie sie insbesondere von slowenischen und kro­atischen Wortführern vertreten wurde. Den „Arbeiten“ der Brüder bescheinigte er eine „beinahe das ganze Slaventum“ einigende Rolle.804 Offenbar als Vertreter der „Slavischen Gesellschaft in Bulgarien“ setzte er sich dafür ein, dem durch das „kyrillometho­ dianische Erbe“ „vorgezeichneten Weg“ zu folgen.805 Trotz der allslavischen Ausrichtung seiner Beschreibung Kyrills und Methods dürfte sein Sprachgebrauch jedoch kaum von 801 „Nur wenn alle Mitglieder eines Volks, eines Staates, von der einzigen hohen Pflicht gegenüber dem Zaren und dem Vaterland ergriffen und begeistert sind und diese Pflicht unbedingt erfüllen – nur dann kann dieses Volk mit Sicherheit entscheidende Schritte auf dem Weg seiner historischen Entwicklung machen.“ Cărkoven Vestnik, 19.5.1939, Nr. 21, S. 244. 802 „Wir befinden uns geographisch im Zentrum des Balkans, an jener Ecke, wo sich die poli­ tischen und ökonomischen Interessen der Großmächte verflechten und überkreuzen. Uns fällt die beneidenswerte Rolle zu, unseren Teil an der Erhaltung und am Aufbau des Friedens und des Wohlstandes auf dem Balkan zu haben. Und so, wie wir mutig und unbesiegbar waren zur Zeit der Kriege, die wir um unsere nationale (nacionalno) Einigung führten, lasst uns uns dieser Rolle würdig erweisen, die uns als Volk bevorsteht, und in dieser wichtigen geographischen Lage gestellt wird. Und deshalb werden die Vermächtnisse der heiligen Brüder Kyrill und Method ewig bei uns bleiben. Sie sind das Emblem unserer ruhmreichen Vergangenheit, das Symbol unserer, möglicherweise, noch größeren Zukunft.“ Cărkoven Vestnik, 19.5.1939, Nr. 21, S. 244. 803 Bobčev (1932), S. 19. 804 „Aus alldem ist ersichtlich, dass es den kyrillomethodianischen Arbeiten bestimmt war, zum Eckstein der slavischen Aufklärung zu werden und eine Rolle zu spielen, die beinahe das ganze Slaventum vereinte.“ Bobčev (1932), S. 17. 805 Mit dieser einigenden Rolle erklärte er, weshalb die „Slavische Gesellschaft in Bulgarien, die bereits das 4. Jahrzehnt ihres Bestehens beginnt, unnachgiebig dem Weg gefolgt ist, der den

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allen national begeisterten Slaven goutiert worden sein, deutete er doch kurzerhand die „slavische“ zur „altbulgarischen Schriftlichkeit“ um: „die slavische (oder insgesamt – die altbulgarische) Schriftlichkeit“.806 Der gesamtslavische Hintergrund diente nur zur transnationalen Profilierung der Bedeutung der bulgarischen Rolle in dem Vorgang.807 Der in Sofia, Zagreb und Wien ausgebildete Slavist und 1933 am Sofioter Geistlichen Seminar unterrichtende 808 Dr. Vasil Sl. Kiselkov unterstrich in seinem im gleichen Heft der Zeitschrift veröffentlichten kurzen Beitrag zum „Werk der slavischen Erstlehrer“ hingegen in markigen Worten dessen Folgen für Bulgarien, das er als nationale körperliche Persönlichkeit mit „Blut und Fleisch“ schilderte.809 Diese historistisch beeinflusste teleologische Sicht vermengte sich in seinem Text mit dem Geniekult: Die „slavische Schrift“ erklärte er zur „wunderbaren Frucht des Genius unserer und der allslavischen Aufklärer Kyrill und Method“.810 Die traditionelle Begründung der Heiligkeit Heiliger durch Wunder und Vita löste er durch eine säkulare, sachliche, „allgemeinmenschliche“ Legitimation ab.811 Die Nationalgenese der einzelnen slavischen Völker, ihre „nationale und kulturelle Absonderung“, beschrieb er so explizit wie noch nie als Grund für die Heiligkeit des Werks der Brüder und damit selbst als einen Bestandteil des Heilsplanes.812 Diese Argumentationslogik bestärkte er gleich erneut und besonders am bulgarischen Fall.813 Nationalgeschichte wurde mit dem Medium des „heiligen Werks“ der Brüder in einen sakralen Bereich eingeschrieben. Diese Argumentation hätte zum Ausgangspunkt

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slavischen Völkern durch das kyrillomethodianische Erbe vorgezeichnet ist“. Bobčev (1932), S. 18. Bobčev (1932), S. 4. Die aus Mähren und Pannonien vertriebenen Schüler „trugen mit ihren Arbeiten zur Blüte der altbulgarischen Literatur bei, die auch zur allgemeinslavischen wurde“. Aus der bulgarischen Zufluchtsstätte drang dann die „slavobulgarische Schriftlichkeit“ auch „zu den Serben und den Kroaten“. Bobčev (1932), S. 16. Letzteres geht aus seiner Edition der pannonischen Legenden Kyrills und Methods hervor: Žitija na svetitě bratja Kiril i Metodij (Panonski legendi), Titelseite. „Kraft ewiger und unumstößlicher Gesetze der historischen Notwendigkeit (neochodimosť), geschahen damals einige große Ereignisse, die dem mittelalterlichen Bulgarien Blut und Fleisch gaben und auf ewige Zeiten das nationale (narodnostnija), religiöse und kulturelle Antlitz ­unseres Staates formten.“ Kiselkov (1932), S. 20. Kiselkov (1932), S. 22. „Es ist eine alte und allgemein anerkannte Wahrheit, dass das kyrillomethodianische Werk ein erhabenes und heiliges ist – und das nicht nur vom bulgarischen und slavischen, sondern auch vom allgemeinmenschlichen Standpunkt aus beurteilt.“ Kiselkov (1932), S. 22. „Erhaben und heilig“ sei das Werk, „weil es alle slavischen Völker – die einen mehr, die ­anderen weniger – mit den lebensspendenden Strahlen der Lehre Christi bestrahlte, und ihnen die Möglich­keit gab (…), sich geistig zu erneuern, mittels der religiösen und ethischen Prinzipien des Erlösers, und auf dem Weg ihrer nationalen und kulturellen Absonderung (obosoblenie) zu schreiten“. Kiselkov (1932), S. 22. „Groß und heilig ist dieses Werk besonders für unser Volk, da es ihm nur mit seiner Hilfe gelang, gewissermaßen unmerklich und schmerzlos gegenüber dem ständig anwachsenden byzantinischen

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einer messianischen bulgarischen Ideologie werden können – vorderhand lief sie aber bloß auf eine belehrende Rolle der Bulgaren gegenüber den übrigen Slaven hinaus.814 Dies waren die stark nationalisierten und doch sakralen Gründe, deretwegen der Brüder gedacht werden sollte – was die Bulgaren auch – im Widerspruch zu anderen Publizisten – unablässig getan haben sollten.815 Nicht nur der Anlass, sondern auch die hier beschriebene Weise des Gedenkens waren ganz vom traditionell religiösen Kontext gelöst und zur Sakralisierung der bulgarischen Nation eingesetzt.816 Mit der noch weiter als im 19. Jh. gehenden Ausweitung der Bedeutung der beiden Brüder auf den nationalpolitischen Diskurs sollte sich auch ihre Ausstrahlung auf weitere gesellschaftliche Bereiche steigern. Beispielsweise wurde 1930 mit den Namen Kyrills und Methods eine „Gegenseitig helfende Gemüse- und Obstdetailhandelswohltätigkeitsgesellschaft“ gegründet.817 Die Wahl ihres Namens darf mit der in Paragraph 32 ihrer Satzung festgelegten Pflicht der Mitglieder, „den guten Namen und das Prestige der Gesellschaft“ 818 zu hüten, verbunden werden – die Referenz auf die Brüder versprach sogar im Kleinhandel ein Maximum an sozialem Kapital. Die Brüder sollten hier zur Förderung kaufmännisch-bürgerlicher Tugenden eingesetzt werden.819 Allerdings ­blieben solche Beispiele die Ausnahme. Die nationale Aufladung des Gedenkens an die Brüder und die Popularisierung ­desselben wurde fortgesetzt: Denčo Marčevski publizierte 1934 in der vom Kriegs- und

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kulturellen Einfluss abzustumpfen (prităpi) und auf seinen Weg zum nationalen Aufschwung zu gelangen.“ Kiselkov (1932), S. 22. „Unsere literarische Blüte wiederum gab ihrerseits unserem Volk die Möglichkeit, in kurzer Zeit sein nationales, kirchliches und kulturelles Antlitz zu formieren und zum würdigen Lehrer der anderen slavischen Völker zu werden, namentlich des serbischen Stammes und des großen russischen Volkes, und sogar der nichtslavischen Rumänen.“ Kiselkov (1932), S. 43. „Schließlich verdient es angemerkt zu werden, dass das kyrillomethodianische Werk vom bulgarischen Volk durch alle Jahrhunderte hindurch geschätzt blieb.“ Kiselkov (1932), S. 44. Das „Gedenken an Kyrill und Method“ wurde angeblich „wie ein teures Heiligtum von Geschlecht zu Geschlecht und von Jahrhundert zu Jahrhundert übergeben, bis es auf uns gekommen ist, sodass auch wir unsererseits uns ehrfürchtig erinnern an die slavischen Erstlehrer und ihnen das verdiente Lob bezeugen.“ Kiselkov (1932), S. 44. Ustav na dr[užest]vo „Sv. Kiril i Metodij“…, S. 3. Ustav na dr[užest]vo „Sv. Kiril i Metodij“…, S. 11. Der Leitartikel der am 22. Mai 1933 veröffentlichten Einzelnummer ihres „Organes“ mit dem Namen „Hll. Kyrill und Method“ stand unter dem Titel „Welche Pflicht uns vor dem Patronats­ feiertag auferlegt ist“ und beschrieb insbesondere die Pflege eines „Kults der Disziplin und Moral“: „Schafft in Euch mit der sich als notwendig erweisenden Verstärkung des Bewusstseins einen Kult der Disziplin und Moral, und zeigt die Kraft und Bedeutung des Standes (săslovnosťta), wenn Ihr am 24. dieses Monats, an Eurem heiligsten Tag, am ,Heilig-Kyrill-und-­Method‘-Tag, am Feiertag Eurer Patrone, bei der Feier in geordneten Reihen Eure Geschlossenheit (­splotenosťta) manifestiert. Es mögen die heiligen Brüder Eure heiligen (světlata) Gedanken beschützen und Eure Wünsche nach mehr Freude und einer friedlichen Handelsarbeit verwirklichen.“ Sv. Sv. Kiril i Metodi [22.5.1933], S. 1.

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Bildungsministerium getragenen Reihe „Altes Bulgarien“ eine Broschüre über die „Heiligen Brüder“.820 1935 erschien als erstes Büchlein der „Bibliothek ,Große Bulgaren‘ Malerische Erzählungen“ eine literarische Aufbereitung der Viten durch Nikola N ­ ikitov.821 1936 veröffentlichte der schon genannte makedonische Publizist Todor ­Krajničanac unter demselben Titel wie schon seine 1930 auf Serbokroatisch erschienene Schrift „Kyrill und Method und das Slaventum“ eine Broschüre in bulgarischer ­Sprache im ­Sofioter Verlag „Rila“.822 Die Texte geben Einblick in unterschiedliche situative Identitäten desselben Verfassers. Während im ersten Text die beiden Brüder dazu dienten, den jugoslawischen, wenn auch die Bulgaren einschließenden, so doch implizit serbisch dominierten Nationenentwurf zu legitimieren, so stand nun ein bulgarisches nationales Projekt im Vordergrund der Argumentation. Zwar bekräftigte Krajničanac in den ersten Sätzen sein panslavisches Bekenntnis: „In der Kulturgeschichte des slavischen Volkes gibt es Ereignisse erstrangiger Bedeutung. Das große Werk (velikoto dělo) der Brüder Kyrill und Method ist die erste Aufklärung und geistige Kraft der gesamten Slavenheit in ihrem historischen Leben, denn diese sind die Erstschöpfer (­părvosăzdatelitě) der bulgarischen Schriftlichkeit, Zivilisation und Kultur. Generationen ­ferner Jahrhunderte, der nahen Vergangenheit und der Zukunft bestaunen die unsterbliche Großtat (­podvig) der beiden Apostel, ihre Begeisterung gegenüber ihrem nahestehenden (blizkoto) großartigen Werk, gegenüber der Kultur und Zivilisation in Europa.“ 823

Im Vergleich mit dem älteren Text fallen neue, dem religiösen Sprachgebrauch ent­ nommene Vokabeln auf wie die Rede von der „Großtat“. Im Weiteren rückte er aber immer mehr Bulgarien ins Zentrum seines Textes: „Fern in die Jahrhunderte, beim Bau des bulgarischen Staates, bei der kulturellen und staatlichen Emanzipation des Slavischen Stammes, nehmen die beiden Brüder Kyrill und Method einen ehrenhaften Platz auf den Seiten des nationalen Bewusstseins ein.“ Nationale religiöse Erinnerung wurde hier mit der Metapher eines nationalen Buches imaginiert. Krajničanac militarisierte seinen Wortschatz gleich anschließend: „Die kulturell siegreiche Waffe, das Blut der Helden ist die Größe des slavischen Geistes und das Antlitz eines mächtigen Staates ist die Illustration des mächtigen bulgarischen Nationalis­ mus (­nacionalizăm). Die bulgarische Sprache, das bulgarische Alphabet und [seine, S. R.] ­Formen ­schufen die Soluner Brüder Kyrill und Method. Der bulgarische Funke der Wiedergeburt ­(văzraždaneto) und die Freiheit wurden gestützt durch den Gruß der beiden Apostelgleichen. Sie sind ein Symbol des bulgarischen nationalen (nacionalno) Bewusstseins, sie sind die größten Erbauer (stroiteli) des Bulgarentums (bălgarščinata).“

820 Marčevski (1934). 821 Nikitov (1935b). 822 Krajničanec (1936), S. 3. 823 Krajničanec (1936), S. 3.

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Erstmals wurden damit die beiden Brüder nachdrücklich als ein nationales „Symbol“ interpretiert. Um seinen Lesern diesen Status zu verdeutlichen, leistete sich der Autor Redundanzen: „Wir Bulgaren, frei und unterdrückt, haben als Volk ein großes Symbol, und das ist das nationale Bewusstsein, das von den beiden Brüdern Kyrill und Method aus Saloniki begründet worden war: ,kämpfe für die Freiheit.‘“ 824 Ihr Ziel sei es ge­­ wesen, „das Unwissen unter den großen Volksmassen“ durch „Selbstaufopferung“ zu bekämpfen. Bulgarien erreichte durch ihre Bemühungen einen führenden Platz in der europäischen Geschichte: „Bulgarien wurde im 9. Jh. zur Feuerstelle (ognište) des Slaventums und wurde zum Vermittler reformatorischer Ideen, die Vorläufer der Renaissance in Europa waren.“ Zugleich war ihre Leistung aber auch eine ethnisch-nationale: „Das Werk Kyrills und Methods ist die ethnische Einheit des bulgarischen Volkes (…). Sie zeigten Begeisterung für patriotische Gefühle und ihre Werke erwiesen sich als Vorbilder der geistigen Kraft ihrer großen nationalen Vermächtnisse (nacionalni zaveti).“ 825

Kyrill und Method ließen sich ohne Weiteres in einen faschistisch beeinflussten natio­ nalistischen bulgarischen Diskurs einschreiben und sollten sogar zu seinen Stützen ­werden: „Um sich kennenzulernen, um sich selbst zu erkennen, seine Nation und seinen Staat, muss man alle Arbeiter, alle Erwecker (buditeli) und Führer (vodača) seines Volkes schätzen.“ Und: Kyrill und Method gaben „ein Beispiel des Willens für die kulturelle und politische Arbeit an der persönlichen rassischen (rasova) und kulturellen Freiheit“.826 Es galt, deutsche und italienische Schriften mit demselben Wortschatz und in der ihnen eigenen Logik zu übertrumpfen: „Mit ihrem Werk haben sie gezeigt, welche Bedeutung und Macht die slavische Rasse, Sprache und Zivilisation hat. (…) Ihre ­Epoche ist die Geburt (văzraždaneto) nicht nur der slavischen Rasse, sondern der ­gesamten christlichen Masse, die auf der Balkanhalbinsel lebt“. Die „Erhebung“ der „Rasse“ schien den S ­ laven im imaginären Konkurrenzkampf mit anderen „Rassen“ eine Existenz­berechtigung gesichert zu haben: „Sie erfüllten die Pflicht vor dem Volk und der ­Kirche, die Erhebung der Rassen (văsvišenija rasov), indem sie ihr Blut und ihren Leib für die Volksbe­freiung gaben, für die rassische (rasova) Kultur und Zivilisation.“ Trotz der Bedeutung des rassistischen Diskurses blieb in diesem Text auch eine christliche Komponente positiv bewertet.827 Erneut, diesmal unter bulgarischen Vorzeichen, wandte sich Krajničanac sodann dem südslavischen Projekt zu: „Die orthodoxe Kirche hat ausgezeichnete Diener hervor­ gebracht, die dem Weg Kyrills und Methods gefolgt sind, wie Kliment, Naum und Angelarius, Sofronij von Vraca, Paisij, Njegoš, Ilarion Marinopolski[damit muss Ilarion Makariopolski gemeint sein, S. R.], Neofit Bozveli, Strossmayer, der hl. Sava, Rački und viele andere.“ Bemerkenswert ist dabei nicht zuletzt der bloß zweitletzte Rang des hl. Sava – möglicherweise aus Rücksicht auf bulgarische Empfindlichkeiten.

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Krajničanec (1936), S. 3. Krajničanec (1936), S. 5. Krajničanec (1936), S. 7. Krajničanec (1936), S. 9.

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Auch die militaristische Instrumentalisierung der Erinnerung an die beiden ­Brüder fand in dieser Schrift neue Höhepunkte, wo ihr „Wort“ zum „slavischen Schwert“ wurde.828 Kyrill und Method wurden explizit zum Ursprung und Grund der „ewigen ­Rettung der slavischen Rasse“.829 Die Konstruktion eines „slavischen Volkes“ mit einer „­eigenen Seele“, einem „nationalen Charakter und einer „nationalen Existenz“ sowie einer „eigenen Psyche“ gipfelte in der Verankerung dieser Konstrukte in der Erinnerung an Kyrill und Method: „Die Bewahrer der slavischen Kultur und Nation sind Kyrill und Method.“ 830 Die Brüder wurden hier nicht als Schutzheilige der Bulgaren, sondern der „Kultur und der Nation“ beschrieben. Kyrill und Method, geboren in Solun, hatten Makedonien zur „Heimat“ – „(…) Makedonien, die Wiege der bulgarischen Zivili­ sation und Kultur“ bzw. die „Wiege des Bulgarentums (ljulkata na bălgarštinata)“.831 Vor ­diesem national-bulgarischen Hintergrund schilderte Krajničanac sodann einen Kampf zwischen den „Rassen“ und „Kulturen“ im 9. Jh.: „Es dominierte die lateinische Rasse mit ihrer modernen Kultur, Wissenschaft, Religion und Philo­logie. (…) Aber die großen Apostel und Arbeiter des slavischen Werks, Kyrill und Method, konnten durch ihre weise Predigt, ihr Wissen und ihre große Logik Widerstand leisten und die Assimilierung der Slaven aufhalten.“ 832

Im letzten Teil der Schrift lenkte der Verfasser auf der Grundlage der geleisteten Argumentation die Aufmerksamkeit des Lesers auf die Gegenwart: Die mithilfe Kyrills und Methods erlangte und imaginierte kulturelle und politische Emanzipation der „slavischen Rasse“ sollte nun (erneut) zur Grundlage einer Erneuerung Europas werden.833 Mit Verweisen auf den „großen Gelehrten Deutschlands Friedrich Burgerdorfer“ und sein „wissenschaftliches Buch ,Weshalb die weiße Rasse stirbt‘“ 834 sowie vermeintlich statistisch unterlegt zeichnete der Autor einen globalen „Kampf“ zwischen den Rassen nach.835 Ganz im diffusen diskursiven Fahrwasser des Panslavismus wurden sodann

828 „Ihr Wort war das slavische Schwert, mit dem der stolze Slave mit allen Feinden wie den ­Awaren, den Hunnen, den Germanen, den Rumänen (romăni) wie auch den Türken kämpfte.“ Krajničanec (1936), S. 9. 829 „Ihre Sprache wurde dem Volk gelehrt zur ewigen Rettung der slavischen Rasse, für das Leben und die ewige Existenz.“ Krajničanec (1936), S. 10. 830 Krajničanec (1936), S. 11. 831 Krajničanec (1936), S. 11, vgl. schon S. 9. 832 Krajničanec (1936), S. 17. 833 „Die schweren moralischen politischen und materiellen Krisen, welche die Folgen sind der Dekadenz der europäischen Kultur, schaffen günstige Bedingungen für einen großen politisch-slavischen Einfluss auf die Kultur der neuen, wiedergeborenen europäischen Zivilisation.“ Krajničanec (1936), S. 30. 834 Krajničanec (1936), S. 33 f. 835 „Die Slaven werden die beste Position und eine dominierende Stellung in diesem Kampf einnehmen, denn sie haben: Die Ethik, Altruismus, die Harmonie zwischen dem Leben und der Praxis.“ Krajničanec (1936), S. 34.

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russische, aber auch süd- und westslavische ideologische Autoritäten von Dostoevskij bis Zlatarski genannt.836 Neu für den südslavischen Zusammenhang dürfte die überdeutliche Verknüpfung mit der Rassenlehre sein.837 Der Bezug zu Kyrill und Method war durch die den Text begleitenden Illustrationen zum Leben der Heiligen sowie durch die Wiederholung der Begriffe Kultur, Nation und Zivilisation gegeben. Deutlicher war die Idealisierung der Akteure der Gegenwart und die Erinnerung an Kyrill und Method in Zuspitzungen wie: „Die Apostel der slavischen Vereinigung fußen hauptsächlich auf einer historischen Wahrheit, und das ist die rassische, sprachliche und kulturelle slavische Bewegung.“ 838 Mit solchen Sätzen fasste Krajničanac die beiden Zeitebenen, das 9. Jh. sowie das 20. Jh., in einem einzigen Erzählstrang zusammen: „Die großen slavischen Apostel Kyrill und Method haben das slavische Alphabet geschaffen und sie sind die Schöpfer des geistig-politischen Aufschwungs der slavischen Rasse.“ 839 „Die geistige Renaissance der slavischen Kultur hat ihre Lehrer in den Personen Kyrills und Methods. (…) Das Resultat ihrer Tätigkeit ist, dass sich das Slaventum heute im Aufstieg befindet.“ 840 Im Rückblick auf ihre Leistungen wurden die gegenwärtigen Handlungshorizonte gesichert. Im Gegenzug „schützt das slavische Volk“ ihre Verehrung: „Ihr Kult ist behütet vom slavischen Volk und erhebt sich wie ein Leuchtturm über seine kulturellen, politischen und nationalen Wünsche.“ 841 Krajničanac wendete damit seinen früheren, serbisch-jugoslawisch ausgerichteten Entwurf in eine bulgarische Richtung. Zudem verstärkte er die übergreifende slavische sowie die rassistische Bedeutungsaufladung Kyrills und Methods. Die der lateinischen „Rasse“ für das Mittelalter zuerkannte kulturelle und gesellschaftliche Modernität sollte in seinen Sätzen durch die Brüder auch den orthodoxen Slaven zugänglich werden. Der angesehene Schriftsteller Christo Cankov-Derižan veröffentlichte 1936 einen umfangreichen „Literarischen Sammelband“, dessen Erlös dem „Fonds zur Errichtung eines Denkmals zu Ehren Kyrills und Methods in Sofia“ zukommen sollte.842 Ein Drittel der Beiträge war bereits in dem 1921 vom Volksbildungsministerium herausgegebenen Band enthalten gewesen.843 Dem Fonds stand ein schon 1926 „unter dem Schutz des Volksbildungsministers“ eingerichtetes Komitee vor, dessen Vorsitzender Cankov-­Derižan war.844 1937 ließ Cankov-Derižan einen weiteren Sammelband weltlicher Dichtung zu Ehren Kyrills und Methods folgen, der gleichfalls der Errichtung eines Denkmals dienen und eine allgemeinslavische und sogar eine transkonfessionelle 836 Krajničanec (1936), S. 38. 837 „Das Kapital wird die moralische Dekadenz der romanisch-germanischen Rasse nicht verhüten können.“ Krajničanec (1936), S. 39. 838 Krajničanec (1936), S. 39. 839 Krajničanec (1936), S. 41. 840 Krajničanec (1936), S. 42. 841 Krajničanec (1936), S. 42. 842 Ravnoapostolitě Kiril i Metodi. Literaturen sbornik. 843 Sv. Sv. Kiril i Metodi 24/11 Maj 1921 god. 844 Ravnoapostolitě Kiril i Metodi. Literaturen sbornik, S. 123 f.

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Bedeutung der Brüder bestärken sollte. So zitierte er tschechische Texte in Übersetzung und verwies auch in einem eigenen Gedicht auf das Gedenken an sie im mährischen Velehrad.845 Zwei Kurzerzählungen, darunter eine von Cankov-Derižan, rückten Rom ins Zentrum.846 Die Bemühungen, den Brüdern in der Hauptstadt ein Denkmal zu errichten, blieben aber auf absehbare Zeit erfolglos.847 Dieser Versuch, die Ausrichtung des Gedenkens in eine übernationale Richtung zu wenden, blieb aber ohne größeren Erfolg: Die Deutung der Brüder als nationales „­Symbol“ festigte sich weiter. Die Tageszeitung „Utro“ glaubte am 23. Mai 1938, die „Wahrheit über die Herkunft Kyrills und Methods“ zu kennen. Sie versuchte, einen wissen­schaftlichen Anschein zu erwecken, indem sie „tendenziöse Behauptungen, die weder historisch noch wissenschaftlich begründet“ seien, ablehnte.848 Die geschichtswissen­schaftliche Debatte sollte in die Tagespresse übertragen werden. Es galt hier wie dort, die bulgarische Herkunft der Brüder, die immer mehr zur Grundlage der bulgarischen nationalen Identität und nationalen Geschichte wurde, mit dem Wahrheitsanspruch der Wissenschaftlichkeit zu beweisen. Diese Resultate der „Forschung“ sollten über ­Zeitungen mit großer Auflage die Massen erreichen. Mit der Zweigliederung der ­Schilderung der Gedächtnisgeschichte um die Brüder – erst seit 1850 werde das Gedenken an sie „als Symbol der Volkseinheit (narodnoto edinenie), Bildung und Kultur“ gefeiert –849 war dem Verfasser die qualitative Neuerung der Erinnerungskultur bewusst, die mit dem Wechsel von traditioneller religiöser Verehrung zur Verehrung als nationales „Symbol“ verbunden war. D 4.2.9  Massenfeiern und ihre nationale sowie kirchliche Aufladung

Sowohl Geistliche als auch weltliche Träger des Diskurses waren damit bestens vor­ bereitet, eine breitere Öffentlichkeit auch bei Massenversammlungen für ihre Deutungen zu gewinnen. Wie geschildert, wurden in Sofia in den 1920er und 1930 Jahren regel­mäßig feierliche Demonstrationen zum Gedenken an die Brüder veranstaltet (vgl. Abb. 27). Die Entwicklung gipfelte in der Organisation der Feierlichkeiten Ende der 1930er-Jahre:

845 Sbornik Kiril i Metodi, S. 8 f., S. 17 f., S. 34. 846 Sbornik Kiril i Metodi, S. 25 – 33, S. 40 f. 847 Erst 1972 wurde das erste entsprechende Denkmal in Sofia erstellt: Petrana Koleva, Ilija ­Pechlivanov, „Pametnici na Kiril i Metodij“, in: K-ME 3, S. 51 – 61, hier S. 59 (ohne Verweis auf die Initiative von Cankov-Derižan). 848 „Entgegen den verzweifelten, fantastischen und einer seriösen wissenschaftlichen Grundlage entbehrenden Herleitungen, ist heute wissenschaftlich bewiesen, dass KYRILL UND METHOD BULGAREN SIND.“ Dabei stützte sich die Zeitung angeblich auf Arbeiten des in Bratislava unterrichtenden russischen Gelehrten V. Pogorělov. Utro, 23.5.1938, Nr. 8637, S. 6. 849 „Alle diese wissenschaftlichen Daten haben die bulgarische Herkunft der Schöpfer des bulgarischen Alphabets und der Schriftlichkeit – Kyrill und Method – gänzlich festgestellt. Ihr großes Gedenken hütet das bulgarische Volk heilig seit Jahrhunderten und es feiert es feierlich seit dem Jahr 1850 bis heute am 24. (11.) Mai, als Symbol der Volkseinheit (narodnoto edinenie), Bildung und Kultur.“ Utro, 23.5.1938, Nr. 8637, S. 6.

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Am 24. Mai 1938 schrieb die Zeitung „Utro“ von der „öffentlichen Versammlung“ zu Ehren der Brüder, welche die „Akademische Vereinigung der Studenten der Univer­sität und der Akademie der Künste“ anlässlich des „Tages der Bildung“ organisierte. Der Rektor der Universität, Prof. Genov sowie der Philologe und spätere Bildungsminister Prof. Dr. Jocov sprachen zum Thema „Bulgarien und die slavische Welt“. „Der Rektor hob hervor, dass von den vier Staaten – dem der Franken, dem Byzantinischen Imperium und dem Arabischen Kalifat, die später zerfallen sind, nur der Staat der Bulgaren ein nationaler (nacionalna) Staat gewesen sei. Darauf erinnerte Prof. Genov, dass die Bulgaren den Feiertag der heiligen Brüder zum ersten Mal in der ,Zarenstadt‘ im Jahr 1866 gefeiert hätten, und dies völlig zufällig. Dank der Kirche und der Schule begann man das Gedenken an die Soluner Brüder jährlich zu ehren, bis es zum nationalen Feiertag wurde. Schließlich betrachtete Prof. Genov die Feier des Feiertages vor der Befreiung in Thrakien, Makedonien, in der Dobrudža und im Moravagebiet (Moravsko). Außer im freien Bulgarien wird der Feiertag heute auch in der Dobrudža begangen. In der letzten Zeit, haben die Serben eine gewisse Neigung gezeigt, die Begehung des Feiertages in Makedonien anzunehmen. Der Feiertag wird nur im griechischen Makedonien nicht gefeiert.“ 850

Der Rektor machte in diesen Sätzen die Geschichte des modernen nationalen Gedenkens an die beiden Brüder zum Kern des Erinnerungsdiskurses. Nicht die religiöse Verehrung stand im Zentrum seiner Aufmerksamkeit – die geographische Ausdehnung des historisierten Gedenkens an die Brüder steckte Bulgarien als imaginären Raum ab, der über die Grenzen des „freien“ Bulgarien hinausging. Die Einordnung des mittelalterlichen bulgarischen Reiches in einen globalgeschichtlichen Zusammenhang war dem Rektor nicht genug – in seiner Vorstellung sollte das damalige Reich wegen seines vermeintlich nationalen Charakters sogar eine globale Vorreiterrolle eingenommen haben. Die Zeitung vermittelte diese entworfene ,mental map‘ sowie das überaus selbstbewusste Geschichtsbild dem breiten Publikum. Professor Jocov ordnete in seiner Rede bulgarische Geschichte in den slavischen Kontext ein. Der explizite Verweis auf Kyrill und Method war zu diesem Zeitpunkt in dem bereits gefestigten Diskurs der Feiern zu Ehren der Brüder nicht mehr erforderlich: Bulgarische Geschichte war im Rahmen dieses Feiertages so selbstverständlich mit dem Werk der Brüder verbunden gedacht, dass sie nicht mehr erwähnt werden ­mussten.851 Die Argumentation zielte darauf, das momentane Handeln des Volkes und des Staates in einen legitimierten Zusammenhang zu stellen, den es aus dem sogenannten „Vermächtnis“ der Brüder herauszulesen galt. Mit der Referenz auf Kyrill und Method schien die kollektive Zukunft fassbar und planbar zu werden.

850 Utro, 23.5.1938, Nr. 8637, S. 6. 851 Die kommentierende Paraphrase seiner Rede macht deutlich, welche Funktion sie erfüllte: „Schließlich wies Prof. Dr. Jocov auf, wie und auf welchen Grundlagen dieses Vermächtnis, das uns von den Schöpfern unserer geistigen und politischen Freiheit und unserer Beziehung zur slavischen Welt vermacht ist, im heutigen historischen Moment befolgt werden sollte.“ Utro, 23.5.1938, Nr. 8637, S. 6.

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Neben diesem Erzählstrang, der die Geschichte des bulgarischen Volkes im Zusammen­hang mit den übrigen Slaven darstellte, dienten Kyrill und Method aber auch zur Abgrenzung gegenüber anderen Völkern, einschließlich orthodoxer Slaven wie der ­Russen. Ausländische Schulen in Sofia gaben Anlass zur Artikulation xenophober Gefühle, deren Medium die Brüder waren.852 In derselben Nummer der Zeitung wurde auch über den Anlass selbst berichtet: „Die Demonstration der Schülerarmee (armijata na učaštitě se)“.853 Bereits die Titelgebung weist auf eine Militarisierung der Feiern hin. Der Tag wurde zur Inszenierung nationaler Größe und der Einheit der Jugend mit ihrer Regierung auf den zentralen Straßen und Plätzen der Hauptstadt. „Fahnen“, „Musiken“ und „Nationaltrachten“ sowie „Schüler­ uniformen“ verstärkten den feierlichen Eindruck massenhafter Ordnung visuell und akustisch.854 Bis auf den Zaren und seine Familie nahmen die wichtigsten Träger der Staats­führung, der Armee, die Leitung der Universität und der Akademie der Wissenschaften sowie die Geistlichkeit an dieser aufwendig und mit militärischer Ordnung inszenierten Massenveranstaltung teil. Erst nach der Begrüßung dieser Persönlichkeiten durch „die Armee aus zehntausend Schülern“ 855 begann die eigentliche „Manifestation“:

852 So erschien in der Zeitung „Utro“ anlässlich desselben Feiertages am 26. Mai 1938 eine Karika­ tur, welche die beiden Brüder auf einer Wolke und mit Fernrohr und Feldstecher ausgestattet zeigte, wie sie den Demonstrationszug zu ihren Ehren bzw. zum Tag der Bildung verfolgen, aber nur Schüler mit folgenden Schildern erkennen: „Italienische Schule“, „Deutsche Schule“, „Französisches Collège“, „Amerikanisches College“, „Rumänische Schule“, „Türkische Schule“, „Griechische Schule“, „Russische Schule“, „Jüdische Schule“. Utro, 26.5.1938, Nr. 8639, S. 1. 853 Utro, 26.5.1938, Nr. 8639, S. 6. 854 „Besonders feierlich wurde der Feiertag der Bildung in Sofia begangen. Am frühen Dienstagmorgen begannen die Lernenden aller hauptstädtischen Schulen zum Platz vor der Kirche ,Al. Nevskij‘ zu strömen, angeführt durch ihre Fahnen und Musiken. Bereits um 9 Uhr stellte der Platz ein wogendes Meer von Kindern, Jünglingen und der Jugend dar. Mehr als 10 000 Schüler in den bunten Nationaltrachten und in den adretten Schüleruniformen waren in schönen Reihen um den Platz geordnet. Kurz nach 9 Uhr begannen die offiziellen Personen einzutreffen.“ Utro, 26.5.1938, Nr. 8639, S. 6. 855 „Um halb 10 Uhr musterte der Bildungsminister, Hr. Prof. Manev, die Schülerinnen und begrüßte sie zum Feiertag. Die Armee aus zehntausend Schülern antwortete munter und freudig auf die Begrüßung durch den Minister mit einem,Hurra‘ und schwenke die schönen Kyrill-und-MethodFahnen (kirilometodievskie znamenca). Der Kriegsminister Hr. Gen. Daskalov musterte und grüßte die Kadetten und Junker, die ebenfalls am Feiertag teilnahmen. (…) Metropolit Stefan hielt ein Bittgebet, unterstützt durch zahlreiche Geistliche. An diesem nahmen alle Minister teil (…), viele Parlamentarier, die höchsten Beamten des Bildungsministeriums, des Professoren­ kollegiums, angeführt durch den Rektor der Universität, Hrn. Prof. G. P. Genov, die Mitglieder der Akademie der Wissenschaften, viele pensionierte Lehrer, Schriftsteller, Künstler, Journa­listen etc. Nach dem Bittgebet hielt der Lehrer des zweiten Knabengymnasiums Hr. Pančo Pavlov eine flammende Rede zum Werk der heiligen Soluner Brüder. Danach sang der gemischte Chor

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„Nach dem Bittgebet fing die grandiose Manifestation der Schüler an. Kurz vorher begaben sich die Minister und die anderen offiziellen Personen zum Kriegsklub, wo sie auf der eigens errichteten Estrade Platz nahmen. Von dort wollten sie den Marsch der Schüler beobachten. Das Volk war zu Tausenden auf den Gehsteigen und Straßen, die der Marsch passieren sollte. (…) Einheitlich und schön gekleidet (…) schwenkten die kleinen Mädchen der städtischen Kindergärten ihre Fahnen und gingen als erste an der Tribüne mit den offiziellen Personen vorüber, indem sie diese mit einem lauten ,Hurra‘ grüßten. (…) Die Demonstration dauerte bis 1 Uhr.“

Der Massendemonstration auf den Straßen der Hauptstadt folgten Radioansprachen auch des Bildungsministers „auf Radio Sofia über die Bedeutung des Feiertags und das Werk der heiligen Brüder“, wie die Zeitung in ihrer sehr ausführlichen Berichterstattung mitteilte.856 Die Teilhabe am Großereignis wurde damit multimedial möglichst über das ganze Land hinweg ermöglicht. Trotz einer wachsenden Verbreitung des Mediums war es aber vergleichsweise immer noch schlecht zugänglich: 1938 waren in Jugoslawien mehr als 86 000 Radioempfänger im Einsatz – dies waren mehr Apparate als in Bulgarien, aber etwa fünfmal weniger als in Ungarn.857 Das Gedenken an die Brüder wurde zu einem vorrangigen Mittel der physischen Herstellung einer kollektiven Einheit des Volkes. Kollektive Selbstvergewisserung und die Festigung einer nationalen Identität fanden nach Jahren der von Intellektu­ellen gleichfalls mit Verweis auf die Brüder beklagten kulturellen „Krise“ selbstbewusst statt. Die Nähe zu faschistischen Massenveranstaltungen war den Organisatoren wie vielen Teilnehmern bewusst und führte sogar zu einer kurzen parlamentarischen und zeitungsöffentlichen Kontroverse: Minister Manev wurde in der Parlamentskammer darüber befragt, „dass eine Gruppe studentischer Legionäre, als sie vor der offiziellen Tribüne (…) vorüberging, mit einem fremden Gruß grüßte – mit dem ausgestreckten rechten Arm“. Dem Redakteur der Zeitung „Utro“ teilte er in dieser Frage mit: „Tatsächlich ist eine Studentengruppe (…) mit dem ausgestreckten rechten Arm vorübergegangen, mit einem fremden Gruß, der verboten ist für die jugendliche Schülerschaft, einschließlich der Studenten der Universität“. Der Minister führte aus, er habe sich mit den ­Studenten sowie dem Rektor der Universität darüber in Verbindung gesetzt und werde nach dem Erhalt der benötigten Informationen die entsprechende Frage vor dem Parlament beantworten.858 Die Feiern zu Ehren der beiden Brüder zur Feier des Tages der Bildung erfuhr in den 1930ern eine immer größere Aufmerksamkeit seitens des Staates und gesellschaftlicher Gruppen. Als Großanlässe wurden sie zur Gelegenheit, die von den Eliten angestrebte nationale Homogenität „des Volkes“ und dessen Einheit mit der Regierung zu bekräftigen.

der hauptstädtischen Gymnasien die Hymne auf die hll. Kyrill und Method.“ Utro, 26.5.1938, Nr. 8639, S. 6. 856 „Nach dem Mittag sprachen der Minister für Bildung, Hr. Prof. Manev, und der Vorsitzende des Bildungsbundes, Hr. Prof. St. Konsulov, auf Radio Sofia“. Utro, 26.5.1938, Nr. 8639, S. 1. 857 Marković (2001), S. 594. 858 Utro, 27.5.1938, Nr. 8640, S. 1.

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Auch die BOK machte sich die Vorstellung Makedoniens im Diskurs über die B ­ rüder zu eigen und begann, selbst aktiv einen religiösen Nationalismus zu propagieren. Umgekehrt entwarfen Wortführer der makedonisch-bulgarischen Emigration in Sofia mit dem Verweis auf die Brüder eine nationale Religion, die sie bewusst von christlicher Religion absetzten. Parallel beriefen sich Vertreter der BOK auch ohne Referenz auf Makedonien auf die Brüder, um ein modernes, auf „Kultur und Progress“ ausgerichtetes Leitbild der Orthodoxie in der Gesellschaft und damit eine attraktive orthodoxe Modernität zu entwerfen. Als staatliche Schulpatrone dienten sie insbesondere der Mobilisierung der lernenden und studierenden Jugend für den neuen Staat und national sowie religiös aufgeladener Gesellschaftsentwürfe. Zudem entwickelte sich etwa in den literarischen Werken Viktor D. Jurdanovs eine poetische sakrale Verehrung der Brüder, die „in neuen Hymnen und Gedichten“ nationalpolitisch-theologische Züge annahm, wo etwa festgestellt wurde: „Im Geist seid ihr Rivalen (săpernici) des Schöpfers“.859 Folgerichtig inszenierte Jurdanov schließlich in einer „dramatischen Phantasie“ einen direkten Dialog der Brüder mit dem „Schöpfer“ und dem „Slavischen Volksgeist“.860 Nach 1920 sollte der Gedenktag der Brüder als Gegenangebot gegenüber dem sozialis­tischen 1. Mai gleichfalls Massen mobilisieren. Zudem sollten mit diesem Feier­ tag die Expansion Bulgariens nach Makedonien beschworen und vermeintliche innere Feinde markiert werden. Die bulgarische Erinnerung an die Brüder sollte argwöhnisch beobachtete serbische Lesarten aushebeln. Häufig dienten die Brüder auch in Texten der Geistlichkeit zur Beschreibung einer religiösen und gleichzeitig nationalen sowie modernen Gesellschaft. Zudem festigten sich die sozialen Rahmen der an immer mehr Orten abgehaltenen öffentlichen Feiern. Die neuen Regeln wurden dabei auch kontrovers ausgehandelt: Neben Kirchenfürsten, die eine nationalisierte Religion förderten, ergriffen Geistliche das Wort, die Widerspruch gegen eine ganz säkularisierte Instrumentalisierung der Brüder äußerten. D 4.3  Kyrill und Method im Krieg als nationale ,Erlöser‘ (bis Ostern 1941)

Die Rolle der Brüder als Kristallisationspunkte eines exklusiven und sakralisierten bulgarischen Nationalismus festigte sich im Zusammenhang des Zweiten Weltkrieges weiter. D 4.3.1  Die Brüder als Kristallisationspunkte eines weltlichen bulgarischen Messianismus

Im April 1940 legte P. S. Kalkandžiev einen weiteren umfangreichen Sammelband vor, in dem die Brüder, ähnlich wie in den Sammelbänden von Cankov-Derižan, auch in „Gedichten, Liedern und Vorträgen“ verehrt wurden. Beispielsweise das darin ent­haltene,

859 Jurdanov (1939), S. 32. 860 Jurdanov (1939), S. 41 – 47.

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vor 1936 verfasste Gedicht „Solun“ von St. Čilingirov und die darin be­­schworene „Finster­ nis der Sklaverei“ stellte im Zusammenhang mit dem erneuten Weltkrieg neue Erwartungshorizonte her.861 Am 30. Mai 1940 veröffentlichte die Zeitung „Regen­bogen“ einen Rückblick auf die Rolle, welche die „kyrillomethodianische Frage während unserer Wiedergeburt“ gespielt hatte: „Wie wir begannen, den Tag der bulgarischen Volksbildung zu feiern.“ Er setzte ein mit der Feststellung: „Die kyrillomethodianische Frage bleibt auch heute der Puls (živeca) des slavischen Denkens. Sie ist der Mittelpunkt der kultu­rellen Kraft (văzmoga) der slavischen Völker – der Mittelpunkt im Leben der Bulgaren.“ 862 Diese kurze Darstellung einer Entwicklung der national ausgerichteten Beschäftigung mit Kyrill und Method während der teilweise sakral aufgeladenen „Wiedergeburt“ vermittelte der Leserschaft nicht so sehr Teile des damaligen Diskurses als vielmehr eine Begründung der gegenwärtigen und zukünftigen Gesellschafts- und Bildungspolitik.863 Die schon in den 30er-Jahren aufgeblühte populärwissenschaftliche Publizistik über Kyrill und Method mit didaktischem Inhalt machte Anleihen an der mitteleuropäischen Blüte der extremen Nationalismen. Die Brüder wurden zu Beginn der 40er-Jahre zu einem wesentlichen Kristallisationspunkt eines entstehenden messianischen bulgarischen Nationalismus. Der Schriftsteller und Historiker Zvezdelin Conev blieb in der Einleitung zu seinem 1940 veröffentlichten Büchlein „Die hll. Kyrill und Method. Die Epoche der slavischen Aufklärung“ zunächst noch ganz im Rahmen des bisherigen Diskurses.864 Allerdings erklärte er einige Seiten weiter das auf sie zurückgehende Alphabet zu „unserem Heiligtum“. Gleich darauf war seine Wortwahl aber deutlich martialischer als in Texten vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges: „Wegen dieses Alphabets, wegen dieser Sprache und Schriftlichkeit – unser Nationalstolz (naša nacionalna ­gordosť) – haben die wachen bulgarischen Söhne ihr Blut vergossen und sind mit einem Lächeln auf den Lippen gestorben.“ 865 Die Nation, symbolisiert durch ihren Stolz, die Sprache und das Alphabet, waren in der für eine breite Leserschaft geschriebenen Broschüre die Instanz, für die es sich zu sterben lohnte. Kyrill und Method schienen am besten geeignet, aus dem alten „pro patria mori“ ein „pro natione mori“ zu gestalten.

861 Slavjanskitě părvoučiteli Sv. sv. Kiril i Metodij. Sbornik, S. 67. 862 Wie aus dem weiteren Text hervorging, bestand die „kyrillomethodianische Frage“ hauptsächlich aus der Frage nach der (bulgarischen oder griechischen) Ethnizität der beiden Brüder – aus der Sicht des Verfassers war diese Frage allerdings bereits zur Mitte des 19. Jh. im bulgarischen Sinne wissenschaftlich beantwortet worden. Dăga, 30.5.1940, Nr. 357, S. 4. 863 „Die Bildungspolitische (prosvětnoto) gesellschaftliche Bedeutung der kyrillomethodianischen Frage bleibt mit demselben Inhalt und derselben Ernsthaftigkeit auch heute. Sie ist Ausdruck der Liebe und Begeisterung, da sie sich auf unsere Sprache bezieht, in der die Vergangenheit, die Gegenwart und die kulturelle Kraft des morgigen Tages lebt.“ Dăga, 30.5.1940, Nr. 357, S. 4. 864 „Groß sind die Namen der heiligen Brüder Kyrill und Method – der ersten slavischen Apostel und Erstlehrer, welche die Grundlage der geistigen und verstandesmäßigen (umstveno) Entwicklung des bulgarischen Volkes und vieler slavischer Völker gelegt haben“. Conev (1940), S. 3. 865 Conev (1940), S. 6.

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Conevs historische Einordnung Kyrills und Methods führte zum Schluss, das bulgarische Volk brauche sich auch in Zukunft keine Existenzsorgen zu machen.866 Der Autor ging sodann deutlich über die älteren Texte der nationalen „Wiedergeburt“ hinaus, die er zur Rechtfertigung zitierte, und formulierte einen nationalen Schwur: „Lasst auch uns unsere Hand vor unserem bulgarischen Heiligtum erheben – der Sprache und Schriftlichkeit unserer Väter und schwören: dass wir sie als teuren Nationalstolz haben, sie als Nation ehren.“ 867 Während er die traditionelle religiöse Verehrung um die Brüder als Heilige unberührt ließ, sakralisierte er die Schriftlichkeit zum Nationalheiligtum und ihre Verehrung mit einem feierlichen Schwur zum Kristallisationspunkt einer gegenwärtigen und zukünftigen nationalen Identität, für die es zu sterben galt. Minčo Minčev – möglicherweise der Diplomat, der 1935 vorübergehend der bulgarischen Botschaft in Tirana vorstand – schrieb 1940 in den ersten Sätzen einer knappen Broschüre über die „Slavobulgarischen Erlöser (Spasiteli)“: „Auf dem historischen Weg jeder Nation können sich Momente eröffnen, die die Nation bei ihrem kulturellen Aufstieg mächtig vorwärts stoßen. Ein solcher Moment im historischen Leben der bulgarischen Nation war jener Augenblick, als das erlösende Werk der ersten slavjanobulgarischen Aufklärer und Erlöser des bulgarischen Geschlechts geboren wurde.“ 868

Sie stellten für die Slaven insgesamt Aufklärer dar, für die Bulgaren (und nur für sie) aber seien sie mehr – „Erlöser“ oder „Erretter (spasiteli)“. Während noch 1932 das Werk der Brüder als für „das ganze Slaventum errettend“ beschrieben worden war,869 beschränkte nun Minčev diese erlösende Wirkung nur auf die Bulgaren. Ihnen sollte eine umso herausragendere Stellung gegenüber den in den Hintergrund gerückten übrigen slavischen Völkern und der Menschheit zukommen. Die diskursive Zuspitzung war symptomatisch, allerdings nicht ohne Vorläufer – bereits 1873 war der Feiertag der Brüder zum „Erlöser“ stilisiert worden.870 Die historistische Vorstellung vom „historischen Moment“ bestimmte die ­weitere Logik der Broschüre: „Der bulgarische Staat“ sei zwar mit der den Brüdern zu verdanken­ den Taufe kulturell „auf die gleiche Höhe wie die europäischen christlichen Länder gestellt“ worden.871 Der Satz gab zu erkennen, dass Bulgarien dieser Vorstellung von 866 „Denn ein Volk wie das bulgarische, das in der Vergangenheit solch leuchtende Namen seiner Geschichte gegeben hat, die würdig waren, nicht nur dem eigenen Volk Kirche, Schriftlichkeit und Sprache zu geben, sondern auch vielen anderen Völkern auf der Welt, das wird durch die Jahrhunderte bestehen.“ Conev (1940), S. 7. 867 Vor dieser Aufforderung stand: „Auf unsere Evangelien, geschrieben mit der Kyrillica, haben einst französische Könige ihre Eide geschworen, mährische Fürsten, russische Herrscher, serbische Statthalter (banove), rumänische Heerführer, und unsere Zaren, Boljaren und Patriarchen.“ Conev (1940), S. 7. 868 Minčev (1940), S. 3. 869 Siehe oben, bzw.: Cărkoven Vestnik, 21.5.1932, Nr. 21, S. 236. 870 Nezavisimosť, 12.5.1873, Nr. 34, S. 265. 871 Minčev (1940), S. 4.

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Europa nicht teilhaftig sein sollte. Die „bulgarische Nation“ war aber einem „neuen Bösen“ ausgesetzt, das „die bulgarische Sprache und die bulgarische Nation mit dem Tod bedrohte“.872 Dies war die mit der Taufe verbundene Übernahme der griechischen Liturgiesprache und die daher mögliche Gräzisierung. „Genau in diesem gefährlichen historischen Moment für die Bulgaren erschienen die Erretter des Bulgarentums, der bulgarischen Sprache und des ganzen bulgarischen Volkes: Unsere Erretter Kyrill und Method – die beiden Giganten des slavischen Stammes.“ 873 Die Brüder wurden hier mit popularisierten geschichtswissenschaftlichen Versatzstücken zu Erlösern der Nation der Bulgaren stilisiert. Minčev trennte das Gedenken an die beiden Brüder ganz von dem traditionellen religiösen Bereich und machte es zur „nationalen Pflicht“.874 Sowohl die bisherigen transnationalen Aspekte des Gedenkens an die Brüder als auch ihre Ver­ ehrung als christliche Heilige traten zugunsten der neuen Funktion in den Hintergrund. Mit der Nationalisierung der mit den Erinnerungsfiguren verbundenen Themen ­standen die Brüder nicht mehr wie bisher als Heilige im traditionellen Kontext, und damit als lebendige Personen, zur Verfügung – die ihrer Gedenkenden mussten den Abstand gegenüber ihnen mit neuen Techniken überbrücken. Nicht mehr das Gebet, Gesang oder an sie gerichtete Fürbitten, sondern nationale Andacht wurde nun zum Weg, sie sich ins Bewusstsein zu rufen. Dieser Wandel der Erinnerungsform wurde bis zu einem gewissen Grad bewusst wahrgenommen und mit Anweisungen zur neuen, er­­ klärungsbedürftigen Gedenktechnik reflektiert. Minčev beschrieb säkularisierte Formen der kollektiven, nationalen Erinnerung, kaum aber traditionelle religiöse Erinnerung, obschon er von „ihren heiligen Bildern“ schrieb.875 Die Ehre eines Platzes im kollektiven Gedächtnis und quasi religiöse Verehrung wurden den Brüdern als Gestalten der Nationalgeschichte zuteil, nicht mehr jedoch als christlichen Heiligen. Die Motivation des Gedenkens an die Vergangenheit blieb auf die Gegenwart und die Zukunft gerichtet, bezweckte aber nicht die Förderung der Erlangung des eigenen Seelenheils: Das

872 Minčev (1940), S. 5. 873 Minčev (1940), S. 6 f. 874 „Daher verbirgt sich im Gedenken an die apostelgleichen Kyrill und Method, unsere Aufklärer und Erretter, eine nationale Pflicht jedes heute freien Bulgaren – die Pflicht zur Dankbarkeit gegenüber ihnen, die Pflicht zur Aufklärung und Wiedergeburt des bulgarischen Volkes, zum nationalen Selbstbewusstsein und zur Vereinigung.“ Minčev (1940), S. 12. 875 „Daher ist es heute für uns Bulgaren eine nationale Pflicht, uns ein wenig von den alltäglichen kleinen Sorgen des Lebens zu trennen und in Gedanken die zeitliche Entfernung durch die ehrfürchtige Bezeugung der verdienten Hochachtung (počiť) gegenüber unseren ersten Aufklärern zu unterbrechen (skăsim) und dorthin hinuntersteigen, zu ihnen, in die Niederungen unserer dunklen Vergangenheit, um uns den bleichen und uns teuren Gestalten (obrazi) zu nähern, und ihnen als teure Gabe wegen ihres Verdienstes um uns unsere Achtung und Dankbarkeit zuzutragen sowie vor ihren heiligen Bildern (obrazi) das Versprechen abzulegen, dieses Licht der Buchkultur (knižovnosťta) und Bildung zu entfachen und den Funken zu verstärken, den diese in den dunklen Niederungen unserer Vergangenheit entzündet haben und [so S. R.] unser Geschlecht vor dem Verderben gerettet haben.“ Minčev (1940), S. 13.

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nationale „Schicksal“ galt es zu „schmieden“. Die Besinnung auf die „Niederungen unserer Vergangenheit“, das Gedenken an den „historischen Moment“ und das „rettende Werk (spasitelno dělo)“ der Brüder stiftete und legitimierte national orientiertes Handeln – und insbesondere „Selbstaufopferung“ – eines heroischen Subjekts in der Gegenwart und nahen Zukunft.876 Minčev betätigte sich in dem Text als Gestalter und Entwerfer eines mit religiösen Vorstellungen sakralisierten Nationalismus. D 4.3.2  Die Brüder als ,Sonnen aus dem Schoß der Volksseele‘ – Geistliche als Nationaltheologen im Krieg

Die Identifizierung Kyrills und Methods mit den Anfängen der bulgarischen Nation wurde gerade im Krieg auch in orthodoxen Publikationen immer deutlicher hervorge­ hoben. Ein im Mai 1940 in der Kjustendiler Monatsschrift „Geistlicher Funke (Duchovna Iskra)“ – herausgegeben von der „Orthodoxen Christl. Bruderschaft ,Hl. Iv. Rilski‘“ – veröffentlichter Beitrag des Protoierej Florinski zeigt, wie sich das Gedenken an die Brüder auch im engeren religiösen Rahmen in der Provinz und durch die Feder eines Geistlichen in diesen Jahren weiter anpasste: Kyrill und Method sollten „dem bulgarischen Stamm historische Unsterblichkeit“ gegeben haben. Der Geistliche erinnerte an die Brüder als „Titanen, Fleisch vom Fleisch und Blut vom Blut unseres Stammes“. Ihnen verdankten die Bulgaren „einen Ehrenplatz im Tempel (chrama) der allgemeinmenschlichen Kultur“. Sie blieben als Fürbitter eingesetzt – aber sie sollten Gott um „nationale Größe“ bitten.877 Der nationale Diskurs wirkte hier direkt auf den religiösen zurück: Die kulturgeschichtliche Ausweitung der Bedeutung der Brüder vereinte sich mit ihrer heilsgeschichtlichen und nationalistischen Sinnzuweisung auch im kirchlichen Gedenken. Neben der Sakralisierung der Kultur stand das Gebet um „nationale Größe“.

876 „Aus diesem Grund, wenn wir an die Bedeutung ihres rettenden Werks für den Bulgaren er­­ innern (spomnejki) und es verstehen, (…) sind wir verpflichtet, mit nationaler Besorgtheit gemäß ihrem Vorbild der Selbstaufopferung das Schicksal des morgigen ganzen und größeren Bulgarien hartnäckig und unablässig zu schmieden.“ Minčev (1940), S. 14. 877 „Kyrill und Method! Zwei Namen – zwei mächtige Sonnen am Anfang unseres kulturellen, historischen Lebens. Kyrill und Method! Zwei Namen – zwei Giganten, verbunden mit den größten Taten (děla) in unserem Dasein als Volk. (…) – Sie gaben dem bulgarischen Stamm historische Unsterblichkeit. (…) Heute feiern wir das leuchtende Gedächtnis (pameť) an diese Titanen, Fleisch vom Fleisch und Blut vom Blut unseres Stammes. An diesem ruhmreichen Tag mögen wir unsere Häupter hoch erheben! (…) Lasst uns mit Würde in einer Reihe mit allen kulturellen Nationen stehen! (…) Denn der bulgarische Stamm ist durch das Werk der heiligen Brüder würdig, einen Ehrenplatz in der Kirche (chrama) der allgemeinmenschlichen Kultur einzunehmen. Denn durch uns wurden auch die anderen Slaven dieser Kultur teilhaftig. Aber Ihr, gottweise (bogomădri) heilige Brüder, Kyrill und Method, slavobulgarische Aufklärer, ­bittet Gott immer, dass er uns in der von Euch verkündeten und gepredigten Wahrheit bekräftigt, und in ihrem Licht, damit wir uns zu immer höheren Lüften erheben und zu nationaler Größe.“ Duchovna Iskra, Mai 1940, Nr. 5, S. 1.

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Florinski war nicht der einzige Geistliche, der sich auch im Krieg in der Gestaltung eines religiösen Nationalismus betätigte: Ein gleichzeitig im „Kirchenboten“ veröffentlichter Text zu Ehren der beiden Brüder aus der Feder des Metropoliten von Plovdiv Kiril, der 1953 Patriarch der BOK werden sollte, ging weiter. Kiril hatte als anarchis­ tischer Kommunist die Theologische Fakultät der Sofioter Universität verlassen und in ­Belgrad, Zagreb, Czernowitz und sodann in Berlin bei dem einflussreichen protestan­ tischen Theologen und Kirchenhistoriker Adolf von Harnack studiert, der im Ersten Weltkrieg ein führender Vertreter nationaler „Kriegstheologie“ gewesen war.878 Diese Ausbildung schlug sich in einer ganz dem Diskurs der Zeit entsprechenden, allerdings orthodoxen Deutung der Brüder nieder: Die „bulgarische Seele“ sei durch den „gesegneten Schatten“ der „zwei Riesen in unserer Geschichte“ erleuchtet.879 Bereits diese rhetorische Über­spitzung war logisch schwer nachvollziehbar. Die „Riesen“ seien zugleich „Stützen dieser Seele“. Als „Sonnen“ „aus dem Schoß der Volksseele“, die nicht untergingen, solange die „Seele“ lebe, sollten sie „Licht in die bulgarische Seele gegossen haben“.880 Auch diese Vorstellungsfigur ist nur schwer nachvollziehbar – jedenfalls wurden die Brüder als Produkt der Volksseele imaginiert und gleichzeitig als ihre wichtigste Stütze aufs Engste mit ihr verbunden. Ein Blick auf die Nationalgeschichte sollte diese Interpretation ­stützen: Während in der Einleitung die Brüder als „­Sonnen“ erklärt wurden, stand nun das Wirken ihres „Geistes und Werks“ im Zentrum der „histo­ rischen“ Analyse. Laut diesen Sätzen „festigte“ und „befruchtete“ der „Geist“ der ­Brüder zunächst ein Reich, sodann aber „das Werk der bulgarischen Aufklärung“ und eine ganze „­Epoche“.881 Das „Zweite Reich“ sollte gar gänzlich ein Produkt des Wir 878 Hasselhorn (2012), S. 242 – 244. 879 „Die heiligen Brüder Kyrill und Method sind zwei Riesen in unserer Geschichte, die sich ­mächtig erheben, und ihr gesegneter Schatten (sěnka) ist eine schöpferische Erleuchtung der bulgarischen Seele während elf Jahrhunderten.“ Cărkoven Vestnik, 24.5.1940, Nr. 22, S. 262. 880 „Sie sind zwei unerschütterliche Stützen dieser Seele, die keinerlei Widerwärtigkeit ihres historischen Schicksals erschüttern konnten. Zwei Stützen, die immer unser Volk gekräftigt haben, auch dann, wenn viele andere Grundfesten dem Druck der feindlichen Kräfte nicht standhalten konnten. Sie sind zwei starke Sonnen, die nie erloschen sind, sondern immer und überall Licht in die bulgarische Seele gegossen haben. Im Aufstieg und während Prüfungen folgte dieses Licht dem Weg des bulgarischen Volkes. Dies ist ein Licht, das, mal stärker, mal schwächer, aber ohne Unterbrechung, aus dem Schoß der Volksseele geleuchtet hat, wo einmal die beiden Sonnen aus Saloniki entstanden sind, um niemals unterzugehen, solange diese Seele lebt.“ ­Cărkoven Vestnik, 24.5.1940, Nr. 22, S. 262. 881 „Dies sind die heiligen Brüder für uns. Der historische Blick auf die Vergangenheit zeigt uns dies. Das erste bulgarische Reich festigte sich mit ihrem Geist und dem Werk, das sie schufen. Der Kyrillo-Methodianische Geist schuf das Werk der bulgarischen Aufklärung, die wiederum die unerlässliche Bedingung für die geistige und kulturelle Unabhängigkeit des bulgarischen Volkes war. (…) Es genügt, den Namen des Ohrider Geheiligten Kliment zu nennen, damit verstanden wird, dass der Geist der heiligen Brüder die schöpferischste Epoche Boris-Simeons befruchtet hat, und die Größe des goldenen Zeitalters der bulgarischen Aufklärung.“ Cărkoven Vestnik, 24.5.1940, Nr. 22, S. 262.

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kens des Geistes der Brüder sein.882 Die „Kraft“ und der „Geist der Wiedergeburt“ seien „der dauerhaft wiedergeborene Geist der heiligen Brüder“.883 In der widersprüchlichen Logik dieser Argumentation sollte der Geist der Brüder die Aufklärung hervorbringen und sich letztlich selbst wiedergebären. Der nationaltheologische Wurf war aber damit erst am Anfang: Erst auf der Grundlage dieser rhetorisch überschwänglichen und wenig verständlichen Würdigung konnte die „Bedeutung der Brüder für die bulgarische Geschichte“ 884 im gesamtslavischen Zusammenhang eingeschätzt werden: Die „riesigen Folgen für die nationale und staatliche Selbstbekräftigung (samoutvărždenie) unseres Volks und der ununterbrochenen Wirkung der nationalerhaltenden (narodnostno-săchranitelnata) und wiedergebärenden Kyrillo-Methodianischen Tradition“ seien „bei weitem“ wichtiger als ihre „hartnäckigen Arbeiten für die christliche Bildung (prosvěta) der slavischen Völker“.885

Der Bischof machte damit deutlich, worauf er hinauswollte: Er nahm Abstand von der bisherigen Verehrung der beiden Brüder als „slavische Aufklärer“. Viel bedeutender als die allgemeinslavische Wirkung der Brüder sei die ausschließlich nationale Bedeutung der nationaltheologisch nachgewiesenen Kraft ihres „Geistes“. Kiril inszenierte nicht einmal eine Rolle der Bulgaren als Kulturträger und -verbreiter gegenüber den übrigen Slaven – uneingeschränkt sollte die nationale Bedeutung der beiden in den Vordergrund gerückt werden. Der Bischof hebelte die transnationale Verehrung aus und ersetzte sie durch die kaum noch religiös zu nennende nationalistische Imagination der beiden bzw. ihres „Geistes“ und die durch diesen hervorgebrachte sakralisierte bulgarische Geschichte. Säkularisierung des Gedenkens in Anlehnung an popularisierte Elemente des Historismus und die Erfindung einer nationalen sakralen Tradition gingen in dem Text des Geistlichen mit einher. 882 „Der Geist der heiligen Brüder hat auch unser Zweites Reich errichtet. Teodosij Tărnovski und Patr. Evtimij sind Träger dieses Geistes und Fortsetzer der Kyrillo-Methodianischen Tradition. Mit der Kraft dieses Geistes und den Werken dieser Tradition erstrahlte Tărnovo als slavo-bulgarischer kulturell-christlicher Mittelpunkt für die ganze slavische Welt.“ Cărkoven Vestnik, 24.5.1940, Nr. 22, S. 262. 883 „Und was war die Kraft unserer Wiedergeburt? Erneut entzündete sich der Geist der heiligen Brüder weit und breit über der heimatlichen Erde und entflammte mit unerlöschlichem Schwung die bulgarische Aufklärung (…). Die Wiedergeburt unseres Volkes ist der Drang zur voll­ständigen Befreiung auf den festen Grundlagen unserer nationalen (narodnostna) Eigentümlichkeit (samobitnosť). Der Geist der Wiedergeburt aber ist der dauerhaft wiedergeborene Geist der heiligen Brüder.“ Cărkoven Vestnik, 24.5.1940, Nr. 22, S. 262. 884 Cărkoven Vestnik, 24.5.1940, Nr. 22, S. 262. 885 „Diese Bedeutung erschöpft sich nicht in ihrem aufklärerisch-missionarischen Werk. Sie übertrifft bei weitem die hartnäckigen Arbeiten für die christliche Bildung (prosvěta) der slavischen Völker und muss mit den riesigen Folgen für die nationale und staatliche Selbstbekräftigung (samoutvărždenie) unseres Volks und der ununterbrochenen Wirkung der nationalerhaltenden (narodnostno-săchranitelnata) und wiedergebärenden Kyrillo-Methodianischen Tradition ­ermessen werden.“ Cărkoven Vestnik, 24.5.1940, Nr. 22, S. 262.

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Dieser „Geist“ allerdings existierte nicht per se. Er und die Brüder wurden nicht im Sinne der traditionellen religiösen Memoria als an sich im Jenseits Lebendige imaginiert, sondern ihre Lebendigkeit hing von der nationalen Verehrungspraxis, der „Volks­ frömmigkeit“ ab.886 Ihre Existenz als „Geist“ lag nicht in ihrer Heiligkeit und damit in einem christlichen Rahmen begründet, sondern in ihrer Verwahrung „in den verborgenen Tiefen der Volksseele“.887 Diese „Tiefen der Volksseele“ waren der ontologische Ursprung der Vitalität der Brüder. Der Zweck ihrer Existenz als „lebendige“ Erinnerungsfiguren lag nicht in einer Rolle als Fürbitter, sondern ausschließlich in der Sicherung der Vitalität der „nationalen Vergangenheit“. Nur, wenn diese „in der Verehrung im Gebet der Volksseele, im unfassbaren mystischen Erzittern und in den religiösen Visionen dieser Seele“ „lebte“, sei sie vor der Nichtexistenz bewahrt.888 Waren die Heiligen nur durch die Erinnerungspraxis lebendig, so war „unser Altertum“ wiederum nur durch das Medium dieser Heiligen „lebendig“. Die Präsenz des nationalen Geschichtsentwurfes war damit doppelt abhängig, sowohl von den Heiligen als auch von der Volksfrömmigkeit. Allein die „nationale Vergangenheit“, nicht Gott war Ziel und Inhalt der „Volksfrömmigkeit“. Die „Nationalheiligen“ waren aber in der Vorstellung des Kirchenfürsten nicht austauschbare Medien dieser sakralisierten „nationalen Vergangenheit“, sondern von entscheidender Bedeutung: „Der kyrillomethodianische wiedergebärende (văzroditelen) Geist lebte in der Volksseele“ und er war es, der „bei günstigen Bedingungen wie ein starkes Feuer des nationalen Bewusstseins entbrannte“.889 Die Existenz der „nationalen Seele“ wurde durch den Bestand der „Volksfrömmigkeit“ und damit der Erinnerung als Praxis definiert. Sie wurde so letztlich deckungsgleich mit dem „Geist“ der Brüder, der mit der „slavo-bulgarischen Frömmigkeit und Bildung“ beschrieben wurde. Der „Geist“ wie die „Volksseele“ lebten, „solange es Volksfrömmigkeit gibt, die als tiefer Fluss durch die unzugänglichen Schöße der Volksseele fließt“.890 886 „Aber diese Folgen hätten kaum ein solches Ausmaß gehabt und hätten kaum so wesentlich die Tiefen der Volksseele (narodnata duša) betroffen, wenn die heiligen Brüder nicht in der Volksfrömmigkeit lebendig wären.“ Cărkoven Vestnik, 24.5.1940, Nr. 22, S. 262. 887 „Alles Vergangene muss in den verborgenen Tiefen der Volksseele behütet werden, damit es nicht von der Zeit verdunkelt wird und damit es nicht unter dem Einfluss feindlicher Be­­strebungen verhallt.“ Cărkoven Vestnik, 24.5.1940, Nr. 22, S. 262. 888 „Wenn die nationale Vergangenheit in der Frömmigkeit des Volkes lebt, in der Verehrung im Gebet der Volksseele, im unfassbaren mystischen Erzittern und in den religiösen Visionen dieser Seele, dann geht diese Vergangenheit nicht verloren. So war unser Altertum (starina) lebendig in den geheiligten Gestalten (v svetitelskitě obrazi) des hl. Boris, der heiligen Brüder Kyrill und Method, des hl. Kliment, des hl. Ivan von Rila und noch vieler anderer Nationalheiliger (svetii narodni), welche die Jahrhunderte nicht aus den Tiefen der Frömmigkeit ausreißen konnten.“ Cărkoven Vestnik, 24.5.1940, Nr. 22, S. 262. 889 „Und so lebte der kyrillomethodianische wiedergebärende (văzroditelen) Geist in der Volksseele, und so ist es, weshalb dieser, bei günstigen Bedingungen, wie ein starkes Feuer des nationalen Bewusstseins entbrannte.“ Cărkoven Vestnik, 24.5.1940, Nr. 22, S. 262. 890 „Die slavo-bulgarische Frömmigkeit und Bildung als mächtiger Motor des Volkslebens – dies ist der Geist der heiligen Brüder, wie er sich in unserem ganzen historisch-nationalen Leben

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Mit diesem Wortgebrauch näherte sich der Bischof dem Vokabular einer popularisierten Tiefenpsychologie an und entfernte sich markant vom traditionellen religiösen Verständnis von Heiligen in Richtung einer nationalen Religion. Diese Frömmig­keit aber – und damit auch „der Geist der Brüder“ – konnte verloren gehen: Sie war ganz von der diskursiven und sozialen Verehrungspraxis der Bulgaren abhängig.891 Die gänzliche Säkularisierung, vor der Bischof Kiril von Plovdiv warnte, war jedoch in seinen Augen offenbar (noch) nicht eingetreten. Vielmehr bestärkte er die Sakralisierung der Nation: Die Heiligen wie auch ihren „Geist“ imaginierte er nicht mehr im traditionellen Sinne als im Jenseits Lebendige: Sie „lebten“ im Sinne seiner Nationaltheologie „als Riesen der heiligen Großtat“ nur durch das Medium der „Seele unseres Volkes“ bzw. der „allbulgarischen Seele“. Gleichzeitig seien sie „unerschütterliche Pfeiler des nationalen Daseins“. Ihr Geist sollte das nationale „Schicksal beleben“. Ihr Geist wiederum sollte das nationale „Schicksal beleben“.892 Der Bischof machte hier Kyrill und Method politisch-theo­logisch zum Kern einer sakralen Nation, die an die Stelle der traditionellen Religion treten sollte. Seine Entwürfe standen nicht allein: Im Jahr 1941, am 11. bzw. 24. Mai, wurde die Feier zu ihren Ehren in Varna in der dort erscheinenden „Stimme Gottes“ nicht der „Bildung“, sondern der „Nationalität“ gewidmet. Die Brüder wurden in der Jugendzeitschrift für orthodoxe Priesterseminaristen der Diözese Varna und Preslav zu den „Schöpfern unserer nationalen (nacionalno) Größe!“ umgedeutet, denen auch die „Rettung“ der Bulgaren als „Volk“ zu verdanken sei.893 ­Nationaltheologie während elf Jahrhunderten ausgedrückt hat. Dieser Geist lebt auch heute. Er wird leben, solange es die nationale Seele gibt, und das heißt – solange es Volksfrömmigkeit gibt, die als tiefer Fluss durch die unzugänglichen Schöße der Volksseele fließt.“ Cărkoven Vestnik, 24.5.1940, Nr. 22, S. 262. 891 „Aber wo die bulgarische Frömmigkeit erlischt und verloren geht, dort vergeht der Geist der heiligen Brüder wie ein unfruchtbarer Atem. Dort bleibt nur sehr wenig von den heiligen ­Brüdern – nur ihr Name und die Anerkennung ihres Werks. Die heiligen Brüder Kyrill und Method verwandeln sich in eine leblose Vergangenheit, in den Schatten eines schönen Altertums. Sie sind keine Lebenskraft mehr, denn ihr Geist lebt nicht in der unveränderlichsten und wirksamsten Tiefe der Volksseele – in der bulgarischen Frömmigkeit.“ Cărkoven Vestnik, 24.5.1940, Nr. 22, S. 262. 892 „Aber die heiligen Brüder leben in der Seele unseres Volkes als Riesen der heiligen Großtat, als unerschütterliche Pfeiler des nationalen Daseins (narostnostnoto bitie), als helle Lichter des unerlöschlichen Drangs, weil diese die direkte Nachfolgerin unserer ganzen Vergangenheit und aller Kräfte der allbulgarischen Seele ist. Sie trägt in sich Jahrhunderte und diese belasten sie nicht. Sie trägt mehr als ein Jahrtausend und darin liegt ihre Stärke. Sie erklärt sich durch große Gestalten an Geist und Glauben, die ihre Einheit erhalten, damit sie nicht in Zer­splitterung zerfällt und stirbt. Sie trägt den Geist der heiligen Brüder Kyrill und Method als Geist der Frömmigkeit und Aufklärung (prosvětitelnosť). Und solange dies ist, wird dieser Geist unser Schicksal beleben, sodass es ehrenvoll und gesegnet sei.“ Cărkoven Vestnik, 24.5.1940, Nr. 22, S. 262. 893 „Dies ist nicht nur ein Tag für die Schule, wie von vielen angemerkt wird, sondern ein Tag für die bulgarische Nationalität (nacionalnost), und erst in zweiter Linie für die Bildung… Ohne

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wurde in der kirchlichen Publizistik zum nicht nur geduldeten, sondern zum vorherrschenden und gerade auch durch Kirchenfürsten vertretenen Diskurs. D 4.3.3  Massenfeiern im Krieg zur Mobilisierung der nationalen Öffentlichkeit

Zu den Feiern im Jahr 1940 schrieb die Tageszeitung „Regenbogen“ unter der Überschrift: „In den Tagen des größten Krieges der Welt demonstriert ein Volk mit dem Alphabet.“ 894 Diese Kontextualisierung weist auf eine Deutung der Veranstaltung als eine friedliche hin – allerdings war sie nicht zuletzt eine Inszenierung des kollektiven nationalen ­Willens, dessen militärische Aspekte, und seien sie defensiv, unübersehbar waren. Die Jugend war zu diesem Tag in Massen mobilisiert worden, aber auch Militärs. Die Tageszeitung vermittelte die Inszenierung in der Öffentlichkeit der Hauptstadt der nationalen Öffentlichkeit: „Der Feiertag der hll. Kyrill und Method. Auf dem Platz vor der Kirche Al. Nevskij haben sich die Schüler schon geordnet. Über diesem Meer der Jugend erhebt sich ein gemischter Chor der Gymnasiasten. Hier vor den Stufen sind die Eingezogenen und Kriegsfreiwilligen, die Reserve­ offiziere und Unteroffiziere und andere Organisationen. Die pensionierten Lehrer, kulturell-patriotische (kulturnitě rodoljubivi) und andere Organisationen nehmen den Ehrenplatz ein. Gruppen in nationalen Trachten machen das allgemeine Bild malerisch.“ 895

Neben dem Premierminister Prof. B. Filov, der als Archäologe und Kunsthistoriker 1910 – 1920 Direktor des Nationalen Archäologischen Museums und 1932/1932 ­Rektor der Kliment-Universität gewesen war, nahmen auch Minister, der Vorsitzende des Parla­ ments und ein Vertreter der Suite des Zaren auf Ehrenplätzen teil. Auch „der deutsche bevollmächtigte Minister Baron [Herbert, S. R.] von Richthofen, der Gast unserer Sportler (sportisti), der Führer des deutschen Sports von Tschammer (Čamer) und Osten“ sowie der Rektor der Universität und weitere Professoren nahmen dort Platz. Die gleichermaßen prominent vertretene BOK spielte eine aktive Rolle bei der In­­ szenierung und sakralen Untermalung der Feierlichkeiten: „Die Geistlichkeit, angeführt durch den Sofioter Metropoliten Stefan, zelebrierte das Dankgebet (moleben). Nach dem Dankgebet sang der Chor der Musikakademie die Hymne auf die beiden Brüder, die hll. Kyrill und Method. Ein Lehrer der hauptstädtischen Gymnasien Andr. Cvětkov hielt eine begeisterte Rede. Der gemischte Chor sang die Nationalhymne, die Hymne auf den Zaren sowie die Hymne auf die beiden Brüder. Die letzten Töne des Chors verflossen mit dem sie, ohne ihr Alphabet – wäre unser Volk unter den kultivierteren (po-kulturnitě) benachbarten Völkern untergegangen. (…) Ihre Schüler brachten die slavische Bildung nach Bulgarien. Diese haben die Grundlagen der bulgarischen Volkskirche gelegt, unserer nationalen Schriftlichkeit und unseres nationalen (narodnoto) Selbstbewusstseins.“ Ihnen „verdanken wir unsere Rettung als Volk. (…) Ruhm, ewiger Ruhm Kyrill und Method – den Schöpfern unserer nationalen (nacionalno) Größe!“ Božij glas, 18.5.1941, Nr. 8, S. 1. 894 Dăga, 25.5.1940, Nr. 358, S. 1, S. 4. 895 Dăga, 25.5.1940, Nr. 358, S. 1, S. 4.

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angestimmten tausendfachen ,Hurra‘ der Schüler. (…) Am Anfang des Marsches schritt langsam eine Gruppe mit der Ikone der heiligen Brüder. Die Ikone wurde durch einen Geistlichen ge­­tragen. Neben ihm war eine Gruppe von Schülern aus den Grundschulen in nationalen Trachten. Es folgten die Veteranen aus dem Befreiungskrieg und die pensionierten Lehrer.“ 896

Nicht nur die Schüler und damit die Bildung, sondern auch die Wehrhaftigkeit und die Selbstaufopferung für den nationalen Kampf um die Heimat unter dem Segen der Geistlichkeit und unter dem Befehl der Regierung wurden hier durch und vor Massen inszeniert und an sie erinnert. Bei der Demonstration trat auch eine Gruppe auf, welche ausdrücklich die territoriale Einheit Bulgariens symbolisieren sollte: „Die Gruppe der bulgarischen Länder – eine symbolische Fünfergruppe aus fünf Schülerinnen in nationalen Trachten aus den fünf bulgarischen Regionen zog die Aufmerksamkeit auf sich.“ Überdies verwies eine mitgeführte Ikone Kliments auch auf dessen Erinnerungszusammenhang. Die Disziplin und Ordnung der Veranstaltung wurde in der Berichterstattung besonders hervorge­ hoben.897 Als die am besten durchorganisierten Massenanlässe der bulgarischen Gesellschaft ­dienten die Feiern des Bildungstages zur regelmäßigen Festigung einer national und religiös sowie militärisch aufgeladenen Öffentlichkeit sowie zur Inszenierung eines jungen und schönen Volkskörpers in den Straßen der Hauptstadt und in den Print­medien des Landes. Gerade die BOK versuchte dabei, eine Führungsrolle in der Deutung und Propagierung der Feiern einzunehmen: Der „Kirchenbote“ stellte Ende Mai 1940 einen Presse­ spiegel zur Berichterstattung über die Feiern zusammen. Die Feier wurde hier als zeitlose so­ziale und kulturelle Institution „des bulgarischen Volkes“ beschrieben: „Jedes Jahr, im Monat Mai, hat das bulgarische Volk, in Freiheit und in Sklaverei, den Tag der heiligen Brüder Kyrill und Method gefeiert und feiert ihn. Dieser Tag kann für unsere Geschichte und unser Geschlecht (rod) mit Recht das bulgarische Pfingsten genannt werden.“ 898

Mit der Bezeichnung des Tages als „bulgarisches Pfingsten“ erreichte die Rhetorik um Kyrill und Method einen neuen Höhepunkt. Der Berichterstatter erklärte seine These mit einer knappen historischen Skizze, in der er in eine bulgarische und slavische „­historische“ Unsterblichkeit einführte. Diese leitete er zunächst ganz unreligiös durch die „Taten“ der Brüder her: „Durch diese Taten wurden die Bulgaren und die Slaven national, kulturell und historisch unsterblich.“ 899 Trotz dieser weltlichen, nationalen Überspitzung hielt er eine solche säkulare Erklärung der nationalen Geschichte für unzureichend: „All dies kann nicht die Frucht zufälliger historischer Umstände sein und nur durch sterbliche menschliche Kräfte geboren werden. An der Evangelisierung der

896 Dăga, 25.5.1940, Nr. 358, S. 4. 897 „Die Reihen waren geordnet. Der Vorbeimarsch ist diszipliniert und in Ensembles verbunden.“ Dăga, 25.5.1940, Nr. 358, S. 4. 898 Cărkoven Vestnik, 31.5.1940, Nr. 23, S. 273 – 275. 899 Cărkoven Vestnik, 31.5.1940, Nr. 23, S. 273.

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Bulgaren und der Slaven hatte auch die Hand Gottes teil.“ 900 Daraus schloss er, natio­ nale Schriftlichkeit, Kultur, Geschichte, Ruhm, Dasein und Unsterblichkeit würden vermittelt durch eine Wurzel von den beiden Brüdern „genährt“, offenbar sowohl in der Gegenwart wie in der Vergangenheit.901 „Dies ist der Grund, weshalb wir ihr Werk für das bulgarische Pfingsten halten, und sie selbst – für bulgarische Apostel.“ 902 Nicht nur der Tag ihres Gedenkens, auch ihr „Werk“ wurde im Rahmen der Nationaltheo­logie zum „bulgarischen Pfingsten“. Diese politisch-theologische Deutung stellte der Verfasser, wie er selbst zugab, nicht ohne aktuellen Anlass an: „Denn Anlass für die oben stehenden Überlegungen gaben uns die schönen und zahlreichen Artikel in unserer Presse um den allbulgarischen Feiertag zu Ehren der Soluner Brüder.“ 903 Den Tag der Brüder bezeichnete er als „gesellschaft­liches Ereignis“, das in seiner verbindenden Wirkung für die „Volksseele“ „schwer“ durch andere übertroffen wurde: Aus kirchlicher Sicht stand das Gedenken an die Brüder im Zentrum des gesamtgesellschaftlichen Entwurfes. Nicht weniger wichtig als die Feiern selbst waren für ihre Propagierung und Inszenierung die publizistische und rhetorische Einrahmung. Die Utopie nationaler und konfessionsethnischer Eintracht und Einheit „in den Städten und den Dörfern“ sowie auch außerhalb der Staatsgrenzen konnte nicht nur in den Reden anlässlich der Feiern entworfen werden: Zeitungsberichte trugen zu ihrer sprachlichen Imagination gleichfalls wesentlich bei, ganz abgesehen von der durch sie um ein Vielfaches erhöhten sozialen Reichweite der Erinnerung.904 Die Indienstnahme Kyrills und Methods zur gesellschaftlichen, nationalen Inte­gration durch Geistliche ging mit der Kritik säkularisierter Formen ihres Gedenkens einher. Die Brüder wurden in diesen Zusammenhängen zu Medien gesellschaftlicher Exklusion.905 Kirchliche Publizisten störten sich anders als im 19. Jh. an der Säkularisierung 900 Cărkoven Vestnik, 31.5.1940, Nr. 23, S. 274. 901 „Erste Urheber dieser Kette ruhmreicher Ereignisse in unserer Geschichte sind unsere unsterblichen Erstlehrer und apostelgleichen hll. Kyrill und Method, denn die Wurzel unserer Schriftlichkeit und Kultur, Geschichte und des Ruhms, des Daseins und der Unsterblichkeit, beginnt mit ihnen, sucht unter ihnen Schutz, trinkt von ihnen.“ Cărkoven Vestnik, 31.5.1940, Nr. 23, S. 274. 902 Cărkoven Vestnik, 31.5.1940, Nr. 23, S. 274. 903 Cărkoven Vestnik, 31.5.1940, Nr. 23, S. 274. 904 „Es ist schwer, ein anderes Ereignis oder eine Erscheinung in unserem gesellschaftlichen Leben zu nennen, das mit einer so starken Kohäsion (sceplenie) der Volksseele einhergeht. Hier ist der Bulgare am meisten einig (e edinen) und stolz auf seine Vergangenheit, stark und hoffnungsvoll hinsichtlich seiner Zukunft. Und so ist es in den Städten und den Dörfern, innerhalb wie außerhalb der Grenzen. Ganz im Einklang mit der Volksfreude und Hoffnung geht auch die heimische Presse – ihre Artikel zum Werk der Apostelgleichen sind die Kränze ihrer Groß­taten!“ Cărkoven Vestnik, 31.5.1940, Nr. 23, S. 274. 905 „Fremd gegenüber diesem Werk und Feinde seiner Vorbestimmung sind jene, welche seine christliche Grundlage und sein nationales (narodnata) Ziel verleugnen – (…). Wer denkt, die heiligen Brüder haben Buchstaben und Schriftlichkeit nur zum irdischen Fortschritt und zur historischen Eigentümlichkeit (samobitnosť) gegeben, der materialisiert ihr Werk und ihre Verdienste – der

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des Gedenkens an die Brüder und forderten eine Resakralisierung unter Bei­behaltung ihres nationalistischen Bedeutungsgehalts. So schrieb der Priester B. Stoimenov im „Kirchenboten“ am 23. Mai 1941, das „Werk“ der Brüder würde zwar intensiv wegen seiner Bedeutung für die Bildung geehrt, nicht aber seine religiöse Dimension. Erst bei Beachtung dieser Bedeutung wäre ihre Verehrung aber „allbulgarisch und allnational (vsenarodno) im höchsten und besten Sinne“.906 Sein Anliegen war es, die aus der Erinnerungskultur verdrängte religiöse Natur des Handelns der Brüder ins kollektive Bewusstsein zurückzurufen: „Und an erster Stelle müssen wir in dieser Beziehung die großen und leuchtenden Gestalten der heiligen Soluner Brüder Kyrill und Method nicht nur in ihrer irdischen, sondern auch in ihrer himmlischen Aureole (oreol) verstehen, wir müssen sie nicht nur als Aufklärer, sondern auch als Geheiligte lieben, verehren und rühmen.“ 907

Mit dieser Stellungnahme stand der Priester letztlich im Gegensatz auch zu Metropolit Kiril von Plovdiv und am Anfang einer innerkirchlichen Kontroverse über die richtige Verehrung der Brüder. D 4.4  Die Brüder und die Besetzung Vardar-Makedoniens (1941 – 1944)

Ostern 1941 fiel mit der Eingliederung Vardar-Makedoniens und weiterer „verlorener“ Gebiete zusammen. Nicht nur wurde die Osterfeier zu einer Feier der Auferstehung schändet ihre Großtaten und ihr Vermächtnis, schändet die christlichen Ideale, die Zukunft der Völker, das allgemeinmenschliche Wohl!“ Cărkoven Vestnik, 31.5.1940, Nr. 23, S. 274. 906 „Man kann nicht sagen, dass das bulgarische Volk das große Werk (dělo) der heiligen Brüder vergessen hat. Im Gegenteil, dies war immer ein leuchtender leitender Faden in seinem Leben, und seit einer Reihe von Jahren wird ihr Gedächtnis auf feierlichere Weise begangen. (…) Viele flammende Reden werden jedes Jahr zu ihrem Feiertag gehalten und sie werden gehalten ­werden, solange die bulgarische Sprache auf Erden vernehmbar ist. Aber wir müssen erkennen, dass trotz allem weder ihr Werk, noch das Werk ihrer Schüler, als allbulgarisch und allnational (vsenarodno) im höchsten und besten Sinne geehrt wird. Seine Fülle und Bedeutung ­werden nicht genügend stark und klar gefühlt. Es wird eher als ein reines Werk der Bildung und ­Schulung im gewöhnlichsten, aufklärerischen Sinn dieses Wortes gefühlt und geehrt. Daher sind ihr Feiertag, wie der Feiertag ihres ersten Schülers, des hl. Kliment, bei uns vornehmlich Feiertage der Grund-, Mittel- und Hochschulen. Aber das ist ein großer Fehler, denn ihr Werk ist nicht nur aufklärerisch, und insbesondere ist es nicht aufklärerisch im Sinne der Renaissance und des Positivismus, wie es bei uns gewöhnlich gedacht wird, sondern etwas viel Größeres als dieses. Die Größe ihres Werks liegt nicht nur darin, dass sie das Alphabet der bulgarischen Sprache hergestellt haben und dem bulgarischen Volk erstmals Bücher zu seiner Ausbildung gaben, s­ ondern vor allem darin, dass sie das Alphabet ausgearbeitet haben, um die Heilige Schrift in die bulgarische Sprache zu übersetzen, und das bulgarische Volk in der Wahrheit des christlichen Glaubens zu unterrichten.“ Cărkoven Vestnik, 23.5.1941, Nr. 22, S. 247 f. 907 Cărkoven Vestnik, 23.5.1941, Nr. 22, S. 247 f.

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Bulgariens umgedeutet, auch das Gedenken an die beiden Brüder veränderte sich in diesen Tagen weiter. D 4.4.1  Kirchliche Akteure der ,Einigung‘ des ,Fackelträgervolkes‘

Der „Kirchenbote“ erklärte zum 23. Mai 1941, wie dieser „andere Sinn“ und die „andere Bedeutung“ auszusehen hatten – der Tag sollte „im Herzen jedes bewussten Bulgaren“ die „Stimme des nationalen Bewusstseins“ hervorbringen: Die Zukunft Großbulgariens sollte zur Baustelle „selbstentsagender Maurer der leuchtenden Zukunft“, ja „mutiger Apostel des bulgarischen Geistes“ werden: „Bulgarien muss groß werden!“ Die Staatskirche wurde zum Propagandisten der nationalen Expansion, der Tag der Brüder als „Tag der eigenständigen bulgarischen Kultur“ zum „größten kirchlichen, pädagogischen und nationalen Feiertag“.908 Die BOK machte die Verehrung der Brüder zum Kern einer nationalen, vom allgemeinen Christentum gelösten Religion: Jeder Bulgare sollte durch nationalbewusstes Handeln zum Apostel nicht des heiligen, sondern des „bulgarischen Geistes“ werden – die soziale Reichweite der Erinnerungsfiguren sollte auf das ganze Volk erstreckt sein und ihre Bedeutung ganz im Nationalen aufgehen. Die Sakralisierung bulgarischer Identitätsentwürfe durch Geistliche und mithilfe der Erinnerungsfigur der beiden Brüder setzte sich fort. Der nationalpolitisch-theologische Rückgriff auf die Brüder sollte den mit Erfolg gekrönten Expansionswünschen bulgarischer Nationalisten nachträglich eine höchste Legitimation verschaffen. Umgekehrt machte sich die Kirche damit zur treibenden Kraft der Rechtfertigung der Annexion. Die geistlich-nationale Publizistik nahm das Ereignis der Angliederung Makedoniens zum Anlass neuer rhetorischer Höhenflüge – gerade mittels der Erinnerungskultur um die beiden Brüder. I. Kajdamov setzte in einem am 1. Juni 1941 veröffentlichten Beitrag zur Zeitschrift „Geistiger Ruf (Duchoven Zov)“, die sich als „monatliche Publikation zur kirchlich-gesellschaftlichen und nationalen (nacionalna) Bildung (prosvěta)“ ­bezeichnete und „mit dem Segen“ des Metropoliten von Vraca in Pirin erschien, „das Wirken der Nation“ mit der Beherzigung des „heiligen und teuren Vermächtnisses“ der Brüder gleich.909 Zum einen „befiehlt“ dieses, „die Kräfte anzuspannen zu einer Einigung 908 „Mit dieser hellen Freude in seiner Seele wird das vereinigte bulgarische Volk seinen größten kirchlichen, pädagogischen und nationalen Feiertag der hll. Kyrill und Method begehen – den Tag der eigenständigen bulgarischen Kultur. Und wenn in der Vergangenheit jedes bulgarische Herz an diesem Feiertag flüsterte: ,Makedonien, die Heimat der heiligen Brüder, ist in Sklaverei! Es muss befreit werden!‘, so erhält er heute einen anderen Sinn, eine andere Bedeutung. Im Herzen jedes bewussten Bulgaren wird der Tag der hll. Kyrill und Method die laute Stimme des nationalen Bewusstseins gebären: ,Folgt dem Beispiel der heiligen Brüder! Werdet selbst­ entsagende Maurer der leuchtenden Zukunft (světloto bădešte) eures Volkes! Bulgarien muss groß werden! Seid mutige Apostel des bulgarischen Geistes!‘“ Cărkoven Vestnik, 23.5.1941, Nr. 22, S. 248 f. 909 „Mit Glauben und Geist entsteht das Wirken der Nation (se tvori děloto na nacijata). Sie ­leuchteten vor Jahrhunderten auf. Ihre Tätigkeit schuf die grundlegenden Vorstellungen für die spätere

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der Volksenergien“, und „fanatisiert“, für einen allgemeinen „Aufstieg“ des ­Volkes zu arbeiten.910 Der Autor, den die Zeitung als „Paisij-Anhänger (paisievec)“ ausgab, gab der Instrumentalisierung der bereits im Diskurs verankerten Vorstellung von einem „Vermächtnis“ der beiden Brüder hier eine neue Qualität. Mit der zweiten von ihm angegebenen „Richtung“ des „Vermächtnisses“ erreichte er die Ebene des staatskirchlichen Messianismus: Nicht nur die Idee eines einheitlichen bulgarischen Volkes, sondern auch seine Mobilisierung und Fanatisierung als „auserwähltes (…) Fackelträgervolk“ für eine ausdrücklich „messianische“ historische Aufgabe sollte mit dem Verweis auf die Brüder nachvollziehbar und logisch erscheinen: Unter dem Segen eines Metropoliten der BOK forderte der Beiträger mit der legitimierenden Referenz auf die Brüder eine nationaltheologisch begründete Ordnungsaufgabe für Bulgarien auf der Balkanhalb­ insel unter deutscher Vorherrschaft ein.911 Auch außerhalb der makedonischen Gebiete und Sofias wurde das Ereignis mit Referenz auf die Brüder als Gelegenheit zur Inszenierung und Festigung nationaler Einheit mit kirchlichen Mitteln im Zeichen des Krieges genutzt. So hieß es im Heft für die Monate Mai und Juni 1941 in der Zeitschrift „Geistige Wiedergeburt“ über die Feier des Gedächtnisses an Kyrill und Method aus Plěven, dieses werde „in diesem Jahr überall feierlichst begangen. Die Volksfreude (vsenarodnata radosť) anlässlich der Befreiung der verknechteten Gebiete und ihrer Vereinigung mit der Mutter – dem Vaterland (kăm majkata – otečestvo) findet ihren leuchtenden Ausdruck in den großen Feiern, die zu Ehren und zum Gedächtnis der heiligen Apostelgleichen, der Begründer unseres nationalen Daseins (nacional­ noto ni bitie), den Schöpfern der bulgarischen Schriftlichkeit und Kultur begangen werden“.912

Schaffung einer einheitlichen Kultur. (…) Das Leben und Wirken der hll. Kyrill und Method und ihrer Schüler hinterließen ein Vermächtnis (zavet) für die folgenden Generationen – ein heiliges und teures Vermächtnis.“ Duchoven Zov, 18.6.1941, Nr. 18, S. 1. 910 „Und dieses Vermächtnis hat zwei Richtungen. Die eine befiehlt uns, die Kräfte anzu­spannen zu einer Einigung der Volksenergien (narodnostnitě energii), um unaufhörlich, fanatisiert (fanatizirano) und unermüdlich für einen kulturellen, wirtschaftlichen und sozialen Aufstieg (izdigane) des bulgarischen Volkes zu arbeiten; und in der beständigen Arbeit alle Veran­lagungen, Fähigkeiten, Qualitäten im Namen des Ideals zu mobilisieren, damit es keinen hungrigen und unglücklichen Bulgaren gibt, damit überall nur die Gerechtigkeit herrscht, die Liebe und das kristalline bulgarische Selbstgefühl (samočustie)!“ Duchoven Zov, 18.6.1941, Nr. 18, S. 1. 911 „Die zweite Richtung, die uns von den heiligen Brüdern überlassen wurde, unterstreicht für uns den Gedanken, dass ,das bulgarische Volk ein auserwähltes (izbran) Volk ist‘, denn es gebiert Söhne, die Kultur und Verstand schaffen auch für andere Völker, Licht für die ganze Menschheit ausströmen. Unser Volk hat eine messianische Rolle (mesianska roľ) in seinem Dasein (bitie). Wir verfügen über die Voraussetzungen – geografische, nationale (narodnostni) und historische – wir können ohne in Größenwahn (grandomanija) und Chauvinismus zu ver­ fallen sagen: Wir sind ein Fackelträgervolk (narod faklenosec)! Wir müssen ein solches auch in Zukunft sein! Der Balkan sieht Ordnung, Ruhe (…) und kulturellen Aufschwung dann, wenn wir ihn organisieren. Dazu sind – vor allem – Arbeit, Opferbereitschaft und Fanatismus nötig. So lautet das Vermächtnis der hll. Kyrill und Method.“ Duchoven Zov, 18.6.1941, Nr. 18, S. 1. 912 Duchovno Văzraždane, 1941, Nr. 5/6, S. 14 f.

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Die religiöse und nationale Feier blieb auf der Grundlage der bisherigen organisiert, wurde aber inhaltlich ganz in den Dienst des aktuellen Anlasses gestellt. Die Angliederung wurde zu einer der „leuchtenden Erscheinungen in der historischen Entwicklung des bulgarischen Volkes“, die alle „eng mit diesem Werk und diesen Vermächtnissen verbunden sind oder ihre Erfüllung“ seien. Die Feier erschien in der Zeitung als Her­ stellung nationaler und politischer Einheit durch das Mittel eines militärisch organisierten Massenanlasses. Besonderer Wert wurde auf die Verständigung des Geistlichen mit deutschen Offizieren gelegt: „Die Militärmusik spielte die Nationalhymne und die Hymne auf den Zaren, angestimmt von der lernenden Jugend und vom ganzen Volk. Die Hymne auf die hll. Kyrill und Method – ,Schreite, wiedergeborenes Volk‘ – wurde gesungen. (…) Die an der Feier anwesenden deutschen Offiziere waren begeistert von der Ordnung und Disziplin unserer Schuljugend. Diese sprachen lange mit Seinen Hochwürden, der ausgezeichnet deutsch spricht.“ 913

Die vermeintlichen Höhepunkte nationaler Geschichte und diese selbst wurden in diesen Beispielen der bulgarischen Publizistik zur reinen Erfüllungsgeschichte der „Vermächtnisse“ der Brüder. Mit dem Singen der den Brüdern gewidmeten Hymne blieb die Vorstellung von der Befreiung vom „Joch“ der Osmanen auch im Zweiten Weltkrieg relevant. Auch ein Kirchenfürst wie der bereits genannte Metropolit Kiril von Plovdiv stellte sich an die Spitze der diskursiven Deutung des Kriegsereignisses mithilfe Kyrills und Methods und machte sich damit selbst zur Avantgarde der Nation: Kiril schrieb 1942 unter dem Titel „Das große Erbe“ in der Zeitschrift „Brüderliches Wort (Bratsko Slovo)“, dem Organ des Bruderschaftsbundes der Diözese Plovdiv: „Das größte Erbe erhielt es [das bulgarische Volk, S. R.] von den beiden Soluner Brüdern, den hll. Kyrill und Method.“ 914 Die Brüder seien „Väter im Glauben und Geist“ der Bulgaren, „selbst geboren vom bulgarischen Leben“.915 Der Historiker beschrieb die Brüder damit direkt als Erzeugnisse eines kollektiven nationalen Lebens. Diesem Erbe verdanke das bulgarische Volk „sein reiches Haus“, die Werte „des Glaubens und der Aufklärung, der Tugend und der Kultur“ und die Unsterblichkeit: „So bekräftigt es sein Leben, um

913 „Um 10 ¼ begann das Dankgebet. Von der mit Grün geschmückten hohen Estrade sprach der Archiereij ein begeistertes Wort zum Werk und den Vermächtnissen der heiligen Soluner ­Brüder, wobei er mit starken Worten den Gedanken unterstrich, dass alle leuchtenden Erscheinungen in der historischen Entwicklung des bulgarischen Volkes eng mit diesem Werk und diesen Vermächtnissen verbunden sind oder ihre Erfüllung sind. Seine Rede beendete er mit einem Lebehoch (mnogolětie) auf den Befreierzaren Boris III., den Zaren aller Bulgaren, auf das gesamte bulgarische Volk und auf das große, vereinigte, mächtige und wohlhabende Bulgarien. Nach Seinen Hochwürden sprach im selben Geiste der Lehrer des Knabengymnasiums Todor ­Stanimirov, der die Großtaten der heiligen Apostelgleichen lobpreiste. Beiden Reden wurde mit ­tiefer Aufmerksamkeit zugehört und sie wurden stürmisch gutgeheißen.“ Duchovno Văzraždane, 1941, Nr. 5/6, S. 14 f. 914 Bratsko Slovo, 1942, Nr. 9, S. 131 f. 915 Bratsko Slovo, 1942, Nr. 9, S. 131.

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unsterblich zu werden, und dass keine irdische Kraft sein kann, die es vom Antlitz der Erde wegwischen oder es bis zur Leblosigkeit schwächen könnte.“ 916 Der Geistliche führte mit der Referenz auf die Heiligen nicht diese, sondern das Volk nach dem Vorbild der christlichen Religion nationalpolitisch-theologisch zur Unsterblichkeit. „Das Leben des Geistes“, offenbar der Geist des Volkes, der auch die Brüder hervorgebracht hatte, oder aber derjenige der Brüder bzw. der „kyrillomethodianischen Aufklärung“, „einte“ das bulgarische Volk in der Vergangenheit wie in der Zukunft.917 Der Metro­polit stellte die Angliederung Vardar-Makedoniens, Thrakiens und der Dobrudža in den diskursiven Kontext einer über tausend Jahre alten imaginären imperialen „Einigung“ und recht­fertigte sie damit. Für die Lebendigkeit dieser „Einigung“ stand auch hier „die bulgarische Seele“, die offenbar die zentrale Energiequelle in der Vorstellungswelt des Kirchenfürsten war. Die „kulturhistorische Tradition“ des bulgarischen Volkes „wird bis heute von der bulgarischen Seele getragen. Dies ist eine lebendige Tradition“.918 Erst vor diesem Hintergrund gedachte Kiril ausdrücklich der Ereignisse des Jahres 1941: Der Tag der Brüder sollte zum Gedenktag der nationalen Einheit des „Vaterlandes“ dienen. Mithilfe Kyrills und Methods, aber auch Kliments, wurden hier Makedonien, Ohrid und Solun sowie Bulgarien als eine jubelnde Einheit „der triumphierenden bulgarischen Freude“ beschrieben.919 Bischof Kiril stellte die Brüder ganz im bulgarischen Kontext dar, ohne jeden allgemeinslavischen Bezug, abgesehen von einem Hinweis auf die „slavobulgarische Sprache“. Diese nationale Verengung war 1942 weitgehend selbstverständlich. Jedoch zeigt ein kurzer Text des Bischofs Nikodim von Stobij (Stobijski), dass in derselben Publikation auch eine traditionelle, allgemeinslavische religiöse Verehrung formuliert werden konnte: So konsequent Kiril die Brüder nur als Medium des religiösen bulgarischen Nationalismus und einer Nationaltheologie beschrieb, so folgerichtig deutete Bischof Nikodim die beiden im allgemeinslavischen Kontext, ohne auch nur einmal 916 „Mit dem großen Erbe seiner Vergangenheit wird es unserem Volk gelingen, sein reiches Haus zu schaffen, verziert mit den Kostbarkeiten des Glaubens und der Aufklärung, der Tugend und der Kultur.“ Bratsko Slovo, 1942, Nr. 9, S. 131. 917 „Die kyrillomethodianische Aufklärung, prinzipiell vom Glauben getragen, hat das bulgarische Volk geeint. Diese Einigung währte über alle elf Jahrhunderte seit der Zeit der heiligen Soluner Brüder bis heute. Dies ist unzerstörbar, denn es ist kein äußerliches Band, sondern es ist das Leben des Geistes.“ Bratsko Slovo, 1942, Nr. 9, S. 132. 918 Ihre „guten Kräfte“ seien durch die „kyrillomethodianische Aufklärung geweckt und genährt“ worden. Bratsko Slovo, 1942, Nr. 9, S. 131. 919 „Das bulgarische Volk wird dieses Jahr die heiligen Brüder Kyrill und Method im vereinten und freien Vaterland lobpreisen. Auch Makedonien wird die Erstlehrer des bulgarischen Geschlechts frei ehren und feiern. Die Rufe der triumphierenden bulgarischen Freude werden durch die Stadt der heiligen Brüder gehen und Ohrid wird diese Freude aufnehmen und sie in allen bulgarischen Ländern verkünden, denn es ist die Stadt des heiligen Kliment – des engsten Schülers der heiligen Brüder und der Nachfolger ihres Werks. Die Stadt des Schülers wird die Stadt der Erstlehrer grüßen und die Stadt des großen Täufers, des hl. Boris, und ihnen erzählen, durch ihre Freude, welch großes Wohl die Freiheit ist.“ Bratsko Slovo, 1942, Nr. 9, S. 131.

