Die Zukunft der Nationen in Europa: Ist das Zeitalter der Nationen und Nationalstaaten in Europa vorüber? [1 ed.] 9783428531462, 9783428131464

Die fortschreitende europäische Integration wirft zunehmend die Frage auf, welche Rolle Nation und Nationalstaatlichkeit

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Die Zukunft der Nationen in Europa: Ist das Zeitalter der Nationen und Nationalstaaten in Europa vorüber? [1 ed.]
 9783428531462, 9783428131464

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Schriften zum Europäischen Recht Band 145

Die Zukunft der Nationen in Europa Ist das Zeitalter der Nationen und Nationalstaaten in Europa vorüber?

Von Jan Drees Kuhnen

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

JAN DREES KUHNEN

Die Zukunft der Nationen in Europa

Schriften zum Europäischen Recht Herausgegeben von

Siegfried Magiera · Detlef Merten Matthias Niedobitek · Karl-Peter Sommermann

Band 145

Die Zukunft der Nationen in Europa Ist das Zeitalter der Nationen und Nationalstaaten in Europa vorüber?

Von Jan Drees Kuhnen

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Die Juristische Fakultät der Bayerischen Julius-Maximilians-Universität Würzburg hat diese Arbeit im Wintersemester 2008/2009 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten # 2009 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0937-6305 ISBN 978-3-428-13146-4 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Für meine liebe Johanna

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2008/2009 von der Juristischen Fakultät der Bayerischen Julius-Maximilians-Universität Würzburg als Dissertation angenommen. Betreut wurde sie von Herrn Prof. Dr. Fabian Wittreck, dessen vorbildliches Engagement bei der Begleitung der Arbeit kaum zu übertreffen sein dürfte. Ihm und all jenen, die mich während der Zeit der Promotion unterstützt haben, gebührt an dieser Stelle mein herzlicher Dank. Bedanken möchte ich mich weiterhin bei Frau Prof. Dr. Stefanie Schmahl, die sich im Rahmen ihres Zweitgutachtens mit meiner Arbeit auseinandergesetzt hat, sowie ferner bei den Herausgebern dieser Schriftenreihe für die Aufnahme in selbige und dem Europäischen Rechtszentrum der Universität, das die Drucklegung der Arbeit finanziell gefördert hat. Mein besonderer Dank aber gilt meinen Eltern, und dies nicht nur, weil es üblich ist. Hamburg, Ostern 2009

Jan Drees Kuhnen

Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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A. Die Entwicklung des Nationsbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Kurze Begriffsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das mittelalterlich-lateinische „natio“ als polyseme Grundlage . . . . . . 2. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die neuzeitliche Entwicklung in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vom Kampfbegriff gegen Kaiser und Papst zum eigenbewußtseinsstiftenden Konsensbegriff im ausgehenden Mittelalter . . . . . . . . . . . . . . 2. Von der Nation als Appellationsinstanz im politisch-religiösen Konflikt zur geistig-kulturellen Bezugsgröße des barocken Kultur- und Sprachpatriotismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Politisierung des Nationsbegriffs nach der Französischen Revolution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Grundauffassungen des Nationsbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Nation als Staats- und Kulturnation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Staatsnation und Kulturnation bei Friedrich Meinecke . . . . . . . . . . b) Weitere Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Staatsnation, Sprach- oder Kulturnation und Willens- oder Gefühlsnation bei Friedrich Hertz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Westliche und östliche Auffassung von Nation bei Hans Rothfels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Westeuropäische, mitteleuropäische und osteuropäische Phase bei Theodor Schieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Westlicher, östlicher und südlicher Ansatz bei Uri Ra’anan . . ee) Volksnation, Kulturnation, Klassennation und Staatsbürgernation bei M. Rainer Lepsius . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Politisch-voluntativer und ethnisch-kultureller Nationsbegriff bei Ernst-Wolfgang Böckenförde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die beiden Grundmodelle der Nation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die subjektiv-politisch konstituierte Nation . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die objektiv-kulturell determinierte Nation . . . . . . . . . . . . . . . . d) Die Nationsbildungen Frankreichs und Deutschlands als Beispiel aa) Die französische Nation als Willensgemeinschaft . . . . . . . . . . . bb) Die deutsche Nation als Schicksalsgemeinschaft . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis e) Johann Gottfried Herder als unpolitischer Stammvater der Kulturnation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Jüngere Auffassungen von Nation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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B. Der Aufbau der Nation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Nation als Kollektivform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Mögliche Kriterien für Nationalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Abstammung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Geschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Sprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Religion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Territorium und Staatsangehörigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Nationsbildungsprozeß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Atomistischer und organischer Aufbau bei Karl Renner und Otto Bauer 1. Die atomistische Auffassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die organische Auffassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Territoriale organische Auffassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Personale organische Auffassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Das System der nationalen Autonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Bestandsaufnahme im heutigen Europa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Nationalstaaten erster Kategorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Nationalstaaten zweiter Kategorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Nationalstaaten dritter Kategorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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C. Versuche einer Modifikation des Nationalstaates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Idee eines Weltstaates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ursprünge in der antiken Philosophie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kant als Kosmopolit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Kants Entwurf „Zum ewigen Frieden“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Friedensbewegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Anfänge im angelsächsischen Raum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die schwierige Situation in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Unvereinbarkeit von Pazifismus und Nation im Nationalsozialismus . . 4. Die Rehabilitierung nach dem Zweiten Weltkrieg . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis

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III. Die Neue Ostpolitik als Zäsur im Umgang mit der Nation . . . . . . . . . . . . 1. Wandel durch Annäherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Einfluß des Bundesverfassungsgerichts auf Grundfragen der Nation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. „Selbstanerkennung“ der Bundesrepublik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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D. Die Nation als rechtliche Grundlage des Verfassungsstaates . . . . . . . . . . . . . I. Die Bedeutung kollektiver Identität für die demokratische Legitimation von Herrschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Nation als Träger der verfassunggebenden Gewalt . . . . . . . . . . . . . 2. Kollektive Identität als Verfassungsvoraussetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Identifikationsdefizit und Nationalstaatsgedanke . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Der Zusammenhang von Staatsangehörigkeit und Nationalitätskonzept . . 1. Die Entwicklung des Staatsangehörigkeitsrechts in Deutschland . . . . . a) Das Gesetz über die Erwerbung und den Verlust der Bundes- und Staatsangehörigkeit von 1870 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Das Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz von 1913 als Institution potentiell geschlossener Staatlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Der Bruch im Dritten Reich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Die Rückkehr unter dem Grundgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ius sanguinis und ius soli als Ausdruck der Nationalitätskonzepte . . . 3. Verfassungsrechtliche Grundstrukturen für die Regelung der deutschen Staatsangehörigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Bindung durch Tradition? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Bindung durch das Demokratieprinzip? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Bindung durch Art. 16 Abs. 1 GG und Art. 116 Abs. 1 GG? . . . . d) Die Lehre von der materiellen Staatsangehörigkeit . . . . . . . . . . . . . 4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Aufgabe der traditionellen Definition der Nation in Deutschland? – Vom geschlossenen Nationalstaat zu einem „offenen“ Staat? . . . . . . . . . . . 1. Der Begriff des Verfassungspatriotismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der ethnisch-kulturelle Nationsbegriff und die Schwierigkeiten bei der Eingliederung von Ausländern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Unterscheidung zwischen Staatszugehörigkeit und Nationalität . . . . . . 4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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E. Die staatliche Ordnung in Form des Nationalstaates und die europäische Integration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 I. Kurzer Rückblick auf den Europagedanken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 1. Vorläufer des Europagedankens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215

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Inhaltsverzeichnis 2. Vom Schuman-Plan bis zum Vertrag von Lissabon . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Auswirkungen der europäischen Integration auf Staatsgebiet, Staatsvolk und Staatsgewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Staatsgebiet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Staatsvolk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Staatsgewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Nationale Identität im Interesse der europäischen Integration . . . . . . . . . . 1. Ein Europa der Regionen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ein Europa der Nationen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Ergebnisse im Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293

Abkürzungsverzeichnis AöR APO Art. AuslG BArbBl. Bd. BGBl. bspw. BV BVerfG BVerfGE BVFG bzgl. bzw. DDR dems. dens. ders. DGB d.h. dies. Diss. iur. Diss. phil. DÖV DRiZ DVBl. DVP EAG ebd. EEA EG EGKS EMRK etc. EU EuGH

Archiv des öffentlichen Rechts Außerparlamentarische Opposition Artikel Ausländergesetz Bundesarbeitsblatt Band Bundesgesetzblatt beispielsweise Bayerische Verfassung Bundesverfassungsgericht Bundesverfassungsgerichtsentscheidungen Gesetz über die Angelegenheiten der Vertriebenen und Flüchtlinge bezüglich beziehungsweise Deutsche Demokratische Republik demselben denselben derselbe Deutscher Gewerkschaftsbund das heißt dieselben Dissertatio iuris Dissertatio philosophiae Die Öffentliche Verwaltung Deutsche Richterzeitung Deutsches Verwaltungsblatt Deutsche Verwaltungspraxis Europäische Atomgemeinschaft ebendort Einheitliche Europäische Akte Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl Europäische Menschenrechtskonvention et cetera Vertrag über die Europäische Union Europäischer Gerichtshof

14 EuGRZ EuR Euratom EuZW EWG FamRZ Fn. GASP gem. GG Hrsg. hrsg. HStR IPRax i.V. m. JA Jura JuS JZ KJ KPD KritV Lfg. Mass. m.w. H. m.w. N. NATO n. Chr. NJW N. N. Norddt. NSDAP NVwZ PJZS RdJB RGBl. Rn. Rs. RuP RuStAG RV

Abkürzungsverzeichnis Europäische Grundrechte Zeitschrift Europarecht Europäische Atomgemeinschaft Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Zeitschrift für das gesamte Familienrecht Fußnote Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik gemäß Grundgesetz Herausgeber herausgegeben Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts in Verbindung mit Juristische Arbeitsblätter Juristische Ausbildung Juristische Schulung Juristenzeitung Kritische Justiz Kommunistische Partei Deutschlands Kritische Vierteljahreszeitschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft Lieferung Massachusetts mit weiteren Hinweisen mit weiteren Nachweisen North Atlantic Treaty Organization nach Christus Neue Juristische Wochenschrift Nomen nescio Norddeutschen Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen Recht der Jugend und des Bildungswesens Reichsgesetzblatt Randnummer Rechtssache Recht und Politik Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz Reichsverfassung

Abkürzungsverzeichnis S. SDS SED Slg. sog. Sp. SPD StAG StAngRegG StAZ u. a. USA v. a. v. Chr. VerwArch. vgl. VVDStRL VVE WRV ZaöRV ZAR z. B. ZBJI ZFSH/SGB ZRP

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Seite Sozialistischer Deutscher Studentenbund Sozialistische Einheitspartei Deutschlands Sammlung sogenannte, sogenannten Spalte Sozialdemokratische Partei Deutschlands Staatsangehörigkeitsgesetz Gesetz zur Regelung von Fragen der Staatsangehörigkeit Das Standesamt. Zeitschrift für Standesamtswesen und andere, unter anderem Vereinigte Staaten von Amerika vor allem vor Christus Verwaltungsarchiv vergleiche Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Vertrag über eine Verfassung für Europa Weimarer Reichsverfassung Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht Zeitschrift für Ausländerrecht und Ausländerpolitik zum Beispiel Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres Zeitschrift für Sozialhilfe und Sozialgesetzbuch Zeitschrift für Rechtspolitik

Einleitung 1. Zuweilen ist von der „Dämmerung des Nationalstaats“1 die Rede, von Abschied oder gar von seinem Absterben.2 Daß der Nationalstaat klassischer Prägung sich überlebt hat, ist keine Einzelmeinung.3 Vor allem der durch die Entstehung von externen Abhängigkeiten und die Abwanderung von Entscheidungsgewalt schwindene Raum für selbständige Entscheidungen der Nationalstaaten stützt derartige Urteile4, aber auch die Gefährdung nationaler Identität durch multiethnischen Immigrationsdruck. Eine der Grundüberzeugungen des Historismus, nämlich die, daß alle historischen Phänomene kommen und vergehen, ohne je einen Ewigkeitswert zu gewinnen, mag zwar auch für das nun schon seit mindestens rund 230 Jahren anhaltende Phänomen des Nationalstaates5 gelten, dennoch besteht Grund zu der Annahme, daß so manch Abgesang verfrüht angestimmt worden ist: Die Idee der Nation hat eine für viele unerwartete Renaissance erlebt.6 Das Ende 1 K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 20. Aufl. 1995, S. 51. 2 Vgl. M. Albrow, Abschied vom Nationalstaat, 1998; M. G. Losano, Der nationale Staat zwischen Regionalisierung und Globalisierung, in: J. Huber (Hrsg.), Darstellung: Korrespondenz, 2000, S. 187 (207); E. Popov, Der Prozess des Absterbens des Nationalstaates als Determinante der europäischen Einigung. Das Ende der nationalstaatlichen Souveränität, in: K. Dorner u. a. (Hrsg.), Europäische Integrationsperspektiven. Ambivalenzen der Entwicklung und Lösungsansätze, 2001, S. 125 (passim). 3 Vgl. z. B. G. Nicolaysen, der einen Aufsatz, in dem er der Frage nachgeht, „in welchem Verhältnis die Phänomene von Staat, Nation und Volk in ihrer gegenwärtigen Gestalt zum Prozeß der europäischen Einigung stehen“, so überschreibt: ders., Der Nationalstaat klassischer Prägung hat sich überlebt, in: O. Due/M. Lutter/J. Schwarze (Hrsg.), Festschrift für Ulrich Everling, Bd. 1, 1995, S. 945 (945 f.). 4 Diese basieren oft auf der Annahme, daß staatliche Souveränität dabei ist, sich in regionale, transnationale und supranationale Institutionen und Vereinigungen aufzulösen. Die Gegenansicht kritisiert, „[d]ie These vom Ende des Nationalstaates beruh[e] in der Regel auf einem antiquierten, wenn nicht gar unrealistischen Staatsverständnis.“: G. Zenkert, Der Nationalstaat und seine Verfassung, in: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 93 (2007), S. 101 (103). 5 Der Nationalstaat verknüpft zwei Ordnungsideen der Moderne miteinander, den Staat und die Nation: M. R. Lepsius, Der europäische Nationalstaat: Erbe und Zukunft, in: ders., Interessen, Ideen und Institutionen, 1990, S. 256 (256). 6 „Wie man sich auch dreht und wendet, ja windet, die Nation ist wieder da und der Nationalstaat mit ihr, und zwar hier, mitten in Europa, in Deutschland.“: R. Dahrendorf, Die Sache mit der Nation, in: Merkur 44 (1990), S. 823 (823). Vgl. auch K.-R. Korte, Das Dilemma des Nationalstaates in Westeuropa: Zur Identitätsproblematik der europäischen Integration, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 1993, S. 21 (21);

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des Kalten Krieges hat ihr zu einem Auftrieb verholfen, der sich in der Wiedervereinigung und dem damit verbundenen Souveränitäts- und Machtgewinn Deutschlands ebenso niedergeschlagen hat wie im Wiederaufleben eines friedlich-separatistischen bis aggressiv-expansionistischen Nationalismus im Osten und Südosten Europas.7 „Überall dort, wo gegenwärtig einigermaßen geordnete politische Verhältnisse herrschen, prägen nationalstaatliche Strukturen die politische Welt.“8 Dies wird nicht immer positiv bewertet. Wie ein Schatten liegt die ideologische Inanspruchnahme des Nationalen im Sinne eines chauvinistischen Nationalismus über der Geschichte des Nationalstaates.9 Die Kritik sieht im Nationalismus eine pathologische Entgleisung der Geschichte und des Fortschritts. Der Philosoph Karl Jaspers10 meinte festzustellen, „daß der Nationalstaatsgedanke heute das Unheil Europas und nun auch aller Kontinente ist“11. Und doch ist die Geschichte des Nationalstaates eine Erfolgsgeschichte, die es verbietet, simplifizierend eingleisige Kausalverbindungen herzustellen und die Nationsbildungen des 19. Jahrhunderts als Ursprung aller Verbrechen oder gar als „Irrweg“ anzusehen.12 Immerhin hat sich der moderne liberale und demokratische Staat historisch als Nationalstaat realisiert. R. Schmücker/R. Hering, Identität und Nation. Über eine vermeintliche Zukunftsfrage der Deutschen, in: G. Orsi u. a. (Hrsg.), Nation, Nationalstaat, Nationalismus, 1994, S. 33 (33); H. Münkler, Reich, Nation, Europa. Modelle politischer Ordnung, 1996, S. 61; J. Isensee, Nationalstaat und Verfassungsstaat – wechselseitige Bedingtheit, in: R. Stober (Hrsg.), Recht und Recht. Festschrift für Gerd Roellecke zum 70. Geburtstag, 1997, S. 137 (137); W. Mäder, „Multikulturelle Gesellschaft“. Konstrukt ohne Integrationspotential, in: ZFSH/SGB 1999, S. 3 (17); ähnlich H. Wagner, „Verfassungspatriotismus“ als negativer Nationalismus, in: Aussenpolitik 1993, S. 243 (243); J. Echternkamp, Der Aufstieg des deutschen Nationalismus (1770–1840), Diss. phil. Bielefeld 1996, S. 13; H. Walkenhorst, Europäischer Integrationsprozeß und europäische Identität. Zur politikwissenschaftlichen Bedeutung eines sozialpsychologischen Konzepts, 1999, S. 99; T. Schmitz, Das europäische Volk und seine Rolle bei einer Verfassunggebung in der Europäischen Union, in: EuR 38 (2003), S. 217 (218). 7 R. Knieper sieht die „Manifestationen ungebrochener, gar neu erwachender nationaler Bewegungen“ als Ausdruck der Schwäche des Nationalstaates: ders., Nationale Souveränität. Versuch über Ende und Anfang einer Weltordnung, 1991, S. 89. Ohnehin zwinge die Transnationalisierung der Produktion den Akteuren die Denationalisierung des Staates auf: ebd., S. 98. Knieper verkennt bei seiner fast ausschließlich auf wirtschaftlichen Argumenten aufbauenden Einschätzung, daß bei einem solchen Thema nicht nur rationale Topoi Gewicht haben. 8 Zenkert, Nationalstaat (Fn. 4), S. 101; D. Kluxen-Pyta, Nation und Ethos. Die Moral des Patriotismus, Diss. phil. Bonn 1990, S. 20. 9 Zenkert, Nationalstaat (Fn. 4), S. 101. Der Begriff der Nation bereite gar „Unbehagen“. 10 Geboren 1883 in Oldenburg, gestorben 1969 in Basel: N. N., in: W. Killy/R. Vierhaus (Hrsg.), Deutsche Biographische Enzyklopädie, Bd. 5, 1997, S. 309. 11 Zitiert nach B. Giesen, Einleitung, in: ders. (Hrsg.), Nationale und kulturelle Identität. Studien zur Entwicklung des kollektiven Bewußtseins in der Neuzeit, 1991, S. 9 (11).

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Ein weiterer Grundterminus dieses Themenbereichs ist der Begriff des Nationalismus.13 Auch wenn dieser nach und nach in enge Beziehung zum Begriff der Nation gerückt wurde, von ihm abgeleitet und auf ihn bezogen wird, soll er hier jedoch aus verschiedenen Gründen keine nähere Beachtung finden. Was die begriffliche Entwicklung angeht, so hat der Begriff des Nationalismus einen anderen historischen Hintergrund als der der Nation. Während „Nation“ seinen Ursprung in vormoderner Zeit hat, entstand „Nationalismus“ als eine Neubildung im politischen Diskurs, bezeichnete eine politische oder gedankliche Einstellung und war seit Beginn des 20. Jahrhunderts ein mit Werturteilen belastetes Instrument des politischen Kampfes14. Die Arbeit geht davon aus, daß die Nation nicht nur begrifflich vor dem Nationalismus anzusiedeln ist. Sie ist nicht eine Erfindung, nicht das Werk eines abstrakten Nationalismus, nicht dessen bloßes Produkt oder Objekt. Die Nation ist nicht über den Nationalismus zu bestimmen15. Die Konzentration soll also der Nation bzw. dem Nationalstaat gelten und nicht dem Nationalismus, wie auch immer man diesen Begriff definieren mag.16 Zwei Entwicklungen sind es, die die Zukunft der Nationen und Nationalstaaten in Europa ungewiß erscheinen lassen: Zum einen die Differenzierung von außen durch Zuwanderung, zum anderen die Wendung nach außen durch wechselseitige offene Kommunikation über Grenzen hinweg. Bis heute aber stellt die nationalstaatliche Ordnung in Europa das maßgebliche politisch-soziale Ordnungsprinzip dar, und es ist fraglich, ob ihre Ersetzung durch andere Bezugsgrößen in absehbarer Zeit realistisch ist. Die Beantwortung dieser Frage hat sich die vorliegende Arbeit zum Ziel gesetzt. 2. Eine Beschäftigung mit diesem ungewöhnlich heterogenen Thema bezieht wegen ihrer engen Verknüpfung mit dem Staatsrecht notwendig historische, so12 M. Hroch, Das Europa der Nationen. Die moderne Nationsbildung im europäischen Vergleich, 2005, S. 9. Nicht übersehen werden darf die Kehrseite der oft angeklagten kriegerischen Tendenz des Nationalstaates, die innere Befriedung: B. Estel, Grundaspekte der Nation, in: ders./T. Mayer (Hrsg.), Das Prinzip Nation in modernen Gesellschaften. Länderdiagnosen und theoretische Perspektiven, 1994, S. 13 (65 f.). 13 Dieser Begriff beginnt sich in der Wissenschaft zunächst in den USA der Zwischenkriegszeit zu etablieren, vgl. M. S. Handman, The Sentiment of Nationalism, in: Political Science Quarterly, Jg. 36, 1921, S. 104 (107); C. J. H. Hayes, The Historical Evolution of Modern Nationalism, New York 1931; L. Wirth, Types of Nationalism, in: American Journal of Sociology 41 (1936), S. 723 ff. 14 Hroch, Europa (Fn. 12), S. 12. 15 So aber E. Lemberg, Nationalismus I. Psychologie und Geschichte, 1964, S. 50 ff.; ders., Nationalismus II. Soziologie und politische Pädagogik, 2. Aufl. 1968, S. 28 ff.; E. Gellner, Nationalismus und Moderne, 1991, S. 87. 16 T. Veiter versucht es wie folgt: „Nationalismus ist eine chauvinistisch übersteigerte Ausformung der Idee der Nation mit Blickrichtung auf den Nationalstaatsgedanken.“: ders., Deutschland, deutsche Nation und deutsches Volk. Volkstheorie und Rechtsbegriffe, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 1973, S. 3 (21).

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ziologische und politische Dimensionen ein. Für die Geschichtsforschung stellt die Nation seit langem ein zentrales Thema dar17, während die Soziologie jahrzehntelang eher an der vertikalen Gliederung der Gesellschaft in Schichten oder Klassen interessiert war18. Arbeitet die Geschichtswissenschaft eher empirisch und induktiv und mit typologisch angelegten Modellen, geht die Sozialwissenschaft hingegen eher deduktiv und auf höherem Abstraktionsniveau vor. Trotz zum Teil unterschiedlicher Problemwahrnehmung19 haben sich die einzelnen Disziplinen bei der Erforschung des Phänomens Nation in den letzten Jahrzehnten immer mehr angenähert.20 Die Thematik der Nation stellt jedoch ein höchst unübersichtliches Gelände dar, zumal in terminologischer Hinsicht nur ein Minimalkonsens erreicht wurde.21 An der exakten begrifflichen Festlegung der menschlichen Organisationsform Nation arbeitet die Wissenschaft schon seit dem vorletzten Jahrhundert, ohne daß es zu überzeugenden, allgemein anwendbaren Modellen gekommen wäre. Zu unterschiedlich sind die geschichtlichen Erfahrungen der verschiedenen Völker, als daß ein einheitliches Nationsverständnis sich hätte entwickeln können. 3. Um die im Titel aufgeworfene Frage zu beantworten, müssen also verschiedene Disziplinen herangezogen werden, der interdisziplinäre Ansatz entspricht insofern dem Untersuchungsgegenstand.22 Aufgrund der nicht mehr zu überschauenden Fülle von Literatur setzt sich allerdings jede Arbeit auf diesem Gebiet dem Vorwurf aus, unvollständig zu sein oder allzu Bekanntes zu wieder17

Vgl. nur die Arbeiten von Meinecke, Rothfels, Wittram oder Schieder. So Lemberg, Nationalismus II (Fn. 15), S. 11; dagegen sprechen allerdings die Arbeiten von Hertz und Kohn. 19 Vgl. K. W. Deutsch, Nationenbildung – Nationalstaat – Integration, 1972, S. 16 f.: Historiker sprächen organismisch vom „Wachstum der Nationen“, Sozialwissenschaftler von „nationaler Entwicklung“ und Politikwissenschaftler von „Nationenbildung“. 20 M. Hroch, Nationales Bewußtsein zwischen Nationalismustheorie und der Realität der nationalen Bewegungen, in: E. Schmidt-Hartmann (Hrsg.), Formen des nationalen Bewußtseins im Lichte zeitgenössischer Nationalismustheorien. Vorträge der Tagung des Collegium Carolinum in Bad Wiessee vom 31. Oktober bis 3. November 1991, 1994, S. 39 (39 f.). 21 Hroch, Europa (Fn. 12), S. 11. Sofern Definitionsversuche unternommen werden, sind diese häufig zirkulär in dem Sinne, daß als Nation diejenige Gemeinschaft gilt, die sich selbst als Nation versteht: Mit weiteren Nachweisen Zenkert, Nationalstaat (Fn. 4), S. 101. Wohl nicht ganz ernst gemeint ist der Hinweis von K. W. Deutsch: „Eine Nation ist eine Gruppe von Menschen, die durch einen gemeinsamen Irrtum hinsichtlich ihrer Abstammung und eine gemeinsame Abneigung gegen ihre Nachbarn geeint ist“: ders., Der Nationalismus und seine Alternativen, 1972, S. 9. Plausibel erscheint es, in einer Nation eine zahlenmäßig starke Gemeinschaft zu sehen, die sowohl durch objektiv bestimmbare Umstände als auch durch ein Zusammengehörigkeitsgefühl definiert ist. 22 So auch H. Berding, Vorwort, in: ders. (Hrsg.), Mythos und Nation. Studien zur Entwicklung des kollektiven Bewußtseins in der Neuzeit 3, 1996, S. 7. 18

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holen. Beides ist unabdingbar. Der Weite des Themas angemessen wird über einige Komplexe lediglich ein den Forschungsstand zusammenfassender Überblick gegeben und werden Schwerpunkte an den Stellen gesetzt, die zur Beantwortung der zentralen Frage besonders hilfreich erscheinen. Die Arbeit gliedert sich in fünf Teile. Der erste Teil (A.) zeichnet die Entwicklung des Nationsbegriffs nach. Er beleuchtet die Etymologie und stellt die historische Entwicklung in Deutschland seit dem ausgehenden Mittelalter dar und zeigt so den neuzeitlichen Bedeutungswandel und nicht zuletzt Bedeutungsgewinn des Begriffs. Ausgehend von Friedrich Meineckes Differenzierung zwischen „Staatsnationen“ und „Kulturnationen“ bringt er im folgenden verschiedene Grundauffassungen von Nation zur Darstellung und reduziert diese auf zwei Grundmodelle, die anschließend am Beispiel der Nationsbildungen Frankreichs und Deutschlands unter kurzer Würdigung des Beitrags Johann Gottfried Herders veranschaulicht werden. Schließlich wird ein knapper Überblick über jüngere Auffassungen von Nation gegeben. Thema des zweiten Teils (B.) ist der Aufbau der Nation. Er versucht, die der Nation als Kollektivform zugrundeliegenden Strukturen aufzuzeigen und untersucht dazu mögliche Kriterien für Nationalität und den Prozeß der Nationsbildung. An die im System der nationalen Autonomie gipfelnden Auffassungen Karl Renners und Otto Bauers schließt sich eine Bestandsaufnahme an, die die im heutigen Europa bestehenden Staaten nach dem Grad ihrer Nationalstaatlichkeit kategorisiert. Auf dieser Basis stellt der dritte Teil (C.), ohne auf die später thematisierte europäische Integration vorzugreifen, Ideen, Bewegungen und Situationen dar, aus denen verschiedene Einstellungen zum Nationalstaat und gegebenenfalls deren Versuche seiner Überwindung ablesbar sind. Unter Einbeziehung Immanuel Kants wird zunächst die ursprünglich antike Idee des Weltstaates vorgestellt, bevor sich die Arbeit unter Einbeziehung eines kurzen Blicks auf die Nation im Nationalsozialismus den Friedensbewegungen zuwendet und schließlich die Auswirkungen der Neuen Ostpolitik unter dem Einfluß des Bundesverfassungsgerichts betrachtet. Den Schwerpunkt der Arbeit bilden ihr verbleibender vierter und fünfter Teil (D. und E.). Ersterer nimmt die Nation als rechtliche Grundlage des Verfassungsstaates in den Blick. So fragt er eingangs nach der Bedeutung kollektiver Identität für die demokratische Legitimation von Herrschaft. Um den Zusammenhang von Staatsangehörigkeit und Nationalitätskonzept zu verdeutlichen, werden im folgenden die Entwicklung des Staatsangehörigkeitsrechts in Deutschland dargestellt, ius sanguinis und ius soli als Ausdruck der Nationalitätskonzepte erörtert, und es wird der Frage nachgegangen, ob eine Bindung der Staatsangehörigkeitsregelungen durch verfassungsrechtliche Grundstrukturen besteht. Alsdann fragt die Arbeit nach einem von innen durch das Konzept des

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Verfassungspatriotismus oder von außen durch Einwanderung angestoßenen Wandel des deutschen Verständnisses von Nation, um darauf den Vorschlag eines staatsangehörigkeitsrechtlichen Modells, das sowohl nationale Identität festigen als auch Integrationsprobleme mildern soll, zu skizzieren. Der fünfte Teil (E.) weitet die Überlegungen zur Zukunft des Nationalstaates auf die europäische Integration aus. Er verfolgt den Weg der europäischen Integration und ihrer Vorläufer vom Mittelalter bis zum Vertrag von Lissabon und betrachtet die Auswirkungen dieser auf Staatsgebiet, Staatsvolk und Staatsgewalt der Nationalstaaten. Die Arbeit schließt, nach Beleuchtung verschiedener Ansätze zur europäischen Einigung, mit einem Versuch der Widerlegung eines vermeintlichen Antagonismus von nationalem bzw. nationalstaatlichem Denken und europäischer Einigung.

A. Die Entwicklung des Nationsbegriffs Der erste Teil versucht, sich der Nation etymologisch zu nähern. Zunächst geht er der Herkunft des Begriffs der Nation nach (I.), um sich dann seiner historischen Entwicklung im neuzeitlichen Deutschland, also der Frage, was wann unter Nation verstanden wurde, zu widmen (II.). Im folgenden werden verschiedene Grundauffassungen von Nation vorgestellt (III.), d.h. zwei ihrer Grundmodelle erläutert und am Beispiel der Nationsbildungen Frankreichs und Deutschlands veranschaulicht, der diesbezügliche Beitrag Johann Gottfried Herders beleuchtet und schließlich ein knapper Überblick über jüngere Auffassungen von Nation gegeben.

I. Kurze Begriffsgeschichte 1. Das mittelalterlich-lateinische „natio“ als polyseme Grundlage Der selten eindeutig und ausdrücklich definierte Begriff 23 „Nation“ ist ein eingedeutschter Terminus der lateinischen Sprache. Er hat seinen Ursprung im lateinischen Wort „natio“, das von „nasci“, „geboren werden“, stammt.24 „Natio“ gehört zu dem Verb „gignere“, was „erzeugen, hervorbringen“ bedeutet. Daneben scheint es ein älteres Verb „gignare“ mit dem Perfekt passivi „gignatus“ zu geben. Dessen Stammsilbe ist unbetont und geht über mehrere 23 M. Stolleis weist auf Zweifel gegenüber dem Begriff des Begriffs hin. Diese könnten das Mißverständnis vermeiden, es gebe oberhalb der Quellentexte eine überhistorische sprachliche Ebene, der die sprachlichen Befunde zugeordnet werden könnten. Begriffe seien Worte und diese keineswegs eindeutig. Hinter der im wissenschaftlichen Alltag behaupteten Differenz vermutet Stolleis Restbestände von Metaphysik: ders., Rechtsgeschichte als Kunstprodukt. Zur Entbehrlichkeit von „Begriff“ und „Tatsache“, 1997, S. 12, 27. 24 H. O. Ziegler, Die moderne Nation. Ein Beitrag zur politischen Soziologie, 1931, S. 21; W. Schlesinger, Die Entstehung der Nationen. Gedanken zu einem Forschungsprogramm, in: H. Beumann/W. Schröder (Hrsg.), Aspekte der Nationenbildung im Mittelalter. Ergebnisse der Marburger Rundgespräche 1972–1975, 1978, S. 11 (18); H.-J. Becker, Natio, in: A. Erler/E. Kaufmann (Hrsg.), Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Bd. 3, 1984, S. 862 (862); U. Dierse/H. Rath, Nation, Nationalismus, Nationalität, in: K. Gründer/J. Ritter (Hrsg.), Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 6, 1984, Sp. 406 (406); T. Mayer, Prinzip Nation. Dimensionen der nationalen Frage am Beispiel Deutschlands, 2. Aufl. 1987, S. 21; F. Kluge, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, 24. Auflage 2002, S. 646; Hroch, Europa (Fn. 12), S. 11. Natio ist in der römischen Antike wohl auch die Göttin der Geburt.

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A. Die Entwicklung des Nationsbegriffs

Schwundstufen hinweg verloren: aus „gignatus“ wird „gnatus“ und schließlich „natus“, „geboren“. So kommt es, daß sich das Passiv von „gignere“ wie folgt entwickelt: aus dem altlateinischen „gnascor, gnatus“, wird „nasci, nascor, natus sum“. Daher stammt nun das Substantiv „natio“.25 Die Bedeutungsvielfalt von „natio“ ist beträchtlich: Der Begriff bezeichnet Geburt und Abstammung, den Herkunftsort einer Person oder auch einer Sache, bedeutet „Völkerschaft“ und „Volksstamm“ sowie „angeborene, natürliche Beschaffenheit“, „Geschlecht“ und „Art“. Auch kann der Begriff eine besondere Gruppe eines Volkes oder ironisch eine bestimmte Sorte oder Gattung von Menschen, die ein gemeinsames Merkmal auszeichnet, meinen.26 So faßt etwa Cicero unter diesem Begriff die Gruppe der Aristokraten zusammen, für Plinius ist eine Philosophenschule eine „natio“.27 Hauptsächlich jedoch meint „natio“ in der Antike die Geburt und damit zusammenhängend die Abkunft oder Herkunft und im übertragenen Sinne eine wenigstens fiktiv durch gemeinsame Abkunft bestimmte ethnische Gruppe28, häufig als Gegenbegriff zur „civitas“, also als Begriff für eine unzivilisierte Völkerschaft, die zwar einer Herkunft ist, scheinbar jedoch ohne das innere politische und gesellschaftliche Gefüge, das ein zivilisiertes Volk ausmacht.29 Sich selbst bezeichnen die Römer als „populus“, frühere nichtrömische Völker tragen den Terminus „gentes“. „Natio“ weist hingegen gemeinhin auf Ausdrücke wie „Menschenschlag“ hin30 und wird bis ins frühe Mittelalter auch in abwertendem Sinn gebraucht, wie der Ausdruck „natio barbarorum“, d.h. nicht romanischer Abkunft, oder der Plural „nationes“, d.h. Heiden, verdeutlichen.31 Engster Verwandter von „Nation“ in der großen und wichtigen Wortgruppe der Wörter, die „gignere“ als Grundwort haben, ist das Wort „Natur“. „Erst wenn diese Verwandtschaft erinnert ist, bekommt der Begriff der Nation die gehörige Farbe. [. . .] Das Wort betont die Abstammung aus gemeinsamem Ursprung, die natürliche Zusammengehörigkeit einer Men25 F. Vonessen, Die Idee der Nation und ihr ideologisches Zerrbild. Überlegungen im Umkreis des platonischen Staatsmythos, in: P. Krüger (Hrsg.), Deutschland, deutscher Staat, deutsche Nation. Historische Erkundungen eines Spannungsverhältnisses, 1993, S. 25 (26). 26 Dierse/Rath, Nation (Fn. 24), Sp. 406. Diese Wortbedeutung bleibt auch später im Deutschen erhalten, so wenn z. B. Goethe sagt: „Wir Mädchen sind doch eine wunderliche Nation.“, zitiert nach Ziegler, Nation (Fn. 24), S. 21. 27 H. Schulze, Staat und Nation in der europäischen Geschichte, 2. Aufl. der Sonderausgabe 2004, S. 112. 28 Schlesinger, Entstehung (Fn. 24), S. 18. 29 Als nationes im Sinne von Eingeborene werden beschrieben die Heiden der Vulgata, die Barbaren des Isidor von Sevilla, die ungläubigen mohammedanischen Horden des Bernhard von Clairvaux, die germanischen Großstämme des frühen Mittelalters: Schulze, Staat (Fn. 27), S. 112. 30 Ziegler, Nation (Fn. 24), S. 21. 31 Kluge, Wörterbuch (Fn. 24), S. 646; H. J. Luibl, Art. Nation (Th), in: W. Heun u. a. (Hrsg.), Evangelisches Staatslexikon, 2006, Sp. 1573 (1573).

I. Kurze Begriffsgeschichte

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schengruppe durch Blutsbande; es verweist auf eine Wesenseinheit, die auch zeitlich getrennte, ja, weit auseinanderliegende Generationen – wörtlich: Zeugungen – umfaßt und miteinander verbindet.“32 Der Begriff „Nation“ steht in der Sprachwelt der Antike also keineswegs für eine politisch wesentliche und werthafte Gemeinschaftsform, „der Unterschied zur heutigen [. . .] Wortbedeutung ist radikal“33. Mit der Erkenntnis, daß geläufige ethnische Gebilde älterer Art nicht mehr die letzte Instanz der Menschheitsgliederung sind, sondern begonnen haben, in größere Zusammenhänge hineinzuwachsen, werden verwandte Großgruppen über interne Unterschiede hinweg als zusammengehörig erfaßt.34 Als Bezeichnung dieser Großgruppen wird im Mittelalter neben den Begriffen „gens“ und „populus“ häufig der Begriff „natio“ herangezogen35, und zwar so, daß die übergreifende „natio“ sich in eine Mehrzahl kleinerer „nationes“ gliedern kann. Dabei tritt neben der geographischen Geschlossenheit der so bezeichneten Gruppe die ethnologisch klassifizierende Qualität des Wortes stark hervor, während das politisch-rechtliche Moment weiterhin meist fehlt.36 „Natio“ ist also auch im Mittelalter ein Begriff für „eine Menschengruppe, die durch ihre Abstammung und die daraus herrührenden Gemeinsamkeiten verbunden ist“37. Abstammung läßt sich dabei zum einen vom Zeugungszusammenhang her („gens“), zum anderen von der Geburt her („natio“) begreifen.38 Der Begriffsumfang von „natio“ kann sich mit „gens“ decken, sich aber genauso gut auf nur einen Teil von ihr beschränken oder im Gegenteil weit über 32

Vonessen, Idee (Fn. 25), S. 26. Ziegler, Nation (Fn. 24), S. 21 f. 34 H.-D. Kahl, Einige Beobachtungen zum Sprachgebrauch von natio im mittelalterlichen Latein mit Ausblicken auf das neuhochdeutsche Fremdwort „Nation“, in: H. Beumann/W. Schröder (Hrsg.), Aspekte der Nationenbildung im Mittelalter. Ergebnisse der Marburger Rundgespräche 1972–1975, 1978, S. 63 (65, 76). 35 Auch im Mittelalter hat der heutige Begriff „Nation“ in keiner der in Betracht kommenden Sprachen eine unmittelbare Entsprechung. Dennoch besteht zwischen dem mittelalterlich-lateinischen Begriff „natio“ und dem Begriff „Nation“ zweifelsfrei eine etymologische Verbindung: Kahl, Beobachtungen (Fn. 34), S. 63 f. 36 Kahl, Beobachtungen (Fn. 34), S. 76. 37 U. Nonn, Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation. Zum Nationen-Begriff im 15. Jahrhundert, in: Zeitschrift für Historische Forschung 9 (1982), S. 129 (130 f.). 38 „Gens“ stellt das durch eine Generationenfolge geknüpfte Band, „natio“ den Schauplatz der Geburt in den Vordergrund: G. Landwehr, „Nation“ und „Deutsche Nation“. Entstehung und Inhaltswandel zweier Rechtsbegriffe unter besonderer Berücksichtigung norddeutscher und hansischer Quellen vornehmlich des Mittelalters, in: H. Ackermann/J. Albers/K. A. Bettermann (Hrsg.), Aus dem Hamburger Rechtsleben. Walter Reimers zum 65. Geburtstag, 1979, S. 1 (5); Nonn, Reich (Fn. 37), S. 131; Kahl, Beobachtungen (Fn. 34), S. 103. Letzterer eröffnet zwei weitere Bedeutungsstränge: den Ort der Geburt und die rechtliche Situation, in die man hineingeboren wird. Dabei kann nicht nur das Volks- oder Stammesrecht in Betracht kommen, sondern auch das Recht des Geburtsstandes: ebd., S. 67, 106. 33

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A. Die Entwicklung des Nationsbegriffs

eine einzelne „gens“ hinausgreifen.39 Ganz überwiegend werden die beiden Begriffe in mittelalterlichen Quellen synonym verstanden.40 Dort kehren auch die anderen Bedeutungen des antiken „natio“ wieder41, es überwiegt jedoch der Gebrauch von „natio“ im oben beschriebenen Sinne. Allerdings kann der mittelalterliche Nationsbegriff nicht mittels derselben Grundmerkmale, die zur Definition moderner Nationsbegriffe herangezogen werden, definiert werden. Auch wenn der Benediktiner Regino, Abt von Prüm42 von den „nationes populorum“, die durch Abstammung, Sitten, Sprache und Gesetze voneinander verschieden seien, spricht43 – die von ihm genannten und überraschend modernen Kriterien erweisen sich für den engeren Begriff der „natio“ des mittelalterlichen Lateins als sekundär und nicht wesentlich. Maßgeblich für die Begriffsbestimmung bleibt der rein formale Gesichtspunkt eines durch Geburtszusammenhänge bedingten Zustandes und aus ihm sich ergebender Gruppengemeinsamkeiten.44 Ebensowenig orientieren sich die Bezeichnungen universitärer Landsmannschaften, konziliarer Gliederungen und kaufmannschaftlicher Vereinigungen an diesen Kriterien. So ist zwar an den Universitäten die Einteilung in Nationen seit dem 13. Jahrhundert bezeugt45, jedoch handelt es sich vor allem um Herkunftsbezeichnungen lokaler und nicht nationaler Art. Die Ergebnisse dieser Einteilungen fallen allerdings wegen der ihnen zugrundeliegenden verschiedenen Prinzipien höchst unterschiedlich aus. Gliederungen oder Zusammenschlüsse aufgrund sprachlicher und kultureller Gemeinsamkeiten entstehen nicht. Daher können die Universitätsnationen auch nicht mit einem Nationalbewußtsein im späteren Sinne in Verbindung gebracht werden, sondern handelt es sich bei ihnen lediglich um „Korporationen landsmannschaftlicher Art [. . .], die sich allenfalls an weltlichen oder kirchlichen Grenzen anlehnen“46. Dennoch scheint das Nationenprinzip von den Universitäten her in die Konzilien übernommen worden zu sein47, um so Probleme der Geschäftsordnung und des 39

Kahl, Beobachtungen (Fn. 34), S. 103. Mit einigen Beispielen aus mittelalterlichen Quellen Nonn, Reich (Fn. 37), S. 131 f. 41 Mit vielen Beispielen Landwehr, Nation (Fn. 38), S. 3 ff. 42 Gestorben 915 in Trier. Seine „Chronica“, eine Weltgeschichte von der Geburt Christi bis 906, findet im Mittelalter weite Verbreitung: N. N., in: W. Killy/R. Vierhaus (Hrsg.), Deutsche Biographische Enzyklopädie, Bd. 8, 1998, S. 186. 43 Kahl, Beobachtungen (Fn. 34), S. 65. 44 Kahl, Beobachtungen (Fn. 34), S. 103. 45 Nonn, Reich (Fn. 37), S. 133; vgl. auch G. Kaufmann, Geschichte der deutschen Universitäten, Bd. 2: Entstehung und Entwicklung der deutschen Universitäten bis zum Ausgang des Mittelalters, 1896, Abdruck 1958, S. 59 ff. 46 Nonn, Reich (Fn. 37), S. 134. 47 A. Werminghoff, Der Begriff „Deutsche Nation“ in Urkunden des 15. Jahrhunderts, in: Historische Vierteljahresschrift 11 (1908), S. 184 (184); Landwehr, Nation (Fn. 38), S. 7; Nonn, Reich (Fn. 37), S. 134. 40

I. Kurze Begriffsgeschichte

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Abstimmungsverfahrens zu lösen. Die Gliederung eines Konzils nach den Nationen seiner Mitglieder ist zum ersten Mal auf dem Konzil zu Lyon, das im Jahre 1274 abgehalten wird, bezeugt.48 Ebensowenig wie die Universitätsnationen sind die Konzilsnationen Zusammenschlüsse auf der Grundlage sprachlicher oder kultureller Gemeinsamkeiten. Vielmehr handelt es sich um unter räumlich-geographischen Gesichtspunkten gebildete Beratungs- und Abstimmungskurien, um Interessenverbände, administrative Einheiten innerhalb des christlich-universalistischen Rahmens.49 Die konziliaren Gliederungen bewirken zwar nicht die Schaffung einer Reichs- oder Nationalkirche, jedoch die Privilegierung der kirchlichen Verbände in Deutschland und damit das Einschlagen eines deutschen Sonderweges kirchenrechtlicher Art. Auch wenn diese Privilegierung nicht allzu weit geht, so trägt sie doch zur Bewußtwerdung der Zusammengehörigkeit und der Abgrenzung gegenüber anderen Nationen bei und hinterläßt den Begriff „Deutsche Nation“ „der Zukunft als Erbe“50. Auch die Organisation der ausländischen Kaufleute in den großen Handelsstädten, wie zum Beispiel die „nation von der Dutschen Hanse“, fördert die Entwicklung des Nationsbegriffs, auch wenn diese Kaufmannsnationen lediglich „Zweckvereinigungen auf der Basis gleichgerichteter handelspolitischer und wirtschaftlicher Interessen“51 sind. Das mittelalterlich-lateinische „natio“ ist also eine relativ unbestimmte, nicht notwendig staatlich-politische Grundlage für die weitere Entwicklung des Begriffs. Eine Aufwertung und Ausweitung erfährt der Begriff „natio“ nur langsam und langfristig, im Deutschen erst seit der Lehnwortbildung im 15. Jahrhundert.52 Seine Übersetzungen nehmen in den einzelnen Sprachen unter verschiedenen politischen und sozialen Bedingungen eine jeweils etwas andere Bedeutung an.53 Begleitet wird der Prozeß der Lehnwortbildung vom Aufkom48 Werminghoff, Begriff (Fn. 47), S. 184; Landwehr, Nation (Fn. 38), S. 7; allgemein H. Finke, Die Nation in den spätmittelalterlichen allgemeinen Konzilien, in: Historisches Jahrbuch 57 (1937), S. 323 (323 ff.). 49 Landwehr, Nation (Fn. 38), S. 8. 50 Werminghoff, Begriff (Fn. 47), S. 191 f.; Ziegler, Nation (Fn. 24), S. 22. 51 Landwehr, Nation (Fn. 38), S. 10. 52 R. Koselleck, Art. „Volk, Nation, Nationalismus, Masse, I“, in: O. Brunner/W. Conze/R. Koselleck (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Bd. 7, 1992, S. 142 (143). Dieses 1967 begonnene Lexikon möchte in zentralen Begriffen den Wandel des Sprachgebrauchs v. a. in der folgenreichen Zeit des Übergangs zwischen 1750 und 1850 beschreiben. Ziel der Beschreibung sei gewesen, durch Analyse der „Bedeutungen“ eines kohärenten Wortfeldes die historische „Realität“ zu erfassen: Stolleis, Rechtsgeschichte (Fn. 23), S. 11. Trotz der von Stolleis geäußerten Kritik an der von den Autoren vorgenommenen Unterscheidung von eindeutigem oder jedenfalls exakt definierbarem Wort und als mehrdeutig und interpretierbar geltendem Begriff und der daraus folgenden Überhöhung des Begriffs, handelt es sich um ein sehr empfehlenswertes Werk, auf das im folgenden dementsprechend oft zurückgegriffen werden wird. 53 D. Gosewinkel, Untertanenschaft, Staatsbürgerschaft, Nationalität. Konzepte der Zugehörigkeit im Zeitalter des Nationalstaats: Anmerkungen zur Begriffsgeschichte in

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A. Die Entwicklung des Nationsbegriffs

men des französischen Begriffs „nation“, das die Entwicklung des deutschen Fremdworts „Nation“ entscheidend beeinflußt und die politische Akzentuierung des Begriffs fördert.54 Die ursprünglichen Bedeutungen treten im Laufe der Zeit immer mehr in den Hintergrund. 2. Zusammenfassung Der Begriff „Nation“ ist ein eingedeutschter Terminus der lateinischen Sprache. Die antike Bedeutungsvielfalt seines Ursprungs „natio“ ist beträchtlich, jedoch steht „natio“ keineswegs für eine politisch wesentliche und werthafte Gemeinschaftsform, sondern meint hauptsächlich eine wenigstens fiktiv durch gemeinsame Abkunft bestimmte ethnische Gruppe. Im Mittelalter bleibt der rein formale Gesichtspunkt eines durch Geburtszusammenhänge bedingten Zustandes und aus ihm sich ergebender Gruppengemeinsamkeiten für die Begriffsbestimmung maßgeblich. Neben der geographischen Geschlossenheit der so bezeichneten Gruppe tritt die ethnologisch klassifizierende Qualität des Wortes stark hervor, während das politisch-rechtliche Moment weiterhin meist fehlt. Der Gebrauch als Bezeichnung universitärer Landsmannschaften, konziliarer Gliederungen und kaufmannschaftlicher Vereinigungen stützt sich auf keines dieser Kriterien, trägt jedoch zur Bewußtwerdung der Zusammengehörigkeit und Abgrenzung bei. Das mittelalterlich-lateinische „natio“ bietet somit nur eine relativ unbestimmte Grundlage für die in den einzelnen Sprachen dann auch unterschiedlich verlaufende weitere Entwicklung des Begriffs.

II. Die neuzeitliche Entwicklung in Deutschland Auch in Deutschland nimmt der Begriff der Nation im Laufe der Zeit verschiedene Bedeutungen an.55 Mit dem neuzeitlichen Bedeutungswandel einher geht ein überaus bedeutsamer Bedeutungsgewinn. „In der Geschichte des Bedeutungswandels des Begriffs liegt ein entscheidendes Stück Geschichte der Nation selbst.“56

Deutschland, Frankreich und den USA, in: Berliner Journal für Soziologie 8 (1998), S. 507 (508); Hroch, Europa (Fn. 12), S. 11. 54 Kahl, Beobachtungen (Fn. 34), S. 99 f. 55 Zur Entwicklung in Frankreich E. Fehrenbach, Art. Nation, in: R. Reichardt/E. Schmitt (Hrsg.), Handbuch politisch-sozialer Grundbegriffe in Frankreich 1680–1820, Heft 7, 1986, S. 75 ff. 56 Ziegler, Nation (Fn. 24), S. 20.

II. Die neuzeitliche Entwicklung in Deutschland

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1. Vom Kampfbegriff gegen Kaiser und Papst zum eigenbewußtseinsstiftenden Konsensbegriff im ausgehenden Mittelalter Einen politischen Bedeutungsgehalt gewinnt der Begriff „Nation“ im ausgehenden Mittelalter. Zunächst als „antiuniversalistischer Kampfbegriff gegen Kaiser und Papst“57 in den Auseinandersetzungen um Reichs- und Kirchenreform verwendet, wird der Nationsbegriff seit etwa 1450 zunehmend auch auf das Heilige Römische Reich bezogen.58 Zunächst aber dient er der Abgrenzung. Nachdem der Leiter der kaiserlichen Gesandtschaft, Enea Silvio Piccolomini59, auf dem Regensburger Reichstag im Mai 1454 zum Kreuzzug gegen die Türken und zur Wiedereroberung Konstantinopels aufgerufen hat, fordert der in kur-trierischen Diensten stehende Kleriker Johannes Lysura60 im Auftrag der Kurfürsten vom Kaiser eine politische Vorleistung in Form einer Wiederherstellung der inneren Ordnung im Reich – ohne Reichsreform kein Türkenkrieg. Dabei verwendet Lysura den Begriff „Teutsch gezunge“, mit dem er die partikulare deutsche Sprachnation abzugrenzen versucht. „Gezunge“ ist das deutsche Wort für das lateinische „natio“ und für das Fremdwort „Nation“.61 Der Nationsbegriff fungiert also „als Instrument reichsständisch-partikularer Interessenabgrenzung“62 gegenüber den dem Kaisertum obliegenden universalen Pflichten wie dem Kampf gegen die Türken. Auch gegenüber dem Papsttum wird der Nationsbegriff ins Feld geführt. So protestiert der Mainzer Kanzler Martin Mayer in einem Brief an den mittlerweile zum Kardinal ernannten Piccolomini im August 1457: „[. . .] ist unser einst ruhmreiches Volk, das durch seine Tüchtigkeit und sein Blut das römische Imperium erworben hat [. . .], nunmehr an den Bettelstab gebracht, geknechtet

57 B. Schönemann, Art. „Volk, Nation, Nationalismus, Masse, VI“, in: O. Brunner/ W. Conze/R. Koselleck (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Bd. 7, 1992, S. 281 (282). 58 Mit Zitaten B. Schönemann, Art. „Volk, Nation, Nationalismus, Masse, VII“, in: O. Brunner/W. Conze/R. Koselleck (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Bd. 7, 1992, S. 284 (284 f.). 59 Geboren 1405 in Corsignano (heute Pienza), gestorben 1464 in Ancona, von 1458 an als Pius II. Papst: N. N., in: Brockhaus. Die Enzyklopädie in vierundzwanzig Bänden, Bd. 17, 20. Aufl. 1998, S. 195. 60 Gestorben 1459. Gehörte zu den wichtigsten Kirchenpolitikern seiner Zeit: N. N., in: W. Killy/R. Vierhaus (Hrsg.), Deutsche Biographische Enzyklopädie, Bd. 5, 1997, S. 353. 61 E. Isenmann, Kaiser, Reich und deutsche Nation am Ausgang des 15. Jahrhunderts, in: J. Ehlers (Hrsg.), Ansätze und Diskontinuität deutscher Nationsbildung im Mittelalter, 1989, S. 145 (156). 62 Schönemann, Volk (Fn. 58), S. 286.

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und zinspflichtig geworden [. . .]“ 63. Auch hier ist die deutsche Nation64 zur Abgrenzung gesonderter Interessensphären die entscheidende Bezugsgröße.65 Die Instrumentalisierung des Nationsbegriffs zur Durchsetzung reichsständischer und reichskirchlicher Eigeninteressen gegen die universalen Gewalten Kaisertum und Papsttum sind Folge eines Macht- und Universalitätsverlustes des Reiches, ohne den die Bezugnahme auf die deutsche Nation wenig sinnvoll gewesen wäre.66 Die Entwicklung hin zum Ausdruck „Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation“ durchläuft das gesamte Hoch- und Spätmittelalter. Die anfängliche Bezeichnung „Imperium Romanum“ taucht als auf das bestehende Reich bezogene Formulierung erstmals im Jahre 1024 auf.67 Kaiser Friedrich Barbarossa läßt das Reich 1157 als „sacrum“ bezeichnen, was zunächst jedoch nur zu einer parallelen Anwendung der Bezeichnungen „sacrum imperium“ und „imperium Romanum“ führt. Die Erstnennung des „Sacrum Imperium Romanum“ findet sich im Jahre 1254.68 Die Eindeutschung in „Heiliges Römisches Reich“ erfolgt im 14. Jahrhundert.69 Spätestens zu Beginn des 16. Jahrhunderts geht der Begriff „Nation“ in die offizielle Reichstitulatur ein. Zuvor taucht der Begriff der Deutschen Nation als 63 Zitiert nach A. Schmidt (Hrsg.), Enea Silvio Piccolomini: Deutschland. Der Brieftraktat an Martin Mayer und Jakob Wimpfelings „Antworten und Einwendungen gegen Enea Silvio“, 1962, S. 34. 64 Der originale Wortlaut „natio nostra“ ermöglicht diese Übersetzung entgegen der Schmidts mit „Volk“. 65 Schönemann, Volk (Fn. 58), S. 286. 66 Schönemann, Volk (Fn. 58), S. 287. 67 R. A. Müller, Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation. Anspruch und Bedeutung des Reichstitels in der Frühen Neuzeit, in: Eichstätter Hochschulreden 75 (1990), S. 6. Die Staatsrechtslehre des 17. Jahrhunderts, die Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts und auch K. Schottenloher sehen den historischen Ursprung dieser Bezeichnung in der Vereinigung der römischen Kaiserkrone mit dem deutschen Königtum durch Kaiser Otto den Großen im Jahre 962 und sind somit der Ansicht, der spätere Reichstitel kennzeichne das Römische Reich als unter deutscher Herrschaft stehend: ders., Die Bezeichnung „Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation“, in: F. Redenbacher (Hrsg.), Festschrift Eugen Stollreither, 1950, S. 301 (301, 303 ff.). Die Reichsstaatslehre des 18. Jahrhunderts und auch K. Zeumer bezweifeln dies und sehen folglich im späteren Reichstitel lediglich eine geographische Begrenzung des Römischen Reiches auf seinen deutschsprachigen Hauptteil: ders., Heiliges römisches Reich deutscher Nation. Eine Studie über den Reichstitel, 1910, S. 2. Diese zwei Interpretationsvarianten dominieren die Diskussion seither. P. Moraw hält prinzipiell beide Verständnisweisen für möglich: ders., Bestehende, fehlende und heranwachsende Voraussetzungen des deutschen Nationalbewußtseins im späten Mittelalter, in: J. Ehlers (Hrsg.), Ansätze und Diskontinuität deutscher Nationsbildung im Mittelalter, 1989, S. 99 (119). 68 M. Thamm, Terminologie des Wortes „Reich“. Eine Wortmonographie, Diss. iur. Frankfurt am Main 1959, S. 24; Müller, Reich (Fn. 67), S. 7. 69 Schottenloher, Bezeichnung (Fn. 67), S. 302; Müller, Reich (Fn. 67), S. 7.

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offizieller Terminus schon im Landfrieden des Frankfurter Reichstages des Jahres 1486 auf, in dem Kaiser Friedrich III.70 vom „Römische[n] Reich Teutscher Nation“ spricht.71 Die geläufige Bezeichnung „Heiliges Römisches Reich Teutscher Nation“ ist erstmals im Kölner Reichstagsabschied von 1512 belegt.72 Mit der reichsstaatsrechtlichen Aufwertung des Nationsbegriffs einher geht eine Intensivierung des sprachlich-kulturellen und historisch-politischen Eigenbewußtseins. Schönemann spricht in diesem Zusammenhang von vier auf Deutschland, die Deutschen und ihre Nation bezogenen Bedeutungsschichten73: Die Nation ist Objekt reichspatriotischer Identifikation, Trägerin geistig-kultureller Leistungen, sprachlich-ethnische Gemeinschaft und vermag, vermittelt durch einen sprachlich-ethnisch-kulturellen Nationsbegriff, durch eine „Historisierung des Eigenbewußtseins“74 zu überzeugen. Großen Anteil an dieser Entwicklung haben die deutschen Humanisten, die, veranlaßt durch die Wiederentdeckung der „Germania“ des Tacitus, mit ihrer Behauptung der Identität von Germanen und Deutschen das deutsche Selbstbewußtsein enorm stärken.75 Es läßt sich festhalten, daß die Intensivierung des Nationsdenkens im ausgehenden Mittelalter eine Entwicklung durchläuft, an deren Anfang ein vom mit70 Geboren 1415 in Innsbruck, gestorben 1493 in Linz, wurde 1452 zum Kaiser gekrönt: N. N., in: W. Killy (Hrsg.), Deutsche Biographische Enzyklopädie, Bd. 3, 1996, S. 459 f. 71 Zeumer, Reich (Fn. 67), S. 17; Schottenloher, Bezeichnung (Fn. 67), S. 302; Müller, Reich (Fn. 67), S. 8; Schönemann, Volk (Fn. 58), S. 285; G.-C. v. Unruh, Volk und Nation im deutschen Verfassungsrecht, in: DVP 2003, S. 57 (57). 72 Zeumer, Reich (Fn. 67), S. 19; Schottenloher, Bezeichnung (Fn. 67), S. 302; Müller, Reich (Fn. 67), S. 8; Schönemann, Volk (Fn. 58), S. 285. Der Sprachgebrauch bleibt jedoch bis weit ins 18. Jahrhundert hinein uneinheitlich und variantenreich, der Zusatz „deutscher Nation“ taucht ab Ende des 16. Jahrhunderts nur noch ganz vereinzelt auf: Landwehr, Nation (Fn. 38), S. 18; Schönemann, Volk (Fn. 58), S. 285; Zeumer, Reich (Fn. 67), S. 20; Müller, Reich (Fn. 67), S. 9. 73 Schönemann, Volk (Fn. 58), S. 288 ff. 74 F. Graus, Nationale Deutungsmuster der Vergangenheit in spätmittelalterlichen Chroniken, in: O. Dann (Hrsg.), Nationalismus in vorindustrieller Zeit, 1986, S. 35 (49). 75 Dank der Germania des Tacitus, einer hochverehrten und unzweifelhaften Autorität, glaubt man nun zu wissen, daß auch die Deutschen seit alters her ein Volk gewesen sind. Bisher hatte es einen für die Entwicklung einer deutschen Nation brauchbaren deutschen Volksstamm, ähnlich dem fränkischen für Frankreich, nicht gegeben: Schulze, Staat (Fn. 27), S. 141 f.; P. Joachimsen spricht von der „Wendung zur kulturgeschichtlichen Betrachtung“ und der „historische[n] Unterbauung des deutschen Patriotismus“: ders., Tacitus im deutschen Humanismus, in: ders., Gesammelte Aufsätze. Beiträge zu Renaissance, Humanismus und Reformation; zur Historiographie und zum deutschen Staatsgedanken, 1970, S. 275 (281). Die Germanen spielen auch später eine bedeutende nationale Rolle, vgl. M. Titzmann, Die Konzeption der „Germanen“ in der deutschen Literatur des 19. Jahrhunderts, in: J. Link/W. Wülfing (Hrsg.), Nationale Mythen und Symbole in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Strukturen und Funktionen von Konzepten nationaler Identität, 1991, S. 120. Vgl. auch Echternkamp, Aufstieg (Fn. 6), S. 93 ff.

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telalterlichen Universalismus geprägtes Reichsbewußtsein steht, mittels dessen deutsche Interessen gegenüber Kaiser und Papst abgegrenzt werden sollen. Durch die Aufnahme sprachlich-kultureller, ethnischer und historischer Elemente weichen universale allmählich nationalen Denkbezügen. Die Verengung des „römischen“ Reichsbewußtseins auf ein „deutsches“ Nationsbewußtsein76 läßt den Begriff „Nation“ enorm an Bedeutung gewinnen. 2. Von der Nation als Appellationsinstanz im politisch-religiösen Konflikt zur geistig-kulturellen Bezugsgröße des barocken Kultur- und Sprachpatriotismus In der ersten seiner drei großen Reformschriften wendet sich Martin Luther im Jahre 1520 „An den Christlichen Adel deutscher Nation“77. Sein Appell an die deutsche Nation ist vorwiegend theologischer Natur. Nicht die Stärkung des historischen Selbstbewußtseins oder die Steigerung des machtpolitischen Prestiges, sondern die Reform der römischen Papstkirche ist sein Anliegen. Sein Nationsbegriff bezieht sich sowohl auf die geistlichen und weltlichen Obrigkeiten im Reich als auch auf nicht privilegierte Bevölkerungsgruppen.78 Mit der Vertiefung des religiösen Zwiespalts und der Politisierung konfessioneller Konflikte verliert der Nationsbegriff zunehmend an Integrationskraft.79 Dennoch wird weiterhin auf ihn zurückgegriffen, so daß er mehrfach eine Reaktivierung erfährt. So im Augsburger Reichstagsabschied aus dem Jahre 1555, der neben religions- auch wirtschaftsrechtliche Regelungen enthält und so die Bemühungen um die Sicherung des inneren Friedens und den Schutz wirtschaftlicher Interessen dokumentiert. Auch die Bedrohung des Reiches durch äußere Feinde wie die Türken führt zu einer Renaissance des Nationsbegriffs. Um sich der finanziellen Mithilfe auch der protestantischen Reichsstände zu versichern, 76 R. Schnell, Deutsche Literatur und deutsches Nationsbewußtsein in Spätmittelalter und Früher Neuzeit, in: J. Ehlers (Hrsg.), Ansätze und Diskontinuität deutscher Nationsbildung im Mittelalter, 1989, S. 247 (293). 77 Zitiert nach H. Münkler, Die Nation als Modell politischer Ordnung. Vorüberlegungen zu einer wissenssoziologisch-ideengeschichtlich fundierten Theorie der Nation, in: Zeitschrift für Staatswissenschaften und Staatspraxis 5 (1994), S. 367 (383). Der Begriff der Appellationsinstanz stammt von Schönemann, Art. „Volk, Nation, Nationalismus, Masse, VIII“, in: O. Brunner/W. Conze/R. Koselleck (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Bd. 7, 1992, S. 293 (293). 78 „Hie solte nw deutsche Nation, Bischoff und Fursten“, „arm volck deutscher Nation“, beides zitiert nach Schönemann, Volk (Fn. 77), S. 293. Ziegler meint, darin einen ständischen Bedeutungsinhalt, ja sogar die Gleichsetzung von Stand und Nation zu sehen: ders., Nation (Fn. 24), S. 24 f. Anders sehen dies auch Schulze, Staat (Fn. 27), S. 144, und Hroch, Europa (Fn. 12), S. 111. Jedenfalls wird mit dieser und anderen Schriften das Wissen exoterisch, das in der Debatte zwischen Mayer und Piccolomini noch esoterisch war: Münkler, Nation (Fn. 77), S. 383. 79 Schönemann, Volk (Fn. 77), S. 294.

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appelliert der Kaiser immer wieder an den Patriotismus und das Nationalgefühl der Reichsstände. Auch in diesem Zusammenhang wird der Begriff der Nation nicht einheitlich gebraucht. Mal wird unter „Nation“ die Gesamtheit der Christen verstanden, mal wird der Nationsbegriff auf das Reich bezogen.80 Während des Dreißigjährigen Krieges hat der Nationsbegriff erneut Konjunktur. Im Mai 1635 schließen der Kaiser und der Kurfürst von Sachsen in Prag einen Frieden, um „das geliebte Vatterland der Hoch-Edlen Teutschen Nation“ 81 vor dem Untergang zu bewahren.82 Der Nationsbegriff ist auch im von Zerstörung und Verwüstung geprägten zeitgenössischen Bewußtsein präsent. In zahlreichen Dichtungen kommt „die Einbeziehung der Nation in die spannungsreiche Struktur des zeitgenössischen Bewußtseins, jener Synthese von Leidensdruck und Trostbedürfnis, Vaterlandsliebe und Gottvertrauen, deutlich zum Ausdruck“83. Der ihnen innewohnende Patriotismus bezieht sich jedoch nicht ausschließlich auf den Begriff „Nation“, vielleicht „weil damit nach wie vor immer auch die politische Ordnung des Reiches assoziiert wurde – eine Ordnung, die so offenkundig versagt hatte“84. Nach dem Westfälischen Frieden setzt eine allmähliche Auflösung der begrifflichen Verbindung von Reich und Nation ein. Der im Westfälischen Frieden festgeschriebene verfassungsrechtliche Dualismus von Reich und Einzelstaaten verhindert Prozesse zentraler Staatsbildung und sorgt für ein „Nebeneinander ,gesamtdeutscher‘ und territorialstaatlicher Bezüge“ 85. Dadurch gewinnt der Nationsbegriff seine alte Mehrdeutigkeit zurück. Der Jurist Samuel Freiherr von Pufendorf 86 verwirft die Theorie von der translatio imperii und eliminiert damit den Nationsbegriff aus der Staatsbezeichnung. Für ihn ist der Begriff der Nation weniger staatsrechtliche Bezugsgröße, sondern vielmehr schlichte Herkunftsbezeichnung.87 Das neue deutsche Gemeinwesen habe mit dem alten römischen Reich nichts mehr zu tun. Sein Kollege Veit Ludwig von Seckendorff 88 hält

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Schönemann, Volk (Fn. 77), S. 295. Zitiert nach Schönemann, Volk (Fn. 77), S. 296. 82 Dazu auch A. Wandruszka, Reichspatriotismus und Reichspolitik zur Zeit des Prager Friedens von 1635. Eine Studie zur Geschichte des deutschen Nationalbewußtseins, 1955, S. 65 f. 83 Schönemann, Volk (Fn. 77), S. 297. 84 Schönemann, Volk (Fn. 77), S. 299. 85 B. Schönemann, Art. „Volk, Nation, Nationalismus, Masse, IX“, in: O. Brunner/ W. Conze/R. Koselleck (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Bd. 7, 1992, S. 302 (304). 86 Geboren 1632 in Dorfchemnitz (Sachsen), gestorben 1694 in Berlin: N. N., in: W. Killy/R. Vierhaus (Hrsg.), Deutsche Biographische Enzyklopädie, Bd. 8, 1998, S. 89. 87 Schönemann, Volk (Fn. 85), S. 304. 88 Geboren 1626 in Herzogenaurach (Franken), gestorben 1692 in Halle/Saale: N. N., in: W. Killy/R. Vierhaus (Hrsg.), Deutsche Biographische Enzyklopädie, Bd. 9, 1998, S. 253. 81

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zwar an der „deutschen Nation“ fest, konstatiert aber, daß es in und unterhalb dieser Nation weitere Nationen gebe: die vielen deutschen Fürstentümer, die ebenfalls auf Nationen beruhten.89 Zunehmend wird „Nation“ ein Begriff des barocken Sprach- und Kulturpatriotismus, dessen Ziel die Wiederbelebung und Intensivierung eines sich auf gemeinsame Sprache, Kultur und Geschichte gründenden Nationalbewußtseins ist. So ist auch das Bewußtsein nationaler Zusammengehörigkeit eher sprachlich-kulturell-historisch denn auf das Reich bezogen akzentuiert.90 Gänzlich apolitisch sind diese Ziele allerdings nicht, liegt ihnen doch die Befürchtung zugrunde, die politische Widerstandskraft der deutschen Nation könne in dem Maße abnehmen, in dem sich die Bande ihrer sprachlich-kulturellen Gemeinsamkeit lockerten.91 Ende des 17. Jahrhunderts steht der Nationsbegriff also zwar in einem, wenn auch nur mittelbaren politischen Bezug, dieser richtet sich jedoch weniger auf das Reich, sondern vielmehr auf „eine meist nicht näher definierte Gemeinschaft der Deutschen“92. Im Verlauf des 18. Jahrhunderts schwächen sich die Bezüge zwischen Politik und Kultur weiter ab, ohne jedoch ganz verloren zu gehen. Von großer Bedeutung ist die Herausbildung einer neuen gesellschaftlichen Schicht im Reich93, die ihre Ämter und Berufe nicht dank ihres Standes, sondern aufgrund ihrer in aller Regel durch eine akademische Ausbildung erworbene Befähigung ausübt. Mit dieser neuen Bildungsschicht wachsen die deutschen Dialekte und Mundarten zur Sprache deutscher Hochkultur zusammen.94 Die Gründung von „Nationaltheatern“95 oder das Nachdenken über eine „Nationalerziehung“ sind Versuche, nationale Zusammenhänge zu schaffen oder zu verstärken. Sie alle impli89

Schulze, Staat (Fn. 27), S. 144 f. Schönemann, Volk (Fn. 85), S. 305. 91 Schönemann, Volk (Fn. 85), S. 306. 92 Schönemann, Volk (Fn. 85), S. 306 f. 93 Diese Bildungselite nimmt zunächst eine Randstellung in der spätständischen Gesellschaft ein und vermag daher „mit dem geschärften Blick des Außenseiters“ ihre Umwelt neu zu sehen und das durch das Revolutionszeitalter entstandene „sozialpsychische [. . .] Vakuum“ mit einem nationalen Interpretationsangebot zu füllen: H.-U. Wehler, Nationalismus. Geschichte – Formen – Folgen, 2001, S. 271, 273. 94 Schulze, Staat (Fn. 27), S. 145 f. 95 So in Hamburg (1767), Wien (1776), Mannheim (1777), Berlin (1786) und Weimar (1791). In der Idee des deutschen Nationaltheaters findet die stete Entwicklung des Nationalbewußtseins geradezu klassischen Ausdruck: H. Kittenberg, Die Entwicklung der Idee des deutschen Nationaltheaters im 18. Jahrhundert und ihre Verwirklichung, Diss. phil. München 1924, S. 5 f. Vgl. auch Echternkamp, Aufstieg (Fn. 6), S. 126 ff. National sind diese Theater meist nur insofern, als daß sie deutschsprachig sind und sich über die Hofgesellschaft hinaus anderen Zuschauerkreisen öffnen: H. Steinmetz, Idee und Wirklichkeit des Nationaltheaters. Enttäuschte Hoffnungen und falsche Erwartungen, in: U. Herrmann (Hrsg.), Volk – Nation – Vaterland, 1996, S. 141 (143). 90

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zieren „die partielle Überwindbarkeit der einzelstaatlichen Fragmentierung der Deutschen“96. Das in ihnen zu Tage tretende Nationsverständnis ist unterschiedlicher Art. Anhänger eines eher statischen Nationsverständnisses setzen das Bestehen der Nation voraus, andere sehen in ihren Vorschlägen erst Beiträge zur Nationwerdung. Nicht nur in der geistig-kulturellen, sondern auch in der politischen Diskussion dieser Zeit spielt der Nationsbegriff eine Rolle. Der vorrevolutionäre Patriotismus kann sich auf die Heimatstadt, den Einzelstaat oder eben auch auf das Reich als geschichtliche oder die Nation als kulturelle Gemeinschaft beziehen. So verwundert es nicht, daß der Nationsbegriff auch auf politischer Ebene unterschiedlich gehandhabt wird. Neben dem reichisch akzentuierten objektiven Nationsbegriff des Publizisten Friedrich Carl Freiherr von Moser97, der von der Existenz der Nation und ihrer Übereinstimmung mit dem Reich ausgeht und durch Fortführung und Vervollkommnung der historischen Bedingungen und Voraussetzungen seinem Ideal einer Nation näher zu kommen versucht98, existiert der territorialstaatlich akzentuierte voluntaristische Nationsbegriff des Philosophen Thomas Abbts99, der, unter dem Eindruck der von Friedrich dem Großen praktizierten Verbindung von Absolutismus und Aufklärung, die Zugehörigkeit zur Nation von der Entscheidung des einzelnen abhängig macht. Gemeinsam ist beiden Ansätzen die Betonung des Nationsbegriffs. Anders der realistische Verfassungspatriotismus, der den voluntaristischen Patriotismus als unrealistisch kritisiert und unter Nation lediglich die Verfassungsgemeinschaft aller Deutschen versteht. Bis zum Vorabend der Französischen Revolution hat sich ein Bewußtsein nationaler Zusammengehörigkeit entwickelt, das allerdings wenig politische Aspekte ausweist. Noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts stellt die französische Schriftstellerin Madame de Staël100 fest: „Die Gebildeten Deutschlands machen einander mit größter Lebhaftigkeit das Gebiet der Theorien streitig und dulden in diesem Bereich keine Fessel, ziemlich gern aber überlassen sie dafür den irdischen Machthabern die ganze Wirklichkeit des Lebens.“101 Der Begriff der 96

Schönemann, Volk (Fn. 85), S. 307. Geboren 1723 in Stuttgart, gestorben 1798 in Ludwigsburg: N. N., in: W. Killy/ R. Vierhaus (Hrsg.), Deutsche Biographische Enzyklopädie, Bd. 7, 1998, S. 223 f. 98 N. Hammerstein, Das politische Denken Friedrich Carl von Mosers, in: Historische Zeitschrift 212 (1971), S. 316 (338). 99 Geboren 1738 in Ulm, gestorben 1766 in Bückeburg: N. N., in: W. Killy (Hrsg.), Deutsche Biographische Enzyklopädie, Bd. 1, 1995, S. 2. 100 Anne Louise Germaine de Staël-Holstein, geboren 1766 in Paris, gestorben 1817 ebd.: N. N., in: Brockhaus. Die Enzyklopädie in vierundzwanzig Bänden, Bd. 20, 20. Aufl. 1998, S. 719 f. 101 G. de Staël, Über Deutschland, hrsg. von S. Metken, 1962, S. 68. Nicht umsonst begründet sie mit diesem Werk den Mythos von Deutschland als dem „Land der Dichter und Denker“. 97

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Nation hat auch so enorm an Boden gewonnen. Eine Vielzahl von Wortneubildungen wie z. B. „Nationalcharakter“ zeigt seine weite Verbreitung.102 3. Die Politisierung des Nationsbegriffs nach der Französischen Revolution Die Französische Revolution rückt den Begriff ins Zentrum politischer Bedeutung und Wirkungskraft103. Im folgenden avanciert „Nation“ auch in Deutschland zu einem Schlüsselbegriff der politisch-sozialen Sprache104. Die Auseinandersetzung mit den revolutionären Ereignissen in Frankreich schafft eine vergleichende Perspektive, die der Entwicklung des Nationsbegriffs in Deutschland sein spezifisches Gepräge verleiht. Durch eben diese geistige und politische Auseinandersetzung und durch das eigene Betroffensein nach dem Hinausgreifen der Revolution über die Grenzen Frankreichs hinweg gewinnt der Begriff „Nation“ entscheidend an Bedeutung. Nach der katastrophalen Niederlage gegen Napoleon steht der Begriff im Zeichen geistig-moralischer Selbstbesinnung und einzelstaatlicher Erneuerung.105 Während der Befreiungskriege ist die Idee der Nation integrierendes Moment. Im Zeichen der Suche nach einer neuen Identität erhält der Begriff bezogen auf Deutschland eine positive Akzentuierung, bezogen auf Frankreich ist er negativ besetzt. Daher hat die republikanisch-universalistische Version des Nationsbegriffs, die „Nation“ nicht als Abstammungs-, Sprach- und Kulturgemeinschaft, sondern als Gemeinschaft der freien und gleichen Bürger eines nach französischem Vorbild verfaßten Gemeinwesens, das im Prinzip die ganze Menschheit einschließen kann, versteht, keinerlei Durchsetzungschance.106 Der eingetretene Bewußtseinswandel zeigt sich deutlich in den zeitgenössischen Gedanken über die konkrete Gestaltung der Friedensordnung nach der Niederlage Napoleons: Die deutsche Nation ist zur übergeordneten Instanz geworden, gegen deren elementare Interessen nicht mehr verstoßen werden darf.107 Aus einer Bezeichnung für sekundäre untergeordnete Gruppierungen ist der Begriff „zum wirkungsmächtigen Zeichen für die oberste und verpflichtende

102 E. A. Menze, Johann Gottfried Herder – Nationsbegriff und Weltgefühl, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 1986, S. 31 (34). 103 Ziegler, Nation (Fn. 24), S. 26. 104 Schönemann, Volk (Fn. 85), S. 326. 105 B. Schönemann, „Volk“ und „Nation“ in Deutschland und Frankreich 1760– 1815. Zur politischen Karriere zweier Begriffe, in: U. Herrmann/J. Oelkers (Hrsg.), Französische Revolution und Pädagogik der Moderne. Aufklärung, Revolution und Menschenbildung im Übergang vom Ancien Régime zur bürgerlichen Gesellschaft, 1990, S. 275 (287). 106 Schönemann, Volk (Fn. 85), S. 327. 107 Schönemann, Volk (Fn. 85), S. 334.

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politische Gemeinschaftseinheit“ 108 geworden. Folgerichtig spielt sie eine entscheidende Rolle in den Vorstellungen über eine künftige deutsche Verfassung. Der semantische Wandel des Nationsbegriffs wird vor allem von den politischen Strömungen und Parteien vorangetrieben. Dabei erfährt der Nationsbegriff eine parteienspezifische Ausdifferenzierung, die vor allem drei Gründe hat: die einsetzende Bildung organisierter politischer Parteien, den zunehmenden Zwang, öffentlichkeitswirksam zu agieren und die wachsende Bedeutung des Nationalstaatsgedankens selbst, der sich allmählich zum Massenphänomen ausbreitet.109 Im Kampf um die Führerschaft der öffentlichen Meinung sind die verschiedenen politischen Lager gezwungen, den neuen Schlüsselbegriff „Nation“ inhaltlich zu besetzen und weiterzuentwickeln. So läßt der konservative Nationsbegriff der Restaurationszeit bis 1830 verschiedene Spielarten erkennen110, die erst nach und nach in den Jahren bis zur Reichsgründung dem realpolitischen Zeitgeist Platz machen. Das Nationale rückt gewissermaßen nach rechts und verbindet sich mit dem Konservatismus, der in seiner Wurzel als gegenrevolutionäre Ideologie der nationalen Bewegung fernstand.111 Der Konservatismus erkennt die politische Kraft des Nationalgedankens und räumt der Nation als „spiritueller Gemeinschaft“112 einen hohen Stellenwert ein. Das Nationsverständnis des politischen Katholizismus ist in erster Linie von der konfessionellen Perspektive geprägt. Nach dem Scheitern der großdeutschen Hoffnungen von 1848/49 liegt im Fokus des Interesses weniger die Lösung der Nationalen Frage, als vielmehr die Durchsetzung größtmöglicher Unabhängigkeit der Kirche vom Staat. Wegen des unaufhaltsamen Aufstiegs Preußens zur Führungsmacht der Nation reicht eine vornehmlich konfessionsspezifische Beurteilung nationaler Fragen nicht mehr aus. Es erfolgt eine Dekonfessionalisierung des Nationsbegriffs. Das Hauptaugenmerk verlagert sich vom Zusammenschluß der katholischen Teilnation auf die bündnispolitische Integration der 108

Ziegler, Nation (Fn. 24), S. 24. B. Schönemann, Art. „Volk, Nation, Nationalismus, Masse, XI“, in: O. Brunner/ W. Conze/R. Koselleck (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Bd. 7, 1992, S. 347 (348). 110 Schönemann unterscheidet eine ständisch-patrimoniale, eine pragmatisch-etatistische und eine katholisch-romantische Richtung. Erstere rückt, ganz im Zeichen der gewünschten Wiederbelebung des vormodernen Feudalsystems, den Fürsten als Stifter und Schöpfer des Volkes ins Zentrum. Der pragmatisch-etatistischen Richtung geht es um Erhalt und Stabilisierung der 1815 geschaffenen Ordnung, folglich verneint sie das Recht eines Volkes auf Zusammenschluß in einem Staat und sieht Völker lediglich als Sprachgemeinschaften an. Die katholisch-romantische Richtung schließlich historisiert den Nationsbegriff, ohne ihn unitarisch aufzufassen: ders., Volk (Fn. 109), S. 349 f. 111 W. Conze, Nation und Gesellschaft. Zwei Grundbegriffe der revolutionären Epoche, in: Historische Zeitschrift 198 (1964), S. 1 (12). 112 Schönemann, Volk (Fn. 109), S. 355. 109

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österreichischen Teilnation.113 Durch die Etablierung eines politischen Gegengewichts soll eine Unterdrückung der katholischen Kirche durch Preußen verhindert werden. Die Akzeptanz des Ergebnisses des Krieges von 1866 als Grundlage für eine künftige Lösung der Deutschen Frage bleibt jedoch im politischen Katholizismus die Ausnahme.114 Ein Großteil resigniert angesichts der politischen Entwicklung. Der Archivar, Historiker und Politiker Josef Edmund Jörg115, Herausgeber der „Historisch-politischen Blätter für das katholische Deutschland“, sieht in dem Ergebnis des Krieges „nichts als die baare Negation jeder politischen Daseynsform einer deutschen Nation“116. Die politische Resignation verschwindet erst mit dem Ausbruch des deutsch-französischen Krieges. Mit dem Nachlassen des vor allem durch den Kulturkampf aufgebauten staatlichen Drucks auf die Katholiken wächst ihre Bereitschaft zur Integration in den Nationalstaat. Die Aussöhnung der Katholiken mit dem Reich findet auch im Sprachgebrauch ihren Ausschlag und führt zu einem tiefgreifenden Bedeutungswandel des katholischen Nationsbegriffs. Pflichtgefühl und Gesinnungstreue treten über die Brüche der Reichsgeschichte hinweg ebenso an die Stelle der zuvor gehegten Vorbehalte wie eine enthusiastische Folgebereitschaft, die Versöhnung mit den historischen Tatsachen und die Erbfeindideologie.117 Der liberale Nationsbegriff hingegen beinhaltet von Anfang an eine nationalstaatliche Orientierung. Doch gerade für diejenigen, die sich als die eigentlichen Verfechter des Konzepts „Nation“ begreifen, ist dieses problematisch, wirft es doch eine ganze Reihe nur schwer entscheidbarer Grundsatzfragen auf. Bis in die 1830er Jahre hinein ist der liberale Nationalismus internationalistisch, dies ändert sich jedoch durch eine macht- und interessenpolitische Zuspitzung des Begriffs zugunsten einer nationalen Interessenwahrung.118 In den sozialistischen Nationsbegriff gehen ökonomisch-funktionale und national-demokratische Bedeutungselemente ein. So wenden Karl Marx und Fried113

Schönemann, Volk (Fn. 109), S. 353. Eine solche stellt der Mainzer Bischof von Ketteler dar, der sich trotz grundsätzlicher Kritik auf den Boden der neugeschaffenen Tatsachen stellt und indirekt zur Mitarbeit im Norddeutschen Bund aufruft: R. Morsey, Die Deutschen Katholiken und der Nationalstaat zwischen Kulturkampf und Erstem Weltkrieg, in: Historisches Jahrbuch 90 (1970), S. 31 (32); K.-G. Faber, Realpolitik als Ideologie. Die Bedeutung des Jahres 1866 für das politische Denken in Deutschland, in: Historische Zeitschrift 203 (1966), S. 1 (7 f.). 115 Geboren 1819 in Immenstadt, gestorben 1901 in Landshut: N. N., in: W. Killy/ R. Vierhaus (Hrsg.), Deutsche Biographische Enzyklopädie, Bd. 5, 1997, S. 336. 116 E. Jörg, Zeitläufte. Waffenstillstand und Friedenspräliminarien, in: Historischpolitische Blätter für das katholische Deutschland 58 (1866), S. 215 (223). 117 B. Schönemann, Art. „Volk, Nation, Nationalismus, Masse, XII“, in: O. Brunner/W. Conze/R. Koselleck (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Bd. 7, 1992, S. 369 (S. 377). 118 Schönemann, Volk (Fn. 109), S. 358 ff. 114

II. Die neuzeitliche Entwicklung in Deutschland

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rich Engels die Hegelsche Geschichtsteleologie ins Ökonomische und sehen in der Nation eine notwendige, aber letztlich vorübergehende Erscheinung innerhalb einer weit umfassenderen Geschichte von Klassenkämpfen, ein Sekundärphänomen der kapitalistischen Wirtschaftsordnung. Mit dem Gegensatz der Klassen im Innern der Nation falle auch die feindliche Stellung der Nationen gegeneinander, die Herrschaft des Proletariats werde die nationalen Absonderungen und Gegensätze noch mehr verschwinden machen. Ferdinand Lassalle119, der als einer der Gründerväter der deutschen Sozialdemokratie gilt, erklärt hingegen die staatliche Unabhängigkeit der Nationen zur unabdingbaren Voraussetzung ihrer Demokratisierung und mißt damit dem Nationalstaat einen bedeutenden politischen Eigenwert zu. Die inneren Widersprüche des sozialistischen Nationsbegriffs resultieren aus dem Versuch des deutschen Bürgertums, den Status als Nation für sich zu monopolisieren. Der Sozialismus muß sich also national begründen oder sich in internationaler Solidarität gegen die nur bürgerliche Nation wenden.120 Diese Widersprüchlichkeit des sozialistischen Nationsbegriffs und die überhaupt fehlende Homogenität des Begriffsgebrauchs verdeutlichen, daß für den Begriff „Nation“ selbst in der Zeit vor der Reichsgründung, die ihm einen enormen Bedeutungsgewinn beschert, kein semantischer Konsens besteht. Dies ändert sich auch nach 1871 nur langsam. Während die Reichsgründung bei den Liberalen geradezu euphorisch aufgenommen wird121, wird das durch von Bismarcksche Machtpolitik geeinte Deutsche Reich von nicht wenigen als unvollkommener Nationalstaat empfunden. Gegner der Reichsgründung sind neben den nichtdeutschen Gruppen die Partikularisten, die großdeutsch gesonnenen Katholiken und die internationalistisch orientierten Sozialdemokraten. Diese vertreten einen Nationsbegriff, der trotz starker internationalistischer Elemente eher bürgerlich-demokratisch akzentuiert ist. Von einer theoretischen Durchdringung und Klärung des Nationsbegriffs ist die Sozialdemokratie jedoch weit entfernt. Mit der Zustimmung zu den Kriegskrediten im August 1914 wird deutlich, daß in das sozialdemokratische Nationsdenken ein neuer nationaler Patriotismus getreten ist, der die „Integrationskraft des Prinzips ,Nation‘“122 zeigt. Die „normative Kraft des Faktischen“123 hat die Akzeptanz des kleindeutschen Nationalstaates auch bei ihnen wachsen lassen. Aus einer Emanzipations-

119 Geboren 1825 in Breslau, gestorben 1864 in Genf: N. N., in: W. Killy/R. Vierhaus (Hrsg.), Deutsche Biographische Enzyklopädie, Bd. 6, 1997, S. 258. 120 Conze, Nation (Fn. 111), S. 12. 121 Damit erfährt das „antizipativ-visionäre“ Bedeutungselement des liberalen Nationsbegriffs eine starke Abschwächung, der Begriff „Nation“ verliert an Schärfe: Schönemann, Volk (Fn. 117), S. 370. 122 Schönemann, Volk (Fn. 117), S. 380. 123 Schönemann, Volk (Fn. 117), S. 369.

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A. Die Entwicklung des Nationsbegriffs

und Oppositionsideologie ist ein gouvernemental gehandhabtes Disziplinierungs- und Sammlungskonzept geworden.124 Auch die Konservativen bekennen sich zur geeinten Nation, ihr Verhältnis zu dieser bleibt jedoch kühl. Die deutsche Nationalität wird weder als Produkt sprachlich-ethnischer Gemeinsamkeit noch als Ergebnis politischer Willensbekundung begriffen, sondern stellt sich als eine erst über die Zugehörigkeit zu einem deutschen Einzelstaat entstehende Reichsbürgerschaft dar.125 Diese föderalistische Bedeutungsschicht des konservativen Nationsbegriffs tritt ab den 1890er Jahren zugunsten einer völkisch-annexionistischen Schicht in den Hintergrund. Die Radikalisierung des Nationsbegriffs beginnt. Zwischen 1914 und 1945 rückt der Begriff „Volk“ in den Mittelpunkt und indiziert eine scheinbar nicht zu überbietende sittlich-religiöse, politisch-soziale und geschichtliche Letztinstanz.126 Gegen den französisch intonierten Begriff „Nation“ entwickelt, verliert „Volk“ langsam seine alte Bedeutung im Sinne von „populus“ und übernimmt die Bedeutungen von „natio“, meint also auch „Herkunft“, „Land“ und „Sitten“ und wird zunehmend auch und vor allem auf die Sprache und Kultur bezogen. Der Begriff „Nation“ wird als Nachbarbegriff aus rhetorischen oder stilistischen Gründen gelegentlich alternativ verwendet, bleibt aber „im Geruch französischer Herkunft“127 und droht neben dem dynamisierten Volksbegriff zu veralten. Während dem Begriff „Volk“ etwas Revolutionäres anhaftet, rückt „Nation“ mehr ins konservative Lager. Dennoch wird auch „Nation“ im Laufe der Zeit von links und rechts integriert. Mit der verbalen Übereinstimmung in der Wortverwendung geht jedoch keine sachliche Übereinstimmung in der Begrifflichkeit einher. Basiskonsens ist lediglich, daß „Nation“ neben „Volk“ die Letztinstanz in der politischen Sprache und daher geeignet ist, Ausschlußkriterien hervorzurufen.128 Mehr und mehr wird das Nationale von den rechten Parteien monopolisiert und benutzt, um willkürlich zu definierende nicht-nationale Kreise auszuschließen. Adolf Hitlers „Nationale Erhebung“ suggeriert verbal immer noch staatsbezogen die Zustimmung aller, schließt aber die beiden „marxistischen“ Parteien aus. Folgerichtig heißt die von Hitler gebildete Regierung „Regierung des nationalen Zusammenschlusses“. In der Propaganda des Nationalsozialismus wird der Begriff geradezu zum Fetisch erhoben.

124 H. A. Winkler, Liberalismus und Antiliberalismus. Studien zur politischen Sozialgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, 1979, S. 61. 125 Schönemann, Volk (Fn. 117), S. 372. 126 R. Koselleck, Art. „Volk, Nation, Nationalismus, Masse, XIV“, in: O. Brunner/ W. Conze/R. Koselleck (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Bd. 7, 1992, S. 389 (389). 127 Koselleck, Volk (Fn. 126), S. 390. 128 Koselleck, Volk (Fn. 126), S. 396 f.

II. Die neuzeitliche Entwicklung in Deutschland

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Auch nach 1945 behält der Begriff „Nation“ in beiden Teilen Deutschlands sein begriffsimmanentes Eigengewicht und bringt primär die offene Frage auf den Punkt, ob und welche Gemeinsamkeiten zwischen den beiden deutschen Staaten bestehen.129 Die Existenz zweier deutscher Nationen wird von westdeutscher Seite schon mit der Vorbehaltsklausel des Bonner Grundgesetzes, die das Provisorium ausdrücklich artikuliert, abgelehnt. Abgesichert vom Bundesverfassungsgericht bleiben sämtliche Bonner Regierungen diesem Standpunkt treu. Die gemeinsame Staatsbürgerschaft wird staats- und völkerrechtlich aufrechterhalten, die DDR nie als Ausland anerkannt. Bis 1970 hält auch die DDR unverändert an der Einheit der deutschen Nation fest. Erst mit der Politik der Abgrenzung in den 70er Jahren versucht sich die DDR vom gemeinsamen Nationsbegriff zu lösen. Nation wird zu einem „manipulierbaren Ideologem“130. In der Bundesrepublik sind bei der Begriffsverwendung zwei Ebenen zu unterscheiden: Der staatsrechtlich-offizielle Sprachgebrauch ist bemüht, in der Konsequenz des Grundgesetzes den Nationsbegriff mit dem des Staatsvolkes kongruent zu halten und ihn nicht auf den vorstaatlichen Begriff einer Kulturnation sinken zu lassen. Den politisch-gesellschaftlichen Sprachgebrauch kennzeichnet hingegen eine Fülle von zustimmenden, gleichgültigenden oder ablehnenden Willensbekundungen zum grundgesetzlichen Auftrag.131 Mit der Wiedervereinigung ist dieses Problemfeld des Nationsbegriffs obsolet geworden. 4. Zusammenfassung Als antiuniversalistischer Kampfbegriff gegen Kaiser und Papst gewinnt der Begriff der Nation im ausgehenden Mittelalter politischen Bedeutungsgehalt. Nach einer das gesamte Hoch- und Spätmittelalter durchlaufenden Entwicklung geht er spätestens zu Beginn des 16. Jahrhunderts in die offizielle Reichstitulatur ein. Mit der reichsstaatlichen Aufwertung des Nationsbegriffs einher geht eine Intensivierung des sprachlich-kulturellen und historisch-politischen Eigenbewußtseins, so daß universale allmählich nationalen Denkbezügen weichen. Durch die Vertiefung des religiösen Zwiespalts und die Politisierung konfessioneller Konflikte verliert der Nationsbegriff zunehmend an Integrationskraft. Trotz mehrfacher Reaktivierung setzt nach dem Westfälischen Frieden eine allmähliche Auflösung der begrifflichen Verbindung von Reich und Nation ein. Der Nationsbegriff gewinnt seine alte Mehrdeutigkeit zurück. Zunehmend wird „Nation“ ein Begriff des barocken Sprach- und Kulturpatriotismus, dessen Ziel die Wiederbelebung und Intensivierung eines sich auf gemeinsame Sprache, 129 R. Koselleck, Art. „Volk, Nation, Nationalismus, Masse, XV“, in: O. Brunner/W. Conze/R. Koselleck (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Bd. 7, 1992, S. 420 (420). 130 Koselleck, Volk (Fn. 129), S. 428. 131 Koselleck, Volk (Fn. 129), S. 428 f.

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A. Die Entwicklung des Nationsbegriffs

Kultur und Geschichte gründenden Nationalbewußtseins ist. Zwar schwächen sich die Bezüge zwischen Politik und Kultur im Verlauf des 18. Jahrhunderts weiter ab, mit der Entstehung einer neuen Bildungsschicht hat sich bis zum Vorabend der Französischen Revolution aber ein Bewußtsein nationaler Zusammengehörigkeit entwickelt, das dem Nationsbegriff einen enormen Bedeutungsgewinn verschafft. Nach der Revolution avanciert „Nation“ auch in Deutschland zu einem Schlüsselbegriff der politisch-sozialen Sprache. Während der Befreiungskriege ist die Idee der Nation integrierendes Moment, die deutsche Nation wird zur übergeordneten Instanz, gegen deren elementare Interessen nicht mehr verstoßen werden darf. Vorangetrieben wird der semantische Wandel von den politischen Strömungen und Parteien, die den Nationsbegriff jedoch in unterschiedlicher Weise gebrauchen, so daß selbst in der dem Begriff einen enormen Bedeutungsgewinn bescherenden Zeit vor der Reichsgründung kein semantischer Konsens besteht. Im Kaiserreich wird aus der Emanzipations- und Oppositionsideologie ein gouvernemental gehandhabtes Disziplinierungs- und Sammlungskonzept, die Radikalisierung des Nationsbegriffs beginnt. In der Weimarer Republik wird das Nationale von den rechten Parteien monopolisiert, die Propaganda des Nationalsozialismus erhebt den Begriff geradezu zum Fetisch. Nach dem Zweiten Weltkrieg bringt der Begriff der Nation primär die offene Frage auf den Punkt, ob und welche Gemeinsamkeiten zwischen den beiden deutschen Staaten bestehen. Diese Frage wird mit der Wiedervereinigung obsolet.

III. Grundauffassungen des Nationsbegriffs Im Verlauf der Geschichte entwickeln sich die meisten europäischen Staaten zu Nationalstaaten. In all diesen Fällen müssen ältere, vornationale Elemente nationalen Platz machen, was zu einer viele Bereiche umfassenden Angleichung zwischen Staaten sehr verschiedenen Alters und mit unterschiedlichen Grundformen führt. Ihren Höhepunkt erreicht diese Annäherung nach dem Ende des Ersten Weltkriegs mit dem Sieg des nationalen Staatsprinzips in Europa.132 Gemeinsamer Grund aller nationalitären Entwicklung in Europa ist der Drang zur kulturellen, politischen, sozialen und sprachlichen Differenzierung. Auf diesem Prinzip beruht auch das Staatensystem des pränationalen Europa, jedoch ohne eine gegenseitige Abhängigkeit der einzelnen Faktoren zu beinhalten.133 Es erwächst noch nicht primär aus nationaler Wurzel, sondern gründet sich auf eine international-europäische Hochadelsschicht.134 Während der abso132 T. Schieder, Typologie und Erscheinungsformen des Nationalstaats in Europa, in: Historische Zeitschrift 202 (1966), S. 58 (61). 133 Schieder, Typologie (Fn. 132), S. 61. 134 T. Schieder, Der Nationalstaat in Europa als historisches Phänomen, in: Arbeitsgemeinschaft für Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen. Geisteswissenschaften. Heft 119, S. 13 (15).

III. Grundauffassungen des Nationsbegriffs

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lutistischen Ära wird das Verhältnis zwischen kulturell-sprachlichen Aspekten auf der einen und staatlichen Systemen auf der anderen Seite immer enger. Die Verbundenheit von Nationalkultur und Nationalstaat wird jedoch zunächst nur als Forderung erhoben, öffentliche Gewalt und Herrschaft werden noch nicht eindeutig auf den Willen einer Nation zurückgeführt135. In sein „letztes, entscheidendes Stadium“136 tritt der Prozeß der Nationalisierung in Europa im Zeitalter der großen Revolutionen des 17. und 18. Jahrhunderts in England und Frankreich. Dieser Prozeß stellt schon wegen grundlegend verschiedener Ausgangspunkte keine gleichmäßig verlaufende Entwicklung dar und führt daher zu verschiedenen Ergebnissen, die es trotz aller Annäherungen und Gemeinsamkeiten unmöglich erscheinen lassen, von einem einheitlichen Nationsbegriff und damit einem einheitlichen nationalstaatlichen Typus zu sprechen. Einen der „bekanntesten und immer noch einleuchtendsten Ansätze, sich dem Phänomen der Nation zu nähern“137, nimmt Friedrich Meinecke138 in seinem erstmals 1908 erschienenen Werk „Weltbürgertum und Nationalstaat“ mit der Differenzierung zwischen „Staatsnationen“ und „Kulturnationen“ vor. Beide Nationsverständnisse verfügen über zahlreiche Ausprägungen. Die subjektivistischen Konzeptionen, die in der Nation eine gewollte, geistig-moralische Gemeinschaft sehen, existieren sowohl als reine Bewußtseinsdefinition als auch als Kombination mit systematisch untergeordneten objektiven Faktoren.139 Bei den 135

Schieder, Nationalstaat (Fn. 134), S. 15. Schieder, Nationalstaat (Fn. 134), S. 15. 137 P. Alter, Nationalismus, 1985, S. 19. Dieser Ansatz blieb allerdings nicht lange ohne Kritik. Schon Zeitgenossen Meineckes wendeten sich gegen diese Unterscheidung, vgl. L. M. Hartmann, „ist es eine Verkehrtheit, wenn man die Begriffe ,Kulturnation‘ und ,Staatsnation‘ gleichsam gleichberechtigt nebeneinander setzt“: ders., Die Nation als politischer Faktor, in: Verhandlungen des Zweiten Deutschen Soziologentages vom 20.–22. Oktober 1912 in Berlin, Neudruck 1969, S. 80 (82); O. Spann, Zur Soziologie der Nation, in: Geisteswissenschaften 1 (1914), S. 127 (129); J. Mausbach, „Der überwiegende Sprachgebrauch nötigt uns nicht zu solcher Erweiterung des Begriffs der Nation.“, ders., Nationalismus und christlicher Universalismus, in: Aus katholischer Ideenwelt. Gesammelte Aufsätze und Vorträge, 1921, S. 394. 138 Geboren 1862 in Salzwedel (Altmark), gestorben 1954 in Berlin-Dahlem, Historiker: N. N., in: W. Killy/R. Vierhaus (Hrsg.), Deutsche Biographische Enzyklopädie, Bd. 7, 1998, S. 34. 139 Estel, Grundaspekte (Fn. 12), S. 13 (24). Als Beispiel für eine reine Bewußtseinsdefinition führt dieser M. Lazarus („Volk ist ein geistiges Erzeugniß der Einzelnen, welche zu ihm gehören; sie sind nicht ein Volk, sie schaffen es nur unaufhörlich“: ders., Was heißt national? Ein Vortrag, 1880, S. 13, Hervorhebung im Original, J. D. K.), für eine Kombination P. S. Mancini („ed appigliarsi in vece all’analisi di alcune proprietà e fatti constanti, che superando i limiti delle zone e de’secoli, ebbero a riscontrarsi ognora presso ciascuna delle tante Nazioni che fin qui vissero. La regione, la razza, la lingua, le costumanze, la storia, le leggi, le religioni, sono di tal numero le principali. Il complesso di codesti elementi compone, a dir vero, la propria natura di ciascun popolo per sè distinto, ed induce tra i membri del nazional consorzio cotal particolare intimità di rapporti e materiali e morali, che per legittimo effetto ne viene ancora tra essi creata una più intima comunanza di dritto, impossibile ad esistere tra 136

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A. Die Entwicklung des Nationsbegriffs

objektivistischen Auffassungen lassen sich drei Entwicklungsstufen feststellen: Die Theorien der Aufklärung sind an der besonderen Wesensart der Nationen, am Nationalcharakter interessiert und erklären diesen aus dem Zusammenwirken äußerlich verstandener Faktoren wie dem Klima, dem Boden, der Nahrung, der Rasse, dem Einfluß der Regierung, der Religion usw. Es folgen Konzeptionen, die den Nationalcharakter als unmittelbaren empirischen Ausdruck von in einem neuen Sinn verstandenen Völkern ansehen. Nationen sind hier gerade nicht „Produkt“, sondern „Grund alles geschichtlichen Geschehens“140, sind „organische, durchaus personal zu verstehende Totalität[en]“141, die sich in einer je besonderen Sprache usw. manifestieren. Die moderne Variante schließlich sieht die Nation als Charakter- und Geistesgemeinschaft, die durch einen oder mehrere entscheidende Faktoren gestiftet wird.142 So ist es nicht verwunderlich, daß sich die Forschung in den ersten Jahrzehnten des letzten Jahrhunderts vor allem mit der Frage beschäftigt, welche Merkmale eine Nation haben müsse, um als eigenständige Nation zu existieren. Dabei beruhen fast alle der seit Mitte des 19. Jahrhunderts bis 1945 erschienenen Studien zur Nation auf einer primordialen Auffassung der Nation, sehen die Nation also als eine Urkategorie.143 Versucht man, die Erscheinung der Nation und des Nationalstaates in Europa in verschiedene Modelle zu unterteilen, stehen in der umfangreichen Literatur eine Vielzahl aus der Entwicklung europäischer Nationen und Nationalstaaten hergeleiteter Überlegungen und Vorschläge zur Verfügung. Die Erläuterung der verschiedenen Grundauffassungen des Nationsbegriffs soll im folgenden zunächst auf der von Meinecke begründeten Zweiteilung144 ausgehen und auf ihr individui di nazioni diverse.“: ders., Della nazionalità come fondamento del dritto genti, Turin 1851, S. 31 f.) an. 140 Ziegler, Nation (Fn. 24), S. 31. 141 Estel, Grundaspekte (Fn. 12), S. 23. 142 Estel, Grundaspekte (Fn. 12), S. 24. 143 Hroch, Europa (Fn. 12), S. 13. 144 Dieser weist darauf hin, daß diese Einteilung so schon bei A. Kirchhoff, „Es bietet sich für die [. . .] Unterscheidung dieser beiden Phasen nationaler Ausbildung füglich die terminologische Trennung in kulturelle und in Staatsnationen.“: ders., Zur Verständigung über die Begriffe Nation und Nationalität, 1905, S. 54, und im wesentlichen auch schon bei F. J. Neumann, „So erscheint es also nicht unberechtigt, sondern geradezu geboten festzuhalten, daß mit Nation zwei Bedeutungen zu verbinden sind“: ders., Volk und Nation. Eine Studie, 1888, S. 132 f., 149, zu finden ist. Der mit historischen Situationen vertraute U. Scheuner gibt zu bedenken, daß der Gegensatz nur als ein relativer zu begreifen sei und im Nationsbegriff objektive und subjektive Elemente in einer Mischung verbunden seien, die in den einzelnen historischen Situationen verschiedene Aspekte gewinnen könne: ders., Nationalstaatsprinzip und Staatenordnung seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts, in: T. Schieder (Hrsg.), Staatsgründungen und Nationalitätsprinzip, 1974, S. 9 (13 f.). Auch T. Schieder weist darauf hin, daß eine „völlig klare Trennung der beiden Nationsprinzipien [. . .] niemals der Fall gewesen“ sei, Diskussionsbeitrag zu U. Scheuner, Nationalstaatsprinzip und Staatenordnung seit

III. Grundauffassungen des Nationsbegriffs

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aufbauen.145 Danach erfolgt ein Überblick über jüngere Auffassungen von Nation. 1. Nation als Staats- und Kulturnation a) Staatsnation und Kulturnation bei Friedrich Meinecke In Meineckes Buch „Weltbürgertum und Nationalstaat“ ist „mit einer großartigen Würdigung des Weltbürgertums, wie es das 18. und beginnende 19. Jahrhundert erlebte, eine positive Wertung der Entwicklung zum Nationalstaat verbunden, der, wenn auch nicht unkritisch gesehen, doch als ein Fortschritt von einem mehr amorphen Zustand zu gestalteter politischer Macht erscheint“146. Im ersten Kapitel seines Werkes versucht er, eine klare Vorstellung vom Wesen der Nation und des Nationalstaates und vom Verhältnis beider Begriffe zueinander zu geben. Nationen seien „große, mächtige Lebensgemeinschaften, die geschichtlich in langer Entwicklung entstanden und in unausgesetzter Bewegung und Veränderung begriffen sind“147. Auch wenn es keine allgemeingültige Formel für die Abgrenzung einzelner Nationen voneinander gebe – wichtige und wesentliche Grundlagen oder Merkmale einer Nation könnten gemeinsamer Wohnsitz, gemeinsame Abstammung, gemeinsame Sprache, gemeinsames geistiges Leben, gemeinsamer Staatsverband oder Föderation mehrerer gleichartiger Staaten sein. Allerdings sei es für eine Nation nicht zwingend, daß all diese Merkmale auf sie zutreffen, unabdingbar seien jedoch zwei Gesichtspunkte: zum einen das Vorhandensein eines naturhaften Kerns, der durch Blutsverwandtschaft entstanden ist, und zum anderen eine sich auf diesen Kern stützende eigenartige und inhaltsreiche geistige Gemeinschaft und ein mehr oder minder helles Bewußtsein von ihr. Da jede Nation eine ganz individuelle und eigene Seite habe, verbiete sich das Aufstellen allgemeiner Gesetze. Möglich sei aber eine „wenigstens summarische [. . .] Orientierung über das, was man von allgemeinen Typen und Tendenzen im Wesen und Werden der Nation unterscheiden kann“148. Voraussetzung für die Entwicklung einer Nation sei das Gewinnen einer festen territorialen Grundlage, eines „Vaterlandes“. Nur so erreiche sie „festeren dem Beginn des 19. Jahrhunderts, in: T. Schieder (Hrsg.), Staatsgründungen und Nationalitätsprinzip, 1974, S. 9 (39). Vor einer Verabsolutierung der Grenze zwischen diesen beiden Auffassungen warnt auch Hroch, Europa (Fn. 12), S. 15. 145 Auch Hroch stellt allerdings fest, daß sich die zumindest vor 1945 zu dieser Problematik entstandenen Arbeiten weitgehend in diese zwei Hauptströmungen einteilen lassen: ders., Europa (Fn. 24), S. 13 f. 146 Lemberg, Nationalismus II (Fn. 15), S. 9 f. 147 F. Meinecke, Weltbürgertum und Nationalstaat. Studien zur Genesis des deutschen Nationalstaates, 1908, S. 1. 148 Meinecke, Weltbürgertum (Fn. 147), S. 2.

