Vom Autor zum Leser: Beiträge zur Geschichte des Buchwesens 9783446124370

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Vom Autor zum Leser: Beiträge zur Geschichte des Buchwesens
 9783446124370

Table of contents :
Frontmatter (page N/A)
Vorwort (page 7)
Geschichte des Buches (page 9)
Buchhandel (page 19)
Die Entwicklung des deutschen Buchhandels (page 30)
Uber Buchhandler und Buchhandel zur Zeit der Aufklarung (page 47)
Zedlers Universal Lexicon (page 63)
Lesegesellschaften im 18. Jahrhundert (page 76)
Zum deutschen Verlagswesen in der Gegenwart (page 86)
Edition aus der Sicht des Verlags (page 106)
Bucherpreise: Kalkulationen und Relationen (page 119)
Schriftsteller (page 143)
Zur Geschichte des Autorenhonorars (page 155)
"Welcher Furst konnte mir... Arbeit verbieten?" (page 165)
Aus Anlass einer Lekture von "Friedrich Perthes' Leben" (page 173)
Eugen Diedrichs - 1967 (page 180)
Zum Briefwechsel zwischen Hermann Broch und Daniel Brody (page 192)
Peter Suhrkamp im Briefwechsel mit Hermann Hesse (page 203)
Anmerkungen (page 217)
Bibliographische Hinweise (page 232)
Veroffentlichungen des Verfassers und seiner Schuler (page 235)
Namenregister (page 243)

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Gépfert Vom Autor zum Leser

Herbert G. Gopfert Vom Autor zum Leser Beitrage zur Geschichte des Buchwesens

Carl Hanser Verlag

ISBN 3-446-12437-3 Alle Rechte vorbehalten

© 1977 Carl Hanser Verlag Mtinchen Wien Umschlag: Klaus Detjen Satz und Druck: Késel, Kempten Printed in Germany

Inhalt

Vorwort 7 Geschichte des Buches 9

Buchhandel 9 Die Entwicklung des deutschen Buchhandels 30 Uber Buchhandler und Buchhandel zur Zeit der Aufklarung 47 Zedlers »Universal-Lexicon« 63 Lesegesellschaften im 18. Jahrhundert 76 Zum deutschen Verlagswesen in der Gegenwart 86 Edition aus der Sicht des Verlags 106 Biicherpreise: Kalkulationen und Relationen 119

»Schriftsteller« 143 Zur Geschichte des Autorenhonorars 155 »Welcher Fiirst konnte mir... Arbeit verbieten?« 165 Aus Anlaf einer Lektiire von »Friedrich Perthes’ Leben« 173 Eugen Diederichs —-1967 180 Zum Briefwechsel zwischen Hermann Broch und DanielBrody 192 Peter Suhrkamp im Briefwechsel mit Hermann Hesse 203

Anhang

Anmerkungen 217 Bibliographische Hinweise 232 Ver6ffentlichungen des Verfassers und seiner Schiller 235

Namenregister 243

Quellennachweise der Beitrage finden sich in den Anmerkungen.

Vorwort

Der Titel des Buches verweist auf einen Prozefs, der sich zwischen Autor und Leser abspielt, der durch Biicher in Gang gesetzt wird und an Biicher gebunden ist. Da das »Material« der Literatur, die Sprache, etwas Immaterielles ist, bedarf die Sprache der Materia-

lisierung, d. h. aber der Reproduzierung, durch Schrift. Literatur liegt also stets nur in Reproduktion vor, es gibt von Literatur, im Gegensatz zur bildenden Kunst, keine Originale. Auch das Auto-

graph eines Autors ist Reproduktion. Als Reproduktion wird Literatur an Rezipienten vermittelt. In diesen beiden Gegebenheiten, dem Angewiesensein des Autors wie des Lesers auf Reproduktion und auf Vermittlung der Literatur, ist auch die potentielle Tendenz nach mdoglichst grofer Zahl der Reproduktionen und

nach Vermittlung an mdglichst viele enthalten, und von daher ist es einsichtig, dafS die durch Gutenberg erfundene massenhafte technische Reproduzierbarkeit des Buches unser technisch-demo-

kratisches Zeitalter erdffnet hat, obwohl das Lesen in einem Buch nach wie vor zu den individuellsten Betatigungen gehort, die es gibt. Seit Gutenberg jedoch existiert Literatur bei uns nur unter bestimmten — historisch aber recht unterschiedlichen — technischen, kommerziellen, organisatorischen Bedingungen. Eine Li-

teraturwissenschaft, die sich nicht nur mit den Werken selbst, sondern auch mit der Intensitat, der Breite, der Existenz tiberhaupt des literarischen Lebens beschaftigt, wird die hierfiir notigen Vermittlungsprozesse in ihr Aufgabengebiet einbeziehen, so

wie es seit langem schon viele von Prutz tiber Scherer bis zu Wolfgang Kayser gefordert haben [1]. Somit ist auch klar, da eine derartige Einbeziehung des aufseren Ganges der Literatur in die Literaturgeschichtsschreibung Sinn und Berechtigung nur durch die Literatur selbst erhalten kann. Auch in dem vorliegenden Buch ist, so hoffe ich, deutlich genug zu spiiren, daf8 es der Literatur wegen entstanden ist.

Vorwort 7

Das Buch enthdlt Beitrage aus 18 Jahren und zu recht verschiedenen Gelegenheiten und Zwecken. Somit miissen sie auch nach ihrer Art unterschiedlich sein: ein Rundfunkvortrag braucht einen anderen Stil als ein konzentrierter Handbuchartikel, und dazwi-

schen liegen manche Arten der miindlichen oder schriftlichen AuGSerung. Alle Beitrage wurden fiir die vorliegende Verdffentlichung — z. T. stark — tiberarbeitet. Bei statistischen Angaben wurden die jeweils erreichbaren neuesten Daten eingesetzt. Inhaltliche Uberschneidungen wurden soweit méglich beseitigt, wo das nicht vollig mdglich war, rechtfertigt sich die Wiederholung dadurch, dafs dieselben Beispiele unter verschiedenen Aspekten gesehen sind. Gegliedert ist das Buch, wie aus dem Inhaltsverzeichnis ersichtlich, in zwei Gruppen: die erste enthalt mehr grundsatzliche, auch historisch tibergreifende, die zweite mehr spezielle Beitrage. Systematische Anordnung oder gar Vollstandigkeit in der Thematik konnte nicht beabsichtigt sein. Daf das vorliegende Buch erscheinen kann, danke ich in erster Linie dem Vorschlag und der tatkraftigen Initiative meines Freundes Bertold Hack, sodann der unterstiitzenden Befiirwortung meiner ehemaligen Schiiler Reinhard Wittmann und Edda Ziegler, die auch bei der Vorbereitung und Korrektur halfen, wie der sofortigen Bereitschaft des Verlegers Carl Hanser und seiner Mitarbeiter. Ohne die lange und vielfaltige Erfahrung in diesem Verlag, mit seinen Autoren, auf allen Gebieten des buchhandlerischen Berufsstandes waren die hier vorliegenden Bemiithungen um das Buchwesen nicht mdglich gewesen. Ebenso wenig waren sie freilich méelich gewesen ohne die spontane, bereitwillige Mitarbeit meiner Schiiler. Da in ihren Arbeiten zudem ein nicht geringer Teil meiner eigenen Arbeit der letzten Jahre enthalten ist und da sie die Ergiebigkeit dieses Forschungsfeldes zeigen, sind sie neben den meinen am Schlu& des Bandes aufgeftihrt. Und Dank auch der Druckerei Késel, die sich der Herstellung mit Sorgfalt und uneigenniitzig angenommen hat. Herbert G. Gopfert

8 Vorwort

Geschichte des Buches

Die Geschichte des Buches [1] ist bestimmt durch geistige, materiell-technische und gesellschaftliche Faktoren und ist insgesamt Teil wie Spiegel der Geistesgeschichte der Menschheit. Eine Voraussetzung des Buches ist zunachst die Existenz von Schrift. Nach der Art der Wiedergabe der Schrift la&t sich die Geschichte des Buches in zwei grofse Epochen gliedern: die des geschriebenen und die des durch Druck vervielfaltigten Buches. Die Geschichte des Buches reicht wohl 5000 Jahre zuriick, doch ist nur deren letztes Drittel erhellt. In der Epoche des handgeschriebenen Buches

kann man nach den benutzten Beschreibstoffen, in der des gedruckten nach dem Grad der Technisierung weitere Phasen unterscheiden.

Obwohl die gebrannten Tontafeln der Sumerer, Hethiter, Baby-

lonier und Assyrer schon in Bibliotheken aufbewahrt wurden (etwa von der 2. Halfte des 3. vorchristlichen Jahrhunderts an), kénnen sie nur bedingt als Biicher betrachtet werden. Biicher waren jedoch die Papyrusrollen der Agypter. Der Papyrus, aus dem Mark einer heute nur noch wenig verbreiteten Schilfrohrart ge-

wonnen, ist seit dem 3. Jahrtausend v. Chr. nachweisbar. Die Papyri der Agypter mit einer Normallange von 1-2 m — jedoch sind auch Langen bis 40 m bekannt — und einer Hohe von 15,

spdter 30 cm, wurden von rechts nach links gerollt, waren in Schriftkolonnen — bei 2 m Lange etwa in 10 — eingeteilt, hatten Bezeichnungen fiir Beginn und Ende des Textes, der Titel stand

auf einem heraushdngenden Streifen. Manche Papyri wie die >Totenbiicher« (Grabbeigaben) z. B. wurden, da meist konventionellen Inhalts, auflagenmafsig hergestellt und auch gehandelt.

Vom 2. Jahrhundert v. Chr. an wurde der leicht briichige und nur einseitig beschreibbare Papyrus, der in Agypten fabrikmafig angefertigt und in die gesamte westliche Welt exportiert wurde, allmahlich verdraéngt durch das wohl in Pergamon aufgekomGeschichte des Buches 9

mene Pergament (= charta pergamena) aus besonders behandelten feinen Tierhauten (Schaf, Kalb, Ziege), das dauerhafter als Papyrus, doppelseitig beschreibbar, freilich auch wesentlich teurer war, weshalb bereits beschriebene Pergamente nach Ausradieren des Textes oft nochmals beschrieben wurden (Palimpseste). Vom 4. Jahrhundert n. Chr. an kam der Papyrus dann aufSer Gebrauch. Das Pergament (bei den ROmern: membrana) blieb im Abendland bis zum Mittelalter fast der einzige Beschreibstoff. Das Aufbliihen der griechischen Literatur im 5. Jahrhundert v. Chr. hatte eine rege Buchproduktion zur Folge: die Werke wurden abgeschrieben (altester griechischer Papyrus aus dem 4. Jahrhundert v. Chr.), meist von gebildeten Sklaven, entweder fiir einzelne Auftraggeber, wie es von Euripides berichtet wird, oder in erdferem Stil schon auflagenmafig fiir Handler, die die Buchrollen z. B. auf der Agora in Athen verkauften. Aber auch die Kolo-

nien sowie die im 3. Jahrhundert v. Chr. in Alexandria und im 2. Jahrhundert in Pergamon entstehenden grofen Bibliotheken wurden vom egriechischen Buchhandel beliefert. In der Bibliothek

von Alexandria allein (47 v. Chr. bei der Eroberung der Stadt durch Caesar und 393 durch die Christen zerstdrt) sollen tiber 500000, fast die gesamte Weltliteratur in besten Abschriften enthaltende Biicher gewesen sein, von denen jedoch keine vollstindige Rolle erhalten ist; beritihmt war der systematische Katalog des dort um 250 v. Chr. wirkenden Dichters und Bibliothekars Kallimachos.

Die Buchproduktion bliihte in Rom. Eine Biicherei gehdrte zum

Hause des vornehmen Rémers. Die Werke wurden gleichzeitig einer gréSeren Zahl von Schreibern, den >librariibibliopolae< in den >tabernae librariae1. Leserevolution«), daf$ »Belletristik« erst ab etwa 1800 an der Spitze der verschiedenen Buchproduktionsgruppen steht, sowie die wechselnde Reihenfolge dieser Gruppen sind Indizien fiir gesellschaftliche wie literarische Veranderungen, u. a. fiir die Zunahme der »lesenden Frauenzimmer«. b) Autor-Verleger-Verhdaltnis: Einen Storfaktor ersten Ranges bedeutete lange das Fehlen eines verbindlichen Urheber- und Ver-

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lagsrechts und damit die standige Gefahr des unbefugten Nachdrucks. Erst im Lauf von Jahrhunderten bildete sich der Begriff des nicht-materiellen, des geistigen Eigentums heraus, nach verschiedenen Ubergangsregelungen erstmals fiir das Reichsgebiet 1871 kodifiziert. Das bis ins 19. Jahrhundert hinein herrschende

Privilegienwesen war infolge seines materiellen Charakters (Schutz des gedruckten Buchs, nicht des geistigen Eigentums), seiner zeitlichen und regionalen Begrenztheit und anderer Mangel unzureichend. Dafs Goethes Werkausgabe letzter Hand (1827 bis 1842) auf Antrag des Autors Privilegien sdmtlicher deutscher Bundesstaaten erhielt (was sich sogleich auf die Héhe des Honorars auswirkte), dafs Jean Paul hingegen mit der gleichen Bitte nicht durchdrang, zeigt die fehlende Rechtseinheitlichkeit noch zu spater Zeit deutlich. Nur wegen der materiellen Basis des Privilegienwesens konnte sich die Ansicht und die Lehre herausbilden, dafS der Verleger durch den Verlagsvertrag ein Werk eines Autors fiir alle Zeit als » Verlagseigentum« erwiirbe. Viele Spannungen, Zerwiirfnisse, Prozesse, vor allem im 18. Jahrhundert (Wieland z. B.), haben hierin ihre Ursache. Hier liegt ein Stérmoment vor, das nur durch Gesetzgebung, wenn auch unter Mitwirkung des Buchhandels und der Autoren, beseitigt werden konnte.

Teils infolge der fehlenden juristischen Grundlage, teils in Uberspannung des erwerbswirtschaftlichen Prinzips durch den wirtschaftlich Starkeren wurde die Autor-Verleger-Beziehung im-

mer wieder beeintrachtigt (z. B. Wendler-Gellert, WeygandGoethe u. a.). Andererseits wurden von Autoren in Unkenntnis des »buchhandlerischen Nexus« und seiner Grundgegebenheiten wirtschaftliche und organisatorische Forderungen tiberspannt, vor allem im 18. Jahrhundert (so z. B. die Subskriptionsplane Klopstocks oder auch die Buchhandelsplane Lessings).

