Grundzüge des Mittelstandsmanagements: Vom Erkennen zum Nutzen unternehmerischer Chancen [1 ed.] 9783886401840, 9783886401567

Führungskräfte sollten sich nicht allein auf ihre Erfahrungen und ihre Intuition verlassen. Das Verstehen der Gegenwart

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Grundzüge des Mittelstandsmanagements: Vom Erkennen zum Nutzen unternehmerischer Chancen [1 ed.]
 9783886401840, 9783886401567

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Grundzüge des Mittelstandsmanagements Vom Erkennen zum Nutzen unternehmerischer Chancen

Mittelstandsman

08.05.2013

Grundzüge des Mittelstandsmanagements Vom Erkennen zum Nutzen unternehmerischer Chancen Prof. Dr. Norbert Zdrowomyslaw (Hrsg.)

mit Beiträgen von Prof. Dr. Heiko Auerbach, Prof. Dr. Dirk Engel, Prof. Dr. Olaf Ehrhardt, Prof. Dr. Werner Gronau, Dr. Thomas Hausmann, Prof. Dr. Artus Hanslik, Sandra Hippauf, Prof. Dr. Ralf Mertens, Prof. Dr. Ingomar Kloss, Prof. Dr. Michael Klotz, Prof. Dr. Axel Noack, Prof. Dr. Heiner Richter, Prof. Dr. Burkhard Rode, Prof. Dr. Ulrich Schempp, Prof. Dr. Wolfgang Scherl, Prof. Dr. Petra Strauch, Prof. Dr. Harald Wilde, Prof. Dr. Norbert Zdrowomyslaw

mit Geleitworten von Harry Glawe Minister für Wirtschaft, Bau und Tourismus Mecklenburg-Vorpommern und Mathias Brodkorb Minister für Bildung, Wissenschaft und Kultur Mecklenburg-Vorpommern

Deutscher Betriebswirte-Verlag GmbH

Bibliografische Informationen der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://dnb.ddb.de abrufbar.

© Deutscher Betriebswirte-Verlag GmbH, Gernsbach 2013 Umschlaggestaltung: Jörg Schumacher, unter Verwendung des Motivs von Michael Conner - FOTOLIA ISBN: 978-3-88640-184-0

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08.05.20

Inhaltsverzeichnis Geleitwort Harry Glawe .......................................................................................... 13 Geleitwort Mathias Brodkorb .................................................................................. 15 Vorwort Norbert Zdrowomyslaw ......................................................................... 17 I.

Bedeutung, Vielfalt und Besonderheiten des Mittelstands

Thomas Hausmann, Norbert Zdrowomyslaw 1. 2. 2.1. 2.2. 3. 3.1. 3.2. 3.3.

„Renaissance“ des Mittelstands ......................................................................19 Mittelstand – „Rückgrat und Wachstumsmotor der Wirtschaft“ ....................... 20 Der Mittelstand in der Europäischen Union .....................................................20 Deutschlands Mittelstand – technologie- und qualitätsorientiert .....................21 Wesen und Definitionsversuche von Mittelstand .............................................23 Quantitative KMU-Definitionen ........................................................................24 Qualitative Abgrenzung des Mittelstands ........................................................25 Grenzziehung zwischen Mittelstand und Großunternehmen bleibt ein Spannungsfeld ................................................................................................26 3.4. Handlungsorientierte KMU-Abgrenzungen ...................................................... 27 4. Was unterscheidet mittelständische Unternehmen von Großunternehmen? ......................................................................................... 29 5. Abstract ...........................................................................................................32 Quellen und weiterführende Literatur ........................................................................ 33

II.

Begriff des Mittelstands – rechtliche Widerspiegelung

Burkhard Rode 1.

Problematisches..............................................................................................35

2. Historisches .................................................................................................... 35 3. Verfassungsrechtliches ...................................................................................36 4. Handelsrechtliches ..........................................................................................41 5. Fazit ................................................................................................................43 Quellen und weiterführende Literatur .......................................................................44

6

III.

Inhaltsverzeichnis

Nachfolgeplanung in Familienunternehmen

Olaf Ehrhardt 1.

Einleitung ........................................................................................................45

2. 2.1. 2.2.

Entscheidungskontext ..................................................................................... 45 Verfügbare Managementtalente ...................................................................... 45 Einfluss institutioneller Rahmenbedingungen .................................................46

2.2.1. Corporate-Governance-Aspekte und Informationsasymmetrien .....................46 2.2.2. Erbrecht und Erbschaftsteuer .........................................................................47 2.3. Rationalität von Nachfolgeentscheidungen .....................................................48 3. 4.

Nachfolgeentscheidung und Unternehmensperformance ...............................49 Abstract ...........................................................................................................51

Quellen und weiterführende Literatur ........................................................................ 52

IV.

KMU im Spannungsfeld zwischen regionaler Wurzeln und globaler Herausforderungen

Dirk Engel, Artus Hanslik, Thomas Hausmann, Ulrich Schempp 1. 2. 3.

Internationalisierungstrends aus dem Blickwinkel des Mittelstands ................53 Absatzseitige Internationalisierungsformen von KMU und deren Bestimmungsfaktoren .....................................................................................54 Regionalisierung oder Internationalisierung im Einkauf? ................................59

3.1. Zusammenarbeit mit regionalen und internationalen Lieferanten ...................60 3.2. Umsetzung eines Lieferantenwechsels ...........................................................62 3.3. Kosten-Nutzen-Relation ..................................................................................63 4. Einzelbetriebliche Wirkungen .........................................................................64 5. Abstract ...........................................................................................................66 Quellen und weiterführende Literatur ........................................................................67

V.

Führung und Strategie: Mehr als nur Bauchgefühl

Norbert Zdrowomyslaw, Harald Wilde 1. 2. 3.

Gibt es den Erfolgsfaktor für eine stabile Unternehmensentwicklung? ...........69

Unternehmenserfolg hat viele Väter: Patentrezepte gibt es nicht ...................71 Von der Unternehmenspolitik zur Strategie: Tun wir die richtigen Dinge?.............................................................................................................74 4. Geplante oder ungeplante Strategien: Welche bringen den Erfolg? ...............76 5. Abstract ...........................................................................................................79 Quellen und weiterführende Literatur ........................................................................ 80

Inhaltsverzeichnis

VI.

7

Zukunftsmanagement – Informations- und Berichtswesen ergänzen Erfahrung und Intuition

Michael Klotz, Norbert Zdrowomyslaw 1. 2.

Ist Zukunft vorhersehbar und gestaltbar?........................................................82 Der Informationsbegriff aus pragmatischer Sicht ............................................82

3.

Information und Wissen ..................................................................................85

4. 5.

Information als Produktionsfaktor ....................................................................86 Controlling gerechtes und empfängerorientiertes Berichtswesen ...................88

6.

Abstract ...........................................................................................................90

Quellen und weiterführende Literatur .......................................................................92

VII.

Fünf gute Gründe für Organisation, oder: Warum Unternehmen heute überhaupt noch organisieren müssen

Michael Klotz 1. 2. 3. 4. 5. 6.

Das Ende der Organisation? ...........................................................................93 Grund 1: Organisation setzt Strategien um .....................................................94 Grund 2: Organisation wird von Gesetzen vorgeschrieben ............................. 95 Grund 3: Organisation ist notwendiger Teil der Führungsverantwortung ........97 Grund 4: Organisation bildet den Kern des Qualitätsmanagements ...............98 Grund 5: Organisation ist Bestandteil des Internen Kontrollsystems (IKS) .....99

7. Abstract.........................................................................................................102 Quellen und weiterführende Literatur .....................................................................103

VIII.

Personalmanagement im Mittelstand

Ralf Mertens 1. 2. 3. 4. 5.

Einleitung ......................................................................................................104 Mitarbeiterzufriedenheit und Mitarbeiterengagement .................................... 105 Demografischer Wandel................................................................................106 Mitarbeiter gewinnen .....................................................................................108 Mitarbeiter motivieren....................................................................................109

6. Mitarbeiter binden .........................................................................................110 7. Employer Branding........................................................................................ 113 8. Zukunftsorientierte Personalpolitik in mittelständischen Unternehmen .........115 9. Abstract……………………………………………………………………….. ...... 117 Quellen und weiterführende Literatur ...................................................................... 118

8

IX.

Inhaltsverzeichnis

Innovationen in KMU – ein Muss?!

Dirk Engel 1.

Einordnung der Innovationsleistung von KMU ..............................................119

2. 3. 4.

Von der Genese zur erfolgreichen Innovation ...............................................121 Einzelbetriebliche Wirkungen von Innovationsaktivitäten ..............................122 Abstract .........................................................................................................126

Quellen und weiterführende Literatur .....................................................................127

X.

Potenziale und Hebel des Supply Chain Managements in KMU

Artus Hanslik 1.

Supply Chain Management und Potenziale ..................................................128

2. Hebel des SCM .............................................................................................130 3. SCM in KMU: Unterschiede zu großen Unternehmen................................... 132 4. Abstract .........................................................................................................135 Quellen und weiterführende Literatur .....................................................................136

XI. Risikomanagement in der Beschaffung Thomas Hausmann 1. Systematik und Stringenz im Risikomanagement .........................................137 2. Präventives Insolvenzmanagement ..............................................................139 3. Qualitätsrisikomanagement ...........................................................................140 4. Lieferkettenrisikomanagement ......................................................................142 5. Rohstoffpreisrisikomanagement ....................................................................144 6. Fazit ..............................................................................................................146 7. Abstract .........................................................................................................147 Quellen und weiterführende Literatur ...................................................................... 148

Inhaltsverzeichnis

9

XII. Business Intelligence im Mittelstand Petra Strauch 1. 2.

Business Intelligence – Grundlagen.............................................................. 149 Bedeutung von Business Intelligence im Mittelstand ....................................154

2.1.

Anwendungsbereiche von Business Intelligence im Mittelstand ...................155

2.2.

Business-Intelligence-Lösungen ...................................................................157

2.3. 3.

Einführungsphasen und Erfolgsfaktoren für BI-Projekte im Mittelstand ........158 Abstract .........................................................................................................159

Quellen und weiterführende Literatur ...................................................................... 160

XIII. Der Unternehmer auf dem Vertriebsparkett, oder: Der Tanz mit den Kunden Heiko Auerbach 1. 2. 3. 3.1. 3.2. 3.3. 3.4.

Vertrieb als Herausforderung für mittelständische Unternehmen ..................161 Phasenbezogene Ansätze im Verkauf ..........................................................162 Elemente einer Vertriebskonzeption .............................................................164 Das DISCO Modell ........................................................................................164 Datenmanagement........................................................................................ 166 Interaktion .....................................................................................................169 Solution .........................................................................................................171

3.5. Commitment ..................................................................................................174 3.6. Ongoing Business .........................................................................................176 4. Ausblick.........................................................................................................178 Quellen und weiterführende Literatur .....................................................................179

XIV.

Marketing und Werbung

Ingomar Kloss 1. 2. 3.

Einleitung ......................................................................................................180 Aufbau von Vertrauen durch Marketing ........................................................ 180 Erzielen von Wettbewerbsvorteilen durch Differenzierung ............................ 182

4. Schaffen von Bekanntheit und Markendifferenzierung durch Werbung ........184 5. Werbemittel für KMU.....................................................................................186 6. Abstract.........................................................................................................189 Quellen und weiterführende Literatur .....................................................................189

10

XV.

Inhaltsverzeichnis

Online-Strategien für den Mittelstand – „Mischen possible“

Axel Noack 1. 1.1. 1.2.

Strategie I: Homepage als zentrale Komponente der Unternehmenskommunikation ..............................................................................................191 Informationen bereitstellen ............................................................................192 Interaktion: auf eigener Seite ........................................................................193

1.3.

Kundenbindung ............................................................................................. 194

1.4. 2.

Soziale Medien: Interaktion auf fremdem Terrain .........................................195 Strategie II: Kunden werden aktiv auf dem Internet gesucht, Umsätze weitestgehend „offline“ ..................................................................................196

2.1.

Search Engine Optimization (SEO) ............................................................... 197

2.2. 2.3.

Search Engine Marketing (SEM) ...................................................................197 Weitere Möglichkeiten der Kundenakquise ...................................................198

3. Strategie III: Umsätze werden über das Internet erwirtschaftet .....................198 4. Strategie IV: Online-Optimierung interner Unternehmensabläufe .................200 5. Fazit und Ausblick .........................................................................................201 6. Abstract .........................................................................................................201 Quellen und weiterführende Literatur ...................................................................... 202

XVI.

Farewell fair value – zur Bedeutung internationaler Rechnungslegung für die Bilanzen kleiner und mittlerer Unternehmen

Heiner Richter 1. 2. 2.1. 2.1.1. 2.1.2. 2.2. 2.2.1. 2.2.2.

Überblick .......................................................................................................203 Faire Werte – de lege lata .............................................................................204 Einzelabschlüsse ..........................................................................................204 Handelsrechtliche Rechnungslegung ............................................................204 Steuerrechtliche Gewinnermittlung ...............................................................206 Konzernabschlüsse .......................................................................................208 Verbundene Unternehmen ............................................................................208 Einheitstheorie und Wahlrechte .................................................................... 209

3. Ungefährer Ausblick – de lege ferenda .........................................................211 Quellen und weiterführende Literatur ......................................................................212

Inhaltsverzeichnis

11

XVII. Rechnungswesen und Unternehmenssteuerung – lästige Pflichten oder nützliche Informationen? Harald Wilde 1. 2.

Aufgaben des Rechnungs- und Finanzwesens sowie des Controlling .........213 Vorentscheidungen (möglichst) schon bei Existenzgründung – Was bedeutet das KISS-Prinzip? ..................................................................213

3.

Unternehmenssteuerung durch Zahlen des externen Rechnungswesens ........................................................................................214 Entscheidungen kurz- und mittelfristig treffen mit Kostenrechnung und Kennzahlen: Gibt es „attraktive und preiswerte“ Lösungen? ......................... 216

4. 5.

Zusammenspiel kurz- und langfristiger Kostenfunktionen: Fixkostendegression und Erfahrungskurve ...................................................222

6.

Entscheidungen im Finanzmanagement: eine exemplarische Einführung.....................................................................................................223 Abstract .........................................................................................................225

7.

Quellen und weiterführende Literatur .....................................................................226

XVIII. Unternehmensverantwortung, Netzwerke und Kooperationen Norbert Zdrowomyslaw, Harald Wilde 1. 2. 3.

Gesellschaftliche und regionale Unternehmensverantwortung .....................228 Verantwortliche Unternehmensführung – mehr als Spendenaktivitäten ........232 Beziehungsmanagement: Kontakte pflegen, Netzwerke schaffen ................234

4. Kooperationen leben: Erfolgschancen erhöhen! ...........................................236 5. Abstract .........................................................................................................238 Quellen und weiterführende Literatur .....................................................................239

XIX.

„Erfolgsfaktor Netzwerk“ in der mittelständisch geprägten Tourismusbranche

Werner Gronau, Sandra Hippauf 1. 2.

Einführung.....................................................................................................242 Eingrenzung des Begriffs „Netzwerk“ ............................................................ 242

3. Strukturen von Netzwerken ...........................................................................244 4. Aufgaben und Funktionen von Netzwerken ..................................................246 5. Vor- und Nachteile von Netzwerken ..............................................................247 6. Erfolgsfaktoren von Netzwerken ...................................................................248 Quellen und weiterführende Literatur .....................................................................249

12

XX.

Inhaltsverzeichnis

Wirtschaftlicher Erfolg durch Nachhaltigkeit: Kosten und Nutzen von CSR

Wolfgang Scherl 1. 2.

Warum ist CSR wichtig? ...............................................................................251 CSR – ein Mehrwert für jedes Unternehmen ................................................252

3.

CSR – ein fundiertes Konzept .......................................................................253

4. 5.

Kosten und Nutzen von CSR ........................................................................255 Zukunftsperspektive CSR .............................................................................257

6.

Abstract .........................................................................................................258

Quellen und weiterführende Literatur ...................................................................... 259

XXI.

Unternehmensentwicklung und Mittelstandsberatung

Artus Hanslik, Norbert Zdrowomyslaw 1.

Unternehmen sind keine statischen Gebilde: Nichts ist beständiger als der Wandel ...........................................................260 2. Mittelstandsförderung: Gründungsunterstützung und Innovationsstärkung ......................................................................................263 3. Wissenstransfer und Know-how-Unterstützung durch Beratung ...................264 4. Abstract .........................................................................................................267 Quellen und weiterführende Literatur ...................................................................... 269

Autoren ................................................................................................................270

Harry Glawe Minister für Wirtschaft, Bau und Tourismus des Landes Mecklenburg-Vorpommern

Geleitwort Liebe Leserinnen und Leser, der Fachbereich Wirtschaft der Fachhochschule Stralsund widmet sich seit Beginn der 90er Jahre besonders den Themen der regionalen mittelständischen Wirtschaft. Die Hochschule hat erhebliche Kompetenzen aufgebaut, ihre Fachleute in regionale Netzwerke integriert und die Wirtschaft somit befördert und unterstützt. Die Fachhochschule Stralsund und die Wirtschaft im vorpommerschen Landesteil kennen einander und profitieren gegenseitig von praxisorientierten Forschungsvorhaben und dualen Ausbildungsmöglichkeiten. Das ist das Ergebnis langjähriger Prozesse und einer vertrauensvollen Zusammenarbeit, auch über regionale Grenzen und Horizonte hinaus. An der Fachhochschule Stralsund finden einerseits Bildung und Ausbildung des Berufsnachwuchses und andererseits Forschung und Innovation, oft in Kooperation mit oder im Auftrag der Wirtschaft statt. Mir liegt sehr daran, dass sich aus der konkreten Zusammenarbeit bzw. Vernetzung zwischen Ausbildung, Forschung, Wissenschaft, aus den verschiedenen Potenzialen, den Menschen und Arbeitskräften noch mehr Impulse für Wirtschaftswachstum und Innovationen ableiten und umsetzen lassen. Auch deshalb unterstützen wir die Verbundforschung Wirtschaft + Wissenschaft in besonderem Maße. Vor allem kann und soll der Mittelstand davon profitieren, von neuen innovativen Produkten, Verfahren und Dienstleistungen, die international wettbewerbsfähig sind. Schwerpunkte meiner Wirtschaftspolitik sind die Unterstützung des Mittelstandes, im besonderen Maße des Handwerks, die Verbesserung der industriellen Basis sowie die Stärkung der Innovationsfähigkeit der Unternehmen. Viele Unternehmerinnen und Unternehmen nehmen die Förderprogramme, Hilfestellungen oder auch die Beratungsangebote der Landesregierung in Anspruch und verbessern so ihre Start- oder Entwicklungsbedingungen. Die bisherigen Ergebnisse und Erfolge der Konsolidierung und Erweiterung vorhandener Unternehmen sowie

14

Geleitwort

die Ansiedlungs- und Investitionsbereitschaft weiterer Unternehmen bestätigen: Wir kommen wirtschaftlich voran in Mecklenburg-Vorpommern. Die Wirtschaftsleistung und das Image Mecklenburg-Vorpommerns als Wirtschaftsstandort haben sich in den letzten Jahren deutlich verbessert. Die Region ist ein attraktiver Investitionsstandort geworden. Diese positive wirtschaftliche Entwicklung beruht auf der gewachsenen Stärke der Unternehmen und deren Leistungen, unterstützt durch Politik, Verwaltung und Wissenschaft. Die vorliegende Publikation aller siebzehn Wissenschaftler und Autoren der Hochschule Stralsund gehört zu diesen unterstützenden Leistungen. Ein Unternehmen aufzubauen und zu führen gebührt unser aller Respekt, denn gerade in klein- und mittelständischen Firmen sind daran nicht nur betriebswirtschaftliches Wissen, organisatorische und technische Kompetenzen und Führungsfunktionen geknüpft. In den meisten Unternehmen in Mecklenburg-Vorpommern konzentrieren sich die Managementaufgaben auf eine oder einige wenige Personen, die sich in ihrer Heimatregion außerdem meist noch vielseitig gesellschaftlich engagieren. Dieses Fachbuch enthält viele aktuelle Beiträge zu den großen Managementthemen und gibt den Unternehmen und ihren Fach- und Führungskräften für die täglichen betrieblichen Einzelfragen wertvolle fachliche Hinweise. In der Wirtschaft wird dieses Kompendium eine wertvolle Hilfe sein. Daher wünsche ich diesem Leitfaden die verdiente Verbreitung, Nutzung und Anerkennung, auch bei den Studenten und Fachkräften, in der Politik und in den Medien.

Harry Glawe Minister für Wirtschaft, Bau und Tourismus Mecklenburg-Vorpommern

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Mathias Brodkorb Minister für Bildung, Wissenschaft und Kultur des Landes Mecklenburg-Vorpommern

Geleitwort Sehr geehrte Damen und Herren, Forschung, Lehre und Mittelstand – drei Bereiche, die, große Bedeutung und Wertigkeit haben. Das Zusammenwirken erfolgt insbesondere und effektiv an Fachhochschulen. Von hier aus strahlen die Forschungsergebnisse in die Region aus, wo sie von den kleinen und mittelständischen Unternehmen genutzt werden können. Die Studierenden werden für die spezifischen Bedürfnisse von kleineren und mittleren Unternehmen (KMU) ausgebildet, können ihr Profil auf diese Betriebe hin ausrichten. Gleichzeitig besitzen die Fachhochschulen eine einzigartige Anziehungskraft für diejenigen Studierenden, die ihr späteres Tätigkeitsfeld eben genau in mittelständischen Unternehmen sehen. Und die regionalen Unternehmen wissen, dass sie mit ihren Anliegen und kleineren Forschungsaufträgen jederzeit an den Hochschulen Gehör finden. In genau diesen Wechselbeziehungen steht die Fachhochschule Stralsund. Seit Jahren besitzt sie große Attraktivität für Studierende nicht nur in der Region Vorpommern. Der Fachbereich Wirtschaft vereint dabei die größte Anzahl an Studierenden. In besonderer Weise nachgefragt ist der Bachelor-Studiengang Betriebswirtschaftslehre, der Kernkompetenzen betriebswirtschaftlicher Unternehmensführung in allen wirtschaftlichen Zweigen vermittelt. Von großer Bedeutung ist der MasterStudiengang Management von KMU, in den seit nunmehr vier Jahren Studierende immatrikuliert werden. Er ist speziell auf die Bedürfnisse des Mittelstandes ausgerichtet und bildet die künftigen Führungskräfte dieser Unternehmen aus. Die besondere Mittelstandskompetenz der Fachhochschule Stralsund wird durch die Forschungsschwerpunkte Weiterentwicklung betriebswirtschaftlicher Methoden insbesondere für KMU und Mittelstandsforschung und Entrepreneurship geprägt. Die Effekte, die dabei für die Region und für Mecklenburg-Vorpommern erzielt werden, können gar nicht hoch genug geschätzt werden.

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Geleitwort

Nunmehr liegt das Lese- und Lehrbuch „Grundzüge des Mittelstandsmanagements: Vom Erkennen zum Nutzen unternehmerischer Chancen“ vor. 17 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Fachbereichs Wirtschaft der Fachhochschule Stralsund haben eine gemeinsame Idee Realität werden lassen: ein Buch, das sich sowohl an mittelständische Unternehmer als auch an interessierte Studierende richtet. Außerdem zeigt es die Chancen und Perspektiven auf, die mittelständische Unternehmen haben.

Mathias Brodkorb Minister für Bildung, Wissenschaft und Kultur

Vorwort Sehr oft wird man mit den Slogans „Der Mittelstand ist das Rückgrat der Wirtschaft“ und „small is beautiful“ im Hinblick auf die gesellschaftliche und wirtschaftliche Bedeutung von kleinen und mittelständischen Unternehmen konfrontiert. Es besteht wohl in der Praxis und Wissenschaft kein Zweifel darüber, dass die Unternehmer und Führungskräfte, egal aus welcher Branche und Unternehmensgröße kommend, maßgeblich für den Erfolg oder Misserfolg einer Organisation verantwortlich sind. Regionale und globale Märkte befinden sich in einem steten Wandel. Damit einher geht die Anforderung an Unternehmen, sowohl Risiken als auch Chancen frühzeitig zu identifizieren und sich diesen zu stellen. Vor dem Hintergrund solch wichtiger Herausforderungen wie Globalisierung, Digitalisierung der Gesellschaft, Wertewandel und Bevölkerungsentwicklung sind insbesondere die Entscheidungsträger von kleinen und mittelständischen Unternehmen gefordert. Sie sehen sich einem zunehmend hohen Innovations-, Wettbewerbs- und Erfolgsdruck ausgesetzt. Führungskräfte sollten sich nicht allein auf ihre Erfahrungen und ihre Intuition verlassen. Das Verstehen der Gegenwart und Gestalten der Zukunft erfordert ein systematisches und zielorientiertes Vorgehen im Rahmen des Managementprozesses, um Fehlschlüsse und damit Fehlentscheidungen zu vermeiden. In dem Buch „Grundzüge des Mittelstandsmanagements: Vom Erkennen zum Nutzen unternehmerischer Chancen“ werden dem Leser in komprimierter und nachvollziehbarer Form die Rahmenbedingungen und Herausforderungen des Mittelstands sowie wichtige Bereiche der Unternehmensführung präsentiert. Was ist das Besondere an diesem Buch? Das Buch ist so konzipiert, dass der „ganzheitliche“ Ansatz der Managementlehre deutlich wird, ohne dabei die Behandlung der betrieblichen Prozesse und Funktionsbereiche zu vernachlässigen. An den Beiträgen des Gemeinschaftswerks wird ersichtlich, dass vieles darauf hinweist, dass kleine und mittelständische Unternehmen eben nicht nur kleinere Ausführungen von Großunternehmen sind. Sie sind durch Besonderheiten gekennzeichnet und gestalten ihre Beziehungen zu Markt und Umwelt oftmals nach anderen „Spielregeln“. Auch bei der Formulierung von Strategien und dem Einsatz von Instrumenten lassen sich Unterschiede ausmachen. Eine weitere Besonderheit des Buches ist, dass zwar einige Sammel- bzw. Gemeinschaftswerke zum Themenfeld „Unternehmensführung von kleinen und mittleren Unternehmen“ existieren, aber uns keine Veröffentlichung bekannt ist, in der 17 Kolleginnen und Kollegen aus einer Hochschule und einem Fachbereich ihre Mittelstandskompetenz aus verschiedenen Einzeldisziplinen der Betriebs- und Volkswirtschaftslehre in einem Buch zusammenführen. Der auf diesem interdisziplinären Ansatz konzipierte und an der Fachhochschule Stralsund angebotene Masterstudiengang „Management von KMU“ verdeutlicht unser Wirken als Standortfaktor für die regionale Entwicklung.

18

Vorwort

In diesem Werk werden der Leserin und dem Leser in 21 Beiträgen von 18 Autoren wichtigste Aspekte zur Führung kleiner und mittelständischer Unternehmen in komprimierter und prozessorientierter Form präsentiert. Sie werden bei der Lektüre erkennen, dass die Vielfalt unterschiedlicher wissenschaftlicher Positionen und praktischer Erfahrungshintergründe die Stärke unseres Fachbereichs wie auch dieses Gemeinschaftswerk ausmacht. Die Autoren zeigen auf, welche Herausforderungen Führungskräfte zu meistern haben und was die Erfolgsfaktoren von kleinen und mittelständischen Unternehmen sind. An den Beiträgen wird ersichtlich, dass es keine Patentrezepte für die erfolgreiche Unternehmensführung gibt. Wer allerdings als Entscheider über sein Unternehmen und sein Umfeld gut informiert ist, global denkt und lokal, regional und international handelt, kann sich Wettbewerbsvorteile verschaffen. Unternehmensführung ist mehr als nur ein Bauchgefühl. Zukunfts- und Nachhaltigkeitsmanagement im Sinne der Verantwortung des Unternehmens für die Gesellschaft und Region sollten für den Mittelständler keine Fremdworte sein. Netzwerke und Kooperationen, darüber besteht kaum ein Zweifel, können die Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit stärken. Letztlich kommt es aber immer auf den Unternehmer und die Führungskräfte an, ob sich eine zukunftsorientierte und erfolgsausgerichtete Unternehmenskultur entwickelt. Erste Zielgruppe dieses Lese- und Lehrbuches stellen die Unternehmer und Führungskräfte aus kleinen und mittleren Unternehmen sowie Entscheidungsträger aus Politik und Verwaltung dar. Desweiteren sind Studierende und Doktoranden an Hochschulen sowie an sonstigen Bildungsinstitutionen angesprochen, die sich in das spannende und wichtige Gebiet der Unternehmensführung von kleinen und mittelständischen Unternehmen einarbeiten wollen. Für die Entstehung dieses Gemeinschaftswerks möchte ich mich bei den mitwirkenden Kolleginnen und Kollegen des Fachbereichs Wirtschaft recht herzlich bedanken. Ebenfalls bedanke ich mich für die Unterstützung im Rahmen der Recherche und optischen Gestaltung des Werkes bei meinen studentischen Mitarbeitern, Frau Nicole Deiwick, Herr Tomek Chalinski, Maximilian Pjede und Niklas Friedrich sowie Tom Korth und Michael Stern. Ein besonderer Dank gilt dem Minister für Wirtschaft, Bau und Tourismus Mecklenburg-Vorpommern Harry Glawe sowie dem Minister für Bildung, Wissenschaft und Kunst Mecklenburg-Vorpommern Mathias Brodkorb. Bei allen menschlichen Bemühungen können Irrtümer und Fehler nicht grundsätzlich ausgeschlossen werden. Über kritische Anregungen und Vorschläge aller Art aus Praxis und Theorie würden wir uns deshalb freuen. Prof. Dr. Norbert Zdrowomyslaw [email protected]

I.

Bedeutung, Vielfalt und Besonderheiten des Mittelstands

Thomas Hausmann, Norbert Zdrowomyslaw 1.

„Renaissance“ des Mittelstands

Die Unternehmenslandschaft ist in den marktwirtschaftlichen Systemen weltweit und in Deutschland durch Einzelunternehmungen, Familienunternehmen, Klein- und Mittel- sowie Großbetriebe einschließlich unterschiedlicher Formen von Unternehmenszusammenschlüssen (Kooperationen, Konzerne), die auf begrenzte oder unbegrenzte Dauer ausgelegt sind, charakterisiert. Die heutige Wirtschaft und Gesellschaft ist durch eine Unternehmensvielfalt gekennzeichnet. In Deutschland konnten in den letzten rund 200 Jahren zum einen „Gründerwellen“ und zum anderen „Pleitewellen“ beobachtet werden. Zum anderen vollzog sich gleichzeitig bei den Unternehmen der Prozess in Richtung Konzentration und Kooperation von Wirtschaftseinheiten. Sogenannte transnationale und multinationale Unternehmungen mit großer ökonomischer Macht und mit viel Einfluss prägen heute die Unternehmenslandkarte. Zentrales Merkmal der Marktwirtschaft ist der Wettbewerb bzw. die Wettbewerbsfähigkeit. Aber trotz vermeintlich bestehender Wettbewerbsnachteile von kleinen gegenüber größeren Unternehmen sowie stetig stattfindender Konzentrationsprozesse gibt es in Deutschland weiterhin zahlreiche kleine und mittlere Unternehmen (KMU), die hundert und mehr Jahre überdauert haben. Eine besondere Rolle als „Rückgrat der deutschen Wirtschaft“ scheinen dabei die „Familienunternehmen“ bzw. „Familiendynastien“ zu spielen. In den USA erweisen Veröffentlichungen dem „small business“ seit längerer Zeit schon Referenz. „Listen von den 500 besten Klein- und Mittelbetrieben – sowohl mit den höchsten Wachstumsraten als auch mit den höchsten Gewinnen – werden veröffentlicht. Danach entdecken Großunternehmen, dass sie viele Qualitäten des Kleinbetriebes übernehmen müssen, um in der sich ändernden Marktsituation wettbewerbsfähig sein zu können“ (Zander 1995, S. 10 und 14). Aber auch in Deutschland wird dem Mittelstand zusehends mehr Bedeutung geschenkt. Gelegentlich wird auch von der „mittelständischen Renaissance“ (vor allem bezogen auf die neuen Bundesländer) gesprochen. Der Mittelstand wird von der Wissenschaft durch Publikationen (vgl. z. B. Biallo 1993, Gruhler 1994, Simon 2012) hervorgehoben, immer mehr von der Gesellschaft anerkannt, und nicht zuletzt sprechen auch die konkreten Zahlen eine deutliche Sprache. Unter anderem vor diesem Hintergrund beschäftigen sich in den letzten Jahren die Politiker aller Parteien und die Medien mit den Besonderheiten und der volkswirtschaftlichen Bedeutung des Mittelstands. Zweifelsohne hat der Mittelstand in Deutschland, wenn die Gesamtheit der Kleinst-, Klein- und Mittelunternehmen sowie die Freien Berufe und Familienun-

20

I. Bedeutung, Vielfalt und Besonderheiten des Mittelstands

ternehmen einbezogen werden, eine hohe gesellschafts- und ordnungspolitische Bedeutung und leistet einen Beitrag für die Wettbewerbskraft und Anpassungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft. Stark zugespitzt formuliert Horst Albach sogar: „Das Thema `Die Bedeutung mittelständischer Unternehmen für die Marktwirtschaft` ist dazu angetan, uns von vornherein auf die falsche Fährte zu locken. Die mittelständischen Unternehmen sind die Marktwirtschaft“ (nach Gruhler 1994, S. 91). Trifft diese Behauptung für die Volkswirtschaften Europas und Deutschland zu?

2.

Mittelstand – „Rückgrat und Wachstumsmotor der Wirtschaft“

Welche bedeutende Rolle dem Mittelstand beim Wachstum und Beschäftigung der Wirtschaft in Europa, in Deutschland oder in einzelnen Bundesländern zukommt, ist in diversen Studien und Mittelstandsberichten der Länder nachzulesen, von denen im Folgenden einige explizit Beachtung finden. 2.1.

Der Mittelstand in der Europäischen Union

Wie die Bedeutung des Mittelstands und seine wirtschaftliche Rolle in den vier größten Volkswirtschaften Europas – Deutschland, Frankreich, Italien und Großbritannien – ist, wurde 2012 in einer Studie der „GE Capital“ in Zusammenarbeit mit der französischen ESSEC Business School in Cergy eingehender untersucht. Das Ergebnis der Autoren lautet: „Alle Fakten und Prognosen in diesem Bericht deuten klar darauf hin, dass der Mittelstand das gesunde Herzstück der europäischen Wirtschaft ist“ (S. 5). Die quantitative Bedeutung der „Wachstumsmaschine Mittelstand“ in den vier EULändern zeigt Darstellung 1. Die 140.000 mittelständischen Unternehmen in Deutschland, Frankreich, Italien und Großbritannien stellen insgesamt 32 Millionen Arbeitsplätze und erwirtschaften ein Drittel des jeweiligen privatwirtschaftlichen Bruttosozialprodukts ihrer Länder. Zwar ist die Bedeutung des Mittelstands für die jeweilige Volkswirtschaft über alle Länder ähnlich groß, aber die Struktur der vier großen europäischen Wirtschaftsmärkte ist von einer starken Heterogenität geprägt. Um einen internationalen Vergleich zu ermöglichen, wurden bei der Abgrenzung und Definition des Mittelstands in der Analyse jeweils die lokalen Unterschiede berücksichtigt.

I. Bedeutung, Vielfalt und Besonderheiten des Mittelstands

21

Darstellung 1: Anteil des Mittelstands an der Wirtschaft der Top-Vier-EU-Länder

Quelle: Vgl. General Electric Capital (Hrsg.): Analyse Mittelstand – Erfolgsfaktoren für Wachstum in Europa, London 2012, S. 6.

Sowohl der „GE Capital“-Studie als auch anderen Veröffentlichungen ist zu entnehmen, dass der Mittelstand als „unbekanntes Wesen“ bezeichnet werden kann und in Politik, Wissenschaft und Wirtschaft unterschiedliche Abgrenzungen und Definitionsversuche vorzufinden sind. So werden offensichtlich oftmals Klein- und Kleinstunternehmen statistisch nicht dem Mittelstand zugerechnet, wie folgendes Zitat verdeutlicht: „Die insgesamt 140.000 Mittelständler schaffen deutlich mehr Arbeitsplätze als die neun Millionen Klein- und Kleinstunternehmen“ in den Top-Vier-EU-Ländern. Nach Berechnungen von EUROSTAT sind von den insgesamt 19,65 Millionen Unternehmen der EU lediglich 50.000 den Großunternehmen zuzuordnen. Darstellung 2: Volkswirtschaftliche Bedeutung der KMU in der EU Insgesamt Zahl der Unternehmen (in Mio.)

KMU

Micro

Klein

Mittel

Groß

19,7

19,6

18,0

1,4

0,2

Anteil an Gesamtzahl (in %)

100,0

99,8

91,8

6,9

1,1

0,2

Beschäftigte (in Mio.)

126,7

85,0

37,5

26,1

21,3

41,7

100,0

67,1

29,6

20,6

16,8

32,9

Anteil an Gesamtzahl (in %) Wertschöpfung (in Mrd. EUR)

5.360,0 3.090,0 1.120,0 1.011,0

0,0

954,0 2.270,0

Anteil an Gesamtzahl (in %)

100,0

57,6

20,9

18,9

17,8

42,4

Sichtbare Arbeitsproduktivität (in 1.000 € je Beschäftigten)

42,3

36,4

29,9

38,7

44,8

54,4

Bezogen auf insgesamt (in %)

100,0

86,1

70,7

91,5

105,9

128,6

Quelle: http://epp.eurostat.ec.europa.eu/cache/ITY_OFFPUB/KS-SF-08-031/DE/KS-SF-08-031-DE.PDF, Stand: 12.10.2012

2.2.

Deutschlands Mittelstand – technologie- und qualitätsorientiert

Im Vergleich zu anderen Ländern Europas weist die deutsche Unternehmensstruktur die Besonderheit auf, dass die Wirtschaftskraft Deutschlands vor allem auf Un-

22

I. Bedeutung, Vielfalt und Besonderheiten des Mittelstands

ternehmen mittlerer Größe beruht und außerdem den großen Familienunternehmen eine herausragende Bedeutung beizumessen ist (vgl. Reinemann 2011, S. 12). Als qualitative Kennzeichen des Erfolgs werden dem deutschen Mittelstand vor allem die Technologie- und Qualitätsorientierung zugeordnet. Die „GE Capital“-Studie fasst die deutschen Stärken wie folgt zusammen: „Deutschland profitiert im Wettbewerb von seiner Ingenieurkunst, der sehr guten Hochschulausbildung und den qualitativ hochwertigen Produkten `made in Germany´. Entsprechend investieren deutsche Unternehmen verstärkt in den kapitalintensiven Technologiebereichen, dominieren dabei Marktsegmente und können ihre Produkte entsprechend hochpreisig vermarkten. Daher sind mittelständische Unternehmen in Deutschland meist umsatzstärker. Der Mittelstand bewegt sich im Vergleich zu anderen Ländern auf höherem Niveau“ (GE Capital 2012, S. 7). Für die Jahre 2010 und 2011 sind vom Bonner Institut für Mittelstandsforschung (IfM) rund 3,6 Millionen mittelständische Unternehmen mit ca. 21,4 Millionen Beschäftigten gezählt worden, die ca. 2,0 Mrd. Euro Umsatz tätigen. Eine differenziertere Analyse der Unternehmensstruktur ermöglicht die Auswertung der Daten zum Unternehmensbestand nach Umsatz- und Beschäftigtengrößenklassen. Vom statistischen Bundesamt werden für diverse Wirtschaftszweige entsprechende Daten veröffentlicht (vgl. Darstellung 3). Den gesamtwirtschaftlichen Stellenwert des Mittelstands dokumentieren die vom IfM ermittelten Daten, wonach kleinere und mittlere Unternehmen: x

99,7 % aller steuerpflichtigen Unternehmen ausmachen,

x

37,8 % aller steuerpflichtigen Umsätze von ihnen erwirtschaftet werden,

x

79,2 % aller sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmer (inkl. Auszubildende) von ihnen beschäftigt werden,

x

83,2 % der Auszubildenden auf sie fallen und

x

51,8 % der Nettowertschöpfung von ihnen getragen wird.

Egal welche Abgrenzung zugrunde gelegt wird und welche Daten herangezogen werden, der Mittelstand trägt in der Europäischen Union und in Deutschland maßgeblich zum Wachstum und Wohlstand der Volkswirtschaften bei, so dass durchaus zu Recht von der „Wirtschaftskraft Mittelstand“ gesprochen werden kann. Was verbirgt sich hinter dem „schillernden Begriff“ Mittelstand?

I. Bedeutung, Vielfalt und Besonderheiten des Mittelstands

23

Darstellung 3: Unternehmensbestand nach Umsatz- und Beschäftigtengrößenklassen Umsatzgrößenklassen von… bis… EUR

Beschäftigtengrößenklassen von… bis… sozialversicherungspflichtig Beschäftigten 0 bis 9

Bis 1 Mio. Über 1 Mio. - 2 Mio. Über 2 Mio. - 10 Mio. Über 10 Mio. - 25 Mio. Über 25 Mio. - 50 Mio. Über 50 Mio.

10 bis 49

50 bis 249

250 bis 499

Insges.

500 und mehr

Beschäftigtengrößenklassen von… SV-Beschäftigten bis 249 bis 499

3.158.065

99.975

12.415

1.240

661

3.272.356

3.270.455

3.271.695

79.813

60.295

1.989

159

160

142.416

142.097

142.256

41.368

76.821

17.690

692

447

137.018

135.879

136.571

3.626

7.826

12.505

862

420

25.239

23.957

24.819

955

1.541

5.626

1.297

407

9.826

8.122

9.419

671

900

3.328

2.438

3.056

10.393

4.899

7.337

Insgesamt

7.337

247.358

53.553

6.688

5.151

3.597.248

3.585.409

3.592.097

Bis 50 Mio.

3.283.827

246.458

50.225

4.250

2.095

3.586.855

3.580.510

3.584.760

Quelle: Vgl. http://www.ifm-bonn.org/assets/documents/Daten-und-Fakten-2.pdf, Stand 15.10.2012

3.

Wesen und Definitionsversuche von Mittelstand

Werden Äußerungen von Unternehmern und die Erkenntnisse der Wissenschaft zugrunde gelegt, so gibt es anscheinend charakteristische Merkmale für den Mittelstand bzw. die Unternehmenslenker in mittelständischen Unternehmen. Dass vieles darauf hinweist, dass kleine und mittelständische Unternehmen eben nicht nur kleinere Ausführungen von Großunternehmen sind, wird auch in den Beiträgen dieses Gemeinschaftsbuches ersichtlich. Sie sind durch Besonderheiten gekennzeichnet und gestalten ihre Beziehungen zu Markt und Umwelt oftmals nach anderen „Spielregeln“. Auch bei der Formulierung von Strategien und dem Einsatz von Instrumenten lassen sich Unterschiede ausmachen. Den mittelständischen Unternehmen wird allerseits u.a. „Marktnähe und Vielseitigkeit“, „Flexibilität“, „Leistungsfähigkeit und Stabilität“ zugeschrieben und – wie bereits erwähnt – außerdem ihre Bedeutung als „Beschäftigungsmotor“ herausgestrichen. Ein einheitliches Begriffsverständnis und eine eindeutige Definition des Mittelstands existiert nicht. Trotz einer Vielzahl von Definitionsversuchen existiert bis heute noch keine einheitliche Sprachregelung darüber, was unter „kleinen und mittleren Unternehmen“ oder dem „Mittelstand“ zu verstehen ist. Bei den Abgrenzungsversuchen bzw. der begrifflichen Kennzeichnung des mittelständischen Unternehmens werden diverse quantitative und qualitative Kriterien herangezogen. Prinzipiell kann die Definition an einem einzelnen Kriterium oder an mehreren Kriterien vorgenommen werden.

24 3.1.

I. Bedeutung, Vielfalt und Besonderheiten des Mittelstands Quantitative KMU-Definitionen

Bei den quantitativen Abgrenzungskriterien steht meistens die Erfassung der Unternehmens- oder Betriebsgröße im Mittelpunkt. Herangezogen werden Kriterien wie Mitarbeiterzahl, Umsatz, Wertschöpfung, Marktanteil, Bilanzsumme oder Gewinn. Während solche Kennzahlen den Vorteil haben, dass sie Messbarkeit und statistische Handhabbarkeit gewährleisten und so Vergleiche ermöglichen (vgl. Daschmann 1999, S. 50), sind aus qualitativer Sicht dagegen Merkmale des Mittelstands angesprochen, die ökonomische, gesellschaftliche und psychologische Aspekte einbeziehen. Reinemann (2011, S. 2) schlägt folgende Abgrenzungsdefinition vor: „Die quantitativ orientierte Sichtweise spiegelt sich im Begriff der kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) wider, während die qualitative Sichtweise im weiter gefassten Begriff des Mittelstands seinen Niederschlag findet“. Unterschiedliche Abgrenzungen und Definitionsansätze von Begriffen sind grundsätzlich ziel- oder zweckbezogen. Wesentliche Träger von regelmäßigen Informationen und der Veröffentlichung von statistischen Berichten über den Mittelstand sind das Statistische Amt der Europäischen Union (Eurostat) und in Deutschland das Institut für Mittelstandsforschung Bonn (IfM). Bei der Eurostat-Definition und der IfMDefinition handelt es sich tendenziell um allgemein ausgerichtete Definitionen zur Grobstrukturierung von Unternehmen und zur volkswirtschaftlich orientierten Abgrenzung der kleinen und mittleren Unternehmen in Deutschland und der EU. Mit dieser Ausrichtung sind dies die beiden gebräuchlichsten quantitativen Abgrenzungen für KMU. Welche Kriterien Eurostat und das IfM Bonn für ihre Arbeitsdefinition benutzen, zeigt Darstellung 4. Darstellung 4: Quantitative Abgrenzung des Mittelstands nach EU-Standard und dem IfM Bonn

Unternehmensgröße

Europäische Kommission

IfM Bonn

Mitarbeiterzahl: bis 9 Jahresumsatz: bis 2 Mio. € Jahresbilanzsumme: bis 2 Mio. € Mitarbeiterzahl: 10 bis 49 Mitarbeiterzahl: bis 9 Kleinunternehmen Jahresumsatz: bis 10 Mio. € Jahresumsatz: bis unter 1 Mio. € Jahresbilanzsumme: bis 10 Mio. € Mitarbeiterzahl: 50 bis 249 Mitarbeiterzahl: 10 bis 499 Mittleres Unternehmen Jahresumsatz: bis 50 Mio. € Jahresumsatz: 1 bis unter Jahresbilanzsumme: bis 43 Mio. € 50 Mio. € Mitarbeiterzahl: 250 und mehr Mitarbeiterzahl: 500 und mehr Großunternehmen Jahresumsatz: über 50 Mio. € Jahresumsatz: 50 Mio. € und Jahresbilanzsumme: über 43 Mio. € mehr Und das Unternehmen darf nicht 25% oder mehr in Besitz eines oder mehrerer Unternehmen stehen, die nicht die EU-Definition eines KMU (Kleinst-, Klein- und Mittelunternehmen zusammen) erfüllen. Kleinstunternehmen

Quelle: Vgl. IfM Bonn (Hrsg.): Mittelstand – Definition und Schlüsselzahlen. In: http://www.ifm-bonn.org/index.php?id=89 (und 90), Stand 10.10.2012

I. Bedeutung, Vielfalt und Besonderheiten des Mittelstands

25

Mit ihrer Größenklassenbildung orientiert sich die EU an der Definition der Mehrzahl der Mitgliedstaaten, die unterhalb der in Deutschland gebräuchlichen Größenklassen liegt. Eurostat veröffentlicht regelmäßig einen statistischen Bericht über KMU in der Gemeinschaft. Der definitorische Ansatz der EU ist insbesondere von Interesse, wenn es um die Mittelstandsförderung geht. Bei den Förderprogrammen für den Mittelstand in Deutschland kommen in der Regel die Definitionskriterien der EU zum Tragen. So orientiert sich das Zentrale Innovationsprogramm für den Mittelstand des BMWi (ZIM) zwar offiziell an der EU-Definition (s.u.), in der Praxis wurde der Zugang zu vielen Fördermodulen aber für größere Unternehmen geöffnet, z.B. in den Programmen der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) und dem AiF Programm „Industrielle Gemeinschaftsforschung“. Der Kreis der KMU wird deutlich enger gefasst, wenn die Empfehlung der Europäischen Kommission (EC) (2003) als Abgrenzungsgrundlage gewählt wird. Zur Ermittlung von Beschäftigung, Umsatz und Bilanzsumme wird – abweichend von der bisher vorherrschenden Definition des IfM Bonn – auch die Größe der Unternehmensbeteiligten sowie die Größe jener Unternehmen berücksichtigt, an denen Beteiligungen gehalten werden. Für die Abgrenzung als KMU nach der Definition der EC ist es also nicht erforderlich, dass es sich um ein eigenständiges Unternehmen handelt. Es geht einzig darum, die aus den Unternehmensverflechtungen resultierenden Zugänge zu externen Ressourcen adäquat zu erfassen. Unternehmensverflechtungen beeinträchtigen die Zurechnung eines Unternehmens zum (förderfähigen) Segment der KMU nicht, solange die oben genannten Schwellenwerte bei Einbeziehung der Größe von Tochterunternehmen oder Unternehmensbeteiligten unterschritten werden (vgl. Engel/Trax 2008 für nähere Ausführungen). 3.2.

Qualitative Abgrenzung des Mittelstands

So wichtig die volkswirtschaftliche Sichtweise für politische und gesellschaftliche Einschätzungen auch sein mag (z.B. Mittelstandspolitik), für die Entscheidungsträger in Unternehmen sind andere und ergänzende Abgrenzungen und Definitionen von KMU und Mittelstand im Sinne der Handlungsorientierung und pragmatischer Entscheidungen relevanter. Zum einen geht es um die Einbeziehung qualitativer Kriterien und zum anderen um detailliertere quantitative sowie entscheidungsunterstützende Abgrenzungen, die vor allem branchen- und unternehmensspezifische Belange berücksichtigen sowie Informationen für dem Managemententscheidungsprozess zur Verfügung stellen. Sowohl viele Eigner von Unternehmen als auch angestellte Manager von großen Familienunternehmen, die gemäß den quantitativen EU- und IfM-Kriterien nicht den KMU angehören, bezeichnen sich als „Mittelständler“ bzw. fühlen sich dem Mittelstand zugehörig. Bereits diese subjektive Sichtweise macht deutlich, dass auch qualitative Kriterien heranzuziehen sind, um die Unterscheidung von Mittelstand und Großunternehmen zu verdeutlichen. Eine trennscharfe Grenzziehung ist allerdings nicht möglich. Welche qualitativen Merkmale zur Unterscheidung eines mittelständi-

26

I. Bedeutung, Vielfalt und Besonderheiten des Mittelstands

schen von einem Großunternehmen diskutiert und in Berichten herangezogen werden, sei im Folgenden skizziert. Aus den Kriterien, die als typisch für mittelständische Unternehmen gelten und den qualitativen Kriterien zugerechnet werden können, wird relativ übereinstimmend die Personenbezogenheit bzw. die enge Verbindung zw. Unternehmen und Inhaber genannt. Als zentrale Merkmale, die diese Verbindung idealtypisch dokumentieren, können angesehen werden (nicht alle müssen gleichzeitig erfüllt sein): x

Einheit von Eigentum und Haftung: Das Unternehmen befindet sich im Eigentum einer Person oder einer kleinen Personengruppe, d.h., dass eine Einheit von wirtschaftlicher Existenz der Inhaber und deren Unternehmen gegeben ist. Bei dieser Konstellation wird daher auch von Familienunternehmen gesprochen. Das IfM Bonn operationalisiert diese Kriterien und sieht eine Eigentümerführung als gegeben an, wenn „bis zu zwei natürliche Personen oder ihre Familienangehörigen mindestens 50% der Anteile eines Unternehmens halten und diese natürlichen Personen der Geschäftsführung angehören“ (www.ifm-bonn.de). Durch die Identität von Leitung und Eigentum wird die unmittelbare Kontrolle und Steuerung über strategische und operative Entscheidungen ausgeübt. Sehr häufig sind KMU deshalb in der Rechtsform einer Personengesellschaft vorzufinden.

x

Entscheidende Erwerbsquelle: Das Unternehmen ist die alleinige oder zumindest entscheidende Erwerbsquelle für die Eigentümer und die Familienangehörigen.

x

Leitungsverantwortung und flache Hierarchie: Der oder die Eigentümer sind maßgeblich für alle unternehmensrelevanten Entscheidungen verantwortlich. Flache Hierarchien sind vorherrschend, d.h. es existiert eine geringe Leitungstiefe: die oberste Leitungsstelle ist durch wenige Instanzen mit den ausführenden Stellen verbunden.

x

In der Regel Konzernunabhängigkeit: Aus den obigen Merkmalen kann auf ein weiteres notwendiges Kriterium geschlossen werden, nämlich die völlige, zumindest aber weitgehende Konzernunabhängigkeit. Wenn ein anderes Unternehmen mit mehr als 25% am Stammkapital eines KMU beteiligt ist, besteht Konzernabhängigkeit.

x

Persönliche Beziehung zwischen Unternehmen und Umfeld: Die Eigentümer und angestellten Manager mittelständischer Unternehmen pflegen enge persönliche Netzwerke mit den Stakeholdern der Region, sind in der Region stärker verwurzelt und fühlen sich als Unternehmer für das Wohlergehen einer Region und deren Entwicklung mit verantwortlich. Diese unternehmerische Verantwortung für Region und Gesellschaft wird vielfach mit dem Begriff bzw. Unternehmenskonzept Corporate Social Responsibility (CSR) charakterisiert (vgl. Bundesverband der Deutschen Industrie e. V. 1995, S. 10; Reinemann 2011, S. 5 - 7).

3.3.

Grenzziehung zwischen Mittelstand und Großunternehmen bleibt ein Spannungsfeld

An den Ausführungen wird ersichtlich, dass auch eine trennscharfe Unterscheidung zwischen großen (fremdgeführten) Familienunternehmen und Konzernen einerseits und dem Mittelstand andererseits kaum möglich. Bei allen Versuchen einer quantitativen und qualitativen Abgrenzung des Mittelstands sollte aber nicht übersehen werden, dass die Verwendung der Begriffe „Familienunternehmen“ und „Mittelstand“ keineswegs synonym verwendet werden darf. Die Bezeichnung `Mittelstand` führt zu Missverständnissen, weil einerseits eine Vielzahl kleiner Tochtergesellschaften von Konzernen die größenabhängigen Merkmale des Mittelstandsbegriffs erfüllen und andererseits große Familienunternehmen, wie beispielsweise

I. Bedeutung, Vielfalt und Besonderheiten des Mittelstands

27

Freudenberg, Eckes, Oetker, Miele, Melitta, nicht zum Mittelstand gezählt werden (Hennerkes 1999, S. 22). Um die diskutierten Begriffe abzugrenzen und die Erfüllung sowohl quantitativer als auch qualitativer Kriterien zu erfassen sowie eine Typisierung von Unternehmen vorzunehmen, hat Reinemann beide Dimensionen in einer Matrix kombiniert mit vier Typen wirtschaftlicher Aktivität. Darstellung 5: Typisierung von Unternehmen

Quantitative Kriterien

Typ II: Typ III: Große Einheiten

Kleine und mittlere Einheiten

große Familienunternehmen (Managergeführte und Eigentümergeführte) Typ I:

großUnternehmen Typ IV:

„klassische“ KMU (häu- konzernabhängige fig auch Familienunter- oder fremdgeführte nehmen) KMU hoch niedrig Erfüllungsgrad qualitativer Kriterien

Quelle: Reinemann, H.: Mittelstandsmanagement, Stuttgart 2011, S. 7.

In quantitativer Hinsicht erfolgt die Einordnung der Unternehmensgröße nach den Kriterien Umsatz und Beschäftigte. In der qualitativen Dimension ist die Erfüllung der genannten qualitativen Kriterien zu prüfen. 3.4.

Handlungsorientierte KMU-Abgrenzungen

Die beiden quantitativen Definitionen, nach EU- und IfM-Abgrenzung, sind nicht die einzigen Definitionsansätze, die für Entscheidungsträger in Unternehmen relevant sind. So werden für gesetzliche Erfordernisse (z.B. Rechenschaftslegung prüfungspflichtiger Unternehmen nach Handelsrecht) und konkrete Politiken (z.B. Förderprogramme) sowie für die Unterstützung im Rahmen des Managemententscheidungsprozesses (z.B. Betriebsvergleiche) durchaus unterschiedliche Abgrenzungen vorgenommen bzw. Definitionen genutzt. Angesichts der heterogenen Unternehmenslandschaft, die dem Mittelstandsbegriff zugrundeliegt – nämlich der Einbeziehung des freiberuflichen Steuerberaters oder des Hotelbetriebs mit wenigen Beschäftigten bis zum international agierenden Maschinenbauhersteller mit bis zu 499 Mitarbeitern – ist es gerade bei Vergleichsbetrachtungen (Benchmarking, Konkurrenzanalysen) sinnvoll, wirtschaftszweigbezogene Differenzierungen und Betriebsgrößenklassifizierungen vorzunehmen (vgl. Zdrowomyslaw/Dürig 1999, S. 8ff., Zdrowomyslaw/Kasch 2002). Da die nationalen Förderprogramme für den Mittelstand von der Europäischen Kommission notifiziert werden müssen (z.B. Anmeldung von Subventionen; EU- Beihilfenkontrolle), kommen in der Regel die Abgrenzungskriterien der EU zum Tragen. Vor allem die Mittelstandspolitik kommt bei der Gestaltung des Rechtsrahmens und bestimmten Förderprogramme der Bundesländer nicht

28

I. Bedeutung, Vielfalt und Besonderheiten des Mittelstands

ohne branchenbezogene Differenzierungen und unternehmensgrößenspezifische Regelungen aus. So gelten in der Mittelstandsförderung der Bundesregierung teilweise voneinander abweichende Definitionen, die sich an den Zielen der jeweiligen Maßnahme orientieren sowie zum Teil unterschiedliche Grenzziehungen nach Wirtschaftszweigen aufweisen. Es existieren u.a. Abgrenzungen für das öffentliche Auftragswesen, für die FuE-Förderung, für KfW-Programme, für die Beratungsförderung des Bundes und für das Wettbewerbsrecht (vgl. Kayser/Hauser 1993, S. 5ff.). Exemplarisch sei im Folgenden auf zwei praxisrelevante Abgrenzungen der Unternehmensgrößenklassifizierungen kurz eingegangen – die Pflicht zur Veröffentlichung von Jahresabschlüssen und die Nutzung von Betriebsvergleichen als Grundlage zur Entscheidungsunterstützung. Dabei werden Größenklasseneinteilungen vorgenommen, die sowohl dem deutschen als auch europäischen Verständnis von KMU nicht entsprechen (vgl. Darstellung 6 und 7). Eine für die Praxis relevante Abgrenzung kleiner, mittlerer und größerer Unternehmen ergibt sich aus der Notwendigkeit der Rechnungslegung und Publizitätspflicht. Darstellung 6 zeigt die Größeneinteilung für Kapitalgesellschaften und für große Personengesellschaften, wobei für kleine und mittlere Kapitalgesellschaften nach § 267 HGB Erleichterungen gelten. Erst dann, wenn zwei der drei Grenzwerte überschritten werden, ist der Jahresabschluss im elektronischen Bundesanzeiger zu veröffentlichen. Darstellung 6: Größenklasseneinteilung der Unternehmen zum Zwecke der Rechnungslegung Größenkategorie

Rechtliche Grundlage Handelsgesetz und Publizitätsgesetz

Größenkriterien Bilanzsumme

Umsatzerlöse

Arbeitnehmer Jahresdurchschnitt

Kleine Kapitalgesellschaften

§ 267 Abs. 1 HGB

bis EUR 4,84 Mio.

bis EUR 9,68 Mio.

bis 50

Mittelgroße Kapitalgesellschaften

§ 267 Abs. 2 HGB

bis EUR 19,25 Mio.

bis EUR 38,5 Mio.

bis 250

Große Kapitalgesellschaften

§ 267 Abs. 3 HGB

mehr als EUR 19,25 Mio.

mehr als EUR 38,5 Mio.

mehr als 250

Publizitätspflichtige Unternehmungen nach PublG

§ 1 PublG § 11 PublG

mehr als EUR 65 Mio.

mehr als EUR 130 Mio.

mehr als 5.000

Managen oder Führen von Unternehmen verlangt Entscheidungen (Willensbildung und Willensumsetzung) bezüglich der Unternehmensentwicklung und Existenzsicherung. Für das Planen, Steuern und Kontrollieren von Betriebsvergleiche Insbesondere für Vergleichszwecke (Betriebsvergleiche; Benchmarking) sind i.d.R. andere Größenkategorien bei der Differenzierung in kleine, mittlere und große Unternehmen vorzunehmen, wie am Beispiel „Hotellerie und Gastronomie“ deutlich wird.

I. Bedeutung, Vielfalt und Besonderheiten des Mittelstands

29

Darstellung 7: Größenkategorien und -kriterien in Hotellerie und Gastronomie

Hotellerie und Gastronomie Größenkategorie Umsatz

Kleinhotellerie Mittelstandshotellerie Gehobene Mittelstandshotellerie Gehobene Mittelstandshotellerie Großhotellerie Großhotellerie Großhotellerie Großhotellerie

Gastronomie

bis EUR 250.000 ab EUR 250.001 bis EUR 1.000.000 ab EUR 1.000.001 bis EUR 2.500.000 ab EUR 1.000.001 bis EUR 2.500.000 ab EUR 2.500.000 bis EUR 7.500.000 ab EUR 2.500.000 bis EUR 7.500.000 ab EUR 7.500.001 bis EUR 10.000.000

Größenkriterien Beherbergungsanteil (für Gastronomie Speisenanteil)

Umsatz 2010 in T€ (Ø in der Kategorie)

-

162,0

-

590,3

bis 50%

1.652,3

ab 51%

1.647,2

bis 55%

3.986,2

ab 56%

3.992,0

-

8.557,0

-

14.855,2

bis EUR 500.000

bis 40%

328,5

bis EUR 500.000

ab 40%

439,5

bis 40%

803,7

ab 40%

884,0

-

1.677,2

ab EUR 10.000.001

ab EUR 500.001 bis EUR 1.000.000 ab EUR 500.001 bis EUR 1.000.000 über EUR 1.000.001

Hinweis: In der Aufstellung sind nicht alle Betriebsarten enthalten. Es fehlen im Wesentlichen Ferienhotels, Wellnesshotels und die Garni-Hotellerie (insgesamt 5000 befragte Betriebe) Quelle: AGERE.; TREUGAST (Hrsg.): Hotellerie und Gastronomie Betriebsvergleich 2011, Erkrath u.a. 2011, S. 6 ff.

4.

Was unterscheidet mittelständische Unternehmen von Großunternehmen?

Obwohl Futurologen gelegentlich schon das Aussterben von KMU ankündigten, bilden sie weiterhin gesamtwirtschaftlich betrachtet das Rückgrat der deutschen Wirtschaft. Den mittelständischen Unternehmen wird allerseits u.a. „Marktnähe und Vielseitigkeit“, „Flexibilität“, „Leistungsfähigkeit und Stabilität“ zugeschrieben. Sie sind nicht die „Miniatur-Ausgabe“ von Großunternehmen und Konzernen und haben durchaus ihre Stärken und besondere Erfolgsfaktoren. Allerdings überwiegen die Nachteile und Schwachstellen gegenüber Großunternehmen. Die Unterschiede zwischen KMU und Großunternehmen (Konzernen) werden erkennbar, wenn nach den Nachteilen und Vorteilen sowie Stärken und Schwächen des Mittelstands gefragt wird. Erfolgreiche Unternehmen findet man in allen Größenkategorien, genauso wie Krisensituationen und Insolvenzen. Dennoch unterliegen die KMU und große Familienunternehmen oftmals anderen Rahmenbedingungen als (börsennotierte) Großunternehmen. Zum einen ergeben sich bei KMU Nachteile aufgrund der Außenwelt (z.B. Entscheidungen der Politik, Unternehmenskonzentrati-

30

I. Bedeutung, Vielfalt und Besonderheiten des Mittelstands

on in vielen Wirtschaftszweigen) und zum anderen lassen sich gewisse Schwachstellen ausmachen, die aus der inneren Organisation und der Ressourcenknappheit resultieren. So wird vielfach die Ansicht vertreten, dass eine allgemeine Tendenz zur Bevorzugung von Großbetrieben bei Gemeinden, Politik, Lieferanten und bei Kreditgebern vorliegt. Als außerhalb des Unternehmens liegende Gründe für Marktschwierigkeiten werden vielfach der Kosten- und Marktdruck bzw. die Intensität des Wettbewerbs bei Waren und Diensten bedingt durch negative Rahmenbedingungen des Wirtschafts- und Gesellschaftssystems genannt. Dazu zählen u. a. hohe Markteintrittsschranken, schlechte Möglichkeiten zur Eigenkapitalbildung, begrenzte Funktionsfähigkeit des Kapitalmarktes mit einer Begünstigung großer Betriebe, Lieferantenverhalten und Einkaufsnachteile sowie das Wettbewerberverhalten und der Verdrängungswettbewerb (vgl. Tietz 1993, S. 633-634). Darüber hinaus sind die Entscheidungsträger in den KMU mit den wichtigen Herausforderungen Globalisierung, Digitalisierung der Gesellschaft, Wertewandel und Bevölkerungsentwicklung im besonderen Maße konfrontiert. Es gibt diverse Diskussionen, über welche Instrumente und mit welchen Maßnahmen eine Verbesserung der Rahmenbedingungen für den Mittelstand erreicht werden kann (z.B. in den Bereichen Steuer-, Arbeits- und Sozialpolitik, Entbürokratisierung, Privatisierung, öffentliches Auftragswesen, Wettbewerbs- und Förderpolitik). In diesem Zusammenhang sollte aber nicht übersehen werden, dass auch die besten Rahmenbedingungen für die Wirtschaft nichts nutzen, „wenn der Unternehmer versagt, wenn er seine Chancen auf dem Markt falsch einschätzt, wenn er seine Konkurrenten unterschätzt und wenn er die notwendige Aufgeschlossenheit und ständige selbstkritische Überprüfung der eigenen Leistungen vermissen lässt“ (Gruhler 1994, S. 201). Nicht nur die Politik, sondern vor allem auch die Führungskräfte in den KMU sind gefordert, Nachteile zu vermeiden oder zu kompensieren und Vorteile zu intensivieren oder zu erschließen. In der Regel weisen KMU laut Erhebungen und Einschätzungen in der Literatur folgende Schwachstellen auf, die im wesentlichen dem Oberbegriff „Unternehmensführung“ zugeordnet werden können: im Personalbereich der Generationswechsel, im Bereich des Rechnungswesens die ungenaue Zurechnung der Kosten auf die Kostenstellen und Kostenträger (Produkte bzw. Dienstleistungen), im Marketingbereich die unzureichende Marktforschung, im Informations- und Kommunikationsbereich das wenig zielgerichtete Informationsverhalten. Vor diesem Hintergrund formuliert Zander folgende 10 Schwachstellen in KMU: 1. „Die eindeutige Definition des Unternehmenszieles, eine Festlegung der Grundsätze der Geschäftspolitik und deren Weitergabe an die Führungskräfte, fehlt in vielen Familienunternehmen. 2. Ohne Delegation von Routinearbeit verzettelt man sich. 3. Ein wesentlicher Schwerpunkt der Zukunftssicherung für mittelständische Betriebe ist die intensive Weiterbildung aller im Unternehmen tätigen Personen.

I. Bedeutung, Vielfalt und Besonderheiten des Mittelstands

31

4. Ein Unternehmen muss von Führungskräften (und solchen, die es werden wollen) Qualifikation in persönlicher und sachlicher Beziehung fordern. 5. Kontinuität im Innovationsprozess ist die zweite Schwachstelle `Nummer eins`. 6. Strategische Überlegungen zur Unabhängigkeit von Konjunkturzyklen fehlen. 7. Gewinnmaximierung ist kein Unternehmensziel. 8. Die Interessen der Familie müssen sich mit denjenigen des Unternehmens decken. 9. Die Hoffnung auf Aufträge muss mit nachweislichen Stärken des Unternehmens und seiner Produkte begründbar sein. 10. Der Kommunikation mit dem ökonomischen Umfeld des Unternehmens wird zu wenig Bedeutung beigemessen“ (Zander 1995, S. 16).

Allerdings existieren nicht nur Nachteile bei KMU, sondern ihnen stehen durchaus auch einige unternehmensgrößenspezifische Vorteile gegenüber, nämlich: x

„die Möglichkeit der Unternehmen zur schnellen Anpassung an Marktveränderungen aufgrund der Kundennähe,

x

die individualisierbare Produktion und Leistungserstellung,

x

eine schnelle Umsetzung von Forschungs- und Entwicklungsergebnissen,

x

die Spezialisierung der Betriebe, die zur optimalen Güterversorgung beiträgt“ (Tietz 1993, S. 633).

Zu Recht warnt jedoch der Handelswissenschaftler Bruno Tietz, die Vorteile zu überschätzen. „Jeder, der von Vorteilen kleinerer Unternehmer gegenüber größeren Unternehmen schwärmt, setzt sich dem Vorwurf aus, dass er die betroffenen kleinen Unternehmen beruhigen will, auf die grundlegende Wandlung des sozialökonomischen Systems spekuliert, nicht bereit ist, die Konsequenzen aus dem derzeitigen Steuerungsmechanismus der Wirtschaft zu ziehen. Übertriebene Hoffnungen sind für die kleinen Unternehmer gefährlich, da sie ihnen ein falsches Bild von ihrer persönlichen Leistung oder von der sozialen Marktwirtschaft vermitteln“ (Tietz 1993, S. 633). Kleine und mittelständische Unternehmen weisen typische Besonderheiten auf, die in der Darstellung 8 exemplarisch dargestellt sind (hierzu detaillierter siehe z. B. Daschmann 1994, S. 54 und Lohaus/Habermann 2012, S. 5 ff.).

32

I. Bedeutung, Vielfalt und Besonderheiten des Mittelstands

Darstellung 8: Unterscheidung nach Unternehmensmerkmalen von Betriebsgrößen

Merkmale

Kleine und mittlere Unternehmen

Großunternehmen

Unternehmensführung

Eigentümer-Unternehmer

Manager

Stellvertreter- und Nachfolgeregelung

Kaum vorhanden

In aller Regel geplant

Entscheidungs- und Informationswege

schnelle Wege aufgrund flacher Hierarchien; größere Flexibilität

Längere Wege aufgrund vorgeschriebener Abläufe; geringere Flexibilität

Informelle Strukturen

Große Bedeutung

Geringe Bedeutung

Mitarbeiterpotenzial

Meist breites Fachwissen vorhanden

Starke Tendenz zur Spezialisierung

Produktionsstruktur

arbeitsintensiv

Kapitalintensiv

Finanzierungsmöglichkeiten

Begrenzte Finanzielle Ressourcen

Größere finanzielle Ressourcen

Zugang zum Kapitalmarkt

Schwieriger Zugang, daher begrenzte Finanzierungsmöglichkeiten

Leichter Zugang, daher vielfältige Finanzierungs-möglichkeiten

Quelle: Jung, H.: Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, München und Wien 2010, S. 19.

5.

Abstract

Gemessen an anderen Ländern Europas sind für die Wirtschaftskraft Deutschlands insbesondere die mittleren Unternehmen und die großen Familienunternehmen von Bedeutung, die auf Grund ihrer starken Technologie- und Qualitätsausrichtung (`made in Germany´) internationale Maßstäbe setzen. Auf Grund seiner Exporterfolge wird Deutschland vielfach als „Exportweltmeister“ tituliert. Die wirtschaftliche Bedeutung, Vielfalt und Besonderheiten des Mittelstands belegen diverse Daten und Fakten. In der betriebswirtschaftlichen Literatur zum Thema KMU gibt es keine klare Trennung der Begriffe „Mittelstand“, „kleine und mittlere Unternehmen“ sowie „Familienunternehmen“. Diese Begriffe werden oftmals parallel oder synonym verwendet. Das ist trotz der im vorstehenden Kapitel veranschaulichten Gemeinsamkeiten und Zusammenhänge nicht korrekt, da sich der Begriff „KMU“ eher an den quantitativen Abgrenzungsmerkmalen orientiert und die Begriffe „Mittelstand“ sowie „Familienunternehmen“ eher mit den qualitativen Abgrenzungskriterien in Verbindung zu bringen sind. Auch die Grenzziehung zwischen mittelständischen Unternehmen und Großunternehmen ist nicht trennscharf durchführbar. Unter dem Begriff Mittelstand wird eben nicht nur die ökonomische, sondern auch die gesellschaftliche und psychologische Perspektive subsumiert.

I. Bedeutung, Vielfalt und Besonderheiten des Mittelstands

33

Dass die Problematik der Abgrenzung des Mittelstands auch in Zukunft weiter diskutiert werden wird, zeigt sich auch daran, dass in den letzten Jahren von einem „Neuen Mittelstand“ gesprochen wird. Dieser besteht aus vielfältig unternehmerisch handelnden Einheiten, die aus einer umfassenden Dezentralisation und Öffnung von Großunternehmen hervorgehen. Der „Neue Mittelstand“ umfasst Existenzgründer, junge Unternehmer, ausgegründete Tochtergesellschaften ebenso wie die neuen Selbstständigen in Gestalt von Subunternehmern, Vertriebspartnern und anderen Ein-Personen-Unternehmen. Aus Sicht der Unternehmensführung sind die IfM- und EU-Definitionen von KMU in der Regel zu global. Ergänzende und stärker handlungsorientierte Unternehmensgrößenklassifizierungen sind erforderlich, wie dies beispielsweise in Betriebsvergleichen umgesetzt wird. Erfolgreiche Unternehmen findet man in allen Größenkategorien, genauso wie Krisensituationen und Insolvenzen. Dennoch unterliegen die KMU und große Familienunternehmen oftmals anderen Rahmenbedingungen als (börsennotierte) Großunternehmen. Es lassen sich Vor- und Nachteile, Besonderheiten im Allgemeinen, Unterschiede in Funktionsbereichen wie Strategie, Beschaffung, Produktion, Absatz, Forschung und Entwicklung, Organisation, Personal und Finanzierung und insbesondere typischen Führungseigenschaften in KMU im Vergleich zu Großunternehmen ausmachen.

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I. Bedeutung, Vielfalt und Besonderheiten des Mittelstands

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II.

Begriff des Mittelstands – rechtliche Widerspiegelung (Notate)

Burkhard Rode 1.

Problematisches

„Sey dein eigner Herr und Knecht / Das ist des Mittelstandes Recht“. (Unternehmer Bassermann in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts) 1.1 Der Begriff des Mittelstandes wird häufig verwendet, aber eine klare Begriffsbestimmung gibt es nicht. Daraus erwachsen Missverständnisse, denen wir begegnen. Sie ergeben sich daraus, dass keine Übereinkunft existiert, was denn als Mittelstand zu bezeichnen sei. Nicht dass niemand wüsste, was der Mittelstand ist, ist das Problem, sondern dass jeder etwas anderes darunter versteht. Es ist eigentümlich: Jeder kann eine hinreichende Anzahl von Verwertungen dieses Begriffs – enge und weite Auslegungen – nachlesen und darf verunsichert sein, und jeder hat dennoch eine klare Vorstellung davon, worum es geht. Gerne werden Gesetze mit langen Namen im Kurzwort mit einem Hinweis auf den Mittelstand versehen. 1.2 Folgt man dem traditionellen Verständnis, dann zählen zum Mittelstand sowohl die Selbstständigen, die ein kleines oder mittleres Gewerbe oder ein kleines Einzelhandelsunternehmen betreiben, als auch die Beamten, sowohl die Freiberufler als auch die leitenden Angestellten. Der Rand des Mittelstandskreises ist unscharf. Wer darf, sollte oder will dazugehören und wer nicht? Steht z.B. am (oberen) Kreisrand eine Gruppe um Peter Hartz und am (unteren) Rand eine Gruppe von Minipreneuren oder von Hartz-IV-Empfängern, deren kleine Unternehmen nicht im wirtschaftlichen Wettbewerb bestehen konnten? 1.3 Der Begriff „Mittelstand“ ist kein Produkt unserer modernen Gesellschaft, viel eher beruft er sich auf ein angestammtes Gewohnheitsrecht. Kann er eine Beständigkeit geltend machen unter Berufung auf fortwährenden historischen Wandel? Manche Schwierigkeit mag darin liegen, dem Mittelstand eine übergeschichtliche Konstanz zu verleihen. Man sucht das in ihm, was über mehrere hundert Jahre Bestand hatte, und landet unweigerlich beim bloßen Namen. Vielleicht kann die Betrachtung einiger historischer Aspekte hilfreich sein, zumal der Begriff selbst den Blick in die Vergangenheit lenkt.

2.

Historisches

2.1 Die (partei-)politisch stärkste Ausstrahlung hatte der Mittelstand deutschlandweit in der Weimarer Republik. Die Partei, die zunächst den Namen „Wirtschaftspartei des deutschen Mittelstandes“ trug und sich dann in „Reichspartei des deutschen Mittel-

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II. Begriff des Mittelstands – rechtliche Widerspiegelung (Notate)

standes (Wirtschaftspartei)“ umbenannte, war zwar mit Ergebnissen bei Reichstagswahlen von höchstens 4,5 % weit davon entfernt, eine Massenpartei zu sein, wusste aber – die heutige Fünfprozentklausel gab es nicht – ihre Chancen zu nutzen, manchmal als Zünglein an der Waage. Die Partei existierte von 1920 bis 1933 und trug durchaus zum Selbstbewusstsein der angesprochenen Klientel bei. Eindeutig war diese Partei auf den selbstständigen Teil des Mittelstands ausgerichtet. 2.2 Aus dieser Zeit stammt ein Buch von Walter Woldemar Wilhelm1, das den Zeitgeist und das Selbstverständnis des Mittelstandes sehr gut einfängt. Der ganze Druck, dem sich der Mittelstand ausgesetzt fühlte zwischen untergegangener Monarchie und moderner Industriegesellschaft wird deutlich. Die Angst, dass die kleinen Selbstständigen zerrieben werden, wird spürbar. Mit großem missionarischen Eifer, dessen Pathos heute befremdlich wirkt, soll ein Selbstvertrauen erzeugt werden, das im Standesdenken wurzelt. Doch dieses Standesdenken hat einen anderen Bezug als das hierarchische Denken in einem Ständestaat. Der Stand wird festgemacht an einem Menschenbild. Dadurch kann jeder ein Teil des Mittelstandes werden. Der „Zauber der Standesidee“ liege im Standesbewusstsein. Alle gängigen Kategogrien, egal auf welchem Gebiet, werden am Mittelstandsbewusstsein gemessen und erhalten dadurch oft eine ganz anderen Inhalt. Mühelos können alle gesellschaftlichen Erscheinungen miteinander verbunden werden: Volk und Führung werden ebenso miteinander vereint wie Adel und Arbeit (These 5), die Tradition des Mittelstandes lässt sich so vom Altertum bis in die Zukunft – damals war es das Jahr 1950 – belegen (Thesen 14-21). In ausdrücklich kritischer Auseinandersetzung mit Marx führt Wilhelm den Terminus „Potentariat“ ein und stellt die These auf: „Der Sozialismus des mittelständischen Potentariats ist ein Sozialismus der Produzenten und nicht Sozialisierung der Produktionsmittel“ (These 86). Kritisch vermerkt der Autor zum Standesbewusstsein des Mittelstandes, dass es in Deutschland erst romantisch-mystisch, dann einseitig politisch vertreten gewesen sei und sich zunächst jetzt kulturellkultisch entfalte (Anm. 93 zu These 71). Die wenigen Beispiele machen deutlich: Wilhelm sieht die Mission des Mittelstandes darin, dass dieser Stand mit seiner Arbeit und Initiative die Last der Gesellschaft trägt, damit aber auch die tragende Rolle übernimmt und daraus sein Standesbewusstsein ableiten kann. In dieselbe Richtung, nur viel kürzer, äußerte sich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts der Unternehmer Bassermann, als er an seinem neuen Haus in Mannheim den Spruch anbringen ließ: „Sey dein eigner Herr und Knecht / Das ist des Mittelstandes Recht“.

3.

Verfassungsrechtliches

3.1 In der gesamten deutschen Verfassungsgeschichte hat es der Mittelstand ein einziges Mal geschafft, in einer Verfassungsurkunde zur verfassungsrechtlichen Ka1

Wilhelm (geb. 1886, Todesjahr unbekannt) war 1927 kurzzeitig Wirtschaftsminister im Freistaat Sachsen und 1931 bis 1933 stellvertretender Vorsitzender der Reichspartei des deutschen Mittelstandes (WP).

II. Begriff des Mittelstands – rechtliche Widerspiegelung (Notate)

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tegorie auf Reichs- bzw. Bundesebene aufzusteigen. Nicht eine dem Ständerecht verpflichtete Verfassung nahm sich des Mittelstands an, sondern ausgerechnet die Weimarer Reichsverfassung von 1919, die gleich im ersten Artikel ihres Zweiten Hauptteils „Grundrechte und Grundpflichten der Deutschen“ die Gleichheit aller Deutschen vor dem Gesetz fixierte (Art. 109 I WRV) und in diesem Kontext alle öffentlich-rechtlichen Vorrechte oder Nachteile der Geburt oder des Standes aufhob, alle Adelsbezeichnungen zu Teilen des Namens deklarierte und das Verleihen von Adelsbezeichnungen verbot (Art. 109 II WRV). Standesrechtliche Aspekte scheiden bei der Erwähnung des Mittelstandes also aus. Es sind zwei andere Aspekte, die für die Weimarer Reichsverfassung Bedeutung haben: die staatliche Förderung und der staatliche Schutz des Mittelstandes. Ähnlich den Intentionen der Reichspartei des deutschen Mittelstandes sind dem Staat diese Pflichten nur gegenüber dem Teil des Mittelstandes auferlegt, der wirtschaftlich selbstständig ist. Gerade die selbstständigen Mittelständler verfassungsrechtlich herauszuheben resultierte aus der Auffassung, dass dieser Teil des Mittelstandes mit besonders großen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte. Die verfassungsgebende Nationalversammlung war diesem Gedanken letztlich gefolgt: „Der selbstständige Mittelstand in Landwirtschaft, Gewerbe und Handel ist in Gesetzgebung und Verwaltung zu fördern und gegen Überlastung und Aufsaugung zu schützen“ (Art. 164 WRV). 3.2 Doch warum verlieh die Weimarer Nationalversammlung diesen Aspekten verfassungsrechtlichen Rang? Die junge Republik befand sich in einer sehr komplizierten Situation. Das Nebeneinander und Gegeneinander von Anhängern der gerade zugrunde gegangenen Monarchie, von Befürwortern eines sozialistischen Gesellschaftssystems und von Verfechtern einer demokratischen Republik hatte zur Instabilität des Deutschen Reiches geführt, der die neue Verfassung entgegenwirken sollte. Dazu musste ein verfassungsrechtlicher Kompromiss gefunden werden; er war nur zu erreichen durch die rechtliche Verankerung einer großen Bandbreite von unterschiedlichen Ideen und Forderungen. In diesem Kontext kam es unter anderem zu einem eigenen Abschnitt über die Wirtschaftsverfassung, die einen besonders neuralgischen Punkt in der Auseinandersetzung darstellte. Der Abschnitt „Das Wirtschaftsleben“ (Art. 151-165 WRV) ist der letzte im Hauptteil über die Grundrechte und -pflichten und spiegelt im Besonderen die allgemeinen Bemühungen um einen Kompromiss wider. Wir finden (im damaligen Sinne) sozialistisches Gedankengut in der prinzipiellen Ermächtigung des Deutschen Reiches, für die Vergesellschaftung geeignete private Wirtschaftsunternehmen in Gemeineigentum zu überführen, und in der Möglichkeit, zum Zwecke der Gemeinwirtschaft Wirtschaftsunternehmen und Verbände auf der Grundlage der Selbstverwaltung zusammenzuschließen (Art. 156 I, II WRV). Wir finden es auch in den Regelungen über den besonderen staatlichen Schutz der Arbeitskraft (Art. 157 I WRV), über soziale Fürsorge (Art. 161 WRV), die Arbeitspflicht und das Recht auf Arbeit (Art. 163 WRV) und schließlich in der Rechtsnorm, die die Arbeitnehmer dazu beruft, gleichberechtigt in Gemeinschaft mit den Unternehmern an der Regelung der Lohn- und Arbeitsbedingungen sowie an der gesamten wirtschaftlichen Entwicklung der produktiven Kräfte mitzuwirken (Art. 165 I 1 WRV). Bereits in den zwanziger Jahren wurden diese In-

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II. Begriff des Mittelstands – rechtliche Widerspiegelung (Notate)

halte in den Verfassungskommentaren reflektiert: „Kein Teil der Verfassung zeigt so ausgeprägt sozialistische Züge wie dieser. Das ist erklärlich, denn der Sozialismus ist eine Wirtschaftsanschauung, und hier handelt es sich um das Wirtschaftsleben. Wenn irgendwo, so musste sich hier zeigen, wie weit der Einfluss der sozialistischen Gedankenwelt im neuen Deutschland reichte. Und es lässt sich nicht leugnen, dass dieser Einfluss sehr weit reichte. Vieles von dem, was in dem fünften Abschnitt steht, ist entschieden sozialistisch gedacht.“ (Anschütz, 1921, S. 687)2 Parallel dazu verankerte die Weimarer Reichsverfassung Grundrechte, die dem Liberalismus verpflichtet waren, indem sie die Vertragsfreiheit im Wirtschaftsverkehr (Art. 152 I WRV), das private Eigentum (Art. 153 I WRV) und das Erbrecht (Art. 154 I WRV) garantierte. Die Nationalversammlung griff den Gedanken des Rätesystems auf und beschränkte ihn auf das Wirtschaftsleben. Wurden zunächst Arbeiterräte eingeführt als gesetzliche Vertreter zur Wahrnehmung ihrer sozialen und wirtschaftlichen Interessen (Art. 165 II WRV), so wurden diese im nächsten Schritt, wenn es um die Erfüllung der gesamten wirtschaftlichen Aufgaben und die Ausführung der Sozialisierungsgesetze gehen sollte, mit den Vertretungen der Unternehmer und sonst beteiligter Volkskreise zu Wirtschaftsräten zusammengefügt (Art. 165 III WRV).3 Die Weimarer Verfassung stellte den gesellschaftlichen Kompromiss über die Wahrung des Gleichgewichts unterschiedlicher Interessen und Forderungen her. Es entstand ein Kompromiss, der letztlich – gegen restaurative Bestrebungen und gegen revolutionäre Forderungen – für soziale Reformen stand. 3.3 Diese Bestrebungen zu sozialen Reformen führten auf dem Gebiet der Wirtschaft zu der Forderung, dass die Ordnung des Wirtschaftslebens den Grundsätzen der Gerechtigkeit entsprechen muss mit dem Ziel der Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins für alle (Art. 151 I WRV). Um das Gleichgewicht zu wahren, durfte sich der staatliche Schutz nicht auf die Arbeitnehmerschaft beschränken. Das war die Geburtsstunde des Art. 164 WRV, der den Staat verpflichtete, den Mittelstand zu fördern und zu schützen, und der durchaus nicht „in der Linie des sozialistischen Parteiprogramms“ (Anschütz, 1921, S. 698) lag. Bereits der Entwurf des Artikels war im Verfassungsausschuss der Weimarer Nationalversammlung kontrovers diskutiert worden. Als der Abgeordnete Sinzheimer monierte, der Artikel habe nur die Bedeutung einer programmatischen Kundgebung, die eigentlich nicht in die Verfassung, sondern in ein Wahlprogramm gehöre, stimmten ihm viele Abgeordnete zu. Auch der Abgeordnete v. Delbrück war dieser Auffassung. Doch gab er zu bedenken, dass dieser Vorwurf für Dutzende von Verfassungsartikel gelte und erwiderte: „Die Grundrechte kommen mir vor wie ein Füllhorn, das wahllos über viele Bevölkerungsgruppen ausgeschüttet wird. Wenn man das aber tut, dann können wir es […] nicht zulassen, dass ein so gewichtiger Stand wie der Mittelstand hier vollkommen leer ausgeht.“ (Berichte und Protokolle, 1919, S. 511) Nach Anschütz‘ Auffassung ging 2

Anschütz‘ Kommentar wird bis heute als eine Meisterleistung angesehen (dazu: Stolleis, 1988, S. 96). In den wenigen Jahren der Weimarer Republik wurde er mehrfach aufgelegt und erlebte 1933, nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten, seine 14. Auflage.

3

Die Wirtschaftsräte erlangten in den Jahren der Weimarer Republik keinerlei praktische Bedeutung.

II. Begriff des Mittelstands – rechtliche Widerspiegelung (Notate)

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die Weimarer Reichsverfassung im Endeffekt davon aus, dass die Erhaltung des Mittelstandes als sozialer Zwischenbau möglich und die Förderung des Mittelstandes im Gemeininteresse notwendig sei (Kommentar zu Art. 164, S. 741). 3.4 Einen anderen Ansatz verfolgte Bredt4 in seiner Kommentierung des Art. 164 WRV (Bredt, in: Nipperdey-Kommentar, 1930, S. 515-518). Für ihn nimmt der Mittelstands-Artikel eine Ausnahmestellung im Rahmen der Reichsverfassung ein. Da die Revolution von 1918 keine liberale, sondern eine soziale Revolution und der Mittelstand in keiner Weise das treibende Element gewesen sei, habe das Standesinteresse an der Neuordnung völlig gefehlt. „Erst allmählich stellte es sich heraus, dass dennoch der Mittelstand ein sehr großes Interesse an der Verfassung hatte, aber mehr ein negatives, als ein positives.“ (S. 515) Bredt maß die neue Verfassung an der Paulskirchenverfassung von 1849, die nach seiner Auffassung mit ihren Grundrechten den Schutz des bürgerlichen Mittelstandes bezweckt habe. Da die Revolution von 1918 im Gegensatz dazu eine soziale gewesen sei, konnten die Grundrechte und -pflichten der Weimarer Reichsverfassung nur eine vermittelnde Stellung einnehmen: „Sie kommen dem sozialen – nicht gerade dem sozialistischen – Gedanken sehr weit entgegen, lassen aber den bürgerlichen Gedanken doch nicht ganz zurücktreten.“(S. 516) Bredt weist darauf hin, dass der Mittelstand den Gedanken des sozialen Wohlfahrtsstaates ablehne. Wenn er dennoch den staatlichen Schutz des Mittelstandes befürwortet, dann liegt das an der konkreten materiellen Belastung, die gerade der Mittelstand in diesem Zusammenhang zu tragen habe. „Das Deutsche Reich wird immer mehr zum sozialen Wohlfahrtsstaate und immer größer wird der Kreis derjenigen, die vom Staate etwas erwarten und verlangen, die vom Staate abhängig sind und vom ihm unterhalten werden. Immer größer werden auch die materiellen Aufgaben, die der heutige Staat aufgreift, immer zahlreicher werden deshalb auch die Behörden und Dienststellen, die vom Staate unterhalten werden. Demgegenüber verlangt der weitaus größte Teil des Mittelstandes vom Staate selbst so gut wie nichts; er ist aber derjenige Bevölkerungsteil, der dasjenige aufbringen muss, was der Staat ausgibt und verwendet. Namentlich gilt dies vom gewerblichen Mittelstande in Handwerk, Kleinhandel und Kleingewerbe.“ (S. 517) Das Denken der Mittelständler kreise aber nicht um Hilfen vom Staat. Die Grundrechte und -pflichten der Weimarer Reichsverfassung seien in ihrer Gesamtheit dem Mittelstand nicht von Nutzen; es genüge, wenn das Bestreben des Staates darauf gerichtet sei, den Mittelstand gem. Art. 164 WRV vor Überlastung und Aufsaugung zu schützen.5 Für 4

5

Der Kommentar ist von besonderem Interesse, weil sein Verfasser Johann Viktor Bredt (1879-1940) nicht nur Rechtsprofessor der Universität Marburg war, sondern auch Mitbegründer der Reichspartei des deutschen Mittelstands (Wirtschaftspartei). Bredt war u.a. Landtagsabgeordneter in Preußen und Reichstagsabgeordneter. 1930 wurde er als Justizminister Mitglied des ersten Kabinetts des Reichskanzlers Heinrich Brüning. Das Tatbestandsmerkmal der Überlastung sah Bredt erfüllt in der ständig wachsenden Steuerlast. Unter das Tatbestandsmerkmal der Aufsaugung subsumierte er die Gefahr, die dem Mittelstand durch Kaufhäuser, Konsumvereine, staatliche und kommunale Betriebe etc. drohe, weil sie vom Staat gefördert werden und sich weitgehenden Wohlwollens seitens der Behörden erfreuen. Dadurch entstehe gerade den kleinen Mittelstandsbetrieben eine starke Konkurrenz und seien Mittelständler in gewissen Erwerbszweigen sogar ausgeschaltet. Bredt schätzte, weil der MittelstandsArtikel nicht unmittelbar wirkendes Recht schaffe, seine rechtliche Bedeutung als sehr gering ein.

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II. Begriff des Mittelstands – rechtliche Widerspiegelung (Notate)

Bredt stellte der Verfassungsartikel in diesem Sinne „eine Brücke dar zu den Anschauungen der alten Zeit, […] altmodisch im Vergleich zu den übrigen neuen Bestimmungen der Reichsverfassung.“ (S. 517) Unter dem Eindruck, dass man den Inhalt des Art. 164 WRV darin sehen könne, dass auf sozialem Gebiet keine radikale Neuordnung stattfinden solle, dass vielmehr auch das Alte noch seine Berechtigung habe (S. 517), beendet er seinen Kommentar mit dem lakonischen Resümee: „Deshalb steht der Artikel 164 innerlich in einem gewissen Widerspruch zur übrigen Reichsverfassung. Er ist im Grunde nicht viel mehr, als eine Erinnerung an die alte Zeit.“ (S. 518)6 3.5 Nach Beendigung des Zweiten Weltkriegs stand die Weimarer Reichsverfassung bei der Kodifizierung der Länderverfassungen Pate. Manche dieser Verfassungen griffen den Gedanken des Mittelstand-Artikels auf. Auffällig ist dabei die begriffliche Variantenbildung zum Terminus „selbstständiger Mittelstand“ der Weimarer Reichsverfassung: In Bayern sprach man von selbstständigen Kleinbetrieben und Mittelstandsbetrieben,7 in Rheinland-Pfalz von selbstständigen Betrieben8, in Bremen von selbstständigen Klein- und Mittelbetrieben9 und im Saarland vom selbstständigen Mittelstand.10 Wenige Jahre später trat das Grundgesetz in Kraft, das ebenfalls in Auseinandersetzung mit dem Weimarer Verfassungsrecht entworfen worden war. Der Parlamentarische Rat lehnte sich an viele Artikel der Weimarer Reichsverfassung an, übernahm einige sogar wörtlich, verwarf aber auch einiges. Zum Letzteren gehörte die Konstruktion der Wirtschaftsverfassung. Ganz bewusst sollte die konkrete demokratische Gestaltung der Wirtschaftsordnung selbst offen gehalten werden. Indem der Parlamentarische Rat den Kokon „Wirtschaftsleben“ der Weimarer Reichsverfassung zer-

Doch konnte der Artikel seines Erachtens dazu dienen, dass das staatliche Handeln als unvereinbar mit dem Verfassungsartikel angesehen werden muss. 6

Im Vergleich dazu: Anschütz beendet seinen Kommentar zu Art. 164 WRV mit der Feststellung: „Die Verfassung [steht] mit der Theorie und Politik des marxistischen Sozialismus im Widerspruch; Art. 164 ist einer der am meisten antisozialistischen Artikel der Grundrechte.“ (Anschütz, S. 741 f.)

