Globalisierte Erinnerungskultur: Darstellungen von Nationalsozialismus, Holocaust und Exil in peripheren Literaturen 9783839447246

Hat sich das Gedächtnis des Nationalsozialismus globalisiert? Entstehen an den Peripherien des Erinnerungsraums neue Nar

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German Pages 298 [296] Year 2020

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Globalisierte Erinnerungskultur: Darstellungen von Nationalsozialismus, Holocaust und Exil in peripheren Literaturen
 9783839447246

Table of contents :
Inhalt
Vorwort
Fremdere Blicke
Nationalsozialismus und die Zerstörung der narrativen Tradition des Humanen
Transnationale Perspektiven – heterogene Erinnerungen?
Gedächtnis und ›Heimat‹ im Transfer zwischen Osteuropa, Lateinamerika und Deutschland
Brazil’s Entangled Takes on the Holocaust
Das Verstörende erzählen
Das Thema des Nationalsozialismus in Prosawerken der mexikanischen Literatur der Gegenwart
Efraín Huerta und José Revueltas
Nationalsozialistische Agitation in der kolumbianischen und brasilianischen Provinz
Against Oblivion
Fluchtort Madrid
Verflochtene Erinnerungen
›Good Empire‹, ›Bad Empire‹
Autor*innen- und Herausgeber*innenverzeichnis

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Marco Thomas Bosshard, Iulia-Karin Patrut (Hg.) Globalisierte Erinnerungskultur

Edition Kulturwissenschaft  | Band 198

Marco Thomas Bosshard (Prof. Dr.), geb. 1976, lehrt und forscht an der Europa-Universität Flensburg im Bereich spanischer und lateinamerikanischer Literatur- und Kulturwissenschaft im (trans-)europäischen Kontext. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen die Theorie der lateinamerikanischen Avantgarden, Gamaliel Churata, der Buchmarkt, die Buchindustrie und Buchmessen in deutsch-spanisch-lateinamerikanischer Perspektive sowie marginalisierte Literaturen. Iulia-Karin Patrut (Prof. Dr.), geb. 1975, lehrt und forscht an der Europa-Universität Flensburg im Bereich Neuere deutsche Literaturwissenschaft im europäischen Kontext. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Literatur und Interkulturalität, deutsch-jüdische Literatur, Paul Celan sowie die literarischen Verhandlungen Europas und der »Nation« seit 1770.

Marco Thomas Bosshard, Iulia-Karin Patrut (Hg.)

Globalisierte Erinnerungskultur Darstellungen von Nationalsozialismus, Holocaust und Exil in peripheren Literaturen

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

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Inhalt Vorwort

Marco Thomas Bosshard und Iulia-Karin Patrut | 7

Fremdere Blicke Reisen ins Reich von der Peripherie

Oliver Lubrich | 15

Nationalsozialismus und die Zerstörung der narrativen Tradition des Humanen Artur Dinters Zeitroman Die Sünde wider das Blut – eine Vorlage für Adolf Hitlers Mein Kampf

Dagmar von Hoff | 37

Transnationale Perspektiven – heterogene Erinnerungen? Deutschsprachige jüdische und nicht-jüdische Darstellungen des Zweiten Weltkriegs in Osteuropa

Iulia-Karin Patrut | 53

Gedächtnis und ›Heimat‹ im Transfer zwischen Osteuropa, Lateinamerika und Deutschland Ernesto Kroch in Breslau, Montevideo und Frankfurt

Wolfgang Johann | 75

Brazil’s Entangled Takes on the Holocaust Writing and Filming Olga Benario

Gundo Rial y Costas | 89

Das Verstörende erzählen Der Nationalsozialismus in Literatur und Film Argentiniens

Sabine Schlickers | 115

Das Thema des Nationalsozialismus in Prosawerken der mexikanischen Literatur der Gegenwart

Adriana Haro-Luviano und Dietrich Rall | 143

Efraín Huerta und José Revueltas Literatur und Antifaschismus in der Zeitung El Popular (1939-1943)

Sergio Ugalde Quintana | 159

Nationalsozialistische Agitation in der kolumbianischen und brasilianischen Provinz Los informantes von Juan Gabriel Vásquez und A Segunda Pátria von Miguel Sanches Neto als Basis weitergehender Überlegungen zu einer chrono-mnemotopischen Klassifizierung ›peripherer‹ Romane über den Zweiten Weltkrieg

Marco Thomas Bosshard | 181

Against Oblivion Himmelweg and the Theatre of the Holocaust

Fernando García Naharro | 203

Fluchtort Madrid Nationalsozialisten und Kriegsverbrecher in der spanischen Gegenwartsliteratur

Volker Jaeckel | 225

Verflochtene Erinnerungen Der Zweite Weltkrieg, die algerische Geschichte und die Figur des Nazitäters in der nordafrikanischen Literatur

Claudia Gronemann | 243

›Good Empire‹, ›Bad Empire‹ Representations of Nazism and Holocaust in Sub-Saharan African Literatures

Gilbert Shang Ndi | 271

Autor*innen- und Herausgeber*innenverzeichnis | 289

Vorwort Marco Thomas Bosshard und Iulia-Karin Patrut

I Das öffentliche Gedenken an das Ende des Zweiten Weltkriegs und die Jahrestage der Befreiung der Konzentrationslager haben in den vergangenen Jahren – zu Recht – die Opfer des Nationalsozialismus, aber auch die Überlebenden des Nazi-Regimes neuerdings ins Zentrum der Debatte gestellt. Angesichts der immer weniger werdenden Zeitzeugen und des dadurch schwindenden kommunikativen Gedächtnisses werden die Möglichkeiten eines gemeinsamen, generationenübergreifenden Gedenkens mit den Überlebenden künftig immer seltener und weniger sein. Wenn die Opfer und Überlebenden der Nazis zu Recht im Zentrum stehen, bedeutet das aber gleichzeitig auch, dass die Täter – ebenso zu Recht – marginal bleiben. Im öffentlichen Diskurs sind sie peripher, auch wenn die Kriegsverbrecherprozesse mit hochbetagten Angeklagten in den letzten Jahren deutlich zugenommen haben. Ebenso zugenommen haben im europäischen und nordamerikanischen Zentrum aber auch Nazi-Repräsentationen in Literatur und Film, die ein Massenpublikum erreichen, und zwar dies- und jenseits der Kulturindustrie: Quentin Tarantinos INGLOURIOUS BASTERDS (2009) wäre hierfür ein genauso prominentes Beispiel wie die schon einige Jahre zurückliegende Kontroverse rund um Jonathan Littells Les Bienveillantes (2006). Doch stehen diese beiden Beispiele bei Weitem nicht allein. Bemerkenswert ist ebenso die Tatsache, dass unlängst zwei der renommiertesten französischen Literaturpreise an Autoren vergeben wurden, die in ihren Romanen ihrerseits Nazi-Sujets bedienen: der Prix Renaudot für Olivier Guez’ La disparition de Josef Mengele (2017) einerseits und der Prix Goncourt für Eric Vuillards L’ordre du jour (2017) andererseits. Dass sich z.B. in der lateinamerikanischen ›Peripherie‹ mit Jorge Luis Borges’ bereits im Februar 1946 erstmals veröffentlichter Erzählung »Deutsches Requi-

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em« seit Anbeginn – und bis heute – zahlreiche literarische Auseinandersetzungen mit Täterfiguren finden, ist vom ›Zentrum‹ mit seinen eigenen Debatten und Kontexten hingegen häufig kaum registriert worden. Auch im europäischen Osten entstand eine vielgestaltige Erinnerungsliteratur, deren Anfänge noch vor Kriegsende zu finden sind; sie blieb – abgesehen von Paul Celan – ebenso unbeachtet wie die Deportationen in die Sowjetunion und ihre Darstellung in den nicht-jüdischen deutschen Literaturen Osteuropas einerseits oder wie osteuropäisch-jüdische deutschsprachige Texte aus Lateinamerika andererseits (etwa Paul Zechs Deutschland, dein Tänzer ist der Tod. Ein Tatsachen-Roman, der während der Exilzeit vollendet wurde und posthum 1980 erschien). Die Herausgeber*innen dieses Sammelbandes gehen daher davon aus, dass sich ähnlich umstrittene Repräsentationen und Dynamiken auch in geographischen und kulturellen Kontexten fernab des – vermeintlichen oder tatsächlichen – ›Zentrums‹ finden lassen, das in unserem Kontext pragmatisch als Hauptschauplatz der Kriegshandlungen und NS-Verbrechen definiert wird. ›Peripherie‹ bezieht sich im Umkehrschluss somit auf (vermeintliche) Nebenschauplätze oder auch auf Regionen, die kaum oder gar nicht in die Wirren des Zweiten Weltkriegs involviert waren. In diesem Sinne versammelt die vorliegende Publikation Beiträge, die im Juli 2018 im Rahmen eines von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten internationalen Symposiums an der Europa-Universität Flensburg zu Darstellungen von Nationalsozialismus, Weltkrieg, Holocaust und Exil in peripheren (bzw. vom Zentrum peripheralisierten) Literaturen vorgestellt wurden. Die seinerseits periphere Lage des Veranstaltungsortes Flensburg im äußersten Norden der Bundesrepublik war hierbei ebenfalls von Belang und erlangte vor dem historischen Hintergrund des Endes des Zweiten Weltkriegs eine bemerkenswerte Pertinenz. Anders als die weltweit ausführlich und kontinuierlich geführten Debatten rund um das Gedenken an die Opfer und die Überlebenden des Nationalsozialismus sind die letzten Kriegswochen nach Hitlers Selbstmord unter dessen Nachfolger Karl Dönitz in Flensburg ein für viele verdrängtes Stück Stadt- und Weltgeschichte. Obwohl Flensburg als letzte Bastion des Nationalsozialismus bezeichnet werden muss, faktisch als letzte Reichshauptstadt an der Peripherie des Reiches fernab von Berlin fungierte, gleichzeitig aber auch der Ort war, an dem die bedingungslose Kapitulation des Dritten Reiches besiegelt wurde, steht die Erinnerungskultur nicht im Mittelpunkt des öffentlichen Stadtlebens. Der inzwischen emeritierte Flensburger Historiker Gerhard Paul hat in zahlreichen Beiträgen diesen Teil der Lokalgeschichte aufbereitet und auch in überregionalen Medien einer breiten Leserschicht näherbringen können. Nicht nur der SSReichsführer Heinrich Himmler mit seiner Entourage von etwa 150 Personen,

Vorwort | 9

die führenden KZ-Inspekteure unter Richard Glücks, zahlreiche KZ-Leiter von Auschwitz bis Ravensbrück sowie Rudolf Höß und andere hochrangige Exponenten des NS-Regimes finden sich – so schildert es Paul in einem Beitrag in Die Zeit – im Mai 1945 in Flensburg ein, auch »200 deutsche Juden, die man aus Riga nach Schleswig-Holstein gebracht hat, passieren die deutsch-dänische Grenze« (Paul 2005), und es »kommen hunderte Häftlinge aus Neuengamme und Sachsenhausen per Zug und Schiff in Flensburg an« (ebd.). Paul beschreibt Flensburg unter Dönitz als ein Ort von »Spuk und letztem Terror«, wo »die Legende von der ›sauberen‹ Wehrmacht erfunden [wurde], während die Wehrmachtjustiz in der Stadt gnadenlos weitermordete« (ebd.). Flensburg als Ort an der Peripherie, an dem sich Täter und Opfer während weniger Wochen in einer ganz neuen Situation wiederfanden und gegenüberstanden, während der Rest der Welt schon das Ende des Krieges feierte – für diesen Teil der Geschichte gibt es im Gedächtnis der Stadt bis heute nur ein Gedenken ›am Rande‹: Am 1. September 2013, als sich der Überfall Deutschlands auf Polen zum 74. Mal jährte, weihten Kultusministerin Sporendonk und Stadtpräsidentin Krätzschmar ein Denkmal vor den ehemaligen Gebäuden der Flensburger Gestapo und der Reichspost (von wo aus nach dem 8. Mai weiter im Namen der NS-Regierung gesendet wurde) ein, welches einen Prometheus zeigt, der vergeblich versucht, einen Steinblock zu heben, der Opfer zu erdrücken droht. An anderer Stelle erinnert eine Gedenktafel an die Sinti und Roma, auch wurden einige ›Stolpersteine‹ verlegt. Ein zentraler, prominenter Erinnerungsort oder auch ein Museum fehlen jedoch.

II Der Erinnerungsort ›Holocaust‹ konstituierte sich im deutschsprachigen Diskurs als Singularetantum. Mit der Pluralisierung der Stimmen, Perspektiven und Erinnerungsgemeinschaften weltweit geht, parallel zum baldigen Tod der letzten Augenzeugen, die Gefahr pietätloser Darstellungen des ›Unsagbaren‹ einher. Die schon seit geraumer Zeit von Daniel Levy und Natan Sznaider (2001) konstatierte ›Globalisierung‹ der Erinnerungskultur besitzt eine Dimension der Kommerzialisierung, zu der mittlerweile auch gehört, unreflektierte Täterperspektiven, die Lust an antisemitischer Gewalt oder auch den Hass auf vermeintlich Minderwertiges voyeuristisch zu inszenieren. Im deutschen Diskurs ist dies zwar ein (noch?) peripher zu nennendes Phänomen, dennoch ist zu befürchten, dass es nicht überall auf der Welt gleichermaßen als eine Errungenschaft angesehen wird, im Nationalsozialismus jenen einzigartigen Zivilisationsbruch zu sehen,

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der das Unvorstellbare möglich gemacht hat. Handlungsorte, die randständige Schauplätze des Weltkriegs und der NS-Verbrechen waren – und nunmehr in der literarischen Auseinandersetzung zusätzlich einer Fiktionalisierung unterliegen –, eignen sich womöglich in besonderer Weise dafür, solche unangemessene Perspektiven in den Diskurs einzuschleusen. Das Gebot, der Opfer zu gedenken, könnte gerade an solchen peripheren Orten schlimmstenfalls volatil werden. Doch neben diesen Gefährdungen liegen auch die Chancen einer Globalisierung der Erinnerungskultur nahe. Erstens geht mit der Pluralisierung der Stimmen und Perspektiven auf den Nationalsozialismus und seine Verbrechen einher, dass Erinnerung und Darstellungsweisen nicht mehr an nationalstaatliche und kontinentale, einseitige Selbstbeschreibungen geknüpft sind. Zudem wohnt einer transnationalen Perspektive das Potential inne, die Bedeutung literarischer Repräsentationen des Nationalsozialismus und seiner Verbrechen für eine weltweite Gedenkkultur nachhaltiger zu verankern, den lieu de mémoire (Nora 1984) des ›Zivilisationsbruchs‹ zu amplifzieren. Damit wächst die Bedeutung von Vermittlungs- und Übersetzungsprozessen im Allgemeinen – und vielleicht auch jene der Literatur als ›Kunst der Übergänge‹ im Besonderen. Es liegt also auch eine Chance darin, dass der Erinnerungsort zum Gegenstand transnationaler Kommunikation wird, weil er dadurch zum generationenund kulturübergreifenden, de-zentrierten ›Welt-Ort‹ der Erinnerung werden könnte. Damit verbindet sich auch die Chance einer Aufwertung der Literatur des Exils und der damit verbundenen Erfahrungen, denn viele der im Exil entstandenen Darstellungen leisten Beiträge zu globalisierten Erinnerungskulturen im Sinne eines transnationalen Gedenkens. Sprach- und Literaturtransfers, beispielsweise zwischen Osteuropa und Lateinamerika, die infolge des Exils entstanden, stehen im Schatten menschlichen Leids, der Flucht und oftmals Mittellosigkeit; umso mehr verdienen diese häufig singulären und in Isolation vollbrachten Übersetzungs- und Transferleistungen Anerkennung. Die Kehrseite davon, nämlich die bereits angesprochene Gefahr, dass fernab der kritischen Auseinandersetzung an der Peripherie des Diskurses revisionistische Darstellungen ›eingeschmuggelt‹ werden könnten, bleibt dabei weiterhin bestehen, sodass die literaturwissenschaftliche Auseinandersetzung mit solchen an der Peripherie entstandenen Texten besonders achtsam und verantwortungsbewusst zu erfolgen hat.

Vorwort | 11

III Die im vorliegenden Sammelband gewählte kulturraumbezogene Herangehensweise an das Phänomen Nationalsozialismus und seiner Folgen entspringt somit dem Impetus, die Peripherien des Erinnerungsdiskurses rund um Nationalsozialismus, Weltkrieg, Holocaust und Exil sowie ihre spezifischen Dynamiken deutlicher zur Sprache zu bringen, sie zum einen überhaupt erst ›aufzudecken‹, sie aber andererseits gleichzeitig immer auch kritisch zu hinterfragen. Der Beitrag von Oliver Lubrich eröffnet den vorliegenden Band und skizziert aus einer komparatistischen Perspektive ein noch kaum bearbeitetes Textkorpus von prominenten Autor*innen aus Europa, Lateinamerika, Afrika, China und Indien, die als Zeitzeugen das ›Dritte Reich‹ aus eigener Anschauung kannten und ihre Eindrücke in teils testimonialer teils fiktionalisierter Form literarisch festgehalten haben. Im Anschluss folgen drei Beiträge über deutschsprachige Autoren von der Peripherie: Während Dagmar von Hoff die antisemitischen Schriften des Elsässers Artur Dinter mit Blick auf ihren Einfluss auf Hitlers Mein Kampf analysiert, untersucht Iulia-Karin Patrut Darstellungen von Weltkrieg und Nationalsozialismus in den Texten deutschsprachiger Autor*innen aus Osteuropa, insbesondere aus dem Gebiet Rumäniens. Sie beschreibt dabei in transnationaler Perspektive die – in vielen Hinsichten heterogenen – Darstellungen des Nationalsozialismus in den jüdischen und nicht-jüdischen deutschsprachigen Literaturen Osteuropas, so etwa bei Moses Rosenkranz, Alfred Margul-Sperber und Paul Celan bis hin zu Rainer Biemel oder Erwin Wittstock. Wolfgang Johann schließlich geht in seinem Beitrag auf Texte von Ernesto Kroch ein, der sich als ehemaliger Häftling des KZ Lichtenburg der Verfolgung durch die Nazis durch seine Flucht nach Uruguay entziehen konnte, wo er während der Militärdiktatur der 1970er Jahre jedoch neuerdings in den Blickpunkt eines totalitären Regimes geriet. Ebenfalls im KZ Lichtenburg interniert war die von Brasilien ausgelieferte und von den Nazis ermordete jüdische Kommunistin Olga Benario. Gundo Rial y Costas arbeitet in seinem Beitrag die genreübergreifende und transnational verknüpfte Stilisierung von Olga Benario zur Heldenfigur heraus; von Ruth Werners biographischem Olga, die Geschichte eines tapferen Lebens (1961) über Olga des brasilianischen Journalisten Fernando Morais (1985) verdichten sich dabei hyperbolische, melodramatische und historisch autobiographische Elemente in dem telenovelaartigen Blockbuster OLGA (2004). Dass lateinamerikanische Staaten nicht nur Verfolgten des NS-Regimes, sondern nach Kriegsende auch einer Reihe prominenter Nazis Exil gewährten, ist allgemein bekannt. Eine herausragende Rolle spielte hierbei Argentinien, dessen

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zeitgenössische literarischen und filmischen Darstellungen von Nationalsozialismus und Weltkrieg bei Mónica Müller, Daniel Guebel, Gustavo Nielsen und Jeanine Meerapfel sich Sabine Schlickers zuwendet. Adriana Haro-Luviano und Dietrich Rall kartographieren und analysieren vergleichbare Texte in der mexikanischen Literatur und konzentrieren sich hierbei u.a. auf Romane von José María Pérez Gay, Paco Ignacio Taibo II und Jorge Volpi. Sergio Ugalde Quintanas Beitrag ergänzt diese auf die mexikanische Gegenwartsliteratur fokussierte Darstellung durch Analysen von Kolumnen und literarischen Texten der mexikanischen Autoren José Revueltas und Efraín Huerta, die vor und während des Weltkriegs entstanden sind und sich implizit oder explizit mit dem NS-Regime auseinandersetzen. Der wiederum komparatistisch ausgerichtete Aufsatz von Marco Thomas Bosshard vergleicht einerseits zwei konkrete Romane aus Kolumbien und Brasilien – Juan Gabriel Vásquez’ Los informantes und Miguel Sanches Netos A Segunda Pátria –, ist jedoch gleichzeitig darum bemüht, weitere Romane aus anderen Ländern zu identifizieren, die als Referenztexte noch näher zu bestimmender, spezifischer Untergattungen der literarischen Auseinandersetzung mit dem Zweiten Weltkrieg und seinen Folgen in Lateinamerika gelten können. Die beiden daran anschließenden Beiträge vervollständigen dieses erste Panorama der Iberoromania, führen jedoch zurück nach Europa und beschäftigen sich mit dem ›Sonderfall‹ Spanien, dessen Neutralität und insofern ebenfalls periphere Stellung während des Weltkriegs mit ausgeprägten faschistischen Tendenzen während der ersten Phase der Franco-Regierung einherging. Während Fernando García Naharro sich mit Juan Mayorga und seinem Theaterstück Himmelweg über den Holocaust kritisch auseinandersetzt, skizziert Volker Jaeckel ein erstaunlich breites Panorama an spanischer Gegenwartsliteratur, in der Madrid – aber auch andere spanische Städte – als Fluchtort ehemaliger Nazis eine tragende Rolle spielen. Die letzten zwei Aufsätze des vorliegenden Bandes setzen sich schließlich mit NS- und Weltkriegsrepräsentationen in Afrika auseinander. Während Nordafrika bekanntlich ein durchaus wichtiger Schauplatz des Weltkriegs war, ist dieser in der Literatur des Maghreb hingegen nur sehr bedingt ein rekurrentes Thema. Dennoch zeigt Claudia Gronemann mit ihren Lektüren der zeitgenössischen Romane Le village de l’allemand ou le journal des frères Schiller von Boualem Sansal und Un génial imposteur von Kebir Ammi, dass sich die ersten Autorengenerationen der Nachkriegszeit dem Themenkomplex mittlerweile auf eine durchaus kontroverse Weise annähern. Dabei werden die Ereignisse nicht nur eng mit Perspektiven auf die algerische Geschichte verflochten, sondern Nazitäter selbst werden im Kontext des Maghreb reflektiert. Gilbert Shang Ndi schließ-

Vorwort | 13

lich skizziert ein erstes Korpus an einschlägigen Texten von Autor*innen aus der Subsahara sowohl aus dem französischen als auch dem englischen Sprachraum, die in der künftigen Forschung – zumal die gegenwärtige nahezu inexistent erscheint – schwerlich ignoriert werden können.

IV Selbstverständlich sind alle diese hier betrachteten Kulturräume hinsichtlich ihrer lieux de mémoire letztlich in keiner Weise homogen; entsprechend zurückhaltend sollte in diesem frühen Stadium der Forschung auch mit Verallgemeinerungen umgegangen werden. Dennoch kann eine vergleichende kulturgenealogische Herangehensweise diachronen Wandel und gegenläufige Tendenzen fassbar machen. Da der Nora’sche Begriff des ›Erinnerungsortes‹ nur unter der Bedingung brauchbar ist, dass damit unabgeschlossene Aushandlungsprozesse gemeint sind, unterliegen diese kartierenden und kulturelle Erinnerung stiftenden Aushandlungsprozesse durchaus einer kulturräumlichen Differenzierung, die wiederum geprägt ist von (post-)kolonialen Wahrnehmungs-, Informations- und Darstellungsasymmetrien. Dadurch besteht im Zuge einer solchen raumbezogenen Herangehensweise eine recht große Übereinstimmung zwischen Räumen des Exils, den Rändern des Erinnerungsdiskurses und Peripherien im Sinne der postkolonialen Studien. Bereits Dan Diner (2007) hat auf dieses Phänomen – und auch auf die Gefahren einer so gearteten Erinnerungsarbeit – aufmerksam gemacht und in diesem Zusammenhang die Formulierung von »gegenläufigen Gedächtnissen« gewählt. Ob literarische Texte als Kunst potentiell nicht auch eine zusätzliche, eigene Gegenläufigkeit entwickeln, die sich gerade aus Übergängen über kulturräumliche Differenzierungen hinweg speist, steht als offene Frage auf einem anderen Blatt. Die hier versammelten Beiträge mit ihren ersten, noch lange nicht abgeschlossenen Skizzen von Textkorpora, deren sich die Forschung in den kommenden Jahren anzunehmen hat, sollen erste, provisorische Antworten und Impulse hierzu vermitteln.

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BIBLIOGRAPHIE Diner, Dan (2007): Gegenläufige Gedächtnisse. Über Geltung und Wirkung des Holocaust. Göttingen. Guez, Olivier (2007): La disparition de Josef Mengele (2017). Paris. Levy, Daniel/Sznaider, Natan (2001): Erinnerung im globalen Zeitalter: Der Holocaust. Frankfurt am Main. Littell, Jonathan (2006): Les Bienveillantes. Paris. Nora, Pierre (1984-1992): Les lieux de mémoire. Bde. I-III. Paris. Paul, Gerhard (2005): Der letzte Spuk. In: Die Zeit v. 4. Mai 2005; online: https://www.zeit.de/2005/19/A-Flensburg [Stand 21.02.2020]. Vuillard, Eric (2017): L’ordre du jour. Arles. Zech, Paul (1980): Deutschland, dein Tänzer ist der Tod. Ein Tatsachen-Roman. Aus dem Nachlass hg. v. Helmut Nitzschke. Rudolstadt.

FILME INGLOURIOUS BASTERDS (US/DE 2009), Quentin Tarantino.

Fremdere Blicke Reisen ins Reich von der Peripherie Oliver Lubrich

Viele internationale Autoren haben das nationalsozialistische Deutschland bereist, überraschend viele, und zwar aus sehr unterschiedlichen Gründen. Der Engländer Christopher Isherwood, zum Beispiel, war bereits vor Hitlers Machtübernahme nach Berlin gezogen, um das Nachtleben zu genießen und als Sprachlehrer zu arbeiten (1929-1933). Virginia Woolf durchquerte die Diktatur auf dem Weg von Holland nach Österreich mit ihrem jüdischen Ehemann Leonard und ihrem Hausäffchen »Mitz« (1935). Der Ire Samuel Beckett verbrachte ein halbes Jahr in Deutschland, um die Menschen zu beobachten, Museen zu besuchen und die Veränderungen der Sprache festzuhalten (1936-1937). Der Franzose Jean-Paul Sartre kam als Stipendiat und widmete sich der Philosophie (1933-1934). Albert Camus unternahm mit Freunden eine Kayaktour (1936). Im Krieg nahmen Autoren wie Marcel Jouhandeau an einer Propagandafahrt teil und an einem Schriftstellerkongress (1941, 1942). Der Belgier Georges Simenon begegnete als Reporter Adolf Hitler im Fahrstuhl eines Hotels (1933). Der Schweizer Denis de Rougemont lehrte als Gastdozent an der Universität in Frankfurt (1935-1936). Max Frisch schrieb für die Neue Zürcher Zeitung eine Reisereportage und besprach eine rassistische Ausstellung (1935). Die USAmerikanerin Martha Dodd begleitete ihren Vater, als dieser den Posten des Botschafters in Berlin übernahm (1933-1937). Thomas Wolfe besuchte seinen deutschen Verleger und die Olympischen Spiele (1935, 1936). Der spätere Präsident John F. Kennedy kam zunächst als Tourist (1937) und kehrte zwei Jahre später zurück, um kurz vor Kriegsbeginn die Lage zu sondieren (1939). Als Kor-

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respondenten berichteten William Shirer (1936-1940) und Howard Smith (19401941). 1 Alle diese Beobachter haben Zeugnisse hinterlassen, die um so aufschlussreicher sind, wenn sie vor Ort und in der Zeit selbst entstanden und nicht erst mit dem nachträglichen Wissen des historischen Rückblicks. Die Möglichkeit zeitgenössischer Einblicke in den Terror des Totalitarismus, in die Vorbereitung des Krieges und in die Verfolgung der Juden können wir aus ihnen oft genauer erschließen als aus den späteren Aussagen deutscher Zeitzeugen. Das gilt auch für das Eingeständnis von Verführungen und Fehleinschätzungen. Ausländer können eine Diktatur mit fremdem Blick wahrnehmen und dabei besondere Einsichten gewinnen – über die Einheimischen ebenso wie über sich selbst. 2 Denn ihre Position in einer totalitären Gesellschaft ist ambivalent: sie ist privilegiert und prekär zugleich, ein Extremfall ›teilnehmender Beobachtung‹. Ihre Zeugnisse zeichnen sich aus durch eine Reihe von Merkmalen: Die Fremderfahrung ist in der Regel plötzlich, sie beginnt mit der Einreise unmittelbar und ermöglicht so eine schärfere Auffassung der fremden Wirklichkeit. Indem sie das, was sie sehen, mit ihren Erfahrungen in der Heimat vergleichen, beobachten Reisende kontrastiv. Ihre ethnographische Wahrnehmung entwickelt sich dabei dynamisch, nur selten bleiben die Besucher von ihren Erlebnissen unberührt, häufig verändern sie vor Ort ihre Einstellung. Reisende sind weniger befangen als Einheimische, ihre Berichte sind häufig offen, sie bieten Raum für die Darstellung eigener Lernprozesse. Dies wird begünstigt durch eine entsprechende Form. Internationale Reiseliteratur kann künstlerisch vielfältig sein. Als deutsche Autoren längst gleichgeschaltet waren und auch formal strengen Vorgaben unterlagen, standen auswärtigen Besuchern, sogar Sympathisanten und Kollaborateuren, moderne Verfahren zur Verfügung. Unter diesen epistemischen und poetologischen Bedingungen entstanden historisch, psychologisch und literarisch bemerkenswerte Texte. Insgesamt gilt: Der fremde Blick sieht mehr. Wie aber haben Besucher die Diktatur beschrieben, die sie mit noch fremderem Blick erleben konnten? Die durch ihre Herkunft weniger vorbereitet waren und das ›Dritte Reich‹ aus größerer Distanz wahrnehmen konnten als ein Franzose oder eine Engländerin aus dem gebildeten Bürgertum? Welche Besucher näherten sich der deutschen Diktatur von der ›Peripherie‹? Welche Erkenntnisse können ihre Aufzeichnungen vermitteln? Und welche Formen haben sie für diese gefunden?

1

Siehe dazu: Lubrich 2004; Semmens 2005; Herzer 2012; Boyd 2017.

2

Vgl. Lubrich 2003, 2010 und 2017.

Fremdere Blicke | 17

Dieses Forschungsfeld können wir anhand einiger Beispiele zu kartieren versuchen. Was berichten Zeugen, die (1.) den Faschismus existentiell aus einer marginalen Position erlebten, sowie Besucher, die (2.) von den ›Rändern‹ Europas kamen, (3.) aus Hispanoamerika, (4.) aus Brasilien, (5.) aus Afrika, (6.) aus Ostasien sowie (7.) aus Indien? Welches Material liegt uns vor? Und welche Ansätze können wir zu seiner Erforschung entwickeln?

1. EXISTENTIELLE EXZENTRIK (JEAN GENET) Der Begriff ›Peripherie‹ ist nicht eurozentrisch zu verstehen, sondern positional. Peripher ist nicht gleichzusetzen mit außereuropäisch. Man kann überall eine exzentrische Perspektive einnehmen. Der Franzose Jean Genet (1910-1986) zum Beispiel durchquerte Deutschland 1937 als Landstreicher. In seinem Journal du voleur (1949) hat er diese Passage beschrieben, ihr kommt in seinem autofiktionalen Text sogar eine Schlüsselfunktion zu. Auf dem Weg nach Antwerpen durchquerte ich Hitler-Deutschland […]. Ich hätte gern gestohlen. Ein merkwürdiger Bann hielt mich ab. Deutschland flößte ganz Europa Schrecken ein, es war […] zum Inbegriff der Grausamkeit geworden. […] Selbst Unter den Linden hatte ich das Gefühl, durch ein von Banditen angelegtes Lager zu spazieren. Ich glaubte, das Hirn des gewissenhaftesten Berliner Bürgers verberge Pfunde von Heuchelei, Haß, Bosheit, Grausamkeit, Gier. Es wühlte mich auf, frei zu sein mitten in einem geächteten Volk. (Genet 2001: 134) 3

Genet verfolgte ein radikales Projekt: sich als den ›Anderen‹ nicht nur der französischen Zivilisation, sondern jedweder Konvention zu inszenieren. Ein Mittel, sich von der bürgerlichen Gesellschaft abzusetzen, war der Flirt mit dem Faschismus. In Nazi-Deutschland erfuhr dieses Projekt der ›Selbstalterisierung‹ jedoch eine Herausforderung. Genet musste feststellen, dass er, um auch in Deutschland dissident zu sein, sich im konventionellen Sinne moralisch verhalten müsste. 4

3

Vgl. das Original in Genet 1949: 138f.; und die frühere deutsche Übersetzung in Genet 1983: 134f.

4

Vgl. Lubrich 2014.

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›Dies ist ein Volk von Dieben‹, fühlte ich. Wenn ich hier stehle, tue ich nichts Besonderes […]: ich gehorche nur der allgemeinen Ordnung. […] Ich stehle ins Leere. […] Ich schämte mich. Vor allem aber wünschte ich, in ein Land zurückzukehren, wo die Gesetze der geläufigen Moral, auf die sich das Leben gründet, Gegenstand eines Kults sind. (Ebd.)

Damit wäre der Reisende wieder bei seinem Ausgangspunkt angelangt: in der französischen Zivilisation, von der er sich eigentlich distanzieren wollte. Der Aufenthalt in Nazi-Deutschland wird so zum Wendepunkt. Genet gibt auf und kehrt nach Frankreich zurück. Die Faszination des Faschismus war in einem Land, wo er herrschte, unmöglich geworden.

2. DIE RÄNDER EUROPAS (MARIE WASSILTSCHIKOW) Wenn wir den Begriff ›Peripherie‹ in einem doppelten Sinn als geographisch entfernt und als nicht hegemonial auffassen, kommen zahlreiche europäische Zeugen in Frage, die sich Deutschland aus einer entsprechend doppelten Distanz näherten. Die rumänische Diplomatentochter Martha Bibescu, zum Beispiel, führte bei ihrem Besuch in Berlin 1938 ein Tagebuch, das später ediert wurde (Bibescu 2001 und 2010). Der finnische Schriftsteller Arvi Kivimaa nahm – wie Marcel Jouhandeau – 1941 an einer organisierten Rundreise teil, die in einem Kongress in Weimar gipfelte und von der er anschließend mehrfach berichtete (Kivimaa 1942a; 1942b und 1944). 5 Aber es gelangten auch Menschen aus weniger freien Stücken nach Deutschland. Aus den besetzten Ländern wurden Zwangsarbeiter deportiert (vgl. Stiftung EVZ 2008). Mit dem Vordringen der Roten Arme kamen Soldaten wie der Lette Janis Grinvalds 6, aber auch Flüchtlinge wie die Litauer Jānis Jaunsudrabiņš 7 oder Alfonsas Nyka-Niliūnas 8 nach Deutschland. Aus der Sowjetunion emi-

5

Vgl. Dufay 2000: 39-40; Hausmann 2004: 107-141, 147-168, 291-305; Heller 1982

6

Janis Grinvalds, Tagebuch von 1944-1945, im Original Lettisch, Auszüge erschienen

(Original auf Französisch: Heller 1981). in der Tageszeitung Diena; unveröffentlichte Übersetzung ins Deutsche von Ojārs J. Rozītis (Privatarchiv Ojārs J. Rozītis’). 7

Vgl. hierzu: Jaunsudrabiņš 1951 (Deutsch: Jaunsudrabiņš 2006) und 1954.

8

Nyka-Niliūnas 2007.

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grierte Alja Rachmanowa, die 1942-1945 in Österreich ein Tagebuch führte (Rachmanowa 2015). 9 Die Russin Marie Wassiltschikow (1917-1978) führte in den Jahren 19401945 in der Reichshauptstadt und anschließend ihrerseits in Österreich Berlin Diaries (Wassiltschikow 1988 und 1996) in englischer Sprache. Um die Bombenangriffe darstellen zu können, die in ihrem Text eine große Rolle spielen, bediente sie sich einer besonderen Form. 10 W. G. Sebald warf deutschen Zeitzeugen vor, sie hätten die alliierten Bombardements ebenso wie ihre eigenen Verbrechen, die diesen vorausgegangen waren, weitgehend verdrängt. Und wo sie dennoch von ihnen sprachen, hätten sie die Schrecken verfehlt, indem sie sie entweder verharmlosten oder verklärten (vgl. Sebald 2001). Marie Wassiltschikow dagegen fand einen Ton, der für viele ausländische Beobachter charakteristisch ist. Ihre Prosa nähert sich einer Poetik, die zur selben Zeit von einem Schriftsteller in einem ganz anderen Zusammenhang entwickelt wurde: »A fines del año 1943«, so beginnt ein bekanntes Werk der Weltliteratur, »gegen Ende des Jahres 1943« also war es, als sich die Geschichte in »Ruinen« verdichtete. Sie besaßen politische Bedeutung, die den Reisenden berührte. Zugleich ging von ihnen eine ästhetische Faszination aus. Wer sie betrachtete, sah sich herausgefordert, die eigene Wahrnehmung der Wirklichkeit zu überdenken und deren Darstellung in der Literatur neu zu konzipieren. Von dieser Szenerie geht das Manifest einer Poetik aus, die zu den wirkungsmächtigsten der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts werden sollte. Sie spielt, als Berlin zu Trümmern gebombt wurde, bei den Resten des Schlosses Sans-Souci – auf Haiti. Ihr Autor ist der kubanische Romancier Alejo Carpentier (1904-1980), die Trümmer, die ihn in den Bann zogen, »las ruinas, tan poéticas« (Carpentier 1973: 9), betrachtete er auf einer Reise in die karibische Nachbarinsel. Carpentier nimmt Haitis »keineswegs erfundene Magie« zum Ausgangspunkt für das programmatische Vorwort seines Romans El reino de este mundo (1949). 11 Carpentiers Theorie des »Wunderbar-Wirklichen« (»lo real-maravilloso«) (ebd.: 16) – eine Inspiration für den populären realismo mágico – beruht auf dem Gedanken, dass Realismus sich selbst transzendieren kann. Schriftsteller haben sich nur an die Wirklichkeit zu halten. Bedeutungen und Vorstellungen, die über sie hinausweisen, finden sich im Alltag als ganz und gar diesseitige Außerge-

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Vgl. Rachmanowa 1936. Das russische Original des Tagebuches befindet sich im Nachlass der Autorin im Staatsarchiv Thurgau in Frauenfeld, Schweiz.

10 Siehe dazu Lubrich 2007 und 2009. 11 Vgl. Carpentier 1973: 9-16.

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wöhnlichkeit. Gewalt muss nicht erfunden werden, sie ist eine geschichtliche Tatsache. Literatur, die diesem Grundsatz folgt, ist detailgenau wirklichkeitstreu, ihre Methode dokumentarisch, ihr Anliegen entspricht dem der Historiographie. Die Geschichte (Lateinamerikas) wird unter diesem Gesichtspunkt zu einer Chronik wahrer und unglaublicher Ereignisse. Carpentiers Konzept einer »wunderbaren Wirklichkeit« ist so nur auf den ersten Blick paradox. Der Schriftsteller verortet seine Poetik zwischen zwei Gegensätzen: einerseits einem künstlichen Surrealismus, der die Wirklichkeit hinter sich lässt; und andererseits einer prosaischen Buchstäblichkeit, die an die Stelle phantastischer Tricks schlichte Gemeinplätze setzt. Carpentiers Ruinen von 1943 sind andere als Sebalds. Der Kontext ist für den einen post-kolonial und für den anderen post-nazistisch. Die Fragen jedoch, die dieser stellte, sind mit denen, die jener erörterte, durchaus vergleichbar. Wie sollten Schriftsteller mit Gewalt umgehen? Wie lässt sich die eigene Geschichte zur Darstellung bringen? Wie kann man Katastrophen beschreiben, die (in Sebalds Worten) »der tradierten Ästhetik inkommensurab[el]« (Sebald 2001: 65) sind? Wie ist fabelhafte Überhöhung ebenso zu vermeiden wie leichtfertige Profanierung? Einige ausländische Autoren, die sich während des Krieges in Deutschland aufhielten, haben Formen der Darstellung gefunden, die Carpentiers Programm entsprechen – und die zugleich, wenn auch auf eigene Weise, den Anforderungen Sebalds genügen, der sich für einen sachlichen und dokumentarischen (oder auch fingiert dokumentarischen) Ansatz ausgesprochen hat. 12 So hat Marie Wassiltschikow eine Reihe höchst ungewöhnlicher und beinahe surreal wirkender Szenen skizziert, ohne doch jemals ins Übernatürliche zu geraten: Wasserschlangen drohen aus dem Aquarium zu entweichen; Tiger könnten dem Zoo entlaufen; Krokodile in den Kanal gelangen. Die Straßen im Einkaufszentrum sind mit glitzernden Glassplittern bedeckt; Welt und Unterwelt scheinen vertauscht zu sein. Aus der blitzsauberen Untergrundbahn steigen Großstädter in eine Ödnis hinauf, die an die Schlachtfelder des Ersten Weltkriegs erinnert. Die Nacht wird zum Tag. Die Erde bebt. Ein Expresszug voller Leichen fährt in den Bahnhof ein und brennt dabei wie eine Fackel. Ein wahnsinniges Mädchen hockt auf einem Trümmerberg, unter dem die Leichen seiner Eltern verschüttet sind, und putzt sorgsam die Steine ab, um sie einzeln wieder fortzuwerfen. Eine Prinzessin probiert einen Hut an, während rings um das Geschäft alles in Flammen steht. Menschen schieben ihre Habseligkeiten in einem Kinderwagen durch die

12 Sebalds Modell ist Alexander Kluges Montage »Der Luftangriff auf Halberstadt am 8. April 1945« (Kluge 1978).

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Stadt. Ein Park hat sich in einen Dschungel verwandelt. Asphaltierte Boulevards werden zu zähflüssigen Strömen von Lava. Am Kurfürstendamm führen Treppen ins Nichts. Mitteleuropäer zelten wie Beduinen. Teile Berlins stehen unter Wasser; Menschen schwimmen durch riesige Krater. In der Reichshauptstadt breitet sich der Geruch von Gas aus, ebenso realistisch wie allegorisch. Im Sinne von Carpentiers Konzept des »real-maravilloso« gelang es Autoren wie Wassiltschikow, das Erlebte weder zu verleugnen noch zu verschieben, zu verharmlosen oder zu verschönern. Ohne sich in Verklärungen zu flüchten oder ins Triviale abzugleiten, beschrieben ausländische Beobachter den Vorgang der Zerstörung, die sie erlebt hatten, in genauen Einzelheiten. Durch Techniken der Selektion und Kombination konnten sie das Unbegreifliche sprachlich fassen. Vieles wirkte irreal und bedurfte keiner künstlichen Übertreibung. Während es Carpentier darum ging, unangemessene Gemeinplätze, die er in der europäischen Literatur fand, bei der Erzählung der eigenen Geschichte abzuwehren, vermochte Wassiltschikow, Klischees zu vermeiden, die der Beschreibung ihrer Erfahrung ebenso unrecht tun würden. Ausländische Zeugen wie die russische Aristokratin sahen das Befremdliche der deutschen Wirklichkeit mit fremdem Blick und ohne Apologie. Ihre verwirrende Absurdität konnten sie aufzeichnen, ohne Stilisierungen einzusetzen, die aus ihr hinausführen.

3. HISPANOAMERIKA (VIRGINIA GRÜTTER) In einem Kapitel seines Romans La consagración de la primavera (1978) erzählt Alejo Carpentier auch direkt von einer Reise nach Deutschland während der Nazizeit (Carpentier 1993: 99-111). 13 Sofern er nicht gänzlich fiktiv ist, beruht dieser Text über Weimar aber wohl auf einer Reise in die DDR. Fiktionen sind von Fiktionalisierungen, Phantasien von Zeugenberichten bisweilen schwer zu unterscheiden. Von einer realen, aber deshalb nicht weniger sonderbaren Reise berichtet Virginia Grütter (1929–2000) aus Costa Rica. 14 Die Dichterin wurde 1943 als

13 Für die deutsche Übersetzung siehe Carpentier 1995: 116-130. Vgl. Carpentier 1985a und 1985b. 14 Zur Lebensgeschichte von Virginia Grütter vgl. die biographische Notiz in Grütter 1984: 19-22; Rojas 1994; den Dokumentarfilm von Quinka Stoehr VIRGINIA GRÜTTER. MÁS FUERTE QUE EL DOLOR – STÄRKER ALS DER SCHMERZ (DE, 1995); vgl. Oliver Lubrich, Interview mit Virginia Grütter für UniRadio Berlin-Brandenburg, 14. Juli 1996.