Erst mit dem Aufkommen des freien Schriftstellertums in der zweiten Halfte des 18. Jahrhunderts kann eigentlich von einer

Autor-Verleger-Beziehung gesprochen werden. Erst seitdem schreibt der Autor auch fiir Geld und ist auf die kaufmannischen Talente des Verlegers angewiesen. Zuvor, zur Zeit des standisch

Buchhandel 23

gebundenen Schriftstellertums, als zumindest der belletristische Autor in der Regel kein Honorar vom Verleger, sondern — nicht selten auch durch Ubernahme der Herstellungskosten — »Ver-

ehrungen« hochgestellter Gonner erhielt, denen er sein Werk widmete, war das geschaftliche Interesse des Verlegers am literarischen Buch notwendig begrenzt: Wie es innerhalb der Produktionssparten durchaus nicht an erster Stelle rangierte, so mufste es dem Verleger auch geniigen, den kleinen Kreis der festgefiigten Literaturgesellschaft der Gelehrten, die in der Lage waren, Biicher zu kaufen, zu erreichen. Seine gesellschaftliche Verpflichtung sowohl] dem Autor wie dem Leser gegentiber wird dem Buchhandel in der Zeit der Spataufklarung und des Idealismus um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert bewuft, am entschiedensten formuliert von F. Perthes. Noch wahrend fast des ganzen 19. Jahrhunderts war jedoch das verlegerische Risiko wesentlich grdfer als spater: Es war tiblich, die gesamte Auflage bei Erscheinen unabhangig vom Verkauf vorauszuhonorieren. Die heute tibliche verkaufsabhangige Honorierung nach Prozentsétzen vom Ladenpreis bedeutet eine Partizipation des Autors am Risiko. Spat erst entwickelt sich aufser der geschaftlichen oder auch menschlichen Partnerschaft eine geistige Partnerschaft des Verlegers. Seit Ende des 19. Jahrhunderts gibt es fest angestellte Lektoren, die oft die eigentlichen Gesprachspartner des Autors sind (z. B. Moritz Heimann). Schon zwischen Wieland und Géschen, Schiller und Cotta, einigen Romantikern und Zimmer in Heidelberg und Reimer in Berlin bestanden freundschaftliche Verbindungen, und Beziehungen etwa wie die von S. Fischer und Kurt Wolff zu nicht wenigen ihrer Autoren, zwischen Kippenberg und Rilke oder gar zwischen Brody und Broch stellen Forderungen des literarischen Kommunikationsprozesses an der primadren Vermittlungsstelle dar, die durchaus »metadkonomischen« Charakters sein konnten. Gegenbeispiele stechen hiervon um so scharfer ab.

Um die Mitte des 19. Jahrhunderts setzt man die sogenannte zweite Leserevolution an. AuSerlich wurde sie erméglicht durch

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die zu erheblicher Verbilligung fiihrenden neuen technischen Erfindungen bei der Papier- und Buchherstellung sowie durch die neuen Verkehrsmittel. In die 4oer Jahre des 19. Jahrhunderts fallt, vor allem auch infolge des starken Ansteigens der periodischen Presse, die erste Griindung einer berufsstandischen Schriftstellerund Journalisten-Organisation (Leipziger Literatenverein 1840/ 42). — Nicht eingegangen werden kann in diesem Zusammenhang auf den Stérfaktor Zensur, der in grofen Bereichen der Literaturund Buchhandelsgeschichte wirksam war, vom Buchhandel allein natiirlich nicht beseitigt, teil- und zeitweise aber reduziert werden konnte.

c) Buchgestaltung: Noch kaum erforscht sind rezeptionsgeschichtliche Fragen der speziellen Prasentationsform literarischer Werke. Deshalb kénnen hier nur wenige Hinweise gegeben werden. Keineswegs handelt es sich hierbei »nur« um 4sthetische, sondern auch um literatursoziologische Phanome. Die Ausstat-

tung, vor allem die Typographie, kann den potentiellen Leserkreis eines Buches signalisieren, sie kann durch Angemessenheit die Rezeption fordern oder durch Unangemessenheit beeintrachti-

gen oder gar verhindern. Eine soziologische Interpretation der Typographie von Biichern des 16. und 17. Jahrhunderts wiirde deren literarische Interpretation ergdnzen, im 18. Jahrhundert wiirde eine Untersuchung von Schrift, Typographie, Format, Illustration die geistigen und sozialen Bewegungen der Zeit widerspiegeln. Ergiebig fiir solche Untersuchungen ist Gdschen: Seine

friihe Don Carlos-Ausgabe von 1787 wurde von Schiller (am 21. 5. 1787) als nicht recht befriedigend empfunden, spater wurde er der typographische Reformator des deutschen Verlagswesens,

insbesondere durch seine Wieland- und Klopstock-Ausgaben. Ein deutsches Sonderproblem ist die Auseinandersetzung zwischen Fraktur und Antiqua: War fiir deutsche literarische Texte

Fraktur sehr lange Zeit hindurch tblich und unangefochten, so anderte sich das zur Zeit des Klassizismus Ende des 18. Jahrhunderts. Wenn die Fraktur, in der Schillers »Horen< gedruckt wurden, von zeitgendssischer Kritik als »gothische Ménchsbuchstaben« bezeichnet wurde, so zielte das auf die fehlende Modernitat

Buchhandel 25

in der 4u8eren Gestaltung dieser Zeitschrift, und u. U. ist ihr Mifserfolg gerade bei der jiingeren Generation auch hierauf zuriickzufiihren. Modern war die Antiqua. Aber auch Géschen kehrte

in spateren Wieland-Ausgaben zur Fraktur zuriick, als nach den Napoleonischen Kriegen die Schriftfrage in die national-ideologische Debatte geriet, in der sie bis nach dem 2. Weltkrieg geblieben ist, obwohl 19412 aus politisch-propagandistischen Griinden die Antiqua offiziell zur »Normalschrift« erklart worden war.

d) Distribution: Der Einfluf der Distributionsmethoden auf das literarische Leben ist bisher von der Literaturwissenschaft ebenfalls nicht beachtet worden. Auf zwei Phanomene sei hinge-

wiesen: auf den Change- und Nettohandel und auf die Zusendung pro novitate und die Festbestellung.

1. Gefahr drohte dem Buchmarkt und damit der literarischen Vermittlung durch die von der zweiten Halfte des 17. Jahrhunderts an sich ausbreitende merkantilistische Doktrin, die in dem nach 1648 partikularisierten Reich ganz andere Folgen haben mufte als in ihrem zentralistischen Ursprungsland Frankreich. Bei strenger Anwendung dieser Doktrin, mOglichst keine monetéren Mittel ins »Auslandwissenschaftliche Lese- und Unterhaltungsgesellschaft< vorgeschlagen.

Es geht nicht nur um die Kostenverteilung durch ZusammenschlufS mehrerer, also um reine ZweckmaGigkeit, sondern ganz bewulst auch um gegenseitige Aufklarung. Schon 1766 wird das in Mainz geradezu klassisch artikuliert, wenn >eine gemeinsame gesellschaftliche Verbindung als Grund unsrer politischen Gliickseligkeit im Ganzen< hypostasiert wird. Konventioneller, aber nicht weniger bezeichnend nennt etwas spater die Koblenzer Gesellschaft >lehrreichen gesellschaftlichen Umgang< und >stetes Lesen< belehrender Biicher als die Mittel, »wodurch Aufklarung und Licht verbreitet< werde. Doch findet sich — als Ausnahme, die die Regel bestatigt — auch eine gegenaufklarerische Stimme, in Basel, aber eben doch in einer solchen Gesellschaft.

Den Zielen entsprachen die Organisationsformen. Lesezirkel und Lesebibliotheken waren ziemlich einfach organisiert: Zeit-

Lesegesellschaften 77

schriften und Bticher waren entweder Gemeinschaftsbesitz oder wurden Eigentum des Anregers einer solchen Gesellschaft, der von den Teilnehmern nur bestimmte Gebiihren erhob, Anschaffungswiinsche aber beriicksichtigte.

Die Lesekabinette hatten eine feste Organisation demokratischer Art. Alle Mitglieder waren gleichberechtigt, Standesunterschiede innerhalb des Mitgliederkreises sollten nicht gelten. In Bonn ging man so weit, bei Versammlungen die Sitzordnung auszulosen, um Gruppenbildungen zu vermeiden. In Aschaffenburg wurden 1783 Lesegesellschaften als Institute bezeichnet, »welche eigends der Geist einer republikanischen Verfassung beleben< miisse. Der Vorstand wurde von allen Mitgliedern gewahlt, iiber die Aufnahme neuer Mitglieder wurde im Abstimmungsverfahren, oft geheim durch Stimmkugeln, tiber Neuanschaffung von Biichern und Zeitschriften nach Diskussionen in den Plenumsversammlungen entschieden. Manche Gesellschaften hielten Arbeitssitzungen ab, in denen Mitglieder eigene Ausarbeitungen vortrugen und zur Diskussion stellten. Da die Lesekabinette taglich so

lange wie moglich gedffnet waren, stellten ihre Konversationsraume ohnehin eine standige Diskussionsstatte dar. Vorformen der Lesegesellschaften lassen sich in der Schweiz schon in den dreifSiger Jahren feststellen, oder etwa in einem 1750

gegriindeten >Privatverein zum Studium der englischen Sprache und Literatur< in Stralsund oder, ebenfalls in den fiinfziger Jahren, in dem Gemeinschaftsabonnement fiir englische Wochenschriften durch einige bremische Pastoren. Jedoch sind die Zeugnisse fiir Griindungen aus den fiinfziger und sechziger Jahren bisher sparlich. Aus den siebziger Jahren kennen wir aber bereits

50, aus den achtziger 170 Griindungen. Die héchste Zahl der Griindungen liegt mit ca. 200 in den neunziger Jahren. Gewif waren viele Gesellschaften nur kurzlebig; mancherorts gab es mehrere Griindungen nacheinander, wie in Ludwigsburg oder in Stralsund, oder es existierten verschiedene Lesegesellschaften nebeneinander, wie in Frankfurt a. d. Oder, Liegnitz oder auf Rugen, wo Ende der achtziger Jahre von zwei Lesegesellschaften fiir Prediger und Kandidaten, zwei fiir Adlige, einer fiir die Jugend

78 Lesegesellschaften

und einer fiir Frauen berichtet wird. Im allgemeinen gehérten Frauen den Lesegesellschaften aber nicht an, doch gab es Ausnahmen, wie z. B. in Wadenswy] in der Schweiz; sonst existierten wie auf Riigen hie und da eigene Lesegesellschaften fiir Frauen. Erst Ende des Jahrhunderts und Anfang des 19. Jahrhunderts erhielten

Frauen zu den Lesekabinetten Zutritt, als dort gesellige Veranstaltungen mehr und mehr zunahmen. Innerhalb des Reiches nahmen die Lesegesellschaften von Norddeutschland ihren Ausgang: in Pommern, Brandenburg, Sachsen, Hamburg, Bremen liegen die Griindungen vor allem der siebziger Jahre. Schon 1782 schrieb das Hannoversche Magazin: »Unsere Lesegesellschaften

mehren sich von Tage zu Tage. Da ist keine Stadt, kein Stadtchen, wenigstens in unserm Niedersachsen, ohne Lesegesellschaft.« Nach Norddeutschland schickte 1784 der Markgraf von Baden einen Abgesandten, um Lesegesellschaften zu studieren; nach dessen Riickkehr wurde dann die Lesegesellschaft in Karlsruhe gegriindet. In Siiddeutschland florierten Lesegesellschaften vor allem in Wiirttemberg, im Erzbistum Mainz und in der Pfalz. In Osterreich iiberwogen Lesekabinette, die von Buchhandlern eingerichtet waren. So sehr die Lesegesellschaften intern auf demokratische Prinzipien hielten, nach aufsen waren sie im allgemeinen fest abgeschlossen. Nur selten standen sie auch Nichtmiteliedern oder vortibergehend anwesenden G§asten offen. Gesellschaften nur fiir einen Stand, wie fiir den Adel auf Riigen, waren wohl Ausnahmen. Im allgemeinen bildete ihren Kern das akademische Biirger-

tum. In Aschaffenburg, 1783, durfte das >zuldssige Personale mannlichen Geschlechts< bestehen aus Geistlichen, Verwaltungsbeamten, Advokaten, >charakterisierten PrivatiersPersonen niedrigeren Standes< waren >ganzlich ausgeschlossen:. Ahnliches galt wohl fiir Mainz, das fiir Aschaffenburg weitgehend Vorbild gewesen war. In anderen Orten, wie z. B. in Frankfurt am Main, bildeten Kaufleute einen erheblichen Anteil, in Residenzstadten, wie in Ludwigsbureg oder auch in Koblenz, war der Offiziers- oder