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explizit von Bulgaren oder Bulgarien zu schreiben.920 Schließlich rief er sie ganz im traditionellen Sinn als heilige Fürbitter an.921 Mit dem Rückgriff auf das traditionelle Gedenken an Kyrill und Method war es möglich, auch während des Bündnisses mit Hitlerdeutschland in der Publizistik zum Frieden aufzurufen, ohne nationalistisch die „Einigung“ Bulgariens zu loben. Allerdings blieben in den Kriegsjahren gegen den vorherrschenden Diskurs schwimmende Texte wie dieser die Ausnahme. D 4.4.2  Akademiker als Propagandisten der Expansion mithilfe der Brüder

Auch professionelle Historiker meldeten sich in Zeitschriften zu Wort: Der Schüler von Vasil Zlatarski und Dozent für mittelalterliche Geschichte an der Sofioter Kliment-Universität, Dr. Ivan Dujčev, bezeichnete in der Zeitschrift „Lesesaal (Čitalište)“ unter dem Titel „das Werk der heiligen Soluner Brüder“ 922 die Brüder gleichfalls 1941 als „Er­­schaffer der slavischen Schrift und erste Schaffende auf dem Feld der bulgarischen Literatur“. Er hielt damit teilweise am früheren allgemeinslavischen Kontext der Erinnerung fest. Gleichzeitig stärkte er aber auch die Nationalisierung der Erinnerung: „Ihr Werk ist das Symbol unserer Einheit durch die Jahrhunderte und unserer nationalen (narodnostna) Kultur – unser nicht negierbarer Stolz und Ruhm.“ Nur für das bulgarische Volk habe „das Werk des hl. Kyrill überzeitliche Bedeutung erhalten“.923 Nach dem Aufbau der Erinnerungsfigur im nationalen Zusammenhang lenkte er im Rahmen des Gedenkens an sie die Aufmerksamkeit auf die neu gewonnenen Gebiete.924 Das Medium der Erinnerungsfigur und damit die moderne Institution des Feiertages der beiden Heiligen gaben die Möglichkeit und den Rahmen, im kurzen Augenblick des Sieges eine vermeintlich ewige nationale und territoriale Einheit zu imaginieren. Laut einer Fußnote handelte es sich bei dem Text um einen Vortrag zum Feiertag der heiligen Brüder – wo er gehalten wurde, wurde jedoch nicht angegeben. Mit dem rhetorischen Mittel der Adresse an die bulgarischen „Brüder“ in allen Reichsteilen wurde die Schaffung einer gegen innen inklusiven und gegen außen abgeschlossenen nationalen Kommunikationsgemeinschaft

920 Nur das „slavische Geschlecht“ hob er hervor, sowie er von „wir“ „als Volk“ sprach. Bratsko Slovo, 1942, Nr. 9, S. 133. 921 „Gottweise (bogomudrii) Kyrill und Method, betet vor Gott Christus, dass er uns Frieden auf der ganzen Welt schenke, und Rechtgläubigkeit und Eintracht (edinomislie) unseres ganzen Volkes und aller Slaven, für die ihr euch eurer ganzes Leben bemüht habt!“ Bratsko Slovo, 1942, Nr. 9, S. 133. 922 Dujčev (1941a), S. 83. 923 Dujčev (1941a), S. 84. 924 „Meine Brüder aus dem wunderbaren Makedonien, aus der ebenen Dobrudža und aus dem ­warmen Weißmeergebiet – ihr seid von Neuem mit uns vereint, wie einst vor Jahrhunderten, unter der Rechten des geliebten und weisen Herrschers. Wir sind heute versammelt, um einen der ruhmreichsten und unvergesslichen Tage seit dem Bestand unseres Dritten Reiches zu ­begehen. In der Stunde dieser lichten Freude lasst uns uns erinnern, dass namentlich das Werk der hei­ ligen Brüder das stärkste Band zwischen uns während aller Zeiten war.“ Dujčev (1941a), S. 83.

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bekräftigt. Wie brüchig und konstruiert die beschworene angebliche nationale und territoriale Einheitlichkeit war, geht aus der Bemühung hervor, sie unumstößlich beweisen zu wollen. Auch hierzu schien das „Werk“ der Brüder am besten geeignet zu sein.925 Noch schien der territoriale Gewinn nicht gesichert, noch sollte mittels der Heiligen gestiftete nationale Begeisterung den befürchteten Verlust der Gebiete durch die Kraft zu neuen Kämpfen verhindern. Kyrill und Method und das Gedenken an sie wurden zum zentralen Instrument zur Vorstellung einer nationalen Einheit, „ihr Werk vereint uns und stärkt uns durch die Jahrhunderte“.926 Die Nachdrücklichkeit des Wunsches, einig zu sein, verschleierte die Abhängigkeit der Gebietsgewinne von der deutschen Kriegsführung. Der Mediävist schrieb sich mit einigem Engagement in den Diskurs ein und machte ihn sich zur Mobilisierung des Vaterlandes zu eigen. Auch der Byzantinist und Universitätsprofessor Petăr Mutafčiev veröffentliche 1941 in der vom „Bildungsbund in Bulgarien“ herausgegebenen Zeitschrift „Bildung (­prosveta)“ einen Aufsatz unter dem Titel: „Das Werk Kyrills und Methods in der kultu­rellen ­Mission des bulgarischen Volkes“. Nach einer eingehenden Analyse der Konsoli­dierung des bulgarischen Gemeinwesens im 8. und 9. Jh. hielt es der Historiker angesichts der angeblichen Gefahren einer byzantinischen Missionierung für „das Verdienst der beiden Brüder aus Solun“, ein Scheitern der Nationsbildung der Bulgaren verhindert zu haben. Ihr Verdienst war die Ermöglichung der „Nationalisierung“ der Kirche, und dadurch der Schutz Bulgariens vor „äußerer Einmischung“ und die Verhinderung der „Ent­artung“ des bulgarischen Volkes. Religiöse Dimensionen des Wirkens der beiden Brüder waren hier ganz ausgeblendet. Der Historiker lobte die Verbreitung des ­Glaubens nicht wegen seiner christlichen Bedeutung, sondern wegen des durch ihn hervor­gerufenen „Aufschwung des Volksbewusstseins (narodnata svěsť)“ und des „grenzenlosen Vertrauens in die eigenen Kräfte“.927 Mit diesen Sätzen versuchte der Mediävist, gerade ein ­solches 925 „In diesem Werk unserer ersten Heiligen ist auch der am wenigsten verneinbare Beweis der heutigen Einheit unserer Länder von unserem an die Donau grenzenden Nordosten bis zu den südwestlichsten Grenzen Makedoniens begründet: In diesen Ländern schufen und predigten die Schüler unserer Apostel, und Jahrhunderte später riefen Patrioten unser Volk zum Kampf um die geistige und politische Freiheit erneut unter dem Schutz der heiligen Brüder auf, mit ihrem Namen auf den Lippen… Keine menschliche Hand kann in unserer Seele das vernichten, was die Jahrhunderte geschaffen haben. Diese unsere nationale (narodnostno) Einheit – geboren durch den Geist und das Wort – wird stärker durch alle Prüfungen. Dies gibt uns die Kraft, dass wir bis heute kämpfen – dies wird uns auch weiterhin vorwärts führen.“ Dujčev (1941a), S. 84. 926 „Das Gedächtnis an die heiligen Brüder möge ewig sein, denn ihr Werk vereint uns und stärkt uns durch die Jahrhunderte! Ihr Vermächtnis, das unser Lebenswerk ist, und das uns dazu geführt hat, dass wir die heutigen Ehrentage der Vereinigung und Befreiung aller bulgarischen Länder und aller Bulgaren erleben, und das uns dazu führen wird, dass wir ewiglich in Einheit und Stärke bleiben, möge ewig währen!“ Dujčev (1941a), S. 84. 927 „Aber dass dieses fatale Ende nicht eintrat und dass unser Volk nicht verschwand, noch bevor sein Entstehungsprozess abgeschlossen war, war das Verdienst der beiden Brüder aus Solun. (…) Durch die slavische Predigt und Liturgie erlangte das Christentum bei uns sittlichen Inhalt und festigte sich. Durch verstärkte Lehrtätigkeit wurden die Kader unserer nationalen (­narodnoto)

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übersteigertes Selbstvertrauen erst herbeizuschreiben. Die angeb­liche „Mission“ der Brüder machte er im Weiteren zu der des „bulgarischen Volkes“. Sie bestand nicht in der Christianisierung der Slaven, sondern im Kampf für die Stellung der slavischen Sprache.928 Schließlich schrieb er den Brüdern zu, die „Möglich­keit“ geschaffen zu haben, dass sich die Bulgaren „als homogenes nationales Ganzes schufen“. Zudem machte er die Bulgaren kollektiv durch „das Werk Kyrills und Methods“ zum „geistigen Führer (duchoven vožd) der slavischen Welt“.929 Mutafčiev entwarf mit diesem Satz gleich­ zeitig einen zur Zeit der Niederschrift gelten­den Anspruch Bulgariens auf die „geistige“ Vorherrschaft über die Slaven als kollektiver „Führer“ – eine Vorstellung, die nicht von der omnipräsenten Verwendung des Begriffes in Deutschland und seinen Vasallen­staaten gelöst werden kann. Allerdings wurde hier nicht die germanische Rasse beschworen, sondern „die slavische Rasse“ 930, unter bulgarischer Führung. Der Historiker versuchte, mithilfe der Erinnerungsfiguren Kyrill und Method für Bulgarien im Wettstreit der völki­ schen Überlegenheitsentwürfe eine eindrückliche eigene Position aufzubauen und zu legitimieren. Auch die Rede von „Entartung“ sowie von einem „homogenen nationalen Ganzen“ rückte den Text in die Nähe des nationalsozialistischen Sprachgebrauchs.931 Weitere Akademiker überboten sich in der Zuspitzung der Nationalisierung: Dimităr Gjuzelev, der aus Dojran im Süden des jugoslawischen Makedonien stammte, 1927 im SHSStaat wegen national-makedonischer Betätigung verurteilt wurde und 1942 in Zagreb über Schopenhauer promovierte, leitete in Skopje ein unter bulgarischer B ­ esatzung eingerichtetes Kulturradio 932. 1943 schrieb er in der gleichenorts publizierten Zeitschrift „Makedonien“ in einem Beitrag unter dem Titel: „Beweise für die bulgarische Herkunft der hll. Kyrill und Method“ 933 von einer „historischen Mission“ der Bulgaren, von deren „moralischer Kraft

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Geistlichkeit vorbereitet. Die Leitung der Kirche wurde nach und nach von Bulgaren eingenommen. Durch ihre Nationalisierung (nacionalizacijata) wurde die Möglichkeit äußerer Einmischung in unser geistiges Leben und daher auch in die Führung unseres staatlichen Schicksals ein für alle Mal beseitigt. Anstatt zur Entartung (obezrodjavane) zu führen, rief der neue Glaube einen mächtigen Aufschwung des Volksbewusstseins (narodnata svěsť) hervor und ein grenzenloses Vertrauen in die eigenen Kräfte.“ Mutafčiev (1941 – 1942), S. 762. Die frühen Werke etwa des Mönches Chrabr („Černorizec Chrabr“) „bewiesen das Recht der slavischen Sprache, im geistigen Leben der damaligen Menschheit einen dem Griechischen und Lateinischen gleichrangigen Platz einzunehmen. Die kulturelle Mission des bulgarischen Volkes bestand namentlich darin – der slavischen Sprache eine solche Stellung zu erkämpfen (izvojuva), und diese Mission wurde glänzend erfüllt.“ Mutafčiev (1941 – 1942), S. 762. „Aber bevor uns das Werk Kyrills und Methods erlaubte, als geistiger Führer (duchoven vožd) der slavischen Welt hervorzutreten, gab es uns s e l b s t die Möglichkeit, dass wir uns als homogenes völkisches Ganzes schufen (se săzdadem).“ Mutafčiev (1941 – 1942), S. 762. Mutafčiev (1941 – 1942), S. 757. Unter demselben Titel erschien am 22. Mai 1943 ein kürzerer Beitrag Mutafčievs in der auf­ lagenstarken Tageszeitung „Dnevnik“. Dnevnik, 22.5.1943, Nr. 13013, S. 3. Opfer (2005), S. 255. Makedonija, 1943, kn. 3, S. 12 – 20. Sein Aufsatz begann mit einer Wertschätzung des Werks der Brüder als Mittel zur Affirmation der „kulturellen Selbständigkeit“ der Bulgaren: „Mit

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und Größe“ sowie von einer „kyrillisch-methodischen Bewegung“ und selbst von einer „Seele“ des „bulgarischen Volkes in Makedonien“.934 Auch er fasste nicht nur den herrschenden Diskurs über die Rolle der Brüder zusammen, sondern gestaltete ihn gleich weiter. Die „missionarische Rolle“ der Bulgaren sah er in der Verbreitung seiner „Muttersprache“ und Gebetssprache von der „Adria bis zum Ural“ begründet. Wenn das Volk stolz Makedonien als „Wiege der bulgarischen Kultur“ anerkenne, sei es gegenüber seinen „Führern (vodači) – den hll. Kyrill und Method“ dazu verpflichtet, ihren Feiertag „zum nationalen, zum Tag der kulturellen Größe des bulgarischen Volkes“ zu erklären.935 Nicht in erster Linie der Brüder, sondern der natio­nalen „Größe“ sollte an diesem Tag gedacht werden. Die internationale wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den Heiligen musste auch in diesen Jahren mit dem nicht nur in Bulgarien verbreiteten Verständnis von der Geschichtswissenschaft als Dienerin am Vaterland in Konflikt geraten. So diente das internationale Interesse am Werk Kyrills für Gjuzelev zunächst als Beweis für dessen „revolutionären Charakter“.936 Die Wissenschaft hatte in dieser Logik aber auch die Funktion, eine missionarische Rolle Bulgariens anzuerkennen. Da dies jedoch nicht im gewünschten Ausmaß geschah, war die bulgarische Perspektive auf die „großen Bulgaren“ zu verteidigen.937 Die Rede von „unseren Feinden“ zeigte dabei, wie wenig die nationale

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tief­schürfendem Bewusstsein nannte unser erster genialer Philosoph Kyrill, als er das erste bulgarische Alphabet schuf, den ersten Buchstaben ,Az‘, da mit seiner symbolistischen Aussprache sich das bulgarische ,ich‘ [bulg.: ,az‘, S. R.] bekräftigte und gesunde Grundlagen der kulturellen Selbständigkeit des ganzen bulgarischen Volkes legte.“ Makedonija, 1943, kn. 2, S. 12. „Die Erscheinung der kyrillisch-methodischen Bewegung hallte stark unter allen slavischen Völkern wider, aber am tiefsten erlebte sie das bulgarische Volk. Seine moralische Kraft und Größe fühlte unmittelbar das bulgarische Volk in Makedonien, dessen Seele durch die Dauer der ganzen bulgarischen Geschichte immer von den aufklärerischen Ideen der Soluner Brüder durchwirkt war. Und wenn es richtig ist, dass jedes Volk das Bewusstsein um seine historische Mission haben muss, so ist die aufklärerische Idee der Soluner Brüder die große Mission des bulgarischen Volkes gewesen, das diese während des Mittelalters unter den slavischen Völkern großartig ausübte.“ Makedonija, 1943, kn. 2, S. 12. „Wenn sich das große gesamte bulgarische Volk seiner missionarischen Rolle (misionerstvo) bewusst wird, und sieht, dass seine Muttersprache zur ersten Buchsprache der Slaven wurde, in der sich während ganzer Jahrhunderte zweihundert Millionen Slaven von der Adria bis zum Ural mit Gebeten an den Allmächtigen wandten, und stolz ist, dass Makedonien die Wiege der bulgarischen Kultur wurde, kommt es der Verpflichtung gegenüber seinen ersten Priestern, ­Leitern und kulturellen Führern (vodači) – den hll. Kyrill und Method – nach und verkündet ihren Feiertag zum nationalen, zum Tag der kulturellen Größe des bulgarischen Volkes.“ Makedonija, 1943, kn. 2, S. 12. „Die Bedeutung und der revolutionäre Charakter (revoljucionnosťta) des Werks von Kyrill wurden von der gesamten kulturellen Welt genügend hervorgehoben.“ Makedonija, 1943, kn. 2, S. 12. „Unsere Feinde gebrauchen die Wissenschaften für ihre politischen Bestrebungen und das Unrecht am bulgarischen Volk, wenn sie die sogenannte Kyrill-und-Method-These schufen, gemäß der die einen Gelehrten den slavischen, d. h. bulgarischen Ursprung von Kyrill und Method

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Dimension der Erinnerung an die Brüder auch im ausdrücklich „wissenschaftlichen“ Diskurs sachlich ausgeklammert werden konnte. Ergebnisse der Forschung hatten ausdrücklich nur die Aufgabe zu erfüllen, „Überzeugungen der Seele“ des bulgarischen Volkes nachträglich zu bestätigen.938 Sein pseudowissenschaftlicher „Beweis“ der Herkunft der Brüder zeugt von der nationalen Bedeutung, die er der Angelegenheit zuschrieb.939 Die Rede von „nationalen“ Aspekten stärkte die Verbindung der Erinnerungsfiguren mit der nationalistisch gesinnten Historiographie sowie die Instrumen­talisierung der Brüder durch diese. Die Behauptung eines „starken slavo-bulgarischen Nationalismus“ war die eigentliche These des Artikels.940 Abgesehen von den einzelnen Argumenten ist deren logische Verknüpfung und ­Gjuzelevs Rhetorik zur Verteidigung der Brüder als „größte bulgarische Genies“ vor den „niederträchtigen“ „Feinden“ bemerkenswert:941 Der Status des bulgarischen Volkes als „Kulturträger“, so wird deutlich, war mit allen Mitteln zu verteidigen.942 Nach dem

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bekräftigen, aber die anderen denken, dass unsere Erstapostel Griechen waren. Aber die Frage nach der Nationalität der Schöpfer des slavischen Alphabets, ist gemäß den neuen Forschungen des Prof. V. Pogorelov kategorisch zugunsten der These entschieden, dass die hll. Kyrill und Method von ihrer Herkunft bulgarische Slaven aus Solun waren. Das bulgarische Volk hat nie daran gezweifelt, da in seiner Seele die Überzeugung bekräftigt liegt, dass diese, welche einen solchen Ruhm für den Bulgaren und die ihn vor dem Angesicht der Weltgeschichte als eine separate Nation mit einer eigenen Kultur geschaffen haben, größere Bulgaren sein müssten, als viele politische Häupter, die Leere in unsere Geschichte gesät haben.“ Makedonija, 1943, kn. 2, S. 12. „Mit der vorliegenden Arbeit wird der Glaube des Volkes (narodnoto věrvane) an den bulgarischen Ursprung der bulgarischen Apostel auch mit wissenschaftlichen Beweisen bekräftigt.“ Makedonija, 1943, kn. 2, S. 12. „Unser Beweis formuliert sich so: Kyrill und Method waren bulgarische Slaven, weil sie gemeinsam mit den übrigen slavischen Eliten in Makedonien, unter dem Druck eines kollektiven Bedürfnisses, das durch die historische Entwicklung unseres Volkes bedingt war, einen nationalen Gottesdienst schufen.“ Makedonija, 1943, kn. 2, S. 15. „Dies zeigt, dass unsere Apostel ,unter dem Einfluss gewisser nationaler Bestrebungen‘ waren, wie Prof. Balan schreibt. Nur diese Sorge um das eigene Volk, die tief in ihnen verankerte Sorge um das Schicksal der Slaven, kann ihren Mut erklären, ihre revolutionäre Idee zu verwirk­lichen, sie offen zu erklären und sie um den Preis ihres Lebens zu verteidigen. Das bedeutet, die ­Wirkung eines starken slavjano-bulgarischen Nationalismus, der beseelt war durch die Sorge um die Christianisierung des Slaventums (oblăčen v grižata), lässt sich in allen ihren Anstrengungen erkennen, die Kulturstufe (kulturna stepen’) des eigenen Volkes zu bewegen, um ihm Anteil am gesündesten nationalen Selbstwert und eine Volksbildung (narodna prosvěta) zu geben.“ Makedonija, 1943, kn. 2, S. 15. „So löst dieser Beweis kategorisch die Frage um die bulgarische Herkunft der bulgarischen Apostel, und wenn auch nur dieses Argument existierte, genügt es, um den niederträchtigen und hinterhältigen Gedanken unserer Feinde abzuwehren, die uns die größten bulgarischen Genies nehmen und das Gefühl unserer nationalen Unterschätzung säen.“ Makedonija, 1943, kn. 1, S. 18. „Wären Kyrill und Method keine Bulgaren gewesen, wäre das bulgarische Volk nicht gewissermaßen aus eigener Kraft um eine ,Kulturstufe‘ erhöht worden, und nur indirekt ,Kulturträger‘

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„Beweis“ der slavisch-bulgarischen Herkunft Kyrills, der gemäß der Argumentations­logik einer Objektivität und Wahrhaftigkeit anstrebenden Wissenschaftsrhetorik geführt wurde, drängte sich eine erneute Steigerung seiner Wertschätzung auf. Die Gleich­berechtigung der Bulgaren gegenüber den „übrigen Völkern Europas“ war die historische Dimension des „Werks“ Kyrills und Methods.943 Die Verehrung Kyrills nahm dabei eine neue Qualität der rhetorischen Gigantomanie an: „Der Genius des bulgarischen Volkes sprach vor dem Antlitz der Weltgeschichte durch seinen ersten genialen Philosophen, den ersten großen Menschen, einen kulturellen Missionar, den slavischen Propheten, Helden und Zivilisator (prorok i Geroj-civilizator) – Kyrill von Solun.“ 944

Kyrill spielte dabei ausschließlich als „kultureller Missionar“ eine Rolle – nicht jedoch als religiöser Missionar. Die kriegstheologische Deutung des Handelns der Schüler der Brüder als „Waffe“ im „nationalen Kampf“ stand ganz unter dem Vorzeichen eines modernen Nationalismus.945 Auch die Schriften der Schüler dienten zum Beweis der slavischen Herkunft der Lehrer.946 Aber selbst bulgarische Nationalisten scheinen an diese Beschwörungen der bulgarischen Ethnizität der beiden Brüder nicht recht geglaubt zu haben.947 D 4.4.3  ,Waffen‘ im ,Kampf‘ – die Brüder in der Tagespresse und bei Massen­feiern

Die Verehrung Kyrills und Methods stand auch in der Tagespresse ganz unter dem Eindruck der Entwicklung der Kriegsgeschehnisse. Die Entwicklung der Ereignisse des Zweiten Weltkrieges fand ihre direkte Widerspiegelung in der Darstellung der mittel­ alterlichen Geschichte Bulgariens und ihrer Verknüpfung mit der Gegenwart und Zukunft.

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geworden. Sie waren slavische Makedonen und (…) begabt mit einem erhöhten Gefühl für ihr Volk und der Sorge, es von der kulturellen Sklaverei von Byzanz zu befreien.“ Makedonija, 1943, kn. 1, S. 17 f. „Mit der Vorlage des „ersten slavjano-bulgarischen Buches vor dem Altar der Kirche ,St. Peter‘ in Rom, in diesem feierlichen Moment wurde dem bulgarischen Volk zuerkannt, dass es in kultureller Hinsicht selbständig lebt und dass es gleichberechtigt mit den übrigen Völkern in Europa sein wird. So nahm unsere Sprache den vierten Rang ein als Buchsprache und gleichzeitig als heilige. Damit zeigte sich das bulgarische Volk auf demonstrative und erhabene Weise international als neuer historischer Faktor durch das geniale Werk unserer Apostel Kyrill und Method.“ Makedonija, 1943, kn. 1, S. 19. Makedonija, 1943, kn. 1, S. 19. „Diese [die slavjano-bulgarische Sprache, S. R.] war eine Waffe im Kampf gegen unsere Feinde. Daher war der Kampf vor allem ein nationaler (narodnostna), und erst in zweiter Linie ein religiöser.“ Makedonija, 1943, kn. 1, S. 19. „Übrigens hat keiner der Schüler Kyrills gesagt, dass diese Griechen gewesen seien. Ihre Manifestationen nationalen Gottesdienstes begriffen diese als Erfüllung des Vermächtnisses, das die Erstlehrer hinterlassen hatten.“ Makedonija, 1943, kn. 1, S. 20.­ Der „Unsrige“ schrieb: „Die Feinde des bulgarischen Stammes mögen die Nationalität der ­heiligen Brüder Kyrill und Method bestreiten, aber niemand kann bestreiten, dass nur bei uns ihr Feiertag so feierlich und spontan geehrt wird.“ Našenec, 22.5.1943, Nr. 123, S. 2.

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Mobilisierung und Sakralisierung der Nation

So beschrieb der „Unsrige (Našenec)“ am 22. Mai 1943 unter dem Titel „Das Werk der heiligen Soluner Apostelgleichen“ die bulgarische Geschichte als „un­ab­lässigen Kampf“, der das „Wesen“, das „historische Schicksal“ des bulgarischen ­Volkes sei.948 Die ­Leistungen Kyrills und Methods wurden in dieser Diktion folgerichtig zur „Waffe“: Die Brüder sollen mit dem „bulgarischen Alphabet“ dem Volk neben dem Schwert „noch eine Waffe, die Waffe des bulgarischen Denkens und der Bildung“ gegeben haben.949 Mit dieser „mächtigen Waffe“ führte „unser Volk“ seither den Kampf „für sein Land, um sein Existenzrecht“. Die beiden Brüder stifteten aber nicht nur diese Waffe, ­sondern auch „den Glauben (…) an die (…) Kraft des bulgarischen Geistes“.950 Das missio­ narische und bildungsfördernde Handeln der Brüder wurde im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg kriegstheologisch zur Grundlage einer Geschichte eines martia­ lischen „Kampfes“ des bulgarischen Volkes um seine „Existenz“ umgedeutet. Diese Geschichte sollte die Gegenwart und die Zukunft gestalten, der Tag der Brüder sollte zum „Schwurtag für alle Bulgaren“ werden, und alle im Dienst der „Größe ­Bulgariens“ mobilisieren, ja „alles hingebend“ dauerhaft binden.951 Nationale Größe trat an die Stelle des früheren Gottes.

948 „Seit dem ersten Tag seines historischen Daseins führt unser Volk einen unablässigen Kampf um sein Land und sein Recht auf Leben. Dieser Kampf ist auch heute sein Wesen (săštnosť), sein historisches Schicksal.“ Našenec, 22.5.1943, Nr. 123, S. 1. 949 „Zunächst führte es diesen Kampf nur mit dem Schwert. (…) Aber dem staatsschaffenden Werk des Bulgaren fehlte eine gesunde geistige Stütze. Das bulgarische Denken (mislovnosť) hatte kein Ausdrucksmittel, der Flug des bulgarischen Geistes war gehemmt.“ Der „Zerfall“ des ­Staates drohte. „Diese Gefahr wurde nur durch die Erfindung des slavjanobulgarischen Alphabetes durch die beiden Soluner Apostelgleichen, die hll. Kyrill und Method, für immer abgewendet. Mit der Schaffung des bulgarischen Alphabetes begann eine neue Ära im Leben des bulgarischen Volkes. (…) Mit seiner Erfindung gaben die heiligen Soluner Brüder dem bulgarischen Volk – abgesehen vom Schwert, das sie mit unerreichter Meisterschaft in allen Kämpfen beherrschten – noch eine Waffe, die Waffe des bulgarischen Denkens und der ­Bildung.“ Našenec, 22.5.1943, Nr. 123, S. 1. 950 „Unser Volk hat diese mächtige Waffe in allen folgenden Jahrhunderten nicht aus seiner Hand gegeben – bis zum heutigen Tag. Mit ihm kämpft es für sein Land, um sein Existenzrecht. Und in diesem Kampf, der für viele oft hoffnungslos aussah, hatte seine Hand nur eine Stütze – ­seinen Glauben an die Gerechtigkeit und die unauslöschliche Kraft des bulgarischen Geistes, der ihm von den Soluner Apostelgleichen Kyrill und Method vermacht worden war. Das bulgarische Alphabet liegt der bulgarischen Kultur zugrunde. Die bulgarische Staatlichkeit aber, in Zusammenarbeit mit einer Elite der Söhne unseres Landes, in der fernen wie in der näheren Vergangenheit, setzt das große Werk der beiden heiligen Brüder fort und wird das großartige Gebäude der allbulgarischen Einheit vollenden, das kräftig und gesund während ganzer Jahrhunderte widersteht und das bulgarische Volk während den Jahren der Sklaverei und des ­Leidens vor dem Untergang rettete.“ Našenec, 22.5.1943, Nr. 123, S. 1. 951 „Heute erlangt dieses Werk noch einen tieferen Sinn. In den heutigen Tagen des Kampfes muss der Feiertag der Soluner Apostelgleichen ein Schwurtag für alle Bulgaren werden. Er ver­kündet eine große Pflicht der Generation – der heutigen und künftigen: Lasst uns mit allen Kräften

Kyrill und Method

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Nationales Pathos und der Wille zur Profilierung einer eigenständigen bulgarischen Kulturgeschichte führten gerade im historiographischen Diskurs über Kyrill und Method zu eigenwilligen Interpretationen. So erreichte die Diskussion um die Ethnizität der beiden Brüder in den frühen 1940er-Jahren einen neuen Höhepunkt. Insbesondere die Ein­gliederung Makedoniens veränderte den Diskurs um die Brüder – das Gedenken an Kyrill und Method diente nicht mehr nur der Rechtfertigung des Wunsches nach der „Vereinigung“ des bulgarischen Volkes, sondern seiner Umsetzung mit nationalsozialistischer Hilfe. Die Tageszeitung „Dnevnik“ unterstrich in diesem Sinne am 25. Mai 1943 zum „Feiertag der bulgarischen Schriftlichkeit“ die Bedeutung der Feiern in ganz Bulgarien und „insbesondere in Makedonien“, an denen „die ganze Bevölkerung“ teilgenommen haben sollte. Die angebliche massenhafte Teilhabe an der Feier „in allen Städten und größeren Dörfern“ sollte die seitens Sofias erwünschte Zustimmung zur Integration der besetzten Gebiete in den bulgarischen Staat bezeugen.952 Schon ein Bericht im „Dnevnik“, einer der auflagenstärksten Sofioter Tageszeitungen, vom 22. Mai 1943 zum „Feiertag der Volksbildung“ am Tag Kyrills und Methods las sich, als ob diese nun auch dazu dienten, die schwierige Situation zwischen den Fronten des Zweiten Welt­ krieges zu erklären, die sich für die bulgarische Führung abzuzeichnen drohte – die Brüder boten sich als „Volksführer“ an.953 Allerdings durfte der weitere Text keinen Zweifel an der Loyalität lassen: Dankbarkeit gegenüber Deutschland und Italien verband sich mit dem Gedenken an die Brüder.954 Die Feiern zum „Feiertag der bulgarischen Schriftlichkeit“ waren auch 1943 staatlich organisierte Massenanlässe, über die in der Publizistik, wie etwa in der Tageszeitung ergeben und alles hingebend für die Größe Bulgariens arbeiten.“ Našenec, 22.5.1943, Nr. 123, S. 1. 952 „Der Tag der Soluner Apostelgleichen und Aufklärer, der hll. Kyrill und Method, wurde gestern im ganzen Land auf die feierlichste Weise begangen. In allen Städten und größeren Dörfern wurden große Manifestationen abgehalten, mit der Teilnahme der gesamten Einwohnerschaft (graždanstvo). Besonders feierlich verging dieser lichte Feiertag in den befreiten Ländern, insbesondere in Makedonien. Dort wurden große Manifestationen mit der Teilnahme der ganzen Bevölkerung organisiert.“ Dnevnik, 25.5.1943, Nr. 13014, S. 1. 953 „In dieser sehr gefährlichen Lage, in der sich das bulgarische Volk in den Tagen der hll. Kyrill und Method befand, da es zwei große Gefahren der Eroberung und Denationalisation bedrohten – aus dem Osten der Hellenismus, und aus dem Westen – der Latinismus (latinizma), erwiesen sich diese als kunstvolle Strategen und Volksführer (narodni vodači) – als Bewahrer unseres Stammes in diesem Kampf zwischen zwei Fronten – der byzantinischen und der römisch-­katholischen.“ Dnevnik, 22.5.1943, Nr. 13013, S. 1. 954 „Und heute, wo der bulgarische Stamm in Eins versammelt ist, und auch die Heimatstadt der heiligen Apostelgleichen Kyrill und Method in naher Reichweite des bulgarischen Himmels ist, lasst uns zunächst Gott danken, und dann unseren Befreundeten und Verbündeten, dem ­deutschen und dem italienischen Volk, die, wenn auch mit wenigen Opfern, die Möglichkeit gaben, dass sich das jahrhundertealte bulgarische Ideal verwirklichen konnte – ein freies und vereintes Bulgarien. Wir alle müssen erfüllt sein vom Bewusstsein der Dankbarkeit gegenüber ihnen und von der Hochachtung (počit) und der Verneigung vor dem hellen Gedächtnis an unsere Erstlehrer die hll. Kyrill und Method.“ Dnevnik, 22.5.1943, Nr. 13013, S. 2.

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Mobilisierung und Sakralisierung der Nation

„Dnevnik“, ausgiebig berichtet wurde. An erster Stelle wurden dabei die ausländischen Gäste genannt.955 Das Programm bestand aus einem gemeinschaftlichen Gebet, einer Rede eines Universitätsdozenten, dem Singen von Nationalhymnen, Schulkinderumzügen in „geordneten Reihen“ durch die Straßen Sofias sowie deren Empfang durch Regierungsmitglieder.956 Auch über das neue Medium des Rundfunks dienten die Brüder zur Stiftung kollektiver Identität: „Zum Mittag hielt der Minister für Volksbildung auf Radio Sofia eine Rede.“ Auch in der Darlegung der Bedeutung des „Werks“ der ­Brüder für die bulgarische Geschichte durch Prof. Boris Jocov wurden diese zum zeitlosen Angelpunkt und Zentrum der bulgarischen Existenz: Die Geschichte der Bulgaren vor Kyrill und Method richtete sich ganz auf deren Erscheinen aus. Die bulgarische „religiöse, historische und nationale“ Existenz nach dem Tod Kyrills und Methods sollte ausschließlich von der Befolgung des „Vermächtnisses“ der beiden Brüder abhängen. Die Nation erschien damit in engster Einheit mit den Heiligen selbst sakralisiert. Vor allem versuchte der Minister aber, Bulgarien aus tagespolitischen Gründen mit dem Medium der Brüder die „Verteidigung seines Willens“ etwa „mit dem Schwert seines Lebenswillens“ nahezulegen:957 Die Worte des Bildungsministers machten die „kyrillomethodianische Idee“ offiziell und in der größten Tageszeitung sowohl zum Schlachtruf

955 „An der Feier waren auch der Staatsuntersekretär des rumänischen Ministeriums für Propa­ ganda Hr. Marku gemeinsam mit dem rumänischen Bevollmächtigten Minister Hr. Chr. Kristu anwesend, sowie rumänische Journalisten, die bei uns zu Gast waren.“ Dnevnik, 25.5.1943, Nr. 13014, S. 2. 956 „Nach dem Gebet (molebena) hielt Hr. Chr. Gandev, Dozent an der Universität, eine Rede, nach welcher der versammelte Schülerchor, etwa 500 Sänger, die Nationalhymnen und die Kantate für die hll. Kyrill und Method sangen. Um elf Uhr empfingen der vorsitzende Minister Hr. Prof. B. Filov und der Minister für Volksbildung Hr. Prof. B. Jocov die grandiose Manifestation der lernenden Jugend in der Hauptstadt. Geordnete Reihen und der feste Schritt der Schüler und Schülerinnen und ihr hohes und aufgewecktes ,Hurra‘ riefen die Begeisterung aller offiziellen Personen und der Tausenden der hauptstädtischen Einwohner hervor, die massenhaft auf den zentralen Straßen der Hauptstadt zusammenflossen.“ Dnevnik, 25.5.1943, Nr. 13014, S. 2. 957 „Unter anderem sagte Hr. Prof. B. Jocov: Um Kyrill und Method zu erreichen, hat das bulgarische Volk auf seinem Lebensweg viele Hindernisse überwunden, Erschütterungen und Leiden, geführt durch seine mutigen und kräftigen Männer. Mit dem Schwert seines Lebenswillens hat es die Grenzen seines Vaterlandes vorgezeichnet, sich einen Platz unter der Sonne zwischen großen und mächtigen Völkern erkämpft und hat sich im Flug der Jahre mit seinem Bewusstsein bekräftigt, mit seinem Stolz und seiner Ehre. (…) Und noch heute hat dieses Werk Kyrills und Methods nicht seinen Sinn und seine Bedeutung verloren. (…) Stolz auf die Errungen­schaften seiner auserwählten Söhne ist das bulgarische Volk fest entschlossen, deren Vermächtnis zu befolgen, das ihm von diesen hinterlassen wurde, in Stunden der Freude wie in denen des Schmerzes, der Begeisterung wie der Trauer, mit dem Glauben an den dauerhaften Sieg der Idee der Unsterblichkeit des Geistes. Daher weiß es, dass es keine festere Verteidigung seines ­Willens hat, als wenn es durch die Jahrhunderte auf diesem Grund verharrt, auf dem es sein ganzes Dasein aufgebaut hat – religiös, historisch und national.“ Dnevnik, 25.5.1943, Nr. 13014, S. 2.

Kyrill und Method

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als auch zur Staatsideologie.958 Aus den Kommentaren zu den in der Zeitung veröffentlichten Abbildungen zur Feier geht hervor, dass an einem „Marsch“ auch „Kriegerinnen“ teilnahmen – Mitglieder der an faschistischen Jugendorganisationen ausgerichteten Gruppierung der „Branniki“. Ihre jüngsten Mitglieder legten im Rahmen desselben Anlasses als „Adlerjunge“ öffentlich ihr „Gelübde (obrok)“ ab.959 Im Schatten dieser nationalistischen Aufladung des Gedenkens bot die Demonstration zur Feier der beiden Brüder im Mai 1943 aber auch Raum zu einer Gegendemonstration von vor der Deportation stehenden Juden. Sie führte dazu, dass sich im Rahmen der Feiern Metropolit Stefan öffentlich und mit Erfolg für den Schutz der Juden Bulgariens (allerdings – und dies ist entscheidend – ohne die neu eroberten Gebiete) vor der Vernichtung einsetzte.960 Die Erinnerungsfigur, die Kyrill und Method darstellten, spielte in der Sicherung und Legitimierung der makedonischen Eroberungen in diesen letzten Tagen der Herrschaft Boris III. auch in den Gebieten selbst eine entscheidende Rolle. Nicht weniger wichtig zur Aufrechterhaltung der Moral war aber die Berichterstattung über solche Feiern etwa in Saloniki auch in der Sofioter Presse.961 Ostern 1941 stand für die sich nähernde „leuchtende Zukunft“ – Kyrill und Method dienten nun zur Rechtfertigung der erneuten Besatzung Vardar-Makedoniens. Führende Historiker und Kirchenleute propagierten mittels der Erinnerungsfigur die „Einigung“ und den „unablässigen Kampf“ und näherten sich dem nationalsozialistischen Vokabular an. Die Presse berichtete aus den eroberten Gegenden und festigte dabei die Nation. Transnationale Aspekte wurden durch ihre Rolle als Träger des bulgarischen Nationalismus verdrängt. Die mehrfache Deutung ihres Handelns als „Waffe“ im „nationalen Kampf“ steht für ihre Funktion der Mobilisierung im Zweiten Weltkrieg. Der sich damals in Bulgarien entfaltende „Kriegskult“ war folglich nicht nur durch weltliche nationale Entwürfe gekennzeichnet, hinter denen explizit religiöse Erinnerungs­figuren wie Kyrill und Method zurücktraten:962 Orthodoxe Geistliche taten sich auch im kriegstheolo­ gischen Entwurf bellizistischer nationaler Modernität hervor. Die bis 1944 anhaltende

958 „Die kyrillomethodianische Idee leuchtet mit ihrem vollen Glanz über allen bulgarischen ­Ländern, auch in Makedonien, der Heimat Kyrills und Methods, als Triumph der höheren Wahrheit und Gerechtigkeit, für deren Sieg das bulgarische Volk mehr als einmal sein schweres Schwert erhoben hat.“ Dnevnik, 25.5.1943, Nr. 13014, S. 2. 959 Dnevnik, 25.5.1943, Nr. 13014, S. 4. 960 Troebst (2011); Hopkins (2009), S. 176 f.; Nissim (2000), S. 178 f. 961 So hieß es im Dnevnik vom 25. Mai: Am gleichen Tag wurde in Saloniki „nach einem feierlichen Akt der Feiertag der Soluner Apostelgleichen, der hll. Kyrill und Method gefeiert. Zu diesem Anlass wurde am frühen Morgen in der bulgarischen Kirche ,Hl. Georg‘ ein feier­liches Gebet abgehalten, an dem die Schüler und Lehrer der bulgarischen Schule teilnahmen, die Mitglieder der bulgarischen Kolonie und die bulgarischen Offiziere, angeführt durch den komman­ dierenden bulgarischen General. Nach der Feier gingen alle in das Gebäude der neuen bulgarischen Schule, die nach einer feierlichen Wassertaufe im Namen des Ministers für Volksbildung eröffnet wurde.“ Dnevnik, 25.5.1943, Nr. 13014, S. 2. 962 Vgl. Weber (2006), S. 349 – 362, bes. S. 359.

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Mobilisierung und Sakralisierung der Nation

Verbindung der Kirche mit dem nationalsozialistischen Diskurs unterscheidet die Entwicklung in Bulgarien von jener in Deutschland, wo nur bis 1937 eine Nähe führender National­sozialisten zu christlichen Konfessionen bestand: Damals wurde die Bildung einer „Reichskirche“ als chancenlos befunden.963 D 5  Der Feiertag Ivans von Rila als ,Tag der Volkserwecker‘ D 5.1  Debatten zur Einrichtung des Feiertags

Ivans Verehrung stand nach dem Ende des Ersten Weltkrieges zunächst nicht im Zentrum des bulgarischen Erinnerungshaushaltes. Sie erfuhr aber durch einen Eingriff ­seitens der Regierung eine einschneidende Veränderung und eine thematische Erweiterung, die über die bisherigen Diskurse über Ivan von Rila hinausreichte: Bildungsminister ­Stojan Omarčevski schlug im November 1922 dem Parlament vor, einen Feiertag einzu­führen, der der Erhaltung der Sprache dienen sowie der „kulturellen Wiederauferstehung“ gedenken sollte. Auf diesem Weg wurde der 1. November, der Feiertag Ivans von Rila, zum „Nationalfeiertag verdienter Bulgaren“ umgestaltet. Das Ziel dieser die sozialen und diskursiven Praktiken der Verehrung ganz bewusst beobachtenden und verändernden erinnerungspolitischen Maßnahme war es, „historische Lichtgestalten des reinen Bulgarentums“ zu ehren.964 In der parlamentarischen Debatte sowie im Entwurf des Bildungsministers standen weltliche Helden wie Paisij, Levski und Botev gegenüber Ivan von Rila im Vordergrund. Dennoch war es der Tag Ivans, der die zentrale Rolle übernehmen und gegenüber den säkularen Figuren den Vorrang haben sollte. Auf den ersten Blick entgegen dem auf die Bauern ausgerichteten Gesellschaftsbild der Agrarier, denen der Bildungsminister angehörte, sollte so ein auf Führergestalten ausgerichteter „Kult des bulgarischen Genius“ entworfen werden.965 Wesentlichstes Element der Feiern war das Erlangen von Aufmerksamkeit in der städtischen Öffentlichkeit, sowohl auf den Straßen als auch in der Presse zunächst der Hauptstadt: Das „Banner (Prěporec)“, die Zeitung der „Demokratischen Partei“, der damals größten Oppositionspartei, berichtete über die erstmalige Begehung des neuen Feiertags knapp: „Morgen, am 1. November, wird der Tag des hl. Ivan von Rila gefeiert werden, der gleichzeitig auch der Feiertag der Volkserwecker ist.“ Nach dem Gottesdienst in der Kirche „Hl. Nedelja“ werde auf dem Platz vor ihr ein „feierliches Gebet“ und eine „Rede zur Bedeutung des Feiertags“ gehalten werden. Der detailliert festgelegte Plan 963 Steigmann-Gall (2003), S. 264. 964 Centralen dăržaven istoričeski archiv, fond 173, opis 3, archivna edinica 3074, list 4. Vortrag von Bildungsminister Omarčevski vor dem Parlament am 23. November 1922, zit. gemäß Weber (2006), S. 227. 965 Centralen dăržaven istoričeski archiv, fond 173, opis 3, archivna edinica 2378, list 2. Vortrag von Bildungsminister Omarčevski vor dem Parlament am 6. Oktober 1921, zit. gemäß Weber (2006), S. 227. Weber (2006), S. 227 f.

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Mobilisierung und Sakralisierung der Nation

Verbindung der Kirche mit dem nationalsozialistischen Diskurs unterscheidet die Entwicklung in Bulgarien von jener in Deutschland, wo nur bis 1937 eine Nähe führender National­sozialisten zu christlichen Konfessionen bestand: Damals wurde die Bildung einer „Reichskirche“ als chancenlos befunden.963 D 5  Der Feiertag Ivans von Rila als ,Tag der Volkserwecker‘ D 5.1  Debatten zur Einrichtung des Feiertags

Ivans Verehrung stand nach dem Ende des Ersten Weltkrieges zunächst nicht im Zentrum des bulgarischen Erinnerungshaushaltes. Sie erfuhr aber durch einen Eingriff ­seitens der Regierung eine einschneidende Veränderung und eine thematische Erweiterung, die über die bisherigen Diskurse über Ivan von Rila hinausreichte: Bildungsminister ­Stojan Omarčevski schlug im November 1922 dem Parlament vor, einen Feiertag einzu­führen, der der Erhaltung der Sprache dienen sowie der „kulturellen Wiederauferstehung“ gedenken sollte. Auf diesem Weg wurde der 1. November, der Feiertag Ivans von Rila, zum „Nationalfeiertag verdienter Bulgaren“ umgestaltet. Das Ziel dieser die sozialen und diskursiven Praktiken der Verehrung ganz bewusst beobachtenden und verändernden erinnerungspolitischen Maßnahme war es, „historische Lichtgestalten des reinen Bulgarentums“ zu ehren.964 In der parlamentarischen Debatte sowie im Entwurf des Bildungsministers standen weltliche Helden wie Paisij, Levski und Botev gegenüber Ivan von Rila im Vordergrund. Dennoch war es der Tag Ivans, der die zentrale Rolle übernehmen und gegenüber den säkularen Figuren den Vorrang haben sollte. Auf den ersten Blick entgegen dem auf die Bauern ausgerichteten Gesellschaftsbild der Agrarier, denen der Bildungsminister angehörte, sollte so ein auf Führergestalten ausgerichteter „Kult des bulgarischen Genius“ entworfen werden.965 Wesentlichstes Element der Feiern war das Erlangen von Aufmerksamkeit in der städtischen Öffentlichkeit, sowohl auf den Straßen als auch in der Presse zunächst der Hauptstadt: Das „Banner (Prěporec)“, die Zeitung der „Demokratischen Partei“, der damals größten Oppositionspartei, berichtete über die erstmalige Begehung des neuen Feiertags knapp: „Morgen, am 1. November, wird der Tag des hl. Ivan von Rila gefeiert werden, der gleichzeitig auch der Feiertag der Volkserwecker ist.“ Nach dem Gottesdienst in der Kirche „Hl. Nedelja“ werde auf dem Platz vor ihr ein „feierliches Gebet“ und eine „Rede zur Bedeutung des Feiertags“ gehalten werden. Der detailliert festgelegte Plan 963 Steigmann-Gall (2003), S. 264. 964 Centralen dăržaven istoričeski archiv, fond 173, opis 3, archivna edinica 3074, list 4. Vortrag von Bildungsminister Omarčevski vor dem Parlament am 23. November 1922, zit. gemäß Weber (2006), S. 227. 965 Centralen dăržaven istoričeski archiv, fond 173, opis 3, archivna edinica 2378, list 2. Vortrag von Bildungsminister Omarčevski vor dem Parlament am 6. Oktober 1921, zit. gemäß Weber (2006), S. 227. Weber (2006), S. 227 f.

Der Feiertag Ivans von Rila

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wurde umgesetzt:966 Vier Minister, „Vertreter des Hofes, aktive und Reserveoffiziere, Rekruten und die lernende Jugend“ nahmen teil. Letztere „demonstrierte auf den Boulv. ,Dondukov‘, der ,Moskauer‘ Str. und dem Boulv. ,Zar-Befreier‘. Sie legten am Grab Vazovs, am Denkmal Levskis und an der Platte Kliments Kränze nieder.“ 967 Religiöse wie revolutionäre Helden wurden symbolisch und in dieser Darstellung vorwiegend im nationalen, militärischen, monarchischen und bildungspolitischen Rahmen geeint. D 5.2  Kirchliche und exilmakedonische Aneignungen der Massenfeiern

Die Kirche nahm diese Gelegenheit wahr: Sie versuchte, den jungen Diskurs der „Volkserwecker“ stärker religiös aufzuladen und für sich zu beanspruchen. Der aus­ führliche Bericht des „Kirchenboten“ zeigte sich ob der Inszenierung der mobilisierten ­Menschenmasse begeistert und gab dem Gedenken eine religiöse Funktion: Archimandrit Dr. Evtimij, später Theologieprofessor an der Kliment-Universität, erklärte am 1. November 1923 unter dem Titel „Der ,hl. Ivan von Rila‘ in Sofia“ anlässlich der Begehung des Tages zunächst die Bedeutung Ivans: Er „lebte immer im nationalen (narodnija) geistigen Leben“ und „vermochte es, zum populärsten Symbol der geistigen Kultur, der geistigen Vereinigung des bulgarischen Volkes zu werden“. Evtimij beschrieb die Begehung des „Feiertags der Volkserwecker“ als Inszenierung und Beweis des „bulgarischen Lebens in seiner Ganzheit“. Das Gebet des Geistlichen für die Herrscher und Beamten, die Heerführer und die Lehrenden sowie die Schüler fand in der Anwesenheit „einiger Mitglieder des Ministerrates, ziviler und militärischer Behörden, Schülervereinigungen mit ihren Fahnen“ in der Kirche statt.968 Evtimij zeigte sich sehr beeindruckt von der Menge der Zuschauer sowie von den „geordneten Reihen der bulgarischen Jugend, die Bilder der bulgarischen Erwecker und eine Ikone des ,hl. Ivan von Rila‘“ trugen: Sie füllten die zentralen Boulevards und Plätze, ja „beinahe die Hälfte Sofias“.969 „Nicht zufällig wurde der Feiertag der Volkserwecker auf den Tag des hl. Ivan von Rila gelegt.“ Tatsächlich beherrschte die Verehrung Ivans die der übrigen „Volkserwecker“ in ­seiner Berichterstattung: Das auf ihn zurückgeführte Kloster Rila wurde zum Aufbewahrungsort „des heiligen Feuers der bulgarischen Bildung und Kultur, und dieses Feuer entflammte bei Paisij und Neofit Rilski, bei Sofronij und bei Neofit Bozveli, und dasselbe heilige Feuer sahen wir bei Levski und Botev, als sie starben“. Der neue Feiertag verleitete den Geistlichen, Ivans Bedeutung maßlos auszuweiten: „Es gibt etwas, das alle bulgarischen Herzen vereint: die Idee, die Weltanschauung (mirogledăt), die Liebe des hl. Iv. Rilski“. Das Massenereignis sollte ganz bewusst zum emotionalen Erlebnis eines von dieser Vorstellung auszulösenden einenden Gefühls werden:

966 967 968 969

Prěporec, 30.10.1923, Nr. 246, S. 2. Prěporec, 2.11.1923, Nr. 248, S. 2. Cărkoven Věstnik, 24.11.1923, Nr. 40, S. 3 f., hier S. 4. Cărkoven Věstnik, 24.11.1923, Nr. 40, S. 3.

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Mobilisierung und Sakralisierung der Nation

„Alle, die die heutige Feierlichkeit mitfühlen konnten, können sich überzeugen, dass der Name des hl. Iv. Rilski wirklich ein Symbol dessen geworden ist, was über alle Jahrhunderte hinweg in der Lage war, eine Brücke von einer bulgarischen Seele zu einer [anderen, S. R.] bulgarischen Seele herzustellen.“

Auch die Musikbegleitung durch das Militär sowie durch die Schüler sollte dazu verhelfen: „Und alle: die Kirche, die Behörden (vlasť), die Jugend, das ganze Volk fühlte, dass es gemeinsame Heiligtümer (svetini) gibt für das ganze bulgarische Volk.“ 970 Der geistliche Akademiker entwarf mithilfe Ivans eine Einheit von Kirche, Staat und Nation, die von der BOK angeführt werden sollte. Ivan sollte aber in den Augen von Evtimij auch dazu dienen, politische Kontro­versen zu tilgen: „Der Geist und die Idee des hl. Iv. Rilski und der Volkserwecker“ sollten, so die zusätzliche tagespolitische Aufladung, „endlich das Vergießen von brüderlichem bulgarischem Blut“ verhindern: Als „letztes Opfer bulgarischen Brudermords“ nannte er den Politiker Nikola Genadiev, der wenige Tage zuvor durch Anhänger der VMRO umgebracht worden war. Immerhin kam er nicht umhin, auch andere Heilige und ­Helden zu erwähnen, so Kyrill, Method und Kliment sowie die nicht als Heilige verehrten Sofronij Vračanski, Neofit Rilski und Vasil Levski.971 Ivan war aber für den religiösen Akademiker das beste Mittel gegen innenpolitische Fehden. Ein Jahr später ging die Zeitung „Banner“ 1924 nicht nur auf die Inszenierung des Gedenkens im Stadtraum, sondern auch auf den damit verbundenen Inhalt ein: Sie gab eine Rede des Direktors des Lehrerinstituts wieder, „in der die große Bedeutung des Feiertags für jene betont wurde, die die politische und geistige Freiheit des bulgarischen Volkes geboren haben“.972 Die Bedeutung blieb damit ganz anders als im „Kirchen­ boten“ im weltlichen und politischen diskursiven Rahmen, den der Bildungsminister 1922 vorgegeben hatte. Kirchenfürsten setzten dennoch in den folgenden Jahren ihre Bemühungen fort, diesen Tag mit der Vorstellung einer sakralisierten Nation zu verbinden: Zum ­Gedenken an die „nationalen Ersterwecker (narodnitě părvobuditeli)“ beschwor Metropolit ­Neofit von Vidin 1926 ihre angeblichen „Vermächtnisse“. Zunächst beschrieb er dabei Ivan als „größten geistigen (duchoven) Erwecker und Volksheiligen“. Er gab offen zu: „Die Kirche begeht diesen Feiertag mit Freude. Und nicht nur, weil er mit dem Tag des ­großen Volksheiligen zusammenfällt, sondern auch, weil beinahe alle Volkserwecker der Vergangenheit an ihrem Busen [der BOK, S. R.] geboren und genährt worden sind.“ Der Geistliche näherte sich sehr einer weltlichen Deutung des Tages: „Die Bulgaren waren Barbaren, eine wilde Horde, ohne Schriftsprache, ohne Intellekt, ohne nationales 970 Cărkoven Věstnik, 24.11.1923, Nr. 40, S. 3. 971 Gleich darauf war aber Ivan wieder der Wichtigste: „Wichtig“ sei, „dass das bulgarische Volk, in seiner Ganzheit genommen, immer noch Träger seiner [Ivans, S. R.] Ideen der Aufklärung und Vaterlandsliebe“ sei: „Der Geist und die Idee des hl. Iv. Rilski und der Volkserwecker sollen künftiges Vergießen des bulgarischen Bruderblutes verhindern“. Cărkoven Věstnik, 24.11.1923, Nr. 40, S. 3. 972 Prěporec, 3.11.1924, Nr. 244, S. 2.

Der Feiertag Ivans von Rila

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(nacionalno) Bewusstsein.“ Erst Boris I. sowie Kyrill und Method hätten ein „gesundes nationales Bewusstsein“ hergestellt.973 Entscheidend war aber der folgende Schritt: Das Verdienst Kliments sei es gewesen, ein „orthodoxes nationales Bewusstsein“ gestärkt und zu haben und auch „beim Aufbau des Nationalstaates (narodnostna dăržava), von dem Zar Boris I. träumte“, geholfen zu haben.974 Kliment sei „der Ideologe, der Hauptgestalter (glaven oformiteľ) und Festiger des Nationalgefühls bei den Bulgaroslaven“. Das Vermächtnis Kyrills und Methods sei das Leben „in Harmonie von Glauben und Orthodoxie“, das Kliments die Erziehung „im Glauben und im Patriotismus (rodoljubie)“ sowie jenes Ivans das „evangelische (…) reine Leben“. „Unstrittig“ sei, „dass unser Volk seine Erstlehrer und Heiligen-Erwecker (svetci-buditel) liebt“. Aber, so Eftimij, ihre Vermächtnisse seien unbeachtet: „Die Prinzipien der christlichen Lehre sind längst nicht mehr die Grundlage unserer Volksaus­ bildung. (…) Unser Vaterland ist zur Arena von groben und unsinnigen Partisanenleidenschaften und allen möglichen antinationalen (protivonarodni) sektiererischen Lehren geworden.“

Es drohe dem Volk deshalb „ein neues Golgatha“. Das Ziel war eine Rechristianisierung der nationalen Gesellschaft durch eine Ermahnung der politischen und gesellschaft­ lichen Elite: „Wir müssen auch unsere Staatsleute und gesellschaftlichen Akteure an sie [die „vergessenen Vermächtnisse“, S. R.] erinnern, und nachdrücklich auf einer gesetzlich vorgeschriebenen Schulund Volksbildung gemäß den Vermächtnissen der n a t i o n a l e n (narodnitě) Riesen-Erwecker (velikani-buditeli) bestehen.“ 975

„Glaubensabfall“ und „Volksverrat“ seien abzulehnen, das Volk „von fremden Agenten von Lehren und Propaganda“ abzubringen sowie „neue Erwecker“ und „Wächter“ der „nationalen eigentümlichen (samobitno) Existenz und des geistig-kulturellen Fortschritts (naprědvane)“ vorzubereiten. Nicht die Ablehnung des Fortschritts und des Konzepts der modernen nationalen Gesellschaft, sondern die Aneignung und Umgestaltung ­dieser Rahmenvorstellungen zu eigenen Zwecken, zur Ausgestaltung einer illiberalen, orthodoxen und nationalistischen Modernität, war das gesellschaftspolitische Ziel der BOK . Der säkular entworfene „Feiertag der Volkserwecker“ wurde damit nach Kräften nationalchristlich vereinnahmt und umgedeutet. Von weltlichen „Volkserweckern“ war in diesem Text – anders als im Artikel des „Kirchenboten“ zum gleichen Feiertag von 1923 – keine Rede mehr. Der Tag wurde in der Berichterstattung des offiziellen Organs der BOK nicht nur inhaltlich, sondern auch sozial auf eine sehr breite Grundlage gestellt: Der Geistliche und damalige Universitätsprofessor Ivan Gošev schrieb im „Kirchenboten“:

973 Cărkoven Věstnik, 30.10.1926, Nr. 37, S. 401 – 403, hier S. 401. 974 Cărkoven Věstnik, 30.10.1926, Nr. 37, S. 402. 975 Cărkoven Věstnik, 30.10.1926, Nr. 37, S. 403.

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Mobilisierung und Sakralisierung der Nation

„Es feierten das ganze Volk und die ganze lernende Jugend. Dieser Tag hatte spezielle Feierlichkeiten an der Freien Universität, am Sofioter Geistlichen Seminar und in der Mine Pernik, deren Patron der hl. Iv. Rilski ist. Wie schön sind diese Feiern! Wie viel sagen sie über die bulgarische Seele aus. In der Volksseele erwacht eine Reihe von heiligen Schatten (sěnki), verziert mit der Aureole der Übermenschlichkeit (svărchčověčnosťta).“

Der Akademiker sah weltliche wie heilige Erinnerungsfiguren als Einheit, einschließlich Botevs und Levskis, angeführt von Ivan – der damit insgesamt den ersten Platz ein­ nehmen sollte. Ihr Licht sollte „die finsteren Dunkelheiten der Sklaverei“ überwinden.976 Tatsächlich wurden die Feierlichkeiten in der hauptstädtischen Öffentlichkeit immer aufwendiger angelegt: An den Feiern selbst nahm eine offenbar „große Menge“ teil, darunter Vertreter der Geistlichkeit, der Armee, der Regierung, des Hofes, der Schüler sowie Assoziationen der Bürgerschaft wie selbst Sportvereine: „In Sofia begannen sich schon um neun Uhr morgens auf dem Platz vor der Denkmalkirche ,Hl. Aleksandr Nevskij‘ die Eingezogenen in ordentliche Reihen zu gliedern, die Reserveoffiziere und die Unteroffiziere, viele Sport-, Kultur- und patriotische Organisationen sowie die lernende Jugend, angeführt durch Schulmusiken.“

Nach dem Gebet des Bischofs Paisij in Anwesenheit des Volksbildungsministers Nikola Najdenov, „von Vertretern des Hofes, der Offiziere, der höchsten Beamten und einer großen Menge von Bürgern und Bürgerinnen“ 977 folgte eine Rede des Dekans der Theologischen Fakultät Gančo St. Pašev: Dieser sprach ganz in einem nationalchristlichen Rahmen des Gedenkens an die „Volkserwecker“„zur Zeit des Gebets für die Volks­ erwecker“ über diese „Schöpfer unseres nationalen (nacionalen) Geistes“. In seiner im „Kirchenboten“ publizierten Rede stellte er die Heiligen an den Anfang seiner Liste: Im Rückblick auf die Zeit, als „die Grundlagen unserer Geschichte und Kultur“ geschaffen wurden, richte sich der Blick von selbst „auf die großartigen Bilder (obrazi) der heiligen Brüder Kyrill und Method und auf deren Schüler, die hl. Kliment, Naum, Sava, Angelarius und Gorazd, die, wie Prometheus, Feuer in den Herzen und Seelen der Bulgaren gelegt haben, und den Leuchter (světilnika) der Aufklärung (na ­prosvětata) und Kreativität (tvorčestvoto) angezündet haben, eine Feuerstätte eingerichtet haben, um die sich alle Bulgaren versammelten, um ihre Volksseele aufzubauen, um die Grundlagen ihres menschlichen und nationalen (nacionalna) Bewusstseins zu schmieden.“ 978

Neben dem „nationalen“ Rahmen beschwor der führende Akademiker damit nicht den slavischen, sondern allgemein einen humanen Zusammenhang: Selbst in der offiziellen Zeitung der bulgarischen orthodoxen Kirche konnten die Heiligen politisch-theologisch in einen säkularen, ja heidnisch-antiken Zusammenhang gestellt werden. Der Verweis

976 Cărkoven Věstnik, 13.11.1926, Nr. 38, S. 418 f. 977 Cărkoven Věstnik, 13.11.1926, Nr. 38, S. 421. 978 Cărkoven Věstnik, 20.11.1926, Nr. 39, S. 429 f.

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auf Prometheus war charakteristisch für die mythische Vorstellung moderner Gesellschaftsentwürfe. Neben der säkularen nationalen bulgarischen sowie der kirchlichen, christlich natio­ nalen Deutung festigte sich in diesen Jahren auch im Diskurs über Ivan eine bulgarisch-makedonische Aufladung des Gedenkens seitens der makedonischen Diaspora in Sofia: Simeon Angelov, bereits vor dem Ersten Weltkrieg Führungsmitglied der revolutionären „Makedonisch-Odrinschen Organisation“, die unter makedonischen und thrakischen Emigranten in Bulgarien eingerichtet worden war, nannte in der Zeitung „Makedonien“ in deren erstem Jahrgang 1926 in seinem Aufsatz über „Volkserwecker“ nur Paisij beim Namen. Für das lokale Gedenken seien die „alteingesessenen Buchhändler in Saloniki, Veles, Plovdiv, die Läufer von Štipko [im Nordosten] bis Ohrid und zur Donau, die Klosterzellen der [Gegenden um] Kratovo, Tărnovo, Skopje, Samkovo“ verantwortlich – Vardar-Makedonien war damit selbstverständlicher und grundlegender Teil der Vorstellung eines „Geistes des bulgarischen Landes“, einer mit Christus gleichgesetzten „gekreuzigten Heimat (razpnata Rodina [sic])“.979 Nicht nur die publizistische Aufbereitung, auch die Feier selbst wurde makedonisch aufgeladen: „An der Feierlichkeit nahmen in geordneten Reihen und in ihrer Uniform auch die makedonische Jungendorganisation ,P. K. Javorov‘ sowie die makedonische Studentengesellschaft ,Vardar‘ teil. Am Anfang der Reihen der Jugendlichen trugen diese ein Plakat mit der Aufschrift: ,Makedonien gab die hll. Kyrill und Method‘, hinter dem kleinere Plakate folgten mit den Namen von etwa 30 Volkserweckern, alle gebürtig aus Makedonien.“ 980

Makedonien wurde hier als besseres Pars pro Toto für ganz Bulgarien imaginiert. Die Figur des „Volkserweckers“ erstreckte sich nicht nur auf immer mehr verehrte Per­sonen, sondern auch auf eine zunehmende Menge von Vereinen: Der Feiertag entwickelte sich über die Inszenierung des Umzugs durch die Hauptstadt hinaus zu einem Medium der Herstellung der Vorstellung einer homogenen nationalen Öffentlichkeit und Gesellschaft mithilfe mehr und mehr gefestigter Praktiken kollektiven Handelns auf den hauptstädtischen Straßen: „Der Tag der Volkserwecker ist der Patronatsfeiertag auch vieler Kultur- und Bildungsassoziationen (kulturno-prosvětni) und Institute. Zu diesem Anlass gab es gestern in Sofia und in der Provinz eine Reihe von Feierlichkeiten.“ 981 Indem die Zeitung „Makedonien“ 1927 dies so darstellte, machte sie ihr Anliegen – die Mobilisierung zur Unterstützung des „makedonischen Kampfes“ 982 – zu einem implizit gesamtgesellschaftlichen Ziel. Die Zielvorstellung war ein „neues, a n d e r e s , freies und unabhängiges Leben“.983 Sie stellte die Vorstellung von „Erweckern“ als quasi­ religiösen „Apostel[n] der Freiheit und Unabhängigkeit; Kämpfer[n] für ein gebildetes 979 980 981 982

Makedonija, 30.10.1926, Nr. 18, S. 4. Makedonija, 2.11.1926, Nr. 19, S. 1. Makedonija, 2.11.1927, Nr. 318, S. 1. Ein solcher Beitrag gleich neben der Berichterstattung über den Feiertag in: Makedonija, 2.11.1927, Nr. 318, S. 1. 983 Makedonija, 29.10.1927, Nr. 316, S. 3.

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geistiges Leben“ und solchen, „die das Wort der Wahrheit gehört und die Größe der Großtat erlebt haben“,984 in den Zusammenhang von Vorstellungen „neuer Menschen“ gleichzeitiger moderner Gesellschaftsentwürfe. Im makedonischen Diskurs über die Volkserwecker blieb die religiöse Aufladung zweitrangig: Auch 1932 begann die Zeitung „Makedonien“ die Berichterstattung über den Tag nur mit dem Verweis auf Geistliche seit dem 18. Jh. sowie auf weltliche ­Helden der „Wiedergeburt“, die im „Dienst am Geschlecht und der Heimat“ hervorragten, „wie die Sonne scheint vor unseren Augen ihr Vorbild“.985 Auch die Beschreibung des immer größere Ausmaße annehmenden öffentlichen Umzugs war diesmal ausgiebig und mit Fotografien versehen: Er fiel in diesem Jahr mit dem „Tag des Kindes“ zusammen. „Die Schüler aller Schulen der Hauptstadt, einschließlich der Junker, nahmen den Platz [vor der Aleksandr-Nevskij-Kathedrale] ein mit ihren vielen Musikgruppen, Fahnen und Porträts der Volkserwecker (…). Die Bürgerschaft sammelt sich in Massen auf den Gehsteigen. An den Feierlich­ keiten nahmen alle Minister ohne den Kriegsminister (…) teil. Hier sind die höchsten Beamten des Ministeriums der Bildung, das Professorenkorps, die zivile und die militärische Suite S. Hoheit, Diplomaten, Generäle (…). Über den geordneten studentischen Reihen erhoben sich Plakate mit Aufschriften wie: ,Makedonien, Thrakien, die Dobrudža und Caribrodsko sind in unseren ­Herzen‘, ,Kommunismus weg von der Universität‘, ,Gott und Bulgarien rufen uns zum Eid‘. Der Manifestation der Studenten wurde lebhaft von der Bürgerschaft applaudiert. Erstmals führte die nationale (nacionalnoto) Studentenschaft eine solch beeindruckende Manifestation durch. (…) Bewunderung, Entzücken und Begeisterung riefen schöne Gruppen von Schülerinnen hervor, die in nationale (nacionalni) Kostüme gekleidet waren.“ 986

Die Demonstration erschien in dieser Zeitung ganz als national aufgeladene Massenkundgebung, inszeniert mithilfe der Regierung, der BOK , die mit dem Metropoliten ­Stefan sowie „zwei Bischöfen und vielen Geistlichen“ vertreten war, durch die Teilnahme der Schüler sowie der städtischen Gesellschaft und für diese, mit dem Ziel nicht nur der Revision der Grenzen sowie gegen den Sozialismus, sondern auch der Herstellung einer jugendlichen, attraktiven Nation. Eine religiöse Aufladung der Feiern blieb hier im Hintergrund – erneut im Gegensatz zu und im interpretatorischen Wettstreit mit der religiösen Berichterstattung über denselben Anlass im „Kirchenboten“.987 Prominenter als die makedonische publizistische Bedeutungsaufladung blieb für diesen Diskurs die religiöse national-bulgarische: Neben dem Publikationsorgan der BOK betonten aber marginale Publikationen wie „Das Licht der Welt“ einen christlichen 984 985 986 987

Makedonija, 29.10.1927, Nr. 316, S. 3. Makedonija, 31.10.1932, Nr. 1809, S. 3. Makedonija, 2.11.1932, Nr. 1810, S. 1. Der „Kirchenbote“ berichtete auch 1932 vom Tag Ivans, dessen am Geistlichen Seminar als Patron gemeinsam mit den „Volkserweckern“ gedacht wurde: „Mit der bereits entstandenen Tradition drängen sich am Tag des hl. Ivan die Bürger von Sofia in die Seminarkirche.“ Im Rahmen des Gottesdienstes wurde über Ivan und die Erwecker gesprochen, und diese in den Gegensatz „unserer heutigen (săvremennoto) rohen Gesellschaft“ gestellt. Cărkoven Věstnik, 5.11.1932, Nr. 39, S. 453 f.

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Zusammenhang. So schrieb an diesem Ort 1933 der Geistliche M. Chr. Popov, die ersten heidnischen bulgarischen Herrscher seien „keine Volkserwecker im wahren Sinne des Wortes gewesen“. Erst Boris-Michail, der die Christianisierung vorange­trieben hatte, dürfe als ein solcher gelten. Schließlich forderte er: „Des Weiteren, liebe das Vaterland und den Staat, sei ein gehorsames Kind der Mutter, der orthodoxen Kirche.“ 988 Der Geistliche förderte damit einen nationalen, an der Kirche ausgerichteten Staatskult. Allerdings war der „Kirchenbote“ noch Mitte der 30er-Jahre zu weltlichen Aufladungen des Tages bereit: 1935 berichtete er wieder ausführlich über das Gedenken an die „Volkserwecker“: „Ein zeitliches Zeichen dessen, dass wir in den Tagen einer neuen Wiedergeburt leben, ist, dass wir immer öfter beginnen, uns an die hellen Bilder der Vergangenheit zu erinnern.“ D. Ivanov beschrieb sodann, ganz ohne auf Ivan oder andere Heilige zu verweisen, wie geistliche und weltliche „Riesen“ seit Paisij gewirkt hatten. Ausgehend von Aprilovs Bestrebungen, die „nationale (nacionalno) Schule“ einzurichten, sagte er zu dessen Denkmal in Gabrovo: „Sein Porträt schaut von der Wand des Schulkorridors konzentriert und fragend, als ob er ­schweigend fragt: ,Seid ihr meines Werkes würdig? Freut euch über die Freiheit und über eure modernen (moderni) Schulen, aber vergesst nicht unsere ,treue Volksliebe‘ und ,unsere Opfer‘.“

Seine Augen sollten einen „seraphimartigen Blick, erhöhten Idealismus“ ausstrahlen.989 Das Gedenken an den Kaufmann wurde hier quasisakral gedeutet und stand anstelle der ausgeklammerten Verehrung Ivans von Rila. Entscheidend war sein Entwurf einer „modernen“ Gesellschaft in den Spalten des offiziellen Publikationsmediums der BOK. Dennoch blieb im „Kirchenboten“ eine weltliche nationale Deutung die Ausnahme. Eine Woche später schrieb dieselbe Zeitung ohne Autorenangabe unter dem Titel „Die Unsterblichen“: „Ihre Namen – die Bekannten und die Unbekannten – werden noch von Tausenden Mündern ausgesprochen. Ihr Werk wird als heiliges Vermächtnis angesehen. (…) Die Wiedergeburt ist noch nicht vollendet (…). (…) Erneut muss das nationale (nacionalnoto) Bewusstsein geweckt werden, und der orthodoxe Glaube bei den Bulgaren erwärmt werden. Durch diese Promethei des bulgarischen Denkens und der Freiheit sind die – wie mit einem mächtigen Blitz – über unserer Heimat hängenden dunklen Wolken verschwunden, sie haben uns aus der tiefen Dunkelheit geführt, sie gaben uns Freiheit und Bildung, sie schufen die Bedingungen der bulgarischen Kultur und der bulgarischen Macht. Und heute, wie damals, muss ihr Gedanke in allem bulgarischen Bewusstsein herrschen: ,Gott und Bulgarien – sind eine Einheit in zweifachem Fleisch! / Gott und Bulgarien rufen uns zum Eid / Und diesen Schwur leisten wir vor dem Kreuz, / Für dieses leben wir, für dieses sterben wir!“ 990

988 Světlina na světa, November 1932, Nr. 7, S. 1 – 3. 989 Cărkoven Věstnik, 26.10.1935, Nr. 37, S. 427 f. 990 Cărkoven Věstnik, 2.11.1935, Nr. 38, S. 439 f.

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Die offizielle Zeitung der BOK machte sich mit dem Zitat des „Blutigen Liedes“ von Penčo Slavejkov und eigener politisch-theologischer Wortschöpfung zum Sprachrohr kruder Nationaltheologie. Allerdings war damit keine einheitliche Stellungnahme der Kirche verbunden – weiter­ hin äußerten sich Kirchenfürsten unterschiedlich zu den „Volkserweckern“. Bischof Antim von Trajanopol etwa ging 1937 nicht soweit, eine nationale Religion zu beschreiben, rückte die mehrheitlich weltlichen „Erwecker“ aber im Rahmen religiösen Nationalismus’ sehr nahe in den Heiligendiskurs.991 Wichtig auch für die weitere Festigung sozialer wie diskursiver Praktiken war die Institutionalisierung der Inszenierung von Massenveranstaltungen im Zeichen der „Volkserwecker“: Auch am 1. November 1937 wurde der Tag mit einer großen Demonstration auf den Straßen des Zentrums der Hauptstadt begangen. Die Tageszeitung „Morgen“ berichtete von der Teilnahme des Bildungsministers, von Vertretern des Hofes, ehe­ maliger Minister sowie zweier Generäle. Zudem waren anwesend „die höchsten ­Beamten des Ministeriums der Bildung, die Schüler, Studenten und andere. Ein Schülerchor von tausend Seelen sang die Hymne der Volkserwecker, und Prof. G. Pašev hielt eine Ansprache.“ Zwei Fotografien zeigten die Honoratioren sowie die mit Fahnen zu ihren Schulen zurückziehenden Schüler.992 Tags darauf veröffentlichte dieselbe Zeitung auch eine große Fotografie einer Demonstration zum „Tag der Volkserwecker in Lom“.993 Sie erweckte damit den Eindruck einer im ganzen Land feiernden Gesellschaft. Die Rede des Theologen und Universitätsprofessors Pašev wurde nicht nur auch als „Radio­ansprache“ zum Thema „Hl. Iv. Rilski und die Volkserwecker“ an die Massen gerichtet – die BOK verbreitete sie auch über ihr Medium, den „Kirchenboten“: „Seit einer Reihe von Jahren feiern wir das Gedenken an die bulgarischen Volkserwecker. (…) Dies hat einen tiefen Gedanken und Inhalt. Im Volksglauben und -bewusstsein erscheint der hl. Ivan von Rila als Schutz, als Beschützer des bulgarischen Volkes. Über ganze Jahrhunderte hinweg haben sein leuchtendes Abbild und Werk die Geheimnisse der Volksseele bestrahlt.“ Nicht nur das ­Handeln der Volkserwecker des 19. Jh., auch der gegenwärtige Staat stehe in dieser Tradi­tion: „Und

991 Der Bischof stellte das „Werk der Volkserwecker“ 1936 ganz in den Rahmen des traditio­nellen „Gedenkens an den hl. Ivan, den Patron und Beschützer unseres Volks“. Allerdings ging er sehr schnell ins 18. Jh. über: „Wahrlich, die Zeit zu Beginn des 18. Jh. war für uns, die Bulgaren, die finsterste und eine dunkle, als wir nur die Schreie und die Seufzer des Leidens und der ­schweren Sklaverei hörten. Unser Volk befand sich vor dem unabwendbaren Tod. Es war zum Verschwinden verurteilt.“ Umso strahlender stellte er das „Werk“ der „Erwecker“ dar: „Ihr Ideal ist uns zum Vermächtnis geblieben, das wir behüten und der [neuen] Generation übergeben müssen. Die neue Zeit, die mit so viel Leiden, Opfern, Tränen und Unglück geschaffen wurde, muss durch die Anstrengungen und die systematische Arbeit ihrer Söhne ein mächtiges und ehrenhaftes Bulgarien sehen, das Anerkennung durch die Völker erlangt. Ehre und Ruhm allen Volkserweckern und Kämpfern für die Freiheit Bulgariens! Verneigen wir uns vor ihrem Staub! Ewig soll ihr helles Gedächtnis währen!“ Cărkoven Věstnik, 31.10.1936, Nr. 39, S. 425 f. 992 Utro, 3.11.1937, Nr. 8468, S. 1. 993 Utro, 4.11.1937, Nr. 8469, S. VI.

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über diesem neuerrichteten bulgarischen Zarentum leuchtet der Schein des Ruhms des hl. Ivan von Rila, aber nur in den Momenten, wenn die gesunden Prinzipien unserer schöpfe­rischen Traditionen geformt werden müssen, wenn ein neuer Wind weht, neue Verständnisse und Ideale.“ Die Herzen müssen wieder „zu diesen leuchtenden Vorbildern und Helden gelenkt werden, zu den Volkserweckern, die unter dem Schutz unseres heiligen Glaubens aufwuchsen und erzogen wurden“.994

Pašev entwarf das „dritte bulgarische Reich“ als Werk der „Volkserwecker“ und ihres Handelns gemäß den implizit orthodoxen Idealen unter der Leitung Ivans. Die „Volkserwecker“ wie auch die Ideale nationalen gesellschaftlichen Handelns wurden damit sehr eng mit Ivan in eine Tradition gestellt, ohne sie ausdrücklich zu sakralisieren. D 5.3  Die Militarisierung der Feiern im Krieg

Zu Beginn des Zweiten Weltkrieges lässt sich in mehreren Schritten eine Verknüpfung des Gedenkens mit militärischen Zwecken beobachten: Die Zeitung „Heimat“, das „Organ des Verbandes der Reserveunteroffiziere Bulgariens ,Vor allem Bulgarien‘“, schrieb zum Tag der Volkserwecker am 31. Oktober 1939, es gebe „wenige solche Feiertage im Jahr, die uns so sehr zum Nachdenken bringen, wie der Tag der Volkserwecker. Immerhin hätten wir ohne die Taten der Volkserwecker, dieser Vorläufer, die den Geist des Bulgaren erweckt haben, keinen Feiertag der Befreiung und keinen der anderen staatlichen Feiertage. (…) Gemessen an der Dauer des freien Lebens anderer Völker und deren Anzahl und materiellen Kraft gibt es kaum ein anderes Volk, das so viele Akteure für die Freiheit und Bildung hervorgebracht hat wie wir Bulgaren. Ihre Namen sind Legion.“

Der anonyme Verfasser des Leitartikels forderte sodann einen Staat auf dem Balkan, der „das ganze bulgarische Volk vereint“, und beschwor mit dem Verweis auf die Volks­ erwecker die Ergebenheit „gegenüber unserer Heimat“ und dem Zaren.995 Zu Kriegs­ beginn liegt damit ein Beispiel vor, wie Militärangehörige die „Volkserwecker“ einsetzten, um für die Expansion des Staates zu mobilisieren. Zunächst blieb aber die nationale Mobilisierung wichtiger: Prof. Filov, Bildungsminister und gleichzeitig Premierminister, hielt am 2. November 1940 anlässlich dieser Feier eine Ansprache, die über Radio Sofia ausgestrahlt und in Zeitungen gedruckt wurde: „Bulgaren, der heutige Feiertag – der Tag des hl. Ivan von Rila ist gleichzeitig der Feiertag unserer Volkserwecker. Dies ist Ausdruck der Verehrung gegenüber den Akteuren unserer Wiedergeburt und allgemein gegenüber den Erbauern unseres nationalen Werks (narodnostno dělo). Von einem reinen Schulfeiertag, als welcher er 1922 eingerichtet wurde, verwandelte er sich rasch in einen Volksfeiertag, denn er ist ein allgemeiner Ausbruch (izblik) der Dankbarkeit gegenüber allen Akteuren für das bulgarische Bewusstsein und für die bulgarische Kultur.“ 996

994 Cărkoven Věstnik, 12.11.1937, Nr. 40, S. 471 f. 995 Rodina, 31.10.1939, Nr. 369 (1034), S. 1. 996 Dăga, 2.11.1940, Nr. 385, S. 1, S. 4.

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Zählte der hl. Ivan von Rila zu den Volkserweckern, die in ihrer Mehrheit als Akteure der nationalen Wiedergeburt des 19. Jh. durch die orthodoxe Kirche nicht als Heilige verehrt wurden, stand die Erinnerung an diese teilweise doch im religiösen Zusammen­ hang. So wurde Levski etwa auch durch Filov 1940 als „leuchtender Apostel der bulgarischen Freiheit“ imaginiert.997 Das Bildungsministerium setzte sich auch in den folgenden Jahren für eine möglichst große Mobilisierung wenigstens der Bevölkerung Sofias und eine umfangreiche Berichterstattung in Printmedien wie im Radio ein.998 1942 sagte der Bildungsminister Jocov dabei auf Radio Sofia, die „Volkserwecker haben folglich ein ganzes Handlungsprogramm ausgearbeitet, eine ganze nationale Ideologie (nacionalna ideologija)“. Diese Handlungsanweisung war sehr reflektiert beschrieben: „Sie ver­ wandeln die bulgarische Bevölkerung in das bulgarische Volk“. Das Ziel der Geschichte war aber der Aufruf zum Kriegsopfer für die Heimat: „Ist es nicht ihr Geist, der den mutigen bulgarischen Krieger begeistert, wenn er im mächtigen Drang fliegt, um mit seinem siegesschwangeren Schwert die Grenzen der durch ihren Tod erhellten großen Heimat zu markieren?“ Auch dieser Kampfruf „für Bulgarien!“ war sakral legitimiert und stand „unter dem Flügel der Vorsehung“.999 1943 schilderte Jocov gleichfalls in einer Radioansprache zum gleichen Tag, wie die „Volkserwecker“ die „Eigentümlichkeit ihres Daseins“ als Bulgaren definierten und die Brüder aus Saloniki eine „ungewöhnliche national-konservierende (nationalno-săchranitelna) Kraft“ darstellten. Wesentlich blieb auch zu dieser Zeit ganz bewusst ein post-osmanischer Impetus: Die Brüder sollten dem Volk geholfen haben, „sich von seinem Minderwertigkeitsgefühl zu befreien“.1000 Erinnerung wurde nicht zuletzt durch die inszenierte Erinnerung an die Erinnerung hergestellt und tagespolitisch auch seitens kirchlicher Würdenträger mit dem Krieg verbunden: So zitierte die Zeitschrift „Stimme Gottes“ vom 1. Oktober 1940 – ein in Varna „mit dem Segen“ des Metropoliten von Varna und Preslav erst im zweiten Jahrgang erscheinendes „Eparchiales geistliches Blatt der Schüler der Orthodoxen-Christlichen Vereinigung unter den Progymnasiasten“ – einen Artikel Chr. Botevs, den dieser am 8. Mai 1875 zum Gedenken an „unsere Heiligen“ veröffentlicht hatte. Der kommen­ tierte Beitrag erschien unter der Überschrift „Die Freude unserer Volksheiligen“. Das aktuelle Kriegsglück wurde mit diesen „Volkserweckern“ in einen Zusammenhang gestellt.1001 Sowohl die traditionell als Heilige Verehrten als auch die Schriftsteller und Revo­lutionäre wurden hier als gegenwärtige, lebende „Seelen“ imaginiert, die sich mit 997 Dăga, 2.11.1940, Nr. 385, S. 4. 998 Vgl. die Beiträge in der Zeitschrift des Bildungsministeriums mit Ansprachen von Prof. Dr. Jocov, dem Vorsteher des Ministeriums: Cvětkov (1941) mit einer Radioansprache von Jocov S. 1235 – 1240; Jocov (1942); Jocov (1943). Nur in diesem Kontext zur Verehrung der Brüder: Daskalov (2004), S. 231 f. 999 Jocov (1942), S. 1122. 1000 Jocov (1943), S. 1170. 1001 „Und wahrlich, das sind große Leute. Sittlich reine stolze Bulgaren… Ungewöhnliche Idea­ listen… Sie haben den unaufhaltsam wachsenden Aufstieg Bulgariens geboren. (…) Eine unaussprechliche Freude erfüllt die Seelen unserer Volksheiligen. Wir feiern auch ihre würdigen

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Freude füllen ließen, wenn sie auch schliefen. Allerdings war diese Form des ­Gedenkens eher nationalromantisch-schwärmerisch denn traditionell religiös. Ivan von Rila nahm im Rahmen der Erinnerung an diese Gruppe der „Volks­erwecker“ nun eine noch bedeutendere Stellung ein als in den Jahren zuvor und wurde im Rahmen europäischer Diskurse zeitgemäß zum „Führer“: Im Leitartikel der „Stimme Gottes“ vom 1. November 1940 stand: „Dies sind viele – bekannte und unbekannte – geistliche und politische Akteure, Mönche und Aufständische, Schriftsteller und Kleinbürger (esnafi, türkisch: Zünfte), Lehrer und Priester… Dies sind die heiligen Brüder Kyrill und Method, die den Bulgaren die Schriftlichkeit gegeben haben, der hl. Boris, der das bulgarische Volk aus der Finsternis des Heidentums führte und es gleichstellte mit den anderen Völkern. Das waren der hl. Kliment von Ohrid, der erste bulgarische Bischof und Lehrer, der Černorizec Chrabăr, Ivan Exarch etc. etc. Das war auch der bulgarische nationale (nacionalen) Heilige der hl. Ivan von Rila, der Beschützer des bulgarischen Volkes, Wahrer der Orthodoxie, aus dessen Heiligtum viele Apostel des Glaubens und der Freiheit hervortraten.“ 1002

Ivan schien Kyrill und Method allmählich den Rang abzulaufen: Nur er wurde als „natio­ naler Heiliger“ und als „Beschützer“ der Bulgaren tituliert. Dieselbe Zeitung rückte allerdings ein Jahr später Ivan nicht mehr in ein besonderes Rampenlicht: Die Heiligen unter den „Volkserweckern“ wurden gar nicht genannt. Stattdessen wurden die „Volkserwecker“ als nationale „Führer“ beschworen: „Wir konnten uns nicht selbst helfen. Wir brauchten selbstentsagende Führer (vodači), die wir heute ‚Volkserwecker‘ nennen.“ 1003 Die Zugehörigkeit der traditionellen Heiligen zu den sogenannten Volkserweckern blieb auch in dieser ausgesprochen kirchlich orientierten Zeitschrift schwankend. Gerade kirchliche Publikationen trieben im Krieg die Nationalisierung des Diskurses voran: Die im sechsten Jahrgang erscheinende Varnaer Zeitung „Christliche Verteidigung (Christijanska zaštita)“, das Organ der Priesterbruderschaft „Heiliger Zar Boris“ der Varnaer und Preslaver Diözese, veröffentlichte am 1. November 1942 einen sieges­ gewissen Beitrag ihres Hauptredakteurs Protoierej P. Ikonomov: Er beklagte zunächst eine „Last einer doppelten Sklaverei – geistlich und politisch“. Darauf lobte er das Ansehen Bulgariens durch die auf dem Balkan führende Mitwirkung beim Aufbau „der morgigen neuen Kultur (…), im wiedergeborenen und umgebauten Europa“.1004 Dieses Nachfolger. Schlaft ruhig, Teure, im nationalen Schoß (v rodnitě nedra)!“ Božij glas, 1.10.1940, Nr. 1, S. 1 f. 1002 Božij glas, 18.11.1940, Nr. 2, S. 1. 1003 Božij glas, 1941, Nr. 12, S. 1. 1004 „Als Volk sind wir durch das Elend großer Leiden gegangen. Wir trugen auf unseren Schultern die Last einer doppelten Sklaverei – geistlich und politisch. Es gab eine Zeit, in der wir uns sogar unseres Namens schämten. Heute atmet das bulgarische Volk die Luft der Freiheit. Wir haben unseren eigenen Staat. Einen weisen Zaren, der vom Volk geliebt wird. Wir ordnen unseren Staat, wie wir es für gut halten. (…) Jeden Tag schreiten wir im Bildungswesen, in ökonomischer, finanzieller und geistiger Beziehung voran. (…) Die ganze kulturelle Welt (…) weiß wirklich, dass es auf der Balkanhalbinsel ein arbeitsliebendes, mutiges und gläubiges Volk

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„Wunder“ sei durch „VOLKSERWECKER “ geleistet worden: „Eine Handvoll selbst­ entsagender Patrioten (rodoljubci), ergebene Diener der Kirche, Akteure des Volkes (narodni dejci)“, die der Geistliche zu „Volksheiligen“ erklärte. Auch der Verweis auf den Athos und Rila als „Herdstätten der Erleuchtung“ unterstrich den geistlichen Anteil an dem Vorgang der sakralisierten Zündung des „Funkens des Volksbewusstseins“.1005 Der Feiertag sollte zur Erinnerung an diese „Riesen“ dienen und zur Ermahnung der „Intelligenz“: Diese sollte „häufiger die Kirchenschwellen überschreiten und näher bei Gott und der Volksseele sein“. Denn der hier beschworene „Fortschritt“ sollte in den Augen des Geistlichen nur religiös untermauert die Nation retten können.1006 Der Geistliche versuchte, aktiv an der Förderung der nationalgesellschaftlichen Rolle der Kirche mitzuwirken, indem er die „Intelligenz“ zum Kirchgang aufforderte, um sie der religiös entworfenen „Volksseele“ näherzubringen. Ivan bot sich scheinbar an, mit der Erfindung gibt, das in der Phase seiner vollen Entwicklung ist, und dem eine beneidete Rolle auf dem Balkan und in der morgigen neuen Kultur bestimmt ist, im wiedergeborenen und umgebauten Europa.“ Christijanska Zaštita, 1.11.1942, Nr. 17, S. 1. 1005 „Es stellt sich die Frage: Wie ist es möglich, dass dieses Volk, das 500 Jahre unter einer zweifachen Sklaverei litt (peskal), erwachte? Welche ist diese wunderwirkende Kraft, die die Gleise unseres Schicksals wechselte? Dieses Wunder taten die bescheidenen, aber mit dem Licht des Idealismus und mit grenzenloser Liebe zu ihrer Nation erfüllten VOLKSERWECKER. Eine Handvoll selbstentsagender Patrioten (rodoljubci), ergebene Diener der Kirche, Akteure des Volkes (narodni dejci), erfüllt von aufrichtiger Liebe zum Bruder, dem Knecht. In der finsteren Nacht haben diese Volksheiligen (narodni svetci), geistige Titanen, den Funken des Volksbewusstseins (narodnoto săznanie) entzündet. Die dunklen Zellen auf dem Athos und in Rila wurden zu Herdstätten der Erleuchtung (prosvětlenie). (…) Ihnen schulden wir heute ewige Anerkennung, allen diesen Patrioten, Heiligen – den VOLKSERWECKERN.“ Christijanska Zaštita, 1.11.1942, Nr. 17, S. 1. 1 006 „Dieser Tag erinnert uns an die Vergangenheit, enthüllt die Bilder der Riesen (velikani), die unsere Geschichte mit Größe und Schönheit füllen, und unsere Herzen mit Stolz und Hoffnung auf noch strahlendere Tage. Unsere Intelligenz, die faktisch unser Volk leitet, kann von hier Kraft schöpfen, Mut und Inspiration beim neuen Bau der Welt und Bulgariens. Wir sollen uns nicht unserer schönen Volkstraditionen und heiligen Gebräuche schämen, sondern sie vor Räubern und Verderbern (pochabiteli) schützen. Wir haben uns von dem Dämon des sinnlosen Partisanentums gerettet, das tiefe Wunden in der Seele unseres Volkes gelassen hat. Es herrscht der schlechte Eindruck, dass unsere Intelligenz als Erstes die Kirche verlassen wird und zur Ursache wird, dass eine religiöse und kirchliche Gleichgültigkeit beginnt. Anstatt häufiger die Kirchenschwellen zu überschreiten und näher bei Gott und der Volksseele zu sein, weicht sie aus, unter verschiedenen Vorwänden. Wenn die geistig-sittlichen und nationalen (narodnostni) Grundlagen (ustoi) verloren gehen, kann kein Fortschritt den Tod unserer Nation abwenden. Nationales Wohlergehen (Narodnoto blagodenstvie) entsteht nicht ohne Glauben an Gott und ohne seinen Segen. Mit diesem Glauben lebten, arbeiteten und starben die Volkserwecker – die Promethei, deren Geist auch heute nötig ist, damit er uns nicht vor jemand anderem, sondern vor unserem eigenen Unverstand rette. Wir verneigen uns vor ihrem strahlenden Gedächtnis (světla pameť). Ihr Ruhm überträgt sich von Generation zu Generation, bis zum Ende der Zeit.“ Christijanska Zaštita, 1.11.1942, Nr. 17, S. 1.

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einer „doppelten Sklaverei“ vor einem postkolonialen Hintergrund eine Gesellschaft zu propagieren, in der sich nationalisierte Religion, Volk und nationaler Fortschritt als orthodoxe, nationalbulgarische Modernität vereinten. Mit der immer deutlicheren Wende im Kriegsverlauf wich die Siegeseuphorie in der Propaganda nicht der Ernüchterung, sondern dem verbissenen Aufruf zum letzten Gefecht: Am 30. Oktober 1943 schrieb der „Unsrige“ unter einer großen Aufnahme des Rilaer Klosters einen Beitrag zu den „Volkserweckern“, wobei Ivan von Rila hervor­ gehoben wurde: „Am Tag des bulgarischen Heiligen, des hl. Ivan von Rila, feiern wir den Tag der Volkserwecker. (…) Das Ideal, das blieb, war das erste Ideal der ersten Volkserwecker: Die Vereinigung aller Bulgaren in einem Staat, ihre Sammlung unter einem Dach. Die Volkserwecker haben dieses Ideal allen Bulgaren überlassen. Siebzig Jahre nach der Befreiung haben drei Generationen für dieses Ideal gekämpft und sie kämpfen weiterhin dafür. Endlich ist es erreicht. Das Vermächtnis der Volkserwecker ist erfüllt. Das bulgarische Volk freut sich über seine Vereinigung und ist bereit, sie gegen alle Angriffe zu verteidigen.“ 1007

Die territoriale Erweiterung des bulgarischen Staates, die situativen Veränderungen in der Balkanpolitik Hitlers zu verdanken war, wurde als Schlusspunkt einer Jahrhunderte übergreifenden Erzählung, als Verwirklichung des bulgarischen Ideals in einem ausschließlich nationalen Kontext plausibel und legitim gemacht. Gleichzeitig wurde mit Blick auf die Zukunft die Verteidigung dieses verwirklichten Projektes ins Auge gefasst. Wie konsequent sich die Kirche die zunächst von der Regierung eingebrachte er­­ innerungspolitische Idee des Tages der „Volkserwecker“ aneignete, zeigt die ­schleichende Sakralisierung eindeutig weltlicher Helden und Revolutionäre: Durch die orthodoxe ­Kirche nicht als Heilige verehrte „Volkserwecker“ wurden in diesen Jahren zuweilen mit an sakrale Formen angelehnten Mitteln verehrt. In der für Mittelschüler heraus­ gegebenen Zeitschrift „für religiöse Bildung und Kultur“ „Weltanschauung (Světopogled)“, die am Geistlichen Seminar von Plovdiv erschien, wurde unter religiösen Gesichtspunkten 1941 an die nationalen Erwecker des 19. Jh. erinnert: „Vazov ist der Ursprung der Zeit, seit der der einzige Hafen und Schutz des viel erleidenden bulgarischen Volkes Gott ist. Das religiöse Gefühl ist wirksam und er selbst erfuhr es stark (sam go preživjava silno). Dies war der Gegenstand vieler poetischer Lieder.“ Der Artikel endete mit diesen Sätzen: „Und so gibt er uns am Klarsten in seinen poetischen Werken das religiöse Leben seiner Seele, die gänzlich mit der völkischen (narodnata) zusammengeflossen ist. Seine religiösen Erfahrungen sind tatsächlich die Erfahrungen der reinen bulgarischen Seele, die noch nicht durch die falsche Zivilisation befleckt war.“ 1008

1007 Našenec, 30.10.1943, Nr. 146, S. 1. 1008 Světopogled, 1.11.1941, Nr. 1, S. 2.

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Seine Erfahrung wurde hier zum Ausgangspunkt der heilsgeschichtlichen Beziehung des „bulgarischen Volkes“ zu Gott stilisiert, seine Seele zum Ausdruck der „reinen bulgarischen Seele“ umgedeutet. Paisij und seine Nachfolger wurden kollektiv zum „Messias“ stilisiert: Unter dem Titel „die Befreiung Bulgariens“ schrieb Kolju Zagarov am 6. März 1942 in derselben Zeitschrift „Weltanschauung“, als er an Ereignisse des 19. Jh. erinnerte: „Der 3. März ist ein berühmtes Datum in der Geschichte unserer Vergangenheit. Besonders heute ist dies ein großer Feiertag für das ganze eine Volk, das zum ersten Mal die glückliche Gelegenheit hat, seine Auferstehung in seinen gesamthaften ethnischen Grenzen zu feiern, geeint um ­seinen Obersten Führer.“

Zagarov führte dann in die Umstände der damaligen Begebenheiten ein. Er kommentierte: „Aber Gott vergaß es [das Volk, S. R.] nicht. Auch in diesem kritischen und höchsten (vărchoven) Moment, als das bulgarische Volk den letzten Schritt zum bodenlosen Abgrund des histo­rischen Vergessens tat, entsandte Gott seinen Gesalbten und Messias unserer Freiheit. Dieser kam. Er kam von dort, wohin die feindlichen Hände nicht zur Schändung unseres nationalen Heiligtums (nacionalnata svetinja) gelangt waren und in mystischer klösterlicher Ruhe das flammende bulgarische Herz fortfuhr stark zu schlagen, damit die klangvolle und süße bulgarische Sprache ausgegossen werden konnte.“

Bei dem „Messias“ handelte es sich um einen „blassen Mönch des heiligen Berges“, offensichtlich Paisij: „Unabhängig davon, ob sie sich Paisij oder Rakovski, Levski oder Slavejkov, Botev oder ­Makariopolski, Antim oder Benkovski nannten, alle waren Kämpfer für ein und dasselbe Idael – die Freiheit Bulgariens. Alle haben zu ihrer Zeit und an ihrer Stelle ihre Pflicht erfüllt, für welche einige – ihr Leben gaben, und alle ihre Seele.“

Allerdings folgte dem Aufstand 1878 dessen Niederschlagung, die wie die Akteure gleichfalls sakralisiert wurde: „Plěven wurde zur Gruft, Tărnovo – zum Altar, und Šipka – zum blutigen Golgatha.“ Den Opfern, den „Märtyrern“ sollte „ewiger Ruhm“ zuteilwerden.1009 Paisij wurde hier zum „Messias“, Bulgarien und das bulgarische Volk wurden als Einheit imaginiert, mit Plěven, Tărnovo und Šipka als hervorgehobenen Orten. Die Erinnerung der Opfer, die dramatische Darstellung der bedrohlichen Lage, in der die damalige „Befreiung“ unternommen wurde, und der durch Gott geleistete Beistand durch den „Messias unserer Freiheit“ spiegelte die aktuelle Hoffnung wider, Gott werde Bulgarien auch aus dem derzeitigen Kriegsgeschehen unversehrt hervorgehen lassen. Gleichzeitig appellierte die erinnerte Geschichte an die zeitgenössischen Akteure, ihre „Pflicht“ zu erfüllen. Die Einrichtung des „Tags der Volkserwecker“ erfolgte im Vergleich mit den Feiern Kyrills und Methods oder Savas spät und zunächst ohne eine vorherrschende weltliche

1009 Světopogled, 6.3.1942, Nr. 6, S. 1.

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Dimension. Kirchenfürsten eigneten sich den zunächst säkularen Feiertag an, um ihren religiösen Nationalismus zu verbreiten. Neben Schülern und Studenten nahmen auch Sportvereinigungen an den Umzügen in der Öffentlichkeit der Straßen der Hauptstadt teil. Gleichzeitig gab der Feiertag den exilmakedonischen Vereinigungen ein öffent­ liches Forum, auch Kyrills und Methods sowie weltlicher „Apostel der Unabhängigkeit“ zu gedenken. Weltliche „Patrioten“ und „Volksheilige“ wurden im Gedenken der Geistlichen zur national-religiösen Einheit. Im Rahmen der mit dem Feiertag ver­ bundenen Diskurse vertrat die BOK eine illiberale, bulgarisch-orthodoxe religiöse Modernität, die einer vermeintlichen nationalen Eigentümlichkeit und dem „geistig-­ kulturellen Fortschritt“ dienen sollte. Im Kontext des Weltkrieges sollten auch die „Erwecker“ territoriale Gewinne als berechtigt erscheinen lassen. Der Feiertag zeigt, wie der Einsiedler Ivan im Wettbewerb mit dem Gedenken an säkulare Nationalhelden des 19. Jh. in der ersten Hälfte des 20. Jh. größeres Gewicht als diese erlangen konnte. Die national gesinnte Publizistik Bulgariens bediente sich gerade Ivans von Rila, um sich den national­sozialistischen Führerkult anzueignen, wie auch die beiden folgenden ­Kapitel bezeugen: Vor dem aufgearbeiteten Hintergrund sei nun die Verehrung Ivans im Zusammen­hang mit seinem Kloster umrissen. D 6  Geistliche als Nationalheilige: der ,heilige Führer‘ Ivan von Rila und sein Kloster

In der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg spielte Ivan von Rila nicht lediglich wegen des „Tages der Volkserwecker“ eine immer stärkere Rolle im Erinnerungshaushalt der bulgarischen Publizistik. Dieser Vorgang sei hier zunächst, aber nicht nur, in kirchlichen Periodika nachverfolgt. D 6.1  Ivan als Folie für gesamtgesellschaftliche nationalreligiöse Entwürfe

Zusätzlich zur bereits bestehenden Verankerung der Verehrung Ivans im Vereins­wesen der Hauptstadt wurden nun weitere Bruderschaften ins Leben gerufen: So wurde 1924 in Dupnica eine Bruderschaft unter seiner Schirmherrschaft eingerichtet,1010 1926 folgte die Gründung eines ihm geweihten christlichen Schülervereins in Eski-Džumaja, dem heutigen Tărgoviste.1011 Eine weitere ihm gewidmete orthodoxe Bruderschaft entstand 1928 in Vraca.1012 Zudem war bereits seit 1923 auch eine „Orthodoxe Christl. Bruderschaft ,Hl. Iv. Rilski‘“ in Kjustendil aktiv. Sie publizierte die Zeitschrift „Geistlicher Funken

1010 Pravoslavno Christijansko Bratstvo „Sv. Iv. Rilski“–Dupnica. 1011 Ustav na E.-Džumajskoto Učeničesko Pravoslavno Christ. D-vo. „Sv. Iv. Rilski“. 1012 Ustav na Pravoslavnoto christijansko bratstvo „Sv. Ioan Rilski“ v gr. Vraca.

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Dimension. Kirchenfürsten eigneten sich den zunächst säkularen Feiertag an, um ihren religiösen Nationalismus zu verbreiten. Neben Schülern und Studenten nahmen auch Sportvereinigungen an den Umzügen in der Öffentlichkeit der Straßen der Hauptstadt teil. Gleichzeitig gab der Feiertag den exilmakedonischen Vereinigungen ein öffent­ liches Forum, auch Kyrills und Methods sowie weltlicher „Apostel der Unabhängigkeit“ zu gedenken. Weltliche „Patrioten“ und „Volksheilige“ wurden im Gedenken der Geistlichen zur national-religiösen Einheit. Im Rahmen der mit dem Feiertag ver­ bundenen Diskurse vertrat die BOK eine illiberale, bulgarisch-orthodoxe religiöse Modernität, die einer vermeintlichen nationalen Eigentümlichkeit und dem „geistig-­ kulturellen Fortschritt“ dienen sollte. Im Kontext des Weltkrieges sollten auch die „Erwecker“ territoriale Gewinne als berechtigt erscheinen lassen. Der Feiertag zeigt, wie der Einsiedler Ivan im Wettbewerb mit dem Gedenken an säkulare Nationalhelden des 19. Jh. in der ersten Hälfte des 20. Jh. größeres Gewicht als diese erlangen konnte. Die national gesinnte Publizistik Bulgariens bediente sich gerade Ivans von Rila, um sich den national­sozialistischen Führerkult anzueignen, wie auch die beiden folgenden ­Kapitel bezeugen: Vor dem aufgearbeiteten Hintergrund sei nun die Verehrung Ivans im Zusammen­hang mit seinem Kloster umrissen. D 6  Geistliche als Nationalheilige: der ,heilige Führer‘ Ivan von Rila und sein Kloster

In der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg spielte Ivan von Rila nicht lediglich wegen des „Tages der Volkserwecker“ eine immer stärkere Rolle im Erinnerungshaushalt der bulgarischen Publizistik. Dieser Vorgang sei hier zunächst, aber nicht nur, in kirchlichen Periodika nachverfolgt. D 6.1  Ivan als Folie für gesamtgesellschaftliche nationalreligiöse Entwürfe

Zusätzlich zur bereits bestehenden Verankerung der Verehrung Ivans im Vereins­wesen der Hauptstadt wurden nun weitere Bruderschaften ins Leben gerufen: So wurde 1924 in Dupnica eine Bruderschaft unter seiner Schirmherrschaft eingerichtet,1010 1926 folgte die Gründung eines ihm geweihten christlichen Schülervereins in Eski-Džumaja, dem heutigen Tărgoviste.1011 Eine weitere ihm gewidmete orthodoxe Bruderschaft entstand 1928 in Vraca.1012 Zudem war bereits seit 1923 auch eine „Orthodoxe Christl. Bruderschaft ,Hl. Iv. Rilski‘“ in Kjustendil aktiv. Sie publizierte die Zeitschrift „Geistlicher Funken

1010 Pravoslavno Christijansko Bratstvo „Sv. Iv. Rilski“–Dupnica. 1011 Ustav na E.-Džumajskoto Učeničesko Pravoslavno Christ. D-vo. „Sv. Iv. Rilski“. 1012 Ustav na Pravoslavnoto christijansko bratstvo „Sv. Ioan Rilski“ v gr. Vraca.