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Zusammenhalt und reicheren Inhalt“149. Anläßlich der Frage, aus welchen Wurzeln dieser reichere Inhalt erwächst, unternimmt Meinecke die seitdem so verbreitete Unterscheidung: Die Nationen seien einteilbar in Kulturnationen und Staatsnationen, „in solche, die vorzugsweise auf einem [. . .] gemeinsam erlebten Kulturbesitz beruhen, und solche, die vorzugsweise auf der vereinigenden Kraft einer gemeinsamen politischen Geschichte und Verfassung [. . .] beruhen“150. Gemeinsame Sprache, Literatur und Religion seien die wichtigsten und wirksamsten Kulturgüter, die eine Kulturnation schaffen und zusammenhalten. Jedoch ließen sich Kultur- und Staatsnationen nicht streng und säuberlich voneinander unterscheiden – die Kulturnation könne zugleich Staatsnation sein, jedenfalls sei der Fall, daß eine Kulturnation ausschließlich aus gemeinsamer Kultur, ohne Mitwirkung eines politischen Faktors entsteht, selten und umgekehrt entstehe kaum eine Staatsnation ohne Mitwirkung kultureller Faktoren. Auch könnten innerhalb einer Staatsnation die Angehörigen verschiedener Kulturnationen leben, und eine Kulturnation könne in sich mehrere Staatsnationen entstehen sehen. Trotz der möglichen Überschneidungen bezeichneten diese Kategorien aber zumindest dominierende Tendenzen. In der Entwicklung der neueren großen Nationen macht Meinecke mit dem Jahr 1789 eine Hauptzäsur aus, die es ihm ermöglicht, trotz vorhandener Kontinuität eine weitere Einteilung der Nationen in solche älteren und jüngeren Gepräges vorzunehmen. Die Staatsnation älteren Gepräges sei durch eine, zum großen Teil unwillkürliche, absolutistische oder aristokratisch-parlamentarische Staatsbildung von oben her geschaffen worden. Da, wo ein „regeres, dauerhaftes, nach innen und außen hin wirksames politisches Gemeingefühl“151 vorhanden war, sei die Einwohnerschaft eines Staates zur Staatsnation und der Staat zum Nationalstaat geworden. Ergebnis sei allerdings ein höchst unvollkommener Nationalstaat gewesen, da das ganze System der landschaftlichen, örtlichen und gesellschaftlichen Institutionen der Nationalisierung von oben her entgegen149 F. Meinecke, Weltbürgertum und Nationalstaat, 7. Aufl. 1928, in: H. Herzfeld/ C. Hinrichs/W. Hofer (Hrsg.), Friedrich Meinecke Werke, 1962, S. 10. 150 Meinecke, Weltbürgertum (Fn. 147), S. 2 f. Auch K. Stavenhagen mißt dem Begriff Nation zwei verschiedene Bedeutungen zu: Zum einen sieht er Nation als „soziologisches Gebilde, dessen Einheit durch eine Gemeinsprache, durch gemeinsame Volkslieder und gemeinsame Volkssitte bestimmt wird, konstituierende Elemente, zu denen vielfach ohne klar bedachte Beziehung das gemeinsame ,Blut‘ gerechnet wird“: ders., Das Wesen der Nation, 1934, S. 2. Tritt zu den primitiven Kulturgütern der gemeinsame Besitz einer Hochkultur, so pflege man von der Kulturnation zu sprechen. Zum anderen könne man Nation als Staatsnation verstehen, als eine „ihrer selbst bewußte, in einem territorial begrenzten Verbande organisierte mit Machtfülle ausgestattete Gemeinschaft“: ders., Wesen, S. 2. An dieser Unterscheidung könne trotz ihrer Ungenügendheit nicht vorbeigegangen werden, da Kulturnation und Staatsnation „Formen des Lebens, existentielle, nicht wissenschaftliche Kategorien“ seien und ein Absehen von diesem Unterschied einem Wegsehen gleichkäme: ders., Wesen, S. 3. 151 Meinecke, Weltbürgertum (Fn. 147), S. 6.

III. Grundauffassungen des Nationsbegriffs

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gewirkt habe. Die Unvollkommenheit des Nationalstaates neuerer Prägung hingegen habe wesentlich andere Ursachen. Habe es dem Nationalstaat älterer Prägung an spontaner Bewegung aus den tieferen Kreisen der Nation her gefehlt, so habe der neuerer Prägung eher zuviel davon und Mühe, die auseinanderstrebenden und auf ihn eindrängenden Parteiungen zusammenzuhalten. Die Nationalpersönlichkeit setze sich aus einer Fülle von Einzelpersönlichkeiten zusammen. Ist in ihnen erst einmal das volle Bewußtsein einer großen nationalen Gemeinschaft erwacht, bedeute dies eine „großartige Erweiterung der Einzelpersönlichkeit und ihres Lebenskreises“152, die bis hin zum Hineinstellen in den Lebenskreis führen kann, der „so unmittelbar zum Menschen spricht, so stark ihn trägt, so getreu seine ganze natürlich-geistige Wesenheit wiedergibt, so sehr Makroanthropos und potenziertes Individuum selbst ist oder werden kann“153 – den der Nation. Mit dem Erstarken der Nation erstarkten auch alle Lebenskreise innerhalb der Nation und damit auch die schon vorhandenen geistigen, politischen und gesellschaftlichen Gegensätze innerhalb der Nation. Aufgabe des modernen Nationalstaates sei es somit, eine Gemeinsamkeit in gewissen Grundanschauungen und eine gegenseitige Duldung und Anerkennung zu erreichen. Die Kulturnation älteren Gepräges habe hingegen nicht von sich aus den Drang gehabt, Staatsnation zu werden und sich einen sie umfassenden Nationalstaat zu schaffen. Vielmehr habe sie sich mit ihrem Dasein als bloßer Kulturnation eher zufriedengeben können als „die Zeit, die nach möglichst kräftigen Formen und Wirkungsweisen für die Persönlichkeit der Nation suchte“154. Gegen die Auffassung vom Wesen des alten und des modernen Nationalstaates lasse sich aber ein gewichtiger Einwand erheben. Jeder Staat, der in seiner Struktur ein eigentümliches nationales Gepräge trägt, sei ein Nationalstaat, es komme nur darauf an, daß seine Institutionen möglichst unberührt von außernationalen Einflüssen sind. Der echte Nationalstaat sei und werde nach dieser Auffassung national „nicht durch den absichtsvollen Willen der Regierenden oder der Nation, sondern so, wie Sprache, Sitte, Glaube national sind und werden, durch das stille Wirken des Volksgeistes“155. Es sei also die Kulturnation, und zwar vorzugsweise die Kulturnation in ihrer vegetativen Periode, also der Periode, in der sie ein „mehr pflanzenhaftes und unpersönliches Dasein und Wachstum“156 hat, die den Nationalstaat in diesem Sinne hervorbringt, der Staat werde bei dieser Betrachtungsweise nur als ein Produkt nationaler Kultur neben anderen angesehen. Dieses Prinzip geht im Gegensatz zum oben ange-

152 153 154 155 156

Meinecke, Meinecke, Meinecke, Meinecke, Meinecke,

Weltbürgertum Weltbürgertum Weltbürgertum Weltbürgertum Weltbürgertum

(Fn. (Fn. (Fn. (Fn. (Fn.

147), 147), 147), 147), 147),

S. S. S. S. S.

7. 8. 8. 12. 5.

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wandten nicht vom Staat aus, sondern von der Nation. Nicht die Staaten, die eine Staatsnation enthalten, also eine Bevölkerung von regerem politischem Gemeingefühl, seien Nationalstaaten, sondern die, die den eigenartigen Charakter einer besonderen nationalen Kultur tragen. Die Nation bringe „mancherlei Kinder ihres Geistes“157 hervor, darunter eben auch Nationalstaaten. b) Weitere Ansätze Aufgrund der zahlreichen Veröffentlichungen zum Thema Nation fällt es schwer, Auffassungen von Nation auszuwählen. Wie bereits erwähnt, soll sich die Auswahl an der von Meinecke begründeten Zweiteilung orientieren, sollen also solche Ansätze vorgestellt werden, die eine ebensolche oder ähnliche Gegenüberstellung beinhalten. Eine weitere Eindämmung wird durch die Beschränkung auf im weiten Sinne deutsche Literatur vorgenommen.158 aa) Staatsnation, Sprach- oder Kulturnation und Willens- oder Gefühlsnation bei Friedrich Hertz Friedrich Hertz159 nimmt eine begriffliche Einteilung vor, die auf die Frage, was eine Nation eigentlich sei, drei Antworten bereithält: Die Nation könne „das Staatsvolk, also die Gesamtheit aller Staatsbürger, ohne Rücksicht auf Sprache und Abstammung, innerhalb der gegebenen Staatsgrenzen oder innerhalb der als notwendig geforderten historischen oder ,natürlichen Grenzen‘“ 160 sein. Dies sei die Idee der Staatsnation, die sowohl dem Standpunkt eines gesättigten monarchisch-bürokratischen Einheitsstaates, als auch jenem einer national und territorial befriedigten Demokratie entspreche. Weiterhin könne die Nation sein „eine Gemeinschaft, die an objektiven Merkmalen, vor allem an Sprache, Rasse, Kultur und Charakter feststellbar ist, ohne Rücksicht auf Staatsgrenzen“161. Diese Idee der Sprach- oder Kulturnation trete als Ersatz für eine versagte staatliche Einigung von Sprachverwandten, als Motiv staatlichen Einigungsstrebens, aber auch als Rechtfertigung von Annexionen gegen den Willen der Bevölkerung auf. Schließlich könne die Nation „lediglich im subjektiven 157

Meinecke, Weltbürgertum (Fn. 147), S. 13. Aus dem Bereich der angelsächsischen Wissenschaft ist v. a. auf Ernest Gellner, Benedict Anderson, John Breuilly, Eric J. Hobsbawm und Anthony D. Smith hinzuweisen. 159 Friedrich Otto Hertz, geboren 1878 in Wien, gestorben 1964 in London, Soziologe und Historiker: N. N., in: W. Killy/R. Vierhaus (Hrsg.), Deutsche Biographische Enzyklopädie, Bd. 4, 1996, S. 651. 160 F. Hertz, Wesen und Werden der Nation, in: Jahrbuch für Soziologie, Erster Ergänzungsband, 1927, S. 1 (23). 161 Hertz, Wesen (Fn. 160), S. 23. 158

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Merkmal des Zusammengehörigkeitswillens oder Gemeinschaftsgefühls“162 beruhen. Dies sei die Idee der Willens- oder Gefühlsnation, die dem demokratischen Prinzip entspreche. Historisch lassen sich diese drei Grundauffassungen als jeweils für den angloamerikanischen Raum, für Mittel- und Osteuropa sowie für Frankreich und Italien (bis zum Ersten Weltkrieg) typisch einstufen.163 bb) Westliche und östliche Auffassung von Nation bei Hans Rothfels Hans Rothfels164 unterscheidet eine westliche und eine östliche Auffassung von Nation. Die westliche Begriffswelt gehe wesentlich vom Staate aus, Nationalität sei gleichbedeutend mit Staatsbürgerschaft oder Staatsangehörigkeit. Die Gleichsetzung von Staat und Nation in den westeuropäischen Staaten sei „das Spiegelbild eines geschichtlichen Prozesses wesentlich politischer Art, in dem und während dem ein nationaler Staat tatsächlich als Hauptagent der Vereinheitlichung wirkte“165. Wen das Schicksal trifft, staatenlos zu sein, der habe nach dieser Begriffswelt auch keine Nationalität. Rothfels bezeichnet dies als „eine rational klar umschriebene, eine juristische und luzide Terminologie“166, in der sich ein historischer Prozeß, in dem und durch den politische Nationen sich im Wege allmählicher Assimilierung und Integrierung herausgebildet haben, spiegele. Im Mittelpunkt stehe seit der Französischen Revolution das voluntaristische Prinzip, der freie Wille als Kern demokratischer Selbstbestimmung, während sprachliche und ethnische Gesichtspunkte ein Nebenklang blieben. Nicht Assimilierung, sondern Segregierung habe hingegen die Entwicklung im östlichen Mitteleuropa gekennzeichnet. Begründet durch das „Fehlen großräumiger politischer Konsolidierung“ und das „Durcheinandergeschobensein von 162

Hertz, Wesen (Fn. 160), S. 23. B. Estel, Grundaspekte der Nation. Eine begrifflich-systematische Untersuchung, in: Soziale Welt 42 (1991), S. 208 (211). Den für das zweite Nationsverständnis traditionell gebrauchten Ausdruck Kulturnation hält dieser für insofern irreführend, als mit ihm gewöhnlich objektivistische Auffassungen überhaupt, und zwar im Gegensatz zu den zuletzt genannten gemeint seien: Kulturnation sei so nur pars pro toto. Gegenüber dem Staatsnationsverständnis bestehe die grundlegende Gemeinsamkeit dieser beiden Positionen darin, daß die Nation eine Gemeinschaft von Menschen ist, die prinzipiell vor und notfalls gegen den Staat besteht. Die Forderung nach Volkssouveränität sei somit eine Konsequenz beider Nationsverständnisse, sowohl dem der Sprach- oder Kulturnation als auch dem der Willens- oder Gefühlsnation. 164 Geboren 1891 in Kassel, gestorben 1976 in Tübingen, Historiker: N. N., in: W. Killy/R. Vierhaus (Hrsg.), Deutsche Biographische Enzyklopädie, Bd. 8, 1998, S. 419 f. 165 H. Rothfels, Grundsätzliches zum Problem der Nationalität, in: Historische Zeitschrift 174 (1932), S. 339 (341 f.). 166 H. Rothfels, Die Nationsidee in westlicher und östlicher Sicht, in: Osteuropa und der deutsche Osten. Beiträge aus Forschungsarbeiten und Vorträgen der Hochschulen des Landes Nordrhein-Westfalen, 1956, S. 7 (9). 163

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Völkern“ und die „so verbreitete Insel- und Streulage“167 seien kulturelle Eigenarten bewahrt worden, die auf objektiven Faktoren, namentlich auf Abstammung und Sprache, beruhten. Das Bewußtsein dieser verschiedenen ethnischen und sprachlichen Gruppen sei wesentlich verbunden gewesen mit dem Gewahrsein oder Gewahrwerden einer spezifischen Kultur, die ihrerseits wesentlich auf Sprache und den darin ausgedrückten Werten beruht habe. In den Fällen also, in denen ein größerer staatlicher Rahmen nicht schon gegeben ist, werde entscheidender Nachdruck gelegt auf gemeinsame Herkunft und gemeinsames Erbe, auf gemeinsame Erinnerungen und gemeinsame Erlebnisse. „Nationalität in diesem Sinne hatte wenig mit dem Staate und wenig mit Selbstbestimmung zu tun, sie war etwas Ursprüngliches und organisch Wachsendes, der tragende Grund aller kulturellen Hervorbringungen, alles Eigentümlichen im Leben der Völker.“ 168 Somit stehe die westliche Auffassung von Nation, die politische und subjektive Nationsidee, der östlichen Auffassung, der kulturellen und objektiven Nationsidee, „mit großer Schärfe gegenüber – eine rationale und eine irrationale Gedankenwelt“ 169. cc) Westeuropäische, mitteleuropäische und osteuropäische Phase bei Theodor Schieder Theodor Schieder170 unterscheidet drei große Etappen auf dem Weg der Nationalisierung des modernen Europa. Jede dieser drei Etappen stelle nicht nur eine besondere zeitliche Phase dar, sondern diene auch der Differenzierung zwischen Nationalstaaten verschiedener Qualität und Form. Unter einem Nationalstaat sei ein staatliches Gebilde zu verstehen, „das seine politische und sogar rechtliche Legitimität daraus nimmt, auf den Willen einer Nation gegründet zu 167 Rothfels, Nationsidee (Fn. 166), S. 11. Die sich im östlichen Mitteleuropa in besonderer Form ausgewirkten Völkerwanderungen – namentlich slawischer Schub nach Westen und germanischer Rückstrom – hätten zu einer Überschneidung geographischer und politischer mit Volks- und Sprachgrenzen wie zu weitgehendem Gemenge geführt und zudem in Ländern stattgefunden, die vom römisch-rechtlichen Prinzip des ius soli kaum oder gar nicht berührt waren. Recht, Einrichtungen und Gebräuche seien mitgebracht worden und nicht territorial, sondern personal gewesen. Durch religiöse Schismen und soziale Trennungslinien habe sich die Tendenz der Absonderung noch erheblich verstärkt. So hätten Konfession und ständische Ordnung mehr oder weniger stark die Nationszugehörigkeit zu bestimmen tendiert. Ausführlich dazu Rothfels, Grundsätzliches (Fn. 165), S. 347 ff. 168 Rothfels, Nationsidee (Fn. 166), S. 11. 169 Rothfels, Nationsidee (Fn. 166), S. 12. Rothfels möchte die Begriffspaare subjektiv gegen objektiv und politisch gegen kulturell allerdings nicht als Synonyme verstanden wissen. Er sieht aber eine gewisse Parallele oder zumindest ein Verknüpfungsverhältnis: ders., Grundsätzliches (Fn. 165), S. 344. 170 Geboren 1908 in Oettingen, gestorben 1984 in Köln, Historiker: N. N., in: W. Killy/R. Vierhaus (Hrsg.), Deutsche Biographische Enzyklopädie, Bd. 8, 1998, S. 624 f.

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sein“171. In der ersten Etappe bilde sich die moderne Nation in England und Frankreich durch eine innerstaatliche Revolution, in der die Gemeinschaft der Bürger den Staat auf bestimmte politische Werte neu gründet. „Das subjektive Bekenntnis zum nationalen Staat bleibt das einzige Merkmal einer politischen Nationalität, nicht etwa Sprache, Volksgeist oder Nationalcharakter. Nation ist Staatsbürgergemeinschaft, nicht in erster Linie Sprach- oder Volksgemeinschaft.“172 Fast ohne Ausnahme entwickele sich nationale Demokratie in diesem Sinne in den alten Staaten des Westens und auch des Nordens. Die zweite Phase bringe die Entstehung von Nationalstaaten aus getrennten Teilen von Nationen und sei die Stunde der nationalen Einheitsbewegungen in Deutschland und Italien. Im ohne übergreifende Staatlichkeit und ohne geschlossenen Staatsbürgerverband existierenden deutschen Teil Mitteleuropas sei die zunächst ganz unpolitisch verstandene Idee des Volkes entwickelt worden, „das vor und über dem Staat lebendig ist als schöpferische Kraft, die in der Sprache und in einem besonderen Volksgeist sich ausdrücken soll“173. Die Idee des Volkes werde als irrationales Prinzip verstanden, Volkstum sei an seinen objektiven Merkmalen erkennbar. „Den Staat auf das Volk gründen heißt dann, ihn in Einklang bringen mit den natürlichen Ordnungen des Menschengeschlechts. Die Staatenordnung auf Völker gründen heißt, ihr eine natürliche Verfassung geben gegenüber der als künstlich verstandenen dynastischen Verfassung, die die Völker teilte oder sie in unnatürlicher Weise unter eine Herrschaft zwang.“174 Für die dritte Phase seine die großen Imperiums- und Reichsbildungen geschichtlich entscheidend geworden. Die nationalen Strukturen weiter Teile Osteuropas seien durch „Großmonarchien“ überwältigt oder überformt worden. Zu nennen seien die habsburgisch-österreichische, die osmanisch-türkische und die russische als Großstaaten, die den nationalen Bewegungen als die großen „Gefängnisse der Völker“ erschienen. „Das politische Bewußtsein dieser Bewegungen und der sie tragenden Völker wird nicht im und am Staat entwickelt, sondern durch die Gegnerschaft gegen den bestehenden Staat geprägt.“175 Der moderne Nationalstaat dieses Typs bilde sich nicht durch Zusammenschluß getrennter Teile, sondern durch Abtrennung. Jede der drei Etappen korrespondiere also weitgehend mit einer westeuropäischen, einer mitteleuropäischen und einer osteuropäischen Phase.176 Schieder selbst gibt aber zu bedenken, daß sezessionistische Bewegungen zugleich auch Einigungsbewegungen seien und die „volksnationale“ Idee in Mittel- und Ost-

171 172 173 174 175 176

Schieder, Schieder, Schieder, Schieder, Schieder, Schieder,

Nationalstaat (Fn. 134), S. 14. Nationalstaat (Fn. 134), S. 15. Nationalstaat (Fn. 134), S. 16. Nationalstaat (Fn. 134), S. 16, Hervorhebung im Original, J. D. K. Typologie (Fn. 132), S. 64, Hervorhebung im Original, J. D. K. Nationalstaat (Fn. 134), S. 17.

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europa durchweg von staatsnationalen Elementen durchdrungen werde. Als Beispiel einer durch alle drei Phasen hindurchgehenden Nationalstaatsbewegung führt er Italien an. Auch wenn die italienische Nationalstaatsgründung ihren Schwerpunkt in der zweiten Phase habe, so habe das italienische Nationalbewußtsein eine mehrschichtige Struktur: Es enthalte nationaldemokratische Elemente aus dem unmittelbaren Einfluß der Französischen Revolution, starke unitarische Züge aus der Zeit des Risorgimento und einen nationalirredentistischen Einschlag aus der sezessionistischen Phase. Besondere Ähnlichkeiten seien zwischen der mitteleuropäischen und der osteuropäischen Phase auszumachen: „Sowohl für die Nation, die sich aus Teilen zusammenschließen will, wie für die Nation, die ihre Selbstbestimmung durch Herauslösung aus einem größeren Ganzen erstrebt, besteht keine Identität mit der Staatsbürgergemeinschaft mehr, sondern muß eine innere Homogenität anderer Art gesucht werden.“177 Darin zeigt sich die Verwandtschaft von Schieders Drei-Phasen-Schema zu Meineckes Unterscheidung in Staatsnationen und Kulturnationen.178 dd) Westlicher, östlicher und südlicher Ansatz bei Uri Ra’anan Ebenfalls eine Dreiteilung nimmt Uri Ra’anan179 vor, der einen „westlichen“, einen „östlichen“ und einen „südlichen“ Ansatz unterscheidet. Im Europa westlich des Rheins und der westlichen Hemisphäre seien Untertanentreue gegenüber dem Staat, Wohnsitz innerhalb seiner Grenzen und Unterwerfung unter seine Rechtsprechung Kennzeichen der Vorstellung von Nationalität. Wohnsitz und Paß, also vor allem territoriale und juristische Kriterien bestimmten weitgehend die Nationalität eines Individuums. Leitet man hingegen die die Nationalität bestimmenden Kriterien nicht vom ius soli, sondern vom ius sanguinis ab, sei für die Festlegung der Nationalität eines Individuums nicht von Bedeutung, wo es wohnt, sondern wer es ist. „Das bedeutet, daß die Nationalität eines Menschen als Erbe, das er von seinen Vorfahren erhalten hat und das er in Geist und Körper mit sich trägt ohne Rücksicht darauf, wo er gerade seinen Wohnort hat, betrachtet wird.“180 Auf dieses Modell gingen zwei Auffassungen zurück, die sich zwar ein wenig voneinander unterschieden, aber verwandt seien. Der Ansatz im Europa östlich des Rheins konzentriere sich eher auf kulturelle Merkmale für Ethnizität, der südliche Ansatz an den südlichen und östlichen 177

Schieder, Nationalstaat (Fn. 134), S. 20. Schieder ist allerdings der Auffassung, daß sein Drei-Phasen-Schema historisch ergiebiger sei als die sonst übliche Unterscheidung zweier Nationsbegriffe, da diese viele Nuancen unterschlage. 179 Eigentlich Heinz Felix Frischwasser, geboren 1926 in Wien, Politikwissenschaftler: http://www-classic.uni-graz.at/sozwww/agsoe/soz/oes/oes_r.htm (31.03.2008). 180 U. Ra’anan, Nation und Staat: Ordnung aus dem Chaos, in: E. Fröschl/M. Mesner/U. Ra’anan (Hrsg.), Staat und Nation in multiethnischen Gesellschaften, 1991, S. 23 (35). 178

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Rändern des Mittelmeers, also in den Nachfolgestaaten des Osmanischen Reiches, auf die Religion als eines der Hauptkennzeichen für Nationalität. Die wichtige Rolle der Religion bei der Festlegung der nationalen Identifikation führt Ra’anan hauptsächlich auf eine osmanische Institution, die als „millet“ bekannt ist, zurück. Demnach sei die „begrenzte zivile Autonomie der [von den Osmanen] unterworfenen Völker de facto zu einer Form der klerikalen und religiösen Selbstverwaltung“ geworden, was zum Ergebnis gehabt habe, „daß nationale Identität in den Gebieten südlich und östlich des Mittelmeers schließlich fast gleichbedeutend mit religiöser Identität wurde“181. Ra’anan zeigt also drei verschiedene Ansätze auf: ein westliches, territoriales Konzept, ein östliches, personell-kulturelles Konzept und ein südliches, personell-religiöses Konzept. ee) Volksnation, Kulturnation, Klassennation und Staatsbürgernation bei M. Rainer Lepsius M. Rainer Lepsius182 sieht die Nation als eine „gedachte Ordnung, eine kulturell definierte Vorstellung, die eine Kollektivität von Menschen als eine Einheit bestimmt“183. Dabei unterscheidet er vier verschiedenen Nationstypen, je nachdem, welche Eigenschaften den Solidaritätsverband der Nation unterscheidbar machen, welcher Wert ihm zugeschrieben wird und welche Bedeutung er für die Orientierung des Handelns seiner Mitglieder hat. Die Volksnation konstituiere sich über die ethnische Abstammung. Da nur selten offensichtliche rassische Merkmale vorlägen, würden ethnische Einheiten auch über kulturelle Eigenschaften, Sprache, Religion oder durch noch undeutlichere Kriterien wie das einer historischen Schicksalsgemeinschaft bestimmt. Zwar sei die ethnische Homogenität weitgehend das „Produkt einer kulturell behaupteten Identität und einer politisch durchgesetzten Gleichheit“184, der Geltungsanspruch der Volksnation legitimiere sich aber naturrechtlich und vorpolitisch. Die Kulturnation hingegen konstituiere sich über die kulturelle Gleichheit von Menschen. Ihre Bedeutung liege vor allem in einem Substitutions- und Komplementaritätsverhältnis zur politischen Staatsnation. Die Intention der Vorstellung einer Kulturnation sei „transpolitisch“, sie versuche, trotz bestehender politischer Ungleichheit eine nationale Identität über kulturelle Gleichheit herzustellen. Die Kulturnation „hält eine gedachte Ordnung der Zusammengehörigkeit offen, die insoweit einen Realitätsbezug für das Handeln hat, als sich innerhalb dieser kulturellen Gleichheit, insbesondere sprachlicher Art, andere Kom181

Ra’anan, Nation (Fn. 180), S. 39 f. Mario Rainer Lepsius, geboren 1928 in Rio de Janeiro, Soziologe: http:// de.wikipedia.org/wiki/Mario_Rainer_Lepsius (31.03.2008). 183 M. R. Lepsius, Nation und Nationalismus in Deutschland, in: ders., Interessen, Ideen und Institutionen, 1990, S. 232 (233). 184 Lepsius, Nation (Fn. 183), S. 233. 182

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munikations- und Interaktionschancen ergeben, als dies in bezug auf andere Kultureinheiten der Fall ist“185. Die Klassennation wiederum wolle über das Kriterium der Gleichheit der Klassenlage eine Identitätsbildung ermöglichen. Damit unterliege sie dem Zwang zur Gleichheit der Lebenslage der Bevölkerung, in dem das Postulat der Gleichheit der Angehörigen der Klassennation untereinander seine Grundlage finde. Interne Differenzierungen in der Lebenslage müßten daher verhüllt werden. Werden Klassenkonflikte dennoch offen ausgetragen, ergebe sich der paradoxe Umstand, „daß im Namen der Interessen der ,Klassennation‘ gegen die Interessen der [eigentlich die Legitimität spendenden] ,nationalen‘ Klasse vorgegangen wird“186. Die Inanspruchnahme geschichtsphilosophisch konstruierter Wesenheiten erlaube eine hohe Rechtfertigung individueller Rechtlosigkeit. Dies verdeutliche die funktionale Ähnlichkeit zur Volksnation. Die Staatsbürgernation schließlich konstituiere sich „über die individuellen staatsbürgerlichen Gleichheitsrechte und die Verfahren der demokratischen Legitimation der Herrschaft durch die Staatsbürger“187. Die Außenabgrenzung ergebe sich einzig durch den räumlichen Geltungsbereich der Verfassungsordnung. Somit sei die Staatsbürgernation nicht verfassungsneutral. „Die Gewährleistung der individuellen Bürgerrechte und die verfassungsmäßig kontrollierte Legitimationsgabe für das Herrschaftssystem sind unverzichtbar, da diese ja gerade die Kriterien sind, über die sich die ,Staatsnation‘ konstituiert.“188 ff) Politisch-voluntativer und ethnisch-kultureller Nationsbegriff bei Ernst-Wolfgang Böckenförde Zwei unterschiedliche Nationsbegriffe führt Ernst-Wolfgang Böckenförde189 an, um die nationalen und nationalstaatlichen Bewegungen in Europa zu charakterisieren: einen politisch-voluntativ orientierten, wie er in Frankreich, aber auch den USA herrschend sei, und einen ethnisch-kulturell bestimmten in Deutsch185

Lepsius, Nation (Fn. 183), S. 240. Lepsius, Nation (Fn. 183), S. 242. 187 Lepsius, Nation (Fn. 183), S. 242. Der Begriff der Staatsnation bezeichne hingegen nur die Existenz einer staatlichen Verbandsordnung für eine nationale Ordnungsvorstellung, sei also lediglich der Ausdruck der staatlichen Verfaßtheit eines nationalen Gebildes, unabhängig von der diesem zugrundeliegenden Auffassung von Nation. P. Thaler bemerkt allerdings zu Recht, daß „eine Anlehnung an eine besondere Verfassungsart [. . .] die Anwendung dieses Nationsbegriffes [. . .] bei aller ideologischen Attraktivität normativ eher denn empirisch erscheinen [läßt], weil schon ein rein innenpolitischer Systemwechsel sofortigen Nationszerfall zur Folge haben müßte“: ders., Der Stand der mitteleuropäischen Nationstheorie aus internationaler Sicht, in: Zeitschrift für Politik 43 (1996), S. 23 (24). 188 Lepsius, Nation (Fn. 183), S. 243. 189 Geboren 1930 in Kassel: http://de.wikipedia.org/wiki/Ernst-Wolfgang_Böcken förde (31.03.2008). 186

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land sowie in Mittel- und Osteuropa. Wo das erwachende politische Selbstbewußtsein der sich bildenden Nation seine Orientierung am bereits vorhandenen Staat fand und finden konnte, sei die Nation entstanden und bestehe als politische Bekenntnisgemeinschaft: Man wolle gemeinsam in und unter einer bestimmten staatlich-politischen Ordnung leben, die politische Freiheit und Selbstbestimmung verbürgt. Dieser gemeinsame politische Wille mache die Nation aus. In ihm und dem daraus hervorgehenden Bekenntnis vereinigten sich die Individuen zur Nation. Nach diesem, dem „französischen“ Nationsbegriff sei eine Nation „eine politische Willens- und Bekenntnisgemeinschaft, die darauf beruht, gemeinsam in und unter einer bestimmten staatlich-politischen Ordnung leben zu wollen“190. Konnte sich das erwachende politische Selbstbewußtsein hingegen nicht am bereits vorhandenen Staat bilden, so habe es sich an dem Staat vorausliegenden, eher natürlichen Kriterien wie Sprache, Abstammung, Geschichte und Kultur orientiert. Sprach-, Abstammungs- und Kulturgemeinschaft machten ein Volk aus, und nicht nur das Volk, sondern auch – politisch – die Nation. In die Nation werde man gewissermaßen hineingeboren, sie sei primär Schicksals- nicht Willensgemeinschaft. Nach dem „deutschen“ Nationsbegriff sei die Nation also „eine durch vor-staatliche, sog. natürliche Merkmale, wie gemeinsame Sprache, Abstammung und Kultur geprägte Gemeinschaft, der man unabhängig vom eigenen Willen zugehört“191. Allerdings ist Böckenförde der Ansicht, diese unterschiedlichen Nationsbegriffe seien nicht gleichbedeutend mit der Unterscheidung von „Kulturnation“ und „Staatsnation“. Die Kulturnation bestehe und verstehe sich unabhängig von einer politischen Nation, stehe also selbständig neben einer solchen. Die in der Kulturnation die Eigenart des Volkes ausmachenden Merkmale würden vielmehr ins Politische gewendet und so zu bestimmenden Merkmalen einer potentiellen Staatsnation gemacht. Der im Bereich der geistigen Kultur spielende Begriff der Nation werde überführt in den politischen Begriff der Nation. Daraus entstehe der objektiv-kulturelle Begriff der politischen Nation.192 c) Die beiden Grundmodelle der Nation Die Grundauffassungen des Nationsbegriffs lassen sich trotz der unterschiedlichen Ansätze, die möglich sind, um eine Differenzierung vorzunehmen, auf zwei Modelle der Nation reduzieren.193 Die Unterschiede, die zwischen den ein190 E.-W. Böckenförde, Die Nation – Identität in Differenz, in: ders., Staat, Nation, Europa: Studien zur Staatslehre, Verfassungstheorie und Rechtsphilosophie, 1999, S. 33 (34). 191 Böckenförde, Nation (Fn. 190), S. 34. 192 Böckenförde, Nation (Fn. 190), S. 34, 47 ff. 193 Auch Hroch konstatiert, daß „die Bildung der modernen Nationen in Europa auf zwei typologisch grundsätzlich unterschiedlichen Wegen verlief“: ders., Europa (Fn. 12), S. 40. Ein Modell ist „ein über die Vielfalt der Phänomene gelegtes verein-

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zelnen Ansätzen zu Tage treten, sind meist nur Folge einer kleineren oder größeren Auffächerung, eines kleineren oder größeren Grades der Abstraktion oder schlicht einer anderen Schwerpunktsetzung. Alle Ansätze aber basieren mehr oder weniger auf Meineckes Zweiteilung. Sieht man in der Kulturnation eher eine Vorstufe als ein Gegenmodell zur Staatsnation, verschwimmt die begriffliche Grenze zwischen Nation und Staat. Sinnvoller ist es, die verschiedenen Grundmodelle der Nation als Basis der Nationalstaaten zu begreifen und Staatsund Kulturnation gleichberechtigt nebeneinander stehenzulassen. Die Behauptung, daß der Ausdruck der Staatsbürgernation für ein Grundmodell der Nation treffender sei als der der Staatsnation und letzterer nur ein Ausdruck der staatlichen Verfaßtheit einer wie auch immer gearteten Nation sei, ist plausibel, zieht aber keine inhaltlichen Änderungen nach sich. Eine Reduzierung der unterschiedlichen Modelle auf zwei grundlegende, sich an der Zweiteilung Meinekkes orientierenden liegt also nahe. Zum einen, weil diese Unterscheidung eine idealtypische Vereinfachung ermöglicht, zum anderen, weil diese sich besonders gut mit der Darstellung der Nationsbildung am Beispiel Frankreichs und Deutschlands verbinden läßt. Nicht zuletzt deshalb, weil es sich um die beiden grundverschiedenen Konzepte zur Verwirklichung des Prinzips „Nation“ handelt.194 Als Begriffe bieten sich in Anlehnung an Hans Kohn195 der Begriff der subjektiv-politisch konstituierten und der Begriff der objektiv-kulturell determinierten Nation an.196 aa) Die subjektiv-politisch konstituierte Nation Die an der Idee der individuellen und kollektiven Selbstbestimmung orientierte subjektiv-politisch konstituierte Nation leitet sich also aus dem freien Willen und dem subjektiven Bekenntnis des Individuums zur Nation her. Die Bevölkerung eines bestimmten, historisch entstandenen Territoriums begreift sich, nachdem sie in Selbstbestimmung ihre politische Freiheit gewonnen hat, als Nation und gründet den Staat auf bestimmte politische Werte neu. Sie konstituiert sich als Staat, wird Staatsvolk und gibt sich eine Verfassung. Nation wird nun zum Ausdruck der freien Selbstbestimmung. Die subjektiv-politisch heitlichendes Raster“: D. Kluxen-Pyta, Verfassungspatriotismus und nationale Identität, in: Zeitschrift für Politik 37 (1990), S. 117 (126). 194 So auch R. Wittram, Das Nationale als europäisches Problem, 1954, S. 10. 195 Geboren 1891 in Prag, gestorben 1971 in Philadelphia, Soziologe: N. N., in: W. Killy/R. Vierhaus (Hrsg.), Deutsche Biographische Enzyklopädie, Bd. 6, 1997, S. 6. 196 H. Kohn hält die Nation für ein Produkt des Nationalismus und unterscheidet einen „westlichen“ fortschrittlichen, liberalen und demokratischen und einen „nicht westlichen“ irrationalen, mythologischen und autoritären Nationalismus, vgl. ders., The Idea of Nationalism. A Study in its Origins and Background, New York u. a. 1944, passim. Seine Typologie ist eine Variante derjenigen Meineckes und der Rothfels’ sehr ähnlich.

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konstituierte Nation ist voluntaristisch geprägt und entspringt einem politischen Willensakt, entsteht also, da sie im wesentlichen vom Staat ausgeht, als politisch bewußte Gemeinschaft rechtsgleicher Bürger, unabhängig von sozialer und wirtschaftlicher Stellung, ethnischer Herkunft und religiöser Überzeugung, in einem innerstaatlichen Transformationsprozeß. Die Nation wird als Träger der Souveränität definiert und somit als Quelle der legitimen Autorität für den Staat.197 Nation und Staat fallen zusammen. Nationalität ist gleichbedeutend mit Staatsbürgerschaft oder Staatsangehörigkeit, wird also durch territoriale und juristische Kriterien bestimmt. Wer staatenlos ist, der hat nach dieser Begriffswelt auch keine Nationalität. Die politische Einheit wird als für die Nation konstitutiv verstanden, während die kulturelle Einheit als Folge der Nation verstanden wird. Somit wird das kulturelle Nationalbewußtsein eher als ein wesentlicher Bestandteil denn als Alternative des politischen Nationalbewußtseins angesehen.198 Eine einheitliche Sprache, ein einheitliches Rechts- und Verwaltungssystem, eine zentralistische Regierung und gemeinsame politische Ideale bilden das einigende Band. Im Falle der Staatsnation sind das Prinzip „Nation“ und die Grundsätze des neuzeitlichen Verfassungsstaates einschließlich des demokratischen Prinzips Momente ein und desselben Konzepts, Ergebnisse ein und desselben Aktes, durch den eine Bevölkerung sich als Staat konstituiert. Das macht es theoretisch unmöglich, daß Nationalbewußtsein und demokratische Gesinnung als einander ausschließende Gegensätze empfunden werden.199 Spezifikum der subjektiv-politisch konstituierten Nation ist, daß „sie ihren partikularen Zusammenschluß einer menschlich-universellen Orientierung unterstellt, bzw. daß sie diese Orientierung partikular verwirklicht“200. Die subjektiv-politisch konstituierte Nation ist eine politische Bekenntnisgemeinschaft. Sie sieht ihren Anknüpfungspunkt „in den Staatsbürgern eines bestimmten, staatlich organisierten Territoriums, unabhängig von der ethnokulturellen Zusammensetzung dieser Bevölkerung und von grenzüberschreitenden kulturellen Gemeinsamkeiten“201. Die Verfassung und die gemeinsame politische Geschichte bilden ihr Fundament. Zugespitzt ließe sich sagen: „Der einzige Weg, um zu entscheiden, ob ein Individuum zu einer oder einer anderen Nation gehört, ist, es zu fragen!“202

197 R. Brubaker, Einwanderung und Nationalstaat in Frankreich und Deutschland, in: Der Staat 28 (1989), S. 1 (14). 198 Brubaker, Einwanderung (Fn. 197), S. 23. 199 H. Buchheim, Das Prinzip „Nation“ und der neuzeitliche Verfassungsstaat, in: ZfP 42 (1995), S. 60 (62). 200 Buchheim, Prinzip (Fn. 199), S. 64. 201 Thaler, Stand (Fn. 187), S. 24. 202 W. Pillsbury, zitiert nach Rothfels, Nationsidee (Fn. 166), S. 10, bzw. Grundsätzliches (Fn. 165), S. 346.

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bb) Die objektiv-kulturell determinierte Nation Die objektiv-kulturell determinierte Nation, die über keinen eigenen Staat oder ein anderes politisches Medium zur Vermittlung eines Gemeinschaftsgefühls verfügt, definiert sich also über vermeintlich objektiv vorgegebene Kriterien wie gemeinsame Abstammung und Sprache, geschlossenes Siedlungsgebiet, Religion, Gewohnheiten und Geschichte. Die Zugehörigkeit zur Nation ist ein durch Natur und Geschichte bestimmtes Schicksal und somit dem Belieben des Individuums weitgehend entzogen.203 Das Eigenbewußtsein, das Gefühl der Zusammengehörigkeit, entwickelt sich unabhängig vom Staat, beruhend auf einer spezifischen Kultur, auf einem gemeinsam erlebten Kulturbesitz. Gemeinsame Herkunft und gemeinsames Erbe, gemeinsame Erinnerungen und gemeinsame Erlebnisse bilden die Basis. So überwölbt die vorpolitische Kulturnation einerseits partikularistische Staatsbildungen wie in Deutschland oder Italien im frühen 19. Jahrhundert und vermag andererseits ihre Aufteilung unter multinationalen Staaten über einen längeren Zeitraum hinweg zu überdauern, wie es das Beispiel der Polen zwischen 1772 und 1918 zeigt. Nicht die Umgestaltung eines vorhandenen, sondern die Schaffung eines neuen Staates ist Ziel des nationalrevolutionären Aktes. Folglich erscheint die Nation „als eine vor dem Staat gegebene, entweder historisch oder kulturell oder als sozialer Verband begründete Größe“204. Diese Auffassung des Prinzips Nation birgt die Möglichkeit, den Kreis der zur Nation Gehörigen anders abzustecken als den Kreis der Staatsangehörigen. Das kann dazu führen, gewisse Gruppen – weil fremder Herkunft oder Kultur – gegen ihren Willen aus der Nation auszuschließen. Nationalität ist ein Erbe, das man von seinen Vorfahren erhalten hat und in Geist und Körper mit sich trägt. Man „gehört“ zur Nation, wird in sie hineingeboren, findet darin sein Schicksal; Wille und Bekenntnis sind nicht konstitutiv, sondern nur Nachvollzug.205 Es ist dies die Umkehrung dessen, was aus Abbé Sieyès’206 Konzept folgt, wo sich Menschen gleicher Volkszugehörigkeit durch eigenen Willen aus der Staatsnation ausschließen, indem sie sich weigern, deren Prinzipien anzuerkennen.207 Der in Meineckes Augen echte Nationalstaat ist und wird national „nicht durch den Willen der Regierenden oder der Nation, sondern so, wie Sprache, Sitte, Glaube national sind und werden, durch das stille Wirken des Volksgeistes“208. 203

Alter, Nationalismus (Fn. 137), S. 20 f. Schieder, Typologie (Fn. 132), S. 63. 205 E.-W. Böckenförde, Die sozialen und politischen Ordnungsideen der Französischen Revolution, in: ders., Staat, Nation, Europa: Studien zur Staatslehre, Verfassungstheorie und Rechtsphilosophie, 1999, S. 11 (22). 206 Emmanuel Joseph Sieyès, geboren 1748 in Fréjus, gestorben 1836 in Paris. Einer der maßgeblichen Theoretiker der Französischen Revolution: N. N., in: Brockhaus (Fn. 100), S. 201. 207 Buchheim, Prinzip (Fn. 199), S. 63. 204

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d) Die Nationsbildungen Frankreichs und Deutschlands als Beispiel aa) Die französische Nation als Willensgemeinschaft „L’existence d’une nation est [. . .] un plébiscite de tous les jours [. . .]“ 209 lautet der Beginn eines vielzitierten Satzes aus einem Vortrag mit dem Titel „Qu’est-ce qu’une nation?“, den der französische Religionswissenschaftler Ernest Renan210 1882 an der Sorbonne hält. Er veranschaulicht in hohem Maße das französische Verständnis von der Nation als Willensgemeinschaft.211 Danach entscheiden nicht objektive Merkmale über die Zugehörigkeit zu einer Nation, sondern allein das subjektive Bekenntnis. Objektive Kriterien läßt Renan nicht gelten: nicht das der Rasse, da offensichtlich alle modernen Nationen ein ethnisches Gemisch aufwiesen; nicht das der Sprache, da es verschiedene Nationen einer Sprache und Nationen mit verschiedenen Sprachen gäbe; nicht das der Religion, da staatliche Grenzen sich nicht mit konfessionellen deckten; nicht das einer Gemeinschaft von Interessen, da „ein Zollverein [. . .] kein Vaterland“ sei; nicht das der Geographie, da die Lebensräume der Nationen in der Vergangenheit immer fluktuiert hätten.212 Vielmehr sieht Renan eine Nation als „eine Seele, ein geistiges Prinzip.“ Und weiter heißt es: „Zwei Dinge, die in Wahrheit nur eins sind, machen diese Seele, dieses geistige Prinzip aus. Eines davon gehört der Vergangenheit an, das andere der Gegenwart. Das eine ist der gemeinsame Besitz eines reichen Erbes an Erinnerungen, das andere ist das gegenwärtige Einvernehmen, der Wunsch zusammenzuleben [. . .]. Eine Nation ist also eine große Solidargemeinschaft, getragen von dem Gefühl der Opfer, die man gebracht hat, und der Opfer, die man noch bringen will. Sie setzt eine Vergangenheit voraus und läßt sie in der Gegenwart in eine handfeste Tatsache mün-

208 Meinecke, Weltbürgertum (Fn. 147), S. 12. Heute würde man eher von Habitus oder Mentalität sprechen. 209 E. Renan, Qu’est-ce qu’une Nation?, in: R. Girardet (Hrsg.), Qu’est-ce qu’une Nation? et autres écrits politiques, 1996, S. 221 (241). 210 Geboren 1823 in Tréguier (bei Paimpol), gestorben 1892 in Paris: N. N., in: Brockhaus. Die Enzyklopädie in vierundzwanzig Bänden, Bd. 18, 20. Aufl. 1998, S. 263. 211 Zu den Forschern, die die Nation subjektiv definieren, gehören in Deutschland M. Weber und die Anhänger der sogenannten Statistischen Schule. Nach ersterem bezeichne der Begriff Nation eine bestimmte Gruppe von Menschen, die ein spezifisches Solidaritätsempfinden besitzen: ders., Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriß der verstehenden Soziologie, Halbbd. 2, 5. Aufl. 1976, S. 528. Zu die Konzeption Renans vorwegnehmenden Arbeiten, insbesondere auch aus Deutschland S. Weichlein, „Qu’est-ce qu’une Nation?“ Stationen der deutschen statistischen Debatte um Nation und Nationalität in der Reichsgründerzeit, in: W. v. Kieseritzky/K.-P. Sick (Hrsg.), Demokratie in Deutschland. Chancen und Gefährdungen im 19. und 20. Jahrhundert, 1999, S. 71 (83 ff.). 212 E. Renan, Was ist eine Nation? Rede am 11. März 1882 an der Sorbonne, 1996, S. 19 ff.

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den: in die Übereinkunft, den deutlich geäußerten Wunsch, das gemeinsame Leben fortzusetzen.“213 Die Nation ist mit anderen Worten für Renan ein Produkt des politischen Willens. Sie ist nicht vor-politisch vorgegeben, sondern politisch-historisch begründet und zwar zum einen in gemeinsamer Erinnerung an gemeinsame Erfolge und Leiden und zum anderen in dem Willen, dieses gemeinsame Erbe fortzusetzen.214 „Die Nation entsteht und besteht als politische Bekenntnisgemeinschaft: Man will gemeinsam in und unter einer bestimmten politischen Ordnung leben. Dieser gemeinsame Wille macht die Nation aus, nicht natürliche, seinsmäßige Vorgegebenheiten“215. Allerdings ist bis heute die Sprache ein identitätsbestimmender Faktor. Dies jedoch weniger als Grund der Zugehörigkeit zur Nation, sondern als Folge, ist doch das kulturelle Nationalbewußtsein eher ein wesentlicher Bestandteil denn eine Alternative des politischen Nationalbewußtseins.216 Die französische Konzeption der Nation „trägt den Stempel ihrer Entstehung in der Monarchie, ihrer revolutionären Geburt und der republikanischen Apotheose“217. Das politische Verständnis der Nation entsteht schon im bereits vorhandenen monarchischen Territorialstaat und läßt sich bis ins Mittelalter zurückverfolgen.218 Die westfränkischen Könige sehen sich als legitime Nachfolger Karls des Großen und nennen sich reges francorum, Könige der Franken. Franken sind nicht alle Bewohner des früheren Gallien, sondern diejenigen, die dem König Heerfolge leisten. Die Nation bildet sich, in gleichem Maße, in dem das französische Königtum erstarkt und seine Herrschaft ausdehnt, hauptsächlich durch den Bezug auf die Krone. Diese setzt alles daran, Zwischengewalten zu entmachten und eine einheitliche Untertanengesellschaft, die der einheitlichen königlich-staatlichen Gewalt gegenübersteht, zu schaffen.219 Bis zur Französischen Revolution besteht die Nation allerdings lediglich aus denjenigen, die,

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Renan, Nation (Fn. 212), S. 34 f. Buchheim, Prinzip (Fn. 199), S. 62. 215 E.-W. Böckenförde, Die Schweiz – Vorbild für Europa?, in: ders., Staat, Nation, Europa: Studien zur Staatslehre, Verfassungstheorie und Rechtsphilosophie, 1999, S. 25 (27 f.). 216 Böckenförde, Nation (Fn. 190), S. 45; Brubaker, Einwanderung (Fn. 197), S. 23. 217 Brubaker, Einwanderung (Fn. 197), S. 14. Zu dem Zusammenhang zwischen republikanischer Nationalsymbolik und Französischer Revolution siehe R. Reichardt, Die Stiftung von Frankreichs nationaler Identität durch die Selbstmystifizierung der Französischen Revolution am Beispiel der „Bastille“, in: H. Berding (Hrsg.), Mythos und Nation. Studien zur Entwicklung des kollektiven Bewußtseins in der Neuzeit 3, 1996, S. 133 (133 ff.). 218 D. Tiemann, Das französische Staats- und Nationsverständnis, in: Studienzentrum Weikersheim (Hrsg.), Europa und die Zukunft der Nationalstaaten, 1994, S. 230 (231 f.). 219 Böckenförde, Nation (Fn. 190), S. 45. 214

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indem sie eine Beziehung zur Krone besitzen oder jedenfalls ständisch vertreten sind, politisch handeln. Nicht die Gesamtheit des Volkes, sondern die herrschende, politisch repräsentierte Schicht bildet die Nation.220 Erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wird die Nation im vorrevolutionären Frankreich als Gegenstück zu den in vielerlei Hinsicht privilegierten Ständen und Korporationen der Gesellschaft des Ancien Régime verstanden. Die Idee der Nation erfährt eine Politisierung, die durch die Schriften reformerischer Philosophen vorangetrieben und von einer breiten bürgerlichen Schicht getragen wird. Im Januar 1789 fragt Abbé Sieyès „Qu’est-ce que le Tiers-État?“ und beantwortet diese Frage in seiner gleichnamigen Schrift wie folgt: „Der dritte Stand umfaßt [. . .] alles, was zur Nation gehört, und alles, was nicht der dritte Stand ist, darf sich nicht als zur Nation gehörend betrachten.“221 Eine Nation sei eine Gesamtheit von vereinigten Individuen, die unter einem gemeinsamen Gesetz stehen und durch dieselbe gesetzgebende Versammlung vertreten sind. Wer sich nicht zum revolutionären Dritten Stand bekennt, ist von der Nation ausgeschlossen. Umgekehrt gilt, daß zur Nation gehört, wer sich zu ihr bekennt. Der seiner selbst bewußt werdende Dritte Stand – im wesentlichen das erwerbende und gebildete Bürgertum – hat und findet sein Zusammengehörigkeitsbewußtsein darin, Bürger Frankreichs zu sein.222 Das aufklärerische Denken der Zeit definiert Nation mit abstrakten, rationalistischen und kosmopolitischen Begriffen. Der Wille und das Bekenntnis, in dieser politischen Ordnung leben zu wollen, ihr Bürger zu sein, begründen die Zugehörigkeit zur Nation. Die Mitgliedschaft in dieser souveränen Nation wird verstanden und institutionalisiert in der politisch-rechtlichen Form der Staatsbürgerschaft.223 Zur Zeit der Revolution ist Frankreich bereits ein Einheits- und Territorialstaat. Zum Nationalstaat wird dieser dadurch, daß an die Stelle des souveränen Monarchen das Prinzip der Volkssouveränität tritt, die Bürger aus Untertanen des Königs zu Staatsangehörigen werden.224 Die Nation wird als Träger der Souveränität definiert und somit als Quelle der legitimen Autorität für den Staat.225 „Die erwachende Nation stellte sich nicht gegen den bestehenden Staat, sie fühlte sich ihm und seiner Geschichte verbunden und vollendete ihn, entriß ihn aber zugleich dem Königtum und gestaltete ihn grundlegend um. Darin, Bürger dieses in die eigene [sic] Hände genommenen Staates zu sein, sich zu ihm und seiner politischen Ordnung zu bekennen, die in der Erklärung

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Schulze, Staat (Fn. 27), S. 117. E. J. Sièyes, Was ist der dritte Stand?, in: F. Meinecke/H. Oncken (Hrsg.), Klassiker der Politik, Bd. 9, 1924, S. 40. 222 Böckenförde, Nation (Fn. 190), S. 44. 223 Brubaker, Einwanderung (Fn. 197), S. 14, 18. 224 Buchheim, Prinzip (Fn. 199), S. 60. 225 Brubaker, Einwanderung (Fn. 197), S. 14. 221

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der Menschen- und Bürgerrechte ihren Ausdruck fand, gewann die Nation ihre Identität.“226 Der moderne Nationalstaat bildet sich in Frankreich „durch eine innerstaatliche Revolution, in der die Gemeinschaft der Bürger [. . .] die Nation als Willensgemeinschaft neu gründet“227. Einziges Merkmal einer solchen Nationalität ist das subjektive Bekenntnis zum Staat. Die Nation der Französischen Revolution ist die Gemeinschaft aller politisch bewußten Staatsbürger auf der Grundlage der Ideen von der Gleichheit aller und der Volkssouveränität.228 Durch das Ersetzen der dynastischen durch nationale Legitimität in der Revolution verstärkt sich das politische Verständnis der Nation.229 Nation und nationales Bewußtsein bilden sich am vorhandenen Staat aus, der Nationsbegriff wird ein politischer.230 bb) Die deutsche Nation als Schicksalsgemeinschaft „Was ist des Deutschen Vaterland?“ fragt Ernst Moritz Arndt in seinem Vaterlandslied von 1813, um einige Strophen später die Antwort zu geben: „So weit die deutsche Zunge klingt und Gott im Himmel Lieder singt [. . .] Das ganze Deutschland soll es sein“231. Das deutsche Vaterland ist also überall dort, wo deutsch gesprochen wird. Noch deutlicher definiert Johann Gottfried Herder in seinem 1784 veröffentlichten Werk „Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit“ die Kulturnation. Danach ist die Nation ein durch die Gemeinsamkeit der Sprache und Kultur vorgegebener Tatbestand: „Nur durch die Sprache wird ein Volk“, und der Volksgeist als Einheit von Sprache und Kultur stifte die Nation. Deshalb meint Herder, die politischen Grenzen sollten nach den Ergebnissen der sprachwissenschaftlichen Forschung gezogen werden. Die Sprache sei die Verkörperung der Volksseele und die Nation eine „natürliche“ Ganzheit.232 Man wird also in die Nation hineingeboren, sie ist primär Schicksals-, nicht Willensgemeinschaft, die Zugehörigkeit zu ihr haftet dem einzelnen sozusagen seinsmäßig an. Seinen Ursprung hat dieser Nationsbegriff in Deutschland.233 Das mittelalterliche und frühneuzeitliche Heilige Römische Reich Deutscher Nation ist die institutionelle Geburtsstätte des deutschen Nationalbewußtseins, analog der Mon226

Böckenförde, Nation (Fn. 190), S. 45. Schieder, Typologie (Fn. 132), S. 62. 228 Schulze, Staat (Fn. 27), S. 169. 229 Brubaker, Einwanderung (Fn. 197), S. 14. 230 Böckenförde, Ordnungsideen (Fn. 205), S. 22. 231 Auch die erste Strophe des Deutschlandlieds bezieht sich auf die Siedlungsräume der Sprach- und Kulturnation. Die Wasserläufe und der Belt symbolisieren ein auf der Vorstellung der ethnischen Grenze gegründetes Konzept des nationalen Territoriums. 232 Buchheim, Prinzip (Fn. 199), S. 61. 233 Böckenförde, Schweiz (Fn. 215), S. 27. 227

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archie in Frankreich. Auch wenn sich die subjektiv empfundene Identität breiter Bevölkerungsschichten in ganz Europa zu dieser Zeit weitgehend über lokale und religiöse Gesichtspunkte definiert, so existiert doch ein ethnokulturelles Deutschland, das weder mit den supranationalen Ansprüchen des Reiches noch mit der subnationalen Reichweite der politischen Realität übereinstimmt. Der fortschreitenden konzeptuellen Verschmelzung von Nation und Königreich in Frankreich entspricht die konzeptuelle Unterscheidung von Nation und supranationalem Reich in Deutschland. Supranational ist das Reich als Erbe der universellen Tradition des Römischen Reiches sowohl in seiner Zielsetzung als auch in tatsächlicher Hinsicht. Der Zusatz „deutscher Nation“ wird benutzt, um deutsche von anderen sprachlichen und kulturellen Gemeinschaften innerhalb des Reiches zu unterscheiden. Der frühen Konsolidierung und allmählich zunehmenden Staatlichkeit der französischen Monarchie mit ihrer integrativen Wirkung auf das Nationalbewußtsein entspricht die Desintegration des Reiches im 13. Jahrhundert und die daraus folgende „Nicht-Staatlichkeit“234. Das Reich tritt in eine Vielzahl politischer Herrschaften auseinander, von denen einige größere zu eigener, nach Souveränität strebender Staatlichkeit gelangen, viele andere auf der Stufe landeshoheitlicher oder begrenzter landesherrlicher Gewalt stehenbleiben.235 Es überlebt zwar mit seinen wackeligen Institutionen bis ins 19. Jahrhundert, aber ohne die integrative Kraft einer zentralisierend wirkenden bürokratischen Verwaltung gelingt es ihm nicht, ein eng an das Reich gebundenes Nationalbewußtsein zu prägen. In Frankreich spiegelt also eine politischterritoriale Konzeption der Nationalität die früh das ganze Land umfassende Reichweite der Monarchie wider, während sich in Deutschland eine ethnokulturelle Konzeption der Nation zwischen supranationalem Reich und der subnationalen Vielzahl an souveränen und halbsouveränen Territorien entwickelt.236 Die Entpolitisierung der Idee der Nation läßt sich gut an den Schriften der im 18. Jahrhundert entstandenen und vornehmlich bürgerlich getragenen Bildungsgesellschaft beobachten. Träger dieser Idee ist eine enge, rein literarische Schicht, die die Idee der Nation mit einem rein kulturspezifisch literarischen Nationalgeist identifiziert. Die eigene, als national bezeichnete und verstandene Dichtung, Bildung und Kultur stellt man der an den Höfen und im Adel verbreiteten, oft dominierenden französischen Sprache und Literatur gegenüber. Man sieht und findet darin das Eigene, dem deutschen Volk in seiner Eigenart Gemäße.237 Immer seltener wird die deutsche Nation im traditionellen politischen Kontext des Reiches genannt und immer häufiger wird sie als eine unpolitische ethnokulturelle Einheit begriffen. Friedrich Schiller spricht von einem 234 235 236 237

Brubaker, Einwanderung (Fn. 197), S. 15 f. Böckenförde, Nation (Fn. 190), S. 47. Brubaker, Einwanderung (Fn. 197), S. 16. Böckenförde, Nation (Fn. 190), S. 47 f.

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„geistigen Reich“238. Die soziale und politische Grundidee der Nation ist in Deutschland eng verbunden mit der Herausstellung der kulturellen Besonderheit, mit der sich das soziale und historische Denken im Deutschland des 19. Jahrhunderts vom Universalismus der Aufklärung und der Französischen Revolution unterscheidet.239 Da sich das Nationalbewußtsein entwickelt, ehe ein Staat existiert, in dem es politischen Ausdruck finden kann, ist die deutsche Idee der Nation keine politische. Die Kulturnation besteht und versteht sich unabhängig von einer politischen Nation. Die Zugehörigkeit zu dieser präpolitischen Nation, dieser Nation auf der Suche nach einem Staat, wird verstanden als beruhend auf den dichten, konkreten Bindungen von Kultur, Sprache und Abstammung, nicht auf den dünnen, abstrakten Bindungen von Staatsbürgerschaft. Die Nation wird nicht als ein abstraktes politisches Wesen begriffen, sondern als eine organische kulturelle, sprachliche oder rassische Gemeinschaft.240 „Wir beruhen von Anfang an darauf, wir können uns nicht emanzipieren. Deutschland lebt in uns, wir stellen es dar, mögen wir wollen oder nicht, in jedem Land, wohin wir uns verfügen, unter jeder Zone.“241 Die Nationwerdung wird durch drei Aspekte entscheidend geformt: die romantische Bewegung, die preußische Reformbewegung und die beides überschattende französische Besetzung Deutschlands.242 Dabei eignet sich die ästhetische und soziohistorische Begriffswelt der deutschen Romantik für die Ausarbeitung der ethnokulturellen Konzeption der Nation hervorragend. „Die Aufwertung von Individualität als Einzigkeit im Gegensatz zu der Einzelheit oder bloßem Einssein; von Tiefe und Innerlichkeit im Gegensatz zum Oberflächenglanz; von Gefühl im Gegensatz zu der ausgetrockneten Rationalität; von unbewußtem, organischem Wachsen im Gegensatz zu der bewußten, künstlichen Konstruktion; von Vitalität und Integrität traditioneller, fest eingewurzelter Volkskulturen im Gegensatz zu der Seelenlosigkeit und Künstlichkeit der kosmopolitischen Kultur – alle diese Themen ließen sich leicht aus dem Bereich der Ästhetik und Kulturkritik in den Bereich der Sozialphilosophie transponieren.“243 Die Nation wird als historisch verwurzelte, organisch entwickelte Indi238 „Deutsches Reich und deutsche Nation sind zweierlei Dinge . . . Abgesondert von dem Politischen hat der Deutsche sich seinen eigenen Wert gegründet, und wenn auch das Imperium unterginge, bliebe doch die deutsche Würde unangefochten. Sie ist eine sittliche Größe, sie wohnt in der Kultur und dem Charakter der Nation, der von ihren politischen Schicksalen unabhängig ist . . . indem das politische Reich wankt, hat sich das geistige immer fester und vollkommener gebildet“, zitiert nach Meinecke, Weltbürgertum (Fn. 147), S. 55. 239 Brubaker, Einwanderung (Fn. 197), S. 14. 240 Brubaker, Einwanderung (Fn. 197), S. 14. 241 L. Ranke, zitiert nach Rothfels, Nationsidee (Fn. 166), S. 12. 242 Brubaker, Einwanderung (Fn. 197), S. 21. 243 Brubaker, Einwanderung (Fn. 197), S. 22. Dazu auch, wenn auch reichlich überladen F. Schnabel, Der Ursprung der vaterländischen Studien, in: Blätter für deutsche

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vidualität verstanden, die durch einen besonderen Volksgeist zu einer Einheit gemacht wird. Der Volksgeist, die ethnokulturelle Einheit ist für die Nation konstitutiv, der Staat ist bloß ihr Ausdruck.244 Unabhängig vom romantischen Gedankengut wollen die preußischen Reformer eine preußische Nation schaffen, um den nach der katastrophalen Niederlage von 1806 am Boden liegenden preußischen Staat zu regenerieren. Ihr Verständnis des Verhältnisses von Nation und Staat ist ein völlig anderes als das der Romantiker. Die Nation – das mobilisierte und geeinte Staatsvolk – wird als wohlerwogene und künstliche Schöpfung des Staates betrachtet.245 Mit den Napoleonischen Kriegen und den ihnen folgenden Befreiungskriegen erfolgt eine politische Bewußtwerdung und Orientierung der Nation246. „Das ruhmlose Ende des alten Reichs und die Niederlagen gegen Napoleon hatten die Deutschen auf sich selbst zurückgeworfen, forderten die Besinnung auf das eigene Wesen heraus, die positive Erweckung dessen, was man selbst war, um daraus die Kraft zur Erneuerung, zum Standhalten und Widerstand gegen das Fremde zu finden, das mit dem Frankreich Napoleons identifiziert wurde.“247 Schulze spricht in diesem Zusammenhang von „Selbstdefinition durch Feindmarkierung“ 248. Während sich in den klassischen „westlichen“ Demokratien das Prinzip „Nation“ als Nationalstaat und Nationalbewußtsein seit je als fraglos mit der politischen Zivilisation des neuzeitlichen Verfassungsstaates vereinbar erweist, gelten in Deutschland nationales Interesse und Demokratie, Nationalbewußtsein und demokratische Gesinnung lange Zeit als Gegensätze.249 Die Kulturnation steht weder zu einer bestimmten Staatsform noch zum Staat überhaupt in einem bestimmten begründeten Verhältnis. So ist im Vergleich mit der lebendig-geistigen Einheit des Volkes jeder Staat für Herder etwas Künstliches und Lebensfeindliches. Diese gedachte Trennung des lebendigen Volkes von dem ihm wesensfremden Staat birgt die Gefahr, daß dem vorhandenen Staat abgesprochen wird, die Nation zu repräsentieren, so geschehen in der Weimarer Republik.250 Von einem deutschen „Sonderweg“ zu sprechen verbieten allerdings schon die sich insbesondere mit Italien ergebenen beträchtlichen Parallelen. Die lanLandesgeschichte, Bd. 88 (1951), S. 4 ff.: „Die Romantik betrachtete es also wie eine Sendung, die ihr aufgegeben war, die Werke der vaterländischen Frühzeit auszugraben, vom Schutt der Jahrhunderte und von späteren Verfälschungen zu befreien, in ursprünglicher Kraft leuchten zu lassen.“ 244 Brubaker, Einwanderung (Fn. 197), S. 22. 245 Brubaker, Einwanderung (Fn. 197), S. 23. Brubaker nennt die preußische Tradition der Staatenbildung nicht nur sub-national und nach den Teilungen Polens supranational, sondern auch im Prinzip anti-national: ders., Einwanderung (Fn. 197), S. 15. 246 Böckenförde, Nation (Fn. 190), S. 48. 247 Böckenförde, Nation (Fn. 190), S. 48 f. 248 Schulze, Staat (Fn. 27), S. 193. 249 Buchheim, Prinzip (Fn. 199), S. 60. 250 Buchheim, Prinzip (Fn. 199), S. 61 f.

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gen Bürgerkriege des 16. und 17. Jahrhunderts, der Rückfall in den einzelstaatlichen Provinzialismus und die damit einhergehende starke politische Zersplitterung und Vielzahl kultureller Zentren, das Erwachen einer italienischen Nationalidee in der Renaissance, die Herausbildung einer weitgehend einheitlichen Volkssprache in Norditalien251 ähneln den deutschen Verhältnissen in weiten Teilen. Vor der Gründung des italienischen Nationalstaates ist „die Italia erudita, das gelehrte Italien, [. . .] ähnlich wie Deutschland eine Kulturnation, eine reine Gelehrtenrepublik, fern von jeder gesamtstaatlichen Gestalt“252. Allerdings gibt es auch Unterschiede. Die Existenz Roms als zumindest spiritueller Mittelpunkt Italiens, die klaren geographischen Umrisse, die konfessionelle Einheit, die ein ständiges Gefühl kultureller Überlegenheit vermittelnde Latinität der Kultur, die dennoch nicht als feindlich empfundene französische Kulturhegemonie des 17. und 18. Jahrhunderts, die Fremdherrschaft in den meisten Fürstentümern sind im Vergleich zu Deutschland Verschiedenheiten, die letztendlich aber die strukturellen Ähnlichkeiten zwischen beiden Nationen nicht zu überwiegen vermögen.253 Abschließend läßt sich mit Brubaker sagen: Die Franzosen verstehen ihre Nation als das Produkt des Staates, die Deutschen sehen ihre Nation als Basis des Staates an.254 e) Johann Gottfried Herder als unpolitischer Stammvater der Kulturnation Als prägend für die Idee der Kulturnation erweist sich der gelegentlich bis heute mißverstandene255 Johann Gottfried Herder256. Er fundiert den Begriff der Nation historisch und kulturell und verleiht ihm eine bis dahin unbekannte Tiefendimension.257 Das Wesen des Nationalen sucht und findet Herder vor allem in der Sprache.258 Sprache und Poesie sind für ihn die Grundlagen von Volk und Nation. 251 Was Luthers Bibelübersetzung für das Deutsche, war die Dichtung Dantes, Boccaccios und Petrarcas für das Italienische: Schulze, Staat (Fn. 27), S. 148. 252 Schulze, Staat (Fn. 27), S. 148. 253 Schulze, Staat (Fn. 27), S. 148 f. Mehr die Unterschiede betonend W. Bußmann, Europa von der Französischen Revolution zu den nationalstaatlichen Bewegungen des 19. Jahrhunderts, in: T. Schieder (Hrsg.), Handbuch der europäischen Geschichte, Bd. 5, 1981, S. 1 (30 ff.). 254 R. Brubaker, Staats-Bürger. Deutschland und Frankreich im historischen Vergleich, 1994, S. 238. 255 So D. Willoweit, Vielvölkerstaat Europa, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 156 vom 08.07.2006. 256 Eine derartige Zuordnung einer Person zur Willensnation fällt schwerer. Als deren geistiger Urheber ließe sich am ehesten Jean-Jacques Rousseau nennen. 257 Schönemann, Volk (Fn. 85), S. 316.

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Durch sie werden die Nationen zu spirituellen Gemeinschaften, zu Kollektivindividuen, zu Gedanken Gottes, die vornehmlich auf dem Gleichklang innerer Werte beruhen und selbst mit quasipersonalen Eigenschaften wie Gesinnung, Geist und Seele ausgestattet sind.259 Jeder einzelne ist schicksalhaft Mitglied seines Volkes und nimmt von Geburt an teil an dem Wesen seiner Nation, an die er durch seine Muttersprache zeitlebens gebunden bleibt.260 In der Verpflichtung zur Erhaltung dieser kollektiven Einheit liegt die Handlungsrelevanz des bildungsbürgerlichen Sprachbewußtseins.261 Eines äußeren Zusammenschlusses in einem Staat bedarf es dabei nicht, Staat und Verfassung werden hinter kulturelle Aspekte zurückgestellt. „Die Natur erzieht Familien; der natürlichste Staat ist also auch Ein Volk, mit Einem Nationalcharakter. Jahrtausende lang erhält sich dieser in ihm und kann, wenn seinem mitgebornen Fürsten daran liegt, am natürlichsten ausgebildet werden: denn ein Volk ist sowohl eine Pflanze der Natur, als eine Familie; nur jenes mit mehreren Zweigen. Nichts scheint also dem Zweck der Regierungen so offenbar entgegen, als die unnatürliche Vergrößerung der Staaten, die wilde Vermischung der Menschen-Gattungen und Nationen unter Einen Scepter. Der Menschenscepter ist viel zu schwach und klein, dass so widersinnige Teile in ihn eingeimpft werden könnten; zusammengeleimt werden sie also in eine brechliche Maschine, die man Staats-Maschine nennet, ohne inneres Leben und Sympathie der Teile gegen einander.“262 258 Bedeutender Vertreter des Primats des Kriteriums der Sprache ist auch Friedrich Schlegel. Kritisch, wenn nicht gar polemisch zur Herderschen Sichtweise der Bedeutung von Sprache für die Nation D. Oberndörfer, Sprache und Nation, in: ZAR 26 (2006), S. 41 (42). 259 Schönemann, Volk (Fn. 85), S. 317. Die Vorstellung vom Staat als Organismus erlaubt, die Familie als Keimzelle des Staates zu betrachten und mithin ihre Abstammungsgemeinschaft analog auf den Staat zu übertragen. So erklärt sich, daß „[u]nter dem Eindruck der nationalen Bewegung [. . .] das ius sanguinis von der staatsrechtlichen Literatur zunehmend als ,nationales‘ und deshalb ,natürliches‘ Angehörigkeitsprinzip bevorzugt [wurde].“: D. Gosewinkel, Die Staatsangehörigkeit als Institution des Nationalstaats. Zur Entstehung des Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetzes von 1913, in: R. Grawert u. a. (Hrsg.), Offene Staatlichkeit. Festschrift für Ernst-Wolfgang Böckenförde zum 65. Geburtstag, 1995, S. 359 (362). Zum „Staat als Organismus“ E.-W. Böckenförde, Der Staat als Organismus. Zur staatstheoretisch-verfassungspolitischen Diskussion im frühen Konstitutionalismus, in: ders., Recht, Staat, Freiheit. Studien zur Rechtsphilosophie, Staatstheorie und Verfassungsgeschichte, 1991, S. 263 ff. 260 H. Schulze, Das Europa der Nationen, in: H. Berding (Hrsg.), Mythos und Nation. Studien zur Entwicklung des kollektiven Bewußtseins in der Neuzeit 3, 1996, S. 65 (72 f.). 261 Echternkamp, Aufstieg (Fn. 6), S. 105. 262 J. G. Herder, Ideen zur Philosophie und Geschichte der Menschheit (1785), Teil II, in: W. Pross (Hrsg.), Johann Gottfried Herder. Werke, 2002, S. 337 f. Vgl. auch Rothfels, Nationsidee (Fn. 166), S. 12: „Wie die romantische Sprachphilosophie einem individuellen Werdeprozeß nachsann, der nicht von Menschen geformt wird, sondern selbst die Menschen formt, den die Grammatiker nicht schaffen, sondern abschließen,

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Für Herder selbst geschieht die neue Würdigung des Nationalen als einer Offenbarung des Volksgeistes von einer durchaus humanitären und kosmopolitischen Fragestellung aus, d.h. im Rahmen einer universalen Würdigung von Sprache und Urtümlichkeit.263 Aus der Stilisierung der nationalen Eigentümlichkeit ergibt sich zwar die Verpflichtung, diese zu bewahren, nicht jedoch die Abschottung von anderen Völkern.264 „Autoren wie [. . .] Johann Gottfried Herder waren keine Eiferer im völkischen Geiste, sondern Aufklärer, die der politischen Wirklichkeit gerecht werden wollten.“265 Es bleibt festzuhalten, daß Herder der deutschen Auffassung von Nation die klassische Ausprägung gegeben hat. 2. Jüngere Auffassungen von Nation Bei der großen Mehrheit der Forscher fällt zunächst eine mehr oder weniger konsequente Distanzierung von der Anschauung auf, die Nation sei eine Urkategorie. Übereinstimmung herrscht jedenfalls darin, daß sich die Nation nicht allein durch ethnische Merkmale definieren läßt, sondern ihre Angehörigen sich ihrer Zusammengehörigkeit auch bewußt sein und sie als Wert betrachten müssen. Im wesentlichen lassen sich bei den aktuellen Konzeptionen der Nation vier Hauptvarianten unterscheiden.266 Die schon älteren Definitionen sind eher am Staatsnationsverständnis orientiert und gehen in die komplexeren Definitionen des nation-building über. Die Erforschung des „Nationalismus“ als subjektiver Voraussetzung, Ausdrucksform oder gar Bedingung der Existenz der Nation wird stärker akzentuiert. Somit gibt es Konzepte, die „die gesamte nationale Problematik unter dem Stichwort des Nationalismus abzuhandeln suchen und dabei nicht nur [. . .] die Schwierigkeiten einer wissenschaftlichen Nationsdefinition betonen, sondern diese selbst verweigern“267. Oftmals wird die Ansicht vertreten, es handele sich um eine gefährliche und abwegige Einstellung, die überwunden werden müsse. Mit ihnen in Verbindung stehen die Bestimmungen, die behaupten, „Nationen besäßen – wenn nicht als Staatsnationen verstanden – wie für Savigny die Juristen nicht die Schöpfer des Rechts sind, sondern es kodifizieren, wenn sein organisches Wachstum einen gewissen Reifezustand erreicht hat, so ist der Nationalcharakter oder der Volksgeist Wurzelgrund der Staatsformen, die man daher nicht nach allgemeingültiger Norm, und sei es die Zeitidee national-demokratischer Souveränität, umschaffen kann.“ 263 Rothfels, Nationsidee (Fn. 166), S. 12. So besitzt keine Nation den Vorrang vor der anderen, aber jede ist verschieden von allen anderen. 264 Echternkamp, Aufstieg (Fn. 6), S. 103. 265 Willoweit, Vielvölkerstaat (Fn. 255). 266 Estel, Grundaspekte (Fn. 12), S. 25. Die folgende Darstellung orientiert sich auch an der prägnanten und mit vielen Literaturhinweisen versehenen Zusammenfassung von Hroch: ders., Europa (Fn. 12), S. 16 f. 267 Estel, Grundaspekte (Fn. 12), S. 25.

III. Grundauffassungen des Nationsbegriffs

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einen bloß fiktiven Charakter [. . .], seien imaginäres Produkt nationalistischer Doktrinen, die eigentlich nur Unheil über die Welt gebracht hätten“268. Und schließlich existieren solche Auffassungen von Nation, die aus objektiven und subjektiven Aspekten zusammengesetzt sind. Diese überwiegen in der aktuellen Literatur. 3. Zusammenfassung Ein einheitlicher Nationsbegriff und damit ein einheitlicher nationalstaatlicher Typus existiert nicht. Friedrich Meinecke legt mit der eine summarische Orientierung bietenden Differenzierung zwischen „Staatsnationen“ und „Kulturnationen“ zwei Nationsverständnisse dar, die über zahlreiche Ausprägungen verfügen. Während die Staatsnation auf der vereinigenden Kraft einer gemeinsamen politischen Geschichte und Verfassung beruhe, basiere die Kulturnation auf einem gemeinsam erlebten Kulturbesitz. Für Meinecke sind die Staaten Nationalstaaten, die den eigenartigen Charakter einer besonderen nationalen Kultur tragen. Weitere Ansätze sind ähnlich aufgebaut, weisen aber durchaus Besonderheiten auf. So beschreibt Friedrich Hertz eine für Frankreich und Italien bis zum Ersten Weltkrieg typische „Willens- oder Gefühlsnation“, die lediglich auf dem subjektiven Merkmal des Zusammengehörigkeitswillens oder Gemeinschaftsgefühls beruhe. Hans Rothfels bleibt Meineckes Dichotomie treu, verschärft den Gegensatz aber, indem er von einer rationalen und einer irrationalen Gedankenwelt spricht. Einen dritten Typus, der durch die Gegnerschaft gegen einen bestehenden Staat geprägt ist und für die „osteuropäische Phase“ typisch sei, stellt Theodor Schieder vor. Uri Ra’anan betont die Religion als eines der Hauptkennzeichen für Nationalität, zu finden in den Nachfolgestaaten des Osmanischen Reiches, und M. Rainer Lepsius stellt Überlegungen zu einer „Klassennation“ an, in der das Kriterium der Gleichheit der Klassenlage eine Identitätsbildung ermögliche. Ernst-Wolfgang Böckenförde schließlich übernimmt im großen und ganzen Meineckes Unterscheidung, plädiert aber für eine exaktere Begrifflichkeit. Trotz der Verschiedenheit dieser Ansätze lassen sich die Grundauffassungen des Nationsbegriffs auf zwei Modelle der Nation reduzieren. Die Unterscheidung in subjektiv-politisch konstituierte und objektiv-kulturell determinierte Nationen stellt eine idealtypische Vereinfachung dar, mit der sich die Nationsbildungen Frankreichs und Deutschlands darstellen lassen. Die französische Nation erscheint als Willensgemeinschaft. Über die Zugehörigkeit entscheidet allein das subjektive Bekenntnis. Die Nation läßt sich als eine Seele, als ein geistiges Prinzip versinnbildlichen, sie ist ein Produkt des politischen Willens. Bereits im Mittelalter bildet sich die Nation durch den Bezug auf die Krone, beide erfahren eine konzeptuelle Verschmelzung. In der zweiten Hälfte 268

Estel, Grundaspekte (Fn. 12), S. 25.

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A. Die Entwicklung des Nationsbegriffs

des 18. Jahrhunderts verkörpert der im vorrevolutionären Frankreich sich seiner Selbst bewußt werdende Dritte Stand die Nation als die Gemeinschaft aller politisch bewußten Staatsbürger. Die Revolution ersetzt die dynastische durch nationale Legitimität, die Nation erfährt fortan eine republikanische Verherrlichung. Die deutsche Nation hingegen erscheint als Schicksalsgemeinschaft. Man wird in sie hineingeboren, die Zugehörigkeit zu ihr haftet dem einzelnen seinsmäßig an. Die Nation beruht auf den konkreten Bindungen von Kultur, Sprache und Abstammung, sie besteht und versteht sich unabhängig von einer politischen Nation. Die institutionelle Geburtsstätte der deutschen Nation ist das Heilige Römische Reich Deutscher Nation, jedoch werden supranationales Reich und Nation konzeptuell unterschieden. Die neue Bildungsschicht des 18. Jahrhunderts sieht die Grundidee der Nation eng verbunden mit der Herausstellung der kulturellen Besonderheit und ohne bestimmtes Verhältnis zum Staat. In der romantischen Bewegung ist der Volksgeist für die Nation konstitutiv, der Staat nur ihr Ausdruck. Auch die preußischen Reformbemühungen formen die Nationwerdung, doch sind es vor allem die Befreiungskriege, die für eine politische Bewußtwerdung der Nation sorgen. Als prägend für die Idee der Kulturnation erweist sich Johann Gottfried Herder. Für ihn ist die Sprache, durch die die Nation zu einem Kollektivindividuum mit quasipersonalen Eigenschaften wird, grundlegend. Jüngere Auffassungen von Nation haben zumeist die Ablehnung der die Nation als Urkategorie sehenden Anschauung gemeinsam. In der Vielzahl der Konzeptionen überwiegen in der aktuellen Literatur solche Auffassungen von Nation, die sowohl objektive als auch subjektive Aspekte berücksichtigen.

B. Der Aufbau der Nation Nach der begrifflichen Untersuchung zu Beginn soll in diesem Teil die Nation als solche in den Fokus des Interesses rücken. Wie ist die Nation als Bezugsrahmen kollektiver Ordnung aufgebaut (I.)? In welchen Formen läßt sich eine Nation im Verhältnis zum Staat denken (II.)? Und was für Nationen und Nationalstaaten existieren eigentlich im heutigen Europa (III.)?

I. Die Nation als Kollektivform Das Thema Nation gehört zu den wissenschaftlich häufig bearbeiteten Feldern. Durch die „Flut von Veröffentlichungen“269 zieht sich seit langem der Streit zwischen „Essentialisten“ und „Konstruktivisten“, zwischen denen, die die Nation als unabhängig von den Intentionen der Menschen existierende Gruppe, als Substanz ansehen, und denen, die die Nation als nur in den Vorstellungen der Menschen existierend, als Mythos und Illusion ansehen. Nach den ethnischen Wurzeln moderner Nationen etwa fragt Smith: „Ethnic distinctiveness remains a sine qua non of the nation, and that means shared ancestry myths, common historical memories, unique cultural markers, and a sense of difference, if not election – all the elements that marked off ethnic communities in pre-modern era.“270 Das die neuere Forschung prägende Verständnis von Nation kommt bei Schulze deutlich zum Ausdruck: Nationen „existieren, solange sie in den Köpfen und Herzen der Menschen sind, und [. . .] erlöschen, wenn sie nicht mehr gedacht und gewollt werden [. . .]. [Sie] erkennen sich in einer gemeinsamen Geschichte, in gemeinsamem Ruhm und gemeinsamen Opfern wieder – [allerdings sind die Gemeinsamkeiten] in aller Regel mehr erträumt und konstruiert als wirklich“271. Nicht so extrem fällt die These von Hroch aus, der meint, die Nation sei nicht durch abstrakte „Merkmale“, sondern „vor allem durch die Beziehungen zwischen ihren Angehörigen bestimmt“, und diese Beziehungen seien gegenseitig austauschbar. Zur Bestimmung der Nation gehöre zwingend, daß „ihre Angehörigen untereinander durch 269 Hroch, Europa (Fn. 12), S. 7. Dies bezweifelt, zumindest was die Nationalismusliteratur angeht, Wehler. Seiner Meinung nach gibt es nur „einen ziemlich schmalen Bestand an Studien, die sich auf der Höhe des derzeit möglichen Reflexionsniveaus [befinden] und über die wichtigen Fragen zuverlässig informieren“: ders., Nationalismus (Fn. 93), S. 116. 270 A. D. Smith, National Identity, London u. a. 1991, S. 70. 271 Schulze, Staat (Fn. 27), S. 110 f.

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B. Der Aufbau der Nation

Kommunikation und gemeinsames Schicksal in höherem Maße verbunden sind als mit den Angehörigen anderer Nationen“272. Auch im Bereich der Soziologie wird diese Richtung eingeschlagen: Man könne nicht einfach davon ausgehen, „daß Nationen als transhistorische Entitäten schon immer eine gleichsam schlafende Existenz besitzen, die in der Moderne erwacht und dann im Nationalstaat zu sich selber findet“. Nationalität erscheine vielmehr als ein „spezifischer Code der Inklusion“, mit dem Vergemeinschaftung „sozial konstruiert“ werde, Dritte als Fremde von Kommunikation und Interaktion ausgeschlossen würden und der sich in bestimmten historischen Situationen als angemessener als andere Codes erweise.273 Ähnlich sieht dies schon Heinz O. Ziegler im Jahre 1931, wenn er schreibt, daß es durchaus nicht angehe, „die ,Nation‘ als ,natürliche‘ Kategorie aufzufassen, also als ein durch objektive Merkmale eindeutig feststellbares und begrenzbares soziales Phänomen, das von je da war, aus einer Natur des Menschen abzuleiten wäre und dem etwa nur durch absolutistische Unterdrückung sein ,natürliches Recht‘ auf Selbstbestimmung vorenthalten worden war“274. All dies klingt plausibel, klammert aber die Frage aus, warum eine Nation in den Köpfen und Herzen gerade dieser Menschen ist, warum gerade diese Menschen untereinander durch Kommunikation und Schicksal in höherem Maße verbunden sind, nach welchen Kriterien die von Kommunikation und Interaktion ausgeschlossenen Dritten bestimmt werden. Die Annahme einer reinen „Erfindung“ der Nation übersieht, daß „endliche Subjekte in ihren produktiven Akten immer auf die Aneignung von gegebenen Beständen angewiesen“275 sind 272

Hroch, Europa (Fn. 12), S. 20. B. Giesen/K. Junge, Vom Patriotismus zum Nationalismus. Zur Evolution der „Deutschen Kulturnation“, in: B. Giesen (Hrsg.), Nationale und kulturelle Identität. Studien zur Entwicklung des kollektiven Bewußtseins in der Neuzeit, 1991, S. 255 (256), Hervorhebung im Original, J. D. K. „Das über die historische Gegenwart erhabene ästhetische Bild der Nation war [in Deutschland] zunächst nur ein gesellschaftlich relativ bedeutungsloser Code, durch den sich eine kleine intellektuelle Elite faszinieren ließ. [. . .] Unter dem einheitsstiftenden Druck der [französischen] Fremdherrschaft gewann der romantische Nationen-Code an Attraktivität; er brach aus dem intellektuellen Treibhaus aus und wurde zum mobilisierenden Code weiter Teile der Bevölkerung. Die im romantischen Nationen-Code angelegte Spannung zwischen der beklagenswerten Gegenwart und einer als Kulturnation idealisierten Gemeinschaft bot jetzt eine Orientierung für breite Massen. Von einem transhistorischen ästhetischen Fluchtpunkt wurde die Nation zu einem politischen Ziel, das in naher Zukunft zu verwirklichen war. ,Nation‘ wurde nun zu einem achsenzeit-analog interpretierbaren säkularisierten Erlösungsmotiv.“ Dies., Patriotismus, S. 302 f. 274 Ziegler, Nation (Fn. 24), S. 3. 275 F. W. Graf, Die Nation – von Gott „erfunden“?, in: G. Krumeich/H. Lehmann (Hrsg.), „Gott mit uns“. Nation, Religion und Gewalt im 19. und 20. Jahrhundert, 2000, S. 285 (302). Vgl. auch J. Isensee, Nachwort. Europa – die politische Erfindung eines Erdteils, in: ders. (Hrsg.), Europa als politische Idee und als rechtliche Form, 2. Aufl. 1994, S. 103 (123): „Die Nation ist kein Naturprodukt, sondern ein Produkt des politischen Willens. Dieser aber wird bewegt und bedingt durch reale Umstände.“ 273

I. Die Nation als Kollektivform

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und vernachlässigt somit die objektive Seite der Nation.276 Vielleicht ermöglicht erst das Übereinstimmen gewisser Merkmale das Erträumen und Konstruieren von Gemeinsamkeit, die Intensivierung der Beziehungen, die Inklusion. Die Existenz der Nation ausschließlich durch andere empirisch belegbare Merkmale als das des nationalen Zusammengehörigkeitsgefühls ihrer Mitglieder zu bestimmen erscheint in der Tat schwierig. Diese Schwierigkeit oder sogar Unmöglichkeit schließt jedoch die Anerkennung der Nation als „reale Entität“ nicht aus, auch wenn diese Vorstellung oftmals als unannehmbarer Primordialismus abgelehnt wird.277 Diese Auffassung übersieht bereits, daß sich sowohl der juristische als auch der allgemeine Gebrauch von Nationalität auf die Nation als eine vor- oder apolitische Kategorie bezieht.278 Die extrem radikalen konstruktivistischen Ansätze können also nicht ohne Widerspruch bleiben. Sie übergehen objektive Aspekte, die, da bei jeder Gruppe objektive von subjektiven Aspekten unterschieden werden können279, in diesem Zusammenhang gleich subjektiven Aspekten ihre Berechtigung haben.280 Der Wille zur Nation entzündet sich an bestimmten objektiven Momenten, die das Rohmaterial bilden, das zum Bau der Nation verwendet wird.281 Um den Aufbau der Nation plakativ darzustellen, ist es von Vorteil, der Nation zumindest zum Teil zugrundeliegende Strukturen aufzuzeigen.282 Sieht man 276 Vgl. auch E. Schulin, Weltbürgertum und deutscher Volksgeist. Die romantische Nationalisierung im frühen 19. Jahrhundert, in: B. Martin (Hrsg.), Deutschland in Europa. Ein historischer Rückblick, 1992, S. 105 (109): „Nationen sind Produkte der Geschichte, werden also ge- und erfunden, indem die Völker ihre nationalen Bindungen entdecken und schaffen [. . .].“, Hervorhebung von mir, J. D. K. 277 Hroch, Europa (Fn. 12), S. 24. 278 Mit Nachweisen Gosewinkel, Untertanenschaft (Fn. 53), S. 512. 279 Estel, Grundaspekte (Fn. 12), S. 14. 280 Ähnlich auch A. Bleckmann, Die Wahrung der „nationalen Identität“ im UnionsVertrag, in: JZ 1997, S. 265 (266): „Letztlich kann aber der Begriff Nation nur verstanden werden, wenn man das Willenselement und den Gedanken der kulturellen Einheit zusammennimmt.“, vgl. auch ebd., S. 268, und dens., Anwartschaft auf die deutsche Staatsangehörigkeit?, in: NJW 1990, S. 1397 (1400), und noch deutlicher T. Gnielinski, Die Reform des deutschen Staatsangehörigkeitsrechts, Diss. iur. Würzburg 1999, S. 12: „Bestimmend für das Bestehen einer Nation sind damit sowohl objektive als auch subjektive Kriterien [. . .].“ Vgl. auch Willoweit, Vielvölkerstaat (Fn. 255): „die unumgehbare Realität der durch Herkunft, Kultur und Sprache bestimmten Nation“. Hroch meint, daß sich im großen und ganzen eine Übereinstimmung darüber abzeichnet, daß die Forschung die objektive Funktion der Ethnizität und der sprachlichen Beziehungen mit der Selbstwahrnehmung ethnischer Unterschiedlichkeit kombinieren muß: ders., Europa (Fn. 12), S. 173. 281 Der Begriff des Rohmaterials stammt von Estel, Grundaspekte (Fn. 12), S. 13 (32). Vgl. auch Alter, Nationalismus (Fn. 137), S. 22: „Das freiwillige Bekenntnis zur Nation im Sinne Renans bleibt leer, wenn es sich nicht auf bestimmte grundlegende Gemeinsamkeiten beziehen kann.“ 282 Auch wenn die Verknüpfung der nationalen mit der ethnischen Identität bzw. die Betonung der Existenz der ethnischen „community“ als Faktor der Nationsbildung oft als unzulässige Äußerung des Primordialismus angesehen wird.

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B. Der Aufbau der Nation

diese Grundlagen auch im ethnischen Bereich, liegt es nahe, sich den Aufbau der ethnischen Gruppe zu verdeutlichen. In Anlehnung an Estel bietet sich folgendes Schema an:

ethnische Gruppe

objektive Aspekte

subjektive Aspekte

vom Bewußtsein weitgehend unabhängige Gegebenheiten oder Merkmale (Gleichartigkeiten/Gemeinsamkeiten)

handlungsrelevante Ausprägungen des Wir-Bewußtseins (Gemeinschaft/Gemeinschaftshandeln)

Abstammungsgemeinschaft (obj., da der Glaube reales Fundament hat)

Kulturgemeinschaft (vermeintl. durch Abstammungsgem. entst.)

Abstammungsglaube Ethnozentrismus subj. kulturelle Besonderheiten

Zunächst sind objektive von subjektiven Attributen zu unterscheiden. Auf der einen Seite stehen vom Bewußtsein der Beteiligten weitgehend unabhängige Gegebenheiten oder Merkmale, auf der anderen Seite stehen handlungsrelevante Ausprägungen des Wir-Bewußtseins. Die objektiven Attribute, die man auch als „außerkulturelle Faktoren“283 bezeichnen kann, nehmen bei der Bildung und Ausprägung von Nationen die Rolle „lediglich [. . .] fördernde[r] oder hemmende[r] Bedingungen“ ein und „können [. . .] lediglich unwillkürliches oder ,mechanisches‘ Verhalten sowie Handlungsdispositionen bewirken [. . .]. Quasinatürliche Gegebenheiten beeinflussen, ja determinieren Verhalten, und zwar auf dem direkten Wege eintretender Gesetzmäßigkeiten, deren Wirkung sich jenseits des menschlichen Bewußtseins, also auch gegen den eigenen Willen vollzieht; indem sie so Verhalten (ko)determinieren, bedingen sie zugleich das Handeln.“284 Das Handeln selbst hingegen folgt einem entsprechenden Wissen, das gewöhnlich mit anderen geteilt wird „und so die immaterielle Kultur einer (Sub)Gesellschaft bildet“285. Diese bestimmt das Handeln. Nach Estel ist der 283 Estel, Grundaspekte (Fn. 12), S. 28. Zu diesen zählt auch, trotz des in diesem Zusammenhang mißverständlichen Ausdrucks, die materielle Kultur. 284 So Estel, Grundaspekte (Fn. 12), S. 28, Hervorhebung im Original, J. D. K. 285 Estel, Grundaspekte (Fn. 12), S. 28.

I. Die Nation als Kollektivform

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Handlungszusammenhang, der üblicherweise als Nation bezeichnet wird, nicht nur ein die Charaktere prägender objektiver Zusammenhang, sondern auch „Vergemeinschaftung“ im Sinne Max Webers, eine „soziale Beziehung“, bei der „die Einstellung des sozialen Handelns [. . .] auf subjektiv gefühlter [. . .] Zusammengehörigkeit der Beteiligten beruht“286. „Menschen verstehen sich dann als zusammengehörig und erwarten, zumindest nach außen, ein entsprechendes Handeln, wenn zwischen ihnen für wichtig gehaltene Gemeinsamkeiten bestehen.“ So sind „Gemeinsamkeiten denn auch ein praktisches Postulat der Nation“287. Nach überwiegender wissenschaftlicher Auffassung sind nun ethnische Gruppen wesentlich durch die Gemeinsamkeit der Abstammung sowie durch kulturelle Gemeinsamkeiten charakterisiert.288 Das Merkmal der Abstammungsgemeinschaft stellt dabei streng genommen ein subjektives Kriterium dar, denn begrifflich entscheidend ist nicht die tatsächliche Abstammung, sondern der Glaube ihrer vermeintlichen Mitglieder an eben diese Gemeinsamkeit. Da dieser Glaube jedoch ein reales Fundament hat, läßt sich dieses Kriterium als ein objektives begreifen.289 Es dient gleichzeitig als vermeintliche Basis für das Merkmal der Kulturgemeinschaft, der Gleichartigkeit des Verhaltens und der Lebensform, von der die Akteure annehmen, daß sie durch die Gemeinsamkeit der Herkunft entsteht.290 Auf diesen Gleichartigkeiten und Gemeinsamkeiten entwickeln sich Gemeinschaft und Gemeinschaftshandeln. Das zugrundeliegende Wir-Bewußtsein beinhaltet mehrheitlich drei, empirisch miteinander oft eng gekoppelte Merkmale. Zum einen existiert ein Abstammungsglaube, „die Vorstellung von einer [. . .] durchaus mythisch verstandenen Teilhabe an einer kostbaren, numinosen Sub-

286 M. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriß der verstehenden Soziologie, Halbbd. 1, 5. Aufl. 1976, S. 21. 287 Estel, Grundaspekte (Fn. 12), S. 31. Allerdings komme es bei der Konstitution bzw. der Legitimation der Nation nicht wirklich auf die Gemeinsamkeiten selbst, sondern auf die ihnen zugeordneten, sie interpretierenden Wissensbestände der symbolischen Kultur an. Diese brächten die Gemeinsamkeiten erst hervor. So würden in und mit ihnen eine Reihe objektiver, aber „unpassender“ Gemeinsamkeiten schlicht ausgeblendet oder bagatellisiert werden, würden durch sie die Gemeinsamkeiten mit Bedeutung aufgeladen und erhielten damit erst ihren eigentlichen Sinn und würden mit und in ihnen Gemeinsamkeiten, die sich besonders zur Stiftung oder Bekräftigung der Identität der Gemeinschaft eignen, auch schlicht erfunden werden: ders., Grundaspekte (Fn. 139), S. 31. 288 So Estel, Grundaspekte (Fn. 12), S. 14; so auch B. Ganzer, Zur Bestimmung des Begriffs der ethnischen Gruppe, in: Sociologus 40 (1990), S. 3 (4). M. Mann verneint sogleich die Objektivität des Begriffs „Ethnie“, da „Kultur“ nur vage definiert und die Abstammung normalerweise fiktiv sei: ders., Die dunkle Seite der Demokratie. Eine Theorie der ethnischen Säuberung, 2007, S. 23. 289 Estel, Grundaspekte (Fn. 12), S. 14. 290 Ganzer, Bestimmung (Fn. 288), S. 4.

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B. Der Aufbau der Nation

stanz, die durch Vererbung, aber nicht selten auch durch Adoption u. ä. weitergegeben wird bzw. gegeben werden kann“291. Zum anderen läßt sich „ein gewissermaßen axiomatisches Überlegenheitsbewußtsein“, das ein „spezifisches Ehr- und Würdegefühl“292 hervorbringt und den Kern eines weitverbreiteten Ethnozentrismus bildet, feststellen. Und schließlich wird die angeblich überragende Bedeutung kultureller oder doch kulturell überformter Besonderheiten betont, „die in ihrer identitätsstiftenden Wirkung gruppenintern für Sozialintegration oder Kohäsion und nach außen für Solidarität bzw. symbolische Abgrenzung sorgen“293. Eine Sonderform der ethnischen Gruppe ist das Volk. Estel ergänzt die bereits angesprochenen Merkmale der Abstammungsgemeinschaft, die in diesem Zusammenhang zur kontinuierlichen Zeugungsgemeinschaft modifiziert wird, der relativen Kulturgemeinschaft und des die Gesamtgruppe umfassenden Bewußtseins der eigenen ethnischen Identität um die Merkmale der nach der Zahl der Angehörigen genügenden Größe, um eine eigene, arbeitsteilige Gesellschaft auch modernen Zuschnitts zu bilden, des eigenen Gebiets und mithin einer gewissen sozio-ökonomischen und politischen Selbständigkeit nach außen und des Minimums an interner sozialer Differenzierung insbesondere rechtlich-politischer Art.294 Damit kommt Estel zum verwandten Sachverhalt der Nation. Diese teile mit dem Volk die bereits genannten Merkmale der ausreichenden Größe, des eigenen Territoriums und der sozialen Differenzierung. Die Kriterien der Zeugungsund Kulturgemeinschaft träten dem oft überethnischen Charakter der Nation entsprechend zurück. Entscheidend sei der „allerdings egalitär modifizierte Sachverhalt des Wir-Bewußtseins ihrer Angehörigen [. . .]. Nämlich ein von der fraglichen Bevölkerung weitgehend geteiltes Nationalbewußtsein, das jedoch in seiner Existenz an objektive Gegebenheiten gebunden ist, sowie sich, umgekehrt, in objektive Gegebenheiten, insbesondere nationale Institutionen und deren Auswirkungen übersetzt. Dieses Nationalbewußtsein begreift die fragliche Bevölkerung bzw. deren einzelne Angehörigen als eine nach dem Willen Gottes, der natürlichen oder sonstwie begründeten rechten Ordnung eigene, sich und ihr Schicksal mithin im Prinzip selbst bestimmende [. . .] Einheit“295. 291

Estel, Grundaspekte (Fn. 12), S. 15. Ganzer, Bestimmung (Fn. 288), S. 7. 293 Estel, Grundaspekte (Fn. 12), S. 16. Dies wird im folgenden allerdings eingeschränkt: Der Abstammungsglaube könne fehlen oder aufgrund wissenschaftlichen Wissens über die Vergangenheit zerstört worden sein; für das ethnische Bewußtsein weder sachlich erforderlich noch empirisch annähernd überall vorhanden sei der Ethnozentrismus; ein Mangel an Identitätsbewußtsein könne durch Definitionen Dritter ersetzt werden. 294 Estel, Grundaspekte (Fn. 12), S. 16 ff. 295 Estel, Grundaspekte (Fn. 12), S. 18 f., Hervorhebung im Original, J. D. K. 292

I. Die Nation als Kollektivform

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Behält man diese Strukturen im Hinterkopf, so hilft vielleicht das folgende Modell weiter, den Aufbau der Nation deutlich zu machen: „Grundlage von Nation [. . .] ist [. . .] einerseits die gegebene Nationalität, die als Herkunftsschicksal erscheint; die Nation ist andererseits primär ,gedachte‘ und sekundär ,reale‘ Gemeinschaft – eine nicht erlebbar-anschauliche Großgruppe, die einer ,integrativen Idee‘ bedarf und die es nicht gibt ohne ein entsprechendes Nationalbewußtsein sowie den Willen zur Nation – wobei das Nationalbewußtsein aber auf der Nationalität aufbaut und diese nicht erst stiftet.“296

Nation

gegebene Nationalität (erscheint als Herkunftsschicksal)

1. gedachte Gemeinschaft 2. reale Gemeinschaft bedarf einer / eines

ist Basis des

– integrativen Idee – Nationalbewußtseins – Willens zur Nation

Die Nation ruht demnach auf zwei Grundpfeilern – auf, vereinfacht gesagt, objektiv bestimmbaren Umständen und subjektivem Zusammengehörigkeitsgefühl. Die als Herkunftsschicksal erscheinende gegebene Nationalität, die einen der beiden Pfeiler darstellt, ist dabei womöglich weniger schicksalhaft begründet als man meinen könnte, sondern läßt sich auf verschiedene Kriterien zurückführen. Diese, nun schon mehrmals angeklungenen Kriterien sollen zunächst nochmals genauer untersucht werden. Den zweiten Pfeiler stellt die nicht erlebbar-anschauliche Großgruppe, eine primär gedachte und sekundär reale Gemeinschaft, die neben einer integrativen Idee und dem Willen zur Nation eines entsprechenden Nationalbewußtseins bedarf, dar. Wie und wann entsteht eine solche Gemeinschaft, die als Grundpfeiler einer Nation dienen kann? Dies soll im weiteren Verlauf geklärt werden. Daß beide Gesichtspunkte eng miteinander verknüpft sind, zeigt schon die Funktion der gegebenen Nationalität als Basis des Nationalbewußtseins der Gemeinschaft. Nation läßt sich also nicht ausschließlich anhand von gewissen Merkmalen, die ihre Angehörigen teilen, definieren, sondern diese müssen sich ihrer Zusammengehörigkeit auch bewußt sein und sie als Wert betrachten. 296

Kluxen-Pyta, Nation (Fn. 8), S. 24.

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B. Der Aufbau der Nation

1. Mögliche Kriterien für Nationalität Die „gegebene Nationalität“, das „Herkunftsschicksal“ muß an bestimmten Kriterien festzumachen sein. Dabei können sich verschiedene Merkmale für die Bildung der Nation als relevant erweisen, das hat schon die Darstellung der verschiedenen Grundauffassungen des Nationsbegriffs gezeigt. Welche Merkmale sind es, die eine sich als Nation empfindende Gruppe konstituieren? Eine universale Kombination von Merkmalen, die für alle als Nation bezeichneten Gemeinschaften verbindlich gelten kann, ein festes Bündel uranfänglicher identitätsstiftender Symbole läßt sich nicht finden.297 Die Merkmale, nach denen sich große Gruppen zu Nationen zusammenschließen, sind austauschbar. Je nach Situation kann das eine stärker hervortreten, die Vorstellungen der Zeit oder des Kulturkreises ausschließlich beherrschen, so daß es andere, bis dahin als Kriterien geltende Merkmale im Bewußtsein der Gesellschaft verdrängt.298 Dennoch ist fraglich, ob jedes beliebige, auch im heutigen Bewußtsein nicht als national geltende Merkmal der Gruppenbildung die gleiche Funktion übernehmen kann wie die nachstehend genannten Kriterien. Dies ist angesichts ihrer Verschiedenheit wohl abhängig von der jeweiligen Epoche und dem jeweiligen Kulturkreis.299 Beachtlich ist „die außerordentliche Buntheit dieser Merkmale, die es keinem dieser Definitionsversuche gestattet, sich auf irgendeines von ihnen als ausschlaggebendes Kriterium des Nationalen festzulegen“300. Die Konstruktion nationaler Identität301 ist als Versuch zu begreifen, „kollektive Identität auf der Basis einer Kombination von primordialen [. . .] Faktoren bzw. Symbolen und politischen Grenzen herzustellen“302. Eine Verbindung der traditionell den Begriffen Staats- und Kulturnation zugeordneten Elemente könnte für die Nationalität ausschlaggebend sein. Smith unterscheidet bei der Bestim-

297 J. Fels faßt auf sehr anschauliche Art und Weise wie folgt zusammen: „Die Prüfung unseres Baumaterials [des der Nation] hat ergeben, daß die Quadern, die das Gebäude der Nation aufbauen, nach Körnung und Gestalt sehr verschieden sind, daß kein nationales Gebäude sie alle in der gleichen Zahl und in derselben Größe enthält. Jedes weicht in Konstruktion und Bauart von dem anderen ab. Bei einem bildet dieser Quader den Grundstein, der es schon von weitem von den übrigen unterscheidet, bei den anderen jener; hier ist das Material in seiner ganzen Größe und Stärke verwendet, dort in Bruchstücken und schwachen Teilen. Und keines dieser Gebäude besteht aus nur einer Steinart.“: ders., Begriff und Wesen der Nation. Eine soziologische Untersuchung und Kritik, Diss. phil. Frankfurt am Main 1927, S. 120. 298 Lemberg, Nationalismus II (Fn. 15), S. 50 f. 299 Die faktischen Konzepte der nationalen Identität weisen jedoch starke strukturelle Ähnlichkeiten auf, Estel, Grundaspekte (Fn. 12), S. 33. 300 Lemberg, Nationalismus II (Fn. 15), S. 30. 301 Zum Begriff der nationalen Identität vgl. Hroch, Europa (Fn. 12), S. 32 ff. 302 S. N. Eisenstadt, Die Konstruktion nationaler Identitäten in vergleichender Perspektive, in: B. Giesen (Hrsg.), Nationale und kulturelle Identität. Studien zur Entwicklung des kollektiven Bewußtseins in der Neuzeit, 1991, S. 21 (21).