7

Die selbstständigen Kleinbetriebe und Mittelstandsbetriebe in Landwirtschaft, Handwerk, Handel, Gewerbe und Industrie sind in der Gesetzgebung und Verwaltung zu fördern und gegen Überlastung und Aufsaugung zu schützen. Sie sind in ihren Bestrebungen, ihre wirtschaftliche Freiheit und Unabhängigkeit sowie ihre Entwicklung durch genossenschaftliche Selbsthilfe zu sichern, vom Staat zu unterstützen. Der Aufstieg tüchtiger Kräfte aus nichtselbstständiger Arbeit zu selbstständigen Existenzen ist zu fördern. (Art. 153 Bayr. Verf.)

8

Die selbstständigen Betriebe der Landwirtschaft, der Industrie, des Gewerbes, Handwerks und Handels sind in der Erfüllung ihrer volkswirtschaftlichen Aufgabe mit geeigneten Mitteln zu fördern. Das gilt auch für den Ausbau genossenschaftlicher Selbsthilfe. Das Genossenschaftswesen ist zu fördern. (Art. 65 Verf. Rheinl.-Pfalz)

9

Selbstständige Klein- und Mittelbetriebe in Landwirtschaft, Industrie, Handwerk, Handel und Schifffahrt sind durch Gesetzgebung und Verwaltung zu schützen und zu fördern. Genossenschaften aller Art und gemeinnützige Unternehmen sind als Form der Gemeinwirtschaft zu fördern. (Art. 40 Landes-Verf. Bremen)

10

Der selbstständige saarländische Mittelstand in Industrie, Gewerbe, Handwerk und Handel ist zu fördern und in seiner freien Entfaltung zu schützen. In gleicher Weise ist das Genossenschaftswesen zu fördern. (Art. 54 S Verf.)

II. Begriff des Mittelstands – rechtliche Widerspiegelung (Notate)

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brach, ermöglichte er es einigen darin gefangenen Grundrechten, sich im ersten Abschnitt des Grundgesetzes zu klassischen, in allen gesellschaftlichen Sphären geltenden Grundrechten zu entfalten. Grundrechte mit wirtschaftsverfassungsrechtlichem Bezug finden sich in Art. 2, 9, 12, 14 GG. Die Pflicht des Staates, für soziale Gerechtigkeit zu sorgen, sollte künftig aus dem Sozialstaatsprinzip (für den Bund in Art. 20 I GG und für die Länder in Art. 28 I GG verankert) abgeleitet werden. Der Gedanke, den Mittelstand zu fördern und zu schützen, konnte so lebendig bleiben. Er wurde jetzt auf einfachgesetzlichem Wege entweder als Bestandteil größerer Gesetze (z.B. im Wettbewerbsrecht, § 97 GWB) oder als Einzelgesetze umgesetzt; zunächst auf Bundesebene und dann in zunehmendem Maße unter dem Stichwort „Mittelstandsförderungsgesetz“ bis heute auf Länderebene.

4.

Handelsrechtliches

4.1 Es ist üblich, die Zuordnung eines Unternehmens zum Mittelstand nach handelsrechtlichen Kriterien vorzunehmen. Sie orientieren sich ausschließlich an quantitativen Parametern (Bilanzsumme, Höhe der Umsatzerlöse, Arbeitnehmerzahl) und umschreiben damit drei Größenklassen, von denen die kleinen und die mittelgroßen Kapitalgesellschaften (§ 267 I, II HGB) in der Literatur zu den mittelständischen Unternehmen zusammengefasst werden. Seit 1. Januar 2013 sind Kleinstkapitalgesellschaften gesondert als Unternehmenskategorie ausgewiesen (§ 267a HGB). Sie gehören zur Gruppe der Kleinkapitalgesellschaften. Allein aus den Größenverhältnissen werden inhaltliche Aussagen abgeleitet. Die Rechtsformen der Unternehmen spielen für die Klassifizierung keine Rolle. Hier geht es um Erleichterungen beim Aufstellen von Jahresabschlüssen. Je kleiner eine Kapitalgesellschaft ist, um so mehr sind der Arbeitsaufwand und die Offenlegung von Betriebsinterna, die mit den Jahresabschlüssen verbunden sind, als Zumutung zu bewerten (dazu detailliert: MünchKommHGB - Beater § 267 RdNr. 1 ff.). Die Rechtsfolge sind Erleichterungen, die nicht von großen Kapitalgesellschaften (§ 267 III HGB) in Anspruch genommen werden können. Der Gesetzgeber stand vor der ehrgeizigen Aufgabe, die akzeptierte Erleichterungsnotwendigkeit umzusetzen, ohne das im HGB verankerte hohe Gut des Gläubigerschutzes aufzugeben. Er entschied sich, eine Erleichterungsoption einzuführen. Damit liegt die Entscheidung über die Nutzung der Erleichterungsmöglichkeiten in der Verantwortung der kleinen und mittleren Kapitalgesellschaften. 4.2 Mit der Etablierung von Kleinstkapitalgesellschaften folgt das HGB einem EUTrend, Kleinstunternehmen zu fördern.11 Es ist damit zu rechnen, dass diese Ent11

Die Umsetzungsverpflichtung der Richtlinie 2012/6/EU des Europäischen Parlamentes und des Rates v. 14. März 2012 zur Änderung der Richtlinie 78/660/EWG des Rates über den Jahresabschluss von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen hinsichtlich Kleinstbetrieben führte zum Kleinstkapitalgesellschaften-Bilanzrechtsänderungsgesetz (MicroBilG), das u.a. zur Einfügung von § 267a HGB führte. Da es sich bei dieser Größenordnung um Unternehmen handelt, die in der Regel nicht grenzüberschreitend betrieben werden, standen die bisherigen Anforderungen an die Rechnungslegung in keinem vertretbaren Verhältnis zur Notwendigkeit. Eine Reduzierung der Vorgaben zur Rechnungslegung war deshalb die Folge.

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II. Begriff des Mittelstands – rechtliche Widerspiegelung (Notate)

wicklungsrichtung nicht auf Kleinstkapitalgesellschaften beschränkt bleiben wird. Die Pläne zur Übertragung dieses Modells auf andere Rechtsformen sind am weitesten im Genossenschaftsrecht gediehen. Unter ausdrücklicher Berufung auf die Erleichterungen für Kleinstkapitalgesellschaften forderten im Dezember 2012 Bundestagsabgeordnete, auch den kleinsten Genossenschaften Erleichterungen für die Rechnungslegung und die Prüf- und Veröffentlichungspflichten zu gewähren. Die Debatte, die unter dem Zustimmung heischenden Slogan „Kleine und kleinste Genossenschaften stärken, Bürokratie abbauen“ stand (BT-Drs. 17/11579; S. 26561(D)26574 (C)), war von grundlegender, fraktionsübergreifender Zustimmung geprägt, sodass mit der baldigen Etablierung der Unternehmenskategorie Kleinstgenossenschaften zu rechnen ist. 4.3 Zwar ist der Begriff des Handelsstands mit aktueller Gesetzeskraft ausgestattet, dennoch wirkt er ebenso antiquiert wie der des Mittelstands. Doch entgegen der Vermutung war das Merkmal des Standes von vornherein nicht als soziale Klassifizierung gedacht. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts, in der Monarchie, ging es ausschließlich um die Definierung eines Berufsstandes. Die Beratungsprotokolle zum HGB belegen diese Sichtweise eindeutig: Beim Handelsstand sei nicht an einen Volksteil mit eigener ständischer Aufgabe im Sinne verflossener Jahrhunderte zu denken, das Handelsrecht sei kein Standesrecht mehr, das HGB liefere keine Definition des Kaufmanns, es stelle lediglich einen Legalbegriff auf und sage nicht, was ein Kaufmann ist, sondern „wer als Kaufmann im Sinne dieses Gesetzbuches anzusehen sei.“ (Protokolle, 1895, S. 1255) Nur so ist es verständlich, dass auch juristische Personen die Kaufmannseigenschaft haben konnten. Innerhalb des Berufsstandes unterschied das HGB Arten von Kaufleuten. Nur exemplarisch soll hier auf den heute nicht mehr bekannten Minderkaufmann eingegangen werden. Wer zu den Kaufleuten minderen Rechts zu zählen war, zeigt eine Aufzählung, die sich selbst illustriert: Höker, Trödler, Hausierer, Wirte, gewöhnliche Fuhrleute und Schiffer. Die Enumeration geht auf das Allgemeine Deutsche Handelsgesetzbuch von 1861 (Art. 10 ADHGB) zurück. Da wurde noch zwischen Kaufleuten und Handelsleuten unterschieden. Die Einführung des Minderkaufmanns bedeutete also eine kleine Annäherung. Gemeinsam war beiden Auffassungen, dass es um Leute von geringem Gewerbebetrieb ging und um Personen, deren Gewerbe nicht über den Umfang des Handwerksbetriebs hinausging (ausführlich: Bergfeld, 1986, S. 2855). Auf diesen Personenkreis, das war der praxisbezogene Hintergrund, sollten die handelsgesetzlichen Bestimmungen über Firmen, Handelsbücher und Prokura keine Anwendung finden. 4.4 Da die Änderungen des Bilanzrechts über die Jahre hinweg im Nebeneffekt zu einer Veränderung der Gesetzessystematik geführt haben, die gerade den Handelsstand betrifft, soll darauf kurz hingewiesen sein. In dem Urtext des HGB waren die Handelsbücher als vierter Abschnitt im ersten Buch („Handelsstand“) angesiedelt. Die Handelsbücher waren gewissermaßen ein Prädikat des Handelsstandes. Die ordnungsgemäße Buchführung wurde hier zum Grundsatz erklärt. Wie die Bücher geführt werden mussten, war nach den Gepflogenheiten sorgfältiger Kaufleute zu

II. Begriff des Mittelstands – rechtliche Widerspiegelung (Notate)

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beurteilen. Die Anforderungen konnten also verschieden sein. Es waren nicht mehr, wie beim ADHGB, die Geschäftsabschlüsse als solche ersichtlich zu machen, sondern nur die in Folge der Geschäfte eintretenden Vermögensveränderungen. Eine Reichstagsvorlage hatte sich gründlich mit dieser Thematik befasst (Denkschrift, 1896, S. 985). Die Handelsbücher verselbstständigten sich und sind heute in modernisierter Form im dritten Buch verankert. Inzwischen wurden sie ergänzt um einen eigenen Abschnitt über Vorschriften für Kapitalgesellschaften und bestimmte Personenhandelsgesellschaften, zu denen auch die Umschreibung der Größenklassen gehört.

5.

Fazit

5.1 Wird heute vom Mittelstand gesprochen, dann geschieht das im Rückblick auf Traditionen. Inhalt und Charakter haben sich gewandelt. Arbeitsthese: Heute haben wir es mit einer Schicht zu tun, die sich in einem Spannungsfeld bewegt, das gekennzeichnet ist vom Verhältnis zu Großunternehmern, zu Arbeitnehmern und zum Staat. Als Eigenschaften werden oft Leistungsfähigkeit, Flexibilität, Innovationskraft etc. genannt. So zutreffend diese Charakteristika sein mögen, es sind Komplimente, keine definitionstauglichen Kriterien. Über diese Eigenschaften verfügen auch Arbeitnehmer und Großunternehmer, also Personen, die nicht zu dieser Schicht gehören sollen oder wollen. Das entscheidende Charakteristikum ist die Einheit von Eigentum und Unternehmensführung. Diese Einheit ist nötig und möglich aufgrund der Unternehmensgröße. Familienunternehmen gehören wegen dieser Einheit in diese Kategorie. Es ist die Schicht der Inhaber kleiner und mittlerer Unternehmen. 5.2 Nicht kleinlich soll darauf beharrt werden, vom Begriff des Mittelstands abzurücken. Der Begriff ist etabliert und kann für manchen eine geistige Heimat sein. Wichtig ist jedoch, eine immer wieder anzutreffende Gleichsetzung von mittleren und mittelständischen Unternehmen zu vermeiden. Sie schließt die kleinen Unternehmen aus. Das widerspricht den aktuellen Entwicklungen. Moderne Technologien ermöglichen es, die Zahl der Arbeitskräfte zu verringern. Das heißt, Unternehmen können unter Beibehaltung ihres Profils und ihrer Produktivität durchaus kleine und kleinste Unternehmen sein. Ein essentieller Punkt ist nach wie vor die Notwendigkeit staatlicher Förderung. Und da kann als Faustregel gelten: je kleiner das Unternehmen, umso größer die Förderungsnotwendigkeit. 5.3 Die Schicht der Inhaber kleiner und mittlerer Unternehmen ist sehr heterogen zusammengesetzt. Sind die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen gegeben, dann ist es der Wettbewerb untereinander, der das Wirtschaftsleben dieser Schicht bestimmt. Folglich sind die Interessen der Schichtgruppierungen heterogen und zum Teil sogar widersprüchlich. Denn es sind nicht dieselben Ideen und Interessen vor demselben wirtschaftlichen und soziokulturellen Hintergrund, die zwei Familienunternehmen haben, wenn der eine persönlich haftender Gesellschafter eines Münchener Kaffeegeschäfts und der andere der Inhaber eines kleinen Stralsunder Cafés mit angeschlossener Konditorei ist und beide pro domo reden.

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II. Begriff des Mittelstands – rechtliche Widerspiegelung (Notate)

Quellen und weiterführende Literatur: Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch (ADHGB) vom 31. Mai 1861 (BGBl. 1869, S. 379). Anschütz, Gerhard: Die Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919. Ein Kommentar für Wissenschaft und Praxis, Berlin 1921. Bergfeld, Christoph: Handelsrecht, in: Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte, III. Bd.: Das 19. Jahrhundert, 3. Teilbd., hrsg. v. Helmut Coing, München 1986, S. 2853-2968. Berichte und Protokolle des Achten Ausschusses der Nationalversammlung über den Entwurf einer Verfassung des Deutschen Reichs (Berichte der verfassungsgebenden Deutschen Nationalversammlung 1919, Nr. 21), Berlin 1920. Denkschrift zum Entwurf eines Handelsgesetzbuchs und eines Einführungsgesetzes (RT-Vorl.) mit einem Anhang: Abweichungen gegenüber der Denkschrift zur Bundesratsvorlage, abgedruckt in: Quellen zum Handelsgesetzbuch von 1897, hrsg. v. Werner Schubert, Burkhard Schmiedel, Christoph Krampe, Bd. II. Denkschriften, Beratungen, Berichte, 2. Halbbd., Frankfurt a.M. 1988, S. 947-1214. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2012, BT-Drucksache 17/11579: Kleine und Kleinstgenossenschaften stärken, Bürokratie abbauen, S. 26561 (D)-26574 (C). Die Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919 (RGBl. 1919, Nr. 152, S. 1383) (=Weimarer Reichsverfassung, WRV). Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland (GG) vom 23. Mai 1949 (BGBl. 1949 I S. 1). Handelsgesetzbuch (HGB) vom 10. Mai 1897 (RGBl. S. 219). Landesverfassung der Freien Hansestadt Bremen vom 21. 10. 1947 (Brem. GBL. S. 251). Münchener Kommentar zum Handelsgesetzbuch, Bd. 4 (§§ 238-342e), 3. Aufl., München 2013 (=MünchKommHGB). Nipperdey, Hans Carl (Hrsg.): Die Grundrechte und Grundpflichten der Reichsverfassung, Bd. III, Berlin 1930. Protokolle über die Beratungen der Kommission zur Begutachtung des Entwurfs eines Handelsgesetzbuchs. Sitzungen vom 21. November bis 18. Dezember 1895, abgedruckt in: Quellen …, Bd. II, 1. Halbbd., Frankfurt a.M. 1987, S. 259-532. Stolleis, Michael: Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland: Staats- und Verwaltungsrechtswissenschaft in Republik und Diktatur: 1914-1945, München 1988. Verfassung des deutschen Reiches vom 28. März 1849 (RGBl., 1849, 16tes Stück, S. 101). Verfassung des Freistaates Bayern vom 2. Dezember 1946 (Bayerisches Gesetz- und Verordnungsbl., Jg. 1946, Nr. 23, S. 333). Verfassung des Saarlandes (S Verf.) vom 15. Dezember 1947 (Amtsbl. S. 1077). Wilhelm, Walter Woldemar (gemeinsam verfasst mit Willy Schlüter): Die Mission des Mittelstandes – 99 Thesen für das schaffende Volk, Berlin 1925.

III.

Nachfolgeplanung in Familienunternehmen

Olaf Ehrhardt 1.

Einleitung

Hauser/Kay (2010) vom Institut für Mittelstandsforschung Bonn (IfM) schätzen, dass im Zeitraum von 2010 bis 2014 in ca. 110.000 Familienunternehmen eine Nachfolgeregelung erforderlich wird. Nach IfM-Schätzungen sind ca. 1,4 Mio. Beschäftigte in diesen von einem Generationswechsel betroffenen Familienunternehmen tätig. Für Mecklenburg-Vorpommern geht das IfM von einer Zahl von 1.900 Familienunternehmen aus, für die Lösungen zur Nachfolgeproblematik gefunden werden müssen. Nach Angaben des IfM erfolgte in der Vergangenheit in 54% der Fälle eine Übergabe des Unternehmens an die eigenen Kinder. Unternehmensexterne Lösungen wurden bei 29% der Unternehmen beobachtet. Weitere 17% der Unternehmen werden an eigene Mitarbeiter übertragen. Die ökonomische und soziale Dimension dieser Thematik wird deutlich, wenn man bedenkt, dass nach EU-Schätzungen jedes Jahr 300.000 Arbeitsplätze verloren gehen, da die Nachfolgeregelung in ca. 10% der Unternehmen misslingt.1 Vor diesem Hintergrund werden im folgenden Abschnitt II wesentliche Aspekte diskutiert, welche einen Einfluss auf den Entscheidungsprozess zur Regelung der Unternehmensnachfolge haben. Abschnitt III zeigt die Auswirkungen von Nachfolgeentscheidungen auf die Unternehmensperformance, um Hinweise auf den Erfolg oder Misserfolg eines Generationswechsels zu erhalten.

2.

Entscheidungskontext

2.1.

Verfügbare Managementtalente

Für Führungspositionen in Politik und Wirtschaft sollten idealerweise die talentiertesten Fachkräfte aus einem möglichst großen Pool potenzieller Kandidaten ausgewählt werden (Mehrotra et al. 2011). Bei der Entscheidung über eine Unternehmensnachfolge in Familienunternehmen ist die Frage zu beantworten, ob der Bewerber für die Top-Managementposition aus dem zahlenmäßig großen Kreis externer Kandidaten mit Managementerfahrung oder aus dem relativ kleinen Kreis von Familienangehörigen stammen soll. Externe Bewerber haben den Vorteil, dass sie sich bereits in einem wettbewerbsintensiven Arbeitsmarkt bewährt haben. Aufgrund dieses Umstandes und aufgrund des großen zahlenmäßigen Unterschieds beider potenzieller Bewerberkreise gehen die Modelle zur Beschreibung des Evolutionsprozesses von Familienunternehmen regelmäßig davon aus, dass ein ausgewählter externer 1

Bjuggren/Sund (2002) zitieren hierzu als Quelle: European Commission, Communication, 1994, July 23, p.1.

46

III. Nachfolgeplanung in Familienunternehmen

Bewerber im Durchschnitt über eine bessere Managementqualifikation verfügt und somit höhere Unternehmensgewinne erwirtschaften kann.2 Auf der anderen Seite fühlen sich Familienmitglieder häufig ihrem Erbe in besonderer Weise verpflichtet. Regelmäßig wird in diesem Zusammenhang auf die langfristige Orientierung der Unternehmensstrategie verwiesen. Durch die strikte Präferenz des Unternehmenserhalts sollen die Chancen für zukünftige Familiengenerationen gewahrt bleiben.3,4 Auf einen völlig anderen Aspekt verweisen Bjuggren/Sund (2002) und Bertrand/Schoar (2006). Da die Kinder der Unternehmensgründer häufig im Umfeld des Unternehmens aufwachsen, werden sie frühzeitig mit den Geschehnissen im Unternehmen konfrontiert. Unter diesen Voraussetzungen scheint die Wissenstransformation zwischen dem Gründer und seinen Kindern besser zu funktionieren als zwischen dem Gründer und angestellten Managern. Zusätzlich ist nach Bjuggren/Sund (2002) die Familienzugehörigkeit oftmals die Voraussetzung für den Zugang zu sozialen Netzwerken, welcher durch langjährige Geschäftsbeziehungen zu Lieferanten, Kunden und anderen Stakeholdern und den damit verbundenen Reputationsaufbau durch den Unternehmensgründer ermöglicht wurde. 2.2.

Einfluss institutioneller Rahmenbedingungen

2.2.1. Corporate-Governance-Aspekte und Informationsasymmetrien Folgt man den zuerst genannten Überlegungen des vorhergehenden Abschnitts, dann wären externe Manager im Vergleich zu Familienmitgliedern häufiger besser qualifiziert und könnten höhere Unternehmensgewinne realisieren. Auf der anderen Seite können die Interessen externer Manager in einem mehr oder weniger starken Umfang von denen der Familie abweichen. Um diesen Interessenkonflikt zu reduzieren, sind sowohl Kontrollaktivitäten der Familie als auch teuere anreiz-kompatible Vergütungskontrakte erforderlich. In dem beschriebenen Kontext prognostizieren Bhattacharya/Ravikumar (2005) eine Tendenz zur Professionalisierung des Managements, die sich wirtschaftlich aber erst ab einer bestimmten kritischen Unternehmensgröße vorteilhaft auswirkt. Burkart et al. (2003) integrieren in die Entscheidungssituation über eine Unterneh2

Im historischen Kontext verweisen Mehrotra et al. (2011) auf die Möglichkeit, talentierte, für die Nachfolge in Familienunternehmen geeignete Managementtalente über arrangierte Heiraten zu gewinnen. Unter Verweis auf Ferguson (1998) wird beispielhaft die Erfolgsgeschichte des Bankhauses Rothschild angeführt, dessen wirtschaftlicher Erfolg im 19. Jahrhundert auch auf innovativen Heiratsstrategien basierte. Die mit den begrüßenswerten Veränderungen der gesellschaftlichen Werte einhergehende Substitution einer vom Familienpatriarchen arrangierten Heirat durch Liebesheiraten reduziert somit nach den Überlegungen von Mehrotra et al. (2011) die Wahrscheinlichkeit, dass die Nachfolge mit einem Familienmitglied besetzt werden kann.

3

Vgl. u.a. die Ausführungen von Jaskiewicz (2006) zu nichtfinanziellen Zielpräferenzen von Familien.

4

In diesem Zusammenhang sei auch noch auf einen zur Agency-Theorie alternativen Ansatz hingewiesen, welchen Davis et al. (1997) mit der „Stewardship Theory of Management“ liefern.

III. Nachfolgeplanung in Familienunternehmen

47

mensnachfolge private Kontrollrenten, welche die Familie aus der Beherrschung des Unternehmens ziehen kann. Sind diese sehr hoch, dann wird die Nachfolge mit einem Familienmitglied besetzt. Bei einem geringen Umfang privater Kontrollrenten entscheidet sich die Familie für den vollständigen Verkauf ihrer Unternehmensanteile. Zwischen beiden Extremen wird die Entscheidung über die Unternehmensnachfolge von der Qualität des Anlegerschutzes beeinflusst, d.h. davon, wie stark sich ein Interessenkonflikt zwischen der Eigentümerfamilie und einem angestellten Management entfalten kann. Bei börsennotierten Familienunternehmen kann der von Shleifer/Vishny (1997) formulierte Interessenkonflikt zwischen der Familie als kontrollierenden Großaktionär und den Minderheitsaktionären besondere Bedeutung erlangen. Die Familie hat aufgrund ihres langfristigen und generationsübergreifenden Planungshorizonts sowie ihrer großen nicht diversifizierten Eigenkapitalposition zwar deutliche Anreize zur Steigerung des Unternehmenswertes, aber zugleich ergeben sich aus ihrer beherrschenden Stellung im Unternehmen Potenziale zur Extraktion privater Kontrollrenten. Ehrhardt/Nowak (2003) zeigen, dass die Trennung von Cashflow- und Stimmrechten in deutschen Familienunternehmen mittels Ausgabe stimmrechtsloser Vorzugsaktien durch diverse Arten pekuniärer und nicht pekuniärer privater Kontrollrenten erklärt werden können. Die Entscheidung, ob das Unternehmen an ein Familienmitglied übergeben oder an einen externen Manager verkauft wird, kann nach den Ausführungen dieses Abschnitts rational anhand eines Nutzenvergleichs beider Alternativen getroffen werden.5 Hierbei wäre auch zu berücksichtigen, dass bestehende Informationsasymmetrien zwischen Unternehmensinsidern und -outsidern den Kaufpreis des Unternehmens beeinflussen. Je höher folglich die Informationsasymmetrien über die Höhe der zukünftigen Cash flows sind, desto höher ist somit die Wahrscheinlichkeit einer internen Weitergabe.6 2.2.2. Erbrecht und Erbschaftsteuer Ellul et al. (2009) betrachten in einer länderübergreifenden Studie den maximal möglichen Anteil, den ein Unternehmer mittels Testament auf eines seiner Kinder übertragen kann. Der auf den Unternehmensnachfolger übertragbare Anteil ist in Common-Law-Ländern im Durchschnitt höher als in Ländern mit einem Zivilrechtssystem. In dem durchgeführten länderübergreifenden Vergleich wird deutlich, dass die Höhe der zu zahlenden Erbschaftsteuer und die bestehenden Restriktionen des Erbrechts zu geringeren Investitionen und zu einem niedrigeren Wachstum in Familienunternehmen führen. Dieser Effekt verstärkt sich in Ländern mit geringerem Anleger5

Die Idee eines auf Transaktionskosten basierenden Entscheidungskalküls (inklusive Informationsasymmetrien, aber ohne nicht pekuniäre private Kontrollrenten) ist bereits bei Bjuggren/Sund (2002) ausgeführt.

6

Der Grad der Informationsasymmetrien ist u.a. vom Alter des Unternehmens (Vorliegen langfristiger Cash flow-Zeitreihen) und von der Qualität der Rechnungslegungsstandards abhängig.

48

III. Nachfolgeplanung in Familienunternehmen

schutz, da die Familienunternehmen die finanziellen Belastungen in einem wesentlich geringeren Maße durch die Inanspruchnahme externer Finanzierungsquellen ausgleichen können. Restriktivere Regelungen im Erbrecht und bei der Erbschaftsteuer scheinen nach Ellul et al. (2009) Familienunternehmen einseitig zu benachteiligen, da die genannten Effekte bei Nichtfamilienunternehmen empirisch nicht nachweisbar sind. 2.3.

Rationalität von Nachfolgeentscheidungen

In diesem Abschnitt wird diskutiert, ob die bisher implizit angenommenen rein rationalen Nutzenabwägungen als alleinige Entscheidungskriterien Bestand haben. Neuere empirische Arbeiten zur Analyse von Nachfolgeentscheidungen enthalten mehrere Hinweise, dass die in Familienunternehmen vorliegenden Eigentümer- und Kontrollstrukturen Potenziale für ineffiziente unternehmerische Entscheidungen beherbergen. In einer ersten relevanten Studie differenziert Perez-Gonzalez (2006) bei seiner Analyse US-amerikanischer Familienunternehmen die intellektuellen Fähigkeiten der Nachkommen des Unternehmensgründers mittels der Qualität des Hochschulabschlusses. Wurde die Unternehmensnachfolge mit einem Familienmitglied besetzt, welches über einen Abschluss an einer Eliteuniversität verfügt, dann sind die Unternehmensergebnisse mit denen vergleichbar, die auch unter der unternehmerischen Verantwortung des Gründers erzielt worden sind. Diese talentierten Nachkommen erreichen dabei Unternehmensergebnisse, die sich nicht von denen familienexterner Manager unterscheiden. Wird die Unternehmensnachfolge allerdings auf ein Familienmitglied mit Abschluss an einer weniger renommierten Universität übertragen, dann wird in den Folgejahren eine deutliche Verringerung der Unternehmensperformance sichtbar. Perez-Gonzalez (2006) sieht in diesen Ergebnissen einen Beleg für Vetternwirtschaft, da bei zahlreichen Nachfolgeregelungen weniger talentierte Nachkommen gegenüber externen Managern bevorzugt werden. Für dänische Familienunternehmen kommen Bennedsen et al. (2007) zum Ergebnis, dass Familienmerkmale und -werte unternehmerische Entscheidungen beeinflussen und belegen empirisch eine daraus resultierende Verringerung der Unternehmensperformance. Da Nachfolgeentscheidungen und die daraus resultierenden Konsequenzen für die Unternehmensperformance von zahlreichen endogenen und von Wissenschaftlern nicht beobachtbaren Einflussfaktoren abhängen, verwenden Bennedsen et al. (2007) das Geschlecht des erstgeborenen Kindes als exogene Variable, die per se keinen Einfluss auf Managemententscheidungen und auf die Unternehmensperformance haben kann. Dennoch zeigen sie in ihrer Studie, dass genau diese Variable signifikant die Nachfolgeentscheidungen in dänischen Familienunternehmen beeinflusst. Dies bedeutet, dass bei Nachfolgeentscheidungen nicht nur das individuelle Talent der einzelnen Nachkommen entscheidend ist. Dieser Fakt wiegt besonders schwer, da natürlicherweise nur eine sehr begrenzte Zahl von Familienmitgliedern für die Unternehmensnachfolge zur Verfügung stehen. Somit können

III. Nachfolgeplanung in Familienunternehmen

49

in Entscheidungsfaktoren, die außerhalb des ökonomischen Rationalitätskalküls liegen, Potenziale für eine im Zusammenhang mit dem Generationswechsel stehende Verringerung der Unternehmensperformance gesehen werden. Einen engen Bezug zu der Studie von Bennedsen et al. (2007) weist die Arbeit von Bertrand et al. (2008) auf, welche in einer Untersuchung zu thailändischen Familienunternehmen zeigen, dass familieninterne Konflikte unternehmerische Entscheidungen beeinflussen. Insbesondere nach dem Tod des Gründers beeinflussen Rivalitäten zwischen seinen Söhnen die Organisations-, Eigentümer- und Kontrollstrukturen innerhalb der Unternehmensgruppe. Diese familieninternen Konflikte führen zu einer signifikant geringeren Unternehmensperformance, die mit steigender Zahl von Söhnen weiter abnimmt. Die Ergebnisse der drei Studien zeigen erstens das Gefahrenpotenzial, dass die Verbindung von Familien- und Unternehmensangelegenheiten zu suboptimalen Nachfolgeentscheidungen führen kann. Zweitens wird die Notwendigkeit einer rechtzeitigen Regelung der Fortführung des unternehmerischen Erbes deutlich, damit familieninterne Konflikte ohne negative Auswirkungen auf die Organisations- und Kontrollstrukturen des Familienunternehmens bleiben.

3.

Nachfolgeentscheidung und Unternehmensperformance

Der Erfolg oder Misserfolg von Nachfolgeregelungen kann analysiert werden, indem die Unternehmensentwicklung in den Zeiten vor und nach der Übernahme der unternehmerischen Verantwortung durch den Nachfolger miteinander verglichen wird. Bei diesen Performancestudien sind einige systematische Strukturen erkennbar, deren Kenntnisse hilfreich sein können, um häufig gemachte Fehler bei der Nachfolgeentscheidung zu vermeiden. Perez-Gonzalez (2006) zeigt in seiner bereits im vorherigen Abschnitt zitierten Studie, dass die Bevorzugung weniger talentierter Familienmitglieder bei der Besetzung der Unternehmensnachfolge einen signifikant negativen Einfluss auf die Unternehmensperformance hat. Fahlenbrach (2009) kommt für US-amerikanische Unternehmen zum Ergebnis, dass die Gründer im Vergleich zu ihren Nachfolgern nicht nur eine höhere Aktienrendite erreichen, sondern auch unterschiedliche Investitionsentscheidungen treffen. In den von den Gründern geführten Unternehmen sind im Durchschnitt höhere F&E-Aufwendungen und höhere Investitionsausgaben festzustellen. Des Weiteren werden häufiger M&A-Transaktionen im Kerngeschäft durchgeführt. In diesem speziellen Kontext sind auch die Ergebnisse von Villalonga/Amit (2010) zu sehen. Sie zeigen, dass die vom Gründer bzw. der Gründerfamilie geführten Unternehmen im Vergleich zu Nichtfamilienunternehmen mit einem Aufschlag von durchschnittlich 15,8% gehandelt werden. Die von Nachfolgegenerationen geführten Familienunternehmen weisen hingegen einen Abschlag von durchschnittlich 16,8% auf. Auch für italienische Familienunternehmen stellen Cucculelli/Micucci (2008) eine signifikante Verschlechterung der Unternehmensperformance nach dem Ausscheiden des Unter-

50

III. Nachfolgeplanung in Familienunternehmen

nehmensgründers fest. Dieser Effekt ist besonders häufig bei Unternehmen mit einer vorherigen überdurchschnittlichen Rendite zu beobachten. Ehrhardt et al. (2006) finden hingegen diesen Einfluss auf die Unternehmensperformance bei einer Untersuchung deutscher Familienunternehmen erst beim Übergang von der zweiten auf die dritte Generation. Vergleichbare Ergebnisse für börsennotierte britische Familienunternehmen finden Hillier/McColgan (2009). Sie messen einen Anstieg der Operating performance, des Umsatzes und der Mitarbeiterzahl, nachdem ein Familienmitglied die CEO-Position an einen nicht zur Familie gehörenden Manager abgegeben hat. Des Weiteren stellen Hillier/McColgan (2009) bei Vorliegen schlechter Unternehmensergebnisse fest, dass Familienmitglieder im Vergleich zu externen Managern seltener die CEO-Position abgeben müssen. Nach Bertrand et al. (2008) ist bei großen thailändischen Familienunternehmen eine negative Korrelation zwischen der Anzahl der Söhne und der Unternehmensperformance feststellbar, ein Effekt, der insbesondere nach dem Tod des Unternehmensgründers und der damit einhergehenden Übernahme unternehmerischer Verantwortung durch die Söhne eintritt. Auch Bennedsen et al. (2007) zeigen, dass die von Familienwerten beeinflusste Besetzung der Top-Managementpositionen mit einem Familienmitglied im Rahmen der Nachfolgeregelung die Operating performance im Durchschnitt um vier Prozentpunkte reduziert. Dieser Effekt ist in schnell wachsenden Branchen, in Branchen mit hohen Qualifikationsanforderungen und in großen Unternehmen am deutlichsten sichtbar. Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass Performancestudien zu Familienunternehmen die Tendenz einer Verschlechterung der Unternehmensergebnisse zeigen, wenn der Unternehmensgründer die Leitung seines Unternehmens an einen familieninternen Nachfolger abgibt. Die Ursachen für diese Entwicklung scheinen nach den vorliegenden Untersuchungen zum einen in einer zu engen Verzahnung von Unternehmens- und Familienangelegenheiten zu liegen, die sich häufig in einer Bevorzugung von weniger talentierten Familienmitgliedern gegenüber externen Fachkräften äußert. Zum anderen können Rivalitäten zwischen den Söhnen des Unternehmensgründers zu suboptimalen unternehmerischen Entscheidungen führen. Zumindest bei größeren Familienunternehmen sind derartige Effekte nicht messbar, wenn die Nachfolgeregelung mit einer Professionalisierung des Managements einhergeht. In Ländern mit geringerem Anlegerschutz sind die Kontrollrechte der Familie als beherrschender Großaktionär aber besonders wertvoll, so dass in diesen Ländern Familienunternehmen häufig eine höhere Unternehmensperformance als vergleichbare Nichtfamilienunternehmen aufweisen.7

7

Vgl. hierzu Mehrotra et al. (2011) und die dort zitierte Literatur.

III. Nachfolgeplanung in Familienunternehmen

4.

51

Abstract

Eine Nachfolgeentscheidung in einem Familienunternehmen kann mit Fug und Recht als eine komplexe Entscheidungssituation bezeichnet werden, bei der sich Aspekte einer effizienten Allokation von Führungskräften, institutioneller Regelungen des Erbrechts und klassische Agency-Konflikte der Corporate Governance mit vielschichtigen Wechselwirkungen von Familien- und Unternehmensangelegenheiten überlagern. Die Beurteilung der Entscheidungssituation hat dabei im Kontext des Evolutionsprozesses eines Familienunternehmens zu erfolgen, da sich die Auswirkungen der einzelnen Einflussfaktoren auf die Unternehmensperformance mit dem Entwicklungsstand des Unternehmens verändern können. Untersuchungen zur Performance von Familienunternehmen zeigen deutliche Hinweise, dass die Suche nach einem Nachfolger erhebliche Potenziale für suboptimale Entscheidungen beherbergt.

52

III. Nachfolgeplanung in Familienunternehmen

Quellen und weiterführende Literatur Bennedsen, M./ Nielsen, K.M./ Perez-Gonzalez, F. & D. Wolfenzon: (2007) Inside the family firm: The role of families in succession decisions and performance,The Quarterly Journal of Economics 122, 647-691. Bertrand, M./ Johnson, S./ Samphantharak, K. & A. Schoar: (2008) Mixing family with business: A study of Thai business groups and the family behind them, Journal of Financial Economics 88, 466-498. Bertrand, M. & A. Schoar: (2006) The role of family in family firms, Journal of Economics Perspectives 20, 73-96. Bhattacharya, U. & B. Ravikumar: (2005) From cronies to professionals: The evolution of family firms, in: Klein, E. (Hrsg.), Capital formation, governance and banking, Financial Institutions and Services Series, Hauppauge (NY). Bjuggren, P.-O. & L.-G. Sund: (2002) A transaction cost rationale for transition of the firm within the family, Small Business Economics 19, 123-133. Burkart, M./ Panunzi, F. & A. Shleifer: (2003) Family firms, Journal of Finance 58, 167-201. Cucculelli, M. & G. Mucucci: (2008) Family succession and firm performance: Evidence from Italian family firms, Journal of Corporate Finance 14, 17-31. Davis, J.H./ Schoorman, F.D. & L. Donaldson: (1997) Toward a stewardship theory of management, Academy of Management Review 22, 20-47. Ehrhardt, O. & E. Nowak: (2003) Private benefits and minority shareholder expropriation (or what exactly are private benefits of control), EFA 2003 Annual Conference Paper No. 809. Ehrhardt, O., Nowak, E. & F.-M. Weber: (2006) ‘Running in the family’, The evolution of ownership, control, and performance in German family-owned firms, 1903-2003, Review of Finance/CEPR conference on Early Securities Market Paper, Humboldt-Universität zu Berlin. Ellul, A., Pagano, M. & F. Panunzi: (2009) Inheritance law and investment in family firms, EFA 2009 Meeting Paper. Fahlenbrach, R.: (2009) Founder-CEOs, investment decisions, and stock market performance, Journal of Financial and Quantitative Analysis 44, 439-466. Ferguson, N.: (1998) The world’s banker: The history of the house of Rothschild, London. Hauser, H.-E. & R. Kay: (2010) Unternehmensnachfolgen in Deutschland 2010 bis 2014, IfMMaterialien Nr. 198, Bonn. Hillier, D.J. & P. McGolgan: (2009) Firm performance and managerial succession in family-managed firms, Journal of Business Finance & Accounting 36, 461-484. Jaskiewicz, P.: (2006) Performance-Studie börsenotierter Familienunternehmen in Deutschland, Frankreich und Spanien, Lohmar-Köln. Mehrotra, V./ Morck, R., Shim, J. & Y. Wiwattanakantang: (2011) Must love kill the family firm? Some exploratory evidence, Entrepreneurship Theory and Practice 35, 1121-1148. Perez-Gonzalez, F.: (2006) Inherited control and firm performance, American Economic Review 96, 1559-1588. Shleifer, A. & R.W. Vishny: (1997) A survey of corporate governance, Journal of Finance 52, 737783. Villalonga, B. & R. Amit: (2010) Family control of firms and industries, Financial Management 39, 863-904.

IV. KMU im Spannungsfeld zwischen regionaler Wurzeln und globaler Herausforderungen Dirk Engel, Artus Hanslik, Thomas Hausmann, Ulrich Schempp 1.

Internationalisierungstrends aus dem Blickwinkel des Mittelstands

Globalisierung hat viele Facetten, und der Blick auf die vergangenen zehn Jahre verrät die weitreichenden Veränderungen, die sowohl Chancen als auch Risiken für die Unternehmertätigkeit bieten. Hocheffiziente Produktionstechnologien rufen nach ständig größeren Absatzmärkten, um ihre Kostenvorteile ausspielen zu können. Produktion benötigt Inputs, die zum Teil im Inland gar nicht beziehungsweise nicht in dieser Form verfügbar sind oder nur sehr teuer zu beziehen wären. Dieses globalisierte Ein- und Verkaufswesen hat noch eine besondere Dimension durch die intendierte Konzentration von Firmen auf ihre Kernkompetenzen und in der Folge zahlreicher Outsourcing-Prozesse erhalten. Die moderne Geschäftswelt, das moderne Business, als international organisierte Wertschöpfungskette, als Hintereinanderschaltung und integrative Verkettung von Prozessen verschiedenartigster beteiligter Firmen – oft als Supply Chain bezeichnet – ist organisatorischer Ausdruck dieser Notwendigkeiten und Tendenzen. In der Konsequenz haben sich die Rahmenbedingungen für internationale Marktaktivitäten deutscher Mittelständler in den vergangenen zwei Jahrzehnten fundamental verändert. Lo et al. (2007, S. 97) fassen diese zu insgesamt fünf wesentlichen Trends zusammen: Die Öffnung der Märkte Mittel- und Osteuropas bietet auch für den breiten Mittelstand Chancen für kostengünstige Standorte und neue Absatzmärkte in räumlicher Nähe. Die wachsenden Märkte in Asien werden vor allem von größeren Mittelständlern und Großunternehmen genutzt. Gleichzeitig erhöht die Öffnung der Märkte den Wettbewerbsdruck auf den Mittelstand, denn auch ihre Kunden beziehen Waren und Dienstleistungen zunehmend aus dem kostengünstigen Ausland. Damit dringt internationale Konkurrenz verstärkt auf inländische Märkte. Die mittelständische Zulieferindustrie wurde durch den Wegzug von Großkunden geprägt, denen die kleinen und mittleren Unternehmen häufig ins Ausland folgen müssen. Das Aufbrechen der Wertschöpfungskette in eine Vielzahl kleiner Produktionsschritte erreicht auch den Mittelstand und trägt zum steigenden internationalen Engagement bei, da es den Mittelständlern die Spezialisierung auf ihre Kernkompetenzen und die Auslagerung kostenintensiver Arbeitsprozesse ermöglicht. Die in den letzten Jahren im Vergleich zum Ausland schwache Binnenkonjunktur hat die Attraktivität des Auslandsengagements für die durchschnittlich stark auf inländische Märkte orientierte KMU erhöht.

54

IV. KMU im Spannungsfeld

Umfrageergebnisse, nach denen die Hälfte der Mittelständler bereits vor der Osterweiterung in Osteuropa oder Südostasien produziert,1 führen hier allerdings in die Irre. So ist der Anteil der international tätigen Unternehmen, wenn er auf die Grundgesamtheit des deutschen Mittelstands bezogen wird, sehr viel geringer. Den Auswertungen des KfW-Mittelstandspanels, das repräsentativ für mittelständische Unternehmen mit einem Umsatz von weniger als 500 Mio. Euro ist und knapp 11.000 Unternehmen umfasst, zeigen folgendes Bild: Danach waren 2003 76 % der befragten Unternehmen ausschließlich auf lokalen und nationalen Märkten aktiv, 12 % auf europäischen und 12 % auf globalen. Betrachtet man die Umsatzanteile, so erzielen diese Unternehmen 67 % ihres Umsatzes auf regionalen Märkten, 27 % auf inländischen, 4 % auf europäischen und 3 % auf globalen (vgl. Lageman et al. 2005, S. 125f.). Ergebnisse auf der Basis der umsatzsteuerpflichtigen Unternehmen kommen sogar nur zu einem Anteil von 11% bei KMU, während es bei den Großunternehmen 81% sind (vgl. Lo et al. 2007, S. 100). Internationalisierung ist damit kein Massenphänomen deutscher KMU und wird schon allein deshalb keinen dramatischen Bedeutungsverlust lokaler, regionaler bzw. überregionaler Absatz- und Beschaffungsmärkte für KMU zur Folge haben. Ganz im Gegenteil: Eine Internationalisierungsstrategie bietet zusätzliche unternehmerische Gelegenheiten, deren Chancen und Risiken sich jedoch völlig unterschiedlich für jedes Unternehmen darstellen aufgrund der Unterschiede in Produktmerkmalen, Produktionstechnologie, Ressourcenausstattung etc. Ausgehend von diesem Problemaufriss verfolgt dieses Kapitel das Ziel, einen Überblick zu Internationalisierungsformen zu geben, die Bestimmungsgründe der Internationalisierung zu erörtern und auf nachgewiesene Effekte der Internationalisierung für die Unternehmensentwicklung hinzuweisen.

2.

Absatzseitige Internationalisierungsformen von KMU und deren Bestimmungsfaktoren

Dem Markteintritt in einen Auslandsmarkt zum Zweck der Vermarktung eigener Produkte geht eine Reihe von unternehmensinternen Entscheidungen voraus. Ziel dieser Entscheidungen ist es, unter Ausnutzung der Marktchancen in den internationalen Zielregionen Risiken eines solchen Markteintritts zu begrenzen. Zu den schwierigsten Entscheidungsfeldern in diesem Zusammenhang zählt die Auswahl der Internationalisierungs- bzw. Markteintrittsform. Die nachfolgende Darstellung 1 zeigt mögliche Markteintrittsformen (zu detaillierten Darstellungen einzelner Markteintrittsformen vgl. z.B. Kutschker-Schmidt 2008; Hill 2009; Perlitz 2004; Luo 1999; Root 1994). Die unterschiedlichen Markteintrittsformen lassen sich im Hinblick auf ihre vertriebsseitige Eignung nach unterschiedlichen Kriterien bewerten. Insbesondere zwei

1

Vgl. Bundesverband Deutscher Banken: Die Globalisierung erreicht den Mittelstand, Interesse 42005, Berlin 2005.

IV. KMU im Spannungsfeld

55

Merkmale erscheinen hierzu besonders geeignet. Einerseits stellt sich durch eine geeignete Wahl der Markteintrittsform die Frage nach dem Grad der Einflussnahme auf sämtliche die Geschicke des Auslandsengagements bestimmenden Entwicklungen. So sichert beispielsweise der Markteintritt über eine 100%-ige Tochtergesellschaft dem eintretenden Unternehmen die vollständige Kontrolle über sämtliche Entscheidungsprozesse im Zielmarkt (Perlitz 2004, 186; Berndt et al. 2005, 148). Beim Export hingegen ist man weitgehend von den lokalen Marktprozessen „abgeschnitten“ und hier z. T. erheblich vom lokalen Handelspartner bzw. Agenten abhängig. Auf der anderen Seite erfordert der Export nicht die finanziellen Ressourcen bzw. Anlaufkosten wie im Fall der Etablierung von Tochtergesellschaften im Ausland (vgl. auch Driscoll/Paliwoda 1997). Die nachfolgende Darstellung deutet für wichtige Markteintrittsformen die jeweiligen Ausprägungen auf diesen beiden Merkmalen an (vgl. auch Hanslik 2013). Darstellung 1: Systematik wesentlicher Markteintrittsformen

Quellen: Tietz/Zentes 1993; Weiss 1996; Kutschker/Schmid 2008; Hanslik 2013.

Die Darstellung von Markteintrittsformen und Unterscheidungsmerkmalen wirft nun die Frage auf, welche Markteintrittsformen für kleine und mittlere Unternehmen besonders geeignet sind. Im Einzelfall kann diese Frage ohne Kenntnis der unternehmens- und marktspezifischen Charakteristika nur unzureichend beantwortet werden. Es liegen jedoch Untersuchungen vor, die Tendenzaussagen für KMU ermöglichen. Faix et al. (2006) untersuchte die Markteintrittsformen von 4400 Unternehmen, ohne zwischen den Größenklassen der Unternehmen zu differenzieren. In dieser Studie stellten die Autoren fest, dass 90,2 Prozent aller international tätigen Unternehmen exportieren. Rund 33 Prozent wählten eine Kooperation. Für ein Joint Venture entschieden sich 13,3 Prozent der Unternehmen. Eine Niederlassung oder ein Tochter-

56

IV. KMU im Spannungsfeld

unternehmen in einem ihrer Zielmärkte gründeten 28,2 Prozent der international tätigen Unternehmen. Teilweise ähnliche Ergebnisse zeigt auch das BDI-Panel des IfM (nach Haunschild et al. 2007). Im BDI-Panel wurden 2590 Entscheidungsträger aus Industriebetrieben der Größenklasse eines KMU zu den gewählten Markteintrittsformen in ihren Auslandsmärkten befragt. Rund 95 Prozent der Unternehmen, die im Ausland engagiert sind, exportieren ihre Produkte. Immerhin wählten 37,7 Prozent eine Kooperation für die Marktbearbeitung in einem ihrer Zielmarkt. Für eine Direktinvestition entschieden sich 13,5 Prozent der befragten Unternehmen (ibid.).

Darstellung 2: Klassifikation von Markteintrittsformen anhand von Ressourcenbeanspruchung und Kontroll-/Steuerungsfähigkeit

Quellen: verändert nach Meissner/Gerber 1980; Müller-Stewens/Lechner 2002.

Auch wenn die Studien nur eingeschränkt vergleichbar sind, ist bereits erkennbar, dass KMU eine höhere Vorliebe für die Wahl des Exports (95 vs. 90,2 Prozent) besitzen als dies im Schnitt aller Unternehmen zu beobachten ist. Auf der anderen Seite kommt für KMU eine Direktinvestition viel seltener in Frage (nur 13,5 vs. 28,2 Prozent).

IV. KMU im Spannungsfeld

57

Darstellung 3: Internationale Marktbearbeitungsformen nach Größenklassen Markteintrittsformen

Unternehmen nach Größenklassen (ca. … Prozent der Unternehmen aus der Gruppe … setzen die MEF… ein) Mitarbeiter 500 und mehr

Mitarbeiter bis 499

Mitarbeiter 100 bis 499

Mitarbeiter 20 bis 99

Mitarbeiter 1 bis 19

Export (Exporteuranteil)

72,7%

12,7%

56,1%

34,3%

10,5%

Lizenzen

16,1%

1,1%

2,9%

2,8%

1,0%

Franchise

2,3%

0,3%

1,8%

4,9%

-

Managementoder Beratungsverträge

11,7%

4,3%

6,2%

12,3%

3,8%

Kooperationsverträge

32,2%

9,3%

18,0%

10,6%

9,2%

Lohnfertigungs-/ Veredlungsverträge

11,1%

3,7%

9,2%

3,8%

3,6%

Kapitalbeteiligungen

38,0%

3,6%

20,3%

4,5%

3,4%

Quellen: verändert nach Haunschild et al. (2007, p. 127 u. 143); Hanslik (2013).

Die sich hier andeutenden Unterschiede zwischen KMU und großen Unternehmen werden in der Untersuchung von Haunschild et al. (2007) augenfällig. Im Rahmen einer Online-Befragung von 530 Unternehmen können die erhobenen Daten auch nach Größenklassen gruppiert werden. In Tabelle 1 sind wichtige Ergebnisse verdeutlicht (vgl. auch Hanslik 2013). Danach wählten rund 38 Prozent aller großen Unternehmen eine Kapitalbeteiligung/Direktinvestition im Ausland. Bei kleinen und mittleren Unternehmen sind dies nur 3,8 Prozent. Der Export ist die dominierende Internationalisierungsform von KMU (12,5 Prozent aller befragten KMU wählen den Export), gefolgt von Kooperationsverträgen, für die sich 9,3 Prozent aller KMU entscheiden. Eliminiert man kleinere Unternehmen aus der Betrachtung, zu denen zumeist kleine Handwerksbetriebe und Dienstleistungsunternehmen mit ihrer traditionell regionalen Marktausrichtung gehören, nähern sich Großunternehmen und KMU hinsichtlich der Nutzung der Markteintrittsformen an. Dennoch bleiben erhebliche Unterschiede bestehen. So finden sich bei den größeren KMU nun 56 Prozent Exporteure und 20 Prozent, die sich im Ausland mit Kapitalbeteiligungen engagieren. Nach der empirischen Bewertung der Markteintrittsformen sollen abschließend ausgewählte Faktoren diskutiert werden, die in idealtypischer Weise die Wahl einer bestimmten Eintrittsform begünstigen. Hierzu zählen in erster Linie markt- und unternehmensspezifische Determinanten. Zum einen sind sicher institutionelle Gründe des Zielmarktes zu benennen (vgl. auch Malhotra et al. 2003, 18f.), die die Wahl einer bestimmten Markteintrittsform begünstigen. So hat beispielsweise die chinesische Regierung durch die Schaffung von Sonderwirtschaftszonen mit u.a. steuerlichen Anreizen die Wahl von Joint Ventures für ausländische Unternehmen im Zielmarkt China begünstigt. Auf der anderen Seite war vor allem die Gründung einer 100%-igen Tochtergesellschaft durch ausländische Unternehmen vor dem Beitritt Chinas zur WTO durch gesetzliche Regelung in vielen

58

IV. KMU im Spannungsfeld

Branchen nicht möglich. Hohe politische und rechtliche Stabilität ist ein weiterer Faktor, der die Bereitschaft von Kapitaltransfers in den Zielmarkt stark fördern oder im Fall niedriger Ausprägung behindern kann (Anderson/Gatignon 1986). Auf der anderen Seite zeigen Untersuchungen, dass auch zahlreiche unternehmensbzw. produktspezifische Faktoren die Entscheidung für eine Markteintrittsform stark beeinflussen. Zu wichtigen unternehmensspezifischen Faktoren zählen die Existenz von Wettbewerbsvorteilen, Höhe der verfügbaren finanziellen und personellen Ressourcen sowie die vom Unternehmer wahrgenommenen Risiken eines Fehlschlags im Zielmarkt (vgl. zu einer Zusammenfassung bei Hanslik 2013). Eigene Wettbewerbsvorteile (z.B. bei Produkteigenschaften, in der Produktion oder Distribution) erhöhen grundsätzlich die Erfolgschancen des Eintritts im ausländischen Zielmarkt (Hanslik 2013). Sie sind sicher auch für viele Unternehmen die primäre Antriebsfeder für einen internationalen Markteintritt. Je impliziter (über die Zeit erlernt) das mit den Wettbewerbsvorteilen verknüpfte Wissen beim Unternehmen und ihren Mitarbeitern jedoch ist, umso eher neigen Unternehmen dazu, mittels eigener 100%igen Tochtergesellschaften dieses Wissen vor dem lokalen Wettbewerb im Zielmarkt zu schützen. Gerade KMU besitzen implizites Wissen, das über die Zeit durch die Mitarbeiter erworben wurde, und nur schwer bis gar nicht kodifizierbar bzw. patentierbar ist (Nooteboom 1993). Auf der anderen Seite führen Wettbewerbsnachteile, die vor allem durch mangelndes Wissen über den ausländischen Zielmarkt hervorgerufen werden, zur Wahl von Kooperationen oder Joint Venture. Die lokalen Partner in den Kooperationen steuern oftmals das im eigenen Unternehmen fehlende MarktKnow-how bei. Die knappe Ausstattung mit personellen und finanziellen Ressourcen ist zweifelsohne ein wesentliches Merkmal vieler KMU (Mugler 1998, 175). Geringe finanzielle Mittel und Personalengpässe beeinflussen daher auch die Wahl der Markteintrittsform. Sie dürften als wichtige Begründung dafür zu sehen sein, warum KMU Markteintrittsformen mit teilweise hohen Anlauf- bzw. Direktinvestitionen (z.B. 100%-ige Tochter, Joint Venture) im Ausland umgehen. Direktinvestitionen und der damit verknüpfte Aufbau sowie das Management einer 100%-igen Tochtergesellschaft oder eines Joint Ventures beanspruchen wesentlich mehr Ressourcen als der „einfache“ Export der eigenen Produkte in den ausländischen Zielmarkt. Darüber hinaus bedingen Markteintrittsentscheidungen, die Direktinvestitionen nach sich ziehen, eine intensive Entscheidungsvorbereitung, um mögliche Risiken im Vorfeld der Entscheidung zu identifizieren bzw. diese zu eliminieren. Da eine sorgfältige Entscheidungsvorbereitung die verfügbaren Kapazitäten wiederum in personeller, zeitlicher und auch finanzieller Hinsicht bindet, bildet sich die Tendenz heraus, scheinbar einfachere und risikoärmere Markteintrittsstrategien zu wählen. Insofern passt es ins Bild, dass empirisch gesehen tatsächlich die „günstige“ Markteintrittsform Export unter KMU weit verbreitet ist, obwohl gerade die direktinvestiven Markteintrittsformen das Erreichen eines höheren Erfolgsgrades versprechen (Hanslik 2013). Letztere Markteintrittsstrategien mit einer eigenen Präsenz vor Ort ermöglichen von Anfang an den Aufbau von wichtigem eigenem Markt-Know-how und die Absicherung bzw. Ausbau der eigenen

IV. KMU im Spannungsfeld

59

Wettbewerbsposition im ausländischen Zielmarkt. Auch der Markteinstieg über eine Repräsentanz oder die Beteiligung an einem Firmenpool können relativ ressourcenschonend eine solche Präsenz vor Ort vorbereiten (vgl. Kleine 2000).

3.

Regionalisierung oder Internationalisierung im Einkauf?

Mit dem Thema „International Sourcing“ werden oft eine geminderte Produktqualität sowie der umgangssprachliche Begriff „Preisdrückerei“ verbunden. Die Möglichkeit der Kostensenkungen im Materialbereich wird gerade im Mittelstand häufig mit dem Argument reduziert, dass der hohe Anspruch der eigenen produzierten/angebotenen Produkte keine „qualitativen Abstriche“ erlaube; Kostensenkungen im Einkauf gingen demnach automatisch einher mit Einbußen in der Qualität. „Die Assoziation, dass niedrige Materialkosten untrennbar an schlechte Produktqualität gekoppelt sind, hält sich hartnäckig und verhindert die Umsetzung wertvoller Ideen zur Verbesserung der eigenen Kostenposition – ohne Qualitätsabstiche. Hieraus resultiert auch eine häufig ausgeprägte Abneigung gegenüber Lieferanten aus so genannten Billiglohnländern, da aus diesen Regionen per se nur minderwertige Güter bezogen werden können – ein Irrtum, der mit einer gehörigen Portion Arroganz gekoppelt ist“ (vgl. Deil/Heimbrock 2012, S. 4 f.). Aus dem vorstehenden Zitat ergibt sich die in diesem Kapitel zu reflektierende These, dass International Sourcing einen bedeutenden Anteil an der Profitabilitätssteigerung und Sicherung bzw. Erhöhung der Konkurrenzfähigkeit von Mittelständlern in einer globalen Wettbewerbssituation haben kann; niedrige Kosten, technologische Führerschaft und hohe Produktqualität dürfen dabei nicht in Widerspruch zueinander stehen (vgl. Darstellung 4): Darstellung 4: Lieferqualität – Know-How – Kosten Portfolio

Quelle: Deil, Th.; Heimbrock, K. J.: Erfolgspotenziale im strategischen Einkauf. In: Heimbrock, K. J. (Hrsg.): Wertschöpfung und Supply Chain: Netzwerk - Innovation – Risiko, Oldenburg 2012, S. 4

60

IV. KMU im Spannungsfeld

Nun zum zweiten, im Einführungssatz genannten, Begriff: Wird „Preisdrückerei“ positiv betrachtet, stärkt das Wissen über Weltmarktpreise insbesondere für strategische Materialien die Verhandlungsposition gegenüber Lieferanten, bei denen oft rein „gewohnheitsmäßig“ eingekauft wird, denn Lieferantenverhandlungen sind Baustein eines vernünftigen Beschaffungsmanagement. Das Ausbleiben einer regelmäßigen globalen Beschaffungsmarktforschung erschwert internationale Preisvergleiche enorm: „Etwa bei einem deutschen Hersteller von Induktionsspulen, der verblüfft feststellte, dass er sein Rohmaterial teurer einkaufte als ein chinesischer Konkurrent sein Endprodukt verkaufte“ (Schäfer/Seidenberger 2007, S. 2). Ist in der Chefetage so wenig Information über einen wesentlichen Kosten- und Ergebnisfaktor wie den Einkauf vorhanden, liegen beträchtliche Rationalisierungspotenziale brach; dies ist in der Praxis vor allem in Klein- und Mittelbetrieben festzustellen. Negativ betrachtet kann „reine Preisdrückerei“ natürlich zur Minimierung der gelieferten Produktqualität, zu häufigem Lieferantenwechsel bis hin zu verlängerten Lieferzeiten, z. B. bei Versorgungsengpässen, führen. Auf den folgenden zwei Seiten werden die Vor- und Nachteile vom regionalen Einkauf (Local Buying) und internationalen Einkauf (International Sourcing) unter dem vorstehenden Fokus prägnant dargestellt; auf die Bedeutung einer Kostenreduzierung im Einkauf wird als Abschluss dieses kurzen Kapitels explizit hingewiesen, weil ihr Einfluss auf den Unternehmenserfolg vielen Verantwortlichen im Mittelstand nicht bzw. nicht ausreichend bewusst ist. Ebenso werden bereits an dieser Stelle erste Empfehlungen gegeben, wie solche Kostenreduzierungen auf einem globalen Markt für Mittelständler ohne Qualitätseinbußen und bei sicherer Versorgung umsetzbar sind. 3.1.

Zusammenarbeit mit regionalen und internationalen Lieferanten

Die Zusammenarbeit mit regionalen Stammlieferanten erfolgt im Mittelstand vor allem bei qualitativ hochwertigen Produkten (s.o.). Als Hauptgrund dafür wird häufig angegeben, dass hier Lieferantentreue unabdingbar ist. Die Bestimmungsfaktoren der Lieferantentreue sind dabei die Umstellungskosten, die dem Abnehmer beim Wechsel von einem auf den anderen Lieferanten entstehen die logistischen Aspekte, vor allem bei fertigungssynchroner Anlieferung (z. B. kürzere Lieferzeiten, geringeres Transportrisiko und günstigere Transportkosten) der Zwang zu Innovationen und zur Entwicklung immer intelligenterer Produkte sowie die daraus resultierende enge Zusammenarbeit von Lieferant und Abnehmer, die einem Lieferantenwechsel gegenüber steht die Risikobehaftung der Produkte (je höher diese ist, umso weniger möchte der Einkauf den/die Lieferanten wechseln).

Daraus ergibt sich, warum der regionale Stammlieferant in vielen Fällen nicht gerne gegen einen internationalen Anbieter gewechselt wird:

IV. KMU im Spannungsfeld

61

Leistungsfähigkeit kann gut beurteilt werden aufgrund der häufigen Lieferungen (Wiederholung) hat sich eine Gleichmäßigkeit der gelieferten Qualität und eine reibungslose Bestellabwicklung eingestellt; sollte doch einmal ein Mangel auftreten, lässt sich dieser i.d.R. leicht beheben, z. B. über eine schnelle Ersatzlieferung guter Informationsfluss zwischen Abnehmer und Stammlieferant (gegenseitiger KnowhowAustausch, Möglichkeit der wertanalytischen Zusammenarbeit) aufgrund bisheriger Erfahrungen können Angebot und Nachfrage gut aufeinander abgestimmt werden (z.B. langfristige Verträge und/oder Konsignationslager) Kenntnis der örtlichen Gegebenheiten Bevorzugungen des Stammkunden durch den Stammlieferanten (vor allem in Zeiten der Materialverknappung) entstandenes Vertrauensverhältnis.

Dem stehen die Reduzierung des Wettbewerbs durch den Verlust der Marktübersicht und die Gefahr des backdoor selling (dem sog. Verkauf durch die Hintertür) gegenüber. Technische Fortschritte, wie vereinfachte Transport- und Kommunikationsmöglichkeiten und die liberaler gewordenen Zollbestimmungen schwächen die Nachteile eines International Sourcing zudem ab. Der Mittelständler als Importeur kann diese Entwicklungen nutzen; er kann allerdings noch einiges mehr zur Abmilderung weiterer Risiken tun: a) Minimierung des Transportrisikos Risikoversicherungen Wahl sicherer Transportwege und -mittel

b) Rechtsunsicherheit bei der Vertragsgestaltung kompetente und zuverlässige Fachleute hinzuziehen eindeutige Materialspezifikation das Recht des Importeur-Landes als für den Vertrag geltend festschreiben

c) entfernter Gerichtsstand bei Rechtstreitigkeiten Sitz des Importeurs als Gerichtsstand vereinbaren Schiedsklausel

d) verschiedene Qualitätsauffassungen Betriebsbesichtigungen, Musteranforderungen, Probeaufträge Garantievereinbarungen Inspektion vor Versand, z.B. durch eigene Techniker oder Inspektoren des Exportlandes

e) Liefertermin- und Zahlungsunsicherheiten (bei zu leistenden Anzahlungen) vertragliche Fixierung von Vertragsstrafen Anzahlungsgarantie der Hausbank des Importeurs vereinbaren

f) Währungsschwankungen in der Währung des Importeurs oder in einer festen Drittwährung kontrahieren Währungsoption Devisentermingeschäfte.

62 3.2.

IV. KMU im Spannungsfeld Umsetzung eines Lieferantenwechsels

Ein Problem in der Umsetzung einer Internationalisierung im Einkauf des Mittelstandes ist häufig, dass die Einkaufsabteilung als „Mädchen für alles" zuständig ist. Sie muss nicht nur Beschaffungsmarktforschung betreiben, Lieferanten auswählen, Vertragsangelegenheiten klären und vieles mehr im Einkaufsprozess wahrnehmen, sondern sie muss oft auch Logistikaufgaben erledigen (vgl. Teil X.). Daher bleibt häufig keine Zeit, sich mit Einkaufsstrategien zu beschäftigen oder Grundsatzfragen bei der Lieferantenauswahl nachzugehen. Hier bietet sich die Unterstützung durch Berater an, die sich auf die Erschließung von globalen Einkaufspotenzialen spezialisiert haben; dennoch sollte kurzfristig eine Lösung des vorstehenden organisatorischen und personellen Problems gefunden werden (vgl. Wolf/Paul/Zipse 2009, S. 75). Wer als Berater auf verschiedenen Beschaffungsmärkten vor Ort präsent ist, kann auch die Lieferfähigkeit eines potenziellen Lieferanten besser einschätzen. Auf die reine Selbstbeschreibung und die Prototypen allein ist am Anfang einer Lieferbeziehung kein Verlass. Wie in Personalbereichen im Mittelstand bereits immer verbreiteter anzutreffen, können auch im Einkauf Berater eine Vorauswahl aus einem großen Angebot treffen und so dem Unternehmen die Entscheidungsfindung erleichtern und vor allem diese verkürzen (vgl. Schäfer/Seidenberger 2007, S. 3). Diese Berater analysieren die verschiedenen Warengruppen und ermitteln anhand umfangreicher eigener Datenbanken und Erfahrungen potenzielle neue Lieferanten. Dabei geht es nicht nur um reine Preisverhandlungen, sondern es werden auch ganz gezielt die dem Produkt zugrunde liegenden Technologien hinterfragt. Viele Beispiele zeigen, dass durch technologische Analysen Produkte oder Fertigungsprozesse vereinfacht und damit auch Vorprodukte deutlich günstiger eingekauft werden können. Der Einsatz von beratenden, international tätigen Einkaufsspezialisten ist für den Auftraggeber meist risikolos möglich, da sich die Bezahlung i.d.R. ausschließlich am Umsetzungserfolg orientiert. Üblicherweise wird das in den ersten zwölf Monaten realisierte Einsparpotenzial hälftig zwischen Beratern und Auftraggebern geteilt; die Einkaufspotenziale der Folgejahre stehen dann ausschließlich dem Auftraggeber zu. Grundvoraussetzung für den Einsatz solcher Spezialberater ist die Bereitschaft des Mittelständlers, auch einen langjährigen Lieferanten zu wechseln sowie offen zu sein für technologische Veränderungen an den Produkten. Die damit verbundenen Risiken sind meist gut beherrschbar und die daraus resultierenden wirtschaftlichen Vorteile oft erheblich (vgl. Wolf/Paul/Zipse 2009, S. 75 f.).

IV. KMU im Spannungsfeld 3.3.

63

Kosten-Nutzen-Relation

„Bei einem durchschnittlichen Projekt macht das Beschaffungsvolumen die Hälfte des Umsatzes aus. Davon sind etwa 60 Prozent gestaltbar. Wir gehen von einer rein externen Kostenersparnis von durchschnittlich 9,3 Prozent aus“, so Dirk Schäfer vom Düsseldorfer Beratungsunternehmen Kerkhoff Consulting. International Sourcing ist dabei nur eine Möglichkeit im „gestaltbaren Anteil“; bereits globale Beschaffungsmarktforschung kann beispielsweise zu Kostenersparnissen führen (s.o.). Im Folgenden wird die Kosten-Nutzen-Relation von Einsparungen in der Beschaffung mittels einer Annahme dargestellt, die durchaus die Praxis widerspiegelt: Ein mittelständisches Unternehmen hat einen Materialkostenanteil von 50 % am Umsatz und der Gewinn beträgt fünf Prozent des Umsatzes. In dem Fall bedeutet eine oft mögliche Senkung der Materialkosten um zehn Prozent (s. vorstehendes Zitat) eine Verdopplung der Umsatzrendite, also einen um 100 % höheren Gewinn. Auf der Absatzseite müsste der Umsatz verdoppelt werden, um denselben Effekt zu erzielen (vgl. Deil/Heimbrock 2012, S. 5). In der folgenden Darstellung werden diese beiden Realisierungsmöglichkeiten des Ziels einer Gewinnverdopplung anhand eines mittelständischen Beispielunternehmens grafisch abgebildet; das Beispielunternehmen tätigt einen Jahresumsatz von 50 Mio. EUR bei Materialkosten von 25 Mio. EUR und einer Umsatzrendite von 5 % (= Gewinn von 2,5 Mio. EUR):

Darstellung 5: Der Materialkostensenkungseffekt, dargestellt an einem Beispielunternehmen

Quelle: Eigene Darstellung

64

4.

IV. KMU im Spannungsfeld

Einzelbetriebliche Wirkungen

Mit einer verstärkt internationalisierten Arbeitsteilung ist zumeist die Hoffnung auf produktivitätssteigernde Effekte verbunden. Diese können zum einen durch steigende Skalenerträge in der Produktion auf Unternehmensebene entstehen, zum anderen durch Ausnutzung komparativer Vorteile verschiedener Produktionsstandorte. Zudem fördert die Internationalisierung die Verbreitung neuen Wissens und neuer Technologien. Der Zugang zu kostengünstigeren oder qualitativ hochwertigeren Produktionsfaktoren bietet weiteren Spielraum für Produktivitäts- und Umsatzsteigerungen. Langfristig gesehen kann eine effizientere Produktion dem Unternehmen Spielraum für Preissenkungen bieten und somit zu Umsatz- und bei steigenden Skalenerträgen in der Produktion zu weiteren Produktivitätssteigerungen führen. Durch ausländische Direktinvestitionen, die der Markterschließung dienen, können außerdem Effizienzgewinne durch das Wegfallen von Transportkosten gegenüber Exporttätigkeiten realisiert werden. Die Effekte der Internationalisierung werden sich sehr wohl zwischen Unternehmen unterscheiden. Die Gründe hierfür sind insbesondere in den Unterschieden in der Ressourcenausstattung, in den spezifischen Fähigkeiten des Managements, Marktund Produktgegebenheiten sowie Form der Internationalisierung zu suchen. Die Literatur hat sich hierbei insbesondere mit den Wirkungen der Exporttätigkeit von Unternehmen sowie der Direktinvestitionstätigkeit auseinandergesetzt. In Bezug auf die Exporttätigkeit gilt es mittlerweile als stilisierter Fakt, dass eine hohe Produktivität die Exporttätigkeit zwar beflügelt. Uneins ist sich die Literatur dagegen mit Blick auf die umgekehrte Kausalität, bekannt als learning-by-exporting Hypothese. Hierzu wird angenommen, dass die Präsenz auf internationalen Märkten die Absorption zusätzlichen Wissens über die Marktgegebenheiten (Käufergewohnheiten, Zulieferbeziehungen, Konkurrenten) beflügelt. Ferner wird vermutet, dass sich das Unternehmen mit dem Schritt ins Ausland einem höheren Wettbewerbsdruck aussetzt, da es im globalen Wettbewerb gegen weitaus mehr Konkurrenten bestehen muss. Von beidem, höherem Wettbewerbsdruck und Wissensvorsprung wird dann ein produktivitätssteigernder Effekt erwartet. Nach Auswertung von 45 Studien, die in referierten Zeitschriften veröffentlicht wurden, kommt Wagner (2007) in seiner Analyse zu dem Ergebnis, dass Exportaktivität nicht zwingend die Produktivität der Unternehmen erhöht. Gleichwohl nimmt er Abstand davon, von einem stilisierten Fakt zu sprechen, sondern weist vielmehr darauf hin, dass zunächst die Wirkungsmuster korrekt aufzuarbeiten sind (vgl. Wagner 2007). Damit verbunden ist die Vermutung, dass produktivitätssteigernde Effekte vom spezifischen Kontext der Exporttätigkeit abhängen und deshalb nicht generalisierbar sind. In Bezug auf die Effekte der Direktinvestitionstätigkeit ist zunächst einmal zu unterscheiden zwischen Effekten im Zielunternehmen (target company) oder im Herkunftsunternehmen (home company) (vgl. Engel et al. 2011 für eine ausführliche Darstellung). Aus Sicht der Akteure des Inlands ergeben sich damit zwei grundlegende Fragen:

IV. KMU im Spannungsfeld

65

1. Welche Wirkungen ergeben sich für inländische Unternehmen, die im Ausland investieren? 2. Welche Wirkungen ergeben sich für inländische Unternehmen, an denen sich Unternehmen aus dem Ausland beteiligen?

Um die einzelbetrieblichen Effekte ausländischer Direktinvestitionen zu verstehen, ist es wichtig, sich die Motive der Internationalisierung auf Unternehmensebene zu verdeutlichen. Die ökonomische Literatur unterscheidet im Allgemeinen zwischen Marktmotiven – sogenannten horizontalen Direktinvestitionen (Produktionsstätten werden im Ausland dupliziert und somit im Inland aufrechterhalten) – einerseits und Kosten- bzw. Faktormotiven – vertikalen Direktinvestitionen (eine heimische Produktionsstätte bzw. eine Wertschöpfungsstufe des Produktionsprozesses wird geschlossen und ins Ausland verlagert) – andererseits. Entgegen der öffentlichen Wahrnehmung passiert ein Großteil der ausländischen Direktinvestitionen aus Markt- und nicht aus Kostenmotiven. Die Effekte auf die inländische Produktivität und Beschäftigung hängen sehr stark von Motiven und Art des Markteintrittes ab. So werden bei horizontalen Direktinvestitionen keine Produktionsstandorte geschlossen, sondern allenfalls Exportaktivitäten substituiert. Dagegen sind bei dieser Form des Markteintrittes geringere Effekte auf die Produktivität im inländischen Teil des Unternehmens. Aufgrund der Dominanz von Marktmotiven verwundert es daher kaum, dass die Produktivitäts- und Beschäftigungseffekte selten negativ und tendenziell eher positiv sind. Positive Produktivitätseffekte zeigen sich im Übrigen auch bei ausschließlicher Betrachtung von Übernahmen, die einen Großteil aller Direktinvestitionen ausmachen (vgl. Stiebale/Trax 2010). Eine ausgehende ausländische Direktinvestition scheint zudem die Innovationsaktivitäten im Inland eher anzukurbeln als zu substituieren (vgl. u.a. Stiebale 2010). Die hohen Fixkosten von Produktentwicklungen und Innovationsaktivitäten können durch die Expansion ins Ausland auf einen größeren potenziellen Absatzmarkt angewendet werden und erhöhen somit die potenzielle Rendite von Innovationsaufwendungen, die zumeist am Hauptsitz der Unternehmen getätigt werden. In Bezug auf die zweite Frage kommen empirische Untersuchungen oft zu dem Ergebnis, dass ausländische Investoren zu einer Produktivitätssteigerung inländischer Unternehmen führen. Allerdings variieren die Ergebnisse stark über die verschiedenen Länder und verwendeten Methoden (vgl. u.a. Arnold/Javorcik 2009, Benfratello/Sembenelli 2006).

66

5.

IV. KMU im Spannungsfeld

Abstract

Die Internationalisierung bzw. Globalisierung des Wettbewerbs ist keine auf wenige Produktmärkte beschränkte Sondererscheinung, sondern mittlerweile eher zum Normalzustand auf fast allen Märkte geworden. Will man dauerhaft im internationalen Wettbewerb bestehen, stellt sich daher längst nicht mehr die Frage, ob überhaupt internationalisiert wird, sondern wie das „richtige Maß“ einer Internationalisierung aussehen muss. Gerade kleine und mittlere Unternehmen gehen sonst wegen ihrer knappen finanziellen und personellen Ressourcen das Risiko ein, dass sie am Ende zwischen den Stühlen einer abgesicherten regionalen Präsenz auf der einen Seite und einer nennenswerten internationalen Marktposition auf der anderen Seite sitzen. Die Autoren beleuchten einige ausgesuchte Fragestellungen aus der Internationalisierungsforschung, zeigen geeignete Eintrittsformen für Auslandsmärkte auf und geben Anregungen für die Internationalisierung im Einkauf.

IV. KMU im Spannungsfeld

67

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68

IV. KMU im Spannungsfeld

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als

Entscheidungsproblem.

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Eine

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V.

Führung und Strategie: Mehr als nur Bauchgefühl

Norbert Zdrowomyslaw, Harald Wilde 1.

Gibt es den Erfolgsfaktor für eine stabile Unternehmensentwicklung?

Jedes Unternehmen mit den dort arbeitenden Menschen ist einzigartig und entwickelt sich auch unterschiedlich. Wie sich letztlich aber ein bestimmtes (einzelnes) Unternehmen entwickelt und welche Phasen es durchläuft, kann von vielen Ursachen abhängen. Es gibt Unternehmen, die mehrere Generationen überleben und andere, die sich nicht einmal ein Jahr auf dem Markt halten (können) und bereits kurz nach ihrer Gründung liquidiert werden (müssen). Die Entwicklung der Vitalität eines Unternehmens lässt sich dabei durchaus im Zeitablauf strukturieren, wobei man – je nach Art der Abgrenzung – mehrere „Lebensphasen“ unterscheiden kann: z.B. Konzeption – Realisierung – Reife – Optimierung – Alterung und Überalterung oder Gründung – Wachstum – Reifung – Fusion – Schrumpfung und Liquidation. Unternehmen sind komplexe, sozio-technische und produktive Systeme, in denen die Menschen im Mittelpunkt stehen. Sie unterscheiden sich nicht nur in der Rechtsform und Größe, sondern in der Aufbau- und Ablauforganisation sowie vor allem in ihren Visionen, Grundsätzen, Zielen, Strategien und Handlungen. Welche Produkte bzw. Dienstleistungen ein Unternehmen auf den Markt bringt und sich mit diesen im regionalen, nationalen und internationalen Wettbewerb behaupten kann, hängt zum einen von vielen Umweltfaktoren und zum anderen vor allem auch von der Qualität der Führungsmannschaft ab. Die Führer oder Manager einer Unternehmung sind mit einer zunehmenden Dynamik und Komplexität der Unternehmensumwelt (steigende Wettbewerbsintensität, Internationalisierung, Technologiedynamik, Digitalisierung, Bevölkerungsentwicklung, Wertewandel usw.) konfrontiert. Kennzeichnend ist dabei, dass die Umweltveränderungen relativ überraschend erfolgen – d.h. Diskontinuitäten auftreten. Die Führungskräfte müssen sich täglich den Herausforderungen stellen und sich der ständigen Veränderungen ihrer betrieblichen Rahmenbedingungen bewusst werden, damit sie dem Wandel erfolgreich gestalten können. Entscheidungen in Unternehmen werden also in der Regel unter Unsicherheits- und Risikoaspekten getroffen. Das Führen von Unternehmen verlangt Entscheidungen (Willensbildung und Willensumsetzung) bezüglich der Unternehmensentwicklung und Existenzsicherung. Damit steht außer Frage, dass die diversen Handlungsfelder und Aktivitäten, die Einfluss auf den Verlauf des UnternehmensLebenszyklus (vgl. Zdrowomyslaw 2005) haben, sowie die Erfolge und Misserfolge einer Organisation maßgeblich von den Entscheidungsträgern (Vorstände, Geschäftsführer, Hauptabteilungsleiter, Aufsichtsräte etc.) gestaltet und verantwortet werden. Der Wertschöpfungsprozess und die Unternehmensentwicklung, egal um welche Branche oder Unternehmensgröße es sich handelt, sind Erfolge oder Misserfolge letztlich immer auch der Führungsebene zuzuschreiben. Bekanntlich

70

V. Führung und Strategie: Mehr als nur Bauchgefühl

stinkt der Fisch zunächst am Kopf, was die Frage aufwirft: Sind es charismatische Führer oder eher „Nieten in Nadelstreifen“, die das Unternehmen managen? Darstellung: 1: Systemorientiert-ganzheitliches Unternehmensmodell Umwelt undund Stakeholder des Unternehmens Umwelt Stakeholder des Unternehmens

Wirtschaftliche Sphäre

Wirtschaftliche Sphäre

Eigentümer, Aktionäre, Kreditgeber, Mitarbeiter

Eigentümer, Aktionäre,Kreditgeber, Mitarbeiter

Der Unternehmens-Lebenszyklus Unternehmensentwicklung und Wertschöpfungsprozess steuern

Unternehmensführung normative, strategische, operative Vision, Mission, Grundsätze

-Inkompetenz-Fehlprognose-Verzettelungskrise

Oberziele Überleben

Endziel

Liquidität

Teilziel

Gewinnstreben

Teilziel

Wirtschaftlichkeit

Teilziel

-Überexpansions-Diversifikationskrise

-Wendekrise

-Identitäts-Nachfolge-Macht- und Bürokratiekrise

Restrukturierung

Krise Krise

„ Tod“

Krise Krise

Technologische Sphäre

Verbände, Gewerkschaften, Behörden

PionierUnternehmen

WachstumsUnternehmen

innere Unternehmensentwicklung

WendeUnternehmen

ReifeUnternehmen

äußere Unternehmensentwicklung

innere und äußere Unternehmensentwicklung

Betriebslebensphasen u. Managementkonzepte

Diversifikations-Management Konzentrations-, KernkompetenzManagenent

GründungsManagement

Innovations-, VentureManagement

Restrukturierungs-, TurnaroundManagement

Funktionsbereiche

- Unternehmenspolitik/ normative, strategische und operative Führung - Unternehmenspolitik/

- -Personalwirtschaft/ Mitarbeiterführung Organisation

- -Finanzwirtschaft Marketing Investition und Finanzierung - Finanzwirtschaft

- Finanzbuchhaltung Investition und Finanzierung

Planen

Ziele setzen

- -Marketing Unternehmenslogistik

- -Betriebsbuchhaltung/ Finanzbuchhaltung Kosten- und Erlösrechnung - Betriebsbuchhaltung / Kosten- und Erlösrechnung Bürgerinitiativen, politische Partein, allgemeine öffentlichkeit

Bürgerinitiativen, politische Parteien, allgemeine Öffentlichkeit

Gesellschaftliche Sphäre Gesellschaftliche Sphäre

Quelle: Eigene Darstellung

Realisieren

- -Unternehmenslogistik Innovation

Entscheiden

---Innovation Personalwirtschaft/ PersonalwirtschaftMitarbeiterführung / Mitarbeiterführung

Kontrollieren

- Organisation strategische und operative Führung

Ökologische Sphäre

„ Geburt“

Medien, Kunden, Lieferanten

Teilziel

Produktivität

V. Führung und Strategie: Mehr als nur Bauchgefühl

71

Gerade weil das Unternehmen eine „black box“ ist und reale Strukturen und Abläufe sich für jedes Unternehmen anders darstellen und Unternehmen sowie deren Kultur nicht kopierbar sind, können vereinfachte Darstellungen zur Verdeutlichung komplexer Sachverhalte beitragen. Mit der Modellbildung, d.h. einer vereinfachten, nur die Wesensmerkmale hervorhebenden Darstellung und Erklärung der betrieblichen Erscheinungen und Probleme, erhält man als Manager einen ersten Gesamteinblick auf ein Problem- bzw. Entscheidungsfeld. Unser systemorientiert-ganzheitliches Unternehmensmodell (siehe Darstellung 1) orientiert sich an dem sog. St. Galler Ansatz von Bleicher (vgl. Bleicher 2004). Die Grundlagen für diesen Ansatz bilden insbesondere die Systemtheorie nach Ulrich, das Konzept der Sicherung der Überlebensfähigkeit nach Malik mit dem Focus der Entwicklungsfähigkeit von Unternehmen. Letztlich werden Unternehmen als Organisationen gesehen, die fähig sind, sich selbst zu organisieren und zu lernen (sog. lernende Organisation). Die Funktion der Unternehmensverantwortlichen besteht darin, diese Selbst-Organisation zu organisieren und die Unternehmensentwicklung zu managen (vgl. Bea/Haas 2005, S. 31). Ein Unternehmensmodell kann natürlich nicht die Realität im Konkreten widerspiegeln, mit der die Unternehmer und Manager täglich konfrontiert werden. Die „Praxis“ (praktisches Handeln) sieht in jeder Unternehmung anders aus. Es sollte allerdings klar sein, dass Abstraktion und theoretische Überlegungen für die Unterstützung der Entscheidungsfindung und Entscheidungsumsetzung durchaus hilfreich sein können, damit man nicht „betriebsblind“ wird. An dieser Stelle scheint folgendes Zitat angebracht zu sein: Leonardo da Vinci 1452-1519: „Diejenigen, welche glauben, an der Praxis ohne Wissenschaft Gefallen zu finden, sind Schiffer, die ohne Kompass und Steuer fahren. Sie wissen nie wohin die Fahrt geht. Immer muss die Praxis auf guter Theorie beruhen.“ Und schließlich soll kein Geringerer als Albert Einstein einmal gesagt haben, dass es nichts Praktischeres gebe als eine gute Theorie.

2.

Unternehmenserfolg hat viele Väter: Patentrezepte gibt es nicht

Die Analyse der Bestimmungsgründe des Unternehmenserfolgs beschäftigt Wissenschaftler, Unternehmensberater und Manager aus naheliegenden Gründen schon seit je her. Im Mittelpunkt steht die Suche nach den sogenannten kritischen Erfolgsfaktoren. Im Laufe der letzten Jahrzehnte ist eine Vielzahl von Einflussfaktoren identifiziert worden, die nach Meinung der jeweiligen Autoren für den Erfolg unternehmerischen Handelns ausschlaggebend sind (siehe hierzu hinten die Literatur in diesem Beitrag). Patentrezepte für die erfolgreiche Gründung und eine stabile Unternehmensentwicklung gibt es nicht! Aber aus der Diskussion um mögliche relevante Erfolgsfaktoren sowie unter der Zugrundelegung der empirischen Ergebnissen aus der Erfolgsfaktorenforschung wird ersichtlich, dass durchaus von einigen KernErfolgsfaktoren, die eine Orientierung geben können, gesprochen werden kann.

72

V. Führung und Strategie: Mehr als nur Bauchgefühl

Als eine sinnvolle und gängige Systematisierung kann die grobe Unterteilung in externe und interne Erfolgsfaktoren bzw. Erfolgspotenziale (= Voraussetzungen für den zukünftigen Erfolg) betrachtet werden. Denn wollen Entscheider ihr Unternehmen zukunftsorientiert, nachhaltig und erfolgreich gestalten und führen, sollten sie möglichst die externe Umwelt (Umgebung) des Unternehmens (eben von den politischen Rahmenbedingungen bis hin zu Branchenbesonderheiten), die Stakeholder (Interessen-, Einfluss- und Anspruchsgruppen) sowie die unternehmensspezifischen Stärken und Schwächen (Ressourcen) kennen und analysieren, um Wettbewerbsvorteile zu realisieren. Wer als Unternehmensverantwortlicher tragfähige Strategien entwickeln will, sollte sich nicht allein auf seine Erfahrung und Intuition verlassen, sondern sich über „seine“ Erfolgspotenziale im Klaren werden, eine Segmentierung der Wettbewerbsumwelt vornehmen und eine Unternehmensanalyse unter Einbeziehung der Ressourcenfrage durchführen. Im Rahmen der Erstellung einer Situationsanalyse kann es sehr hilfreich sein, sich mit der Beantwortung folgender zwei Fragen zu befassen: x

Was sind die branchenübergreifenden generellen Erfolgsfaktoren, die branchenspezifischen, die unternehmensspezifischen und die geschäftsfeldspezifischen Erfolgsfaktoren?

x

Welche Erfolgsfaktoren können direkt oder indirekt von uns beeinflusst werden, und welche lassen sich nicht beeinflussen?

Empfehlungen und neue Strategien, Instrumente und Konzeptionen für erfolgreiche Unternehmer haben seit Jahren Hochkonjunktur. Spätestens seit der Publikation des Buches „Auf der Suche nach Spitzenleistungen” von Peters und Waterman aus den 80er Jahren mit ihrem Sieben-S-Modell, bestehend aus den Elementen Struktur, Strategie, Systeme, Selbstverständnis, Spezialkenntnisse, Stil und Stammpersonal (vgl. Peters; Waterman 1984) ist die Erfolgsfaktorenforschung auch für KMU populär geworden. Beispiele für Erfolgsfaktoren von weiteren Autoren seien im Folgenden aufgelistet: x

Nagel: Der Autor streicht folgende sechs Erfolgsfaktoren des Unternehmens als besonders wertvoll heraus: Strategie, Organisation, Mitarbeiter, Führungssystem, Informationssystem, Kundennähe (vgl. Nagel 1993).

x

Offensive Mittelstand (Autorenteam): Die elf Erfolgsfaktoren des Checks der Initiative sind Strategie, Liquidität, Risikobewertung, Führung, Kundenpflege, Organisation, Unternehmenskultur, Personalentwicklung, Prozesse, Beschaffung und Innovation (Cernavin; Ehners; Icks; Kruse; Sieker 2012, Einleitung S. XX).

x

Böcker: Aufsetzend auf den empirischen Ergebnissen von Peters und Waterman erstellt Böcker folgenden Katalog von acht Handlungsweisen erfolgreicher Unternehmen (vgl. Böcker 1988, S. 19-21): Neigung zur Handlung, strikte Kundenorientierung, Förderung von Autonomie und Unternehmertum im mittleren Management, Achtung vor dem Mitarbeiter, Unternehmensführung durch Werte, „Schuster, bleib bei Deinen Leisten!”, einfache Organisationsstrukturen und Konzentration der Unternehmensführung auf das Wesentliche.

V. Führung und Strategie: Mehr als nur Bauchgefühl

73

Verdichtend und vereinfachend können aus der Analyse von Peters und Waterman und anderen Untersuchungen folgende acht „Bauernregeln” aufgestellt werden: „Der Kunde ist König“; „Schuster, bleibt bei deinen Leisten“, „Probieren geht über Studieren“, „wir wollen lauter Unternehmer“, „auf den Mitarbeiter kommt es an“, „wir meinen, was wir sagen – und tun es auch“, „Kampf der Bürokratie“ und „so viel Führung wie nötig, so wenig Kontrolle wie möglich“. Offensichtlich ist Unternehmenserfolg kein Zufall, und Erfolge in der Vergangenheit garantieren keine Erfolge für die Zukunft. In den meisten Untersuchungen zur Erfolgs- als auch Krisenursachenforschung werden die Führung (= Management) und die Strategie als zentrale Faktoren für den Erfolg von Unternehmen hervorgehoben. Klar dürfte sein, dass Unternehmenserfolge nicht von der Qualität der Führung (des Führungspersonals) und dem Mitarbeiterstamm zu trennen sind. Die Menschen sind zentrale Erfolgsfaktoren eines Unternehmens und haben strategische Bedeutung für die Unternehmensentwicklung. Vor allem den kleinen und mittleren Unternehmen wird (teilweise zu Recht) unterstellt, dass sie oft aus dem Bauchgefühl heraus geführt werden und die strategische Unternehmensführung – sprich die Zukunftsfähigkeit der Organisation – oft vernachlässigt wird. Wer die drei zentralen Funktionen der Führung, nämlich Entwickeln, Gestalten und Lenken, zielorientiert und strategiegeleitet umsetzt, kann sich Wettbewerbsvorteile verschaffen (vgl. Darstellung 2). Darstellung 2: Hauptfunktionen der Führung

x x x x

Entwicklung Suchen und Realisieren neuer Ziele und Verhaltensweisen Beeinflussung der Unternehmenskultur Förderung der Innovationsfähigkeit Rahmenbedingungen zur Unternehmensevolution schaffen

x x x x

Führung Gestaltung Entwerfen einer Ordnung Organisationsgestaltung  Aufbauorganisation  Ablauforganisation Regeln schaffen Das Unternehmen als handlungsfähige Ganzheit aufrecht erhalten

Lenkung x Festlegen, Auflösen und Kontrollieren von zielgerichteten Aktivitäten x Vollzug von Handlungen x Steuerung der Beschaffung, Produktion und Distribution x Nutzung von Informationen

Quelle: Jung, H.: Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, 12. Aufl., München/Wien 2010, S. 166.

Abschließend sei aber betont, dass jede Führungskraft, will sie die betrieblich gesetzten Ziele erreichen, sowohl aufgabenorientiert (Koordination von Aktivitäten, Arbeitsziele definieren, Anspornen) als auch personenorientiert (Förderung der Mitarbeiter, Förderung von Zusammenhalt und Zusammenarbeit zwischen Mitarbeitern und Vorgesetzten) handeln muss.

74

V. Führung und Strategie: Mehr als nur Bauchgefühl

3.

Von der Unternehmenspolitik zur Strategie: Tun wir die richtigen Dinge?

Die Komplexität der Beziehungen und Vielfalt von Aktivitäten innerhalb einer Organisation und zu seiner Umwelt machen es bereits in der Gegenwart der Unternehmensleitung bzw. den Führungskräften nicht leicht, den Überblick zu behalten. Erst recht stellt die Zukunft eine immer neue Herausforderung für das Unternehmen dar. Unternehmerische Intuition ist nützlich und führt gelegentlich auch zum Erfolg, reicht vielfach aber nicht aus, um in den heutigen turbulenten Zeiten konjunkturelle und strukturelle Anpassungsprozesse möglichst objektiv zu beurteilen und das Unternehmen erfolgreich zu führen. Wie in der Theorie, so wird auch in der Praxis Unternehmensführung recht unterschiedlich interpretiert. Allerdings lässt sich ein logischer Ablauf der Hauptaufgaben für die Steuerung des Verhaltens des Gesamtunternehmens (Strukturen, Verhalten, Aktivitäten) ausmachen: x

Ein oder mehrere Entscheidungsträger formulieren bzw. folgen einer Unternehmensvision und bestimmen das Selbstverständnis eines Unternehmens in Form übergeordneter Ziele, Werte und Normen, Verhaltensweisen und gesellschaftlicher Verantwortung.

x

Es folgt die Klärung, Auswahl und Anpassung der Unternehmensziele unter Berücksichtigung der externen und internen Umweltbedingungen.

x

Unter Bereitstellung und Einsatz der erforderlichen Ressourcen erfolgt die Entwicklung, Ausgestaltung und Umsetzung der Unternehmensstrategien mit den erforderlichen Maßnahmen.