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junges Mädchen von ihrer Heimat nach Elsass-Lothringen und dann nach Bayern verschlagen. Zusammen mit ihrem deutschen Stiefvater kam sie als Internierte aus den USA über einen Zivilgefangenenaustausch in ein Land, das sie noch nie gesehen hatte, um dort die letzten beiden Kriegsjahre und den Beginn der Nachkriegszeit zu verbringen. 15 Ihre Erlebnisse beschreibt Virginia Grütter in ihrer Autobiographie, Canto a mi tiempo (Grütter 1998: 60-95). Aber viel früher schon verarbeitete sie ihre deutsche Erfahrung in ihrem ersten Erzählwerk, dem poetischen Roman Boris (Grütter 1956, 1978), der später in einer Edition costaricanischer Klassiker unter dem Titel Los amigos y el viento (Grütter 1984) neu herausgegeben wurde, auf Deutsch Die Freunde und der Wind (Grütter 1995). 16 Virginia Grütters Blick auf Deutschland beziehungsweise der Blick ihrer jugendlichen Erzählerin, María, ist in dreifacher Hinsicht ein fremder: Als Jugendliche sieht sie auf die Gewalt eines Krieges der Erwachsenen; als junge Frau beschreibt sie eine Welt der Männer; und als Lateinamerikanerin wird sie in die deutsche Geschichte hineingerissen. Um diesen dreifach fremden Blick zu vermitteln, wählt Grütter einen ungewöhnlichen poetischen Modus. Ihr Text bewegt sich formal zwischen zwei Gattungen: novela testimonial und lyrical novel. Es handelt sich um einen romanhaften Erlebnisbericht in der ersten Person, der poetische Züge hat und intensiv lyrische Passagen enthält. Obwohl keine Jahreszahl genannt wird, lassen sich die Ereignisse ungefähr datieren, ausgehend vom Zeitpunkt des Einmarschs der Alliierten im Frühjahr 1945 (Grütter 1984: 59). Die Worte Deutschland oder deutsch fallen nicht. Nur eine einzige Ortsangabe wird gemacht, »Diesen« (ebd.: 48), der Name München, »Munich« (ebd.: 32), wird ohne Zusammenhang mit der Handlung erwähnt. Die Erzählerin, María Loos, und ihre Eltern wohnen auf einem Bauernhof bei einem kleinen Dorf in einer Landschaft mit Bergen und Seen. Die Gegend ist so entlegen, dass María mit dem Zug zur Schule fahren muss. Nach dem Ende des Krieges kommt die Familie in eine nicht näher bezeichnete »Stadt« (ebd.: 63). Virginia Grütter bemüht sich um eine authentische Wiedergabe ihrer Wahrnehmung als Vierzehn- bis Sechzehnjährige. Es scheinen keine späteren Erkenntnisse als explizite Reflexionen in den Text eingegangen zu sein. Ebenso wenig wird eine Erwartungshaltung thematisiert, die der unfreiwilligen Reise vo-

15 Als fiktionale Auseinandersetzung mit den Internierungen deutschstämmiger Lateinamerikaner vgl. den Roman von Juan Gabriel Vásquez Los informantes (2004). 16 Zur Rezeption Grütters vgl. Bähr 1996; Dobles 1996 und Hofmann 1996a und 1996b.

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rausging. Die Erzählung spart die Überfahrt und die Ankunft aus. Sie setzt mitten in Deutschland ein und mitten im Krieg. Weil sie konsequent der Perspektive des jungen Mädchens verhaftet bleibt, ist die poetische Erzählung nicht ausdrücklich und nicht vorwiegend politisch. Aus ihrer Sicht als Jugendlicher schildert die Ich-Erzählerin das Leben auf dem Land. Sie ist fasziniert von dem Wechsel der Jahreszeiten, den sie als Mittelamerikanerin hier zum ersten Mal erlebt. Die Jahreszeiten rhythmisieren die Erzählung, so dass sich diese chronologisch in acht Kapitel einteilen lässt, die jeweils dem Frühling, Sommer, Herbst und Winter der Jahre 1944 und 1945 entsprechen. 17 Neben Naturbeschreibungen (Blumen, Gräser, Blätter, Vögel, Wälder, Wiesen, Seen, Wind und Schnee) bilden die alltäglichen Erlebnisse der Heranwachsenden das vorrangige Thema des Textes: das Leben mit den Eltern, die Schule, Treffen und Gespräche mit Freunden, die Nachbarn und die Leute im Dorf, Träumereien und erste Verliebtheit. In dieses ländliche Idyll des exotischen Landes, in die Unbefangenheit des jugendlichen Blicks, in die naive Darstellung der Fremde und der pubertären Erfahrung brechen die Schrecken des Krieges und des Terrors um so drastischer herein: Kriegsversehrte und Traumatisierte, Verfolgte und Deportierte, Trümmer und Tod. Grütter thematisiert nicht nur den Wandel der Natur und das coming of age ihrer Protagonistin, sondern auch die Bombenangriffe und die kriegsbedingte Not, die Ermordung der Juden, den Einmarsch der Sieger, die Verbringung in ein Lager für displaced persons und schließlich die Repatriierung nach Costa Rica. All das konnte sogar ein Mädchen aus Übersee auf dem Land wahrnehmen. Das eigentlich Schockierende des Romans liegt gerade in der vermeintlichen Unbedarftheit seiner jugendlichen Erzählerin. Die Naivität des fremden Blicks bringt die Schrecken der Diktatur und des Krieges besonders deutlich zur Geltung.

4. BRASILIEN (JOÃO GUIMARÃES ROSA) Neben hispanoamerikanischen Zeugen hielten sich auch einige Brasilianer in Deutschland auf. 18 Der Journalist José Jobim veröffentlichte nach einer Deutsch-

17 Grütter 1984: 27-33; 33-45; 45-49; 49-58; 58-63; 63-70; 70-93 und 93-95. 18 Für den Kontext vgl. die Forschung zu den Beziehungen zwischen Brasilien und NaziDeutschland: Frye 1967; Hilton 1975, 1977 und 1991: 116-120 (Anmerkungen: 242f.) und 149 (Anmerkungen: 247); Silva Seitenfus 1985 und 2003; Tucci Carneiro 1988, hier u. a. die Anhänge 16 und 22 (Brasilianische Botschaft in Berlin).

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landreise schon 1934 ein Buch mit dem Titel Hitler und seine Tragikomödianten (Jobim 1934). Heitor Lyra war 1926–1927 (als 2.o Secretário) und abermals 1936–1937 (als Conselheiro) an der Botschaft in Berlin stationiert, wovon er in seinen Memoiren berichtet (Lyra 1972: 169-230 und 405-447). Weitere Diplomaten wie Roberto Mendes Gonçalves (1968) und Carlos Alves de Souza (1979: v. a. 77-81) schildern ihre Missionen in Wien. Von »Ruhm und Feigheit lateinamerikanischer Diplomaten in Nazi-Deutschland« handelt die Studie von Roberto Lopes, Missão no Reich (Lopes 2008). Den Fall des Militär-Attachés Gellio de Araújo Lima erforschte Eduardo Infante (2012). Soldaten der brasilianischen Expeditionsstreitkräfte, der Força Expedicionária Brasileira (FEB), die auf Seiten der Alliierten in Italien kämpften (1944-1945), gerieten in deutsche Gefangenschaft. Unter ihnen war Emílio Varoli, der von dieser Erfahrung Zeugnis ablegte (Varoli 1949: 434-465). Nach dem Krieg wurden diplomatische Dokumente aus Deutschland herausgegeben (Schmitt 1968). Der bekannteste Brasilianer, der sich in Nazi-Deutschland aufhielt, ist der Schriftsteller João Guimarães Rosa (1908-1967). Guimarães Rosa war 1938 bis 1942 als Konsul in Hamburg tätig. Von dieser Mission spricht er 1966 in einem Brief an seinen deutschen Übersetzer, Kurt Meyer-Clason (Guimarães Rosa 2003: 323-330). 19 Erhalten ist das Tagebuch vor allem aus den Jahren 19401941. 20 Es enthält neben handschriftlichen Notizen Ausschnitte aus der deutschen Presse, Zeichnungen und weiteres Material. Seine deutsche Erfahrung hat der Schriftsteller in mehreren Erzählungen verarbeitet, die postum herausgegeben wurden und sich deutscher Begriffe bedienen. 21 Der Aufenthalt im Totalitarismus zeigt hier kulturelle, poetische und sprachliche Effekte, die eine eigene Studie wert wären – und einen Vergleich etwa mit Samuel Beckett, für den der Aufenthalt in der Diktatur (1936-1937) ebenfalls als eine Art Schreiblabor diente, das die Entwicklung seiner Poetik anregte.

19 Guimarães Rosa an Meyer-Clason am 1. Mai 1966. Hier S. 324: »foi o ConsuladoGeral do Brasil em Hamburgo o meu primeiro posto«. 20 Das Manuskript der Cadernos von João Guimarães Rosa hat rund 200 Seiten und umfasst die Zeit vom August 1939 bis zum 30. Januar 1942. Eine kommentierte Transkription unter dem Titel Diário de guerra haben Eneida Maria de Souza, Georg Otte und Reinaldo Marques angefertigt (Guimarães Rosa 2006). Vgl. Otte 2018. 21 Vgl. Guimarães Rosa 1978 (postum, 1970): »O Mau Humor de Wotan« (S. 3-11); »A Velha« (ebd.: 90-93); außerdem: »Zoo (Hagenbecks Tierpark, Hamburgo-Stellingen)« (ebd.: 153-155).

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5. AFRIKA (W. E. B. DUBOIS) Die dänische Schriftstellerin Karen Blixen (1885-1962) begab sich 1940 als Journalistin nach Bremen und Berlin. Ihre dreiteilige Artikelserie erschien nach dem Krieg auf Dänisch unter dem Titel »Briefe aus einem Land im Krieg« (Blixen 1948a und 1948b). 22 Nachdem sie lange Zeit in Kenia gelebt und über diese Zeit publiziert hatte, vor allem den bekannten Roman Out of Africa (1937), Jenseits von Afrika, bezieht sich Blixen auch in ihrem deutschen Reisebericht auf den afrikanischen Kontinent. Afrika bildet den Hintergrund ihrer Erfahrung und wird zu einer Metapher für Deutschland. So besucht sie in Bremen ein Kolonialdenkmal, und in der Nacht stellt sie sich vor, sie sei wieder in Kenia. Über ihren Stadtführer schreibt sie: »Er hatte dieselbe Eigenart wie meine schwarzen Leute in Afrika« (Blixen 1993: 116). Den Nationalsozialismus vergleicht sie mit der Aggressivität des frühen Islam. Unter dem Namen Usikota erschien dagegen in England der Bericht eines fiktiven afrikanischen Reporters, Zulu in Germany (Usikota 1938). 23 Nach dem Vorbild der Lettres Persanes von Montesquieu (1721) wird hier ein äußerst fremder Blick von der Peripherie simuliert. Deutschsprachige Vorläufer einer solchen vorgeblichen Fremdwahrnehmung und Perspektivumkehrung sind Die Forschungsreise des Afrikaners Lukanga Mukara ins innerste Deutschland von Hans Paasche (1912-1913) 24 oder auch Afim-Assanga, Die Schwarze Welle. Ein Negerroman von Fritz Oswald Bilse (1925). 25 Satirisch wird Usikotas pseudo-afrikanischer Blick auf die totalitäre Gesellschaft als anfangs durchaus naiv begeisterter vorgespielt: beeindruckt von den deutschen »Eingeborenen« (»the German tribe«) (Usikota 1938: 109f.), die von einem mächtigen »Häuptling« (»the great chief«) (ebd.: 16) regiert werden und sich »monumental huts« erbaut haben, in München etwa »the brown hut« oder »the hut of German art« (ebd.: 170). Das Ende der Vergleichbarkeit ist jedoch bald erreicht, und es beginnt eine Umkehrung zwischen angeblichen ›Wilden‹ und vorgeblicher ›Zivilisation‹. Als der Korrespondent am Ende verschollen ist, muss sich der Herausgeber seiner Berichte Sorgen machen, da die Gefährlichkeit der Deutschen bereits 1938 allgemein bekannt ist: »Were you slain by the nati-

22 Englische und deutsche Übersetzungen: Blixen 1977 und 1993. 23 Der Autor ist Carl Brinitzer, Mitarbeiter beim deutschen Dienst der BBC in London (vgl. Brinitzer 1969: 63). 24 Paasche 2010 (1912-1913 in der Zeitschrift Der Vortrupp und 1921 als Buch erschienen). 25 Afim-Assanga 1925 (der Verfasser ist Fritz Oswald Bilse).

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ves of Germany? Were you roasted in a fire and then eaten by them?« (ebd.: 190). Die gespielte Begeisterung vergeht grauenvoll. Der ganz fremde Blick wird hier satirisch übersteigert und umgekehrt. Zulu in Germany ist im Hinblick auf Nazi-Deutschland das seltene Beispiel für das kritische Verfahren ironischer Affirmation, wie es Christian Kracht später an Nordkorea vorgeführt hat (Kracht 2006), indem er die totalitäre Diktatur als das perfekte ›Kunstwerk‹ des Diktators zu bewundern vorgab. 26 Aber es gibt nicht nur metaphorische oder satirische Bezüge auf Afrika. Das Leben tatsächlicher Schwarzer in Nazi-Deutschland wird seit einigen Jahren historiographisch und biographisch erforscht. Marianne Bechhaus-Gerst verfasste eine Studie über »Schwarze Deutsche, Afrikanerinnen und Afrikaner im NSStaat« (Bechhaus-Gerst 2004) sowie eine Biographie des Sudanesen Mahjub bin Adam Mohamed, der 1914 für die Deutschen in Ostafrika kämpfte, dann nach Deutschland ging und in Sachsenhausen ums Leben kam (Bechhaus-Gerst 2007). Der Afrodeutsche Hans Massaquoi veröffentlichte 2001 seine Erinnerungen, Destined to Witness (Massaquoi 2001). Ulrich van der Heydens Sammelband über Afrikaner im deutschsprachigen Raum (2008) enthält für die Zeit des Nationalsozialismus einen Beitrag über den Entertainer William MacAllan (Heyden 2008: 261-265). Léopold Sédar Senghor geriet 1940 in Frankreich in Kriegsgefangenschaft (ebd.: 274-282) und schrieb im Lager den Gedichtzyklus »Hosties noires«. 27 Senghor wurde später zum ersten Präsidenten des Senegal (1960-1980) und zu einem Protagonisten der Négritude-Bewegung. Der afro-amerikanische Soziologe W. E. B. Du Bois (1868-1963) ging zu einem mehrmonatigen Forschungsaufenthalt nach Nazi-Deutschland (1936-1937) (Du Bois 2010: 135-151). Du Bois hatte im wilhelminischen Berlin studiert. 28 Nun berichtete er in einer wöchentlichen Kolumne im Pittsburgh Courier aus dem ›Dritten Reich‹. 29 Seine Beiträge wurden kritischer, sobald absehbar wurde, dass sie erst nach seiner Ausreise erscheinen würden und er keine Repressalien mehr befürchten musste.

26 Vgl. Lubrich 2016. 27 Erschienen in Senghor 1984 (1964): 72-73 (»Camp 1940. Au Guélowar«), 75-76 (»Camp 1940. À Abdoulaye Ly«), 77 (»Assassinats«) und Senghor 1956. Vgl. ders. 1980: 82-87. 28 Vgl. Buch 2014. 29 W. E. B. Du Bois, »Forum of Fact and Opinion«, wöchentliche Kolumne, in: The Pittsburgh Courier, 26. September 1936 bis 9. Januar 1937. Vgl. »Farbiger bereist Nazi-Deutschland« (Du Bois 1937).

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Dabei bemerkte Du Bois im ›Dritten Reich‹, dass er als Opfer des Rassismus geradezu übersehen zu werden schien. Überrascht stellte er fest, wie höflich er in Deutschland behandelt wurde. »I cannot get over the continual surprise of being treated like a human being« (ebd.: 150). Ausgerechnet im Reich Adolf Hitlers habe er als Schwarzer keine Diskriminierung erfahren, was über einen so langen Zeitraum in den USA schlicht »impossible« (ebd.: 142) gewesen wäre. Aber Du Bois wusste, dass sich der Rassismus in Deutschland um so schärfer auf eine andere Gruppe konzentrierte. Der Nachfahre afrikanischer Sklaven verglich die Verfolgung der Juden mit der ›Rassentrennung‹ in den USA, die man im Jahr 1936 vor allem mit Blick auf die Südstaaten durchaus noch hätte für ähnlich schlimm halten können. Aber Du Bois erkannte den Unterschied in der Tendenz öffentlicher Demütigung und fanatischer Gewalt: »There is a campaign of race prejudice […] against the Jews, which surpasses in vindictive cruelty and public insult anything I have ever seen; and I have seen much« (ebd.: 143).

6. OSTASIEN (SHI MIN) Asiatische Zeugen kamen aus dem mit Deutschland verbündeten Japan ebenso wie aus den von Japan besetzten Ländern, zum Beispiel Korea. Der japanische Dichter Yamaguchi Seison lebte 1937 bis 1939 als Gastwissenschaftler in Berlin und führte ein Tagebuch (Seison 2002). Der Roman des japanischen Schriftstellers Morio Kita In Nacht und Nebel (1960) 30 handelt von einem japanischen Arzt, der ab 1939 die Euthanasie-Politik in Nazi-Deutschland miterlebte. 31 Ein koreanischer Student, der bereits in den 1920er Jahren nach Deutschland gekommen war und sich dort niederließ, war Mirok Li. 32 Ein chinesischer Student, der als Kuomintang-Anhänger mit dem Faschismus sympathisierte und zugleich wusste, dass er in Deutschland selbst das Objekt von Rassismus war, beschrieb diese widersprüchliche Erfahrung unter dem Pseudonym Shi Min. 33 Diese Ambivalenz kommt in seinem Bericht vom Aufenthalt in Berlin zum Ausdruck. Shi Min vergleicht hier die »makellose Sauber-

30 Kita 1960; deutsche Übersetzung: Kita 2013. 31 Zum Roman vgl. Borchardt 2014. 32 Vgl. Li 1982 und den biographischen Fernsehfilm DER YALU FLIEßT (KOR/DE, 2008), Regie: Jonghan Lee. 33 Shi Min 1938: »Deguo youji« (›Deutscher Reisebericht‹); übersetzt von Heiner Frühauf: Shi Min 2004.

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keit« des öffentlichen Raums in der Reichshauptstadt mit dem widerwärtigen »Schmutz« auf chinesischen Straßen. Uns Chinesen bleibt da nichts Anderes übrig, als voller Bewunderung das gelbe Gesicht zu heben und andächtig zu staunen. […] Müssen wir da nicht zugeben, dass es uns Angehörigen der ›Rassenkategorie dritten Grades‹ nicht zusteht, das solide Glück der ›Übermenschenrasse‹ zu genießen!? (Shi Min 2004: 180)

Bei diesem Rassismus, der sich gegen den Sympathisanten selbst richtet, ist kaum zu entscheiden, ob er zum Selbsthass tendiert oder zur Ironie.

7. INDIEN (SUBHAS CHANDRA BOSE) Eine lange Geschichte hat die indische Präsenz in Deutschland. 34 Im Ersten Weltkrieg kamen indische Kriegsgefangene. 35 Nicht fiktiv, aber fiktional erzählt Vikram Seth die Geschichte seines Großonkels, Shanti Behari Seth, und seiner deutsch-jüdischen Großtante, Hennerle Gerda Caro, in Two Lives (Seth 2005). Der bekannteste indische Besucher von Nazi-Deutschland ist wahrscheinlich Subhas Chandra Bose (1897-1945). Der Politiker, der gegen die britische Kolonialherrschaft kämpfte, reiste mehrfach ins Reich: 1933, 1934, 1935, 1936, 1937 und 1938 sowie für längere Zeit während des Krieges, vom 2. April 1941 bis zum 9. Februar 1943. In Badgastein bei Salzburg heiratete er die Deutsche Emilie Schenkl, am 29. November 1942 wurde in Wien die gemeinsame Tochter Anita geboren (vgl. Bose 2016). In Deutschland rekrutierte Bose indische Kriegsgefangene für die »Indische Legion« (Goel 2003). Über das Azad Hind Radio sendete er Propaganda in die Heimat. Es kam sogar zu einem Treffen mit Adolf Hitler. 1943 wurde Bose in einem U-Boot nach Japan gebracht. 1945 kam er bei einem Flugzeugabsturz ums Leben. Nach dem geopolitischen Kalkül, dass der Feind eines Feindes ein Freund sei, hatte der Befreiungskämpfer einen Bund mit dem Teufel geschlossen. Wohlwollend betrachtet, könnte man von einem tragischen Fehler sprechen. In jedem Fall führte er in den Untergang. Es gibt eine vor allem anglo-indische historische und biographische Forschung zu Mahatma Gandhis großem Gegenspieler im antikolonialen Befrei-

34 Hierzu vgl. Oesterheld 1996: 340-344. 35 Vgl. Roy/Liebau/Ahuja 2011.

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ungskampf, etwa Hugh Toyes The Springing Tiger (1991) 36 und Sugata Boses His Majesty’s Opponent (Bose 2011) 37 sowie Sarmila Boses Artikel »Love in the Time of War« (Bose 2005) oder auch Kris Manjapras umfassende Studie Age of Entanglement (Manjapra 2014). 38 Als Quellenmaterial liegen Boses Briefe, Reden und Schriften vor, die in mehreren Bänden seiner Collected Works herausgegeben wurden. 39 Es bleibt ein Desiderat, dieses Material nicht nur politisch, sondern auch ethnographisch zu lesen, nicht allein im indischen Kontext, sondern im Hinblick auf Deutschland.

8. AUSBLICK Bei Jean Genet stieß ein Projekt der Selbstalterisierung in Deutschland an seine Grenzen. Marie Wassiltschikow entwickelte eine internationale Poetik des Luftkrieges. Virginia Grütter erfasste die Schrecken von Krieg und Diktatur mit der Naivität einer jugendlichen Beobachterin aus Übersee. Für João Guimarães Rosa wurde die Diktatur zu einem Labor der Literatur. W. E. B. Du Bois unternahm eine Komparatistik der Rassismen. Shi Min gestand die Ambivalenz des Sympathisanten. Und Subhas Chandra Bose erfuhr die Paradoxie und die Tragik eines antikolonialen Kollaborateurs. Zeugen, die Nazi-Deutschland von der ›Peripherie‹ aus wahrnahmen, konnten zu ungewöhnlichen Einsichten gelangen und sich ungewöhnlicher Formen bedienen. Der fremde Blick sieht mehr – der fremdere Blick manchmal noch mehr.

36 Toye 2011, v. a. 88-114. 37 Bose 2011, v. a. S. 91-92 (Anmerkungen: S. 339), S. 104-110 (Anmerkungen: S. 341f.), S. 195-200 (Anmerkungen: S. 353f.), S. 201-237 (Anmerkungen: S. 354-359). 38 Manjapra 2014, v. a. S. 88-108 (Anmerkungen: S. 329-342). 39 Bose 1994-2016, insbesondere die Bände 8-12: Letters, Writings and Speeches aus den Jahren 1933-1945.

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STÄRKER ALS DER

SCHMERZ

Nationalsozialismus und die Zerstörung der narrativen Tradition des Humanen Artur Dinters Zeitroman Die Sünde wider das Blut – eine Vorlage für Adolf Hitlers Mein Kampf Dagmar von Hoff

Sich der Verbindung von Nationalsozialismus, Antisemitismus und Romankunst zu nähern, heißt, das Augenmerk nicht etwa nur auf die semantisch-ästhetische Konturiertheit des literarischen Werkes zu legen, sondern vordringlich die problematischen politischen Vorstellungsweisen, wie sie in populären Mythologemen und der Gestaltung pauschalisierender europäischer Erinnerungserzählungen zum Ausdruck kommen, in ihrem jeweiligen historischen Kontext zu betrachten und zu begreifen. Zu analysieren sind dabei die sozialen Spannungslagen und Krisen, die nach der Beendigung des Ersten Weltkrieges die frühe Weimarer Republik prägen sollten. Zu einer der gefährlichsten Kräfte, die aus dem Ersten Weltkrieg resultieren und die mitverantwortlich zeichnen für die Katastrophe des Zweiten Weltkrieges, muss ein ethnisch-rassistischer Nationalismus gelten, der sich in Europa – wie Ian Kershaw darlegt – geradezu »explosionsartig« ausbreitete und zusammen mit anderen geopolitischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Faktoren in eine »Periode ungeheurer Gewalt« (Kershaw 2016: 14) einmünden sollte. Dabei kommt dem deutschen Antisemitismus eine neue schreckliche Dimension zu. Es bildete sich eine antisemitische Rhetorik neuer Prägung heraus, die auf traditionelle Muster zurückgreift, wie sie seit langem in christlichen Vorstellungswerten kultiviert wurden, aber auch alte stereotype Vorurteile, nachdem zum Beispiel die Juden für wirtschaftliche Krisen verantwortlich zu machen seien, spielten weiterhin eine Rolle. Was jetzt aber neu in eine judenfeindliche Argumentation aufgenommen wurde, war die Legitimierung des antisemitischen Ressentiments vor dem Hintergrund einer »potenziell mörderischen Rassenlehre, die eine pseudowissenschaftliche ›biologische‹

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Rechtfertigung für Hass und Verfolgung« (ebd.: 36) bot. Diese, sich herausbildende, auf Vernichtung zielende Rhetorik konnte dabei auf biologistische Denkweisen zurückgreifen, wie sie sich etwa seit 1880 in Rassentheorien und Vorstellungen von Rassenhygiene behauptet hatten. So spricht Götz Aly davon, dass seit 1880 ein sprunghafter Anstieg des antisemitischen Diskurses in Westund auch in Osteuropa zu verzeichnen ist (vgl. Aly 2016: 21). Auf die gefährliche Dimension und Bedeutung dieses »biologische[n] Antisemitismus« hat ebenfalls Kershaw zu Recht verwiesen, galten Juden doch jetzt »›ihrem Blut nach‹« als »anders« (Kershaw 2016: 36), weshalb sie nicht mehr nur diskriminiert, sondern ausgeschlossen werden mussten. Es handelte sich um eine »Doktrin«, die »potenziell auf den Weg physischer Vernichtung« (ebd.: 36) führte. Wie nun diese vorgeblich naturwissenschaftlich-medizinischen Vorstellungswelten eines neuen Antisemitismus eine breite gesellschaftliche Verbreitung finden konnten, soll anhand von Artur Dinters Roman Die Sünde wider das Blut nachvollzogen werden. Dabei wird deutlich, dass die Funktion der Verwendung von pseudowissenschaftlichen Diskursen gerade darin besteht, vorhandene narrative Strukturen so zu verwenden, dass sich neue Erzählweisen unmittelbar an bereits erfolgreich tradierte Narrative anknüpfen lassen.

1. DINTERS ZEITROMAN – EINE VORLAGE FÜR HITLERS MEIN KAMPF Als ein paradigmatisches Beispiel für einen antisemitischen Hetzroman, der in der Weimarer Republik einen großen Erfolg hatte, kann Artur Dinters belletristisches Werk Die Sünde wider das Blut. Ein Zeitroman (1917) 1 gelten. Dieser Roman, von dem bis 1922 rund 200.000 Exemplare verkauft wurden, 2 ist Teil einer Trilogie, zu denen ebenfalls die Bände: Die Sünde wider den Geist. Ein Zeitroman (1921) sowie Die Sünde wider die Liebe. Ein Zeitroman (1922) gehö-

1

Das Erscheinungsdatum des Romans Die Sünde wider das Blut wird in der Forschungsliteratur zumeist mit 1918 angegeben, korrekt ist jedoch das Jahr 1917, da das Buch zunächst im Selbstverlag vom Verfasser herausgegeben wurde (vgl. Bosch 1991: 617).

2

Die im Auftrag des Instituts für Zeitgeschichte (München-Berlin) erstellte zweibändige kritische Edition zu Adolf Hitlers Mein Kampf weist an verschiedenen Stellen in der Kommentierung auf die hohe Auflagenzahl und die Bedeutung von Artur Dinters Roman für Hitlers Schrift hin (vgl. Hitler, Mein Kampf. Kritische Edition 2016: 656).

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ren. 3 Mit seinem ersten Teil der Trilogie konnte sich Dinter als wichtiger Vorbereiter nationalsozialistischer Ideologeme behaupten, sodass er neben Adolf Bartels oder Hans Grimm für eine Romanform verantwortlich zeichnet, die eine verheerende Verbindung von Rassentheorie, Propaganda und schemaorientiertem Erzählen vornahm und so zu einem erstarkenden Antisemitismus in der frühen Weimarer Republik beitrug. Helmuth Kiesel weist in seiner Geschichte der deutschsprachigen Literatur 1918-1933 zwar darauf hin, dass man im eigentlichen Sinne Dinters antisemitischen Roman Die Sünde wider das Blut nicht als nationalsozialistischen Roman bezeichnen kann, da er im Gegensatz etwa zu Joseph Goebbels Roman Michael. Ein deutsches Schicksal in Tagebuchblättern (1929) oder zu Hanns Heinz Ewersʼ biographischem Roman Horst Wessel (1932), »kein nationalsozialistisches Buch im organisatorischen Sinn« (Kiesel 2017: 911) ist. Dennoch – und das darf nicht unterschätzt werden – formuliert sich in Dinters Werk ein rassistisches und antisemitisches Denken, das die ›Nürnberger Gesetze‹ von 1935 mit vorbereiten sollte. Die unheilvolle Bedeutung des Buches drückt sich sowohl in der hohen Auflagenhöhe – schon 1921 lag das Buch in der 15. Auflage mit 170.000 Exemplaren vor – als auch in der breiten Rezeption des Werkes aus. So soll der Roman insgesamt 1,5 Millionen Leser gefunden haben (vgl. Hitler, Mein Kampf. Kritische Edition 2016: 849). Im Vergleich dazu kam Joseph Goebbels Tagebuchroman Michael (1929) wahrscheinlich nur auf etwa 80.000 Exemplare bei 17 Auflagen, was demgegenüber als wenig erscheinen muss (vgl. Kiesel 2017: 914). Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang auch, dass selbst Adolf Hitler zur Leserschaft des Romans Sünde wider das Blut zu rechnen ist. Schon seit dem Frühjahr 1923 bestanden zwischen Hitler und Dinter engere Kontakte, wobei zu diesem Zeitpunkt die Fragen eines ›artgemäßen Glaubens‹ diskutiert wurden (vgl. Hitler, Mein Kampf. Kritische Edition 2016: 1432). Später dann sollte Dinter Hitler im Januar 1927 »ein persönlich gewidmetes Exemplar seines Romans« (ebd: 849) schenken. Es ist aber auch davon auszugehen, dass Hitler schon zu diesem Zeitpunkt den Roman gekannt haben muss (vgl. ebd.). Dementsprechend verweist die in zwei Bänden herausgegebene kritische Edition Hitler, Mein Kampf (2016) ausdrücklich auf

3

Während Die Sünde wider das Blut insgesamt bis 1934 eine Auflage von über einer Viertelmillion erreichte – bereits 1921 lag das Buch in der 15., gründlich überarbeiteten Auflage (146-170.000) vor –, konnten die beiden Folgebände der Trilogie diese Auflagenhöhe nicht erreichen. Die Sünde wider den Geist (1921) erschien zwar noch im selben Jahr zum zweiten Mal (Auflagenhöhe 12-20.000), Die Sünde wider die Liebe (1922) wurde hingegen erst 1928 in einer weiteren Auflage publiziert (26-30.000) (vgl. Bosch 1991: 617).

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die Bedeutung der Verbindung von Artur Dinter und Adolf Hitler hin und zeigt darüber hinaus, dass deutliche Spuren von Dinters Werk in Hitlers Mein Kampf wiederzufinden sind. An dieser Stelle sollte man sich kurz vergegenwärtigen, dass Hitlers Buch als »ein Bestseller« gelten muss, »wie es selten einen gab« (ebd.: 9). Denn es wurden etwa »12.450.000 Exemplare in mindestens 1.122 Auflagen [...] während der Jahre 1925 bis 1945 unters Volk gebracht« (ebd.). Die Erfolgsgeschichte eines Textes, dessen Wirksamkeit nicht unterschätzt werden darf. Es handelt sich mit Mein Kampf (Erscheinungsdaten: Bd. 1: 1925; Bd. 2: 1926; einbändige Volksausgabe: 1930) um eine propagandistische Kampfschrift, in der Hitler sich selbst ermächtigt und seinen Führungsanspruch proklamiert. Hierfür konstruiert er ein Konglomerat aus unterschiedlichsten Textelementen: pseudowissenschaftliche Formeln stehen neben pathetischen Tönen, heimatliterarische Anklänge neben propagandistischen Absichten. Hitler bedient sich einer manipulativ-rhetorischen Sprache, die sich bestimmter, gerade auch in der Literatur häufig verwendeter Sprach-Bilder und vorgezeichneter ideologischer Assoziationssysteme annimmt, um eine »Legitimation des umfassenden Anspruchs auf Welterklärung« (Braun/Marxhausen 2011: 208) zu behaupten. Dass dabei die Textpassagen nicht ohne Lügen und ein problematisches Wiederholen von Falschaussagen auskommen, darf nicht weiter verwundern, versucht dieses Pamphlet doch ausschließlich nationalsozialistische Ideologeme zu etablieren. Insofern werden für diese propagandistischen Absichten gerade auch Anleihen an stereotypen narrativen Schemata mit vorgezeichneten antisemitischen Bildwelten gesucht. Hier nun stellt Dinters Roman Die Sünde wider das Blut eine ideale Vorlage dar, bietet doch der Roman einen Fundus von rassistischen und antisemitischen Vorstellungen, bei dem vor allem auch biologistische Argumentationsweisen in den Verlauf der Romanhandlung einbezogen werden. Schon bei Dinter und später auch in der von Hitler verwendeten Strategie zeichnet sich ab, dass gerade biologische Metaphern, wie zum Beispiel ›Blutvergiftung‹ oder ›Volkskörper‹, so verwendet werden, dass sie nicht mehr nur einen Einzelbegriff darstellen, sondern einen weiten Implikationshorizont abstecken. Wird aber eine Metapher oder Stereotype in einen größeren Kommunikationszusammenhang übernommen, hat dies einen geradezu realitätskonstruierenden Charakter, aus dem ganze Geltungsansprüche abgeleitet werden können (vgl. ebd.: 193f.). Mittels Verschwörungstheorien soll eine propagandistische Wirkung erzielt werden, bei der die Ermordung der Juden geradezu mitgedacht wird. Verschwörungstheoretisch zu denken heißt, jegliche »Gegenevidenz« (Jaster/Lanius 2019: 59) zu eliminieren und dabei immer weitere vermeintliche Erklärungen und Falschaussagen rhetorisch in Szene zu setzen, um die »Kerngeschichte zu bewahren« (ebd.), die auf die Vernichtung jüdischer Identität zielt.

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2. RASSENPOLITIK UND NATURMETAPHERN – EINE ANTISEMITISCHE RHETORIK Nicht nur biologistisches Vokabular hatte um die Jahrhundertwende Konjunktur, sondern es waren vor allem auch ganze Diskurszusammenhänge, die in manipulativer Absicht in pseudowissenschaftlicher Manier in sozialen und kulturellen Kontexten etabliert wurden. Naturwissenschaftliche und medizinische Vorstellungswelten fanden eine breite gesellschaftliche Verbreitung und hatten so auch Eingang in ein Reservoir von literarischen Erzählstrategien. Hierzu gehört der Begriff der ›Rassenhygiene‹, wie er 1895 von Alfred Ploetz als Ausdruck für die »Wissenschaft von der optimalen Erhaltung und Entwicklung der Rasse« (Ploetz zit. in Schmitz-Berning 1998: 511) geprägt wurde und wie er später bei Hitler in Mein Kampf seinen Platz behauptete. Dabei ist es vor allem der Terminus ›Blutschande‹, der bei Dinter in seinem Roman eine Umwertung erfuhr und in krude menschenverachtende Vorstellungen einmündete. Die im Roman aufgeführten Vorstellungen von der sogenannten ›Übersexualität‹ der Juden und der planmäßigen Zersetzung der sogenannten deutschen ›Herrenrasse‹ verdichteten sich zu einer antisemitischen Grundhaltung, wie sie schließlich in dem am 15. September 1935 auf dem Reichsparteitag in Nürnberg beschlossenen Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre (dem sogenannten Blutschutzgesetz) zum Ausdruck kommen sollte (vgl. Schmitz-Berning 1998: 121). In diesem Zusammenhang ist es interessant, sich zu vergegenwärtigen, dass Artur Dinter (1876-1948) selbst ein naturwissenschaftliches Studium absolviert hat. Dies hat er 1903 mit einer Promotion abgeschlossen, auch folgte später eine Ernennung zum Direktor der botanischen Schulgärten Straßburgs (vgl. Bosch 1991: 598). Diese naturwissenschaftliche Orientierung stand aber immer auch neben seiner Neigung, eine literarische Karriere zu verfolgen. Diese konnte er nach dem Ersten Weltkrieg – er nahm von 1914-1916 als Infanterist am Ersten Weltkrieg teil – realisieren (vgl. ebd.: 600). Die während der Zeit seines naturwissenschaftlichen Studiums gewonnenen Erkenntnisse nutzte er, um diese in seine literarischen Vorstellungswelten zu überführen. Dabei spielt neben der neuartigen Verwendung des ›Blutschande‹-Begriffs vor allem die Verwendung der sogenannten ›Imprägnationstheorie‹, einer fehlerhaften naturwissenschaftlichen Überlegung, die Dinter in seinen Roman einführte, eine Rolle. Die Imprägnationstheorie geht zurück auf eine Vorstellung unter Tierzüchtern im 19. Jahrhundert, wonach ein weibliches Tier bei seiner ersten Begattung vom Sperma des Männchens ›imprägniert‹ wird, was bedeutet, dass selbst alle späteren Paarungen von den Vererbungsmerkmalen dieses ersten Männchens geprägt sind (vgl. Hitler, Mein Kampf. Kritische Edition 2016: 849). Diese Vorstellung sollte

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schließlich von Otto Weininger auf den Menschen übertragen werden. Zwar ist die Idee 1904 von dem Königlich Sächsischen Landestierzuchtdirektor Gustav Pusch widerlegt worden, die belegte Falschheit dieser Theorie führte jedoch nicht zur Revision der Vorstellung, sondern beförderte geradezu noch das pseudowissenschaftliche Klischee (vgl. ebd.). So heißt es bei Dinter: Es ist eine bedeutungsvolle, in der Tierzucht gemachte Erfahrung, daß ein edelrassiges Weibchen zur edleren Nachzucht für immer untauglich wird, wenn es nur ein einziges Mal von einem Männchen niederwertiger Rasse befruchtet wird. [...] Nun ermesse man den Schaden, der jahraus jahrein der deutschen Rasse durch die Judenjünglinge zugefügt wird, die alljährlich tausende und abertausende deutscher Mädchen verführen! (Dinter 1921: 266)

Bei Hitler nun findet sich in Mein Kampf die Übernahme dieser bizarren Annahme in dem Kapitel »Volk und Rasse«. Demagogisch formuliert er dies folgendermaßen: »Der schwarzhaarige Judenjunge lauert stundenlang, satanische Freude in seinem Gesicht, auf das ahnungslose Mädchen, das er mit seinem Blute schändet und damit seinem, des Mädchens Volke raubt« (Hitler, Mein Kampf. Kritische Edition 2016: 847). Dieser Satz liest sich geradezu wie eine Zusammenfassung von Dinters Roman; so etwa, wenn dort der Protagonist Hermann Kämpfer, dessen Frau Johanna in der familiären Abstammungslinie von »blonde[n] Nordgermanen« (Dinter 1921: 265) steht, zum »Entsetzen« beider »ein Kind mit schwarzem Kraushaar, dunkler Haut und dunklen Augen, ein echtes Judenkind« (ebd.: 265f.) zur Welt bringt. Als Grund dafür wird im Roman eine frühe Schwangerschaft Johannas angeben. Sie gesteht, »daß sie etwa vor zehn Jahren von einem getauften jüdischen Offizier, der ihr die Heirat versprochen hatte, verführt und von ihm sitzen gelassen worden sei« (ebd.: 266). Diese ›Katastrophe‹ ist – in der fatalen Ableitung der Imprägnationstheorie gedacht – nicht wieder rückgängig zu machen, denn durch »eine solche aus unedlem männlichen Blute erzeugte Mutterschaft wird der ganze Organismus des edelrassigen weiblichen Geschöpfes vergiftet und nach der unedlen Rasse hin verändert, so daß es nur noch imstande ist, unedle Nachkommen zur Welt zu bringen [...]« (ebd.). Und Dinter spielt für seine Protagonisten konsequent die Folgen durch, die aus einer mörderischen Logik hervorgehen und dieser gehorchen. Hermann Kämpfer erschießt den Juden, der inzwischen zum Hauptmann aufgestiegen ist und Johanna nimmt »sich samt dem Kinde durch Morphium das Leben« (ebd.: 267). Damit zeichnet der Roman Die Sünde wider das Blut also schon die Konsequenzen der nationalsozialistischen Euthanasieprogramme sowie einer planmäßigen Vernichtung der Juden vor. Hitler selbst sollte später diese biologistischen

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Stereotypen Dinters in seine Propagandasprache transferieren, bei der eine Naturgesetzlichkeit suggeriert wird, die sich durch apodiktische Setzungen auszeichnet. Die »Niedersenkung des Niveaus der höheren Rasse« ist dann ausschließlich als »Ergebnis jeder Rassenkreuzung« (Hitler, Mein Kampf. Kritische Edition 2016: 743) zu verstehen. Weiterhin findet man in diesem Zusammenhang in Hitlers Mein Kampf eine an Dinter erinnernde stilistische Anleihe, die in ihrer Wirkkraft geradezu als unhintergehbar erscheint, werden hier doch höhere Mächte zur Untermauerung seiner Vorstellungen herangezogen: »Eine solche Entwicklung [gem. ist die ›Rassenkreuzung‹; D.v.H.] herbeizuführen, heißt aber denn doch nichts anderes als Sünde treiben wider den Willen des ewigen Schöpfers« (ebd.: 747). Zwar war die These von der Verminderung des ›Wertes‹ einer ›Rasse‹ durch ›Rassenmischung‹ schon zu der Zeit, als Hitler Mein Kampf schrieb, wissenschaftlich widerlegt, doch ging es der propagandistischen Aussage nicht um Rationalität, sondern ausschließlich um eine emotionalisierende, aufhetzerische Wirkung. So hatte Eugen Fischer schon 1913 ausgeführt, dass die »so oft gehörte Aussage, die Bastarde seien geistig, vor allem moralisch, stets schlechter als beide Stammrassen, […] sicher falsch [sei]« (Eugen Fischer zit. in ebd.: 746). Weitere Wissenschaftler, wie der Mediziner Christoph Hartung von Hartungen, sprachen sogar ›Mischlingen‹ eine höhere Intelligenz zu (vgl. ebd.). Auch hatte die biologische Forschung der Zeit der Einteilung der Menschen in Rassen widersprochen und darauf hingewiesen, »dass die genetischen Unterschiede zwischen Individuen einer Population oft größer sein können als die Unterschiede zwischen verschiedenen Populationen« (ebd.). Hierauf konnte auch schon Rudolf Virchow hinweisen. So hatte er sich bereits 1886 mit dem Bild vom ›schwarzhaarigen Juden‹ als weit verbreitetem antisemitischen Stereotyp auseinandergesetzt. Er veröffentlichte eine Studie zu der Augen-, Haar- und Hautfarbe jüdischer Schulkinder und war zu dem Ergebnis gekommen, dass von »75.377 begutachteten Schülern [...] nur 8.644 schwarze Haare (11,5 %); hingegen [...] 24.154 Kinder blond (32 %), die übrigen braun- oder rothaarig« (vgl. ebd.: 848) seien. Doch dieses Wissen um die Falschheit von apodiktischen Aussagen führte eben nicht zu einer Infragestellung der behaupteten antisemitischen Vorurteile, sondern vielmehr reichte es – und dies gilt sowohl für Dinter als auch für Hitler – im Sinne des demagogischen Sprachgebrauchs vollkommen aus, eine »ostentative Zustimmung zu extremen Aussagen zu gründen« (Koschorke 2016: 79). Hierbei tun eben »auch glatte Lügen ihren Dienst« (ebd.), wie Albrecht Koschorke zu Recht in Bezug auf die Analyse von Hitlers Mein Kampf feststellt. Denn es geht allein darum, einen Pakt zwischen Autor und Leser zu schmieden. Koschorke führt in seiner Studie zu Hitlers Mein Kampf aus, wie der passiv Zuhörende vom Wortführer mit Ideologemen, wie hier einer rassenbiologischen

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Vorstellung einer neuen Weltordnung, versorgt werden soll, bei der keine Fragen mehr zugelassen sind. Dies bedeutet aber auch – und darauf hat Koschorke ebenfalls in Anlehnung an Hannah Arendts Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft (amerikan. Originalausgabe 1951) verwiesen –, dass die »Versorgung mit Sinn und ideologischer Rechtfertigung [...] nur den äußeren Wirkungskreis der totalitären Bewegung« (ebd.: 66) bildet, denn die nationalsozialistisch denkende Elite selbst muss sich nicht diesen Überlegungen anschließen. Diese hassbereite Gruppe ist dann nicht unmittelbar genötigt, an die von ihr hervorgebrachten ideologischen Klischees zu glauben, geht es bei der totalitären Propaganda doch vor allem nur darum, sich »aus bestehenden Ideologien« – und man müsste hinzufügen: aus Diskursen – »die Elemente« heraus zu suchen, »die sich für die Etablierung einer den Tatsachen entgegengesetzten, ganz und gar fiktiven Welt eignen« (Arendt 2000: 762f.). Dabei soll eine »Tatsachenfeststellung«, für die man eben keine Beweise benötigt, »unmittelbar in eine Willenskundgebung« (ebd.: 806f.) aufgelöst werden. Die daraus resultierende Folgerung für die Elite liegt dann auch in einer Handlungsanweisung. Entsprechend formuliert Arendt, dass »die Erklärung, ›Juden sind minderwertig‹ bedeutet, ›Juden werden ausgerottet‹« (ebd.: 807). Es geht also nicht darum, etwas zu beweisen oder als richtig zu erkennen, sondern darum, indem man Wissen eliminiert, an diese Stelle einfach ein fiktives, von Hass durchzogenes Weltgefüge zu setzen (vgl. Koschorke 2016: 67f).