I. Die Nation als Kollektivform

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mung von Ethnien wiederum zwischen „ethnic community“ und „ethnic category“303. Die ethnische Kommunität zeichne sich durch das Bewußtsein der gemeinsamen Abstammung und der Zugehörigkeit zu einer historisch bedingten Schicksalsgemeinschaft aus, die ethnische Kategorie sei durch die objektive Verschiedenheit von Sprache und Kultur gegenüber benachbarten Gruppen definiert. Daran orientiert sollen nun zunächst die Kriterien der gemeinsamen Abstammung und der gemeinsamen Geschichte beleuchtet werden, die zum großen Teil im Bewußtsein der Angehörigen einer Nation eine Rolle spielen, dann folgen die objektiv überprüfbareren Kriterien der gemeinsamen Sprache und der gemeinsamen Religion. Den Schluß bilden die nicht zum ethnischen Bereich gehörenden Kriterien des gemeinsamen Territoriums und der gemeinsamen Staatsangehörigkeit.304 a) Abstammung Ein, wie Eugen Lemberg305 bereits in den sechziger Jahren anmerkt306, etwas aus der Mode gekommenes Kriterium307 für das Bestehen und die Abgrenzung nationaler Gruppen ist das Kriterium der Abstammung. Schon die sprachliche Herkunft des Wortes Nation legt die Auffassung nahe, die Nation als Abstammungsgemeinschaft zu betrachten308 und bringt das Merkmal damit in enge Verbindung mit dem Begriff der Rasse. Dieser vieldeutige Begriff ist Gegenstand zahlreicher Theorien, deren Wissenschaftlichkeit schon auf dem Zweiten Deutschen Soziologentag 1912 verneint wurde.309 Trotz ihrer theoretischen Un303

A. D. Smith, The Ethnic Origins of Nations, Oxford u. a. 1986, S. 22 f. Eine Untersuchung der Definitionsmerkmale in bezug auf die Europäische Union liefert A. Augustin, Das Volk der Europäischen Union. Zu Inhalt und Kritik eines normativen Begriffs, Diss. iur. Hamburg 2000, S. 111 ff. 305 Geboren 1903 in Pilsen, gestorben 1976 in Wiebaden: N. N., in: W. Killy/R. Vierhaus (Hrsg.), Deutsche Biographische Enzyklopädie, Bd. 6, 1997, S. 315. 306 Lemberg, Nationalismus II (Fn. 15), S. 40. 307 B. Möbius bezeichnet den auf Abstammung rekurrierenden Identitätsfokus gar als „normativ inhärent bösartig“: ders., Art. Nation (J), in: W. Heun u. a. (Hrsg.), Evangelisches Staatslexikon, 2006, Sp. 1569 (1571). 308 Theorien, die die Nation als eine solche betrachten, finden sich v. a. im 19. Jahrhundert, vgl. Friedrich Julius Stahl: „Die Einheit der Abstammung und dadurch das Gepräge einer Persönlichkeit ist der Urbegriff eines Volkes. Mit ihr ist eben die Einheit des Geistes, der Sitte, der Sprache gegeben“ (1833), Carl Salomo Zachariä: „Nation ist der Inbegriff derjenigen Menschen, welche zufolge der ihnen gemeinschaftlichen Denk- und Sinnesart, wenn auch nicht erweislich, einer und derselben Abkunft sind, von denselben Voreltern abstammen“ (1839), Wilhelm Maurenbrecher: „Nation heißt der Inbegriff der Stammesgenossen“ (1848), alle zitiert nach Ziegler, Nation (Fn. 24), S. 35. 309 F. Oppenheimer nennt die Rassentheorien eine „wissenschaftliche Mimicry“: ders., Die rassentheoretische Geschichtsphilosophie, in: Verhandlungen des Zweiten Deutschen Soziologentages vom 20.–22. Oktober 1912 in Berlin, Neudruck 1969, S. 98 (135). Treffend auch R. N. Coudenhove-Kalergi, Paneuropa, 4. Aufl. 1926, S. 123 ff. 304

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haltbarkeit vermochten die Rassentheorien310 immer wieder eine große soziale Wirksamkeit auszuüben. Gerade in Krisen des nationalen Selbstbewußtseins hat das Bedürfnis nach integrierenden Kräften den Glauben an die biologische Gemeinschaft bis zu Rassenideologien gesteigert und damit die nationale Gemeinschaft selbst in Frage gestellt.311 Der Philosoph Kurt Stavenhagen312 geht biosystematisch vor, um die Ungeeignetheit des Begriffs der Rasse für den Aufbau der Nation aufzuzeigen: Schwächte man das Merkmal der Abstammung zu dem der Rasse ab und sähe angesichts des „bunten Gemengsel[s]“ einzelne Rassen innerhalb der Nation als deren schöpferischen Bestandteil an, so betrachtete man im besten Fall eine durch bestimmte gemeinsame Eigentümlichkeiten konstituierte Gattung. Jedoch sei in einem sozialen Gebilde wie dem der Nation das formale Verhältnis des einzelnen zum Ganzen ein anderes als das des Exemplars zur Gattung. „Rassenmerkmale sind noch keine Gemeinschaftsmerkmale. Die objektiven Momente einer Rasse konstituieren noch keine ethnischen Gemeinschaften und vermögen jedenfalls für die Lösung der Frage [. . .] nicht das Geringste beizutragen.“313 Dennoch kann die Bindekraft einer wirklichen oder vermeintlichen Abstammungsgemeinschaft eine nationsbildende Rolle spielen, liegt es doch nahe, mittels eines Rückgriffs auf die Vor- und Frühgeschichte die erwünschte Gemeinsamkeit als eine Gemeinsamkeit der Abstammung zu deuten. Dabei wirkt der Glaube an die gemeinsame Abstammung ebenso integrierend wie eine wirkliche Genealogie, denn schon im Mittelalter ist der für gentile Einheiten ihrem eigenen Bewußtsein nach konstitutive Abstammungsglaube fiktiv, d.h. objektiv falsch, aber subjektiv wirkt der Gedanke gemeinsamer Abkunft wie eine Realität mit erheblichen Folgen.314 So hat im Vorstellungsleben der Deutschen die Bezeichnung „Stamm“ die Gleichsetzung ethnischer Gruppen mit Abstammungsgemeinschaften lange wachgehalten.315 Dennoch: objektiv falsch ist die 310 Hertz bezeichnet die Rassentheorien im Sinne Gobineaus und Chamberlains schon 1915 als für die Wissenschaft erledigt und gibt einen Überblick über die frühere akademische Diskussion: ders., Rasse und Kultur. Eine kritische Untersuchung der Rassentheorien, 3. Aufl. 1925, S. 19 ff. 311 Lemberg, Nationalismus II (Fn. 15), S. 41. 312 Geboren 1885 in Tuckum (Kurland), gestorben 1951 in Göttingen: K. Stavenhagen, Person und Persönlichkeit. Untersuchungen zur Anthropologie und Ethik, hrsg. von H. Delius, 1957, S. 308. 313 Stavenhagen, Wesen (Fn. 150), S. 8. 314 J. Ehlers, Mittelalterliche Voraussetzungen für nationale Identität in der Neuzeit, in: B. Giesen (Hrsg.), Nationale und kulturelle Identität. Studien zur Entwicklung des kollektiven Bewußtseins in der Neuzeit, 1991, S. 77 (S. 80). Weber meint, die „Rassenqualitäten“ kämen für die Bildung „ethnischen“ Gemeinsamkeitsglaubens generell nur als Grenzen in Betracht, nicht als positiv gemeinschaftsbildend: ders., Wirtschaft, Halbbd. 2 (Fn. 211), S. 239. 315 Lemberg, Nationalismus II (Fn. 15), S. 40; vgl. dazu auch die Präambel der Weimarer Reichsverfassung: „Das Deutsche Volk, einig in seinen Stämmen und von

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Annahme einer gemeinsamen Abstammung angesichts der heterogenen Abkunft ihrer Mitglieder schon im Rahmen der objektiven Konstitutionsmomente der Kulturnation.316 Das Kriterium der gemeinsamen Abstammung erscheint also zunächst als unbrauchbar, da es keine im anthropologischen Sinne rassenreinen Nationen gibt. Entscheidend ist jedoch nicht die tatsächliche Abstammung, sondern der Glaube der Betreffenden an ihre Gemeinsamkeit, so daß das Merkmal der gemeinsamen Abstammung streng genommen ein subjektives Kriterium darstellt. Man könnte das Merkmal aber dahingehend modifizieren, daß man eine „gemeinsame oder ähnliche Blutmischung“317 als Maßstab nimmt. Immerhin läßt eine über einen langen Zeitraum andauernde Isolation einer Großgruppe engere und häufigere Beziehungen biologischer Art entstehen, die die Gesellschaft von ihrer Umgebung abheben. Auf die einzelne Person bezogen heißt das, daß ihre durchschnittliche Chance, mit Personen aus ihrer Nation Kinder zu haben, gegenüber den entsprechenden Chancen mit Personen aus anderen Nationen um vieles erhöht ist. In dieser gemilderten Form der „kontinuierlichen Zeugungsgemeinschaft“ hat der Glaube an eine gemeinsame Abstammung also ein reales Fundament.318 b) Kultur Ein weiteres Kriterium ergibt sich aus dem Umstand, daß verschiedene Kulturgemeinschaften bestehen. Unter Kultur wird gemeinhin die Gesamtheit der geistigen und künstlerischen Lebensäußerungen einer Gemeinschaft, eines Volkes verstanden.319 Zwar besteht eine Nation aus sehr verschiedenen Kultursphädem Willen beseelt, sein Reich in Freiheit und Gerechtigkeit zu erneuern und zu festigen, dem inneren und dem äußeren Frieden zu dienen und den gesellschaftlichen Fortschritt zu fördern, hat sich diese Verfassung gegeben.“, Hervorhebung von mir, J. D. K. Die Besonderheiten eines Stammes sind die Bildung einer unscharfen, objektiven Kulturgemeinschaft zusammen mit anderen ethnischen Gruppen und das Bewußtsein, Teil einer umfassenderen Einheit zu sein: Estel, Grundaspekte (Fn. 12), S. 18. 316 Einen kleinen Überblick über die „Blutvermischung“ gibt Fels, Begriff (Fn. 297), S. 78 ff. Sehr weit geht Weber, wenn er meint, daß „Menschen, welche sich als Nationalitätsgenossen betrachten, sich nicht nur gelegentlich, sondern sehr häufig der Abstammung nach weit ferner stehen, als solche, die verschiedenen und feindlichen Nationalitäten sich zurechnen“: ders., Wirtschaft, Halbbd. 2 (Fn. 211), S. 242. Allerdings wurde bis in die fünfziger Jahre hinein zumindest in bezug auf Deutschland gegenteiliges behauptet, so z. B. von G. Decker, der von einer „Entstehung der deutschen Nation aus den germanischen Stämmen“ spricht und damit eine doch sehr vereinfachende und wohl auch ideologisierende Sichtweise an den Tag legt: ders., Das Selbstbestimmungsrecht der Nationen, 1955, S. 315. 317 Meinecke, Weltbürgertum (Fn. 147), S. 1. 318 Estel, Grundaspekte (Fn. 12), S. 14. 319 Vgl. z. B. Duden. Das Fremdwörterbuch, 8. Aufl. 2005, S. 579. Vgl. auch die Definition bei K.-P. Sommermann, Kultur im Verfassungsstaat, in: VVDStRL 65 (2006), S. 7 (8 f.): „Kultur ist die eine Gesellschaft prägende Wahrnehmung, Deutung

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ren, die mitunter miteinander weniger zu tun haben als mit den entsprechenden Kultursphären und Bildungsschichten anderer Nationen, jedoch ist auch derjenige, der diesen Bildungsschichten fernsteht, Mitträger und Substrat der Kultur.320 So wird zum Teil versucht, aus der Kultur den Nationalcharakter abzuleiten. Im einzigartigen Phänomen der Kultur einer ethnisch einheitlichen Gesellschaft manifestiere sich die Nation. Auf diese Weise folgt die Konstitution aber illegitimen Kriterien, denn das Merkmal der gemeinsamen Kultur unterliegt so einer doppelten Selektion. Die Auswahl aus den in Frage kommenden Gütern erfolgt zum einen nach einem vorgängigen Verständnis von Kultur überhaupt und zum anderen nach der internen Gewichtung der jeweiligen Kulturzweige. Zudem wird dann die so gewonnene Kultur als ein vermeintlich einheitliches und einzigartiges Phänomen, als abhängige Variable der dann ihrerseits als einheitlich und einzigartig geltenden Nation zugerechnet.321 „Gesteht man [allerdings] zu, daß Menschen [. . .] als Angehörige von Kollektiven regelmäßig [. . .] eigene symbolische Kulturen ausbilden, [. . .] an denen sie sich in ihrem Handeln orientieren, muß es zumindest solche interkollektiven Unterschiede und intrakollektiven Gleichheiten geben, die Resultat der handlungsleitenden Orientierung an diesen unterschiedlichen Wissensbeständen sind. Und es ist nicht einzusehen, daß solche Unterschiede bzw. Gleichheiten sich nicht auch in diejenigen materiellen und immateriellen Produkte übersetzen sollen, die traditionell oder nach einem neuen Verständnis zur Hochkultur zählen.“322 aa) Geschichte Dieses Kriterium umfaßt neben der eigentlichen Geschichte auch die oftmals zahlreichen Mythen sowie historische Erinnerungen. Seine Bedeutung, die Beund Gestaltung der Lebenswirklichkeit. Sie umfasst das Denken und Fühlen, Sitten und Gebräuche, Glauben und Moral. [. . .] In der Kultur sind die Erfahrungen vieler Generationen gespeichert [. . .]. Man hat die Kultur daher auch als das „Gedächtnis der Gesellschaft“ bezeichnet. Die Ausdrucksformen der Kultur [. . .] sind vielfältig. Im Vordergrund der Betrachtung stehen meist Sprache und Religion, Wissenschaft und Kunst, Erziehung und Bildung sowie die Kulturgüter.“ R. Zimmermann stellt allerdings fest, daß eine nähere Bestimmung des Begriffs Kultur so gut wie unmöglich erscheint und verweist auf die Definition U. Di Fabios, der als Kultur „das grundlegende soziale Zeichen- und Orientierungssystem einer Gemeinschaft“ versteht, die erst „durch den gleichsinnigen Gebrauch eines solchen Sinnsystems zur Gemeinschaft“ werde: R. Zimmermann, Römisches Recht und europäische Kultur, in: H. Dreier/E. Hilgendorf (Hrsg.), Kulturelle Identität als Grund und Grenze des Rechts. Akten der IVR-Tagung vom 28.–30. September 2006 in Würzburg, 2008, S. 29 (29), bzw. U. Di Fabio, Die Kultur der Freiheit, 2005, S. 1 f. 320 Lemberg, Nationalismus II (Fn. 15), S. 44. 321 Estel, Grundaspekte (Fn. 12), S. 63 f. 322 Estel, Grundaspekte (Fn. 12), S. 64, Hervorhebung im Original, J. D. K.

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deutung der Vergangenheit für die Nationsbildung stellt sich in zweifacher Hinsicht dar. Zum einen wird Vergangenheit in Form eines „kollektiven Gedächtnisses“ wahrgenommen, das so unterschiedliche Aspekte wie die wissenschaftliche Bearbeitung der Nationalgeschichte, mythologisches Geschichtsbewußtsein und Familientradition umfaßt. Zum anderen zeigt sie sich in der „real überlebenden“ Vergangenheit, also in institutionellen und objektiv existierenden Relikten, wie es beispielsweise die Architektur, staatliche und politische Institutionen, Denkmäler, gesetzliche Normen, religiöse Bilder und Texte sein können.323 Je nach Nation bildet dabei ein spezifischer Teil des Erbes der Vergangenheit den Schwerpunkt. Nationen, deren Bildung die direkte Folge der Entstehung einer Zivilgesellschaft auf dem Territorium eines bereits etablierten Staates ist, äußert sich die Vergangenheit vor allem in der Staatlichkeit und deren Institutionen. Damit kann das „Staatsterritorium [. . .] zum nationalen Territorium, die Staatskultur zur Nationalkultur werden, die Identität mit dem Staat [. . .] organisch, wenn auch nicht immer gewaltlos zur Identität mit der Nation wachsen“324. Dies gestaltet sich in den multiethnischen Reichen hingegen als schwierig. Die staatliche Vergangenheit stellt sich zumeist nicht national dar, denn für die herrschenden Eliten dieser Staaten bedeutet Vergangenheit die Vergangenheit des Imperiums. „Zu all diesen Imperien gehörte eine historisch fundierte Herrschaftslegitimation, also Geschichte als Argument für ihre Existenz.“325 Träger von Kontinuität in den Imperien sind die jeweiligen Metropolen und Dynastien, nicht die jeweilige Geschichte der nicht herrschenden und zum Teil höchst unterschiedlichen ethnischen Gruppen. Diese beginnt seit dem späten 18. Jahrhundert mit der imperialen Geschichte der Macht- und Bildungseliten zu konkurrieren.326 Auch in den Fällen, in denen wie in Deutschland politische Institutionen, Staaten und ihre Verwaltungen kontinuierlich Bestand hatten, kann ebenfalls nicht ohne weiteres auf die Vergangenheit dieser Staaten aufgebaut werden. Jedoch wird die Mehrzahl der deutschen Staaten immerhin von einheimischen, „nationalen“ Dynastien regiert, zudem bietet das formal fortbestehende Heilige Römische Reich Deutscher Nation die Vorstellung von einer überstaatlichen, „nationalen“ Gemeinschaft.327 Wieder anderen Nationen fehlt es fast völlig an historischem nationalen Erbe, „das an eine gemeinsame Vergangenheit hätte er323 Hroch, Europa (Fn. 12), S. 49. Zum historischen Bewußtsein H. Lübbe, Historismus oder die Erfahrung der Kontingenz religiöser Kultur, in: W. Oelmüller (Hrsg.), Wahrheitsansprüche der Religionen heute, 1986, S. 65 (75). 324 Hroch, Europa (Fn. 12), S. 53. 325 Hroch, Europa (Fn. 12), S. 54. 326 Hroch, Europa (Fn. 12), S. 54. 327 Hroch, Europa (Fn. 12), S. 57.

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innern und zum Nährboden für eine moderne nationale Identität hätte werden können“328. In einer solchen Situation können Mythen über Defizite hinweghelfen. Mythos meint „eine Erzählung oder eine Mitteilung über angenommene Tatbestände, denen das Moment der Verifizierbarkeit fehlt, da man den Autor [. . .] nicht fassen und zur Verantwortung ziehen kann“. Mythen werden durch historische Situationen provoziert und vermögen „der Nationalidee Flügel“ zu verleihen.329 Sie gruppieren sich um bedeutende Schlachten und Kampfhandlungen, um grundlegende fortschrittliche, positive Wandlungen des Nationalstaates bzw. der nationalen Gemeinschaft, um bedeutende kulturelle und ideelle Beiträge einer hervorragenden Persönlichkeit, die als Angehöriger der Nation angesehen wird etc.330 Der Mythos entzieht sich dem Zugriff des Intellekts und hat dennoch eine wichtige, nämlich ordnende Funktion im gesellschaftlichen Leben inne.331 „Im Mythos ebenso wie im Ritual geht es um Grenzen und Gegensätze: Mythen behaupten die Einheit der Gegensätze, die Identität in Wandel und Verschiedenheit, Rituale überbrücken Grenzen und Unterschiede und konstruieren Gleichheit und Gemeinschaftlichkeit. [. . .] Die mythische Erzählung erlaubt es, auch dann noch die Vorstellung einer übergreifenden und umfassenden Einheit zu erzeugen, wenn sich überkommene strukturelle Grenzen innerhalb der Gesellschaft faktisch abschwächen, auflösen oder verschieben.“332 Indem Mythen die Kommunikation erleichtern, die konsensuale Rezeption bestimmter Werte ermöglichen und Solidarität stiften, sind sie vor allem ein Instrument der Selbstdefinition der nationalen Gruppe.333 328

Hroch, Europa (Fn. 12), S. 56. W. Schamschula, Mythos, Mythologie und Nationalismus im Schrifttum, in: E. Schmidt-Hartmann (Hrsg.), Formen des nationalen Bewußtseins im Lichte zeitgenössischer Nationalismustheorien. Vorträge der Tagung des Collegium Carolinum in Bad Wiessee vom 31. Oktober bis 3. November 1991, 1994, S. 67 (68 f.). 330 Hroch, Europa (Fn. 12), S. 165. 331 Schamschula, Mythos (Fn. 329), S. 71. Vgl. auch U. Haltern, Notwendigkeit und Umrisse einer Kulturtheorie des Rechts, in: H. Dreier/E. Hilgendorf (Hrsg.), Kulturelle Identität als Grund und Grenze des Rechts. Akten der IVR-Tagung vom 28.– 30. September 2006 in Würzburg, 2008, S. 193 (217): „Als Bürger ist man eingebettet in die Geschichte seines Staates und akzeptiert sie als die eigene. Die Revolution ist ,unser‘ Freiheitskampf; der Holocaust ist ,unsere‘ Verantwortung; die Verfassung ist das Produkt ,unseres‘ Volkes; die Teilung des Staates ist eine Prüfung ,unseres‘ Einstehens für den und ,unserer‘ Standhaftigkeit als Volkssouverän. Der Bürger kennt seinen Platz in der Geschichte, da er die Geschichte durch die Brille der Volkssouveränität liest. Die Geschichte des Staates ist unsere Geschichte; das Territorium des Staates ist unser Raum; die Zukunft des Staates ist auch unsere Zukunft. In dieser Imaginationsform gibt es keine natürliche Bewegung in Richtung Universalität. Dies ist die schlechte Nachricht für alle Völker- und Europarechtler.“ 332 B. Giesen/K. Junge, Der Mythos des Universalismus, in: H. Berding (Hrsg.), Mythos und Nation. Studien zur Entwicklung des kollektiven Bewußtseins in der Neuzeit 3, 1996, S. 34 (35, 37). 333 Hroch, Europa (Fn. 12), S. 161. 329

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Überall stößt man daher auf Schöpfungs-, Abstammungs- und Ansippungsmythen, die die Anfänge der Nation in vorgeschichtliche Zeiten zurückverlegen. „Immer dann, wenn Nationen entstehen oder nationale Bewegungen sich entfalten, scheinen solche einheits- und identitätsstiftenden Mythen am Werk zu sein. Sie sind es offenbar, die das Gefühl der Zusammengehörigkeit stärken, emotionale Bindungen erzeugen, solidarisches Handeln fördern, das nationale Selbstverständnis mit Inhalt füllen und das kollektive Gedächtnis prägen.“334 Der „politische Mythos ist eine Erzählung, die gemeinschaftliche Identität stiftet und in einer Wir-Gruppe über ihre sozialen Spaltungen und kulturellen Differenzen hinweg selbstverständlich-fraglose Geltung erlangt. [. . .] Soziologisch gesehen stiften Mythen das kollektive Bewußtsein und Gedächtnis großer Gruppen, darunter von Nationen, denen sie jenseits ihrer räumlichen Ausdehnung und territorialen Begrenzung ein inneres Band und zeitliche Kontinuität verleihen“335. Ob Geschichte, Mythen oder Erinnerungen; die Vergangenheit ist ein entscheidendes Kriterium. Eine gemeinsame Vergangenheit zu haben bedeutet oftmals, „in historischer Kontinuität als unbezweifelbares Ganzes zu existieren“336, zur Nation dazuzugehören. Sie legitimiert die nationale Existenz und festigt die Identität mit der Nation. bb) Sprache Die Existenz einer gemeinsamen Sprache wird immer wieder als wesentliches Merkmal der Nationalität angeführt.337 „Sie ist der Spiegel der Nationalität, der das Temperament und den Genius klar zurückwirft, und zugleich ihr intensivstes Werkzeug, durch das sie sich zusammenhält und bewahrt; daher klammert sich die Nation an die Sprache und betrachtet sie als ein Bollwerk, an dessen Erhaltung ihr eigenes Leben hängt [. . .].“338 Die Sprache stelle einen „wesentlichen und charakteristischen Teil“ dar, „der sich als Kennzeichen gut verwerten“339 lasse. 334

Berding, Vorwort (Fn. 22), S. 8. C. Leggewie, Der Mythos des Neuanfangs – Gründungsetappen der Bundesrepublik Deutschland: 1949 – 1968 – 1989, in: H. Berding (Hrsg.), Mythos und Nation. Studien zur Entwicklung des kollektiven Bewußtseins in der Neuzeit 3, 1996, S. 275 (278). 336 Hroch, Europa (Fn. 12), S. 145. 337 H. Christ, Die kulturelle und politische Funktion des Deutschen als „Nationalsprache“, in: M. Hättich/P. D. Pfitzner (Hrsg.), Nationalsprachen und die Europäische Gemeinschaft. Probleme am Beispiel der deutschen, französischen und englischen Sprache, 1989, S. 25 ff. Anders E. J. Hobsbawm, Nationen und Nationalismus. Mythos und Realität seit 1780, 1991, S. 67 f. 338 R. Kjellén, Der Staat als Lebensform, 1917, S. 109. 339 A. Vierkandt, Gesellschaftslehre. Hauptprobleme der philosophischen Soziologie, 1923, S. 318. 335

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Bereits zu Zeiten der Entstehung der mittelalterlichen Staaten ist sprachliche Unterschiedlichkeit eine Selbstverständlichkeit, obwohl zeitweilig im Westen das Lateinische, im Osten das Griechische als allgemein verständliche „übernationale“ Gebildetensprache fungiert.340 Diese Unterschiede territorial abzugrenzen, fällt schwer. Klar definierbar sind ab einer bestimmten Zeit die Literatursprachen, deren Ausbreitung bis zu einem gewissen Grad mit der der Verwaltungssprache korreliert. Allerdings spricht noch in der frühen Neuzeit die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung Dialekte und benutzt weder die offizielle Staatssprache noch die „nationale“ Literatursprache.341 Eine Tendenz zur sprachlichen Homogenisierung setzt in den meisten europäischen Staaten erst im 16. Jahrhundert ein, wobei die Dialekte auch weiterhin Bestand haben. Aristokratische Gebildete demonstrieren im 18. Jahrhundert ihre Überlegenheit über die niederen Volksschichten, indem sie sich über Dialekte belustigen und nehmen damit das Gegenteil der wohlwollenden Haltung an, die einige Jahrzehnte später die Romantiker und Patrioten in vielen Nationalbewegungen gegenüber der Volkssprache an den Tag legen.342 Sprachgrenzen erlangen eine maßgebende Bedeutung, denn „[s]prachliche Homogenität ist im Denken der Epoche [der Zeit des Risorgimento] zur Voraussetzung des souveränen Nationalstaats geworden, und wo sie nicht gegeben ist, dort hält man es für gerechtfertigt, sie zwangsweise herbeizuführen: cuius regio, eius lingua“343. Mit der nationsbildenden Rolle der Sprache hängt die intensive Sprachpflege und Sprachgestaltung, der Bedeutungsgewinn der Philologie im 19. Jahrhundert zusammen: „Nun bildete nicht nur das Volk seine Sprache, sondern auch umgekehrt: die Sprache ihr Volk.“344 Die Sprache dient nicht nur der Verständigung und ist damit nicht nur ein verhältnismäßig einfach festzustellendes äußeres Merkmal im Sinne einer Abgrenzung gegenüber anderen Gruppen, sondern vermag eine Gruppe auch als eine solche zu erziehen und zu formen. Die trennende und integrierende Funktion der Sprache kann ihre Funktion als Kommunikationsmittel also übertreffen.345 Sprache wird zum Symbol der Gemeinschaft, zum Wappenschild, zum Privileg und wirkt als nationales Symbol und Bekenntnis, als Mittel der Selbstidentifikation der Einwohner eines Staates als Angehörige einer nationalen Gemeinschaft. Nicht nur deshalb wird das Recht, bei Behörden und vor Gericht in der eigenen Sprache zu sprechen und 340

Hroch, Europa (Fn. 12), S. 59. Hroch, Europa (Fn. 12), S. 59 f. 342 Sprache kann also nicht nur die Stärkung der nationalen, sondern auch die der sozialen Identität bewirken: Hroch, Europa (Fn. 12), S. 63 f., 197. 343 Lemberg, Nationalismus II (Fn. 15), S. 34 f. 344 Lemberg, Nationalismus II (Fn. 15), S. 35. 345 Dies zeigt auch das Festhalten von Religionsgemeinschaften an einer Kultsprache, auch wenn diese von der Mehrzahl ihrer Angehörigen nicht mehr verstanden wird: Lemberg, Nationalismus II (Fn. 15), S. 36. 341

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angesprochen zu werden, zum Grundpfeiler jedes Nationalitätenrechts und jede Mißachtung der Sprache oder Einschränkung ihrer Gleichberechtigung als Angriff auf die nationale Existenz überhaupt und als Zeichen ihrer Bedrohung empfunden.346 Die Epoche der Sprachenkämpfe der einzelnen Nationalitäten legt es nahe, Nation mit Sprachgemeinschaft gleichzusetzen. Allerdings ist zu bedenken, daß bewußte Sprachgemeinschaft auch Folge des Politischen sein kann.347 Überhaupt genügt das Bestehen einer sprachlichen Gemeinschaft keineswegs immer, um diese als Nation betrachten zu können, andererseits ist sie als Voraussetzung nicht unbedingt erforderlich. Allerdings pflegt der Anspruch, als besondere Nation zu gelten, besonders regelmäßig an das Massenkulturgut der Sprachgemeinschaft anzuknüpfen.348 Jedenfalls ist Sprache neben ihrer Funktion als Kommunikationsmittel auch Identifikationscode und Instrument der nationalen Mobilisierung. cc) Religion Eine nur noch schwächere, womöglich aber wieder an Bedeutung gewinnende Rolle spielt in diesem Zusammenhang die Religion. Hier schien bis vor kurzem erst recht zu gelten, was bereits 1914 galt: „Die Religion hat heute, wo sie sich immer mehr in den Kreis kleiner Gruppen, ja ins Gemüt des einzelnen zurückzieht, weder staaten- noch nationenbildende Kraft.“349 Wie bereits im ersten Teil der Arbeit angeklungen, kann Religion als Fundament einer tendenziell universalen Heilsgemeinschaft in direkte Konkurrenz zur Nation treten. Die der Entstehung von Nationen abträgliche Wirkung der Religion, die passive Hinnahme des Gegebenen als gottgewollt zuungunsten der Existenz eines Machbarkeitsglaubens soll aber nicht über die ebenso mögliche positive Rolle der Religion bei der Nationsbildung hinwegtäuschen. So kann die Religion durchaus auch zum entscheidenden Merkmal für Nationalität avancieren.350 Bedeutung gewinnt Religion zudem über die zentralen Werte einer Gesellschaft, die sich selbst in stark säkularisierten Gesellschaften in den meisten Fällen aus einer religiösen Tradition ableiten.351 346

Lemberg, Nationalismus II (Fn. 15), S. 36; Hroch, Europa (Fn. 12), S. 196. Ziegler, Nation (Fn. 24), S. 41 f. 348 Weber, Wirtschaft, Halbbd. 2 (Fn. 211), S. 528. 349 O. Spann, Kurzgefaßtes System der Gesellschaftslehre, 1914, S. 198. 350 So bei der Bildung des griechischen oder auch des polnischen und des irischen Nationalstaats. Vgl. A. M. Birke, Nation und Konfession. Varianten des politischen Katholizismus im Europa des 19. Jahrhunderts, in: Historisches Jahrbuch 116 (1996), S. 395 (401): „[. . .] Irland [. . .], jenem Land, in dem sich am frühesten eine wirkungsvolle Verbindung der nationalen und katholischen Emanzipationsbewegung ergab.“ 351 M. Reddig, Bürger jenseits des Staates? Unionsbürgerschaft als Mittel europäischer Integration, Diss. phil. Düsseldorf 2004, S. 205. Vgl. auch H. Dreier, Verfas347

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c) Territorium und Staatsangehörigkeit Die Beziehung zwischen den Angehörigen der Nation und einem bestimmten Gebiet ist kein bloßes Verhältnis des einzelnen zu einem neutralen Raum, sondern eine Beziehung, die einen nationalen Wert darstellen kann. Diese Bindung an ein Territorium bietet die Idee des Vaterlandes an. „Das praktische Bedürfnis des Wirkens drängt auf Abgrenzung. Und gerade dieses Bedürfnis trägt eminent zur Entstehung des Nationalgefühls bei: wo ich wirken kann, da ist mein Vaterland!“352 „Ohne ein solches handelt es sich nur entweder um den Schatten einer gewesenen Nation oder möglicherweise um den Keim einer neuen. [. . .] [D]ie starke Bezogenheit auf ein Territorium ist überhaupt eines jener Momente, die das nationale Gemeinschaftsgefühl von ähnlichen Gefühlen trennen. [. . .] Von einer Nation kann aber nur dort die Rede sein, wo sich ein bestimmtes Gemeinschaftsgefühl mit einem bestimmten Anspruch auf ein Territorium verbindet.“353 Die räumliche Geschlossenheit und Nähe durch Siedlung auf demselben Territorium gibt der Nation als Gruppe einen spezifischen Zusammenhalt, schafft besondere Gemeinschaftsmöglichkeiten, spezifische Chancen und Interessen.354 Der nationale Raum wird als Heimat wahrgenommen und hat deshalb seine qualitativen Merkmale als nationale Landschaft. Es ist kein Zufall, daß die Verherrlichung der Landschaft einen wesentlichen Teil der Nationalhymnen vieler europäischer Nationen ausmacht.355 Die Unterordnung unter ein gemeinsames Herrschaftssystem, die Zugehörigkeit zu einem Staat, ist ein weiteres unter den zahlreichen möglichen Merkmalen für Nationalität. Der Staat fungiert sozusagen als wichtiger Baustoff der Nation, die durch ihn zur höchsten Vollkommenheit gelangt. Mit der Zusammen-

sungsstaat im Kampf der Kulturen, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 230 vom 04.10.2007: „Wer von Kultur spricht, kann von Religion nicht schweigen.“ 352 E. Bernstein, Diskussionsbeitrag zu P. Barth, Die Nationalität in ihrer soziologischen Bedeutung, in: Verhandlungen des Zweiten Deutschen Soziologentages vom 20.–22. Oktober 1912 in Berlin, Neudruck 1969, S. 21 (52). 353 Hertz, Wesen (Fn. 160), S. 62 f. 354 Ziegler, Nation (Fn. 24), S. 46. 355 Hroch, Europa (Fn. 12), S. 227 ff. Vgl. z. B. die Nationalhymne Dänemarks: „Es liegt ein lieblich Land Im Schatten breiter Buchen |: Am salz’gen Ostseestrand :| |: An Hügelwellen träumt’s, im Tal, Alt-Dänemark, so heißt es, Und ist der Freja Saal. Und ist der Freja Saal. :| Dort saßen in der Vorzeit Die behelmten Kämpfer |: Und ruhten sich vom Streite aus :| |: Dann wehrten sie die Feinde ab, Nun ruhet ihr Gebein Drüben bei dem Hügelgrab, Drüben bei dem Hügelgrab. :| Oh ja, das Land ist schön! So blau die See der Belte, |: Das Laub es grünt hier grün :| |: Und schöne Mütter, edle Frauen, Männer und gescheite Knaben Bewohnen unsrer Inseln Auen, Bewohnen unsrer Inseln Auen. :| Für Krone und das Vaterland! Für jeden einzeln’ Bürger, |: Der arbeitet, was er kann! :| |: Unser altes Dänemark für immer, So lange die Buche spiegelt Ihre Krone im blauen Wasser, Ihre Krone im blauen Wasser. :|“: erste Strophe abgedruckt bei N. N. (Hrsg.), Nationalhymnen. Texte und Melodien, 12. Aufl. 2007, S. 41 f.

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fassung von Menschen in einem Staat kann ein Nationsbildungsprozeß durch den Staat einsetzen. Auch im Hinblick auf kulturelle Merkmale vermag er die so erfaßte Gruppe allmählich homogen werden zu lassen. Im englischen und französischen Sprachgebrauch meint „nation“ daher auch eine staatlich organisierte Bevölkerung. Allerdings verweist Stavenhagen auf ein schon vom Staatsphilosophen Edmund Burke356 bejahtes Mehr, auf ein hinter dem Staat liegendes Ganzes, das gewisse unabhängige Grundlagen habe, die in irgendeinem Sinne objektiv seien. Dies könne nicht die „politische“ oder „geschichtliche“ 357 Gemeinschaft sein, da eine solche Gemeinschaft wiederum eine andere Gemeinschaft voraussetze, in der sie gegründet ist. „Ein geschichtliches oder politisches Schicksal haben nur Gemeinschaften, aber nicht Privatleute [. . .].“358 Nation ist also zunächst nicht identisch mit Staatsvolk, d.h. der jeweiligen Zugehörigkeit zu einer politischen Gemeinschaft. Machte man die Zugehörigkeit zu einem Staat zum ausschließlichen Kriterium für Nationalität, würde man den auf Grundlage kultureller Kriterien zustandegekommenen Gruppen nicht gerecht.359 „An sich fehlt der Nation jede Organisation, aber sie sehnt sich nach ihr.“360 2. Der Nationsbildungsprozeß Wie und wann reißen sich Nationen aus größeren Einheiten los, wie behaupten sie sich gegenüber kleineren Einheiten und wie integrieren sich diese in das politische System der Nation? Zwischen der Bildung moderner Nationen und der sukzessiven Durchsetzung kapitalistischer Wirtschaftsformen läßt sich eine zeitliche Korrelation feststellen, in manchen Fällen sogar eine unmittelbare Proportionalität zwischen den Veränderungen in den Sphären von Kultur und Wirtschaft.361 Im Zentrum der internationalen Nationsbildungsdiskussion steht seit Mitte des letzten Jahrhunderts die Modernisierungstheorie, die Nationen und Nationalstaaten als Ergebnis eines gesellschaftlichen Modernisierungsschubes sieht.362 Eine Ausformung dieses Modells ist die Nationsbildungstheorie des

356 Geboren 1729 in Dublin, gestorben 1797 in Beaconsfield (bei London): N. N., in: Brockhaus. Die Enzyklopädie in vierundzwanzig Bänden, Bd. 4, 20. Aufl. 1997, S. 200 f. 357 Wie bereits gezeigt, kann auch ein Geschichtsbild als Kriterium für Nationalität verwendet werden. Ein solches Geschichtsbild richtet sich nach der integrierenden und abgrenzenden Funktion, die ihm die betreffende Gesellschaft abverlangt. 358 Stavenhagen, Wesen (Fn. 150), S. 23. 359 Lemberg, Nationalismus II (Fn. 15), S. 49. Vgl. auch die jüngste Entwicklung im Kosovo. 360 A. Schulte, Nation und Staat. Die Nationalitätenfrage in Deutschland, in: M. Meinertz/H. Sacher (Hrsg.), Deutschland und der Katholizismus. Gedanken zur Neugestaltung des deutschen Geistes- und Gesellschaftslebens, Bd. 2, 1918, S. 63 (74). 361 Hroch, Europa (Fn. 12), S. 89, 92. 362 Thaler, Stand (Fn. 187), S. 23.

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Politologen Karl W. Deutsch363, die die Bildung von Nationen aus dem Kontext der sozialen Dynamik heraus versteht. Deutsch bringt die damals neuen Aspekte der Theorie der sozialen Kommunikation in seine Forschungen ein und stellt die soziale Differenzierung und die gesellschaftliche Mobilisierung weiterer Bevölkerungsgruppen im Gefolge von Industrialisierung, Verstädterung, Bildungsausweitung und nicht zuletzt kommunikativer Einbindung durch das Entstehen von Massenmedien in den Mittelpunkt der Nationsentwicklung.364 Die frühkapitalistischen Veränderungen und die Industrialisierung, somit die Veränderungen in der Lebensweise und den zwischenmenschlichen Beziehungen, die mit der Entwicklung der Hausindustrie und Manufakturproduktion sowie der Marktbeziehungen zwischen Stadt und Land eintreten, wirken sich in beträchtlichem Ausmaß auf Geschwindigkeit und Breite der Informationsströme aus und ziehen eine erhebliche Erweiterung und Intensivierung der sozialen Kommunikation nach sich.365 Ein wesentlicher Faktor der intensiver werdenden sozialen Kommunikation ist die zunehmende Mobilität der Bevölkerung. Neben der vertikalen Mobilität – der Möglichkeit des sozialen Aufstiegs – nimmt auch die horizontale Mobilität zu. Es steigt die Zahl der Menschen, die auf Dauer oder zeitweilig ihren Geburtsort verlassen, um anderswo eine Ausbildung zu machen oder Arbeit zu suchen.366 Andere Modelle betonen die Bedeutung der Schaffung nationaler Identität zur Erfüllung des Kohäsionsbedarfs nach dem Zerfall traditioneller gesellschaftlicher Bindungen als Folge unumgänglichen sozialen und politischen Wandels oder heben die ethnische Komponente des Nationsbildungsprozesses hervor.367 Deutsch meint, der seit der Auflösung vorindustrieller Lebenszusammenhänge sprunghaft gestiegenen Mobilität folge eine soziale Dynamik, aus deren Kontext die Bildung von Nationen zu verstehen sei. Eine Nation sei somit „das 363 Geboren 1912 in Prag, gestorben 1992 in Cambridge (Massachusetts): N. N., in: W. Killy (Hrsg.), Deutsche Biographische Enzyklopädie, Bd. 2, 1995, S. 506. 364 Deutsch, Nationenbildung (Fn. 19), S. 29 ff. Als weiteres Modell läßt sich in diesem Zusammenhang die Zentrumsbildungstheorie des norwegischen Politologen S. Rokkan nennen. Diese erklärt nationale Entwicklungen anhand eines Wechselspiels zwischen Zentrum und Peripherie, in dem territoriale oder gesellschaftliche Führungszentren ihren Einfluß über Randgebiete und -schichten ausweiten, die durch Angleichung und Koalitionsbildung in die Nationsstruktur eingebunden werden. Die Beziehung zwischen Zentrum und Peripherie werde dabei durch vier Bindungen vermittelt: Wirtschaft, Kultur, Rechtssystem, politisches Machtsystem; vgl. ders./D. W. Urwin, Economy, Territory, Identity: Politics of West European Peripheries, London u. a. 1983. 365 Hroch, Europa (Fn. 12), S. 91, 94. 366 Hroch, Europa (Fn. 12), S. 97. Als weitere Grundvoraussetzung und Antriebskraft der nationalen Mobilisierung nennt Hroch Interessengegensätze. Da es sich meist um eine Transmission ohne Rückkoppelung handele, könne sich die „nationale Übersetzung“ des Interessenkonflikts verselbständigen und auch aus ihrem ursprünglichen wirtschaftlichen, sozialen oder politischen Kontext heraustreten: ders., Europa (Fn. 12), S. 143. 367 Thaler, Stand (Fn. 187), S. 23.

I. Die Nation als Kollektivform

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Ergebnis der Transformation eines Volkes oder einiger ethnischer Elemente innerhalb eines sozialen Mobilisationsprozesses“368. Dieser Prozeß der sozialen Mobilisation sei wenigstens in seinen allgemeinen Merkmalen eine wiederkehrende geschichtliche Entscheidung, so daß sich spezifische Gleichförmigkeiten im Entwicklungsprozeß der Nation feststellen ließen. Als eine mögliche Gleichförmigkeit nennt Deutsch erstens den Übergang von der Subsistenzwirtschaft zur Tauschwirtschaft. Der Austausch eines breiten Angebots von Gütern und Dienstleistungen bringe, sofern er die Masse der Bevölkerung erfaßt, viele Individuen in direkten Kontakt miteinander und beinhalte daher eine Tendenz zum „nationalen“ oder wenigstens regionalen sprachlichen und kulturellen „Erwachen“369. Als nächster, zweiter Punkt wird die soziale Mobilisation und Integration in Kerngebieten genannt. Durch das Nebeneinander „entwickelter“ und „unterentwickelter“ Gebiete befänden sich erstere oftmals in einer Position, in der sie als Zentren kultureller und ökonomischer Attraktion für die Bevölkerung letzterer fungieren und somit Mittelpunkte weiterer Integration werden.370 Beschleunigend auf die nationale Entwicklung wirke sich zudem, drittens, die Entwicklung von Städten und die Zunahme von Mobilität und Kommunikation innerhalb dieser Städte und zwischen Stadt und Land aus.371 Wichtig seien weiterhin, viertens, die Entwicklung grundlegender Kommunikationsnetze, Netze von Verkehrswegen, Kommunikationen und Bevölkerungsbewegungen. Hinzukommen müsse allerdings ein Minimum an kultureller Vereinbarkeit und eine genügende Ähnlichkeit zwischen Sprachdialekten.372 Eine weitere, fünfte Gleichförmigkeit im Entwicklungsprozeß der Nation sei die schrittweise Akkumulation und Konzentration von Kapital, Fähigkeiten und sozialen Institutionen und deren Übertragungseffekt auf andere Gebiete und Bevölkerungen. Ungleichheiten im allgemeinen Lebensstandard tendierten bis zu einem gewissen Grad dazu, die Unterschiede zwischen den sozialen Klassen einer Gesellschaft zu überschneiden. Förderlich wirkten nicht günstige ökonomische Faktoren allein, sondern eine „Kombination materieller Opportunitäten mit einer neuen und unterschiedlichen Lebensauffassung“373. Sechstens nennt Deutsch die Entstehung des Begriffs „Interesse“ und die Erweiterung des individuellen Selbstbewußtseins. Wächst mit den materiellen Möglichkeiten die Unsicherheit und wird mit zunehmender Macht die Einsamkeit größer, so sei der Nationalismus eine Antwort auf diese doppelte Herausforderung. Die Bildung möglichst fester Verbindungen mit der günstigsten Konkurrentengruppe scheine eine vernünftige langfristige Strategie zu sein. Dabei kombinierten von allen möglichen Kombina368 369 370 371 372 373

Deutsch, Deutsch, Deutsch, Deutsch, Deutsch, Deutsch,

Nationenbildung Nationenbildung Nationenbildung Nationenbildung Nationenbildung Nationenbildung

(Fn. (Fn. (Fn. (Fn. (Fn. (Fn.

19), 19), 19), 19), 19), 19),

S. S. S. S. S. S.

27. 29 f. 29 f. 29, 31. 29, 32 f. 29, 33, 35.

92

B. Der Aufbau der Nation

tionsmustern ethnische und nationale Verbindungen oft die größte Stärke und Elastizität mit der höchsten Anpassungsfähigkeit an eine kompetitive Welt.374 Weiterhin werden, siebtens, das Erwachen ethnischen Bewußtseins und die Annahme nationaler Symbole genannt. Neben Initiatoren des Nationalstolzes und Formern von allmählich akzeptiert werdenden Symbolen erschienen erste Organisationen. Die Inhalte würde den Bevölkerungen und ihren Kindern „durch informellen Gruppenzwang und Massenkommunikationsmedien wie durch die zwangsausübenden Mächte des Staates und seines obligatorischen Erziehungssystems beigebracht und auferlegt“375 werden. Schließlich, achtens, sei die Verschmelzung ethnischen Bewußtseins mit der Tendenz zur Ausübung politischen Zwanges eine Gleichförmigkeit im Entwicklungsprozeß der Nation.376 Am Ende dieses Entwicklungsprozesses seien vier Dinge erreicht worden. Es bestehe ein weites, umfassendes und sehr stabiles menschliches Kommunikationsnetz, das zur Erhaltung, Reproduktion und weiteren Entwicklung seiner Kanäle fähig ist. Ökonomische Ressourcen seien effektiv akkumuliert, und die Arbeitskraft sei für die notwendige soziale Arbeitsteilung ausreichend sozial mobilisiert. Eine soziale Akkumulation und Integration von Erinnerungswerten und Symbolen, von individuellen und sozialen Einrichtungen träte zu deren Erhaltung, Transmission und Rekombination ein. Es gebe eine gewisse Entwicklung hin zur Lernkapazität.377 Zusammenfassend meint Deutsch, die Nation repräsentiere „eine effektivere Organisation als die supranationale, aber weitgehend passive Schichtkuchengesellschaft oder als die feudalen oder StammesLokalismen“378. Allerdings herrsche innerhalb einer ethnisch heterogenen Gesellschaft kein Stillstand, sondern diese sei der Dynamik von Assimilations- und Dissimilationsprozessen unterworfen. Eine Krisenlage trete immer dann ein, wenn die Assimilationsrate niedriger als die Mobilisierungsrate ist.379 Kulturelle Nähe, lebhafte Kommunikation zwischen den Beteiligten, Sicherheitsinteressen sowie die Hoffnung auf ökonomischen Vorteil fördern die Bereitschaft von Individuen, sich an eine Gemeinschaft anzuschließen. Im Prozeß der nationalen Integration, an dessen Ende die Assimilierung steht, unterscheidet Deutsch folgende Stadien: „offener oder latenter Widerstand gegen politi374

Deutsch, Nationenbildung (Fn. 19), S. 29, 38 f. Deutsch, Nationenbildung (Fn. 19), S. 44. 376 Deutsch, Nationenbildung (Fn. 19), S. 29. 377 Deutsch, Nationenbildung (Fn. 19), S. 44. 378 Deutsch, Nationenbildung (Fn. 19), S. 45. 379 T. Weiser, K. W. Deutschs Modell der Nationswerdung und sein Beitrag für die historische Nationalismusforschung, in: E. Schmidt-Hartmann (Hrsg.), Formen des nationalen Bewußtseins im Lichte zeitgenössischer Nationalismustheorien. Vorträge der Tagung des Collegium Carolinum in Bad Wiessee vom 31. Oktober bis 3. November 1991, 1994, S. 127 (136). 375

I. Die Nation als Kollektivform

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sche Amalgamierung in einen gemeinsamen Nationalstaat; minimale Integration, die ausreicht, um sich den Befehlen solch einer amalgamierten Regierung passiv zu fügen; weitere politische Integration bis zum Punkt aktiver Unterstützung eines gemeinsamen Staates bei weiterbestehender ethnischer oder kultureller Gruppenkohäsion und -verschiedenheit; und schließlich das Zusammenfallen der politischen Amalgamierung und Integration mit der Assimilierung aller Gruppen an eine gemeinsame Sprache und Kultur.“380 Die Reihenfolge dieser Stadien stehe allerdings nicht fest. Wichtiger für das Zustandekommen einer nationalen Gesellschaft als die Gleichheit irgendeines Merkmals ist nach Deutsch das auf der Verschiedenheit der Funktionen in einer arbeitsteiligen Gesellschaft beruhende Aufeinanderangewiesensein. Vorbedingung einer solchen Zusammenarbeit mit verteilten Funktionen ist für ihn die Möglichkeit der Kommunikation zwischen den Angehörigen der betreffenden nationalen Gesellschaft, „also des ständigen und intensiven Austausches von Informationen, jene Möglichkeit, die ihm als Kriterium nationaler Gruppenbildung wesentlich zu sein scheint“381. Deutschs Ansatz hebt Arbeitsteiligkeit, Interaktion und Kommunikation als Merkmale nationaler und quasinationaler Gesellschaften hervor und öffnet damit den Blick für die Integrationskräfte auch anderer als nationaler Gesellschaften.382 Die Nationwerdung steht also in ursächlichem Zusammenhang mit den Mobilisierungsfortschritten einer agrarisch-traditionellen Gesellschaft. Der Fortschritt durchbricht die engen Grenzen des Kulturaustausches, sprengt den bisherigen Kommunikationszustand. Den erweiterten Kommunikationsbedürfnissen der so mobilisierten Gesellschaft entspricht die Nation. Der Mobilisierungsprozeß begleitet die Nationwerdung nicht nur, sondern ermöglicht sie erst.383 Die Nation erscheint also „als Resultat der Verdichtung und Vernetzung von Kommunikation innerhalb einer Menschengruppe und deren schrittweiser Integration gegenüber Fremdgruppen. [. . .] Erst durch die wertende Interpretation der Gewohnheiten und Symbole, die die Effektivität der Kommunikation ausmachen, gewinnen diese an Bedeutung als Bezugspunkte der Identität. Wenn diese Stufe erreicht sei, werde aus einer Gesellschaft eine Gemeinschaft [. . .]. Und erst diese sich als organisch empfindende Gemeinschaft sei Nation, entwickle einen nationalen Willen, Nationalbewußtsein und -gefühl.“384 380

Deutsch, Nationenbildung (Fn. 19), S. 21. Lemberg, Nationalismus II (Fn. 15), S. 31. 382 Lemberg, Nationalismus II (Fn. 15), S. 31. 383 Weiser, Modell (Fn. 379), S. 127 f. 384 C. Brenner, Integrations- und Desintegrationsprozesse in multinationalen Gesellschaften. Einige Überlegungen zu den Theorien Otto Bauers und Karl W. Deutschs, in: E. Schmidt-Hartmann (Hrsg.), Formen des nationalen Bewußtseins im Lichte zeitgenössischer Nationalismustheorien. Vorträge der Tagung des Collegium Carolinum in Bad Wiessee vom 31. Oktober bis 3. November 1991, 1994, S. 113 (120). 381

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B. Der Aufbau der Nation

3. Zusammenfassung Während die Nation für „Essentialisten“ eine Substanz ist, die unabhängig von den Intentionen der Menschen als Gruppe existiert, sehen „Konstruktivisten“ sie lediglich als Mythos und Illusion, als nur in den Vorstellungen der Menschen bestehend an. Dabei werden objektive Kriterien übergangen, an denen sich nationales Zusammengehörigkeitsgefühl erst entzünden muß. Die Nation ruht auf zwei Grundpfeilern: auf objektiv bestimmbaren Umständen und auf subjektivem Zusammengehörigkeitsgefühl. Ersterer verkörpert die als Herkunftsschicksal erscheinende gegebene Nationalität, letzterer die primär gedachte und sekundär reale Gemeinschaft. Nationalität läßt sich auf verschiedene, traditionell den Begriffen Staats- und Kulturnation zugeordnete Elemente zurückführen, auch wenn eine universale Kombination von Attributen nicht besteht. So legt schon die sprachliche Herkunft des Wortes Nation die Auffassung nahe, die Nation als Abstammungsgemeinschaft zu betrachten. Zwar gibt es keine im anthropologischen Sinne rassenreinen Nationen, jedoch „kontinuierliche Zeugungsgemeinschaften“, in denen der Glaube an eine gemeinsame Abstammung ein reales Fundament hat. Das Kriterium der Kultur begegnet zunächst dem Bedenken der Selektion, jedoch ist evident, daß interkollektive Unterschiede und intrakollektive Gleichheiten sich auch im Bereich der Hochkultur niederschlagen. So zeigt sich die Bedeutung der Geschichte zum einen in Form eines „kollektiven Gedächtnisses“, zum anderen in der „real überlebenden“ Vergangenheit. Eine gemeinsame Geschichte legitimiert die nationale Existenz und festigt die Identität mit der Nation. Fehlt es an ihr, können nationale Mythen über Defizite hinweghelfen. Als wesentliches Merkmal fungiert weiterhin die Existenz einer gemeinsamen Sprache. Neben ihrer Funktion als Kommunikationsmittel ist sie Identifikationscode und Instrument der nationalen Mobilisierung. Trotz ihrer nur noch schwachen, womöglich aber wieder an Bedeutung gewinnenden Rolle kann auch die Religion durchaus zum entscheidenden Merkmal für Nationalität avancieren. Ebenso kann die Beziehung zwischen den Angehörigen der Nation und einem bestimmten Gebiet einen nationalen Wert darstellen. Die räumliche Geschlossenheit und Nähe eines gemeinsamen Territoriums gibt spezifischen Zusammenhalt, schafft besondere Gemeinschaftsmöglichkeiten, spezifische Chancen und Interessen. Schließlich ist die Staatsangehörigkeit ein mögliches Merkmal für Nationalität. Die Unterordnung unter ein gemeinsames Herrschaftssystem vermag die so erfaßte Gruppe allmählich homogen werden zu lassen, vorausgesetzt, es existiert eine ausreichende Basis. Die die Nation tragende Gemeinschaft ist Ergebnis eines gesellschaftlichen Modernisierungsschubes. In den Mittelpunkt der Nationsentwicklung stellt Karl W. Deutsch die soziale Differenzierung und die gesellschaftliche Mobilisierung weiterer Bevölkerungsgruppen, die durch Entfaltung einer sozialen Dynamik die Nationwerdung erst ermöglicht. Vorbedingung ist die Möglichkeit der Kom-

II. Atomistischer und organischer Aufbau bei Renner und Bauer

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munikation, so daß die Nation in diesem Bereich letzten Endes als Resultat der Verdichtung und Vernetzung von Kommunikation erscheint.

II. Atomistischer und organischer Aufbau bei Karl Renner und Otto Bauer Mit der Frage nach dem Aufbau der Nation verbunden ist die nach ihrem Verhältnis zum Staat. Als besonders relevant im Hinblick auf einen Vielvölkerstaat erscheinen hier die Überlegungen zweier österreichischer Sozialdemokraten, die, juristisch gebildet, verschiedene Möglichkeiten des Aufbaus von Nation und Staat entwickeln. „Eine Nation – ein Staat“. Aus diesem Postulat sieht Karl Renner385 sich eine Vielzahl von Konflikten ergeben, „die aus der unterschiedlichen numerischen Stärke der Nationen und ihrer ungleichmäßigen territorialen Verteilung resultieren und häufig in kollektive Aggressionen zwischen nationalen Minoritäten und der ein Territorium dominierenden staatstragenden Nation münden“386. Er ist überzeugt, daß sich die nationale Frage nicht innerhalb der engen Grenzen eines kleinen Nationalstaates bereinigen läßt, sondern daß sie im Rahmen eines großen Staates, eines der Gliederung der Menschheit als Vorbild dienenden Vielvölkerstaates gelöst werden muß. Das Ziel Renners ist die Reorganisation der österreichischen Monarchie in einen föderalistischen Bundesstaat, da nicht dem Nationalstaat, sondern dem autonome Nationen föderierenden „übernationalen Staat“ die Zukunft gehöre.387 Seine wichtigsten Beiträge zur politischstrategischen Diskussion im alten Österreich und damit zur Frage der konstruktiven Überwindung des Nationalitätenkonflikts im Sinne des Umbaus des österreichischen Staates liefert Renner unter dem Pseudonym „Synopticus“ mit der 1899 erschienenen Schrift „Staat und Nation“ und unter dem Pseudonym „Rudolf Springer“ mit dem 1902 publizierten Werk „Der Kampf der österreichischen Nationen um den Staat“. Die Nation ist für ihn „ein Verband gleichdenkender und gleichredender Personen, eine Kulturgemeinschaft moderner Menschen, die nicht an die Scholle gebunden sind.“388 Renner ist überzeugt davon, 385 Geboren 1870 in Unter-Tannowitz (Mähren), gestorben 1950 in Wien. Nach dem Zweiten Weltkrieg österreichischer Bundespräsident: N. N., in: W. Killy/R. Vierhaus (Hrsg.), Deutsche Biographische Enzyklopädie, Bd. 8, 1998, S. 244 f. 386 A. Pfabigan, Kritische Anmerkungen zur „Politikfähigkeit“ austromarxistischer Lösungsvorschläge des Nationalitätenproblems der Donaumonarchie, in: E. Fröschl/M. Mesner/U. Ra’anan (Hrsg.), Staat und Nation in multiethnischen Gesellschaften, 1991, S. 93 (98). 387 K. R. Stadler, Dr. Karl Renner. 14.12.1870–31.12.1950. Wissenschaftler. Politiker. Staatsmann, 1970, S. 19. 388 R. Springer, Der Kampf der österreichischen Nationen um den Staat. Erster Theil. Das nationale Problem als Verfassungs- und Verwaltungsfrage, 1902, S. 35. Für Renner war auch nach 1918 die Frage nach der Nation klar beantwortet – er und die

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B. Der Aufbau der Nation

das friedliche Zusammenleben mehrerer Nationen in einem Staat gewährleisten und so die Monarchie retten zu können. So sieht Renner die Aufgabe seines Buches „Das Selbstbestimmungsrecht der Nationen“389 darin, die „innerstaatliche übernationale Rechtsordnung, die den politischen Machtkampf der Nationen ersetzen soll durch den geordneten Rechtsgang der Gerichts- und Parlamentsverhandlung, die die Rechtsidee der Nation vorerst im engen Rahmen des Nationalitätenstaates zu verwirklichen und der einstmaligen nationalen Ordnung der Welt ein Vorbild zu schaffen berufen ist, im einzelnen auszuforschen und in geschlossener Uebersicht darzustellen“390. Es handele sich um die Prüfung bestehender und die Findung neuer Rechtsformen und Rechtseinrichtungen zur Sicherung des nationalen Friedens, somit um eine juristisch-politische Aufgabe. „Die Auseinandersetzung zwischen Staat und Nation sei juristisch zu erfassen, die rechtliche Lösung habe sich in bezug auf die Nation in rechtlicher Anteilnahme an den staatlichen Hoheitsrechten zu manifestieren. Eine erschöpfende, juristisch klare Übersicht des Rechts der Nationalitäten habe das Resultat zu sein. Bedingung der Auffindung nationaler Rechtsinhalte sei vorab jedoch die Konstituierung der Nation als Rechtssubjekt öffentlichen und privaten Rechts“391. Eine Lösung dieser Aufgabe strebt Renner nicht über die „Darstellung der materiellen Ursachen des Kampfes der Nationen“ an, sondern durch die „Aufrollung aller Möglichkeiten des Friedens,

Partei, die Österreicher, für die und zu denen er sprach, waren Deutsche: A. Pelinka, Karl Renner zur Einführung, 1989, S. 23. So befürwortet er auch den Anschluß Österreichs an das Deutsche Reich: „Ich müßte meine ganze Vergangenheit als theoretischer Vorkämpfer des Selbstbestimmungsrechtes der Nationen wie als deutsch-österreichischer Staatsmann verleugnen, wenn ich die große geschichtliche Tat des Wiederzusammenschlusses der deutschen Nation nicht freudigen Herzens begrüßte.“: Interview im „Neuen Wiener Tageblatt“ vom 03. April 1938, zitiert nach J. Hannak, Karl Renner und seine Zeit. Versuch einer Biographie, 1965, S. 651. Der Bruch geschah zwischen 1938 und 1945. In einer Rede zur 950-Jahresfeier Österreichs 1946 formulierte Renner seine neue Position wie folgt: „Unser Volk besitzt eine so ausgeprägte und von allen anderen verschiedene Individualität, daß es die Eignung und auch den Anspruch hat, sich zur selbständigen Nation zu erklären. Daß es die Sprachgemeinschaft mit den Deutschen des Reiches verbindet, kann kein Hindernis sein. Diese Sprachgemeinschaft ist auch kein Hindernis für die Deutschen der Schweiz, sich zur Schweizer Nation zu bekennen.“: K. Renner, Für Recht und Frieden, in: Österreichische Bundesregierung (Hrsg.), Eine Auswahl der Reden des Bundespräsidenten Dr. Karl Renner, 1950, S. 55. Zum problematischen Verhältnis der Österreicher zu sich selbst vgl. M. Prisching, Zwischen Heimat und Welt. Die Vielfalt der Identitäten, in: ders. (Hrsg.), Identität und Nachbarschaft. Die Vielfalt der Alpen-Adria-Länder, 1994, S. 353 ff. 389 Bei diesem Buch handelt es sich um eine umgearbeitete Neuauflage seines unter Pseudonym erschienenen Buches „Der Kampf der österreichischen Nationen um den Staat“. 390 K. Renner, Das Selbstbestimmungsrecht der Nationen in besonderer Anwendung auf Oesterreich. Erster Teil: Nation und Staat, 1918, S. 36. 391 E. Panzenböck, Ein deutscher Traum. Die Anschlußidee und Anschlußpolitik bei Karl Renner und Otto Bauer, 1985, S. 2.

II. Atomistischer und organischer Aufbau bei Renner und Bauer

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der denkbaren und aller gebotenen Formen einer Lösung im Wege des Rechtes“392. Die Lösungsmöglichkeiten unterteilt er in atomistische und organische Auffassungen, „zwei absolute, sich ausschliessende Gegensätze, zwei Pole, zwischen denen die Zone der vermittelnden Meinungen liegen muß“393. Sein Grundgedanke ist, den einzelnen Nationen im österreichischen Staatsverband ein größtmögliches Maß an Autonomie zu geben, wobei die Zugehörigkeit zu den Nationen nicht nach territorialen, sondern nach personellen Gesichtspunkten, nach einem Bekenntnisprinzip zu regeln ist.394 Renner stellt also weniger das Territorium, auf dem die Menschen leben, sondern vielmehr den Menschen selbst in den Mittelpunkt seiner Betrachtungen. Am zur Lösung der nationalen Frage immer wieder vertretenen Prinzip der Territorialautonomie übt er heftige Kritik. Das Territorialprinzip bedeute „die rücksichtslose Preisgabe der eigenen, die rücksichtslose Beherrschung der fremden Minoritäten zugunsten der altansässigen, besitzenden Classen. Es verquickt den nationalen Gedanken mit patrimonialen Ideen und wird so vielfach antinational“395. Renner glaubt nicht, daß im Zuge der Ausbreitung des bürgerlich-kapitalistischen Systems der nationale Faktor bedeutungslos wird und sich eine internationalistische Kultur entwickelt, vielmehr sieht er im Prozeß fortschreitender Demokratisierung eine Entwicklung, die nicht zur Nivellierung, sondern zur stärkeren Ausprägung der nationalen Kultur führt.396 Hinter Renners Konzeption steht die Überzeugung, die Nationalitätenfrage mittels Demokratisierung und institutioneller Reform in eine Kulturfrage umwandeln zu können und in gewissem Grade zu entpolitisieren.397 Das von Renner im Detail entwickelte Konzept wird von Otto Bauer398 in dessen Werken „Die Nationalitätenfrage und die Sozialdemokratie“ und „Die österreichische Revolution“ aufgegriffen. Bauer definiert die Nation als „die Gesamtheit der durch Schicksalsgemeinschaft zu einer Charaktergemeinschaft

392

Renner, Selbstbestimmungsrecht (Fn. 390), S. 36. Renner, Selbstbestimmungsrecht (Fn. 390), S. 41. 394 Pelinka, Renner (Fn. 388), S. 18. 395 Synopticus, Staat und Nation. Staatsrechtliche Untersuchung über die möglichen Principien einer Lösung und die juristischen Voraussetzungen eines Nationalitätengesetzes, 1899, S. 18. 396 H. Mommsen, Otto Bauer, Karl Renner und die sozialdemokratische Nationalitätenpolitik in Österreich 1905–1914, in: ders., Arbeiterbewegung und Nationale Frage, 1979, S. 201. 397 Mommsen, Bauer (Fn. 396), S. 205; Panzenböck, Traum (Fn. 391), S. 3. Auch wenn die Beschränkung der nationalen Interessen auf den kulturellen Sektor dem äußeren Erscheinungsbild der Nationalitätenkonflikte, in denen Schul- und Sprachenfragen eine zentrale Rolle spielen, entspricht, so geht Renner womöglich von falschen Voraussetzungen aus: Mommsen, Bauer (Fn. 396), S. 205. 398 Geboren 1881 in Wien, gestorben 1938 in Paris: N. N., in: W. Killy (Hrsg.), Deutsche Biographische Enzyklopädie, Bd. 1, 1995, S. 329. 393

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B. Der Aufbau der Nation

verknüpften Menschen“399. Während der Jahrhunderte langen gemeinsamen Geschichte habe die Nation mehrere Stadien durchlaufen, die sich dadurch unterschieden, wer der Träger des nationalen Bewußtseins war, d.h. wie sich die soziale Basis der Nation erweiterte. Nationale Individualität ist für ihn das Resultat jeweiliger spezifischer historischer Entwicklung, deren Ergebnis der Nationalcharakter darstellt: „In der individuellen Eigenart, die jedes Individuum mit den anderen Individuen seines Volkes gemein hat, durch die es also mit diesen anderen Individuen zu einer Gemeinschaft zusammengeschweisst wird, ist die Geschichte seiner (leiblichen und kulturellen) Ahnen niedergeschlagen, sein Charakter ist erstarrte Geschichte.“400 Aus dem Nationalcharakter folge die Verschiedenheit der nationalen Kulturen, „weil man die Geschichte der Nationen nicht ungeschehen machen kann“401. Als Marxist stellt sich ihm die Nation „als das nie vollendete Produkt eines [. . .] Prozesses [dar], dessen letzte Triebkraft die [. . .] Wandlungen menschlicher Produktivkräfte, die Veränderungen menschlicher Arbeitsverhältnisse sind. Diese Auffassung macht die Nation zu dem Historischen in uns.“402 Das Neue an Bauers Forschungen sind das Einbringen der Dimension der Entwicklung, womit er die damals gängigen ursprünglich seienden Vorstellungen von der Nation relativiert, und der Verzicht auf die Suche nach unvermeidlichen Merkmalen der Nation.403 Bauer erkennt im Nationalismus seiner Zeit einen Impetus, den man nicht einfach als bürgerlich etikettieren kann. Mit Renner ist er sich „trotz aller [. . .] nachweisbaren Differenzen in der Therapie für das morsche Staatswesen der Habsburgermonarchie einig, beide erwarteten sich die Lösung der Probleme dieses Großreiches von einer fortschreitenden Demokratisierung und von einer Umwandlung Österreich-Ungarns in einen Nationalitätenbundesstaat. Die Nationen sollten sich im Sinne des von Renner ausgefeilten Konzepts der personalen Autonomie als juristische Persönlichkeiten konstituieren und es den Nationsangehörigen so ermöglichen, ihre Rechte unabhängig von den Mehrheitsverhältnissen des Territoriums, auf dem sie jeweils siedelten, wahrzunehmen.“404 „Das entscheidend Neue an Bauers Ansatz lag [. . .] darin, daß er unter dem Einfluß der neokantischen Philosophie zu einer realistischen Einschätzung der Eigenständigkeit des nationalen Bewußtseins gelangte, das er gerade nicht primär durch gegebene ökonomische Interessen vermittelt sah. [. . .] Er räumte damit 399

O. Bauer, Die Nationalitätenfrage und die Sozialdemokratie, 1907, S. 135. Bauer, Nationalitätenfrage (Fn. 399), S. 123. 401 O. Bauer, Bemerkungen zur Nationalitätenfrage, in: Arbeitsgemeinschaft für die Geschichte der österreichischen Arbeiterbewegung (Hrsg.), Otto Bauer Werkausgabe, Bd. 7, 1979, S. 947. 402 Bauer, Nationalitätenfrage (Fn. 399), S. 122. 403 Hroch, Europa (Fn. 12), S. 245. 404 N. Leser, Sozialismus zwischen Relativismus und Dogmatismus. Aufsätze im Spannungsfeld von Marx und Kelsen, 1974, S. 20; vgl. auch Panzenböck, Traum (Fn. 391), S. 22. 400

II. Atomistischer und organischer Aufbau bei Renner und Bauer

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ein, daß das nationale Bewußtsein bestehende ökonomische Interessenlagen transzendiert, auch wenn die Nationsbildung ursprünglich ökonomischen Determinanten folgte.“405 „Im Gegensatz zu Renner war aber für ihn nicht die Idee der Organisation des Vielvölkerstaates an sich, in dem die Interessen der Arbeiterklasse entsprechend geschützt werden konnten, das Hauptziel seines Lebens, sondern der Aufstieg der Arbeiterklasse zur Macht, die den Vielvölkerstaat als Mittel für ihre Zwecke benützen sollte. [. . .] Die Lösung des nationalen Konfliktes würde die Arbeiterklasse in die Lage versetzen, sich im Kampf für ihre gemeinsamen Interessen zu vereinigen.“406 Während Renner in der Monarchie den idealen, übernationalen Integrationsrahmen erblickt, ist sie für Bauer lediglich ein vorgegebener historischer Bezugsrahmen und jede Lösung des Nationalitätenproblems innerhalb der Monarchie nur eine vorläufige.407 „Er ordnete die nationalen Probleme der großen sozialen Frage unter. Das neugestaltete Österreich diente demnach nur als Basis für die sozialistische Weltrevolution. Für die Zusammenarbeit der einzelnen Völker der Donaumonarchie mußte aber eben zuerst die nationale Frage gelöst werden.“408 Die in diesem Zusammenhang entwickelten verschiedenen Ansätze vermitteln einen guten Einblick in die Vorstellung Renners und Bauers vom Aufbau der Nation.409 1. Die atomistische Auffassung Nach der atomistischen Auffassung ist die Nation eine unverbundene Summe von Individuen. Dem Individuum gegenüber steht der unteilbare Einheitsstaat. Die atomistische Auffassung ist also individualistisch-zentralistisch. Sie geht 405 H. Mommsen, Sozialistische Arbeiterbewegung und nationale Frage in der Periode der I. und II. Internationale, in: ITH-Tagungsberichte 10, 1978, S. 261 (277, 279). Die Neokantianer trennten die Kultur- und Gesellschaftswirklichkeit scharf von der kausalen Naturwirklichkeit und stellten das Sollen dem Sein unvermittelt gegenüber. 406 R. A. Kann, Das Nationalitätenproblem der Habsburgermonarchie. Geschichte und Ideengehalt der nationalen Bestrebungen vom Vormärz bis zur Auflösung des Reiches im Jahre 1918, Bd. 2, 1964, S. 173. 407 K. R. Stadler, Einleitung. Karl Renner: der Mann und sein Werk, in: H. Schroth (Hrsg.), Karl Renner. Eine Bibliographie, 1970, S. 9 (17); Panzenböck, Traum (Fn. 391), S. 36. Vgl. auch Leser, Sozialismus (Fn. 404), S. 20: „[. . .] während Renner mit allen Fasern seines Herzens am alten Österreich und seiner die Nation in eine höhere Gesamtheit integrierende Ordnungsfunktion hing und [. . .] meinte, daß man Österreich-Ungarn erfinden müsse, wenn es nicht existierte, stand Bauer dem Rahmen seines politischen Wirkens kritisch und kühl gegenüber, er akzeptierte diesen Staat lediglich als Ausgangspunkt, nicht aber als idealen Endpunkt seiner Überlegungen, wenn er auch weit davon entfernt war, eine revolutionäre Lösung der Nationalitätenfrage im Wege der Lostrennung der Nationen ins Auge zu fassen.“ 408 W. Rauscher, Karl Renner. Ein österreichischer Mythos, 1995, S. 51. 409 Zudem vermögen sie „den großen, geradezu mitfühlenden Respekt vor den Besonderheiten und der Eigenständigkeit der Nationen“ zu lehren: Willoweit, Vielvölkerstaat (Fn. 255).

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B. Der Aufbau der Nation

vom Verhältnis des einzelnen zum Staat aus und leugnet, „dass die Nation ein Kollektivganzes ist und als solches in den Staat eintritt“. Sie betrachtet „die Wahrung und Pflege der nationalen Sprache und Eigenart als blosses subjektives Grundrecht des Individuums“ und kennt „bloss auf der einen Seite das in bestimmtem Rechtskreis autonome Individuum, auf der anderen die eine unteilbare Staatsgewalt, die an den Grundrechten des Individuums eine Schranke findet“410. Die einzigen gesetzlich und konstitutionell erkennbaren Einheiten sind der unteilbare zentralistische Staat als Ganzes und die verschiedenen individuellen Bürger, die keinen kollektiven Status haben, sondern nur eine unzusammenhängende, zufällige atomisierte Anhäufung von Personen bilden. Es gibt keine zwischen diesen individuellen Teilen und dem Staat als Ganzem liegende konstitutionelle Einheit. Atomistische Staaten können nicht konstruktiv mit der Frage nach Gruppenrechten und -autonomie umgehen, da sie nicht bereit sind, intermediäre Einheiten zwischen sich und dem Individuum anzuerkennen. So werden es wahrscheinlich die Interessen des „Staatsvolks“ sein, die auf Kosten anderer Rechte, die durch die Autonomie einer Gruppe nicht geschützt sind, befriedigt werden.411 Innerhalb der atomistischen Auffassung lassen sich zwei Modelle unterscheiden. Nach dem rein individualistisch atomistischen Modell besteht die Nation bloß in der Eigenschaft des einzelnen, in dem, was man seine Nationalität nennt. Die Nation ist lediglich ein subjektives Grundrecht des Individuums. Nach dem rechtlich individualistisch atomistischen Modell ist die Nation eine unorganische Massenerscheinung wirtschaftlicher und sozialer Bestimmtheit. Das Recht hat für die Masse der Nationsgenossen den gleichen, geringsten Sprachenzwang zum Ziel. 2. Die organische Auffassung Nach der organischen Auffassung bildet jede Nation eine rechtliche Einheit. Der Verband der Nationen bildet den Staat. Diese Auffassung ist also kollektivistisch-föderalistisch. Sie sieht die Nationen sich einander gegenüberstehen, sie nimmt also „für die Nation das Recht gesonderten Gemeinschaftsdaseins in Anspruch, gliedert das Individuum zunächst der Nation ein und erst durch diese mittelbar dem Staate. Ihr erscheint der Staat [. . .] als Föderation von Nationen, nicht als Zentralisation von Individuen“412. Politische Einheiten zwischen dem Staat und dem individuellen Bürger werden gesetzlich und konstitutionell aner-

410 411 412

Renner, Selbstbestimmungsrecht (Fn. 390), S. 40. Ra’anan, Nation (Fn. 180), S. 48 f. Renner, Selbstbestimmungsrecht (Fn. 390), S. 41.

II. Atomistischer und organischer Aufbau bei Renner und Bauer

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kannt. Die organischen Modelle können wiederum eingeteilt werden, und zwar in solche, die einem Territorialitätsprinzip, und solche, die einem Personalitätsprinzip folgen. a) Territoriale organische Auffassung Das Siedlungsgebiet der Nation bildet einen Gliedstaat. „Für viele scheint [. . .] der Zusammenhang des Volkes mit dem von jeher bewohnten Gebiet ausschlaggebend, sie sehen in der Nation vor allem eine faktische Siedlungsgemeinschaft. Daher wollen sie die Nation auch rechtlich als Territorialverband, somit als Gebietskörperschaft, konstituiert sehen.“413 Einem bestimmten administrativen Gebiet, vorzugsweise einem mit einer eigenen historischen Identität und eigener Tradition oder einem, das überwiegend von einer einzigen ethnischen Gruppe bewohnt ist, kann nach dem Territorialitätsprinzip die Autonomie zugesichert werden. Diese autonomen Gebiete können dann konstitutionell als gesetzliche Einheiten anerkannt und untereinander durch Föderations- oder Konföderationsverträge verbunden werden. Politisches Ziel ist die Kronländer- und Provinzialautonomie bzw. die staatsrechtliche Selbständigkeit oder Sonderstellung ganzer Ländergebiete. Unterschieden werden können die von der historischen Gestaltung ausgehende historische und die ethnische Auffassung des Territorialsystems. Bei der historischen Auffassung sind nur die Nationen als staatsbildend und damit als Gliedstaaten zu betrachten, die eine staatliche Geschichte haben. Die ethnische Auffassung hingegen nimmt die von einer Nation besiedelten geschlossenen Wohnsitze in ihrer durch die Sprachgrenze gegebenen Raumgestaltung als Grundlage. Die historische Auffassung kann zwar Gruppenrechte garantieren, bringt aber meist etwas zufällige Einheiten hervor, die durch Kriterien des Wohnorts, die oft höchstens zeitlich sehr begrenzte Bande begründen, zusammengewürfelt wurden. An der ethnischen Auffassung wiederum ist problematisch, daß jede der autonomen territorialen Einheiten abermals Minderheiten beinhalten und Grenzgebiete zu anderen ethnischen Gruppen aufweisen wird.414 Das Konfliktpotential bleibt, wenn auch auf eine andere Ebene verlagert, erhalten. Nationalen Problemen auf einer ausschließlich territorialen Basis beizukommen, ist also problematisch, da quasi jede dieser Lösungen eine sich unterordnende Minderheit beinhaltet.

413 414

Renner, Selbstbestimmungsrecht (Fn. 390), S. 43. Ra’anan, Nation (Fn. 180), S. 49 ff.

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B. Der Aufbau der Nation

b) Personale organische Auffassung Die Nation ist Kultur- und Sprachgemeinschaft. „Eine andere Richtung hält [. . .] die Organisation der Nationen [. . .] auf Grundlage fester oder rechtlich festgelegter Gebietsgrenzen für aussichtslos, den jeweiligen Wohnsitz für das Nationalitätsbewusstsein faktisch für nebensächlich und will die Nation auch rechtlich als eine Art Personenverband, somit als Personalkörperschaft erfassen.“415 Nach dem Personalitätsprinzip werden die einzelnen Angehörigen einer ethnischen Gruppe ohne Rücksicht auf ihren Wohnort, gleichgültig, ob sie eine regionale Mehrheit darstellen oder als verstreute Minderheit im ganzen Staat leben, in einer autonomen Organisation zusammengefaßt. Die Nationalität steht also in keiner wesentlichen Beziehung zum Gebiet.416 Die autonomen Organisationen der verschiedenen Nationalitäten existieren neben der zentralen Regierung des Staates und seiner lokalen Verwaltung, sie haben aber spezifische konstitutionelle Rechte und die Pflicht, bestimmte Aufgaben auszuführen. Die Nationen sind quasi „gebietslose Staaten im Staat“417. Politisches Ziel ist die Autonomie der Nationen als Kulturgemeinschaften ohne Ansehen des Gebietes. Unterschieden werden können nationale Körperschaften, die dem Staat eingegliedert sind und staatliche Kompetenzen tragen und solche, die entstaatlicht sind und keine staatlichen Kompetenzen tragen. Problematisch an mehreren Formen von Rechtszuständigkeit ist, daß sich weder ein gewisses Ausmaß von konstitutioneller Kompliziertheit vermeiden läßt noch, daß das Entstehen von Grauzonen verhindert werden kann.418 3. Das System der nationalen Autonomie Letztgenannte personale organische Auffassung ist der Ausgangspunkt für Renners Lösungsvorschlag zum Nationalitätenproblem. Das Territorialprinzip erkennt er zwar als eine denkbare Lösungsformel nationaler Fragen an, sieht aber im Nationalstaat kein Korrektiv für die Österreichische Nationalitätenfrage. „Denn der nationale Territorialstaat beseitigt nicht nationale Conflicte, sondern erzeugt und vertieft sie; er schlichtet sie nicht im Wege des Rechtes, sondern entscheidet sie im Wege der Gewalt; er ermöglicht Ausdehnung und Sieg, riskiert aber auch Verlust und Untergang. Den ruhigen, sicheren Genuss nationaler Rechte, die conflictlose Entwicklung in einem vielsprachigen, ein415

Renner, Selbstbestimmungsrecht (Fn. 390), S. 43. Dies stellt gewissermaßen eine totale Umkehr der Formel „Cuius regio eius religio“ dar: Ra’anan, Nation (Fn. 180), S. 53. 417 Panzenböck, Traum (Fn. 391), S. 31. 418 Ra’anan, Nation (Fn. 180), S. 53. 416

II. Atomistischer und organischer Aufbau bei Renner und Bauer

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heitlichen Rechtsstaate kann er nie gewährleisten.“419 Geeigneter erscheint ihm hingegen das Personalitätsprinzip. „Ähnlich wie beim Religionsbekenntnis, so wählt der Bürger hier seine Zugehörigkeit zu einer Nationalität frei. Diese gilt – wie die Religion – über territoriale Grenzen hinweg, und zwar in jenen Bereichen, wo der Staat nicht regulierend eingreifen muß, wie etwa Sprache und Kultur. Egal, wo sich der Bürger im übernationalen Staatenbund befindet, seine Nationalität und die damit verbundenen Rechte werden überall anerkannt und gesichert.“420 Allerdings schwebt ihm keine ausschließliche Anwendung dieses Prinzips vor, sondern vielmehr eine Kombination territorialer und personaler Autonomie. „Der Staat ist rechtliche Territorialherrschaft, die Gesellschaft thatsächlicher Personalverband.“421 Renners Plan sieht also eine Kombination politischen Territorial- und nationalen Personalitätsprinzips und in Mischgebieten ein System doppelten Rechts vor. Nur im Mischgebiet decken sich die nationalen Personenkörperschaften nicht mit den sonstigen staatlichen Organen der Gesetzgebung und der Selbstverwaltung. Renner möchte „das Land zweimal, nach verschiedenen Grundsätzen vermessen, ein doppeltes Netz in die Landkarte eintragen, ein ökonomisches und ein ethnisches, [. . .] die Bevölkerung zweimal organisieren, einmal national, das andere Mal staatlich [. . .]. Das ergibt sich also als staatsrechtliches und verwaltungstechnisches Novum [. . .].“422 Durch die Territorialisierung der Staatsverwaltung und die Personalisierung der nationalen Verwaltung wird das Territorium so, zwar nicht für den Staat überhaupt, jedoch für die streitenden Parteien, neutralisiert.423 Auf diese Weise können die nationalen Probleme des multinationalen Staates auch ohne klare nationale Grenzlinien gelöst werden. „Die verschiedenen ethnischen Gruppen koexistieren in einem von einer demokratisch gewählten Zentralregierung geleiteten Staat, sind aber in sensiblen Bereichen wie jenem rund um „nationale Kultur“ autonom. Renners Konzept weist also den Nationen und ihren Interessen einen sicheren Platz zu, verhindert aber, daß diese Partikularinteressen das staatliche Ganze dominieren. Nationale Konflikte werden von ihm als legitime behandelt, gleichzeitig werden sie durch die Zuweisung an einen geordneten Rechtszug entschärft und in ihrer Reichweite eingeschränkt. Vom Anspruch her sind damit zahlreiche konfliktintensive Bereiche der Kompetenz der Straße entzogen und ,verrechtlicht‘ [. . .].“424 „Es geht Renner um die Entpolitisierung der nationalen Gegensätze, um ungehindert von diesen die – eigentlich politische – Auseinandersetzung zwischen Programmen 419

Synopticus, Staat (Fn. 395), S. 20. S. Nasko/J. Reichl, Karl Renner. Zwischen Anschluß und Europa, 2000, S. 28. 421 Synopticus, Staat (Fn. 395), S. 16. 422 R. Springer, Grundlagen und Entwicklungsziele der österreichisch-ungarischen Monarchie, 1906, S. 208. 423 Panzenböck, Traum (Fn. 391), S. 31. 424 Pfabigan, Anmerkungen (Fn. 386), S. 97. 420

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B. Der Aufbau der Nation

und Interessen zu ermöglichen.“425 „Wollte man Renner als politischen Denker idealtypisch einzuordnen versuchen, könnte man [. . .] zum Schluß gelangen, daß er in seinen wesentlichen Positionen von Marx ausging und sich zunehmend Kelsen – als dem Repräsentanten eines kritischen Relativismus verstanden – zu entwickelte.“426 Die Tatsache, daß Renners und Bauers Konzept nie die Chance hatte, auf habsburgischem Boden realisiert zu werden, kann dessen prinzipielle Bedeutung nicht schmälern. Sein Organisationsmuster mutet durchaus auf andere Kontexte übertragbar an. 4. Zusammenfassung Als Lösung für das Nationalitätenproblem des Vielvölkerstaates ÖsterreichUngarn gedacht, erarbeiteten Karl Renner und Otto Bauer ein System der nationalen Autonomie, das in einen autonome Nationen föderierenden „übernationalen Staat“ führen soll. Grundgedanke ist, den einzelnen Nationen im Staatsverband ein größtmögliches Maß an Autonomie zu geben, um so die Nationalitätenfrage mittels Demokratisierung und institutioneller Reform in eine Kulturfrage umwandeln zu können und in gewissem Grade zu entpolitisieren. Dazu werden verschiedene Auffassungen von Nation entwickelt, innerhalb derer ihrerseits Unterscheidungen vorgenommen werden. Nach der atomistischen Auffassung ist die Nation eine unverbundene Summe von Individuen. Dem Individuum gegenüber steht der unteilbare Einheitsstaat. Die organische Auffassung hingegen sieht die Nation als rechtliche Einheit. Der Verband der Nationen bildet den Staat. Letztere Auffassung läßt sich in eine territoriale und eine personale Variante unterscheiden. Da jede ausschließlich territoriale Lösung eine sich unterordnende nationale Minderheit beinhaltet, favorisiert Renner das Personalitätsprinzip, nach dem die einzelnen Angehörigen einer nationalen Gruppe ohne Rücksicht auf ihren Wohnort in einer autonomen Organisation zusammengefaßt werden. Um territoriale Elemente ergänzt, sieht der Plan eine Kombination politischen Territorial- und nationalen Personalitätsprinzips vor. Die Nationen gleichen darin „gebietslosen Staaten im Staat“.

III. Bestandsaufnahme im heutigen Europa An der Schwelle zum 19. Jahrhundert gibt es in Europa fünf Nationalstaaten mit ethnisch verhältnismäßig homogener Bevölkerung und einheitlicher Nationalkultur – Frankreich, die Niederlande, Schweden, Portugal und Spanien – und mehrere multiethnische Imperien, teils mit einer dominierenden hoch entwickel425 T. Hanf, Konfliktminderung durch Kulturautonomie. Karl Renners Beitrag zur Frage der Konfliktregelung in multi-ethnischen Staaten, in: E. Fröschl/M. Mesner/U. Ra’anan (Hrsg.), Staat und Nation in multiethnischen Gesellschaften, 1991, S. 61 (68). 426 Leser, Sozialismus (Fn. 404), S. 36.

III. Bestandsaufnahme im heutigen Europa

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ten Nationalkultur – Großbritannien, Dänemark und in gewisser Hinsicht auch Preußen –, teils mit ausgeprägt multikulturellem Charakter – Österreich, das Osmanische Reich und Rußland. Auf den Territorien letzterer leben über zwanzig nichtherrschende ethnische Gruppen, von denen die meisten im Laufe der folgenden zwei Jahrhunderte Autonomie und schließlich staatliche Unabhängigkeit erlangen.427 Dies vor allem in Folge des Zerfalls größerer Gebilde, so nach dem Ersten Weltkrieg und in den neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Heute scheint die nationalstaatliche Gliederung Europas ausgeprägter denn je zu sein. Doch bei einer großen Anzahl von unabhängigen Staaten, die heute in Europa existieren, ist der Staat entweder beträchtlich größer oder viel kleiner als das Gebiet, das von der entsprechenden Nation bewohnt wird. So umfaßt Frankreich in zusammenhängenden, grenznahen Gebieten Deutsch sprechende Elsässer, Italienisch sprechende Bewohner der Riviera und Korsikas, Katalonier und Basken an beiden Enden der Pyrenäen, keltische Bretonen und Flamen südwestlich der belgischen Grenze. In anderen Fällen geht das Gebiet einer Nation über die territorialen Grenzen eines Staates hinaus. Es gibt eine deutsche Nation, zu der man auch die Österreicher zählen könnte, aber es gibt einen deutschen und einen österreichischen Staat. Einige Staaten setzen sich also aus mehreren Nationen oder vielmehr aus mehreren Teilen verschiedener Nationen zusammen, zudem enthält das Staatsvolk einiger Staaten mehr oder weniger große Minderheiten und schließlich ist der Ausländeranteil in vielen Staaten relativ hoch. Im folgenden sollen die bestehenden Staaten Europas, in einer das Ergebnis bereits vorwegnehmenden und später erläuterten Einteilung in Kategorien jeweils kurz unter zwei, gegebenenfalls drei Gesichtspunkten betrachtet werden. Zum einen, zu welchem Anteil der Staat von eigenen Staatsbürgern bewohnt wird und gegebenenfalls wie sich das Staatsvolk zusammensetzt, zum anderen, welche Volksgruppen oder nationalen Minderheiten428 vorhanden sind.429 Die zum Teil anachronistisch anmutenden 427

Hroch, Europa (Fn. 12), S. 43. Die Parlamentarische Versammlung des Europarates wagte 1993 einen Definitionsversuch. In einem Entwurf für ein Zusatzprotokoll zur EMRK betreffend den Schutz nationaler Minderheiten wird als nationale Minderheit eine Gruppe von Personen bezeichnet, die im Hoheitsgebiet eines Staates ansässig und dessen Staatsbürger sind, langjährige, feste und dauerhafte Verbindungen zu diesem Staat aufrechterhalten, besondere ethnische, kulturelle, religiöse oder sprachliche Merkmale aufweisen, ausreichend repräsentativ sind, obwohl ihre Zahl geringer ist als die der übrigen Bevölkerung dieses Staates oder einer Region dieses Staates und vom Wunsch beseelt sind, die für ihre Identität charakteristischen Merkmale, insbesondere ihre Kultur, ihre Traditionen, ihre Religion oder ihre Sprache, gemeinsam zu erhalten: http://assembly. coe.int/Documents/AdoptedText/ta93/EREC1201.htm (13.02.2007). Ähnlich die Definition nationaler Minderheiten in Deutschland des Bundesministeriums des Inneren: Die Angehörigen sind deutsche Staatsangehörige; sie unterscheiden sich vom Mehrheitsvolk durch eigene Sprache, Kultur und Geschichte, also durch eine eigene Identität; sie wollen diese Identität bewahren; sie sind traditionell in Deutschland heimisch; 428

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Staaten Andorra (66.000 Einwohner), Liechtenstein (35.000 Einwohner), Monaco (33.000 Einwohner) und San Marino (28.000 Einwohner) finden, wie auch die Vatikanstadt (532 Einwohner), aufgrund ihrer geringen Einwohnerzahl und Größe keine Berücksichtigung. 1. Nationalstaaten erster Kategorie Albanien hat 3.130.000 Einwohner. Volksgruppen/Minderheiten sind Griechen (1,8%), Wlachen (0,4%), Mazedonier (0,2%) und Roma (0,2%). Dänemark hat 5.427.000 Einwohner, davon sind 95,0% Dänen. Volksgruppen/ Minderheiten sind Grönländer (1,0%), Färinger (0,9%) und Deutsche (0,4%). Island hat 300.000 Einwohner, davon sind 95,4% Isländer. Italien hat 58.752.000 Einwohner, davon sind 95,5% Italiener. Volksgruppen/ Minderheiten430 sind Sarden (2,2%), Friauler (0,9%), Deutsche (0,5%), Okzitanen (0,3%), Sinti und Roma (0,2%), Frankophone (0,2%), Albaner (0,2%), Slowenen (0,1%) und Ladiner (0,1%). sie leben hier in angestammten Siedlungsgebieten: www.bmi.bund.de/cln_012/nn_12 1572/Internet/Navigation/DE/Service/Lexikon/GenericDynCatalog,lv2=121704,lv3=13 2790.html (13.02.2007). Zum Begriff weiterhin G. Kneer, Nationalstaat, Migration und Minderheiten. Ein Beitrag zur Soziogenese von ethnischen Minoritäten, in: A. Nassehi (Hrsg.), Nation, Ethnie, Minderheit. Beiträge zur Aktualität ethnischer Konflikte. Georg Weber zum 65. Geburtstag, 1997, S. 85 (86 ff.). 429 Es ist nicht unproblematisch, an aktuelle und verläßliche Zahlen für alle europäischen Staaten zu gelangen. Im folgenden fungieren für die Mitgliedstaaten der Europäischen Union und für Island, Norwegen und die Schweiz sich auf das Jahr 2006 beziehende Daten von Eurostat, für die restlichen Staaten der Fischer Weltalmanach 2008, der sich auf bis zum Jahr 2005 fortgeschriebene Einwohnerzahlen der Weltbank bezieht, als Quelle. Diesen sind die Zahlen bzgl. der Einwohner und, soweit möglich, des Anteils der eigenen Staatsbürger eines Staates entnommen. Dem Buch von C. Pan/B. S. Pfeil, Minderheitenrechte in Europa. Handbuch der europäischen Volksgruppen, Bd. 2, 2002, entstammen, soweit nicht anders angegeben, die Anteile der einzelnen Volksgruppen/Minderheiten. Die dort aufgeführten Zahlen sind zwar nicht mehr ganz aktuell, bieten sich aber mangels eklatanter Veränderungen und mir bekannter Alternativen dennoch nach wie vor für einen Vergleich an. Aufgeführt werden also zunächst die Gesamtbevölkerung und der Anteil der Bevölkerung mit der Staatsbürgerschaft des betreffenden Staates. Es folgen die Anteile der Minderheiten im weitesten Sinne, in der jeweiligen, manchmal etwas merkwürdigen und nicht immer konsequenten Terminologie von Pan und Pfeil. Mit Ausnahme der in Deutschland lebenden werden nur solche Minderheiten aufgeführt, die mindestens 0,1% der Gesamtbevölkerung ausmachen. 430 In Italien nahm man erhebliche Schwierigkeiten in Kauf, um Regionen so zu manipulieren, daß eine nicht-italienische Nationalität zur Minderheit in einer künstlich geschaffenen italienischen Mehrheit wurde. So umfaßt das historische und geographische Artefakt Friuli-Venezia Giulia die Provinzen Triest und Görz mit einer beträchtlichen Zahl von Slowenen und die viel größere Provinz Udine mit einer sehr großen italienischen Bevölkerung. In ähnlicher Weise wurden in Trentino-Alto Adige das erdrückend italienische Trentino und die überwiegend deutsche Provinz Bozen zusammengefaßt.

III. Bestandsaufnahme im heutigen Europa

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Malta hat 404.000 Einwohner, davon sind 97,0% Malteser. Die Niederlande haben 16.334.000 Einwohner, davon sind 95,8% Niederländer. Minderheiten sind Friesen (2,8%), Roma (0,2%) und Juden (0,2%). Norwegen hat 4.640.000 Einwohner, davon sind 95,2% Norweger. Volksgruppen/Minderheiten sind Samen (1,3%), Finnen (0,4%) und Roma (0,1%). Polen hat 38.157.000 Einwohner, davon sind 98,2% Polen. Volksgruppen/ Minderheiten sind Deutsche (1,0–1,2%), Kaschuben (0,8–1,3%), Ukrainer (0,6– 0,8%), Weißrussen (0,5–0,6%) und Roma (0,1%). Portugal hat 10.570.000 Einwohner, davon sind 97,4% Portugiesen431. Volksgruppen/Sprachminderheiten sind Roma (1,0%) und Mirandês-Sprecher (0,4%). Slowenien hat 2.003.000 Einwohner, davon sind 97,6% Slowenen. Volksgruppen/Minderheiten sind Ungarn (0,4%), Italiener (0,2%), Roma (0,1%) und Deutsche (0,1%). Tschechien hat 10.251.000 Einwohner, davon sind 97,5% Tschechen. Volksgruppen/Minderheiten sind Slowaken (3,1%), Polen (0,6%), Deutsche (0,5%), Roma (0,3%), Ungarn (0,2%) und Ukrainer/Ruthenen (0,1%). 2. Nationalstaaten zweiter Kategorie Bosnien-Herzegowina hat 3.907.000 Einwohner. 41,4% sind Bosniaken, 30,7% Serben und 17,6% Kroaten. Weitere Volksgruppen sind Montenegriner (0,5%) und Roma (0,2%). Bulgarien hat 7.719.000 Einwohner, davon sind 99,7% Bulgaren432. Volksgruppen/Minderheiten sind Türken (9,4%), Roma (3,7%), Pomaken (3,3%), Armenier (0,2%), Wlachen (0,1%), Griechen (0,1%), Tataren (0,1%) und Juden (0,1%). Deutschland hat 82.438.000 Einwohner, davon sind 91,2% Deutsche. Volksgruppen/Minderheiten sind Sorben (60.000) in Brandenburg und Sachsen, Dänen (50.000) in Schleswig-Holstein, Friesen (12.000) in Niedersachsen und Schleswig-Holstein und Sinti und Roma (50.000). Finnland hat 5.256.000 Einwohner, davon sind 97,8% Finnen. Volksgruppen/ Minderheiten sind Finnland-Schweden (5,7%), Roma (0,1%), Samen (0,1%) und Russen (0,1%).

431

Geschätzter Wert. Diese Angabe ist eins zu eins von Eurostat übernommen worden. Die Zweifel an der Richtigkeit ließen sich nicht ausräumen. Gleiches gilt für die Angaben bzgl. Rumänien und der Slowakei. 432

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B. Der Aufbau der Nation

Griechenland hat 11.125.000 Einwohner, davon sind 92,1% Griechen433. Volksgruppen/Minderheiten sind Türken (0,5%), Pomaken (0,4%), Mazedonier (0,4%), Aromunen/Wlachen (0,4%), Albaner (0,4%) und Roma (0,4%). Irland hat 4.235.000 Einwohner, davon sind 92,6% Iren. Volksgruppe/Minderheit sind die Fahrenden (0,7%). Kroatien hat 4.443.000 Einwohner. Volksgruppen/Minderheiten sind Serben (12,2%), Bosniaken (0,9%), Slowenen (0,5%), Ungarn (0,5%), Italiener (0,5%), Tschechen (0,3%), Albaner (0,3%), Montenegriner (0,2%), Roma (0,1%), Mazedonier (0,1%) Ruthenen/Ukrainer (0,1%) und Slowaken (0,1%). Litauen hat 3.403.000 Einwohner, davon sind 99,0% Litauer. Volksgruppen/ Minderheiten sind Russen (8,2%), Polen (6,9%), Weißrussen (1,5%), Ukrainer (1,0%), Juden (0,1%), Tataren (0,1%), Letten (0,1%) und Roma (0,1%). Luxemburg hat 460.000 Einwohner, davon sind 60,4% Luxemburger. Mazedonien hat 2.034.000 Einwohner. Nationalitäten/Minderheiten sind Albaner (22,9%), Türken (4,0%), Roma (2,3%), Serben (2,0%) und Wlachen (0,4%). Moldawien hat 4.206.000 Einwohner. Volksgruppen/Minderheiten sind Ukrainer (13,8%), Russen (13,0%), Gagausen (3,5%), Bulgaren (2,0%), Juden (1,5%), Weißrussen (0,5%), Roma (0,3%), Deutsche (0,2%) und Polen (0,1%). Montenegro hat 608.000 Einwohner. Volksgruppen/Minderheiten sind Serben (32%), Bosniaken (15%) und Albaner (7%).434 Österreich hat 8.266.000 Einwohner, davon sind 90,1% Österreicher. Volksgruppen sind Slowenen (0,6%), Kroaten (0,5%), Ungarn (0,4%), Tschechen (0,2%), Roma und Sinti (0,2%) und Slowaken (0,1%). Rumänien hat 21.610.000 Einwohner, davon sind 99,9% Rumänen. Volksgruppen/Minderheiten sind Ungarn (7,1%), Roma (1,8%), Wlachen (1,1%), Deutsche (0,5%), Ukrainer/Ruthenen (0,3%), Lipowaner/Russen (0,1%), Türken (0,1%), Serben (0,1%), Tataren (0,1%) und Slowaken (0,1%). Rußland hat 143.114.000 Einwohner. Andere Nationalitäten im europäischen Teil sind Tataren (4,0%), Ukrainer (3,2%), Tschuwaschen (1,3%), Baschkiren (0,9%), Weißrussen (0,9%), Mordwinen (0,8%), Tschetschenen (0,6%), Deutsche (0,6%), Udmurten (0,5%), Tscheremissen (0,5%), Kasachen (0,5%), Juden (0,4%), Awaren (0,4%), Osseten (0,3%), Karbadiner (0,3%), Darginer (0,3%), Komi (0,2%), Kumücken (0,2%), Lesgier (0,2%), Inguschen (0,2%), Tscherkessen (0,1%), Kalmücken (0,1%), Roma (0,1%), Karatschaier (0,1%), Komi-

433 434

Geschätzter Wert. Nach offizieller Angabe sind es 100%. Fischer Weltalmanach 2008.

III. Bestandsaufnahme im heutigen Europa

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Permjaken (0,1%), Georgier/Grusinier (0,1%), Karelier (0,1%), Lakken (0,1%), Tabasaraner (0,1%) und Griechen (0,1%). Serbien hat 9.863.000 Einwohner. Volksgruppen/Minderheiten sind Albaner (16,5%), Ungarn (3,3%), Bosniaken (3,2%), Roma (1,4%), Kroaten (1,1%), Slowaken (0,6%), Rumänen (0,4%), Bulgaren (0,3%), Ruthenen/Ukrainer (0,2%), Wlachen (0,2%), Türken (0,1%) und Deutsche (0,1%). Die Slowakei hat 5.389.000 Einwohner, davon sind 99,5% Slowaken. Andere Nationalitäten sind Ungarn (9,7%), Roma (1,7%), Tschechen (0,9%), Ruthenen (0,4%), Ukrainer (0,2%) und Deutsche (0,1%). Die Ukraine hat 47.075.000 Einwohner. Andere Nationalitäten/Minderheiten sind Russen (22,1%), Juden (0,9%), Weißrussen (0,9%), Moldawier (0,6%), Bulgaren (0,5%), Polen (0,4%), Ungarn (0,3%), Rumänen (0,3%), Tataren/ Krimtartaren (0,3%), Griechen (0,2%), Armenier (0,1%), Roma (0,1%), Deutsche (0,1%), Aserbeidschaner (0,1%) und Gagausen (0,1%). Ungarn hat 10.077.000 Einwohner, davon sind 98,5% Ungarn. Volksgruppen/ Minderheiten sind Roma (5,9%), Deutsche (2,2%), Slowaken (1,1%), Kroaten (0,9%), Rumänen (0,2%), Polen (0,1%), Serben (0,1%) und Armenier (0,1%). Weißrußland hat 9.776.000 Einwohner. Volksgruppen/Minderheiten sind Russen (13,2%), Polen (4,1%), Ukrainer (2,9%), Juden (1,1%), Tataren (0,1%) und Roma (0,1%). 3. Nationalstaaten dritter Kategorie Belgien hat 10.511.000 Einwohner, davon sind 91,4% Belgier. Von diesen sind 57,8% Flamen, 32,6% Wallonen, 0,7% Deutsche und 0,2% Lëtzebuerger. Estland hat 1.345.000 Einwohner, davon sind 82,0% Esten. Volksgruppen/ Minderheiten sind Russen (28,1%), Ukrainer (2,5%), Weißrussen (1,5%), Finnen (0,9%), Tataren (0,2%), Letten (0,2%), Juden (0,2%), Polen (0,2%), Litauer (0,2%), Roma (0,1%) und Deutsche (0,1%). Frankreich hat 62.999.000 Einwohner, davon sind 94,4% Franzosen. Minderheiten435 sind Okzitanen (9,8%), Deutsche (2,4%), Bretonen (0,8%), Katalanen (0,4%), Korsen (0,2%), Flamen (0,2%) und Basken (0,1%). Großbritannien hat 60.393.000 Einwohner, davon sind 94,3% Briten. Von diesen sind 76,7% Engländer, 9,6% Schotten, 3,8% Nordiren und 1,9% Waliser.

435 Frankreich kennt bezeichnenderweise amtlich keine Volksgruppen oder Minderheiten, sondern nur „regionale Dialekte“, Pan/Pfeil, Minderheitenrechte (Fn. 429), S. 139.

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B. Der Aufbau der Nation

Lettland hat 2.295.000 Einwohner, davon sind 80,1% Letten. Volksgruppen/ Minderheiten sind Russen (32,4%), Weißrussen (3,9%), Ukrainer (2,9%), Polen (2,2%), Litauer (1,3%), Juden (0,4%), Roma (0,3%), Tataren (0,1%), Esten (0,1%) und Deutsche (0,1%). Schweden hat 9.048.000 Einwohner, davon sind 94,7% Schweden. Volksgruppen/Minderheiten sind Finnen (6,0%), Roma (0,5%) Samen (0,3%) und Juden (0,3%). Die Schweiz hat 7.459.000 Einwohner, davon sind 79,3% Schweizer. Von diesen sind 74,4% Deutschschweizer, 20,8% Französischsprachige, 4,1% Italienischsprachige und 0,7% Rätoromanen.436 Volksgruppen sind Fahrende (0,4%) und Juden (0,3%). Spanien hat 43.758.000 Einwohner, davon sind 90,9% Spanier. Weitere Nationalitäten/Minderheiten sind Katalanen (10,8%), Valencianer (5,2%), Galicier (3,9%), Roma (1,6%) und Basken (1,5%). Zypern hat 766.000 Einwohner, davon sind 87,2% Zyprer. Von diesen sind 80,6% Griechen und 11,1% Türken. 4. Zusammenfassung Auch wenn die genannten Zahlen oft ungenau sind und die Zeitpunkte ihrer Erhebung zum Teil divergieren, so lassen sie doch einige Schlüsse über die nationalstaatliche Ausgestaltung Europas zu. Einige Staaten sind von vornherein darauf ausgelegt, sich aus mehreren Nationen bzw. Teilen von diesen oder zumindest aus verschiedenen Sprachgemeinschaften zusammenzusetzen. Dies trifft zu für Belgien (Flamen, Wallonen, Deutsche), Bosnien-Herzegowina (Bosniaken, Serben, Kroaten), Großbritannien (Engländer, Schotten, Waliser, Nordiren), Mazedonien (Mazedonier, Albaner, Türken, Roma, Wlachen), die Schweiz (Deutschschweizer, Französischsprachige, Italienischsprachige, Rätoromanen) und Zypern (Griechen, Türken). Andere Staaten weisen zumindest eine nicht unerhebliche Minderheit auf wie Bulgarien (Türken), Frankreich (Okzitanen), Finnland (Finnland-Schweden), Kroatien (Serben), Litauen (Russen, Polen), Moldawien (Ukrainer, Russen), Rumänien (Ungarn), Schweden (Finnen), Serbien (Albaner), die Slowakei (Ungarn), Spanien (Katalanen, Valencianer), Ungarn (Roma) und Weißrußland (Russen) oder weisen mehrere Minderheiten auf, die zusammen einen nicht unerheblichen Anteil ausmachen, wie Rußland, oder setzen sich gar de facto auch aus mehreren Nationen bzw. Teilen von diesen zusammen wie Estland (Esten,

436

Pan/Pfeil, Minderheitenrechte (Fn. 429).

III. Bestandsaufnahme im heutigen Europa

111

Russen), Lettland (Letten, Russen), Montenegro (Montenegriner, Serben) und die Ukraine (Ukrainer, Russen). Zudem ist der Ausländeranteil in zahlreichen Staaten hoch, so in Belgien (8,6%, v. a. Italiener), Deutschland (8,8%, v. a. Türken), Estland (18,0%, v. a. Russen), Frankreich (5,6%, v. a. Portugiesen), Griechenland (7,9%, v. a. Albaner), Großbritannien (5,7%, v. a. Iren), Irland (7,4%, v. a. Briten), Lettland (19,9%, v. a. Russen), Österreich (9,9%, v. a. Serben), Schweden (5,3%, v. a. Finnen), Spanien (9,1%, v. a. Ecuadorianer) und Zypern (12,8%, v. a. Griechen). In Luxemburg (39,6%, v. a. Portugiesen) und der Schweiz (20,7%, v. a. Italiener) liegt er sogar über einem Fünftel. Damit verbleiben Albanien, Dänemark, Island, Italien, Malta, die Niederlande, Norwegen, Polen, Portugal, Slowenien und Tschechien als solche Staaten, deren Staatsvolk sich weder von vornherein aus mehreren Nationen bzw. Teilen mehrerer Nationen zusammensetzt, die über keine gewichtigen Minderheiten verfügen und deren Ausländeranteil fünf Prozent nicht übersteigt. Diese Staaten sind Nationalstaaten der ersten Kategorie. Staaten, die zwei dieser Kriterien erfüllen, sind Bosnien-Herzegowina, Bulgarien, Deutschland, Finnland, Griechenland, Irland, Kroatien, Litauen, Luxemburg, Mazedonien, Moldawien, Montenegro, Österreich, Rumänien, Rußland, Serbien, die Slowakei, die Ukraine, Ungarn und Weißrußland. Sie bilden die zweite Kategorie der Nationalstaaten. Lediglich eines dieser Kriterien erfüllen Belgien, Estland, Frankreich, Großbritannien, Lettland, Schweden, die Schweiz, Spanien und Zypern. Diese Staaten gehören der dritten Kategorie an. Es läßt sich somit festhalten, daß, ausgehend von den betrachteten Zahlen437, rund ein Viertel der europäischen Staaten stark, die Hälfte durchschnittlich und rund ein weiteres Viertel schwach nationalstaatlich geprägt ist.