Vor diesem Hintergrund werden in der Literatur i.d.R. die normative, strategische und operative Unternehmensführung unterschieden. Durch Entscheidungen auf der normativen und strategischen Ebene werden die Vorrausetzungen für den zukünftigen Erfolg gelegt, wie Darstellung 3 verdeutlicht. Darstellung 3: Ebenen, Elemente und Ziele der Unternehmensführung

Quelle: Dillerup, R.; Stoi, R.: Unternehmensführung, 2. Aufl., München 2008. S. 127.

V. Führung und Strategie: Mehr als nur Bauchgefühl

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Unternehmenspolitik und strategische Unternehmensführung sollten in unserer schnelllebigen Informationsgesellschaft, in denen das Risiko für die Unternehmen immer größer wird, durch Fehlentscheidungen den Weiterbestand des Unternehmens in Gefahr zu bringen, keine Fremdworte für die Führungskräfte sein. Zu häufig ist die Meinung anzutreffen, dass Unternehmenspolitik eher etwas für Großunternehmen sei und dass das Festlegen von Strategien den Handlungsspielraum zu sehr einschränke. Dem ist entgegenzuhalten, dass die Formulierung von unternehmenspolitischen Grundsätzen (normative Ebene) unter Einbeziehung der Umweltbedingungen und der Kenntnis der Stärken und Schwächen sowie der Erfolgspotenziale des eigenen Unternehmens, die Festlegung strategischer Ziele eher gestattet. Will man als Führungsperson nicht reagieren, sondern agieren, d.h. Organisationen aktiv führen bzw. managen, ist dabei ein systematisches Vorgehen sehr hilfreich. Darstellung 4 zeigt (schematisch) die Phasen, die einen Entscheidungsprozess maßgeblich kennzeichnen. Führen bedeutet vielfach eine Auswahl zwischen mehreren Alternativen zu treffen, also zwischen Entscheidungen (Problemlösungen) abzuwägen. Darstellung 4: Phasen des Entscheidungsprozess

Erfolgsfaktorenanalyse

• Generelle Erfolgsfaktoren • Branchenspezifische Erfolgsfaktoren • Unternehmensspezifische Erfolgsfaktoren Unternehmensanalyse (Stärken-/Schwächen-Analyse)

Zielvorgabe

(1) Anregungs phase

Umweltanalyse (Chancen-/Risiken-Analyse)

unternehmensinterne und –externe Anspruchs- und Interessengruppen

• Erkennen des Problems • Feststellen der Ausgangslage und der Umweltbedingungen • Ursachenanalyse zur Klärung und Präzisierung offener Fragen und der möglichen Absichten Planaufstellung (Entscheidungsvorbereitung)

(2) Suchphase

• Bestimmung der konkreten (Plan-) Ziele bzw. Entscheidungskriterien • Suchen und Ausarbeiten von alternativen Lösungsmöglichkeiten • Ermittlung und Beurteilung der Konsequenzen alternativer Lösungen im Hinblick auf Entscheidungskriterien (Ziele und Umweltdaten)

(3) Entscheidungsphase

• Beurteilen der Lösungsmöglichkeiten • Rangordnung der Lösungen und Wahl der günstigsten Lösung

Planverabschiedung

(4) Realisierungsphase

(5) Kontrollphase

• Vorgabe der Soll-Werte • Umsetzen in Maßnahmen und Handlungsvorschriften • koordinieren, strukturieren, führen • Gestaltung, Implementierung

• Ausführungskontrolle • Ermittlung und Analyse der Ergebnisse (Ergebnisbewertung)

Durchsetzung

Planung = Willensbildung

Vorgabeinformation (Soll)

Willensdurchführung

Kontrolle Rückinformation (Ist)

76

V. Führung und Strategie: Mehr als nur Bauchgefühl

4.

Geplante oder ungeplante Strategien: Welche bringen den Erfolg?

Der Begriff (Unternehmens-)Strategie wird in Theorie und Praxis unterschiedlich definiert und verwendet. Auch darüber, wie Strategien entwickelt und implementiert werden, besteht nur bedingt Einigkeit. Was sich grundsätzlich hinter einer Strategie verbirgt, kann den folgenden zwei Definitionen entnommen werden: x

Strategien sind die Wege zur Zielerreichung in der Gegenwart und Zukunft.

x

„Eine Strategie ist ein geplantes Bündel an Maßnahmen zur Positionierung im Wettbewerb und zur Gestaltung der dazu erforderlichen Ressourcenbasis. Auf diese Weise sollen Wettbewerbsvorteile erzielt werden, durch die neue Erfolgspotenziale geschaffen bzw. bestehende Erfolgspotenziale weiterentwickelt werden“ (Dillerup R.; Stoi, R. 2008, S. 121).

Vor allem die Schule um Minzberg kritisiert, dass Strategien eben nicht zwingend das Ergebnis formaler rationaler Planungen ist, und dementsprechend ein breites Spektrum von Strategietypen in Unternehmen existiert (vgl. Welge; Al-Laham 2012, S. 19-23). Legt man zugrunde, dass der Strategieprozess (vgl. Darstellung 5) von Menschen (Individuen) mit unterschiedlichen Charakteren, Vorstellungen und Verhaltensweisen initiiert, entwickelt und umgesetzt wird, so kann es kaum erstaunen, dass unterschiedliche Wege zur Zielerreichung beschritten werden. Ergänzend sind folgende Besonderheiten von kleinen und mittelständischen Unternehmen zu berücksichtigen: x

Sie weisen Eigentümerorientierung mit spezifischer Unternehmenskultur auf,

x

die Führungskräfte agieren vielfach als „Allrounder“,

x

eine nachhaltige Unternehmensentwicklung und Existenzsicherung haben den Vorrang vor der kurzfristigen Gewinnerzielung,

x

und i.d.R. verfügen sie über geringere personelle und finanzielle Ressourcen.

Darstellung 5: Der Strategieprozess Der Trend in der Leistungsmessung oder Leistungskontrolle geht dahin, verstärkt qualitative Indikatoren zu berücksichtigen, die frühzeitig Informationen über Veränderungen des Marktumfelds liefern. Exemplarisch seien hier die Managementinstrumente Strategisches Controlling, Frühwarnsysteme, Balanced Scorecard genannt. Die strategische Leistungsmessung ist kein nachgelagerter Prozess, sondern kann strategische Initiativen auslösen kann. Quelle: Nach Venzin, M./Rasner, C./Mahnke, V.: Der Strategieprozess, Frankfurt/New York 2011, S. 14 ff.

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Wenn die Autoren Venzin, Rasner und Mahnke (2011) darauf hinweisen, dass die Kunst des Strategie in der Kombination aus systematischer Analyse, strategischer Innovation und unternehmerischer Umsetzungskraft liegt, so kann dem zugestimmt werden. Produkt-, Prozess- sowie Sozial- und Personalinnovationen bilden die Grundlage für den langfristigen Unternehmenserfolg (siehe hierzu u.a. den Beitrag Teil IX. „Innovationen“ von Engel in diesem Buch). Dauerhaft existieren wird vor allem solch ein Unternehmen, das – geplant oder ungeplant – eine geeignete Gesamtunternehmensstrategie (Schaffung einer wertschaffenden Plans für die Gesamtheit der unterschiedlichen Geschäftseinheiten und zu bearbeitenden Marktsegmente), Geschäftsbereichsstrategie (generelle Ausrichtung, wie Wettbewerbsvorteile entwickelt werden können) und funktionale Strategien (vor allem Marketing- und Personalstrategien) entwickelt und umsetzt. Strategien sind aber nicht in Stein gemeißelt, sondern sollten einer sich ändernden Situation angepasst werden. Ideen, Innovation und Kreativität gepaart mit Erfahrung und Intuition sind ständige Begleiter des Unternehmensentwicklungsprozesses. Vor diesem Hintergrund ist es nicht erstaunlich, dass in der Praxis unterschiedliche Strategieverständnisse vorherrschen und Strategien auf der Grundlage eines rationalen Maßnahmenplans eher selten anzutreffen ist. Untersuchungen und Beobachtungen weisen darauf hin, dass insbesondere in KMU eine bestimmte Denkhaltung (Philosophie) in den Köpfen der Führungskräfte verankert ist und eine mehr oder weniger bewusste Positionierung zu ihrer Umwelt angestrebt wird (siehe Darstellung 6). So zeigen z.B. die Studien von Simon, dass unter den „geheimen Weltmarktführern“ (Hidden Champions) viele Unternehmen eine Nischenstrategie (= Fokus) sowie eine Art „weiche Diversifikationsstrategie“ verfolgen. Ausgehend von einem vorher definierten und erfolgreich aufgebauten Kerngeschäfts werden Schritt für Schritt sowohl die Produktpalette als auch Märkte erweitert, die sie mit der Palette bedienen. Allerdings ist bei den Untersuchungen von Simon gemäß der Größenordnung der betrachteten Unternehmen, die vergleichsweise mit der Konkurrenz die höchsten Marktanteile bezogen auf Deutschland, Europa oder die Welt generieren, nur ein Teil der Firmen den KMU zuzurechnen (vgl. Simon 1996, 2007, 2012). Auch wenn Strategien vieler Mittelständler ungeplant (so genannte emergente Strategien) entstehen und somit Chancen mehr intuitiv ergriffen werden, bedeutet dies nicht, dass sich keine bestimmten Muster in den dauerhaften Orientierungen der mittelständischen Unternehmen ausmachen lassen. Bereits zu Beginn der 80erJahre des letzten Jahrhunderts hat Michael E. Porter eine Typisierung so genannter generischer Wettbewerbsstrategien entwickelt. Dabei unterscheidet er drei Normstrategien: Differenzierung, Kostenführerschaft sowie Differenzierungs- und Kosten-Fokus (vgl. Darstellung 6). x

Bei der Kostenführerschaft setzt das Unternehmen auf Standardisierung und Skalenerträge, die sich in einem Kostenvorteil widerspiegeln – trifft eher auf größere Unternehmen zu. Dagegen ist der Kostenfokus auf ein beschränktes Segment durchaus als Strategie für KMU nicht auszuschließen.

78

V. Führung und Strategie: Mehr als nur Bauchgefühl x

Differenzierungsvorteile erlangt ein Unternehmen, wenn es eine Leistung (Produkt oder Dienstleistung) anbietet, die seitens der Nachfrager als einzigartig wahrgenommen wird. Dies kann z.B. durch überlegene Produktqualität, zusatzstiftende Leistungen, Kundendienst, Standortvorteil, Image etc. erreicht werden. Mit der Nischenstrategie (Differenzierungsfokus) konzentriert sich das Unternehmen auf eine spezifische Zielgruppe oder Marktnische mit dem Ziel, ein vorteilhaftes Preis-Leistungsverhältnis zu erzielen.

Legt man empirische Ergebnisse im Hinblick auf Wettbewerbsstrategien von KMU zugrunde, so weisen sie in die Richtung einer Kombination von Nischen- und Differenzierungsstrategie wie folgende Befragung zeigt: Von 100 Unternehmen verfolgen die Strategie “Nische und Differenzierung“ 64, „Differenzierung“ 17, „Nische und Kostenführerschaft“ 3, „Kostenführerschaft“ 3 und „Diverse Kombinationen“ 13 Unternehmen (vgl. Reinemann 2011, S. 97). Darstellung 6: Strategiemuster und generische Wettbewerbsstrategien nach Porter

Quelle: Dillerup, R.; Stoi, R.: Unternehmensführung, 2. Aufl., München 2008. S. 124 und Reinemann, H: Mittelstandsmanagement, Stuttgart 2011, S. 95-124.

Während kleine Unternehmen i.d.R. lokale, d.h. orts- und regionalgebundene Strategien verfolgen, sind mittelständische Unternehmen durchaus nicht nur national ausgerichtet, sondern agieren auch international (siehe Teil IV., Engel u.a.). Globalisierungsstrategien, die den Markt weltweit (global player) definieren, kommen für KMU kaum in Frage. Um Unternehmensstabilisierung und -wachstum zu realisieren, sind unter Berücksichtigung der Eigenständigkeit insbesondere Kooperationsstrategien für den Mittelständler von Bedeutung. Gerade für die Entwicklung von lokalen Unternehmensstrategien gilt das Motto: Gemeinsam sind wir stark (siehe Teil XVIII., Zdrowomyslaw und Wilde).

V. Führung und Strategie: Mehr als nur Bauchgefühl

5.

79

Abstract

Mittelständler sehen sich in den letzten Jahren einem hohen Innovations-, Markt- und Erfolgsdruck ausgesetzt. Welche Faktoren für den Erfolg oder Misserfolg von Unternehmen verantwortlich sind, lässt sich nicht mit letzter Bestimmtheit festmachen. Legt man allerdings die Ergebnisse von Studien zugrunde, so wird schnell ersichtlich, dass jedes (mittelständische) Unternehmen seinen eignen Stil hat, den Markt zu erobern und zu bearbeiten. Vertraut man den Forschungsergebnissen, so zeichnen sich die meisten erfolgreichen Mittelständler durch eine konsequente, personenbezogene Vorgehensweise und eine klare Unternehmensstrategie aus. Strategische Entscheidungen in Firmen sind Grundsatzentscheidungen, die unter Beachtung der Unternehmensressourcen und der Umweltfaktoren versuchen, das Erfolgspotenzial einer Organisation zu erschließen und zu sichern. Unter strategischer Unternehmensführung ist die Initiierung, Entwicklung und Umsetzung von Strategien zu verstehen. In kleinen und mittelständischen Unternehmen kommen eher ungeplante denn geplante (detailliert durchdachte) Strategien zur Umsetzung Intuition und Erfahrung sind oftmals bestimmende Faktoren des Strategieprozesses. Legt man empirische Ergebnisse und Beobachtungen im Hinblick auf Wettbewerbsstrategien von KMU zugrunde, so weisen auf eine Kombination von Nischen- und Differenzierungsstrategie hin. Zieht man empirische Ergebnisse bezüglich der Wettbewerbsstrategien von KMU heran, so dominiert die Kombination von Nischen- und Differenzierungsstrategie. Bei der Umsetzung bestimmter Aktivitäten wie Einkauf, Werbung etc. sind Kooperationsstrategien ins Auge zu fassen, um gerade auf lokalen und regionalen die Märkte effektiver und erfolgreicher bearbeiten zu können. Strategien sind die Wege zur Zielerreichung in der Gegenwart und Zukunft. In der Praxis herrschen unterschiedliche Strategieverständnisse vor und Strategien auf der Grundlage eines rationalen Maßnahmenplans sind eher selten anzutreffen. Oftmals prägen Erfahrung und Intuition das Handeln der Mittelständler. Ein detaillierter Unternehmensplan schafft zwar die Basis für ein strategisches Vorgehen, aber erst eine konsequente Umsetzung der (geplanten oder ungeplanten) von Strategien bringt in der Regel den erhofften Erfolg.

80

V. Führung und Strategie: Mehr als nur Bauchgefühl

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V. Führung und Strategie: Mehr als nur Bauchgefühl

81

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VI. Zukunftsmanagement – Informations- und Berichtswesen ergänzen Erfahrung und Intuition Michael Klotz, Norbert Zdrowomyslaw 1.

Ist Zukunft vorhersehbar und gestaltbar?

Die strategische Ausrichtung und operative Führung eines Unternehmens sollte nicht dem Zufall überlassen werden. Im Zeichen sich beschleunigenden Wandels und zunehmender Komplexität wachsen auch die Anforderungen an die Entscheidungsgrundlagen, über welche die Führungskräfte verfügen müssen. In unserer schnelllebigen Wissensgesellschaft hängt die Güte der Entscheidungen maßgeblich von den zur Verfügung stehenden Informationen ab. Informationen, aufgefasst als zweckorientiertes Wissen, stellen eine wichtige – wenn nicht gar zentrale Voraussetzung für die langfristig ausgerichtete Unternehmensführung und Steuerung der Unternehmensentwicklung dar. Sie tragen zu einer Verminderung der Unsicherheit im Rahmen der Entscheidungsfindung bei. Wer besser über die Gegenwart und Zukunft (z. B. anhand von Marktprognosen) informiert ist, ist im Vorteil (vgl. Graf 1999). Die richtige „Nase“ oder das richtige „Händchen“ bei der Einschätzung der Vorhersagen kennzeichnen oft den erfolgreichen Unternehmer. Wer erfolgsversprechendes unternehmerisches Zukunftsmanagement betreiben will, sollte sich nicht allein auf seine Erfahrung und Intuition verlassen, sondern auch auf ein empfängerorientiertes Berichtswesen setzen.

2.

Der Informationsbegriff aus pragmatischer Sicht

Der Informationsbegriff lässt sich am besten mit Hilfe eines der Semiotik entlehnten Ebenenmodells erklären, siehe Darstellung 1. Darstellung 1: Von Daten zu Informationen

Informationen + Pragmatik (Zweckorientierung) Nachrichten + Semantik (Bedeutung) Daten + Syntax (Struktur) Welt der Zeichen und Signale

Quelle: Pietsch/Martiny/Klotz: Strategisches Informationsmanagement - Bedeutung und organisatorische Umsetzung, 4. Aufl., Berlin 2004, S. 41.

VI. Zukunftsmanagement – Informations- und Berichtswesen

83

Den Ausgangspunkt bildet der grundlegende Tatbestand der Verwendung von Zeichen und Signalen (als technisch kodierten Zeichen) im Rahmen der zwischenmenschlichen Kommunikation (im Folgenden nach Klotz 2011, S. 11ff.). Auf einer syntaktischen Ebene werden die verschiedenen Zeichen miteinander in Verbindung gebracht, d. h. sie werden in eine Struktur überführt und darin eingebunden. Durch diesen Schritt entstehen Daten, die einer einheitlichen Syntax gehorchen und dieser Syntax entsprechend mit technischen Mitteln verarbeitet werden können. Maßgebend für diese Sicht ist die Definition der Norm ISO/IEC 2382-1, die Daten als formalisierte Darstellung von Informationen, vorbereitet für Übertragung, Interpretation und automatische Verarbeitung, beschreibt (nach ISO/IEC 2382-1). Auf der semantischen Ebene erhalten die Daten zusätzlich eine inhaltliche Bedeutung für den Empfänger der Daten, die damit zur Nachricht werden. An dieser Stelle tritt das Bewusstsein einer Person hinzu, die die Nachricht „zur Kenntnis nimmt und versteht“. Aber nicht jede verstandene Nachricht löst bei ihrem Empfänger eine Handlung aus, sie ist für ihn eben letztlich nicht immer von Interesse. Auf der pragmatischen Ebene ist jedoch solch ein handlungsleitendes Interesse erforderlich (beispielsweise um Entscheidungen vorzubereiten oder zu treffen), damit aus einer Nachricht eine Information wird. Das Interesse ergibt sich aus einem Situationsbezug, der sich in der Regel dadurch auszeichnen wird, dass zur Erreichung eines bestimmten Zweckes eine oder mehrere Aufgaben innerhalb einer gewissen Zeit auszuführen sind. Die Information unterstützt oder ermöglicht die Aufgabenbearbeitung, indem sie direkt zu einem bestimmten Arbeitsergebnis führt bzw. in dieses eingeht oder zu Handlungen Anlass gibt, die die Aufgabenerfüllung nach sich ziehen. Diesen Zusammenhang enthält Darstellung 2 einmal allgemein und einmal anhand eines Beispiels aus der Finanzplanung. Darstellung 2: Zusammenhang zwischen Zwecken, Aufgaben und Informationen Aufgabenträger will erreichen

will nutzen führt

durch ermöglicht

erfüllt Zweck

Aufgabe

Information erfordert

erfordert

Finanzplaner will erreichen

will nutzen führt durch

Sicherung der Liquidität

erfüllt erfordert

Quelle: Eigene Darstellung

Liquidität planen

ermöglicht erfordert

Daten über künftige Ein- und Auszahlungen

VI. Zukunftsmanagement – Informations- und Berichtswesen

84

Vereinfacht lässt sich somit folgende Gleichung aufstellen: Information = Zeichen + Struktur + Bedeutung + Zweckorientierung Betriebliche Zwecke werden durch die erfolgreiche Ausführung von Aufgaben erreicht. Die Informationsgewinnung muss somit immer auch danach fragen, welche Daten aufgabenrelevant sind. Diese Auswahl erfolgt durch den jeweiligen Aufgabenträger, d. h. diejenige Person, die die betreffende Aufgabe (i. d. R. arbeitsteilig) bearbeitet. Aufgabenträger kann zwar auch ein Computerprogramm sein. Dieses „entscheidet“ aber nicht über die Daten, auf die für die Verarbeitung zugegriffen wird, sondern der Datenzugriff wird bei der Programmierung durch den Softwareentwickler festgelegt. Informationsverarbeitung bleibt also dem Menschen, die Datenverarbeitung primär dem Computer als Maschine überlassen. Im Hinblick auf die eben angesprochene, bei der Informationsgewinnung zu treffende Auswahl zeigt sich, dass der Informationsbegriff einen gewissen subjektiven Gehalt aufweist. Was für den einen eine wichtige Information darstellt, schätzt ein anderer eventuell als unbedeutend ein. Trotzdem wird es in einer beruflichen Fachgemeinschaft in den allermeisten Fällen eine breite Übereinstimmung darüber geben, welche Informationen für die Durchführung einer bestimmten Aufgabe heranzuziehen sind. Eine Information kann nur dann entstehen, wenn sie sprachlich kodiert vorliegt und wenn sich ein menschlicher Gedankenträger ihrer bewusst ist. Das, was als Daten in Archiven, Ordnern, Karteien, Dateien, CD-ROMs, Datenbanken oder anderen Informationsträgern lagert, wird somit erst dann potentiell zu Information, wenn eine Person davon Kenntnis nimmt. Damit gibt es zu jedem Zeitpunkt ungleich mehr Daten als Informationen, da man nur einen verschwindend geringen Bruchteil der gespeicherten Daten auch gerade „im Kopf“ parat haben kann. In der Praxis wird kaum oder nicht deutlich zwischen Daten, Nachricht und Information unterschieden. Vor allem der Nachrichtenbegriff wird nur selten verwendet. Trotzdem ist die beschriebene Herleitung des Informationsbegriffs von Bedeutung, da hierdurch das Handlungsinteresse bezüglich der Informationsversorgung im Unternehmen und am Arbeitsplatz auf folgende praxisrelevante Fragestellungen gelenkt wird: x

Welche Unternehmens- oder Bereichsziele sollen erreicht werden?

x

Welche Aufgaben sind hierfür durchzuführen?

x

Welche Informationen werden für die Durchführung der verschiedenen Aufgaben benötigt?

x

Welche Daten sind miteinander zu verknüpfen, um daraus die benötigten Informationen zu generieren?

x

Stehen diese Daten derzeit überhaupt zur Verfügung? Und wenn ja, in welcher Qualität?

x

Woher, wie und zu welchen Kosten sind diese Daten zu beschaffen, wenn sie nicht zur Verfügung stehen?

VI. Zukunftsmanagement – Informations- und Berichtswesen

3.

85

Information und Wissen

Schon seit vielen Jahren (und nicht erst durch die jüngsten Diskussionen um ein Wissensmanagement) ist der Begriff der Information mit dem Begriff „Wissen“ eng verbunden. So versteht Wild Information als "effektives oder potenzielles Wissen" (Wild 1982, S. 119). Hierbei gilt als effektives Wissen solches, das für den Wissenden gedanklich verfügbar, ihm also bewusst ist. Potenzielles Wissen muss dagegen erst durch Bewusstmachung in effektives Wissen transformiert werden. Ein Beispiel soll dies verdeutlichen: Frau Meier in der Finanzabteilung soll eine Liquiditätsplanung für die nächsten drei Monate erstellen. Für diese Aufgabe verwendet sie eine Tabellenkalkulationsvorlage, die sie in einem elektronischen Ordner „Finanzplanungen“ abgelegt hat. Für drei von fünf Produkten weiß sie genau, wann mit welchen Verkäufen, und damit Einzahlungen, zu rechnen ist. All dies ist das effektive Wissen von Frau Meier. Für die beiden Produkte, bei denen sie die Verkaufszahlen nicht kennt, muss sie sich erst beim Vertriebsleiter, Herrn Müller, informieren. Dieser verspricht ihr, eine Auflistung der benötigten Zahlen per E-Mail zuzusenden. Bevor Frau Meier die Zahlen zur Kenntnis genommen hat, sind diese für sie als potenzielles Wissen einzustufen (gleichwohl stellen die Zahlen für Herrn Müller bereits effektives Wissen dar). In dem Moment, in dem Frau Meier die Zahlen liest, wird das potenzielle zu effektivem Wissen.

Auch diese Bewusstmachung muss zweckorientiert erfolgen, nämlich im Hinblick auf die Erfüllung einer Aufgabe, mit der die Erreichung der Betriebsziele (bzw. der diesen dienlichen eigenen Arbeitsziele) angestrebt wird. Hiermit ergibt sich der vielzitierte, von Wittmann formulierte betriebswirtschaftliche Informationsbegriff: Information ist zweckorientiertes Wissen, das zur Erreichung eines konkreten Zwecks eingesetzt wird (Wittmann 1959, S. 14). Somit ist nur solches Wissen als Information zu bezeichnen, das dazu dient, eine Handlung vorzubereiten oder vorzunehmen. Dies gilt aber auch umgekehrt: Ohne eine Aufgabe, also ohne konkrete Zweckorientierung, verharrt das Wissen des Menschen quasi als Allgemeinwissen (bewusst oder unbewusst) in seinem Kopf und wird erst dann zu relevanter Information, wenn es auf eine konkrete Aufgabenstellung bezogen wird. Wenn nun die Zweckorientierung das ausschlaggebende Kriterium dafür ist, dass sowohl aus Daten als auch aus Wissen Information wird, stellt sich die Frage, was der originäre Beitrag des Wissensbegriffs ist. Wird der Datenbegriff eng der technischen Ebene der Verarbeitung, Weiterleitung und Speicherung von Zeichen zugeordnet, so lässt sich Wissen quasi an der anderen Seite des Spektrums ansiedeln. Hier ist es das an den Menschen gebundene Wissen, verstanden als lebensweltliches Orientierungs- und Interpretationsvermögen, als Summe fachlicher Fähigkeiten, Fertigkeiten und Erfahrungen, als konkretes Know-how (also Verfahrenswissen) oder als Vermögen, mit anderen hinsichtlich einer Aufgabenbearbeitung zu kommunizieren und zu kooperieren („soziales Wissen“). Wenn dieses Wissen heute im Rahmen eines Wissensmanagements mit Methoden und Techniken der Künstlichen Intelligenz (z.B. mittels semantischer Modellierung oder neuronaler Netze) externalisiert und verfügbar gemacht werden soll, so ist hierfür

86

VI. Zukunftsmanagement – Informations- und Berichtswesen

doch wieder eine Umsetzung auf die Ebene der Daten erforderlich, die dann wiederum für die Informationsgenerierung zur Verfügung stehen. In diesem Sinne spielt das Wissen eine wichtige Rolle, indem es den kognitiven Rahmen bildet, durch den der Aufgabenträger auf der subjektiven Ebene den „pragmatischen Übergang“ vollzieht, indem er die Daten, die für ihn Informationen darstellen, identifiziert, selektiert, verarbeitet usw. Insofern ist das Wissen in Bezug auf die Information interesseleitend. Bildhaft lässt sich dies durch eine Erweiterung von Darstellung 2 wie folgt veranschaulichen. Darstellung 3: Wissen als Rahmen der Informationsselektion und -verarbeitung

Wissen

interpretiert

verfügt

leitet Interesse

über

Aufgabenträger will erreichen

will nutzen

führt durch erfüllt Zweck erfordert

Aufgabenbearbeitung

ermöglicht Information erfordert Daten

Quelle: Eigene Darstellung

Sein Wissen ermöglicht es dem Aufgabenträger, den jeweiligen Aufgabenzweck in größere Sinnzusammenhänge, Entwicklungen, Arbeitsprozesse etc. einzuordnen. Aus seiner Erfahrung heraus bieten sich ihm erfolgversprechende Herangehensweisen für die Aufgabenbearbeitung an, oder er wird auf spezielle Methoden und Techniken zurückgreifen. Außerdem kann er den notwendigen Unterstützungsbedarf durch andere Personen, aber auch deren Interessen abschätzen. All dies konstituiert das Interesse, mit dem der Aufgabenträger die zur Verfügung stehenden Daten sichtet, auswählt und als Informationen für die Aufgabenbearbeitung nutzt.

4.

Information als Produktionsfaktor

Mit der Qualifizierung als (betrieblicher) Produktionsfaktor tritt die Information neben die traditionellen Produktionsfaktoren, wie Betriebsmittel, Finanzen oder Personal (im Folgenden vgl. Klotz 2003c). Diese Sichtweise gründet sich auf die zahlreichen Rollen, die der Information im betrieblichen Alltag zukommen:

VI. Zukunftsmanagement – Informations- und Berichtswesen

87

x

sämtliche Geschäftsprozesse eines Unternehmens sind durch Informationsbeziehungen miteinander verbunden und benötigen deshalb eine stabile, integrierte Informationsversorgung;

x

Informationen stellen Entscheidungsgrundlagen dar und sind damit in allen Unternehmensbereichen auf jeder hierarchischen Ebene von Bedeutung;

x

ein möglichst offener und partnerschaftlicher Umgang mit Information die ist Grundlage der Kommunikation und Zusammenarbeit im Unternehmen;

x

durch Informationsprozesse entstehen Kosten, die die Rentabilität des Unternehmens in relevantem Umfang beeinflussen;

x

Informationen und Informationssysteme sind ein Treiber von Innovation im Unternehmen. Dies kann sich in der Verbesserung sowohl von Prozessen als auch von Produkten ausprägen;

x

die Nutzung der Informationssysteme und der informationstechnischen Infrastruktur muss gesteuert werden. Hierzu sind Entscheidungs- und Verantwortungsstrukturen zu etablieren, Investitionen zu tätigen sowie Planungs- und Kontrollsysteme einzurichten (derartige Strukturen werden in ihrer Summe mit dem Begriff „IT-Governance“ bezeichnet);

x

Informationen haben eigene Qualitätsmerkmale, bspw. hinsichtlich Genauigkeit, Vollständigkeit, Verfügbarkeit, Schutzwürdigkeit oder Aktualität, und sollten damit Gegenstand des betrieblichen Qualitätsmanagements sein;

x

vertrauliche, finanzielle oder geschäftskritische Informationen weisen einen erhöhten Schutzbedarf auf und sind hierdurch Gegenstand des betrieblichen Risikomanagements.

Aus diesen Aspekten resultiert die Notwendigkeit, die Nutzung von Information als einen eigenständigen Aufgabenbereich anzusehen. Handlungsleitende Fragestellungen beziehen sich in dieser Sichtweise nicht mehr nur auf die Information an sich, sondern auf alle informationellen Ressourcen (Hard- und Software, Anwendungen, Daten, Speichermedien und Archive etc.), die im Unternehmen geplant, betrieben, organisiert, gesteuert werden müssen und für deren Nutzung die Mitarbeiter des Unternehmens entsprechend zu qualifizieren sind. Als Ausgangspunkt zur Identifizierung der verschiedenen Handlungsfelder in Bezug auf die Nutzung informationeller Ressourcen kann eine Grobgliederung des Informationsprozesses in die drei Informationshandlungen Informationsbeschaffung, -verarbeitung und -abgabe dienen (im Folgenden vgl. Pietsch/Martiny/Klotz 2004, S. 50ff.) Jede dieser drei Handlungen lässt sich in Einzelhandlungen zerlegen und auf Unterstützungsmöglichkeiten hin untersuchen, so dass sich ein ganzheitliches Bild zu der Frage erarbeiten lässt, welche organisatorischen, technischen oder personellen Optionen und Maßnahmen im Sinne des Managements des Produktionsfaktors „Information“ von Bedeutung sind. Darstellung 4 zeigt dies schematisch. Welche Workflow- oder Information-Retrieval-Systeme beispielsweise als konkrete informationelle Ressourcen auszuwählen, einzuführen und zu betreiben sind, ist – weil unmittelbar mit ausführendem Informationshandeln in Verbindung stehend – eine operative Fragestellung, die durch eine Nutzendiskussion anhand der unterstützten Informationshandlungen zu klären ist. Gleiches gilt für Maßnahmen der Datensicherheit und des Datenschutzes (wobei hier der Nutzen vor allem auch in der Erfüllung von Gesetzesauflagen besteht). Allerdings sind in jedem Fall Grundsatzentscheidungen erforderlich, mit denen festlegt wird, dass diese Technologien als

88

VI. Zukunftsmanagement – Informations- und Berichtswesen

informationelle Ressourcen überhaupt einzusetzen sind und in welchen organisatorischen, finanziellen, technischen und personellen Rahmenstrukturen unter Nutzung welcher Instrumente zum Management des Produktionsfaktors „Information“ dies zu erfolgen hat. Darstellung 4: Einsatz informationeller Ressourcen zur Unterstützung von Informationshandlungen

Festlegung von Zugriffsrechten und -konzepten

Einführung von InformationRetrievalSystemen

Nutzung von Pulltechnologien für die Informationsgewinnung

Informationsbeschaffung Qualifizierung der Anwender für die Nutzung von RechercheSystemen

Konzeption einer Kommunikationspolitik für die Informationsverteilung an die Mitarbeiter Inanspruchnahme eines externen Dienstleisters für die Vernichtung von Informationsträgern

Einsatz eines zentralen Back-up-Systems für die Datensicherung

Nutzung von WorkflowManagementSystemen

Informationsabgabe Überprüfung der Einhaltung der DatenschutzRichtlinie

Nutzung von OCR-Verfahren für die Datenerfassung

Informationsverarbeitung Qualifizierung der Anwender für die Nutzung von Officeund Fachapplikationen

Festlegung von Datenveranwortlichkeiten

Nutzung optischer Speichermedien für die Archivierung und Datenspeicherung

Legende:

Einsatz informationeller Ressourcen

Informationshandlung

Quelle: Pietsch/Martiny/Klotz: Strategisches Informationsmanagement – Bedeutung und organisatorische Umsetzung, 4. Aufl., Berlin 2004, S. 51.

5.

Controlling gerechtes und empfängerorientiertes Berichtswesen

Um die Richtung und den Weg eines Unternehmens festzulegen sowie die Steuerung des Geschäftsgeschehens zu gewährleisten, ist die Führungskraft auf entscheidungsrelevante Informationen angewiesen. Dabei ist es wichtig, Informationen zu generieren, die die Vergangenheit nicht auszublenden und die Gegenwart sowie Zukunft strategiegeleitet und zielorientiert abbilden. Der Aufbau eines Controlling gerechten sowie empfängerorientierten Informationssystems und Berichtswesens zur Unterstützung der Willensbildung und Willensdurchsetzung ist anzustreben (vgl. Czenskowsky/Schünemann/Zdrowomyslaw 2010, S. 159ff.). Ein solches Informationssystem dient der Informationssammlung, -verarbeitung und -interpretation und stellt die Basis eines funktionierenden Controllings dar (zum Controlling siehe

VI. Zukunftsmanagement – Informations- und Berichtswesen

89

Czenskowsky/Schünemann/Zdrowomyslaw 2010 und weitere Quellen zum Controlling siehe Literatur). Um unternehmerische Fehlentscheidungen zu vermeiden, müssen ständig und unmittelbar Rückmeldungen von Informationen der analysierten Tatbestände erfolgen. Dafür ist die Etablierung eines Berichtssystems im Unternehmen erforderlich. Wie ein Berichtswesen im konkreten Fall gestaltet sein sollte, hängt auch von den Strukturen und individuellen Bedürfnissen eines Unternehmens ab. Grundsätzlich sollen Controllerberichte folgende Reaktionen und Aktionen bewirken: x

Erkennen und Bewerten von Planrealitäten,

x

Ansprechen der am Erfolg oder Misserfolg beteiligten Verantwortungsbereiche,

x

Vergleiche vornehmen (z.B. Soll-Ist-Vergleich, Betriebsvergleiche, Benchmarking) und Ursachen- und Abweichungsanalysen durchführen,

x

Einleiten von Gegenmaßnahmen.

Legt man zugrunde, dass jede unternehmerische Entscheidung genau genommen die Folge von richtigen oder falschen Informationen ist, wird die Bedeutung des Aufbaus und der Pflege eines aussagefähigen Informationssystems ersichtlich. Die Installierung eines ziel- und hierarchieorientierten Informationssystems, das Informationen umfassend und systematisch den Empfängern zur Verfügung stellt, kann als Hauptaufgabe der Führungskraft oder des Controllers angesehen werden, da die Richtigkeit einer Entscheidung maßgeblich (sowohl inhaltlich als auch zeitlich) von der Güte bzw. überhaupt vom Vorhandensein der Informationen abhängt Darstellung 5 zeigt das Modell eines Informationssystems mit einer Berichtshierarchie (von unten nach oben: Kostenstellenleiter, Hauptabteilungsleiter, Bereichsleiter sowie Geschäftsleitung bzw. Vorstand) mit dem Ziel, die Berichtsinhalte bzw. erforderlichen Kennzahlen mit steigender Entscheidungskompetenz und Verantwortung des Empfängers zu verdichten (vgl. Zdrowomyslaw/ Kasch 2002, S. 40). Auf ein kennzahlengestütztes Berichtswesen (Kennzahlen und Kennzahlensysteme mit Früh- und Spätindikatoren) als Analyse- und Führungsinstrument sollte kein Unternehmen verzichten (vgl. Reichmann 2006). Unter Beachtung der Unternehmensgröße gilt es ein Informationssystem aufzubauen, das einerseits den Informationsbedürfnissen der Entscheidungsträger in einem Unternehmen Rechnung trägt und andererseits dem Wirtschaftlichkeitsprinzip entspricht. Das Ziel kann nicht sein, möglichst komplexe und „fortschrittliche” Informationssysteme aufzubauen, sondern diese empfängerorientiert und wirtschaftlich zu gestalten. Controlling und Berichtswesen stellen keinen Selbstzweck dar, sondern sollen das Ziel-, Planungs-, Kontroll- und Steuerungssystem eines Unternehmens möglichst effektiv und effizient ausgestalten.

90

VI. Zukunftsmanagement – Informations- und Berichtswesen

Darstellung 5: Hierarchie des betrieblichen Informationsbedarfs Entscheidungsebenen

Bereich A: enthält die reinen „Führungszahlen“ für die Geschäftsleitung.

Bereich B: enthält primär diejenigen Zahlen, die zum Ausführen solcher Führungsentscheidungen benötigt werden.

TopManagement (Strategie) Geschäftsleitung/ Vorstand Funktional Management (Taktik)

Operational Management (Ausführung)

V E R D I C H T E N

• politische

Konzentrierte Informationen

• strategische

Betriebliche Hauptabteilungen Abteilungen

Kostenstellen Maschinengruppen

• taktische

Verdichtete und verknüpfte Informationen

• operative

Basis Produktion: Arbeitsplätze/Maschinen Alle Daten aus Vertrieb, Produktion, Beschaffungswesen, Personalwesen, Rechnungswesen und Finanzbereich

Basisinformationen

Quelle: Eigene Darstellung

6.

Abstract

Die zunehmende Komplexität der gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen macht es für Führungskräfte von Unternehmen immer schwieriger, Voraussagen über die zukünftige Entwicklung von Wirtschaft und Gesellschaft zu machen und die richtigen Entscheidungen zu treffen. Wer erfolgsversprechendes unternehmerisches Zukunftsmanagement betreiben will, sollte sich nicht allein auf seine Erfahrung und Intuition verlassen, sondern auch auf ein controllergerechtes und empfängerorientiertes Informations- und Berichtswesen setzen. Wer über die richtigen und relevanten Umfeld- und Unternehmensinformationen verfügt, kann fundierter entscheiden und sein Unternehmen nachhaltiger und zukunftsweisender ausrichten. Denn die Güte der Entscheidungen, welche heute getroffen werden, hängt maßgeblich von der richtigen Einschätzung der Zukunft ab. Informationen, aufgefasst als zweckorientiertes Wissen, stellen eine wichtige – wenn nicht gar zentrale Voraussetzung für die langfristig ausgerichtete Unternehmensführung und Steuerung der Unternehmensentwicklung dar. In dieser Sichtweise kann Information sogar als (betrieblicher) Produktionsfaktor aufgefasst werden. Das Management dieses Produktionsfaktors richtet sich dann auf alle informationellen Ressourcen (Hard- und Software, Anwendungen, Daten, Speichermedien und Archive etc.), die im Unternehmen geplant, betrieben, organisiert oder gesteuert werden müssen und für deren Nutzung die Mitarbeiter des Unternehmens zu qualifizieren sind.

VI. Zukunftsmanagement – Informations- und Berichtswesen

91

Ein Informations- und Berichtswesen muss effektiv, d. h. auf die Unternehmensoder Bereichszielen ausgerichtet werden. Ziele werden durch Aufgabenerfüllung erreicht. Hierzu sind wiederum Informationen erforderlich, deren Grundlage die im Unternehmen bereit gestellten Daten bilden. Die Verfügbarkeit von Daten in der erforderlichen Qualität (die sich bspw. ausdrückt in der Genauigkeit, Vollständigkeit, Schutzwürdigkeit oder Aktualität von Daten) zu vertretbaren Kosten stellt heute eine wesentliche Herausforderung für Unternehmen dar. Das Know-how in Bezug auf die Nutzung von Information bietet zudem einen Ansatzpunkt für ein systematisches Wissensmanagement. Dieses soll es dem Aufgabenträger ermöglichen, den jeweiligen Aufgabenzweck in größere Sinnzusammenhänge, Entwicklungen, Arbeitsprozesse etc. einzuordnen.

Nicole Deiwick

92

VI. Zukunftsmanagement – Informations- und Berichtswesen

Quellen und weiterführende Literatur Bussiek, J.: (1994) Informationsmanagement im Mittelstand. Erfolgspotenziale erkennen und nutzen, Wiesbaden. Czenskowsky, T/ Schünemann, G/ Zdrowomyslaw, N.: (2010) Grundzüge des Controlling. Lehrbuch der Controlling-Konzepte und Instrumente, 3. Aufl., Gernsbach. Friedag, H. R./ Schmidt, W.: (1999) Balanced Scorecard. Mehr als ein Kennzahlensystem, Freiburg/Berlin/München. Froese, Eva/ Birker, Klaus (Hrsg.): (2008) Formelsammlung BWL. Die wichtigsten betrieblichen Kennzahlen für Praxis und Ausbildung, Berlin. Graf, H. G.: (1999) Prognosen und Szenarien in der Wirtschaftspraxis, München/Wien. ISO/IEC 2382-1: (1993) International Organization for Standardization/ International Electrotechnical Commission (Hg.): ISO/IEC 2382-1: Information technology – Vocabulary, Part 1: Fundamental terms. Kaplan, R. S./ Norton, D. P.: (2000) Balanced Scorecard, Ludwigshafen am Rhein. Klotz. M.: (2003) Informationsgut. In: Schildhauer, Thomas (Hrsg.): Electronic Business-Lexikon, München-Wien, S. 161-165 Klotz, M.: (2011) Konzeption des persönlichen Informationsmanagements. In: SIMAT Arbeitspapiere. Hrsg. von Michael Klotz. Stralsund: FH Stralsund, SIMAT Stralsund Information Management Team, 2011 (SIMAT AP, 3 (2011), 12). Kralicek, P.: (1995) Kennzahlen für Geschäftsführer, Wien. Lanz, R.: (1992) Controlling in kleinen und mittelren Unternehmen, 3. Aufl., Bern/Stuttgart. Lingau, V. (Hrsg.): (2009) Mittelstandscontrolling 2009, Lohmar/Köln. Meier, Rolf: (1995) Führen mit Zielen. Fördern – Fordern – Motivieren, Berlin/Bonn/Regensburg. Ossala-Haring, C. (Hrsg.): (1999) Das große Handbuch Kennzahlen zur Unternehmensführung. Kennzahlen richtig verstehen, verknüpfen und interpretieren, Landsberg/Lech. Ossala-Haring, C. (Hrsg.): (1996) Die 499 besten Checklisten für Ihr Unternehmen. Managementhilfen für alle betrieblichen Bereiche, Landsberg/Lech. Pepels, W. u.a.: (2008) Expert Praxislexikon. Betriebswirtschaftliche Kennzahlen. Instrumente zur unternehmerischen Leistungsmessung, 2. Aufl., Renningen. Pietsch, Th./ Martiny, L./ Klotz, M.: (2004) Strategisches Informationsmanagement, Bedeutung und organisatorische Umsetzung, 4. Aufl., Berlin. Reichmann, T.: (2006) Controlling mit Kennzahlen und Management-Tools. Die systemgestützte Controlling-Konzeption, 7. Aufl., München. Scheld, G. A.: (2006) Controlling im Mittelstand. Band 1: Grundlagen und Informationsmanagement, 3. Aufl., Büren. Weber, M.: (1999) Kennzahlen. Unternehmen mit Erfolg führen, Planegg. Weber, H. K.: (1998) Rentabilität, Produktivität und Liquidität. Größen zur Beurteilung und Steuerung von Unternehmen, 2. Aufl., Wiesbaden. Wild, J.: (1982) Grundlagen der Unternehmensplanung, 4. Aufl., Opladen. Wittmann, W.: (1959) Unternehmung und unvollkommene Information: Unternehmerische Voraussicht – Ungewißheit und Planung, Köln-Opladen. Zdrowomyslaw, N. (Hrsg.): (2005) Von der Gründung zur Pleite. Unternehmens-Lebenszyklus und Management der Unternehmensentwicklung, Gernsbach. Zdrowomyslaw, N./ Kasch, R.: (2002) Betriebsvergleiche und Benchmarking für die Managementpraxis. Unternehmensanalyse, Unternehmenstransparenz und Motivation durch Kenn- und Vergleichsgrößen, München/Wien.

VII. Fünf gute Gründe für Organisation, oder: Warum Unternehmen heute überhaupt noch organisieren müssen Michael Klotz 1.

Das Ende der Organisation?

Organisation führt zu Bürokratie, die schon an sich schlecht ist. Organisation stellt einen „Overhead“ dar, der nur kostet. Organisation braucht viel Zeit, die wir nicht haben. Organisation beschäftigt sich nur mit sich selbst, und nicht mit dem Geschäft. Organisation führt zu Ergebnissen, die kaum hat man sie mit viel Aufwand erreicht, auch schon wieder veraltet sind. Organisation ist nur was für große Unternehmen, wir dagegen sind so klein, da brauchen wir keine organisatorischen Regelungen. – Dies ist eine Auswahl an Vorbehalten, mit denen der Autor in den letzten Jahren in Gesprächen mit Vertretern mittelständischer Unternehmen konfrontiert wurde. Die Daseinsberechtigung der Organisation – oder besser der organisatorischen Gestaltung steht offenbar zur Debatte. Und ist dies nicht richtig, wenn heutzutage in größeren Unternehmen die Organisationsabteilungen abgebaut oder in die IT-Funktion integriert werden? Macht nicht gerade der Einsatz von Informationstechnologie (IT) organisatorische Gestaltung und Gestalter überflüssig? Schließlich sind doch Geschäftsprozesse in Anwendungssoftware gleichsam verdrahtet. Da kann die Organisationsarbeit doch auch von den IT-Experten en passant mit erledigt werden. Dass dies ein Trugschluss ist, soll an fünf Begründungen für die Notwendigkeit der organisatorischen Gestaltung und ihres Ergebnisses, der Aufbau- und Prozessstruktur des Unternehmens, demonstriert werden, siehe Darstellung 1. Diese Begründungen sind nicht abschließend und schon gar nicht im Sinne von notwendigen Kausalzusammenhängen zu verstehen. Sie resultieren vielmehr aus bewährten Erfahrungen, allgemein verbindlichen Vorgaben, aktuellen Anforderungen oder einer breit geteilten Expertenmeinung. Damit sind sie natürlich nicht der kritischen Betrachtung entzogen – aber sie können und sollten auch nicht leichtfertig abgetan werden. Darstellung 1: Fünf Gründe für Organisation

Quelle: Eigene Darstellung

94

VII. Fünf gute Gründe für Organisation

2.

Grund 1: Organisation setzt Strategien um

Die von Alfred DuPont Chandler, Jr. (1918 bis 2007) stammende These „Structure follows Strategy“ ist wohl einer der am meisten zitierten Lehrsätze der Organisationslehre. Unter „Struktur“ versteht Chandler die formell oder informell festgelegten Weisungs- und Kommunikationsbeziehungen sowie die damit verbundenen Datenund Informationsflüsse (vgl. Chandler 1962, S. 14). Welche Struktur ein Unternehmen sich gibt, hängt nach Chandler davon ab, welche Strategie bzw. Strategiekombination es verfolgt. Je umfangreicher und ausgefeilter die Strategie, umso komplexer wird auch die Organisationsstruktur des Unternehmens sein müssen. Zur Erläuterung greift Chandler auf verschiedene Basisstrategien zurück. So führt seiner Meinung nach die Strategie des Mengenwachstums zu einer zentralen Verwaltung, die die verschiedenen, lokal verteilten Funktionen koordiniert. Eine Arealstrategie der räumlichen Verbreitung erfordert die Bildung einer zentralen Hauptverwaltung mit einer ergänzenden Abteilungsstruktur, um die verteilten lokalen Einheiten steuern zu können. Eine Strategie der Diversifikation, die in neuen Produktlinien resultiert, führt zu einer divisionalen Struktur mit einer zentralen Verwaltung und dezentralen Produktbereichen (vgl. ebd.). Wo die Struktur nicht der Strategie folgt, entstehen Ineffizienzen. Für Chandler resultieren diese Ineffizienzen aus der Notwendigkeit, dass die Führungskräfte des Unternehmens zur Umsetzung komplexer Strategien in hohem Maße Entscheidungen vorzubereiten, zu treffen und nachzuhalten haben. Dort, wo Weisungs- und Kommunikationsbeziehungen sowie der unternehmensweite Informationsfluss nicht strategieadäquat organisiert sind, werden die Führungskräfte zu sehr in das operative Tagesgeschäft involviert. Ihre Aktivitäten und Entscheidungen werden sich sogar überkreuzen und miteinander in Konflikt geraten (vgl. Chandler 1962, S. 314f.). Seit Chandler den Zusammenhang zwischen Strategie und Organisation postuliert hat, wurde und wird dieser immer wieder diskutiert. Hierbei sollte klar sein, dass es nicht um einen kausalgesetzlichen Zusammenhang gehen kann; die Gestaltung sozialer Systeme erlaubt keine naturwissenschaftliche Betrachtung. Insofern ist es auch nicht zielführend, Chandlers sich auf Steuerungserfordernisse stützende Argumentation mit dem Hinweis auf die sich seit den 1960er Jahren immens entwickelte Steuerungsfähigkeit automatisierter Informations- und Kommunikationssysteme entkräften zu wollen. Vielmehr muss es darum gehen, unternehmensindividuell die Organisationserfordernisse einer spezifischen Strategie zu analysieren, in Organisationskonzepte zu überführen und diese Konzepte durch eine strategieadäquate Organisation umzusetzen. Dies betrifft neben der grundlegenden Führungsstruktur des Unternehmens, die bei Chandler im Vordergrund steht, auch einzelne aufbauorganisatorische Festlegungen ebenso wie die Gestaltung und Optimierung der Prozessorganisation. Einige Beispiele sollen dies verdeutlichen: x

Sieht eine Unternehmensstrategie eine internationale Expansion vor, muss es eigene Organisationseinheiten in den betreffenden Zielstaaten aufbauen. Diese werden sich beispielsweise zuerst auf vertriebliche Aufgaben konzentrieren, während Aufgaben in den Bereichen

VII. Fünf gute Gründe für Organisation

95

Personalmanagement, Finanzierung oder Logistik zentral wahrgenommen werden. Die verteilten Verantwortlichkeiten und organisatorischen Schnittstellen sind jedoch klar zu regeln. x

Eine Strategie der Kundenorientierung erfordert eine entsprechende organisatorische Gestaltung, um beispielsweise Kundenbetreuungsaufgaben zu zentralisieren (Stichwort „One face to the customer“) oder das Kundenmanagement prozessual zu unterstützen (Stichwort: „Customer Relationship Management“ – CRM).

x

Die Digitalisierung von Geschäftsmodellen muss die Zuordnung neuer Verantwortlichkeiten nach sich ziehen, beispielsweise für die Nutzung von Social Media in der Unternehmenskommunikation oder von elektronischen Verkaufsportalen im Vertrieb.

x

Eine Konzentration auf Kernkompetenzen geht einher mit der Verlagerung von Aufgaben auf Dienstleister als strategische Partner. Ein derartiges „Outsourcing“ erfordert die Festlegung organisatorischer Schnittstellen ebenso wie die Zuordnung von Verantwortlichkeiten für das Management der Zusammenarbeit.

Da die strategische Ausrichtung des Unternehmens in der Verantwortung der Unternehmensinhaber bzw. -leitung liegt, muss diese auch die strategieadäquate Organisation des Unternehmens initiieren. Insofern gilt: Merksatz: Die Unternehmensleitung muss sicherstellen, dass die Organisationserfordernisse einer spezifischen Strategie analysiert, in Organisationskonzepte überführt und diese Konzepte aufbau- und prozessorganisatorisch umgesetzt werden.

3.

Grund 2: Organisation wird von Gesetzen vorgeschrieben

Das neue Schlagwort „Compliance“ steht für die Befolgung allgemein geltender Rechtsnormen. Hierzu zählen neben Gesetzen auch EU-Verordnungen, internationale Verträge, nationale Verordnungen, Erlasse, soweit diese von Behörden (z. B. einem Bundes- oder Landesministerium) stammen, sowie Satzungen als Rechtsnormen, die von Gremien öffentlich-rechtlicher Körperschaften (z. B. Gemeinderäte oder Kreistage) beschlossen werden (vgl. Klotz 2012, S. 16ff.). Für Unternehmen resultieren aus all diesen rechtlichen Regelwerken Anforderungen an die Aufbau- und Prozessorganisation. Für international operierende Unternehmen erhöhen sich diese Anforderungen beträchtlich, da hier auch die jeweiligen nationalen Rechtsnormen derjenigen Staaten zu beachten sind, in denen das Unternehmen tätig ist. Die Verantwortung für Compliance obliegt der Unternehmensleitung. Für Aktiengesellschaften wird diese Compliance-Verantwortung explizit durch den Deutschen Corporate Governance Kodex (DCGK) bestimmt, nach dem der Vorstand „für die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen und der unternehmensinternen Richtlinien zu sorgen“ hat (Regierungskommission DCGK 2012, Punkt 4.1.3). Für Unternehmen anderer Rechtsformen liegt Compliance im Eigeninteresse der Inhaber bzw. der Unternehmensleitung, da aus Gesetzesverstößen, die aus dem Unternehmen heraus begangen werden, auch eigene Haftungspflichten resultieren können (Stichwort „Organisationsverschulden“). Diejenigen Rechtsnormen, aus denen Anforderungen an die Unternehmensorganisation resultieren, fassen von Werder/Grundei unter dem Begriff „Organisationsrecht“

96

VII. Fünf gute Gründe für Organisation

zusammen. Hierzu zählen sie „das Gesellschaftsrecht, das Betriebsverfassungsrecht, das Recht der unternehmerischen Mitbestimmung, das Arbeitsrecht, das Sicherheitsrecht (z. B. Arbeitsschutz-, Datenschutz,- Verbraucherschutz- und Umweltschutzrecht) sowie das Konzernrecht“ (nach von Werder/Grundei 2006, S. 26). Die sich aus diesen Rechtsbereichen ergebenden Organisationsverpflichtungen können sehr unterschiedlicher Art sein, wie folgende Beispiele zeigen: x

Verschiedene Gesetze schreiben für spezifische Aufgaben die Ernennung von Beauftragten vor. So verpflichtet beispielsweise das Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) die Unternehmensleitung, nach § 4f Abs. 1 BDSG einen Datenschutzbeauftragten schriftlich zu bestellen und nach § 4f Abs. 3 BDSG der Unternehmensleitung zu unterstellen.

x

Das Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) gewährt den Arbeitnehmern eines Unternehmens bzw. der von ihnen gewählten Arbeitnehmervertretung umfassende Beteiligungsrechte, die Informations-, Anhörungs-, Vorschlags-, Beratungs- und Mitentscheidungsbefugnisse umfassen. So sind beispielsweise in § 87 Abs. 1 BetrVG zahlreiche Mitbestimmungsrechte geregelt, beispielsweise hinsichtlich der „Einführung und Anwendung von technischen Einrichtungen, die dazu bestimmt sind, das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer zu überwachen“, (Nr. 6) oder in Bezug auf „Grundsätze über die Durchführung von Gruppenarbeit“ (Nr. 13).

x

Das Elektro- und Elektronikgerätegesetz (ElektroG) richtet sich entsprechend § 2 Abs. 1 ElektroG auch auf Geräte der Informations- und Telekommunikationstechnik (z. B. Großrechner, Minicomputer, Personal Computer, Drucker). Nicht mehr benötigte Hardware (z. B. infolge einer Ersatzbeschaffung) muss vom gewerblichen Nutzer entsorgt werden. Hierbei ist der Entsorgungsprozess so zu gestalten, dass die Altgeräte gemäß § 9 Abs. 1 ElektroG einer getrennten Entsorgung bei einem öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger zugeführt werden.

x

Das Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) verpflichtet Unternehmen nach § 5 Abs. 1 ArbSchG zu einer Gefährdungsbeurteilung, d. h. zu einer Analyse der mit der Arbeit verbundenen Gefährdungen und zur Ermittlung erforderlicher Maßnahmen des Arbeitsschutzes. Nach § 5 Abs. 3 ArbSchG umfasst dies beispielsweise „die Gestaltung und die Einrichtung der Arbeitsstätte und des Arbeitsplatzes“ (Nr. 1) oder auch „die Gestaltung von Arbeits- und Fertigungsverfahren, Arbeitsabläufen und Arbeitszeit und deren Zusammenwirken“ (Nr. 4).

Aus diesen und vielen anderen rechtlichen Regelungen resultieren Anforderungen an die Stellenbildung, an die Aufgabenverteilung und damit zusammenhängend an die Verantwortungszuordnung, an die Arbeitsplatzorganisation sowie an die prozessuale Organisation und ihre Dokumentation. Diese Anforderungen sind im Rahmen einer angestrebten organisatorischen Lösung zu berücksichtigen. Aber auch die organisatorische Gestaltung selbst hat Anforderungen aus Gesetzen u. Ä. zu genügen. Diese zwei Perspektiven stellen mithin die beiden Seiten einer Medaille dar; in der Organisationsarbeit sind sie gleichermaßen zu berücksichtigen. Merksatz: Aus allgemein geltenden Rechtsnormen resultieren zahlreiche Anforderungen an die Unternehmensorganisation. Diese Anforderungen sind zum einen im Rahmen einer organisatorischen Regelung zu berücksichtigen. Zum anderen hat die organisatorische Gestaltung selbst Anforderungen aus Gesetzen, Verordnungen etc. zu genügen.

VII. Fünf gute Gründe für Organisation

4.

97

Grund 3: Organisation ist notwendiger Teil der Führungsverantwortung

Für den überwiegenden Teil der Führungskräfte auf allen Führungsebenen des Unternehmens stellt die Führung von Mitarbeitern eine zentrale Herausforderung dar. Um diese Herausforderung (sowie auch um ihr eigenes Arbeitsvolumen) bewältigen zu können, müssen Führungskräfte die Führungstechnik der Delegation von Aufgaben beherrschen. Aufgabendelegation beinhaltet die dauerhafte Übertragung von Aufgaben und zugehörigen Befugnissen durch eine Führungskraft an hierarchisch nachgelagerte Stellen (in Anlehnung an Schulte-Zurhausen 2010, S. 216). Die konsequente Delegation von Aufgaben und Befugnissen und damit die Delegation von Verantwortung ist ein Kernelement des so genannten „Harzburger Modells“. Dieses bereits Mitte der 1950er Jahre von Reinhard Höhn entwickelte Managementkonzept hat in Deutschland eine weite Verbreitung erfahren. Es beruht auf der grundlegenden Überlegung, dass alle Aufgaben, die von einer Stelle eigenverantwortlich durchführen kann, auch in der Verantwortung des betreffenden Stelleninhabers liegen sollten. Durch die Delegation wird der Mitarbeiter, an den eine Aufgabe übertragen wird, für die erfolgreiche Durchführung der Aufgabe persönlich verantwortlich. Allerdings verbleibt bei der delegierenden Führungskraft ein Teil der Verantwortung im Sinne einer Fremdverantwortung. Diese umfasst: x

die sorgfältige Auswahl des Mitarbeiters, an den die Aufgabe delegiert wird, d. h. der Mitarbeiter muss über die zur Aufgabendurchführung notwendigen Kenntnisse und Erfahrungen verfügen;

x

die vollständige und korrekte Instruktion des Mitarbeiters, d. h. dass verständlich vermittelt werden muss, was ist zu leisten ist. Alle erforderlichen Informationen müssen verfügbar sein, Zugriffsrechte müssen eingeräumt sein und erforderliche Änderungen müssen zeitnah übermittelt werden;

x

die aufgabenadäquate Ausstattung des Mitarbeiters mit Sach- und ggf. auch Finanzmitteln sowie ein ausreichendes Zeitbudget;

x

die Überwachung des Mitarbeiters, d. h. die Führungskraft muss Zwischenergebnisse abfordern und kontrollieren und zudem regelmäßig prüfen, dass die übertragenen Aufgaben ordnungsgemäß durchgeführt werden;

x

ein Eingreifen bei Problemen, wenn die Führungskraft aufgrund der Überwachung erkennt, dass die übertragenen Aufgaben vom Mitarbeiter nicht ordnungsgemäß durchgeführt werden.

Grundlage der Delegation ist eine Klärung des Aufgabeninhalts in allen seinen sachlichen, zeitlichen und räumlichen Dimensionen. Ohne eine entsprechende Aufgabenanalyse kann Delegation nicht funktionieren. Insbesondere sind auch die sach-logischen Zusammenhänge mit angrenzenden Aufgaben anderer Stelleninhaber zu berücksichtigen, um ein „Silo-Denken“, bei dem Mitarbeiter nur ihre eigenen Aufgaben, aber nicht die übergreifenden Prozesse und Arbeitsziele im Blick haben, zu verhindern. Ist der Aufgabeninhalt bestimmt, sind passende Befugnisse im Sinne von Rechten, die zur erfolgreichen Durchführung der Aufgaben erforderlich sind, abzuleiten.

98

VII. Fünf gute Gründe für Organisation

Beispiel: Ein Projektleiter benötigt zur erfolgreichen Projektdurchführung zumindest eine fachliche (besser auch noch eine disziplinarische) Weisungsbefugnis gegenüber den Projektmitarbeitern, Verfügungsbefugnisse über Sach- und Finanzmittel sowie in aller Regel Informationsbefugnisse, um auf für das Projekt wichtige Daten und Dokumente zugreifen zu können.

Nur wenn Aufgabeninhalt und entsprechende Befugnisse gemeinsam übertragen werden, kann der Mitarbeiter die mit der Delegation verbundene Verantwortung tragen. An dieser organisatorischen Grundlage guter Mitarbeiterführung hat sich seit nunmehr fast sechzig Jahren nichts geändert. Merksatz: Eine wirksame Delegation von Verantwortung im Rahmen der Mitarbeiterführung erfordert die Klärung des zu übertragenden Aufgabeninhalts und die Zuordnung entsprechender Befugnisse, damit der Aufgabenträger seiner Verantwortung gerecht werden kann.

5.

Grund 4: Organisation bildet den Kern des Qualitätsmanagements

Die Qualitätsmanagement-Normen der DIN EN ISO 9000er-Reihe bilden weltweit für eine Vielzahl von Unternehmen der verschiedensten Branchen die Basis für ein effektives und effizientes Qualitätsmanagement (QM). Die Steigerung der internen Effizienz und die Senkung von Fehlerkosten sind wichtige unternehmensinterne wirtschaftliche Motivatoren. Hinzu kommt in vielen Wirtschaftsbereichen die externe Forderung nach einem Qualitätsnachweis (in der Regel in Form eines Zertifikats), der eine Voraussetzung für eine Auftragsvergabe darstellt. Dass der Aufbau eines QM-Systems zu einem Großteil aus organisatorischer Gestaltung besteht, zeigt sich schon darin, dass die Normen-Reihe seit 2000 anhand eines Prozessmodells strukturiert ist und sich die QM-Forderungen an den Unternehmensabläufen orientieren (nach Ebel 2001, S. 120). Darüber hinaus stellt die Einführung eines QM-Systems ein Projekt mit hohen Anforderungen an die eigene Projektorganisation dar. So fordert beispielsweise die DIN EN ISO 9001, dass die Unternehmensleitung sicherstellen muss, dass die Verantwortungen und Befugnisse für Qualitätsmanagement innerhalb des Unternehmens festgelegt und bekannt gemacht werden (nach DIN EN ISO 9001:2008, S. 21). Die Qualitätsnormen fordern vom Unternehmen ein unternehmensweites Prozessmanagement als Bestandteil des QM-Systems. Folgende Auflistung enthält einige Forderungen aus der DIN EN ISO 9004, die sich auf das Prozessmanagement richten (nach DIN EN ISO 9004:2009, S. 35ff.): x

Ein Unternehmen „sollte das proaktive Leiten und Lenken aller Prozesse, einschließlich der ausgelagerten Prozesse, sicherstellen, so dass sie zum Erreichen ihrer Ziele wirksam und effizient sind“ (ebd., S. 35).

x

„Die Prozesse und ihre wechselseitigen Beziehungen sollten regelmäßig bewertet und es sollten geeignete Maßnahmen zu ihrer Verbesserung ergriffen werden“ (ebd.).

VII. Fünf gute Gründe für Organisation

99

x

Unternehmen sollten „ihre Prozesse bestimmen und planen und die Funktionen festlegen, die notwendig sind, um Produkte bereitzustellen, die fortlaufend die Erfordernisse und Erwartungen der Kunden und der anderen interessierten Parteien erfüllen können“ (ebd., S. 36).

x

Unternehmen sollten „für jeden Prozess einen Prozessverantwortlichen (…) mit festgelegten Verantwortlichkeiten und Befugnissen zur Erstellung, Lenkung und Verbesserung des Prozesses und seiner Wechselwirkungen mit anderen Prozessen benennen“ (ebd., S. 37).

Im Rahmen des Ressourcenmanagements werden verschiedene Prozesse fokussiert, die für ein Qualitätsmanagement von besonderer Bedeutung sind. Dies sind beispielsweise (nach DIN EN ISO 9004:2009, S. 17ff.) x

Prozesse zu Strategieentwicklung, z. B. zur Umfeld- und zur Stakeholderanalyse, zur Technologiebeobachtung oder zur Strategieaktualisierung und -umsetzung;

x

Prozesse zur Mitarbeiterführung, z. B. zur Ableitung von Arbeitszielen, zur Leistungsbewertung, zur Kompetenzerweiterung oder zur Wissensteilung.

x

Prozesse zur Ermittlung, Auswahl und Beurteilung von Lieferanten und Geschäftspartnern;

x

Prozesse zur Beschaffung, zur Aufrechterhaltung, zum Schutz, zur Verwendung und zur Beurteilung von Wissen, Informationen und Technologien;

x

Prozesse zum Umgang mit natürlichen Ressourcen, insbesondere zum Schutz dieser Ressourcen.

Der Prozessorientierung kommt somit auch im Qualitätsmanagement eine zentrale Funktion zu. In der praktischen Arbeit besteht der Aufbau eines QM-Systems dann auch in umfangreichen Prozessmodellierungen und -darstellungen, die einen wesentlichen Teil eines QM-Handbuchs darstellen. Merksatz: Ein Qualitätsmanagement-System besteht zu einem Großteil aus organisatorischen Festlegungen. Die Prozessorientierung spielt hierbei eine wichtige Rolle. Ein effektives und effizientes Qualitätsmanagement lässt sich somit ohne professionelles Organisations-Know-how nicht erreichen.

6.

Grund 5: Organisation ist Bestandteil des Internen Kontrollsystems (IKS)

Der Begriff des „Internen Kontrollsystems“ (IKS) hat in den letzten Jahren im Zuge der Diskussion um Governance und Compliance beständig an Bedeutung gewonnen. Nach dem Institut der Wirtschaftsprüfer in Deutschland (IDW) sind unter einem IKS die vom Management im Unternehmen eingeführten Grundsätze, Verfahren und Maßnahmen zu verstehen, durch die x

die Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit der Geschäftstätigkeit,

x

die Ordnungsmäßigkeit und Verlässlichkeit der internen und externen Rechnungslegung sowie

x

die Einhaltung der für das Unternehmen maßgeblichen rechtlichen Vorschriften

100

VII. Fünf gute Gründe für Organisation

sichergestellt werden sollen (nach IDW 2006, S. 1437). Seine unmittelbare praktische Bedeutung erlangt das IKS durch seine Berücksichtigung im Rahmen der Jahresabschlussprüfung (vgl. Marten/Quick/Ruhnke 2011, S. 267f.). Die Einrichtung eines Internen Kontrollsystems ist jedoch letztlich durch die mit dem Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) an die obersten Finanzbehörden der Länder bekannt gegebenen "Grundsätze ordnungsmäßiger DV-gestützter Buchführungssysteme" (GoBS) für alle Unternehmen relevant. In diesem Schreiben verweist das BMF darauf, dass die Beschreibung des IKS Bestandteil der Verfahrensdokumentation ist und eine „Wahlmöglichkeit für den Buchführungspflichtigen, welche Beschreibung er für erforderlich hält“, nicht besteht (BMF 1995, IV. Internes Kontrollsystem). Da jedes Unternehmen zumindest über ein Mindestmaß an Kontrollen, Regelungen und Maßnahmen verfügt, um die genannten Aufgabenstellungen zu erreichen, verfügt jedes Unternehmen auch über ein zumindest rudimentäres Internes Kontrollsystem, das es zu dokumentieren gilt. Da mittels des IKS die Entscheidungen der Unternehmensleitung umgesetzt werden sollen, betrifft das IKS nicht lediglich den Bereich der Rechnungslegung, sondern alle wesentlichen Geschäftsprozesse des Unternehmens (vgl. Bungartz 2012, S. 24). Die Regelungen zur Steuerung dieser Geschäftsprozesse machen das interne Steuerungssystem aus. Die Einhaltung dieser Regelungen sicherzustellen ist wiederum Zielsetzung des internen Überwachungssystems. Internes Steuerungssystem und internes Überwachungssystems bilden gemeinsam das IKS, siehe Darstellung 2. Darstellung 2: Aufbau eines Internen Kontrollsystems (IKS)

Quelle: IDW 2006, S. 1437.

Schon aus den Benennungen der verschiedenen Elemente des IKS wird die organisatorische Dimension deutlich. Zentraler Ausgangspunkt eines Internen Kontrollsystems ist die Identifizierung der wesentlichen Prozesse des Unternehmens. Diese sind Gegenstand sowohl der prozessunabhängigen als auch der prozessinte-

VII. Fünf gute Gründe für Organisation

101

grierten Überwachungsmaßnahmen. Letztere sind entweder als organisatorische Sicherungsmaßnahmen Ergebnis einer organisatorischen Gestaltung oder basieren auf organisatorischen Konzepten, die technisch als prozessintegrierte Kontrollen umgesetzt wird. Im Rahmen der Gestaltung organisatorischer Sicherungsmaßnahmen kommen traditionelle organisatorische Konzepte und Prinzipien zum Tragen, beispielsweise x

Funktionstrennungen (englisch: Segregation of Duties – SoD), durch die bestimmte Aufgaben und Befugnisse unter den Beteiligten eines Prozesses derart aufgeteilt werden, dass sensible Arbeitsergebnisse nicht durch ein und dieselbe Person oder Organisationseinheit erstellt werden können;

x

die Anwendung des Mehr-Augen-Prinzips, nach dem zur Absicherung von Entscheidungen oder wichtigen Arbeitsergebnissen eine mehrfache Kontrolle durchgeführt wird, beispielsweise durch die Freizeichnung oder Bestätigung eines Dokumentes durch eine weitere Person (wodurch in diesem Falle ein Vier-Augen-Prinzip realisiert würde).

x

Job-Rotation, d. h. der systematische Arbeitsplatzwechsel durch ein Rotationsverfahren, so dass ein Ausnutzen der Position durch den kontinuierlichen Wechsel und die damit verbundene Kontrolle der Mitarbeiter untereinander verhindert wird.

x

Sicherheitsklassifizierungen, durch die festgelegt wird, welche Daten oder Dokumente (z. B. Konstruktionspläne, Kunden- und Vertriebsdaten, Vertragsdokumente) in welchem Ausmaße schützenswert und entsprechend zu klassifizieren sind (z. B. als „vertraulich“, „nur zur internen Verwendung“ oder „geheim“);

x

die Anwendung des Prinzips des notwendigen Wissens (englisch: need-to-know), nach dem ein Mitarbeiter nur einen beschränkten Zugriff auf Informationen erhält. Dieser richtet sich danach, welche Daten und Dokumente er für die Erfüllung seiner Aufgaben benötigt. Hierdurch soll Verbreitungsbereich von Informationen eingeschränkt und eine Kontrolle der Informationsflüsse ermöglicht werden.

Aber auch Arbeitsanweisungen, Prozessdokumentationen sowie das innerbetriebliche Beleg- und Ablagewesen stellen weitere Beispiele für organisatorische Sicherungsmaßnahmen dar, die in einem IKS allerdings nicht für sich selbst stehen, sondern in ihrem Zusammenspiel ein integratives Ganzes bilden. Kontrollen sind als prozessintegrierte Überwachungsmaßnahmen der zu kontrollierenden Aufgabendurchführung vor-, gleich- oder nachgeschaltet. Sie können manuell durch in den Prozess integrierte Personen, z. B. im Rahmen von Freigabeverfahren oder Genehmigungen, oder durch Automatisierung vorgenommen werden. Automatisierte Kontrollen sind in die Software, durch die ein Geschäftsprozess unterstützt wird (also i. d. R. eine spezifische Anwendung eines ERP-Systems) wird, integriert, beispielsweise als Eingabe- oder Plausibilitätskontrollen. Merksatz: Der Aufbau und die Pflege eines Internen Kontrollsystems beinhalten zu einem beträchtlichen Teil organisatorische Gestaltungsmaßnahmen. Vor allem im Bereich der prozessintegrierten Überwachungsmaßnahmen ist eine abgestimmte, systematische Organisationsarbeit erforderlich.

102

7.

VII. Fünf gute Gründe für Organisation

Abstract

Auch wenn die Organisationsarbeit heute in vielen Unternehmen keinen guten Ruf hat, so ist sie doch unerlässlich, um aktuelle Herausforderungen meistern zu können. Wohldefinierte organisatorische Lösungen für Aufbau- und Prozessstrukturen sind in vielerlei Bereichen eines modernen Unternehmensmanagements erforderlich. Dies gilt für die organisatorische Umsetzung einer Unternehmensstrategie, über das Sicherstellen von Gesetzeskonformität und eine professionelle Mitarbeiterführung bis hin zum Aufbau von Qualitätsmanagement- und Internen Kontrollsystemen. Ohne eine im Unternehmen zentral verortete Organisationskompetenz kommen unabgestimmte, durch eine mangelhafte Anwendung organisatorischer Methoden und Techniken im Einzelfall auch suboptimale Lösungen zustande. Dies kann nicht im Interesse einer Unternehmensleitung sein, deren Sorgfaltspflicht auch darin besteht, im Unternehmen eine ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung sicherzustellen. Karikierte Management by Techniken Management by Helikopter Über allem schweben, von Zeit zu Zeit auf den Boden kommen, viel Staub aufwirbeln und wieder in den Himmel entschwinden. Management by Jeans An den wichtigsten Stellen sitzen die Nieten. Management by Champignon Die Mitarbeiter im Dunklen halten und ordentlich mit Mist bestreuen. Wenn sich ein heller Kopf zeigt – absäbeln. Management by Pingpong Jeden Vorgang solange hin- und herspielen, bis er sich von selbst erledigt hat. Management by Darwin Mitarbeiter gegeneinander aufstacheln. Sieger befördern, Verlierer abschieben. Management by Robinson Alle warten auf Freitag. Management by Nilpferd Das Maul weit aufreißen, auch wenn einem das Wasser bis zum Hals steht.

VII. Fünf gute Gründe für Organisation

103

Quellen und weiterführende Literatur Bundesministerium der Finanzen (BMF): (1995) Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen an die obersten Finanzbehörden der Länder vom 7. November 1995 - IV A 8 - S 0316 - 52/95BStBl 1995 I S. 738; online verfügbar unter http://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Downloads/BMF_Schreiben/Weitere_Steuerthemen/Betriebspruefung/015.pdf?_ _blob=publicationFile&v=3 (Zugriff am 03.01.2013). Bungartz, O.: (2012) Handbuch Interne Kontrollsysteme (IKS) – Steuerung und Überwachung von Unternehmen, 3., neu bearb. Aufl., Berlin. Chandler A. D., Jr.: (1962) Strategy and Structure: Chapters in the History of the American Industrial Enterprise, Washington. DIN EN ISO 9001:2008: (2008) Qualitätsmanagementsysteme – Anforderungen EN ISO 9001; Dreisprachige Fassung, DIN Deutsches Institut für Normung e.V., Berlin. DIN EN ISO 9004:2009: (2009) Leiten und Lenken für den nachhaltigen Erfolg einer Organisation – Ein Qualitätsmanagementansatz (ISO 9004:2009); Dreisprachige Fassung, DIN Deutsches Institut für Normung e.V., Berlin. Ebel, B.: (2001) Qualitätsmanagement – Konzepte des Qualitätsmanagements, Organisation und Führung, Ressourcenmanagement und Wertschöpfung, Berlin/Herne. Institut der Wirtschaftsprüfer in Deutschland e. V. (IDW) (Hrsg.): (2006) IDW Prüfungsstandard: Feststellung und Beurteilung von Fehlerrisiken und Reaktionen des Abschlussprüfers auf die beurteilten Fehlerrisiken (IDW PS 261). In: Die Wirtschaftsprüfung (WPg), Jg. 59, Heft 22/2006, S. 1433-1445. Klotz, M.: (2012) Regelwerke der IT-Compliance – Klassifikation und Übersicht, Teil 1: Rechtliche Regelwerke. In: SIMAT Arbeitspapiere. Hrsg. von Michael Klotz. 2., überarb. u. erw. Aufl., Stralsund: FH Stralsund, SIMAT Stralsund Information Management Team, 2012 (SIMAT AP, 4 (2012), 20), online verfügbar unter http://simat-stralsund.de/images/simatap04-12-020.pdf (Zugriff am 03.01.2013). Marten, K.-U./ Quick, R.; Ruhnke, K.: (2011) Wirtschaftsprüfung – Grundlagen des betriebswirtschaftlichen Prüferwesens nach nationalen und internationalen Normen, 4. Aufl., Stuttgart. Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex (DCGK): (2012): Deutscher Corporate Governance Kodex, Fassung vom 15.05.2012, online verfügbar unter http://www.corporate-governancecode.de/ger/download/kodex_2012/D_CorGov_Endfassung_Mai_2012.pdf (Zugriff am 03.01.2013). Schulte-Zurhausen, M.: (2010) Organisation, 5. Aufl. München. von Werder, A./ Grundei, J.: (2006) Konzeptionelle Grundlagen des Organisations-Controllings. In: von Werder, A.; Stöber, H.; Grundei, J. (Hrsg.): Organisations-Controlling – Konzepte und Praxisbeispiele, Wiesbaden, S. 15-50.

VIII. Personalmanagement im Mittelstand Ralf Mertens 1.

Einleitung

Die Frage nach den Erfolgsfaktoren für ein erfolgreiches Unternehmen wird häufig gestellt und lässt sich nach genauer Analyse verschiedener Praxisbeispiele recht einfach beantworten: Personal und Prozesse! Da Prozesse allerdings von Mitarbeitern umgesetzt bzw. gelebt werden müssen, sind diese auch direkt abhängig von der Motivation und Leistungsfähigkeit bzw. der Leistungsbereitschaft der Mitarbeiter. Je besser das möglichst hohe Potenzial der Mitarbeiter zur Entfaltung kommt, desto profitabler arbeitet ein Unternehmen. Bei der Suche nach dem Potenzial der Mitarbeiter und seiner optimalen Nutzung tauchen folgende Fragen auf: x

Welche Anforderungen hat die Arbeit?

x

Kann die Person die Arbeit leisten?

x

Wie wird die Person die Arbeit machen?

x

Will die Person die Arbeit machen?

x

Passen Person und Arbeit zusammen?

Die Zeiten, als Mitarbeiter als reiner Kostenfaktor betrachtet wurden, sind vorbei. Sie sind Investitionen in das Anlagevermögen des Unternehmens. Aufgrund der demografischen Entwicklung und dem damit verbundenen Fach- und Führungskräftekräftemangel liegen die Schwerpunkte der zukünftigen Personalarbeit im Unternehmen in den Bereichen Mitarbeiter gewinnen, Mitarbeiter motivieren und Mitarbeiter binden. Mehr noch: „Die Zukunft von Unternehmen entscheidet sich auf den Personalmärkten.“ Dies gilt zumindest für alle von den Unternehmen beeinflussbaren Rahmenbedingungen. Im Folgenden wird ein Überblick über aktuelle Trends, Schwerpunkte und Rahmenbedingungen professioneller Personalarbeit im Unternehmen gegeben.

VIII. Personalmanagement im Mittelstand

2.

105

Mitarbeiterzufriedenheit und Mitarbeiterengagement

Gallup-Studie zur Arbeitnehmerzufriedenheit: Seit dem Jahr 2001 erhebt die Gallup GmbH jährlich branchenübergreifende Daten zum Thema Engagement und Motivation von Arbeitnehmern in vielen Ländern weltweit. Aktuell liegt die Studie „Engagement Index Deutschland 2011“ (2012, S. 118) vor, sie steht repräsentativ für die Arbeitnehmerschaft in Deutschland, also auch für die Arbeitnehmer in mittelständischen Betrieben. Die Ergebnisse sind ernüchternd: x

Lediglich 14 Prozent der Befragten verbinden eine hohe emotionale Bindung zum Arbeitsplatz. Diese zeichnet sich u.a. durch loyales Verhalten, hohe Produktivität, weniger Fehltage und eine geringere Fluktuation aus.

x

86 Prozent der Arbeitnehmer verspüren keine echte Verpflichtung gegenüber ihrer Arbeit, davon:

x

63 Prozent der Befragten haben eine geringe emotionale Bindung zu ihrem Arbeitsplatz. Sie leisten „Dienst nach Vorschrift“.

x

23 Prozent der Befragten besitzen keinerlei emotionale Bindung zum Arbeitsplatz. Sie arbeiten aktiv gegen Unternehmensinteressen und haben häufig schon die innere Kündigung vollzogen.

Was bedeutet dies nun für einen mittelständischen Betrieb? Setzt man die Produktivität für die „emotional stark gebundenen“ Mitarbeiter mit 100 Prozent an, die Produktivität derer, die „Dienst nach Vorschrift“ machen, mit 70 Prozent und die Produktivität derer, die bereits „innerlich gekündigt“ haben, mit 50 Prozent, so erhält man die folgenden Werte (gerundet) für einen Betrieb mit 100 Mitarbeitern: 14 + 44 + 12 = 70. Das ergibt eine theoretische Mitarbeiterleistung von 100 Prozent, der jedoch eine tatsächliche Mitarbeiterleistung von 70 Prozent gegenübersteht. Das bedeutet aber auch, dass das Unternehmen für 100 Prozent Leistung bezahlt, aber nur 70 Prozent Leistung bekommt. Sucht man nach Steigerungsmöglichkeiten der Produktivität im Unternehmen wird man in Anbetracht der vorliegenden Ergebnisse schnell erkennen, dass das größte Potenzial in den Mitarbeitern steckt. Zur optimalen Potenzialausschöpfung bedarf es einer Führung mit Vorbildcharakter und eines professionellen Personalmanagements. Im Folgenden werden weitere Konsequenzen dieses geringen Mitarbeiterengagements aufgezeigt: x

erhöhte Anzahl an Fehltagen (= erhöhte Kosten),

x

erhöhte Fluktuationsraten (= erhöhte Kosten),

x

geringere Beteiligung bei konstruktiven Verbesserungsvorschlägen (= geringe Nutzung des Mitarbeiter-Know-hows),

x

aktiv schädigendes Verhalten im Kundenkontakt (= direkt/indirekt messbarer Schaden).

Mitarbeiterbefragung als Möglichkeit zur Verbesserung der betriebswirtschaftlichen Situation: Eine Mitarbeiterbefragung ist ein Führungsinstrument, das auf Veranlassung der Unternehmensleitung und in Abstimmung mit der Arbeitnehmerver-

106

VIII. Personalmanagement im Mittelstand

tretung zum Einsatz kommt. Meist werden alle Mitarbeiter des Unternehmens mit Hilfe von überwiegend standardisierten Fragebögen nach ihren Einstellungen, Erwartungen und Bedürfnissen befragt. Anonymität und Freiwilligkeit sind dabei Grundvoraussetzungen. Eine Mitarbeiterbefragung x

ist ein Qualitätssicherungsinstrument im Sinne von DIN ISO,

x

dient als Grundlage für kontinuierliche Verbesserungsprozesse (KVP),

x

unterstützt das betriebliche Vorschlagswesen (BVW),

x

erhöht die Mitarbeiterbindung und -motivation,

x

erleichtert die Erstellung eines zukunftsorientierten Personalmarketingkonzepts.

Darstellung 1: Mitarbeiterzufriedenheit - 360°

Quelle: Eigene Darstellung

Erfahrungen aus der Praxis zeigen, dass in einem Frageblock die Ampel, zumindest bei einer Erstbefragung, immer auf Rot steht: Information und Kommunikation!

3.

Demografischer Wandel

Die Bevölkerung in Deutschland wird in den nächsten Jahren schrumpfen (siehe Darstellung 2), aber auch gleichzeitig immer älter werden. Diese Entwicklung hat Auswirkungen auf das Wirtschafts- und Sozialsystem. Unternehmen sind davon

VIII. Personalmanagement im Mittelstand

107

mehrfach betroffen. Die Folgen für mittelständische Unternehmen werden besonders in dem Bereich der Personalbeschaffung deutlich. Darstellung 2: Entwicklung des Erwerbspersonenpotenzials in Deutschland bis 2050

Quelle: http://epp.eurostat.ec.europa.eu/cache/ITY_OFFPUB/KS-SF-08-031/DE/KS-SF-08-031-DE.PDF, Stand: 12.10.2012

Für mittelständische Unternehmen ist diese Veränderung in der Altersstruktur (siehe Darstellung 3) und dem Mengengerüst der Bevölkerung in zweierlei Hinsicht beachtenswert: Zum einen verändert sich die Altersstruktur der Kunden mit all ihren Wünschen an Produkte und Dienstleistungen, zum anderen verändert sich die Altersstruktur der Mitarbeiter im Unternehmen und das zur Verfügung stehende Potenzial am Arbeitsmarkt. Darstellung 3: Entwicklung der Altersgruppen in Deutschland bis 2050

Quelle: http://epp.eurostat.ec.europa.eu/cache/ITY_OFFPUB/KS-SF-08-031/DE/KS-SF-08-031-DE.PDF, Stand: 12.10.2012

108

VIII. Personalmanagement im Mittelstand

Konsequenzen für die Unternehmen: Das Durchschnittsalter der Belegschaften von Unternehmen wird steigen und prinzipiell werden weniger Nachwuchskräfte zur Verfügung stehen. Daher müssen sich die Unternehmenslenker frühzeitig Gedanken machen, ob die entstehenden Lücken mit bislang noch wenig genutzten Personalreserven gedeckt werden können. Zu diesen Personalreserven zählen:

4.

x

ältere Mitarbeiter,

x

Frauen und

x

Immigranten.

Mitarbeiter gewinnen

Motivierte und engagierte Mitarbeiter sind die Basis für ein erfolgreiches Unternehmen. Investitionen in „gute“ Mitarbeiter sind lohnende Investitionen, die sich in ihrer Wirtschaftlichkeit in der Regel schnell nachweisen lassen. Positive Betriebsergebnisse können aber nur erwirtschaftet werden, so lange wie ein Unternehmen über die hierfür notwendigen personellen Ressourcen in qualitativer und quantitativer Hinsicht verfügt. Die deutsche Bevölkerung nimmt ab und altert. Kurzfristig ist die die demografische Entwicklung unumkehrbar. Zwar gilt dies nicht für alle Regionen, Branchen und Unternehmen gleichermaßen, dass sie ein Personalbeschaffungsproblem haben. Dennoch – in diversen Funktionsbereichen können Ausbildungsstellen nicht besetzt werden und vor allem bei Ingenieuren bestehen Engpässe beim Angebot. Betroffen sind von dieser Entwicklung insbesondere auch kleine und mittlere Betriebe. Ihnen fehlen im Vergleich zu den Großunternehmen und Konzernen finanzielle und personelle Ressourcen zum Gegensteuern. Arbeitsmarktanalysen und Personalcontrolling (vgl. Zdrowomyslaw 2007) sind erforderlich, um Planung, Steuerung und Kontrolle der Personalarbeit und des Personals systematisch im Griff zu behalten. Die Klagen über Schwierigkeiten bei der Personalbeschaffung im Unternehmen resultieren natürlich auch aus den vorhandenen Problemen am Arbeitsmarkt, aber meist aus einer mangelnden Ausschöpfung bereits vorhandener Möglichkeiten. Experten wissen, früher erfolgreiche Wege der Personalbeschaffung müssen heute nicht mehr zum Ziel führen, schon gar nicht in der Zukunft. Kreative Lösungen zeigen, wie man zielorientiert Beschaffungsengpässe vermeiden kann. Die sogenannte Social Media mit Plattformen wie XING gehört für Personalprofis schon längst zum Standardrepertoire bei ihrer Personalsuche. Eine Analyse der relevanten Arbeitsmärkte ist die wichtigste Voraussetzung der Personalbeschaffung. Der Arbeitsmarkt lässt sich in einen innerbetrieblichen und einen außerbetrieblichen unterscheiden. Folglich gibt es auch eine interne und externe Personalbeschaffung (siehe Darstellung 4).

109

VIII. Personalmanagement im Mittelstand Darstellung 4: Instrumente für die interne und externe Personalbeschaffung

Interner Arbeitsmarkt

Systematische Personalentwicklung

Innerbetriebliche Stellenausschreibung

Mitarbeiter aus Filialbetrieben

Überstunden

Arbeitszeitverlängerung

Urlaubsverschiebungen

Mitarbeiterqualifikation

Externer Arbeitsmarkt

Insertion

Internet

Weitere Medien

Externe Dienstleistungen

Sonstige Möglichkeiten

Regionale Presse

Eigene Homepage

Radio (regional)

Agentur für Arbeit

Empfehlung Unternehmensberater

Überregionale Presse

Branchen-Jobbörsen

Fernsehen (regional)

Personalberater

Empfehlung Mitarbeiter

Fachzeitschriften

Jobbörsen

Personalvermittler

Kontakt zu Schule/ Fach- & Hochschulen

Social Media

Personalleasing

Regionale Messen

Öffentliche Aushänge im Unternehmen

Kunden

Bewerberdatei

5.

Mitarbeiter motivieren

Motivierte Mitarbeiter haben nachweislich einen Einfluss auf das Betriebsergebnis. Die Resultate der Gallup-Studie sowie die Erkenntnisse aus Mitarbeiterbefragungen in Unternehmen sind eindeutig: In der Motivation der Mitarbeiter liegen die größten Potenziale im Unternehmen. Der Harvard-Ansatz: Im Harvard Business Manager (Ausgabe September 2008) wird eine Zusammenfassung bzw. ein neues Modell mit den wichtigsten Hebeln zur Verbesserung der Mitarbeitermotivation vorgestellt. Darstellung 5: Die vier Triebkräfte der Motivation

Verstehen

Sich binden

Besitzen

Verteidigen

110

VIII. Personalmanagement im Mittelstand

Die Motivationshebel im Unternehmen: Zur Befriedigung der Bedürfnisse können Unternehmen für jeden der vier Triebe einen eigenen Motivationshebel einsetzen.

6.

x

Der Grundtrieb, etwas zu besitzen, wird am besten mit einem leistungsorientierten Entlohnungssystem befriedigt. Transparente Karrieremöglichkeiten sind ebenso förderlich.

x

Um den Bindungstrieb zu befriedigen, ist eine starke Unternehmenskultur, die Teamarbeit fördert, Offenheit und Freundschaft schafft sowie Anerkennung bietet, von hoher Bedeutung.

x

Eine interessante, anspruchs- sowie bedeutungsvolle Aufgabengestaltung ist für den Trieb „verstehen“ von großer Bedeutung, um Mitarbeiter zu Höchstleistungen anzutreiben.

x

Unternehmen sollten faire, vertrauensvolle und transparente Prozesse der Leistungssteuerung und Ressourcenzuteilung gestalten und offenlegen, um dem menschlichen Verteidigungstrieb gerecht zu werden

Mitarbeiter binden

Die Bedeutung der Mitarbeiterbindung: Die Mitarbeiterbindung gewinnt für Unternehmen immer mehr an Bedeutung, denn gute Mitarbeiter will man nicht wieder verlieren. Das hat mehrere Gründe. Erstens: Man hat in der Regel viel in die Mitarbeiter investiert. Zweitens: Wichtiges Know-how geht verloren. Drittens: Die Zahl der guten Mitarbeiter auf dem Arbeitsmarkt ist begrenzt. Konzepte zur Mitarbeiterbindung: Legt man zugrunde, dass der Mensch nicht nur Kosten- und Risikofaktor ist, sondern vor allem über seine Kreativität und sein Wissen zum zentralen Innovations- und Wettbewerbsfaktor einer Organisation zu zählen ist, sollte die Erarbeitung von Konzepten zur Mitarbeiterbindung in den Führungsetatgen höchste Priorität haben. Nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund, dass jeder Weggang und die Wiederbesetzung der Stelle erhebliche Kosten verursacht. Als Faustregel gilt für die Führungskräfte: Das Unternehmen muss 1 zusätzliches Jahresgehalt einplanen. Insbesondere bei kleinen und mittleren Unternehmen kann es durch den Weggang von Leistungsträgern mit viel Erfahrung und speziellen Wissen sehr schnell zu direkt spürbaren Wettbewerbsnachteilen kommen. Wie begeistere ich und halte meine Mitarbeiter im Unternehmen? In der Regel fühlen sich motivierte Mitarbeiter auch gebundener an ihr Unternehmen. Die Möglichkeiten, Mitarbeiter zu motivieren, sind vielfältig. Es lässt sich zwischen materiellen und immateriellen Anreizsystemen unterscheiden, die die Motivation beeinflussen und den Grad der Gebundenheit erhöhen. Unternehmerische Rahmenbedingungen und individuelle Bedürfnisse bestimmen die Art und den Einsatz (siehe Darstellung 6).