3. DER NEUE ›BLUTSSCHANDE‹-BEGRIFF – DINTERS INFAME UMWERTUNG Betrachtet man nun Artur Dinters Roman Die Sünde wider das Blut vor diesem Hintergrund, wird deutlich, dass es in diesem Roman schon zu diesem frühen Zeitpunkt darum ging, eine radikale Vision eines geschlossenen totalitären Gedankengebäudes zu entwickeln. Mit seinem Hetzroman muss Dinter als ein wichtiger Ideologe verstanden werden, der einen modernen Antisemitismus mit vorbereitete, der systematisch in Jugendverfolgung, Deportation, Todeslager und Völkermord einmünden sollte. Insofern sind Relativierungen seiner hassbereiten, romanhaften Schriften, die darauf zurückzuführen sind, dass Dinter, der 1923 in die NSDAP eintrat, von Hitler jedoch schon 1927 wieder ausgeschlossen wurde, mehr als fragwürdig. Ian Kershaw legt überzeugend dar, dass es vor allem Dinters Weigerung war, Hitlers Autorität und Führungsanspruch anzuerkennen, die dazu führte, dass Hitler diesen Gegenspieler schon früh ausschaltete. Hinzu kam Dinters religiöser Fanatismus – denn dieser verstand den Nationalsozialismus als »eine religiöse Reformation durch die Reinigung von ›Blut und Rasse‹«

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(Kershaw 2013: 381). Dinter, der sich 1919 an der Gründung des Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbundes beteiligte, zu dessen Vorstand er auch bis zum Verbot 1922 gehörte, näherte sich der NSDAP im Jahr 1924 immer mehr an. So bestanden gerade auch enge Beziehungen zum Parteiideologen der NSDAP Alfred Rosenberg, der dafür sorgte, dass während der Haftzeit Hitlers in Landsberg die »versprengten Teilgruppen der NS-Bewegung« (Schulz/Wolfes 2001: 352) zusammengehalten wurden. In diese Zeit fällt auch Dinters Vorsitz des rechtsextremistischen Wahlbündnisses Völkisch-Sozialer Block, als dessen Vertreter er 1924 in den Thüringischen Landtag gewählt wurde. Übrigens hatte Hitler noch aus seiner Internierung heraus, Dinter zum Landesführer in Thüringen ernannt. In diesem Kontext ist auch Dinters Tätigkeit als Herausgeber für die in Weimar erscheinende Zeitung Der Nationalsozialist zu sehen (vgl. ebd.). Selbst nach seiner Absetzung als Gauleiter 1927 und seinem Ausschluss 1929 aus der NSDAP sollte Dinter weiterhin auf Hitler ausgerichtet bleiben. Zwar versuchte er mit seinem Dinterbund als antisemitischer Ideologe im Wahljahr 1932 als Konkurrent zur NSDAP anzutreten, aber schon 1933 stellte er erneut einen Antrag auf Wiederaufnahme in die NS-Partei, der jedoch abgelehnt wurde (vgl. ebd.: 354). 1937 wurde auch Dinters Religionsgemeinschaft Deutsche Volkskirche durch den Reichsführer der SS Heinrich Himmler verboten, 1939 erfolgte ein Ausschluss aus der Reichsschrifttumskammer (vgl. Roelcke 2011: 170f.). Dass Dinter darüber hinaus gerade auch durch die von ihm 1927 gegründete Geistchristliche Religionsgemeinschaft, ab 1933 Deutsche Volkskirche, als ein wichtiger Konkurrent Hitlers gelten konnte, ist allzu oft ignoriert worden. Hitler, der zu Beginn seines Aufstiegs religiöse und kirchliche Bestrebungen weitgehend versuchte nicht agitatorisch zu bekämpfen, um viele seiner potenziellen Anhänger nicht zu verschrecken, eröffnete – machtpolitisch versiert – erst dann seine ideologischen Attacken gegen völkische Kirchenvorstellungen und neuheidnische Gruppierungen, als es ihm strategisch geboten erschien. Entsprechend schloss Hitler Artur Dinter, der übrigens die NSDAP-Partei-Nummer 5 trug, im Jahr 1927 aus eben dieser Partei vor allem wegen seiner »religiösspiritistischen Bestrebungen« (Kiesel 2017: 911) aus. Für Hitler schienen die verschiedenen religiösen Bewegungen, die über den Zusammenhang von Religion, Volk und Rasse neu spekulierten und sich untereinander voneinander abgrenzten, im Gegensatz zu stehen zum »Modell einer schlagkräftigen, von inneren Feinden und Konflikten bereinigten ›Volksgemeinschaft‹« (Hitler, Mein Kampf. Kritische Edition 2016: 928). Der Ausschluss Dinters zu diesem frühen Zeitpunkt sollte nach 1945 dazu führen, dass sich dieser Autor geradezu unbescholten in die Nachkriegszeit hinüberretten konnte. Zwar wurde Dinter vom Gericht eine »intellektuelle Urheberschaft« (Weiß 1999: 91) an den Nürnberger

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Gesetzen bescheinigt und er daraufhin zu 1.000 RM Strafe verurteilt, insgesamt gesehen sind aber seine rassenideologischen Vorstellungen und antisemitischen Pamphlete, wie sie sich in seinem politischen Wirken und seiner Romantrilogie niederschlugen, nicht annähernd ausreichend geahndet worden. Artur Dinters von ihm selbst als »Zeitroman« deklarierter Text kann als einer der bekanntesten und berüchtigtsten antisemitischen Hetzromane rechtsradikaler Belletristik gelten. Die Wirkung gerade dieses Buches auf den erstarkenden Antisemitismus der frühen Weimarer Jahre war außerordentlich. Dinter verknüpft in Die Sünde wider das Blut rassenideologische mit christlichen Vorstellungen, die eine Textform ausbilden, die in der NS-Zeit rezipiert und weiterentwickelt wurde. Der Erfolg des Buches ist weniger darin zu suchen, dass es von einer ästhetischen Klarheit und Stringenz geprägt ist, sondern es ist gerade das Durcheinander eines Konglomerats der verschiedensten narrativen Elemente, die die ideologische Wucht des Romans kennzeichnen. Koschorke hat am Beispiel von Hitlers Schrift Mein Kampf aufgezeigt, wie nicht etwa »die rhetorisch behauptete schroffe Klarheit, sondern die Unbestimmtheit des Programms den Aufstieg der NSDAP« (Koschorke 2016: 58) beschleunigte. Nicht viel anders verhält es sich mit Dinters schwülstigem und vor allem wirren, den unterschiedlichsten Ideenformationen entnommenen Anleihen, die er in seinem Roman einbindet. Dinter zielt auf eine Leserschaft, die er infizieren will. Er bietet seinen Lesern ›eine emotionale Heimstätte‹ einer neuen christlichen Volkskirchenheilslehre, um sie dann zugleich zu einem hasserfüllten Antisemitismus aufzufordern. Die Einheit des Romans besteht in abstrusen, rassentheoretischen Vorstellungen, die in den Text eingebaut sind und ihm zeitweise Vortragscharakter verleihen. Dabei stützt er sich vor allem auf den einflussreichsten Propagandisten der Rassentheorie, und zwar auf den Schwiegersohn Wagners, Houston Stewart Chamberlain, dem er das Buch auch widmete. Chamberlain hatte 1899 in Die Grundlagen des 19. Jahrhunderts (1940 in der 26. Auflage) eine Gesamtschau der geschichtlichen Entwicklung aller Kulturen unternommen. Cornelia Schmitz-Berning fasst Chamberlains Zusammenstellung von Ansichten wie folgt: »Dabei übernimmt er von Wagner den Rassenmystizismus, von Gobineau die Betonung der Ungleichheit der Rassen und von Darwin das Modell der Rassenzüchtung in der Tierzucht« (Schmitz-Berning 1998: 485). Dinter stützt sich auf Chamberlains Denken und den von Paul de Lagarde entwickelten Gedanken eines deutschen Christentums, den er mit eigenen spiritistischen sowie okkultistischen Erkenntnissen – der sogenannten ›Geistlehre‹ – zu einem abstrusen aber populären pseudowissenschaftlichen Konglomerat eines rein arischen Christentums verschmilzt. Die Frage der Religion ist demnach für Dinter keine Frage des Bekenntnisses, der Konfession, sondern die einer Rasse.

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Dinters Thesen sind verworren, aber hochgefährlich und insofern ernst zu nehmen, als sie dem Vorwurf der ›sexuellen Perversität des Juden‹ innerhalb der nationalsozialistischen Anti-Juden-Hetze Vorschub leisten. In dem Roman ist die ausschweifende sexuelle Betätigung, die sogenannte ›Übersexualität‹, ein zentrales Thema, das mit dem Begriff der Rasse als kulturbildender oder verderbender Kraft in Zusammenhang gebracht wird. Demagogisch findet sich dieser fanatische Antisemitismus Dinters in verschiedenen Handlungssegmenten seines Romans inszeniert. So spielt er am Beispiel seines Protagonisten Hermann Kämpfer zwei sexuelle Beziehungen durch. In der ersten Verbindung ist sein Held mit der zwar ›arisch‹ aussehenden Elisabeth (sie besitzt die Merkmale blond, groß, blauäugig, ist aber dennoch jüdischer Herkunft) verheiratet. Aber selbst die zweite Ehe mit einer ›arischen Krankenschwester‹ mit Namen Johanna sollte durch die erfolgte ›Imprägnation‹ durch einen jüdischen Geliebten zum ›Verhängnis‹ führen. Schon an dem mit Elisabeth gezeugten Kind, zeigte sich die infame Inszenierung durch den Erzähler. Denn dem geborenen Sohn werden dieselben Charaktermerkmale wie seinem ausschweifend lebenden jüdischen Großvater zugeschrieben. So wird im Text berichtet, dass der Junge schon als 12-jähriger ein Sittlichkeitsverbrechen beging, als er versuchte eine Mitschülerin zu vergewaltigen. Es stellte sich überdies heraus, dass der Schwiegervater von Hermann Kämpfer über Jahrzehnte hinweg in verschiedenen Wohnungen heimlich Bordelle unterhielt, in denen er ausschließlich deutsche Mädchen verführte und bezahlte, allein mit dem Ziel, die arische Rasse zu unterminieren. In pseudowissenschaftlicher Manier werden hier sogar Daten vorgetragen, nach denen der Schwiegervater Häuser mit »Blondinen« unterhielt, mit denen er »117« (Dinter 1921: 202) ›schwarzhaarige Kinder‹ zeugte. Bei Dinter taucht der Topos der ›Übersexualität‹ im Kontext der sogenannten ›jüdischen Weltverschwörung‹ und der Herbeiführung des ›Völkerchaos‹ auf. Diesen antisemitischen Ressentiments entsprechend geht die demagogische Rhetorik noch einen Schritt weiter, wenn Dinter ein tradiertes Erzählschema, wie das der Geschwisterliebe benutzt, um diese Konstruktion dann radikal umzuwerten (vgl. von Hoff 2003: 135f.). Denn der ›völkische‹ Autor Dinter verwendet den Begriff der ›Rassenschande‹, um die Geschlechtsbeziehung zwischen Juden und Nichtjuden zu diffamieren. Dabei gerät die jetzt rassenideologische Verwendung des Begriffs ›Blutschande‹, die eigentlich als Bezeichnung für ›Inzest‹ verwendet worden ist, in ihr Gegenteil. 4 Zur Popularität trägt ein etablierter textueller Nukleus bei, der auf eine lange Tradition zurückblicken kann. Dinter greift in seinem Roman Die

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Die folgenden Ausführungen sind ebenfalls an anderer Stelle ausgeführt worden (vgl. von Hoff 2003: 135-144).

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Sünde wider das Blut auf den alten Topos des Inzests zurück, wie wir ihn aus zahlreichen literarischen Beispielen seit dem 18. Jahrhundert kennen. Damals behandelte die narrative Konstellation einen Bruder/Schwester-Inzest, bei dem beide Geschwister von ihrer gemeinsamen Herkunft nichts wussten, so dass die Erkenntnis, dass sie verwandt sind, zumeist eine tödliche Katastrophe (Suizid) auslöste. Kennzeichnend dabei ist, dass es im Verlauf der Handlung zumeist Indizien gibt, die auf den Inzest verweisen (u.a. die ›innere natürliche Stimme‹, die zu den Protagonisten spricht). Dieses populäre narrative Schema, das auch im 19. und vor allem Anfang des 20. Jahrhunderts eine große Verbreitung fand, 5 benutzt nun Dinter in einer aufhetzerischen Weise. Anstatt dass der Begriff Blutschande hier auf eine unwissentliche Beziehung zwischen Gleichen, zwischen Bruder und Schwester verweist, wird vor dem Hintergrund dieser rassenideologischen Sicht die Verunreinigung des ›arischen Blutes‹ durch Vermischung mit ›fremden Blut‹ in Szene gesetzt. Dinter greift also auf eine Variante des Begriffs der ›Blutschande‹ zurück und nähert diese den später von den Nationalsozialisten verwendeten Begriff der ›Rassenschande‹ an. Das bekannte Handlungsschema, wie es sich im 18. und 19. Jahrhundert ausformuliert vorfindet, wird schlicht umgewandelt. Ursprünglich funktioniert die narrative Konstruktion folgendermaßen: Ein junger Mann und eine junge Frau treffen aufeinander, verlieben sich ineinander und, obgleich es (zumindest für den Leser erkennbare) Zeichen dafür gibt, dass Unheil über dieser Verbindung schwebt, geben sie ihrer Leidenschaft nach und unterdrücken die ›innere Stimme‹. Im Verlauf der Handlung wird sich diese ›Stimme der Natur‹ dann jedoch Gehör verschaffen, wenn sich herausstellt, dass die beiden jungen Leute verwandtschaftlich aneinandergebunden sind und es sich um Bruder und Schwester oder zumindest um Halbbruder und Halbschwester handelt. In Dinters Sünde wider das Blut klingt der alte ›Blutschande‹Begriff im Sinne des Inzests an, wird jedoch ersetzt durch den propagandistischen Begriff, der jetzt ›Rassenschande‹ meint. Das bekannte tradierte Handlungsschema bleibt im Prinzip aber erhalten. Insofern kann man von einem schemaorientierten Erzählen sprechen (vgl. Martinez/Scheffel 1999: 136), bei dem typische narrative Strukturen zur emotionalen Leserführung verwendet werden. Normalerweise genügen schablonenhafte minimale Variationen, um ein neues Stück Literatur hervorzubringen. Hier aber wird das für das Erzählklischee entscheidende Schlüsselereignis ausgetauscht und aufhetzerisch umgemünzt. Denn anhand eines altbekannten Narrativs wird ein veränderter Begriff von

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Vgl. auch Wilhelm Jensen, Fremdlinge unter den Menschen (1911); Frank Thiess, Die Verdammten (1922); Kurt Münzer, Der Weg nach Zion (1907); Leonhard Frank, Bruder und Schwester (1929).

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›Blutschande‹ legitimiert. Damit befriedigt die Literatur den Wunsch des Lesers, ästhetisch Bekanntes wiederzuentdecken. Zugleich werden durch die Verwendung bekannter stereotyper Handlungsverläufe neue propagandistische Aussagen transportiert. Diese erscheinen dabei zugleich im Gewand des ›Natürlichen‹. Das Handlungsschema, das eigentlich auf Inzest abzielt, bekommt insofern eine vollkommen andere Ausrichtung. Wie zeigt sich diese Umwertung des ›Blutschande‹-Begriffs nun konkret im Roman? Der Text Die Sünde wider das Blut schildert das Schicksal des jungen blonden Forschers Hermann Kämpfer, der die Synthese von künstlichem Eiweiß entdeckt, jedoch später um diese Erfindung gebracht wird. Seine Familie wird von einem jüdischen Makler mit Namen Levisohn ruiniert und sein Vater in den Tod getrieben. Seine Mutter stirbt vor Kummer und seine Schwester geht ins Wasser, nachdem sie ein Verführer sitzen gelassen hat. Später lernt Hermann ein junges blondes Mädchen mit Namen Elisabeth kennen, in die er sich sofort verliebt. Von deren Vater, dem königlich Preußischen Kommerzienrat Burghamer, wird er schließlich als Fabrikchemiker eingestellt, unterdrückt aber seine inneren Regungen, die er empfindet, wenn er den Kommerzienrat beobachtet: »Sein Gesicht, von einer großen Pelzmütze und dem hochgeschlagenen Kragen des Pelzmantels eingerahmt, hatte etwas Diabolisches. Unter dichten schwarzen, leicht ergrauten Brauen lauerten ein paar tiefschwarze, zusammengekniffene Augen« (Dinter 1921: 42f.). Später wird sich herausstellen, dass der Kommerzienrat von jüdischer Herkunft ist und eigentlich Hamburger heißt. Er hatte Elisabeths Mutter als Juniorchef verführt und, da diese schwanger wurde, geheiratet. Doch Hermann ignoriert alle Zeichen, die auf eine »artfremde[n] Blutmischung« (ebd.: 184) hinweisen. Hermann und Elisabeth streben eine Verbindung an und als die Mutter sie nach ihren Zukunftsplänen fragt, sind sie zutiefst verstört: »Warum erschraken sie nun beide bei der Mutter Wort? Sie konnten es nicht begreifen und sich nicht erklären, aber ein Ahnen unaussprechlichen Leids kroch durch ihre Seelen« (ebd.: 163). Hier wird auf die von der Inzestthematik her bekannte natürliche Scheu angespielt, die sich im Angesicht einer ›sündhaften‹ Grenzübertretung artikuliert. Doch Hermann Kämpfer überhört die innere Stimme und heiratet Elisabeth. Als diese den ersten gemeinsamen Sohn zur Welt bringt, ist Hermann entsetzt, dass ein Bastard geboren wurde: »Da prallte er entsetzt zurück. Ein dunkelhäutiges, mit pechschwarzem, krausem Kopfhaar bedecktes, menschenunähnliches Etwas schrie ihm entgegen« (ebd.: 181). Antisemitisches und rassistisches Gedankengut wird hier mit einem schablonenhaften Erzählen kombiniert, das den Eindruck des Immer-Schon-Gehörten vermittelt. Es wird ein hermetisches Gedankengebäude erzeugt, das sich an affektive Strukturen wie Ekel und Hass koppelt, wobei das gerade geborene Kind so nicht mehr im Regis-

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ter des Menschlichen gefasst wird. Diese rassenkundlichen Vorstellungen, die in dem Buch infam und menschenverachtend verbreitet werden, sollten später von Julius Streicher noch verschärft werden, wenn dieser eine ›Blutvergiftung‹ allein durch den Geschlechtsverkehr zwischen einem Juden und einer ›arischen‹ Frau pseudowissenschaftlich zu begründen versuchte (vgl. Schmitz-Berning 1998: 68).

4. FAZIT Am Ende soll auch ein persönliches Wort stehen. Die intensive und zeitweise qualvolle Auseinandersetzung mit Artur Dinters Die Sünde wider das Blut, aber auch mit Adolf Hitlers Mein Kampf, der Teile dieses Romans für seine Kampfschrift verwendete, haben mir die Augen dafür geöffnet, dass die hier in Schrift niedergelegte menschenverachtende Gewalt nicht einhegbar ist. Auch konnte der Wunsch, dass mit der Lektüre gewisse Relativierungen und Erklärungen einhergehen könnten, sich nicht erfüllen. Der Terror des Ausgesagten beruht eben nicht nur darauf, dass rassenideologische Vorstellungen und biologistische Metaphern benutzt werden, um den Leser zu manipulieren und aufzuhetzen. Sondern es geht um mehr. Es geht darum, bekannte literarische Erzählschemata sowie alte und bewährte Schlagworte so zu benutzen, dass jeglicher, ihnen innewohnender Wahrheitsgehalt zerstört wird (vgl. Koschorke/Kaminskij 2011: 23). Es geht um eine Selbstermächtigung, bei der »jede Realität eliminiert und durch eine Fiktion ersetzt« (Arendt 2000: 805) wird. Von diesem Einschwören auf eine »Stimmigkeit« (ebd.: 747) einer fiktiven Welt hat Hannah Arendt gesprochen und damit das Katastrophische dieses schrecklichen Denkens gekennzeichnet. Es hat sich gezeigt, dass lange bevor die Nationalsozialisten 1933 die Macht übernahmen, Rassenfanatiker wie Artur Dinter bereits Thesen propagiert hatten, die auf den Völkermord abzielten. Dabei avancierte ein Roman wie Die Sünde wider das Blut mit seinem biologistischen Antisemitismus zu einer der stärksten rhetorischen Waffen, die die »Hölle auf Erden« – ein Ausdruck von Kershaw (2016) – mit vorzubereiten half. An diesem frühen Roman zeigt sich eine hetzerische Redeweise, die mit unlauteren Mitteln ganze Erzähltraditionen zerstört, Handlungssegmente entkernt und eine lebendige Metaphorik aufbläht ins Denunziatorische. Dies ausschließlich um mit einem propagandistischen ideologischen Gebäude eine Vision von einer Welt zu errichten, die sich von jeglicher Humanität verabschiedet.

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52 | Dagmar von Hoff

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Transnationale Perspektiven – heterogene Erinnerungen? Deutschsprachige jüdische und nicht-jüdische Darstellungen des Zweiten Weltkriegs in Osteuropa Iulia-Karin Patrut

Der 1898 in der Bukowina geborene Schriftsteller Alfred Margul-Sperber, der 1920 nach Paris zog, drei Jahre in New York lebte, anschließend in Czernowitz, Suceava und schließlich während des Zweiten Weltkriegs in Bukarest, hinterließ einen literarhistorisch wertvollen Nachlass, der unter anderem Manuskripte Paul Celans enthält (Guţu 1997). In einem Vortrag, den er vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs hielt und der in seinem Nachlass erhalten ist, erklärt er, weshalb die Schriftstellerinnen und Schriftsteller aus der Bukowina in vierfacher Hinsicht peripheralisiert seien: Erstens weil sie Lyriker*innen, zweitens weil sie Jüd*innen waren, von denen der nicht-jüdische Großteil Europas nichts wissen wolle. Drittens schreiben die jüdischen Dichter der Bukowina in der überwältigenden Mehrzahl deutsch, und das ist ein Fall besonderer Tragik in einer Zeit, in der man ja auch den in Deutschland lebenden jüdischen Dichtern, deren Vorfahren seit Jahrhunderten in diesem Land leben, dies Recht auf ihre Zuständigkeit in der Dichtung deutscher Zunge abspricht [...]. Die vierte, vielleicht wesentlichste Tragik der jüdischen Dichter der Bukowina besteht darin, dass sie eben in der Bukowina leben, wo es für sie weder ein Echo noch ein Publikum gibt, weder Verleger noch Verbreitungsmöglichkeit durch periodischen Druck, keine Zeitschriften, nur Tageszeitungen […] (Margul-Sperber 2011: 359): 1

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Das undatierte Manuskript, das in jedem Falle nach 1933 entstanden und wahrscheinlich einem 1936 in Czernowitz gehaltenen Vortrag Sperbers zugrundelag (Sperber et.al. 2011 : 361-363) befindet sich in den Beständen des Muzeul Literaturii Române,

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Von einer ›peripheralisierten‹ deutschsprachigen Literatur in Siebenbürgen, der Bukowina, dem Banat und dem früheren Gebiet Galiziens kann im Sinne der Verortung dieser Texte in marginalisierten kulturellen Räumen die Rede sein. Grund dafür ist, dass sie die von den deutschen Zentren aus betrachtet als marginal galten und dass sie, um das Lesepublikum in Wien, Berlin, Weimar, Köln, München oder Zürich zu erreichen, nicht nur räumliche Entfernungen, Staatsgrenzen und asymmetrische ökonomische Strukturen zu überbrücken hatten, sondern auch Barrieren in den deutschen Literaturbetrieben überwinden mussten, da sie als ›fremd‹ oder ›halb-fremd‹ wahrgenommen wurden. Die jüdischen und nicht-jüdischen Literaturen Siebenbürgens, des Banats, der Bukowina, Galiziens und Rumäniens wurden zuweilen als ›vierte‹ deutschsprachige Literatur bezeichnet. Allerdings blieb diese Bezeichnung umstritten, da die Unterschiede zwischen diesen Literaturen ihre Gemeinsamkeiten möglicherweise überwiegen. Gemeinsam ist ihnen, neben der deutschen Sprache, der kulturelle Erfahrungsraum sowie geteilte Erinnerungen, in denen beispielsweise die Kriege mit dem Osmanischen Reich eine andere Rolle spielen als westlich von Wien – um nur ein Beispiel anders erlebter Geschichte zu nennen. Gemeinsam ist ihnen auch, dass es sich um deutschsprachige Literaturen handelt, die in ausgeprägt mehrsprachigen und multireligiösen Räumen entstanden. Sie bleiben jede für sich und alle zusammen das, was Kafka ›kleine Literaturen‹ genannt hat, geprägt von unterschiedlichen Einflüssen, Austauschprozessen und Transfers. In ihnen scheinen aber auch teilweise stark divergierende Geschichtsnarrative und unterschiedlich ritualisierte Formen des kommunikativen wie des kulturellen Gedächtnisses auf, so wie teilweise doch deutlich verschiedene literarische Traditionen mit je spezifischen intertextuellen Bezügen (so ist die russischsprachige Literatur in den deutschsprachigen Texten aus der Bukowina viel präsenter als in jenen aus dem Banat, wo wiederum ungarische Überlieferungszusammenhänge stärker mit eingeflochten wurden). Unmittelbar vor und während des Nationalsozialismus wurde die nichtjüdische deutsche Literatur in Deutschland stärker wahrgenommen und unter rassistischen oder zumindest völkischen Gesichtspunkten aufgewertet – teils vereinnahmend, teils mit Zustimmung von Schriftstellern wie Heinrich Zillich. Nach 1945 wurden die nicht-jüdischen deutschen Literaturen Siebenbürgens und des Banats allerdings wieder allesamt weitgehend ausgeblendet, so auch die in ihr verhandelten lieux de mémoire.

die jüngst ins Archiv der Rumänischen Akademie übernommen wurden, unter der Signatur 25000-322, Blatt 49-59.

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Trotz der deutschen Muttersprache zögerten die meisten deutsch-jüdischen Schriftsteller aus Osteuropa – wie Paul Celan –, sich nach 1945 in Deutschland anzusiedeln. Viele blieben ihren lateinamerikanischen Exilorten verbunden, andere suchten nach 1945 eine neue Wahlheimat auf, sei es in Paris, in Israel, in Lateinamerika oder in den USA. Im Gegensatz dazu wanderten viele Angehörige christlicher oder sonstiger Glaubensgemeinschaften im Laufe der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in die Bundesrepublik oder in andere westeuropäische Länder aus. Zusammengenommen führten der Nationalsozialismus und der Zweite Weltkrieg zum Ende der siebenhundertjährigen Geschichte deutschsprachiger Literatur in Osteuropa – einer Literatur, auf deren Ende Wilhelm Solms bereits 1990 mit dem vielbeachteten Band Nachruf auf die rumäniendeutsche Literatur (Solms 1990) hinwies. Die Heuristiken formierten sich lange entlang räumlicher, ethnischer und religiöser, imaginärer oder politischer Grenzen, wobei eine Entwicklung vom Ansatz deutschsprachiger Regionalliteraturen im Osten (Motzan/Sienerth 1997) hin zur interkulturellen Literaturwissenschaft (Mádl/Motzan 1999) stattfand, die neuerdings auch aktuelle Perspektiven aus der postkolonialen und Ähnlichkeitsforschung einbezieht. Eine systematische Aufarbeitung deutschsprachiger Darstellungen des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkriegs in deutschsprachigen Texten aus Osteuropa hat jedoch nicht stattgefunden. Auch verlieren die bisherigen Ansätze meist jene Autoren aus dem Blick, die sich für entferntere – insbesondere lateinamerikanische – Exilstätten entschieden haben. Die Gründe dafür sind größtenteils in der Systemgrenze zwischen sozialistischen und kapitalistischen Gesellschaften von 1945 bis 1989 zu suchen, denn innerhalb der großen Machtbereiche stellten sich – jeweils noch einmal nach Ländern differenziert – nicht nur unterschiedliche Erkenntnisinteressen und Erinnerungskulturen ein, auch der Zugang zu Quellen, Archiven und Dokumenten war zumeist segregiert. Eine transnationale Herangehensweise ist daher unerlässlich, wenn es gilt, die Darstellung des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkriegs in deutschsprachiger Literatur aus Osteuropa zu untersuchen.

1. DEUTSCH-JÜDISCHE DARSTELLUNGEN DES HOLOCAUST IN DER BUKOWINA UND IN RUMÄNIEN Zu den eindrucksvollen deutsch-jüdischen Persönlichkeiten der Bukowina zählt der 1905 in Berhometh geborene und 2003 in Kappel verstorbene Dichter Moses Rosenkranz. Als der deutsch-jüdische Dichter und begnadete Vermittler und Kommunikator Alfred Margul-Sperber Moses Rosenkranz vorschlug, ihn in die

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geplante Sammlung Die Buche. Eine Anthologie deutschsprachiger Judendichtung aus der Bukowina aufzunehmen, lehnte Moses Rosenkranz dankend ab: »Ich fühle mich als deutscher Dichter und habe kraft meiner geistigen Lage und menschlichen Haltung das Recht, zum ganzen deutschen Volk zu sprechen […]« (Guţu 1997: 170), so Rosenkranz in einem Brief an Margul-Sperber, in dem er argumentierte, er sehe gar nicht ein, weshalb man sich erstens als Jude und zweitens als in Rumänien lebender Schriftsteller nicht voll und ganz der deutschen Literatur zugehörig fühlen solle. Er »[…] arbeite und leide für Deutschland wie auch Vater und Großvater schon. Ich bin Jude, das bekenne ich mit Stolz, ohne an meinem Deutschtum zu leiden« (ebd.: 171). Die Juden dürften sich doch, wenn sie der deutschen Sprach- und Kulturgemeinschaft angehören, »mit Fug Deutsche nennen dürfen wie Preußen oder Schlesier« (ebd.); er stelle sich jedenfalls »unter das Gebot der Deutschen [sic] Dichtung, als deren Soldat« (ebd.), und lehne die Hervorhebung der Religion und Region im Titel der Anthologie ab. Alfred Margul-Sperbers feines politisches Sensorium ließ ihn befürchten, dass sich die Lage der jüdisch-deutschen Schriftsteller immer weiter zuspitzen würde, was ihn dazu bewog, sie – zum Schutz der Dichterinnen und Dichter – gar nichts mehr herauszugeben. Wie groß die Unkenntnis dieser Literatur in Mittel- und Westeuropa und der von Margul-Sperber richtig erkannte Vermittlungsbedarf waren, zeigte sich nach 1945, als Paul Celan zunächst nach Wien ging und 1948 die Gelegenheit wahrnahm, eine Auswahl seiner Gedichte in der Wiener Zeitschrift Plan und der von Max Rychner in Zürich herausgegebenen Die Tat zu veröffentlichen. Rychner führt Celan – ohne Absprache mit diesem – ein als der »junge Rumäne, der, in einem Dorf rumänischer Sprache aufwachsend, durch merkwürdige Fügung Deutsch erlernt hat und in unsere Dichtung hineingezogen wurde« (Wiedemann 2005: 584). Von der Peripheralisierung deutschsprachiger Literaturen in Osteuropa zu sprechen, ist daher keineswegs übertrieben. Es handelt sich allerdings um einen komplexen Prozess von langer Dauer, der bei Weitem noch nicht analytisch erschlossen ist. In ganz allgemeinen Zügen kann man festhalten, dass auf die deutsch-jüdische Literatur aus Osteuropa nach 1945 eine dreifache Peripheralisierung zutraf – aufgrund des Judentums, der exterritorialen Deutschsprachigkeit und der binären Systemgrenze. Die nicht-jüdische deutschsprachige Literatur wurde aus den beiden letztgenannten Gründen ebenfalls peripheralisiert; die Angehörigen deutscher Minderheiten in Siebenbürgen und anderen weiter östlich gelegenen Gebieten wurden nicht vertrieben; möglicherweise konnten sie auf den imaginären Landkarten, wie sie sich in der Bundesrepublik nach 1945 konturierten, schlichtweg kaum verortet werden. Hinzu kam, dass einige der promi-

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nenteren Vertreter deutschsprachiger Literaturen Osteuropas (Heinrich Zillich oder Adolf Meschendörfer) in den 1930er Jahren begannen, sich scharf von der deutsch-jüdischen Literatur Osteuropas abzugrenzen; sie waren im nationalsozialistischen Literaturbetrieb sehr erfolgreich, Zillichs Texte entsprachen der NSIdeologie voll und ganz. 2 Vor diesem Hintergrund kann nicht von ›einem‹ Standpunkt deutschsprachiger Literatur aus Siebenbürgen, der Bukowina und Rumäniens gesprochen werden; vielmehr handelt es sich um Literaturen, die transnational und multiperspektivisch, polyzentrisch und unter Gesichtspunkten von Mehrsprachigkeit betrachtet werden müssen. Auch die Standpunkte und imaginären Subjektpositionen, von denen aus der Zweite Weltkrieg und der Nationalsozialismus in diesen Literaturen (die dann auch nicht einmal mehr räumlich konvergieren) betrachtet werden, sind höchst heterogen. Gemeinsam ist ihnen allen jedoch, dass sie – wie Alfred Margul-Sperber es realistisch einschätzte und Moses Rosenkranz es nicht wahrhaben wollte – nach 1945 weitgehend ausgeblendet wurden und aus bundesrepublikanischer Sicht einer regelrechten Amnesie anheimfielen. Es war nicht die Systemgrenze allein, die sie begründete; vielmehr zwang die Auseinandersetzung mit deutschsprachigen Literaturen aus dem Osten zur Reflexion der Verflechtung zwischen jüdischen und nicht-jüdischen deutschen Texten. Gerade das Beispiel der Bukowina mit einer Vielzahl jüdischer Intellektueller, die sich als Vertreter ›deutscher Kultur‹ in einer anderssprachigen Umgebung auffassten und die ihrem eigenen Selbstverständnis zufolge eigentlich ›deutsche Opfer‹ des Nationalsozialismus waren, hatte das Potential, die um Vergessen bemühte bundesdeutsche Öffentlichkeit zu irritieren; auch daher fiel sie dem Vergessen anheim. Als Paul Celan seine ersten Gedichte in Bukarest veröffentlichte, darunter eine rumänische Fassung der »Todesfuge« unter dem Titel »Tangoul morţii« in der Zeitschrift Contimporanul vom 2. Mai 1947, die der rumänisch-jüdische Dichter Petre Solomon mit verantwortete, war in der Bundesrepublik der Holocaust noch kein Sujet von Literatur. Im Gegensatz dazu war Celan in Bukarest keineswegs allein mit dem Versuch, den Zweiten Weltkrieg und den Nationalsozialismus literarisch zu thematisieren. »Tangoul morţii« war kein erratisches Gedicht. Schriftstellerinnen und Schriftsteller wie Moses Rosenkranz, Immanuel Weissglas, Rose Ausländer, Salome Mischel, Itzig Manger, Benjamin Fuchs oder David Goldfeld thematisierten ebenfalls das Leid des Zweiten Weltkriegs.

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Einen ausführlichen Überblick über die Partizipation am Nationalsozialismus bietet der Sammelband Deutsche Literatur in Rumänien und das ›Dritte Reich‹. Vereinnahmung – Verstrickung – Ausgrenzung (Markel/Motzan 2003).

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Ersichtlich wird dies am Beispiel der bereits erwähnten Anthologie, die der deutsch-jüdische Dichter und Publizist Alfred Margul Sperber in den 1930er Jahren in Bukarest anzulegen begann. Es entstand eine aus heutiger Sicht monumentale Sammlung, Die Buche – Eine Anthologie deutschsprachiger Judendichtung aus der Bukowina, zunächst ohne den noch zu jungen Paul Celan. Sperber verzichtete aber – wie oben erwähnt – in der zweiten Hälfte der 1930er Jahre wegen des Aufstiegs des Nationalsozialismus auf die Veröffentlichung. Während des Zweiten Weltkriegs erstellte er jedoch mehrere Konvolute der ›BFassung‹, die auch Gedichte enthält, die auf das Kriegsgeschehen und die Ermordung von Juden anspielen und die Gewalttaten darzustellen versuchen, darunter siebzehn von Paul Antschel, der von April 1945 bis Mitte Dezember 1947 in Bukarest lebte, schrieb, als Lektor arbeitete und im Hause Sperber verkehrte, wo ihm die Vertauschung der beiden Silben seines Nachnamens vorgeschlagen wurde (Kraft 1986: 7). Auch nach Kriegsende waren die Publikationsbedingungen ungünstig, wären doch die meisten Texte an den Anforderungen des Proletkultismus und des sozialistischen Realismus gescheitert (wenngleich viele der Verfasserinnen und Verfasser sich durchaus als politisch ›links‹ einstuften). Sperber entschied sich dazu, Einzelveröffentlichungen zu unterstützen, statt die Überlebenden – deren Verbleib nicht vollständig geklärt war – möglicherweise dadurch, dass die Anthologie sie als ›Gruppe‹ präsentierte, schlimmstenfalls als subversive Kraft im Stalinismus erscheinen zu lassen. Viele der Gedichte zirkulierten in den deutschsprachigen Dichterkreisen der Bukowina, Bukarests und des restlichen Rumäniens, aber auch der Ukraine und Russlands; als Ganzes erschien die Anthologie jedoch erst 2009, aus Sperbers Nachlass von George Guţu, Peter Motzan und Stefan Sienerth herausgegeben (Margul-Sperber et. al. 2011). Diese sich an der B-Fassung orientierende Edition enthält 17 Gedichte von Celan/Antschel. In der Anthologie vertreten ist das sehr bekannte »Nähe der Gräber« (ebd.: 286), ein im Spätsommer 1944 entstandenes Gedicht (Wiedemann 2005: 586), das in Celans erstem Band Der Sand aus den Urnen 1948 und im selben Jahr in Otto Basils Zeitschrift Plan erschienen war. Es enthält topographische Hinweise auf Orte nationalsozialistischer Verbrechen, insbesondere auf die Konzentrationslager am südlichen Lauf des Flusses Bug; im dort gelegenen KZ Michailowka wurde gegen Ende des Jahres 1942 Celans Mutter ermordet; der Vater war bereits zuvor getötet worden. Das Gedicht »Nähe der Gräber« spricht eine ›Mutter‹ an, der am südlichen Bug Wunden geschlagen wurden; die letzten beiden ebenfalls an die Mutter gerichteten Verse beklagen den Missklang, der sich in der deutschen Muttersprache der ›Heimat‹ (Bukowina) und der Tätersprache einstellt, und der Reim wird zur offenen Frage an die Leserinnen und Leser: »Und

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duldest du, Mutter, wie einst, ach, daheim,/ den leisen, den deutschen, den schmerzlichen Reim?« (ebd.: 286). Celan war, wie Sperbers Anthologie eindrucksvoll demonstriert, bei Weitem nicht der einzige, der in der Tätersprache dichtete und dabei zeitnah an die Verbrechen des Nationalsozialismus erinnern wollte. Neben ihm entwickeln Immanuel Weissglas, Moses Rosenkranz und viele andere eine Sprache der Dichtung, die zugleich den Toten gedenkt. Auch jüdische und nicht-jüdische rumänischsprachige Schriftsteller*innen, mit denen Celan direkt oder indirekt in Bukarest interagierte – Ion Caraion, Alexandru Philippide, Petre Solomon, Nina Cassian, Veronica Porumbacu, Ovid S. Crohmălniceanu, Maria Banuş, Despina Mladoveanu, und Marcel Aderca sowie die Surrealisten Paul Păun und Gherasim Luca – waren an der Darstellung des Nationalsozialismus interessiert. Aus zeitgenössischen Aufzeichnungen, die erst in den 1990ern publiziert wurden, geht hervor, dass in Rumänien, in der Bukowina, der Moldau und selbst in Transnistrien, ja sogar in den Konzentrationslagern, Informationen und Gerüchte über die Deportationen, die Lagerarten und die Ermordungsmethoden zirkulierten. Aussagekräftig sind Mirjam Korbers Tagebucheintragungen Deportiert – Jüdische Überlebensschicksale aus Rumänien 1941-1944 (1993), sowie Sonja Paltys Bericht Jenseits des Dnjestr – Jüdische Deportationsschicksale aus Bukarest in Transnistrien 1942-1943 (1995), denn beide verdeutlichen, wie sehr sich diese Informationen auf die psychische Verfassung der Lagerinsassen auswirkten, die in Bessarabien, Transnistrien oder in der Ukraine fürchten mussten, in noch schlimmere Lager abgeschoben oder gleich ermordet zu werden (Dathe 1996: 98). Die literarischen Texte deutschsprachiger Jüdinnen und Juden aus dem europäischen Osten, die vor Mai 1945 oder in den Monaten danach entstanden, sind erstens vor dem Hintergrund zirkulierender Informationen über die Verbrechen und Morde zu betrachten und stehen zweitens im Kontext eines deutschsprachigen literarischen Netzwerks, das sich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts herausgebildet hatte und mit den über 450 Seiten der Buche noch gar nicht vollständig erschlossen ist. Literarische Salons, Publikationen in deutschsprachigen Zeitungen und Zeitschriften, Lesungen und Diskussionskreise sowie das Weiterreichen von Manuskripten und Typoskripten gehörten ebenso zur selbstverständlichen Alltagspraxis wie der Austausch mit rumänisch-, ukrainisch- und russischsprachigen Schriftstellerinnen und Schriftstellern, die im gleichen Raum publizierten und vernetzt waren (Voloshchuk 2020). Eines der frühesten Gedichte Paul Celans in Die Buche, das von Krieg, Flucht, Verfolgung und Tod handelt, wird von Ruth Kraft auf das Jahr 1940 da-

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tiert (Wiedemann 2005: 883) und trägt den Titel »Der Tote«. 3 Es geht in den fünf vierhebigen jambischen Distichen, die durchgängig Paarreim aufweisen, um einen Einzelnen, der scheinbar von der Natur und kosmischen Elementen grausam zu Tode gehetzt wird: »Sterne peitschten seinen Blick:/ trat ihr Dorn in sein Geschick« (Margul-Sperber et. al. 2011: 279). Am Schluss des Gedichts kommt ein motivischer Zusammenhang auf, den Celan mindestens bis zum Band Sprachgitter (1957) und dem dortigen »Tenebrae« weiter entwickeln sollte, in dem Erinnerung/Vergessen, Gedenken, die (Un-)Möglichkeit der Anteilnahme am Tod anderer und das Symbol der Eucharistie-Feier enggeführt werden: »Mohn ritzt Blut aus dem Gesicht:/ – knie und trink und säume nicht!« (ebd.). Der letzte Vers trägt Züge eines Kinderreims oder eines Zauberspruchs, mit dem im Gedicht erstmals ein Du angesprochen und zur intimen Kommunion mit dem Sterbenden aufgefordert wird; dieser wurde zuvor stets in der dritten Person adressiert. Es geht darum, dass ein denkender, fühlender, vielleicht liebender Mensch, der eingangs zu den Sternen schaut, durch Flucht und Verfolgung gebeugt wird, sodass der Blick nach unten, zu den »Gräser[n]« und später zum kargen »Gestrüpp« gesenkt wird, in dem nicht einmal »Grillen« sich mit ihrem Zirpen »zur Wehr« (ebd.) setzen. Letzteres kann als Anspielung auf das subversive Potential von Kunst interpretiert werden (als Hinweis auf die Fabel von der Grille und der Ameise, deren kunstfeindliche Disziplinierungsmoral hinterfragt wird). Auch weitere frühe Gedichte Celans, die auf den Zweiten Weltkrieg anspielen, sind – alle noch unter dem Namen Paul Antschel – enthalten: »Ein Krieger« sowie »Mohn«, beide entstanden im April 1943 (Wiedemann 2005: 585), daneben »Die Zeit tritt ehern in ihr letztes Alter«, »Ein Lied in der Wüste« und »Der Ölbaum« – alles Texte, die im Verlauf des Jahres 1943 entstanden sind und Bilder des Einbruchs einer tödlichen, zuweilen apokalyptischen Bedrohung enthalten. Letzteres ist der Fall, wenn von einem Flammenmeer die Rede ist, wie in den letzten beiden Versen von »Der Ölbaum«: »Daß deine Zweige, süß und von Sinnen,/ mit uns im Feuer, im riesigen, stehn?« (Margul-Sperber et. al. 2011: 285). Viele dieser Gedichte, die Celan im Alter von 22 Jahren schrieb, entwerfen Kippfiguren zwischen lebenszugewandten, sinnlichen Bildern und solchen des

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Der Erstdruck in der Bundesrepublik erfolgte erst 1986 in der von Ruth Kraft verantworteten Ausgabe der Celanschen Gedichte von 1938-1944 (Celan 1986: 26). Ruth Kraft, die enge Czernowitzer Vertraute Celans durch die Kriegsjahre hindurch, sammelte alle Gedichte, die er ihr übergab oder zuschickte, und überreichte sie Anfang 1945 Alfred Margul-Sperber in Bukarest, der sich dazu entschied, viele von ihnen in die Neufassung der Buche aufzunehmen.