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(Duchovna Iskra)“.1013 Nicht weniger wichtig als der Einsatz Ivans als Schutzpatron etwa auch des Geistlichen Seminars in Sofia war seine weitere nationale Bedeutungsaufladung in neuen Publikationen auch der Kirche: 1925 gab Bischof Varlaam eine mehr als 400 Seiten starke Veröffentlichung über Ivan und das Rilaer Kloster ­heraus. Bereits 1928 erfuhr sie ihre zweite Auflage. Varlaam, Igumen des Klosters Rila, beschrieb Ivan in seinem Geleitwort als „bulgarischen Riesen“, vor den „vom Zaren bis zum letzten Hirten“ Bitten getragen würden, sowie als Wecker des „nationalen und religiösen ­Geistes der Bulgaren“. Ivan war hier nicht nur im religiösen, sondern auch im nationalen Kontext das Medium zur Imagination einer Volkseinheit, deren soziale Unterschiede im Gedenken an ihn verschwanden. Zudem sei Ivan „Patron des bulgarischen Vaterlandes, Beschützer (pokroviteľ) des Volkes und sein Leiter (răkovoditelj) auf dem Weg zu Christus“.1014 Der Bischof verwendete weitgehend den traditionellen Wortschatz der religiösen Verehrung, verband ihn aber mit dem modernen Nationalismus. Ivans Kloster befand sich aber Mitte der 20er-Jahre in einer misslichen wirtschaftlichen und rechtlichen Lage, die weder außergewöhnliche Popularität noch staatliche Unterstützung bezeugt: Im März 1926 klagte der Heilige Synod mit einer schriftlichen Eingabe vor dem Minister „für Äußere Arbeiten und Konfessionen“, „dieses Heiligtum des bulgarischen Volkes“ sei in einer „fürchterlichen Lage formalen Raubs und Ruins“. „Staat und Gesellschaft“ sollten deshalb die „heiligen Besitzungen“ gesetzlich schützen und nicht missbrauchen. Der Text wurde auf der ersten Seite des „Kirchenboten“ einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht.1015 Schließlich verdanke das bulgarische Volk „im höchsten Ausmaß sein Volksbewusstsein und die Einheit“ diesem Kloster.1016 Mit dem Verlust seiner Besitzungen könnte das Kloster seinen „heiligen Aufgaben gegenüber der nationalen und geistigen Zukunft des orthodoxen bulgarischen Volkes“ nicht nachkommen.1017 Am 28. Juli setzte sich der Abgeordnete Prof. G. Danilov im Parlament für Kredite zugunsten des Klosters ein. Um die Bedeutung „dieses Heiligtums in jeder Beziehung für die bulgarische Kultur“ hervorzuheben, stellte er Ivan mit Verweis auf dessen Rolle in den „Streitigkeiten, die damals die Grundlagen des bulgarischen Staates erschütterten“, als Ausdruck des „bulgarischen kritischen ­Geistes“ dar,

1013 Cărkoven Vestnik, 21.4.1923, Nr. 17, S. 10. 1014 „Einer der bulgarischen Riesen der Vergangenheit, der sich erhob und der sich heute mit leuchtender Aureole erhebt als großer Gottgefälliger des Volkes (roden), und vor den Bitten, Nöten und Sorgen des bulgarischen Volkes vom Zaren bis zum letzten Hirten getragen werden; einer der bulgarischen Riesen, der in den Tagen der schwarzen Sklaverei den nationalen (narodnosten) und religiösen Geist der Bulgaren unterstützt und geweckt hat (…); einer der bulgarischen ­Riesen, der Patron des bulgarischen Vaterlandes ist, Beschützer (pokroviteľ) des Volkes und sein Leiter (răkovoditelj) auf dem Weg zu Christus, einer der bulgarischen Riesen, der die Blicke der benachbarten Völker auf sich zieht, (…) – dies ist der hl. Ivan, der Wundertäter von Rila.“ Varlaam (Red.) (21928), S. 5. 1015 Cărkoven Věstnik, 13.3.1926, Nr. 12, S. 109 – 112, hier S. 109. 1016 Cărkoven Věstnik, 13.3.1926, Nr. 12, S. 111. 1017 Cărkoven Věstnik, 13.3.1926, Nr. 12, S. 112.

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der „die Seele unseres Volkes“ stets erfüllte.1018 Der Vortragende stellte Rila ganz in das Zentrum bulgarischer Europäizität: „Es gibt kein Gebäude auf der Welt, im kulti­ vierten Europa, das so stark mystisch auf die menschliche Seele einwirkt, wie das Rilaer ­Kloster“.1019 Der Abgeordnete verwechselte sodann Ivan mit Kliment, indem er ihn als Patron der Universität bezeichnete. Auf Ivan zugeschnitten war aber seine Beschreibung als „Kämpfer für Gerechtigkeit und Volkskultur, als Kämpfer, der kritischen Geist gegen die Ungerechtig­keiten der alten zarischen Regierung trug“. „Jeder bulgarische politische K ­ ämpfer“ sollte ihn daher verehren.1020 Der Akademiker stilisierte Ivan gewissermaßen zum ersten Bürger, ja Parlamentarier Bulgariens. Allerdings erhielt Danilovs Eingabe trotz Verständnisses seitens des Ministerpräsidenten nur die Zustimmung einer Minderheit.1021 Führende Akademiker machten Ivan zur Folie für gesamtgesellschaftliche Entwicklungsmodelle: In der bereits genannten Rede zum Tag der „Volkserwecker“ stellte der Dekan der Theologischen Fakultät der Kliment-Universität Gančo St. Pašev im November 1926 während der „Betzeit“ zu Ehren Ivans mit dem Verweis auf diesen „die Prinzipien der Erneuerung und des erlösenden Lebens“ klar. Ivan habe in einem „für die Zukunft des Volkes fürchterlichen Moment“ auf „sein persönliches Glück, äußerliches Wohlergehen“ verzichtet, um „die Großtat der persönlichen und gesellschaftlichen Vervollkommnung und Erlösung“ in Angriff zu nehmen. Die „durch sein Werk geschaffenen und vermachten Ideale“ sollten bald zu „Feuerstellen der neuen Wiedergeburt“ werden.1022 Der Theologe deutete damit Selbstverneinung und Askese in der haupt­städtischen Öffentlichkeit sowie in der amtlichen Zeitschrift der bulgarischen orthodoxen Kirche zum Leben nicht für Gott, sondern für die Nation um. Die Auferstehung sollte nicht religiös im traditionellen Sinne, sondern national und gesellschaftlich sein. Der Mediävist Zlatarski hielt sich in seiner mehrbändigen Darstellung des „bulgarischen Staates im Mittelalter“ mit nationaler Rhetorik zurück, schrieb aber zu Ivan gleichfalls: „Damit ist deutlich geworden, weshalb das bulgarische Volk Ivan Rilski von Anfang an und auch heute als seinen Patron und als Bestärkung in schweren ­Zeiten ehrt.“ 1023 Eine Vorreiterrolle in der Anpassung des Diskurses um Rila an gegenwärtige natio­ nalistische Strömungen nahmen die Publikationen Christo C. Ustabašievs ein, des „Führers (vožd)“ der – allerdings einflusslosen – „Gesellschaftlich-Staatlichen Organisation ,Großes Bulgarien‘ für die heilige Zukunft des Bulgarischen Volkes“. In der 1930 erschienenen ersten Nummer der Zeitschrift „Hl. Ivan von Rila“, dem „Organ“ dieser Gruppierung, erklärte Ustabašiev das „Ziel der Zeitung“: Zunächst sei zu erläutern, weshalb diese nach Ivan von Rila benannt sei. Er erklärte, welche Rolle „Volksheilige“ 1018 1019 1020 1021 1022 1023

Cărkoven Věstnik, 31.7.1926, Nr. 31 – 32, S. 341 – 344, hier S. 341. Cărkoven Věstnik, 31.7.1926, Nr. 31 – 32, S. 341. Cărkoven Věstnik, 31.7.1926, Nr. 31 – 32, S. 343. Cărkoven Věstnik, 31.7.1926, Nr. 31 – 32, S. 344. Cărkoven Věstnik, 20.11.1926, Nr. 39, S. 429 f. Zlatarski (1927), Bd. 1, Teil 2, S. 566.

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bei anderen Völkern spielten, um dann festzuhalten: „Solch ein Heiliger ist der hl. Ivan von Rila, und er wurde auserwählt von Gott, um das Osterlicht des Volkes zu sein, das diesem den Lebensweg bis zum Ende des Säkulums leuchte.“ 1024 Schließlich erklärte er ihn zum „Heiligen Führer des Volkes“.1025 Ivan war hier nicht mehr bloß als Wegweiser auf dem Weg zu Gott gedacht, sondern in Anlehnung an die übrigen politischen Führer der Zwischenkriegszeit auch als politischer „Führer“ einer modernen, religiös begründeten Nationalgesellschaft und ihres Staates. D 6.2  Moderner Tourismus in Rila als ,bulgarischem Jerusalem‘

Mit der neuen Debatte über das Kloster erschienen weitere Broschüren über Ivan und seine Wirkungsstätte: 1929 veröffentlichte der Rechtsanwalt und religiöse Publizist Anton Kavdanski eine knappe Broschüre über das „Leben des hl. Ivan Rilski“ sowie über die Geschichte seines Klosters. Sie richtete sich nicht an ein geistliches oder geschichtswissenschaftliches Fachpublikum, sondern sollte einen breiten Kreis ansprechen und daher nur einen „kleinen Preis“ kosten, um „allen zugänglich zu sein, die das Kloster besuchen“. In den ersten Sätzen umriss er die gesellschaftliche Bedeutung Ivans und Rilas als „nationale Feuerstätte“. Im 19. Jh. war das Kloster mit dem Athos und Jerusalems verglichen worden – jetzt war es dabei, zum „bulgarischen Jerusalem“ zu werden. An erster Stelle stand in dieser Passage dabei die Ausstrahlungskraft, die das Kloster für die Bevölkerung „der verschiedenen Gegenden“ des ganzen Staates zum Reiseziel machte. Neben dem Kloster sowie dem gegenüber dem hl. Ivan gezollten Respekt als nationalem „Beschützer“ wurden nun auch landschaftliche Reize der Umgebung hervorgehoben: „Die wunderbare und großartige Rilaer Einöde“ bekam unter dem Einfluss einer neuen Landschaftsästhetik eigene Wertschätzung.1026 Gleichzeitig blieben in der Erinnerung an Ivan von Rila traditionelle religiöse Elemente wesentlich. So erschienen

1024 Sv. Ivan Rilski, 6.6.1930, Nr. 1, S. 1. 1025 Sv. Ivan Rilski, 6.6.1930, Nr. 1, S. 2. 1026 „Jahr für Jahr wird das heilige Rilaer Kloster von mehr und mehr Leuten aus den verschie­ denen Gegenden ganz Bulgariens besucht, und auch von einer Vielzahl angesehener Ausländer. Die wunderbare und großartige Rilaer Einöde, in deren Schoß vor zehn Jahrhunderten hier das durch den hl. Ivan gegründete Kloster Zuflucht gefunden hat; der Ruhm und die Größe seines Gründers; die Verdienste des Klosters als nationale Feuerstätte (ognište), in dem sich während unserer dunklen Sklaverei die bulgarische Sprache und der orthodoxe bulgarische Glaube bewahrten, haben jährlich Zehntausende von Pilgern angezogen und werden dies in Zukunft tun. Das Rilaer heilige Kloster wird zum bulgarischen Jerusalem. Der hl. Ivan von Rila ist unser nationaler Stolz, unser nationaler (roden) Heiliger und Beschützer, und sein Kloster ist gemessen an seiner Größe, Anlage und seinen Verdiensten an unserem Volk einzigartig auf der Balkanhalbinsel.“ Kavdanski (1929), S. 1. Unter anderem Titel, aber mit demselben Vorwort erneut: Kavdanski (1933), S. 3.

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die Gebeine Ivans in derselben Broschüre als auch in der Gegenwart wohlriechend und Heilungen erwirkend.1027 Gerade christlich orientierte Medien betrieben die nationale Aufladung weiter: 1932 veröffentlichte die „Christliche Verteidigung“ eine kurze „Beschreibung“ des „­Heiligen Rilaer Klosters“, die nationale Identität und nationale Kirche nicht zuletzt mittels einer romantischen Wahrnehmung der Natur stiftete: Farben und Düfte der Natur sowie der Gebäude sollten insgesamt wie ein „Bukett“ wirken und der Grund sein, weshalb das Kloster von so vielen Pilgern besucht werde. Diese wollten – oder sie sollten es in den Augen des Autors – den „allbulgarischen Beschützer und Schutzheiligen“ gerade „vor dem Thron des Schöpfers der wunderbaren Natur“ aufsuchen.1028 Landschaftliche Schönheit und die „Natur“ insgesamt wurden hier erstmals ins Zentrum des Rila-Diskurses gerückt und mit Religion sowie Nation zu einer Einheit verbunden. Gerade in der mit bulgarischem Nationalismus aufgeladenen Natur sollten bulgarisches Nationalgefühl sowie orthodoxe bzw. bulgarische Religion empfunden und möglichst von Massen erfahren werden. Nationaltheologische Deutungszuschreibungen gewannen an Einfluss: 1934 ist in der illustrierten orthodoxen, von 1937 an als Publikation des Bistums Sofia er­­scheinenden Zeitschrift „Volkswächter (Naroden Straž)“ zum „Heiligen Rila-Kloster“ ein Beitrag von Anton Kavdanski zu lesen, der hier als „Staatlicher Advokat“ bezeichnet wurde. In diesem Text stand zwar das Kirchliche vor dem Nationalen und vor dem Politischen. Dennoch leitete nicht die Heiligkeit Ivans Kavdanskis Argumentation, sondern die Verehrung des Klosters als „nationale Feuerstätte“ sowie die angebliche Kontinuität der „kirchlichen und nationalen Selbständigkeit“, deren „Fels“ das Kloster sein sollte.1029 Die Rede vom „Fels“ scheint angelehnt an die römische Referenz auf Petrus als 1027 „Und bis zum heutigen Tag verbleiben die unverderblichen heiligen Reliquien in dem Sarg, der in der Klosterkirche aufgestellt ist. Bei der Öffnung des Sarges macht sich ein wunder­ barer Wohlgeruch der Reliquien bemerkbar. Vor diesen heiligen Reliquien verneigen sich alle ­frommen Christen und viele Krankheiten wurden geheilt, als sie mit aufrichtigem Glauben den hl. Ivan baten, dass dieser sie heile.“ Kavdanski (1929), S. 14. 1028 „Dieses ganze verschiedenfarbige Bukett: das Kloster, die Kirche in ihm, der Turm, der schweigende und herrliche Wald, die stolzen Gipfel, die wohlriechenden zarten Blumen, die Wiesen und die Herden – all dies ist so schön und anziehend!… Aber deshalb wird das Kloster auch täglich von Hunderten Pilgern aufgesucht, die aus den Dörfern und Städten kommen, um sich mit dem seligen Vater vertraut zu machen, dem allbulgarischen Beschützer und Schutzheiligen (pokroviteľ i zakrylinik) vor dem Thron des Schöpfers der wunderbaren Natur, in deren Mitte das Wort des seligen Vaters laut erschallte (gărmělo) und dem bulgarischen Volk den Weg gewiesen hat.“ Christijanska Zaštita, 15.11.1932, Nr. 7, S. 4. 1029 „Wunderbar ist das Denkmal des Ruhms und der Größe eines der größten bulgarischen ­Heiligen – des Eremiten hl. Ivan von Rila! Eine kirchliche und nationale (nacionalna) Feuerstätte (ognište), die niemals aufgehört hat zu leuchten und nie erloschen ist! Der unzugängliche Fels der bulgarischen kirchlichen und nationalen Selbständigkeit, von dem alle Angriffe unserer kirchlichen und politischen Feinde während unserer dunklen Sklaverei abgewehrt wurden.“ Naroden Straž, 15.3.1934, kn. 3, S. 3.

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Funda­ment der Kirche und wurde – falls diese Hypothese zutrifft – wie das Kloster und sein Heiliger politisch-theologisch aus dem kirchlichen in den nationalen Zusammenhang übertragen. Trotz der Plünderung und Einäscherung des Klosters durch „die grau­ samen Türken, die Čerkessen, und alle möglichen Räuber“ „während unserer dunklen und schrecklichen zweifachen Sklaverei“ habe „der mächtige Geist des hl. Ivan immer das ganze bulgarische Volk“ im Wissen um politische und kirchliche Unabhängigkeit „vereint“. Der Wiederaufbau des Klosters im 19. Jh., den der Verfasser mit dem Verweis auf die wenig christliche Phönixlegende beschrieb, wurde nun selbst zum Thema der Erinnerung.1030 Ivans von Rila wurde dabei ähnlich wie in früheren religiösen Texten wie eines lebendigen Heiligen gedacht, die neue Ausgestaltung des Gedenkens unterschied sich aber doch von der älteren religiösen Erinnerungskultur: Kavdanski beschwor „den mächtigen Geist“ des Heiligen nun zunächst wegen politischer Unabhängigkeit und erst in zweiter Linie wegen der kirchlichen. Das „Volk“, das den Wiederaufbau der Kirche leistete, verlangte seinen Tribut – die politische Bedeutung der Erinnerungsfigur übertraf die religiöse. Diese gegenüber der ersten Passage veränderte Reihenfolge blieb auch in den folgenden Teilen des Textes gewahrt. Die soziale Praxis der Erinnerung an Ivan, unter unmittelbarer Mitwirkung seines Geistes, wurde als Kern der Konstitution bulgarischen nationalen Einigkeitsgefühls beschrieben – und sollte zu diesem werden. Das Gedächtnis Ivans wurde zum Beweis und gleichzeitig zur Praxis der (Re) Produktion der bulgarischen nationalen Existenz. Neben den „Dienst an Gott“ sollte ausdrücklich der „Dienst am Volk“ treten.1031 Wurde der Wiederaufbau des Klosters 1030 „Der Rilaer Einödensiedler, der hl. Ivan legte das Fundament zu diesem erhabenen Denkmal vor tausend Jahren auf einer kahlen Klippe. Seither sind mehr als tausend Jahre ver­gangen. ­Während unserer dunklen und schrecklichen zweifachen Sklaverei haben die grausamen ­Türken, die ­Čerkessen, und alle möglichen Räuber das heilige Kloster angegriffen, die Mönche tot­geschlagen, alles eingeäschert und geraubt. (…) Aber der mächtige Geist des hl. Ivan hat immer das ganze bulgarische Volk vereint im Bewusstsein einer politischen und kirchlichen Selb­ständigkeit um den heiligen Altar der bulgarischen selbständigen christlichen Kirche, die erstmals auf der Balkanhalbinsel noch durch den Apostel Paulus gegründet worden war. Dieser Geist hat aus dem Schoß des bulgarischen Volkes neue ergebene Söhne hervorgebracht, die Mönche wurden und alles dem heiligen Kloster gaben, was sie hatten, sogar sich selbst. Und das ganze bulgarische Volk war wie eine Einheit bereit, alles Notwendige zu geben – Mittel und Menschen, damit erneut das Kloster errichtet werde. Und so sehen wir an der Stelle der traurigen Ruinen erneuert wie ein Phönix das größere und leuchtendere heilige Kloster sich erheben.“ Naroden Straž, 15.3.1934, kn. 3, S. 3. 1031 „Viele begabte und fähige bulgarische Söhne lebten als Mönche in dem heiligen Rilaer Kloster und waren dort um das Gedächtnis (pameťta) und das Vermächtnis (zaveta) des hl. Ivan ver­einigt, geleitet und beflügelt durch seinen Geist, gaben all ihre Kräfte und Fähigkeiten zum Dienst an Gott und am Volk. Welch wunderbare Großtat (podvig), welch großer und selbstentsagender Dienst an Gott und am bulgarischen Volk! Wie ein mächtiges Feuer hat sie [die Großtat, S. R.] die Seelen und Herzen des ganzen bulgarischen Volkes erwärmt, und darin das Bewusstsein um einen selbständigen bulgarischen Staat und eine selbständige bulgarische Kirche unterstützt.“ Naroden Straž, 15.3.1934, kn. 3, S. 3.

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mit dem Phönixmythos verknüpft, stand auch die Beschreibung Ivans als „Bulgarischer Prometheus“ für eine antikisierende, gewissermaßen klassizistische Ausweitung des Erinnerungsdiskurses. Glich die ihm zugeschriebene Rolle immer noch derjenigen Moses’, wurde sie nun nicht mehr nur mit biblischen Metaphern imaginiert. Auch die Rede von einem durch ihn entfachten „heiligen und ewigen“ Feuer muss nicht nur auf christliche Vorstellungen Bezug nehmen. Allerdings wurde er wie in einer traditionellen Fürbitte als im Jenseits lebendige Person angesprochen – aber nicht als Schutzpatron, sondern als ewiger Ermahner der Bulgaren, weder Gott noch Volk zu vergessen.1032 Das Kloster, „das weder die griechische, noch die türkische Sklaverei kannte“, wurde zum einzigen Ort bulgarischen „nationalen Bewusstseins und kirchlicher Unabhängigkeit“ stilisiert; seine Mönche sollten „von dort das Schicksal ihres Volkes“ gelenkt haben.1033 Stärker als je wurde nun das Rilaer Kloster getrennt von Ivan Rilski gedacht und eine ent­scheidende nationale Funktion – der „Schutz des nationalen und des kirchlichen Selbstbewusstseins des bulgarischen Volkes“ – im Kontext einer weltlichen Geschichte in den Vorder­grund gestellt. Ähnlich, wie die Heiligen für lebendig gehalten wurden, wurde die in der Vergangenheit situierte „Rolle“ des Klosters, die im nationalen historischen Kontext unvergleichlich sei,1034 in die Gegenwart und in die Zukunft projiziert.1035 Diese F ­ unktion schien dem Verfasser aber unter der Leserschaft umstrittener, als es ihm lieb war.

1032 „Oh! Heilig und ewig unauslöschlich ist das Feuer, das vor tausend Jahren der Bulgarische Prometheus, der hl. Ivan von Rila entzündet hat, dort oben, im Schoß der jungfräulichen und undurchlässigen Rilaer Einöde, du wirst ewig die durch die Jahrhunderte schreitenden Generationen daran erinnern, dass diese auf ihrem Weg nie Gott und das Volk vergessen sollen.“ Naroden Straž, 15.3.1934, kn. 3, S. 3. 1033 „Und wahrlich, nachdem Bulgarien gänzlich besiegt war durch die Türken, nachdem das bulgarische Patriarchat vernichtet war und der Patriarch verbannt, die Bibliotheken der Kirchen beraubt und ausgebrannt, die Kirchen geschlossen, welches Bulgarische blieb noch un­berührt? Unter welchen Ruinen und Aschenhaufen glimmte wenigstens ein Funke des nationalen Bewusstseins und der kirchlichen Selbständigkeit? Nirgendwo außer in dem heiligen Kloster von Rila, das weder die griechische, noch die türkische Sklaverei kannte, das nie unterworfen wurde. Während der dunklen Sklaverei beherbergte das Rilaer Kloster in sich die aufgewecktesten Bulgaren, die von dort das Schicksal (sădbinitě) ihres Volkes lenkten. Das Kloster hatte Niederlassungen (metosi) in allen Gegenden Bulgariens und sogar darüber hinaus. Es schulte in diesen Niederlassungen gebildete und hingebungsvolle Mönche, die als Priester mit dem Volk im Kontakt standen, in dem sie das nationale (nacionalnoto) und das kirchliche Bewusstsein weckten und unterstützten.“ Naroden Straž, 15.3.1934, kn. 3, S. 3. 1034 „Das heilige Rilaer Kloster hat eine enorme Rolle gespielt im Schutz des nationalen und des kirchlichen Selbstbewusstseins des bulgarischen Volkes, eine Rolle, der nichts gleicht in der ganzen Geschichte des bulgarischen Stammes.“ Naroden Straž, 15.3.1934, kn. 3, S. 3. 1035 „Wirklich hat das heilige Kloster auch heute seine große Bedeutung. Es wird auch in Zukunft weiter keine unwichtige Rolle für das Wohl des bulgarischen Stammes und der Kirche spielen.“ Naroden Straž, 15.3.1934, kn. 3, S. 3.

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Ivan wurde auch zum Aufhänger populärwissenschaftlicher gesellschaftsphilo­ sophischer Entwürfe in einem globalen Zusammenhang: Im nächsten Heft des „Volks­ wächters“ widmete Kavdanski daher dem Thema einen Fortsetzungsartikel unter dem Titel „Die heutige Bedeutung des heiligen Klosters von Rila“. 1036 Religiosität geriet in Bulgarien erst im Rahmen der globalen Krise von Religionen nach der Erfahrung des Ersten Weltkrieges und der Russischen Revolution stärker in Kontakt mit modernem Zweifel. Mit dem Verweis auf weltliche „große Gelehrte“ wollte nun Kavdanski – letztlich im Stil amerikanischer Prediger der zweiten Hälfte des 19. Jh. – „die Existenz Gottes“ mit wissenschaftlichem Rationalismus vereinbar und Atheisten glaubhaft machen.1037 Die Selbstverständlichkeit von Religion war verschwunden. Kavdanski sah sich daher veranlasst, Religion und ihre Rolle – bzw. die des Klosters – neu zu bestimmen. Die „Existenz des heiligen Rilaer Klosters“ diente in seinen Augen nicht nur dazu, auf den „großen Heiligen“ Ivan zu verweisen, sondern auch auf die „enorme Rolle“, die das Kloster während der „Sklaverei“ gespielt habe. Dem zweifelnden Besucher sollte es „unweigerlich sittlich-religiöse und nationale Extase“ vermitteln.1038 Der zwischenzeitlich zugunsten des Klosters zurückgestellte hl. Ivan wurde in diesen Sätzen wieder in die Überzeugungsstrategie eingegliedert. Gleichzeitig wurde angebliche religiöse Begeisterung untrennbar mit der Besinnung auf die Nation, mit einer „nationalen Extase“ verbunden. Kavdanski schrieb hier über neue Formen nationaler Religiosität. Nationalismus sollte in Rila zum religiösen Erlebnis werden. Die im 19 Jh. begonnene Nationalisierung der Religion setzte 1036 Naroden Straž, 1.4.1934, kn. 4, S. 4. 1037 „Mit der Gründung des bulgarischen Exarchats und der Befreiung Bulgariens von der Türkei konnte das heilige Kloster von Rila nicht mehr die Rolle spielen, die es bisher gespielt hatte, denn seither haben wir eine unabhängige Kirche und einen Staat. Es stellt sich daher die Frage – hat das heilige Rilaer Kloster heute Bedeutung, ist seine Existenz gerechtfertigt? Es ist bekannt, dass es strikte Ablehner der Religion gibt, gemäß denen der Glaube an Gott und die Verehrung in Kirchen und Klöstern eine Täuschung (zabluda) ist, Opium für die einfachen Massen, ein Mittel des heutigen tyrannischen Regimes um die breiten arbeitenden Massen in der Unterordnung und Unwissenheit zu halten. Leute mit diesem Verständnis sind bereit, die Kirchen und Klöster bis auf den Grund niederzureißen (srinať) oder sie in andere Einrichtungen umzugestalten, wie es in Russland geschieht. (…) Ja, nur die Unverständigen sagen aus ihrem Herzen, dass es keinen Gott gibt. Die großen Gelehrten, die Weltruhm genießen, haben immer an die Existenz Gottes geglaubt.“ Naroden Straž, 1.4.1934, kn. 4, S. 4. 1038 „Daher ist nur schon vom rein religiösen Standpunkt aus die Existenz des heiligen Rilaer ­Klosters gerechtfertigt. Jeder Mensch, der nicht endgültig mit Gott gebrochen hat und mit ­seinem Gewissen, wird, wenn er das Rilaer Kloster besucht, wenn er sich mit dem Leben des hl. Ivan bekannt macht und die Orte begeht, wo dieser große Heilige wandelte (podvizaval), und von der enormen Rolle erfährt, welche das heilige Kloster während der Zeit unserer politischen und kirchlichen Sklaverei spielte, und wenn er sich in sich selbst vertieft, so wird ihn unweigerlich sittlich-religiöse und nationale Extase erfassen. Dort oben an diesem Ort, am ,Ort für das Gebet, für die Erholung und den Frieden‘, fühlt sich der Mensch entfernt von der weltlichen Eitelkeit und Täuschung.“ Naroden Straž, 1.4.1934, kn. 4, S. 4.

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sich fort. Ohne die Religion zu säkularisieren, diente sie dem Verfasser direkt zur Sakralisierung des Nationalismus. Kavdanski fuhr fort, indem er das Kloster zum „bulgarischen Jerusalem“ erklärte: Als solches sollte das Kloster neben der nationalen Bedeutung auch internationale Ausstrahlung auf fromme Pilger entfalten.1039 Der Aufenthalt in ihm sollte auch dem Glauben entfernte „hochgelehrte“ Menschen in der Begegnung mit Gott und dem hl. Ivan zur demütigen Versöhnung mit der Religion zurückführen.1040 Dies sei die heutige „große und hoffnungsvolle Rolle“ des Klosters, und „nur schon diese würde seine Existenz rechtfertigen“.1041 Die Stoßrichtung der Argumentation war defensiv: Kavdanski versuchte, die Existenz des Klosters zu rechtfertigen, wobei sowohl die Religion an sich als auch das Kloster angegriffen und der Legitimierung bedürftig erschienen. Nur die nationale Komponente konnte zur Daseinsberechtigung des Klosters eingesetzt ­werden, ohne zunächst selbst legitimiert werden zu müssen. Dennoch schien der Autor von seinen Argumenten selbst nicht ganz überzeugt und um den Fortbestand des Klosters als reale Einrichtung wie als Erinnerungsort weiter besorgt. Er fühlte sich gezwungen, nachzudoppeln – allein schon als „Denkmal“ müsse das Kloster erhalten bleiben. Nicht nur der Vergleich mit ausländischer Denkmalpflege, sondern auch die recht­liche Argumentation aufgrund alter Privilegien wurde damit bemüht. Von besonderer Bedeutung ist die Formulierung, das Kloster sei ein „lebendiges Denkmal“.1042 Die in ihm gelebte Religiosität spielte in diesem Argumentationszusammenhang keine Rolle. Trotz der zuvor beschworenen Ansätze einer modernen nationalen Religiosität rückte Kavdanski nun nur den gegenwärtigen und zukünftigen nationalen Denkmalcharakter des vom Volk zu besuchenden Klosters ins Zentrum.1043 Damit nicht genug propagierte er zusätzlich den 1039 „Das Rilaer Kloster ist das bulgarische Jerusalem. Dort strömen die Pilger ganz Bulgariens zusammen, und auch aus anderen Staaten. Die Mehrheit kommt aus einem spontanen Wunsch heraus – vor Gott ihre Nöte und Bedrängnis zu klagen und ihn um Trost und Errettung zu ­bitten.“ Naroden Straž, 1.4.1934, kn. 4, S. 4. 1040 „Dort sind berührende Szenen zu beobachten, wenn hochgelehrte Leute, unmittelbar vor das Antlitz Gottes und des hl. Ivan gestellt, fühlen, wie in ihnen der menschliche Hochmut endgültig zusammenbricht und die volle Versöhnung (primirenie) mit Gott und dem Gewissen eintritt.“ Naroden Straž, 1.4.1934, kn. 4, S. 4. 1041 Naroden Straž, 1.4.1934, kn. 4, S. 4. 1042 „Aber auch wenn die Verdienste des heiligen Rilaer Klosters nur in der Vergangenheit liegen würden, so müsste es doch als teures Denkmal für ewige Zeiten erhalten bleiben. In anderen Ländern gibt man Millionen aus, um aus den Sandhaufen und Ruinen eingestürzte Denk­ mäler der Vergangenheit auszugraben, restauriert sie und hütet sie umsichtig. Aber das Rilaer ­Kloster ist ein erhaltenes lebendiges Denkmal unserer Vergangenheit, das seine Besitzungen hat, seine Rechte und Privilegien, die seine Existenz garantieren.“ Naroden Straž, 1.4.1934, kn. 4, S. 4. 1043 „Außerdem wird das Rilaer Kloster auch in der Zukunft eine außerordentlich wichtige Rolle für die bulgarische Kirche und das bulgarische Volk einnehmen. Deshalb müssen wir es hüten wie unseren Augapfel und es dem Volk erleichtern, es zu besuchen.“ Naroden Straž, 1.4.1934, kn. 4, S. 4.

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Status des Rilaer Klosters und seiner natürlichen Umgebung als „nationale Sommerfrische (lětovište)“. Die „einst undurchlässige jungfräuliche Rilaer Einöde“ sei wegen ihrer landschaftlichen Schönheit, Erhabenheit und Annehmlichkeit zum „Sommer­kurort“ „sowohl für Schüler als auch für Arbeitende und andere“ geeignet.1044 Die „großartige Luft, trunken vom Aroma“ der Vegetation 1045 als „Gabe“ Gottes wartete nur darauf, „für die Europäer“ touristisch erschlossen zu werden.1046 Moderne Bauten, mit elektrischem Licht ausgestattet,1047 sollten „Tausende Sommerfrischler“ anziehen und dem Kloster „eine neue vornehme Rolle“ geben.1048 Die Rilaer Einöde und das Kloster, von dem derselbe Autor zuvor noch als dem „bulgarischen Jerusalem“ gesprochen hatte, wurden hier als nationale touristische Attraktionen vermarktet. Die Schönheit der Natur, der Vegetation des Gebirges, rückte erstmals ins Blickfeld. Die gesamte Wahrnehmung des Klosters folgte nun einer anderen Logik und im Rahmen eines neuen Wortschatzes: Der Binnentourismus ins Gebirge wurde nach westeuropäischem Vorbild nun auch in Bulgarien entdeckt. Er unterschied sich scharf von den bisherigen Pilgerfahrten, die nach Rila unternommen wurden, da das Kloster nunmehr lediglich noch als Unterkunft, nicht aber als das eigentliche Ziel dargestellt wurde – die „Reize der Natur“, die frische Luft wurden zum Reisegrund. Dabei blieb die religiöse Sphäre nicht ausgeklammert: Letztlich stand Kavdanski für

1044 „Die Rilaer Einöde – eine nationale Sommerfrische. Tatsächlich kann mutig behauptet werden, dass es in Bulgarien keine schönere, erhabenere und gleichzeitig annehmlichere Örtlichkeit gibt als Sommerkurort denn die einst undurchlässige jungfräuliche Rilaer Einöde. Die ganze Umgebung des heiligen Klosters von Rila besitzt einen Überfluss an günstigen Bedingungen, den Sommer zu verbringen, sowohl für Schüler, als auch für Arbeitende und andere.“ Naroden Straž, 1.1.1935, kn. 18, S. 6. 1045 „Der Bezirk des Rilaer Klosters zeichnet sich durch seine großartige Luft aus, trunken vom Aroma der mit Kiefern, Linden und Gebirgswiesen, Himbeeren, Erdbeeren und Bergblumen bewachsenen Berge.“ Naroden Straž, 1.1.1935, kn. 18, S. 6. 1046 „Diese Örtlichkeit hat Gott reichlich beschenkt mit allem unerlässlichen für eine außerordentliche Sommerfrische, aber bis heute hat ,der Mensch‘ in seiner Faulheit nicht gewünscht, diese wertvolle Gabe zu nutzen, für die die Europäer Millionen geben würden. Die Bedingungen sind die günstigsten, allerdings sind Initiative und eine organisierende Hand nötig.“ Naroden Straž, 1.1.1935, kn. 18, S. 6. 1047 „Bis heute gibt es außer dem heiligen Rilaer Kloster keine Bauten für eine Sommerfrische und daher ist es nötig, dass solche mit allen Annehmlichkeiten errichtet werden. (…) Das Kloster hat zu ihrem Bau alles Erforderliche. Sie werden im Überfluss mit Wasser versorgt werden, zum Trinken, Kochen, Waschen, Baden und so weiter. Sie werden elektrisches Licht haben.“ Naroden Straž, 1.1.1935, kn. 18, S. 6. 1048 „Und wenn sich die einst jungfräuliche und undurchlässige Rilaer Einöde mit Tausenden Sommer­frischlern füllt, dann wird das Kloster eine neue vornehme Rolle spielen, die zarten Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit gibt, ihre Gesundheit zu stärken durch den Genuss der frischen Balkanluft, des kristallklaren Wassers, der reichlichen Sonne, des guten Essens und der wunderbaren Reize der Natur.“ Naroden Straž, 1.1.1935, kn. 18, S. 6.

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einen religiösen Tourismus.1049 Erstaunlich ist die Kombination dieses geplanten Erlebnisses religiöser Feiern mit einem neuartigen erzieherischen Freizeitverständnis, das sowohl Ähnlichkeiten zu Konzepten im nationalsozialistischen Deutschland als auch in der Sowjetunion aufwies: Die Jugend sollte nicht nur sittlich und gesundheitlich vorwärtsgebracht werden, sondern sie sollte gleichzeitig in „obligatorischer Arbeit“ zur „touristischen“ Erschließung des Balkangebirges beitragen.1050 Der Autor war um eine übergreifende religiöse und nationale Einbettung des gesamten Erlebnisurlaubs nicht verlegen: Er propagierte die wenig orthodoxe Devise „ora et labora“ nationalreligiös umgedeutet als „Vermächtnis des hl. Ivan“ zur Förderung des „Glücks Bulgariens“.1051 Damit war sein Entwurf eines modernen Bulgarien im Zeichen Ivans noch nicht zu Ende: Kavdanski war unter gewissen Bedingungen zu Zugeständnissen und zu Toleranz gegenüber weltlicheren Formen von Freizeiterlebnissen bereit. Dabei wird deutlich, dass es sich um den Entwurf einer durch Lehrer oder Erzieher geleiteten Form der Sommerferien von Schülern handelte.1052 Individualtourismus blieb ganz aus seinem Blickfeld. Diese weitgehende Umdeutung des „bulgarischen Jerusalem“ und dessen potentieller Funktionsgewinn strapazierten sichtlich auch Kavdanskis eigene Vorstellungskräfte, wenn er eine „nationale Balkansommerfrische“ „beschützt vom mächtigen Geist des hl. Ivan“ propagierte und bestritt, dass es sich dabei um „Phantasie“ handelte. Dort, wo „das unauslöschliche Feuer des nationalen Geistes“ gehütet worden sei, sollten „viel würdigere künftige Bürger“ gebildet werden, als an den (geschlechtlich?) „­gemischten Meeres­stränden“.1053 Das kühne Projekt Kavdanskis war mit dieser Argumentation ­weniger 1049 „Auf die jungen Sommerfrischler kann auch zu ihrer sittlich-religiösen Erziehung (văzpitanie) eingewirkt werden, wenn sie sich in einer bestimmten Abfolge (narjad) täglich im Kloster einfinden und am Gottesdienst teilnehmen.“ Naroden Straž, 1.1.1935, kn. 18, S. 6. 1050 „Nützlich für die Gesundheit und Erziehung des Charakters der junge Sommerfrischler wird auch die Einführung der obligatorischen Arbeit von ein bis zwei Stunden pro Tag unter freiem Himmel sein. Dort ergeben sich die unterschiedlichsten Arbeiten – das Heusammeln von den Klosterwiesen, das Sammeln von trockenem Holz aus dem Balkan, die Ernte von Himbeeren und anderen Früchten, der Bau eines touristischen Weges durch den Balkan, die Anfertigung von Brunnen, Kanälen und so weiter.“ Naroden Straž, 1.1.1935, kn. 18, S. 6. 1051 „Nur dort – um das heilige Kloster von Rila, kann unsere Jugend das Vermächtnis des hl. Ivan in die Tat umsetzen – liebe die Arbeit und das Gebet zu Gott. Und dies sind die einzigen Bedingungen für ein glückliches Leben – das Gebet zu Gott und die ständige Arbeit für das Wohl des Nächsten und das Glück Bulgariens.“ Naroden Straž, 1.1.1935, kn. 18, S. 6. 1052 „Es ist unstrittig, dass dort auch verschiedene Spiele, Ergötzungen (zabavi), ein Kinotheater und ähnliches unter der verständigen Leitung der Schüler und der Erzieher der Sommerfrische eingerichtet werden können.“ Naroden Straž, 1.1.1935, kn. 18, S. 6. 1053 „Dies alles ist keine Phantasie, kein Traum des Unerreichbaren, sondern nahe reale Wirklichkeit. Und es ist nicht schwer, wenn wir uns das wunderbare Bild vorstellen, wie Tausende Sommerfrischler, erfrischt von den natürlichen Reichtümern und beschützt vom mächtigen Geist des hl. Ivan, die Umgebung des Klosters mit Stimmen füllen werden. Ich denke deshalb, dass gerade dort, wo vor 1000 Jahren der hl. Ivan die Grundsteine des heiligen Klosters gelegt hat, das die grausamen barbarischen Angriffe überstanden hat und in sich das unauslöschliche

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wirtschaftlich begründet als vielmehr nationalpolitisch: Es galt, junge Menschen zur ,richtigen‘ nationalen, religiösen und sittlichen Gesinnung zu erziehen. Kavdanski entwarf in der Konkurrenz moderner gesellschaftspolitischer Ideologien eine zeitgemäße, ebenso moderne orthodox-bulgarische Antwort zur Förderung einer von religiösen Prinzipien geleiteten nationalen Jugend und Gesellschaft. Trotz dieser Anpassung an vermeintliche moderne Erfordernisse war damit in seinem Konzept sowie in der Zeitschrift, in der er es propagierte, keine Abkehr von einer religiösen Verehrung Ivans zu verzeichnen.1054 Insgesamt lässt sich beobachten, wie Ivan von Rila und sein Kloster in den späten 1920er- und den frühen 30er-Jahren in mehreren, teilweise marginalen, aber für die damalige Zeit charakteristischen Gesellschaftsentwürfen eine Rolle zu spielen begannen. D 6.3  Rila als ,nationales Hauptzentrum‘ – die Festigung nationalreligiöser Diskurse nach 1935

Die Verknüpfung des nationalen mit dem religiösen Diskurs wurde nach dem Staatsstreich Boris’ III. 1935 sowie im Zweiten Weltkrieg auch im Zusammenhang mit der Referenz auf Ivan und sein Kloster bedeutender.1055 Auch wissenschaftliche Veröffentlichungen blieben ein Faktor der nationalen Sinngebung: Im Jahr 1936 veröffentlichte der im makedonischen Kjustendil geborene und in Sofia ausgebildete Archäologe und Historiker sowie Professor der Kliment-Universität Jordan Ivanov eine bis heute nicht überholte Edition der Viten Ivan Rilskis.1056 Ivanov erklärte in der Einleitung das in ­seinen Augen „reiche Schrifttum“ über Ivan damit, dessen Kloster sei „sozusagen“ ohne Unterbrechung seit dem 10. Jh. ein „Leuchter“ gewesen, „der aus dem Mittelpunkt des bulgarischen Landes (srědišteto na bulgarskata zemja) dauerhaft geistiges und nationales Licht (světlina) auf die Muttersprache“ geworfen habe.1057 Ivanov verband damit ­expliziter

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Feuer des nationalen Geistes und den Turm des Glaubens gehütet hat, dass gerade dort sich viel ­würdigere künftige Bürger bilden werden denn an den gemischten Meeresstränden. Ich denke, dass die Verantwortlichen und die zuständigen Stellen und Personen sich nur umso schneller mit der Gründung dieser nationalen Balkansommerfrische beschäftigen sollten.“ Naroden Straž, 1.1.1935, kn. 18, S. 6. Im selben Jahrgang der Zeitschrift sind auch Gedichte, darunter eine Ode an Ivan Rilski enthalten. Ihre letzte Strophe lautet: „Oh, Kämpfer Gottes (boži ratniko)! Volksheiliger (svetitelju naroden)! / O Leuchtturm, der unsere Grabesdüsternis durchdringt, / Wegen deiner Großtaten bist du heilig, groß und mit guter Frucht, / Dich verehren wir mit liebem und gesegnetem Gedächtnis (spomen)!“ Naroden Straž, 15.12.1934, kn. 13, S. 2. Mit insgesamt nur einem Verweis auf die Verehrung Ivans und nur vier auf die des Klosters Rila: Weber (2006), S. 227, S. 300, S. 331, S. 333. Über diesen Band der Reihe der historischen Fakultät der Kliment-von-Ohrid-Universität Sofia schrieb der „Volkswächter“ vom 1. Januar 1937: „Dieses Werk unseres bekannten (vidni) ­Gelehrten, des Herrn Prof. Jor. Ivanov, erfreut jeden guten Bulgaren und wird in unseren kirchlichen Kreisen gut aufgenommen werden.“ Naroden Straž, 1.1.1937, Nr. 19, S. 22. Žitija na sv. Ivana Rilski, Einleitung, S. 3.

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als in der zweiten Hälfte des 19. Jh. üblich „Geistiges“ und „Nationales“ zu einer Einheit. Gleichzeitig gab er Ivan sowie seinem Kloster eine überaus zentrale Rolle in der Nationalgeschichte – insbesondere, um „die Nöte mit Hoffnung auf ­bessere ­Zeiten zu ertragen“.1058 Im Zusammenhang mit der Schilderung der Überführungen seiner Gebeine erklärte Ivanov, die diesem zugeschriebenen Taten und Wunder des „Beschützers des bulgarischen Volkes“ seien weithin bekannt.1059 Weitere Broschüren trieben die Nationalisierung voran: So veröffentlichte M. Esiv 1937 unter dem Titel „Der dornige Weg des heiligen Klosters des seligen Wundertäters Ivan von Rila“ eine Broschüre, die das Kloster als Opfer von Plünderungen darstellte. Neu war in seinem Sprachgebrauch nicht nur die Rede von „Terror“ „unter der byzantinischen und der türkischen Herrschaft“, sondern auch die Nennung von Juden als Schädigern des Klosters und ihre Gleichsetzung mit den osmanischen Janitscharen.1060 Gleich im ersten Absatz seiner Broschüre beschrieb Esiv sodann erstmals in diesem Diskurs einen angeblich göttlichen Ursprung des Klosters: Nicht „das Volk“ gründete das Kloster, sondern „die Göttliche Vorsehung“.1061 Gott habe es reich beschenkt und damit vor anderen Völkern ausgezeichnet: Esiv erhob Rila in dieser Darstellung nicht nur zum „Stolz des bulgarischen Volkes“, sondern stilisierte es zum größten heiligen Ort des Balkans.1062 Damit formulierte er implizit einen bulgarischen Anspruch auf eine wenigstens geistige Vormachtstellung in Südosteuropa. Diese Vorstellung rechtfertigte er, indem er Ivan nachdrücklich als Nachfolger Kyrills und Methods darstellte.1063 Die Gebeine Ivans seien seit dem 11. Jh. „mit außerordentlich wichtigen Ereignissen des histo­ rischen Lebens des bulgarischen Volkes verbunden“:1064 Ivan wurde hier zum Inspirator der angeblich über Jahrhunderte hinweg national bulgarisch gesinnten Geistlichkeit und damit zum Verteidiger des „nationalen Antlitzes des bulgarischen Volkes“ umgedeutet. Ivans Wunder reduzierte Esiv auf den Schutz einer bulgarischen nationalen Identität gegenüber einer Politik der griechischen Geistlichkeit und von Byzanz, diese 1058 „In den Tagen der Unterdrückung des Volkes und der Religion hat er Generationen geistig ermuntert und hat sie dazu begeistert, die Nöte mit Hoffnung auf bessere (blagatki vremena) Zeiten zu ertragen.“ Žitija na sv. Ivana Rilski, Einleitung, S. 3. 1059 Žitija na sv. Ivana Rilski, Einleitung, S. 3. 1060 Noch auf der Titelseite stand die Motivierung des Textes: „In dieser Broschüre werden alle histo­ rischen Epochen beleuchtet, welche das heilige R i l a e r Kloster in der Zeit der schrecklichen Verfolgung und des Terrors unter der byzantinischen und der türkischen Herrschaft über Bulgarien erlebt hat. In ihr ist aufgezählt, wann, unter welchen Umständen und wie oft das Rilaer Kloster geplündert wurde oder brannte und wie die Janitscharen und die Juden dieses Heiligtum verhöhnt haben.“ Esiv (1937), Titelblatt. 1061 „Dieses heilige Kloster ist nicht durch Taten des Volkes entstanden, sondern durch die Göttliche Vorsehung.“ Esiv (1937), S. 3. 1062 „In unserer Epoche ist das Rilaer Kloster nicht nur ein seltener Stolz des bulgarischen Volkes, sondern das größte Heiligtum auf der ganzen Balkanhalbinsel.“ Esiv (1937), S. 3. 1063 Method „segnete den neunjährigen Ioann, als Nachfolger der slavischen Erstlehrer. Daher nennt man ihn in der bulgarischen Literatur den Nachfolger Kyrills und Methods.“ Esiv (1937), S. 5. 1064 Esiv (1937), S. 13 f.

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zu „vernichten“.1065 Des Weiteren waren in dieser Veröffentlichung bereits im Titel angekündigte antisemitische Passagen enthalten. So habe das Kloster bei der Bezahlung von Tribut an die Türken unter angeblichen „Machinationen“ jüdischer „Parasiten“ gelitten.1066 Esiv übernahm antisemitisch aufgeladene Elemente des Hygienediskurses, als er „den Juden“ als „bösartigen Pickel auf dem kranken lebendigen bulgarischen Körper“ darstellte.1067 Trotz der durchweg nationalen Rolle, die Esiv dem Kloster im Rahmen des Osmanischen Reiches zuschrieb, stellte er aber erst für die Mitte des 19. Jh. eine „Tätigkeit“ desselben „im Bereich der geistig-kulturellen Entwicklung“ sowie „im Bereich der nationalen Bestrebung zur Befreiung Bulgariens vom türkischen Joch“ fest.1068 Weil es diese „Epoche“ initiiert habe, kürte er das Kloster für die Gegenwart zum „reli­giösen und nationalen (nacionalen) Hauptzentrum des Bulgarischen Staates“.1069 Mangels einer staatlichen Organisation habe es „während der vielen Jahrhunderte der byzanti­nischen und türkischen Herrschaft“ bis ins 19. Jh. „das Feuer des bulgarischen nationalen ­geistigen Schaffens“ beherbergt.1070 Esiv machte das Überleben des „nationalen Geistes“ im Volk von der Rolle des Klosters im Mittelalter und in der frühen Neuzeit abhängig. Darüber hinaus spitzte er Rilas Status als Rückgrat der bulgarischen Nationalgeschichte noch

1065 „Alle Bestrebungen der griechischen Geistlichkeit, die bulgarische Kirche mit allen ihren Bräuchen zu vernichten und diese durch griechische zu ersetzen, waren nicht durch Erfolg gekrönt. Die bulgarische Geistlichkeit war tief vom Geist des seligen Wundertäters Ivan durchdrungen und hat daher mutig das Wesen (săštnosťta), die Regeln und Gebräuche des bulgarischen kirchlichen Lebens verteidigt, und gleichzeitig damit blieb das nationale (nacionalnijat) Antlitz des bulgarischen Volkes unangetastet. Es gibt keinen und kann keinen Zweifel daran geben, dass nur durch die Wunder des Gott in sich tragenden (Bogonosnija) Vaters Ivan alle Versuche der byzantinischen Macht umsonst waren, die danach strebten, sich für immer alle bulgarischen geistlichen und materiellen Werte anzueignen.“ Esiv (1937), S. 13 f. 1066 Esiv (1937), S. 21 f. 1067 „Die Juden waren besonders lästig mit ihren frechen Zinsforderungen für die Summen, die sie den türkischen Amtsleuten gegeben hatten. Der Jude war in der damaligen Zeit ein bösartiger Pickel auf dem kranken lebendigen bulgarischen Körper, und man konnte ihm nichts sagen, denn wie hinter dem Rücken des Juden stand die gewissenlose käufliche muselmanische Gewalt.“ Esiv verwies in beiden Fällen als Quelle seiner Paraphrase auf die Darstellung Jordan Ivanovs aus dem Jahr 1917. Esiv (1937), S. 25. 1068 Esiv (1937), S. 24. 1069 „Dies ist das religiöse und nationale (nacionalen) Hauptzentrum des bulgarischen Staates. Dies ist ein Leuchter des Glaubens und ein Stärker der bulgarischen Sprache und Nationalität (­narodnosť). (…) Dieses heilige Kloster hat die heimischen (rodnite) Traditionen bewahrt und die Epoche der Befreiung Bulgariens vom türkischen Joch hervorgerufen.“ Esiv (1937), S. 29. 1070 „Während der vielen Jahrhunderte der byzantinischen und türkischen Herrschaft hatte Bulgarien weder seinen Zaren noch seine Regierung noch sogar eine eigene Organisation, die den natio­nalen Geist unter den Volksmassen unterstützt hätte. Aber Bulgarien hatte das heilige Rilaer Kloster. Dort, in diesem Heiligtum, ist das Feuer des bulgarischen nationalen geistigen ­Schaffens nicht erloschen!“ Esiv (1937), S. 30.

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weiter zu: „Dort ist die Morgenröte der nationalen Wiedergeburt des bulgarischen Volkes aufgestiegen, und in diesem heiligen Kloster ist der unerschöpfliche Drang des bulgarischen Nationalismus gewachsen.“ 1071 Der Nationalismus wurde so mit einem sakralen Ursprung versehen und sakralisiert. Nur als Hilfsmittel, zur erneuten Betonung der nationalen Funktion des Erinnerungsortes, wurde Ivans gedacht, und die angeb­liche Bewahrung der Unberührtheit des „bulgarischen Volkes“ während der „Sklaverei“ ganz der Wirkung seines „Schutzes“ zugeschrieben.1072 Die stärker an weltlichen nationalgeschichtlichen Paradigmen orientierte Darstellung der Geschichte des Klosters durch Dr. Vasil Kiselkov, Dozent am Geistlichen Seminar in Sofia, hatte gleichfalls ein eindeutiges Ziel. Ihr letzter Satz lautete: „So füge es Gott (…), dass auch die westlichen bulgarischen Länder erneut durch das von ihm Erreichte erleuchtet werden“.1073 Auch im Weltkrieg wurde die Verbindung von nationaler und sakraler Verehrung vorangetrieben: 1941 hieß es am Ende eines Abrisses der Vita Ivans in der Varnaer Zeitschrift für die Schüler der orthodoxen Assoziationen an Progymnasien der Diözese mit dem Namen „Stimme Gottes“: „Heute ruhen die Gebeine des seligen Ivan von Rila in dem heiligen Rilaer Kloster, das die Kraft der Frömmigkeit und Aufklärung des ganzen bulgarischen Volkes ist.“ Im selben Beitrag wurde in einem Untertitel zu einer Ab­­bildung des Klosters dieses erneut als „Bulgarisches Heiligtum“ verklärt.1074 Eine umfang­reiche Broschüre mit Viten und Berichten über jüngst bezeugte Wunder wurde mehrfach und auch während des Krieges neu aufgelegt und bis 1946 aktualisiert in Sofia ver­ öffentlicht: Ivan sollte als volksnaher Heiliger weiter gefestigt werden.1075 1942 druckte die vom Bildungsministerium, vom Kriegsministerium, vom Wirtschaftsministerium, vom „Ministerium für innere Arbeiten und nationale Gesundheit“ sowie vom Heiligen Synod getragene Reihe „Bulgarische historische Romane“ einen umfangreichen Text von Denčo Marčevski über den „Heiligen aus Rila“.1076 Eine serbische Verehrung des Klosters und seines Heiligen ist nur in Spuren bezeugt: Der Geistliche Mih. Popović berichtete 1940 von einer bereits 1921 durchgeführten Dienstreise nach Sofia und auch Rila über den dortigen Turm des serbischen Herrschers Hreljo sowie eine dem hl. Sava gewidmete Seitenkapelle in der Klosterkirche. Popović konnte bei seiner Leserschaft aber wenig voraussetzen und erklärte ausführlich auch das Leben Ivans, den er mit Hinweisen auf die besser bekannten Prohor von Pčinja, Ioakim und

1071 Esiv (1937), S. 30. 1072 „Jeder soll wissen, dass nur unter dem Schutz des seligen und Gott in sich tragenden (­Bogonosen) Vaters Ioan Rilski, des Wundertäters, das bulgarische Volk unberührt über alle Zeiten der schrecklichen Sklaverei seine Kultur, seine slavische Sprache, seine Schrift und seine eigentümliche Gestalt bewahrt hat!“ Esiv (1937), S. 30. Vgl. eine ganz ähnliche Broschüre zu Ehren Ivans: G’ozliev (1938). 1073 Kiselkov (1937), S. 157. 1074 Boži Glas, 1941, Nr. 12, S. 1. 1075 Kliment Rilec. Čudesata na sv. Ivana Rilski … 1076 Marčevski (1942).

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Mobilisierung und Sakralisierung der Nation

Gavriil einführte.1077 Milivoj M. Petrović schrieb 1934 ähnlich von einer Tagungsreise nach Bulgarien, die er mit dem Titel „Wir und die Bulgaren. Im Aufbau einer geistigen Einheit“ allerdings mit einer deutlichen religiösen und politischen Botschaft verband. Auch er beschrieb das Kloster Rila sowie die Kapelle Savas, aber auch die Gebeine Milutins, des „Königs der Serben und Bulgaren“ in Sofia, dessen Ver­ehrung durch die Bulgaren er beneidete.1078 Der führende Historiker Vladimir Ćorović bezeichnete den Heiligen in seiner „Geschichte Jugoslawiens“ im Kapitel „Der Staat der makedonischen Slaven“, die im 10. Jh. „unzufrieden mit der bulgarischen Herrschaft“ gewesen sein sollen, als „populärsten Heiligen der Bulgaren“.1079 An dieser Stelle ist festzuhalten, dass zu Beginn der 20er-Jahre die Entwicklung des Diskurses über Ivan nicht nur zu einem neuen Feiertag geführt hatte, sondern auch zu einer neuen Bedeutungsaufladung des Klosters im Gebirge von Rila. Neben einem parlamentarischen Vorstoß seitens der Kirche wurden mehrere größere Publikationen über Ivan in seiner Verbindung mit dem Kloster veröffentlicht. Eine marginale reli­giösnationale Vereinigung erklärte ihn bereits 1930 zum „Heiligen Führer des Volkes“. Weitere nationalistische religiöse Zeitschriften verstärkten seine nationale Bedeutungsaufladung sowie die seines Klosters etwa als „nationale Feuerstätte“. Neben dem Entwurf moderner nationaler Religiosität stand die Förderung des religiös aufgeladenen nationalen Denkmalcharakters des Klosters, das zum Ziel eines religiösen Tourismus werden sollte. Der Nationalismus wurde in den Kriegsjahren auch mit dem Verweis auf Ivan und das „heilige Kloster“ mit einer religiösen Erzählung von seinem Ursprung versehen und sakralisiert. Zudem festigte sich eine neue Verbindung der Erinnerungsfigur mit dem herrschenden Zaren durch die Verklärung von „Führern“. Diese Verknüpfung der Imagination einer nationalen Rolle des Rilaer Klosters mit der Erinnerung an die bulgarischen Zaren wird nun im Kapitel zur Entstehung eines modernen bulgarischen Zarenkultes untersucht werden: Die propagandistische Verklärung des Klosters und Ivans erlangte mit dem Tod Borisʼ III. und seinem Begräbnis in Rila im September 1943 neue Höhepunkte. D 7  Heilige Herrscher – Boris als ,Gottgesandter Führer‘ D 7.1  Boris als Medium der Kirche in der Zwischenkriegszeit

Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges bemühte sich die BOK, auch das Gedenken an den hl. Boris innerhalb der neuen Grenzen des Staates zu erneuern: Unter dem Titel Gedenken an „den Zaren Boris und die Brüder Kyrill und Method in der Provinz“ veröffentlichte der „Kirchenbote“ 1919 eine Rede zu Ehren Boris’ aus der Feder eines Metropoliten, dessen Namen dieser nicht veröffentlicht sehen wollte. Er schrieb:

1077 Popović (1941), S. 1 – 8. 1078 Petrović (1934), S. 25, S. 39 – 48, S. 51, S. 60. 1079 Ćorović (1933), S. 63.

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Mobilisierung und Sakralisierung der Nation

Gavriil einführte.1077 Milivoj M. Petrović schrieb 1934 ähnlich von einer Tagungsreise nach Bulgarien, die er mit dem Titel „Wir und die Bulgaren. Im Aufbau einer geistigen Einheit“ allerdings mit einer deutlichen religiösen und politischen Botschaft verband. Auch er beschrieb das Kloster Rila sowie die Kapelle Savas, aber auch die Gebeine Milutins, des „Königs der Serben und Bulgaren“ in Sofia, dessen Ver­ehrung durch die Bulgaren er beneidete.1078 Der führende Historiker Vladimir Ćorović bezeichnete den Heiligen in seiner „Geschichte Jugoslawiens“ im Kapitel „Der Staat der makedonischen Slaven“, die im 10. Jh. „unzufrieden mit der bulgarischen Herrschaft“ gewesen sein sollen, als „populärsten Heiligen der Bulgaren“.1079 An dieser Stelle ist festzuhalten, dass zu Beginn der 20er-Jahre die Entwicklung des Diskurses über Ivan nicht nur zu einem neuen Feiertag geführt hatte, sondern auch zu einer neuen Bedeutungsaufladung des Klosters im Gebirge von Rila. Neben einem parlamentarischen Vorstoß seitens der Kirche wurden mehrere größere Publikationen über Ivan in seiner Verbindung mit dem Kloster veröffentlicht. Eine marginale reli­giösnationale Vereinigung erklärte ihn bereits 1930 zum „Heiligen Führer des Volkes“. Weitere nationalistische religiöse Zeitschriften verstärkten seine nationale Bedeutungsaufladung sowie die seines Klosters etwa als „nationale Feuerstätte“. Neben dem Entwurf moderner nationaler Religiosität stand die Förderung des religiös aufgeladenen nationalen Denkmalcharakters des Klosters, das zum Ziel eines religiösen Tourismus werden sollte. Der Nationalismus wurde in den Kriegsjahren auch mit dem Verweis auf Ivan und das „heilige Kloster“ mit einer religiösen Erzählung von seinem Ursprung versehen und sakralisiert. Zudem festigte sich eine neue Verbindung der Erinnerungsfigur mit dem herrschenden Zaren durch die Verklärung von „Führern“. Diese Verknüpfung der Imagination einer nationalen Rolle des Rilaer Klosters mit der Erinnerung an die bulgarischen Zaren wird nun im Kapitel zur Entstehung eines modernen bulgarischen Zarenkultes untersucht werden: Die propagandistische Verklärung des Klosters und Ivans erlangte mit dem Tod Borisʼ III. und seinem Begräbnis in Rila im September 1943 neue Höhepunkte. D 7  Heilige Herrscher – Boris als ,Gottgesandter Führer‘ D 7.1  Boris als Medium der Kirche in der Zwischenkriegszeit

Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges bemühte sich die BOK, auch das Gedenken an den hl. Boris innerhalb der neuen Grenzen des Staates zu erneuern: Unter dem Titel Gedenken an „den Zaren Boris und die Brüder Kyrill und Method in der Provinz“ veröffentlichte der „Kirchenbote“ 1919 eine Rede zu Ehren Boris’ aus der Feder eines Metropoliten, dessen Namen dieser nicht veröffentlicht sehen wollte. Er schrieb:

1077 Popović (1941), S. 1 – 8. 1078 Petrović (1934), S. 25, S. 39 – 48, S. 51, S. 60. 1079 Ćorović (1933), S. 63.

Boris als ,Gottgesandter Führer‘

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„Christusliebendes Heer, Brüder und Schwestern im Herrn! Wir sind geehrt, heute einen zwei­ fachen Feiertag zu feiern – den Tag des hl. Zaren Boris, und den Namenstag des neuen, heute herrschenden Zaren Boris. Sei das Gedenken an den ersten wie den letzteren ewig, sei ihnen Ruhm in alle Ewigkeit.“ 1080

Boris III. hatte am 3. Oktober 1918 die Herrschaft angetreten, nachdem sein Vater mit der Niederlage im Ersten Weltkrieg abgedankt hatte. Der Kirchenfürst rief dazu auf, dem neuen „heimischen (roden) Zaren“ „unsere Herzen und Seelen“ zu überreichen. Im Zeichen der innenpolitischen Krise rief er zur Einheit auf: Von den Zuhörern und ihm hinge es ab, „dass wir das Vaterland retten“. Gesellschaftliche und politische, natio­nale Einheit sollte durch die christliche Religion hergestellt werden: „Dort, wo alle Volkskräfte (narodni sili) konzentriert sind – dort ist die Kraft, (…) denn wo die Leute eins sind – dort ist Gott, und wo Gott ist, dort ist auch die Wahrheit und die Kraft und der Ruhm“. In der Einheit, nicht in der „Anarchie“ sei das „wohlgeordnete, ruhmreiche und mächtige Bulgarien“ zu finden. Der hl. Boris sei „unser Fürsprecher“ vor Gott, der um „die Gesundheit und lange Tätigkeit unseres Zaren, unseres mutigen Heeres, und unseres bulgarischen Volkes, und für jene, die die Schicksale unseres irdischen Staates entscheiden“, gebeten wurde.1081 Die Kirche versuchte so, mit dem Verweis auf Boris I. die Autorität des Zaren und des Heeres in der christlich und bulgarisch definierten Gesellschaft des jungen Vielvölkerstaates zu stärken und die Nachkriegskrise zur weiteren Festigung und Aktualisierung der eigenen gesellschaftlichen und politischen Stellung im Nationalstaatsprojekt zu nutzen. Kirchliche Texte blieben zunächst wichtig für die neue Beschreibung von Boris: In einer „kirchlich-historischen Skizze“ beleuchtete der Geistliche Ljub. Mitrović 1924 Boris während eines Gottesdienstes zum Feiertag Kyrills und Methods in einer Rede, die in der in Skopje erscheinenden Zeitschrift „Kirche und Leben“ publiziert wurde, aus einer jugoslawisch-serbischen Perspektive: Um bulgarische historiographische An­­ sprüche auf die Brüder und ihre „apostolische Arbeit“ bzw. Makedonien zu delegiti­mieren, stellte Mitrović darin den bulgarischen Herrscher Boris als „großen Mohammedaner mit einem Turban um den rasierten Schädel“ dar.1082 Der orthodoxe Geistliche schreckte zur Abgrenzung Makedoniens von Bulgarien nicht vor einer orientalisierenden Darstellung des späteren orthodoxen Heiligen Boris als Muslim zurück. Hingegen wurde Boris in Bulgarien mit großen Aufgaben bedacht: Die orthodoxe Zeitschrift „Volkswächter“, die 1937 zum Organ des Bistums Sofia werden sollte, beschrieb am 15. Mai 1934 zum „Tag des hl. Boris“ das bulgarische Volk in einer ­tiefen Orientierungskrise, aus der die Erinnerung an Boris den Ausweg weisen sollte: Es „sucht in ihm den Sinn seines irdischen Seins“, nicht aber einen tradi­tionellen ­Heiligen. Boris wurde 1 080 Cărkoven Věstnik, 16.6.1919, Nr. 12, S. 89. 1081 Cărkoven Věstnik, 16.6.1919, Nr. 12, S. 89 f. 1082 „Zur Zeit der apostolischen Arbeit der heiligen Brüder im 9. Jh. in Serbien, Kroatien, Pannonien, Mähren und Böhmen war Bogoris-Chan noch ein großer Mohammedaner mit einem Turban um den rasierten Schädel, mit dem Christentum spekulierend“. Mitrović (1924), S. 146.

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Mobilisierung und Sakralisierung der Nation

hier in einer konfessionellen Publikation nicht wegen einer heilsgeschichtlichen, sondern wegen einer ihm zugeschriebenen kulturgeschicht­lichen, bereits weitgehend säkularisierten, nationalgeschichtlichen Rolle verehrt. Indem er „unser Volk aus der Finsternis führte“ auf den „Weg der allgemeinmenschlichen ­Kultur“, tat Boris angeblich für die Bulgaren „das, was Konstantin der Große für das römische Reich, der hl. Vladimir für die Russen, König Stephan I. für die Ungarn getan h­ atte“.1083 Auch ohne ausdrücklichen Hinweis auf Boris III. war deutlich, dass mit diesen Sätzen seine aktuelle Herrschaft legitimiert werden sollte. In demselben Text wurde die Wirkungsmacht des hl. Boris dabei nicht nur im bulgarischen nationalen Rahmen gesehen, sondern weit über die Grenzen Bulgariens hinaus: Indem er Kyrill und Method aufnahm,1084 sicherte er sich nicht nur „ewigen Ruhm, Ehre und Gedächtnis (pameť) in der ganzen slavischen Welt“:1085 Die Beherbergung der Brüder sollte auch ein Dienst an der „allgemeinmenschlichen Kultur“ gewesen sein.1086 Nicht persönliche Heiligkeit, sondern die nationale, historische Bedeutung der Taten war hier entscheidend für seine Verehrung als Heiliger. Das Gedächtnis Boris’ oder das Ausbleiben seiner Verehrung durch andere Slaven diente sodann zum impliziten Vorwurf gegenüber Jugoslawien, dieses würde das – vom bulgarischen unterschiedene – slavische Volk in

1083 „Mit dem Gefühl andächtiger Ehre begeht das bulgarische Volk jährlich das Gedächtnis (pameťta) seines zarischen Heiligen – des hl. Boris, der, vor mehr als tausend Jahren, das heidnische bulgarische Volk mit der großen göttlichen Quelle des irdischen und himmlischen Segens vertraut gemacht hat – dem Christentum. Dieses schöpfte daraus, neben den übrigen zivilisierten Völkern der Welt, Kraft und schreitet (kreta) seither bis heute auf dem Weg der allgemeinmenschlichen Kultur. Mit einem Gefühl tiefer Dankbarkeit gegenüber dem zarischen Heiligen erinnert sich unser Volk an seine Taten (dělata) und sucht in ihm den Sinn seines irdischen Seins, denn ohne den Akt des hl. Boris im Jahr 865 – der Taufe der Bulgaren, wäre unser Volk vom Gesicht der Erde verschwunden wie die Awaren, die Kumanen, die Hunnen, die Goten und weitere, die das Christentum nicht angenommen haben, weshalb von ihnen nur die Erinnerung (pomen) an sie geblieben ist. Mit seinem Werk (děloto) vom Jahr 865 führte unser zarischer Heiliger unser Volk aus der Finsternis“. Naroden Straž, 15.5.1934, kn. 7, S. 1. 1084 „Mit der Aufnahme der Lehrer, der heiligen Soluner Brüder Kyrill und Method (…) überschritt das Werk des hl. Boris die Grenzen des bulgarischen Staates und wurde nun mehr eine all­gemeinslavische Tat denn nur eine bulgarische“. Naroden Straž, 15.5.1934, kn. 7, S. 1. 1085 „Mit diesem Schutz der slavischen Literatur (knižnina) und Sprache sicherte er sich ewigen Ruhm, Ehre und Gedächtnis (pameť) in der ganzen slavischen Welt.“ Naroden Straž, 15.5.1934, kn. 7, S. 2. 1086 „Aber von der allgemeinslavischen Bedeutung des hl. Boris zur allgemeinmenschlichen ist es nicht weit, denn unser zarischer Mäzen schützte die slavische Schriftlichkeit und Kultur, und richtete seine Dienste (uslugi) auch auf die allgemeinmenschliche Kultur, die nichts anderes ist als die Sammlung der verschiedenen unterschiedlichen nationalen Kulturen. (…) So vollbrachte der hl. Boris mit seinen Taten von 865 und 885, das heißt mit der Taufe der Bulgaren und der Aufnahme der aus Mähren vertriebenen Schüler der hll. Kyrill und Method, zwei große Werke, die seinen Namen unsterblich machten und durch die er zur Reihe der Heiligen zählte.“ Naroden Straž, 15.5.1934, kn. 7, S. 2.

Boris als ,Gottgesandter Führer‘

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Makedonien „unterjochen“.1087 Boris wurde zudem auf die gleiche Stufe wie die Brüder Kyrill und Method sowie Kliment von Ohrid erhoben.1088 Die ersten Plätze in der Reihe der slavischen „großen Leute“ nahmen in dieser bulgarischen Perspektive damit vier Bulgaren ein. Boris I. wurde hier gleichrangig mit den wichtigsten Nationalpatronen Europas beschrieben. Tatsächlich gewann er damals gegenüber dem 19. Jh. im nationalen Er­­ innerungshaushalt an Gewicht. Dennoch blieb seine Rolle in Bulgarien aber auch in der Zwischenkriegszeit gerade im internationalen Vergleich der Königskulte zunächst marginal. Immerhin gab von 1932 an die schon 18971089 gegründete Priesterbruderschaft „Heiliger Zar Boris“ der Varnaer und Preslaver Diözese die Varnaer Zeitung „Christliche Verteidigung (Christijanska zaštita)“ mit dem Untertitel „für Religion, Aufklärung und gesellschaftliches Leben“ als ihr Publikationsorgan heraus.1090 Erst mit dem Staatsstreich Boris’ III. 1935 häuften sich die Verweise auf Boris: Die selbstverständliche Verbindung Borisʼ I. mit Boris III. bezeugt etwa der Dankgruß des Zaren an den Metropoliten von Sofia, Stefan, 1937 in dem nun als „halbmonatliche Zeitschrift der Sofioter Bistums“ erscheinenden „Volkswächter“. Er sprach zu „meinem Namenstag, zumal ich gleichfalls den heiligen Zaren Boris darum bitte, dass er auf immer der Beschützer und Fürsprecher vor dem Höchsten zum Wohl des bulgarischen Volkes sein werde“.1091 Zum gleichen Anlass feierte Metropolit Stefan am 15. Mai 1938 einen Gottesdienst in der dem hl. Aleksandr Nevskij geweihten „Denkmalkirche“ mit einer „flammenden patriotischen Rede bzw. Gebet (reč’-molitva) zum Ruhm der bulgarischen Aufklärung und Kultur oder noch genauer der bulgarischen Eigenart – gestärkt und gefestigt durch den heiligen Zaren Boris auf zwei stärksten Säulen: Die ORTHODOXIE und das SLAVENTUM. ,Diesen größten Feiertag‘, sagte er, ‚müssen wir alle beachten – vom erstrangigen Bürger bis hin zum letzten Wickelkind‘. Und er endete mit einem heißen Gebet für Bulgarien, den bulgarischen Zaren, den Thronfolger, die bulgarische Jugend und für das ganze bulgarische Volk“.1092 1087 „Jedoch, wenn wir sein leuchtendes Gedächtnis ehren, das uns mit Stolz als Bulgaren erfüllt wegen seiner erhabenen Werke (děla) allgemeinslavischen und globalen (vsemiren) Charakters, können wir nicht anders als auch uns mit Trauer in unserer Seele daran erinnern, dass es noch Slaven gibt, die nicht mit der Bedeutung des erhabenen Werkes des hl. Boris erfüllt werden und dessen Bedeutung nicht erkennen, seine Verdienste vor der slavischen Welt nicht ehren, sondern fortfahren ein Volk zu unterjochen und zu erniedrigen, das, wie das bulgarische, den Slaven den hl. Boris gegeben hat, den Mäzenaten der slavischen Schriftlichkeit, Literatur und Kultur.“ Naroden Straž, 15.5.1934, kn. 7, S. 2. 1088 „In der Reihe der großen Leute des slavischen Zweiges der allgemeinmenschlichen Kultur ist der hl. Boris, unbestritten, einer der ersten, gleich auf mit den hll. Kyrill und Method und dem hl. Kliment von Ohrid. Also überdauere das leuchtende Gedächtnis unseres zarischen Heiligen in den Jahrhunderten.“ Naroden Straž, 15.5.1934, kn. 7, S. 2. 1089 Ustav na sveštenničeskoto družestvo „Svjati car Boris“…, S. 3 f. 1928 wurde im südostbulgarischen Ajtos eine weitere dem Zaren gewidmete Bruderschaft gegründet: Ustav na pravoslavnoto christ. Bratstvo „Sv. Car’ Boris“ v gr. Ajtos. 1090 Christijanska Zaštita, 1.7.1932, Nr. 1, S. 1. 1091 Naroden Straž, 1.6.1937, 11, S. 16. 1092 Naroden Straž, 15.5.1938, 12, S. 1.

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Mobilisierung und Sakralisierung der Nation

Der Namenstag des Zaren Boris III. wurde zur sakral gefeierten Inszenierung einer homogenen bulgarischen Nation unter der Führung der BOK und des Zaren, gemäß dem vermeintlichen Vermächtnis Boris I. Zu beachten ist dabei, dass Stefan 1934 vom Vorsitz des Synods verdrängt worden war: Boris III. duldete keine starke Führungspersönlichkeit, die ihm den Anspruch auf die nationale Führung hätte streitig machen können.1093 Die ausdrückliche Stärkung des Zaren durch Metropolit Stefan ist in diesem Zusammenhang zu verstehen. Besonders aber im Zweiten Weltkrieg wurde der Verweis auf Boris I. mit Nachdruck propagiert. D 7.2  Geistliche Nationaltheologie – der ,Führer‘ als ,Gott‘ im Krieg

Der sich im Bulgarien der Königsdiktatur sowie im Zweiten Weltkrieg entfaltende „Führerkult“ war nicht nur durch weltliche nationale Entwürfe charakterisiert, hinter denen explizit religiöse Erinnerungsfiguren zurücktraten.1094 Gerade im kriegerischen Zarenkult sowie bei der politisch-theologischen Sakralisierung der Nation kam dem hl. Boris eine wesentliche Rolle zu. Im Rahmen des Zweiten Weltkrieges wurde Boris erneut zunächst von der Kirche für die Förderung ihrer eigenen Rolle in der Gesellschaft eingesetzt. Am ersten Februar 1941 beschrieb der Metropolit Josif von Varna und Preslav in der Zeitschrift „Christliche Verteidigung (Christijanska Zaštita)“ unter dem Titel: „Die Mission der bulgarischen orthodoxen Kirche in der Vergangenheit und heute“ die „bulgarische orthodoxe Kirche“ als „Quelle für die gesunden geistigen und sittlichen Kräfte unseres Volkes“. Gleichzeitig seien diese „Kräfte“ die „Stützen“ des „Lebens“ der „Volksseele“. Damit reduzierte der Metropolit die Rolle seiner Kirche auf die Stabilisierung der Nation. Insbesondere sollte sie die gegenwärtige und zukünftige Einigung des Volks gewährleisten. „Unsere heimische (rodnata) Kirche ist außerdem der sicherste vereinigende geistige Faktor in unserem Volksleben und wird es bleiben.“ 1095 Diese wenig religiöse und vielmehr natio­nale Funktionszuteilung erläuterte und legitimierte der hohe Würden­träger sodann mit dem Verweis auf Boris. Boris habe die „Seele“ der „verschiedenen Stämme“ unter s­ einer Herrschaft mit einer „gesunden sittlichen Lehre“ einigen wollen. Die Gesundheit des „Volks“, seine Einigkeit und „nationale Existenz“ waren in der Darstellung des Metropoliten das wichtigste Ziel. Die Annahme des christlichen Glaubens diente nur als Mittel zu diesem Zweck.1096 1093 Raikin (1988), S. 170. 1094 Ohne Nennung von Boris I.: Weber (2006), S. 349 – 362. 1095 „Die bulgarische orthodoxe Kirche war von ihrer Gründung bis heute eine beständige und ­reiche Quelle für die gesunden geistigen und sittlichen Kräfte unseres Volkes gewesen. Von ihr konnte jeder Bulgare während aller Zeiten seinen Geist bereichern. Ohne sie würde die Volksseele (narodnata duša) der gesündesten geistigen und sittlichen Stützen (opora) ihres Lebens entbehren.“ Christijanska Zaštita, 1.2.1941, Nr. 2, S. 1. 1096 „Der heilige Zar Boris kannte die Vergangenheit gut und die Seele [sic, im Singular, S. R.] der verschiedenen Stämme, die seinen Staat besiedelten, und fand, dass keine staatlichen Gesetze,

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Insbesondere von kirchlicher Seite wurde seine Rolle mit neuer Wertschätzung bedacht. Die Sakralisierung des herrschenden Zaren stand dabei in einem wechsel­seitigen Verhältnis zur intensivierten Verehrung des historischen „heiligen Zaren“. Etwa Paisij, der Metropolit von Vraca, sakralisierte in der gleichenorts erscheinenden Zeitschrift „Geistige Wiedergeburt“ im Januar 1941 angesichts der Kriegsgefahr mit der Rede von einem „Volksaltar“ das Volk und gleichzeitig den „gottgegebenen Führer“.1097 In der Nummer der Monate Mai und Juni veröffentlichte dieselbe Zeitschrift eine Rede, die ein nur mit dem Titel genannter „Hochwürden und eparchialer Archierej“, vermutlich erneut der Metropolit von Vraca, „im Salon der Gesellschaft ,Entwicklung‘ am Morgen anlässlich des Patronatsfeiertages des Knabengymnasiums in Vraca am 15. Mai 1941“ – und damit am Tag des hl. Boris – gehalten hatte. Unter dem Titel „Für den Zaren, die Nation (rod) und die Heimat“ 1098 feierte er Boris I. als „Schöpfer“ der Nation und des Staates. Indem er Boris III. nach der Okkupation Vardar-Makedoniens und der Dobrudža als denjenigen, der „diesen Staat wiederhergestellt hat“, bezeichnete, stellte er beide in einen unauflöslichen Zusammenhang.1099 Der Würdenträger legitimierte damit vor versammelter Schüler- und Elternschaft die mit deutscher Hilfe erlangten Gebietserweiterungen. Der Geistliche scheute sich nicht, die Kirche neben dem „gesunden Heer“ als lediglich einen der „Pfeiler“ der Herrschaft des hl. Boris zu charakterisieren.1100 Boris

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keine Macht über etwas oder eine andere weltliche Autorität in der Lage wäre, diese Stämme, die unter seiner Macht waren, die durch die Vergangenheit, ihren Glauben, Traditionen und Stimmungen unterschiedlich waren, in ein Volk zu vereinigen, das einen mächtigen Staat bilden könnte, der Jahrhunderte überdauern würde. Der heilige Zar Boris spürte die absolute Notwendig­ keit einer gesunden sittlichen Lehre, um ihr die sittlichen Kräfte seines Volkes zu unterstellen, damit dieses darauf einen sicheren Staatsaufbau schöpfen würde. Er spürte die absolute Notwendigkeit auch einer starken Mystik, die sich in einem vollendeten Kult ausdrückt, um die Seelen mit dem Allerhöchsten Gott vertraut zu machen, damit auf diese Weise ein gesundes und geistig einiges Volk entstehe, das seinen obersten Halt in seinem Kampf um die völkische Existenz besitzt.“ Christijanska Zaštita, 1.2.1941, Nr. 2, S. 1. „Und so, wo wir nun alle mit Aufmerksamkeit und Bereitschaft zur Selbstaufopferung vor dem Volksaltar stehen, sollen wir unsere Reihen schließen und uns um unseren weisen Zaren und geliebten gottgegebenen Führer scharen.“ Duchovno Văzraždane, 1941, Nr. 1, S. 1. Duchovno Văzraždane, 1941, Nr. 5/6, S. 1. „Mit großer Bewegung nehmen wir an dieser Versammlung teil, die den heutigen, für das ganze bulgarische Volk zweifachen, Feiertag begeht, der für Vraca eine dreifache Feierlichkeit ist, und besonders für das Knabengymnasium von Vraca, das den Namen seiner Hoheit des Zaren trägt. Heute ehren wir den größten der Großen Zaren des bulgarischen Volkes, wir verehren den hl. Zaren Boris – den Beschützer unseres Volkes und den Schöpfer (săzdatelja) der bulgarischen Nation (nacija) sowie des bulgarischen Staates und wir feiern den Namenstag des Zaren Boris III., der diesen Staat wiederhergestellt hat.“ Duchovno Văzraždane, 1941, Nr. 5/6, S. 1. „Der heilige Zar Boris erkannte, welches die Pfeiler sind, mit denen er seinen Thron und seinen Staat stärken konnte. Diese waren: ein gesundes Heer, das fähig ist, den Staat zu beschützen, eine von niemandem abhängige selbständige Kirche und eine gesunde Volksbildung.“ ­Duchovno Văzraždane, 1941, Nr. 5/6, S. 2.

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Mobilisierung und Sakralisierung der Nation

sei nicht nur der Staat, sondern auch die weitere „Entwicklung und der Aufstieg seines Volkes“ zu verdanken. Die Gründung von Klöstern lobte der orthodoxe Würdenträger nicht aus christlicher Perspektive, sondern als Beitrag zur späteren Verteidigung des „bulgarischen Geistes“.1101 Der Autor war sich dessen bewusst, dass Boris bisher wenig Gewicht in der nationalen Erinnerungskultur zugekommen war, wenn er forderte, sein „Werk“ solle heute „auferstehen“ und sein „Testament (zavet)“ solle beachtet werden. Dieses „Vermächtnis“ war es angeblich, die „nationale Kultur“ vor „fremdem Einfluss“ zu schützen – mithilfe der Kirche, dem „ewigen Wächter über unser Volk und unseren Staat“.1102 Mit der Übernahme von Begriffen („Werk“, „Vermächtnis“ bzw. „Testament“), die bisher in erster Linie im Diskurs über Kyrill und Method verwendet worden waren, stellte er den hl. Boris auch rhetorisch auf dieselbe Ebene. Implizit anknüpfend an Stränge byzantinischer Tradition beschwor der Hierarch die direkte Verbindung des staatlichen Heils mit dem religiösen. Er bestärkte damit den Anspruch der Kirche auf eine Überwachung des modernen Staates, der auf einer essentialistisch und unveränderlich entworfenen „nationalen Kultur“ begründet sein sollte. Darauf verkündete der Hierarch „die Auferstehung des großen Werks des heiligen Zaren Boris“ dank den Taten des gottgegebenen „Führers“ Boris III. Die Gleichzeitigkeit der Erinnerung an die Auferstehung Christi sowie die Eroberung der beanspruchten Gebiete zu Ostern 1941 erleichterten es ihm, von einer „Auferstehung“ des „dritten bulgarischen Zarenreiches“ zu sprechen. Der Staat wurde hier mit Christus gleichgesetzt. Der Geistliche übernahm gleichzeitig die in der damaligen bulgarischen Publizistik immer öfter verwendete Rede vom „Dritten Reich“ für das Bulgarien der Gegenwart. Wie Boris I. habe Boris III. in Rila „Inspiration“ gesucht. Säkulare Geschichte wurde mit der Beschwörung Ivans von Rila als „Beschützer“ der Nation sowie mit der Sprache von Gottes Segen heilsgeschichtlich aufgeladen, ohne in einen globalen Heilsplan eingegliedert zu sein: Der Bezugsrahmen blieb national beschränkt. Der Zar war zu dieser religiösen Aufladung nationaler Geschichte durch orthodoxe Geistliche bereit und förderte, ja inszenierte sie bewusst mit seinen Besuchen im Rilaer Kloster.1103

1101 „Er legte die Grundlage zukünftiger Festungen des bulgarischen Geistes, indem er das Mönchswesen und Klöster begründete.“ Duchovno Văzraždane, 1941, Nr. 5/6, S. 2. 1102 „Und heute, wenn sein Werk und seine Großtaten für das ganze Volk erneut auferstehen, mögen wir uns des Testaments (zaveta) erinnern (neka spomnim), das dieser dem Volk und den Zaren gegeben hat – ein Vermächtnis, das es ermöglichte, dass das Volk sich schützen konnte und sich hin zum goldenen Zeitalter entwickelte – der heilige Zar Boris gab noch ein Vermächtnis – dass wir unsere nationale (rodna) Kultur und unser politisches und gesellschaftliches Leben ­schützen vor fremdem Einfluss, damit nicht die Kräfte und Veranlagungen des Volkes ermatten und verderben! Zu diesem Ziel schuf er die unabhängige nationale (rodna) Kirche – den ewigen Wächter über unser Volk und unseren Staat… (…) Das Abweichen von Vermächtnissen hat uns in den Untergang und die Sklaverei geführt.“ Duchovno Văzraždane, 1941, Nr. 5/6, S. 2. 1103 „Heute feiern wir die Auferstehung des großen Werks des heiligen Zaren Boris. Gott gefiel es, nach den so schweren Jahrhunderten, die wir durchlebt haben, in den kritischsten Tagen unserer neuen Geschichte uns einen würdigen Führer (vožd) unseres Volkes zu errichten (văzdigne) – in

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Zar Boris als „himmlischer Beschützer“ und mit ihm die übrigen wichtigen nationalen religiösen Erinnerungsfiguren von Kyrill und Method über Kliment bis zu Ivan dienten somit einem offiziellen Vertreter der orthodoxen Kirche, „die nationale Sache“, die bulgarische Okkupation und die Führung des Landes durch Boris III. vor den versammelten Schülern zu rechtfertigen und ihnen den Dienst am Fortschritt des Staates und der Nation zur gegenwärtigen sowie zur Lebensaufgabe zu vermitteln: „Ahmt euren Patron Zar Boris nach und gebt alles für den Zaren, die Nation (Rod) und die Heimat.“ 1104 In derselben Nummer dieser Zeitschrift befand sich auch ein Beitrag von P. T. Părvanov mit dem Titel „Der große Führer (vožd) Adolf Hitler“. Părvanov versah diesen ähnlich wie mit Boris und Boris III. geschehen mit Gottes Segen und sakralisierte ihn wie seine Herrschaft als „Wiedergebärer“.1105 Die bulgarische Erinnerung an seinen heiligen Zaren Boris und die Verknüpfung dieses Gedenkens mit der Person Boris’ III. stand damit im Zusammenhang mit der Verehrung, die gleichzeitig Hitler zukam.

der Person unseres geliebten Zaren Boris III., der es verstand, die Vermächtnisse des heiligen Zaren Boris voll und ganz zu bewahren. (…) Der Zar ist Stifter vieler Klöster und Kirchen und wenn er wichtige und für das Volk schicksalsträchtige Entscheidungen trifft, wendet er sich mit einem glühenden Gebet an Gott um Begleitung und Schutz. In solchen Momenten hat er oft das heilige Rilaer Kloster aufgesucht und hat dort, vor dem Sarg des nationalen (narodnija) Heiligen und Beschützers, Inspiration gesucht. Deshalb wurden seine Schritte und Taten von Gott gesegnet. (…) Und so, als Ergebnis dieser weisen Politik, hat er – am Tag der Auferstehung Christi – die Auferstehung der gesamten (cělokupnata) Heimat erreicht, es ist in ganzer Fülle das Zarenreich des heiligen Zaren Boris auferstanden. Wir wurden geehrt zu sehen, wie die größten Seiten der Geschichte des dritten bulgarischen Zarenreiches geschrieben wurden.“ Duchovno Văzraždane, 1941, Nr. 5/6, S. 2. 1104 „Liebe Hörer, ihr werdet die Erben des Großen und geeinten Bulgarien. (…) In diesen verantwortungsvollen und großen Tagen müssen wir die Vermächtnisse des heiligen Zaren Boris einhalten, der hll. Kyrill und Method, Kliments von Ohrid, Ivans von Rila und des Exarchen Josif, der die nationale Sache (narodnoto dělo) in Thrakien und Makedonien bekräftigt hat, und die Pfeiler des nationalen Gebäudes (narodnata sgrada) stärken: Die Armee, die Schule und die Kirche. (…) Und ihr, die morgen die Mitarbeiter des Zaren und Nachfolgers sein werdet, bereitet euch auf einen Dienst gänzlicher Hingabe an die Heimat vor. Es möge euch der heilige Zar Boris – euer himmlischer Beschützer – schützen und dazu begeistern, dass ihr Träger des Schaffens (tvorčestvo) und des Fortschrittes werdet. Ahmt euren Patron Zar Boris nach und gebt alles für den Zaren, die Nation (Rod) und die Heimat.“ Duchovno Văzraždane, 1941, Nr. 5/6, S. 2. 1105 „Aber Jener, der die Welten ordnet und ohne dessen Befehl kein Haar vom Kopf eines ­Menschen fallen kann, wie es der Retter Christus sagte, lässt nicht zu, dass sich die letzte Unwahrheit auf unserer sündhaften Erde lange ausweitet! – Und wie es in der Vergangenheit war – aus dem unerschöpflichen Schoß des Volks sind Führer [im Original fett, S. R.] hervorgetreten, die durch die göttliche Vorsehung ihren Völkern den rettenden Weg weisen und der ganzen entrech­ teten Menschheit. So auch heute – Adolf Hitler ist durch Gott zum Führer und Wiedergebärer (­Văzroditeľ) des Großen Deutschen Volkes bestimmt.“ Duchovno Văzraždane, 1941, Nr. 5/6, S. 5 – 7.

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Mobilisierung und Sakralisierung der Nation

Diese neuen Formen der Verehrung des herrschenden Zaren blieben nicht auf die religiöse Publizistik beschränkt. Sie stellten rasch einen wesentlichen Bestandteil der Inszenierung und Wahrnehmung seiner Macht dar und wurden etwa vom Bildungs­minister gezielt vorangetrieben – nicht zuletzt am Tag Kyrills und Methods. Der Minister für Volksbildung Prof. B. Jocov sprach am „Feiertag der bulgarischen Schriftlichkeit“ am 24. Mai 1943 laut der Tageszeitung „Dnevnik“ über den Sender „Radio Sofia“: „Auch heute, wenn dieses Volk gesammelt ist unter seinem heimatlichen Dach unter der Rechten (děsnicata) seines Obersten Führers, des Zaren Boris III., der auf seinem Lebenspfad im Geist und im Vermächtnis Boris’ I. geht, wie auch alle gerühmten bulgarischen Zaren, erwirbt der heutige Feiertag einen tieferen nationalen Sinn.“ 1106

Mit dem gezielten Einsatz moderner Massenmedien und dem Verweis auf Boris I. sowie implizit auf den deutschen bzw. den italienischen „Führer“ wurde die maximale Legi­timation zarischer Herrschaft im Weltkrieg angestrebt. Aber nicht nur der Bildungs­minister im „Dnevnik“, sondern auch Beiträge in Zeitschriften mit einer lokalen Leserschaft stellten die Verehrung des Zaren auf eine neue, sakrale Grundlage: In der wöchentlichen Zeitschrift für Kinder „Bălgarče“ „für das Schaffen, die Erziehung und die Wissensbereicherung“, die der Lehrer T. M. Raškov am Progymnasium in Pernik herausgab, schrieb derselbe im April 1942 ein Gedicht auf den Zaren: „Auf den Zaren // Mit mächtigem Geist, der den Göttern eigen ist, / Mit ruhigem Verstand, der den Zaren bekannt ist, / weist du, oh Zar, in den Tiefen / Deinem Zarenreich das Schicksal. // Als Beitrag werden wir alle mit dir gehen, / mit deinem zauberhaften Phöbus (s čarovnija ti feb), / meine schöne heilige Heimat / werde ein heiliges Paradies auf Erden!“ 1107

Nach und nach wurden dabei im Rahmen des Kriegsverlaufs vermehrt militaristische Elemente eingesetzt: Im „Kämpfer von Vraca“, dem „Organ der Kämpfer des 35. Infanterie­ regiments aus Vraca“, wurde am 28. November 1942 ein Gedicht des Soldaten Cvětan Angelov „Auf seine Hoheit den Zaren“ veröffentlicht. Darin beschwor dieser zunächst den angeblich „geschändeten Volksaltar“ und angesichts der territorialen Erfolge des Zaren auch den „Bulgarischen Gott“: „Groß und großzügig war der bulgarische Gott!“ Dem Zaren kam aber nicht nur an der Front, sondern auch in der Heimat eine zentrale Rolle zu: „Aber du, Zar, gewinne, begeistere die Herzen und werde ein Führer, werde eine Fackel und ein Idol (kumir)“.1108 Der Zar erschien in diesem nationalpolitisch-theologischen Entwurf als eine implizite Inkarnation eines nationalen Gottes. 1106 Jocov sprach am „Feiertag der bulgarischen Schriftlichkeit“ am 24. Mai 1943 laut der Tages­ zeitung „Dnevnik“ über den Sender „Radio Sofia“: „Auch heute, wenn dieses Volk gesammelt ist unter seinem heimatlichen Dach (rodna strěcha) unter der Rechten (děsnicata) seines Obersten Führers, des Zaren Boris III., der auf seinem Lebenspfad im Geist und im Vermächtnis Boris’ I. geht, wie auch alle gerühmten bulgarischen Zaren, erwirbt der heutige Feiertag einen tieferen nationalen Sinn.“ Dnevnik, 25.5.1943, Nr. 13014, S. 2. 1107 Bălgarče, 6.3.1942, Nr. 3, S. 1. 1108 Vračanski Boec, 28.11.1942, Nr. 1, S. 1.

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Mit der religiösen Zeitschrift „Der Glaube“ sollten im Dezember 1942 ein natio­ naler Zarenkult und religiöse Zuversicht angesichts des zunehmend aussichtslosen ­Krieges gefestigt werden. Der Verweis auf den „Allerhöchsten“ machte deutlich, dass dieser „Glaube“ nicht nur implizit auf dem christlichen Vorbild gründete, sondern selbst gleichzeitig christlich sein sollte.1109 In einem Artikel auf derselben ersten Seite beschwor Cvětan Angelov das Blutvergießen „für die fruchtbare Schwarzerde der Heimat im Namen des Zaren und Gottes“ und erinnerte an die Kämpfer des Khans Isperich, die „den Führer zum Gott erhoben (postavjacha Vožda do Boga)“ haben sollen.1110 In ­diesem wie in den anderen genannten Texten dieser Zeitschrift dienten die ,kämpferischen‘ vorchristlichen Zaren sowie Samuil, nicht aber Boris I. als Referenz. Dennoch blieb in der Kriegstheologie der christliche Rahmen reproduziert: Am 24. Dezember 1942 sprach Angelov im „Kämpfer von Vraca“ vom bulgarischen Volk als vom „gotter­ wählten Volk (bogoizbran narod)“.1111 D 7.3  Vom Muster der Zarenstadt zum nemanjidischen Modell – das Begräbnis Boris’ III. in Rila 1943

Die Herrschaft von Boris III. wurde aber nicht nur mit Referenz auf Boris I. sowie Gott sakralisiert, sondern noch intensiver als zuvor auch mit Verweis auf Ivan von Rila und sein Kloster.1112 Das Publikum wurde in der Presse mit erklärenden Artikeln in die alte und andauernde Bedeutung des Rilaer Klosters und seines Patrons eingeführt. Dabei 1109 Am 5. Dezember schrieb das Redaktionskomitee derselben Zeitschrift: „Der Glaube ist eine magische Kraft des Erfolgs im Werk, er ist ein kraftvoller und beständiger Motor, ein Erwecker und Entzünder der Kräfte – physisch und geistig kräftigt er sie, bis sie den äußersten Erfolg erreichen. So ist es auch mit der nationalen Gemeinschaft (narodnostnata obštnosť). Das bulgarische Volk, beschenkt durch den Allerhöchsten mit einer harmonischen Entwicklung ziviler und militärischer Tugenden, die Grundlage für eine gesunde und starke Seele, hat die feste Entscheidung getroffen, die Gesamtheit seines Landes zu verteidigen, es steht mit dem tiefen und unerschütterlichen Glauben an den Enderfolg (krajnija uspěch) der Seite der Achsenmächte, im Kampf für mehr Gerechtigkeit und Glück der Völker, im Namen der neuen Weltordnung (…). Der Glaube an unseren geliebten Obersten Führer und der Glaube an das begonnene Werk des bulgarischen Volkes ist mächtig in den Seelen der Leute aus Vraca.“ Vračanski Boec, 5.12.1942, Nr. 2, S. 1. 1110 „Noch größer ist der Drang der heutigen Kämpfer, noch größer ist ihre Bereitschaft, denn noch größer ist ihr Glaube an ihren weisen Führer.“ Insbesondere der „Kampf um die Vernichtung“ von „Verrätern unserer Nation“ wurde zu „einer der höchsten Pflichten unserer Krieger“ er­­ hoben. „Dies ist die Pflicht unseres Kriegers – dass er bereit ist, um den Preis seines Lebens das heimatliche Land zu verteidigen, den Obersten Führer und seinen Stamm im Namen Gottes“. Vračanski Boec, 5.12.1942, Nr. 2, S. 1. 1111 Vračanski Boec, 24.12.1942, Nr. 4/5, S. 1. 1112 Die Referenz auf Ivan von Rila im Rahmen des „Führerkults“ bleibt ausgeblendet bei: Weber (2006).

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wurde dieser mittelalterliche Kontext immer öfter mit der Verehrung Borisʼ III. in einen Zusammenhang gestellt. Mit seinem Tod kulminierte diese diskursive Argumentation. Beispielsweise wurde am ersten September 1943 unter dem Titel „Das heilige Kloster des hl. Ivan von Rila – des Lieblingsheiligen des Zaren Boris“ 1113 das Kloster ­weniger in der Rolle eines Wallfahrtsortes frommer Massen denn als Inspirationsquelle beschrieben – und dies nicht nur für Suchende in religiösen Fragen, sondern auch für bloße „Liebhaber der schönen Natur.“ Neu war insbesondere die Hervorhebung einer Funktion des Klosters als Stätte der Inspiration bulgarischer Herrscher. Nicht Ivan stand im Zentrum der Verehrung, sondern sein Kloster. Boris III. war es gelungen, durch seine Besuche im Kloster seine eigene Herrschaft in diesen überzeitlich inszenierten Kontext zu stellen und mit einem sakralen Anstrich zu versehen. In einem am 1. September 1943 veröffentlichen Artikel des Boulevardblattes „Morgen (Utro)“ unter der Überschrift „Die historische Bedeutung des heiligen Rilaer Klosters“ wurde das Kloster zum „nationalen Heiligtum“ und zur „Zuversicht für die Zukunft“ erklärt.1114 Nicht mehr Ivan von Rila stand hier im Vordergrund und auch nicht eine säkularisierte Form des Gedenkens an seine Gebeine als ein „Symbol“ für den „bulgarischen Geist“, sondern die bulgarischen Herrscher. Ganz nach den Erfordernissen der Situation – der Tod Borisʼ III. – wurde Rila mit dem bis dahin kaum durch sakrale Elemente bestimmten Gedächtnis selbst an die heidnischen proto­bulgarischen Herrscher verbunden und die traditionelle Religiosität weiter in den Hinter­grund geschoben. Die nationale Bedeutung wurde mit einem Zitat des Textes von Neofit Rilski aus dem 1113 „Das heilige Rilaer Kloster nimmt in seiner Bedeutung den ersten Platz in unserer Kulturgeschichte ein. Vor diesem herrlichen Kloster (carstvena obiteľ) empfinden alle Ehrfurcht. Im Laufe der Jahrhunderte kamen hierher um Inspiration zu schöpfen und Belehrung zu er­­halten gekrönte Häupter, demütige Mönche, Liebhaber der Geschichte und der archäologischen Altertümer, sowie der schönen Natur. Der eifrigste Besucher der letzten Jahre war der, oh Herr, verschiedene Zar Boris III. (…) Dieser Gigant des bulgarischen Geistes [Ivan, S. R.] hat vielen unserer Herrscher Inspiration gegeben. Er wird in Ewigkeit existieren, um den Generationen von der Größe und vom Kampf zu erzählen, den unser Volk um seine Existenz und Vereinigung geführt hat.“ Utro, 1.9.1943, Nr. 10217, S. 6. 1114 „In geistiger und nationaler (narodnostno) Beziehung hat das Rilaer Kloster durch die Jahr­ hunderte eine große historische Rolle gespielt und war die Feuerstätte des bulgarischen religiösen und nationalen Bewusstseins. Die heiligen Reliquien des hl. Ivan von Rila, die dort ruhen, waren nicht nur als religiöse Heiligtümer verehrt, sie waren ein Symbol für die Kraft und den Glauben, die den bulgarischen Geist während der schwersten Tage für das Volk stärkten und ihm Hoffnung gaben. So wird gerade das Rilaer heilige Kloster zum nationalen Heiligtum, wird zum Volksstolz und zur Zuversicht für die Zukunft, wird zum Leuchtturm der nationalen Bewusstseinswerdung (svěstvane). Welches bulgarische Herz erzittert nicht vor dem großartigen Blick auf das Innere (v nedrata) Rilas? Welcher Bulgare hat keine Ehrfurcht vor dem Andenken (spomenitě) an dessen große Vergangenheit? Und sieht er nicht in dessen alten heiligen Mauern die Vermächtnisse des Zaren Petăr, des Zaren Asen, Ivan Šišmans und aller dieser Hierarchen, Erwecker, Literaten und Kämpfer für den Glauben und die Nationalität (narodnosť)?“ Utro, 6.9.1943, Nr. 10222, S. 2.

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Jahr 1860 nochmals hervorgehoben und als „nationales Heiligtum“, als „Wächter und Beschützer“ des „bulgarischen Volkes“ und als „wegweisender Stern“ in einen zusätzlich legitimierenden Zusammenhang mit diesem herausragenden „Erwecker“ gestellt.1115 Unter dem Titel „Die letzte Verneigung seiner Hoheit des Zaren Boris III. im Rilaer Kloster“ beschrieb dasselbe Blatt gleichfalls im September 1943 Boris III. als „tief fromm“. Er habe „in kritischen, schicksalsträchtigen Momenten“ den Rat Ivans gesucht.1116 Mit diesen Sätzen wurden die dort getroffenen Entscheidungen erneut bestärkt: Der Tod von Boris verschärfte die Krise um die geopolitische Ausrichtung Bulgariens. Letztmals habe „der Vereiniger-Zar“ das „Heilige Rilaer Kloster“ 1942 aufgesucht. Damals habe er die Okkupation Vardar-Makedoniens einem Wunder Kliments zugeschrieben.1117 Im Gedenkgottesdienst zu Ehren des Verstorbenen in der Sofioter Aleksandr-­ Nevskij-Kathedrale verknüpfte der stellvertretende Vorsitzende des Heiligen Synods, Metropolit Neofit von Vidin, bereits nach wenigen Sätzen das Gedenken an Boris III . mit jenem an Boris I., den er als „herrlichen Führer der Bulgaren“ bezeichnete. Der führende Vertreter der bulgarischen orthodoxen Kirche wiederholte dabei das mit Boris I. und Boris III . verbundene Narrativ und gab ihm so kirchlichen Segen: Boris I. habe mit kirchlicher Hilfe den „nationalen bulgarischen Staat“ begründet und „verewigte“ so „die bulga­rische nationale (narodnostna) Eigenheit (samobitnosť)“. Von Boris III . sei die Er­­neuerung dieser „staatlichen Größe“ erwartet worden.1118 Der Metropolit wiederholte darauf einen Wunsch, der 25 Jahre zuvor zur Krönung von Boris III . geäußert worden war: Der Zar sollte durch Gott – den er als „Zar der Zaren“ bezeichnete – gesegnet werden und „der heilige Geist von Boris I., der Geist seiner göttlichen 1115 „Dies ist das nationale Heiligtum, wo die teuren Überreste des Zaren Boris III. ruhen werden. Und wie auf dem steilen historischen Weg des bulgarischen Volkes das Rilaer Kloster dessen Wächter und Beschützer war, wird dieses in der Zukunft sein wegweisender Stern sein.“ Utro, 6.9.1943, Nr. 10222, S. 2. 1116 „Oh Herr, der verstorbene Zar Boris III., der tief fromm war, hat immer in kritischen, schicksals­ trächtigen Momenten der staatlichen Leitung sich vor den Reliquien des hl. Ivan von Rila verneigt, um geistige Kräfte zu schöpfen und durch den hl. Ivan von Rila das Wohlwollen zur erfolgreichen Entscheidung der quälenden Fragen zu erlangen.“ Utro, 4.9.1943, Nr. 10220, S. 6. 1117 Utro, 4.9.1943, Nr. 10220, S. 6. 1118 „Einst, während der zweiten Hälfte des 9. Jh., war der große (…) herrliche Führer der Bulgaren Boris I. besorgt um deren morgige bulgarische Freiheit, Unabhängigkeit und kulturelles Wachstum und schuf unter der Hilfe der heiligen Siebenzahl und anderer heimatlicher (rodni) durch Gott begeisterter christlicher Priester den nationalen bulgarischen Staat, gründete die heimatliche (rodna) geistig-sittliche Kultur und verewigte auf diese Weise die bulgarische natio­ nale (narodnostna) Eigenheit (samobitnosť) und legte eine gesunde Grundlage zum friedlichen Aufbau der bulgarischen staatlichen Macht. Der Name dieses großen bulgarischen Herrschers wurde dem neugeborenen höchsten Jüngling und Volksliebling, dem Fürsten Boris, gegeben. Dieser Name erweckte im Volksdenken mit mächtiger Kraft die Geschichte des großen Werks des Grundlegers und Schöpfers der staatlichen und kulturellen Größe des bulgarischen Volkes in der fernen Vergangenheit und entflammte den Wunsch, dass diese staatliche Größe erneut geschaffen werde.“ Utro, 6.9.1943, Nr. 10222, S. 1 f.