Beamtenadel verhaltnismafig stark vertreten. Das wiirde eine

Lesegesellschaften 79

gewisse Angleichung der Stande aneinander bedeuten, Adel und Biirgertum fanden einen gemeinsamen Bezugspunkt in den aufklarerischen Idealen. In manchen Reichsstddten, die zum Teil gesellschaftlich besonders konservativ blieben, scheint es Eigenentwicklungen gegeben zu haben. So wollten in Ulm 1790 die Patrizier keine Biirgerlichen in die neu zu griindende Lesegesellschaft aufnehmen, und als ihnen das nicht gelang, blieben sie lieber weg, >um nicht von dem biirgerlichen Haufen angesteckt zu werden«. Die Mitgliederzahlen der Lesegesellschaften schwankten stark, 200 waren wohl das hoéchste, 100 Mitglieder diirften bereits viel gewesen sein. Die Lesekabinette hatten im allgemeinen mehr Mitglieder als die Lesezirkel; Lesezirkel waren nicht selten auch auf dem Lande anzutreffen, Lesekabinette nur in Stadten. In den Landern, die Frankreich nahe lagen, waren die Lesegesell-

schaften offenbar stark politisch bewegt, wie etwa in Mainz; durch ihre republikanische Grundstruktur waren sie ohnehin fiir die neuen politischen Gedanken pradisponiert. Die Lektiirebestande wurden bestimmt durch Grofe und spezielle Zusammensetzung des Mitgliederkreises. Vergleiche sind hier nur bedingt und mit Vorsicht médglich. Den Grundstock bildeten meist nicht Biicher, sondern Zeitschriften, deutsche wie auslandische, vor allem politischer und allgemein unterrichtender Art. Anspruchsvolle literarische Zeitschriften wie die Schillers z. B. waren selten, so werden die »Horen« in Schaffhausen als zu ernsthaft< wieder abbestellt. Haufig war aber Bertuchs »Journal des Luxus und der Moden«; von speziellen Organen sind bemerkenswert etwa Lichtenbergs »Magazin fiir das Neueste aus der Physik und Naturgeschichte« oder das »Journal fiir Fabrik, Manufaktur und Handlung«. Auch unter den Biichern dominieren Handbiicher, Lexika, Nachschlagewerke, Schriften aktuellen politi-

schen Inhalts, etwa zur Franzdsischen Revolution; beliebt waren Reisebeschreibungen, natiirlich finden sich aufklarerische Schriften aller Art, auch zur modernen Theologie. Die Belletristik nahm gegeniiber der non-fiction-Literatur einen oft sehr bescheidenen Platz ein. Sie fehlt in manchen Lesegesellschaften ganz und findet sich in nennenswertem Mafse eigentlich nur in bestimmten Gesell80 _ Lesegesellschaften

schaftstypen grdfseren Umfangs, etwa in Trier. In der Schweiz scheint sie einen starkeren Anteil gehabt zu haben als in Deutsch-

land. In Siid- und Westdeutschland und in der Schweiz ist zeitgenossische Belletristik im tibrigen kaum in Original-Ausgaben, sondern fast nur in der Sammlung der Schmiederschen Nachdruckfabrik in Karlsruhe vertreten. Lesegesellschaften speziell fiir unterhaltende Literatur sind Ausnahmen, diese Bediirfnisse wurden im allgemeinen in Leihbibliotheken befriedigt. Hingegen bildeten sich im Laufe der Zeit oft ausgesprochene Fachlesegesellschaften etwa fiir Medizin, Rechtswissenschaften, Theologie und sonstige Disziplinen. Den zahlreichen lobenden Berichten tiber Lesegesellschaften in

den zeitgendssischen Zeitschriften, die in ihnen oft geradezu ein Charakteristikum der Zeit sahen, steht die Skepsis und Kritik von BehGrden gegeniiber. Auch hier gibt es starke regionale Unterschiede, vor allem zwischen Nord- und Stiddeutschland, und wieder scheint die Schweiz eine Sonderstellung einzunehmen. Haufig aber zeigt sich eine Diskrepanz zwischen den geistigen Bestrebungen des Biirgertums und der offiziellen Kulturpolitik, sofern von einer solchen die Rede sein kann. Zumindest spiegelt sich in den verschiedenen Reaktionen staatlicher Stellen deren Einstellung zur Aufklarung und zur biirgerlichen Emanzipation insgesamt. Zur Griindung einer Lesegesellschaft war meist eine behordliche Genehmigung erforderlich. In Bonn setzte der Kurfiirst schon 1780 einen Zensor ein. In Aschaffenburg sollte 1783 die Gesellschaft monatlich ein Schriftenverzeichnis zur Genehmigung einreichen. Zum Teil wurden Lesegesellschaften mit den geheimen Gesellschaften in Zusammenhang gebracht, in Bayern z. B. wurden sie gleichzeitig mit dem I|luminatenorden 1786 verboten, in Amberg wurde eine von einem Buchhandler geplante Leihbibliothek nur unter der Bedingung konzessioniert, daf sie oniemals in eine Lesegesellschaft ausarten< wiirde. In Wiirzburg lief der Erzbischof die Lesegesellschaft 1786, also noch vor der Franzosischen Revolution, nach einjahrigem Bestehen verbieten, u. a. mit der Begriindung, daf$ er >unbeschrankte Lektiire tiberhaupt fiir schadlich< halte. Nach 1789 gerieten fast alle Lesegesell-

Lesegesellschaften 81

schaften in irgendeiner Form unter staatliche Aufsicht, manche wurden verboten, manche lésten sich lieber selbst auf. Wenn im Verlauf der neunziger Jahre wohl vor allem bei den vielen Neueriindungen das gesellige Element immer starker und der politische, geistige Elan der Lesegesellschaften schwacher wurde, so ist das auch eine Folge dieser obrigkeitlichen Eingriffe. Soweit die Fakten. Was kann man aus ihnen entnehmen? Zunachst natiirlich sind die Gesellschaften eine Folge der enormen Zunahme der Buchproduktion in der zweiten Halfte des 18. Jahrhunderts. Biicher waren ziemlich teuer und in gréfSerer Zahl fiir den normalen Biirger unerschwinglich. Von 1763 bis 1805 stieg

allein die Zahl der in den MefSkatalogen verzeichneten Neuerscheinungen von rund 1350 um tiber das Dreifache auf rund 4500; das bedeutete aber einen mehr als zehnmal so grofsen Zuwachs wie in dem entsprechenden Zeitraum zuvor, von 1721 bis 1763. Jedoch betraf dieser Zuwachs nur einige Gebiete, er bewirkte deshalb eine erhebliche Anderung der >Infrastruktur< der Produktion: vor allem zugunsten der Sch6énen Literatur, der popularphilosophischen Schriften und der Gruppen Naturwissenschaften und Handel und Gewerbe. Das hatte — zweitens — zum Grund wie zur Folge (denn gewif liegt hier ein Riickkopplungsprozefs vor), dafs das Leseverhalten sich, erstmals seit Gutenberg, entscheidend anderte. Schon die Zeitgenossen haben das empfunden. Von einer bedngstigenden Lesewut wird gesprochen, die Zeitungen und Zeitschriften — selbst ein Symptom dieser Verdanderung — sind voll von diesem neuen Phanomen des allgemeinen Lesens, mit dem u. a. auch Kant, Fichte, Goethe und Fr. Schlegel

sich auseinandersetzten. Es las ein weitaus grdfserer Teil Menschen als bisher, es wurde anderes, und es wurde anders gelesen. Man las nicht mehr wie friither im Familienkreis lange Zeit hindurch die gleichen Biicher immer wieder: man suchte und las jeweils Neues, mehr als frither, vielerlei. Deshalb wollte man viele neue Biicher nur kennen, nicht besitzen. »>Ein neuer Typ des Lesers

hatte die literarische Biihne betreten.< Drittens. Dieser Buchproduktion und diesem Lesebediirfnis entsprachen nicht die vorhandenen Vermittlungsméglichkeiten. Offentliche Bibliotheken im

82 Lesegesellschaften

heutigen Sinne existierten ja so gut wie gar nicht. Universitatsbibliotheken waren einigen Gelehrten vorbehalten und oft wéchentlich nur ftir ein bis zwei Stunden gedffnet. (So noch in Rostock, laut Vorlesungsverzeichnis, 1863!) Einige der wenigen Ausnahmen machte die Bibliothek der neugegriindeten Universitat Gottingen. Das Lesepublikum war aber wegen der recht hohen Biicherpreise auf bibliotheksahnliche Einrichtungen angewiesen. Gewerbliche Leihbtichereien, auch Lesezimmer in Buchhandlun-

gen, entstanden zwar, tibertrafen jedoch erst spater die Lesegesellschaften an Bedeutung. Zunachst waren sie haufig noch im Nachteil, und zwar bezeichnenderweise deshalb, weil man in Lesegesellschaften mit ihren begrenzten Mitgliederzahlen die neue Literatur sofort bekommen konnte, wahrend in Leihbiichereien Wartezeiten iiblich waren. Innerhalb dieser »Leserevolution« nahmen die Lesegesellschaften also eine ganz bestimmte Stellung und Rolle ein: sie waren von den haufig gewif zu Recht angeprangerten Trivialerscheinungen weitgehend frei, in ihnen zeigten sich mehr die positiven, die aktivierenden Folgen des neuen Leseverhaltens. Sozialgeschichtlich gesehen, sind die Lesegesellschaften weithin

eine Selbsthilfeorganisation des Biirgertums. Sie zeichnen sich durch Gemeinniitzigkeit und freie Diskussion in einem neuen, auSerfamiliaren, autonomen gesellschaftlichen Bereich aus, sie koénnen oft, wie Habermas es sieht, als erster Versuch des Biirger-

tums wenigstens zur geistigen Teilhabe an den Bewegungen der Zeit verstanden werden, da die politische Teilhabe noch verwehrt war. Aber das ist nur ein Teilaspekt. Dazu gehdrt die oben genannte symptomatische Bedeutung der Lesegesellschaften innerhalb der Geschichte des Lesens. Der Literaturwissenschaft erméelichen sie den Blick auf einen Faktor des literarischen Lebens, der in der Geschichte der Werke und Autoren nur selten vorkommt: eben auf den Leser, und zwar an einem Wendepunkt des Verhaltnisses zwischen Literatur und Publikum. Die Lesegesellschaften gehGren zu der »Leserevolution« in der 2. Halfte des 18. Jahrhunderts, in welcher die intensive zur extensiven Lektiire umgeschlagen sei[2]. Diese Leserevolution ist um so erstaunlicher,

Lesegesellschaften 83

als nicht etwa neue technische Erfindungen eine Verbilligung der Biicher gebracht hatten: sie kosteten soviel wie je, billig wurden sie erst im 19. Jahrhundert. Auch die Preise der Wochenschriften und der vielen sonstigen Zeitschriften des 18. Jahrhunderts waren nicht niedrig. Als wie einschneidend die Zeitgenossen selber das Wirken der Lesegesellschaften empfanden, zeigt eine AuSerung im >Lexikon fiir Franken< von 1802 tiber zwei Schweinfurter Lesegesellschaften, die dort seit 1774 nacheinander bestanden hatten. Sie hatten >beziiglich des literarischen Geschmacks und der Denkungsweise unter den Vorziiglichen eine neue Epoche — in Schweinfurt also — »heraufgefiihrt«. Als Ergebnis, nach dem Ende der zweiten Lesegesellschaft, wird festgestellt: »>Lektiire war nun zum Bediirfnis geworden.
Dichtung und Wahrheit< (Bd. 9, 2. Aufl. 1955, S. 755 ff. und Bd. 10, 1. Aufl. 1959, S. 548 ff.) ihre profunden und weit iiber den AnlafS hinaus bedeutsamen Ausfiihrungen iiber die Notwendigkeit der Beibehaltung insbesondere der Original-

Interpunktion (Lautstand ist selbstverstaéndlich) von GoetheTexten. — Mit welch vorbildlicher Behutsamkeit aus komplizierten

Handschriften edierte Texte durch sparsamste Eingriffe leichter verstandlich gemacht werden kénnen, kann jeder bei einem Vergleich zwischen der grofen und der kleinen Stuttgarter Holderlin-

Ausgabe sehen. Aber hier lag ~ sehr selten in der Editionsgeschichte — der Idealfall vor, dafS die historisch-kritische und die

Edition 115

aus ihr entwickelte Leseausgabe vom gleichen Herausgeber besorgt wurden und dafS Friedrich Beifner fiir die verschiedenen Bediirfnisse der jeweiligen Leserkreise beider Ausgaben in gleicher Weise Sinn und Verstandnis besaf. 5. Es ist nicht nur das Bediirfnis, Leseausgaben auch fiir Studienzwecke benutzen zu kdénnen, das mehr und mehr von den puren Textausgaben zu kommentierten Ausgaben [5] gefiihrt hat. Es spricht sich darin, wenigstens teilweise, wohl auch das gewandelte Verhaltnis zu den Texten selber aus. Indem man sie mehr und mehr in ihrer historischen Erscheinungsform fixiert, werden sie in ihrer — allen Kunstwerken eigenen — historischen Bedingtheit und in ihrer — mehr oder weniger starken — iiberzeitlichen Bedeutung oder Giiltigkeit erfahren. In diesem Spannungsfeld steht ja jede Beschaftigung mit kiinstlerischen Phanomenen iiberhaupt: nicht weil sie nur historische Zeugnisse sind — die sie stets auch sind —, werden literarische Werke immer wieder ediert und beschaftigen wir uns mit ihnen, sondern weil sie tiber ihre Zeit hinaus, im hdchsten Fall tiber Jahrtausende hin wirken. Die Re-

historisierung, die mit dem Anmerkungsapparat iiber Entstehungsdaten, Entstehungsgeschichte — mdglichst in Form von Dokumentationen —, unmittelbaren und mittelbaren Quellen, Wirkunegsgeschichte und schlieflich Wort- und Sacherlauterungen,

Querverweisen innerhalb verschiedener Werke, auch mit Hinweisen auf wichtige Sekundarliteratur gegeben zu sein scheint, dient zugleich der Méglichkeit, durch Erkenntnis dieses gesamten »historischen« Komplexes die tiberhistorische Lebenskraft von Dichtungen zu erkennen. Niichtern gesagt, weder Texte Wielands noch Jean Pauls z. B. konnen vom heutigen Leser ohne Kenntnis von Wortbedeutungen, Zitaten, historischen Anspielungen und

del. voll vergegenwartigt werden. Dafiir haben sich zwei verschiedene Arten von Apparaten ergeben: die eine verzichtet bewulst auf inhaltliche Interpretation, die andere bringt diese bewut mit ein; die Verfechter der einen Art wollen dem bleibenden

Text modglichst wenig subjektive Ansichten zufiigen, die von fluktuierenden Zeitstr6mungen und wissenschaftlichen Schulmei-

nungen abhadngig und mithin tiberholbar sind, die Verfechter

116 Edition

der anderen Art wollen dem Leser den Text unter Einbeziehung heutiger Deutungsméglichkeiten weitgehend sogleich erschliefen. Eine Synthese aus beiden Absichten und Moglichkeiten scheint noch nicht gefunden, (selbst in historisch-kritischen Ausgaben stehen diese beiden Typen noch einander gegeniiber). Stellt die

eine héhere Anforderung an den Leser, so kommt die andere seinen gegenwartigen, damit aber auch seinen wechselnden Wiinschen starker entgegen. Laft sich hieraus eine soziologische Differenzierung der Leserschichten, an die sich beide Arten wenden,

herauslesen? Wendet sich der eine Typ tatsachlich an breitere Kreise, verengt sich der andere zum Fachbuch fiir Literarhistoriker? Gelange es, die Ansprtiche beider Ausgaben in einem Typ zu vereinigen, so ware die argerliche und im Grunde widernatiirliche Trennung in Ausgaben vorwiegend fiir den »genieSenden« und vorwiegend fiir den wissenschaftlich arbeitenden Leser beseitigt. —