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Grauens und des Todes, der nicht nur als Feuer, sondern auch als lebensfeindliche Schneedecke, wie in »Bergfrühling«, daherkommt: »weiß ein Schnee, ein schmerzlicher, gefallen« (ebd.: 285). Zusammengeführt werden beide Motive in »Schneebrand« (ebd.). Im Lichte der späteren Gedichte Celans ist die Poetik des ›liebenden Gedenkens‹, der Versuche, Nähe zu den im Holocaust Ermordeten herzustellen, erkennbar. Sucht man nach direkten topographischen Verweisen, wird man im bereits erwähnten »Nähe der Gräber« sowie in »Es fällt nun Mutter, Schnee in der Ukraine«, das wahrscheinlich im Winter 1942-1943 entstand, fündig; all diese Texte wurden zwar während des Krieges nicht veröffentlicht, sie zirkulierten jedoch bereits, vermittelt über Ruth Kraft und Alfred MargulSperber. Die Buche enthält weitere Texte, die sich mit dem Nationalsozialismus auseinandersetzen, so etwa Alfred Margul-Sperbers Gedichte »Der Neger Jessy Owens erläuft den Olympiarekord« (ebd.: 315) und »Beim Wiederlesen von Hölderlins Hyperion« (ebd.: 317f.); Letzteres ist Hermann Hesse gewidmet und auf den 6. März 1940 datiert. Darin wird Hölderlin als einer, der »mit Griechenaugen/in die deutsche Welt« (ebd.: 317) sah, gepriesen, und seine Gedichte werden trotz ihrer Vereinnahmung als Refugium ausgewiesen: »Wie die welt auch redend rase/ […] Aus dem Tonfall, aus der Phrase/ flücht’ ich in sein Wort« (ebd.: 318). Wenngleich formal traditionalistisch gehalten, zeugt dieses Gedicht davon, dass die Befragung der deutschen Literaturgeschichte durch jüdische deutschsprachige Schrifsteller schon in der Anfangszeit des Zweiten Weltkriegs einsetzt. Nicht in die Anthologie aufgenommen wurden aber zahlreiche weitere Gedichte, die ebenfalls vor 1945 entstanden waren und gewisse Gemeinsamkeiten mit Celans »Todesfuge« aufweisen, so beispielsweise David Goldfelds »Todeslied«, das in Bernhard Albers Anthologie Blaueule Leid. Bukowina 1940-1944 aufgenommen wurde. Die vor 1942, dem Todesjahr Goldfelds, entstandenen Verse »In leere Himmel ragen wir/ und können nicht mehr sterben« (Albers 2003: 45) können als Anspielung auf die Krematorien gedeutet werden. Im Jahr 1942 schrieb Moses Rosenkranz das Gedicht »Klage«: Klage So leichenweiß war kein Schnee wie die Not kein Ofen so heiß mein Volk wie dein Tod Flogst heißer als Brand

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stobst bleicher als Schnee o Wolke von Weh mein Volk überm Land Kamst nimmer herab wo soll ich hinknien ist oben dein Grab in den Wolken die fliehn. (Rosenkranz 1971: 53)

Von herausragender Bedeutung ist zudem das von Rosenkranz 1942 verfasste Gedicht »Blutfuge«. Es weist einige Gemeinsamkeiten mit Celans »Todesfuge« auf. »O Bach von Blut! Auf gelbe Bernsteintasten/ ergießend sich aus offnen Fingerstummen« – beginnt Rosenkranz’ »Blutfuge«, um mit den Versen zu enden: »die Seele zittert in den Pfeifen nach/ durch hohlen Grabes tiefes Orgelbrummen/ tropft wieder Jesu Blut: O Blut von Bach!« (Rosenkranz 1998: 76). Rosenkranz evoziert die christliche Eucharistie und führt das Wortspiel »Bach von Blut« – »Blut von Bach« ein, das die vier Strophen des Gedichtes rahmt. Mit der Fuge und dem Namen des Komponisten Johann Sebastian Bach wirft er als einer der ersten die Frage nach dem Unvermögen deutscher Literatur, Kunst und Musik angesichts der Gräueltaten während des Nationalsozialismus auf. Einige Forscher argumentieren, die Dichter Celan und Rosenkranz hätten diesen Motivzusammenhang im gemeinsamen Gespräch entwickelt, als sie 19411942 im selben Arbeitslager eingesetzt wurden (Conterno 2014: 193). Wenngleich es sich nicht mehr im Detail rekonstruieren lässt, wird deutlich, dass sich ein gemeinsamer Motivzusammenhang als eine gegen die Gewalt gerichtete Poetik entwickelt, die Empathie und Erinnern einfordert. In diesen Zusammenhang gehört auch Immanuel Weissglas, dessen mittlerweile ebenfalls berühmtes Gedicht »Er« wie Celans »Todesfuge« einen ›deutschen Meister‹ thematisiert, der mit Schlangen spielt und im Haus dichtet, während das Ich ein ganz anderes Haus ›für alle‹ in die Lüfte gräbt. Auch das Motiv des goldenen Haars Margarethes, das hier mit dem Licht der Dämmerung in Deutschland in Verbindung gebracht wird, ist vertreten. Die helle Farbe des Haars verheißt in »Er« – ironisch – die Öffnung des Himmels für die Aufnahme der Asche der Ermordeten. Der Umstand, dass jener, der die Gewalt ausübt, ein ›Wissender‹, ein Künstler und Meister ist, verspricht ebenfalls ein nicht zu enges Grab im

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Himmel. 4 Rose Ausländer hat als erste die Metapher von der ›schwarzen Milch‹ geprägt. Dass Fragen nach Plagiatsvorfällen völlig unangemessen sind, es sich vielmehr um eine gemeinsame Suche nach einer poetischen Sprache handelt, die angesichts des Nationalsozialismus und des Holocaust noch Bestand hat, und dass vor einem gemeinsamen Hintergrund und gerade dank des Austauschs originelle Kunstwerke entstanden, betrachtet die heutige Forschung einhellig als erwiesen. Die Buche und ihr literarisches Umfeld, in welches der Nachlass von Alfred Margul-Sperber wertvolle Einblicke bietet (Guţu 2002), vermitteln den Eindruck eines regen Austausches und wechselseitiger Anregung der deutsch-jüdischen Dichterinnen und Dichter im Sinne eines gewachsenen gemeinsamen kulturellen Selbstverständnisses als ›deutsche Juden in Osteuropa‹, einschließlich vieler interkultureller und intertextueller Bezüge. Da die Edition von Guţu, Motzan und Sienerth sowohl das erste Konvolut als auch das zweite, während des Zweiten Weltkriegs entstandene, enthält, dokumentiert die Anthologie auch die Veränderungen der Poetiken hin zur zunehmenden Thematisierung des Kriegsgeschehens und des Holocaust. 5 Insgesamt kann festgestellt werden, dass die Suche nach einer Poetik, die vom Nationalsozialismus ausgeht und von dort aus Ästhetik, literarische Motivtraditionen und Bildungsvorstellungen kritisch befragt, bereits während des Zweiten Weltkriegs in der deutschsprachigen Literatur Osteuropa einsetzt, und zwar bei deutsch-jüdischen Schriftstellerinnen und Schriftstellern. An den Peripherien des deutschsprachigen Literaturbetriebs entstehen, in Deutschland lange unbeachtet, Poetiken der Auseinandersetzung mit Krieg und Holocaust. Die deutsch-jüdische Literatur aus Osteuropa hat, wie die besprochenen Beispiele zeigen, den 8. Mai 1945 nicht abgewartet, um die literarische Auseinan-

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Die haltlosen Plagiatsanschuldigungen in Bezug auf Yvan Goll haben Celan bekanntlich schwer belastet; als Weissglas’ Gedicht »Er« 1970 in der Neuen Literatur – kurz vor seinem Freitod – abgedruckt wurde, befürchtete Celan möglicherweise, dass die Debatte neu entfacht werden könnte (Schlesak 2010). Siehe auch Guţu 2002.

5

Unter dem Aspekt der Zeugenschaft wurden bereits Texte von Walther Rhode, Wilhelm Reich, Maximilien Rubel oder Manès Sperber im Band Erfahrungsgeschichte und Zeugenschaft. Studien zur deutsch-jüdischen Literatur aus Galizien und der Bukowina (Werner 2004) untersucht; aufschlussreich mit Blick auf die deutsch-jüdischen Überlieferungszusammenhänge in der Ukraine ist der jüngst erschienene Band Blondzhende Stern. Jüdische Schriftstellerinnen und Schriftsteller aus der Ukraine als Grenzgänger zwischen den Kulturen in Ost und West (Schoor/Voloshchuk/Bigun 2020).

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dersetzung mit dem Holocaust zu suchen. In den Jahren nach dem Kriegsende wurde nach und nach publiziert (und fortgeschrieben), was bereits in den letzten Kriegsjahren entstanden war. Die Autorinnen und Autoren waren sowohl während des Nationalsozialismus als auch während der russischen Besatzung mit Zensur und schwierigen Publikationsbedingungen konfrontiert. Auf dem Gebiet Rumäniens begann die russische Besatzung am 23. August 1944. Unter ihr war es immerhin möglich, die Verbrechen des Holocaust anzuklagen. So ist es zu verstehen, dass Celans Freund, der rumänische Kritiker Ovid S. Crohmălniceanu, alias Mony Cahn, der sich für die Veröffentlichung von »Tangoul morții« in Contemporanul eingesetzt hatte, dem Gedicht die Bemerkung voranstellte: Poemul a cărui traducere o publicăm e construit pe evocarea unui fapt real. La Lubin, ca şi în multe alte »lagăre naziste ale morții«, o parte din condamnați erau puşi să cânte muzică de dor în timp ce ceilalți săpau gropile […] 6 Das Gedicht, dessen Übersetzung wir veröffentlichen, beruht auf der Evokation realer Fakten. In Lubin, wie auch in vielen anderen »nationalsozialistischen Todeslagern«, wurde ein Teil der Inhaftierten gezwungen, Sehnsuchtslieder zu singen und zu spielen, während die anderen die Gräber ausschaufelten […]. [Übersetzung I.P]

Die Idee, dass die »Todesfuge« unmittelbar auf reale Ereignisse verweisen würde, mag vielleicht eher taktischen Erwägungen entsprungen sein. Andererseits veranschaulicht sie, dass Celans Lyrik – wie auch jene der weiteren hier besprochenen deutsch-jüdischen Schriftstellerinnen und Schriftsteller, mühelos referentialisiert werden konnte und dies in den konkreten Rezeptionskontexten durchaus auch geschah.

2. ABSCHOTTUNGSTENDENZEN IN DER LITERATUR DER BUNDESREPUBLIK Ganz anders verhielt es sich in der Bundesrepublik. Auch die Gruppe 47 gab sich ›neorealistisch‹ – aber nicht in Bezug auf den Holocaust, mit dessen Darstellbarkeit sie sich kaum befassten wollte. Gleichzeitig war eine Bereitschaft zur Solidarität mit den Tätern und deren Erfahrungen von Krieg und Gefangenschaft vorhanden, was zur Etablierung von Täterperspektiven auf den Nationalsozia-

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Das Gedicht erschien in der Zeitung Contemporanul am 2. Mai 1947, S. 5.

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lismus beitrug. 7 So veröffentlichte Hans Werner Richter 1947 die aus heutiger Sicht hoch problematische Anthologie Deine Söhne, Europa. Gedichte deutscher Kriegsgefangener, die den europäischen Kontinent, dessen sich die Täter bemächtigen wollten, nun als vertraute ›Mutter‹ anruft, die sich ihrer anzunehmen habe; dass die Vertrautheit mit Europa auf den Angriffskrieg zurückgeht, die gegenwärtige Hilfsbedürftigkeit mit eigenen Verbrechen zusammenhängt, blenden die meisten Gedichte aus. Noch 1956 erschien und bringen ihre Garben aus russischer Kriegsgefangenschaft, eine von Helmut Gollwitzer, Josef Krahe und Karl Rauch herausgegebene Anthologie mit Prosa und Lyrik deutscher Kriegsheimkehrer. Insgesamt wurden Perspektiven der Opfer des Nationalsozialismus in der Literatur der so genannten ›Stunde Null‹ wie auch in der so genannten ›Trümmerliteratur‹, die auf Heimkehrer und ihre Entbehrungen fokussiert ist, marginalisiert. Als Celan 1952 vor der Gruppe 47 in Niendorf unter anderem die »Todesfuge« las und ihm Ablehnung und Hohn entgegenschlugen (Briegleb 2003), hatte er die richtige Intuition, dass viele junge deutscher Schriftsteller im Nationalsozialismus aktive Rollen gespielt hatten – eine Intuition, die sich spätestens mit Günter Grass’ Geständnis seiner SS-Mitgliedschaft 2006, lange nach dem Tod Celans, bestätigte. Geradezu grotesk wirken heute die Einlassungen der Gruppenmitglieder auf die »Todesfuge«: Als Celan zum ersten Mal auftrat, da sagte man: »Das kann doch kaum jemand hören!«, er las sehr pathetisch. Wir haben darüber gelacht, »Der liest ja wie Goebbels!« sagte einer. Er [Celan] wurde ausgelacht, so daß dann später ein Sprecher der Gruppe, Walter Hilsbecher aus Frankfurt, die Gedichte noch einmal vorlesen mußte. Die »Todesfuge« war ja ein Reinfall in der Gruppe! Das war eine völlig andere Welt, da kamen die Neorealisten nicht mit. (Arnold 2004: 76)

Das Zitat stammt aus einem Gespräch, das Walter Jens und Heinz Ludwig Arnold 1976 führten. Unter den vielen weiteren nachträglichen Rekonstruktionen stechen die Einlassungen Hans Werner Richters hervor: »Seine Stimme klingt mir zu hell, zu pathetisch. Sie gefällt mir nicht« (Richter 1979: 111); er habe »die Abneigung gegen die Stimme nicht überwinden« können (ebd.); laut

7

Zu den wenigen Ausnahmen zählt Ingeborg Bachmann, die die deutsche Literaturgeschichte vom Holocaust und von der ost-westeuropäischen Machtgefälle her neu denken wollte. Vgl. Briegleb 2000.

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Milo Dor kritisierte Richter auch, Celan habe »in einem Singsang vorgelesen wie in der Synagoge« (Dor 1988: 214). Aus all dem geht deutlich hervor, dass gerade nicht im selbsternannten Zentrum der Erneuerung der deutschsprachigen Literatur, im Zusammenschluss junger bundesrepublikanischer Schriftstellerinnen und Schriftsteller zur Gruppe 47, poetische Innovationen stattfanden, die der Herausforderung gerecht wurden, Literatur zu schreiben, die angesichts der Verbrechen des Nationalsozialismus Bestand haben könnte. In dieser Hinsicht verhält es sich in der DDR anders, wo sich Bertolt Brecht und Anna Seghers nach ihrem Exil ansiedelten. 8

3. ANDERE ERINNERUNGEN – DARSTELLUNGEN DES ZWEITEN WELTKRIEGS IN NICHT-JÜDISCHEN DEUTSCHEN LITERATUREN OSTEUROPAS Der Nationalsozialismus hat dazu geführt, dass zwischen jüdischen und nichtjüdischen Literaturen Osteuropas, die sich gerade in den Avantgardebewegungen angenähert hatten und zunehmend in gleichen Zeitschriften erschienen (darauf geht die etwas euphemistische Formel von der ›deutsch-jüdischen Symbiose‹ in der Bukowina zurück), ein Hiatus entstand. Dies gilt vor allem in Bezug auf den Zweiten Weltkrieg, für dessen Darstellung ganz andere Ereignisse und Erinnerungen maßgeblich waren und auch andere Darstellungsweisen entstanden. Gleich auf den ersten Blick zeigt sich, dass die Gattungen andere sind: Auf der einen Seite überwiegt zunächst die Lyrik, auf der anderen die Prosa, ergänzt durch das Schauspiel. In den nicht-jüdischen Texten waren Vertreibung und vor allem die Deportation zur Zwangsarbeit nach Russland dominierende Themen, die das Kriegsgeschehen, insbesondere die Mittäterschaft der eigenen Gruppe, manchmal – nicht immer – verdeckten. Auch für die in stalinistischen Staaten entstandenen deutschsprachigen Texte waren die Publikationsbedingungen schwierig – denn auch jene, die selbst Widerstand geleistet hatten oder wie 8

In diesem Beitrag kann auf diese Literatur und die Zwänge, denen sie ausgesetzt war, nicht näher eingegangen werden; teilweise decken sich jedoch die Probleme mit jenen, denen die kritischen Schriftstellerinnen und Schriftsteller, die in Rumänien verblieben, ausgesetzt waren, so etwa Petre Solomon, der Bukarester Übersetzer der »Todesfuge« oder auch Alfred Margul-Sperber, der bis zu seinem Tod im Jahr 1967 in Bukarest lebte. Beide korrespondierten noch in den 1960er Jahren mit Paul Celan in Paris und vielen weiteren Schriftsteller*innen, die den Holocaust überlebt hatten, europa- und weltweit.

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Oskar Pastior unbeteiligt waren, gerieten aufgrund ihrer Deutschsprachigkeit leicht unter Verdacht, Systemfeinde zu sein. Erst recht galt dies, wenn sie den Zweiten Weltkrieg oder die Russlanddeportationen thematisierten. Im ersten Fall hätten sie die Täterschaft der Siebenbürgendeutschen exponieren müssen, im zweiten möglicherweise Russland in ein ungünstiges Licht gerückt und gegebenenfalls eine Opferperspektive eingenommen. Trotz dieser intrikaten imaginären Subjektposition und der schwierigen Selbstverortung erschienen recht bald erste Romane und Dramen, die die Deportation Siebenbürger Deutscher in den Donbass thematisierten und auch das ihr vorangegangene Kriegsgeschehen streiften. Im Januar 1945 wurden rund 80.000 nicht-jüdische Deutsche, Männer und Frauen, die in der Regel nicht am Kriegsgeschehen beteiligt gewesen waren, aus Rumänien in russische Arbeitslager verbracht, insbesondere in Bergwerke im Donbass (als Teil der Reparationsleistungen an Russland), wo sie in der Regel fünf Jahre blieben, wenn sie nicht aus gesundheitlichen Gründen früher entlassen wurden oder dort starben; die Entlassenen kehrten nicht alle wieder an ihre ursprünglichen Wohnorte zurück. Das Christi-Geburt-Spiel der Siebenbürger Sachsen im Donbas (1947) von Georg Brenndörfer (der 1906 als Felix Gebauer in Kronstadt geboren wurde) ist ein ironischer Text, der die Siebenbürger Deutschen dabei zeigt, wie sie ein Weihnachts-Krippenspiel im Donbass proben und im Arbeitslager aufführen, wobei die Aufführung Sinn und Gestalt verliert und einer Farce ähnelt. Spiel, Gesang und künstlerische Tätigkeit im Lager, die mit Hunger, Entbehrungen und Zukunftsangst kontrastieren, sind gut bekannte Motive aus der deutsch-jüdischen Literatur der Überlebenden. Deshalb frappiert dieses frühe Beispiel auf den ersten Blick. Allerdings geht es nicht um eine Täter-Opfer-Umkehr; auch wird schnell deutlich, dass sich die russischen Arbeitslager von den Vernichtungslagern radikal unterschieden. Das Stück verstört nicht – zumindest nicht in gleichem Maße wie deutsch-jüdische Texte, in denen die Lebensansprüche der Einzelnen aufrecht erhalten werden gegen die Gewalt des Massenmordes. In der deutsch-jüdischen Literatur Osteuropas setzt schon vor Kriegsende eine radikale Kultur-, Kunst- und Religionskritik ein, indem der Holocaust mit Kunstwerken wie den Fugen Bachs oder aber mit dem Caritas-Gedanken und der Eucharistie im Christentum konfrontiert wird. Auch stellt sich mit den Stimmen des Spiels der Siebenbürger Sachsen im Donbas Multiperspektivik ein. Das Geschehen des Zweiten Weltkriegs wird unterschiedlich kontextualisiert; ein gemeinsam geteiltes Erinnerungsnarrativ der Siebenbürger kommt nicht zustande, vielmehr werden offene Fragen aufgeworfen, die unbeantwortet bleiben und so auf die Notwendigkeit der Auseinandersetzung mit eigener Schuld hindeuten. Unter den Stimmen gibt es in unterschied-

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lichen Schattierungen Täter, Mitläufer, ›unschuldig-schuldig-Gewordene‹, Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus u.a. Die Unruhe, die durch die unterschiedlichen Wahrnehmungen der Stimmen in das Spiel hineingetragen wird, lässt es schließlich zu einem Zerrspiegel der ›frohen Botschaft‹ werden, zu einer burlesken Infragestellung christlicher Barmherzigkeit. Ein erlösungsverheißender Engel macht das Spiel zum möglichen Intertext für Herta Müllers Atemschaukel, wo sich Leopold Auberg von einem mörderischen ›Hungerengel‹ bedroht sieht. Die Metapher ›Hungerengel‹ hatte Oskar Pastior in seiner Lagerzeit erdacht – auch hier also ein Begriff, der möglicherweise auf gemeinsame Erfahrungen und Gespräche zurückgeht. Das 1947 entstandene Stück wurde dann auch tatsächlich im Arbeitslager Almasana im Donbass noch im gleichen Jahr aufgeführt. Rainer Biemel, der 1910 in Kronstadt geboren wurde und 1987 in Le MesnilSaint-Denis starb, verfasste unter dem Pseudonym Jean Rounault in französischer Sprache im Jahr 1949 Mon ami Vassia. Der polyglotte Übersetzer von Heinrich Manns Exil-Schriften, der Saint-Exupéry zum Aufschreiben seiner Flug-Erinnerungen ermutigte und vor den Nationalsozialisten floh, ist kein Mittäter, wird aber als Deutscher in ein Arbeitslager deportiert. Rounault alias Biemels lebte seit 1926 überwiegend in Paris, studierte an der Sorbonne und übertrug unter anderem Thomas Manns Avertissement à l’Europe 1937 ins Französische, um es mit einem Vorwort von André Gide versehen in Frankreich zu veröffentlichen; ferner übertrug er 1937 Rainer Maria Rilkes Lettres à un jeune poète; Thomas Manns La victoire finale de la démocratie folgte 1939 und schließlich Goethes Second Faust im Jahr 1942. Rounault alias Biemel verließ Paris kurz vor dem Einmarsch der Deutschen und wurde kurz darauf, 1941, zum rumänischen Militär einberufen, konnte aber in Bukarest als Übersetzer der Front fernbleiben; im Januar 1945 wurde er aufgegriffen und zur Zwangsarbeit in den Donbass deportiert. Der Roman Mein Freund Wassja geht mit einem absurd-ironischen, teilweise auch humoresken Ton diesen Übergängen nach und entlarvt sowohl die Anfälligkeit für nationalsozialistische Ideologie als auch die Doppelbödigkeit staatssozialistischer Versprechen der Demokratie und Freiheit. Der autobiographische Roman liest sich teilweise wie ein Bericht und beschreibt die Lebensbedingungen im Lager Nummer 1022 bei Makeewska im Donbass, die Arbeiten im Kohlebergwerk, aber auch die Veränderung der Persönlichkeiten der inhaftierten Zwangsarbeiter und den zu Vorarbeitern aufgerückten, der Parteifunktionäre, die über Leben und Tod entscheiden konnten, der Aufseher und Bergwerkleiter, wobei die Freundschaft zwischen dem russischen Arbeiter Wassja und dem deportierten, autofiktional gestalteten Erzähler im Gegensatz zur allgegenwärtigen Be-

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reitschaft zu Korruption, Verrat, Demütigung und Gewalt zur Identifikation mit dem Deutschen und diesem ›guten Russen‹ einlädt. Im Fall Biemels liegen – wie auch beispielsweise bei Oskar Pastior und bei vielen weiteren Deportierten – keinerlei Sympathien für die Nationalsozialisten vor; die Deportationen lehnen sich an die rassistische Vorgehensweise der Nationalsozialisten an, indem die ›Volkszugehörigkeit‹ – selbst wenn die Betroffenen sie sich gar nicht angeeignet haben – als einziges Kriterium herangezogen wurde. So finden sich in den sowjetischen Arbeitslagern in sich heterogene Gruppen wieder, die gerade durch die ganz unterschiedlichen Lebenswege und Einstellungen der Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter zur Reflexion der vorangegangenen Kriegsereignisse einladen. Trotz einiger Analogien hinsichtlich der Darstellung von Lagererfahrungen weisen diese Lager-Darstellungen klare Unterschiede zu jenen aus jüdischer Perspektive auf. Letztere thematisieren seit Primo Levi die Internalisierung des Antisemitismus, der Identifikation mit den Legitimationsmustern der Täterperspektive: Aus Sicht vieler KZ-Insassen – so auch in jüngster Zeit sehr ausgeprägt in Aharon Appelfeldts Roman Eismine (1997) –, seien sie Kommunisten oder gläubige Juden, zum Christentum konvertiert oder nicht, findet ein vermeintlicher Sinnstiftungsversuch statt, indem die antisemitische Abwertung verinnerlicht und die Täterperspektive bejaht wird. Zumindest einige der Inhaftierten betrachten ihr Judentum als zurecht bestraften ›Makel‹, wie es der sozialistische Onkel des Ich-Erzählers in Eismine formuliert. Aus Sicht der deutschen Arbeitslagerinsassen in der Sowjetunion kann es keine Anknüpfung an einen Inferiorisierungsdiskurs geben. Die Deutschen in Siebenbürgen waren, obschon eine Minderheit, keinen abwertenden Semantiken und keiner Exklusion durch Mehrheiten ausgesetzt. Hans Kehrer mit Zwei Schwestern (1980) und Ludwig Schwarz im unvollendeten, mehrbändigen Roman De Kaule-Baschtl (1977-1981) verfassten mundartliche Texte, die die Deportation thematisierten. Der 1951 geborene Banater Schriftsteller Johann Lippet konnte seinen Gedichtband biographie. ein muster 1980 erstaunlicherweise an der Zensur vorbei veröffentlichen, obwohl er darin die Russland- und Bărăgandeportation offen thematisierte. Dasselbe gilt für den Banater Horst Samson, der ab 1978 Gedichtbände veröffentlichte, in denen er die Deportation verdeckt aufgriff. Anders erging es Erwin Wittstock (geb. 1899), dessen Manuskript Januar ’45 oder die höhere Pflicht in den 1950ern von der Zensur konfisziert wurde und erst 1991 als Fortsetzungsroman im Neuen Weg erscheinen konnte. Wenn Wittstock auch ein guter Erzähler ist, enthält der Roman stellenweise eine ideologische Überhöhung der Deportation als Schicksal, das durch Zusammenhalt

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anzuerkennen sei. Erwin Wittstocks Sohn Joachim Wittstock, ein 1939 in Hermannstadt geborener Schriftsteller, thematisiert hingegen 2003 in Bestätigt und besiegelt mit Blick auf die Abwesenheit der Betroffenen die Deportation als Kollektivbuße für schuldhafte Verstrickung in den Kriegsjahren. Der 1952 geborene Banater Schriftsteller Richard Wagner behandelt in Habseligkeiten (2004) die Deportation seines Vaters. Keiner dieser Texte erregte so viel Aussehen wie Herta Müllers Atemschaukel (2009). Dennoch entstehen auch weiterhin poetisch interessante, dichte Texte wie Ursula Ackrills Roman Zeiden, im Januar (2015). Den nicht-jüdischen deutschsprachigen Texten aus Osteuropa ist gemeinsam, dass weniger der Holocaust als das Kriegsgeschehen und die Deportationen in die Sowjetunion im Januar 1945 in den Fokus rückt. Einige Texte enthalten Darstellungen des zivilen Lebens in siebenbürgischen Stätten vor den RusslandDeportationen (so beispielsweise Erwin Wittstocks Januar ’45); das eigentliche Kriegsgeschehen gerät eher am Rande, etwa in Rückblenden aus den russischen Lagern, in den Blick.

4. FAZIT Die jüdischen und nicht-jüdischen Darstellungen des Nationalsozialismus, des Zweiten Weltkriegs und des Holocaust während des Krieges und danach unterscheiden sich signifikant. Zwar gibt es einige gemeinsame Motive (beispielsweise Kunst im Lager), Poetik und Faktur der Texte sind aber verschieden. Auch die Peripheralisierung ist ihnen zwar gemeinsam, sie betrifft sie aber in je unterschiedlicher Weise. Im Falle der nicht-jüdischen Darstellungen des Zweiten Weltkriegs sind die Lagererfahrungen in der Sowjetunion eine in der Bundesrepublik und bis zu Herta Müllers Atemschaukel im wiedervereinigten Deutschland weitgehend ausgeblendete Episode des Zweiten Weltkriegs, die kaum erinnert wurden; heutige europäische Erinnerungsdiskurse beziehen sie zunehmend ein. Die deutsch-jüdischen Darstellungen des Holocaust und des Zweiten Weltkriegs entstehen in Osteuropa bereits während des Kriegsgeschehens; in einem produktiven literarischen Austausch entstehen originelle Poetiken, die die deutschsprachige Literatur nach 1945 und die Anforderungen an Poetik und Ästhetik grundlegend neu ausrichten. Es dauerte jedoch rund zwei Jahrzehnte, bis sich diese Einsicht durchsetzte. Bis dahin musste auch ein Paul Celan immer wieder feststellen, dass deutsch-jüdische Erfahrungen und Überlieferungszusammenhänge auf der bundesdeutschen imaginären Literatur- und Erinnerungslandkarte, wie sie die Gruppe 47 vorgezeichnet hatte, nicht vorkamen. So schrieb Celan am 12. September 1962 an Alfred Margul-Sperber nach Bukarest: »Eines

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Tages fand man hierzulande, daß es an der Zeit sei, Kärnten und Hessen und Pommern und Brandenburg und andere Marken mit vornehmer Konsonanz [...]« in den Mittelpunkt der (literarischen) Aufmerksamkeit zu rücken, und auch »Nördliches stabreimt sich pseudosozial und zornig-photogen hinzu« (Solomon 1987: 171f.). Einen früheren Brief hatte er aus demselben Grund, indem er sich die imaginäre Exklusion in einen fernen östlichen Raum ironisch zu eigen machte, wie folgt unterzeichnet: Paul* *»Russkij poët in partibus nemetskich infidelium« (Solomon 1987: 266).

Heute, im Zeitalter der De-Zentrierungen, in dem sich die Gewissheit eingestellt hat, dass ›Westeuropa‹ eben nicht ›Europa‹ und ›Europa‹ eben nicht ›die Welt‹ ist – wie es Monika Albrecht formuliert hat – heute, wenn wir versuchen, uns ein Bild von der jahrhundertealten globalen Vernetzung von Diskursen zu machen – ein Vernetzt-Sein, das durch koloniale, nationale und weitere asymmetrische Darstellungsmuster verdeckt, manchmal auch verhindert wurde –, setzt neben der sensationslüsternen, kommerziellen Instrumentalisierung des Holocaust auch eine überfällige, produktive Arbeit an transnationalen lieux de mémoire ein. Die angesprochenen peripheralisierten Literaturen sind aus heutiger Sicht selbst dort noch als Problemfälle interessant, wo sich mitunter gegen die evident werdende transnationale Verschränkung doch wieder Partikularismus geltend macht. Wegen ihrer Verortung in mehrsprachigen und multireligiösen Umgebungen und wegen der Notwendigkeit, Vernetzungen herzustellen, um wahrgenommen zu werden, waren all die deutschsprachigen Literaturen Osteuropas insgesamt aber lange schon gefordert, transnationale Perspektiven einzunehmen; dies unterscheidet sie von den deutschen Literaturen Österreichs, der Schweiz und Deutschlands, deren Existenz nicht erklärungsbedürftig war und die nicht auf Verschränkung als Reflexions- und Selbstvergewisserungsmoment angewiesen waren. Gerade diese Verschränkungen von Erinnerungszusammenhängen und Darstellungsweisen sind heute in globaler Sicht gefordert, wenn es um einen gemeinsamen Fokus auf die Verbrechen des Holocaust geht. Insbesondere die Texte jener deutsch-jüdischen Schriftstellerinnen und Schriftsteller aus Osteuropa, die nach Lateinamerika ins Exil gingen (insbesondere Richard Katz und Paul Zech) sind in dieser Hinsicht besonders wertvoll. 9 Die deutsch-jüdischen Litera-

9

Texten wie Seltsame Fahrten nach Brasilien oder Zickzack durch Südamerika von Richard Katz sowie Paul Zechs Deutschland, dein Tänzer ist der Tod sowie Die Menschen der Calle Tuyutí sowie weiterer deutsch-jüdischer Schriftsteller*innen, die nach

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turen aus Osteuropa leisten ferner ›preadaptive advances‹, wenn sie in transnationaler Perspektive nach Kunst- und Kulturwerken suchen, um deren Widerständigkeit gegenüber kollektiver Gewalt in Gedichten zu prüfen oder, anders gewendet, das Geschehen ins Licht von Kunstwerken wie Bachs Fugen zu stellen, wie es Moses Rosenkranz tat. Die transnationale literarische ›Begegnung‹, die Paul Celan mit dem Begriff des ›Meridians‹ einforderte, ereignet sich gerade in dieser Suche nach verschränkten, ähnlichen Perspektiven auf den Zivilisationsbruch.

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Gedächtnis und ›Heimat‹ im Transfer zwischen Osteuropa, Lateinamerika und Deutschland Ernesto Kroch in Breslau, Montevideo und Frankfurt Wolfgang Johann

I In seinem Erzähler-Aufsatz trifft Walter Benjamin eine prinzipielle Unterscheidung zwischen zwei Formen des Erzählers. Das folgende, berühmt gewordene Zitat passt vielleicht auf niemanden so gut wie auf einen zwischen Osteuropa, Lateinamerika und Deutschland nach einer Verortung im 20. Jahrhundert suchenden Schriftsteller mit jüdischer Sozialisation wie Ernesto Kroch: ›Wenn einer eine Reise tut, so kann er was erzählen‹, sagt der Volksmund und denkt sich den Erzähler als einen, der von weither kommt. Aber nicht weniger gern hört man dem zu, der, redlich sich nährend, im Lande geblieben ist und dessen Geschichten und Überlieferungen kennt. […] Wenn Bauern und Seeleute Altmeister des Erzählens gewesen sind, so war der Handwerksstand seine hohe Schule. In ihm verband sich die Kunde von der Ferne, wie der Vielbewanderte sie nach Hause bringt, mit der Kunde aus der Vergangenheit, wie sie am liebsten dem Seßhaften sich anvertraut. (Benjamin 1991: 440)

Erst wenn sich also das Wissen des Sesshaften mit dem des Weitgereisten verbindet, wie es Benjamin exemplarisch im fahrenden Handwerksgesellen sieht, welcher sich später als Meister niederlässt, bekommt die »Figur des Erzählers ihre volle Körperlichkeit« (ebd.). 1 Benjamin verbindet in seinen Beispielen eine

1

Vgl. zum Verhältnis Walter Benjamins zur Arbeiterbewegung Braese 2018.

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räumliche Dimension von Wissen und Erzählertypus mit einer sozialen – ganz ähnlich betont Didier Eribon (2017) die soziale Dimension des Heimatbegriffs, um die er die räumliche ergänzt. Diese Verschränkung des Räumlichen mit dem Sozialen im Erzähler verbindet sich mit dem Begriff der ›Heimat‹ bei Ernesto Kroch. Während Benjamin das Handwerkswissen benennt, das durch eine eigenwillige Kombination von Raum und Zeit angesammelt wird, und dies als prototypische Denkfigur für den Erzähler beschreibt, ist es bei Ernesto Kroch der Widerstand gegen den Nationalsozialismus, der Jahrzehnte später auf einem anderen Kontinent relevant wird: Die Techniken der Konspiration, des asymmetrischen Widerstandes gegen einen überlegenden Gegner, die Kroch in seiner Breslauer Widerstandszelle ›erlernt‹ hat, kommen 40 Jahre später während der Militärdiktatur in Uruguay wieder zur Anwendung. Der soziale Akt des Widerstandes gegen Unrecht und Unterdrückung wird somit zu einem wichtigen Aspekt der ›Heimat‹. Dies erinnert an das etwas pathetische Verständnis von Heimat des lediglich neunzehn Jahre älteren Bertolt Brechts: »Heimat definiert als das Land, wo am besten für die Menschheit gekämpft werden kann« (Brecht 1993: 56). 2 Darüber berichtet Kroch in seiner Autobiographie Heimat im Exil – Exil in der Heimat. Damit eignen sich Benjamins Idee des Erzählers als Wissenssammler und Eribons Heimatbegriff in mehrfacher Hinsicht, einen tendenziell peripheralisierten Erzähler wie Ernesto Kroch zu beschreiben.

II In der Autobiographie Ernesto Krochs (1917-2012) lässt sich ein Nachdenken über ›Heimat‹ und ›Identität‹ in ganz ähnlicher Weise finden wie in anderen Biographien im »Zeitalter der Extreme« (Hobsbawm 1995), etwa bei Jean Améry (2002), Gustav Regler (1989) oder Georg K. Glaser (1990 [1951]). Nicht zuletzt darin lassen sich gewisse Vorzüge einer literarischen Betrachtung und einer literaturwissenschaftlichen Fragestellung zeigen. Sie zwingt, wie Magnus Enzensberger aufzeigt (Enzensberger 2018) dazu, einen individuellen, subjektiven Blickwinkel einzunehmen, der bei Ernesto Kroch auch in einer Perspektivierung der Ereignisse des Zweiten Weltkrieges und des Nationalsozialismus aus einer Sicht aus Uruguay besteht. Leo Löwenthals Bemerkung, dass es »der Künstler [ist], der das darstellt, was wirklicher ist als die Wirklichkeit selbst« (Löwenthal 1990: 7), lässt sich bedingt auch auf die autobiographischen Reflexionen im 20. Jahrhundert übertragen; bedingt deshalb, weil sie hinsichtlich der Shoah aufge-

2

Siehe zur Kritik des literarischen Heimatbegriffs bereits Mecklenburg 1987.

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spannt ist zwischen einer Aporie, deren unterschiedliche Positionen Elie Wiesel und Imre Kertész folgendermaßen formulierten: »›The Holocaust as Literary Inspiration‹ is a contradiction in terms. As in everything else, Auschwitz negates all systems, destroys all doctrines« (Wiesel 1977: 7); »Das Konzentrationslager ist ausschließlich in Form von Literatur vorstellbar, als Realität nicht« (Kertész 2016: 240). Bei Kroch lässt sich nun eine mehrschichtige peripheralisierte Perspektive darstellen, da die subjektiven Konstruktionen des gesellschaftlichen Außenseiters Ernesto Kroch von ›Heimat‹ und ›Exil‹, von ›Identität‹ und ›Alterität‹ über das Momentum des Transformatorischen laufen. Das hat nun Konsequenzen für eine Annäherung an Ernesto Kroch heute, weil bestehende Narrative von NS-Opfererfahrungen um einen entscheidenden Punkt – eben um die angesprochene peripheralisierte Perspektive des gesellschaftlichen Außenseiters – ergänzt werden können. 3 Dies wiederum ist nun anschlussfähig an Beobachtungen von Eribon. Allerdings muss bei der Beschäftigung mit Krochs literarischem Schaffen der Kontext der Holocaust-Literatur immer mitgedacht werden; Alvin Rosenfeld hat bereits darauf hingewiesen, dass Literaturtheorien in der »Methode als auch von der Zielsetzung her radikal verfehlt« (Rosenfeld 2000: 27) seien, wenn sie die Holocaust-Literatur einzig in ihren jeweiligen Traditionszusammenhängen versuchten zu erfassen. Es kommt in Ernesto Krochs Texten in erster Linie auf die Figur des Wissensträgers im Benjamin’schen Sinne an. In einer kurzen Vorstellung von Krochs Biographie soll dies verdeutlicht werden.

III Ernesto Kroch wurde am 11. Februar 1917 als zweites Kind jüdischer Eltern in Breslau geboren. 4 Infolge von wirtschaftlichen Schwierigkeiten, auch infolge der Weltwirtschaftskrise, konnte Kroch, anders als der sieben Jahre ältere Bruder, nicht studieren und begann 1932 eine Ausbildung als Maschinenschlosser. In seiner Autobiographie beschreibt er die Sozialisation als Proletarier im Arbeitermilieu, begleitet von Kunst und Literatur, er nennt Hermann Hesse, Rainer

3

Dies nehmen bisherige Darstellungen von Ernesto Kroch höchstens in Ansätzen vor. Der Schwerpunkt liegt dabei auf den unmittelbar biographischen Aspekten und einer Sicherung dieses Wissens. Vgl. Eisenbürger 1995.

4

Siehe für die weiteren biographischen Details die Sonderausgabe der ila – Zeitschrift der Informationsstelle Lateinamerika (2007, H. 302) zu Ernesto Kroch: Zwischen Uruguay und Deutschland. Ernesto Kroch zum 90. Geburtstag.

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Maria Rilke und Thomas Mann explizit. Eine neoromantische Reminiszenz weist dabei auf eine eigene künstlerische Tätigkeit hin: Gut eine halbe Stunde länger hätte ich schlafen können. Doch fahre ich nicht direkt in die Fabrik. Auf dem Weg nach Klein-Mochbern liegt in der Nähe des Flugplatzes ein Wäldchen. Mehr dichtes Gebüsch als Bäume eigentlich. Dort steige ich vom Rad, setze mich auf einen Baumstumpf, ziehe die Blockflöte aus meiner Umhängetasche, wo sie neben Wurst- und Käsestullen und dem Malzkaffeekanister liegt, und spiele das Menuett aus Mozarts Don Giovanni, vielleicht einen Satz aus Beethovens Frühlingssonate oder einfach nur Am Brunnen vor dem Tore. Dann packe ich alles wieder zusammen und beeile mich, die letzte Strecke bis zur Fabrik zurückzulegen und meine Kontrollkarte wenigstens eine Minute vor sieben in die Stechuhr zu stecken. (Kroch 2008: 39)

Auch später scheint eine Affinität, wenn nicht zu einer ›Waldeinsamkeit‹, so doch zumindest zu einer Naturverbundenheit, bei Kroch mit einer Kunstreflexion, Gesellschaftsanalyse oder mit politischen Implikationen einherzugehen. Dies verdeutlichen die wiederholten Erwähnungen von Naturerlebnissen und nicht zuletzt seine Kritik zu Beethovens Fidelio, die er bei einem Aufenthalt in Frankfurt Anfang der 1980er Jahre sah: »In der Frankfurter Oper sahen wir Fidelio in einer sehr zeitgemäßen Inszenierung. Zu Beethovens Zeiten bestand zwar Amnesty International noch nicht, doch zweifellos komponierte er diese Oper ganz in ihrem Sinne« (ebd.: 158). Der zweite entscheidende Sozialisationsraum fand Ernesto Kroch bei dem deutsch-jüdischen Wanderbund Kameraden, der 1916 in Breslau gegründet wurde und sich 1932 in drei Sektionen aufteilte, eine zionistische Sektion, die eine Auswanderung nach Palästina präferierte und sich als Teil der Kibbuzbewegung sah, eine deutsch-nationale Richtung, die sehr schnell von den Nazis aufgelöst wurde, und schließlich eine sozialistische Bewegung, die Freie DeutschJüdische Jugend, in der sich Ernesto Kroch engagierte. Die Gruppe lehnte schon früh den Stalinismus ab und wandte sich dann ab 1936 offen gegen Stalins Politik innerhalb und außerhalb der Sowjetunion. Diese Sozialisation, einerseits als ›Proletarier‹ mit dem zeitgeisttypischen Selbstbewusstsein, andererseits die Politisierung in einer liberalen kommunistischen Organisation, war prägend für Krochs weiteren Lebensweg: Er engagierte sich von der ersten Stunde an in Breslau im Widerstand gegen die Nazis und wurde nur durch einen Zufall bereits 1934 von der Gestapo enttarnt und verhaftet. Seine Beobachtung der gesellschaftlichen Realität fasst er im Rückblick mit den Worten zusammen:

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Mehr als der Terror, der mich und so viele andere in seinen Fängen hielt, war es die Einsicht, dass damals Ende 1934 ein Großteil der Bevölkerung bereits im Gleichschritt mit den Marschkolonnen des Nationalsozialismus und seinem allmächtigen Führer marschierte. Aus Überzeugung, aus Pflichtgefühl, Opportunismus oder Anpassung, begeistert oder von Angst getrieben. Aber sie marschierten zu Millionen und Abermillionen mit. Wie klein war dagegen das Häuflein derer, die, sich der Sturmflut des Chauvinismus und der Barbarei widersetzend, ihren Ideen treu geblieben waren: Sozialdemokraten, Kommunisten, Pazifisten, Humanisten und Christen. Im gewaltigen Gegenstrom mussten wir untergehen. Bestenfalls waren wir noch das Gewissen einer Nation zur Zeit ihrer absoluten Gewissenlosigkeit. Das wurde mir bewusst, als ich nicht mehr ein noch aus wusste. (Ebd.: 27)

Nach der Verbüßung von anderthalb Jahren Gefängnis in Einzelhaft kam Kroch in ›Schutzhaft‹ ins KZ Lichtenburg in der Nähe von Torgau in Sachsen. Kroch analysiert seinen Aufenthalt trotz der unmenschlichen Folter und den willkürlichen Ermordungen als das ›mildeste Zwischenstadium‹ in der Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager: Dabei hatte ich das Glück, zu einer Zeit im KZ zu sein, als die erste Welle des Massenmordes politischer Gefangener bereits vorüber war, die Wirtschaftskrise und die Arbeitslosigkeit als überwunden galten und das Naziregime somit einigermaßen konsolidiert war. Andererseits hatten der Krieg und die brutale Welle der massiven Ausrottung in den Lagern noch nicht begonnen. Dieses Zwischenstadium in der Geschichte der Konzentrationslager dürfte von allen das ›mildeste‹ gewesen sein. Für mich war es trotzdem eine unvergesslich harte Erfahrung. (Ebd.: 72)

Kroch wurde im Januar 1937 aus dem KZ Lichtenburg mit der Auflage entlassen, innerhalb von zehn Tagen das Deutsche Reich zu verlassen. Er kam dann über einen kurzen Aufenthalt in Jugoslawien nach Uruguay und fand dort schließlich seinen Lebensmittelpunkt. Während seiner Gefängnishaft in Uruguay, als er auch dort im Widerstand gegen die Militärdiktatur tätig war und verhaftet wurde, reflektierte er die Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Foltererfahrungen im Deutschen Reich und in Uruguay: Am frühen Morgen des 6. Januar 1974 erschienen drei oder vier Polizisten in Zivil in unserer Wohnung und nahmen nach einer chaotischen Hausdurchsuchung mich und Elly in die als Folterhölle berüchtigte Zentrale der Geheimpolizei in der Straße Maldonado mit. […] Das Strammstehen war weniger schlimm als damals in Deutschland. Denn einer der Wachhabenden, dessen Schicht am Nachmittag begann, war ein anständiger Typ, er ließ

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uns rühren und sogar ein wenig auf der Stelle treten, unter der Bedingung, dass, sobald sich auf dem Korridor draußen Schritte hören ließen und er von innen aufschloss, wir unverzüglich Haltung anzunehmen hätten. […] Ich machte mir Sorgen. Doch war meine Situation nicht mit der vergleichbar, die ich vor vierzig Jahren in Deutschland durchstanden hatte. Dort hatte ich mich, ohne Hoffnung und Perspektive, von aller Welt verlassen gefühlt. Hier dachte ich keinen Moment, ich stünde auf verlorenem Posten. Der Unterschied war, dass hier ein bedeutender Teil des Volkes, die Arbeiter und Studenten, von Beginn an der Diktatur Widerstand entgegengesetzt hatte. (Ebd: 140)

Darüber hinaus sind die Beobachtungen des Zweiten Weltkrieges aus der Perspektive von Uruguay aufschlussreich. Hier ähneln manche Beobachtungen denen von Vilém Flusser (vgl. Flusser 1999). Kroch schreibt etwa über die Situation der Arbeiter in Uruguay: Wir hatten inzwischen auch uruguayische Freunde gefunden, die eine ähnliche Einstellung wie wir hatten. Junge Leute, die aus der Kommunistischen Partei Uruguay ausgeschlossen worden waren, weil sie zwar mit deren Ideen und Zielen übereinstimmten, aber weder den zu jener Zeit opportunistischen Trott gegenüber einer eher konservativen Regierung mitmachten wollten, noch eine Politik, die bei der berechtigten Unterstützung des Kampfes der Alliierten gegen Hitler die Interessen der uruguayischen Arbeiter zurückstellte. Das ging so weit, dass die Kommunistische Partei bei einem Streik der Arbeiter der Gefrierfleischfabriken zum Streikbruch aufrief, da ein Schiff im Hafen lag, das Fleisch nach England transportieren sollte. (Kroch 2008: 88)

Und weiter beschreibt Ernesto Kroch, wie sich in Uruguay das Geschehen in Europa als äußerst relevant für ihn in Südamerika darstellte: Kurz danach forderten die aktuellen Ereignisse in Europa wieder unsere ganze Anteilnahme heraus. In Europa hatte die Wehrmacht Hitlers fast das gesamte kontinentale Europa unter ihren Stiefeln, und der lang anvisierte Marsch nach Osten, die Invasion der Sowjetunion, hatte begonnen. […] In jener Zeit waren all unsere Sinne auf den Krieg, vor allem auf den Krieg an der Ostfront gerichtet, und jeden Tag verfolgten wir auf der Landkarte die Bewegung der Gefechtslinien. Wir wussten sehr wohl, dass dort die Zukunft Europas – und möglicherweise auch der Welt – entschieden wurde. (Ebd.: 91 und 98)

Im weiteren Verlauf der Autobiographie wird deutlich, dass sich Krochs Perspektive gänzlich auf Uruguay konzentriert, nicht nur in persönlich-privater Hinsicht, sondern auch politisch. Dabei verbindet Kroch beide Ebenen, wenn er über

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das Verhältnis von Identität, ›Heimat‹ und Exil nachdenkt. Anstoß dazu gab nicht nur die Scheidung von seiner uruguayischen Ehefrau, die er nach einigen Jahren der Trennung wieder heiratete, sondern auch Reisen nach Israel und Deutschland. Das zerrissene und ambivalente Nachdenken über ›Heimat‹ liest sich bei Ernesto Kroch folgendermaßen: Nach fünfundzwanzig Jahren betrete ich dann 1963 zum ersten Mal wieder den europäischen Kontinent. In Lissabon habe ich wenige Stunden Aufenthalt. Jetzt sehe ich alles mit den Augen eines Uruguayers. Ich vergleiche. Zwischen den beiden Gleisen der Eisenbahn, an denen entlang ich zur Stadtmitte gehe, ist kaum mehr als ein Meter Raum. Aber auf diesem Stückchen Erde ist alles bepflanzt: Zwiebeln, Salat, Kohl. Ich schließe die Augen und sehe vor mir die enormen grünen Flächen in Uruguay, wo nichts angebaut ist. […] Von Paris fuhr ich noch einmal in die Bundesrepublik zurück, fuhr auf einem Dampfer den Rhein von Bonn nach Rüdesheim hinauf und nahm Abschied von der so lang entwöhnten Heimat am Titisee im Schwarzwald. Es nieselte, die Täler lagen unter Nebelfetzen, die Spitze des Feldbergs war schneebedeckt, es tropfte von Tannen und Fichten, und ich setzte mich auf einen moosbepolsterten Baumstumpf. Ich schaute nachdenklich in die trübe, feuchte Landschaft. Deutschland. Hier bin ich geboren. Hier bin ich jung gewesen. Das war meine Heimat. Das schöne Land ist mir heute noch vertraut. Könnte ich nach dreißig Jahren hier wieder Wurzeln schlagen? Wehmut und dumme Gedanken, wenn man die Passage für die Rückfahrt in der Tasche und Frau und Kinder in Montevideo hat. (Ebd: 126 und 130f.)