VIII. Personalmanagement im Mittelstand

111

Darstellung 6: Materielle und immaterielle Anreizsysteme

Quelle: Eigene Darstellung

Rahmenbedingungen und wichtige Instrumente zur Erhöhung der Mitarbeiterbindung in Unternehmen sind u.a. das Betriebsklima, Mitarbeiterführung, Personalentwicklung, Work-Life-Balance und flexible Arbeitszeit. Betriebsklima: Das Betriebsklima hat eine positive Auswirkung auf die Mitarbeiterzufriedenheit. Bei einem positiven Klima erhöht sich die Leistungsbereitschaft der Mitarbeiter. Die soziale Bindung spielt hierbei eine wichtige Rolle, da sie sich positiv auswirkt auf Zusammenarbeit, Einstellung und das Verhalten. Beziehungen zwischen den Mitarbeitern und die zum Vorgesetzten sind dabei entscheidend. Vertrauen und die Möglichkeit der Mitarbeiter, sich einbringen zu können, sind dabei die Basis für ein gutes Betriebsklima. Mitarbeiterführung: Ebenso wichtig, wenn nicht gar entscheidend, ist die Mitarbeiterführung für ein gutes Betriebsklima. Führungskräfte sollte es gelingen, auf die individuellen Bedürfnisse der Mitarbeiter einzugehen. Grundvoraussetzung hierfür ist ein hohes Maß an fachlicher, sozialer und methodischer Kompetenz.

112

VIII. Personalmanagement im Mittelstand

Darstellung 7: Führung 2020

Quelle: Eigene Darstellung

Personalentwicklung: Bei der Personalentwicklung geht es darum, alle Mitarbeiter eines (und zwar aller Hierarchiestufen) aus- und ständig weiterzubilden. Um die strategischen Unternehmensziele zu erreichen, ist die unerlässlich. Außerdem wird hierdurch der Bestand an Fach- und Führungskräften gesichert, um für zukünftige strategische Ziele gut gerüstet zu sein. Insbesondere ältere Arbeitnehmer stehen dabei im Mittelpunkt, da aufgrund der demografischen Entwicklung und der gesetzlichen Rahmenbedingungen Betriebe länger auf diese Zielgruppe angewiesen sein werden. Work-Life-Balance: Die Möglichkeit, private Interessen, das Familienleben und das Berufsleben in Einklang zu bringen, beschäftigt heutzutage viele Arbeitnehmer. Um diese Balance zu schaffen, unterbreiten einige Unternehmen auch heute schon verschiedene Angebote, u.a. gesundheitsfördernde Maßnahmen, die Flexibilisierung von Arbeitszeit sowie familienunterstützende Maßnahmen. Flexible Arbeitszeit: Auf der Wunschliste von Jobsuchenden stehen flexible Arbeitszeiten ganz oben. Die gesetzlichen und tariflichen Bestimmungen bilden den Rahmen zur Ausgestaltung. Dabei ist die Dauer meist arbeitsvertraglich geregelt und kann innerhalb der gesetzlichen und tariflichen Regelungen flexibel vereinbart werden. Diese Vereinbarungen können sowohl individuell gelten, als auch kollektiv. Gerade mittelständische Unternehmen werden in den nächsten Jahren dazu gezwungen sein, über neue Beschäftigungs- und Arbeitszeitmodelle nachzudenken, um dem durch die demografische Entwicklung verursachten Fach- und Führungskräftemangel entgegenzuwirken.

VIII. Personalmanagement im Mittelstand

7.

113

Employer Branding

Ausgangssituation: Trotz einer in den letzten Jahren rückläufigen, aber immer noch anhaltend hohen Arbeitslosigkeit haben immer mehr Unternehmen Schwierigkeiten, die geeigneten Mitarbeiter zu finden. Dieser Trend wird weiterhin anhalten und sich noch verstärken. In Anbetracht der demografischen Entwicklung in Deutschland kommt man schnell zu der Überzeugung, dass vor einem massiven Mangel an Fachund Führungskräften in Unternehmen nicht mehr gewarnt werden muss – er ist schon Realität. Für die Zukunft bedeutet dies: Vorausschauende Personalbedarfsplanung und zukunftsorientierte Personalentwicklungsplanung betreiben sowie auch eine gezielte Personalbeschaffungsplanung (siehe Darstellung 8). Personalsuch- und Anwerbungsbemühungen sind auch heute schon von recht unterschiedlichem Erfolg gekrönt. Dies hängt häufig von den verschiedenen regionalen Arbeitsmärkten ab, die sich durch ein recht unterschiedliches Angebot an Fach- und Führungskräften auszeichnen. Von daher sind auch zunehmend Wanderungsbewegungen von Ost nach West und von Nord nach Süd zu beobachten. Darstellung 8: Personalrecruiting im Unternehmen

Quelle: Eigene Darstellung

Personalmarketing im Unternehmen: Aufgrund der schwierigen Arbeitsmarktsituation und der demografischen Entwicklung wird ein professionelles Personalmarketing zukünftig mehr und mehr ein Thema, mit dem sich Unternehmen auseinanderzusetzen haben. Personalmarketing im Unternehmen hat zwei Hauptaufgaben: x

Externes Personalmarketing soll die relevanten Zielgruppen dazu bewegen, dem Unternehmen bei der Arbeitsplatzwahl gegenüber anderen Unternehmen eine Präferenz einzuräumen.

x

Internes Personalmarketing soll dagegen die vorhandenen Mitarbeiter an das Unternehmen binden.

114

VIII. Personalmanagement im Mittelstand

Herausforderung Employer Branding: Das Employer Branding (dt. Arbeitgebermarkenbildung) wird für Unternehmen in Zeiten eines zunehmenden Fach- und Führungskräftemangels immer lebensnotwendiger. Ziel ist es, sich mit Hilfe von Marketingkonzepten in seinem regionalen/überregionalen Umfeld als attraktiver Arbeitgeber darzustellen. Dies schafft Wettbewerbsvorteile im Kampf um die besten Bewerber. Bewerber erhalten durch eine öffentlich kommunizierte Arbeitgebermarke Informationen darüber, wofür das Unternehmen steht und was es gegenüber anderen Arbeitgebern einzigartig macht. Werden diese mit der Marke verknüpften Werte auch im täglichen Arbeitsumfeld gelebt, kann damit außerdem eine dauerhafte Bindung von Know-how-Trägern und eine geringere Fluktuationsrate erreicht werden. Die Darstellung 9 fasst die Vorteile und Auswirkungen eines aktiven Employer Branding zusammen. Darstellung 9: Positive Effekte des Employer Brandings

Quelle: Eigene Darstellung

Verantwortungsvolle Unternehmensführung und Employer Branding sind zwei zentrale Bestandteile einer unternehmensbezogenen Gesamtstrategie zu begreifen, um die Unternehmensleistung zu steigern und den Unternehmenswert zu erhöhen. Employer Branding ist mehr als eine Arbeitgeber-Marketing-Kampagne (Zdrowomyslaw, N./ Burke, A. /Eggebrecht, U. April 2012, S. 7-8). Sie ist jener Teil aller Bemühungen und Aktivitäten eines Unternehmens um Markenbildung, die Mitarbeiter und

VIII. Personalmanagement im Mittelstand

115

potenzielle Bewerber als wichtigste Zielgruppe hat und die Aspekte des Werteversprechens in den Mittelpunkt rückt. Bei der Entwicklung einer unternehmensindividuellen Employer Branding Strategie sollten folgende Fragen untersucht und beantwortet werden: x Was bieten wir den Mitarbeitern? x Welchen Nutzen haben unserer Mitarbeiter von unseren Aktivitäten? x Was unterscheidet uns von anderen Unternehmen? Unter Beachtung externer und interner Einflussfaktoren sollten die Führungskräfte durch systematisches und zielgerichtetes Vorgehen und mit Hilfe der Instrumente des Markenmanagements, der Unternehmenskommunikation und der Personalpolitik die Findung, Bindung und Motivation der Mitarbeiter sicher stellen. Grundsätzlich können auch kleine und mittlere Unternehmen einen Blumenstrauß an geeigneten Instrumenten zusammen stellen, um als attraktives Unternehmen wahrgenommen zu werden.

8.

Zukunftsorientierte Personalpolitik in mittelständischen Unternehmen

Die Veränderungen im Weltwirtschaftssystem sind von einer überaus großen Dynamik geprägt. Der skizzierte demografische Wandel ist keine Naturkatastrophe, sondern ist als politische und unternehmerische Herausforderung für die regionalen Akteure und das Management in Unternehmen zu betrachten Die wichtigste und meist auch teuerste Ressource im Unternehmen, die Mitarbeiter, bleibt davon nicht unberührt. Die zehn im Folgenden genannten Leitthesen basieren auf einer prognostizierten „Arbeitswelt 2020“, unter Berücksichtigung des demografischen, technologischen und auch globalen Wandels (siehe Darstellung10). x

Unternehmen und wissenschaftliche Forschungseinrichtungen müssen ihr Augenmerk verstärkt auf die Leistungsfähigkeit der Betriebe richten. Hierbei stehen insbesondere Bildungsmaßnahmen zur Förderung individueller Talente und die Nachwuchsförderung im Vordergrund (Talentmanagement, insbesondere im Hinblick auf neue Technologien).

x

Sämtliche Personalplanungsmaßnahmen im Unternehmen gewinnen an existenzieller Bedeutung. Hierzu gehören insbesondere die Personalbedarfsplanung, die Personalrekrutierung und -auswahlplanung, die Personalentwicklungsplanung, die Personalkostenplanung, aber auch die Planung der Employer Brand.

x

In Tarifverträgen manifestierte Grundlagen sind neu zu überdenken. Neue Entlohnungssysteme sollten sich mehr an der persönlichen Leistung der Mitarbeiter orientieren als an Alter und Betriebszugehörigkeit, und zwar in allen Bereichen eines Unternehmens (leistungsorientierte Vergütung).

x

Ältere Mitarbeiter werden zu Know-how-Trägern, die nicht mehr mühelos ersetzt werden können (altersgerechte Arbeitsplätze und Programme zur Gesunderhaltung der 50+-Generation).

116

VIII. Personalmanagement im Mittelstand

x

Zielorientierte Qualifikationsmaßnahmen gewinnen an Wichtigkeit zur Schließung von Personallücken.

x

Das bislang stark unterrepräsentierte Potenzial an weiblichen Fach- und Führungskräften in Unternehmen muss stärker genutzt werden.

x

Innovative Arbeitszeitmodelle und neue Formen der Beschäftigung dürfen nicht durch unzeitgemäße Tarifverträge sanktioniert werden (z.B. Jobsharing-Modelle).

x

Lebenslanges Lernen wird zu einer Notwendigkeit für alle Mitarbeiter im Unternehmen, kann aber nur eingefordert werden, wenn die Möglichkeiten dazu gegeben sind (regelmäßige Bedarfsermittlung).

x

Unternehmenskultur und Mitarbeiterzufriedenheit gewinnen als Differenzierungsfaktor und Wettbewerbsvorteil immer mehr an Bedeutung (regelmäßige Ermittlung eines Mitarbeiterzufriedenheitsindex).

x

Die Qualifikation der Mitarbeiter im Unternehmen, insbesondere die der Führungskräfte, ist in den Bereichen Sozialkompetenz (Soft Skills) und Methodenkompetenz schneller den Bedürfnissen des Umfelds anzugleichen (auf Basis regelmäßig durchgeführter Potenzialanalysen und 360°-Feedbacks).

Im Wettstreit um qualifizierte Arbeitskräfte sowie Erhöhung der unternehmerischen und regionalen Wertschöpfung gewinnt insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen kooperatives Zukunftsmanagement in der Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und bei den Bürgern an Bedeutung (siehe zu Partnerschaften auch die Teile XVIII und XIX in diesem Buch). Darstellung 10: Personalstrategische Herausforderungen im Unternehmen

Quelle: Eigene Darstellung

VIII. Personalmanagement im Mittelstand

9.

117

Abstract

Die Herausforderungen wie Globalisierung, Wertewandel, Digitalisierung der Gesellschaft und demografischer Wandel sind für den Mittelstand beträchtlich. Die Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen wird zukünftig vermehrt über die Verfügbarkeit ausreichend qualifizierten und motivierten Personals definiert und nicht nur über das Preis-Leistungsverhältnis und innovative Produkte. Zukunftsweisendes Unternehmens- und Personalmanagement sind die Basis für ein erfolgreiches Agieren auf den Märkten. Zwar gibt es keine Patentrezepte. Wer sich aber als verantwortungsvoller und attraktiver Arbeitgeber positionieren kann sowie dafür sorgt, dass lebenslanges Lernen ein Strategiebestandteil des Unternehmens ist, dürfte im Wettbewerb die „Nase vorn“ haben. Darstellung 11: Lernen und Wissenstransfer im Lebenszyklus

Quelle: Zdrowomyslaw, N./ Bladt, Michael (Hrsg.): (2008) Wissenschaftliches Arbeiten. Erfolgsbaustein für Studium und Karriere, Gernsbach, S. 20.

118

VIII. Personalmanagement im Mittelstand

Quellen und weiterführende Literatur Deutsche Employer Branding Akademie (29. November 2009). Von http://www.employerbranding.org/downloads/publikationen/DEBA _001_EB_ Werttreiber.pdf abgerufen Flato, E./ Reinhold-Scheible, S.: (2008) Zukunftsweisendes Personalmanagement. Herausforderung demografischer Wandel, München. Fricke, K./ Mertens, R.: (Dezember 2009) „Automotive Perspektive 2010 – Stimmung-ZukunftFührung“, München. Gallup (Hrsg.): (2013) Pressemitteilung und Präsentation zum Gallup Engagement Index 2012. McKinsey: „Deutschland 2020“ (www.mckinsey.de/downloads) Mertens, R.: (2012) Personalmanagement im Automobilhandel, in: Diez, W./Reindl, S./Brachat, H., Grundlagen der Automobilwirtschaft, 5. Aufl., München. Mertens, R.: (1-2 2011) „Alle haben das Wort“ – Mitarbeiterbefragung, in: AUTOHAUS – Das Magazin für erfolgreiches Management, München. Mertens, R.: (2007) 99 Tipps für effektives Denken und Lernen - Arbeitsmethodik, Lerntechniken und vernetztes Denken, Berlin. Mertens, R./ Kramer, R.: (2008) Entlohnungssysteme im Automobilhandel. Leistungsorientierte Vergütung, 3. Aufl., München. Mertens, R.: (2001) Anforderungen an Mitarbeiter und Personalmanagement, in: Zdrowomyslaw, N./ Rethmeier, B. (Hrsg.): Studium und Karriere – Karriere- und Berufsplanung, Erfolg, Work-LifeBalance, München/Wien. Mönkediek, S./ Zdrowomyslaw, N.: (4/2012) Entscheidungsorientierte Steuerung der Personalinformationen. Ein Muss für eine zukunftsorientierte Unternehmensentwicklung, in: Der Betriebswirt – Management in Wissenschaft und Praxis, S. 26-31. Olfert, K.: (2010) Personalwirtschaft, 14. Aufl., Herne. Paatz, M./ Jeschke, E./ Mönkediek, S./ Breden, M.: (2012) Microsoft Excel im Personalwesen. Lösungen aus der Praxis für die Praxis, 2. Aufl., Unterschleißheim. Petkovic, M.: (2007). Employer Branding – Ein marktpolitischer Ansatz zur Schaffung von Präferenzen bei der Arbeitgeberwahl, Mering. Scholz, CH.: (2011) Grundzüge des Personalmanagements, München. Stotz, W./ Wedel, A.: (2009) Employer Branding – Mit Strategie zum bevorzugten Arbeitgeber, München. Zdrowomyslaw, N. (Hrsg.): (2007) Personalcontrolling. Der Mensch im Mittelpunkt. Erfahrungsberichte, Funktionen und Instrumente, Gernsbach. Zdrowomyslaw, N. (Hrsg.): (2005) Von der Gründung zur Pleite. Unternehmens-Lebenszyklus und Management der Unternehmensentwicklung, Gernsbach. Zdrowomyslaw, N./ Bladt, M. (Hrsg.): (2008) Wissenschaftliches Arbeiten. Erfolgsbaustein für Studium und Karriere, Gernsbach. Zdrowomyslaw, N./Nitzsche, S. /Milbradt, J.: (2/2012) Herausforderung Employer Branding: Anpacken mit Strategie – Der Weg zum attraktiven Arbeitgeber am Beispiel der ALBA Group, in: Der Betriebswirt – Management in Wissenschaft und Praxis, S. 13-18. Zdrowomyslaw, N./Burke, A. /Eggebrecht, U.: (April 2012) Unternehmensverantwortung und Employer Branding, hrsg. von der Industrie- und Handelskammer zu Rostock, Kreishandwerkerschaft Rügen-Stralsund-Nordvorpommern, Stralsunder Mittelstandsvereinigung e.V., BioCon Valley® GmbH, Greifswald. Zdrowomyslaw, N./Burke, A. /Eggebrecht, U.: (April 2011) Arbeitgeber und Region als Marke, hrsg. von der Industrie- und Handelskammer zu Rostock und der Stralsunder Mittelstandsvereinigung e.V., Greifswald.

IX. Innovationen in KMU – ein Muss?! Dirk Engel 1.

Einordnung der Innovationsleistung von KMU

Der Innovationskraft einer Volkswirtschaft wird gemeinhin die zentrale Bedeutung zur Sicherung und zum Ausbau des Wohlstands einer Nation beigemessen. Zentrale Träger sind die Unternehmen, die durch ihre Forschungs- und Innovationsleistung den Fortbestand des Unternehmens sichern und so zur Beschäftigungssicherung beitragen. Forschungs- und Innovationsleistung sind zwei disjunkte Begrifflichkeiten, die es zunächst zu klären gilt. Während Forschung und Entwicklung (FuE) nach international gebräuchlicher Definitionen (dem „Frascati Manual“) die „systematische, schöpferische Arbeit zur Erweiterung des vorhandenen Wissens“ umfasst (vgl. OECD 2002), stellt die Innovationsleistung auf die konkrete Einführung eines neuen oder merklich verbesserten Produkts, Produktionsverfahrens oder auch der Einführung einer organisatorischen Neuerung bis hin zur Änderung des Geschäftsmodells bzw. der strategischen Ausrichtung ab. Das Verfolgen einer konsequenten Forschungs- und Innovationsstrategie hat verschiedene Ursachen, wenngleich der Wettbewerbsdruck gemeinhin weit oben rangiert. Nicht zuletzt war es Porter (1995, S. 25ff.), der die Strategiewahl in den Kontext mit der Wettbewerbsintensität einer Branche setzte. Eine der möglichen Antworten von Unternehmen ist es hier, in Forschung und Entwicklung zu investieren, um gegenüber den Wettbewerbern einen Vorteil zu erlangen, um neue Konkurrenten durch ein überlegenes Produktangebot abzuwehren oder um Substitutionsprozesse durch Ersatzprodukte zu verhindern. In einer Unternehmensbefragung von Stifterverband Wissenschaftsstatistik (SVW) und RWI Essen 2006 stuften nahezu alle FuEtreibenden Unternehmen (93,7%) die FuE in ihrem Unternehmen als wichtig zum Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit ein. Unterschiede zwischen KMU und Großunternehmen bestehen dabei nicht. Dies deutet auf die grundsätzlich strategisch wichtige Bedeutung der FuE-Aktivitäten in allen Unternehmen hin (vgl. RWI Essen und SVW 2007, S. 63). Im Hinblick auf die Forschungs- und Innovationsleistung wird seit Jahren eine intensive Diskussion über die Rollenverteilung von KMU und Großunternehmen in der Genese neuen Wissens und deren Überführung in neue Produkte und verbesserte Verfahren geführt. Einerseits entfällt der Großteil der Forschungsleistung auf größere Unternehmen. Nach Berechnungen des SVW (2012, S. 3) hatten Unternehmen mit bis zu 249 Beschäftigten einen Anteil von 10,3% an den FuE-Ausgaben der deutschen Wirtschaft in Höhe von 57,8 Mrd. Euro. Gemessen am Beschäftigungsanteil der KMU von ca. 60% ist dies vergleichsweise gering. Andererseits adaptieren eine Vielzahl kleinerer Unternehmen neu am Markt verfügbare Produkte und entwickeln diese weiter. 46% der Industrieunternehmen mit fünf bis unter 50 Beschäftigten zählten im Jahr 2010 zu den Innovatoren, d.h. die Unternehmen nahmen zwischen 2008

120

IX. Innovationen in KMU – ein Muss?!

bis 2010 ein neues bzw. verbessertes Produkt in ihr Portfolio auf oder führten in dieser Zeit ein neues bzw. verbessertes Produktionsverfahren ein. Der Anteil der Innovatoren nimmt tendenziell mit der Größe zu und liegt bei Industrieunternehmen mit 50 bis 249 Beschäftigte bereits bei 71% (vgl. Rammer 2012, S. 15). KMU sind durch eine Reihe von größenbedingten Nachteilen gekennzeichnet, die sich hemmend auf die Innovationsleistung von KMU auswirken und den Unterschied zu Großunternehmen begründen können. In der Regel wird zuallererst auf die schlechtere finanzielle Ausgangssituation von KMU verwiesen, deren Auslöser zum Teil im Marktversagen auf dem Kreditmarkt gesehen werden.1 Weiterhin bestehen größenbedingte Hemmnisse bei der Realisierung von Skalenerträgen. Eine bestimmte Größe ist häufig notwendig, um Investitionshürden zu überwinden, die z.B. aus Markteintrittskosten auf nationalen und internationalen Märkten resultieren. Bedingt durch die geringe Größe bleiben Auslandsaktivitäten – wenn sie denn überhaupt vorhanden sind – vorwiegend auf den Export begrenzt. Firmenübernahmen oder Errichtungen von Tochtergesellschaften im Ausland zur Stärkung der Marktposition sind nur selten zu beobachten. Die Hürden sind im Falle der Adaption neuer Verfahren und Produkte im eigenen Unternehmen grundsätzlich geringer als bei der Entwicklung gänzlich neuer Produkte und Verfahren. Daher verwundert nicht, dass insbesondere bei den Forschungsausgaben eine große Diskrepanz zwischen Großunternehmen und KMU besteht. Größere Unternehmen können eben FuEAufwendungen über eine größere Outputmenge verteilen und sind somit eher in der Lage, das Risiko des Scheiterns von FuE-Projekten zu tragen (vgl. Creditreform et al. 2003, Tabelle 4.8, S. 105 sowie Engel et al. 2005, S. 83). Ungeachtet der genannten Nachteile zeichnet sich eine Teilmenge der innovativen KMU durch ähnlich hohe bzw. höhere FuE-Intensitäten (=FuE-Ausgaben bezogen auf den Umsatz) wie Großunternehmen aus und ist mit ihren einzigartigen Produkten sogar Weltmarktführer. Forschung und experimentelle Entwicklung stellt sich für diese Unternehmen als ein fester Bestandteil der unternehmerischen Orientierung dar. Häufig sind diese Unternehmen nicht in aller Munde, was im Übrigen zur Begrifflichkeit der „hidden champions“ durch Simon (1996) führte. Zum hoch innovativen Mittelstand zählen ferner jene Unternehmen, die im Sinne von Schumpeter (1934, 1942) als „schöpferischer Zerstörer“ agieren: Unternehmen nutzen sich bietende unternehmerische Gelegenheiten, treten in einen Markt ein und beeinflussen somit die Marktaktivitäten anderer Unternehmen, die sich entweder anpassen oder aber aus dem Markt ausscheiden. Gelegentlich ist die Durchsetzung neuer Ideen nur im Rahmen einer Neugründung durchsetzbar, zumal viele neue Ideen in Konkurrenz zum bestehenden Produktportfolio in bestehenden Unternehmen stehen. Die rapide steigende Zahl neuer Unternehmen ist kennzeichnend für die Entstehung einer neuen Branche wie z.B. der modernen Biotechnologieindustrie (vgl. Engel und Heneric 2008, S. 270), welche auf der Anwendung neuer Technologien

1

Zu strukturellen Nachteilen von KMU beim Zugang zu Investitionskrediten vgl. Reize (2010).

IX. Innovationen in KMU – ein Muss?!

121

basiert. Strenggenommen interessiert aus Sicht einer Nation weniger, ob und wie lange diese Unternehmen überleben, sondern welcher Nutzen sich für die Gesellschaft als Ganzes ergibt. Neue Hightech-Unternehmen übernehmen in erster Linie eine Testfunktion für neue Ideen und Geschäftsmodelle; mithin auch für Großunternehmen. Insgesamt betrachtet stellt sich der Mittelstand als sehr heterogen im Hinblick auf die Forschungs- und Innovationsleistung dar. In diesem Sinne werden sich die Forschungsstrategien innerhalb des Mittelstands sehr deutlich unterscheiden, wohingegen sich eine Reihe von Ähnlichkeiten im Forschungs- und Innovationsprozess zwischen forschenden Großunternehmen und dem hoch innovativen Mittelstand finden lassen.

2.

Von der Genese zur erfolgreichen Innovation

Auf dem Weg zur erfolgreichen Innovation werden verschiedene Stufen durchlaufen, von der Identifizierung von Ideen und deren Bewertung, der Umsetzung in konkrete Vorhaben nebst Implementierung und abschließender Erfolgskontrolle. Das Innovationsmanagement befasst sich dabei mit der optimalen Gestaltung jeder Stufe des Innovationsprozesses (vgl. hierzu u.a. Kriegesmann und Kerka 2006, Vollborth 2012). Exogen vorgegebene Gegebenheiten wie z.B. Alter, Größe und Branche des Unternehmens oder auch Marktstruktur und Nachfragebedingungen bedingen in der Regel eine spezifische Ausgestaltung einzelner Instrumente, um den Innovationsprozess erfolgreich zu gestalten (vgl. RWI Essen und SVW 2007, S. 71ff.). Ein besonderes Augenmerk gilt der Genese neuer Ideen. Hierzu erfahren Unternehmen Anstöße sowohl von unternehmensinternen als auch -externen Akteuren. Im Rahmen zahlreicher Analysen zum Innovationsgeschehen stehen Kundenwünsche zumeist ganz oben auf der Liste der zentralen Impulsgeber. In der bereits erwähnten Unternehmensbefragung beurteilten 83% der 473 befragten Unternehmen die Kundenwünsche als einen sehr wichtigen Impulsgeber (vgl. RWI Essen und SVW 2007, S. 68). Kein anderer Impulsgeber wird auch nur annähernd als ähnlich bedeutsam eingestuft. Die hohe Bedeutung der Kundenwünsche spiegelt die mittlerweile sehr starke Ausrichtung an konkrete Erfordernisse des Marktes wider. Von den übrigen Impulsgebern werden von circa 29% der Unternehmen die Vorgaben der Unternehmensleitung und neue technologische/wissenschaftliche Entwicklungen als sehr wichtig eingestuft. Die Ideen der eigenen Mitarbeiter werden von knapp 33% der Unternehmen als sehr wichtig eingeschätzt. Dies mag im Vergleich zur Rolle der Kunden als Impulsgeber zwar wenig erscheinen. Gleichwohl bergen gerade die Ideen der Mitarbeiter ein großes Potenzial für technische und organisatorische Veränderungen. Im Zusammenhang mit der Genese neuen Wissens wird häufig auf die Rolle von Kooperationen bzw. dem Erwerb externen Wissens hingewiesen. In der Tat geben die Unternehmen vordergründig an, dass die „Buy“-Entscheidung vornehmlich der Erwei-

122

IX. Innovationen in KMU – ein Muss?!

terung unternehmensinterner Kernkompetenzen bzw. dem Erwerb neuer Kompetenzen dient. Von etwas nachrangiger Bedeutung ist dagegen das Motiv, Entwicklungskosten zu senken und damit auch das Risiko eines FuE-Vorhabens zu verringern (vgl. RWI Essen und SVW 2007, S. 79f.). Gefragt nach den Kooperationspartnern, stufen knapp 39% der Unternehmen FuE-dominierte Kontakte zu Kunden/Lieferanten als sehr wichtig ein, weitere 44% benennen diese als wichtig. Dies deckt sich mit der Rolle der Kunden als zentraler Impulsgeber für FuE-Aktivitäten, sodass Kundenwünsche in der Regel mit vertraglicher Fixierung einhergehen. Überraschend im positiven Sinne stellt sich die Wertschätzung der Kooperation mit öffentlichen Forschungseinrichtungen dar: Knapp ein Viertel der Unternehmen messen den FuE-Kontakten zu Universitäten eine sehr hohe Bedeutung zu. Gemessen an der Häufigkeit der Antworten „sehr wichtig“ folgen die Kontakte zu Fachhochschulen (16%) und zu sonstigen staatlichen FuE-Einrichtungen (14%) (vgl. RWI Essen und SVW 2007, S. 82f.). Zu ganz ähnlichen Befunden kommen auch die Engel et al. (2005, S. 98) unter Verwendung der Angaben des Mannheimer Innovationspanels. Bislang liegen nur wenige Studien vor, die sich mit der umfassenden Bewertung von Kooperationen aus Sicht der Akteure befassen. Stilisierte Fakten liegen vornehmlich für die einzelbetrieblichen Wirkungen der Kooperation vor (z.B. Czarnitzki et al. 2007). Über konkrete Kosten und auftretende Nachteile der Kooperationstätigkeit sind dagegen kaum hinreichend abgesicherte Befunde bekannt. In Bezug auf ersteres konnten Czarnitzki et al. (2007) zeigen, dass staatlich finanzierte Kooperationsprojekte einen höheren Innovationserfolg (gemessen über die Zahl der Patentanmeldungen) haben als nicht staatlich finanzierte Einzelprojekte wie auch gegenüber staatlich finanzierten Einzelprojekten. Die zunehmende Bevorzugung von Verbundvorhaben im Rahmen der staatlichen Forschungs- und Innovationsförderung scheint damit folgerichtig (vgl. Fier und Harhoff 2001), wenngleich dieses im Einzelfall eine zusätzliche Hürde für die Beantragung eines Innovationszuschusses auf Förderprogrammen intendiert.

3.

Einzelbetriebliche Wirkungen von Innovationsaktivitäten

Eingang wurde bereits auf Unterschiede zwischen KMU und Großunternehmen im Hinblick auf deren Innovationsbeteiligung hingewiesen. Sofern sich KMU für die Einführung einer Innovation entschieden haben, stellt sich nunmehr die Frage nach dem betrieblichen Erfolg dieser Maßnahme, d.h. ob sich Nachteile von KMU in der Realisierung eines hinreichenden Innovationserfolges belegen lassen. Die unternehmerische Innovationstätigkeit hat vielschichtige Wirkungen, die in erster Linie von der Art der Innovation abhängen, d.h. ob es sich um neue Produkte (Produktinnovationen), neue Prozesse (Prozessinnovationen) oder organisatorische Änderungen handelt. Produktinnovationen können, sie müssen jedoch nicht zwangsläufig zu mehr Umsatz und Beschäftigung im innovierenden Unternehmen insgesamt führen. Das Aus-

IX. Innovationen in KMU – ein Muss?!

123

maß der Umsatz- und damit auch Beschäftigungsveränderung eines Produktinnovators hängt im Wesentlichen von drei Dingen ab: Der Marktakzeptanz des neuen Produktes – d.h. es werden Umsätze mit dem neuen Produkt erzielt –, der Komplementarität zur bestehenden Angebotspalette des Unternehmens und der Komplexität der Neuerung. Eine hohe Marktakzeptanz führt nicht automatisch zu mehr Umsatz insgesamt. Mit der Markteinführung können nämlich Verdrängungseffekte existierender Angebote des Unternehmens einhergehen. Je höher die Verdrängung existierender Angebote ist, umso höher ist auch die Umsatzeinbuße. Im Extremfall geht die Markteinführung neuer Produkte mit der kompletten Einstellung des Angebots existierender Angebote einher. Unter Umständen kann sich in diesem Fall sogar ein Umsatzrückgang ergeben. Zusätzlich zu den beiden genannten Faktoren Marktakzeptanz und Komplementarität ist für die Beschäftigungsentwicklung noch ein drittes Charakteristikum zu berücksichtigen: Die Komplexität der Neuerung. Je komplexer die Neuerung ist, umso eher kann sich ein Bedarf an zusätzlichem Personal zur Realisierung der Produktentwicklung bzw. -einführung ergeben. Allerdings sind die vorgenommenen Einstellungen nur dann längerfristig gesichert, wenn eine ausreichende Marktakzeptanz mit dem neuen Produkt erzielt wird. Stellenweise werden auch negative, direkte Beschäftigungsimpulse im Zusammenhang mit der Einführung von Produktinnovationen diskutiert. So geht die Einführung neuer Produkte häufig einher mit der zeitgleichen Einführung arbeitssparender Technologien (Prozessinnovationen). Ein negativer Beschäftigungseffekt ist zudem denkbar, wenn ein ausreichender Umsatz mit den neuen Produkten ausbleibt. Sofern umfangreiche Vorleistungen des Unternehmens getätigt wurden, werden diese durch Erlöse nicht hinreichend amortisiert. Unter Umständen sehen sich Unternehmen dann zu Kosteneinsparungen und mithin zu Personalfreisetzungen gezwungen. Allerdings bleibt zunächst unklar, wie sich das Unternehmen bei Unterlassen der Innovationstätigkeit oder aber bei Wahl einer anderen Tätigkeit entwickelt hätte. Festzuhalten bleibt, dass positive Beschäftigungseffekte von Produktinnovationen umso wahrscheinlicher sind, je höher die Marktakzeptanz des neuen Produktes ist, je komplementärer es zur existierenden Angebotspalette ist und umso komplexer sich die Produktentwicklung bzw. -einführung gestaltet. Die Einführung einer Prozessinnovation führt häufig zu Produktivitätssteigerungen. Es wird mehr Output bei gleichem Input (Markterschließungsmotiv) oder aber gleicher Output bei geringerem Input (Kostensenkungsmotiv) hergestellt. Sofern Prozessinnovationen mit dem Ziel der Markterschließung eingeführt werden, können sich positive Beschäftigungseffekte auf Grund des höheren Outputs ergeben. Für Prozessinnovationen mit dem Ziel der Kostensenkung ist der Beschäftigungseffekt dagegen unklar. Gleicher Output bei weniger Input impliziert häufig Einsparungen des Faktors Arbeit und damit – so die Hoffnung – die gewünschte Kostensenkung. Die Kostensenkung wiederum erhöht die Wettbewerbsfähigkeit und ermöglicht Preissenkungen. Die Preissenkung selbst zielt auf die Attrahierung zusätzlicher Nachfrage. Je elastischer die Nachfrage auf Preissenkungen reagiert, umso höher fällt die

124

IX. Innovationen in KMU – ein Muss?!

Umsatzsteigerung aus, welche positiven Beschäftigungseffekte auslösen kann. Im günstigen Fall werden die Beschäftigungsverluste im Zuge der Einführung kostensenkender Prozessinnovationen kompensiert bzw. nimmt die Beschäftigung auf Grund des Preiseffekts sogar zu. Bei Zugrundelegung eines erweiterten Innovationsbegriffs, werden hierunter auch organisatorische Änderungen gefasst. Von einer organisatorischen Änderung können im Einzelfall wesentliche Impulse für die Unternehmensentwicklung ausgehen. Zudem gehen organisatorische Änderungen häufig einher mit der Einführung neuer Prozess- oder auch Produktinnovationen. Vorrangiges Ziel organisatorischer Änderungen ist die Optimierung des Prozesses der Leistungserstellung. Ansatzpunkte bieten sich dabei zu Genüge, angefangen vom Einkauf von Vorleistungen bis hin zur Pflege und Wartung der Kommunikationsinfrastruktur. Die Beschäftigungsimpulse variieren mit der Art der durchgeführten Änderung. Ein Abbau von Hierarchieebenen kann zu einem negativen Beschäftigungseffekt führen, wenn dieser Abbau nicht von Umsetzungen der davon betroffenen Mitarbeiter begleitet wird. Umgekehrt kann das Ziel einer höheren Qualität der hergestellten Produkte oder die Neuausrichtung des Prozesses der Leistungserstellung an veränderte Ziele zu Einstellungen von Spezialisten führen. Bei undifferenzierter Betrachtung bleibt der Beschäftigungseffekt auch der organisatorischen Änderungen theoretisch unbestimmt. Der Zusammenhang zwischen Innovation und Beschäftigungsentwicklung ist folglich theoretisch nicht eindeutig bestimmt. Es finden sich Argumente sowohl für einen positiven Zusammenhang als auch einen negativen. Dies gilt dabei unabhängig davon, ob Produkt-, Prozessinnovationen oder aber organisatorische Änderungen betrachtet werden. Letztlich können nur empirische Analysen eine Antwort auf die Wirkung von Innovationstätigkeiten in innovierenden Unternehmen geben. Diese zeigen dabei folgendes Bild (vgl. Dehio et al. 2005, S. 236ff. und Engel et al. 2005, S. 102ff. für nähere Ausführungen): x

Produktinnovationen, darunter vor allem Marktneuheiten, führen im Durchschnitt aller innovierenden Unternehmen zu mehr Beschäftigung.

x

Die Beschäftigungseffekte der Prozessinnovationen sind nicht eindeutig, wohl aber tendenziell negativ auf Grund kostensenkender Rationalisierungsinvestitionen. Bei Prozessinvestitionen im Zusammenhang mit Produktinnovationen überwiegen die positiven Beschäftigungseffekte.

x

Die Ergebnisse in Bezug auf organisatorische Änderungen und der Einführung moderner IKT zeigen kein eindeutiges Bild. In einigen Studien ergeben sich signifikant positive Effekte.

x

Ein hoher Innovationserfolg führt zu einer höheren Produktivität. Inwieweit dies auch zu mehr Beschäftigung führt, bleibt hingegen offen.

Zur Untermauerung dieser Feststellung sind in der Darstellung 1 einige ausgewählte Kennzahlen für Betriebe mit neuen Produkten und solchen ohne neue Produkte ausgewiesen. Produktinnovatoren schneiden im Schnitt besser ab als Nichtproduktinnovatoren. Sowohl das Beschäftigungs- als auch das Umsatzwachstum fallen in Betrieben mit neuen Produkten höher aus. Das positive Bild zugunsten der Produktinnova-

IX. Innovationen in KMU – ein Muss?!

125

toren gilt auch bei der Betrachtung der qualifikationsspezifischen Beschäftigungsentwicklung nahezu durchgängig. Darstellung 1: Beschäftigungs-, Umsatz- und Produktivitätswachstum von Nicht-Produktinnovatoren und Produktinnovatoren Indikator

Beschäftigungswachstum 1998-2001 (Sozialversicherungspfl. Beschäftigte) Beschäftigungswachstum 1998-2001 – Qualifizierte Beschäftigungswachstum 1998-2001 – Facharbeiter Beschäftigungswachstum 1998-2001 – Geringqualifizierte Umsatzwachstum 1998-2001 Wachstum der Produktivität 19982001

Westdeutschland Betriebe Betriebe ohne neue mit neuen Produkte Produkten (N=991) (N=249)

Ostdeutschland Betriebe Betriebe ohne neue mit neuen Produkte Produkten (N=1169) (N=275)

-1,6 %

0,0 %

-6,0 %

-1,7 %

0,4 %

2,3 %

-1,6 %

1,5 %

-2,5 %

-3,0 %

-5,2 %

-2,7 %

-4,4 %

-2,8 %

-6,7 %

-2,1 %

0,0 %

2,9 %

-2,4 %

0,2 %

1,4 %

2,6 %

2,9 %

1,3 %

Quelle: Dehio et al. (2005), Tabelle 4.4 auf S. 257.

Ein schlechteres Abschneiden ist bei den Produktinnovatoren nur beim Indikator „Beschäftigungswachstum bei Facharbeitern“ in Westdeutschland sowie beim „Wachstum der Produktivität“ in Ostdeutschland festzustellen. Letztgenanntes verwundert jedoch nicht, denn Nichtproduktinnovatoren zeichnen sich durch einen massiven Beschäftigungsabbau aus. Dies führt dazu, dass der Quotient aus Umsatz und Beschäftigung stärker zunimmt. Bei den Weiterbildungsaktivitäten sind nur geringe Unterschiede zwischen innovativen und nicht-innovativen Betrieben auszumachen. Zentrale Fragestellung ist, ob das positive Abschneiden der Betriebe mit neuen Produkten tatsächlich auf deren Innovationsaktivitäten oder aber auf andere Merkmale zurückzuführen ist. Ebenso stellt sich die Frage, ob sich die Effekte in KMU von denen in Großunternehmen unterscheiden. Zur Beantwortung beider Fragen bietet sich die Durchführung einer multivariaten Analyse an, um zeitgleich für den Einfluss verschiedener Faktoren zu kontrollieren. Die Ergebnisse von Dehio et al. (2005) in Darstellung 2 belegen für westdeutsche Betriebe einen signifikant positiven Zusammenhang zwischen dem Umsatz mit Unternehmensneuheiten und der Veränderung der Produktivität. Dies steht im Einklang mit den bisher vorliegenden Untersuchungen, die sich dem Zusammenhang zwischen Innovationserfolg und Produktivität widmen. Größenspezifische Unterschiede sind dabei nicht festzustellen, d.h. innovative KMU agieren – trotz ihrer größenbedingten Nachteile – genauso erfolgreich wie innovative Großunternehmen.

126

IX. Innovationen in KMU – ein Muss?!

Darstellung 2: Zusammenhang zwischen Innovationstätigkeiten und Produktivität Ergebnisse differenziert nach Betriebsgrößen Jahresdurchschnittliche Wachstumsrate der Produktivität zwischen 1998 und 2000

Organisatorische Veränderungen Investitionen in IKT Marktneuheiten Unternehmensneuh. 1 Umsatz mit Markt- oder Unternehmensneuh. 1 Umsatz mit Unternehmensneuheiten

Alle Betriebe

Kleine Betriebe (bis 249 Beschäftigte)

West

West

Ost

-*

+***

Ost

-*

+**

Große Betriebe (250 … 10.000 Beschäftigte) West Ost

+** -* +**

* signifikant bei 10 %-, ** signifikant bei 5 %-, *** signifikant bei 1-%-Signifikanzniveau. „+“ („-“) zeigt einen positiven (negativen) Zusammenhang an. Leere Felder geben an, dass der Zusammenhang zu 1 den gängigen Signifikanzniveaus statistisch nicht zuverlässig ist. Nur für innovative Betriebe, d.h. solche mit Markt- oder Unternehmensneuheiten. Eine getrennte Berücksichtigung der Markt- und Unternehmensneuheiten war auf Grund zu geringer Fallzahlen nicht möglich. Quelle: Dehio et al. (2005), Übersicht 4.5, S. 263.

Die Unterschiede zwischen Ost- und West verdienen ein besonderes Augenmerk. Insgesamt deuten die Unterschiede darauf hin, dass eine höhere Innovationstätigkeit und deren Erfolg nicht mit einer höheren Produktivität in Ostdeutschland einhergehen. Dies könnte womöglich darauf zurückzuführen sein, dass ostdeutsche Betriebe vergleichsweise schnell den Produktivitätsgewinn in mehr Beschäftigung umsetzen. Weiterführende empirische Untersuchungen von Dehio et al. (2005) sprechen für diese Begründung des Ost-West-Unterschieds.

4.

Abstract

Das Innovationsverhalten von Unternehmen stellt sich als sehr heterogen dar und unterscheidet sich insbesondere zwischen kleinen und größeren Unternehmen erheblich. Ungeachtet der geringeren Innovationsneigung kleinerer Unternehmen schneiden diese nicht unbedingt nicht schlechter mit Blick auf einzelbetriebliche Wirkungen ab. Der Blick auf ausgewählte Kennzahlen unterstreicht, dass Produktinnovatoren fast immer eine bessere Performance als Nicht-Produktinnovatoren aufweisen. Umsatz- und Beschäftigungswachstum fallen in Betrieben mit neuen Produkten tendenziell höher aus. Hinsichtlich der Weiterbildungsaktivitäten, von denen positive Impulse auf die Produktivität vermutet werden, sind allerdings nur geringe Unterschiede zwischen Produktinnovatoren und übrigen Betrieben auszumachen. Internationale Wettbewerbsfähigkeit, nachhaltiges Wachstum und dauerhafte Arbeitsplätze entstehen somit vor allem durch erfolgreiche Innovationen. Um im sich verschärfenden internationalen Wettbewerb bestehen zu können, wird die permanente Entwicklung von Neuerungen und deren zügige Umsetzung in marktgängige Produkte und Prozesse zukünftig noch weitaus bedeutsamer werden.

IX. Innovationen in KMU – ein Muss?!

127

Quellen und weiterführende Literatur Creditreform/ IfM Bonn/ KfW/ RWI/ ZEW (Hrsg.): (2003) MittelstandsMonitor - Jährlicher Bericht zu Konjunktur- und Strukturfragen kleiner und mittlerer Unternehmen. Czarnitzki, D./ Ebersberger, B./ Fier, A.: (2007) The relationship between R&D collaboration, subsidies and R&D performance: Empirical evidence from Finland and Germany. Journal of Applied Econometrics, 22, 1347–1366. Dehio, J./ Engel, D./ Graskamp, R./ Rothgang, M.: (2005) Beschäftigungswirkungen von Forschung und Innovation, Endbericht zum Gutachten im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit. Engel, D./ Heneric, H.: (2008) Legal Frameworks and Public Support in the Biotechnology Industry, in H. Patzelt and T. Brenner, Handbook of Biotech-Entrepreneurship, International Handbook Series on Entrepreneurship, Vol. 4, Berlin, 249-274. Engel, D./ Niefert, M./ Zimmermann, V.: (2005) Innovationen – Herausforderungen für den Mittelstand, in: KfW, Creditreform, IfM, RWI, ZEW (Hrsg.), Den Aufschwung schaffen – Binnenkonjunktur stärken – Mittelstandsmonitor 2005 – Jährlicher Bericht zu Konjunktur- und Strukturfragen kleiner und mittlerer Unternehmen, Frankfurt am Main, 81-107. Fier, A./ Harhoff, D.: (2001) Die Evolution der bundesdeutschen Forschungs- und Technologiepolitik: Rückblick und Bestandsaufnahme, ZEW Discussion Paper No. 01-61, Mannheim. Kriegesmann, B./ Kerka, F.: (2006) Innovationsmanagement – Tüftelei und systematische Entwicklung. In: Krüger, W., G. Klippstein, R. Merk, V. Wittberg, Praxishandbuch des Mittelstands, Wiesbaden, S. 313-327. OECD: (2002), Frascati Manual. Proposed Standard Practice for Surveys in Research and Experimental Development. The Measurement of Scientific and Technological Activities. OECD, Paris. Porter, M. E.: (1995) Wettbewerbsstrategie (Competitive Strategy). Methoden zur Analyse von Branchen und Konkurrenten. 8. Aufl., Frankfurt. Reize, F.: (2010) Gibt es eine Kreditklemme im Mittelstand. KfW Bankengruppe, Standpunkt Nr. 2. RWI Essen/ Stiftverband Wissenschaftsstatistik (SVW): (2007) Forschungsstrategien von Unternehmen - Bestimmungsfaktoren, Konsequenzen für NRW und Einflussmöglichkeiten der Politik, Endbericht zum Forschungsvorhaben für das Ministerium für Innovation, Wissenschaft, Forschung und Technologie des Landes Nordrhein-Westfalen, Essen. Schumpeter, J. A.: (1934) The Theory of Economic Development, Oxford 1911, Nachdruck 1934. Schumpeter, J. A.: (1942) Capitalism, Socialism, and Democracy, New York. Simon, H.: (1996), Die heimlichen Gewinner: die Erfolgsstrategien unbekannter Weltmarktführer (Hidden Champions). Frankfurt. 3. Aufl. Stiftverband Wissenschaftsstatistik (SVW): (2012) Forschung und Entwicklung – facts, Essen. http://www.stifterverband.info/statistik_und_analysen/wissenschaftsstatistik/publikationen/fue_f acts/fue_facts_2012-01.pdf [18.1.2013] Vollborth, T.: (2012) Innovation. In: Offensive Mittelstand – Gut für Deutschland: Unternehmensführung für den Mittelstand, Stuttgart, S. 181-192. Rammer, C/ Aschhoff, B./ Grass, D./ Doherr, T./ Hud, M./ Köhler, C./ Peters, B./ Schubert, T./ Schwiebacher, F.: (2012) Innovationsverhalten der deutschen Wirtschaft - Indikatorenbericht zur Innovationserhebung 2011, Mannheim.

X.

Potenziale und Hebel des Supply Chain Managements in KMU

Artus Hanslik Globalisierung, Verschärfung des Wettbewerbs, kürzere Produktlebenszyklen, steigende Kundenanforderungen sind unverkennbar jene Stichworte, mit deren Hilfe sich die Entwicklungen in den letzten Jahren auf nahezu allen Märkten beschreiben lassen. Man muss kein Prophet sein, um zu erkennen, dass diese Trends auch in Zukunft marktprägend sein werden und Strategien sowie Maßnahmen von Unternehmen – unabhängig von ihrer Größe – weiterhin stark beeinflussen dürften. Viele Unternehmen haben auf diese Entwicklungen mit Ausweitung des Produktsortiments, vermehrter Kostendisziplin und einer Reduzierung der Fertigungstiefe reagiert. Höhere Produktanzahl wie auch steigende Arbeitsteilung über Unternehmensgrenzen hinaus wiederum erzeugen höhere Komplexität in der Steuerung der Materialflüsse entlang der Lieferkette („Supply Chain“) und stellen daher besondere Anforderungen an die Fähigkeiten von Unternehmen in Logistik und Supply Chain Management. Es verwundert daher nicht, dass diese Unternehmensfunktionen in neueren Veröffentlichungen häufig als wichtige Erfolgsfaktoren im Wettbewerb bezeichnet werden (z.B. Werner 2011, S. 597). Im Folgenden interessieren die drei Fragen:

1.

x

Was versteht man unter SCM und welche Potenziale verspricht es?

x

Was sollen KMU bei der Gestaltung von SC berücksichtigt werden und wie lassen sich SC optimieren?

x

Bestehen Unterschiede bei Erfolgspotenzialen durch SCM zwischen KMU und Großunternehmen?

Supply Chain Management und Potenziale

Es ist an dieser Stelle müßig, eine detaillierte Abgrenzung von Logistik- und Supply Chain-Management vorzunehmen, da eine hohe Überschneidung bei Zielen und Maßnahmen vorherrscht. Es verwundert daher auch nicht, wenn Kotzab (2000, 40) als ein Ergebnis seiner Literaturanalyse festhält, dass „Supply Chain Management versteht sich als eine alternative Bezeichnung des integrierten Logistikmanagements.“ Ergänzend sei jedoch hinzugefügt, dass im „Supply Chain Management“ ein veränderter Blick auf das logistische Aktivitätenspektrum deutlich wird, da der Kooperationsgedanke auch gerade zwischen eigenständigen, gesellschaftsrechtlich nicht verflochtenen Unternehmen viel stärker in den Fokus der Betrachtung gerät. Das Verständnis von SCM als integriertes Logistikmanagement zur Steigerung von Effizienz und Servicequalität spiegelt sich nach Ansicht des Verfassers besonders treffend in

X. Potenziale und Hebel des Supply Chain Managements in KMU

129

der Interpretation von Bowersox und Closs (1996) wider, die ausführen: „The basic notion of supply chain management is grounded on the belief, that efficiency can be improved by sharing information and by joint planning … an overall supply chain focusing on integrated management of all logistical operations from original supplier procurement to final consumer acceptance.” (zitiert nach Kotzab 2000, 25). Für das SCM ist damit die Kooperation von den in der Lieferkette beteiligten Unternehmen von entscheidender Bedeutung. Darstellung 1: Erfolgspotenziale des SCM

Quelle: Poirier 1999, entnommen Wildemann 2000, 81

Auch wenn „punktuelle“ Erfolgsmeldungen aus wissenschaftlicher Sicht kritisch hinterfragt werden müssen, da solche wesentlich häufiger publiziert werden als wenig erfolgreiche oder gar gescheiterte SCM Projekte und Dienstleister ein hohes (finanzielles) Interesse an solchen Erfolgsmeldungen haben, zeigt die Poirier (1999) entnommene Darstellung 1, dass durch die Optimierung der Supply Chain erhebliche positive Auswirkung auf relevante Zielgrößen im Unternehmen möglich sind. Typische Effekte sind Bestandskostensenkungen und Produktivitätsvorteile als Folge einer integrierten Planung aller Beteiligten in der Lieferkette, da nur das tatsächlich benötigte Material bevorratet wird. Auf der anderen Seite führt diese Planung auch zu Umsatzsteigerungen, weil höhere Verfügbarkeit von stark nachgefragten Produkten im Versand und am Point-of-Sale gewährleistet werden kann. Die Verkürzung von Wiederbeschaffungs-, Liefer- und Produkteinführungszeiten („Time to market“) sind ein weiterer Vorteil, der im Zeitwettbewerb um den Kunden ebenfalls auf der Umsatzseite deutlich niederschlagen kann. Eine graduelle Bestätigung dieser Vorteile aus SC-Kooperationen zeigen auch die Ergebnisse einer nicht repräsentativen Befragung von kleinen und mittleren Unternehmen bei Buer (2003, 92).

130

2.

X. Potenziale und Hebel des Supply Chain Managements in KMU

Hebel des SCM

Die Aussage „Information ersetzt Lagerhaltung“ verdeutlicht die zentrale Rolle von Informationen in einem effektiv betriebenen Supply Chain Management (vgl. Darstellung 2). Genau zu wissen, an welcher Stelle in der Lieferkette wie viel Material zu einem bestimmten Zeitpunkt verfügbar sein müssen, ist für jedes beteiligte Unternehmen der Schlüssel zur effizienten Dimensionierung von Produktionskapazitäten und Materialbeständen. Eine wichtige Bedingung für diese Kosten- und Serviceoptimierung ist die Kenntnis der Nachfrage für das Endprodukt auf jeder vorgelagerten Stufe der Supply Chain. Da die Prognose der Nachfrage bereits eine anspruchsvolle Aufgabe in den unternehmenseigenen Teilen der Lieferkette ist, steigen die Anforderungen an die Lösung der vielfältigen Prognoseprobleme mit der Anzahl der Beteiligten in einer Lieferkette an (vgl. auch Steinaecker-Kühner 2000, 42f.). Die dezentrale Verfügbarkeit der Endproduktnachfrage auf jeder Stufe der Lieferkette vereinfacht das Prognoseproblem und reduziert die damit verbundene Planungsunsicherheit. Es bedarf deshalb eines über alle beteiligen Unternehmen integrierten und systematischen Vorgehens, um dem Ziel einer effizienten und serviceoptimierten Supply Chain annähernd gerecht zu werden. Der äußere Ring in Darstellung 2 zeigt die vier Hebel des SCM. Sie sind gleichzeitig die Instrumente einer Supply Chain Strategie, die an der Unternehmensstrategie orientierte Kosten- und Serviceziele vorgibt. Darstellung 2: Informationsbedürfnisse und Hebel im SCM

Quelle: Hanslik 2012

X. Potenziale und Hebel des Supply Chain Managements in KMU

131

Unternehmensübergreifende Kooperationen Motive für und Vorteile von Kooperationen sind an anderer Stelle ausgiebig beschrieben (vgl. Specht-Hellmich 2000, S. 93). Auch die vertikale Kooperation in einer Supply Chain folgt den gleichen Motiven. Sowohl auf Beschaffungs- und Distributionsseite besteht der Anreiz für beide Seiten, eine „Win-Win-Situation“ durch den Austausch relevanter Informationen zu erzeugen. Ausgehend von der Supply Chain Strategie (vgl. hierzu Lee 2002, 116) und den dadurch abgeleiteten Anforderungen an die Leistungsfähigkeit der Kooperationspartner erfolgt deren Auswahl. Die Form der Zusammenarbeit, Grad des Informationsaustausches, Schnittstellen in der physischen wie auch informationellen Logistik, Logistikziele und Aufteilung von Synergieeffekten werden verhandelt und in Kooperationsverträgen festgeschrieben. Es ist selbstredend, dass die Höhe der Synergien erheblich vom Integrationsgrad der Zusammenarbeit abhängt und die Aufteilung dieser Synergien stark von der Machtkonstellation in der Supply Chain getrieben wird. Hierbei spielen verschiedene Merkmale der Koordination in logistischen Netzwerken eine Rolle (vgl. hierzu SchönslebenHieber 2002, 51). So kann beispielweise die Intensität des Informationsaustausches zwischen den beteiligten SC-Teilnehmer auf den unterjährig seltenen Austausch von Bedarfsvorhersagen beschränkt sein oder in Folge einer zentralisierten Planung und Steuerung für die gesamte Lieferkette nachfrageabhängig beständig variieren und damit beinahe kontinuierlich in die Kapazitätssteuerung beteiligter Unternehmen einwirken. Organisatorische Anpassung an die Supply Chain Im Vordergrund steht die Entwicklung einer Kooperationskultur in der täglichen Routine. Das setzt voraus, dass sich die Partner auf die vertraglich festgelegten Aufgaben und Kooperationsziele organisatorisch einstellen. Schaffung von Verantwortlichkeiten in der eigenen Organisation für Kooperation und Routineaufgaben (z.B. regelmäßiger Austausch über Planungsinformation), Aufbau gemeinsamer Teams zwecks Umsetzung informationeller und physischer Anforderungen oder zur Beseitigung von Engpässen sind nur einige Beispiele, die verdeutlichen, dass die angestrebten (zunächst theoretischen) Kooperationssynergien täglich hart erarbeitet werden müssen. Anforderungen der nachgelagerten Stufe beispielsweise Just-in-time anzulieferen, erfordern Anpassungen in der eigenen Planung und Steuerung der Produktions- und Transportprozesse. Dies gilt in ähnlicher Form für „Make or Buy“induzierte Organisations- und Vergabeentscheidungen in einer SC. IT-Systeme für das SCM – Auswahl und Anpassung Die höhere Transparenz innerhalb eines logistischen Netzwerkes ist wie beschrieben ein wesentlicher Hebel zur Realisierung der beschriebenen Potenziale. Als logische Konsequenz hieraus folgt die informationstechnische Vernetzung mit Lieferanten und Kunden in einer Supply Chain über geeignete Informationstechnologie (IT)-Systeme.

132

X. Potenziale und Hebel des Supply Chain Managements in KMU

Neben der höheren Transparenz liegen zudem weitere Vorteile von solchen SCMSystemen nach Steinaecker-Kühner (2000, 53) in der Beherrschung der Komplexität und der Reaktionsgeschwindigkeit bei Veränderungen in der Supply Chain. Auswahl eines integrierten Systems mit Internet-Anbindung, die Anpassung existierender Systeme oder die Schaffung von Schnittstellen über EDI („Electronic Data Interface“) sind hierbei grundsätzliche Alternativen für eine informationstechnische Kommunikation zwischen den Partnern. Fast immer sind IT-systemseitige Entscheidungen mit hohem Einführungsaufwand verbunden. Ins Bild passen die in Steinaecker-Kühner (2000, 60) zitierten Ergebnisse einer Frauenhofer Untersuchung. Danach bewertet ein gutes Drittel der 194 befragten Unternehmen den mit der Einführung von SCMsoftware verbundenen hohen Aufwand als Hemmnis der Einführung. Steuerung der Supply Chain Die Identifikation von Engpässen und Verbesserungsbedarfen in einer Supply Chain erfordert die kontinuierliche Überprüfung der durch die Strategie vorgebenen Ziele. Hierzu müssen geeignete Kennzahlen (KPI-Key Performance Indikatoren) als Darstellung der Ziele ausgewählt werden. Neben den bekannten quantitativen Größen (Kosten, Servicegrad, Zeit und Flexibilität) sind auch qualitative Kenngrößen von Bedeutung (vgl. auch Werner 2011, 598). Da erfolgreiches SCM in besonderer Weise von der Qualität der Kooperation abhängt, müssen insbesondere Key Performance Indikatoren nachgehalten werden, die die Qualität der Kooperation und des Datenaustausches abbilden.

3.

SCM in KMU: Unterschiede zu großen Unternehmen

Die Vorteile des SCM liegen in dem kooperativen Ansatz mit den SC Partnern begründet. Die typischen kosten- wie auch erlösseitigen Synergien mit den Partnern, die jeder Kooperation oder Allianz als Hauptmotive innewohnen, können realisiert werden, ohne dass Integrations- und Transaktionskosten einer eigentumsbasierten Steuerung in Kauf genommen werden müssen (vgl. auch Arend-Wisner 2005, 405). Diese positiven Effekte (z.B. Materialbestandssenkungen, höhere Servicegrade), die mit der Einführung von SCM einhergehen, sind prinzipiell auch für KMU zu erwarten. Dennoch gibt es einige Besonderheiten zu berücksichtigen, die im Zusammenhang mit den besonderen Merkmalen von KMU stehen. Geringe finanzielle und personelle Ressourcen sowie höhere Risiken aus einer geringen Produktdiversifikation, höhere Flexibilität und auf den Inhaber zugeschnittener „zentrierter“ Führungsstil sind wesentliche größenbedingte Ausprägungen von KMU (Noteboom 1993; Hanslik 2013). Diese können sich auf den Nutzen des Einsatzes von Supply Chain Management bei KMU auswirken: x

Größenbedingte Nachteile in der Potenzialauschöpfung

x

Erwerb von SCM Kompetenzen

X. Potenziale und Hebel des Supply Chain Managements in KMU

133

Größenbedingte Nachteile aus Sicht von KMU bestehen darin, dass sich absolut gesehen Economies of Scale- oder Fixkostendegressionseffekte bei logistischen Prozessen nur in geringerem Maße niederschlagen als dies bei großen Unternehmen mit einem höheren Durchsatz zu beobachten ist (vgl. auch Hong-Jeong 2006, 294). So ist die kostenminimale Auslastung von Transportkapazitäten gerade aus diesem Grund nicht möglich. Notwendige Investitionen in Produktionstechnik, IT-Systeme oder organisatorische Anpassungen erfordern meist längere „Pay-back“ Perioden als bei großen Unternehmen. Hierunter dürfte die Bereitschaft erheblich leiden, solche Investitionen zur Erzielung eines maximalen „Integrationsgrads“ mit der Supply Chain vollumfänglich und schnellstmöglich durchzuführen. Arend-Wisner (2005) kommen in ihrer Analyse einer Befragung von 421 Entscheidungsträgern von KMU und Großunternehmen in USA, Mexiko und Europa zum Schluss, dass sich überraschenderweise KMU mit SCM Aktivitäten (im Vergleich mit KMU ohne SCM Aktivitäten) als weniger erfolgreich einschätzen. Arend-Wisner (2005, 404) sehen eine Erklärung darin, dass diese KMU „did not appear to implement SCM as deeply as LE (large enterprises, Anm. des Verfassers)“.1 Mit zunehmendem Niveau des SCM-Einsatzes aber steigen nach Untersuchungen von Li et al. (2006, 116) die erzielbaren Wettbewerbsvorteile und der finanzielle Erfolg an. Die Vermutung liegt nahe, dass die ressourcenbedingt geringere Bereitschaft, vollumfängliche Investitionen und Anpassungen für ein effektives SCM vorzunehmen, das Erreichen einer „Erfolgsschwelle“ beim SCM erschwert. Die Potenziale des SCM können aber nur durch teilweise erhebliche und radikale Anpassungen im Unternehmen voll ausgeschöpft werden. Neben den genannten Aspekten ist die Machtverteilung in der SC ein wesentlicher Faktor bei der Aufteilung des Nutzens aus einer SC-Kooperation. Handelt es sich beim Partner um ein großes Unternehmen, schlagen die größenbedingten Nachteile beim KMU in einer schlechteren Verhandlungsposition durch (Nooteboom 1993). Die Aufteilung der im SCM entstehenden gemeinsamen finanziellen Vorteile unter den beteiligten Partnern ist aber abhängig von den jeweiligen Verhandlungspositionen. Dies ist als eher unkritisch zu bewerten, solange die Zusammenarbeit von beiden Seiten nachwievor als „Win-Win“-Situation eingestuft wird. Zusammenarbeit und Informationsaustausch erfordern ein hohes Vertrauen in die Partnerschaft, da Abhängigkeiten von anderen SC Teilnehmern zunehmen und eigener „Bewegungsspielraum“ eingeschränkt werden kann. Steinaecker-Kühner (2000, 63) weisen darauf hin, dass u.a. mit abnehmender Unternehmensgröße „eine zentrale Instanz zur Koordination der Materialströme auf Zurückhaltung stößt“. Diese „zentrale koordinierende Instanz“ ist jedoch wie oben ausgeführt ein wesentliches Element eines effektiven SCM, um Schnittstellen zu optimieren und die geschilderten Synergien zu realisieren.

1

Arend-Wisner (2005) unterscheiden das Niveau bzw. Implementierungsgrade von SCM hinsichtlich folgender Dimensionen: physische Nähe zu den Partnern, formaler Informationsaustausch, aktive Arbeit an Vertiefung der Kooperation, weitere Aufnahme von Partnern, Verbesserung der Zeiteffizienz.

134

X. Potenziale und Hebel des Supply Chain Managements in KMU

Die bisherigen Ausführungen werfen die Frage auf, wie ein KMU SCM relevantes Wissen überhaupt erwerben kann? Hier bestehen prinzipiell mehrere Möglichkeiten. Die „inhouse“-Entwicklung in kleinen Schritten über die Zeit, um wettbewerbsrelevante Kompetenzen aufzubauen, ist ein nahe liegender Ansatz für KMU mit einer geringen Komplexität der SC. Gerade KMU zeichnen sich weniger durch radikale Innovationen und Umbrüche, als durch die „evolutionäre“ Entwicklung ihrer Produkte und Abläufe über die Zeit aus. Auch wenn diese Möglichkeit ressourcenschonend ist, so ist sie naturgemäß langwierig und das KMU kann beim Kosten- und Zeitwettbewerb im Markt ins Hintertreffen geraten. Hinzu kommen weitere Nachteile, insbesondere Fehlerrisiken sowie dauerhafte Beanspruchung und Frustrationen des Managements und der beteiligten Mitarbeiter im Veränderungsprozess, so dass der erforderliche „lange Atem“ für den Aufbau einer schlagkräftigen SC verlorengehen kann. Der Aufbau geeigneter Lieferpartnerschaften und die informationstechnische Vernetzung stellen dabei nicht selten besondere Herausforderungen an Ressourcen und Kompetenzen von KMU. Da kleine und mittlere Unternehmen als Folge fehlender personeller und finanzieller Kapazitäten sehr häufig eine tendenziell hohe Kooperationsbereitschaft besitzen, besteht in der Wahl eines geeigneten SCM erfahrenen Partners eine weitere Möglichkeit SCM Kompetenz zu erwerben. Der oder die Partner bringen sogenannte komplementäre Ressourcen ein. Die vom Kooperationspartner eingebrachten Ressourcen oder Kompetenzen müssen dann nicht teuer selbst zugekauft oder durch einen eigenen langwierigen Lernprozess erworben werden und wirken so aus Sicht von KMU grundlegend risikoreduzierend. Ein solcher Partner kann ein erfahrener Logistikdienstleister sein. Die Bewertung und Auswahl eines geeigneten Partners wird im Zuge dieser Möglichkeit zum zentralen Entscheidungsproblem. Die Bereitschaft zu Anpassungen in der eigenen Organisation, Veränderungen bei logistischen Prozessen und bei IT-Schnittstellen bleiben wie in der ersten Möglichkeit als Herausforderungen bestehen. In vertikalen Kooperationen, in denen KMU als Zulieferer für große Kunden ausgewählt werden, entstehen prinzipiell schon Vorteile dadurch, dass eine langfristig gesicherte Kundenbeziehung besteht oder aufgebaut werden kann. Dies gilt selbst für den Fall, dass hohe Anpassungskosten auf Seiten des KMU durch die vom größeren Partner „verordnete“ SCM Einführung entstehen, weil diese Kosten durch den Nutzen aus der Kooperation überkompensiert werden (Arend-Wisner 2005, 405). In einer solchen Konstellation ist die Bereitschaft, SCM Praktiken im eigenen Unternehmen zu verankern, unabdingbare Voraussetzung für das Funktionieren und den Fortbestand der Partnerschaft. Das für die Partnerschaft bedeutende SCM-Know-how wird über die Anforderungen des größeren Partners und gemeinsame Entwicklungsprojekte in das KMU eingebracht. Der eigene hohe Anpassungsdruck muss gleichzeitig an die dem KMU vorgelagerten Stufen weitergegeben werden, um die Erfolgspotenziale in der gesamten SC zu realisieren. Das so erworbene SCM-Know-how kann auf die Belieferung weiterer Kundengruppen übertragen werden.

X. Potenziale und Hebel des Supply Chain Managements in KMU

4.

135

Abstract

Durch die veränderten Rahmenbedingungen auf vielen Märkten sind die Anforderungen an Planung und Steuerung der unternehmensübergreifenden Materialströme gestiegen. Der Wettbewerb zwischen einzelnen Unternehmen entwickelt sich daher zusehends zum Wettbewerb zwischen gesamten Lieferketten unabhängiger Unternehmen, um im „Kampf“ um den Kunden letzte Reserven bei Kosten und Servicequalität zu heben. Nur Lieferketten („Supply Chains“), deren Schnittstellen effizient organisiert sind, können in diesem Wettbewerb bestehen. Kooperative Maßnahmen, die auf einer alle Unternehmen integrierenden Planung und Steuerung beruhen, sind daher ein wesentlicher Hebel des Supply Chain Managements. Auch wenn es größenbedingte Unterschiede bei SCM Potenzialen gibt, können kleine und mittlere Unternehmen durch adäquate Organisation ihrer SCM Kompetenzen Vorteile im Wettbewerb generieren.

136

X. Potenziale und Hebel des Supply Chain Managements in KMU

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XI. Risikomanagement in der Beschaffung Thomas Hausmann 1.

Systematik und Stringenz im Risikomanagement

Risikomanagement, das sich immer an den Zielen Effektivität (Wirksamkeit) und Effizienz (Wirtschaftlichkeit) orientierten muss, ist systematisch, kontinuierlich und koordiniert zu betreiben: Systematisches Risikomanagement erfordert eine Vorgehensweise, die nach verbindlichen Grundsätzen und Richtlinien angewendet wird. Den Funktionsträgern in Einkauf und Qualitätsprüfung, die über den Einsatz risikopolitischer Instrumente entscheiden, werden klare Verfahrensanweisungen (Regelungen) und Ziele an die Hand gegeben; sie müssen über die notwendige Datenbasis und die Instrumente zur Unterstützung der Informationsgewinnung und Entscheidungsfindung verfügen (vgl. Hausmann 2011, S. 46 ff.). Verfahrensanweisungen stellen den Mitarbeitern z. B. Beurteilungskriterien zur Messung des Beschaffungsrisikos und deren Gewichtung zur Verfügung und beschreiben notwendigen Informationsquellen, die die Basis der Beurteilung bilden (vgl. Hausmann 2005, S. 136). Einheitliche und geplante Systematik der Risikobewältigung verspricht Lerneffekte über Ursache-Wirkungsbeziehungen in der Lieferkette und macht die Entscheidungsfindung sicherer und schneller, da auf Erfahrungen zurückgegriffen werden kann, macht die Aktivitäten und Ergebnisse des risikoorientierten Verhaltens für andere Prozessmitglieder transparent und schafft Vertrauen in der Prozesskette (Sicherheitsbestände und -zeiten können reduziert/ggf. sogar vermieden werden usw.) verringert den Abstimmungsaufwand zwischen den Mitarbeitern, vermeidet, dass sich das Risikomanagement auf die Lösung aktueller und dringlicher Problemfälle sowie auf das Kurieren von Symptomen beschränkt.

Erfolgreiches Risikomanagement darf also nicht nur gelegentlich betrieben werden, sondern muss als kontinuierliche Aufgabe betrachtet werden. Umfassendes Koordination im Risikomanagement zeichnet sich dadurch aus, dass die Mitarbeiter sich darüber im Klaren sind, dass ihre Entscheidungen, Maßnahmen und Unterlassungen auf vor- und nachgelagerten Stufen der Prozesskette ein Risiko auslösen und verstärken können (sog. Folgefehler); die Mitarbeiter die Effektivität und Effizienz von Risikoinstrumenten nicht nur für ihren Verantwortungsbereich, sondern für das Gesamte beurteilen. Dabei müssen sie dazu bereit sein, auf Vorteile im eigenen Verantwortungsbereich zu verzichten, um Vorteile für die gesamte Versorgungskette zu erzielen; die Mitarbeiter Entscheidungen und Handlungen der „Prozessnachbarn“ nicht als unbekannt oder unbeeinflussbar betrachten, sondern sich über das risikorelevante Verhalten aller Funktionsträger und deren Wirksamkeit informieren und dieses bei der eigenen Entscheidungsfindung berücksichtigen (vgl. Melzer-Ridinger; in: BA, 1/2001).

138

XI. Risikomanagement in der Beschaffung

Spätestens seit der Atomkatastrophe in Fukushima/Japan im Frühjahr 2011 sollte jedem Mittelständler klar sein, wie fragil Lieferketten sind und welche Bedeutung dem Thema „Riskmanagement“ dadurch im Einkauf und in der Logistik zukommt. Denn in vielen Industriezweigen sowie durch etliche Lieferanten, Sublieferanten und Logistikpartner wird heute global agiert (vgl. Teil IV.), also auch an Standorten, die z. B. durch Naturkatastrophen gefährdet sind. Mit dem Risiko, dass immer einmal ein Glied in der Wertschöpfungskette ganz oder teilweise ausfallen kann und damit im Extremfall der gesamte Produktionsprozess eines Unternehmens zum Erliegen kommen kann. Aber bereits Lieferverzögerungen seitens der beauftragten Lieferanten können die Verpflichtungen gegenüber den eigenen Kunden erheblich gefährden. Kein Wunder also, dass derzeit nahezu in allen Einkaufsabteilungen an Lösungen getüftelt wird, wie Risikovorsorge getroffen werden kann, um im Fall des Falles lieferfähig zu bleiben (vgl. Hassa 2012, S. 22). Eine Single-Sourcing in einem Bereich kann das im vorstehenden Absatz geschilderte Risiko deutlich maximieren; nicht nur bei Naturkatastrophen sondern auch bei Insolvenz eines für das eigene Unternehmen so bedeutenden Lieferanten. Vor diesem Hintergrund ist es essenziell, die Risikosituation kontinuierlich zu messen, um mögliche Lieferanteninsolvenzen und z. B. teuren Stützungsmaßnahmen vorzubeugen (vgl. Gabath 2010, S. 46): Darstellung 1: Risikoquellen und Instrumente zur Risikominimierung im Einkauf

XI. Risikomanagement in der Beschaffung

2.

139

Präventives Insolvenzmanagement

Um es einmal doppelt metaphorisch auszudrücken: Der sog. „Pleitegeier“ ist das „Schreckgespenst“ des Einkaufs; denn welcher Einkäufer kennt nicht die drohende Gefahr einer Lieferanteninsolvenz, die damit verbundene Arbeitsbelastungen und drohenden wirtschaftlichen Folgen für den eigenen Arbeitgeber bzw. für das eigene Unternehmen? Ausgelöst durch die Finanzkrise haben deutlich mehr Unternehmen mit der Erweiterung des Risikomanagements auch ein präventives Insolvenzmanagement aufgebaut, denn wer erst im „Ernstfall“ reagierte, für den ist es in aller Regel mit wirtschaftlichen Einbußen verbunden und manchmal sogar zu spät (vgl. Blome; in: BA, 12/2009, S. 30). Dies verdeutlicht exemplarisch die Insolvenz des Cabriodachherstellers Edscha im Februar 2009. Selbst das Großunternehmen BMW ist von solch einzelnen, hochspezialisierten Zulieferern im hohen Maße abhängig; BMW zog aus diesem Fall die Konsequenz und hat 700 Millionen Euro als „Rettungsfonds“ eingeplant, um seinen angeschlagenen strategischen Zulieferer notfalls im eigenen Interesse helfen zu können. Solche Stützungsmaßnahmen wären Mittelständlern im Fall der Fälle in der Regel nicht gewährt. Um die allgemeine wirtschaftliche Situation sowie das Insolvenzrisiko zumindest der strategisch wichtigen Lieferanten einschätzen zu können, ist der Zugriff auf externe Wirtschaftsdatenquellen, z. B. Bloomberg oder D&B, ein probates präventives Mittel; so lassen sich die wesentlichen Finanzkennzahlen bezüglich Liquidität, Profitabilität und Kapitalstruktur tagesaktuell ermitteln (vgl. Theisinger; in: BA 6/2010, S. 32). Lieferanten und deren Bonität lassen sich so heutzutage schneller und günstiger überwachen als noch vor einigen Jahren, denn heute gibt es zur Bewertung des Lieferantenrisikos neue Preismodelle bei Wirtschaftsauskünften. Die von Wirtschaftsauskunfteien gesammelten und aufbereiteten Informationen über Unternehmen dienen in erster Linie dazu, die wirtschaftliche Lage des Geschäftspartners zu beurteilen. Insbesondere Insolvenzrisiken werden von Auskunfteien bewertet – wertvolle Informationen für den Einkauf, der damit besser einschätzen kann, wie hoch das Risiko ist, dass ein Lieferant in Zukunft Insolvenz anmelden muss. Durch den steigenden Wettbewerbsdruck (neue Auskunfteien, die im Internet ihre Leistungen offerieren), bieten einige Firmen sogar uneingeschränkten Zugriff auf Bonitätsauskünfte zum Festpreis oder verzichten auf die übliche jährliche Grundgebühr. Beschaffungsmarktforschung zahlt sich also auch in diesem Segment aus, wie das folgende Fallbeispiel zeigt: Ein führender Hersteller von Schienenverkehrstechnologien, der Firmen-Bonitätsauskünfte für die Lieferantenbewertung einsetzt, hatte aus Budgetgründen seine Anfragen bei Auskunfteien eingeschränkt und nur noch seine wichtigsten Lieferanten geprüft und überwacht. So entstand eine Lücke im Lieferantenrisiko-Management. Hinzu kamen aufwendige Abstimmungsprozesse im Rahmen des

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XI. Risikomanagement in der Beschaffung

internen Kostenmanagement, um Doppelabfragen bei verschiedenen Landesgesellschaften zu vermeiden. Die Defizite wurden erkannt und behoben: Mit dem Wechsel zu einem anderen Anbieter und einer entsprechenden Festpreisvereinbarung hat das Unternehmen sein internationales Abfragevolumen zu Lieferanten gebündelt und überwacht diese kontinuierlich. Die Menge an gruppenweit abgefragten Auskünften im Lieferantenrisiko-Management des Unternehmens ist zwar um knapp 50 Prozent gestiegen; das Auskunftsbudget ist jedoch konstant geblieben. Gleichzeitig haben sich die internen Prozesse vereinfacht, weil Doppelabfragen aus Kostengesichtspunkten deutlich an Relevanz verloren haben (vgl. Nehls; in: BA 9/2012, S. 24).

3.

Qualitätsrisikomanagement

Mit Risiken muss ein Management professionell umgehen. Grundlage allen Risikomanagements ist eine Risikoanalyse. Dabei spielt das Qualitätsrisikomanagement und damit der Qualitätsmanager eine wichtige Rolle, denn er kennt alle Prozesse und auch deren Schwachstellen (vgl. Kohagen; in: DVZ, Nr. 74/2012). Insbesondere erkennt er das Qualitätsrisiko, dass Material geliefert wird, das die benötigten Eigenschaften und Merkmale nicht aufweist, als eine Gefahr der mangelnden Qualität des Endprodukts (falls mit dem Material das nicht die benötigten Eigenschaften und Merkmale aufweist produziert wird) sowie als Fehlmengengefahr (falls mit diesem Material nicht produziert wird/werden kann). Die Fehlmengengefahr liegt nicht allein in der Qualität der gelieferten Materialien sondern auch in der Qualität des Beschaffungsmanagement (von der Lieferantenauswahl bis zur Disposition in der eigenen Einkaufsabteilung), d.h. in der Gefahr, dass eine erforderliche Menge (natürlich in der erforderlichen Qualität) nicht zum erforderlichen Zeitpunkt zur Verfügung steht. Die auf das Fehlmengen- und Qualitätsrisiko bezogenen Maßnahmen sind effektiv, wenn sie die Risikosituation oder die Folgen der Risikosituation wirksam beeinflussen, d.h. wenn „- die Eintrittswahrscheinlichkeit bzw. die Häufigkeit der Fehlmengensituationen reduziert wird, - die Dauer der Fehlmengensituation verkürzt wird, - das Ausmaß (bezogen auf die Anzahl der betroffenen Materialidentnummern, Bestellaufträge, Enderzeugnisse oder auf den Anteil der nicht richtig gelieferten Bestellaufträge am gesamten Einkaufsvolumen) der Fehlmengensituationen vermindert wird, - der Reaktionszeitraum als Zeitraum zwischen Erkennen einer drohenden Fehlmengensituation und Eintritt des Risikos bzw. der Risikofolgen verlängert wird, - die Risikofolgen für das betroffene Unternehmen reduziert werden“ (Melzer-Ridinger; in: BA, 1/2001).

Auf das Fehlmengen- und Qualitätsrisiko bezogene Maßnahmen sind effizient (wirtschaftlich), wenn die Kosten und prozessbezogene Nachteile (die sich aber letztend-

XI. Risikomanagement in der Beschaffung

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lich auch auf die Kosten auswirken) im Einsatz der (des) Instrumente(s) nicht höher/größer sind als die zu vermeidenden Fehlmengen-/Fehlerkosten. Reaktionen auf ein aktuelles Qualitätsproblem, also Maßnahmen zur Bewältigung des Qualitätsrisikos, müssen in der Praxis unter Abwägung der Fehler- und der Fehlmengenkosten entschieden werden. Ist die Abweichung von der vereinbarten Spezifikation wesentlich, hat der Abnehmer die Möglichkeit, -

die Lieferung abzulehnen und eine Ersatzlieferung zu beanspruchen, eine Preisminderung zu verlangen oder vom Vertrag zurückzutreten (Gewährleistungsansprüche).

Die richtige Reaktion muss im Einzelfall auf die situativen Gegebenheiten abgestimmt werden. Der Entscheidungsträger muss daher prüfen, - ob die Möglichkeit einer Freigabe für die Fertigung z. B. mit der Auflage einer Nacharbeit oder einer besonderen Kontrolle im Produktionsprozess besteht; - ob und zu welchen Bedingungen ein Deckungskauf sinnvoll ist (vgl. Melzer-Ridinger; in: BA, 4/2001 und Gabath 2010, S. 53 ff.).

Zur Vermeidung des Qualitätsrisikos stehen dem Abnehmer die in der nachstehenden Darstellung aufgelisteten ursachenorientierten Instrumente zur Verfügung: Darstellung 2: Ursachenorientierte Instrumente zur Vermeidung/Reduzierung der Qualitätsrisiken

Lieferantenzulassung: Um Aufschluss über die Qualitätsfähigkeit und -zuverlässigkeit neuer Lieferanten zu erhalten, ist eine intensive Untersuchung der Leistungsmerkmale des Lieferanten vor der ersten Auftragserteilung, eine Musterprüfung und Auswertungen der laufenden Lieferantenbewertung durchzuführen.

Vollständige Spezifikation/Zusicherung von Eigenschaften als Vertragsbestandteil: Zur Reduzierung der Gefahr fehlerhafter Lieferungen kann der Einkauf in Zusammenarbeit mit den Funktionsträgern in der Entwicklung eine vollständige und durch Fehlertabellen und -klassen ergänzte Spezifikation erstellen und mit dem Lieferanten verbindlich vereinbaren. Geeignete vertragliche Vereinbarungen sind Prämisse, um Fehlleistungskosten teilweise auf den Lieferanten übertragen zu können. Die Rechtslage nach BGB und HGB bietet bei einer fehlerhaften Lieferung - wenn der Abnehmer nicht entsprechende vertragliche Vereinbarungen geschlossen hat - nur unbefriedigende Ansprüche auf Gewährleistung: Gewährleistungsansprüche kann der Abnehmer nur dann durchsetzen, wenn er seiner Prüf- und Rügepflicht ordnungsgemäß nachgekommen ist und wenn die gelieferten Produktmerkmale wesentlich von den vereinbarten abweichen.

Vereinbarungen von Bedingungen, die eine Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen erleichtern: Klauseln, in denen sich der Lieferant verpflichtet, - bestimmte Materialien oder Materialien bestimmter Güte einzusetzen, - bestimmte Fertigungs- und Prüfverfahren anzuwenden, - bestimmte Vorlieferanten zu beschäftigen. Solche Klauseln erweitern die Schadensersatzansprüche des Abnehmers gegenüber dem Lieferanten, wenn dieser fehlerhaft liefert und die vereinbarten Qualitätsmanagementmaßnahmen nicht durchgeführt hat. Schadensersatz für entstehende interne und externe Fehlerkosten kann gegenüber Lieferanten

142

XI. Risikomanagement in der Beschaffung

nur dann durchgesetzt werden, wenn diesem schuldhaftes Verhalten vorzuwerfen ist oder wenn eine Zusicherung von Eigenschaften vorliegt, die nicht erfüllt wurde; daher können vorgenannte Klauseln die Erlangung eines etwaigen Schadenersatzes erheblich erleichtern. Immens wichtig ist jedoch auch, dass die Vereinbarung von Schadenersatz Lieferanten zusätzlich veranlassen, systematische Qualitätsverbesserung ihrer Prozesse und Produkte zu forcieren; somit sind solche Vereinbarungen der aktiven ursachenorientierten Risikostrategie zuzuordnen.

Reduzierung der Anfälligkeit gegenüber fehlerhaftem Material: Über Qualitätsprüfungen der gelieferten Materialien werden fehlerhafte Lieferungen bzw. Stücke erkannt, ausgesondert oder zur Nachbearbeitung gegeben. Gestaltungsfelder der Qualitätsprüfung sind der Stichprobenumfang und die Annahmegrenze, das Prüfverfahren, die Prüfmerkmale und die Kompetenz sowie Leistungsbereitschaft des Prüfpersonals. Je genauer und intensiver die Qualitätsprüfung durchgeführt wird, umso geringer ist die Gefahr, fehlerhaftes Material für die Fertigung freizugeben (allerdings wachsende Gefahr einer Fehlmenge; ggf. Möglichkeit nutzen, fehlerhaftes Material für die Fertigung mit Auflagen freizugeben, z. B. mit der Auflage einer Nacharbeit oder einer besonderen Kontrolle im Produktionsprozess). Sicherheitsbestände, Kapazitätspuffer sowie die Berücksichtigung von Sicherheitszeiten in den Plan-Durchlaufzeiten und -Beschaffungszeiten sind teilweise geeignet, eine Fehlerfortpflanzung in der Prozesskette zu vermeiden. Quelle: Vgl. Melzer-Ridinger, R.: Risikomanagement als Aufgabe des Supply Chain Management Ausprägungen. Ursachen und Folgen des Qualitätsrisikos. In: Beschaffung aktuell (BA), 4/2001

4.

Lieferkettenrisikomanagement Bei einem International Sourcing (vgl. Teil IV.) müssen beträchtliche Transportdistanzen überwunden werden, was das Lieferkettenrisiko natürlich deutlich erhöht, z. B. durch - hohe Transportzeiten, - Zollabwicklungszeiten, - Umschlagprozesse, - erforderliche Zwischenlagerungen.

Daraus ergeben sich die im Lieferrisikomanagement zu berücksichtigenden Risikoarten: Transportmengenrisiko, -qualitätsrisiko, -zeitrisiko und Lagerzeitrisiko (vgl. Gabath 2011, S. 41 f.) Unternehmen werden jüngst von erhöhten Lieferkettenrisikos bedrängt; fällt bei einem Zulieferer die Produktion aus, drohen Lieferengpässe bis an das andere Ende der Welt. Die im Gliederungspunkt 1 bereits zitierte Erdbebenkatastrophe von Japan und die Flut von Thailand haben weiten Teilen der Wirtschaft gezeigt, wie verletzlich die globalisierte Welt ist. Vor allem in der Elektronik- und Automobilindustrie kam es zu weltweiten Engpässen und ruhender Produktion, weil Lieferanten aus Asien ausfielen. Lieferketten sind heute aus zahlreichen Gründen anfälliger als früher:

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143

- Die Unternehmen sind stärker spezialisiert, - Bauteile werden just-in-time geliefert und - die internationale Arbeitsteilung hat zugenommen.

Von den 154 Mio. EUR, die die Katastrophe in Japan beispielsweise den Versicherungskonzern Allianz kostete, entfiel mehr als die Hälfte auf Betriebs- und Lieferkettenunterbrechungen. Die verschiedenen Industrien nehmen den erforderlichen Schutz gegen solche Betriebsunterbrechungen immer ernster. Nach einer Studie der Allianz Global Corporate & Specialty (AGCS), die ihre Risikoingenieure befragte, werden Betriebsunterbrechungen als das zweitgrößte Risiko eingestuft (an erster Stelle: Wirtschaftliche Risiken; an dritter Stelle: Naturkatastrophen). Angesichts der wachsenden Bedeutung des Lieferkettenrisikos versichern immer mehr Unternehmen dieses Risiko (oft nach einem entsprechenden vorausgegangenen Sachschaden); daher rufen die großen Rückversicherer die Unternehmen einhellig seit längerem zu mehr Transparenz auf. Wenn die Produktionsprozesse und Wirtschaftsbeziehung undurchschaubar bleiben, „werden wir die Versicherungsprodukte auf das reduzieren müssen, was wir abbilden können“, erklärt Munich Re-Managerin Heike Trilovszky. „Das mag bedeuten, dass nicht mehr alle Abhängigkeiten aus Zulieferern und Abnehmern pauschal unter einer Deckung mitversichert sind.“ konkretisiert Axel Theis, Chef der AGCS, in einer Kolumne der Financial Times Deutschland, und fordert darin, dass die Versicherer wissen müssen, wer die Schlüssellieferanten sind und an welchen Standorten sie sitzen. Denn: „Brennt eine Fabrik“, so der Wortlaut, „ist der Schaden groß, aber bezifferbar. Welche Schäden sich daraus anderswo ergeben, lässt sich dagegen nur grob abschätzen.“ Dafür sind diese Informationen notwendig. Aber auch Einblicke in das Risikomanagement der Unternehmen seien wichtig (vgl. Kieffer 2012, S. 1320). Abschließend folgt ein Fallbeispiel von kleinen und mittelständische Unternehmen im Maschinen- und Anlagenbau zum Instrumentarium zur Vermeidung/Reduzierung der Lieferantenkettenrisiken und zur Transparenzerhöhung: Im Forschungsprojekt ProRisk sollte eine Methodik zur Gestaltung prozessorientierter Risikomanagementsysteme für Lieferketten der vorgenannten Unternehmensgrößen und Branche entwickelt werden. Zu den angestrebten Zielen gehörten im Bereich der Identifizierung und Modellierung der Lieferkettenrisiken, - die Entwicklung einer Entscheidungssystematik zur Risikobewertung, - die Entwicklung eines Vorgehensmodells zur Gestaltung prozessorientierter Risikomanagementsysteme, - die prototypische Gestaltung eines DV-gestützen Tools auf der Basis einer Risikodatenbank, - die Sicherstellung der Integrationsfähigkeit des Systems in andere Managementsysteme sowie - eine Dokumentation der Methodik in Form eines praxisnahen Handlungsleitfadens, der eine unternehmensspezifische Gestaltung erlaubt.

144

XI. Risikomanagement in der Beschaffung

Im Ergebnis wurden die nachstehenden wesentlichen Bausteine erarbeitet: - ein Katalog wesentlicher Lieferkettenrisiken im Maschinenbau, - eine Übersicht sachlogisch abgeleiteter Wirkketten zwischen den Einzelrisiken, - eine systematische Bewertungsmethode zur Bestimmung der Risikohöhe von Einzelrisiken unter Berücksichtigung der Wirkketten sowie - ein Vorgehensmodell zur Einrichtung und kontinuierlichen Verbesserung eines Risikomanagementsystems sowie zu seiner Integration in vorhandene Umgebungen.

Des Weiteren entstand ein prototypisches excelbasiertes DV-Tool zur Dokumentation von Risiken und Maßnahmen, zur Risikoaggregation und Visualisierung der Risikolage und zum Priorisieren von Maßnahmen i. R. des Risikocontrollings. Ein zweiter Schritt war die Weiterentwicklung zu einem marktreifen Unterstützungswerkzeug. In einem letzten Schritt wurde ein praxisnaher Handlungsleitfaden erarbeitet. Die Projektteilnehmer (darunter viele Unternehmer und Unternehmensvertreter) bewerteten die Ergebnisse durchweg als positive Zusammenarbeit zwischen Forschung und Praxis und hoben die Übertragbarkeit auf andere Branchen heraus (FIR [Hrsg.] 2005, S. 3 ff.).

5.

Rohstoffpreisrisikomanagement

„Empirische Analysen in der mittelständischen Industrie zeigen, dass die überwiegende Mehrheit steigende Rohstoffpreise als zentrales Problem aus dem Umfeld ihres Unternehmens sieht. Der Thematik Rohstoffpreise wird sogar eine noch größere Bedeutung als dem Kostendruck durch Billiganbieter oder steigende Steuer- und Abgabenlast beigemessen, da bei produzierenden Unternehmen alle Warengruppen mittelbar oder unmittelbar von den Entwicklungen an den Rohstoffmärkten betroffen sind“ (Gabath 2011, S. 72). Eine Studie der Unternehmensberatung A. T. Kearney GmbH, Düsseldorf, zeigt, dass weniger als 30 Prozent der produzierenden Unternehmen in Deutschland und Österreich ausreichend auf hohe Preisausschläge bei Rohstoffen (volatile Rohstoffpreise) vorbereitet waren. Einige Unternehmen schaffen es jedoch, in Zeiten schwankender bzw. stark steigender Energie- und Rohstoffpreise die Negativfolgen der Preisentwicklung in Grenzen zu halten und damit sogar entscheidende Wettbewerbsvorteile zu erlangen, indem sie sowohl auf der Nachfrageseite als auch auf der Angebotsseite gezielt eingriffen. Die Ansätze reichen hier von der Minimierung des eigenen Ressourcenverbrauchs bis hin zur größtmöglichen Kontrolle der Liefermärkte. Die restlichen Unwägbarkeiten können durch ein Risikomanagement abgesichert werden, dessen Einsatz zwingend an klare Zielsetzungen und die Nutzung geeigneter Instrumente gebunden sein muss (vgl. Teil XI. 1.). Die Studie zeigt hier

XI. Risikomanagement in der Beschaffung

145

aber auch, dass nur ein Drittel der befragten Unternehmen Hedging-Instrumente zur Absicherung der preislichen Risiken nutzt. Durch die Probleme der zurückliegenden Jahre haben immer mehr Unternehmen gelernt, mit dem Rohstoffpreisrisiko umzugehen und damit sogar entscheidende Wettbewerbsvorteile zu erzielen. Diese setzen auf eine proaktive Überprüfung und Prognose der Preisentwicklung, ergreifen rechtzeitig geeignete strategische Maßnahmen und mindern so die negativen Auswirkungen von Preisschwankungen. In der Studie wird das Motto formuliert: Preiszuschläge etablieren – im Einkauf Weitblick beweisen. Zudem ist die offene Kommunikation negativer wie positiver Restwirkungen an den Finanzmarkt wichtig (vgl. O.V.; in: BA 4/2007, S. 8). Viele Unternehmen haben bislang auch auf die traditionelle Lösung des Rohstoffpreismanagements gesetzt: Preissteigerungen auf Dritte abzuwälzen. Was über viele Jahre gut funktionierte, ist aufgrund der extrem volatilen Rohstoffpreise und des Preisdrucks auf der Absatzseite nunmehr nur noch ein sehr eingeschränkt nutzbares Mittel. Finanzielle Absicherungsstrategien bieten hier Lösungspotenzial; obwohl Banken ein breites Spektrum an Kassa- und Termingeschäften, derivativen sowie komplexen und hybride strukturierten Produkten bewerben, gehören diese jedoch noch immer nicht zu den regulären unternehmerischen Werkzeugen. Eine Panelumfrage des Journals „Der Treasurer“ ergab, dass das Rohstoffpreisrisiko zwar von knapp zwei Dritteln der Befragten für ihr Unternehmen als relevant eingestuft wurde, Hedging-Instrumente jedoch noch kaum verbreitet sind. Ein Grund ist die organisatorische Umsetzung des Managements von Marktpreisrisiken in verschiedenen Abteilungen ohne hinreichende Kommunikation untereinander. Währungen und Zinsen sind in mittelständischen Unternehmen i.d.R. im Finanzmanagement angesiedelt, und die Zuständigkeit für Rohstoffe liegt beim Einkauf. Hier sind organisatorische Maßnahmen zu berücksichtigen – zunächst in der Ablauforganisation; aber auch die Aufbauorganisation ist nicht außer Acht zu lassen (vgl. Knoch; in: Der Treasurer 07/2009, Sonderbeilage S. 20).