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Weisheit“ sollte Boris III . be­­gleiten. Diese Bitte sei in Erfüllung g­ egangen.1119 Neofit reihte sich damit nicht nur in die Tradition der Unterstützung politischer Herrschaft durch orthodoxe Hierarchen ein, sondern sakralisierte die zarische Herrschaft über Bulgarien, indem er Boris I. in der Gegenwart politisch wirksame „göttliche Weisheit“ zusprach. Der Metropolit hob sodann die Trauer um Boris III. im Volk, aber insbesondere auch in der Kirche hervor. Nicht nur sei sein Name in den Gottesdiensten genannt ­worden, sondern seine „zarische Mission vor dem Volk“ sei „durch ihr Wesen untrennbar mit der historischen rettenden Mission der Kirche verbunden“ gewesen.1120 Politische Herrschaft wurde hier in der wichtigsten Kirche der Hauptstadt durch einen führenden Repräsentanten der bulgarischen orthodoxen Kirche sowohl als national als auch in ihrer Essenz heilsgeschichtlich verklärt. Die wichtigste soziale Praxis, in der sich diese wechselseitige Nähe von Zar und Kirche gezeigt habe, sei seine Verehrung und sein Schutz der natio­nalen „Denkmäler“ und „heiligen Orte“ gewesen. Der Wunsch des „Vereiniger-Zaren“ in Rila, „im größten Heiligtum“, bestattet zu werden, entspreche seiner „zarischen Liebe“ zur „heimischen Kirche“.1121 Der Trauerzug bekräftigte dieses offizielle Bild der gegenseitigen Abhängigkeit der politischen und kirchlichen Führung Bulgariens im Zweiten Weltkrieg nicht nur in der Öffentlichkeit der Kathedralkirche, sondern auf den zentralen Boulevards der Hauptstadt: „Vor der Geistlichkeit wurde ein heller Kranz mit der Aufschrift getragen: „Boris III – Vereiniger“; (…). Vor dem Kriegsklub verneigte sich ein Meer von Fahnen langsam vor dem vorbeiziehenden Gestell mit den sterblichen Überresten des Vereiniger-Zaren. (…) Der Trauermarsch der Kriegsgardemusik wurde erstickt vom starken Schluchzen der Tausenden.“ 1122 1119 „Daher war tatsächliche jede Ansprache, jede Rede, die vor 25 Jahren gehalten wurden, als Fürst Boris den Zarenthron bestieg, die nachdrückliche Bitte: Allmächtiger Gott und Zar der Zaren, segne den neuen Zaren mit Glück für das Volk und die staatliche Herrschaft, und erlaube, dass der heilige Geist von Boris I., der Geist seiner göttlichen Weisheit, seines herrlichen Weitblicks und seines staatlichen Schaffens bei dem neuen Zaren Boris III. sein werden. Wir sind Zeit­ genossen und sahen, dass Gott diese Bitte erfüllt hat.“ Utro, 6.9.1943, Nr. 10222, S. 2. 1120 „Denn Zar Boris III. war ihr Beschützer und zuverlässiger erster Sohn (sin-părvenec). Sein Name war mit allen ihren Gottesdiensten verflochten. Seine zarische Mission vor dem Volk war durch ihr Wesen untrennbar mit der historischen rettenden Mission der Kirche verbunden.“ Utro, 6.9.1943, Nr. 10222, S. 2. 1121 „Er kannte alle Kirchen und Klöster im Lande gut, er kannte alle Denkmäler und heiligen Orte. Mit andächtiger Ehre verhielt er sich gegenüber diesen Heiligtümern und mit zarischer Sorge wachte er über der Bewahrung ihrer Reinheit und Heiligkeit. Und daher ist seine jetzige Entscheidung, im größten Heiligtum begraben zu werden – im heiligen Rilaer Kloster – eine glückliche Entsprechung zu seiner zarischen Liebe zur heiligen heimischen (rodna) ortho­doxen Kirche. (…) Wir verneigen uns vor dem hellen Geist des Vereiniger-Zaren! Die heimatliche (rodna) Kirche bittet Gott inständig, ihm zu vergeben, und ihn in die hellen paradiesischen Gefilde aufzunehmen und ihn in den Gesichtskreis der Seligen einzubeziehen (da go priobšti v lika na blaženjatě), heute und in alle Ewigkeit.“ Utro, 6.9.1943, Nr. 10222, S. 2. 1122 Utro, 3.9.1943, Nr. 10219, S. 3.

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Die Trauerfeierlichkeiten in Sofija dienten gleichzeitig zur feierlichen Inszenierung der territorialen Einheit Bulgariens, die dem Verstorbenen zu verdanken sei: „Die B ­ ürger der verschiedenen Städte des Zarenreiches erklärten, dass sie aus eigenem Antrieb ­Wasser aus der Donau und dem Schwarzen Meer, Erde aus der Dobrudža, Make­donien und Thrakien, Wasser aus dem Ohrider See und dem Weißen Meer hergebracht ­hätten.“ Auch die Beerdigung im Rilaer Kloster wurde zur Demonstration der engen Ver­­knüpfung von Zar, Kirche, Volk und Territorium. „Alle Metropoliten“ Bulgariens sollten gemäß der öffentlichen Bekanntmachung des Vorsitzenden des Heiligen Synods daran teil­ nehmen.1123 Am 4. Dezember 1943 zitierte der „Unsrige (Našenec)“, eine im dritten Jahrgang in Sofia erscheinende wöchentliche Zeitschrift „Für den Soldaten und den Bürger“ das erwähnte Gedicht Vazovs „Der bulgarische Gott“: Der Text stand auf demselben Blatt einem neuen von Stilijan Čilingirov gegenüber, datiert auf den 3. September 1943: „Warum, oh Gott“.1124 Boris III. wurde darin als „heiliger Name“ verehrt, und das bulgarische Volk insgesamt als „Märtyrer“ sakralisiert. Mit der Krönung von Boris III. zum Zaren verband die BOK seine Verehrung mit derjenigen des hl. Boris I. Nach dem Ersten Weltkrieg begann die Kirche, in ihrer bekräftig­ ten Nähe zum Zaren ihren Einfluss in der Gesellschaft zu vergrößern. Erst in den Kriegsjahren häufte sich die Bezeichnung des Zaren als „Führer“, häufig im unmittelbaren Zusammenhang mit der Erwähnung Adolf Hitlers. Boris III. förderte seine Verbindung mit Ivan und die Sakralisierung seiner eigenen Herrschaft bewusst: So suchte er das Kloster auf und ließ die modernen Medien ausführlich darüber be­­richten. Der Zar wurde vereinzelt als „Führer“ neben den „Bulgarischen Gott“ gestellt. Staatlich und kirchlich wurde er als „Vereiniger-Zar“ verehrt. Moderne Staatlichkeit und zarische Herrschaft gingen in Bulgarien mit der orthodoxen Nationalkirche eine enge Symbiose ein, die als illiberale national-orthodoxe Modernität beschrieben ­werden kann. Indem Boris III. das Kloster zu seiner Grablege machen ließ, folgte er dabei ­weniger bulgarischen Tradi­ tionen als vielmehr serbischen: Er rückte von der Bestattung der Zaren – nach dem im Mittelalter für die bulgarischen Zaren verbindlichen Vorbild Konstan­tinopels – in der Hauptstadt ab und übernahm das durch die serbischen Herrscher exemplifizierte Vor­ gehen, in einem stadtfernen Kloster bestattet zu werden. Hingegen blieb die Referenz auf das mittelalterliche Tărnovo als „Gottbehütete Zarenstadt“ in der ersten Hälfte des 1123 Utro, 3.9.1943, Nr. 10219, S. 3. 1124 In seiner achten Strophe hieß es darin: „Aber nein, wir werden unsere Häupter wieder erheben, / Und in Deinem heiligen Namen werden wir rühmen / Auf bulgarisch mit ausgewählten ­Worten / den, um den wir so sehr trauern // Auch tot wird dieser in Unserem Herzen leben / Für das ganze Volk von Jahrhundert zu Jahrhundert / und der Bulgare wird ewig singen / Eine begeisterte Hymne auf den Zaren und den Menschen. // Und dieser wird auch das schreckliche Schicksal singen, / Er wird den von Dir, Gott, Gesandten erinnern, / Und im Sturmwind des Kampfes für die Wahrheit wird er / Selbst den Willen des Zaren auferlegen… // Dass dieses Volk, ein vielgelittener Märtyrer, / Gestählt im Kampf wissen wird zu kämpfen / Auch für das Werk seines Großen Zaren / In großen Taten, die dieser noch wiederholen wird.“ Našenec, 4.12.1943, Nr. 151, S. 5.

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20. Jh. selten.1125 Gleiches gilt für die Verehrung der im Mittelalter mit Tărnovo verbundenen hl. Petka, die seit der Überführung ihrer Gebeine zunächst nach Belgrad und 1641 in die Moldau vermehrt im serbischen sowie im 19. und 20. Jh. besonders im rumänischen Kontext verehrt wurde.1126 Obschon eine Verehrung bulgarischer Zaren als Heiliger vom Mittelalter an bis ins 20. Jh. nur sehr fragmentiert und im Vergleich zur „heiligen Rebe“ der Nemanjiden überaus schwach nachweisbar ist, gingen Boris I. und Boris III. in der ersten Hälfte des 20. Jh. dennoch eine kirchlich und staatlich geförderte sowie für den gesamten offiziellen Gesellschaftsentwurf wichtige erinnerungspolitische Synthese ein. D 8  Heilige Herrscher – die Karađorđević in den Fußstapfen der Nemanjiden?

Entfaltete sich die Erinnerungskultur um die Nemanjiden auch nach dem Ersten Weltkrieg nur im unmittelbaren Zusammenhang mit ihren wichtigsten klösterlichen ­Stiftungen, in denen sie auch ihre Grabstätten gefunden hatten? Wie verorteten sich die Könige des neuen, multinational und dann (trans)national angelegten Staates vor dem Hintergrund der älteren monarchischen Tradition über die Inszenierung der neuen Dynastie der ­Karađorđević als religiös neutrale Volksdynastie von Serben, Kroaten und Slo­wenen hinaus?1127 D 8.1  Der König als ,Rächer des Kosovo‘ – aber nicht als Nemanjide

Zu Beginn der 1920er-Jahre wurden hierzu die Weichen gestellt: Selbst die weltlich ausgerichtete Tageszeitung „Politika“ berichtete ganz mit sakralen, national ­gewen­deten Vokabeln über den Tod König Petars am 16. August 1921. So schrieb sie tags darauf vom Tod „des Rächers des Kosovo“ und des „ersten Königs des vereinten ­Volkes“: Bereits mit der Niederlage in Albanien habe dieser sein Volk „erlöst“ bzw. „los­gekauft“ und sei „ein heiliges Symbol“ geworden.1128 „Ein von Gott bestimmter Führer hat er wie Moses

1125 Eine Ausnahme stellt etwa die 1928 als historischer Reiseführer mit Abbildungen publizierte und 1940 neu aufgelegte Monographie „Carevgrad Tărnov“ dar: Vladikin (21940), S. 3. 1938 erschien auch eine französische, 1944 eine deutsche Übersetzung des Werks: Vladikine (1938); Wladikin (1944). Die Erinnerungsfigur war mit der Verehrung des Patriarchen Evtimij ver­ bunden, hierzu ein Beispiel: Žekov (1936), oder auch mit einzelnen Klöstern in der Stadt: Karašenev (1927). 1126 Valtchinova (2000), S. 100 – 111. Zwei Hinweise auf eine bulgarische Verehrung der Petka nach dem Ersten Weltkrieg: Eine Monographie (Abadžiev (1924)) und die Satzung einer 1933 ins Leben gerufenen und ihr gewidmeten Bruderschaft im Dorf Zavět: Pravoslavno Christijansko Bratstvo „Sv. Paraskeva“ s. Zavět – Kemanlarsko. Ustav i členska knižka. 1127 Auch hinsichtlich der Königsdiktatur beschränkte sich die bisherige Forschung weitgehend auf säkulare Aspekte: Marković (2001), S. 579; Sekelj (2001). 1128 „Vom Albanischen Golgatha an war Seine Königlichkeit nicht mehr von dieser Welt. Er personi­ fizierte damals in sich die größte Tragik und den tiefsten Schmerz eines Volkes; er gelangte

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Mobilisierung und Sakralisierung der Nation

20. Jh. selten.1125 Gleiches gilt für die Verehrung der im Mittelalter mit Tărnovo verbundenen hl. Petka, die seit der Überführung ihrer Gebeine zunächst nach Belgrad und 1641 in die Moldau vermehrt im serbischen sowie im 19. und 20. Jh. besonders im rumänischen Kontext verehrt wurde.1126 Obschon eine Verehrung bulgarischer Zaren als Heiliger vom Mittelalter an bis ins 20. Jh. nur sehr fragmentiert und im Vergleich zur „heiligen Rebe“ der Nemanjiden überaus schwach nachweisbar ist, gingen Boris I. und Boris III. in der ersten Hälfte des 20. Jh. dennoch eine kirchlich und staatlich geförderte sowie für den gesamten offiziellen Gesellschaftsentwurf wichtige erinnerungspolitische Synthese ein. D 8  Heilige Herrscher – die Karađorđević in den Fußstapfen der Nemanjiden?

Entfaltete sich die Erinnerungskultur um die Nemanjiden auch nach dem Ersten Weltkrieg nur im unmittelbaren Zusammenhang mit ihren wichtigsten klösterlichen ­Stiftungen, in denen sie auch ihre Grabstätten gefunden hatten? Wie verorteten sich die Könige des neuen, multinational und dann (trans)national angelegten Staates vor dem Hintergrund der älteren monarchischen Tradition über die Inszenierung der neuen Dynastie der ­Karađorđević als religiös neutrale Volksdynastie von Serben, Kroaten und Slo­wenen hinaus?1127 D 8.1  Der König als ,Rächer des Kosovo‘ – aber nicht als Nemanjide

Zu Beginn der 1920er-Jahre wurden hierzu die Weichen gestellt: Selbst die weltlich ausgerichtete Tageszeitung „Politika“ berichtete ganz mit sakralen, national ­gewen­deten Vokabeln über den Tod König Petars am 16. August 1921. So schrieb sie tags darauf vom Tod „des Rächers des Kosovo“ und des „ersten Königs des vereinten ­Volkes“: Bereits mit der Niederlage in Albanien habe dieser sein Volk „erlöst“ bzw. „los­gekauft“ und sei „ein heiliges Symbol“ geworden.1128 „Ein von Gott bestimmter Führer hat er wie Moses

1125 Eine Ausnahme stellt etwa die 1928 als historischer Reiseführer mit Abbildungen publizierte und 1940 neu aufgelegte Monographie „Carevgrad Tărnov“ dar: Vladikin (21940), S. 3. 1938 erschien auch eine französische, 1944 eine deutsche Übersetzung des Werks: Vladikine (1938); Wladikin (1944). Die Erinnerungsfigur war mit der Verehrung des Patriarchen Evtimij ver­ bunden, hierzu ein Beispiel: Žekov (1936), oder auch mit einzelnen Klöstern in der Stadt: Karašenev (1927). 1126 Valtchinova (2000), S. 100 – 111. Zwei Hinweise auf eine bulgarische Verehrung der Petka nach dem Ersten Weltkrieg: Eine Monographie (Abadžiev (1924)) und die Satzung einer 1933 ins Leben gerufenen und ihr gewidmeten Bruderschaft im Dorf Zavět: Pravoslavno Christijansko Bratstvo „Sv. Paraskeva“ s. Zavět – Kemanlarsko. Ustav i členska knižka. 1127 Auch hinsichtlich der Königsdiktatur beschränkte sich die bisherige Forschung weitgehend auf säkulare Aspekte: Marković (2001), S. 579; Sekelj (2001). 1128 „Vom Albanischen Golgatha an war Seine Königlichkeit nicht mehr von dieser Welt. Er personi­ fizierte damals in sich die größte Tragik und den tiefsten Schmerz eines Volkes; er gelangte

Die Karađorđević in den Fußstapfen der Nemanjiden?

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sein Volk in das verheißene Land geführt.“ Die Zeitung verklärte den König implizit zum Heiligen: Verstorben beginne er nun „ein neues Leben zu leben, ein h­ öheres Leben“. Diese Beschreibung stand in der Tradition der Viten des Mittelalters. Jeder explizite Verweis auf die Nemanjiden aber fehlte.1129 Auch sein Sohn Aleksandar ging in einer kurzen Mitteilung an das Volk zu Petars feierlichem Begräbnis nicht auf einen dynastischen, aber auch nicht auf einen sakralen Hintergrund ein. Immerhin verwies einer der Kränze auf seinem Sarg – gestiftet von den Bürgern von Kruševac – auf „Zar Lazar“, den Petar gerächt haben sollte.1130 Der Leichnam wurde in die Grablege der Karađorđević, die Georgskirche auf dem Hügel Oplenac, überführt, obschon diese nach den Kriegswirren und Plünderungen noch nicht erneut geweiht worden war. Kirchliche Zeitschriften sahen sich vor diesem Hintergrund nicht herausgefordert, die „Politika“ zu überbieten, sondern blieben vergleichsweise nüchtern: Der „Glasnik“, das Organ des serbischen orthodoxen Patriarchats, machte am 1. Juni 1922 in einem nicht gezeichneten Leitartikel zur Hochzeit des Königs Aleksandar das Verhältnis der SOK zur Monarchie deutlich: Das Paar wurde mit der Vorsehung und dem Kosovo­ mythos verbunden. Die „Auferstehung“ wurde dem Königreich, der Dynastie wie dem Volk zuteil – nationale Geschichte wurde sakralisiert und untrennbar mit Gott und der Dynastie verknüpft.1131 Die Kirche „ist sich sicher, dass Gottes Segen, die jahrhundertealte Kunst, der gesunde Geist unseres Volkes, die geerbte Frömmigkeit und Ergebenheit gegenüber der Kirche und dem Haus der Karađorđević, die jahrhundertelang gefestigten (vekovne) geistigen Bande zwischen dem Staat und der Kirche, der Dynastie und dem Staat nur dann ein festes Fundament haben, wenn sie auf der Religion und der Liebe des Volkes ruhen. Gott dankend, dass er unserem Volk und unserem Königshaus diesen großen Tag zuteilwerden lassen hat, beten wir, dass mit seiner unerschöpflichen Gnade und ­seinem Segen die ehelichen Bande unsere liebe Dynastie festigen werden zu seinem ewigen Ruhm und zur Erlösung (spas) des serbischen Volkes, dessen Frömmigkeit, Mut und Märtyrertum ihr ausdrücklichstes Symbol im verstorbenen König Petar dem Großen und in seinem Sohn, in König Aleksandar, gefunden hat.“ 1132

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damals ins himmlische Zarentum und mit seiner Selbstaufopferung hat er sein ganzes Volk erlöst (losgekauft: iskupio); er hörte damals auf, ein Mensch zu sein, und wurde ein heiliges (svetiteľski) Symbol.“ Politika, 17.8.1921, Nr. 4782, S. 1 f. Politika, 17.8.1921, Nr. 4782, S. 1 f. Politika, 22.8.1921, Nr. 4787, S. 2. „Auch das Königreich Serbien und die Dynastie der Karađorđević sind durch das albanische Golgatha gegangen, und das ganze serbische Volk durch eine unaussprechliche Erniedrigung und Verfolgung, und gerade dann haben sie von Gott die Belohnung der Auferstehung, des ­Triumphes, der Erhöhung entgegengenommen, die ihre Krönung im Tag der Hochzeit des Königs fand.“ Die Heirat mit der rumänischen Prinzessin Marija sei „der Tag der Weihe der ewigen Bande zwischen der Dynastie der Karađorđević und dem Volk der Serben, Kroaten und Slovenen.“ Glasnik, 1.(14.) 6.1922, Nr. 11, S. 169 – 171. Glasnik, 1.(14.)6.1922, Nr. 11, S. 171.

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War zuvor auch von Slovenen und Kroaten die Rede gewesen, blieb schließlich nur die Konzentration der sakralen Legitimation der Monarchie und der „Erlösung“ der ­Serben, falls der Berichterstatter nicht ohnehin im Sinne des späteren integralen Jugoslawismus von einer impliziten Serbizität auch der Slovenen und Kroaten ausgegangen war.1133 Anstatt auf die Nemanjiden oder auch nur einen ihrer vielen heiligen Herrscher zu verweisen, diente hier der Kosovomythos zur nationalreligiösen Rechtfertigung der neuen Dynastie. Führende Geistliche konnten zurückhaltender sein: Die Predigt des Patriarchen Dimitrije zur Hochzeit in der Belgrader Kathedrale, die in derselben Nummer der ­Zeitung veröffentlicht wurde, enthielt nur wenige Hinweise wie auf Heiraten zwischen Dynastien, die zur „Vereinigung unseres Volkes“ beigetragen hätten. Wesentlich war im Leitartikel die Rede von einer angeblich bestehenden „Anerkennung durch das ganze Volk, unabhängig von dessen Teilung in verschiedene Religionen“ sowie die ­Beschwörung der Einordnung der Serben unter die „kulturellen und fortgeschrittenen Völker“. Abgesehen davon, dass er den König als „weisen Sohn unseres Vaterlandes und unserer Kirche“ bezeichnete, forcierte der Patriarch in diesem Moment keine starke Rolle der SOK im neuen multireligiösen Staat.1134 Die Erinnerung an die jüngsten Kriege war auch für die mit den Monarchen verbundenen diskursiven Praktiken wichtig: Im Zusammenhang mit dem Gedenken an die Schlacht von Kumanovo (1912) zitierte das gleiche Organ der SOK im Oktober 1922 die Worte, mit denen der Vorsteher der Gemeinde von Kumanovo Toma Grigorjević das Königspaar und ihre Suite in Kumanovo begrüßte: Die Schlacht stelle den „schönsten Edelstein in Ihrer Königlichen Krone“ dar. „In ihm schlägt zuverlässig, hingebungsvoll und dankbar das Herz des Nachkommens des ruhmreichen Nemanja und Dušans des Starken.“ Im Kriegsgedenken stellte der Gemeindevorsteher damit eine Verbindung der neuen Dynastie mit Nemanja her. Der Patriarch nahm diesen Diskurs teilweise auf: Er sprach am gleichen Ort von den „fürchterlichen Leiden der Sklaverei“, und von der „Freiheit unseres Vaterlandes, des größten Heiligtums für uns (…), heilig sind uns alle Heldenfelder, auf denen sie kämpften“. Dieses „Heiligtum“ stellte er in seiner Rede nur mit einer bisher etablierten religiösen Erinnerungsfigur in einen Zusammenhang, nicht aber mit dem Kosovomythos. Von den Nemanjiden nannte er den „König von Dečani“, der „einst feindliche Heere von benachbarten Bruderstaaten (…) an der Spitze seines Heeres mit seinem Sohn Dušan rasch besiegte“. Premier­minister Nikola Pašić hin­gegen trug die diskursive Praxis des Verweises auf Nemanjiden im gleichen Zusammen­hang nicht mit: Er beschwor zwar den Kosovomythos, verwies aber nur einmal auf die „Führerschaft des unerschrockenen Königs Petar, des Großen Befreiers“ und des späteren Königs.1135

1133 Neben dieser nationalen Perspektive stand die Freude, dass durch die Heirat das Königshaus „bald mit allen europäischen Dynastien“ verwandt sei. Glasnik, 1.(14.)6.1922, Nr. 11, S. 171. 1134 Glasnik, 1.(14.)6.1922, Nr. 11, S. 172 f. 1135 Glasnik, 15.(28.)10.1922, Nr. 20, S. 320 – 325.

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Neben der Beschreibung der neuen Monarchen in den Medien der Hauptstadt blieb die Erinnerungskultur um das Kloster Dečani direkt mit dem Gedenken an seinen Stifter, Stefan Dečanski, verbunden. Eine Broschüre des Archimandriten Leontije Ninković, Ältester der „Lavra Visoki Dečani“ und Mitglied der Akademie der Künste in Paris,1136 beschrieb 1923 das Kloster als „höchstes und einziges – gemessen an der Größe, der Architektur, der Kunst und der baulichen Vollkommenheit – Denkmal unserer serbischen Vergangenheit, Gegenwart und auch der Zukunft“. Ausdrücklich stand für ihn das Projekt der Kosovokirche Meštrovićs hinter dem Kloster in seiner Bedeutung für moderne Bauweisen zurück:1137 Die serbische Architektur sollte sich unter diesem Blickwinkel nie von der Klosterkirche entfernen dürfen. Statt einer gewöhnlichen Beschreibung verherrlichte Ninković das Kloster und seinen Stifter mit einer eigenen Dichtung: Da es im serbischen Liederschatz über die Gründung dieses „serbischen ,Neuen Jerusalem‘“, „dieses höchsten Heiligtums der Serben“, noch kein entsprechendes Lied gebe, habe er kurzerhand ein eigenes gedichtet.1138 Der Klostervorsteher hielt es für seine Pflicht, dem traditionellen Liederzyklus ein eigenes Lied hinzuzufügen, um diesen zu er­­gänzen – nationale Tradition und die damit verbundenen diskursiven Praktiken verstand auch er als ein Projekt, zu dessen aktiver Mitgestaltung und Weiterentwicklung er sich gerade als Geistlicher selbst aufgerufen fühlte. Die Entwicklung der Tradition bzw. des Liederzyklus war direkt mit der Aktuali­ sierung der Inszenierung der Monarchie verbunden: Dies zeigte sich deutlich in der Art, wie der Geistliche in seiner Broschüre schon 1924 einen künftigen Besuch des Königspaars im Kloster Dečani in den Raum stellte: Archimandrit Ninković berichtete in seinem nachgestellten Kommentar zu seiner Dichtung von zwei großen Kerzen, die angeblich Fürstin Milica nach der Schlacht auf dem Amselfeld dem Kloster geschenkt habe, „mit dem Abbild des Königs Dečanski und dem serbischen Wappen. Über diese besteht die Tradi­tion, die im Kloster gehütet wird und die sich von Generation auf Generation überträgt: Als Fürstin Milica diese Kerzen an ihrem Platz aufgestellt hatte, sagte sie diese Worte: ,Möge die erste Flamme dieser Kerzen das freudige Zeichen der Seele meines Herrn und aller serbischen Ritter (vitezova) sein, die auf dem Amselfeld gefallen sind, dass das Amselfeld gerächt und das Serbentum befreit sind‘“.1139

1136 Ninković (1923), S. 2. 1137 „Wir Laien sündigen, dass wir uns auf die Beschreibung von V. Dečani einlassen, denn alle unsere alten Bauten, ja auch das Projekt Meštrovićs ,Kosovo Kirche (Kosovski Hram)‘, bleiben hinter V. Dečani zurück.“ Ninković (1923), S. 31. 1138 „Infolgedessen habe ich von einer Beschreibung der Größe und Schönheit dieses serbischen ,Neuen Jerusalem‘ abgesehen und beschränkte mich auf das Lied: ,Der Traum des Königs ­Stefan und die Errichtung von Visoki Dečani‘. Es ist meine Absicht, mit diesem Lied mehr oder ­weniger der Größe und Schönheit von V. Dečani und dem Ort, wo es errichtet wurde, gerecht zu werden, und den Leser mit der Geschichte der Errichtung der Lavra von Dečani bekannt­ zumachen, denn in unserem Liederzyklus gibt es kein solches und kein ähnliches Lied über dieses höchste Heiligtum der Serben.“ Ninković (1923), S. 32. 1139 „Dass der serbische König, der Rächer des Kosovo und der Befreier des Serbentums, in diese zarische Lavra gekommen ist, dass er sich zum Zeichen der Dankbarkeit vor dem heiligen König

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In der Gegenwart nun sei diese Rache erfolgt.1140 Die Rache der Schlacht auf dem Amselfeld sollte ein gegenwärtiges nationales Glücksgefühl begründen und wurde unauflösbar mit dem Kloster verbunden. Neben der „Rache“ des Kosovo stand aber auch die unter der Herrschaft der Osmanen angeblich zu beobachtende transreligiöse und transethnische Verehrung des Königs von Dečani im Zentrum der Broschüre des Archimandriten: So erklärte dieser, was er Besuchern zu sagen pflegte, die fragten, wie das großartige Kloster 500 Jahre in der „Sklaverei unter den Türken“ hatte bestehen können: „Sie sind sehr überrascht, wenn ihnen gesagt wird, dass wir den Arnauten [Albanern, S. R.] der Umgebung Dank schulden, namentlich jenen aus der Gemeinde Dečani, dass uns V. Dečani er­­ halten geblieben ist. Und wenn ihnen noch gesagt wird, dass die Arnauten aus dem Dorf Dečani bei der Verteidigung der Lavra ihre Brüder im Glauben, gleicher Sprache und Nationalität und sogar ihre engen Verwandten umbrachten, wundern sich die Besucher und schütteln vor ­Un­­glauben den Kopf.“ 1141

Ninković nannte ein konkretes Beispiel aus dem Jahr 1891.1142 Unter den zahlreichen möglichen Erklärungen, die der Archimandrit für den Schutz des Klosters durch ­Albaner anführte, waren auch solche religiösen Inhalts: „7. Die wunderwirkende Macht und Heilkraft, mit der der heilige König Kranke heilte und ge­­sunden ließ von körperlichen und geistigen Krankheiten, brachte die Arnauten dazu, dass sie ihm ihre Kranken zuführten und diese zu ihm trugen, damit sie geheilt werden. Dies rief eine noch stärkere Verehrung bei den Arnauten gegenüber dem heiligen König von Dečani hervor und befestigte bei ihnen den Glauben an seine Macht und Heilkraft, und dies festigte gleichzeitig ihre Verpflichtung, ihn zu verehren, zu weihen, zu verteidigen und zu hüten.“ 1143

Ninković nannte zur Begründung auch Erzählungen, die sich „unter den Arnauten in der Tradition erhalten haben“ von „Wundererscheinungen, die der heilige König erwirkte, und mit denen er jene ermahnte und bestrafte, die V. Dečani Bosheit und Schaden zufügten“.1144 Das erste grob datierte Beispiel bezog sich auf die Besetzung des Klosters durch bulgarische Truppen im Jahr 1915. Der Leichnam des Königs sollte nach Bulgarien

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von Dečani verneigt, und dass sich an diesem Tag die Seele meines Herrn mit den Seelen der Märtyrer des Amselfeldes freuen und dass sie gemeinsam mit den Seelen der gefallenen Ritter zur Rache des Kosovo und für die Freiheit des Serbentums den Rächer des Kosovo und den Befreier unseres Volkes grüßen.“ Ninković (1923), S. 41. „Das Gelöbnis (zavjet) der Fürstin Milica ist erfüllt. Das Kosovo ist gerächt, das Serbentum befreit und vereint, und ihre Kerzen werden angezündet werden, wenn unser erhabener König mit Glück nach V. Dečani kommen wird.“ Ninković (1923), S. 42. Ninković (1923), S. 45. Ninković (1923), S. 45 f. Ninković (1923), S. 48 f. Ninković (1923), S. 49.

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überführt werden, aber das Automobil, das ihn transportierte, blieb im Dorf Dečani stehen und konnte nicht wieder in Gang gebracht werden. „Dieses Begebnis beobachtete eine Masse von Arnauten, und ein alter Arnaut aus dem Dorf Dečani sagte ihnen damals: ,Gebt Acht, Arnauten, was geschieht! Der heilige König möchte nicht aus seinem Ort gehen, denn Serbien wird wieder hierherkommen!‘ Und so geschah es auch.“ 1145

Während die übrigen Beispiele von einer Verbundenheit der Albaner zum Kloster und zum König handelten, wurde mit diesem Exempel ihre Loyalität zu Serbien unter Beweis zu stellen versucht: Der Geistliche arbeitete an einer diskursiven Umarmung der Albaner im Zeichen des neuen Staates mithilfe des Mediums des Königs, ohne von diesen dazu aufgefordert worden zu sein. Auch in den kommenden Jahren förderte er das Gedenken an den König und sein Kloster mit ausführlichen Broschüren.1146 König Aleksandar kam den ihm nahegelegten Plänen des Geistlichen rasch nach. Er eignete sich den religiösen Diskurs teilweise an und er machte sich damit zu dessen hervorragendem Vertreter: In seinem Erlass zur Wiederherstellung des Patriarchats in Peć beschrieb sich König Aleksandar im September 1924 im Zusammenhang mit etablierten religiösen Erinnerungsfiguren: Er sah sich als „Führer (…) im Kampf um das Ehrenkreuz und die goldene Freiheit“ im Sinne des Kosovomythos. Die Wieder­errichtung erfolge zur Anerkennung „der großen Verdienste der alten Serbischen Kirche und ihrer Aufklärer und der Geistlichkeit aus der heiligen Rebe der Nemanjiden“.1147 Es fehlte der Verweis auf heilige Herrscher aus der gleichen „Rebe“. Auch der Patriarch näherte sich in Dankbarkeit gegenüber dem König diesem Diskurs an: Seine Rede gipfelte im Aufruf zum Ruhm „des ganzen Königshauses“ sowie zu dem „Savas und der heiligen Erzbischöfe“ sowie „der heiligen großen Frommen (bogougodnika)“.1148 Ansonsten vermied er aber eine darüber hinausgehende explizite Verbindung des neuen Herrschers mit den Nemanjiden. Der Wunsch nach einer weiteren sakralen Legitimierung der eigenen Herrschaft war sicherlich der Beweggrund, weshalb im Oktober 1924 das Königspaar das Kloster Dečani aufsuchte: Archimandrit Ninković begrüßte und segnete sie „mit dem Kreuz des Königs von Dečani“. Der Klostervorsteher bezeichnete ihn zudem als „obersten Stifter, wie es auch die Nemanjiden gewesen waren“. Er wurde aber noch deutlicher: „An diesem, dem serbischen Volk heiligen historischen Ort (…), haben die Ältesten dieser ­höchsten und schönsten Lavra der Nemanjiden mit dem Kreuz aus dem Ehrenbaum (od časnoga dreva) [des Königs von Dečani, S. R.] alle unseren serbischen Herrscher vom hl. Stefan von Dečani bis zum Herzog Stefan und zu Ivan Crnojević begrüßt und gesegnet (…). Deshalb halte ich mich für besonders glücklich, (…) Eure Hoheit als Rächer des Kosovo, als Befreier und Einiger unseres Volkes und als historisch-rechtlichen Erben des Thrones und der Krone des Nemanjić mit einem herzlichen Gruß zu willkommen zu heißen. Auf diesem zarischen Thron des Nemanjić, auf dem, 1145 1146 1147 1148

Ninković (1923), S. 52. Ninković (1927, 1931). Glasnik, 1.(14.)9.1924, Nr. 17, S. 257 f.; vgl. Srpsko Kosovo, 1.10.1924, Nr. 19, S. 5. Glasnik, 1.(14.)9.1924, Nr. 17, S. 258 – 261.

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dank der Gnade Gottes und des Willens des Volkes, heute Eure Hoheit sitzt, saßen alle unsere alten Herrscher: der hl. Stefan, König von Dečani, Zar Stefan Dušan, Zar Uroš, Fürst Lazar“.

Eine direkte Verbindung des aktuellen Herrschers mit den heiligen Nemanjiden konnte Ninković nicht herstellen. Der Abt verwies sodann auf die Legende, die Zarin Milica habe eine Kerze für die Seele Lazars aufgestellt, die „am Tag, an dem der Rächer des Kosovo und der Befreier des serbischen Volkes nach Dečani komme“, angezündet werden sollte. „[I]hre erste Flamme wird das freudige Zeichen der Seele meines Herrschers sein, dass er an ­diesem Tag mit den Seelen aller seiner Recken, die auf dem Amselfeld fielen, nach Dečani kommt“, um den „Rächer des Kosovo“ zu grüßen. „All dies hat das serbische Volk seelisch gestärkt und es darin überzeugt, dass Dečani von Gott selbst die Rolle und der Anteil am Schicksal des serbischen Volkes zugeteilt worden ist. Und wirklich ist Dečani, als höchstes und schönstes architektonisches und künstlerisches Denkmal ein großer Vertreter unserer Vergangenheit und Zierde der Zukunft unter den Kulturvölkern. (…) Dečani hat in seinem Leben mit dem serbischen Volk den höchsten Ruhm und die Macht des serbischen Zarenreiches gesehen, als Dušan der Starke den Zarentitel trug: ,der Serben, Griechen und Bulgaren und König der Arbanassen‘. Dečani hat während der fünfhundertjährigen Sklaverei sich und das serbische Volk in diesen Gebieten bewahrt. Dečani hat gewartet, dass das Amselfeld gerächt werde, dass sich das Serbentum befreie und vereine, und dass sich das vereinte Serbentum brüderlich begeistere und sich mit unseren Brüdern vom gleichen Blut, den Kroaten und den Slovenen, vereine“.1149

Stand in dem Text von 1922 die Verbindung von Kroaten, Slovenen und Serben am Anfang, so war sie nun ganz der serbischen Geschichte nachgestellt an den Schluss gerückt. Immerhin sollte sie in der Gegenwart erlangt werden: Der Geistliche hatte keine Hemmungen, den neuen Staat als direkten Nachfolger des Reichs der Nemanjiden darzustellen. Damit stellte er sich aber in einen Gegensatz zu Bemühungen der Monarchie, als eine übernationale, jugoslawische Institution zu erscheinen. Die Beschreibung Petars als „Rächer des Kosovo“ wurde bald nicht nur in Belgrad, sondern auch in den neuen Provinzen zu deren Integration in den neuen Staat eingesetzt, etwa in „Südserbien“: Das Titelblatt der seit 1923 in Skopje erscheinenden Jugendzeitschrift „Serbischer Kosovo“ veränderte sich in Aussehen und Funktion im Laufe der Jahre kaum – mit dem Heft zum 15. (28.) Juni 1925, das auch des Veitstages gedachte, wurde jedoch eine Bedeutungsverschiebung vorgenommen und das Kriegsgedenken hervorgehoben. Unter einem Gedicht wurde eine Darstellung des Schlachtfeldes gedruckt, auf der Opfer des beginnenden 20. Jh. neben aus dem Boden ragenden Knochen offenbar des 14. Jh. gezeichnet waren. Serbische Heldenfiguren umrankten nun das Titelblatt, in der Mitte wurde eine Abbildung König Petars als „Rächer des Kosovo“ angebracht.1150

1149 Glasnik, 15.(28.)10.1924, Nr. 20, S. 311 – 313. 1150 Srpsko Kosovo, 15.(28.)6.1925, Nr. 13 – 14, S. 1.

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Aber auch in Bosnien und Herzegowina wurde auf Nemanja verwiesen und sei es im Diskurs über Sava: Dr. Jevto Prnjatović sagte 1928 zum Gedenken an Sava im Priesterseminar in Sarajevo, Nemanja seien „starke materielle Bedingungen zur Entwicklung und zum Fortschritt des serbischen Staates“ zu verdanken. Dessen „Konsolidierung“ habe die „Individualisierung des Lebens des serbischen Volkes“ hervorgerufen. „Denn es war nötig, dass ein Unterschied zwischen Serben und Bulgaren gut fühlbar wurde, und insbesondere zwischen Serben und Griechen, damit sich eine nationale Individualität möglichst vollständig entwickelte. Und sie gestaltete sich heraus.“ 1151 Nemanja wurde hier zum bewussten Initiator einer Herstellung nationaler Identität in der reflektierten Abgrenzung von nahen Verwandten und Nachbarn. So sehr diese Analyse im Weiteren auf die Gegenwart gemünzt war, enthielt der Text dennoch keinen ausdrücklichen Verweis auf die neuen Herrscher. Über den wichtigen, aber singulären Besuch des Königs in Dečani hinaus blieben die Verbindungen der Herrschaft der neuen Dynastie mit den Nemanjiden in der Publizistik Jugoslawiens und auch der SOK zunächst selten. Allerdings mehrten sie sich mit der Einrichtung der Königsdiktatur 1929. D 8.2  Die Festigung des Verweises auf die Nemanjiden und Aleksandar als ,Märtyrerkönig‘

Beispielsweise schrieb der kurz zuvor eingesetzte Patriarch Varnava zu Ostern 1930 einerseits über „die großen serbischen Heiligen, den hl. Sava, Arsenije, Maksim, Janićije, Makarije und andere“. Die heiligen serbischen Könige blieben auch hier unerwähnt, aber Varnava stattete in derselben Ansprache sehr wohl die Herrschaft der neuen jugo­ slawischen Könige mit göttlichem Segen aus und sakralisierte sie annähernd im Vergleich mit Moses und der Jugoslawen mit Israel.1152 Eine nachdrückliche Inszenierung der neuen Königsherrschaft vor dem Hintergrund alter dynastischer religiöser Erinnerungsfiguren war die erneute Weihe der Grablege der Dynastie: König Aleksandar hatte nach dem Ende des Ersten Weltkrieges ihre Erneue­rung geplant und das Innere mit zahlreichen Mosaiken ausstatten lassen: Das Bildprogramm in dem Gebäude sowie in der Krypta war das Ergebnis langwieriger kunsthistorischer Arbeiten, in deren Verlauf Ikonen und Fresken auf dem Gebiet des neuen Staates gesammelt worden waren. Fünf Maler waren „jahrelang“ in Serbien 1151 Prnjatović (1928), S. 28 f. 1152 „Aber mehr als alle anderen von uns, waren während der schwersten Tage unseres ­Golgatha wahrlich durchdrungen von Gott die auserwählten und gottgeschützten Führer des Volks König Vater und Vereiniger Petar I. und Sein Sohn, heute unser erhabener Herrscher und König ­Aleksandar I. Sie führten unser Volk, wahrlich ganz wie der Prophet Moses gemäß dem Höchsten Willen das israelitische Volk geführt hat, auf den schwierigsten und gefährlichsten Wegen ins gelobte Land – in unser wunderbares und freies Jugoslawien.“ Glasnik, 1.(14.)5.1930, Nr. 9, S. 131 f.

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unterwegs und kopierten zu diesem Zweck Abbildungen „in mehr als 60 unserer alten, mittelalterlichen Kirchen und Klöster“, wie ein im Staatsverlag 1935 erschienenes Büchlein über die Kirche berichtete.1153 Zum Zeitpunkt der Einweihung 1930 war dieser Vorgang noch abgeschlossen, im Chor suggerierten Vorzeichnungen auf Karton 1154 das Gesamtkunstwerk. Tatsächlich wurden etwa die hll. Sava (wie im Kloster Mileševa) und Simeon (gemäß Studenica) sowie die Krönung Stefans des Erstgekrönten durch Sava (Hilendar) in der Kirche reproduziert. Die ganze Reihe der serbischen heiligen Herrscher wurde in das Programm aufgenommen, einschließlich des Fürsten Lazar und des Despoten Đorđe Branković.1155 Alle trugen den Heiligenschein, auch wenn sie sich in der Tradition nicht als Heilige hatten durchsetzen können, wie Stefan Dušan.1156 Eine Reproduktion der nemanjidischen „heiligen Rebe“ blieb aber aus. Möglichst alle im Lauf der Jahrhunderte mit der heiligen Dynastie der Nemanjiden oder der auf ihrem Herrschaftsgebiet verehrten „südslavischen“ Heiligen fanden Aufnahme, so auch Kyrill und Method, Kliment, Gorazd, Petka, Prohor , Jovan Bigorski und zahlreiche weitere.1157 Die Krypta sollte nach dem Vorbild von St. Denis, der Ruhestätte der französischen Könige, gestaltet werden.1158 Um den Altar waren zahlreiche „verehrte alte serbische Fahnen“ der jüngsten Kriege ausgestellt.1159 Die Kirche sollte so in der materiellen performativen Nachahmung eines überaus prestigeträchtigen westeuropäischen Vorbilds ein Maximum an kulturellem Kapital generieren und zum Symbol ganz Serbiens, keines­ wegs aber Jugoslawiens werden. Der historistische Bau steht für die intensiven Be­­ mühungen der neuen Dynastie, Traditionslosigkeit durch den nachdrücklichen Verweis auf die Nemanjiden und die sakrale politische Kunst des Mittelalters zu kompensieren. Die Eröffnungsfeier verband das ganz bewusst entworfene Symbol mit der so­­zialen Praxis der monarchischen, staatlichen, militärischen, kirchlichen und bürgerlichen Feier: Am 8. September 1930 wurde die königliche Grablege, die Georgskirche auf dem Berg Oplenac bei Topola, in Gegenwart der Königsfamilie, von Regierungsmitgliedern sowie zahlreicher Militärs und Geistlicher, aber auch lokaler Dorfbewohner eingeweiht. Am gleichen Tag wurden die Gebeine „des Führers Karađorđe“ feierlich dorthin überführt. Der nicht genannte Berichterstatter der „Politika“, die mit drei ­vollen Seiten sowie zahlreichen Fotografien die Aufmerksamkeit der Leserschaft auf das Ereignis lenkte, schrieb von der „schönsten Kirche der Orthodoxie“ und einem „Volksheiligtum (­narodne svektovine)“.1160 Patriarch Varnava sprach sodann vor Ort allgemein über das 1153 1154 1155 1156 1157

Crkva sv. Đorđa na Oplencu, S. 26. Jovanović (1989), S. 98. Crkva sv. Đorđa na Oplencu, S. 55 f. Crkva sv. Đorđa na Oplencu, Tafeln im Anhang ohne Nummerierung. Ausführlich zur inneren und äußeren Gestaltung der Gedenkkirche: Jovanović (1989). Zu den hier genannten Heiligen: Jovanović (1989), S. 87, S. 166, S. 174, S. 178. Vgl. Crkva sv. Đorđa na Oplencu, Tafeln im Anhang ohne Nummerierung. 1158 Crkva sv. Đorđa na Oplencu, S. 28. 1159 Crkva sv. Đorđa na Oplencu, S. 44. 1160 Politika, 9.9.1930, Nr. 8025, S. 1; vgl. Jovanović (1989), S. 98 – 101.

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„Ideal aller unserer bedeutenden Herrscher des Mittelalters, der neuen und der neu­esten Geschichte“ – dass das Volk sich „befreie und vereinige“ in einem Staat, genauer im „heutigen Jugoslawien“. Aber beim Lob der Grablege nannte er das wichtigste historische Herrschergeschlecht beim Namen: „Weder das goldene Zeitalter der ­Nemanjiden, noch die Zeitalter der übrigen Völker hatten bis heute eine strahlendere Kirche mit reicheren Mosaiken bzw. Fresken im Innern.“ Indem Varnava zudem eine Aussage eines Chronisten des 15. Jh., der Grablegen der Nemanjiden gelobt hatte, auf die neue Grablege der Karađorđević übertrug, bekräftigte er die Vorstellung einer Kontinuität ­zwischen den gänzlich zusammenhangslosen Dynastien.1161 Die ausdrückliche Ver­bindung der gegenwärtigen Dynastie mit den Nemanjiden beschränkte sich bei Varnava aber nur auf diesen architektonischen Bereich und wurde nicht etwa auf das politische oder das sakrale Feld ausgeweitet: Varnava sprach in diesem Diskurs nicht von explizit heiligen Königen. Immerhin war Petar Karađorđević als Stifter der Kirche gleichfalls mit einem Mosaik in dem Gotteshaus vertreten (Abb. 24). Im Propagandafilm „Die Legende von Oplenac“, der 1932 gedreht wurde, wurden auch das Mausoleum und seine Mosaikbilder gezeigt: Die neue Dynastie sollte auch in diesem neuen medialen Rahmen als Erneuerung der mittelalterlichen Herrscher dar­gestellt werden. Der eingeblendete Kommentar betonte gleichzeitig die angeb­ liche Nähe des Monarchen zum Volk. Eine gleichfalls wiedergegebene Begegnung des Königs mit dem bulgarischen Zaren Boris III. auf dem Hügel Oplenac stand für die Versöhnung und wechselseitige Anerkennung sowie Legitimierung der beiden orthodoxen Herrscher.1162 Auch die Geschichtsschreibung nahm sich der alten Dynastie an. Dabei spielte eine angepasste Form des seit dem 19. Jh. vorherrschenden staatstragenden Historismus eine entscheidende Rolle: Etwa der Professor für Nationalgeschichte der Uni­ versität Belgrad Stanoje Stanojević vergegenwärtigte Nemanja 1933 in einem geschichts­ wissenschaftlichen Aufsatz, indem er ihn so beschreiben zu können glaubte, als ob er ihm selbst begegnet sei: „Nemanja war ein Mensch riesigen Wuchses und von imposantem Äußeren, kräftig, gesund und ausdauernd, ambitiös und unternehmerisch, voller Arbeitswille, ein ausgezeichneter Organisator, ein eminentes politisches Temperament und Talent.“ 1163 Im selben Tonfall schloss er seine Skizze, als er beschrieb, wie sich angeblich „um die Person Nemanjas der Kult eines großen Menschen“ herausgebildet habe. Er schrieb dessen „Nachkommen“ zu, sie hätten geglaubt, dass „alles von ihm aus und mit ihm begann, der Staat, das religiöse Leben, die Aufklärung, die Kultur des serbischen Volkes“. Indem Stanojević einen mittelalterlichen säkularen Personenkult um Nemanja imaginierte („Deshalb ist es ganz natürlich, dass sich um die Person Nemanjas der Kult eines großen Menschen bildete (kult velikog čoveka).“), förderte er die aktuelle Erinnerung an ihn als die angeblich „bedeutendste politische Persönlichkeit“

1161 Politika, 9.9.1930, Nr. 8025, S. 3. 1162 Marković (2001), S. 589. 1163 Stanojević (1933), S. 7.

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des serbischen Mittelalters.1164 Religiöse Aspekte des Kultes, die aus den in der Broschüre vorgängig aus historischen Quellen zitierten Sätzen deutlich hervorgingen, blendete Stanojević im Rahmen seiner Zusammenfassung aus. Stattdessen projizierte er ein modernes historisches Bewusstsein um ein „nationales Leben“ auf die serbischen Dynasten des Spätmittelalters. Am 9. Oktober 1934 wurde König Aleksandar in Marseille durch die VMRO in Kooperation mit der kroatischen Ustaša ermordet. Die „Politika“ gedachte seiner tags darauf als „Märtyrerkönig“, „Sieger von Kumanovo und Rächer Kosovos“.1165 Bischof Nikolaj Velimirović führte diese Vorgaben zwei Wochen später fort: In seiner „Ansprache über den Märtyrerkönig“ stellte er den König aber auch in einen engeren Zusammenhang mit den Nemanjiden und Sava: „Das Erbe des Nemanjić lag dem König besonders am Herzen“, die „heiligsavischen Könige“ habe er verehrt.1166 Immerhin war aber für Velimirović in Wirklichkeit „das Volk der geistige Erbe des Nemanjić“. Offenbar an­ gesichts der Täterschaft war es dem Bischof ein Anliegen, Jugoslawien als „Vaterland, aber kein Imperium“ darzustellen. „In dem Land unserer Väter, das jahrhundertelang unter asiatischer und europäischer Sklaverei war, haben sich sogenannte nationale und religiöse Minderheiten angesiedelt. Der König bemühte sich immer darum, dass die Mehrheit die Minderheit nicht unterdrückt und dass die Minderheit nicht gegen den Staat, das Land unserer Väter, eingestellt ist.“ Der „Balkan“, der viel erlitten hatte, sollte unter seiner Herrschaft „befriedet und vereinigt“ werden.1167 Erneut wurde osmanische Fremdherrschaft beschworen und als Grundlage aktueller regionaler politischer Projekte eingesetzt: Jugoslawien sollte unter diesem Blickwinkel als postkolonialer Staat und Opfer Europas wie der Osmanen legitimiert sein. Im Jahr des Jubiläums Savas stand dieser Heilige ganz im Zentrum des medialen Interesses, sodass seine Wirkung auch auf die Herrscher thematisiert wurde. Der bereits genannte Pädagoge, Religionspsychologe und Universitätsprofessor in Skopje, Prvoš Slankamenac, der 1925 auch Sekretär der „Skopjoter Wissenschaftlichen Gesellschaft“ war,1168 umriss die Rolle serbischer Herrscher als Heilige in einer Rede über den hl. Sava 1935 prägnant. Er hielt die für die Vergangenheit beobachteten „Kulte“ um Nemanja und seine Nachfolger für „feste Pfeiler der serbischen Orthodoxie“ der Gegenwart und 1164 „Nemanja war die bedeutendste politische Persönlichkeit in der mittelalterlichen Geschichte des serbischen Volkes. (…) Deshalb ist es ganz natürlich, dass sich um die Person Nemanjas der Kult eines großen Menschen bildete (kult velikog čoveka). Seine Nachkommen waren der Ansicht, dass alles von ihm aus und mit ihm begann, der Staat, das religiöse Leben, die Auf­ klärung, die Kultur des serbischen Volkes. Alles, was vor ihm war, und alle Traditionen darüber, fielen in Vergessenheit. Nemanja stand im Bewusstsein seiner Nachkommen am Anfang des serbischen staatlichen und nationalen Lebens, für sie begann mit Nemanja die Geschichte des serbischen Volkes.“ Stanojević (1933), S. 40. 1165 Politika, 10.10.1934, Nr. 9482, S. [6]. 1166 Nikolaj Velimirović. Sabrana dela 8, S. 359 – 365, hier S. 362. 1167 Nikolaj Velimirović. Sabrana dela 8, S. 363. 1168 Jovanović (2002), S. 341.

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für „einen der grundlegenden Faktoren des serbischen nationalen Denkens (narodne misli) und der nationalen Ideologie (nacionalne ideologije)“.1169 Noch ausdrücklicher als im vorangegangenen Beispiel diente hier die Analyse mittelalterlicher Geschichte dazu, eine moderne Ideologie für die Gegenwart und Zukunft zu formulieren und quasi wissenschaftlich zu legitimieren. Universitätsprofessor Dr. T. Titov, über den nichts Weiteres bekannt ist, ging zum ­gleichen Anlass in der in Sarajevo erscheinenden Zeitschrift „Neuer Quell (Novi ­Istočnik)“ des örtlichen orthodoxen Bistums weiter: In einem Beitrag mit dem Titel „Der heilige Sava Nemanjić und König Aleksandar Karađorđević“ führte er „wichtigste Momente der Parallelen“ der beiden Biographien an. Indem er Sava als „Nemanjić“ einführte und aus seinem Leben ein „Programm“ ableitete, das „zum Leitgedanken aller nachfolgenden Nemanjiden wurde“, stellte er den Heiligen stärker als in anderen Texten in den Zusammen­hang der Herrscherdynastie. Die Zusammenstellung liest sich auch als Versuch, den verstorbenen König Aleksandar als heilig darzustellen: So betonte er seine ­Frömmigkeit und schilderte ausführlich die Ausstattung der bereits von ­seinem Vater erstellten und nun von ihm fertiggestellten Georgskirche auf dem Oplenac-­Hügel.1170 ­Aleksandar habe ausgewählte Maler „beauftragt, alle alten serbischen Klöster“ aufzusuchen und „alle wichtigsten Malereien“ festzuhalten. Mit den auf ihrer Grundlage erstellten Mosaiken, die die gesamte Kirche füllten, wurde diese „zum er­­habensten Pantheon, in dem alle besten und originellsten Gemälde der mittelalter­lichen serbischen Malerei gesammelt“ sind. Die Rede vom „Pantheon“ machte die ­Kirche zu einem welt­lichen Tempel der Nation. Der König habe sich dabei ausdrücklich gegen „modernistische“ Ornamente ausgesprochen, worauf man ihn hinwies, dies seien Elemente, die bereits in Sopoćani verwendet worden seien. Im „Geiste Savas“ blieb ­Aleksandar auch weiterhin ein ­Kirchenerbauer, etwa derjenigen in Dedinje am Bel­grader Königshof.1171 Außerdem teile Aleksandar mit Sava den Patriotismus und er sei „ein Vertreter der reinsten slavischen Rasse“.1172 Zudem habe er sich mit „übermensch­lichen An­­strengungen“ um die slavische Einheit eingesetzt und beide seien „südslavische Eltern“, die sich um „Entwicklung und Fortschritt ihres Volkes“ kümmerten. Er konnte auch auf bereits bestehende Verknüpfungen der Erinnerungskulturen hinweisen: „Jedes Jahr haben am Tag des hl. Sava mehr Studenten der jugoslawischen Universitäten die großen Preise des Königs für ihre Werke erhalten“. Der Beitrag endete mit einem Ruf zum Ruhme sowohl Savas als auch Aleksandars, des „Schöpfers Jugoslawiens“.1173 Der Text bezeugt Bemühungen eines Universitätsdozenten, in der offiziellen Zeitschrift der SOK in Sarajevo die Verehrung Aleksandars in einen untrennbaren Zusammenhang mit dem hl. Sava zu stellen und ihn möglichst selbst zum Heiligen zu erklären.

1169 1170 1171 1172 1173

Slankamenac (1935), S. 227. Titov (1935), S. 302 – 304. Titov (1935), S. 302 – 304. Titov (1935), S. 298 – 301. Titov (1935), S. 305 f.

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Mobilisierung und Sakralisierung der Nation

Die Verbindung Savas mit Aleksandar machte Schule: Auch in „Südserbien“ wurden in diesem Jahr Sava und Aleksandar I. als Einheit gedacht. Prof. Dr. Radoslav Grujić erklärte im Rahmen der Feierlichkeiten an der Philosophischen Fakultät Skopjes in seiner Rede mit dem Titel „Der hl. Sava als geistlicher Führer seines Volkes“ „große Leute“ zu den wichtigsten Faktoren des „Schicksals des Volkes“.1174 Obschon Grujićs Wahl, über „Führer“ der Nation zu schreiben, nicht aus dem diskursiven Kontext über damalige „Führer“ wie Mussolini, Hitler und Stalin gelöst werden kann, verwies er nicht auf diese, sondern zunächst auf den ermordeten König Aleksandar I. Er erklärte diesen dabei zwar nicht zum Heiligen im traditionellen Sinn, sehr wohl aber zum „Leitstern“: „Es ist ihnen nur gelungen, seinen großen Geist vom sterblichen Leib zu trennen und ihn unter die glänzendsten Leitsterne des menschlichen Fortschritts umzusiedeln.“ 1175 Anschließend nannte er ihn doch auch einen „großen Märtyrerkönig“ – zu einem regulären Nationalheiligen wurde er hier jedoch noch nicht verklärt. Wie bereits gezeigt, verband Patriarch Varnava zum Vidovdan 1936 auch die Verehrung des ermordeten Königs Aleksandar mit dem Diskurs: Zu diesem Tag gelte es, Jugoslawien zu „hüten“: „Alle gemeinsam, die Serben, die Kroaten und die Slowenen (…) bitten wir Gott, dass uns der Geist unserer Riesen (velikana), des hl. Sava, des Fürsten Lazar und des Königs Aleksandar nie verlasse“.1176 Der Kirchenfürst stellte Aleksandar hier gleichrangig mit den wichtigsten Heiligen der serbischen ortho­doxen Kirche dar. Er übernahm damit die zunächst von anderen Geistlichen vorbereitete Verbindung des Königs mit dem Kosovomythos. Diese Verbindung sollte sich 1939 weiter festigen: Wurde 1935 Savas Verehrung auch zur Plattform des Diskurses über die Nemanjiden und die Monarchen der Gegenwart, galt das Gleiche für das Jahr des Jubiläums der Schlacht auf dem Amselfeld: Dušan Nikolajević, von 1921 an Präsident des jugoslawischen Journalistenverbandes und 1935 Belgrader Stadtrat, legitimierte 1939 in seiner Broschüre, die er zum 550. Jahrestag des Ereignisses veröffentlichte, das Herrscherhaus durch dessen angebliche Nähe zur „Kosovoreligion“: Der führende Publizist beschrieb damit nicht die traditionelle byzantinische „symphonia“ zwischen Kirche und Staat“, sondern eine solche zwischen der Dynastie und der „Kosovoreligion“. Die „nationale Dynastie“ habe die Helden stets verehrt und „gemeinsam mit dem Volk“ „die Geschichte“ fortgesetzt. Insbesondere der königliche Statthalter Pavle propagiere den „Kult“ im Sinne Carlyles.1177 Nikolajević band auch Stefan Nemanja in sein Konstrukt ein. Dabei ließ er 1174 1175 1176 1177

Grujić (1935b), S. 208. Grujić (1935b), S. 208. Politika, 29.6.1936, Nr. 10092, S. 3. „Die nationale Dynastie der Karađorđevići hat immer ein weises Verständnis und eine warme Erinnerung des Kosovoschmerzes und des Heldenruhms gezeigt. Indem sie mit herrscherlicher Weisheit den Heldengeist unseres mächtigen Zarenreiches in der Vergangenheit und die Pietät gegenüber den gefallenen Helden auf dem Kosovo hegte, hat sie immer ihre grenzenlose Liebe zur Geschichte ausgedrückt, die sie, gemeinsam mit dem Volk, fortsetzt. Als Seine Königliche Hoheit der Fürstenstatthalter Pavle die Schirmherrschaft übernahm, hob er die Notwendigkeit eines Heldenkultes hervor. Wie uns alle diese Geste Seiner Königlichen Hoheit des

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traditionelle religiöse Elemente der Heiligenverehrung bestehen, verwendete sie aber ganz zur Sakralisierung des Staates: „Im Himmel denkt Simeon ständig an den Staat, während hier, auf Erden, seine staatsschaffenden (državotvorne) Reliquien sind. Dies ist das Hauptmysterium des Stefan Nemanja.“ 1178 Diese „staats­generierende“ Quali­ tät der Gebeine, die sich etwa in der Verteidigung der Staatsgrenzen durch sie zeigen sollte, war auch in den Augen Nikolajevićs nicht mit üblicher Religion zu erklären.1179 Er machte die Knochen nicht nur zu „Pfeilern des Staates“, sondern auch zum Sprachrohr des heiligen „Staatsschöpfers“. Die Wunderwirkung der Gebeine Nemanjas war bereits in seiner Vita auf politische Zusammenhänge konzentriert. Indem der einflussreiche Journalist die Reliquien zu „Pfeilern des Staates“ machte – und eher sie verehrte denn Nemanja als lebendigen Heiligen im Jenseits selbst – veränderte er aber traditionelle Vorstellungen der Heiligenverehrung wesentlich. Zudem war das Ziel des Kultes der Staat, zum „Ruhm“ eines nationalisierten „Gottes unserer Geschichte“, nicht aber Gott oder die Gemeinschaft der Gläubigen.1180 Als Führer des wichtigsten jugoslawischen Journalistenverbandes machte sich Nikolajević für eine kroatischerseits kaum akzeptable ideologische Aufladung der Rolle der serbischen Dynastie stark. Mit der Absetzung des Regentschaftsrates durch die deutsche Besatzung 1941 kam auch die affirmative Beschreibung der Monarchie in Jugoslawien zu einem Ende. Folglich wurden schon bald nach dem Ersten Weltkrieg erste Schritte in Richtung einer Sakralisierung der Monarchie in der weltlichen wie in der kirchlichen serbischen Presse unternommen. Die Referenz auf den Kosovomythos war dabei zunächst wich­ tiger als die auf die frühere Dynastie der Nemanjiden. 1924 eignete sich das Königspaar die erneuerte Verehrung Stefans von Dećani an. Weitere erinnerungspolitische Schritte sollten die neue Dynastie legitimieren: Die Verehrung Nemanjas als Staatserbauer, die sich schon im 19. Jh. entwickelt hatte, überlappte sich mit der religiösen Darstellung der spätmittelalterlichen Dynastie in der Grablege der Karađorđević. Im Rahmen des Jubi­ läums Savas 1935 wurden die neuen Könige mit ihm verglichen. Die orthodox-­nationale Konnotation des Staates blieb aber trotz der alten und intensiven Sakrali­sierung serbischer

Fürsten­statthalters Pavle ermutigt! Er versteht weise und begeistert diesen Kult, von dem die Geschichtsphilosophie Thomas Carlyles durchdrungen ist, dieses Religionsanhängers (religioznika) und Verehrers historischer Helden.“ Nikolajević (1939), S. 9. 1178 Nikolajević (1939), S. 20 f. 1179 „Diese Reliquien sind nicht verbraucht wie die Gebeine des Heiligen aus der Epoche des Despoten Đurađ Branković. Die Reliquien des Nemanja haben eine unverständliche Vitalität. Und Willen. Die Materie, der Körper des toten Nemanja, lebt nicht nur, sondern hütet und führt den Staat. Die Gebeine des Nemanja sind nicht nur ein Symbol, sondern vielmehr eine Realität. Sie sind nicht wundertätig im üblichen Sinne. Sie heilen nicht Kranke und Verwünschte. Sie sind vielmehr wundertätig, insofern sie staatsschaffend sind. Sie verteidigen den Frieden im Land (u zemlji) und schützen seine Grenzen.“ Nikolajević (1939), S. 20 f. 1180 „Seine Knochen sind die Pfeiler des Staates, und aus dem Sarg befiehlt der Staatsschöpfer, dass das Land stark sein soll, zum Ruhme des Gottes unserer Geschichte (u slavu Boga naše istorije). Himmel und Staat sind aus diesen Materialien.“ Nikolajević (1939), S. 20 f.

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Herrscher eher schwächer ausgeprägt als die Verehrung des damaligen bulgarischen Zaren. Der Charakter Jugoslawiens als multireligiöser Vielvölkerstaat hätte eine stärkere Sakralisierung nur noch schlechter ertragen können. Als wenig erfolg­reicher und nahezu einziger Akteur der Sakralisierung erwies sich die serbische orthodoxe Kirche, die sich auf diesem Weg auch gegen den Willen säkularer Politiker oder ­Monarchen gesellschaftlichen und politischen Einfluss sichern wollte. Diskurse über Jovan Vladimir spielten kaum eine Rolle bei den Versuchen, die ­Monarchie zu festigen. Bischof Nikolaj Velimirović von Ohrid gab zu Ehren des Hei­ ligen 1925 zu seinem 900. Todesjahr in einem „Lesebuch“ Texte heraus, die etwa auch die Heilung eines „türkischen Mädchens“ 1181 durch Jovan Vladimir sowie die Klöster Elbasan und Naum im Zusammenhang mit ihm und Boris I. schilderten.1182 In erster Linie sollten diese Texte bulgarische Deutungen aushebeln und Makedonien in einem zweiten Schritt für Serbien beanspruchen. Hierfür steht insbesondere die Feststellung Velimirovićs im Nachwort, „in der serbischen Geschichte“ sei Vladimir nur mit Lazar zu vergleichen.1183 In einer undatierten Ansprache in der Belgrader Kathedrale diskreditierte er, derselben Argumentationslogik folgend, nationale und religiöse Vereinnahmungen des Heiligen zunächst: „Albanien ehrt ihn bis heute als seinen größten Heiligen und Beschützer und ist glücklich, seine Gebeine zu hüten. Die Griechen verehrten ihn mit Hymnen als Großmärtyrer und als Spross ihrer Kultur. Bulgarien nennt ihn den eigenen und vereinnahmt ihn für sich selbst. Die Katholiken haben mehrfach versucht, seinen Leichnam über das Meer zu sich zu holen. Muslime verneigen sich vor ihm als ihrem großen Wundertäter und Heiler. Die alten Serben schmücken sich mit ihm und nennen ihn ihren Stammesvorfahren, Staatserbauer, König und Heiligen.“ 1184

Ohrid beschrieb er als „Wiege des slavischen Glaubens“.1185 Trotz dieser Abkehr vom Nationalen sollte aber Vladimir wenige Passagen später als „serbischer Patriot (­rodoljub)“ gelten.1186 Einer der einflussreichsten serbischen Historiker, Vladimir Ćorović, schrieb dem Herrscher, dessen Heiligkeit er nicht thematisierte, in seiner „Geschichte Jugo­ slawiens“ im Kapitel „Der Staat der makedonischen Slaven“ das Verdienst zu, dass als Folge der Zugehörigkeit der Zeta und Rasziens zum Patriarchat von Ohrid unter ­seiner Herrschaft „wichtige und direkte Verbindungen zwischen Makedonien und unseren übrigen Gebieten, namentlich zwischen Makedonien und der Zeta, entstanden“.1187

1181 Velimirović (Hg.) (1925), S. 66. 1182 Velimirović (Hg.) (1925), S. 47 f. 1183 Velimirović (Hg.) (1925), S. 69; vgl. Nikolaj Velimirović. Sabrana dela 8, S. 674 – 696. 1184 Nikolaj Velimirović. Sabrana dela 8, S. 667 – 678, hier S. 674. 1185 Nikolaj Velimirović. Sabrana dela 8, S. 675. 1186 Nikolaj Velimirović. Sabrana dela 8, S. 677. 1187 Ćorović (1933), S. 65.

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D 9  ,Heilige Heimat‘ und nationale Götter – Bulgarien, Serbien und Makedonien als religiös-nationale Erinnerungsräume

Wie im entsprechenden Teil des vorhergehenden Hauptteils zum ,langen 19. Jh.‘ ­sollen nun weitere Texte besprochen werden, die ganze Klosterkomplexe oder Regionen wie Makedonien bzw. Südserbien insgesamt im Zusammenhang mit religiösen Erinnerungsfiguren als geographische Räume imaginierten. Das Augenmerk richtet sich auf Diskurse der Sakralisierung von Territorien und der Legitimierung ihrer nationalstaatlichen Beherrschung. Gerade im Rahmen des Gedenkens an Sava oder einzelne ­Klöster wurden auch immer wieder Konzentrationen vorgenommen, in denen die einzelnen Erinnerungsfiguren zu einem einzigen „Gedenken“ gebündelt wurden. Auch Texte zu einzelnen Klöstern, die für den jeweiligen nationalen Haushalt von Wichtigkeit waren, werden hier exemplarisch untersucht. Im Zentrum des Interesses stehen übergreifende Bemerkungen zur Rolle von Klöstern sowie die Imaginierung räumlicher Zusammenhänge durch reli­ giöse Erinnerungsfiguren wie etwa die Entwicklung der Rede von der ,heiligen Heimat‘. Andere Aspekte der Sakralisierung des Kosovo, die untrennbar mit dem Amselfeld und damit mit einem räumlichen Bezug verknüpft war, wurden bereits behandelt. D 9.1  Von der ,heiligen serbischen Erde‘ zum ,himmlischen Serbien‘

Nach dem Weltkrieg schauten viele Wortführer der serbischen Eliten mit Freude in die Vergangenheit, konnten doch im Rahmen Jugoslawiens Gebiete wie Makedonien nun als „Südserbien“ und Kosovo als „Altserbien“ in den serbischen Zusammenhang einge­ordnet werden. Dieser Vorgang wurde rhetorisch unterstützt, indem auch der Heimat­diskurs weiter aufgeladen wurde: Der bereits zitierte Jurist und Vorsitzende der „Abteilung“ der „belletristisch-journalistischen Abteilung des Ausschusses zur Feier des Vidovdan in Ruma“, Dr. Stevan Dobričić, schrieb in einer Broschüre des Komitees 1919 von dem Gedenken als Erinnerung an nun erfüllte, vorgeblich jahrhundertealte Wünsche. Damit ging er von einer völlig neuen Perspektive aus. Dobričić machte den Tag zum Mittelpunkt des nationalen „Glaubens“ an die nationale serbische „Auf­erstehung“.1188 Der Tag wurde mit ihm zur Gelegenheit und öffentlichen Plattform für natio­nale, an sakrale Formen angelehnte Gelöbnisse. Neu war die Rede vom „Altar unserer Heimat“: „Erhöhen wir den Ruhm unseres größten Volksfeiertages, indem wir uns an diesem Tag geloben, dass wir all unsere Kraft und Stärke und auch unser eigenes Leben auf den Altar der nationalen (narodne) Freiheit und unserer Heimat legen werden!“ 1189 Die Jugendzeitschrift „Serbischer Kosovo“ beschwor zum Vidovdan des Jahres 1921 das „heilige serbische Land“,

1188 Spomenica proslave, S. 5. 1189 „Erhöhen wir den Ruhm unseres größten Volksfeiertages, indem wir uns an diesem Tag geloben, dass wir all unsere Kraft und Stärke und auch unser eigenes Leben auf den Altar der nationalen (narodne) Freiheit und unserer Heimat legen werden!“ Spomenica proslave, S. 7.

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für das die serbischen Krieger gefallen seien.1190 Das Titelblatt der Zeitschrift besang damals die „Heilige serbische Erde“: Diese sollte den Gefallenen nicht „schwer“ sein, seien sie doch aus ihr geformt worden.1191 War in der frühen Neuzeit über Lazar geschrieben worden, dieser habe auf dem Schlachtfeld „mit seinem Blut die Erde geheiligt“,1192 so war nun von einer nationalisierten Vorstellung die Rede. Der Tod der Krieger wurde hier nicht religiös memoriert, dennoch wurde er angeblich im Gedenken der Lebenden (Serben) überwunden. Serbien (oder nur das Amselfeld?) wurde hier je nach Lesart insgesamt als „heiliges“ Land imaginiert – das Kosovofeld nahm in diesem Raumkonzept keine explizit hervorragende Stellung ein, stand aber durch die Platzierung des Textes im Kontext mit den genannten Abbildungen ­Gračanicas sowie des Grabs Murads zweifellos in seinem Zentrum. Am 1. Juni 1925 fand in der seit 1924 in Skopje erscheinenden Jugendzeitschrift das Gedicht „­Gračanica“ Platz, das angeblich auf Erinnerungen an das Jahr 1915 zurückging. Hier wurde das Kloster zum Zentrum des Amselfelds und der Region Kosovo bzw. zum „Stern“ und erneut zum „Altar der Heimat“ stilisiert.1193 Die räumlich hergestellte Vorstellung einer sakralisierten Nation erfolgte tat­ sächlich meist im Zusammenhang mit dem Kosovo: Auch die Wiederreinrichtung des Patri­archats von Peć im Jahre 1920 und die Einsetzung des Patriarchen Dimitrije am 28. August 1924 wurden als gesamtstaatliche, serbische beziehungsweise jugoslawische Ereignisse inszeniert. In zweiter Linie wurde der Anlass insbesondere in der Bericht­erstattung des „Serbischen Kosovo“ mit spezifischer regionaler Be­­deutung aufgeladen: Ein Beitrag unter dem Pseudonym „ein Friedensliebender“ mit dem Titel: „Freue dich, serbisches Zion!“ in dem diesem Ereignis gewidmeten Heft der Zeitschrift verkündete, diese „Erfüllung der kirchlich-nationalen Tradition“ verheiße „neuen nationalen Ruhm und Größe“ für das „vereinigte dreinamige Volk unseres großen Vaterlandes“ unter „dem ritterlichen König“.1194 „Nationaler Ruhm“ bedeutete hier religiöse Erfüllung, Serbentum – Orthodoxie. Das serbische Volk wurde nun 1190 „Ruhm euch, den für das Serbentum gefallenen Kämpfern! / Euch hat der Tod nicht gewollt, / Wegen euren unsterblichen und heroischen Taten, / So lebt ihr, Treffliche, in unseren H ­ erzen / (…) / Das heilige serbische Land sei euch nicht schwer“. Srpsko Kosovo, 15.(28.)6.1921, Nr. 12 – 13, S. 1. 1191 Srpsko Kosovo, 15.6.1921, Nr. 12, S. 1. 1192 Srbljak 2, S. 140. 1193 „Auf dem heiligen Amselfeld erscheint ein Stern, (…). / (…) / Das war kein Stern, sondern Gračanica, / die ewige Stiftung des heiligen Zaren Lazar… / (…) / Solange die Welt, die Jahrhunderte, die Serben dauern; / Solange Adler die Berge in der Höhe umkreisen – / Gračanica ist der Stolz aller Generationen / Es wird ewig heilig sein, der Altar der Heimat…“ Srpsko Kosovo, 1.7.1925, Nr. 11, S. 1. Eine Zustandsbeschreibung des Klosters: Popović (1927). 1194 „Die feierliche Einführung unseres ergrauten Patriarchen auf den alten Thron unserer gerühmten Patriarchen von Peć ist nicht nur die Erfüllung der kirchlich-nationalen Tradition, sondern auch des heiligen Geheißes der unsterblichen Riesen: ,Liebt das Serbentum, liebt die Orthodoxie‘! Der Tag der Inthronisierung des Patriarchen des erneuerten Patriarchats von Peć ist der Tag unseres nationalen (narodne) Ruhms und verheißt neuen nationalen Ruhm und Größe… Freue dich, serbisches Zion! Mit dem ritterlichen König an der Spitze freue sich mit himmlischer

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als moderne Nation zum Gottesvolk Zion stilisiert – es war aber das dreieinige Volk des SHS -Staates, das mit „himmlischer Freude“ feiern sollte. Stefan Dušan, „unser Alexander von Makedonien“, wurde als weltlicher Held vergegenwärtigt, gemeinsam mit den „serbischen Geheilig­ten“, „angefangen vom heiligen Fürsten ­Vladimir zu den albanischen und zu den ­Märtyrern der Schluchten“. Der Trinkspruch der als lebendige Menschen vorgestellten Heiligen wünschte dem Volk – Serben, Kro­aten und Slowenen – „Fortschritt“.1195 Das Fort­schreiten in der Moderne sollte aber explizit sakral sein: Es folgte das Zitat eines undatierten Gesangs: „Sei geheiligt, sei geheiligt, neues serbisches Jerusalem, denn der Ruhm des Herrn strahlt über dir; singe heute und freue dich, unser Zion, denn dich hütet liebevoll die hl. Gottes­mutter im alten und ruhmreichen (staroslavnoj) Patriarchat von Peć!“ 1196 Die Funktion der nationalen Heiligen wurde auf die Förderung „nationalen Ruhms“ durch Fürbitte vor Gott zur Freude des „serbischen Zion“ eingeschränkt.1197 Die Wieder­einsetzung „an diesem heiligen Ort“ 1198 war nicht zuletzt ein Versuch des Königs, sich mithilfe der Kirche Unterstützung zu sichern. Entsprechend lobte er ihre angebliche bisherige historische Rolle. Die Wiedergabe der Texte in der Zeitschrift „Serbischer Kosovo“ kam dadurch ­doppelt in einen regionalen Zusammenhang mit dem Kosovo. Die Einrichtung des Patri­archats wurde in der Zeitschrift aber noch direkter für regionale Zwecke ein­gesetzt: So hieß es in einem Beitrag unter dem Titel „Unser Heiligtum. Das Patriarchat von Peć und seine nat. Bedeutung“: „Das Patriarchatskloster ist eines der ältesten Denk­ mäler und ein Heiligtum unserer ruhmreichen Vergangenheit, in der sich die Macht und Größe des damaligen serbischen Staates erkennen lässt.“ 1199 Die Hervorhebung des Klosters im nationalen Rahmen wurde auf die ganze Region übertragen: „Peć, das ich für den Mittelpunkt dieser Kultur betrachte, wurde in den Chroniken als ,Serbisches Zion‘ bezeichnet. Unter den zahlreichen Klöstern, von denen Metohija übervoll war, befinden sich heute die erhalten gebliebenen Klöster: Das Patriarchat und Dečani.“ 1200

1195

1196 1197 1198 1199 1200

Freude das gesamte befreite und vereinigte dreinamige Volk unseres großen Vaterlandes…“ Srpsko Kosovo, 1.10.1924, Nr. 19, S. 2. Am Tag der Einsetzung „glänzte der Pokal Dušans des Starken in den Händen unseres ­Alexanders von Makedonien, und der Pokal des Märtyrers Fürst Lazar in den Händen des Empfängers (­prijemnika) der serbischen Geheiligten, sie erhoben einen Trinkspruch zum Ruhme Gottes und zum Glück und Fortschritt aller (svekolike) Brüder: der Serben, der Kroaten und der Slowenen. Durch Gott begeistert, haben die Leute heute den freudigen Gruß des Chores der ungezählten serbischen Märtyrer gehört, angefangen vom heiligen Fürsten Vladimir zu den albanischen und zu den Märtyrern der Schluchten (surduličkih): Amen.“ Srpsko Kosovo, 1.10.1924, Nr. 19, S. 4. Srpsko Kosovo, 1.10.1924, Nr. 19, S. 4. „Herr, erfülle die Gebete aller heiligen serbischen Geheiligten und Märtyrer, damit der Glanz (svetlost) unseres nationalen Ruhms niemals verdunkle… Freue dich, serbisches Zion!…“ Srpsko Kosovo, 1.10.1924, Nr. 19, S. 4. Srpsko Kosovo, 1.10.1924, Nr. 19, S. 5. Srpsko Kosovo, 1.10.1924, Nr. 19, S. 8. Srpsko Kosovo, 1.10.1924, Nr. 19, S. 9.

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Indem die nichtorthodoxe Bevölkerung kurzerhand zu eigentlichen Serben erklärt wurde und ihre angebliche schützende Rolle hervorgehoben wurde, erschienen die erhaltenen Klöster in einer integrierenden Funktion auch als Heiligtümer der „anderen“. Nach der Meinung der so umarmten Albaner wurde nicht gefragt, sie stellten nicht das primäre Zielpublikum der Zeitschrift dar. „Das Verdienst, dass diese Klöster erhalten blieben, wie auch andere, und dass die Hand der asia­ tischen Barbaren sie nicht zerstörte, war: 1) Das der serbischen Bevölkerung, die dem Glauben ihrer Vorväter treu geblieben ist, die nicht klagte, diesen zu bewahren und ihr Blut vergossen hat; 2.) Das der türkisierten Serben, die nicht durch den Fanatismus geblendet wurden, (…). 3.) Das der heutigen sogenannten ,Arbanassen‘, die tatsächlich Serben und serbischer Herkunft sind. Sie haben diese Klöster geschützt und sie hüten sie: Das Patriarchat, Dečani, Gračanica, auf dem Amselfeld Devič und andere. Dies sind unsere Heiligtümer, wie sie alle gleichzeitig auch die Stiftungen ihrer Vorfahren sind“.1201

Das „Südliche Serbien“, das die (nicht beim Namen genannte) Landschaft Make­donien, aber auch Prizren umfassen sollte, wurde gleichfalls mithilfe des Verweises auf ins­ besondere sakrale Architektur beansprucht: Etwa eine 1924 in Belgrad publizierte, reich mit Bildern ausgestattete Broschüre des Belgrader Universitätsprofessors ­Vladimir ­Petković mit dem Titel „Alte serbische Denkmäler im südlichen Serbien“ sollte den Raum auch visuell als Teil Serbiens darstellen. Das somit abgesteckte Gebiet reichte von Prizren über Skopje, Ohrid und Kjustendil „heute im westlichen Bulgarien“ bis ­Kastoria, wo überall „zahlreiche serbische Kirchen“ entstanden seien.1202 Der Kunst­historiker, der 1922 und 1924 in der Reihe „Serbische Denkmäler“ des Nationalmuseums in Belgrad auch reich illustrierte Studien zu Studenica und Ravanica publizierte,1203 war an einer 1924 bis 1936 seitens des Serbischen Nationalmuseums in Belgrad in den neuen Gebieten geleiteten Ausgrabung antiker Ruinen führend beteiligt: Die Aneignung des Raums fand auch durch die Archäologie statt.1204 Im Rahmen des Kosovomythos und des Gedenkens an Sava schrieb, wie dargelegt, Dragomir Dimitrijević 1925 vom „serbischen himmlischen Reich“. Gleichzeitig arbeitete auch Crnjanski an mehreren lyrischen Texten zum „himmlischen“ Serbien. Korfu, wohin sich 1916 die serbische Regierung geflüchtet hatte, wurde ihm nun in einer Artikel­serie in der Zeitung „Vreme“ zum „serbischen Golgatha“, zu einem „schöneren“ Kosovo. Die Erinnerungsfigur der sakralisierten Nation festigte und konturierte sich weiter.1205 Die Zeitschrift „Serbischer Kosovo“ schaute auch nicht nur auf „Altserbien“: Mile Ć. Mašić widmete 1930 einen im zentralserbischen Kloster Manasije geschriebenen Text diesem Kloster: „Der serbischen Stiftung (zadužbini)“:

1201 Srpsko Kosovo, 1.10.1924, Nr. 19, S. 9. 1202 Petković (1924b), S. III. 1203 Petković (1922, 1924a). 1204 Novaković (2011), S. 417. Zu Petković 1940: Boškovska (2009), S. 158. 1205 Mašek (2004), S. 134 – 140.

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„Oh, serbisches Heiligtum, oh heiliger Hüter der serbischen Freiheit, des Heiligtums der Serben; Hüter der Vergangenheit, des Gedenkens und seiner Kostbarkeiten! Du bist eine starke Kraft, die die Serben verteidigte und schützte und ihr Geheiß (anamete) hütete, das des ruhmreichsten und weisesten und heiligsten serbischen Sohnes, des Geheiligten Sava, des Starken Zaren Dušan, des Großmärtyrers vom Amselfeld, des hl. Lazar…“ 1206

War hier primär die Rede vom Kloster und sekundär vom hl. Lazar, ging sie doch bis zu einem gewissen Grad zu einer abstrahierten Vorstellung des serbischen Erinnerungshaushalts insgesamt über. Im Rahmen der Zeitschrift „Serbischer Kosovo“ wurde nicht nur der Kosovodiskurs verbreitet und weiterentwickelt, sondern damit auch die diskursive Einschreibung „Südserbiens“ in den serbischen Zusammenhang nachdrücklich gefördert. Beispielsweise feierte der Geistliche Jovan Kuhtin 1930 in einem Gedicht mit dem Namen „Skoplje“ die Stadt als „Ruhmreiche serbische Akropolis“, oder auch als „Graue, ruhmreiche serbische Stadt! / Du bewachst die Schwelle zum Kosovo… / Schau, heut ist ein starkes Zarenreich / auferstanden – das Land der Südslaven! Blühe, zweites Belgrad, / Zarenstadt des Serbentums!“ 1207

Als Beschützer des Kosovo und im Zusammenhang mit der Vorstellung vom auf­ erstandenen „Zarenreich“ kam Skopje in diesem serbischen Raumentwurf eine teilweise sakrale Rolle zu. Zur Feier des 25. Jahrestages der „Befreiung Südserbiens“ 1937 wurde die Definition Makedoniens als „Südserbien“ erneut durch eine umfangreiche Publikation, herausgegeben durch den „Präsidenten des Feierkomitees“ Aleksa Jovanović, vermeintlich wissenschaftlich und durch 242 Illustrationen auch bildlich bekräftigt, sei es durch die Definition der „Geographischen Grundlagen Südserbiens“ oder durch die Aufzählung von „Alten serbischen Denkmälern“, meist religiöser Natur.1208 Klöster, die nicht im Schatten des Kosovomythos standen, erlangten auch bei maximaler Unterstreichung ihrer eigenen Bedeutung nicht die anderer Erinnerungsfiguren wie etwa des hl. Sava: Am 6. Juni 1935 wurde etwa das 700-jährige Bestehen des Klosters Mileševa begangen. Eine zur Feier erschienene Broschüre zur Geschichte des Klosters führte dieses mit dem Verweis auf Chroniken als „Serbische Lavra“ ein.1209 Seine Errichtung stellte der anonyme Autor in den Zusammenhang mit anderen Klöster­gründungen der Nemanjiden, die nicht zuletzt gegen die Bogumilen gerichtet gewesesen seien. Diese „Häresie“ habe sich gegen die Staatsgründung Nemanjas gewehrt und das Ziel gehabt, „eine Strömung zu zerstören, die als Fundament zur Errichtung Jugoslawiens dienen sollte“. Zuvor als serbisch ausgelegte Zusammenhänge wurden hier zugunsten jugoslawischer Identitätsbildung zurückgestellt. Dennoch stand fest, weshalb Mileševa hervorzuheben war:

1206 1207 1208 1209

Srpsko Kosovo, 1. und 15.3.1930, Nr. 5 – 6, S. 29. Srpsko Kosovo, 15.9.1930, Nr. 18, S. 2. Vgl. die Beiträge in dem Jubiläumsband: Jovanović (Hg.) (1937). Manastir Mileševo, S. 5.

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Mobilisierung und Sakralisierung der Nation

„Aber was die besondere Bedeutung, die außerordentlich große Bedeutung des Klosters Mileševa ausmacht; die Stätte herausnimmt vor allen unseren Klöstern und Kirchen: Mileševa hat das Schicksal zugedacht, dass in ihm das Grab unserer größten kirchlichen, nationalen (nacionalne) und kulturellen Persönlichkeit, das des hl. Sava, sein würde. – Mileševa ist deshalb tief mit dem geistigen Leben unseres Volkes verwoben. Der hl. Sava ist zum Symbol, zur Personifizierung der kulturellen Neigungen unserer ganzen Nation (nacije) geworden.“ 1210

Die Geschichte des Klosters konnte nicht von der Gestalt Savas gelöst werden und diente hier nur zum Medium seiner Imagination. Immerhin wurde Mileševa aber mit der angeblichen spätmittelalterlichen Einigung Jugoslawiens verbunden: Die in Mileševa erfolgte Krönung Tvrtkos I. Kotromanić „am Grab unseres größten Geheiligten, des hl. Sava“ 1211 zum König Bosniens und Serbiens im Jahr 1377 wurde als „ein großer Versuch zur Schaffung einer Ganzheit, einer religiösen und politischen Verbindung der zer­gliederten jugoslawischen Länder“ 1212 bezeichnet. Die Verehrung von Klöstern lokalisierte und stützte das Gedenken an Sava wie die Institutionalisierung des Vidovdanmythos und insgesamt die Vorstellung eines sakralen Landes: 1939 stellte der einflussreiche Bischof Nikolaj Velimirović die Stiftung und den Bau von Kirchen und Klöstern in einen aktualisierten Zusammenhang: Die erste Seite seines imaginären „Kosovobuchs“ war dem „Stifterwesen (zadužbinarstvo)“ gewidmet. Tausende Klöster, die „in den letzten zwanzig Jahren“ gestiftet worden seien, hätten „unser Land“ „verschönt und geheiligt“.1213 Im Winter 1941/1942 verfasste Velimirović in Gefangenschaft im Kloster ­Ljubostinja bei Trestnik einen Text, in dem er das serbische Volk als „Theodul“ bzw. als „Gottes­ knecht“ definierte. Die wichtigsten Vertreter dieser Rolle seien der hl. Sava und die ihm nachfolgenden Nemanjiden gewesen, insgesamt aber das ganze Volk.1214 Diese 1210 1211 1212 1213

Manastir Mileševo, S. 6. Manastir Mileševo, S. 9. Manastir Mileševo, S. 8. „Nebst anderen Stiftungen haben unsere Väter und Vorfahren nach dem ersten Vidovdan viele wunderbare Kirchen gebaut, zum Ruhme Gottes, zum Nutzen ihres Volkes und zur Errettung ihrer Seelen. Der heilige und Ritter Fürst Lazar war Stifter mehrerer solcher Stifte, von denen Ravanica das wertvollste ist. Das serbische Volk ist der Stiftungsidee im Charakter ihres Vaters bis zum heutigen Tag gefolgt (ostao je dosledan zadužbinarskoj ideji o osobini svojich otaca). Nach dem Weltkrieg, nur in den letzten zwanzig Jahren, wurde unser Land durch beinahe ­Tausend neue Kirchen verschönt und geheiligt (osveštana). In diesen zwanzig Jahren wurden mehr von ihnen errichtet als in den hundert Jahren zuvor. Das Volk glaubt und möchte, dass dies es ­retten wird. Auch wir glauben das fest. Gott schätzt die Geistigkeit (duševnost) mehr als Kultur. Und unser Volk ist geistig, geistiger als viele andere Völker, die sich ihrer Kultur rühmen, und deren Lebensziel sich irrig aus der lebendigen Volksseele in die tote Kultur überträgt. (…) Die Geistigkeit war, ist und muss das Ideal unseres Volkes bleiben. Sie soll auch das Ideal aller Völker der Welt werden.“ O kosovskoj knjizi i kosovskoj nauci, in: Pravda, 1939, Nr. 12454, vollständig wiedergegeben in und zit. gemäß Nikolaj Velimirović. Izabrana dela 12, S. 55 – 62, hier S. 56 f. 1214 Buchenau (2011), S. 452 f.

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national­theologische These war nun nicht einmalig, sondern kann etwa mit derjenigen des Protestanten Franz Köhler verglichen werden, der Deutschland im Ersten Weltkrieg gleichfalls messianisch als „Christträger“, „Gottesknecht“ und „leidendes Gottesvolk“ beschworen hatte.1215 Velimirović schrieb auch ausdrücklich vom „himmlischen S ­ erbien (nebesna Srbija)“. Die Nationalisierung der Vorstellung vom „heiligen Land“ und des Himmelreiches machte nicht halt vor Gott selbst: 1941 veröffentlichte der Religions­wissenschaftler der Universität Belgrad Veselin Čajkanović die bereits im Kapitel zu Sava vorgestellte systematische Darstellung „Über den höchsten serbischen Gott“, deren erste Kapitel der Deutung Savas gewidmet waren.1216 Die Nationalisierung Gottes erfolgte hier im Rückgriff auf erfundene heidnische Traditionen und Legenden. In der Logik der Sakralisierung der Nation stellte sie die höchste denkbare Kulmination dar und wurde entsprechend auch in den bulgarischen sowie in den makedonischen Diskursen erreicht. Im Rahmen des Gedenkens an den Vidovdan wurde somit kurz nach dem Ende des Ersten Weltkrieges die Rede vom „Altar unserer Heimat“ entwickelt. Die Wiederher­ stellung des Patriarchats in Peć festigte die geistliche Rede von einem „neuen serbischen Jerusalem“. Im Rahmen eines auferstandenen „Zarenreiches“ kam auch Skopje in einer serbischen Raumvorstellung bald eine teilweise sakrale Rolle zu. Im Zweiten Weltkrieg nationalisierte ein Kirchenfürst wie Nikolaj Velimirović mit dem Begriff vom „himmlischen Serbien“ die ältere anationale Vorstellung vom „himmlischen Reich“. Zudem wurde die Vorstellung vom nationalisierten serbischen Gott erneut vertreten. D 9.2  Bulgarien und Makedonien D 9.2.1  ,Gott und Bulgarien‘ bis 1939

In kirchlichen Zeitschriften und Publikationen wurde in den 1930er-Jahren mehrfach die Einheit von „Gott und Bulgarien“ beschworen, anknüpfend an bereits besprochene Texte der Jahrhundertwende. Eine ausführliche Darstellung der Rolle der BOK „als Akteur für die geistige und nationale Einheit in der Vergangenheit und heute“ von Nikola Chr. Petleškov ließ 1934 keinen Zweifel am Ziel dieses Beitrags der Kirche zur National­ geschichte: Der Heilige Synod, der die Broschüre herausgab, sah in der Natio­nalisierung Gottes sowie im Aufbau des „Dritten Bulgarischen Reiches“ kein Problem, sondern die Lösung: Während dieses Reich geboren werde, seien „Makedonien und Odrin“ aufs Neue „versklavt“; dies galt es zu verändern: Die Kirche, die „Mutter-­Behüterin“, sollte ihre „rettende Rechte über das gesamte (cělokupnija) bulgarische Volk und sein Land“ strecken, damit „Geschlecht und Heimat (…) unter dem ewigen Schutz des (…) lebendigen bulgarischen Gott“ seien. Mit dem Adjektiv „gesamt“ war in diesem Diskurs

1215 Hammer (1971), S. 102. 1216 Čajkanović (1941), S. 7 – 26.

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eindeutig die Einheit des Mutterlandes mit Makedonien sowie den anderen „ver­lorenen“ Gebieten gemeint.1217 Auch die Gestalter der offiziellen Kirchenzeitschrift traten für die Einheit von Gott und Bulgarien ein: So schrieb der „Kirchenbote“ 1935 am Tag der „Volkserwecker“: „Und heute, wie damals, muss ihr Gedanke in allem bulgarischen Bewusstsein herrschen: ,Gott und Bulgarien – sind eine Einheit in zweifachem Fleisch! / Gott und Bulgarien rufen uns zum Eid / Und diesen Schwur leisten wir vor dem Kreuz, / Für dieses leben wir, für dieses sterben wir!‘“ 1218

Das offizielle Organ der BOK übernahm mit dem Zitat des „Blutigen Liedes“ von Penčo Slavejkov den Diskurs der weltlichen Nationalisten und näherte sich dem Standpunkt einer bulgarischen Nationaltheologie. Andere orthodoxe Zeitschriften taten Gleiches: Analog hieß es am 10. Juli 1937 im „Orthodoxen Wort (Pravoslavna duma)“, das zweimal im Monat in Tărgovište erschien, „Gutgeheißen und beauftragt von der heiligen Varnaer und der heiligen Metropolie von Rusen zur breiten Verteilung unter den christlichen Familien“: „,Gott und Bulgarien – eine Einheit im doppelten Leib‘. So besang der Poet in der Epoche der Wieder­geburt die Inspiratoren, die dem auferstandenen bulgarischen Geist Feuer und Flügel gaben. Mit vollem Glauben an Gott und großer Liebe zu Bulgarien fand die Pleiade der Kämpfer die Kraft, den gigantischen Kampf zu gewinnen gegen das fünf Jahrhunderte alte Leiden des Volkes.“ 1219

Der nicht genannte Verfasser schaute auf Slavejkov zurück und beklagte den Verlust der von diesem beschworenen Einheit: „Es sind Schulbücher zugelassen worden, die in ihren Hypothesen unter den Schülern der Grundschulen diese Verbindung, die ­zwischen Gott und Bulgarien besteht, zerstören.“ Die Hoffnung lag ganz beim Regiment des Zaren, der das kritisierte Projekt weltlicher Modernität politisch-theologisch in eine orthodoxe Richtung lenken sollte: „Wir glauben fest, dass die zarische Regierung, die versucht, das Leben auf neue Wege zu lenken, den angerichteten großen Fehler im Lehrprogramm berichtigt“.1220 Nicht nur offizielle Organe der BOK vertraten vergleichbare Standpunkte: Die Publi­ kationen der von Ustabašiev geführten Organisation „Großes Bulgarien“ waren zum Zeitpunkt ihrer Drucklegung ohne großen Einfluss. Ihre extreme Zuspitzung und in ­dieser Hinsicht originelle Ausarbeitung eines bulgarischen religiösen Nationalismus und Messianismus fand in der Publizistik der offiziellen Kirche zunächst kaum ein Echo. Einige ihrer Techniken der Sakralisierung des bulgarischen Nationalismus scheinen jedoch in späteren Jahren von offizieller Seite aufgenommen worden zu sein. Bereits 1217 Petleškov (1934), S. 130 – 132. 1218 Cărkoven Věstnik, 2.11.1935, Nr. 38, S. 439 f. 1219 „Wenn wir einen Blick auf die Geschichte des bulgarischen Volkes werfen, werden die historischen Wahrheiten uns unterstreichen, dass wir als Volk durch Gott genährt wurden und nur unter Seiner Rechten sind wir bis zum heutigen Tag gelangt.“ Pravoslavna Duma, 10.7.1937, Nr. 13 – 14, S. 1. 1220 Pravoslavna Duma, 10.7.1937, Nr. 13 – 14, S. 1.

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1930 schrieb die dünne Zeitschrift „Heilige Festung des Volkes“ beispielsweise: „Wenn die Vorsehung durch das Alte Israel festgelegt hat, dass die Geburt Christi sich ereignen werde, so hat diese heute wiederum das Bulgarische Volk als Neues Israel bestimmt, durch welches der Himmlische Gesandte des Heiligen (Svetijskoto) Reiches gesendet wird.“ 1221 Dennoch blieb die Rede von einer Einheit von „Gott und Bulgarien“ in der Zwischenkriegszeit vergleichsweise selten. D 9.2.2  Das Kloster Poganovo als ,Heiligtum‘ und ,verlorene Heimat‘ – weitere religiöse Raumvorstellungen in Bulgarien bis 1939

Eine weitere Form der Sakralisierung räumlicher Vorstellungen war die Rede von Kloster­ landschaften: Neben dem bereits ausführlich dargestellten Gewicht des Rila-Klosters nahmen die anderen „bulgarischen“ Klöster nur als Gruppe eine vergleichbare Bedeutung ein. Als Pars pro Toto, als Beispiel einer an Serbien verlorenen Klostergruppe und damit als Instrument zum Anspruch auf diese verlorenen Länder konnte in den 30er-Jahren aber etwa das Kloster von Poganovo dienen: Der „Vorstand und die Kontroll­kommission der Caribroder Flüchtlingsgesellschaft ,Nišava‘“ schrieb zum Geleit einer durch den Verein herausgegebenen Monographie zur Geschichte dieses Klosters 1936: „Das Poganover Kloster liegt heute in den von unseren westlichen Nachbarn neueroberten bulgarischen Ländern. Und dieses unser teures Heiligtum, das in deren Hände gefallen ist, erleidet das Schicksal noch vieler solcher bulgarischen Heiligtümer, die jene, kraft des Friedensvertrages, uns weggenommen haben. Folglich wurde, wie die anderen, auch das heilige Kloster von Poganovo zu einem ,rein serbischen Altertum (starina)‘ erklärt“.1222

Erst durch den Verlust der Region an Jugoslawien entwickelte sich im Exil ein historio­ graphisch als berechtigt dargestellter Anspruch auf „bulgarische Heiligtümer“ sowie die Dekonstruktion neu definierter „serbischer Altertümer“. Die Flüchtlingsvereinigung fühlte sich genötigt, ihre Gegenposition ausführlich zu erklären: „Denn dieses ist der Außenwelt und der kritiklosen Gesellschaft in Jugolavien erst noch zu ­zeigen, und auch unseren Brüdern dort einzureden, – dass es in diesen Ländern keine bulgarische ­geistige und materielle Kultur gab, dass es dort keine andere Bevölkerung gibt, als die serbische, der die russische Diplomatie und das Konstantinopoler bulgarische Exarchat nie erlaubt hat, sich als bulgarische zu erklären.“ 1223

Die Veröffentlichung wurde ausdrücklich als Antwort und Versuch, die serbische Deutungs­hoheit auszuhebeln, erklärt: „Auf solche Methoden antworten wir mit dem vorliegenden Buch, worin die Geschichte und Bedeutung des Klosters von Poganovo nur auf der Basis historischer Quellen und objektiver Fakten

1221 Sveštenata krěposť na naroda, 30.5.1930, Nr. 1, S. 2. 1222 Mijatev (1936), S. 3. 1223 Mijatev (1936), S. 3.

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dargelegt wird. Welchen Wert für uns Bulgaren das Kloster von Poganovo darstellt, werden die Leser auf den Seiten dieses Buches sehen, das uns Hr. K. Mijatev vorlegt – einer unserer Gelehrten und ein guter Kenner unserer Kirchengeschichte.“ 1224

Der Flüchtlingsverein hatte ganz bewusst das Anliegen, eine historiographische Antwort auf die Darstellungen der serbischen Seite vorzulegen, um der in Serbien verbliebenen bulgarischen Bevölkerung sowie der jugoslawischen Gesellschaft und dem Ausland die zumindest partielle bulgarische Qualität der Region mittels angeblicher „Fakten“ objektiv nachzuweisen. Die Geschichtsschreibung stand direkt im Dienste der Anliegen der Flüchtlinge, das Kloster diente nur als Feigenblatt zur Revision der Friedensverträge. Im Vorwort griff der in Wien und Berlin ausgebildete Historiker Krăstju Mijatev, der damals die Mittelalterabteilung des Nationalen Archäologischen Museums in Sofia leitete, bereits im ersten Satz die Verträge von Neuilly an: „Das Kloster von Poganovo ist eine der Ecken des bulgarischen Landes, über die die Friedensverträge von Neuilly einen schwarzen Vorhang gesenkt haben.“ Er vergegenwärtigte die Vergangenheit, den „einsamen Klang der Klosterglocken (…) – all dies erscheint uns heute als ferne ­Erinnerungen an eine Vergangenheit, die unerwartet erloschen ist.“ Das Kloster wurde zum Anlass, „verlorene Heimat“ zu beklagen.1225 Während die Herausgeberschaft nur hervorzuheben suchte, die Region sei teilweise bulgarisch gewesen, stimmte der Histo­ riker einseitigere Töne an. Selbst die Natur nahm der Historiker in Dienst: „Bis vor 15 Jahren war das Kloster von Poganovo einer der beliebtesten Orte für Pilgerfahrten (za poklonenie) und für den Tourismus. In seiner Stille, umfasst durch die Umarmungen der wunderbaren und harten Felshänge, konnte sich die große Seele der bulgarischen Natur vollumfänglich ausleben. (…) Das Kloster von Poganovo ist nicht nur für uns Sterbliche ein Heiligtum, sondern auch für die Natur.“ 1226

Der neoromantische touristische Blick verband sich mit dem religiösen Diskurs zu einer weiteren Intensivierung der Idealisierung des Erinnerungsortes – der nationalisierten „bulgarischen Natur“ wurde eine „Seele“ zugesprochen, deren Entfaltung im Zusammen­ hang mit dem Kloster stand. Die Darstellung des Kirchenhistorikers hatte explizit eine Gedächtnisfunktion: „Heute, wo wir das Altertum nicht persönlich genießen können, möchte ich es durch das Wort bekannt machen, damit wir es schätzen und lieben als teure Frucht der bulgarischen Kunst, des bulgarischen nationalen (naroden) Genius.“ 1227 Die Rolle, die Mijatev ­Klöstern in der frühen Neuzeit zusprach, war die der nationalen, angeblich für das Überleben der „Seele des Bulgaren“ psychologisch wichtigen Zuflucht: „Die Klöster waren eine Oase der heimischen Sprache, des heimischen Glaubens, der heimischen Seele und nur

1224 1225 1226 1227

Mijatev (1936), S. 3. Mijatev (1936), S. 5. Mijatev (1936), S. 5. Mijatev (1936), S. 7.