437 Sicherlich spielen viele weitere Kriterien eine Rolle, deren Einbeziehung vielleicht andere Ergebnisse liefern würde.

C. Versuche einer Modifikation des Nationalstaates In diesem Teil sollen, ohne auf die später zu behandelnde europäische Integration vorzugreifen, Ideen, Bewegungen und Situationen dargestellt werden, aus denen verschiedene Einstellungen zum Nationalstaat und gegebenenfalls deren Versuche seiner Überwindung ablesbar sind. Nachdem die Idee eines Weltstaates vorgestellt wird (I.), wendet sich die Arbeit unter Einbeziehung eines kurzen Blicks auf die Nation im Nationalsozialismus den Friedensbewegungen zu (II.), bevor schließlich die Neue Ostpolitik als Zäsur zwischen Zweitem Weltkrieg und Wiedervereinigung betrachtet wird (III.).

I. Die Idee eines Weltstaates Die Vision eines Weltstaates ist nicht neu.438 Neuen Auftrieb aber erhält sie durch die sogenannte Globalisierung, der weltweiten Tendenz der zivilisatorischen Verflechtung, vor allem aber der technischen, ökonomischen und medialen Überwindung der traditionellen Grenzen. Nicht nur überschreiten heute viele Aufgaben staatliche Grenzen, auch international tätige Unternehmen, inter- und transnationale Institutionen und regierungsunabhängige Organisationen steigern ihren Einfluß.439 Dies läßt eine Thematik an Aktualität gewinnen, deren Anfänge bis in die Antike zurückreichen.440 438 Giesen und Junge vermuten, daß die über universalistische Prinzipien begründeten Vorstellungen einer allgemeinen Menschheit und globalen Gemeinschaft aus besonderen sozialen Lagen entstanden, in denen der Kommunikationshorizont, die imaginierten Adressaten des eigenen Handelns, traditionelle soziale Grenzen übergriff: dies., Mythos (Fn. 332), S. 38. 439 Angesichts dieser Problematik findet sich eine zeitgenössische Forderung nach einem Weltstaat bei O. Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, 1999: „Wenn die bislang dominierenden kollektiven Subjekte, die Staaten, ihre Handlungsfähigkeit behalten wollen, statt sie dem teils wirtschaftlichen, teils politischen Weltmarkt abzutreten, müssen sie sich auf politische Innovationen einlassen. Deren wichtigste besteht in einer globalen Rechts- und Staatsordnung mit demokratischem Charakter. Zum Zweck kollektiver Handlungsfähigkeit braucht es einen demokratischen Weltstaat: eine Weltrepublik.“: ebd., S. 227. Es bestehe ein rechtsmoralisches Gebot, aus dem zwischen den Staaten herrschenden Naturzustand hinaus in einen Rechtszustand zu treten. Dieser Rechtszustand könne nur durch einen Weltstaat mit Gewaltmonopol gesichert werden. Als Besonderheit schlössen zusätzlich zu den Staaten auch die Weltbürger untereinander einen Weltrechtsvertrag. Da sich aufgrund eines ad hoc eingeführten Rechts auf Einzelstaatlichkeit keine der beiden Legitimationsformen eliminieren lasse, habe der Weltstaat eine föderale Struktur, bestehe also aus einer Staatenkammer und einem Weltparlament. Einer gefährlichen Übermacht des globalen Leviathan könne mit den bewährten Mitteln der Gewaltenteilung, des Föderalismus und der sub-

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1. Ursprünge in der antiken Philosophie Der Ausdruck „Weltbürger“ geht vielleicht bis auf Sokrates441 zurück, jedenfalls bis zu dessen Schüler, dem Kyniker Diogenes442. Auf die Frage, woher er komme, soll er sich als Weltbürger bezeichnet haben, allerdings ohne damit Rechtsverbindlichkeiten oder staatliche Institutionen zu verbinden. Der Akzent liegt auf dem Kosmos, nicht auf der Polis.443 Dies ändert sich erst bei Chrysippos444 und Seneca445. Nun ist der Kosmos die gemeinsame Polis aller Menschen, diese aber noch nicht Inbegriff eines rechtlich geordneten Gemeinwesens, sondern ein offener, nicht näher qualifizierter Lebensraum.446 Nicht die gesamte Stoa hat eine nur philosophische Einstellung zum Kosmopolitismus. Bei Zenon von Kition447 und Mark Aurel448 wird aus dem bislang nur philosophischen auch ein politischer Kosmopolitismus. Die Menschen sollen außer der gemeinsamen Natur auch ein gemeinsames Recht teilen.449 Eine nachdrückliche Annäherung an diese Utopie entsteht in Rom durch das ius gentium, ein internationales Privatrecht450, dessen Normen vor allem aus Rechtseinrichtungen im sidiären Zuständigkeit begegnet werden: ebd., S. 267, 308, 317. Dazu D. v. Daniels, Vier Asse und ein Revolver. Der Weltstaat als Garant des ewigen Friedens?, in: G.-P. Calliess/M. Mahlmann (Hrsg.), Der Staat der Zukunft. Vorträge der 9. Tagung des Jungen Forum Rechtsphilosophie in der IVR, 27.–29. April 2001 an der Freien Universität Berlin, 2002, S. 55. Vgl. weiterhin O. Höffe, Wirtschaftsbürger – Staatsbürger – Weltbürger. Politische Ethik im Zeitalter der Globalisierung, 2004. Eine kritische Besprechung liefert H. Brunkhorst, Die aristotelische Verharmlosung. Ottfried [sic] Höffes Philosophie der Globalisierung landet nicht auf Erden, in: Die Zeit Nr. 42 vom 07.10.2004. 440 Den Versuch, eine Geschichte des Kosmopolitismus zu schreiben, unternimmt P. Coulmas, Weltbürger. Geschichte einer Menschheitssehnsucht, 1990. 441 Geboren um 470 v. Chr. in Athen, gestorben 399 v. Chr. ebd.: N. N., in: Brockhaus (Fn. 100), S. 363 f. 442 Geboren 400 v. Chr., gestorben 328/323 v. Chr.: N. N., in: Brockhaus. Die Enzyklopädie in vierundzwanzig Bänden, Bd. 5, 20. Aufl. 1997, S. 530. 443 Höffe, Demokratie (Fn. 439), S. 234. 444 Geboren 281/277 v. Chr. in Soloi (Kilikien), gestorben 208/204 v. Chr.: N. N., in: Brockhaus (Fn. 356), S. 567. 445 Lucius Annaeus Seneca, geboren um 4 v. Chr. in Corduba (heute Córdoba), gestorben 65 in Rom: N. N., in: Brockhaus (Fn. 100), S. 59 f. 446 Höffe, Demokratie (Fn. 439), S. 234 f. 447 Geboren um 333 v. Chr. in Kition (heute Larnaka), gestorben 262 v. Chr. in Athen: N. N., in: Brockhaus. Die Enzyklopädie in vierundzwanzig Bänden, Bd. 24, 20. Aufl. 1999, S. 522. 448 Geboren 121 in Rom, gestorben 180 in Vindobona (heute Wien): N. N., in: Brockhaus. Die Enzyklopädie in vierundzwanzig Bänden, Bd. 14, 20. Aufl. 1998, S. 229. 449 Höffe, Demokratie (Fn. 439), S. 236. 450 Da die hinter ihm stehende öffentliche Gewalt keine internationale Behörde, sondern Bestandteil einer nationalen Rechtsordnung ist, bezeichnet Höffe das ius gentium auch als „nationales Völkerrecht“, ders., Demokratie (Fn. 439), S. 237.

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Verkehr zwischen Bürgern und Fremden entwickelt werden und das formfreie, lediglich auf der fides beruhende Rechtsgeschäfte anerkennt.451 Im Vordergrund steht dabei der Gedanke der allen Menschen gemeinsamen natürlichen Vernunft, die allen Völkern derlei Einrichtungen eingibt.452 Meist fehlt in der antiken Philosophie jedoch die Verbindung von Recht und Staat mit kosmopolitischem Denken. 2. Kant als Kosmopolit Diese Verbindung gelingt in bis heute wirkmächtiger Weise Immanuel Kant. Er bringt sowohl das Rechts- und Staatsdenken seit der Antike mit dem weitgehend apolitischen Kosmopolitismus der Stoa als auch das Völkerrecht der Neuzeit mit dem Gedanken eines ewigen Friedens zu einer Einheit.453 Kant versteht unter Nation „[d]iejenige Menge oder auch de[n] Theil derselben, welcher sich durch gemeinschaftliche Abstammung für vereinigt zu einem bürgerlichen Ganzen erkennt“, relativiert diese Definition allerdings durch einen synonymen Gebrauch des Begriffs mit „Volk“, unter dem er „die in einem Landstrich vereinigte Menge Menschen, in so fern sie ein Ganzes ausmacht“454 versteht. Das Phänomen Nation sieht er als geeignet an, den Prozeß der Selbstumwandlung des Menschen von einem bloß vernunftfähigen in ein wirklich vernünftiges Wesen zu stören.455 Mit der Nation einhergehende niedere kollektive Instinkte möchte Kant daher durch vernünftige politische Anschauungen ausschalten: „Weil es eine absicht der Vorsehung ist, das Völker nicht zusammenfließen, sondern durch [gewisse] zurüktreibende Kraft [sich selber] unter einander im conflicte seyn, so ist der Nationalstoltz und Nationalhaß zu Trennung der nationen nothwendig [. . .]. Dieses ist der Mechanismus in der Welteinrichtung, welcher uns instinctmäßig verknüpft und absondert. Die Vernunft giebt uns andrerseits das Gesetz, das, weil instincte blind seyn, sie die Thierheit an uns zwar dirigiren aber durch Maximen der Vernunft müssen [. . .] ersetzt werden. Um deswillen ist dieser nationalwahn auszurotten, an dessen Stelle patriotism und cosmopolitism treten muß.“456

Patriotismus und Kosmopolitismus457, Vaterlandsliebe und Weltbürgertum sollen als Gegengewichte zum Nationalwahn fungieren. Kosmopolitismus sieht 451 W. Waldstein/J. M. Rainer, Römische Rechtsgeschichte, 10. Aufl. 2005, S. 117; H. Honsell, Römisches Recht, 6. Aufl. 2006, S. 21. 452 Waldstein/Rainer, Rechtsgeschichte (Fn. 451), S. 118. Ausführlich zum ganzen M. Kaser, Ius gentium, 1993. 453 Höffe, Demokratie (Fn. 439), S. 257. 454 I. Kant, Anthropologie in pragmatischer Hinsicht (1798), S. 311 (zitiert nach der Ausgabe der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften, Bd. VII, 1907, S. 117 ff.), Hervorhebungen im Original, J. D. K. 455 Schönemann, Volk (Fn. 85), S. 319. 456 I. Kant, Reflexionen zur Anthropologie, S. 590 f. (zitiert nach der Ausgabe der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften, Bd. XV, 1913, S. 55 ff.).

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Kant als ein „regulatives Princip“ zwischenstaatlicher Ordnung, dem die Idee einer „allgemein fortschreitenden Coalition“ aller Menschen „in eine weltbürgerliche Gesellschaft“ zugrunde liegt.458 Kant vertritt ein liberales Kosmopolitentum. Seine Sympathien mit der Vorstellung eines Weltbürgertums kommen bereits in seiner 1784 veröffentlichten Abhandlung „Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht“ zum Ausdruck, die einen weltbürgerlichen Zustand internationaler Sicherheit beschreibt, in den der Krieg als ein vorübergehend unvermeidlicher Antagonismus in der menschlichen Gesellschaft dereinst durch Revolutionen unvermeidlich kippen wird.459 In der 1790 publizierten „Kritik der Urtheilskraft“ spricht Kant vom Handeln der Menschheit als „weltbürgerliches Ganzes“, woran sie aber bisher durch Ehrsucht, Herrschsucht und Habsucht gehindert werde und Krieg solange unvermeidlich bleibe.460 In seiner 1793 veröffentlichten Abhandlung „Über den Gemeinspruch: Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis“ entwickelt er die Hypothese, daß sich in einem Perfektibilitätsprozeß die staatsbürgerlich verfaßten Gesellschaften in eine weltbürgerlich verfaßte Föderation nach einem gemeinschaftlich verabredeten Völkerrecht transformieren werden, wenn die Entscheidung zwischen Krieg und Frieden beim Volk liegt.461 In den 1797 publizierten „Metaphysischen Anfangsgründen der Rechtslehre“ konzipiert er ein Recht des Friedens, das auf dem rechtlichen Prinzip einer friedlichen Gemeinschaft aller Völker als Weltbürgerrecht basiert.462 Ein Jahr später schließlich erklärt Kant in seiner „Anthropologie in pragmatischer Absicht“, daß die Menschengattung durch Kriege zwar an ihrer Selbstzerstörung arbeitet, zugleich aber zu einer „allgemein fortschreitenden Coalition in eine weltbürgerliche Gesellschaft (cos-

457 Diesen wichtigen Zusammenhang erkennt auch Johann Gottlieb Fichte: Und damit wird jeder Kosmopolit „ganz notwendig, vermittelst seiner Beschränkung durch die Nation, Patriot; und jeder, der in seiner Nation der kräftigste und regsamste Patriot wäre, ist eben darum der regsamste Weltbürger, indem der letzte Zweck aller Nationalbildung doch immer der ist, daß diese Bildung sich verbreite über das Geschlecht.“, zitiert nach M. Riedel, Universalismus mit Nationalsinn. Ernst Bloch als Fichte-Leser und Fürsprecher eines aufgeklärten Patriotismus, in: G. Orsi u. a. (Hrsg.), Nation, Nationalstaat, Nationalismus, 1994, S. 7 (14). 458 Kant, Anthropologie (Fn. 454), S. 331. 459 I. Kant, Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht (1784), S. 24 f. (zitiert nach der Ausgabe der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften, Bd. VIII, Neudruck 1923, S. 15 ff.). 460 I. Kant, Kritik der Urtheilskraft (1790), S. 432 f. (zitiert nach der Ausgabe der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften, Bd. V, 1908, S. 165 ff.). 461 I. Kant, Über den Gemeinspruch: Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis (1793), III. Abschnitt, S. 310 f. (zitiert nach der Ausgabe der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften, Bd. VIII, Neudruck 1923, S. 307 ff.). 462 I. Kant, Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre (1797), S. 343 ff. (zitiert nach der Ausgabe der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften, Bd. VI, 1907, S. 203 ff.).

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mopolitismus) sich von der Natur bestimmt“ fühlt.463 Kant glaubt an einen naturgegebenen Vernunftweg der Menschen über Bürgerkriege in eine staatsbürgerliche Verfassung und danach über Staatenkriege in die weltbürgerliche Verfassung einer völkerrechtlich verabredeten Friedensföderation.464 Wie der Naturzustand zwischen den auf sich gestellten Individuen beendet worden ist, so soll auch der Naturzustand zwischen bellizistischen Staaten ein Ende nehmen. Auch wenn zuweilen zu lesen ist, Kant habe eine Weltrepublik für eher nachteilig und der Despotie förderlich gehalten465, so wird die Idee einer solchen von ihm an anderen Stellen durchaus positiv bewertet. 1784 sagt er in seiner Schrift über die „Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht“ einen „künftigen großen Staatskörper“ vorher, der den kostspieligen und unberechenbaren Kriegen allmählich ein Ende bereiten werde: „Endlich wird selbst der Krieg allmählig nicht allein ein so künstliches, im Ausgange von beiden Seiten so unsicheres, sondern auch durch die Nachwehen, die der Staat in einer immer anwachsenden Schuldenlast (einer neuen Erfindung) fühlt, deren Tilgung unabsehlich wird, ein so bedenkliches Unternehmen, dabei der Einfluß, den jede Staatserschütterung in unserem durch seine Gewerbe so sehr verketteten Welttheil auf alle anderen Staaten thut, so merklich: daß sich diese, durch ihre eigene Gefahr gedrungen, obgleich ohne gesetzliches Ansehen, zu Schiedsrichtern anbieten und so alles von weitem zu einem künftigen großen Staatskörper anschicken, wovon die Vorwelt kein Beispiel aufzuzeigen hat.“466

In der Abhandlung „Über den Gemeinspruch: Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis“ von 1793 bringt er seine Erwartung zum Ausdruck, daß sich der theoretisch mögliche Völkerstaat auch praktisch durchsetzen möge: „Ich meinerseits vertraue dagegen doch auf die Theorie, die von dem Rechtsprincip ausgeht, wie das Verhältniß unter Menschen und Staaten sein soll, und die den Erdengöttern die Maxime anpreiset, in ihren Streitigkeiten jederzeit so zu verfahren, daß ein solcher allgemeiner Völkerstaat dadurch eingeleitet werde, und ihn also als möglich (in praxi), und daß er sein kann, anzunehmen; – zugleich aber auch (in subsidium) auf die Natur der Dinge, welche dahin zwingt, wohin man nicht gerne will (fata volentem ducunt, nolentem trahunt). Bei dieser letzteren wird dann auch die menschliche Natur mit in Anschlag gebracht: welche, da in ihr immer noch Achtung für Recht und Pflicht lebendig ist, ich nicht für so versunken im Bösen halten kann oder will, daß nicht die moralisch-praktische Vernunft nach vielen mißlungenen Versuchen endlich über dasselbe siegen und sie auch als liebenswürdig

463

Kant, Anthropologie (Fn. 454), S. 276, 331. Kant, Gemeinspruch (Fn. 461), S. 310 f. 465 So bei T. Bastian, Weltbürgertum, nicht „inhospitales Betragen“. Aktuelle Gedanken zu Kants „Friedenstraktat“, in: V. Bialas/H.-J. Häßler (Hrsg.), 200 Jahre Kants Entwurf „Zum ewigen Frieden“. Idee einer globalen Friedensordnung, 1996, S. 35 (35) und bei O. Höffe, Immanuel Kant, 5. Aufl. 2000, S. 234. 466 Kant, Idee (Fn. 459), S. 28. 464

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darstellen sollte. So bleibt es also auch in kosmopolitischer Rücksicht bei der Behauptung: Was aus Vernunftgründen für die Theorie gilt, das gilt auch für die Praxis.“467

3. Kants Entwurf „Zum ewigen Frieden“ In seinem Traktat „Zum ewigen Frieden“468 erhebt Kant die Forderung nach einem auf dem „Föderalism freier Staaten“ gegründeten Völkerrecht, konkretisiert im Konzept eines „Völkerbund[es]“469. Kant möchte mit den Mitteln politischer Vernunft eine universale Friedensordnung herbeiführen und zerstörerische Kräfte entfaltende nationale Energien mit Hilfe einzel- und zwischenstaatlicher Rechtssysteme neutralisieren. Man wird „seinen Versuch einer Beseitigung des Konfliktpotentials nationaler Irrationalismen durch die Doppelstrategie einer patriotischen Identifikation mit dem bürgerlichen Rechtsstaat und der weltbürgerlichen Identifikation mit einer universalen Friedensordnung als bedeutenden Beitrag zum aufgeklärten Volks- und Nationsdenken im Deutschland des 18. Jahrhunderts bezeichnen dürfen.“470 Im Friedenstraktat nehmen, neben den sechs Präliminarartikeln, die die negativen Bedingungen eines dauerhaften Friedens beschreiben471, die Definitivartikel, die diejenigen Verhältnisse und Verhaltensweisen umschreiben, die für eine Überführung des auf Grundlage der Präliminarartikel erreichten Zustandes von Kriegsabwesenheit in einen wirklichen Friedenszustand vorhanden sein müssen, einen zentralen Platz ein. Danach sollen die Verfassungen aller Staaten „republikanisch“ sein (Staatsbürgerrecht), die Staaten sollen sich zu einem „Völkerbund“ zusammenschließen (Völkerrecht), und es soll ein Weltbürgerrecht exi-

467 Kant, Gemeinspruch (Fn. 461), III. Abschnitt, S. 313, Hervorhebungen im Original, J. D. K. 468 Viele Literaturhinweise zu dieser Schrift gibt der Aufsatz von R. A. Lorz, Die dauerhafte Aktualität des Ewigen Friedens. Neuere Entwicklungen zur Interpretation der Friedensschrift Kants, in: Der Staat 37 (1998), S. 75 ff. Vgl. weiterhin V. Bialas/ H.-J. Häßler (Hrsg.), 200 Jahre Kants Entwurf „Zum ewigen Frieden“. Idee einer globalen Friedensordnung, 1996; P. Kleingeld, Kants politischer Kosmopolitismus, in: Jahrbuch für Recht und Ethik 5 (1997), S. 333 ff.; V. M. Hackel, Kants Friedensschrift und das Völkerrecht, Diss. iur. Tübingen 1999; v. a. auch H. Dreier, Kants Republik, in: JZ 2004, S. 745 (752 f.), der auf Parallelen zum Grundgesetz hinweist: ebd., S. 754 f.; S. Tönnies, Träumender Realismus. Überschätzt: Kants Schrift „Zum ewigen Frieden“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 71 vom 24.03.2004. 469 I. Kant, Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer Entwurf (1795), Zweiter Abschnitt, S. 354 (zitiert nach der Ausgabe der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften, Bd. VIII, Neudruck 1923, S. 348 ff.). 470 Schönemann, Volk (Fn. 85), S. 321. 471 Diese lassen sich weiter unterteilen in strikte Verbots- und Erlaubnisgesetze und begründen so zusätzliche Spielräume für die Annäherung der tatsächlichen Gegebenheiten an den erstrebten Endzustand: Lorz, Aktualität (Fn. 468), S. 100.

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C. Versuche einer Modifikation des Nationalstaates

stieren, dessen Kern die „allgemeine Hospitalität“ sein soll.472 Klenner nennt dies den „Dreiklang eines Selbstbestimmungsrechts des Individuums, des Volkes und der Menschheit“473. Die Normen des Völkerrechts sollen dabei nur so lange gelten, bis der Rechtspazifismus einen weltbürgerlichen Zustand und damit die Abschaffung des Krieges herbeigeführt hat. Der „ewige Friede“ erscheint so als ein Ideal, welches der Idee des weltbürgerlichen Zustandes Attraktion und anschauliche Kraft verleihen soll.474 Die Forderung nach einem Weltstaat findet sich im Friedenstraktat hingegen nicht, vielmehr spricht schon die Existenz des dritten Definitivartikels dafür, daß Kant es bei einem bloßen Zusammenschluß eigenständiger Staaten, ohne eine übergeordnete Legislative und Exekutive und wohl auch ohne einen internationalen Gerichtshof, belassen will.475 In einem Weltstaat bedürfte es nämlich des Weltbürgerrechts nicht, denn zwar wären alle Staatsbürger dann auch Weltbürger, aber ihr Recht als Weltbürger fiele mit ihrem Recht als Staatsbürger zusammen.476 Vielmehr soll das Völkerrecht auf einem Föderalismus freier Staaten gegründet sein. Die vorgesehene Föderation soll die Souveränität ihrer Mitglieder unangetastet lassen, diese sollen nicht in einer mit staatlichen Qualitäten ausgestatteten Weltrepublik aufgehen. So soll einerseits also die Souveränität der Mitglieder gewahrt werden, andererseits sollen sich die Mitglieder verpflichtet fühlen, gegebenenfalls die eigene Staatsraison dem erklärten gemeinsamen Ziel unterzuordnen.477 Der Kosmopolitismus Kants äußert sich in einer kontraktualistischen Form478, „indem er den ewigen Frieden als Ergebnis einer Verrechtlichung aller konfliktträchtigen Beziehungen in der Welt der äußeren Freiheit erwartet [. . .], womit er eine Entwicklung propagiert, die letzten Endes

472 Kant, Frieden (Fn. 469), Zweiter Abschnitt, S. 349, 354, 357. Dieses zuletzt genannte „Besuchsrecht“ sieht V. Gerhardt als Präzedenzfall mit Auswirkungen bis auf die europarechtliche Ebene: ders., Immanuel Kants Entwurf „zum ewigen Frieden“. Eine Theorie der Politik, 1995, S. 106. 473 H. Klenner, Kants Entwurf „Zum ewigen Frieden“ – Illusion oder Utopie?, in: V. Bialas/H.-J. Häßler (Hrsg.), 200 Jahre Kants Entwurf „Zum ewigen Frieden“. Idee einer globalen Friedensordnung, 1996, S. 15 (20). 474 J. Habermas, Kants Idee des Ewigen Friedens – aus dem Abstand von 200 Jahren, in: KJ 28 (1995), S. 293 (293). Ähnlich Dreier, Republik (Fn. 468), S. 755. 475 So Gerhardt, Entwurf (Fn. 472), S. 103. 476 Gerhardt, Entwurf (Fn. 472), S. 104. Vgl. auch Dreier, Republik (Fn. 468), S. 753: „Kants Weltbürgerrecht ist so beschaffen, daß es eine Staatenvielfalt gerade voraussetzt und eine Weltrepublik negiert.“ 477 Habermas, Idee (Fn. 474), S. 295 f. 478 Der internationale Naturzustand (civitas civitati lupus est) wird erst dort zugunsten einer Rechts- und Friedensordnung aufgehoben, wo eine weltweite Gemeinschaft der Staaten in einem „Völkerbund nach der Idee eines ursprünglichen gesellschaftlichen Vertrages“ eingerichtet wird: I. Kant, Die Metaphysik der Sitten (1797), Erster Teil, S. 344 (zitiert nach der Ausgabe der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften, Bd. VI, 1907, S. 203 ff.).

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in eine ,vollkommene bürgerliche Vereinigung in der Menschengattung‘, d.h. eine Art ,Weltgesellschaftsvertrag‘ einmünden soll. Vor dem letzten Schritt, der Gründung eines ,Weltstaates‘ als politischer Organisationsform dieses ,Weltgesellschaftsvertrages‘, schreckt Kant also freilich zurück und bleibt statt dessen bei der bloßen Vertragsgemeinschaft eines mehr oder weniger losen Völkerbundes stehen.“479 Und so schreibt Kant im Friedenstraktat, in thesi sei die Weltrepublik richtig, nur sei sie in hypothesi ungeeignet. Zwar bleibt es bei einer völkerrechtlich begründeten Ablehnung einer politischen Vereinigung der einzelnen Staaten, jedoch scheint Kant das Zusammenwachsen aller Staaten zu einem „Völkerstaat“, dem „zuletzt alle Völker der Erde“ angehören, für unausweichlich zu halten. Dessen Organisation nach der „positiven Idee einer Weltrepublik“ mache ein Völkerrecht überflüssig: „Für Staaten im Verhältnisse unter einander kann es nach der Vernunft keine andere Art geben, aus dem gesetzlosen Zustande, der lauter Krieg enthält, herauszukommen, als daß sie eben so wie einzelne Menschen ihre wilde (gesetzlose) Freiheit aufgeben, sich zu öffentlichen Zwangsgesetzen bequemen und so einen (freilich immer wachsenden) Völkerstaat (civitas gentium), der zuletzt alle Völker der Erde befassen würde, bilden. Da sie dieses aber nach ihrer Idee vom Völkerrecht durchaus nicht wollen, mithin, was in thesi richtig ist, in hypothesi verwerfen, so kann an die Stelle der positiven Idee einer Weltrepublik (wenn nicht alles verloren werden soll) nur das negative Surrogat eines den Krieg abwehrenden, bestehenden und sich immer ausbreitenden Bundes den Strom der rechtscheuenden, feindseligen Neigung aufhalten, doch mit beständiger Gefahr ihres Ausbruchs.“480

Im Friedenstraktat wird die Weltrepublik aus politischer Rücksicht auf die bestehenden Verhältnisse verworfen.481 Real- und reformpolitische Gründe sind es, die Kant einen Weltstaat als nicht wünschenswert erscheinen lassen, vielmehr inauguriert er eine Entwicklung, die in einen Föderalismus republikanischer Staaten mündet.482 Der Kantische Entwurf ist zugleich „Scheitelpunkt der Aufklärung und der von ihr propagierten Hoffnung auf ein geistiges Welt479 Lorz, Aktualität (Fn. 468), S. 85. Zwischen den von Kant behandelten Extremlösungen eines potentiell despotischen „Völkerstaates“ und eines reinen „Völkerbundes“ ohne jede Durchsetzungsmacht sind jedoch zahlreiche Zwischenlösungen in Gestalt „gestufter“ Souveränitätskonzepte denkbar, auf deren Basis sich zwischen und über den Staaten institutionelle Systeme quasistaatlicher Art entwickeln lassen, mit denen die zwischen den Staaten sonst herrschende Ratlosigkeit beendet und durch ein gesetzmäßiges Verhältnis ersetzt werden kann; das eindrucksvollste Beispiel für die Spannweite der in dieser Hinsicht bestehenden Möglichkeiten liefert die Europäische Gemeinschaft: ders., Aktualität (Fn. 468), S. 86 f. 480 Kant, Frieden (Fn. 469), Zweiter Abschnitt, S. 357, Hervorhebungen im Original, J. D. K. 481 Ähnlich zeigt sich Kant bei der Bevorzugung von Evolution gegenüber Revolution. 482 Gerhardt, Entwurf (Fn. 472), S. 104; Zenkert, Nationalstaat (Fn. 4), S. 103.

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bürgertum“483. Schon die 1796 erschienenen Rezensionen von Johann Gottlieb Fichte und Friedrich Schlegel jedoch lassen den in der Friedensschrift zum Ausdruck kommenden Kosmopolitismus in die Konzeption eines nationalen Machtstaates umschlagen.484 Inzwischen ist eine Fülle von Theorien entstanden, denen das Bedauern über das Nebeneinander der Nationalstaaten, die Forderung nach globaler Autorität und die globale Perspektive gemein sind.485 Nahegerückt ist der Weltstaat damit nicht.486 4. Zusammenfassung Die Anfänge der durch die Globalisierung neuen Auftrieb erhaltenden Idee eines Weltstaates reichen bis in die Antike zurück. Der Akzent liegt jedoch zunächst auf dem Kosmos, nicht auf der Polis und auch nach dessen Verlagerung 483

Lorz, Aktualität (Fn. 468), S. 80. J. G. Fichte, Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer Entwurf von Immanuel Kant, 1796, und F. Schlegel, Versuch über den Begriff des Republikanismus. Veranlaßt durch die Kantische Schrift zum ewigen Frieden, 1796, beide abgedruckt in: Z. Batscha/R. Saage (Hrsg.), Friedensutopien, 1979, S. 83 ff. bzw. S. 93 ff. Näheres dazu bei K. Dicke, „Lieber hätt’ ich von Dir den Kranz des Friedens empfangen“, in: K.-M. Kodalle (Hrsg.), Der Vernunftfrieden – Kants Entwurf im Widerstreit, 1996, S. 21 (24 ff.). 485 D. Ruloff, Weltstaat oder Staatenwelt. Über die Chancen globaler Zusammenarbeit, 1988, S. 14 ff. Philosophisch betrachtet wird das Thema von T. Mohrs, Vom Weltstaat. Hobbes’ Sozialphilosophie. Soziobiologie. Realpolitik, 1995, S. 338 ff. Aus juristischer Perspektive besonders interessant H. Kelsen, Das Problem der Souveränität und die Theorie des Völkerrechts. Beitrag zu einer reinen Rechtslehre, 1920. Dieser endet wie folgt: „Als unendliche Aufgabe aber muß solcher Weltstaat als Weltorganisation allem politischen Streben gesetzt sein.“ 486 „Weltstaat und Weltfrieden sind wünschenswert. Die Aussicht, sie zu bekommen, sind einstweilen allerdings gering.“ So A. Kaufmann, der auch knapp Für und Wider eines Weltstaates anführt: ders., Gerechtigkeit – Der vergessene Weg zum Frieden. Gedanken eines Rechtsphilosophen zu einem politischen Thema, 1986, S. 119 ff. Vgl. auch Zenkert, Nationalstaat (Fn. 4), S. 104: „Für einen Weltstaat gibt es bislang keinen ernst zu nehmenden Vorschlag eines Legitimationsverfahrens.“ Und T. Straubhaar hat auf die Frage „Warum unterscheiden wir zwischen In- und Ausland?“ eine denkbar einfache Antwort parat: „[E]ine Weltregierung wäre überfordert: Zu unterschiedlich sind die Erwartungen von sechs Milliarden Menschen.“: ders., Warum unterscheiden wir zwischen In- und Ausland?, in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung Nr. 19 vom 13.05.2007. Zuweilen wird ein Weltstaat auch ausdrücklich abgelehnt: „Doch ist es [das bestehende Pluriversum der Staaten] minder gefährlich, als es ein Weltstaat wäre, der die Gefahr planetarischer Nivellierung nach sich zöge, aus dem kein Fluchtweg herausführte, neben dem kein Ausweichraum mehr verbliebe für den Außenseiter und keine Freistatt für den im Namen der ganzen Menschheit Verfolgten.“: Isensee, Nationalstaat (Fn. 6), S. 163. Anders J. Habermas: „Der weltbürgerliche Zustand ist kein blosses Phantom mehr, auch wenn wir noch weit von ihm entfernt sind. Staatsbürgerschaft und Weltbürgerschaft bilden ein Kontinuum, das sich immerhin schon in Umrissen abzeichnet.“: ders., Staatsbürgerschaft und nationale Identität. Überlegungen zur europäischen Zukunft, 1991, S. 34. 484

II. Die Friedensbewegungen

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fehlt meist die Verbindung von Recht und Staat mit kosmopolitischem Denken. Diese Verbindung gelingt Immanuel Kant. Er möchte mit der Nation einhergehende niedere kollektive Instinkte durch Patriotismus und Kosmopolitismus ausschalten. Kosmopolitismus sieht er als ein regulatives Prinzip zwischenstaatlicher Ordnung, dem die Idee einer allgemein fortschreitenden Koalition aller Menschen in eine weltbürgerliche Gesellschaft zugrunde liegt. In seinem Traktat „Zum ewigen Frieden“ erhebt Kant die Forderung nach republikanischer Verfaßtheit aller Staaten, nach einem im Konzept eines Völkerbundes konkretisierten Völkerrecht und einem Weltbürgerrecht, allesamt Bedingungen eines dauerhaften Friedens. Die Forderung nach einem Weltstaat findet sich im Friedenstraktat hingegen nicht, dieser wird aus politischer Rücksicht auf die bestehenden Verhältnisse verworfen.

II. Die Friedensbewegungen Im 19. Jahrhundert finden humanitär-pazifistische Anschauungen ihren institutionellen Niederschlag. „An die Stelle der Friedenspläne tritt die Friedensbewegung, an den Platz philosophischer Entwürfe rückt die systematische Propaganda pazifistischer Organisationen.“487 Die zahlreichen, in Kants Schrift „Zum ewigen Frieden“ gipfelnden Friedenspläne der Neuzeit haben ebenso Einfluß auf die Friedensbewegung wie die durch die Französische Revolution freigesetzten Kräfte und die von christlichen Minderheiten wie den Quäkern ausgehenden Impulse.488 Universale Vorstellungen wie die der „Vereinigten Staaten von Europa“ sind zwar stets präsent, stützen sich jedoch auf die Nationen als deren Basis. Traditionelle Friedenssicherungsmodelle wie das eines Universalstaates werden immer stärker durch den Gedanken eines Staatenbundes und internationaler Schiedssprechung ersetzt489 und damit über nationale Elemente hinausgehende nationalstaatliche Strukturen in die Zielsetzung integriert. So beschreibt der Theoretiker des bürgerlichen Pazifismus490, Alfred Hermann Fried491, eine 487 F. K. Scheer, Die Deutsche Friedensgesellschaft (1892–1933). Organisation – Ideologie – politische Ziele. Ein Beitrag zur Geschichte des Pazifismus in Deutschland, Diss. phil. Bochum 1974, 2. Aufl. 1983, S. 12. 488 K. Holl, Art. „Pazifismus“, in: O. Brunner/W. Conze/R. Koselleck (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Bd. 4, 1978, S. 767 (768). Zu den Quäkern vgl. W. Wellock, Der Beitrag der Quäker zum Weltfrieden, in: F. Kobler (Hrsg.), Gewalt und Gewaltlosigkeit. Handbuch des aktiven Pazifismus, 1928, S. 215 ff. Ausführlich beleuchtet die Geschichte der Friedensbewegung bis 1912 A. H. Fried, Handbuch der Friedensbewegung. Zweiter Teil. Geschichte, Umfang und Organisation der Friedensbewegung, 2. Aufl. 1913, S. 1 ff. Zum gesamten Abschnitt nach wie vor lesenswert ist das Buch von K. Lenz/ W. Fabian (Hrsg.), Die Friedensbewegung. Ein Handbuch der Weltfriedensströmungen der Gegenwart, 1922. 489 Scheer, Friedensgesellschaft (Fn. 487), S. 14. 490 So Scheer, Friedensgesellschaft (Fn. 487), S. 326.

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Weltorganisation lediglich als das Endziel, ein aus eigenem Antrieb der europäischen Staaten geschaffener, gleichsam organisch gewachsener und nicht durch äußeren Druck erzwungener Staatenbund, der allen „zivilisationsbestrebten Völkern“ offenstehen und auf dem Grundsatz des Rechts beruhen soll.492 Dennoch schwingt der Gedanke einer Überwindung des Nationalstaates mit: „Im Zuge einer [. . .] wachsenden Interessensolidarität und weltweiten Kommunikation hielt er [Fried] eine umfassende und weitgehend institutionalisierte Kooperation für das geeignete Instrument, den Prozeß einer Auflockerung nationaler Identifikation zugunsten internationaler Bindungen zu beschleunigen. Die Koordination der vornehmlich nichtpolitischen Interessen im Rahmen eines ,Zweckverbandes‘ konnte dann auch zu einer politischen Entmachtung des Nationalstaates und zu einer politischen Integration der Staatenwelt führen.“493 1. Anfänge im angelsächsischen Raum Nach dem Ende der Napoleonischen Kriege werden zunächst in den USA und England nationale Friedensvereinigungen gebildet und internationale Friedenskongresse, wenn auch mit überwiegend anglo-amerikanischer Beteiligung, organisiert.494 Der erste internationale Friedenskongreß findet im Anschluß an den Antisklavereikongreß im Juli 1843 in London statt. In den Jahren 1848 und 1849 folgen Kongresse in Brüssel und Paris. Die Eröffnungsrede zu letzterem hält Victor Hugo: „Ein Tag wird kommen, wo die Kugeln und Granaten von dem Stimmrecht ersetzt werden, von der allgemeinen Abstimmung der Völker, von dem ehrwürdigen Schiedsgericht eines großen, souveränen Senats, der für Europa das sein wird, was das Parlament für England, was die Nationalversammlung für Deutschland, was die Gesetzgebende Versammlung für Frankreich ist. [. . .] Ein Tag wird kommen, wo man sehen wird, wie die beiden ungeheuren Ländergruppen, die Vereinigten Staaten von Amerika und die vereinigten 491 Geboren 1864 in Wien, gestorben 1921 ebd., Friedensnobelpreisträger: N. N., in: W. Killy (Hrsg.), Deutsche Biographische Enzyklopädie, Bd. 3, 1996, S. 446. 492 Vgl. A. H. Fried, Kontinental oder Mondial?, in: Die Friedens-Warte 1909, S. 203 ff. 493 Scheer, Friedensgesellschaft (Fn. 487), S. 326. 494 Dazu D. Stiewe, Die bürgerliche deutsche Friedensbewegung als soziale Bewegung bis zum Ende des Ersten Weltkriegs, Diss. phil. Freiburg 1972, S. 15 ff.; Scheer, Friedensgesellschaft (Fn. 487), S. 16 ff. Die ersten nationalen Friedensvereinigungen sind die 1815 in New York gegründete American Peace Society und die Society for the Promotion of Permanent and Universal Peace, besser bekannt als London Peace Society, gegründet 1816 auf Initiative der Quäker. 1830 entsteht mit der Genfer Friedensgesellschaft die erste kontinentaleuropäische Friedensgesellschaft. Die internationalen Friedenskongresse sollen v. a. der Förderung der Bewegung dienen und ein Forum zur Entwicklung eines internationalen Programms schaffen, zudem sollen sie Pazifismus verstärkt als eigenständige, von Sozialismus und Liberalismus unabhängige, ideologische Strömung darstellen.

II. Die Friedensbewegungen

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Staaten von Europa (Beifall) Angesicht in Angesicht sich gegenüberstehen [. . .].“495 Anliegen dieser Zusammenkünfte sind die Kodifizierung eines Völkerrechts und die Schaffung eines überstaatlichen Schiedsgerichts, um Kriege und bewaffnete Konflikte zu vermeiden.496 Nach weiteren Kongressen in Frankfurt (1850), London (1851), Manchester (1852) und Edinburgh (1853) reißt die Reihe internationaler Friedenskongresse ab. Die erste Phase der bürgerlichen Friedensbewegung ist damit beendet. Sie ist noch keine eigenständige politische Kraft gewesen und hat keine konkreten Erfolge erzielen, sich aber immerhin als eine internationale Bewegung darstellen und die öffentliche Aufmerksamkeit auf sich lenken können.497 Im Jahre 1867 konstituiert sich in Genf die „Ligue internationale de la Paix et de la Liberté“, die aber ebenso erfolglos ist wie die im selben Jahr gegründete „Ligue internationale et permanente de la Paix“. Eine Stärkung der Friedensbewegung durch Gründung solch international angelegter Vereinigungen scheitert zunächst an der in den einzelnen Staaten nicht ausreichend vorhandenen Grundlage.498 Nach Stagnation und Rückschlägen erlebt die Friedensbewegung in den siebziger und vor allem in den achtziger Jahren einen neuen Aufschwung. Im Juni 1889 tagt in Paris der erste Weltfriedenskongreß, im Jahre 1892 wird das „Berner Internationale Friedensbureau“ als zentrale Institution und Koordinationsstelle der Friedensgesellschaften gegründet. 2. Die schwierige Situation in Deutschland Einer Verbreitung der Friedensbewegung steht in Deutschland499 bis zur Reichsgründung die ungelöste nationale Frage im Wege.500 Doch auch gerade im Deutschen Reich haben es pazifistische Vorstellungen schwer. „Im spät voll495 A. Brücher, Victor Hugo’s [sic] Eröffnungsrede zum Pariser Friedenskongreß, am 21. August 1849, in: Archiv für Politik und Geschichte 5 (1927), S. 222 (224). 496 Gustav Radbruch erklärt das Scheitern der Friedensbewegung am Ziel, eine internationale Streitentscheidung schaffen zu wollen bevor es ein übernationales Gemeinschaftsbewußtsein gibt: ders., Die Internationale des Geistes, in: ders., Der Mensch im Recht. Ausgewählte Vorträge und Aufsätze über Grundfragen des Rechts, 1957, S. 125 (125); ders., Vorschule der Rechtsphilosophie, 3. Aufl. 1965, S. 108. 497 D. Riesenberger, Geschichte der Friedensbewegung in Deutschland. Von den Anfängen bis 1933, 1985, S. 30 f. 498 Riesenberger, Geschichte (Fn. 497), S. 39 f. 499 Einen, wenn auch schon älteren Überblick vermittelt K. Meier-Rust, Zwischen Pazifismus und Nationalbewußtsein. Zur Geschichte der deutschen Friedensbewegung, in: Neue Zürcher Zeitung Nr. 232 vom 06.10.1984. 500 Vgl. die bereits zitierte Eröffnungsrede Hugos: „Von nun an wird das Ziel der hohen und wahren Politik folgendes sein: den Nationalitäten zur Anerkennung zu verhelfen, die historische Einheit der Völker wiederherzustellen und diese Einheit durch den Frieden mit der Zivilisation zu verbinden [. . .]“: Brücher, Eröffnungsrede (Fn. 495), S. 227.

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endeten Nationalstaat [ist] das politische Klima bestimmt von der Sehnsucht nach militärischer Kraft und dem Streben nach dem Status einer Großmacht. Militarismus und Nationalismus [beherrschen] die Vorstellungswelt eines Bürgertums, dessen Ideal sich im Reserveleutnant [verkörpert].“501 Es erfolgt eine „opportunistische Anpassung an die siegreichen Gewalten, die sich vor allem in Form einer forcierten gesellschaftlichen Angleichung an die traditionellen Führungsschichten, in einer ,Verjunkerung der Bourgeoisie‘“502, zeigt. Hinzu kommt eine immer breiter greifende „Mobilisierung des kleinbürgerlichen Gesinnungsmilitarismus“503. Aufgrund dieser spezifischen soziokulturellen Bedingungen der Gesellschaft im wilhelminischen Deutschland halten sich gerade unter den Gebildeten bürgerlicher Schichten stereotype Vorurteile gegenüber der Friedensbewegung.504 So kommt es, daß Deutschland neben Rußland und Österreich-Ungarn praktisch der einzige Staat in Europa ist, in dem, mit Ausnahme des 1886 gegründeten, jedoch stagnierenden Frankfurter Friedensvereins, keine pazifistische Organisation besteht. Auch nach Gründung der „Deutschen Friedensgesellschaft“505 im Jahre 1892 bleiben die Vertreter der Friedensbewegung im kaiserlichen Deutschland nicht nur eine rein numerische, sondern eine gesellschaftlich und politisch diskriminierte Minderheit506, die sich auch als solche in Opposition zum wilhelminischen Militär- und Obrigkeitsstaat befindet. Die Friedensbewegung ist zu dieser Zeit eine rein bürgerliche Bewegung, geprägt von linksliberalen Honoratioren. Am Vorabend des Ersten Weltkriegs sind ungefähr zehntausend Pazifisten in ihr organisiert.507 Auch wenn der Pazifismus in Deutschland zu dieser Zeit weit davon entfernt ist, eine Massenbewegung zu werden und politisch auf Kräfte innerhalb des Linksliberalismus beschränkt bleibt, beginnt nun auch die SPD, die den Pazifismus lange als bürgerliche Verschleierungsideologie betrachtet und abgelehnt hat, sich eingehender und unter positiveren Vorzeichen mit den 501 W. Benz, Von Bertha von Suttner bis Carl von Ossietzky. Die deutsche Friedensbewegung 1890–1939, in: ders. (Hrsg.), Pazifismus in Deutschland. Dokumente zur Friedensbewegung 1890–1939, 1988, S. 7 (8 f.). D. Gosewinkel hält den Status des Reserveoffiziers für eine „beinahe unerläßliche Voraussetzung für den Aufstieg in die gehobenen Positionen des beruflichen und öffentlichen Lebens“ des Kaiserreichs: ders., Einbürgern und Ausschließen. Die Nationalisierung der Staatsangehörigkeit vom Deutschen Bund bis zur Bundesrepublik Deutschland, 2001, S. 233. 502 H. A. Winkler, Bürgerliche Emanzipation und nationale Einigung. Zur Entstehung des Nationalliberismus in Preußen, in: H. Böhme (Hrsg.), Probleme der Reichsgründerzeit 1848–1879, 1968, S. 226 (236 f.). 503 H.-U. Wehler, Das Deutsche Kaiserreich 1871–1918, 6. Aufl. 1988, S. 164. 504 Holl, Pazifismus (Fn. 488), S. 775. 505 Dazu Scheer, Friedensgesellschaft (Fn. 487), S. 38 ff. Ihre Geschichte nennt Scheer die „Geschichte der verpaßten Möglichkeiten deutscher Politik“: ders., Friedensgesellschaft (Fn. 487), S. 606. 506 Riesenberger, Geschichte (Fn. 497), S. 42. 507 Benz, von Suttner (Fn. 501), S. 12.

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Zielen der Friedensbewegung zu beschäftigen und einzelne Elemente in der praktischen Politik aufzugreifen.508 Endgültig erschließt sich der Pazifismus eine politische Dimension aber erst mit dem Ersten Weltkrieg, der eine gesteigerte öffentliche Wertschätzung der Friedensbewegung zur Folge hat. Die Beschränkung auf bestimmte, z. B. völkerrechtliche Aspekte entfällt.509 Zum ersten Mal erreicht die deutsche Friedensbewegung durch die Mobilisierung von Teilen der Frontkämpfergeneration in den frühen Jahren der Weimarer Republik die Dimension einer Massenbewegung.510 Sie ist in sozialer und ideologisch-politischer Hinsicht heterogener, nuancenreicher und erheblich kontroverser als im Kaiserreich und verfolgt nun auch innenpolitische Ziele511. Dennoch bleibt „der deutsche Pazifismus [. . .] als Außenseiter am Rande einer Gesellschaft, die ihre konservativen Grundstrukturen in Militär und Verwaltung, in Wirtschaft und Justiz [bewahrt]. Sie zu verändern oder zu überwinden [übersteigt] [. . .] seine Kräfte, so daß er in der marginalen Rolle [verbleibt], mit der er sich schon im wilhelminischen Staat hatte bescheiden müssen.“512 Die zunehmende Radikalisierung führt dazu, daß sich gegen Ende der zwanziger Jahre der linke, kompromißlos kriegsdienstgegnerische und in der Agitation aktivere Flügel durchsetzen kann, was die Isolierung des deutschen organisierten Pazifismus entscheidend vorantreibt.513 Die polemische Gleichsetzung von „Pazifismus“, „Vaterlandslosigkeit“ und „Landesverrat“ erfährt eine Wiederbelebung. Mehr und mehr wird im Pazifismus eine grundsätzliche Gefährdung der Nation gesehen, in solcher Sicht schließen sich die Begriffe „Pazifismus“ und „Nation“ aus.514 508

Holl, Pazifismus (Fn. 488), S. 777. Holl, Pazifismus (Fn. 488), S. 779. 510 Holl, Pazifismus (Fn. 488), S. 780; Scheer, Friedensbewegung (Fn. 487), S. 601. Dazu R. Lütgemeier-Davin, Basismobilisierung gegen den Krieg: Die Nie-wiederKrieg-Bewegung in der Weimarer Republik, in: K. Holl/W. Wette (Hrsg.), Pazifismus in der Weimarer Republik. Beiträge zur historischen Friedensforschung, 1981, S. 47 ff. 511 Aufgegriffen werden Themen wie die Existenz der „Schwarzen Reichswehr“ (seit 1921), die Frage der Fürstenenteignung (1926) und des Panzerschiffbaus (1928): Holl, Pazifismus (Fn. 488), S. 783. Im publizistischen und künstlerischen Bereich engagieren sich Pazifisten und Antimilitaristen gegen die starken revanchistischen und antidemokratischen Tendenzen. Unter Carl von Ossietzky entwickelt sich die politische Wochenschrift „Die Weltbühne“ zu einem pazifistisch-kritischen Organ, in dem auch Kurt Tucholsky gegen die Wiedererstarkung des Militarismus anschreibt. Dazu auch R. Koplin, Carl von Ossietzky als politischer Publizist, 1964, S. 112 ff. 512 Scheer, Friedensgesellschaft (Fn. 487), S. 602. 513 Dazu H. Donat, Die radikalpazifistische Richtung in der Deutschen Friedensgesellschaft (1918–1933), in: K. Holl/W. Wette (Hrsg.), Pazifismus in der Weimarer Republik. Beiträge zur historischen Friedensforschung, 1981, S. 27 ff. 514 Holl, Pazifismus (Fn. 488), S. 783 f. Dazu W. Wette, Von Kellogg bis Hitler (1928–1933). Die öffentliche Meinung zwischen Kriegsächtung und Kriegsverherrlichung, in: K. Holl/W. Wette (Hrsg.), Pazifismus in der Weimarer Republik. Beiträge zur historischen Friedensforschung, 1981, S. 149 ff. 509

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3. Unvereinbarkeit von Pazifismus und Nation im Nationalsozialismus Der Nationalsozialismus erklärt den Pazifismus als mit den nationalen Belangen unvereinbar. Schon früh schreibt Adolf Hitler: „Hätten unsere Vorfahren einst ihre Entscheidungen von dem gleichen pazifistischen Unsinn abhängig gemacht wie die heutige Gegenwart, dann würden wir überhaupt nur ein Drittel unseres jetzigen Bodens zu eigen besitzen [. . .].“515 Und in einem Lexikon heißt es: „Trotz Friedensbereitschaft bekämpft der Nationalsozialismus den P. auf das entschiedenste und unversöhnlich, weil er nicht nur mit den nationalen Belangen unvereinbar ist, sondern auch Kampfbereitschaft, Tapferkeit, Zucht, vaterländische Hingabe leugnet.“516 Nach dem Ersten Weltkrieg ist es die Rechte, die den wissenschaftssprachlich neutral gemeinten Begriff des Nationalismus positiv auflädt und aktiviert. Die geistige Avantgarde dieses Nationalismus stellt nicht der alte Nationalismus der Reichsnostalgie dar, welcher sich der sozialen Frage nicht stellt und lieber überkommenen Gesellschaftsformen nachtrauert, sondern ein junger Nationalismus, der das Nationale und das Soziale in einem nationalen Sozialismus vereinen will.517 Das Zukunftsprogramm der Nationalsozialisten ist die „Nationalisierung der bewußt antinationalen Masse“518. Das Ziel besteht in der Verwandlung der Nation in eine sozial gegliederte, aber politisch homogene Masse, die nur einen Willen kennt, den des Führers, und nur einen Wert, den der Nation.519 „Der Sinn der Revolution, die wir gemacht haben, ist die Volkwerdung der deutschen Nation“520 sagt Joseph Goebbels 1933. Der „bürgerliche“ staatsbezogene Patriotismus der Weimarer Republik wird abgelehnt zugunsten eines „in seiner verhaltenssteuernden und autosuggestiven Funktion“521 aufgehenden Nationalismus. Die zu erhaltende und wieder aufzurichtende Nation wird im schroffen Gegensatz zum realen Staat der Wei-

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A. Hitler, Mein Kampf, Bd. 1, 6. Aufl. 1940, S. 144. Art. Pazifismus, in: Meyers Lexikon, Bd. 8, Muskete-Rakete, 8. Aufl. 1940, Sp.

959. 517 F. Roth, Die Idee der Nation im politischen Diskurs. Die Bundesrepublik Deutschland zwischen neuer Ostpolitik und Wiedervereinigung (1969–1990), Diss. phil. München 1995, S. 52. Dieser Nationalismus vermag den intellektuellen Reichsnationalismus zu instrumentalisieren, obwohl dieser selbst jenen zu seinen Zwecken zu benutzen vermeint. 518 Hitler, Kampf (Fn. 515), S. 327. Feinde sind bis dahin das Bürgertum, die Arbeiterklasse und v. a. das für die Dekadenz des Bürgertums und die marxistische Internationale vermeintlich verantwortliche Judentum. 519 Schulz, Staat (Fn. 27), S. 307. Durch Propaganda, Aufmärsche, Kundgebungen, durch eine Dauerritualisierung des öffentlichen Lebens soll die gesamte Nation mobilisiert, integriert und sich permanent ihrer selbst bewußt werden. 520 Zitiert nach O. Dann, Nation und Nationalismus in Deutschland. 1770–1990, 3. Aufl. 1996, S. 295. 521 Koselleck, Volk (Fn. 126), S. 402.

II. Die Friedensbewegungen

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marer Republik gesehen.522 Mit dem patriotisch beschworenen „Vaterland“ hat dieser Nationalismus ebensowenig zu tun wie mit dem Volk als Nation.523 Hinter der Anklage gegen die die Nation verratenen Demokraten steht eine übersteigerte Verabsolutierung und Heiligung der Nation, als deren einziger legitimer Anwalt und Vertreter die Partei und deren Führer erscheint.524 In diesem Denken ist für einen Pazifismus kein Platz. 4. Die Rehabilitierung nach dem Zweiten Weltkrieg Seine Rehabilitierung erhält der Pazifismus unmittelbar nach 1945. Die Erfahrung des „Totalen Krieges“ und die Schrecken der modernen Massenvernichtungswaffen führen zu einer Wandlung des öffentlichen Urteils.525 Ab 1950 ist das „Nie wieder Krieg!“ eine konkrete politische Parole gegen die geplante Wiederbewaffnung526. Die Opposition gegen die Wiederbewaffnung erwächst aus sehr unterschiedlichen Motiven, sei es aus Motiven ethischer Art oder aus verletztem Ehrgefühl, sei es aus tiefsitzender Ablehnung gegenüber den Siegermächten oder aus dem Empfinden, daß es keine Werte mehr gebe, für die man sich mit Waffen einsetzen wolle.527 So vielfältig wie die Beweggründe für die oppositionelle Haltung sind auch deren Erscheinungsformen. Die wachsende „Ohne-mich“-Bewegung528 wird von Gewerkschaften und Kirchen, von Sozialdemokraten und Kommunisten, von laizistischen Pazifisten und patriotischen 522

„Dieser Staat ist undeutsch von der Wurzel bis zum Gipfel.“: M. Wundt: Vom Geist unserer Zeit, 1920, S. 130. 523 Koselleck, Volk (Fn. 126), S. 402. 524 Schulze, Staat (Fn. 27), S. 301. 525 Holl, Pazifismus (Fn. 488), S. 786. 526 Gegen eine solche spricht sich anfangs auch noch Konrad Adenauer aus: „In der Öffentlichkeit muß ein für alle Male klargestellt werden, daß ich prinzipiell gegen eine Wiederaufrüstung der Bundesrepublik Deutschland und damit auch gegen die Errichtung einer neuen deutschen Wehrmacht bin. Wir Deutsche haben in den letzten beiden Weltkriegen zu viel Blut vergossen, und wir haben auch viel zuwenig Menschen, um ein solches Projekt durchzuführen.“ Zitiert nach N. Tönnies, Der Weg zu den Waffen. Die Geschichte der deutschen Wiederbewaffnung 1949–1961, 1961, S. 34. 527 U. Jäger/M. Schmid-Vöhringer, „Wir werden nicht Ruhe geben . . .“. Die Friedensbewegung in der Bundesrepublik Deutschland 1945–1982. Geschichte, Dokumente, Perspektiven, 1982, S. 3 f.; U. C. Wasmuht, Friedensbewegungen der 80er Jahre. Zur Analyse ihrer strukturellen und aktuellen Entstehungsbedingungen in der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika nach 1945: Ein Vergleich, 1987, S. 53; H.-J. Legrand, Friedensbewegungen in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Ein Überblick zur Entwicklung bis Ende der siebziger Jahre, in: J. Janning/H.-J. Legrand/H. Zander (Hrsg.), Friedensbewegungen. Entwicklung und Folgen in der Bundesrepublik Deutschland, Europa und den USA, 1987, S. 19 (20 f.). 528 „,Ohne mich‘ – das war damals nicht nur eine Stimmung, es war eine Bewegung“: T. Sommer, Wiederbewaffnung und Verteidigungspolitik, in: R. Löwenthal/H.-P. Schwarz (Hrsg.), Die Zweite Republik. 25 Jahre Bundesrepublik Deutschland – Eine Bilanz, 3. Aufl. 1979, S. 580 (583).

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Gruppierungen, von Jugendorganisationen, Studenten- und Frauengruppen getragen.529 Der Vorschlag des hessischen Kirchenpräsidenten Martin Niemöller530, eine Volksbefragung durchzuführen, wird hauptsächlich von der KPD aufgegriffen und in den Mittelpunkt ihrer Aktivität gestellt. SPD und Gewerkschaften lehnen eine solche Anfang 1951 noch ab, zu dominant ist die Integrationskraft des Antikommunismus. Die Gegnerschaft zur Wiederbewaffnung beschränkt sich seitens des SPD-Vorstandes fast ausschließlich auf den Bundestag. Erst kurz vor Verabschiedung der das Besatzungsstatut Westdeutschlands beendenden „Pariser Verträge“ kommt es im Januar 1955 in der Frankfurter Paulskirche zur Annahme des sogenannten „Deutschen Manifests“, die eine von SPD und DGB organisierte Aktionswelle auslöst. Auf den parlamentarischen Willensbildungsprozeß hat diese „Paulskirchenbewegung“ allerdings keinen Einfluß mehr.531 Für das Scheitern der drei Wellen des Protests („Ohne-mich“-Bewegung, Volksbefragungsbewegung, Paulskirchenbewegung) gegen die Wiederbewaffnung, deren Ablehnung von der Arbeiterschaft bis weit in bürgerliche Kreise hineinreicht, lassen sich unterschiedliche Motivation, antikommunistische Grundstimmung, fehlende Aktionseinheit, ambivalente Haltung der SPD und der Gewerkschaften und der durch die Politik der Westbindung abgesicherte wirtschaftliche Aufstieg anführen.532 Erst spät entwickelt die Friedensbewegung Sensibilität gegenüber den Gefahren der Atomrüstung. Ab Dezember 1955 gibt es erste Verlautbarungen über eine mögliche Ausstattung der Bundeswehr mit taktischen Atomwaffen. Die neue Protestwelle wird nicht von einzelnen Gruppierungen oder Institutionen, sondern von einem kleinen Kreis renommierter Wissenschaftler ins Leben gerufen.533 Nach erfolglosen parlamentarischen Vorstößen entschließt sich die SPD zu einer Aufklärungskampagne, die durch Zusätze aus kirchlichen und gewerk529 L. Knorr, Geschichte der Friedensbewegung in der Bundesrepublik, 2. Aufl. 1984, S. 40, 43. 530 Geboren 1892 in Lippstadt, gestorben 1984 in Wiesbaden. Symbolfigur des kirchlichen Widerstandes: N. N., in: W. Killy/R. Vierhaus (Hrsg.), Deutsche Biographische Enzyklopädie, Bd. 7, 1998, S. 410 f. 531 Jäger/Schmid-Vöhringer, Ruhe (Fn. 527), S. 9; K.-W. Brand/D. Büsser/D. Rucht, Aufbruch in eine andere Gesellschaft. Neue soziale Bewegungen in der Bundesrepublik, 1983, S. 51; Legrand, Friedensbewegungen (Fn. 527), S. 22. Den in der SPD letztendlich dominierenden Kräften ging es wohl nicht um eine prinzipielle Ablehnung eines westdeutschen Militärbeitrages, sondern um Zeitpunkt und Form der Wiederbewaffnungspolitik: Jäger/Schmid-Vöhringer, Ruhe (Fn. 527), S. 9. 532 Legrand, Friedensbewegungen (Fn. 527), S. 23. 533 Wasmuht, Friedensbewegungen (Fn. 527), S. 60. Die Atomwissenschaftler reagieren auf die Bemerkung Adenauers, die taktischen Atomwaffen seien nichts weiter als die Weiterentwicklung der Artillerie, „in tiefer Sorge“ mit einem Appell, der zum Ausdruck bringt, daß „man [sich] am besten schützt und den Weltfrieden noch am ehesten fördert, wenn [man] ausdrücklich und freiwillig auf den Besitz von Atomwaffen jeder Art verzichtet“: in: K. v. Schubert (Hrsg.), Sicherheitspolitik der Bundesrepublik Deutschland, Dokumentation 1945–1977, Bd. 2, 1978, S. 182 f.

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schaftlichen Kreisen den Namen „Kampf-dem-Atomtod“ annimmt. Abstimmungsniederlagen im Bundestag und das Verbot zweier Volksbefragungen534 leiten das Ende der Kampagne in die Wege.535 Die Sicherheitspolitik der Bundesregierung zu beeinflussen hat die „Kampf-dem-Atomtod“-Bewegung nicht vermocht.536 Der erste Ostermarsch in der Bundesrepublik findet 1960 statt, getragen unter anderem von der Deutschen Friedensgesellschaft.537 Ziel dieses ersten Marsches ist Widerstand „gegen atomare Kampfmittel jeder Art und jeder Nation“538. Dieser außerparlamentarische Protest kommt erstmals außerhalb der und teilweise gegen die etablierten Großorganisationen zustande. Der Erfolg macht sie für politische Kräfte interessant, jedoch läßt sich die Kampagne nicht auf eine Partei festlegen. Dennoch findet eine Politisierung statt. Vor allem der Vietnamkrieg und die Notstandsgesetzgebung führen ab 1965 zu verschärfter politischer Konfrontation. Nun steht nicht mehr nur das Problem der Rüstung und Abrüstung im Mittelpunkt, Probleme der Demokratisierung treten in den Vordergrund.539 Es wird versucht, der Kampagne „Koordinationsfunktionen zu erhalten und das sich differenzierende APO-Potential auf einer erweiterten politischen Plattform neu zu stabilisieren“540. Die Umfunktionierung der Ostermärsche zu einer Anti-Springer-Aktion 1968 macht die Angleichung der Kampagne an die Ziele des SDS deutlich. Der Verlust eines der zentralen Agitationsfelder nach der Verabschiedung der Notstandsgesetze und unüberbrückbare Differenzen innerhalb der APO führen zur Auflösung der Ostermarschbewegung. „Blinder Aktionismus, masochistische Prügeleien mit der Polizei, pauschale Verurteilung aller anderen Gruppen der APO, Alleinvertretungsanspruch für politischen Widerstand, Verzicht auf politische Aufklärung der Arbeitermassen zugunsten einer 534 Das BVerfG entscheidet am 30. Juli 1958, daß die Volksbefragungspläne verfassungswidrig sind, vgl. BVerfGE 8, 104 und BVerfGE 8, 122. 535 Jäger/Schmid-Vöhringer, Ruhe (Fn. 527), S. 15 ff.; Wasmuht, Friedensbewegungen (Fn. 527), S. 62. 536 Vgl. zur Verfassungsentwicklung H. Dreier, Grundlagen und Grundzüge staatlichen Verfassungsrechts, in: A. v. Bogdandy/P. C. Villalón/P. M. Huber (Hrsg.), Handbuch Ius Publicum Europaeum, Bd. 1, 2007, § 1 Deutschland Rn. 50 ff. 537 Brand/Büsser/Rucht bezeichnen die Ostermarschbewegung als „eines der Zerfallsprodukte“ der „Kampf-dem-Atomtod“-Kampagne: dies., Aufbruch (Fn. 531), S. 61. Der erste Sternmarsch führt von Braunschweig, Bremen, Hamburg und Hannover zum Raketenübungsplatz Bergen-Hohne. 538 Zitiert nach Jäger/Schmid-Vöhringer, Ruhe (Fn. 527), S. 24. Die neue Protestwelle ist somit in der Tat eine Weiterführung des Widerstandes gegen Atomwaffen, der bereits in der „Kampf-dem-Atomtod“-Kampagne ausgedrückt wurde: Wasmuht, Friedensbewegungen (Fn. 527), S. 64. 539 Die inhaltliche Erweiterung läßt sich auch an der Benennung ablesen: Aus dem „Ostermarsch der Atomwaffengegner“ (1960) wird die „Kampagne für Demokratie und Abrüstung“ (1968): Jäger/Schmid-Vöhringer, Ruhe (Fn. 527), S. 26. 540 K. A. Otto, Vom Ostermarsch zur APO, 1977, S. 147. Zum Begriff der APO ebd., S. 15 ff.

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abenteuerlichen Konfrontation mit ihren Repräsentanten sowie die Verwechslung von Karl Marx und Karl May“541 sind in Richtung des SDS gerichtete Vorwürfe, die die Krise der Kampagne belegen. Zwar hat die Ostermarschbewegung ihre Ziele, Abrüstung und Abschaffung der Atomwaffen, später auch die Verhinderung der Notstandsgesetze, Beendigung des Vietnamkrieges und die Verhinderung weiterer Pressekonzentration, nicht erreicht, von den Erkenntnissen aus dieser außerparlamentarischen Sammelbewegung profitiert die Friedensbewegung jedoch in hohem Maße.542 Die Entspannung in den siebziger Jahren543 bewirkt eine Klimaveränderung der politischen Situation in der Bundesrepublik und damit ein Nachlassen des Interesses an der Friedensbewegung. Die Mobilisierung breiter Massen, die der Friedensbewegung stets verwehrt bleibt, gelingt in den siebziger Jahren der Ökologiebewegung, die aber durchaus Querverbindungen zur Friedensbewegung aufweist.544 Die Kritik der Ökologiebewegung richtet sich gegen die Vernichtung der natürlichen Ressourcen durch einen Materialismus, der das Produkt kultureller Überfremdung durch die USA zu sein scheint. Gefordert wird eine Rückbesinnung auf deutsche Traditionen, die „mit einem ruralen Leben in Einklang mit der Natur identifiziert“ werden.545 Anfang der achtziger Jahre erstarkt auf der Basis der Alternativ-, Ökologie- und Jugendbewegungen eine „Neue Friedensbewegung“546. Vorausgegangen sind der sowjetische Einmarsch in Af541 So der vom Zentralen Ausschuß der Kampagne für Demokratie und Abrüstung herausgegebene Pressedienst am 31. März 1969, zitiert nach Otto, Ostermarsch (Fn. 540), S. 175. 542 Jäger/Schmid-Vöhringer, Ruhe (Fn. 527), S. 30. 543 Dazu führen auch der Abschluß des „Moskauer Vertrages“ über die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und der Sowjetunion 1970, des „Warschauer Vertrages“ über die Beziehungen der Bundesrepublik zu Polen 1970, des „Grundlagenvertrages“ mit der DDR 1972 sowie der Beitritt der Bundesrepublik zu den Vereinten Nationen 1973 und die 1975 erfolgreich beendeten Verhandlungen der „Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa“. 544 T. Ebert hält die Ökologiebewegung für mobilisierungsfähiger, „weil die ökologische Krise bereits da ist und akut spürbare Auswirkungen zu sehen oder unmittelbar vorherzusehen sind.“, zitiert nach Wasmuht, Friedensbewegungen (Fn. 527), S. 80. 545 A. Ludwig, Die „Neue Linke“ und die Nation. Über den linken Umgang mit dem Eigenen und dem Fremden, in: G. Orsi u. a. (Hrsg.), Nation, Nationalstaat, Nationalismus, 1994, S. 103 (106). 546 Dabei transportiert eine „emotionale, an individuelle und kollektive Ängste und Defizite appellierende Rhetorik“ Begriffe, die bis dahin in der Gegenkultur kaum Platz gefunden hatten. „Die Wiederentdeckung der ,nationalen Interessen‘ – aus der Bewertung der Bundesrepublik als ,Vasall‘ der USA heraus entstanden – und die Einbeziehung der ,deutschen Frage‘ in die Propagierung von Neutralismuskonzepten sind Indiz für eine umfassende ,Repolitisierung‘ der Alternativkultur.“: J. Janning, Die neue Friedensbewegung 1980–1986, in: J. Janning/H.-J. Legrand/H. Zander (Hrsg.), Friedensbewegungen. Entwicklung und Folgen in der Bundesrepublik Deutschland, Europa und den USA, 1987, S. 36 (47). Vgl. auch G. Wettig, Die Friedensbewegung der beginnenden 80er Jahre, in: Berichte des Bundesinstituts für ostwissenschaftliche und internationale Studien 1982.

II. Die Friedensbewegungen

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ghanistan und der NATO-Doppelbeschluß; die Ablehnung des letzteren wird als Minimalkonsens eine der wenigen Konstanten der Friedensbewegung.547 In der DDR, deren offizielles friedenspolitisches Selbstverständnis Frieden als Wesensmerkmal des Sozialismus und damit die DDR selbst schon als Friedensbewegung ansieht, kursieren seit Mitte der 1960er Jahre Diskussionspapiere zur Kriegsdienstverweigerung und über Methoden der gewaltfreien Verteidigung, die schließlich eine nicht staatlich kontrollierte Friedensbewegung inspirieren („Schwerter zu Pflugscharen“). Nicht zuletzt die Erstickung des Prager Frühlings im August 1968 gibt dieser Bewegung Auftrieb. In ihrer Wendung auch gegen die Aufrüstung des Warschauer Vertrages bildet sie eine wichtige Keimzelle für eine lose organisierte Opposition. In den 1980er Jahren sind die Friedensdekaden jeweils im November ein Kulminationspunkt dieser Bewegung. Die Friedensgebete werden 1989 zum Ausgangspunkt der späteren „Montagsdemonstrationen“ in Leipzig und anderen Orten.548 Mit dem Ende der AntiNachrüstungskampagne und erst recht mit dem Ende des Ost-West-Konflikts ist die Friedensbewegung weitgehend bedeutungslos geworden.549 Um ein wirklich übernationales Phänomen handelt es sich bei den Friedensbewegungen nie. Trotz internationaler Kontakte und Kooperation erweisen sich nationale Bestimmungsmerkmale und Rahmenbedingungen als die ausschlaggebenden Faktoren.550 „Generell scheint der jeweilige nationale Rahmen für ihre 547

Janning, Friedensbewegung (Fn. 546), S. 40. H. Zander, Die Folgen des Nachrüstungsbeschlusses der Bundesrepublik Deutschland für die Friedensarbeit der evangelischen Kirchen in der DDR, in: J. Janning/H.-J. Legrand/H. Zander (Hrsg.), Friedensbewegungen. Entwicklung und Folgen in der Bundesrepublik Deutschland, Europa und den USA, 1987, S. 234 (234 ff.). Dazu auch P. Wensierski, Friedensbewegung in der DDR, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 1983, S. 3 ff. E. Kuhrt, Wider die Militarisierung der Gesellschaft: Friedensbewegung und Kirche in der DDR, 1984; M. Wehner, Freiheit zum Vorzeigen. Vor zwanzig Jahren: Die Friedensmärsche in der DDR, in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung Nr. 35 vom 02.09.2007. 549 Den Anachronismus heutiger Ostermärsche beschreibt M. Schlieben unter der Überschrift „Der Regenbogen ergraut“, in: Zeit online vom 08.04.2007, www.zeit.de/ online/2007/15/ostermaersche-reportage?page=all (08.04.2007): „Vor 25 Jahren waren Ostermärsche Volksfeste. Hunderttausende demonstrierten für den Frieden. Heute sind es nur noch einige hundert, und die fühlen sich verraten. [. . .] neugierig drehen sich die Leute um. [. . .] Gibt’s das denn noch?“ Eingegangen wird auch auf die erfolgte Verschiebung der Akzente: „Potenzielle Anhänger sucht die Bewegung inzwischen mit Protesten gegen den ,Sozialabbau‘.“ Anderer Meinung sind erwartungsgemäß Vertreter der Friedensbewegung, so A. Buro, Totgesagte leben länger: Die Friedensbewegung. Von der Ost-West-Konfrontation zur zivilen Konfliktbearbeitung, 1997, passim. 550 W. v. Bredow, Zusammensetzung und Ziele der Friedensbewegung in der Bundesrepublik Deutschland, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 1982, S. 3 (7, 9); ders. sieht gar Spuren eines „Neo-Nationalismus“: ebd., S. 12, jedenfalls aber „ein neu erwachtes Interesse an deutschlandpolitischen Fragestellungen in der Friedensbewegung: ders., Friedensbewegung und Deutschlandpolitik. Herkömmliche und neuartige Aspekte einer Themenverbindung, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 1983, S. 34 (34); J. Jan548

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Ausprägung entscheidender zu sein als Übereinstimmungen in der Grobstruktur, Zusammensetzung oder den Aktionsformen. Gerade eine Untersuchung der Wirkungsaspekte macht deutlich, daß die Chancen und Perspektiven der einzelnen Bewegungen zuvörderst von der nationalen innenpolitischen Konstellation, der politischen Kultur und dem Grad außenpolitisch-internationaler Integration abhängen.“551 In Deutschland resultiert daraus eine objektiv enge Verknüpfung von nationaler und Friedensfrage. „So hat die Friedensbewegung dazu beigetragen, den Rekurs auf Nation und nationale Interessen unter positiven Vorzeichen zum Gegenstand gesellschaftlicher Diskussion zu machen.“552 5. Zusammenfassung Im 19. Jahrhundert finden humanitär-pazifistische Anschauungen ihren institutionellen Niederschlag. Auch wenn der Gedanke einer Überwindung des Nationalstaates mitschwingt, werden verstärkt nationalstaatliche Strukturen in die Zielsetzung integriert. Nationale Friedensbewegungen bilden sich zunächst in den USA und England, wo auch internationale Friedenskongresse organisiert werden. Auch wenn die Friedensbewegung in den einzelnen Staaten über keine für eine Stärkung ausreichende Grundlage verfügt, vermag sie sich immerhin als eine internationale Bewegung darzustellen und die öffentliche Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. In Deutschland haben es pazifistische Vorstellungen zunächst schwer. Aufgrund spezifischer soziokultureller Bedingungen der wilhelminischen Gesellschaft halten sich stereotype Vorurteile. Die Friedensbewegung ist eine sich in Opposition zum Militär- und Obrigkeitsstaat empfindende, rein bürgerliche Bewegung. Die als Folge des Ersten Weltkriegs gesteigerte öffentliche Wertschätzung vermag die Außenseiterstellung nicht zu beseitigen. Zunehmende Radikalisierung führt zu einer Isolierung des organisierten deutschen Pazifismus, der mehr und mehr als grundsätzliche Gefährdung der Nation angesehen wird. Der Nationalsozialismus erklärt den Pazifismus als mit den nationalen Belangen unvereinbar, so daß dieser bis zu seiner Rehabilitierung unmittelbar nach 1945 keine Rolle mehr spielt. In der Opposition gegen die Wiederning/H.-J. Legrand/H. Zander, Einführung, in: dies. (Hrsg.), Friedensbewegungen. Entwicklung und Folgen in der Bundesrepublik Deutschland, Europa und den USA, 1987, S. 9 (9 f.). Etwas anderes gilt für das Sich-aufbäumen der Friedensbewegung im Frühjahr 2003 – erstmals bildet sich in Europa so etwas wie eine gemeinsame Öffentlichkeit, in allen Ländern, unabhängig von der Position der jeweiligen Regierung, ist die Mehrheit der Bevölkerung gegen einen Angriff auf den Irak. 551 Janning/Legrand/Zander, Einführung (Fn. 550), S. 14. 552 Ludwig, Neue Linke (Fn. 545), S. 106. Dieser Beitrag wird nicht selten argwöhnisch betrachtet, so, wenn die Friedensbewegung als Vorhut einer „deutschnationalen Erweckungsbewegung“ bezeichnet wird: so bei W. Pohrt, Ein Volk, ein Reich, ein Frieden. Über die Friedensbewegung und das neue, alte Heimatgefühl, in: Die Zeit Nr. 45 vom 30.10.1981.

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bewaffnung und dem Protest gegen die Atomrüstung tritt er erstmals wieder in Erscheinung – ab 1960 in Form der Ostermärsche auch außerparlamentarisch. Durch Vietnamkrieg und Notstandsgesetzgebung findet eine Politisierung statt, Probleme der Demokratisierung treten nun in den Vordergrund. In den siebziger Jahren gelingt der Ökologiebewegung die Mobilisierung breiter Massen. Diese, durchaus Querverbindungen zur Friedensbewegung aufweisende Bewegung richtet sich gegen die Vernichtung der natürlichen Ressourcen durch einen Materialismus, der das Produkt kultureller Überfremdung durch die USA zu sein scheint. Die Ablehnung des NATO-Doppelbeschlusses wird als Minimalkonsens eine der wenigen Konstanten der Friedensbewegung, die mit dem Ende des Kalten Krieges weitgehend bedeutungslos wird. Ein wirklich übernationales Phänomen stellen die Friedensbewegungen zu keiner Zeit dar. Vielmehr erweisen sich nationale Bestimmungsmerkmale und Rahmenbedingungen als die ausschlaggebenden Faktoren. So kommt es, daß die Friedensbewegung dazu beiträgt, den Rekurs auf Nation und nationale Interessen unter positiven Vorzeichen zum Gegenstand gesellschaftlicher Diskussion zu machen.

III. Die Neue Ostpolitik als Zäsur im Umgang mit der Nation Bis zur Neuen Ostpolitik von Bundeskanzler Willy Brandt betrachtet sich die Bundesrepublik als „völkerrechtlich identisch mit dem bis zu einer friedensvertraglichen Regelung juristisch in den Grenzen von 1937 weiterexistierenden Deutschen Reich“553 und beansprucht, dessen provisorische Organisationsform auf einem Teilgebiet darzustellen. „Einzugestehen, daß sich in Mitteldeutschland ein souveräner Staat ausgebildet hatte, dessen faktisches Gewicht nicht durch formaljuristische, diplomatische und symbolische Leugnung beseitigt werden konnte, widersprach dem Selbstverständnis der Bundesrepublik Deutschland.“554 Damit begibt sich die Bundesrepublik zunehmend in einen Spagat zwischen theoretischer Rechtsbehauptung und Wirklichkeit. 1. Wandel durch Annäherung Zur Grundlage der westdeutschen Entspannungspolitik wird die Regierungserklärung Brandts im Oktober 1969, in der er von den „zwei Staaten in 553 Roth, Idee (Fn. 517), S. 55. Roth führt für diesen Alleinvertretungsanspruch exemplarisch eine Erklärung Konrad Adenauers vor dem Deutschen Bundestag im Oktober 1949 an: „Die Bundesrepublik Deutschland ist [. . .] bis zur Erreichung der deutschen Einheit insgesamt die alleinige legitimierte staatliche Organisation des deutschen Volkes.“ 554 Roth, Idee (Fn. 517), S. 55 f.

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Deutschland“555 spricht und damit den bisherigen, zumindest verbalen Konsens in der Deutschlandpolitik beendet. Brandt kündigt an, „die Einheit der Nation dadurch zu wahren, daß das Verhältnis zwischen den Teilen Deutschlands aus der gegenwärtigen Verkrampfung gelöst wird“556, betont aber auch, daß die Akzeptanz der Staatlichkeit der DDR nicht Beziehungen konstituieren dürfe, in denen sich die beiden deutschen Staaten unter Außerachtlassung des sie verbindenden Bandes der Nation wie zwei fremde Länder gegenüberstehen würden. „Eine völkerrechtliche Anerkennung der DDR durch die Bundesregierung kann nicht in Betracht kommen. Auch wenn zwei Staaten in Deutschland existieren, sind sie doch füreinander nicht Ausland; ihre Beziehungen untereinander können nur von besonderer Art sein.“557 „Wandel durch Annäherung“558 heißt die neue Strategie, die durch Anerkennung des status quo den Boden für dessen allmähliche Aufweichung und schließliche Überwindung bereiten soll. Dennoch kommt diese Politik vielen als ein bitterer Opfergang vor. „Um des Friedens willen müssen die Deutschen heute das Los der Teilung auf sich nehmen“559 schreibt der spätere Chefredakteur der Zeitung „Die Zeit“ Sommer zum 1972 geschlossenen Grundlagenvertrag mit der DDR. Auch für die Politik ist das Friedensziel leitende Perspektive und stellt damit Fragen der Nation in den Hintergrund. „Das bedeutet für uns: die Erhaltung des Friedens rangiert noch vor der Frage der Nation.“560 Neben diesem abstrakten Interesse am Frieden und Aspekten außenpolitischer Handlungsfähigkeit existiert dennoch eine nationale Motivation der neuen Deutschlandpolitik. Die Einheit der Nation im Sinne der Bewußtseinsnation soll durch Kontakt und Kommunikation gestärkt und ihre innere Spaltung und Entfremdung nicht durch „eine Politik der sterilen dialoglosen Konfrontation“ vertieft werden.561 Trotz dieses angestrebten 555 Zitiert nach Texte zur Deutschlandpolitik, Bd. 4, 1970, S. 12. Damit kommt die Bundesregierung der ostdeutschen Forderung nach „Anerkennung zweier Staaten deutscher Nation“ nach, wenn auch nicht auf völkerrechtlicher Ebene. Vgl. auch R. Blasius, Zwei Staaten – eine Nation. Im 6. Bundestag kündigte Kanzler Brandt eine neue Deutschlandpolitik an, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 178 vom 03.08.2006. 556 Zitiert nach Texte (Fn. 555), S. 11. 557 Zitiert nach Texte (Fn. 555), S. 12. 558 So die Überschrift eines Vortrages von Egon Bahr, gehalten im Juli 1963 in Tutzing. 559 T. Sommer, Fragen zum Grundvertrag. Die Antwort der CDU: Ja, Nein, Jein?, in: Die Zeit Nr. 46 vom 17.11.1972. 560 So Brandt in der Regierungserklärung vor dem Deutschen Bundestag im Januar 1973, zitiert nach Texte zur Deutschlandpolitik, Bd. 12, 1973, S. 22. „[Nationale] Selbstverleugnung wird heute im Interesse des Friedens gefordert.“: O. Kimminich, Die deutsche Verfassung und der europäische Frieden, in: DÖV 1973, S. 15 (15). 561 Roth, Idee (Fn. 517), S. 65. Brandt interpretiert die nationale Zielsetzung des Grundlagenvertrages im Februar 1973 vor dem Deutschen Bundestag folgendermaßen: Der „Vertrag soll, wenn es geht, wenn es irgend geht, ein weiteres Auseinandergleiten, ein weiteres Auseinanderleben unserer Nation verhindern helfen. Und er soll die Kommunikation zwischen den Menschen in Deutschland erleichtern und verbessern helfen;

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menschlichen Zusammenhalts der Nation verblaßt im Verlauf der sozialliberalen Deutschlandpolitik die Wiedervereinigungsperspektive immer mehr, die staatliche Komponente im Nationsbegriff tritt zurück. Roth spricht in diesem Zusammenhang von einem „entstaatlichten Nationsbegriff“562. Die Position der ihre völlige staatliche Souveränität betonenden DDR zur Nation unterliegt angesichts dieser Annäherungspolitik einer Wandlung.563 Ist in der Verfassung von 1968 noch von einem „sozialistische[n] Staat deutscher Nation“564 die Rede, forciert die SED in den folgenden Jahren die ideologische Abgrenzung und distanziert sich immer mehr von der, von westdeutscher Seite als gemeinsame Klammer zwischen beiden Staaten bewußt herausgestellten Auffassung.565 Die „sozialistische Nation“ befindet sich nun im schroffen Antagonismus zu der in der Bundesrepublik fortbestehenden bürgerlichen Nation. Mit einer Verfassungsänderung im Oktober 1974 werden schließlich alle Verweise auf die deutsche Nation gestrichen.566 2. Der Einfluß des Bundesverfassungsgerichts auf Grundfragen der Nation An Kritik an der Neuen Ostpolitik und insbesondere an den abgeschlossenen Verträgen567 mangelt es nicht. „Der nationalen Argumentation zufolge war mit den geschlossenen Verträgen das Wiedervereinigungsziel preisgegeben, die Teilung endgültig anerkannt und akzeptiert, die deutschen Ostgebiete verschenkt und schließlich dem über hundertjährigen deutschen Reich der Totenschein aus-

er soll in unserem Verständnis sicherstellen, daß Wille und Bewußtsein der Zusammengehörigkeit als Voraussetzung für den Fortbestand der Nation nicht verlorengehen. [. . .] Der Vertrag eröffnet [. . .] der Nation, [. . .] ohne daß wir uns in die Tasche lügen würden, neue, wenn auch begrenzte Möglichkeiten“, zitiert nach Texte (Fn. 560), S. 143 f. Man denke in diesem Zusammenhang an die Auffassung von Deutsch, der Nation nicht zuletzt als einen Raum besonderer Kommunikationsdichte sieht. 562 Roth, Idee (Fn. 517), S. 68. 563 Vgl. dazu K.-E. Jeismann, Die Einheit der Nation im Geschichtsbild der DDR, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 1983, S. 3 ff. 564 Vgl. Artikel 1 der Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik vom 06. April 1968. 565 „Zwischen den Krupps und Krauses, zwischen den Milliardären und Multimillionären und dem werktätigen Volk gibt es keine nationale Einheit“. So Staatsratsvorsitzender Walter Ulbricht in einer Rede auf einer internationalen Pressekonferenz im Januar 1970, zitiert nach Texte (Fn. 555), S. 261 f. Und Erich Honecker erklärt in einer Rede vor Angehörigen der Nationalen Volksarmee im Januar 1972: „Die BRD ist [. . .] Ausland, und noch mehr: Sie ist imperialistisches Ausland.“, zitiert nach P. W. Wenger, Grundvertrag statt Grundgesetz? Honecker: Die Bundesrepublik ist feindliches Ausland, in: Rheinischer Merkur Nr. 2 vom 14.01.1972. 566 Roth, Idee (Fn. 517), S. 72. 567 Vgl. zu diesen O. Kimminich, Die Ostverträge, 1972.

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gestellt.“568 Manch einer sieht das „Ende unserer Reichs- und Nationalgeschichte“, das Ende jener Epoche, „die am 18. Januar 1871 im Spiegelsaal des Versailler Schlosses begann“. Der „Abschied vom Nationalstaat Deutschland“ werde vollzogen und die Nation „liquidiert“. Es handele sich um einen „kompletten Bruch mit der deutschen Geschichte“569. Auch wenn der Bruch bereits 1945 erfolgt ist570, so kommt „der Tatbestand des Endes einer Epoche, die durch den Nationalstaat des Deutschen Reiches geprägt war, nun aber endgültig ins Bewußtsein“. Dies gibt „Grund zu Trauer oder gar zu verbitterter Wut jenen, deren politisches Selbstverständnis noch tief in dem durch Bismarcks Reichsgründung geprägten nationalstaatlichen Denken verwurzelt war.“571 Andere monieren den vermeintlichen „Abschied von der Staatsnation“. In Brandts Konzept verschwinde „die scharf umrissene Gestalt der deutschen Nation in den wallenden Nebeln einer ,Kulturnation‘“572. Brandt selbst betont den kognitiven und voluntativen Aspekt der Nation: „Nation ist eine Frage von Bewußtsein und Willen.“573 Die die deutsche Geistesgeschichte durchziehende Dichotomie zwischen Staatsnation und Kulturnation wird „aus Not und Neigung“ zugunsten letzterer aufgelöst und der Begriff der Nation in einem nicht-staatlichen Sinne zur begrifflichen Klammer für die beiden deutschen Staaten.574 Ein vornehmlich staatszentriertes, durch die Aufrechterhaltung zentraler juristischer Positionen abgesichertes Nationskonzept vertritt hingegen die Opposition. Nation sei nicht nur „Inbegriff von gemeinsamer Vergangenheit und Zukunft, von Sprache und Kultur, von Bewußtsein und Wille“, sondern auch „von Staat und Gebiet“575. Dieser Ansicht schließt sich weitgehend auch das Bundesverfas-

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Roth, Idee (Fn. 517), S. 88. H. Diwald, Die Anerkennung. Bericht zur Klage der Nation, 1970, S. 11, 111 f., 114. Hinzu kommt der Glaube an einen Zusammenhang zwischen der Außen- und Deutschlandpolitik der Regierung und den linksradikalen Tendenzen in der Bundesrepublik. 570 So auch Sommer, Fragen (Fn. 559): „Das Bismarck-Reich ist nicht am 8. November 1972 zugrunde gegangen, sondern am 8. Mai 1945 [. . .]. Es wurde jetzt nichts verloren, was nicht längst verloren war.“ 571 Roth, Idee (Fn. 517), S. 94. 572 W. Hertz-Eichenrode, Brandts Abschied von der Staatsnation, in: Die Welt Nr. 41 vom 17.02.1973. 573 So im Januar 1971 vor dem Deutschen Bundestag, zitiert nach Texte zur Deutschlandpolitik, Bd. 7, 1971, S. 13. 574 Roth, Idee (Fn. 517), S. 97, Hervorhebung im Original, J. D. K. Ders. verweist in diesem Zusammenhang auf eine Aussage Brandts: „Die Identität von Nation und Staat war zerbrochen. Doch sie hatte in Deutschland ohnedies nur eine kurze Spanne existiert. Als ,Kultur-Nation‘ hatte Deutschland immer gelebt – und als ,Kultur-Nation‘ würde es seine Identität behalten“: W. Brandt, Begegnungen und Einsichten. Die Jahre 1960–1975, 1976, S. 523. 575 So Richard v. Weizäcker im Februar 1972 vor dem Deutschen Bundestag, zitiert nach Texte zur Deutschlandpolitik, Bd. 10, 1972, S. 277. 569

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sungsgericht an, das in seinem Urteil anläßlich eines Antrages der Bayerischen Staatsregierung bezüglich des Grundlagenvertrags im Juli 1973 feststellt: „Wenn heute von der ,deutschen Nation‘ gesprochen wird, die eine Klammer für Gesamtdeutschland sei, so ist dagegen nichts einzuwenden, wenn darunter auch ein Synonym für das ,deutsche Staatsvolk‘ verstanden wird, an jener Rechtsposition also festgehalten wird und nur aus politischen Rücksichten eine andere Formel verwandt wird. Versteckte sich dagegen hinter dieser Formel ,deutsche Nation‘ nur noch der Begriff einer im Bewußtsein der Bevölkerung vorhandenen Sprach- und Kultureinheit, dann wäre das rechtlich die Aufgabe einer unverzichtbaren Rechtsposition. Letzteres stünde in Widerspruch zum Gebot der Wiedervereinigung als Ziel, das von der Bundesregierung mit allen erlaubten Mitteln anzustreben ist.“576

Die Opposition stützt ihre Einwände gegen die Regierungspolitik auf die Präambel des Grundgesetzes mit dem darin postulierten Ziel, „in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden“. Bereits im Urteil zum Verfahren über die Feststellung der Verfassungswidrigkeit der KPD interpretiert das Bundesverfassungsgericht die Grundgesetzpräambel wie folgt: „Nach der negativen Seite hin bedeutet das Wiedervereinigungsgebot, daß die staatlichen Organe alle Maßnahmen zu unterlassen haben, die die Wiedervereinigung rechtlich hindern oder faktisch unmöglich machen. Das führt aber zu der Folgerung, daß die Maßnahmen der politischen Organe verfassungsgerichtlich auch darauf geprüft werden können, ob sie mit dem Wiedervereinigungsgebot vereinbar sind.“577

Im Ergebnis weist das Bundesverfassungsgericht den Antrag zwar ab, beschneidet aber zugleich den deutschlandpolitischen Spielraum der Bundesregierung: Nur „in der sich aus den Gründen ergebenden Auslegung“ sei das Gesetz zum Grundlagenvertrag „mit dem Grundgesetz vereinbar“.578 Weiterhin bestätigt es die Existenz des Deutschen Reiches und offenbart damit die fundamentale Bedeutung des Urteils auch für die Rechtslage Deutschlands579: „Das Grundgesetz – nicht nur eine These der Völkerrechtslehre und der Staatsrechtslehre! – geht davon aus, daß das Deutsche Reich den Zusammenbruch 1945 überdauert hat und weder mit der Kapitulation noch durch Ausübung fremder Staatsgewalt in Deutschland durch die alliierten Okkupationsmächte noch später un576

BVerfGE 36, 1 (19), Hervorhebung im Original, J. D. K. BVerfGE 5, 85 (128). Zur Präambel vgl. H. Dreier, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 1, 2. Aufl. 2004, Präambel Rn. 1 ff. 578 BVerfGE 36, 1 (3). Das Urteil weist die Besonderheit auf, daß das BVerfG es für erforderlich gehalten hat, die Erstreckung der Bindungswirkung auf die tragenden Gründe durch diese Formulierung des Tenors unmißverständlich festzuhalten: T. Oppermann, Anmerkung, in: JZ 1973, S. 594 (595). Zur Bindungskraft auch U. Scheuner, Die staatsrechtliche Stellung der Bundesrepublik. Zum Karlsruher Urteil über den Grundvertrag, in: DÖV 1973, S. 581 (582 f.). 579 Zusammenfassend dazu W. Fiedler, Staats- und völkerrechtliche Probleme des Staatsuntergangs. Zum rechtlichen Selbstverständnis der Bundesrepublik nach dem Grundvertrag, in: Zeitschrift für Politik 20 (1973), S. 150 ff. 577

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tergegangen ist; das ergibt sich aus der Präambel, aus Art. 16, Art. 23, Art. 116 und Art. 146 GG. [. . .] Das Deutsche Reich existiert fort [. . .], besitzt nach wie vor Rechtsfähigkeit, ist allerdings als Gesamtstaat mangels Organisation, insbesondere mangels institutionalisierter Organe selbst nicht handlungsfähig. [. . .] Die Bundesrepublik Deutschland ist [. . .] nicht ,Rechtsnachfolger‘ des Deutschen Reiches, sondern als Staat identisch mit dem Staat ,Deutsches Reich‘, – in bezug auf seine räumliche Ausdehnung allerdings ,teilidentisch‘, so daß insoweit die Identität keine Ausschließlichkeit beansprucht.“580

Damit verbindet das Bundesverfassungsgericht die sog. Dachtheorie, die sich das fortlebende Deutsche Reich als ein die Teilstaaten überwölbendes Dach vorstellt, mit der sog. Identitätstheorie, die die Bundesrepublik mit dem Deutschen Reich rechtlich gleichsetzt.581 Als einen „unbekömmlichen begrifflichen Brei“ bezeichnet der Staatsrechtler Scheuner die Vermengung beider Theorien. „Wenn Identität angenommen wird, kann es neben der Fortführung des alten Staatswesens von 1867 in einem räumlich geminderten Kernbereich kein ideell überwölbendes Begriffsdach mehr geben.“582 Seinem Kollegen Oppermann „fällt es in der jetzigen Entscheidung noch schwerer, der Harmonisierung der beiden wichtigsten ,Deutschland-Theorien‘ zu folgen“583 und der Staats- und Völkerrechtler Kewenig meint gar: „Die Verwirrung ist vollständig.“584 Auch am Verfahren wird Kritik geübt: „Grundfragen der Nation [sollten] niemals im Eiltempo angegangen werden.“585 Vielfach wird in dem Urteil eine unnötige Verengung des 580

BVerfGE 36, 1 (15 f.). W. A. Kewenig, Auf der Suche nach einer neuen Deutschland-Theorie, in: DÖV 1973, S. 797 (799); Roth, Idee (Fn. 517), S. 104. Seine Kritik an der Dachtheorie, genauer gesagt an der Einbeziehung der DDR, äußert O. Kimminich auf anschauliche Weise: „Das, was den Bautechnikern mit Hilfe des Spannbetons heute mühelos gelingt, nämlich die Errichtung eines weit über seinen tragenden Pfeiler hinausragenden Daches, ist bei juristischen Dachkonstruktionen leider nicht möglich.“: ders., Das Urteil über die Grundlagen der staatsrechtlichen Konstruktion der Bundesrepublik Deutschland, in: DVBl. 1973, S. 657 (661). Vgl. zur Identitätstheorie auch R. Dolzer, Die Identitätsfrage vor und nach der deutschen Wiedervereinigung, in: J. Isensee/ P. Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. 1, 3. Aufl. 2003, § 13. 582 Scheuner, Stellung (Fn. 578), S. 583. 583 Oppermann, Anmerkung (Fn. 578), S. 596. 584 Kewenig, Suche (Fn. 581), S. 799. 585 C. Tomuschat, Auswärtige Gewalt und verfassungsgerichtliche Kontrolle. Einige Bemerkungen zum Verfahren über den Grundvertrag, in: DÖV 1973, S. 801 (808). Noch weiter geht E. Friesenhahn: „Die Bundesregierung Brandt [. . .] hat im Fall des Grundlagenvertrages mit der DDR ein Lehrstück geliefert, das für die Zukunft beispielhaft zeigt, mit welcher Leichtigkeit Regierungen das höchste Gericht ausmanövrieren und eine im Grundgesetz vorgesehene Kontrolle der Verfassungsmäßigkeit von Regierungshandlungen im Ergebnis wirkungslos machen können.“: ders., Hüter der Verfassung? Randglossen zum Verfahren des Bundesverfassungsgerichts in Sachen der von der Bayerischen Staatsregierung beantragten einstweiligen Anordnungen im Normenkontrollverfahren betr. den Grundlagenvertrag mit der DDR, in: ZRP 1973, S. 188 (188). Kritisch dazu M. Kriele, Unabhängige Entscheidung. Antwort auf Friesenhahn, in: ZRP 1973, S. 193 ff. 581

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Spielraumes praktischer Politik gesehen und dies, ohne damit im materiellen Sinne den Geboten der Präambel zu dienen.586 3. „Selbstanerkennung“ der Bundesrepublik In vielen Aussagen dieser Zeit wird der schwindende Glaube an eine Wiedervereinigung deutlich. Immer offensichtlicher wird auch, daß die Neue Ostpolitik eine zentrale Zäsur in der Entwicklung der Bundesrepublik darstellt, daß „ein Teil des Ballastes nationaler Bemäntelung der Bundesrepublik über Bord geworfen werden konnte“587. Die Neue Ostpolitik bewirkt eine Konsolidierung der Bundesrepublik sowohl nach außen als auch nach innen. „Nach außen, international, wurde diese Konsolidierung durch die [. . .] Neue Ostpolitik bewirkt, die ihrerseits [. . .] positiv auf die westdeutsche Innenpolitik zurückwirkte. Denn diese Ostpolitik war eine Befreiung Bonns aus den Erwartungsschlingen, die man sich früher selbst gelegt hatte. Nach zwanzig Jahren der Selbstverbote, einer außenpolitischen Selbstblockade durch eine Deutschlandpolitik, die man mit der Hallstein-Doktrin charakterisiert hat, gewann man plötzlich Handlungsfreiheit, Unbefangenheit, Selbstvertrauen. Man nahm die Verhältnisse, wie sie sind, sah die Grenzen dort, wo sie liegen, ging vom Rahmen der Bundesrepublik als der Grundlage eigenen Handelns aus.“588 Und so sei es bei der Ostpolitik auch nicht nur um das Verhältnis zur DDR gegangen, sondern „in dem, was von der Öffentlichkeit wahrgenommen, umstritten und schließlich gebilligt wurde, ging es um das Verhältnis der Bundesrepublik zu sich selbst. Was zur Debatte stand, war mit der Anerkennung der DDR die Anerkennung der Bundesrepublik durch sich selbst“589. Während die „Selbstanerkennung“ der Bundesrepublik Kritikern 586 Das Urteil sei partiell von einer „Rigidität und Starre [. . .], über deren Fruchtbarkeit für die praktische Deutschlandpolitik nicht nur erklärte Anhänger des Grundvertrages geteilter Meinung sein werden“: Oppermann, Anmerkung (Fn. 578), S. 594, und von einem „zu hohen Zutrauen in juristische Prinzipien angesichts der [. . .] politischen Realität“: Roth, Idee (Fn. 517), S. 106, geprägt. Eine weitere Besprechung des Urteils liefert W. Lewald, Die verfassungsrechtliche Lage Deutschlands. Eine Meinungsäußerung zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 31. Juli 1973, in: NJW 1973, S. 2265 ff. 587 M. Broszat, Die Ambivalenz der Forderung nach mehr Geschichtsbewußtsein. Vortrag bei den 13. Römerberg-Gesprächen in Frankfurt am Main zum Thema „Politische Kultur – heute?“, 6. Juni 1986, in: ders., Nach Hitler. Der schwierige Umgang mit unserer Geschichte, 1988, S. 282 (289). 588 A. Baring, Gründungsstufen, Gründungsväter – Der lange Weg der Bundesrepublik Deutschland zu sich selbst, in: W. Scheel (Hrsg.), Nach dreißig Jahren. Die Bundesrepublik Deutschland – Geschichte, Gegenwart, Zukunft, 1979, S. 19 (26). 589 H. Rudolph, Von der Schwierigkeit der Bundesrepublik, sich selbst zu begreifen, in: W. Scheel (Hrsg.), Nach dreißig Jahren. Die Bundesrepublik Deutschland – Geschichte, Gegenwart, Zukunft, 1979, S. 128 (141). Ähnlich auch T. Sommer in der Zeit: „Die Anerkennung der Realitäten, die im Nachkriegseuropa entstanden sind, bedeutet zugleich eine Selbstanerkennung der Bundesrepublik; sie findet sich endlich mit ihrer Existenz ab, wie sie ist, und kann von nun an ohne Unehrlichkeit ihrer eige-

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C. Versuche einer Modifikation des Nationalstaates

nationalem Verrat gleicht590, lassen sich bei den Befürwortern zwei Motivlinien bestimmen.591 Zum einen bildet die Stabilität der Bundesrepublik, die nicht durch eine den realen Staat übergreifende Nation gefährdet werden soll, die Motivation, zum anderen wirkt ein Affekt gegen alles Nationale und Nationalstaatliche im traditionellen Sinn als Antrieb.592 Dies führt zu aus heutiger Sicht nur noch schwer nachvollziehbaren Forderungen wie der Streichung der die Einheit der Nation postulierenden Präambel des Grundgesetzes, der Anerkennung der DDR-Staatsbürgerschaft und der Ersetzung des Tages der Deutschen Einheit durch einen westdeutschen Verfassungstag.593 Ein „neues Nationalbewußtsein“, das sich „möglicherweise in zunehmendem Maße ausschließlich an der Bundesrepublik als Staat orientiert“, werde die Gemeinsamkeit von Sprache und Kultur an Bedeutung für das Gemeinschaftsbewußtsein verlieren lassen.594 „Die deutsche Nation ist tot, [. . .] endgültig dahin“595. „Es wird nie mehr einen Staat geben, der die deutsche Nation umfaßt und Deutschland heißt.“596 Solche resignierenden Wortmeldungen häufen sich Anfang der siebziger Jahre. Die Neue Ostpolitik veranlaßt viele, der einheitlichen deutschen Nation den Totenschein auszustellen und an das Entstehen zweier separater Nationen zu glauben. Dennoch hat die Neue Ostpolitik der Wiedervereinigung den Boden bereitet.

nen Staatsraison leben.“: ders., Jenseits des Kleingedruckten. Wie wird es in der Innen- und Außenpolitik nach der Ratifizierung der Ostverträge weitergehen?, in: Die Zeit Nr. 20 vom 19.05.1972. 590 Vgl. den späteren „Einheitskanzler“ Helmut Kohl: Die provisorische Staatlichkeit sei „die unabdingbare Voraussetzung dafür gewesen, den Anspruch auf ein freies Gesamtdeutschland aufrechtzuerhalten, als dessen Sachwalter sich die Bundesrepublik nach übereinstimmender Auffassung aller im Bundestag vertretenen Parteien gesehen hatte.“: ders., Zwischen Ideologie und Pragmatismus. Aspekte und Ansichten zu Grundfragen der Politik, 1973, S. 56. 591 Roth, Idee (Fn. 517), S. 117. 592 Erstere richtet sich sowohl gegen den Nationalkonservatismus der Rechten als auch gegen die utopisch-unrealistischen Maßstäbe der Linken und fordert eine „positive Identifikation mit dem Staatswesen Bundesrepublik“: K. Sontheimer, Der unbehagliche Bürger. Vom deutschen Umgang mit der Demokratie, 1980, S. 63. Als Beispiel für die zweite Motivlinie lassen sich die Grünen anführen, die noch 1986, also vier Jahre vor der Wiedervereinigung, das „Ende einer gesamtdeutschen Staatsnation“ sowie den „Prozeß der ,Bi-Nationalisierung‘“ konstatieren und den „Selbstbetrug gesamtdeutscher Identität und Perspektive“ kritisieren: L. Probst/J. Schnappertz, Ansätze und Perspektiven grüner Politik in den deutsch-deutschen Beziehungen, in: Deutschland-Archiv 1986, S. 1053 (1057). 593 Mit Belegen Roth, Idee (Fn. 517), S. 119. 594 W. J. Mommsen, Nation und Nationalbewußtsein in der Gegenwart. Eine historische Betrachtung, in: Politik und Kultur 1 (1974), S. 16 (28). 595 H. Lindemann, Die Sache mit der Nation, 1970, S. 171 f. 596 Diwald, Anerkennung (Fn. 569), S. 136.

III. Die Neue Ostpolitik als Zäsur im Umgang mit der Nation

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4. Zusammenfassung Zur Grundlage der Neuen Ostpolitik wird die den verbalen Konsens in der Deutschlandpolitik beendende Regierungserklärung Willy Brandts im Oktober 1969, in der in dieser Weise erstmals von zwei deutschen Staaten die Rede ist. Durch die Annäherung soll sich ein Wandel vollziehen, dessen leitende Perspektive der vor die Frage der Nation tretende Frieden ist, für den aber dennoch eine auch nationale Motivation existiert: Die Einheit der Nation im Sinne der Bewußtseinsnation soll durch Kontakt und Kommunikation gestärkt und ihre innere Spaltung und Entfremdung nicht vertieft werden. Die staatliche Komponente im Nationsbegriff tritt zum Leidwesen der ihre Einwände auf das Wiedervereinigungsgebot der Präambel des Grundgesetzes stützenden Opposition zurück, und der Begriff der Nation wird in einem nichtstaatlichen Sinne zur begrifflichen Klammer für die beiden deutschen Staaten. Das Bundesverfassungsgericht beschneidet den deutschlandpolitischen Spielraum der Bundesregierung, indem es eine Verengung des Begriffs der deutschen Nation auf eine nur noch im Bewußtsein der Bevölkerung vorhandene Sprach- und Kultureinheit als Widerspruch zum grundgesetzlichen Auftrag zurückweist. Auch so bewirkt die Neue Ostpolitik eine Konsolidierung der Bundesrepublik und trägt entscheidend zu ihrer Selbstanerkennung bei. Befürwortern dient zum einen die nun nicht mehr durch eine den bestehenden Staat übergreifende Nation gefährdete Stabilität, zum andern ein Affekt gegen alles Nationale und Nationalstaatliche als Antrieb, Kritiker sehen das Ende einer einheitlichen deutschen Nation gekommen. Dennoch hat die Neue Ostpolitik der Wiedervereinigung den Boden bereitet.

D. Die Nation als rechtliche Grundlage des Verfassungsstaates Nun zeigt sich die Nation von ihrer juristisch relevanten Seite und zwar als Grundlage des Verfassungsstaates. Zunächst wird die Bedeutung kollektiver Identität für die demokratische Legitimation von Herrschaft herausgearbeitet (I.), dann der Zusammenhang von Staatsangehörigkeit und Nationalitätskonzept erläutert (II.). Der Teil endet mit einer Nachzeichnung der jüngeren, vor allem aber einer Einschätzung der aktuellen und zukünftigen Definition der Nation in Deutschland (III.).