Nach dem Tod seiner ersten Frau und einer verstärkten Tätigkeit im Untergrund entschließt sich Kroch dann 1982 für das »Exil in der Heimat« und kehrt nach fast 45 Jahren wieder nach Deutschland zurück. In seiner Zeit im Widerstand gegen die Militärdiktatur in Uruguay griff er auf seine Erfahrungen im Widerstand gegen die Nazis zurück. Nichtsdestotrotz spitzte sich die Situation durch eine Denunziation zu und der 65-jährige Kroch ging nach Deutschland. Nach dem Ende der Militärdiktatur 1985 lebte er sowohl in Frankfurt am Main als auch in Montevideo. Enzensberger schreibt über Georg K. Glaser: »Georg Glaser ist ein Solitär, den man sich in keinem Schriftstellerverband, keiner Gruppe und keinem Club vorstellen kann. Er war überhaupt kein Berufsschriftsteller. […] Dieser stattliche, handfeste, zupackende Mann hatte zu viel Anderes zu tun. Er war Landstreicher, Fabrikarbeiter, Agitator, Reporter und Handwerker« (Enzensberger 2018: 259). Diese Beobachtungen gelten nahezu übereinstimmend auch für Ernesto Kroch. Somit kann man gewisse Gemeinsamkeiten in manchen Biographien im »Jahrhundert der Extreme« erkennen, die zwar nicht vollständig de-

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ckungsgleich sind, aber doch einen wichtigen gemeinsamen Fluchtpunkt zu haben scheinen: Das schriftstellerische Tätigkeit von Georg K. Glaser und Ernesto Kroch war hinsichtlich ihrer Biographie selbst peripheralisiert, die Umstände, die politisch-soziale Weltsicht und die zerrissene Biographie forderten von ihnen aber geradezu das Schreiben.

IV Der ursprüngliche Titel der Autobiographie von Ernesto Kroch lautet: »Exil in der Heimat – Heim ins Exil.« 5 Dieser Titel ist komplexer als der der überarbeiteten Neuauflage 14 Jahre später (Kroch 2008). Hier lautet der Titel nun: »Heimat im Exil – Exil in der Heimat«. Der ursprüngliche Titel betont das komplexe Spannungsverhältnis zwischen dem Exil, das zur Heimat wurde – also Uruguay, und der ›Flucht‹ ins Exil, also ›Heim ins Exil‹ nach Deutschland. Diese Ambivalenz betont nicht so sehr eine Zerrissenheit, sondern eher ein Momentum des Transformatorischen, welches sich im interkulturellen Austausch bildet. Kroch versteht sich als jemand, der eine Perspektive aus Uruguay einnimmt, aber sich gerade auch in Deutschland ›heimisch‹ fühlt, damit ist er nicht nur ein gesellschaftlicher Außenseiter als Jude und Kommunist, sondern auch in seinem Selbstverständnis und in dem Schreiben peripheralisiert. Die Identitätskonstruktionen verlaufen also gerade über das Momentum des Transformatorischen, verstanden als einen Prozess, der einer statischen, kontinuierlichen Traditions›Identität‹ widerspricht. ›Heimat‹ kann, so scheint es, gerade derjenige definieren, welcher sie verloren hat. Allerdings versteht man unter ›Heimat‹ dann die ursprüngliche Herkunft. Wie die Untersuchungen des Literatursoziologen Didier Eribon aufzeigen, lässt sich ›Heimat‹ nun aber nicht nur räumlich und temporal in diesem Sinne einer ursprünglichen Herkunft verstehen, sondern ›Heimat‹ muss auch sozial gedacht werden (vgl. Eribon 2017). Diese Überlegungen führt er nicht nur entlang von Betrachtungen bei Annie Ernaux und anderen Autorinnen und Autoren wie etwa Peter Handke, Friedrich Nietzsche oder Marcel Proust an, sondern in einer sehr eindrücklichen Weise denkt Eribon über seine eigene Klassenflucht vom Arbeitermilieu in das akademische Milieu nach, um herauszuarbeiten, dass Habitus und Identitäten in einem größeren Umfang determinierend wirken. Klassen- und Milieugrenzen in modernen westlichen Gesellschaften sind zwar in historischer Perspektive durchlässiger geworden, und da die westlichen Gesellschaften der Gegenwart durch die Gegensätzlichkeit ihrer ein-

5

Vgl. Kroch 1990.

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zelnen Gruppen in sich pluralistisch sind und gerade dadurch integrativ wirken – in einem Umfang, den man weder idealisieren, noch verkennen sollte –, ermöglichen sie auch gesellschaftliche Partizipation in einem höheren Rahmen als etwa noch in der unmittelbaren europäischen Nachkriegszeit. Allerdings, und das ist der Befund Eribons, sind dieser Permeabilität deutliche Grenzen gesetzt, da eine Klassen- und Milieuflucht nicht vollständig gelingt und gar generationenübergreifend gedacht werden muss (vgl. ebd.: 183 und 201). Die zweite wichtige These von Eribon lautet: Die gesellschaftliche Realität gibt es nur als eine, die sich in der Perspektive des Individuums spiegelt (Ebd.: 218). Dieser Befund setzt sich nicht zuletzt auch in Fragen nach ›Heimat‹, und ›Identität‹ fort – jeweils differenziert hinsichtlich sozialer/räumlicher/zeitlicher ›Heimat‹ und ›Identität‹. In Bezug auf Kroch lässt sich nun sagen, dass hinsichtlich seiner sozialen Heimat und seiner Identität sowohl in Deutschland als auch in Uruguay nahezu bruchlose Kontinuitäten feststellbar sind, die sich in seinem politisch-sozialen Engagement widerspiegeln, die sich, so Kroch, an der Marx’schen Maxime orientierten, dass »die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist« (Kroch 2008: 181). In diesem Verständnis ist das Prozessuale, das Transformatorische eingegeben, welches bei Ernesto Kroch vor allem entlang der Kategorien ›Heimat‹, ›Exil‹ und ›Identität‹ verläuft.

V In Ferdinand Lassalles Historiendrama Franz von Sickingen heißt es an entscheidender Stelle: »Die Besten müssen springen in den Riß der Zeit, nur über ihren Leibern schließt er sich« (Lassalle 1859: 118). Darin spiegelt sich nicht nur ein Selbstbewusstsein und Selbstverständnis vieler historischer Persönlichkeiten wie auch von Lassalle selbst – ob bewusst artikuliert oder unbewusst verfolgt, sei dahingestellt –, sondern auch eine ganz bestimmte Interpretation der Welt: Die Geschichte ist, mit Walter Benjamin gesprochen, ein Trümmerhaufen, welche sich in der Blickrichtung des Engels der Geschichte immer weiter auftürmt. Man braucht allerdings keinen apokalyptischen Messianismus um einzugestehen, dass es im 20. Jahrhundert Zeiträume gegeben hat, bei denen diese Weltinterpretation naheliegender gewesen ist als zu anderen Zeiten. 6 Der Nationalsozialismus und die Shoah wurden jeweils als ein solcher ›Riß der Zeit‹ beschrie-

6

Für die intensive Rezeption von Benjamins Messianismus, insbesondere hinsichtlich einer »Lücke in der Zeit«, vgl. Liska 2010. Siehe dazu bereits Brumlik 1997.

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ben, welcher sich nicht schließen lässt; Dan Diner prägte den Begriff des ›Zivilisationsbruches‹ (vgl. Diner 1988), welcher selbstverständlich nicht in Lassalles Sinne operiert, sondern die Bemühungen in der gegenwärtigen deutschen Gesellschaft darauf abzielen, diesen ›Riß‹ offen zu halten und die Gegenwart als ein Resultat dieses Bruches zu verstehen – mit allen daraus resultierenden, zu differenzierenden und zu diskutierenden Konsequenzen. Die Leistung von Literatur kann dabei in der Bewahrung der Erinnerung und in einer Erweiterung und Aktualisierung der Perspektiven liegen – mittlerweile liegt der Fokus nicht mehr in der primären Darstellung des historischen Gegenstands, sondern in einer historischen Standortbestimmung einer Gesellschaft, die sich immer weiter vom historischen Gegenstand entfernt. 7 Bereits Martin Walsers Feststellung aus dem Jahr 1979 »Seit Auschwitz ist noch kein Tag vergangen« (Walser 1997: 631) wies darauf hin und ist heute ebenso aktuell wie vor vierzig Jahren. Dazu zwei Beispiele: Am 31. August 2019, einen Tag vor dem 80. Jahrestag des deutschen Überfalls auf Polen, erschien in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung eine Todesanzeige mit Eisernem Kreuz für zwei gefallene Wehrmachtsangehörige und folgendem Text: »In liebevoller Erinnerung an meine Brüder. Sie handelten, wie das Gesetz es befahl und fielen im Glauben an Deutschland« (FAZ 31.8.2019). Diese mythische Bezugnahme auf den männlichen Opfertod in der Schlacht am Thermopylen-Pass 480 v. Chr. verweist auf die Reichweite und Ambivalenz eines kulturellen Gedächtnisses, das mit einer (proto-)faschistischen Deutung verbunden ist: es rechtfertigt die kriegerischen Handlungen mit der Bezugnahme auf das Gedenken an diese Schlacht. 8 Die Virulenz solcher Deutungsnarrative kann kaum überschätzt werden, wenngleich das Wissen um den historischen Bezugsrahmen im Bildungskanon nach dem Zweiten Weltkrieg erheblich abgenommen hat (vgl. Albertz 2006: 330-344). Dem gegenüber steht oftmals der Versuch einer positiven Bezugnahme auf Widerständler gegen den Nationalsozialismus oder die Betonung unterschiedlicher Formen des Widerstandes. Dadurch werden bereits in punktueller Betrachtung exemplarisch Identitätskonstruktionen beobachtbar. So berichtete die Zeit über »Gedenkschulen«: »Anne Frank- und

7

Dies gilt nicht nur für die deutsche Öffentlichkeit, sondern auch für die israelische Gesellschaft. Siehe dazu etwa die Beiträge zur eigenen Selbstverortung von Aharon Appelfeld (2017) und Yhishai Sarid (2019).

8

Die wirkmächtigste Übersetzung des Thermopylen-Zitats im deutschen Sprachraum stammt von Friedrich Schiller: »Wanderer, kommst du nach Sparta, verkündige dorten, du habest uns hier liegen gesehn, wie das Gesetz es befahl.« Siehe zur Wirkungsgeschichte die Arbeit von Albertz 2006. Aktuelle rechtsextreme Gruppierungen beziehen sich ebenfalls auf den Mythos, vgl. dazu Weiss 2017: 107f.

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Sophie und Hans Scholl-Schulen gibt es in Bayern wenige. Gymnasien werden eher nach den Widerständlern benannt, Sonderschulen nach dem Opfer Anne Frank« (Kalle 2010). Damit wird die Nähe zu der Riß-Metapher deutlich: Es braucht positive Bezugspunkte in der Vergangenheit, um eine kollektive Identität konstruieren zu können, 9 die eine Bezugnahme in einem – wie auch immer zu verstehenden – sinnstiftenden Deutungsprozess sowohl der Gesellschaft als auch dem Individuum ermöglichen. Diese Deutungsprozesse gehen bis zur Vereinnahmung der Opfer, wie es etwa angesichts der Debatten um das zentrale Denkmal für die ermordeten Juden in Europa angemerkt wurde und auch gelegentlich für Paul Celan konstatiert wird. 10 Spätestens seit der Instrumentalisierung der Shoah für tagespolitische Entscheidungen, die nicht mehr genuin einer Staatsraison im Sinne einer Solidarität mit den Opfern des Nationalsozialismus folgten – man denke etwa an parteipolitische Debatten im Kontext des Kosovokrieges – zeichnete sich eine Veränderung des Erinnerungsdiskurses in der öffentlichen Debatte in Deutschland ab, wobei zu befürchten ist, dass die aktuellen Debatten noch nicht das Ende dieser Entwicklung darstellen. 11 Allerdings gibt es auch gegenläufige Tendenzen, von denen eine der wichtigsten eine Dezentralisierung der Erinnerungskultur und des Gedächtnisses darstellt. Die Stolpersteine des Künstlers Gunter Demnig etwa sind mit über 75.000 Steinen in 21 europäischen Ländern das größte dezentrale Mahnmal der Welt. 12 Eine weitere Tendenz ist die in den letzten Jahren stärker regionalgeschichtlich arbeitende Täterforschung: Die Täter handelten zwar vornehmlich in den Zentren der Macht und der Vernichtung, aber, wie sich in Ernst Klees Personenlexikon der Täter, Gehilfen und Opfer von Auschwitz exemplarisch zeigt, kamen nicht nur die Täter auch aus den Dörfern im Westerwald und im Saarland, dem Schwarzwald und dem gesamten Deutschen Reich, sondern teilweise kamen Täter und Opfer aus den gleichen Dörfern in Auschwitz zusammen (vgl. Klee 2013).

9

Diese Funktion des Gedächtnisses zur Identitätsbildung und der politischen Legitimierung ist bereits ausführlich beschrieben worden, vgl. etwa Assmann 1988.

10 »Der Holocaust wird in den Dienst einer Identitätspolitik genommen, bei der insbesondere die Juden trotz ostentativer Vereinnahmung erneut ausgegrenzt werden« (Kirsch 2003: 319). Zu Paul Celan schreibt Max Czollek: »Bei Celan steht so die direkte Assoziation mit dem Grauen der Judenvernichtung einem Feld der angeblichen ›Hermetik‹ gegenüber, das nicht zufällig seine ungemütlicheren Wut- und Rachepassagen unsichtbar macht. Eine solche Interpretation domestiziert die Gefahr, die vom jüdischen Künstler für die deutsche Position ausgehen könnte« (Czollek 2018: 132). 11 Vgl. dazu Johann/Rössler 2019. 12 Vgl. Fritsche 2014 und Warda 2017. Ende 2019 wurde der 75.000 Stolperstein verlegt.

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Ernesto Kroch kann nun ebenfalls als ein Beispiel für eine Dezentralisierung des Gedächtnisses gelten, da er als ein peripheralisiertes Opfer des Nationalsozialismus auf unterschiedlichen Ebenen eine eigene Perspektive in den Erinnerungsdiskurs einspeist. Peripheralisierte Biographien eines gesellschaftlichen Außenseiters wie Ernesto Kroch reflektieren den Widerspruch zur Instrumentalisierung von Opfererfahrungen im Dienste einer Identitätspolitik und destabilisieren dadurch identifikatorische Prozesse durch ihre Negation. Die peripheralisierte Perspektive eines gesellschaftlichen Außenseiters aus Uruguay lässt sich nicht in ein Erinnerungsnarrativ einbinden, in dem »der Völkermord […] zum Kulturbesitz wird« (Adorno 1996: 424). Gerade dadurch eröffnet sich aber wieder die Möglichkeit, sich den Ereignissen im »Zeitalter der Extreme« durch die subjektive Perspektive anzunähern, die bislang tradierte Deutungsmustern nicht in toto widerspricht, sondern um sehr wichtige Aspekte ergänzt. Nicht zuletzt findet damit auch wieder eine Würdigung des Selbstverständnisses von Ernesto Kroch als »Gewissen einer Nation zur Zeit ihrer absoluten Gewissenlosigkeit« (Kroch 2008: 27) statt, die die Wenigsten im Widerstand gegen den Nationalsozialismus darstellten: Gerade weil die Darstellung des Nationalsozialismus in einer peripheralisierten Literatur wie von Ernesto Kroch nicht für ein kollektives Subjekt geschrieben wurde, erfolgt sie unabhängiger von gesellschaftlichen Identifikationsprozessen, in deren Dienst sie sich nicht bruchlos einspannen lässt.

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Brazil’s Entangled Takes on the Holocaust Writing and Filming Olga Benario Gundo Rial y Costas

1. INTRODUCTION Olga Benario was a German communist of Jewish background engaged in the Brazilian libertarian movement of 1935, deported to Germany and finally killed in a concentration camp. Her life story as well as her fictional (literary and audiovisual) construction serve as revealing parameters to highlight the entangled and often differently accentuated history and histories of Holocaust in East Germany, West Germany and Brazil. Therefore, one might inquire what happened when and after a German Jewish communist embarked on a political mission in the tropics and was later extradited back to Germany. Olga Benario’s own physical – occasionally forced – journeys from Germany to Russia, to Brazil and back to her homeland, and her ›history making‹ by actively participating in important political acts ›here‹ and ›there‹, led over time to different historic and fictional interpretations in the two newly founded German nation states after World War II. This was certainly due to the dissenting Holocaust reception in the communist East Germany (GDR, German Democratic Republic) and the capitalist West Germany (FRG, the Federal Republic of Germany). Mostly, they focused on heroic resistance against Hitler and anti-fascist fight in the East without further questioning their own participation in the Nazi horrors for a long time. 1 In the West, acceptance of guilt for the Hitler regime by also iconizing selectively some Jews, often exaggerating

1

Cf. Hammerstein: 2017.

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accounts of supposed anti-Nazi resistance and a later collective denazification after the 68 movement became the central issues. 2 Nevertheless, Olga’s case proved to be different. Being not just a Jew or just a communist, she was one and the other, with decisive participation in several secret missions in Germany, Russia, France and Brazil. Consequently, different, often dissenting views on her (hi)story were produced in the two different German countries. A relative ignorance in the West could be noted for a long time, opposed to a rather strong glorification in the East. In Brazil, particularly a literary version from the GDR was the basis for a new figuration of ›Olga Benario‹, rich in imprints of her local engagement in political activism. These different memory processes are embedded within a relational historical context in which Brazil cannot be exclusively categorized as geographically remote. The tropical country also possesses strong and ambivalent ties of proximity to Germany. They date back to the long history of a considerable amount of German immigrants in the 19th Century that have left a lasting imprint on the country up to the present time, including the preservation of so-called ›German colonies‹, ethnic enclaves in the southern part of Brazil. 3 During the Hitler regime, a clear division of the ethnic German population into pro-Nazis on the one side with the world wide largest Nazi party outside Germany with newspapers in German could be noted (Velloso Azevedo 2010: 7-9). On the other side were the opponents to this political movement, amongst them some important Jewish Nazi regime refugees that were of high relevance for public life. 4 As a matter of fact, the Holocaust in itself was seemingly connected to Brazil in a rather indirect way, through world news, family correspondences of ethnic Germans with their oversea relatives, immigrants that wrote sparsely read novels about their experiences in the concentration camp and in present time by the nationwide contact through Hollywood films like Schindler’s List (Kurtz 2006).

2

It seems that a substantial change in the collective perception of guilt in Western Germany was particularly spurred by the tv-series HOLOCAUST (USA, 1978) by Marvin J. Chomsky, watched by millions of Germans on television at the end of the 1970s. Herf 1980: 30.

3

Cf. Seyferth’s (2004: 149, 153) socio anthropological studies on the imprints of Teuto-Brazilians or Brazilian Germans on Brazilian’s society and their so-called ›German colonies‹.

4

Such as the Austrian writer Stephan Zweig who wrote a report about Brazil’s economic and political potentials commissioned by the then president Getulio Vargas, and whose title Brazil, Land of the Future is a widely used common place in Brazil up to the present (cf. Armbruster 2007: 359, 367).

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Nowadays, the idea of the Holocaust in Brazil has also experienced a widening of the concept by expanding it to other types of catastrophes, even coining the term of a »Brazilian Holocaust« 5. The conceptual widening has been accompanied by a peculiar, often trivial banalization of its horrors condensed by the nightmarish, iconic example of a samba school in Rio de Janeiro which tried to perform the Holocaust with piled up corpses together with a samba dancing Hitler for the carnival. 6 The above mentioned selective forms of remembering and forgetting have found an unique way into and within the tropics. They condense in the figure, tales and historic accounts on Olga Benario, Brazil’s only direct linkage to the horrors of the Holocaust. Considering the further mentioned specific ambivalent form of proximity towards Germany in Brasil, this article aims at reconstructing the different narratives of representing Olga Benario. In this vain, Gayatri Spivak’s (1988: 288; 1999: 308) post-colonial paradigm about who is represented and who is represented by whom will be taken as the leading contextual question. The thesis is that the »need to absorb imaginary worlds« 7 in fictional (literary and audiovisual) texts has created an unique form of remembering the figure of Olga Benario in Brazil which originated in a literary biography composed in East Germany. By contextualizing the heroine’s life story, some aspects of her ›voyage‹ as a fictional character will be outlined by paying tribute to the specific forms of narratives in which her story is transported: from an early acclaiming biographical communist novel by a former high ranked East German spy of Jewish background to a literary biographic composition by a Brazilian left wing journalist; and finally her ›telenovelization‹ from inside culture industry with the

5

Daniela Arbex (2013) refers with this term to the orchestrated killing of over 60 000 people in the psychiatric hospital of Barbacena in the South of the state of Minas during the first half of the 20th Century. The author of the book does not make any reference to the original horrors in Europe. Only the journalist Elaine Brum writes in the foreword that it might seem an exaggeration to call the horrors of Barbacena »Holocaust«, but considering its quantity and quality, it is a must according to her (Arbex 2013: 4).

6

The allegoric representation called »Carro de Holocausto« from the samba school Viadouro in 2008 was banned from carnival after an intervention from the Jewish community in Rio de Janeiro (cf. Kohl Bines 2011).

7

As proposed by the eminent Brazilian literary scholar Antonio Candido (1996: 16), which is to be seen in analogy to Arjun Appadurai’s (1996: 5) anthropological conception which regards »imagination as social fact«.

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great popular success of the Brazilian film OLGA in 2004, watched all over the country, along with introducing some more recent figurations.

2. HISTORY/HISTORIES: WHO IS OLGA BENARIO? As a brief explanatory note, some references are dedicated to the contested life history of Olga Benario, her different (adopted) identities as well as cultural/linguistic appropriations and their entanglements. It all starts with naming and spelling: an accent on the name as well as a double name with an occasional hyphen between the two supposed surnames give vital proof of the different linguistic forms of cultural appropriations. The German writing of Olga Benario turns hence into Olga Benário Prestes in the Brazilian Portuguese version, sometimes the surnames being linked by a hyphen. These graphical variations are apt markers for the different tales and stories attributed to the German communist of Jewish origin and for the different code-names given to and chosen by her. A premature communist activist, Olga reached notoriety all over Germany by spectacularly releasing her communist boyfriend from high security prison in Berlin. 8 After fleeing the country and joining Comintern in Moscow, she escorted the Brazilian left wing politician Carlos Luiz Prestes as his security guard to Brazil in order to support the democratic liberation movement 9 to topple the repressive Vargas government in 1935. During the voyage, their fake relationship turned into romantic love. On her different political missions, Benario was given and adopted several falsified names with different nationalities, amongst them: Olga Sinek, Eva Kruger (Morais 2016: 61) and Maria Bergner Vilar (Prestes 2015: 160). However, in Brazil the attempt to end the initially pro-Nazi Vargas government failed, and Olga pregnant from Luiz Carlos Prestes was deported to Germany (ibid.: 13). After giving birth in a Gestapo prison, she passed from the women concentration camp of Ravensbrück to Bernburg where Benario was

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A spectacular release in 1928 that was reported in all major German newspapers (cf. the illustrations of the Berliner Zeitung in Werner 2010: 95), yet her leading role in this endeavor was contested by conservative views (Waack 1994: 81).

9

Some sources call the attempt of toppling the Vargas government »intentona comunista«, in a discrediting way as it translates with ›little communist attempt‹. Morais (2016: 280) himself called the rebellion a »communist revolt«. However, evidence proves that the movement was a democratic libertarian one, autonomous from the Russian Comintern, with only a small communist contribution and failed due to treason (cf. Prestes 2015: 157; Werneck Sodré 1986: 4).

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gassed in 1942 (Saidel 2006: 41), while her prison born daughter Anita Leocadia Prestes turned into an internationally acclaimed historian. In a nutshell: The internationally operating German communist of Jewish background Olga Benario never got married to Prestes, she took on his Brazilian surname and was given and also adopted a variety of fake names. Even in official (historic) documents, Benario is referred to as »Olga Benário Prestes«, while she also adopted the surname of her partner in order to escape extradition to Germany.

3. MAKING A COMMUNIST ICON IN EAST GERMANY: RUTH WERNER’S OLGA BENARIO (1961) In order to pay sufficient tribute to the literary biography Olga Benario. Die Geschichte eines tapferen Leben (1961) (›Olga Benario. The history of a courageous life‹), some words have to be said about its author and the time in which it was written. Ruth Werner was a Jew, a contemporary of Olga Benario who had deeply admired her courage and activism. 10 Not just an ordinary fiction writer, the author used to be a highest rank spy for Russia achieving global fame for delivering the secret of the atomic bomb to the Russians (cf. Gould 2018). In continuation, in the 1950s and with the consolidation of the then recently founded nation-state of GDR, she changed her profession from reporting for a country to reporting about the everyday, subsequently about her political activities too. 11 Being a passionate and convinced communist, her writing style can be characterized as profoundly entrenched with communist idealism, full of respective symbolism and Klassenkampf (›class fight‹). This was expressed by rhetoric excess of repetitive propagandistic patterns accompanied by an extensive usage of hyperboles in order to self-fashion the icon of a heroine. To begin with, I would like to mention the way in which Olga Benario is first described in Werner’s biography: as »aufrecht« (›straight‹) (Werner 2010: 5) 12, as a person who would walk even during wind and rain in the middle of the

10 Werner (1989: XXIII) stated in the foreword of the Brazilian edition that she wrote the book in order to provide the youth of East Germany with the idea of a militant anti-fascist fighter. 11 As aptly described by Simons, who emphasizes the analogy between these two forms of »reporting« (Simons 1979: 12). 12 The idea of being »aufrecht« is accentuated in continuation, when Benario reacts to a wind blow by lifting her head even higher (Werner 2010: 5).

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street by defying people who scorn the communist badge on her coat. This metaphor of defying, defending the cause and walking »straight« by following communist ideals and practices works as a leading metaphor during her voyage to the tropics and throughout the whole book. When deported back to Germany, the communist inmates in the concentration camp are afraid to receive a depressed, broken Olga: »They imagined the comrade down there in the dark hole, the child snatched from her, the man so far away, being also detained liker her – a woman bent by destiny [Sie stellten sich die Kameradin vor, da unten in dem dunklen Loch, das Kind ihr entrissen, der Mann so weit fort und ebenfalls in Haft – eine vom Schicksal gebeugte Frau]« (ibid.: 284; translation by G.R.C.). Yet they are confronted with a pugnacious, warrior like »straight« communist who retorts to the camp guard. The early reference to being »straight« is further emphasized in its antonomystic usage by the expression in the former quote of »eine vom Schicksal gebeugte Frau« a (›woman bent by destiny‹). 13 Additionally, the latter is echoed by the subtitle of the biography which reads: »The history of a courageous life«. The metaphor of ›courage‹, and of being courageous is constantly repeated with reference to Olga and her political activism throughout the book. One further perceives a strong narrative focus on repeating incessantly the necessity of communist progress. Since Olga’s time spent in Moscow this is verbalized by the almost identically repeated phrase pronounced or sung by her: »But the carriage, it rolls [...] into the future, into communism [Aber der Wagen, der rollt, (…) in die Zukunft, in den Kommunismus]« (ibid.: 171). In this way, the author uses Olga as a vehicle in the most literal sense to project communist progress. Moreover, the narrator does not only idealize the communist cause by also romanticizing Olga and her blue eyes described as beaming »im klarsten blau« (›in the clearest blue‹) (ibid.: 6), she also exoticizes her behavior in the new homeland upon her arrival in Brazil. Olga is characterized as going through a learning process in which she adopts the colors, tastes and smells of the new tropical reality (ibid.: 184) enjoyed together with Prestes, every time they see a beautiful butterfly or a rare bird (ibid.: 185). While Olga goes through this process, she swaps the own, traditional German fruits such as apples and pears for

13 Cf. »Olga was not broken, Olga was still the same old fighter – the first thing she did in that terrible bunker was to engage in discussion with the overseer! [Olga war nicht gebrochen, Olga war die alte Kämpferin geblieben – das erste, was sie in dem fürchterlichen Bunker tat, war, mit der Aufseherin zu diskutieren!]« (Werner 2010: 285; translation by G.R.C.).

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the new tropical ones – this underlines the total firm continuation of her political values on the other side of the globe. In the narrative process, even the romantic love of Olga and Prestes is subordinated to the communist cause, the transformation into better communists. Descriptions of both of them constantly put Olga in the position of asking about the years lasting gigantic revolutionary march in which Prestes had participated, 14 inquire about the new home country, its history and economy. The clear-cut subdivision into a collective ›we‹ consisting of the communists as a whole and as being »antifascist« is opposed to the ›other‹, the Nazi enemy. When Olga Benario reaches Brazil, by shifting the scope, this hyperbolic construction of a dualism is continued when referring to the Germans who live in that country: German fascism tried by all means to gain influence in Brazil. German planes brought in Nazi officials and heaps of propaganda materials. The Nazis set out to organize the Germans who had already lived for a long time in Germany, the embassy increased its staff and worked hand in hand with the Brazilian fascist movement, the »Integralists«, supported by President Vargas. Der deutsche Faschismus versuchte mit allen Mitteln, Einfluss in Brasilien zu gewinnen. Deutsche Flugzeuge brachten Nazifunktionäre und zentnerweise Propagandamaterial ins Land. Die Nazis gingen daran, die seit langem in Deutschland lebenden Deutschen zu organisieren, die Botschaft vergrößerte ihr Personal und arbeitete Hand in Hand mit der von Präsident Vargas unterstützten brasilianischen faschistischen Bewegung, den »Integralisten«. (Ibid.: 187; translation by G.R.C.)

The clearly ideologically categorizing, hyperbolic description of the Nazi threat and collaboration with the Vargas regime are opposed by the author in a binary to three German communist »saviors«, amongst them Olga Benario (ibid.: 187). 15 The hyperbolic references to Olga as an Übermensch like socially engaged person who wants to improve the new country through more equality including the deprived favelas, this hyperbolic figure is also extended to her partner Luiz Carlos Prestes. Probably due to the already existing translation in East Germany of Jorge Amado’s glorifying autobiographical novel on Prestes O Cavalheiro da

14 Passing through the whole country up to Bolivia, while marching 25 000 km in two and a half years without being defeated (cf. Morais 2016: 22). 15 Without referring to Vargas’ ambivalent opinion and political actions towards Hitler (cf. Velloso Azevedo 2010: 10).

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Esperança 16 in the 1940s (Vejmelka: 2014), Werner refers in several ways to the Brazilian revolutionary as the »knight of hope«, the literal translation of the homonymous title of the novel into English. Powers are ascribed to him to »turn prisons into schools« (Werner 2010: 192), he is called a »rebel« (ibid.: 193) and a »hero« (ibid.: 162) who had achieved super human feats. Inside the concentration camp in Germany, Olga is described as leading example for the other women, helping and supporting them, in the Gestapo prison and in the women concentration camp of Ravensbrück, where she takes on the function of a block leader (ibid.: 316). She also organizes leisure activities, including theater performances and clandestine readings of communist literature against the so-called »fascist barbarianism« (ibid.: 336). The resistance against fascism is thereby emphasized by linking it to the horrors of reality. By further calling it »barbarian«, the narrator clearly takes sides by condemning the horrors of the Holocaust. This also echoes other subjective, categorizing descriptions of the author, such as the one of the bunker in the concentration camp that is categorized as »fürchterlich« (›dreadful‹) (ibid.: 285). Even inside the concentration camp Olga Benario is described as unbroken, resistent against indoctrination, as an exemplary human being, a true communist and a loving wife: She could still blush, since she loved her husband like the first day, since she had kept her inner cleanliness. No humiliation, no attempt by the Nazis to pollute her, to humiliate her, reached their goal. Noch immer konnte sie rot werden, weil sie ihren Mann wie am ersten Tag liebte, weil sie sich ihre innere Sauberkeit bewahrt hatte. Keine Demütigung, kein Versuch der Nazis sie zu beschmutzen, zu erniedrigen, erreichte ihr Ziel. (Werner 2010: 350; translation by G.R.C.).

Hence, the idea of being unbowed reaches hyperbolic, saint like and utterly romanticized characterizations: of being ›immaculate‹ or as in the quote before, being of an »inner cleanliness« believing in true romantic love. There is even more to mention as Werner writes that Benario can only continue to have innocent, human reactions such as blushing because of feeling at the same time romantic love for Prestes and because of continuing to be resistant to the Nazi oppressors as an exemplary communist.

16 This is also to be seen in analogy to Olga’s daugther Anita Leocadia Prestes’ (2015: 162) forging of Prestes’ »rebirth« when he returned to Brazil after his Russian exile.

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This saint like, ›straight‹ behavior of Olga is maintained, even when the inmates of the concentration camp perceive that they will be gassed and ask where they are transported to. In this very moment of despair, Benario keeps absolute calmness by using communist ethics to explain the looming end in a straightforward way – as if to underline that the communist way is the sincere and straight one. 17 In order to provide proof for the authenticity of Olga’s story, Werner’s autobiography further includes a large variety of personal photographs, newspaper clippings, copies of Gestapo decrees as well as the printing of a long number of correspondences, particularly between Benario and Prestes. 18 To conclude, in this way the heroic narrative constructions create in a clear dualistic scheme a new East German communist icon backed by historical ›evidence‹.

4. BIOGRAPHIC ASPECTS, FORGOTTEN HISTORY AND MELODRAMA: FERNANDO MORAIS’ OLGA (1985) Fernando Morais admits in the foreword of his very widely read literary autobiography 19 that he had interviewed Ruth Werner for his book and that she provided him with a large quantity of unused information for her biography on Olga (Morais 2016: 11). 20 What the author does not reveal however, is that many of the scenes connected to Olga have a striking similarity towards the precursor from East Germany. Yet in comparison to Werner, Morais puts a stronger focus on the relationship between Olga and Prestes, by also contextualizing the communist contribution to end the repressive Vargas government with the insertion of several original historic letters, comments and characters. Doing this, Morais recurs to a new form of Brazilian autobiographical writing originated from resistant left-wing texts during the dictatorship: research on enigmatic figures, with a new quality of texts and elements of memorials (Galvão 2005: 350-351). In this respect, one could further add the genre of the feuilleton novel, parceled out

17 Cf.: »Girls, let’s not beat about the bush, we are communists at the end of the day, on the way to destruction [Kinder, warum drum herumreden, wir sind doch Kommunisten, in die Vernichtung]« (Werner 2010: 355; translation by G.R.C.). 18 All the photos are retrieved from Werner’s private legacy (cf. Werner 2010: 4). 19 With more than half a million copies sold and translated into more than 20 languages (cf. Cerri 2006: 129). 20 In the bibliography of Morais’ publication, Werner’s biography on Olga is listed in its original German version (cf. Morais 2016: 306).

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in different parts, which has been an inspiration. 21 The latter is exemplified by the subdivision of the book into twenty different chapters with a clear-cut individual characterization of the individual biographies of the couple of romance before they meet: Olga and Luiz Carlos. 22 Here, one can clearly see specific adoptions of Werner’s hyperboles as well as repetitions yet in a new configuration. 23 As a matter of fact, the heroic communist acclamation in Olga Benario. Die Geschichte eines tapferen Lebens is turned into a new figuration. It is narrated as a love story along with an extensive recount of the communist context and proceedings of the attempt to overthrow the Vargas government, an almost forgotten chapter of Brazilian history. Olga constitutes the north in this respect, her character is followed by first introducing Prestes and then later also other important communist figures of the attempt to topple: Arthur and Elise Ewert (Morais 2016: 80), Carmen and Rodolfo Ghioldi (ibid.: 75), Victor Allen Barron 24 (ibid.) and the couple Alphonsine and León-Jules Vallée (ibid.). In so doing and by introducing the topic of revenge as the old rivalry between Prestes and Filinto Müller 25, the chief of Rio de Janeiro’s secret police, the narrative pattern is close to the melodrama by also providing detailed contextual political and historical information. Once again stress is put on Olga’s fearlessness, her preparedness for any kind of mission and her courage. If one takes the first scene of the novel, the reader gets a first insight into the coup de main of Olga’s liberation act from high security prison. The narrative is titled with: »It happened in less than a minute« in order to stress the boldness and quickness of the action and is related in a rapid dramatic build up narrative that extrapolates Olga’s bravery. The first description

21 This narrative form constitutes the basis for the telenovela (cf. Meyer 1996: 386). 22 After the introduction, the novel provides flashbacks to the former lives of Olga and Prestes with reference to their geographic localizations, one referring to Berlin and the other to Buenos Aires, the whereabouts of the Brazilian communist at that time (cf. Morais 2016: 7). 23 With a considerable bias of the author. He states that all narrated events narrated occurred the way he had written about them, without accepting historical contingency or possible »left« out parts or characters (Morais 2016: 9). 24 A whole chapter is dedicated to his murdering by the secret police (cf. Morais 2016: 157-172). 25 There was a historical rivalry between them, as Prestes had banned Müller from his years-long march, the »Coluna Prestes« as described in a detailed way by Morais (2016: 201).

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of her is as a »beautiful girl with black hair and blue eyes« (ibid.: 17) who gets out a pistol from her bag in order to set free her boyfriend. This resumes her characteristic as the bold revolutionary who is prepared to do anything for the communist cause. Extending and transforming Werner’s biography, Morais adds a further affective dimension to his »Olga«. The Brazilian journalist creates an immediate closeness to the character, a beautiful and bold figure 26 with whom the reader can identify and feel. 27 This is probably best shown through the title which simply refers to the first name. There is no surname, no subtitle. It is just called »Olga«, following the (auto)biographical »pact« of Lejeune (1975). The latter creates the impression as if the reader would know her, of being close. The biography enters the history of the 1930s and constructs a proximity towards the reader by following one of its almost forgotten protagonists, Olga Benario, from an extremely close range, from the one of »Olga«. This refers back to the introductory idea of proximity between Germany and Brazil: now it is also created on the level of the narrative. Morais composes this in a very succinct and timely way, incorporating the German stranger Olga Benario – who solely spent one year in Brazil and used to be almost completely forgotten in Brazil before Morais had published her biography – into the Brazilian cultural memory. 28 Again one should consider desire and purpose of the author by contextualizing Fernando Morais’ biography within the political situation of Brazil. Being of an admittedly left wing background, by writing his literary novel, the journalist creates a new revolutionary icon of an almost forgotten historic person in Brazil. In this context, it seems mandatory to highlight the novel’s date of publication, thus a revealing analogy to its German predecessor will become manifest: Ruth Werner wrote her piece in 1961 when the Berlin Wall was built to separate the Eastern from the Western part of the city, and hereby participating in forging an icon for the then rising communist regime in East Germany. 29 On the other side Morais had to wait for the end of the gloomy years of dictatorship until democracy returned in Brazil in the 1980s to launch his book in 1985.

26 Morais (2016: 9) comments the almost complete lack of information about Benario, even in left wing circles. If mentioned at all, the communist revolutionary was only referred to as Luís Carlos Prestes’ wife. 27 In this respect one has to stress the everyday practice in Brazil to refer to one another with the first name. 28 As stated by Morais (2016: 9) himself and also by others (cf. Cerri 2006: 129). 29 Cf. Epstein (1999: 181) who speaks about the need to construct ideological lieux de mémoire in East Germany.