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hier, im Halbdunkel der Klosterkirche oder in den stillen Zellen der Mönche konnte die belastete Seele des Bulgaren den Trost finden, nach dem sie dürstete.“ 1228 Den Beweis, dass es sich um ein „bulgarisches Kloster“ handelte, und eine Schilde­ rung der Funktion, die es in der Vergangenheit eingenommen hatte, blieb er dem Leser jedoch schuldig: „Wir wissen nicht im Einzelnen, wie genau diese Rolle erfüllt wurde, aber ihr Resultat liegt auf der Hand: Ein gesundes bulgarisches Gefühl in unseren westlichen Gegenden während der ganzen türkischen Sklaverei und besonders aktiv in der Epoche des nationalen Kampfes um die Freiheit und die heimische Kirche.“ 1229

Scharf kommentierte er eine serbische Einschätzung einer Darstellung von Aposteln und Evangelisten sowie „Balkanheiliger“ in der Klosterkircher, zu welchen neben den serbischen Sava und Simeon auch Ivan von Rila und Ioakim von Sarandapor zählten. Mijatev schrieb: „Kürzlich hat ein serbischer Gelehrter geschrieben, dass die Darstellung der nationalen serbischen Heiligen im Kloster von Poganovo am Klarsten zeige, dass diese Malerei der serbischen Schule zugehöre. Dieser Gelehrte sagt jedoch nicht, dass in diesem Kloster auch zwei bulgarische natio­ nale Heilige dargestellt sind.“

Mijatev, der im Krieg das Ethnographische Museum in Sofia leiten sollte, zitierte gleich anschließend in demselben Text einen Kollegen: „Da es zwei bulgarische und zwei serbische Heilige darstellt, sagt A. Grabar, drückt Poganovo sehr gut den zwischenstaatlichen Charakter der Kultur im mittleren Teil der Balkanhalbinsel aus.“ Mijatev relativierte nachdrücklich den Einfluss staatlicher Grenzen im Mittelalter auf kulturelle Aspekte: „Im Mittelalter existierten auf dem Balkan keine staatlichen Grenzen für die Religion, die Wissenschaft und die Kunst. Alles dies war gemeinsamer Besitz, denn es gründete auf einer annähernd gleichen Kultur.“ 1230 Dennoch sollte aber das Kloster für einen bulgarischen Anspruch auf die ganze Region herhalten können. Häufiger als von verlorenen Klosterlandschaften oder der Vorstellung „Gott und Bulgarien“ war allerdings im Sofia der Zwischenkriegszeit die Rede von sakralisierten Vorstellungen Makedoniens. D 9.2.3  Der ,makedonische Gott‘ und die ,gekreuzigte Heimat‘ – religiöse Vor­ stellungen über das serbisch ,versklavte‘ Makedonien in Bulgarien bis 1939

Die Vorstellung Bulgariens als Landschaft von Klöstern mit „nationaler Bedeutung“ war in den 1920er-Jahren nichts Außergewöhnliches mehr: Al. Žekov stellte sie mit dem Verweis auf ein entsprechendes, als Klassiker undatiertes Zitat von Ivan Vazov her. Ganz

1228 Mijatev (1936), S. 27. 1229 Mijatev (1936), S. 29. 1230 Mijatev (1936), S. 58.

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selbstverständlich waren gerade auch Klöster außerhalb der momentanen Staats­grenzen, und insbesondere in Makedonien, tragende Bestandteile dieser Raumkonzeption.1231 1924 veröffentlichte der Kirchenhistoriker Ivan Sněgarov den ersten Band seiner „Geschichte des Ohrider Erzbistums“. In seinem Vorwort schrieb er: „Schon mehr als 30 Jahre hält das verknechtete und aufständische Makedonien die Balkanhalb­ insel in einem Nervenfieber und ganz Europa in Sorge. Seine Leiden verringern sich nicht nur nicht, sondern wachsen Tag für Tag. Eine jahrhundertelange Tyrannei wird durch eine andere, noch unmenschlichere ersetzt.“

Die derzeitige Herrschaft sollte durch den Vergleich mit derjenigen der Osmanen de­­legitimiert werden. Makedonien wurde durch seine Geschichte zum „Märtyrerland“. Die Geschichte des Ohrider Erzbistums, das hier zum Pars pro Toto wurde, sei „die schärfste Entlarvung der durch Belgrad hartnäckig verbreiteten Lüge (…), Makedonien sei ein serbisches Land“.1232 Sněgarov gab seinem Band damit eine unmissverständ­liche Bedeutung und Funktion im Wettstreit um die Deutungshoheit über Makedonien. Ebenso augenscheinlich und offengelegt war die finanzielle Unterstützung der bulgarischen ortho­doxen Kirche, welche die Publikation erst ermöglichte. Die exilmake­donische Presse nahm diesen politischen Sprechakt dankbar wahr: Die Zeitung „Unabhängiges Makedonien“ besprach den Band am 20. Februar 1925. Über den Autor stand dort, mit Verweis auf die darauf zitierten Sätze aus dem Vorwort zu dem Werk: „Selbst ein geborener ­Ohrider, hat dieser über die Vergangenheit als ein wahrer Sohn Make­doniens geträumt“.1233 Die Deutung Makedoniens als Märtyrerland wurde in derselben Zeitung weiter zugespitzt: Am 17. April 1925 erschien dort anlässlich der Osterfeier unter dem Obertitel 1231 Žekov (1926), S. 6. 1232 „Trotz allem wird Makedonien nicht sterben, sondern mit noch heftigerer Leidenschaft und noch mächtigerer Hartnäckigkeit für seine Unabhängigkeit kämpfen. Angesichts dieser erstaunlichen Tatsache fragt sich der Beobachter unwillentlich: Woher schöpft dieses Märtyrerland (­zemja-măčenica) [im Bulgarischen weiblich, S. R.] seinen ungebrochenen Willen für die Freiheit, seinen ungebeugten kämpferischen Geist. Die Antwort gibt die Geschichte: Aus seiner viele Jahrhunderte alten Vergangenheit, während der Makedonien eine selbständige kultur­historische Größe war. Der freiheitsliebende und fortschrittliche Geist, mit dem es die zivilisierte Welt verwunderte, hat sich aus seiner autokephalen Kirche entwickelt und ist durch diese inspiriert worden – durch das Ohrider Erzbistum. Wegen dieser großen historischen Bedeutung des Ohrider Erzbistums habe ich, ein Sohn der Stadt Ohrid, die Pflicht gefühlt, ihre Geschichte zu schreiben, bewegt von der Überzeugung, dass die Geschichte die Lehrerin des Lebens ist und dass diese geistig-kulturelle Institution die schärfste Entlarvung der durch Belgrad hartnäckig verbreiteten Lüge ist, Makedonien sei ein serbisches Land (zemja). Ich bedanke mich herzlich beim Heiligen Synod, bei der heiligen Sofioter Metropolie, der Sofioter Kathedrale ,Hl. Nedělja‘ und bei der Sofioter Kerzengießerei, dass ich mit den durch diese gespendeten Summen den ersten Band dieses Buches herausgeben konnte.“ Sněgarov (1924), S. 3. 1233 Nezavisima Makedonija, 20.2.1925, Nr. 98, S. 2.

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„Christus ist auferstanden!“ ein Leitartikel mit der Überschrift: „Das Kreuz zu Golgatha (Krăstăt kăm Golgota)“ (Abb. 22). Der Beschreibung der Kreuzigung auf der Anhöhe folgte die rhetorische Frage: „Gleicht dieser Gipfel nicht einem anderen, der das makedonische Golgatha genannt wird? Sind das Kreuz und Jesus nicht die Schmerzen und das Stöhnen eines Volkes, das durch kulturelle Pharisäer gekreuzigt wurde und jeden Tag teure Opfer für seine Auferstehung gibt?“

Die Makedonen wurden in dieser Interpretation kollektiv mit Christus verglichen, ein nationales Golgatha wurde beschworen: „Und wie Jesus – der auferstehend den Tod durch den Tod besiegt, so wird der Makedone, an sein Ideal glaubend, siegreich über den verfaulenden Leichnam der Tyrannei gehen und dorthin gelangen, wo er frei auf seiner angeborenen Sprache und in seinen Kirchen singen wird und die Auferstehung Gottes rühmen wird.“ 1234

Gott blieb der Gott der Christen, jedoch ruhte auf ihm die nationale Hoffnung. Immerhin reichte die Sakralisierung der makedonischen Leiden weit – auf derselben Seite fand eine Zeichnung unter der Überschrift: „Die makedonische Karwoche“ Platz, wo­rauf eine Gekreuzigte, augenscheinlich Makedonien, durch offenbar einen Serben und einen Griechen gequält wurde. Das Genre der Karikatur stellte dabei gleichzeitig eine gewisse Distanzierung von dieser extremen diskursiven Überlagerung von Nationalismus und Religion sicher.1235 Die schon erwähnte Vorstellung eines „bulgarischen Gottes“ und die Rede vom „makedonischen Golgatha“ bereiteten den Weg zur Sakralisierung auch Makedoniens: 1925 erschien am 3. Juli in der Zeitung „Unabhängiges Makedonien“ ein Bericht unter dem Titel: „Der makedonische Gott ist lebendig!“ „Niemals war Makedonien so unglücklich, niemals seine Bevölkerung so gequält, als an dem Tag, als es in die blutigen Hände der Serben und Griechen fiel.“ Der Verfasser unter dem Kürzel P. M. verglich die Eroberer mit Attila und verwarf die Humanität als Illusion, die Zivilisation als Märchen:

1234 Der Becher der Prüfung, den Jesus trank, war er bitterer als jener, den unsere Volksgenossen (sănarodnici) trinken – die unter der griechischen Macht aus Makedonien Vertriebenen? (…) Schweigend wie Christus tragen diese das schwere Kreuz des Leidens nach Golgatha. (…) Der Gott, der morgen auferstehen wird, hält in seinen Händen kein Messer oder eine Peitsche, um ein Volk in die Sklaverei zu drücken, das in eigener Verantwortung leben und sich selbständig entwickeln möchte. Der Gott, dem der makedonische Knecht und Vertriebene das Lied „Christus ist auferstanden“ singen wird… dies ist der Gott der sozialen Gerechtigkeit und Freiheit. Dieser lebt im Geist der Kämpferlegionen, die auf dem makedonischen Golgatha gefallen sind, dieser Gott lebt in den furchtlosen und jugendlichen Herzen jener, die durch die makedonischen Berge streifen, um die Ehre und das Leben der Seinigen zu verteidigen, die durch die serbischen und griechischen Henker unterdrückt werden. Schließlich lebt dieser Gott in jedem Makedonier, dies ist sein Glaube an den Kampf bis zum Ende, um den siegreichen Triumph des freien und unabhängigen Makedonien.“ Nezavisima Makedonija, 17.4.1925, Nr. 106, S. 1. 1235 Nezavisima Makedonija, 17.4.1925, Nr. 106, S. 1.

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„Bist du stark, wirst du über die Leichen der anderen gehen, bist du schwach, werden diese über dich gehen und dich zerquetschen! Das ist der Gott der heutigen Welt. Vor dem Altar dieses Gottes verneigen sich heute die großen und kleinen Führer der Völker und bringen ihm die schwachen und entrechteten Völker wie uns als Opfer. Aber, wenn es so ist und die Herren und Starken der heutigen Zeit so sind, dann fragt man sich, was sollen die Knechte und Schwachen tun? Nie hatte die Volksweisheit – ,Hilf dir selbst, so hilft dir Gott‘ mehr Sinn und Inhalt als heute. Organisation, Mittel und Geist sind die drei Namen unseres Gottes, vor dem wir uns am 5. Juli verneigen. An diesem Tag – am Tag Makedoniens – werden wir uns das Gelübde leisten, dass wir mit allen Kräften und Mitteln arbeiten werden, dass wir den Kampf bis zum letzten Makedonen für die heilige Sache unserer Heimat führen werden.“ 1236

Dieser Text verwendete religiöse Vorstellungen aus einer äußerst säkularisierten Sicht, die stark zynisch geprägt war, und bezeugt damit eine reflexive Kritik der Moderne. Allerdings erfolgte die Rede von einem „makedonischen Gott“ im Zusammenhang mit den übrigen Beiträgen dieser Zeitungsnummer konsequent und in der diskursiven Logik selbst angelegt: In derselben Nummer dieser Zeitung erschien unter dem Titel „Das makedonische Golgatha“ eine zeichnerisch einer Karikatur verwandte Ab­­bildung, die ein junges Mädchen mit Heiligenschein zeigte, offenbar in makedonischer National­ tracht – welches an ein Kreuz genagelt war, das die Überschrift „Make­donien“ trug. Unter dem Kreuz wurden zahlreiche Schädel abgebildet, und neben ihnen Christus, der laut Kommentar sagte: „Makedonien, ein Ende deiner Kreuzigung ist noch nicht absehbar. Dein Golgatha ist schrecklicher als meines!! …“ 1237 Die Sakralisierung des als nationale makedonische Leidensgeschichte ge­­lesenen lokalen historischen Zusammen­hanges erlangte damit einen neuen Höhepunkt. Gleichzeitig stand aber auch hier die deutliche Anlehnung an das Genre der Karikatur für eine Distanzierung von einer im traditionellen Sinne religiösen Bedeutungs­aufladung nach diesem Muster. Bereits erwähnt wurde, wie im Rahmen der Verehrung der „Volkserwecker“, derer man zum Tag des hl. Ivan gedachte, der makedonische Emigrant Simeon Angelov 1926 die Vorstellung einer mit Christus gleichgesetzten „gekreuzigten Heimat (razpnata Rodina [sic])“ vertrat.1238 War der für Südserbien genannte „Altar der Heimat“ noch möglicherweise im Sinne einer politischen Religion entworfen, so erlangte die Sakralisierung der Vorstellung mit der Rede von der gekreuzigten Heimat eine neue, messianische Ebene. Sein Landsmann, der Slavist Vasil Pundev, erfand 1928 in der Rede über Makedonien die innovative Vorstellung einer doppelten Heimat im Sinne eines doppelten Ursprungsmythos: „Dieses Land, das zweimal die Heimat der bulgarischen Kultur war, hat selbst noch nicht den Frieden zum kulturellen Leben e r h a l t e n , den es hervorgerufen und unterstützt hat“. Es sei deshalb mit einem „Märtyrer“ zu vergleichen.1239 1236 1237 1238 1239

Nezavisima Makedonija, 3.7.1925, Nr. 116, S. 1. Nezavisima Makedonija, 3.7.1925, Nr. 116, S. 3. Makedonija, 30.10.1926, Nr. 18, S. 4. „Es ist heute erschreckt von dem Unverstand der Beherrscher, welche die Quelle ausschalten wollen, durch die sie belebt worden sind. Heute ist das Wort des makedonischen Bulgaren (na makedonskija bălgarin) vergessen in seinem Land, aber dieses [das Wort des Konstantin, S. R.]

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Der Diskurs über Makedonien als selbstständige Erinnerungsfigur festigte sich auch durch die gehäufte Referenz auf bereits etablierte religiöse Erinnerungsorte: Am 18. November 1933 bekräftigte die Sofioter Zeitung „Makedonien“, das „Organ der makedonischen Emigration in Bulgarien“, mit der Zweitveröffentlichung eines ­aktuellen Artikels aus dem „Volkswächter“ anlässlich der Feier des Tages des bulgarischen Buches eine primär makedonische Lesart des Diskurses zentraler Erinnerungsfiguren, die bisher zunächst im bulgarischen nationalen Erzählstrang beheimatet gewesen waren: Make­ donien wurde als „versklavtes Land“ zur „Heimat“ und Mutter von „Söhnen Makedoniens“ wie Kyrill und Method, Kliment, Paisij und insgesamt „des bulgarischen Buches“.1240 Die Umdeutung bulgarischer Helden der „Wiedergeburt“ zu Makedonen setzte sich in einer langen Liste fort, sie beinhaltete etwa auch Neofit Rilski, dessen Herkunft aus Bansko als Grund dienen sollte. Im letzten Teil des Textes wurde vom Publikum ein kollektiver erinnerungspolitischer Eid verlangt: den „Eid des Nichtvergessens unseres heiligen Landes – Makedoniens aussprechen, der Heimat des heimatlichen Buches“.1241 Makedonien wurde in diesem Text grüßt über seinen Grenzen wie die Taube des Heiligen Geistes über dem Leben eines ­Märtyrers.“ Makedonija, 23.5.1928, Nr. 435, S. 1. 1240 „Morgen ist der Feiertag des bulgarischen Buches. Wenngleich dieser Feiertag ein neuer ist – er wurde bei uns erst vor einigen Jahren eingeführt, so hat er Bedeutung erlangt als Feier des Erscheinens, der Entwicklung und des Erfolges des heimatlichen (rodnata) Buches, des Buchwesens und der Bildung, sowie als großer Tag der bulgarischen Nationalität (narodnosť) und Einheitlichkeit, die so eng verbunden sind mit dem heimatlichen Buch in der historischen Vergangenheit unseres Volkes. Denn ohne das Buch, ohne die heimische Schriftsprache, hätte unser Volk nicht seine mehr als tausendjährige Geschichte überlebt (…). Angesichts dieser großen und unschätzbaren Qualität des Buches im allgemeinen, und besonders für uns das heimische Buch, ist es angebracht, und sogar nötig an diesem Tag, der ihm gewidmet ist, dass wir uns an seine Heimat erinnern – Makedonien, die dieses Buch gab. Und wirklich, woher erschien zum ersten Mal das heimische Buch im Tageslicht? Nicht etwa aus Makedonien? Die heiligen ­Soluner Brüder Kyrill und Method (…), sind sie nicht Söhne Makedoniens? – Und ihr erstberufener Schüler, der hl. Kliment und seine Mitstreiter – Naum, Sava, Angelari und Gorazd, sind sie nicht Kinder desselben, heute versklavten Landes genannt M a k e d o n i e n ?… Die Buchgelehrten des goldenen Zeitalters Simeons sind in ihrer Mehrheit Schüler der westlichen – Ohrider Schule, gegründet durch den hl. Kliment, sind sie nicht von Geburt Makedonier? Und der Apostel und Protohierarch (părvoierarchăt) des bulgarischen Buches der Neuzeit – Paisij Chilendarski, ist er kein Makedone? (…) Nur ein Makedone, genährt von den kämpferischen Motiven seiner Väter, Großväter und Urgroßväter aus dem Schoß des stolzen Pirin, hat mit solchem Willen und solcher Festigkeit sich gegen die hinterhältigen Griechen in Chilendar vereinigen können“. Makedonija, 18.11.1933, Nr. 2122, S. 5 f. 1241 „Und daher, in diesem für uns heiligen Moment, wenn wir den Tag des bulgarischen Buches feiern, wenn wir uns an das große Werk erinnern, das dieses Buch in der Vergangenheit des bulgarischen Volkes vollbracht hat und in der Zukunft vollbringen wird, müssen wir uns an das Land erinnern, das dieses Buch gegeben hat. (…) Vergessen wir nicht unsere Pflicht gegenüber ihm, gleich wie der b i b l i s c h e Patriot, der am Tag der Verbannung, und in der Trauer um seine Heimat, ausrief: ,Jerusalem, wenn ich dich vergesse – nimm mir die Zunge weg…‘, so

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als Teil Bulgariens beschrieben, es nahm jedoch als „heiliges Land“ in ihm einen gesonderten Platz ein. Makedonien, in den Grenzen von San Stefano und mit der Zurechnung weiterer benachbarter Regionen in den Grenzen Bulgariens zwischen den Weltkriegen, wurde zum Jerusalem Bulgariens aufgewertet. Die „kämpferischen Motive“ der männlichen, makedonischstämmigen Bevölkerung wurden zum Fundament der Tätigkeiten nicht nur von Paisij, sondern implizit aller früheren und ihm folgenden sogenannten „Volkserwecker“ erklärt. Der Artikel wurde, wie erwähnt, aus dem „Volkswächter“ in die makedonische Zeitung übernommen – der religiös ausgerichtete „Volkswächter“ beeinflusste damit direkt den damals überwiegend säkular ausgerichteten Diskurs der makedonischen Emigration in Bulgarien über Makedonien. In diesem diskursiven Umfeld lag es sehr nahe, die Imagination Makedoniens als historischen Raum weiter zu sakralisieren. In seinem Fortsetzungsbeitrag „Bulgarische historische Denkmäler in Makedonien“ zählte das frühere Mitglied der VMRO Georgi Trajčev, der nach seiner Emigration 1913 aus Makedonien in Bulgarien als Lehrer ­arbeitete, 1934 zunächst die Grabmäler bulgarischer Herrscher im damals serbischen, griechischen und albanischen Makedonien auf: „Aber dieses, Makedonien, ist auch eine zarische Gruft (carstvena grobnica).“ 1242 Erst in zweiter Linie kam er auf reli­giöse Aspekte zu sprechen: „Aber Makedonien ist, mit den zahlreichen wertvollen Klöstern, großen und kleinen (155), und Ruinen (20) – insgesamt 245 –, für den ganzen bulgarischen Stamm ein heiliger und geheiligter Ort (svjato i svešteno město). Und wie es scheint, hat Makedonien unserem Stamm auch die populärsten und verdientesten nationalen Heiligen gegeben: Kyrill und Method, Kliment und Naum von Ohrid, den hl. Joakim Osogovski, den hl. Gavril von Lesnovo, den hl. Prohor Pčinski, den hl. Ilarion Măglenski und den hl. Ivan von Rila (auch dieser war aus dem makedonischen Dorf Ckrino, auf dem rechten Ufer des Flusses Struma, der Grenze des geographischen Makedonien – Professor Jordan Ivanov, ,Nord Makedonien‘, S. 4) – Mit Recht kann behauptet werden, dass es die Wiege der bulgarischen Kultur und Bildung schon von den ersten Tagen des christlichen Bulgarien an ist, bis in die letzte Zeit und überdies ein mächtiges Zentrum des national-politischen Gewissens (nacionalno – političeska săvesť).“ 1243

Die Herrschergruften alleine machten aus Makedonien noch keinen religiösen Erinne­ rungsort, da diese im Gegensatz zu den serbischen ja in der Regel nicht sakralisiert worden waren. Dafür machten die Klöster Makedonien als Teil Bulgariens für ganz sollen auch wir, am Tag des heimatlichen Buches, einhellig, bewegt und mit Festigkeit, diesen Eid des Nichtvergessens unseres heiligen Landes – Makedoniens aussprechen, der Heimat des heimatlichen Buches, und wir vereinigen unsere Gebete zu Gott sowohl um den Erfolg des bulgarischen Buches als auch, dass möglichst bald die Stunde der Freiheit in ihm [dem Land, S. R.] komme, damit dieses Buch [dort, S. R.] lebe und sich entwickle, wie im freien ­Bulgarien. Mit diesem Wunsch mögen wir den Tag des bulgarischen Buches begehen und begleiten.“ Makedonija, 18.11.1933, Nr. 2122, S. 5 f. 1242 Naroden Straž, 1.12.1934, kn. 16, S. 12 f. 1243 Naroden Straž, 1.12.1934, kn. 16, S. 12 f.

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Bulgarien zu dem zentralen Raum der bulgarischen religiösen und nationalen Erinnerung. ­ ieser Status wurde durch die Heiligenlandschaft bekräftigt – wobei es reichlich bemüht D war, Ivan von Rila wegen seiner Herkunft als makedonischen Heiligen zu zählen, ganz abgesehen von der angeblich bulgarisch-makedonischen Herkunft Kyrills und Methods. Erst der Verlust Makedoniens für den bulgarischen Staat machte es als imaginierte, verlorene Landschaft, vergleichbar mit einem Phantomschmerz, zum Zentrum der bulgarischen nationalen religiösen Erinnerungskultur. Publizistische Maßnahmen sollten in expliziter Konkurrenz zu serbischen und griechischen Deutungen die bulgarisch-­ makedonische Lesart der makedonischen Geschichte in verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen „popularisieren“, um auf die „feindlichen Lügen und Falsifikationen zu reagieren“.1244 So offenherzig war bisher in der bulgarischen Historiographie die Funktion nationaler Geschichtsschreibung im Wettstreit mit derjenigen benachbarter Nationen nicht reflektiert worden. Dem Autor war sehr deutlich bewusst, dass die serbischen und griechischen historiographischen Diskurse über Makedonien den bulgarischen Inter­ essen zuwiderliefen. Der erst jetzt intensiviert vertretene und erst in diesem Prozess sich verfestigende bulgarische Geschichtsentwurf war gleichzeitig ein Wahrheitsentwurf, an welchem zu zweifeln undenkbar sein sollte. War die Geschichtswissenschaft seit der zweiten Hälfte des 19. Jh. ganz direkt, aber wenig reflektiert bei der Entstehung eines nationalen Zusammengehörigkeitsgefühls federführend gewesen, wurde sie nun immer bewusster in den Dienst der nationalen „kauza“ gestellt. Die Sakralisierung Makedoniens blieb aber nur eine Richtung der Imagination der Region: Auch eine weltliche Beschreibung Makedoniens wurde gleichzeitig vertreten. Georgi Trajčev beschrieb bereits in der zweiten Folge dieser Reihe zu den „Bulga­rischen historischen Denkmälern in Makedonien“ „Grabmäler bulgarischer Heiliger“. An erster 1244 „Diese wertvollen Kostbarkeiten beherbergt unser Makedonien, diese schönen Erinne­rungen weckt es in uns, seine Kinder, sein Name. Daher ist uns, den Bulgaren, das verknechtete Make­ donien so kostbar und lieb. (…) Doppelt so wertvoll und lieber wird es aber für uns, die Bulgaren, wenn wir die historischen Seiten seiner fernen Vergangenheit durchblättern, bis zum heutigen Tag. Dort treffen wir eine Reihe noch ruhmreicherer historischer Fakten, Namen und Ereignisse, die sehr klar vom bulgarischen Charakter des Landes sprechen, vom starken natio­nalen Bewusstsein des Makedonen, von seinem kämpferischen Geist, von seinen wertvollen geistlichen Qualitäten und so weiter und so weiter. (…) Aber wir, die Söhne dieses ver­knechteten Landes, die wir uns dem revolutionären Kampf zur Erkämpfung der Freiheit Makedoniens verschrieben haben, lassen keine Zeit verstreichen, um die Schönheiten dieser lieben Ecken des allgemeinen Vaterlandes des Bulgaren zu beschreiben und zu popularisieren, das Land in natürlicher, geographischer, historischer, geologischer, archäologischer, ökonomischer und so weiter Hinsicht zu untersuchen. Ihre heutigen Verknechter, die Serben und Griechen, andererseits, verdingen sich mit Gewalt und allen einfachen und komplexen Mitteln, mit Lüge und Falsifikation der Geschichte, Archäologie, und bemühen sich auf alle Art, es seines reinbulgarischen Charakters zu berauben. Daher ist uns die hohe patriotische Pflicht auferlegt, gleichzeitig auf diese feind­ lichen Lügen und Falsifikationen zu reagieren, zur Verteidigung unserer Sache (kauza), und auf unsere unbestrittenen historischen Fakten und Daten zu verweisen. Aus diesem Grund wird die vorliegende Reihe geschrieben.“ Naroden Straž, 1.12.1934, kn. 16, S. 13.

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Stelle stand jenes des hl. Naum von Ohrid. Bemerkenswert ist, dass Trajčev den multi­ ethnischen sowie transreligiösen Charakter seiner Verehrung hervorhob, der offenbar noch in den 30er-Jahren des 20. Jh. gültig war: „Der hl. Naum ist gleichermaßen von Christen, Türken und Albanern verehrt, die von ihm die Heilung erbitten, insbesondere geistiger Krankheiten.“ 1245 Auch etwa der bereits genannte Publizist Krajničanac rundete sein zitiertes Porträt Kliments und dessen Schüler mit einer besonderen Würdigung ihres Wirkungsraumes ab: „Makedonien ist mit seinen kulturellen Bauten, wie Kirchen, Klöstern, Paraklise, Bibliotheken, ein großer Quell der Unterrichtung der christlichen Lehre im 9. und 10. Jh. wie nur das reiche Byzanz. Das klassische und schöne Ohrid ist ein Mosaik der slavischen Kultur und Zivilisation. Makedonien ist die Wiege der bulgarischen Kultur und Bildung.“ 1246

Makedonien wurde auch hier als verlorene Heimat der bulgarischen Wissenschaft und Kultur eingefordert, für die die Namen von Heiligen eintraten: „Hier befinden sich die Quellen unserer Gelehrten der bulgarischen Geschichte, Kultur und Kunst. Ohrid hat fünf Namen, auf die das bulgarische Volk stolz ist, dies sind der hl. Kliment, der hl. Naum, Erozmo [Erasmus von Ohrid, S. R.], Iovan Vladimir und Iovan.“ 1247 D 9.2.4  ,Heiliges Feuer‘ im ,heiligen Land‘– die ,Auferstehung‘ des bulgarischen Volkes durch die ,Befreiung‘ Makedoniens im Mai 1941

Mit der Eingliederung des in der Zwischenkriegszeit jugoslawischen Teils Make­ doniens in den bulgarischen Staat im Frühjahr 1941 veränderte sich die Zielrichtung dieser Erinne­rung – erinnert wurde nicht mehr, um einen Verlust zu beklagen und einen zukünftigen Gewinn zu erreichen und zu beanspruchen, sondern um einen Erfolg zu legitimieren und zu verteidigen. Die Rhetorik über Makedonien gewann nun eine ganz neue Qualität. Paisij, der Metropolit von Vraca, imaginierte „Bulgarien und das bulgarische Volk“ in der Zeitschrift „Geistige Wiedergeburt“ im Januar 1941 traditionsgemäß als vor dem offenen Krieg zu schützendes Land: „Gott bewahre und beschütze Bulgarien und das bulgarische Volk.“ 1248 Nach der erfolgreichen Eingliederung Makedoniens ­wurden selbstbewusstere Stimmen laut: Die führenden Organe der orthodoxen 1245 „Von 893 bis 900 wirkte Naum als Lehrer und erbaute in dieser Zeit nahe am Ohrider See ein Kloster, wo er sich später zur Ruhe setzte und die letzten Jahre seines Lebens bis 910 verbrachte. In der äußersten rechten Kammer zwischen der Kirche und dem Anbau ist die Gruft des hl. Naum, mit einer Grabplatte aus grauem Marmor, ähnlich wie jene des hl. Kliment, aber ohne Aufschrift. Sein Gedächtnis wird am 20. Juni (alte Zählung) begangen.“ Es folgten in der Darstellung die Grabmäler des hl. Kliment, des hl. German, der unter Zar Samuil Patriarch war, und des hl. Prochor Pčinski. Naroden Straž, 15.12.1934, kn. 17, S. 8 f. 1246 Krajničanec (1936), S. 30. 1247 Krajničanec (1936), S. 30. 1248 Duchovno Văzraždane, 1941, Nr. 1, S. 2.

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Publi­zistik ­zeigten nun wenig Zurückhaltung in der Verknüpfung von Heilsgeschichte, Zeit­geschichte und Nationalgeschichte. Wenn eine Heimat Märtyrer sein und gekreuzigt werden konnte, so musste sie auch auferstehen können – die diskursive Logik der gewählten sakralen Begrifflichkeit ließ eine solche Zuspitzung früher oder später erwarten: Paisij, der Metropolit von Vraca, schrieb in der gleichenorts erscheinenden Zeitschrift „Geistige Wiedergeburt“ 1941 angesichts der Gleichzeitigkeit der Erinnerung an die Auferstehung Christi sowie der Eroberung der beanspruchten Gebiete zu Ostern 1941 von einer „Auferstehung“ des „dritten bulgarischen Zarenreiches“. Der Staat wurde hier mit Christus gleichgesetzt. Der Geistliche übernahm gleichzeitig die in der damaligen bulgarischen Publizistik in Anlehnung an die deutsche Rhetorik immer öfter verwendete Rede vom „Dritten Reich“. Wie Boris I. habe Boris III . in Rila „Inspiration“ gesucht. Säkulare Geschichte wurde mit der Beschwörung Ivans von Rila als „Beschützer“ der Nation sowie mit der ­Sprache von Gottes Segen heilsgeschichtlich aufgeladen, ohne in einen globalen Heilsplan eingegliedert zu sein: Der Bezugs­rahmen blieb national beschränkt: „Und so, als Ergebnis dieser weisen Politik, hat er – am Tag der Auferstehung Christi – die Auf­ erstehung der gesamten (cělokupnata) Heimat erreicht, es ist in ganzer Fülle das Zarenreich des heiligen Zaren Boris auferstanden. Wir wurden geehrt zu sehen, wie die größten Seiten der Geschichte des dritten bulgarischen Zarenreiches geschrieben wurden.“ 1249

Nicht nur Makedonien, sondern die „gesamte Heimat“, das mittelalterliche Reich des hl. Boris I. sollte hier auferstehen. Auch das offizielle Publikationsorgan des bulga­rischen Heiligen Synods schrieb von der Auferstehung der Nation. Im „Kirchenboten“ war im April 1941 zu lesen: „Der diesjährige Feiertag Christi Auferstehung ist wahrlich ein großes Oster-Fest und ein h­ eiliges – ein großer Tag im wahren Sinn des Wortes, ein historischer Großer Tag [bulg. „Velikden’“ steht für den Ostersonntag, S. R.] und ist, trotz des nie dagewesenen Schmerzes, der die ganze Welt überströmt, außergewöhnlich freudig für das bulgarische Volk, denn es ist verbunden mit seiner Auf­erstehung, mit der Verwirklichung seiner jahrhundertealten nationalen Ideale, denn gerade vor dem Feiertag wurden Thrakien und Makedonien durch die wohltuende Sonne der Freiheit beleuchtet.“

Vermeintliche Analogien der Leiden Christi zu jenen des bulgarischen Volkes sollten die Rhetorik rechtfertigen: „Es ist eine unumstrittene Wahrheit, dass die Wahrheit oftmals leidet, aber nie stirbt, denn sie ist unsterblich. (…) So war es mit Christus dem Erlöser – die göttliche Wahrheit, die an das Kreuz geschlagen und begraben wurde, aber am dritten Tag ruhmreich auferstand. (…) So ist es auch mit unserem bulgarischen Volk, das die Wahrheit und die Gerechtigkeit liebt. Vor 23 Jahren wurde es unmenschlich zerstückelt. (…) Ein schwerer Grabstein wurde auf diese unsere unglücklichen begrabenen Brüder gelegt – ein Stein, besiegelt und beschützt durch verschiedene Übereinkünfte,

1249 Duchovno Văzraždane, 1941, Nr. 5/6, S. 2.

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Absprachen und Blöcke. Aber nun hat der allerbarmherzigste Gott ein großes Wunder an den schwer Entrechteten vollbracht. In der Gestalt der heldenmütigen Söhne des großen Deutschland und ­Italiens hat Dieser Engel geschickt, die in nur wenigen Tagen die riesige Platte aufgehoben haben (…). Und diese unsere Brüder, die mehr als 6 Jahrhunderte unter dem fremden Schrot erschöpft waren, sind vor dem Feiertag der Auferstehung des Erlösers selbst auferstanden, als sie mit unbeschreiblicher Freude und Begeisterung ihren Befreiern begegneten. Solun, die ­Heimat der hll. Kyrill und Method, und Ohrid, die Stadt des hl. Kliment, Skopje und Bitola, Kostur und Voden, Veles und Kukuš – ganz Makedonien und Weißmeerthrakien hat mit Freudentränen den diesjährigen Ostertag begangen und singt bereits in der eigenen Sprache die Siegeshymne ,­Christus ist auferstanden‘.“ 1250

Nicht fehlen durfte hier der Ausdruck der Verbundenheit der Kirche mit dem Zaren, dem „vom ganzen Volk geliebten obersten Führer (vărchoven Vožd)“.1251 Der Priester B. Stoimenov schrieb gleichfalls im offiziellen „Kirchenboten“: „Deshalb ist die Bulgarische Kirche heute freudig, deshalb verfließt die österliche Freude um die Auferstehung des Erlösers mit der Freude um die Auferstehung ihrer verknechteten Kinder. Sie freut sich so sehr, dass die Strahlen der Freiheit über der Heimat der heiligen Brüder Kyrill und Method, des hl. Kliment von Ohrid, des hl. Naum, des hl. Prohor Pčinski, aufgegangen sind, über diesem ganzen Gebiet, das die Kultur nicht nur Bulgarien, sondern dem ganzen Slaventum ge­­geben hat. Sie freut sich, weil die Glocken von [des Klosters] Heilig Kliment schon feierlich läuten, um die Freude eines Volkes zu verbreiten, das viel gelitten hat, das von neuem beginnt zu beten und zu lesen und zu schreiben in seiner eigenen (roden) Sprache.“ 1252

Mit der Rede von Kliment fand der „Kirchenbote“ hier eine Möglichkeit, die Ein­­ verleibung Vardar-Makedoniens in einem bulgarischen Zusammenhang zu feiern, ohne ausschließlich auf den eigentlichen Urheber der kriegerischen Aktion zu verweisen – den in derselben Nummer der offiziellen Kirchenzeitschrift hochgeehrten Adolf Hitler: „Ehre (…) sei dem gotterwählten (bogoizbranija), genialen Führer Deutschlands Hrn. Adolf ­Hitler, der die ihm von der Vorsehung auferlegte hohe Mission erfüllt, Recht und Ordnung in Europa einzuführen, und dabei unser nationales Ideal – San-Stefano-Bulgarien – verwirklicht hat“.1253

1250 1251 1252 1253

Cărkoven Vestnik, 18.4.1941, Nr. 17 – 18, S. 189 f. Cărkoven Vestnik, 18.4.1941, Nr. 17 – 18, S. 190. Cărkoven Vestnik, 2.5.1941, Nr. 19, S. 212 – 214. Auf derselben Seite, auf der dieser Beitrag begann, stand das Ende eines Artikels unter dem Titel „Der nationale (nacionalnijat) Traum ist bereits Wirklichkeit“: „Ruhm und Ehre dem Allerhöchsten Gott, der unseren jahrhundertalten nationalen (nacionalen) Traum erfüllt – und ihn in die Wirklichkeit umgesetzt hat. Ehre, Dank und ewige Anerkennung dem gotterwählten (bogoizbranija), genialen Führer Deutschlands Hrn. Adolf Hitler, der die ihm von der Vor­ sehung auferlegte hohe Mission erfüllt, Recht und Ordnung in Europa einzuführen, und dabei unser nationales Ideal – San-Stefano-Bulgarien – verwirklicht hat.“ Cărkoven Vestnik, 2.5.1941, Nr. 19, S. 212.

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Wenige Tage nach der Eroberung organisierte das Bildungsministerium einen „Sternlauf der Schuljugend“. Aus Preslav bewegten sich Schüler mit einer Fackel in die moderne Hauptstadt. Darauf sollte das „heilige Feuer“ durch die bulgarischen Gegenden nach Skopje überführt werden:1254 Bulgariens angebliche Auferstehung sollte inszeniert und allen Bulgaren bewusst gemacht werden. Über die Ankunft des „heiligen Feuers“ in Sofia hieß es im „Dnevnik“, der über das Ereignis breit berichtete: „Die Hauptstadt hat gestern das heilige Feuer feierlich aus Preslav entgegengenommen. Das heilige Feuer – ein Symbol des unauslöschlichen bulgarischen Geistes – wurde mit stürmischem Applaus angenommen. Schon von 6 Uhr nachmittags an begannen Tausende von Bürgern, Schülern und Schülerinnern mit ihren Musiken und die makedonischen Bruderschaften mit ihren Fahnen zum Boulevard ,Befreier-Zar‘ zu strömen. Auf dem Platz vor der Orlovija-Brücke sammelten sich die Junker und Kadetten, eine Rotte der ,Kämpfer‘ (,Brannik‘) mit nationalen Trikoloren, eine Einheit der Rotkreuzler, eine Gruppe junger Jäger, junger Sportler und die Tanzgruppe ,Srědec‘ in nationalen Trachten.“ 1255

Anwesend waren nicht nur der Vorsitzende des BNSF – des Bulgarischen Natio­nalen Sportverbandes – und der Vorsitzende des Fahrradfahrerbundes sowie weitere „Leitungs­ gremien von Sportorganisationen“, sondern auch Regierungsvertreter. Die Einbindung des sportlichen Assoziationswesens in staatliche und nationale öffentliche Massen­ veranstaltungen ist mit der bewussten Imagination eines gesunden, gestählten und disziplinierten Volkskörpers charakteristisch für die Zwischenkriegszeit, sei es in der Sowjetunion oder in den tschechoslowakischen und jugoslawischen Sokoltreffen oder im nationalsozialistischen Deutschland. Gemeinsam mit den jugoslawischen Anlässen hatte diese bulgarische Veranstaltung die gleichzeitige Sakralisierung der Nation. „Der Führer der Feuerträger war Hr. Stoilov – der Direktor für Mittlere Bildung im Bildungs­ ministerium. Er erklärte uns: ,Vom ewigen Feuer, das in Preslav in der Kirche Simeons des Großen brennt, hat Metropolit Josif eine Öllampe (kandilo) angezündet, die wir hierher in die Hauptstadt getragen haben. Überall hat uns die Bevölkerung einen feierlichen Empfang bereitet. Hier zünden wir mit der Lampe vier andere ähnliche Lampen an, mit denen das heilige Feuer in fünf Enden des Großen Bulgarien getragen wird. Auf dem ganzen Weg begegnete uns die Bevölkerung, die Öllampen und Kerzen vom Feuer anzündeten.‘“ 1256

Nach dem Zug durch die Stadt und ihre Boulevards „vor Tausenden Hauptstädtern, die unablässig akklamierten“, erreichte das Feuer den Hof des Zaren: „Die Feuerträger und der ganze Umzug traten in den Hof unter unablässigen Ovationen. Hier waren der Premierminister Hr. Prof. Bog. Filov, der Vorsitzende der Volksversammlung Hr. K ­ alfov und andere wichtige Persönlichkeiten. In diesem Moment traten Ihre Hoheiten der Zar und die Zarin und Ihre Hoheiten Fürst Kiril und die Fürstin Evdokija heraus. Der Kommandant der haupt­städtischen

1254 Weber (2001), S. 265. 1255 Dnevnik, 21.5.1941, Nr. 12422, S. 3. 1256 Dnevnik, 21.5.1941, Nr. 12422, S. 3.

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Garnison nahm die Lampe und übergab sie dem stellvertretenden Vorsitzenden des Heiligen Synods Seine Hochwürden den Metropoliten Neofit von Vidin, der sie Hrn. Kalfov übergab und letzterer überreichte sie dem Premierminister Hrn. Prof. Bog. Filov, der die Lampe Seiner Hoheit dem Zaren übergab. Seine Hoheit heftete ein Band der nationalen Trikolore an die Kerze mit dem heiligen Feuer und übergab sie einem Rotkreuzler (červenokrăstec), damit sie nach Skopje gebracht werde.“ 1257

Auch die Lampen, die nach Ohrid, nach Dede-Agač, Silistra und Pirat in den übrigen eroberten Gebieten gebracht werden sollten, versah der Zar mit einer solchen Schleife. Anschließend hielt der Zar folgende, auf der ersten Seite des „Dnevnik“ tags darauf veröffentlichte Rede: „Mit Ehrfurcht nehme ich das heilige Feuer an, das in unserer alten Thronstadt Preslav entzündet wurde, und mit Andacht übergebe ich es euch, den jungen Bulgaren, damit ihr es in alle ­Gegenden der neubefreiten bulgarischen Länder tragt. Seine Flamme, die während ganzer Jahrhunderte in Preslav, Tărnovo und in dem Heiligen Rilaer Kloster leuchtete, mag am Tag der hll. Kyrill und Method mit neuem Schein sich im Wasser der Donau, des Vardar und der Nišava spiegeln, im Ohrider See und im Weißen Meer. Dieses Feuer, das Symbol der geistigen Einheit des gesamten bulgarischen Volkes, möge die Seelen erhellen, die Herzen wärmen und alle Bulgaren um seine Göttliche Flamme (Božestvennija si plamăk) vereinen im Namen unserer teuren Vermächtnisse und Heiligtümer, jahrhundertealter Sehnsüchte und geheimer Ideale. Dieser göttliche Funke, der das Jahrtausend unserer Geschichte ist, ist inmitten von Größe und Ruhm, im Kampf und in der Niedergeschlagenheit, nie erloschen, er hat den unbeugsamen bulgarischen Geist geschaffen und gestählt (kali) sowie seinen unaufhörlichen Flug zur Freiheit und zum Fortschritt. Es möge dieses Göttliche Feuer unser ganzes freies heiliges Land (naša svobodna sveštena zemja) erneut ­erleuchten und erwärmen. Die erflammten Seelen und Herzen mögen dieses wohlhabende und mächtige Land errichten (izgradim).“ 1258

Beleuchtet durch das „heilige Feuer“, das als Teil eines angeblich über die Jahrhunderte hinweg brennenden„Göttlichen Feuers“ erklärt wurde, wurde Bulgarien zum „heiligen Land“ stilisiert, gewissermaßen als physische Objektivation eines „bulgarischen ­Geistes“, der seinerseits aus diesem Feuer hervorgegangen sein sollte. Das „­heilige Feuer“ in­­szenierte so eine geschichtliche Kontinuität bulgarischer staatlicher und „geistiger“ Existenz. Die räumliche Wanderung des Feuers von einem Erinnerungsort zum ­nächsten stellte den territorialen Erinnerungsraum einer zu zelebrierenden geographischen und ethnischen Einheit Bulgariens her.1259 Der Zar nahm in diesem Spektakel für die Massen die Rolle des Zeremonienmeisters ein. Mithilfe der Massenmedien und der Kirche wurden ein vollständiges Bulgarien imaginiert und die territoriale Ausdehnung als rechtens dargestellt: „Das heilige Feuer brennt in vielen Städten und in fast allen Kirchen und in Zehntausenden ­Häusern in den entferntesten Gegenden des heimatlichen Landes. (…) Am heutigen Morgen erhielt die Redaktion Nachrichten von fast allen Grenzpunkten an der früheren Grenze. Gemäß diesen Mitteilungen

1257 Dnevnik, 21.5.1941, Nr. 12422, S. 3. 1258 Dnevnik, 21.5.1941, Nr. 12422, S. 1. 1259 Weber (2006), S. 345.

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hat das heilige Feuer schon die frühere Grenze überquert und wird zielstrebig von den jungen Bulgaren getragen nach Dimir Chisar, Skopje“.1260

Die Überschreitung und symbolische Auslöschung der Grenze, die noch vor wenigen Tagen gültig war, wurde zum Kern des Ereignisses. Am 26. Mai erreichte das Feuer Ohrid. Der Reporter der Tageszeitung „Dnevnik“ berichtete seiner Redaktion über eine Telefonverbindung: „Das Eintreffen des heiligen Feuers in Ohrid verwandelte sich in eine nie dagewesene Feier, die unauslöschlich im Gedächtnis der Ohrider Bevölkerung bleiben wird. Das Feuer wurde schon außerhalb der Stadt vom Metropoliten Filaret empfangen, vom Bürgermeister der Stadt Ohrid, vom Bezirkschefbeamten Christov, von allen offiziellen Personen, bulgarischen Geistlichen und vielen Bürgern. Die feierliche Übergabe des Feuers fand auf dem Platz vor den Wassern des Ohrider Sees selbst statt. Hier wurde ein Gestell (analoja) aufgebaut. Bischof Filaret nahm das Feuer aus den Händen des Führers der Gruppe der Feuerträger, des Herrn [Nikola? S. R.] Balabanov, der eine begeisterte Rede hielt, wobei er unterstrich, dass das in Preslav entfachte heilige Feuer, überführt bis zu den äußersten Grenzen des Zarenreiches, die Verbindung zwischen dem alten Bulgarien und Makedonien symbolisierte. Danach segnete der Metropolit Filaret das Feuer. Die gesamte Menge, welche an diesem feierlichen Akt anwesend war, stimmte die Nationalhymne ,Es rauscht die Marica‘ und die ,Hymne auf den Zaren‘ an. Der Schüler Kliment Malenkov hielt einen Vortrag, in dem er ausdrückte, dass die Ankunft des heiligen Feuers in Ohrid unterstreiche, dass Make­ donien von nun an sich in voller Harmonie mit allen bulgarischen Ländern von der Donau bis zum Weißen und vom Schwarzen Meer bis zum Ohrider See entwickeln werde. Nach dem Anzünden der Opferflammenschale (žertvenicitě) bildete sich eine große Manifestation, angeführt durch die offiziellen Personen, welche durch die Straßen des alten Ohrid zur Kirche des hl. Kliment führte, damit dort Kerzen angezündet wurden. Vor den Toren der Kirche trugen Geistliche eine alte Kerze nach draußen, die während der ganzen Zeit der fremden Sklaverei versteckt worden war. Die Kerze wurde am heiligen Feuer entzündet. Hier wurden Ansprachen gehalten, in denen verkündet wurde, dass Makedonien nun ewig untrennbar von der Mutter Heimat (majkata-rodina) sein werde.“ 1261

Dank der direkten Berichterstattung aus der neuen Provinz wurde das Ereignis mit den Massenmedien der Hauptstadt verbunden. Trotz dieser mit allen Mitteln inszenierten Einheit blieb Makedonien jedoch im Wortgebrauch vom „alten“ Bulgarien unter­schieden – selbst in diesem Artikel hieß es über die Feuerträger: „Die Gruppe blieb gestern zur Erholung und ging heute zurück nach Bulgarien.“ 1262 Das Ereignis sollte aber mithilfe neuer lokaler Medien auch vor Ort integrierend wirksam sein: Auch die eben erst in Skopje ins Leben gerufene Zeitung „Makedonien“ berichtete in ihrer dritten Nummer von der Ankunft des „heiligen Feuers“, das angeblich „die unerschöpfliche Energie unseres Volkes symbolisiert und seinen ewigen Drang zur

1260 Dnevnik, 22.5.1941, Nr. 12423, S. 1. 1261 Dnevnik, 26.5.1941, Nr. 12425, S. 2. 1262 Dnevnik, 26.5.1941, Nr. 12425, S. 2.

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Kultur und zum Licht“.1263 An derselben Stelle wurden zudem genauere Angaben zur Zusammensetzung der Feiernden in Skopje gemacht: „Skopje erreichten aus diesem Anlass repräsentative Gruppen von Schülern und Schülerinnen von Gymnasien und technischen Schulen in Sofija, Tărnovo, Svištov – gemeinsam mit Studenten der Akademie von Tărnovo. Ebenfalls kam eine Gruppe von Jungen und Mädchen an, die von Hrn. Nik. Stojanov geführt wurde, dem Untervorsitzenden des Verbandes der gymnastischen Vereinigungen ,Junak‘ (,Jugendlicher (Held)‘). Alle kamen mit ihren Musiken an. Aus Sofija, Plovdiv und Pernik reiste auch eine Gruppe der Makedonoodrinischen Vereinigung an, angeführt durch ihren Vor­sitzenden Milan Damjanov. Die Schriftsteller Frau Elisaveta Bagrjana, Stilijan Čilingirov – der Vorsitzende des Schriftstellerverbandes, und Dobri Nemirov – als Vertreter des Bildungsministeriums rundeten mit ihrer Anwesenheit und Teilnahme die erwartete allnationale (vsenarodno) Feier ab.“

Die Beteiligung von Sportorganisationen unterstreicht die Bestrebung, die Feiern als Darstellung eines einheitlichen und gesunden, jugendlichen Volkskörpers zu gestalten. Weitere offizielle Vertreter bekräftigten das bewusste Ziel der Organisatoren, möglichst viele Gruppierungen und Institutionen als Repräsentanten eines vereinten Bulgarien die Feiern vor Ort mittragen zu lassen. Die Feier fand – nicht zufällig – am Gedenktag für die Brüder Kyrill und Method statt: „Die diesjährige Feier der hll. Kyrill und Method war durchdrungen von der Idee, dass der erlangten Einigung aller Bulgaren in einem Staat tatsächlicher Ausdruck gegeben werden sollte.“ Kirchenfürsten wirkten nicht nur als stumme Akteure an den durch sie sakralisierten öffentlichen Handlungen mit, sondern unterstützten die Inszenierungen auch verbal. So sagte der Metropolit von Skopje und Veleš Sofronij bei der Übernahme der Flamme: „Gesegnet sei das Feuer von der Preslaver Kirche des großen Zaren Simeon. Im Namen des Heiligen Synods der bulgarischen orthodoxen Kirche nehme ich diese Leuchte, damit sich durch sie in alle Häuser der makedonischen Bulgaren das heilige Feuer ausbreite.“ Nicht nur die Staatsführung, sondern auch die höchste kirchliche Institution waren damit explizit und als Hauptakteure an der Herstellung der neuen nationalen Einheit beteiligt. Aber auch das bulgarische Militär sowie ein Vertreter der Wehrmacht traten in diesem feierlichen Rahmen auf: Der Berichterstatter fuhr fort: „Nach dem Dankgebet begann ein Marsch der lernenden Jugend, der Gäste, des Heeres und des Volkes, vor dem das bulgarische Heer kommandierenden General, vor dem Repräsentanten des Deutschen Heeres, vor den Vertretern der staatlichen Macht, der Gemeinschaft und den ange­ sehenen Gästen.“

Die Feier sollte die früheren, unter serbischer Ägide veranstalteten Gedenkfeiern laut wörtlich zitierten Augenzeugenberichten in den Schatten gestellt haben, wie es in demselben Artikel hieß: „Der Eindruck, die Freude und der Stolz über die begangene festliche Feier des Gedenkens an die heiligen Brüder aus Solun drücken sich im einhelligen und aufrichtigen Bekenntnis aller lokalen

1263 Makedonija, 3.6.1941, Nr. 2, S. 5.

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Bulgaren aus: ,Niemals haben wir die hll. Kyrill und Method so gefeiert. Die Serben haben nie eine ähnliche Feier und Begehung organisiert‘.“ 1264

Die Legitimierung der bulgarischen sowie die Delegitimierung der früheren jugo­ slawischen Herrschaft erfolgten gerade und ganz gezielt mithilfe der Feier des exzessiven Gedenkens an die Brüder. Die Wiedereroberung Makedoniens wurde in der Darstellung von Geistlichen der bulgarischen orthodoxen Kirche zum Gottesbeweis. Es festigte sich die Beschreibung Makedoniens als „Altar“ Bulgariens: Der Geistliche M. Christov schrieb in einem Leitartikel der Zeitschrift „Geistliche Wiedergeburt“ zur Mitte des Jahres 1941: „Großes Bulgarien! Ein heiliger Traum. Ein großes, helles und heiliges Ideal. (…) Dies ist ein in Erfüllung gegangener Traum, (…) den wir mit dem Blut Tausender Opfer genährt (­podchranvachme) haben, die zu seinem Triumph und Ruhm gegeben wurden. (…) Dieses [das bulgarische Volk, S. R.] hat tief geglaubt, dass die Vorsehung dieses schändliche Verbrechen nicht ungesühnt l­ assen würde, dass Gott Gott ist und die Gerechtigkeit und die Wahrheit, dass er noch dessen Ruf hören würde, die Schreie und das Stöhnen, und es von den Ketten der Versailler Tyrannei befreien würde. (…) Lasst uns um den Thron unseres großen Vereiniger-Zaren (car’ obedinteľ [sic!]) und den Altar des teuren Bulgarien geschart von einer Ambition besessen sein – dass wir als Volk das erste auf dem Balkan sein werden, lasst uns mit uneigennütziger Liebe für das große, vereinte und freie Bulgarien arbeiten.“ 1265

Im Zweiten Weltkrieg folgten damit neue Höhepunkte der Sakralisierung Bulgariens. Christusgleich sollte es „auferstehen“. Die Imagination eines auferstandenen, geeinigten Bulgarien und einer intensiven Berichterstattung in den Massenmedien sollte die räumliche Dimension des Gedenkens sozial verankern. D 9.2.5  Makedonien und ,der bulgarische Gott‘ – kriegstheologische Kulminationen

In der bereits zitierten Ansprache Sněgarovs in Ohrid 1941 spielte Kliment über weite Strecken eine wichtigere Rolle als Makedonien selbst. Selbstverständlich war Makedonien als sakrale ,mental map‘ in diesem Text jedoch von herausragender Bedeutung, so sehr er durch Kliment definiert wurde: „Fürst Boris entschied, den begabtesten Schüler Kyrills und Methods als Aufklärer nach Make­ donien zu entsenden, da er fürchtete, dass dessen Bevölkerung, die einem starken griechischen Einfluss aus Solun und Drač ausgesetzt war, sich der Gräzifizierung (pogrăčvane) hingeben könnte. Kliment war die schöpferische Kraft, die einen Felsen des Bulgarentums schuf, hart wie Granit; die geistige Kraft, die dieses antike Land soweit umgestaltete, dass es zu einer unauslöschlichen Feuerstelle des bulgarischen Bewusstseins und zur Wiege der bulgarischen Renaissance wurde,

1264 Makedonija, 3.6.1941, Nr. 2, S. 5. 1265 Duchovno Văzraždane, 1941, Nr. 7, S. 2.

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eingezäunt durch die Jahrhunderte von unzerstörten Festungen der bulgarischen Kultur wie Ohrid, Struga, Skopje, Tetovo, Bitola, Prilep, Veles, Štip, Voden, Kostur, Solun und Kukuš. Die einst unbedeutende illyrische Stadt Lichnida, so weit sie von der Wiege des bulgarischen Staates entfernt lag, wurde eine der begeisterten Verkünderinnen des bulgarischen Namens und die eifrigste Schützerin der heiligen bulgarischen Traditionen, des jahrhundertealten (věkovno) Banners der bulgarischen geistigen Macht. Dieses heilige Banner hat uns heute an dieser leuchtenden Feier des bulgarischen Geistes versammelt.“ 1266

Parallel zur Nationalisierung und partiellen Säkularisierung Kliments wurde das „Schicksal“ des bulgarischen Volkes erneut erfunden und sakralisiert: D. Ivanov ging im fünften Jahrgang der von der Metropolie Vraca herausgegebenen Zeitschrift „Geistige Wiedergeburt“ in der Nummer zu den Monaten Mai und Juni 1941 noch einen Schritt weiter. Er schrieb über Makedonien als dieses „heilige Land“: „Einige nannten dieses heilige Land – ,eine Gruft (grobnica)‘. Es ist wirklich eine Grabstätte, denn es ist übersät mit vielen alten und neuen Gräbern von Märtyrern und Helden, die ,für die Gerechtigkeit und die Freiheit‘ gestorben sind. Dies ist das Golgatha des bulgarischen Geistes, der von hier das ganze bulgarische Volk mit Glanz überstrahlt und ihm seine große Bestimmung (prednaznačenie) weist.“

Nicht nur wurde Bulgarien in dieser Passage in einer offiziellen Publikation der orthodoxen Kirche zu einem „von Gott erwählten (bogoizbran), großen Volk“ – der Kirche wurde für die nahe Zukunft eine neue „messianische Rolle“ zugeschrieben und welt­liche Revolutionäre zu „Großmärtyrern des Bulgarentums“ sakralisiert.1267

1266 Reči ot Rektora na Universiteta, S. 19. 1267 „Es reicht mit der Kleinmütigkeit und dem Jammern! Die großen Tage haben heute erst be­­ gonnen. Die Freiheit unserer Brüder, die mit solchen Opfern erkauft und in den letzten Tagen mit dem wertvollen Blut eines von Gott erwählten (bogoizbran), großen Volkes erkämpft wurde, ist nicht nur die Vergeltung für vergangene Leiden. Dies ist die größte Verpflichtung aller ­führenden Faktoren. Die Bulgarische Kirche, die in der nahen Vergangenheit durch das Exarchat die Grundlagen des nationalen Bewusstseins in Makedonien zementiert hat, hat eine große Aufgabe zu erfüllen. Die makedonischen Bulgaren hegen liebe Erinnerungen an ihre geistigen Hirten, die vor 23 Jahren das Märtyrertum und die Vertreibung wegen ihres bulgarischen Namens ertrugen. Der Glaube an Gott ist hier für alle Erniedrigten und Entrechteten lebendig, mystisch, wirkend. Dieser Glaube wird noch wohlriechende Blumen und gesegnete Früchte der persönlichen und sozialen Tugenden geben, wenn er verständig geschützt und gelenkt wird. (…) Es kommt der Tag, an dem die Kirche zum zweiten Mal in unserer neuesten Geschichte ihre messianische (mesijanskata) Rolle spielen muss. Das Land, das die hll. Kyrill und Method genährt hat, zur stürmischsten Feuerstätte (ognište) der Bildung mit dem hl. Kliment wurde, und die beiden Großmärtyrer des Bulgarentums – die Brüder Miladinov und den gekränzten Poeten Părličev gebar, schläft ermattet und erwartet wie eine ausgetrocknete Wiese einen tränkenden Regen. (…) Große Tage! Großes Bulgarien! Sie brauchen auch große Leute! Gottes Vorsehung lässt das bulgarische Volk nicht ewig im Abgrund der Erniedrigung und Verzweiflung.“ Duchovno Văzraždane, 1941, Nr. 5/6, S. 2 f.

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Mit dem Jahrestag der Eroberung entwickelte sich die Erinnerung an das Ereignis als eine Konsolidierung des nationaltheologischen Diskurses: Zu Beginn des März 1942 schrieb Paisij, der Metropolit von Vraca, in derselben Zeitschrift „Geistige Wieder­geburt“ zu Ostern einen Leitartikel unter der Überschrift „Gott möge auferstehen!“: „Letztes Jahr war die Auferstehung Christi ein neues Ostern für das bulgarische Volk. Die Kirchtürme des hl. Kliment im alten bulgarischen Zion, verkündeten nach einem sechshundert Jahre dauernden verknechteten Schweigen freudig den neuen Tag der allgemeinen Auferstehung des bulgarischen Volkes.“ 1268

In dem kurzen historischen oder vielmehr heilsgeschichtlichen Überblick hieß es sodann: „Bei der idealen Zusammenarbeit zwischen Kirche und Staat entstanden auf diesem Weg und auf diesen heiligen Grundlagen die Größe, der Ruhm und der Wohlstand des Volkes während des ersten und des zweiten bulgarischen Zarenreiches. In diesem heiligen (svešten) Verbund und in dieser Zusammenarbeit wurden unauslöschliche Heiligtümer des Glaubens geschaffen und uneinnehmbare Festungen des bulgarischen nationalen Geistes – Kirchen und Klöster. Diese schützten unser Volk während der Tage der Sklaverei und der Not. Sie hielten im Bewusstsein des Volkes das Golgatha Christi hoch und stärkten den Volksgeist (narodnija duch) mit dem Glauben an die kommende Auferstehung der Kirche und des Zarenreiches zu neuem Leben und zu neuer Größe. Das Abweichen des Volkes vom Weg des Glaubens und der Frömmigkeit und die Verachtung der evangelischen Prinzipien im Aufbau des staatlichen und gesellschaftlichen Lebens führte zum Fall, zu innerer geistlicher Uneinigkeit und Sklaverei.“ 1269

In impliziter Anlehnung an byzantinische, voraugustinische Vorstellungen von der Einheit des staatlichen und des heilsgeschichtlichen Schicksals wurde der Untergang des bulgarischen Staates unfrommem Verhalten der Bulgaren zugeschrieben. Ohne Übergang setzte Paisij seine Analyse fort: „Dies ist die Synthese unserer Geschichte. Heute, wenn wir das Ostern Christi begehen und beinahe die volle Auferstehung des dritten bulgarischen Zarentums feiern, müssen wir uns durch unsere Vergangenheit belehren lassen. Es fallen uns der Ruhm und das Glück zu, die Gottesgabe der nationalen Vereinigung anzunehmen. Dies ist das Werk (dělo) unserer weisen Politik unseres geliebten Zaren, der auf dem vorgezeichneten Weg geht und Segen vor Gott findet. Zar und Volk sind dem Weg des Golgatha Christi würdig gefolgt und haben geduldig die Auferstehung der Gerechtigkeit (pravda) Gottes erwartet. Und nun sind wir geehrt, diese Auferstehung zu feiern.“ 1270

Die Ereignisse während des Zweiten Weltkrieges in Südosteuropa und insbesondere die Eroberung Makedoniens erschienen nun in einem heilsgeschichtlich legitimierten, großartigen Zusammenhang. Der Kirchenfürst beschrieb den Moment als ­entscheidenden, ewigen Wendepunkt bulgarischer Existenz, ja als „Gottesgabe“.

1268 Duchovno Văzraždane, 1942, Nr. 3/4, S. 1. 1269 Duchovno Văzraždane, 1942, Nr. 3/4, S. 1. 1270 Duchovno Văzraždane, 1942, Nr. 3/4, S. 1.

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„Die Ereignisse, deren Zeuge und Teilnehmer wir heute sind, sind einmalig, ohne Wiederholung. Daher hängt davon, wie wir heute unsere Pflicht erfüllen, vielleicht das Schicksal des Volkes für Jahrhunderte ab. Daher, so groß die heutige Zeit ist, umso größer sind unsere Verantwortungen vor Gott, vor dem Volk und vor der Geschichte. Und nur daher müssen wir unsere Pflicht ­würdig erfüllen, ohne wegen Entbehrungen und Opfern innezuhalten; und wir dürfen nicht zulassen, dass auf uns, die heutige Generation des bulgarischen Volkes, historische Schande wegen der unerfüllten Pflicht fällt und dass wir die Verfluchung der kommenden Generationen tragen. So hingebungsvoll (vseotdajno), wie wir unsere Pflicht vor Gott und unserem vaterländischen Altar erfüllen, wird der Segen Gottes sein.“ 1271

Metropolit Paisij machte Bulgarien hier zu einem isolierten Subjekt der Heilsgeschichte, die sich in byzantinischer Tradition auf das Reich konzentrierte. Die lokalen Ereignisse des Krieges wurden gegenüber Gott und dem „vaterländischen Altar“ in eine ­Beziehung gestellt. Das resakralisierte bulgarische Reich auferstand im Krieg. Diese kriegs­theologische Interpretation der Dinge war kein Einzelfall, wie schon im Kapitel zum intensivierten Zarenkult gezeigt werden konnte. Die Imagination einer Auferstehung Bulgariens wurde nicht nur im Rahmen von öffentlichen Feierlichkeiten und in der Publizistik auch von Kirchenfürsten vertreten, sondern etwa auch in Schulen gelehrt: Die Zeitschrift „Krieger (Brannik)“ der gleich­ namigen, nach dem Vorbild ähnlicher Vereinigungen bei den Achsenmächten ent­standenen Jugendorganisation, veröffentlichte am 13. April 1942, ein Jahr nach der Eroberung Makedoniens, einen Aufsatz von Asen Kalešev, eines Schülers der fünften Klasse, und „Freischärlers“ (četnik): „Die Auferstehung“. Nach einer Schilderung der christlichen Tradition schrieb der Autor analog zu Bulgarien: „An einem der frühen Frühlingstage feiert das heimatliche Land. Man feiert auch dessen Söhne. Bulgarien wird gefeiert. Seine Auferstehung wird gefeiert. Bulgarien war dazu verurteilt, unter seinem hämisch lächelnden Feind zu leiden. (…) Es litt ein Vierteljahrhundert. Und trug seine ­Leiden ruhig, wie Christus. Und es ist groß auferstanden, wie Er. Die blauäugigen (sineokitě) Künder der neuen Ordnung befreiten das heilige Makedonien und auch das flache Thrakien. (…) Wir sind vereint. Die Söhne des vereinigten Bulgarien, des auferstandenen Bulgarien.“ 1272

Mit der Erinnerung der Eroberung sollte sich die nationaltheologische Vorstellung von der „Auferstehung“ auch in den Schulen festigen. Auch nichtgeistliche Publikationen setzten nach der Eingliederung Makedoniens in Bulgarien 1941 verstärkt auf religiöse Legitimierungszusammenhänge. So schrieb N. Kolarov – offenbar Nikola Kolarov, der die 1941 in Skopje eingerichtete „Direktion für nationale Propaganda“ leitete 1273 – im Januar 1943 im ersten Leitartikel der in Skopje erstmals erscheinenden „künstlerischen wissenschaftlich-populären Zeitschrift“ „Makedonija“:

1271 Duchovno Văzraždane, 1942, Nr. 3/4, S. 1 f. 1272 Brannik, 13.4.1942, Nr. 3, S. 1. 1273 Opfer (2005), S. 244, S. 257.

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„Und wenn auch die Serben und Griechen, trotz der in den letzten Jahrzehnten geschmiedeten Beweise von der Propaganda mit Irrtümern und Fälschungen, meinen, Makedonien bleibe für uns ein Land nur wegen imperialistischer Bestrebungen und der territorialen Ausweitung, ist es für die Bulgaren ein heiliges nationales (nacionalen) Patrimonium, unser nationales Schicksal. Es trägt mit Recht den Namen der Wiege der bulgarischen Kultur. In seinen südlichen Gebieten am Weißen Meer wurden die heiligen apostelgleichen Kyrill und Method geboren, hier übersetzten sie die heiligen Bücher in den dortigen Dialekt; an den Ufern des zauberhaften Ohrider Sees säte der hl. Kliment die bulgarische Bildung; in den Gebirgsschluchten der Makedonischen Gebirge entstanden unsere größten Klöster, sie waren Feuerstätten des nationalen Bewusstseins – das Rilaer, das Zografski, das Osogovski, das Lesnovski, das Pčinski, das Lešočki, das Bigorski, das ,Heilig Naum‘ und andere.“ 1274

Der Aufzählung dieser religiösen Koordinaten folgte eine Liste der Akteure des 19. und des frühen 20. Jh. Die Sakralisierung Makedoniens diente der Kriegsverherrlichung: „Makedonien ist das Land, in dem sich die erhabenste Form des bulgarischen Kämpfertums gezeigt hat.“ Das Blut der Krieger sollte die räumliche Vorstellung heiligen: „Mit diesem Blut und mit diesen Opfern ist Makedonien zum allgemeinbulgarischen Altar geworden. Sein Land, das mit dieser heroischen Vergangenheit verbunden ist, strahlt für jede bulgarische Seele eine besondere nationale Mystik und Romantik aus.“ 1275 Der bulgarische Wettstreit mit griechischer und serbischer Historiographie wurde nun in Skopje durch eine staatliche Behörde der Propaganda getragen. Bulgarische Publizisten zogen alle Register, die Annexion zu rechfertigen. Religiöse Erinnerungsorte und die Rede von Makedonien als „allgemeinbulgarischem Altar“ dienten hierzu an vorderster Front, noch vor dem Zaren: Erst auf der nächsten Seite desselben Heftes der Zeitschrift „Makedonien“ fand eine großformatige Fotografie des Zaren Boris III. im Offiziersmantel Platz, die am 3. Oktober 1942 während seines Besuchs in Skopje aufgenommen worden war. Es folgte ein Bericht des in Sofia und Warschau ausgebildeten Slavisten und Ethnographen Christo Vakarelski, der das zum 25. Mai 1942 als Ersatz des Museums Süd­serbiens neu eröffnete und bulgarisierte 1276 Nationalmuseum in Skopje leitete, unter dem Titel: „Die kulturelle Vergangenheit Makedoniens und die serbische Wissenschaft“. Vor der Darstellung des serbischen Standpunktes wurde hier der bulgarisch-make­donische bekräftigt: „Städte wie Solun waren Städte bulgarischer Sprache, was sich beweist aus dem Auftauchen der ersten Buchgelehrten unter den Slaven insgesamt – der Schöpfer des bulgarischen Alphabeths Kyrill und Method. (…) alle Schüler Kyrills und Methods wurden als Heilige aus Makedonien verehrt. Dies ist sichtbar an den zahlreichen alten Kirchen, die der ,hl. Siebenzahl‘ gewidmet sind, davon zeugen die Ikonen, die auf den alten Kirchenwandgemälden sind, die Holzstatue des hl. Kliment in Ohrid [deren Fotografie zu Beginn des Heftes großflächig eine ganze Seite einnimmt, 1274 Makedonija, 1943, kn. 1, S. 2. 1275 Makedonija, 1943, kn. 1, S. 2. Die Schrift „Makedonien in der bulgarischen Geschichte“ von Ivan Dujčev war im Vergleich geradezu nüchtern gehalten, abgesehen vom Lob Deutschlands und Italiens am Ende der Broschüre: Dujčev (1941b), S. 44. 1276 Weber (2006), S. 376.

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S. R. (Abb. 1)] und besonders die lebendigen Erinnerungen und Legenden aus dem westlichen Makedonien um den hl. Kliment und den hl. Naum. Deren Schutzherrschaft über die lokale Be­ völkerung wird auch heute in den Lieblingsnamen Kliment und Naum, Naumče, erkennbar. Die kyrillisch-methodische (Kirilo-Metodievskata) bulgarische Kultur war mächtig. Das bulgarische Bewusstsein in Makedonien und weiter, in allen Richtungen, war recht stark“.1277

Erst Ende des 13. Jh. seien serbische Herrscher belegt. Vakarelskis Abriss bulgarischmake­donischer Geschichte reichte bis in die Gegenwart. Zur Festigung dieser Dar­ stellung forderte er: „Eine Enzyklopädie der bulgarischen Kultur, des bulgarischen Geistes und der bulgarischen Geschichte in Makedonien, wie sie möglichst bald ausgearbeitet werden muss, würde auch den verschlossensten Feinden der Bulgaren im Ausland zeigen, wie umsonst und wie gewissenlos die ganze Handlung, alle diesbezüglichen Falsifizierungen der Wahrheit sind.“

Dieses Projekt einer Enzyklopädie richtete sich in erster Linie gegen die serbische Wissenschaft der vorhergehenden Jahre. „Die Serben“ hätten zur Rechtfertigung ihrer Präsenz in Makedonien „die ganze Wahrheit auf den Kopf gestellt, um sich selbst von irgendwelchen Grundansprüchen (osnovanija nad) auf Makedonien zu überzeugen“. Dazu hätten sie „eine spezielle Universität in Makedonien eingerichtet. Dies war eine Universität der speziellen „Bildung“, zur Erfindung von Beweisen und zur Einflößung neuer Denkweisen.“ 1278 Vakarelski, der Direktor des Nationalmuseums, kritisierte zudem: „Als sie auf diese Weise keinen Erfolg haben konnten, da die leidenschaftslose Wissenschaft im Ausland keine dieser wissenschaftlichen Sofistiken achtete, versuchten sie die Festung mit List zu nehmen. Sie riefen Ausländer auf, unglückliche Flüchtlinge, früher geachtete Slavisten, und wünschten von ihnen eine Theorie des Nichtbulgarentums Kyrills und Methods – der Makedonen, die die bulgarische Schriftsprache geschaffen hatten. (…) Diese ganze ,Wissenschaft‘ jedoch ist in sich selbst zusammengefallen wie ein Kartenhaus, gemeinsam mit dem Zusammenbruch des künstlichen (südslavischen) Staates selbst“.1279

Die Abhängigkeit des wissenschaftlichen Diskurses vom staatlichen war hier durchschaut – jedoch nur für die andere Seite. 1943 hätte absehbar sein können, dass die bulgarische Gegenwart in Makedonien gefährdet sein würde. Des Weiteren enthielt dieses erste Heft der Zeitschrift „Makedonien“, das auch ihr letztes bleiben sollte, einen „Überblick über das kulturelle Leben in Makedonien vom 10. Jh. an“: „Das bulgarische Volk hat durch die Jahrhunderte der bulgarischen Existenz in den makedonischen Gegenden deren geistige Grundlage gesehen. Es sind nicht geologische oder natürliche Reich­tümer, die die Blicke der Bulgaren aus anderen Gegenden zu den Tälern der Struma, des Vardar, der Drina

1277 Makedonija, 1943, kn. 1, S. 4. 1278 Makedonija, 1943, kn. 1, S. 7. 1279 Makedonija, 1943, kn. 1, S. 7 f.

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und der Bistrica lockten, oder zu den Ansichten Ohrids oder von Prěspa. Die Verlockung bestand immer im Bewusstsein und im Gefühl, dass sich in diesen Gegenden die bemerkenswertesten Erscheinungen unserer nationalen (narodnostna) Kultur entwickelt hatten, mit deren Äußerung sich die Bulgaren in der Geschichte nicht nur der ganzen Slavenheit auszeichnen, sondern auch vieler anderer nichtslavischer Völker. Die Werke (dělata) Kyrills und Methods aus Solun, Kliments von Ohrid, Samuils, der Volkssänger des Spätmittelalters, die ein Volksepos schufen, wie es nicht zehn Völker haben (kakăvto němat desetki narodi), die die Bilder des Königs (Krali) Marko, des Helden (Junak) Momčilo, des Alten Novak etc. etc. schufen, sind Erscheinungen des bulgarischen Geistes aus den makedonischen Ländern. Dies sind Mittelpunkte (stožeri) der bulgarischen Kultur, die das Bulgarentum (bălgarštinata) in allen Winkeln des Balkans bis zum letzten Tag der fünfeinhalb Jahrhunderte der Sklaverei stärkten. Daher beschäftigt sich die bulgarische Regierung seit ihrem Einmarsch in diese unsere befreiten Gebiete vor allem mit der Reinigung der Wege der Erscheinung unserer uralten hiesigen Kultur (tăděva).“ 1280

Makedonien wurde hier zum Ort stilisiert, in dem sich religiöse und weltliche „Mittelpunkte“ der essentialistisch imaginierten bulgarischen Kultur oder „Erscheinungen des bulgarischen Geistes aus den makedonischen Ländern“ konzentrierten. Xenophobe Aktionen wie die „Reinigung“ der bulgarischen Kultur Makedoniens von nicht genannten anderen Elementen wurden mit dem Verweis auf Kyrill und Method legitimiert. Aber auch Bulgarien insgesamt sowie der Zar wurden sakralisiert – die „Heimat“ wurde heiliggesprochen: In der wöchentlichen Zeitschrift für Kinder „Bălgarče“ „für das Schaffen, die Erziehung und die Wissensbereicherung“, die der Lehrer T. M. Raškov am Progymnasium in Pernik herausgab, schrieb dieser im April 1942 ein bereits zitiertes Gedicht auf den Zaren: „Auf den Zaren // Mit mächtigem Geist, der den Göttern eigen ist, / (…) / meine schöne heilige Heimat / werde ein heiliges Paradies auf Erden!“ 1281 Der hier geehrte Zar konnte im nächsten Schritt dieser diskursiven Logik implizit zur nationalpolitisch-theologischen Verkörperung eines nationalen Gottes werden: Der „Kämpfer von Vraca“, das „Organ der Kämpfer des 35. Infanterieregiments aus Vraca“, veröffentlichte am 28. November 1942 ein bereits angesprochenes Gedicht des Soldaten Cvětan Angelov „Auf seine Hoheit den Zaren“. Darin beschwor dieser einen angeblich „geschändeten Volksaltar“, und angesichts der territorialen Erfolge des Zaren auch den „bulgarischen Gott“: „Groß und großzügig war der bulgarische Gott!“ 1282 Angesichts dieser Zuspitzungen fiel das Echo auf den Tod Borisʼ III. 1943 vergleichsweise nüchtern aus: So berichtete die Tageszeitung „Utro“ unter der Schlagzeile: „Die heilige bulga­ rische Erde wird den Zaren Boris auf ewig beherbergen“.1283 Während des ganzen Zweiten Weltkrieges, insbesondere aber nach der Eroberung Vardar-Makedoniens, wurden ältere politisch-theologische Figuren aufgegriffen und reproduziert: Im Rahmen der Feiern des Tages der „Volkserwecker“ 1941 in Sofia zitierte

1280 1281 1282 1283

Makedonija, 1943, kn. 1, S. 69. Der Bericht erschien unter dem Kürzel Ch. V. Bălgarče, 6.3.1942, Nr. 3, S. 1. Vračanski Boec, 28.11.1942, Nr. 1, S. 1. Utro, 6.9.1943, Nr. 10222, S. 1.

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der Theologe Prof. D. V. Djulgerov, der 1911 – 1915 die Geistliche Akademie in ­Moskau besucht hatte, nach der Liturgie in Anwesenheit des Volksbildungsministers Filov sowie des Kriegsministers General Daskalov dem versammelten Publikum S ­ lavejkovs Zeilen zu „Gott und Bulgarien“ besonders betont am Ende seiner Ansprache.1284 Slavejkovs umfangreiches „Blutiges Lied“, dem diese Verse entnommen waren, erschien 1943 im Rahmen der Gesamtausgabe seines Werks bereits in der sechsten Auflage.1285 Am 4. Dezember 1943 zitierte der „Unsrige (Našenec)“, eine im dritten Jahrgang in Sofia erscheinende wöchentliche Zeitschrift „Für den Soldaten und den Bürger“, das bereits besprochene kriegstheologische Gedicht Vazovs „Der bulgarische Gott“ im v­ ollen Wortlaut: „Und wieder werden wir es meistern! Und noch höher / wird unser freier Flug / entgegen den Kräften der Hölle! / Oh, lebendig, lebendig ist der bulgarische Gott!“ 1286 Auf das Gedicht von Ernst Moritz Arndt „Teutscher Trost“, in dem 1813 ein „teutscher Gott“ beschworen worden war, wurde schon verwiesen – auch dieses schon 1814 erneut im „Katechismus für den deutschen Kriegs- und Wehrmann“, der zum „­heiligen Krieg“ 1287 aufrief, erschienene 1288 paradigmatische Kriegsgedicht wurde gleichfalls u. a. im Zweiten Weltkrieg neu aufgelegt und zur Mobilisierung von Kampfesgeist eingesetzt, so im Buch „Ewiges deutsches Soldatentum“ im Zentralverlag der NSDAP.1289 Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die bereits zu Beginn des 20. Jh. entstandene Vorstellung von einem „bulgarischen Gott“ und die Rede vom „makedonischen Golgatha“ den Weg zu einer Steigerung der Sakralisierung auch Makedoniens als „makedonischer Gott“ ebneten. Die kriegstheologische Darstellung der Heimat als Märtyrer legte nahe, dass sie auch gekreuzigt werden und folglich auch auferstehen konnte – die Logik der sakralen Begrifflichkeit förderte eine solche Zuspitzung im Zweiten Weltkrieg, konkret durch einen orthodoxen Kirchenfürsten. Mit der neuen Besetzung Vardar-Makedoniens 1941 erfolgte die performative Umsetzung des Gedenkens: Das im „heiligen Feuer“ vereinte Bulgarien sollte die räumliche Dimension der nationalen Einigung gesellschaftlich herstellen. Die Rede von der Auferstehung des Reiches sollte die Expansion religiös legitimieren. Makedonien und Bulgarien als Ganzes wurden zur sakralisierten „­heiligen Heimat“. Zudem wurde auch der nationaltheologische Diskurs über Bulgarien als „Gott“ vereinzelt wieder aufgegriffen. D 10  Zwischenbilanz

Mit dem Ende des Ersten Weltkrieges und dem Zerfall des Osmanischen Reiches verdichteten sich die Verweise auf die seit 1800 entwickelten Erinnerungsdiskurse: Die 1284 Cvětkov (1941), S. 1235. 1285 Slavejkov (61943/1944). 1286 Našenec, 4.12.1943, Nr. 151, S. 5. 1287 [Arndt] (21814), S. 56. 1288 [Arndt] (21814), S. 109 f. 1289 Ewiges deutsches Soldatentum, S. 96.

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der Theologe Prof. D. V. Djulgerov, der 1911 – 1915 die Geistliche Akademie in ­Moskau besucht hatte, nach der Liturgie in Anwesenheit des Volksbildungsministers Filov sowie des Kriegsministers General Daskalov dem versammelten Publikum S ­ lavejkovs Zeilen zu „Gott und Bulgarien“ besonders betont am Ende seiner Ansprache.1284 Slavejkovs umfangreiches „Blutiges Lied“, dem diese Verse entnommen waren, erschien 1943 im Rahmen der Gesamtausgabe seines Werks bereits in der sechsten Auflage.1285 Am 4. Dezember 1943 zitierte der „Unsrige (Našenec)“, eine im dritten Jahrgang in Sofia erscheinende wöchentliche Zeitschrift „Für den Soldaten und den Bürger“, das bereits besprochene kriegstheologische Gedicht Vazovs „Der bulgarische Gott“ im v­ ollen Wortlaut: „Und wieder werden wir es meistern! Und noch höher / wird unser freier Flug / entgegen den Kräften der Hölle! / Oh, lebendig, lebendig ist der bulgarische Gott!“ 1286 Auf das Gedicht von Ernst Moritz Arndt „Teutscher Trost“, in dem 1813 ein „teutscher Gott“ beschworen worden war, wurde schon verwiesen – auch dieses schon 1814 erneut im „Katechismus für den deutschen Kriegs- und Wehrmann“, der zum „­heiligen Krieg“ 1287 aufrief, erschienene 1288 paradigmatische Kriegsgedicht wurde gleichfalls u. a. im Zweiten Weltkrieg neu aufgelegt und zur Mobilisierung von Kampfesgeist eingesetzt, so im Buch „Ewiges deutsches Soldatentum“ im Zentralverlag der NSDAP.1289 Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die bereits zu Beginn des 20. Jh. entstandene Vorstellung von einem „bulgarischen Gott“ und die Rede vom „makedonischen Golgatha“ den Weg zu einer Steigerung der Sakralisierung auch Makedoniens als „makedonischer Gott“ ebneten. Die kriegstheologische Darstellung der Heimat als Märtyrer legte nahe, dass sie auch gekreuzigt werden und folglich auch auferstehen konnte – die Logik der sakralen Begrifflichkeit förderte eine solche Zuspitzung im Zweiten Weltkrieg, konkret durch einen orthodoxen Kirchenfürsten. Mit der neuen Besetzung Vardar-Makedoniens 1941 erfolgte die performative Umsetzung des Gedenkens: Das im „heiligen Feuer“ vereinte Bulgarien sollte die räumliche Dimension der nationalen Einigung gesellschaftlich herstellen. Die Rede von der Auferstehung des Reiches sollte die Expansion religiös legitimieren. Makedonien und Bulgarien als Ganzes wurden zur sakralisierten „­heiligen Heimat“. Zudem wurde auch der nationaltheologische Diskurs über Bulgarien als „Gott“ vereinzelt wieder aufgegriffen. D 10  Zwischenbilanz

Mit dem Ende des Ersten Weltkrieges und dem Zerfall des Osmanischen Reiches verdichteten sich die Verweise auf die seit 1800 entwickelten Erinnerungsdiskurse: Die 1284 Cvětkov (1941), S. 1235. 1285 Slavejkov (61943/1944). 1286 Našenec, 4.12.1943, Nr. 151, S. 5. 1287 [Arndt] (21814), S. 56. 1288 [Arndt] (21814), S. 109 f. 1289 Ewiges deutsches Soldatentum, S. 96.

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angebliche nationale Wiedergeburt des 19. Jh. wurde nun selbst zur postosmanischen Erinnerungsfigur. Im übergreifenden Zusammenhang der Weltwirtschaftskrise, der Heraus­bildung autoritärer Regime und der Verbreitung moderner Massenideologien sowie dann des Weltkrieges erfolgten eine weitere Militarisierung und Sakralisierung der Erinnerungsdiskurse im Rahmen von Modernitätsentwürfen. Auch hier werden zunächst nur knapp Ergebnisse für die einzelnen Erinnerungsfiguren genannt. Eine systema­tische Zusammenfassung der Entwicklungen von 1918 bis 1944 folgt im Schlusskapitel. Im Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen war die Erinnerung der Schlacht auf dem Amselfeld durch die Kriege stark verändert worden: Namentlich der einflussreiche Bischof Velimirović deutete das Gedenken an die Ereignisse von 1389 nach dem Ersten Weltkrieg zum Sieg um. Der Bischof propagierte eine neu konzipierte Religion mit der Erinnerungsfigur des Kosovomythos im Zentrum. Ab 1920 forcierten die Regierung des jungen Staates sowie Geistliche und Bischöfe der SOK und ab 1925 auch der Patriarch sowie die Vertreter des Königs die Abhaltung von Vidovdanfeiern. Nicht nur in Belgrad, sondern auch in Skopje und Sarajevo wurden sie zu Massenereignissen. Durch sie sollte die vermehrt als jugoslawisch bezeichnete Nationalideologie mit dem Kosovomythos als Kern zum Mittel der Integration und Mobilisierung der Gesellschaft werden. Gleichzeitig entfaltete sich eine Publizistik, die den Mythos vor Ort im Kosovo und in „Südserbien“ gerade unter der Jugend festigen sollte. Die Diskurse wurden als „Vidovdanideologie des Sokol“ oder „Vidovdanreligion“ der Nation neu entworfen. Die auch mit Sokolwettbewerben verbundenen Feiern wurden, geleitet von Vertretern der Regierung und der Armee sowie von Sportverbänden, zu immer größeren Massenanlässen. Die Vorstellung der Sakralisierung der nationalen Gesellschaft, des Staates und der Dynastie sollte gerade im Rahmen dieser Feiern durch soziale Praktiken im Bewusstsein der Massen verankert werden. Der Savakult der Zwischenkriegszeit war in Belgrad entstanden und wurde zunächst dort von Staat und Kirche sowie theologisch-nationaler Intelligenz funktional und inhaltlich weiterentwickelt. In den 20er-Jahren wurde er dann immer mehr, keineswegs aber immer erfolgreich, zum Medium der Herstellung gesamtjugoslawischer Einheit. Ein serbischer Anspruch auf Hegemonie blieb trotz des jugoslawischen Mantels augenscheinlich. Der Versuch einer Integration des Vielvölkerstaates überwand nirgendwo konfessionsethnische Grenzen, sondern festigte diese vielmehr. Das Gedenken an Kliment war zu Beginn der 1920er-Jahre in Sofia weitgehend unbekannt. Nach dem Verlust Makedoniens an das Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen zu Ende des Ersten Weltkrieges wurde Kliment aber rasch zu einem der wichtigsten Medien der makedonischen Emigration in der bulgarischen Hauptstadt. Vom Ende der 20er-Jahre an berichteten mehrere Sofioter Zeitungen ausführlich über die Patronatsfeiern an der Universität, denen regelmäßig auch der Zar sowie Minister und hohe kirchliche Würdenträger beiwohnten. Nach der neuen Besetzung Makedoniens 1941 übertrug sich der in Sofia entwickelte religiös-nationalistische Diskurs über Kliment auf das makedonische Territorium, um dessen Eingliederung in den Staat sakral zu legitimieren. Führende Sofioter Akademiker nationalisierten Religion und sakralisierten Wissenschaft, um zu fanatischem

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Natio­nalismus zu mobilisieren. Kliments Rolle wuchs in diesen Jahren deutlich: Erst jetzt wurde er als das „jungfräuliche Bulgarien“ befruchtender „Engel“ zu einem der wenigen zentralen Symbole für ganz Bulgarien. Er wurde als „Geist“ der Nation oder als Verkörperung des „Genius des Volkes“ politisch-theologisch zum Kern einer National­ theologie. Serbische Darstellungen des Heiligen waren in mehreren Fällen auch übernational angelegt, um die bulgarisch-nationale Deutung der Figur zu delegitimieren. Der Gedenktag Kyrills und Methods wurde im SHS-Staat als staatlicher Feiertag durch Beamte sowie die Armee und die Kirche begangen. Die Feiern mobilisierten aber in Belgrad weitaus weniger Teilnehmer als das Gedenken an Sava. Während in ­Belgrad aus wissenschaftlicher Sicht Kritik an einer nationalen Vereinnahmung der Brüder geübt werden konnte, dienten sie in Skopje zur Integration der neu gewonnenen, „südserbischen“ Gebiete in das Königreich und wurden zu Serben stilisiert. Im Rahmen der Königsdiktatur verstärkte sich der Einsatz der Brüder neben weltlichen Helden im Zeichen einer südslavischen nationalen Religion, auch in der Überlagerung mit dem Kosovomythos und in Verbindung mit den Sokol- und Jugendverbänden. Im Gegensatz zu den damaligen bulgarischen Diskursen wurden die beiden Soluner Brüder nur selten der eigenen Nation angeeignet und serbisch oder jugoslawisch definiert. Zu Beginn der 1920er-Jahre entwickelte sich in Sofia eine parlamentarische Kontro­verse zwischen Kommunisten und bürgerlich-nationalen Politikern um eine natio­nalistische Aufladung des Gedenkens an die Brüder. In der reflexiven Beobachtung serbischer Texte über die Brüder wurden die serbische Deutung der Erinnerungsfiguren, aber auch die Entstehung der lokalen Verehrung Kyrills und Methods im 19. Jh. dekonstruiert. Gerade auch in der kirchlichen Presse wurde die Begehung des Feiertags der Brüder in den 1930er-Jahren als erst im 19. Jh. eingerichtete, nach langem Vergessen neu als Medium der Nationalgenese eingesetzt beschrieben. Dieser Vorgang wurde dabei bekräftigt. Vereinzelt dienten die Brüder in diesem Kontext zum Entwurf einer bulgarischen Rasse. Häufiger war auch in Texten der Geistlichkeit ihr Einsatz für die Imagination religiösen Nationalismus im Zeichen des modernen „Fortschritts“. Außerdem wurde nun bei Versuchen, nationalisierte Religion zu beschreiben, auf die Brüder verwiesen. Die moderne Massenpresse berichtete über die vom Staat, der Staatskirche sowie der Armee mitgetragenen Veranstaltungen, in deren Rahmen sich die nationale Gesellschaft verkörpern sollte. Das Osterfest des Jahres 1941 stand im Zeichen der sich nähernden „leuchtenden Zukunft“ – Kyrill und Method sollten nun die erneute Besatzung Vardar-Makedoniens legitimieren. Führende Historiker und Kirchenleute förderten mit dieser Erinnerungsfigur als Medium die „Einigung“ und den „unablässigen Kampf“ und näherten sich in diesem Vorgang dem nationalsozialistischen Vokabular an. In der Presse wurde Bulgarien anlässlich der Feierlichkeiten einschließlich der neuen Gebiete und unter Hervorhebung der Hauptstadt als territoriale und nationale Einheit dargestellt. Transnationale Aspekte der früheren Verehrung der Heiligen traten in Texten etwa des Bischofs Kiril ganz in den Hintergrund. Entscheidend war nun ihre Rolle als Förderer des bulgarischen Nationalismus. Mit der Beschreibung ihres Handelns als „Waffe“ in einem „nationalen Kampf“ wurden sie in die Mobilmachung der Bevölkerung für den Zweiten Weltkrieg

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eingebunden. Orthodoxe Geistliche waren beim Entwurf und bei der Propagierung illiberaler nationaler Modernität an vorderster Front beteiligt. Der „Tag der Volkserwecker“ wurde im Vergleich mit den Feiern Kyrills und Methods oder Savas spät und, wie diese, auf Wunsch der betreffenden Regierung eingerichtet. Der Feiertag wurde für die exilmakedonischen Assoziationen eine Gelegenheit, in einem öffentlichen Rahmen Kyrills und Methods sowie weltlicher „Apostel der Unabhängigkeit“ zu gedenken. Im Kontext dieser Feiern wurde Ivan zum wichtigsten „nationalen Heiligen“. Weltliche „Patrioten“ und „Volksheilige“ wurden im Gedenken zu einer natio­nal-religiösen Erinnerungsfigur vereint. Auch im Rahmen dieses Feiertages entwarf die BOK eine illiberale, national-orthodoxe religiöse Modernität, die gesellschaftliche nationale Eigentümlichkeit und „geistig-kulturellen Fortschritt“ darstellen sollte. Mit dem Weltkrieg sollte auch dieser Diskurs zur Legitimierung der Gebietsgewinne dienen. Mit dem Beginn der Herrschaft von Boris III. festigte die BOK seine Verehrung im Gedenken an den hl. Boris I. Im Zweiten Weltkrieg wurde die Beschreibung des Zaren als „Führer“ üblich. Moderne Staatlichkeit und zarische Herrschaft führten in Bulgarien zu Gesellschaftsentwürfen, die als illiberale national-orthodoxe Modernitäten be­­schrieben werden können. Obgleich eine Sakralisierung bulgarischer Zaren bis ins 20. Jh. im Vergleich mi den Nemanjiden nur sehr schwach gewesen war, ließ Boris III. zum Zweck seiner eigenen gesellschaftlichen Legitimation seine Verehrung mit dem Gedenken an Boris I. in der ersten Hälfte des 20. Jh. verschmelzen. Wenige Jahre nach dem Ersten Weltkrieg begann auch in Belgrad eine Sakralisierung der Monarchie in der weltlichen serbischen Presse wie in Publikationen der SOK. Die Referenz auf den Kosovomythos war dabei zunächst häufiger als die Verbindung mit den Nemanjiden. Es festigte sich aber im Gegensatz zu Bulgarien nur eine sehr ­schwache Sakra­lisierung der neuen Könige, trotz der viel stärkeren Sakralisierungs­ tradition ­serbischer Herrscher des Mittelalters. Jugoslawien als plurireligiöser Viel­ völkerstaat hätte eine stärkere religiöse Aufladung der Monarchie noch schlechter ertragen. Auch übergreifende, räumliche Sakralisierungen der Nation verstärkten sich nach dem Ersten Weltkrieg: Im Rahmen des Gedenkens an den Vidovdan wurde kurz nach dem Ende des Krieges die Rede vom „Altar unserer Heimat“ entwickelt. Die Wiederherstellung des Patriarchats in Peć festigte die geistliche Rede von einem „neuen serbischen Jerusalem“. Mit der Vorstellung des auferstandenen „Zarenreiches“ sollte auch Skopje in einen serbischen Herrschaftsraum eingegliedert werden. Im Zweiten Weltkrieg festigten Kirchenfürsten wie Nikolaj Velimirović die Rede vom „himmlischen Serbien“. Die bereits zur Wende ins 20. Jh. entworfene Vorstellung von einem „bulgarischen Gott“ und die Rede vom „makedonischen Golgatha“ erleichterten eine weitere Steigerung der Sakralisierung auch Makedoniens als „makedonischer Gott“ 1925. Wenn eine Heimat als Märtyrer gedacht und ans Kreuz geschlagen werden konnte, war auch ihre Auf­erstehung sagbar. Die Logik der in diesem Diskurs entscheidenden sakralen Begrifflichkeit legte eine solche Zuspitzung nahe. Die Imagination eines auf­erstandenen, geeinigten Bulgarien und der „heiligen Heimat“ sollte die räumliche Dimension der nationalen Einigung und der neuen Besetzung Vardar-Makedoniens zur Herstellung einer homogenen Gesellschaft dienstbar machen.

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Mobilisierung und Sakralisierung der Nation

Nach dem Ersten Weltkrieg und mit dem Ende des Osmanischen Reiches inten­ sivierten sich nationale religiöse Erinnerungsdiskurse der orthodoxen Südslaven weiter. Wesentlich waren die inhaltlichen und funktionalen Veränderungen im Kontext moderner Massenideologien sowie des Zweiten Weltkriegs. Deutlich erkennbar ist eine erneute Sakralisierung der nach 1800 zur Förderung weltlicher Nationen säkularisierten religiösen Erinnerungsfiguren.

E  Schluss

Am Anfang dieser Arbeit stand die Frage, in welchen Ausprägungen sich in den unterschiedenen Phasen vom Mittelalter bis 1944 unter den orthodoxen Südslaven religiöse Erinnerungsfiguren entwickelten: Welche Funktionen kamen ihnen beim Entwurf, bei der Festigung oder Wiederherstellung und Umgestaltung kollektiver Identität sowie herrschaftlicher und später nationaler Loyalität zu? Auf der Grundlage der Zusammenfassungen der Unterkapitel und Hauptteile, die hier im Wesentlichen erneut angeführt werden, soll eine übergreifende Bilanzierung erfolgen. E 1  Transethnische Missionare, Wundertäter, Zarenstädte und Dynastien – religiöse Erinnerungsfiguren im Mittelalter und in der frühen Neuzeit

Kyrill und Method sind als transethnische Akteure in einer auch durch ihre Handlungen (re)produzierten multiplen Kontaktzone zwischen Byzanz, den südslavischen Herrschafsgebieten, Rom und auch Bayern anzusehen. Ihre Verehrung etwa als Moses würdigte transethnisch, anational und universal die christliche Mission. Die nominale Bulgarisierung ihrer Verehrung durch den byzantinischen Bischof Theophylaktos von Ohrid zu Beginn des 12. Jh. kennzeichnet als (trans)kulturelle Praxis die Kontaktzone zwischen Byzanz und seinen slavischen Nachbarvölkern bzw. Untertanen. Im 13. Jh. verbreitete sich ihre Verehrung auch im makedonischen Skopje unter der Herrschaft der Nemanjiden. Entscheidend für die nur geistliche Verehrung der Brüder blieb, dass ihre Reliquien nicht nach Bulgarien gelangten: Weder eine ihnen gewidmete Kirche noch ein Kloster wurden dort als Grablege zum Mittelpunkt ihrer Verehrung. Ein Kult „von unten“ konnte deswegen nicht entstehen. Hingegen erneuerten Kirchenfürsten und Herrscher im zweiten bulgarischen Reich ihre Verehrung im Sinne herrschaftlicher Erinnerungspolitik. Ihre Verehrung diente dort zur Legitimation des neuen kirchlichen und weltlichen Machtzentrums: Neben ihre kirchenprovinzielle Rolle in Ohrid trat in der Hauptstadt Tărnovo eine neue, die herrschaftlich und sakral zugleich war. Noch im bulgarischen Zarenreich war aber ein „schrittweises Verschwinden“ Kyrills und Methods aus den monatlichen Verzeichnissen der zu verehrenden Heiligen zu beobachten. Die Verehrung der Brüder blieb deshalb und kaum wegen der osmanischen Herrschaft in den folgenden Jahrhunderten schwach. Vielmehr erneuerte sich unter den Osmanen im 16. Jh. ihr Kult im serbischen Patriarchat von Peć. Im 18. Jh. wandelte sich die Ver­ehrung der Heiligen im aromunischen Moschopolis im für die Region neuen Medium des Buchdrucks transethnisch um. Entscheidend hierfür waren transimperiale Kommunikationskreise im Mittelmeerraum: Die zuerst in Venedig und dann vor Ort im Osmanischen Reich aufgelegten griechischen Drucke wurden grundlegend für die Verehrung der Heiligen bis ins 19. Jh. Die unter dem Patronat des hl. Kliment stehende, nur dem Namen nach ethnisch als „bulgarisch“ bezeichnete Erzdiözese Ohrid diente von Anfang an und auch im

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Schluss

Osmanischen Reich als Gefäß konfessioneller Herrschaft griechischer Geistlicher über zahlreiche Völker. Im Namen Kliments, der lokal auch als Wundertäter verehrt wurde, beanspruchten die als Patriarchen auftretenden Kirchenfürsten bis zur Aufhebung des Bistums von Ohrid im 18. Jh. die transethnische kirchliche Obrigkeit über Bulgaren, Serben, Makedonien sowie Albanien, die Walachei, die Moldau und Ungarn. Der Buchdruck der in Moschopolis ansässigen gräzisierten Aromunen entwickelte sich ästhetisch und technisch im Rahmen des Barocks und wurde auch von einzelnen bulgarischen Geistlichen wahrgenommen. Diese Verfahren waren wesentlich für das neue Gedenken an Kliment und seine Weggefährten. Neben der Verehrung von Missionaren, Bischöfen sowie geistlichen Wundertätern festigten sich religiöse Verehrungspraktiken aber auch in unmittelbar herrschafts­bezogenen Diskursen: Die Beschreibung neuer Residenzen von Zaren als „Neue Konstantinopel“ und ihre performative Herstellung durch Überführungen von Reliquien kann selbst als religiöse Erinnerungsfigur und kulturelle Praxis „politischer Orthodoxie“ verstanden werden. Sie wurde zu einer für die Kontaktzone charakteristischen (trans)imperialen Praxis. Die Verehrung nur zweier bulgarischer Herrscher des Mittelalters als Heiliger blieb in diesem Zusammenhang von Beginn an unbedeutend. Anders als im serbischen Herrschaftsgefüge waren für die multiethnischen Eliten der „bulgarischen“ Reiche geheiligte Herrscher nicht von entscheidender Bedeutung: Stattdessen überführten sie christliche Heilige jeder Herkunft in die jeweilige Hauptstadt. In der Konkurrenz mit Byzanz festigte sich dieses gegenüber Konstantinopel mimetische Verfahren im Kontext der Kontaktzone als herrschaftsstabilisierende Praxis. Die Verehrung des hl. Ivan und die der griechischen hl. Petka erlangten ihre Bedeutung für die jeweilige neue Hauptstadt in diesen transethnischen und transimperialen Übersetzungsleistungen. Mit den Siegen der Osmanen entstand ein neuer Herrschaftskontext in der alten, nun noch komplizierteren Kontaktzone, die zum „osmanischen Europa“ wurde. Der Niedergang der erst im 14. Jh. bulgarisierten Herrschaftselite von Tărnovo führte auch zum Verschwinden einer bulgarischen Verehrung Ivans. Die Verehrung des Heiligen von Rila begann stattdessen im Rahmen einer ,multiplen Kontaktzone‘ unter osmanischer Obhut für die Bewahrung der Überreste serbischer Herrschaft eine Rolle zu spielen. Ivans in der früheren Metropole Tărnovo bekräftigte Funktion als Herrschaftsstütze wurde durch die Betonung seiner Rolle als anationaler Wundertäter und Kloster­begründer abgelöst. Die Beispiele der Verehrung Ivans und der hl. Petka in Cetinje nahe der Adriaküste zeigen, wie sich im Rahmen der ,multiplen Kontaktzone‘ eine über­regionale Verflechtung und Überlagerung zuvor bulgarischer religiöser und herrschaftlicher Erinnerungsfiguren mit serbischen Herrschaftsdiskursen herausbildete. So eignete sich etwa das Patriarchat von Peć die Verehrung Ivans an, um einen transethnischen, über die früheren Grenzen kirchlicher Zuständigkeit hinausreichenden Anspruch auf Rila zu rechtfertigen. Das Beispiel der Verehrung Petkas weist auf den Austausch bulgarischer durch serbische herrschaftliche Funktionalisierung oder montenegrinische klösterliche Instrumentalisierung in dem postbyzantinischen, osmanischen Begegnungsgebiet hin: Die zahl­reichen Überführungen ihrer Reliquien machten sie zu einer überregionalen transreligiösen Heiligen, deren orthodoxe Verehrung sich auch mit katholischen und islamischen Praktiken des Gedenkens überlappte.