I. Die Bedeutung kollektiver Identität für die demokratische Legitimation von Herrschaft Identität ist die Antwort auf die Frage, wer oder was man oder etwas ist.597 „Kollektive Identität entspricht dem Grundbedürfnis des Menschen, sich zu Gruppen zu formen und sich einer Gruppe zugehörig zu fühlen.“598 Ihre Grundlage bildet die Übereinstimmung oder Gleichheit mit anderen, so daß sie sich als die Summe derjenigen Ideengehalte darstellt, über die in einer Gruppe von Individuen Übereinstimmung herrscht, um so die für die eigene Selbstbestimmung und innere Sicherheit erforderliche Orientierung zu finden.599 Die Ausbildung kollektiver Identität setzt somit eine Gruppe voraus, die sich aufgrund von Gemeinsamkeiten als Einheit versteht, sich gegen andere abgrenzt und als Einheit selbst beschreibt.600 Dabei wird Identität nicht lediglich in einer Hinsicht erfahren, vielmehr gehört zur Identität eines jeden regelmäßig „eine Vielzahl 597 H. Lübbe, Die große und die kleine Welt. Regionalismus als europäische Bewegung, in: W. Weidenfeld (Hrsg.), Die Identität Europas. Fragen. Positionen. Perspektiven, 1985, S. 191 (198). Ausführlich Walkenhorst, Integrationsprozeß (Fn. 6), S. 24 ff. M. Hilf bezeichnet die Suche nach Identität als „zweifellos eines der Grundanliegen der modernen Zeit“: ders., Europäische Union und nationale Identität der Mitgliedstaaten, in: A. Randelzhofer/R. Scholz/D. Wilke (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Eberhard Grabitz, 1995, S. 157 (157). 598 Walkenhorst, Integrationsprozeß (Fn. 6), S. 28. Auf die Notwendigkeit solcher Partizipation weisen Schmücker/Hering, Identität (Fn. 6), S. 40 hin. 599 E. Pache, Europäische und nationale Identität: Integration durch Verfassungsrecht?, in: DVBl. 2002, S. 1154 (1155). 600 M. R. Lepsius, Die Europäische Union. Ökonomisch-politische Integration und kulturelle Pluralität, in: R. Viehoff/R. T. Segers (Hrsg.), Kultur, Identität, Europa. Über die Schwierigkeiten und Möglichkeiten einer Konstruktion, 1999, S. 201.

I. Die Bedeutung kollektiver Identität

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von Identifikationsbezügen, die in ihrer Gesamtheit erst die individuelle wie die kollektive Identität der betreffenden Person ausmachen“601. Kollektive Identität bezieht sich also nicht auf die einzelnen Menschen, sondern auf den bewußten sozialen Zusammenhang, „ist jedoch nicht der objektive Zusammenhang selbst, sondern das Wissen, die Interpretation durch die Individuen, die ihn bilden – auch wenn dieses Wissen von objektiven Fakten [. . .] abhängig ist und sie mehr oder minder widerspiegelt“602. Estel nennt zwei Grundmerkmale, die dieses Wissen charakterisieren: Zum einen setze es sich hinsichtlich seiner sozialen Geltung nicht aus bloßem Privatwissen der einzelnen Kollektivmitglieder zusammen, sondern sei, zumindest tendenziell, sozial geteilt bzw. sozial verbindlich, zum anderen weise es notwendig auch nomische Qualitäten auf, stelle also nomisches und nomisiertes Wissen dar. Weiterhin unterscheidet er neben diesen beiden Wissenstypen drei Wissensebenen: die Ebene der objektiven Gegebenheiten, die Ebene der „Kernereignisse“ und die Ebene des Identitätsfokus.603 Während erstere die Mitgliederzahl, die sozio-ökonomischen und kulturellen Eigentümlichkeiten und die Macht- und Austauschbeziehungen zu anderen Kollektiven und die zweite Ebene markante, prägende Ereignisse zur Erfahrung der eigenen Identität umfasse, entscheide die Ebene des Identitätsfokus über den eigentlichen Sinn des Kollektivs. Er verbürge die Einheit und Besonderheit des Kollektivs und steuere die Auswahl der politischen Ziele wie die hauptsächlichen Mittel ihrer Durchsetzung. Er bestimme primär die konkrete Ordnung des Kollektivs und erzeuge personale Identifikation derart, daß die Angehörigen sich in den grundlegenden Institutionen und Zielsetzungen des Kollektivs „eins wissen“ und entsprechende Angriffe „als Bedrohung ihrer eigenen Identität“ empfinden.604 In Mitteleuropa ist bis zum Dreißigjährigen Krieg einerseits das universal verstandene Heilige Römische Reich, andererseits die Christenheit und, seit der Reformation, die jeweilige Konfessionsgemeinschaft der herrschende Identitätsfokus.605 Die sich mehrheitlich erst im 19. Jahrhundert ausprägenden nationalen Identitätsfokusse verleihen der Nation eine historische Mission606.

601

Pache, Identität (Fn. 599), S. 1156. B. Estel, Kollektive Identität als nationale Identität, in: W. Weidenfeld (Hrsg.), Die Deutschen und die Architektur des Europäischen Hauses. Materialien zu den Perspektiven Deutschlands, 1990, S. 127 (127). 603 Auf die Nation übertragen sind dies 1. Abstammung, Sprache und Kultur, 2. Geschichte und 3. Bewußtsein, vgl. oben B. I. 1. Die kollektive kulturelle Identität ergibt sich aus den eine Gesellschaft prägenden und verbindenden, auf die Wahrnehmung, Deutung und Gestaltung der Lebenswirklichkeit bezogenen Gemeinsamkeiten: Sommermann, Kultur (Fn. 319), S. 9. 604 Estel, Identität (Fn. 602), S. 127 ff. 605 Estel, Identität (Fn. 602), S. 132. 606 Wie „Am deutschen Wesen soll die Welt genesen.“; Le progrès de la France c’est le progrès de l’humanité.“; „Gods own country.“ 602

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D. Die Nation als rechtliche Grundlage des Verfassungsstaates

Kollektive Identität wird als das elementare Konstruktionsprinzip moderner Gesellschaften angesehen. Demokratische Systeme sind auf die Zustimmung der Bürger zu ihren wesentlichen Strukturen und Konzepten angewiesen607, denn „kollektive Identität bildet [. . .] die Grundlage für die Akzeptanz von Mehrheitsentscheidungen ebenso wie die legitimatorische Rechtfertigung für die Ausübung von Herrschaftsgewalt“608. Die grundlegende Regeln und Prinzipien der Gesellschaft betreffende Übereinstimmung schafft einen Grundkonsens, der erst die Stabilität der Institutionen gewährleisten, die Entscheidung kontroverser Probleme erleichtern und die generalisierte Unterstützungsbereitschaft für das System auslösen kann.609 Identität hat also zentrale Bedeutung für die Begründung und Rechtfertigung demokratischer Herrschaft. Aus diesem Grunde besteht ein enger Zusammenhang zwischen kollektiver Identität und Verfassung.610 1. Die Nation als Träger der verfassunggebenden Gewalt Max Weber611 unterscheidet drei Arten von Legitimität, nämlich die auf Gewohnheit, dem immer so Gewesenen beruhende traditionale Legitimität, die auf dem Glauben an Offenbarung oder Gnadengabe einer Person beruhende charismatische Legitimität und die rationale Legitimität, die sich in der Legalität gesatzter Ordnungen und im Anweisungsrecht der durch sie zur Herrschaft Berufenen findet.612 „Eine Staatsgewalt ist legitim, wenn sie in den Augen der ihr Unterworfenen im Großen und Ganzen als gerechtfertigt gilt. In der Gegenwart gilt eine Staatsgewalt nur dann als gerechtfertigt, wenn sie durch material-ratio607 E. Faul, Das vereinigte Deutschland – europäisch integrierte Nation oder diffuse „multikulturelle Gesellschaft“?, in: Zeitschrift für Politik 39 (1992), S. 394 (398); Walkenhorst, Integrationsprozess (Fn. 6), S. 52. 608 Pache, Identität (Fn. 599), S. 1156. 609 A. Peters, Elemente einer Theorie der Verfassung Europas, 2000, S. 702. „Der Grundkonsens ist sozusagen die Homogenität der Meinungen über grundlegende Regeln und Prinzipien der Gesellschaft.“ Von diesem Grundkonsens zu unterscheiden ist die Homogenität der Bürger, deren Eigenschaft als Funktionsbedingung von Demokratie in Frage gestellt wird: dies., ebd., S. 702 f. Jedenfalls aber erleichtert eine solche vieles und darf daher nicht außer acht gelassen werden. 610 „Als Ursache für die Verknüpfung [. . .] von vorfindlicher kollektiver Identität und Verfassung [. . .] kommt hinzu, dass Hoheitsgewalt bis in die jüngere Vergangenheit grundsätzlich nur von Staaten ausgeübt wurde, so dass kein Anlass bestand, den Verfassungsbegriff im Hinblick auf andere, überstaatliche Formen der Hoheitsrechtsausübung zu denken.“: Pache, Identität (Fn. 599), S. 1163. Dies tut aber bereits Alfred Verdross Mitte der zwanziger Jahre, als er von der „Verfassung der Völkerrechtsgemeinschaft“ spricht: ders., Die Verfassung der Völkerrechtsgemeinschaft, 1926. 611 Karl Emil Maximilian Weber, geboren 1864 in Erfurt, gestorben 1920 in München: N. N., in: W. Killy/R. Vierhaus (Hrsg.), Deutsche Biographische Enzyklopädie, Bd. 10, 1999, S. 358 f. 612 Weber, Wirtschaft, Halbbd. 2 (Fn. 211), S. 549 f.

I. Die Bedeutung kollektiver Identität

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nale Erwägungen begründet werden kann.“613 Nur durch die Kenntnis der Gründe, die für den Staat und die ihn tragenden Verfassungsinstitutionen sprechen, kann man diese verstehen. Die Verfassung leitet ihren Geltungsanspruch und ihre besondere rechtliche Qualität aus einer ihr vorausliegenden Größe her, die sich als besondere Macht oder Autorität darstellt. Diese wird seit der Französischen Revolution als verfassunggebende Gewalt bezeichnet.614 Die verfassunggebende Gewalt kann weder als bloß hypothetische noch allein als naturrechtliche Grundnorm bestimmt, sondern muß als auch reale politische Größe verstanden werden.615 Wegen der „unüberwindlichen Schwierigkeit, innerhalb einer universalen Immanenzauffassung einer Familie von Gottes Gnaden die verfassunggebende Gewalt zuzusprechen“616, kommt als Träger der verfassunggebenden Gewalt nur das Volk in Betracht. Volk meint dabei Nation.617 Die Doktrin der verfassunggebenden Gewalt des Volkes will die „unbegreifliche [. . .] Urzeugung des Rechts aus der Tatsächlichkeit“, diese „Münchhausiade des Staates, der sich an seinem eigenen Rechtszopfe aus dem Sumpfe

613 M. Kriele, Einführung in die Staatslehre. Die geschichtlichen Legitimitätsgrundlagen des demokratischen Verfassungsstaates, 6. Aufl. 2003, S. 24. 614 E.-W. Böckenförde, Die verfassungsgebende Gewalt des Volkes – Ein Grenzbegriff des Verfassungsrechts, 1986, S. 7 f. Entwickelt wird dieser Begriff von Sieyès. Nicht mehr eine göttliche Welt- und Naturordnung bestimmt seitdem den Grund und den vorgegebenen Zusammenhang der politisch-sozialen Ordnung, sondern die Menschen nehmen, aus ihrem Willen und ihrer souveränen Entscheidung, ihr Schicksal und die Ordnung der Welt selbst in die Hand: Böckenförde, Gewalt (Fn. 614), S. 12. Auch die Unterscheidung der verfassungstheorethischen Begriffe pouvoir constituant, verfassunggebende Gewalt, und pouvoir constitué, verfaßte Gewalt, wird zu Beginn der Französischen Revolution von Sieyès durch sein 1789 veröffentlichtes Werk „Qu’est-ce que le Tiers Etat?“ in die Verfassungsdiskussion eingebracht; vgl. dazu auch Kriele, Einführung (Fn. 613), S. 124 ff.; H. Dreier, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 3, 2000, Art. 146 Rn. 22: „Als erste und grundlegende, daher voraussetzungslose und normativ ungebundene Kraft ist der pouvoir constituant nicht an eine vorgängige Verfassung oder sonstiges Recht gebunden, sondern handelt autonom, frei von heteronomen Beschränkungen. In einem außerordentlichen Urakt der Rechtsetzung wird der Rahmen für die anderen Organe des Staates gesetzt, die als pouvoirs constitués durch diesen Akt erzeugt, legitimiert und zugleich limitiert werden.“, Hervorhebungen von mir, J. D. K. 615 Böckenförde, Gewalt (Fn. 614), S. 10. 616 H. Heller, Staatslehre, 1934, S. 278. Schulze nennt daher den Nationalismus „die säkulare Religion des Industriezeitalters“: ders., Staat (Fn. 27), S. 172. 617 Böckenförde, Gewalt (Fn. 614), S. 13; R. Grawert, Staatsvolk und Staatsangehörigkeit, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. 2, 3. Aufl. 2004, § 16 Rn. 17, der auf die Herdersche Gleichsetzung auch in der Rechtsprechung des BVerfG hinweist, vgl. BVerfGE 36, 1 (19, 25). Träger der verfassunggebenden Gewalt kann auch eine bestimmte Gruppe oder Schicht eines Volkes bzw. einer Nation sein, man denke an den Dritten Stand in der Französischen Revolution oder das Proletariat in der Oktoberrevolution.

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D. Die Nation als rechtliche Grundlage des Verfassungsstaates

zieht“618, das Unvermögen der höchsten Norm der staatlichen Rechtsordnung, ihre Geltung aus einer anderen Norm abzuleiten und positivrechtlich zu begründen, kompensieren.619 Das Volk bzw. die Nation bildet nach ihr den Legitimationsgrund, von dem alle Staatsgewalt ausgeht.620 Damit stellt sich jedoch ein zentrales Problem des Begriffs der verfassunggebenden Gewalt. „Das Volk kann über seine Verfassung nur entscheiden, wenn es handlungsfähig ist. Handlungsfähig ist es aber nur, wenn es zuvor bereits verfaßt ist.“621 Das will heißen: Die Gewalt zur Hervorbringung von Verfassung und verfassender Gewalt ist nicht normierbar.622 Sie besitzt demzufolge einen „originären, unmittelbaren, auch elementaren Charakter“623. Die verfassunggebende Gewalt ist als reale politische Größe und Kraft notwendig, um die Verfassung und ihren Geltungsanspruch zu legitimieren. Nun könnte man aus Gründen der Rechtssicherheit den Volkssouverän wie einen mythischen Gesetzgeber behandeln, der sein Werk damit krönt, indem er auf Nimmerwiedersehen verschwindet. Im Hinblick auf die Präambel und auf Art. 146 GG kann jedoch festgehalten werden, daß die Staatsgewalt treuhänderisch zur Ausübung übertragen und auf die staatlichen pouvoirs constitués verteilt ist. „Das Volk als Inhaber der Souveränität existiert real fort, es ist durch die von ihm eingesetzten Instanzen ständig in Aktion [. . .].“624 Die verfassunggebende Gewalt bleibt als Größe und Kraft weiterhin vorhanden, kann also nicht juristisch in ein Nichts verabschiedet werden.625 Badura spricht in diesem Zusammenhang von der „Grundaporie des Verfassungsstaates“626. 618

G. Radbruch, Einführung in die Rechtswissenschaft, 1910, S. 23. Isensee, Nationalstaat (Fn. 6), S. 140. Ausführlich zum ganzen ders., Das Volk als Grund der Verfassung. Mythos und Relevanz der Lehre von der verfassunggebenden Gewalt, 1995, und insbesondere H. Möller, Die verfassungsgebende Gewalt des Volkes und die Schranken der Verfassungsrevision. Eine Untersuchung zu Art. 79 Abs. 3 GG und zur verfassungsgebenden Gewalt nach dem Grundgesetz, Diss. iur. Hamburg 2004. 620 Sowohl die Weimarer Reichsverfassung als auch noch deutlicher das Grundgesetz setzen die verfassunggebende Gewalt des deutschen Volkes als ihre eigentliche Grundlage voraus, vgl. die Präambel der WRV: „Das deutsche Volk [. . .] hat sich diese Verfassung gegeben.“ und die des GG: „[. . .] hat sich das deutsche Volk kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt dieses Grundgesetz gegeben.“ sowie Art. 146 GG: „Dieses Grundgesetz [. . .] verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist.“ Zu Art. 146 GG ausführlich K. Merkel, Die verfassungsgebende Gewalt des Volkes. Grundlagen und Dogmatik des Artikels 146 GG, 1996. 621 Isensee, Nationalstaat (Fn. 6), S. 140. 622 P. Kirchhof, Die Identität der Verfassung, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. 2, 3. Aufl. 2004, § 21 Rn. 22. 623 Böckenförde, Gewalt (Fn. 614), S. 16. 624 H. Quaritsch, Der fortschreitende Verfassungsstaat, in: Der Staat 17 (1978), S. 421 (427 f.). 625 Böckenförde, Gewalt (Fn. 614), S. 17. Andere Ansicht Kriele, Einführung (Fn. 613), S. 147. 619

I. Die Bedeutung kollektiver Identität

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Indem die Verfassung „das mit dem Titel Nation bezeichnete Ensemble von Traditionen, Lebensgewohnheiten, Überzeugungen und kulturellen Errungenschaften“ zugleich voraussetzt und es „kraft des demokratischen Anspruchs auf eine souveräne Gestaltung der Praxis“ wieder aufhebt627 zeigt sie ihre diesbezügliche Janusköpfigkeit. Der Geltungsanspruch der Verfassung wird unter demokratischen Vorzeichen auf das Prinzip der Volkssouveränität gestützt, das Volk und seine Organe aber in der Zukunft den Regeln der gegebenen Verfassung unterworfen und so seine Souveränität mehr oder minder empfindlich eingeschränkt.628 Um einen Erosionsprozeß der Verfassung zu vermeiden, bedarf es daher eines in der Zeit fortdauernden bzw. sich erneuernden „seinsmäßigen Getragenseins“ der Grundentscheidungen der Verfassung durch die in der konkreten staatlich geeinten Gemeinschaft lebendigen Überzeugungen.629 626 P. Badura, Verfassung und Verfassungsgesetz, in: H. Ehmke u. a. (Hrsg.), Festschrift für Ulrich Scheuner zum 70. Geburtstag, 1973, S. 19 (25). 627 Zenkert, Nationalstaat (Fn. 4), S. 111. 628 H. Dreier, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 2, 2. Aufl. 2006, Art. 79 III Rn. 17. Vgl. auch Kriele, Einführung (Fn. 613), S. 147: „Die Volkssouveränität, die den Verfassungsstaat schafft, ist ein stabilisierendes Prinzip; insofern sie den Verfassungsstaat wieder in Frage stellen kann, ist sie jedoch vulkanischen Charakters.“ Das BVerfG rechnet die Volkssouveränität zu den grundlegenden Prinzipien der freiheitlich demokratischen Grundordnung: BVerfGE 2, 13. Sie erschöpft sich allerdings in den Elementen des pouvoir constituant und der Trägerschaft der Staatsgewalt: Kriele, Einführung (Fn. 613), S. 241. 629 Böckenförde, Gewalt (Fn. 614), S. 17. Ansonsten zerrinnt ihre Normativität „entweder zwischen sich widerstreitenden verfassungspolitischen Grundüberzeugungen, die eine andere Ordnung wollen, oder sie fällt allgemeiner Apathie anheim.“: ebd. Problematisch ist also die Frage, wie die rechtliche Verfassung, ohne von der Legitimation durch die verfassunggebende Gewalt abgekoppelt zu werden, dennoch davor bewahrt werden kann, in ihrer Geltungsgrundlage und ihrem Bestand den Schwankungen einer nicht schon normativ eingefangenen Macht ausgesetzt zu sein. Dieses Ziel kann nie absolut erreicht werden, allerdings können die niemals ausschließbaren Aktionen der verfassunggebenden Gewalt des Volkes eingegrenzt und Verfahren bereitgestellt werden, die Äußerungen auffangen und kanalisiert zur Geltung bringen. Diesen Weg hat das Grundgesetz mit der Unterscheidung von pouvoir constitué (Art. 79 Abs. 3 GG) und pouvoir constituant (Art. 146 GG) eingeschlagen, auch wenn es weitere Kanalisierungen des souveränen Volkswillens nicht vorsieht: ders., Gewalt (Fn. 614), S. 17 f., 23; Dreier (Fn. 628), Art. 79 III Rn. 17; vgl. auch Rn. 14, 59 und dens., Art. 146 Rn. 2 sowie R. Bartlsperger, Verfassung und verfassungsgebende Gewalt, in: DVBl. 1990, S. 1285 (1289 f.). Die Forderung nach einer Rechtsbindung oder inneren Eingrenzung des pouvoir constituant werfen die Erfahrungen der Souveränitätsentartung auf. V. a. die Anerkennung der Menschenrechte spielt in diesem Zusammenhang eine Rolle: Böckenförde, Gewalt (Fn. 614), S. 27. Diese muß mitnichten eine konträre Haltung zum Nationalstaat annehmen: „Der Widerspruch zwischen Menschenrechten und Nationalstaat ist [. . .] aufgelöst, weil letzterer seinerseits menschenrechtlich fundiert ist. Am Anfang der menschenrechtlichen Deduktion des Nationalstaats steht der Wille, der auch das Irrationale des Menschen entbindet. Im Unterschied dazu geht die Legitimation des Verfassungsstaats, zumal die seiner rechtsstaatlichen Komponente, seit Thomas Hobbes und John Locke aus von der Vernunft. Die Grundspannung der menschlichen Natur bringt sich so in der Rechtfertigung des Staates zur Geldung [sic].“: Isensee, Nationalstaat (Fn. 6), S. 162.

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D. Die Nation als rechtliche Grundlage des Verfassungsstaates

Im Zusammenhang der verfassunggebenden Gewalt offenbart sich auch die Bedeutung von Nation. Das Volk gewinnt seine Identität nicht erst aus der Verfassung, die es sich gibt, vielmehr erscheint hinter „dem Volk im staatsrechtlichen Sinne [. . .] das Volk als vorstaatliche und vorrechtliche Größe. Volk in diesem Sinne ist die Nation.“630 Diese ist „nicht Erzeugnis staatlichen Willens und nicht Gegenstand gesetzlicher Bestimmung“, sondern liegt dem Staat und seinem Recht voraus.631 Die sich einer freien Verfassung erfreuende Nation bestimmt also über ihre staatliche Gestalt und über ihre Verfassung und entwickelt sich in diesem Rechtsrahmen.632 Oder umgekehrt: „Eine Verfassung ist nur denkbar als Ergebnis eines Gesamtaktes der ganzen Nation.“633 Andererseits wird auch auf die identitätsprägende Funktion der Verfassung hingewiesen. „Die Verfassung setzt nicht den Staat voraus, sondern sie ist es, die ein organisiertes Gemeinwesen konstituiert.“ Sie ermöglicht Identifikationsobjekte und Identifikationsvorgänge für die verfaßte Gemeinschaft und vermag inhaltliche Identität in hohem Maße zu prägen und zu vermitteln.634 So kann eine Verfassung auch „in erster Linie ein Programm der Nationalen Integration“ sein und das Zusammenleben und Zusammenwirken einer Nation programmieren.635 2. Kollektive Identität als Verfassungsvoraussetzung Das Bundesverfassungsgericht hat in einer Entscheidung festgestellt, daß der Träger des pouvoir constituant keinen äußeren Bindungen unterliegt, sondern 630 Isensee, Nationalstaat (Fn. 6), S. 146. Vgl. auch H. Lübbe, Abschied vom Superstaat. Vereinigte Staaten von Europa wird es nicht geben, 1994, S. 38. 631 Isensee, Nationalstaat (Fn. 6), S. 146. 632 Lübbe, Abschied (Fn. 630), S. 38; Isensee, Nationalstaat (Fn. 6), S. 161. Ders. weist aber auch darauf hin, daß die Nation ihrerseits aus dem Willen der Individuen hervorgeht, die sich in ihr zusammenfinden. „Sie definiert sich selbst über die Individuen, die sich zu ihr rechnen [. . .]. [. . .] So ist denn letztlich die Selbstbestimmung des Einzelnen die Grundlage für die Bildung des Volkes, des Staates und seiner Verfassung.“: ders., Nationalstaat (Fn. 486), S. 146, 161 f. 633 C. Schmid, 25 Jahre Bundesrepublik, in: 25 Jahre Bundesrepublik Deutschland. Wandel und Bewährung einer Demokratie, 1974, S. 13 (15). 634 Pache, Identität (Fn. 599), S. 1164. 635 H. Krüger, Die Verfassung als Programm der nationalen Integration, in: D. Blumenwitz/A. Randelzhofer (Hrsg.), Festschrift für Friedrich Berber zum 75. Geburtstag, 1973, S. 247 (247); H. Krüger, Verfassungsvoraussetzungen und Verfassungserwartungen, in: H. Ehmke u. a. (Hrsg.), Festschrift für Ulrich Scheuner zum 70. Geburtstag, 1973, S. 285 (287). Vgl. zur integrierenden Wirkung der Verfassung auch H. Dreier, Integration durch Verfassung? Rudolf Smend und die Grundrechtsdemokratie, in: ders./F. Hufen/U. Berlit (Hrsg.), Verfassungen – Zwischen Recht und Politik. Festschrift zum 70. Geburtstag für Hans-Peter Schneider, 2007, S. 70 (96): Die „scheinbar zentrifugalen Kräfte des Dissenses und des Konflikts [. . .] bedürfen [. . .] der Hegung und Formung, der stabilisierenden Strukturen und prozeduralen Formen. Diese kann und muß der Verfassungsstaat zur Verfügung stellen.“

I. Die Bedeutung kollektiver Identität

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lediglich an „überpositive [. . .] Rechtsgrundsätze“ gebunden ist.636 Solche Rechtsgrundsätze liegen dem positiven Recht voraus und verleihen ihm die erforderliche Legitimation.637 Für den Staatsrechtler Hermann Heller638 sind diese zum Teil apriorischer Natur, überwiegend aber kulturkreisgebunden und insofern historisch wandelbar.639 „Worauf es ankommt, ist also, daß in einem Volk dann, wenn es sich als verfassungsgebende Gewalt betätigt, ein lebendiges Rechtsbewußtsein, wirksame Ordnungsideen und ein ethisch-politischer Gestaltungswille vorhanden sind, kurz, daß es einen ,Geist‘ in sich trägt, der sich in Institutionen, Regeln und Verfahren ausformen kann und auch ausformt. Fehlt es hieran, vermögen auch noch so gut begründete Postulate nicht die Geltung von etwas herbeizuführen, was nicht im Volk bzw. der Nation als eigener Geist lebt.“640 Dabei komme es wiederum entscheidend auf das „geistig-kulturelle Erbe“ an, das die Nation in sich trägt.641 Als Träger der verfassunggebenden Gewalt ist die Nation in ihrem politischen Willen von bestimmten geistigen, sittlichen kulturellen Vorstellungen und Überzeugungen geformt.642 Sie ist „im Unterschied zum modernen Staat kein Organisationsschema, das sich überall verwenden läßt, sondern ein kollektives Individuum. [. . .] Über sie kommen irrationale Bedürfnisse des Menschen zur Wirksamkeit, die sich den Rationalitätsanforderungen des Verfassungsstaates entziehen.“643 Die Verfassung hat ihren Ursprung in ethisch-sittlichen Grundsätzen und tatsächlichen Entwicklungen. „Das Verfassungsgesetz nimmt die in der Nation und im Staatsvolk wirksamen Ordnungsideen und ethischen Grundsätze auf und setzt sie zum Maßstab für die Entwicklung von Staat und Recht. [. . .] Verfassungsgesetze wollen und können nicht zu einem Anfang unverfaßter Ursprüng-

636 „Sie ist nur gebunden an die jedem geschriebenen Recht vorausliegenden überpositiven Rechtsgrundsätze [. . .].“: BVerfGE 1, 14 (61). 637 „Die Verknüpfung des Rechts mit vorrechtlichen Gegebenheiten, das Problem des missing link zwischen Normativität und Faktizität kommt [. . .] bei der Verfassung unabweisbar zum Vorschein.“: Böckenförde, Gewalt (Fn. 614), S. 8. 638 Hermann Ignatz Heller, geboren 1891 in Teschen (Schlesien), gestorben 1933 in Madrid: N. N., in: W. Killy/R. Vierhaus (Hrsg.), Deutsche Biographische Enzyklopädie, Bd. 4, 1996, S. 563. 639 Heller, Staatslehre (Fn. 616), S. 256. 640 Böckenförde, Gewalt (Fn. 614), S. 30. „Daß die Unterlegenen den Mehrheitsentscheid akzeptieren, folgt daraus, daß sie sich einem zugehörig sehen, der alle Mehrheits- und Minderheitskonstellationen überwölbt.“: Isensee, Nationalstaat (Fn. 6), S. 146. 641 Böckenförde, Gewalt (Fn. 614), S. 31. Ders. weist in diesem Zusammenhang darauf hin, daß der Rückgriff auf (Grund-)Werte nichts zur Stabilisierung beitrage, da Werte eine „Kategorie des Geltens“ seien. Sie bezeichneten einen vorhandenen oder postulierten Konsens, vermöchten ihn aber nicht aus sich zu begründen: ebd. 642 Böckenförde, Gewalt (Fn. 614), S. 26 f. 643 Isensee, Nationalstaat (Fn. 6), S. 147 f.

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lichkeit zurückkehren, sondern nur Vorgefundenes, Gewachsenes fortbilden.“644 Damit verbleibt eine Angewiesenheit „auf dauernde, stets erneuernde Bestätigung und Legitimation durch die im Staat wirksamen Überzeugungen, Gepflogenheiten und Anforderungen“645. Da der Staat und seine Organe durch die Verfassung legitimiert und unverfaßt allenfalls existent, nicht aber legitim sind, können auch die Organe des Staates die Grundbedingungen ihres Entstehens und ihrer Gewalt, die Legitimationsgrundlage des Staates, zwar gegenwartsgerecht weiterentwickeln, nicht aber überschreiten oder außer Kraft setzen.646 Eine Verfassung legt also zunächst einmal die rechtliche Grundordnung eines Staates oder, noch weitergehend, die eines Gemeinwesens fest.647 „Obgleich nun Verfassungen relativ neutral gegenüber den ethnischen, religiösen und weltanschaulichen Auffassungen der Bürger sind, muss doch das Handeln innerhalb der Verfassung eine gewisse Kohärenz aufweisen. Nicht Konsens ist gefragt, aber eine Anschlussfähigkeit der unterschiedlichen Meinungen wenigstens in dem Sinne, dass Differenzen noch rhetorisch, also im Medium der Meinung ausgetragen werden können.“648 Diesen inneren Zusammenhang bietet die kollektive Identität. Weit auseinanderliegende Überzeugungen lassen sich durch entsprechenden rhetorischen Aufwand zwar vermitteln, doch wird dadurch entsprechend mehr Aufmerksamkeit beansprucht und das „durch die rhetorischen und institutionellen Leistungsgrenzen“ bedingte „Maß der Problembewältigung“ leicht überschritten.649 „Eine unbegrenzte Ausdehnung des Geltungsbereichs liegt folglich durchaus nicht in der Tendenz der modernen Verfassung. ,Alle‘ ist kein Operator für die Logik der Verfassung, ihre Leistungen beziehen sich immer auf bestimmte Individuen, die Bürger oder die Personen, die sich in der Regel auf dem Territorium aufhalten.“650 Demokratische Verfassungen lassen sich also „nicht in beliebigen Größenverhältnissen realisieren“, denn niemals 644 Kirchhof, Identität (Fn. 622), Rn. 17, 23. Kritisch H. Dreier, Kultur im Singular. Aus der Kirchhof-Schule: Wie christlich ist das Grundgesetz?, in: Süddeutsche Zeitung Nr. 274 vom 28.11.2005. 645 Kirchhof, Identität (Fn. 622), Rn. 18. 646 Kirchhof, Identität (Fn. 622), Rn. 35. Zwar kann Art. 79 Abs. 3 GG eine Revolution nicht verhindern, ihr aber die „Maske der Legalität“ entreißen; dazu m.w. N. Dreier (Fn. 628), Art. 79 III Rn. 5. 647 Böckenförde, Gewalt (Fn. 614), S. 7. Sie ist aber zugleich „Ausdruck eines kulturellen Entwicklungsstandes, Mittel der kulturellen Selbstdarstellung des Volkes, Spiegel seines kulturellen Erbes und Fundament seiner Hoffnungen“: P. Häberle, Verfassungslehre als Kulturwissenschaft, 2. Aufl. 1998, S. 83. 648 Zenkert, Nationalstaat (Fn. 4), S. 113 f. 649 Zenkert, Nationalstaat (Fn. 4), S. 114. „Die Herkunft als Deutungshorizont gewinnt ihren praktischen Sinn erst durch die Verbindung mit der Handlungsperspektive, die immer auch prospektiv ist. [E]in gemeinsamer Zukunftsbezug [ist] je unwahrscheinlicher, desto weiter die unterschiedlichen Handlungswelten auseinander klaffen.“: Zenkert, Nationalstaat (Fn. 4), S. 114. 650 Zenkert, Nationalstaat (Fn. 4), S. 113.

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kann sich die Verfassung von den lebensweltlichen Voraussetzungen abkoppeln, ohne dramatisch an Bedeutung zu verlieren.651 Aus diesem Grunde ist eine der gesellschaftlichen Voraussetzungen der Demokratie, ein unausgesprochenes, im vor-verfassungsrechtlichen Bereich angesiedeltes Bauelement „das Vorhandensein einer relativen Homogenität innerhalb der Gesellschaft“652. Die eben bereits angesprochenen demokratischen Formen der Willensbildung „vermögen nur dann [. . .] die erforderliche Integration und den Friedenszustand des politischen Gemeinwesens zu bewirken und zu erhalten, wenn ihnen zwar nicht eine absolute [. . .], aber doch relative Homogenität zugrunde liegt“653. In der modernen Demokratie beruht diese Gemeinsamkeit auf gemeinsamer nationaler Zugehörigkeit und setzt diese voraus.654 Relative Homogenität kann „in ethnisch-kultureller Eigenart oder einem mental verfestigten kulturellen Erbe, in gemeinsam durchlebter politischer Geschichte, in gemeinsamer Religion, gemeinsamem nationalen Bekenntnis u. ä. ihren Grund haben, wobei diese Kräfte nebeneinander bestehen und sich ergänzen kön651

Zenkert, Nationalstaat (Fn. 4), S. 114. E.-W. Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. 2, 3. Aufl. 2004, § 24 Rn. 60. So wohl auch Dreier, Verfassungsstaat (Fn. 351), und so auch schon in der Weimarer Staatsrechtslehre, vgl. C. Schmitt, Verfassungslehre, 1928, S. 231, und H. Heller, Politische Demokratie und soziale Homogenität, in: Probleme der Demokratie, 1928, S. 35 (40), und so auch das BVerfG: „Die Staaten bedürfen hinreichend bedeutsamer eigener Aufgabenfelder, auf denen sich das jeweilige Staatsvolk in einem von ihm legitimierten und gesteuerten Prozeß politischer Willensbildung entfalten und artikulieren kann, um so dem, was es – relativ homogen – geistig, sozial und politisch verbindet [. . .] rechtlichen Ausdruck zu geben: BVerfGE 89, 155 (186). Auf die Unterschiede hinweisend und überhaupt kritisch I. Pernice, Carl Schmitt, Rudolf Smend und die europäische Integration, in: AöR 120 (1995), S. 100 ff. Kritisch auch G. Frankenberg, Tocquevilles Frage – Zur Rolle der Verfassung im Prozess der Integration, in: ders., Autorität und Integration. Zur Grammatik von Recht und Verfassung, 2003, S. 136 (151 f.). 653 Böckenförde, Demokratie (Fn. 652), Rn. 63. Dann wissen die Bürger sich „in den Grundsatzfragen politischer Ordnung ,gleich‘ und einig, erfahren und erleben Mitbürger nicht als existentiell anders oder fremd und sind – auf dieser Grundlage – zu Kompromissen und loyaler Hinnahme der Mehrheitsentscheidungen bereit: ebd., Rn. 47. Jedenfalls ist „ein Mindestmaß an sozialer, kultureller und zivilisatorischer Homogenität dem Aufbau entsprechender Einstellungen offensichtlich sehr zuträglich“: Dreier, Integration (Fn. 635), S. 95. Andere Ansicht C. Möllers, der zwar den Gedanken für plausibel hält, daß nur eine bestimmte Zusammensetzung des Staatsvolkes eine stabile Herrschaftsform ermöglicht, dieser aber mit dem Demokratieprinzip speziell nichts zu tun habe: ders., Staat als Argument, Diss. iur. München 1999, S. 422. 654 Böckenförde, Demokratie (Fn. 652), Rn. 47. Vgl. auch H. Steiger, Geht das Zeitalter des souveränen Staates zu Ende?, in: Der Staat 41 (2002), S. 331 (333): „Der Nationalstaat ist ein Staat, der auf einer gewissen substanzhaften Einheit des Staatsvolkes beruht, nicht nur auf dem gemeinsamen rechtlichen Band, schon gar nicht lediglich auf gemeinsamen Lebensvollzug der Menschen in einem Staat. ,Nation‘ ist nicht nur ,Gesellschaft‘, ,Volk‘ nicht nur ,Bevölkerung‘.“ Daher ergeben sich in national nicht homogenen Staaten daraus oftmals ernste (politische) Probleme: so Böckenförde, Demokratie (Fn. 652), Rn. 48. 652

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nen“655. Ist relative Homogenität erreicht, zeigt sie sich als ein „sozialpsychologischer Zustand“, in welchem die stets vorhandenen politischen, ökonomischen, sozialen, auch kulturellen Gegensätzlichkeiten und Interessenkämpfe gebunden erscheinen durch ein gemeinsames Wirbewußtsein und -gefühl, durch einen sich aktualisierenden Gemeinschaftswillen.656 Auf ihrer Grundlage erst wird eine auf der strikten Gleichheit der politischen Mitwirkungsrechte aufbauende demokratische Staatsorganisation möglich.657 Dennoch kommt der Begriff der kollektiven oder der nationalen Identität im Grundgesetz nicht vor, auch wenn identitätsbezogene Überlegungen in bezug auf das Grundgesetz eine gewichtige Rolle spielen. „Das Verfassungsgesetz wahrt seine Identität [. . .] dadurch [. . .], daß es elementare Verfassungsvoraussetzungen und -inhalte zu bewahren sucht. Die Verfassungsvoraussetzungen sind Grundlage [. . .] des Verfassungsgesetzes“, schreibt der Verfassungsrechtler und ehemalige Richter am Bundesverfassungsgericht Kirchhof, „und [. . .] werden in der Verfassungsurkunde nicht ausgedrückt, sondern angesprochen.“658 Bei ihnen handele es sich um die Verbindlichkeit des Rechts, Staatlichkeit, das vorgefundene Staatsgebiet in Mitteleuropa, das Staatsvolk, die deutsche Sprache und den Zeitablauf. „Wenn das Verfassungsgesetz den Staat [. . .] konstituiert, setzt es eine rechtlich organisierbare Gemeinschaft, ihre Bereitschaft und Fähigkeit zum Setzen und Durchsetzen gemeinsamen Rechts, ihren Willen zu gemeinsamen Organen und deren Handeln (Staatsvolk), eine zur Staatsgewalt formbare Mächtigkeit, auch verbindliches Recht und seine Gestaltungskraft, voraus. Das Grundgesetz gewinnt seine Positivität in deutscher Sprache, kann deshalb auch nur als allgemeines Fundamentalgesetz wirken, solange die Deutschsprachigkeit bei Staatsorganen und Staatsvolk geläufig ist. Das Regelungswerk des Grundgesetzes zielt auf eine Staatlichkeit in einem in Mitteleuropa vorgefundenen Staatsgebiet, auf ein durch gemeinsame Kultur geprägtes, als Gefahren-, Verantwortlichkeits- und Wirtschaftsgemeinschaft vorgeformtes Staatsvolk [. . .]. [Schließlich muß eine] Verfassung [. . .] ihren Gestaltungsanspruch auch auf die

655

Böckenförde, Demokratie (Fn. 652), Rn. 64. Heller, Demokratie (Fn. 652), S. 41. 657 Böckenförde, Demokratie (Fn. 652), Rn. 47. Ähnlich M. Kaufmann, Verfassungspatriotismus, substantielle Gleichheit und Demokratieprinzip im europäischen Staatenverbund, in: A. Brockmöller u. a. (Hrsg.), Ethische und strukturelle Herausforderungen des Rechts. Referate der 2. Tagung der Initiative junger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus den Bereichen Rechtsphilosophie, Rechtstheorie und Rechtssoziologie vom 10. bis zum 12. November 1995 in Göttingen, 1997, S. 40 (63): „Demokratie [. . .] setzt eine differenzstiftende, substantielle Identität als Basis der Gleichheit politischer Mitwirkungsrechte voraus.“ 658 Kirchhof, Identität (Fn. 622), Rn. 47 f. Ders. verweist an dieser Stelle auf Krüger, Verfassungsvoraussetzungen (Fn. 635), der im Falle des Wegfalls der Verfassungsvoraussetzungen eine „Fundamentlosigkeit“ prognostiziert, „die den Einsturz der Verfassung möglich macht“: ebd., S. 293. 656

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Entwicklungen des Gemeinwesens [. . .] einstellen, die zwar teilweise durch das Grundgesetz eingeleitet sein mögen, jedoch nicht durch das Verfassungsgesetz veranlaßt oder aufgehalten werden können.“659 Die Verfassungsvoraussetzungen umfassen wesentliche Elemente kollektiver Identität. Das Staatsvolk ist eine historisch gewachsene Gefahren- und Verantwortungsgemeinschaft660, die deutsche Sprache Verfassungs- und Allgemeinsprache661. Der Verfassungsinhalt kann nur in einer Kulturgemeinschaft verwirklicht werden662, die vom Verfassungsgeber ebenso vorgefunden worden ist wie das Staatsgebiet663. Geschichte, Sprache, Kultur und Territorium – diese die kollektive und letztlich auch die nationale Identität formenden Kriterien spielen demnach auch im Grundgesetz und damit bei der demokratischen Legitimation von Herrschaft eine bedeutsame Rolle. Dies weniger im formalen Sinne, denn formale Legitimität wird bereits durch die rechtlich einwandfreie und demokratische Schaffung der Institutionen und deren Machtbefugnisse erreicht.664 Zur Bereitschaft der Bevölkerung, deren Geltungsanspruch anzuerkennen, zur sozialen Legitimität des Systems tragen die Verfassungsvoraussetzungen aber wesentlich bei.665 3. Identifikationsdefizit und Nationalstaatsgedanke Zuweilen wird ein Identifikationsdefizit des modernen Staates konstatiert.666 So beklagt Zenkert am Beispiel des Projektes einer Verfassung der Europäischen Union „die Vernachlässigung der rhetorischen Kultur“: „Die lebensweltliche Handlungsmacht wird dadurch nur unwesentlich erweitert, während die Institutionen eine Dimension annehmen, die für alle Betroffenen nur befremdlich wirken kann und in keinem sinnvollen Verhältnis zu tatsächlich erbrachten 659 Kirchhof, Identität (Fn. 622), Rn. 48, Hervorhebungen von mir, J. D. K. Die „identitätswahrenden Elemente der Verfassung sind zeitfest“ schreibt Kirchhof und sieht wohl die Verfassungsidentität mittels Art. 79 Abs. 3 GG dem Zugriff einer Verfassungsänderung entzogen: ders., Identität (Fn. 622), Rn. 78. Auf die Schwierigkeit, die durch Art. 79 Abs. 3 GG garantierten Inhalte präzise zu bezeichnen, weist H. Dreier hin: ders., Grenzen demokratischer Freiheit im Verfassungsstaat, in: JZ 1994, S. 741 (746). 660 Dazu P. Kirchhof, Die Identität der Verfassung in ihren unabänderlichen Inhalten, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. 1, 2. Aufl. 1995, § 19 Rn. 58. 661 Dazu Kirchhof, Identität (Fn. 660), Rn. 61 f. 662 Dazu Kirchhof, Identität (Fn. 622), Rn. 74. 663 Dazu Kirchhof, Identität (Fn. 622), Rn. 72. 664 Walkenhorst, Integrationsprozeß (Fn. 6), S. 52, 69. 665 Sie tragen auch dazu bei, den von Haltern beschriebenen „Graben zwischen dem Selbst und dem Souverän“ zu überspringen, den die „Trennung von unsichtbarer Quelle und sichtbarer Erscheinung“, also von Souverän und Grundgesetz, erzeugt: vgl. dens., Notwendigkeit (Fn. 331), S. 215. 666 So z. B. bei Zenkert, Nationalstaat (Fn. 4), S. 107.

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Leistungen steht.“667 Die Legitimationskrise sei damit vorprogrammiert und diese ist, so Habermas, „unmittelbar Identitätskrise.“668 Zu deren Behebung versucht die kommunitaristische Kritik, den vom Liberalismus eskamotierten Nationalstaatsgedanken zu rehabilitieren. Ihren Ausgang nimmt sie an den anthropologischen Prämissen des amerikanischen Philosophen John Rawls669 in dessen „Theorie der Gerechtigkeit“670, nämlich daran, daß die Subjekte dort nur noch als eigenschaftslose und voneinander isolierte Wesen in Erscheinung treten.671 Eine Gerechtigkeitstheorie im Sinne des Kommunitarismus stellt zur Begründung von Gerechtigkeit hingegen „nicht auf individuelle Interessen oder Präferenzen, sondern auf den Eigenwert von Traditionsgemeinschaften ab“672.

667

Zenkert, Nationalstaat (Fn. 4), S. 115. J. Habermas, Legitimationsprobleme im Spätkapitalismus, 1973, S. 68. 669 Geboren 1921 in Baltimore (Maryland), gestorben 2002 in Lexington (Massachusetts): http://de.wikipedia.org/wiki/John_Rawls (31.03.2008). 670 Unter den fiktiven Bedingungen eines Urzustandes, in dem die Subjekte sich unter einem Schleier der Unkenntnis über ihre tatsächlichen Begabungen und zukünftigen Positionen darüber beraten, auf welche Organisationsform von Gesellschaft sie sich vertraglich einigen sollen, würden sie sich mit hoher Wahrscheinlichkeit auf zwei Gerechtigkeitsgrundsätze festlegen: „1. Jedermann soll gleiches Recht auf das umfangreichste System gleicher Grundfreiheiten haben, das mit dem gleichen System für alle anderen verträglich ist. 2. Soziale und wirtschaftliche Ungleichheiten sind so zu gestalten, daß (a) vernünftigerweise zu erwarten ist, daß sie zu jedermanns Vorteil dienen, und (b) sie mit Positionen und Ämtern verbunden sind, die jedem offen stehen.“: J. Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, 1979, S. 81. 671 A. Honneth, Einleitung, in: ders. (Hrsg.), Kommunitarismus. Eine Debatte über die moralischen Grundlagen moderner Gesellschaften, 1993, S. 7 (9). 672 K. Seelmann, Rechtsphilosophie, 3. Aufl. 2004, S. 194. Den Kommunitarismus sieht ders. „als Sammelbezeichnung für sozialphilosophische Strömungen, die aus einer letztlich an Aristoteles, teilweise auch an Hegel orientierten Sicht im weitesten Sinn liberale Sozialphilosophieen als zu ,individualistisch‘ und zugleich aber als zu ,universalistisch‘ kritisieren“: ebd., S. 193 f., Hervorhebungen von mir, J. D. K. A. Honneth faßt als Frage formuliert zusammen: Wie kann ein sozial übergreifender Wertzusammenhang beschaffen sein, „der einerseits durch neue Formen der gesellschaftlichen Solidarität den destruktiven Tendenzen einer weiteren Individualisierung entgegenwirkt, ohne andererseits dem radikalen Pluralismus liberaler Gesellschaften zuwiderzulaufen“?: ders., Individualisierung und Gemeinschaft, in: C. Zahlmann (Hrsg.), Kommunitarismus in der Diskussion. Eine streitbare Einführung, 1992, S. 16 (22 f.). Es ist aber zu beachten, daß es verschiedene Formen des Kommunitarismus gibt, vgl. nur die Beiträge bei A. Honneth (Hrsg.), Kommunitarismus. Eine Debatte über die moralischen Grundlagen moderner Gesellschaften, 1993, oder die Unterscheidung in zum Teil gegensätzliche Varianten bei W. Brugger, Kommunitarismus als Verfassungstheorie des Grundgesetzes, in: AöR 123 (1998), S. 337 ff.; ders., Liberalismus, Pluralismus, Kommunitarismus. Studien zur Legitimation des Grundgesetzes, 1999, S. 253 ff. Als prominenteste Vertreter werden angesehen A. MacIntyre, After virtue. A study in moral theory, London 1981; M. Sandel, Liberalism and the Limits of Justice, Cambridge u. a. 1982; M. Walzer, Spheres of justice. A defense of pluralism and equality, New York 1983; C. Taylor, Sources of the self. The Making of the Modern Identity, Cambridge, Mass. 1989. 668

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Der Kommunitarismus ist der Ansicht, nur ein in eine anhand bestimmter Merkmale673 definierte Gemeinschaft eingebetteter Mensch sei in der Lage, über die Grundsätze der Gerechtigkeit zu befinden. In einer liberalen Gesellschaft würden die Menschen, wie in jeder anderen Gesellschaft auch, in unterschiedliche, sozial gesehen äußerst wichtige Gruppen hineingeboren, sie würden geboren mit bestimmten Identitäten.674 Im Rahmen dieser vorgeprägten kulturspezifischen Lebensformen gewinne das Individuum sein Selbst. „Viele ihrer späteren Zusammenschlüsse [. . .] sind bloßer Ausdruck dieser Grundidentitäten, die ihrerseits weniger selbstgewählt als verordnet sind.“675 Diese seien nicht determinierend, bildeten aber Ausgangspunkt und Horizont auch der politischen Auffassungen. Nur auf dieser Basis, vor allem auf der Grundlage einer gemeinschaftlichen Konzeption des Guten, könne sinnvoll über die Grundsätze der Gerechtigkeit verhandelt werden. Gerade eine demokratische Konzeption von Politik dürfe diese Bedingungen nicht ignorieren, da Demokratien stets auch auf die kulturelle Voraussetzung einer demokratischen Sittlichkeit angewiesen seien: Nur in dem Maße, in dem die Bürger eines Gemeinwesens dessen freiheitsverbürgende Einrichtungen als ein kollektives Gut zu schätzen wissen, seien sie motivational dazu in der Lage, sich aktiv an der politischen Willensbildung zu beteiligen. Die intersubjektive Bindung an die freiheitsverbürgenden Institutionen einer Gesellschaft müsse das Maß überschreiten, das mit der bloß individuellen Orientierung aller ihrer Mitglieder an den demokratischen Prozeduren gegeben ist.676 Der Kommunitarismus betont also nicht „die Sozialisation aller Bürger in einer gemeinsamen politischen Kultur“, sondern „das Eingebundensein in konkrete Solidarverhältnisse“. Nicht durch die „Verpflichtung auf gemeinsame Spielregeln“, sondern durch eine „relativ große Homogenität an äußerlichen und innerlichen Faktoren“ funktioniere Demokratie auf Dauer.677 Kritik an diesem „neoromantische[n] Traditionalismus“678 äußert wiederum Zenkert: Die Einbindung in eine Tradition könne zwar für den einzelnen identi-

673

Vgl. erneut oben B. I. 1. M. Walzer, Die kommunitaristische Kritik am Liberalismus, in: A. Honneth (Hrsg.), Kommunitarismus. Eine Debatte über die moralischen Grundlagen moderner Gesellschaften, 1993, S. 157 (171). 675 Walzer, Kritik (Fn. 674), S. 171. 676 A. Honneth, Die Herausforderung des Kommunitarismus, in: C. Zahlmann (Hrsg.), Kommunitarismus in der Diskussion. Eine streitbare Einführung, 1992, S. 118 (120). Brugger weist auf das „deutlich kommunitaristische [. . .] Menschenbild“ des BVerfG hin: „Das Menschenbild des Grundgesetzes ist nicht das eines isolierten souveränen Individuums; das Grundgesetz hat vielmehr die Spannung Individuum – Gemeinschaft im Sinne der Gemeinschaftsbezogenheit und Gemeinschaftsgebundenheit der Person entschieden, ohne dabei deren Eigenwert anzutasten.“: ders., Kommunitarismus (Fn. 672), S. 343; ders., Liberalismus (Fn. 672), S. 257; BVerfGE 4, 7 (15 f.). 677 Peters, Elemente (Fn. 609), S. 701 f. 678 Zenkert, Nationalstaat (Fn. 4), S. 107. 674

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D. Die Nation als rechtliche Grundlage des Verfassungsstaates

tätsstiftend, aber nicht die Basis einer politischen Verfassung sein. „Die berechtigte Erinnerung an die bindende Kraft der Traditionen kann [. . .] nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Kultur weder den homogenen Boden einer kollektiven Identität bietet noch die Fragen institutioneller Ordnung lösen kann. [. . .] Weder die universalen Prinzipien des Liberalismus noch die substantielle Sittlichkeit des Kommunitarismus können als originäre Instanzen der Konstitution politischer Ordnung in Anspruch genommen werden.“679 Als Vermittlungsstufe zwischen Recht und Moral bietet sich der demokratisch und rechtsstaatlich verfaßte Nationalstaat gleichwohl an. Er steht zwischen den extremen Auffassungen vom Staat als Familienverband oder als Weltstaat, greift also weiter als der Nahhorizont unmittelbarer Begegnung und Loyalität, ist aber gleichzeitig abgegrenzter als die Gemeinschaft aller Menschen.680 Mit der Abgrenzung verwoben ist die Entwicklung von kollektiven Identitäten. Sie ermöglichen, „daß ein erheblicher Umfang an gegenseitiger Fürsorge ethisch vermittelbar sowie politisch und verfassungsrechtlich durchsetzbar ist“681. Zudem stellt der Nationalstaat eine derart übersichtliche Organisationsstufe dar, daß die demokratische Legitimationskette zwischen Volk und Staatsorganen nachvollziehbar ist.682 4. Zusammenfassung Kollektive Identität, das Wissen um einen objektiven Zusammenhang zwischen Individuen und dessen Interpretation durch diese, ist das elementare Konstruktionsprinzip moderner Gesellschaften und hat zentrale Bedeutung für die Rechtfertigung demokratischer Herrschaft. Die Verfassung leitet ihren Geltungsanspruch aus der Nation her. Da die verfassunggebende Gewalt existent bleibt, bedarf es eines Getragenseins der Grundentscheidungen der Verfassung durch die in der konkreten staatlich geeinten Gemeinschaft lebendigen Überzeugungen, eines Getragenseins der Verfassung durch die Nation. Diese ist von kulturellen Vorstellungen geformt, so daß ein gewisses Vorhandensein relativer Homogenität innerhalb der Gesellschaft vonnöten ist. Trotz der auch identitätsprägenden Funktion der Verfassung kommt der originäre Charakter der Nation in 679 Zenkert, Nationalstaat (Fn. 4), S. 107 f. Kritisch auch W. Kersting, Verfassungspatriotismus, kommunitäre Demokratie und die politische Vereinigung der Deutschen, in: P. Braitling/W. Reese-Schäfer (Hrsg.), Universalismus, Nationalismus und die neue Einheit der Deutschen. Philosophen und die Politik, 1991, S. 143 (162). 680 Brugger, Kommunitarismus (Fn. 672), S. 358; ders., Liberalismus (Fn. 672), S. 270. 681 Brugger, Kommunitarismus (Fn. 672), S. 359; ders., Liberalismus (Fn. 672), S. 271. 682 W. Brugger, Liberale Rechtstheorie versus Kommunitarismus. Ein Kommentar, in: P. Siller/B. Keller (Hrsg.), Rechtsphilosophische Kontroversen der Gegenwart, 1999, S. 87 (93).

II. Zusammenhang von Staatsangehörigkeit und Nationalitätskonzept

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den von ihr angesprochenen Verfassungsvoraussetzungen zum Ausdruck. Diese umfassen wesentliche Elemente kollektiver Identität und tragen so zur sozialen Legitimation bei. Somit könnte eine weitere Rehabilitation des Nationalstaatsgedankens etwaige Identifikationsdefizite zu beheben helfen.

II. Der Zusammenhang von Staatsangehörigkeit und Nationalitätskonzept Die Staatsangehörigkeit ist die rechtliche Eigenschaft, Mitglied einer Gebietskörperschaft mit Staatsqualität zu sein.683 Sie definiert das Staatsvolk. Damit ist sie mittelbar ein Element der Staatlichkeit, denn nach der Drei-Elemente-Lehre von Georg Jellinek684 stellt das Staatsvolk neben dem Staatsgebiet und der Staatsgewalt die dritte Säule der Staatlichkeit im staatsrechtlichen Sinne dar.685 Zunächst bezeichnet die Staatsangehörigkeit eine formal und rechtlich definierte Mitgliedschaft in einem abstrakten Staat und vermittelt fundamentale Rechte und Pflichten gegenüber diesem.686 Völkerrechtlich scheidet sie Staaten hinsichtlich ihres personalen Herrschafts- und Schutzbereichs.687 „Unter der Oberfläche rechtlicher Formalisierung birgt, formt und verfestigt [. . .] [sie je-

683 H. v. Mangoldt, Ius sanguinis- und ius soli-Prinzip in der Entwicklung des deutschen Staatsangehörigkeitsrechts, in: StAZ 1994, S. 33 (33). Zum Begriff der Staatsangehörigkeit Gosewinkel, Untertanenschaft (Fn. 53), S. 510 f.; J. Masing, in: H. Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 1, 2. Aufl. 2004, Art. 16 Rn. 3. Eine andere Auffassung sieht die Staatsangehörigkeit als Rechtsverhältnis an: vgl. M. Lang, Grundkonzeption und Entwicklung des deutschen Staatsangehörigkeitsrechts. Eine Untersuchung auf rechtsvergleichender Grundlage unter Einbeziehung Frankreichs und der USA mit rechtspolitischen sowie völker-, europa- und verfassungsrechtlichen Folgerungen für eine Reform des deutschen Staatsangehörigkeitsrechts, Diss. iur. Konstanz 1990, S. 24 ff.; H. J. Schrötter/A. Möhlig, Staatsangehörigkeit in der Diskussion. Rechtliche Aspekte und politische Ansätze, in: ZRP 1995, S. 374 (375). 684 Geboren 1851 in Leipzig, gestorben 1911 in Heidelberg: N. N., in: W. Killy/R. Vierhaus (Hrsg.), Deutsche Biographische Enzyklopädie, Bd. 5, 1997, S. 317. 685 G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, 6. Neudruck 1959 der 3. Aufl. 1913, S. 406 ff. „[D]er Staat [ist] demnach die mit ursprünglicher Herrschermacht ausgerüstete Körperschaft eines seßhaften Volkes“: ebd., S. 183. 686 v. Mangoldt nennt als besondere (Grund-)Rechte das Wahlrecht und die Freizügigkeit im eigenen Staat sowie in diesen hinein und als Pflicht die Wehrpflicht. Staatsangehörigkeitsrechtliche Anknüpfungen existieren auch im strafrechtlichen Bereich sowie im internationalen Privat- und Zivilverfahrensrecht. „Die Liste ließe sich beliebig vermehren.“: ders., Ius sanguinis-Prinzip (Fn. 683), S. 33. Gegen die Wehrpflicht als zentrales Attribut der Staatsangehörigkeit H. Rittstieg, Staatsangehörigkeit und Minderheiten in der transnationalen Industriegesellschaft, in: NJW 1991, S. 1383 (1386 f.). A. Wallrabenstein sieht im politischen Wahlrecht und im absoluten Ausweisungsschutz die beiden wesentlichen Bedeutungen von Staatsangehörigkeit: dies., Das Verfassungsrecht der Staatsangehörigkeit, Diss. iur. Gießen 1999, S. 47. 687 „Der Staat als Nationalstaat [. . .] erhält sein personales Substrat durch die Staatsangehörigkeit.“: Gosewinkel, Staatsangehörigkeit (Fn. 259), S. 359 f.

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doch] mit staatlich-autoritativer Wirkung Leitbilder der sozialen, nationalen und politischen Selbstdefinition einer staatlich verfaßten Gemeinschaft.“688 Soziologisch läßt sie sich als „Institution des Ein- und Ausschlusses, als Schlüssel zur Verteilung von Lebenschancen“, als „[M]echanismus einer nationalstaatlich verfaßten Bürgergesellschaft“ begreifen.689 Damit erfüllt sie ihre nach allgemeiner soziologischer Theorie zentrale Funktion: die Stabilisierung von Spannungen, die aus unterschiedlichen, antinomischen Bedürfnissen erwachsen.690 1. Die Entwicklung des Staatsangehörigkeitsrechts in Deutschland Die Staatsangehörigkeit ist auch ein Kennzeichen des Übergangs vom Territorial- zum Personenverbandsstaat.691 Ihre zentrale Bedeutung kann erst durch die staatliche Durchsetzung des Primats gegenüber kommunalen und feudalen Partikulargewalten entstehen.692 Viele Jahrhunderte hindurch ist die Zugehörigkeit zu einem solchen Verband meist nur durch gewohnheitsrechtliche Übung geregelt. Dem Bedeutungswandel folgt mit der Entwicklung zu einem breitenwirksamen Thema der politischen Debatte eine Veränderung der öffentlichen Wahrnehmung.693 So wird in Deutschland im ausgehenden 19. Jahrhundert die Staatsangehörigkeit zur Schlüsselinstitution des Nationalstaats. Durch sie werden Grundmuster nationaler Identität ausgeprägt und institutionell verfestigt. Nach innen vollzieht sich der Abbau der Grenzen partikularer Identitäten der deutschen Staatsvölker, nach außen die gemeinsame nationale Abgrenzung ge688

Gosewinkel, Einbürgern (Fn. 501), S. 14. Gosewinkel, Einbürgern (Fn. 501), S. 15 f. Ders. verweist an dieser Stelle auf M. Walzer, Sphären der Gerechtigkeit. Ein Plädoyer für Pluralität und Gleichheit, 1991, S. 65, 98 ff., 107. Dies hat wohl auch Bertolt Brecht zu spüren bekommen: „Der Paß ist der edelste Teil von einem Menschen. Er kommt auch nicht auf so einfache Weise zustand wie ein Mensch. Ein Mensch kann überall zustandkommen, auf die leichtsinnigste Art und ohne gescheiten Grund, aber ein Paß niemals. Dafür wird er auch anerkannt, wenn er gut ist, während ein Mensch noch so gut sein kann und doch nicht anerkannt wird.“: ders., Flüchtlingsgespräche, 1961. 690 Gosewinkel, Staatsangehörigkeit (Fn. 259), S. 377 f. Auch R. Grawert spricht ihr bis in die Gegenwart den zentralen Platz zu: ders., Staat und Staatsangehörigkeit. Verfassungsgeschichtliche Untersuchung zur Entstehung der Staatsangehörigkeit, 1973, S. 216. 691 Gosewinkel, Staatsangehörigkeit (Fn. 259), S. 359. Vgl. zum ganzen jetzt auch I. v. Münch, Die deutsche Staatsangehörigkeit. Vergangenheit – Gegenwart – Zukunft, 2007. 692 Quaritsch weist in diesem Zusammenhang auf die Verbindung der Entstehung der Staatsangehörigkeit mit der Armenfürsorge hin: „Gegen den Zustrom von Hilfsbedürftigen, der die bescheidene eigene Armenfürsorge überlastete, wehrten sich die deutschen Einzelstaaten durch Abschiebungen. Um dieses Verfahren zu ordnen, einigte man sich vertraglich, anderen Staaten nur deren eigene Angehörige zuzuweisen.“: ders., Staatsangehörigkeit und Wahlrecht. Zum Problem des Ausländer-Wahlrechts, in: DÖV 1983, S. 1 (5). Dazu auch Grawert, Staat (Fn. 690), S. 133 ff. 693 Gosewinkel, Einbürgern (Fn. 501), S. 22, 25. 689

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gen andere konkurrierende Nationalstaaten. Mit der Aufnahme in den Staat entscheidet sich auch die Aufnahme in die Nation.694 Die Entwicklung der Staatsangehörigkeit stellt sich im Deutschland des 19. Jahrhunderts also auch als Prozeß der Nationalisierung dar. Überwiegt bis in die Zeit der Reichsgründung hinein die Partikularität der deutschen Staatsangehörigkeiten gegenüber der Vorstellung einer übergreifenden „deutschen“ Staatsangehörigkeit695, so ändert sich dies im wilhelminischen Kaiserreich. Die Staatsangehörigkeit steigt „von einem verwaltungsinternen Spezialgegenstand zu einer politischen Grenzfrage der modernen, mobilen Industriegesellschaft“696 auf. a) Das Gesetz über die Erwerbung und den Verlust der Bundes- und Staatsangehörigkeit von 1870 Erstmals werfen die Revolution von 1848 und die Beratungen der Frankfurter Nationalversammlung die Frage nach einer einheitlichen deutschen Staatsangehörigkeit auf.697 Die Vergegenwärtigung des „Deutschen“ bleibt jedoch ambivalent.698 Überwunden wird das System der Einzelstaatsangehörigkeit erst mit der Verfassung des Norddeutschen Bundes 1867, auch wenn sich Erwerb und Erlöschen der neuen Bundesangehörigkeit zunächst noch nach den verschiedenen Staatsangehörigkeitsgesetzen der einzelnen Bundesstaaten richten.699 Es folgen 694

Gosewinkel, Einbürgern (Fn. 501), S. 11, 14. So Gosewinkel, Einbürgern (Fn. 501), S. 18, der auf die Arbeit von A. Fahrmeir, Citizenship, nationality and alien status in England and the German states, c. 1815– 1870, Diss. Cambridge 1998, verweist. 696 Gosewinkel, Einbürgern (Fn. 501), S. 22. Ähnlich auf S. 312: „von einem juristischen Spezialthema zum massenwirksamen Agitationsinstrument“. 697 Dies bereits bei der Festlegung des Wahlgebiets zur Nationalversammlung. Zur Staatsbürgerschaft in der Frankfurter Reichsverfassung Grawert, Staat (Fn. 690), S. 181 ff., 195 ff.; A. Takenaka, Nation und Staatsbürgerschaft in Deutschland. Eine Replik auf Rogers Brubaker, in: Zeitschrift für Soziologie 23 (1994), S. 345 (360); Gosewinkel, Staatsangehörigkeit (Fn. 259), S. 362; ders., Einbürgern (Fn. 501), S. 102 ff. Zuvor, nämlich 1816, haben bereits Baden, Bayern und Württemberg, um sich vor den Abschiebungen fremder Landstreicher und armer Leute zu schützen, in einer multilateralen Vereinbarung festgelegt, wer als „Staatsangehöriger“ anzusehen ist und deshalb nicht zurückgewiesen werden darf: H. Quaritsch, Einbürgerungspolitik als Ausländerpolitik?, in: Der Staat 27 (1988), S. 481 (488). 698 Gosewinkel, Einbürgern (Fn. 501), S. 134. 699 B. Ziemske, Die deutsche Staatsangehörigkeit nach dem Grundgesetz, 1995, S. 235. Vgl. auch Gosewinkel, Einbürgern (Fn. 501), S. 136 ff. Art. 3 Abs. 1 der Verfassung des Norddt. Bundes von 1867 lautet: „Für den ganzen Umfang des Bundesgebiets besteht ein gemeinsames Indigenat mit der Wirkung, daß der Angehörige (Unterthan, Staatsbürger) eines jeden Bundesstaates in jedem andern Bundesstaate als Inländer zu behandeln und demgemäß zum festen Wohnsitz, zum Gewerbebetriebe, zu öffentlichen Aemtern, zur Erwerbung von Grundstücken, zur Erlangung des Staatsbürgerrechts und zum Genusse aller sonstigen bürgerlichen Rechte unter denselben Voraussetzungen wie der Einheimische zuzulassen, auch in Betreff der Rechtsverfolgung und des Rechtsschutzes demselben gleich zu behandeln ist. In der Ausübung dieser 695

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die Beratungen des Norddeutschen Reichstags 1870, der alle noch bestehenden Territorialgesetzgebungen aufhebt und die Kodifikation der Bundesangehörigkeit verabschiedet, die das Deutsche Reich 1871 übernimmt.700 Als Modell der Staatsangehörigkeitsgesetzgebung dient das „Gesetz über die Erwerbung und den Verlust der Eigenschaft als Preußischer Unterthan, so wie über den Eintritt in fremde Staatsdienste“ von 1842, das sich ganz dem Ius-sanguinis-Prinzip verschrieben hat und „zum Prototyp der modernen Staatsangehörigkeit in Deutschland“ wird.701 Allerdings gilt auch weiterhin das sogenannte Vermittlungsprinzip: Die Bundes- und später die Reichsangehörigkeit wird über die Staatsangehörigkeit in den Gliedstaaten vermittelt, die fortan durch Abstammung, Legitimation, Verheiratung und Verleihung erworben werden kann.702 EntscheiBefugniß darf der Bundesangehörige weder durch die Obrigkeit seiner Heimath, noch durch die Obrigkeit eines andern Bundesstaates beschränkt werden. [. . .] Dem Auslande gegenüber haben alle Bundesangehörigen gleichmäßig Anspruch auf den Bundesschutz.“: Verfassung des Norddeutschen Bundes, BGBl. 1867 S. 2. Eine unmittelbare Reichszugehörigkeit wird erstmalig durch die Annexion des Elsaß und Lothringens geschaffen, die aufgrund ihrer besonderen außen- und sicherheitspolitischen Lage als „Reichslande“ direkt dem Reichskanzler unterstehen. Eine weitere schafft § 9 des Schutzgebietsgesetzes vom 10.09.1900, RGBl. 1900 S. 813, nach dem in den Kolonien lebende Personen eingebürgert werden können. 700 Gesetz über die Erwerbung und den Verlust der Bundes- und Staatsangehörigkeit vom 01. Juni 1870, BGBl. 1870 S. 355, abgedruckt bei M. Lichter, Die Staatsangehörigkeit nach deutschem und ausländischem Recht, 2. Aufl. 1955, S. 491 ff., bzw. Art. 3 RV, abgedruckt bei H.-U. Evers/R. Schuster (Hrsg.), Alle deutschen Verfassungen, 1985, S. 72. 701 S. Hobe, Das Staatsvolk nach dem Grundgesetz, in: JZ 1994, S. 191 (192); M. D. Manske, Entwicklung und gegenwärtige Probleme des Rechts der deutschen Staatsangehörigkeit, Diss. iur. Göttingen 1959, S. 67; Lang, Grundkonzeption (Fn. 683), S. 43; v. Mangoldt, Ius sanguinis-Prinzip (Fn. 683), S. 36; R. Scholz/A. Uhle, Staatsangehörigkeit und Grundgesetz, in: NJW 1999, S. 1510 (1512); Gosewinkel, Einbürgern (Fn. 501), S. 21, 67 ff.; ders., Staatsangehörigkeit (Fn. 259), S. 361. Die Verankerung des Ius-sanguinis-Prinzips kann aber wohl noch nicht als Ausfluß der ethnisch-kulturellen Konzeption des deutschen Nationsverständnisses angesehen werden: so Lang, Grundkonzeption (Fn. 683), S. 95 f. Auch im Bereich der Einbürgerungspolitik fungiert Preußen als Vorbild: Die Grundsätze der preußischen Einbürgerungspolitik werden zur politischen Leitlinie auch für die anderen Bundesstaaten: ebd. § 1 des Gesetzes lautet: Die Eigenschaft als Preußischer Unterthan wird begründet: 1) durch Abstammung (§ 2), 2) durch Legitimation (§ 3), 3) durch Verheirathung (§ 4) und 4) durch Verleihung (§§ 5 f.). Die Adoption hat für sich allein diese Wirkung nicht. 702 Vgl. §§ 2–12 des Gesetzes über die Erwerbung und den Verlust der Bundesund Staatsangehörigkeit. Die einheitliche Gesetzgebung soll der Rechtszersplitterung ein Ende bereiten, denn die Staatsangehörigkeitsgesetze der Einzelstaaten im Norddeutschen Bund knüpfen an verschiedene Prinzipien an. So konnte in Braunschweig das Recht, an einem Ort zu wohnen und damit die durch das Wohnrecht vermittelte Staatsbürgerschaft u. a. durch die ausdrückliche Aufnahme in die Gemeinde oder schon durch die Erlangung einer Anstellung oder Zulassung zu gewissen Beschäftigungen erworben werden, vgl. § 1 des Gesetzes, das braunschweigische Wohnortsrecht der Landeseinwohner in polizeilicher Hinsicht betreffend vom 23. Januar 1852, abgedruckt bei Lichter, Staatsangehörigkeit (Fn. 700), S. 507. Die Gefahr, daß Länder mit

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dend ist jedoch, daß die Reichsangehörigkeit erstmals übergreifende elementare Rechts- und Pflichtenpositionen unmittelbar für alle Reichsangehörigen begründet.703 Der Geburtserwerb der Staatsangehörigkeit und somit der Bundes- bzw. Reichsangehörigkeit folgt dem strengen Abstammungsprinzip, bei ehelichen Kindern a patre, bei nichtehelichen a matre.704 Die Regelung scheint für die am Gesetzgebungsprozeß Beteiligten derart selbstverständlich zu sein, daß sich die damaligen Motive nur vermuten lassen: Beharrung auf der erreichten Stabilität staatsangehörigkeitsrechtlicher Anknüpfung seit Verdrängung des alten Domizilprinzips, offene Gestaltung der Einbürgerungsvoraussetzungen, generelle Ablehnung willensunabhängigen Staatsangehörigkeitserwerbs kraft örtlicher Anknüpfung, Denken des Staates als das rechtlich organisierte Volk, dessen Einheit sich nur aus der Abstammung fortentwickeln könne, Vermeidung mehrfacher Staatsangehörigkeit.705 Mit dem Übergang vom Staatenbund zum Nationalstaat verändert sich die pränationale Staatsangehörigkeit der deutschen Bundesstaaten. Staat und Nation treten in ein neues Verhältnis zueinander, in dem die Zugehörigkeit zum Nationalstaat die Zugehörigkeit zur Nation impliziert.706 b) Das Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz von 1913 als Institution potentiell geschlossener Staatlichkeit Zum Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz von 1913 führt eine Reforminitiative, deren von ihr geschaffene Rechtsinstitution grundlegende soziale Strukturen der Gesellschaft des Kaiserreichs und nationale Zeitströmungen aufnimmt.707 Hintergrund ist eine demographische Trendwende „säkularen Ausmaßes“708. Seit Mitte der neunziger Jahre nimmt die Zuwanderung ausländischer großzügigen Einbürgerungsregeln die Interessen der Länder mit strenger Regelung verletzen, führte zu einer erheblichen Rechtsunsicherheit: Ziemske, Staatsangehörigkeit (Fn. 699), S. 237 f. 703 Grawert, Staat (Fn. 690), S. 200. 704 Vgl. § 3 des Gesetzes über die Erwerbung und den Verlust der Bundes- und Staatsangehörigkeit. 705 v. Mangoldt, Ius sanguinis-Prinzip (Fn. 683), S. 37. Verfehlt wäre es, in diese Motivation eine rassistische Komponente hineinzuinterpretieren, schließlich gibt es auch im Norddeutschen Bund nationale Minderheiten, die ihre deutsche Staatsangehörigkeit iure sanguinis weitergeben: ebd. 706 Gosewinkel, Einbürgern (Fn. 501), S. 177. 707 Gosewinkel, Einbürgern (Fn. 501), S. 24; vgl. auch, besonders zur Reforminitiative, S. 278 ff. Der in der Überschrift verwendete Ausdruck stammt von dems., Staatsangehörigkeit (Fn. 259), S. 377. Der bereits 1892 ergangene Vorschlag des Statthalters von Elsaß-Lothringen, dort und in anderen Grenzregionen das ius soli einzuführen, wird abgelehnt, da die befürchteten Nachteile in den östlichen Grenzregionen die erwarteten Vorteile im Westen des Reiches zu überwiegen scheinen: ders., Einbürgern (Fn. 500), S. 286 ff.

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Arbeitskräfte den Charakter einer Massenbewegung an, infolgedessen steigt die Zahl der ausländischen Bevölkerung in Deutschland allein zwischen 1890 und 1910 um knapp 800.000.709 Mit der imperialistischen Wendung des deutschen Nationalismus verschärft sich die Politik gegenüber nationalen Minderheiten. Die verstärkt ethnokulturelle Vorstellung von Nation zeigt sich im Paradigmenwechsel der preußischen Nationalitätenpolitik, vor allem gegenüber den preußischen Staatsangehörigen polnischer Nationalität.710 „Im Spannungsfeld zwischen massenhaftem Arbeitskraftimport und Weltmachtpolitik einerseits, nationaler Homogenisierungspolitik andererseits erwies sich die tiefgreifende innere Labilität des Deutschen Kaiserreichs. In dieser Situation mußte die 1894/95 beginnende Debatte um die Staatsangehörigkeit zu einem hochpolitischen Streitpunkt werden.“711 Neben der Verreichlichung der Staatsangehörigkeit und des Einbürgerungsverfahrens bestehen zwei Reformziele: Zum einen soll der Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit erschwert werden und grundsätzlich von einem freien Willensentschluß des Betreffenden abhängen, zum anderen soll die Einbürgerung von Ausländern erschwert werden.712 Während ersteres „zum programmatischen Motor des Reformprojekts“713 wird, findet das zweite Reformziel nur geteilte Zustimmung. Ihm zugrunde liegen zwei Kernvorstellungen: Die „auf kulturellen sowie ethnischen Kriterien beruhende, durch das physische Merkmal der Abstammung vermittelte Beziehung der Angehörigkeit zur Nation“ und die „Wiederbelebung, Neuformulierung und dauerhafte Ausprägung eines kollektiven Vorstellungsbildes ethnischer Bedrohung ,aus dem Osten‘“714.

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Gosewinkel, Staatsangehörigkeit (Fn. 259), S. 364. Gosewinkel, Staatsangehörigkeit (Fn. 259), S. 363. Zwischen Reichsgründung und 1910 versechsfacht sich die Zahl der Ausländer. Ders. weist in diesem Zusammenhang auf K. J. Bade, Vom Auswanderungsland zum Einwanderungsland?, 1983, und U. Herbert, Geschichte der Ausländerbeschäftigung 1880 bis 1980, 1986, hin. 710 Gosewinkel, Staatsangehörigkeit (Fn. 259), S. 364 f. 711 Gosewinkel, Staatsangehörigkeit (Fn. 259), S. 365. Erstmals ins politische Blickfeld rückt auch die staatsangehörigkeitsrechtliche Gleichberechtigung von Mann und Frau: ebd., S. 371 ff. 712 Lang, Grundkonzeption (Fn. 683), S. 47; Gosewinkel, Staatsangehörigkeit (Fn. 259), S. 366, 368. Der Reformkanon beinhaltet also „die innere und äußere Stärkung einer ethnisch-kulturell homogenen staatlichen Gemeinschaft und ihre effiziente, zentrale Kontrolle durch den Nationalstaat“: ders., Einbürgern (Fn. 500), S. 281. 713 Gosewinkel, Staatsangehörigkeit (Fn. 259), S. 366. Vgl. zu den Motiven der einzelnen Parteien im Reichstag ebd., S. 366 ff. 714 Gosewinkel, Staatsangehörigkeit (Fn. 259), S. 369. Zwar findet die Erschwerung der Einbürgerung keinen Eingang in den Gesetzestext, jedoch sieht § 9 vor, daß alle Bundesstaaten grundsätzlich jeder Einbürgerung zustimmen müssen, wobei das Letztentscheidungsrecht beim Bundesrat liegt. „Diese Regelung sollte in diplomatischer Geheimhaltung Einzelfallentscheidungen nach ,staatspolizeiliche(n), konfessionelle(n) und nationale(n) Gesichtspunkten ermöglichen, wie im Reichsinnenministerium ver709

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Wie schon das Gesetz von 1870 folgt auch das RuStAG beim Staatsangehörigkeitserwerb durch Geburt ausnahmslos dem Abstammungsprinzip.715 Argumente für diese Vorgehensweise sind wiederum die Vermeidung von Mehrstaatigkeit und deren negativer Folgen, die Verfügbarkeit einer flexiblen Einzelfalleinbürgerungsregelung und der Wunsch, völkische Eigenart zu bewahren.716 Das zentraler Bezugspunkt einer ethnisch-kulturellen Grundkonzeption der Staatsangehörigkeit bleibende ius sanguinis wird stabilisiert. „Neben ökonomisch-rationalen, sozial-solidarischen und organischen Vorstellungen [. . .] lieferte das ius sanguinis eben auch und gerade ethnischen Homogenitätsbestrebungen eine Handhabe. Die Nationalisierung des Staatsbürgers im Sinne einer Angleichung der Staatsangehörigkeit an vorstaatlich-vorpolitische Nationvorstellungen fand im ius sanguinis ihre rechtliche Legitimation.“717 Doch auch das RuStAG sieht Staatsangehörigkeit nicht nur als ethnisch-kulturelle Abstammungsgemeinschaft. Der Rückgriff auf die ehemalige deutsche Staatsangehörigkeit knüpft an ein staatlich, nicht ethnisch definiertes Merkmal an. Die Stärkung des Willensprinzips bei der Erhaltung der Staatsangehörigkeit entspricht nicht einem ethnisch-kulturell-objektiven, sondern vielmehr einem voluntaristisch-subjektiven Verständnis der Nation. Zudem enthält die Einführung des Staatsangehörigkeitsverlusts wegen Verletzung militärischer Dienstpflichten eine „ausgeprägt staatsnationale Begrenzung ethnisch-nationaler Expansionsvorstellungen“718. Gosewinkel nennt das RuStAG von 1913 ein „gesetzgeberisches Jahrhundertwerk“. Es habe den säkularen Wandel der deutschen Staatsangehörigkeit des 19. Jahrhunderts kodifiziert und diesen Paradigmenwechsel für das 20. Jahrhundert festgeschrieben. „Erstmals war die juristische Konstruktion der Staatsangehörigkeit Gegenstand einer populären, nationalen Massenbewegung geworden.“719 Trotz zahlreicher Änderungen stellt dieses Gesetz nach wie vor die Hauptquelle des deutschen Staatsangehörigkeitsrechts dar.

merkt wurde.“: Gosewinkel, Staatsangehörigkeit (Fn. 259), S. 375 f.; vgl. auch dens., Einbürgern (Fn. 500), S. 317 ff. 715 Takenaka meint, wegen des weitgehend fehlenden politischen Grundkonsenses im wilhelminischen Deutschland habe man dringend auf eine andere Grundlage der nationalen Verbundenheit zurückgreifen müssen. „Vor diesem Hintergrund bot sich ethnisch-kulturelle Homogenität als die naheliegende, verführerische Alternative zur Wahrung und Stärkung der nationalen Einheit an.“: ders., Nation (Fn. 697), S. 358. 716 v. Mangoldt, Ius sanguinis-Prinzip (Fn. 683), S. 37 f. Zur Beratung des RuStAG im Reichstag vgl. B. Huber, Die Beratung des Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetzes von 1913 im Deutschen Reichstag, in: K. Barwig/K. Lörcher/C. Schumacher (Hrsg.), Aufenthalt – Niederlassung – Einbürgerung. Stufen rechtlicher Integration. Hohenheimer Tage zum Ausländerrecht 1986, 1987, S. 181 ff. 717 Gosewinkel, Staatsangehörigkeit (Fn. 259), S. 376. 718 Gosewinkel, Staatsangehörigkeit (Fn. 259), S. 375.

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c) Der Bruch im Dritten Reich Bereits seit der Reichsgründung bildet die Reichs- bzw. Staatsangehörigkeit der deutschen Juden einen Gegenstand beständiger Angriffe der sogenannten nationalen oder vaterländischen Gruppierungen. Bis weit in die nationalliberalen und konservativen Parteien hinein reichen die Forderungen nach dem Entzug oder wenigstens der Einschränkung staatsbürgerlicher Rechte.720 Auch die NSDAP nimmt derartige Forderungen 1920 in ihr Parteiprogramm auf.721 Während der Weimarer Republik erfährt der Begriff der Staatsangehörigkeit eine Relativierung und Bedeutungsminderung zugunsten des Begriffs der Volkszugehörigkeit. Die Bestandskraft der Institution Staatsangehörigkeit erodiert, bevor das NS-Regime zu ihrer Aufhebung schreitet.722 Nach der Machtergreifung radikalisiert sich die Politik der Staatsangehörigkeit und bricht mit tradierten Prinzipien.723 Im Juli 1933 ergeht das „Gesetz über den Widerruf von Einbürgerungen und die Aberkennung der deutschen Staatsangehörigkeit“724. Indem es Denaturalisation und Strafexpatriation in das deutsche Recht einführt, wird erstmals tief in bestehende Rechtspositionen der Staatsangehörigkeit eingegriffen. Zum einen wird erstmals ein zugeschriebenes Rassemerkmal zum Maßstab des Ausschlusses erhoben725, zum anderen in den bestehenden Rechtsstatus eingegriffen. Die Denaturalisation richtet sich vor allem gegen die in der Weimarer Republik eingebürgerten Ostjuden und enthält, „systematisch gesehen, einen Vorgriff auf die systematische Zerstörung eines 719 Gosewinkel, Staatsangehörigkeit (Fn. 259), S. 377. Zum Einfluß der Frauenbewegung und rassepolitischer Argumente in Frontstellung zum „männlichen Staat“ auf die Staatsangehörigkeitsgesetzgebung ders., Einbürgern (Fn. 500), S. 294 ff., 303 ff. 720 U. D. Adam, Zur Entstehung und Auswirkung des Reichsbürgergesetzes, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 1985, S. 14 (16). 721 „4. Staatsbürger kann nur sein, wer Volksgenosse ist. Volksgenosse kann nur sein, wer deutschen Blutes ist, ohne Rücksichtnahme auf Konfession. Kein Jude kann daher Volksgenosse sein. 5. Wer nicht Staatsbürger ist, soll nur als Gast in Deutschland leben können und muß unter Fremdengesetzgebung stehen. 6. Das Recht, über Führung und Gesetze des Staates zu bestimmen, darf nur dem Staatsbürger zustehen. [. . .]“, zitiert nach G. Feder, Das Programm der N.S.D.A.P. und seine weltanschaulichen Grundgedanken, 2. Aufl. 1928, S. 6. 722 Gosewinkel, Einbürgern (Fn. 501), S. 368. 723 Gosewinkel, Einbürgern (Fn. 501), S. 25, 369. 724 RGBl. 1933 I S. 480. Abgedruckt bei M. Lichter, Das Staatsangehörigkeitsrecht im Großdeutschen Reich. Zusammenstellung der einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen und Durchführungsanweisungen mit Erläuterungen, 1943, S. 50 ff. 725 In den Ausführungsbestimmungen zu § 1 des Gesetzes über den Widerruf von Einbürgerungen und die Aberkennung der deutschen Staatsangehörigkeit heißt es: „Ob eine Einbürgerung als nicht erwünscht anzusehen ist, beurteilt sich nach völkisch-nationalen Grundsätzen. Im Vordergrunde stehen die rassischen, staatsbürgerlichen und kulturellen Gesichtspunkte für eine den Belangen von Reich und Volk zuträgliche Vermehrung der deutschen Bevölkerung durch Einbürgerung.“, abgedruckt bei Lichter, Staatsangehörigkeitsrecht (Fn. 724), S. 50 ff.

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Berechenbarkeit garantierenden rechtsstaatlichen Kernbestands, [sic] des subjektiven öffentlichen Rechts schlechthin“726. Die Expatriierung wird zu einem „universalen Strafinstrument gegen beliebig definierbare Regimegegner“ ausgebaut und soll zunächst emigrierte Gegner des Regimes treffen.727 Recht bald wird auch das von der Weimarer Reichsverfassung fortgeschriebene Prinzip728 einer über die Landesangehörigkeit zu erwerbenden Reichsangehörigkeit aufgegeben. Die „Verordnung über die deutsche Staatsangehörigkeit“729 beseitigt 1934 im Zusammenhang mit der Zerschlagung der föderalen Struktur des Reiches die formalen Unterschiede zwischen der Staats- und Reichsangehörigkeit. Im September 1935 werden im Rahmen eines Reichsparteitags in Nürnberg das „Reichsbürgergesetz“ und das „Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“ verabschiedet, bekannt geworden als „Nürnberger Gesetze“730. Beide Gesetze sind systematisch eng miteinander verzahnt und schaffen ein neues System der Staatsangehörigkeit. Allein „Reichsbürger“ sollen die Träger der vollen politischen Rechte und Pflichten sein. „Reichsbürger“ müssen „deutschen oder artverwandten Blutes“ und „gewillt und geeignet“ sein, „in Treue dem Deutschen Volk und Reich zu dienen“. Rechtliche Mischungsverhältnisse soll das Blutschutzgesetz auf Dauer verhindern. Damit werden zwei Klassen von Staatsangehörigen geschaffen, die durch die Trennung anhand zugeschriebener Eigenschaften der Rasse „zu absolut undurchdringlichen Ständen des ,Geblüts‘“ verfestigt werden.731 „Der einheitliche Status der Staatsangehörigkeit wurde durch eine über Lebens- und Überlebenschancen entscheidende Fragmentierung der Zugehörigkeit, die an Kriterien wie dem Bekenntnis zum deutschen Volkstum und vor allem aber an – vielfältig gestuften – rassischen Kriterien anknüpften, von innen her ausgehöhlt und zerstört.“732 Eine Dissertation aus dem Jahr 1937 faßt bezeichnend zusammen: 726

Gosewinkel, Einbürgern (Fn. 501), S. 370 f. Gosewinkel, Einbürgern (Fn. 501), S. 376. Zu nennen sind z. B. Thomas Mann und Albert Einstein. 728 Vgl. Art. 110 Abs. 1 WRV: „Die Staatsangehörigkeit im Reiche und in den Ländern wird nach den Bestimmungen eines Reichsgesetzes erworben und verloren. Jeder Angehörige eines Landes ist zugleich Reichsangehöriger.“ Interessant ist, daß bis 1994 nach Art. 74 Nr. 8 GG die Möglichkeit für die Bundesländer bestand, eine Landeszugehörigkeit zu schaffen. Allerdings hat keines der Länder von ihr Gebrauch gemacht, sieht man von der von den Franzosen oktroyierten saarländischen Staatsangehörigkeit ab; dazu Manske, Entwicklung (Fn. 701), S. 130 ff. 729 Abgedruckt bei Lichter, Staatsangehörigkeitsrecht (Fn. 724), S. 47 ff. 730 RGBl. I S. 1146. Zu den, das Reichsbürgergesetz erst mit Inhalt füllenden Verordnungen im einzelnen Adam, Entstehung (Fn. 720), S. 22 ff. 731 Gosewinkel, Einbürgern (Fn. 501), S. 385, 387. Wer infolge der Nürnberger Gesetze nur die deutsche Staatsangehörigkeit aufweisen konnte, war de facto als Jude oder Zigeuner gekennzeichnet: ebd. S. 388. 732 Masing (Fn. 683), Art. 16 Rn. 6. 727

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„Vor der Machtübernahme hat man im deutschen Staatsangehörigkeitsrecht völkische Politik nie betrieben. Es war daher kein Wunder, daß von nationalsozialistischer Seite harte Kritik an dem damals bestehenden Rechtszustand und der herrschenden Praxis, die rassische, staatsbürgerliche und kulturelle Gesichtspunkte kaum kannte, geübt wurde. Während im Weimarer Staat der Staatsangehörige auch im Besitz der staatsbürgerlichen Rechte war, zieht das Reichsbürgergesetz [. . .] durch Schaffung des Reichsbürgers innerhalb des Kreises der Staatsangehörigen einen engeren Kreis von politisch allein vollberechtigten Volksgenossen. [. . .] Es mußte vom nationalsozialistischen Standpunkt aus unerträglich sein, daß das Recht der Mitbestimmung der staatlichen Geschicke des Staates von allen Staatsangehörigen mit Erreichung eines bestimmten Alters automatisch ohne Rücksicht auf Rasse, Geschlecht oder Verdienst erworben wurde. In dem Reichsbürgergesetz setzte der Nationalsozialismus der Lehre von der Gleichheit aller Menschen die Erkenntnis von der Ungleichheit und Verschiedenartigkeit der Rassen und Menschen entgegen, die naturgemäß auch Unterscheidungen in den politischen Rechten und Pflichten zur Folge haben müssen. Das Gesetz unterscheidet daher zwischen Staatsangehörigen und Reichsbürger [sic]. Während die Staatsangehörigkeit die äußere Abgrenzung gegenüber dem Ausland darstellt, gibt das innenpolitische Reichsbürgerrecht dem Staatsangehörigen die Möglichkeit, am politischen Geschehen seines Volkes aktiv mitzuwirken.“733

Der liberale Gedanke universaler menschlicher Gleichheit ist nun vollends dem Leitgedanken der biologisch begründeten Rasse gewichen. „An die Stelle der Offenheit des Staatsangehörigkeitsstatus hin zur staatsbürgerlichen Gleichheit trat die absolute, unverrückbare Grenze der Rasse.“734 Nach den Ausbürgerungen rassisch, religiös oder politisch unerwünschter Personen735 und der Vertiefung der Kluft zwischen bloßen Staatsangehörigen und Reichsbürgern wird ein halbes Jahr vor Kriegsbeginn eine Definition geschaffen, die im folgenden Eroberungskrieg zur grundlegenden Selektionsnorm nationalsozialistischer Staatsangehörigkeitspolitik in den besetzten Gebieten wird: „Deutscher Volkszugehöriger ist, wer sich als Angehöriger des deutschen Volkes bekennt, sofern dieses Bekenntnis durch bestimmte Tatsachen, wie Sprache, Kultur usw., bestätigt wird. Personen artfremden Blutes, insbesondere Juden, sind niemals deutsche Volkszugehörige, auch wenn sie sich bisher als solche bezeichnet haben“736. 733 E. Zenthöfer, Zur Geschichte des Begriffs der Staatsangehörigkeit, Diss. iur. Königsberg 1937, S. 9, 67. Weitere zeitgenössische juristische Dissertationen zum Thema liefern O. Redelberger, Die Staatsangehörigkeit in ihrer Begründung und Auswirkung, Diss. iur. Würzburg 1934; E. Saebisch, Der Begriff der Staatsangehörigkeit, Diss. iur. Jena 1935; K. Welte, Die Staatsangehörigkeit. Versuch der Bestimmung von Wesen und Inhalt eines Begriffs der Staatslehre, Diss. iur. München 1935; V. Fleßner, Rasse und Politik im Staatsbürgerrecht. Rassisch-völkische und politische Voraussetzungen der Ausübung staatsbürgerlicher Rechte in Deutschland und im Auslande, Diss. iur. Rostock 1939. 734 Gosewinkel, Einbürgern (Fn. 501), S. 388. 735 Vgl. als Folge auch Art. 116 Abs. 2 S. 1 GG.

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Während des Krieges steht das Staatsangehörigkeitsrecht ganz im Zeichen rassisch motivierter Einbürgerungen in den besetzten Gebieten. „Je nach dem Grad der staatlichen Eingliederung und der ethnischen Mischlage des besetzten Gebietes, nach der Loyalität zum deutschen Volkstum und entsprechend der Rücksichtnahme auf außenpolitische und militärische Gegebenheiten wurden territorial verschiedene Regelungen eingeführt.“737 Nach der Übertragung der Zuständigkeit an den Reichsführer SS herrscht vollends ein „Chaos der Kompetenzen und politischen Leitlinien“738. Zur Stabilisierung des Systems, aber auch zum Zweck der rassepolitischen Kontrolle der eingegliederten Ostgebiete werden die Deutsche Volksliste, der Deutsche „auf Widerruf“ und der „Schutzangehörige“ erfunden.739 Dies stellt den Endpunkt einer Entwicklung dar, in der das Dritte Reich die ursprüngliche Bedeutung der Staatsangehörigkeit in ihr Gegenteil verkehrt: „von der Integration in den Staat zur Diskriminierung durch den Staat“740. d) Die Rückkehr unter dem Grundgesetz Im Grundgesetz von 1949 kehrt die Staatsangehörigkeit zu der institutionellen Form zurück, die sich an der Wende zum 20. Jahrhundert ausgeprägt hat.741 736 Runderlaß des Reichsministers des Inneren vom 29.03.1939, zitiert nach Lichter, Staatsangehörigkeitsrecht (Fn. 724), S. 96. 737 Gosewinkel, Einbürgern (Fn. 501), S. 405. 738 Gosewinkel, Einbürgern (Fn. 501), S. 411. 739 Die Volksliste stufte die ehemaligen polnischen und Danziger Staatsangehörigen in vier, den Grad der Würdigkeit zur Aufnahme ausdrückenden Abteilungen ein. Wer nicht einbürgerbar und eindeutschbar war, erhielt den minderen Status eines „Schutzangehörigen“, der ihn prinzipiell rechtlos und unbegrenzt diskriminierbar werden ließ: Gosewinkel, Einbürgern (Fn. 501), S. 408, 410, 413 f., 420; vgl. auch H. Alexy, Rechtsfragen des Aussiedlerzuzugs, in: NJW 1989, S. 2850 (2852). Vgl. weiterhin die Verordnung über die Einbürgerung von Kriegsfreiwilligen vom 04.09.1939, RGBl. I S. 1741, und den Erlaß über den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit durch Einstellung in die deutsche Wehrmacht, die Waffen-SS, die deutsche Polizei oder die Organisation Todt vom 19.05.1943, RGBl. I S. 315, beide abgedruckt bei Lichter, Staatsangehörigkeitsrecht (Fn. 724), S. 161 f. bzw. S. 185 f. 740 Gosewinkel, Einbürgern (Fn. 501), S. 426. Hinzuweisen ist noch auf die Elfte Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 25. November 1941, RGBl. I S. 722, abgedruckt bei Lichter, Staatsangehörigkeitsrecht (Fn. 724), S. 147 ff. § 1 der Elften Verordnung zum Reichsbürgergesetz bestimmt: „Ein Jude, der seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland hat, kann nicht deutscher Staatsangehöriger sein.“ Diese perfideste der zahlreichen Verordnungen zur Transformation des Staatsangehörigkeitsrechts zielt auch und gerade auf den Verlust der Staatsangehörigkeit durch Deportation: G. LübbeWolff, Entziehung und Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit – Art. 16 Abs. 1 GG, in: Jura 1996, S. 57 (57). 741 Zu denjenigen, die die deutsche Staatsangehörigkeit durch Geburt oder Einbürgerung erworben haben, kommen die in Art. 116 Abs. 1 GG erwähnten sog. Statusdeutschen, für die Flucht oder Vertreibung sowie die deutsche Volkszugehörigkeit, d.h. ein subjektives Bekenntnis zum Volkstum, das durch objektive Merkmale belegt wird,

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Ihre weitere Entwicklung ist zunächst geprägt von der ausschließlichen Bewahrung des Geburtserwerbsgrundsatzes iure sanguinis. In Erinnerung an den Mißbrauch des Staatsangehörigkeitsrechts, aber auch mit Blick auf die Ausbürgerungspraxis kommunistischer Staaten wird der den Entzug der Staatsangehörigkeit verbietende Art. 16 Abs. 1 GG in das Grundgesetz aufgenommen.742 Zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts auf dem Gebiet der Staatsangehörigkeit bestätigt Art. 116 Abs. 2 S. 1 GG den Abstammungserwerb für die Abkömmlinge der von Ausbürgerung Betroffenen.743 Eine Reihe von Gesetzen regelt die Folgen der Zwangs- und Sammeleinbürgerungen, so die beiden Staatsangehörigkeitsregelungsgesetze aus den Jahren 1955 und 1956, die die 1938 und 1943 angeordneten Sammeleinbürgerungen deutscher Volkszugehöriger und Fragen, die sich aus dem „Anschluß“ Österreichs ergaben, klären.744 1964 wird der Staatsangehörigkeitserwerb a matre auch für eheliche Kinder eingeführt, zunächst nur für den Fall sonst eintretender Staatenlosigkeit, seit 1975 ohne diese Einschränkung745 und seit 1993 kommt auch das nichteheliche Kind

erforderlich sind, vgl. § 6 Abs. 1 BVFG: „Deutscher Volkszugehöriger im Sinne dieses Gesetzes ist, wer sich in seiner Heimat zum deutschen Volkstum bekannt hat, sofern dieses Bekenntnis durch bestimmte Merkmale wie Abstammung, Sprache, Erziehung, Kultur bestätigt wird.“ Die Anwendbarkeit dieser Definition auf Art. 116 Abs. 1 GG bestätigt, obwohl es sich in der Sache um eine NS-Definition handelt, BVerfGE 17, 224 (227). Das Vorliegen der objektiven Merkmale gilt als Indiz für das geforderte Bekenntnis. Für Spätaussiedler erweitert § 4 Abs. 3 S. 1 BVFG den Deutschenstatus einfachgesetzlich. Beachte auch die jüngste Modifikation durch §§ 6 Abs. 2, 100a BVFG. Vgl. insgesamt zu diesem „Rechtsstatus von absehbar auslaufender Bedeutung“ G. Lübbe-Wolff, in: H. Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 3, 2000, Art. 116 Rn. 4 ff., 22 ff., und ferner A. Wallrabenstein, Untertan, Bürger oder Volkszugehöriger? Zum Verständnis des deutschen Einbürgerungsrechts, in: Der Staat 38 (1999), S. 260 (268 ff.), und zur Wandlung der Bundesrepublik „von einer Fluchtburg zu einer Schutzmacht“ S. Delfs, Heimatvertriebene, Aussiedler, Spätaussiedler. Rechtliche und politische Aspekte der Aufnahme von Deutschstämmigen aus Osteuropa in der Bundesrepublik Deutschland, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 1993, S. 3 ff. Zur Geschichte der Rußlanddeutschen vgl. Gosewinkel, Einbürgern (Fn. 501), S. 331 ff. 742 Lübbe-Wolff, Entziehung (Fn. 740), S. 57. 743 Art. 116 Abs. 2 S. 1 GG lautet: „Frühere deutsche Staatsangehörige, denen zwischen dem 30. Januar 1933 und dem 8. Mai 1945 die Staatsangehörigkeit aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen entzogen worden ist, und ihre Abkömmlinge sind auf Antrag wieder einzubürgern.“ 744 Das 1. StAngRegG vom 22.02.1955, BGBl. I S. 65, bestimmt, daß die durch Sammeleinbürgerung in die deutsche Staatsangehörigkeit aufgenommenen Personen weiterhin Deutsche bleiben, binnen Jahresfrist nach Inkrafttreten aber auf die deutsche Staatsangehörigkeit verzichten können. Nach dem 2. StAngRegG vom 17.05.1956, BGBl. I S. 431, verlieren Österreicher die deutsche Staatsangehörigkeit, die sie nach der Wiedervereinigung Österreichs mit Deutschland erhalten haben, es sei denn, sie befinden sich zu einem bestimmten Zeitpunkt dauerhaft auf dem Gebiet des deutschen Reiches und optieren für die deutsche Staatsangehörigkeit. 745 Grundlegend BVerfGE 37, 217, die die bis dahin gültige Regelung als „mit dem Grundsatz der Gleichberechtigung von Männern und Frauen (Art. 3 Abs. 2 GG) nicht vereinbar“ befindet: ebd.

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eines deutschen Vaters in den Genuß der deutschen Staatsangehörigkeit durch Geburt.746 Seit 1977 wird die Staatsangehörigkeit auch durch Adoption erworben.747 Trotz zahlreicher weiterer Änderungen und Anpassungen an internationale Abkommen bleibt das RuStAG in seinen Grundzügen zunächst konstant. Insbesondere wird keine „Bundesangehörigkeit“ geschaffen, sondern an der einheitlichen deutschen Staatsangehörigkeit festgehalten.748 Eine Öffnung hin zum ius soli findet erstmals im Rahmen der Bekämpfung der Staatenlosigkeit statt. Wegen völkerrechtlicher Verpflichtungen aus dem Übereinkommen zur Verminderung der Staatenlosigkeit wird eine Regelung geschaffen, mit der erstmals von dem sonst verfolgten Ius-sanguinis-Prinzip abgewichen und ausnahmsweise auf das Ius-soli-Prinzip zurückgegriffen wird.749 Eine „gewisse Erosion des Staatsvolkbegriffs“750 beginnt sich im Jahre 1990 abzuzeichnen. Der Gesetzgeber entschließt sich, eine dem Verwaltungsermessen weitgehend entzogene Regeleinbürgerungslösung für langjährig in Deutschland ansässige Ausländer einzuführen, die jedoch im wesentlichen davon abhängt, daß der Einbürgerungsbewerber grundsätzlich seine bisherige Staatsangehörigkeit aufgibt oder verliert.751 Damit verschiebt sich das nationale Selbstverständ746 Vgl. Art. 1 des Gesetzes zur Änderung des RuStAG vom 19.12.1963, BGBl. I S. 982, Art. 1 des Gesetzes zur Änderung des RuStAG vom 20.12.1974, BGBl. I S. 3714, und Art. 4 des Gesetzes zur Änderung asylverfahrens-, ausländer- und staatsangehörigkeitsrechtlicher Vorschriften vom 30.06.1993, abgedruckt bei F. Sturm/G. Sturm, Das deutsche Staatsangehörigkeitsrecht. Grundriß und Quellen, 2001, S. 196, 198, 206 f. Zu letzerem F. Sturm, Der neue § 4 Abs. 1 RuStAG, in: StAZ 1994, S. 273. 747 Vgl. § 6 RuStAG, eingefügt durch Gesetz vom 02.07.1976, BGBl. I S. 1749. 748 Auch die DDR geht zunächst von einer einheitlichen deutschen Staatsangehörigkeit aus, behauptet seit Einführung der DDR-Staatsbürgerschaft jedoch das Bestehen zweier deutscher Staatsangehörigkeiten, vgl. Art. 1 Abs. 4 der Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik von 1949: „Es gibt nur eine deutsche Staatsangehörigkeit.“ und die Präambel des Gesetzes über die Staatsbürgerschaft der Deutschen Demokratischen Republik von 1967: „[. . .] Die Staatsbürgerschaft der Deutschen Demokratischen Republik ist die Zugehörigkeit ihrer Bürger zum ersten friedliebenden, demokratischen und sozialistischen deutschen Staat, in dem die Arbeiterklasse die politische Macht im Bündnis mit der Klasse der Genossenschaftsbauern, der sozialistischen Intelligenz und den anderen werktätigen Schichten ausübt.“ Wesentliche Unterschiede zum RuStAG gibt es nicht, insbesondere hält auch die DDR am ius sanguinis fest. 749 Vgl. Art. 2 des Ausführungsgesetzes zu dem Übereinkommen vom 30. August 1961 zur Verminderung der Staatenlosigkeit und zu dem Übereinkommen vom 13. September 1973 zur Verringerung der Fälle von Staatenlosigkeit, BGBl. I S. 1101. 750 Hobe, Staatsvolk (Fn. 701), S. 194. 751 Vgl. §§ 85 ff. AuslG. Mit der Schaffung dieser Einbürgerungsansprüche steigt die Zahl der Einbürgerungen deutlich. Vom Sonderfall der Einbürgerung der Aussiedler und Spätaussiedler abgesehen, werden im Jahr 1997 nach Mitteilung des Statistischen Bundesamtes von den 82.913 eingebürgerten Personen 43.751 nach den §§ 85 ff. AuslG eingebürgert: K. Hailbronner, Die Reform des deutschen Staatsangehörigkeitsrechts, in: NVwZ 1999, S. 1273 (1273).

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nis insofern in Richtung des Politisch-kulturellen, als auf das Hineinwachsen in die politische Kultur mehr Wert gelegt wird, dem Ethnisch-kulturellen hingegen weniger Gewicht als früher zukommt.752 Ein vorläufiger Schlußstrich unter die jahrzehntelange Debatte über die Reform des RuStAG wird mit der Verabschiedung des Gesetzes zur Reform des Staatsangehörigkeitsrechts 1999 gezogen.753 Zentraler Bestandteil der Reformgesetzgebung ist die Einführung eines neuen Ius-soli-Erwerbstatbestandes, der ermöglicht, daß durch die Geburt im Inland ein Kind ausländischer Eltern die deutsche Staatsangehörigkeit erwirbt, wenn ein Elternteil seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat und eine Aufenthaltsberechtigung oder seit drei Jahren eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis besitzt.754 Bei Erreichen der Volljährigkeit besteht eine Optionspflicht, die bei einer Entscheidung gegen die deutsche Staatsangehörigkeit zu deren Verlust führt.755 „Die Neuregelung verändert die Struktur des deutschen Staatsangehörigkeitsrechts grundsätzlich. Erstmals wird allein aufgrund der Geburt im Inland und des rechtmäßigen Aufenthalts eines Elternteils die deutsche Staatsangehörigkeit erworben, ohne daß weitere Integrationsanforderungen an Eltern und Kind gestellt werden.“756 Damit soll einerseits am Prinzip der Vermeidung der Mehrstaatigkeit festgehalten und andererseits eine volle rechtliche Gleichstellung des im Inland geborenen Kindes ausländischer Eltern erreicht werden. Die Einführung des ius soli erweist sich als „echter Paradigmenwechsel“757, der durch die Abwahlpflicht allerdings erheblich relativiert wird.