Diese Hinweise und Beispiele, die sich vermehren liefsen, zeigen, dafS den Verlagen, insbesondere ihren Lektoraten, bei Dichterausgaben heute eine recht grofse Initiative, EinfluSnahme und

damit Verantwortung zukommt. Was die primdre Arbeit am Text selbst angeht, gehen die Verlage heute, soweit méeglich, dazu

iiber, fiir Lese- und nicht selten auch fiir Studienausgaben die Textredaktion in ihren Lektoraten selbst vornehmen zu lassen. Der Grund hierfiir liegt teils in den Schwierigkeiten, fiir diese miuhevolle Arbeit iiberhaupt noch geeignete Editoren zu finden, teils in dem verstandlichen Wunsch, die in den Verlagsredaktionen im Lauf der Zeit gesammelten Erfahrungen méglichst vielfaltig nutzbar zu machen. Daf jeder Autor, manchmal jedes einzelne Werk hinsichtlich der Textgestaltung seine besonderen Probleme bietet und dafs individuelles Vorgehen zu den unaufgebbaren Erkenntnissen der heutigen Editorik gehort, das muf allen solchen Verlagen klar sein. Die Verlage kénnen aber hierdurch,

mit aller Bescheidenheit, die ihnen zukommt, zu einer Art von Editionsinstituten im kleinen werden. Ganz anders stellt sich die Rolle und Aufgabe des Verlags bei

der Betreuung historisch-kritischer Ausgaben dar. Hier besteht

Edition 117

die Arbeit des Verlages auSer in der Ubernahme des geschaftlichen Risikos in der n6tigen organisatorischen Hilfestellung, im geeigneten Vertrieb der Ausgabe, vor allem aber in der adaquaten technisch-herstellerischen Verwirklichung der Intentionen der Edi-

toren, und gerade das stellt eine nicht zu unterschatzende Aufgabe dar. Solche zunachst speziell der wissenschaftlichen Forschung dienenden und ihrerseits die Forschung weitertreibenden Ausgaben,

die ihren ganz bestimmten Ort im Geftige des geistigen Lebens haben, stellen mithin ebenfalls ein soziologisches Phanomen dar, sie sollen z. B. auch die Grundlagen ftir weitere editiones minores bieten. Hier kann die Aufgabe des Verlegers aus der gesellschaftlichen Verpflichtung, die auch er mit der Ubernahme einer solchen

Ausgabe auf sich nimmt, u. U. schon in der Beratung bei der Planung (etwa hinsichtlich des Umfangs der Ausgabe, der Praktikabilitaét der einzelnen Bande) sowie in der Koordinierung der Arbeiten durch das Editorenteam liegen. Das diirfte sinnvoll sein, nicht zuletzt im Hinblick auf die Verwirklichung der gestellten Aufgabe innerhalb eines diskutablen Zeitraums, wenn man von dem Schreckgespenst der tiber Jahrzehnte sich hinziehenden oder nach verheifSungsvollen Ansdtzen steckenbleibenden Editionen loskommen will, mit denen weder den betreffenden Autoren noch der Wissenschaft noch der Allgemeinheit, fiir die letztlich ja auch diese Ausgaben gemeint sind, gedient ist.

118 Edition

Biicherpreise:

Kalkulationen und Relationen

Die folgenden Ausfiihrungen [1] kénnen weder amiisant noch gar tiefsinnig sein, und der Verfasser gesteht, da er nur mit Zogern an das Thema herangegangen ist. Wenn aber von Vermittlungsproblemen der Literatur die Rede ist, darf der Biicherpreis nicht ausgeklammert werden: er stellt ja doch ein erstes, grofses, ein materielles Regulativ dafiir dar, welche Kauferkreise sich ein Buch erwerben konnen, welche nicht. Natiirlich soll man das nicht iiberschatzen, und andere Regulative fiir das Lesen oder Nichtlesen sind oft wichtiger, dennoch bleibt der Preis der Biicher zweifellos ein zumindest sozialhistorisch unumgangliches Faktum auch fiir die Literaturgeschichte, und zwar keineswegs nur in Hinblick auf Kaufer und Leser. Welche Funktion hat eigentlich der Biicherpreis innerhalb des literarischen Kommunikationssystems? Gewif an erster Stelle die,

das jeweilige Buch dem in Frage kommenden Kauferkreis zu den ihm angemessenen Bedingungen zuganglich zu machen. Das setzt voraus, dafg der Inhalt des Buches einen Leserkreis von der Gréfenordnung, wie er fiir die in Folge der Herstellungstechnik notige Mindestauflage vorhanden sein muf, ansprechen kann — eine Frage, die insbesondere bei jeweils moderner, innovativer Literatur oft schwer zu beantworten ist. Fiir solche Literatur gibt es ja haufig keinen aus Erfahrungswerten ablesbaren »Bedarf«, und zwar weder einen, der »gedeckt«, noch einen, der rasch genug »geweckt« werden kénnte. Das heifst aber, dafS die zweite — selbstverstandlich erscheinende — Funktion des Biicherpreises oft schwer

zu erfiillen ist, daf§ némlich durch ihn die Herstellungs- und Vertriebskosten wieder eingebracht werden miissen, da herstellender und vertreibender Buchhandel also iiberhaupt funktionstiichtig bleiben kénnen. Diese beiden Funktionen hat der Biicherpreis mit den Preisen fast aller Waren gemeinsam. Durch eine dritte

Biicherpreise 119

Funktion aber unterscheidet er sich von den meisten sonstigen Warenpreisen: aus dem Biicherpreis miissen den Autoren Honorare fiir ihre geistige Leistung zukommen kénnen, ja durch ihn soll freiberuflich schaffenden Autoren Leben und Arbeiten erméglicht und gesichert werden. Diese Funktionen sind also keineswegs nur wirtschaftlich-materieller, sondern — nach der Art des Buches — auch, und zwar dominierend, immaterieller Art; ihnen miissen die Faktoren, die den Biicherpreis konstituieren, sowohl jeweils ftir sich wie in ihren Relationen zueinander, entsprechen. Diese Faktoren sind die durch Umfang, Auflagenhdhe und sonstige tech-

nische Daten des Werkes bestimmten Herstellungskosten, das Autorenhonorar, die Geschaftskosten des Verlages (einschliefslich

der Werbekosten), der Anteil des verbreitetenden Buchhandels (= Durchschnittsrabatt), der Verlegergewinn. Nur bei Beriicksichtigung aller dieser Faktoren ist eine zulangliche Untersuchung der Bedeutung der Biicherpreise innerhalb der Literaturvermittlung moéglich. Fir historische Vergleiche, die durch die kompli-

zierten verschiedenen Wahrungsberechnungen oft nur anndherungsweise moglich sind, ist zudem Kenntnis der technischen Herstellungsbedingungen von Biichern, der Transportméglichkeiten, der Usancen im geschaftlichen Verkehr, aber auch Kenntnis der Grdfse, Zusammensetzung und regionalen Verteilung des Lesepublikums wie des Umfangs und der Gliederung der Buchproduktion tiberhaupt n6tig. Das in sich schon komplizierte Geftige des Biicherpreises sowie die Einwirkung der erwaéhnten anderen Bedingungen machen es

verstandlich, da bis jetzt Untersuchungen zu dieser Thematik noch kaum vorgenommen wurden. Einzelfakten werden zwar in der buchhandelsgeschichtlichen Literatur, vor allem bei KappGoldfriedrich, in nicht geringer Anzahl genannt, aus Einzelfakten besteht auch das einzige einschlagige spezielle Buch von Walter Krieg [2], aber so gut wie nie finden sich hier wie da alle zur Erkenntnis des Biicherpreises nétigen Faktoren zusammen. Fehlt aber nur eine wesentliche Angabe, sei’s zum Umfang oder zur Auflagenhdhe oder zum Honorar, sind alle sonstigen Daten fast wertlos, eine vollstandige Beurteilung ist nicht méglich. 120 ~—-Buicherpreise

Vollstaéndige Buchkalkulationsunterlagen sind selten, sie wer-

den auch in Verlagen nur selten aufbewahrt. Hiermit hangt es wohl zusammen, daf& der Biicherpreis seit je von einer Art Nebel umhiillt, eine Geheimwissenschaft zu sein scheint, die dem Laien verschlossen ist, was dann so haufig zu Klagen und Auseinandersetzungen zwischen Autoren, Kaufern und Buchhandlern gefiihrt

hat. Doch diirften in Archiven, auch an versteckten gedruckten Stellen noch mancherlei verwertbare Angaben zu finden sein, aber es ist miihsam, solches Material zu finden [3]. Die folgenden

Ausfiihrungen kénnen deshalb nur ein erster Versuch sein. Gefragt werden soll vor allem nach dem Zustandekommen der Biicherpreise, nach den Relationen der sie konstituierenden Faktoren

zueinander, den Veranderungen dieser Faktoren, den Auswirkungen dieser Veranderungen. Wenn das erste Beispiel bereits vom Ende des 18. Jahrhunderts stammt und hier kein fritheres Beispiel gebracht wird, so deshalb,

weil erst zu dieser Zeit ein heute so wichtiger Faktor wie das Autorenhonorar seine volle Bedeutung erhalt. Erst im Lauf der zweiten Halfte des 18. Jahrhunderts wollten und muften Schriftsteller ganz oder grofsenteils von ihren Honoraren leben, bis dahin stellte das Honorar ftir den Autor im wesentlichen ein zusatzliches Einkommen dar, falls er tiberhaupt ein Honorar erhielt. Aus diesem Grund miiften also die Biicherpreise aus den Jahrhunderten von Gutenberg bis etwa Mitte des 18. Jahrhunderts unter anderem Aspekt betrachtet werden als seitdem. Im Jahr 1781 erdffnet der Magister Carl Christoph Reiche seine Programmschrift fiir die Griindung eines Autoren-KommissionsVerlages, die »Nachricht und Fundationsgesetze« der Dessauer Buchhandlung der Gelehrten, auf S. 3 bis 10 mit einigen knappen Rechenbeispielen [4]. Wenn ftir Reiche auch das von ihm behauptete MiSverhaltnis zwischen dem Erlés aus Buchverkauf und dem Honorar fiir den Autor der Ausgangspunkt ist, wenn er also seine Rechnungen mit bestimmter Tendenz aufstellt, diirften die von ihm genannten Zahlen, schon der Glaubwiirdigkeit bei seinen Lesern wegen, im groSen und ganzen stimmen. In unserem Zu-

Biicherpreise 121

sammenhang interessieren uns nur diese Zahlen, nicht die Konsequenzen, die Reiche aus ihnen zieht. Er geht aus von einem Buch »wie z. E. [Michael Ignatz] Schmidts Geschichte der Deutschen« mit »einem Alphabet« (= 23 Bogen = 368 S.) Umfang, in »grof 8 Format«, »mit sogenannter Cicero-Schrift gedruckt«, und einer Auflage von 1000 Exemplaren. Er veranschlagt

fiir Papier 57 Relr. fiir Satz, Korrektur und Druck 69 Rtlr. insgesamt also reine Herstellungskosten 126 Rtlr.

Als Honorar rechnet er fiir 1000 verkaufte Exemplare 115 Rtlr., also 5 Rtlr. pro Bogen. Wiirden nur 400, 500 oder 750 Exemplare verkauft, so betriige das Honorar nur jeweils 2, 21/2 oder 3 Rtlr. fiir den Bogen. Ein solches vom Verkauf abhangiges Honorar war — nach sonstigen Quellen — zu jener Zeit zumindest nicht die Regel, im allgemeinen honorierte der Verleger die ganze vereinbarte Auflage im voraus. Davon scheint es also Ausnahmen gegeben zu haben. Zum Sortimentsrabatt sagt Reiche, daf die Verleger »von ihren besten Werken 25, auch 33 1!/s°/o den Buchhandlern geben« miifs-

ten, er selbst rechnet mit 33 1/s°/o. Weitere Kosten gibt Reiche nicht an, weder Transport-, noch Kommissions-, noch allgemeine Geschaftskosten fiir den laufenden Betrieb. Seine Rechnung ist also sehr pauschal, doch ist das nicht ungewohnlich. Als Ladenpreis fiir ein solches Buch setzt er 20 Gute Groschen

an, nennt aber auch 1 Rtlr. (= 24 Gute Groschen) als »seit vielen

Jahren, von sehr vielen Buchhandlern« bei gutem Papier und Druck geforderten Preis. Der Preis der Biicher habe tiberhaupt noch »keine Festigkeit« und steige insbesondere »bei den neuern ... Witzigen und moralischen Schriften« »von Tag zu Tage, ein Zeichen fiir die Preissteigerung in jenen Jahren insgesamt.

Betrachten wir diese Zahlen etwas genauer. Die reinen Herstellungskosten setzen sich zusammen aus 23 Rtlr. fiir den Satz, 46 Rtlr. fiir den Druck, 57 Rtlr. fiir das Papier. - Es dominieren also die Druckereikosten mit 69 Rtlr., und unter diesen sind wie-

122 Biicherpreise

der die Druckkosten doppelt so hoch wie die Satzkosten. Darin spiegelt sich nicht nur das niedrige Lohnniveau, sondern vor allem die damals seit Gutenbergs Zeiten noch kaum veranderte handwerkliche Technik der Druckerpresse, durch die der Druckvorgang — im Unterschied zu heute — wesentlich teurer war als die Arbeit des Setzens. Das maximale Honorar des Autors liegt in Reiches Beispielen knapp 10°/o unter den Herstellungskosten. Im Vergleich mit sonstigen bekanntgewordenen Honoraren aus dieser Zeit scheint dieser Satz nicht gerade hoch — es kommen auch Honorare bis zu 10 Rtlr. pro Bogen vor, doch scheint er nicht untiblich gewesen zu sein.