Religiöse Erinnerungsfiguren im Mittelalter und in der frühen Neuzeit

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Bulgarische Herrschaftsvorstellungen waren stets nach dem Vorbild Konstan­tinopels in sakralisierten Hauptstädten vertreten worden, um in der Zielutopie (Ost)Rom abzulösen. Serbische Herrschaft festigte sich – gleichfalls im engen Austausch mit byzantinischen und lateinischen ikonographischen Vorbildern oder Vorläufern – hingegen vielmehr in der Figur einer konsequent sakralisierten Dynastie. Aber auch für die Herrscher der Zeta und Rasziens ist eine klare Einordnung der als Heilige verehrten Herrscher in nationale oder ethnische Zugehörigkeiten nicht möglich. Die Verehrung Jovan Vladimirs bezeugt, wie noch zur Mitte des 18. Jh. transethnische und lokale, nicht aber nationalkirchliche Praktiken reproduziert wurden. Die Verehrung Nemanjas wurde von seinen Söhnen als dynastische religiöse Erinnerungspolitik im eigenen Interesse propagiert. Seine Verehrung als Wundertäter entwickelte sich aber im 17. Jh. ebenfalls in einem überregionalen und transnationalen Zusammenhang. Gleiches gilt für Sava, der zunächst nur einer unter anderen wichtigen Heiligen der Dynastie war. Mit der kontinuierlichen „Verkultung“ der ganzen Dynastie (Kämpfer) veränderte sich die Ver­ehrung Stefan Nemanjas und Savas: Ihr Gedächtnis wurde in der Sammelverehrung der Herrscherfamilie als „Rebe“ etabliert, während die Verehrung als individuelle Herrscher und Heilige zurücktrat. Die Herrschaft der Nemanjiden überschritt im 14. Jh. ethnische Grenzen und war, wie die bulgarischen Reiche, mit dem Ziel der Nachfolge von (Ost) Rom ökumenisch ausgerichtet. Das Beispiel des nacheinander in griechischen, bulgarischen, serbischen und in Kontexten der Rus’ im Großfürstentum Litauen tätigen Geistlichen Camblak zeigt, wie die Verehrung der Dynastie der Nemanjiden auch im 15. Jh. nicht ausschließlich serbisch war. Im 18. Jh. betonten die Kirchenfürsten im von den Nemanjiden eingerichteten Erzbistum und unter den Osmanen zuerst aufgehobenen sowie später als Patriarchat erneuerten Peć eine kirchliche Herrschaft, die ethnische Etikettierungen geradezu sammelte und das „ganze Illyricum“ umfassen sollte. Diese umfassenden Ansprüche rechtfertigten sie transkonfessionell und transimperial auch unter dem Schutz der Habsburger. Auch das Gedenken an Stefan den Erstgekrönten diente 1760 zum Entwurf der Wiederherstellung orthodoxer Herrschaftsverbände, nicht aber einer nationalen Herrschaft. Im gesamteuropäischen Kontext war die Sakralisierung der serbischen Könige kein Einzelfall, so war die Verkultung der französischen Herrscher vergleichbar: Ab dem 13. Jh. galten das Reich und das Volk als auserwählt und mehrere Könige als heilig. Im Zentrum der Legitimation der Herrschaft sowie der Krone stand aber der Kult um den hl. Dionysius. Dieser Kult entsprach teilweise dem der Kronen des hl. Stephan in Ungarn bzw. Wenzels in Böhmen. Im vergleichbaren serbischen Fall diente entsprechend zur Legitimation der Dynastie und ihrer sakralen Herrschaft die Figur der heiligen Rebe. Es fehlte hingegen eine Idee der Repräsentation des Adelsstandes, die für die Kronen Ungarns, Böhmens und Polens entscheidend war.1 Der Kosovomythos kann gleichfalls nicht als isoliertes und einzigartiges Phänomen gelten: Lazar und seine Mitstreiter wurden in den sakralen Texten in Anlehnung an die



1 Schramm (1985).

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Schluss

dynastische Erinnerungsfigur des heiligen Stammbaumes der Nemanjiden sowie westeuropäische Diskurse der Epoche der Kreuzzüge als Märtyrergruppe verehrt. Mit der Wanderung von Teilen der serbischen Bevölkerung und ihrer Elite nach Norden ver­lagerte sich auch dieser Diskurs in der frühen Neuzeit ins habsburgische Ungarn. In einem Vorgang der transkonfessionellen Verflechtung mit lateinischen Texten beeinflusste der sakrale Diskurs die weltliche Chronistik, in der Lazar gleichfalls als Mär­tyrer geehrt wurde. Dennoch diente der Tod Lazars und seiner Mitkämpfer weder in den sakralen Texten noch in historiographischen Texten zum Aufruf zu einer „Rache“ der Niederlage auf dem Amselfeld. Epische Lieder, die auch unter Bauern weit verbreitet gewesen sein mögen, aber erst für das 18. Jh. schriftlich bezeugt waren, verwiesen auf eine von vornationaler Ehre und Loyalität gegenüber der Dynastie geprägte serbische Identität. Noch deutlicher war die anationale, transkonfessionelle Qualität der Erinnerung Lazars in den vom mitteleuropäischen Barock beeinflussten Drucken des 18. Jh., die auf das antike Illyrien verwiesen. Die Verehrung heiliger Kirchenfürsten trug gleichfalls zur Stützung der Dynastie bei. Unter ungarischer Herrschaft festigte sich im Kloster Krušedol nach dem neman­ jidischen Vorbild der dynastischen Grablege eine in geographischer Hinsicht neue serbische Herrschaft. Die Texte, die diese festigen sollten, verwiesen nicht auf verlorene Gebiete, sondern rechtfertigten mit möglichst traditionellen Mitteln das neue Geschlecht der Branković nach dem Vorbild der nemanjidischen Rebe im neuen Raum. In den genannten kirchlichen und herrschaftlichen Praktiken (re)produzierten sich kleinräumige und regionale Netzwerke, die sich auf eine additiv zusammengefügte Reihe sozialer Gruppen bezogen. Das gemeinsame Band war die Orthodoxie. Das Repertoire der Verweise bezog sich transimperial auf die durch das Osmanische Reich aufgehobenen Zarentümer und Königreiche. In den einzelnen Gedenkhandlungen, die auch als Sprechakte gelten können, festigte sich ein überaus dynamisches Kommunikationsgeflecht, in dem sich die Reichweiten kirchlicher transethnischer Entwürfe, mit Ohrid und Peć als Zentren, über weite Strecken überlagerten. Mit dem Patriarchat von Peć sowie der hl. Petka überschritten diese kirchlichen Zusammenhänge konfessionelle Grenzen und entfalteten sich auch im Kontext katholischer imperialer Herrschaft. In der Verehrung der Petka und gerade Naums entwickelten sich muslimisch-christliche, transreligiöse Praktiken. Geistliche wie Grigorij Camblak und Partenij Pavlovič bezeugen als konkrete Akteure, wie stark sich kirchliche oder geistliche Zugehörigkeitsentwürfe in diesem Gefüge von Netzwerken und Situationen verändern konnten – zur Wende ins 15. Jh. wie im 18. Jh. Solche Verflechtungen waren nicht die Ausnahme, sondern sie konstituierten die Region. Mit der Entstehung des „millet-i Rum“ als einem trans­ethnischen Gefäß für alle Orthodoxen des Osmanischen Reiches kann letztlich vergleichbar zu westeuropäischen Entwicklungen der frühen Neuzeit von der Festigung einer Landeskirche gesprochen werden – mit dem Unterschied, dass sich ,osmanische Orthodoxie‘ im „osmanischen Europa“ im Rahmen eines islamisch beherrschten Staates und nicht nur im bulgarischen Fall bis weit ins 19. Jh. oft in grundsätzlicher Loyalität gegenüber dem Sultan organisierte (Stephanov). Nicht nur diese neue institutionelle Ordnung verunmöglicht eine teleologische Deutung der vor dem 19. Jh. bestehenden kirchlichen Strukturen als dauerhaft wirkungsmächtige Vorläufer der späteren nationalen Entwicklungen.

Religiöse Erinnerungsfiguren – Weichenstellungen im ,langen 19. Jh.‘

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E 2  Religiöse Erinnerungsfiguren zwischen Politik und Nation – Weichenstellungen im ,langen 19. Jh.‘

Nach 1750 und insbesondere nach 1800 wirkte sich auf die bestehenden Zusammenhänge eine immer weitreichendere Veränderung der Verehrungspraktiken und Erinnerungsdiskurse im Kontext neuer west- und mitteleuropäischer Konzepte der Nation aus: Dynastische und damit auch osmanische Herrschaft wurde mit dem Verweis auf die Volkssouveränität delegitimiert, wozu die Herstellung der Vorstellung eines histo­risch, gegenwärtig und zukünftig maßgeblichen „Volks“ erforderlich wurde. Über die älteren Diskurse und Praktiken des „osmanischen Europa“ legten sich – nach dem bereits im 18. Jh. beispielsweise in Moschopolis bedeutenden medialen Wandel – im 19. Jh. neue, gesamteuropäische Diskurse über moderne Nationen. Bei der Aneignung, Übersetzung und selbstständigen Reproduktion dieser neuen rhetorischen Denkfiguren haben sich religiöse Erinnerungsfiguren mithin als entscheidend erwiesen. Welche Sprach- und Handlungsfelder, welche Diskurse der Gesellschaft gestalteten sich dabei im ,langen 19. Jh.‘ im Rahmen der Referenz auf welche religiösen Erinnerungsfiguren heraus? Welche Akteure griffen die Diskurse auf und entwickelten sie in welchen sozialen und medialen Rahmen weiter? Einer systematischen Zusammenfassung sei eine an den Erinnerungsfiguren ausgerichtete vorangestellt. Sava wurde erst im ungarländischen Gebiet und unter habsburgischer Herrschaft im Rahmen bewusster Geschichtspolitik zum landespatriotischen Nationalpatron. Bereits 1806 aber erneuerten serbische Wortführer seine Verehrung und setzten diese auch zur Mobilisierung für den neuen Fürsten ein, der so teilweise in die Tradition der Nemanjiden eingeschrieben wurde. Im serbischen Fürstentum wurde seine Verehrung unter lockerer osmanischer Oberherrschaft im Sinne eines weltlichen Landes- und Schulheiligen von den habsburgischen Territorien übernommen und geschichtspolitisch etabliert. Nach 1850 diente Sava dort zunehmend zur Formulierung der Vision einer modernen, in An­­sätzen sakralisierten Nation. Politiker kritisierten damals die Geistlichkeit und forderten sie auf, in der Gesellschaft eine modernere Rolle wahrzunehmen. Die Einrichtung der „Heilig-Sava-Gesellschaft“ 1886 gab der Erinnerungskultur einen institutionalisierten sozialen Rahmen, der von den Wortführern der orthodoxen, wissenschaftlichen und politischen Eliten Belgrads getragen wurde. Sie wurde als in kurzer Zeit größter serbischer Verein zum Medium gesellschaftlicher Entwürfe sowie staatlicher und kirchlicher nationaler Politik im Zeichen des ganz im europäischen Zusammenhang entstehenden serbischen Nationalismus. In der an Intensität gewinnenden, sich über Staatsgrenzen hinweg entfaltenden Zeitungsöffentlichkeit entwickelten sich Kontroversen über den Verein, der auch mit eigenen Veröffentlichungen den religiösen und nationalen Diskurs vorantrieb. Erst von 1894 an verstärkte auch die Kirchenführung den Einsatz Savas als Schulpatron und als Mittel zur sakralen Beschreibung der Nation. Das Gedenken an Sava diente zur Ausgestaltung und Empfehlung praktischer Handlungsanweisungen im Sinne eines modernen, von weltlichen wie kirchlichen Wortführern neben- und mit­einander aufgebauten religiösen Nationalismus. Im diskursiven Zusammenhang mit den Kriegen des beginnenden 20. Jh. wurde Sava zum angriffslustigen „Feldherrn“ stilisiert und zur Mobilisierung der Nation eingesetzt.

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Schluss

Auch in den weiterhin unter direkter osmanischer Verwaltung stehenden Gebieten verbreitete sich die moderne Verehrung Savas: Im Kosovo wurde der Tag des hl. Sava von 1864 an gefeiert, im makedonischen Tetovo ab 1893. Wesentlich zum Export aus Belgrad und zur Festigung der Feiern vor Ort trugen die Mitglieder der Sava-Gesellschaft bei. Diese setzte sich für die „Propaganda“ serbischen nationalen Bewusstseins ein: Moderne Volksschulen sollten die Alphabetisierung der Schulkinder und die narra­ tive Deutungshoheit der serbischen Meistererzählung in der Konkurrenz zu osmanischen, bulgarischen und griechischen Diskursen etablieren. Die Assoziation unterhielt enge Kontakte zu Ministerien und hochrangigen Vertretern der Kirche, die die nationale Sache zur heiligen Pflicht erklärten. Jedoch blieb in den Gegenden unter osmanischer Herrschaft die Loyalität zum Sultan auch im Rahmen der Verehrung Savas betont. Die neue Rolle Savas als Schul- und Nationalpatron stand ganz im Banne des gesamteuropäischen bzw. griechischen Vorbilds: Serbische Akteure ahmten in diesem Zusammenhang bereits etablierte Verfahren nach und reproduzierten diese zur Herstellung eigener Europäizität. Zwar hatte der lokale Diskurs seine Grundlage in den Bildungsreformen der Tanzimat, die Vorstellungshorizonte der Akteure waren aber über diese Vermittlung durch Konstantinopel hinaus direkt am westlichen Ausland ausgerichtet. Der geistliche Historiograph Paisij betonte die Bedeutung Ivans für das bulgarische „Volk“ schon im 18. Jh., seine Texte fanden aber bis zur Mitte des 19. Jh. kaum ein Echo. Erst damals festigte sich im Rahmen der Verehrung Ivans eine neue, zunächst transethnische Frömmigkeit. Der bulgarische Geistliche Neofit Rilski veröffentlichte im gegenüber Konstantinopel suzeränen Belgrad erst 1836 einen ersten religiösen Druck zu Ehren Ivans. 1860 beschrieb er das Rila-Kloster im Zusammenhang der „Wiedergeburt“ als nationalen „Heiligen Ort“. Zur selben Zeit war er aber als Klostervorsteher gegen eine Ablösung von dem „millet-i Rum“. Trotzdem galt Ivans Tag durch die nach 1860 einsetzenden Aktionen von Bürgern und lokalen Lehrern rasch als zweitwichtigster Feiertag (neben dem der Brüder Kyrill und Method). Auch für Ivan ist damit schon vor der Entstehung eines bulgarischen Staates eine national orientierte Erinnerungspraxis zu beobachten, und nicht nur für Kyrill und Method.2 Eine weiter reichende Institutionalisierung des weltlichen Feiertages erfolgte aber vorerst nicht, da die Klosterführung in Rila die Rettung ihrer eigenen Autonomie für wichtiger hielt als die Unterstützung der Nationalbewegung. Das Beispiel zeigt, dass selbst damals wichtige Akteure der bulgarischen Hierarchie nicht vorrangig der nationalen Sache verpflichtet waren. Die national orientierte Idealisierung der Geschichte des Klosters führte nach der ­Etablierung des bulgarischen Fürstentums zur politischen Forderung an den Fürsten, das Kloster zu verstaatlichen. Damals wurde die Verehrung Ivans auch aus serbischer Sicht kommentiert: In den Augen des hervorragenden Historikers und Politikers Novaković hatte Ivan ganz im übergreifenden Zusammenhang mit den „Balkanslaven“ zu stehen. Von 1895 an ist zu beobachten, wie die inzwischen fest etablierte bulgarische orthodoxe Kirche auch mittels Ivans versuchte, sich eine wichtige Stellung beim Entwurf einer



2 Anders: Weber (2006), S. 52.

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modernen Gesellschaft zu erarbeiten: Ivan sollte zu einem wesentlichen Bestandteil des ent­stehenden säkularen Geschichtsbildes der „neuen Wiedergeburt“ werden. Zudem diente Ivan unter Mitwirkung des Monarchen als Patron des Sofioter Seminars, das sich nachdrücklich mit modernen gesellschaftlichen Vorstellungen auseinandersetzte. Auch seine Verehrung institutionalisierte sich damit zur Wende ins 20. Jh. weiter, gefördert durch führende Vertreter der Kirche und des Staates. Nach der Gründung erster Volksschulen nach westeuropäischem Vorbild auch im Rahmen der osmanischen Reformen übernahmen bis zur Mitte des Jahrhunderts mehr und mehr Träger neuer Schulen die Verehrung Kyrills und Methods und erklärten die Brüder zu ihren Schutzheiligen. Damit einher ging die Entwicklung von neuen Rahmen der feierlichen Begehung des Feiertages der Brüder. In jeder einzelnen Feier wurde sozial und zeitlich begrenzt ein national und zuweilen sakral aufgeladener Raum in der Öffentlichkeit der jeweiligen Vielvölkerstadt hergestellt. Die Referenz auf Kyrill und Method konnte dabei kaum an ältere Erinnerungskulturen anknüpfen, zumal ihre Verehrung auch unter bulgarischen Geistlichen schon im Spätmittelalter geschwunden und schon vorher elitär und nicht volksnah 3 gewesen war: Die Brüder mussten als Erinnerungsfigur ganz weitgehend neu erfunden werden.4 Erst in den ausgehenden 1860er-Jahren begannen sich auch orthodoxe Geistliche an dem entstehenden Diskurs zu beteiligen. In diesen Jahren entwickelten erste Vertreter einer Geschichtswissenschaft nach westeuropäischem Vorbild den sich festigenden Diskurs über eine nationale „Wiedergeburt“ gerade auch im Gedenken an die Brüder. Der Feiertag wurde zu einem wesentlichen Medium der Formulierung und Ausbreitung von Nationalbewusstsein sowie zum Kristalli­sationskern von Entwürfen nationaler orthodoxer Modernität. Waren die ersten Feiern von einzelnen lokalen Akteuren in kleinen Städten veranstaltet worden, stand 1885 das ganze Land im Schatten der Feierlichkeiten in der Hauptstadt Sofia. Es galt den neuen Eliten nun, das erst suzeräne, nicht souveräne, und bis 1908 weiterhin als tributpflichtiger Vasallenstaat unter der Hoheit des Osmanischen Reiches stehende Bulgarien im europäischen Kontext als dennoch legitimen und zumindest symbolisch möglichst unabhängigen Staat umso mehr zu bekräftigen. Postkolonialistisch gelesen sprachen die Subalternen im osmanischen Kontext der nachahmenden An­­eignung der Meisternarrative moderner westeuropäischer Nationalstaaten. Auch in entstehenden kroatischen und serbischen Diskursen über die Brüder war von 1860 an ihr Einsatz zur philologisch-wissenschaftlich legitimierten Eingliederung eines modernen nationalen Selbstentwurfes in den europäischen Rahmen entscheidend. Die beiden Brüder wurden dabei zum Ursprung des „Geschlechts“ bzw. der „Nation“ der orthodoxen Slaven stilisiert. Slavisten, Historiker, Politiker und Kirchenfürsten erprobten Wege, die Erinnerung zur Verbreitung übergreifender gesellschaftsintegrativer Ziele



3 Simeonova (1994), S. 38. 4 Anders mit Verweis auf Simeonovas Seiten zum Mittelalter (S. 9 – 41): Weber (2006), S. 45 – 47. Dabei schreibt auch Simeonova von der markanten „Verringerung des feierlichen Gedenkens“ vor 1700. Simeonova (1994), S. 36, S. 38.

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Schluss

verwendbar zu machen. Der Feier von Gelehrten 1863 folgten publizistische Ausein­ andersetzungen über die katholische Initiative zur Verehrung der Brüder um 1881 zwischen Katholiken und Orthodoxen sowie die in der hauptstädtischen Öffentlichkeit Belgrads begangene Feier von 1885. Standen zu Beginn katholische Kroaten an der Spitze des Diskurses, festigten in der Aushandlung der zwischenkonfessionellen Kontro­verse auch serbische Wortführer ihre Positionen. Feiern an Orten unter osmanischer Herrschaft waren auch in diesem Zusammenhang durch die komplexe ­Beschreibung gleichzeitig bestehender Loyalitäten und Identitäten gekennzeichnet. Der Beginn der Förderung von bulgarischem „Nationalgefühl“ in der Landschaft Makedonien mittels des Sprachunterrichts erfolgte parallel zu einer überethnischen Wiederaufnahme des Gedenkens an die Brüder im griechischen Kontext. Ansprachen in Schulen Salonikis bezeugen, wie sehr sich griechische und slavische Sprachfelder noch zu Beginn der 1860er-Jahre im osmanischen Umfeld transnational überlagerten. Der Einsatz für eine Kyrill und Method geweihte Kirche gab sodann den Rahmen für eine dauer­hafte und zunehmende Mobilisierung, die im Verein „Wiedergeburt“ eine organisierte, weltliche Trägerschaft herausbildete. Zunächst war diese in Diskurse der Bekräftigung der Loyalität zum Osmanischen Reich eingebunden. Mit der okkasio­nellen physischen Inbesitznahme des städtischen Raumes bei Umzügen und der dis­kursiv versuchten Einbettung von Vorstellungen modernen staatsbürgerlichen Handelns in einen angeblichen Zusammenhang mit orthodoxen Traditionen wurde in einem ­zweiten Schritt ein Votum für ein sakralisiert als „heiliges Land“ und national entworfenes make­donisches „Vaterland“ der Brüder denkbar und performativ öffentlich vertreten. Die Bericht­erstattung über diese lokale Entwicklung in Makedonien war ein mar­kanter Bestandteil der entstehenden überregionalen bulgarischen Zeitungsöffentlichkeit. Nach 1885 wurde die Feier Kyrills und Methods zum wichtigsten Feiertag der diskursiven und sozialen Inszenierung der „Wiedergeburt“ der gerade in der performativen Umsetzung dieser Feiern imaginierten bulgarischen Nationalgesellschaft: Die Brüder standen in einer Reihe mit anderen geistlichen, aber auch weltlichen Helden der Bulgaren. Nach der Vereinigung mit Ostrumelien blieb bei der Feier Makedonien als „unglückliche Schwester“ Bulgariens diskursiv integriert. Erst 1891 (und damit viel später als in Saloniki) wurde mit der Kyrill-und-Method-Gesellschaft auch in Sofia ein moderner Verein gegründet, der sich um die Ausweitung der Feiern in Bulgarien sowie in Makedonien kümmerte – ganz wie und als direkter Konkurrent der Belgrader Heilig-­ Sava-Gesellschaft. Während der wiederholten performativen Begehung des „nationalen Schulfeiertags“ bildeten sich sowohl weltliche wie sakrale Rahmen seiner Feier heraus. Auch in der kirchlichen Publizistik war das Gedenken zu Beginn des 20. Jh. weltlich geprägt: Erst in einem zweiten Schritt begannen Geistliche, das nationale Gedenken, in das sie sich eingeschrieben hatten, sakral aufzuladen und für sich sowie die Kirche eine neue legitimatorische Rolle im bisher laizistischen Staatswesen zu beanspruchen. Nach der Entstehung und Verbreitung ihrer weltlichen Verehrung erschienen Kyrill und Method hierzu geeignete Medien: Mittels der Kritik der modernen Gesellschaft sollten sie wieder zum Dienst an der Kirche zurückgewonnen werden. Mit den Balkankriegen radikalisierten und militarisierten sich die Diskurse der Verehrung der Brüder.

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Ins­gesamt erfolgte sowohl im bulgarischen als auch im serbischen Kontext eine Abkehr von transnationalen Bezügen der Verehrung hin zur Nationalisierung des Gedenkens an die Brüder. Dagegen schwächten sich serbische Indienstnahmen der Brüder ab, obgleich ihr Feiertag 1913 formal als Staatsfeiertag institutionalisiert wurde. Im performativen Gedenken in den Schulen konnte das serbische, militärisch er­­ weiterte Gebiet als räumliche nationalstaatliche Einheit gefestigt werden. Situativ erschienen dabei auch Kroatien und Dalmatien als Bestandteile des „Vaterlandes“. Konfessionsethnische Grenzen zwischen Slaven sollten sich in einem südslavischen, serbisch beherrschten Diskurs auflösen, der aber römisch-katholische Feiern zu Ehren der Brüder möglich ließ. Die auf die Umgebung Ohrids beschränkte Verehrung Kliments wurde bei der Einrichtung bulgarischsprachiger Schulen zur Mitte des 19. Jh. in einem neuen Zusammenhang umgestaltet. In ersten Publikationen über Kliment blieb im Rahmen des Osmanischen Reiches ein transreligiöser Zusammenhang bestehen. Zur Mitte der 1880er-Jahre diente Kliment in Ohrid aber auch als Patron einer geheimen terroristischen G ­ ruppierung. Selbst in Anfängen einer makedonisch ausgerichteten Geschichtsschreibung blieb er aber noch um 1893 ohne Bedeutung. Erst im 20. Jh. wurde Kliment nicht nur in Ohrid, sondern auch in Sofia zu einer wichtigen Erinnerungsfigur: Die BOK benutzte ­Kliment in ihrem zu Beginn des 20. Jh. eingerichteten Publikationsorgan, um sich selbst an die Spitze der nationalen „Wiedergeburt“ und des gesellschaftlichen „Fortschritts“ zu ­stellen und die Deutungshoheit über diese Diskurse zu erlangen. Kliment wurde innerhalb einer ­kurzen Frist ein Medium zum orthodoxen nationalen „Dienst am Volk“. Herausragende Historiker sowie wichtige Geistliche entwarfen während der Balkankriege in Sofia mithilfe der Erinnerungsfigur eine sakrale Nation, deren symbolisches Zentrum das ab­­gelegene Vardar-Makedonien sein sollte. Gerade Kliment galt mit der Wieder­ eroberung des Gebiets 1916 als „Alpha und Omega der bulgarischen Eigenart“. Als nationaler Lebensspender im Rahmen einer modern erscheinenden Nationaltheologie sollte er der essentialistische Kern des herbeigeschriebenen nationalen Wesens sein. Gleichzeitig diente er aber transnational als „Erlöser“ der Slaven. In den wenigen serbischen Texten, die Kliment erwähnten, spielte er keine vergleichbare Rolle, obschon Stojan Novaković ihn aus einer nationale Grenzen übergreifenden wissenschaftlichen Perspektive für wichtiger als Kyrill und Method hielt. Im Unterschied zur Verehrung Savas, die von Belgrad nach Süden verbreitet wurde, können damit für Kliment eine Übernahme und umgestaltende Förderung eines anfangs nur lokalen, im osmanischen Zusammenhang lebendigen Kults in der neuen politischen Hauptstadt beobachtet werden. Neben die alte, lokale transreligiöse Verehrung trat der neue Entwurf einer sakrali­sierten, modernen bulgarischen Nation, deren Kern auch im offiziellen Publikationsorgan der BOK die Verehrungsgemeinschaft Kliments war. Erst im 19. Jh. führten richtungweisende serbische Intellektuelle die vielfältigen diskursiven Zusammenhänge des anationalen Kosovomythos im Zeichen des modernen Nationalismus zusammen. Historiker wie Politiker, Dichter und Geistliche versahen ihn mit neuen Inhalten und machten ihn zum zentralsten der weltlichen wie der religiösen nationalen Erinnerungsorte. Trotzdem wurden diese Erzählungen kontrovers

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ausge­handelt. Die säkulare Darstellung der Schlacht wurde 1847 mit liberal-nationaler Bedeutung aufgeladen und im Theater dramatisch umgesetzt. 1848 und in den 1860er-Jahren ist eine Aneignung des Diskurses durch Politiker festzustellen. Zur Mitte des Jahr­hunderts begann man, über die Herkunft der Verehrung Vits zu debattieren. Dabei erfolgten eine frühe Nationalisierung Gottes und eine Sakralisierung der Nation. Hinzu trat, ganz im europäischen Zusammenhang, eine Antikenbegeisterung, die sich in der weiteren publizistischen Ausgestaltung der Erinnerungsfigur niederschlug. Neben der wachsenden politischen Bedeutung des Gedenkens entstand zu Ende des 19. Jh. aber auch eine nationalkirchliche Erinnerungspolitik, die allerdings noch nicht durch die höchsten Würdenträger unterstützt wurde: Während des ersten Balkankrieges bekam aber der an Bedeutung gewinnende Geistliche Velimirović in Publikationsorgan der SOK Gelegenheit, aus dem Kosovomythos ein „sakrales Drama“ zu machen. Serbien wie Bulgarien wurden im 19. Jh. als Monarchien geformt und neu erfunden, die durch den Verweis auf längst untergegangene Personenverbandsstaaten des Mittelalters legitimiert wurden. Serbische Diskurse über ihre heiligen mittelalterlichen Herrscher waren um 1750 wieder so stark, dass sie Paisij zur Abfassung seiner bulgarischen Geschichtsdarstellung zu bewegen halfen. Damals begannen auch serbische geistliche Historiker, ihre sakralen Monarchen des Mittelalters unter einem neuen, weltlicheren Blickwinkel zu betrachten. In den Jahren des Aufstandes in und um Belgrad wurde Stefan der Erstgekrönte zum Medium von Erinnerungspolitik mit dem Ziel, politischen Widerstand zu mobilisieren. Ab 1836 betteten die Obrenović ihre neue Dynastie nachdrücklich in einen Zusammenhang mit den Nemanjiden des neuentdeckten Mittelalters ein, indem sie gezielt von diesen gestiftete Klöster erneuerten. Von der Mitte des 19. Jh. an verbreiteten weltliche Theaterstücke eine historisierende Sicht auf die Könige, die als vorbildlich für die gegenwärtige Monarchie und weltgeschichtliche Rolle Serbiens dargestellt wurden. Kirchenführer traten für eine weltliche Deutung der Obrenović als neue Nemanjiden ein, um die Gesellschaft zur Befreiung des nun „Altserbien“ genannten Kosovo aufzufordern. Die Einrichtung des Königreichs 1882 krönte diese Bemühungen vorerst, Milan galt als neuer „Messias“. Die historisierende Deutung der alten Dynastie spielte damit immer mit ihrer erneuten Sakralisierung als nationale Erlöser auf dem Weg zu einer serbischen Modernität. Es festigte sich aber eine weltliche Vorstellung der Verbindung der neuen Herrscher mit den alten im Rahmen des modernen, staatskirchlich-monarchischen konstitutionellen Staates. Paisijs Erinnerung an heilige Zaren der Bulgaren knüpfte an frühneuzeitliche histo­ rische Werke an, nicht aber an bulgarische Schriften oder eine lokale vermeintliche „Volkstradition“. Sein Werk versteht sich als Antwort auf die neue Verehrung serbischer Herrscher nach 1740, wie auch seine Bulgarisierung Jovan Vladimirs im regionalen Wettstreit mit einer serbischen diskursiven Inbesitznahme des heiligen Herrschers stand. Um Jovan Vladimir entfaltete sich bis zur Mitte des 19. Jh. ein von serbischen und bulgarischen Akteuren immer wieder aufgegriffener transnationaler Diskurs. Erst im Rahmen des Gedenkjahres 1885 zu Ehren der Brüder Kyrill und Method wurde Boris zur Legitimation der damaligen, modernen bulgarischen Monarchie sowohl von dem Fürsten, der Regierung wie der Hierarchie erinnerungspolitisch eingesetzt. Mit

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der Gründung des „Kirchenboten“ 1900 diente auch Boris der Kirche, ihren Anspruch auf die Deutungshoheit der Entwicklung des nationalen Gesellschaftsentwurfs zu festigen. Die fehlende kirchliche Verehrung Boris’ wurde erst jetzt ausdrücklich als Defizit festgestellt. Der deutliche Mangel an mittelalterlicher und frühneuzeitlicher Tradition hemmte aber niemanden: Zu seinem tausendsten Todestag 1907 wurde Boris in einem Atemzug mit Konstantin, Chlodwig, dem hl. Vladimir und Stephan I. verehrt. Öffentliche Umzüge in den Straßen der Hauptstadt sollten Massen in seinem Namen performativ einigen und mobilisieren. Kirchenfürsten riefen in seinem Namen zum militärischen Kampf um das osmanische Makedonien auf. Die BOK war bestrebt, mithilfe religiöser Erinnerungspolitik die Rolle der Legitimierung der neuen Dynastie für sich zu gewinnen und damit auch eine politische gesellschaftliche Funktion zu erlangen. Während des Ersten Weltkrieges wurde Boris-Michail zum monarchischen, gottgleichen „Schöpfer der bulgarischen Nationalität“ stilisiert. Im Gegensatz zur Erinnerung an die Nemanjiden spielte die Erfindung des Gedenkens an heilige bulgarische Zaren bis zu Beginn des 20. Jh. aber auch angesichts der schon im Mittelalter nur schwach bezeugten Verehrung noch keine bedeutende politische Rolle. Die religiöse Aufladung nationaler räumlicher Entwürfe setzte im serbischen Diskurs schon bald nach 1800 ein. Ganz gemäß der damaligen Geschichtswissenschaft verfolgten die oft geistlichen Historiker etwa das Ziel, einen ersten Überblick über die der eigenen Nation zugeschriebene „Altertümer“ zu gewinnen, um eine eigene Antike zu reklamieren. Die Verbindung dieser Texte mit der erneuerten serbischen Monarchie verlieh ihnen einen unmittelbaren tagespolitischen Hintergrund. Bereits zu Beginn der 1860er-Jahre nationalisierte ein Politiker im Kontext des Kosovomythos Gott und schrieb von einer auferstandenen Nation. Zwanzig Jahre später konzipierte ein ­anderer Histo­riker und Politiker mithilfe des Mönchstums einen Nations- und Staatskörper und schrieb von einem „heiligen Land“. Ein Kirchenfürst wie Bischof Sava von Žiča machte sich 1891 solche Vorstellungen zu eigen: Er beschrieb die nationale Rolle der Klöster zur Rechtfertigung der staatlichen Expansion als „allererlösendste Institutionen“. Im Rahmen der Balkankriege gewannen diese Denkmuster militärische Bedeutung und wurden vor Ort mit dem Verweis auf konkrete Klöster erneuert, um sich gegen ent­ sprechende bulgarische Ansprüche abzugrenzen. Im bulgarischen Zusammenhang entstanden in der Rede über Klöster erst spät räumliche Entwürfe, die zur Rechtfertigung einer Ausweitung des bestehenden Staates terri­ torial angelegt waren. Die ersten Beispiele hierfür traten zu Ende des 19. Jh. gerade im Zwist mit Serbien und Griechenland um Makedonien auf. Die Klöster ermöglichten angeblich als „Festungen der bulgarischen Nationalität“ die Aufzucht der „nationalen Wiedergeburt“ und die Rettung aus der osmanischen „Sklaverei“. An sich Stätten religiöser Sakralität, wurden sie so zu „nationalen Heiligtümern“. Die Gleichsetzung von Gott und Nation führte in der Eskalation während der Balkankriege zum Entwurf eines „bulgarischen Gottes“ durch Schriftsteller, die mit solchen Texten wie Apostel oder Propheten die Wortführerschaft der imaginierten Nation beanspruchten. Die Sakralisierung der Nation erreichte damit frühe diskursive Gipfel, sie war aber noch lange kein Allgemeingut: Für das 19. Jh. herrschte zumindest bis 1890 eine weltliche, säkulare

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Verehrung der Erinnerungsfiguren zum Entwurf und zur historischen Legitimation neuer Vorstellungen christlicher Nation vor. Religiöse Erinnerungsfiguren spielten damit sowohl bei der Ausgestaltung serbischer nationaler Diskurse wie bei der Entstehung bulgarischer nationaler Entwürfe eine grundlegende stabilisierende und richtungweisende Rolle. Im Rahmen ihrer partiellen Säkularisierung wurden sie ganz wie die weltlichen historischen Erinnerungsfiguren zur Festigung nationaler Identitätsmuster eingesetzt. Insgesamt kam ihnen bei der Entstehung und Konsolidierung dieser nationalen Diskurse in der Abgrenzung von der osmanischen Herrschaft mehr oder doch gleich viel Bedeutung wie primär weltlichen Erinnerungsdiskursen – namentlich Kriegserinnerungspraktiken 5 – zu. Für eine die religiösen Erinnerungsfiguren übergreifend erfassende Zusammenfassung sind mehrere systematische Ebenen zu unterscheiden: Herrschaftszusammenhänge (osmanisch, nachosmanisch), Funktionen, inhaltliche oder identitätskonzeptuelle Ver­ änderungen (vornational, national, weltlich national, sakralisiert national, nationaltheologisch, modern, moderne Kritik), Akteure (Historiker, Journalisten, Politiker, Herrscher, Kirchenleute), Vereine, Medien und Situationen der Öffentlichkeit (öffentliche Feiern, inter- oder transkonfessionell), Verflechtungszusammenhänge sowie explizite innernationale und internationale Kontroversen. Zur Verdeutlichung der Ergebnisse wird eine gegenüber den voranstehenden Zusammenfassungen entstehende Redundanz in Kauf genommen. Von osmanischer zu post-osmanischer Herrschaft Abgesehen von einer örtlichen Verehrung Kliments in der Umgebung Ohrids und einer in Klöstern gepflegten, geistlich dominierten Verehrung der Nemanjiden und damit auch Savas sowie mehrerer Stränge des Kosovomythos und dem Kern der Fürbitte im Falle Ivans kann für keine der hier untersuchten religiösen Erinnerungsfiguren nach 1760 eine inhaltliche oder lokale Kontinuität von Praktiken des Gedenkens festgestellt werden. Zudem gilt für alle genannten Ausnahmen, dass sie sich bereits im 18. Jh. etwa mit dem Aufkommen gedruckter Bücher im gesamteuropäischen Zusammenhang des Barocks stark gewandelt hatten. Paisijs Erinnerung an heilige Zaren der Bulgaren knüpfte an frühneuzeitliche histo­ rische Werke an, jedoch nicht an bulgarische Schriften. Er konnte auch keine lokale „Volkstradition“ aufgreifen. Auch das Gedenken an Kyrill und Method konnte im 19. Jh. nicht unmittelbar auf ältere, kontinuierlich bestehende Verehrungspraktiken zurück­ greifen. Inhaltlich und medial musste der Diskurs über die Brüder im 19. Jh. selbst in der Landschaft Makedonien als Erinnerungsfigur größtenteils neu erfunden werden. Das immer mehr auf das nationale Projekt ausgerichtete Ergebnis des Gedenkens an religiöse Erinnerungsfiguren hatte im bulgarischen Fall nichts mit den älteren ,Erfindungen‘ des Spätmittelalters zu tun, die ganz zur Festigung einer zarischen Hauptstadt gedient hatten. Gerade für Serbien, in den späteren Jahrzehnten des 19. Jh. aber auch für Bulgarien waren die Veränderung und Festigung religiöser Erinnerungsfiguren weitgehend in die



5 Weber (2006), S. 152 – 205.

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Errichtung neuer staatlicher Strukturen eingebettet – zunächst unter habsburgischer oder osmanischer Oberherrschaft, später in der Unabhängigkeit: Sava wurde erst in Ungarn durch Geschichtspolitik zum Nationalpatron erhoben. Bereits 1806 aber griffen serbische Wortführer seine Verehrung auf und benutzten diese zur Mobilisierung für den unter osmanischer Obhut eingesetzten neuen Fürsten, dessen politische Herrschaft durch den Verweis auf die Tradition der Nemanjiden legitimiert werden sollte. Nicht weniger kompliziert entwickelte sich die Verehrung Ivans von Rila im R ­ ahmen des Osmanischen Reiches: 1860 stilisierte Neofit das Rila-Kloster zum nationalen „Heiligen Ort“ und schrieb es in den Diskurs der „Wiedergeburt“ ein. Als Klosterleiter stellte er sich aber gegen eine nationalkirchliche Emanzipation von dem „millet-i Rum“ unter dem griechischen Patriarchat und wollte keine national ausgerichtete Schule am Kloster einrichten. Diese Haltung war bezeichnend für wichtige Teile der bulgarischen Geistlichkeit, der erst nach der Einrichtung des Fürstentums eine nationale historische Rolle zugeschrieben wurde. Auch der Einsatz Savas als Schul- und Nationalpatron im suzeränen serbischen Fürstentum erfolgte nicht im Sinne klassischer postkolonialer Situationen in der Auseinandersetzung mit Verfahren der direkten Metropole Konstantinopel, sondern entsprechend dem Vorbild anderer imperialer Zentren Europas. In diesem europäischen Zusammenhang kann die mit der späten vollständigen Unabhängigkeit 1878 verstärkte expansive Politik Belgrads als postkoloniale Strategie des Nachweises zur zivilisa­ torischen Fähigkeit, andere zu kolonisieren, als „mimicry“ gedeutet werden. Der Makel der späten Unabhängigkeit war mit eigenen imperialen Ambitionen zu kompensieren. In den osmanischen Gebieten, namentlich im Kosovo, wurde der Tag des hl. Sava erst von 1864 an begangen, im makedonischen Tetovo erst ab 1893. Allerdings blieb bis zu den Balkankriegen in den Gebieten unter osmanischer Hoheit die Loyalität zum Sultan selbst im Gedenken an Sava gewahrt. Sie stand dabei den Ambitionen im Sinne eines „small-power imperialism“ Belgrads und Sofias nicht entgegen. Der Kult Savas wurde aus Belgrad nach dem weiterhin osmanischen Süden ausge­ weitet, Kliments Verehrung hingegen aus der osmanischen Peripherie nach Sofia über­ tragen. Aber auch dort wirkte der bis 1908 bestehende Rahmen osmanischer Oberherrschaft fort: Es galt bei der Verehrung Kyrills und Methods und der anderen Erinnerungsfiguren in Sofia, den osmanischen Vasallenstaat Bulgarien im europäischen Kontext angesichts der fehlenden politischen Anerkennung umso nachdrücklicher mit kulturellem Kapital als legitimen Staat darzustellen. Unter einem postkolonialistischen Blickwinkel analysiert sprachen die bisherigen Subalternen kaum im Rahmen der „mimicry“ der osmanischen imperialen Hauptstadt, sondern – im osmanischen und dann post­osmanischen Kontext – durch die Nachahmung und Aneignung der Diskurse des modernen Nationalstaats: Es galt, mit kompensatorischem Nachdruck zum selbstständigen Subjekt zu werden und eine lokale Europäizität zu entwerfen. Transethnischer Wettbewerb und transkirchliche Verflechtungszusammenhänge Zentrale Entwicklungen der hier untersuchten Erinnerungsfiguren fanden auch im 19. Jh. gerade im überregionalen Verflechtungs- und Konkurrenzzusammenhang statt. Neu war

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die gerade in dieser Verflechtung zu beobachtende Entfaltung und Abgrenzung sehr ähnlich strukturierter nationaler Diskurse. Der Einsatz Savas als Schul- und Nationalpatron folgte in enger Beziehung zum westlichen bzw. griechischen Vorbild: Serbische Akteure übersetzten in diesem über­ nationalen Kontext des Wettstreits der sich inszenierenden Nationen durch selbsternannte Wortführer bereits erprobte und legitimierte Verfahren zu eigenen Zwecken. Zwar war der lokale Kontext in den osmanischen Bildungsreformen der Tanzimat verankert, die Vorstellungshorizonte der Handelnden orientierten sich aber am griechischen Muster sowie übergreifend am westlichen Ausland. Im 18. Jh. erneuerte serbische Narrative über ihre heiligen Herrscher des Mittelalters sowie andere mitteleuropäische Geschichtsdiskurse provozierten Paisij zur Abfassung seiner bulgarischen Geschichtsdarstellung. Auch seine Bulgarisierung Jovan Vladimirs erfolgte im Wettstreit mit Serbisierungsversuchen. Um diesen Heiligen entwickelte sich bis in die Mitte des 19. Jh. ein immer wieder aufkommender transnationaler Diskurs mit serbischen und bulgarischen Akteuren. Auch blühte im Rahmen der Verehrung Ivans zunächst eine neue, breite und transethnische religiöse Frömmigkeit auf. Neofit Rilski publizierte 1836 im bereits weitgehend außerhalb des osmanischen Einflusses stehenden serbischen Belgrad eine erste gedruckte Veröffentlichung zum panorthodoxen Gedenken an Ivan. Aus der Sicht des kritischen, führenden serbischen Historikers und Politikers Novaković sollte Ivan im transnationalen Zusammenhang der „Balkanslaven“ stehen. Ansprachen in Schulen zu Ehren Kyrills und Methods zeigen gleichzeitig, wie sehr griechische und slavische Diskurse sich noch zu Beginn der 1860er-Jahre ohne deutlichen nationalen Bezug im osmanischen Rahmen überlagern konnten. Insgesamt ist sowohl für den bulgarischen als auch für den serbischen Kontext um 1900 eine Abkehr von transnationalen sowie religiösen Bezügen der Verehrung hin zur Verweltlichung und Nationalisierung der Brüder festzustellen. Aber auch nationale Entwürfe konnten transkonfessionell angelegt sein: Im Gedenken im Rahmen der Schulfeiern konnte ein serbisches Gebiet – inklusive der „unlängst befreiten“ Regionen – als Einheit imaginiert und beschrieben werden, einschließlich Kroatiens und Dalmatiens. Konfessionsethnische Grenzen zwischen Slaven sollten aus Belgrader Sicht in einem südslavischen, serbisch dominierten Sprachfeld schwinden. Trotz oder gerade wegen der schwachen Stellung bulgarischer Wortführer in der mehrheitlich sephardischen, kulturell sehr dynamischen Vielvölkerstadt kann für ­Saloniki besser und früher als für andere Städte im übernationalen Wettstreit eine sich kontinuierlich festigende Praxis der Erinnerung an die Brüder nachgezeichnet werden: Die anfängliche Förderung von bulgarischem „Nationalgefühl“ in der Landschaft Make­ donien durch den Sprachunterricht stand dort neben einer vornationalen, überethnischen Wiederentdeckung der Brüder auch im griechischen Kontext. Auch Kliment wurde 1916 in einem bulgarischen Zusammenhang transnational als der „Erlöser“ der Slaven insgesamt verehrt. Selbst im bulgarischen „Kirchenboten“ hatte 1916 eine transreligiöse Legende Platz, die Kliment im Kontext des Vidovdan bzw. des noch nicht national gedeuteten Kosovomythos als Beschützer von Muslimen darstellen konnte. Auch darüber hinaus bestand eine transethnische und transreli­giöse Verehrung

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Kliments fort. In seltenen serbischen Texten, die Kliment erwähnten, spielte er keine entscheidende Rolle. Nur der führende Historiker und Politiker Stojan Novaković hielt ihn aus einer nationale Grenzen dekonstruierenden wissenschaftlichen Interpretationsrichtung für wichtiger als Kyrill und Method. Er war auch wohl der prominenteste Wissen­ schaftler, der Kyrill und Method transnational deutete und sich ihrer Nationalisierung nachdrücklich entgegenstellte. Dennoch ließ sich im transnationalen Wettbewerb die Verdrängung transnationaler Inhalte durch nationale nicht abwenden. Funktionen Grundlegende Veränderungen erfuhren die Erinnerungskontexte durch die neuen staatlichen Projekte gerade in ihren Rollen: Mit dem serbischen Aufstand 1806 begannen auch serbische geistliche Historiker, die Nemanjiden unter einem neuen, weltlicheren Blickwinkel zu betrachten. Stefan der Erstgekrönte sollte als Medium von Erinnerungspolitik Widerstand mobilisieren. Besonders aber die Figur des Schulheiligen wurde im 19. Jh. mit der Einrichtung von Volksschulen und Gymnasien wichtig: Im serbischen Fürstentum wurde Savas Verehrung unter osmanischer Oberherrschaft im Sinne eines weltlichen Landes- und Schulheiligen von den habsburgischen Territorien übernommen und gleichfalls mit geschichtspolitischen Mitteln verstetigt. Ausgehend von der Einrichtung erster Volksschulen mithin im Kontext der osmanischen Reformen griffen auch in den bulgarischen Schulen der osmanischen Donauprovinz mehrere Träger der Schulen das Gedenken an Kyrill und Method auf und machten sie zu deren Patronen. In den sich entwickelnden kroatischen sowie serbischen Diskursen über die neu entdeckten Brüder spielte von 1860 an der Einsatz Kyrills und Methods für säkulare Entwürfe moderner Wissenschaft und des Fortschritts sowie eines modernen, natio­nalen Geschichtsbildes und Selbstverständnisses im europäischen Rahmen eine zentrale Rolle. Das Gedenken an Sava konnte von den 1880er-Jahren an ausdrücklich der „Propaganda“ serbischen Nationalbewusstseins dienen. Sowohl die Nemanjiden als auch der im Mittelalter als heilig verehrte bulgarische Zar Boris dienten im 19. Jh. nach und nach zur Legitimation der neuen Monarchien. Dabei blieb eine nationale weltliche Deutung wichtiger als eine sakralisierende. Die gehäufte Verortung nationaler religiöser Erinnerungsfiguren in einem national umgedeuteten makedonischen Raum ließ die Region zum imaginären Gravitations­ zentrum einer nationalen bulgarischen ,mental map‘ werden, die in ihrer Bedeutung und Funktion für die entstehende bulgarische Gesellschaft mit der Rolle des Kosovo für Serbien vergleichbar wurde. Akteure im Überblick Als Träger und Vermittler, aber auch Nutznießer und insbesondere als aktive Gestalter des sakralen und politischen diskursiven Kapitals der weiterentwickelten Erinnerungsfiguren betätigten sich zahlreiche Wortführer kleiner zentraler wie lokaler Eliten. Etwa waren von Beginn des 19. Jh. an serbische geistliche Historiker bemüht, ihre längst ausgestorbene sakrale Dynastie unter einem neuen, weltlicheren und tagespolitischen

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Blickwinkel zu betrachten, um neue Monarchen zu rechtfertigen und ihre eigene Karriere zu fördern. Ab 1836 bemühten sich die Obrenović selbst, ihre neue Dynastie in den legitimie­renden Zusammenhang mit den Nemanjiden zu stellen, indem sie etwa Klöster erneuerten. Historiker wie Politiker, Maler, Dichter und Geistliche Belgrads sowie der Serben in Ungarn versahen den Kosovomythos mit zahlreichen neuen Elementen und machten ihn zur zentralsten sowohl der weltlichen als auch der religiösen nationalen Erzähl­figuren. 1848 und in den 1860er-Jahren begannen Politiker, sich die Erinnerungsfigur anzu­eignen und den Diskurs zu erinnerungspolitischen Zwecken einzusetzen. Sie kritisierten dabei die Geistlichkeit und forderten diese zur Einnahme einer modernen Rolle in der Gesellschaft auf. Führende geistliche Gelehrte und weltliche Slavisten sowie Histo­riker und Politiker sowie Kirchenfürsten versuchten im serbisch-kroatischen Dialog, das Ge­­ denken im Dienste übergreifender integrativer Ziele zu festigen. Gleiches gilt für die bulgarische Seite: Seit der Mitte des 19. Jh. formierte und fand sich die junge bulgarische Elite gerade im Diskurs über Kyrill und Method sowie die Ausgestaltung der Feiern zu ihren Ehren. Nach der Errichtung des Fürstentums war Erinnerungspolitik eine staatliche Priorität, wie sich bei den Feiern 1885 erwies. Später erschienen auch seitens der unter der Schirmherrschaft Kliments eingerichteten Sofioter Universität Veröffentlichungen, die unterstrichen, wie sinnvoll es schien, mithilfe des Verweises auf Kliment die Einrichtung eines modernen bulgarischen Nationalstaates zu fördern und dazu möglichst große Menschengruppen zu begeistern. Führende Akademiker, darunter Historiker wie Geistliche, beschrieben während der Balkankriege in Sofia mit dem Rekurs auf Kliment eine sakral entworfene Nation, deren Zentrum Makedonien sein sollte. Auch für die übrigen religiösen Erinnerungsfiguren konnte eine enge und in der Regel konfliktlose Zusammenarbeit von Politikern, Historikern und Kirchenfürsten beim Entwurf nationaler orthodoxer Kontexte beobachtet werden, die sich auch in den persönlichen Lebensläufen herausragender Wortführer wie Drumev niederschlug. Die Erinnerungsfiguren und insbesondere Kyrill und Method dienten zur Selbstdarstellung als europä­ische Monarchen einer gegenüber den anderen gleichrangigen historischen Kultur- und Staatsnation. Marin Drinov, Vasil Drumev, Ivan Sněgarov und auch Natanail Ohridski stehen für herausragende Historiker, Politiker und Geistliche, die eine Ausbildung in Kiew bzw. in Russland durchlaufen hatten: Der Weg zu bulgarischen Europäizitäten führte unter osmanischer Oberhoheit neben Griechenland gerade auch über Russland.6 Orthodoxe Kirchenfürsten in modernen nationalstaatlichen Monarchien Gerade Geistliche wie der Abt des ganz unter osmanischer Herrschaft verbliebenen Klosters Dečani legten im Rahmen einer eigenen kirchlichen Erinnerungspolitik eine Darstellung der Obrenović als neue, entsakralisierte Nemanjiden nahe, um die Befreiung



6 Mit anderen Beispielen: Mishkova (2006), S. 189 – 193.

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„Altserbiens“ zu erreichen. Die Ausrufung des Königreichs 1882 erscheint als erste Kulmination dieser Bestrebungen, die aber bereits wieder zum Einsatz des religiösen Wortschatzes zurückkehrten: Milan wurde als neuer „Messias“ bejubelt. Die historisierende Deutung der alten Dynastie spielte damit immer mit ihrer erneuten Sakralisierung als nationaler Erlöserin auf dem Weg in eine europäische Modernität. Auch in den ersten Jahren des 20. Jh. förderten Geistliche die nationale und religiöse Aufladung des Gedenkens an die Nemanjiden, aber nur teilweise auch ihrer Nachfolger im 19. Jh. Tatsächlich setzte sich eine säkulare Vorstellung der neuen Herrscher im R ­ ahmen des staatskirchlich-monarchischen konstitutionellen Staatsmodells durch. Erst ab 1894 forcierte auch die Kirchenführung die Förderung Savas als Schulheiligen sowie als Medium zur Sakralisierung der Nation. Neben der säkularen politischen Aufladung des Gedenkens entstand zu Ende des 19. Jh. eine nationalkirchliche Erinnerungs­politik, die aber noch nicht durch die höchsten Würdenträger getragen wurde: Während des ­ersten Balkankrieges bekam der Cambridge-Absolvent und bereits damals einflussreiche Geistliche Velimirović in der offiziellen Zeitschrift der SOK Raum, den Kosovomythos zum „sakra­len Drama“ zu stilisieren. In den ausgehenden 1860er-Jahren trat engagierter Aktionismus einzelner orthodoxer Geistlicher für die bulgarische nationale Sache hervor. In der kirchlichen Publizistik war das Gedenken aber bis zu Beginn des 20. Jh. weltlich geprägt: Erst damals begannen Geistliche auf dieser bereits gefestigten Grundlage, das neue nationale Gedenken nun auch sakral aufzuladen und der Kirche eine neue Rolle und Legitimation im bisher laizistischen Staatswesen zuzuschreiben. Nach der ­enormen Ausweitung ihrer weltlichen Verehrung erschienen Kyrill und Method den geistlichen Autoren hierzu als ein geeignetes Mittel: Als Medien der Kritik der modernen Gesellschaft sollten sie resakralisiert und für den Dienst an der bulgarischen Kirche zurückgewonnen werden. Von 1895 an ist zu beobachten, wie die inzwischen gefestigte bulgarische orthodoxe Kirche auch mit der Erinnerungsfigur des Heiligen aus Rila versuchte, sich einen Platz im Entwurf einer modernen Gesellschaft zu sichern: Zunächst sollte Ivan in das entstehende säkulare Geschichtsbild der „neuen Wiedergeburt“ und der Abwerfung des zweifachen, sowohl „fremdgläubigen“ als auch „fremdsprachigen [phanariotischen, S. R.] Jochs“ nachträglich eingeschrieben werden. Sodann diente Ivan unter zarischer Mitwirkung als Patron des Sofioter Seminars, dessen Vertreter sich in der Auseinandersetzung mit modernen gesellschaftlichen Vorstellungen positionierten. Zur Wende ins 20. Jh. verbanden wichtige Geistliche das Gedenken an ihn mit dem Kampf um Makedonien. Die BOK versuchte nun zunehmend, durch eine religiöse Erinnerungspolitik eine die neue Dynastie legitimierende Rolle und auf diesem Weg, ähnlich wie die SOK, in der modernen Gesellschaft eine politische Funktion zu erlangen. Während im serbischen Kontext der Verweis auf die Nemanjiden im 19. Jh. für die neue Monarchie an Bedeutung gewann, obschon sich eine weltliche Vorstellung durchsetzte, spielte die Verehrung heiliger bulgarischer Zaren bis zu Beginn des 20. Jh. aber auch für die Geistlichkeit erst in Ansätzen eine Rolle – die zeitgenössischen Herrscher waren ohnehin protestantisch oder katholisch.

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Moderne Vereine Bei der Konsolidierung und Verbreitung national gedeuteter religiöser Erinnerungs­figuren spielte der Verein als Strukturelement der modernen Gesellschaft 7 in der zweiten Hälfte des 19. Jh. eine entscheidende Rolle: Der Verein „Wiedergeburt“ in Saloniki wurde in den 1870ern zum gesellschaftlichen Rückgrat kollektiven Handelns zum Einsatz für eine Kyrill und Method geweihte Kirche. Auch die Einrichtung der Sava-­Assoziation 1886 kanalisierte die Ausgestaltung und Verbreitung der gesellschaftlichen Erinnerungs­ kultur unter den Wortführern der Belgrader Elite in einem deutlich kon­turierten sozialen Rahmen. Sie wurde in kurzer Zeit zum größten serbischen Verein und funktionierte als Medium gesellschaftlicher Entwürfe sowie staatlicher und kirchlicher nationaler Politik letztlich als Rückgrat des serbischen Nationalismus. Die Mitglieder der Sava-Gesellschaft trugen entscheidend zur Verbreitung der Feiern außerhalb Belgrads bei. Die Gesellschaft stand dabei von Anfang an in einer untrennbaren Beziehung zur Regierung und zu Kirchenfürsten. Erst von 1891 an gab es auch in Sofia ganz nach dem Vorbild der Belgrader Heilig-­ Sava-Gesellschaft einen Verein unter dem Patronat Kyrills und Methods, der sich der Organisation und Verbreitung der Feiern in Bulgarien sowie – wie die Bel­grader Assoziation – in Makedonien annahm. 1901 folgte in Varna eine Boris geweihte Priester­ bruderschaft, bereits 1879 Jahren war in Sofia eine Ivan von Rila gewidmete geistliche Bruderschaft gegründet worden, die gleichfalls für die regelmäßige Veran­staltung der ­Feiern ihrer Patrone und die Herausgabe von Publikationen wie Zeitschriften ­wichtig ­wurden. Performative Erfahrung und Öffentlichkeit durch Feiern In engster Verbindung zu dieser funktionalen Entwicklung entfalteten sich im 19. Jh. neuartige weltliche Feierlichkeiten zu Ehren der Heiligen und ihre Überlagerung mit religiösen Praktiken: In der regelmäßigen Feier der Schulheiligen Sava sowie Kyrill und Method festigten sich neue soziale Rahmen der Begehung ihres Feiertages. In jeder einzelnen Feier wurde ein sozial und zeitlich beschränkter, aber intensiv erfahrbarer feierlicher Raum in der städtischen Öffentlichkeit hergestellt. Der Feiertag wurde zu einem zentralen Medium des Entwurfs und der Verbreitung von Nationalbewusstsein sowie zum Kristallisationspunkt modernen nationalen Lebensgefühls. Die Feierlichkeiten sollten Erfahrungsräume der aktiv und passiv Beteiligten bilden und kollektive Erwartungshorizonte strukturieren. Waren die Feiern in Belgrad 1863 nur von einem engen Kreis der wissenschaftlichen Elite der Hauptstadt getragen worden, so erreichten die Feierlichkeiten 1885 bereits breitere Schichten der städtischen Öffentlichkeit. Zunächst waren diese Entwürfe noch in Diskurse osmanischer Loyalität ein­gebunden gewesen. Mit der performativen Aneignung des städtischen Raumes etwa in Saloniki bei Umzügen und der Adaption staatsbürgerlicher Handlungsformen in den Kontext orthodoxer Traditionen wurde dort aber bald die Imagination eines sakralisiert als



7 Hardtwig (1997), S. 12, S. 26 – 28.

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„heiliges Land“ und national entworfenen makedonischen „Vaterlandes“ der Brüder vertreten, ungeachtet der jüdischen Bevölkerungsmehrheit. Die ersten Initiativen zur Feier der Brüder in Schulen wurden im Rahmen der osmanischen Bildungsreformen von lokalen Wortführern in kleinen Städten ergriffen. Bis zum Ende des osmanischen Staates ­wurden diese Feiern durch die komplexe Beschreibung gleichzeitig bestehender imperialer Loyalitäten und transnationaler Identitäten legitimiert. Im Jahr 1885 stand die Inszenierung der neuen Hauptstadt Sofia für das neue Bild ganz Bulgariens. Von nun an wurde die Feier Kyrills und Methods zum entschei­denden Festtag der öffentlichen und publizistischen Inszenierung der „Wiedergeburt“ der bulgarischen Nation. Definiert als „nationaler Schulfeiertag“ festigten sich weltliche und sakrale Bezugsrahmen ihres Gedenkens. Nicht nur die Gedenktage Kyrills und Methods wurden in der Vielvölkerstadt Sofia zum Anlass öffentlicher Feierlichkeiten: Der tausendste Todestag von Boris I. und die dabei verlautbarten nationalen Losungen wurden 1907 mit öffentlichen Umzügen in den Straßen der rasch wachsenden Hauptstadt den Massen nahegebracht. Den Anlass und die Inszenierung deutend sprach ein Lehrer damals von einer „gesellschaftlichen und staatlichen Maschine, die Bulgarien zum Licht und in die Zukunft führt (die Geist­ lichen, die Beamten und die Bürger)“.8 Der Leitung der im Kontext gesamteuropäischer moderner Technikbegeisterung als Maschine beschriebenen Gesellschaft sollte die orthodoxe Geistlichkeit vorstehen. Trotz ihrer demonstrativen Traditionalität befand sie sich damit an der Spitze dieses nationalen Modernitätsentwurfs. Publizistische Rahmen/Medien Von Anfang an war die nach der Mitte des 19. Jh. allmählich entstehende serbische Publi­ zistik zentral an der Weiterentwicklung der Diskurse über religiöse Erinnerungsfiguren beteiligt. Auch im bulgarischen Zusammenhang festigte sich die neue, noch sehr schmale schriftliche Öffentlichkeit gerade auch im Schreiben über religiöse Erinnerungsfiguren. In den 1850er- und 1860er-Jahren war gerade das dynamische kulturelle Umfeld der osmanischen Hauptstadt wichtig bei der Entfaltung einer bulgarisch­sprachigen Teil­ öffentlichkeit im zwischennationalen Wettstreit. Zur Mitte des Jahrhunderts versuchten kontrovers geführte Debatten in der auch in dem Streit um die Ehrung Vits intensi­vierten serbischen Öffentlichkeit den Ursprung dieser Verehrung zu klären. Von der Mitte des 19. Jh. an förderten weltliche Theateraufführungen eine historisierende Sicht auf die Könige, die als richtungweisend für die gegenwärtige Monarchie und sowie die historische Rolle Serbiens dargestellt wurden. Die Verehrung Kyrills und Methods, aber auch Ivans von Rila festigte auch in den ersten bulgarischsprachigen Zeitungen in den 1850er-Jahren ein entstehendes national motiviertes öffentliches Sprachfeld. Allerdings beschränkte sich seine Reichweite hier wie in Serbien zunächst nur auf die schmalen alphabetisierten Kreise. Dennoch wirkten diese Texte als Multiplikatoren. So festigten sie durch die Berichterstattung über



8 Tăržestvena ovacija prěd Sv. Slivenska Mitropolija…, S. 13.

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Gedenktage auch die Feiern als soziale Institutionen. In der entstehenden, Staats­grenzen überschreitenden Zeitungsöffentlichkeit entwickelten sich im serbischen Zusammenhang kontroverse Debatten etwa über die Tätigkeit der Heilig-Sava-Gesellschaft sowie eine intensivierte religiöse und nationale Publizistik. Schon früh war auch die lokale Entwicklung in Makedonien eingebunden in die sich ausgestaltende überregionale bulgarische Zeitungsöffentlichkeit. Für die publizistische Propagierung religiöser Erinnerungsfiguren war die Einrichtung nationaler kirchlicher Periodika wie des „Kirchenboten“ entscheidend. Die Beiträger und Redakteure des im Jahr 1900 eingerichteten Publikationsorgans der BOK benutzten etwa Kliment, um sich selbst in führender Position in die Sprachfelder der „Wiedergeburt“ und des „Fortschritts“ einzubringen, oder Boris I., um kirchliche Staatsvorstellungen nun als angebliche „Ideale des Volkes“ maximal zu legitimieren. Die Historienmalerei löste teilweise Fresken und Ikonen als Medien einer visualisierten Nationalgeschichte ab. Aber auch die säkularisierte Darstellung der Schlacht auf dem Amselfeld auf Ölgemälden blieb mit religiösen Aspekten des Mythos verbunden. Inhaltliche Verlagerungen: Nationaltheologie und Bellifizierung Im untrennbaren Wechselspiel mit dem aufgezeigten Wandel der Funktionen und der Institutionalisierung von Arenen öffentlicher performativer Inszenierung der Erinnerungsfiguren veränderten sich auch die konkreten inhaltlichen Ausgestaltungen der Diskurse und der durch sie imaginierten Zielutopien. Für den Kosovomythos etwa kann beobachtet werden, wie erst im 19. Jh. führende serbische Intellektuelle unterschiedliche Erzählstränge des vielfältigen und zuvor anationalen Kosovomythos zusammenführten und dabei nationalisierten sowie ansatzweise sakralisierten. Von der Mitte des 19. Jh. an diente Sava immer intensiver zum Entwurf einer Vision einer modernen, in Ansätzen sakralisierten Nation. Die Referenz auf Sava wurde ­zentral zur Herausbildung und Propagierung pragmatischer Handlungsanweisungen im Sinne eines modernen, von weltlichen wie kirchlichen Akteuren neben- und miteinander entworfenen religiösen Nationalismus. In ersten Ansätzen kam es bereits damals zu einer Nationalisierung Gottes und einer Sakralisierung der Nation. Insbesondere der ­Vidovdanund Kosovomythos eignete sich zum historistischen Entwurf einer eigenen Antike, die gleichfalls für die Europäizität Serbiens stehen sollte. Auch in Sofia verbanden Ende der 1860er erste Vertreter einer modernen Geschichtswissenschaft den entstehenden Diskurs über eine nationale „Wiedergeburt“ unauflöslich mit religiösen Erinnerungsfiguren. Entscheidend war insbesondere das Gedenken an die Brüder Kyrill und Method. Die Brüder wurden dabei in eine Reihe mit anderen geistlichen, aber auch weltlichen Helden gestellt. Mit ihnen sollte das junge, noch unter osmanischer Hoheit stehende bulgarische Fürstentum nicht nur internationale Anerkennung, sondern einen „Ehrenplatz in der Geschichte der Menschheit“ verdienen. Nach der Vereinigung mit Ostrumelien 1885 wurde Makedonien in diesen Diskurs eingebettet, der so eine die quasi-imperiale Expansion legitimierende Funktion erhielt. Der (Schul)Feiertag des hl. Sava wurde gleichfalls ganz zum Medium der Formulierung und Verbreitung eines orthodoxen und nationalen Entwurfs von Modernität.

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Im Zusammenhang mit den Kriegen der ersten Jahre des 20. Jh. wurde die Vorstellung Savas auch militarisiert. Analog ist mit den Balkankriegen eine Bellifizierung der zu Ehren Kyrills und Methods verfassten bulgarischen Texte zu beobachten, die in ihrer Aneignung durch serbische Verfasser ihre Entsprechung fand. Erst in den letzten Jahren des 19. Jh. bemühten sich bulgarische Geistliche, das Ge­­ denken an Ivan von Rila in die „neue Wiedergeburt“ und den Kampf gegen das an­geblich „fremdgläubige“ und „fremdsprachige Joch“ der Phanarioten und der Osmanen einzubetten. Als Schutzheiliger des Sofioter Seminars, das sich mit modernen gesellschaftlichen Konzeptionen offensiv auseinandersetzte, wandelten sich auch die Be­­ deutungsaufladungen Ivans im Sinne einer orthodoxen Modernität. Auch der Diskurs über Kliment wurde in allen Phasen an der Gestaltung einer modernen bulgarischen Identität beteiligt: Die zunächst auf die Umgebung um Ohrid konzentrierte Verehrung Kliments spielte bereits zur Mitte des 19. Jh. eine weltliche Rolle bei der Einrichtung von Schulen, in denen in bulgarischer Sprache unterrichtet werden sollte. Gerade Kliment sollte mit der Wiedereroberung des Gebiets 1916 als „Alpha und Omega der bulgarischen Eigenart“ und nationaler Lebensspender im Rahmen einer mehr und mehr aus dem christlichen Zusammenhang gelösten Nationaltheologie das Zentrum eines politisch-theologisch imaginierten bulgarischen nationalen und kulturellen Wesens darstellen. Der lokalen transreligiösen Verehrung trat damit die Sofioter Vorstellung einer sakralisierten, modernen bulgarischen Nation entgegen, deren vermeintliche Essenz auch in der Publizistik der BOK Kliment sein sollte. Der Geistliche Velimirović fand in der offiziellen Zeitschrift der SOK Raum, den Kosovomythos öffentlich zum „sakralen Drama“ zu verklären und, verbunden mit einer Selbstorientalisierung und Selbstjudaisierung, eine sakral begründete serbische Geschichte im universalen Rahmen zu entwerfen. Gleichzeitig sollte Serbiens Geschichte als Ergebnis einer maximalen Selbsteuropäisierung die „klassischste Europas“ sein. Im Gedenken an die Kriegsopfer wurde Großserbien in Saloniki auch zum Antemurale Europas stilisiert. Einer enormen religiösen Bedeutungsaufladung nationaler Geschichte mithilfe der Erzählfigur des Kosovomythos folgte aber in der Regel ein Selbstausschluss aus der ,mental map‘ Europa. Auch die Beschreibung der nemanjidischen heiligen Herrscher unterlag im 19. Jh. wesentlichen Veränderungen: So entwickelte sich eine nationale und zugleich religiöse Aufladung ihres Gedenkens. Ihre Nachfolger im 19. Jh. wurden aber nur selten im Rahmen des staatskirchlich-monarchischen konstitutionellen Staatsmodells direkt mit den heiligen Herrschern in einen Zusammenhang gestellt. Trotz der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Vorgeschichte, in der sie als Heilige keine wichtige Rolle spielten, erfuhren auch die bulgarischen heiligen Herrscher im ausgehenden 19. Jh. eine sich intensivierende Verehrung: Zu seinem tausendsten Todestag 1907 wurde Boris mit Konstantin, Chlodwig, dem hl. Vladimir und Stephan I. verglichen. Die symbo­lische Einschreibung von Boris in die höchste Liga heiliger europäischer Staatsbegründer bereitete den Weg zur Erklärung der vollständigen Unabhängigkeit Bulgariens von Konstantinopel im folgenden Jahr. Im Kontext der Balkankriege ist eine Radikalisierung und Militarisierung der religiösen Erinnerungsfiguren festzustellen, die, wie die Sakralisierung der Nation, ganz

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in einen europäischen Rahmen einzuordnen ist: So wird – um an dieser Stelle erst eine von zahlreichen möglichen Kontextualisierungen anzubringen – für Frankreich bis 1914 die „Sakralisierung der Nation im Krieg“ festgestellt: Die „ursprünglich christologisch-heilsgeschichtlichen“ Bedeutungen der Monarchie wurden „immer mehr auf den Erlösungsanspruch der Nation selbst übertragen“.9 Der Entwurf moderner orthodoxer nationaler Gesellschaften, die sich als unab­hängig vom Osmanischen Reich konstituierten, erfolgte gerade im Rahmen der Diskurse religiöser Erinnerungsfiguren. Innernationale Kontroversen Zwar herrschte unter den beteiligten Akteuren insbesondere der Eliten Belgrads und Sofias eine generelle Zustimmung zur Förderung und Verbreitung der Vorstellung moderner Nationen vor. Dennoch wurden Aspekte von Diskursen über religiöse Erinnerungsfiguren auch im binnennationalen Streit ausgehandelt. Der Feier zu Ehren von Kyrill und Method durch Gelehrte 1863 folgten publizistische Konflikte um die katholische Initiative zur Verehrung der Brüder um 1881 zwischen Katholiken und Ortho­ doxen. Standen zunächst katholische Kroaten an der Spitze der Diskussion, rückten als Ergebnis der Interaktion in der kontrovers geführten zwischenkonfessionellen Debatte serbische Wortführer nach. Sava diente Đorđević 1867 und Miletić 1869 umgekehrt zur Überwindung politischer Kontroversen: Letzterer forderte in Savas Zeichen die serbische Geistlichkeit in Ungarn dazu auf, dem Vorbild der Geistlichkeit im Fürstentum Serbien und in Montenegro zu folgen. Sie sollte im Unterschied zur katholischen Kirche keinen Ultramontanismus entwickeln, sondern am Konzept des nun national gedeuteten Volkes teilhaben und sich gleichfalls in den Fortschrittsdiskurs und das nationalstaatliche Projekt einschreiben. Für bulgarische Diskurse kann die Ablösung von der zuvor transnationalen, aber nun als griechisch-national gedeuteten osmanischen „millet-i Rum“ in einer ersten Phase mit dem deutschen „Kulturkampf“ verglichen werden. Hier waren zunächst weltliche Wortführer entscheidend, die erst später auch von einer größeren Zahl bulgarisch orientierter Geistlicher unterstützt wurden. Unter diesen war anfangs keine nationale bulgarische Ausrichtung entscheidend, die über religiöse Identität hinausgegangen wäre. Nach den 1880er-Jahren dienten die Brüder der jungen, bulgarisch definierten Gesellschaft der neuen Hauptstadt sowie ihren politischen und auch ihren religiösen Wortführern aber zum Entwurf und zur Einforderung einer modernen bulgarischen Nation auf einem „Ehrenplatz“ in der europäischen sowie globalen Geschichte. Im Versuch, moderne Wissenschaftlichkeit und orthodoxe Religion zu vereinen, sollten der junge Staat sowie die als Organismus imaginierte Nation ihre Daseinsberechtigung erhalten. Religion und Nation gingen nun eine Synthese ein, ohne sich im Sinne eines Kulturkampfes zu bekämpfen, im Gegensatz zu vielen anderen neuen Nationalstaaten derselben Zeit. Auch zu Beginn des 20. Jh. versuchte die bulgarische orthodoxe Kirche antiklerikale Rhetorik, wie sie



9 Leonhard (2008), S. 823.

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gegen die katholische Kirche etwa in Deutschland im Kulturkampf längst bekannt war, abzuwehren, indem sie das Christentum als Fortschrittsreligion darstellte. Die orthodoxe Nationalkirche sollte als führende Beiträgerin zu einer nationalen bulgarischen Modernität und Europäizität erscheinen. Angesichts der schwierigen verfassungsrecht­ lichen Position der Kirche waren weniger eine explizite Referenz auf den byzantinischen „symphonia“-Diskurs des Mittelalters als – mit Beginn der 1890er-Jahre – eine direkte Teilhabe am Projekt des Aufbaus des Nationalstaates auch gegen den Willen des Staates das Ziel und bestimmten das Vorgehen der Kirchenfürsten. Beinahe alle der für das Mittelalter sowie die Frühneuzeit wichtigen religiösen Erinnerungsfiguren wurden im ,langen 19. Jh.‘ aufgegriffen und für moderne Zwecke umgedeutet. Das Anknüpfen an ältere Erinnerungspraktiken war dabei in allen besprochenen Fällen diskontinuierlich und nicht teleologisch erklärbar: Vielleicht mit der Ausnahme der Nemanjiden erfuhren alle Erinnerungsfiguren bereits im Mittelalter und dann in der frühen Neuzeit mehrfache Brüche in ihrer Entwicklung. Im Einzelfall schon nach 1760, spätestens aber in der ersten Hälfte des 19. Jh. begannen sich neue, im modernen Sinne nationale Erinnerungskontexte zu formieren: Konzepte von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sozialer Gruppen bzw. einer jetzt als national homogen vorgestellten Gesellschaft wandelten sich grundlegend. Religiöse Erinnerungsfiguren wurden für die neuen, national ausgerichteten Diskurse der orthodoxen Südslaven und ihre gesellschaftlichen und politischen Modernitätsentwürfe im Rahmen des Osmanischen Reiches sowie dann suzeräner und erst spät unabhängiger Staaten charakteristisch und entscheidend. ­Wurden religiöse Erinnerungsfiguren zunächst säkularisiert zu wichtigen Plattformen des Entwurfs moderner Nationen, so dienten sie schon im ausgehenden 19. Jh. immer öfter zur Sakralisierung des jeweiligen Nationalprojektes. Übergreifend kann nahezu jede Stellungnahme durch Politiker, Kirchenfürsten oder Historiker zu diesen Diskursen als Versuch gedeutet werden, sich selbst performativ an die Spitze des entstehenden nationalstaatlichen Diskurses zu setzen. Hierzu bediente man sich gerade religiöser Erinnerungsfiguren. Sie erwiesen sich als zentrale Kristallisationspunkte von Entwürfen orthodoxer nationaler Modernität. Die nationale Bedeutungsaufladung gewann dabei gerade zur Wende ins 20. Jh. in immer mehr Kontexten – wie für den modernen Nationalismus charakteristisch – die eindeutige Oberhand über die religiöse Bedeutung. Andererseits erlangten gleichzeitig die Hierarchen und Wortführer der orthodoxen Kirchen in den beiden neuen serbischen und bulgarischen parlamentarischen Monarchien – trotz und wegen ihrer politisch, staatlich bzw. verfassungsrechtlich eingeschränkten und zeitweise schwierigen Stellungen – gerade auf dem Weg der modernen, publizistischen Verehrung nationalisierter religiöser Erinnerungsfiguren nach und nach neuen gesellschaftlichen Einfluss und neue nationale Funktionen. Diese Entwicklung setzte sich nach 1918 intensiviert fort.10 Das Ziel blieb die forcierte Separation vom osmanischen Erbe: Nicht zuletzt diesen Diskursen zuzuschreiben ist der bis heute verbreitete Eindruck, das untergehende Osmanische Reich habe mit den

10 Weber (2006); Bokovoy (2001, 2006).

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kontinentaleuropäischen Teilen seiner Herrschaft keine zentralen, sondern äußere, im Vergleich mit Westanatolien „in einem weniger deutlichen Maße osmanisch“ 11 gewordene und historisch widerrechtlich angeeignete, ,fremde‘ Gebiete verloren. E 3  Religiöse Erinnerungsfiguren als Medien der Entwürfe moderner Massengesellschaften und die Sakralisierung der Nation (1918 – 1944)

Mit dem Ende des Ersten Weltkrieges und dem Zerfall des Osmanischen Reiches konsolidierten sich die Referenzen auf die in den Jahrzehnten zuvor entstandenen Erinnerungskulturen als soziale Praxis weiter. Die Erinnerung an die „Wiedergeburt“ des 19. Jh. wurde nun selbst zum Erinnerungsort. Nach den hohen Bevölkerungsverlusten der Balkankriege und des Ersten Weltkrieges veränderten sich im Zeichen des Gedenkens an die Opfer auch die nationalen religiösen Erinnerungsfiguren. Ganz in diesem gesamteuropäischen Zusammenhang des sich zuspitzenden transnationalen Wettstreits erfolgten eine gesellschaftliche Erweiterung sowie eine Ideologisierung, Militarisierung und Sakralisierung der nationalen religiösen Erinnerungsdiskurse im Kontext von Modernitätsentwürfen. Die diskursive Ablösung vom Osmanischen Reich setzte sich auch nach dessen Untergang in seinen Nachfolgestaaten in einem postkolonialen Deutungszusammenhang im gesamten 20. Jh. fort. In diesem diskursiven Kontext deutete etwa Bischof Velimirović nach dem ­Ersten Weltkrieg die Schlacht auf dem Amselfeld aus dem Rückblick zum Sieg um und trat für eine Religion mit dem Kosovomythos als Mitte ein: Die früher als Niederlage erinnerte Schlacht sollte endgültig zum Triumph und vermeintlichen Wesenskern der Nation werden. Seit 1920 lenkten die Regierung des jungen Staates sowie Geistliche bzw. Bischöfe der SOK und ab 1925 auch der Patriarch und die Vertreter des Königs die Organisation von Gedenkfeiern zum Vidovdan. Diese sollten nicht nur in Belgrad, sondern auch in den wichtigsten Städten der neuen Gebiete, in Skopje und Sarajevo, und andernorts die Massen mobilisieren. In ihrem Rahmen wurde die oft als serbische, aber meist als jugo­ slawische dargestellte Nationalideologie mit dem Kosovomythos als Zentrum zum Gefäß der für die Gegenwart und die Zukunft erwünschten Gesellschaft. Transreligiöse Feiern sollten die Jugoslawisierung auch der Muslime und der Juden in den Diskurs und die ihn tragenden sozialen Praktiken einbinden. Zudem entfaltete sich eine publizistische Öffentlichkeit, die den Kosovomythos vor Ort im Kosovo und in „Südserbien“ gerade unter der Jugend populär machen sollte. Die Erinnerungsfigur wurde zu einer „Vidovdanideologie“, einer „Vidovdanreligion“ der Nation sowie mit der Lehre vom Rassismus vermeintlich wissenschaftlich untermauert. Die zusätzlich durch Sokolwettbewerbe und andere öffentliche Sportinszenierungen erweiterten Feiern wurden unter der Führung von Ministern, Militärs und Sportverbänden immer mehr zu Massenveranstaltungen. Ihren

11 Über Südosteuropa als Teil des historischen „Kernraumes“ osmanischer Herrschaft: Kreiser (1979), S. 63.

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kontinentaleuropäischen Teilen seiner Herrschaft keine zentralen, sondern äußere, im Vergleich mit Westanatolien „in einem weniger deutlichen Maße osmanisch“ 11 gewordene und historisch widerrechtlich angeeignete, ,fremde‘ Gebiete verloren. E 3  Religiöse Erinnerungsfiguren als Medien der Entwürfe moderner Massengesellschaften und die Sakralisierung der Nation (1918 – 1944)

Mit dem Ende des Ersten Weltkrieges und dem Zerfall des Osmanischen Reiches konsolidierten sich die Referenzen auf die in den Jahrzehnten zuvor entstandenen Erinnerungskulturen als soziale Praxis weiter. Die Erinnerung an die „Wiedergeburt“ des 19. Jh. wurde nun selbst zum Erinnerungsort. Nach den hohen Bevölkerungsverlusten der Balkankriege und des Ersten Weltkrieges veränderten sich im Zeichen des Gedenkens an die Opfer auch die nationalen religiösen Erinnerungsfiguren. Ganz in diesem gesamteuropäischen Zusammenhang des sich zuspitzenden transnationalen Wettstreits erfolgten eine gesellschaftliche Erweiterung sowie eine Ideologisierung, Militarisierung und Sakralisierung der nationalen religiösen Erinnerungsdiskurse im Kontext von Modernitätsentwürfen. Die diskursive Ablösung vom Osmanischen Reich setzte sich auch nach dessen Untergang in seinen Nachfolgestaaten in einem postkolonialen Deutungszusammenhang im gesamten 20. Jh. fort. In diesem diskursiven Kontext deutete etwa Bischof Velimirović nach dem ­Ersten Weltkrieg die Schlacht auf dem Amselfeld aus dem Rückblick zum Sieg um und trat für eine Religion mit dem Kosovomythos als Mitte ein: Die früher als Niederlage erinnerte Schlacht sollte endgültig zum Triumph und vermeintlichen Wesenskern der Nation werden. Seit 1920 lenkten die Regierung des jungen Staates sowie Geistliche bzw. Bischöfe der SOK und ab 1925 auch der Patriarch und die Vertreter des Königs die Organisation von Gedenkfeiern zum Vidovdan. Diese sollten nicht nur in Belgrad, sondern auch in den wichtigsten Städten der neuen Gebiete, in Skopje und Sarajevo, und andernorts die Massen mobilisieren. In ihrem Rahmen wurde die oft als serbische, aber meist als jugo­ slawische dargestellte Nationalideologie mit dem Kosovomythos als Zentrum zum Gefäß der für die Gegenwart und die Zukunft erwünschten Gesellschaft. Transreligiöse Feiern sollten die Jugoslawisierung auch der Muslime und der Juden in den Diskurs und die ihn tragenden sozialen Praktiken einbinden. Zudem entfaltete sich eine publizistische Öffentlichkeit, die den Kosovomythos vor Ort im Kosovo und in „Südserbien“ gerade unter der Jugend populär machen sollte. Die Erinnerungsfigur wurde zu einer „Vidovdanideologie“, einer „Vidovdanreligion“ der Nation sowie mit der Lehre vom Rassismus vermeintlich wissenschaftlich untermauert. Die zusätzlich durch Sokolwettbewerbe und andere öffentliche Sportinszenierungen erweiterten Feiern wurden unter der Führung von Ministern, Militärs und Sportverbänden immer mehr zu Massenveranstaltungen. Ihren

11 Über Südosteuropa als Teil des historischen „Kernraumes“ osmanischer Herrschaft: Kreiser (1979), S. 63.

Religiöse Erinnerungsfiguren in modernen Massengesellschaften

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Gipfel fanden sie 1939 in der Feier des 550. Jubiläums der Schlacht auf dem Amselfeld. Die Sakralisierung der Nation, des Staates und der Dynastie sollte in der performativen Inszenierung dieser Feiern durch konkrete soziale Praktiken in das Bewusstsein und Handeln der Massen eingebracht werden und Erfahrungsräume sowie Erwartungshorizonte konstituieren. Auch dieser Diskurs wurde durch verschiedene Wortführer sehr reflektiert beobachtet und teilweise gelenkt. Aus der im 19. Jh. ausgestalteten und kontrovers ausgehandelten Erinnerungsfigur wurde in der ersten Hälfte des 20. Jh. das oberflächlich erfolgreichste „Massenmedium“ des Entwurfs einer von Staat und Kirche zur Vereinheitlichung des Vielvölkerstaats propagierten modernen sakralisierten, bald nur zu taktischen diskursiven Zwecken jugo­slawisch genannten Nationalgesellschaft. Die Figur Savas als National- und Schulpatron hatte sich gleichfalls im 19. Jh. allmählich gefestigt. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde das Svetosavlje zur expliziten modernen Ideologie aufgerüstet und der gefestigte staatliche und kirchliche Savakult mit noch stärkerer Intensität als zuvor zur Verankerung des labilen neuen Staatswesens eingesetzt. Theologiestudenten entwickelten ihn in Belgrad funktional und inhaltlich im gesamteuropäischen Wettstreit zwischen Faschismus und Kommunismus in den 1930ern zu einer modernen „Ideologie“. Spätestens von der Mitte der 20er-Jahre an setzten die Belgrader Behörden die Feiern zu Ehren Savas im Kosovo bzw. in „Altserbien“ wie in „Südserbien“ (Makedonien) und Bosnien-Herzegowina sowie Dalmatien und auch in Zagreb zur Eingliederung der Bevölkerung in die Staatsgesellschaft ein. Ein serbischer Vorherrschaftsanspruch blieb trotz des jugoslawischen Mantels in den wenigsten Fällen verhüllt. Eine Stabilisierung des Vielvölkerstaates gelang mit diesen Mitteln in mehreren Regionen nicht einmal auf der Oberfläche des Diskurses – insbesondere in Bosnien-Herzegowina blieben sie gänzlich erfolglos. Auseinandersetzungen etwa im Jubiläumsjahr 1935 verdeutlichten, dass der Konsolidierungsversuch nirgends nachhaltig über konfessionsethnische Grenzen hinausreichte, sondern vielmehr diese verfestigte. Als sich der Erste Weltkrieg seinem Ende näherte, war die Verehrung Kliments in der Hauptstadt Sofia noch kaum etabliert. Nach der Abtretung Makedoniens an Jugoslawien wurde Kliment jedoch innerhalb einer kurzen Frist zu einem der bedeutendsten erinnerungspolitischen Medien der makedonischen Emigration in der bulgarischen Metropole. Zunächst spielten dabei Auswanderer gerade aus Ohrid eine Rolle. Wohltätige und politische Vereinigungen wie auch die führende Universität des Landes und damit die nationalen Wortführer der modernen Wissenschaften beriefen sich bei regelmäßigen Feierlichkeiten in der hauptstädtischen Öffentlichkeit auf ihn als Schutzherrn. Mit der Etablierung der Verehrungspraktiken in Sofia einher ging eine Anpassung der Rhetorik, die bald einen Anschluss Makedoniens an Bulgarien einforderte. Vom Ende der 20er-Jahre an schrieben Zeitungen der Hauptstadt über die Feiern zu seinen Ehren an der ihm gewidmeten Universität und auf den Straßen Sofias, an denen oft auch der Zar und hohe Kirchenführer teilnahmen. Der „Kirchenbote“ der BOK wurde auch im Rahmen dieser Berichterstattung über die Feiern zu Ehren Kliments sowohl für Laien als auch für Geistliche zu einer Plattform zum Entwurf einer religiös begründeten Nation. Im Rahmen der neuen Besetzung Makedoniens 1941 wurde der in Sofia entwickelte religiös-nationalistische Diskurs mit Kliment als einem der zentralen Medien zur sakra­len

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Schluss

Rechtfertigung der Besetzung auf das makedonische Territorium übertragen. Sofioter Wissenschaftler legitimierten im Rahmen der Sakralisierung der Nation den Krieg und die Besetzung, indem sie zum extremen Nationalismus aufriefen. Kliment wurde nun zu einem Symbol für ganz Bulgarien. Er wurde als „Geist“ und „Genius des Volkes“ zum Zentrum des Entwurfes religiösen Nationalismus: Bischöfe machten die ent­stehende moderne nationale, nicht mehr allgemeinchristliche Religion zur Nationaltheologie. Die damals verkündeten politisch-theologischen Botschaften übertrafen die Rede Sněgarovs zur bulgarischen Besetzung Vardar-Makedoniens im Jahr 1916. Der vor den Balkankriegen und dem Ersten Weltkrieg in Sofia kaum beachtete Heilige wurde gerade durch seinen Einsatz während der Kriege zu einer der führenden Erinnerungsfiguren des modernen Bulgarien. Serbische Vereinnahmungen Kliments waren gesamtslavisch oder „südslavisch“ angelegt, um bulgarische und makedonische Deutungen zu entkräften. Nur in diesem serbischen Zusammenhang war auch eine makedonische Deutung zugelassen. Kyrills und Methods Gedenktag wurde im SHS-Staat zum Staatsfeiertag: Beamte, die Armee und die Kirche trugen ihn. Die Feiern entwickelten aber in Belgrad eine weitaus geringere Mobilisierung der Gesellschaft als das Gedenken an Sava. Wich­ tiger war er in den Regionen: Während in Belgrad aus wissenschaftlicher Sicht Kritik an einer nationalen Vereinnahmung geübt werden konnte, dienten die Brüder in Skopje zur Eingliederung der neuen „südserbischen“ Gebiete in den neuen Staat. Hier konnten sie zu Serben stilisiert werden. In Sarajevo wurde mit dem Verweis auf die Brüder der Entwurf einer orthodoxen innerweltlichen Askese zugunsten des Staates vertreten – die christliche Lehre sollte so „Retterin“ der modernen, heutigen Gesellschaft bleiben. ­Kirchenführer versuchten gerade mit dem Einsatz der Brüder, die Deutungs­hoheit über die Entwicklung der gegenwärtigen Gesellschaft und des Staates zu ­gewinnen. Im ­Rahmen der Königsdiktatur sind Hinweise auf einen verstärkten Einsatz der Brüder neben weltlichen Helden im Zeichen einer südslavischen nationalen Religion fest­ zustellen. Diese Intensivierung zeigte sich auch in der Überlagerung des Diskurses mit dem Kosovomythos und in der Verbindung mit den Sokol- und Jugendverbänden. In Bulgarien hingegen kam den Brüdern, wie schon seit der Mitte des 19. Jh., auch nach dem Ersten Weltkrieg eine weitaus wichtigere Stellung im postosmanischen gesellschaftlichen Gedächtnis zu: Der Innenminister baute ihren Feiertag zur Mobilisierung „breiter Massen“ zugunsten der Nation aus und festigte ihn als Gegenentwurf zum sozialis­tischen 1. Mai. In den 1930ern wurde die Begehung des Feiertags der Brüder auch in der kirchlichen Presse als erst im 19. Jh. eingerichtete, nach langem Vergessen neu als Medium der Nationalgenese eingesetzt beschrieben. Darüber hinaus festigte sich auch der Verweis auf die Brüder bei Versuchen, eine bulgarische Rasse und nationalisierte Religion zu beschreiben. Gleichzeitig institutionalisierten sich die öffentlichen Feiern in der Hauptstadt und in Städten und Dörfern. Kyrill und Method dienten 1941 zur Rechtfertigung der neuen Besatzung Vardar-­ Makedoniens. Namhafte Historiker und Kirchenleute setzten sich mit dieser Erinnerungsfigur als Medium für die „Einigung“ sowie den „unablässigen Kampf“ ein. Dabei näherten sie sich dem nationalsozialistischen Wortgebrauch an. Sowohl in der aus den neuen Gebieten berichtenden Presse als auch in Feierlichkeiten in den Straßen der

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Hauptstadt und „in allen Städten und größeren Dörfern“ Bulgariens wurden die Nation und der Dienst an der „Größe Bulgariens“ beschworen. Transnationale Aspekte, wie sie in der bisherigen Verehrung wichtig gewesen waren, rückten in Texten etwa des Bischofs Kiril ganz in den Hintergrund der ihnen primär zugedachten Rolle als Träger des bulgarischen Nationalismus. Orthodoxe Geistliche förderten die Verbreitung illibe­ raler und kriegerisch aufgeladener Modernitätsentwürfe. Die Institutionalisierung des bulgarischen „Tags der Volkserwecker“ erfolgte vor dem Hintergrund der bereits etablierten Feiern Kyrills und Methods sowie Savas. Richtungweisend war aber auch hier die Initiative der Regierung zur Förderung von „Führer­ gestalten“: Alle hervorragenden und damit auch weltlichen Vertreter des „bulgarischen Genius“ einschließlich der „Wiedergeburt“ sollten verehrt werden. Führende Geistliche der BOK eigneten sich den neuen, weltlich entworfenen Feiertag an, um sich zu Wortführern des religiösen Nationalismus zu machen. Neben Schülern und Studenten beteiligten sich auch Sportverbände an den Umzügen in der hauptstädtischen Öffentlichkeit. Parallel zu diesen Veranstaltungen bot der Feiertag den exilmakedonischen Organisa­ tionen eine Plattform, auf der diese auch Kyrills und Methods sowie weltlicher „Apostel der Unabhängigkeit“ gedachten. Im Rahmen dieser Feiern wurde aber Ivan stärker als die Brüder aus Saloniki verehrt und zum erstrangigen „nationalen Heiligen“. Weltliche „Patrioten“ und „Volksheilige“ gingen im Gedenken eine national-religiöse Synthese ein. Im Rahmen des Feiertages entwarf die BOK eine illiberale, bulgarisch-orthodoxe religiöse Modernität, die gesellschaftliche nationale Eigentümlichkeit und „geistig-­ kulturellen Fortschritt“ vereinigen und darstellen sollte. Mit dem Weltkrieg kam auch in diesem Diskurs die Funktion der Rechtfertigung des territorialen Wachstums des Staates hinzu. Der Schriftsteller Ivan Vazov wurde in diesem Rahmen zum „Messias der Freiheit“ stilisiert. Der Feiertag zeigt dennoch, wie Ivan, ein Einsiedler des Mittelalters, im Vergleich zur gleichzeitigen Verehrung säkularer Nationalhelden des 19. Jh. in der ersten Hälfte des 20. Jh. größere Bedeutung als diese erlangen konnte. Die Annäherung der national ausgerichteten publizistischen Öffentlichkeit Bulgariens an den Führerkult im nationalsozialistisch beherrschten Deutschland fand in der Erinnerungsfigur Ivans von Rila und in seinem Kloster in Rila einen zentralen Kristallisationspunkt. Erst in der Zwischenkriegszeit festigte sich in Bulgarien eine religiöse Legitimierung des monarchischen Staatswesens durch Erinnerungsfiguren: Seit der Krönung von Boris III. zum Zaren verknüpfte die BOK seine Herrschaft mit der Verehrung des hl. Boris I. Nach dem Weltkrieg versuchte die Kirche, in ihrer erneuerten Nähe zum Zaren ihren Einfluss auf die Gestaltung der Gesellschaft auszuweiten. Aber erst in den Kriegsjahren etablierte sich die Beschreibung des herrschenden Zaren als „Führer“, oft im direkten Zusammenhang mit der Nennung Adolf Hitlers. Staatlichkeit und monarchische Herrschaft gingen in Bulgarien mit der nationalen Staatskirche eine sehr enge Verbindung ein, die als illiberale national-orthodoxe Modernität vertreten wurde. Gerade auch im Rahmen der Sakralisierung seiner Herrschaft mithilfe der neuen Massen­medien und der Erinnerungsfigur Ivans von Rila inszenierte sich Boris III. zusehends als moderner, nationaler und orthodoxer Medienzar. Schon zu Beginn der 20er-Jahre setzte eine sakralisierende Bedeutungsaufladung der Monarchie in der weltlichen serbischen Presse wie in Publikationen der SOK ein.

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Schluss

Der Verweis auf den Kosovomythos war dabei schneller hergestellt als derjenige auf die Nemanjiden. Mit dem Besuch des Klosters Dečani 1924 durch das Königspaar machte sich dieses den vergleichsweise intensiven Kult Stefans von Dečani zunutze und schrieb sich in ihn ein: Allerdings war die Berichterstattung in den weltlichen Medien über das Ereignis zu schwach, um von gelungener moderner Herrschaftsinszenierung sprechen zu können. Die seit dem 19. Jh. bestehende weltliche Verehrung Nemanjas als Staatserbauer erfuhr eine Überlagerung mit der Erneuerung des bildlichen religiösen Kults der Nemanjiden in der Kirche der Karađorđević bei Topola. Das Ziel der grandiosen Erfindung von Tradition war die Legitimation der völlig traditionslosen Dynastie. Auch die Sakralisierung räumlicher nationaler Diskurse setzte sich nach dem Ersten Weltkrieg sowohl in Sofia wie in Belgrad fort: In Jugoslawien etablierte sich die Vorstellung vom „Altar unserer Heimat“ auch im Rahmen des Gedenkens an den Vidovdan. Die Erneuerung des Patriarchats in Peć führte zur Verkündung eines „neuen serbischen Jerusalem“. Mit der Beschwörung des auferstandenen „Zarenreiches“ wurde auch das makedonische Skopje in den Entwurf einer teilweise sakralen serbischen Raumordnung eingeschrieben. Im Zweiten Weltkrieg nationalisierte Nikolaj Velimirović mit dem Begriff vom „himmlischen Serbien“ die zuvor anationale Vorstellung vom „himm­lischen Reich“ und vertrat die maximale Sakralisierung der Nation. Die bereits zu Beginn des 20. Jh. vertretene Vorstellung eines „bulgarischen Gottes“ und die eines „makedonischen Golgatha“ legten eine weitere maximale Sakralisierung auch Makedoniens als „makedonischer Gott“ nahe. Kurz nach der neuen gewaltsamen Einverleibung Vardar-Makedoniens 1941 folgte die staatlich und kirchlich organisierte performative Inszenierung des Gedenkens: Nicht nur Makedonien, auch Bulgarien insgesamt wurde als „heilige Heimat“ sakralisiert. Die Feier der „Auferstehung“ der ­Heimat stand für die größtmögliche religiöse Bedeutungsaufladung. Mit dem Untergang des Osmanischen Reiches nach dem Ersten Weltkrieg festigten sich folglich Verweise auf die schon entwickelten Erinnerungsdiskurse als soziale und kulturelle Praxis. Auch die gesellschaftliche Erweiterung der Erinnerungskulturen intensivierte sich im kompensatorischen Bemühen der Wortführer, sich gerade in der Selbstdistanzierung von osmanischen Kontexten, die eine frühere Entwicklung behindert hätten, als moderne Gesellschaften mit eigener Europäizität zu inszenieren. Die inhaltlichen und funktionalen Veränderungen im Kontext moderner Massenideologien sowie des Zweiten Weltkrieges führten aber erneut zu einem wesentlichen Wandel. Sehr deutlich entfaltete sich eine Resakralisierung der im 19. Jh. im Zeichen des Historismus weitgehend säkularisierten Erinnerungsfiguren. Auch hier soll – trotz weiterer Wiederholungen – der auf die einzelnen religiösen Erinnerungsfiguren konzentrierten Zusammenfassung eine systematische Darstellung der Ergebnisse folgen. Inhaltliche und funktionale Veränderungen: Radikalisierte orthodoxe Modernitäten Religiöse Erinnerungsfiguren dienten in der ersten Hälfte des 20. Jh. wie im 19. Jh. zum Entwurf und zum Versuch einer diskursiven Herstellung homogener nationaler Gesellschaften angesichts tatsächlicher religiöser, ethnischer und sozialer Vielfalt. Heilige wie

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Kliment und Sava, Kyrill und Method sollten zum Vorbild für Bulgaren und Serben bzw. Jugoslawen aller sozialen Schichten oder „Stämme“ werden, ungeachtet ihrer Ausbildung und ihres gesellschaftlichen Standes. Das Ziel, zu dem sie zu eigentlichen Ideologien ausgearbeitet und eingesetzt wurden, war der Versuch der Schaffung einer einheitlichen und klassenlosen modernen Gesellschaft, wie sie – mit unterschiedlichen Konzepten – in zahlreichen politischen Systemen Europas der Zwischenkriegszeit angestrebt wurde. Ideologisierung, Rassismus und Nationaltheologie wurden richtungweisend: Bischof Velimirović forderte eine neue, eigenständige serbische nationale Religion des Kosovomythos. Die häufig als serbisch, aber bald als jugoslawisch bezeichnete Natio­ nalideologie mit dem Kosovomythos als politisch-theologische Hauptfigur sollte zum gesellschaftlichen Integrations- und Mobilisierungsmittel werden. Die Erzählstränge wurden zu einer modernen „Vidovdanideologie des Sokol“ und zu einer „Vidovdan­religion“ der Nation verdichtet sowie mit der Pseudolehre vom Rassismus auf der Oberfläche des Diskurses verwissenschaftlicht und legitimiert. Auch im Diskurs der Verehrung des hl. Sava, die als „Svetosavlje“ zu einer explizit im Wettstreit zwischen Faschismus und Kommunismus entworfenen „Ideologie“ einer orthodoxen Modernität wurde, war eine Ausweitung rassistischer Interpretamente charakteristisch. Das mit beiden Konstrukten verbundene übersteigerte Selbstbewusstsein sollte, vergleichbar mit anderen Dis­kursen der Zwischenkriegszeit, postkoloniale Minderwertigkeitskomplexe kompensieren. In Sarajevo wurde mit dem Verweis auf Kyrill und Method eine orthodoxe innerweltliche Askese im Dienst am Staat entworfen – die christliche Lehre sollte nun auch die Erlösung der modernen Gesellschaft gewährleisten können. Gleichzeitig konnte der christliche Glaube zur Vorstellung einer „großen Zukunft unserer Rasse“ und zur Imagination eines rassisch begründeten slavischen Bollwerks im Kampf Europas gegen „Barbaren“ dienen. Im Rahmen der Königsdiktatur verstärkte sich der Einsatz auch der Brüder neben weltlichen Helden im Zeichen einer südslavischen nationalen Religion, etwa in der diskursiven Überlagerung mit dem Kosovomythos und in Verbindung mit den Sokol- und Jugendverbänden. Auch in Bulgarien dienten die Brüder in den 1930ern als Medium der National­genese und zur Konzipierung einer bulgarischen Rasse. Selbst in Texten der Geistlichkeit mehrte sich ihr Einsatz zur Imagination religiösen Nationalismus’ im Zeichen der modernen Gesellschaft für den „Fortschritt der modernen Menschen“ und eines natio­nalen Messianismus’. Damit verbunden war die Festigung des Anspruchs von Geistlichen auf die Mitsprache in der Ausrichtung des staatlichen und gesellschaft­lichen Leitentwurfes: Erst in den 1930er-Jahren wurden für einen führenden bulgarischen Theologen das selbstbewusste und explizite Aufgreifen des „symphonia“-Entwurfes und die Rede von einer „Mission“ der Kirche in der „Unterstützung“ des national ausgerichteten Staates wichtig.12

12 So definierte Prof. Dr. Cankov: „Die ,gute Symphonie‘ zwischen Staat und Kirche ist erst dann vorhanden, wenn der Staat in der Erfüllung seiner eigenen Aufgaben seine Grenze kennt, anerkennt und hält; wenn er in seinem Bestreben ein gerechtes Recht (eine gerechte Gottes-Ordnung) zu erlangen, den ideellen Inhalt dieses Rechtes aus der ewigen Quelle des göttlichen Nomos schöpft und der Kirche zur Erfüllung ihrer eigenen Mission seine Hilfestellung leistet;

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Schluss

Ivan von Rila wurde gleichfalls in einer Reihe mit weltlichen Helden als Vertreter des „bulgarischen Genius“ geehrt. Der „Geist“ Ivans sollte in den Adern der Bulgaren fließen, um politischen Bruderzwist zu verhindern und „neue Erwecker“ hervorzubringen. Weltliche „Patrioten“ und „Volksheilige“ wurden in den Schriften von Geistlichen als eine national-religiöse Einheit konzipiert. Im Rahmen des Feiertages Ivans bzw. der „Volkserwecker“ entwarf die BOK eine illiberale, bulgarisch-orthodoxe Modernität, die vermeintliche gesellschaftliche nationale Eigentümlichkeit und „geistig-kulturellen Fortschritt“ vereinigen sollte. Die national gesinnte Publizistik Bulgariens knüpfte bei der Ausgestaltung der Erinnerungsfigur auch Ivans von Rila an den Führerkult im nationalsozialistisch beherrschten Deutschland an. In Belgrad, aber vielleicht noch häufiger in Sofia, nationalisierten führende Akademiker die Religion und sakralisierten Wissenschaft, um zum fanatischen Nationalismus zu mobilisieren. Gerade Kliments Rolle wuchs in den 1930er-Jahren sowie dann im Zweiten Weltkrieg durch diese Argumentation deutlich: Er wurde als „Engel“, der das „jungfräuliche Bulgarien“ geschwängert haben sollte, erst jetzt politisch-theologisch zu einem der wenigen definitorischen Symbole für ganz Bulgarien. Orthodoxe Kirchenfürsten machten ihn zu einem Medium einer modernen Nationaltheologie. Die mehrfache kriegstheologische Deutung des „Werks“ Kyrills und Methods als „Waffe“ im „nationalen Kampf“ stand für ihre Funktion der Mobilisierung im Zweiten Weltkrieg, der in weiten Teilen Europas als ein Krieg des modernen Nationalismus gelten darf. Den Diskurs dominierende Historiker und führende Geistliche verwendeten die Erinnerungsfigur zur gesellschaftlichen Mobilisierung für die „Einigung“ und den „unablässigen Kampf“, ohne die Nähe zum nationalsozialistischen Wortgebrauch zu scheuen. Insgesamt dienten die Erinnerungsfiguren vorrangig zur Imagination der gesamten Nation als einer sakralen und räumlichen Einheit: Im Kontext des Vidovdan wurde bald nach dem Ende des Ersten Weltkrieges vom „Altar unserer Heimat“ gesprochen. Die Wiederherstellung des Patriarchats in Peć führte zur Rede von einem „neuen serbischen Jerusalem“. Als das auferstandene „Zarenreich“ beschworen wurde, kam auch Skopje in diesem Anspruch auf einen serbischen Raum eine letztlich sakrale Funktion zu. Im Zweiten Weltkrieg erfolgte schließlich in Belgrad die pseudowissenschaftlich hergeleitete Nationalisierung Gottes im Rückgriff auf angeblich heidnische Traditionen. Zudem verbreitete ein Kirchenfürst wie Nikolaj Velimirović damals die Vorstellung vom „himmlischen Serbien“. Das schon zu Beginn des 20. Jh. entstandene Konzept eines „bulgarischen Gottes“ und die Rede vom „makedonischen Golgatha“ berei­teten den Weg zu einer weiteren Steigerung der Sakralisierung auch Makedoniens als „makedonischer Gott“. Auch in diesem Zusammenhang förderte die diskursive Logik der gewählten sakralen Begrifflichkeit eine solche Zuspitzung. Nationalpolitisch-theologische Kulminationen entwickelten sich nicht nur in Belgrad, sondern gerade in Sofia.

und anderer­seits, wenn die Kirche in dieser Hinsicht dem Staate ihre geistige, moralische Unterstützung verleiht.“ Zankow (1936/1937), S. 40.