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Takenaka, Nation (Fn. 697), S. 346. Hailbronner, Reform (Fn. 751), S. 1273. Bereits 1989 existiert ein diesbezüglicher Gesetzesentwurf, „weil kein Staat es auf Dauer hinnehmen kann, daß ein zahlenmäßig bedeutender Teil der Bevölkerung über Generationen hinweg außerhalb der staatlichen Gemeinschaft und außerhalb der Loyalitätspflichten ihm gegenüber steht“: Begründung des Gesetzentwurfs vom 10.03.1993 der SPD-Bundestagsfraktion unter Zitation der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Fraktion der SPD zur Fortentwicklung des Ausländerrechts vom 03.10.1984, zitiert nach v. Mangoldt, Ius sanguinis-Prinzip (Fn. 683), S. 40. Zur Entstehungsgeschichte der Reform ausführlich Sturm, Staatsangehörigkeitsrecht (Fn. 746), S. 36 ff., und G. Renner, Was ist neu am neuen Staatsangehörigkeitsrecht?, in: ZAR 19 (1999), S. 154 (154 ff.). Erklärter Zweck des Gesetzes ist die „Verbesserung der Integration der dauerhaft hier lebenden Ausländer und ihrer hier geborenen Kinder durch Erleichterung des Erwerbs der deutschen Staatsangehörigkeit“: aus dem Gesetzentwurf zitiert nach Lübbe-Wolff (Fn. 741), Art. 116 Rn. 17. 754 Vgl. § 4 Abs. 3 S. 1 StAG. 755 Vgl. § 29 StAG. Zur Vereinbarkeit mit Art. 16 Abs. 1 GG und Art. 3 Abs. 1 GG Hailbronner, Reform (Fn. 751), S. 1277 f. 756 Hailbronner, Reform (Fn. 751), S. 1274. 757 Masing (Fn. 683), Art. 16 Rn. 48. Ganz ähnlich auch Zimmermann, Staats- und völkerrechtliche Fragen der Reform des deutschen Staatsangehörigkeitsrechts, in: IPRax 20 (2000), S. 180 (185). Vgl. zur Neuregelung auch J. Masing, Wandel im Staatsangehörigkeitsrecht vor den Herausforderungen moderner Migration, 2001, S. 5 ff. 753

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Weitere Schwerpunkte der Reformgesetzgebung sind die Erleichterung der Einbürgerung und die Begrenzung der Mehrstaatigkeit. Zum einen besteht ein Einbürgerungsanspruch nun bereits aufgrund eines achtjährigen rechtmäßigen gewöhnlichen Aufenthalts im Inland, abhängig allerdings von einer Reihe von Voraussetzungen, unter anderem der Aufgabe der bisherigen Staatsangehörigkeit758, zum anderen hat der Gesetzgeber weitere Verlustgründe hinzugefügt.759 Das Ausländergesetz wird zum 1. Januar 2005 durch das neue „Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet“, kurz Aufenthaltsgesetz ersetzt. Es ist als dessen Artikel 1 Hauptbestandteil des „Gesetz[es] zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern“, kurz Zuwanderungsgesetz. Mit dem neuen Gesetz soll ein Paradigmenwechsel nun auch in der Ausländerpolitik verbunden sein, der durch den Dreiklang Steuerung, Begrenzung und Integration gekennzeichnet ist.760 Wesentliche Änderungen für das Staatsangehörigkeitsrecht ergeben sich dadurch aber nicht.761 2. Ius sanguinis und ius soli als Ausdruck der Nationalitätskonzepte Als die beiden Prinzipien des Staatsangehörigkeitsrechts lassen sich das ius sanguinis und das ius soli nennen.762 Das den Staaten im wesentlichen freie 758

Vgl. § 85 Abs. 1 AuslG: „Ein Ausländer, der seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat, ist auf Antrag einzubürgern, wenn er 1. sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland bekennt und erklärt, dass er keine Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben oder die durch die Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, oder glaubhaft macht, daß er sich von der früheren Verfolgung oder Unterstützung derartiger Bestrebungen abgewandt hat, 2. eine Aufenthaltserlaubnis oder eine Aufenthaltsberechtigung besitzt, 3. den Lebensunterhalt für sich und seine unterhaltsberechtigten Familienangehörigen ohne Inanspruchnahme von Sozial- oder Arbeitslosenhilfe bestreiten kann, 4. seine bisherige Staatsangehörigkeit aufgibt oder verliert und 5. nicht wegen einer Straftat verurteilt worden ist. Von der in Satz 1 Nr. 3 bezeichneten Voraussetzung wird abgesehen, wenn der Ausländer aus einem von ihm nicht zu vertretenden Grunde den Lebensunterhalt nicht ohne Inanspruchnahme von Sozial- oder Arbeitslosenhilfe bestreiten kann.“ 759 Vgl. § 4 Abs. 4 StAG („Generationenschnitt“) und § 25 StAG (Ausdehnung des Verlustgrundes des Antragserwerbs einer fremden Staatsangehörigkeit auf den Fall des dauernden Inlandsaufenthalts). 760 K. Hailbronner, Asyl- und Ausländerrecht, 2006, S. 10. 761 Die bislang im AuslG geregelten Einbürgerungsvorschriften sind nun allerdings im StAG zu finden, vgl. v. a. § 10 Abs. 1 StAG. Den derzeitigen Stand zusammenfassend A. Leopold, Einführung in das Staatsangehörigkeitsrecht, in: JuS 2006, S. 126 ff.

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Hand lassende Völkerrecht akzeptiert sowohl die Abstammung von Staatsangehörigen als auch den durch Geburt oder Aufenthalt begründeten Kontakt zum Staatsgebiet als Anknüpfungstatbestände für den Erwerb der Staatsangehörigkeit.763 Dabei ist das Abstammungsprinzip weltweit das beherrschende Anknüpfungsprinzip für den Staatsangehörigkeitserwerb.764 Die Übersetzung des die Grundlage eines aus der wilhelminischen Kaiserzeit stammenden Gesetzes bildenden Begriffs „ius sanguinis“ mit „Recht des Blutes“ verfehlt in Deutschland seine Wirkung nicht765 – das ius sanguinis sieht sich teilweise einer nicht gerechtfertigten „Verächtlichmachung“ 766 ausgesetzt: Das „verdammte deutsche Blutsrecht, das jus sanguinis“ sei „reif“, als Ausdruck der „Bluts- und Abstammungsideologie“ abgeschafft und durch das Recht des Bodens, das ius soli, ersetzt zu werden.767 Das deutsche Staatsangehörigkeitsrecht sei „endlich“ von seiner „Deutschtümelei“ und seiner Orientierung an „deutschem Blut“ zu befreien und damit modernerem Geist zu eröffnen.768 Brubaker bringt das rassistische Staatsangehörigkeitsrecht des Nationalsozialismus in eine enge Verbindung mit dem Staatsangehörigkeitsrecht des Kaiserreichs: „Die Begriffe, auf denen es basierte [. . .], hatten tiefe Wurzeln in der deutschen Geschichte und ihre Spuren bereits im Staatsangehörigkeitsrecht und in der Einbürgerungspraxis des Deutschen Kaiserreichs hinterlassen.“769 Auch im Zuge der Diskussion um die Reform des deutschen Staatsangehörigkeitsrechts wird die in manchen Kreisen vorherrschende ablehnende Haltung gegenüber dem ius sanguinis deutlich. So ist der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland Ignatz Bubis der Meinung, daß das „Blut der Ahnen, die völkische Zugehörigkeit, [. . .] nicht länger den Ausschlag geben [dürfen], wenn es um die Staatszugehörigkeit in Deutschland geht. [. . .] [A]lle Menschen, die in Deutschland geboren werden, [sollen] zunächst einmal eine vorläufige deutsche Staatsbürgerschaft erhalten.“770 Und der damalige Ministerpräsident des Saarlandes 762 Mit dem Gebrauch dieser Ausdrücke bleibe ich der Vorliebe des Juristen für „lateinische Sprachtrümmer“ und den „binären Schematismus“ treu: so Rittstieg, Staatsangehörigkeit (Fn. 686), S. 1385. 763 H. Rittstieg, Doppelte Staatsangehörigkeit im Völkerrecht, in: NJW 1990, S. 1401 (1402). 764 Schrötter/Möhlig, Staatsangehörigkeit (Fn. 683), S. 375. 765 Dabei ist für die Weitergabe der Staatsangehörigkeit durch Abstammung die physische Verwandtschaft durch das gleiche Blut, nicht eine bestimmte Substanz des Blutes entscheidend. 766 Ziemske, Staatsangehörigkeit (Fn. 699), S. 231. 767 Lübbe, Abschied (Fn. 630), S. 46. 768 Dazu kritisch m.w. H. H. v. Mangoldt, Öffentlich-rechtliche und völkerrechtliche Probleme mehrfacher Staatsangehörigkeit aus deutscher Sicht, in: JZ 1993, S. 965 (970). 769 Brubaker, Staats-Bürger (Fn. 254), S. 217. 770 Zitiert nach Welt am Sonntag Nr. 47 vom 20.11.1994. Eigenartigerweise sprechen sich die der Staatsangehörigkeit gegenüber überhaupt skeptisch eingestellten

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Oskar Lafontaine nennt „das auf dem Blute beruhende und aus der Zeit des Bismarckreiches stammende Staatsbürgerrecht“ einen „Anachronismus, für den es heute keine Rechtfertigung mehr gibt“771. Im wesentlichen beinhaltet die Kritik am ius sanguinis also die Vorwürfe, es fuße auf nationalsozialistischer Ideologie und sei ohnehin nicht mehr zeitgemäß. Diese „rechts- und geschichtsblinde [. . .]“772 Diskreditierung des zeitlosen ius sanguinis führt der Philosoph Lübbe auf einen „Reflex jenes Beziehungswahns [zurück], der Deutsche immer wieder einmal selbst das noch als nationalsozialistisch disqualifiziert verwerfen läßt, was die Nationalsozialisten selber weder geschätzt noch gar erfunden haben“773. Und Blumenwitz gibt zu bedenken: „Wäre das Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz [. . .] mit seinem ius sanguinis ein ,rassistisches‘ Gesetz gewesen, hätte es nach 1933 nicht der tiefgreifenden – nach 1945 wieder korrigierten – Änderungen des Staatsangehörigkeitsrechts durch das NS-Regime bedurft.“ Mit dem Gesetz über den Widerruf von Einbürgerungen und die Aberkennung der deutschen Staatsangehörigkeit von 1933 und dem Reichsbürgergesetz von 1935 habe der Nationalsozialismus den gezielten Versuch unternommen, „völkisch-nationalen Einbürgerungsgesetzen“ Geltung zu verschaffen. Daß kraft des überkommenen und heute auch wieder geltenden ius sanguinis „jeder Staatsangehörige ohne Unterschied der Rasse, der Gesinnung und der Tüchtigkeit nicht nur die gleichen Pflichten, sondern auch die gleichen politischen Rechte besaß“, sei von der NS-Gesetzgebung als „Grundübel der bisherigen Regelung“ angesehen worden.774 Wie der Name schon sagt: Die nationalsozialistische Ideologie war auf Blut und Boden gleichermaßen ausgerichtet. Auch ist die in obigem Zusammenhang vermutlich diskreditierend gemeinte Anknüpfung an das „Blut“ „nicht Ausdruck irgendeines imperialistischen Staatsgedankens oder welche nebulöse Vorstellung mit der polemisch gemeinten Gegner des ius sanguinis oft für die Hinnahme von Mehrstaatigkeit aus und führen als Argument die angebliche Unzumutbarkeit des Staatsangehörigkeitsverzichts ins Feld und widerlegen durch diese vermeintliche emotionale Belastung, die der Verzicht auf die Staatsangehörigkeit bedeutet, die These von ihrer anachronistischen Vorgestrigkeit. 771 O. Lafontaine bei einem Auftritt vor einer Pressekonferenz in Saarbrücken am 16.09.1993, zitiert nach E. Kauntz, Identität: Saar-Lor-Lux. Die Idee „Lotharingien“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 216 vom 17.09.1993. 772 Lübbe, Abschied (Fn. 630), S. 54. 773 Lübbe, Abschied (Fn. 630), S. 53. Sehr interessant in diesem Zusammenhang auch die Bonner Republik als Beispiel für ein Kollektiv mit negativ gewordener Identität durch eine Uminterpretation der objektiven Gegebenheiten bei Estel, Identität (Fn. 602), S. 130 f. Anschaulich die Wandlung der „deutschen Treue“ zum „Kadavergehorsam“. 774 Blumenwitz, Abstammungsgrundsatz (Fn. 811), S. 255 f. In eine ähnliche Richtung D. Diner, Nationalstaat und Migration. Zu Begriff und Geschichte, in: F. Balke u. a. (Hrsg.), Schwierige Fremdheit. Über Integration und Ausgrenzung in Einwanderungsländern, 1993, S. 21 (34).

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Zitierung des Bismarck-Reiches auch immer gemeint sein mag.“775 Allein aus dem Alter oder dem historischen Rahmen einer Regelung auf deren Eignung zur Bewältigung gegenwärtiger Rechtsfragen zu schließen, ist unverständlich.776 Zum einen ist der Status der Staatsangehörigkeit auf Generationen angelegt und verträgt sich nicht mit einem Denken innerhalb von Legislaturperioden. „Deshalb kann es durchaus als Zeichen von besonderer Qualität gewertet werden, wenn die Grundsätze des RuStAG über 85 Jahre hin unverändert geblieben sind.“777 Überdies zeigen die zahlreichen Änderungen des Staatsangehörigkeitsrechts seine Anpassungsfähigkeit. Der Hinweis auf das Bürgerliche Gesetzbuch von 1900, das Handelsgesetzbuch von 1897 und die Zivilprozeßordnung aus dem Jahre 1877 sollten etwaige Bedenken endgültig zerstreuen. „Was alt und bewährt ist, muß nicht zwingend falsch sein.“778 Zum anderen ist die Anknüpfung an die Abstammung kein aus dem wilhelminischen Kaiserreich stammender Ausdruck nationalistischer Überheblichkeit. Die Stärkung des Abstammungsprinzips hat zu dieser Zeit auch eine bürokratische, sozioökonomische Ratio und hängt nicht nur mit nationalisierenden Ausschlußerwägungen zusammen.779 Überheblich mutet sogar eher die Anmaßung an, staatsangehörigkeitsrechtlichen Anspruch auf jeden unter Umständen sogar zufällig im Inland geborenen Menschen zu erheben.780 Die Anknüpfung an die Abstammung „ist nicht [. . .] Ausdruck der Überbewertung der eigenen Nation, sondern ein im Zeitalter grenzüberschreitender Mobilität allgemein anerkanntes Ordnungsprinzip. [. . .] Das ,ius sanguinis‘ hat [. . .] nichts mit Rassismus oder mit ,Blut und Boden‘ zu tun, wie dies polemisch gelegentlich auch von Autoren vertreten wird, die es besser wissen müßten.“781 775

W. Löwer, Abstammungsprinzip und Mehrstaatigkeit, in: ZAR 13 (1993), S. 156

(157). 776 P. J. Glauben ist die Tatsache, daß das RuStAG aus dem Jahre 1913 stammt, ein Ausrufezeichen wert: „So stammt das Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz aus dem Jahre 1913 (!)“: ders., Eine Novellierung tut not, in: DRiZ 1993, S. 242 (242). Ziemske weist darauf hin, daß die englische Magna Charta aus dem Jahre 1215, die Verfassung der USA aus dem Jahre 1787 und die Ideale der Französischen Revolution von 1789 auch nicht zu dem Gedanken verleiten, sie seien aufgrund ihres Alters vorgestrig: ders., Staatsangehörigkeit (Fn. 699), S. 258 f. 777 Renner, Staatsangehörigkeitsrecht (Fn. 753), S. 154. 778 Schrötter/Möhlig, Staatsangehörigkeit (Fn. 683), S. 379. 779 Gosewinkel, Einbürgern (Fn. 501), S. 184. Vgl. auch oben, D. II. 1. b). 780 Gnielinski, Reform (Fn. 280), S. 77. 781 Blumenwitz, Abstammungsgrundsatz (Fn. 811), S. 255. Vgl. den ehemaligen Leiter der Außenstelle der Bonner US-Botschaft in Berlin D. H. Jones: „Wenn Deutschland keine rassistische Gesellschaft ist, warum ist dann das Staatsangehörigkeitsgesetz, das 1913 verfaßt wurde, auf Abstammung gegründet?“: ders., Ein reiches Land versinkt in Selbstmitleid, in: Die Zeit Nr. 17 vom 22.04.1994. Noch polemischer W. Wippermann, Das Blutrecht der Blutsnation. Zur Ideologie- und Politikgeschichte des ius sanguinis in Deutschland, in: J. Baumann/A. Dietl/W. Wippermann (Hrsg.), Blut oder Boden. Doppelpaß, Staatsbürgerrecht und Nationsverständnis, 1999, S. 10 ff.

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Überdies erscheint das an die Tradition in den deutschen Einzelstaaten des 19. Jahrhunderts und letztlich an seine Wiedergeburt in der Französischen Revolution anknüpfende Abstammungsprinzip nach wie vor geeigneter, staatliche Eigenart zu wahren. Die mit der Anknüpfung an die Abstammung im Regelfall verbundene gemeinsame Kultur, die gemeinsame Geschichte und Sprache, fungiert als Verbindungsglied der Angehörigen und läßt eine natürlich gewachsene Loyalität zum Staat vermuten. „Das ius sanguinis sichert die dauerhafte und wesensmäßige Zugehörigkeit der Staatsangehörigen zum Staatsvolk. Es tradiert und pflegt die gemeinsame Abstammung, die gemeinsame Sprache, die gemeinsame Religion, die gemeinsame Kultur. Es baut auf Homogenität auf und setzt den Willen hierzu voraus. Es widersetzt sich einer Staatsangehörigkeit ohne innere Zugehörigkeit. Das Ziel der Vermeidung von Mehrstaatigkeit umgeht den Loyalitätskonflikt. Es sichert ungeteilte Loyalität. [. . .] Es garantiert die unentrinnbare Folgenverantwortung des einzelnen und schafft so die Grundlage der Überwindung individueller wie partikularer Interessen zum Wohle der Gesamtheit. Es geht davon aus, daß das Staatsvolk sich selbst als Schicksalsgemeinschaft betrachtet. In ihrem Zusammenwirken sind beide Prinzipien Fundament nationaler Einheit.“782 Das ius soli stellt hingegen auf den Geburtsort ab. Das Kind erwirbt die Staatsangehörigkeit seines Geburtsstaates. Eine Garantie für ein Mindestmaß an Integration liegt aber bei der Geburt nur vor, „wenn die Eltern die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen. Nur dann ist nämlich gewährleistet, daß die Kinder in der deutschen Tradition erzogen werden. Das aber bedeutet etwa, daß der Gesetzgeber das ius-soli-Prinzip nur einführen darf, wenn er weitere Garantien für die Integration in den deutschen Kulturverband vorsieht.“783 Mißlingt diese, vermag das Ius-soli-Prinzip die durch das Abstammungsprinzip gesicherte innere Einheit der Staatsangehörigen zu gefährden.784 „Dieses, an die mittelalterDoch auch jenseits dieser Polemik wird immer wieder Kritik am ius sanguinis laut: Es sei veraltet und werde modernen Verhältnissen nicht mehr gerecht. 782 Scholz/Uhle, Staatsangehörigkeit (Fn. 701), S. 1512. 783 Bleckmann, Anwartschaft (Fn. 280), S. 1399. 784 So in Frankreich. Vgl. dazu die Aussagen von „Franzosen“ in Brubaker, StaatsBürger (Fn. 254), S. 193: „Man hat französische Papiere, weil das praktisch ist.“; „Ich habe mir meinen blauen Ausweis geholt, weil ich ihn brauche, um nach Spanien in [sic] Urlaub zu fahren.“; „Franzose zu sein ist eine praktische Entscheidung: Man hat es leichter bei Kontrollen, beim Job, bei Behörden. [. . .] Man verliert also nichts, wenn man sie [die französische Staatsangehörigkeit, J. D. K.] annimmt.“ Blumenwitz weist auf die „ideologische Aura“ und den „pragmatischen Gehalt“ des ius soli in Frankreich hin: Es bestehe ein universaler Anspruch der Republik als gelobtes Land der Freiheit und der Menschenrechte, außerdem profitierte es durch den seinerzeitigen Zugewinn an Arbeitern, Soldaten und Steuerzahlern: ders., Territorialitätsprinzip (Fn. 811), S. 155; ders., Abstammungsgrundsatz (Fn. 811), S. 257. Zumindest im 19. Jahrhundert ist es nicht nur die Überzeugung von der „prägenden Kraft der überlegenen französischen Zivilisation“, sondern v. a. die erwünschte Französisierung eroberter Gebiete wie Savoyens und die Rechtfertigung für die Heranziehung zum Wehrdienst,

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lichen Zustände erinnernde Prinzip wird heute meist von bevölkerungsarmen sowie von Einwandererstaaten der Übersee befolgt.“785 Es gibt zahlreiche und vielfältige weitere Gesichtspunkte, die für das ius sanguinis sprechen. Im Zeitalter der Freizügigkeit und Mobilität vermeidet das ius sanguinis Geburtszufälligkeiten. „Die Zufälligkeit der Geburt auf einem Territorium vermittelt nicht mehr materielle Gerechtigkeit als das Abstammungsprinzip – von den modernen Formen des sogenannten Entbindungs-Tourismus ganz zu schweigen.“786 Geburten im Ausland führen nicht wie beim ius soli zu einer staatsangehörigkeitsrechtlichen Trennung der Eltern von ihren Kindern, für die bei Auslandsgeburten in ius-sanguinis-beherrschten Gebieten sogar das Risiko der Geburt in die Staatenlosigkeit besteht.787 Entscheidend ist die größere Nähe zum Heimatstaat, denn Staatsangehörigkeit ist auch Ausdruck einer wechselseitigen Bindung, die im demokratischen Staat einen wechselseitigen Verantwortungszusammenhang konstituiert.788 Das angestrebte Näheverhältnis wird vor allem über gemeinsame Kultur, über gemeinsame Geschichte und Sprache erzeugt.789 Die Träger dieser gemeinschaftsbezogenen Attribute sind aber die Eltern des in die Staatsangehörigkeit kraft Abstammung geborenen Abkömmlings.790 „Denn die Abstammung gibt begründete Anhaltspunkte einer gemeinschaftlichen Homogenität durch gemeinsame Sprache, Geschichte und Kultur, die die französische Staatsangehörigkeit relativ einfach erlangen läßt: Quaritsch, Einbürgerungspolitik (Fn. 697), S. 491; Gosewinkel, Einbürgern (Fn. 501), S. 288. 785 S. Braga, Zur Dogmatik des Staatsangehörigkeitsrechts, in: K.-H. Böckstiegel u. a. (Hrsg.), Völkerrecht. Recht der Internationalen Organisationen. Weltwirtschaftsrecht. Festschrift für Ignaz Seidl-Hohenveldern, 1988, S. 35 (47). Auch Gnielinski verweist auf das Mittelalter und unterstreicht das Unterworfensein unter einen über ein bestimmtes Territorium Macht ausübenden Herrscher. Der Erwerb kraft Abstammung ist für ihn folgerichtig die „modernere“ Möglichkeit: ders., Reform (Fn. 280), S. 76. 786 Blumenwitz, Territorialitätsprinzip (Fn. 811), S. 155; ders., Abstammungsgrundsatz (Fn. 811), S. 255. 787 Ziemske, Staatsangehörigkeit (Fn. 699), S. 238. 788 Löwer, Abstammungsprinzip (Fn. 775), S. 157; v. Mangoldt weist darauf hin, daß diese Nähe bei Normen, die an die Staatsangehörigkeit anknüpfen, aufgenommen wird, „gleichsam als Prämisse der Funktionsfähigkeit des jeweils geregelten Lebensbereiches und als unverzichtbare Vorbedingung praktisch wirksamer bzw. gerechter Ordnung“: ders., Ius sanguinis-Prinzip (Fn. 683), S. 33. 789 Vgl. abermals oben B. I. 1. 790 Ziemske, Staatsangehörigkeit (Fn. 699), S. 238. Auch das BVerfG nimmt an, daß sich die Verbundenheit zum Staat bereits aus der familiären Gemeinschaft ergibt: „Das Abstammungsprinzip als Grundlage des Staatsangehörigkeitserwerbs wirkt nach zwei Seiten: Einmal soll die Bindung an den Staat gerade über die Bindung an die eigenständige soziale Einheit der Familie vermittelt und gewährleistet werden, zum anderen macht die gemeinsame Bindung an eine bestimmte staatliche Gemeinschaft einen Teil der vielfältigen engen Beziehungen zwischen Eltern und Kindern aus und trägt dazu bei, den Zusammenhang in der Familie zu dokumentieren und zu stärken.“: BVerfGE 37, 217 (246). „Bei der nur zufälligen Geburt im Land, die das ius-soli-Prinzip regiert, ist hingegen eine derartige intensive komplexe und integrative Beziehung nicht mehr ersichtlich. Ohne zusätzliche Einbindungskriterien [. . .] behält diese Anknüpfung den

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und schafft so eine natürliche Verbundenheit der Staatsangehörigen, deren Näheverhältnis zum Staatsverband im Regelfall eng genug ist, Loyalitätsprobleme erst gar nicht aufkommen zu lassen.“791 Die Kritik, bei der Geburt ließen sich Homogenitätsmerkmale noch nicht belegen, und die Zuerkennung der Staatsangehörigkeit bei der Geburt stütze sich lediglich auf eine Integrationsprognose792, übersieht, daß mit der Abstammung nicht nur genannte Anhaltpunkte verbunden sind, sondern mit ihr bereits ein wichtiges Merkmal vorliegt. 3. Verfassungsrechtliche Grundstrukturen für die Regelung der deutschen Staatsangehörigkeit Auch wenn das Grundgesetz keine ausdrücklichen Kriterien für die Regelung der deutschen Staatsangehörigkeit durch den Gesetzgeber enthält, ist dieser bei der Regelung des Staatsangehörigkeitsrechts nicht völlig freigestellt. Aus der Funktion der Staatsangehörigkeit als konstituierendes Element des Staatsvolkes und ihrer Ausgestaltung als verfassungsrechtlicher Status lassen sich verfassungsrechtliche Grundstrukturen ableiten.793 Welche Grundstrukturen dies sind und vor allem inwieweit diese den Gesetzgeber binden, ist umstritten. So wird angenommen, die Grundsätze des deutschen Staatsangehörigkeitsrechts bildeten ihren verfassungsrechtlich geschützten Kernbereich.794 Deutlich sichtbar ist, daß zwei bereits im 19. Jahrhundert aufgestellte Prinzipien der deutschen Staatsangehörigkeit ihr spezifisches Gepräge geben. Es sind dies der Grundsatz des ius sanguinis und der Grundsatz der ausschließlichen Staatsangehörigkeit.795 Das ius sanguinis beinhaltet die Anknüpfung des Geburtserwerbs der Staatsangehörigkeit an die Abstammung. Mit einem deutschen Elternteil erwirbt das Kind mit der Geburt die deutsche Staatsangehörigkeit. Bereits in der Antike ist es herrschendes Erwerbsprinzip.796 Im Mittelalter in Vergessenheit geraten, wird Charakter eines archaischen Beuteprinzips, dessen Völkerrechtmäßigkeit [. . .] prüfungsbedürftig bleibt.“: Grawert, Staat (Fn. 690), S. 224. 791 B. Ziemske, Verfassungsrechtliche Garantien des Staatsangehörigkeitsrechts, in: ZRP 1994, S. 229 (232); ders., Staatsangehörigkeit (Fn. 699), S. 291. 792 Wallrabenstein, Verfassungsrecht (Fn. 686), S. 165. 793 Hailbronner, Reform (Fn. 751), S. 1275. 794 Scholz/Uhle, Staatsangehörigkeit (Fn. 701), S. 1512. 795 Ziemske, Staatsangehörigkeit (Fn. 699), S. 35 f., 230 ff.; Gnielinski, Reform (Fn. 280), S. 24; Scholz/Uhle, Staatsangehörigkeit (Fn. 701), S. 1512. Renner nennt neben dem ius sanguinis die enge Beschränkung der Verlustgründe als zweites Strukturprinzip, weist jedoch auf die Bedeutung des öffentlichen Interesses an der Vermeidung von Mehrstaatigkeit auf der Seite der Verlustgründe hin: ders., Staatsangehörigkeitsrecht (Fn. 753), S. 154 f. Auch Sturm/Sturm sehen, zumindest bis zur Reform des Staatsangehörigkeitsrechts, das ius sanguinis und die ausschließliche Staatsangehörigkeit als Grundprinzipien: dies., Staatsangehörigkeitsrecht (Fn. 746), S. 21. 796 Vgl. Ziemske, Staatsangehörigkeit (Fn. 699), S. 239 ff.; Gnielinski, Reform (Fn. 280), S. 7 f.

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es im Zeitalter der Aufklärung wieder entdeckt und erfährt eine immense rechtspolitische Förderung durch die Französische Revolution. In Deutschland setzt es sich zunächst in den Einzelstaaten des 19. Jahrhunderts durch. Unter Vorbildfunktion des preußischen Gesetzes von 1842 etabliert sich das ius sanguinis 1870 zunächst auf Bundes- und 1871 auf Reichsebene und wird im RuStAG 1913 bekräftigt. Ausschließliche Staatsangehörigkeit hingegen meint die Vermeidung mehrfacher Staatsangehörigkeit, die im 19. Jahrhundert auch international ein wichtiges Anliegen ist.797 Mehrstaatigkeit gilt in der Staats- und Völkerrechtslehre dieser Zeit als unerwünscht. Staatsangehörigkeit sei unteilbar und exklusiv, sie schmiede ein Band wechselseitiger Treue zwischen dem Staat und seinen Bürgern. „Niemand kann zwei Herren dienen“798 ist eine in diesem Zusammenhang häufig zitierte Sentenz. Und so liegt der Grundsatz der ausschließlichen Staatsangehörigkeit sowohl dem „Gesetz über die Erwerbung und den Verlust der Bundes- und Staatsangehörigkeit“ von 1870 als auch dem RuStAG von 1913 zugrunde.799 Die prägende Wirkung dieser Prinzipien für das deutsche Staatsangehörigkeitsrecht ist weitgehend unumstritten. Daß es sich bei diesen Grundsätzen um 797 Das belegen bspw. der englisch-amerikanische Naturalisationskonflikt, vgl. Grawert, Staat (Fn. 690), S. 233, und Ziemske, Staatsangehörigkeit (Fn. 699), S. 249, oder die zwischen Norddeutschem Bund und den USA abgeschlossenen Bancroft-Verträge, vgl. v. Mangoldt, Probleme (Fn. 768), S. 966, G. Renner, Ausländerintegration, ius soli und Mehrstaatigkeit, in: FamRZ 1994, S. 865 (867), Ziemske, Staatsangehörigkeit (Fn. 699), S. 152, und Gosewinkel, Einbürgern (Fn. 501), S. 158 ff. 798 So Ferdinand von Martitz 1875, zitiert nach Ziemske, Staatsangehörigkeit (Fn. 699), S. 231. Die Zeitgemäßheit dieser Ansicht stellt R. Marx, Reform der [sic] Staatsangehörigkeitsrechts: Mythische oder rechtlich begründete Hindernisse?, in: ZAR 17 (1997), S. 67 (73), in Frage; kritisch auch Wallrabenstein, Untertan (Fn. 741), S. 277. Zur internationalen Ablehnung und Bekämpfung mehrfacher Staatsangehörigkeit auch v. Mangoldt, Probleme (Fn. 768), S. 965. Als Problemfelder mehrfacher Staatsangehörigkeit nennt ders. Kollisionen im Pflichtenstatus, Verkürzung des Schutzrechtes des Staates und geminderte Loyalität des Betroffenen: Probleme (Fn. 768), S. 966 f. Zum Schutzrecht D. Blumenwitz, Die deutsche Staatsangehörigkeit und die Schutzpflicht der Bundesrepublik Deutschland, in: A. Heldrich/D. Henrich/H. J. Sonnenberger (Hrsg.), Konflikt und Ordnung. Festschrift für Murad Ferid zum 70. Geburtstag, 1978, S. 439 ff. Allgemein zu den Vor- und Nachteilen von Mehrstaatigkeit Renner, Ausländerintegration (Fn. 753), S. 870 f.; K. Hailbronner, Doppelte Staatsangehörigkeit, in: ZAR 19 (1999), 51 (52 ff.); eingehend Gnielinski, Reform (Fn. 280), S. 175 ff. 799 Dies, obgleich auch deutsche Staatsangehörigkeitsregelungen Mehrstaatigkeit zur Folge haben können, vgl. die Auflistung bei v. Mangoldt, Probleme (Fn. 768), S. 969 ff. Zu dem „Übel der Mehrstaatigkeit“ Löwer, Abstammungsprinzip (Fn. 775), S. 158 f. Masing meint allerdings, die Aussage des BVerfG, auf die dieses Schlagwort zurückgeht, sei „heute in dieser Allgemeinheit nicht mehr haltbar“, anerkennt aber dennoch die mit Mehrstaatigkeit verbundenen Schwierigkeiten: ders. (Fn. 683), Art. 16 Rn. 18. Rittstieg bewertet sie sogar als „eindeutig falsch“, dies zeige die internationale Praxis: ders., Staatsangehörigkeit (Fn. 686), S. 1388.

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verfassungsrechtliche Bindungen der Legislative handelt, wird jedoch in Frage gestellt. Zu ihrer Festlegung auf diese Prinzipien existieren mehrere Ansätze. a) Bindung durch Tradition? Zu Recht wird auf die „geschichtlich tiefe [. . .] Verwurzelung“ des „traditionell von einer relativ konsequenten Geltung des Abstammungsprinzips und restriktiven Einbürgerungsvorschriften“ geprägten deutschen Staatsangehörigkeitsrechts verwiesen.800 Der staatsexistentiell-bedeutsame wie sensible, weil den Staat in seiner Identität betreffende Charakter des Staatsangehörigkeitsrechts sei seinem Wesen nach auf Kontinuität angelegt und vermeide nicht nur den Abbruch rechtlicher Traditionen, sondern knüpfe dezidiert an die hergebrachten Grundsätze deutscher Staatsangehörigkeit an.801 Traditionen sind jedoch immer nur bedingt als Argument zu gebrauchen. Und so verwundert die Kritik nicht: Der Verweis auf das „geschichtlich gewachsene Wesen deutscher Staatsangehörigkeit“802 überzeuge nicht und laufe auf eine „unzulässige Vorwegnahme des gewünschten Ergebnisses“803 hinaus. b) Bindung durch das Demokratieprinzip? Weiterhin wird das Demokratieprinzip ins Feld geführt.804 „Nicht Demokratie schafft das Volk, sondern ein Volk schafft sich seine Demokratie“ lautet der eingängige Satz805, der verdeutlichen will, daß es dem Gesetzgeber aus dem Demokratieprinzip des Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG untersagt sein könnte, die Zusammensetzung des Staatsvolkes durch Änderungen der staatsangehörigkeitsrechtlichen Prinzipien zu beeinflussen. In einer solchen Einflußnahme „könnte eine unzulässige ,Selbstlegitimation des Gesetzgebers‘ zu sehen sein, weil er sich selbst das ,Volk‘ schafft“806. So ginge die Staatsgewalt primär nicht direkt vom 800

Masing (Fn. 683), Art. 16 Rn. 47. Scholz/Uhle, Staatsangehörigkeit (Fn. 701), S. 1510. Diese Anknüpfung an das „geschichtlich gewachsene Wesen deutscher Staatsangehörigkeit“ erfolgt bei dens. bei der Bestimmung des institutionell geschützten Kernbereichs deutscher Staatsangehörigkeit: ebd., S. 1512. 802 Scholz/Uhle, Staatsangehörigkeit (Fn. 701), S. 1512. 803 Hailbronner, Reform (Fn. 751), S. 1275. 804 Vgl. zum Demokratieprinzip als Argument in diesem Zusammenhang auch Wallrabenstein, Verfassungsrecht (Fn. 686), S. 98 ff. 805 Quaritsch, Staatsangehörigkeit (Fn. 692), S. 9. Knapp zur Bedeutung der Staatsangehörigkeit für die Funktionsfähigkeit der Demokratie Böckenförde, Demokratie (Fn. 652), Rn. 26. 806 Gnielinski, Reform (Fn. 280), S. 141. So auch H.-U. Predeick, Staatsangehörigkeit und Ausländerpolitik. Verfassungsrechtliche Probleme der Einführung des ius soli-Prinzips, in: DVBl. 1991, S. 623 (629). 801

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Volke aus, sondern der erste Schritt vollzöge sich gleichsam „von oben nach unten“. Damit sich die Legitimationsbeziehung nicht durch die Schaffung eines der Staatsgewalt genehmen Volkes umkehrt, müßten sich die Erwerbs- und Verlustregeln an einem materiellen Staatsangehörigkeitsbegriff orientieren.807 Die Aussagekraft dieses Arguments wird bei näherer Betrachtung meist als gering eingestuft. Der Begriff des Staatsvolkes sei prinzipiell der einfachgesetzlichen Regelung und Veränderung zugänglich.808 Die oben angesprochene Argumentation berge die Gefahr eines Zirkelschlusses809, da der durch das Staatsangehörigkeitsrecht Umfang und Zusammenhang des Volkes bestimmende Gesetzgeber als Teil der vom Volk zu legitimierenden Staatsgewalt im Sinne des Art. 20 Abs. 2 GG seinerseits vom Volk bestimmt worden ist. Aus dem Demokratiebegriff des Grundgesetzes ergebe sich somit kein verfassungsrechtliches Argument gegen eine Einbeziehung des ius soli.810 Vielmehr sei es zur „Wahrung des Demokratiegebots“ „nicht nur verfassungsrechtlich unbedenklich, sondern auch verfassungspolitisch erwünscht, die Legitimationsbasis der Volkssouveränität um die ausländische Wohnbevölkerung zu erweitern“811. Auch diese Auslegung des Demokratieprinzips bleibt wiederum nicht unwidersprochen: Es gebe keinen zwingenden Grund, die aufgrund der Gebietshoheit ausgeübte Herrschaftsgewalt mit der Personalhoheit in Übereinstimmung 807 Gnielinski, Reform (Fn. 280), S. 141. Zur Lehre von der materiellen Staatsangehörigkeit vgl. unten. 808 Schrötter/Möhlig, Staatsangehörigkeit (Fn. 683), S. 376; Hailbronner, Reform (Fn. 751), S. 1275 f. „So überläßt das Grundgesetz [. . .] die Regelung der Voraussetzungen für Erwerb und Verlust der Staatsangehörigkeit und damit auch der Kriterien, nach denen sich die Zugehörigkeit zum Staatsvolk des näheren bestimmt, dem Gesetzgeber. Das Staatsangehörigkeitsrecht ist daher auch der Ort, an dem der Gesetzgeber Veränderungen [. . .] Rechnung tragen kann.“: BVerfGE 83, 37 (52). 809 Predeick, Staatsangehörigkeitsrecht (Fn. 806), S. 629. 810 Hailbronner, Reform (Fn. 751), S. 1275. 811 Zitiert nach D. Blumenwitz, Territorialitätsprinzip und Mehrstaatigkeit, in: ZAR 13 (1993), S. 151 (153); ders., Abstammungsgrundsatz und Territorialprinzip. Zur Frage der Hinnahme doppelter Staatsangehörigkeit in Deutschland, in: Zeitschrift für Politik 41 (1994), S. 246 (253). Als Begründung wird häufig auf die BVerfGE 87, 37 zum kommunalen Ausländerwahlrecht verwiesen, in der es heißt, „es entspreche der demokratischen Idee, insbesondere dem in ihr enthaltenen Freiheitsgedanken, eine Kongruenz zwischen den Inhabern demokratischer politischer Rechte und den dauerhaft einer bestimmten staatlichen Herrschaft Unterworfenen herzustellen.“ ebd., S. 52. Blumenwitz weist auf die Bruchstückhaftigkeit des Zitats hin: ders., Territorialitätsprinzip (Fn. 811), S. 153; ders., Abstammungsgrundsatz (Fn. 811), S. 253. Die „Umgebung“ des Zitats liest sich wie folgt: „Es trifft nicht zu, daß wegen der erheblichen Zunahme des Anteils der Ausländer an der Gesamtbevölkerung des Bundesgebietes der verfassungsrechtliche Begriff des Volkes einen Bedeutungswandel erfahren habe. Hinter dieser Auffassung steht ersichtlich die Vorstellung, [. . .] Das ist im Ausgangspunkt zutreffend, kann jedoch nicht zu einer Auflösung des Junktims zwischen der Eigenschaft als Deutscher und der Zugehörigkeit zum Staatsvolk als dem Inhaber der Staatsgewalt führen.“ Das Urteil ablehnend Wallrabenstein, Verfassungsrecht (Fn. 686), S. 103 ff.

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zu bringen. Gebiets- und Personalhoheit verfolgten völlig unterschiedliche Zielsetzungen. Den Anforderungen sei völlig entsprochen, wenn die ganz überwiegende Mehrzahl der aufgrund Gebietshoheit Gewaltunterworfenen berechtigt ist, diese Staatsgewalt demokratisch zu legitimieren.812 Böckenförde bringt dies deutlich zum Ausdruck: „Die nicht selten vertretene Ansicht, zur Demokratie gehöre, daß alle von staatlicher Herrschaft jeweils Betroffenen diese legitimieren, ist nicht haltbar.“813 Zwar schafft die Auferlegung von Rechtspflichten einen Rechtfertigungsdruck für den Ausschluß von Rechtssubjekten, es kann aus ihr aber nicht unmittelbar auf deren Einbeziehung in den demokratischen Legitimationszusammenhang der verpflichtenden Ordnung geschlossen werden.814 Überdies wird eingewendet, die verstärkte Hinnahme der Mehrstaatigkeit verstoße gegen die demokratietheoretischen Grundlagen des deutschen Staatsangehörigkeitsrechts, denn die Doppelstaatigkeit begründe gerade nicht die gleichartige Unterworfenheit, sondern eine Privilegierung von Ausländern.815 Durch die Möglichkeit des Staatenwechsels werde für den Mehrstaater der Staat von einer Schicksals- zu einer Privilegiengemeinschaft.816 Daher beeinträchtige Mehrstaatigkeit das demokratische Prinzip. Sie gestalte die Herrschaft des Volkes in Selbstverantwortung zu einer Herrschaft der Fremdverantwortung. Die zur Gestaltung mitberechtigten Mehrstaater trügen nicht schicksalhaft wie die Einzelstaater die Folgen ihres politischen Handelns. Sie genössen auf Grund vermehrter Freizügigkeit das Privileg, handeln zu dürfen, ohne letztlich verantworten zu müssen.817 „Jemand, der weiß, daß er teilhat an der Verantwortungsgemeinschaft seines Volkes, übt seine Rechte anders aus als jemand, der dieser Schicksalsgemeinschaft nicht auf Gedeih und Verderb angehört, sondern eben nur auf Gedeih.“818 Die möglicherweise nicht eindeutige Zuordnung zu einer staatlichen

812 Blumenwitz, Territorialitätsprinzip (Fn. 811), S. 154; ders., Abstammungsgrundsatz (Fn. 811), S. 253. Lang meint sogar, wer zur politischen Gemeinschaft gehört, sei keine Frage der Demokratie, sondern hänge von politischen Interessen und vom Nations- und Staatsangehörigkeitsverständnis ab: ders., Grundkonzeption (Fn. 683), S. 290. 813 Böckenförde, Demokratie (Fn. 652), Rn. 27. 814 C. Möllers, Gewaltengliederung. Legitimation und Dogmatik im nationalen und internationalen Rechtsvergleich, 2005, S. 55. 815 Vgl. dazu auch Renner, Ausländerintegration (Fn. 797), S. 871, und Hailbronner, Staatsangehörigkeit (Fn. 798), S. 56. Vgl. im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG Gnielinski, Reform (Fn. 280), S. 126 f. 816 Ziemske, Staatsangehörigkeit (Fn. 699), S. 304. Böckenförde weist darauf hin, daß die deutsche Staatsangehörigkeit nicht eine Formalie, sondern Ausdruck einer „politische[n] Schicksalsgemeinschaft“ ist, die das Schicksal des Staatsbürgers unlösbar mit Leben und Schicksal des Staates verknüpft: ders., Demokratie als Verfassungsprinzip, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. 1, 2. Aufl. 1995, § 22 Rn. 26. 817 Ziemske, Staatsangehörigkeit (Fn. 699), S. 330. 818 J. Isensee, zitiert nach H. Krumrey/U. Reitz, Die Grenze verläuft durch die Koalition, in: Focus Nr. 24 vom 13.06.1994.

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Gemeinschaft lasse, zumindest bei Fehlen jeglicher Kontrollmöglichkeiten, den Mehrstaater als Träger staatlicher Gewalt ungeeignet erscheinen.819 Die prinzipielle Hinnahme der doppelten Staatsangehörigkeit verstoße also gegen die mit der Staatsangehörigkeit typischerweise verbundene Ausschließlichkeit und Unteilbarkeit des Treue- und Pflichtenverhältnisses.820 Nur bei einer ausschließlichen Staatsangehörigkeit stehe der „wechselseitige [. . .] Verantwortungszusammenhang“821 zwischen Rechten und Pflichten in einem ausgewogenen Verhältnis.822 Aus dem Grundgesetz ergebe sich daher ein Gebot der Einzelstaatigkeit, das nur bei Vorliegen besonderer traditioneller Legitimationskriterien ausnahmsweise durchbrochen werden dürfe.823 Kritiker dieser These behaupten, sie lasse sich weder mit dem Demokratieprinzip noch mit der Funktion der Staatsangehörigkeit erhärten. Gegen einen verfassungsrechtlichen Grundsatz der Einzelstaatigkeit spreche bereits, daß das geltende Staatsangehörigkeitsrecht herkömmlich immer Doppelstaatigkeit zugelassen habe.824 c) Bindung durch Art. 16 Abs. 1 GG und Art. 116 Abs. 1 GG? Auch Art. 16 Abs. 1 GG und Art. 116 Abs. 1 GG treffen keine abschließenden Aussagen bezüglich der Regelung der deutschen Staatsangehörigkeit. Meist jedoch erfolgt die Verankerung des ius sanguinis und der Ausschließlichkeit der Staatsangehörigkeit im Grundgesetz über diese beiden Artikel.825 In Art. 16 GG 819

Gnielinski, Reform (Fn. 280), S. 142. So auch Renner, Ausländerintegration (Fn. 797), S. 871, und im Ergebnis Ziemske, Staatsangehörigkeit (Fn. 699), S. 277 ff. 821 Löwer, Abstammungsprinzip (Fn. 775), S. 157. 822 So auch Schrötter/Möhlig: „Nur derjenige, der bereit ist, die volle Verantwortung für staatliches Handeln zu tragen, identifiziert sich [. . .] hinreichend mit dem Staat [. . .].“: dies., Staatsangehörigkeit (Fn. 683), S. 378. 823 Dazu Ziemske, Staatsangehörigkeit (Fn. 699), S. 295 ff. So auch v. Mangoldt, Probleme (Fn. 768), S. 969 ff. 824 Hailbronner, Reform (Fn. 751), S. 1276. Vgl. auch F. Franz, der eine Zunahme von Doppelstaatigkeit prophezeit und meint: „Das gibt Hoffnung. Mehrstaater haben sich aus der Enge nationalen Denkens gelöst.“: ders., Einbürgerungsanspruch für Nichtdeutsche mit Bleiberecht, in: ZAR 8 (1988), S. 148 (152). 825 Art. 16 Abs. 1 GG lautet: „Die deutsche Staatsangehörigkeit darf nicht entzogen werden. Der Verlust der Staatsangehörigkeit darf nur auf Grund eines Gesetzes und gegen den Willen des Betroffenen nur dann eintreten, wenn der Betroffene dadurch nicht staatenlos wird.“; Art. 116 Abs. 1 GG lautet: „Deutscher im Sinne dieses Grundgesetzes ist vorbehaltlich anderweitiger gesetzlicher Regelung, wer die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt oder als Flüchtling oder Vertriebener deutscher Volkszugehörigkeit oder als dessen Ehegatte oder Abkömmling in dem Gebiete des Deutschen Reiches nach dem Stande vom 31. Dezember 1937 Aufnahme gefunden hat.“ Es wird vertreten, daß neben diesen beiden, speziell auf die Staatsangehörigkeit bezogenen Bestimmungen auch andere, insbesondere Grundrechtsartikel auf das deutsche Staatsangehörigkeitsrecht einwirken: Ziemske, Staatsangehörigkeit (Fn. 699), 820

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und Art. 116 GG umfange das Grundgesetz die Grundsätze des Abstammungsprinzips und der Ausschließlichkeit der Staatsangehörigkeit mit seinem verfassungsrechtlichen Schutz und statuiere die Vorgaben für die Fortentwicklung des Staatsangehörigkeitsrechts. Das Grundgesetz sichere die überragende Bedeutung deutscher Staatsangehörigkeit grund- und institutionellrechtlich und determiniere so den gesetzgeberischen Gestaltungsspielraum bei der einfachgesetzlichen Ausgestaltung des Rechts der Staatsangehörigkeit.826 Unbestritten geht Art. 16 Abs. 1 GG „vom Bestehen und vom Fortbestand einer deutschen Staatsangehörigkeit als Rechtsinstitut aus. In diesem Sinne enthält Art. 16 Abs. 1 GG eine institutionelle Garantie der Staatsangehörigkeit.“827 Die Notwendigkeit einer solchen Garantie zeigt sich an verschiedenen Stellen des Grundgesetzes, an denen dieses die deutsche Staatsangehörigkeit als maßgebliches Anknüpfungskriterium wählt. Fraglich ist aber, wie die institutionelle Garantie beschaffen ist, ob es sich also nur um eine grundsätzliche Existenzgarantie oder auch um eine inhaltliche Bestandsgarantie handelt. Letztere beinhaltete dann die Anwendung des ius sanguinis und die Vermeidung von Mehrstaatigkeit. Nach einer Ansicht umfaßt die Institutsgarantie das ius sanguinis und die Einzelstaatlichkeit als deren Grundsätze.828 Art. 16 Abs. 1 S. 1 GG gewährleiste die Staatsangehörigkeit objektiv-rechtlich als Institution und verstärke damit ihre subjektiv-rechtliche Garantie. Da die deutsche Staatsangehörigkeit als Grundrecht garantiert sei, müsse ihr Wesensgehalt im Sinne des Art. 19 Abs. 2 GG geschützt werden. Zum verfassungsrechtlich geschützten Kerngehalt der deutschen Staatsangehörigkeit zählten ihre Grundsätze. Diese zeigten sich auch im Entzugsverbot des Art. 16 Abs. 1 S. 1 GG. Das weltweit fast einmalige Entzugsverbot habe zur Folge, daß die mit der Staatsangehörigkeit verbundenen Loyalitätsbindungen beim Erwerb der Staatsangehörigkeit zu berücksichtigen seien, woraus folge, daß neben dem gesteigerten Schutz vor Beseitigung auch erhöhte Voraussetzungen für den Erwerb bestehen müßten.829 Diese seien die S. 60; dazu auch, namentlich zu Art. 3 Abs. 1 GG und Art. 6 Abs. 1 GG, Gnielinski, Reform (Fn. 280), S. 126 ff.; ausführlich Predeick, Staatsangehörigkeit (Fn. 806), S. 635 ff.; kritisch Schrötter/Möhlig, Staatsangehörigkeit (Fn. 683), S. 376. 826 Scholz/Uhle, Staatsangehörigkeit (Fn. 701), S. 1510. 827 M. w. N. Masing (Fn. 683), Art. 16 Rn. 77; so auch, abermals m.w. N. Gnielinski, Reform (Fn. 280), S. 134; Scholz/Uhle, Staatsangehörigkeit (Fn. 701), S. 1511. 828 Ziemske, Staatsangehörigkeit (Fn. 699), S. 289 ff.; ders., Über den Versuch, Sachprobleme durch neue Begrifflichkeit zu lösen, in: ZRP 1995, S. 380 (380); Scholz/Uhle, Staatsangehörigkeit (Fn. 701), S. 1511. 829 Hier zieht Ziemske Parallelen zu anderen Institutsgarantien wie der Eigentumsgarantie und den Grundsätzen des Berufsbeamtentums. Der Gesetzgeber habe bei der Regelung dieser Materien die verfassungsrechtlichen Vorgaben der Art. 14 GG und Art. 33 Abs. 5 GG zu beachten. Den dadurch hervorgerufenen höheren Anforderungen an eine Baubeseitigungsverfügung oder die Entlassung eines Beamten gelte es schon

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Grundsätze des ius sanguinis und der Einzelstaatigkeit. Beide Prinzipien seien zum Erhalt der verfaßten Staatlichkeit erforderlich, um das permanente Problem der Mehrstaatigkeit einzudämmen und damit dem gesteigerten Beseitigungsschutz der deutschen Staatsangehörigkeit gebührend Rechnung zu tragen.830 Zudem habe die auf dem RuStAG von 1913 beruhende gesamtdeutsche Staatsangehörigkeit im Zusammenhang mit dem Wiedervereinigungsgebot Stabilitätscharakter gehabt, der es verlangt habe, daß am Staatsangehörigkeitsrecht keine grundlegenden Veränderungen vorgenommen werden durften. Da auch jenseits von Oder und Neiße noch deutsche Staatsangehörige lebten, denen der Schutz des Art. 16 Abs. 1 S. 1 GG zukomme, sei die Stabilitätsfunktion auch mit der Wiedervereinigung nicht entfallen.831 Damit stehe die Ausgestaltung der Staatsangehörigkeit nicht im freien Belieben des Gesetzgebers. Das Ergebnis lautet: „Verfassungsrechtlich sind die Grundsätze des ius sanguinis und der ausschließlichen Staatsangehörigkeit in Art. 16 Abs. 1 S. 1 GG garantiert.“832 Nach anderer Ansicht ist die institutionelle Garantie der deutschen Staatsangehörigkeit in Art. 16 Abs. 1 GG nur insoweit enthalten, als das Rechtsinstitut als solches, nicht aber auch konkrete Formen des Erwerbs garantiert oder verboten sind. „Eine Festlegung auf eine bestimmte Ausgestaltung der Staatsangehörigkeit – etwa auf eine bestimmte, dem traditionellen deutschen Nationalitätsverständnis entsprechende Konzeption der Zugehörigkeit – ist mit der institutionellen Garantie der Staatsangehörigkeit [indes] nicht verbunden. Insbesondere schreibt Art. 16 Abs. 1 S. 2 GG keine bestimmte Rechtsgestaltung hinsichtlich der Erwerbsgründe der Staatsangehörigkeit fest [. . .].“833 Auch den Grundsatz der ausschließlichen Staatsangehörigkeit sieht diese Ansicht nicht in Art. 16

bei Erlaß der Baugenehmigung bzw. der Einstellung in den Staatsdienst Rechnung zu tragen. Gleiches müsse auch für die Institution der deutschen Staatsangehörigkeit gelten: ders., Garantien (Fn. 791), S. 231. 830 „Einmal in den deutschen Staatsverband aufgenommen, erstreckt sich wegen der Bestandsgarantie des Art. 16 I 1 GG eine nachträgliche Kontrolle der Aufnahme auf eine bloße Rechtskontrolle [. . .].“: Ziemske, Garantien (Fn. 791), S. 231. „Wenn aber Art. 16 I GG derart begrenzt, müssen an den Erwerb der Staatsangehörigkeit im Interesse der Aufrechterhaltung der staatlichen Funktionen Kriterien gestellt werden, die geeignet sind, das Konfliktpotential aus Mehrstaatigkeit zu minimieren. Aus diesem Grunde verankert Art. 16 I GG zum einen den Grundsatz der Einzelstaatigkeit. Die deutsche Staatsangehörigkeit soll ausschließlich bleiben, denn Konkretisierungen des Konflikts mit anderen Zugehörigkeiten steht das Grundgesetz machtlos gegenüber. Zum anderen gebietet Art. 16 I GG aus diesem Grunde auch den Abstammungsgrundsatz. Denn im direkten Vergleich mit dem ius soli ist das ius sanguinis besser geeignet, dem beständigen Mehrstaaterkonflikt entgegenzutreten.“: Ziemske, Staatsangehörigkeit (Fn. 699), S. 290 f. Diese Kongruenz von Entzugsverbot und Erwerb von Rechtspositionen sei dem Grundrechtsverständnis immanent: ebd., S. 329. 831 Ziemske, Staatsangehörigkeit (Fn. 699), S. 111. 832 Ziemske, Staatsangehörigkeit (Fn. 699), S. 292, 329. 833 Masing (Fn. 683), Art. 16 Rn. 77.

II. Zusammenhang von Staatsangehörigkeit und Nationalitätskonzept

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Abs. 1 GG verortet. Wenn Art. 16 Abs. 1 GG durch den Schutz, den er zugleich über eine zweite Staatsangehörigkeit verfügenden Deutschen gewährt, die Möglichkeit einer mehrfachen Staatsangehörigkeit voraussetzt, könne diese Norm nicht zugleich auch eine solche als verfassungsrechtlich unzulässig ansehen.834 Zur Zurückhaltung bei der Ableitung von Maßgaben, die auf die Alltagsdogmatik und die einfachgesetzliche Ausgestaltung des Staatsangehörigkeitsrechts einwirken können, wird noch aus anderem Grund gemahnt: „Der Parlamentarische Rat war sich einig, daß die Spielräume der Gesetzgebung, wie sie in demokratischen Traditionen üblicherweise anerkannt sind, durch diese Vorschrift nicht eingeengt werden sollten. Eine bestimmte Ausgestaltung oder gar eine Verpflichtung auf die deutsche Tradition des Staatsangehörigkeitsrechts schreibt Art. 16 Abs. 1 GG nicht fest. Insbesondere regelt er weder unter welchen Umständen die deutsche Staatsangehörigkeit erworben oder verloren wird noch mit welchem Inhalt sie sich verbindet.“835 Es könne überdies argumentativ nicht überzeugen, wenn aus dem Wiedervereinigungsgebot das „herausgeholt“ werde, was durch das einfachgesetzliche Staatsangehörigkeitsrecht „hineingesteckt“ worden sei.836 Oft wird der Abstammungsgrundsatz in Art. 116 Abs. 1 GG verankert.837 Indem er die Statuseigenschaft nicht nur auf die von Flucht und Vertreibung anläßlich des Zweiten Weltkrieges unmittelbar betroffenen deutscher Volkszugehörigkeit, sondern auch auf „deren Abkömmlinge“ erstreckt, enthalte Art. 116 Abs. 1 GG die Verankerung des Abstammungsgrundsatzes.838 Für eine Übertragbarkeit dieser verfassungsrechtlichen Fixierung auf das deutsche Staatsangehörigkeitsrecht insgesamt lasse sich die Überlegung eines Erst-Recht-Schlusses anführen, gegen eine solche die Andersartigkeit beider Regelungsgebiete. Für erstere Überlegung wiederum spreche, daß beide Angehörigkeitsverhältnisse zusammen das deutsche Volk im Sinne des Grundgesetzes konstituieren sowie, daß das Bundesverfassungsgericht in Staatsangehörigkeitsfragen auch die Rechtslage hinsichtlich der Statusdeutschen heranzieht.839 Die wörtliche Aufnahme des Abstammungsgrundsatzes auch für den Staatsangehörigkeitserwerb sei wegen der Bestandsgarantie des Art. 16 Abs. 1 S. 1 GG nicht erforderlich gewe-

834

Zimmermann, Fragen (Fn. 757), S. 183. Masing (Fn. 683), Art. 16 Rn. 38. 836 Wallrabenstein, Verfassungsrecht (Fn. 686), S. 154. 837 C. Leggewie hält Art. 116 GG aus diesem Grunde für „anachronistisch“: ders., Vom Deutschen Reich zur Bundesrepublik – und nicht zurück. Zur politischen Gestalt einer multikulturellen Gesellschaft, in: F. Balke u. a. (Hrsg.), Schwierige Fremdheit. Über Integration und Ausgrenzung in Einwanderungsländern, 1993, S. 3 (3). 838 Ziemske, Garantien (Fn. 791), S. 229. 839 Ziemske, Garantien (Fn. 791), S. 229. Ders. verweist an dieser Stelle auf die schon zitierte BVerfGE 37, 217. 835

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sen, im Gegensatz zur Rechtslage der Statusdeutschen und der Zwangsausgebürgerten im Sinne des Art. 116 GG. Denn Art. 16 Abs. 1 S. 1 GG beziehe den Bestandsschutz ausdrücklich nur auf „Staatsangehörige“. Da aber der originäre Erwerbsgrundsatz hinsichtlich der Bestimmung des deutschen Staatsvolkes aus Gründen des Willkürverbotes840 nicht unterschiedlich sein könne, habe ein ausdrücklicher Bezug zur verfassungsrechtlichen Absicherung des ius sanguinis nur zugunsten der Statusdeutschen erfolgen müssen. Hinsichtlich der Zwangsausgebürgerten ergebe sich die Notwendigkeit daraus, daß Art. 16 Abs. 1 S. 1 GG nur die bereits existierende Staatsangehörigkeit schützt.841 Die Gegenansicht gibt zu bedenken, daß der Statusdeutschenbegriff des Art. 116 Abs. 1 GG seinerseits der Regelungsgewalt des einfachen Gesetzgebers unterliegt.842 Art. 116 Abs. 1 GG impliziere in bezug auf die deutsche Staatsangehörigkeit nichts weiter, als daß es sie gibt und weiter geben muß.843 Von einer bewußten Grundsatzentscheidung zugunsten des ius sanguinis könne schon deshalb nicht gesprochen werden, da bei den von Art. 116 Abs. 1 GG betroffenen außerhalb der deutschen Grenzen lebenden Menschen ohnehin nur das Abstammungsprinzip zur Aufrechterhaltung ihrer Statusdeutscheneigenschaft in Betracht kam.844 Gegen den Ausdruck eines allgemeinen Prinzips in Art. 116 Abs. 1 GG spreche überdies dessen Stellung im als Übergangs- und Schlußbestimmungen bezeichneten Teil XI des Grundgesetzes.845 Somit lasse sich aus Art. 116 Abs. 1 GG eine irgendwie geartete ethnische Zugehörigkeit oder Anknüpfung an das Merkmal der Zugehörigkeit zur deutschen Kulturnation nicht ableiten.846 Eine „allgemeine Bedeutung für das Staatsangehörigkeitsrecht im engeren Sinne hat Art. 116 Abs. 1 GG nicht. Insbesondere schreibt er keine bestimmte staatsangehörigkeits-rechtliche Zugehörigkeitskonzeption fest, aus der sich Vorgaben für die Ausgestaltung des Staatsangehörigkeitsrechts im engeren Sinne ableiten ließen“847. d) Die Lehre von der materiellen Staatsangehörigkeit Die Lehre von der materiellen Staatsangehörigkeit wird von gewichtigen Vertretern der Rechtswissenschaften vertreten und darf deshalb in ihrer Bedeutung 840

Siehe v. Mangoldt, Probleme (Fn. 768), S. 969 ff. Ziemske, Garantien (Fn. 791), S. 232. 842 K. Hailbronner, Einbürgerung von Wanderarbeitnehmern und doppelte Staatsangehörigkeit, 1992, S. 36; Zimmermann, Fragen (Fn. 757), S. 183. 843 Lübbe-Wolff (Fn. 741), Art. 116 Rn. 16. 844 Gnielinski, Reform (Fn. 280), S. 136 f. 845 Zimmermann, Fragen (Fn. 757), S. 182. 846 Hailbronner, Reform (Fn. 751), S. 1275. 847 Lübbe-Wolff (Fn. 741), Art. 116 Rn. 13. 841

II. Zusammenhang von Staatsangehörigkeit und Nationalitätskonzept

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nicht unterschätzt werden.848 Sie nimmt an, daß die Staatsangehörigkeit über die formelle Rechtsstellung hinaus auch einen materiellen Gehalt hat.849 Materielle Staatsangehörigkeit bedeutet die „Zugehörigkeit zur deutschen Kulturnation“, die „Integration in den deutschen Nationalverband“850. Nach der Lehre von der materiellen Staatsangehörigkeit liegt dem Grundgesetz angesichts seiner Präambel und den Art. 20 und 116 GG eine „Identifizierung mit der Kulturnation“ zugrunde.851 Durch das in zahlreichen Bestimmungen des Grundgesetzes verankerte Nationalstaatsprinzip werde die Staatsangehörigkeit zumindest partiell bestimmt, da diese die Zugehörigkeit der Individuen zur deutschen Nation nur umreiße.852 Gerade die Staatsangehörigkeit habe sich historisch aus dem Nationalstaatsprinzip entwickelt.853 Einen wichtigen Hinweis auf dieses Prinzip enthalte die Präambel des Grundgesetzes, die, indem sie das Deutsche Volk als Subjekt der Verfassunggebung benennt, deutlich mache, daß es (im ethnisch-kulturellen Sinne) schon vor der Verfassung existiert hat und die damit auf das kulturnationale Bild der Nation rückverweise, das der Reichsgründung 1871 zugrunde lag.854 Weiterhin sei ein dem Nationalstaatsprinzip entgegenlaufender Ansatz nicht mit dem Wiedervereinigungsgebot der Präambel in ihrer früheren Fassung, das den Erhalt der nationalen Einheit verlangte, vereinbar gewesen.855 848 Marx, Reform (Fn. 798), S. 68. Ders. äußert heftige und zum Teil überzogene Kritik: „Die Doktrin der materiellen StAng [. . .] legitimiert sich scheinbar verfassungsrechtlich, doch letztlich aus einem überholten Nationalbegriff [. . .]. [. . .] [Sie] verweigert die Offenlegung ihres Verfassungsverständnisses, sondern [sic] füllt die Verfassung unreflektiert mit dem historisch höchst fragwürdigen Begriff der ,deutschen Kulturnation‘ auf, um so mit verfassungsrechtlich geschärften Waffen einen ethnisch reinen Volksbegriff in das 21. Jahrhundert hinüberzuretten. [. . .] Die Traditionsbezüge der materiellen Doktrin zur völkischen Idee sind evident. Eine Einbürgerung will sie allenfalls zulassen, wenn die nichtdeutschen Volkszugehörigen sich ,assimilieren‘, ihre eigene Kultur und Geschichte völlig aufgeben und im deutschen Volkskörper aufgehen.“: ebd., S. 68 f. Sachlich Wallrabenstein, Verfassungsrecht (Fn. 686), S. 146 ff. 849 Bleckmann, Anwartschaft (Fn. 280), S. 1398; Blumenwitz, Territorialitätsprinzip (Fn. 811), S. 153; ders., Abstammungsgrundsatz (Fn. 811), S. 251. 850 Bleckmann, Anwartschaft (Fn. 280), S. 1398. 851 Ziemske, Staatsangehörigkeit (Fn. 699), S. 45. 852 Bleckmann, Anwartschaft (Fn. 280), S. 1398. 853 A. Bleckmann, Das Nationalstaatsprinzip im Grundgesetz. Zum Kommunalwahlrecht der Ausländer, in: DÖV 1988, S. 437 (440). 854 K. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. II, 1980, S. 19 f.; so im Ergebnis wohl auch Lang, Grundkonzeption (Fn. 683), S. 179. 855 O. Uhlitz, Deutsches Volk oder „Multikulturelle Gesellschaft“? Von den verfassungsrechtlichen Grenzen der Ausländer- und Einbürgerungspolitik, in: RuP 22 (1986), S. 143 (145 f.); ders., Das Wiedervereinigungsgebot als verfassungsrechtliche Schranke der Einwanderungs- und Einbürgerungspolitik, in: ZRP 1987, S. 191 (191 f.); Quaritsch, Einbürgerungspolitik (Fn. 697), S. 496 f.; wohl auch H. A. Stökker, Nationales Selbstbestimmungsrecht und Ausländerwahlrecht, in: Der Staat 28 (1989), S. 71 (87).

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Dagegen wird eingewendet, daß jede demokratische Verfassung auch ohne kulturnationale Vorstellungen entsprechende Formulierungen kenne und der Verfassung des Nationalstaates von 1871 schon aufgrund seiner „Unvollkommenheit“ kein kulturnationales Staatsverständnis zugrunde gelegen habe.856 Mit dem Festhalten an der gesamtdeutschen Staatsangehörigkeit habe die Wiedervereinigungsforderung eine Rechtsposition bedeutet, die nicht durch Veränderungen der sozialen Wirklichkeit hätte gefährdet werden können.857 Bleckmann verortet das Nationalstaatsprinzip zunächst in Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG, verweist dann aber auch auf weitere Normen des Grundgesetzes, in denen sich das Nationalstaatsprinzip als Staatszielbestimmung verankern lasse.858 Das in Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG enthaltene Demokratieprinzip sei seit der Französischen Revolution einerseits mit dem Souveränitätsprinzip, andererseits und vor allem mit dem Nationalstaatsprinzip untrennbar verkoppelt.859 Auch spreche Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG das Nationalstaatsprinzip an. Der Begriff des Volkes meine das deutsche Volk. Die Präambel und Art. 1 Abs. 2 GG ließen deutlich erkennen, daß zumindest die verfassunggebende Gewalt nur beim deutschen Volk liegt.860 Dies bestätige Art. 20 Abs. 4 GG, nach dem nur Deutsche das Widerstandsrecht besitzen. Art. 146 GG zeige deutlich, daß die verfassunggebende Gewalt auch in späterer Zeit nur beim deutschen Volk liegen soll. Überdies erscheine eine Beschränkung der dem deutschen Volk vorbehaltenen Staatsgewalt auf die verfassunggebende Gewalt kaum denkbar, da schwerlich davon ausgegangen werden könne, daß der Volksbegriff in den beiden Sätzen des Art. 20 Abs. 2 GG unterschiedliche Bedeutungen hat.861 Die Antwort auf die Frage, was das Grundgesetz unter dem Begriff der Nation versteht, sieht Bleckmann vor allem in der früheren Fassung der Präambel und in Art. 116 Abs. 1 GG. „Zwei Anhaltspunkte weisen aber darauf hin, daß das Grundgesetz der deutschen Tradition folgend diesen Begriff [. . .] auch durch 856

Wallrabenstein, Verfassungsrecht (Fn. 686), S. 148 f. Wallrabenstein, Verfassungsrecht (Fn. 686), S. 151. 858 Vgl. Bleckmann, Nationalstaatsprinzip (Fn. 853), S. 440 f.; so auch Lang, Grundkonzeption (Fn. 683), S. 184. Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG lautet: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus.“ 859 Bleckmann, Nationalstaatsprinzip (Fn. 853), S. 438. 860 Bezug genommen wird auf folgende Stelle in folgender Fassung: „[. . .] hat das Deutsche Volk [. . .] dieses Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland beschlossen.“ Art. 1 Abs. 2 GG lautet: „Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.“ 861 Bleckmann, Nationalstaatsprinzip (Fn. 853), S. 438 ff. Zur Untermauerung dieser These wird auf Art. 8 GG und Art. 9 GG verwiesen und ein in seiner Tragfähigkeit begrenztes Argument ins Feld geführt: Die Beschränkung der für das Funktionieren einer Demokratie wesentlichen Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit auf Deutsche habe nur dann einen Sinn, wenn Ausländer nicht wählen dürfen: ebd., S. 440. 857

II. Zusammenhang von Staatsangehörigkeit und Nationalitätskonzept

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den Rückgriff auf die ,Kulturnation‘ ausfüllen will.“862 In der Präambel hieß es, das deutsche Volk sei von dem Willen beseelt, seine „nationale und staatliche Einheit zu wahren“. Daraus folgert er: „Wenn die Hervorhebung der nationalen neben der staatlichen Einheit dem effet-utile-Prinzip entsprechend einen eigenen Sinn haben soll, muß er in der Verankerung des Nationalstaatsprinzips bestehen. [. . .] Wenn [. . .] die Präambel neben der staatlichen von der nationalen Einheit ausgeht, wird unter Nation nicht nur das Staatsvolk, sondern die Kulturnation verstanden.“863 Diesen Ansatz bestätige Art. 116 GG, der besagt, daß neben den deutschen Staatsangehörigen auch die deutschen Volkszugehörigen Deutsche im Sinne des Grundgesetzes sind.864 Er verdeutliche, daß der Verfassung eine „Identifizierung der Staatsnation mit der Kulturnation“865 zugrundeliegt und zeige damit „sehr deutlich, daß das Grundgesetz neben einem förmlichen Begriff der deutschen Staatsangehörigkeit auch einen entsprechenden materiellen Begriff der Deutschen kennt, der auf die Integration in den deutschen Kulturverband abstellt“. Die Bestimmung mache als pars pro toto deutlich, „daß auch an die Zugehörigkeit zur deutschen Kulturnation Rechtsfolgen geknüpft werden“866. Folglich dürfe das „Staatsangehörigkeitsrecht nur solchen Personen die deutsche Staatsangehörigkeit verleihen, welche der deutschen Nation angehören, also in hinreichendem Maße in die deutsche Kulturnation integriert

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Bleckmann, Nationalstaatsprinzip (Fn. 853), S. 441. Bleckmann, Anwartschaft (Fn. 280), S. 1398 f. So auch Lang: „Das Grundgesetz [. . .] trägt der über den politischen Gehalt hinausgehenden ethnisch-kulturellen Ausprägung der deutschen Nation insofern Rechnung, als auch deutsche Volkszugehörige i. S. des Art. 116 Abs. 1 GG einen Teil des deutschen Staatsvolkes bilden.“: ders., Grundkonzeption (Fn. 683), S. 179. Dieser besondere, den ausschließlich nationalstaatlichen Charakter der Bundesrepublik Deutschland betonende Teil der Präambel ist freilich 1990 entfallen. Seitdem ist das deutsche Volk nicht mehr „von dem Willen beseelt“, Nation im Nationalstaat zu werden, sondern „als gleichberechtigtes Glied eines vereinten Europas dem Frieden der Welt zu dienen“. Zum Wiedervereinigungsgebot E. Röper, Die Bundesrepublik kann die deutsche Staatsangehörigkeit nicht definieren. Das Bundesverfassungsgericht verbietet die Verfügung über Deutschland als Ganzes, in: DÖV 41 (1988), S. 488 ff. 864 Lang weist darauf hin, daß die Gleichstellung der in Art. 116 Abs. 1 GG beschriebenen Flüchtlinge und Vertriebenen mit den deutschen Staatsangehörigen nicht ohne Grund erfolgt sei, sondern aufgrund der gemeinsamen deutschen Volkszugehörigkeit. Damit lasse sich aus Art. 116 Abs. 1 GG ablesen, daß das Grundgesetz davon ausgeht, daß die deutschen Staatsangehörigen grundsätzlich deutsche Volkszugehörige sind. Daß auch deren Ehegatten und Abkömmlinge die Eigenschaft als Deutsche erlangten, geschehe lediglich im Interesse der Familieneinheit: ders., Grundkonzeption (Fn. 683), S. 175. 865 Bleckmann, Anwartschaft (Fn. 280), S. 1399; so auch Blumenwitz, Territorialitätsprinzip (Fn. 811), S. 153; ders., Abstammungsgrundsatz (Fn. 811), S. 251. Uhlitz entnimmt der Präambel und Art. 116 GG sogar, „daß die deutschen Staatsangehörigen grundsätzlich deutsche Volkszugehörige sein müssen“: ders., Wiedervereinigungsgebot (Fn. 855), S. 192. 866 Bleckmann, Anwartschaft (Fn. 280), S. 1399. 863

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D. Die Nation als rechtliche Grundlage des Verfassungsstaates

sind“867. Mit dem Nationalstaatsprinzip werde die Staatsangehörigkeit Ausdruck einer umfassenderen geistigen Einheit.868 4. Zusammenfassung Im ausgehenden 19. Jahrhundert wird die Staatsangehörigkeit zur Schlüsselinstitution des Nationalstaats. Durch sie werden Grundmuster nationaler Identität ausgeprägt und institutionell verfestigt. Zum Prototyp wird das preußische Untertanengesetz, das ganz auf dem Ius-sanguinis-Prinzip aufbaut und zum Vorbild für den Norddeutschen Bund wird, dessen Kodifikation das Deutsche Reich übernimmt. Demographische Trendwende und imperialistische Wendung verstärken ethnokulturelle Vorstellungen der Nation, die, neben anderen, zur Stabilisierung des ius sanguinis im RuStAG führen, das den säkularen Wandel der deutschen Staatsangehörigkeit kodifiziert und für das 20. Jahrhundert festschreibt. Das Dritte Reich allerdings bricht mit den tradierten Prinzipien, indem es das Merkmal der Rasse zum Maßstab erhebt. Die Nürnberger Gesetze schaffen gar ein neues System der Staatsangehörigkeit, die nun vor allem der Diskriminierung dient. Diese Fragmentierung nimmt im Verlauf des Krieges weiter zu. Unter dem Grundgesetz kehrt die Staatsangehörigkeit zu ihrer vormaligen institutionellen Form zurück, auch hält die Bundesrepublik an der einheitlichen deutschen Staatsangehörigkeit fest. Entfernt die 1990 eingeführte Regeleinbürgerungslösung das nationale Selbstverständnis bereits vom ethnisch-kulturellen Standpunkt, verändert die Einführung eines Ius-soli-Erwerbstatbestandes die Struktur des deutschen Staatsangehörigkeitsrechts grundsätzlich. Das tradierte ius sanguinis sieht sich hingegen teilweise polemischer Kritik ausgesetzt. Es fuße auf nationalsozialistischer Ideologie und sei nicht mehr zeitgemäß. Beide Vorwürfe lassen sich mit Hinweis auf die aus nationalsozialistischer Sicht notwendigen Änderungen im Dritten Reich und die seine Anpassungsfähigkeit zeigenden übrigen Änderungen entkräften. Überdies erscheint das ius sanguinis nach wie vor geeigneter, staatliche Eigenart zu wahren. Die mit der Anknüpfung an die Abstammung im Regelfall verbundene gemeinsame Kultur, die gemeinsame Geschichte und Sprache, fungiert als Verbindungsglied der Angehörigen und läßt eine natürlich gewachsene Loyalität zum Staat vermuten. Und so stellt das ius sanguinis neben dem Grundsatz der ausschließlichen Staatsangehörigkeit eines der beiden Prinzipien der deutschen Staatsangehörigkeit dar. Daß 867 Bleckmann, Anwartschaft (Fn. 280), S. 1399. Um die „Einheit der deutschen Kulturnation“ sorgt sich angesichts ius soli und Mehrstaatigkeit auch R. Scholz: „Das Grundgesetz geht ganz eindeutig vom Abstammungsprinzip als Regelungstatbestand aus. Doppelte Staatsangehörigkeiten führen zu vielfältigen Konfliktpotentialen und bedrohen letztendlich die Identität wie Homogenität des deutschen Staatsvolkes, wie es definitiver Bestandteil unserer Verfassungsordnung ist“: ders., Verfassungsgrenzen für doppelte Staatsangehörigkeit, in: DRiZ 1999, S. 175 (175). 868 Bleckmann, Nationalstaatsprinzip (Fn. 853), S. 440.

III. Traditionelle Definition der Nation in Deutschland

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es sich bei ihnen um verfassungsrechtliche Bindungen der Legislative handelt, ist aber mehr als fraglich. Weder durch Tradition noch durch das Demokratieprinzip noch durch Art. 16 Abs. 1 GG und Art. 116 Abs. 1 GG läßt sich eine solche Bindung gänzlich überzeugend nachweisen. Nicht übersehen werden darf jedoch, und insofern hat die Lehre von der materiellen Staatsangehörigkeit durchaus ihre Berechtigung, daß Art. 116 Abs. 1 GG auf das Konzept eines auf dem Grundsatz des ius sanguinis aufbauenden Staatsangehörigkeitsrechts Bezug nimmt und ihm darüber hinaus, vor allem in Verbindung mit § 6 Abs. 1 BVFG, ein ethnisch-kulturell geprägter Begriff der Zugehörigkeit zum deutschen Volk zugrunde liegt.

III. Aufgabe der traditionellen Definition der Nation in Deutschland? – Vom geschlossenen Nationalstaat zu einem „offenen“ Staat? 1. Der Begriff des Verfassungspatriotismus Mitte der achtziger Jahre wird die nationale Identität Thema einer heftigen Kontroverse. Der den Zusammenhang von Geschichtsbild und nationaler Identität auf ganz unterschiedliche Art und Weise interpretierende Historikerstreit gerät zu einer „Debatte über das Selbstverständnis der Bundesrepublik“869. Diejenigen, die „auf der Bedeutung von Auschwitz als Konstituens bundesrepublikanischen Selbst- und Weltverhältnisses“870 insistieren, verbinden mit ihrer Absage an ein Kontinuitätsbewußtsein ein alternatives Identifikationsangebot: „Die freiheitliche Grundordnung anstelle der Nation“871. Zum Schlagwort wird ein Terminus, mit dem Dolf Sternberger872 zum 30. Jahrestag des Inkrafttretens des Grundgesetzes einen Artikel überschrieben hatte.873 „Verfassungspatriotismus“ lautet dieser Begriff, der „rasch zum Topos 869 J. Habermas, Verpflichtende Melancholie. Geschichtsbewußtsein und posttraditionale Identität. Die Westorientierung der Bundesrepublik, in: Frankfurter Rundschau Nr. 113 vom 16.05.1987. Ausführlich zum Historikerstreit Roth, Idee (Fn. 517), S. 254 ff. 870 Roth, Idee (Fn. 517), S. 293. 871 A. Grosser, Das Deutschland im Westen. Eine Bilanz nach 40 Jahren, 1985, S. 5. 872 Adolf Sternberger, geboren 1907 in Wiesbaden, gestorben 1989 in Frankfurt/ Main: N. N., in: W. Killy/R. Vierhaus (Hrsg.), Deutsche Biographische Enzyklopädie, Bd. 9, 1998, S. 517. 873 D. Sternberger, Verfassungspatriotismus, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 119 vom 23.05.1979. Erstmals in diese Richtung in ders., Das Vaterland, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 214 vom 16.09.1959: „Das Vaterland ist die ,Republik‘, die wir uns schaffen. Das Vaterland ist die Verfassung, die wir lebendig machen. Das Vaterland ist die Freiheit, deren wir uns nur wahrhaft erfreuen, wenn wir sie selber fördern, nutzen und bewachen.“ Kersting weist auf die allerdings lange Tradition des deutschen Verfassungspatriotismus hin, die er in der Kantischen Moralphilo-

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nicht nur der sozial- und rechtswissenschaftlichen Fachdiskussionen, sondern auch des gehobenen politischen Sprachgebrauchs“874 wird. Sternberger zufolge habe sich „ein neuer, ein zweiter Patriotismus ausgebildet, der auf die Verfassung sich gründet“875. Allerdings sei nicht das ganze Grundgesetz die Basis dieses Patriotismus und auch nicht das „juristische Dokument als solches“876, aber dessen Kernbestand, die freiheitlich demokratische Grundordnung, der Geist, den die Verfassung atmet, also vor allem die konkrete Verfassungsstaatlichkeit machten die Verfassung zu einer „Art von Vaterland“877 und ließen sie zum eigentlichen Wesen des Patriotismus avancieren. Die Anhänglichkeit gelte der „lebende[n] Verfassung, an der wir täglich mitwirken“878 und der sich die Bürger in „Staatsfreundschaft“ sittlich verbunden wissen. Richard von Weizsäcker versieht den Verfassungspatriotismus mit bundespräsidialen Weihen879 und deutet ihn „als Ausdruck einer sinnstiftenden Versöhnung des Partikularen mit dem Universalen der menschlichen Existenz im Gemeinschaftsbewußtsein der Deutschen“880. Die Popularisierung des Terminus wird jedoch erst durch seinen kritischen Gebrauch durch Habermas im Historikerstreit erreicht, mit dem eine Verschiebung seines Bedeutungsgehaltes einhergeht.881 Habermas transformiert den von Sternberger ausdrücklich als Ergänzung, nicht als Ersatz verstandenen882 Versophie der reinen gesetzgebenden Vernunft begründet sieht: ders., Verfassungspatriotismus (Fn. 679), S. 144 ff. 874 O. Depenheuer, Integration durch Verfassung? Zum Identitätskonzept des Verfassungspatriotismus, in: DÖV 1995, S. 854 (854). 875 Sternberger, Verfassungspatriotismus (Fn. 873). 876 D. Sternberger, Verfassungspatriotismus, in: Akademie für politische Bildung (Hrsg.), 25 Jahre Akademie für Politische Bildung, 1982, S. 76 (81). 877 Sternberger, Verfassungspatriotismus (Fn. 873). 878 D. Sternberger, Staatsfreundschaft. Rede zur Hundertjahrfeier der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, in: ders., Staatsfreundschaft, 1980, S. 209 (227). 879 „Mit der Verfassung als Aufgabe aber hat der Patriotismus wieder einen Gegenstand bekommen, an dem er sich orientieren kann.“: R. v. Weizsäcker, Weltoffener Patriotismus. Die Heidelberger Rede von Bundespräsident Richard von Weizsäcker, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 259 vom 07.11.1987; ders., Von Deutschland nach Europa. Die bewegende Kraft der Geschichte, 1991, S. 28. 880 J. Gebhardt, Verfassungspatriotismus als Identitätskonzept der Nation, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 1993, S. 29 (30). 881 Roth, Idee (Fn. 517), S. 297. „Erst aufgrund der erheblichen intellektuellen Anstrengungen von Jürgen Habermas hat er eine radikale antinationale und antistaatliche Umdeutung erhalten.“: Wagner, Verfassungspatriotismus (Fn. 6), S. 246. Habermas’ Beiträge zum Historikerstreit finden sich in ders., Eine Art Schadensabwicklung, 1987. 882 P. Haungs, Staatsbewußtsein im vereinigten Deutschland. Verfassungspatriotismus oder was sonst?, in: O. W. Gabriel u. a. (Hrsg.), Der demokratische Verfassungsstaat. Theorie, Geschichte, Probleme. Festschrift für Hans Buchheim zum 70. Geburtstag, 1992, S. 195 (203); Gebhardt, Verfassungspatriotismus (Fn. 880), S. 36; U. Sarcinelli, „Verfassungspatriotismus“ und „Bürgergesellschaft“ oder: Was das demokratische Ge-

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fassungspatriotismus „in eine kritische, traditionelles Nationalgefühl substituierende Kategorie“883. Damit konkretisiert er in bezug auf die bundesrepublikanische Situation und im situativen Kontext des Historikerstreits das angeblich grundlegende Phänomen des „allgemeinen Formwandels nationaler Identitäten“, bei dem sich zwischen dem partikulären und dem universellen Element der Identitäten „die Gewichte verschieben“884. Die konventionelle Identität des Kollektivs müsse sich vom unreflektierten Verhaftetsein in das bloß Partikuläre lösen und sich zu einer postkonventionellen Form entwickeln.885 Anzeichen für eine solche postkonventionelle Identität sieht Habermas in der Bundesrepublik und führt diese in polemischer Absicht gegen das im Historikerstreit zur Debatte stehende konventionelle Nationalbewußtsein ins Feld, indem er einen Verfassungspatriotismus propagiert, der politische Einheit nicht national, sondern rational zu gründen versucht.886 Damit schafft er ein „theoretische[s] Konzept kollektiver Identität, das nach der Katastrophe des deutschen Nationalstaates erfolgreich politische Einheit zu stiften versprach, mit dem man sich auch in der Welt wieder sehen lassen konnte“, das es allerdings auch „erlaubte, der Frage nach Vaterland, Volk und Nation ausweichen zu können “887. Das Grundgesetz bietet sich als „unverdächtiger Neuanfang“888, der Verfassungspatriotismus als „Negativpatriotismus“889 an. Seine „persönliche Obsession“890 vom Anachronismus der Nation faßt Habermas in drei Vorwürfe: Die Nation sei historisch überholt und werde es bald nicht mehr geben, „sondern nur noch eine ungeteilte und undifferenzierte Menschheit, die alle Streitfragen im ,öffentlichen und weltwei-

meinwesen zusammenhält. Orientierungen für die politische Bildung, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 1993, S. 25 (26); Depenheuer, Integration (Fn. 874), S. 855; Roth, Idee (Fn. 517), S. 298. Vgl. nur Sternberger, Verfassungspatriotismus (Fn. 876), S. 86: „Auch wir Deutschen brauchen unsere nationale Zusammengehörigkeit wahrhaftig nicht zu vergessen [. . .].“ und auch v. Weizsäcker, Patriotismus (Fn. 879); ders., Deutschland (Fn. 879), S. 31: „Es ist unser deutscher Patriotismus, um den es geht. Es ist das Gefühl der Zusammengehörigkeit von Menschen mit gemeinsamer Geschichte und gemeinsamer Geographie, gemeinsamer Herkunft und mit dem Willen nach einer gemeinsamen Zukunft.“ 883 Roth, Idee (Fn. 517), S. 298. 884 Habermas, Melancholie (Fn. 869). 885 So schon 1974 in einer Rede aus Anlaß der Verleihung des Hegel-Preises der Stadt Stuttgart: J. Habermas, Können komplexe Gesellschaften eine vernünftige Identität ausbilden?, in: ders./D. Henrich (Hrsg.), Zwei Reden. Aus Anlaß der Verleihung des Hegel-Preises 1973 der Stadt Stuttgart an Jürgen Habermas am 19. Januar 1974, 1974, S. 23 (passim, v. a. 65 ff.). 886 Roth, Idee (Fn. 517), S. 299 f.; Depenheuer, Integration (Fn. 874), S. 854. 887 Depenheuer, Integration (Fn. 874), S. 855. 888 D. Merten, Verfassungspatriotismus und Verfassungsschwärmerei. Betrachtungen eines Politischen, in: VerwArch. 83 (1992), S. 283 (285). 889 J. Isensee, Die Verfassung als Vaterland. Zur Staatsverdrängung der Deutschen, in: A. Mohler (Hrsg.), Wirklichkeit als Tabu, 1986, S. 11 (13). 890 Wagner, Verfassungspatriotismus (Fn. 6), S. 246.

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ten Diskurs‘ löst“. Weiterhin sei sie moralisch diskreditiert, „weil der Nationalstaat kraft seiner bloßen Existenz gegen das erste Gebot einer jeden Ethik verstoße, wonach nur universale, allgemeine Werte Geltung beanspruchen können“. Und schließlich seien zumindest die meisten europäischen Nationen atavistisch, da „in den USA und auch in Frankreich allein die Verfassung und deren universale Prinzipien [. . .] das Band seien, das die Nation einige“891. Nicht nur diese Annahmen mahnen zur Vorsicht bei einer Bewertung des Verfassungspatriotismus: Zunächst läßt sich dem Begriff eine Widersprüchlichkeit in sich vorwerfen.892 Die Verfassung „als Verkörperung universalistischer und somit abstrakter Prinzipien“ kann „die Aufgabe einer ,patria‘, d.h. einer konkreten und partikulären Verwurzelung und Beheimatung“ gerade nicht erfüllen.893 Patriotismus meint immer den Bezug auf die konkrete patria und ist damit „auf eine gewisse Abgrenzung des als Vaterland definierten gegenüber anderen angewiesen“894. Eine Verfassung hingegen meint „das Allgemeine, gerade nicht unterscheidende“895. Eine Verfassung als Vaterland ist ein Modell, welches alles verschüttet läßt, „was die Individualität der deutschen Staatlichkeit“ ausmacht, „ihre geopolitische, geschichtliche, kulturelle Eigenart, kurz: alles, was den Staat zum Vaterland machen könnte“896. Somit erscheinen „die Versuche, kollektive Identität nicht in Anlehnung an Vergangenes zu definieren, sondern sie im Sinn des Habermasschen ,Verfassungspatriotismus‘ an demokratische Grundwerte, Institutionen und Verfahrensweisen zu binden“, zweifelhaft.897 Zudem mutet es schwierig an, universell geltende, vorstaatlich konstituierte Rechte zum Bezugspunkt des Patriotismus zu machen, da diese doch erst durch den demokratisch verfaßten Nationalstaat von der Theorie in die Konkretion der politischen Praxis übersetzt werden.898 Am schwersten wirkt sich jedoch die offensichtliche Konstruiertheit des Verfassungspatriotismus aus. Die „Rehabilitierung der Polis-Sittlichkeit“ „unterläuft [. . .] die Hypothek des modernen Nationalstaates, die darin besteht, dass die Nation die Sinnressourcen für die Akzeptanz der Verfassung bereitstellt“899. Eine lediglich an der Verfassung und deren Grundprinzipien orientierte Identität wird „als rein rationale“ den „gefühlsmäßigen Bedürfnissen der Bürger nicht ge891

Wagner, Verfassungspatriotismus (Fn. 6), S. 246 f. Den Versuch einer Auflösung unternimmt J. Habermas, Die Normalität einer Berliner Republik, 1995, S. 95 f. 893 Roth, Idee (Fn. 517), S. 308. 894 Roth, Idee (Fn. 517), S. 316. 895 Roth, Idee (Fn. 517), S. 316. 896 Isensee, Verfassung (Fn. 889), S. 31. 897 Ludwig, Neue Linke (Fn. 545), S. 110. 898 U. Oevermann, Zwei Staaten oder Einheit? Der „dritte Weg“ als Fortsetzung des deutschen Sonderweges, in: Merkur 44 (1990), S. 91 (96). 899 Zenkert, Nationalstaat (Fn. 4), S. 107. 892

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recht“ und vermag somit weder eine „hinreichende Gewähr für eine stabile politische Ordnung“ zu leisten noch die „notwendige Integrationsfunktion“ auszufüllen.900 „Ein Patriotismus, der sich [lediglich] der Verfassung verpflichtet fühlt, taugt nicht dazu, Massen zu begeistern“901, er bleibt „ein kaltes Ding in den Köpfen weniger“902. Er überschätzt das Abstraktionsvermögen der Menschen und leidet an der „Prämisse vom politisch allzeit interessierten, urteilsfähigen und am Gemeinwohl orientierten Bürger“903, dessen Verpflichtung es ist, am politischen Diskurs teilzunehmen, „um im Austausch der politischen Argumente seine Verbindung zum Grundgesetz aufzuzeigen“904. Einen solchen gibt es in der für ein solches Konzept notwendigen Verbreitung nicht und vielleicht ist er sogar „der Phantasie erfahrungsentwöhnter Theoretiker“905 entsprungen. Doch für diejenigen, die sich auf dieses Konzept einzulassen vermögen, stellt sich das Problem der Akzeptanz der anderen, dennoch als „Verfassungsmitbürger“ zu qualifizierenden Staatsangehörigen, welche über nationale Gesichtspunkte einfacher zu erreichen ist. Die den Verfassungspatriotismus bestimmende „Kälte der Abstraktion und der reinen Verstandesbeziehung“906 – „Normen kann man nicht lieben“907 – sorgen für wenig schmeichelhafte Kommentare für die „dünnblütige [. . .] Professorenfiktion“908. Als ein „emotional armes, rationales Konstrukt, das offenbar mit gefühlsbetontem Engagement wenig verbindet“909 wird er bezeichnet, und Isensee sieht voraus, daß die Bundesdeutschen einmal „ihrer asketischen, unsinnlichen Existenz als Verfassungsbürger überdrüssig werden und mehr wollen als jene Rationalität, die eine Verfassung zu bieten vermag“910. Ein solches Konzept, das die Verfassung anstelle der Nation 900

Roth, Idee (Fn. 517), S. 307. v. Weizsäcker, Patriotismus (Fn. 879); ders., Deutschland (Fn. 879), S. 29. 902 H. Schulze, Mit dem Segen der Nachbarn. Deutschland, im Westen verankert, kann den Ausgleich zwischen Ost und West fördern, in: Die Zeit Nr. 49 vom 30.11.1990. 903 Depenheuer, Integration (Fn. 874), S. 858. 904 L. Rilinger, Die Europäisierung des Einbürgerungsrechts, in: ZRP 1995, S. 372 (373). 905 Depenheuer, Integration (Fn. 874), S. 858. Ähnlich auch Kersting: Der politischen Philosophie des Liberalismus sei aus kommunitaristischer Perspektive vorzuwerfen, daß ihr die politische Wirklichkeit aus dem Blick gerät und unbegriffen bleibt, daß die von jeder Philosophie zu erbringenden Abstraktionsleistungen in einem Ausmaß gesteigert werden, daß die Philosophie jeden Anschluß an die politischen Lebensverhältnisse der Menschen verloren hat: ders., Verfassungspatriotismus (Fn. 679), S. 158. 906 Roth, Idee (Fn. 517), S. 315. 907 Merten, Verfassungspatriotismus (Fn. 888), S. 286. 908 H.-P. Schwarz, Das Ende der Identitätsneurose, in: Rheinischer Merkur Nr. 36 vom 07.09.1990. 909 K.-R. Korte, Der Standort der Deutschen. Akzentverlagerungen der deutschen Frage in der Bundesrepublik Deutschland seit den siebziger Jahren, 1990, S. 79. 910 Isensee, Verfassung (Fn. 889), S. 31. 901

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zum Vaterland erklärt, stellt sich „als eine vertröstende Kompensation für das Fehlen sowohl der Einheit des Vaterlandes als auch eines ,normalen‘ nationalen Bewußtseins“ dar.911 Merten hat es treffenderweise als „Flucht in die Verfassung“912 bezeichnet. Die Wiedervereinigung und deren Begleiterscheinungen führen zu einer Restitution des deutschen Nationalstaates und rauben den bürgerlichen Verfassungspatrioten ihre Identität.913 Entwürfe einer „postnationale[n] Demokratie“914 erweisen sich als hinfällig und schlichtweg falsch, läßt sich doch die rasche Vereinigung der beiden deutschen Staaten ohne die Existenz einer deutschen Nation wohl kaum erklären. Angesichts dieser Entwicklung erscheint die Bezeichnung des Verfassungspatriotismus als „Lebenslüge“915 der Bundesrepublik nicht allzu überspitzt. Zwar mag eine Verfassung dem Patriotismus Orientierung und Maß geben, aber sie kann nicht dessen Gegenstand sein. Patriotismus bezieht sich primär auf eine konkrete nationale „Herkunftswelt“, nicht auf einen Staat.916 Der Verfassungspatriotismus ist in abstrakter Weise menschheitlichen Idealen und der Durchsetzung universalistischer normativer Prinzipien verpflichtet und vermag damit gerade nicht die existentielle Frage zu beantworten, was die Einheit und Besonderheit ausmacht.917 Da sie von allen Demokra911 Roth, Idee (Fn. 517), S. 308. Auf ein fehlendes Zur-Kenntnis-Nehmen juristischer Tatbestände im Zusammenhang mit der ehemaligen „Deutschen Frage“ seitens der Vertreter des Verfassungspatriotismus weist E. Klein hin: ders., Die Staatsraison der Bundesrepublik Deutschland, in: K. Hailbronner/G. Ress/T. Stein (Hrsg.), Staat und Völkerrechtsordnung, 1989, S. 459 (466 f.). 912 Merten, Verfassungspatriotismus (Fn. 888), S. 284. 913 Die Forderung in dieser Zeit lautet nicht „Deutschland – einig Grundgesetz“, sondern „Deutschland – einig Vaterland.“ Anders dennoch I. Fetscher, Utopien, Illusionen, Hoffnungen. Plädoyer für eine politische Kultur in Deutschland, 1990, S. 47; Kluxen-Pyta, Verfassungspatriotismus (Fn. 193), S. 130, 132; Haungs, Staatsbewußtsein (Fn. 882), S. 204 f.; allerdings eher den Verfassungspatriotismus Sternbergers meinend Kersting, Verfassungspatriotismus (Fn. 679), S. 144. 914 K. D. Bracher, Das Modewort Identität und die deutsche Frage. Exkurs über jüngere und jüngste Kontroversen, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 182 vom 09.08.1986. 915 H. Rudolph, Abschied von gestern. Die Einheit verlangt den Westdeutschen auch ein neues Selbstverständnis ab, in: Süddeutsche Zeitung Nr. 136 vom 16.06. 1990. Vgl. auch Depenheuer: „Doch als diese ethisch fundierten rationalen Identitätskonzepte 1989 auf die erste Probe gestellt wurden, störte sich der gesamtdeutsche Souverän nicht am herrschaftsfreien Diskurs theoriegesättigter Intellektueller und ging über ganze Bibliotheken mit einem Satz hinweg: ,Wir sind ein Volk.‘“: ders., Integration (Fn. 874), S. 858. 916 Den Begriff der Herkunftswelt verwendet Lübbe, Historismus (Fn. 323), S. 65 ff. Vgl. auch Kluxen-Pyta, Verfassungspatriotismus (Fn. 193), S. 121, die so den Einsatz nicht nationalsozialistisch eingestellter Soldaten im Zweiten Weltkrieg verständlich zu machen versucht. 917 Estel, Identität (Fn. 602), S. 139, der in diesem Zusammenhang allerdings nicht explizit den Verfassungspatriotismus, sondern eine Variante sozialwissenschaftlicher Identitätskonzepte kritisiert.

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tien beansprucht werden, können seine abstrakten Prinzipien keine spezifisch deutsche Identität konstituieren, denn nationale Identitätsentwürfe können nur dann konsistent sein, wenn sie sich im Rahmen des tradierten Nationsverständnisses bewegen.918 Der Verfassungspatriotismus, der „Versuch, das Schema politischer Einheitsbildung für neue semantische Gehalte, demokratische Verfahren und freiheitliche Verfassungsprinzipien, [sic] zu öffnen“919, überzeugt nicht, da er einen adäquaten Beitrag zur rationalen Konfliktvorsorge, den das nationale und in gewisser Hinsicht auch irrationale Element staatlicher Einheit, indem es die emotionalen Bedürfnisse der Menschen befriedigt und kanalisiert, leistet920, nicht zu bieten vermag. 2. Der ethnisch-kulturelle Nationsbegriff und die Schwierigkeiten bei der Eingliederung von Ausländern Nachdem der ethnisch-kulturelle Nationsbegriff sich gegenüber dem Konzept des Verfassungspatriotismus behauptet hat, sieht er sich verstärkt der Problematik der Eingliederung von Ausländern gegenüber. Ende des Jahres 2006 lebten in Deutschland 7.255.949 Ausländer, was einem Anteil von 8,8% entspricht.921 Deren Eingliederung ist ein Thema, dessen Stellenwert beständig steigt922, zumeist unter dem Schlagwort der Integration. Was aber ist Integration? Zunächst läßt sich feststellen, daß der Integrationsbegriff über eine große Bedeutungsspannweite, man könnte sogar sagen Beliebigkeit verfügt.923 Auch der lateinische Ursprung stellt sich ambivalent dar: „integrare“ meint soviel wie „wiederherstellen“ oder „ergänzen“, „integer“ hingegen kommt von „intager“, das sich seinerseits zusammensetzt aus „tago“ und 918

Ludwig, Neue Linke (Fn. 545), S. 110. Kaufmann, Verfassungspatriotismus (Fn. 657), S. 63. 920 Depenheuer, Integration (Fn. 874), S. 859 f. 921 So die statistischen Ämter des Bundes und der Länder: www.statistik-portal.de/ Statistik-Portal/de_jb01_jahrtab2.asp (31.03.2008). 922 Und das nicht nur in Deutschland, stellt sich die Eingliederung von Ausländern doch als „eine der bedeutendsten gesellschaftspolitischen Aufgaben der Staaten Mitteleuropas im 21. Jahrhundert“ dar: U. Häußler, Die Verwirklichung der Integrationskonzepte in Völker-, Europa- und Verfassungsrecht, in: K. Sahlfeld u. a. (Hrsg.), Integration und Recht, 2003, S. 53 (53). 923 Dreier, Integration (Fn. 635), S. 77. Vgl. auch bereits Quaritsch, Staatsangehörigkeit (Fn. 692), S. 11: „Sinnpositivität und Vieldeutigkeit des Wortes erklären seine politische Beliebtheit; unter dieser Fahne können sich alle Geister sammeln, besonders jene, die Heureka bei einem Begriff rufen, dessen Gebrauch die Lösung der Sachprobleme zu ersparen scheint.“ Die inflationäre Verwendung des Begriffs kritisieren schon Treuheit/Otten, Akkulturation junger Ausländer in der Bundesrepublik Deutschland. Probleme und Konzepte, 1986, S. 33. Ausführlich U. Mammey: Der Integrationsbegriff in der deutschsprachigen Sozial- und Politikwissenschaft, in: S. Haug/C. Diehl (Hrsg.), Aspekter der Integration. Eingliederungsmuster und Lebenssituation italienisch- und türkischstämmiger junger Erwachsener in Deutschland, 2005, S. 23 ff. 919

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der Negationsvorsilbe „in“ und „unversehrt“ oder „unberührt“ bedeutet.924 Der Begriff der Integration „mäandert eigentümlich zwischen Prozess und Resultat, er fungiert als eine analytische Grundkategorie in vielfältigen Zusammenhängen“925 und kann sowohl die Fertigkeit einer Einheit, den Zusammenhalt aufrechtzuerhalten, also die Eingliederung in ein Ganzes als auch das Herstellen eines Ganzen aus Einzelteilen meinen. In der Systemtheorie Talcott Parsons926 bildet Integration ein Element im Schema systemerhaltender Funktionen.927 Systemstabilität unterliegt einem Gleichgewichtsdogma. „Sie ist umso eher gewährleistet, als ein Gleichgewicht zwischen sich wandelnder Ausdifferenzierung und I[ntegration]skapazität besteht. Auf das Subjekt bezogen benennt soziale I[ntegration] damit auch einen Prozess der Sinnbildung, der Einbeziehung in ein solidarisches Kommunikationsnetz, schließlich der Bildung einer auch sozial bestimmten Identität; I[ntegration] operiert also mit Inklusions- und Exklusionsentscheidungen.“928 Auch wenn die Systemtheorie Parsons nur ein Teil des „bunte[n] Konzert[s] von Theorieangeboten [. . .] [ist], die mittels des I[ntegration]sbegriffs eine Antwort auf die Frage suchen, was die Gesellschaft zusammenhält“, verdeutlicht sie doch über ihre In- und Exklusionsbedürftigkeit den Bezug zur Staatsangehörigkeit, und es wird offensichtlich, daß Integration „eines der Grundprobleme [ist], die jedes soziale System zu lösen hat“929. Der Integrationsbegriff ist in der politischen und sozialwissenschaftlichen Debatte sehr umstritten.930 Zwei Grundauffassungen von Integration lassen sich unterscheiden. Integration kann zum einen als einseitig zu erbringende Leistung im Sinne einer weitgehenden Anpassung begriffen werden, zum anderen läßt 924 M. Droege, Art. Integration, in: W. Heun u. a. (Hrsg.), Evangelisches Staatslexikon, 2006, Sp. 1017 (1017); N. Holzer, Integration durch Verfassung. Das Beispiel der Verfassungsgebung in der Republik Südafrika, 1999, S. 154; Kluge, Wörterbuch (Fn. 24), S. 444. 925 Droege, Integration (Fn. 924), Sp. 1017. 926 Geboren 1902 in Colorado Springs (Colorado), gestorben 1979 in München: N. N., in: Brockhaus. Die Enzyklopädie in vierundzwanzig Bänden, Bd. 16, 20. Aufl. 1998, S. 598. 927 Das sog. AGIL-Schema beschreibt die Grundfunktionen, die ein System zur Selbsterhaltung beherrschen muß. Dies sind Anpassung, Zielverfolgung, Integration und Aufrechterhaltung. Zu ihrer Wahrnehmung bildet das System Subsysteme aus, in denen wiederum jeweils die vier Grundfunktionen beherrscht werden müssen. Im Falle des Handlungssystems wird Integration durch ein auf Normen basierendes soziales System bewerkstelligt. Auf der Ebene des sozialen Systems wiederum wird Integration durch das Gemeinwesen erfüllt. Vgl. auch N. Luhmann, Warum AGIL?, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 40 (1988), S. 127 ff., und Reddig, Bürger (Fn. 351), S. 96 ff. 928 Droege, Integration (Fn. 924), Sp. 1018. 929 Droege, Integration (Fn. 924), Sp. 1018. 930 Vgl. etwa die Darstellung bei H. Esser, Ist das Konzept der Assimilation überholt?, in: Geographische Revue 5 (2003), S. 5 (5 f.).