Auffallend ist, daf Reiche den Ladenpreis des Buches nicht eigentlich aus den Herstellungs- und Honorarkosten errechnet, sondern dafs er ihn analog dem tiblichen Brauch ansetzt. Von den 20 Groschen, die das Buch im Laden kostet, bezahlt der Kaufer mit 6,6 Groschen (= 33 1%/3°/o) als Rabatt die Arbeit des Sortimentsbuchhandlers, mit etwa 2,8 Groschen (=ca.14°/o) als Hono-

rar den Autor, mit etwa 3 Groschen (= ca. 15°/o) die Herstellungskosten. Der Rest von 7,6 Groschen (= etwa 38°/o), den der Verlag erhalt, wird nicht weiter aufgeschliisselt. Versuchen wir die »Deckungsauflage«, also den zur Bestreitung der effektiven Kosten nétigen Mindestteil der Auflage zu errech-

nen, so ergibt sich, da bei einem Mindesthonorar von 46 Rilr. und einem Rabatt von 331/s °/o ein Verkauf von 311 Exemplaren notig ware, damit der Verleger seine Investionen hereinbekame (Mindesthonorar, wie angegeben, = 2 Rtlr. pro Bogen). Was bedeutete in jener Zeit ein Ladenpreis von 20 Groschen fiir den Kaufer? Aus Jena wird berichtet, da 1783 ein Buch, das 16 Groschen kostete, »den Studenten schon ein Grauen« erregte. Noch 1805 erhielten Lehrer in Thtiringen Gehalter von nur zwischen 51 und 150 Rtlr. jahrlich [5]. Nach solchen Zahlen lat sich verstehen, dafs Auflagen von 1000 Exemplaren bereits den Bedarf eines erheblichen Teils der potentiellen deutschen Biicherkaufer befriedigten. Dieser Kreis war klein und wohl auch gesellschaftlich noch ziemlich homogen. Die Herstellungspreise von Biichern scheinen jedoch — zumin-

Biicherpreise 123

dest regional — recht unterschiedlich gewesen zu sein. Der Physio-

krat Johann August Schlettwein verdffentlichte in seinem »Archiv fiir den Menschen und Biirger...« [6] im Zusammenhang mit seinem Plan der Griindung von Realschulen fiir Handwerker und Kiinstler, den er dem Markgrafen von Baden-Durlach — vergeblich — vorgeschlagen hatte, das Kostenangebot eines Buchdruckers — W. F. Lotter in Karlsruhe — fiir ein Buch in mittlerem

Oktavformat, also einem etwas kleineren als dem von Reiche angenommenen. (Schlettwein hoffte kiithnerweise, sein Realschulprojekt durch Buch- und Zeitschriftenpublikationen mit finanzieren zu kénnen.) Lotter berechnet an Satz und Druck fiir den Bogen bei einer Auflage von 1000 Exemplaren 4 Rtlr., 6 Groschen, also fast die Halfte mehr als Reiche, so dafS »ein Alphabet« auf

97 Rtlr., 18 Groschen kommen wiirde, wahrend die fiir Papier angesetzten Preise, soweit sich beim Nach- und Umrechnen sehen

lat, nicht so stark differieren [7]. Immerhin wiirde die Gesamtherstellung des Buches bei Lotter auf rund 168 gegeniiber den 126 Rtlr. bei Reiche zu stehen kommen. Bemerkenswert fiir die Preisverhaltnisse ist jedoch, dafs Lotter den »fiirstl. Kammertax« unterbietet: nach diesem kamen Satz und Druck des Bogens fiir 1000 Auflage auf 5 Rtlr., 12 Groschen, was bei einem Buch von 23 Bogen 126 Rtlr., 12 Groschen ergabe — gegeniiber den 69 Rtlr.

laut Reiche also iiber 80°/o mehr. Mehr als diese Differenz der Kosten kénnen wir aus diesem Beispiel nicht ersehen, es ist untypisch, da es sich bei Schlettweins Plan um honorarfreie und nicht

iiber das normale Sortiment zu verbreitende Biicher handeln sollte.

Genaueres kénnen wir jedoch aus dem Vergleich von zwei Berechnungen entnehmen, die wir rund 35 Jahre spater bei dem Berliner Verleger Georg Andreas Reimer und bei Johann Friedrich Cotta in Stuttgart finden. Beide Berechnungen sind zwar auch nicht zweckfrei entstanden, sie haben einen gewissen apologetischen Charakter, ihre Anlasse brauchen wir aber nicht genauer

zu beriicksichtigen. Das Zeugnis findet sich in einem Brief Reimers vom 18. Februar 1817 an Jean Paul[8] und bezieht sich auf die zweite Ausgabe des »Siebenkas«, die in vier Bandchen

124 Buicherpreise

erscheinen sollte. Die fragliche Kalkulation betrifft das 1. Bandchen. Die Auflage sollte 1500 Exemplare betragen; als Honorar waren 3 Friedrichsd’or vereinbart. Der Umrechnungskurs in Rtlr. scheint in jenen Jahren — vielleicht nur regional — geschwankt zu

haben: Reimer setzt ihn mit 51/2 an, so da sich fiir den Bogen ein Honorar von 161/2 Rtlr. ergab. Der betreffende Abschnitt des Briefes lautet:

Papier 140 »Das erste Bandchen des Siebenkis auf 20 Bogen

gerechnet gibt an Honorar 60 Frdr’or = Rth. 330

Druck incl. Correctur u. Censor 140

Rth. 610

Handlungsunkosten 10 9/o Emballage u. Frachten 5 °/o

27% 165

2-jahrige Zinsen 12 9/o

“775

Verlust fiir Verborgen fiir die ganze Summe

” am Cours 4°/o 120 des Betrags 4/o

895

Von den 1500 Expl., welche ich nun zu drucken berechtigt bin, rechne ich an Freiexpl. und fiir gelehrte Institute und zum Verschenken ab: 25. Den Preis setze ich auf 11/2 Rth. (Ladenpreis) Dies bringt ftir 1475 Expl. Rth. 1475.

folglich bleibt méglicher Gewinn ‘Rth. 580.« Vergleicht man diese Zahlen mit denen aus dem Jahr 1781, so

fallt zunachst die Preissteigerung auf. Auf 20 Bogen und eine Auflage von 1500 Exemplaren umgerechnet, wiirde unser erstes Beispiel fiir den Druck etwa 80 und fiir das Papier etwa 78 Rtlr. erfordern. Diese Preise von 1781 verhalten sich also zu denen von 1817 etwa wie 4:7, die Steigerung betrégt knapp 80°/o. Wahrscheinlich ist das Verhaltnis aber noch ungiinstiger, da fiir Schmidts »Geschichte der Deutschen« Grofsoktav angegeben war,

Biicherpreise 125

Jean Pauls »Bandchen« aber in Klein-Oktav erschienen sind. Die Preisrelation zwischen den Druck- und den Papierkosten ist aber ziemlich konstant geblieben. Noch starker als die Herstellungs-

preise ist das Honorar gestiegen. Bei unserem ersten Beispiel wiirde es — wiederum auf 20 Bogen zu einer Auflage von 1500 Exemplaren umgerechnet — etwa 150 Rtlr. (= 7,5 Rtlr. pro Bogen) betragen haben, die Steigerung auf 330 Rtlr. (= 16,5 Rtlr. pro Bogen) betrégt 120°/o. Ob diese Steigerung des Honorars typisch ist, lafst sich nach diesem einen Beispiel natiirlich nicht sagen. Sie kann nur im Vergleich zur Steigerung der Herstellungskosten einen gewissen Aussagewert haben: da stehen die Herstel-

lungskosten von 1782 in Hohe von etwa 158 Rtlr. denen von 1817 in Héhe von etwa 280 Rtlr. gegeniiber, wahrend das Hono-

rar von 150 Rtlr. dem von 330 Rtlr. gegeniibersteht. Im Jahre 1781 sind Herstellungskosten und Honorar einander ungefahr gleich, im Jahr 1817 ist das Honorar etwa 20°/o hodher als die Herstellungskosten. Zieht man hierzu jedoch Zahlen heran, die Friedrich Christoph Perthes 1816 in der ersten »Anmerkung« seiner berithmten Denk-

schrift: »Der deutsche Buchhandel als Bedingung des Daseyns einer deutschen Literatur« gegeben hat [9], so kann man errechnen, daf — von zwei untypischen Werken abgesehen — das Hono-

rar, allerdings fiir wissenschaftliche Werke, mindestens gleichhoch wie die Herstellungskosten war, aber auch bis zur doppelten Hohe der Herstellungskosten ansteigen konnte. Danach wiirde Jean Pauls Honorar bei Reimer im unteren Viertel des damals Ublichen liegen. Wichtig fiir unsere weiteren Betrachtungen ist die Tatsache, dafs das Honorar damals in den meisten Fallen die Kosten fiir die Herstellung der Biicher spiirbar tiberstieg. Wenn Reimer im tibrigen das Honorar von vornherein fiir die ganze Auflage ansetzt und es ebenso wie die Herstellungskosten als sofort fallig behandelt, so erhellt daraus, daf er dem Autor das gesamte Honorar im voraus bezahlt, also nicht nur das Herstellungs-, sondern auch das Honorarrisiko voll traet. In Reimers Kalkulation tauchen einige Zahlen auf, die in unseren bisherigen Beispielen noch nicht vorkamen: die Handlungs126 Buticherpreise

unkosten, die Versandspesen und zweijahrige Zinsen, alle aus der Gesamtsumme von Honorar und Herstellung berechnet. Der Sinn dieser Kosten ist klar, jedoch fallt auf, wie wichtig offenbar der Zinsfaktor war, der ja auch bei dem durch den Konditionsverkehr bedingten »Verborgen« (s. den in Anm. 8 angegebenen Beitrag) eine Rolle spielt. Das mag mit der damaligen Kapitalknappheit — wenige Jahre nach Kriegen und Besatzungszeit — zusammenhangen, kénnte aber auch Ausdruck des im Lauf des 18. Jahrhunderts starker entwickelten Wirtschaftsdenkens sein. Im ibrigen zeigt die fiir die Verzinsung angenommene Zweijahresfrist, dafs Reimer innerhalb dieser Zeit wenigstens den grdfLten Teil seiner Investitionen zuriickzuerhalten hoffte. Aus den »Handlungs-

kosten« aber geht hervor, mit welchem Minimum an Apparat auch grofse Verleger jener Zeit gearbeitet haben. In eine reale Zahl umgerechnet, wiirden sie 61 Rtlr. fiir die gesamte Auflage betragen; wiirde man sie, wie das Verlage heute tun, auf den Nettopreis des Buches beziehen, so wiirden sie von diesem nut etwas tiber 4°/o ausmachen. Der »mégliche Gewinn« von 580 Rtlr. soll, wie Reimer weiter an Jean Paul schreibt, als Ersatz fiir weitere Zinsverluste dienen,

da der Verkauf »in einer Reihe von Jahren« stattfinde, sowie als Riicklagen ftir »verfehlte Unternehmungen« und als Unternehmerlohn. Das ist eine noch nicht sehr differenzierte Pauschalsumme, die nur aus dem ganz persénlich gefithrten Verlagsbetrieb zu erklaren ist, die aber deutlich zeigt, dafS der Verleger das einzelne Werk im Zusammenhang mit seiner gesamten Verlagsproduktion sieht. Auffallig ist jedoch, daf auch Reimer den Ladenpreis eigentlich gar nicht genau errechnet, sondern nur eine Art Rentabilitatsrechnung fiir sein investiertes Kapital gibt. Den Ladenpreis setzt er, so scheint es, auf Grund seiner buchhdandlerischen Erfahrung im Hinblick auf das potentielle Kauferpublikum fest, wobei er beim Verkauf von etwas tiber 600 Exemplaren sei-

nen effektiven Kapitaleinsatz, beim Verkauf von knapp 900 Exemplaren auch seine sonstigen Kosten hereinzubekommen hofft. Von Reimers grofsem Antipoden in Stuttgart, Johann Friedrich

Biicherpreise 127

Cotta, liegt uns nun ein Beispiel fiir eine noch etwas weitergehende Berechnungsweise dieser Art vor. Hierbei ist es interessant zu wissen, dafs Cotta Reimers Berechnung kannte, denn Jean Paul

hatte ihm, weil er fiir die Verhandlungen mit Reimer seinen Rat erbat, Reimers Brief in Abschrift zugesandt. Es handelt sich um handschriftliche Notizen Cottas zu einem — wohl nicht geschriebenen — Aufsatz [10], der als Entgegnung auf einige Bemerkungen August von Kotzebues tiber die »ungeheueren Bii-

cherpreise« und die niedrigen Autorenhonorare gedacht war. Diese »Bemerkungen« finden sich innerhalb einer ausfiihrlichen »Die Stimme des Zeitgeistes an das deutsche Volk« iiberschriebenen Rezension eines wohl derart betitelten, in Mainz erschienenen Buches von einem von Kotzebue nicht genannten Verfasser; diese Rezension war erschienen in dem von Kotzebue in Weimar herausgegebenen »Literarischen Wochenblatt« [11]. Die fragliche

Stelle (auf S. 116 u.) lautet so: »... noch vor wenig Tagen haben wir ein sehr gangbares Buch von 23 Bogen, ohne Kupfer, auf gewohnliches Papier gedruckt, mit 1 thl. 16 gr. bezahlen miissen, und doch hat der Verleger, wie wir in Erfahrung gebracht, dem

Verfasser nicht mehr als 3 Louisdors Honorar fiir den Bogen gezahlt. Die ganze Auflage von 1000 Exemplaren kann ihm héchstens 500 thl. gekostet haben wogegen er nun (selbst nach Abzug von 33 Proc. Rabat) 1100 bis 1200 thl. einnimmt, indessen der Verfasser nicht viel tiber 100 empfangen hat. Ist das ein christlicher Gewinn? — Fiirwahr ehe man auf der Leipziger Messe

die Juden von der Buchhandler-Boérse ausschlieSt, sollte man zuvor ein Gesetz gegen solche Wucherer abfassen.« Cotta befa&t sich mit diesem Vorwurf, »da aus dieser Berech-

nung der Schluf gezogen wird als waren die Buchhandler die argsten Lumpen«. Uns interessieren hier wieder nur Cottas Zahlen, nicht der sonstige Zusammenhang. Der besseren Ubersichtlichkeit wegen fassen wir das Wichtigste zusammen. Cotta rechnet den Louisd’or — im Unterschied zu Reimer nicht mit 5,12 Rtlr., sondern — mit 5,8 Rtlr. und kommt somit zu einem Bogenhonorar von 16 Rtlr. und einem Gesamthonorar von 368 Rtlr. (er schreibt

abgekiirzt immer »rh«), also nicht zu einem Honorar von nur 128 Buicherpreise

100 Rtlr., wie Kotzebue behauptet hatte. An »Barauslagen« nimmt Cotta folgendes an:

»Zu obigen Auslagen an Honorar = 368

kommt f Drucker Pap wenigstens 230 an Fracht, wenn er kein Leipziger Bhdler ist 22 th 620.—

Hiezu Zins v. Ein Jahr wobey [?] — 37.4 oft 2-3jahrige Zinsen abgefordert werden

Ganze Auslagen — th 657.4

nicht blos 500 rh wie Herr v. K. als zweite falsche Angabe festsetzt«

Bei der Berechnung des tatsachlichen »Gewinns«, den der Verleger nach vollstandigem Absatz der Auflage habe, nimmt Cotta —

interessanterweise — an, der Verlag setze das Buch, da es ja ein »gangbares Buch« sei, in 6 Jahren (!) ab. Wohl der einfacheren Rechnung wegen nimmt Cotta einen jahrlichen Durchschnittsabsatz von 1662/s Exemplaren an. Auch er rechnet mit einem Rabatt von 33 1/s °/o, einem Kursverlust von 4°/o beim Umwechseln in Leipzig (»da d. Buchhandler sich den rh a 25 [...] gr bezahlen«), auch er zieht Zinsen fiir das »Verborgen« — wenn er auch diesen Ausdruck nicht benutzt — ab (»da... nur die Halfte an der Oster M[esse] eingehen, 1/4 an Mlichaelis] M[esse] u. 1/4 tibertragen wird«). Diese Zinsen berechnet er aber dufSerst genau und kommt schlieSlich zu Betragen von 174,10 Rtlr., die der Verleger 6 Jahre lang fiir je 1/6 der Auflage erhielte. Fir das erste Jahr sieht dann seine Rechnung so aus: »174.10

die baar Auslagen waren 657.4

also bleibt Cap. nach erstem Jahr 482.18

Zins hievon 28.22

Cap —- “511.16.