146

6.

XI. Risikomanagement in der Beschaffung

Fazit

Schon im Beitrag IV. Punkt 3.3. wurde die Maxime „die Beschaffung beinhaltet bereits den halben Gewinn“ anhand einiger Beispiele manifestiert. Dass zur Realisierung der zitierten Redewendung jedoch eine Menge Arbeit zu verrichten ist, haben die Kapitel des vorliegenden Buches gezeigt, die den Einkauf in kleinen und mittleren Unternehmen fokussiert haben, insbesondere jedoch dieses Artikels XI. Die folgende Karikatur soll das abschließend noch einmal verdeutlichen: Darstellung 3: Karikatur „Hydra umschlingt Einkäufer im Zielkonflikt“

Quelle: zitiert aus: Hausmann, Th.: (2002): Beschaffung und Lagerhaltung. In: Dettmer, H. (Hrsg.): Arbeitsbuch zu Wirtschaft im Zeitgeschehen, Troisdorf 2002, S. 33.

XI. Risikomanagement in der Beschaffung

147

Eine Hydra umschlingt den Einkäufer, der die Zielkonflikte Technik, Qualität, Kosten und Termin „unter einen Hut bringen muss“. In den Themenstellungen zum Einkauf wurden in diesem Sammelwerk jedoch viele Hinweise gegeben, die speziell kleinen und mittleren Unternehmen helfen sollen, diese Zielkonflikte zu lösen, um möglichst die oben stehende Maxime für das eigene Unternehmen so zu manifestieren, wie es exemplarisch dargestellt wurde.

7.

Abstract

Potenziale in der Beschaffung wie International Sourcing oder Outsourcing bieten auf der einen Seite immense Chancen. Auf der anderen Seite birgt die zunehmende Komplexität auf den Beschaffungsmärkten jedoch die Risiken von Lieferantenausfällen, Qualitätsproblemen oder Störungen in der Lieferkette. In vielen Unternehmen erfolgt jedoch die Analyse der Beschaffungsrisiken noch unzureichend. Nachdem jüngst in vielen Unternehmen gehäuft entsprechende Schäden aufgetreten sind, wie in diesem Kapitel dargestellt wurde, ist Bewegung in das betriebliche Beschaffungsrisikomanagement gekommen – aber der Verlust aus den vergangenen Schäden steht, denn in Notfallsituationen unter hohem Zeitdruck lässt sich häufig nur das Schlimmste abwenden. Professionelles Risikomanagement in der Beschaffung ist somit eine zentrale Unternehmensaufgabe, die in Zukunft weiter an Bedeutung gewinnen wird. Daher wurden Maßnahmen aufgezeigt, wie Risiken identifiziert, bewertet und vermieden/reduziert werden können. Der klassische Managementprozess (Analyse, Bewertung, Aggregation, Bewältigung) stellt dabei die Grundlage dar. Beispielhaft wurden anhand der Felder Lieferantenausfälle, Qualitätsprobleme sowie Lieferketten- und Rohstoffpreisrisiken Wege für den Umgang mit diesen Problemen und Risiken aufgezeigt. Eine große Herausforderung für den Einkauf stellt vor allem die Entwicklung auf den globalen Beschaffungsmärkten dar, der sich heute wohl kaum ein Unternehmen verschließen kann – selbst wenn es derzeit noch nicht international einkauft; die Preisund Konkurrenzsituation sind die Hauptgründe hierfür. Die Rohstoffverknappung sowie Währungsschwankungen mit den entsprechenden Auswirkungen auf die Kostensituation sind weitere Herausforderungen. Strategien zur Beseitigung/Reduzierung dieser Probleme sind daher unternehmensintern zu entwickeln und mit entsprechenden Maßnahmen zu untersetzen.

148

XI. Risikomanagement in der Beschaffung

Quellen und weiterführende Literatur: Blome; C: (2009) Risikomanagement-Standard im Einkauf Brunnen graben, bevor der Durst kommt. In: Beschaffung aktuell (BA), 12/2009, S. 30. FIR - Forschungsinstitut für Rationalisierung (Hrsg.): (2005) ProRisk - Entwicklung einer Methodik zur Gestaltung prozessorientierter Risikomanagementsysteme für kleine und mittelständische Unternehmen im Maschinen- und Anlagenbau in der Zeit vom 01.11.2003 bis 31.08.2005, Aachen, S. 1-150. Gabath, Ch.: (2010) Risiko- und Krisenmanagement im Einkauf, Wiesbaden. Gabath, Ch.: (2011) Innovatives Beschaffungsmanagement. In: Gabath, Ch.: Innovatives Risikomanagement im Einkauf, Wiesbaden, S. 15-48. Haas, G.: (2005) Best Practice Beschaffungsmanagement. Gernsbach. Hartmann, H.: (2007) Modernes Einkaufsmanagement, Gernsbach. Hartmann, H.: (2010) Lieferantenmanagement, Gernsbach. Hassa, E.: (2012) Die sichere Lieferkette im Visier. In: Verkehrs Rundschau, Heft 11, München 2012, S. 22. Hausmann, Th.: (2002): Beschaffung und Lagerhaltung. In: Dettmer, H. (Hrsg.): Arbeitsbuch zu Wirtschaft im Zeitgeschehen, Troisdorf 2002, S. 33-36. Hausmann, Th.: (2005) : Beschaffung und Lagerhaltung. In: Dettmer, H. (Hrsg.): Wirtschaft im Zeitgeschehen, Troisdorf, S. 132-145. Hausmann, Th.: (2011) Informationsgewinnung und -bewertung. In: Dettmer, H. (Hrsg.): MarketingManagement, München/Wien, S. 46-63. Kieffer, H.: (2012) Lösungen für die neue Risikowelt. In: Versicherungswirtschaft, 15.09.2012, 67.Jg., Nr. 18, S. 1320. Knoch, A.: (2009): Rohstoffe. Außer Rand und Band; in: Der Treasurer 07/2009 (Sonderbeilage Juli/ August 2009/ROHSTOFFE), S. 20. Kohagen, J.: (2012) Risikomanagement – aber sicher! In: Deutsche Logistik Zeitung (DVZ), Nr. 74/2012. Krokowski, W.; Regula, S.: (2012) Internationales Vertragsmanagement, Gernsbach. Krokowski, W.; Sander, E.: (2009) Global Sourcing und Qualitätsmanagement, Gernsbach. Melzer-Ridinger, R.: (2001-A) Risikomanagement als Aufgabe des Supply Chain Management. Risikoarten richtig gewichten. In: Beschaffung aktuell (BA), 1/2001. Melzer-Ridinger, R.: (2001-B) Risikomanagement als Aufgabe des Supply Chain Management Ausprägungen. Ursachen und Folgen des Qualitätsrisikos. In: Beschaffung aktuell (BA), 4/2001. Nehls, S.: (2012) Risikomanagement Transparenz jetzt günstiger. In: Beschaffung aktuell (BA), 9/2012, S. 24. O. V.: (2007) A. T. Kearney untersucht Risikominimierung bei Rohstoffpreisen. Gezieltes Eingreifen senkt das Risiko. In: Beschaffung aktuell BA 4/2007, S. 8. Oeldorf, G.; Olfert, K: (2008) Materialwirtschaft, Ludwigshafen. Piontek, J.: (2004) Beschaffungscontrolling, München und Wien. Renner, H.: (2007) Vertragsrecht im Einkauf, Gernsbach. Stiefl, J.: (2010) Risikomanagement und Existenzsicherung, München und Wien. Theisinger, M. B. F.: (2010) Beschaffungsrisiken rechtzeitig erkennen. Ein Frühwarnsystem zur Vorbeugung. In: Beschaffung aktuell (BA), 6/2010, S. 32. Werner, W. L.; Kraus, G.: (2008) Projektmanagement im Einkauf, Gernsbach.

XII. Business Intelligence im Mittelstand Petra Strauch 1.

Business Intelligence – Grundlagen

In vielen mittelständischen Unternehmen ist die Flexibilität gegenüber sich dynamisch verändernden Marktgegebenheiten zu einer wesentlichen Anforderung geworden. Die Wandlungsfähigkeit und schnelle Reaktionen der Fach- und Führungskräfte auf neue Entwicklungen stellen einen gravierenden Erfolgsfaktor dar. Insbesondere in Märkten mit hohem Verdrängungswettbewerb steht daher eine weitblickende Unternehmensteuerung zunehmend im Mittelpunkt. Darüber hinaus führen vor allem auch ein erhöhter Kostendruck und steigende Ansprüche an die Transparenz innerhalb eines Unternehmens zu einer verstärkten Nachfrage nach der entscheidungsrelevanten Versorgung mit Geschäftsinformationen. Analytische Informationssysteme können hier einen wertvollen Beitrag zur Lösung der Herausforderungen leisten (vgl. Chamoni/Gluchowski 2010, S. 4). IT-basierte Informationssysteme zur Unterstützung betrieblicher Entscheidungsprozesse sind bereits seit Ende der sechziger Jahre des letzten Jahrhunderts im Einsatz. Dabei ist eine Vielzahl unterschiedlicher Bezeichnungen für diese Kategorie von Systemen entstanden, wie z.B. Management Support Systeme, Managementunterstützungs- oder Entscheidungsunterstützungssysteme. Mithilfe dieser Anwendungen sollen Entscheidungsprozesse durch geeignete Modelle, Daten und Methoden unterstützt werden, indem einerseits die Entscheidungsqualität erhöht und andererseits die Effizienz des Entscheidungsprozesses verbessert wird (vgl. Bensberg 2010, S. 40). In der betrieblichen Praxis hat sich seit Mitte der neunziger Jahre die vor allem durch die Gardner Group geprägte Bezeichnung „Business Intelligence“ (BI) etabliert. Auch für BI existieren unterschiedliche Definitionsansätze. So wird unter Business Intelligence bei Kemper u.a. ein integrierter, unternehmensspezifischer IT-basierter Gesamtansatz zur betrieblichen Entscheidungsunterstützung verstanden (vgl. Kemper et al. 2010, S. 9). Eine eher informationstechnologische Sichtweise definiert BI als Sammelbegriff für Systeme, die das Management in seiner planenden, steuernden und koordinierenden Tätigkeit unterstützen (vgl. Chamoni/Gluchowski 2010, S. 7). In der Unternehmenspraxis hat sich BI als die Sammlung, Aufbereitung und Bereitstellung von Daten zur Kontrolle, Steuerung und Planung der Unternehmensleistung durchgesetzt (vgl. Bange et al. 2012, S. 4). Business Intelligence beschreibt als Prozess den Weg von der Datengenerierung über die Datenaufbereitung, die Analyse bis hin zur Präsentation und Verteilung mit dem Ziel, hieraus Entscheidungen abzuleiten. Zu den BI-Techniken sind alle Verfahren und Konzepte zu zählen, die auf dem Weg der Daten bis zur Entscheidung im Rahmen eines BI-Systems eingesetzt werden. Der Grundgedanke von Business Intelligence ist, die in jedem Unternehmen vorhandenen Geschäftsdaten zur Handlungsvorbereitung nutzbar zu ma-

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XII. Business Intelligence im Mittelstand

chen. Die hierfür relevanten Daten werden den betroffenen Benutzern in Form von übersichtlichen Tabellen oder in mit Grafiken angereicherten Berichten zusammengefasst bzw. in Was-wäre-wenn-Simulationen, Forecasts oder Dashboards und Management-Cockpits visualisiert. IT-Anwendungen zur Unterstützung der operativen Geschäftsprozesse, wie Warenwirtschaftssysteme oder integrierte betriebswirtschaftliche Standardsoftwareprogramme, wie z.B. SAP ERP, sind meist nicht in der Lage, strategische und operative Entscheidungen ausreichend zu unterstützen (vgl. Bange et al. 2012, S. 11). Die hierfür relevanten Informationen lassen sich in der Regel nur aus der Verknüpfung vielfältiger unternehmensinterner wie externer Daten gewinnen, die für die Ermittlung von Trends und Prognosen auch über einen längeren Zeithorizont gespeichert sein sollten. Aufgrund dieser Anforderungen werden spezifische BI-Anwendungssysteme konzipiert und zur Entscheidungsunterstützung eingesetzt. BI-Systeme bestehen komponenten für

dabei

aus

verschiedenen

schichtenartigen

System-

x

die Extraktion entscheidungsrelevanter Daten aus unternehmensinternen und externen Datenquellen,

x

die Generierung konsistenter Daten mit adäquater Speicherung,

x

die Verarbeitung, Analyse, Präsentation und Distribution der bereitgestellten Daten (vgl. hierzu Darstellung 1).

Darstellung 1: Business Intelligence Architekturmodell

Quelle: in Anlehnung an Kemper et al. 2010, S. 11 und Bensberg 2010, S. 43

In der Datenbereitstellungsschicht werden aus den vorgelagerten unternehmensinternen, operativen Quellsystemen sowie externen Informationen konsistente, valide Daten erzeugt und gespeichert. Die Generierung und Vorbereitung erfolgt über Extraktions-, Transformations- und Ladeprozesse (ETL-Prozesse). Dabei werden die

XII. Business Intelligence im Mittelstand

151

extrahierten, strukturierten Daten durch Filterung, Harmonisierung und Aggregation zunächst transformiert und vielfach in ein Data-Warehouse-System geladen. In einem Data Warehouse stehen die Daten themenbezogen, integriert, normalisiert, historisiert und in einem hinreichenden Detaillierungsgrad dauerhaft zur Verfügung. Häufig wird in BI-Systemen zusätzlich ein Operational Data Store als zentrale Datenhaltungskomponente für die temporäre Speicherung der aktuellen, transaktionsorientierten Daten eingebunden (vgl. Bensberg 2010, S. 43 f.). Die Metadatenbank enthält Daten über alle Systemkomponenten des Data Warehouse, wie die technische und semantische Beschreibung sowie die Herkunft der Daten, die zu deren Generierung erforderlichen Prozesse und vorgefertigte Auswertungsmöglichkeiten. Archivsysteme dienen der Datensicherung (ggf. der Rekonstruktion verlorener Daten) und durch die Auslagerung der Daten auf Offline-Datenträger auch der Performancesteigerung, Kostenreduktion und Erfüllung gesetzlicher Auflagen (Langzeitarchiv). Ausschnitte aus dem Kerndatenbestand können aus Gründen der Zugriffsgeschwindigkeit und Übersichtlichkeit in Data Marts redundant gespeichert werden. Aufgrund der Verkleinerung der Datenmenge wird damit die Verarbeitung der Anfragen beschleunigt sowie der fachspezifische Bedarf unterschiedlicher Entscheidungsträger berücksichtigt. Unstrukturierte Daten in beliebigen elektronischen Darstellungsformen, wie Texte, Grafiken, Bilder, Audio- oder Videodateien etc. werden häufig in Content Management Systemen gespeichert (vgl. Kemper et al. 2010, S. 11 f.). Durch die Komponenten der Datenbereitstellungsschicht wird den Entscheidungsträgern eine zentrale, einheitliche und konsistente Datenbasis zur Verfügung gestellt, die mithilfe geeigneter Analysesysteme für vielfältige Aufgabenstellungen ausgewertet und visualisiert werden kann. Die Analyse-, Präsentations- und Distributionsschicht beinhaltet alle Tools zur Verarbeitung der integrierten Datenbasis. Abfrage- und Berichtssysteme ermöglichen die einfache Auswertung und Visualisierung der gewünschten Informationen. Abfragesysteme unterstützen dabei freie bzw. vorformulierte Datenbankabfragen und die grafische oder tabellarische Dokumentation. Berichtssysteme werden zur Erzeugung von Berichten nach definierbaren inhaltlichen und formalen Vorgaben für den meist regelmäßigen Informationsbedarf der betrieblichen Entscheidungsträger verwendet (vgl. Bensberg 2010, S. 46 f.). Betrachtet man die zielgruppengerechte Informationsversorgung als Kernfunktion von BI-Lösungen, so ist die Akzeptanz in hohem Maße durch die Benutzerfreundlichkeit und Interaktivität der Systeme geprägt. Diesem Anspruch folgen OLAPAnalysesysteme. Online Analytical Processing (OLAP) bezeichnet einen Analyseansatz, der dynamische, interaktive und intuitive Analysen in multidimensional aufbereiteten Datenstrukturen ermöglicht (vgl. Chamoni/Gluchowski 2010, S. 199 und Kemper et al. 2010, S. 99 ff.). Betriebswirtschaftliche Kennzahlen (z.B. Absatz, Umsatz, Kosten etc.) können somit nach logisch unabhängigen, hierarchisch strukturierten Auswertungsdimensionen (z.B. Produktgruppen, Kundengruppen, Verkaufs-

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XII. Business Intelligence im Mittelstand

gebiete, Vertriebskanäle etc.) kombiniert und angezeigt werden. Als Metapher für multidimensionale Datenräume wird der OLAP-Würfel hinzugezogen, der mithilfe zahlreicher Operationen flexibel untersucht werden kann. Roll-up & Drill-down ermöglicht das Aggregieren von Kennzahlen auf einer höheren Verdichtungsstufe bzw. das Aufschlüsseln eines aggregierten Wertes in seine Komponenten auf der darunter liegenden Ebene. Slice & Dice bezeichnet das Herausschneiden einer Scheibe des Würfels bzw. die Erzeugung eines mehrdimensionalen Ausschnitts (vgl. Kemper et al. 2010, S. 101 ff.). Darstellung 2 zeigt ein Beispiel eines dreidimensionalen OLAPWürfels mit den Dimensionen Produkt, Zeit und Gebiet, in dem als Kennzahl die Absatzzahlen visualisiert werden. Darstellung 2: Navigation in einem OLAP Datenwürfel

Quelle: in Anlehnung an Hippner et al. 2001, S. 11

Während OLAP eine deskriptive Darstellung der Daten liefert, durchsuchen DataMining-Systeme große Datenbestände mit anspruchsvollen Methoden nach interessanten, neuen, gesicherten und handungsrelevanten Mustern und Aussagen. (vgl. Hippner et al. 2001, S. 13). Dabei werden Problemstellungen bearbeitet, wie etwa die Bewertung des künftigen Kundenverhaltens auf der Basis von Prognosemodellen, sowie die Segmentierung der Käufergruppen oder die Ermittlung von Verbundbeziehungen in den Warenkörben der Kunden. Data-Mining-Verfahren finden Anwendung bei ganz unterschiedlichen Typen von Aufgabenstellungen, wie z.B. Klassifikation, Segmentierung und Assoziationsanalysen, die unter anderem auf der Basis vielfältiger Verfahren aus der Statistik, der Künstlichen Intelligenz, Mustererkennung sowie Visualisierungstechniken bearbeitet werden. Data-Mining-Analyseprozesse sind in der Regel komplex und umfassen nicht nur die reine Verfahrensanwendung, sondern

XII. Business Intelligence im Mittelstand

153

vor allem auch umfangreiche fachliche und technische Schritte der Datenauswahl und -aufbereitung. Von den Grundkonzepten des Data Mining wurden einige Varianten für vergleichbare Aufgabenstellungen abgeleitet. So kommen mit zunehmender Bedeutung des Internets und des E-Business Web-Mining-Verfahren zur Analyse des Webauftritts und des Nutzerverhaltens der Online-Kunden zum Einsatz. Text Mining wird zur Untersuchung von semi- oder unstrukturierten Textinhalten verwendet und Process Mining dient der Gewinnung von formalisiertem Prozesswissen aus den bei einer automatisierten Prozessausführung aufgezeichneten Daten (vgl. Kemper et al. 2010, S. 117). Zur komprimierten Präsentation komplexer Strukturen und Zusammenhänge in Form von Ampeln, Tachometern, Füllständen sowie Zahlen- und Zeitreihen werden BICockpits und BI-Dashboards eingesetzt (vgl. Haneke et al. 2010, S. 35). Sie dienen einer verständlichen und intuitiven Visualisierung und Überwachung geschäftskritischer Daten in Analogie zu Armaturenbrettern und Instrumententafeln, um alle wesentlichen Informationen auf einen Blick erfassen zu können (vgl. Darstellung 3). Darstellung 3: Beispiel eines BI-Dashboards

Quelle: Chamoni, Peter, Dashboards und Techniken des Web 2.0 sollen BI attraktiver machen, 2008 http://www.computerwoche.de/a/dashboards-und-techniken-des-web-2-0-sollen-bi-attraktiver-machen,1863704

BI-Portalsysteme integrieren die bestehenden BI-Systemkomponenten und die hierdurch erstellten Ergebnisse in eine zentrale, einheitliche und zum Teil auch personalisierte Benutzeroberfläche mit „Single-Sign-On-Funktion“. Das Informations-

154

XII. Business Intelligence im Mittelstand

angebot und die Analysesysteme können so an die Präferenzen und Rollenzugehörigkeit der Anwender angepasst werden (vgl. Kemper et al. 2010, S. 152 ff.).

2.

Bedeutung von Business Intelligence im Mittelstand

Die mithilfe von BI-Systemen unterstützte Aufbereitung geschäftsrelevanter Daten zu Entscheidungsgrundlagen führt zu einer schnellen Reaktionsfähigkeit, die insbesondere für KMU von zentraler Bedeutung ist. Hier liegen häufig kürzere Planungsperioden als in Großunternehmen vor und es muss meist zeitnah auf neue Marktgegebenheiten reagiert werden. Entscheidungen müssen oft schneller getroffen und in operatives Handeln umgesetzt werden als in Großunternehmen (vgl. Schön 2012, S.14). Aktuelle Unternehmenszahlen, aussagefähige Simulationen und Prognosen ermöglichen es den Verantwortlichen, drohende Probleme in frühen Phasen erkennen und zielgerichtet gegensteuern zu können. Wo noch vor wenigen Jahren die Planung auf der Basis rückblickender monatlicher oder wöchentlicher Analysen ausreichten, ist heute vielfach eine permanente und zeitnahe Auswertung der Geschäftsaktivitäten erforderlich (vgl. Bachmann/Kemper 2011, S. 23). Auch kleine und mittelständische Unternehmen stehen damit vor der Herausforderung, aus der ständig steigenden Datenflut verwertbare Informationen zur Entscheidungsvorbereitung zu generieren. Aufgrund der häufig nur begrenzten finanziellen Mittel nutzen KMU vielfach Bankkredite. Die erhöhten Sicherheitsanforderungen der Banken durch die Richtlinien Basel II und III erfordern die Darlegung finanzieller Kennzahlen und valider Informationen der Unternehmensorganisation und -prozesse. BI-Systeme auf der Basis fundierter Geschäftsdaten unterstützen die Bereitstellung der hierfür erforderlichen Informationen (vgl. Schön 2012, S. 16). Aufgrund der Dynamik der Marktentwicklung sind auch in Marketing und Vertrieb zeitnahe Führungsentscheidungen erforderlich, die auf einer konsequenten und objektiven Analyse der Markt-, Unternehmens-, Wettbewerbs- und Kundendaten basieren sollten. Obwohl Business-Intelligence-Lösungen auch Mittelständlern entscheidende Wettbewerbsvorteile sichern können, waren bislang vor allem große Unternehmen bereit, die durch die Einführung von BI-Systemen zum Teil häufig hohen Investitionen und den Implementierungsaufwand der hochkomplexen, beratungsintensiven Lösungen zu tragen (vgl. Bange et al. 2012, S. 4). Die rasant steigenden Datenmengen in den letzten Jahren bringen jedoch die heute in KMU noch vielfach vorherrschenden einfachen Analysesysteme an die Grenzen ihrer Nutzbarkeit. Die meist auf der Basis von Excel-Tabellen oder manuell erstellten Berichte sind aufwändig zu generieren und darüber hinaus mit einem hohen Fehlerrisiko behaftet. Die Anbieter von Business-Intelligence-Lösungen haben in den letzten Jahren auf die besonderen Bedürfnisse kleiner und mittelständischer Unternehmen reagiert.

XII. Business Intelligence im Mittelstand

155

Zunehmend sind BI-Systeme im Angebot, x

die in heterogenen Systemumgebungen einfach integriert werden können, z.B. ergänzend zu einer vorhandener ERP-Lösung einsetzbar sind und

x

an die spezifischen Anforderungen der Unternehmen anpassbar sind,

x

die mit weniger IT-Ressourcen und kleineren Budgets eingeführt werden können,

x

problemlos in kleinen Schritten umsetzbar sind,

x

ohne zu viel technisches Know-how zu administrieren und zu bedienen sind und

x

durch einen guten und engen Service eines Dienstleisters betreut werden.

Die Verbreitung von Business Intelligence in KMU ist daher in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Die Mehrheit der kleinen und mittelständischen Unternehmen hat in eine BI-Lösung investiert (vgl. Bange et al. 2012, S. 4). Insbesondere in Branchen mit hohem Preisdruck, wie Handel und Konsumgüterindustrie, verfügen viele mittelständische Unternehmen heute über produktive BI-Landschaften (vgl. Kurzlechner 2010, S. 1). Sie versprechen sich durch den Einsatz geeigneter BI-Systeme eine Stärkung ihrer Wettbewerbsfähigkeit und eine Verbesserung der Kosteneffizienz. BI im Mittelstand ist offenbar jedoch eher ein Thema für größere Unternehmen, wohingegen kleine Organisationen unter 100 Beschäftigte BI-Anwendungen seltener nutzen (vgl. Schöne 2012, S. 280). 2.1.

Anwendungsbereiche von Business Intelligence im Mittelstand

Der Einsatzbereich eines umfassenden Business-Intelligence-Anwendungssystems erstreckt sich über die gesamte Führungsebene im Unternehmen (vgl. Darstellung 4). Nutzer der BI-Lösungen finden sich sowohl im Top-Management im Kreis der obersten Führungskräfte als auch im Middle- und Lower-Management. In den Leitungsbereichen werden die Analysetools schwerpunktmäßig für die Extraktion handlungsrelevanter Informationen genutzt. Neben dem Management sind auch unterstützende Funktionen im Unternehmen als Vorbereiter von Entscheidungen in BusinessIntelligence-Lösungen eingebunden (vgl. Kemper et al. 2010, S. 10). Auch im Mittelstand sind die Einsatzgebiete für Business Intelligence vor allem in den klassischen Abteilungen zu finden. So ist das Controlling der zentrale Bereich für die Datenaufbereitung, Auswertung, Berichterstattung und Planung und damit Hauptnutzer von BI-Lösungen in KMU (vgl. Schön 2012, S. 14). Marketing und Vertrieb setzten die BI-Software vor allem für kundenbezogene Untersuchungen und die Vorbereitung spezifischer, oft personalisierter Kampagnen sowie im Kundenbindungsmanagement, bei der Produktentwicklung und Preisgestaltung ein (vgl. Bange et al. 2012, S. 15). Aufgrund der intensiven Nutzung des Internets als Kommunikations- und Distributionskanal gewinnt die Kenntnis der Verhaltensmuster und Interessen von Besuchern und Kunden der Website eines Unternehmens immer mehr Bedeutung. Auch hier

156

XII. Business Intelligence im Mittelstand

können Business-Intelligence-Lösungen zur Optimierung und Personalisierung des Online-Angebots verwendet werden (vgl. Chamoni/Gluchowski 2010, S. 411). Darstellung 4: Einsatzfeld von BI-Anwendungssystemen

Quelle: Kemper, H.-G./Baars, H./Mehanna, W.: Business Intelligence – Grundlagen und praktische Anwendun gen. Eine Einführung in die IT-basierte Managementunterstützung. 3. Auflage. Wiesbaden 2010, S. 9.

Einsatzmöglichkeiten für BI-Lösungen werden zunehmend auch in den Bereichen Logistik und Produktion gesehen. Vor allem die Verbindung moderner Datenerfassungskonzepte mit BI-Ansätzen ermöglicht eine weiterführende Managementunterstützung, die über die Funktionalität der isolierten Produktions- und Logistiksysteme hinausgeht (vgl. Chamoni/Gluchowski 2010, S. 420). Im Einkauf können BILösungen z.B. bei der Analyse der Lieferantenbeziehungen unterstützen und Einsparpotenziale identifizieren. Anwender und Nutzer von BI-Lösungen und den damit erzeugten Ergebnissen sind im Mittelstand vor allem Berichtsempfänger, gefolgt von Analysten und Reporterstellern sowie Planern. Analyse und Reporting sind heute dabei die Haupteinsatzfelder. Zunehmend haben die Mittelständler aber auch die Relevanz von Planung und Forecasting erkannt, so dass hier mit einer Zunahme der Anwendung auch in diesen Bereichen zu rechnen ist. Die Anzahl an BI nutzenden Mitarbeitern hat sich in den letzten Jahren auch in KMU erhöht (vgl. Bange et al. 2012, S. 16 und 21). In vielen Unternehmen ist BI keine Anwendung mehr für ausgewählte Entscheidungsträger, sondern steht durch ausgeweitete Zugriffsmöglichkeiten einem unternehmensübergreifenden Nutzerkreis für BI-gestütztes Reporting und Planen zur Verfügung (vgl. Schön 2012, S. 286).

XII. Business Intelligence im Mittelstand 2.2.

157

Business-Intelligence-Lösungen

Business-Intelligence-Anwendungen sind in großer Vielfalt am Markt verfügbar. Zum Teil werden die wesentlichen Anwendungen für Datenbanken, Analyse, Reporting und Planung in getrennten Software-Werkzeugen angeboten. Es existieren jedoch auch zahlreiche Business-Intelligence-Suiten, die häufig nicht nur die Analysewerkzeuge sondern auch Datenintegrations- und Datenspeicherungsmöglichkeiten anbieten. Der Markt für BI-Anwendungen ist in den letzten Jahren kontinuierlich gewachsen (vgl. Schön 2012, S. 280). Aus den Erhebungen der Softwareanbieter in Deutschland wird erkennbar, dass Microsoft im BI-Segment hinter den drei großen Anbietern IBM, Oracle und SAP aufgeführt ist. Im Vergleich zum Gesamtmarkt führt Microsoft (SQL Server Analysis Services) im Mittelstand jedoch die Verbreitung an. Hier sind auch SAP (BW, Business Objects) und IBM (Cognos) gut vertreten, die gemeinsam mit Partnerunternehmen speziell für den Mittelstand zugeschnittene Lösungen anbieten. KMU nutzen neben den drei genannten Anbietern jedoch auch häufig mittelständische SoftwareUnternehmen, wie z.B. Cubeware, BOARD und QlikView, da bei diesen Herstellern vor allem oft die lokale Präsenz, ein individueller Support und Branchen-Know-how erwartet wird (vgl. Bange et al. 2012, S. 13 f.). In den letzten Jahren sind zunehmend auch Open-Source-Business-IntelligenceLösungen in den Fokus gelangt. Hier stellen vor allem Anbieter, wie Jaspersoft, Pentaho oder Jedox insbesondere für den Mittelstand Alternativen zu den klassischen BI-Anbietern dar (vgl. Haneke et al. 2010, S. 13). Die kleinen Unternehmen setzen Open-Source-Software im Bereich Business Intelligence heute stärker ein als mittlere und große Unternehmen. Aber auch im letztgenannten Segment werden diese Lösungen verstärkt als Alternative eingestuft (vgl. Haneke et al. 2010, S. 276). Software as a Service (SaaS), ein Konzept, das IT-Dienstleistungen zur Unterstützung von Geschäftsprozessen flexibel über eine Web-Oberfläche bereitstellt, wird auch für Business-Intelligence-Anwendungen verwendet. Die IT-Lösung (Software, Hardware und Betrieb) wird dabei gemietet und nicht gekauft, mit dem Vorteil niedriger Verwaltungs- und Infrastrukturkosten. Die Nutzung der Anwendung erfolgt ohne Installationsaufwand über einen Webbrowser. Somit wird auch kleinen und mittelständischen Unternehmen der finanziell variable Zugang zu leistungsfähigen BILösungen ermöglicht (vgl. Braß/Zimmermann 2010, S. 42). Als weiterer wesentlicher Trend wird der Zugriff auf entscheidungsrelevante Informationen über mobile Endgeräte, wie z.B. ein Smartphone oder ein Tablet PC, angesehen. Vorteile des Mobile Business Intelligence (Mobile BI) zeigen sich hierbei vor allem durch die schnellere Reaktionsmöglichkeit sowie die zeitnahe und ortsunabhängige Verfügbarkeit wichtiger Kennzahlen und aktueller Analysen für Entscheidungsträger. Mobile-BI-Lösungen werden heute bereits von verschiedenen Herstellern angeboten (vgl. Schonscheck, 2012).

158 2.3.

XII. Business Intelligence im Mittelstand Einführungsphasen und Erfolgsfaktoren für BI-Projekte im Mittelstand

Wie jedes Software-Entwicklungs- bzw. Einführungsprojekt besteht auch ein BIProjekt aus den Aktivitäten Analyse/Spezifikation, Entwurf, Implementierung, Test, Betrieb und Weiterentwicklung. Wie diese Aktivitäten angeordnet werden, hängt von der Wahl des Vorgehensmodells ab. In Business-Intelligence-Projekten bei KMU wird in der Regel keine BI-Lösung neu entwickelt, sondern eine verfügbare BI-Software ausgewählt, die im Rahmen des Projektes dann an die Bedürfnisse des Unternehmens angepasst wird. In der Analysephase werden die inhaltlichen und technischen Anforderungen an die BI-Software und alle prozessbezogenen und organisatorischen Rahmenbedingungen ermittelt. Der Informationsbedarf der Anwender, der mithilfe der BI-Lösung gedeckt werden soll, steht hier im Zentrum der Erhebung (vgl. Haneke et al. 2010, S. 84). In der Entwurfsphase wird ein logisches Konzept für die BI-Lösung entwickelt und eine geeignete Software ausgewählt. Für KMU bietet sich häufig ein eher pragmatisches Vorgehen zwischen einer generischen und einer projektspezifischen Lösung, nach dem Motto „Think big, start small“ an. Im Verlauf der Implementierung erfolgt die Umsetzung der Anforderungen auf der Basis des Entwurfs und der ausgewählten Werkzeuge zu einer BI-Anwendung. In der Testphase werden das korrekte Verhalten sowie die Erfüllung der Anforderungen des BI-Anwendungssystems geprüft. Von besonderer Bedeutung ist hier vor allem die Untersuchung der Datenqualität, die für den BI-Projekterfolg maßgeblich ist. Nicht selten führt mangelnde Qualität der Daten zu fehlerhaften Auswertungen und Fehlentscheidungen im Unternehmen. Nach umfangreichen Tests kann das BI-System in den Produktivbetrieb übernommen werden. Hier ist insbesondere zu Beginn eine intensive Überwachung erforderlich, um Probleme frühzeitig zu erkennen und gegensteuern zu können (vgl. Haneke et al. 2010, S. 86 f.). Neue Anforderungen der Anwender und Änderungswünsche sind zu bewerten und entsprechend umzusetzen. Empfehlungen für die Auswahl und Einführungen einer BI-Lösung: x

Fundierte Anforderungen an das Anwendungssystem sollten unter Einbeziehung der Beteiligten (Berichts- und Planungsadressaten) erhoben werden. Aufgrund des in KMU häufig fehlenden BI-Know-hows ist es empfehlenswert, hier auch auf externe Unterstützung durch Beratungsunternehmen zurückzugreifen. Um die BI-Anwendung später eigenständig weiterentwickeln zu können, sollte dabei für einen Transfer des erforderlichen BI-Wissens an das Projektteam gesorgt werden (vgl. Schön 2012, S. 284 f.).

x

Auf der Basis der Anforderungen ist der Markt nach infrage kommenden Lösungen zu untersuchen. Eine vergleichende Softwareauswahl sollte mit den künftigen Nutzern des Systems durchgeführt werden, um die Akzeptanz zu erhöhen. Vor allem KMU mit geringen ITRessourcen sollten die Komplexität der Werkzeuge nicht unterschätzen. Es ist ratsam, die ausgewählten Lösungen mit einem typischen Anwendungsszenario des Unternehmens zu testen.

x

Um den erfolgreichen Einsatz zu gewährleisten, sind eindeutige Verantwortlichkeiten und Kompetenzen für den Aufgabenbereich Business Intelligence zu schaffen (vgl. Bange et al. 2012, S. 34). Die in großen Unternehmen oft installierten BI Competence Center lassen sich in KMU meist nicht realisieren. Hier liegt die Verantwortung oft bei Mitarbeitern aus dem Controlling, die in Zusammenarbeit mit IT-Experten die BI-Lösung betreiben.

XII. Business Intelligence im Mittelstand

3.

159

Abstract

Business Intelligence ist heute in Unternehmen zu einer nahezu unverzichtbaren Entscheidungsgrundlage geworden. Auch kleine und mittelständische Unternehmen haben die Bedeutung aktueller, konsistenter und zuverlässiger Zahlen für ein zeitnahes Reporting und eine solide Planung auf der Basis leistungsfähiger BI-Systeme erkannt. Heute setzt die Mehrheit im Mittelstand eine BI-Anwendung ein. Business-Intelligence-Lösungen automatisieren die Extraktion und Aufarbeitung relevanter Geschäftsdaten und reduzieren damit den personellen Aufwand und die Fehleranfälligkeit. Am Software-Markt sind zahlreiche Anwendungen verfügbar, die Unternehmen für Reporting, Analyse und Planung verwenden können. Viele Anbieter haben sich mit ihren integrierten Lösungen und Dienstleistungen auf die Anforderungen mittelständischer Unternehmen mit ihren geringen personellen und finanziellen Mitteln eingestellt. Zum Einsatz kommen die BI-Systeme heute vor allem in den Bereichen Analyse sowie Berichtserstellung und -verteilung. Viele Mittelständler erkennen jedoch zunehmend Bedarf bei Planung, Budgetierung und Vorhersagen. In diesen Einsatzfeldern wird eine stärkere Nutzung von BI-Systemen zu erwarten sein.

160

XII. Business Intelligence im Mittelstand

Quellen und weiterführende Literatur Bachmann, R./Kemper, G.: (2011) Raus aus der BI-Falle: Wie Business Intelligence zum Erfolg wird. 2. Auflage. Heidelberg u.a.. Bange, C./Seidler, L./ Mack, M.: (2012) Business Intelligence im Mittelstand 2011/2012. Status quo, Ausblick und Empfehlungen. 2. Auflage. BARC-Institut Würzburg. Bensberg, F.: (2010) BI-Portfoliocontrolling – Konzeption, Methodik und Softwareunterstützung, Baden-Baden. Braß, D./Zimmermann, R.: (2010) Software as a Service – am Beispiel einer Business-IntelligenceLösung in der Logistik. Aus: HMD – Praxis der Wirtschaftsinformatik. 47. Jahrgang – Heft 275. Elektronischer Sonderdruck. Seiten 42-51. Chamoni, P.: (2008) Dashboards und Techniken des Web 2.0 sollen BI attraktiver machen. http://www.computerwoche.de/a/dashboards-und-techniken-des-web-2-0-sollen-bi-attraktivermachen,1863704. Zugriff 7.2.2013. Chamoni, P./Gluchowski, P. (Hrsg.): (2010) Analytische Informationssysteme. Business IntelligenceTechnologien und -Anwendungen. 4. Auflage. Heidelberg u.a.. Haneke, U./ Trahasch, S/Hagen, T/Lauer, T. (Hrsg.): (2010) Open Source Business Intelligence. Möglichkeiten, Chancen und Risiken quelloffener BI-Lösungen. München/Wien. Hippner, H./Küsters, U./Meyer, M./Wilde, K. (Hrsg.): (2001) Handbuch Data Mining im Marketing. Braunschweig/Wiesbaden. Kemper, H.-G./ Baars, H./Mehanna, W.: (2010) Business Intelligence – Grundlagen und praktische Anwendungen. Eine Einführung in die IT-basierte Managementunterstützung. 3. Auflage. Wiesbaden. Kurzlechner, W.: (2010) Jeder zweite Mittelständler nutzt BI. CIO Online. http://www.cio.de/subnet/oracle-finance/2232351/index.html. Zugriff 7.2.2013. Schonscheck, O.: (2012) Mobile Business Intelligence. Mit Echtzeitdaten die Weichen stellen. Aus: MittelstandsWiki. http://www.mittelstandswiki.de/wissen/Mobile_Business_Intelligence. Zugriff: 7.2.2013. Schön, D.: (2012) Planung und Reporting im Mittelstand. Grundlagen, Business Intelligence und Mobile Computing. Wiesbaden.

XIII. Der Unternehmer auf dem Vertriebsparkett, oder: Der Tanz mit den Kunden Heiko Auerbach 1.

Vertrieb als Herausforderung für mittelständische Unternehmen

In den letzten Jahrzehnten ist es vielen mittelständischen Unternehmen gelungen, im internationalen Wettbewerb eine starke Marktposition aufzubauen. Dies hat insbesondere in den 90er Jahren die Frage nach den Gründen und Ursachen dafür aufgeworfen. Die Erfolgsfaktorenforschung hat darauf interessante Antworten geliefert. So konstruiert Küpper im Zuge einer empirischen Studie einen Bezugsrahmen des Unternehmenserfolgs. Bei Unternehmen zwischen 100 und 499 Mitarbeitern kristallisieren sich vier als sehr wichtig eingeschätzte Erfolgsfaktoren heraus (vgl. Küpper 1994, S. 122): die Qualität der Mitarbeiter, die Unternehmensführung, die Produktqualität und die Innovationsfähigkeit. Diese Erkenntnis ergänzt Hanfstein um die Faktoren Strategie, Liquidität, Risikobewertung, Kundenpflege, Organisation, Unternehmenskultur und Beschaffung (vgl. Hanfstein 2012). Damit greift er in einem Punkt die Frage der Kundenbeziehungen und somit die Rolle des Marketing auf. Dass es sich bei der Gestaltung von Kundenbeziehungen auch bei mittelständischen Unternehmen um mehr als einen Trend handeln sollte, belegt eine Studie von Simmet. Nur eine Minderheit von kleinen und mittelständischen Unternehmen nutzt bislang die Potenziale der sozialen Netzwerke als Instrument der Beziehungspflege voll aus (vgl. Simmet 2012). Im Fokus stehen hingegen anerkannte Stärken mittelständischer Unternehmen. Dazu zählen ihre Flexibilität, Reagibilität sowie kurze Wege durch direkte Kundenkontakte (vgl. Wegmann 2006, S. 8). Dies mag ein Hinweis dafür sein, dass Marketing einerseits im Sinne einer grundsätzlichen Philosophie im Mittelstand „gelebt“ wird. Andererseits zeigen zahlreiche persönliche Gespräche des Verfassers im Rahmen von Konferenzen, Symposien, Arbeitstreffen und anderen Veranstaltungen, dass Fragen von Marketing und Vertrieb eher aus einer gewissen Erfahrung oder schlicht aus einem Bauchgefühl heraus getroffen werden. Dabei mangelt es an systematischen, strategisch geplanten Ansätzen, denen eine ganzheitliche Konzeption zugrunde liegt. Als Ursache für diese Lücke kann vermutet werden, dass viele kleine und mittelständische Unternehmen als Zulieferer im Business-to-Business-Sektor tätig sind. Sie stehen in der Regel am Anfang der Wertschöpfungskette und haben somit keinen oder kaum Kontakt mit den Endverbrauchern. Der eigentliche Kundenkontakt beschränkt sich auf einige Key Accounts, und diese glaubt man hinreichend zu kennen, so dass sich klassisches Marketing, wie im Konsumgüterbereich üblich – erübrige. Allerdings haben sich die Spielregeln am Markt geändert: ƒ internationale Wettbewerber – insbesondere aus Südostasien – sorgen für eine Verschärfung des Preiswettbewerbs,

162

XIII. Der Unternehmer auf dem Vertriebsparkett

ƒ lang gepflegte „persönliche“ altersbedingt auf,

Lieferanten-Kunden-Beziehungen

lösen

sich

ƒ die Verhandlungsmacht der Kunden nimmt ständig zu. Zudem werden Fach- und Führungsaufgaben in kleinen und mittelständischen Unternehmen sehr häufig von Mitarbeitern wahrgenommen, die ihrer Ausbildung entsprechend Experten auf den so genannten MINT-Gebieten sind (z.B. Maschinenbau- oder Elektroingenieure). Da die Vermittlung von Kompetenzen in den Bereichen Marketing und Vertrieb, interkulturelles Management (wichtig bei einer Exportquote, die über 50 Prozent liegt) sowie Sprachen nicht zur typischen Ausbildung in den MINT-Fächern zählen, reisst hier eine erfolgskritische Kompetenzlücke auf. Diese Situation führt zu einem Dilemma: auf der einen Seite ermöglichen Kundennähe, Flexibilität und die Fähigkeit, massgeschneiderte Lösungen für Kunden zu entwickeln, den Aufbau von Wettbewerbsvorteilen. Auf der anderen Seite werden mitunter Marktchancen verpasst oder gar Marktanteile an Wettbewerber abgegeben, weil Vertrieb häufig mit physischer Distribution verwechselt und dem Marketing allgemein eine eher untergeordnete Rolle beigemessen wird. Die Ursache dafür findet sich in der Praxis weniger in der falschen Einschätzung der Potenziale eines professionellen Marketing und Vertriebsmanagement. Ursächlich ist vielmehr ein Mangel an entsprechend ausgeprägtem Methodenwissen. An diesem Punkt setzt der Beitrag an. Das hier zugrunde gelegte Verständnis des Vertriebs sieht diesen als ganzheitliches Konzept einer systematischen Kundenpflege. Es stellt sich dabei die Frage, wie sich Planung und Durchführung des Vertriebs in einem mittelständischen Unternehmen systematisch gestalten lassen.

2.

Phasenbezogene Ansätze im Verkauf

Gerade für die Praxis ist es stets hilfreich, auf “griffige” Formeln und Faustregeln mit konkretem Anwendungsbezug zurückgreifen zu können, wenn betriebswirtschaftliche Herausforderungen gelöst werden sollen. Das Schrifttum weist eine Reihe von Phasenkonzepten auf, die den Vertrieb in einzelne Schritte strukturieren. Eine klassische Formel für den Verlauf des werbewirksamen Verkaufs ist die von Lewis im Jahr 1898 entwickelte AIDA-Formel. Dabei soll im ersten Schritt die Aufmerksamkeit des Kunden gewonnen werden (attention). Im nächsten Schritt (interest) wird sein Interesse geweckt, um schließlich seinen Besitzwunsch (desire) auszulösen und einen Kauf (action) zu tätigen (vgl. Lewis 1903). Eine Weiterentwicklung des AIDA-Ansatzes stellt das DAGMAR-Prinzip dar. Auch hier handelt es sich eher um ein Stufenmodell der Werbewirkung als um einen verkaufsspezifischen Ansatz. Dennoch lassen sich kommunikative Ansätze herausarbeiten, die auch für die Verkaufsgesprächsführung relavant sind. Das von Colley entwickelte Akronym DAGMAR steht für Defining Advertising Goals for Measured Advertising Results (Colley 1991). Dem Modell zufolge durchläuft Kommunikation beim Kunden eine Stufenhierarchie in aufeinander aufbauenden Bewusstseinsebenen. Zunächst stellt sich auf der Annahmeebene (Awareness) die

XIII. Der Unternehmer auf dem Vertriebsparkett

163

Frage, wie eine Botschaft wahrgenommen wird. Die Aufnahmeebene signalisiert, ob eine werbliche Information erkannt wird (Comprehension). Schließlich sollte die Kommunikation mit den Kunden leicht aufgenommen und verstanden werden (Conviction) um letztendlich eine positive Einstellung zu generieren (Action). Trotz ihrer gut nachvollziehbaren Logik weisen beide Modell für ihre Umsetzbarkeit im Vertrieb einige Schwächen auf: ƒ Es ist bislang nicht gelungen, die Modellannahmen empirisch zu belegen. ƒ Die Anwendbarkeit für den Business-to-Business-Bereich ist eingeschränkt, da die Komplexität von betrieblichen Entscheidungsprozessen bei Beschaffungsgremien (Buying Centre) nicht hinreichend Berücksichtigung findet. ƒ Elemente der Kundenbetreuung vor, während und nach dem Kauf finden keine differenzierte Beachtung (pre- / after-sales service). ƒ Kaufentscheidungen in Business-to-Business Beziehungen werden selten spontan getroffen, sondern setzen oft lang andauernde Beziehungen voraus, die hier nur unzureichend berücksichtigt werden. ƒ Letztendlich handelt es sich bei beiden Modellen um Erklärungsansätze der Werbewirkung und bieten demzufolge für eine ganzheitliche Betrachtung des Vertriebs zu wenige Strukturansätze. Das DIBABA-Modell stellt eine Weiterentwicklung in der Strukturierung von Verkaufsprozessen dar. Es löst sich von einer einseitigen Betrachtung der Kommunikationswirkung bei Verkaufsgesprächen und beleuchtet weitere Elemente wie etwa die konkrete Nutzendimension eines Leistungsversprechens. Ein Verkaufsgespräch besteht dem DIBABA-Modell aus sechs Stufen (Goldman 1986): In der Definitionsstufe wird der Bedarf des Kunden festgelegt. Der nächste Schritt, die Identifikationsstufe, offenbart eine Problemlösung, mit der sich der Kunde identifizieren soll. Dazu muss der Verkäufer in der Beweisstufe die entsprechenden Beweise für die Problemlösungskompetenz vorlegen. In der Annahmestufe erfolgt die Zustimmung des Kunden und sein Wunsch (Begierdestufe), das Produkt zu erwerben. Schließlich kommt es zum Abschluss (Abschlussstufe), in deren Rahmen Konditionen des Erwerbs geklärt werden. Allerdings konzentriert sich dieses Modell allein auf die Verkaufsgesprächsführung. Es geht davon aus, dass Leads bereits generiert worden sind und das Gespräch mit Prospects erfolgt. Strategischkonzeptionelle Denkansätze des Vertriebs bleiben vernachlässigt. Diesen Nachteil überbrückt die Struktur von Hofbauer/Hellwig. Der Vertriebsprozess lässt demnach aus Anbietersicht in die einzelnen Schritte Marktplanung → Kundenplanung → Geschäftsanbahnung → Anfragenprüfung → Angebotserstellung → Vorklärung → Verhandlung → Auftragsmanagement → AfterSales-Betreuung → Vertriebscontrolling gliedern (Hofbauer/Hellwig 2009). Damit werden einseitige Fokussierungen allein auf die Gesprächsführung überwunden und um einen ganzheitlichen betriebswirtschaftlichen Ansatz erweitert, indem Planungselemente des Marketing mit jenen des

164

XIII. Der Unternehmer auf dem Vertriebsparkett

Vertriebs zielführend verknüpft werden. Es löst sich von rein verkaufspsychologischen Modellen und konzentriert sich stärker auf betriebswirtschaftliche Elemente des Vertriebsprozesses. Die einzelnen Phasen werden dabei funktional unter wirtschaftswissenschaftlichen Gesichtspunkten beschrieben und inhaltlich hinterlegt. Allerdings bieten Hofbauer/Hellwig kein eingängiges Konstrukt im Sinne ener praktikablen Faustregel an, wie sie gerade bei Praktikern wegen ihrer Kompassfunktion beliebt sind.

3.

Elemente einer Vertriebskonzeption

3.1.

Das DISCO Modell

Was bei Studierenden vorausgesetzt werden darf – das Erlernen und Repitieren einzelner Phasen des Verkaufsprozesses samt der entsprechenden Unterpunkte – kann von Praktikern, die sich täglich im Tagesgeschäft behaupten müssen, nicht unbedingt erwartet werden. Dies hat den Verfasser motiviert, ein Modell zu entwickeln, das als Orientierungshilfe den Handlungsrahmen für die Elemente einer Vertriebskonzeption vorgibt. Im Rahmen eines Praktiker Workshops mit leitenden Mitarbeitern mittelständischer Unternehmen entstand der Wunsch nach einer „griffigen Faustregel“, anhand derer man sich bei der Vertriebsplanung orientieren könne. Der Wunsch wurde geäußert, die wesentlichen Schritte quasi in Form einer Checkliste erarbeiten und entsprechend planen zu können. Dies sei insbesondere hilfreich, wenn man über keine marketing- oder vertriebsspezifische Ausbildung verfüge und dennoch entsprechende Aufgaben zu verantworten hätte. Die Gestaltung eines Phasenmodells, das Praktikern ermöglicht, eine Vertriebskonzeption systematisch zu erarbeiten, basiert auf zwei Schritten. Im ersten Schritt wurden die aus dem Schrifttum bekannten Ansätze analysiert und auf Gemeinsamkeiten überprüft. Auf diese Weise konnten erste Phasen-Cluster identifiziert werden. Als wichtiges Element kristallisierte sich in diesem Zusammenhang beispielsweise der Abschluss heraus, der auch bei dem DIBABA-Modell oder der Struktur von Hofbauer/Hellwig hervorgehoben wird. Im zweiten Schritt erfolgte eine empirische Sammlung von Phasenelementen, die auf tatsächlichen Erfahrungen von Vertriebsmitarbeitern basiert. Aus einer Vielzahl einzelner Anmerkungen, die sich in Gestalt von Moderationskarten auf einer Pinwand wiederfanden, konnten die in Schritt 1 vordefinierten Cluster modifiziert, ergänzt und neu modelliert werden. Die einzelnen Teilergebnisse werden im Folgenden vorgestellt: Grundlage einer jeden unternehmerischen Entscheidung sollte das Vorhandensein entscheidungsrelevanter Informationen sein. Speziell im Business-to-BusinessBereich geht es darum, mit einer Lösung einen (potenziellen) Kunden erfolgreich zu machen. Dieser „Rainmaker-Ansatz“ erfordert neben entsprechender Kunden-, Unternehmens- und Marktkenntnisse auch Kenntnisse über die eigene externe Unternehmensumwelt wie auch über jene des Kunden. Dieses Cluster bezeichnen wir als Daten-Cluster.

XIII. Der Unternehmer auf dem Vertriebsparkett

165

Eine zentrale Aufgabe des Vertriebs besteht darin, einen Kundenstamm aufzubauen, Kunden aktiv zu betreuen und interaktive Kundenpflege zu betreiben. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, welche Mechanismen und Rahmenbedingungen in der Interaktion mit den Kunden bekannt sein sollten und welches Wissen zur Erstkontaktaufnahme wichtig ist. Antworten auf diese Fragen liefert das Interactions-Cluster. Der Philosophie des Marketing folgend suchen Kunden nach Problemlösungen. Diese können materieller oder immatierieller Form sein oder aus einer Kombination aus beiden Elementen bestehen. Insofern stellen Produkte und Dienstleistungen Lösungen dar, die als solche spezifiziert, produziert und kommuniziert werden müssen. Diese Aufgaben sind Gegenstand des Lösungs- (Solution)-Clusters. Das Ziel des erfolgreichen Vertriebs besteht darin, Abschlüsse zu tätigen. Dies kann leichter gelingen, wenn sich erkennen lässt, ob Kunden ihr Interesse an der vorgestellten Lösung signalisieren (Commitment). Als Mitarbeiter im Vertrieb sollte man Kaufsignale erkennen und etwaige Einwände behandeln können. Schließlich muss man Abschlusstechniken beherrschen. Diese Themenfelder sind Gegenstand des Commitment-Clusters. Eine langfristige profitable Kundenbeziehung stellt das Rückgrat des Business-toBusiness Marketing dar. Insofern gilt die aus dem Fussballsport bekannte, hier leicht modifizierte Regel: „Nach dem Abschluss ist vor dem Abschluss“. Der Aufbau dauerhaft loyaler Kunden spielt dabei ebenso eine wichtige Rolle wie die Frage, wie man Kunden durch up-selling oder cross-selling zu einem Mehrkauf mit Mehrwert anregen kann. Ebenso stellt sich die Frage, wie sich ehemalige Kunden zurückgewinnen und wechselgefährdete Kunden frühzeitig erkennen lassen. Für dieses Cluster definieren wir die Bezeichnung Ongoing Business. Setzt man die Anfangsbuchstaben der jeweiligen Cluster als Akronym zusammen, so entsteht das Wort D-I-S-C-O. Um sich in einer Metapher zu bewegen, könnte man von einem „Tanz mit Kunden“ sprechen, wobei beide Tanzpartner als gleichberechtigt betrachtet werden sollen. Bleibt man bei der Metapher, könnte eine weite Interpretation mit einem Augenzwinkern dahin führen, dass es auch in einer Disco mitunter um Akquisitionsbemühungen geht, die zu (langfristigen) Beziehungen führen.

166 3.2.

XIII. Der Unternehmer auf dem Vertriebsparkett Datenmanagement

Märkte, Branchen und Unternehmen systematisch analysieren Die systematische Sammlung, Aufbereitung, Analyse und Bereitstellung entscheidungsrelevanter Daten ist eine Kernaufgabe vertrieblicher Aktivitäten. Zunächst ist zu klären, welche Informationen hinsichtlich des Marktes, in dem sich der potenzielle Kunde befindet, benötigt werden. Die folgende Liste zeigt anhand einiger Beispiele auf, welche Fragen man sich in Vorbereitung auf das Verkaufsgespräch stellen sollte: ˆ Wie groß ist das Marktpotenzial? ˆ Wie groß ist das Marktvolumen? ˆ Welche externen Trends können Einfluss auf die Marktentwicklung haben? ˆ Wie ist das Marktwachstum aktuell? Wie wird es in Zukunft sein? ˆ Wo sieht sich der potenzielle Kunde in der Zukunft? Der Vertrieb sollte ebenso über seine möglichen Kunden gut informiert sein. Dabei kann man zwischen Unternehmen im Allgemeinen und Mitarbeitern der Unternehmen im Speziellen unterscheiden. Die folgenden Fragen dienen als Checkliste zur Erlangung von Informationen über Unternehmen: ˆ ˆ ˆ ˆ ˆ ˆ ˆ

Welche Marktstellung hat das Unternehmen heute? Welche Art Geschäft betreibt der potenzielle Kunde? In welcher Branche ist der Kunde tätig? Wie ist die derzeitige Geschäftslage? Welche Produkte stellt Ihr potenzieller Kunde her? Welche Probleme hat der Kunde? Was braucht der Kunde?

Hinter jedem Kunden steckt ein Mensch Neben dem Wissen über das Unternehmen selbst ist das Wissen über den potenziellen Gesprächspartner von großer Bedeutung. Die Vorbereitung auf den konkreten Gesprächspartner fällt meist viel zu knapp aus. Allein zu wissen, mit wem man spricht und somit die gezielte Vorbereitung auf diesen Gesprächspartner kann zum erfolgreichen Abschluss führen. Im Vorfeld sollte man sich deshalb mit den folgenden Fragen beschäftigen: ˆ ˆ ˆ ˆ

Wer ist der Gesprächspartner / die Kontaktperson? Wie “tickt“ er als Fachmann? Und wie als Mensch? Wie können Sie seine Ziele unterstützen? Was sind seine fachlichen, sachlichen, persönlichen Anliegen?

XIII. Der Unternehmer auf dem Vertriebsparkett

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ˆ Welche Fakten benötigt er? ˆ Was könnte ihn an Ihrem Angebot faszinieren? Es ist wichtig, diese Checklisten vor jedem Termin zu überdenken. So wird gewährleistet, dass man sicher und informiert in ein Verkaufsgespräch gehen kann. Um gut vorbereitet in das Verkaufsgespräch gehen zu können, empfiehlt es sich ebenfalls, unterschiedlichen Stadien der Kundenentwicklung zu unterscheiden. Grundsätzlich sollte zwischen „Leads“, „Prospects“ und „Customers“ unterschieden werden. Unter einem Lead ist ein Anknüpfungspunkt, ein Kontakt, eine Adresse zu verstehen, der zum Verkaufsgespräch leitet. Insofern ist ein Lead ein aussichtsreicher und daher verfolgungswürdiger Kontakt (vgl. Schneider 2003, S. 121). Während die Leads nur einen Anknüpfungspunkt darstellen, wurde bei den Prospects schon ein face-to-face Kontakt zum entsprechenden Partner aufgenommen. Der Kunde hingegen wird als eine natürliche oder juristische Person gesehen, die bei einem Anbieter eine Dienstleistung oder ein Produkt tatsächlich bezieht, konsumiert oder nachfragt (vgl. Diller 1992, S. 518). Es besteht also bereits eine (feste) Beziehung zwischen Verkäufer und Käufer. Den Nutzen dieser Unterscheidung verdeutlicht der Sales Funnel (Vertriebstrichter). Gibt man in diesen Trichter beispielsweise das Adress- bzw. Kontaktpotenzial hinein (z.B. 1.000 Leads), so sickern bei einer Erfolgsquote von 10% im Rahmen der Kontaktanbahnung 100 Prospects durch. Sollte die Abschlussquote ebenfalls bei 10% liegen, gewinnt ein Unternehmen 10 neue Kunden. Insbesondere im Vertrieb können die Auswirkungen von Fehleinschätzungen der Konkurrenz fatal sein. In vielen Unternehmen sind zwar gewisse Wettbewerbsinformationen vorhanden. Über systematisch gebündelt und aufbereite Informationen in Form eines professionellen Wettbewerbsinformationssystem verfügen jedoch nur wenige Unternehmen (vgl. Homburg/Schäfer 2012, S. 226). Folgende Auflistung zeigt die Inhalte, die ein Wettbewerbsinformationssystem umfassen sollte: ˆ Wer sind die Wettbewerber (Name, Sitz des Unternehmens, Branche, Betriebsgröße, Eigentümer, Manager, Verflechtungen)? ˆ Wo stehe die Wettbewerber im Markt (Marktanteil, Umsatzhöhe, Rendite, Image, Kundenzufriedenheit)? ˆ Über welche Ressourcen verfügen die Wettbewerber (Finanzen, Zugang zu Kapitalmärkten, Patente, Lieferantenbeziehungen, Know-how)? ˆ Welche Strategie verfolgen die Wettbewerber (Ziele, Zeitpläne, Segmente)? ˆ Wie bearbeiten die Wettbewerber den Markt (Qualität, Sortiment, Positionierung, Logistik, PR, Werbung, Preise)? Informationsbeschaffung: Viele Wege führen nach Rom Gerade im Mittelstand mit seinen begrenzten Ressourcen stellt sich die Frage nach der Herkunft der benötigten Daten. In der Regel erweist sich deren Beschaffung als aufwendig und teuer. Letzteres gilt insbesondere dann, wenn man auf externe

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Studien, die von gewerblichen Beratungs- und Forschungsunternehmen verfasst worden sind, zurückgreifen möchte. Allerdings gibt es auch einige Möglichkeiten, diese Hürden zu überwinden. Zu den unternehmensinternen Quellen gehören insbesondere die individuellen internen Unternehmensdaten. Dazu zählen Daten aus dem Rechnungswesen, der Absatzstatistik, den Außendienstberichten sowie den Kundendateien. Gängige Informationsquellen sind dabei zum Beispiel Vertriebsstatistiken, Besuchsberichte von Kunden und Wettbewerbern oder von Tagungen und Messen, Reklamationsstatistiken sowie Daten aus eigenen Marktanalysen, Adressdateien über Kunden und Interessenten oder auch persönliche Erfahrungen der Mitarbeiter, Handelsvertreter und Absatzhelfer. Unternehmensexterne Quellen sind über amtliche Statistiken, Publikationen der Verbände, Publikationen von wirtschaftswissenschaftlichen Instituten, Informationen aus dem fachlichem Schrifttum, Informationen von Kreditinstituten, Adressverlagen, Auskunfteien oder Informationen von internationalen Organisationen sowie über externe Datenbanken zu erhalten (vgl. Kohlert 2003, S. 43). Daneben bietet sich die klassische Informationsbeschaffung an. Dazu zählen Zeitungen, Zeitschriften oder sonstige Publikationen, Radio und TV. Eine wahre Fundgrube relevanter Informationen stellt zudem der Geschäftsbericht dar. Wie man sieht, sind bei der Gewinnung von Informationen der Kreativität prinzipiell keine Grenzen gesetzt, wobei natürlich rechtliche Rahmenbedingungen insbesondere bei der Gewinnung von Wettbewerbsinformationen zu berücksichtigen sind. Natürlich bietet gerade auch das Internet eine ganze Reihe von Möglichkeiten zur Gewinnung aktueller und ausführlicher Informationen. Informationen über Rechtssysteme fremder Länder, Marktvolumina, Wachstumsprognosen, Nachfragetendenzen und Kontaktanschriften von Behörden und Unternehmen können über das Internet angefordert oder direkt eingesehen werden. Grundsätzlich können zwei Vorgehensweisen der Datengewinnung unterschieden werden: Zum einen besteht die Möglichkeit, Daten auf zahlreichen Seiten, Blogs, Plattformen und in sozialen Netzwerken selbst zu recherchieren. Ein Blick auf die Website liefert meist schon viele wertvolle Informationen zum Unternehmen. Neben Kontaktdaten, der Firmenphilosophie oder dem Produktangebot erhält der Besucher zum Beispiel auch Informationen zu Firmenkunden und Geschäftspartnern. Sofern es die Website hergibt, liefern auch Pressemeldungen Wissenswertes über Neuigkeiten und Erfolge des entsprechenden Unternehmens. Somit ermöglicht es die Firmenwebsite, sich einen ersten Eindruck über das jeweilige Unternehmen zu verschaffen bzw. etwaige Veränderungen jederzeit zu beobachten und entsprechend zu verarbeiten. Für die Gewinnung weiterer Informationen stehen neben der Online-Fachpresse oder gebührenfreien Online-Datenbanken zahlreiche Suchmaschinen zur Verfügung. Die wohl bekannteste Suchmaschine Google bietet zusätzlich zum einfachen Zugriff auf unzählige Webseiten viele Funktionen, die dabei helfen, die Suche genau zu spezifizieren. Mit Google Alerts gehört das „Dauergoogeln“ der Vergangenheit an, denn dieses Tool versendet automatisierte E-Mails, sobald Neuigkeiten zum ausgewählten Suchbegriff im Web erscheinen. Soziale Netzwerke wie Facebook oder XING erleichtern nicht nur die Kontakt- und Kundensuche erheblich, sie ermöglichen es zudem, wichtige Informationen über ein Unternehmen zu erhalten.

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XING ist mit mehr als elf Millionen Mitgliedern die führende deutschsprachige Business-Networking-Plattform. Bestenfalls befindet sich unter den Mitgliedern nicht nur das entsprechende Unternehmen, sondern auch den (potenziellen) Geschäftspartner, so dass man sich bereits vor dem (ersten) Kundenkontakt ein Bild von seinem Gegenüber machen kann. Solche Profile ermöglichen neben Angaben zur Position im Unternehmen, Ausbildung und Berufserfahrung auch den Zugang zu Informationen wie persönliche Interessen. 3.3.

Interaktion

Was man darf und was man lassen sollte Hierbei geht es um das Herz des Vertriebs: die konkrete Akquisition von Kunden durch aktive Kontaktaufnahme. Der Begriff Kundenakquise beschreibt jegliche Maßnahmen, die der Neukundengewinnung dienen und sich direkt an einen potenziellen Kunden wenden. Während sich Printanzeigen, TV- oder Radiospots i.d.R. an eine große Zahl anonymer Marktteilnehmer richten, werden mit der Kundenakquise Personen gezielt und persönlich angesprochen. Ist von der Ansprache die Rede, sollte diese in zwei Vorgehensweisen differenziert werden: die Kalt- und die Warmakquise (vgl. Gloszeit 2009, S. 6ff.). Als Kaltakquise wird die Erstansprache eines potenziellen Kunden bezeichnet, zu dem bisher keinerlei Geschäftsbeziehungen bestehen. Insbesondere durch ungebetene werbliche Anrufe bei Privatpersonen gelangte die Kaltakquise zu ihrem zweifelhaften Ruf. Sie wurde im Jahr 2009 durch das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) verboten. Solche Anrufe dürfen seither nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Adressaten erfolgen. Die Warmakquise ist als die grundsätzlich effektivere Vorgehensweise anzusehen, da sie sich über verschiedenste Kanäle an bekannte Bezugsstellen des Unternehmens, wie etwa Ansprechpartner aus Mitgliedschaften, Verbundgruppen, Kooperationspartnern etc. richtet. Somit ist davon auszugehen, dass auf eine gewisse „Beziehung“ aufgebaut werden kann, wodurch sich Vertrauen sehr viel leichter in Erinnerung rufen oder generell aufbauen lässt (vgl. Hartwig et al. 2007, S. 24ff.). Insbesondere vor dem Hintergrund der Gesetzesänderung im Bereich der Kaltakquise (Stichwort „Opt-In“) ist von einer zunehmenden Bedeutung der persönlichen Repräsentierung des Unternehmens etwa durch die Präsenz auf Fachmessen zu rechnen. Lösungsorientierte Kommunikation und Körpersignale Ein weiterer Einflussfaktor auf den Vertriebserfolg ist die Denk- bzw. Kommunikationsweise, die im Umgang mit den Kunden gepflegt wird. Eine positive Grundeinstellung gegenüber den zu lösenden Problemen der Kunden ist häufig mit einer lösungsorientierten Kommunikation verbunden. Demnach gibt es auch anders herum einen Zusammenhang zwischen dem reflexartigen negativen Denken und der dadurch gehemmten Lösungsfindung (Sprichwort: „Wer Probleme vor Augen hat, wird keine Lösungen sehen können“). Neben der grundlegenden positiven

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Denkhaltung ist es daher wichtig, weniger das zu lösende Problem zu thematisieren, sondern viel mehr die angebotene Problemlösung zu betonen. Was zu selten im Rahmen der deutschen Hochschulausbildung gelehrt wird, erweist sich später in der Praxis als entscheidende Erfolgsgröße: die Kenntnis der Rahmenbedingungen der zwischenmenschlichen Kommunikation. Der Sender übermittelt eine Nachricht an den Empfänger. Mehr oder weniger verschlüsselt sollten die Informationen am Ende verständlich im Dialog ausgetauscht worden sein. Da die Kommunikation im Vertrieb zumeist sehr zielgerichtet ist – schließlich soll nämlich zu einem Geschäftsabschluss kommen – ist es wichtig zu beachten, dass jede Kommunikation von nicht-inhaltlichen Parametern beeinflusst wird. Im Zusammenspiel nonverbaler Zeichen und Signale von beiden Gesprächspartnern haben auch externe Störfaktoren ihren Einfluss auf das Gesprächsergebnis. In der Interaktion des Erstkontakts mit Kunden, sei es am Telefon, per Email oder klassisch im Verkaufsgespräch, sind je nach Relevanz der Kommunikationsart die Rahmenbedingungen der Kontaktaufnahme zu beachten. Dazu zählt etwa die Kommunikationsumgebung. Bestimmt der Kunde beispielsweise den Ort für ein Verkaufsgespräch, sollte man es nicht dem Zufall überlassen, ob man sein Verkaufsgespräch in einem fensterlosen Raum mit kaltem Licht und einem Flipchart, oder eben in einem lichtdurchfluteten Konferenzraum mit Beamer durchführt. Daher muss der Verkäufer im Vorfeld des Gesprächs sowohl die Räumlichkeit als auch die technische Ausstattung erfragen. Sollte das Verkaufsgespräch trotz aller Bemühungen in einer kalten und kommunikationsunfreundlichen Umgebung stattfinden, bleiben dem Verkäufer letztendlich nur der Auftritt und der Gesprächseinstieg, um eine positive Atmosphäre zu schaffen. Wichtig ist, dem Gesprächspartner Zeit zu geben, sich auf das Verkaufsgespräch einzustimmen. Dieses Warmup (Smalltalk) sollte jedoch vom Verkäufer gesteuert werden. Sind Interessen oder besondere Leistungen des Gegenübers bekannt, lässt sich das Verkaufsgespräch im weiteren Verlauf leichter steuern. Konnten bisher jedoch wenig persönliche Informationen über den potenziellen Kundenvertreter gesammelt werden, kann man sich an seiner Büroeinrichtung orientieren: Auszeichnungen, Automobilkalender, Pokale, Bilder, Zeichnungen oder ähnliche Dekorationsgegenstände bieten die Möglichkeit, ein Gespräch einklingen zu lassen. Nicht zu unterschätzen ist das Einhalten von Regeln der Etikette. Gute Umgangsformen und Höflichkeit sollten eine Selbstverständlichkeit sein. Schon in wenigen Sekunden machen Menschen sich ein Bild ihres Gegenübers. Dabei entsteht, laut der Studie des amerikanischen Psychologen Albert Mehrabian aus dem Jahr 1971, der Ersteindruck zu 93% aus dem Zusammenspiel von Mimik, Gestik und Habitus. Die sprachlich-inhaltliche Komponente geht mit 7% völlig unter. Insofern sollte man sich stets bewusst sein, dass man aufgrund seines Verhaltens und Auftretens in Schubladen gesteckt werden kann. Kunden übertragen unter Umständen unterbewusst negative Einstellungen auf die Vertrauenswürdigkeit, die Qualität der Produkte oder die Professionalität des Unternehmens. Aus einer Studie der Pawlik Sales Consultants AG aus dem Jahr 2011 ergeben sich signifikante Zusammenhänge zwischen dem Auftreten von Verkäufern im B2BBereich und ihren Verkaufserfolgen (pawlik.de). Dabei ist natürlich zu beachten, dass der perfekte Eindruck kein Erfolgsgarant sein kann, er begünstigt jedoch eine positivere Grundeinstellung des Kunden gegenüber Ihren Angeboten. Die Ergebnisse der Studie besagen, dass ein konservatives, in sich stimmiges

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Kleidungskonzept (Anzug, Hemd, Krawatte und Accessoires wie Uhren oder Manschettenknöpfe) mehr aussagt als die Summe seiner Teile. Es empfiehlt sich daher, die Mitarbeiter der Vertriebsabteilung hinsichtlich ihres Auftrittes zu schulen. Auch in speziellen kommunikativen Situationen wie etwa Geschäftsessen oder Incentives, sollte jeder Verkäufer die nötigen Grundlagen der Businessetikette beherrschen. Die folgende Checkliste wirft beispielhaft Fragen auf, die im Rahmen der Interaktionsplanung mit den Kunden beantwortet werden müssen: ˆ Werden die gesetzlichen Rahmenbedingungen („Opt-In“) in der Kommunikation berücksichtigt? ˆ Wurden kundenspezifischen kulturellen Besonderheiten berücksichtigt? ˆ Sind alle Informationen über den Gesprächspartner und sein Unternehmen aufbereitet? ˆ Sind mögliche verkaufsfördernde Anreize gemäß der Vertriebsstrategie abgestimmt und freigegeben? ˆ Liegen alle benötigten Informationen über die Räumlichkeiten und die technische Ausstattung des Gesprächsortes vor? ˆ Wurde das persönliche Erscheinungsbild bedacht? ˆ Liegen Informationen vor, die einen Gesprächseinstieg erleichtern (Smalltalk)? ˆ Wurden die Do’s & Dont’s des Vertriebs verinnerlicht? 3.4.

Solution

Das Herzstück eines Angebots ist die kundenorientierte Nutzenargumentation, der sog. „reason-to-buy“. Ziel dieser Argumentation ist es, den Kunden von der Problemlösungskompetenz eines Anbieters und somit von seinen Produkten zu überzeugen. Um dies zu erreichen, müssen die Gründe angeführt werden, die die Kunden in ihrer Entscheidungsphase positiv beeinflussen. Diese können vielseitig sein und ergeben sich häufig aus der Interpretation der vorab gewonnenen Daten. Viele Unternehmer betrachten ihre Produkte in ihrer rein materiellen Form, quasi als technische Spezifikation. Im Sinne des Marketing ist aber ein Produkt als nichts anderes als die Materialisierung des Kundennutzens zu verstehen. In der Praxis von Verkäuferschulungen wird in diesem Zusammenhang gern das Beispiel angeführt, Kunden wollten keine Bohrmaschinen, sondern ein Loch in der Wand. Insofern muss sich der Vertrieb darüber bewusst sein, dass eine Verkaufsargumentation auf Ebene der Produkteigenschaften nicht ausreicht, wenn man Kunden zu einem Kauf bewegen will. Machen Sie Ihren Kunden zum HERO Ein Leitfaden zur Identifikation des herauszustellenden Kundennutzens stellt das vom Verfasser konzipierte HERO-Modell dar. Es geht darum, die einzelnen Nutzenkategorien zu systematisieren und somit eine Grundlage für die Verkaufsargumentation und Nutzenkommunikation zu schaffen. HERO ist ein

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Akronym und stellt mit seinen einzelnen Dimensionen die wesentlichen Kaufmotive heraus, die den Kunden in seinem Entscheidungsprozess maßgeblich beeinflussen: Happiness steht für die Fokussierung auf die Befriedigung von Bedürfnissen, die mit Spaß, Unterhaltung und Freude zu tun haben. Viele Anbieter von Reise- und Freizeiteinrichtungen sprechen gezielt diese Bedürfnisdimension an. Auch ein deutscher Automobilhersteller macht sich dieses Thema als Bestandteil seines Werbeclaims zu eigen. Economy steht für die Konzentration auf die ökonomischen Ziele eines Kunden. Hier wird herausgestellt, wie man Geld und Zeit sparen oder sein Kapital vermehren kann. Häufig finden sich entsprechende Anwendungen bei Finanzdienstleistern. Die Wahrnehmung der Kompetenz und Sicherheit aus Sicht der Kunden wird als Relaxation bezeichnet. Hier werden Nutzenversprechen abgegeben, die den Kunden ein Gefühl von Verlässichkeit, Ruhe, Geborgenheit und „peace of mind“ vermitteln. Outstanding steht für den Ruf und die Reputation eines Anbieters Unternehmens. Referenzen werten das Image auf, was sich positiv auf den Verkaufserfolg auswirken kann. Das HERO-Modell lässt sich somit optimal auf die einzelnen Phasen der Angebotserstellung anwenden. Es ist insbesondere dann zur Individualisierung der Produkte und Leistungen geeignet, sofern man vorab die Probleme und Vorstellungen der Kunden identifizieren konnte. Kunde ist nicht gleich Kunde Nicht alle potenziellen Kunden sind gleichartig einzustufen. Je nach beruflicher Position und Funktion im Unternehmen nehmen sie unterschiedliche Rollen ein, was im Buying-Centre-Modell zum Ausdruck kommt (vgl. Webster/Wind 1972). Als Vertriebsmitarbeiter trifft man bei Gesprächen häufig auf Personen, die die Position eines Einkäufers oder insbesondere bei kleineren Unternehmen, des Geschäftsführers, innehaben. Bei einer Angebotserstellung sowie der anschließenden Präsentation muss man sich in die Rolle des Ansprechpartners hineinversetzen, um so dessen Prioritäten besser zu erkennen. Der Einkäufer eines Unternehmens orientiert sich beispielsweise häufig an dem Preis des Angebotes, dessen Finanzierungsmöglichkeiten sowie der Lieferzeit. Demzufolge werden ihn Argumente zugunsten der Leistungsmerkmale oder der technischen Ausstattung bei Erstellung der „Solution“ weniger ansprechen. Nach einem vom Verfasser modifizierten Ansatz von Webster/Wind lassen sich grundsätzlich die verschiedenen Personen und deren Rollen und Aufgaben innerhalb eines Unternehmens in drei Kategorien unterteilen. Unter die erste Kategorie fallen alle Verwender des Produktes, also wie hier in unserem Fall der Benutzer eines Produktes. Hinzu kommen Wartungsarbeiter, Ingenieure und andere Personen, die im direkten Kontakt mit einem Investitionsgut stehen. Zusammengefasst wird diese Gruppe daher unter dem Begriff Technician. Wenn man mit dieser Gruppe in der Rolle des Vertriebsmitarbeiters interagiert, ist es ratsam, die Argumentation über den Produktnutzen und der damit verbundenen „Solution“ auf eine eher technische Ebene zu konzentrieren. Zu der zweiten Kategorie zählen jene Kunden, die einen direkten Einfluss auf die Handlungsweise anderer Entscheidungsträger innerhalb des Kundenunternehmens ausüben. Hierbei kann es sich sowohl um Mitarbeiter selbst handeln, beispielsweise die Assistenten der jeweiligen Entscheidungsträger, welche

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Informationen und Alternativmöglichkeiten zum eigenen Angebot filtern und so die Entscheidungen der jeweiligen Person beeinflussen können. Auch im externen Umfeld des Kunden können solche Personen ausgemacht werden, seien es Aktionäre, welche Entscheidungen blockieren können, oder aber Sachexperten, durch die sich ein Kunde in bestimmen Situationen beraten lässt. Zusammengefasst lässt sich als Oberbegriff für diese Kategorie der Begriff Influencer definieren. Als Mitarbeiter im Vertrieb eines Unternehmens wird man allerdings am häufigsten mit Personen aus der dritten Kategorie zu tun haben. Hier lassen sich alle Personen einordnen, die sich bei dem Vergleich aller Alternativen überwiegend an dem Kosten/Leistungsverhältnis orientieren werden. Hierzu zählen unter anderem der Einkäufer, der Buchhalter sowie der Geschäftsführer. Alle Akteure, die unter diese Kategorie fallen, werden allgemein mit den Begriffen Manager / Money bezeichnet. Somit haben wir die entscheidenden Personen und deren Rollen innerhalb eines Unternehmens kennengelernt. Technician, Influcencer und Manager / Money spiegeln sich in dem Kurzbegriff TIM wieder, wodurch sie leicht zu merken sind. Kundennutzen statt Produktmerkmale verkaufen Den Mehrwert eines Angebotes und den damit verbundenen Nutzen kann den Kunden durch das Anwenden der praxistauglichen FAB-Regel vermittelt werden. Kein Kunde ist erpicht auf eine endlos lange Aneinanderreihung von technischen Daten und irrelevanten Produkteigenschaften. Der Kunde wird sich nach gegebener Zeit sagen: „Ja, alles ganz nett, aber was habe ich davon?“ Wird dem Kunden diese Frage nicht beantwortet, wird er dazu neigen, das Interesse an der Verkaufspräsentation zu verlieren. Betont werden sollten die Vorteile eines Produktes, nicht seine Eigenschaften. In der Angebotspräsentation muss es darum gehen, dem Kunden den Mehrwert zu vermitteln. Eine probate Möglichkeit, diesen Mehrwert zu vermitteln, ist die FAB-Regel. Dabei geht es darum, von den Produkteigenschaften (Features) ausgehend, die Vorteile (Advantages) und den damit verbundenen Nutzen (Benefit) für die Kunden herzuleiten. Diese Regel lässt sich mühelos in Verkaufsgesprächen anwenden. Oftmals liegt es lediglich an der gewählten Formulierung, um das Verkaufsgespräch kundenorientierter und somit erfolgversprechender zu gestalten. Vermeiden sollte man Aussagen wie „Unser Produkt arbeitet vollautomatisch.“ Stattdessen empfehlen sich Formulierungen wie: „Durch den Einsatz unserer Produkte sparen Sie Zeit und Geld.“ Abschließend sollen einige Fragen als Checkliste für wichtige Aspekte im Rahmen der Nutzenargumentation aufgelistet werden: ˆ Die Produkt- und Nutzenargumentation ist für den Kunden eindeutig und verständlich. ˆ Die für die Kunden und ihre Branche relevanten Komponenten des Angebotes wurden identifiziert. ˆ Die in der Preis- und Kostenkalkulation aufgeführten Leistungen sind transparent und vollständig. ˆ Alle relevanten Ansprechpartner beim Kunden und deren Rolle wurden identifiziert.

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ˆ Alle relevanten organisatorischen Prozesse in Vorbereitung auf das Treffen mit dem Kunden und der anschließenden Präsentation des Angebots wurden koordiniert. ˆ Die Argumentationskette der FAB-Regel wird umgesetzt. 3.5.

Commitment

Einwände bestätigen vorhandenes Interesse Es ist üblich, dass professionelle Einkäufer Einwände gegen ein Angebot vortragen. Einwände des Kunden werden vom unerfahrenen Verkäufer oftmals als stark negativ aufgefasst und führen dazu, dass auch das Handeln des Verkäufers in einer solchen Situation stark negativ ausgerichtet ist. Hier liegt das grundlegende Verständnisproblem, denn der Einwand des Kunden muss unbedingt positiv aufgefasst werden. Dies erklärt sich dahingehend, dass der Kunde nur dann ernstzunehmende Einwände äußert, wenn ein ernsthaftes Interesse am Produkt besteht. Einwände werden auch ausgesprochen, wenn Unsicherheit und Unwissen den Kunden vom sofortigen Kauf abhalten und er noch weitere Produktinformationen wünscht. Reagiert der Verkäufer auf diese Einwände positiv, spiegelt sich das in seiner Haltung wider, und eine positive Ausgangssituation für ein Verkaufsgespräch ist gegeben. Sicherlich lehnen viele Kunden zu Beginn der Verhandlung das Produkt oder die Dienstleistung ab. Allerdings bedeutet das nicht, dass kein Interesse seitens des Kunden besteht. Die häufigsten Formen des Einwands sind: ƒ Keine Zeit! Hinweis: Zeitproblem sollte vom Verkäufer akzeptiert werden, doch er sollte sich nicht abwimmeln lassen. Stattdessen sollte der Nutzen der Investition in die Zeit mit dem damit verbundnen Erfolg aufgezeigt werden. ƒ Zu teuer! Hinweis: Vorschnelle Rabattgewährung macht den Eindruck, dass die Qualität nicht stimmt. Stattdessen sind der Mehrwert und wirtschaftliche Vorteile hervorzuheben. ƒ Kein Interesse! Hinweis: Der Verkäufer muss versuchen, die wahren Gründe zu hinterfragen, die diesen vorgestellten Einwand aufzeigen und diese in enen Wunsch umwandeln. ƒ Schlechte Konjunktur! Hinweis: Stattdessen sollten die wirtschaftlichen Vorteile des Produktes in der Krise aufgezeigt werden. ƒ Angst vor Veränderung! Hinweis: Beweise für die Zuverlässigkeit des neuen Produktes anbieten, zum Beispiel Referenzen und Erfahrungen. Die Körpersprache sendet Signale der Kaufbereitschaft Ein routinierter Verkäufer merkt, wann der Zeitpunkt eintritt, in dem der Kunde bereit erscheint, den Kauf abzuschließen. Das Mittel zum Zweck in diesem Fall findet sich im Lesen der Kaufsignale. Der Kunde wird bei ernsthafter Kaufabsicht seine Gedanken durch seine Körperhaltung und seine Körpersprache verraten und somit den Weg ebnen, um zum Vertragsabschluss zu kommen. Ausgesprochene Fragen sind erkennbar durch Satzanfänge wie „Geht es, dass...“, „Besteht eine

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Möglichkeit...“ oder „Darf man...”. Diese Fragen sind in der Phase der Auftragserteilung ein eindeutiges Signal für den Verkäufer. Es bedeutet sehr häufig, dass der Kunde kaufbereit ist. Kunden nutzen unbewusst auch andere Signalformen, welche unter „Reaktion vom Kunden“ gruppiert sind. Diese Signale können Bewegungen mit Händen und Armen sein, Kopfnicken und natürlich alle möglichen Gesichtsausdrücke. Abschlusstechniken gezielt einsetzen Der Abschluss ist die Phase, in der ein Verkäufer erkennt, wie erfolgreich er zuvor sein Verkaufsgespräch geführt hat. Häufig begleitet den Kunden ein mehr oder weniger unsicheres Gefühl beim Vertragsabschluss. In solchen Fällen, kann ein noch zögernder Käufer zu einem Entschluss bewegt werden, indem der Verkäufer ihn bei seiner Entscheidung unterstützt, ohne dass dieser sich gedrängt fühlt. Dabei ist die persönliche Einstellung des Verkäufers sehr wichtig, da indirekt der Kunde durch diese beeinflusst wird. Es gibt eine Reihe von praxiserprobten Techniken, von denen einige hier kurz skizziert werden. Bei der Alternativtechnik bietet der Verkäufer dem Kunden zwei oder mehrere verschiedene Auswahlmöglichkeiten an, zwischen denen sich der Kunde entscheiden kann. Der Versuch besteht nun darin, die Fragen so zu formulieren, dass der Kunde unbewusst durch die Wahl einer der Optionen dem Angebot zustimmt (vgl. Bänsch 2006, S. 90). Das Ziel der Wenn-Technik ist es, den Kunden ohne direkten Zwang zu einer Entscheidung zu bewegen. Der Verkäufer versucht, durch gezielte Fragestellungen den Käufer zur Festlegung einzelner Produktmerkmale zu bringen. Die Summe der vom Käufer festgelegten Merkmale führt das Verkaufsgespräch kontinuierlich in Richtung eines positiven Abschlusses, ohne dass dies für ihn direkt ersichtlich wird. Bei der Technik der ungewollten Herausforderung provoziert der Verkäufer eine Reaktion, die zu Aussagen des Kunden führt. Er unterstellt dabei trotz vorangegangener Signale eine aufgezwungene Meinung, die zu einer spontanen Reaktion des Kunden führt. Nun kann nun der Verkäufer zustimmend auf die Reaktion des Kunden eingehen. Für den Verkäufer ist es leicht, unabhängig davon, wie die Reaktion des Kunden ausfällt, auf seine Wünsche einzugehen und auf den Abschluss des Vertrages hinzuarbeiten (vgl. Bänsch 2006, S. 91). Bei der Aktivtechnik handelt es sich um Handlungen des Kunden, die zu einem endgültigen Entschluss beisteuern. Der Kunde wird selbst aktiv und beschäftigt sich mit Einzelheiten. Beispiel: Verkäufer: „Würden Sie sich das Produkt gern einmal vor Ort näher anschauen?“ Kunde: „Ja, natürlich. Sehr gern.“ Währenddessen steht der Verkäufer auf und macht Andeutungen zu gehen. Häufig bewegt sich der Kunde ebenfalls und wird zur aktiven Handlung herausgefordert. Wenn sich der Kunde aktiv mit den Anforderungen des Produktes auseinandersetzt und die speziellen Details erörtert werden, rückt der Abschluss sehr nah. Wenngleich viele Abschlusstechniken in der Praxis gut funktionieren, so muss man dennoch wissen, dass dies nicht notwendigerweise automatisch so ist. Man darf nie aus den Augen verlieren, dass der Gesprächspartner auch ein routinierter Profi ist, der mit sämtlichen Methoden und „Tricks“ vertraut ist. Grundsätzlich ist dies eine ideale Voraussetzung für ein erfolgreiches Verkaufsgespräch, da alle beteiligten Partner die Spielregeln kennen. Der Verkäufer muss sich bei aller rhetorischer Kunst

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bewusst sein, dass er nie die wichtigsten Attitüden eines guten Verkäufers aus den Augen verlieren darf: Ehrlichkeit, Authentizität, Kompetenz und Problemorientierung. 3.6.

Ongoing Business

Innerhalb dieses letzten Kapitels des Sequenzmodells DISCO sollen abschließend folgende vier Fragen thematisiert werden: ƒ Kundenbindung: Wie macht man aus „Customers“ loyale Kunden? ƒ Up-Selling und Cross-Selling: Wie kann man Kunden zu einem „Mehrkauf“ anregen? ƒ Kundenrückgewinnung: Wie kann man die Abwanderung von Kunden verhindern? Kundenbeziehungen müssen gepflegt werden Das Relationship-Marketing ist Ausdruck eines Umdenkens auf der Ebene der Kundenbeziehungen. Wo früher das klassische Transaktionsmarketing vorherrschte, in dem kurzfristig auf einzelne Kauf-Transaktionen abgezielt wurde, tritt nun das Relationship Marketing mit der Fokussierung auf die Geschäftsbeziehung zwischen Kunde und Unternehmen. Die langfristige ertragreiche Partnerschaft tritt in den Vordergrund. Dieser Paradigmenwechsel beruht auf der Erkenntnis, dass Umsatz und Gewinn sich gleichwohl über bereits existierende Kundenbeziehungen erhöhen lassen und dass sich die Akquise neuer Kunden deutlich kostenintensiver gestaltet als die Erhaltung und Pflege eines bestehenden Kundenverhältnisses (vgl. Schneider 2008, S. 2). Nach Bruhn gibt es dabei verschiedene Arten der Kundenbindung mit jeweils unterschiedlichen Zielen (vgl. Bruhn 2012): Bei der technisch-funktionalen Kundenbindung gibt es bei dem Haupt- und Zusatznutzen einen funktionalen Zusammenhang. Dabei sind das Produkt und die Dienstleistung technisch verbunden und kann nur von einem bestimmten Anbieter ausgeführt werden. Der Kunde kauft diese nicht als Gesamtpaket, sondern durch Erweiterungen und Folgekäufe. Bei der ökonomischen Kundenbindung hält der Kunde dem Anbieter aus wirtschaftlichen oder subjektiven Gründen die Treue, da ein Wechsel für den Kunden mit hohem Aufwand oder hohen Kosten verbunden ist. Bei der vertraglichen Kundenbindung bindet sich der Kunde durch rechtlich zwingende Vereinbarungen an den Anbieter. Als Gegensatz dazu beruht die emotionale Kundenbindung auf Freiwilligkeit des Kunden. Dieser bindet sich durch seine hohe Zufriedenheit freiwillig an ein Unternehmen und wählt dies bei einem Kauf bewusst aus. Um Kunden zu binden und sie zu Fans zu machen, müssen diese gezielt angesprochen werden. Dabei konzentriert sich die Kommunikation auf einen kontinuierlichen Dialog, der mit Instrumenten wie Mailings, Kundenkarten, Kundenzeitungen, Social Media (Twitter, Facebook, Youtube) und Events geführt werden sollte.