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sich Integration aber auch als ein beidseitiger, Mehrheit wie Minderheit gleichermaßen fordernder Prozeß verstehen.931 Die erstgenannte Auffassung fordert die Anpassung von Migranten an eine National- oder Leitkultur, um so die soziale, ökonomische und politische Funktionsfähigkeit der Gesellschaft zu sichern. Sie geht über einen Verfassungspatriotismus hinaus, weil sie neben der Achtung der Rechtsnormen auch die Achtung der dem jeweiligen Rechtssystem zugrundeliegenden Werte verlangt und diese Werte als Werte der betreffenden Nationalkultur begreift.932 Der zweiten Auffassung von Integration geht es hingegen nicht „um die Eingliederung der Angehörigen kultureller Minderheiten in eine Mehrheitskultur, sondern um die Integration der gesamten Bevölkerung in ein nach demokratischen Prinzipien und gemäss den Anforderungen interkultureller Sittlichkeit ausgestaltetes Gemeinwesen.“933 Eine solche „offene Integration ist nur dann möglich, wenn allen Einwohnern die volle soziale und politische Mitgliedschaft in der Gesellschaft offen steht“934. Dem Konzept der Integration als einseitiger Anpassung wird vorgeworfen, es sei „unhistorisch“ und „undemokratisch“. Unhistorisch sei es, weil es ein Bild von kultureller Homogenität aufrechtzuerhalten versuche, das vermutlich nie der Realität entsprochen habe, und es nur schwer mit dem historischen Verlauf von Integrationsprozessen und dem mit diesen verbundenen Wandel von Kulturen in Einklang zu bringen sei. Undemokratisch sei es, weil es auf der einen Seite mit dem Verlangen nach kulturellen Anpassungsleistungen an Werttraditionen mehr fordere als nötig und es auf der anderen Seite, wenn es den eingeforderten Pflichten keine entsprechenden politischen Rechte korrespondieren läßt, einen Teil schuldig bleibe.935 Diese Kritik übersieht zweierlei. Zum einen muß ein auf Assimilation ausgerichtetes Konzept nicht zwingend absolute kulturelle Homogenität zum Ziel haben, sondern kann sich an kulturell lediglich homogeneren Gesellschaften orientieren, die sowohl historisch belegbar als auch wandelungsfähig sind. Zum anderen ist es nur recht und billig, daß die „anbietende“ Gesellschaft die Höhe ihrer Forderungen selbst festlegt – es steht jedem frei, dieses Angebot auszuschlagen.936 Wird es aber angenommen, dann folgen auf eine 931 E. Bohlken, Das Recht auf kulturelle Differenz als Bestandteil einer interkulturellen Ethik. Überlegungen zur Vereinbarkeit von Integration und Gruppenrechten kultureller Minderheiten, in: P. Becchi u. a. (Hrsg.), Nationen und Gerechtigkeit, 2007, S. 62. 932 Bohlken, Recht (Fn. 931), S. 63 f. 933 Bohlken, Recht (Fn. 931), S. 66. Der „kulturübergreifend verbindliche [. . .] normative [. . .] Massstab [. . .] [sic] der interkulturellen Sittlichkeit“ werde „durch den sozialethischen Grundsatz und durch das Ideal der kulturellen Autonomie“ inhaltlich bestimmt: Bohlken, Recht (Fn. 931), S. 78. 934 Bohlken, Recht (Fn. 931), S. 66. 935 Bohlken, Recht (Fn. 931), S. 63, 66. 936 Vgl. D. Baertschi, Muss man sich gleichen, um sich gesellen zu dürfen?, in: S. Zurbuchen (Hrsg.), Bürgerschaft und Migration. Einwanderung und Einbürgerung

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gelungene Integration auch die politischen Rechte.937 Und auch am Konzept der offenen Integration läßt sich Kritik üben. Dieses wird selbst von Befürwortern als ein Prozeß beschrieben, „für den zwar Regeln angegeben werden können, dessen (End)Ergebnis sich jedoch nicht vorwegnehmen läßt“938. Diese Unsicherheit ist schwer zu akzeptieren, vielmehr ist das Ergebnis durch die Mehrheitskultur vorzugeben.939 In einer sich nach wie vor überwiegend ethnisch-kulturell verstehenden Nation940 wie der deutschen kann Integration per se nur durch Assimilation erfolgen.941 aus ethisch-politischer Perspektive, 2007, S. 225 (249): „Die Staatsbürgerschaft ist also die Frucht eines gesellschaftlichen Arrangements, das durch eine Vereinigung von Personen geschaffen wird, um gewisse ihrer Bedürfnisse zu befriedigen. Als Schöpfer des Gutes der Staatsbürgerschaft, für dessen Erhaltung sie sich einsetzen, verfügen sie darüber frei und werden sie an diejenigen verteilen, die mit ihnen kooperieren wollen. In diesem Sinn muss man sich die Staatsbürgerschaft wie jedes Gut mindestens dadurch verdienen, dass man die Spielregeln akzeptiert, das heißt durch den Willen, sich zu integrieren und zum Gemeinwohl beizutragen.“ Ferner G. Frankenberg, Entmystifizierung der Nationalität. Plädoyer für ein republikanisch-demokratisches Staatsangehörigkeitsrecht, in: Frankfurter Rundschau Nr. 124 vom 01.06.1993. 937 Zu einfach macht man es sich, wenn man soziale und politische Mitgliedschaft aneinanderkoppelt und für deren Erlangung die bloße Niederlassung ausreichen läßt. So bei Bohlken, Recht (Fn. 931), S. 68. 938 Bohlken, Recht (Fn. 931), S. 66. So auch E. Denninger, Integration und Identität. Bitte um etwas Nachdenklichkeit, in: KJ 2001, S. 442 (447). 939 Die Vorgabe dieses Ergebnisses ist nicht mit einer Aussage „über das ,Paradies‘, den ,Ewigen Frieden‘ oder ähnliche Eschatologismen“ gleichzusetzen, vgl. Denninger, Integration (Fn. 938), S. 447. Eine Gesellschaft „ohne kulturelles Zentrum und ohne hegemoniale Mehrheit“ wie sie Leggewie vorschwebt, ders., Reich (Fn. 837), S. 15, ist weder realisierbar noch erstrebenswert, da ihr die einigende Kraft der Kultur fehlt und sie unnötigerweise bestehende kulturelle Errungenschaften dem Verfall preisgibt. Mit der Vorgabe von Regeln verfolgt der Staat den Zweck, „die soziale Kohäsion in dem Masse nicht zu gefährden, als sie auf einer gemeinsamen Kultur und geteilten Werten beruht (darauf richtet sich die Integration)“: Baertschi, Muss man sich gleichen (Fn. 936), S. 246. Vgl. auch S. Schmahl, Die Beschulung von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund: Eine Bestandsaufnahme des geltenden Rechts, in: RdJB 52 (2004), S. 23 (26): „Der Grundsatz der weltanschaulichen Neutralität entbindet den Staat nicht von der Verpflichtung, sich nachdrücklich für die Erhaltung des Kernbereichs von tradierten Wertsetzungen einzusetzen, die ihre Grundlage im christlich-abendländischen Menschenbild haben.“ 940 So wohl auch Willoweit, Vielvölkerstaat (Fn. 255); S. Zurbuchen, Einleitung, in: dies. (Hrsg.), Bürgerschaft und Migration. Einwanderung und Einbürgerung aus ethisch-politischer Perspektive, 2007, S. 7 (13). 941 Ähnlich jüngst auch S. Luft, Assimilation, Integration, Identität, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 39 vom 15.02.2008: „Angleichung [. . .] unumgänglich [. . .] für eine erfolgreiche Integration“. Personale Assimilation umfaßt zum einen die Verfügbarkeit bestimmter Fertigkeiten (wie Verhaltensmuster für bestimmte Situationen, Sprachfertigkeiten und Ausbildung) zur Bewältigung von Alltagssituationen (kognitive Assimilation) und zum anderen die Übernahme der kulturellen Wertmuster der Aufnahmegesellschaft (identifikative Assimilation): M. Kremer/H. Spangenberg, Assimilation ausländischer Arbeitnehmer in der Bundesrepublik Deutschland. Forschungsbericht, 1980, S. 37. Unverständlich ist, „daß in manchen Öffentlichkeiten alleine das Wort [. . .] Schauer der Befremdung, wenn nicht der Entrüstung hervorruft“: H. Esser,

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Mit dem „alte[n] Problem“ der Integration und Assimilation beschäftigt sich auch Esser942. Integration fungiert bei ihm als Oberbegriff, unter dem er drei konzeptionelle Bezugsebenen unterscheidet: die Sozial-Integration der individuellen Akteure, die deren Inklusion in bereits bestehende soziale Systeme meint, die sozialen Strukturen der Aufnahmegesellschaft und die die Integration eines sozialen Systems als Gesamtheit bezeichnende System-Integration.943 Individuelle Assimilation, die soziale Integration (nur) in die Aufnahmegesellschaft, sei ein Spezialfall der ersten Ebene und beinhalte die Angleichung der sozialen Positionierung, der Eigenschaften und schließlich der Verhaltensweisen an einen bestimmten Standard.944 Die Alternative bilde die oft als Anhaltspunkt für Überlegungen zu den Perspektiven einer multikulturellen Gesellschaft dienende multiple Inklusion945, die aber gegenüber der einfachen individuellen Assimilation stets mehr voraussetze und darum nur in Ausnahmefällen und bei speziellen Gruppen wie Akademikern festzustellen sei.946 Auf der Ebene der sozialen Strukturen ließen sich zwei zentrale Dimensionen unterscheiden: soziale Ungleichheit, die Unterschiedlichkeit und Varianz in der Zusammensetzung der verschiedenen sozialen Aggregate, und soziale Differenzierung, die Unterschiedlichkeit und Varianz in Hinsicht auf die in einer Gesellschaft vorhandenen sozialen (Sub-)Systeme.947 Hier existierten als Alternativen zur Assimilation in bezug auf die Aggregate in horizontaler Ebene die ethnische Pluralisierung und in vertikaler Ebene die ethnische Schichtung, in bezug auf die sozialen Systeme in horizontaler Ebene die ethnische Segmentation und in vertikaler Ebene ein ethnischer (Neo-)Feudalismus.948 Während ethnische Pluralisierung, also kulturelle Vielfalt ethnischer Lebensweisen und Traditionen, vollkommen unproblematisch sei, seien die übrigen Alternativen zur Assimilation

Welche Alternativen zur „Assimilation“ gibt es eigentlich?, in: K. J. Bade/M. Bommes (Hrsg.), Migration – Integration – Bildung. Grundfragen und Problembereiche, 2004, S. 41 (42). 942 Vgl. zum ganzen auch R. Brubaker, Ethnizität ohne Gruppen, 2007, S. 166 ff. 943 Esser, Konzept (Fn. 930), S. 7; ders., Alternativen (Fn. 941), S. 45 f. 944 Esser, Konzept (Fn. 930), S. 8; ders., Alternativen (Fn. 941), S. 46. Esser unterscheidet dabei zwischen kultureller, struktureller, sozialer und emotionaler Assimilation: ders., Konzept (Fn. 930), S. 8; ders., Alternativen (Fn. 941), S. 46. 945 Weitere Alternativen seien die hier wegen fehlender Integration in die Aufnahmegesellschaft nicht relevanten individuelle Segmentation und die Marginalität: Esser, Konzept (Fn. 930), S. 8; ders., Alternativen (Fn. 941), S. 47. 946 Esser, Konzept (Fn. 930), S. 8 f.; ders., Alternativen (Fn. 941), S. 47 f. 947 Esser, Alternativen (Fn. 941), S. 50. 948 Dabei betone die horizontale Ebene die Andersartigkeit, die vertikale Ebene die Andersrangigkeit: Esser, Konzept (Fn. 930), S. 10; ders., Alternativen (Fn. 941), S. 51 f.

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mit den Gleichheitspostulaten einer funktional differenzierten Gesellschaft nicht vereinbar.949 Von individueller wie gesellschaftlicher Assimilation jedenfalls konzeptionell unabhängig sei die System-Integration. Bei fehlendem gesellschaftlichem Zusammenhalt könnten trotz erfolgter Assimilation kollektive Konflikte im nunmehr ethnisch homogenen Milieu auftreten und umgekehrt könne auch ohne Assimilation bei bestehendem gesellschaftlichem Zusammenhalt eine SystemIntegration gelingen.950 Diese Alternativen zur Assimilation seien jedoch potentiell strukturelle Grundlagen ethnischer Konflikte.951 Ethnische Ungleichheiten seien, abgesehen vom Fall der horizontalen ethnischen Pluralisierung, mit den Konstruktionsprinzipien komplexer, funktional differenzierter Gesellschaften, welche in aller Regel die Ziele internationaler Migration seien, nicht vereinbar. Die Auflösung dieser sozialen Strukturen sei als gesellschaftliche Assimilation eng mit der strukturellen (individuellen) Assimilation verbunden. Zu dieser und, sofern eine Beziehung zu ihr besteht, auch zu den anderen Dimensionen der Integration gebe es keine sinnvolle Alternative.952 Es sei daher kaum zu erwarten, daß im Zuge der auch neueren internationalen Wanderungen und der Emergenz transnationaler Systeme etwas anderes als die Assimilation der Migranten im Generationenverlauf geschieht. Im Mittelpunkt stehe die strukturelle Assimilation der individuellen Migranten, die die Inklusion in die zentralen Institutionen und Beziehungsnetze der jeweiligen sozialen Umgebung bedeute. Trotz aller transnationalen und suprastaatlichen Vorgänge seien dafür die jeweiligen nationalstaatlichen Institutionen und Kulturen von entscheidender Bedeutung.953 So ist „die Vorstellung einer Assimilation an die jeweiligen nationalen Verfassungen und Kulturen als erwartbarem Prozess der Entwicklung der interethnischen Beziehungen im Zuge von (internationalen) Wanderungen keineswegs überholt“954. Zum einen verlangt die Berücksichtigung der Rechte und Interessen des Aufnahmestaates und des Mehrheitsvolkes eine solche.955 „Zur Souve949 Esser, Alternativen (Fn. 941), S. 53. Der Historiker Franz Walter weist auf mögliche positive Aspekte ethnischer Segmentierung hin: ders., Eingliederung durch Abschottung, in: Zeit online vom 13.02.2008, www.zeit.de/online/2008/07/parallelgesell schaften?page=all (13.02.2008). 950 Esser, Alternativen (Fn. 941), S. 54. 951 Esser, Alternativen (Fn. 941), S. 56. 952 Esser, Alternativen (Fn. 941), S. 44 f., 58. 953 Esser, Konzept (Fn. 930), S. 19; ders., Alternativen (Fn. 941), S. 57. 954 Esser, Konzept (Fn. 930), S. 6. 955 O. Depenheuer weist darauf hin, daß „[d]ie Orientierung an den eigenen Interessen des Aufnahmestaates [. . .] rechtlich legitim und ethisch unbedenklich“ ist: ders., Einwanderung und Integration als verfassungspolitisches Problem, in: A. Rauscher (Hrsg.), Immigration und Integration. Eine Herausforderung für Kirche, Gesellschaft und Politik in Deutschland und den USA, 2003, S. 71 (89 f.).

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ränität des betreffenden Staates und zum Selbstbestimmungsrecht des Staatsvolkes gehört es nämlich auch, über die Gestaltung der eigenen politischen und kulturellen Verhältnisse zu entscheiden.“ Mit der Achtung oder gar Förderung der kollektiven Identität der Migranten wäre „in letzter Konsequenz die Pflicht verbunden, den Verlust der eigenen kulturellen Identität hinzunehmen“956 und weitreichende Folgen zu riskieren, ist doch kulturelle Identität für den freiheitlichen Verfassungsstaat gleichermaßen Entstehungs- wie auch Geltungsbedingung.957 Zum anderen drohen Migranten bei der Erfüllung ihrer Grundbedürfnisse958 in eine „ethnische [. . .] Mobilitätsfalle“ zu tappen, die „in der Erhöhung der Attraktivität für eine sichere gegenüber einer zwar riskanteren, aber bei Erfolg auch deutlich ertragreicheren Alternative [besteht], sowie darin, dass die einmal getroffene Entscheidung kaum mehr revidiert werden kann“959. Strukturelle Assimilation, d.h. der Erwerb von Bildungsqualifikationen und die Plazierung auf dem (primären) Arbeitsmarkt ist laut Esser „als die zentrale [. . .] Bedingung [. . .] einer nachhaltigen Sozial-Integration der Migranten“ anzusehen, zu der es „keine (vernünftige) theoretische, empirische und auch wohl normative Alternative“ gibt.960 Assimilation nimmt also auf allen anfangs unterschiedenen Ebenen einen hohen Stellenwert ein. Soziale Integration ist nach dieser Ansicht in größerem Umfang ausschließlich in Form der Assimilation möglich. Die Integration von Ausländern961 wirft gewisse Probleme auf, erfordert die Anpassung an eine so wie die deutsche determinierte Gesellschaft doch wesent956 D. Murswiek, Schutz der Minderheiten in Deutschland, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. 8, 2. Aufl. 1995, § 201 Rn. 47. Dies auch angesichts der alarmierenden Prognosen bzgl. der demographischen Entwicklung; aktuelle Zahlen mit Nachweisen bei S. Luft, Abschied von Multikulti. Wege aus der Integrationskrise, 2. Aufl. 2007, S. 23 ff. Plakativ H. Birg in einem Interview in Die Welt Nr. 3 vom 03.01.2002: „In den Großstädten werden sich die Deutschen integrieren müssen.“ 957 A. Uhle, Freiheitlicher Verfassungsstaat und kulturelle Identität, 2004, S. 22 ff. Die Akzeptanz kultureller Heterogenität schwächt die Legitimation staatlicher Einheit: R. Bauböck, Nationalismus versus Demokratie, in: Österreichische Zeitschrift für Politikwissenschaft 20 (1991), S. 73 (79). Vgl. weiterhin J. Isensee, Staat und Verfassung, in: ders./P. Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. 2, 3. Aufl. 2004, § 15 Rn. 38: „Der Trägerverband der grundgesetzlichen Demokratie ist das deutsche Volk, nicht etwa eine rechtlich undefinierbare, multinationale Gesellschaft.“ 958 Alle menschlichen Akteure sind im Prinzip an der Erfüllung von zwei generellen Grundbedürfnissen, nämlich physischem Wohlbefinden und sozialer Wertschätzung, interessiert: Esser, Konzept (Fn. 930), S. 13. 959 Esser, Konzept (Fn. 930), S. 15, 17. 960 Esser, Konzept (Fn. 930), S. 8, 18 ff., Hervorhebungen im Original, J. D. K. „[D]ie meisten Alternativen zur Assimilation [sehen] nicht sonderlich wünschenswert aus“: ders., Konzept (Fn. 930), S. 12; ders., Alternativen (Fn. 941), S. 57. Dabei ist zu betonen, daß strukturelle Assimilation eine notwendige, nicht aber hinreichende Bedingung ist: so auch ders., Konzept (Fn. 930), S. 18. Ihr folgt die identifikative Assimilation. 961 V. a. solcher bildungsferner Schichten, deren Kultur eine große Distanz zur abendländischen aufweist. Als Beispiel für eine gelungene Integration kann die der

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lich mehr Anstrengungen als ein bloßes Willensbekenntnis.962 Doch selbst dieses ist oftmals nicht vorhanden.963 Zum Teil wird daher bewußt auf Integration im hier vertretenen Sinne verzichtet.964 Beispielhaft sei hier Oberndörfer mit seinen Arbeiten seit Ende der achtziger Jahre genannt.965 Auch dieser kürt zwar einerseits die „Integration der Menschen in das Gemeinwesen“966 zum Ziel, „Ruhrpolen“ gelten; zum historischen Kontext H.-U. Wehler, Die Polen im Ruhrgebiet bis 1918, in: ders., Krisenherde des Kaiserreichs 1871–1918, 2. Aufl. 1979, S. 220 (220 ff.). 962 Im Vorgriff auf den folgenden Absatz sei hier auf D. Oberndörfer verwiesen, der eine solche Konzeption wie folgt beschreibt: „Bürger einer Republik [Republik wird idealtypisch vom Nationalstaat unterschieden, J. D. K.] können prinzipiell alle Menschen werden, die dies wünschen und sich zur republikanischen Verfassung bekennen“: ders., Der Nationalstaat – ein Hindernis für das dauerhafte Zusammenleben mit ethnischen Minderheiten?, in: ZAR 9 (1989), S. 3 (3). 963 Vgl. nur R. Giordano, Nicht die Moschee, der Islam ist das Problem. Millionen Muslime leben in Deutschland, doch anpassen wollen sie sich nicht. Ein Plädoyer für ein Ende der Multikulti-Illusionen, in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung Nr. 32 vom 12.08.2007. 964 Dies, auch wenn die Zeiten, in denen die Utopie einer „multikulturellen Gesellschaft“, das „bigotte [. . .] und verlogene [. . .] Konzept der bildungsbürgerlichen Mittelschicht“ propagiert wurde, vorbei sind: J. S. Dangschat, Residentielle Segretion – die andauernde Herausforderung an die Stadtforschung, in: H. Fassmann (Hrsg.), Zuwanderung und Segretion. Europäische Metropolen im Vergleich, 2003, S. 25 (29 f.); Schrötter/Möhlig, Staatsangehörigkeit (Fn. 683), S. 380. Vgl. J. Krönig, Muslimische Gewalt, in: Zeit online vom 15.01.2008, www.zeit.de/online/2008/03/jugendgewaltkroenig?page=all (15.01.2008): „Der jahrzehntelang überall in Europa verbreitete Multikulturalismus tat das Übrige. Man wollte Menschen aus anderen Kulturkreisen nichts ,aufzwingen‘, weder die Pflicht, Grundregeln und Gesetze der neuen Heimat zu achten, noch, sich um Sprachkenntnisse zu bemühen. Der Schaden, den diese verfehlte Politik anrichtete, ist groß und wird uns noch lange in Atem halten.“ Zum Begriff der „multikulturellen Gesellschaft“ Bohlken, Recht (Fn. 931), S. 56 ff. Zur früheren Debatte Roth, Idee (Fn. 517), S. 327 ff., und beispielhaft Uhlitz, Volk (Fn. 855), S. 143 ff.; M. Zuleeg, Der unvollkommene Nationalstaat als Einwanderungsland, in: ZRP 1987, S. 188 ff.; Uhlitz, Wiedervereinigungsgebot (Fn. 855), S. 191 ff. Umfassende Darstellung auch bei S. Frank, Staatsräson, Moral und Interesse. Die Diskussion um die „Multikulturelle Gesellschaft“ 1980–1993, 1995. Besonders scharf spricht sich schon 1989 E. Stoiber gegen die Vision einer multikulturellen Gesellschaft aus: „Das Gerede von der multikulturellen Gesellschaft legt die Axt an die Wurzeln unserer in Jahrhunderten entwickelten nationalen und kulturellen Identität, führt Ausländer in eine inhumane Isolation, importiert die auch bei uns nicht lösbaren innenpolitischen Probleme anderer Länder, Völker und Volksgruppen und zerstört schließlich gesellschaftliche Solidarität im Sinne einer gewachsenen Verantwortungsgemeinschaft.“: ders., Und deutsche Richter blättern im Koran, in: Die Welt Nr. 48 vom 25.02.1989. Doch auch von der Linken kommt Kritik: „Schaut man sich die Dokumente des rot-grünen Konsenses an, so erscheint die ,multikulturelle Gesellschaft‘ nicht selten als der langersehnte Garten Eden – ein friedliches Neben- und Miteinander der verschiedensten Nationalitäten und Ethnien, ein einziges großes Straßenfest, auf dem alle ,miteinander reden, feiern, essen, trinken und tanzen‘, ein großer linker Ringelpiez mit Anfassen. Eine biedermeierliche Latzhosenvision von unerträglicher Blauäugigkeit, guter Wille und sonst gar nichts. Verlogen ist das, weil jeder weiß, daß es so nicht funktionieren wird.“: T. Schmid, Multikulturelle Gesellschaft – großer linker Ringelpiez mit Anfassen, in: Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte 6 (1989), S. 541 (543).

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möchte aber andererseits, da er den Nationalstaat als „Hindernis für das dauerhafte Zusammenleben mit ethnischen Minderheiten“967 empfindet, eine „offene Republik“968 errichten, auch wenn der Weg dorthin „für viele [. . .] Deutsche den Abschied von der überlieferten, ja Entfremdung von der sich verändernden politisch-kulturellen Heimat“969 bedeute. Die Antwort auf die Frage nach „den Voraussetzungen, den Inhalten und Bedingungen einer solchen Integration“ findet er trotz der „beschämende[n] moralische[n] Bilanz der meisten juristischen Kommentare“ im Grundgesetz970: Der Gesetzgeber müsse konsequent Art. 3 Abs. 3 GG verwirklichen.971 Diese „Integration“ schließt aber Integration in einem sehr wichtigen, nämlich im kulturellen Bereich972, nicht ein. Wie sonst ist der Hinweis auf Art. 4 Abs. 1 GG zu verstehen, der „eine deutliche Antwort auf alle Forderungen nach 965 So empfindet D. Oberndörfer die „bunte und zunehmende Vielfalt von oft wenig miteinander verbundenen Parallelgesellschaften oder Lebenswelten“ als positiv und meint, „die Erfahrung der Freiheit und ihres erfolgreichen Schutzes gegen politische und kulturelle Unterdrückung [. . .] [könne] zum verbindenden Wert des Zusammenhalts in Vielfalt werden“ und gemeinsame Werte ersetzen: ders., Leitkultur und Berliner Republik. Die Hausordnung der multikulturellen Gesellschaft Deutschlands ist das Grundgesetz, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 2001, S. 27 (30). In eine ähnliche Richtung argumentiert L. Hoffmann, Die unvollendete Republik. Einwanderungsland oder deutscher Nationalstaat, 1990. 966 Oberndörfer, Nationalstaat (Fn. 962), S. 11; ders., Vom Nationalstaat zur offenen Republik. Zu den Voraussetzungen der politischen Integration von Einwanderung, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 1992, S. 21 (26). 967 Oberndörfer, Nationalstaat (Fn. 962), S. 3. 968 Vgl. nur D. Oberndörfer, Die offene Republik, in: Die Zeit Nr. 47 vom 13.11.1987; zusammenfassend ders., Die offene Republik. Zur Zukunft Deutschlands und Europas, 1991, und nochmals ders., Der Wahn des Nationalen. Die Alternative der offenen Republik, 1993. Diese Republik sei nicht auf nationaler Grundlage, sondern nur in weltbürgerlicher Offenheit denkbar, welche vornehmlich durch Einwanderung zu verwirklichen sei. Glänzende Kritik zu diesem mißglückten Konstrukt bei Faul, Deutschland (Fn. 607), S. 417 f. 969 Oberndörfer, Nationalstaat (Fn. 966), S. 28. Tröstende Worte finden D. CohnBendit und T. Schmid: In einer multikulturellen Gesellschaft seien „die unterschiedlichsten (im übrigen auch deutschen) Wurzeln noch sichtbar“ und könnten „gar gepflegt werden“: dies., Wenn der Westen unwiderstehlich wird. Die multikulturelle Gesellschaft muß als Wirklichkeit anerkannt werden, in: Die Zeit Nr. 48 vom 22.11.1991. 970 Oberndörfer, Nationalstaat (Fn. 962), S. 10 f. 971 Dieser lautet: „Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. [. . .].“ 972 Die gemeinsame kulturelle Basis fällt aus dem Grunde so stark ins Gewicht, weil sie eine Nachvollziehbarkeit der Verhaltensweisen und Reaktionen fremder Mitglieder der Gemeinschaft zumindest in Grundzügen bietet, die das Zusammenleben ungemein erleichtert: vgl. Gnielinski, Reform (Fn. 280), S. 84. Im übrigen stehen kulturelle und die oben angesprochene strukturelle Assimilation in einem wechselseitigen Bedingungs- und Verstärkungsverhältnis zueinander: vgl. Mammey, Integrationsbegriff (Fn. 923), S. 46.

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kultureller Integration“ geben soll.973 Hier werden über der Notwendigkeit des Schutzes der individuellen kulturellen Freiheit durch die Verfassung die berechtigten Forderungen nach zunächst einmal zu erfüllenden Voraussetzungen vergessen. Zwar kann es keine für alle Bürger verbindliche kollektive Kultur geben und ist jede Kultur in gewisser Weise pluralistisch geprägt und unterliegt zudem einer ständigen Dynamik. Um aber Bürger zu werden, um sich zu integrieren974 kann eine gewisse auch kulturelle Integration in der Form verlangt werden, daß Fremde sich der zu dieser Zeit herrschenden Kultur und damit der spezifischen Mixtur der Lebensäußerungen975 des Aufnahmelandes anpassen. Das ist auch notwendig, hängt doch die Stabilität eines staatlichen Gemeinwesens entscheidend von der Konvergenz der nationsbildenden Faktoren seiner Mitglieder ab. Die rechtliche Zugehörigkeit zu einem Verband und das freiwillige oder erzwungene staatliche Zusammenwirken garantieren noch kein inneres Miteinander der Staatsangehörigen. Traditionelle Kontinuitäten hingegen schaffen Einheit in einer sich ohnehin immer weiter differenzierenden Gesellschaft976 und müssen daher fester Bestandteil jeder Integration sein. Dies gilt in besonderem Maße für die als verknüpfendes Medium fungierende Kultur. Sie ist „die Substanz der Gesellschaft“, das „grundlegende soziale Zeichen- und Orientierungssystem einer Gemeinschaft, die erst durch den gleichsinnigen Gebrauch eines solchen Sinnsystems zur Gemeinschaft wird. Kultur ist vor allem anderen eine gemeinsame Lebenspraxis; es geht um die Maßstäbe für die Art, wie wir sehen, fühlen, urteilen und handeln. Die Kultur macht mit Sprache, Bildern und Begriffen, mit sozialen Standards des Erlebens und Verhaltens die Welt begreifbar und damit aufeinander bezogenes Sozialverhalten erst möglich. Es geht um 973 Oberndörfer, Nationalstaat (Fn. 962), S. 12; ders., Grundgesetz für eine multikulturelle Gesellschaft, in: Zuwanderung und Asyl. Schriftenreihe des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, Bd. 8, 2001, S. 121 (122 f.). Art. 4 Abs. 1 GG lautet: „Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.“ Auch Habermas meint, von neuen Staatsbürgern müsse lediglich die Bereitschaft erwartet werden, sich auf die politische Kultur ihrer neuen Heimat einzulassen, nicht aber, die kulturelle Lebensform ihrer Herkunft aufzugeben. „Das demokratische Recht auf Selbstbestimmung schliesst gewiss das Recht auf Bewahrung einer eigenen politischen Kultur ein, die für die Staatsbürgerrechte einen konkreten Kontext bildet; es schliesst aber nicht das Recht auf die Selbstbehauptung einer privilegierten kulturellen Lebensform ein.“: Habermas, Staatsbürgerschaft (Fn. 486), S. 33, Hervorhebungen im Original, J. D. K. 974 Und darum geht es in diesem Zusammenhang, vgl. D. Oberndörfer, Integration oder Abschottung? – Auf dem Weg zur postnationalen Republik, in: ZAR 18 (1998), S. 3 ff. 975 Vgl. die Definition unter B. I. 1. c). 976 Vgl. bspw. K. Kohlenberg/W. Uchatius, Von oben geht’s nach oben, in: Die Zeit Nr. 35 vom 23.08.2007; W. Wüllenweber, Die neue Klassengesellschaft, in: Stern Nr. 35 vom 23.08.2007. Von einer „Pluralisierung und Fragmentierung“ spricht U. Volkmann, Kulturelles Selbstverständnis als Tabuzone für das Recht?, in: H. Dreier/E. Hilgendorf (Hrsg.), Kulturelle Identität als Grund und Grenze des Rechts. Akten der IVR-Tagung vom 28.–30. September 2006 in Würzburg, 2008, S. 245 (250 f.).

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standardisierte Einstellungen, Sichtweisen, um Werte, vorherrschende und abweichende Lebensstile.“977 Ein Recht auf kulturelle Differenz, das den Inhabern dieses Rechts zusichern würde, die zwischen ihnen und den Angehörigen der Mehrheitskultur bestehenden kulturellen Unterschiede nicht durch Anpassungsleistungen einebnen zu müssen978, ist daher nicht unproblematisch.979 Die Gefahr, „dass sich die Inhaber eines Rechtes auf kulturelle Differenz gänzlich auf ihre eigene Kultur zurückziehen und abgeschottete Enklaven, sogenannte Parallelgesellschaften bilden“980, ist groß und tendenziell bereits der Fall.981 Deshalb sollte gelten: „Wer 977 Di Fabio, Kultur (Fn. 319), S. 1 f. Zur Bedeutung von Werten ders.: „Eine politische Gemeinschaft ist denn auch nur soweit Gemeinschaft, als sie gemeinsame Grundwerte teilt, die ihre Identität, ihre Existenz in der Zeit sichern.“: ebd., S. 63; allgemeiner bereits ders., Grundrechte als Werteordnung, in: JZ 2004, S. 1 (2 ff.). Es gibt „keine formelle Integration ohne sachliche Wertgemeinschaft“: R. Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, 1928, S. 44. Die für die Integration wichtige sozioökonomische Bedeutung der Kultur spricht Krönig an: „Im verhuschten, politisch korrekten Diskurs wird viel zu selten erörtert, ob nicht auch kulturelle wie religiöse Gründe die miserable sozioökonomische Stellung bestimmter Minoritäten erklären könnten.“: ders., Gewalt (Fn. 964). Eine recht kritische Rezension Di Fabios Buch liefert G. Frankenberg, Die Zukunft als vollendete Vergangenheit. Überlegungen zur Kultur der Freiheit in der flüchtigen Moderne, in: Der Staat 45 (2006), S. 402 ff., und konstatiert, daß dessen allerdings „streckenweise mitreißend geschriebener Appell“ zu einem „kulturoptimistischen Mir-nach“ mutiert: ebd., S. 403. 978 Formulierung von Bohlken, Recht (Fn. 931), S. 61. 979 Ein solches liefe einer Assimilation zuwider, die ja gerade als „Prozeß der Abnahme und [. . .] der Auflösung ethnischer Differenz und daran gebundener sozialer und kultureller Unterschiede“: R. Alba/V. Nee, Assimilation und Einwanderung in den USA, in: K. J. Bade/M. Bommes (Hrsg.), Migration – Integration – Bildung. Grundfragen und Problembereiche, 2004, S. 21 (27), zu verstehen ist. 980 Bohlken, Recht (Fn. 931), S. 69, der diese Gefahr zumindest auch erkennt und deshalb als Grenze des Rechts auf kulturelle Differenz „Minimalbedingungen der sozialen Mitgliedschaft“ setzt. Diese bestimmten ein „Minimum an kultureller Homogenität“, das es ermögliche, „sich als Teil einer umfassenden sozialen Gemeinschaft zu begreifen und eine entsprechende Identität zu entwickeln“: Bohlken, Recht (Fn. 931), S. 70. Ganz ohne Homogenität kommt also auch dieses Konzept nicht aus. 981 So auch im Recht, wie Volkmann anschaulich darstellt und wie folgt kommentiert: „Soweit es um das geht, was die Bürger denken und woran sie sich orientieren, ist seine Neutralität [die des Staates] absolut und von der Art, daß sie sich über nichts mehr aufregt und über nichts mehr empört. Aus einem Staat, in dem jeder nach seiner geistigen Orientierung und seinem kulturellen Selbstverständnis leben kann, ist er jedenfalls zu einem Staat geworden, der gar selber gar keine geistige Orientierung und kein kulturelles Selbstverständnis mehr hat und es darum auch von niemandem fordern kann. [. . .] Allerdings kann sich dies in einer eigentümlichen Dialektik zuletzt gegen die liberalen Werte wenden, aus denen das Prinzip einst begründet wurde. [. . .] Ein Zuviel an Distanz und Neutralität schlägt dann um in eine verdeckte Parteinahme und hebt sich selbst als Prinzip auf. [. . .] Dennoch wird weiterhin alles vermieden, was den Anschein erwecken könnte, als liege diesen Prinzipien selber ein bestimmtes Ideal des guten und richtigen Lebens – das Ideal eines in Selbstverantwortung und Mündigkeit glückenden Lebens – zugrunde, weil man ein solches angesichts des vorherrschendes Pluralismus für nicht begründbar hält. Formeln, die dies zum Ausdruck bringen

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freiwillig seine Heimat verläßt, um in der Fremde ein günstigeres Los zu suchen, der kann nicht damit rechnen, daß er seine kollektive Identität dorthin sozusagen mitnehmen kann. Er kann vielmehr gar nichts anderes erwarten, als sich in seiner Umgebung an die dortigen Gepflogenheiten und kulturellen Bedingungen anpassen zu müssen [. . .]. Aber auch wer [. . .] gezwungen ist, seine Heimat zu verlassen, hat keinen naturgegebenen Anspruch darauf, in dem Land, das ihn aufnimmt, seine besondere Gruppenidentität zu pflegen. Wer Gast ist in einem fremden Land, kann sich dort nicht einrichten, als sei es sein eigenes. Er hat Anspruch auf Achtung als Mensch; für ihn gelten die Menschenrechte, die er diskriminierungsfrei genießt. Aber er kann nicht erwarten, daß ihm das Recht eingeräumt wird, in seinem Gastland das ethnisch-kulturelle Umfeld zu schaffen, das dem seiner Heimat entspricht, und sein Gastland in diesem Sinne umzugestalten. [. . .] [Ausländer haben keinen Anspruch darauf], sich im Gastland dauerhaft als Minderheiten mit besonderer kollektiver Identität zu etablieren.“982 Abschließend seien drei Punkte genannt, die deren Verfasser als „elementare Einsichten“ bezeichnet: „Die erste Einsicht ist, daß der freiheitliche Staat, zu dessen freiheitlicher Verfaßtheit es unter dem ,Faktum des Pluralismus‘ keine vernünftige Alternative gibt, stärker als der autoritäre Staat darauf angewiesen ist, daß seine Regeln aus Einsicht befolgt werden und seine Institutionen von [. . .] oder auch nur anzudeuten scheinen, sind deshalb verpönt.“ Man könne nicht an der Vorstellung festhalten, dem liberalen Staat sei es aufgrund seiner prinzipiellen Distanz verwehrt, kulturelle Selbstverständnisse zu bewerten und Stellung zu beziehen. „Wenn die Rede von dem Vorrang der grundlegenden Verfassungsprinzipien irgendeinen Sinn haben soll, kann das nicht richtig sein.“ Es stelle sich die Frage, „ob man in dem Bemühen, den Staat ganz zu etwas Äußerlichem werden zu lassen, nicht doch zu weit vorangeschritten ist und dadurch das den Staat innerlich Haltende und Verbindende, sein notwendiges Ferment, zu sehr aus den Augen verloren hat.“: Volkmann, Selbstverständnis (Fn. 976), S. 258 ff. 982 Murswiek, Schutz (Fn. 956), Rn. 43 f. Dies läuft wohl auf eine „Leitkultur“ hinaus, ein Begriff, der einst von dem Politologen Bassam Tibi in die Debatte eingeführt und vom früheren CDU-Fraktionsvorsitzenden Friedrich Merz politisch salonfähig gemacht wurde, ein Konzept, das die CDU jüngst in ihrem Entwurf des neuen Grundsatzprogramms etabliert hat: „Kulturelle Identität bietet den Menschen in unserem Land die Sicherheit, aus der heraus sie die Kraft zur Gestaltung ihrer Zukunft schöpfen. Wenn wir uns dessen versichern, was uns leitet, dann gewinnen wir inneren Halt, um Freiheit in Verantwortung wahrnehmen zu können. Die gesellschaftliche Integration von Zuwanderern auf der Basis der Leitkultur in Deutschland ist ein wichtiger Beitrag zur kulturellen Sicherheit.“: www.cdu.de/doc/pdfc/070701-leitantrag-cdugrundsatzprogramm-navigierbar.pdf (31.03.2008). Das widerspricht der Einschätzung H. Pautz in dessen überaus polemischem Buch Die deutsche Leitkultur: Eine Identitätsdebatte. Neue Rechte, Neorassismus und Normalisierungsbemühungen, 2005: „Zu sehr war deutsche Leitkultur verknüpft Überlegenheitsgehabe, deutschem Wesen und rassistischem Wesen [sic], so daß ihr schlußendlich ersatzloses Streichen als eine gelernte Lektion aus den umstrittenen und als gescheitert zu bewertenden Schlußstrichdebatten der Vergangenheit gewertet werden kann.“, ebd., S. 110. Lesenswert hingegen K. H. Bohrer, Die Angst vor der Leitkultur, in: Merkur 55 (2001), S. 75 ff. Ohnehin dient das Pochen auf die Bewahrung kultureller Identität meist der Durchsetzung politischer Interessen: Luft, Assimilation (Fn. 941).

III. Traditionelle Definition der Nation in Deutschland

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den Bürgern auch innerlich angenommen werden. Mit aller Vorsicht läßt sich weiter sagen, daß gerade ein Staat, in dem verschiedene kulturelle Gruppen koexistieren, um so stabiler ist, je stärker er auf eine gemeinsame Kultur zurückgreifen kann, in die die unterschiedlichen koexistierenden Gruppen eingebettet sind. Umgekehrt und drittens gilt, daß es unter Gesichtspunkten der sozialen und politischen Kohäsion erfahrungsgemäß problematisch ist, wenn sich ein Staat in verschiedene Gruppen zergliedert, die völlig isoliert voneinander existieren. Es muß dann neben einer Welt, in der der einzelne für sich und in seiner Gruppe sein kann, auch eine gemeinsame Welt im Sinne einer politischen, kulturellen und geistigen Struktur geben, zu der der Abstand nicht zu groß werden darf.“983 3. Unterscheidung zwischen Staatszugehörigkeit und Nationalität Um nationale Identität zu festigen und Integrationsprobleme zu mildern, scheint es angebracht, sich erneut den zuvor behandelten Termini der kollektiven Identität und der Staatsangehörigkeit zuzuwenden. Nicht immer stimmen materielle Nationalität und formelle Staatsangehörigkeit überein, gerade eingebürgerte Staatsangehörige fühlen sich oftmals einer anderen nationalen Gruppe zugehörig und halten daran fest, ihre gesonderte nationale Identität zu bewahren.984 „[D]as einzige angemessene Kriterium für ein Verständnis von Staatsbürgerschaft als Vollinklusionsformel, nämlich das Bild eines ethnisch-national homogenen Nationalstaats, dessen Staatsvolk mit den Staatsbürgern bis auf Ausnahmen identisch ist, [läßt sich] [. . .] aus empirischen Gründen nicht mehr widerspruchsfrei denken.“985 Daher sind, will man am ethnisch-kulturellen Nationsbegriff festhalten986, Ansätze notwendig, die die „neue soziale Realität“987 nicht außer acht lassen. 983

Volkmann, Selbstverständnis (Fn. 976), S. 261 f. Das jetzige Modell der Staatsangehörigkeit darf nicht mit gesellschaftlicher Mitgliedschaft oder gar gesellschaftlicher Integration verwechselt werden. Aufgrund von rechtlicher Inklusion und ökonomischer Verkehrsfähigkeit von zumindest Ausländern mit dauerndem Bleiberecht kommt es zu einem „Auseinandertreten von Identität und Recht“, zu einer „Diskrepanz zwischen Muttersprache und Vaterland“: A. Nassehi/M. Schroer, Integration durch Staatsbürgerschaft? Einige gesellschaftstheoretische Zweifel, in: Leviathan 27 (1999), S. 95 (109 f.). Ähnlich Steiger, Zeitalter (Fn. 654), S. 339: „Sie [die Zuwanderer, J. D. K.] erwerben zwar häufig die Staatsangehörigkeit, werden damit zwar Glied der formalen Staatsnation, aber nicht auch schon einer substantiell begriffenen Nation.“ Dies als positiv erachtend G. Frankenberg, Verdeckte Einwanderung und versteckte Diskriminierung: Der Streit um die Staatsangehörigkeit, in: M. M. Jansen/S. Baringhorst (Hrsg.), Politik der Multikultur. Vergleichende Perspektiven zu Einwanderung und Integration, 1994, S. 31 (35). 985 Nassehi/Schroer, Integration (Fn. 984), S. 108 f. 986 „Die Frage der Staatsangehörigkeit [. . .] verbindet sich unweigerlich mit dem Selbstverständnis als Nation.“: Masing, Wandel (Fn. 683), S. 73. 987 Schmahl, Beschulung (Fn. 939), S. 23. 984

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D. Die Nation als rechtliche Grundlage des Verfassungsstaates

Die gestalterischen Möglichkeiten des Rechts sind jedoch begrenzt. „Die Einheit und die Gemeinsamkeit, die das Staatsangehörigkeitsrecht stiften kann, sind nur formal-rechtlicher Art. [. . .] Die Staatsangehörigkeit muß an Vorgaben realer Homogenität und politischen Einheitswillens anknüpfen, die das Recht als solches nicht schaffen und nicht herbeizwingen, wenn auch, freilich in engen Grenzen, bewahren und fördern kann.“988 Angesichts gesellschaftlicher Realitäten muß das Recht über die Bewahrung und Förderung dieser Vorgaben hinaus sowohl nationale Identität als auch Integration fördern. Diese Zielsetzungen hängen eng zusammen: „Die westliche Kultur ist stark wegen ihrer Offenheit, es wäre deshalb falsch sie zu schließen, zu kanonisieren und sie uneinsichtig mit aller Macht zu verteidigen. Eine offene Gemeinschaft kann aber nur Gemeinschaft bleiben, wenn sie ganz entschieden ihre Identität pflegt und Mechanismen entwickelt, ihre Identität zu bekräftigen. Auch und gerade die offene Gemeinschaft muss sich als Gemeinschaft wollen, sich selbst achten, sich mögen. Je vitaler und selbstgewisser die den Ordnungsrahmen bestimmende Gemeinschaft ist, desto größere Integrationsfähigkeiten hat sie.“989 Zu beachten ist allerdings, daß das Staatsangehörigkeitsrecht nicht als Werkzeug der Integration verstanden werden darf, sondern Integration eine Bedingung für den Erwerb der Staatsangehörigkeit sein muß, die Zuerkennung der Staatsangehörigkeit also einen abgeschlossenen Integrationsprozeß voraussetzt.990 Ansatzpunkt für ein solches Recht könnte eine deutlichere Herausstellung der Nationalität sein. Die Tatsache, daß die deutsche Staatsangehörigkeit nicht identisch mit der Eigenschaft als Deutscher im Sinne des Grundgesetzes ist991, untermauert diese Herangehensweise. Der nun folgende Vorschlag möchte die Entkoppelung von Zugehörigkeit und Nationalität weiterführen und eine Stufung vornehmen, ähnlich der, die in Art. 7 BV zum Ausdruck kommt. Dort existieren neben den Staatsangehörigen die Staatsbürger, und nur diese üben ihre Rechte durch Teilnahme an Wahlen, Volksbegehren und Volksentscheidungen aus. Ist die Erreichung dieses Status in der Bayerischen Verfassung an das Alter geknüpft, soll hier die Nationalität als Kriterium dienen. Mit dem auf eine Person bezogenen Begriff der Nationalität ist also nicht ihre Staatsangehörigkeit, sondern ihre Zugehörigkeit zu einer Nation gemeint.“992

988 Isensee, Nationalstaat (Fn. 6), S. 145. Vgl. H. Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, 2. Aufl. 1929, Neudruck 1963, S. 65 f. 989 Di Fabio, Kultur (Fn. 319), S. 183. 990 So auch Blumenwitz, Territorialitätsprinzip (Fn. 811), S. 153; ders., Abstammungsgrundsatz (Fn. 811), S. 250. Schrötter/Möhlig weisen darauf hin, daß ein Blick in die Nachbarländer zeige, daß sich ein vereinfachter Staatsangehörigkeitserwerb in praxi keineswegs als Zaubermittel gegen dortige zum Teil erhebliche Integrationsprobleme ausweist: dies., Staatsangehörigkeit (Fn. 683), S. 379. 991 Vgl. Lübbe-Wolff, Entziehung (Fn. 740), S. 58; Masing (Fn. 683), Art. 16 Rn. 42. 992 Lang, Grundkonzeption (Fn. 683), S. 34.

III. Traditionelle Definition der Nation in Deutschland

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Deutscher in diesem Sinne ist nur, wer die Kriterien für Nationalität993 im Sinne der deutschen Nationalität erfüllt, wer also, um auf Bleckmanns Lehre von der materiellen Staatsangehörigkeit zurückzukommen, der deutschen Kulturnation angehört. Für bisherige Ausländer bedeutet dies, daß deren Integration abgeschlossen sein muß. Wie der in praxi zu erbringende Integrationsnachweis auszugestalten wäre, soll hier nicht näher thematisiert werden, er könnte sich jedoch am Verfassungsbegriff der deutschen Volkszugehörigkeit orientieren. Diese Deutschen bilden die eine Gruppe der der Bundesrepublik Deutschland zugehörigen Personen. Sie sind Staatsangehörige mit den bekannten umfassenden Rechten und Pflichten. Diejenigen, die besagten Kriterien nicht entsprechen, aber dennoch einbürgerungsrechtliche Voraussetzungen erfüllen, bilden die andere Gruppe. Sie sind lediglich Staatszugehörige. Welche Rechte und Pflichten an diesen Status geknüpft sind, soll hier im einzelnen ebenfalls keine Rolle spielen.994 Der bloße Umstand, daß bereits im Dritten Reich eine Stufung vorgenommen wurde, disqualifiziert das hier erläuterte Modell im übrigen nicht, da dessen Bewertung entscheidend davon abhängt, ob die der Stufung zugrundegelegten Kriterien sachgerecht sind.995 Die Gruppe der Staatsangehörigen, also derjenigen, die nicht nur der Bundesrepublik zugehören, sondern auch deutscher Nationalität sind, muß für die Staatszugehörigen offen sein, d.h. bei Vorliegen der besagten Kriterien besteht ein Anspruch auf eine Verleihung der Staatsangehörigkeit, die wie bisher nicht entzogen werden darf. Die Staatszugehörigkeit hingegen ist beispielsweise als strafrechtliche Nebenstrafe entziehbar, geht bei längerem Auslandsaufenthalt verloren und wird nicht auf im Ausland geborene Kinder im Wege des ius sanguinis weitergegeben.996 Einem solchen Modell könnten freilich durch das geltende Verfassungsrecht Schranken gesetzt sein. Anknüpfungspunkt der demokratischen Gleichheit ist zur Zeit allein die Eigenschaft als Staatsbürger, die Zugehörigkeit zur politischen Gemeinschaft des Staatsvolkes, die formell und rechtlich maßgebend durch die Staatsangehörigkeit vermittelt wird.997 Art. 16 Abs. 1 S. 1 GG untersagt Differenzierungen: Es gibt nur die deutsche Staatsangehörigkeit, also keine uneinheitliche.998 Das die Nationalität stärker betonende Modell hingegen modi993

Vgl. B. I. 1. Allerdings erscheint eine Anknüpfung des passiven Wahlrechts an die Staatszugehörigkeit und die des aktiven Wahlrechts an die Staatsangehörigkeit sinnvoll. 995 Vgl. zum Dritten Reich D. II. 1. c). 996 Diese drei Aspekte gehen auf C. Dornis, Ungelöste Probleme des Staatsangehörigkeitsrechts. Gestufte Staatsangehörigkeit als Modell, in: ZRP 2001, S. 547 (549) zurück. 997 Böckenförde, Demokratie (Fn. 652), Rn. 42, 46. 998 Ziemske, Staatsangehörigkeit (Fn. 699), S. 56. Dazu auch Masing (Fn. 683), Art. 16 Rn. 78. 994

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D. Die Nation als rechtliche Grundlage des Verfassungsstaates

fiziert den zentralen Begriff des Staatsvolkes und verabschiedet sich vom bisherigen Grundsatz der einheitlichen Staatsangehörigkeit. Eine diesbezügliche Änderung des Grundgesetzes erscheint jedoch nicht unmöglich. Differenzierungsmodelle von Zugehörigkeitsverhältnissen kennt schon das römische Recht, und unterschiedliche Status von Angehörigkeiten sind auch in Mitgliedstaaten der Europäischen Union, z. B. in Belgien und Großbritannien anzutreffen.999 Auch völkerrechtlich ist eine solche Konstruktion möglich: „Der Kreis der Staatsangehörigen i. S. des Völkerrechts braucht [. . .] nicht mit dem der Staatsangehörigen i. S. des innerstaatlichen Rechts übereinzustimmen, sondern kann sowohl weiter als auch enger sein; die Wirkungen der Staatsangehörigkeit können auf den zwischenstaatlichen (völkerrechtlichen) oder auf den innerstaatlichen (staatsrechtlichen) Bereich beschränkt werden.“1000 Das allgemeine Völkerrecht gebietet nicht die Gleichbehandlung aller Staatsangehörigen. Die Vorteile sind nicht von der Hand zu weisen: Eine solche Stufung dient als Assimilations- und damit Integrationsanreiz oder -druck, und insofern bedeutet die Trennung von Nationalität und Staatszugehörigkeit hier keine Aufgabe, sondern eine Stärkung des Nationalstaates.1001 4. Zusammenfassung Im Rahmen des Historikerstreits wird die nationale Identität Thema einer heftigen Kontroverse. Als Schlagwort fungiert der Terminus des Verfassungspatriotismus, mit dessen Popularisierung eine Verschiebung seines Bedeutungsgehalts einhergeht. Ursprünglich als Ergänzung verstanden, soll er nun den herkömmlichen Patriotismus ersetzen. Die Wiedervereinigung und die mit ihr verbundene Restitution des deutschen Nationalstaates verdeutlichen die gravierenden Mängel des Konzepts. Der Verfassungspatriotismus ist widersprüchlich, entbehrt aufgrund seiner offensichtlichen Konstruiertheit eines emotionalen Zugangs und verkennt die historische Dimension des Nationalstaats. Vermochte dieser der traditionellen Definition von Nation in Deutschland nichts anzuhaben, sieht sich der ethnisch-kulturelle Nationsbegriff nun verstärkt der Problematik der Integration von Ausländern gegenüber. Trotz einer gewissen Beliebigkeit des Begriffs ist Integration eines der von jedem sozialen System zu lösenden Grundprobleme. Sie umfaßt auch den kulturellen Bereich und kann auf zwei verschie999 Vgl. Ziemske, Staatsangehörigkeit (Fn. 699), S. 58. In Belgien wird zwischen „gewöhnlicher“ und „großer“ Einbürgerung unterschieden, in Großbritannien zwischen „British citizenship“ und einer „Commonwealth-Angehörigkeit“, die sich wiederum in vier Unterkategorien gliedert, vgl. ebd., S. 335 f., 354 f. 1000 Lang, Grundkonzeption (Fn. 683), S. 23. 1001 Zudem kommt das Modell der immer wieder geforderten „Staatsangehörigkeit auf Probe“ entgegen. Vgl. zuletzt die Forderung der Opferschutz-Organisation „Weißer Ring“: www.stern.de/politik/deutschland/607545.html (11.01.2008).

III. Traditionelle Definition der Nation in Deutschland

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dene Arten geschehen, wobei die Anpassung der Minderheiten an die Mehrheitskultur der Integration aller in ein Gemeinwesen vorzuziehen ist, da so das Risiko des Verlustes der eigenen kulturellen Identität geringer ist. Ein solcher Verlust ist unbedingt zu vermeiden, ist doch Kultur die Substanz der Gesellschaft und kulturelle Identität für den freiheitlichen Verfassungsstaat gleichermaßen Entstehungs- wie auch Geltungsbedingung. Ein Anspruch, sich im Gastland dauerhaft als Minderheit mit besonderer kollektiver Identität zu etablieren, besteht nicht, da soziale Integration in großem Umfang ausschließlich in Form der Assimilation möglich ist. Als nationale Identität und Integration fördernd könnte sich eine Stufung der Staatsangehörigkeit erweisen. Beide Zielsetzungen hängen eng zusammen, hat eine Gemeinschaft doch umso größere Integrationsfähigkeiten, desto selbstgewisser sie ist. Eine deutlichere Herausstellung der Nationalität im Staatsangehörigkeitsrecht, bei der das Kriterium der Nationalität das Staatsvolk in Staatsangehörige und lediglich Staatszugehörige teilt, könnte, die grundsätzliche Offenheit der ersten Gruppe vorausgesetzt, sowohl die nationalstaatliche Form der Bundesrepublik zu bewahren helfen als auch den Integrationsanreiz oder auch -druck erhöhen.

E. Die staatliche Ordnung in Form des Nationalstaates und die europäische Integration Der nun folgende letzte Teil weitet die Überlegungen zur Zukunft des Nationalstaates auf Europa aus. Beginnend mit einem kurzen Rückblick auf die europäische Integration (I.), betrachtet er die Auswirkungen dieser auf Staatsgebiet, Staatsvolk und Staatsgewalt der Nationalstaaten (II.), um dann die Frage zu beantworten, ob nationale Identität die europäische Integration zu fördern vermag (III.).

I. Kurzer Rückblick auf den Europagedanken „Die Zukunft [. . .] gehört Europa, und nur Europa“, erklärt Renan im Jahre 1862. Im Sieg Europas triumphiere der „indoeuropäische Geist“ über den „Islamismus“, dem er die „Verachtung der Wissenschaft“, die „Unterdrückung der bürgerlichen Gesellschaft“ und die „vollkommene Negation Europas“ zuschreibt.1002 Das künftige übernationale Europa, um das Renan wirbt, denkt er als eine neue Großnation, die sich als Werte- und Machtgemeinschaft im Kampf gegen die außereuropäische Konkurrenz behaupten soll.1003 Der Gedanke eines Zusammenschlusses der verschiedenen Staaten Europas bildet nicht erst seit Renan einen festen Bestandteil der europäischen Ideengeschichte.1004 Bereits im Mittelalter lassen sich gedankliche Vorläufer einer europäischen Integration finden, die jedoch genauso „intellektuelle Luftgebilde“ bleiben wie die älteren Einigungsprojekte der Neuzeit. Sie alle zielen darauf, „die Einheit der Christenheit herzustellen, den Hegemoniegelüsten einzelner Monarchen oder Staaten mit ihrem allumfassenden Machtanspruch entgegenzutreten oder ein Regelwerk der friedlichen zwischenstaatlichen Zusammenarbeit zu schaffen, um so der Geißel der nicht enden wollenden Kriege zwischen Staaten und Völkern Einhalt zu gebieten“1005, spielen in der realen Politik jedoch 1002 E. Renan, Der Beitrag der semitischen Völker zur Geschichte der Zivilisation. Einführungsvorlesung zum Seminar über hebräische, chaldäische und syrische Sprachen am Collège de France, gehalten am 21. Februar 1862, in: H. Heiss/R. Johler (Hrsg.), Was ist eine Nation? und andere politische Schriften, 1995, S. 139 (152 f.). 1003 D. Langewiesche, Nation, Nationalismus, Nationalstaat in Deutschland und Europa, 2000, S. 10. 1004 R. Bieber/A. Epiney/M. Haag, Die Europäische Union. Europarecht und Politik, 7. Aufl. 2006, S. 36. 1005 G. Brunn, Die Europäische Einigung von 1945 bis heute, 2002, S. 21.

I. Kurzer Rückblick auf den Europagedanken

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keine Rolle. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg nimmt der Europagedanke konkrete Formen an. 1. Vorläufer des Europagedankens Zur Zeit Karls des Großen umfaßt das Karolingische Frankenreich ungefähr die Fläche der späteren Gründungsgemeinschaften EWG, EGKS und Euratom. Werden in dieser schönen Parallele bereits Anfänge der europäischen Idee sichtbar1006, ist die Idee eines geeinten Europa seit dem Spätmittelalter zunehmend auch belegbar. Anfang des 14. Jahrhunderts entwirft der französische Jurist Pierre Dubois1007 in seinem Werk „De recuperatione Terre Sancte“ ein europäisches Friedenssystem unter Führung des Königs von Frankreich. Die Herstellung eines Friedens innerhalb der Christenheit sieht er als Voraussetzung für einen erfolgreichen Kreuzzug.1008 Um die Abwehr der Türkengefahr geht es dem böhmischen König Georg von Podiebrad und Kuntát1009, der im Jahre 1464 den Plan einer europäischen Union vorlegt.1010 Dieser Plan, der wie kaum ein anderer eine sehr konkrete Struktur aufweist, hat zunächst die Errichtung eines innereuropäischen Friedens, sodann die Gründung einer Art von Staatenbund und schließlich die Organisation eines Kreuzzugs zur Abwehr der Türken zum Ziel. Interne Konflikte des supranationalen Bundes sollen durch ein euro1006 Integrationstendenzen schon bei Karl dem Großen sieht W. Graf Vitzthum, Die Identität Europas, in: EuR 37 (2002), S. 1 (8). Vgl. aus der älteren Literatur zum ganzen auch H. Gollwitzer, Europabild und Europagedanke, 1951, S. 25 ff. Auch wird die Europäische Union zuweilen mit dem Heiligen Römischen Reich des Mittelalters verglichen; dabei wird meist festgestellt, daß eine zusammenhaltende Idee wie die des Corpus Christianum der Union bislang fehle: so bei J. Isensee, Europäische Union – Mitgliedstaaten. Im Spannungsfeld von Integration und nationaler Selbstbehauptung, Effizienz und Idee, in: Konferenz der Deutschen Akademien der Wissenschaften/Akademie der Wissenschaften und der Literatur (Hrsg.), Europa – Idee, Geschichte, Realität. 2. Symposion der deutschen Akademien der Wissenschaften, 1996, S. 71 (97). Das Bedürfnis nach historischen Projektionen unterscheidet sich kaum von dem der europäischen Nationalbewegungen des 19. und 20. Jahrhunderts und zeigt die Bedeutung der Geschichte zur Schaffung eines gemeinsamen Bewußtseins: R. Schieffer, Einheit in Vielfalt, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 284 vom 06.12.2005. Schon aus diesem Grunde ist ein Beitritt der Türkei nicht möglich. 1007 Geboren zwischen 1250 und 1260 bei Coutances, gestorben bald nach 1321: N. N., in: Brockhaus (Fn. 442), S. 729. 1008 Dazu H. Schneider, Leitbilder der Europapolitik 1. Der Weg zur Integration, 1977, S. 49 ff.; L. Kéry, Pierre Dubois und der Völkerbund. Ein „Weltfriedensplan“ um 1300, in: Historische Zeitschrift 283 (2006), S. 1 ff. 1009 Geboren 1420 in Pode ˘ brady, gestorben 1471 in Prag: N. N., in: Brockhaus. Die Enzyklopädie in vierundzwanzig Bänden, Bd. 8, 20. Aufl. 1997, S. 358. 1010 Dazu mit weiteren Hinweisen H.-J. Becker, Das Projekt einer europäischen Union im Jahre 1464. König Georg von Podiebrad und sein „Friedensbündnis“, in: W. C. Lohse/J. Mittlmeier (Hrsg.), Europas Ursprung. Mythologie und Moderne. Festschrift der Universität Regensburg zum 50-jährigen Jubiläum der Römischen Verträge, 2007, S. 29 ff.

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E. Nationalstaat und die europäische Integration

päisches Schiedsgericht beigelegt werden, weiter sieht der Plan einen ständigen europäischen Rat und einen europäischen Gerichtshof vor. Die als juristische Person zu charakterisierende Gemeinschaft soll durch eine gemeinsame Kasse finanziert werden und christlichen Reichen offenstehen. Mit dem Tod des Königs wird der Plan obsolet.1011 Nach der Auflösung des mittelalterlichen Weltbildes mit seiner Einheit des Abendlandes umfassen die Pläne für einen Zusammenschluß der europäischen Staaten zunächst hauptsächlich friedenssichernde Ziele wie die gemeinsame Beilegung von Konflikten innerhalb Europas und die gemeinsame Abwehr drohender Gefahren von außen, beispielsweise der durch die Türken.1012 Auch die Arbeiten der folgenden Zeit sind von der Vorstellung eines europäischen Friedens geprägt.1013 Nach dem Werk des Quäkers William Penn1014 „An Essay towards the Present and Future Peace in Europe“ aus dem Jahre 1693, mit dem dieser für einen umfassenden europäischen Parlamentarismus plädiert, wartet 1710 John Bellers mit „Some Reasons for a European State“ auf. Die Schrift des Abbé de Saint-Pierre1015 „Mémoire pour rendre la paix perpétuelle en Europe“ aus dem Jahre 1713 wird von Rousseau mit einem „Projet pour la paix perpétuelle“ 1760 kritisch kommentiert.1016 Kant setzt sich mit dem Traktat „Zum ewigen Frieden“ 1795 für eine europäische, langfristig republikanisch verfaßte Föderation von Staaten ein.1017

1011

Becker, Projekt (Fn. 1010), S. 30 ff. Bieber/Epiney/Haag, Union (Fn. 1004), S. 36; A. Haratsch/C. Koenig/M. Pechstein, Europarecht, 5. Aufl. 2006, S. 2. H. Duchhardt schreibt, die Bedrohung Europas durch die Türken habe zu einer internationalen Solidarität lange nicht gekannten Ausmaßes geführt, ders., Europabewußtsein und politisches Europa – Entwicklungen und Ansätze im frühen 18. Jahrhundert am Beispiel des Deutschen Reiches, in: A. Buck (Hrsg.), Der Europa-Gedanke, 1992, S. 120 (121). 1013 Folgende Hinweise übernommen von Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht (Fn. 1012), S. 2. 1014 Geboren 1644 in London, gestorben 1718 in Ruscombe (bei Reading). Gründer von Pennsylvania: N. N., in: Brockhaus (Fn. 926), S. 694. 1015 Charles-Irénée Castel de Saint-Pierre, geboren 1658 in Saint-Pierre-Eglise (bei Cherbourg), gestorben 1743 in Paris: N. N., in: Brockhaus. Die Enzyklopädie in vierundzwanzig Bänden, Bd. 19, 20. Aufl. 1998, S. 27. 1016 Zu Abbé de Saint Pierre Schneider, Leitbilder (Fn. 1008), S. 52 ff.; O. Asbach, Politik und Frieden beim Abbé de Saint-Pierre. Erinnerung an einen (fast) vergessenen Klassiker der politischen Philosophie, in: V. Gerhardt u. a. (Hrsg.), Politisches Denken. Jahrbuch 1995/96, 1996, S. 133 (133 ff.). Vgl. auch dens., Die Zähmung der Leviathane. Die Idee einer Rechtsordnung zwischen Staaten bei Abbé de Saint-Pierre und Jean-Jacques Rousseau, 2002. 1017 Vgl. auch O. Asbach, Der Ewige Frieden, Europa und das Alte Reich. Zur vergessenen Vorgeschichte der Kantischen Friedensschrift bei Rousseau und dem Abbé de Saint-Pierre, in: H. Robinson (Hrsg.), Proceedings of the Eighth International Kant Congress, Bd. II, Teil 2, 1995, S. 787 ff.; Dreier, Republik (Fn. 468), S. 745 ff.; siehe auch C. I. 3. 1012

I. Kurzer Rückblick auf den Europagedanken

217

Wie die Modelle des 18. Jahrhunderts, die verschiedenartige, die staatliche Souveränität einschränkende Bündnisse vorsehen, bleiben auch die Schriften des 19. Jahrhunderts Denkansätze. Die mehr die sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse in den Blick nehmende Arbeit des Grafen von Saint-Simon1018 und Augustin Thierry1019 „De la réorganisation de la société européenne ou de la nécessité et des moyens de rassembler les peuples de l’Europe en un seul corps politique en conservant à chacun son indépendance nationale“ von 1814 eröffnet allerdings erstmals eine bis in die Gegenwart wirkende Diskussion1020 und leitet insofern über zu den Ansätzen der Zwischenkriegszeit.1021 Nach dem Ersten Weltkrieg triumphiert zwar das nationalstaatliche Ordnungsprinzip in Europa, doch zugleich entstehen Gegenbewegungen1022, in denen die Idee eines vereinten Europa zum ersten Mal in konkreten Formen gedacht wird. Der österreichische Publizist Richard Nicolaus Graf Coudenhove-Kalergi1023 gründet 1923 die Paneuropa-Union, die die Schaffung der „Vereinigten Staaten von Europa“ zum Ziel hat.1024 Dieses, dem Aufbau der Vereinigten Staaten von Amerika ähnelnde Konstrukt soll als Ausgleich zu den „Kraftfeldern“ der Sowjetunion und Großbritanniens ein weiteres europäisches „Kraftfeld“ bilden und so zahlreiche Vorteile, nämlich die Sicherung vor einem europäischen Krieg, die Neutralisierung Europas in Weltkonflikten, den Schutz vor einer Invasion durch Rußland, die Möglichkeit der Abrüstung und die Konkurrenzfähigkeit gegenüber anderen Industrien, bieten.1025 Der Weg zur paneuropäischen Organisation habe sich von der Einberufung einer paneuropäischen Konferenz über den Abschluß eines obligatorischen Schieds- und Garantievertrages und der Bildung eines europäischen Zollvereins bis hin zu einer paneuropäischen Verfassung zu

1018 Claude Henri de Rouvroy, Comte de Saint-Simon, geboren 1760 in Paris, gestorben 1825 ebd.: N. N., in: Brockhaus (Fn. 1015), S. 29. 1019 Jacques Nicolas Augustin Thierry, geboren 1795 in Blois, gestorben 1856 in Paris: http://de.wikipedia.org/wiki/Augustin_Thierry (31.03.2008). 1020 Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht (Fn. 1012), S. 2. 1021 Einen Überblick der v. a. eine wirtschaftliche Einigung bezweckenden Pläne dieses Zeitraumes gibt H. Dreier, Wirtschaftsraum – Großraum – Lebensraum. Facetten eines belasteten Begriffs, in: ders./H. Forkel/K. Laubenthal (Hrsg.), Raum und Recht. Festschrift 600 Jahre Würzburger Juristenfakultät, 2002, S. 47 (50 ff.). 1022 Langewiesche, Nation (Fn. 1003), S. 229. 1023 Geboren 1894 in Tokio, gestorben 1972 in Schruns (Vorarlberg): N. N., in: W. Killy (Hrsg.), Deutsche Biographische Enzyklopädie, Bd. 2, 1995, S. 385. 1024 Vgl. R. N. Coudenhove-Kalergi, Paneuropa, 1923. Dazu W. Hagemann, Die Europa-Idee bei Briand und Coudenhove-Kalergi. Ein Vergleich, in: A. Herrmann (Hrsg.), Aus Geschichte und Politik. Festschrift zum 70. Geburtstag von Ludwig Bergstraesser, 1954, S. 153 ff.; Scheer, Friedensgesellschaft (Fn. 487), S. 382 ff.; Dreier, Wirtschaftsraum (Fn. 1021), S. 54 f.; A. Ziegerhofer-Prettenthaler, Botschafter Europas. Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi und die Paneuropa-Bewegung in den zwanziger und dreißiger Jahren, 2004. 1025 Coudenhove-Kalergi, Paneuropa (Fn. 1024), S. 143.

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E. Nationalstaat und die europäische Integration

vollziehen.1026 Trotz eines raschen Anwachsens der Bewegung gelingt es ihr aber nicht, Einfluß auf politische Entscheidungen zu nehmen.1027 Im Jahre 1929 legt der französische Außenminister und Friedensnobelpreisträger Aristide Briand1028 einen Plan für eine Europäische Föderation ohne Abtretung nationaler Hoheitsrechte vor. Dieser sieht die Einrichtung eines Ständigen Politischen Ausschusses und eines Sekretariats vor und läuft auf eine Föderation staatenbündischer Zusammenarbeit hinaus. Hintergrund dieses Plans ist nicht allein der Glaube an die Notwendigkeit einer europäischen Gemeinschaft, sondern auch das handfeste französische Interesse an einer Einhegung Deutschlands mittels institutionalisierter Zusammenarbeit.1029 Briand ist „der Auffassung, daß zwischen Völkern, deren geographische Lage so ist wie die der Völker Europas, eine Art föderatives Band bestehen muß; diese Völker müssen jederzeit die Möglichkeit haben, miteinander in Verbindung zu treten, über ihre Interessen zu beraten, gemeinsame Entschließungen zu fassen, untereinander ein Band der Solidarität zu schaffen, das ihnen erlaubt, zu gegebener Zeit einer ernsten Lage, falls eine solche entsteht, gegenüberzutreten.“1030 Doch auch dieser Plan scheitert, wohl auch an seinem Unvermögen, nationale Ängste Frankreichs zu zerstreuen. In den dreißiger Jahren wird der Europagedanke oftmals zur Unterstützung von Hegemonieansprüchen faschistisch eingefärbt.1031 Werden im Dritten Reich Konzepte zur Beherrschung der europäischen Völker durch Deutschland vertreten („Das neue Europa“)1032, favorisieren Kollaborationsregierungen einen Staa1026

Coudenhove-Kalergi, Paneuropa (Fn. 1024), S. 141 ff. Eine Erklärung des Scheiterns liefert Carl von Ossietzky in der Weltbühne. Für ihn ist es der „Kinderglauben des Österreichers an die praktische Bedeutung der einflußreichen Leute“. Coudenhove-Kalergi habe „eine entwicklungsfähige Idee gehabt und sie ruiniert“, analysiert von Ossietzky, weil „eine politische Idee nicht ausschließlich auf einer zahlenmäßig kleinen, reichlich versnobten Gesellschaftsschicht ruhen kann“: O. Burgard, Europa von oben. Warum die politischen Initiativen für eine Europäische Union nach dem Ersten Weltkrieg scheiterten, in: Die Zeit Nr. 3 vom 06.01.2000. 1028 Geboren 1862 in Nantes, gestorben 1932 in Paris: N. N., in: Brockhaus. Die Enzyklopädie in vierundzwanzig Bänden, Bd. 3, 20. Aufl. 1996, S. 717. 1029 Brunn, Einigung (Fn. 1005), S. 24. 1030 Aus der Rede Briands auf der 10. Versammlung des Völkerbundes am 05. September 1929, zitiert nach Brunn, Einigung (Fn. 1005), S. 314. 1031 Brunn, Einigung (Fn. 1005), S. 26. 1032 Dazu W. Daitz, Neuordnung Europas aus Rasse und Raum, in: Nationalsozialistische Monatshefte 1940, S. 529 ff.; P. Herre, Deutschland und die europäische Ordnung, 1941, S. 157 ff., 177 ff.; F. Berber, Die Neuordnung Europas und die Aufgabe der aussenpolitischen Wissenschaft, in: Auswärtige Politik 1942, S. 189 ff.; P. Kluke, Nationalsozialistische Europaideologie, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 3 (1955), S. 240 ff.; H. W. Neulen, Europa und das 3. Reich. Einigungsbestrebungen im deutschen Machtbereich 1939–1945, 1987; J. K. Hoensch, Nationalsozialistische Europapläne im Zweiten Weltkrieg. Versuch einer Synthese, in: R. G. Plaschka u. a. (Hrsg.), Mitteleuropa-Konzeptionen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, 1995, 1027

I. Kurzer Rückblick auf den Europagedanken

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tenbund mit gemeinsamem Wirtschaftsraum und koordinierter Außenpolitik unter deutscher Führung als Weltmacht Europa neben der Sowjetunion und den USA. Angesichts des Übergewichts dieser beiden Mächte loten auch die Exilregierungen Möglichkeiten einer europäischen Einigung für die Zeit nach dem Krieg aus. In dieser setzt sich aber zunächst das von den USA favorisierte Konzept einer Weltfriedensorganisation, der Vereinten Nationen, durch.1033 2. Vom Schuman-Plan bis zum Vertrag von Lissabon Erst als Konsequenz aus der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs nimmt der Europagedanke konkrete Form an. Einen ersten markanten Punkt bildet im Jahre 1946 die „Zürcher Rede“ Winston Churchills, der Großbritannien als Premierminister durch den Krieg geführt hat. In ihr fordert dieser die Neugründung der „Europäischen Völkerfamilie“ und die Schaffung „Vereinigter Staaten von Europa“ unter der Führung Deutschlands und Frankreichs.1034 Für die europäische Integration bahnbrechend aber ist der vom Leiter des französischen Planungsamtes Jean Monnet1035 und dem französischen Außenminister Robert Schuman1036 entwickelte Schuman-Plan1037. Dieser am 9. Mai S. 307 ff.; B. Kletzin, Europa aus Rasse und Raum. Die nationalsozialistische Idee der Neuen Ordnung, 2000; Dreier, Wirtschaftsraum (Fn. 1021), S. 47 (56 ff.), der folgendes Ergebnis formuliert: „Was als heuristischer Suchbegriff für eine neue Wirtschaftsordnung unter den durch die Weltwirtschaftskrise verschärften Bedingungen beginnt, endet als zunehmend enger mit den Lebensraumkonzepten verknüpfter, politisch-militärisch gestützter Begriff für die erdrückende deutsche Vorherrschaft auch im Wirtschaftsbereich [. . .].“: ebd., S. 65. J. Rovan weist auf eine nationalsozialistische Propagandazeitschrift mit dem Namen „Nation Europa“ hin: ders., Europa der Vaterländer oder Nation Europa?, in: Merkur 46 (1992), S. 200 (204). 1033 Brunn, Einigung (Fn. 1005), S. 27 ff. Zu den Europaplänen der Widerstandsgruppen F. Niess, Die europäische Idee. Aus dem Geist des Widerstands, 2001, S. 30 ff. 1034 Großbritannien verstand sich zu diesem Zeitpunkt noch als im Commonwealth engagierte Weltmacht. 1035 Geboren 1888 in Cognac, gestorben 1979 in Montfort-L’Amaury: N. N., in: Brockhaus. Die Enzyklopädie in vierundzwanzig Bänden, Bd. 15, 20. Aufl. 1998, S. 86. 1036 Geboren 1886 in Luxemburg, gestorben 1963 in Scy-Chazelles (Moselle): N. N., in: Brockhaus (Fn. 1015), S. 512. 1037 In ihm heißt es: „Der Friede der Welt kann nicht gewahrt werden ohne schöpferische Anstrengungen, die der Größe der Bedrohung entsprechen. [. . .] Die französische Regierung schlägt vor, die Gesamtheit der französisch-deutschen Kohlen- und Stahlproduktion unter eine gemeinsame Oberste Aufsichtsbehörde zu stellen, in einer Organisation, die anderen europäischen Ländern zum Beitritt offen steht. Die Zusammenlegung der Kohlen- und Stahlproduktion wird sofort die Schaffung gemeinsamer Grundlagen für die wirtschaftliche Entwicklung sichern – die erste Etappe der europäischen Föderation – und die Bestimmtheit jener Gebiete ändern, die lange Zeit der Herstellung von Waffen gewidmet waren, deren sicherste Opfer sie gewesen sind. Die Solidarität der Produktion, die so geschaffen wird, wird bekunden, daß jeder Krieg zwi-

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E. Nationalstaat und die europäische Integration

1950 vorgelegte Plan einer Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl sieht eine Wirtschaftsgemeinschaft zwischen der Bundesrepublik und Frankreich vor, die Deutschland die Verfügung über die kriegswichtigen Bereiche der Kohle- und Stahlindustrie entzieht. Die Vergemeinschaftung dieser Schlüsselindustrien soll der weiteren europäischen Integration den Weg zu einer bundesstaatlichen Entwicklung bereiten.1038 Um einen gemeinsamen Markt für die Güter der Schwerindustrie zu schaffen, verzichten die Vertragsstaaten auf Hoheitsrechte und ordnen sich insoweit europäischen Institutionen unter.1039 Ein Jahr später unterzeichnen neben der Bundesrepublik und Frankreich Italien und die Beneluxstaaten den Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl, der 1952 in Kraft tritt.1040 Die europäische Integration beschränkt sich jedoch zunächst auf den wirtschaftlichen Bereich1041, wohl auch, weil die Verwirklichung des 1952 unterzeichneten Vertrages über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft 1954 am Widerstand Frankreichs scheitert.1042 Mit ihr verbindet sich indes die Erwartung, der Ausbau des Gemeinschaftssystems auf wirtschaftlichem Gebiet werde letztlich die politische Integration zur Konsequenz haben.1043 Ein weiterer wichtiger Schritt wird 1957 mit dem Abschluß der Römischen Verträge gemacht. Sie führen zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Europäischen Atomgemeinschaft, die beide der in ihrer Bedeutung immer mehr abnehmenden Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl nachgebildet sind und 1958 in Kraft treten.1044 Ziele sind die Schaffung schen Frankreich und Deutschland nicht nur undenkbar, sondern materiell unmöglich ist.“, zitiert nach Europa-Archiv 1950, S. 3091, im Original abgedruckt in ZaöRV 13 (1950), S. 651 ff. Ausführlich K. Schwabe (Hrsg.), Die Anfänge des Schuman-Planes 1950/51. Beiträge des Kolloquiums in Aachen, 28.–30. Mai 1986, 1988. 1038 Bieber/Epiney/Haag, Union (Fn. 1004), S. 38. 1039 H.-W. Arndt, Europarecht, 8. Aufl. 2006, S. 11. 1040 Der zum 23. Juli 2002 ausgelaufene Vertrag ist von den Mitgliedstaaten nicht verlängert worden. Dazu W. Obwexer, Das Ende der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl, EuZW 2002, S. 517 ff. 1041 So wird auf der Konferenz von Messina 1955 die Ausgestaltung einer weiteren wirtschaftlichen Integration beschlossen. 1042 Daß die „Initialzündung“ [S. Hobe, Europarecht, 3. Aufl. 2006, S. 6] in Frankreich geschieht, kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß Frankreich sich nur allzu oft als Bremsklotz erweist, so, neben der Verantwortung für das Scheitern der EVG, mit der „Politik des leeren Stuhls“ Mitte der sechziger Jahre oder der Ablehnung des VVE 2005. 1043 M. Herdegen, Europarecht, 9. Aufl. 2007, S. 44. Allerdings soll Monnet kurz vor seinem Tod gesagt haben: „Wenn ich das Ganze noch einmal zu machen hätte, würde ich mit der Kultur anfangen.“ 1044 Vgl. auch F. Knipping, Rom, 25. März 1957. Die Einigung Europas, 2004, S. 98 ff. Zur EWG H. J. Küsters, Die Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, 1982. Zur Euratom P. Weilemann, Die Anfänge der Europäischen Atomgemeinschaft. Zur Gründungsgeschichte von EURATOM 1955–1957, 1982.

I. Kurzer Rückblick auf den Europagedanken

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einer Zoll- und Wirtschaftsunion und die einer gemeinschaftlichen Verfügungsbefugnis über die friedliche Nutzung der Kernenergie. Der Fusionsvertrag führt 1967 die Institutionen der drei Verträge zusammen und sorgt so für eine bedeutende Annäherung der Gemeinschaften. Die Erweiterung der Gemeinschaften auf fünfzehn Mitgliedstaaten vollzieht sich in mehreren Etappen. 1973 werden Dänemark, Großbritannien und Irland aufgenommen, 1981 tritt Griechenland und 1986 treten Spanien und Portugal bei. 1995 werden Finnland, Österreich und Schweden aufgenommen. Die Einheitliche Europäische Akte stellt die erste große Revision der Gemeinschaftsverträge dar und verändert die Qualität der europäischen Integration grundlegend. Sie verklammert die drei Europäischen Gemeinschaften und die Organisationsform der Europäischen Politischen Zusammenarbeit und setzt beiden Organisationsformen das Ziel, „gemeinsam zu konkreten Fortschritten auf dem Wege zur Europäischen Union beizutragen“1045. Mit ihrem Inkrafttreten beginnt 1987 die schrittweise Einführung eines gemeinsamen Binnenmarktes, der 1992 vollendet wird. Eine gänzlich neue Dimension erreicht die europäische Integration durch den 1993 in Kraft tretenden Vertrag von Maastricht. Als gemeinsames Dach der Gemeinschaften und der neu geschaffenen Formen der Zusammenarbeit wird die Europäische Union gegründet.1046 Gemeinschaftsrecht und Völkerrecht werden so in einen einheitlichen institutionellen Rahmen gebracht. Die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft wird in Europäische Gemeinschaft umbenannt. Mit der Schaffung der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion, die die Koordination der Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten, die Einführung einer einheitlichen Währung und die Errichtung eines europäischen Zentralbanksystems beinhaltet, wird ein weiterer wichtiger Schritt unternommen. Nach dem Beginn der Währungsunion 1999 startet 2002 der Euro als gemeinsame europäische Währung.1047

1045

Art. 1 Abs. 1 EEA. Vgl. Art. 1 Abs. 3 S. 1 EU: „Grundlage der Union sind die Europäischen Gemeinschaften, ergänzt durch die mit diesem Vertrag eingeführten Politiken und Formen der Zusammenarbeit.“ Zum Vertrag von Maastricht vgl. H. J. Hahn, Der Vertrag von Maastricht als völkerrechtliche Übereinstimmung und Verfassung. Anmerkungen anhand Grundgesetz und Gemeinschaftsrecht, 1992; H.-J. Blanke, Der Unionsvertrag von Maastricht – Ein Schritt auf dem Weg zu einem europäischen Bundesstaat?, in: DÖV 1993, S. 412 ff.; D. Murswiek, Maastricht und der Pouvoir Constituant. Zur Bedeutung der verfassunggebenden Gewalt im Prozeß der europäischen Integration, in: Der Staat 32 (1993), S. 161 ff.; W. Weidenfeld (Hrsg.), Maastricht in der Analyse. Strategien und Optionen für Europa, 1994. 1047 Bereits in den zwanziger Jahren präsentiert der liberale Reichstagsabgeordnete Wilhelm Heile in Madrid ein Programm zur Stabilisierung der europäischen Wechselkurse, das die Einführung einer einheitlichen europäischen Währung ermöglichen soll. 1046

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E. Nationalstaat und die europäische Integration

Der 1999 in Kraft tretende Vertrag von Amsterdam soll „Maastricht“ nachbessern und behutsam weiterentwickeln. Seine wesentlichen Neuerungen betreffen vor allem die Stärkung des Europäischen Parlaments, die Überführung anderer Vertragsteile in den EG-Vertrag, die Verbesserung der außenpolitischen Handlungsfähigkeit der Union, die Betonung der Bürgernähe und die Zulassung der Möglichkeit zu differenzierter Integration. Er verstärkt die rechtsstaatlichen und demokratischen Grundlagen der Europäischen Union.1048 Im Vertrag von Nizza sollen ab 2003 vor allem in Amsterdam nicht gelöste Probleme zum Abschluß gebracht werden. Die in ihm vorgesehenen Änderungen des Gemeinschaftsrechts betreffen in erster Linie die Zusammensetzung der Organe, die Stimmengewichtung im Rat, die Ausweitung der Abstimmung mit qualifizierter Mehrheit, die verstärkte Zusammenarbeit, die Ergänzung des Sanktionsmechanismus gem. Art. 7 EU, die Gemeinsame Handelspolitik und den intergouvernementalen Bereich der Europäischen Union. In ihm werden die europäischen Institutionen und Entscheidungsverfahren auf die Erweiterungen der Union um Staaten Ost- und Mitteleuropas in den Jahren 2004 und 20071049 vorbereitet.1050 Im Jahre 2001 wird der mit der Ausarbeitung eines Entwurfs eines Verfassungsvertrages beauftragte „Konvent zur Zukunft Europas“ ins Leben gerufen, als dessen Ergebnis 2004 in Rom der „Vertrag über eine Verfassung für Eu1048 Zum Vertrag von Amsterdam H. G. Fischer, Der Amsterdamer Vertrag zur Revision des Vertrages über die Europäische Union, in: JA 1997, S. 818 ff.; A. Otting, Von Maastricht nach Amsterdam, in: BArbBl. 11 (1997), S. 10 ff.; C. Thun-Hohenstein, Der Vertrag von Amsterdam. Die neue Verfassung der EU, 1997; J. Bergmann/ C. Lenz (Hrsg.), Der Amsterdamer Vertrag. Eine Kommentierung der Neuerungen des EU- und EG-Vertrages, 1998; M. Hilf/E. Pache, Der Vertrag von Amsterdam, in: NJW 1998, S. 705 ff.; H. Lecheler, Die Fortentwicklung des Rechts der Europäischen Union durch den Amsterdam-Vertrag, in: JuS 1998, S. 392 ff.; R. Streinz, Der Vertrag von Amsterdam – Die institutionellen Veränderungen für die Europäische Union und die Europäische Gemeinschaft, in: Jura 1998, S. 57 ff.; ders., Der Vertrag von Amsterdam. Einführung in die Reform des Unionsvertrages von Maastricht und erste Bewertung der Ergebnisse, in: EuZW 1998, S. 137 ff.; W. Weidenfeld (Hrsg.), Amsterdam in der Analyse. Strategien für Europa, 2. Aufl. 1999. 1049 Im Jahre 2004 werden Estland, Lettland, Litauen, Malta, Polen, Tschechien, die Slowakei, Slowenien, Ungarn und Zypern aufgenommen, im Jahre 2007 folgen Bulgarien und Rumänien. 1050 Zum Vertrag von Nizza A. Epiney/M. F. Abt/R. Mosters, Der Vertrag von Nizza, in: DVBl. 2001, S. 941 ff.; K. H. Fischer, Der Vertrag von Nizza, 2. Aufl. 2003; A. Hatje, Die institutionelle Reform der Europäischen Union – der Vertrag von Nizza auf dem Prüfstand, in: EuR 36 (2001), S. 143 ff.; M. Jopp/B. Lippert/H. Schneider (Hrsg.), Das Vertragswerk von Nizza und die Zukunft der Europäischen Union, 2001; E. Pache/F. Schorkopf, Der Vertrag von Nizza. Institutionelle Reform zur Vorbereitung der Erweiterung, in: NJW 2001, S. 1377 ff.; W. Weidenfeld (Hrsg.), Nizza in der Analyse. Strategien für Europa, 2001; T. Wiedmann, Der Vertrag von Nizza – Genesis einer Reform, EuR 36 (2001), S. 185 ff. Auf dem Ratsgipfel von Nizza findet außerdem die feierliche Proklamation der Charta der Grundrechte für die Europäische Union statt.

I. Kurzer Rückblick auf den Europagedanken

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ropa“ unterzeichnet wird.1051 Ablehnende Referenden in Frankreich und den Niederlanden führen zu einer mehr als zwei Jahre andauernden Krise, in der der Europäische Rat im Juni 2005 empfiehlt, in allen Mitgliedstaaten eine Denkpause einzulegen. Diese Reflexionsphase mündet, nachdem die Berliner Erklärung im März 2007 das Vertragswerk wieder auf die politische Agenda setzt, im Vertrag von Lissabon, der die rechtliche Substanz des Verfassungsvertrages im großen und ganzen in die bestehenden Verträge einarbeitet, auf die Kodifizierung eines einheitlichen Vertrages mit dem Namen Verfassung jedoch verzichtet.1052 Durch den Vertrag erhält die Union Rechtspersönlichkeit und wird ausdrücklich zur Nachfolgerin der Europäischen Gemeinschaft erklärt.1053 Weitere wichtige Neuerungen sind die Einsetzung eines Ratspräsidenten und eines Hohen Vertreters der Union für Außen- und Sicherheitspolitik1054, das Entfallen des Zwangs zur Einstimmigkeit in vielen Fällen zugunsten der Einführung des Prinzips der doppelten Mehrheit1055 sowie die Regelung der Möglichkeit eines Austritts aus der Union1056. Seine Feuertaufe hat der Vertrag wegen der noch ausstehenden Ratifikation, die ein Inkrafttreten noch vor den nächsten 1051 Dazu D. Grimm, Braucht Europa eine Verfassung?, in: JZ 1995, S. 581 ff.; T. Oppermann, Eine Verfassung für die Europäische Union – Der Entwurf des Europäischen Konvents, in: DVBl. 2003, S. 1165 ff.; J. Schwarze, Ein pragmatischer Verfassungsentwurf – Analyse und Bewertung des vom Europäischen Verfassungskonvent vorgelegten Entwurfs eines Vertrages über eine Verfassung für Europa, in: EuR 38 (2003), S. 535 ff.; C. Calliess/M. Ruffert, Vom Vertrag zur EU-Verfassung? – Der Konventsentwurf in der Analyse. Kolloquium am 13. und 14. Mai 2004 im GoetheNationalmuseum Weimar, in: EuGRZ 2004, S. 541, insbesondere die dem folgenden Beiträge auf den S. 542 ff.; M. Ruffert, Schlüsselfragen der Europäischen Verfassung der Zukunft. Grundrechte – Institutionen – Kompetenzen – Ratifizierung, in: EuR 39 (2004), S. 165 ff.; K. H. Fischer, Der Europäische Verfassungsvertrag, 2005; M. Höreth/C. Janowski/L. Kühnhardt (Hrsg.), Die Europäische Verfassung. Analyse und Bewertung ihrer Strukturentscheidungen, 2005; R. Hofmann/A. Zimmermann (Hrsg.), Eine Verfassung für Europa. Die Rechtsordnung der Europäischen Union unter dem Verfassungsvertrag, 2005; J. Schwarze, Der Europäische Verfassungsvertrag, in: JZ 2005, S. 1130 ff.; R. Streinz/C. Ohler/C. Herrmann, Die neue Verfassung für Europa. Einführung mit Synopse, 2005. 1052 Auf der Strecke bleiben weiterhin Symbole wie Flagge, Hymne und Leitspruch, die Bezeichnung „Außenminister der Union“ sowie die Neustrukturierung der Rechtsakte mit den Bezeichnungen Gesetz und Rahmengesetz. Zum Vertrag von Lissabon H.-J. Rabe, Zur Metamorphose des Europäischen Verfassungsvertrags, in: NJW 2007, S. 3153 ff.; T. S. Richter, Die EU-Verfassung ist tot, es lebe der Reformvertrag. Übersicht über Zeitplan, Streichungen, Ergänzungen und Übernahmen aus dem Verfassungsentwurf, in: EuZW 2007, S. 631 ff. Ders. konstatiert dem Vertrag „Schönheit auf den zweiten Blick“: ebd., S. 633. 1053 Art. 1 Abs. 3 EU neu. 1054 Art. 9b Abs. 5, 6 EU neu bzw. Art. 9e EU neu. 1055 Art. 9c Abs. 3 bzw. 4 EU neu. Als qualifizierte Mehrheit gilt eine Mehrheit von mindestens 55% der Mitglieder des Rates, gebildet aus mindestens 15 Mitgliedern, sofern die von diesen vertretenen Mitgliedstaaten zusammen mindestens 65% der Bevölkerung der Union ausmachen. 1056 Art. 49a EU neu.

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E. Nationalstaat und die europäische Integration

Wahlen zum Europäischen Parlament im Juni 2009 ermöglichen soll, allerdings noch vor sich.1057 3. Zusammenfassung Bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs bleibt der Europagedanke ein Gedanke, auch wenn sich bereits im Mittelalter Vorläufer einer europäischen Integration finden lassen und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts konkrete Einigungsprojekte vorgetragen werden. Als bahnbrechend stellt sich der 1950 vorgelegte Schuman-Plan heraus, der zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl führt, welcher 1957 mit den Römischen Verträgen die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft und die Europäische Atomgemeinschaft zur Seite gestellt werden. Deren Institutionen führt der Fusionsvertrag 1967 zusammen. Die Einheitliche Europäische Akte stellt 1987 die erste große Revision der Gemeinschaftsverträge dar und verklammert die drei Gemeinschaften und die Organisationsform der Europäischen Politischen Zusammenarbeit. Mit der Gründung der als Dach fungierenden Europäischen Union durch den Vertrag von Maastricht wird 1993 eine neue Dimension der europäischen Einigung erreicht. Der 2004 unterzeichnete Verfassungsvertrag ist wegen Ratifizierungsschwierigkeiten dem Vertrag von Lissabon gewichen, der die meisten vom Verfassungsvertrag vorgesehenen Neuerungen in die bestehenden Verträge einarbeitet.

II. Auswirkungen der europäischen Integration auf Staatsgebiet, Staatsvolk und Staatsgewalt Mit dem Inkrafttreten des Maastrichter Vertrages, „eine[r] neue[n] Stufe bei der Verwirklichung einer immer engeren Union der Völker Europas“1058 am 1. November 1993 bildet die Europäische Union die institutionelle Klammer zwischen den fortbestehenden beiden Gemeinschaften als erster Säule1059 und den neu eingeführten Formen der Zusammenarbeit auf den Gebieten der Außen- und Sicherheitspolitik1060 sowie der Justiz- und Innenpolitik1061 als zweiter 1057 Nach derzeitigem Stand wird nur in Irland ein Referendum abgehalten werden. In einem ersten Anlauf haben die Iren den Vertrag allerdings abgelehnt. 1058 So Art. 1 Abs. 2 EU. 1059 Dies sind die EG und die EAG. 1060 GASP (Art. 11–28 EU). Vgl. Bieber/Epiney/Haag, Union (Fn. 1004), S. 566 ff.; Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht (Fn. 1012), S. 501 ff.; Hobe, Europarecht (Fn. 1042), S. 315 ff.; Herdegen, Europarecht (Fn. 1043), S. 407 ff. 1061 ZBJI, seit dem Amsterdamer Vertrag PJZS (Art. 29–42 EU). Vgl. Bieber/Epiney/Haag, Union (Fn. 1004), S. 277 ff.; Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht (Fn. 1012), S. 509 ff.; Hobe, Europarecht (Fn. 1042), S. 327 ff.; Herdegen, Europarecht (Fn. 1043), S. 414 ff.

II. Auswirkungen der europäischen Integration

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bzw. dritter Säule1062. Trotz der These, die drei ursprünglichen Gemeinschaften seien in der Europäischen Union aufgegangen, welche wegen des einheitlichen institutionellen Rahmens des EU-Vertrages eine uniforme Rechtspersönlichkeit darstelle1063, sieht die herrschende Meinung die Europäische Union lediglich als institutionelles Dach, dem keine Rechtspersönlichkeit zukommt.1064 Sie sei nicht mehr als die Bündelung verschiedener Tätigkeiten im Rahmen der europäischen Integration. Rechtsakte im Bereich der ersten Säule seien solche der Gemeinschaften, Rechtsakte im Bereich der zweiten und dritten Säule solche der Mitgliedstaaten.1065 Somit verwundert es nicht, daß der Übergang in eine Eigenstaatlichkeit der Europäischen Union zum jetzigen Zeitpunkt nur schwer vorstellbar ist. Ohnehin ist fraglich, ob das Grundgesetz einen europäischen Bundesstaat tolerieren würde.1066 Das Bundesverfassungsgericht klammert diese Frage im Maastricht1062 Diese sind lediglich als intergouvernementale Zusammenarbeit ausgestaltet, also als eine Zusammenarbeit, die kaum über herkömmliche völkerrechtliche Kategorien hinausgeht. 1063 G. Ress, Die Europäische Union und die neue juristische Qualität der Beziehungen zu den Europäischen Gemeinschaften, in: JuS 1992, S. 985 (985 f.); A. v. Bogdandy/M. Nettesheim, Die Verschmelzung der Europäischen Gemeinschaft in der Europäischen Union, in: NJW 1995, S. 2324 ff.; G. Ress, Ist die Europäische Union eine juristische Person?, in: EuR 30 (1995), Beiheft 2, S. 27 ff. 1064 O. Dörr, Noch einmal: Die Europäische Union und die Europäischen Gemeinschaften, in: NJW 1995, S. 3162 ff., der ihr aber immerhin eine partielle Völkerrechtssubjektivität in „statu nascendi“ zukommen läßt: ders., Die Rechtsnatur der Europäischen Union, in: EuR 30 (1995), S. 334 (343); A. Bleckmann, Europarecht. Das Recht der Europäischen Union und der Europäischen Gemeinschaften, 6. Aufl. 1997, S. 84; Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht (Fn. 1012), S. 33 ff.; W. Hakenberg, Europarecht, 4. Aufl. 2007, S. 13; C. Hillgruber, Der Nationalstaat in der überstaatlichen Verflechtung, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. 2, 3. Aufl. 2004, § 32 Rn. 90; Herdegen, Europarecht (Fn. 1043), S. 71. Hobe bezeichnet die Europäische Union als eine „auf eigene Völkerrechtssubjektivität hin angelegte Gemeinschaft verschiedener Integrationsstufen“, ders., Der offene Verfassungsstaat zwischen Souveränität und Interdependenz. Eine Studie zur Wandlung des Staatsbegriffs der deutschsprachigen Staatslehre im Kontext internationaler institutionalisierter Kooperation, 1998, S. 334. 1065 M. Schweitzer/W. Hummer, Europarecht, 5. Aufl. 1996, S. 298. Beachte aber die sich durch den Vertrag von Lissabon ergebenden Änderungen, hier in Form des Art. 1 Abs. 3 EU in seiner neuen Fassung, der der Union ausdrücklich Rechtspersönlichkeit zuspricht. 1066 Dies bejahend C. Kirchner/J. Haas, Rechtliche Grenzen für Kompetenzübertragungen auf die Europäische Gemeinschaft, in: JZ 1993, S. 760 (762); S. Magiera, Die Grundgesetzänderung von 1992 und die Europäische Union, in: Jura 1994, S. 1 (8); Pernice, Carl Schmitt (Fn. 652), S. 101; R. Scholz, in: R. Herzog u. a. (Hrsg.), Grundgesetz, Art. 23 (1996), Rn. 63; B.-O. Bryde, in: I. v. Münch/P. Kunig (Hrsg.), Grundgesetz, Bd. 3, 5. Aufl. 2003, Art. 79 Rn. 49a; I. Pernice, in: H. Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 2, 2. Aufl. 2006, Art. 23 Rn. 36, 92; H. D. Jarass, in: ders./B. Pieroth (Hrsg.), Grundgesetz, 9. Aufl. 2007, Art. 23 Rn. 29. Andere Ansicht M. Herdegen, Die Belastbarkeit des Verfassungsgefüges auf dem Weg zur Europäischen Union, in: EuGRZ 1992, S. 589 (590); P. Kirchhof, Der deutsche Staat im Prozeß der

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E. Nationalstaat und die europäische Integration

Urteil aus, stellt aber fest: „Der Unions-Vertrag begründet [. . .] einen Staatenverbund zur Verwirklichung einer immer engeren Union der – staatlich organisierten – Völker Europas [. . .], keinen sich auf ein europäisches Staatsvolk stützenden Staat. Angesichts dieses Inhalts stellt sich die [. . .] aufgeworfene Frage nicht, ob das Grundgesetz eine deutsche Mitgliedschaft in einem europäischen Staat erlaubt oder ausschließt.“1067 Treffend erscheint der vom Bundesverfassungsgericht im Hinblick auf die Europäische Union eingeführte Begriff „Staatenverbund“1068. Dessen eigentlicher Schöpfer Kirchhof bezieht hingegen klar europäischen Integration, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. 7, 1992, § 183 Rn. 62; U. Everling, Überlegungen zur Struktur der Europäischen Union und zum neuen Europa-Artikel des Grundgesetzes, in: DVBl. 1993, S. 936 (943); U. Di Fabio, Der neue Art. 23 des Grundgesetzes. Positivierung vollzogenen Verfassungswandels oder Verfassungsneuschöpfung?, in: Der Staat 32 (1993), S. 191 (206, 214); Murswiek, Maastricht (Fn. 1046), S. 164 f.; R. Breuer, Die Sackgasse des neuen Europaartikels (Art. 23 GG), in: NVwZ 1994, S. 417 (423); J. Isensee, Integrationsziel Europastaat?, in: O. Due/M. Lutter/J. Schwarze (Hrsg.), Festschrift für Ulrich Everling, Bd. 1, 1995, S. 567 (590); M. Kaufmann, Europäische Integration und Demokratieprinzip, Diss. iur. Göttingen 1997, S. 416 f.; U. Fink, Garantiert das Grundgesetz die Staatlichkeit der Bundesrepublik Deutschland?, in: DÖV 1998, S. 133 (135 ff.); O. Rojahn, in: I. v. Münch/P. Kunig (Hrsg.), Grundgesetz, Bd. 2, 5. Aufl. 2001, Art. 23 Rn. 15; Hillgruber, Nationalstaat (Fn. 1064), Rn. 41, 108; R. Streinz, in: M. Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 4. Aufl. 2007, Art. 23 Rn. 84. 1067 BVerfGE 89, 155 (188). 1068 BVerfGE 89, 155. Dabei vernachlässigt es die beiden supranationalen Gemeinschaften EG und EAG, so daß von einem „gemischten Staaten- und Gemeinschaftsverbund“ die Rede sein müßte: Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht (Fn. 1012), S. 33. Sein eigentlicher Schöpfer ist allerdings P. Kirchhof, der mit diesem Begriff die „Organisation Europas zwischen Staatenbund und Entstaatlichung der Mitgliedstaaten“ kennzeichnet: „Die Gegenwart fordert nicht eine Auflösung der bestehenden Staaten in Europa, sondern die Entwicklung eines Staatenverbundes.“: ders., Staat (Fn. 1066), Rn. 53 f. Zustimmend R. Dahrendorf, Die Zukunft des Nationalstaates, in: Merkur 48 (1994), S. 751 (760). Kritisch H. P. Ipsen, Zehn Glossen zum Maastricht-Urteil, in: EuR 29 (1994), S. 1 (8): „der neue Versuch einer Gestaltbenennung, der alsbald vergessen werden sollte“. Vgl. auch P. M. Huber, Maastricht – ein Staatsstreich?, 1993, und weiterhin V. Götz, Das Maastricht-Urteil des Bundesverfassungsgerichts, in: JZ 1993, S. 1081 ff.; B. Kahl, Europäische Union: Bundesstaat – Staatenbund – Staatenverbund? Zum Urteil des BVerfG vom 12. Oktober 1993, in: Der Staat 33 (1994), S. 241 ff.; C. Tomuschat, Die Europäische Union unter der Aufsicht des Bundesverfassungsgerichts, in: EuGRZ 1993, S. 489 ff.; U. Everling, Das Maastricht-Urteil des Bundesverfassungsgerichts und seine Bedeutung für die Entwicklung der Europäischen Union, in: Integration 3 (1994), S. 165 ff.; J. A. Frowein, Das Maastricht-Urteil und die Grenzen der Verfassungsgerichtsbarkeit, in: ZaöRV 54 (1994), S. 1 ff.; D. König, Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Vertrag von Maastricht – ein Stolperstein auf dem Weg in die europäische Integration?, in: ZaöRV 54 (1994), S. 17 ff.; K. M. Meessen, Maastricht nach Karlsruhe, in: NJW 1994, S. 549 ff.; M. Schröder, Das Bundesverfassungsgericht als Hüter des Staates im Prozeß der europäischen Integration. Bemerkungen zum Maastricht-Urteil, in: DVBl. 1994, S. 316 ff.; I. Winkelmann, Das Maastricht-Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Dokumentation des Verfahrens mit Einführung, 1994; N. MacCormick, Das Maastricht-Urteil: Souveränität heute, in: JZ 1995, S. 797 ff.; I. Pernice, Deutschland in der Europäischen Union, in: J. Isensee/ P. Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. 8, 2. Aufl. 1995, § 291 Rn. 49 ff.; H. Steinberger, Die

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Stellung: „Die Staatlichkeit Deutschlands steht im Rahmen der europäischen Einigung nicht zur Disposition.“1069 In der Tat fehlt es dem System der Europäischen Union nach wie vor an wesentlichen Staatsmerkmalen.1070 Weder verfügt sie über ein eigenes Gebiet, noch hat sie ein Staatsvolk, noch eine sogenannte „Kompetenz-Kompetenz“1071. Die Europäische Gemeinschaft und erst recht die Europäische Union sind also kein europäischer Bundesstaat. Vielmehr ist der Nationalstaat das Standbein, die Europäische Union das Spielbein.1072 Trotzdem hat die Union in fast allen Bereichen bestimmenden Einfluß auf die Nationalstaaten gewonnen.1073 1. Staatsgebiet Das Staatsgebiet ist nach wie vor die materielle Grundlage eines jeden Staates. Dennoch geht mit fortschreitender Integration ein Bedeutungsverlust der Staatsgrenzen einher1074, der sich symbolisch im Abbau der Grenzkontrollen durch die Schengener Abkommen manifestiert. Die das Grundkonzept der europäischen Integration darstellende Garantie der Freiheiten des Gemeinsamen Marktes bewirkt über den Wegfall der Zollschranken hinaus eine breite Öffnung des Staatsgebiets für Waren, Menschen, Dienstleistungen und Kapital.1075 Auch wenn die Staatsgrenzen in ihrer Grundfunktion der Abgrenzung staatlicher HoEuropäische Union im Lichte der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 12. Oktober 1993, in: U. Beyerlin u. a. (Hrsg.), Recht zwischen Umbruch und Bewahrung. Festschrift für Rudolf Bernhardt, 1995, S. 1313 ff.; D. König, Die Übertragung von Hoheitsrechten im Rahmen des europäischen Integrationsprozesses – Anwendungsbereich und Schranken des Art. 23 des Grundgesetzes, 2000, S. 416 ff. 1069 Kirchhof, Staat (Fn. 1066), Rn. 57. Kritisch („fundamentale Unsicherheit“) zur Argumentation Kirchhofs Möllers, Staat (Fn. 653), S. 378 ff. 1070 Zudem verpflichtet Art. 6 Abs. 3 EU die Union, „die nationale Identität ihrer Mitgliedstaaten“ zu achten. Allerdings umfaßt dieser Schutz zwar die Eigenstaatlichkeit und Verfassungsidentität der Mitgliedstaaten, jedoch sind ihm Aussagen über ihre Existenz als Staaten im Sinne des Völkerrechts nicht zu entnehmen: Bieber/Epiney/ Haag, Union (Fn. 1004), S. 70. 1071 Hobe, Verfassungsstaat (Fn. 1064), S. 344. Das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung und das Fehlen einer „Kompetenz-Kompetenz“ bewirken, daß die europäischen Gemeinschaften nur über die auf vertraglichem Wege konkret übertragenen Kompetenzen verfügen und die übertragenen Befugnisse nicht ohne eine vertragliche Ermächtigung selbständig erweitert werden können. 1072 So R. Wahl, Die zweite Phase des öffentlichen Rechts in Deutschland. Die Europäisierung des Öffentlichen Rechts, in: Der Staat 38 (1999), S. 495 (502 f.). 1073 D. Thürer spricht gar von einer Tendenz zur „Erosion“ der Elemente des klassischen Staatsbegriffs: ders., Der Verfassungsstaat als Glied einer europäischen Gemeinschaft, in: VVDStRL 50 (1991), S. 97 (122). 1074 Nicolaysen meint gar, die Grenzen in der Union seien heute „eher vergleichbar mit den Landesgrenzen innerhalb der Bundesrepublik oder sogar mit den Grenzen von Städten und Gemeinden“: ders., Nationalstaat (Fn. 3), S. 948. 1075 Hobe, Verfassungsstaat (Fn. 1064), S. 335.