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Morais’ thorough investigation for his book in several countries, 30 his extensive bibliographical research, eye witness interviews including Luiz Carlos Prestes himself, discussions with leading scholars in the area and the printing of some of the letters from Olga and Prestes (Morais 2016: 11-16, 301), do not simply provide the context for the revolutionary icon »Olga«, but build a monument. It is a monument for a left wing glance on the 1930s, a visualization of unknown international communist activists that participated in the upheaval of 1935. All of them are linked and extrapolated by the shining figure of Olga Benario. Particularly Olga’s time in prison and concentration camps also brings a novelty to the readers in Brazil: it conveys information about the persecution, torturing and mass killing of the »undesired« (ibid.: 267), including Hitler’s socalled »final solution« (ibid.: 281) by extermination through gassing. As already stated in the very beginning of this article, it is Olga who gives a Brazilian face to the Holocaust. It is a German woman that has been appropriated, Brazilianized and contextualized within the background of the horrors of the Holocaust, with respective, extensive references over the last three chapters of the book. Stressing the melodramatic form, they are called in an emotionally overladen way: »With Sabo in the Nazi stronghold«, »Slavery in Ravensbrück« and »On the way to death« (ibid.: 250-287). At the same time, the historical information is embedded within an emotionally appealing melodramatic form of narration by exaggerating Olga’s strong leadership, bravery and mastering of the trickiest situations. Unlike her East German predecessor Ruth Werner, it seems that Morais refers to Olga in a more affective than political way. The ideological, left wing narrative is constituted by contextual information with a specific rhetoric and an ideological evaluation. Affective closeness is constructed and confirmed by repeatedly calling Olga as being in love and of feeling love, first for Otto Braun (ibid.: 33), then for Prestes and finally for the new-born Anita Leocadia. Often this is done in an exaggerated way, however without all the ideological weight that Werner attributed to her heroine. Also different to Werner, Morais constantly refers to Olga’s double fate of being a communist as well as a Jew. The author illustrates this with an example from the concentration camp (ibid: 190). In this episode, Olga is not put into the cell of political activists as desired, but into the one of the Jews, while wearing both identification badges, the yellow one of the Jews and the black one of the political activists. When complaining about being huddled together with the

30 There is a long list of Italian, East German, West German, US, Italian, English, French and Israelite institutions in which he had researched (Morais 2016: 301-302).

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Jews, the concentration camp guard cynically shouts at Benario: »You are here to get punished and not to get a decoration« (ibid.: 267). So from his Brazilian perspective, Fernando Morais clearly sheds light on both of Olgas’s linkages, the religious as well as the political one.

5. OLGA (2004) BY JAYME MONJARDIM: TELENOVELA AS MELODRAMA WITH MERCHANDISING SOCIAL The literary imprints of Werner clearly shine through Morais’ book, if on a delocated level with particular reference to romantic love and with a detailed reconstruction of the 1935 rebellion in Brazil from a left wing perspective. OLGA (BR 2004) by Monjardim has officially been announced as being based on Fernando Morais’ book with the author’s support, while focussing on Benario’s different »passions« – and particularly on the one of romantic love – by taking the Holocaust as contextual novelty. 31 The latter will particularly be elucidated if one considers that Morais’ book was relaunched in the year the film was released by the publishing house Companhia das Letras with a portrait of stern looking blue eyed Camila Morgada, the Brazilian actor who interpreted Olga Benario in Monjardim’s film (cf. Morais 2004). In order to fully grasp the different forms of adoptions and appropriations, one needs to contextualize the medium and its importance into which the thematic of Olga Benario was transferred in the first place. Jayme Monjardim transferred it into the genre of film, containing a variety of intermedial specificities and was filmed in a telenovela style. It can be regarded as a Brazilian form of blockbuster, a super production with one of the highest budgets in Brazil’s history of cinematography, which was an extreme audience success (Cerri 2006: 130) and funded by the then left Lula government. 32 To start with, it was produced and largely financed by Globo Films as well as directed by rookie Jayme Monjardim, formerly known for producing telenovelas. The creation and production of the literary and historic topic is thus derived from

31 Up to that time, no fiction film representations of the Holocaust had existed in Brazil. Even the literary takes on it had a minor place in the imaginary with a limited amount of readers. Cf. Seligmann 2003: 384. 32 The film was even showed to then president Lula in his presidency residence and approved by stressing the importance to disseminate knowledge about left wing heroes, and that Olga’s mission reminded the then president of his struggles in metallurgic trade union (Cerri 2006: 130).

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the heart of culture industry, traditionally known as the antagonist to ›communist‹ topics. That is why it is imperative to take a look at the Brazilian media giant Globo, one of the world’s leading media conglomerates that has been producing telenovelas for more than half a century. Actually, in the case of Brazil, there is a specific, so-called ›pattern of quality‹ referring to top quality technical and production conditions and mise-en-scene (Alencar 2004: 57) along with the creation of an own scenographic city. Not unlike the big studios in Hollywood, a telenovela has to be successful as it is linked to a very large number of audience and and further functions an outstanding marketing platform. 33 As the nationally most viewed television format in the country, these narratives can be described as »narratives of the nation« (Vassallo de Lopes/Simões Borelli/Rocha Resende 2002) and as Brazilian’s example par excellence of narrations from culture industry. Composed of a very reflective melodramatic pattern based on a love story, a routine like filming pattern with many close ups, subdivided into cliffhangers in order to keep the audience’s interest, these audiovisual productions often star the most successful television and cinema authors (Martín-Barbero 2004: 41). This pattern can be described as constituting a rich source for cultural memory in Brazil, as the narration is received, discussed and also modified by the population. Depending on its success, narrative threads are continued, changed or abandoned (Costa 2000: 173) and current socio, cultural and political debates are integrated into the stories. This specific form of creating threads of cultural memory in Brazil has been socially formed and is culturally sustained through the most varied repetitions of narratives, rewritings, rescreenings and re-filmings with the returns of favorite, (stereo)typical characters. 34 This led to a form of cultural proximity of the audience – the Brazilian society - towards the often hyperbolic telenovela melodrama. 35 Nevertheless, and in order to refute a straightforward categorization of this format as a mere state apparatus à la Althusser, one needs to consider Brazil’s specific way of telenovela making: during the military dictatorship many theater playwrights moved from theater to television as they were prohibited to continue their arts, often regarded as ›subversive‹. Many of them developed a specific codified form of narrating the nation in telenovelas in order to fool censorship (Hamburger 2005). This high quality form of codified narrating was continued,

33 Cf. Media scholar Mauro Alencar (2004: 7) describes the Globo empire as a »Brazilian Hollywood«. 34 Cf. Ferreira (2013: 215) who calls the idea of producing remakes and recurring to repetitions as memory markers. 35 Often with the possibility of intervention from the audience (Hamburger 2005: 121).

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if on an every time more market oriented level, until the present days: Dias Gomes and his wife Janet Clair’s way of narrating telenovelas in the 1970s and 1980s was continued in a watered down version by Glória Perez in present time. It was a specific style that mixed the melodramatic, hyperbolic, often stereotypical basis of this format with elements of the ›real‹, by often introducing elements from everyday life, temporary politics and also social issues, called »merchandising social« 36 adapted into the respective syntax and semantics of Brazilian Portuguese. Monjardim had worked together with Perez on several projects being the producer of the narratives. An early telenovela produced by him in 1990 already starred a small subplot with Olga Benario and Luis Prestes. 37 Monjardim possessed the expertise of producing telenovelas – without being a director however – and had a screenwriter on his side who had researched Olga’s biography for several years before. 38 OLGA by Monjardim can be regarded as turning the life story of a revolutionary activist into an extreme form of melodramatic love story 39 – consisting of the hero, the girl that has to be ›rescued‹, and the villain (Vielela Dias 2011: 76) – referring to Olga Benario and Luiz Carlos Prestes with some slight undertones of social merchandising by introducing the ›real‹ as frame and background. Olga is firstly shown in an hyperbolic way as brave – as by Werner and Morais – being

36 This is the integration of current social debates into the narrative thread as a kind of audience interested Aufklärung to show and ›teach‹ new issues such as human cloning, drug abuse or transnational migration. It goes back to the French feuilleton novel as e.g. in Dumas where a prostitute with tuberculosis was shown in order to emphasize the change of character (cf. Alencar 2004: 101). These so-called ›fait divers‹ have been the main staple of introducing miscellaneous information and curiosities in the feuilleton novel, with a specific wish to »make the reader see« (Merleau-Ponty 1960: 501). 37 In KANANGA DO JAPÃO (BR 1990) by Jayme Monjardim (chapter 192) Olga is represented in a whiny, angel like way, stressing her as a stranger by talking with a heavy accent. 38 Rita Buzzar published an article in the same book as Anita Leocadia; she furthermore wrote an article in 1995 about the German communist Jew in a German journal, where she questioned why Olga was not released from concentration camp after Hitler had sigend a treaty with Stalin in 1941 – and she also recommended the reading of Morais’ book (Buzzar 1995). 39 As also remarked by Anita Leocadia Prestes (apud Werner 2010: 373) who regarded the film as superficial and not interested in politics; she further criticized that the film left her »speechless«.

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true to communist values who gloriously learns shooting and parachuting in Russia. 40 In continuation, the protagonist is every time more shown as being in love with Prestes turning into a future mother and less showing her political motivation. In the end, her decadence is hyperbolically portrayed by accompanying the process of shaving her head and preparing for death. The filming itself is described as the language of camera close-up that focuses on the actors’ looks by the director. Monjardim states unironically in a rather melodramatic way that the idea of the film was intended to »get the eyes inside in order to unmask the soul« (Monjardim 2004: 11). In this sense, the director recurs to culturally specific telenovela elements such as prosy repetitions, by always showing Olga in the same frontal portrait close-up. Moreover, there is leitmotif like kitschy violin, viola, violoncello and choral music that is indiscriminately heard throughout the film. No matter if it is to accompany a love scene, a bucolic landscape or the inmates of the concentration camp on their way to being gassed. 41 In addition, Monjardim follows the specific, routine like telenovela filming style starting with a general long shot and then a close-up on the actor (cf. Vielela Dias 2011: 76) in order to create an identification with the audience. Frequently the close-ups turn into close close-ups, as in the love scenes of Prestes and Olga where the spectator just sees noses, eyes and hands (OLGA, BR 2004: 33’). Often unreal hyperbolic figurations occur when Prestes is looking like a head over heel’s in love teenage boy at Olga while sighing: »you are beautiful« (ibid.: 40’). A further example is during Benario’s and Prestes’ clandestine mission as fake couple on the middle of the ocean going to Brazil; disguised in fancy dress on new year’s eve, the waiter serving champagne says to Prestes: »The captain himself asked me to bring you both champagne. Aren’t you going to kiss her? It is New Year. She is your wife« (ibid.: 30’), as if he would make an aside in a play with a heavy melodramatic build up that is further enhanced by the exaggerated choice of the most special day of the year with new year’s eve as narrative background. Consequently, the first ›fake‹ kiss amongst them happens, in the background firework-crackers announce the arrival of the New Year, and

40 The cast with blue-eyed actress Camila Morgada reproduced Morais’ and Werner’s original references. The casting according to the eye color was one of the top criteria as stated by Monjardim (2004a) in the making off. 41 A look at some titles of the soundtrack of Marcus Viana provide an idea about that: By mother, Angels of Ravensbrück and Funeral March. Cf. OLGA - TRILHA SONORA DO FILME (2005).

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also signal the beginning of Olga’s and Carlos Luis’ romantic love relationship by turning their fake disguise as lovers into reality. 42 Familiar first class actors, such as Fernanda Montenegro, grande dame number one of Brazilian theater, television and cinema who stars Prestes mother, as well as Camila Morgada, who speaks in perfect Portuguese although she is supposed to be German, create a form of strange proximity and cultural closeness. Like Ien Ang (1985) researched in her transnational media reception studies, there seems to be a cultural form of »acceptance« of these narrative patterns, backgrounds-settings, actors with their acting styles that in many other world regions 43 are regarded as kitschy or exaggerated. This is particularly the case for scenes connected to the Holocaust: when Olga is taken to be gassed in Bernburg she is shown by walking through the snow with a shaved head and a kitschy violin music playing. 44 This leads to a general, decisive question: is there any rhetorical and narrative privilege to narrate the Holocaust? If one takes the present example, the melodrama is the extreme opposite of what is termed to represent the taboo of the horrors of the Holocaust: it is not the ›excess‹, the too much of everything, exaggerations here and there, it is the basic, the sparse and the neutral, the objective as recounts a long tradition of Holocaust representations (cf. Finkelstein 2003). And still, quoting the noble prize winner and Holocaust survivor Imre Kertész (apud Kurtz 2006: 49) 45, one can ask whether it is really up to date to give

42 This building up of parallel moments that all go together in a coincidental coup de théâtre or surprise are described by Marlyse Meyer (1996: 40) as one of the main staples of melodrama. 43 Particularly in the US and Western Europe – rare examples can be quoted such as Italian Spaghetti Westerns where sometimes only the eyes of the cowboys are showed in a duel (cf. Hickethier 2001: 59). On the other hand, in Bollywood film close close-ups count to the main staples of filming. 44 Hence, it is no wonder why the Brazilian box office hit was a complete failure in Germany. There was a big marketing move to launch the film in Germany and the critics devastated it (cf. Tal 2012; Vielela Dias 2011). However, it might also be due to cutting down the film to 99 minutes from originally more than two hours with erasing the whole introductory scene about the concentration camp (OLGA [Br 2004, German Version]). 45 Which was spurred after the success of La vita è bella, Begnini’s film was categorized as a comedy although it was set partially in a concentration camp (Kurtz 2006: 59-60).

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privilege over certain forms of narratives and »criminalize« others? 46 Is it not the case that there should not be any limits to represent the Holocaust, even if regarded as »kitschy« when following traditional Western patterns of narration? Following Kertész’ quote, one might try to understand Monjardim’s film in a better way. It starts with Olga in her childhood in Berlin jumping over a bonfire although her father says: »No, Olga!« and her replying: »If I fall, I won’t cry« and then putting her words into action. 47 This is followed by a sudden change of scene to a prison cell with the pale adult Olga, her head shaved, looking back into her own history. 48 The spectator only sees in the next scene that she is in a cell in the Ravensbrück concentration camp, briefly before her murdering. In continuation, the camera is put on Olga and her inmates, huddled together in their cells. The representation is almost Christmas like, with an undertone of joy, of bucolic collectivity with Olga stitching an apple on a shirt that is predestined for her daughter Anita. There is a swift match cut and flash-forward to the scene of prison release of Olga’s communist boyfriend: the match cut is constructed through the apple. From a motif on a shirt, it transforms to real apples that are carried by Olga in a bag to prison. Underneath the apples looms a pistol that will be used to free her partner. In the end of the film, there is a last flashback as a kyklos (OLGA, BR 2004: 136’), a return to the first scene, to the shaved Olga who prepares for death, after she had narrated her whole life story. This recounting of the scenes provides insight into the specific form of melodramatic build-up narration. The images are overladen with symbolism, starting with the first one invented by Monjardim. Already as a child, Olga has her own will, shows heroic courage – recalling Morais and Werner – as she jumps over the bonfire. This calls up the near semantic associations of ›playing with fire‹ and also the fire of the oven which will finally burn Benario in the concentration camp. Therefore, the first scene of the film can be regarded as a decoded form of flash-forward anticipating the protagonist’s death provoked by fire. In addition, it creates an affective proximity, taking up again Morais’ literary motif, and also uses merchandising social as there is Olga’s voice-over during the first scene, reading aloud her last, goodbye letter written to Prestes: it is the authentic reproduction of fragments of the original content. 49 This way of narrating which is

46 Cf. Seligmann 2003: 381. 47 This is calling up Morais’ and particularly Werner’s figurations of Olga as being courageous. It also resembles an episode in Werner (2010: 18-19), where young Olga jumps in a brave manner over a mountain rim. 48 The film is rich in these flashbacks, similar to Morais’ book. 49 This letter is printed completely in Morais (2016: 296-298).

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continued in the last scene with finishing the loud reading of the letter, in this way gives voice to the unheard, to Olga Benario, an – almost – forgotten revolutionary heroine. Again, one might mention the exaggerations of the melodrama in this respect. Recalling Kertész and also Peter Brooks talking about »melodramatic imagination«, it is the melodrama with its hyperbolic excess that manages to give visibility par excellence to the otherwise unseen and it also »lays bare the true stakes« (Brooks 1976: 77). And again, one can also note the creation of a new form of Olga Benario phantasmagoria on the Holocaust: by recurring to the palimpsest like presence of the heroic acts in the film, Monjardim also creates a specific form of heroine who speaks perfect Portuguese in the film and turns into a loving mother. By using the Brazilian ›pattern of quality‹ of telenovela filming, the original linguistic imprints of Olga are erased and a new kind of identification with the audience is achieved as it is familiar with Camila Morgada’s physical appearance and her Brazilian Portuguese when she acts as German communist. The same applies to Olga’s family in the film: her mother and her father all talk in perfect Brazilian Portuguese without any remains of their culturally and linguistically speaking coherent German mother tongue. On the other side, the Nazi guards in the concentration camps are played by Brazilian actors who speak German with a Portuguese accent (OLGA, BR 2004: 135’), with a faulty grammar and using inadequate German expressions. 50 Some known places are furthermore changed and adapted to the narrative. For example, the entry of Ravensbrück concentration camp is embellished with the cynical, sadistic writing of »Arbeit macht frei« (›Working sets you free‹) (ibid.: 158’), which is taken from Auschwitz concentration camp, in this way referring back to a different memory of Holocaust terror. Nevertheless, for a Brazilian audience these intermedial, geographical translations and translocations seemed not to be »wrong« as they occur within the

50 In a scene where Olga is handed over to the Nazi police in Germany (OLGA, BR 2004: min. 120’), one of the guards says: »Ich bin im Namen des Führers, um die zwei Kriminalfrauen zu bekommen«. This is a literary, direct and grammatically wrong translation from Portuguese into German: firstly, there is a verb missing in the beginning, it says: »I am in the name of the Führer«, without saying »I came«. In addition, one can observe the translation of the adjective criminal into the dated kriminal in German, instead of using kriminell. Finally, there is the wrong direct translation of the Brazilian verb receber which has a wide semantic meaning in Portuguese. It is translated into German with bekommen (›to receive‹), instead of abholen (›to pick up›‹). However, the verb cannot be used in relation to people in German, it is only possible in relation to objects.

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culturally formed narrative style of the native language. As a consequence, a new tropical Holocaust phantasmagoria has been created, nationwide cherished, known and admired.

6. THE HOLOCAUST AND OLGA BENARIO, THEN AND NOW: DAUGHTER AND DISCOVERY IN UNIFIED GERMANY In the previous paragraphs Olga Benario’s literary and audiovisual representation as a brave heroine was highlighted. Narrating her in a melodramatic way full of hyperboles and repetitions in the literary biography by left wing journalist Fernando Morais (1985) and the film by Jayme Monjardim (2004), similar descriptions already preexisted in Werner’s (1961) early communist biography. Their widely read and viewed (audiovisual) texts created a proximity towards the German Olga Benario – who just spent one year in Brazil – and the forging of a nation-wide known figure in Brazil: Olga Benario, revolutionary, communist and also Jew. The culture industry film OLGA gave a Brazilian face to the Holocaust with Olga Benario as its shiny icon, despite the melodramatic excesses. It is Olga’s daughter, Anita Leocadia Prestes, a Gestapo prison born survivor and testimony who can be regarded as the living iconic continuation of the only direct link between Brazil and the Holocaust. In order to do justice to the entangled and contested memories linked to »Olga Benario« or »Olga Benário Prestes«, one has to consider another element in this very unique form of figuration. It is the fact that the Berlin Wall came down in 1989, and after reunification a year later, there was a new form of ›memory making‹ in the newly found Bundesrepublik Deutschland (cf. Hammerstein 2007). Most of East German memory was suppressed, overwritten and merged into the new capitalist one. At the same time, a new flow of ideas, images and meanings in this respect could be observed. The play by German dramatist Dea Loher (1994) is a telling example to illustrate Benario’s entangled ways: after the wall came down, the West German dramatist decided to spent a year in Brazil where she discovered the story of the East German revolutionary and decided to write a play that was successfully staged in several countries. In this way, she contributed to a new form of distributing Benario’s image in a now unified Germany. The play has been played again and again in different stagings, even turning around gender roles in an all female stage version, where Olga speaks about her »room«, her place in history, about the time spent in Germany, Russia and

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Brazil. 51 Similiar examples are the ones of the Turkish born director Galip Iyiantir who shot a long documentary with extensive historical references to the revolutionary. 52 In addition, one has to mention professor for German Studies in the US Robert Cohen who first published Olga’s correspondence with Prestes (Benario/Prestes 2013) and took her as one of three heroines as basis for a novel. Despite all these different entanglements, Olga seems to be slowly forgotten in former East Germany 53 and found a small revitalization in the reunified country through Loher’s play, Galip Iyitanir’s documentary and Cohen’s book (Benario/Prestes 2013). 54 Whereas in Brazil Olga is alive, known and cherished. Her character turned into an important icon in this country, widely known through the power of the imaginary particularly provoked by Morais’ and Monjardim’s literary and audiovisual takes. In addition, this is due to the historiographic work of her daughter as above stated: Anita Leocadia has proved to be an influential left wing activist and eminent historian who has been researching during the last fifty years the history of the Brazilian communist party, Luiz Carlos Prestes and the political and private life of her mother. Specific research projects have been dedicated to her, the correspondence between her and Prestes has been successfully published and unknown material from Russian secret archives was unearthed (Prestes 2017: 13). As a historian, she inscribes herself on a micro level into the process of macro history when she recounts in her book on Luiz Carlos Prestes about getting Anita out of Gestapo prison in Berlin that it is about the author herself who is writing the text (Prestes 2015: 199). Nowadays, Olga Benario is present, ubiquitous, part of the collective memory and particularly as a revolutionary left wing icon in everyday life in Brazil. Her name is proudly shouted amongst a list of Brazilian (sic!) women’s activists in demonstrations all

51 The journalist Annette Hoffmann (2019) writes rather surprised in her review on the play that Olga Benario »really existed«. For the performance, the director put up small biographies with images depicting Olga Benario, Luís Carlos Prestes and Anita Leocadia Prestes in the theater foyer. 52 Who heard about Olga from his Brazilian girlfriend. Werner 2010: 369-370. The latest edition of Werner’s biography from 2010 even bears the subtitle of his film (»Ein Leben für die Revolution«) and comes with an extensive interview with the director in the end. 53 As the former communist memory is mutatis mutandis overwritten by the capitalist one (cf. Herf 1980). 54 Along with some other forms of memory keeping. This is condensed by an arts gallery and cultural center opened in Berlin as an homage to Olga Benario with homologous name; it also holds expositions on Benario (cf. Galvão 2005: 350).

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over the country, as in the ones remembering the random shooting of the famous Black politician Marielle Franco in 2018. To conclude, it seems as if the »imagination as a social fact« (Appadurai 1996: 5) has erected a shining monument of revolutionary heroine Olga Benario in Brazil, derived from left wing writing, the hyperbolic phantasmagorias in her telenovela like presentation in film and the inscription of her into history by her daughter Anita Leocadia Prestes.

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Das Verstörende erzählen Der Nationalsozialismus in Literatur und Film Argentiniens Sabine Schlickers

Der Nationalsozialismus 1 ist trotz der Zuwanderung von jüdischen Flüchtlingen und ehemaligen Nationalsozialisten über die sogenannten ›Rattenlinien‹ 2 in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in der lateinamerikanischen Literatur kein Topos, wie es die Studie von Senkman und Sosnowski (2009) für Argentinien belegt. Doch seit der Jahrtausendwende ist nicht nur in den von der Einwanderung betroffenen Ländern des Cono Sur (Argentinien, Uruguay, Chile) und Bra-

1

Munier (2017: 17, Fußnote 17) differenziert zwischen ›Shoa‹ als Synonym für den von den Nationalsozialist*innen verübten Judenmord, und ›Holocaust‹. Dieser Begriff trage aufgrund seiner Etymologie die »problematische, weil darin gewissermaßen sinnstiftende Konnotation eines religiösen Brandopfers. Beide Bezeichnungen können als unzureichende Chiffren verstanden werden für den im NS-Machtbereich zwischen 1941 und 1945 bürokratisch organisierten, industriell durchgeführten Mord an zwei Dritteln der europäischen Juden«. Dem kann man mit Erich Nolte (1986) hinzufügen, dass die Aufmerksamkeit für den Holocaust den Blick von anderen NS›Tatbeständen‹ wie Euthanasie und Misshandlung russischer Kriegsgefangener ablenkt. Ich verwende daher im Folgenden den extensional breiteren Begriff des Nationalsozialismus. Auch der Begriff des/der ›Nazis‹ wird in einem weiten Sinne verwendet, d.h. nicht beschränkt auf die Mitgliedschaft in der NSDAP und die Naziherrschaft von 1933 bis 1945 (vgl. Buchrucker 2002: 51), sondern auch, um auf nazistische Ideen, Verhaltensformen und Einstellungen zu verweisen.

2

Zu Beginn der 50er Jahre gab es eine ›kleine Völkerwanderung‹ von ca. 50.000 Nazis und mehrerer Tausend Faschisten aus Kroatien, Frankreich, Belgien usw. sowie einer kleineren Anzahl von Kriegsverbrechern nach Argentinien (Weber 2004: 13; sehr viel präziser und umfassender sind die Studien von Meding 1992 und Goñi 2006).

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siliens eine umfangreiche literarisch-künstlerische Produktion zu diesem Thema entstanden, sondern auch in Frankreich 3 und Spanien 4. Die Gründe für diesen Boom in den iberoromanischen Literaturen sind noch zu ergründen. Bosshard (2016: 185) vermutet, dass der chilenische Autor Roberto Bolaño mit seinem kuriosen Roman La literatura nazi en América (1996), einer Art Bio-Bibliographie fiktiver lateinamerikanischer protonazistischer Schriftsteller, die Initialzündung in Südamerika ausgelöst hat. Ich selbst indes sehe die Gründe dafür in der Goldhagen-Debatte verortet, die auch in Lateinamerika für großes Aufsehen gesorgt hat (vgl. Finchelstein 1999). Die neuere südamerikanische Produktion zur Repräsentation des Nationalsozialismus umfasst unterschiedliche Genres und Medien (fiktionale narrative Erzähltexte, graphic novels, Comics, Spiel- und Dokumentarfilme sowie einige wenige lyrische Texte) sowie fringe theories, die in einzelnen fiktionalen Texten aufscheinen und daher mit berücksichtigt werden müssen. 5 Im Folgenden stelle ich drei literarische Texte und einen Spielfilm sowie einen kurzen Dokumentarfilm aus Argentinien vor, die den Nationalsozialismus auf sehr unterschiedliche Weisen aneignen 6 und in verschiedenen Darstellungs-

3

Les Bienveillantes, Jonathan Littells epochales 1400-Seiten-Werk über den Holocaust hatte 2006 weltweit für Furore und Polemik gesorgt und wurde 2018 im Bonarenser Teatro Cervantes aufgeführt. Laurent Binets Roman Hhhh (2009) erhielt 2010 den Prix Goncourt in der Kategorie Debüt-Roman. 2017 erhielten die Novelle Lʼordre du jour (2017) von Éric Vuillard sowie der Roman La disparition de Josef Mengele (2017) von Olivier Guez die beiden wichtigsten französischen Literaturpreise, den Prix Goncourt im ersten, den Prix Renaudot im zweiten Fall.

4

Dazu zählen La ofensa (2007) und Medusa (2012) von Ricardo Menéndez Salmón, El impostor (2014) von Javier Cercas, Los pacientes del doctor García (2017) von Almudena Grandes, das Theaterstück El cartógrafo (2017) von Juan Mayorga.

5

Ich arbeite zurzeit an einem neuen Forschungsprojekt, in dem diese Texte aus dem Bereich des Cono Sur und Brasiliens gemeinsam mit zwei argentinischen Kolleg*innen und einer Reihe assoziierter Mitglieder untersucht werden.

6

Ich beziehe mich hierbei auf den von Dill et al. 1994 explizierten Terminus der »apropiación« (siehe auch Schlickers 2005), wohl wissend, dass dieser in Argentinien auch für den Raub von Babys in der letzten Diktatur verwendet wird, in diesem Fall jedoch spricht man von einem »caso de apropiación« (beispielsweise in dem Film CAUTIVA [ARG 2005] von Gastón Biraben). Der Begriff der ›Aneignung‹ zielt hier aber auch ironisch auf das, was die jeweiligen Autoren aus der Fremdperspektive machen, im Sinne von Klaus Theweleits (2008) Überblick über die deutsche Rezeption von Jo-

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modi präsentieren: Mónica Müller erzählt die Geschichte ihres Vaters realistisch-autobiographisch in Form der Mémoires, Daniel Guebel rekurriert in seinem Drama Adiós mein Führer auf einen absurd-grotesken Darstellungsmodus, Gustavo Nielsen präsentiert mit Auschwitz einen verstörenden, realistischphantastisch modellierten Roman, Jeanine Meerapfel rekurriert in ihrem Film EL AMIGO ALEMÁN (ARG 2012) auf den romantischen Modus und Judi Werthein verwendet einen objektivierend-distanzierten Dokumentarfilmmodus in Anlehnung an das Direct Cinema. Vorausgeschickt sei, dass fiktionale Texte historiographische Freiräume nutzen, um diese mit neuen Fragestellungen und Hypothesen aufzuladen und dass die Fiktion per definitionem nicht an Referenzialisierbarkeit gebunden ist. Der zeitliche und räumliche Abstand vergrößert den experimentellen Spielraum zusätzlich, denn oftmals werden im Bereich der Erinnerungsliteratur die Werke von der dritten Generation der Opfer oder aber auch von Autor*innen geschrieben, die der jüdischen Gemeinschaft und Erinnerung fernstehen (Klengel 2016: 20). Das Drama Adiós mein Führer (1999) des jüdisch-argentinischen Schriftstellers Daniel Guebel zeigt exemplarisch, dass dieses genealogisch-ontologische Kriterium keineswegs eine ernsthafte oder aufarbeitende Umgangsweise mit dem Nationalsozialismus garantiert. Die traditionelle Darstellung des Holocausts v.a. in Deutschland, sei es in faktualen Texten – Dokumentarfilmen, Tagebüchern, Autobiographien und Zeugenberichten – oder in mimetischen Fiktionen mit einem hohen Authentizitätsanspruch, 7 überwiegt aber auch in Argentinien. Doch steht dort, so meine zentrale Hypothese, diese ernsthafte Aneignung des Nationalsozialismus, wie sie vor allem in Familiengeschichten und Autofiktionen mit einer didaktisch-ethischen Funktion zum Tragen kommt, Seite an Seite mit komischen, absurden und verstörenden Repräsentationsmodi. Ich stelle die ausgewählten Texte im Folgenden daher nicht in chronologischer Folge ihres Erscheinens, sondern gemäß den verschiedenen Aneignungsmodi vor und beginne mit der Familiengeschichte von Mónica Müller.

nathan Littells Roman Les Bienveillantes (2006): »Wem gehört der SS-Mann? Wir lassen uns unsere Nazis doch nicht von einem Franzosen wegnehmen«. 7

Paradigmatisch hierfür steht La abuela (2006) von Ariel Magnus, in der der Autor seine jüdische Großmutter bzgl. ihrer KZ-Erfahrungen interviewt (vgl. Ingenschay 2015).

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1. MI PAPÁ ALEMÁN. UNA VIDA ARGENTINA (2018) VON MÓNICA MÜLLER Der 2018 in der Reihe Biblioteca Breve bei Seix Barral erschienene Text Mi papá alemán. Una vida argentina ist, wie es der Titel bereits ankündigt, aus der Warte einer autodiegetischen argentinischen Erzählerin 8 geschrieben, die ihre Beziehung zu ihrem deutschen Vater rekonstruiert. Sie setzt mit seinem Tod ein, bzw. mit dem Erhalt eines deutschen Schreibens, das sie mit Hilfe einer Freundin als Sterbeurkunde und Testament identifiziert. Die nachfolgenden Erinnerungen verlaufen zeitlich etwas im Zickzack. Rekonstruierbar ist, dass der Vater 1923 im Alter von sieben Jahren mit seinen Eltern nach Argentinien emigrierte, um dem Elend zu entkommen, in das der Erste Weltkrieg die Familie gestürzt hatte. Die Erzählerin erinnert sich, dass er sich auf der Überfahrt nach Buenos Aires an Tuberkulose angesteckt 9 und diese später auf sie übertragen hat. 1936, also drei Jahre nach der Machtergreifung Hitlers, erhielt ihr Vater einen Einzugsbefehl für den Militärdienst, 1937 einen zweiten. Offenbar ignorierte er beide Schreiben. Ihr Großvater stritt deswegen heftig mit seinem Sohn: »Mi abuelo le dijo cobarde, desertor, traidor, y papá le gritó que no quería ser soldado, que odiaba las armas, las guerras y los uniformes y que básicamente aborrecía Alemania. Mi abuelo lo sacudió del cuello de la camisa, lo abofeteó y lo echó de la casa. Nunca más volvieron a verse« (Müller 2018: 38). Der Vater muss sich fortan alleine mittellos herumschlagen, und dies ist die faszinierende Vaterfigur, die Alan Pauls (2018) mit wenigen Strichen in einer Kurzbesprechung des Romans zeichnet: Se convierte en un gladiador carismático, de una vitalidad extenuante, mezcla de atorrante lunfa e higienista germano que rema y conoce hasta el último recodo del delta, se arranca él mismo sus muelas malas, odia a médicos, peronistas y tilingos, y practica un arte de vivir espartano, muy principista, donde la sustentabilidad y el hedonismo naturista se confunden en una pedagogía no siempre a salvo del delirio autoritario.

8

Der Text wird weiter unten der Memoirenliteratur zugeordnet, einem Gattungshybrid zwischen Mémoires, Autobiographie und Roman. Deswegen stufe ich den Text letztlich als fiktional ein und spreche von der Stimme der Erzählerin, die jedoch wie in einer Autobiographie und häufig auch Autofiktion den Namen der realen Autorin trägt.

9

An späteren Stellen werden jedoch mögliche andere Ursachen für die Tuberkulose angeführt – ein Indiz dafür, dass den Erinnerungen der Erzählerin nicht zu trauen ist bzw. dass sie Fakten und Erinnerungen vermischt, wodurch die typische Subjektivität der Memoirenliteratur deutlich wird.

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Der Großvater hingegen zieht freiwillig in den sich anbahnenden Krieg nach Deutschland, holt seine Familie nach, da er bei seiner Ankunft nicht glaubt, dass der Krieg tatsächlich ausbricht – und stirbt dann offenbar an den Spätwirkungen seiner Kriegswunden (Müller 2018: 42), wobei die genauen Umstände seines Todes opak bleiben (siehe unten). Die in Argentinien geborene Mónica Müller war insgesamt dreimal in Deutschland, in Helmbrechts, dem bayerischen Heimatdorf ihres Vaters: 1964, 1978 und 2003. Sie wundert sich, dass er nie über die guten Seiten Deutschlands gesprochen hat und ihr mit Ausnahme einiger Schimpfwörter (ebd.: 54) auch die deutsche Sprache nicht beigebracht hat. Sie weiß um die Ermordung von »millones de civiles a sangre fría«, und konstatiert naiv: »Pero toda esa gente de Helmbrechts y sus alrededores, de sonrisa franca y mirada directa, no podía tener nada que ver con eso« (ebd.: 55). Ein Foto zeigt sie dabei als junge Frau – 1978 dürfte die Autorin Anfang 20 gewesen sein. In einer anderen Erinnerungssequenz besinnt sie sich auf die Anstellung ihres Vaters in der von dem Deutschen Roberto Mertig geleiteten Gasfirma Orbis. Nach anfänglicher Begeisterung kommentiert der Vater beim Abendbrot »que la empresa estaba invadida por empleados recién llegados de Alemania: ›¡Incapaces, inútiles! No saben nada de técnica; todos bien vestidos, parásitos mantenidos por Mertij [sic], […] hablando de cosas misteriosas todo el día‹« (ebd.: 71). Die Erzählerin fragt sich, ob ihr Vater nur eifersüchtig war oder ob er wusste, dass die Firma »jerarcas nazis refugiados en la Argentina con nombres falsos« (ebd.: 72) aufnahm. 10 Andere Umstände bleiben offen, so wird beispielsweise die Vermutung der Erzählerin, deutsche Nazis seien scharenweise auf dem Panzerkreuzer »[Admiral] Graf Spee« nach Argentinien gelangt (ebd.: 126), von ihrem Bruder nicht geteilt. Das idealisierte Porträt des Vaters erfährt den ersten Kratzer, als die Erzählerin sich an ein Gespräch mit ihm über ihre Geburt erinnert: Con tono de enorme respeto me dijo que en el Hospital Alemán –por lo menos desde mediados de la década del 30, aclaró– los médicos se comprometían a eliminar al recién nacido si tenía alguna anormalidad congénita visible o un inconveniente durante el parto que comprometiera su salud física o mental para el futuro. Por eso lo había elegido para que naciéramos allí mi hermano y yo. (Ebd.: 143)

10 Diese Angabe ist referentialisierbar (vgl. Goñi 2006: 273f.); auch Mengele zählte zu den Angestellten bei Orbis.

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Schon in diesem Moment erscheint ihr diese Vorgehensweise monströs, doch erst Jahre später zieht sie Parallelen zu den in Deutschland zu dieser Zeit praktizierten »leyes de eugenesia« –gemeint sein dürften die Euthanasiegesetze –, die zur Ermordung von 50.000 geistig behinderten Menschen führten (ebd.: 144). Trotz seiner übertriebenen »argentinidad« kehrt ihr Vater mit 55 Jahren nach Deutschland zurück, denn er findet in Argentinien in diesem Alter keine Arbeit mehr. In Deutschland indes macht er Karriere, reist um die Welt, heiratet noch einmal und kehrt dann 1977, also ein Jahr nach dem Putsch, in das Argentinien der Diktatur zurück, um dort Geld zu investieren. Zuvor aber schrieb er seiner Tochter einen Brief, in dem er ihr roh mitteilte, dass er einen Wurf Katzen aus dem Zug geworfen habe statt sie in gute Hände zu geben, wie er es ihr versprochen hatte. Der zweite Vorfall, der dann zum endgültigen Zerwürfnis führt, ereignete sich einige Monate später mit Silvio, dem langjährigen Freund der Familie, der dem Vater Arbeit und Unterkunft geboten hatte. Der Vater rief ihn an, um Geld für den Verkauf eines alten Jeeps einzuklagen: »Cuando Silvio le recordó que el auto no tenía valor y que a lo largo de los años había ido desguazándolo como chatarra, mi papá cortó la comunicación después de deslizar un comentario despectivo sobre la habilidad de los judíos para hacer negocios« (ebd.: 156). Die Erzählerin fragt sich, wie sehr ihr Vater sich in Deutschland verändert hat, oder aber ob sich ihr Blick auf ihn verändert habe. Sie weiß, dass der Antisemitismus im Unterschied zum Holocaust keine deutsche Erfindung ist: Sólo el pueblo alemán pudo convencerse de ser una raza superior con derecho a exterminar a otras etnias para limpiar la Tierra de lo que llamaron subhombres. Sólo ellos merecen tener la patente exclusiva de la sistematización de la muerte porque no hubo antes ni después un método tan eficaz para producir cadáveres humanos fabrikmässig (ebd.: 158).

In unzitierter Anlehnung an Goldhagen (1996), dessen umstrittenes Buch Hitler’s Willing Executioners jedoch an späterer Stelle zitiert wird (siehe unten) und auch im Anhang in der spanischen Ausgabe angegeben wird, geht es dann weiter: »Se han escrito bibliotecas enteras en el intento de explicar por qué y cómo se creó esa industria única en la Historia en la que participaron todos los alemanes contemporáneos de la masacre [Hervorh. S.S.]; incluso los más chicos, que apedreaban con alegría a los judíos que marchaban hacia la muerte« (ebd.: 159) – als habe es keine Opposition von Sozialdemokraten, Kommunisten, Gewerkschaftlern etc. gegen den Nationalsozialismus gegeben. Die Erzählerin gelangt dann zu der Vermutung, dass ihr Vater sich gar nicht verändert, sondern

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dass sie ihn immer falsch eingeschätzt habe: »Veo como en una película las escenas de la vida que compartí con él y percibo los rasgos que siempre estuvieron visibles, amortiguados o negados por la fascinación del mundo que creó para mí« (ebd.: 160). Wenn man sich jedoch die bis ins Xenophobische gesteigerten verallgemeinernden Deutschlandbilder der Erzählerin anschaut, kommen doch Zweifel an ihrem Urteilsvermögen auf: Bei ihrer letzten Deutschlandreise im Jahr 2003 wird Müller spätabends in einem verlassenen Bahnhofswartesaal Zeugin einer Gewaltattacke von Jugendlichen, die einem hilflos in einem Rollstuhl sitzenden Mann eine Tasse heißen Kakao über den Kopf schütten. Kurze Zeit später kommt ein Wächter: »Vociferó unas órdenes y los cinco salieron gritando y haciendo gestos obscenos«. Dass der Vorfall partikular sein könnte, dass irgendjemand von den umherstehenden Wartenden hätte eingreifen können, wird nicht in Erwähnung gezogen. Stattdessen zitiert die Erzählerin einen deutschen Gewährsmann, dem sie von diesem Vorfall erzählt hatte, und der sie nun aufklärt: »Sólo quienes no tienen ningún otro recurso o no tienen nada que perder se atreven a un viaje nocturno por Alemania« (ebd. 172). Als sie dann mit der neuen Frau ihres Vaters einen Spaziergang macht, klammert sich diese an Müller, als sie am Rand des Waldes einem Mann begegnen, der auf sie zukommt: »›Cuidado, es un comunista‹. Sonreí sin que me viera y le pregunté cómo lo sabía. ›Por el auto, que es viejo 11, y por la ropa, que es oscura y ordinaria. Es uno de los del Este. Desde que no hay muro están invadiendo nuestro país con todas sus cosas horribles‹« (ebd.: 176f.). Vor diesem Hintergrund ist es dann auch nicht weiter befremdlich, wenn die Stiefmutter sich wundert, dass der Direktor der Berliner Oper ein Argentinier ist, noch dazu ein Jude (ebd.: 177). Nach dem Tod ihres Vaters beginnt die Tochter mit der Recherche, denn sie fragt sich: »Si regresaba al pueblo como hizo mi papá iba a ver con claridad algo que se había escabullido de mi mirada y permanecía disimulado en la sombra«. Google öffnet ihr dann die Augen; Helmbrechts war ein KZ-Außenlager, laut Wikipedia: ein im August 1944 bezogenes, aus Holzbaracken bestehendes Konzentrationslager für weibliche Häftlinge, dem KZ Ravensbrück und kurz nach der ersten Belegung dem KZ Flossenbürg unterstellt. Die später bis zu 1.000 Insassinnen hatten in den Hallen des Textilunternehmens Witt Zwangsarbeit für die Kabel- und Metallwerke Neumeyer aus Nürnberg zu leisten. Am 13. April 1945 fand der Todesmarsch von insgesamt 1.175 Häftlingen

11 Der Erzählerin zufolge kauft sich die deutsche Mittelklasse jedes Jahr das neueste Volvo-Modell (ebd.: 173).

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statt, der von Haide aus über Meierhof und Ahornberg nach Schwarzenbach an der Saale (siehe auch Gedenkstätte Langer Gang) und dann über Neuhausen bei Rehau, Franzensbad, Marienbad, Plan und Taus ins böhmische Wallern führte. Über 200 Frauen starben an Erschöpfung oder wurden ermordet. 12

Die Erzählerin rekonstruiert den Todesmarsch minutiös und bedient sich dabei nicht spezifizierter Quellen wie Interviews mit einer ehemaligen Wächterin (Müller 2018: 190) oder einem nordamerikanischen Militärarzt. Sie findet im Internet auch mehrere Fotografien, doch eine aus Helmbrechts, die auch reproduziert wird (ebd.: 196), findet sich unter den erwähnten Epigraphen (ebd.: 194) nicht (mehr?). Darauf glaubt sie ihre Tante Leni wiederzuerkennen, die als junge Frau mit einfältigem Lächeln auf die vor ihr liegenden Leichen blickt. Im Folgenden verurteilt sie aufs Strengste den Schweigepakt des Dorfes, denn niemandem kann es verborgen geblieben sein, dass die Zwangsarbeiter*innen jeden Tag wenige Meter an ihren Häusern vorbeikamen, um zur Fabrik und wieder zurück zu gelangen. Während sie Verständnis dafür aufbringt, dass in den Kriegsjahren niemand half, aus Angst, selbst umgebracht zu werden, so kann sie das Schweigen danach nicht nachvollziehen: »¿Qué obligaba a los testigos a seguir callando? ¿La mera vergüenza de haber estado allí? ¿O la culpa por haber sido cómplices activos?« (ebd.: 197). Als sie dann auch noch in Goldhagens Darstellung liest, dass die Wächter des KZs um die vierzig Jahre und älter waren, baut sich in ihr ein schrecklicher Verdacht auf: »Los [años; S.S.] que tenía mi abuelo Max en esta época – [los guardias; S.S.] que por su edad o porque habían sido heridos en la guerra fueron reclutados para esa tarea« (ebd.: 197). Und sie fragt sich, ob die nebulösen Umstände seiner Kriegstaten und seines Todes darauf zurückzuführen sind, dass ihr Großvater selbst aktiv als Wächter im KZ tätig war – was jedoch in Ermangelung von Dokumenten nicht belegbar ist. Als deutschstämmige Argentinierin wird sie von Familienangehörigen, Freunden und Kollegen oft gehänselt, wobei alle Stereotype bedient werden (»un socio me acusó de ser rígida como un coronel de la SS porque me negué a falsear la contabilidadad de nuestra empresa« [ebd.: 201]) und das Ganze dann in der Scham gipfelt, Deutsche bzw. Deutscher zu sein (ebd.: 202). Sie erwähnt ihre deutschen Bekannten, die stolz auf die deutsche Vergangenheitsbewältigung sind, und zitiert dann höhnisch die Wahlerfolge der AfD. Die Erzählerin beschließt ihre »historia verdadera« mit der moralischen Überlegung: »Los

12 Wikipedia, s.v. »Helmbrechts«, https://de.wikipedia.org/wiki/Helmbrechts [Stand: 1.3.2019].

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humanos tenemos la obligación de recordar y compartir crudamente lo que sabemos por doloroso o vergonzante que sea«. Und dann bricht sie buchstäblich mit ihrer deutschen Familiengeschichte, indem sie einen Dekorteller mit dem Motiv Helmbrechts eingehend betrachtet, dann absichtlich fallen lässt und dieser zu ihrem Erstaunen in tausend Teile zerbricht. Zuvor jedoch hat sie den Teller abfotografiert – und nun erscheint diese Abbildung auch in ihrem Text, wodurch deutlich wird, dass lediglich das Objekt aus der Wohnung ausgeschlossen wurde, nicht aber aus der Erinnerung. Der Klappentext konkretisiert Mi papá alemán als »una memoir [sic] familiar conmocionante«. Die subjektiven Erinnerungen Mónica Müllers an ihr Leben mit ihrem Vater, die in einem historischen Kontext verortet werden, entsprechen den Gattungszügen der Memoirenliteratur, die eng an die Autobiographie einerseits, den Roman andererseits angrenzt bzw. die sich gegenseitig beeinflussen. 13 Auf der anderen Seite wird der subjektive Standpunkt der Verfasserin durch die Reproduktion von Kopien von Urkunden, Zeichnungen, privaten und öffentlichen Fotografien objektiviert. Dann wiederum wird der Authentizitätseffekt zuweilen durch mangelnde Quellenangaben unterlaufen. Dies entspricht aber dem Unvermögen der Erzählerin, ihre Erinnerung von Phantasien, Mutmaßungen und Interpretationen abzugrenzen. Wie sollte sie dies auch können, herrscht doch in Helmbrechts auch nach nahezu 70 Jahren noch immer der Schweigepakt. Müllers Memoiren jedoch haben die Komplizenschaft des bayerischen Dorfes und damit auch ihrer Familiengeschichte aufgedeckt, und dieser Enthüllungscharakter ist ebenfalls ein Gattungsmerkmal mancher Memoiren.