Auf diese Weise rechnet Cotta bis zum 6. Jahr weiter, wobei erstmals im 5. Jahr der jeweils verbleibende Rest des Kapitaleinsatzes

niedriger wird als der Ertrag durch den Verkauf und das 6. Jahr mit einem »gdnzlichen Gewinn« von 339 Rtlr. abschliefSt. Cotta

Biicherpreise 129

notiert weiter, dafg hiervon noch Verluste durch schlechte Schuldner, Commissionsgebtihren, Handlungskosten abgezogen werden miiften, so dafs »wohl 300 rh als der wahre Gewinn anzunehmen

sey«. Das ist auch insofern glaubhaft, als Cotta, und zweifellos doch aus eigener Erfahrung, offenbar mit so niedrigen »Handlungskosten« rechnet, daf er sie nicht eigens auffiihrt — obwohl er bei Reimer dessen Ansatz fiir diese Kosten mit rund 60 Rtlr. hatte lesen k6nnen. Wiederum ist das ein Zeichen daftir, dafs wir uns den »Apparat« selbst bedeutender Verlage der Goethezeit kaum klein genug — mithin die Verleger selbst gar nicht fleifsig genug — vorstellen ko6nnen. Cotta schliefst seine Notizen — ahnlich wie iibrigens auch Reimer seinen Brief an Jean Paul — mit dem Hinweis, »da% nicht alle Verlags Artikel gangbar sind, daf§ aber gute die schlechten tragen miissen«, und er meint, »daf$ eine Handlung schon sehr vorziiglich seyn mufs«, wenn sie 1/4 gangbare Artikel besafSe und an den anderen 2/4 nichts verlore. Wir kénnen hinzufiigen, dafS es sich dabei um eine Grunderfahrung verlegerischer

Tatigkeit von den Anfaéngen bis zur Gegenwart handelt. Ohne die Kenntnis der Tatsache, daf der grofste Teil der Verlagsproduktion finanziell gesehen unrentabel ist, ja, daf manche Verlagsprojekte — im Kulturverlag — im klaren Bewulstsein von Verlustgeschaften unternommen werden, dafs mithin jegliche Verlagsarbeit nur durch geschickte »innerbetriebliche Subvention« méglich ist, ist fiir den AufSenstehenden, also auch den Historiker, ein angemessenes Verstandnis und eine gerechte Beurteilung der literarischen Vermittlungsprozesse nicht méglich.

Fassen wir das Wichtigste unserer bisherigen Ergebnisse zusammen. Was bezahlte der Kaufer mit dem Ladenpreis eines Buches? In jedem Fall 1/3 als Buchhandlerrabatt, also Dienstleistungen. Fiir geistige Leistung des Autors zahlte er im Falle Jean Paul/ Reimer knapp 15°/o, im Fall Kotzebue/Cotta aber reichlich 22 °/o. Nicht stark differieren die Anteile, die der Kaufer vom Ladenpreis

fiir den materiellen Wert des Buches zu zahlen hatte: im ersten Fall etwa 121/2°/o, im zweiten 13 1/2°/o. Der mit 31 bzw. 39 °/o recht unterschiedliche Rest diente fiir Transportkosten, Handlungskosten, Zinsen, Verluste und den Reingewinn des Verlages. 130 ~=— Biicherpreise

Bemerkenswert ist das sptirbare Uberwiegen der Honorare iiber die Herstellungskosten. Eine Summe zwischen 330 und 368 Rtlr. entsprach etwa dem halben Jahresgehalt eines Pfarrers oder Gym-

nasialprofessors um 1820 in Weimar [12]. Das wiirde in dieser Gehaltsstufe einen durchschnittlichen Tagesverdienst von etwa 2 Rtlr. bedeuten. Davon diirfte nur selten der Erwerb eines Buches zu einem Ladenpreis wie dem genannten mdglich gewesen sein. Wenn hingegen Volksschullehrer oder selbst gehobene Handwerker nur etwa die Halfte der genannten Summen verdienten, war ein Buchkauf in dieser Preisklasse wohl kaum mehr méglich.

Die materiellen Herstellungsbedingungen andern sich im 19, Jahrhundert entscheidend. Durch die Verwendung von Holz-

schliff und spaéter von Holzzellstoff fiir die Papierherstellung konnte der — insbesondere durch Zeitschriften und Zeitungen — standig steigende Papierbedarf nicht nur in gentigender Menge, sondern auch zu entsprechenden Preisen erfiillt werden. Papierstereotypie, Schnellpresse, Rotationsdruckmaschine, Komplettgiefsmaschine und andere Erfindungen, auch fiir die Bildwiedergabe, erméglichten viel schnellere und auch billigere Buchherstellung als bisher, verlangten wegen der hohen Investitionen aber auch standigen Betrieb. Durch die Erfindung der Eisenbahn wurde rasche Verbreitung von Lesestoff aller Art auch in die entferntesten Orte mdglich; dazu kam eine erhebliche Verringerung der Frachtkosten — eine fiir die literarische Kommunikation neue und in ihrer Bedeutung wohl noch nicht gentigend gewiirdigte Situation. Trotzdem, trotz starker Bevélkerungszunahme, trotz starkstem Riickgang des Analphabetismus bis Ende des 19. Jahrhunderts blieben die Auflagenhohen fiir anspruchsvollere literarische wie wissenschaftliche Werke, vor allem bei Neuerscheinungen von noch wenig bekannten Autoren im allgemeinen auffallend konstant. Auflagen von 1000, von 1500 Exemplaren waren noch Ende des Jahrhunderts fast die Regel, bei wissenschaftlichen Werken auch niedrigere. Bis in die 50er Jahre druckte Julius Campe

von Heine nicht mehr als 1000 bis 1500 Exemplare, Wilhelm Hertz 1854 von Paul Heyses Novellen 1200, der gleiche Verleger

Bicherpreise 131

veranschlagte in den 7oer Jahren fiir die Memoiren des Generals Leopold von Gerlach 1000 Exemplare [13], ahnliche Zahlen sind uns — bei Erstauflagen — fiir fast alle namhaften Autoren der Zeit bekannt. Was sich jedoch erheblich andert, sind die Relationen der ein-

zelnen Kalkulationsposten zueinander. In seiner 1856 anonym herausgegebenen Schrift: »Stand, Bildung und Wissen des Buch-

handels« [14] gibt der Altonaer Buchhandler August Prinz ein kleines Kalkulationsbeispiel, aus dem das hervorgeht. Er hat einen Roman von 15 Bogen Umfang mit einer Auflage von — nur — 750 Exemplaren im Auge. Dafiir veranschlagt er fiir »15 Bogen Druck und Satz, Auflage750Exemplarea4Thlr. 60 Thlr.

21/2 Ballen Papier, Zuschu8 1/4 Ries circa 4 24 Thlzr. 54 1/4 Thlr. Honorar 4 4 Thlr. (bei einer Ubersetzung 2-3 Thlr.) 60 Thlr.

eleganter Umschlag, Heften 5 Thlr.

Inserate 20 3/4 Thlr. 200 Thir.«

Versucht man, die von Reimer angegebenen Preise hiermit zu ver-

gleichen, so stellt man bei dem Papier mit Sicherheit eine Verbilligung fest, bei Satz und Druck ist sie wahrscheinlich, kann aber schwer genau errechnet werden. Gewaltig reduziert ist das Honorar, fiir das Prinz 4 Tlr. pro Bogen, insgesamt also 60 Tr. ansetzt, — bei Reimer wiirde sich rechnerisch fiir eine solche Auflage eines Buches mit diesem Umfang ein Honorar von 8 1/4 Tlr.,

bei dem von Kotzebue genannten Beispiel sogar von 12 Tlr. ergeben. Wahrscheinlich hat Prinz einen der tiblichen Unterhaltungsromane im Auge, doch war — wie sich auch an der niedrig veranschlagten Auflage zeigt — in Folge der Produktionstitelzunahme die Konkurrenz zwischen den zahlreich erscheinenden Ro-

manen so gro&, da sich das auf das Honorarniveau wohl auswirkte. Diese Situation zeigt sich im Prinzschen Beispiel in einer neuen Kalkulationszahl: er setzt 202/4 Tlr. (also mehr als 1/s des Honorars) fiir »Inserate« ein. Etwa von der Jahrhundertmitte an beginnt die Buchwerbung zu einem wesentlichen Kostenfaktor 132 ~+Biicherpreise

der Buchkalkulation zu werden. Von Verzinsung, auch von Handlungskosten ist in dem Prinzschen Beispiel nicht die Rede. Jedoch weist Prinz in seinem weiteren Text darauf hin, dafS es »bei Romanen gebrauchlich« (S. 60) sei, dem Sortimenter bei Barverkauf

(also bei Sendung ohne Riickgaberecht) 50°/o oder mindestens

40°/9 Rabatt zu geben, was heift, da der bisherige Durchschnittsrabatt von 33 1/3 °/o nicht mehr ausreichen wiirde.

Hingegen ist diese Kalkulation samt den weiteren Ausfiihrungen von Prinz dazu ein klassisches Beispiel fiir die vorzugsweise an der potentiellen Kauferzahl orientierten Preisfestsetzungen. Prinz sagt, man k6nne »den Preis eines Romans von 15 Bogen gern [!] auf 1 Thlr. ord., von guten Autoren auf 11/2 Thlr. setzen« (S. 60). Nicht primar nach den Gestehungs- und Vertriebskosten, sondern nach der Marktsituation wird der Preis festgesetzt, wobei der Name des Autors einen erheblichen Marktwert hat, der sich sofort in einem hGheren Preis niederschlagt. Als Kalkulationsprinzip stellt Prinz denn auch auf: »Der Verleger darf nie rechnen, so und so viel verdienst du, wenn du die Auflage verkaufst, sondern muf calculiren, wie viel Exemplare mu ich absetzen, um die Kosten zu decken, und wird dies gelingen?« (S. 59).

Und bei risikoreichen Biichern, wie bei Romanen unbekannter Autoren, empfiehlt er, die Kosten bereits durch den Verkauf von wenigen hundert Exemplaren decken zu lassen. Das war, ohne die Biicherpreise zu tiberhohen, nur durch die noch immer relativ niedrigen Herstellungskosten, vor allem bei der Satzarbeit, mdglich und durch den noch immer kleinen Verlagsapparat. Aufer-

dem weist Prinz darauf hin, daf durch das sich ausbreitende Eisenbahnnetz die Transportkosten sich um 3/4 verbilligt hatten [15]. Rund 60 Jahre spater ist die Situation eine andere. Auf die Veranderung der Relationen der den Buchpreis konstituierenden Fak-

toren zueinander geht u. a. ein kleiner, nur mit »R. H.« gezeichneter Aufsatz ein, der 1912 unter dem Titel »Durchschnittliche Herstellungskosten eines wissenschaftlichen Werkes im 18. und 20. Jahrhundert« erschien [16]. Dieser Aufsatz beruht offenbar auf verschiedenen historischen Quellen, die aber leider nicht ge-

Biicherpreise 133

nannt werden. Es werden Preise von 1730 mit solchen von 1910 verglichen, der Verfasser kommt u. a. zu dem Ergebnis, da — im Vergleich zur allgemeinen Preissteigerung in jenen knapp 200 Jahren — gerade die Satzkosten weitaus am starksten gestiegen seien, wahrend die Druckkosten, »durch Verbesserung der Pressen an weiterem Steigen gehemmt« worden, die Papierkosten aber etheblich gefallen seien. Aus einer kleinen Tabelle in diesem Aufsatz geht folglich denn auch hervor, »daf das Gesetz der Verminderung der Herstellungskosten pro Exemplar bei steigenden Auflagen damals [1730] schwacher wirkte, als es heute der Fall ist.« Durchschnittliche Herstellungskosten eines Werkes von 20 Bogen Oktavformat.

Im zweiten Fiinftel des Im Anfang des

18. Jahrhunderts 20. Jahrhunderts bei 1000 bei 1500 bei 2000 bei 1000 bei 1500 bei 2000

Auflage Auflage oo 9/9 0/9 0/9 0/9 9/9 Papier .... 20,5 20,5 20,5 7/1 71 7,1 Satz... 2. 4/1 2,6 2,1 L1,7 7,8 5,9 Druck... .. 34 2,6 2,4. 3,2 2,6 2,3

Korrektur. . . 1,0 0,7 0,5 1,1 0,8 0,6

Hierdurch, vor allem also in Folge der erst in jiingster Zeit so stark gestiegenen Satzkosten, schwindet nun aber die Méglichkeit fiir den Verleger, kleine Auflagen — etwa 750, wie noch von Prinz genannt — zu einem ertraéglichen Ladenpreis herzustellen, der Zwang zur hdheren Mindestauflage wird starker, was fiir den

literarischen Produktions- und Kommunikationsprozef Folgen hat. So vorsichtig die nicht verifizierbaren und auch nicht immer sehr klaren Angaben in jenem Beitrag im einzelnen aufgenommen werden miissen, insgesamt diirfte die aus ihm abzulesende Tendenz richtig sein. Wenn sich aber tiberhaupt die Relationen des Preisgefiiges 4ndern, wenn der Anteil der materiellen Faktoren, der Herstellungskosten, am Preis insgesamt zuriickgeht, wel-

134 Biicherpreise

che Faktoren wachsen dann starker an oder kommen neu hinzu,

und was bedeutet das insbesondere fiir den Autor und fir den Kaufer?