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heitsbereiche unangetastet bleiben, findet eine „Entfunktionalisierung“1076 statt. „[D]ie wirtschaftliche, währungsrechtliche, weitgehend auch soziale, zunehmend selbst die justitielle und politische Funktion der Grenzen wird zunehmend minimiert [. . .]. Es besteht ein funktional einheitlicher Rechtsraum mit eigener Rechtsordnung, der, wie es in der Präambel des EU-Vertrages heißt, zu einem ,Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts‘ werden soll [. . .].“1077 Zudem betont eine gemeinsame Asyl-und Einwanderungspolitik die gemeinsame Außengrenze der Europäischen Union. Die Konstituierung eines europäischen Gebiets unter Aufhebung nationaler Territorien findet aber nicht statt.1078 Das Gebiet der Union leitet sich von den Territorien der Mitgliedstaaten ab.1079 Es ist noch immer eher im Sinne vereinheitlichender grenzüberschreitender Rechtssetzung, denn im strikt territorialen Sinne als Raum der Union zu betrachten.1080 Der Unionsvertrag beläßt staatlich-territorialer Tätigkeit weiterhin Raum, das Staatsgebiet behält eine bedeutsame Rolle.1081 2. Staatsvolk Das Staatsvolk ist im europäischen Integrationsverlauf noch keinen einschneidenden Veränderungen ausgesetzt worden. Bisheriger Endpunkt der Entwicklung ist die Einführung einer Unionsbürgerschaft. Bedeutsam in diesem Zusammenhang sind aber auch hier zunächst die für den gemeinsamen Binnenmarkt existentiellen Grundfreiheiten des EG-Vertrages. Deren maßgeblich vom Europäischen Gerichtshof entwickelte Bedeutung im Sinne unmittelbar wirkender individueller Rechtspositionen führt zu einer tendenziellen Gleichstellung der EU-Ausländer mit den Staatsangehörigen.1082 Besonders das Recht der Freizügigkeit1083 beinhaltet neben seiner gleichheitsrechtlichen Dimension auch eine Integrationsfunktion: Es intendiert „die dauerhafte soziale Integration der Unionsbürger in die Rechtsordnung des Aufnahmemitgliedstaates“ und „die Förderung der sozialen Verflechtung innerhalb der Gemeinschaft“1084. Die materielle Nationalität und formelle Staatsangehörigkeit überlagernde Unionsbürgerschaft1085 versucht, „den Prozess der europäischen Integration 1076

Steiger, Zeitalter (Fn. 984), S. 340. Steiger, Zeitalter (Fn. 984), S. 341. 1078 Hobe, Verfassungsstaat (Fn. 1064), S. 335. 1079 Vgl. Art. 299 EG. 1080 Hobe, Verfassungsstaat (Fn. 1064), S. 382. 1081 Die Bedeutung der Staatsgrenzen unterstreicht U. Di Fabio, Der Verfassungsstaat in der Weltgesellschaft, 2001, S. 51 ff. 1082 Ausgenommen sind v. a. politische Mitwirkungsrechte auf nationaler Ebene. 1083 Dazu U. Becker, Freizügigkeit in der EU – auf dem Weg vom Begleitrecht zur Bürgerfreiheit, in: EuR 34 (1999), S. 522 ff. 1084 Arndt, Europarecht (Fn. 1039), S. 150. 1077

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über die wirtschaftliche Integration der Mitgliedstaaten hinaus auch auf den gesellschaftlichen und allgemein-politischen Bereich zu erweitern“1086. Geregelt wird das Institut der Unionsbürgerschaft in den Art. 17 bis 22 EG. Dabei macht Art. 17 EG deutlich, daß die Unionsbürgerschaft durch die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates vermittelt wird.1087 Der selbständige Erwerb oder Verlust ist ausgeschlossen. Die Unionsbürgerschaft ergänzt die nationale Staatsbürgerschaft, ersetzt sie aber nicht1088, ist also wohl auf weitere Entwicklung angelegt.1089 Trotz überwiegend begrenzter Rechtswirkungen1090 vermittelt sie die

1085 Zur Unionsbürgerschaft ausführlich C. Schönberger, Unionsbürger – Europas föderales Bürgerrecht in vergleichender Sicht, 2005; ferner C. Sauerwald, Die Unionsbürgerschaft und das Staatsangehörigkeitsrecht in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, Diss. iur. Würzburg 1995; N. Kotalakidis, Von der nationalen Staatsangehörigkeit zur Unionsbürgerschaft. Die Person und das Gemeinwesen, Diss. iur. Hamburg 1999; Reddig, Bürger (Fn. 351). Vgl. auch U. Everling, Auf dem Weg zu einem europäischen Bürger? Aspekte aus rechtswissenschaftlicher Sicht, in: R. Hrbek (Hrsg.), Bürger und Europa. Beiträge für das Jahreskolloquium des Arbeitskreises Europäische Integration e. V., 1994, S. 49 ff.; P. Fischer, Die Unionsbürgerschaft. Ein neues Konzept im Völker- und Europarecht, in: H. Haller u. a. (Hrsg.), Staat und Recht. Festschrift für Günther Winkler, 1997, S. 237 ff.; C. Calliess, Der Unionsbürger: Status, Dogmatik und Dynamik, in: EuR 42 (2007), Beiheft 1, S. 7 ff. 1086 Bieber/Epiney/Haag, Union (Fn. 1004), S. 58. 1087 Vgl. Art. 17 Abs. 1 S. 1, 2 EG: „Es wird eine Unionsbürgerschaft eingeführt. Unionsbürger ist, wer die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt.“ Daß die Festlegung der Voraussetzungen für den Erwerb und Verlust deren Staatsangehörigkeiten den Mitgliedstaaten obliegt, hat der EuGH bestätigt, vgl. Rs. C-369/90 (Micheletti u. a.), Slg. 1992, S. I-4239, Rn. 10; Rs. C-192/99 (Kaur), Slg. 2001, S. I-1237, Rn. 19, auch wenn überlegt wird, ob aus der Gemeinschaftstreue bestimmte Grenzen abzuleiten sind oder gemeinschaftsrechtliche Kompetenzen in diesem Bereich zu begründen sind: Schönberger, Unionsbürger (Fn. 1085), S. 287 ff., 292 ff. 1088 So Art. 17 Abs. 1 S. 3 EG. Bieber/Epiney/Haag sind allerdings der Ansicht, daß die „parallele“ Begründung der Unionsbürgerschaft die Funktion der Staatsangehörigkeit verändert, indem sie diese relativiert: dies., Union (Fn. 1004), S. 59. Kotalakidis meint, der doppelte Bürgerstatus der Person sei sogar zwingend erforderlich, da eine öffentliche Gewaltausübung gegenüber dem einzelnen um ihrer rechtsstaatlichen wie demokratischen Legitimation willen eine substantielle Entsprechung an Rechten und politischen Partizipationsmöglichkeiten des einzelnen finden müsse: ders., Staatsangehörigkeit (Fn. 1085), S. 317. Vgl. auch G.-R. de Groot, Zum Verhältnis der Unionsbürgerschaft zu den Staatsangehörigkeiten in der Europäischen Union, in: P.-C. Müller-Graff (Hrsg.), Europäisches Integrationsrecht im Querschnitt. Europäische Verfassung, Nizza, Europäischer Wirtschaftsraum, Unionsbürgerschaft, Referenden, Gemeinschaftsprivatrecht, 2003, S. 67 ff. 1089 Bieber/Epiney/Haag, Union (Fn. 1004), S. 58. 1090 Vgl. Hailbronner, Staatsangehörigkeit (Fn. 798), S. 54: „Der Nationalstaat ist nach wie vor [. . .] der zentrale Anknüpfungspunkt für die Zugehörigkeit eines Menschen zu einer Gemeinschaft [. . .]. Selbst im europäischen Rahmen ist die Unionsbürgerschaft bislang nicht viel mehr als ein Konglomerat verschiedener Rechte, das die Staatsangehörigkeit nicht ersetzen kann. Staatsangehörigkeit bleibt daher der völkerrechtliche und staatsrechtliche Ausdruck für ein umfassendes Rechtsverhältnis zwischen Bürger und staatlicher Gemeinschaft mit gegenseitigen Rechten und Pflichten.“

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allgemeine Freizügigkeit in allen Mitgliedstaaten, ein kommunales und ein europäisches Wahlrecht und begründet überdies weitere Ansprüche der Unionsbürger.1091 Der Einfluß dieser Rechte auf die Konzeption des Staatsvolkes in den Mitgliedstaaten ist nicht von der Hand zu weisen.1092 Die Unionsbürgerschaft ist „dazu bestimmt, der grundlegende Status der Angehörigen der Mitgliedstaaten zu sein, der es denjenigen unter ihnen, die sich in der gleichen Situation befinden, erlaubt, unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit und unbeschadet der insoweit ausdrücklich vorgesehenen Ausnahmen die gleiche rechtliche Behandlung zu genießen“1093. Sie ist eine Säule im Konzept der politischen Union und soll ebenfalls der Schaffung eines freien, sicheren und rechten Raumes dienen.1094 Höchst fraglich erscheint jedoch, ob die Gemeinschaft der Unionsbürger bereits als Unionsvolk der Europäischen Union gelten kann. Dagegen spricht zunächst schon, daß die Unionsbürgerschaft keine europäische Staatsbürgerschaft, sondern vielmehr ein Katalog von „Rechten und Pflichten“1095 ist. Auch weist weder die Union Staatsqualität, noch weisen die Rechtsbeziehungen zwischen Bürgern und Union die notwendige Intensität auf 1096: Es fehlt an der völligen Unmittelbarkeit der Rechtsbeziehung zur Union, deren Personalhoheit ist nicht umfassend, die Beständigkeit im Sinne der Angewiesenheit bleibt mangels Unionsgebiet primär auf den Heimatstaat bezogen, die Unionsbürgerschaft ist nicht ausschließlich und begründet schließlich kein diplomatisches Schutzrecht der Union.1097 „Ein europäisches Staatsvolk existiert weder als personelles Substrat supranationaler Hoheitsgewalt noch als Anknüpfungsfaktor für demokrati-

1091 Die Unionsbürgerrechte sind im einzelnen: das Recht auf Freizügigkeit (Art. 18 EG), das Wahlrecht bei den Kommunalwahlen (Art. 19 Abs. 1 EG), das Wahlrecht bei Wahlen zum Europäischen Parlament (Art. 19 Abs. 2 EG) und, eher marginal, das Recht auf diplomatischen und konsularischen Schutz (Art. 20 EG), das Petitionsrecht (Art. 21, 194 EG), das Recht auf Anrufung des Bürgerbeauftragten (Art. 21, 195 EG), das Recht, sich schriftlich in den Vertragssprachen an Organe und Einrichtungen der Gemeinschaft zu wenden und eine Antwort in der gewählten Sprache zu erhalten (Art. 21 Abs. 3 EG). Vgl. S. Kadelbach, Die Unionsbürgerrechte, in: D. Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2. Aufl. 2005, S. 553 (565 ff.). 1092 Hobe, Verfassungsstaat (Fn. 1064), S. 340, 383. Vgl. auch dens., Staatsvolk (Fn. 701), S. 193 f. 1093 EuGH, Rs. C-184/99 (Grzelczyk), Slg. 2001, S. I-6193, Rn. 31. 1094 Arndt, Europarecht (Fn. 1039), S. 149. 1095 Vgl. Art. 17 Abs. 2 EG. 1096 Schönberger weist darauf hin, daß der Schwerpunkt der Unionsbürgerschaft in der horizontalen Beziehung zu den anderen Mitgliedstaaten, nicht aber in der vertikalen Beziehung der Unionsbürger zur Europäischen Union selbst liegt. Horizontale und vertikale Dimension klafften in bemerkenswerter Weise auseinander: ders., Unionsbürger (Fn. 1085), S. 207, 518 f. 1097 S. Hobe, Die Unionsbürgerschaft nach dem Vertrag von Maastricht. Auf dem Weg zum europäischen Bundesstaat?, in: Der Staat 32 (1993), S. 245 (254 ff.).

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sche Legitimation.“1098 Auch wenn das Staatsvolk nicht mehr nur das Handeln des Staates legitimiert und nicht mehr nur in dem vom Staat gesetzten rechtlichen Rahmen handelt1099, erfährt die Union ihre Legitimation hauptsächlich über die Staaten und nicht über die Völker Europas.1100 Das Band zwischen der Europäischen Union und ihren Bürgern mag durch die Unionsbürgerschaft enger geworden sein, eine Ablösung der Staatsvölker der Mitgliedstaaten durch ein Unionsvolk zeichnet sich nicht ab.1101 Der Nationalstaat bleibt die primäre Integrationsebene.1102 3. Staatsgewalt Das für die Konstituierung von Staatlichkeit entscheidende Element der Staatsgewalt1103 bekommt die Auswirkungen der europäischen Integration wohl am meisten zu spüren. Der als „Integrationshebel“ bezeichnete Art. 23 Abs. 1 S. 2 GG erlaubt es der Bundesrepublik, durch einfaches Gesetz Kompetenzen auf zwischenstaatliche Einrichtungen zu übertragen.1104 Durch die Übertragung

1098 Herdegen, Europarecht (Fn. 1043), S. 73, Hervorhebung im Original, J. D. K. So im Ergebnis auch Blanke, Unionsvertrag (Fn. 1046), S. 415. 1099 Steiger, Zeitalter (Fn. 984), S. 347. 1100 Hobe, Verfassungsstaat (Fn. 1064), S. 340. Zu Recht wird darauf hingewiesen, daß nicht jede Ebene geeignet ist, der Ort für politische Gemeinschaftsbildung zu sein: Wahl, Welt (Fn. 1072), S. 52 f. 1101 So auch Klein, Europa (Fn. 1179); ähnlich auch Hobe, Verfassungsstaat (Fn. 1064), S. 341. 1102 Der Staat hat derzeit eine unersetzbare Funktion für Prozesse der Integration und Demokratie: E.-W. Böckenförde, Die Zukunft politischer Autonomie. Demokratie und Staatlichkeit im Zeichen von Globalisierung, Europäisierung und Individualisierung, in: ders., Staat, Nation, Europa: Studien zur Staatslehre, Verfassungstheorie und Rechtsphilosophie, 1999, S. 103 ff. Ähnlich auch Korte, Dilemma (Fn. 6), S. 26: Der Nationalstaat bleibt „auf absehbare Zeit die zeitbedingte Ordnungskategorie, die politisch relevante Grundbindung eines jeden Bürgers.“; Steiger, Zeitalter (Fn. 984), S. 331 ff.; Wahl, Welt (Fn. 1072), S. 53. 1103 Jellinek, Staatslehre (Fn. 685), S. 433 f. 1104 Der im Zuge der Wiedervereinigung geänderte Art. 23 GG ist als lex specialis gegenüber Art. 24 Abs. 1 GG anzusehen, der diese Funktion zuvor erfüllte. Vgl. zur Entstehungsgeschichte O. Olah, Artikel 23 GG – Verfassungsrechtliche Grundlage der europäischen Integration, in: ZFSH/SGB 2000, S. 131 ff., und kritisch S. Broß, Überlegungen zum gegenwärtigen Stand des Europäischen Einigungsprozesses – Probleme, Risiken und Chancen –, in: EuGRZ 2002, S. 574 ff. Allerdings ist Art. 23 GG nicht nur „Integrationshebel“, sondern als „Struktursicherungsklausel“ auch „Integrationsschranke“ für eine Mitwirkung Deutschlands in der Europäischen Union. „Insoweit formuliert das Grundgesetz justitiable Grenzen der Integration.“: E. Wohland, Bundestag, Bundesrat und Landesparlamente im europäischen Integrationsprozess. Zur Auslegung von Art. 23 Grundgesetz unter Berücksichtigung des Verfassungsvertrags von Europa und des Vertrags von Lissabon, Diss. iur. Konstanz 2007, S. 38. Vgl. ferner W. Bruckmann, Die grundgesetzlichen Anforderungen an die Legitimation der Europäischen Unionsgewalt, Diss. iur. Jena 2003, S. 95 ff.

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von Hoheitsrechten werden Einzigkeit und Souveränität als wesentliche Eigenschaften von Staatsgewalt modifiziert.1105 Bei der Ausübung dieser Hoheitsrechte gilt das Prinzip der begrenzten Einzelzuständigkeit: Für jedes Tätigwerden bedarf die Gemeinschaft einer spezifischen Handlungsermächtigung im Vertrag.1106 Auch wenn einige Kompetenzen bereits ausschließlich der Gemeinschaft zugewiesen sind, behalten die Mitgliedstaaten im Kern die Entscheidung über das „Ob“ und den Umfang der Übertragung von Hoheitsrechten, eine Bindung setzt erst nachfolgend ein.1107 Auf dieser Grundlage hat sich eine zunehmende „Gesetzgebungshoheit“ der Gemeinschaft entwickelt, die zum Teil unmittelbar in den Mitgliedstaaten für die Rechtspersonen Rechte und Pflichten begründet, zum Teil die Mitgliedstaaten verbindlich verpflichtet, Recht zu setzen. Bestimmte Rechtsakte des gemeinschaftlichen Sekundärrechts sind ohne besonderen Transformationsakt unmittelbar in den Mitgliedstaaten anwendbar. Gleichlautendes bzw. widersprechendes nationales Recht kann verdrängt werden.1108 Die Gemeinschaft stellt somit eine neue Rechtsordnung dar, „zu deren Gunsten die Staaten, wenn auch in begrenztem Rahmen, ihre Souveränitätsrechte eingeschränkt haben; eine Rechtsordnung, deren Rechtssubjekte nicht nur die Mitgliedstaaten, sondern auch die Einzelnen sind. Das von der Gesetzgebung der Mitgliedstaaten unabhängige Gemeinschaftsrecht soll daher den Einzelnen, ebenso wie es ihnen Pflichten auferlegt, auch Rechte verleihen“1109. Neben einer Überformung des nationalen Rechts durch europäische Rechtssetzung findet eine Durchwirkung der nationalen Rechtssetzung von europarechtlichen Vorgaben statt. Mit dem Schwinden des Einflusses der nationalen Gesetzgeber schwindet die nationale Staatsgewalt.1110

1105 Hobe, Verfassungsstaat (Fn. 1064), S. 431. Die Theorie einer Teilung von Staatsgewalt, wie sie bspw. H. Lübbe, Geteilte Souveränität. Die Transformation des Staates in der europäischen Einigung, in: Information Philosophie 22 (1994), S. 5 ff., vertritt, gilt mittlerweile als überholt; dazu Hobe, Verfassungsstaat (Fn. 1064), S. 433 ff. Kritisch zur Verwendung des Begriffs der Souveränität in diesem Zusammenhang E. Denninger, Vom Ende nationalstaatlicher Souveränität in Europa, in: JZ 2000, S. 1121 ff. 1106 Dazu H.-P. Kraußer, Das Prinzip begrenzter Ermächtigung im Gemeinschaftsrecht als Strukturprinzip des EWG-Vertrages, Diss. iur. Erlangen, Nürnberg 1991. Dieser Grundsatz wurde auch nicht durch Art. 6 Abs. 4 oder durch den Grundsatz der Subsidiarität im Maastrichter Vertrag geändert. 1107 Hobe, Verfassungsstaat (Fn. 1064), S. 342. 1108 Die „Normenhierarchie“ zeigt deutlich den gegenüber dem nationalen Recht herausgehobenen Geltungsanspruch des europäischen Rechts: Hobe, Verfassungsstaat (Fn. 1064), S. 349. 1109 Rs. 26/62 (Van Gend & Loos), Slg. 1963, Rn. 3. 1110 Zum Zusammenhang von Staatlichkeit und Rechtsetzung S. Meder, Die Krise des Nationalstaates und ihre Folgen für das Kodifikationsprinzip, in: JZ 2006, S. 477 ff.

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Das Bundesverfassungsgericht stellt aber fest, daß die „Gemeinschaftsgewalt sich von den Mitgliedstaaten ableitet“. Diese blieben weiterhin die „Herren der Verträge“, könnten „diese Zugehörigkeit [. . .] letztlich durch einen gegenläufigen Akt auch wieder aufheben“1111. Zur Vorsicht mahnt indes Hobe: Die Gemeinschaftsrechtsordnung rage tief in die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten hinein. Der Austritt aus der Gemeinschaft stehe gerade nicht mehr als Ausdruck souveräner Entscheidung jedem Mitgliedstaat nach Belieben zu Gebote, sondern sei allenfalls für den pathologischen Fall einer Reaktion auf gravierend vertragswidriges Handeln anderer Mitgliedstaaten möglich. Die Staatsgewalt habe sich auf Dauer den durch die europäische Integration auferlegten Bindungen ausgesetzt.1112 Der Vertrag von Lissabon straft Hobe indes Lügen, indem er in der neuen Fassung des Art. 49a EU ausdrücklich ein Austrittsrecht vorsieht. Vom Einfluß der Europäischen Union ist auch die Verfassungsgesetzgebung nicht ausgenommen. Art. 7 EU i.V. m. Art. 6 EU schreibt den Mitgliedstaaten eine liberal-demokratische Homogenität der Verfassung vor. Auch die Außenpolitik und als deren Teil die Verteidigungspolitik wird immer stärker vergemeinschaftet. Eine Verteidigung Europas ist wohl auch in praxi nur noch gemeinschaftlich möglich.1113 Weiterhin sind die Mitgliedstaaten für ihre Streitigkeiten aus dem Rechtsverhältnis untereinander wie auch mit der Union deren obligatorischer Gerichtsbarkeit unterstellt. Von dieser Kontrolle ist gerade auch die Gesetzgebung der Mitgliedstaaten betroffen. Währungs- und Zollhoheit sind von den Mitgliedstaaten auf die Gemeinschaft übergegangen.1114 1111

BVerfGE 89, 155 (190). Hobe, Verfassungsstaat (Fn. 1064), S. 355. M. Hilf sieht die Mitgliedstaaten, jedenfalls im Hinblick auf das Sekundärrecht, nicht mehr als „Herren der Verträge“: ders., Die Europäische Union und die Eigenstaatlichkeit der Mitgliedstaaten, in: P. Hommelhoff/P. Kirchhof (Hrsg.), Der Staatenverbund der Europäischen Union. Beiträge und Diskussionen des Symposions am 21./22. Januar 1994 in Heidelberg, 1994, S. 75 (79 f.). Ähnlich K. Doehring, Die nationale „Identität“ der Mitgliedstaaten der Europäischen Union, in: O. Due/M. Lutter/J. Schwarze (Hrsg.), Festschrift für Ulrich Everling, Bd. 1, 1995, S. 263 (267). Anders Klein, Europa (Fn. 1179); A. Puttler, Sind die Mitgliedstaaten noch „Herren“ der EU? – Stellung und Einfluss der Mitgliedstaaten nach dem Entwurf des Verfassungsvertrages der Regierungskonferenz, in: EuR 39 (2004), S. 669 (690). 1113 Einen Ansatz einer gemeinschaftlichen Armee bildet das Eurokorps. Dazu P. Wassenberg, Das Eurokorps. Sicherheitsrechtliches Umfeld und völkerrechtliche Bedeutung eines multinationalen Großverbands, Diss. iur. München 1998. 1114 Geld- und Währungshoheit gelten als traditionelle Attribute von Staatlichkeit. Vgl. F. Wittreck, Geld als Instrument der Gerechtigkeit. Die Geldrechtslehre des Hl. Thomas von Aquin in ihrem interkulturellen Kontext, Diss. iur. Würzburg 2001, S. 95 ff. So ist die Einführung des Euro auch als der „die politische Einheit Europas stiftende Akt“ bezeichnet worden: J. Gross, Monstrum von Maastricht. Eine Währung ist Gemeinschaft genug, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 171 vom 25.07.1992. Zur Währungsunion als Vehikel und Hebel der politischen Integration auch E.-W. Bökkenförde, Welchen Weg geht Europa?, in: ders., Staat, Nation, Europa: Studien zur Staatslehre, Verfassungstheorie und Rechtsphilosophie, 1999, S. 68 (81 ff.). 1112

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E. Nationalstaat und die europäische Integration

Der eigentliche Wandel der Staatsgewalt liegt in der Bindung des Staates bei ihrer Ausübung.1115 Sie hat kraft der internationalen „Abstützung“ eine wahrnehmbare Öffnung erfahren und in der Abkehr vom Typus der Staatsgewalt des geschlossenen Staatsverbandes eine substantiell neue Dimension hervorgebracht.1116 Als deren Ergebnis erweisen sich letztlich auch die Veränderungen des personalen wie territorialen Substrats.1117 4. Zusammenfassung Ist auch die Europäische Union kein Bundesstaat und steht die Staatlichkeit der Nationalstaaten zunächst nicht zur Disposition, so ist doch eine Veränderung aller Elemente des klassischen Staatsbegriffs auszumachen. Im Bereich des Staatsgebiets läßt sich der Wandel vor allem am Bedeutungsverlust der Staatsgrenzen feststellen, die zunehmend „entfunktionalisiert“ werden. Dennoch findet keine Konstituierung eines europäischen Staatsgebiets zu Lasten nationaler Territorien statt. Einfluß auf das Staatsvolk übt vor allem die materielle Nationalität und formelle Staatsangehörigkeit überlagernde Unionsbürgerschaft aus. Diese ergänzt die nationale Staatsangehörigkeit, ersetzt sie aber nicht und vermag erst recht kein Unionsvolk zu schaffen. Die größten Auswirkungen erfährt das Element der Staatsgewalt. Durch die Übertragung von Hoheitsrechten werden wesentliche Eigenschaften von Staatsgewalt modifiziert. Neben einer Überformung des nationalen Rechts durch europäische Rechtssetzung findet eine Durchwirkung der nationalen Rechtssetzung von europarechtlichen Vorgaben statt, so daß mit dem Schwinden des Einflusses der nationalen Gesetzgeber auch die nationale Staatsgewalt schwindet. Ihr eigentlicher Wandel liegt in der auf Dauer auferlegten Bindung des Staates bei ihrer Ausübung. Vom traditionellen Vorstellungsbild von Staatlichkeit ist nicht mehr auszugehen.

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Steiger, Zeitalter (Fn. 984), S. 349. Hobe, Verfassungsstaat (Fn. 1064), S. 439. Wahl betont, daß die „in kaum zu überschätzendem Umfang“ gegebenen Änderungen des traditionellen Staates „noch lange nicht“ seine Ablösung oder den Abschied von ihm bedeuten: ders., Welt (Fn. 1072), S. 55. Vgl. auch H. Münkler: „Die Staatlichkeit im Nationalstaat hat eine klar stärkere Bedeutung für die ,instrumentelle‘ Dimension, der Nationalität im Nationalstaat kommt eine ausgeprägtere Bedeutung hinsichtlich der ,ideativen‘ Dimension zu.“ Es sei erkennbar, daß der Funktionsverlust des Nationalstaates „eher die Staatlichkeit als die Nationalität, eher die Steuerungsfunktion als die symbolisch-rituelle Integration“ betrifft: ders., Nation (Fn. 77), S. 376. 1117 Hobe, Verfassungsstaat (Fn. 1064), S. 429. 1116

III. Nationale Identität im Interesse der europäischen Integration

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III. Nationale Identität im Interesse der europäischen Integration 1. Ein Europa der Regionen? Der in Maastricht ersonnene Ausschuß der Regionen1118 ist ein Anzeichen einer anderen Möglichkeit der Gestaltung der Europäischen Union. Können einige Kompetenzen nur noch in weiteren Räumen sinnvoll ausgeübt werden, müssen andere begrenzteren Räumen zugeordnet werden. Der Weg zu kleineren Einheiten führt zu den Regionen im Inneren der Nationalstaaten. Und so wird, durch die Regionalisierung klassischer Einheitsstaaten1119 unterstützt, zuweilen ein Europa der Regionen propagiert.1120 Der Europarat versucht den Begriff der Region wie folgt zu definieren: „Der Begriff der Region, manchmal verschieden von Land zu Land, bedeutet im allgemeinen eine menschliche Gemeinschaft, die innerhalb der größten gebietsmäßigen Einheit des Landes lebt. Eine solche Gemeinschaft ist gekennzeichnet durch eine geschichtliche oder kulturelle, geographische oder wirtschaftliche Homogenität oder eine Kombination dieser Kennzeichen, die der Bevölkerung Einheit verleiht in der Verfolgung gemeinsamer Ziele und Interessen.“1121 1118 Vgl. Art. 7 Abs. 2, 263 ff. EG. Dazu R. Hrbek, Der Ertrag der „Verfassungsdebatte“ von Maastricht: Ein Erfolg für den Föderalismus und die deutschen Länder?, in: J. F. Baur/P.-C. Müller-Graff/M. Zuleeg (Hrsg.), Europarecht. Energierecht. Wirtschaftsrecht. Festschrift für Bodo Börner zum 70. Geburtstag, 1992, S. 125 (138 ff.); T. Göttel/S. Weyand, Das neue Selbstbewußtsein der Regionen, in: Integration 2 (1993), S. 37 ff.; A. Kleffner-Riedel, Regionalausschuß und Subsidiaritätsprinzip. Die Stellung der deutschen Bundesländer nach dem Vertrag über die Europäische Union, Diss. iur. Würzburg 1993, S. 136 ff.; J. Wuermeling, Das Ende der „Länderblindheit“: Der Ausschuß der Regionen nach dem neuen EG-Vertrag, in: EuR 28 (1993), S. 196 ff. Von der „Landes-Blindheit“ der Gemeinschaft hat der „Doyen des Europarechts“ [Dreier, Wirtschaftsraum (Fn. 1021), S. 68] H. P. Ipsen einmal gesprochen: ders., Als Bundesstaat in der Gemeinschaft, in: E. v. Caemmerer/H.-J. Schlochauer/E. Steindorff (Hrsg.), Probleme des europäischen Rechts. Festschrift für Walter Hallstein zu seinem 65. Geburtstag, 1966, S. 248 (256). 1119 Diese findet häufig unter Rückgriff auf historische Provinzgrenzen nach innen statt, so in Italien, Frankreich, Spanien und Großbritannien. Mit Beiträgen zur Situation in einzelnen Ländern vgl. G. Lottes (Hrsg.), Region. Nation. Europa. Historische Determinanten der Neugliederung eines Kontinents, 1992. 1120 M. v. Donat sieht bei diesem Schlagwort „Souveränitätssucht und Stammeseigenbrötelei“ durchschimmern: ders., Wie kommt die EG zu einem Volk?, in: EGMagazin Mai 1993, S. 10 (10). 1121 Bordeaux-Erklärung des Europarates vom 01.02.1978, zitiert nach K. Schelter/ J. Wuermeling, Europa der Regionen. Eine Idee gewinnt Gestalt, 1995, S. 18, die auch ethnische Wurzeln als Fundament für regionales Bewußtsein nennen: ebd., S. 16 f. Zum Begriff auch K. Möckl, Der Regionalismus und seine geschichtlichen Grundlagen, in: F. Esterbauer (Hrsg.), Regionalismus. Phänomen – Planungsmittel – Herausforderung für Europa. Eine Einführung, 1979, S. 17 (17 f.); F.-L. Knemeyer, Die Region – Europa-Raum des Rechts, in: H. Dreier/H. Forkel/K. Laubenthal (Hrsg.), Raum

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E. Nationalstaat und die europäische Integration

Bisweilen wird die „regionale Idee“ an die Stelle „nationaler und vaterländischer Identität“ gesetzt, die keine Zukunft haben dürfe.1122 Derartige an die vorindustrielle europäische Normalität anknüpfende Äußerungen dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, daß die „Mobilisierung der subnationalen Ebenen“1123 durchaus positive Aspekte aufweist. Kommunale Selbstverwaltung gilt seit langem als Kernelement des demokratischen Staatsaufbaus und den Regionen wird eine Schlüsselfunktion für die Ausbildung kultureller Identität zugeschrieben.1124 Befürworter eines Regionalismus sehen in der Region die Quelle neuer Wertbildung, mit der eine Identifikation mühelos gelingt, doch sind es vor allem auch ökonomische Faktoren, die entschieden zum Erstarken regionalistischer Bewegungen beitragen.1125 Im Rahmen der europäischen Integration spielen regionale Belange wohl auch daher schon seit einiger Zeit eine Rolle, wenn auch die Regionen zunächst grundsätzlich keinen gemeinschaftsunmittelbaren Status besitzen, sondern Schöpfungen der Mitgliedstaaten sind, deren Beziehungen zu den Gemeinschaftsinstanzen prinzipiell durch diese vermittelt werden.1126 Bereits 1951 tritt die „Konferenz der Gemeinden und Regionen Europas“ erstmals zusammen und wird 1961 als ständige Einrichtung vom Ministerkomitee institutionalisiert.1127 Im Jahre 1980 wird die interfraktionelle Gruppe der lokalen und regionalen Mandatsträger im Europäischen Parlament gegründet, durch die kommunale

und Recht. Festschrift 600 Jahre Würzburger Juristenfakultät, 2002, S. 87 (90 f.). Vgl. auch die Definition in der Gemeinschaftscharta der Regionalisierung, abgedruckt ebd., S. 96 f. 1122 So O. Lafontaine, zitiert nach Kauntz, Identität (Fn. 771). Frühere Szenarien gingen gar davon aus, daß regionale Autonomieforderungen zum Aufbrechen der Nationalstaaten führen könnten und die Integration auf der neuen Grundlage von „Regionalstaaten“ fortgesetzt und erst dann ihre volle Kraft entfalten würde: so G. Héraud, Die Prinzipien des Föderalismus und die Europäische Föderation, 1979, S. 85 f. 1123 Sommermann, Kultur (Fn. 319), S. 33. 1124 D. Thürer, Region und Minderheitenschutz – Aufbauelemente einer europäischen Architektur?, in: U. Beyerlin u. a. (Hrsg.), Recht zwischen Umbruch und Bewahrung. Festschrift für Rudolf Bernhardt, 1995, S. 1337 (1345); Sommermann, Kultur (Fn. 319), S. 33. Schelter/Wuermeling nennen als Legitimationsgründe Machtrationalisierung, Freiheitsbewahrung, Gemeinschaftsbildung durch Selbstverwaltung und Gerechtigkeit und Sachnähe: dies., Europa (Fn. 1121), S. 31 ff. Eine Aufzählung von Vorteilen auch bei Knemeyer, Region (Fn. 1121), S. 100. 1125 Schelter/Wuermeling, Europa (Fn. 1121), S. 25 ff. H. Lübbe unterscheidet sechs verschiedene Typen von Regionalismus und zeigt damit die differente Motivationslage auf: ders., Welt (Fn. 597), S. 192 ff. 1126 Thürer, Region (Fn. 1124), S. 1339. Art. 158 EG, in dem die Regionen zum ersten Mal in den Gemeinschaftsverträgen auftauchen, sieht die Regionen nicht als Akteure, sondern als Gegenstand und Empfänger fördernder Maßnahmen. 1127 Knemeyer, Region (Fn. 1121), S. 92. 1994 durch den „Kongress der Gemeinden und Regionen Europas“ ersetzt, stellt er ein beratendes Sekundärorgan des Ministerkomitees des Europarates dar.

III. Nationale Identität im Interesse der europäischen Integration

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Vorstellungen im Wege der gegenseitigen Information von Parlament und europäischen Spitzenverbänden in die Arbeit der Versammlung einfließen sollen.1128 In der Präambel des nie verwirklichten Vertragsentwurfs des Europäischen Parlaments für eine Europäische Union aus dem Jahre 1984 ist dann die Rede von der „Notwendigkeit, die Mitwirkung der kommunalen und regionalen Körperschaften am europäischen Aufbauwerk in hierfür geeigneten Formen zu ermöglichen“1129. Um ihre Interessen auch unmittelbar gegenüber der Gemeinschaft artikulieren zu können, richten die deutschen Bundesländer seit 1985 eigene Länderbüros in Brüssel ein.1130 Die Einheitliche Europäische Akte fügt 1987 die rechtliche Grundlage für ein Tätigwerden der Gemeinschaft auf dem Gebiet der Regionalpolitik in den EG-Vertrag ein.1131 Im Jahre 1988 wird, als Gegenkraft zur Einwirkung des Gemeinschaftsrechts auf die subnationale Ebene und um die spezifischen Lokal- und Regionalinteressen auf Gemeinschaftsebene zur Darstellung zu bringen, bei der EG-Kommission ein „Beirat der regionalen und lokalen Gebietskörperschaften der Mitgliedstaaten der EG“ eingerichtet.1132 Nach der Schaffung eines Regionalausschusses durch den Maastrichter Vertrag, der kraft des ihm zuerkannten Selbstbefassungsrechts Einfluß auf die gesamte Rechtsetzung der Gemeinschaft gewinnen kann, sieht der Vertrag von Lissabon eine ausdrückliche Erstreckung des Subsidiaritätsprinzips auf die regionale und die lokale Ebene vor.1133 Gefördert wird die Lokalisierung von der Globalisierung, was die Soziologie mit dem Begriff der „Glokalisierung“ kennzeichnet.1134 Eine „Eurokalisierung“

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Kleffner-Riedel, Regionalausschuß (Fn. 1118), S. 138 f. Zitiert nach M. Schweitzer/O. Fixson, Subsidiarität und Regionalismus in der Europäischen Gemeinschaft, in: Jura 1992, S. 579 (584). Außerhalb der Gemeinschaft wurde bereits 1951 ein „Rat der Gemeinden Europas“ gegründet. 1130 Dazu R. W. Strohmeier, Möglichkeiten der Einflußnahme auf den Entscheidungsprozeß der Europäischen Gemeinschaften durch die Deutschen Bundesländer nach Einrichtung von Länderbüros in Brüssel, in: DÖV 1988, S. 633 ff.; U. Fastenrath, Länderbüros in Brüssel. Zur Kompetenzverteilung für informales Handeln im auswärtigen Bereich, in: DÖV 1990, S. 125 ff. H. H. Rupp hat diese als „Frühwarnsysteme“ bezeichnet: ders., Verfassungsprobleme auf dem Weg zur Europäischen Union, in: ZRP 1990, S. 1 (3). 1131 Vgl. dazu A. Poth-Mögele, Die Regionalpolitik der Europäischen Gemeinschaft, in: G. Riescher (Hrsg.), Regionalismus ’90. Zur Dialektik des westeuropäischen Einigungsprozesses, 1991, S. 25 ff. 1132 Thürer, Region (Fn. 1124), S. 1340. Dazu auch Kleffner-Riedel, Regionalausschuß (Fn. 1118), S. 140 ff. 1133 Vgl. Art. 3b Abs. 3 EU neu. Grundlegend und kritisch F. Wittreck, Art. Subsidiaritätsprinzip, in: P. Prechtl/F.-P. Burkard (Hrsg.), Metzler-Philosophie-Lexikon. Begriffe und Definitionen, 2. Aufl. 1999, S. 574; ferner D. Blumenwitz, Das Subsidiaritätsprinzip und die Stellung der Länder und Regionen in der Europäischen Union, in: A. Randelzhofer/R. Scholz/D. Wilke (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Eberhard Grabitz, 1995, S. 1 ff. 1134 Vgl. U. Beck, Was ist Globalisierung?, 1997, S. 88 ff. 1129

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E. Nationalstaat und die europäische Integration

findet in dem Maße hingegen nicht statt und ist auch nicht wünschenswert.1135 Im europäischen Kontext sind die Regionen, verglichen mit den Nationalstaaten, keine diesen gleichwertige Basis.1136 Dahrendorf weist auf die Schwierigkeit, in zwei entgegengesetzte Richtungen gleichzeitig zu blicken, gar zwei entgegengesetzte Ziele gleichzeitig zu verfolgen, hin. „Das gilt für das Europa der Regionen vor allem auch darum, weil das eine Ziel, die Regionalisierung, Emotionen bildet, während das andere, Europa, eine Kopfgeburt ist. Wer das Europa der Regionen sucht, wird aller Wahrscheinlichkeit mit Regionen ohne Europa enden.“1137 Zwar bindet auch die Nation Emotionen, sogar noch mehr als Regionen es vermögen, doch stellt sie sich aufgrund ihrer überkommenen Stärke im Rahmen der europäischen Integration nicht als entgegengesetztes Ziel dar, sondern bietet sich als Basis an. Wertbildung gelingt auch hier. Eine Stärkung der Regionen liefe der wirtschaftlichen Grundkonzeption des Gemeinschaftsrechts entgegen, das in seinem Geltungsbereich nur wenig Raum für Sonder- und Autonomieregime läßt und seiner Grundphilosophie gemäß keine Fragmentierungen des Marktes duldet, und zwar auch dann nicht, wenn diese politisch-kulturell motiviert sind.1138 Neben diesen grundsätzlichen Erwägungen sprechen auch praktische Belange gegen ein Europa der Regionen. So bieten die Regionen ein äußerst heterogenes Bild hinsichtlich ihrer Kompetenzen und ihres verfassungsrechtlichen Schutzes. Jede Konzeption, in der die Regionen eine eigenständige, den Mitgliedstaaten ebenbürtige Organisationsebene darstellen, ist kaum praktikabel.1139 Die Regionen sollten sich im Rahmen der europäischen Integration auf ihre Rolle als Teil des Nationalstaates besinnen.1140 Indem sie diesen prägen, können sie sich durch dessen Handeln auf europäischer Ebene ihres Einflusses gewiß 1135 Anderer Ansicht ist F. H. U. Borkenhagen, Vom kooperativen Föderalismus zum „Europa der Regionen“, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 1992, S. 36 ff. 1136 H. J. Schrötter, Zur Rolle der Nation im Europa der Zukunft, in: I. Seidl-Hohenveldern (Hrsg.), Auf dem Weg nach Europa – Fragen zur europäischen Integration, 1991, S. 9 (11, 18 f.). 1137 Dahrendorf, Zukunft (Fn. 1068), S. 756. Kritisch auch schon ders., Europa der Regionen?, in: Merkur 45 (1991), S. 703 ff. Auf die Gegenläufigkeit weist auch Thürer hin: Der politischen Regionalismusbewegung hafte etwas Gegenläufiges zum System der europäischen Gemeinschaften an, denn das Gemeinschaftsrecht sei geradezu darauf angelegt, übergreifende, einheitlich strukturierte Mobilitäts- und Wirtschaftsräume zu schaffen: ders., Region (Fn. 1124), S. 1345. 1138 Thürer, Region (Fn. 1124), S. 1341. E. Brok befürchtet zudem eine „Entsolidarisierung“ durch „regionalen Egoismus“: ders., in: Körber-Stiftung (Hrsg.), Wie ist Europa zu sichern? Die Suche nach konzeptioneller Gestaltungskraft. Protokoll Nr. 111/ 1997 des Bergedorfer Gesprächskreises, S. 90 (92 f.). 1139 Ähnlich auch M. R. Lepsius, Nationalstaat oder Nationalitätenstaat als Modell für die Weiterentwicklung der Europäischen Gemeinschaft, in: R. Wildenmann (Hrsg.), Staatswerdung Europas? Optionen für eine Europäische Union, 1991, S. 19 (31 f.): „eine Devolution auf die Ebene der Regionen ist problematisch“ und Thürer, Region (Fn. 1124), S. 1351.

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sein.1141 Diese Sichtweise stimmt überdies mit den vertraglichen Grundlagen der Union überein. Die Identität der Regionen wird von Art. 6 Abs. 3 EU nämlich nicht erfaßt. Diese können nur insofern von Bedeutung sein, als sie auch die nationale Identität prägen.1142 2. Ein Europa der Nationen? In der Präambel des EU-Vertrages heißt es, die Oberhäupter der vertragsschließenden Nationalstaaten hätten „in dem Wunsch, die Solidarität zwischen ihren Völkern unter Achtung ihrer Geschichte, ihrer Kultur und ihrer Traditionen zu stärken“, beschlossen, die Europäische Union zu gründen. Den zentralen Platz in der Präambel nehmen also weder die Regionen, noch die Nationen, sondern die Völker Europas ein.1143 Eingedenk der Tatsache, daß die meisten europäischen Völker ihren institutionellen Rahmen im Nationalstaat gefunden haben und daß, wie die Präambel ebenfalls veranschaulicht, die europarechtlichen Akteure die Nationalstaaten sind, liegt eine Sichtweise, die die Nationalstaaten als Basis für ein vereintes Europa sieht, dennoch geradezu auf der Hand. Der Nationalstaat ist derzeit und auf absehbare Zeit die primäre und elementare Einheit im Mehr-Ebenen-Aufbau und deshalb in mehrfacher Hinsicht die Basis des Gefüges.1144 Geschützt wird diese Basis von Art. 6 Abs. 3 EU, der bestimmt, daß „[d]ie Union [. . .] die nationale Identität ihrer Mitgliedstaaten“ achtet.1145 1140 Ähnlich auch jüngst aus aktuellem Anlaß J. Fritz-Vannahme, Das neue Heilige Römische Reich. Flamen, Schotten, Katalanen – gehört die Zukunft einem zersplitterten Europa der Regionen? Eine Kolumne, in: Zeit online vom 05.12.2007, www. zeit.de/online/2007/49/europa-regionen?page=all (05.12.2007). 1141 So im Ergebnis auch Thürer, Region (Fn. 1124), S. 1351. 1142 Bieber/Epiney/Haag, Union (Fn. 1004), S. 71. 1143 So auch noch an zwei weiteren Stellen der Präambel: „in dem festen Willen, [. . .] den wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt ihrer Völker [. . .] zu fördern“; „entschlossen, den Prozess der Schaffung einer immer engeren Union der Völker Europas [. . .] weiterzuführen“. „Redaktionsversehen oder bewußte Weichenstellung?“ fragt sich B. Beutler, Offene Staatlichkeit und europäische Integration, in: R. Grawert u. a. (Hrsg.), Offene Staatlichkeit. Festschrift für Ernst-Wolfgang Böckenförde zum 65. Geburtstag, 1995, S. 109 (118). 1144 Ähnlich schon Wahl, Welt (Fn. 1072), S. 54. 1145 Vom Schutzgut des Art. 6 Abs. 3 EU sind alle identitätsstiftenden Elemente erfaßt. Bei der Bestimmung derjenigen Elemente, die als identitätsstiftend anzusehen sind, steht den Mitgliedstaaten ein gewisser Gestaltungsspielraum zu: Bieber/Epiney/ Haag, Union (Fn. 1004), S. 70. Für Doehring bietet es sich an, in dem Begriff der Identität die Identität im Sinne der Staatlichkeit der Mitgliedstaaten zu sehen: ders., Identität (Fn. 1112), S. 264; in eine ähnliche Richtung R. Grawert, Der Deutschen supranationaler Nationalstaat, in: ders. u. a. (Hrsg.), Offene Staatlichkeit. Festschrift für Ernst-Wolfgang Böckenförde zum 65. Geburtstag, 1995, S. 125 (140); dagegen und ausführlich zu Art. 6 Abs. 3 EU Hilf, Union (Fn. 597), S. 163 bzw. 157 ff. Vgl. auch Bleckmann, Wahrung (Fn. 280), S. 266: „Damit hat der Vertrag Maßnahmen der EG

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E. Nationalstaat und die europäische Integration

„Einheit braucht Identität. Wo sie fehlt, herrscht Beliebigkeit.“1146 Die Bedeutung des Nationalstaates ist schon aus dem Grunde evident, da eine europäische Identität noch nicht sonderlich ausgeprägt ist und auch durch die Einführung der Unionsbürgerschaft keine wesentlichen Impulse erfährt.1147 Deren politisch-symbolische Schwäche erklärt sich vor allem aus ihrer zentralen Ausrichtung auf die horizontale Integration.1148 Zwar kann eine Bundesangehörigkeit in entstehenden föderalen Staatenverbindungen symbolisch-integrativ wirken, „[a]ngesichts der gefestigten nationalstaatlichen Traditionen ihrer Mitgliedstaaten dürfte die Europäische Union [jedoch] wenig Erfolg haben, wenn sie versucht, letztlich nationalstaatlich geprägte Einheitsvorstellungen auf der europäischen Ebene zu wiederholen.“1149 Weder gibt es ein europäisches Volk, noch eine europäische Nation.1150 Für eine kollektive Identität bietet die Union bisher ausgeschlossen, welche den Kernbereich der Ideen tangieren, auf welche sich der jeweilige Begriff der Nation bezieht.“ Bleckmann meint, diese Vorschrift solle eine Entwicklung verhindern, die durch Stärkung der Gemeinschaft und der Regionen zu einer doppelten Zangenbewegung führe, unter der sich die Nationalstaaten allmählich auflösten: ders., Wahrung (Fn. 280), S. 265. Formale Kritik an dieser Norm übt Augustin, Volk (Fn. 304), S. 174. 1146 S. Haack, Europas Verfaßtheit als politische Einheit, in: KritV 88 (2005), S. 3 (12). 1147 Ein großer Teil der Angehörigen der Mitgliedstaaten ist nicht bereit, die Rolle von Unionsbürgern anzunehmen: so R. Hrbek, Staatsbürger – Unionsbürger: Konkurrenz oder Komplementarität?, in: ders. (Hrsg.), Bürger und Europa. Beiträge für das Jahreskolloquium des Arbeitskreises Europäische Integration e. V., 1994, S. 119 (119). Daß sich dieses Bild zwischenzeitlich nicht entscheidend geändert hat, zeigt die Diskussion um den Verfassungsvertrag. Immerhin aber befürworten im Mai 2007 zwei Drittel der Unionsbürger eine gemeinsame Verfassung: www.tns-infratest.com/03_ presse/Presse/2007_08_27_TNS_Eurobarometer_Verfassung.pdf (29.11.2007). So existiert für Peters eine europäische Identität denn auch zumindest „in nuce“: dies., Elemente (Fn. 609), S. 707. 1148 Schönberger, Unionsbürger (Fn. 1085), S. 520. Integrationsstärkend bewertet Reddig die Unionsbürgerschaft: „Es kann sich eine europäische Bürgergemeinschaft und damit ein europäisches Gemeinschaftsbewußtsein jenseits nationaler Grenzen entwickeln.“: dies., Bürger (Fn. 351), S. 229. Diese spiele in vier Integrationsdimensionen eine herausragende Rolle, nämlich in der ökonomischen, der politischen, der kommunitären und der kulturellen: ebd., S. 112 ff. 1149 Schönberger, Unionsbürger (Fn. 1085), S. 203. So auch Lepsius, Nationalstaat (Fn. 1139), S. 26 ff. und explizit S. 36: „Daraus ergibt sich, daß der territorial geschlossene, nach Kompetenzmonopolisierung strebende europäische Nationalstaat des 19. Jahrhunderts nicht mehr das Modell für die weitere Entwicklung einer Europäischen Union sein kann.“; ähnlich auch Langewiesche, Nation (Fn. 1003), S. 38; Wahl, Welt (Fn. 1072), S. 52. 1150 Isensee, Nachwort (Fn. 275), S. 133; Steiger, Zeitalter (Fn. 984), S. 353; Reddig, Bürger (Fn. 351), S. 231; Haack, Verfaßtheit (Fn. 1146), S. 11. Bleckmann weist darauf hin, daß die Europäische Union nicht auf die Bildung eines bzw. einer solchen hinarbeiten darf, weil hierfür eine teilweise kulturelle Vereinheitlichung erforderlich würde, die Union aber die kulturelle Verschiedenheit zu achten habe: ders., Wahrung (Fn. 280), S. 268. Vgl. als Alternative auch den „funktionalen Volksbegriff“ Schmitz’, nach dem jeder territoriale Herrschaftsverband, der die Bürger auf seiner geographi-

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noch keinen umfassenden und finalen Bezugspunkt.1151 So ist sie auch als „Wirtschaftsriese noch ohne [. . .] innere Solidarität und kollektive Identität“1152 beschrieben worden. Das „selbstvergewissernde [. . .] Sichtbarmachen“1153 der gemeinsamen Grundrechte in der Grundrechtecharta zeigt die Suche nach einer europäischen Identität. Wesentliche Voraussetzungen für das Entstehen einer eigenständigen europäischen Identität sind vorhanden und vor allem in kulturellen Gemeinsamkeiten1154 und der gemeinsamen Einsicht in die Notwendigkeit grenzüberschreitender Problemlösungen zu suchen. Das Vorhandensein gemeinsamer Wertvorstellungen wie Freiheit, Demokratie, Menschenrechte, Friedenserhaltung und Gewaltverzicht ist hingegen insofern problematisch, als diese, auch in der Grundrechtecharta enthaltenen Werte längst nicht mehr nur europäische Prinzipien sind, sondern universell zumindest formal anerkannt.1155 Dennoch sind sie geistesgeschichtlich europäischen Ursprungs1156 und somit geeignet, eine europäische Identität zumindest zu unterstützen. Der europäischen Identität förderlich wäre ein eigenständiges europäisches Herrschaftssystem, dem ausreichende demokratische Legitimität zugeschrieben schen Ebene allgemein vertritt, sein eigenes Volk hat: ders., Volk (Fn. 6), S. 222, was indes deutlich zu weitgehend sein dürfte. Vgl. weiterhin die ausführliche und differenzierende Sicht von Augustin, Volk (Fn. 304), insbesondere zusammenfassend S. 393 f. 1151 Das Fehlen einer europäischen Identität konstatieren auch Korte, Dilemma (Fn. 6), S. 28; Augustin, Volk (Fn. 304), S. 183; R. Stentzel, Integrationsziel Parteiendemokratie. Rechtliche Rahmenbedingungen für eine Demokratisierung der Europäischen Union, Diss. iur. Berlin 2001, S. 337. Allerdings ist mit der Europäischen Union ein spezifischer Objektbezug entstanden, der die Identitätsbildungen innerhalb der Nationalstaaten erweitert: Lepsius, Union (Fn. 600), S. 202, 213. 1152 R. Münch, Das Projekt Europa. Zwischen Nationalstaat, regionaler Autonomie und Weltgesellschaft, 1993, S. 103. Auch Münkler schreibt, es mangele an einer „Leitidee“, welche die Grundlage „für ein ausgeprägteres Zusammengehörigkeitsbewußtsein und Zusammengehörigkeitsgefühl der Europäer, kurzum für eine europäische Identität“ bilden könnte: ders., Reich (Fn. 6), S. 101. 1153 Vitzthum, Identität (Fn. 1006), S. 9. 1154 Faul weist darauf hin, daß auch die charakteristischsten Vertreter des kulturell oder sprachlich orientierten Nationalverständnisses der Romantik immer auch auf eine überwölbende europäische Kulturidentität abgehoben hätten, die sie damals noch mit der bestimmter gedachten Kulturerfahrung eines christlichen Europas verbinden hätten können: ders., Deutschland (Fn. 607), S. 401. Vgl. aber auch Di Fabio: Die kulturelle Selbstbeschreibung der spezifischen Kontinuität von antikem Menschenbild, Christentum und Humanismus reiche auf längere Sicht nicht aus, um als belastbares Fundament einer politischen Schicksalsgemeinschaft an die Stelle der nationalstaatlichen Kulturräume zu treten: ders., Kultur (Fn. 319), S. 228 f. 1155 Vitzthum, Identität (Fn. 1006), S. 10. 1156 Isensee, Integrationsziel (Fn. 1066), S. 585; ders., Union (Fn. 1006), S. 99. H. Temporini stellt fest: „In einer Weltsumme des überall Grundlegenden sind die Summanden europäischen Ursprungs und Charakters die größten und zahlreichsten“, zitiert nach Vitzthum, Identität (Fn. 1006), S. 10.

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wird. Eine solche Demokratisierung ist bisher noch nicht erfolgt.1157 Demokratisierung meint hier nicht das Ziel eines zusammengehörigen europäischen Staatsvolkes, dessen Prämissen, eine Mindesthomogenität in den staatsrechtlichen Grundauffassungen, eine für jedermann zugängliche Rechtssprache, wirtschaftliche und kulturelle Ähnlichkeiten oder zumindest Annäherungskräfte, die Fähigkeit zum politischen Austausch durch gesamteuropäisch wirkende Medien, ein in Europa bekanntes Führungspersonal und europaweit tätige Parteien1158, in näherer Zukunft wohl kaum zu erfüllen sein werden, wohl aber Mehrheitsentscheidungen im Rat und eine substantielle Stärkung des Europäischen Parlaments. Die „Gretchenfrage“, ob die notwendige Stärkung der europäischen Identität Voraussetzung oder Folge einer Demokratisierung sein muß, läßt sich nicht ohne weiteres beantworten.1159 Dies auch aus dem Grunde, weil Demokratiedefizit sowohl Parlamentsdefizit meint als auch eine Problematik beschreibt, mit der die Befürchtung einhergeht, „das europäische Demokratiedefizit sei strukturell bedingt, könne also nicht durch institutionelle bzw. vertragsrechtliche Reformen behoben werden, da es an den soziokulturellen Voraussetzungen der Demokratie im europäischen Verbund fehle“1160. Zu bedenken ist nämlich zum einen, daß Mehrheitsentscheidungen in der Regel nur dann akzeptiert werden, wenn ein gemeinsames Bewußtsein kollektiver Identität existiert. Vorher bestünde die Gefahr, daß Mehrheitsentscheidungen von der Minderheit nicht vorrangig dem europäischen Kontext zugeordnet, sondern national wahrgenommen und damit als Fremdbestimmung empfunden würden und desintegrierende Wir1157 So wird allenthalben ein „Demokratiedefizit“ konstatiert, so auch A. Randelzhofer, Zum behaupteten Demokratiedefizit der Europäischen Gemeinschaft, in: P. Hommelhoff/P. Kirchhof (Hrsg.), Der Staatenverbund der Europäischen Union. Beiträge und Diskussionen des Symposions am 21./22. Januar 1994 in Heidelberg, 1994, S. 39 (39): „basso continuo“; vgl. auch Isensee, Union (Fn. 1006), S. 84; Kaufmann, Verfassungspatriotismus (Fn. 657), S. 42; Peters, Elemente (Fn. 609), S. 699; H. H. v. Arnim, Wohin treibt Europa?, in: NJW 2007, S. 2531 (2532). Aus dem Grunde hält auch Dahrendorf es für verfrüht, „dem Nationalstaat das Totenglöcklein“ zu läuten: ders., Zukunft (Fn. 1068), S. 758. Ausführlich und differenziert zum „oft und viel zu pauschal“ beklagten Demokratiedefizit H. Dreier, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 2, 2. Aufl. 2006, Art. 20 (Demokratie) Fn. 33 ff. 1158 Diese nennt Kirchhof, Staat (Fn. 1066), Rn. 37. Das Fehlen gesamteuropäisch wirkender Medien beklagt v. Donat, EG (Fn. 1120), S. 10 f. 1159 Anders Stentzel, dem die Antwort nicht schwerfällt: Zum einen erwachse gerade aus dem Demokratiedefizit selbst ein Identifikationshindernis, zum anderen könne erst ein demokratischer Willensbildungsprozeß die Kommunikationsgemeinschaft mit einer europäischen Öffentlichkeit herstellen, in der die Europäische Union als politischer Akteur und sozialer Handlungszusammenhang häufiger wahrgenommen werden würde: ders., Integrationsziel (Fn. 1151), S. 341. Mehr in die hier vertretene Richtung E.-W. Böckenförde, Wenn der europäische Stier vom goldenen Kalb überholt wird. Die Politik in der ökonomischen Falle: Wirtschaftliche Einigung schafft noch keine politische Solidarität, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 169 vom 24.07.1997. 1160 Kaufmann, Verfassungspatriotismus (Fn. 657), S. 52 f., Hervorhebung im Original, J. D. K.

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kungen hätten.1161 Zum anderen müßte mit einer Stärkung des Parlaments die Gewährleistung des Grundsatzes der Gleichheit der Wahl auch auf europäischer Ebene einhergehen. Bedingt durch den Verteilungsschlüssel fällt der Erfolgswert der Stimmen bisher von Staat zu Staat sehr verschieden aus.1162 Ein Mindestmaß an europäischer Identität scheint für eine identitätsfördernde Demokratisierung der Union notwendig zu sein.1163 Wesentlich ist, daß sich die der Gemeinschaft angehörenden Menschen selbst als solche begreifen und darin von anderen Gruppen unterschieden wissen. Sie begreifen sich letztlich als Gemeinschaft aus einem gemeinsamen Mythos.1164 Noch jedoch gibt Europa 1161 P. Graf Kielmansegg, Ein Maß für die Größe des Staates. Europa fehlt die Zustimmung der Bürger, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 280 vom 02.12.1992; Hrbek, Staatsbürger (Fn. 1147), S. 123 f.; Stentzel, Integrationsziel (Fn. 1151), S. 340. Vgl. auch S. Korioth, Europäische und nationale Identität: Integration durch Verfassungsrecht?, in: VVDStRL 62 (2003), S. 117 (130 f.). Zusammengehörigkeitsgefühl zur legimatorischen Abstützung allgemeinverbindlicher Mehrheitsentscheidungen nennt auch Roth als eine Hinsicht, unter der die Idee der Nation „einen guten Sinn gibt“. Weitere positive Aspekte sind die Reduzierung der existientiellen Radikalität des politischen Konflikts auf ein verträgliches Normalmaß, die legitimatorische Abstützung der nötigen sozial-ökonomischen Umverteilungen einer gemeinwohlorientierten Politik und die prinzipielle Betrachtung der öffentlichen Angelegenheiten des Staates im Sinne der res publica als Sache aller: ders., Idee (Fn. 517), S. 399 ff. Diese Aufgaben werden auch in absehbarer Zeit von nationalen Gefühlen wahrgenommen werden. 1162 So vertritt ein Abgeordneter aus Malta 80.200, ein Abgeordneter aus Deutschland 833.500 Einwohner. Das Europäische Parlament ist denn auch mehr Staaten- als Volksvertretung: H. Dreier, Die drei Staatsgewalten im Zeichen von Europäisierung und Privatisierung, in: DÖV 2002, S. 537 (540). 1163 Peters hält für das Funktionieren einer Mehrheitsdemokratie die Abwesenheit von fixen Spaltungen erforderlich: dies., Elemente (Fn. 609), S. 712. Diese seien dann nicht existent, wenn sich eine europäische Identität ausgebildet hat. Allerdings fordert sie statt einer europäischen Identität, reichlich vage und eher schwieriger zu realisieren, „kognitive und ethische Mindestvoraussetzungen in der Person der Bürger“: ebd., S. 713. 1164 W. v. Simson, Was heißt in einer europäischen Verfassung „Das Volk“?, in: EuR 26 (1991), S. 1 (3). Anstelle von Mythos [vgl. B. I. 1. b)] könnte man allgemeiner auch von einer gemeinsamen Grundlage sprechen. Hier bietet sich eine Formulierung Coudenhove-Kalergis an: „Europa hingegen ist verbunden durch die christliche Religion, durch die europäische Wissenschaft, Kunst und Kultur, die auf christlich-hellenischer Basis beruht.“: ders., Paneuropa (Fn. 1024), S. 132; prägnant K. Jaspers, Vom europäischen Geist. Vortrag gehalten bei den Rencontres Internationales de Genève September 1946, 1947, S. 9: „Europa – das ist die Bibel und die Antike.“; vgl. auch den Wortlaut, den der Vertrag von Lissabon der Präambel des EU-Vertrages hinzufügt: „schöpfend aus dem kulturellen, religiösen und humanistischen Erbe Europas [. . .]“. ,,Kurzum – Europa ist kein Entwurf der Geographie, sondern die Geographie einer Kultur“: so die portugiesische Europapolitikerin Gouveia, zitiert nach H. Schäfer, Europas Einheit: Herkunft, Ziel, Form, in: J. Isensee (Hrsg.), Europa als politische Idee und als rechtliche Form, 2. Aufl. 1994, S. 9 (18). Von größter Wichtigkeit ist es, diese Gemeinschaft nicht durch diesen Mythos bzw. diese Grundlage ignorierende Erweiterungen überzustrapazieren. Die Türkei, die schon geographisch und historisch kaum als Mitgliedstaat in Betracht kommt, ist daher unter keinen Umständen in die Gemein-

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„keinen Anlaß zu einem Aufschwung der Gefühle.“1165 Als bedeutendes Hilfsmittel der Identifikation sollten Symbole nicht unterschätzt werden.1166 Ein überaus wichtiger Beitrag zur EU-Symbolik wäre eine Verfassung für Europa gewesen.1167 Die nationale Identität ist also nach wie vor wichtig.1168 Nicht nur als Ersatz für die nicht in der notwendigen Ausprägung vorhandene europäischen Identität, sondern auch, weil „Menschen irgendwo hingehören müssen, bevor sie sich für weitere Horizonte öffnen können“1169. Nicht Rückständigkeit ist der Grund für die Hinwendung zur Nation, sondern die Dynamik, die die Menschen immer schneller über immer größere Räume hinweg in herkunftsindifferenter Weise miteinander verbindet. Gingen die europäischen Nationalstaaten in der Europäischen Union auf, würden aus den politisch autonom verfaßten Nationen Natioschaft aufzunehmen, vgl. E. I. 1. und v. a. M. Stolleis, Das „europäische Haus“ und seine Verfassung, in: KritV 78 (1995), S. 275 (296); Isensee geht noch weiter und sieht „[d]ie alte Religionsgrenze zwischen Baltikum und Rußland, Polen und Ukraine, Siebenbürgen und Altrumänien, Kroatien und Serbien [. . .] als die kulturelle und politische Wasserscheide“: ders., Nachwort (Fn. 1150), S. 111. Bei ihm soll die Europäische Union auf den „lateinischen“ Teil Europas beschränkt werden. 1165 Dahrendorf, Zukunft (Fn. 1068), S. 760; ähnlich v. Arnim, Europa (Fn. 1157), S. 2535. Die Frage, wer sich denn schon in einen gemeinsamen Markt verliebe, stellte bereits Jacques Delors. 1166 Dazu M. Göldner, Politische Symbole der europäischen Integration. Fahne, Hymne, Hauptstadt, Paß, Briefmarke, Auszeichnungen, Diss. iur. Kiel 1987; Schäfer, Einheit (Fn. 1164), S. 14 ff.; ferner Augustin, Volk (Fn. 304), S. 171 f. 1167 In deren Entwurf werden in Art. 8 Flagge (blaues Rechteck mit einem Kreis aus zwölf [die Zahl Zwölf symbolisiert Vollkommenheit und Vollständigkeit: U. Becker, Lexikon der Symbole, 1998, S. 346; interessant auch Schäfer, Einheit (Fn. 1164), S. 33] fünfzackigen goldfarbenen Sternen in der Mitte), Hymne (vierter Satz der neunten Sinfonie von Ludwig van Beethoven), Motto („In Vielfalt geeint“), Name der gemeinsamen Währung („Euro“) und Feiertag (9. Mai) genannt. 1168 Vgl. nur die Befindlichkeit auf der iberischen Halbinsel: L. Wieland, Hochzeit von Nelke und Rose, in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung Nr. 36 vom 09.09. 2007, und die jüngste Entwicklung in Belgien: P. Pinzler, Die Hölle, das sind die anderen. Zwei Völker, keine Regierung, keine gemeinsame Sprache: Jahrelang dachte man, der Streit in Belgien sei reine Folklore. Doch jetzt wird es ernst, in: Die Zeit Nr. 47 vom 15.11.2007. 1169 Ralf Dahrendorf, zitiert nach Sternberger, Verfassungspatriotismus (Fn. 876), S. 77. Vgl. auch v. Weizsäcker, Patriotismus (Fn. 879): „Ein Weltbürger kann eine überzeugende humane Haltung haben, wenn er selbst nicht ortlos ist.“ und Korte, Dilemma (Fn. 6), S. 22, der mit der Zunahme europäischer Nivellierungsprozesse sogar einen wachsenden Bedarf an nationaler Identifikation manifestiert: ebd., S. 27. Die Anerkennung aller Menschen als Gleiche, unabhängig von ihrer Nationalität, stellt tendenziell eine Überforderung dar: S. Tönnies, Multikulturalität, Partikularismus und Universalismus, in: E. J. M. Kroker/B. Dechamps (Hrsg.), Deutschland auf dem Weg zu einer multikulturellen Gesellschaft?, 1996, S. 77 (83). Haltern weist darauf hin, daß die „Tiefenstrukturen [. . .] heute kaum weniger vorhanden [sind] als damals.“ Diese schlummerten unter der liberalen Designeroberfläche des demokratischen Rechtsstaats und könnten sich jederzeit aktualisieren: ders., Notwendigkeit (Fn. 331), S. 198, 219.

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nalitäten, politisch nicht mehr selbständig verfaßte Minderheiten eines politischen Verbandes. Nationalitäten bedürfen aber der kollektiven Autonomie und Mitwirkung.1170 Die grundlegenden Prozesse der Integration, der Ausbildung eines Identitätsbewußtseins sowie eines Solidaritätsgefühls kann nur der Nationalstaat auslösen und organisieren.1171 Zwar ist es durchaus vorstellbar, daß ein solches „einheitsstiftendes Selbstverständnis“1172 auch aus anderen als aus nationalen Vorstellungen heraus gewonnen werden kann, jedoch erscheint die im Vergleich zum Alter vieler Nationalstaaten relativ überschaubare Phase der europäischen Integration als zu kurz, um solche Vorgänge gänzlich zu verändern. Das Verhältnis von nationaler zu europäischer Identität stellt sich ergänzend dar. „In der Europäischen Union hat sich eine institutionelle Ordnung entwikkelt, in der die Institutionen des Nationalstaates nicht aufgelöst, sondern in die europäischen Institutionen eingebettet werden. Dadurch werden die europäischen Bürger nicht komplett aus den nationalen Strukturen herausgelöst.“1173 „Europäische Identität kann nicht und wird nicht an die Stelle lokaler, regionaler oder nationaler Identitäten treten. Sie bleibt immer nur ein, allerdings wichtiger, Zusatz.“1174 Das ist kein Manko, denn eine europäische Identität kann die nationale Identität ergänzen, diese situationsbedingt überlagern oder von dieser überlagert werden, ohne daß sich die verschiedenen Identitäten behindern1175, 1170 Lepsius, Nationalstaat (Fn. 5), S. 267 f. Die österreichisch-ungarische Doppelmonarchie ist letztendlich an der ungelösten Nationalitätenfrage gescheitert, vgl. B. II. 1171 „Durch Nation läßt sich Zusammengehörigkeit erfahren, überdies verinnerlichen; vielleicht sogar, wie manche meinen, Geborgenheit“: Grawert, Nationalstaat (Fn. 1145), S. 130. 1172 Haack, Verfaßtheit (Fn. 1146), S. 5. 1173 Reddig, Bürger (Fn. 351), S. 229. 1174 K. Hänsch, Von den Römischen Verträgen zur Berliner Erklärung, in: W. C. Lohse/J. Mittlmeier (Hrsg.), Europas Ursprung. Mythologie und Moderne. Festschrift der Universität Regensburg zum 50-jährigen Jubiläum der Römischen Verträge, 2007, S. 21 (24). 1175 Augustin, Volk (Fn. 304), S. 169; Stentzel, Integrationsziel (Fn. 1151), S. 338; so auch Prisching, Heimat (Fn. 388), S. 399, und allgemeiner Wahl, Welt (Fn. 1072), S. 45 ff.: „Mehr-Ebenen-System“; Wehler, Nationalismus (Fn. 93), S. 104; weiterhin Peters, Elemente (Fn. 609), S. 710: „[. . .] besitzt jedes Individuum multiple Identitäten [. . .]. Europäische und nationale Identität sind nicht konträr, sondern komplementär [. . .].“; Hilf spricht von „[z]wei offenbar aufeinander bezogene[n], miteinander konkurrierende[n] und zugleich verflochtene[n] Identitäten“: ders., Union (Fn. 597), S. 159. Dahrendorf stellt bereits 1982 fest: „Europa als Ersatz für die Nation ist gescheitert.“: so der Titel einer Stellungnahme R. Dahrendorfs in: EG-Magazin Januar 1982, S. 16 f. In bezug auf die deutsche Teilung auch schon J. Kocka, Nation und Gesellschaft. Historische Überlegungen zur „deutschen“ Frage, in: Politik und Kultur 8 (1981), S. 3 (25); W. Weidenfeld, Die Frage nach der Einheit der deutschen Nation, 1981, S. 82; C. Graf v. Krockow, Auf der Suche nach der verlorenen Identität, in: Merkur 37 (1983), S. 8 (14); A. Schwan, Nationale Identität in Deutschland und Europa – Zum nationalen Selbstverständnis des deutschen Volkes und seiner Nachbarn, in: K. Weigelt (Hrsg.), Heimat und Nation. Zur Geschichte und Identität der Deutschen, 1984, S. 189 (204 f.).

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auch wenn dies zuweilen mit Schwierigkeiten verbunden sein mag1176. Ohnehin korrespondiert der Idee der europäischen Einheit nicht der Status des Einheitseuropäers.1177 Längst werden Unterschiede anerkannt und Vielfalt als Eigenwert und besonderer Reichtum geschätzt. Die europäische Identität wird so auf absehbare Zeit ein „nationalstaatlich gefasstes Konglomerat von Kulturen“1178 bleiben und sich in wechselseitiger Stärkung entwickeln. Ein europäischer Geist kann nur aus der konstruktiven Summe der Nationalkulturen Europas erwachsen.1179 „Europas Identität besteht in seiner Vielgestalt“, die den Fortbestand der Nationalstaaten unentbehrlich macht.1180 Nationale Identität liegt also im Interesse der europäischen Integration. „Wer Europa will, kann sich nicht an der Nation vorbeischleichen.“1181 Doch auch die 1176 Vgl. die Befürchtungen von A. Wolff-Poweska Anfang der neunziger Jahre: „Schwierig ist die Aufgabe, den Aufbau der nationalen Identität mit der europäischen Identität zu vereinen. Die Gesellschaften der Ostregion Europas, die für 40 Jahre ihrer Identität beraubt wurden, streben zu dem Punkte zurück, an dem ihre Geschichte vom Stalinismus eingefroren wurde. Der Westen sollte deswegen verstehen, daß diese Gesellschaften erst als Nationen in Erscheinung treten müssen, ehe sie sich als Europäer verstehen können.“: dies., Die Zukunft Osteuropas. Herausforderungen, Probleme, Strategien, in: Europa-Archiv 1991, S. 567 (571). 1177 Europa lebe nur in der Vielfalt seiner Völker meint Isensee, Nachwort (Fn. 275), S. 137. 1178 M. Bach, Beiträge der Soziologie zur Analyse der europäischen Integration. Eine Übersicht über theoretische Konzepte, in: W. Loth/W. Wessels (Hrsg.), Theorien europäischer Integration, 2001, S. 147 (162). 1179 So schon im 19. Jahrhundert der Schweizer Historiker Jacob Burckhardt mit der Formel „Discordia concors“, zitiert nach T. Schieder, Nationalbewußtsein und europäische Einigung, in: O. Dann/H.-U. Wehler (Hrsg.), Nationalismus und Nationalstaat. Studien zum nationalen Problem im modernen Europa, S. 360 (376). Vgl. auch H. H. Klein, Europa – Verschiedenes gemeinsam erlebt. Es gibt kein europäisches Volk, sondern die Völker Europas, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 241 vom 17.10.1994: „Die Ursprünge von Europas Kraft aber werden auf lange Sicht noch in den Nationen ruhen [. . .].“ 1180 Klein, Europa (Fn. 1179); Isensee, Integrationsziel (Fn. 1066), S. 591; Schrötter, Rolle (Fn. 1136), S. 10. 1181 Uhlitz, Wiedervereinigungsgebot (Fn. 855), S. 191 (193), dessen Aussage auf Carlo Schmid zurückgeht: vgl. die Verhandlungen des Deutschen Bundestages. Stenographische Berichte, Bd. 79, 1972, S. 9982. Als sinnvolle Ergänzung der europäischen Integration bezeichnet Korte die Nationalstaaten: ders., Dilemma (Fn. 6), S. 27. Ohne starke Nationalstaaten sind Integrationsfortschritte nicht denkbar meint auch M. Kohnstamm, in: Körber-Stiftung (Hrsg.), Wie ist Europa zu sichern? Die Suche nach konzeptioneller Gestaltungskraft. Protokoll Nr. 111/1997 des Bergedorfer Gesprächskreises, S. 86 (88, 90). Wahl äußert die Hoffnung, „daß [. . .] das Nationale als Basis positiv benutzt“ wird: ders., Welt (Fn. 1072), S. 55; Willoweit fordert „größere Sensibilität gegenüber dem Selbstwertgefühl der Nationen“, soll das Projekt Europa von den Völkern weiterhin akzeptiert werden: ders., Vielvölkerstaat (Fn. 255). Anders, „im europäischen Integrationsprozess [. . .] gänzlich unbrauchbar“, aber freilich ohne Begründung M. Kötter, Integration durch Recht? Die Steuerungsfähigkeit des Rechts im Bereich seiner Geltungsvoraussetzungen, in: K. Sahlfeld u. a. (Hrsg.), Integration und Recht, 2003, S. 31 (48). In eine ähnliche Richtung zielt R. Münch, Europäische Identi-

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Nationalstaaten können profitieren. „Vor 50 Jahren ging es darum, den europäischen Nationalstaat zu zähmen. Heute geht es darum, seinen Bedeutungsverlust aufzufangen.“1182 Die derzeitige Unersetzbarkeit der Nationalstaaten im Hinblick auf ihre Funktion für Prozesse der Integration und Demokratie1183 zeigt die Notwendigkeit des Erhalts der Nationalstaaten und die Grenzen der europäischen Integration. Diese sollte daher von den Nationalstaaten auch als Chance begriffen werden, sich auf diesem Wege zu erhalten. Die Achtung der nationalen Identität spielt dabei eine wichtige Rolle. Sie ist im jetzigen Entwicklungszustand ein „prägendes Grundprinzip“ der Europäischen Union.1184 Bereits 1954 formuliert Reinhard Wittram1185: „Die Zukunft des Nationalitätsprinzips in Europa wird davon abhängen, ob es sich als Ausdruck der uralten europäischen Mannigfaltigkeit verstehen kann, auf der die Eigenart Europas beruht [. . .].“1186 Die Nationalstaaten müssen sich als Einheiten in einer Einheit sehen, sie müssen in diesem Ordnungsraum, der Gewalt untereinander ausschließt und das alte und neue Gemeinsame mehr betont als das fortbestehende Trennende, konkurrieren.1187 Es besteht kein Antagonismus von nationalstaatlichem Denken und europäischer Einigung.1188 tätsbildung. Zwischen globaler Dynamik, nationaler und regionaler Gegenbewegung, in: R. Viehoff/R. T. Segers (Hrsg.), Kultur, Identität, Europa. Über die Schwierigkeiten und Möglichkeiten einer Konstruktion, 1999, S. 223 (235 ff.). 1182 Hänsch, Verträgen (Fn. 1174), S. 27. Eine Friedensgefährdung verneinend und Gefahr vielmehr in „einer dynamisch voranschreitenden Anonymisierung und Individualisierung der Lebensverhältnisse“ sehend auch Thürer, demzufolge die Nationalstaaten mit ihren traditionellen Strukturen den Einzelmenschen und Menschengruppen Halt und Schutz zu verleihen vermögen: ders., Region (Fn. 1124), S. 1352. 1183 Vgl. nur Hilf, Union (Fn. 597), S. 166: Nur wenn die nationale Identität der Mitgliedstaaten gesichert ist, seien diese in der Lage, mittels ihrer fortbestehenden Verfassungs- und Organisationsautonomie dem Gemeinschaftsrecht zur Wirksamkeit zu verhelfen. Mit der gebotenen Achtung der nationalen Identität der Mitgliedstaaten sichere sich die Union die zur Zeit wohl wichtigste Legitimationsquelle, von der sie mittelbar mitgetragen werde. Und auch schon R. Schuman, Für Europa, 1963, S. 29: „Verdienst der Nationalismen war es, den Staaten eine Tradition und eine solide innere Struktur zu geben. Auf diesem alten Unterbau muß ein neues Stockwerk errichtet werden. Das Überstaatliche wird auf nationaler Grundlage beruhen.“ 1184 Hilf, Union (Fn. 597), S. 169. 1185 Geboren 1902 in Bilderlingshof bei Riga, gestorben 1973 in Meran: N. N., in: W. Killy/R. Vierhaus (Hrsg.), Deutsche Biographische Enzyklopädie, Bd. 10, 1999, S. 552. 1186 Wittram, Nationale (Fn. 194), S. 94. So auch Schulze, Europa (Fn. 260), S. 83: „Die europäischen Nationen [. . .] erweisen sich [. . .] als lebendige kulturelle und geistige Wesen, mehr noch: als Ausdruck jener Pluralität, ohne die Europa sein Wesen verlieren müßte.“ 1187 Di Fabio, Kultur (Fn. 319), S. 231. 1188 Zu diesem Ergebnis kommen auch Korte, Dilemma (Fn. 6), S. 28: „Doch wenn es Lehren aus der europäischen Historie gibt, dann die, daß die europäische Einigung nur mit, nicht gegen die Nationen und ihre legitimen Eigenschaften vor sich gehen kann.“; A. Dregger, Hat der Nationalstaat in Europa noch eine Zukunft?, in: Studien-

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3. Zusammenfassung Eine andere Möglichkeit der Ausgestaltung der Europäischen Union ist ein Europa der Regionen. Der Mobilisierung der subnationalen Ebenen sind positive Aspekte durchaus nicht abzusprechen und so spielen regionale Belange trotz des fehlenden gemeinschaftsunmittelbaren Status im Rahmen der europäischen Integration seit längerem eine Rolle. Die Globalisierung fördert die Lokalisierung derart, daß von „Glokalisierung“ gesprochen wird, eine „Eurokalisierung“ ist hingegen nicht zu konstatieren, liefe dem Ziel der europäischen Integration auch entgegen. Anders als die Nation bietet sich die Region nicht als primäre Basis eines vereinten Europa an und sollte sich daher auf ihre Rolle als prägender Teil des Nationalstaates besinnen. Der Nationalstaat hingegen ist derzeit und auf absehbare Zeit die primäre und elementare Einheit im MehrEbenen-Aufbau und deshalb in mehrfacher Hinsicht die Basis der Europäischen Union. Eine europäische Identität ist noch nicht sonderlich ausgeprägt und erfährt auch durch die Einführung der Unionsbürgerschaft keine wesentlichen Impulse. Weder gibt es ein europäisches Volk, noch eine europäische Nation und auch darüber hinaus bietet die Union für eine kollektive Identität bisher keinen umfassenden und finalen Bezugspunkt. Gemeinsame Grundrechte sind universell anerkannt und vermögen die europäische Identität lediglich zu unterstützen. Die Voraussetzungen für eine solche sind in kulturellen Gemeinsamkeiten und der gemeinsamen Einsicht in die Notwendigkeit grenzüberschreitender Lösungen zu sehen. Auch für eine identitätsfördernde Demokratisierung der Union scheint ein Mindestmaß an europäischer Identität notwendig zu sein. Das einheitsstiftende Selbstverständnis wird aber vor allem aus nationalen Vorstellungen gewonnen. Das Verhältnis von nationaler zu europäischer Identität stellt sich ergänzend dar, Europas Identität besteht gerade in seiner Vielgestalt. Der Fortbestand der Nationalstaaten ist folglich unentbehrlich. Nicht nur liegt nationale Identität im Interesse der europäischen Integration, auch die Nationalstaaten können, indem sie versuchen, ihren Bedeutungsverlust aufzufangen, von dieser Entwicklung profitieren.

zentrum Weikersheim (Hrsg.), Europa und die Zukunft der Nationalstaaten, 1994, S. 11 ff.; Hillgruber, Nationalstaat (Fn. 1064), Rn. 149.

Ergebnisse im Überblick 1. Ursprung des Nationsbegriffs ist der mit einer beträchtlichen antiken Bedeutungsvielfalt versehene lateinische Terminus natio. Allerdings steht natio nicht für eine politisch wesentliche und werthafte Gemeinschaftsform, sondern meint hauptsächlich eine wenigstens fiktiv durch gemeinsame Abkunft bestimmte ethnische Gruppe. Sein vielseitiger Gebrauch im Mittelalter ändert daran im wesentlichen nichts, so daß das mittelalterlich-lateinische natio eine relativ unbestimmte Basis für die in den einzelnen Sprachen dann auch unterschiedlich verlaufende weitere Entwicklung des Begriffs bildet. 2. Im ausgehenden Mittelalter gewinnt der Nationsbegriff als antiuniversalistischer Kampfbegriff gegen Kaiser und Papst politischen Bedeutungsgehalt. Durch eine vom Humanismus geförderte Intensivierung des sprachlich-kulturellen und historisch-politischen Eigenbewußtseins weichen universale allmählich nationalen Denkbezügen. Durch die Politisierung des konfessionellen Konflikts verliert der Nationsbegriff an Integrationskraft. Die begriffliche Verbindung von Reich und Nation löst sich zunehmend zugunsten eines Sprach- und Kulturpatriotismus auf. Mit der Entstehung einer neuen Bildungsschicht entwickelt sich bis zum Vorabend der Französischen Revolution ein Bewußtsein nationaler Zusammengehörigkeit, das dem Nationsbegriff einen enormen Bedeutungsgewinn verschafft. Durch die Befreiungskriege wird die nach der Revolution zu einem Schlüsselbegriff der politischsozialen Sprache avancierte Nation zur übergeordneten Instanz, der sich politische Strömungen und Parteien ohne semantischen Konsens bedienen. Die im Kaiserreich beginnende Radikalisierung des Nationsbegriffs findet ihren Höhepunkt im Dritten Reich, bevor er bis zur Wiedervereinigung ganz im Zeichen der deutschen Teilung steht. 3. Ein einheitlicher Nationsbegriff und damit ein einheitlicher nationalstaatlicher Typus existiert nicht. Die verschiedenen Grundauffassungen lassen sich jedoch auf der Basis von Friedrich Meineckes Differenzierung zwischen Staats- und Kulturnation idealtypisch vereinfacht auf zwei Modelle der Nation reduzieren. Dabei entspricht der subjektiv-politisch konstituierten Nation weitgehend die französische, der objektiv-kulturell determinierten Nation weitgehend die deutsche Nation. Letzterer Form hat Johann Gottfried Herder die entscheidende Ausprägung gegeben. Konträr zu Herder haben jüngere Auffassungen zumeist die Ablehung der die Nation als Urkategorie sehenden Anschauung gemeinsam.

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Ergebnisse im Überblick

4. Die Nation basiert auf objektiv bestimmbaren Umständen und subjektivem Zusammengehörigkeitsgefühl. Rein konstruktivistische Ansätze übersehen die objektiven Kriterien, an denen sich nationales Gemeinschaftsgefühl erst entzünden muß. Als diese können, auch wenn eine universale Kombination von Attributen nicht besteht, Abstammung, kulturelle Merkmale wie Geschichte, Sprache und Religion, Territorium und Staatsangehörigkeit genannt werden. Das subjektive Element der Nation stellt sich letzten Endes als Resultat der Verdichtung und Vernetzung von Kommunikation dar. 5. Als „gebietslose Staaten im Staat“ sieht Karl Renner die Nationen in seiner Lösung für das Nationalitätenproblem im Vielvölkerstaat. Hinter diesem Vorschlag steht eine die Nation als rechtliche Einheit verstehende organische Auffassung, die einer atomistischen, die Nation als unverbundene Summe von Individuen begreifenden Auffassung gegenübersteht. 6. Ausgehend von den Kriterien der verschiedenartigen Zusammensetzung des Staatsvolkes, dem Bestehen nicht unerheblicher Minderheiten und eines hohen Ausländeranteils lassen sich die Staaten Europas in drei ihrer Nationalstaatlichkeit entsprechende Kategorien einteilen. Demnach sind rund ein Viertel der europäischen Staaten stark, die Hälfte durchschnittlich und rund ein weiteres Viertel schwach nationalstaatlich geprägt. 7. Die Anfänge der durch die Globalisierung neuen Auftrieb erhaltenden Idee eines Weltstaates reichen bis in die Antike zurück. Die Verbindung von Recht und Staat mit kosmopolitischem Denken gelingt erst Immanuel Kant, dessen Forderungen nach den Bedingungen eines dauerhaften Friedens in seinem Friedenstraktat allerdings aus politischer Rücksicht auf die bestehenden Verhältnisse nicht in dem Verlangen nach einem Weltstaat gipfeln. 8. Humanitär-pazifistische Anschauungen finden erstmals im 19. Jahrhundert ihren institutionellen Niederschlag, zunächst in den USA und England. In Deutschland gelingt es dem Pazifismus bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs nicht, seine Außenseiterstellung zu überwinden. Ein in effectu übernationales Phänomen stellen die Friedensbewegungen zu keiner Zeit dar, vielmehr erweisen sich nationale Bestimmungsmerkmale und Rahmenbedingungen als die ausschlaggebenden Faktoren. So trägt die Friedensbewegung in Deutschland dazu bei, den Rekurs auf Nation und nationale Interessen unter positiven Vorzeichen zum Gegenstand gesellschaftlicher Diskussion zu machen. 9. Die Neue Ostpolitik läßt die staatliche Komponente im als begriffliche Klammer für die beiden deutschen Staaten fungierenden Nationsbegriff zurücktreten. Trotz der Beschneidung des deutschlandpolitischen Spielraums durch das Bundesverfassungsgericht, das eine Verengung des Begriffs der deutschen Nation auf eine nur noch im Bewußtsein der Bevölkerung vorhandene Sprach- und Kultureinheit als Widerspruch zum grundgesetzlichen

Ergebnisse im Überblick

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Auftrag zurückweist, trägt die Neue Ostpolitik entscheidend zur Selbstanerkennung der Bundesrepublik bei und bereitet durch ihre Annäherung der Wiedervereinigung den Boden. 10. Kollektive Identität hat zentrale Bedeutung für die Begründung und Rechtfertigung demokratischer Herrschaft. Da die verfassunggebende Gewalt existent bleibt, bedarf es eines Getragenseins der Verfassung durch die Nation. Diese ist kulturell fundiert, so daß ein gewisses Maß an kultureller Homogenität für einen Grundkonsens erforderlich ist. Die im Grundgesetz enthaltenen Verfassungsvoraussetzungen umfassen den Grundkonsens und tragen so zur Legitimität bei. Zur Minderung von Identifikationsdefiziten des modernen Staates bietet sich die Organisationsform des Nationalstaates an. 11. Indem die Staatsangehörigkeit Grundmuster nationaler Identität ausgeprägt und institutionell verfestigt, wird sie zur Schlüsselinstitution des Nationalstaates. Das auf dem Ius-sanguinis-Prinzip aufbauende RuStAG kodifiziert den säkularen Wandel der deutschen Staatsangehörigkeit und schreibt ihn für das 20. Jahrhundert fest. Die Einführung von Regeleinbürgerung und Ius-soli-Erwerbstatbestand entfernen das nationale Selbstverständnis jedoch vom ethnisch-kulturellen Standpunkt und damit von einer mit der Anknüpfung an die Abstammung im Regelfall verbundenen gemeinsamen Kultur. Dennoch stellt das ius sanguinis nach wie vor neben dem Grundsatz der ausschließlichen Staatsangehörigkeit eines der beiden Prinzipien der deutschen Staatsangehörigkeit dar, für die eine verfassungsrechtliche Bindung sich aber weder durch Tradition noch durch das Demokratieprinzip noch durch Art. 16 Abs. 1 GG und Art. 116 Abs. 1 GG gänzlich überzeugend nachweisen läßt. Die Lehre von der materiellen Staatsangehörigkeit zeigt jedoch, daß Art. 116 Abs. 1 GG, dem ein ethnisch-kulturell geprägter Begriff der Zugehörigkeit zum deutschen Volk zugrunde liegt, auf das Konzept eines auf dem Grundsatz des ius sanguinis aufbauenden Staatsangehörigkeitsrechts Bezug nimmt. 12. Das Konzept des Verfassungspatriotismus hat der traditionellen Definition von Nation in Deutschland nichts anzuhaben vermocht. Es verkennt, wie die mit der Wiedervereinigung verbundene Restitution des Nationalstaates verdeutlicht, dessen historische Dimension. Die mit der Eingliederung von Ausländern verbundene Problematik stellt den ethnisch-kulturellen Nationsbegriff jedoch erneut in Frage. Ein Verlust kultureller Identität auf Seiten der autochthonen Gesellschaft ist unbedingt zu vermeiden, da diese für den freiheitlichen Verfassungsstaat gleichermaßen Entstehungs- wie Geltungsbedingung ist. Verbunden mit der Erkenntnis, daß soziale Integration in großem Umfang ausschließlich in Form der Assimilation möglich ist, heißt dies, daß ein Anspruch, sich dauerhaft als Minderheit mit besonderer kollektiver Identität zu etablieren, abzulehnen ist.

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13. Integration bedarf einer gefestigten nationalen Identität der Aufnahmegesellschaft. Als beide Zielsetzungen fördernd könnte sich eine Stufung der Staatsangehörigkeit erweisen. Eine deutlichere Herausstellung der Nationalität im Staatsangehörigkeitsrecht, bei der das Kriterium der Nationalität das Staatsvolk in Staatsangehörige und lediglich Staatszugehörige teilt, könnte, die grundsätzliche Offenheit der ersten Gruppe vorausgesetzt, sowohl die nationalstaatliche Form der Bundesrepublik zu bewahren helfen als auch den Integrationsanreiz oder auch -druck erhöhen. 14. Den Ausgangspunkt für die europäische Integration, deren Vorläufer sich bereits im Mittelalter finden lassen, bildet, trotz konkreter Einigungsprojekte aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, der 1950 vorgelegte SchumanPlan. Eine neue Dimension der europäischen Einigung wird 1993 mit der Gründung der als Dach der bestehenden Gemeinschaften fungierenden Europäischen Union durch den Vertrag von Maastricht erreicht. 15. Die Europäische Union ist weder ein Bundesstaat noch steht die Staatlichkeit der Nationalstaaten zur Disposition. Dennoch ist eine Veränderung aller Elemente des klassischen Staatsbegriffs auszumachen. Die größten Auswirkungen erfährt das Element der Staatsgewalt durch die auf Dauer auferlegte Bindung des Staates bei ihrer Ausübung. Vom traditionellen Vorstellungsbild von Staatlichkeit ist nicht mehr auszugehen. 16. Der Nationalstaat ist, im Gegensatz zur Region, die sich auf ihre Rolle als prägender Teil des Nationalstaates besinnen sollte, die primäre Basis eines vereinten Europa. Die Union bietet für eine kollektive Identität bisher keinen umfassenden und finalen Bezugspunkt, wobei die Voraussetzungen einer solchen durch kulturelle Gemeinsamkeiten und die Einsicht in die Notwendigkeit grenzüberschreitender Lösungen vorhanden ist. Das einheitsstiftende Selbstverständnis wird aber vor allem aus nationalen Vorstellungen gewonnen, was den Fortbestand der Nationalstaaten unentbehrlich macht. Nationale Identität liegt nicht nur im Interesse der europäischen Integration, auch die Nationalstaaten können von dieser Entwicklung profitieren. Es besteht kein Antagonismus von nationalstaatlichem Denken und europäischer Einigung.

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Sachverzeichnis Abgrenzung 27 ff., 41, 45, 54, 76, 79, 86, 88, 156, 158, 166, 194, 227 Abstammung 24 ff., 45, 48, 50, 53, 55, 58, 64, 70, 75, 79 ff., 85, 94, 114, 160 ff., 168, 172, 174 ff., 190, 250 f. Abstammungsgemeinschaft 36, 55, 75 f., 79 f., 94, 163 Abstammungsglaube 75, 80, 94 Abstammungsprinzip 161, 163, 172, 174 ff., 179, 183, 185 f. Antike 21, 24 ff., 28, 112 ff., 120, 177, 249 f. Arbeitsteiligkeit 93 Assimilation 49, 92, 199 ff., 212 f., 251 – individuelle 201 f. Aufbau der Nation 21, 73, 77, 80, 95, 99 Aufenthalt 170 ff., 211 Auffassung – atomistische 97, 99 f., 104, 250 – objektivistische 44 – organische 97, 100 ff., 104, 250 – primordiale 44 – subjektivistische 43 Aufklärung 35, 64, 119, 178 Ausländer 105, 111, 162, 169, 171, 181, 197, 203, 208, 211 f., 228, 250 f. Ausschlußkriterien 40 Autonomie 21, 53, 97 f., 100 ff., 105, 238, 245 Bedeutungsvielfalt 24, 28 Bedeutungswandel 21, 28, 38, 158 Befreiungskriege 36, 42, 65, 70, 249 Bekenntnis, subjektives 51, 56, 59, 62, 69 Bekenntnisgemeinschaft 55, 57, 60 Bekenntnisprinzip 97

Bestandsgarantie 183, 185 Bevölkerung 48, 54, 56 f., 76, 89 ff., 94, 103 f., 137, 141, 153, 162, 180, 199, 235, 250 Bindung 21, 64, 70, 85, 88, 90, 122, 148, 155, 176, 179 ff., 232 ff., 251 f. Boden 44, 126, 172 ff. Bundesstaat 95, 98, 159, 161, 220 – europäischer 225 ff., 234, 252 Bundesverfassungsgericht 21, 41, 135 ff., 141, 148, 185, 225 f., 233, 250 Charaktergemeinschaft 44, 97 Civitas 24, 119 Dachtheorie 138 DDR 41, 131, 134 f., 139 f. Demokratiedefizit 242 Demokratieprinzip 179 ff., 188, 191, 251 Demokratisierung 39, 97 f., 104, 129, 133, 242 f., 248 Denaturalisation 164 Differenzierung, soziale 42, 76, 90, 94, 201 Domizilprinzip 161 Drei-Elemente-Lehre 157 Dreißigjähriger Krieg 33, 143 Dritter Stand 61, 70 Drittes Reich 164 ff., 190, 218, 249 EEA 221, 224, 237 EGKS 215, 220, 224 Eigenart 50, 55, 63, 98, 100, 151, 163, 175, 190, 194, 247 Einbürgerung 162, 164, 167 ff., 179, 190, 211, 251

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Sachverzeichnis

Einheitsbewegungen, nationale 51 Einwanderung 22, 228 Einzelstaatigkeit 182, 184 Entzugsverbot 183 Erfindung der Nation 19, 72 Erinnerungen, gemeinsame 50, 58 f., 85 Erster Weltkrieg 42, 49, 69, 105, 124 ff., 132, 217 Essentialisten 71, 94 Etymologie 21 Euratom 215, 220, 224 EWG 215, 220 f., 224 Faktoren, außerkulturelle 74 Föderation 45, 100 f., 115 f., 118, 216, 218 Frankfurter Nationalversammlung 159 Frankreich 21, 36, 49, 51, 54, 56, 59 ff., 63, 65, 69 f., 104 f., 109 ff., 122, 194, 215, 218 ff., 223 Französische Revolution 35 f., 42 f., 49, 51 f., 60 ff., 64, 70, 121, 145, 175, 178, 188, 249 Fremdbestimmung 242 Friedensbewegung 21, 121 ff., 128 ff., 250 Gebietshoheit 180 f. Geburt 24 f., 67, 161, 163, 168 ff., 172, 175 ff. Geburtszusammenhang 26, 28 Gedächtnis, kollektives 83, 85, 94 Gefahrengemeinschaft 152 f. Gefühlsnation 48 f., 69 Gegebenheiten, objektive 76, 143 Geistesgemeinschaft 44 Gemeinschaftsgefühl 49, 58, 69, 88, 250 Gens 25 f. Gerechtigkeitstheorie 154 Geschichte 34, 42, 46, 55, 57 f., 61, 69, 71, 79, 82 ff., 94, 98, 101, 151, 153, 175 f., 190, 239, 250

Gewalt, verfassunggebende 145 f., 148 f., 156, 188, 251 Globalisierung 112, 120, 237, 248, 250 Großbritannien 105, 109 ff., 212, 217, 219, 221 Großnation 214 Grundgesetz 41, 137, 140 f., 152 f., 167 f., 177, 180, 182 ff., 191 ff., 205, 210 ff., 225 f., 250 f. Grundkonsens 144, 251 Grundkonzeption, ethnisch-kulturelle 163 Grundstrukturen, verfassungsrechtliche 21, 177 Gruppe, ethnische 24, 28, 58, 74 ff., 80, 83, 101 ff., 105 ff., 249 Hallstein-Doktrin 139 Heiliges Römisches Reich 29 ff., 62, 70, 83, 143 Heimat 35, 88, 194, 205, 208 Herren der Verträge 233 Historikerstreit 191 ff., 212 Homogenität 39, 52 f., 86, 151 f., 155 f., 163, 175 ff., 199, 210, 233, 235, 242, 251 Identifikationscode 87, 94 Identifikationsdefizit 153, 157, 251 Identität 36, 53 f., 60, 62 f., 69, 76, 78, 83 ff., 93 f., 101, 148, 152, 155 f., 158, 179, 198, 210, 239 f. – europäische 240 ff., 248 – kollektive 21, 78, 142 ff., 150 ff., 156 f., 193 f., 203, 208 f., 213, 240 ff., 248, 251 f. – kulturelle 203, 213, 236, 251 – nationale 17, 22, 53, 78, 84, 90, 152 f., 158, 190 f., 193, 197, 209 f., 212 f., 236, 239, 244 ff., 251 f. Identitätsfokus 143 Identitätskrise 154 Identitätstheorie 138 Immigrationsdruck 17 Individuum, kollektives 70, 149

Sachverzeichnis Institutsgarantie 183 Integration 37 f., 91 ff., 99, 122, 132, 151, 167, 170 f., 175, 177, 187, 189, 195, 197 ff., 203 ff., 209 ff., 222, 227 ff., 245, 247, 252 – europäische 21 f., 214, 219 ff., 224 f., 227 f., 231, 233, 236, 238, 245 ff., 252 – horizontale 240 – nationale 92, 148 Integrationsbegriff 197 f. Integrationsebene 231 Integrationshebel 231 Integrationskraft 32, 39, 41, 93, 128, 249 Integrationsnachweis 211 Integrationsprobleme 22, 209 Interaktion 54, 72, 93 Italien 49, 51 f., 58, 65 f., 69, 105 ff., 110 f., 220 Ius gentium 113 Ius sanguinis 21, 52, 160, 163, 168 f., 171 ff., 182 ff., 190 f., 211, 251 Ius soli 21, 52, 169 ff., 175 f., 180, 190, 251 Kampf-dem-Atomtod 129 Kaufmannsnationen 26 ff. Kernbereich, verfassungsrechtlich geschützter 177 Kernereignisse 143 Klassennation 54, 69 Klima 44 Kohäsion 76, 90, 93, 209 Kommunikation 19, 53 f., 72, 84, 86 f., 90 ff., 122, 134, 141, 198, 250 Kommunitarismus 154 ff. Konfessionsgemeinschaft 143 Konstruktivisten 71, 73, 94, 250 Konzilien 26 Kosmopolitismus 113 f., 118, 120 f. Kultur 34, 40 ff., 46 ff., 50, 54 f., 58, 62 ff., 66, 69 f., 74, 78 f., 81 f., 89, 92 ff., 97 f., 103, 136 f., 152 f., 156,

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166, 175 f., 190, 199, 202, 206 ff., 213, 239, 246, 249 ff. Kulturgemeinschaft 36, 55, 74 ff., 81, 95, 102, 153 Kulturnation 21, 41, 43, 45 ff., 52 f., 55 f., 58, 62, 64 ff., 69 f., 78, 81, 94, 136, 186 ff., 211, 249 Landschaft 88 Legitimation, demokratische 21, 54, 142 ff., 153, 156, 179 ff., 230 f. Legitimität 50, 54, 62, 70, 144, 153, 241, 251 Lehre von der materiellen Staatsangehörigkeit 186 f., 191, 211, 251 Leitkultur 199 Letztinstanz 40 Liberalismus 124, 154, 156 Loyalität 156, 167, 175, 177, 183, 190 Machtgemeinschaft 214 Massenbewegung 124 f., 162 f. Massenphänomen 37 Mehr-Ebenen-Aufbau 239, 248 Mehrstaatigkeit 163, 170 f., 175, 178, 181, 183 f. Merkmale 26, 44 f., 48, 51 ff., 55, 59, 68, 71 ff., 78 ff., 91, 93, 98, 131, 133, 143, 155, 177, 227, 250 Migration 202 Minderheit 101 f., 104 ff., 124, 162, 199, 205, 208, 213, 242, 245, 250 f. Mittelalter 21 f., 24 ff., 29 ff., 41, 60, 62, 69, 80, 86, 175, 214 ff., 224, 249, 252 Mobilisierung 87, 90, 92 ff., 124 f., 130, 133, 236, 248 Mobilität 90 f., 174, 176, 203 Modernisierungstheorie 89 Moral 156 Mythos 71, 75, 82 ff., 94, 243 Nahrung 44 Natio 23 ff., 29, 40, 249

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Sachverzeichnis

nation-building 68 Nationalbewußtsein 26, 34, 42, 52, 57, 60, 62 ff., 76 f., 93, 140, 193 Nationalcharakter 36, 44, 51, 67, 82, 98 Nationale Frage 37, 95, 99, 123 Nationalgefühl 33, 88, 193 Nationalisierung 43, 46, 50, 126, 159, 163 Nationalismus 18 f., 38, 68, 91, 98, 124, 126 f., 162 Nationalität 21, 40, 49 ff., 57 ff., 62 f., 69, 72 f., 77 f., 85, 87 ff., 94, 96, 100, 102 f., 108 ff., 162, 184, 209 ff., 228, 234, 245, 252 Nationalitätenfrage 97, 102, 104 Nationalitätenkonflikt 95 Nationalitätenproblem 99, 102, 104, 250 Nationalitätsprinzip 247 Nationalsozialismus 21, 40, 42, 126, 132, 166, 172 f. Nationalstaat, unvollkommener 39, 46 f., 188 Nationalstaatlichkeit 21, 250 Nationalstaatsgedanke 18, 37, 154, 157 Nationaltheater 34 Nationsbegriff, ethnisch-kultureller 31, 54, 163, 190 f., 197, 200, 209, 212, 251 Nationsbildung 18, 21, 56, 59 ff., 69, 83, 87, 89 f., 99 Nationsbildungstheorie 89 Natur 24, 45, 58, 67, 72, 113, 116, 130, 208 Naturrecht 53, 145 Naturzustand 116 Neue Ostpolitik 21, 133, 135, 139 ff., 250 f. Norddeutscher Bund 159, 190 Nürnberger Gesetze 165, 190 Ohne-mich-Bewegung 127 f. Ökologiebewegung 130, 133 Optionspflicht 170 Ordnungsprinzip, nationalstaatliches 217

Ostermarschbewegung 129 Österreich 38, 51, 95 ff., 105, 108, 111, 124, 168, 221 Paneuropa-Union 217 Paradigmenwechsel 162 f., 170 f. Parallelgesellschaften 207 Patriotismus 33 ff., 39, 41, 86, 114, 121, 126, 192 ff., 212, 249 Pazifismus 118, 121, 124 ff., 132, 250 Personalhoheit 180 f., 230 Personalitätsprinzip 101 ff. Personenverbandsstaat 158 Populus 24 f., 40 Pouvoir constituant 148 Pouvoirs constitués 146 Primordialismus 73 Privilegiengemeinschaft 181 Radikalisierung 40, 42, 125, 132, 249 Rasse 44, 48, 59, 79 ff., 94, 164 ff., 173, 190 Recht 72, 96 ff., 100, 102 f., 113 ff., 121 f., 145, 148 f., 152, 156, 202, 210, 212, 228, 232, 234, 250 – römisches 212 Rechte, politische 165 f., 173, 199 f. Rechtsgrundsätze, überpositive 149 Rechtspersönlichkeit 223, 225 Reformation 143 Reformbewegung, preußische 64 Regierung 44, 57, 67, 93, 102 f. Regionalisierung 235, 238 Reichsangehörigkeit 160 f., 165 Reichsbürger 165 f. Reichsbürgergesetz 165 f., 173 Reichsbürgerschaft 40 Reichsgründung 37, 39, 42, 123, 136, 159, 164, 187 Religion 32, 44, 46, 53, 58 f., 69, 79, 87, 94, 103, 151, 175, 250 Renaissance 17, 32, 66 Republik, offene 205

Sachverzeichnis Revolution von 1848 37, 159 Risorgimento 52, 86 Ritual 84 Romantik 64 f., 86 Römische Verträge 220, 224 Rußland 105, 108, 110 f., 124, 217 RuStAG 163, 169 f., 174, 178, 184, 190, 251 Schicksal 49, 58, 67, 72, 76 ff., 89, 94, 181 Schicksalsgemeinschaft 53, 55, 62, 70, 79, 97, 175, 181 Schuman-Plan 219, 224, 252 Schwerter zu Pflugscharen 131 Segregierung 49 Selbstanerkennung 139, 141, 251 Selbstbestimmung 49 f., 52, 55 f., 72, 137, 142 Selbstbestimmungsrecht 72, 96, 118, 203 Selbstdefinition 65, 84, 158 Solidarität 39, 53, 76, 84, 122, 218, 239, 241, 245 Sonderweg, deutscher 27, 65 Souveränität 18, 57, 61 ff., 118, 135, 146 f., 180, 202 f., 217, 232 Souveränitätsprinzip 188 Sowjetunion 217, 219 Sozialintegration 76, 201, 203, 213, 228, 251 Sprache 26, 34 f., 40 f., 44 ff., 50 f., 53, 55, 57 ff., 62 ff., 66 ff., 70, 79, 85 ff., 93 f., 100, 103, 136, 140, 152 f., 166, 175 f., 190, 206, 242, 249 f. Sprachnation 29 Staat, übernationaler 95, 104 Staatenbund 103, 121 f., 161, 215, 218 Staatenlosigkeit 168 f., 176 Staatenverbund 226 Staatsangehörigkeit 21, 49, 57, 79, 88 f., 94, 157 ff., 172 ff., 177 ff., 198, 209 ff., 228 ff., 234, 250 ff.

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– ausschließliche 177 f., 182 ff., 190, 251 Staatsbürgernation 54, 56 Staatsgebiet 22, 152 f., 157, 172, 227 f., 234 Staatsgewalt 22, 100, 137, 144, 146, 152, 157, 179 ff., 188, 231 ff., 252 Staatsnation 21, 43, 45 ff., 48, 53 f., 56 ff., 68 f., 136, 163, 189 Staatsvolk 22, 41, 48, 56, 65, 89, 100, 105, 111, 137, 149, 152 f., 157 f., 175, 177, 179 f., 186, 189, 203, 209, 211 ff., 226 f., 228 ff., 234, 242, 250, 252 Staatszielbestimmung 188 Staatszugehörigkeit 172, 211 f. Stamm 80, 92 Statusdeutscher 185 f. Strafexpatriation 164 Strukturen, soziale 161, 201 f. Subsidiaritätsprinzip 237 Symbole 78, 80, 92 f., 244 System-Integration 201 f. Systemtheorie 198 Territorialprinzip 97, 102 Territorialstaat 33, 35, 60 f., 102 Territorium 56 f., 76, 79, 83, 88 f., 94 f., 97 f., 103, 150, 153, 176, 250 Traditionsgemeinschaft 154 Translatio imperii 33 Überlegenheitsbewußtsein 76 Überwindung 21, 95, 112, 122, 132, 134, 175 Unionsbürgerschaft 228 ff., 234, 240, 248 Unionsvolk 230 f., 234 Universalstaat 121 Universitäten 26 f. Urkategorie 44, 68, 70, 249 USA 54, 122, 130, 132 f., 194, 219, 250

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Sachverzeichnis

Vaterland 33, 45, 59, 62, 88, 114, 125 ff., 164, 192 ff., 196, 236 Verantwortlichkeitsgemeinschaft 152 Vereinigte Staaten von Europa 121 ff., 217, 219 Verfassung 37, 46, 51, 56 f., 67, 69, 116, 144 ff., 153, 156, 159, 187 ff., 192, 194 ff., 206, 217, 223, 233, 244, 251 Verfassungspatriotismus 22, 35, 191 ff., 199, 212, 251 Verfassungsstaat 21, 57, 65, 146, 149, 192, 203, 213, 251 Verfassungsvoraussetzungen 152 f., 157, 251 Vergemeinschaftung 72, 75, 220, 233 Vermittlungsprinzip 160 Verständnis – ethnisch-kulturell-objektives 163 – voluntaristisch-subjektives 163 Vertrag von Lissabon 22, 223 f., 233, 237 Vertrag von Maastricht 221 f., 224, 237, 252 Vielvölkerstaat 95, 99, 104, 250 Volk 24, 29, 40, 51, 55, 61 ff., 65 ff., 76, 81, 86, 91, 98, 101, 114 f., 126 f., 145 ff., 156, 161, 166, 179 ff., 193, 240, 248 – deutsches 63, 165, 185, 187 ff., 191, 251 Völkerbund 117, 119, 121 Völkerrecht 41, 114 ff., 121, 123, 125, 133 f., 137, 157, 169, 172, 178, 212, 221 Volksgeist 47, 51, 58, 62, 65, 68, 70 Volksnation 51, 53 f. Volkssouverän 146 Volkssouveränität 61 f., 147, 180 Volkszugehörigkeit 58, 164, 185, 211

Vorstellung, ethnokulturelle 63 ff., 162, 190 VVE 222 f. Wandel 22, 37, 42, 84, 90, 134, 141, 163, 190, 193, 199, 234, 251 Weimarer Republik 42, 65, 125 f., 164 Weltbürgerrecht 115, 117 f., 121 Weltbürgertum 45, 113 ff., 118 ff. Weltstaat 21, 112, 118 ff., 156, 250 Wertegemeinschaft 214 Westfälischer Frieden 33, 41 Wiederbewaffnung 127 f., 132 f. Wiedervereinigung 18, 41 f., 135, 137, 139 ff., 184, 188, 196, 212, 249, 251 Wiedervereinigungsgebot 137, 141, 184 ff. Willensgemeinschaft 55, 59, 62, 69 Willensnation 49, 69 Willensprinzip 163 Wirtschaft 27, 32, 39, 57, 89, 100, 125, 128, 217, 219 ff., 228 f., 235, 238, 241 f. Wirtschaftsgemeinschaft 152, 220 Zeugungsgemeinschaft 25, 76, 81, 94 Zugehörigkeit, nationale 35, 58 ff., 64, 69 f., 79, 97, 103, 151, 161, 184, 186 f., 189, 210, 251 Zusammengehörigkeit 24, 27 f., 34 f., 42, 53, 61, 68, 75, 77, 249 Zusammengehörigkeitsgefühl 58, 73, 77, 85, 94, 250 Zuwanderung 19, 161, 171 Zuwanderungsgesetz 171 Zweiter Weltkrieg 42, 185, 215, 219, 224, 250