2. GUEBEL, DANIEL (1999): ADIÓS MEIN FÜHRER Adiós mein Führer (1999) des jüdisch-argentinischen Schriftstellers Daniel Guebel ist ein absurdes, karikatureskes Drama in sechs Akten, wodurch bereits rein formal markiert ist, dass es sich nicht um eine Tragödie handelt. Die Handlung entwickelt sich an einem geschlossenen Ort zwischen zwei Protagonisten: sie befinden sich in einem lokal nicht zu verortenden Bunker, den sie beinahe niemals verlassen, und jede Nacht gibt es Bombardements, die weder kontextualisiert noch erläutert werden. Gome ist ein 70jähriger Antisemit und Hardcore-Nazi, der nach dem Zweiten Weltkrieg geflohen ist und sich nun in einer zeitlich opak

13 Vgl. Literaturwissenschaftliches Wörterbuch für Romanisten (Hess/Siebenmann/ Stegmann 1989), s.v. »Memoiren«. Einer der berühmtesten Gattungsvertreter, Mémoires d’outre-tombe von Chateaubriand, wird darin seltsamerweise nicht angeführt.

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bleibenden fiktionalen Gegenwart der Erziehung von Nuñe widmet, einem etwa 30jährigen Mann, der den Bunker noch niemals verlassen hat und daher die Welt nicht kennt – wodurch ein deutlicher intertextueller Bezug zu Segismundo und dessen Mentor Clotaldo hergestellt wird: Im ersten Akt des berühmten Dramas La vida es sueño (1635) von Calderón de la Barca stößt Rosaura auf den seit seiner Geburt in einem Turm eingesperrten Segismundo, dessen Wehgeschrei sie hört. Im Unterschied zu dem Prinzen Segismundo ist Nuñe aber sehr naiv, so dass er auch stark an Voltaires Figur Candide aus der gleichnamigen Satire aus dem Jahr 1759 erinnert – ohne dass sein Mentor ihm vorgaukelt, in der besten aller möglichen Welten zu leben. Gome hingegen impft Nuñe den Hass auf Juden ein und unterweist ihn, damit Nuñe eines Tages »dirija el Cuarto Reich a sangre y fuego« (Guebel 1999: 73). Dafür rekurriert Gome auch auf die counter history, indem er die Juden als perfide Täter präsentiert: GOME: Porque eso es lo que quieren los judíos. Matar hasta el último retoño de la semilla nacionalsocialista: nazi. Ese es el plan moishe. […] Cuando la siniestra confabulación demo-pluto-soviético-judeo-masónica derrotó al Tercer Reich y ganó la Segunda Guerra Mundial, los judíos se dijeron: ¿Y ahora qué hacemos? […] calladito se armaron su plan. Dividieron el mundo en partes, y para cada parte hicieron su plan. Plan Andina, Mesopotamia, Patagonia […]. (Ebd.: 20f.)

Als Nuñe naiv fragt, wie denn die Juden seien, antwortet Gome: Los judíos son fuerzas malignas, sucios, egoístas, usureros, traicioneros, una raza sin campesinos y sin trabajadores… una raza de parásitos que esquilman al pueblo… NUÑE: ¿Pero llevan algo, un distintivo, un sellito, una marquita, algo…? GOME: Lamentablemente, no. (Ebd.: 31)

Dieses Fehlen von Stigmata erinnert an die ersten argentinischen AntiInmigrantenromane und das Strafwesen des späten 19. Jahrhunderts: In En la sangre (1887) von Eugenio Cambaceres beispielsweise werden die Postulate der Kriminologie Lombrosos intra- und extraliterarisch mit dem Ziel der Identifizierung von Kriminellen und Simulanten eingesetzt. 14 Denn die europäischen Immigranten waren weißhäutig und nicht – wie etwa die »cabezitas negras« – anhand äußerer Merkmale von den Kreolen zu unterscheiden. Der implizite Autor scheut keine Übertreibung, so z.B. in der Szene, in der Nuñe sich die Unterwäsche einer von Gome soeben vergewaltigten und ermor-

14 Schlickers 2003: 147; vgl. auch Kap. 3.3.1.

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deten Jüdin anzieht und glaubt, nun schwanger werden zu können, woraufhin Gome zu ihm sagt: »Sería un milagro. Ni el doctor Mengele pudo conseguir tanto« (ebd.: 59). Natürlich fehlt auch die fringe theory des Nazigoldes nicht 15, das Gome in Form von Goldzähnen transportiert hat (ebd.: 63f.). Das Verlassen des Bunkers bedeutet eine Grenzüberschreitung im Sinne Lotmans, und einmal gelingt es auch Nuñe, den Bunker zu verlassen und mit einem Fernseher heimzukehren. Gome ist empört – »Usted infringió mi dispositivo de seguridad, puso en peligro mi vida, la vida suya y la vida de Pere« (ebd.: 72), eine Nebenfigur, die nur sehr selten auftaucht –, aber als Nuñe sich verteidigt, Gome habe den Bunker doch ebenfalls verlassen, »[para] pincharse la judía«, antwortet Gome: »¿Qué tiene que ver? ¡Lo mío fue un acto de afirmación nacionalsocialista« (ebd.: 73). Das Requisit des Fernsehers dient dazu, dass Nuñe sich ein Programm anschaut, das Guebels Sarkasmus und die konstanten Abdriftungen ins Groteske verdeutlicht: NUÑE: Las banderas… Es él… Hitler… en un carro blindado… tirado por caballos… […] GOME: ¡No sea Hurensohn! Están dando Ben-Hur. […] Una película con Charlton Heston. Es sobre un judío que descubre a Dios. NUÑE: ¿Qué? ¿Los judíos inventaron a Hitler? (Ebd.: 74)

Nuñe weiß, dass Gome unter einer falschen Identität lebt, doch in Wirklichkeit kein hoher NS-Funktionär war, aber Gome gibt dies nicht zu und fährt mit seinen paranoiden Visionen fort. Als Nuñe beispielsweise an der Existenz der Juden zweifelt, erklärt Gome ihm: »[Los judíos] desarrollaron un arma secreta… un arma que los hace invisibles…« (ebd.: 90). Am Ende des fünften Akts steht eine Peripetie. Gome steht kurz vor dem Suizid, denn er fühlt sich als betrogenes Opfer: »¡El Holocausto es una mentira judía! La Solución Final no existe… No solucionamos nada. En la guerra apenas murieron unos miles de judíos, y Hitler nunca se enteró« (ebd.: 96). Er blickt direkt ins Publikum und transgrediert damit metaleptisch die unsichtbare vierte Wand, und fährt dann fort: »Me dijeron que no me preocupara por las responsabilidades. Y ahora que llegó el momento de la verdad, me abandonaron. No soy el monstruo en que pretendéis transformarme… soy una víctima del engaño«. Doch das Seil, mit dem er sich erhängen will, reißt.

15 Dazu Meding 1999: 300-308 (das Kapitel »El tesoro de las SS y la actividad económica de los inmigrantes«).

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Trotz der Groteske rekurriert der implizite Autor in Bezug auf Hitlers Ende nicht auf weit verbreitete Verschwörungstheorien, denen zufolge Hitler nach dem Krieg nach Argentinien geflüchtet ist, 16 sondern Gome sagt: Hitler »se tragó la pastilla y se pegó un tiro« (ebd.: 107). Doch dann folgt eine andere, ebenfalls weit verbreitete fringe theory, derzufolge Hitlers Vertrautem Martin Bormann die Flucht nach Argentinien gelang, »después de incinerar al Führer y a Eva Braun« (ebd.: 109). Im finalen showdown überlebt nur Gome. Zuvor hat er versucht, Nuñe umzubringen, doch die off-Stimme von Adolf Hitler selbst, eine Art akustischer deus ex machina, unterbricht ihn dabei (ebd.: 120f.). Gome lässt Nuñe los, fällt auf die Knie und wimmert: »Führer… Mein Führer… Perdón, Mein Führer… Todo lo que hice lo hice para ganar tu aprobación… Mein Führer… ¿en qué me equivoqué? Führer… ¿Führer?« (ebd.: 121). Unterdessen aber hat Nuñe sich verändert, zum ersten Mal weisen seine Gesichtszüge autoritäre Züge auf, und dann klärt er Gome auf: No hay nadie, Gome. GOME: ¡¿Qué decís?! ¡Es él! ¡Me habló! ¿No lo escuchaste? NUÑE (con piedad desdeñosa): Soy ventrílocuo, Gome. (Ebd.: 121f.)

Doch dieser Akt der Auflehnung ist nur von kurzer Dauer, denn als Nuñe sich auch noch über Hitler lustig macht, sticht Gome blindwütig auf ihn ein und bleibt dann alleine zurück, um auf Hitler zu warten: »está resucitando… lo habíamos escondido en un submarino nuclear… y tiene armas secretas« (ebd.: 123). Der intertextuelle Verweis auf Samuel Becketts absurdes Theaterstück En attendant Godot (1953) ist evident und verstärkt die Absurdität dieses Theaterstücks. Daher folgere ich, dass es sich bei Adiós Mein Führer um eine argentinische Variante des in den 1950er Jahren vorwiegend in Frankreich aufkommenden absurden Theaters handelt, das die Sinnlosigkeit der Welt in groteskkomischen, irrealen Szenen mittels einer formelhaften, sinnentleerten Sprache und durch die Ablösung von den drei aristotelischen Einheiten repräsentiert (cfr. Esslin 2006). Bei Guebel werden die drei Einheiten beibehalten und die Sprache ist nicht formelhaft, aber dennoch ist die gesamte Szenerie irreal und die existen-

16 Zuletzt beispielsweise in El alemán de la Elena von Mariana Rodríguez (2017: 61f.), eine Art Geschichtsbuch ohne Quellenangaben, gespickt mit Verschwörungstheorien und stümperischen romanhaften Anteilen, in dem es um den Nazi Johannes Bernhardt geht, der mit Franco Geschäfte gemacht hat und nach dem Krieg in die argentinische Provinzstadt Tandil geflüchtet ist, in der auch die Autorin lebt.

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tialistische Erkenntnis der Absurdität des Lebens wird hier auf den Nationalsozialismus übertragen, der in Gestalt des verrückten Nazis Gome symbolisch und metonymisch repräsentiert wird. Eine Identifikation ist mit keinem der beiden Protagonisten möglich, daher entbehrt der Tod Nuñes jeglicher Tragik. Letztlich zeigt das Drama, »que el nazismo es algo tan poco serio como el diálogo lleno de sonido y de furia de dos payasos«. 17

3. GUSTAVO NIELSEN (2004): AUSCHWITZ Der Titel und der Epigraph »No puede haber poesía después de Auschwitz. Theodor Adorno« des Romans bauen einen Erwartungshorizont auf, der schon auf den ersten Seiten dieses provozierenden Textes enttäuscht wird: Eine intradiegetische Erzählerstimme setzt mit einer anaphorischen Litanei ein – »Odio esto. Odio las conversaciones sobre bebés, odio [...], no aguanto tu apellido: Auschwitz. Ni tu nombre: Rosana« (Nielsen 2004: 9f.). Die Stimme gehört einem paranoiden 37jährigen Architekten namens Berto, der sich zum ersten Mal zum Sex in der Wohnung der Jüdin Rosana Auschwitz befindet. Denn obgleich er Antisemit ist und Ekel jüdischen Frauen gegenüber empfindet, ziehen just diese ihn an. Am nächsten Morgen stellt er fest, dass Rosana das Kondom mit seinem Sperma entwendet hat; kurze Zeit später entführt er aus Rache ihren Sohn. Berto ist Rassist, Sexist 18 und Nazi im Herzen, denn das eigentliche Motiv der Entführung gerät völlig in den Hintergrund als er bemerkt, wieviel Freude ihm die Folter des Kindes bereitet. Er lässt sich dabei – politisch inkorrekter könnte es nicht sein – von Zeugenaussagen der Gefolterten, die in Nunca más veröffentlicht worden sind, inspirieren (ebd.: 101) und rechtfertigt sein Vorgehen mit der Lektüre von Mein Kampf (75): »TODO INDIVIDUO NOTORIAMENTE ENFERMO Y ATÁVICAMENTE TARADO DEBE SER DECLARADO INAPTO Y SOMETIDO AL TRATAMIENTO PRÁCTICO [Majuskeln im Original; S.S.]« (ebd.: 77). Die Folter wird immer grausamer. Berto sucht in einem Eisenwarenladen nach einer »picana« und trifft dort auf einen Folterer der letz-

17 Rezension in El Extranjero (o.A. 2013). 18 »Conseguir un hombre era cada vez más difícil para las mujeres, ellas se lo decían mientras Berto se las cogía. No ya un modelo de hombre, un macho. Hablamos de un hombrecito de morondanga, un japonés, por ejemplo. Tintorero, de anteojos, kimono, sandalia y Datsun. Un argentino de Torino eran palabras mayores, que hasta rimaban. Él jamás hubiera metido su soldado en aquella cueva de carne asiática« (Nielsen 2004: 87).

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ten Diktatur, der ihm sagt, dass man diese seit der Demokratie nicht mehr erwerben könne, er selbst habe zwar noch eine, würde dieser aber nicht hergeben – »recuerdos son recuerdos« (ebd.: 110). Er erklärt ihm aber dann, wie er einen Ventilator dazu umfunktionieren könne. Doch irgendetwas läuft schief, und Berto karbonisiert den Jungen und verwandelt seine Wohnung in ein »departamento del holocausto« (ebd.: 132). Diese stark verstörenden Szenen werden durch sehr explizite Beschreibungen der einzelnen Folterungen bis ins Unerträgliche gesteigert. 19 Doch das Kind schreit nicht, wimmert nicht, stöhnt nicht einmal, es guckt nur, und seine Wunden schließen sich auf wundersame Weise immer wieder. Daher kommt Berto in Gesprächen mit seinem esoterischen Nachbarn, einem Hindu, der ihm »wissenschaftliche« Beiträge aus dem American Scientific Magazine zeigt (ebd.: 84f.), die von der Befruchtung Außerirdischer mit menschlichem Genmaterial handeln, 20 auf die Idee, es müsse sich bei diesem Kind ebenfalls um einen Außerirdischen handeln: »De inmediato, todo le pareció claro. ¿Rosana sería una mera recolectora o, además, un ser de otro planeta hecho judía? De Saturno, tal vez, por los anillos« (ebd.: 86). Als das tote Kind schließlich wieder zum Leben erwacht (ebd.: 164), bestätigt sich für Berto der Verdacht, dass es sich um einen Außerirdischen handelt. Damit wechselt der realistisch-verstörende Modus der Erzählung kurzfristig in den antimimetischen Modus der Science-Fiction, dann aber wieder zurück in den dominant realistischen: Bertos Sekretärin rächt sich für seine stete Missachtung bzw. Verachtung und zeigt ihn als Vergewaltiger an, woraufhin ihm fristlos gekündigt wird. Berto meldet sich bei Rosana und bittet sie, ihren Sohn bei ihm abzuholen. An der Tür hält sie ihm ein Fläschchen mit seinem Sperma vor die Nase: »Igual no sirve, porque sos estéril. [...] Tus espermatozoides no tienen cola, y además hay una especie de fibroma« (ebd.: 184). Doch versucht Rosana trotz dieses wenig erfreulichen Befundes eine erneute Annäherung: »La verdad es que no la pasamos tan mal la otra noche… ¿no? […] Cogimos bárbaro« (ebd.: 185f.). Als er dann auch noch ihre sexy Unterwäsche sieht, erwachen seine eingeschlafenen Triebe:

19 Aguirre (2004) erkennt, dass hier eine Neuschreibung von Osvaldo Lamborghinis Erzählung »El niño proletario« vorliegt, einer der wenigen Autoren, die Nielsen bewundere. 20 Aguirre (2004) erläutert in seiner Rezension dazu: »teoría formulada por Fabio Zerpa para demostrar la existencia de extraterrestres. Se trata de una variante del tema de la invasión, tal como se conoce a través del cine de ciencia ficción de los años ’50 y ’60: los alienígenas no irrumpirán al modo de una guerra convencional sino de forma solapada, desde el interior mismo de los cuerpos humanos por ›transmutación genética‹«.

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»Estéril vaya y pase; impotente, jamás«, und er hält sie hin mit einem »Vemos – dijo él, ocultando el tibio entusiasmo que comenzaba a inundar su espíritu joven, fuerte, ágil, inteligente y sagaz, de gladiador« (ebd.: 190). Der xenofobe, paranoide Philonazi wird also mit der Jüdin Auschwitz ein sexuelles Verhältnis eingehen, aus dem aber keine Kinder hervorgehen werden, womit Nielsen die Allegorie des Romans des 19. Jahrhunderts im Sinne einer »foundational fiction« (Sommer 1991) karikiert. Die assoziative Verbindung des Titels mit dem Nationalsozialismus und der Auslöschung von Millionen Juden ist im Nachhinein nur auf einer vordergründigen Ebene enttäuscht worden. Denn dass Auschwitz hier lediglich der Nachname einer argentinischen Jüdin ist, konstituiert ein makabres Spiel mit dem kollektiven Gedächtnis. Zudem wird die deutsche Barbarei der Nazis 21 über den Folterer in der Eisenwarenhandlung mit der argentinischen Barbarei der letzten Diktatur und ihrer vorgängigen Repressionsmechanismen über den Intertext »El niño proletario« (1973) von Osvaldo Lamborghini verknüpft. Daher ist es vielleicht keine Ironie der Geschichte, dass Gustavo Nielsen, der nicht nur Schriftsteller, sondern auch Architekt ist, gemeinsam mit Sebastián Marsiglia fünf Jahre nach Auschwitz einen Architekturwettbewerb gewonnen hat, in dem die beiden das erste Holocaust-Mahnmal Lateinamerikas entworfen haben. 22

4. EL AMIGO ALEMÁN (2012) VON JEANINE MEERAPFEL Der Spielfilm EL AMIGO ALEMÁN (ARG 2012, Jeanine Meerapfel) der deutschargentinischen Regisseurin und Drehbuchautorin Jeanine Meerapfel erzählt eine Liebesgeschichte, die in den 50er Jahren in einem Bonaerenser Stadtteil zwi21

Auch wenn die Nazis nicht systematisch gefoltert haben, so sind die berüchtigten Foltermethoden der Gestapo, die grausamen Experimente an Menschen oder die allgemeinen Haftbedingungen, wie sie Primo Levi in Se questo è un uomo (1947) beschreibt, mutatis mutandis der von den argentinischen Schergen praktizierten Folter vergleichbar.

22

Es sollte sieben Jahre dauern, bis der Monumento Nacional de la Memoria de las Víctimas del Holocausto Judío fertiggestellt und eingeweiht werden konnte (vgl. Wikipedia, s.v. »Monumento Nacional a la Memoria de las Víctimas del Holocausto Judío«, https://es.wikipedia.org/wiki/Monumento_Nacional_a_la_Memoria_de_las_Víctimas _del_Holocausto_Judío [Stand 17.06. 2019]). Bezüglich der ursprünglichen Konzeption und Umsetzungsschwierigkeiten vgl. Schachar 2012.

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schen zwei Schülern des Collège français beginnt und 1983 in der jungen Demokratie endet: Sulamit ist Tochter deutsch-jüdischer Eltern, die in ihren Nachbarn Frederico (von seinen Eltern Friedrich genannt) verliebt ist, dem blonden Sohn einer deutschen Familie. Beide sprechen nur Spanisch miteinander und antworten auch ihren deutschsprechenden Eltern stets auf Spanisch, wodurch bereits zu Beginn unterstrichen wird, dass ihnen die deutsche Kultur fremd ist. Sulamit, deren Eltern nicht aktiv das Judentum praktizieren, wird beim Sturz Peróns auf der Straße von drei Jugendlichen attackiert. Als sie mit ihrer Mutter Anzeige erstattet, wird ihnen auf ihre Nachfrage hin bestätigt, dass es sich um deutsche Jugendliche gehandelt habe. Sulamit ruft Frederico an, um ihm von dem Vorfall zu erzählen, doch Frederico unterbricht sie, denn er hat zeitgleich im Schreibtisch seines Vaters Dokumente gefunden, die diesen als geflüchteten, unter falscher Identität lebenden Nazi ausweisen. 23 Als Frederico ihm ein Foto zeigt, in dem sein Vater wahrscheinlich in SS-Uniform zu sehen ist, sagt dieser nur, dass Frederico stolz auf ihn sein sollte. Frederico verlässt daraufhin sein Elternhaus und reist nach Deutschland, um die wahre Identität seines Vaters und dessen Kriegsverbrechen aufzudecken – doch diese Suche wird nicht gezeigt. Frederico politisiert sich im Kontext der 68er Jahre. Sulamit bekommt ein DAAD-Stipendium und reist hinterher, um deutsche Literatur zu studieren. Doch als sie ankommt, hat er kaum Zeit für sie. Bei ihrer ersten Zusammenkunft erfährt Sulamit, dass Fredericos Schwester im Tigre Suizid verübt hat, da sie die Lügen ihres Vaters nicht länger ertragen hatte. Frederico hat herausgefunden, dass sein Vater der SS-Kommandant A. von Wolfburg Neisse 24 war, der in Argentinien unter dem Namen Rudolph Burg lebt. Er zeigt ihr ein Foto, worauf sein Vater mit zwei weiteren ranghohen Nazis im Tigre vor dem elterlichen Ferienhaus abgelichtet ist: Einer ist »Arnold Schmitt, es responsable de la migración de nazis en la Argentina, incluyendo a Eichmann«, der andere ist »Werner Kunheim, el padre de Horst«, also der Vater von Fredericos Freund, »[quien importaba] el dinero del gran Tercer Reich a la Argentina, el dinero robado a los judíos«. Dann zeigt er ihr noch mit einer Lupe die Tätowierung der SS auf dem Unterarm seines Vaters – aber Sulamit will nichts sehen und auch von der ganzen Geschichte nichts wissen. Sie sagt ihm, dass auch sie Tochter ihrer Eltern

23 Diese Erkenntnis erfolgt reichlich spät (Min. 24:40), hatte doch Sulamit bereits Jahre zuvor in der Küche von Fredericos Eltern einen Brotkorb mit einem Hakenkreuz gefunden. 24 Oder so ähnlich, denn der Name ist schwer verständlich (Min. 39:20), ich gehe davon aus, dass dieser und nachfolgend genannte Nazinamen fiktiv sind; auch im Index von Goñi (2006) sind diese Namen nicht enthalten.

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sei, aber das sie vor allem sie selbst sei. Enttäuscht von Frederico, beginnt sie eine Affäre mit ihrem Literaturprofessor, der sich in sie verliebt. Auch diese Handlungssequenz zeigt, wie in diesem Film Liebesgeschichten mit Politik verknüpft werden: die beiden Männer rivalisieren nicht nur um Sulamit, sondern verfechten auch unterschiedliche politische Ziele. Der Dozent unterstützt die 68er Studentenbewegung, Frederico indes will dem Beispiel Kubas folgen und die große lateinamerikanische Revolution ausrufen. Er geht fort, ohne irgendjemandem zu sagen, wohin. Der Zuschauer, nicht jedoch die anderen Figuren, sieht ihn dann erneut in Argentinien, wo er sich der Guerrilla angeschlossen hat, aber schon in der ersten bewaffneten Aktion schwer verwundet wird. Als Sulamit von der Situation in Argentinien erfährt, fliegt sie dorthin um Frederico zu suchen. Sie nimmt Kontakt zu den »madres« auf und erfährt von ihnen, dass Frederico im Gefängnis in Rawson inhaftiert ist. Da nur Familienangehörigen Besuche gestattet werden, besorgen ihr die Frauen einen gefälschten Ausweis mit den Daten der verstorbenen Schwester Fredericos. Als Sulamit endlich nach einer langen Reise vor ihm steht, begegnet ihr ein emotional vollkommen blockierter Frederico, der einzig durch den Gedanken überlebt, nach seiner Entlassung mit und für die Mapuches zu kämpfen. Sulamit fährt wieder zu ihrem Literaturprofessor zurück, trennt sich aber von ihm, da sie Frederico liebt, und lebt alleine als Dozentin in Köln. Und die große Liebe siegt. Eines Tages bekommt sie Post von Frederico, der wieder auf freiem Fuß ist – die fiktionale Gegenwart muss daher nach 1983 anzusiedeln sein, die beiden Protagonisten sind nun um die vierzig Jahre alt. Diese paar Zeilen auf zerknautschtem Papier genügen. Sulamit gibt sofort ihre sichere Existenz auf und fährt zu ihm, in ein kleines Holzhaus in Patagonien. Die Mapuches wollten gar nicht kämpfen, sondern Kartoffeln anbauen, so dass Frederico sich ebenfalls ein ruhiges Leben auf dem Land aufgebaut hat. Er wartet an einem winzigen Bahnhof auf Sulamit, beide sind gealtert – doch warum Frederico nun aussieht wie eine Kopie seines verhassten Nazi-Vaters (Abb. 1-2), ist unerklärlich bzw. unfreiwillig komisch angesichts seiner ›éducation politique et sentimentale‹.

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Abbildung 1: Frederico. Szene aus dem Spielfilm EL AMIGO ALEMÁN (ARG 2012, R: Jeanine Meerapfel).

Abbildung 2: Fredericos Vater. Szene aus dem Spielfilm EL AMIGO ALEMÁN (ARG 2012, R: Jeanine Meerapfel).

Während Frederico mit der Vergangenheit seines Vaters abgeschlossen hat und seinen eigenen Worten zufolge »he terminado todas mis guerras«, hat sich der Freund seiner Kindheit, der Sohn des Nazis Werner Kunheim, in einen Fascho verwandelt, ist also in die Fußstapfen seines Vaters getreten. In der letzten Szene sitzen die beiden auf einem Felsen und beobachten die Adler. Sulamit fragt ihn, ob er mit ihr zusammen nach Deutschland zurückkehre,

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doch er beantwortet die Frage nicht, sondern fragt seinerseits: »¿Te quedás acá?«. Auch sie sagt nichts – aber ihr Blick formuliert ein klares Ja. Die argentinische Filmkritik war von EL AMIGO ALEMÁN nicht begeistert: Molinari (2012) kritisiert, dass dieser Film voller Stereotype nicht der Qualität des aktuellen argentinischen Films entspreche und die Verliebten nur den Vorwand lieferten, um 30 Jahre argentinische Geschichte zu erzählen. Trzenko (2012) zielt in dieselbe Richtung: La historia de Capuletos y Montescos, con sus peculiaridades históricas e interesante carga dramática, habría alcanzado para toda la trama, pero la directora eligió ampliar el espectro y sumar ingredientes que terminan por desdibujar su interesante mirada, esa que aparece en los pequeños detalles sobre la distante, pero concreta convivencia barrial entre los sobrevivientes del Holocausto y sus perpetradores y la sutil exposición sobre esa primera generación de hijos nacidos en la Argentina aunque anclados en el país –y el pasado– de sus padres.

Wamba Gaviña (2011) scheint den ein Jahr später erschienenen Film noch nicht gesehen zu haben. In ihrem aus fehlerhaften Synopsen bestehenden Beitrag schreibt sie, Sulamit und Frederico »migran hacia Alemania por amenazas en donde viven el conflicto de sus raíces como obstáculo para la relación«. Interessant aber ist das ohne Quellenangabe überlieferte Zitat der Regisseurin, demzufolge dieser Film auf autobiographischen Erlebnissen beruht: Die 68er Zeit erlebte ich als Studentin in Ulm und Berlin. Ich traf in dieser Zeit gleichaltrige deutsche Männer, die beinahe fanatisch versuchten, das Bild ihrer Väter zu zerstören. Junge Männer, die sich so sehr schämten für die deutschen Gräueltäten [sic; S.S.] der Nazizeit, dass sie ihren deutschen Pass im Ausland versteckten, oder sich blindlings und rücksichtslos in extremen linkspolitischen Gruppen engagierten. Junge Männer, die einen lang Weg gehen mussten [...], bis sie fähig waren, sich selbst zu lieben. 25

5. SECURE PARADISE (IMMER WIEDER) (2008) Dieser kurze Dokumentarfilm von ca. 14 Minuten Länge der 1967 in Buenos Aires geborenen Dokumentarfilmerin Judi Werthein sticht aus dem Korpus heraus, da er von der Colonia Dignidad in Chile handelt. Diese 1961 von dem Laienprediger Paul Schäfer gegründete Sekte ist erst nach der Diktatur Pinochets im

25 Meerapfel, zitiert in Wamba Gaviña 2011.

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Ausland in starken Verruf geraten, sie wurde »zum Inbegriff von Missbrauch, Folter und Mord« (Maier 2016: 9). Werthein setzt dieses Wissen voraus, denn ihr Film ist chronologisch aufgebaut und besteht aus authentischem Fotomaterial und einer darüber gelegten Tonspur, in der Männer und Frauen aus dem off über die Colonia Dignidad sprechen. Die die Interviews steuernden Fragen werden nicht wiedergegeben. Die Interviewten sind Zeugen, die selbst in der Colonia Dignidad gelebt haben, Mütter von Verschwundenen, deren Schicksal bis heute nicht aufgeklärt ist, oder Menschen aus der Umgebung. Diese Informationen muss der Zuschauer selbst rekonstruieren, die Informanten werden nicht gezeigt und es gibt auch keine schriftlichen Angaben zu ihnen (Name, Alter, Beruf usw.). Nur die letzte Szene weicht von diesem Prinzip ab: dort sieht man eine blonde dicke deutsche Köchin, die an einem großen Topf Suppe in der Großküche des jetzigen Touristenzentrums Villa Baviera steht, in das die ehemalige Sekte und Folterkolonie Schäfers verwandelt wurde. Alle Aussagen werden durch authentisches Fotomaterial begleitet. Es beginnt harmonisch mit den Anfängen: in Parral sollte ein Waisenheim gegründet werden – obwohl es dort eigentlich gar keine Waisen gab. Gezeigt werden Kinder, v.a. Jungen, Männer und Frauen, die in der Kolonie geschlechtlich getrennt voneinander gelebt und gearbeitet haben; die Landschaft, die Gemeinschaftshäuser, das Krankenhaus, die großen modernen Landmaschinen, die Schule, das Orquesta, die Hühnerfarm usw. Es gibt keinen einzigen Kommentar der Regisseurin, die jede bzw. jeden aussprechen lässt, was er oder sie denkt, und die auch die vielen Widersprüche nicht löst (für den einen ist die Erde in Parral sehr fruchtbar, für den anderen ein öder Boden), sondern im Gegenteil mit verschiedenen Aufnahmen von blühender bzw. brachliegender Landschaft bekräftigt. 26 Dennoch ist ein Selektionsmechanismus und auch eine unterschwellige Manipulation erkennbar, denn der Zuschauer wird in die Lage versetzt zu differenzieren zwischen naiver stereotypischer Bewunderung (»qué gran cultura la de los alemanes, superior a la nuestra«, »qué limpieza en las cabañas«, »la naturaleza es paradisíaca«, »la comida es exquisita« usw.) und beißender Kritik (an aufwendigem Überwachungssystem, Ausbeutung, Folter, desapariciones, offener Unterstützung Pinochets usw.). Dies liegt an der spezifischen Kombination von Bild

26 Es gibt auch kein voice-over, der das Gezeigte erläuterte oder interpretierte, was an die Merkmale des französischen Cinéma vérité der sechziger oder an das nordamerikanische Direct Cinema der späten fünfziger Jahre erinnert. Da sich Werthein aber nicht als Filmemacherin in Szene setzt und auch keine spezifischen Momente provoziert, würde ich SECURE PARADISE (IMMER WIEDER) (ARG/USA 2008) dem Direct Cinema zuordnen.

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und Text bzw. Audio: die Filmemacherin selektiert das Audio-Material, das sie zuvor aufgenommen hat und verbindet dies mit stills authentischer Bilder, die sie ebenfalls bewusst ausgewählt hat. Eine kurze Sequenz (Min. 4:30-5:00) illustriert diesen manipulativen Mechanismus: Es geht dabei um das moderne Krankenhaus. Die Stimme eines Mannes erzählt zunächst, dass die Ärzte die armen Menschen der Region umsonst behandelt hätten, und dass diese ihnen daher immer wohlgesonnen waren und sie verteidigt hätten. Dann erzählt er, dass sie die Apparate und Instrumente aber auch dazu benutzt hätten, um Menschen zu betäuben »y no sé qué cosas hacer con ellos«. Diese letzte Aussage wird durch drei stills begleitet (Abb. 3-5): im ersten sieht man einen Jungen mit weit aufgesperrtem Mund bei einer Zahnbehandlung, unfähig, sich dieser Position in irgendeiner Weise zu entziehen; im zweiten eine Wissenschaftlerin, die konzentriert durch ein Vergrößerungsgerät in einem Labor schaut; im dritten zwei Krankenschwestern mit Mundschutz in einem OP-Saal. Diese kleine Serie produziert ein gewisses Unbehagen, denn sie löst Assoziationen von Experimenten an Menschen aus, wie sie die Nazis in den Konzentrationslagern praktiziert haben. Abbildungen 3-5: Stills aus dem Dokumentarfilm SECURE PARADISE (IMMER WIEDER) (USA/ARG 2008, R: Judi Werthein).

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Es gelingt Werthein, mit diesem Dokumentarfilm im Stil des Direct Cinema die grundlegende Ambiguität zu vermitteln, die den Chor ihrer Sprecher charakterisiert: Für die einen ist die Colonia Dignidad bzw. heutige Villa Baviera 27 ein Paradies, für die anderen ist es die Hölle. Trotz der Kürze sind einige Auslassungen bemerkenswert: Paul Schäfer, der Gründer der Sekte, beschuldigt der »pedofilia, homicidio calificado, abusos y tortura« und schuldig befunden »de abusos a 25

27 »Als Schäfer 1985 die Unterstützung der CSU verloren hatte, benannte er sein deutsches Dorf noch schnell in Villa Baviera (Bayerndorf) um, doch die Bayern, die Mord und Folter toleriert hatten, setzten sich nun vom Kinderschänder Schäfer ab« (Maier 2016: 121).

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menores de edad« 28, wird nicht einmal erwähnt. Offen bleibt auch, woher der ungeheure Reichtum stammt, also die Geldquellen der Colonia Dignidad. Zwar mussten sie aufgrund ihres Wohltätigkeitsstatus keine Steuern entrichten, doch erklärt dies nicht, wieso sie über modernste Landmaschinen, HightechInstrumente und das bestausgestattete Krankenhaus weit und breit verfügten. Auch wäre es interessant gewesen, auf die sehr unrühmliche Rolle der deutschen Regierung hinzuweisen, die bis heute nicht geklärt ist. 29 So besuchte bei-

28 Wikipedia, s.v. »Paul Schäfer« (auf Spanisch): https://es.wikipedia.org/wiki/ Paul_Schäfer. Interessanterweise sind die verschiedenen Wikipedia-Informationen zu der Nazivergangenheit Schäfers, geboren 1921, widersprüchlich: der deutschen Wikipedia zufolge war er »nie Offizier in der Wehrmacht oder Mitglied in nationalsozialistischen Organisationen«. Die englische Wikipedia beruft sich auf BBC news: »he served as a medic in the Wehrmacht during World War II, where he reached the rank of Corporal«, und in der spanischen Wikipedia steht, ähnlich: »en su juventud participó en las Juventudes Hitlerianas y como enfermero en los batallones alemanes en la Segunda Guerra Mundial«. Auch die französische Wikipedia gibt an, dass er »rejoint les Jeunesses hitlériennes pendant la dictature nazie. Pendant la Seconde Guerre mondiale il est brancardier SS et finit la guerre avec le grade de caporal«. Einzig die deutsche Wikipedia beruft sich auf eine Studie, allerdings ist diese chilenisch (Claudio R. Salinas/Hans Stange [2006]: Los amigos del »Dr.« Schäfer: la complicidad entre el estado Chileno y Colonia Dignidad. Santiago de Chile, S. 51). Der Studie von Heller (1993: 11) zufolge wurde Schäfer aufgrund seines fehlenden Auges kein Soldat. »Bis 1945 leistete er Sanitätsdienst in Frankreich« und die Hitlerjugend habe er »wegen der nationalsozialistischen Gleichschaltungsgesetze« abgelehnt. Auch Maier (2016: 46f.) zufolge war Schäfer »im Zweiten Weltkrieg ein einfacher Sanitäter« und »es gab unter dem 1961 ausgewanderten Häuflein [der Colonia Dignidad; S.S.] wahrscheinlich weniger ehemalige Nazis als im bundesdeutschen Durchschnitt« und »keiner von ihnen war geflohener Kriegsverbrecher«. Andererseits konstatiert Maier, dass es »umso mehr Nazis« (ebd.) im Umfeld gegeben habe. Die Frage, ob die Colonia Dignidad eine Nazisiedlung war, beantwortet Maier differenziert: »Die Sekte war so antisemitisch und vom Nationalsozialismus imprägniert wie das Westdeutschland der fünfziger Jahre. Einer spezifisch nationalsozialistischen Ideologie hing sie nicht an. Die rechte Politisierung der Colonia Dignidad geschah [...] erst nach 1970« (ebd.: 49). 29 Siehe dazu die Anspielungen in dem empörten Kommentar von Peter Burghardt (2018) anlässlich eines Urteils des OLG, das entschieden hat, den ehemaligen Arzt der Colonia Dignidad, Hartmut Hopp, der seit Jahren unbehelligt unter seinem richtigen Namen in Krefeld lebt, nicht nach Chile auszuweisen, wo ihn 2013 der Oberste Gerichtshof zu fünf Jahren verurteilt hat, sowie die einzelnen Beiträge unter:

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spielsweise Franz Josef Strauß, der spätere Vorsitzende der CSU, 1977 bei seiner Chilereise offenbar entgegen anderslautender Presseberichte offenbar nicht selbst die Colonia Dignidad, wohl aber andere Politiker aus seinem Tross. 30

6. SCHLUSSBETRACHTUNG Die Literatur- und Filmanalysen haben sehr unterschiedliche, aber, so meine aktuelle Einschätzung eines sehr viel breiteren Forschungskorpus, repräsentative Aneignungs- und Darstellungsmodi des Nationalsozialismus in Argentinien seit der Jahrtausendwende gezeigt. Der realistisch-ernsthafte, reflektierendmoralisierende Modus in Mónica Müllers Roman Mi papá alemán domininiert in Familiengeschichten, Zeugenromanen und Mémoires. Der absurd-groteske Darstellungsmodus, hier repräsentiert durch Daniel Guebels Drama Adiós mein Führer, findet sich auch in Comics, beispielsweise bei Sergio Langer, der ebenfalls einen jüdischen Hintergrund hat. Partikular erscheint mir hingegen die verstörende Gewaltdarstellung in dem realistisch-phantastisch modellierten Roman Auschwitz von Gustavo Nielsen. Der Bezug zwischen Nationalsozialismus und argentinischen Diktatur wiederum ist ein häufig anzutreffendes Merkmal und erscheint in dem hier analysierten Minikorpus ebenfalls in dem romantisch modellierten Film EL AMIGO ALEMÁN von Jeanine Meerapfel. Müller thematisiert den Schweigepakt und die kollektive Schuld, die auch im Bezug auf den Nationalsozialismus immer wieder auftauchen, wohingegen bei Meerapfel die Diktatur nur im Hintergrund eine Rolle spielt, ebenso wie die Nazi-Familiengeschichte des Nachbarsohns, die im Konflikt mit den jüdischen Nachbarn ein interessantes Sujet gewesen wäre, das zu entfalten Meerapfel aber versäumt hat. Der Dokumentarfilm von Judi Werthein über die Colonia Dignidad/Villa Baviera weist nur an zwei Stellen Bezüge zur Diktatur Pinochets auf, allerdings sind diese markant, da die DINA, der chilenische Geheimdienst, die Colonia Dignidad nachweislich als Folterzentrum genutzt hat. Da die Filmemacherin sich im Stil des Direct Cinema jedoch in eine sehr distanzierte Position begibt und derlei Zusammenhänge

https://www.sueddeutsche.de/thema/Colonia_Dignidad. Fiktional hat sich zuletzt Florian Gallenberger in seinem Spielfilm COLONIA DIGNIDAD (DE/F/L/GB 2015) mit der Rolle der deutschen Botschaft auseinandergesetzt: Am Ende des Films ist nicht nur ihre Zusammenarbeit mit Paul Schäfer evident, sondern die Botschaft beteiligt sich sogar aktiv dabei, geflüchtete Sektenmitglieder in die Colonia zurückzuführen! 30 Maier 2016: 120f.; siehe auch Erazo Heufelder 2013, wo ebenfalls auf die Unterstützung der Hanns-Seidel-Stiftung sowie der deutschen Botschaft hingewiesen wird.

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nicht erläutert, dürften nur vorinformierte Zuschauer in der Lage sein, diesen Bezug herzustellen.

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FILME EL AMIGO ALEMÁN (ARG 2012), Jeanine Meerapfel. SECURE PARADISE (IMMER WIEDER) (ARG/USA 2008), Judi Werthein. COLONIA DIGNIDAD (DE/F/L/GB 2015), Florian Gallenberger. CAUTIVA (ARG 2005), Gastón Biraben.

Das Thema des Nationalsozialismus in Prosawerken der mexikanischen Literatur der Gegenwart Adriana Haro-Luviano und Dietrich Rall

1. NATIONALSOZIALISMUS AUS MEXIKANISCHEN PERSPEKTIVEN IN DEN 30ER UND 40ER JAHREN DES 20. JAHRHUNDERTS In historischen Beschreibungen der politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Kontakte zwischen Mexiko und Deutschland werden oft die traditionell guten deutsch-mexikanischen Beziehungen hervorgehoben. Dabei kann nicht übersehen werden, dass im 20. Jahrhundert durch die beiden Weltkriege das deutschmexikanische Verhältnis von Krisen gezeichnet war. Der Historiker Friedrich Katz hat in seinem Werk The Secret War in Mexico (1982) und in anderen Darstellungen die Versuche deutscher Regierungen beschrieben, massiv auf die mexikanische Politik während der beiden Weltkriege Einfluss zu nehmen. Das deutsche Interesse am mexikanischen Erdöl und der Versuch, den Eingriff der USA in die Kriege zu verhindern oder zumindest durch die Eröffnung einer weiteren Front an der mexikanisch-amerikanischen Grenze zu stören, haben die Entwicklung des Verhältnisses geprägt. In einer Darstellung der Ereignisse in den 30er Jahren, mit dem Titel »La Conexión Alemana«, schrieb Friedrich Katz: Wir haben uns schon auf die deutschen Wunschvorstellungen bezogen, 1913 Mexiko in ein Protektorat zu verwandeln, und wir haben das Zimmermann-Telegramm kommentiert. Nun, genauso wie ihre wilhelminischen Vorgänger haben die Nazis in Mexiko einen geeigneten Ausgangspunkt für ihre Politik gesehen. Der Erdöl-Reichtum und die strategische Lage an der Südgrenze der Vereinigten Staaten, verbunden mit den Spannungen zwischen den USA und den mexikanischen Revolutionären, haben zunehmend Einfluss auf den

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deutschen Imperialismus gehabt, sowohl in der wilhelminischen Ära, als auch in der NaziEpoche. [...] Genau wie früher pendelte die deutsche Politik von einem Extrem zum anderen, von der Unterstützung der erbittertsten Gegner der Revolution bis zum Versuch, sich der Revolutionäre zu bedienen. In beiden Fällen zeichnete sich die deutsche Politik durch eine Mischung von Zynismus, Überschätzung der eigenen Kräfte und Unterschätzung der Fähigkeiten und der Entschlossenheit der mexikanischen Revolutionäre aus. (Katz 1984: 143) 1

Bis 1938 haben die Nationalsozialisten sich einerseits der revolutionären Regierung von Cárdenas und ihrer Unterstützung der Spanischen Republik widersetzt und andererseits enge Beziehungen zu den rechtsextremen und faschistischen Gruppierungen aufgenommen. Mit der Verstaatlichung der Erdölproduktion durch die Regierung Cárdenas 1938 und der Abkühlung der Wirtschaftsbeziehungen zwischen Mexiko, Großbritannien und den Vereinigten Staaten, kam es wieder zu einer Annäherung. Mitte 1938 unterzeichneten Mexiko und das HitlerRegime einen Vertrag zur Lieferung mexikanischen Erdöls an Deutschland (vgl. ebd.: 143-146). Sowohl in der Bevölkerung und in mexikanischen Regierungskreisen, als auch in einem Teil der ›Deutschen Kolonie‹ gab es Gruppen, die mit den Nationalsozialisten sympathisierten. An der Deutschen Schule in Mexiko z.B. wurden Verbände der Hitlerjugend gebildet, und mehrere Mexikaner deutscher Abstammung kollaborierten mit der deutschen Spionage, nahmen an Sabotage-Aktionen teil oder wurden ab 1939 Soldaten der deutschen Wehrmacht. Die nach der Ölverstaatlichung vom März 1938 als Folge angloamerikanischer Boykottmaßnahmen ausgeweiteten deutsch-mexikanischen Handelsbeziehungen waren von verstärkten Bemühungen nationalsozialistischer Einflussnahme begleitet; ihnen konnte innenpolitisch kaum wirksamer begegnet werden als durch die politische Aufklärungsarbeit einer deutschen Exilorganisation. (Pohle 1992: 33)

Schon zu Beginn der 30er Jahre waren deutsche politische Emigranten nach Mexiko gekommen. Zu den frühen Mexiko-Exilanten gehörte auch der Berliner Journalist Heinrich Gutmann, der als Funktionär des mexikanischen Schriftstellerverbandes eine bemerkenswerte Karriere machte und politische Verbindungen aufbaute, die bis zum Büro des Präsidenten reich-

1

Übersetzung von Dietrich Rall, in diesem und in allen Fällen, wenn nicht anders vermerkt.