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Die bis 1944 anhaltende Verstrickung der orthodoxen Kirche mit dem nationalistischen Diskurs unterscheidet die Entwicklung in Bulgarien graduell von jener in Deutschland, wo nur bis 1937 eine Nähe führender Nationalsozialisten zu christlichen Konfessionen bestand: Damals wurde die Bildung einer „Reichskirche“ als chancenlos befunden. Allerdings blieben in Deutschland Vorstellungen der sakralisierten Nation unter Theologen auch nach 1937 verbreitet. Erinnerungspolitische Akteure im Überblick Wesentlich für die Intensivierung und diskursive Umgestaltung der publizistischen, insbesondere aber der geschichtswissenschaftlich oder (national)theologisch ausgerichteten Stränge der Erinnerungszusammenhänge waren die Absolventen und Lehrer der teilweise schon im 19. Jh. entstandenen neuen hauptstädtischen Hochschulen und Universitäten sowie Priesterseminare, aber auch lokaler Schulen. Zu ihnen zählten Politiker, Generäle, Kirchenfürsten, Geistliche, Historiker, Lehrer, Maler, Journalisten, Zeitungsfotografen und Schriftsteller. Im Rahmen zusehends autoritärer Regime versuchten sie, mithilfe der Diskurse Karriere zu machen und sich selbst an die Spitze der Sprachfelder zu bringen. Der moderne Savakult der Zwischenkriegszeit wurde von Staat und Kirche sowie nationalen und geistlichen Wortführern politisch-theologisch funktional und inhaltlich ausgestaltet sowie organisatorisch getragen. Von 1920 an propagierten die Regierung des jungen SHS-Staates sowie Bischöfe der SOK und ab 1925 auch der Patriarch und die Vertreter des Königs die Begehung von Kosovogedenkfeiern. Zu den offiziellen Besuchern zählten Minister, Militärs und Sportverbände. Jugendzeitschriften oder Zeitschriften von Laienbruderschaften und insbesondere Lehrer sollten eine serbisch-national und serbisch-orthodox bewusste Bürgerschaft als Rückgrat des modernen Staates auch in der Peripherie mobilisieren und festigen. War in Sarajevo die Initiative hierzu 1925 lokal durch zivile Vertreter der serbischen Gesellschaft ergriffen worden, so standen „Altserbien“ und insbesondere „Südserbien“ schon vor der Königsdiktatur unter stärkerem Druck staatlicher Behörden, die Verehrungsdiskurse vor Ort umzusetzen. Bereits geringfügiges Abweichen wurde als Mangel an Loyalität gegenüber dem neuen Staat gedeutet und konnte zur Versetzung von Lehrern führen. In Sofia spielte die Emigration gerade aus Ohrid eine wichtige Rolle bei der Organisation der Feiern zu Ehren Kliments. Wohltätige Vereinigungen und politische Assoziationen sowie die ihm gewidmete Universität beriefen sich bei regelmäßigen Feierlichkeiten, an denen auch der Zar sowie Minister und hohe kirchliche Würdenträger teilnahmen, auf Kliment. Während bei der Funktionalisierung Kliments die Rolle der makedonischen Emigration entscheidend war, ergriff bei der Entwicklung des Dis­kurses über Ivan die Regierung die Initiative zur Förderung von „Führergestalten“. Lehrer waren auch in Bulgarien für die lokale Verankerung der neuen Narrative in der in diesem Vorgang gefestigten nationalen Gesellschaft verantwortlich. Auch Kirchenfürsten waren aktiv an der Gestaltung der Diskurse beteiligt: Neofit von Vidin und Kiril von Plovdiv beschrieben mit dem Verweis auf religiöse Erinnerungsfiguren nationalpolitisch-theologisch begründete orthodoxe Modernität. Führende Sofioter Akademiker nationalisierten

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Schluss

im Rahmen der Verehrung Kliments Religion und setzten sich im Zweiten Weltkrieg für einen extremen Nationalismus ein. Herausragende Historiker und Bischöfe setzten sich mit dem Medium Kyrills und Methods für die „Einigung“ und den „Kampf“ ein. Orthodoxe Geistliche taten sich im Entwurf illiberaler nationaler Modernität sowohl in Belgrad als auch in Sofia besonders hervor. Da wie dort war es ihr Ziel, mithilfe der Erinnerungsfiguren die Deutungshoheit über die Entwicklung der gegenwärtigen Gesellschaft und des Staates zu gewinnen. Religiöse Erinnerungsfiguren als Stützen moderner orthodoxer Monarchien Mit der Krönung von Boris III. zum Zaren koppelte die BOK seine Verehrung an den erst zur Wende ins 20. Jh. neu entstandenen Kult des mittelalterlichen hl. Boris I. Nach dem Weltkrieg nutzte die Kirche ihre erneuerte Nähe zum Zaren zum Gewinn gesellschaftlichen Einflusses. Boris III. förderte seine Verbindung mit Ivan und die Sakralisierung seiner eigenen Herrschaft bewusst, indem er das Kloster aufsuchte und die Medien ausführlich darüber berichten ließ. Erst in den Kriegsjahren häufte sich die Beschreibung des Monarchen als „Führer“. Ein Kirchenfürst wie Paisij, Metropolit von Vraca, schrieb von einem „Volksaltar“ und bezeichnete Boris III. als „gottgegebenen Führer“. Der Zar kam vereinzelt neben den „Bulgarischen Gott“ zu stehen. Als „Vereiniger-Zar“ wurde er staatlich und kirchlich offiziell verehrt. Moderne Staatlichkeit und zarische Herrschaft ging damals in Bulgarien mit der Staats- und Nationalkirche eine überaus enge Symbiose ein, die als illiberale national-orthodoxe Modernität beschrieben werden kann. Indem Boris III. das Kloster zu seiner Grablege machte, folgte er nicht bulgarischen Traditionen, sondern serbischen Vorbildern: Er rückte von der Bestattung der Zaren – nach dem im Mittelalter für die bulgarischen Zaren verbindlichen Beispiel Konstantinopels – in der Hauptstadt ab. Stattdessen übernahm er das in der nächsten Nachbarschaft am nachdrücklichsten durch die serbischen Herrscher vorgelebte Vor­gehen, in einem stadtfernen Kloster bestattet zu werden. Obschon eine Verehrung bulgarischer Zaren als Heiliger vom Mittelalter an bis ins 20. Jh. im Vergleich zur „heiligen Rebe“ der Nemanjiden überaus schwach nachweisbar ist, gingen Boris I. und Boris III. in der ersten Hälfte des 20. Jh. dennoch eine kirchlich und staatlich geförderte sowie für den gesamten offiziellen Gesellschaftsentwurf wichtige erinnerungspolitische Synthese ein: Die eklatante Diskontinuität begünstigte geradezu eine kompensatorische maximale Förderung des Kults. Der Makel sowohl der langen Absenz bulgarischer Staatlichkeit als auch derjenige der katholischen Herkunft der neuen Dynastie sollten so öffentlich getilgt werden. Im Gegenzug gewann die nur synodal organisierte, vom Staat abhängige Kirche an identitätspolitischem Einfluss auf diese weitgehend vom Staat und seinen (bildungs)bürgerlichen Trägern, vom Minister bis hin zum Dorfschullehrer, inszenierte nationale Gesellschaft. Die jugoslawische Monarchie wurde schon kurz nach 1920 in der serbischen Presse mit sakralen Funktionen verbunden. Die Verbindung mit dem Kosovomythos war dabei wichtiger als der Verweis auf die Nemanjiden. Insbesondere die Verehrung Stefans von Dečani festigte sich auch durch Vertreter des Klosters Dečani selbst. Die Darstellung transreligiöser Verehrung Stefans von Dečani auch durch Albaner war ein bescheidener

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Versuch der Klosterführung, den Vielvölkerstaat lokal zu festigen. Als das Königspaar 1924 das Kloster besuchte, eignete es sich den Kult zu seinen Zwecken an. Die Herrscherfamilie verband die im 19. Jh. entstandene säkulare Verehrung Nemanjas als Staatserbauer mit der Reproduktion einer religiösen Verehrung der Nemanjiden durch performative Prachtentfaltung in der Grablege der Karađorđević auf dem Berg ­Oplenac. Ihr Zweck war die Legitimation der jungen Dynastie zweifelhafter Herkunft. Eine explizite Sakralisierung der modernen Könige erfolgte aber auch im Jubeljahr zu Ehren Savas 1935 nicht. Aleksandar blieb nur „Schöpfer Jugoslawiens“. 1939 erfolgte dagegen zum 550. Jahrestag der Schlacht eine Beschreibung Nemanjas als „Staats­schöpfer“ sowie der Versuch zur Grundlegung eines Staatskultes, dessen Kern ein nationaler „Gott unserer Geschichte“ sein sollte. Die moderne Gegenwart und die Zukunft waren nun durch die maximal sakralisierte historische Erfahrung der Nation definiert. Auch dieser Staatsentwurf darf als illiberaler orthodox-nationaler Modernitätsentwurf gelten. Dieser war aber trotz der viel stärkeren, jedoch abgebrochenen Sakralisierungstradition serbischer Herrscher schwächer ausgeprägt als die Verehrung des bulgarischen Zaren, obgleich selbst im Mittelalter keine kontinuierliche Verehrung bulgarischer Herrscher entstanden war: Der Charakter Jugoslawiens als Vielvölkerstaat mehrerer Religionen und Konfessionen hätte eine stärkere Sakralisierung der Monarchie kaum zugelassen. Zudem wirkten die im 19. Jh. gefestigten säkularen Staatsentwürfe fort. Als wenig erfolgreicher und nahezu einziger Motor der Sakralisierung tat sich die serbische orthodoxe Kirche hervor, die auch auf diesem Weg die Wortführung bei der Gestaltung der Gesellschaft erlangen wollte. Die performative Inszenierung des Volkskörpers in öffentlichen Massenfeiern Gedenkfeiern der „Rache“ des Amselfelds und Savas wurden in der Zwischenkriegszeit nicht nur in Belgrad, sondern auch in Skopje und Sarajevo zu Massenveranstaltungen. Regierungsmitglieder, Militärs und Sportverbände verknüpften die Feiern mit Sokolwettbewerben und machten sie zu modernen Massenanlässen: Die gesamteuropäisch verbreitete Inszenierung eines gesunden Volkskörpers in der Sportparade 13 wurde hier Teil der Feier einer orthodoxen nationalen Modernität. Die Veranstaltungen gipfelten 1935 in den Feierlichkeiten zum 700. Todesjahr Savas und 1939 in der Begehung des Jubiläums der Schlacht auf dem Amselfeld sowie in der Grundsteinlegung zur monumentalen Sava-Kathedrale im selben Jahr. Die theoretisch reflektiert eingeforderte Vorstellung der Sakralisierung der nationalen Gesellschaft, des Staates und der Dynastie sollte im Rahmen dieser Feiern konkret durch soziale Praktiken im Bewusstsein der Massen verankert werden. Auch der Savakult brachte staatliche und kirchliche Schul­feiern hervor, die regelmäßig begangen und zu Institutionen der Erinnerungspolitik vor Ort wurden. Kyrills und Methods Gedenktag wurde im SHS-Staat als Staatsfeiertag durch Beamte sowie die Armee und die Kirche begangen. Die Feiern zu ihrem ­Gedenken entwickelten aber in Belgrad eine weitaus geringere Mobilisierung der Gesellschaft als das Gedenken an Sava oder den Kosovomythos.

13 Zum türkischen Beispiel im europäischen Kontext: Dogramaci (2010).

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Schluss

In Bulgarien festigten sich analog die Patronatsfeiern des hl. Kliment an der Universität, an denen regelmäßig auch der Zar sowie Minister und hohe kirchliche Würdenträger teilnahmen. Als die am besten organisierten Massenanlässe der gerade in diesem Rahmen imaginierten und situativ hergestellten bulgarischen Gesellschaft dienten die Feiern des Bildungstages immer wieder zur Festigung einer national und religiös sowie militärisch aufgeladenen Öffentlichkeit sowie zur Zelebrierung eines jugendlichen Volkskörpers in den hauptstädtischen Straßen und in der Zeitungsöffentlichkeit das Landes. In der regelmäßigen Wiederholung konstituierten sich die sozialen Rahmen der öffentlichen Feiern in der Hauptstadt und in Städten und Dörfern. Die Institutionalisierung des „Tags der Volkserwecker“ erfolgte im Vergleich mit den Feiern Kyrills und Methods oder Savas spät und hatte diese zum Vorbild. Hauptstädtische Geistliche der BOK nahmen den neuen, weltlich entworfenen Feiertag von Anfang an als Gelegenheit wahr, diesen mit religiösem Nationalismus zu verbinden und zum Medium des eigenen Anspruches auf eine Führungsrolle in der Gesellschaft zu machen. Neben Schülern und Studenten partizipierten auch Sportvereine an den Umzügen in den Straßen der Hauptstadt. Der Feiertag war auch für die exilmakedonischen Vereine eine Möglichkeit, Kyrills und Methods sowie weltlicher „Apostel der Unabhängigkeit“ in einer wachsenden Öffentlichkeit zu gedenken. Die Massenfeste in Sofia wie in Belgrad bzw. auf dem Amselfeld dienten ähnlichen Funktionen wie in anderen europäischen „Inszenierungsdiktaturen“ der 1930er-Jahre: Die Fragmentierung der Gesellschaften, die sich nach dem Weltkrieg nur in schweren inneren Konflikten neu formierten, sollte durch inszenierte körperliche und ideolo­ gische Einheit gerade mittels geordneter Umzüge durch Straßen moderner Haupt- und möglichst auch mittlerer und kleiner Städte überwunden werden.14 (Trans)Konfessionelle und (trans)nationale Abgrenzung in der Konkurrenz In Jugoslawien sollten transreligiöse Feiern des Kosovomythos die Jugoslawisierung auch der Muslime und der Juden erreichen. Im Rahmen der Verehrung Savas wurde eine Umarmung der Muslime aber nur im Diskurs vertreten. Eine nur in wenigen Texten entwickelte serbische, gesamtslavische oder „südslavische“ Vereinnahmung Kliments delegitimierte bulgarisch- bzw. makedonisch-nationale Sprechakte. Nur in diesem durch Belgrad dominierten Zusammenhang war auch eine makedonische südslavische Deutung Kliments möglich. Der Heilige spielte aber insgesamt im serbischen Erinnerungsgefüge keine große Rolle. Vielleicht sollte so Auseinandersetzungen wegen makedonisch-nationaler Deutungen ausgewichen werden, die es zu verhindern galt. 1935 wurden Kyrill und Method als „transnational“ und „fremd“ dargestellt, um die nationale Bedeutung Savas zu unterstreichen. Im Gegensatz zur damaligen bulgarischen Erinnerungskultur wurden die beiden Soluner Brüder in Jugoslawien von ­führenden Gelehrten als Griechen oder Byzantiner beschrieben, selten als Serben und als Jugo­slawen, aber nicht als Bulgaren. Hingegen in Bulgarien rückten transnationale Aspekte, die in der Verehrung Kyrills und Methods im 19. Jh. wichtig gewesen waren, in Texten etwa des Bischofs

14 Rolf (2006), S. 280, S. 299.

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Kiril ganz in den Hintergrund ihrer Rolle als Träger eines bulgarischen sakralisierten Nationalismus. In der reflexiven Beobachtung serbischer Texte über die Brüder Kyrill und Method wurden serbische Deutungen der Erinnerungs­figuren dekonstruiert. Im Streit um die Formen der Erinnerung an die Brüder und um die öffentliche Inszenierung der Gedenkfeiern bildeten sich feste Grenzen serbischer und makedonischer Diskurse heraus. Die ursprünglich religiösen Erinnerungsfiguren wurden in der zwischennationalen Konkurrenz und in der nachdrücklichen Abgrenzung von der osmanischen Vergangenheit zu wichtigen Kristallisationspunkten von Ent­würfen kollektiver nationaler Identität. Medien Neben der sich weiterentwickelnden jugoslawischen Tagespresse entfaltete sich ins­ besondere für den Kosovomythos eine Publizistik, die den zentralen Mythos vor Ort im Kosovo und in „Südserbien“ unter der Jugend verbreiten sollte. Vom Ende der 1920er-Jahre an berichteten mehrere Sofioter Zeitungen ausführlich über die unterschiedlichen Massenfeiern zu Ehren nationaler Heiliger in der bulgarischen Hauptstadt, zu­­nehmend auch in Verbindung mit Photoreportagen. Der „Kirchenbote“ der BOK wurde noch deutlicher als in den ersten Jahren seines Bestehens im und nach dem ­Ersten Weltkrieg zu einem wichtigen Medium der Diskussion und des Entwurfs einer religiös begründeten nationalen Gesellschaft. Die moderne Massenpresse Bulgariens, aber auch etwa die Belgrader „Politika“ berichteten über die vom Staat, der Kirche sowie der Armee mitgetragenen Veranstaltungen, an denen mehr und mehr gesellschaftliche Gruppen teilnahmen. Sowohl in der aus den neuen Gebieten berichtenden Presse als auch in Feierlichkeiten in den Straßen von Sofia und „in allen Städten und größeren Dörfern“ Bulgariens wurden die Nation und die „Größe Bulgariens“ beschworen. Boris III. kann noch deutlicher als Aleksandar als moderner Medienzar beschrieben werden. Aus­ führliche Fotoreportagen auch in Tageszeitungen gaben der modernen Inszenierung eine intensivierte, visuell medialisierte Reichweite. Auch Radioansprachen begannen zum Ende der 1930er-Jahre zu wichtigen Medien der Verbreitung der Verehrung religiöser Erinnerungsfiguren zu werden, wobei erst vergleichsweise wenige Empfänger in der Bevölkerung verbreitet waren. Aber auch traditionellste Medien wurden wieder aufgegriffen und neu eingesetzt: Die Ausgestaltung der neuen Grablege der auf keinerlei dynastische Vergangenheit zurückblickenden Karađorđević in Oplenac erfolgte explizit nach dem Pariser Vorbild von St. Denis und gab den sakralen Fresken der Nemanjiden in der historistischen Form neobyzantinischer Mosaiken neuen Raum. Das Beispiel steht für die auch in Bulgarien ubiquitäre Bemühung, in jeder Hinsicht und mit auffälligem Nachdruck maximale Europäizität herzustellen. Im modernen Medium des Films wurde versucht, gerade dieses Symbol einem breiteren Publikum bekannt zu machen. Kontroversen innerhalb der Staaten Im Gegensatz zur zweiten Hälfte des 19. Jh. sind nach dem Ersten Weltkrieg kaum Hinweise auf Kontroversen über die Feiern bzw. den Kosovomythos in serbischen Texten zu finden: Die nationalistische Publizistik trat grundsätzlich geeint auf, etwaige sozialdemokratische Kritik hatte in diesem Sprachfeld kaum Auswirkungen. Eine

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Schluss

Festi­gung des Vielvölkerstaates mithilfe der religiösen Erinnerungsfiguren gelang aber in ­mehreren Regionen nicht, insbesondere in Bosnien-Herzegowina, aber auch in Kroatien scheiterte dies deutlich. Eine Konsolidierung reichte in keiner Region nachhaltig über konfessionsethnische Grenzen hinaus, wie Auseinandersetzungen etwa im Jubiläumsjahr 1935 bezeugten. Nach dem Ersten Weltkrieg kam es im bulgarischen Parlament zu einer spannungsgeladenen Debatte zwischen Kommunisten und bürgerlich-nationalen Politikern um eine nationalistische Bedeutungsaufladung der Verehrung der Brüder. Ganz bewusst setzte der Innenminister ihren Feiertag für die Mobilisierung „breiter Massen“ zu­­ gunsten der Nation ein, um den Versuchen von Sozialisten, die Bevölkerung zum 1. Mai zu mobilisieren, entgegenzuwirken. Das Gedenken an die Brüder und die Feier weltlicher nationaler Erinnerungsfiguren wurden dabei als im 19. Jh. erfunden dargestellt, um aufmerksam beobachtete serbische Aneignungen der Brüder zu delegitimieren. Neben Kirchenfürsten, die sich für eine Sakralisierung der Nation mithilfe des Gedenkens an die Brüder einsetzten, ergriffen Geistliche das Wort, die sich einer vollständig säkulari­ sierten Instrumentalisierung der Brüder widersetzten. Publizistische Kontroversen im Rahmen der Diskurse der religiösen Erinnerungs­ figuren blieben aber in den Königsdiktaturen – sowohl in Jugoslawien als auch in Bulgarien – weitgehend aus, abgesehen von Bosnien sowie Kroatien: Neben der ein­ geschränkten Pressefreiheit war das grundsätzliche Einverständnis der Eliten Belgrads und Sofias mit dem vertretenen Kurs der Propagierung eines sakralisierten Nationalismus entscheidend. In Makedonien war der Einfluss Belgrads stark genug, jede öffentliche Widerrede im Keim zu ersticken. Ausweitung der Herrschaft auch durch Erinnerungsfiguren Der moderne Savakult war in Belgrad entstanden. Staat, Kirche und Intelligenz setzten ihn spätestens nach 1925 nach und nach in beinahe allen Gebieten Jugoslawiens zur Eingliederung der Bevölkerung in die serbisch dominierte Staatsgesellschaft ein. Ein serbischer Diskurs über Kyrill und Method war gleichfalls insbesondere in den südlichen Regionen wichtig: Dort wurden die Brüder zur diskursiven Integration der neu ge­­ wonnenen, „südserbischen“ Gebiete in den neuen Staat eingesetzt und zu Serben stilisiert. In Sofia wurde mit ihrer Hilfe die Expansion Bulgariens nach Makedonien beschworen. Kliments Verehrung war zu Beginn der 20er-Jahre in Sofia noch sehr schwach. Mit dem Verlust Makedoniens an Jugoslawien am Ende des Ersten Weltkrieges wurde Kliment aber in kurzer Frist zu einem der wichtigsten Medien der makedonischen Emigration in der bulgarischen Hauptstadt, die bald die „Befreiung“ Makedoniens durch Bulgarien verlangte. Im Zweiten Weltkrieg dienten vor allem Kliment und die Brüder aus Saloniki zur Legitimierung der aktiven Teilhabe am Krieg sowie der territorialen Expansion: Mit der erneuten Besetzung Makedoniens kam der in Sofia gefestigte religiös-nationalistische Diskurs mit Kliment als Kern zur sakralen Rechtfertigung der Besetzung vor Ort zum Einsatz. Wie 1916 galt es Mitte der 1940er-Jahre, die Vorstellung nationaler und reli­ giöser Homogenität zur Grundlage der Nationalstaatlichkeit zu erklären. Die Inszenierung eines auferstandenen, mit Makedonien vereinten Bulgarien mithilfe des „heiligen

Religiöse Erinnerungsfiguren in modernen Massengesellschaften

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Feuers“ sollte die räumliche Dimension der nationalen Einigung und der Rede von der „heiligen Heimat“ sozial verankern. Die Vorstellung von einer nationalen Auferstehung im Krieg stellte die maximale religiöse Legitimierung gewaltsamer staatlicher Expansion in der Allianz mit dem nationalsozialistischen Deutschland dar. Die „Zwischenkriegsdemokratien“ 15 wie die Königsdiktaturen Südosteuropas „scheiterten (…) an den harten sozioökonomischen Realitäten“, auch blieb die von der Propaganda angestrebte „national geschlossene Gesellschaft (…) eine Chimäre“, so der Forschungsstand.16 Knapp die Hälfte der Bevölkerung „Südserbiens“ bestand im Jahr 1921 aus Muslimen,17 die von messianischen serbisch-orthodoxen Ideologien bzw. einem integralen, meist christlichen Jugoslawismus per se nicht und noch weniger als katho­lische Kroaten angesprochen wurden.18 Auch nach der neuen Auswanderungswelle von Türken aus Bulgarien in den 1930er-Jahren waren 1947 etwa 9,6 Prozent der Gesamt­bevölkerung Türken,19 die durch die zunehmende religiöse Beschreibung der Staats­gesellschaft aus dieser erinnerungspolitisch ausgeschlossen wurden. Andererseits hielten sich in Bulgarien säkulare Vorstellungen einer politisch und nicht religiös definierten Staatsbürgerschaft.20 Die in dieser Untersuchung herausgearbeiteten Entstehungsprozesse und vielfältigen Formen der Propagierung religiöser Erinnerungsfiguren können immerhin die Intensität der von zahlreichen Akteuren und namentlich der Kirchen, Universitäten und Schulen nicht nur in Belgrad und Sofia getragenen Bemühungen unterstreichen. Zumindest unter den Städtern, die noch um 1800 mit der Ausnahme Salonikis ganz überwiegend aus Muslimen bestanden hatten, setzten sich bis 1944 immer radikalere nationale Weltbilder und die christliche Bevölkerung durch, vermeintlich legitimiert durch nachdrücklich inszenierte Modernität und Europäizität gegenüber angeblichen orientalischen Asiaten. Partielle Erfolge der Propaganda der Zwischenkriegszeit, in der die Grundlage für die Verankerung dieser Figuren in den unterschiedlichen Öffentlichkeiten in breiteren Schichten als im 19. Jh. gelegt wurde, zeigten sich in der zeitweise virulenten Wiederbelebung eines unter zahlreichen Angehörigen der Titularnationen konfessionell gefärbten Nationalismus nach 1980.



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Höpken (1996). Sundhaussen (2001), S. 340 f.; Sundhaussen (2007c), S. 205. Jovanović (2002), S. 361. Zu diskursiven Strategien im Rahmen religiöser Erinnerung gegenüber Muslimen: Rohdewald (2009a). 19 Ulf Brunnbauer, „Türken aus Bulgarien (1950/51)“, in: Lexikon der Vertreibungen, S. 662 – 665, hier S. 662. Insgesamt Zahlen zu „postosmanischen“ Muslimen in Südosteuropa: Popovic (1986). 20 Mirkova (2009). Zu Jugoslawien und Rumänien vgl. Müller (2005).

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Schluss

E 4  Rekapitulation im europäischen Rahmen

Politische Herrschaft und religiöse Memoria waren im Mittelalter und für den serbischen Zusammenhang teilweise auch in der frühen Neuzeit wie insgesamt in europäischen Kontexten beginnend mit den byzantinischen Vorbildern über vergleichbare Entwicklungen von den französischen Königen bis hin zu den Zaren Moskaus untrennbar miteinander verbunden. Die Festigung neuer Zarenstädte oder die Institutionalisierung dynastischen Gedenkens in Klöstern als Grablegen einer zumindest mit einem Vertreter sakralisierten Dynastie erscheinen in diesem Rahmen als gänzlich europäische Praktiken der Herrschaftssicherung durch sakrale Legitimität. Die Herausbildung der heiligen Dynastie der Nemanjiden erfolgte damit als eine lokale Zuspitzung gesamteuropäischer Kontexte. Gleichfalls ganz im europäischen Zusammenhang wurden im 19. Jh. auch im osmanischen Südosteuropa im Rahmen zunächst nur sehr kleiner Kommunikationskreise nationale Gedächtnisse angelegt, die, so legt die Arbeit nahe, gerade in religiösen Er­­ innerungsfiguren ihre Form und Ausgestaltung fanden. Diese Figuren sollten in der Folge moderne Herrschaft legitimieren und Grundlagen für neue nationale Gesellschaften nach gesamteuropäischem Muster schaffen helfen. Insbesondere im 19. und beginnenden 20. Jh. wurde diese Verbindung kaum infrage gestellt und in der Regel von den Eliten Sofias und Belgrads über Kontroversen der rechtlichen Situationen der Kirchen in den modernen parlamentarischen Monarchien hinweg sehr homogen vertreten. Dennoch konnten Kontroversen unterschieden werden oder ein Wettbewerb um die Wortführung und Akzentuierung des Diskurses unter Historikern, Politikern und Geistlichen. Waren im Mittelalter und in der frühen Neuzeit transethnische und transkirchliche Zusammenhänge dominant gewesen, so blieben transnationale Aspekte auch im 19. Jh. und danach mit der Verehrung mehrerer Erinnerungsfiguren verbunden. Im Zentrum aber stand die Festigung exklusiver und expansiver Nationalismen im europäischen, regionalen und lokalen Beobachtungs- und Konkurrenzzusammenhang. Für die Genese serbischer wie bulgarischer moderner orthodoxer Identitätsdiskurse wurden nach 1800 religiöse Erinnerungsfiguren des Mittelalters entscheidend. Nationalisierung von Religion erfolgte auch durch Geistliche und nicht nur in Südosteuropa als „moderne Rechtfertigung ihrer Religion“ 21 ganz im Kontext sowie im Wettstreit mit anderen europäischen Modernitätsentwürfen. Beinahe alle für das Mittelalter sowie die Frühneuzeit in der Region wichtigen religiösen Erinnerungsfiguren wurden während dieses Vorgangs im ,langen 19. Jh.‘ von Wortführern der nationalen Debatten bewusst aufgegriffen und für moderne Zwecke ganz grundlegend neu erfunden sowie mit neuen Funktionen und Bedeutungen aus­gestattet. Die Anknüpfung an die älteren, meist transethnischen und oft transkirchlichen, seltener transreligiösen Erinnerungspraktiken war dabei in allen besprochenen Fällen durch Brüche geprägt und nicht als Kontinuität zu verstehen: Vielleicht mit der Ausnahme der Nemanjiden erfuhren alle Erinnerungsfiguren bereits im Mittelalter und dann in der

21 Schulze Wessel (2006), S. 7.

Rekapitulation im europäischen Rahmen

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f­ rühen Neuzeit mehrfach gebrochene Entwicklungsphasen. Im Einzelfall schon nach 1760, spätestens aber nach 1850 entwickelten sich im das Osmanische Reich einschließenden europäischen Austausch neue, im modernen Sinne nationale Erinnerungskontexte: Vorstellungen von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Gesellschaft veränderten sich damals im europäischen Zusammenhang grundsätzlich. Gerade bulgarische orthodoxe Geistliche, aber auch manche serbische, waren im 19. Jh. zunächst nur teilweise bereit, die moderne Nation mitzuentwerfen. Nach 1850 und immer mehr im ausgehenden 19. Jh. versuchten sie jedoch, sich gerade mithilfe neuer Medien an die Spitze der nationalen Diskurse zu stellen. Geistliche taten sich damit nicht weniger als Politiker hervor, natio­ nale Bestrebungen zu propagieren – diese Aktivität als „Träger und Förderer nationaler Identität“ ist aber als neu und nicht als eine alte Kontinuität der Osmanenzeit oder des Mittelalters anzusehen, für die vielmehr dynastische, imperiale und transethnische Zusammenhänge entscheidend gewesen waren. In der Zwischenkriegszeit verstärkten sich die Bemühungen Geistlicher, mit einer immer weitergehenden politisch-theologischen Sakralisierung der Nation den säkularen Nationalbewegungen die Deutungshoheit der modernen Gesellschaft abzusprechen und für sich selbst zu beanspruchen. Zu diesem Zweck waren sie zum Entwurf exklusiver Nationaltheologien bereit und fähig. Umgekehrt sakralisierten sich aber auch die von weltlichen Historikern und Politikern mit den Erinnerungsfiguren verbundenen Diskurse. Religiöse Erinnerungsfiguren wie Kyrill und Method wurden im Rahmen der im europäischen Kontext entstehenden Nationalbewegungen trotz der in diesem Fall anfangs transnationalen Verankerung ihres Gedenkens zu Kristallisationspunkten nationaler Identität. Für diesen Prozess war die zunehmend feindschaftliche Abgrenzung der sich festigenden Entwürfe voneinander und von der osmanischen Herrschaft entscheidend – insbesondere im kirchlichen, schulischen und dann kriegerischen Konflikt um Makedonien. Dieser Vorgang ist übergreifend als Wettstreit und wechselseitige Verflechtung zu verstehen: Es galt für alle Beteiligten, von den Gegnern zu lernen,22 um diese zu übertreffen und zumindest im beanspruchten Raum zu beseitigen. Der politisch-theologischen Indienstnahme und Säkularisierung religiöser Erinnerungsfiguren im 19. Jh. im europäischen Kontext von Historismus und Nationalismus und mit den Anfängen der nationaltheologischen Sakralisierung der Nation folgte die Instrumentalisierung der Erinnerungsfiguren zur intensivierten Sakralisierung des Natio­ nalismus in den 1930er- und den beginnenden 1940er-Jahren gerade durch Geistliche. Ordneten sich die kirchlichen Hierarchien im 19. Jh. zunächst in Serbien und später in Bulgarien dem neuen säkularen Staat unter, legitimierten serbische Geistliche und die bulgarische orthodoxe Kirche in den 30er-Jahren des 20. Jh. die autoritären Regierungssysteme bereitwillig, indem sie die Resakralisierung nationaler Heiliger intensivierten und so dazu beitrugen, die Nation im Sinne ,religiöser Politik‘ mit christlicher Absicht zu sakralisieren. Ganz wie die Entstehung der Nationalbewegungen ist auch diese Entwicklung in einen europäischen Zusammenhang zu stellen. Die Beispiele können als

22 Aust/Schönpflug (Hg.) (2007).

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Schluss

Formen orthodoxer Varianten europäischer Modernität unter anderen Strategien der Legitimierung konstitutionell-monarchischer oder autoritärer bzw. rechtsextremer Regime mit modernisierender Absicht 23 durch Christen 24 angesehen werden. Im 19. Jh. entwickelten sich nationale „Wiedergeburten“ in Italien und Deutschland sowie in sehr weiten Teilen Europas – einschließlich des Ostens – im unauflöslichen Zusammenhang mit nationalen Deutungen der Kirchen und politisch-theologischen Deutungen des Volks, der Nation und des Staates. Nicht nur für deutsche Theologen, Natio­ nalökonomen und Historiker kann festgehalten werden: „Die nationalpolitischen und religiös-kulturellen Überzeugungen bündelten sich zu einem Strang. Die Nation sollte sich im christlichen Kulturstaat verwirklichen.“ 25 Sowohl katholische Landeskirchen, der Gallikanismus und Anglikanismus, als auch gerade lutherische 26 oder evangelische staatsnahe Kirchen waren überaus eng mit der Schaffung und Legitimation moderner nationaler Identität, Kultur und Staatlichkeit verflochten. Auch die nationaltheologische Vor­stellung der „gekreuzigten Nation“ war nicht spezifisch für südosteuropäische orthodoxe Gesellschaften, sondern wie das „auserwählte Volk“ 27 ein charakteristisches rhetorisches „Motiv“ in Diskursen über moderne Nationen über konfessionelle und religiöse Grenzen hinweg.28 Die für die orthodoxen Südslaven geschilderten Entwicklungen sind in diesem gesamteuropäischen Zusammenhang mit der Entfaltung nationaler Moderni­ täten zu verorten und kaum als außergewöhnlich zu bezeichnen, wie auch die sich in diesem Rahmen entwickelnde nationale Deutung der russischen Orthodoxie. Anders als in Russland spielte in Bulgarien wie in Serbien aber eine Wiederbelebung einer „symphonia“ zwischen Staat und Kirche nach byzantinischem Modell angesichts der laizistischen Verfassungen mit wenigen Ausnahmen keine Rolle. Vielmehr ging es um eine Adaption des west- und mitteleuropäischen Vorgangs der Europäisierung national entworfener Gesellschaften durch die politisch-theologische Nationalisierung auch der Kirchen und mit ihrer Beihilfe. Ganz in diesem Rahmen forderten die Kirchen gerade mithilfe religiöser Erinnerungsfiguren eine ideologische Führungsrolle in den nationalisierten Gesellschaften ein, und sei es gegen den Willen säkularer Politiker oder – im serbisch-jugoslawischen Fall – Monarchen. Insgesamt gilt für die hier am Beispiel der orthodoxen Südslaven untersuchten Veränderungen der Diskurse über Kirche und Nation bis 1944 ihre überaus enge Verflechtung mit gesamteuropäischen Entwick­lungen:29 Bis 1937 schien es möglich, im „Dritten Reich“ eine Deutsche Reichskirche hinter Hitler zu scharen, bis 1945 wurden extreme nationalpolitisch-theologische Positionen in Verbindung

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Sundhaussen (2001). Steigmann-Gall (2003); (2004), S. 394 f. Gramley (2001), S. 392. Beispielsweise zur Imagination eines „heiligen evangelischen Reiches deutscher Nation“: ­Walkenhorst (1996), S. 518. 27 Smith (2004). 28 Davies (22010). 29 Zuletzt zur Europäisierung von orthodoxen „Osmanen“ bis 1945: Van Meurs/Mungiu Pippidi (Hg.) (2010).

Rekapitulation im europäischen Rahmen

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mit rassistischen Ideologemen an wichtigen theologischen Fakultäten gelehrt.30 Spezifisch hingegen war selbstverständlich die Auswahl der Erinnerungs­figuren, die zum Aufbau jeweils ,eigener‘ nationaltheologischer ,Eigenart‘ zum Zuge kam: Statt Luther als „deutschem Prophet“ waren es hier Kyrill und Method, statt Clovis/Chlodwig, Stephan, Olav, Erik IX. oder Vladimir – in Bulgarien Boris und in Serbien die Nemanjiden, statt Bonifatius oder Patrick – Sava. Die Modellierungen der Erinnerungsfiguren waren verwandt und ineinander verflochten – vom „teutschen Gott“ (1813) zum „bulgarischen“ (193) und „makedonischen“ (1925), aber auch zum „himmlischen Serbien“ war es kein großer Schritt, sondern ein Sprechakt in einem gesamteuropäischen Wettstreit: „Die Meisterdenker des ,deutschen Idealismus‘ ließen ebenso wie die Staatsdenker der Romantik und der Restauration den Heiligen Geist Gottes gern im Volksgeist sich inkarnieren, so daß sie den Nationalstaat zum sendungsbewußten Agenten einer innergeschichtlich zu realisierenden Kulturmission erheben konnten.“ 31 Auch der im 19. Jh. in seiner modernen Form entstandene Kosovomythos, so ein wesentliches Er­­gebnis der vorliegenden Studie, kann nicht isoliert und als unvergleichbar erklärt werden: Er ist in seinen Anfängen mit Kreuzfahrerdiskursen und dem Konzept des „pro patria mori“ sowie französischen Modellen der heiligen Nation in Verbindung zu bringen. Für das 19. Jh. dürfen die Vorstellung von Polen als „Messias der Völker“, Johanna von Orléans 32 oder die Verklärung der Niederlage von Vercingetorix in Alesia, die Schlacht im Teutoburger Wald im Zusammenhang mit dem Gallier- bzw. Germanenmythos und die Entstehung völkischer Religionskonzepte als teilweise gleichzeitige und richtungweisende Diskurse gelten. Wenn Siegfried Christus ersetzen 33 konnte, waren auch Vid oder Sava als serbische Gottheit denkbar. Moderne deutsche Geschichte wurde im Rahmen der biblischen Figuren des Opfers, des Märtyrertums und der Auferstehung entworfen.34 Während die evangelischen und reformierten Kirchen ohnehin staatlich oder staatsnah waren und die lokale Kirche wie in der Orthodoxie im 19. Jh. leicht zur Nation, ja etwa in Schweden die „Nation zur höchsten Form der Kirche“ werden ­konnte,35 schützte auch die Transnationalität der römisch-katholischen Kirche nicht vor extremen Wortmeldungen höchster Kirchenfürsten: Etwa bekräftigte Kardinal Erzbischof Paul ­Cullen, allein Irland könnte sich „Märtyrernation Christi“ nennen.36 Auch die im Rahmen der Balkankriege und sodann bis 1944 herausgearbeiteten Militarisierungen und natio­nalen Sakralisierungen der Erinnerungsfiguren sind gleichfalls ganz in einen euro­päischen Rahmen einzuordnen: So wird für Frankreich bis 1914 die „Sakralisierung der Nation im Krieg“ beobachtet. Die „ursprünglich christologisch-heilsgeschichtlichen“ Bedeutungen

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Hassfeld u. a. (Hg.) (2005); Denzler/Siegele-Wenschkewitsch (Hg.) (2000). Graf (2000), S. 307. Krumeich (1989). Kipper (2002), S. 295 – 299. Cramer (2004), S. 35. Blückert (2000), S. 320; zur Orthodoxie etwa: Nikolaou (2005). Zit. gemäß Davies (22010), S. 68. Vergleichend zu Säkularisierungsprozessen angesichts der Verbindung von Religion und Nation in Irland und Griechenland: Halikiopoulou (2011).

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Schluss

der Monarchie seien „immer mehr auf den Erlösungsanspruch der Nation selbst übertragen“ worden:37 Der Krieg war zumindest aus französischer Perspektive ein „heiliger Krieg“,38 zu dem auch Ernst Moritz Arndt den deutschen Soldaten aufgerufen hatte.39 Für den Zeitraum von 1870 bis zum Ersten Weltkrieg ist die Rede von der Entfaltung einer „Deutschen Kriegstheologie“.40 Wo, wie in Frankreich und Deutschland, unterschiedliche religiöse oder politische Lager bestanden, wurde allerdings mithilfe religiöser nationaler Erinnerungspraktiken mit dem Aufruf zur konfessionellen und nationalen Einigung letztlich die Spaltung der Gesellschaft konsolidiert.41 Aber auch trotz der nicht flächendeckenden Verbreitung der Ideologien „Deutscher Christen“, der „Deutschen Glaubensbewegung“ oder der Konzepte eines Alfred Rosenberg ist die Weiter­entwicklung des Amselfeldmythos zur Religion und „Ideologie“ im 20. Jh. mit ihnen vergleichbar.42 Die Beschwörung der „gekreuzigten Nation“ (Davies) und ihrer „Auferstehung“ war bis 1945 in weiten Teilen Europas Allgemeingut, wie auch der Aufruf zum Krieg von zahlreichen Kirchenführern mitgetragen wurde.43 Diese Beispiele sollen den Befund einer insbesondere im serbischen Fall vermeintlich beispiellos engen Verquickung von Religion und Nation zumindest für den Zeitraum bis 1944 ansatzweise relativieren:44 Die Ideologisierung von Gesellschaftsentwürfen, die Aufladung der dazu eingesetzten Konzepte mit Rassismus und politisch-theologischer Messianismus waren kennzeichnend nicht nur für Serbien und Bulgarien, sondern ­standen geradezu für Verfahren der Herstellung von zeitgemäßer Europäizität. Die gesamteuropäische Kontextualisierung führt zu einem weiteren Ergebnis der vorliegenden Arbeit: Die konfessionellen Grenzen zwischen den protestantischen ­Kirchen, der katholischen Kirche und den orthodoxen Kirchen spielten in diesem übergreifenden Zusammenhang höchstens zur wechselseitigen Abgrenzung der jeweiligen Entwürfe eine Rolle, der Kontext war aber derselbe: Die Teilhabe an dem Wettstreit, für eine das nationale Projekt maximal fördernde und tragende Kirche einzutreten, war den ­meisten Protagonisten gemeinsam. Die besonders im bulgarischen, aber auch im serbischen Fall zu beobachtenden späteren Zeitpunkte des Einsetzens nationalkirchlicher Diskurse sowie der spezifische (post)osmanische Hintergrund standen dieser gesamteuropäischen Gemeinsamkeit nicht im Wege. Nicht nur auf dem Verbreitungsgebiet der orthodoxen 37 Leonhard (2008), S. 823. 38 Krumeich (2000), S. 282 f. Christkönigkult und Herz-Jesu-Kult bzw. Sacré-Coeur-Verehrung spielten im Ersten Weltkrieg sowohl in Deutschland wie in Frankreich eine wichtige Rolle. Schlager (2011), S. 479 – 483. Vgl. zu Italien: Fattorini (Hg.) (1997). 39 [Arndt] (21814), S. 56. 40 Hammer (1971). 41 Smith (1995), S. 233. 42 Steigmann-Gall (2004); Grabner-Haider/Strasser (2007); Breuer (2008). S. 236 – 264. 43 Beispielsweise: Grosse (2008). Zu Theologie und Religionswissenschaften in Europa unter dem Einfluss des Faschismus, auch zu Südosteuropa (ohne Bulgarien oder Serbien): ­Junginger (Hg.) (2008). 44 Höpken (2006), S. 353, vgl. auch S. 346.

Rekapitulation im europäischen Rahmen

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Kirche entfalteten sich nationale Gesellschaftsentwürfe gerade im Rahmen religiöser Erinnerungsfiguren. Auch der Verweis auf mittelalterliche Reiche gehörte zum Standardverfahren – nur ausnahmsweise, wie in Rumänien, wurde mangels eines solchen Reiches hauptsächlich auf die Antike bzw. den Mythos der römischen Abstammung zurückgegriffen.45 Für viele dieser Vergleichsfälle gilt aber, dass sie sich in innernationalen Rahmen in einem oft erbitterten Wettstreit unterschiedlicher konfessioneller und politischer Erinnerungskulturen entfalteten. Die Forschung spricht inzwischen von „europäischen Kulturkriegen“ und hebt den Einsatz moderner Medien seitens der katholischen K ­ irche hervor: Im Kampf für vermeintliche Traditionalität, in der Auseinandersetzung mit säkularen Entwürfen der Moderne, entwickelten sich Vorstellungen katholischer Modernität 46 – analog wurde in der vorliegenden Arbeit mit Eisenstadt die These der Entstehung orthodoxer Modernitäten vertreten. Wie in der Einleitung zitiert, wird jedoch für die Gegenwart südosteuropäischer Nationalstaaten eine Deckungsgleichheit von „Erinnerungskollektiv“ mit der „Gesamtgesellschaft“ festgehalten (Troebst). Für das 19. Jh. wie für die Zeit bis 1944 lässt sich diese Feststellung wie gezeigt insoweit modifizieren, als sowohl in Bulgarien wie auch im serbischen Zusammenhang durchaus umstrittene Schattierungen der stärkeren religiösen oder weltlichen Aufladung von konfessionsethnischen nationalen Entwürfen erkennbar waren: Politiker, Historiker und Kirchenfürsten machten sich in der Durchsetzung marginaler Bedeutungsdifferenzen das symbolische Kapital der Führung des Diskurses und damit die Führung der Gesellschaft streitig. Die Situation im jugoslawischen Vielvölkerstaat war per se kontrovers – in dieser Arbeit wurden nur die Streitigkeiten erwähnt, die für die untersuchten religiösen Erinnerungsfiguren relevant wurden. Immerhin stießen die Sakralisierungsdiskurse der Nation auch im Belgrad der ersten Hälfte des 20. Jh. auf wenig Widerstand. „Mythenkritiker“ ­blieben bis in die Gegenwart vergleichsweise selten und gegenüber der Bekräftigung der Nation einflusslos.47 Für Bulgarien und Serbien – vorbehaltlich der jugoslawischen Komponente in der Zwischenkriegszeit – mag nach 1890 innerhalb der Kirche im Vergleich zu nominal katholischen oder protestantischen Staaten eine lückenlosere und anhaltendere Unterstützung für den Nationalstaat festgestellt werden. Diese wurde gerade auch durch die autokephale, auf (National-)Staaten ausgerichtete Struktur der orthodoxen Kirchen in der Moderne 48 und durch ihr traditionell staatsnahes Selbstverständnis gefördert, auch wo dies auf verfassungsrechtliche Schranken und zeitweise mangelnde Gegenliebe stieß:

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Zu rumänischen Erinnerungsdiskursen: Boia (2003). Clark (2003), S. 44 – 46. Lauer (1995), S. 147 f.; Höpken (2006), S. 354 f. Vgl. zum europäischen Kontext moderner Orthodoxie: Byrnes (2006), S. 292 – 296, S. 304 f. Beispielsweise paraphrasiert Henkel die Nation in Schriften eines orthodoxen rumänischen Theologen der späten 1930er-Jahre als „Teilaspekt der Schöpfungsordnung“: Henkel (2003), S. 297. Vgl. ein mit kirchlicher Druckerlaubnis publiziertes katholisches Beispiel über „Die Nation in der Heilsordnung“ bzw. eine völkische „Theologie vom Volk“: Kampe (1936).

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Schluss

Die seit dem späten 19. Jh. national definierten orthodoxen Geistlichen standen und stehen nicht vor der Frage des Ultramontanismus oder transnationaler konfessioneller Loyalität in ihren eigenen Reihen, abgesehen von (post)jugoslawischen Beziehungen mit Kroatien oder des guten Verhältnisses der sich von der SOK trennenden makedonischen Geistlichkeit zu Rom. Umso wichtiger wurden religiöse nationale Erinnerungsfiguren und auch nationaltheologische Entwürfe zur Selbstprofilierung der Kirchen. Ganz in einen europäischen Zusammenhang ist letztlich auch die sozial- oder bildungs­geschichtliche Differenzierung der Träger der Verehrung nationaler Heiliger im 19. und 20. Jh. zu stellen.49 Der Aufbau des Schulwesens, der etwa in Bulgarien noch im Rahmen des osmanischen Staates begann, die Entstehung weltlicher Bildungs­ anstalten, die Gründung von Hochschulen und Priesterseminaren in Belgrad und Sofia brachten professionelle Historiker, weltgewandte Politiker und theologisch ausge­ bildete Geistliche hervor, die sich in überlokalen Wissensgemeinschaften orientierten, um ihre affirmativen oder ablehnenden Standpunkte herauszubilden. Entscheidend für die Umgestaltung der Verehrung religiöser Erinnerungsfiguren war die Herausbildung moderner städtischer Bildungseliten, die es sich zum verhängnisvollen Ziel setzten, mit ihrer Hilfe und nach gesamteuropäischem Vorbild nicht nur die überaus uneinheitliche städtische Gesellschaft zu nationalisieren, sondern eine auf einem imaginierten riesigen Territorium als einheitlich entworfene nationale Gesellschaft zu schaffen. Für die Verankerung der neuen Gesellschaftsentwürfe gerade mittels nationaler religiöser Erinnerungsfiguren vor Ort war sodann der Ausbau des Schulwesens in den Peripherien der neuen Staaten zentral, abgesehen vom Mittel des Krieges. E 5  Religiöse Erinnerungsfiguren im diachronen Blick zwischen ,longue durée‘ und Diskontinuität

In der bisherigen Thesenbildung wurden epochenübergreifende Überlegungen berücksichtigt, aber Hinweise auf Kontinuität standen gegenüber der Feststellung von Diskontinuität im Hintergrund. An dieser Stelle soll aus einer noch weiter abstrahierenden Warte in aller Kürze erneut auf dauerhaft beobachtbare Aspekte eingegangen werden. Die beschränkte Anzahl und Wiederkehr von Figuren oder Kristallisationspunkten rhetorischer Formationen, die im Mittelalter, in der frühen Neuzeit und seit dem 19. Jh. immer wieder zum Einsatz kamen, um herrschaftliche, konfessionelle bzw. kirchliche Zugehörigkeit oder später nationale Großgruppen zu festigen, sind die auffälligsten Phäno­mene der „longue dureé“: Trotz der diskontinuierlichen Entwicklung ihrer Verehrung war das Repertoire an zur erfolgreichen Medialisierung zur Verfügung stehenden Figuren im religiösen Feld stets sehr beschränkt und letztlich wenig veränderlich. Das wiederholte und diskontinuierliche Aufgreifen gerade dieser Figuren in sehr unterschiedlichen medialen und sozialen Konstellationen sowie mit grundlegend verschiedenen

49 Ein Atlas der Historiographiegeschichte Europas mit Länderporträts: Porciani/Raphael (2010).

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Die seit dem späten 19. Jh. national definierten orthodoxen Geistlichen standen und stehen nicht vor der Frage des Ultramontanismus oder transnationaler konfessioneller Loyalität in ihren eigenen Reihen, abgesehen von (post)jugoslawischen Beziehungen mit Kroatien oder des guten Verhältnisses der sich von der SOK trennenden makedonischen Geistlichkeit zu Rom. Umso wichtiger wurden religiöse nationale Erinnerungsfiguren und auch nationaltheologische Entwürfe zur Selbstprofilierung der Kirchen. Ganz in einen europäischen Zusammenhang ist letztlich auch die sozial- oder bildungs­geschichtliche Differenzierung der Träger der Verehrung nationaler Heiliger im 19. und 20. Jh. zu stellen.49 Der Aufbau des Schulwesens, der etwa in Bulgarien noch im Rahmen des osmanischen Staates begann, die Entstehung weltlicher Bildungs­ anstalten, die Gründung von Hochschulen und Priesterseminaren in Belgrad und Sofia brachten professionelle Historiker, weltgewandte Politiker und theologisch ausge­ bildete Geistliche hervor, die sich in überlokalen Wissensgemeinschaften orientierten, um ihre affirmativen oder ablehnenden Standpunkte herauszubilden. Entscheidend für die Umgestaltung der Verehrung religiöser Erinnerungsfiguren war die Herausbildung moderner städtischer Bildungseliten, die es sich zum verhängnisvollen Ziel setzten, mit ihrer Hilfe und nach gesamteuropäischem Vorbild nicht nur die überaus uneinheitliche städtische Gesellschaft zu nationalisieren, sondern eine auf einem imaginierten riesigen Territorium als einheitlich entworfene nationale Gesellschaft zu schaffen. Für die Verankerung der neuen Gesellschaftsentwürfe gerade mittels nationaler religiöser Erinnerungsfiguren vor Ort war sodann der Ausbau des Schulwesens in den Peripherien der neuen Staaten zentral, abgesehen vom Mittel des Krieges. E 5  Religiöse Erinnerungsfiguren im diachronen Blick zwischen ,longue durée‘ und Diskontinuität

In der bisherigen Thesenbildung wurden epochenübergreifende Überlegungen berücksichtigt, aber Hinweise auf Kontinuität standen gegenüber der Feststellung von Diskontinuität im Hintergrund. An dieser Stelle soll aus einer noch weiter abstrahierenden Warte in aller Kürze erneut auf dauerhaft beobachtbare Aspekte eingegangen werden. Die beschränkte Anzahl und Wiederkehr von Figuren oder Kristallisationspunkten rhetorischer Formationen, die im Mittelalter, in der frühen Neuzeit und seit dem 19. Jh. immer wieder zum Einsatz kamen, um herrschaftliche, konfessionelle bzw. kirchliche Zugehörigkeit oder später nationale Großgruppen zu festigen, sind die auffälligsten Phäno­mene der „longue dureé“: Trotz der diskontinuierlichen Entwicklung ihrer Verehrung war das Repertoire an zur erfolgreichen Medialisierung zur Verfügung stehenden Figuren im religiösen Feld stets sehr beschränkt und letztlich wenig veränderlich. Das wiederholte und diskontinuierliche Aufgreifen gerade dieser Figuren in sehr unterschiedlichen medialen und sozialen Konstellationen sowie mit grundlegend verschiedenen

49 Ein Atlas der Historiographiegeschichte Europas mit Länderporträts: Porciani/Raphael (2010).

Religiöse Erinnerungsfiguren zwischen ,longue durée‘ und Diskontinuität

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Funktionen kann im Rahmen einer Strukturgeschichte von Erinnerungsdiskursen verstanden werden. Das auffälligste Gegenbeispiel stellen die nach dem Untergang der bulgarischen Zarenherrschaft nicht erneuerten Versuche der Festigung einer „neuen Zarenstadt“ dar. Aber auch das bulgarische Beispiel zeigt, dass die wenigen heraus­ ragenden religiösen Erinnerungsfiguren sowohl im Mittelalter als auch erneut seit dem 19. Jh. zentral waren zur Festigung von Herrschaft und Gesellschaft. Ein weiterer Bereich, der bei einer Zusammenstellung kontinuierlicher Aspekte der Verehrung (nationaler) religiöser Erinnerungsfiguren der orthodoxen Südslaven am Anfang stehen kann, ist das traditionelle religiöse Gedenken im Rahmen der Heiligen­ verehrung: Der untersuchten, als heilig verehrten Geistlichen, der heiligen serbischen Herrscher und der als Märtyrer verehrten Kämpfer Lazars wurde bis zum Ende des Untersuchungszeitraumes zumindest im engsten Kreis der jeweiligen geistlichen ­Hierarchie im Gottesdienst wenigstens jährlich gedacht. Ihre Anrufung als Fürbitter stellt für alle Zeitfenster den geringsten gemeinsamen Nenner dar. Bereits für die schon im Mittelalter nicht konsequent als Heilige verehrten bulgarischen Herrscher Boris-Michail und Petăr trifft dies aber nicht zu. Für den Kern religiöser Andacht richtungweisend waren die grundlegenden Texte liturgischen Gedenkens wie Gesänge und Viten. Erste solche Texte waren bereits im Mittelalter entstanden und zirkulierten in Abschriften, bis sie erst im 18. Jh. etwa in Moschopolis und später im 19. und 20. Jh. auch gedruckt erschienen und Teil einer zunächst kleinen, aber gänzlich gewandelten Mediengesellschaft wurden: Broschüren und Zeitschriften traten neben gebundene Bücher, Zeitungen vermittelten die alten Texte in umfänglich neuen Kontexten. Die neuen Medien veränderten selbst den nur typographisch angepassten alten Text grundlegend: Im Rahmen des sich herausbildenden „Medienkapitalismus“ (Anderson) legten Journalisten und Publizisten entstehende nationale Zeitungsöffentlichkeiten auf eine imaginierte Nation als Publikum an. Die über mehrere Jahrhunderte nach intensiven Anfangsphasen sehr langsame, dann aber immer beschleunigtere mediale Anpassung des Gedenkens kann – unter der Berücksichtigung der aufgezeigten Unterbrechungen – als ein Phänomen der „longue durée“ angesehen werden. Religiöse Erinnerungsfiguren in ihrem Wandel vom Mittelalter bis 1944 können mit Gewinn als „Tradition der Erfindung“ von Tradition (Suter) verstanden werden: In allen untersuchten Zeiträumen waren Akteure bewusst an der (Wieder)Herstellung von Erinnerung zum Zweck des religiösen Gedenkens, aber auch zur Herrschaftsfestigung und später in erster Linie zum Aufbau nationaler Einheit interessiert. An zahlreichen Beispielen konnte gezeigt werden, wie Akteure bestehende Verehrungskontexte und Diskurse bewusst beobachteten und partiell in eine neue Richtung zu führen versuchten. Spätestens im Rahmen der Reflexivität der Moderne war es Politikern und Historikern wie ausgebildeten Theologen klar, dass sie an einem dynamischen Prozess der Aneignung und Zuspitzung oder Veränderung der mit den Erinnerungsfiguren verbundenen Inhalte und Funktionen maßgeblich mitwirkten. Dies bezeugen öffentlich gemachte Überlegungen über den Einsatz von Nationalheiligen bei benachbarten Völkern durch Akteure aller Eliten wie auch die Übernahme und weitere ideologische oder messianische

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Schluss

Aufladung der mit den Erinnerungsfiguren verbundenen Botschaften, die Geist­liche in Belgrad wie in Sofia vornahmen, um eine Führungsposition in der Deutung der Vergangenheit wie der Zukunft und der Gegenwart der nationalen Gesellschaft zurückzuerlangen. Aber auch für das Mittelalter darf den Akteuren der Verehrung sowohl der Nemanjiden als einer heiligen Dynastie wie auch der Inszenierung Tărnovos als neuer Zarenstadt durch die Anhäufung von Reliquien die zumindest partiell bewusste An­­ eignung und kreative Neuerfindung byzantinischer bzw. gesamteuropäischer kultureller Praktiken unterstellt werden. Die Nähe oder der Abstand von religiöser zu weltlicher Erinnerung hat sich als ein weiteres für alle Zeitfenster entscheidendes Verhältnis herausgestellt. Die religiösen Diskurse waren im Mittelalter im Sinne „politischer Orthodoxie“ (Beck) politisch-theologisch untrennbar mit staatlicher Herrschaft und so auch mit weltlichen Erinnerungsdiskursen wie epischen Gesängen verbunden. Im 19. Jh. lösten sich säkulare und religiöse Diskurse voneinander, um sich in Überlappungen erneut zu vermengen. Weltliche, aber auch „religiöse Politiker“ (vgl. Steigmann-Gall) und erst im ausgehenden 19. Jh. vermehrt auch nationalistische Geistliche machten Heilige zu zentralen Figuren der politisch-theologischen Vorstellung einer modernen und weltlichen sowie zugleich orthodoxen Nation: Sava wurde zum Staatsbegründer. Die neuen nationalen religiösen Erinnerungsfiguren konnten dabei an Bedeutung weltliche Helden etwa der Befreiungskämpfe übertreffen. Nationalpolitisch-theologische Entwürfe von Kirchenfürsten wurden in der Zwischenkriegszeit in Bulgarien vergleichsweise häufig und stießen anders als etwa in Frankreich, wo sich insgesamt der Kulturkampf bis 1945 fortsetzte,50 oder in Jugoslawien seitens katholischer oder nicht-serbischer Autoren nicht auf öffentlichen Widerspruch, sondern fanden zumindest stillschweigend breite politische und gesellschaftliche Unterstützung. Mit der Feier des Tages der „Volkserwecker“ am Gedenktag Ivans von Rila wurden säkulare „Volkserwecker“ in der Zwischenkriegszeit einem übergreifenden, nationalisierten religiösen Diskurs untergeordnet. Etwa der Revolutionär Vasil Levski wurde schon früh als „Apostel der Freiheit“ verehrt. Im Rahmen des postkommunistischen Schismas wurde er 1996 auch formal kanonisiert.51 Gleichfalls über die Jahrhunderte hinweg wurde soziale oder gesellschaftliche Einheit durch Inklusion, später vermehrt durch Exklusion gerade mithilfe religiöser Erinnerungsfiguren hergestellt: Zunächst war neben dem religiösen Gedenken die Festigung eines dynastischen herrschaftlichen Personenverbandes das Ziel, wobei dies oft rhomäische bzw. griechische, nicht-slavische Bevölkerungsteile einbeziehend erfolgte. Auch das Gedenken an Kliment oder die Verehrungspraktiken in Peć waren ethnisch additiv und nicht exklusiv angelegt. Erst im 19. und im 20. Jh. wurden religiöse Erinnerungsfiguren wichtige Elemente der Abgrenzung nationaler Gesellschaftsentwürfe: Im Sinne von ­Frederik Barth dienten sie nun als Teil eines sehr kleinen Repertoires an Variablen zur Herstellung von Identität gerade im bewussten und performativ im Gedenken inszenierten

50 McMillan (2003), S. 99 f. 51 Todorova (2009), S. 349 f.

Religiöse Erinnerungsfiguren zwischen ,longue durée‘ und Diskontinuität

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Vorgang der Abgrenzung. Erst jetzt wurde eine möglichst lückenlose Kontinuität einheitlicher Nationen sowie Nationalkirchen seit dem Hochmittelalter imaginiert und im historistischen, staatsschaffenden und tragenden Diskurs verankert. Besonders in diesem Zusammenhang, aber auch schon seit ihrer Entstehung, entwickelten sich auch die religiösen nationalen Erinnerungsfiguren in einem Konkurrenzverhältnis und dadurch als Bestandteile eines Netzwerks regionaler und gesamteuropäischer Verflechtungen. Räumlich kamen die Kommunikationskreise am Rande des lateinischen und im griechischen bzw. später osmanischen Europa zu liegen, sie entwickelten sich aber sowohl im Mittelalter wie in der frühen Neuzeit als auch besonders seit dem 18. Jh. erneut im gesamteuropäischen Zusammenhang. Auch die Nennung türkischer, albanischer oder muslimischer Aspekte in Diskursen über nationale Heilige diente definitorischen Zwecken: Vor der Ablösung vom Osmanischen Reich halfen sie, den ,eigenen‘, nationalchristlichen Entwurf zu legitimieren und abzusichern. Nach der Unabhängigkeit trat neben diese Funktion die Rede von „unseren Muslimen“ als deren unfreiwillige Umarmung sowie nationale Eingliederung auch zur Abwehr einer vermeintlichen „muslimischen Gefahr“.52 Inhaltlich kann für alle Zeitfenster eine maximale Dauerhaftigkeit des Gedenkens und der mit ihm verbundenen Funktionen als Ziel und Effekt der Erinnerungsdiskurse festgehalten werden: Im Rahmen des Gedenkens wurden alle Beteiligten als Gedächtnisgemeinschaft zumindest situativ in einen zeitlich sowie spätestens im Rahmen der neuen Staatsentwürfe des 19. Jh. auch räumlich begrenzten sozialen Zusammenhang gestellt. Religiöse Heilssicherheit, dynastische oder personenverbandsstaatliche und später nationalstaatliche Herrschaftslegitimität sowie nationalgesellschaftliche Gemeinschaft wurden gerade durch die religiösen Erinnerungsfiguren als möglichst dauerhafte, bis zum Weltenende geltende Vorstellungen gefestigt. Im Zeitalter des nationalstaatlich ausgerichteten Historismus wurde der angeblich dauerhafte Wesenskern der vermeintlichen Eigenart von imaginierten Nationen gerade in religiösen Erinnerungsfiguren gesucht und konstruiert. Zahlreiche religiöse Erinnerungsfiguren – und nicht nur der Kosovomythos – wurden zu zentralen Medien der Popularisierung positiver kollektiver Werte und vermeintlicher nationaler Gegensätze.53 Als Bestandteil und wesentlicher Faktor der langsamen Ablösung aus dem Verband des Osmanischen Reiches wurden insbesondere religiöse Erinnerungsfiguren neu erfunden, um – ganz im europäischen diskursiven Rahmen – eine bereits im Mittelalter beginnende nationale Volksgeschichte 54 zu konstituieren und die eigene kollektive Geschichte sakral, aber auch kulturell und 52 Rohdewald (2009a), S. 171. 53 Duijzings (2008), S. 193. 54 Manfred Hettling zu „religiösen Vorstellungen“ im Zusammenhang mit dem Begriff „Volk“: „Doch die Nationalismusforschung hat in jüngster Zeit betont, wie zentral religiöse ­Vorstellungen die Deutung von Nation und Volk prägen. Im europäischen Kontext und damit ganz über­wiegend innerhalb des Spektrums der christlichen Religion wird die Wirklichkeit überwindende säkulare Erlösungsqualität, die dem Volk oder der Nation zugeschrieben werden kann, hier ihre Wurzeln haben.“ Hettling (2003), S. 9.

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Schluss

historisch als rechtens darzustellen. Im Gegenzug wurde im Rahmen der Delegitimierung der imperialen und dynastischen Legitimität des Vielvölkerreiches eine vom Konzept der Volkssouveränität abhängige „Fremdherrschaft“ (Koller) „der Türken“ konzipiert. Damit einher gingen die Europäisierung der christlichen Selbstdarstellungen und die orientalisierende Darstellung der osmanischen Herrschaft, die nun auch als „barbarisch“ und „asiatisch“ verschrien wurde. Diese Praktiken der Inklusion durch die Abgrenzung von benachbarten Gruppen sind im regionalen Zusammenhang des Wettbewerbs als kontinuierlicher Verflechtungszusammenhang erkennbar. Es lassen sich gerade für das untersuchte Repertoire an (nationalen) religiösen Erinnerungsfiguren für alle behandelten Zeiträume in der wechselseitigen nachbarschaftlichen Abgrenzung und Konkurrenz unauflösbare Verflechtungen der Entwicklungsstränge festhalten, die die regionalen Grenzen überschritten und, wie etwa anhand des Kosovomythos („pro patria mori“) nicht nur für das 19. und 20. Jh. gezeigt, im übergreifenden europäischen Zusammenhang zu verorten sind. In der imperialen Verflechtung ist die Figur der „neuen Zarenstadt“ als kulturelle Praxis der Aneignung und Umwandlung zu verstehen, die im überregionalen postbyzantinischen europäischen Rahmen in Moskau eine Wiederaufnahme fand. Genauso kann die heilige Rebe der Nemanjiden in die Verflechtung der Dynastie mit Byzanz und in westeuropäische Analogien eingebettet werden – die Innovativität und konsequente Festigung der Figur der geheiligten Dynastie steht dann für die zeitweise Zentralität der vermeintlichen Peripherie. Nationaltheologische rhetorische Zuspitzungen durch orthodoxe Kirchenfürsten während der ersten Hälfte des 20. Jh. oder das Svetosavlje erscheinen vor diesem Hintergrund gleichfalls als episodische Höhepunkte einer gesamteuropäischen Verflechtungsgeschichte. Auch die lange Zugehörigkeit zum Osmanischen Reich und der gleichfalls lange Prozess der postosmanischen Konstruktion neuer nationaler Legitimität dient vor dem Hintergrund der anderen Imperien und Vielvölkerreiche Europas sowie ihrer in den ersten Jahrzehnten des 20. Jh. gleichzeitig erfolgten Auflösung nicht als absolutes Alleinstellungsmerkmal: Die Ablösung anationaler Gesellschaften durch nationale, liberale oder illiberale moderne Gesellschaftsentwürfe war ein nach und nach globaler Verflechtungszusammenhang. Der Einsatz nationaler Entwürfe zur Rechtfertigung von Gewalt beschränkte sich nicht auf die hier besprochenen Beispiele, sondern war charakteristisch für national ausgerichtete Geschichtswissenschaft als „Legitimationswissenschaft“.55 Die moderne europäische Geschichte, einschließlich der Weltkriege, war nicht zuletzt die Geschichte von Gesellschaften „auf dem Weg zum ethnisch reinen Nationalstaat“.56 Die dynamische Verflechtung von (ost)römischen, mittel­ alterlichen serbischen und bulgarischen sowie osmanischen und westeuropäisch-nationalen Diskursen, Strukturen und „Vermächtnissen“ kann für eine zutiefst europäische Geschichtsregion stehen.57

55 Schöttler (Hg.) (1997). 56 Beer (Hg.) (2004); Ther (2011). 57 Zusammenfassend zu Debatten über den Begriff der Geschichtsregion: Troebst (2010).

Ausblick

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E 6  Ausblick

Mehrere separat veröffentlichte Aufsätze und Vorträge verfolgen das in der vorliegenden Arbeit untersuchte Thema exemplarisch bis ins beginnende 21. Jh. An dieser Stelle sei daher nur knapp auf Entwicklungen nach 1945 hingewiesen. Die Renaissance des „Heiligsavatums“ seit den späten 1980er-Jahren ist in ein Wiederaufleben der Diskurse der Zwischenkriegszeit in ganz Osteuropa einzuordnen – insbesondere vergleichbar wurde die Idee von einem „heiligen Russland“ 58 wiederbelebt: Die nationale Ideologie des „Svetosavlje“ wurde in Serbien seitens der SOK, mehrerer politischer Parteien sowie zahlreicher Intellektueller als Antwort auf die tief greifende Orientierungskrise angeboten, die seit dem Ende der 1980er-Jahre, besonders aber in den Kriegsjahren und danach entstanden war. Auch für die Mobilisierung zum Krieg und zur Rechtfertigung von Kriegshandlungen serbischer Kämpfer wurde sie eingesetzt. Das „Svetosavlje“ wird als Alternative zur westlichen Moderne und zu einer Annäherung an die EU verstanden. Damit charakterisiert sich die Ideologie als illiberale Modernität. Einige Zeitungen und Wissenschafter kritisieren jedoch die politisch-kulturelle Indienstnahme und den ethnonationalistischen Gehalt der Ideologie,59 die, wie gezeigt, in der Zwischenkriegszeit im Wettstreit mit Kommunismus und Faschismus von Theologiestudenten entwickelt worden war. Ivan von Rila wird seit dem zögerlichen Umbruch in Bulgarien als Inspirationsquelle für Politiker sowie als Schutzheiliger der Nation eingesetzt. Dieser Vorgang findet ganz wie in Serbien in enger Anlehnung an die bis 1944 entwickelten Erinnerungskulturen statt. Eine systematische nationalistische Ideologisierung ist aber, trotz einiger Ansätze in den dreißiger Jahren, auch nach 1989 nicht entstanden. In Bulgarien ist die religiöse nationale Erinnerungskultur bei Weitem nicht so stark auf seine Person wie in Serbien auf Sava ausgerichtet: Neben Ivan spielen Kyrill und Method 60 und weltliche „Volkserwecker“ weitere Rollen im bulgarischen nationalen Diskurs,61 der sich teilweise unter orthodoxen und angeblich europäischen Vorzeichen auch gegen die türkische Minderheit richtet.62 Kliment von Ohrid wurde – sieht man von der makedonischen Emigration in Bulgarien ab – erst nach dem Zweiten Weltkrieg für eine sich herausbildende slavisch-makedonische nationale Identität wesentlich. Seine Rolle beschränkte sich dabei zuerst auf die eines Bildungs- und Kulturverbreiters gesamtslavischer Bedeutung. Wichtiger war die ihm zugeschriebene Funktion eines Patrons der sich festigenden Makedonischen Orthodoxen Kirche (MOK). Seit einigen Jahren wird er von Kirchenführern auch als Nationalheiliger beschrieben. Die MOK nahm den Heiligen in ihrem Abnabelungsprozess

58 Zur „Mutter Russland“ und zum „heiligen Russland“: Rohdewald (2008b, 2009b). 59 Zu Sava, Kliment und Ivan von Rila bis ins beginnende 21. Jh.: Rohdewald (2007), hier S. 215. 60 Koleva (2014). 61 Z. B. Topalov (2001); Semov/Bakalov/Dojnov (2002). Zur frühen sozialistischen Zeit ab 1944: Sygkelos (2011), S. 32, S. 62, S. 189 – 191. 62 Rohdewald (2012b).

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Schluss

von der SOK ganz gezielt in ihre Dienste und funktionalisierte ihn ganz nach dem Vorbild der serbischen Instrumentalisierung Savas. Dennoch ist Kliment als religiöse nationale Erinnerungsfigur bis heute längst nicht so systematisch ideologisiert und politisch instrumentalisiert wie Sava in Serbien. Neben Kliment werden in Makedonien auch Kyrill und Method stark verehrt. Die Rollen von Kirchenpatronen und Natio­nalheiligen wurden ihnen aber nicht zugeschrieben. Sie dienten und dienen aber der um Aner­kennung bemühten MOK dazu, freundschaftliche Beziehungen zur römisch-­katholischen Kirche und interkonfessionelle Legitimität aufzubauen.63 Die makedonisch-römische Beziehung zeigt, welch unterschiedliche räumliche Diskurse sich um Kyrill und Method entfalteten: Während schon Strossmayer und die römisch-katholische Kirche des 19. Jh. im Zeichen der Brüder eine Einigung Europas unter römischen Vorzeichen betrieben und diese zu Patronen des Kontinents erhoben (ein Schritt, der von Johannes Paul II. wiederaufgegriffen wurde), dienen sie in ­russischen Diskursen zur Abgrenzung einer nationalen Orthodoxie von Europa.64 Diese Entwicklung spiegelt die maßgeblich im europäischen Kontext entstandene politische und nationale Allegorie „Mutter Russland“ wider.65 Die Konzentration der serbischen nationalen Identität auf die Erinnerungskultur um Sava seit dem Ende des 18. Jh. und den Kosovomythos seit dem späten 19. Jh. ist im Vergleich mit den bulgarischen nationalen Erinnerungsdiskursen sowie make­donischen nationalen Erinnerungszusammenhängen außergewöhnlich. Die ausgeprägte Wiederbelebung – oder im makedonischen Fall die erstmalige Propagierung – Savas, Ivans und Kyrills und Methods sowie Kliments während des allmählichen Zerfalls der sozialis­ tischen Regime entsprach dem Bedürfnis nach einer Antwort auf kollektive Orientierungskrisen. Die wichtigste Aufgabe dieser Erinnerungsfiguren ist es, die seit dem 19. Jh. entstandenen politischen und gesellschaftlichen Zielutopien homogener Nationalstaaten als Erwartungshorizonte möglichst vieler Menschen weiter zu festigen und nationalkirchlich sowie insgesamt kulturell zu legitimieren. In allen drei Dis­kursen dienen sie damit der Ausblendung anderer nationaler und konfessioneller Gruppen sowie im serbischen Fall auch der ideologischen Eingliederung von Gebieten außerhalb der formalen Reichweite Belgrads. Nur in Serbien sind die wichtigsten nationalen Erinnerungsdiskurse bisher überwiegend gegen eine Eingliederung des Staates und der Gesellschaft in den europäischen Einigungsprozess gerichtet gewesen.66 Gerade die Aktualisierung der Diskurse des Kosovomythos nach der Mitte der 1980er-Jahre war ein wesentlicher Bestandteil der Veränderung des „jugoslawischen“ und dann serbischen Erinnerungshaushalts.67 Die Folgen dieser fatalen Entwicklung 63 Rohdewald (2009a), S. 216; Rohdewald (2014). 64 Bennett (2011). Zu Kyrill und Method sowie zu Vorstellungen vom Antemurale: Kenneweg/ Troebst (Hg.) (2008). 65 Rohdewald (2008b). 66 Rohdewald (2009a), S. 216. 67 Beispielsweise Anzulovic (1999); Polónyi (2010); Grundlegend: Sundhaussen (2012), S. 219–266.

Ausblick

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sind bis in die Gegenwart augenscheinlich und wirksam. Die Ursprünge der modernen Inhalte dieser Diskurse liegen in der ersten Hälfte des 20. Jh. sowie im 19. Jh., aber – entgegen großen Teilen der nationalen Diskurse – nur sehr beschränkt auch im Spätmittelalter oder in der frühen Neuzeit. Ein Ziel der vorliegenden Arbeit war es, ihre Entstehung sowohl in den regionalen (post)osmanischen als auch ansatzweise in den gesamteuropäischen Zusammenhang einzubetten und sie damit ihrer vermeintlichen Einzigartigkeit zu berauben.

F  Anhang

F 1  Abkürzungen (vgl. auch F 2, F 4 – 5) FOG Forschungen zur osteuropäischen Geschichte. JfGO NF Jahrbücher für Geschichte Osteuropas. SOF Südost-Forschungen. SOM Südosteuropa Mitteilungen.

F 2  Bibliographien, Enzyklopädien, Lexika Bălgarska văzroždenska knižnina. Analitičen repertoar na bălgarskite knigi i periodični izdanija 1806 – 1878, hg. v. Manjo Stojanov, 2 Bde., Sofija 1957 – 1959. Bibliografija na NOB [Narodnoosloboditelnata borba] vo makedonskata kniga, Skopje 1964, hg. v. Nada P ­ etrova. Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas, hg. v. Mathias Bernath, Felix von Schroeder, Gerda Bartl (= Südosteuropäische Arbeiten; 75), 4 Bde., München 1974 – 1981. GG: Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, hg. v. Otto Brunner, Werner Conze, Reinhart Koselleck, 8 Bde., Stuttgart 1975 – 1997. Handbuch zur albanischen Volkskultur. Robert Elsie. Mythologie, Religion, Volksglaube, Sitten, Gebräuche und kulturelle Besonderheiten (= Balkanologische Veröffentlichungen; 36), Wiesbaden 2002. Jedan vek periodične štampe srpske pravoslavne crkve (Bibliografski opis časopisa i listova sa pregledom-­ sadržajem svih radova objavljenih u njma od 1868 – 1970). Branko A. Cisarž, Beograd 1986. K-MB 1516 – 1934: Kirilo-metodievska bibliografija, 1516 – 1934, hg. v. Svetlina Nikolova, Sofija 2003. K-MB 1935 – 1944: Kirilo-metodievska bibliografija, 1516 – 1934, hg. v. Svetlina Nikolova, Sofija 2010. K-ME: Kirilo-metodievska enciklopedija, Bde. 1 und 2 Petăr Dinekov (Hg.), Bde. 3 und 4: Liljana Graševa (Hg.), 4 Bde., Sofija 1985 – 2003. Lexikon der Vertreibungen. Deportation, Zwangsaussiedlung und ethnische Säuberung im Europa des 20. Jh., hg. v. Detlef Brandes, Holm Sundhaussen, Stefan Troebst, Wien/Köln/Weimar 2010. LexMA: Lexikon des Mittelalters, hg. v. Gloria Avella-Widhalm u. a., 9 Bde. u. Registerbd., München/ Zürich 1980 – 1999. LexSOE: Lexikon zur Geschichte Südosteuropas, hg. v. Edgar Hoesch, Karl Nehring, Holm S ­ undhaussen, Wien/Köln/Weimar 2004. Nationalism in the Balkans. An Annotated Bibliography, hg. v. Gale Stokes (= Canadian Review of Studies in Nationalism; 3), New York/London 1984.

F  Anhang

F 1  Abkürzungen (vgl. auch F 2, F 4 – 5) FOG Forschungen zur osteuropäischen Geschichte. JfGO NF Jahrbücher für Geschichte Osteuropas. SOF Südost-Forschungen. SOM Südosteuropa Mitteilungen.

F 2  Bibliographien, Enzyklopädien, Lexika Bălgarska văzroždenska knižnina. Analitičen repertoar na bălgarskite knigi i periodični izdanija 1806 – 1878, hg. v. Manjo Stojanov, 2 Bde., Sofija 1957 – 1959. Bibliografija na NOB [Narodnoosloboditelnata borba] vo makedonskata kniga, Skopje 1964, hg. v. Nada P ­ etrova. Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas, hg. v. Mathias Bernath, Felix von Schroeder, Gerda Bartl (= Südosteuropäische Arbeiten; 75), 4 Bde., München 1974 – 1981. GG: Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, hg. v. Otto Brunner, Werner Conze, Reinhart Koselleck, 8 Bde., Stuttgart 1975 – 1997. Handbuch zur albanischen Volkskultur. Robert Elsie. Mythologie, Religion, Volksglaube, Sitten, Gebräuche und kulturelle Besonderheiten (= Balkanologische Veröffentlichungen; 36), Wiesbaden 2002. Jedan vek periodične štampe srpske pravoslavne crkve (Bibliografski opis časopisa i listova sa pregledom-­ sadržajem svih radova objavljenih u njma od 1868 – 1970). Branko A. Cisarž, Beograd 1986. K-MB 1516 – 1934: Kirilo-metodievska bibliografija, 1516 – 1934, hg. v. Svetlina Nikolova, Sofija 2003. K-MB 1935 – 1944: Kirilo-metodievska bibliografija, 1516 – 1934, hg. v. Svetlina Nikolova, Sofija 2010. K-ME: Kirilo-metodievska enciklopedija, Bde. 1 und 2 Petăr Dinekov (Hg.), Bde. 3 und 4: Liljana Graševa (Hg.), 4 Bde., Sofija 1985 – 2003. Lexikon der Vertreibungen. Deportation, Zwangsaussiedlung und ethnische Säuberung im Europa des 20. Jh., hg. v. Detlef Brandes, Holm Sundhaussen, Stefan Troebst, Wien/Köln/Weimar 2010. LexMA: Lexikon des Mittelalters, hg. v. Gloria Avella-Widhalm u. a., 9 Bde. u. Registerbd., München/ Zürich 1980 – 1999. LexSOE: Lexikon zur Geschichte Südosteuropas, hg. v. Edgar Hoesch, Karl Nehring, Holm S ­ undhaussen, Wien/Köln/Weimar 2004. Nationalism in the Balkans. An Annotated Bibliography, hg. v. Gale Stokes (= Canadian Review of Studies in Nationalism; 3), New York/London 1984.

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Anhang

F 3  Ungedruckte Quellen und Filme Bălgarska akademija na naukite (BAN), Naučen archiv, Sofija, f. 15k Kuzman Anastasov Paskaliev ­Šapkarev, 1, 1 – 127. Golgota Srbije/Požar na Balkanu, o. J. rekonstruiert von Stanislav Krakov [1930 mit dem Titel: Za čast otadžbine; 1940 mit dem Titel: Požar na Balkanu]: http://www.youtube.com/watch?v=tQjzaUSMFx0 (Stand vom 18.8.2013). Proslava 550. godišnjce Kosovske bitke 1939 (Bearbeitung: Jugoslovenska kinoteka): http://www.youtube. com/watch?v=ZY8eo6pYC5c (Stand vom 18.8.2013). The Coronation of King Peter the First (Krunisanje Kralja Petra I. Karađorđevića), Frank S. Mottershaw 1904: http://www.youtube.com/watch?v=aztL-ayD0F0 (Stand vom 18.8.2013).

F 4  Offizien, edierte Texte, Selbstzeugnisse, Broschüren ohne Autor oder Herausgeber Ακολουθεία των αγίων και ισαποστόλων επτά φωστήρων της Βουλγαρίας κ‘ Δαλματίας Κυρίλλου, Μεθοδίου, Κλήμεντος, Ναούμ, Γοράσδονος, Αγγελαρίου κ‘ Σάβα/Νυν πρώτον τυπωθείσα συνεργεία, επιμελεία και δαπάνη των κυρίων Ανδρέου Παπά, Ιωάννου Παπά και των υιών αυτού Νικολάου και Αναστασίου […], o. O., o. J. Ακολουθία του αγίου ενδόξου βασιλέως, και μεγαλομάρτυρος Ιωάννου του Βλαδιμήρου και θαυματουργού/ τυπωθείσα μεν πρώτον δαπάνη του τιμιωτάτου Κυρίου Ιωάννου Παπά του εκ της πόλεως Νεοκάστρου‘ νυν δε ανατυπωθείσα κατά την έκδοσιν του Γλυκύ του 1774 αναλώμασι των ευσεβών Κυρίων Ιωαννικίου Αρχιερέως, Γρηγορίου Ηγουμένου, Ιωάννου Τζούφκα, Κωνσταντίνου Συμεώνος, Αθανασίου Ιακώβου, Γεωργίου και υιού Ιωάννου Κρούνιτζ, των λεγομένων Κορώνα, εν Βενετία 1858. Ακολουθία του οσίου και Θεοφόρου πατρός ημών Ναούμ του θαυματουργού του εν τω Λιβανίσκω Διαβόλεως κειμένου/Νεωστί τυπωθείσα δαπάνη μεν του ευγενεστάτου Κυρίου Βρέτου Ιωάννου Βρούσια, διορθώσει δε τοΥ αιδεσιμωτάτου και λογιωτάτου εν Ιερεύσι Κυ, Κυ Ιωάννου Χαλκέως του Μοσχοπολίτου […], Ενετίησιν 1695. Antologija narodnih epskih pesama, hg. v. Živan Milisavac, 2 Bde., Novi Sad/Beograd 1972. Arhiepiskop Danilo. Životi kraljeva i arhiepiskopa srpskih. Preveo Lazar Mirković, predgovor napisao Nikola Radojčić (= Srpska književna zadruga. Kolo 38; 257), Beograd 1935. Armenski pătepisi za Balkanite XVII–XIX v., hg. v. Agop Ormandžijan (= Čuždi pătepisi za Balkanite; 5), Sofija 1984. Avtobiografija na Grigor S. Părličev, hg. v. Pavel N. Orěškov (= Beležiti Bălgari; 4), Sofija 1928. Bălgarska proslava na chiljadogodini ot smărťta na sv. Kliment Ochridski i na 1000 godini bălgarska ­pro­světa 916 27. juli 1916, Sofija 1914. Bălgaretě v Makedonija. Izdirvanija i dokumenti za těchnoto poteklo, ezik i narodnosť s etnografska karta i statistika, hg. v. Jordan Ivanov, Sofija 1915. Bălgarski starini iz Makedonija, hg. v. Jordan Ivanov, Sofija 1908 [21931, Reprint 1970]. Beležki na bălgarskite knižovnici X–XVIII vek, hg. v. Borjana Christova, Darinka Karadžova, Elena Uzunova, 2 Bde., Sofija 2003 – 2004. Brankovićev letopis/Die Branković Chronik, hg. v. Relja Novaković (= Srpska akademija nauka i ­umetnosti; Posebna izdanja; 339; Odeljenje društvenih nauka; 35), Beograd 1960. Bratja Miladinovi. Prepiska, hg. v. Veselin Trajkov, Sofija 1964.

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Anhang

F 3  Ungedruckte Quellen und Filme Bălgarska akademija na naukite (BAN), Naučen archiv, Sofija, f. 15k Kuzman Anastasov Paskaliev ­Šapkarev, 1, 1 – 127. Golgota Srbije/Požar na Balkanu, o. J. rekonstruiert von Stanislav Krakov [1930 mit dem Titel: Za čast otadžbine; 1940 mit dem Titel: Požar na Balkanu]: http://www.youtube.com/watch?v=tQjzaUSMFx0 (Stand vom 18.8.2013). Proslava 550. godišnjce Kosovske bitke 1939 (Bearbeitung: Jugoslovenska kinoteka): http://www.youtube. com/watch?v=ZY8eo6pYC5c (Stand vom 18.8.2013). The Coronation of King Peter the First (Krunisanje Kralja Petra I. Karađorđevića), Frank S. Mottershaw 1904: http://www.youtube.com/watch?v=aztL-ayD0F0 (Stand vom 18.8.2013).

F 4  Offizien, edierte Texte, Selbstzeugnisse, Broschüren ohne Autor oder Herausgeber Ακολουθεία των αγίων και ισαποστόλων επτά φωστήρων της Βουλγαρίας κ‘ Δαλματίας Κυρίλλου, Μεθοδίου, Κλήμεντος, Ναούμ, Γοράσδονος, Αγγελαρίου κ‘ Σάβα/Νυν πρώτον τυπωθείσα συνεργεία, επιμελεία και δαπάνη των κυρίων Ανδρέου Παπά, Ιωάννου Παπά και των υιών αυτού Νικολάου και Αναστασίου […], o. O., o. J. Ακολουθία του αγίου ενδόξου βασιλέως, και μεγαλομάρτυρος Ιωάννου του Βλαδιμήρου και θαυματουργού/ τυπωθείσα μεν πρώτον δαπάνη του τιμιωτάτου Κυρίου Ιωάννου Παπά του εκ της πόλεως Νεοκάστρου‘ νυν δε ανατυπωθείσα κατά την έκδοσιν του Γλυκύ του 1774 αναλώμασι των ευσεβών Κυρίων Ιωαννικίου Αρχιερέως, Γρηγορίου Ηγουμένου, Ιωάννου Τζούφκα, Κωνσταντίνου Συμεώνος, Αθανασίου Ιακώβου, Γεωργίου και υιού Ιωάννου Κρούνιτζ, των λεγομένων Κορώνα, εν Βενετία 1858. Ακολουθία του οσίου και Θεοφόρου πατρός ημών Ναούμ του θαυματουργού του εν τω Λιβανίσκω Διαβόλεως κειμένου/Νεωστί τυπωθείσα δαπάνη μεν του ευγενεστάτου Κυρίου Βρέτου Ιωάννου Βρούσια, διορθώσει δε τοΥ αιδεσιμωτάτου και λογιωτάτου εν Ιερεύσι Κυ, Κυ Ιωάννου Χαλκέως του Μοσχοπολίτου […], Ενετίησιν 1695. Antologija narodnih epskih pesama, hg. v. Živan Milisavac, 2 Bde., Novi Sad/Beograd 1972. Arhiepiskop Danilo. Životi kraljeva i arhiepiskopa srpskih. Preveo Lazar Mirković, predgovor napisao Nikola Radojčić (= Srpska književna zadruga. Kolo 38; 257), Beograd 1935. Armenski pătepisi za Balkanite XVII–XIX v., hg. v. Agop Ormandžijan (= Čuždi pătepisi za Balkanite; 5), Sofija 1984. Avtobiografija na Grigor S. Părličev, hg. v. Pavel N. Orěškov (= Beležiti Bălgari; 4), Sofija 1928. Bălgarska proslava na chiljadogodini ot smărťta na sv. Kliment Ochridski i na 1000 godini bălgarska ­pro­světa 916 27. juli 1916, Sofija 1914. Bălgaretě v Makedonija. Izdirvanija i dokumenti za těchnoto poteklo, ezik i narodnosť s etnografska karta i statistika, hg. v. Jordan Ivanov, Sofija 1915. Bălgarski starini iz Makedonija, hg. v. Jordan Ivanov, Sofija 1908 [21931, Reprint 1970]. Beležki na bălgarskite knižovnici X–XVIII vek, hg. v. Borjana Christova, Darinka Karadžova, Elena Uzunova, 2 Bde., Sofija 2003 – 2004. Brankovićev letopis/Die Branković Chronik, hg. v. Relja Novaković (= Srpska akademija nauka i ­umetnosti; Posebna izdanja; 339; Odeljenje društvenih nauka; 35), Beograd 1960. Bratja Miladinovi. Prepiska, hg. v. Veselin Trajkov, Sofija 1964.

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Anhang

F 3  Ungedruckte Quellen und Filme Bălgarska akademija na naukite (BAN), Naučen archiv, Sofija, f. 15k Kuzman Anastasov Paskaliev ­Šapkarev, 1, 1 – 127. Golgota Srbije/Požar na Balkanu, o. J. rekonstruiert von Stanislav Krakov [1930 mit dem Titel: Za čast otadžbine; 1940 mit dem Titel: Požar na Balkanu]: http://www.youtube.com/watch?v=tQjzaUSMFx0 (Stand vom 18.8.2013). Proslava 550. godišnjce Kosovske bitke 1939 (Bearbeitung: Jugoslovenska kinoteka): http://www.youtube. com/watch?v=ZY8eo6pYC5c (Stand vom 18.8.2013). The Coronation of King Peter the First (Krunisanje Kralja Petra I. Karađorđevića), Frank S. Mottershaw 1904: http://www.youtube.com/watch?v=aztL-ayD0F0 (Stand vom 18.8.2013).

F 4  Offizien, edierte Texte, Selbstzeugnisse, Broschüren ohne Autor oder Herausgeber Ακολουθεία των αγίων και ισαποστόλων επτά φωστήρων της Βουλγαρίας κ‘ Δαλματίας Κυρίλλου, Μεθοδίου, Κλήμεντος, Ναούμ, Γοράσδονος, Αγγελαρίου κ‘ Σάβα/Νυν πρώτον τυπωθείσα συνεργεία, επιμελεία και δαπάνη των κυρίων Ανδρέου Παπά, Ιωάννου Παπά και των υιών αυτού Νικολάου και Αναστασίου […], o. O., o. J. Ακολουθία του αγίου ενδόξου βασιλέως, και μεγαλομάρτυρος Ιωάννου του Βλαδιμήρου και θαυματουργού/ τυπωθείσα μεν πρώτον δαπάνη του τιμιωτάτου Κυρίου Ιωάννου Παπά του εκ της πόλεως Νεοκάστρου‘ νυν δε ανατυπωθείσα κατά την έκδοσιν του Γλυκύ του 1774 αναλώμασι των ευσεβών Κυρίων Ιωαννικίου Αρχιερέως, Γρηγορίου Ηγουμένου, Ιωάννου Τζούφκα, Κωνσταντίνου Συμεώνος, Αθανασίου Ιακώβου, Γεωργίου και υιού Ιωάννου Κρούνιτζ, των λεγομένων Κορώνα, εν Βενετία 1858. Ακολουθία του οσίου και Θεοφόρου πατρός ημών Ναούμ του θαυματουργού του εν τω Λιβανίσκω Διαβόλεως κειμένου/Νεωστί τυπωθείσα δαπάνη μεν του ευγενεστάτου Κυρίου Βρέτου Ιωάννου Βρούσια, διορθώσει δε τοΥ αιδεσιμωτάτου και λογιωτάτου εν Ιερεύσι Κυ, Κυ Ιωάννου Χαλκέως του Μοσχοπολίτου […], Ενετίησιν 1695. Antologija narodnih epskih pesama, hg. v. Živan Milisavac, 2 Bde., Novi Sad/Beograd 1972. Arhiepiskop Danilo. Životi kraljeva i arhiepiskopa srpskih. Preveo Lazar Mirković, predgovor napisao Nikola Radojčić (= Srpska književna zadruga. Kolo 38; 257), Beograd 1935. Armenski pătepisi za Balkanite XVII–XIX v., hg. v. Agop Ormandžijan (= Čuždi pătepisi za Balkanite; 5), Sofija 1984. Avtobiografija na Grigor S. Părličev, hg. v. Pavel N. Orěškov (= Beležiti Bălgari; 4), Sofija 1928. Bălgarska proslava na chiljadogodini ot smărťta na sv. Kliment Ochridski i na 1000 godini bălgarska ­pro­světa 916 27. juli 1916, Sofija 1914. Bălgaretě v Makedonija. Izdirvanija i dokumenti za těchnoto poteklo, ezik i narodnosť s etnografska karta i statistika, hg. v. Jordan Ivanov, Sofija 1915. Bălgarski starini iz Makedonija, hg. v. Jordan Ivanov, Sofija 1908 [21931, Reprint 1970]. Beležki na bălgarskite knižovnici X–XVIII vek, hg. v. Borjana Christova, Darinka Karadžova, Elena Uzunova, 2 Bde., Sofija 2003 – 2004. Brankovićev letopis/Die Branković Chronik, hg. v. Relja Novaković (= Srpska akademija nauka i ­umetnosti; Posebna izdanja; 339; Odeljenje društvenih nauka; 35), Beograd 1960. Bratja Miladinovi. Prepiska, hg. v. Veselin Trajkov, Sofija 1964.

Offizien, edierte Texte, Selbstzeugnisse, Broschüren

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Byzantinische Fürstenspiegel. Agapetos, Theophylakt von Ochrid, Thomas Magister. Übersetzt und erläutert von Wilhelm Blum (= Bibliothek der griechischen Literatur; 14), Stuttgart 1981. Četvărti godišen otčet za dejatelnostta na družestvoto „Sv. Kiril i Metodij“ Ot 10 Maj 1895 god. do 10 Maj 1896 god., Sofija 1896. Chiljadogodišnija jubilej na slavjanskitě prosvětiteli Kirilla i Metodija v Sofija 885 – 1885, Plovdiv 1885. Ćirilo i Metodije. Žitija. Službe. Kanoni. Pohvale, hg. v. Đorđe Trifunović, Beograd 1964. Crkva sv. Đorđa na Oplencu. Zadužbina i Mauzolej Karađorđevića, Beograd 1935. Demetri Chomateni Ponemata diaphora, hg. v. Günter Prinzing (= Corpus fontium historiae Byzantinae; 38: Series Berolinensis), Berolini/Novi Eboraci 2002. Dečanski spomenici, hg. v. Serafim Ristić, Beograd 1864. Děla Jovana Subbotića, Bd. 1, Pěsne lirske, Karlovci 1858. Domentijan. Žitije svetoga Save. Predgovor, prevod dela i komentari Ljiljana Juhas-Georgievska, izdanje na srpskoslovenskom Tomislav Jovanović (= Srpska književna zadruga; 614 – 615), Beograd 2001. Dokumenti i materiali za istorijata na bălgarskija narod, hg. v. Michail Vojnov, Sofija 1969. Đorđe Branković. Hronika slovena Ilirika, Gornje Mezija i Donje Mezije. S rumunskog jezika preveo i izdanje priredio Stevan Bugarski. Uvodnu studiju napisala Jelka Ređep, Novi Sad 1994. Đorđe Branković. Hronike slavenosrpske, hg. v. Ana Krečmer (= Srpska Akademija Nauka i Umetnosti. Odeljenje jezika i književnosti, kritička izdanja srpskih pisaca; 7, 8), 2 Bde., Beograd 2008, 2011. Društvo Sveti Sava. Dokumenti (1886 – 1891), hg. v. Mihailo Vojvodić, Beograd 1999. Društvo svetog Save. 1. Izdanje „društva svetog Save“, Beograd 1886. Ducae nepotis historia byzantina, hg. v. Ducae Michaelis [Immanuel Bekker], Bonn 1834. Episkop Irinej Đorđević. Odabrani radovi, hg. v. Dragan Subotić, Borislav Čeliković, Gornji Milanovac 2003. Ewiges deutsches Soldatentum. Ruhmesblätter aus zwei Jahrtausenden deutscher Geschichte, hg. v. Ludwig Vogt, Karl Dümlein, München 31942. Ǵorǵija M. Pulevski. Slavjansko-maḱedonska opšta istorija, hg. v. Blaže Ristovski, Biljana Ristovska-­ Josifovska, Skopje 2003. Grăckite žitija na Kliment Ochridski. Uvod, tekst, prevod i objasnitelni beležki Aleksandăr Milev, Sofija 1966. Građa za istoriju srpskog pokreta u Vojvodini 1848 – 1849. Serija 1,1, hg. v. Radoslav Perović (= Srpska akademija nauka. Građa; 8 istoriski institut; 7), Beograd 1952. Grigor Prličev. Odbrani stranici, hg. v. Todor Dimitrovski, Skopje 1959. Hiljadugodišnja svetkovina za spomen slavenskich apostola, sv. Ćirila i Metodija, Beograd 1863. Hristofor Žefarović i Tomas Mesmer. Stematografija. Izobraženije oružij iliričeskih, hg. v. Dinko Davidov, Novi Sad 1972. Ivan Vazov. Săbrani săčinenija v 20 toma, Bd. 10, 11, Pătepisi, hg. v. Georgi Canev, Sofija 1956. Ivan Vazov. Săbrani săčinenija v 22 toma, Bd. 4, Lirika 1913 – 1921, hg. v. Petăr Dinekov, Sofija 1976. Iwan Wasow. Unter dem Joch. Roman 1876, übers. v. Toma Topolow, Sofia 1961. Iz starata bălgarska ruska i srăbska literatura, 3 Bde., hg. v. Bonju Angelov, Sofija 1958 – 1978. Izabrani članci Svetozara Miletića. S Predgovorm Vase Stajića. Priredio Miroslav Jerkov, Novi Sad 1939. Izvori za bălgarskata etnografija, Bd. 1 – 4, hg. Margarita Vasileva u. a., Sofija 1992 – 2002. Jovan Subotić. Krst i kruna ili krunisanje Stevana Nemanje kralja srpskog. Obraz iz prošlosti srpske u IV slike, hg. v. Dušan Č. Jovanović, Beograd 1997. Jovan Sterija Popović. Pesme, proza (= Biblioteka srpska književnost u sto knjiga; 17,2), Novi Sad ­Beograd 1970. Kiril i Metodi. Iztăkmi A[leksandăr]. Teodorov-Balan (= Universitetska biblioteka; Redica „Pomagala“; 1 und Universitetska biblioteka; 143; Redica „Pomagala“; 3), 2 Bde., Sofija 1920, 1934.

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Kliment Ochridski. Săbrani săčinenija, hg. v. Bonju Angelov, Kujo Kuev, Christo Kodov, 3 Bde., Sofija 1970 – 1973. Kliment Ohridski. Žitija. Slova. Pouki, hg. v. Harlampjie Polenakovi k´ , Skopje 1974. Kliment Rilec. Čudesata na sv. Ivana Rilski i čudotvornata ikona na presv. Bogorodica „Osěnovica“ v ­Rilskija Monastir, Sofija 41940, 71946. Konstantin Miladinov. Izbor, hg. v. Gane Todorovski, Skopje 1980. Konstantin Veličkov. Stichotvorenija, hg. v. A. Veličkov (= Biblioteka „Bălgarska knižnica“), Sofija 1931. Kosovski boj u srpskoj književnosti, hg. v. Vojslav Đurić (= Kosovska Spomenica 1389 – 1989), Beograd 1990. Kratko žitie na Sv. Ivan Rilskij i několko běgli istoričeski běležki za monastirja mu, Sofija 1924. Kratko žitie na Svetij Ivan Rilskij čudotvorec s Obraza mu i s kratko skazanie za prěnesenieto svetitě mošti i molebno pěnie, Sofija 21891. Kratko žitie na Svetij Ivan Rilskij čudotvorec, St.-Zagora 1910. Kuzman A. Šapkarev. Za văzraždaneto na bălgarštinata v makedonija. Neizdadeni zapiski i pisma, hg. v. Ilija Todorov, Nikolaj Žečev, Sofija 1984. Kuzman A. Šapkarev. Zapisi, hg. v. Tomislav Todorovski, Skopje 1990. Letopis popa Dukljanina. Uredio Ferdo Šišić (= Srpska kraljevska akademija. Posebna izdanja; 67; ­Filosofski i filološki spisi; 18), Beograd/Zagreb 1928. Ljuben Karavelov. Săbrani săčinenija, hg. v. Cvetan Undžiev, Sofija 1984, Bd. 4. Makedonija. Sbornik ot dokumenti i materiali, hg. v. Dimităr Kosev u. a., Sofija 1978. Manastir Mileševo. Prilikom 700 godišnjice, Užice/Čačak 1935. Materialy dlja istorii žizni i dejateľnosti učenikov svv. Kirilla i Mefodija/Monumenta ad SS Cyrilli et ­Methodii successorum vitas resque gestas pertinentia, hg. v. N[ikolaj]. L. Tunickij, Vypusk pervyj. Sergiev Posad 1918 [Reprint mit Einleitung von Ivan Dujčev, London 1972]. Monumenta Serbica spectantia historiam Serbiae Bosnae Ragusii, hg. v. Fr. Miklosich, Viennae 1858. Narodna srbska pěsnarica izdina Vuk S. Karadžić, 2. Teil, Vienna 1815. Narodne pesme o kosovskom boju – u bugaršticama i epskim pesmama kratkog stiha, hg. v. Jelka Ređep, Rade Mihaljčić, Beograd 1997. Našite Monastiri někoga i sega, Plovdiv 1909. Natanail Ohridski. Borba za Bălgarija. Podbor, redakcija i beležki Veska Topalova, Sofija 2003. Nikolaj Velimirović. Izabrana dela, hg. v. Lj. Ranković, Bd. 12: Kosovo i Vidovdan, Valjevo 1997. ­Sabrana dela, izd. Srpske Pravoslav. Eparhije Zapadnoevropske, 12 Bde., 1976 – 1978 Diseldorf, Himelstir 1983 – 1984 [Nachdruck der Ausgabe Belgrad 1961]. Teodul. Srpski narod kao Teodul, hg. v. Vojin V. Ančić, Beograd 2001. Paisij Chilendarski. Istorija Slavenobolgarskaja. Nikiforov prepis ot 1772 g., hg. v. Bonju St. Angelov, Sofija 1961. Paisij Chilendarski. Istorija Slavěnobolgarskaja (Vtoro popraveno izdanie s dopălnitelni beležki) [mit einem Vorwort von N. Filipov], Sofija 1925. Païssi von Chilandar. Slavobulgarische Geschichte. Aus dem Bulgarischen übersetzt, herausgegeben, ­kommentiert und mit einem Nachwort versehen von Norbert Randow, Leipzig 1984. Partenij Pavlovič, hg. v. Pirin Bojadžiev, Sofija 1988. Părv godišen otčet za dejatelnosťta na družestvoto „Sv. Kiril i Metodij“ ot 10 Maj 1891 do 10 Maj 1892 godina, Sofija 1892. Patriarch Evrimij. Sveti Ivan Rilski. Život i podvizi, hg. v. Vasil Karateodorov, Sofija 1940. Pet chimnografski tvorbi za Sv. Petka Tărnovska, hg. v. Evelina Mineva, Sofija 2005. Pohvala knezu Lazaru sa stihovima (jedan dosad nepoznat spis s kraja XIV veka), hg. v. Đorđe S. ­Radojičić, in: Istorijski časopis SAN 5 (1955), S. 241 – 258. Pochvalno slovo za Evtimij ot Grigorij Camblak, hg. v. Penjo Rusev u. a., Sofija 1971.