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Mit den Kunden wachsen Profitabler Umsatz zählt in vielen Unternehmen als wichtigstes betriebswirtschaftliches Ziel. Dieses kann durch die Gewinnung von Neukunden oder über die Intensivierung der Geschäftsbeziehungen mit den Bestandskunden erreicht werden. Beim Cross-Selling geht es darum, dem Kunden durch den Verkauf von branchenverwandten Produkten ein breiteres Produktportfolio zu bieten und gleichzeitig den eigenen Umsatz zu steigern. Wenn der Kunde mit dem Hauptprodukt zufrieden ist, bringt er dem Anbieter Vertrauen entgegen. Dadurch ist die Grundlage für den Verkauf eines erweiterten Sortimentes gelegt. Cross-Selling ist dabei auch ein Instrument zur Kundenbindung. Dabei muss das Zusatzprodukt jedoch einen echten Mehrwert für den Kunden bieten. Cross-Selling beschränkt sich heutzutage nicht mehr nur auf Produkte aus der eigenen Branche, sondern geht deutlich darüber hinaus. So entstehen weltweit neue Firmenallianzen. Ehemalige Kunden reaktivieren Neben Kundenbindungsprogrammen müssen im Rahmen der Kundenpflege die Kundenrückgewinnung nach Abbruch der Geschäftsbeziehungen und die Vermeidung der Abwanderung (bzw. des Anbieterwechsels) geplant werden. Diese müssen essenzielle Bestandteile in einer CRM-Strategie sein. Die Effekte von abwandernden Kunden können sich in einem oder mehreren der folgenden Punkte negativ auswirken: ƒ Verminderung der derzeitigen und potenziellen Umsätze und Gewinne, ƒ erhöhte Akquisitionskosten, um abgewanderte Kunden zu ersetzen, ƒ negative Mund-zu-Mund-Propaganda über das Unternehmen. Ziele in der Kundenrückgewinnung sollten daher die Vermeidung von Mängeln im Leistungsangebot und damit die kontinuierliche Verbesserung des Leistungsstandards sowie die Kommunikation der Kundenorientierung sein. Um die Aktionen in der Kundenrückgewinnung typgerecht planen zu können, muss sich das Unternehmen mit Hilfe einer Kündigungsgrundanalyse über die Beweggründe der abwandernden Kunden bewusst werden. Es bestehen sehr unterschiedliche Abwanderungsgründe, die demnach auch verschieden bearbeitet werden müssen. Der Begriff „Churn Management“ hat sich als Wortschöpfung in den vergangenen Jahren im Bereich des Beschwerde- und Kundenrückgewinnungsmanagements etabliert. Churn ist eine Zusammensetzung aus den englischen Wörtern „Change“ und „Turn“ und verdeutlicht so die Maßnahmen in der Kundenrückgewinnung mittels Anstrengungen in Veränderung und Umkehr der Kundenmeinung zur Verhinderung der Abwanderung. Churn Management wird zumeist in Branchen mit einer vertraglichen Kundenbindung eingesetzt, bei denen der Kunde nach Vertragsablauf das Anbieterunternehmen austauschen kann. Ziel des Churn Managements ist die rechtzeitige Ansprache des Kunden und die Ergreifung von Maßnahmen zur Änderung der Wechselabsicht. Der Bereich des Churn Managements bildet damit einen Teilbereich der vielfältigen Möglichkeiten in der Kundenrückgewinnung ab.

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Zusammenfassend werden wichtige Fragen zur Sequenz Ongoing Business als Fragenkatalog zusammengefasst: ˆ Zur Überprüfung der Kundenbindung werden die Kundenzufriedenheit, Vorhaben zu Wiederkauf, Cross-Buying und Weiterempfehlung erhoben. ˆ Eine kontinuierliche Aufnahme aller Kundendaten dient als Informationspool für Kundengespräche. ˆ Beschwerdannahme durch Kunden und Bereitstellung der Infrastruktur zur reibungslosen Bearbeitung dieser erfolgen im Rahmen eines Beschwerdemanagements systematisch. ˆ Kundendaten werden nicht nur gesammelt und verwaltet, sondern aktiv genutzt und ausgewertet. ˆ Es wird ein Kundendialog, nicht ein Kundenmonolog, geführt.

4.

Ausblick

Mit diesem Beitrag soll ein Einblick in die vielfältigen Planungs- und Gestaltungsmöglichkeiten des Vertriebs gegeben werden. Der Facettenreichtum der Thematik zeigt, dass in Zukunft weiterer Forschungs- und vor allem auch Lehrbedarf besteht. Das Thema Vertrieb/Verkauf wird sich von einer rein verkaufspsychologischen Dominanz lösen und hin zu einer ganzheitlichen betriebswirtschaftlichinterdisziplinären Thematik entwickeln müssen. In diesem Zusammenhang spricht jedoch nichts dagegen, theoretische Denkmuster, Theorien und Modelle anwenderfreundlich auszugestalten, indem sie in „griffige“ Faustregeln übersetzt werden. Studierenden eröffnet sich ein Berufsfeld, dem sie bislang eher eine untergeordnete Bedeutung beigemessen haben. Mitarbeiter von Unternehmen werden feststellen, dass sich rasch Erfolge im Verkauf erzielen lassen, wenn sie die vorgestellten Ansätze auf ihre betriebliche Situation übertragen und einsetzen.

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Quellen und weiterführende Literatur Bänsch, A.: Verkaufspsychologie und Verkaufstechnik, 8. Auflage, München 2006. Bruhn, M.: Marketing: Grundlagen für Studium und Praxis, Heidelberg 2012. Colley, R.H.: Defining Advertising Goals for Measured Advertising Results, New York 1991. Diller, H. (Hrsg.): Vahlens großes Marketing Lexikon, München, 1992. Gloszeit, H.; Natusch, C.: Kundenakquise. 2. Aufl., Freiburg 2009. Goldmann: H.M.: Wie man Kunden gewinnt, Essen 1986. Hanfstein, W.: Unternehmensführung für den Mittelstand, Stuttgart 2012. Hartwig, T.; Maser, E.: Kundenakquise, Heidelberg 2007. Hofbauer, G.; Hellwig, C.: Professionelles Vertriebsmanagement, 2. Aufl., Erlangen 2009. Homburg, C.; Schäfer, H.: Sales Excellence: Vertriebsmanagement mit System, Heidelberg 2012. Kohlert, H.: Marketing für Ingenieure, München 2003. Küpper, H.U.: Erfolgsfaktoren mittelständischer Unternehmen, in: Pleitner, H.J. (Hrsg.): Strukturen und Strategien in Klein- und Mittelunternehmen als Wegbereiter des Aufschwungs, St. Gallen 1994, S. 115-124. Lewis, E.: Catch-Line and Argument, in: The Book-Keeper, Vol. 15, Feb. 1903. Schneider, M.: Marketing Engineering, Heidelberg 2003. Schneider, W.: Profitable Kundenorientierung durch Customer Relationship Management (CRM), München 2008 Simmet, H.: Revolution im Marketing für kleine und mittelständische Unternehmen: Social, Local, Mobile als Erfolgsfaktor, gelesen auf hsimmet.com (Zugriff am 28.1.2013). Webster, F.E.; Wind, Y.: Organizational Buying Behaviour, Englewood Cliffs, NJ, 1972. Wegmann, J.: Betriebswirtschaftslehre mittelständischer Unternehmen, München 2006.

XIV. Marketing und Werbung Ingomar Kloss 1.

Einleitung

Als grundlegender Unterschied zwischen kleinen und großen Unternehmen ist die Verfügbarkeit von Ressourcen anzusehen, vor allem in personeller und finanzieller Hinsicht. Als Folge davon lässt sich mit einiger Berechtigung eine deutlich höhere Marketingprofessionalität von Großunternehmen annehmen, während nur etwa zehn Prozent der kleineren Unternehmen professionelles Marketing betreiben (vgl. Renker 2007, S. 12). Eigenständige Marketing- bzw. Werbeabteilungen sind in allen Großunternehmen etabliert, finden sich im Bereich der KMU hingegen nur ausnahmsweise. Bei zwei Dritteln der KMU fällt das Marketing in den Aufgabenbereich des Firmenchefs (vgl. Telegate 2011, Teil 1, S. 5). Allerdings bedeutet dies nicht automatisch, dass kleinere Unternehmen keine „Marktausrichtung“ haben, nicht auf Kunden und Wettbewerber orientiert sind. Im Gegenteil: Auch wenn Kleinst- und Kleinunternehmen keine Abteilungen haben, die die Bezeichnung „Marketing“ oder „Werbung“ tragen, so setzen sie doch ihr Marketing und ihre Werbung häufig sehr viel praxisnaher ein, auf jeden Fall aber persönlicher. Der unbestreitbare Vorteil von KMU gegenüber Großunternehmen liegt in ihrer deutlich ausgeprägteren Kundennähe. Während Großunternehmen i.d.R. managementgeführt sind, sind KMU fast immer auf die Person des Unternehmers zugeschnitten. Daher finden sich bei KMU meist auch andere Marketing- und Werbungsansätze als bei Großunternehmen. Nicht immer kann dies aber die Tatsache kompensieren, dass klare strategische Ausrichtungen in Marketing und Werbung bei KMU fehlen.

2.

Aufbauen von Vertrauen durch Marketing

In der Praxis hört man Mittelständler oft sagen, sie hätten gar kein Marketing-Mix, das einzige für sie relevante Instrument sei die Preispolitik. Begründet wird diese Aussage mit dem Hinweis auf die Praxis bei Ausschreibungen, nur jeweils das günstigste Angebot nehmen zu dürfen. Für die meisten Ausschreibungen trifft dies sicher zu, auch wenn die Erfahrung zeigt, dass der Ausschreibende immer auch einen Entscheidungsspielraum hat. Die Gefahr der Fixierung auf den Preis liegt jedoch in der Abwärtsspirale des Sich-Unterbietens, was unter Umständen zu nicht mehr kostendeckenden Angeboten führt. In Bezug auf den Endverbraucher zeigen jedoch Untersuchungen, dass für diesen der Preis nicht das kaufentscheidende Kriterium ist. Wichtigstes Kaufkriterium ist das Vertrauen in den Anbieter, gefolgt von der Qualitätserwartung, der Angebotspalette und dem Service. Erst an fünfter Stelle rangiert der Preis.

XIV. Marketing und Werbung

181

Für den Kleinunternehmer stellt sich somit die entscheidende Frage, wie er Vertrauen aufbauen kann. Dies ist ohne Marketing nicht möglich. Tatsächlich ist der Marketing-Mix für jedes Unternehmen die einzige Möglichkeit der unmittelbaren Einflussnahme auf den unternehmerischen Erfolg. Jede unternehmerische Tätigkeit zielt auf die Beeinflussung von ökonomischen Größen wie Gewinn, Umsatz, Absatz oder Marktanteil. Das Erreichen dieser Ziele hängt aber auch von Faktoren ab, die sich einer Beeinflussung entziehen. Wenn Kunden optimistischer in die Zukunft sehen, weil die Konjunktur stabil oder weil sie durch die Tarifabschlüsse mehr Geld zur Verfügung haben, ist die Ausgabenneigung häufig auch größer, als im umgekehrten Fall; Wechselkurse beeinflussen ex- und importabhängige Unternehmen. Unmittelbar wirkt aber auch jede Änderung im Marketing-Mix der Wettbewerber. Wenn diese also beispielsweise die Preise ändern oder neue Produkte einführen, erzwingt dies üblicherweise eine Reaktion. So gesehen ist der eigene MarketingMix die einzige Möglichkeit, das Unternehmen in eine wettbewerbsfähige Position gegen die nicht beeinflussbaren Faktoren zu bringen: Es lässt sich das Produkt/ die Leistung gestalten, die Art, wie es distribuiert wird, was es kostet und wie über das Angebot und das Unternehmen selbst kommuniziert wird (vgl. Darstellung 1). Darstellung 1: Beeinflussungsfaktoren des Unternehmenserfolgs

Quelle: Kloss: Werbung, 5. Aufl. 2011, S. 202.

Aber unabhängig davon, ob ein KMU nun aktiv Marketing betreibt oder nicht: Der Kunde macht sich auf jeden Fall ein Bild vom Unternehmen. Daher ist es naheliegend, dass dieses Bild nicht dem Zufall überlassen werden sollte, sondern vom Unternehmen aktiv zu gestalten ist. Jedes Unternehmen hinterlässt einen „Fußabdruck“ in der Öffentlichkeit: Erscheinungsbild und Lage des Gebäudes, Auftreten und Kompetenz der Mitarbeiter, Zuverlässigkeit, Qualität der Ausführung, das Meinungsbild von Dritten. Es gibt kein Nicht-Marketing! Der vielleicht größte Unterschied zwischen KMU und Großunternehmen liegt in der Tatsache, dass letztere aktiv an ihrem Erscheinungsbild in der Öffentlichkeit arbeiten, d.h. Marketing betreiben.

182

XIV. Marketing und Werbung

Marketing definiert sich von seinem Wortursprung her, als Ausrichtung des Unternehmens auf den Markt. Also auf Ausrichtung auf die (potenziellen) Kunden (= Zielgruppe) und gleichzeitig auf die Wettbewerber. Darstellung 2: Grundstruktur des Wettbewerbs

Quelle: Kloss, Werbung, 5. Aufl. 2011, S. 122.

Darstellung 2 zeigt, wie Märkte funktionieren. Für jeden Unternehmer ist Ausgangspunkt immer die eigene Marke bzw. das eigene Unternehmen. Marktausrichtung heißt nun nichts anderes, als das eigene Unternehmen in Beziehung zur Zielgruppe (Käufer) und den Wettbewerbern zu setzen. Der Käufer ist in der Situation, dass er zwischen einer mehr oder weniger großen Anzahl von Angeboten auswählen kann. Es entspricht der Käuferlogik, dasjenige Angebot zu wählen, das ihm am besten zusagt. Oder, um es in der Marketing-Fachsprache auszudrücken: Der Käufer wählt das Angebot, von der glaubt, dass es seinen Bedürfnissen am besten entspricht. Da die Angebote fast immer mehr oder weniger austauschbar sind, ist es Aufgabe des Marketing, das eigene Angebot von den Wettbewerbsangeboten zu differenzieren, es in den Augen der Zielgruppe als die bessere Alternative erscheinen zu lassen. Mit anderen Worten: Es geht im Marketing darum, sich einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen, der die Frage beantwortet, warum die Zielgruppe das eigene Angebot dem der Wettbewerber vorziehen soll. Dieser Wettbewerbsvorteil muss nicht notwendigerweise in einer konkreten Eigenschaft bestehen. Meist liegt er in einem bestimmten Nutzen, Vorteil oder Imagewert, der aus der subjektiven Sicht des Kunden für diesen persönlich wichtig ist.

3.

Erzielen von Wettbewerbsvorteilen durch Differenzierung

Wettbewerbsvorteile beruhen immer auf einer Differenzierung vom Wettbewerb, also der Frage, was das eigene Unternehmen anders oder besser kann. Ziel ist es, für das eigene Unternehmen eine Alleinstellung zu begründen. Alleinstellungen lassen sich grundsätzlich auf zweierlei Weise erzielen (vgl. Darstellung 3). Einerseits durch die Tatsache einer faktischen Alleinstellung. Dies würde es dem Anbieter ermöglichen, sein Produkt mit einem Superlativ auszuloben (Beispiel: Dyson ist der einzige

XIV. Marketing und Werbung

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Staubsauger mit konstanter Saugkraft). Tatsächlich sind derartige (z.B. durch Patente abgesicherte) Alleinstellungen aber eher selten. Dann bleibt nur noch die zweite Möglichkeit, nämlich dem Angebot einen Wettbewerbsvorteil beizulegen. Fast immer sind diese Alleinstellungen kommunikativer Art, also eine reine Marketing- bzw. werbliche Leistung (Beispiel: Das „Verwöhnaroma“, „Die wahrscheinlich längste Praline der Welt“). Darstellung 3: Differenzierungsansätze

Quelle: Kloss: Werbung, 5. Aufl. 2011, S. 25.

Zwei Beispiele sollen dies verdeutlichen (vgl. Kloss 2011, S. 24 f.): Auf dem Marktplatz eines Dorfes haben drei Eierverkäufer einen festen Standplatz. Jeder von ihnen verkauft die Eier zum Stückpreis von 25 Cent. Für die Drei ist die Welt in Ordnung, bis auf die Tatsache, dass jeder eigentlich gerne mehr Eier verkaufen möchte als die anderen. Eines Tages belegt einer der Eierverkäufer in der Volkshochschule einen Kursus über Marketing und es dauert nicht lange, bis er an seinem Stand ein Schild anbringt: „Frische Eier, das Stück 26 Cent“. Die Reaktion der anderen Eierverkäufer bleibt nicht aus. Der Zweite verkauft am nächsten Tag „Frische Landeier, das Stück 27 Cent“, der Dritte reagiert mit „Frische Landeier von freilaufenden und glücklichen Hühnern, das Stück 28 Cent“.

In dem Beispiel boten die Verkäufer „vor Marketing“ das identische Produkt zum selben Preis an. Für den Käufer gab es keinen Grund, bei einem bestimmten Verkäufer zu kaufen. Die Wahl des Verkäufers erfolgte also rein zufällig, die Käufer konnten keine Präferenzen für irgendeinen Verkäufer entwickeln. Es ist sprichwörtlich, dass sich kaum etwas so gleicht, wie ein Ei dem anderen. An den Eiern hat sich nichts verändert, es sind nach wie vor die gleichen. Sie wurden aber mit Attributen belegt, von denen die Verkäufer glauben, dass sie für die Käufer von Eiern wichtig sind. Ein frisches Ei ist in der Anmutung nun einmal etwas anderes als ein Ei, und ein frisches Landei etwas anderes als ein frisches Ei. Jeder der Eierverkäufer hat versucht, sich einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen, indem er die von ihm verkauften Eier gegenüber denen seiner Konkurrenten differenziert hat. Der Erste hat einen Prozess in Gang gesetzt, in dessen Verlauf die anderen gezwungen wurden zu reagieren. Gleichzeitig wurde auch eine höhere Wertschöpfung erreicht, denn die Eier haben sich von 25 auf 28 Cent verteuert. (Die höhere Wertschöpfung ist allerdings kein konstituierendes Merkmal des Wettbewerbs, im Gegenteil, häufig sind sinkende Preise die Folge. In dem Beispiel bleibt allerdings

184

XIV. Marketing und Werbung

zu fragen, ob denn eine Differenzierung bei gleichen Preisen glaubhaft wäre: Muss ein frisches Landei nicht mehr kosten als ein Ei?) Die Vorteile dieser Differenzierung werden besonders deutlich, wenn auf sie verzichtet würde. Bei austauschbaren Produkten ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass sich die Anbieter auf einen Preiswettbewerb einlassen und den Absatz dadurch zu steigern versuchen, indem sie sich gegenseitig im Preis unterbieten. Das zweite Beispiel soll die unterschiedlichen Differenzierungsansätze verdeutlichen (vgl. Kloss 2011, S. 24): Ein dem französischen Philosophen Buridan zugeschriebenes Gleichnis beschreibt einen Esel, der nach einem arbeitsreichen Tag hungrig in den heimischen Hof zurückkehrt und zwischen zwei gleichen Heuhaufen stehen bleibt. Nach Buridan wird dieser Esel verhungern, weil er sich nicht für einen der Heuhaufen entscheiden kann. Stünde bei einem Heuhaufen jedoch ein Eimer Wasser, dann hätte dieser Heuhaufen gewissermaßen einen faktischen Wettbewerbsvorteil, und die Entscheidung würde dem Esel leicht fallen. Die Entscheidung wäre aber wahrscheinlich auch dann eindeutig, wenn einer der Heuhaufen im Schatten liegen und der andere von der Abendsonne beschienen würde. Der Heuhaufen bleibt objektiv genau der gleiche wie der benachbarte. Aber er erscheint dem Esel anders.

Konsequenz: Wenn das Produkt schon keinen objektiven Vorteil gegenüber einem Konkurrenzprodukt hat, muss Marketing ihm eben einen Vorteil beilegen. Es ist insbesondere diese Art der Differenzierung, die bei austauschbaren Angeboten zum Tragen kommt. Notwendige Voraussetzung für das Gelingen ist eine strategische Grundlage. Diese sollte folgende Fragen beantworten: x

Welche Erwartungen hat der Kunde an die Leistungen in meiner Branche?

x

Worin liegen die Unterschiede zum Wettbewerb?

x

Was können wir besser als der Wettbewerb?

x

Wie lässt sich daraus eine Alleinstellung ableiten?

Relevante Kundennutzenkategorien für die Differenzierung sind immer solche, die vertrauensbildend sind. Also Service, Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit, Sauberkeit, Erfahrung, Tradition, um nur einige zu nennen. Ziel des Marketing ist es, im Idealfall sich vom Preiswettbewerb abzukoppeln. Oder zumindest neben dem Preis, der Zielgruppe ein weiteres Argument zu liefern, zu uns zu kommen. Es ist prinzipiell für jeden Handwerker und Gastronomen möglich, sich das Image auf- bzw. auszubauen, dass sein Angebot seinen Preis wert ist, weil er den besseren Service hat, zuverlässiger, sauberer, pünktlicher ist oder mehr Erfahrung hat als die Wettbewerber!

4.

Schaffen von Bekanntheit und Markendifferenzierung durch Werbung

Natürlich ist das eigentliche Ziel der Werbung ein ökonomisches: Steigerung von Umsatz, Marktanteilen, Kauffrequenzen usw. Da Werbung dieses Ziel jedoch in aller Regel nicht direkt ansteuern kann, versucht sie es auf indirektem Wege, indem die

XIV. Marketing und Werbung

185

Meinungen und Einstellungen der Zielgruppen zugunsten des eigenen Unternehmens beeinflusst werden. Die Beeinflussungsabsicht der Werbung setzt deshalb an den Einstellungen an, weil i.d.R. davon ausgegangen wird, dass sich Menschen einstellungskonform verhalten. Niemand geht zu einem Unternehmen, gegenüber dem Vorbehalte bestehen (vgl. Kloss 2011, S. 6). Ziel der Werbung von KMU ist es also, bei möglichst vielen Personen der Zielgruppe eine möglichst positive Einstellung gegenüber dem eigenen Unternehmen zu erzeugen. Warum sollte ein KMU werben? Es sind im Wesentlichen zwei Gründe (vgl. Kloss 2011, S. 4): Erstens ist Werbung ein maßgeblicher Faktor in der Gestaltung von Marken und von diesen nicht wegzudenken. Eine Marke unterscheidet sich von einer Nicht-Marke durch eine eigene Persönlichkeit, durch Charakter. Eine Marke konstituiert sich durch identifizierbare Unterschiede zu anderen Marken, durch den Bedeutungsgehalt, den der Konsument mit ihr assoziiert. Eine Marke ist somit stark von subjektiven Eindrücken geprägt, die sich vor allem in den Köpfen der Konsumenten wieder finden. Bei Angeboten, die in ihren funktionalen Eigenschaften austauschbar sind – ein typisches Merkmal von gesättigten Märkten –, ist Werbung die einzige Möglichkeit, Marken zu differenzieren. Zweitens ist Werbung in der Lage, eine große Gruppe von Zielpersonen gleichzeitig und wiederholt anzusprechen. Sie kann Kunden über neue Produkte informieren bzw. über wichtige Veränderungen bei bestehenden Produkten. Schließlich kann Werbung Verbraucher zu einer Änderung ihrer Einstellungen oder ihres Verhaltens veranlassen. Allerdings ist der Kontakt zwischen Werbetreibendem und Umworbenem i.d.R. nur indirekt, somit können Verhaltensänderungen normalerweise auch nur langsamer erfolgen als beispielsweise bei einer Preisänderung oder bei veränderter Distribution. Für KMU gilt diese Aussage allerdings nur bedingt, denn bei Ihnen ist der Kontakt zu ihren Umworbenen meist nicht indirekt, sondern direkt und persönlich. Insofern haben sie auch direktere Werbemöglichkeiten, die zu einem unmittelbareren Erfolg führen können, als bei Großunternehmen. Darstellung 4: Werbeausgaben von KMU

Quelle: Telegate: Mittelstand und Werbung, 2011, Teil 1, S. 6.

186

XIV. Marketing und Werbung

Deutsche KMU planen zwischen 1.000 und 5.000 Euro pro Jahr für Werbung ein (vgl. Darstellung 4), dabei dominieren die klassischen Printmedien: 85 Prozent werben in gedruckten Branchenbüchern, regionalen Tageszeitungen und Anzeigenblättern. „Aber: Online-Medien spielen 2011 eine wesentlich stärkere Rolle als noch im Vorjahr. 76 Prozent der befragten Betriebe setzt heute auf Online-Vermarktung. Das ist fast ein Drittel mehr als im Vorjahr. Und: In der Einzelwertung lösen die OnlineBranchenbücher die gedruckten Branchenbücher als das beliebteste Werbemittel deutscher KMU ab. Erstmalig werden 2011 auch soziale Netzwerke wie Facebook als Werbemittel wahrgenommen – und immerhin 12 Prozent gaben an, diese zur Vermarktung zu berücksichtigen“ (Telegate 2011, Teil 1, S. 7). Das naheliegendste Ziel der Werbung ist Bekanntheit („Stellen Sie sich vor, Sie haben ein gutes Angebot und niemand weiß davon“). Bekanntheit ist in der Werbung ein Wert an sich, da einer der grundlegenden Wirkungsmechanismen der Werbung darauf beruht, dass bekannte Marken und Produkte grundsätzlich positiver bewertet werden als unbekannte.

5.

Werbemittel für KMU

Ausgangspunkt aller werblichen Aktivitäten ist neben den Hausfarben und der Hausschrift, das Firmenzeichen, das Logo. Da dies das wichtigste Erkennungszeichen des Unternehmens ist, sollte es auf jedem Fall von einem Fachmann gestaltet werden. Es sollte das Selbstverständnis des Unternehmens ausdrücken und ist in Abhängigkeit davon zu konzipieren, ob beispielsweise Dynamik, Tradition, Technik, Modernität oder Fürsorglichkeit ausgedrückt werden soll. Das Logo besteht immer aus einem Schrift- und einem Grafikelement. Entsprechend bestehen die Gestaltungsmöglichkeiten in der Wahl der Schriftart und -größe, der Grafik und der Farbe. Das Logo sollte möglichst einfach sein und im Idealfall den Tätigkeitsbereich bzw. die Branche erkennen lassen. Es erscheint auf der gesamten Geschäftsausstattung (Brief- und Faxbögen, Briefumschläge, Visitenkarte, Lieferscheine, Rechnungen, Grußkarten, Stempel), dem Firmenschild und den Geschäftswagen. Ein KMU hat prinzipiell die gleichen Werbemöglichkeiten wie ein Großunternehmen. Allerdings werden in der Praxis deutlich unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt. Darstellung 5 zeigt die Auflistung der wichtigsten Werbemittel, unterschieden nach den Größenordnungen der Unternehmen. Für den Kleinstunternehmer steht an erster Stelle die persönliche Kommunikation. Es ist sinnvoll, diese Kleinstunternehmer nach ihrer Regionalität in solche zu unterteilen, die in ländlichen Regionen beheimatet sind und solche im Stadtbereich. Denn tatsächlich begründen sich daraus unterschiedliche Wettbewerbsverhältnisse. Im ländlichen Raum ist es häufig so, dass der Unternehmer einen sehr persönlichen Kontakt zu den Einwohnern hat, sie kennt undvielfach auch über familiäre Verhältnisse informiert ist. Er nimmt aktiv am Vereinsleben teil, ist vielleicht Mitglied im Gemeinderat, ist auf jedem Dorffest präsent, sponsert hier möglicherweise mal ein Fass

XIV. Marketing und Werbung

187

Bier, kommt auch schon mal nach Feierabend, wenn in einem Haushalt ein Kurzschluss zu reparieren ist. Die Einwohner danken es ihm durch ihren „Lokalpatriotismus“, in dem sie die lokale Gastronomie, das lokale Handwerk und lokale Dienstleister bevorzugen. Diese Vorteile hat ein Kleistunternehmer im städtischen Raum nicht bzw. nicht in gleichem Maße. Er muss sich in sehr viel stärkerer Weise dem Wettbewerb stellen. Jedenfalls ist diese Kundennähe in einem managergeführten Großunternehmen nicht gegeben und als einer der wesentlichen Wettbewerbsvorteile der KMU anzusehen. Ein Großunternehmen kann mit Mundpropaganda allein niemals erfolgreich sein, ein kleines schon (vgl. Levinson 2008, S. 34). Darstellung 5: Werbemittel von KMU

Quelle: Eigene Darstellung

Als zweitwichtigstes Werbemittel für Kleinstunternehmen ist die Visitenkarte anzusehen. Ziel ist es, diese möglichst breit zu streuen. Die Visitenkarte sollte auf jeden Fall Standardformat (Scheckkartenformat) haben, alle relevanten Informationen über das Unternehmen beinhalten und kann auch als Mini-Broschüre dienen. Sie wird bei jedem Kundenkontakt überreicht. Somit sind die Kontaktdaten beim Kunden präsent für den Fall von Rückfragen oder neuen Aufträgen. Werbung in Adress- und Telefonbüchern, insbesondere der Eintrag in die Gelben Seiten, hat den Vorteil, langfristiger Natur zu sein. Die Bücher dienen als Nachschlagewerke in einer konkreten Bedarfssituation, um den Kontakt mit bestimmten Personen oder Unternehmen herzustellen. Jeder Gewerbetreibende ist daher gut beraten, in den entsprechenden Büchern Präsenz zu zeigen. Jemand, der einen speziellen Bedarf hat, beispielsweise einen Buchbinder für die Diplomarbeit sucht, wird dafür in den Gelben Seiten nachschlagen. Für das lokale und regionale Gewerbe ist Werbung in Adress- und Telefonbüchern ein Muss. Die häufigsten Werbeformen sind einerseits der Zeileneintrag mit besonderer Hervorhebung (z.B. Fettdruck oder Integ-

188

XIV. Marketing und Werbung

ration des Firmenlogos), andererseits gestaltete Anzeigen, die die Werbung besonders deutlich aus der Masse hervorheben. Daneben besteht die Möglichkeit, auf den Kopf-, Fuß- oder Randleisten zu werben sowie ganzseitig auf den Umschlagseiten und den ersten Seiten, ferner auf den Schnittflächen oder dem Buchrücken (Kloss 2011, S. 334). Auch QR-Codes haben mittlerweile Einzug in die Gelben Seiten gefunden und bieten beispielsweise für Restaurants die Möglichkeit, die aktuelle Speisekarte zu präsentieren. Zur detaillierten Vorstellung von Unternehmen und Angebot dienen vor allem Prospekte und Broschüren. Mit Ihnen kann sich ein (potenzieller) Kunde ausführlich informieren über Art und Umfang der Leistung und deren Preise. Internetauftritt und E-Mail sind mittlerweile durch so hohe Reichweiten gekennzeichnet, dass für jedes KMU ein Muss darstellen. Tatsächlich hatten 2011 aber nur rund zwei Drittel der deutschen KMU einen eigenen Internetauftritt, mit 86 Prozent lag dabei die Gastronomie an der Spitze, das Handwerk mit 49 Prozent war Schlusslicht (vgl. Telegate 2011, Teil 2, S. 4). Vor allem Hotels und Restaurants werden einer intensiven Online-Bewertung unterzogen, die für viele Gäste als Informationsquelle genutzt wird. Ein Internetauftritt bietet aktuelle Informationsmöglichkeiten für die Zielgruppe unabhängig von Zeit und Ort. Auch hier gilt, dass eine professionelle Gestaltung als Hinweis für ein professionelles Management aufgefasst werden kann. E-Mails können genutzt werden, um Anfragen von Kunden zu beantworten (möglichst innerhalb von 24 Stunden), aber auch, um Kunden über Neuigkeiten zu informieren. Direktmarketing ist eine Form der Individualkommunikation, d.h. es lassen sich damit namentlich bekannte Personen ansprechen, um gezielter auf die individuellen Bedürfnisse und Wünsche der Kunden einzugehen. Notwendige Konsequenz daraus ist, dass so viele Daten wie möglich über Kunden gesammelt werden. Direktmarketing ist dialogorientiert. Allerdings sind nicht in jeder Branche die Kunden zu identifizieren. Vorteile haben hier vor allem Finanzdienstleistungen, Information und Telekommunikation und alles, was mit Transport zu tun hat. Alle anderen Branchen können ihre Zielpersonen nur indirekt identifizieren (z.B. über Kundenkarten). Das Direktmarketing verfügt über eine Vielzahl von Instrumenten. Für KMU sind vor allem das persönliche Anschreiben, Haushaltswerbung, Telefon-Marketing und OnlineMarketing relevant. Bei der direkten Ansprache ist zu beachten, dass diese nur möglich ist, wenn der Kunde dazu aktiv eingewilligt hat. Für Anzeigen stehen KMU eine Vielzahl von Werbeträgern zur Verfügung. Welche davon sinnvoll sind, wird durch die Erreichbarkeit der jeweiligen Zielgruppen bestimmt. Naheliegend sind meistens regionale Tageszeitungen und Anzeigenblätter, eine intensive Nutzung haben aber auch Amtsblätter, Stadtmagazine und Schülerzeitungen (vgl. Ruck 2007, S. 106). Für Werbung im Business-to-Business-Bereich empfehlen sich Fachzeitschriften. Mit Handzetteln und Haushaltswerbung lassen sich definierte Gemeinden, Stadtteile und Straßenzüge abdecken. Sie können Lieferungen und Anschreiben beiliegen

XIV. Marketing und Werbung

189

oder in Fußgängerzonen und auf Messen verteilt werden. Der Pizzaservice oder das Nagelstudio sind gut beraten, ihre Preislisten in die Briefkästen in ihrem Einzugsbereich verteilen zu lassen. Kleinunternehmen haben grundsätzlich die gleichen Werbemöglichkeiten wie Kleinstunternehmen. Häufig sind sie jedoch zusätzlich durch eine dichtere Vernetzung mit vor- oder nachgelagerten Märkten gekennzeichnet. Mittlere Unternehmen schließlich verfügen vielfach über eine professionelle Marketing-Infrastruktur und bedienen sich auch klassischer Werbemittel, wie etwa Seitenbacher (Radiowerbung) oder Liqui Moly (Fernsehwerbung).

6.

Abstract

Der große Vorteil von KMU liegt in ihrer Kundennähe, als Nachteil ist häufig die fehlende strategische Marketingperspektive aufgrund knapper personeller Ressourcen anzusehen. Die Marketingperspektive beinhaltet das Denken in Wettbewerbsvorteilen, also die Frage, warum jemand unser Angebot den Angeboten der Wettbewerber vorziehen soll. Wettbewerbsvorteile lassen sich nur durch Differenzierung, d.h. durch deutliche Abgrenzung erzielen. Für KMU liegen die Differenzierungsansätze und damit die Wettbewerbsvorteile in ihrer Kundennähe. Es wurde aufgezeigt, dass Abgrenzung durch Dimensionen wie Service, Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit, Sauberkeit, Erfahrung oder Tradition erreicht werden kann. Aufgabe der Werbung ist es, neben Bekanntheit, die Unterschiede zum Wettbewerb aufzuzeigen.

Quellen und weiterführende Literatur Albrecht, O. /Bethke, K./Loock, F. (Hrsg.): (1994) Marketing für den Mittelstand. Konzepte und Fallstudien, Wiesbaden. Becker, J.: (2006) Marketing-Konzeption. Grundlagen des ziel-strategischen und operativen Marketing-Managements, 8. Aufl., München. Kloss, I.: (2011) Werbung, 5. Aufl., München. Kloss, I: (2003) Werbecontrolling. Konzept, Instrumente, Fallbeispiele, Gernsbach. Levinson, J.: (2008) Guerilla Marketing des 21. Jahrhunderts, Frankfurt/M. Kruger, W. (2012): Praxishandbuch des Mittelstands, Wiesbaden. Pfohl, Hans-Christian; (1997) Marketing, in: Pfohl, H.-Ch. (Hrsg.); Betriebswirtschaftslehre der Mittelund Kleinbetriebe. Größenspezifische Probleme und Möglichkeiten zu ihrer Lösung, 3. Aufl., Berlin 1997, S. 161-189. Reinemann, H. (2011): Mittelstandsmanagement: Einführung in Theorie und Praxis, Stuttgart. Renker, C.: (2007) Marketing im Mittelstand, 2. Aufl., Dresden. Rollmann, H.: (1989) Marketing für Klein- und Mittelbetriebe, Muri bei Bern. Ruck, K.: (2007) Kleine Riesen, Wien. Schauf, M. (Hrsg.), (2009): Unternehmensführung im Mittelstand, 2. Aufl., München/Mehring. Schwalbe, H.: (1995) Marketing-Praxis für Klein- und Mittelbetriebe, München. Telegate: (2011) Mittelstand und Werbung, München. Weinhold-Stünzi, H.: (1996) Marketing, in: Pichler, H. J./ Pleitner, H. J./ Schmidt, K.-H. (Hrsg.): (1996) Management in KMU. Die Führung von Klein- und Mittelunternehmen, Bern/Stuttgart/Wien, S. 107-130.

XV. Online-Strategien für den Mittelstand – „Mischen possible“ Axel Noack „Mögest Du in interessanten Zeiten leben“ lautet ein doppeldeutiges chinesisches Sprichwort, das eher darauf abzielt, seinem Adressaten die damit verbundenen Sorgen und Probleme an den Hals zu wünschen. Im Falle des Internets können die Herausforderungen bei aller Begeisterung für die Möglichkeiten des technischen Fortschritts in der Tat beträchtlich werden. Denn die Liste der Möglichkeiten ist schier unendlich: Beschaffung, Produktion, Logistik, Vertrieb, Mitarbeiterverwaltung, Marktforschung, Kundendialog, Support, Branding, e-Commerce – so ziemlich alles kann heutzutage online realisiert und optimiert werden. Angesichts einer derartigen Vielfalt der Möglichkeiten auf dem Netz einerseits und den üblicherweise begrenzten eigenen Ressourcen von KMU andererseits, sind viele Unternehmen eher damit beschäftigt, Trends hinterher zu laufen (vgl. Lembke 2012, S. 29). Eine allgemeingültige Aussage kann hier sicher nicht getroffen werden. Im Folgenden werden aber vier typische Strategien dargestellt, die auf die jeweilige Situation angepasst werden können. Die Übergänge zwischen den Typen können fließend sein, und es können mehrere kombiniert werden – „mischen possible“: x

Typ I: Homepage als zentrale Komponente der Firmenkommunikation.

x

Typ II: neue Kunden online gewinnen, Umsätze weitestgehend „offline“.

x

Typ III: Umsätze werden auf dem Internet erwirtschaftet.

x

Typ IV: interne Abläufe werden online optimiert.

Die Kategorisierung orientiert sich an dem Aufwand, mit dem die Strategietypen von mittelständischen Unternehmen umgesetzt werden können. Dies ist bei Strategien vom Typ I mit relativen geringen Mitteln möglich. Das Internet hat gerade kleine und mittlere Unternehmen in die Lage versetzt, mit großen in Bereichen zu konkurrieren, die vorher nicht möglich waren. Die Schlüssel sind Kreativität und Beweglichkeit. Bei Strategien vom Typ II muss schon etwas mehr in technisches Fachwissen investiert werden. Strategien vom Typ III entsprechen zwar eher web-basierten Geschäftsmodellen, können aber teilweise gut mit anderen kombiniert werden. Strategien vom Typ IV wiederum bedeuten ein umfangreiches Engagement des ganzen Unternehmens zu einem web-basierten Geschäftsmodell und sind als solche aufwändig. Von ausschlaggebender Bedeutung bei allen Online-Aktivitäten (wie bei allem unternehmerischen Handeln) ist vor allem die genaue Kenntnis der Zielgruppe, die angesprochen werden soll. Hier ist es wichtig zu verstehen, wie tiefgreifend die gesellschaftlichen Folgen der Informationsrevolution tatsächlich sind.

XV. Online-Strategien für den Mittelstand – „Mischen possible“

191

Mit einer Internetpenetration von knapp 76% liegt Deutschland im internationalen Vergleich zwar im oberen Mittelfeld (vgl. van Eimeren/Frees, 2012, S. 362 ff.). Das Bild ist aber sehr heterogen. Vereinfacht ausgedrückt ist die Bevölkerung dreigeteilt in „Digital Natives“ (etwa 40%), „Digital Immigrants“ (20%) und „Digital Outsider“ (40%). Letztere Gruppe umfasst Randnutzer und Selektivnutzer, die das Internet nicht in ihren Medienalltag integriert haben. Nicht nur für sie werden klassische Medien wie Print und Fernsehen weiter ihre Berechtigung behalten. Aber für einen immer größeren Teil der Gesellschaft sind diese bei weitem nicht mehr genug. Digital Natives (Prensky 2001) sind Menschen, die ab 1980 geboren wurden und von klein an mit den neuen Möglichkeiten der digitalen Welt aufgewachsen sind. Experten sind sich sicher, dass permanente Interaktion mit Computerspielen, Internet, Mobiltelefonen tatsächlich zu unterschiedlichen Hirnstrukturen führen (vgl. Spitzer 2012, S. 4). Digital Natives können Informationen schnell empfangen, an mehreren Aufgaben gleichzeitig arbeiten, ziehen die Grafik dem Text vor, müssen permanent vernetzt sein und brauchen sofortige und häufigere Belohnung. Dem gegenüber sind Digital Immigrants Menschen, die sich die Möglichkeiten des Internet erst erarbeiten mussten oder noch müssen. Dabei sind sie zwar zunehmend erfolgreich, nutzen das Medium aber ganz bewusst, um Informationen zu finden, Entscheidungen vorzubereiten oder sich mit anderen Menschen auszutauschen.

1.

Strategie I: Homepage als zentrale Komponente der Unternehmenskommunikation

Auch wenn das gesellschaftliche Umfeld sehr dynamisch ist und es je nach Branche und Zielgruppe größere Unterschiede gibt, wird man ohne zeitgemäßen Internetauftritt nicht mehr wahrgenommen. Viele Praktiker betrachten das Internet jedoch längst als neues Leitmedium (vgl. Schwarz 2012, S. 7). Wenn jedes aktive Mitglied der Gesellschaft zuerst online nach Informationen sucht, können traditionelle Medien wie Print, TV und Radio zwar noch eingesetzt werden, aber ohne durchdachte Vernetzung ist dies nicht mehr effektiv. Der Dreh- und Angelpunkt aller Kommunikationsstrategien ist heutzutage die eigene Homepage. Darstellung 1: Elemente Homepage-Vernetzung

Quelle: Eigene Darstellung

192

XV. Online-Strategien für den Mittelstand – „Mischen possible“

Grundsätzlich ist ein gelungener Internetauftritt immer ein Dreiklang der Bereiche x

relevante Inhalte („Content is king“),

x

Webdesign, Usability,

x

technische Umsetzung.

Gerade für kleine und mittlere Unternehmen ist es heutzutage mit sehr überschaubaren finanziellen und personellen Mitteln relativ einfach, einen guten und zeitgemäßen Internetauftritt zu realisieren. Aber wenn die technische Umsetzung selbst gemacht werden soll, müssen einfache Fehler vermieden werden. Da die Domain wie die Adresse im Netz ist, sollte hier mit einiger Sorgfalt vorgegangen werden. Als Top-Level-Domain (TLD) ist bei regional beschränkten Geschäftstätigkeiten immer .de zu bevorzugen. Auch sollte im Markenregister geprüft werden, ob u.U. Schutzrechte verletzt werden. Beim Hosting bekommt man zwar ausgezeichnete zuverlässige Dienstleistungen. Beachtet werden müssen hier Details wie die Verfügbarkeit, Bandbreite, Inklusivvolumen, und technische Wartung. Bei umfangreicheren Anforderungen muss ein eigener Server betrieben werden, der als „managed server“ immer noch vom Anbieter administriert wird. Ein voller eigener Server erfordert dann schon beträchtliche technische Kompetenz im eigenen Haus. Große Aufmerksamkeit muss einem zeitgemäßen Design der Homepage gewidmet werden. Am wichtigsten sind Navigation und Nutzerführung. Vom bewährten Aufbau, der sich nach der Augenlinie eines Benutzers richtet, sollte nicht abgewichen werden: Logo links oben, Navigation links an der Seite (ggf. auch horizontal oben), das wichtigste in der Mitte, Suche oben, Kontoeinstellungen oben rechts. Solche Designs haben sich bewährt und sind bei großen Anbietern im Paket enthalten. Aber auch für Eventualitäten wie Rot-Grün-Blindheit (10 Prozent der männlichen Bevölkerung) und Altersweitsichtigkeit muss inzwischen vorgesorgt werden. Und schließlich sind alle Bemühungen, eine Seite zu gestalten, hinfällig, wenn sie für die Zielgruppe keine relevanten Inhalte bereithält, und zwar hinsichtlich Quantität, Qualität, Darstellung und Aktualität. Wenn mehrere Mitarbeiter damit beschäftigt sind, sich um die Inhalte zu kümmern, bietet sich ein Content-Management-System (CMS) an. Hier können nicht nur Rechte verteilt und Abläufe geplant werden, es findet vor allem eine Trennung von Inhalt und Darstellung (Design) statt. Es gibt inzwischen sehr gute Open-Source-Systeme, deren Nutzung grundsätzlich nichts kostet (wobei oft jedoch in Beratung und Einrichtung investiert werden muss). Zu den verbreitetsten gehören Joomla!, Drupal und Typo3. Lizenzsoftware, wie Infopark, InterRed oder RedDot, hat wiederum den Vorteil des vollen Supports. 1.1.

Informationen bereitstellen

Die Minimalfunktion einer Webpräsenz sollte die Homepage als Schaufenster sein. Diese Strategie bietet sich an, wenn die Homepage als Unterstützung des stationären Geschäfts gedacht ist, oft regional oder auf einen kleinen Kreis von Stammkund-

XV. Online-Strategien für den Mittelstand – „Mischen possible“

193

schaft beschränkt. Es sollten auf jeden Fall Informationen über die Geschichte und den Aufbau des Unternehmens enthalten sein, so wie Kontaktdaten, Öffnungszeiten, Anfahrt. Des weiteren eine genaue Beschreibung der Dienstleistungen, des Kundennutzen und, falls verfügbar, ein Leitbild. Bilder von Mitarbeitern können eine persönliche Note vermitteln. Es muss auf jeden Fall daran gedacht werden, ein gültiges Impressum, die Allgemeinen Geschäftsbedingungen, rechtliche Hinweise und Ausschlussklauseln auf der Homepage unterzubringen. Aber Homepages mit der Zielrichtung „Über Uns“ wirken heutzutage sehr antiquiert und nutzen bei weitem nicht die Möglichkeiten, die das Netz bietet. Auch ist es unwahrscheinlich, dass sie von Nutzern gefunden werden. Die eigene Onlinepräsenz ist der ideale Ort, um aktuellen und potenzielle Kunden so viel Informationen über die eigenen Produkte und Dienstleistungen bereitzustellen, wie möglich: technische Daten, Anwendungsbeispiele, Nutzerhandbücher (auch von Produkten, die nicht mehr hergestellt werden), ggf. ein Produktkonfigurator. Diese Maßnahmen nehmen einige Zeit in Anspruch, aber dadurch kann sehr viel Beratungsaufwand eingespart werden. Zu den Stärken, die ausgenutzt werden sollten, zählen deshalb auch multimediale Inhalte wie Bilder von Produkten, oft aus mehreren Perspektive, und Videos, die die Funktionsweise veranschaulichen. Online Beratungssysteme können mit einigem Aufwand sehr umfangreich gestaltet werden. Die Kosten für die technische Umsetzung sind oft überschaubar, aber es muss normalerweise Zeit investiert werden. Dies eröffnet jedoch substantielle Einsparungen bei Beratung im Geschäft, beim Kunden oder am Telefon. Sehr effektiv ist ein FAQ-System, denn ein Großteil der Fragen, die aktuelle oder potenzielle Kunden stellen, kann normalerweise vorweggenommen und online beantwortet werden. Hier sollte einige Mühe in die Nutzerführung investiert werden. Denn nur wenn ein Nutzer versucht hat, sich selber mit den verfügbaren Informationen zu helfen, sollte ihm die Möglichkeit eines Chats oder eines Rückrufes geboten werden. Demselben Zweck dient auch ein gut gestaltetes Wiki. 1.2.

Interaktion: auf eigener Seite

Die Homepage ist auch der ideale Ort, um Interaktion mit den Kunden oder anderen Zielgruppen, wie Presse oder Zulieferer, zu koordinieren. Bevor Kunden in ein Ladengeschäft kommen, sollten sie vorab schon online Information finden können. Wenn Beratung per Telefon angeboten werden soll, muss hierfür eine klare Handlungsaufforderung auf der Homepage zu finden sein. Anfragen per e-Mail sollten tatsächlich innerhalb einer bestimmten Frist, spätestens innerhalb weniger Geschäftstage, beantwortet werden. Da e-mail heutzutage eine immer größere Rolle spielen, sollte auch einige Mühe in ein durchdachtes e-mail Response Management investiert werden: Eingang, Eingangsbestätigung, Voranalyse, Verteilung, Textanalyse, Individualanpassung, Endkontrolle und Antwort sind Arbeitsschritte, die sich bewährt haben.

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XV. Online-Strategien für den Mittelstand – „Mischen possible“

Ein Weblog oder Blog ist wie ein öffentlich geführtes Tagebuch oder Journal und kann sehr gut Nutzer binden, wenn es gut geschrieben ist. Dafür muss es vor allem authentisch und aktuell sein. Gerade kleine und mittlere Unternehmen können so mit dem Markt in Verbindung stehen und ein positives Image aufzubauen. Ein Blog kann gemietet werden, was bequem ist, wenn es selber gehostet wird, hat man die volle Kontrolle über alle Funktionen. Eine Community auf der eigenen Seite zu betreiben (im Gegensatz zu Facebook oder anderen Anbietern) bietet mehr Freiraum bei der Gestaltung, hebt die Attraktivität des eigenen Angebots, und wirkt sich positiv auf die Auffindbarkeit durch Suchmaschinen aus. Sie ist jedoch auch sehr arbeitsintensiv. Auch ein Forum ist ein ausgezeichnetes Kommunikationsmittel, wenn es konsequent betrieben wird. 1.3.

Kundenbindung

Die erfolgreichste und effizientestes Methode der Online-Kundenbindung ist ein gut umgesetzter Newsletter (vgl. Alpar/Wojcik 2012, S. 145 ff.). Als ersten Schritt gilt es, einen Verteiler aufzubauen. Dazu sollten zuerst die Besucher der eigenen Homepage aufgefordert werden. Aber auch bei jedem anderen Kundenkontakt sollte die Einwilligung zum E-Mail-Empfang eingeholt werden. Wenn der Verteiler aufgebaut ist, bieten sich grundsätzlich drei Möglichkeiten: Ab und zu einen elektronischen Serienbrief an Kunden, Freunde und Interessenten versenden (dabei sollte der Empfänger mit Namen angesprochen und zu einer konkreten Handlung aufgefordert werden); Verkaufs-Newsletter (in regelmäßigen Abständen Kunden Informationen zu Produkten zusenden); KundenbindungsNewsletter, in regelmäßigen Abständen Kunden redaktionell gestaltete Informationen zusenden. Videos sind für große Markenartikler inzwischen ein Muss, da sie ein sehr effektives Medium sind. Technisch ist es nicht schwer, ein Video hochzuladen und auf der eigenen Seite oder in einem Blog einzubinden. Sie müssen jedoch auf einem technischen Niveau produziert werden, das für die Zielgruppe akzeptabel ist. Ein effektives Mittel der Kundenbindung sind auch Podcasts – Sprachdateien (normalerweise im MP3-Format), die von den Nutzern geladen und nach Bedarf (z. B. beim Joggen oder Autofahren) angehört werden können. Wichtig ist eine gute Mischung von Unterhaltung und Information. Ziel sollte sein, dass die eigenen Podcasts von vielen Nutzern abonniert werden. Und schließlich können auch RSS-Feeds eingesetzt werden. Diese Technik funktioniert wie ein Newsticker und ermöglicht es Nutzern, immer aktuell zu den wichtigsten Themen informiert zu sein. Wenn regelmäßig aktuelle und relevante Inhalte bereitgestellt werden können, ist es ein sehr gutes Werkzeug zur Kundenbindung.

XV. Online-Strategien für den Mittelstand – „Mischen possible“ 1.4.

195

Soziale Medien: Interaktion auf fremdem Terrain

Soziale Medien wie Facebook, Twitter, und Linked-in sind innerhalb weniger Jahre wie Pilze aus dem Boden geschossen. Viele junge Menschen sind inzwischen mit dem Management ihrer Online-Kontakte überfordert (vgl. Pauer 2012, S. 3 ff.). Das Phänomen hat inzwischen aber die gesamte Gesellschaft erfasst. Im April 2012 waren die größten Nutzergruppen auf der deutschen Facebook-Seite (nach Unique Visitors): Männer 25-34 (3,87 Millionen), Männer 45-54 (3,86 Millionen), Männer 55+ (3,81 Millionen). Die kleinsten Gruppen waren Frauen 55+ (3,23 Millionen), Frauen 45-54 (3,44 Millionen) und Frauen 35-44 (3,46 Millionen) (Comscore, 17.11.2012). Soziale Medien sind peer-to-peer Netzwerke, wo Menschen, die etwas gemeinsam haben (soziale Position oder Gewohnheiten, Hobbys, Interessen, Probleme), sich untereinander austauschen. Viele Unternehmen sind hier schon ohne eigenes Zutun präsent, weil dort über sie „geredet“ wird. Der erste Schritt sollte also sein, zuzuhören. Social Media Monitoring kann heutzutage über Agenturen und kostenlose Tools realisiert werden. Aber auch eigene Beobachtungen, beispielsweise über search.twitter.com, sind möglich. Neben einem Verständnis der Regeln sollte vor allem herausgefunden werden, welche Nutzer auf dem jeweiligen Medium besonderen Einfluss haben (Influencer). Wenn man die geltenden Regeln dort wirklich verstanden hat, kann man im nächsten Schritt dann selbst auf sozialen Medien aktiv werden. Dabei gelten die folgende Grundsätze: Transparenz (offen sagen, wer man ist und welches Unternehmen man repräsentiert); Normalität (als normaler Mensch schreiben, nicht als Werbetreibender); Präsenz (einmal angefangen, sollte kontinuierlich kommuniziert werden); Relevanz (Informationen bieten, die für andere Nutzer interessant sind); Dialog (zuhören, auf Fragen antworten, erreichbar sein); Vernetzung (andere Angebote beachten und verlinken). In Anbetracht der fundamental veränderten Kommunikationsgewohnheiten sollten auch mittelständische Unternehmen früher oder später eine eigene Seite auf Facebook einrichten. Denn wenn man Gutes tut, dann ist Facebook heutzutage der Ort, um darüber zu reden. Es muss jedoch auch bedacht werden, dass junge und dynamische Nutzergruppen bereits wieder von Facebook abwandern, seit ihre Eltern und Großeltern ebenfalls dem Netzwerk beigetreten sind. Ähnlich sollte Twitter heutzutage nicht mehr ignoriert werden. Um einen großen Kreis von Followern konstant mit aktuellen Informationen zu versorgen, ist einiger personeller Aufwand nötig. Man sollte aber vor allem darauf vorbereitet sein, dass Twitter ein interaktives Medium ist. Wenn Anregungen (oder auch Tadel) über Produkte oder das Unternehmen eingehen, sollten diese nicht nur abgespeichert oder mit Standardphrasen beantwortet werden, sondern als wirkliche Chance der Kommunikation betrachtet und ernst genommen werden. Soziale Medien sind ein sehr weit gefächerter Bereich: Fachportale, Communities, Foren, Blogs, Videoportale, Fotoportale, Wikipedia sind alles Medien, auf denen

196

XV. Online-Strategien für den Mittelstand – „Mischen possible“

auch mittelständische Unternehmen sich selber darstellen und in einen Dialog mit Kunden und anderen Interessensgruppen treten können. Anregungen und Kritik sind dann aber auch ernst zu nehmen und kreativ umzusetzen. Denn Interaktion und Kommunikation in alle Richtungen sind die fundamentale Neuerung der sozialen Medien. Bei konsequenter Umsetzung dieses Gedankens wird das Unternehmen auf jeden Fall an Popularität gewinnen und langfristig erfolgreich sein.

2.

Strategie II: Kunden werden aktiv auf dem Internet gesucht, Umsätze weitestgehend „offline“

Die Maßnahmen der Strategien vom Typ I bieten allein noch keine Erfolgsgarantie. Normalerweise sollte man sich aktiv darum bemühen, Nutzer auf das eigene Angebot aufmerksam zu machen. Und um in der anonymen Datenflut gefunden zu werden, geht kein Weg an den Suchmaschinen vorbei – allen voran Google, das in Deutschland einen Anteil von 96 Prozent an allen Suchanfragen hält. Suchmaschinen bringen Übersicht und helfen dem Individuum, sich zurechtzufinden. Wer über sie gefunden werden will, muss sich ihren Gesetzmäßigkeiten unterwerfen. Der erste Schritt jeglicher Arbeit mit Suchmaschinen ist ein genaues Verständnis der Suchbegriffe, die ein Nutzer bei einer Suchmaschine eingibt. Hier kann im Unternehmen selber schon viel durch eigene Recherche interner Daten erreicht werden (denn Agenturen lassen sich dieselbe Arbeit teuer bezahlen). Auch die Internetseiten der Konkurrenz sollten einmal genau untersucht werden. Darüber hinaus gibt es Werkzeuge wie das Google Keyword Tool oder den Webassoziator der Metasuchmaschine MetaGer. Detaillierte und kreative Arbeit lohnt sich, denn wie Anderson mit seinem Konzept des „Long Tail“ zeigte, folgt die Häufigkeitsverteilung der Suchbegriffe dem Pareto Prinzip: 80 Prozent aller Suchbegriffe werden nur ein einziges Mal gesucht (vgl. Michelis/Schildhauer 2012, S. 173 ff). Darstellung 2: Suchergebnisse bei Google

XV. Online-Strategien für den Mittelstand – „Mischen possible“ 2.1.

197

Search Engine Optimization (SEO)

Suchmaschienoptimierung umfasst alle Maßnahmen, die dazu dienen, eine Webseite im Suchmaschinenranking der unbezahlten organischen Suchergebnisse möglichst weit oben erscheinen zu lassen. Bei der On-Page Optimierung geschieht das auf der eigenen Homepage. Ziel ist die Optimierung des Seiteninhalts in Bezug auf Formatierungen, Überschriften und andere technische Aspekte, wie Header und Tags, sowie die interne Linkstruktur der Seite. Auch ohne Agentur kann man mit einigen einfachen Mitteln einiges erreichen: die Suchbegriffe sollten in Domain und Subdomain auftauche, des Weiteren im Dateinamen, im Titel der Seite, in Überschriften, mehrere Male im Text und in Alternativtexten von Bildern. Seit einiger Zeit gewichten Suchmaschinen aber auch verstärkt unabhängige Informationen von außen, um die „Reputation“ einer Website zu messen. Diese versucht man durch die Off-Page Optimierung zu verbessern. Relevant sind die Quantität und Qualität der eingehenden Links auf eine Website, eine Linkstruktur mit anderen Webseiten; thematisch passenden Internetseiten sind Ziele, die angestrebt werden müssen, aber sehr arbeitsintensiv sind. Es darf vor allem nicht versucht werden, die Suchmaschinen „auszutricksen“. Versteckte Texte, Keyword-Stuffing, Linkfarmen, Cloaking, Doorway-Pages sind Kniffe, die ein KMU nicht unbedingt bewusst anwendet. Aber wenn sie von einer Agentur vorgeschlagen werden, sollte man Abstand nehmen. Auch handwerkliche Fehler führen schnell zu schlechten Resultaten: lange Wartezeiten durch schlechten Server, doppelte Inhalte, Links auf Spamseiten, Linkverkauf-Programme, Stichwort-Spam, doppelte Titel sind alles Faktoren, die von Google abgestraft werden. 2.2.

Search Engine Marketing (SEM)

Suchmaschinenoptimierung ist langwierig, arbeitsintensiv, und bietet dennoch keine Erfolgsgarantie. Eine Alternative ist das Schalten von bezahlten Suchwortanzeigen, oder Search Engine Marketing (oft auch als Search Engine Advertising, Sponsored Links, Paid Listings oder Paid Inclusions bezeichnet). Hier erscheinen die bezahlten Anzeigen direkt neben den organischen Suchergebnissen, was vielen Nutzern nicht bewusst ist, denn sie klicken darauf, wie auf Suchergebenisse. Diese Werbeform kann recht einfach umgesetzt werden. Über GoogleAdwords (oder vergleichbare Dienste) kann mit wenigen Klicks eine Kampagne gestartet werden. Die Kosten können genau kontrolliert werden und entstehen nur, wenn auf die Anzeigen geklickt wird. Der Preis errechnet sich dynamisch aus Angebot und Nachfrage. Bei hoher Nachfrage wird eine Anzeige meistbietend versteigert, bei niedriger ist eine Schaltung für wenige Cents möglich. Auch hier macht sich also gründliche Recherche bei den Suchbegriffen bezahlt.

198 2.3.

XV. Online-Strategien für den Mittelstand – „Mischen possible“ Weitere Möglichkeiten der Kundenakquise

Die einfachste Möglichkeit neben SEO und SEM, um Besucher auf die eigene Seite zu bringen, ist Online-Werbung. Wie beim Search Engine Marketing kann eine Kampagne mit einfachsten Mitteln gestartet werden und es können sehr vielfältige Ziele erreicht werden: Sofortkäufe generieren, Markenbildung betreiben, Leadgenerierung für Offline-Verkauf; Besucher auf die Webseite lenken; Besucher ins Ladengeschäft bewegen – mit etwas Mühe können diese Ziele auch ohne Berater oder Agentur erreicht werden. Wenn man aber einmal mit Online-Kampagnen begonnen hat, sollte man dann auch am Ball bleiben. Ein häufiger Fehler ist, dass eine Kampagne nach dem Aufschalten nicht kontinuierlich beobachtet wird. Auch werden Suchworte oft nicht systematisch auf ihren Erfolg hin ausgewertet, so dass zu viele Suchworte gebucht werden, die unwirtschaftlich sind. Wichtig bei den angeführten Strategien ist auch, dass ein Nutzer nicht einfach auf der eigenen Homepage landet. Stattdessen sollte er unbedingt auf eine speziell gestaltete „Landing Page“ geleitet werden. Hier richtet sich alles nach der „most wanted response“: der Nutzer soll ohne Ablenkung zu einer ganz bestimmten gewollten Handlung geführt werden - „bestellen“, „reservieren“, „anfordern“. Probate Mittel sind eine klar positionierte unmissverständliche Handlungsaufforderung, den Nutzer nicht mit Detailinformationen ablenken, eine komprimierte, prägnante Darstellung, gezielter Einsatz von Bildern (wirksamer als Text), gute Argumente, um eventuelle Vorbehalte auszuräumen, und Vertrauensbeweise wie Gütesiegel, Zertifikate oder Aussagen von zufriedenen Kunden.

3.

Strategie III: Umsätze werden über das Internet erwirtschaftet

Wenn Umsätze weitestgehend auf dem Internet erwirtschaftet werden sollen, handelt es sich um ein web-basiertes Geschäftsmodell, vermutlich eine Neugründung, die nur auf das Internet ausgelegt ist. Es kann aber auch für mittelständische Unternehmen lohnend sein, Elemente davon in ihre Strategie mit einzubauen. Grundsätzlich können Umsätze online aus sechs Quellen generieret werden: x

Verkauf von Produkten oder Dienstleistungen

x

Werbung

x

Abonnements

x

Transaktionsgebühren

x

Partnerprogramme

x

Verwertung von Nutzerdaten

Der Verkauf von Produkten und Dienstleistungen an einen großen Kreis von Interessenten ist nie einfacher gewesen, als über das Internet. Dabei ist die technische

XV. Online-Strategien für den Mittelstand – „Mischen possible“

199

Realisierung eines Online-Stores keine wirklich große Herausforderung mehr. Die Shoplösungen, die bei großen Providern gebucht werden können, sind verlässlich und ausgereift. Bei umfangreicheren Shops muss sicher ein gewisses Maß an Fachwissen eingesetzt werden. Die Probleme, die bedacht werden müssen, betreffen eher praktische Aspekte wie die Lagerhaltung, Verfügbarkeit der Produkte, Fulfillment, Garantie und Gewährleistung. Aber dies ist definitiv der Bereich, wo im Sinne des „Long tail“ (vgl. Michelis/Schildhauer 2012, S. 173 ff.) selbst der kleinste Nischenanbieter seine Kunden finden und bedienen kann. Immer mehr stationäre Händler setzen auch auf eine sogenannte „Multichannel-Strategie“. Werbung auf dem Internet zu betreiben kann auch für kleine Unternehmen ein lukratives Geschäft sein. Die Kerngröße, um die sich dabei alles dreht, ist Traffic: je mehr Nutzer auf ein Portal kommen, desto mehr kann mit Werbung verdient werden. Beim pay per view werden die Preise üblicherweise über Tausender-Kontakt-Preise (TKP) abgerechnet. Bei der Online-Ausgabe des Spiegels liegen die TKP z. B. zwischen 10 und 80 Euro. Beim pay per action wird nur gezahlt, wenn der Nutzer auf die Werbung klickt. Mit einfachsten Mitteln kann über Google Adsense der nötige Code in den Quellcode der Seite eingefügt werden. Der Betreiber hat dann gewisse Kontrollmöglichkeiten über die Formate und die Platzierung. Aber die Inhalte kommen von Google, das die Werbung über Google Adwords akquiriert hat. Bei Klickraten (CTR) im Promille-Bereich und Klickpreisen von einigen Cent mögen in den meisten Fällen geringe Beträge übrig bleiben, aber es gibt auch Erfolgsgeschichten. Viele Communities und Blogs wurden eigens mit dem Ziel der Werbeeinahmen ins Leben gerufen. Ein Spezialfall sind Abonnements, Mitgliedsbeiträge oder bezahlter Zugang zu abgeschlossenen Bereichen (subscriptions). Solche Geschäftsmodelle können erfolgreich umgesetzt werden, wenn den Nutzern wirklich wichtige oder erstrebenswerte Inhalte angeboten werden können. Sie arbeiten jedoch gegen eine immer noch gültige und heiß umkämpfte Grundphilosophie des Internet: Freiheit. Verschiedene Branchen, wie Verlage, versuchen regelmäßig sich dagegen zu wehren, indem sie Zugang zu ihren Daten nur registrierten und zahlenden Nutzern ermöglichen. Bei der Financial Times (www.ft.com) mag dies funktionieren. Bei der Ostsee Zeitung (www.ostsee-zeitung.de) ist der Erfolg wohl eher fraglich. Umsätze durch Transaktionsgebühren / Provisionen (transaction fees) sind ein Geschäftsmodell, das eher größeren Aufwand erfordert. Dies ist die Welt von ebay oder Amazon, die umfangreiche Marktplätze aufbauen und an den einzelnen Transaktionen prozentual verdienen. Aber auch viele Provider können aufgrund des sicheren Kundenstamms und der Werbelastigkeit ihres Angebots derartige Umsätze erwirtschaften. Teilnahme an Partnerprogrammen oder Weiterleitungen (affiliates and referrals) wiederum sind auch für kleine Seitenbetreiber leicht zu realisieren. Dabei ist zu bedenken, dass sich die Marktmacht des Partners direkt in der Vergütung widerspiegelt. Beim Partnerprogramm von Amazon wird z. B. nur eine Vergütung gezahlt, wenn der Nutzer auch sofort einen Kauf tätigt. Wenn er das später macht, passiert nichts.

200

XV. Online-Strategien für den Mittelstand – „Mischen possible“

Die letzte Möglichkeit, Umsätze zu generieren, besteht darin, Informationen über Kunden zu verwerten. Die „großen Spieler“ auf dem Netz machen dies meist intern: Apple und Amazon steigern so gezielt ihre Umsätze, Google platziert gezielt Werbung. Nur Facebook gibt diese Informationen gezielt an Dritte weiter. Da dies für ein mittelständisches Unternehmen die Ausnahme sein sollte, wird es hier nur der Vollständigkeit halber erwähnt. In den allermeisten Fällen sollte versucht werden, das Vertrauen der Kunden zu gewinnen, und Nutzerdaten nicht weiterzugeben.

4.

Strategie IV: Online-Optimierung interner Unternehmensabläufe

EDV-Lösungen spielen seit geraumer Zeit eine zentrale Rolle bei der Organisation interner Unternehmensabläufe. Vom einfachen Kundenmanagement bis zu komplexen Produktionsabläufen wird alles von Software gesteuert. Oft existieren jedoch separate und voneinander unabhängige Lösungen, was sinnvoll sein kann, oft aber aus der Firmenentwicklung herrührt und zu Ineffizienz führt. Eine umfassende Integration aller Unternehmensabläufe wurde deswegen seit langem angestrebt. Aus diesem Antrieb heraus entwickelten Firmen wie SAP und Oracle integrierte betriebswirtschaftliche Standardsoftwarepakete. Diese waren zuerst auf großen Unternehmen zugeschnitten, sind aber heute auch für KMU verfügbar. Enterprise Resource Planning Lösungen ermöglichen eine integrierte Verwaltung aller Geschäftsvorgänge eines Unternehmens. Einmal eingegebene Daten, sei es aus dem Finanz- und Rechnungswesen, aus der Logistik oder Produktion, werden umfassend und einheitlich dargestellt und in Echtzeit aktualisiert. Die Informationen können dann von jedem Arbeitsplatz aus und aus jeder anderen Anwendung heraus aufgerufen, abgeändert und für bestimmte Prozesse genutzt werden. Jeder Prozess erkennt Veränderungen und überträgt die neuen Daten in Echtzeit auf alle weiteren Programme oder Module, die auf die aktualisierten Daten zugreifen. Die Vorteile von web-basierten Lösungen sind vor allem Plattformunabhängigkeit (da lediglich ein Internetzugang benötigt wird, kann jedes beliebige Betriebssystem mit vorhandenem Internetbrowser eingesetzt werden); dezentrale Erreichbarkeit (es kann von beliebigen Standorten aus auf die Anwendung zugegriffen werden, sei es im Büro, unterwegs, oder beim Kunden); sowie zentrale Installation und Wartung (Installation oder Update der Software müssen nicht an jedem einzelnen Arbeitsplatz durchgeführt werden, sondern nur an einem Webserver). Nachteile sind die Unabdingbarkeit des permanenten Netzzugangs; normalerweise ein geringeres Arbeitstempo als bei rechnerseitig installierter Software; sowie mögliche Datenspionage und Sicherheitslücken. Diese sind bei Cloud-Services wie Google Cloud Platform oder Amazon Web Services nie ganz ausgeschlossen. Auch wird hier bewusst die Kontrolle über die eigenen Daten aus der Hand gegeben.

XV. Online-Strategien für den Mittelstand – „Mischen possible“

5.

201

Fazit und Ausblick

Mittelständischen Unternehmen bieten sich heutzutage online eine Vielzahl von Möglichkeiten, mit Interessengruppen zu kommunizieren, neue Kunden zu gewinnen, Umsätze zu erwirtschaften, und Prozesse zu optimieren. Gerade durch ihre größere Flexibilität können sie die Möglichkeiten besser nutzen. Andererseits ist der Fortschritt so rapide, dass es schwer ist, eine zukunftsgerichtete Strategie zu entwickeln und umzusetzen. Die Entwicklungen zu ignorieren ist jedoch keine Option, da sich die Gesellschaft als Ganzes rapide weiterentwickelt und man sonst zurückbleibt. Jedes Unternehmen muss sich daher Schritt für Schritt in die dynamische neue Welt vorantasten. Derartige Herausforderungen werden jedoch noch zunehmen, denn die einzige Konstante der Informationsrevolution ist Beschleunigung: die verfügbare Datenmenge verzehnfacht sich zur Zeit ungefähr alle fünf Jahre (das Schlagwort der IT-Branche im Jahr 2012 war „Big Data“); mit der Einführung des Internet-Protokoll Version 6 (IPv6) stehen rechnerisch ungefähr 600 Billarden eindeutige Adressen pro Quadratmillimeter der Erdoberfläche zur Verfügung; in weiten Teilen der Welt ist die PC-Ära bereits beendet, da der Zugang zum Netzt nur noch mit Mobiltelefon und Tablet erfolgt; und durch 3-D Drucker können in naher Zukunft komplexe Produkte in kleinen Stückzahlen ohne Fabriken an jedem Ort der Welt produziert werden, wenn die eingescannten Daten einmal online sind (vgl. Der Spiegel 2012, S. 70-73).

6.

Abstract

Die Informationsrevolution hat mit immer neuen Möglichkeiten der Erfassung, Übermittlung und Verarbeitung von Daten innerhalb kurzer Zeit Menschen, Gesellschaften, und Kommunikationsgewohnheiten verändert. Wenn auch traditionelle Medien nicht verschwinden werden, ist effektive Kommunikation und Organisation ohne das Internet heute nicht mehr möglich. Über eine gute Internetpräsenz können mittelständische Unternehmen Kunden und andere Interessensgruppen mit vielfältigen Informationen versorgen und an sich binden. Auf der eigenen Seite und auf sozialen Netzwerken können Unternehmen auf umfassende Weise kommunizieren. Die Herausforderung besteht darin, dass Kommunikation heutzutage tatsächlich in beide Richtungen erfolgen sollte. Des Weiteren können mittelständische Unternehmen online Kunden finden und dort selbst Umsätze erwirtschaften. Mit einigem Aufwand können auch alle Geschäftsprozesse online abgebildet werden.

202

XV. Online-Strategien für den Mittelstand – „Mischen possible“

Quellen und weiterführende Literatur Alpar, A./ Wojcik, D.: (2012) Das große Online Marketing Praxisbuch: Alle wichtigen Aspekte und die besten Erfolgsstrategien, Düsseldorf. Bundesverband Digitale Wirtschaft e.V. (BVDW): E-mail-Marketing weiter im Aufwind, http://www.bvdw.org/medien/e-mail-marketing-weiter-im-aufwind?media=4408 , 19.12.2012. Cisco:

Visual Networking Index, http://www.cisco.com/web/solutions/sp/vni/vni_forecast _highlights/index.html , 11.12.12. Comscore: Who is driving Facebook growth in Germany?, http://www.comscoredatamine.com/wpcontent/uploads/2012/06/germany-infographic_april-2012.png , 17.11.2012. Düweke, E./ Rabsch, S.: (2012) Erfolgreiche Websites: SEO, SEM, Online-Marketing, Usability, Bonn. Hilker, C.: (2010) Social Media für Unternehmer: Wie man Xing, Twitter, Youtube und Co. erfolgreich im Business einsetzt, Wien. Heise: Trendkongress - Big Data, wenig Schutz, http://www.heise.de/newsticker/meldung/ Trendkongress-Big-Data-wenig-Schutz-1757864.html, 27.11.2012. Lembke, G.: (3/2012) Integration von neuen und digitalen Medien in Unternehmen, in: Der Betriebswirt 3/2012. Michelis, D./ Schildhauer, Th. (Hrsg.): (2012) Social Media Handbuch: Theorien, Methoden, Modelle, 2. Auflage, Baden-Baden. Pauer, N.: (2012) LG;-) Wie wir vor lauter Kommunizieren unser Leben verpassen, Frankfurt. Prensky, M.: (2001) Digtial Natives, Digtal Immigrants, http://www.marcprensky.com/writing/prensky %20-%20digital%20natives,%20digital%20immigrants%20-%20part1.pdf, 11.12.2012. Tüting, A.: (2012) Webseiten erstellen mit Joomla! 2.5: Alle Features, Templates, SEO, München. Schmdit, H.: (2012) Sichtbarkeit deutscher Unternehmen auf Facebook sinkt kräftig, Focus Online, 25.11.2012. Schwarz, T.: (2012) Erfolgreiches Online-Marketing: von E-Mail bis Social Media, Freiburg. Der Spiegel: (2012) Die nächste Dimension, 52/2012, S. 70-73. Spitzer, M.: (2012), Digitale Demenz: Wie wir uns und unsere Kinder um den Verstand bringen, München. van Eimeren, B./ Frees, B.: (2012) Ergebnisse der ARD/ZDF-Onlinestudie 2012: 76 Prozent der Deutschen online – neue Nutzungssituationen durch mobile Endgeräte, in: Media Perspektiven 7-8/2012.

XVI. Farewell fair value – zur Bedeutung internationaler Rechnungslegung für die Bilanzen kleiner und mittlerer Unternehmen Heiner Richter 1.

Überblick

Fair - das klingt aufrichtig, da denkt man an Fußballsport und Sport im Allgemeinen oder kann fachlich „unter Beachtung der Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-, Finanzund Ertragslage“ eines Jahresabschlusses (§ 264 Absatz 2 HGB für Kapitalgesellschaften) – angelsächsisch: true and fair view (dazu bereits Richter 1988b, 2212 f.) – analysieren und womöglich letztlich in Frage stellen. Fair value – das mutet darüber hinaus auch noch wertvoll oder zumindest werthaltig an. Obwohl gerade Wertbegriffe sich gerne einer stringenten eng fokussierten betriebswirtschaftlichen Betrachtung entziehen – zumindest einer quantitativen Betrachtung. In die Niederungen des steuer- bzw. rechnungslegungsrechtlichen Alltags hinabsteigend, hat der vorliegende Beitrag schlicht das Ziel, faire Werte im aktuellen und möglicherweise zukünftigen Rechtsrahmen für kleine und mittlere Unternehmen 1 in einigen für die Praxis interessanten Facetten vor allem vor dem Hintergrund einer auch für solche Unternehmen möglichen Internationalisierung (dazu jüngst grdl. GruberMücke 2011) darzustellen. Hierzu werden in Kapitel 2 de lege lata Einzel- und Konzernabschlüsse im Hinblick faire Werte untersucht sowohl hinsichtlich handelsrechtlicher Anforderungen als auch hinsichtlich steuerrechtlicher Unabdingbarkeiten, und in Kapitel 3 wird ein ungefährer Ausblick gewährt auf das, was die Zukunft der Bilanzierungs- und steuerrechtlichen Praxis in dem Zusammenhang wohl bringen mag.

1

Zu den kleinen Unternehmen zählen in dieser Untersuchung der Einfachheit halber auch die Kleinstunternehmen gemäß den Vorgaben von § 267a Absatz 2 HGB, wonach die für kleine Kapitalgesellschaften (§ 267 Abs. 1) vorgesehenen besonderen Regelungen für Kleinstkapitalgesellschaften entsprechend gelten, soweit nichts anderes geregelt ist (Art. 1 Kleinstkapitalgesellschaften-BilanzrechtsänderungsG vom 20.12.2012, BGBl. I, 2751, dient der Umsetzung der Richtlinie 2012/6/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14.3.2012 zur Änderung der Richtlinie 78/660/EWG des Rates über den Jahresabschluss von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen hinsichtlich Kleinstbetrieben, Amtsblatt EU L 81 vom 21.3.2012, 3).

204

XVI. Farewell fair value – Bedeutung internationaler Rechnungslegung

Nicht näher untersucht werden betriebswirtschaftliche Fragen der bilanziellen Kapitalerhaltung (vgl. statt vieler zu diesen traditionellen Zielen der handelsrechtlichen Rechnungslegung R. J. Niehus 2008, 1451 f.) im Handelsrecht oder rechtshistorische Fragen der grundsätzlichen Maßgeblichkeit im Sinne der sog. Teilhaberthese2 im Steuerrecht (zum Maßgeblichkeitsprinzip bei Personengesellschaften U. Niehus und Wilke 2010, S. 61 f.; zur Maßgeblichkeit bei Kapitalgesellschaften U. Niehus und Wilke 2012, S. 35 f.). Ebenfalls außen vor bleiben Unternehmen bestimmter Geschäftszweige wie Kredit- und Finanzdienstleistungsinstitute, für die in §§ 340 f. HGB bekanntlich Sondervorschriften kodifiziert sind. Hinweis: Ob der Farewellgruß als ein Abgesang zu verstehen ist, soll dem Urteil des Lesers überlassen werden.

2.

Faire Werte – de lege lata

2.1.

Einzelabschlüsse

2.1.1. Handelsrechtliche Rechnungslegung Einzelabschlüsse aller Kaufleute und darunter auch der Kapitalgesellschaften sind geregelt im dritten Buch des HGB in §§ 238 HGB. Der Jahresabschluss, somit Bilanz und Gewinn- und Verlustrechnung (§ 242 Abs. 3 HGB), ja die gesamte Buchführung muss so beschaffen sein, dass sie einem sachverständigen Dritten innerhalb angemessener Zeit einen Überblick über die Geschäftsvorfälle und über die Lage des Unternehmens vermitteln kann (§ 238 Abs. 1 Satz 2 HGB). Nach wohl herrschender Literaturmeinung (Ebenroth u.a. 2008, § 242 HGB Rn. 3) diene § 242 HGB neben der Selbstinformation und der Selbstkontrolle des Kaufmanns letztlich in erster Linie dem Gläubigerschutz, jedoch betrifft die Fairness der Information neben Gläubigern alle Informationsadressaten (vgl. zu den Rechnungslegungsadressaten und Informationsinteressen aus Sicht des Mittelstands Janssen 2009, S. 89 f.). Die Pflichten aus § 242 betreffen grundsätzlich alle Kaufleute; allerdings brauchen Einzelkaufleute, die an den Abschlussstichtagen von zwei aufeinanderfolgenden Geschäftsjahren nicht mehr als 500.000€ Umsatzerlöse und 50.000€ Jahresüberschuss aufweisen, jene §§ 238 bis 241 nicht anzuwenden (§§ 241a Satz 1, 242 Absatz 4 HGB). Diese genannten Voraussetzungen sind kumulativ zu erfüllen (vgl. Baumbach, Hopt und Merkt 2012, § 241a HGB Rn. 2; grundsätzlich kritisch zu diesem Wahlrecht, weil es nicht sachgerecht ist, Kaufleute und Personenhandelsgesellschaften von der Pflicht zur Buchführung, Inventarisierung und Bilanzierung zu befreien, wo doch die-

2

Anknüpfend an § 14 Preußisches EStG stellte das Königlich Preußische Verwaltungsgericht die These auf, dass der Staat als gleichberechtigter Teilhaber am Unternehmenserfolg genauso wie die Anteilseigner behandelt werden sollte, und schuf damit erstmalig eine theoretische Grundlage für das Maßgeblichkeitsprinzip mit Urteil v. 2.7.1902 Rep. V A 136/01, Entscheidungen des Königlich Preußischen Oberverwaltungsgerichts in Staatssteuersachen, Ergänzungs-Band X, 294 f. (305); (zitiert nach Stobbe 2010, § 5 Anm. 61 f. (71) EStG).

XVI. Farewell fair value – Bedeutung internationaler Rechnungslegung

205

se Pflicht hinwieder überhaupt nur besteht, weil diese Unternehmen eines in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetriebs bedürfen, Schulze-Osterloh 2008, S. 63 f. (71)). Für Kapitalgesellschaften gelten ergänzende Vorschriften der §§ 264 f. HGB. Bei ihnen ist der Jahresabschluss zusätzlich um den Anhang zu erweitern, der mit der Bilanz und der Gewinn- und Verlustrechnung eine Einheit bildet (vgl. Baumbach, Hopt und Merkt 2012, § 264 HGB Rn. 2, wonach durch die Formulierung „Einheit“ die Legaldefinition des § 242 Abs. 3 HGB durchgehalten wird und andererseits der Anhang als Teil des Jahresabschlusses gekennzeichnet wird). Alle Informationen fair zu geben und darüber hinaus die vorsichtige Ermittlung des ausschüttbaren Gewinns sind gerade bei Kapitalgesellschaften Hauptaufgaben des Jahresabschlusses, wobei der Informationszweck des Jahresabschlusses bei diesen Gesellschaften nicht als vordringlich anzusehen ist, auch wenn die Dritt- und Selbstinformationsfunktion des Jahresabschlusses durch die Generalklausel des § 264 Abs. 2 HGB prima facie betont wird (vgl. Richter 1988b, S. 2213; zu diesen Hauptfunktionen des Jahresabschlusses Adler, Düring und Schmaltz 1995, § 264 HGB Rn. 87 f.). Bevor mit der Kodifizierung des Bilanzrechtsmodernisierungsgesetzes (BilMoG vom 25.5.2009, BGBl. I 2009, 1102) verstärkt Regelungen aus dem Bereich der internationalen Rechnungslegung Einzug in das deutsche Handelsbilanzrecht fanden (vgl. zu letzterem nur §§ 256a, 292a, 315a HGB), die ihrerseits nunmehr geänderte Auswirkungen auf die steuerliche Gewinnermittlung (s. nachfolgend unter 2.1.2) zeitigen, konnte die Fairness der Rechnungslegung äußerst fraglich sein. Insbesondere die traditionell vorsichtige Bilanzierung unter Berücksichtigung der Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung (GoB) führte vor BilMoG dazu, dass vor allem NichtKapitalgesellschaften durch Ausübung ihrer Bilanzierungs- und Bewertungswahlrechte – stichwortweise zu nennen seien hier die bekannten Wahlrechte des § 253 HGB a.F., wie gemildertes Niederstwertprinzip, Wertschwankungsreserve und Abschreibungen im Rahmen vernünftiger kaufmännischer Beurteilung sowie Beibehaltungswahlrecht – Bilanzpolitikbetreiben konnten (zur Charakterisierung des Zeitwerts als Wertmaßstab und zur Unvereinbarkeit einer Forderung nach Bilanzwahrheit mit der Bewertungsfrage s. näher Spindler 2005, S. 51 f.). Selbst für Kapitalgesellschaften waren seinerzeit die Nichtanwendungsvorschriften des § 279 HGB a.F. unvollkommen, bestand doch für die wertschwankungsanfälligsten Vermögensgegenstände, die Finanzanlagen, eine Rückausnahme und somit weiterhin ein Abschreibungswahlrecht des gemilderten Niederstwertprinzips auch bei nicht voraussichtlich dauernder Wertminderung. Außerdem konnten durch die sogenannte umgekehrte Maßgeblichkeit in weiten Teilen steuerrechtlich motivierte Beeinflussungendes Ergebnisses auf die Handelsbilanz durchschlagen. Lediglich das für Kapitalgesellschaften kodifizierte Wertaufholungsgebot des § 280 HGB a.F. schränkte den weiten Bewertungsspielraum ein.

206

XVI. Farewell fair value – Bedeutung internationaler Rechnungslegung

Das BilMoG hat hier nach meiner Auffassung einen erheblichen Schritt in Richtung der Bilanzgenauigkeit getan: x

Es bleibt bei den allgemeinen Bewertungsgrundsätzen, die weiterhin traditionell vorsichtsgeprägt sind, zum Beispiel mit ƒ

Unterstellung der Unternehmensfortführung (going concern-Prämisse) nach § 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB,

ƒ

Einzelbewertungsgrundsatz nach § 252 Abs. 1 Nr. 3 HGB,

ƒ

Vorsichts- und Imparitätsprinzip (Verlustantizipations- und Gewinnrealisationsprinzip) nach § 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB und

ƒ

Stetigkeitsprinzip nach § 252 Abs. 1 Nr. 5 HGB,

von denen nach § 252 Abs. 2 HGB nur in begründeten Ausnahmefällen abgewichen werden darf. x

Die nach Aufhebung der §§ 279 bis 283 HGB nunmehr auch für Kapitalgesellschaften gültigen Regelungen der Zugangs- und Folgebewertung wurden etwas strenger, verschlankt und in § 253 HGB zahlreicher Wahlrechte beraubt – jedoch eben auch nicht aller: ƒ

Anschaffungswertprinzip nach § 253 Abs. 1 HGB

ƒ

Abschreibungsgebot für Vermögensgegenstände des Anlagevermögens nur bei voraussichtlich dauernder Wertminderung nach § 253 Abs. 3 Satz 3 HGB; bei Umlaufvermögen nach wie vor Abschreibungsgebot unabhängig von der Dauer der Wertminderung nach § 253 Abs. 4 HGB,

ƒ

Abschreibungsverbot für Vermögensgegenstände des Anlagevermögens, die keine Finanzanlagen sind, bei nicht voraussichtlich dauernder Wertminderung, und zwar im Umkehrschluss aus § 253 Abs. 3 Satz 4 HGB,

ƒ

und weiterhin - auch weiterhin für alle Rechtsformen - Abschreibungswahlrecht bei nicht voraussichtlich dauernder Wertminderung von Finanzanlagen nach § 253 Abs. 3 Satz 4 HGB, also wiederum bei den am ehesten im Wert schwankenden Gegenständen eines Unternehmens.

Weder ist die Bewertung nunmehr zeitnäher (vgl. etwa zur Neubewertung von Sachanlagen nach IAS/IFRS näher unter Punkt 2.2.2), außer etwa bei Sonderfällen der Fremdwährungsumrechnung (dazu s. nachfolgend mit steuerlichen Konsequenzen unter 2.1.2) noch ist die traditionelle Vorsicht über Gebühr zurückgedrängt (zur Zeitwertbilanzierung des Fair Value als speziellem Bewertungsmaßstab Federmann 2010, S. 445 f.). Hinweis: Festzuhalten ist, dass auf die Einzelabschlüsse nach Handelsrecht die internationale Rechnungslegung einen eher marginalen Einfluss entfaltet, von den mittelbaren Auswirkungen auf das Gesetzgebungsverfahren des BilMoG einmal abgesehen. 2.1.2. Steuerrechtliche Gewinnermittlung Auf die steuerrechtliche Gewinnermittlung mit vollständigem Betriebsvermögensvergleich nach §§ 4 i.V.m. 5 Abs. 1 EStG (zur Frage der Anwendung vgl. Richter und Wilke 1997, S. 5 f.; zur Abgrenzung vom partiellen Betriebsvermögensvergleich und zur Gültigkeit der GoB in beiden Fällen Richter und Wilke 1998, S. 464 f.) hat die internationale Rechnungslegung aktuell kaum einen Einfluss. Diese Einflusslosigkeit ist indes lediglich eine Momentaufnahme: In § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG ist für buchführen-

XVI. Farewell fair value – Bedeutung internationaler Rechnungslegung

207

de Gewerbetreibende vorgeschrieben, für den Schluss des Wirtschaftsjahres das Betriebsvermögen anzusetzen, das nach handelsrechtlichen Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung auszuweisen ist, es sei denn, im Rahmen der Ausübung eines steuerlichen Wahlrechts wird oder wurde ein anderer Ansatz gewählt. Das Ertragssteuerrecht hat sich durch den letzten Halbsatz in § 5 Abs. 1 Satz 1 („..., es sei denn, ...“) deutlich vom Handelsrecht isoliert (vgl. Mandler 2004, S. 90 f.). Jedenfalls ist die Umkehrmaßgeblichkeit obsolet. Für eine emanzipierte steuerrechtliche Gewinnermittlung bietet in der Folge eine Abkehr vom Vorsichtsprinzip durch zeitnähere Bewertung, zum Beispiel unter Vernachlässigung des Gewinnrealisationsprinzips, fiskalisch unter Umständen ein willkommenes Einfallstor, losgelöst vom Handelsrecht Unternehmenserträge zu besteuern. Teilweise auch bereits de lege lata wirkt sich dieser internationale Aspekt zeitnäherer Bewertung ertragsteuerlich aus (vgl. weiterführend zu GoB Lühr 2010, S. 89 f.; zu IFRS Lühr 2010, S. 106 f.), wenn auch zur Zeit mit fiskalisch umgekehrtem Vorzeichen, wie exemplarisch an der Problematik der Fremdwährungsumrechnung gezeigt werden kann (dazu ausführlich Richter 2013, § 6 EStG Anm. 8 f.): Nach § 256a Satz 1 HGB erfolgt handelsrechtlich bei der Folgebewertung für Vermögensgegenstände und Verbindlichkeiten, die eine Restlaufzeit von bis zu einem Jahr haben, unter Vernachlässigung des Anschaffungswertprinzips nach § 253 Abs. 1 HGB sowie des Imparitätsprinzips nach § 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB eine obligatorische Umrechnung mit dem Devisenkassamittelkurs zum Abschlussstichtag. Für diese mutmaßlich nicht mehr dauernd dem Unternehmen dienenden Wirtschaftsgüter hält die Finanzverwaltung (vgl. BMF vom 25.2.2000, BStBl. I 2000, 372, Rn. 23 f.; auf der sogenannten Positivliste des BMF vom 27.3.2012, BStBl. I 2012, 370, Nr. 583 der Liste) eine Abschreibung auf den niedrigeren Teilwert nach § 6 Absatz 1 Nr. 1 Satz 2 und Nr. 2 Satz 2 aufgrund einer dauernden Wertminderung nur für zulässig, wenn die Wertminderung bis zum Zeitpunkt der Aufstellung der Bilanz oder zum vergangenen Verkaufs- oder Verbrauchszeitpunkt anhält, und verlangt, zusätzliche Erkenntnisse bis zu diesen Zeitpunkten zu berücksichtigen, zum Beispiel Kursschwankungen. Bei solchen Wirtschaftsgütern - oder handelsrechtlich: Vermögensgegenständen – mit einer Restlaufzeit von einem Jahr oder weniger wird aber unter Umständen eine Bewertung mit dem an die Stelle der Anschaffungs- oder Herstellungskosten tretenden Wert nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 und Nr. 2 Satz 1 EStG möglich sein. Denn der handelsrechtlich obligatorisch zu wählende Umrechnungswert nach § 256a Satz 1 und 2 HGB könnte steuerrechtlich, zumindest bei gegenüber Buchwerten niedrigeren Werten, ebenfalls verpflichtend sein. Somit könnte das einkommensteuerliche Verbot der Teilwertabschreibung in diesen Fällen elegant umgangen werden. In der Regel kommt sonst nach § 256a Satz 2 HGB ein beizulegender Wert zum Abschlussstichtag bei Restlaufzeiten der Vermögensgegenstände oder Verbindlichkeiten von mehr als einem Jahr wegen Geltung des Anschaffungs- und Niederst- oder passivisch Höchstwertprinzips und des Wertaufholungsgebots nach § 253 Abs. 1 und 3 bis 5 HGB nur dann zum Tragen, wenn er voraussichtlich dauernd niedriger bzw. bei Verbindlichkeiten höher ist als der Buchwert.

208

XVI. Farewell fair value – Bedeutung internationaler Rechnungslegung

Hinweis: Bereits im jetzigen Rechtsrahmen entfernen sich traditionell maßgebliche handelsrechtliche GoB und steuerliche Gewinnermittlung voneinander. Diese Kontinentaldrift zwischen Handels- und Steuerrecht vergrößert sich zusehends. Ausnahmen wie § 256a HGB bestätigen nur die Regel. 2.2.

Konzernabschlüsse

2.2.1. Verbundene Unternehmen Verbunden nach § 271 Abs. 2 HGB sind Unternehmen dann, wenn sie als Mutteroder Tochterunternehmen in den Konzernabschluss des Mutterunternehmens einzubeziehen sind. Selbst gemäß § 296 HGB faktisch nicht einbezogene Tochterunternehmen sind danach mit dem Mutterunternehmen verbundene Unternehmen. Für die Feststellung der Konzernrechnungslegungspflicht nach § 290 Abs. 1 HGB ist der unmittelbar oder mittelbar beherrschende Einfluss ausschlaggebend, und zwar, so § 290 Abs. 2 HGB, wenn 1.

ihm bei einem anderen Unternehmen die Mehrheit der Stimmrechte der Gesellschafter zusteht;

2.

ihm bei einem anderen Unternehmen das Recht zusteht, die Mehrheit der Mitglieder des die Finanz- und Geschäftspolitik bestimmenden Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgans zu bestellen oder abzuberufen, und es gleichzeitig Gesellschafter ist;

3.

ihm das Recht zusteht, die Finanz- und Geschäftspolitik auf Grund eines mit einem anderen Unternehmen geschlossenen Beherrschungsvertrages oder auf Grund einer Bestimmung in der Satzung des anderen Unternehmens zu bestimmen oder

4.

es bei wirtschaftlicher Betrachtung die Mehrheit der Risiken und Chancen eines Unternehmens trägt, das zur Erreichung eines eng begrenzten und genau definierten Ziels des Mutterunternehmens dient (Zweckgesellschaft). Neben Unternehmen können Zweckgesellschaften auch sonstige juristische Personen des Privatrechts oder unselbstständige Sondervermögen des Privatrechts, ausgenommen Spezial-Sondervermögen im Sinn des § 2 Abs. 3 des Investmentgesetzes, sein.