Wir hatten schon gesehen, dafS der Rabatt fiir den Sortimenter mit 1/3 vom Ladenpreis zwar einigermafen konstant geblieben war (fiir wissenschaftliche Werke, die nur auf Bestellung besorgt und nicht prasent gehalten werden, ergaben sich iibrigens 25 °/o Rabatt als Norm), doch hatte Prinz auch auf wesentlich héhere Rabatte bei Barbezug hingewiesen, und schon aus einem Brief Campes an Heine vom 5. April 1838 z. B. erfahren wir, daf »der Commissionair 50°/o bekémmt« [17]. Uber die Kommissiondre in Leipzig wurden aber mit zunehmender Dichte des Verkehrsnetzes und des Verkehrsflusses immer mehr Bestellungen erledigt, was zur Folge hatte, daf der Verleger in seiner Kalkulation nicht mehr mit dem Durchschnittsrabatt von 331/3°/o auskam, sondern ihn héher ansetzen mufste. Im Jahr 1904 rechnet der Insel Verlag in Leipzig, wie aus einem Brief vom 27. 9. an Robert Walser hervorgeht [18], bereits mit einem Durchschnittsrabatt von 40 9/0; heute miissen, u. a. in Folge der Tatigkeit der Grossisten sowie der Verlagsvertreter, die es im 19. Jahrhundert noch nicht gab, die Verlage mit einer Durchschnitts-

rabattierung von rund 45°/o, und manchmal von mehr, rechnen. Es sind also vor allem die Dienstleistungskosten, die gestiegen sind und die den Preis des Buches mehr und mehr bestimmen. In jenem Brief des Insel Verlags vom 27. 9. 1904 werden »Alleemeine Geschaftsspesen« tibrigens mit 25°/o vom Verlagsumsatz, also vom Nettopreis des Buches angesetzt (seitdem sind sie weiter sténdig gestiegen) — Reimer rechnete noch mit 10°/o vom Herstellungspreis, also mit einer sehr viel niedrigeren Grose. Vor allem aber findet sich in jenem Brief eine Bemerkung zum Ladenpreis, die Interesse verdient. Es heifst da: »Die Kosten betragen bei tooo Auflage M 640.-, also 65 P£ pro Exemplar. Verkaufspreis dementsprechend M 3.— ungebunden.« Es ist das Wort »dementsprechend«, auf das es hier ankommt. Der Verkaufspreis wird in Relation allein zu den reinen Herstellungskosten festgesetzt, er ergibt sich also nicht aus der Zusammenstellung

Biicherpreise 135

aller Kosten: vom Rabatt, den Geschaftskosten, dem Honorar ist erst danach die Rede. Der Preis wird auch nicht — wie in unseren bisherigen Beispielen — als Erfahrungswert im Vergleich mit anderen Biichern dieser Art und dieses Umfangs festgesetzt, wenn er sich gewifS auch innerhalb gewisser derartiger Grenzen halten wird. Diese Berechnungsweise — im vorliegenden Fall wiirde sich die Formel: Herstellungskosten x ca. 41/2 = Ladenpreis ergeben —

war im 1g. Jahrhundert und noch in unserem Jahrhundert im Prinzip, wenn auch mit unterschiedlichen Multiplikatoren, nicht ungewohnlich. Wenn eine solche Formel auch nur aus der Erfahrung gewonnen sein konnte, haftete ihr doch leicht etwas Starres an, und sie konnte unter Umstanden an der Wirklichkeit vorbeifiihren. Au&erdem betont sie die Dominanz der materiellen Faktoren iber die geistige Leistung, das Honorar kommt, wie eben schon angedeutet, denn auch nicht selten an letzter Stelle. Die Geschichte des Honorars, sowohl im Verhaltnis zum Ladenpreis, d. h. als Gegenleistung des Kaufers an den Autor, wie auch im Verhdltnis zu den Herstellungs-, Dienstleistungs- und sonstigen Kosten ist im einzelnen noch nicht erforscht. Nur eine derart differenzierende Betrachtung, in der natiirlich die Relation

des Honorars zum Gesamtkostenanteil des Verlegers als des Verwerters und Vermittlers von besonderer Bedeutung wire, wiirde hier zu sinnvoll verwertbaren Ergebnissen fiihren. Fest steht bis jetzt nur, daf das bis gegen Ende des 19. Jahrhunderts noch tibliche Bogenhonorar im Lauf der Zeit dem prozentualen, zumeist vom Ladenpreis berechneten Honorar weicht. Das Honorar wurde jedoch lange nach dem broschierten Exemplar berechnet, selbst dann, wenn gar keine broschierte Ausgabe des Buches hergestellt wurde. Man war der Ansicht, dafs der (Ende des 19. Jahrhunderts mit der Erfindung der maschinellen Bindung) zur Regel gewordene, wenn auch schon Mitte des 19. Jahrhunderts nicht seltene feste Verlegereinband, der ja mit der geistigen Leistung des Autors nichts zu tun habe, bei einer Einbeziehung in die Honorarberechnung die Biicher unnGOtig verteuern wiirde. (Streng genommen diirften also bei allen Preisvergleichen von Biichern spatestens ab Ende des 19. Jahrhunderts mit friiher er-

136 Biicherpreise

schienenen nur jeweils broschierte Exemplare verglichen werden.) Die Hohe dieses Prozenthonorars schwankte stark und schwankt heute noch. Zu Anfang unseres Jahrhunderts, wohl bis zur Inflationszeit, waren Honorare von 15 °/o iiblich, von 20°/o nicht sel-

ten, ja selbst von 25°/o mdglich. Heute sind 10°/o, allerdings meist vom gebundenen Exemplar, die Regel. (Sonderausgaben, billige Reihen, Taschenbiicher, Buchgemeinschaftsausgaben werden wesentlich niedriger honoriert.) Im Zusammenhang hiermit hat sich aber vor allem — der Zeitpunkt ist ebenfalls noch unerforscht — die Zahlungsweise des Honorars grundlegend geandert.

Erhielt friiher der Autor, wie wir gesehen hatten, sein Bogenhonorar bei Erscheinen des Buches oder bei Ablieferung des Manuskriptes, so erhalt er das Prozenthonorar im allgemeinen nach jahrlichem oder halbjahrlichem Absatz der Biicher, er tragt also das Risiko des Buches mit — prinzipiell auch dann, wenn, wie haufig, ein Teil des Honorars als » Vorschufs« im Voraus gezahlt wird. Die prozentuale Honorarzahlung nach dem Absatz des Buches stellt also nicht nur einen anderen Honorierungsmodus dar, son-

dern beruht auf einem anderen Honorierungsprinzip. AuGerte Perthes in seiner berithmten Denkschrift von 1816 noch die Uberzeugung, dafS »die Zeitgenossen« dem Autor seine Zeit und Mthe

zu vergelten »schuldig« seien, und fiigte er eindeutig hinzu: »Diese Verpflichtung des Publikums tibernimmt der deutsche Buchhandel durch Zahlung des sogenannten Honorars, obwohl grade durch dasselbe das eigentliche Risiko entspringt...« [19], so tibt bei der absatzabhadngigen prozentualen Honorierung der Verleger diese letztlich gesellschaftliche Funktion nicht mehr

aus, sondern ist in dieser Hinsicht lediglich Inkasso- und Verteilungsstelle zwischen Kaufer und Autor. Der Kaufer allein ist es, der den Autor honoriert. Die Leistung des Verlegers fiir den Autor besteht — scharf formuliert — prinzipiell nur noch in dem Risiko der Herstellung und Verbreitung seines Werkes. Eine Honorierung des Autors durch den Verleger wiirde nur dann noch bestehen, wenn, im Erfolgsfall, der Autor zusatzlich zu dem — vom Kaufer gezahlten — Honorar am eigentlichen Gewinn des Verlegers partizipierte. Das ware aber aus der oben

Bicherpreise 137

erwahnten Notwendigkeit der innerbetrieblichen Subvention zwar nicht unmdelich, aber doch schwierig, denn der Verleger erzielt

seinen Gewinn oder Verlust nur vom Gesamtunternehmen; die einzelnen Werke tragen hierzu nur partiell bei, wobei die wenigsten Werke erfahrungsgemaf& mit einem positiven Ergebnis abschliefsen [20]. Wenn innerhalb der Verlage also die ertragreichen die ertragschwachen oder mit Verlust behafteten Werke stiitzen oder ihr Erscheinen ttberhaupt erst erméglichen, so ermédglichen letztlich die Autoren gut gehender Werke insgesamt das »Dasein« der — literarisch ja oft besonders wertvollen — weniger gut gehenden Werke, das heift, »die Literatur« subventioniert sich selbst —

freilich unter der Voraussetzung, daf der Gesamtbuchhandel seine — allerdings geistig wie gesellschaftlich bedinete — »kultur-

wirtschaftliche Aufgabe« [21] vor Augen hat und ernst nimmt. Hier liegen die kritischen Punkte des »Systems« Buchhandel, soweit er mit 6konomischen Mitteln metadkonomische Ziele verfolet. Eine ahnliche Entwicklung hat im Verkehr von Verlag zu Sortiment zu einem ebenfalls noch nicht genau erforschten Zeitpunkt — wohl auch nach der Inflation 1923 — stattgefunden: erhielt »friiher« der Sortimenter die wichtigsten neuen Biicher vom Verleger zumindest grofenteils mit der Méglichkeit der Rticksendung nicht

verkaufter Exemplare, »verborgte« der Verleger also zuniachst den in den Biichern investierten Betrag, so bezieht heute der Sortimenter auch die neu erscheinenden Biicher vor ihrem Erscheinen fest, mit der Verpflichtung baldiger Bezahlung, also noch bevor

er Erfahrungen tiber ihre Verkéuflichkeit haben kann. Dieses Verfahren hat verschiedene grofsenteils sachlich notwendige Griinde, denen hier nicht genauer nachgegangen werden kann, sie liegen u. a. in der stark angestiegenen Buchproduktion, aber auch im Ubergang vom unaufgeschnittenen, broschierten zu dem nach Riicksendung meist nicht mehr voll verwertbaren gebundenen Buch — Faktum ist, dafS der Sortimenter in Folge dieses Prinzips normalerweise sehr vorsichtig einkaufen mu, daf& die Prasenz vor allem schwieriger Neuigkeiten hierdurch beeintrachtigt werden kann, daf die Konkurrenz der Verleger dem Sortimenter

138 Buicherpreise

gegentiber sehr viel scharfer geworden ist, daf schlieflich das Risiko des Sortimenters groSer geworden ist: wie durch die Anderung der Honorierungsweise der Autor, so hat durch die Anderung der Bezugsweise der Sortimenter einen erheblichen Teil des Risikos itbernommen oder tibertragen bekommen, das »friiher« vom Verlag getragen wurde. Die Erhohung der Rabattsatze fiir den Sortimenter hanet u. a. auch hiermit zusammen. Wie unter diesen verdnderten Bedingungen eine Buchkalkulation Ende der 20er Jahre unseres Jahrhunderts, in wirtschaftlich schwieriger Zeit, aussah, wird deutlich aus einer ausfiihrlichen Darlegung des Verlegers Ernst Rowohlt in einem Brief an seinen Autor Kurt Tucholsky tiber dessen 1928 erschienenes Buch »Mit 5 PS« [22]. Veranlafst war dieser Brief durch eine von Tucholsky —

unter seinem haufig benutzten Pseudonym Peter Panter — in der »Weltbithne« vom 7. Februar 1928 ver6ffentlichten Aufsatz: »Ist das deutsche Buch zu teuer?« In diesem grundsatzlich auch heute noch beachtenswerten Artikel geht Tucholsky von der Frage aus: »Wie lange muf$ ich fiir den Erwerb dieses Buches arbeiten?«, er fragt also, fiir wen »Literatur« eigentlich erreichbar sei, und findet »das deutsche Buch als zu teuer, weil es seinen Preis nicht wert ist« [23]. Es geht hier also um eine letztlich kulturpolitische Frage, nicht um eine der tiblichen Honorarauseinandersetzungen zwischen Autor und Verleger. Auf diese Frage geht Rowohlt in seiner Antwort so gut wie nicht ein, er erwahnt nur einmal, »daf& das deutsche honorarpflichtige Buch im Augenblick im Verhdltnis

zur Kaufkraft der Mark wohlfeiler« sei als vor dem Krieg, beschrankt sich im wesentlichen aber auf eine offene und genaue Erklarung der »Entstehung eines Buchpreises«. Aus seinen Darlegungen heben wir folgende Punkte heraus: Die Auflage des Buches von Tucholsky mit einem Umfang von 233/4 Bogen betrug rund 4000 Exemplare, von denen 3000 gebunden, 440 kartoniert

verkauft wurden, der Rest wurde fiir Rezensions-, Dedikations-, sonstige Freiexemplare und als Ersatz fiir beschadigte Exemplare verwandt bzw. abmachungsgem4f honorarfrei verkauft. Der Ladenpreis der gebundenen Ausgabe betrug 7,50 M, fiir die kartonierte 5 M, das Honorar 15 °/o vom angenommenen broschierten

Biicherpreise 139

Preis, der jedoch sehr niedrig, ndmlich mit 4,50 M angesetzt wur-

de, bzw. vom vollen kartonierten Preis. Rowohlt rechnet mit einem Durchschnittsrabatt (also einschlieSlich Kommissionar und Grossisten) von 42 °/o vom Ladenpreis (= 3,15 M pro Exemplar), betont aber, der tatsachliche Durchschnittsrabatt betriige bereits

45°/o. Bei einem Ladenpreis von 7,50 M ergibt sich also eine Nettoeinnahme des Verlages von 4,35 M. Hiervon miissen ftir die

»Verlagsspesen« (»Gehalter, alle Steuern, Miete, Propaganda usw.«) 40°/o (davon 10°/o allein fiir »Propaganda«) abgezogen werden, jedoch reiche dieser Betrag nur dann aus, wenn der Gesamtumsatz des Verlages jaéhrlich mindestens eine Million Mark betriige. Hier zeigt sich der — unvermeidliche — Zwang des Apparates bereits eines mittleren Verlages im modernen Literaturbetrieb. Auf den Ladenpreis, den der Kaufer zu bezahlen hat, bezo-

gen, machen Rabatt und Verlagsspesen zusammengenommen einen Anteil von ca. 52 °/o als Dienstleistungen aus, einschliefslich Werbung. Dem gegeniiber erscheinen die reinen Herstellungskosten mit ca. 21 9/9 (= 1,58 M) nicht als hoch, das Honorar mit ca. 9 °/o vom realen Ladenpreis (= 67,5 Pf) als niedrig, vor allem der

»Verdienst« des Verlages mit knapp 5°/o (= 35 Pf) als sehr gering. Rowohlt weist bei dieser Trennung der » Verlagsspesen« vom »Verdienst« des Verlages selbst darauf hin, dafs natiirlich auch im Honorar des Autors dessen »Spesen« enthalten seien. Vergleichen

wir jedoch Rowohlts Aufstellung etwa mit der von Reimer, so wird zumindest das eine deutlich, dafs in Folge des modernen Literaturbetriebs, der anderen GroSenordnung der Verlage, der stark spezialisierten Arbeitsteilung auf diesem Gebiet und dgl. nicht nur

Autor und Sortiment mehr an Risiko tibernommen haben, sondern daf§ auch die Situation des Verlages risikoreicher und der Spielraum der innerbetrieblichen Subvention beengter geworden ist. Mit guten Griinden sagt Rowohlt, dafs erst bei einer zweiten Auflage, sofern sie vom noch vorhandenen Satz hergestellt werden kénne, fiir den Verlag eine giinstigere Kalkulation entstehe. Undenkbar ware im iibrigen bei einem solchen Kostengefiige, da& — wie frither — das Honorar des Autors hoher oder auch nur gleichhoch wie die Herstellungskosten ware.