Offizien, edierte Texte, Selbstzeugnisse, Broschüren

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Pravoslavno Christijansko Bratstvo „Sv. Paraskeva“ s. Zavět – Kemanlarsko. Ustav i členska knižka, o. O. 1933. Pravoslavno Christijansko Bratstvo „Sv. Iv. Rilski“–Dupnica. Ustav i členska knižka, Dupnica 1924. Priča o boju kosovskom, hg. v. Jelka Ređep, Zrenjanin 1976. Priča o boju kosovskom priopćio Stojan Novaković, hg. v. Miroslav Savićević (Biblioteka baština; 32), Beograd 1989. Prološko žitije Sv. Save, hg. v. Vladimira Ćorovića, in: Svetosavski zbornik, Bd. 2, izvori, S. 77 – 87. Ravnoapostolitě Kiril i Metodi. Literaturen sbornik, hg. v. Chr. Cankov-Derižan, Sofija 1936. Reči ot Rektora na Universiteta Protoprezviter S. Cankov u. a., proizneseni prez vreme na poseštenieto na Akademičeskija săvet na Universiteta Sv. Kliment Ochridski v Ochrid i drugi gradove na Makedonija ot 30, VI do 6 VII 1941 god, Sofija 1942. Sbirka ot rěči i skaski, naročito prigotveni i skazani pri urečeni slučai prěz tăržestvoto ot 6 Aprilij 1885 g. v Sofija (= Osobna priturka kăm XIV knižka ot „Periodičesko Spisanie“ i na Bălgarskoto Knižovno Družestvo v Srědec; Teil 2), Srědec 1885. Sbornik Kiril i Metodi, hg. v. Christo Cankov-Derižan, Sofija 1936. Serbisches Mittelalter. Altserbische Herrscherbiographien, Bd. 1: Stefan Nemanja nach den Viten des hl. Sava und Stefans des Erstgekrönten, Bd. 2: Danilo II. und sein Schüler: Die Königsbiographien, beide Bde. übersetzt, eingeleitet und erklärt von Stanislaus Hafner (= Slavische Geschichtsschreiber; Bd. 2, Bd. 9), Graz/Wien/Köln 1962, 1976. Siluan i Danilo II. Srpski pisci XIV–XV veka od V. Ćorovića, in: Glas srpske kraljevske akademija 136 (1929), S. 13 – 103. Sinodik carja Borila, hg. v. Michail G. Popruženko (= Bălgarski starini; 8), Sofija 1928. Slavjanski răkopisi v rilskija manastir, hg. v. Božidar Rajkov, Christo Kodov, Borjana Christova, 2 Bde., Sofija 1986. [Slovo] O knezu Lazaru. Prepisao: V. Vukomanović, in: Glasnik društva srbske slovesnosti 9 (1859), S. 108 – 118. Služba svetom velikomučeniku Knez-Lazaru caru i samoderšcu Srspke zemlje, hg. v. A. Pajević, Novi Sad 1889. Slavjanski răkopisi v rilskija manastir, hg. v. Božidar Rajkov, Christo Kodov, Borjana Christova, 2 Bde., Sofija 1986. Slavjanskitě părvoučiteli Sv. sv. Kiril i Metodij. Sbornik (statii, stichotvorenija, pěsnja, četiva i besedi, hg. v. P. S. Kalkandžiev, Plovdiv [1940]. Spiridon Ieroschimonach. Istorija vo kratce o bolgarskom narode slavenskom 1792. Jubilejno izdanie, ­posveteno na 200-godišninata ot săzdavaneto í, hg. v. Božidar Rajkov u. a., Sofija 1992. Spiridon Ieroschimonach. Istorija vo kratce o bolgarskom narode slavenskom napisana v 1792 godina, hg. v. Minčo G. Minčev, Gabrovo 2000. Spomen ot Rilskija manastir, hg. v. L. Miletič, Sofija 1902. Spomenica proslave prvog u slobodi Vidovdana u Ravanici Sremskoj 1919. godine. Izdao literarno-­novinarski odsek odbora za proslavu Vidovdana u Rumi, u Srem. Karlovcima, 1919. Srbljak, hg. v. Đorđe Trifunović (= Biblioteka stara Srpska književnost), 4 Bde., Beograd 1970. Sreten L. Popović. Putovanje po novoj Srbiji, 2 Bde., Beograd 1878 – 1880, bearbeitet u. hg. v. Đuro Gavela (= Srpska književna zadruga. Kolo 45; 310 – 311), Beograd 1950. Srpske narodne pjesme, skuipo ih i na svijet izdao Vuk Stef. Karadžić, knjiga druga, u kojoj su pjesme junačke najstarije, Beč 1845. Stara bălgarska literatura, hg. v. Bonju St. Angelov u. a., 7 Bde., Sofija 1981 – 1992. Stare srpske biografie XV i XVII veka. Camblak, Konstantin, Pajsije. Preveo Lazar Mirković sa p­ redgovorom Pavla Popovića (= Srpska književna zadruga. Kolo 39; 265. Stare srpske biografije; 3 sveska), ­Beograd 1936.

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Anhang

Stari srpski rodoslovi i letopisi, hg. v. Ljub[omir]. Stojanović (= Zbornik za istoriju, jezik i književnost srpskog naroda. Prvo odeljenje. Spomenici na srpskom jeziku; 16), Sr. Karlovci 1927. Stari srpski zapisi i natpisi, hg. v. Ljub[omir]. Stojanović, 6 Bde., Beograd 1902 – 1926. Starobălgarski tekstove, hg. v. St. Angelov, in: Izvestija na Archivnija institut 1 (1957), S. 276 – 283. Stavropigialen chram pametnik Sv. „Aleksandr Nevski“/L’église-monument de Saint-Alexandre Nevsky, Sofija: Dvevnik Utro [um 1913]. Stojan Michajlovski. Izbrani săčinenija, Bd. 1, hg. v. Angel Todorov, Sofija 1960. Sv. Sv. Kiril i Metodi 24/11 Maj 1921 god. Izdava Ministerstvoto na Narodnoto Prosvěštenie, Sofija 1921. Svetosavski zbornik, Bd. 2, izvori [o. Hg.] (= Srpska kraljevska akademija. Posebna izdanja; 125; društveni i istoriski spisi; 50), Beograd 1939. Svetozar Miletić i narodna stranka. Građa 1860 – 1885, hg. v. Nikola Petrović, Bd. 1, Sremski Karlovci 1968. Teodosije. Žitija, hg. v. Dimitrije Bogdanović (= Stara srpska književnost; 5), Beograd 1988. Tăržestvena ovacija prěd Sv. Slivenska Mitropolija po slučaj 1000-godišninata ot smărťta na Sv. Car’ Borisa, Sliven 1907. Tisjaštelětnij spomen na svetite ravnoapostoli Metodija i Kirilla, prosvětiteli slavenski izdadeno po slučaj prazdnuvaneto tisjaštelětieto ot smăr’ta na Sv. Metodija 6 april 1885. god. Životat i podvizite na sv. ­slavjanski prosvetiteli Metodija i Kirila (= Osobna priturka kăm XIV knižka ot „Periodičesko Spisanie“ i na Bălgarskoto Knižovno Družestvo v Srědec; Teil 1), Srědec 1885. Ustav na Pravoslavnoto christijansko bratstvo „Sv. Ioan Rilski” v gr. Vraca 1928. Ustav na družestvoto „Sv. Kiril i Metodij“, Sofija [1891]. Ustav na dr[užest]vo „Sv. Kiril i Metodij“ v gr. Sofija, Sofija 1931. Ustav na E.-Džumajskoto Učeničesko Pravoslavno Christ. D-vo. „Sv. Iv. Rilski“ gr. E.-Džumaja 1926. Ustav na pravoslavnoto christ. Bratstvo „Sv. Car’ Boris“ v gr. Ajtos, Ajtos 1929. Ustav na sveštenničeskoto družestvo „Svjati car Boris“ v Varnenskata i Prěslavska eparchija, Varna 1897. V pamjat pokojnomu, userdnomu, trudoljubivomu, učenoljubivomu, iskrenomu bălgarsko-rodoljubcu Dobri P. Vojnikov, hg. v. Il. Blăskov, Varna 1885. V. E. Aprilov. Săčinenija. Podbor i redakcija Petko Totev, Sofija 1968. Volksmärchen der Serben. Gesammelt und herausgegeben von Wuk Stephanowitsch Karadschitsch. Ins Deutsche übersetzt von dessen Tochter Wilhelmine. Mit einer Vorrede von Jacob Grimm, Berlin 1854. Werke des Patriarchen von Bulgarien Euthymius (1375 – 1393), hg. v. Emil Kałužniacki, Wien 1901. Žitie na Stefan Dečanski ot Grigorij Camblak, hg. v. Angel Davidov u. a., Sofija 1983. Žitija na sv. Ivana Rilski. S uvodni beležki, hg. v. Jordan Ivanov, in: Godišnik na Sofijskija Universitet, Istoriko-filologičeski fakultet 32 (1935/1936) 13, S. 1 – 109, Sofija 1936. Žitija na svetitě bratja Kiril i Metodij (Panonski legendi), hg. v. V[asil]. Sl. Kiselkov, Sofija [1933]. Život, dějanie, izpovědanie i kratko izloženie za čudesata na sv. naš otec Kliment, bălgarski archiepiskop. Prěvel ot grăcki D. Matov, hg. v. M[arin]. Drinov (= Bălgarska Biblioteka; 2), Sredec 1885. Život svetoga Save episkopa sina Simeona Stefana kralja Raške od Ivana Tomka Mrnavića u redakciji ­Veselina Čajkanovića, in: Svetosavski zbornik, Bd. 2, izvori, S. 115 – 145. Životi kraljeva i arhiepiskopa srpskih. Napisao arhiepiskop Danilo i drugi, na svijet izdao Đ[ure]. Daničić, Zagreb 1866 [Reprint with an introduction by Đorđe Trifunović, London 1972]. Životopis na sv. Klimenta bălgarski archiepiskop. Ot Teofilakta ochridski archiepiskop. Prěvel ot grăcki s malki săkraštenija D. Matov, Plovdiv 1896. Zwischen Rom und Byzanz. Leben und Wirken der Slavenapostel Kyrillos und Methodios nach den ­Pannonischen Legenden und der Klemensvita. Bericht von der Taufe Russlands nach der Laurentius­ chronik. Übersetzt, eingeleitet und erklärt von Josev Bujnoch (= Slavische Geschichtsschreiber; 1), 2., verbesserte Auflage, Graz/Wien/Köln 1972.

Zeitungen und populärpublizistische Zeitschriften

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F 5  Zeitungen und populärpublizistische Zeitschriften Bălgarče, 1942, Pernik. Bălgarija, 1863, Carigrad. Bălgarska Pčela, 1864, Braila. Bălgarska Sbirka, 1894, Sofija. Bălgarski cărkoven prěgled, 1895, Sofija. Balkan, 1883, Sofija. Boži Glas, 1940, 1941, 1942, Varna. Brannik, 1942, Plovdiv. Brastvo, 1887, 1908, 1921, Beograd. Bratsko Slovo, 1942, Plovdiv. Bratstvo, 1925, 1926, 1927, 1928, Sarajevo. Carigradski Glasnik, 1902, Carigrad. Cărkoven Věstnik, 1923 und ab 1932: Cărkoven Vestnik, 1900 – 1905, 1913, 1914, 1916, 1919, 1923, 1926, 1928, 1932, 1935, 1937, 1939, 1940, 1941, Sofija. Christijanska Zaštita, 1932, 1941, 1942, Varna. Čitalište, 1941, Sofija. Crkva i Život, 1922, 1924, 1925, Skoplje. Crkva za 1940 – Kalendar srp. Patriar., Beograd. Dăga, 1940, Sofija. Dnevnik, 1941, 1943, Sofija. Državna nepotpuna ženska realna gimnazija u Skoplju. Izveštaj za školsku god., 1940, Skoplje. Državna trgovačka akademija u Bitolju. Izveštaj o radu i učeničkom napretku u školskoj god., 1931, 1936, Bitolj. Duchoven Zov, 1941, Pirin. Duchovna Iskra, 1940, Kjustendil. Duchovno Văzraždane, 1941, 1942, Vraca. Gajda, 1863, Carigrad. Glasnik. Službeni list srpske pravoslavne patriaršije, 1922, 1924, 1925, Sremski Karlovci. Hrišćanski Vesnik, 1881, Beograd. Iz života ženske učiteljske škole u Beogradu, 1907/1908, Beograd. Izveštaj državne trgovačke akademije u Zemunu, 1930, Zemun. Izvještaj o Pravoslavnom bogoslovskom zavodu u Zadru, 1877 – 1879, 1888 – 1889, Zadar. Južni Pregled, 1935, Skoplje. Makedonija, 1867 – 1868, 1868 – 1869, 1870, Carigrad. Makedonija, 1921, 1926, 1927, 1928, 1932, 1933, Sofija. Makedonija, 1941, 1943, Skopje. Marica, 1885, Plovdiv. Misăl, 1892, Sofija. Naroden Straž, 1929, 1934, 1935, 1937, 1938, 1939, 1941, Sofija. Našenec, 1942, 1943, Sofija. Nezavisimosť, 1873, Bukurešt. Nezavisima Makedonija, 1923, 1924, 1925, Sofija. Nova Iskra, 1901, Beograd. Novi Istočnik, 1935, 1941, Sarajevo. Novi Život, 1922, Beograd.

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Anhang

Novini, 1892, Carigrad. Novo Vreme, 1942, Beograd. Orao – veliki ilustrovani kalendar, 1889, Novi Sad. Otečestvo, 1870, Bukurešt. Otec Paisij, 1928, 1929, 1935, Sofija. Politika, 1904, 1913, 1914, 1920 – 1939, Beograd. Pravoslavna Duma, 1937, Tărgovište. Pravo, 1873, Carigrad. Pregled crkve Eparhie niške, 1937, Niš. Prěporec, 1908, 1914, 1923, 1924, 1925, 1926, Sofija. Religiozni Razkazi, 1896, Sofija. Rodina, 1939, Sofija. Săvetnik, 1863, 1864, 1865, Carigrad. Sedmica, 1852, Novi Sad. S[e]rbskij Lětopis, 1827, 1858, 1861, Buda. Slava, 1873, Sofija. Slavjanska Biblioteka, 1932, Sofija. Slavjanski Glas, 1920, Sofija. Srpske Novine, 1857, 1881, 1882, 1885, Beograd. Srpski Sion, 1895, 1896, 1897, Sremski Karlovci. Srpska-kraljevska gimnazija u Bitolju, 1914, Bitolj. Srpska pravoslavna bogoslovija u Bitolju. Izveštaj za školsku godinu, 1935, Bitolj. Srpsko Kosovo, 1921 – 1933, bis 1922 Kosovska Mitrovica, ab 1923 Skoplje. Svetosavlje, 1932, 1934, 1935, 1937, Beograd. Světlina na světa, 1932, Sofija. Světopogled, 1941, 1942, Plovdiv. Sv. Ivan Rilski, 1930, Dupnica. Sv. Sv. Kiril i Metodi, 1933, Sofija. Sveštenata krěposť na naroda, 1930, Sofija. Svoboda ili smărt, 1930, Sofija. Učilišten Pregled, 1941, 1942, 1943, Sofija. Utro, 1937, 1938, 1943, Sofija. Vardar, 1933, Skoplje. Vaskrsenje. Kalendar za prostu 1914 godinu (1913), Beograd. Velika Srbija, 1917, Solun. Vesnik Srpske Crkve, 1899, Beograd. Vračanski Boec, 1942, Vraca.

F 6  Darstellungen bis 1945 Abadžiev, Stefan. 1924: Sv. Petka i sv. Zlata bălgarski i sv. velikomăčenica Paraskeva, Sofija. Aleksić, Milan A. 1899: Beseda na dan sv. Simeona mirotočivog, in: Vesnik Srpske Crkve 10, S. 235 – 236. Arnaudov, Michail. 1939: Istorija na Sofijskija Universitet sv. Kliment Ochridski prez părvoto mu ­polustolětie 1888 – 1938 (= Universitetska biblioteka; 201), Sofija. Arndt, E[rnst]. M[oritz]. 1813: Lieder für Teutsche im Jahr der Freiheit, Leipzig.

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Anhang

Novini, 1892, Carigrad. Novo Vreme, 1942, Beograd. Orao – veliki ilustrovani kalendar, 1889, Novi Sad. Otečestvo, 1870, Bukurešt. Otec Paisij, 1928, 1929, 1935, Sofija. Politika, 1904, 1913, 1914, 1920 – 1939, Beograd. Pravoslavna Duma, 1937, Tărgovište. Pravo, 1873, Carigrad. Pregled crkve Eparhie niške, 1937, Niš. Prěporec, 1908, 1914, 1923, 1924, 1925, 1926, Sofija. Religiozni Razkazi, 1896, Sofija. Rodina, 1939, Sofija. Săvetnik, 1863, 1864, 1865, Carigrad. Sedmica, 1852, Novi Sad. S[e]rbskij Lětopis, 1827, 1858, 1861, Buda. Slava, 1873, Sofija. Slavjanska Biblioteka, 1932, Sofija. Slavjanski Glas, 1920, Sofija. Srpske Novine, 1857, 1881, 1882, 1885, Beograd. Srpski Sion, 1895, 1896, 1897, Sremski Karlovci. Srpska-kraljevska gimnazija u Bitolju, 1914, Bitolj. Srpska pravoslavna bogoslovija u Bitolju. Izveštaj za školsku godinu, 1935, Bitolj. Srpsko Kosovo, 1921 – 1933, bis 1922 Kosovska Mitrovica, ab 1923 Skoplje. Svetosavlje, 1932, 1934, 1935, 1937, Beograd. Světlina na světa, 1932, Sofija. Světopogled, 1941, 1942, Plovdiv. Sv. Ivan Rilski, 1930, Dupnica. Sv. Sv. Kiril i Metodi, 1933, Sofija. Sveštenata krěposť na naroda, 1930, Sofija. Svoboda ili smărt, 1930, Sofija. Učilišten Pregled, 1941, 1942, 1943, Sofija. Utro, 1937, 1938, 1943, Sofija. Vardar, 1933, Skoplje. Vaskrsenje. Kalendar za prostu 1914 godinu (1913), Beograd. Velika Srbija, 1917, Solun. Vesnik Srpske Crkve, 1899, Beograd. Vračanski Boec, 1942, Vraca.

F 6  Darstellungen bis 1945 Abadžiev, Stefan. 1924: Sv. Petka i sv. Zlata bălgarski i sv. velikomăčenica Paraskeva, Sofija. Aleksić, Milan A. 1899: Beseda na dan sv. Simeona mirotočivog, in: Vesnik Srpske Crkve 10, S. 235 – 236. Arnaudov, Michail. 1939: Istorija na Sofijskija Universitet sv. Kliment Ochridski prez părvoto mu ­polustolětie 1888 – 1938 (= Universitetska biblioteka; 201), Sofija. Arndt, E[rnst]. M[oritz]. 1813: Lieder für Teutsche im Jahr der Freiheit, Leipzig.

Darstellungen bis 1945

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[Arndt, Ernst Moritz.] 21814: Katechismus für den deutschen Kriegs- und Wehrmann [o. O.]. Aršinov, P. 1908: Sv. Sava i nacijonalni rad naš, in: Iz života ženske učiteljske škole u Beogradu. Izveštaj za školsku 1907.-08. godinu, Beograd, S. 1 – 10. Balabanov, Marko. 1885: Děloto na dvamata solunski bratija meždu Slověnetě izobščo i Bălgaretě osobito, in: Sbirka ot rěči i skaski…, S. 51 – 87. Bašić, M[ilivoje?]. 1913: Sveti Ćirilo i sveti Metodije, srpsko-slovenski apostoli, in: Vaskrsenje. Kalendar za prostu 1914 godinu. Sa slikama, Godina II. Beograd 1913, S. 51 – 63. Beron, Vasil Stojanov. 1886: Archeologičeski i istoričeski issledovanija za znamenitostta na gr. V. Tărnovo v archeol. i ist. otnošenie, Tărnovo. Bobčev, N[ikola S.]. 1920: Borbata na bălgaritě za nezavisima čerkova i kirilo-metodievskitě zavěti, in: Slavjanski Glas 14 (1 – 2), S. 1 – 3. 1932: Sv. Kiril i Metodij, Slavjanski prosvětiteli i pokroviteli na slav. družestvo v Bălgarija, in: Slavjanska Biblioteka 1 – 2 (9) (Kirili i Metodij, Slavjanski părvoučiteli), S. 1 – 19. Bobčev, S[tefan S]. 1898: Poklonenie na Svetata Rilska Obiteľ, Plovdiv. Bogdanov, P. P. 1934: 11 Maj Sv. Sv. Kiril i Metodij. Za părvi păt prazdnuvan v gr. Plovdiv, Plovdiv. Bošković, Stojan. 1885: Slike iz vremena reformacije, in: Godišnjica Nikole Čupića 8 (25), S. 1 – 244. Braun, Maximilian. 1937: „Kosovo“. Die Schlacht auf dem Amselfelde in geschichtlicher und epischer Überlieferung (= Slavisch-baltische Quellen und Forschungen; 8), Leipzig. Čajkanović, Veselin. 1924: Studije iz religije i folklora (= Srpski etnografski zbornik; drugo odeljenje; 31), Beograd. 1941: O srpskom vrhovnom bogu (= Srpska kraljevska akademija. Posebna izdanja; 132; ­Filosofski i filološki spici; 34), Beograd. Cankov, Stefan. 1939: Bălgarskata pravoslavna cărkva ot osvoboždenieto do nastojašte vreme, Sonderdruck aus: Godišnik na Sofijskija Universitet, Bogoslovski Fakultet 16 (1938/1939) 6, S. 1 – 372. Chimitlijski, Michail. 1911: Sofijsko sveštensko bratstvo „prepodobni Ivan Rilski“ (1879 – 1909), Sofija. 1914: 1. Prazdnikăt na slavjanskite părvoučiteli i tjachnite učiteli. 2. Sv. Car’ Boris (rěči), Sofija. Conev, B[enjo]. 1915: Slava Kirilu i Metodiju!, Sofija. Conev, Zvezdelin. 1940: Sv. Sv. Kiril i Metodij. Epocha na slavjanskoto prosvěštenie, Sofija. Ćorović, Vladimir. 1928: Južna Srbija u našoj kulturi (= Biblioteka narodnog universiteta u Beogradu; Sv. 1), Beograd 1928, S. 3 – 20. 1933: Istorija Jugoslavije (= Narodno delo; 1), Beograd. Cuchlev, D. 1892: Reč’ za značenieto na dejatelnosťta na sv. Kirilla i Metodija za Bălgarskija narod, Russe. Čučulain, Aleksandr. 1914: Sv. Boris, knjaz bălgarski, negovoto kulturno-istorično i cărkovno narodnostno značenie 845 – 865 g., 2 Bde., Sofija. Cvětkov, A. 1941: Den’ na narodnitě buditeli, in: Učilišten Pregled 40 (9 – 10), S. 1230 – 1240. Dečanac, S. [Episkop žički] 1901: Pomozimo visokim Dečanima!, Beograd. Dimitrijević, Dragomir. 1925: O dejstvu rada sv. Save na srpski narod i narodno jedinstvo, in: Crkva i Život 1 – 2, S. 28 – 34. Dobrowsky, Joseph. 1823: Cyrill und Method der Slaven Apostel. Ein historisch-kritischer Versuch, Prag. Dorosiev, Luka. 1931: Neofit Rilski. Patriarch na bălgarskitě knižovnici i pedagozi. Po slučaj 50-godišninata ot smărťta mu (= Materiali za izučvane učebnoto dělo vă Bălgarija, 10), Sofija. Đorđić, Petar. 1935: Od Ćirila i Metodija ka svetome Savi, in: Svetosavlje 4 (Svetosavski broj), S. 27 – 32. Đorđević, Tihomir. 1935: Sveti Sava i naši Muslimani, in: Novi Istočnik 2 (2 – 3), S. 193 – 195. Đorđević, V. 1867: Sveti Sava i Vuk Karadžić. Uporedna crtica njihovog značaja u istoriji srpskoj, in: Matica 2, 20.7.1867, Nr. 20, S. 495 – 497; 31.7.1867, Nr. 21, S. 517 – 519; 10.8.1867, Nr. 22, S. 543 – 546; 20.8.1867, Nr. 23, S. 566 – 567. Drinov, Marin. 1869: Istoričeski pregled na bălgarska-ta c’rkva, Viena. Drumev, V. 1885: 6-j Aprilij 1885 god., in: Sbirka ot rěči i skaski…, S. 1 – 18.

860

Anhang

Dujčev, Ivan S. 1941a: Děloto na svetitě Solunski bratja, in: Čitalište 1 – 2 (3 – 4), S. 83 f. 1941b: Makedonija v bălgarskata istorija, Sofija. 1941c: Sv. Kliment Ochridski, Sofija. Đukić, T. 1935: Vođa nacije, in: Svetosavlje 4 (Svetosavski broj), S. 24 – 27. Đurović, Dim. 1929/30: Izveštaj državne trgovačke akademije u Zemunu za školsku godinu 1929/30, S. 3 – 9. Esiv, M. 1937: Trănlivijat păt na Svetata Obitel na Prepod. Ioan Rilski Čudotvorec, Sofija. Firmilijan, Arhimandrit. 1899: Va ime oca i sina i sv. Ducha. Amin, in: Vesnik Srpske Crkve 10, S. 314 f. Gavrilović, Andra. 1900: Sveti Sava. Pregled života i rada. Biografski pokušaj, Beograd. Gelzer, Heinrich. 1902: Der Patriarchat von Achrida. Geschichte und Urkunden (= Abhandlungen der philo­ logisch-historischen Classe der Königl. Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften; 20; 5), Leipzig 1902. Genov, Minko. 1932: Děloto na sv. Kirila v precenka na starobălgarskitě pisateli, in: Slavjanska Biblioteka 1 – 2 (9) (Kirili i Metodij, Slavjanski părvoučiteli), S. 45 – 68. Ginzel, Joseph Augustin. 1857: Geschichte der Slavenapostel Cyrill und Method und der slavischen Liturgie, Leitmeritz. Glumac, Đorđe. 1927: Sveti Sava i Štrosmajer. Dramske slike, Zemun. Gospavić, O. 1937: Štrosmajer i jugoslovenska ideja (predavanje održano na dan 4 februara 1937 god.), in: Državna trgovačka akademija u Bitolju. Izveštaj o radu i učeničkom napretku u školskoj 1936/37 god., S. 5 – 17. G’ozliev, P. 1938: Rilskijat čudovtovrec i negovijat monastir, Dupnica. Grimm, Jacob. 31854: Deutsche Mythologie, Göttingen. Grivec, Fr[antišek]. 1927: Slovanska Apostola Sv. Ciril in Metod, Ljubljana. Gruev, Ioakim. 1906: Moitě spomeni, Plovdiv. Grujić, Radoslav. 1909: Apologija srpskoga naroda u Hrvatskoj i Slavoniji, Beograd. [Fototipsko izdanije, Beograd 1989]. 1922: Nosioci i rasadnici prve srpske civilizacije, in: Crkva i Život 1 – 2, S. 10 – 28. 1935a: Kult sv. Save u Karlovačkoj Mitropoliji XVIII i XIX veka, in: Bogoslovlje 2 – 3 (10), S. 133 – 170. 1935b: Sv. Sava kao duhovni vođ svoga naroda, in: Južni Pregled 9, S. 208 – 223. Hadži-Vasiljević, Jovan. 1900: Sv. Prohor Pčinjski i negovija monastirj, in: Godišnjica Nikole Čupića 20 (1900), S. 57 – 116. Hadži-Vasiljević, Jovan (Hg.). 1936: Spomenica društva svetoga Save (1886 – 1936) (= Društvo sv. Save; 47). Hasluck, F[rederick]. W. 1929: Christianity and Islam under the Sultans, 2 Bde., New York 1929 [Reprint 1973]. Herberger, Theodor. 1858: Das Batfeld und das Burgfeld in der Pfarrei Ehingen, in: Dreiundzwanzigster Jahres-Bericht des historischen Kreis-Vereins im Regierungsbezirke von Schwaben und Neuburg für das Jahr 1857 (1858), S. 60 – 104. Herceg, Jakša. 1939: Štrosmajer i Sveti Sava, Split. Ikonomov, Todor. 1886: Tridnevno prěbivanie v Rilskij Mănastir, Russe. Ilić, Dragutin. 1922: Kliment Ohridski, in: Novi Život 7, S. 84 – 89, S. 116 – 122, S. 146 – 149, S. 176 – 180, S. 210 – 213. 1930: Znameniti Jugosloveni. Istorijske slike za školu i narod (= Nova Knjižnica), 2 Bde., Beograd. Ivanov, Jordan. 1906: Sěverna Makedonija. Istoričeski izdirvanija ot Jordan Ivanov, Sofija. 1917: Ivan ­Rilski i negovijat monastri, Sofija. Jagić, Vatroslav. 1890: Pitanje o Ćirilu i Metodiju u slovenskoj filologiji. Beseda akademika V. Jagića čitana na javnom skupu drugog odeljenja carske akademija nauka u Pitrogradu 5. aprila 1885. godine. Preveo Ch. Liler (preštampano iz „Nastavnika“ 4. 5. i 6. sv., knj. 1.) Beograd. 1921: Konstantin (Ćiril) i Metodije, in: Brastvo 16 (= Knjiga društva Sv. Save; 27), S. 1 – 17. Jazić, Ana. 1940: Sveti Sava. Govor g-đice Jazić Ane, suplenta, održa nna Svetosavskoj proslavi ove školee 26-I-1940 godine u Oficirskom domu, in: Državna nepotpuna ženska realna gimnazija u Skoplju. Izveštaj za školsku 1939 – 1940 god., godina II, S. 17 – 23.

Darstellungen bis 1945

861

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Nodilo, Nadko. 1885: Religija Srbâ i Hrvatâ, na glavnoj osnovi pjesama, priča i govora narodnog, in: Rad Jugoslavenske Akademije Znanosti i Umjetnosti 77, 43 – 126. Novaković, Stojan. 1893: Prvi osnovi slovenske književnosti među balkanskim slovenima. Legenda o ­Vladimiru i Kosari. Kulturno-istorijske studije, Beograd. Nušić, Branislav Đ. 1894: Kraj obala ohridskoga jezera. Beleške iz 1892 godine, Beograd. Omarčevski, Stojan. 1921: Prosvětna politika na Bălgarija. Rěč’ na ministra na narodnoto prosvěštenie Stojan Omarčevski […], Sofija. Papini, Đovani. 1926: Moderne vrednosti, in: Bratstvo 2 (9/10), S. 169 f. Părličev, K. G. 1928: Kăm charakteristikata na Grigor S. Părličev, in: Makedonsi Pregled 4 (2), 99 – 140. Paunin, D. 1887: Rěč’, kazana v Vidin na prazdnika sv. Kiril i Metodij, Vidin. Petărov, Viktor. 1925: O saradnji škole i doma na vaspitanju naše dece, in: Crkva i Život 1 – 2, S. 34 – 49. Petărović, Milan I. 1931: O vaspitanju našeg podmlatka. Svetosavski govor, in: Državna trgovačka ­akademija u Bitolju. Izveštaj o radu i učeničkom napretku u školskoj 1930.–1931. god., S. 3 – 14. Petleškov, Nikola. 1934: Bălgarskata pravoslavna cărkva kato dejateľ za duchovno i narodnostno edinstvo v minaloto i dnes, Sofija. Petkov, Vasil. 1919: Bălgarija. Nositelka na reformacijata, kulturata i civilizacijata, Sofija. Petković, Vlad. 1922: Manastir Ravanica (= Narodni Muzej u Beogradu. Srpski Spomenici; 1), Beograd. 1924a: Manastir Studenica (= Narodni Muzej u Beogradu. Srpski Spomenici; 2), Beograd. 1924b: Stari srpski spomenici u južnoj Srbiji, Beograd Zemun. Petranović, Božidar. 1867: Bogomili. Cr’kva Bosans’ka, Zadar. Petrović, Milivoj. 1934: Mi i Bugari. U izgradnji jedinstva duhova, Beograd. Plačkov, Iv. P. 1894: Praznikăt na bălgarskoto Văzraždane (Iz edin razgovor s Najden Gerov), in: Bălgarska Sbirka 1, S. 54 – 56. Polith [Polit-Desančić], M[ihailo]. 1862: Die orientalische Frage und ihre organische Lösung, Wien. Popović, Janićije. 1927: Gračanica. Manastir, Beograd. Popović, Marko. 1935: Proslava Sv. Save u Mostaru, in: Novi Istočnik 2 (2 – 3), S. 73 – 75. Popović, Mih. 1941: Manastir Rilo (Preštampano iz „Pregleda Eparhije Niške“, 9 – 10 1940), Beograd. Popović, Milutin. 1899: Beseda na Vidov dan 1889. god, in: Vesnik Srpske Crkve 10, S. 626 – 628. Popović, Pavle. 1936: Ćirilo i Metodije, in: Godišnjica Nikole Čupića 45, S. 86 – 120. Prnjatović, Jevto. 1928: Rad Sv. Save, in: Bratstvo 4 (2), S. 27 – 31. Rački, Franjo. 1857: Viek i djelovanje sv. Cyrilla i Methoda slovenskih apostolov, Zagreb. Radojčić, Nikola. 1921: Savremene ideje u životu i radu svetoga Save (= Govori u svečanim sednicama. Knjžev­ nog odelenja matice Srpske; 5), Sremski Karlovci. 1930: O dvadesetpetogodišnjici smrti Ilariona Ruvarca. Izdavanje skupljenih radova Ilariona Ruvarca, in: Glasnik Istoriskog društva u Novom Sadu 3, S. 351 – 358. 1932: O istoriskome metodu Ilariona Ruvarca, in: Glasnik Istoriskog društva u Novom Sadu 5, S. 163 – 219. Radojčić, Svetozar. 1934: Portreti srpskih vladara u srednjem veku (= Muzej južne Srbije u Skoplju; Knjiga 1; Posebna izdanja), Skoplje. Radonić, Jovan. 1938: Slike iz istorije i književnosti, Beograd. Radonjić, M. V. 1887: Borba za narodnost, s naročitom pogledom na prošlost polapskih Slovena, Čeha i Srba, in: Brastvo 3, S. 50 – 104. Radovanović, Novak. 1937: Sveti Sava (Predavanje o svetosavskoj proslavi), in: Državna trgovačka ­akademija u Bitolju. Izveštaj o radu i učeničkom napretku u školskoj 1936 – 37 god., S. 3 – 5. Rajić, Jovan. 1794 – 1795: Istorija raznych slavenskich narodov naipače Bolgar, Chorvatov, i Serbov iz tmy zabvenija izjataja i vo svět istoričeskii proizvedennaja, 4 Bde., Vienna [Reprint mit einem Vorwort von Sima Ćirković, Novi Sad 2002]. Rašić, Damjan. 1933: Jugoslovenski velikani, Beograd.

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Rilski, Ignatij. 1895: Otkăslek ot istorii na rilskija mănastir’, in: Bălgarski cărkoven pregled (1) 1, 12 – 30, 2, 16 – 46, 3, 3 – 19, 4, 3 – 18, 5 – 6, 3 – 28, 7, 3 – 16, 8, 3 – 19. Ristić, Hadži Serafim. 1864: Plač stare Srbije, Zemun. Ruvarac, Dimitrije. 1889: Da l se sv. Sava svetkuje i u Rimskoj crkvi? Preštampano iz „Novog Vremena“ za god. 1889, Zemun. Ruvarac, Ilarijon. 1887: O knezu Lazaru, Novi Sad. Ruvarac, K. 1861: Beseda govorio u Pešti na svetoga Savu 1861, in: Srbski Lětopis 102, S. 33 – 40. Rylec, Neofit. 1879: Opisanie Bolgarskago svjaštennago monastyrja Ryľskago, Sofija. Šapčanin, Milorad. 1886: Ravanica. Jedan pogled u narodnu prošlost, Beograd. Sava Dečanac, Episkop Žički. 1897: Krunisanje i miropomazanje vladaloca, dužnosti njegove i narodne, Beograd. Savić, Milan. 1878: Istorija bugarskoga naroda do propasti države mu, Novi Sad [Fototipno izdanie, hg. v. Ana Rajkova, Sofija 1981]. Schaffarik, Paul Joseph. 1826: Geschichte der slavischen Sprache und Literatur nach allen Mundarten, Ofen. Schmitt, Carl. 1919: Politische Romantik, München/Leipzig. Simić, Živojn. 1881: Šest govora koje je govorio u raznim prilikama u Negotini i Knjaževcu kao predavač, suplenat i profesor od 1874 – 1880 Živojn P. Simić, Beograd. 1886: Dva govora Živojna P. Simića, Beograd. Smiljanić-Bradina, Tomo. 1924: Putem Svetoga Save. Govor održan na dan gimnayijske proslave Svetoga Save 1924. god., Skoplje. Slavejkov, Penčo. 1913: Kărvava pesen’, 3 Bde., Sofija. 61943/1944: Kărvava pesen’, săbrani săčineinja, 3. Bd., Sofija. Sněgarov, Ivan. 1917: Veliko světilo nad bălgarskata zemja (Sv. Kliment Ochridski i negovoto duchovno-­ kulturno značenie), Sofija. 1924 – 1932: Istorija na Ochridskata archiepiskopija, 2 Bde., Sofija [Reprint 1995]. 1927: Bălgarskijat părvoučiteľ sv. Kliment Ochridski (život i dejnosť), Sonderdruck aus: Godišnik na Sofijskija Universtitet, Bogoslovski Fakultet 4 (1927), Sofija. 1937: Solun v bălgarskata duchovna kultura. Istoričeski očerk i dokumenti, Sofija. Sofrić, Pavle.1909: Tri priloga za poznavanje narodne duše kod nas Srba. I. Duša srpskog naroda za vreme Stevana Nemanje i Sv. Save. II. Duša srpskog naroda za njegova robovanja pod Turcima. III. Istorija ­srpskog đavola i srpske veštine. Preštampano iz „Glasa“ Eparhije Niške, Niš. 1910: Četiri priloga za Srpsku kulturnu istoriju. I. O vaspitnom radu Sv. Save u srpskom narodu. II. Moje đačke uspomene iz života srpske narodne škole pre pola veka u S. A., u Ugarskoj. III. Srpska državna ideja za naših Nemanjića. IV. U Hilendaru. Preštampano iz „Glasa“ Eparhije Niške, Niš. Špirić, Ljubomir. 1925: Proslava Sv. Save, in: Bratstvo 1 (2), S. 26 – 29. Srećković, P[anta]. S. 1885: Beseda na dan hiljadugodišnje svetkovine slovenskih apostola sv. Ćirila i Metodija, in: Glasnik srpskoga učenog Društva 63, S. 296 – 311. Stanimirov, Stanimir. 31925: Istorija na Bălgarskata Cărkva, Sofija. Stankov, Todor. 1932: Prazdunvaneto denja na Sv. Sv. Kiril i Metodij v tursko vreme v Makedonija (­spomeni i preživělici) s poveče ot 35 chubavi iljustracii, Sofija. Stanojević, Stanoje. 31926: Istorija srpskoga naroda. Treće izdanje, popravljeno [Fotomechanischer Reprint von 1993], Beograd. 1933: Nemanja, Beograd 1933 [Sonderdruck aus: Godišnjica Nikole Čupića 43 (1933)]. 1935: Sveti Sava, Beograd. Stefan Episkop Dalmatinski i Istrijski. 1881: Poslanica pravoslavnog Jepiskopa Dalmatinskog, in: Hrišćanski Vesnik, S. 193 – 201. Stojanov, V[asil]. D. 1885: Vsemirnoto značenie na podvizitě i dělata na sv. Kirila i Metodija, in: Sbirka ot rěči i skaski…, S. 43 – 50.

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Stojanović, Isidor. 1846: Slovo, koe e na slavi učilistnog patrona, prosvetitelj Srbskog svetoga Savve, 14 Januara 1846. u zdaniju liceuma, govorio Isidor Stojanović, Professor Obšte Istorije i pr. ovog. Rektor Liceuma, Beograd. Strojković, Sreto. 1901: Kosovska epopeja. Pregled pokušaja za sastav narodnoga epa o boju na Kosovu, Beograd. Strossmayer, J[osip] J[uraj]. 1881: Die Heiligen Cyrill und Method. Autorisierte Uebersetzung [sic] aus dem Croatischen (= Weckstimmen für das katholische Volk; 12,4), Wien. Sucho-Rakovickij, G. 1929: Sv. Kliment Ochridski. Život, dejnosť i značenie, Varna. Svetosavac. 1941: Proslava sv. Save u Sarajevu, in: Novi Istočnik 8 (1 – 2), S. 17 – 23. Teodorov-Balan, A[leksandăr]. 1919: Sv. Kliment Ochridski v kniževnjia pomen i v naučnoto direne. Akademična rěč ot A. Teodorov-Balan, četena v tăržestvenoto săbranie na Bălgarskata akademija na naukitě na 27 ijuli/9 avgust 1919. Godina, za proslava na chiljadogodišninata ot smărťta na sveteca, Sofija. Tihon, Episkop. 1935: O Sv. Savi, in: Novi Istočnik 2 (2 – 3), S. 33 – 35. Titov, T. 1935: Sveti Sava Nemanjić i Kralj Aleksandar Karađorđević, in: Novi Istočnik 2 (10 – 11), S. 298 – 306. Todorović, P. J. 1937: Sv. Kliment, in: Pregled crkve Eparhie niške 28 (5 – 6), S. 187 – 195. Trifonov, Ju. 1907: Caruvaneto na sv. Boris-Michail, Sofija. Varlaam, Levkijski episkop. (Hg.). 21928 [11925]: Sv. Ivan, veliki Rilski čudotvorec i negovija monastir, Sofija. Varnava, Patrijarh Srpski. 1935: Svetosavska poslanica njegove Svetosti Srspkog patrijarha Varnave ­povodom proslavljanja 700-godišnjice od dana smrti svetitelja Save († 1235 – 1935), Sremski Karlovci. Velimirović, Nikolaj. 1934: Lazareva pobeda. Reč na Vidovdan 1919 godine u manastiru Ravanici u Sremu, izdanje Srp. prav. Bratstva sv. Save u Sarajevu, Sarajevo. 1994: Nacionalizam Svetog Save, Beograd [Druck einer Rede von 1935]. Velimirović, Nikolaj (Hg.). 1925: Čitanka o Svetom Jovanu Vladimiru, Beograd. Ventimiglia, Domenico. 1831: Di S. Venera o Veneranda vergine e martire delle Gallie da’ Greci appellata S. Parasceve, Napoli. Veselinović, Milojko V. 1908: Sveti Sava. Školski patron u Srba, in: Brastvo 12 – 13, S. 21 – 133. Vesić, Ilarion. 1899: O značaju života i rada Stefana Nemanje za politički i religiozni život srpskog Naroda, in: Vesnik Srpske Crkve 10, S. 199 – 211. Vizirev, Ivan Stančev. 1899: Slavjanskite prosvětiteli sv. sv. Kiril i Metodij. S likovetě im, cvětni i lakirani, Svištov. Vladikin, Ljubomir. 21940 [11928]: Carevgrad Tărnov, Sofija. Vladikine [Vladikin], Lioubomir. 1938: Tirnovo, la ville des rois. Visions de la Bulgarie médiévale, Sofia. Vlahović, Vl. 1935: Oličenje ličnosti sv. Save u duši našego naroda, in: Srpska pravoslavna bogoslovija u Bitolju. Izveštaj za školsku 1934/35 godinu, S. 3 – 15. Vučković, Jovan. 1889: Sveti Vit. (Vidov dan). Jedno pitanje iz agiologije pravoslavne crkve, in: Izvještaj o Pravoslavnom bogoslovskom zavodu u Zadru za školsku godinu 1888/9. god. XI, S. 5 – 35. 1895: K pitanju o svetosavskim školskim svečanostima, in: Srpski Sion 8, S. 113 – 118, 9, S. 129 – 134, 10, S. 156 – 161, 11, S. 181 – 186. Vuinović, Ljubomir. 1879: Besjeda, koju je govorio na Svetosavskoj svetkovini u bogoslovskom Zavodu prof. Ljubomir Vuinović, in: Izvještaj o Pravoslavnom bogoslovskom zavodu u Zadru za školsku godinu 1878 – 79, S. 5 – 16. Vujić, Vladimir. 1934: Povratak Savi Svetitelju, in: Svetosavlje 3, S. 97 – 108. Vukičević, [Nikola?]. 1858: Beseda na Svetoga Savu 1858, in: Srbski Lětopis 97, S. 39 – 49. Vukmanović, L[uka]. 1937: Borba ideologija, in: Svetosavlje 6, S. 1 – 6. Wladikin [Vladikin], Lübomir. 1944: Tirnowo. Die alte Zarenstadt der Bulgaren. Von bulgarischen Zaren, Bojaren und Heiligen, Leipzig.

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Zankow [Cankov], Stefan. 1937: Nation, Staat, Welt und Kirche im orthodoxen Osten als Theologisches Problem/Narod, dăržava, svět i cărkov na pravoslavnija iztork kato bogoslovska problema, Sonderdruck aus: Godišnik na Sofijskija Universitet, Bogoslovski Fakultet 14 (1936/1937), S. 1 – 111. Žekov, Al. N. 1926: Văznikvane na monastiritě v Bălgarija i kulturno-nacionalnoto im značenie. Kratăk istoričeski očerk, Veliko Tărnovo. 1936: Edin světilnik v minaloto. Carskijat i Patriaršeski monastir „Sv. Troica“ pri Tărnovo i velikitě mu osnovateli prepodobni Teodosij Tărnovski i Patriarch Evtimij. Kratăk istoričeski očerk, Sofija. Zlatarski, Vasil. 1918 – 1934: Istorija na bălgarskata dăržava prěz srědnitě věkove, 2 Bde., Sofija.

F 7  Darstellungen nach 1945 Adanir, Fikret. 1979: Die makedonische Frage. Ihre Entstehung und Entwicklung bis 1908 (= Frankfurter Historische Abhandlungen; 20), Wiesbaden. 2008: Westlertum, Islam und Demokratie in den politischen Diskursen der Türkei, in: Schubert/Sundhaussen (Hg.) (2008), S. 11 – 30. Adanir, Fikret, Suraiya Faroqhi (Hg.). 2002: The Ottomans and the Balkans. A Discussion of Historiography, Leiden. Aković, Lakić. 2005: Život Miloša (K) Obilića i kosovska bitka, Podgorica. Aleksov, Bojan. 2003: Nationalism in Construction: The Memorial Church of St. Sava on Vračar Hill in Belgrade, in: Balkanologie 7 (2), S. 47 – 72. 2006: Religious Dissent between the Modern and the National. Nazarenes in Hungary and Serbia 1850 – 1914 (= Balkanologische Veröffentlichungen; 43), Wiesbaden. 2013: Metropolie (Patriarchat) von Karlowitz, in: Bahlcke/Rohdewald/Wünsch (Hg.) (2013), S. 187 – 194. Anastasovski, Nick. 2005: Contestations over Macedonian Identity, 1870 – 1912, Melbourne [Typoskript (Ph. D.)]. Anderson, Benedict. 21991: Imagined Communities. Reflections on the Origin and Spread of Nationalism. Revised Edition, London. Angelov, Bonju St. 1955: Kăm istoriata na praznika na Kiril i Metodij prez srednite vekove, in: Sbornik v čest na akademik sbanda Teodorov-Balan po slučaj devetdeset i petata mu godišnina, hg. v. Mich. D ­ imitrov, Sofija, S. 55 – 68. 1963: Kiril i Metodij v slavjanskite pečatni knigi ot XV–XVII v., in: ­Angelov u. a. (Hg.) (1963), S. 359 – 375. 1963 f.: Săvremennici na Paisij, 2 Bde., Sofija. 1969: Borba za deloto na Kiril i Metodij, Sofija. 1985: Paisij Chilendarski, Sofija. Angelov, Bonju St., u. a. (Hg.). 1963: Chiljada i sto godini slavjanska pismenost. Sbornik v čest na Kiril i Metodij, Sofija. Angenendt, Arnold. 1997: Heilige und Reliquien. Die Geschichte ihres Kultes vom frühen Christentum bis zur Gegenwart, München. Anguševa-Tichanova, Adelina G. (Hg.). 2012: In Stolis repromissionis. Svetci i svjatost v centralna i iztočna Evropa/Saints and Sainthood in Central and Eastern Europe, Sofija. Anzulovic, Branimir. 1999: Heavenly Serbia: From Myth to Genocide, New York/London. Apostolski, Mihailo (Hg.). 1978: Ohrid i ohridsko niz istoriata. Od paǵanjeto pod osmanliska vlast do ­krajot na prvata svetska vojna, Bd. 2, Skopje. Aretov, Nikolaj. 1995: Bălgarskoto văzraždane i Evropa, Sofija. 2006: Nacionalna mitologija i nacionalna literatura. Sjužeti, izgraždašti bălgarskata nacionalna identičnost v slovesnostta ot XVIII i XIX vek, Sofija. Ashley, Stephen. 1984: Bulgarian Nationalism (1830 – 1876). The Ideals and Careers of Ivan Bogerov, Georgi Rakovski and Petko Slaveikov, Oxford [Typoskript (Ph. D.)]. Assmann, Aleida. 1999: Erinnerungsräume. Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses, München.

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Zankow [Cankov], Stefan. 1937: Nation, Staat, Welt und Kirche im orthodoxen Osten als Theologisches Problem/Narod, dăržava, svět i cărkov na pravoslavnija iztork kato bogoslovska problema, Sonderdruck aus: Godišnik na Sofijskija Universitet, Bogoslovski Fakultet 14 (1936/1937), S. 1 – 111. Žekov, Al. N. 1926: Văznikvane na monastiritě v Bălgarija i kulturno-nacionalnoto im značenie. Kratăk istoričeski očerk, Veliko Tărnovo. 1936: Edin světilnik v minaloto. Carskijat i Patriaršeski monastir „Sv. Troica“ pri Tărnovo i velikitě mu osnovateli prepodobni Teodosij Tărnovski i Patriarch Evtimij. Kratăk istoričeski očerk, Sofija. Zlatarski, Vasil. 1918 – 1934: Istorija na bălgarskata dăržava prěz srědnitě věkove, 2 Bde., Sofija.

F 7  Darstellungen nach 1945 Adanir, Fikret. 1979: Die makedonische Frage. Ihre Entstehung und Entwicklung bis 1908 (= Frankfurter Historische Abhandlungen; 20), Wiesbaden. 2008: Westlertum, Islam und Demokratie in den politischen Diskursen der Türkei, in: Schubert/Sundhaussen (Hg.) (2008), S. 11 – 30. Adanir, Fikret, Suraiya Faroqhi (Hg.). 2002: The Ottomans and the Balkans. A Discussion of Historiography, Leiden. Aković, Lakić. 2005: Život Miloša (K) Obilića i kosovska bitka, Podgorica. Aleksov, Bojan. 2003: Nationalism in Construction: The Memorial Church of St. Sava on Vračar Hill in Belgrade, in: Balkanologie 7 (2), S. 47 – 72. 2006: Religious Dissent between the Modern and the National. Nazarenes in Hungary and Serbia 1850 – 1914 (= Balkanologische Veröffentlichungen; 43), Wiesbaden. 2013: Metropolie (Patriarchat) von Karlowitz, in: Bahlcke/Rohdewald/Wünsch (Hg.) (2013), S. 187 – 194. Anastasovski, Nick. 2005: Contestations over Macedonian Identity, 1870 – 1912, Melbourne [Typoskript (Ph. D.)]. Anderson, Benedict. 21991: Imagined Communities. Reflections on the Origin and Spread of Nationalism. Revised Edition, London. Angelov, Bonju St. 1955: Kăm istoriata na praznika na Kiril i Metodij prez srednite vekove, in: Sbornik v čest na akademik sbanda Teodorov-Balan po slučaj devetdeset i petata mu godišnina, hg. v. Mich. D ­ imitrov, Sofija, S. 55 – 68. 1963: Kiril i Metodij v slavjanskite pečatni knigi ot XV–XVII v., in: ­Angelov u. a. (Hg.) (1963), S. 359 – 375. 1963 f.: Săvremennici na Paisij, 2 Bde., Sofija. 1969: Borba za deloto na Kiril i Metodij, Sofija. 1985: Paisij Chilendarski, Sofija. Angelov, Bonju St., u. a. (Hg.). 1963: Chiljada i sto godini slavjanska pismenost. Sbornik v čest na Kiril i Metodij, Sofija. Angenendt, Arnold. 1997: Heilige und Reliquien. Die Geschichte ihres Kultes vom frühen Christentum bis zur Gegenwart, München. Anguševa-Tichanova, Adelina G. (Hg.). 2012: In Stolis repromissionis. Svetci i svjatost v centralna i iztočna Evropa/Saints and Sainthood in Central and Eastern Europe, Sofija. Anzulovic, Branimir. 1999: Heavenly Serbia: From Myth to Genocide, New York/London. Apostolski, Mihailo (Hg.). 1978: Ohrid i ohridsko niz istoriata. Od paǵanjeto pod osmanliska vlast do ­krajot na prvata svetska vojna, Bd. 2, Skopje. Aretov, Nikolaj. 1995: Bălgarskoto văzraždane i Evropa, Sofija. 2006: Nacionalna mitologija i nacionalna literatura. Sjužeti, izgraždašti bălgarskata nacionalna identičnost v slovesnostta ot XVIII i XIX vek, Sofija. Ashley, Stephen. 1984: Bulgarian Nationalism (1830 – 1876). The Ideals and Careers of Ivan Bogerov, Georgi Rakovski and Petko Slaveikov, Oxford [Typoskript (Ph. D.)]. Assmann, Aleida. 1999: Erinnerungsräume. Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses, München.

Darstellungen nach 1945

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Darstellungen nach 1945

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Anhang

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Bildnachweis

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F 8  Bildnachweis 1 Tschilingirov (1978), Abb. 105 (Kliment, Ohrid um 1230). 2 Đurić/Ćirković/Korać (1990), Abb. 82, S. 139 (Rebe, Peć um 1330). 3 Đurić/Ćirković/Korać (1990), Abb. 128, S. 201 (Reichsversammlung von Nemanja und Stefan Uroš II. Milutin, Peć um 1345). 4 Đurić/Ćirković/Korać (1990), Abb. 130, S. 204 (Patriarch Joanikije, Zar Dušan, König Uroš, hl. Sava, Peć um 1345). 5 Gjuzelev (1993), Abb. 1, S. 8: British Library (London), Add. Ms. 39.627, f. 3 r. 6 Tschilingirov (1978), Abb. 142 (Ioann von Rila, Mitte des 14. Jh.). 7 Đurić/Ćirković/Korać (1990), Abb. 207, S. 322 (Petka, Peć 1728). 8 Hristofor Žefarović i Tomas Mesmer. Stematografija. Izobraženije oružij iliričeskih (Kyrill und Jefrem), Platte IV (1741). 9 Đurić (Hg.) (1988), Abb. 219 (Studenica 1758) S. 281. 10 Medaković (1975), Abb. 3 (Lazar, Orfelin 1773). 11 Vasiliev (1970), Abb. 11 (Kyrill und Method, St. Dospevski 1857). 12 Balabanov (1993), Abb. 32, S. 120 (Kliment, Kyrill und Method, Diḱo Zograf, Ohrid 1863). 13 Balabanov (1993), Abb. 34, S. 123 (Heilige Siebenzahl, Diḱo Zograf, Ohrid um 1860). 14 Balabanov (1993), Abb. 38, S. 135 (Kyrill und Method, Adamḱe Najdov, Prilep 1867). 15 Makuljević (2007), Farbabb. 2, S. 162 („Tod des Fürsten Lazar“, Đorđe Krstić 1885). 16 Orao – veliki ilustrovani kalendar za godinu 1890, Novi Sad 1890, S. 23 – 26. 17 Makuljević (2007), Farbabb. 6, S. 165 (Nemanjiden, Nastas Stefanović, Kathedralkirche Belgrad 1900). 18 Medaković (1990), Abb. 42 (Meštrović, Vidovdanski Hram 1912). 19 Vasiliev (1970), Abb. 84 (Kyrill, in der Nevskij-Denkmalkirche, 1912). 20 Stavropigialen chram pametnik Sv. „Aleksandr Nevski“ (Kyrill und Method, Nevskij-Kathedrale Sofia um 1913). 21 Stavropigialen chram pametnik Sv. „Aleksandr Nevski“ (Boris, Nevskij-Kathedrale Sofia um 1913). 22 Nezavisimaja Makedonija, 17.4.1925, Nr. 106, S. 1. 23 Srpsko Kosovo, 1.4.1925, Nr. 7, S. 1. 24 Jovanović (1989), S. 21 (Petar I. Karađorđević, Oplenac bei Topola um 1930). 25 Politika, 28.6.1930, Nr. 7952, S. 9. 26 Politika, 29.6.1930, Nr. 7953, S. 4. 27 Makedonija, 26.5.1933, Nr. 1977, S. 1. 28 Politika, 28.6.1939, Nr. 11161, S. 1.

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Zhelyazkova, Antonina. 2002: Islamization in the Balkans as a Historiographical Problem: The Southeast-­ European Perspective, in: Adanir/Faroqhi (Hg.) (2002), S. 223 – 266. Zillessen, Horst (Hg.). 1970: Volk – Nation – Vaterland. Der deutsche Protestantismus und der Nationalismus, Kassel. Zirojević, Olga. 1998: Sveti Sava i naši muslimani, in: Ćirković (Hg.) (1998), S. 433 – 438. Zlámal, Bohumil. 1969: Die Entwicklung der kyrillo-methodianischen Tradition in der tschechoslovakischen Geschichte, in: Salajka (Hg.) (1969), S. 77 – 157.

F 8  Bildnachweis 1 Tschilingirov (1978), Abb. 105 (Kliment, Ohrid um 1230). 2 Đurić/Ćirković/Korać (1990), Abb. 82, S. 139 (Rebe, Peć um 1330). 3 Đurić/Ćirković/Korać (1990), Abb. 128, S. 201 (Reichsversammlung von Nemanja und Stefan Uroš II. Milutin, Peć um 1345). 4 Đurić/Ćirković/Korać (1990), Abb. 130, S. 204 (Patriarch Joanikije, Zar Dušan, König Uroš, hl. Sava, Peć um 1345). 5 Gjuzelev (1993), Abb. 1, S. 8: British Library (London), Add. Ms. 39.627, f. 3 r. 6 Tschilingirov (1978), Abb. 142 (Ioann von Rila, Mitte des 14. Jh.). 7 Đurić/Ćirković/Korać (1990), Abb. 207, S. 322 (Petka, Peć 1728). 8 Hristofor Žefarović i Tomas Mesmer. Stematografija. Izobraženije oružij iliričeskih (Kyrill und Jefrem), Platte IV (1741). 9 Đurić (Hg.) (1988), Abb. 219 (Studenica 1758) S. 281. 10 Medaković (1975), Abb. 3 (Lazar, Orfelin 1773). 11 Vasiliev (1970), Abb. 11 (Kyrill und Method, St. Dospevski 1857). 12 Balabanov (1993), Abb. 32, S. 120 (Kliment, Kyrill und Method, Diḱo Zograf, Ohrid 1863). 13 Balabanov (1993), Abb. 34, S. 123 (Heilige Siebenzahl, Diḱo Zograf, Ohrid um 1860). 14 Balabanov (1993), Abb. 38, S. 135 (Kyrill und Method, Adamḱe Najdov, Prilep 1867). 15 Makuljević (2007), Farbabb. 2, S. 162 („Tod des Fürsten Lazar“, Đorđe Krstić 1885). 16 Orao – veliki ilustrovani kalendar za godinu 1890, Novi Sad 1890, S. 23 – 26. 17 Makuljević (2007), Farbabb. 6, S. 165 (Nemanjiden, Nastas Stefanović, Kathedralkirche Belgrad 1900). 18 Medaković (1990), Abb. 42 (Meštrović, Vidovdanski Hram 1912). 19 Vasiliev (1970), Abb. 84 (Kyrill, in der Nevskij-Denkmalkirche, 1912). 20 Stavropigialen chram pametnik Sv. „Aleksandr Nevski“ (Kyrill und Method, Nevskij-Kathedrale Sofia um 1913). 21 Stavropigialen chram pametnik Sv. „Aleksandr Nevski“ (Boris, Nevskij-Kathedrale Sofia um 1913). 22 Nezavisimaja Makedonija, 17.4.1925, Nr. 106, S. 1. 23 Srpsko Kosovo, 1.4.1925, Nr. 7, S. 1. 24 Jovanović (1989), S. 21 (Petar I. Karađorđević, Oplenac bei Topola um 1930). 25 Politika, 28.6.1930, Nr. 7952, S. 9. 26 Politika, 29.6.1930, Nr. 7953, S. 4. 27 Makedonija, 26.5.1933, Nr. 1977, S. 1. 28 Politika, 28.6.1939, Nr. 11161, S. 1.

G  Register A Aaron (AT)  46, 144 Abdülaziz, Sultan  155, 222, 253, 294 Abdülhamid II., Sultan  206, 209 Abraham (AT)  110, 130 Adrianopel  61 Afanasiev, Aleksandr  544 Ahmed Şefik Midhat Pascha  154 Aksakov, Konstantin  238 Aleksandar I. Karađorđević  473, 484, 494, 498, 512, 523, 527, 556, 749, 753, 755, 758 – 760, 831, 833 Aleksandar I. Obrenović  400 Aleksandar Karađorđević, Fürst  395 Aleksandar Obrenović  381 Aleksandr I. (Bulgarien)  262 – 264, 269, 273, 312, 411 Aleksandr II. (Russland)  424 Aleksandr Nevskij  162, 331, 334, 542, 583, 686, 708, 710, 737, 745 Aleksić, Georgije  162, 163 Aleksić, Milan  402, 403 Alexander der Große  122, 124, 304 Ali Pascha Tepelena  374 Alkalaj, Isaak  492 Amos (AT)  505 Andronikos II.  123 Angelarius  58, 61, 607, 670, 708 Angelina, hl.  145, 146, 148, 397, 607 Angelov, Cvětan  742, 743, 793 Angelov, Simeon  709, 776 Anisimov, Inokentije  543 Antim, Bischof von Trajanopol  659, 660, 661, 712, 718 Antim, Exarch  296 Antonius  83 Apollo  134 Aprilov, Vasil  158, 238, 274, 711 Arad  162 Arnaudov, Michail  583 Arndt, Ernst Moritz  441, 794 Arsenije I.  106, 144, 755 Arsenije III. Crnojević  129 Arsenije IV.  89, 129, 134, 135, 143 Arsenije V.  129

Arsenije VI.  134 Aršinov, Pavle  195 – 198 Atanasov, Nikola  638 Athen  239, 305, 592 Athos  19, 69, 96, 104, 117, 128, 202, 217, 219, 230, 344, 530, 535, 716, 722 Attila  775 Augustus  104, 130 B Babić, Bogdan  564 Bacarov, N. I.  257 Băčvarov, Todor  370 Bagrjana, Elisaveta  786 Balabanov, Marko  266 – 268 Balabanov, Nikola  580, 785 Balabanov, Todor  311 Banjska, Kloster  120, 124 Bar  93 Baronius, Caesar  234 Bašić, Milivoje  340, 341, 614 Basileios II.  92, 93 Basilius der Große  212 Bauer, Ante  484, 566, 570, 571 Belgrad  41, 42, 61, 82, 111, 155, 157, 159, 165, 166, 168, 183, 186, 193 – 195, 200 – 202, 205, 206, 209 – 212, 214, 230, 232, 275, 276, 278, 279, 282, 285, 287, 288, 290, 336, 341, 370, 374, 376, 377, 380, 395, 403, 437, 446, 483, 488 – 490, 492, 493, 511, 512, 514, 522, 528, 542 – 545, 553, 563, 568, 572, 610 – 612, 614, 615, 629, 682, 754, 766, 767, 795, 796, 803, 804, 807, 811, 814, 816, 820, 822 – 824, 826, 828, 830 – 832, 834 – 836, 841, 842, 844 Benkovski, Georgi  718 Berlin  276, 325, 516, 575, 648, 682, 772 Bern  387 Bitola  72, 200, 203, 206, 213, 296, 331, 558, 560, 608, 782, 788 Blasius  18 Blăskov, Andrej  255 Blăskov, Rajko Iliev  253, 254 Bobčev, Nikola  630, 631, 666 Bobčev, Stefan  230, 298, 299, 582, 630, 636

Register

Bogorov, Ivan  237 Bogunović, Dušan  494 Bojadžijska, Olga  651 Bolgrad  223, 255 Bonev, Il. Ch.  654 Bonifatius  839 Boris I.  19, 44, 47, 50, 60, 62, 64, 70 – 72, 76, 91, 101, 216, 258, 320, 351, 355, 362, 364, 407 – 409, 411 – 422, 424 – 427, 440, 442, 447, 576, 577, 578, 587, 594, 654, 707, 711, 715, 735, 736 – 743, 745, 747, 748, 762, 781, 787, 797, 808, 809, 817 – 819, 825, 830, 839, 843 Boris III.  349, 412, 473, 474, 583, 588, 601, 703, 734, 736, 738 – 741, 743 – 748, 757, 781, 791, 797, 825, 830, 833 Boris, Metropolit von Ohrid  368 Bošković, Stojan  288 Botev, Christo  637, 704, 705, 708, 714, 718 Bozveli, Neofit  670, 705 Brăila  215, 265 Brajkovič, Najden  411 Branković, Đorđe  57, 88, 104, 112, 132, 145, 146, 238, 393, 756 Branković, Đurađ  84, 145 Branković, Jovan  146, 147 Branković, Stefan  145 – 147 Branković, Vuk  142, 376, 380 Bregalnica  72 Budapest  159, 164, 168, 174, 195, 198, 215, 236, 281, 282, 394, 395, 428 Bukarest  57, 159, 246, 248, 249, 253, 255, 258, 297 Burgerdorfer, Friedrich  671 C Čajkanović, Veselin  544, 545, 769 Camblak, Grigorij  82, 125, 126, 135, 143, 152, 801, 802 Cankov-Derižan, Christo  672, 677 Cankov, Stefan  326, 533, 587, 588, 589 Carlyle, Thomas  508, 533, 534, 760 Čaušević, Džemaludin  566 Černorizec Chrabăr  715 Cetinje  56, 607 Cetinje, Kloster  86, 90, 150, 607, 800 Chalki  217 Char’kov  215 Chateaubriand, François-René de  266

895

Chimitlijski, Michail  323, 324, 326, 327, 419 – 422 Chlodwig I.  415, 427, 447, 809, 819, 839 Chomatenos  64 – 66, 216, 355 Christov, M.  787 Čilingirov, St.  678 Čilingirov, Stilijan  747, 786 Čkatrov, Jordan  651 Claparède, Edouard  583 Clemens V.  125 Čomakov, Salčo  239 Čomakov, Stojan  239 Conev, Benjo  332, 333 Conev, Zvezdelin  678, 679 Constantius Chlorus  130 Ćorović, Danilo  564 Ćorović, Vladimir  497, 525, 608, 615, 619, 734, 762 Crna Reka, Kloster  132 Crnjanski, Miloš  475, 511, 522, 766 Crnojević Reka  554 Cuchlev, D.  312 – 314 Čučulain, Aleksandr  416 Cullen, Paul  839 Cvětkov, Andr.  686 Cvetković, Dragiša  508 Cvijić, Jovan  488, 514 Cyrillus von Alexandrien  58 Czernowitz  368, 682 D Dähnhardt, Oskar  544 Damjanov, Milan  786 Daničić, Đuro  398 Danilevskij, Nikolaj  267 Danilo II.  113 – 119, 121, 125, 144, 393 Danilo III.  115, 120, 137 Danilo-Schüler  123, 124, 127 Danilov, G.  720, 721 Daskalov, Teodosi  794 David (AT)  126 David, bulg. Zar  134 Debăr  301 Dečani, Kloster  82, 112, 125, 127, 131, 133, 201, 209, 379, 388, 393, 395, 396, 397, 406, 436, 446, 567, 751 – 755, 765, 830, 831 Dečanski, Kloster  826 Dede-Agač  784

896

Register

Demetrios von Saloniki  63, 75, 99, 102, 123, 128, 359 Denkoglu, Ivan  345 Denton, William  398 Devič, Kloster  567, 607, 766 Dimir Chisar  785 Dimitrije, Patriarch  513, 611, 750, 764 Dimitrijević, Dragomir  487, 550 – 552, 766 Dimitrijević, Stanojlo  483, 485 Dimitrov, Chr. V.  320, 425, 440 Dinić, M. J.  500 Diokletian  83, 130 Dionysius  135, 151, 801 Dispater (Gottheit)  545 Djulgerov, D. V.  794 Dobričić, Stevan  476, 477, 763 Dojran  696 Domentijan  104 – 106, 131, 144 Đorđević, Tihomir R.  566, 567, 820 Đorđević, Vladan  174 – 178 Đorđić, Petar  625, 626 Dorothej, Erzbischof von Ohrid  66 Dorotheos von Monemvasia  214 Dostoevskij, Fedor  544 Dragić, Milorad  499 Drecunu, Mitar  483 Drevenica  60 Drinov, Marin  215, 216, 252, 265, 323, 358, 359, 360, 410, 411 Drumev, Vasil  261, 262, 264, 265, 269 – 273, 814 Dubrovnik  18, 41, 42, 93, 560 Dujčev, Ivan  587, 694 Dukas  140 Đukić, T.  525 – 528 Dupnica  719 Đurađ II. Balšić  135 Đurović, Dimitrije  615 – 618 E Edessa  299 Efrem  59 Eftimij, Archimandrit  707 Eichhorn, Johann Albrecht Friedrich von  171 Elbasan, Kloster  93, 762 Elena  238 Elias (AT)  142 Ephremos  380

Epidaurum  41 Erasmus von Ohrid  780 Erik IX.  839 Esiv, M.  731, 732 Etropol  87 Eusebius von Caesarea  31, 105 Evdokija, Fürstin  783 Evtimij, Archimandrit  705, 706 Evtimij, I.  350, 351 Evtimij, Patriarch  78 – 82, 88, 144, 217 F Fenek, Kloster  83, 393 Ferdinand I. (Bulgarien)  155, 273, 309, 327, 334, 349, 376, 412, 416 Fichte, Johann Gottlieb  516 Filaret, Metropolit  785 Filov, Bogdan  583, 686, 713, 714, 783, 794 Firmilijan, Archimandrit  181, 208, 209, 318 Florinski, Protoierej  681, 682 Franz Josef I.  181 G Gabrovo  238, 242 Galičnik  203 Garašanin, Ilija  279 Gavriil von Lesnovo  90 – 92, 217, 435, 734, 778 Gavrilo, Patriarch  542 Gavrilov, Gančo  311 Genadiev, Nikola  706 Genf  583 Genov, Georgi  582, 674 Georg, hl.  99 Georgijević, Ioan  133 Georgij, Patriarch  187 Gerov, Kostadin  240 Gerov, Najden  239, 240, 242, 243 Gervasij, Metropolit  423 Gideon (AT)  46 Gjuzelev, Dimităr  696, 697 Gnjilan  205 Gorazd  58, 61, 64, 342, 373, 607, 613, 708, 756 Gornjak, Kloster  607 Gošev, Ivan  368, 369, 577, 707 Grabar, A.  773 Gračanica, Kloster  121, 405, 483, 764, 766

Register

Graz  543 Gregorios, Druckermönch  68 Gregor von Nazianz  212 Grekov, Dimitr  311 Grigori  65 Grigorije Gornjački  607 Grigorjević, Toma  750 Grigorovič, Viktor  344, 373, 422 Gruev, Ioakim  242 Grujić, Radoslav  548, 549, 556, 557, 602, 604, 612, 760 Grujić, Sava  201 H Hadrian I.  47 Hadrian II.  44, 304 Hahn, Engelbert  489 Hajzler, Karlo  484 Harnack, Adolf von  682 Hasluck, Frederick William  374 Havlas, Guido  381 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich  175, 559 Heidelberg  276 Heinrich v. Flandern  101 Herder, Johann Gottfried  171, 172, 289, 617 Hermes  545 Hilarion  77, 86 Hildesheim  116 Hilendar, Kloster  89, 91, 443, 756 Hiob (AT)  523 Hitler, Adolf  474, 531, 532, 592, 717, 741, 747, 760, 782, 825 Homer  305 Hopovo, Kloster  56 Hreljo  84, 549, 733 I Iaşi  82 Ikonomov, P.  715 Ikonomov, Todor  224 – 227, 230 Ilarion, Archimandrit   424 Ilarion Makariopolski  670 Ilarion von Măglen  778 Ilić, Dragutin  602 – 605, 620 Iliev, Vl.  654 Indra  545

897

Ioakim I., Patriarch  143 Ioakim von Osogovo  90, 91, 217, 435, 733, 773, 778 Ioann Asen I.  75, 76, 77, 79 Ioann Asen II.  77, 80, 82, 87 Ioannēs Papa  93 Ioann Exarch  715 Ioannina  61, 374 Ioann von Rila  19, 37, 70, 73 – 90, 129, 150, 215 – 233, 237, 240, 316, 319, 410, 428, 439, 444, 542, 581, 613, 654, 704 – 731, 733, 734, 740 – 745, 747, 773, 778 – 781, 797, 800, 804, 805, 810 – 812, 815, 817, 819, 825, 828 – 830, 844, 847, 848 Ioasaph, Erzbischof  69 Irene Kantakuzenos  145 Isaak (AT)  95, 110, 130 Isperich, Khan  743 Istanbul  648 Ivan Aleksandr  54 Ivan Crnojević  86 Ivanov, D.  711, 788 Ivanov, Jordan  442, 730, 731 Ivanov, Nikola  204 Ivan Vladislav  72 Ivan von Rila.  Siehe Ioann von Rila J Jagić, Vatroslav  194, 287, 288, 339, 611, 615, 627 Jakob (AT)  95 Jakšić, Pavel  431 Jambol  242 Jan Hus  614, 616 Janićije, hl.  607, 755 Jazić, Ana  561 – 563 Jefrem  144 Jeftimije, Patriarch  338 Jelena  113, 119, 120 Jerusalem  19, 80, 106, 220, 297, 344, 354, 355, 485, 589, 591, 722, 727 – 729, 751, 765, 769, 778, 797, 826, 828 Jevstatije  144 Jireček, Constantin  194, 238, 258, 627 Joanikie  128 Jocov, Boris  582, 674, 702, 714, 742 Johanna von Orléans  627, 839 Johannes Chysostomos  212 Johannes Paul II.  848

898

Register

Johannes VIII.  627 Josef, Sohn Jakobs (AT)  126 Josif, Metropolit von Varna und Preslav  738 Josua (AT)  46 Jovan Bigorski  756 Jovan Bigorski, Kloster  201, 438, 791 Jovan Oliver  91 Jovanović, Aleksa  767 Jovanović, Aleksandar  484, 546 Jovanović, Dimitrije  202 Jovanović, Ljubomir  337, 373 Jovanović, Slobodan  182 Jovan Vladimir  86, 92 – 94, 135, 150, 403, 407 – 410, 427, 446, 762, 765, 780, 801, 808, 812 Jović, Petar  477, 478 Jovkov, Arseni.  575 Julinac, Pavle  160, 162, 234, 375, 392 Jurdanov, Viktor  677 Jurišić, Gedeon Iosif  379, 396 K Kacarov, Kuzman  371, 372, 416 Kajdamov, I.  690 Kalenić, Kloster  395 Kalešev, Asen  790 Kalište-Struško, Kloster  55 Kalkandžiev, P. S.  677 Kalojan  77 Kanitz, Felix Philipp  281 Kantakuzin, Dimitrij  84 Karađorđe  393, 396, 431, 551, 756 Karadžić, Vuk  143, 207, 567 Karavelov, Ljuben  258 Karavelov, Petko  258 Karl der Große  557 Karl Thopia  93 Kastoria  66, 69, 83, 201, 766, 782, 788 Katharina II.  627 Kavdanski, Anton  722 – 730 Kiew  55, 56, 82, 85, 215, 252, 261, 348, 354 Kilkis  283, 291, 293, 294, 344, 782, 788 Kiril, Patriarch  682, 683, 685, 689, 692, 693, 796, 825, 829, 833 Kiril von Preslav  322, 783 Kiselkov, Vasil  667, 733 Kjustendil  310, 651, 766

Kliment, Metropolit von Tărnovo  155 Kliment von Ohrid  19, 44 – 50, 55, 58, 60 – 70, 72, 88, 112, 149, 237, 240, 283, 316, 319, 339, 342 – 375, 416, 419, 439, 442, 445 – 549, 572 – 610, 613, 623, 625, 641, 645, 670, 687, 693, 705 – 708, 715, 721, 737, 741, 745, 756, 777, 778, 780, 782, 787, 788, 791, 793, 795, 799, 800, 807, 811 – 814, 818, 819, 824, 827 – 830, 832, 834, 835, 844, 847, 848 Koen, David  569 Köhler, Franz  769 Kolarov, Nikola  790 Kolašin  56 Konstantin der Große  56, 71, 104, 105, 119, 124, 128, 130, 415, 427, 447, 736, 809, 819 Konstantinidis, Griorije  58 Konstantinopel  43, 44, 52, 54, 70, 78, 80 – 87, 89, 128, 149, 150, 153 – 155, 159, 222, 241, 244, 249, 298, 337, 354, 445, 631, 636, 648, 747, 800, 801, 804, 811, 819, 830 Konstantinos Kabasilas  68 Konstantin von Kostenec  55, 130 Konstantin von Preslav  44, 48 Kopitar, Bartholomäus  616 Korica  374 Korinth  66 Kosara  93, 408 Košišta  293 Kosmas  93, 94 Kostić, K. N.  442 Kostić, Laza  378 Kostić, Mita  555, 556 Kovačev, Dositej  232 Kovačević, Damjan  512 Kovačević, Ljubomir  337, 373 Kragujevac  58 Krajina  93 Krajničanac, Todor  582, 606, 607, 620 – 622, 669, 670, 671, 672, 780 Krapčanski, Nikola  322 Kratovo  709 Krstić, Đorđe  390 Krušedol, Kloster  146 – 148, 151, 607, 802 Kruševac  490, 491 Kuhtin, Jovan  767 Kukuš.  Siehe Kilkis Kumanovo  66, 387, 389, 406, 484, 487, 499, 750

Register

Kunev, Trifon  639 Kupinovo  145 Kuzmanović, Gliša  490 Kyr Hadži Valčo  89, 216, 234 Kyrill  19, 36 – 38, 43 – 62, 64, 69, 73, 76, 111, 148, 149, 182, 184, 212, 216, 222, 223, 233 – 345, 349, 351, 365, 371 – 374, 411, 412, 414 – 416, 419, 427, 439, 444 – 446, 542, 549, 568, 581, 582, 584, 587 – 589, 598, 602, 604, 605, 607 – 709, 714, 715, 718, 719, 731, 734 – 737, 740 – 742, 756, 777 – 779, 782, 784, 786, 787, 791 – 793, 796, 797, 799, 804 – 820, 824 – 828, 831 – 834, 837, 839, 847, 848, 318 L Laskov, Danail  356, 357 Laskov, L.  370 Laurentius  58 Lazar  38, 130, 136 – 145, 151, 375 – 377, 380 – 384, 397, 406, 409, 433, 478, 479, 484, 486, 488, 498, 502, 503, 505, 509, 512, 536, 558, 607, 620, 749, 754, 756, 760, 762, 764, 767, 801, 843 Lazarević, T. N.  486 Lazić, Sima Lukin  337, 404, 410 Leipzig  544 Lemberg  56 Leo II. von Ohrid  65 Lesnovo, Kloster  90, 91, 435, 791 Levski, Vasil  38, 155, 259, 704 – 706, 708, 714, 718, 844 Licinius  130 Livno  490 Ljaskovo, Kloster  230 Ljotić, Dimitrije  474, 544 Ljubibratić, Savo  564, 565 Ljubljana  236, 492 Ljubostinja, Kloster  768 Ljudevit, kroat. Fürst  619 Ljuljakov, Den. M.  577 London  493 Lopičić, Tomo  554 Ludwig der Deutsche  44 Ludwig der Fromme  100 Luka  408 Luther, Martin  289, 616

899

M Magazinović, Miloš  549 Măglen  77 Makarije, Patriarch  755 Makariopolski, Ilarion  344, 718 Maksim, Erzbischof von Peć  755 Maksim, Metropolit  662 Malenkov, Kliment  785 Maleš, Branimir  512, 539, 540, 541 Manasije, Kloster  395 Manojlović, P.  201, 203 Manuel I. Komnenos  75, 81, 95 Mara Branković  84 Marčevski, Denčo  668, 733 Maria, Gottesmutter  66, 72, 147, 364 Maria Theresia  134 Marjanović, Čed.  437, 438 Marko-Kloster  437 Marko Kraljević  139, 438, 476, 793 Marković, Ljubomir  623, 624, 625 Marković, Marko  569 Marseilles  758 Masaryk, Tomáš  622 Mašić, Mile  766 Matejče, Kloster  66 Matić, Dimitrije  276 – 280 Matov, Christo  439 Matov, D.  348, 349 Matthias Corvinus  145 Medan, Danilo  534 – 538, 541 Mehmed II., Sultan  84 Mesmer, Thomas  59, 134 Meštrović, Ivan  386, 387, 477, 500, 751 Method  19, 36 – 8, 43 – 62, 64, 69, 73, 76, 148, 149, 182, 184, 212, 216, 222, 223, 233, 234 – 345, 349, 351, 365, 371 – 374, 411, 412, 414 – 416, 419, 427, 439, 444 – 446, 542, 549, 568, 578, 581, 582, 584, 587 – 589, 598, 602, 604, 605, 607 – 709, 714, 715, 718, 719, 731, 734 – 737, 740 – 742, 756, 777 – 779, 782, 784, 786, 787, 791 – 793, 796, 797, 799, 804 – 808, 810 – 820, 824 – 828, 831 – 834, 837, 839, 847, 848 Michael, Erzengel  72 Michael III. (Byzanz)  71 Michail, bulg. Zar  126, 132, 234 Michail Šišman  124

900

Register

Michail Voin  77, 86 Michajlovskij, Stojan  311 Mickiewicz, Adam  366 Mihailo, Metropolit von Belgrad  156, 186, 193, 203, 275, 276, 279, 280, 409 Mihailo Obrenović III.  167, 398 Mihail Viteazul  57 Mijatev, Krăstju  772, 773 Miklosich, Franz von  608, 616 Miladinov, Dimităr  293, 344, 345, 346 Miladinović, M. Đ.  341, 342 Miladinov, Konstantin  346 Milan I. Obrenović  380, 399, 808, 815 Milanović, Mara  564 Milaš, Nikodim  283 Mileševa, Kloster  107, 111, 118, 540, 560, 567, 570, 756, 767 Miletić, L.  231 Miletić, Svetozar  177, 178, 397, 431, 820 Milica  82, 141, 751, 754 Milojević, Miloš  227, 431, 433 – 435 Miloš Obilić  139, 142, 165 – 167, 217, 375, 376, 379, 380, 484, 488 Miloš Obrenović  395, 396, 402, 430 Milovanović, Đoka  181 Milutinović, Uroš  289 Minčev, Minčo  679, 680, 681 Mirković, Lazar  614 Mišev, Dimităr  421, 636 Misirkov, Krste  550 Mitov, Todor  259, 260 Mitrinović, Dimitrije  493 Mitrovica (Kosovo)  201, 289, 484, 546, 547 Mitrović, Ljub.  612 – 615, 624, 735 Mojsije, Erzbischof  89 Mollov, D.  268 Momčilo, Junak  793 Monastir  213 Morača, Kloster  56 Moschopolis  58, 60, 68, 69, 70, 94, 149, 373, 443, 799, 800, 803, 843 Moses  46, 48, 59, 64, 65, 100, 103, 106, 108, 109, 124, 126, 127, 144, 148, 355, 527, 725, 748, 755, 799 Mosheim, Johann Lorenz von  235 Moskau  56, 110, 215, 228, 252, 268, 346, 794, 836, 846

Moskov, M.  373 Mostar  568, 569 Mrnavić, Ivan Tomko  111, 524, 525 München  493, 544, 600 Münster, Sebastian  58 Murad II., Sultan  84, 145 Murad I., Sultan  92, 136, 137, 139, 483, 764 Mussolini, Benito  760 Mutafčiev, Petăr  600, 695, 696 N Načov, Načo  412 – 416 Nagoričino  124 Najdanović, Dimitrije  516 – 521, 523 Najdenov, Nikola  708 Natanail Ohridski  348 Naum  58, 61, 64, 67 – 70, 112, 149, 152, 237, 283, 339, 342, 345, 349, 374, 439, 567, 578, 587, 607, 608, 613, 623, 625, 641, 645, 670, 708, 778, 780, 782, 792, 802 Naum, Kloster  608, 762, 791 Nedić, Milan  474, 512, 543, 546 Nemirov, Dobri  786 Neofit, Metropolit von Vidin  580, 706, 745, 746, 784, 829 Nepomuk  331 Neuilly  772 Nevrokop  293 Nikäa  104 Nikitov, Nikola  581, 669 Nikodim  144 Nikodim, Bischof von Stobij  662 – 664, 693 Nikolajević, Dušan  508, 509, 760, 761 Nikolajević, Svetomir  181, 182, 186, 187, 201 – 203 Nikolaus, serb. Hl.  121 Nikolić, Bora  510 Nikolić, Mihail  166, 167 Nikolić, Rista  404, 405 Nikolić, Sergije  168, 169, 170 – 172, 176 Nikšić, Melentije  393 Nil Izvorov  283 Ninković, Leontije  751 – 754 Niš  41 Nitov, Joto  665 Nodilo, Nadko  379, 384 Nogai  123

Register

Novaković, Stojan  94, 202, 227, 233, 288, 336, 337, 340, 343, 373, 374, 409, 804, 807, 812, 813 Novi Sad  42, 155, 162, 164, 165, 175 – 178, 191, 194, 242, 280, 379, 380, 396, 398, 431, 489, 490 Nušić, Branislav  374 O Obradović, Dositej  194, 522 Obrenović, Julia  398 Odessa  237, 238, 261, 274, 635 Ognjanović, Rista  203 Ohrid  43, 47, 50, 53, 60, 61, 65 – 69, 88, 94, 127, 149, 152, 201, 293, 296, 335, 342, 344, 346 – 348, 352, 354, 355, 357, 359, 363, 367, 368, 369, 373, 374, 407, 410, 439, 445, 577, 578, 582, 584, 587 – 593, 597, 598, 602, 606 – 608, 619, 693, 709, 762, 766, 780, 782, 784, 785, 787, 788, 793, 799, 802, 807, 823, 829 Olav, hl.  839 Omarčevski, Stojan  631, 632, 704 Omurtag  41, 233 Oplenac  405, 608, 629, 756, 757, 759, 826, 833 Orbini, Mauro  214, 235, 410 Orfelin, Zaharije  143 Orlović, Vasa  547 Orvieto  116 Osogovo, Kloster  90, 435, 791 Ostrog, Kloster  607 Otto III.  132 P Paisij, Bischof  708 Paisij Chilendarski  70, 89, 214 – 216, 232 – 235, 320, 328, 343, 344, 358, 359, 391, 392, 406 – 408, 417, 427, 439, 444, 446, 660, 670, 691, 704, 705, 709, 711, 718, 777, 778, 804, 808, 810, 812 Paisij, Metropolit von Vraca  739, 780, 789, 790, 830 Paisij Veličkovskij  216 Pajsije I., Patriarch  111, 131 Panagjurište  242 Paraskeva.  Siehe Petka Paris  480, 751, 833 Părličev, Kiril  573 Partenij  408 Partenij, Metropolit von Sofia  310 Părvanov, P. T.  741 Pašev, Gančo  584, 586, 587, 708, 712, 713, 721

901

Pašić, Nikola  484, 488, 750 Patrick  839 Paulus, Apostel  46, 61, 72, 80, 125, 355 Paunin, D.  306 – 309, 316 Pavle, Fürst  508, 760 Pavlovič, Christaki  215 Pavlovič, Nikolaj  411 Pavlovič, Partenij  69, 94, 112, 132, 133, 152, 802 Pavlović, Theodor  164 Păžăškjan, Minas  235 Pčinja, Kloster  90, 434 Peć  43, 56, 67, 88, 128, 151, 152, 201, 202, 348, 567, 764, 765, 769, 802, 844 Pelagić, Vasa  280 Pelin, Elin  335, 635 Pernik  786 Perside Karađorđević  395 Pest.  Siehe Budapest Petăr I. (Bulgarien)  37, 70, 73, 74, 78, 408 – 410, 428, 843 Petar II. Petrović-Njegoš  370, 670 Petar I. (Jugoslawien)  388, 403, 405, 748, 749, 750, 754, 757 Petar I. Petrović-Njegoš  607 Petărov, Gjorce  300, 301 Petărović, Tomo  554 Petărov, Viktor M.  552, 553 Petka  70, 80 – 83, 86, 87, 90, 150, 152, 217, 428, 756, 800, 802 Petkov, Botja  246 – 248 Petkov, Dimitr  310 Petković, Vladimir  766 Petkov, Vasil  629 Petleškov, Nikola  769 Petr, Metropolit  217 Petrov, Grigorije  565 Petrović, Veljko  487 Petrus, Apostel  46, 72, 80, 723 Photios  71 Pirat  784 Pisa  239 Plěven  718 Pliska  60, 578, 590 Plovdiv  41, 239, 240, 242, 243, 296, 662, 709, 786 Podrom, Kloster  605 Poganovo, Kloster  771 – 773

902

Register

Polit-Desančić, Mihailo  397 Popov, Chr.  653 Popović, Avram  547 Popović, Janićije  548 Popović, Jovan Sterija  376, 377, 395 Popović, Justin  544 Popović, Mih.  733 Popović, Milutin  385 Popović, Miodrag  385 Popović, Pavle  627 Popović, Simeon  564 Popović, Vasilj  543 Popović, Velja  498 Popov, M. Chr.  711 Popruženko, Michail  635 Potuka  78 Prag  195, 258, 259, 282, 358, 490 Preslav  54, 61, 72, 78, 578, 590, 604, 783, 784, 785 Prespa  72, 93, 602, 793 Pribićević, Svetozar  488, 514 Prilep  127, 208, 238, 240, 291, 292, 296, 305, 344, 788 Prima Justiniana  66, 67, 613 Princip, Gavrilo  476, 491 Prishtina  136, 141, 200, 204, 489, 510, 548 Prizren  56, 61, 93, 121, 201, 399 P’rličev, Grigor  304, 305, 347, 641 Prnjatović, Jevto  565, 755 Prohor von Pčinja  90, 91, 217, 434, 607, 733, 756, 778, 782 Prometheus  378, 708, 709, 711, 725 Protić, Andrej  637 Protić, Risto  201 Pulevski, Ǵorǵija  212, 228, 299, 314, 406, 410 Pundev, Vasil  649, 651, 776 R Rački, Franjo  274, 275, 382, 539, 670 Radić, Stjepan  514 Radišić, Vukašin  167 Radojčić, Nikola  513 Radomir  310 Radonić, Jovan  627, 628 Radonjić, M. V.  183 – 185 Radovanović, Novak  560, 561 Rajačić, Josip  376 Rajić, Jovan  161, 162, 235, 238, 375, 392, 393, 408, 409

Rakovski, Georgi  718 Ras  93 Rašić, Damjan  619, 620 Raškov, T. M.  742, 793 Rastislav  44, 50 Rasulić, Ž.  622, 623 Ravanica, Kloster  136, 139, 141, 375, 381, 395, 476, 478, 480, 481, 491, 500, 510, 542, 607, 766 Rila, Kloster  43, 55, 74, 84, 87, 89, 129, 150, 215, – 230, 234, 237, 240, 433, 439, 443, 549, 601, 705, 716, 717, 720 – 734, 740, 743, 744, 746, 747, 771, 781, 791, 800, 804, 811, 825 Rilski, Ignatij  228, 229 Rilski, Kiril  221 Rilski, Neofit  217 – 221, 232, 705, 706, 744, 777, 804, 811, 812 Rilski, Pantelejmon II.  221 Ristić, Serafim  397 Ritter, Paul  134 Ritter Vitezović, Paul  58 Rom  44, 46, 72, 80, 105, 259, 349, 673, 799 Romanos IV. Diogenes  91 Rosenberg, Alfred  840 Rozalin, D.  659 Ruma  381, 476 Russe  245 Ruvarac, Ilarion  378, 380, 500 Ruvarac, Kosta  174 Ružić, Dušan  500 Ružičić, Nikanor  285, 286 S Šafářík, Pavel Jozef  236, 258, 264, 398, 616 Salomon (AT)  46, 124, 126 Salona  41 Saloniki  41, 43, 61, 66, 75, 127, 153, 200, 201, 206, 213, 252, 259, 274, 291, 295 – 305, 314, 316, 321, 328, 335, 337, 426, 445, 484, 498, 546, 615, 629, 639, 644, 647, 653, 657, 658, 665, 670, 688, 689, 692, 693, 700, 703, 709, 782, 788, 791, 796, 806, 812, 816, 819, 835 Samkovo  709 Samokov  154 Samson (AT)  46 Samuil  61, 72, 92, 408, 410, 442, 592, 743, 793 Sandić, Aleksandar  178

Register

San Stefano  266, 325, 329, 418, 585, 658, 778 Šapkarev, Kuzman  292, 293, 299, 300, 347 Sarajevo  483, 488, 489, 490, 491, 511, 543, 564, 565, 566, 569, 629, 755, 759, 795, 822, 824, 827, 829, 831 Sarı Saltuk  68, 374 Sava  19, 37, 56 – 58, 61, 64, 95 – 118, 122 – 128, 131 – 138, 144 – 146, 151, 160 – 214, 217, 240, 288, 331, 337 – 339, 342, 374, 376, 382, 392, 394, 397, 400, 402 – 405, 411, 433, 435, 443, 444, 446, 487, 496, 498, 499, 506, 507, 512 – 520, 522 – 572, 602, 607, 609, 610, 618, 620, 624 – 629, 642, 648, 670, 708, 718, 733, 753, 755, 756, 758 – 760, 763, 767, 768, 773, 796, 797, 801, 803, 804, 807, 810 – 818, 820, 823 – 827, 831, 832, 839, 844, 847, 848 Sava, Bischof von Žiča  203, 435, 436, 438, 447, 809 Sava Dečanac  381, 400 Sava II.  123 Sava Tekelija  162 Savić, Milan  227, 409 Schlözer, August Ludwig von  236, 264 Serbia  61 Serdika.  Siehe Sofia Sergi, Giuseppe  539, 541 Serres  43 Siegfried  839 Silistra  310, 784 Simeon I.  54, 56, 60, 62, 64, 72, 73, 95, 96, 362, 409, 415, 439, 578, 597 Simeon, Metropolit  231, 412, 417 Sinai  230, 344 Sinanagić, Murat  515 Sinan Pascha  112 Šipka  718 Sirmium.  Siehe Sremska Mitrovica Skopje  59, 122, 127, 149, 200, 206, 208, 209, 238, 240, 291, 292, 315, 316, 335, 362, 368, 416, 437, 483, 489, 490, 491, 498, 511, 548, 549, 552, 553, 556 – 558, 561, 563, 564, 602, 612, 623, 629, 644, 709, 754, 758, 760, 766, 767, 769, 782 – 786, 788, 791, 795, 796, 797, 799, 822, 824, 826, 828, 831 Skylitzes, Georgios  74, 75, 87 Slankamenac, Prvoš  557, 758 Slavejkov, Penčo  441, 712, 718, 770, 794 Slimnica, Kloster  58 Sliven  320

903

Slivnica, Kloster  56 Slomšek, Anton  236 Smiljanić-Bradina, Tomo  549 Smiljanić, Milivoje  499 Sněgarov, Ivan  354 – 356, 362 – 368, 371, 372, 416, 442, 576, 589, 592 – 599, 774, 787, 824 Sofia  41, 61, 73 – 79, 91, 124, 159, 216, 224, 230, 233, 238, 260, 261, 265, 273, 296, 309, 310, 317, 330, 333 – 335, 339, 373, 374, 421, 424, 433, 444, 445, 542, 563, 573, 576, 577, 584, 592, 600, 601, 639, 643, 644, 647, 649, 651 – 653, 656, 667, 672, 673, 675, 677, 702, 705, 708, 709, 714, 720, 733, 772, 773, 786, 793, 795, 796, 806, 807, 811, 814, 816 – 818, 820, 823, 824, 826, 829, 830, 832 – 836, 842, 844 Sofrić, Pavle  198, 404 Sofronij, Metropolit von Skopje und Veleš  786 Sofronij von Vraca  328, 670, 705, 706 Sokolović, Makarije  129 Sokolović, Mehmed-Pascha  129 Solun.  Siehe Saloniki Sombor  285 Somlev, Petăr  542 Sopoćani, Kloster  118, 119, 132, 759 Sopot  242 Spaljaković, Miroslav  512 Spengler, Oswald  521 Špirić, Ljubomir  565 Spiridon  234, 235, 408 Split  41, 93, 489 Srećković, Panta  287 Srem  481 Sremska Mitrovica  44, 56, 93 Sremski Karlovci  134, 135, 155, 157, 181, 280, 376, 523 Srkulj, Stjepan  404 Stalin, Josef  760 Stamatović, Pavao  211 Stambolijski, Aleksandăr  573 Stambolov, Stefan  273, 311 Stanojević, Stanoje  194, 523, 757, 758 Staro Nagoričino  122 St. Denis, Kathedrale  116, 756, 833 Stefan der Erstgekrönte  95 – 105, 110, 113, 115, 117, 118, 123, 131 – 135, 151, 381, 392 – 398, 400, 406, 446, 607, 756, 801, 808, 813 Stefan Dragutin  113, 119

904

Register

Stefan Dušan  42, 54, 80, 84, 91, 113, 125 – 128, 134, 202, 341, 342, 376, 395, 397, 399, 403, 405, 406, 476, 529, 550, 551, 750, 754, 756, 765, 767 Stefan Lazarević  130, 145 Stefan, Metropolit von Sofia  686, 703, 710, 737, 738 Stefan Nemanja  95 – 115, 121 – 128, 130, 131 – 137, 145, 146, 150, 151, 185, 199, 217, 376, 392 – 394, 396 – 405, 508, 513, 557, 607, 620, 750, 755, 756, 757, 758, 760, 761, 767, 773, 801, 826, 831 Stefanov, G.  656 Stefanović, Adam  381 Stefanović, Nastas  403 Stefan Radoslav  117, 118 Stefan Stiljanovič  112 Stefan Uroš I.  112, 113, 118, 119, 217, 376, 754 Stefan Uroš II. Milutin  91, 113, 115, 119 – 124, 132, 405, 434, 550, 734 Stefan Uroš III. Dečanski  38, 113, 124 – 126, 131 – 133, 393, 395 – 397, 607, 750 – 754, 830, 831 Stefan Uroš IV. Dušan  754 Stefan Uroš V.  111 Stefan von Dalmatien und Istrien  283 Stefan Vukanović  56 Steiner, Rudolf  554 Stephan, hl. (Ungarn)  135, 151, 162, 181, 415, 427, 447, 509, 736, 801, 809, 819, 839 Stimlje  486 Štip  788 Stoilov, Anton  321, 322 Stoimenov, B.  689, 782 Stojanović, Isidor  172, 173 Stojanov, Nik.  786 Stojanov, Vasil  265, 266, 411 Stojkanović, Nikola  564 Stojković, Sreta  181 St. Petersburg  287, 288, 416, 575 Strajić, Đura  381 Strez  102, 124 Strossmayer, Josip Juraj  275, 282, 283, 284, 539, 561, 571, 620, 622, 624, 670, 848 Struga  344, 788 Strumica  72 Studenica, Kloster  56, 66, 97, 98, 101, 103, 112, 117, 118, 121, 124, 132, 393, 395, 567, 607, 756, 766 Subotić, Jovan  395, 398 Sucho-Rakovickij, G.  577, 578, 579

Šumen  373 Šumenković, Kosta  181 Svetovit  378, 379, 384, 385 Svištov  786 Synadinos  43 Szeged  164 Szentendre  404 T Tărgovište  719 Tărnovo  51, 53, 54, 59, 75 – 88, 90, 92, 104, 107, 110, 118, 128, 149, 150, 238, 709, 718, 784, 786, 799, 800, 844 Tatić, Pera  181 Tekelija, Sava  172 Teodorov-Balan, Aleksandăr  358, 359, 360 – 362, 572, 636 Teodosije  103, 109, 110 Tetovo  205, 214, 444, 788, 804, 811 Theophylaktos  49, 50, 59, 61 – 68, 97, 148, 357, 366, 799 Thor  545 Tiberiupolis.  Siehe Strumica Tihon, Bischof  568, 569 Timişoara  180 Tirol, Dimitrije  238, 274 Tišma, Ilija  200 Titov, T.  759 Todorović, P. J.  608, 609 Tomanović, Laza  383 Tomislav  619, 620 Topola  405, 629 Trajčev, Georgi  778, 779 Trapezici  76 Trebješanin, Radoš  495 Treskavac  121 Trifonov, Ju.  416 Tschammer und Osten, Hans von  686 Tübingen  493 Tvrtko I. Kotromanić  135, 140, 768 Tyrš, Miroslav  494 U Undoľski, Vukol  360 Ustabašiev, Christo  721, 770 Uvarov, Sergej  420

Register

V Vakarelski, Christo  791, 792 Valtrović, Mihailo  403 Varlaam, Bischof  720 Varna  334, 417, 579 Varna, Kloster  226 Varnava, Patriarch  497, 498, 523, 755, 756, 757, 760 Vasilije Ostroški  567, 607 Vasilij, Patriarch  76, 79 Vazov, Ivan  227, 369, 427, 441, 579, 705, 717, 747, 773, 794, 825 Veit  140, 370, 375 – 385, 390, 394, 493, 808, 817, 839 Velbužd  124 Velehrad  60, 284, 673 Veles  203, 242, 243, 296, 709, 782, 788 Veles (Gottheit)  545 Velica  60 Velički, Neofit  232, 328, 329, 330 Veliko Tărnovo  416 Velimirović, Nikolaj  387, 390, 391, 446, 473, 474, 478 – 480, 486, 496, 500, 502 – 511, 528 – 532, 542, 544, 546, 565, 570, 607, 652, 758, 762, 768, 769, 795, 797, 808, 819, 822, 826 – 828 Veljković, Momir  524 Venedig  56, 60 Venelin, Jurij  158, 238 Veneranda  83 Vercingetorix  839 Verdnik, Kloster  139 Vernet, Horace  378 Verona  72 Veselinović, Milojko  204 – 212, 339 Vesić, Ilarion  400 – 402 Vidin  82, 306, 308 Vizirev, Ivan  318, 319 Vladimir, hl.  162, 415, 427, 447, 736, 809, 819, 839 Vladislav  117, 118, 131, 217 Vlahović, Vl.  558 – 560 Voden  782, 788 von Richthofen, Herbert  686 Vraca  719, 739

905

Vračevšnica, Kloster  393 Vrdnik, Kloster  510 Vršac  148 Vučković, Jovan  190 – 192, 382 – 385 Vuinović, Ljubomir  179, 180 Vujić, Vladimir  521, 522 Vukan  98, 101 Vuk Grgurević  431 Vukićević, Nikola  174, 377 Vukmanović, Luka  533, 534 Vukovar  285 Vuković, Sava  163 W Weber, Max  198 Wenzel  509, 801 Wien  59, 69, 94, 129, 134, 143, 148, 161, 174, 194, 218, 259, 274, 282, 344, 386, 394, 398, 408, 493, 543, 667, 772 Wilhelm Tell  541 Wodan  545 Z Zadar  179, 382 Zagarov, Kolju  718 Zagreb  103, 130, 131, 190, 195, 196, 274, 275, 280, 293, 337, 379, 382, 398, 474, 483, 484, 490, 491, 493, 524, 557, 566, 570, 572, 575, 610, 636, 667, 682, 696, 823 Žefarović, Hristofor  58, 94, 134, 143, 148, 214 Žekov, Al. N.  773 Zemun  164, 615 Zeus  545 Žiča, Kloster  104, 381, 395, 396, 400, 403 Žiković, Pavel  568 Zlatarski, Vasil  575, 576, 600, 672, 694, 721 Zmaj, Jovan Jovanović  499 Zograf, Kloster  216, 234, 443, 791 Zürich  587 Zvečan  483

KARL KASER

ANDERE BLICKE RELIGION UND VISUELLE KULTUREN AUF DEM BALKAN UND IM NAHEN OSTEN (ZUR KUNDE SÜDOSTEUROPAS, BAND II/41)

Der pictorial turn, der seit der Mitte der 1990er-Jahre die Geistes-, Kultur-, Religions- und Sozialwissenschaften beeinflusst, hat in seiner Theoriebildung bislang eine primär auf die westliche Welt bezogene Perspektive eingenommen. Es ist eines der Ziele des Buchs, die Theoriebildung aus einem anderen Blickwinkel – dem des Balkans und des Nahen Ostens – zu erweitern. Eine zentrale These lautet, dass die Fotografie das Tor zur visuellen Kultur des Westens öffnete. Sie wurde zwar anfänglich von Judentum, Islam und Orthodoxie abgelehnt, ihre späte Akzeptanz trug dennoch wesentlich zur Säkularisierung religiöser Blickweisen bei. Gleichzeitig ermöglichte diese Zurückhaltung die beinahe konkurrenzlose Konstruktion von Bildern über den Balkan und den Nahen Osten im Sinne des Balkanismus und Orientalimus. 2013. 360 S. 81 S/W-ABB. GB. 170 X 240 MM. | ISBN 978-3-205-78952-9

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VISUELLE GESCHICHTSKULTUR HERAUSGEGEBEN VON STEFAN TROEBST IN VERBINDUNG MIT ARNOLD BARTETZKY, STEVEN A. MANSBACH UND MAŁGORZATA OMILANOWSK A

EINE AUSWAHL

BD. 12 | ARNOLD BARTETZKY, CHRISTIAN DIETZ, JÖRG HASPEL (HG.) VON DER ABLEHNUNG ZUR ANEIGNUNG? DAS ARCHITEKTONISCHE ERBE DES SOZIALISMUS IN MITTEL- UND OSTEUROPA FROM REJECTION TO APPROPRIATION? THE ARCHITECTURAL HERITAGE OF SOCIALISM IN CENTRAL AND EASTERN

BD. 9 | ARNOLD BARTETZKY NATION – STAAT – STADT ARCHITEKTUR, DENKMALPFLEGE UND VISUELLE GESCHICHTSKULTUR VOM 19. BIS ZUM 21. JAHRHUNDERT 2012. 276 S. 69 S/W- UND 177 FARB. ABB. GB. | ISBN 978-3-412-20819-6 BD. 10 | AGNIESZKA GASIOR (HG.) MARIA IN DER KRISE KULTPRAXIS ZWISCHEN KONFESSION UND POLITIK IN OSTMITTELEUROPA 2014. 388 S. 81 S/W- UND 47 FARB. ABB. GB. | ISBN 978-3-412-21077-9 BD. 11 | ARNOLD BARTETZKY, RUDOLF JAWORSKI (HG.) GESCHICHTE IM RUNDUMBLICK PANORAMABILDER IM ÖSTLICHEN EUROPA

EUROPE 2014. 297 S. 43 S/W- UND 175 FARB. ABB. GB. | ISBN 978-3-412-22148-5 BD. 13 | AGNIESZKA GASIOR, AGNIESZKA HALEMBA, STEFAN TROEBST (HG.) GEBROCHENE KONTINUITÄTEN TRANSNATIONALITÄT IN DEN ERINNERUNGSKULTUREN OSTMITTELEUROPAS IM 20. JAHRHUNDERT 2014. 352 S. 51 S/W- UND 12 FARB. ABB. GB. | ISBN 978-3-412-22256-7 BD. 14 | STEFAN ROHDEWALD GÖTTER DER NATIONEN RELIGIÖSE ERINNERUNGSFIGUREN IN SERBIEN, BULGARIEN UND MAKEDONIEN BIS 1944 2014. 905 S. 18 S/W- UND 10 FARB. ABB. GB. | ISBN 978-3-412-22244-4

2014. 213 S. 70 FARB. ABB. GB.

TT166

ISBN 978-3-412-22147-8

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