Der Konsolidierungskreis ist dabei nach § 294 Abs. 1 HGB umfassend: Mutter- und alle Tochterunternehmen, letztere ohne Rücksicht auf ihren Sitz, sind von vernachlässigbaren Fällen des § 296 HGB abgesehen, in den Konzernabschluss einzubeziehen. Ofenkundig ist die Konzernrechnungslegungspflicht – bzw. umgekehrt auch die Befreiung von der Konzernrechnungslegungspflicht nach Unternehmensgröße gemäß § 293 HGB – allein auf die Konzernmutter abgestellt, wohingegen Tochterunternehmen, selbst wenn es sich hierbei um kleine oder mittlere Unternehmen handelt, zu konsolidieren, also einzubeziehen sind, wenn sie zu einem Konzernverbund gehören. Die Technik dieser Vollkonsolidierung ist relativ simpel (vgl. zur Einbeziehung von Tochterunternehmen Küting und Weber 2010, S. 263 f.): In § 300 Abs. 1 HGB ist bei der Zusammenfassung der Jahresabschlüsse von Mutter- und Tochterunternehmen lediglich verlangt, dass an die Stelle der dem Mutterunternehmen gehörenden Anteile an den einbezogenen Tochterunternehmen die Vermögensgegenstände, Schulden, Rechnungsabgrenzungsposten und Sonderposten der Tochterunternehmen

XVI. Farewell fair value – Bedeutung internationaler Rechnungslegung

209

treten, soweit sie nach dem Recht des Mutterunternehmens bilanzierungsfähig sind. Diese Zusammenfassung erfolgt durch Kapital- (§ 301 HGB), Schulden- (§ 303 HGB), Zwischenergebnis (§ 304 HGB) sowie Aufwands- und Ertragskonsolidierung (§ 305 HGB). Man bedient sich dabei der sogenannten Handelsbilanz II zur zeitnahen Neubewertung der Bilanzpositionen, um den Maßgaben des § 308 Abs. 2 Satz 1 HGB Genüge zu tun. Bei dieser Neubewertung werden schon immer die stillen Reserven und stillen Lasten der einbezogenen Unternehmen aufgedeckt und der Genauigkeit wegen die Teilhabe etwaig vorhandener Minderheitsgesellschafter nach § 307 HGB aufgezeigt (vgl. zum Ausgleichsposten Küting und Weber 2010, S. 287 f.). Falls ein Tochterunternehmen eines IAS/IFRS anwendenden Mutterunternehmens die Bilanzierungs- und Bewertungsgrundsätze von IFRS anwendet, so muss es faktisch auch die IFRS befolgen, selbst wenn IFRS für KMU 1.6 dem Wortlaut nach etwas anderes suggeriert. Dass nämlich ein Tochterunternehmen, auch wenn die Mutter bzw. der Konzern die vollen IFRS anwendet, lediglich vollständig den IFRS für KMU anwendet, vermag man sich schon aus praktischen Erwägungen nicht vorzustellen. Hinweis: Die Annahme, dass die internationale Rechnungslegung mit IAS/IFRS lediglich große oder kapitalmarktorientierte Unternehmen interessieren müsse, ist im Fall von Tochterunternehmen in Konzernen irrig. Selbst die Erleichterungen des IFRS für KMU sind aus Sicht der Einheitstheorie fraglich. 2.2.2. Einheitstheorie und Wahlrechte Von Sonderfällen der Zweckgesellschaften abgesehen, gilt für den Konzernabschluss die Einheitstheorie nach § 297 Abs. 3 Satz 1 HGB, mithin „... die Vermögens-, Finanz und Ertragslage der einbezogenen Unternehmen so darzustellen, als ob diese Unternehmen insgesamt ein einziges Unternehmen wären“ und dabei einheitlich nach den auf den Jahresabschluss des Mutterunternehmens anwendbaren Bewertungsmethoden gemäß § 308 Abs. 1 und 2 HGB zu bewerten, sowie das Generalpostulat – adäquat der Generalklausel des § 264 Abs. 2 Satz 1 HGB für den Einzelabschluss – des § 297 Abs. 2 Satz 2 HGB, wonach auch der Konzernabschluss „... unter Beachtung der Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage des Konzerns zu vermitteln [hat].“ Die internationale Rechnungslegung (International Accounting Standards bzw. International Financial Reporting Standards – IAS/IFRS) ist in Konzernbelangen selbst im gesetzlichen Bereich längst auf dem Vormarsch (vgl. allerdings zur Rechtscharakteristik internationaler Normen wie IAS/IFRS Coenenberg, Haller und Schultze 2012, S. 51 f.). Nach § 315a HGB (in der Nachfolge des § 292a HGB) sind für bestimmte Mutterunternehmen verpflichtend (§ 315a Abs. 1 HGB), obligatorisch auch für sogenannte kapitalmarktorientierte Unternehmen, wenn für sie die Zulassung eines Wertpapiers zum Handel an einem organisierten Markt im Sinne des § 2 Abs. 5 des Wertpapierhandelsgesetzes im Inland beantragt worden ist (§ 315a Abs. 2 HGB), und für

210

XVI. Farewell fair value – Bedeutung internationaler Rechnungslegung

andere Mutterunternehmen nach § 315a Abs. 3 HGB freiwillig IAS/IFRS anwendbar. Das bedeutet im Lichte der Einheitstheorie, dass Tochterunternehmen ihren Umstellungsaufwand zur Handelsbilanz II nach der Bewertungsmethodik des Mutterunternehmens gemäß IAS/IFRS vornehmen. Die Problematik soll am Beispiel der Sachanlagen demonstriert werden. Die Bilanzierung von Sachanlagen betrifft den Ansatz der Vermögenswerte, die Bestimmung ihrer Buchwerte, der Abschreibungs- und Wertminderungsaufwendungen. Zielsetzung der Bilanzierungsmethoden von IAS 16 ist es, Abschlussadressaten Informationen zu geben über entsprechende Investitionen und Änderungen solcher Investitionen. Bei der Folgebewertung von Sachanlagen wird in IAS 16.29 ein Wahlrecht – einheitlich für eine Gruppe von Sachanlagen auszuüben – eingeräumt, statt des Anschaffungskostenmodells nach IAS 16.30 das Neubewertungsmodell von IAS 16.31 f. anzuwenden. In diesem Modell ist dann eine Sachanlage, deren beizulegender Zeitwert verlässlich bestimmt werden kann, nach dem Ansatz als Vermögenswert zu einem Neubewertungsbetrag anzusetzen, der seinem beizulegenden Zeitwert am Tage der Neubewertung abzüglich nachfolgender kumulierter planmäßiger Abschreibungen/Wertminderungsaufwendungen entspricht. Kritikkabel ist es meines Erachtens bereits, die Voraussetzung, dass der Zeitwert verlässlich bestimmt werden kann, zugleich als Zielsetzung zu bestimmen. Neubewertungen sind hinreichend regelmäßig vorzunehmen, damit der Buchwert nicht wesentlich von dem abweicht, der unter Verwendung des beizulegenden Zeitwerts zum Bilanzstichtag ermittelt werden würde. x

Wertsteigerungen sind nach IAS 16.39 im Eigenkapital in eine Neubewertungsrücklage einzustellen außer bei der erfolgswirksamen Rückgängigmachung einer vorherigen Abwertung.

x

Wertminderungen sind nach IAS 16.40 erfolgswirksam zu erfassen. Soweit sie den Betrag einer Neubewertungsrücklage nicht übersteigen, erfolgt eine Erfassung im Eigenkapital.

Eventuelle Ertragsteuerauswirkungen – meist latente (vgl. zur Steuerabgrenzung statt vieler Winnefeld 2006, D Rn. 700 f.; D Rn. 1390 f.; zu Steuerlatenzen als Form der Bilanzierungshilfe schon Richter 1988a, S. 149 f.) – unterfallen nach IAS 16.42 den Ertragsteuerregelungen des IAS 12. Die Fairness und verlangte Zeitnähe der Bewertung macht bei Wertentwicklungen ein aufwändiges Prüfungsverfahren nach IAS 36 „Wertminderung von Vermögenswerten“ erforderlich. Um festzustellen, ob eine Sachanlage sich im Wert verändert, erklärt dieser Standard, wie ein Unternehmen den Buchwert seiner Vermögenswerte überprüft, wie es den erzielbaren Betrag eines Vermögenswertes ermittelt und wann es einen Wertminderungsaufwand erfasst oder dessen Erfassung aufhebt (IAS 16.63). x

Ein Vermögenswert ist wertgemindert, wenn der Buchwert des Vermögenswertes seinen erzielbaren Betrag übersteigt. Die IAS 36.9 f. beschreiben Anhaltspunkte aus externen und internen Informationsquellen (IAS 36.12) dafür, dass sich eine Wertminderung ereignet haben könnte, sodass ein Unternehmen verpflichtet ist, eine formelle Schätzung des „erzielbaren Betrages“ vorzunehmen, nach IAS 16.6 bzw. IAS 36.6 ist das bei Sachanlagen der höhere der Beträge aus dem beizulegenden Zeitwert abzüglich der Verkaufskosten und dem Nutzungswert.

XVI. Farewell fair value – Bedeutung internationaler Rechnungslegung x

211

Mit umgekehrtem Vorzeichen hat an jedem Bilanzstichtag eine Prüfung zu erfolgen, ob irgendein Anhaltspunkt vorliegt, dass ein Wertminderungsaufwand, der für einen Vermögenswert in früheren Jahren erfasst worden ist, nicht länger besteht oder sich vermindert haben könnte. Dann hat das Unternehmen den erzielbaren Betrag dieses Vermögenswertes wiederum zu schätzen (IAS 36.110).

Hinweis: Die Anforderungen der Vollkonsolidierung nach §§ 300 f. im Konzernverbund sind – ggf. nach § 315a HGB in Anwendung der IAS/IFRS – mit der Neubewertungsmethode unter Zuhilfenahme einer Handelsbilanz II zu erfüllen.

3.

Ungefährer Ausblick – de lege ferenda

Die Entwicklung der fairen Werte – wenn es denn überhaupt fair und zeitnah realistische Werte in Anbetracht fehlender vollkommener Voraussicht (vgl. zur modellhaften Unsicherheitsberücksichtigung Richter 1995, S. 579 f.) geben kann – für die Zukunft der handelsrechtlichen Rechnungslegung und der steuerlichen Gewinnermittlung im Rahmen kommender Gesetzgebungsverfahren zu prognostizieren wäre Spekulation. Allerdings ist die Wegentwicklung des Handelsrechts vom Steuerrecht (kritisch hinsichtlich möglicher IAS/IFRS-Verknüpfung zur steuerlichen Gewinnermittlung Günter 2012, S. 222 f. und 269) dergestalt manifest, dass zumindest die Aufgabe der Umkehrmaßgeblichkeit unumkehrbar erscheint. Formell ist dieser langjährige Auswuchs der Maßgeblichkeit Geschichte. Hinweis: Die limitierte Partizipation am handelsrechtlichen Ergebnis durch den Fiskus könnte sich durchaus zu Begehrlichkeiten zur Teilhabe an nicht realisierten, aber eventuell nur vermeintlich realistischen Wertentwicklungen von Unternehmen entwickeln.

212

XVI. Farewell fair value – Bedeutung internationaler Rechnungslegung

Quellen und weiterführende Literatur Adler, H./ Düring, W./ Schmaltz, K.: (1995) Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen. 6. Aufl., Stuttgart. Baumbach, A./ Hopt, K./ Merkt, H.: (2012) Handelsgesetzbuch, 2. Aufl., München. Coenenberg, A./ Haller, A./ Schultze, W.: (2012). Jahresabschluss und Jahresabschlussanalyse, Stuttgart. Ebenroth, C. et al.: (2008) Handelsgesetzbuch. Hrsg. von Carsten Thomas Ebenroth u.a., 2. Aufl., München. Federmann, R.: (2010) Bilanzierung nach Handelsrecht, Steuerrecht und IAS/IFRS. 12. Aufl., Berlin. Gruber-Mücke, T.: (2011) „Internationalisierung in frühen Unternehmensphasen – Eine empirische Analyse der Wachstumsdynamik von Jungunternehmen“, Diss. Wiesbaden. Günter, S.: (2012) Fortentwicklung des Handels- und Steuerbilanzrechts – eine ökonomische Analyse . Zugl. Diss. Hohenheim 2011, Lohmar. Janssen, J.: (2009) Rechnungslegung im Mittelstand - Eignung der nationalen und internationalen Rechnungslegungsvorschriften unter Berücksichtigung der Veränderungen durch den IFRS for Private Entities und das Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz . Wiesbaden. Küting, K./ Weber, C.-P.: (2010) Der Konzernabschluss – Praxis der Konzernrechnungslegung nach HGB und IFRS. 12. Aufl. Stuttgart. Lühr, I.: (2010) Internationale Rechnungslegung für kleine und mittelgroße Unternehmen. Zugl. Diss. Hagen 2009, Wiesbaden. Mandler, U.: (2004) Der deutsche Milttelstand vor der IAS-Umstellung 2005 – Konzepte und empirische Befunde zur Umsetzung der IAS-Verordnung, Herne, Berlin. Niehus, R. J.: (2008) „Das BilMoG – International für den Mittelstand eine gleichwertige Alternative?“ In: Deutsches Steuerrecht 46, 1451 f. Niehus, U./ Wilke, H.: (2010) Die Besteuerung der Personengesellschaften, 5. Aufl., Stuttgart. Niehus, U./ Wilke, H.: (2012) Die Besteuerung der Kapitalgesellschaften, 3. Aufl., Stuttgart. Richter, H.: (1988a) „Bilanzhilfsposten in Handelsbilanz und Steuerbilanz“. In: Steuer und Wirtschaft NF 18, 149 f. Richter, H.: (1988b) „Die Generalklausel des § 264 Abs. 2 HGB und die Forderung des true and fair view“. In: Betriebs-Berater 43, 2212 f. Richter, H.: (1995) „Ein neuer Ansatz zur Berücksichtigung der Unsicherheit in ökonomischen Entscheidungsmodellen“. In: Deutsches Steuerrecht 33, 579 f. Richter, H.: (2013) „Erläuterungen zu § 6 EStG: Fremdwährungsumrechnung bei Auslandsbeziehungen“. In: Herrmann/Heuer/Raupach: Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz (Kommentar) . 257. EL 2013. Köln, § 6 Anm. 8 f.10 Richter, H.,/ Wilke, H.: (1997) „Der Betriebsvermögensvergleich im Einkommensteuerrecht - oder die akademische Frage, wer mit wem“. In: Diskussionsbeiträge des FB Wirtschaft der FH Stralsund . Heft 8. Stralsund, 5 f. Richter, H.,/ Wilke, H.: (1998) „Partieller oder vollständiger Betriebsvermögensvergleich - GoB auch für Minderkaufleute?“ In: Finanz-Rundschau 80, 464 f. Schulze-Osterloh, J.: (2008) „Ausgewählte Änderungen des Jahresabschlusses nach dem Referentenentwurf eines Bilanzrechtsmodernisierungsgesetzes“. In: Deutsches Steuerrecht 46, 63 f. Spindler, D.: (2005) Zeitwertbilanzierung nach dem ADHGB von 1861 und nach den IAS/IFRS. Zugl. Diss. Regensburg. Sternenfels. Stobbe, T.: (2010) „Erläuterungen zu § 5 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 EStG: Maßgeblichkeit der Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung“. In: Herrmann/Heuer/Raupach: Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz (Kommentar) . 239. EL 2010. Köln, § 5 Anm. 61 f. Winnefeld, R.: (2006) Bilanz-Handbuch. 4. Aufl., München.

XVII.

Rechnungswesen und Unternehmenssteuerung – lästige Pflichten oder nützliche Informationen?

Harald Wilde 1.

Aufgaben des Rechnungs- und Finanzwesens sowie des Controlling

Unter „Rechnungswesen“ versteht man zwei in ihren Adressaten unterschiedliche Zahlenwerke (bzw. in der betrieblichen Organisation: Abteilungen): x

Das externe Rechnungswesen besteht aus der Dokumentationstechnik „Buchführung“ (vgl. u.a. Bornhofen/Bornhofen 2012; Schmolke/Deitermann 2007; Deppe 2004), in der auch einige grundlegende Prinzipien des Handels- und Steuerrechts (z.B. des Umsatzsteuergesetzes) zu beachten sind, und aus Entscheidungen vorzugsweise am Ende eines Geschäftsjahres über die „Bilanzierung“ (Petersen et al. 2011), insbes. über die Frage: Wollen wir uns (im Rahmen des Legalen) „arm“, „reich“ oder möglichst realistisch darstellen?

x

Das interne Rechnungswesen, auch „Kosten(- und Leistungs)rechnung“ (Moews 1992; Wilde 2003; Friedl et al. 2010) genannt, beschäftigt sich z.T. mit Zuarbeiten zum externen Rechnungswesen (etwa Ermittlung von sogenannten „Herstellungskosten“ im Rahmen gesetzlicher Spielräume), v.a. aber mit der – nicht an Gesetzesnormen gebundenen! – Entscheidungsvorbereitung (z.B. über Preiskalkulation oder Eigenfertigung – Fremdbezug).

Oft wird die entsprechende Abteilung auch „Rechnungs- und Finanzwesen“ genannt; dann kommen noch Darstellung und insbes. Entscheidung über x

Finanzierungsformen (Kampmann 2010) und/oder

x

Investitionen (Rollwage 2012; Wilde/Soik 2003; Schünemann 2005)

mit ihrer Berücksichtigung mehrjähriger Perspektiven und der Schwerpunktsetzung auf Zu-, Abflüsse und Bestände von (nicht nur Bar-)Geld hinzu. Erweitert man den Begriff nochmals zu einer Abteilung „Rechnungswesen/ Controlling“, so steht das „Controlling“ (Klett/Pivernetz 2010; Weber/Schäffer 2011; Ziegenbein 2012) dafür, das Unternehmen unter den zwei Aspekten „Die richtigen Dinge tun“ (eher strategisch, vgl. Buchholz 2009) und „Die Dinge richtig tun“ (eher operativ, vgl. Brühl 2009) zu steuern. Dazu gehören in der kurzfristigen Perspektive bes. Planung und Kontrolle von Geldgrößen wie Kosten oder Liquidität, längerfristig die von Investitionen oder auch übergreifenden Strategien.

2.

Vorentscheidungen (möglichst) schon bei Existenzgründung – Was bedeutet das KISS-Prinzip?

Außer den in anderen Kapiteln dargestellten, oft „konstitutiv“ genannten Entscheidungen v.a. über Rechtsform und Standort müssen sich bereits Existenzgründer früh entscheiden: Will ich das verpflichtend vorgeschriebene externe Rechnungswesen

214

XVII. Rechnungswesen und Unternehmenssteuerung

selber machen oder diese Funktion auslagern („Outsourcing“)? Da die Belege ohnehin einigermaßen geordnet auch für den (teuren!) Steuerberater vorbereitet werden sollten, lautet die Standardempfehlung zunächst: Selbermachen! Es gibt heute durchaus komfortable (auch für kaufmännische Laien „idiotensicher“ handhabbare) Buchführungsprogramme zu zivilen Preisen. (Sind erst mal nennenswerte Gewinne legal vor dem Finanzamt oder auch gierigen Teilhabern zu „schützen“, dann lohnt sich auch der Auftrag ans Steuerbüro.) Trifft dann ein „wunderschön“ juristisch formulierter Fragebogen vom Finanzamt ein, so kommt es auf das richtige Kreuzchen für Kleinunternehmer persönlich viel mehr an als auf dem Wahlzettel: x

Schwierig ist die Entscheidung, ob man als Kleinunternehmer ganz ohne Umsatzsteuer oder mit dem System von Vorsteuer (die erst mal an Lieferanten gezahlt, dann beim Finanzamt zurückgeholt wird) und Umsatzsteuer (so dass man praktisch nur die Differenz, also umgangssprachlich den „Mehrwert“ versteuert) buchen will. Denn die sogenannte Umsatzsteuerbefreiung „ist für den Kleinunternehmer keineswegs immer vorteilhaft“ (Robinson 2003, S. 347). Faustregel: Wer geringe Investitionen (die meist mit Vorsteuer belastet sind!) hat, frühzeitig zumindest bescheidene Gewinne erwartet und/oder niemand mit entsprechenden Kenntnissen im Betrieb hat, wird sich eher für die Kleinunternehmerregelung entscheiden. Umgekehrt ist es natürlich reizvoll, den Kapitalbedarf für hohe Anfangsinvestitionen und/oder beträchtliche (geplante) Anlaufverluste durch Vorsteuererstattungen abzumildern. Rechtsgrundlage ist der § 19 des (u.a. im Internet verfügbaren) Umsatzsteuergesetzes (UStG). Z.Z. ist demnach Kleinunternehmer, wer im Vorjahr höchstens 17.500 € Bruttoumsatz gemacht hat und im laufenden Jahr höchstens 50.000 € erwartet (die Grenzen ändern sich von Zeit zu Zeit!). Will man als Kleinunternehmer auf die Umsatzsteuerbefreiung verzichten, so ist man an diese Entscheidung mindestens fünf Jahre gebunden.

x

Wenn Sie von vornherein wie ein größeres Unternehmen buchen wollen oder müssen, so wählen Sie als Standardempfehlung lieber die „Istbesteuerung“ als die „Sollbesteuerung“ (vgl. Bornhofen/Bornhofen 2012, S. 121)! Dann müssen Sie die Umsatzsteuer (im Alltag: „Mehrwertsteuer“ genannt) erst abführen, wenn Ihr Kunde gezahlt hat. Und nicht schon, wenn Sie Ihre Ausgangsrechnung losgeschickt haben, der Kunde also erst noch zahlen soll. Derzeitige Grenze für Istbesteuerung nach § 20 UStG: 500.000 € Bruttoumsatz im Vorjahr.

Auch für weitere Entscheidungen (nicht nur) über Rechnungswesen und Unternehmenssteuerung ist die Maxime “KISS“ als „Keep it simple and sexy“ zu verstehen und nicht als „Keep it simple and stupid“!

3.

Unternehmenssteuerung durch Zahlen des externen Rechnungswesens

In nahezu allen Branchen können Sie sich einen Kontenrahmen aussuchen (und Ihren individuellen Kontenplan danach gestalten), wie Sie Lust haben. Eingeschränkt also nicht durch Gesetzesnormen, sondern ggf. das Sortiment, das Ihr Buchführungsprogramm bereitstellt. Dennoch sind einige weitere Überlegungen bei Einrichtung der (eigenen, als Berater ggf. auch Kunden-)Buchhaltung zu berücksichtigen, da selbst bei gleicher Branche unterschiedliche Kontenrahmen durch verschiedene Experten empfohlen werden:

XVII. Rechnungswesen und Unternehmenssteuerung

215

x

Welche Systematik erscheint intuitiv nachvollziehbarer (denn oft lässt sich allein an den Kontennummern schon eine Hierarchie von Ober- und Unterkonten erkennen)?

x

Will ich das interne Rechnungswesen gleich integrieren (vgl. Deppe 2004, Kap. 8), was – wenn´s klappt – aussagekräftigere Informationen liefert, aber auch schwerer zu erlernen ist?

x

Was will ich – um meine Planung und Kontrolle zu unterstützen – eher zusammenfassen (z.B. wer normalerweise ohne Nachlässe bezahlt, kann diese auch ohne den „Umweg“ über ein Unterkonto buchen) oder stärker differenzieren, etwa nach Nachlässen wegen Mängelrügen, wegen schneller Zahlung („Skonti“) oder als nachträglicher Mengenrabatt („Boni“)?

Denn ist erst mal der Laden am Laufen, dann wird jede nachträgliche Änderung der Grundkonzeption Zeit und Geld (und oft genug auch wichtige Informationen) kosten. Gerade bei Unternehmern mit wenig kaufmännischen Vorkenntnissen sind auch die Verständlichkeit eines Programms und die Vermeidung von zu hoher Komplexität (wer nur eine Betriebsstätte hat, braucht nicht die Möglichkeit, mehrere Filialen getrennt zu erfassen) wichtige Kriterien bei dieser Entscheidung. Die folgenden einfachen Controlling-Instrumente stehen praktisch jedem KMU zur Verfügung: x

„Management by Kontoauszug“ und nicht zu viele Scheck-, Kredit- u.a. Kärtchen (Praktiker mahnen: mit Plastikgeld ist mancher schon pleite und weiß es noch gar nicht): einfach in kurzen Abständen schauen, ob insbes. unerwartete Liquiditätslücken sich abzeichnen, denn Verhandlungen mit der Bank fallen leichter, bevor die ersten Lastschriften zurückgebucht werden!

x

Damit allein ist noch nicht transparent, ob demnächst eher Geld in die Kasse kommen (man hat Forderungen gegenüber Kunden, und die sind auch zahlungsfähig und -willig) oder rausgehen wird; deshalb auch immer für mehrere Monate Planung der „situativen“ und „dispositiven“ Liquidität (vgl. Kampmann 2010, S. 291f) als Vorschau künftiger Kontoauszüge aufgrund von Erfahrungswerten u.a. über die üblichen Zahlungsfristen („Zahlungsziel“). Mittels Excel-Tabellen lassen sich auf der Ebene der kurzfristigen Finanzierung des Gesamtunternehmens solche Liquiditätsprognosen erstellen – ein Muss, da man in dieser Wirtschaftsordnung durch Zahlungsunfähigkeit schnell in die Insolvenz geraten kann.

x

Schließlich, um laufendes Geschäft, Investitionen und Finanzierungsvorgange durch Eigenoder Fremdkapital zu trennen, „kurzfristige Erfolgsrechnung“ (vgl. Wilde 2003, S. 303-305), d.h. eine freiwillige monatliche Verlust-und-Gewinn-Rechnung, in die manche erst zum Jahresende bekannten oder zu entscheidenden Buchungen eben mit Schätzwerten eingehen (Erfahrungswert: gerade wenn Unternehmer geschickt mit Gläubigern und Schuldnern verhandeln können, kann sich in wenigen Monaten ohne dieses Rechenwerk eine nicht mehr aufzuholende Höhe ungeplanter Verluste aufhäufen!). In der üblichen betriebswirtschaftlichen Systematik gehört diese kurzfristige Erfolgsrechnung bereits zum internen Rechnungswesen, da sie meist schon möglichst realistische statt gesetzeskonformer Zahlenwerte verwendet, also z.B. auch Eigenkapital „kalkulatorisch“ verzinst, andererseits den oft recht hoch gerechneten Aufwandsposten „Abschreibungen“ auf eine kalkulatorisch angemessen erscheinende Höhe herunter rechnet.

Wenn das Kleinunternehmen größer und unübersichtlicher wird, kann man diese Instrumente verfeinern; aber auch dann folgen sie derselben prinzipiellen Logik. Der Jahresabschluss ist dagegen Pflicht, und selbst wenn Sie aufgrund von Branche oder Betriebsgröße keine Steuerbilanz erstellen müssen, so müssen Sie auch bei einer „Einnahmen-Überschuss-Rechnung“ nicht zahlungswirksamen Aufwand wie Abschreibungen oder den Stand offener Posten auf Seiten der Forderungen und

216

XVII. Rechnungswesen und Unternehmenssteuerung

Verbindlichkeiten berücksichtigen. Als Standard für Kaufleute im Sinne des HGB ist es empfehlenswert, immer auch eine Bilanz nach steuerlichen Kriterien zumindest für interne Zwecke (und Kreditgeber!) zu erstellen, da eine gut gemeinte Entbürokratisierungsregel leider handwerklich schlecht gemacht ist (vgl. Petersen et al. 2011, S. 3-6). Grundregel: Solange Sie nicht verpflichtet sind, außer der ans Finanzamt einzureichenden Steuerbilanz (die für Bankgespräche u.ä. völlig in Ordnung ist) eine extra sogenannte Handelsbilanz zu veröffentlichen, dann machen Sie nicht mehr, als Sie müssen! Wenn Sie nicht mehr drum rum kommen, dann bilden Sie – soweit möglich – eine „Einheitsbilanz“, die steuer- und handelsrechtliche Anforderungen zugleich erfüllt. Problem: Während dies nach dem „alten“ HGB vor Inkrafttreten des „Bilanzmodernisierungsgesetzes“ (BilMoG) immer möglich war, gibt es jetzt einige Fälle, wo die Zahlenwerke zwingend voneinander abweichen müssen. Ja, warum einfach, wenn´s auch kompliziert geht, hat sich der Gesetzgeber da wohl gedacht. Zum Glück sind die zwingenden Ausnahmen nicht so zahlreich, dass sich die Probleme nicht nach Lektüre eines einschlägigen (meist teuren) Buches aus eigener Kraft lösen ließen. Relevant für den Mittelstand ist v.a. das Risiko von Festpreisen: Wenn Sie z.B. Material langfristig zum Festpreis bestellt haben und der Preis dieses Materials künftig sinken wird, dann müssen Sie das in einer Handelsbilanz berücksichtigen und dürfen dies nicht in der Steuerbilanz (vgl. Bitz et al. 2011, S. 401; Meyer 2011, S. 129f).

4.

Entscheidungen kurz- und mittelfristig treffen mit Kostenrechnung und Kennzahlen: Gibt es „attraktive und preiswerte“ Lösungen?

Wenn erst mal die Gewinne da wären, um sie zu „verstecken“ – dafür kommt das interne Rechnungswesen zu Ehren. Vieles in den üblichen Lehrbüchern stammt aus weniger turbulenten Zeiten, als mit geringeren Nachfrageschwankungen, stabileren Geschäftsbeziehungen und längeren Innovationszyklen zu rechnen war. Deshalb werden beispielhaft einige Instrumente vorgestellt, die z.T. altbewährt, z.T. relativ jung sind, in jedem Fall aber wichtig dafür, ökonomisch sinnvolle Entscheidungen vorzubereiten und deren Wirkungen zu kontrollieren: (1) Der Betriebsabrechnungsbogen (BAB) ist zwar in sehr kleinen, übersichtlichen Unternehmen verzichtbar, ansonsten ein grobes, aber wichtiges Instrument der Darstellung von Plan- und der Kontrolle von Ist-Zahlen (siehe Darstellung 1). (2) Plankostenrechnung mit Abweichungsanalyse insbes. als Kontrollinstrument (3) Kennzahlenanalyse und Prozesskostenrechnung (4) Deckungsbeitragsrechnung für kurz- und längerfristige Entscheidungen (allerdings bei gleichbleibender strategischer Ausrichtung)

XVII. Rechnungswesen und Unternehmenssteuerung

217

Welche dieser Instrumente für Ihre Situation wichtig sind, lässt sich nicht pauschal sagen; deshalb eine kurze „Gebrauchsanweisung“ für die genannten, auch in der Controlling-Praxis sehr verbreiteten (vgl. Schäffer et al. 2012, S. 102) Instrumente: Darstellung 1: Betriebsabrechnungsbogen (nach Moews 1992, S. 127) Kostenstellen: Allg. Hilfsst Fert.Ferti. Hilfsst. gung A Kostenarten:

Summe

Fertigung B

Material-stelle

Verwaltung

Vertrieb

930

932

933

934

936

937

Einzel938 kosten

920 Stoffkosten

232.000

8.000

1.000

23.000

29.000

1.000

10.000

10.000

150.000

922 Lohnkosten

300.000

8.000

6.000

10.000

14.000

6.000

36.000

20.000

200.000

924 Dienstleistungsk.

87.000

3.000

5.000

28.000

20.000

1.000

9.000

13.000

8.000

926 Abschreibungen

135.000

7.000

0

45.000

60.000

0

15.000

8.000

0

61.000

1.000

1.000

2.000

3.000

1.000

13.000

4.000

36.000

928 Steuern/Beitr. 929 Zinsen Primäre Kosten

60.000

3.000

0

18.000

24.000

2.000

6.000

7.000

0

875.000

30.000 30.000

13.000

126.000

150.000

11.000

89.000

62.000

394.000

2.000 15.000

8.000

5.000

1.000

10.000

4.000

0

10.000

5.000

0

0

0

0

0

144.000

160.000

12.000

99.000

66.000

394.000

Umlage 930 Umlage 932 Summe

875.000

0

Zuschlagsbasis

120.000

80.000

150.000

Zuschlagssatz

120,00%

200,00%

8,00%

666.000 666.000 14,86%

9,91%

Quelle: Wilde, H.: Kosten- und Leistungsrechnung, in: Pepels W. (Hrsg.): ABWL, Köln 2003, S. 313

Es folgen einige Erläuterungen zur Interpretation des Betriebsabrechnungsbogens: a)

Betrachtet man zunächst die (hier 6) Zeilen mit den Kostenarten, so stammen die Summen zukunftsorientiert aus der Planung oder vergangenheitsorientiert aus dem externen Rechnungswesen. Möglich (aber bei KMU weniger verbreitet) ist ein Umrechnen auf kalkulatorische Kosten, wie grundsätzlich o. beschrieben.

b)

In der rechten Spalte werden als Einzelkosten einerseits das Fertigungsmaterial nach Stücklisten, andererseits die Fertigungslöhne nach Arbeitsplänen (bzw. im Ist: manuellen oder automatisierten Aufschreibungen) rausgerechnet. Einzelkosten werden so genannt, weil sie jeweils einzelnen Produktarten zugerechnet werden können. Ferner sind hier „Sondereinzelkosten“ (SEK) dokumentiert, die auch einzelnen Produktarten zugerechnet werden können, aber nicht gleichermaßen für alle Aufträge (z.B. Verbrauchsteuern wie Mineralölsteuer).

c)

„Herzstück“ jedes BAB ist die Verteilung der Kostenarten auf die Kostenstellen (vereinfacht mit „Abteilungen“ zu übersetzen, in der Praxis oft viel mehr als 7); meist in 2 Schritten: erst die sog. primären Kosten letztlich aus der Buchführung, dann die der (je nach Autor) Hilfs- oder Vorkostenstellenstellen als sog. sekundäre Kosten auf die (hier 5) Hauptkostenstellen.

d)

Der BAB würde mehr schaden als nützen, wenn die Verteilungs-„Schlüssel“ der Kostenarten auf die Kostenstellen unrealistisch wären. Also fragen Sie ruhig mal auf der Meisterebene (vgl. zu deren Bedeutung für KMU Kap. XVIII) nach, ob etwa die Null bei den Abschreibungen der Fertigungshilfsstelle wirklich bedeutet, dass dort überhaupt kein (nennenswertes) Anlagevermögen vorhanden ist!

e)

Wenn die „Schlüssel“ einigermaßen verursachungsgerecht die Kosten verteilen, dann besteht (Achtung, seit Norden/Wille 1965 wurde in der Literatur auch viel „verbösert“ statt verbessert!) die sinnvolle Nutzung des BAB für (tendenziell kurzfristige) Kontrollzwecke im Erstellen von 3 (meist Excel-)Tabellen für Plan, Ist und die Differenz. Dann sehen Sie zumindest mit einigem Training, wo etwas gut oder schlecht gelaufen ist. Aber noch nicht,

218

XVII. Rechnungswesen und Unternehmenssteuerung warum – denn eine Überschreitung aller Kosten kann Unwirtschaftlichkeit bedeuten, aber auch schlichtweg eine gestiegene Produktion anzeigen.

f)

Schwankende Produktionsmengen (auch in der Zusammensetzung des Sortiments) lassen sich im Grundsatz nach der Methode der u. dargestellten Plankostenrechnung berücksichtigen, was innerhalb des BAB aber schnell unübersichtlich werden kann.

g)

Für Zwecke der Kalkulation lassen sich – im Falle der Zuschlagskalkulation – für die Hauptkostenstellen durch Division der Gemeinkosten durch die Zuschlagsbasis Prozentsätze ermitteln, die aber nicht die Kostenverursachung widerspiegeln. Als Zuschlagsbasis der Fertigungshauptstellen dienen im Beispiel die (aufgeteilten) Fertigungslöhne, als die der Materialstelle das Fertigungsmaterial. Die sog. Herstellkosten als Zuschlagsbasis für Verwaltung und Vertrieb sind als Summe der Einzel- und Gemeinkosten der Fertigungs- und Material-Hauptkostenstellen ermittelt (also hier die 6 hervorgehobenen Zahlen); es wurde im Beispiel angenommen, dass keine SEK der Produktion (wie etwa Lizenzgebühren für Produktionsverfahren) entstehen.

h)

Alternativ zur Zuschlagskalkulation kann man die Gemeinkosten auch über (in der Fertigung meistens Maschinen-)Stundensätze auf die einzelnen „Kostenträger“ (in Handwerk/Industrie sind das i.d.R. materielle Produkte) zurechnen.

i)

Finger weg von irgendwelchen „Unter-/Überdeckungen“ der Gemeinkosten unterhalb der Zeile mit den %-Sätzen (vgl. Schmolke/Deitermann 2007, S. 360-363; etwas kritischer Dörrie/Preißler 2002, S. 152)! Diese werden unter so kühnen Annahmen berechnet, dass sie keineswegs realistisch sind, zuweilen sogar das verkehrte Vorzeichen haben.

Die Plankostenrechnung mit Abweichungsanalyse als Instrument eines operativen Controllings wird im Folgenden kurz dargestellt. Ansonsten ist die hier bewusst knapp bemessene Fachliteratur zu Rate zu ziehen. Wenn Sie Controlling-„Profi“ sind, können Sie anhand der dort genannten Quellen auch andere Ansätze kennenlernen und sich selbst ein Urteil bilden. Aber die meisten Werke – und alle mir bekannten „Kochrezepte“ aus dem Internet – gehen von der Situation der 40er und 50er Jahre des 20. Jahrhunderts aus, als rationelle Produktion ein großes und Absatz praktisch überhaupt kein Problem war. Somit können derartige Modelle zwar kurzfristigen Erfolg bzw. Misserfolg der Produktion praxisorientiert gut, auf der Absatzseite aber überhaupt nicht beurteilen. Die im folgenden Beispiel angenommenen Informationen über Plan-Input und – Output ermitteln Sie im Grundsatz durch eine kritische Fortschreibung von Vergangenheitswerten, die also absehbare Trends (und ggf. Trendbrüche) bereits einkalkuliert. Die Istwerte stammen aus altbewährten Rechenwerken wie der kurzfristigen Erfolgsrechnung und/oder dem BAB. Das folgende Beispiel zeigt, dass die ursprünglich für das operative Controlling materieller Produkte entwickelte Rechentechnik auch auf Dienstleistungen anwendbar ist. Ein Marktforschungsinstitut „hatte für den letzten Monat folgenden Input geplant: -

160 fixe Lohn-Stunden

-

95 variable [i.d.R. als proportional unterstellte, H.W.] Lohn-Stunden pro Projekt

-

Lohnsatz 30 Euro/Lohnstunde

-

320 fixe EDV-Stunden

-

80 variable [ebenfalls als proportional unterstellte, H.W.] EDV-Stunden pro Projekt

-

EDV-Kostensatz 20 Euro/EDV-Stunde

XVII. Rechnungswesen und Unternehmenssteuerung

219

Tatsächlich fielen als Input an: -

1.650 Lohn-Stunden

-

Lohnsatz 33 Euro/Lohnstunde

-

1700 EDV-Stunden

-

EDV-Kostensatz 20 Euro/EDV-Stunde

Beim Output ergab sich: -

Geplant waren 12 Marktforschungsprojekte zu einem Preis von je 8.000 Euro.

-

Tatsächlich durchgeführt wurden 16 Marktforschungsprojekte (Preis je 7.000 Euro).“

(Wilde 2007, S. 22f)

Unter Verwendung von (wo es möglich ist) auch mit älteren Varianten kompatiblen Formeln (vgl. Wilde 2004, S. 60f) ergibt sich folgende Übersicht: Darstellung 2: Gesamtübersicht der Abweichungsanalyse von Einzelkosten und Erlösen K O S T E N (in €/Monat): Plankosten echte Beschäftigungsabweichung Sollkosten Verbrauchsabweichung Istkosten zu Planpreisen Preisabweichung Istkosten

E R L Ö S E (in €/Monat): PERSONAL EDV SUMME: 39.000 25.600 64.600 Planerlös 96.000 -11.400 50.400 900 49.500 -4.950 54.450

-6.400 32.000 -2.000 34.000 0 34.000

-17.800 Erlösabweichung 82.400 -1.100 83.500 -4.950 88.450 Isterlös

16.000

112.000

Quelle: Wilde, H.: Plankostenrechnung als Instrument für Controlling und Marketing, in: HS Zittau/ Görlitz (Hrsg.): Tagung des AK Controlling …, Görlitz/Zittau 2007, S. 24

Wobei mit der „echten Beschäftigungsabweichung“ (eBA) eigentlich die Mehrkosten aufgrund erhöhten Outputs (auf Basis der ursprünglichen Planung) gemeint sind … Die schematische Beurteilung (die i.d.R. durch eine genauere Ursachenanalyse zu ergänzen ist) ergibt folgende – im Einzelfall widerlegbare! – Verantwortlichkeiten: a)

Der Vertrieb hat zwar (was ältere Varianten loben würden) mehr Dienstleistungen abgesetzt, letztlich unter Berücksichtigung der niedrigeren Verkaufspreise im Saldo aus eBA und Erlösabweichung einen Verlust von 1.800 € gemacht. Die Absatzpolitik war also hier ein Fehlschlag.

b)

Die Produktion hat auch eher unwirtschaftlich gearbeitet (die zu vielen EDV-Stunden wiegen stärker als die eingesparten Personalstunden); dies würden allerdings die verbreiteten Werke und Programme zur älteren Plankostenrechnung auch aussagen.

c) Die Personalabteilung hat nicht nur überhaupt einen Verlust zu erklären (ersichtlich am höheren Stundensatz), sondern auch in beträchtlicher absoluter Höhe von 4.950 €.

Wendet man dieses Schema auf betriebsinterne Prozesse an (die Marktforschung könnte ja auch Abteilung innerhalb eines größeren Unternehmens sein), so liegt ein Anwendungsfall der sogenannten Prozesskostenrechnung an. Einer der frühesten

220

XVII. Rechnungswesen und Unternehmenssteuerung

Anwender war nach persönlicher Erfahrung bereits vor 1972 der Siemens-Konzern – sicher kein KMU, aber das Verfahren ist eben auch wieder: simply & sexy! In Erweiterung der seit 1988 veröffentlichten, auf den Praktiker-Modellen beruhenden Literatur (vgl. Coenenberg et al. 2012, S. 157f) lässt sich das Vorgehen der Prozesskostenrechnung in folgenden Phasen darstellen (vgl. Wilde 2004, S. 89-92, Wilde 2007, S. 29-32): a)

Organisationsanalyse zur Beantwortung der Frage „Wer macht wieviel von was für wen?“ (vgl. Joos-Sachse 2006, S. 267-269) incl. Sammeln von Ideen für einen besseren, z.B. um unbeabsichtigte Redundanzen bereinigten Sollzustand

b)

Ermittlung der gesamten Prozesskosten der jeweiligen Aktivität (differenziert, nicht einfach nach „Manntagen“!) und hieraus von Prozesskostensätzen mit Aussagen wie „Im Durchschnitt kostet uns eine Eingangskontrolle … €.“ auf Ist- und Sollebene

c)

Anwendung der Ergebnisse der vorangegangenen Phasen (für (i) Organisationsreform (z.B. Verschlankung von Verwaltungsprozessen), i.d.R. gemeinsam mit anderen Abteilungen wie dem Personalmanagement; (ii) Kalkulationsreform, um Kosten mit höherer Realitätsnähe auf die verursachenden Produkte oder Dienstleistungen zuzuordnen (was i.d.R. die Hitliste der „Renner“ und „Penner“ verändern wird); (iii) Kostenkontrolle durch Anwendung der o.g. Abweichungsanalyse (aus der Plankostenrechnung) auf die internen Prozesse; (iv) Erweiterung der Abweichungsanalyse durch Vorbereitung von Outsourcing und Insourcing (denn Sie werden i.d.R. nicht nur unwirtschaftliche Prozesse, sondern auch potenziell verkäufliche Dienstleistungen identifizieren!) unter Einbezug von Benchmarking mit externen Anbietern – Hauptproblem ist hier die Frage, ob Sie konkret in Ihrer Situation viel oder wenig Einfluss auf den Markt von Dienstleistungen wie Materialprüfungen haben.

„Vorsicht: (Kennzahlen-)Falle!“ (Wilde 2004, S. 92): Erhöhte Kostensätze eines internen Prozesses können auf zu hohe Kosten hinweisen, aber auch auf Senkung der gesamten Prozesskosten bei Existenz von Fixkosten (z.B. besseres Material benötigt weniger Materialprüfungen, aber nicht alle Kosten der Abteilung sind variabel und damit schnell abbaubar). Regelmäßig führen wegen der u. dargestellten Fixkostendegression gerade erfolgreiche Verschlankungen von Prozessen über verringerte Prozessmengen zu folgenden Effekten: x

Prozesskosten und -mengen pro Monat werden geringer.

x

Der Kostensatz pro Prozess wird wegen Fixkostendegression gerade durch die verringerte Prozessmenge i.d.R. höher – also nicht erschrecken!

x

Die Stückkosten des Endprodukts werden tendenziell niedriger (und die müssen sich im Wettbewerb behaupten, nicht die internen Prozesskostensätze!).

Wenn Sie also ein Kennzahlensystem (populär „Unternehmenscockpit“, vgl. Weissman 2011, S. 145-167) aufbauen, so erleichtert dies meist die Transparenz. Aber Sie dürfen nie schematisch, müssen immer im Zusammenhang interpretieren (sich auch fragen, ob eine inhaltlich sinnvolle Benennung herauskommt!).

XVII. Rechnungswesen und Unternehmenssteuerung

221

Gerade weil z.B. 50% Rendite für eine eingeführte kleine Imbissbude relativ leicht, für ein mittelständisches, viel kapitalintensiveres Familienunternehmen auf Dauer praktisch gar nicht zu erreichen sind, gilt auch: Finger weg von der so genannten „wertorientierten Unternehmensführung“ (vgl. Britzelmeier 2009, der allerdings z.T. auch praxistaugliche Instrumente vorstellt; methodenkritisch Groll 2003)! Denn wozu einen rechnerischen Unternehmenswert „optimieren“, wenn es Ihnen doch auch um Ihr Lebenswerk und dessen langfristige Weiterführung geht? Für bei Umsetzung dieser Rechenwerke werden Sie um Excel-Modelle (oder auch vergleichbare Open-Source-Tabellenkalkulationen) nicht herumkommen (vgl. Haas 2000), denn „von Hand“ wird´s zu komplex, und hochgezüchteten (und teuren) Systemen wie denen von SAP die für Ihre Entscheidung nötigen Informationen zu entlocken, ist oft aufwändiger, als ein Excel-Modell zu „basteln“ … Die Deckungsbeitragsrechnung wurde in Phasen entwickelt, wo starke Schwankungen der Nachfrage (in der Lit. gibt es Rechenbeispiele bis ins 19. Jahrhundert; vgl. Däumler/Grabe 2009, S. 2) und/oder Engpässe (z.B. BRD der 60er Jahre, vgl. Albach 2002, S. 31f) herrschten. In den praxisorientierten Ansätzen herrscht eine Entscheidungsorientierung auf Fragen vor wie (vgl. Wilde 2003, S. 316-326): a) Auf welche Preisuntergrenze kann ich kurzfristig gehen, wenn ich zeitweiligen Verlust nicht vermeiden kann, aber sowieso beträchtliche Fixkosten decken muss? b) Wenn ich die „Qual der (Auftragsaus-)Wahl“ habe, welches tatsächlich (bei gegebenen Kapazitäten!) realisierbare Produktionsprogramm bringt dann den höchsten Gewinn? c) Erweiterung auf mittelfristige Entscheidungen: Ab welcher Mindestmenge bzw. welchem Mindestumsatz (Break-even-Point) komme ich von der Verlust- in die Gewinnzone; also ab wann sind auch die gesamten Fixkosten „gedeckt“? Darstellung 3: Bestimmung des Break-even-Point

Quelle: Wilde, H.: Kosten- und Leistungsrechnung, in: Pepels W. (Hrsg.): ABWL, Köln 2003, S. 324

222

XVII. Rechnungswesen und Unternehmenssteuerung

Gerade das beispielhaft dargestellte break-even-Modell kann durch komplexere Annahmen (nur wenn nötig) verfeinert werden und stellt eine in der Praxis auch wichtige Grundlage für das „Ob“ einer Investitionsentscheidung dar. Jedoch erst im Zusammenwirken mit der Marktforschung auf Beschaffungs- („Können wir überhaupt genug Material, Personal usw. für das Erreichen des break even bekommen?“) und Absatzseite („Gibt es überhaupt genügend zahlungskräftige Kunden für die angestrebte Menge?“).

5.

Zusammenspiel kurz- und langfristiger Kostenfunktionen: Fixkostendegression und Erfahrungskurve

Während Zusammenhänge wie die in o.g. break-even-Modell beispielhafte Gesamtkostenfunktion wegen ihrer Nähe zu realen Arbeitsplänen, Buchführungsdaten u.ä. unmittelbar einleuchten, gibt es zwei Funktionen, die nicht direkt beobachtbar, wohl aber für Entscheidungen bedeutend sind: (1) Der kurzfristige Fixkostendegressionseffekt: Rechnet man (gerade nicht verursachungsgerecht!) fixe Kosten auf die Stückzahl um, dann sinken die Stückkosten mit zunehmender Produktion (z.B. eines Monats), allerdings rein arithmetisch. Trotzdem gibt dieser (wie die Deckungsbeitragsrechnung zeigt, für viele kurzfristige Entscheidungen ungeeignete) Indikator an, wie konkurrenzfähig man gegenüber anderen, oft billigeren Anbietern bei Preisverhandlungen ist (vgl. Wilde 2003, S. 301f). (2) Die langfristige Erfahrungskurve wirkt optisch ähnlich wie Effekt (1), sagt aber etwas Anderes aus: Man lernt aus den „Kinderkrankheiten“ (deshalb z.T. auch die Bezeichnung „Lernkurve“), weshalb die (um Einflüsse wie allgemeine Preisentwicklung bereinigten) Stück-kosten sinkende Tendenz abhängig von der kumulierten Produktion (also ab Markteinführung aufaddiert bis in die Gegenwart) aufweisen (vgl. Wilde/Haas 2001, S. 42f, 220-222). Darstellung 4: Überlagerung von Degressions- und Erfahrungskurveneffekt

Quelle: Milbradt, J.: Kostenentwicklung und -planung in Produktionsstätten, Stralsund 2011, S. 2.

XVII. Rechnungswesen und Unternehmenssteuerung

223

Für die Abbildung, die das Zusammenspiel beider Effekte beispielhaft darstellt, gilt: x

x-Achse: Zeit (z.B. Januar bis Juli)

x

y-Achse: Stückkosten

Die drei Funktionen zeigen: x

bei 180 €/St. im Januar beginnend: in der Betriebsstatistik dokumentierte (rechnerisch!) echte Stückkosten

x

bei 135 €/St. im Januar beginnend: eine (hier ohne weitere Störgrößen angenommene) Erfahrungskurve, in der die Stückkosten auf die durchschnittliche Monatsproduktion umgerechnet sind

x

bei + 45 €/St. im Januar beginnend: rechnerischer Degressionseffekt, d.h. am Anfang und Ende des Lebenszyklus höhere, in der Mitte niedrigere Stückkosten als nach der „reinen“ Erfahrungskurve.

Warum macht man´s hier deutlich komplizierter als z.B. beim Break-even-Point? x

Grundsätzlich, weil selbst die Erfahrungskurve in vielen Fällen eine hohe Plausibilität, z.T. auch empirische Bestätigung hat (vgl. Welge/Al-Laham, S. 252-260).

x

Rechnerisch, weil die Unterscheidung der 3 Funktionen nur bei Betrachtung ausschließlich proportionaler Kosten oder bei gleichbleibender Monatsproduktion wegfiele.

x

Handlungsorientiert, weil man einerseits als Innovator durch Vorwärtsrechnen abschätzen kann, welches Stückkostenniveau man künftig nach genügender Erfahrung mit den „Kinderkrankheiten“ erreichen kann …

x

… oder andererseits als früher oder später Imitator durch Rückwärtsrechnen (mit einiger Branchenkenntnis) abschätzen kann, von welchen Stückkosten bei Markteinführung auszugehen war (als Indikator dafür, was einen selbst erwarten könnte).

Bitte bedenken Sie stets, dass selbst solch komplexere Modelle die Wirklichkeit meist nur näherungsweise widerspiegeln. Für Planung und Kontrolle personalintensiver Unternehmen sind in o. Darstellung vernachlässigte „Mischkosten mit fixem Mindestbetrag“ nicht nur für „Gehalt mit Überstundenzuschlag“ (Dörrie/Preißler 2002, S. 80), sondern für ganze Stammbelegschaften ein verbreitetes Kostenverhalten. In solchen Fällen zeigt sich ein Kostendegressionseffekt also nur im Unterbeschäftigungsbereich. Für Betriebsvereinbarungen mit Mindest- und Höchstpersonalkosten sind sogar drei Bereiche denkbar (bei Unter- und Überbeschäftigung starker, in einem Vollbeschäftigungskorridor geringer Degressionseffekt; vgl. Friedl et al. 2010, S. 211).

6.

Entscheidungen im Finanzmanagement: eine exemplarische Einführung

Selbst in kleinen Unternehmen sind oft mehrmals im Jahr Entscheidungen zu treffen, x

ob sich eine Investition überhaupt „rechnet“,

x

welche von mehreren Investitionsalternativen lohnender ist.

224

XVII. Rechnungswesen und Unternehmenssteuerung

Dabei ist zu bedenken, dass eine Investition erfolgen kann in x

materielles Anlagevermögen wie Maschinen (der „klassische“ Fall), aber auch

x

immaterielle Werte wie Know-how oder Kundenstamm, ferner

x

Finanzanlagen.

Darstellung 5: Vollständiger Finanzplan (voFi) Zeitpunkt: (t=...)

0

1

2

3

4

5

Datum:

01.01.2014

31.12.2014

31.12.2015

31.12.2016

31.12.2017

31.12.2018

Cashflow aus Invest./Ums.

-10.000,00

1.000,00

4.000,00

2.500,00

4.000,00

1.000,00

642,78

3.503,78

1.413,42

Geldanlage Anlage (-) Entnahme (-) Auflösung (+)

4.000,00

Guthabenzinsen (+)

0,00

0,00

0,00

32,14

207,33

1.038,00

3.296,41

1.665,59

0,00

0,00

300,00

248,10

83,28

0,00

0,00

Kredit Aufnahme (+)

6.000,00

Tilgung (-) Kreditzinsen (-) Steuerzahlungen Auszahlung an FA (-)

0,00

455,49

108,35

528,36

0,00

338,00

0,00

0,00

0,00

206,09

0,00

0,00

0,00

0,00

0,00

0,00

6.000,00

4.962,00

1.665,59

0,00

0,00

0,00

0,00

0,00

0,00

642,78

4.146,56

5.559,98

-6.000,00

-4.962,00

-1.665,59

642,78

4.146,56

5.559,98

4.000,00

4.148,00

4.301,48

4.460,63

4.625,67

4.796,82

26,00%

26,00%

26,00%

26,00%

26,00%

26,00%

Kreditzinssatz

5,00%

5,00%

5,00%

5,00%

5,00%

5,00%

Guthabenzinssatz

5,00%

5,00%

5,00%

5,00%

5,00%

5,00%

20,00%

20,00%

20,00%

20,00%

20,00%

20,00%

Cashflow aus Invest./Ums.

1.000,00

4.000,00

2.500,00

4.000,00

1.000,00

Abschreibung/AfA (-)

2.000,00

2.000,00

2.000,00

2.000,00

2.000,00

300,00

248,10

83,28

0,00

0,00

0,00

0,00

0,00

32,14

207,33

-1.300,00

1.751,90

416,72

2.032,14

-792,67

0,00

455,49

108,35

528,36

0,00

338,00

0,00

0,00

0,00

206,09

Erstattung vom FA (+) Finanzierungssaldo=0 Bestandsgrößen (mittelfristig) Kreditstand Guthabenstand Bestandssaldo (mittelfristig) kalk. verzinstes Eigenkapital Differenz-Steuersatz:

AfA-Satz

Zinsaufwand (-) Zinsertrag (+) zu versteuernder Gewinn Auszahlung an FA (-) Erstattung vom FA (+)

Quelle: aktualisiert nach Wilde, H./Soik, A.: Investition und Unsicherheit, in: Pepels W. (Hrsg.): ABWL, Köln 2003, S. 411

Das obige, vereinfachte Beispiel gilt für einen Einzelkaufmann o.ä. mit geschätzter Steuerbelastung von 26% für Einkommen- plus ggf. Gewerbesteuer und die Investition in eine Sachanlage oder erworbenes immaterielles Anlagevermögen (z.B. Patent), die mit einer risikolosen – oder zumindest risikoarmen – Geldanlage (Zeile „kalk. verzinstes Eigenkapital“) verglichen wird. Immaterielle Werte dürfen Sie – wenn etwa durch eine Werbekampagne selbst geschaffen – bis auf wenige Ausnahmen

XVII. Rechnungswesen und Unternehmenssteuerung

225

nicht bilanzieren (ein Nachteil für Ihre Bonität; i.d.R. ein Vorteil bei den Ertragsteuern, weil Sie praktisch mit 100% Sofort-„Abschreibung“ rechnen). Folgerung hier: Weil mit über 5.500 € in fünf Jahren voraussichtlich mehr Geld im „Sparstrumpf“ ist als die knapp 4.800 € (etwa bei deutschen Staatsanleihen), ist die Investition bei Richtigkeit der Prognose lohnend. Zwar nicht das exakte Verfahren, aber die Orientierung an o.g. Differenz ist in der Praxis verbreitet (vgl. Schäffer et al. 2012, S. 91). Nachdem so ein vollständiger Finanzplan doch einige Detailarbeit macht (aber als einziges Instrument praktisch alle Komplikationen der Wirklichkeit einzubauen gestattet), gibt es auch vereinfachende Faustregeln wie: x

Amortisationsrechnung (in der Praxis immer noch die „Nr. 1“, vgl. ebenda): Nach wie vielen Jahren ist das investierte Gesamtkapital (hier also 10 T€) wieder zurückgeflossen (hier mit Verzinsung erst im 5. Jahr, da erst dann das kalk. verzinste Eigenkapital „überholt“ wird) – für grobe Abschätzung oft auch auf einen durchschnittlichen Cashflow pro Jahr geglättet (Faustregel: Cashflow = Gewinn + AfA)?

x

Angewandte Annuitätenrechnung: In der Beratung von KMU hat sich bewährt, bei (gedanklich!) 100% Fremdfinanzierung zu fragen, ob der Cashflow des Projekts dann Zins und Tilgung tragen könnte. Die 100% dienen dazu, etwas Luft zu haben und auch was für den Eigenkapitaleinsatz zu kalkulieren.

Zahlreiche weitere Verfahren sind teils sehr abstrakt für Praktiker, teils mit theoretischen Mängeln behaftet; weiterführend sei auf die Literatur verwiesen (vgl. Rollwage 2012; Wilde/Soik 2003; Schünemann 2005). Die langfristige Finanzierung des Unternehmens (die kurzfristige Ebene wurde oben bereits angesprochen) kann – nie schematisch, immer im Vergleich zum Branchenüblichen, eigener Erfahrung usw. – auf Basis von Bilanzkennzahlen (vgl. Bitz et al. 2011, S. 477-642) beurteilt und im Rahmen des Möglichen „optimiert“ werden. (1) Kennzahlen-Beispiel (vgl. Kampmann 2010, S. 316): Der „langfristige Deckungsgrad“ gibt an, zu wie viel % das Anlagevermögen durch Eigen- und langfristiges Fremdkapital gedeckt ist. Intuitiv würde man für alle Fälle mindestens 100% verlangen, was (nicht nur) KMU selten schaffen. Ob ein bestimmter Zahlenwert gut oder schlecht ist, hängt vom Branchenüblichen und der Entwicklung im Zeitablauf ab. (2) Zusätzliche Finanzquellen (über die bekannten hinaus) lassen sich oft nach dem (persönlich begleiteten) ÖKO-TEST-Modell finden, wenn das Sachziel des KMU viele Kleinanleger begeistert, die dann auch ein Verlustrisiko in Kauf nehmen (beste Rechtsformen: KG, stille Ges., evtl. Genossenschaft). Die Internetgemeinde spricht heute gern von „Crowdsourcing“.

7.

Abstract

Zunächst werden einführend die Aufgaben von Rechnungswesen, Finanzmanagement und der – meist als „Controlling“ bezeichneten – Unternehmenssteuerung beschrieben und abgegrenzt. Es folgen – immer am Prinzip „Keep it simple and sexy“ orientiert – die wichtigsten einschlägigen Entscheidungen bei Existenzgründung, ferner preiswerte Möglichkei-

226

XVII. Rechnungswesen und Unternehmenssteuerung

ten, Istzahlen aus dem externen Rechnungswesen zur Kontrolle, Entscheidungsvorbereitung und Zukunftsprognose nutzbar zu machen. Da die strategische Dimension u.a. in Kap. IV und XIX dargestellt ist, konzentriert sich das „Herzstück“ dieses Kapitels auf die tendenziell kurz- und mittelfristigen Informationen aus der Kostenrechnung und aus Kennzahlen. Dabei stehen x

die Ermittlung belastbarer Istzahlen,

x

die Planung und Kontrolle von Kosten und

x

die situationsbezogene (!) Vorbereitung von Entscheidungen

am Beispiel von drei in der Controlling-Praxis sehr weit verbreiteten Instrumenten sowie der noch weniger oft eingesetzten „Prozesskostenrechnung“ (möglicher Wettbewerbsvorteil für Sie!) im Vordergrund. Die Kostenrechnung wird abgerundet durch eine Erklärung des Zusammenspiels kurz- und langfristiger Faktoren, um Entwicklungstendenzen nicht nur qualitativ, sondern auch quantitativ erfassen zu können. Schließlich wird auf teils bewährte, teils neuere Instrumente der Investitionsrechnung und kurz auf wesentliche Aspekte der Gestaltung und Beurteilung der Finanzierung ganzer Unternehmen eingegangen.

Quellen und weiterführende Literatur Albach, Horst: (2002) Betriebswirtschaftslehre als Wissenschaft. In: Brockhoff, Klaus: Geschichte der Betriebswirtschaftslehre. Kommentierte Meilensteine und Originaltexte, Wiesbaden, S. 29-44. Bitz, Michael et al.: (2011) Der Jahresabschluss, München. Bornhofen, Manfred/ Bornhofen, Martin C.: (2012) Buchführung 1. DATEV-Kontenrahmen 2012, Wiesbaden. Britzelmeier, Bernd: (2009) Wertorientierte Unternehmensführung, Ludwigshafen. Brühl, Rolf: (2009) Controlling. Grundlagen des Erfolgscontrollings, München/Wien. Buchholz, Liane: (2009) Strategisches Controlling, Wiesbaden. Coenenberg, Adolf G. et al.: (2012) Kostenrechnung und Kostenanalyse, Stuttgart. Däumler, Klaus-Dieter/ Grabe, Jürgen: (2009) Kostenrechnung 2, Herne. Deppe, Herbert: (2004) Fit in Buchführung, Solingen. Dörrie, Ulrich/ Preißler, Peter R.: (2002) Grundlagen Kosten- und Leistungsrechnung, München/Wien. Friedl, Gunther et al.: (2010) Kostenrechnung, München. Groll, Karl-Heinz: (2003) Kennzahlen für das wertorientierte Management, München/Wien. Haas, Peter: (2000) Kosten, Investition, Finanzierung, München/Wien. Joos-Sachse, Thomas: (2006) Controlling, Kostenrechnung und Kostenmanagement, Wiesbaden. Kampmann, Klaus: (2010) Finanzierung und Liquiditätssicherung. In: Pepels, Werner (Hrsg.): Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, Stuttgart, Kap. 9, S. 289-321. Klett, Christian/ Pivernetz, Michael: (2010) Controlling in kleinen und mittleren Unternehmen, Herne/Berlin.

XVII. Rechnungswesen und Unternehmenssteuerung

227

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XVIII.

Unternehmensverantwortung, Netzwerke und Kooperationen

Norbert Zdrowomyslaw, Harald Wilde 1.

Gesellschaftliche und regionale Unternehmensverantwortung

Das Motto „gemeinsam sind wir stärker“ hat für kleine und mittelständische Unternehmen angesichts ihrer Ressourcenbegrenztheit eine besondere Bedeutung. Networking, Netzwerkbildung und Kooperationen sind wichtige strategische Optionen, um Kompetenzen zu ergänzen und Größennachteile möglichst zu kompensieren. Die Aufgabe der Führungsebene in den Unternehmen ist es Ziele zu formulieren, Strategien zu entwickeln und Instrumente sowie Maßnahmen einzusetzen, um die Lebensfähigkeit der Organisation zu sichern und die Wettbewerbsfähigkeit zu stärken. Dies sollte mit Nachhaltigkeit und Verantwortung für die Gesellschaft und Region geschehen. „Unternehmensverantwortung“ ist ein beliebtes Wort in Sonntagsreden und Hochglanzbroschüren. Gemeint sein kann – durchaus auch im Mittelstand – eine „Verantwortung“ gegenüber dem geheimnisvollen „shareholder“, bei entsprechend kühnen Renditeforderungen umgangssprachlich „Heuschrecke“ genannt. Oder es geht um (stets) mehrere „stakeholder“ (wie Beschäftigte, Kunden, Lieferanten, Öffentlichkeit, auch Investoren und Kreditgeber) mit unterschiedlichen Interessen (vgl. Wall/Schröder 2009). Die Systematisierung zu einem oft als „magisch“ empfundenen Dreieck (ökologische Nachhaltigkeit, soziale Verantwortung, ökonomischer Erfolg) an Zieldimensionen erfolgt mit dem (z.Z. Mode-)Begriff der Nachhaltigkeit (zur Ausdifferenzierung in die anglo-amerikanischen Begriffe wie „Corporate Social Responsibility“ (CSR) (vgl. Fischer et al. 2009, S. 263-271). Dieser Begriff wird häufig auf den sächsischen Forstwirt Hans Carl von Carlowitz zurückgeführt, der während der industriellen Revolution eine langfristige Perspektive zur Bewirtschaftung des damals wichtigsten Energieträgers Holz formulierte (vgl. Darstellung bei Haber 2010, bes. Kap. 1). Vorläufer dieser (die soziale Dimension ausblendenden) Argumentation gab es z.B. ab dem 14. Jahrhundert bei der Bewirtschaftung des Nürnberger Reichswaldes (Beck/Weiger 1980, S. 8, 37). Das vermeintlich „Magische“ von Nachhaltigkeitszielen besteht im Problem, alle drei Dimensionen möglichst „gleichgewichtig“ unter einen Hut zu bringen. Was in ökonomischer Hinsicht wegen deren (eigentlich!) dienender Funktion für menschliche Bedürfnisse angreifbar, jedoch aufgrund der Machtverhältnisse in kapitalistischen Gesellschaften mittelfristig nicht vermeidbar, für die ökologische Dimension zumindest naturwissenschaftlich, für die soziale Dimension zumindest philosophisch begründet ist. Somit verfolgt Nachhaltigkeit – als Konkretisierung des (noch) weniger eindeutigen Begriffs „Verantwortung“ (vgl. Bruton 2011, Dierkes/Wenkebach 1987) – langfristig

XVIII. Unternehmensverantwortung, Netzwerke und Kooperationen

229

x

ökonomische Ziele (wie Erhaltung des Lebenswerks eines Unternehmers auch über seinen Tod hinaus, aber auch Wohlstandsmehrung in armen „Entwicklungsländern“),

x

ökologische Ziele (über die ökonomische Dimension hinaus etwa des Natur-, Arten-, Klimaschutzes) und

x

soziale Ziele (bes. unter Gerechtigkeitskriterien und auch unter Berücksichtigung der Interessen künftiger Generationen).

Im Bewusstsein dieser „bunten Mischung“ teils widersprüchlicher, teils harmonierender Interessen (und auch der Gegensätze zwischen natur- und geisteswissenschaftlichen Perspektiven, vgl. Ott/Döring 2008) wird hier die Diskussion der Wettbewerbsstrategien aus Teil V. wieder aufgenommen und vertieft. x

Eine Auswertung mehrerer, z.T. auch empirischer Studien (vgl. Pfohl 1997, S. 100-104) zeigt für KMU – wie zu erwarten – ein Vorherrschen des Strategietyps Differenzierung und dort insbes. in Kombination mit Nischenstrategien.

x

Diese Orientierung lässt sich mit einer Knappheit der meisten Ressourcen sowie der (oft schon geografisch) größeren Kundennähe erklären und ist gut vereinbar mit einem weit über technische Kriterien hinausgehenden, „modernen“ Qualitätsbegriff (vgl. Kocher 1989, Kap. 1, S. 19-43; Herrmann/Fritz 2011, Kap. 3, S. 27-39). Dass aber „Kostenführerschaft nur von einem verschwindend geringen Prozentsatz [der befragten KMU, d. Verf.] gewählt“ (Reinemann 2011, S. 97) würde, lässt sich durch die genannten Häufigkeiten nicht begründen (vgl. Pfohl, bes. S. 103f, weiterführend Leitner/Güldenberg 2010). Eine derart geringe Bedeutung von Kostenführerschaft für KMU würde auch angesichts langjähriger praktischer Erfahrungen in der Existenzgründungsberatung erstaunen.

Denn in den Jahrzehnten seit 1978 (vgl. Saß 1978) hat das Lohnniveau des Mittelstands das der Großunternehmen wohl immer noch nicht erreicht (was angesichts anderer Motivatoren keineswegs heißt, dass KMU die „schlechteren“ Arbeitskräfte hätten), und generell verfügen die meisten KMU über flachere, „schlankere“ Organisationen als Großbetriebe. Wo KMU in ihrer Chance auf Kostenführerschaft schlechter dastehen, sind Kostendegression und Erfahrungskurve (siehe Teil XVII.) bei großen Serien. Nun werden als Musterbeispiele für sogenannte „hybride Strategien“ z.B. aus Kostenführerschaft und Differenzierung gern große Konzerne wie McDonalds genannt (vgl. Welge/Al-Laham 2012, S. 533), wobei Toyota, allerdings auch ein großer Konzern, jedenfalls über viele Jahre mit einer erfolgreichen Orientierung auf Kosten- und zugleich Qualitätsführerschaft (vgl. Brunner 2011, bes. Kapitel 7) für Mittelständler besser imitierbar erscheint. Natürlich nicht 1:1 – deshalb praktiziert beispielsweise der Bonner Verleger N. Rentrop eine Strategie der „innovativen [also auf die konkrete Situation angepaßten, d. Verf.] Imitation“ (vgl. GABAL 2006, S. 25). Wenn die jeweilige Zielgruppe genügend erschlossen wird, ist durch diese Kombination aus Nische, Kostenführerschaft und Differenzierung (oft als Qualitätsführerschaft ausgeprägt) die ökonomische Nachhaltigkeit mittelfristig sichergestellt – allerdings oft auf relativ niedrigem Einkommensniveau. Einige Praxisbeispiele sollen dies verdeutlichen: x

Unternehmensberatung durch „Ein-Mann-Betriebe“ mit Konzentration auf ihre Kernkompetenzen (in Methoden, Branchen usw.) ist wegen geringer Verwaltungskosten billiger und wegen

230

XVIII. Unternehmensverantwortung, Netzwerke und Kooperationen Vermeidung standardisierter Pauschalempfehlungen a la McKinsey (vgl. Leif 2006) besser als durch große, vermeintlich angesehene Consultingunternehmen. Ökologische Nachhaltigkeit ist dabei eher durch Vermeidung von überflüssigem „Schnickschnack“, soziale gegenüber den Kunden gegeben, die ihre knappen Mittel nicht „zum Fenster rausschmeißen“. Funktionieren kann dies natürlich nur in Netzwerken, denn sonst müsste der „Einzelkämpfer“ zu viele Aufträge außerhalb seiner Kernkompetenz ablehnen.

x

Die genannte hybride Strategie kann durchaus auch zu mittelständischen Unternehmen führen wie dem IT-Dienstleister SIV.AG (gegründet 1990, heute über 300 Mitarbeiter), der in einzelnen Marktnischen höhere Marktanteile hat als der „Platzhirsch“ SAP.

x

Ein fränkischer Biobauer musste noch 1973 überschüssige Produkte an einen (damals) regionalen Discounter verkaufen (ohne dass der damals die Bioware extra kennzeichnete!). Eine Umstellung auf Ab-Hof-Verkauf führt zu noch mehr Frische aufgrund fehlender Transportwege und weiterhin niedrigen Preisen. Soziale Nachhaltigkeit wird hier praktiziert, indem bei Verknappung der Verkaufspreis nur moderat steigt und eben die Menge rationiert wird!

x

Ein Existenzgründer im baubiologischen Handwerk und Handel musste zwar unter Konkurrenzdruck arbeitsintensive Produktion (Restauration alter Möbel) ins Niedriglohnland „Tschechische Republik“ auslagern, pflegte aber von Anfang an außer der ökologischen Nachhaltigkeit seiner Produkte auch soziale Verantwortung gegenüber sich selbst und seiner Mitgesellschafterin: Als der Betrieb klein war, blieb er grundsätzlich einen Nachmittag in der Woche geschlossen – um auch mal in Ruhe strategisch planen zu können. Die Kostenführerschaft kann sich hier jedoch nur auf größere Konkurrenten mit „Biomöbeln“, nicht auf Branchenriesen wie IKEA beziehen.

Was die erfolgreichen von den erfolglosen Unternehmensgründungen unterscheidet, sind vor allem folgende Faktoren (die idealerweise alle erfüllt sein sollten und nur teilweise an Berater delegiert werden können!): x

Ausgehen von einer Unternehmensvision, die auch unter Einsatz der emotionalen Kräfte verfolgt wird (also mehr als nur Strategie, vgl. Mann 1990; Berth 1990),

x

selbstverständlich sehr gute Kenntnisse und Fertigkeiten im Rahmen der beanspruchten Kernkompetenzen,

x

solide Analyse der (meist zunächst lokalen/regionalen) Markt- und Wettbewerbsverhältnisse, da ein spätes Einsteigen in eine überlaufene Branche eine Profilierung kaum ermöglicht,

x

Vermeiden einer auf übergroßen Optimismus gestützten, zu schnellen Expansion (eine der häufigsten Ursachen für Insolvenz oder zumindest Rückzug aus dem Markt),

x

solide kurzfristige Planung und Kontrolle („kurzfristige Erfolgsrechnung“ als eine freiwillige monatliche Verlust-und-Gewinn-Rechnung, ggf. mit Schätzwerten für manche Aufwandsarten; entsprechend notwendig auch der Überblick über künftige Ein- und Auszahlungen zwecks Erhaltung der Liquidität).

Denn nur ein längerfristig existierendes Unternehmen eröffnet die Möglichkeit, Verantwortung auch mal gegen eigene Gewinninteressen praktizieren zu können. Oder man verzichtet in dieser Wirtschaftsordnung darauf – ethisches Handeln ist leider oft bestenfalls das „Dessert“ und nicht das „Hauptgericht“, wenngleich wohlmeinende Autoren (vgl. optimistisch Pircher-Friedrich 2011; abwägend Steinmann/Schreyögg 2005, S. 112-128, Wild 2011; kritisch Ulrich 1993, Kreikebaum et al. 2001, Hansen et al. 2013, S. 74-77) Ethik auch für „nachhaltigen Erfolg“ als unverzichtbar behaupten. Ideal für langfristigen Unternehmenserhalt ist unter dem i.d.R. dominierenden ökonomischen Aspekt eine Strategie a la Toyota, die über lange Zeit Kosten- und Quali-

XVIII. Unternehmensverantwortung, Netzwerke und Kooperationen

231

tätsführerschaft nach dem Motto „Lieber gesund und reich als arm und krank“ zugleich erreichte. Dies wird durch neuere empirische Befunde bestätigt (vgl. Leitner/Güldenberg, bes. S. 181-185): x

Nicht nur Differenzierung, sondern auch Kostenführerschaft sind für KMU (wirtschaftlich) erfolgversprechende Strategien.

x

Die Kombination der beiden Strategien erweist sich als die allen anderen Strategietypen ökonomisch und sozial (an Arbeitsplatzeffekten bewertet) überlegene Ausrichtung (wenn denn realisierbar).

x

Selbst ein Strategiewechsel im Längsschnitt ist (ebenso wie die bisher genannten Orientierungen) zumindest ökonomisch sehr viel günstiger, als gar keine Strategie zu haben!

Trotz der nützlichen Anregung für die Entwicklung kreativer Strategien dürfen aber gravierende Unterschiede der ursprünglichen japanischen „lean“-Konzepte (vgl. Fucini/Fucini 1993) zur typischen flachen Hierarchie in KMU nicht vernachlässigt werden. Insbesondere die Ausdünnung der Meisterebene („Schlank ist eine Fertigung dann, wenn Verantwortung für das Produktionsergebnis auf der untersten [!] Ebene wahrgenommen wird …“, so Wildemann 1993, S. 40) wäre angesichts von deren Bedeutung als Wissensträger (wobei in Dienstleistungsunternehmen außerhalb des Handwerks die Bezeichnung der Funktion als „Meister“ unüblich ist) in KMU nicht sinnvoll. Selbst Arbeitgeber-Vertreter aus der keineswegs mittelständischen Autoindustrie sind skeptisch wie etwa Bernd Pischetsrieder: „Die Überzeugung vermutlich nicht nur von BMW … ist es, dass die Bedingungen in Europa keinesfalls japanischen Unternehmen ermöglichen, mit gleichem Erfolg in gleicher Kostenstruktur [wie in Japan, d. Verf.] tätig zu werden“, (Hans-Böckler-Stiftung/IG Metall 1992, S. 64). Ähnlich geht der damalige VW-Betriebsrat Dietmar Schopf „nicht davon aus, dass der Meister der Supervisor oder … Supermann sein soll, sondern der Meister soll eher die sehr wichtige Rolle des Betreuers, des Coachs, der Gruppen übernehmen“ (ebenda, S. 90). Die meisten hybriden Strategien werden allerdings eher Kompromisse zwischen ausgeprägter Kostenführerschaft und auch beträchtlicher Produktdifferenzierung (so das genannte McDonalds-Beispiel, aber auch die Entwicklung in der Discounterbranche) einerseits und einer sehr ausgeprägten Differenzierung (als typischer Stärke von KMU) bei mittlerem Kostenniveau (so beim genannten Baubiologen/Möbelhändler) sein. Letztlich ist es also durchaus für viele KMU ökonomisch sinnvoll, die Kombination „Nische + Differenzierung“ anzustreben, aber das bedeutet eben keineswegs einen Verzicht auf das Ziel einer Kostenführerschaft oder zumindest eines mittleren Niveaus bei den Kosten. Und wie dargestellt, muss das nicht zwingend „auf Kosten“ sozialer oder ökologischer Ziele gehen. Denn die KMU-typische Einsparung beruht zu einem beträchtlichen Teil auf dem Wegfall von in größeren Unternehmen verbreiteten sogenannten Blindleistungen; die für die Zielerreichung notwendigen Nutzund Stützleistungen werden nicht tangiert (zu den Begriffen vgl. Benes/Groh 2012,

232

XVIII. Unternehmensverantwortung, Netzwerke und Kooperationen

Kap. 5.4, S. 189-197). Wie entstehende Spielräume letztlich seitens kleiner und mittlerer Unternehmer (bzw. Manager) genutzt werden, hängt von deren ethischem Bewusstsein, also der Sensibilität für gleiche Rechte (vgl. Feuerbach 1846/1980; Wilde 1998) und der Empathie gegenüber der Situation anderer (bei Schopenhauer 1840/1989 zeitbedingt noch: dem Mitleid mit Schwächeren) ab. Bewegen sich dabei Konflikte zwischen der sozialen und der ökonomischen Zieldimension innerbetrieblich in Unternehmen verschiedenster Größe auf der Ebene von Verhandlungen etwa zwischen Unternehmensleitung und (gerade im KMU: soweit vorhanden!) Betriebsrat und drehen sich um Themen wie Lohnfindung, Arbeitsorganisation oder „Mitbestimmung“, so besteht in zwischenbetrieblichen Strukturen eher die Chance, mittels Bildung von Netzwerken „Win-Win-Situationen“ (jedenfalls für die unmittelbar daran Beteiligten) zu schaffen. Vorbild sind – oft aus Gründungsphasen bekannte – kleine Gruppen gleichberechtigter Gleichgesinnter, die sich oft ohne formale Organisationsstruktur (oder auch entgegen deren „Dienstwegen“) intuitiv verstehen (bei Hill 1993: “master minds“). Da diese Idealvoraussetzung selbst in kleinen Gruppen oft nicht „ewig währt“ und bei der Zusammenarbeit zwischen Unternehmen i.d.R. nicht in vollem Umfang unterstellt werden kann, brauchen Netzwerke von Unternehmen konkrete Organisationsformen.

2.

Verantwortliche Unternehmensführung – mehr als Spendenaktivitäten

Verantwortungsvolle Unternehmensführung und gesellschaftliches Engagement von Entscheidern und Unternehmensvertretern sind an sich nicht völlig Neues (vgl. Schneider/Schmidpeter, 2012). Allerdings wächst vor dem Hintergrund der globalen und regionalen Probleme wie Klimawandel, Umweltverschmutzung, weltweite Ausbeutung der natürlichen Rohstoffe („Grenzen des Wachstums“), Bewältigung des Strukturwandels und angesichts des demografischen Wandels der Druck auf die Unternehmen sich dieser Verantwortung im Eigen-, Verbraucher- und Gemeinwohlinteresse noch stärker als bisher zu stellen. Die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten wird bei politischen Entscheidungen und unternehmerischen Handeln immer dringlicher. Was bedeutet CSR? „Corporate Social Responsibility bezeichnet dabei die Wahrnehmung gesellschaftlicher Verantwortung durch Unternehmen über gesetzliche Anforderungen hinaus. CSR steht für eine nachhaltige Unternehmensführung im Kerngeschäft, die in der Geschäftsstrategie verankert ist. CSR ist freiwillig, aber nicht beliebig“ (Bundesministerium für Arbeit und Soziales 22.6.2010).

Eine Befragung des Deutschen Industrie- und Handelskammertags gibt einen Hinweis darauf, in welchen Bereichen sich Unternehmen für die Gesellschaft über die gesetzlichen Anforderungen hinaus engagieren.

XVIII. Unternehmensverantwortung, Netzwerke und Kooperationen

233

Die gelebte verantwortungsvolle Unternehmensführung, so sehen es nicht nur die Bundesregierung mit ihrer CSR-Initiative, der Deutsche Industrie- und Handelskammertag e.V. und viele Wissenschaftler, sondern mittlerweile auch einige Mittelständler, ist mehr als nur ein vorübergehender Trend. Jedoch wird unter gesellschaftlicher und regionaler Unternehmensverantwortung mehr als nur für soziale Zwecke zu spenden verstanden. Glaubwürdiges und systematisches CSR-Management wird von Unternehmen durchaus als lohnende Investition in Stakeholderbeziehungen zur Zukunftssicherung der Unternehmung betrachtet. Darstellung 1: Unternehmen gestalten gesellschaftlichen Fortschritt mit

Quelle: Deutscher Industrie- und Handelskammertag e. V. (DIHK): Gesellschaft gewinnt durch unternehmerische Verantwortung, Ergebnisse des IHK-Unternehmensbarometers 2012, Berlin 2012, S. 8.

Die Darstellung 2 zeigt das vom Harvard-Professor Michael Porter entwickelte „Wertschöpfungsketten-Modell“, ergänzt um den Nachhaltigkeits- und Regionalbezug. In das ursprüngliche wettbewerbsstrategische Modell wird das Konzept einer „Gesellschaftlichen Verantwortung der Unternehmensführung“ mit Regionalbezug integriert. Unternehmenserfolg und CSR sind durchaus miteinander vereinbar. In gewisser Weise können der sozialen Dimension der CSR-Strategie grundsätzlich auch die Aktivitäten zugeordnet werden, die im Rahmen einer Employer Branding-Strategie (Arbeitgeberattraktivität) entwickelt werden, wie z.B. gute Arbeitsbedingungen, faire Entlohnung, Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Karrieremöglichkeiten (vgl. Zdrowomyslaw/Burke/Eggebrecht 2011 und 2012.)

234

XVIII. Unternehmensverantwortung, Netzwerke und Kooperationen

Darstellung 2: Wertschöpfungskette nach Porter mit Nachhaltigkeits- und Regionalbezug

Quelle: Zdrowomyslaw/Heine: Wachstumsbranchen als Basis regionaler Wertschöpfung in Vorpommern – Gesellschaftliche Verantwortung der Unternehmensführung und Unternehmenserfolg vereinbar? in: Vorpommern Magazin 9/2011, S. 30.

Um die Entwicklung von Standorten und Regionen voranzutreiben sowie die Nachteile von kleinen und mittelständischen Unternehmen gegenüber Großunternehmen und Konzernen zu kompensieren und Vorteile zu aktivieren, ist die Bildung von Netzwerken und Kooperationen ein Muss. Nach wie vor gilt der Satz: Gemeinsam sind wir stark! Die nachhaltige Steuerung von Unternehmen, eingebettet in regionale Entwicklungsstrukturen, benötigt Visionen, geeignete Strategien und Instrumente sowie vor allem stabile Partnerschaften.

3.

Beziehungsmanagement: Kontakte pflegen, Netzwerke schaffen

Relativ einig sind sich Wissenschaftler und Praktiker darüber, dass Beziehungsmanagement, Netzwerke und Kooperationen in der Regel den beteiligten Akteuren Nutzen bringen. Die Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit wird zum entscheidenden Motor für eine positive und soziale Entwicklung von Unternehmen und Regionen. Die Umsetzung von partnerschaftlich orientierten Zielen, Strategien und Maßnahmen ist ohne Kommunikation und Vertrauensbildung nur schwer erreichbar.

XVIII. Unternehmensverantwortung, Netzwerke und Kooperationen

235

Wer kennt nicht den Spruch: „Beziehungen schaden nur dem, der keine hat.“ Jedes stabile Netzwerk basiert auf einem gut funktionierenden „Networking“. Networking ist eine systematische Form der Beziehungspflege mit Freunden, Bekannten, Geschäftspartnern und Förderern. Networking heißt, x

Kontakte und Begegnungen aktiv herbeiführen,

x

Interesse an anderen Menschen zu haben und Anteilnahme zu zeigen,

x

Gespräche mit anderen führen und Spaß daran zu haben,

x

Informationen über alles und jeden zu sammeln,

x

Den Austausch von Hilfe und Unterstützung zu praktizieren,

x

Beziehungen zu pflegen und langfristig zu gestalten (vgl. Scheler 2000, S. 22).

Beispielsweise bieten Lions Club-Treffen, Rotary Club-Sitzungen, UnternehmerStammtische, Arbeitskreise der IHK, Fachtagungen und Workshops die Möglichkeit, gezielt Beziehungsmanagement und Wissenstransfer zu betreiben. In der Literatur wird unter Einbeziehung des steigenden Organisationsgrad das Schichtenmodell eines Netzes diskutiert. x

Verbund: Informelle Interaktionsvernetztheit infolge von Komplementarität, Konkurrenz sowie persönlicher, kultureller oder geographischer Nähe (z.B. Cliquen, Clans, Seilschaften, Kulturgemeinschaften, strategische Gruppen, regionale Cluster).

x

Pool: Organisierte Versorgungs- und Beziehungsgemeinschaft zur Deckung netzwerkinterner Bedarfe (z.B. Genossenschaften, Vereine, Forschungsgemeinschaften, Communities, Wissens-Netzwerke).

x

Netz: Arbeitsteilige, vertragsbasierte (kommerzielle) Geschäftspartnerschaft zur Deckung netzwerkexterner Bedarfe (z.B. Arbeitsgemeinschaften, Allianzen, virtuelle Unternehmen, Wertschöpfungspartnerschaften, Konsortien) (Reiß 2001, S. 141).

Modellhaft wird von folgendem Stufen des Vernetzungsansatzes ausgegangen (Müller/Riedel 2006, S. 22): Vom regionalen Netz (infrastrukturelle, mentale Vernetzung) über das regionale Kompetenznetz (kompetenzzellenbasierte, institutionalisierte Vernetzung) hin zum regionalen Produktions- und Dienstleistungsnetz (kompetenzzellenbasierende, auftragsbezogene Vernetzung). Zur erfolgreichen Umsetzung von kooperativen Organisationsformen kann das 6-K-Modell herangezogen werden: Kommunikation, Kontakte, Kompetenzen, Konsens, Kooperation und Kundenerfolge (Zdrowomyslaw/Bladt 1/2008; S. 22). Regelmäßiger Informations- und Wissensaustausch mit Politik, Verwaltung, Wissenschaft und Wirtschaft sowie die Bildung von Netzwerken und kooperatives Handeln lassen die Stärken einer Stadt und Region transparent werden, bilden die kritische Masse für größere Vorhaben und schaffen so den Nährboden für gemeinsame Projekte und Aktivitäten. Denn – die Unternehmensentwicklung aktiv gestalten, bedeutet global denken, lokal und regional möglichst gemeinsam handeln (vgl. Zdrowomyslaw/Bladt 2009). Stabile Netzwerke sind die Basis für erfolgreiche Kooperationen aller Art und für die Clusterbildung.

236

4.

XVIII. Unternehmensverantwortung, Netzwerke und Kooperationen

Kooperationen leben: Erfolgschancen erhöhen!

Die Zukunft gehört Netzwerken und Kooperationen. So verlangt der Kunde verstärkt nach „Rundum-sorglos-Angeboten“, und größere Aufträge lassen sich in Partnerschaften eher an Land ziehen. Die verschiedenen Kooperationsformen können grundsätzlich in allen Unternehmens-Lebensphasen als Instrument der Unternehmenssicherung und -entwicklung zum Einsatz kommen. Zu Recht wird dabei immer wieder auf die Notwendigkeit und die Vorteile der Nutzung kooperativer Beziehungen zwischen Unternehmen – vor allem für KMU – hingewiesen. Kooperationsstrategien sind angesagt, um mit neuen Ideen und neuen Technologien sich einen Wettbewerbsvorsprung zu verschaffen und sich dadurch regionale und überregionale Absatzmärkte zu erschließen. Zwar forscht der Mittelstand, aber oftmals fehlen das Wissen und die Ressourcen zur Realisierung marktreifer Produkte und Dienstleistungen. Das neue „Zentrale Innovationsprogramm Mittelstand – ZIM“ des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie unterstützt deshalb die Technologieförderung für den Mittelstand und zwar von der Idee über Kooperationen zu Innovationen. Den inhaltlichen Gestaltungsmöglichkeiten und möglichen Mischformen von Kooperationen sind keine Grenzen gesetzt. Folgende Grundmuster können jedoch identifiziert werden (vgl. Köhler 1994, S. 48 f.): x

Beschaffungskooperationen – durch eine größere Marktmacht gegenüber Lieferanten können günstigere Einkaufskonditionen erzielt werden, die Versorgung mit knappen Vormaterialien wird für den einzelnen sichergestellt.

x

Vertriebskooperationen – auf ein bestimmtes Marktgebiet oder Produkt bezogen.

x

Produktionskooperationen – mittels horizontaler Kooperation kann eine größere Differenzierung der Angebotspalette des einzelnen Kooperationspartners erreicht werden, vertikale Kooperation als Zusammenarbeit einer Kette von Herstellern eines Endproduktes.

x

Investitions- und Finanzierungskooperationen – eine projektbezogene Zusammenarbeit bei der Errichtung einer neuen Anlage oder bei der Erschließung eines neuen Marktgebietes ist bei Beteiligung mehrerer Unternehmen für jedes einzelne mit einem geringeren finanziellen Aufwand verbunden.

x

Forschungs- und Entwicklungskooperationen – die noch am wenigsten praktizierte Form, der aber zukünftig eine sehr große Bedeutung zukommen wird; denken Sie bei dieser Kooperationsform nicht unbedingt an eine Grundlagenforschung, sie sollte sich vielmehr auf die Entwicklung/Weiterentwicklung von Produkten oder neuen/verwandten Produktideen richten; in Japan ist diese Kooperationsform staatlich mehr oder weniger institutionalisiert und wird dementsprechend gefördert.

Die Kooperation kann als Instrument der Nachteilskompensation, zugleich aber auch zur Entfaltung der Vorteile, betrachtet werden. Die jeweiligen unternehmenspolitischen Strategien werden von Gruhler (1994, S. 204) grob in zwei Hauptzweige untergliedert: erstens den mehr defensiven der strukturellen Nachteilsminderung (über Nachteilsmeidung und -kompensation), zweitens den mehr offensiven der Vorteilsaktivierung (über Vorteilsintensivierung und -erschließung). Obwohl der Nutzen von Netzwerken und Kooperationen immer wieder herausgestellt wird, kann in der Praxis eine eher „zögerliche Nutzung“ dieses Instrumentes durch

XVIII. Unternehmensverantwortung, Netzwerke und Kooperationen

237

KMU konstatiert werden (vgl. Buse 1997). Da aber alle Einzelelemente/Faktoren des Unternehmens von einer Kooperation tangiert werden können, ist es wichtig, sich immer wieder die Grundsatzfrage nach Kooperationsmöglichkeiten zu stellen. Deren Beantwortung kann für die weitere Entwicklung des eigenen Geschäftsplans von grundsätzlicher, d.h. strategischer Bedeutung sein. In der Zusammenarbeit regionaler Akteure, der Schaffung regionaler Wirtschaftskreisläufe durch Wertschöpfungspartnerschaften und der Bildung von Clustern (Vernetzung von regionalen Akteuren und räumliche Konzentration von Unternehmen, die Zukunftsmärkte bearbeiten können) sowie der gezielten Vermarktung von Standorten und regionalen Besonderheiten (z.B. Produkte, Sehenswürdigkeiten) liegen die Erfolgschancen von kleinen und mittelständischen Unternehmen, die regional verankert sind. Gerade in unserer globalisierten, schnelllebigen Zeit ist regionales Handeln angesagt, was sich u.a. in Begriffen wie „Unternehmen Region“ und „regionaler Businessplan“ widerspiegelt. Darstellung 3 zeigt beispielhaft, auf welchem Modell das Netzwerk „Die Rügeninsel Ummanz“ seine nachhaltige Strategie der Regional- und Unternehmensentwicklung zur Stärkung regionaler Wirtschaftskreisläufe aufbauen möchte (vgl. Zdrowomyslaw/Bladt 2012). Darstellung 3: Das Ummanz-Projekt im strategischen Umfeld

Quelle: Eigene Darstellung

238

5.