140 Biicherpreise

Rowohlts Rechnung wird durch manche Beispiele in der buchhandlerischen Fachliteratur jener Zeit bestatigt — am umfassend-

sten und differenziertesten hat sich Horst Kliemann dazu geaufert [24]. Die von Rowohlt dargestellte Situation ist im Prinzip auch die heutige. Nur sind, entsprechend der allgemeinen Tendenz, die Dienstleistungskosten, also Durchschnittsrabatt und vor allem die Gemeinkosten der Verlage, inzwischen so weit gestiegen, dafs sie zusammen jetzt oft mindestens 70 °/o vom Ladenpreis ausmachen. (Auf die heutige Situation der Literaturvermittlung, des Buchmarkts kann hier jedoch nicht weiter eingegangen werden, sie unterscheidet sich von der aller fritheren Zeiten u. a. dadurch, da8 sowohl Autor wie Verlage von den originalen Buchausgaben der Werke nicht mehr existieren kénnten, sondern daf beide auf Weiterverwertungen durch Nebenausgaben, wie z. B. als Taschenbuch, sowie durch andere Medien angewiesen sind.) Was die Methode der Buchkalkulation angeht, so ist es interessant zu sehen, dafs man heute, wie man meint, neue Wege einschlagt. Die in den letzten Jahrzehnten iibliche Kalkulation des Buchpreises war vor allem auf den Erlds gerichtet gewesen, der beim Verkauf der Auflage sich fiir den Verlag ergeben wiirde. Dem Schematismus, der diesem Modell anhaftet, versucht man neuerdings durch wesentlich verfeinerte, betriebswirtschaftlich differenzierte Berechnungen zu begegnen, die vom marktwirtschaftlich méglichen, also auf den jeweiligen spezifischen Interessentenkreis bezogenen Ladenpreis im Verhaltnis zur Kosten-

deckung in Verlag und Sortiment ausgehen[25] — im Prinzip entspricht das jedoch der Praxis, wie sie in friiherer Zeit etwa von

Reimer und Cotta getibt worden ist und wie sie noch Prinz in seiner Schrift als Theorie angedeutet hat. Tucholsky rechnete sich seinerzeit in seinem Aufsatz aus, ein

qualifizierter Angestellter mit Spezialkenntnissen miisse, »um einen deutschen Roman von 10 M zu erwerben, etwa 6 Stunden arbeiten, den 33. Teil seiner monatlichen Arbeitskraft«, und er fiigte hinzu: »Das ist zu viel. Es ist nicht zuviel fiir den Autor, wenn der etwas taugt; es ist zu viel im Budget des Angestellten.« [26]

Biicherpreise 141

Es ware gut, wenn Relationen zwischen den Einkommenverhaltnissen unterschiedlicher Bevélkerungsschichten und Berufseruppen zu den Biicherpreisen aus verschiedenen Zeiten, die sich verstreut, z. T. an versteckten Stellen finden lassen, einmal zusammengestellt und gemeinsam von Literarhistorikern und Sozial- und Wirtschaftshistorikern interpretiert wiirden; die Sozialgeschichte der Literatur wiirde dadurch an Fundierung gewinnen.

142 Buiicherpreise

» Schriftsteller« Bemerkungen zur Geschichte des Wortes

Das Wort wollte manchem schwer iiber die Zunge.[1] In Clemens

Brentanos »Geschichte vom braven Kasperl und dem schoénen Annerl« zégert der Erzahler, freilich einer alten einfachen Frau gegeniiber, es zu verwenden, und Klopstock hat sich dariiber gearegert: »Stellt man denn Schrift?«, fragte er[2]; und in der Tat, weder der »écrivain« noch der »writer« noch wohl sonst einer ihrer europdischen Kollegen miissen ihre »Schrift stellen«, sie sind »Schreiber«; warum nicht in Deutschland? Wie kommt es bei uns zu dem Wort »Schriftsteller«?

Sehen wir uns in den Forschungen tiber die Geschichte des Wortes um, so sind die in Frage kommenden Arbeiten rasch aufgezahit. Im Grimmschen Worterbuch [3] findet sich ein kurzer Artikel

mit wichtigen Belegen, im Anschluf daran hat H. Wunderlich 1902 in einem klaren Aufsatz[4] wertvolles neues Material beigesteuert, 1907 begann Albrecht Maas, an Wunderlich ankniipfend, »Die neuhochdeutschen Bezeichnungen fiir Verfasser literari-

scher Werke«[5] mit zahlreichen neuen Beispielen zu untersuchen: jedoch ist nur der etwas umstandliche erste Teil seiner Arbeit erschienen, der vor allem dem Wort »Autor« gilt, nicht aber der geplante zweite Teil, in dem Maas — u. a. mit Material aus der »kritisierenden Literaturgattung« (194) — wohl vor allem auf das Wort »Schriftsteller« eingehen wollte [6]. Danach scheint sich jahrzehntelang niemand mehr mit dem Wort beschaftiet zu haben, obwohl Wunderlich in seinem Aufsatz deutlich gemacht hatte, dafs die Geschichte des Wortes keineswegs gentigend erhellt sei. Erst in Triibners »Deutschem Worterbuch« [7] erschien 1955 ein Artikel zu diesem Stichwort, der die bisherigen Forschungen zusammenfafste, und 1963 hat Hans-Joachim Koppitz [8] auf eine

»Schriftsteller« 143

bisher nicht beachtete, aber ergiebige Quelle aus dem 17. Jahrhundert hingewiesen. — Auf diesen Arbeiten beruht z. T. der vorliegende Aufsatz. Auf Grund eigener Nachforschungen kann ich einige Erganzungen bringen, vor allem méchte ich die Ergebnisse

der Forschung etwas eingehender, als bisher geschehen, interpretieren. Der friiheste uns bisher bekannte Beleg des Wortes findet sich

in einer Bedeutung und an einer Stelle, an der man ihn kaum vermuten wird, némlich im »Bayerischen Landrecht« von 1616. Da werden »schrifftsteller« oder »schrifftensteller« alle juristischen »rathgeber, aduocaten, procuratorn« genannt, die fiir »parteyen« »supplicationes und klagen« aufsetzen, und es wird nicht nur den Parteien, sondern auch ihren Schriftstellern Strafe angedroht, wenn sie »ihr notturfft« ungebiihrlich, unziemlich oder »allein zu verzug desz rechtens, und schaden jhres gegenteils« vorbringen [9]. Die Tatigkeit dieser Schriftsteller war also nicht ungefahrlich.

Nimmt man das Original zur Hand — einen gewichtigen, mit spurbarer Sorgfalt bewuft reprasentativ gedruckten Band —, so wird die Bedeutung, in der das Wort hier verwendet wird, noch klarer. In

dem sehr detaiilierten »sprechenden« Register finden sich némlich verschiedentlich zu dem Wort »Schrifftsteller« Hinweise auf Seiten, in denen das Wort gar nicht realiter, sondern nur sinn-

gemif vorkommt. So z. B. Register 103: »Es sollen aber die Schrifftsteller kein schrifft fiir den héhern Richter stellen / wann im VnderGericht noch kain Bschaidt ergangen /«. Auf der hierzu angemerkten Seite 475 fehlt das Wort, es ist im entsprechenden »Articul« nur eine Anweisung dieses Sinnes an die Rechtsbeistinde enthalten. Oder im Register 104: »Es sollen die Ehrenrithrige Schrifftsteller gestrafft werden«. Und dazu in den ange-

gebenen Textstellen: »Klager / Antworter / Redner oder Anwald / noch derselben Rathgeber / ...« sollen »unnotturfftig schimpf / spott« usw. nicht brauchen (132); und noch deutlicher an der zweiten hierzu im Register genannten Stelle: »Ehrenriihrige Schrifften« sollen zuriickgewiesen und durch Boten zuriickgeschickt werden (468) — hier ist noch nicht einmal von einer

144 »Schriftsteller«

schreibenden Person, sondern nur von »Schrifften« die Rede. Schriftsteller werden im Bayerischen Landrecht die verschiedenen Rechtsbeistande nur dann und nur insofern genannt, als sie auch

Schriftsdtze aufsetzen; das Wort ist nicht etwa ein Synonym fir Advokat und dgl., denn von diesen wird noch mehr verlangt, z. B.: reden. (Als kleines kulturgeschichtliches Kuriosum darf hierbei erwahnt werden, dafs Procuratoren auch Beschrankungen unterworfen waren, sie durften z. B. nicht auch Gastwirte sein.) Haufig findet sich tibrigens das Wort »stellen« auch in anderen Verbindungen: »Die Articul sollen auff die Geschichte kurtz ... gestellt sein« (28), »Schrifften / die von zugeloffenen Schreibern

gestelt«, sollen nicht angenommen werden (40), der Klager hat »sein Klag gestellt« usw.

Im gleichen oder ahnlichen Sinn ist das Wort noch mehrfach beleget: so in einer Antwort, die Kaiser Ferdinand 1621 den oberOsterreichischen Standen auf eine Beschwerdeschrift in Sachen der

Religionsfreiheit erteilt hat und in der er befiehlt, da man ihm »deren schrifftensteller ... namhafft machen soll« [10], oder in einer Polizeiverordnung, dem »Augsburger Anschlag« von 1640, sowie in einer Bayreuther Polizei-Ordnung [11]; 1661 findet es sich in der »Jiilich und Bergischen Cantzley-prozes-ordnung« und am 18. November 1662 in einer Verordnung des Herzogs Philipp Wilhelm von Jiilich und Berg [12], der — nach Wunderlich — der Pfalz-Neuburgischen Linie angehérte, wodurch die Verwendung des Wortes im Sinn des Bayerischen Landrechts auch im Bergischen Land erklarlich ist. Noch im schlesischen »Edikt von 1701« soll es verwendet worden sein (habsburgischer Kanzlei-Einflufs?),

und 1713 kommt es im Visitationsabschied des Kaiserlichen Reichskammergerichts zu Wetzlar vor, jedoch wohl in etwas weiterer Bedeutung: da werden »alle schrifftsteller und sachwalter«

ermahnt, »wann sie etwas zu tibergeben haben«, genau bei der Wahrheit zu bleiben [13]. In diesem juristisch-kanzleimafigen Sinn findet sich das Wort denn auch in Frischs Worterbuch von 1741 [14] und sogar noch 1798 bei Adelung [15], der aber daneben auch auf die »allgemeinere Bedeutung« des Wortes in unserm heutigen Gebrauch verweist.

»Schriftsteller« 145

Wie im Bayerischen Landrecht, so finden sich — nach Wunderlich [16] — schon im 16. Jahrhundert vielfach verbale Fiigungen:

»in geschrift stellen«, »in ain schrift stellen«, »soliche gestellte schrift«, »ain replic stellen« u. a., die vor allem in Quellen aus dem Jahr 1525, dem Hohepunkt des Bauernaufstands, vorkommen. Hier zeigt sich also auch eine soziale Komponente: die des Schreibens unkundigen Bauern brauchten in ihrem Kampf Sach-, Rechts- und Schriftkundige, die ihre Forderungen schriftlich formulierten, und zwar sowohl ~ wie aus den bei Wunderlich genannten Beispielen hervorgeht — zur Weitergabe an Rate und Stande wie auch fiir den Druck. Noch Zinceref schreibt 1639 in seinen »Apophthegmata«: »ein bawr begert an einen advocaten, dasz er ihm eine schrifft stellen solte.« [17]

Waren es also im 16. Jahrhundert Rechtskundige, die etwas in Schrift stellten oder eine Schrift stellten, und war spatestens An-

fang des 17. Jahrhunderts ein Schriftsteller, zumindest in der bayerischen und ésterreichischen Kanzleisprache, jemand, der solche Schriftsatze aufsetzte (wie wir heute mit dem andern Verbum sagen), — wie wurden dann zu jener Zeit diejenigen genannt, die wir heute als Schriftsteller bezeichnen? Es geniigt, hier zundchst

ganz kurz Wunderlichs Ausfiihrungen [18] zu referieren. Im Mittelalter, noch im Friithneuhochdeutschen, herrscht das Wort »Schreiber« (schriber, die schribaere, nhd. schreiber) vor und zwar in einer Vielzahl von Bedeutungen fiir den einfachen Abschreiber oder Schreiber nach Diktat iiber den Amtsschreiber bis zum Dichter. Daneben findet sich nicht selten das Wort »meister