XVIII. Unternehmensverantwortung, Netzwerke und Kooperationen

Abstract

Wesentliche Kennzeichen kleiner und mittlerer Unternehmen sind einerseits die Ressourcenknappheit und andererseits ihre Verankerung in der Region. Verantwortung für das gesellschaftliche Umfeld zu übernehmen, stellt bei ihnen keinen Einzelfall dar. KMU haben viele Möglichkeiten, Beziehungsmanagement zu pflegen, gesellschaftliches Engagement zu zeigen, sich wirkungsvoll und nachhaltig in der eigenen Region unter Berücksichtigung von relevanten Anspruchsgruppen zu engagieren und mit einer CSR-Strategie ihr Unternehmen zu stäken. Das Motto „gemeinsam sind wir stärker“ hat für den Mittelstand angesichts der Ressourcenbegrenztheit eine besondere Bedeutung. Networking, Netzwerkbildung und Kooperationen sind wichtige strategische Optionen, um Kompetenzen zu ergänzen und Größennachteile möglichst zu kompensieren. Die nachhaltige Steuerung von Unternehmen, eingebettet in regionale Entwicklungsstrukturen, benötigt Visionen, geeignete Strategien und Instrumente sowie vor allem stabile Partnerschaften. Die Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit wird zum entscheidenden Motor für eine positive und soziale Entwicklung von Unternehmen und Regionen. Regelmäßiger Informations- und Wissensaustausch mit Politik, Verwaltung, Wissenschaft und Wirtschaft sowie die Bildung von Netzwerken und kooperatives Handeln schaffen den Nährboden für gemeinsame Projekte und Aktivitäten. Kooperationen sind ein Weg Risiken zu minimieren und Vorteile zu realisieren. Sie können sehr unterschiedliche Formen annehmen: Von formlosen Vereinbarungen bis hin zu gemeinsamen Gründungen von Auslandsniederlassungen, alles ist denkbar. Die Zusammenarbeit kann sich auf den Einkauf, die Produktion, den Vertrieb, die Forschung und Entwicklung etc. beziehen, allein oder als Kombination. Insbesondere die lokal und regional agierenden KMU sollten die Erfolgschancen nutzen, die sich durch die Zusammenarbeit regionaler Akteure bieten. Die Schaffung regionaler Wirtschaftskreisläufe durch Wertschöpfungspartnerschaften und die Bildung von Clustern (Vernetzung von regionalen Akteuren und räumliche Konzentration von Unternehmen, die Zukunftsmärkte bearbeiten können) sowie die gezielte Vermarktung von Standorten und regionalen Besonderheiten (z.B. Produkte, Sehenswürdigkeiten) stärken die Region und erhöhen ebenfalls die Attraktivität sowie Leistungsfähigkeit der dort ansässigen Unternehmen.

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XIX. „Erfolgsfaktor Netzwerk“ in der mittelständisch geprägten Tourismusbranche Werner Gronau, Sandra Hippauf 1.

Einführung

Der innereuropäische Tourismus entwickelt sich zunehmend von einer Wachstumsbranche zu einer Branche im Verdrängungswettbewerb (vgl. Ullmann, 2000, S. 2). Diese Entwicklung ist vor allem im Auf und Ab der Übernachtungs- und Umsatzzahlen zu erkennen. Die Phase der Marktsättigung hat sowohl für privatwirtschaftlich geführte touristische Unternehmen als auch für Non-Profit-Unternehmen charakteristische Auswirkungen. Das Wachstum eines einzelnen Marktteilnehmers beeinflusst direkt die konkurrierenden Unternehmen, wodurch der erzielte Umsatz zum Spiegelbild der eigenen Aktivitäten in Relation zu den Aktivitäten der Konkurrenten wird (vgl. Ebd.). Insbesondere in kleinen und mittleren Unternehmen steigt infolge der sich beschleunigenden Marktdynamik der Existenzdruck, der zu sinkenden Preisen und Erträgen führt (vgl. Ullmann, 2000, S. 44). Hinzu kommen die im ersten Kapitel dieses Bandes beschriebenen KMU-spezifischen Eigenschaften, die die Betriebsabläufe dieser Unternehmensgruppe in einigen Dimensionen negativ beeinflussen (vgl. Teil I. Bedeutung, Vielfalt und Besonderheiten des Mittelstandes). Die Betriebe reagieren auf diese Probleme mit zentralen Fähigkeiten in den Bereichen Marktforschung, Angebotsentwicklung sowie Marktbearbeitung (vgl. Ullmann, 2000, S. 3). Speziell für den Tourismus hat sich vor allem die Organisationsform des „Netzwerkes“ herausgebildet, die durch ihre Flexibilität den sich stark verändernden ökonomischen und politischen Bedingungen gerecht wird (vgl. Ullmann, 2000, S. 230). Aus diesem Grund wird in diesem Beitrag die Bedeutung von Netzwerken für kleine und mittlere Unternehmen im Tourismus erläutert. Dafür erfolgt im ersten Schritt die begriffliche und strukturelle Abgrenzung eines Netzwerkes. Anschließend werden die Aufgaben, Vorund Nachteile sowie die Erfolgsfaktoren für das Funktionieren von Netzwerken dargestellt.

2.

Eingrenzung des Begriffs „Netzwerk“

In der klassischen Betriebs- und Volkswirtschaftslehre werden die zwei traditionellen Koordinationsformen „Markt“ und „Hierarchie“ unterschieden (vgl. Coase, 1937, S. 390 ff.). Lange Zeit wurden diese Koordinationsformen als alleinige Extrempole ohne jegliche Zwischenausprägungen betrachtet. Infolge des wachsenden Wettbewerbsdrucks ist es jedoch zunehmend zu einer Vermischung dieser beiden Extreme und einer Herausbildung von neuen Formen interorganisationaler Beziehungen gekommen. Netzwerke werden dabei als eine mögliche Sonderform hervorgehoben, da sie sowohl marktliche als auch hierarchische Eigenschaften beinhalten (vgl. Goos et al., 2005, S. 86).

XIX. „Erfolgsfaktor Netzwerk“ in der Tourismusbranche

243

Unter einem „Markt“ wird „eine Koordination ökonomischer Austauschprozesse durch formal gleichberechtigte, weitgehend unabhängige Akteure – Anbieter und Nachfrager – verstanden, bei der eine ex ante genau spezifizierte Leistung ausgetauscht wird“ (Sydow & Duschek, 2011, S. 42). Dabei stehen der Wettbewerb und die Eigeninteressen der voneinander unabhängigen Marktteilnehmer im Vordergrund. Der Begriff „Hierarchie“ zielt hingegen auf die sich selbst hierarchisch strukturierten Organisationen ab (z.B. Unternehmen, Konzerne und Verwaltungen) (vgl. Sydow & Duschek, 2011, S. 43 f.). Die Koordination erfolgt nicht über den Preis, sondern vielmehr mittels organisatorischer Regeln sowie prägender Normen innerhalb der Organisation. Folglich basiert die Koordinationsform der Hierarchie aufgrund ihrer kooperativen Eigenschaften auf langfristigen Beziehungen und Vertrauen zwischen den Partnern (vgl. Goos et al., 2005, S. 87). Neben den marktlichen und hierarchischen Organisationsformen haben sich in der Vergangenheit zunehmend Netzwerke herausgebildet. Auch wenn diese erst vor etwa zwei Jahrzehnten Einzug in die Managementlehre gehalten haben, können bereits in der Historie zahlreiche Beispiele unternehmerischer Netzwerke beobachtet werden. Ein populäres Beispiel für ein geschichtliches Netzwerk ist die Hanse als Organisation niederdeutscher Fernkaufleute. In der Hanse waren rund 200 große und kleinere Städte organisiert, die von der niederländischen Zuidersee im Westen bis zum baltischen Estland im Osten und von Visby (Schweden) im Norden bis hin zur Grenze Köln-Erfurt-Breslau-Krakau im Süden reichten (vgl. Städtebund Die Hanse, 2008). Auf ihrem Höhepunkt war das Netzwerk der Hanse so mächtig, dass es Wirtschaftsblockaden gegen Königreiche durchsetzen konnte. Aus den Netzwerkstrukturen heraus erlangte erst im ausgehenden 18. Jahrhundert der Mechanismus des modernen „Marktes“ an Bedeutung – vorwiegend begründet durch die Arbeiten von Adam Smith, der als Begründer der klassischen Nationalökonomie gilt (vgl. Sydow & Duschek, 2011, S. 122). Folglich sind Netzwerke keine „moderne“ Erfindung. Werden die zuvor genannten marktlichen und hierarchischen Eigenschaften miteinander kombiniert, können die typischen Charakteristika eines Netzwerkes festgehalten werden. Beispielsweise können Unternehmen jederzeit aus einem Netzwerk austreten, was ihre Unabhängigkeit demonstriert (= Markt). Gleichzeitig basiert ein funktionierendes Netzwerk vor allem auf Vertrauen (= Hierarchie), welches eine Notwendigkeit für das Funktionieren eines Netzwerkes darstellt. Daraus ergibt sich die für diese Kapitel zugrunde liegende Definition eines Netzwerkes von Unternehmen nach Siebert (2003, S. 9) als eine „Form der koordinierten Zusammenarbeit zwischen mehreren selbständigen und auch formal vollständig unabhängigen Unternehmen“. Der Autor Sydow (1992, S. 79) ergänzt dazu, dass es sich um „eine auf die Realisierung von Wettbewerbsvorteilen zielende Organisationsform […]“ handelt. Folglich stehen Netzwerke vor allem in den Spannungsfeldern von Autonomie und Interdependenz sowie Kooperation und Wettbewerb (vgl. Kappelhoff, 2000, S. 29). Unternehmen in einem Netzwerk verfolgen damit nicht nur ihre eigenen Ziele und Aufgaben, sondern gehen gleichzeitig kooperative Verbindungen mit anderen Unternehmern ein, die auf Vertrauen basieren. Den theoretischen Bezugsrahmen für das Verstehen von Netzwerken als Organisationsform zwischen Markt und Hierarchie ermöglicht die Transaktionskostentheorie.

244

XIX. „Erfolgsfaktor Netzwerk“ in der Tourismusbranche

Die Transaktionskostentheorie wurde im Wesentlichen von Williamson (1975 und 1985) begründet und entwickelt. Transaktionen beinhalten nach dieser Definition die Übertragung von Sachgütern, Dienstleistungen oder Verträgen von einem Transaktionspartner auf einen anderen. Durch eine notwendig werdende gemeinsame Organisation und eine Anpassung aneinander entstehen Kosten für alle Marktseiten. Diese Kosten sollen jedoch durch einen effizienten Umgang mit den Ressourcen der einzelnen Unternehmen in ihrer Gesamtheit minimiert werden. Die Transaktionskostentheorie untersucht demnach, inwiefern die Koordination von Marktbeziehungen effizienter ist als die hierarchische Organisation von Einzelunternehmen.

3.

Strukturen von Netzwerken

Die Strukturen von Netzwerken leiten sich aus dem mathematischen Modell eines Graphen mit Knoten und Kanten ab. Die Knoten beziehen sich auf Personen, Ereignisse oder Objekte des Sachsystems wie beispielsweise technische Geräte, die Transaktionen in einem Netzwerk auslösen. Verbunden werden die einzelnen Knoten durch Kanten, die die Beziehungen bzw. „Ströme“ darstellen (vgl. Callon, 1991, zit. in Steinbach, 2003, S. 6). Infolgedessen kann im weitesten Sinne ein Netzwerk auch als ein „System von Beziehungen zwischen Knotenpunkten“ betrachtet werden (Ullmann, 2000, S. 231). Als einfaches Beispiel für eine derartige Verbindung mit zwei oder mehreren Knotenpunkten lässt sich die technische Verbindung (= Kanten) zwischen verschiedenen Computern (= Knotenpunkte) nennen. Die tatsächliche Bedeutung von Netzwerken übersteigt jedoch die rein technische Verbindung und wird vor allem durch die kommunikative Verbindung zwischen den Individuen der Unternehmen geschaffen. Insgesamt werden dabei drei unterschiedliche Grundmodelle von Netzwerkstrukturen unterschieden (vgl. Knyphausen-Aufseß, 2005, S. 13 f.), die in Darstellung 1 grafisch und inhaltlich dargestellt werden. Darstellung 1: Typen von Netzwerkstrukturen

1

2

A

S

S C

A

A

C

B 3

S B

C

A E

D C

B F G

Quelle: Eigene Darstellung nach Knyphausen-Aufseß (2005, S. 14)

H

B

XIX. „Erfolgsfaktor Netzwerk“ in der Tourismusbranche

245

Der zentrale Akteur S steht mit den Akteuren A bis C in bilateralen Beziehungen. Die dezentralen Akteure A bis C sind untereinander nicht verbunden. Ein Beispiel für ein derartiges Netzwerkmodell ist ein Unternehmen, welches seine verschiedenen Vertriebsgesellschaften im Ausland von der Firmenzentrale aus koordiniert. Das zweite Netzwerkmodell besitzt zwei Zentren, die sich wie im oberen Modell aufbauen. Diese Struktur tritt beispielsweise auf, wenn eine Fluggesellschaft zwei HubFlughäfen anfliegt. Die Hub-Flughäfen bedienen wiederum das jeweilige Gebiet im Umfeld der Region. Das dritte Netzwerkmodell ist so komplex, dass das konkrete Zentrum nicht mehr auszumachen ist. Die verschiedenen Akteure stehen miteinander in Verbindung wie es zum Beispiel in multinationalen, also grenzüberschreitenden Unternehmen der Fall ist. Aus diesen Grundstrukturen heraus hat sich eine Vielfalt von Organisationsformen (vgl. Darstellung 2) herausgebildet, die von „Strategischen Allianzen, Joint Ventures und anderen formellen Kooperationen über dauerhafte und neue Formen von Lieferbeziehungen, informelle Beziehungen und Informationsaustausch bis hin zu neuen Formen der Zusammenarbeit mit öffentlichen und halböffentlichen Einrichtungen und zu Netzwerken von Städten und Regionen reichen“ (Tödtling, 1995, S. 13). In den einzelnen Ausprägungen von Netzwerken sind die Beziehungen in Form von Kommunikations- und Machtbeziehungen, Kooperationen sowie Dienstleistungs- und Güterflüssen von unterschiedlicher Dauer und Stärke (vgl. Tödtling, 1995, S. 10). Darstellung 2: Übersicht der Organisationsformen

Markt

Lizenz-/ Franchisingvertrag

Langfristiger Liefervertrag Strategische Allianz, Bündnis

Original Equipment ManufacturerVereinbarung Konsortium/Arbeitsgemeinschaft Netzwerk

Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Sydow (1992, S. 194)

Joint Venture

Tauschgeschäft

Kaufvertrag

Kartell

Konzern

Profit-Center-Organisation

Verband

Funktionalorganisation

Vertikale Integration Hierarchie

246

4.

XIX. „Erfolgsfaktor Netzwerk“ in der Tourismusbranche

Aufgaben und Funktionen von Netzwerken

Aus den Netzwerkeigenschaften Dichte, Verbundenheit sowie positionale Differenzierung leiten sich die zentralen Aufgaben und Funktionen von Netzwerken ab (vgl. Kappelhoff, 2000, S. 26). Das allgemeine Ziel von Netzwerken besteht in der Bündelung von Unternehmen, um Marktchancen zu erhöhen, wirtschaftliche Vorteile durchzusetzen und damit das wirtschaftliche Überleben der Netzwerkpartner zu sichern (vgl. Bussiek, 1994, S. 32). Die Grundlage dafür bildet die Schaffung von Synergieeffekten auf wirtschaftlicher sowie organisatorischer Ebene. Infolge unterschiedlicher Kompetenzen, Ressourcen und Zeithorizonte der Netzwerkbeteiligten ist es von Bedeutung, die unterschiedlichen Interessen miteinander zu verbinden und gleichzeitig die rechtliche und wirtschaftliche Unabhängigkeit der Partner zu sichern (vgl. You/Wilkinson, 1994, S. 259 ff.). Durch die Schaffung einer „virtuellen“ Größe werden in einem Netzwerk Erkenntnisse, Know-how sowie Problemlösungsansätze stärker ausgetauscht als in einzelnen Unternehmen (vgl. Gochermann, 2005, S. 58). Der Austausch von Erfahrungen sowie die gemeinsamen Netzwerkaktivitäten führen zu einer verbesserten Wettbewerbsfähigkeit, d.h. zum Aufbau einer im Vergleich zur Konkurrenz besseren Leistung. In einem Netzwerk besteht das Prinzip der Gleichberechtigung. Infolgedessen stehen die notwendigen Informationen und Dienstleistungen ohne Einschränkungen allen Netzwerkpartnern zur Verfügung. In hierarchischen Strukturen hingegen sind Barrieren zu finden, um die Ziele des Einzelnen konsequent durchzusetzen (vgl. Ullmann, 2000, S. 235). Die Vernetzung der Partner verhindert vor allem Doppelgleisigkeiten in der Erfüllung von Aufgaben (vgl. Ullmann, 2000, S. 238 f.). Für die Durchführung von Werbung, Öffentlichkeitsarbeit sowie Messen entstehen für ein einzelnes Unternehmen hohe finanzielle und zeitliche Kosten, die aufgrund der Ressourcenknappheit von kleinen und mittleren Unternehmen oft nicht alleine gestemmt werden können. Damit ermöglichen Netzwerkstrukturen Kosteneinsparungen, da der Kostenanteil pro Netzwerkteilnehmer deutlich sinkt (vgl. Ullmann, 2000, S. 254). Die einzelnen Netzwerkpartner entwickeln spezielle Kompetenzen in den einzelnen Unternehmensbereichen, die sie stellvertretend für das gesamte Netzwerk erfolgreich umsetzen. Durch die vom Netzwerk geschaffene „Schlagkraft“ nach außen werden Mittel gebündelt, wodurch höhere finanzielle Ressourcen für gezielte Aktionen zur Verfügung stehen. Die Zusammenarbeit in touristischen Netzwerken erstreckt sich vorwiegend von der Angebotsentwicklung, über das Marketing bis hin zum Vertrieb, wobei der Leistungsaustausch nicht nur einmalig stattfindet (vgl. Ullmann, 2000, S. 234). Die unterschiedlichen Netzwerkpartner arbeiten gemeinsam an der Schaffung eines optimalen Nutzens für den Gast, d.h. an der Entwicklung von touristischen Leistungen, die den Bedürfnissen und Wünschen des Gastes entsprechen. Ziel ist es, die Wiederbesuchsrate des Gastes insgesamt zu steigern und die Auslastung in der Destination zu erhöhen. Durch das Vorhandensein eines Netzwerkes werden die Unternehmen

XIX. „Erfolgsfaktor Netzwerk“ in der Tourismusbranche

247

vom Gast bei der Urlaubsentscheidung eher berücksichtigt als ohne Netzwerkstrukturen (vgl. Ullmann, 2000, S. 238). Folglich erhalten die einzelnen touristischen Unternehmen einen direkten Zugang zum Markt und werden nach außen hin sichtbar. Dadurch werden die in zuvor beschriebenen hohen Markteintrittsbarrieren, vor allem bei Unternehmensneugründungen, minimiert. Durch das effiziente Erreichen der touristischen Märkte infolge einer verstärkten Werbewirkung als Netzwerk wird die Marktpräsenz einer Region generell erhöht. Unterstützend wirken dabei vor allem gemeinsam geschaffene Leistungsbündel, die langfristig zum Aufbau einer starken Dachmarke führen können (vgl. Ullmann, 2000, S. 254). Ein Beispiel für ein Netzwerk in der Tourismusbranche, das die soeben dargelegten Aufgaben und Funktionen von Netzwerken deutlich widerspiegelt, ist die im Jahr 1997 gegründete Star Alliance, in der heute insgesamt 25 Luftverkehrsgesellschaften weltweit organisiert sind. Mit 20.500 Flügen pro Tag, 4.256 Flugzeugen und einem jährlichen Passagieraufkommen in Höhe von 648,85 Mio. ist die Star Alliance eines der komplexesten und zugleich sichtbarsten touristischen Netzwerke der Welt (vgl. Star Alliance, 2012). Verwaltet wird das Netzwerk durch die Star Alliance Services GmbH mit Sitz in Frankfurt am Main. Ziel der Star Alliance ist es, das globale Streckennetz auszubauen und neue Märkte zu erschließen, ohne grundlegend eigene Ressourcen einzusetzen. Wertschöpfungsfunktionen wie die gemeinsame Beschaffung und Wartung sowie die Nutzung von Drehkreuzen, Flughafenlounges, Check-In Services und das Weiterreichen von Kunden führen zu Skalen-Effekten und einer höheren Effizienz der einzelnen Fluggesellschaften (vgl. Ebd.). Für den Reisenden bedeuten diese Leistungen ein angenehmeres Reiseerlebnis durch die zusammengeschlossenen Abläufe der Fluggesellschaften.

5.

Vor- und Nachteile von Netzwerken

Entsprechend der Aufgaben und Funktionen von Netzwerken liegen nach Ullmann (2000, S. 233) und der Wirtschaftskammer Oberösterreich (2012) die Vorteile von Netzwerken vor allem in den nachfolgenden Punkten: x

Durch Netzwerke werden Skalenvorteile, Komplementaritäten und Synergien (z.B. Motivationsaustausch, Erhöhung von Kreativität, Möglichkeit zur Konzentration auf Kernkompetenzen, Erzielung von Wettbewerbsvorteilen) erzielt.

x

Persönliche Kontakte zwischen den Unternehmen, die sich aus Netzwerktreffen und dem Miteinander ergeben, unterstützen die kontinuierliche Zusammenarbeit und relativieren den Konkurrenzgedanken zwischen den Unternehmen. Dieser Prozess kommt vor allem KMU zugute, die durch einen mangelnden Kooperationswillen geprägt sind. Grund dafür ist die in den Teilen I., III. und XIV. erwähnte enge und lebenslange Bindung des KMU-Eigentümers an das Unternehmen. Die Unternehmensführenden wollen die Existenz des eigenen Unternehmens sichern, wodurch Misstrauen nach außen entsteht (vgl. Peters & Weiermair, 2005, S. 359). Infolge einer gegenseitigen Unterstützung hingegen ist eine konstantere Leistung und eine Verbesserung des Marktauftrittes nach dem Prinzip „Viele „Kleine“ treten als „Großer“ auf“ umsetzbar.

248 x

XIX. „Erfolgsfaktor Netzwerk“ in der Tourismusbranche Durch Netzwerke entstehen kollektive Lernprozesse. Vor allem nicht standardisierbares Wissen wird durch die kontinuierliche Zusammenarbeit der Unternehmen übertragen, da sich infolge der hohen Flexibilität neue Ideen und Ansätze ergeben.

Aus den Netzwerkstrukturen heraus resultieren jedoch auch Nachteile, die etwa die Wirtschaftskammer Oberösterreich (2012) wie folgt zusammengefasst hat: x

Investition von Zeit seitens der Netzwerkpartner.

x

Möglicher Verlust der persönlichen Handlungsfreiheit und der persönlichen Identität.

x

Das Versagen und die Trägheit eines Mitgliedes kann zur Störung eines ganzen Projektes führen.

x

Möglichkeit des Entstehens von Auffassungsunterschieden und Kommunikationsproblemen.

x

Unzureichend definierte Zuständigkeiten führen zum Misserfolg.

Um diesen Nachteilen entgegenzuwirken, werden nachfolgend Erfolgsfaktoren für das Funktionieren von Netzwerken dargelegt.

6.

Erfolgsfaktoren von Netzwerken

Die Entwicklung von Netzwerken ist ein fortlaufender Prozess. Der Erfolg eines Netzwerkes hängt vor allem vom eigenen Interesse der Beteiligten am Erhalt der Netzwerkbeziehungen ab. Die Netzwerkpartner müssen bereit sein, in den Aufbau des Netzwerkes zu investieren, sich gemeinsam mit dem Netzwerk weiterzuentwickeln, Kompromisse einzugehen und externes Wissen wertzuschätzen. Folglich ist es notwendig, dass die Netzwerkpartner auch untereinander das Interesse an den Netzwerkbeziehungen verkörpern (vgl. Fischer, 2005, S. 49 ff.). Daraus ergibt sich die Notwendigkeit einer Balance zwischen interner Kohärenz (Zusammenhalt) sowie einer Orientierung und Öffnung nach außen, um Netzwerkblockierungen zu verhindern (vgl. Tödtling, 1995, S. 19). Ein Netzwerk bildet sich nur dann heraus, wenn das Geben und Nehmen in Relation zueinander stehen. Netzwerkbeziehungen basieren dementsprechend auf dem gegenseitigen Austausch von Vertrauen, Informationen sowie materiellen und sachlichen Leistungen. Dieses so genannte Reziprozitätsprinzip resultiert darin, dass jede einzelne Leistung eine Gegenleistung mit sich bringen muss. Sobald ein Netzwerkpartner realisiert, dass es sich um eine einseitige Netzwerkbeziehung handelt, wird dieser über kurz oder lang das Netzwerk verlassen. Das Netzwerk führende Unternehmen sollte daher die Leistungen für das Netzwerk regelmäßig überprüfen und den Netzwerkpartnern entsprechend kommunizieren (vgl. Fischer, 2005, S. 50 f.). Zudem ist es von Vorteil, einen „Partner Fit“ vorzunehmen, bevor ein neues Unternehmen dem Netzwerk beitritt. Dabei werden festgelegte Kriterien systematisch überprüft, um herauszufinden, ob beide Partner von einer Zusammenarbeit profitieren und gleiche Interessen verfolgen (vgl. Fischer, 2005, S. 50).

XIX. „Erfolgsfaktor Netzwerk“ in der Tourismusbranche

249

Das leitende Netzwerkunternehmen, welches jedoch nicht zwingend vorhanden sein muss, hat zudem die Aufgabe, einen Konsens innerhalb des Netzwerkes für eine gemeinsame Strategie zu schaffen und klare Verhaltensregeln für die Teilnahme am Netzwerk festzulegen. Dabei spielt der Aufbau eines vertrauensbegünstigendem Klimas eine große Rolle, welches durch das Einbeziehen aller Netzwerkpartner in die Arbeit gefördert werden kann (vgl. Fischer, 2005, S. 49 f.). In diesem Zusammenhang sollten vor allem strategisch relevante Informationen regelmäßig ausgetauscht und Kommunikationsplattformen in Form von Meetings und Netzwerktreffen gebildet werden. Zusammenfassend muss an dieser Stelle festgehalten werden, dass Netzwerke eine Vielzahl von Vorteilen mit sich bringen, die insbesondere in ihrer Flexibilität und Schlagkraft nach außen begründet sind. Speziell die Tourismusbranche ist durch ihre starke Fragmentierung von losen und selbstständigen Einheiten für die Bildung von Netzwerkstrukturen geeignet. Die Unternehmen selbst bewahren dabei ihre Eigenständigkeit und können ihre persönlichen Ziele verfolgen. Gleichzeitig gewinnen die Netzwerkpartner an virtueller Größe nach außen, da sie als eine Einheit am Markt auftreten. Damit eignet sich diese Form der Organisation vor allem für kleine und mittlere Unternehmen, die infolge ihrer Größe Schwierigkeiten haben, am Markt wahrgenommen zu werden.

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XX. Wirtschaftlicher Erfolg durch Nachhaltigkeit: Kosten und Nutzen von CSR Wolfgang Scherl 1.

Warum ist CSR wichtig?

Der Begriff „Corporate Social Responsibility“ (CSR) erklärt terminologisch den Zusammenhang zwischen einer nachhaltig geprägten Unternehmensführung und der daraus resultierenden sozialen, ökologischen und gesellschaftlichen Verantwortung. Ob ein Unternehmen eine besondere soziale Verantwortung aufgrund der jeweiligen Unternehmenstätigkeit trägt, erscheint problematisch auf den ersten Blick. Die Wissenschaft diskutiert die korporative soziale Verantwortung von Unternehmen seit Howard Bowen (1953), der im Besonderen die unternehmerische Tätigkeit als ganzheitliche ‚Unternehmung‘ betrachtet und alle betroffenen Akteure bzw. Stakeholder1 (z.B. Arbeitnehmer, Mitbewerber, Anteilseigner, Lieferanten, Kunden, involvierte Teil einer Bevölkerung, etc.) in den Kreislauf inkludiert. Unternehmen sind heutzutage zunehmend mit einem erhöhten Verantwortungsbereich und vielfältigen Aufgabenfeldern – regional, national und international – konfrontiert. Sie sind mehr in gesellschaftliche Bereiche eingegliedert und übernehmen dort eine soziale Verantwortung für eine faire und nachhaltige Unternehmensführung und die sich daraus ergebenden Entwicklungen humaner Ressourcen (Qualifizierung der Mitarbeiter, Förderung von Schulen und Kindergärten, Nachwuchsförderung) um sich nicht ausschließlich auf rein wirtschaftliche Aspekte der Unternehmensführung zu beschränken (Meyer 2011). Eine nachhaltige und sozio-ökonomische Unternehmensführung inkludiert eine korporative, soziale, ökologische und gesellschaftliche Verantwortung, d.h. ein Unternehmen ist i.d.R. nicht ausschließlich an Gewinnmaximierung – aber unter anderem auch daran – interessiert, denn ohne einen gesunden und profitablen Wertschöpfungsprozess ist das Unternehmen nicht in der Lage, weitreichende soziale und gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen. Die unternehmerische Tätigkeit fließt daher nicht ausschließlich dem Unternehmen zu Gute, sondern verbessert i.d.R. ganzheitlich die Situation der jeweiligen Stakeholder in verschiedenen Bereichen und kann demzufolge das soziale, gesellschaftliche, infrastrukturelle und wirtschaftliche Leben erheblich verbessern (GIZ 2012; Carroll 1999; Frederik 1986). Nachfolgend wird aufgezeigt, inwiefern CSR als ein ökonomisches Konzept einerseits komparative Wettbewerbsvorteile generieren und andererseits die Unternehmensreputation in erheblichem Maße beeinflussen kann.

1

Stakeholder sind alle Mitglieder einer Interessens- bzw. einer Anspruchsgruppe

252

2.

XX. Wirtschaftlicher Erfolg durch Nachhaltigkeit

CSR – ein Mehrwert für jedes Unternehmen

Das Konzept der CSR wird seit den 50er Jahren teilweise kontrovers diskutiert und dabei haben sich im Laufe der Zeit weitere Begrifflichkeiten entwickelt, die beispielsweise Parallelen zu Social Responsibility (SR), Corporate Citizenship (CC) und Stakeholder Theorien aufweisen. Corporate Citizenship definiert ein Unternehmen als soziologisch integrierten „Bürger“, der weitverzweigte Aufgaben und Verantwortungsbereiche inne hat. Dies bedeutet, dass „CC nicht nur unternehmerische Philanthropie und bürgerschaftliches Engagement bedeutet, sondern dass ein unternehmerischer Bürgerstatus vier Gesichter hat: ein ökonomisches, ein legales, ein ethisches – und eben ein philanthropisches. Um gute Bürger zu sein, müssen Unternehmen demnach profitabel sein, Gesetze befolgen, sich in ethisch korrektem Verhalten üben und Teile ihres Profits in Form von Philanthropie an die Gesellschaft zurückgeben“ (Curbach, 2009:19). Man kann davon ausgehen, dass CC ein Unternehmen gesellschaftlich noch subtiler definiert und integriert – ein besonderer Fokus konzentriert sich auf die korporative Bürgerschaft mit den zugrundeliegenden Verantwortungsbereichen. Im Folgenden wird das Konzept der CSR aus einer wirtschaftlichen Perspektive betrachtet und erklärt. Nach Friedman (2009) besteht die einzige soziale Verantwortung von Unternehmen in der wirtschaftlichen Gewinnmaximierung und der Einhaltung von Rahmenbedingungen und Gesetzen; letzteres wird auch als Compliance definiert. Eine kritische Haltung dazu nimmt Crane und Matten (2010) ein, die die unternehmerische Tätigkeit und deren sozial-ökonomische Verantwortung in einem ganzheitlichen Kontext setzen. Das bedeutet, eine Investition in eine nachhaltige Unternehmensstrategie und CSR kann einen Mehrwert für jedes Unternehmen, große und kleine, generieren (Meyer 2011; Porter/Kramer 2006). Dabei unterscheidet man zwei Perspektiven – die Markt-basierende und die Ressourcen-basierende Perspektive (Porter/Kramer, 2002). Die Markt-basierende Perspektive konzentriert sich dabei auf strategische Investitionen in die unmittelbare und mittelbare Unternehmensumwelt, inklusive der jeweiligen Stakeholder und Wettbewerber. Zielgerichtete Investitionen in CSR können beispielsweise in den Ausbau und Entwicklung der Infrastruktur erfolgen, die Verbesserung von sozialen Einrichtungen wie z.B. Schulen, Sportstätten und behindertengerechte Einrichtungen oder die nachhaltige Entwicklung von humanen Ressourcen für die eigenen Unternehmensprozesse. Von einer eher externen Investitionsperspektive hin zu einer internen, Ressourcen-basierenden Perspektive, konzentriert sich hier eine strategische Investition in CSR auf interne Unternehmensprozesse, die „sozialverantwortlich“ optimiert werden können. Das hat den Vorteil, dass die Weiterentwicklung von internen Prozessen zu einem Wissens- und Kompetenzanstieg (Knowledge Management) führt – was wiederum komparative Wettbewerbsvorteile initiieren und Innovationen hervorbringen bzw. diese weiter entwickeln kann (Crane/Matten 2011; GIZ 2012).

XX. Wirtschaftlicher Erfolg durch Nachhaltigkeit

3.

253

CSR – ein fundiertes Konzept

CSR in den Kontext zum Wertschöpfungsprozess und damit in das wirtschaftliche Handeln mit einzubeziehen, erscheint sinnvoll und wird von Carroll (1999; 2003) explizit unterstützt. Wirtschaftliches Handeln, ökonomische Interessen und Gewinnerzielungsabsicht müssen nicht im Gegensatz zu einer sozio-ökonomischen Verantwortung eines Unternehmens stehen. Vielmehr wird explizit darauf hingewiesen, dass es ohne das eine – das andere nicht geben kann. Demzufolge zeigt die Pyramide (Darstellung 1) der korporativen sozialen Verantwortung (CSR) von Carroll (1999; 2003) ausdrücklich den Zusammenhang zwischen wirtschaftlichen und gesellschaftlich-sozialen Interessen – und die Vereinbarkeit beider Aspekte für eine strategische Unternehmensführung (Crane/Matten 2011; Zirnig 2009).

Das Fundament einer jeden Unternehmung ist zunächst das ökonomische Prinzip. Dadurch wird gewährleistet, dass durch den Unternehmenszweck bzw. durch das unternehmerische Handeln ein positiver Ertrag nach Abzug der entstandenen Kosten zu erwirtschaften ist. Eine falsch verstandene soziale Verantwortung führt häufig dazu, die Überlebensfähigkeit des gesamten Unternehmens (oder strategische Teile davon) zu gefährden. Dadurch riskiert man u.U. nicht nur einige wenige Stellen abbauen zu müssen, sondern den Verlust aller Arbeitsplätze im Falle eines Worst-Case Szenarios – also einer Insolvenz. Darstellung 1: CSR Pyramide

Quelle: Carroll, 1999; 2003.

D.h. die soziale Verantwortung eines Unternehmens ist zunächst auch als ökonomische Verantwortung zu begreifen, die das wirtschaftliche Überleben nachhaltig sicherstellen muss. Folglich wird die ökonomische Verantwortung eines Unternehmens als Grundvoraussetzung betrachtet und bildet die erste Dimension der CSR Pyramide.

254

XX. Wirtschaftlicher Erfolg durch Nachhaltigkeit

Die nächste Dimension, die rechtliche Verantwortung, definiert die Einhaltung von Rahmenbedingungen, Gesetzen, gesellschaftlichen und kulturellen Normen und Regeln. Dies wird wissenschaftlich als Compliance definiert und erfüllt und respektiert Menschenrechte, Arbeitsplatzrichtlinien und Gesetze im Allgemeinen – so auch Antikorruptionsgesetze. Compliance stellt eine rechtskonforme und ordnungsgemäße Unternehmensführung in den Mittelpunkt und verschafft sich so eine gesellschaftliche Legitimation. Carroll (2003) macht in diesem Punkt besonders deutlich, dass Unternehmen häufig versuchen, eine sog. Bypass-Lösung zu finden, die das bewusste Umgehen von Gesetzen und Rahmenbedingen für die eigene Zielerreichung zur Folge hat. Demzufolge werden sowohl die ökonomische als auch die rechtliche Verantwortung als Voraussetzung angesehen, die unter allen Umständen zu erfüllen sind und nicht korrumpiert werden dürfen. Die dritte Dimension der CSR Pyramide verdeutlicht die ethische Verantwortung und spiegelt sich im Unternehmensleitbild und deren Wertesystemen, in der Unternehmenskultur, den gesellschaftlichen und kulturellen Werten wider. Die ethische Verantwortung fordert Unternehmen auf, das Richtige zu tun – ohne sich dabei auf eine existierende Gesetzgebung und deren intelligenten Interpretationsversuche zu berufen. Aus einer fundierten wirtschaftlich-ethischen Grundhaltung heraus entwickelt sich das Verständnis einer ethisch-moralischen Unternehmensführung, die das Richtige tut und das Unrichtige meidet – nicht weil dies durch gesetzliche Rahmenbedingungen zwingend vorgeschrieben ist, sondern aufgrund eines gesellschaftlichen Gewissens, das über wirtschaftliche und gesetzliche Rahmenbedingungen hinaus aktiv ist. Die vierte und letzte Dimension stellt an jedes Unternehmen einen sehr hohen Anspruch. Während wir die ersten beiden Dimensionen voraussetzen, erwarten wir die dritte Dimension, die Wahrnehmung der ethischen Verantwortung, von erfolgreichen Unternehmen. Die philanthropische Dimension stellt den am höchst-entwickelten CSR Ansatz dar und erfährt eine deutliche Abgrenzung zu den ersten drei Dimensionen. Ein sicherlich wünschenswerter Zustand, bei dem sich ein verantwortliches Unternehmen gesellschaftlich engagiert und als sog. Corporate Citizen, als guter korporativer Bürger, entsprechende Verantwortung übernimmt. Beispiele dafür sind wohltätige und gemeinnützige Aktivitäten, die i.d.R. eher wenig oder nicht mit dem eigentlichen Geschäftszweck der Unternehmung in Verbindung stehen (Porter/Kramer 2002). Zusammenfassend zeigt die CSR Pyramide eine Hierarchie unterschiedlicher Verantwortungsdimensionen, die wissenschaftlich fundiert und empirisch gestützt eine allumfassende CSR Perspektive bietet und für den weiteren korporativen Einsatz als Grundlage für Entscheidungsprozesse hilfreich sein kann.

XX. Wirtschaftlicher Erfolg durch Nachhaltigkeit

4.

255

Kosten und Nutzen von CSR

Eine Reihe von unterschiedlichen CSR-Initiativen diskutiert die Zweckmäßigkeit einer Integration allgemein gültiger Regeln, Normen und Wertvorstellungen in eine verantwortliche und nachhaltige Unternehmensführung. Die OECD (Organisation for Economic Cooperation and Development) unterstützt die wirtschaftliche Zusammenarbeit und Kooperation für verantwortliche Unternehmensführung (OECD 2011). Die Global-Sullivan-Prinzipien setzen sich für einen verantwortlichen Umgang und für Menschenrechte ein (Garriga/Melé 2004). Der UN Global Compact steht für verantwortliche Unternehmen, die sich für Menschenrechte, humane Arbeitsbedingungen, Gleichbehandlungsgrundsatz, Umweltschutz und Korruptionsbekämpfung einsetzen (Hale/Held 2011). CERES (Coalition for Environmentally Responsible Economies) engagiert sich vor allem für nachhaltige und verantwortungsvolle ökologische Unternehmensführung und Führungskräfteentwicklung (CERES 2013). Zahlreiche Initiativen zeigen die Bedeutung von CSR-Aktivitäten, die in den letzten Jahren für Unternehmen erheblich an Bedeutung gewonnen haben. Die Einführung eines CSR Konzeptes kann sowohl für große als auch für KMU’s als strategische Investition in das eigene Unternehmen (Investition in Unternehmensimage und Unternehmensreputation) verstanden werden (Meyer 2011). Hieraus ergibt sich eine öffentlichkeitswirksame Investition, die einem gewissen unternehmerischen Selbstzweck dient bzw. Marketinginstrumente gezielt für ein positives Unternehmensbild einsetzt und so die Unternehmensreputation nützlich und förderlich beeinflusst. Unterschiedliche Untersuchungen empfehlen CSR für eine positivaufgeschlossene Wahrnehmung einer sozial-verantwortlichen Unternehmung auch im Hinblick auf eine strategische Positionierung und der jeweiligen Stakeholder (Eberl/Schwaiger 2006; Porter/Kramer 2006). Darüber hinaus bietet CSR zu anderen konkurrierenden Unternehmen eine Differenzierungsmöglichkeit, die zu den bereits existierenden Qualitäts- und Kostenunterschieden weitere komparative Wettbewerbsvorteile ermöglichen. Im Besonderen zeigen Negativ-Beispiele in den neuen Medien auf Grund der rasanten Verbreitungsmöglichkeit die nachteiligen Effekte, die ein verantwortungsloses unternehmerisches Handeln nach sich ziehen kann, was zum Teil mit erheblichen Konsequenzen verbunden ist und bis zu einem Boykott-Aufruf der Endverbraucher kommen kann (Mohr/Webb/Harris 2001). Studien belegen, Mitbewerber, die als positives Beispiel im jeweiligen Marktsegment gelten, erleben dadurch positive Nachfrageeffekte, eine besondere Reputationsaufwertung als sog. „Best Practice“ Beispiele und daraus resultierend, steigende Umsätze (Darstellung 2). Eine sozial-verantwortliche Reputation widerspiegelt nachweisbar einen Zusammenhang zu unternehmerischen Erfolgskennzahlen – d.h. CSR kann einen positiven Einfluss auf die finanzielle Unternehmensperformance ausüben und kann u.U. die Profitabilität eines Unternehmens steigern (Porter/Kramer 2006; Perlitz/Machulik 2004).

256

XX. Wirtschaftlicher Erfolg durch Nachhaltigkeit

Darstellung 2: Einfluss von CSR und Unternehmensreputation

Quelle: Eigene Darstellung

Stellt man sich die Frage, ob Konsumenten derart hohe Anforderungen an ein Unternehmen in puncto Verantwortlichkeit und unternehmerisches Handeln stellen, kann eine weitere Studie hier nähere Informationen liefern, die Konsumentenverhalten und CSR detailliert untersuchte (Maignan/Ferrel 2004). Der Großteil der Konsumenten (ca. 90%) würde bei einem unethischen unternehmerischen Handeln den Anbieter wechseln und Freunde und Bekannte vom Kauf der Produkte und Dienstleistungen abraten. Desweiteren wird diskutiert, dass ein sozial-verantwortliches Unternehmen bei einem neuen Produkt einen komparativen Wettbewerbsvorteil zu nicht CSRUnternehmen aufweist (Crane/Matten 2011). Darüber hinaus besteht ein Zusammenhang von CSR-Unternehmen und steigenden Umsatzzahlen und Qualitätsbewertung, d.h. Konsumenten zeigen eine erhöhte Bereitschaft ihren Bedarf an Gütern und Dienstleistungen bei sozial-verantwortlichen Unternehmen zu decken (Barone/Miyazaki/Taylor 2000) und evaluieren die Qualität dieser als höherwertig und weisen darüber hinaus ein höheres Maß an Kundenzufriedenheit auf (Luo/Bhattacharya 2006). Dieser Trend ist besonders bei der LOHAS (Lifestyle of Health and Sustainability) Verbrauchergruppe festzustellen, die besonderen Wert und Fokus auf den Konsum von sozial-verträglichen und ökologisch-nachhaltigen Produkten und Dienstleistungen legt (Gürhan-Canli/Batra 2004). Vergleichbare Einschätzungen sind bei Mitarbeitern in Bezug auf ein sozial verantwortliches Unternehmen und die Unternehmensreputation zu konstatieren. Mitarbeiter bewerten tendenziell ein sozialverantwortliches Unternehmen positiver im Vergleich zu anderen Unternehmen. Entsprechende CSR-Evaluationskriterien bewerten Unternehmen in verschiedenen Bereichen (Unternehmensranking), was dazu führt, dass sich potenzielle Fachkräfte ihr Unternehmen selbst aussuchen. Das hat zur Folge, dass sozial-verantwortliche Un-

XX. Wirtschaftlicher Erfolg durch Nachhaltigkeit

257

ternehmen auf Grund der Unternehmensreputation eher in der Lage sind, hochqualifizierte und motivierte Mitarbeiter einzustellen als Unternehmen ohne CSR Konzept (Greening/Turban 2000; Singhapakdi/Vitell 2007). Das Humankapital orientiert sich also in Richtung CSR-Unternehmen als zukünftigen Arbeitgeber in ganz besonderer Weise. Dies ist besonders darauf zurück zu führen, dass das Konsumentenund Mitarbeiterbewusstsein für CSR in den letzten Jahren einerseits erheblich gestiegen ist und andererseits die sozialen Medien diesen Trend besonders positiv beeinflusst haben.

5.

Zukunftsperspektive CSR

Betrachtet man die angeführten Forschungsergebnisse, lässt sich ein deutlicher Wettbewerbsvorteil für CSR-Unternehmen feststellen sofern dies entsprechend kommuniziert wird und Teil der Marketingstrategie ist. Sowohl aus Kunden- als auch aus Mitarbeitersicht besteht eine dominante Präferenz für sozial-verantwortliche Unternehmen. CSR ist heutzutage kein Alleinstellungsmerkmal für Unternehmen – CSR hat sich als Konzept zu einem essentiellen Gebot für nachhaltiges unternehmerisches Handeln weiterentwickelt. Das wissenschaftlich fundierte CSR Konzept stellt die ökonomische und gesetzliche Verantwortung als Fundament bzw. als Voraussetzung unternehmerischen Handelns unmittelbar in den Vordergrund. Darauf basierend wird eine weitreichende soziale, gesellschaftliche und ökologische korporative Verantwortung von Konsumenten und Mitarbeitern erwartet. Ein sich kontinuierlich veränderndes Konsumentenverhalten und die wachsende Erwartungshaltung haben eine unmittelbare Auswirkung auf den kurz-, mittel- und langfristigen Unternehmenserfolg. Des Weiteren ist der Fachkräftemangel ein überzeugendes Argument, mit dem sich Unternehmen konfrontiert sehen. CSR-Unternehmen können sowohl im Bereich des Konsumentenverhaltens als auch bei der Rekrutierung von hochqualifizierten Mitarbeitern langfristig komparative Wettbewerbsvorteile generieren. Für Unternehmen, die sich ihrer sozialen Verantwortung nicht bewusst werden, sind die zu erwartenden Kosten bzw. die sich daraus ergebenden wirtschaftlichen Nachteile langfristig kontra-produktiv und als äußerst kritisch zu bewerten. Demzufolge kann aus strategischen Überlegungen eine Investition in ein fundiertes CSR Konzept als erfolgversprechend angesehen werden um ein nachhaltiges und sozialverantwortliches Unternehmen langfristig profitabel auf kompetitiven Märkten zu positionieren.

258

6.

XX. Wirtschaftlicher Erfolg durch Nachhaltigkeit

Abstract

Eine nachhaltige Unternehmensstrategie diskutiert verstärkt die Frage nach dem Kosten-Nutzen-Kalkül eines CSR Konzeptes. Die Übernahme weitreichender Verantwortungsbereiche in einem korporativen und sozio-ökonomischen Kontext erscheint für Unternehmen zunehmend an Bedeutung zu gewinnen. Eine ausschließliche Gewinnmaximierung von Unternehmen wird zunehmend hinterfragt. Die Verbindung von wirtschaftlichem Handeln mit sozialen, gesellschaftlichen und ökologischen Inhalten entwickelt einen ganzheitlichen Ansatz, wobei das Unternehmensmanagement alle Stakeholder adressiert. Das vorliegende Thema beschäftigt sich mit dem ganzheitlichen Nutzen, die eine korporative soziale Verantwortung (CSR) generieren kann. Dabei werden perspektivisch sowohl Konsumentenseite als auch Mitarbeiterund Unternehmersichtweisen dargelegt und mit aktuellen Forschungsergebnissen unterstützt. Eine nachhaltige, sozial-verantwortliche Unternehmensführung wird künftig den potenziellen Mehrwert eines fundierten CSR Konzepts gewinnorientiert einsetzen, will es sich langfristig profitabel auf kompetitiven Märkten positionieren.

XX. Wirtschaftlicher Erfolg durch Nachhaltigkeit

259

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XXI. Unternehmensentwicklung und Mittelstandsberatung Artus Hanslik, Norbert Zdrowomyslaw 1.

Unternehmen sind keine statischen Gebilde: Nichts ist beständiger als der Wandel

Jedes Unternehmen ist bestrebt, die Unternehmensentwicklung möglichst ohne Krisensituationen zu meistern. Die Realität sieht allerdings anders aus. Unternehmen sind keine statischen Gebilde, sondern befinden sich aufgrund von dynamischen Prozessen in ihrer Umwelt in einem ständigen Wandel, der in unterschiedlichen Phasen der Unternehmensentwicklung sichtbar wird (siehe unser Unternehmensmodell in Teil V.). Beispielsweise sind die strategische Neuorientierung, Reorganisation, Sortimentsänderungen, der Einsatz von Führungskräften, Rechtsform- oder Eigentümerwechsel und betriebliche Lernprozesse Bestandteile der Unternehmensentwicklung im Zeitablauf einer Organisation. Unternehmensgründung, Unternehmenskrisen, Sanierung und Insolvenz können dabei als besonders kritische Phasen der Unternehmensentwicklung betrachtet werden. Es sind Situationen, die jeder Manager oder Unternehmer vermeiden möchte. Der Aspekt der Beeinflussung der Unternehmensentwicklung sowie die Bedeutung des Krisenmanagements wird nachvollziehbar, wenn davon auszugehen ist, dass es in der Marktwirtschaft keine Gewähr dafür gibt, dass Unternehmen „ewig” leben. Auch in Zeiten der Hochkonjunktur treten Insolvenzen auf. Dass Wandel steuer- und gestaltbar ist, wird nicht zuletzt an den sog. Change Management Ansätzen sowie dem Begriff „lernende Organisation“ deutlich. Wandel kann auch bewusst von der Unternehmensleitung initiiert werden, d.h. ein Veränderungsmanagement mittels eines Projektmanagements ist in größeren Unternehmen keine Seltenheit mehr. Wandel wird als Gestaltungsaufgabe begriffen. Einen ersten Hinweis auf mögliche Ursachen ungeplanter Veränderungsprozesse erhält die Führungskraft, wenn die in der Literatur diskutierten Unternehmensentwicklungs- und Krisenmodelle betrachtet werden. Darstellung 1 zeigt den grundsätzlichen Phasenablauf einer Unternehmenskrise. Hieran wird erkennbar, dass in einem Krisenfalle Frühwarnsignale auf der strategischen Ebene, wie z.B. zum Ende von Produktlebenszyklen oder bei Technologieschüben, oftmals Hinweise auf eine folgende operative Krise beim Unternehmenserfolg und der Liquidität geben. Charakteristisch für die Erfolgskrise ist die zunehmende Verschlechterung der Gewinnsituation. In der Liquiditätskrise ist die Zahlungsfähigkeit gefährdet und es droht die Insolvenz. In der Regel ist das Aktivitätsniveau während der Erfolgs- und erst recht in der Liquiditätskrise deutlich höher als in der frühen strategischen Krise. Vielfach werden Frühwarnsignale (z.B. rückläufiger Auftragseingang, Änderung gesetzlicher Rahmenbedingungen, Krankenquote nimmt zu) nicht erkannt bzw. nicht ernst genommen. Mit der zunehmenden Krisenintensität wächst allerdings der Handlungsbedarf deutlich.

XXI. Unternehmensentwicklung und Mittelstandsberatung

261

Darstellung 1: Phasen einer Unternehmenskrise

Quelle: Eigene Darstellung

Der Begriff „Krise“ wird in Theorie und Praxis zur Kennzeichnung unterschiedlicher Problemsituationen verwendet. Demnach können in jeder Phase des Unternehmens-Lebenszyklus und zwar in unterschiedlicher Ausprägung und Schärfe Krisen auftreten. An dem viel zitierten Unternehmenswachstum-Modell von Greiner (siehe Krystek 1987, Pümpin Prange 1991, Krech 1998) wird sehr plastisch ersichtlich, dass der Prozess der Unternehmensentwicklung vornehmlich als Funktion unternehmensinterner Faktoren zu betrachten ist. Die wachsende Größe des Unternehmens (definiert über Anzahl der Mitarbeiter und Umsatzvolumen) bedingt und erklärt fünf unterschiedliche Entwicklungsphasen, die jeweils von speziellen Krisen begleitet werden. Seinem Modell zufolge bestimmen Führungsprobleme Personal- und somit Kostenprobleme, deren organisatorisch bedingte Lösung oder Kompensation die Schwelle für die nächste Wachstumsstufe darstellt. Im Vordergrund seiner Betrachtung steht zum einen die Analyse bzw. Erkennung von Führungs- und Organisationsdefiziten sowie zum anderen deren Typisierung (vgl. Krech 1998, S. 108).

262

XXI. Unternehmensentwicklung und Mittelstandsberatung

Darstellung 2: Das Modell des wachsenden Unternehmens nach Greiner Phase 2

Phase 3

Phase 4

Phase 5

groß

Phase 1

Größe der Organisation

Krise durch? Bürokratiekrise Wachstum durch mehr Teamgeist

Kontrollkrise

Wachstum durch Koordination

Autonomiekrise

Wachstum durch Delegation

Führungsstilkrise

Wachstum durch straffe Führung klein

revolutionäre Perioden Wachstum durch Kreativität

evolutionäre Perioden alt

jung

Alter der Organisation

Quelle: Eigene Darstellung

Krise ist nicht gleich Krise, d.h. zahlreiche Ursachen – oftmals in Kombination – können eine Unternehmenskrise hervorrufen (vgl. Hauschildt 1988, S. 5). So wird beispielsweise von Professionalisierungs-, Innovations-, Synergie-, Autonomie- und Unternehmenskonzept-Krise gesprochen oder es wird die Unterscheidung in die Inkompetenz-, Fehlprognose-, Verzettlungs-, Diversifikations-, Identitäts-, Nachfolge-, Macht- und Bürokratie- sowie Wendekrise vorgenommen (vgl. Pümpin; Prange 1991, S. 224 ff.). Selbstverständlich sind externe Ursachen nicht zu vernachlässigen, aber wichtig ist festzuhalten, dass nicht selten – wie empirische Ergebnisse zur Krisenund Insolvenzforschung belegen – innerbetriebliche Ursachen, insbesondere Managementfehler (Stichworte: mangelnde Unternehmerqualifikation, ungenügende Führungskenntnisse, mangelnde Praxiserfahrung und unzureichende kaufmännische Fachkenntnisse) zu krisenhaften Entwicklungen oder gar zur Insolvenz eines Unternehmens beitragen (vgl. Kroll 1995, S. 14; Birker 2000, S. 34). Bei der Unternehmensgründung, in Krisensituationen aber durchaus auch im Rahmen der üblichen Geschäftstätigkeit benötigen Entscheider in den Unternehmen bei ihren Problemlösungen oftmals Unterstützung von Externen. Aufgrund ihrer Größennachteile und finanzieller und personeller Engpässe sind kleine und mittlere Unternehmen oftmals in ihrer Entwicklungsmöglichkeit eingeschränkt. Die Politik auf nationaler und europäischer Ebene versucht deshalb über MittelstandsFörderprogramme, die Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit der KMU zu stärken.

XXI. Unternehmensentwicklung und Mittelstandsberatung

2.

263

Mittelstandsförderung: Gründungsunterstützung und Innovationsstärkung

Die Mittelstandspolitik auf Landes- aber auch auf EU-Ebene befasst sich mit der Sicherung einer ausgeglichenen Wirtschaftsstruktur und der Verbesserung der Rahmenbedingungen für kleine und mittlere Unternehmen, um einen Ausgleich von Größennachteilen zu erreichen und nicht zuletzt auch wegen der Bedeutung mittelständischer Betriebe für die Beschäftigung. Die Bundesregierung sieht im Mittelstand eine tragende Säule der deutschen Volkswirtschaft und unterstützt sowohl Existenzgründungen als auch kleine und mittlere Unternehmen, die sich bereits auf dem Markt etabliert haben, auf unterschiedliche Art und Weise. Im Gesetz Nr. 1052 zur Förderung der kleinen und mittleren Unternehmen sowie der freien Berufe in der Wirtschaft (Mittelstandsförderungsgesetz - MFG) vom 21. Juli 1976, zuletzt geändert durch das Gesetz vom 15. Februar 2006 (Amtsbl. S. 474, 530), werden Zweck, Ziele, Grundsätze der Förderung sowie die Maßnahmen zur Leistungssteigerung, Maßnahmen zur Verbesserung der Kapitalversorgung und andere Fördermaßnahmen genannt, die die Bundesregierung mit dem Gesetz verfolgt. In Anlehnung an das Mittelstandfördergesetz der Bundesregierung beschließen die einzelnen Bundesländer Mittelstandsfördergesetze, in denen sie die landesspezifische Ausrichtung der Förderung des Mittelstands festschreiben. Mittelstandsförderung und Existenzgründungsberatung können als besondere Bereiche der Wirtschafts- und Strukturpolitik sowie der regionalen Wirtschaftsförderung betrachtet werden (vgl. Ridiger/Steinröx 1996). Die Innovationspolitik für den Mittelstand ist in den letzten Jahren insbesondere auf den Wissenstransfer zugunsten der geförderten kleinen und mittleren Unternehmen ausgerichtet, einmal durch die Förderung von Projekten mit mehreren Partnern, zum anderen durch die Förderung von Netzwerken. Damit soll der Wissensfluss in kleinen und mittleren Unternehmen erleichtert und deren Innovationsaktivitäten gestärkt werden. Dies geschieht vor dem Hintergrund, dass KMU dank ihrer Kreativität und Marktnähe besonders viele innovative Produkte und Dienstleistungen entwickeln. Mit dem Zentralen Innovationsprogramm Mittelstand (ZIM) unterstützt das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie die KMU, bei ihren Innovationsaktivitäten. Untersuchungen weisen darauf hin, dass KMU die einen breiten Wissenstransfer mit Unternehmen, Hochschulen und Forschungseinrichtungen durchführen, vergleichsweise innovativer sind (vgl. Eickelpasch, A. 49/2012). Das Fördersystem ist wegen seiner differenzierten Ausgestaltung weitgehend intransparent. Nicht nur aus Sicht vieler KMU handelt es sich bei den Förderprogrammen um einen Förderdschungel. Die Broschüren zu den Förderinstrumenten enthalten oft mehrere hundert Seiten. Die Strukturen sind komplex und bei der Antragstellung sind viele überfordert, so dass die meisten Mittelständler gezwungener Maßen auf zusätzliche Informationen und Berater angewiesen sind. Diesem Sachverhalt „überforderter Entscheider“ wird auch im Mittelstandförderungsgesetz in § 9 Unternehmensberatung Rechnung getragen: „Zur Erleichterung der Unternehmens-

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führung fördert das Land durch Zuwendungen die Einrichtungen, die der Unternehmensberatung insbesondere auf den Gebieten der Betriebswirtschaft und der Betriebstechnik dienen.“

3.

Wissenstransfer und Know-how-Unterstützung durch Beratung

Informationen und Führungs-Know-how werden immer wichtiger für den Erfolg von Unternehmen. KMU verfügen oftmals nicht über ausreichende Fachkompetenz zur Lösung ökonomischer, technischer und organisatorischer Probleme. Die feste Einstellung eines Fachmanns ist jedoch unwirtschaftlich, wenn er dabei nicht länger ausgelastet werden kann. Deshalb wird beim Wissenstransfer und der Lösung spezieller Probleme auf externe Berater zurückgegriffen, die die Funktion einer „Stabsstelle außer Haus“ übernehmen. Außerdem sprechen weitere Gründe dafür, bei Bedarf einen Unternehmensberater zu engagieren: Er ist nicht betriebsblind und neutral. Er ist ein Problemlöser mit einem Werkzeugkasten von Analyseinstrumenten und Managerqualität. Er kann rationaler die anstehenden Veränderungen im Unternehmen darstellen und die Mitarbeiter und Führungskräfte für die Umsetzung bestimmter Maßnahmen besser sensibilisieren (vgl. Hummel, T.; Zander, E. 1998, S. 27). Allerdings haben KMU nicht selten Vorbehalte gegenüber Beratern; insbesondere bei Führungskräften in den neuen Bundesländern kann nach wie vor ein gewisses Misstrauen ausgemacht werden (vgl. Meyer/Schleus/Buchhop 2007, S. 11-13) . Die Erwartungshaltung der KMU-Führungskräfte ist in der Regel problemlösungsbzw. anlassorientiert (wie fehlende liquide Mittel, hohe Personalfluktuation, sinkende Umsätze oder hohe Steuerrechnungen, Überbelastung) und nur in wenigen Fällen konzeptorientiert. Vielfach wird vom Auftraggeber eine maßgeschneiderte Lösung erwartet. KMU fragen primär nach Beraterleistungen, die auf objektiven Daten und Fakten basieren. Strategieberatungen werden nur selten nachgefragt (Ausnahme: Unternehmensgründungen), da im Gegensatz zu Großunternehmen viele KMU von Eigentümern und Entscheidern geführt werden, die „die strategischen Fragen zu ihrem Monopol erklären und mit niemandem sonst im Unternehmen teilen wollen“ (Meyer/Schleus/Buchhop 2007, S. 14). Der Auftraggeber nimmt nur bedingt zur Kenntnis, dass der Unternehmensberater ihm weder Entscheidungskompetenz noch Verantwortung abnimmt (Ausnahme: Manager auf Zeit, Sanierer). Der Berater unterstützt lediglich den Entscheidungsprozess, indem er gangbare Wege zur Zielerreichung aufzeigt (vgl. Niedereichholz 2001, S. 3). Kleine und mittelständische Unternehmen sind keine homogene Gruppe und gleiches gilt für die Gruppe der Unternehmensberater. Die Berufsbezeichnung „Unternehmensberater“ ist nicht gesetzlich geschützt. Der Berufsstand der Unternehmensberater hat kein Berufsrecht, wie z.B. Ärzte, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer oder Rechtsanwälte. Der vollkommen freie Marktzugang führt dazu, dass u.a. aufgrund

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sich ändernder Nachfrage nach Veränderungswissen und Problemlösungsexpertisen auch ein breites und „schillerndes“ Angebotsspektrum an Beratungsleistungen existiert. Ergebnisse weisen darauf hin, dass Steuerberater und Finanz- bzw. Versicherungsberater sowie juristische Berater und EDV-Spezialisten in den letzten Jahrzehnten am häufigsten aufgesucht werden (vgl. Meyer/Schleus/Buchhop 2007, S. 13). Die Struktur der Angebotsseite des Beratermarktes, früher von nur von Einzelberatern und Beratungsunternehmen unterschiedlicher Rechtsformen dominiert, entwickelte sich in den letzen Jahren zu einem dynamischen und breit gefächerten Markt. Wie Darstellung 3 zeigt, differenziert Christel Niedereichholz zwischen der „Kernbranche“ und neuen Wettbewerbern (vgl. Niedereichholz 2001, S. 17-25). Darstellung 3: Struktur der Angebotsseite des Beratungsmarktes Angebotsseite des Beratungsmarktes Kernbranche: Hierzu gehören u.a. die Fachgebiete Managementberater, Personalberater, IT-Berater, Archi-

Neue Wettbewerber: x x x

tekten, beratende Ingenieure mit ihren diversen Untergruppierungen. x x

Einzelberater Beratungsunternehmen: national und international

x x x

Finanzdienstleistungsunternehmen Großunternehmen, inklusive IT-Anbieter Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaften Sonstige: z.B. Fachverlage, Verbände, Speditionen, Agenturen Eigenersteller: Internes Consulting Hochschulen, Studentische Beratungsgruppen

Quelle: Niedereichholz, C.: Unternehmensberatung. Band 1. Beratungsmarketing und Auftragsakquisition, 3. Aufl., München/Wien 2001, S. 19.

Meyer/Schleus/Buchhop (2007, S. 19-24) identifizieren im Rahmen einer umfassenden Sekundäranalyse auf Basis von rund 120 Fachbeiträgen der 2004 bis 2006 folgende „Kerntrends“: Mergers & Acquisitions-Beratung, Internationalisierungsberatung, IT-Beratung und Strategieberatung. Eine Online-Befragung des Deutschen Instituts für kleine und mittlere Unternehmen (DIKMU) e.V. von 2.000 Unternehmensberatern in Deutschland – im Zeitraum vom 13.3.2006 bis 20.4.2006 durchgeführt – zeigt zukunftsweisende Perspektiven in der Beratung von KMU auf. An der Befragung haben sich 99 Berater aus diversen Beratungsfeldern beteiligt. Darstellung 4 zeigt, welche Entwicklung die Befragten in einzelnen Beratungsfeldern durch KMU erwarten: Eine wachsende Nachfrage wird vor allem in der Finanz- und Kapitalberatung (17%), der strategischen Beratung (16%) sowie der Organisations- und Prozessberatung (16%); auch der Marketing-Beratung mit 12% und IT-Beratung wird eine positive Entwicklung vorausgesagt. Die sinkende Nachfrage nach Personal(20%) und Gründungsberatung (22%) scheint allerdings angesichts des demografischen Wandels und des Fachkräftemangels die Situation heute nicht mehr zutreffend wider zu spiegeln.

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Darstellung 4: Entwicklung einzelner Beratungsfelder

Quelle: Meyer/Schleus/Buchhop, E.: Trends in der Beratung von KMU. Eine aktuelle Studie, Lohmar/Köln 2007, S. 35.

Beratungs- und Informationsbedürfnisse unterschiedlicher Art treten bei KMU auf, um Probleme zu lösen und die Produktivität zu erhöhen. Der Staat sieht in der öffentlich geförderten Beratung ein wirksames Instrument der Mittelstandspolitik zur Erhaltung und Steigerung der Leistungsfähigkeit der Unternehmen. Es gibt einige Beratungsdienste von Verbänden und Organisationen der gewerblichen Wirtschaft sowie den Bundesverband Deutscher Unternehmensberater (BDU) e.V., die als Ansprechpartner zur Verfügung stehen und Hinweise auf qualifizierte Berater geben können, hierzu zählen z. B (vgl. Hummel/Zander 1998, S. 90): x

Betriebswirtschaftliche Beratungsstelle für den Einzelhandel (BBE-Unternehmensberatung),

x

Bundesbetriebsberatungsstelle für den Deutschen Groß- und Außenhandel (BBG),

x

Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) – Abteilung Mittelstandspolitik,

x

Deutscher Industrie- und Handelstag (DIHT) – Referat für Grundsatzfragen der Industrie,

x

Deutscher Handwerkskammertag (DHKT), Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) – Abteilung Gewerbeförderung,

x

Gesellschaft zur Förderung des Deutschen Hotel- und Gaststättengewerbes (INTERHOGA),

x

Fördergesellschaft des Bundes der Selbstständigen – Deutscher Gewerbeverband (BDS/DGV),

x

Unternehmensberatung Spedition und Lagerei (USL),

x

Rationalisierungs-Kuratorium der Deutschen Wirtschaft (RKW) – Beratungsdienst (vor allem für Industriebetriebe).

Obige sowie weitere Informations- und Beratungsstellen wie z.B. das Institut für Mittelstandsforschung Bonn, die Mittelstandsinstitute an diversen Hochschulen oder

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Informationsstellen der Bundes- und Landesministerien können als Informationslieferanten genutzt werden, um mittelstandsrelevante Statistiken, und Eckdaten sowie aktuelle und strukturelle mittelstandsbezogene Analysen zu erhalten. In den letzten Jahren gewinnen die Zusammenarbeit und der Wissenstransfer zwischen Hochschulen und Wirtschaft, u.a. auch durch staatliche Programme gefördert, an Bedeutung. An den deutschen Hochschulen beschäftigen sich vermehrt Wissenschaftler mit der Mittelstandsforschung, gründen mittelstands- und regionalorientierte Institute und bieten beispielsweise Lehrveranstaltungen zur Mittelstandsökonomie und -management an. Studierende erhalten somit die Möglichkeit, sich intensiver mit grundsätzlichen Fragestellungen des Mittelstands sowie mit konkreten Aufgabenstellungen aus den KMU in Form von Referaten, Projekt- und Abschlussarbeiten zu befassen. Gelegentlich werden Studierende auch in Veröffentlichungs-, Forschungs- und Beratungsprojekte eingebunden. Viele KMU können sich richtig teure Unternehmensberater nicht leisten und nutzen die Form des Wissenstransfers aus der Theorie in die Praxis durch Zusammenarbeit mit Hochschulangehörigen. Die Beschäftigung von Werkstudenten bzw. Praktikanten, die Vergabe von Projekt- oder Abschlussarbeiten, die Umsetzung von Verbundprojekten werden mittlerweile von einigen Mittelständlern als geeignete Maßnahmen betrachtet, die eigene Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit zu stärken. Zur Unterstützung und Umsetzung von Projekten wie z. B. Kundenbefragungen, Erstellen von Webseiten werden auch schon mal studentische Beratungsunternehmen angeheuert, dessen Zielgruppe vor allem kleine und mittlere Unternehmen sind. „Den Studierenden geht es vor allem um den Praxisbezug ihres Studiums. Das große Geld heimsen sie im Allgemeinen nicht ein“ (Hummel/Zander 1998, S. 93).

4.

Abstract

Führungskräfte in Unternehmen sind kontinuierlich mit Veränderungsprozessen konfrontiert und müssen den Wandel gestalten, wollen sie die Existenz des Unternehmens sichern und ihre Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit ausbauen. Zwar ist jedes Unternehmen bestrebt, die Unternehmensentwicklung möglichst ohne Krisensituationen zu meistern, aber die Realität sieht anders aus. Es liegt im Wesen jeglicher unternehmerischen Betätigung, das ständig Entscheidungen – oft unter Unsicherheit und beträchtlichen Risiken – zu treffen sind. Zwar können KMU auf Veränderungen aufgrund ihrer Betriebsgröße in der Regel schneller und flexibler reagieren als Großunternehmen, dies setzt aber voraus, dass die Führungskräfte Marktänderungen oder erforderliche organisatorische Veränderungen rechtzeitig wahrnehmen und über das entsprechende Instrumentarium verfügen, um Risiken rechtzeitig zu erkennen und Chancen sofort zu nutzen. Oftmals fehlen jedoch den KMU das Know-how und insbesondere die personellen sowie finanziellen Ressourcen, um ökonomische, technische und organisatorische Fragestellungen aufzugreifen und Problemlösungen systematisch zu bearbeiten. Die

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feste Einstellung eines Fachmanns ist jedoch unwirtschaftlich, wenn er dabei nicht länger ausgelastet werden kann. Deshalb kann es sehr sinnvoll sein, beim Wissenstransfer und der Lösung spezieller Probleme auf externe Berater zurückgegriffen. Beratungs- und Informationseinrichtungen sind eine wertvolle Hilfe zur Selbsthilfe.

„Zusammenkommen ist ein Beginn, Zusammenbleiben ist ein Fortschritt, zusammen arbeiten ist ein Erfolg.“ (Henry Ford) Leonardo da Vinci 1452-1519: „Diejenigen, welche glauben, an der Praxis ohne Wissenschaft Gefallen zu finden, sind Schiffer, die ohne Kompaß und Steuer fahren. Sie wissen nie wohin die Fahrt geht. Immer muß die Praxis auf guter Theorie beruhen.“ David Ricardo 1772-1823: „Er war ein zu großem Reichtum gelangter Börsenmakler, ein Mann der Praxis. Und er war Verfasser des abstraktesten aller Systeme der Politischen Ökonomie. David Ricardo begegnete Leuten, die ‘nur etwas für Tatsachen, nichts aber für die Theorie übrig haben’ mit Skepsis: ‘Sie sind kaum imstande, ihre Fakten zu sortieren. Sie sind notwendigerweise leichtgläubig, weil sie kein Bezugssystem besitzen.’ Nichts sei so praktisch, wie eine gute Theorie.“ 1 Hans-Ulrich Küpper (Hochschullehrer): „Die Kosten- und Leistungsrechnung bildet für viele Unternehmen das wichtigste Führungsinstrument. Ihre Konzepte und Verfahren sind in hohem Maße pragmatisch gestaltet. Sie gehört zu den Bereichen, in denen Anwendungsgesichtspunkte die theoretische Schlüssigkeit überwiegen. Theorien dienen dazu, besser begründete Lösungen für reale Probleme zu finden. Verfahren der Kostenrechnung sind nur dann zulässig einsetzbar, wenn sie auf theoretischen Konzepten und Hypothesen beruhen. Deshalb benötigt die Kostenrechnung gerade für die Anwendung als praktisches Führungsinstrument eine gute theoretische Fundierung. Dies wird deutlich, wenn man ihre Rechnungsziele betrachtet.“ 2

1

2

Zitiert nach Kurz, Heinz D.: Geiz der Natur, in: Die Zeit (Hrsg.): Die großen Ökonomen, Stuttgart 1994, S. 37. Küpper, Hans-Ulrich: Theoretische Grundlagen der Kostenrechnung, in: Männel, Wolfgang (Hrsg.): Handbuch Kostenrechnung 1992, S. 38.

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Quellen und weiterführende Literatur Bamberger, I./ Wrona, T.: (2012) Strategische Unternehmensberatung. Konzeptionen – Prozesse – Methoden, 6. Aufl., Wiesbaden. Birker, K.: (2000) Typologie der Unternehmenskrise, in: Birker, K./Pepels, W. (Hrsg.); Handbuch Krisenbewusstes Management. Krisenvorbeugung und Unternehmenssanierung, Berlin, S. 2550. Czenskowsky, T./ Schünemann, G./ Zdrowomyslaw, N.: (2010) Grundzüge des Controlling. Lehrbuch der Controlling-Konzepte und Instrumente, 3. Aufl., Gernsbach. Eickelpasch, A.: (49/2012) Mittelstandsförderung: Wissenstransfer stärkt Innovationen, in: DIW Wirtschaftsbericht Nr. 49/2012, S. 13-19. Ellebrecht, H./Lenz, G./Osterhold, G.: (2009) Systematische Organisations- und Unternehmensberatung. Praxishandbuch für Berater und Führungskräfte, 3. Aufl., Wiesbaden. Fechner, D.: (1999) Praxis der Unternehmenssanierung. Analyse, Konzept und Durchführung, Neuwied/Kriftel. Fink, D.: (2009) Strategische Unternehmensberatung, München. Füser, K.: (2004) Ratgeber Existenzgründung. 1000 Ideen und Checklisten zum Erfolg, 2. Auf., München. Hauschildt, J. (Hrsg.): (1988) Krisendiagnose durch Bilanzanalyse, Köln. Heuermann, R./ Herrmann, F.: (2003) Unternehmensberatung. Anatomie und Perspektiven einer Dienstleistungselite. Fakten und Meinungen für Kunden, Berater und Beobachter der Branche, München. Hummel, T./ Zander, E.: (1998) Erfolgsfaktor Unternehmensberatung. Auswahl, Zusammenarbeit, Kosten, Köln. Krech, J.: (1998) Grundriß der strategischen Unternehmensplanung, München/Wien. Kroll, H.: (1995) Existenzgründung - Existenzsicherung, Erfolg als Unternehmer, Hannover. Krystek, U./ Müller-Stewens, G.: (1993) Frühaufklärung für Unternehmen: Identifikation und Handhabung zukünftiger Chancen und Bedrohungen, Stuttgart. Krystek, U.: (1987) Unternehmenskrisen. Beschreibung, Vermeidung und Bewältigung überlebenskritischer Prozesse in Unternehmungen, Wiesbaden. Meyer J-A./ Schleus, R./ Buchhop, E.: (2007) Trends in der Beratung von KMU. Eine aktuelle Studie, Lohmar/Köln. Müller-Stewens, G./ Lechner, C.: (2001) Strategisches Management. Wie strategische Initiativen zum Wandel führen, Stuttgart. Niedereichholz, C.: (2001) Unternehmensberatung. Band 1: Beratungsmarketing und Auftragsakquisition, 3. Aufl., München/Wien. Niedereichholz, C.: (2003) Unternehmensberatung. Band 2: Auftragsdurchführung und Qualitätssicherung, 3. Aufl., München/Wien. Niedereichholz, C./ Niedereichholz, J.: (2008) Consulting Wissen. Modulares Trainingskonzept für Berater mit Fallstudienhinweisen, München. Pümpin, C./ Prange, J.: (1991) Management der Unternehmensentwicklung. Phasengerechte Führung und der Umgang mit Krisen, Frankfurt am Main/New York. Ridiger, R./ Steinröx, M. (Hrsg.): (1996) Mittelstandsförderung in der Praxis, Köln. Volkmann, H.: (2009) Steuerberater als erfolgreiche Unternehmensberater von KMU Mandanten, Bad Doberan. Wilcke, H.-J.: (1993) Krisen-Management für mittelständische und Kleinbetriebe. Existenzsicherung durch rechtzeitiges Erkennen von Insolvenzgefahren, München. Zdrowomyslaw, N. (Hrsg.): (2005) Von der Gründung zur Pleite. Unternehmens-Lebenszyklus und Management der Unternehmensentwicklung, Gernsbach. Zdrowomyslaw, N./ Kasch, R.: (2002) Betriebsvergleiche und Benchmarking für die Managementpraxis. Unternehmensanalyse, Unternehmenstransparenz und Motivation durch Kenn- und Vergleichsgrößen, München/Wien.

Autoren Prof. Dr. Heiko Auerbach, Diplom-Kaufmann und Knowledge Worker. Studium der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften an der Technischen Universität Dortmund; Promotion über das Thema Internationales Marketing-Controlling. Seit 1988 freiberufliche und angestellte Tätigkeiten als Dozent und Trainer für Marketing und Managementlehre an nationalen und internationalen Ausbildungsinstituten. Wissenscoach und Berater im Rahmen zahlreicher nationaler und internationaler Marketingprojekte mit den Schwerpunkten Service Marketing, Industrial Marketing sowie Change- und Innovationsmanagement. Von 1990 bis 1994 nahm er eine Gastprofessur für Internationales Marketing an der Ecole Superieure d´Administration des Commerces in Amiens/Frankreich und an der Internationalen School of Management in Dortmund wahr. Seit 1996 ist er Professor für Entrepreneurship, Marketing & Sales an der Fachhochschule Stralsund. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Marketing, Sales und Entrepreneurship. Prof. Dr. Olaf Ehrhardt ist Jahrgang 1965 und wurde im ostthüringischen Gera geboren. Nach seinem Studium an der Humboldt-Universität zu Berlin erhielt er ein Promotionsstipendium eines Begabtenförderungswerkes. Seine Promotion konnte er 1996 mit „summa cum laude“ abschließen. Weitere Stationen waren mehrjährige Tätigkeiten als wissenschaftlicher Assistent am Institut für Bank-, Börsen- und Versicherungswesen der Humboldt-Universität und in einer auf das Corporate-Finance-Geschäft spezialisierten Wirtschaftsprüfungsgesellschaft. Im Jahre 2003 habilitierte er sich an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin und übernahm eine zweijährige Lehrstuhlvertretung an der Universität Witten/Herdecke. Danach folgte er 2005 einem Ruf an die Fachhochschule Stralsund auf eine Professur für Globales Finanzmanagement und International Business.

Prof. Dr. Dirk Engel, Jahrgang 1972, ist promovierter Volkswirt und hat seit September 2008 die Professur für "Volkswirtschaftslehre und International Business" an der Fachhochschule Stralsund inne. Vor seinem Wechsel an die Fachhochschule arbeitete er an zwei renommierten Wirtschaftsforschungsinstituten. Im Zeitraum von August 2003 bis August 2008 arbeitete er als wissenschaftlicher Referent im Kompetenzbereich "Empirische Industrieökonomik" (der heutige Kompetenzbereich "Unternehmen und Innovation") des RheinischWestfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI). Zuvor war Prof. Engel von Februar 1998 bis Juli 2003 als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) tätig. Während seiner beruflichen Tätigkeit am RWI in Essen und am ZEW in Mannheim bearbeitete und leitete er zahlreiche Forschungsvorhaben im Auftrag von Bundes- und Landesministerien zu Themen der Mittelstands-, Gründungs- und Innovationsforschung. Überdies veröffentlichte Prof. Engel zahlreiche Aufsätze in renommierten wissenschaftlichen Zeitschriften und Büchern. Seine Promotion verfasste er zum Thema "Venture Capital für junge Unternehmen". Hierfür erhielt er im Jahr 2003 den FGF/bifego-Gründungsforschungspreis.

Autoren

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Prof. Dr. Werner Gronau, Jahrgang 1974, übernahm im Jahre 2009 die Professur “Tourism, Travel and Transport” an der Fachhochschule Stralsund. Nach dem Abschluss seines Studiums der Sozial- und Wirtschaftsgeographie an der Technischen Universität München, promovierte er an der Universität Paderborn zum Thema: Einfluss individueller Lebensstile auf das Verkehrsverhalten in der Freizeit. Im Jahre 2005 erhielt er den Ruf der University of Nicosia/Zypern auf die Stelle eines Assistant Professor für „Destination Management“. Die nachfolgenden Jahre waren von einer intensiven Forschungs- und Publikationstätigkeit geprägt. Prof. Dr. Werner Gronau fungiert heute unter anderem als Sprecher des Arbeitskreises Tourismusforschung des Landes Mecklenburg-Vorpommern, ist Sprecher des Arbeitskreises Tourismus der Deutschen Gesellschaft für Geographie, Gutachter für unterschiedliche Tourismuszeitschriften und auch Mitherausgeber der Reihe „Studien zur Freizeit und Tourismusforschung“. Prof. Dr. Artus Hanslik ist seit 2009 als Hochschullehrer an der Fachhochschule Stralsund tätig. Seine Lehr- und Forschungsschwerpunkte sind Controlling, Logistik und Internationales Management. Nach seinem Studium der Betriebswirtschaftslehre an der Universität Bielefeld, der University of Georgia in USA und dem Massachusetts Institute of Technology in USA war er in verschiedenen Führungspositionen bei der Deutschen Lufthansa AG tätig. Wichtige Stationen waren u.a. die Marketingleitung des Kundenbindungsprogramms Miles & More und die Leitung des Servicecontrollings in der Lufthansa Passage. Darüber hinaus war er als Geschäftsführer einer Lufthansa Tochtergesellschaft verantwortlich für die Geschäftsbereiche Logistik, Information Technology, Marketing und Qualitätsmanagement.

Dr. Thomas Hausmann, 1965 in Krefeld geboren, nahm nach seinem Studium der Wirtschaftswissenschaften und speziell der Betriebswirtschaft eine Anstellung in der zentralen Geschäftsleitung eines mittelständischen Möbelkonzerns an. Aufgrund des Sitzes der Holding in Mecklenburg-Vorpommern boten sich neben mannigfaltigen Aufgaben in diesem mehrgliedrigen Unternehmen der produzierenden Industrie Beratungsleistungen in anderen umzustrukturierenden Industriezweigen des Landes an. Unter anderem das letztgenannte Interesse führte nach mehrjährigen Managementtätigkeiten in der freien Wirtschaft zu einer Anstellung an der Fachhochschule Stralsund (ab 1994). Die entsprechenden Aufgaben in Lehre und Forschung werden ergänzt durch wissenschaftliche Gutachter- und Beratungstätigkeiten.

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Autoren

Sandra Hippauf, Jahrgang 1987, wurde in der sachsen-anhaltinischen Lutherstadt Wittenberg geboren. Nach dem Abschluss ihres BachelorStudiums "Leisure and Tourism Management" an der Fachhochschule Stralsund im Jahr 2010, schloss sie im gleichen Jahr den Master of Arts "Tourism Development Strategies" an. In ihrer Master-Thesis befasste sich Sandra Hippauf mit den kernspezifischen Eigenschaften von kleinen und mittleren Unternehmen in der Tourismusbranche. Dabei lag durch ihre einjährige Tätigkeit als Marketingberaterin beim Fachverband LANDURLAUB Mecklenburg-Vorpommern e.V. ein starker Fokus auf KMU im ländlichen Tourismus Mecklenburg-Vorpommerns. Insbesondere die Rolle von touristischen Netzwerken als mögliche Handlungsoption für kleine und mittlere Unternehmen hat sie dabei anhand von praktischen Beispielen verdeutlicht. Nach Abschluss ihres Master-Studiums ist sie dem ländlichen Tourismus treu geblieben und arbeitet seit 2012 als Themenmanagerin und Network Consultant im Projekt „LandArt – Beste Netzwerke für Landurlaub“ beim Tourismusverband Mecklenburg-Vorpommern e.V., das die touristische Entwicklung lokaler und regionaler Partnerschaften im ländlichen Raum kräftigt. Prof. Dr. Ingomar Kloss lehrt seit 1994 Marketing mit dem Schwerpunkt Werbung an der Fachhochschule Stralsund. Praktische Erfahrungen konnte er vorher in 13-jähriger Berufserfahrung im Marketing namhafter Unternehmen der Nahrungs- und Genussmittelindustrie sammeln. Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich internationaler Werbung, Werbecontrolling und zunehmend auch in der Werbung des Mittelstands. Er ist Autor eines der Standardlehrbücher für Werbung.

Prof. Dr. Michael Klotz, Jahrgang 1960, hat ein Studium der Betriebswirtschaftslehre an der Technischen Universität Berlin mit Abschluss als Diplom-Kaufmann absolviert. Anschließend war er bis zu seiner Promotion zum Dr. rer. oec. als wissenschaftlicher Mitarbeiter mit Lehrauftrag an der TU Berlin sowie als selbständiger EDV-Berater tätig. In den nächsten zehn Jahren folgten verschiedene Tätigkeiten in ITBeratungs- und -Vertriebsfirmen als Management-Berater, Projektmanager und Geschäftsführer. An der FH Stralsund hat er seit 1999 eine Professur für Informationsmanagement und Unternehmensorganisation inne. Er ist Mitglied des wissenschaftlichen Beirats des ISACA (Information Systems Audit and Control Association ) Germany Chapter und Regionalleiter der gfo Gesellschaft für Organisation. 2008 gründete er das „Stralsund Information Management Team“ (SIMAT). Seit 2009 ist er stellvertretender Leiter des Instituts für regenerative Energiesysteme (IRES). Zahlreiche Publikationen und Vorträge sowie Funktionen in Verbänden und als Beirat runden sein Betätigungsfeld ab.

Autoren

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Prof. Dr. Ralf Mertens, geboren 1956 in Herne, studierte Sport, Englisch, Wirtschaftswissenschaften und Pädagogik an der RuhrUniversität Bochum sowie Psychologie und Pädagogik an der Universität Essen. Nach seinem Referendariat, einer Fahrlehrer- und Automobilverkäuferausbildung arbeitete er von 1985 bis 1990 als Projektleiter Personal Handel für SCREEN GmbH Training und Beratung im Auftrag der Volkswagen AG. Er war Mitglied der Arbeitsgruppe Personalentwicklung DIHT und nahm zwischen 1990 und 1998 verschiedene Aufgaben als Führungskraft in den Bereichen Personal sowie Aus- und Weiterbildung bei Klöckner-Moeller und der AUDI AG wahr. Seit dem 1. September 1998 ist er Professor für Betriebswirtschaftslehre, insbes. für Managementlehre, Personal, Aus- und Weiterbildung an der Fachhochschule Stralsund. Forschungs- und Publikationsschwerpunkte sind: Ganzheitliche Personalentwicklungsansätze, Personalführung, Personalbeschaffung und -auswahl, innovative Entlohnungsmodelle, Mitarbeiterzufriedenheit sowie Unternehmenskultur. Er ist lizensierter Structogramtrainer, NLP-BusinessPractitioner und zertifizierter Geschäftspartner der Profiles GmbH. Prof. Dr. Axel Noack, Jahrgang 1960, studierte Politologie und Betriebswirtschaftslehre in England (University of Nottingham), USA (Johns Hopkins University) und Frankreich (École Européenne des Affaires). Nach der Promotion im Jahre 1993 arbeitete er in den Bereichen Internationale Marktforschung und Internationales Telemarketing. Seit 1997 unterrichtet er Betriebswirtschaftslehre, Internationales Marketing und e-Marketing an der FH Stralsund. 2007 veröffentlichte er mit „Business Essentials: Fachwörterbuch DeutschEnglisch Englisch-Deutsch“ ein Referenzwerk für Studenten und Praktiker der Internationalen Wirtschaft. Seine aktuellen Forschungsinteressen liegen in den Bereichen Netzökonomie, Online-Strategien und netzbasierte Geschäftsmodelle.

Prof. Dr. Heiner Richter, 1956 in Köln geboren, hat 1985 den Abschluss Diplom-Betriebswirt (FH) und 1988 den Abschluss Diplom-Kaufmann gemacht. Er war freiberuflicher Musiker und von 1991 bis 1992 Dozent für Betriebswirtschaftslehre, Externes Rechnungswesen und Unternehmensbesteuerung, ZWW e.V., Essen, und Studienwerk der Steuerberater in NRW e.V., Köln, Münster. Während seiner Anstellung von 1989 bis 1993 als wissenschaftlicher Mitarbeiter an Universität Gesamthochschule Essen promovierte er. An der Fachhochschule Stralsund hat er seit 1994 eine Professur für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Internationale Unternehmensprüfung und -besteuerung inne. Von 2008 bis 2012 war er Prorektor für Studium und Lehre an der Hochschule. Seit 2003 bis heute ist er Mitautor im Großkommentar zum EStG und KStG „Herrmann/ Heuer/Raupach“.

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Autoren Prof. Dr. Burkhard Rode, geboren 1952 in Stralsund, lehrt seit 1995 an der Stralsunder Hochschule Wirtschaftsrecht mit dem Schwerpunkt Wirtschaftsprivatrecht. Wichtige Stationen im wissenschaftlichen Werdegang waren nach dem Abschluss des Studiums der Rechtswissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin seine Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentralinstitut für Alte Geschichte und Archäologie und als Bereichsleiter am Institut für Rechtswissenschaft der Deutschen Akademie der Wissenschaften in Berlin. In der Forschung widmete er sich rechtshistorischen Fragen der Genesis von Rechtsinstituten im Übergang von der römischen Spätantike zum frühen Mittelalter, dem Eigentumsrecht und rechtstheoretischen Überlegungen zum Verhältnis von Gesetzgebung und Rechtsprechung in der Gegenwart.

Prof. Dr. Ulrich Schempp wurde 1949 in Kirchheim unter Teck geboren. Er studierte an den Universitäten Stuttgart und Tübingen Betriebs-und Volkswirtschaftslehre sowie Jura und promovierte an der Universität Stuttgart-Hohenheim. Er war und ist nebenberuflicher Dozent beim Bildungswerk der Baden-Württembergischen Wirtschaft und an der Berufsakademie Stuttgart. Im Jahre 1991 wurde er als Professor des Landes Brandenburg an die Fachhochschule Lausitz berufen und nahm 1993 einen Ruf nach Stralsund an, wo er seitdem International Business und Volkswirtschaft lehrt. Seine Interessen galten trotz internationaler Schwerpunkte schon seit seinen Tübinger Zeiten auch der Kommunalund Regionalwissenschaft. Ulrich Schempp war Ende der neunziger Jahre Dekan des Fachbereichs Wirtschaft und anschließend für vier Jahre Rektor der Fachhochschule Stralsund.

Prof. Dr. Wolfgang Scherl, Jahrgang 1966, studierte als Stipendiat Wirtschaftswissenschaften, Personal, Marketing und Internationales Management in Deutschland, Personal und Organisationsentwicklung an der University of Bradford in England und promovierte in Organisationspsychologie an der University of Nottingham mit einem Stipendium des renommierten Economic & Social Research Council in Großbritannien. Das Promotionsthema beschäftigte sich mit der nachhaltigen Entwicklung der Emotionalen Intelligenz. Seit 2009 ist er Professor im Fachbereich Wirtschaft im Studiengang „Leisure and Tourism Management“ an der Fachhochschule Stralsund. Die Lehrgebiete beinhalten einerseits Management- und Organisationentwicklung, besonders die Entwicklung von humanen Ressourcen, Schlüsselqualifikationen und Soft Skills und andererseits, nachhaltiges Management, CSR und Wirtschaftsethik. Vor seiner Tätigkeit als Professor war er in leitenden Positionen in der Wirtschaft (Deutsche Bank) und der Tourismusindustrie beschäftigt. Forschungsinteressen liegen in der Kompetenz- und Intelligenzentwicklung, Soft Skills, Entwicklung von Schlüsselqualifikationen sowie Human Resources, nachhaltiges Management, Wirtschaftsethik und CSR.

Autoren

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Prof. Dr.-Ing. Petra Strauch ist seit 2000 als Professorin für Informationsmanagement und Wirtschaftsinformatik am Fachbereich Wirtschaft der Fachhochschule Stralsund beschäftigt. Sie ist in verschiedenen Studiengängen für das Lehrgebiet Business Intelligence verantwortlich. Vor ihrer Tätigkeit als Professorin war sie als Consultant bei Digital Equipment und Compaq im Bereich Dokumenten- und Workflow-Management-Systeme sowie als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Technischen Universität Berlin beschäftigt. Sie studierte Informatik an der TU Berlin und promovierte zum Thema Strategieorientierte Planung von Informations- und Kommunikationssystemen.

Prof. Dr. Wilde, geboren 1954, hat die Abschlüsse Diplom-Kaufmann 1978 und Diplom-Handelslehrer 1979 (beides Universität ErlangenNürnberg). Er war seit 1979 Dozent in Wissenschaft und Praxis, Unternehmensberater sowie Autor. Er promovierte an der Universität Erlangen-Nürnberg und von 1993 bis 1995 war er Professor an der FHW Berlin. Seit 1995 ist er an der FH Stralsund mit der Widmung BWL, insbes. Operatives Controlling und Nachhaltigkeitsmanagement beschäftigt. Von 1999 bis 2006 war er korrespondierendes Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat des Umweltministeriums MecklenburgVorpommern. 2008 war er ehrenamtlicher Gegengutachter zum geplanten Steinkohlekraftwerk Lubmin. Seither begleitet er unter Einbeziehung von Studierenden verstärkt Kooperationsprojekte mit der regionalen Wirtschaft (u.a. Querdenkertage, „HCC Hotelerie Controlling und Consulting“, Kreishandwerkerschaft Rügen, LandArt-Netzwerk „Reiten und Meer“). Prof. Dr. Norbert Zdrowomyslaw wurde 1953 in Ketrzyn (Rastenburg), Polen, geboren. Nach dem Ökonomiestudium war er von 1981 bis 1985 als wissenschaftlicher Mitarbeiter und Leiter des Wirtschaftsarchivs an der Universität Bremen beschäftigt. Anschließend leitete er bis 1988 die Abteilung Personalwirtschaft/Organisation bei der Fielmann-Verwaltung KG. Von 1989 bis 1992 war er als Wirtschaftberater tätig. Seit Herbst 1992 hat er die Professur für BWL, insbesondere Rechnungswesen und Management von Klein- und Mittelbetrieben, im Fachbereich Wirtschaft an der Fachhochschule Stralsund inne. Forschungs- und Publikationsschwerpunkte neben dem Rechnungswesen sind: Managementwissen für Klein- und Mittelbetriebe, Zusammenarbeit zwischen Hochschule und Wirtschaft, Regionalwirtschaft sowie Personalmanagement unter Berücksichtigung des demografischen Wandels und von Karriereaspekten. Er begleitet zahlreiche Lehr- und Forschungsprojekte in Zusammenarbeit mit der regionalen Wirtschaft. Erwähnt sei hier nur das regelmäßig gemeinsam mit Professor Dr. Heiko Auerbach angebotene Lehrprojekt STeP / Stralsunder Tagungen für erfolgreiche Partnerschaften. Er ist stellvertretender Vorsitzender der Kooperationsstelle „Wissenschaft und Arbeitswelt in Mecklenburg-Vorpommern e.V.“ und Mitglied des Redaktionsbeirat der Zeitschrift „Der Betriebswirt – Management in Wissenschaft und Praxis“.