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ten. Angeregt durch einen Mexiko-Besuch Ernst Tollers gründete er im Frühjahr 1938 mit wenigen Gleichgesinnten die Liga Pro-Cultura Alemana (Liga für deutsche Kultur), eine erste deutsche Exilorganisation in Mexiko. [...] In den ersten beiden Kriegsjahren wurde die Liga zum Sammelbecken der nun zahlreicher eintreffenden Exilierten, unter denen die Schriftsteller Ludwig Renn, Bodo Uhse und Gustav Regler waren. (ebd.: 32-33)

Mexiko zog nach dem Ersten Weltkrieg Schriftsteller aus vielen Ländern an, unter ihnen auch deutsche, wie B. Traven, Wilhelm Pferdekamp, Colin Ross, Wolfgang Cordan, Josef Maria Frank. Ihre Publikationen und ihre Sicht auf Mexiko bildeten ein buntes ideologisches Spektrum, das von B. Travens anarchischsozialistischem Engagement für die unterdrückten Indios über die Begeisterung von Pferdekamp und Cordan für die Mayakulturen bis zu den rassistischen Kommentaren von Frank und Ross reichten, der Mexiko den »Balkan Amerikas« nannte. Ab den dreißiger Jahren wurde das Spektrum von den verschiedenen ideologischen Positionen der Exilanten ergänzt, unter ihnen Anna Seghers, Egon Erwin Kisch, Bodo Uhse, Gustav Regler und Ludwig Renn, was oft zu großen Spannungen zwischen den Fraktionen führte. Wichtigster Grund dafür war der mit dem Hitler-Stalin-Pakt vom August und September ausgebrochene lähmende Konflikt zwischen Kommunisten und Nichtkommunisten. Erst die im Juli 1941 mit Hitlers Überfall auf die Sowjetunion eingeleitete Wende der weltpolitischen Situation führte zu einer allgemeinen Intensivierung der exilpolitischen Aktivitäten. (Pohle 1992: 33)

Und die veränderte weltpolitische Situation führte letztlich auch zu der Kriegserklärung Mexikos an Deutschland. Das Spannungsfeld verschiedenster Ideologien von Mexikanern, Einwanderern, Exilanten und Reisenden kommt auch in den Publikationen mexikanischer Schriftsteller und in den Werken von Frida Kahlo und anderen Malern, sowie in den murales von Diego Rivera, Clemente Orozco und David Alfaro Siqueiros zum Ausdruck, die sich mit dem Nationalsozialismus beschäftigt haben.

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2. ERINNERUNGSKULTUREN: MEXIKANISCHES EXIL, FASCHISMUS IN LATEINAMERIKA, NAZIS IN MEXIKO. PUBLIKATIONEN, TAGUNGEN, AUSSTELLUNGEN. BEISPIELE AUS DEN JAHREN 1976 BIS 2016 Aus der Menge der Publikationen über den Nationalsozialismus und seine Folgen in Mexiko – Exil, Kriegshandlungen, ideologische Auseinandersetzungen, persönliche Schicksale, Nachkriegszeit, Aufarbeitung, Forschung, kollektives Gedächtnis – können wir nur kurz einige wenige Beispiele kommentieren. Im Jahr 1976 wurde in Mexiko die erste Nummer der Zeitschrift Nueva Política publiziert, die dem Thema »El Fascismo en América« gewidmet war. In ihrem kurzen Vorstellungstext betonen die Herausgeber (unter ihnen der Politologe Víctor Flores Olea, der Soziologe Rodolfo Stavenhagen und der Philosoph Luis Villoro), dass »der Faschismus seit seiner Entstehung eine Trennungslinie darstelle, die unvereinbar zwei Bereiche des politischen Denkens und des politischen Handelns teile« (Nueva Política 1976: 1). Sie machten auch klar, dass die Publikation Teil einer Strategie der Warnung und der Verteidigung sei, um sich »gegen die Verbreitung von Gruppen und Regimes in Amerika zu stellen, welche die Autokratie, die Repression und den Terror als Fundamente der Gesellschaftsordnung einsetzten« (ebd.). Als Autoren der Kapitel »Perspectivas« (›Perspektiven‹), »Otras precisiones« (›Weitere Definitionen‹), »Fascismo e Imperialismo« (›Faschismus und Imperialismus‹) und »Arte y dictadura« (›Kunst und Diktatur‹) zeichneten u.a. Eduardo Galeano, Julio Cortázar, Darcy Ribeiro, Leopoldo Zea, José Revueltas, Régis Debray und Susan Sonntag. Seinen Beitrag »Algo más que un mal sueño« (›Etwas mehr als ein schlechter Traum‹), in dem er den Faschismus von Mussolini und Hitler mit der Ermordung von Allende in Chile in Verbindung bringt und mit dem Militarismus und den Diktaturen in Brasilien, Perú und Argentinien in den 70er Jahren, schließt der mexikanische Schriftsteller Eduardo Lizalde mit den Worten: Tatsache ist, dass sowohl in Europa, als auch in Amerika der Faschismus im Vormarsch ist. Und wenn die Vertreter der demokratischen Regierungen, die Anführer der extremen Linken und der Mann auf der Straße mit einem einigermaßen entwickelten Bewusstsein nicht etwas gemeinsam unternehmen, dann wird der schlechte Traum bald zur bleibenden Wirklichkeit. (Lizalde 1976: 31)

Für alle Autoren dieses Sammelbandes ist durchgehend die europäische Geschichte der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts der Bezugsrahmen, wenn sie den Faschismus in Italien, Spanien, Österreich und Deutschland – und weit darüber

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hinaus – mit der Entwicklung der lateinamerikanischen Diktaturen in der zweiten Jahrhunderthälfte in Verbindung bringen und in die kollektiven Erfahrungen einordnen wollen. Der Sammelband ist mit zahlreichen Dokumenten aus den Jahren des Nationalsozialismus illustriert. Weitere Bezugspunkte sind die Erfahrungen von 1968 und der Zusammenstoß der internationalen Studentenbewegungen mit vermeintlich demokratischen Regierungen, sowie der gerade zu Ende gehende 30-jährige Krieg in Indochina. Dort wollte ab den 40er Jahren zuerst die Kolonialmacht Frankreich, demokratisch gewählt, ihre imperialen Interessen durchsetzen und scheiterte dann 1954 in der provozierten Entscheidungsschlacht von Điện Biên Phủ. Ab den 60er Jahren hatten darauf die Vereinigten Staaten von Amerika, auch mit dem Nimbus eines demokratischen Landes und eines Vorbilds für die internationale Gemeinschaft versehen, Vietnam mit einem brutalen Angriffskrieg überzogen und dem Vietcong eine Materialschlacht geliefert, welche die Bombenteppiche des Zweiten Weltkriegs in den Schatten stellte. My Lai und die Namen anderer Dörfer und Städte stehen für Völkermord und ungesühnte Verletzung von Menschenrechten; dazu kamen Kriegsverbrechen wie der Einsatz des für Mensch und Natur tödlichen Vernichtungsmittels Agent Orange, an dessen genetischen Folgen in Form von Missbildungen viele Menschen in Vietnam bis heute leiden (vgl. dazu Rall 2018). Der mexikanische Philosoph Leopoldo Zea schrieb in dem Band El fascismo en América: Vom abhängigen Faschismus sprechen heißt einfach, vom nordamerikanischen Faschismus sprechen. […] Die Antwort Indochinas auf diesen Faschismus, wie auch die Antwort, welche die Völker geben, die unter der Härte des Faschismus in Lateinamerika leiden, führte dazu, dass diese Unmenschlichkeit explizit wird, und damit die Entwürdigung derjenigen, die diese Unmenschlichkeit möglich machen. Eine Herabsetzung, die, als sie von der US-Bevölkerung wahrgenommen wurde, zur moralischen Krise geführt hat, unter der dieses Land heutzutage leidet. (Zea 1976: 151)

Dass die Diskussion über Faschismus und Antifaschismus in Mexiko bis ins 21. Jahrhundert weitergeht, bewies auch die Ausstellung Dos miradas al fascismo: Diego Rivera y Carlos Monsiváis (›Zwei Blicke auf den Faschismus: Diego Rivera und Carlos Monsiváis‹), die vom August 2011 bis März 2012 in MexikoStadt gezeigt wurde. In der Einführung zu dem reich illustrierten Ausstellungskatalog erinnert Moisés Rosas, Direktor der Sammlungen des Schriftstellers und Chronisten Carlos Monsiváis, daran, dass der Nationalsozialismus in den dreißiger Jahren und bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs in Mexiko zu harten Auseinandersetzungen zwischen Anhängern und Gegnern der Nazis geführt hat:

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Eine Polemik, die beachtliche Teile der mexikanischen Bevölkerung erschütterte und gegeneinander aufbrachte: diejenigen, welche im Faschismus eine Alternative für Mexiko sahen, und solche, die gegen ihn waren. Ein tiefgreifender Kampf, der die Zukunft des Landes bestimmen sollte. Ein wenig bekanntes Thema, das von den jüngeren Generationen praktisch vergessen wurde. (Rosas 2011: 19)

Die Absicht der Ausstellung sei, den Reichtum der Sammlungen von Monsiváis zu zeigen und das Publikum an die Diskussionen jener Jahre zu erinnern; aber auch »daran zu erinnern, dass autoritäre und totalitäre Entscheidungen jederzeit wieder auftauchen können und dass sie nicht nur der Vergangenheit angehören« (ebd.: 20).

3. ECHOS DES NATIONALSOZIALISMUS IN WERKEN MEXIKANISCHER SCHRIFTSTELLER GEGEN ENDE DES 20. UND ANFANG DES 21. JAHRHUNDERTS Wie der japanische Angriff auf Pearl Harbor der entscheidende Auslöser für den Eintritt der Vereinigten Staaten in den Zweiten Weltkrieg war, so entschied das Torpedo eines deutschen U-Bootes den unversöhnlichen Disput zwischen mexikanischen Nazigegnern und Hitler-Sympathisanten und führte zur Kriegserklärung des Landes gegen die Achsenmächte: In der Nacht vom 13. auf den 14. Mai 1942 torpedierte das deutsche Unterseeboot U-564, mit Kapitänleutnant Reinhard Suhren als Kommandant, den unter mexikanischer Flagge fahrenden Öltanker Potrero del Llano, unweit vom Leuchtturm von Fowey Rocks, etwa 25 Seemeilen südlich von Miami. Vierzehn mexikanische Seeleute verloren ihr Leben, darunter der Kapitän des Tankers, Gabriel Cruz Díaz. 21 Seeleute überlebten und wurden von einem amerikanischen Küstenwachboot gerettet. Der mexikanische Politiker, Diplomat und Schriftsteller Mario Moya Palencia dokumentierte 1992 dieses militärische Ereignis mit politischen Folgen in seinem Buch 1942. ¡Mexicanos al grito de guerra! 2 (Palencia 1992). Es handelt sich um eine gut recherchierte Chronik der Ereignisse, die zum Untergang des Tankers Potrero del Llano führten und zu den politischen Folgen. Mario Moya Palencia recherchierte auch die Umstände, unter denen fünf weitere mexikani2

»Mexicanos al grito de guerra« ist die erste Zeile der mexikanischen Nationalhymne und ist im Deutschen wiedergegeben worden mit »Mexikaner zum Kriegsgeschrei« (in www.planet-mexico.com/land-leute/nationalhymne/) oder mit »Mexikaner beim Ruf zum Krieg« (in wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Himno_Nacional_Mexicano)

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sche Tanker im Jahr 1942 von insgesamt vier U-Booten versenkt wurden, und das weitere Schicksal der deutschen U-Boote und ihrer Besatzungen, die in mexikanischen und anderen Gewässern unterwegs gewesen waren. Moya Palencia führte in den 80er Jahren ausführliche Gespräche mit früheren Besatzungsmitgliedern der U-564 über die Ereignisse von 1942 und über ihre Erinnerungen und ihre Sicht auf die Vergangenheit und die Gegenwart. Er lernte auch die Position des inzwischen verstorbenen Kapitänleutnants Suhren kennen, der ein Jahr vor seinem Tod (1984) seine Sicht der Dinge beschrieben hat in Nasses Eichenlaub. Als Kommandant und F.d.U. im U-Boot-Krieg. In zahlreichen Begegnungen sammelte Moya Palencia Fakten und Meinungen, die er in seine Monographie integrierte: mit dem Ingenieur der U-564, inzwischen U-Boot-Bauer bei Blom & Voss, mit der Witwe von Reinhard Suhren und ihrer Tochter und mit in Seekriegsgeschichte spezialisierten Historikern in Stuttgart. Im Kapitel über »die Freundschaft zwischen Mexiko und Deutschland« verheimlicht Moya Palencia nicht seine Bewunderung für die Leistungen im Nachkriegsdeutschland, seine Genugtuung über die Wiedervereinigung, gibt aber auch seiner Besorgnis Ausdruck über aufkeimenden Neonazismus und »faschistoide und antisemitische« Gruppierungen in Europa. Insgesamt ein gelungener Beitrag aus der und zu der mexikanischen Erinnerungskultur. Kriegsepisoden, die Gräuel der Vernichtungslager, die Ideologie des Nationalsozialismus, die letzten Stunden Hitlers in seinem Bunker fanden auch Eingang in mexikanische Romane und Erzählungen; die Themen des Dritten Reichs drängen sich in Mexiko schnell auf, wenn über Deutschland und die Deutschen gesprochen und geschrieben wird. Zu den eindrucksvollsten Erzählungen gehört Morirás lejos, von José Emilio Pacheco (1967), ein Abgesang auf die Katastrophe des Nationalsozialismus und eine Anklage gegen Nazidiktatur und Judenverfolgung. Die Kapitel im Buch tragen vielsagende deutsche Titel, wie »Großaktion«, »Totenbuch«, »Götterdämmerung«, »Wir kapitulieren nie«. »Ein Heldenleben« (1983) ist eine Erzählung von Salvador Elizondo. Er hat die Deutsche Schule in Mexiko besucht, und die Erzählung hat diese Schule während des Dritten Reiches zum Schauplatz. Der Erzähler beschreibt das Schicksal eines Schülers russischer Abstammung, der in Folge des NichtAngriffspaktes zwischen Hitler und Stalin im Jahr 1939 zuerst von seinen Mitschülern apotheotisch auf den Schild gehoben wird. Der deutsche Überfall auf Russland im Jahr 1941 macht aber dann aus dem armen Sergio einen »widerlichen bolschewistischen Sklaven« (Elizondo 1983: 67), der nun von seinen Mitschülern drangsaliert, gepeinigt und diskriminiert wird. »Gunther Stapenhorst« ist eine Erzählung von Juan José Arreola über einen fiktiven Architekten im Dritten Reich, der mit seinen Entwürfen zur gigantischen

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Umgestaltung Berlins seine Zeitgenossen beeindruckt, unter ihnen Le Corbusier. Aber er spezialisiert sich auf den Bau von Theatern und arbeitet mit Max Reinhardt zusammen. Arreola breitet auf nur zehn Seiten seine beeindruckende literarische Bildung aus, in einer Erzählung die, 1946 erstmals publiziert, erst mit der Neuauflage von 2002 (posthum) in Mexiko wirklich rezipiert wurde. Stapenhorst gibt im Krieg seine künstlerischen Ambitionen auf, geht zur Kriegsmarine und gerät mit der Besatzung eines der U-Boote, die »die Weltmeere unsicher machten« (Arreola 2002: 32), vor der Küste Floridas in amerikanische Kriegsgefangenschaft. »Malebolge«, von Pablo Soler Frost (2001), ist eine Erzählung vom Aufwachsen, von der Erziehung und der Aufzucht im Dritten Reich. »Grenzgänger«, von Javier García-Galiano (1999), skizziert und vertuscht gleichzeitig die (Über)Lebensbedingungen des Briefträgers Günther Stahlbert und seiner Frau im zerstörten Berlin zwischen 1943 und 1945 und deutet das Zusammentreffen mit Juden auf der Flucht während des Nationalsozialismus an und mit einem desertierten Kämpfer der Roten Armee (vgl. auch Rall/Rall 2003: 262-266). Im Jahr 2016 hat La Colmena, die Zeitschrift der Autonomen Universität vom Estado de México, die Erzählung »Premonición« des mexikanischen Schriftstellers Jorge Luis Herrera publiziert. In dieser Erzählung geht es um eine traumatische Episode in der fiktiven Kindheit von Adolf Hitler. Seine Mutter, Klara Pölzl und ihr Liebhaber, Eduard Bloch, planen, den kleinen Adolf umzubringen. Klara will Eduard heiraten, und es gibt keinen Platz für das Kind in ihrem neuen Leben. Klara und Eduard bestimmen den Tag, an dem das Kind ermordet werden soll: Es wäre am Geburtstag von Alois H., dem ehemaligen Mann von Klara und Adolfs Vater. Alois sollte Adolf abholen, um zusammen den Zoo zu besuchen. Während das im Garten des Großelternhauses spielende Kind auf seinen Vater wartet, lässt Klara Musik auf dem Grammophon spielen. Weit und breit kann man Lohengrin, die romantische Oper von Richard Wagner, hören. Eduard verlässt das Haus und sucht den kleinen Adolf, der von ihm mit einem scharfen Messer hinterrücks angegriffen wird. Das Kind ruft um Hilfe, die Verwandten helfen ihm und Eduard ergreift die Flucht. Klara reagiert sehr ruhig und behauptet, sie sei völlig überrascht: Eduard habe seinen Sohn lieb. Im Krankenhaus wird Adolfs Leben gerettet. Die Ärzte ringen 66 Tage um sein Leben, aber seine Zukunft sieht jetzt ganz anders aus: Nach diesem schrecklichen Erlebnis ist sein Vater gestorben, und seine Mutter ist mit ihrem Liebhaber entkommen. Wegen einer Diskussion nimmt die Polizei ein paar Tage später Klara und Eduard in einem Hotel fest. Klara gibt zu, dass sie sich, als sie Adolfs Schreie hörte, froh gefühlt habe. Sie wollte frei sein und Eduard heiraten und ein

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neues Leben beginnen. Endlich sagt sie aus, dass sie mit Adolfs Tod die Menschheit vor einem ihrer schlimmsten Exemplare hätte retten können. In manchen dieser Fall-Beispiele meint man bei der Lektüre intertextuelle Beziehungen zu spüren zu der frühen und richtungsweisenden Erzählung von Jorge Luis Borges über den Untergang des ›Dritten Reiches‹: »Deutsches Requiem« in El Aleph (1957). Der Autor versuchte, die Psyche von Otto Dietrich zur Linde zu erfassen und zu entschlüsseln, ein Überzeugungstäter im Nazi-Regime, der in seiner Zelle auf die Vollstreckung seines Todesurteils wartet – standrechtliche Erschießung wegen Folterung und Mord – und sein Leben und seine ideologische Entwicklung resümiert. Die ›exemplarischen Novellen‹ über den Nationalsozialismus in der mexikanischen Literatur nach 1945 werden ergänzt durch mehrere Romane und Essays von Autoren, die zwischen 1984 und 2012 den Nationalsozialismus zu einem zentralen Thema ihrer Werke machten. Wir greifen exemplarisch Werke von drei Autoren heraus: José María Pérez Gay, Paco Ignacio Taibo II und Jorge Volpi. José María Pérez Gay (1943-2013) hätte es verdient, dass wir ihm allein einen Vortrag im Rahmen des Themas »Globalisierte Erinnerungskulturen« gewidmet hätten. Dieser mexikanische Schriftsteller hat nicht nur einige der wichtigsten in Mexiko erschienenen Bücher über die deutschsprachigen Länder geschrieben, darunter El Imperio perdido (1991) über die Literatur ÖsterreichUngarns und die Essay-Bände über die deutschsprachigen Kulturen: La supremacía de los abismos (2006) und La profecía de la memoria (2011), mit Kapiteln über den Bau und den Einsatz von Atombomben, über Auschwitz, Völkermorde, Globalisierung, sowie Porträts von Walter Benjamin und seiner Epoche, Martin Heidegger und Hannah Arendt, Jürgen Habermas und Peter Sloterdijk, W. G. Sebald, Sigmund Freud und die Psychoanalyse. José María Pérez Gay hat an der Freien Universität Berlin studiert und in Soziologie promoviert. Seine Erfahrungen in Deutschland und Daten aus der Erinnerungskultur Mexikos hat er in mehreren Romanen verarbeitet: La difícil costumbre de estar lejos (1984) spielt im Berlin der 20er und 30er Jahre und Tu nombre en el silencio (2000) in den 60er Jahren – in den Studienjahren des Autors und seiner deutschen und lateinamerikanischen KommilitonInnen in Berlin –, mit vielen flash-backs in die 30er und 40er Jahre, sowohl in Mexiko als auch in Europa. Ein anderer mexikanischer Schriftsteller, Paco Ignacio Taibo II, Journalist, Autor von Kriminalromanen, historischen Romanen und Biografien (z.B. von Che Guevara, 1996) ist ein Vielschreiber mit über 50 in zwei Dutzend Ländern publizierten Büchern und würde auch einen eigenen ausgearbeiteten Beitrag verdienen. In seinem Roman Retornamos como sombras (2001) lässt Taibo II viele

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Gestalten und Schatten wieder auferstehen, die die Geschichte – auch die mexikanische Geschichte – geprägt haben; besonders die Jahre 1941-1942, als Mexiko rechtslastig wurde, nach der Verstaatlichung der Erdölproduktion unter Lázaro Cárdenas, als der neue Präsident Miguel Alemán sich eine deutsche Geliebte hielt, Hilda Krüger, die von dem deutschen Geheimdienst auf mexikanische Politiker angesetzt worden war; als Alemán anfing, Geschäfte mit dem Naziregime zu machen, und als Mexiko 1942 Deutschland den Krieg erklärte als Antwort auf die Versenkung von sechs Öltankern durch deutsche U-Boote. Durch den Roman geistern ein versteckter, von deutschen U-Booten genutzter Perlen-Hafen am Golf von Mexiko und Ernest Hemingway, der von Havanna aus mit seiner Privatjacht Jagd auf eben diese U-Boote zu machen versuchte (zumindest im Roman von Taibo II). In einem Interview, das Paco Ignacio Taibo II im Jahr 2001 nach der Veröffentlichung dieses Romans gab, den er 15 Jahre geplant und an dem er über fünf Jahre gearbeitet hatte, erklärte er: Über Jahre habe ich eine Menge kleine Geschichten oder Geschichten über die Geschichte gefunden, die mir sehr attraktiv erschienen. Alle waren in einem Schrank, der schließlich überquoll: die Berichte der deutschen Botschaft in Mexico; die Spionage in den mexikanischen Medien, die verrückte Geschichte, dass Hitler sich intravenös Koffein gespritzt habe; das ganze Gerede über die Nazi-Esoterik; das Hilfsprogramm für die Juden unter Cárdenas und die Niederschrift von El luto humano durch José Revueltas; die Geschichte der Nazis in Chiapas und die deutschen Kaffeeplantagen im Soconusco. Geschichten, die es gibt und die ich über die Jahre hin gefunden habe. Viele von diesen Ereignissen fanden Jahre später statt, aber in dem Roman habe ich sie in den Jahren 1941-1942 zusammengefasst. (Espinosa 2001: 51)

Wir belassen es bei dieser Zusammenfassung und kommen zu dem letzten Roman-Autor, Jorge Volpi (1968-), den wir mit seinem Buch En busca de Klingsor (1999), vorstellen wollen, ein Roman über Physiker im Nationalsozialismus, die an der Entwicklung der Atombombe arbeiteten. En busca de Klingsor (wörtlich ›Auf der Suche nach Klingsor‹) 3 ist ohne Zweifel der dichteste und komplexeste literarische Text über Deutschland und den Nationalsozialismus in der mexikanischen Prosa des 20. Jahrhunderts. Es ist ein historischer Roman über berühmte Physiker des vergangenen Jahrhunderts – Einstein, Bohr, Planck, Schrödinger, Heisenberg –, ein Kriminalroman, ein interkulturelles und intertextuelles Gebilde, ein Drama mit vielen Verwicklungen,

3

Im Deutschen als Das Klingsor-Paradox erschienen (Volpi 2001).

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das mit ausgefeilten narrativen Techniken erzählt wird. Der Zeitraum des Romans umfasst beinahe das ganze 20. Jahrhundert und endet mit dem Datum des 10. November 1989, mit dem der Erzähler, Prof. Gustav Links, Mathematiker an der Universität Leipzig, das Vorwort signiert. Der Leser versteht, dass die Berliner Mauer gefallen ist und dass die Deutsche Demokratische Republik vor ihrer Auflösung steht. Für den Erzähler Links bedeutet das Datum das Ende von mehr als vierzig Jahren Gefängnis. Er wurde am Ende des 2. Weltkriegs an die Russen ausgeliefert unter dem Verdacht, identisch zu sein mit jener Vertrauensperson Hitlers, die unter dem Tarnnamen Klingsor die gesamte Forschung im Dritten Reich kontrollierte, einschließlich der Entwicklung der Atombombe. Jorge Volpi hat eine eindrucksvolle Anzahl von biographischen und historischen Quellen benutzt und gibt zu, dass ihm die Idee für den Roman bei der Lektüre von Gödel, Escher, Bach. An Eternal Golden Braid (1979) von Douglas Hofstadter kam. Und er benutzt, wie es der Buchtitel suggeriert, die Legende vom Heiligen Gral, um die Handlung zu strukturieren. Obwohl der Erzähler sich auf Chrétien de Troyes und Wolfram von Eschenbach bezieht, geht Volpi von Richard Wagners Parsifal und seinen möglichen Mehrfach-Lesarten aus. Der Roman hat drei Teile und jeder schließt mit der Zusammenfassung eines Aktes der Oper ab: Prof. Links erklärt damit dem tumben Leutnant Francis P. Bacon den Mythos vom Gral und was dieser mit der Geschichte zu tun hat, in die sie verstrickt sind. Klingsor ist die Inkarnation des Bösen und Gegenspieler von Amfortas, dem König des Grals, dahinsiechend, weil er den Verlockungen von Klingsor mit Hilfe von Kundry erlegen ist. Auf der Suche nach dem Wissenschaftler von höchstem Niveau, bekannt unter seinem Decknamen Klingsor, Berater des Wissenschaftsrats des Reiches, arbeiten Prof. Gustav Links und der nordamerikanische Leutnant Francis P. Bacon zusammen; in ihrem Rücken macht sich die hübsche Inge oder Irene zu schaffen, eine Spionin des russischen Geheimdienstes. Diese setzt sich schließlich durch und liefert Links den Russen aus; als willkommene Beute gewinnt sie dabei als Liebhaber den jungen amerikanischen Leutnant Bacon, der nie erfahren wird, ob sie ihn weiter ausspioniert. Auf diese Weise verwandeln sich Prof. Links und sein Doppelgänger Bacon in den kranken Amfortas. Aber wer ist Parsifal? Das törichte Deutschland? Und wer war Klingsor? In der Stimme von Bacon erklärt der Erzähler: »Ist es möglich, die Wahrheit zu erfahren [...]? Nein. Wir werden sie nie erfahren. Die Wahrheit existiert nicht. Alles ist ein Spiel [...]. Und es wird nicht gespielt, um zur Wahrheit zu gelangen, sondern um zu siegen« (Volpi 2001: 377). Jorge Volpi, der Autor, setzt seinerseits alle literarischen Mittel ein – nicht, um die Wahrheit herauszufinden, sondern um über den Zusammenhang zwischen Wissenschaft und Gewissen nachzudenken. Er spielt exemplarisch durch,

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welche entscheidende Rolle die Physik und die Physiker im Nationalsozialismus hatten, und benutzt dieses Modell zum Nachdenken über die Beziehung zwischen Forschung und Ethik. 4 Die zentrale Frage nach dem Verhältnis zwischen Forschung und Ethik zieht sich wie ein roter Faden durch den Roman. Der Autor stellt sie nicht nur mit Bezug auf die deutschen Physiker, die mit dem nationalsozialistischen System zusammengearbeitet haben. Auch eine der zentralen Figuren des Romans stellt sie sich, der amerikanische Physiker Francis Bacon, auf der Suche im Nachkriegsdeutschland nach den deutschen Physikern, die er seiner Regierung ausliefern soll: Bacon hatte dagegen gemischte Gefühle. Immer hatte er sich als Forscher verstanden, und seine jetzige Arbeit hatte aus ihm mehr einen Spion als einen Wissenschaftler gemacht. Statt auf der Jagd nach theoretischen Ergebnissen war er nur auf der Jagd nach Kollegen, die immer noch Wissenschaftler waren, auch wenn sie auf der Gegnerseite gekämpft hatten. (ebd.: 166)

Andererseits könnte man jeden der berühmten Physiker verdächtigen, der gesuchte »Klingsor« zu sein, Hitlers Mann in der physikalischen Forschung: »Auf einmal weisen alle großen Physiker das Programm eines Verbrechers auf. Jeder von ihnen könnte Klingsor sein« (ebd.: 272). Mit der Veröffentlichung seines Romans En busca de Klingsor vor fast 20 Jahren hat Jorge Volpi ein wichtiges Werk zum Thema Nationalsozialismus in der mexikanischen Literatur geschaffen. In einer Rezension darüber schrieb Carlos Fuentes, im Sommer 1999 sei En busca de Klingsor das meistgelesene Buch an den spanischen Stränden gewesen. Und Fuentes schloss seine Rezension mit folgender Voraussage: Jorge Volpi wird einer der Stars der spanischsprachigen Prosa des kommenden Jahrhunderts sein. Mit meinen 70 Jahren und einer langen literarischen Laufbahn hinter mir bin ich stolz und zufrieden, das Auftauchen von Jorge Volpi auf der Bühne der spanischsprachigen Literatur feiern zu können. Der Tod ist unausweichlich, das Fortbestehen des Lebens aber auch. (Fuentes 1999: 14 A)

4

Zusammenfassung auf der Grundlage von Rall/Rall 2003: 266-268.

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4. NATIONALSOZIALISMUS ALS KÖDER SENSATIONSGIERIGER LESER: PUBLIKATIONEN UND VERKAUFSSCHLAGER IN MEXIKO IM 21. JAHRHUNDERT Trotz des Erfolgs von Volpis En busca de Klingsor (seit 2017 auch als Taschenbuch erhältlich) und von Werken anderer namhafter mexikanischer Autoren über Themen des Nationalsozialismus sollte man sich nicht der Illusion hingeben, dass diese literarischen Kunstwerke die einzigen und wichtigsten Quellen sind, in denen sich die mexikanischen Leserinnen und Leser über den Nationalsozialismus informieren. Abgesehen von seriösen historischen, politologischen und sozialpsychologischen Untersuchungen über das Dritte Reich, abgesehen von für Mexiko relevanten Themen wie die Nazis in Mexiko (Cedillo 2010), die NaziSpionin Hilda Krüger in Mexiko (Cedillo 2016), der U-Boot-Krieg in Mexiko (Moya Palencia 1992) – alle aus der Feder von mexikanischen Autoren – gibt es auf dem mexikanischen Buchmarkt eine Menge von populärwissenschaftlichen und sensationslüsternen Publikationen. Die von den Nazis begangenen Verbrechen in Konzentrationslagern, bei der Judenverfolgung und der Verfolgung von Systemgegnern allgemein, die Experimente von Medizinern wie Josef Mengele, die Perversionen von Aufsichtspersonal in den Vernichtungslagern, die germanische Mythologie, Esoterik und die dunklen Kräfte, welche angeblich in und hinter der Ideologie des Nazismus wirkten, sind beliebte Themen. Die meisten dieser Bücher kommen aus anderen spanischsprachigen Ländern oder als Übersetzungen aus anderen Sprachen über den internationalen Buchmarkt nach Mexiko, und nicht wenige werden in Mexiko nachgedruckt. Die Titel dieser Publikationen, die Aufmachung des Buchumschlags, die benutzten Farben und Embleme zielen auf das schnelle und stereotype Wiedererkennen von Nazi-Symbolen. Diese Publikationen werden in Buchläden und Antiquariaten verkauft, vor allem aber in den Auslagen großer Einkaufszentren, in denen unter anderen Verkaufsschlagern auch solche Nazi-Bestseller angeboten werden. Kein Zweifel, dass einige literarischer Texte und Filme über das Grauen des Nationalsozialismus marktschreierisch benutzt werden und die Sensationsgier vieler Konsumenten bedienen. Auch in dieser Richtung könnte die Erforschung globalisierter Erinnerungskulturen weitergehen. Es gibt noch andere Desiderata in der Aufarbeitung von Darstellungen des Nationalsozialismus, des Holocausts und des Exils in peripheralisierten Literaturen. Das Exil deutschsprachiger Autorinnen und Autoren in Mexiko ist intensiv – wenn auch nicht erschöpfend – bearbeitet worden. Aber was in diesen Exiljahren von mexikanischen Denkern, Schriftstellern, Filmemachern, Künstlern, Poli-

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tikern über Nazi-Deutschland gesagt und geschrieben worden ist von Gegnern und Sympathisanten, könnte noch weiter – und systematisch – erforscht werden. In der Zusammenfassung der Ergebnisse seiner Dissertation über Deutsche Reiseliteratur über Mexiko im Nationalsozialismus schrieb Adrián Herrera Fuentes: Der Faschismus blieb in Lateinamerika nicht unbeachtet – und als Thema hat er bereits in Romanen der zeitgenössischen lateinamerikanischen Literatur (Volpi, Pacheco, Bolaños) fungiert. Obwohl Oliver Lubrich in mehreren Anthologien zeigte, dass NS-Deutschland durch die Feder vieler ausländischer Autoren dargestellt wurde, bleibt meiner Kenntnis nach noch die Frage, ob es spanischsprachige, lateinamerikanische Intellektuelle gab, die Deutschland in den 30er und 40er Jahren beschrieben, ohne Antwort. (Herrera Fuentes 2016: 263).

Es gibt sie aber, diese spanischsprachigen Intellektuellen: in Mexiko denken wir unter den Antifaschisten an Vicente Lombardo Toledano, Daniel Cosío Villegas, an José Revueltas, an die vielen Karikaturisten; unter den der Nazi-Ideologie nahe stehenden Intellektuellen findet man José Vasconcelos, den Maler Gerardo Murillo (Dr. Atl); und auch Politiker, wie der Ex-Präsident Plutarco Elías Calles.

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Efraín Huerta und José Revueltas Literatur und Antifaschismus in der Zeitung El Popular (1939-1943) 1 Sergio Ugalde Quintana

1. EL POPULAR ALS BÜHNE DER WELTLITERATUR Um über die künstlerische Dynamik der 1930er und 1940er Jahre in Mexiko zu sprechen, berufen sich Literaturhistoriker häufig auf die bekanntesten Zeitschriften jener Zeit: Contemporáneos, El Hijo Pródigo, Taller, Taller Poético, Ruta. Diese Publikationen bieten eine umfangreiche Dokumentationsgrundlage, welche die Rekonstruktion von Projekten, Diskussionen, Polemiken oder ästhetischen Kontroversen ermöglicht. Einige Forscher*innen haben sich weiter vorgewagt und auch in Tageszeitungen der Epoche mit größerer Verbreitung den Diskussionen des literarischen Felds nachgespürt, beispielsweise in den Zeitungen El Nacional oder El Universal. 2 Dennoch gibt es innerhalb dieses Universums einige Publikationen, die in Gänze vergessen geblieben sind. Dazu zählt auch die Zeitung El Popular. Diese von Vicente Lombardo Toledano gegründete Tageszeitung war das wichtigste Publikationsorgan zur Information und Verbreitung der gewerkschaftlichen Bewegung in Mexiko. Sie entstand in einer besonders ergreifenden Zeit: Die erste Nummer erschien im Juni 1938, inmitten der unruhigen Jahre des Cardenismo und der Dämmerung des Zweiten Weltkriegs. Mit dem Ziel, den

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Aus dem Spanischen übersetzt von Antje Dreyer. In México en 1932. La polémica nacionalista versammelt und transkribiert Sheridan (2000) die Texte, die im Kontext jener Debatte in den Tageszeitungen El Universal, El Nacional und Excélsior erschienen sind.

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durch Zeitungen wie Novedades, El Universal oder Excélsior verbreiteten Informationen entgegenzuwirken, genoss El Popular die Sympathie und Unterstützung einer beachtlichen Zahl von Intellektuellen und Schriftstellern der Zeit. Trotz der konstanten und breiten Beteiligung bedeutsamer Autoren ist die Zeitung jedoch von der Literaturgeschichte und -politik Mexikos bisher gänzlich unbeachtet geblieben. 3 In El Popular veröffentlichten herausragende Persönlichkeiten der mexikanischen, lateinamerikanischen und europäischen Literaturen. Zahlreiche junge Schriftsteller kollaborierten hier, und obschon sie zu jener Zeit wenig bekannt waren, sollten sie später die mexikanische Literaturlandschaft maßgeblich prägen. Häufig finden sich beispielsweise Essays, Chroniken oder Artikel von damals jungen Autoren wie Octavio Paz, Alberto Quintero Álvarez, Neftalí Beltrán oder Andrés Henestrosa. Auf den Seiten von El Popular erschienen außerdem Texte südamerikanischer und europäischer Autoren, die, verfolgt von autoritären Regimes, in jenen Momenten im mexikanischen Exil lebten. Dies war der Fall des Chilenen Pablo Neruda, der geflüchteten Spanier León Felipe, Rafael Alberti, Juan Rejano und José Bergamín, sowie der deutschen Antifaschisten Anna Seghers, Ludwig Renn und Bruno Frei. Die komplexen historischen Bedingungen begünstigten, dass El Popular zum Ende der dreißiger und Beginn der vierziger Jahre auf eine dynamische Konstellation aus durch und durch internationalen Mitarbeitern zählen konnte. In diesem Sinne bezeugt diese Tageszeitung ein fast vergessenes Kapitel der literarischen Weltrepublik: das des amerikanischen und europäischen Exils der Antifaschisten in Mexiko. Dieser allgemeinen Publikationsdynamik ist ein weiterer Aspekt hinzuzufügen. Ein Großteil der Beiträge in El Popular war anonym. Zwischen 1938 und 1944 erschienen regelmäßig etwa zehn Kolumnen im Bereich des Editorials, die nicht unterzeichnet waren. Verantwortlich waren dafür die Redakteure der Tageszeitung. Einige stechen aufgrund der Schönheit ihrer Prosa oder der intellektuellen Dichte ihrer Diskussionen hervor. In diesem Artikel beschränke ich mich auf zwei Kolumnen: »El hombre de la esquina« (›Der Mann auf der Straße‹) und »La marea de los días« (›Die Gezeiten der Tage‹). In diesen finden sich auf besonders herausragende Weise Indizien für eine erste Repräsentation des historischen Faschismus in der mexikanischen Literatur und Presse.

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Die einzige monographische Arbeit zu dieser Tageszeitung ist bis zu diesem Moment das Buch von Juan Campos Vega (2011).

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2. DIE KOLUMNE »LA MAREA DE LOS DÍAS« Am 30. August 1941 fanden die Leser der Zeitung El Popular beim Öffnen des Blatts eine neue anonyme Kolumne vor, die den suggestiven Titel »La marea de los días« trug. Der Autor jener Zeilen war ein junger, 27-jähriger Schriftsteller, der zwei Jahre zuvor im Juli 1939 seine Mitarbeit in der Zeitung begonnen hatte. Die zahlreichen Veröffentlichungen von José Revueltas in diesem Journal sind in der Forschung bis dato praktisch unbeachtet geblieben. In El Popular publizierte Revueltas in großer Zahl Texte über Maler, Schriftsteller und Politiker der Zeit; außerdem druckte er dort einige seiner Erzählungen. Alle diese Texte waren von ihm unterzeichnet. Aus welchem Grund sich Revueltas entschloss, die Kolumne »La marea de los días« hingegen anonym zu belassen und sie auch nicht in seine gesammelten Werke aufzunehmen, bleibt bis heute ein Rätsel. Vielleicht spielen einige seiner politischen Kommentare, allen voran bezüglich Trotzki – der im August 1940 ermordet wurde –, eine wichtige Rolle in diesem Schweigen. Um aber bei den Tatsachen zu bleiben: Viele der Arbeiten, die Revueltas in El Popular veröffentlichte, und insbesondere diese Kolumne sind praktisch unbekannt. Trotzdem beherbergt »La marea de los días«, die zwischen August 1941 und Dezember 1942 erschien, Texte großen Reichtums, die Aufschluss über die intellektuellen Bande, die politischen Debatten und den ästhetischen Prozess seines Werks in jener Zeit geben. 4 Die Gedanken, die der Schriftsteller an jener Stelle ausbreitet, bilden die Komplexität der mexikanischen Gegenwart ab. Die eifrigen Jahre des Cardenismo sind gerade vorüber, das Regime von Manuel Ávila Camacho steht in seinen Anfängen. Es sind unruhige Zeiten. Die Stimmung im Lande ist durch politische Umbrüche angespannt. Auf den Seiten von »La marea de los días« werden die Hauptakteure der Zeit mal hier, mal dort aufgegriffen: die rechte Partei Partido Acción Nacional und ihr Gründer Manuel Gómez Morín, die anarchistische Bewegung, die »unabhängige« Presse. Neben der sich im Umbruch befindenden nationalen Lage findet auf den Seiten von »La marea de los días« eine Analyse des internationalen Horizonts statt. Die heftigen Auseinandersetzungen in Mexiko decken sich mit den weltweiten Dynamiken, wie Revueltas im Eintrag vom 27. September 1941 schließlich versichert: »nie zuvor war das nationale Leben enger an das internationale gebunden; politische Beziehungen und

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Die Gesamtheit dieser Beiträge wurde 2018 in einer von Antonio Cajero Vázquez und Sergio Ugalde Quintana herausgegebenen Sammlung veröffentlicht (vgl. Revueltas 2018). Die obigen Erörterungen zu Revuelts basieren auf Überlegungen, die Cajero und ich in der Einleitung zu dieser Veröffentlichung entwickelt haben.

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Verhältnisse jeglicher Art sind in derartiger Weise nah zwischen den Völkern, dass das Konzept der ›Insel‹ aus der Politik verschwunden ist« (»nunca ha estado más ligada la vida nacional a la internacional; las relaciones políticas y de todo orden son de tal modo estrechas entre los pueblos que el concepto de ›isla‹ ha desaparecido de la política«) (Revueltas 2018: 60). Mexiko darf daher nicht als ein isoliertes Phänomen wahrgenommen werden. In diesem Sinne prägen die Geschehnisse des Zweiten Weltkriegs grundlegend eine Vielzahl von Beiträgen der Kolumne. Ein Phänomen erregt im Besonderen die Aufmerksamkeit von Revueltas: der Aufstieg des Nationalsozialismus. Der Hauptteil der zwischen August 1941 und März 1942 publizierten Texte kommentiert, analysiert und kritisiert die Grundannahmen der Nazi-Ideologie. Dahingehend kann die Kolumne »La marea de los días« als einer der ersten journalistischen und literarischen Räume verstanden werden, in dem sich die Repräsentation des Nationalsozialismus in der mexikanischen Kultur durchgesetzt hat. In jenen Zeiten den nationalsozialistischen Diskurs offenzulegen, hatte ein wichtiges und besonderes Ziel: In den großen, national verbreiteten Tageszeitungen konnte man häufig Texte finden, die mit den faschistischen Idealen der Nazis sympathisierten. Der Almanach des Jahres 1938 der Zeitung Excélsior, beispielsweise, widmete sich in Gänze den ›Wohltaten‹ des Regimes von Adolf Hitler. 5 El Popular hingegen hatte sich das Ziel gesetzt, eine kritische Vision der Ereignisse in Deutschland zu präsentieren. Auf der Grundlage von privilegierten Quellen untersuchte Revueltas den nationalsozialistischen Diskurs. Sein Fazit ist zugleich aufschlussreich wie erschütternd. Er hob die Vorstellungen zum Blut, zur Gewalt und zur Bildung mithilfe

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In den journalistischen Einschüben, die jene Publikation ankündigen, wird versichert: »Und der Nationalsozialismus hat Deutschland gerettet; und Hitler, der Führer, der Erschaffer des Dritten Reichs, hat erreicht, dass sein Vaterland erneut einen Platz unter der Sonne findet. Almanaque Excélsior wird 1938 einen Beitrag dem Deutschland von heute widmen, in dem sich ein reales Abbild dessen zeigt, was der Nationalsozialismus in diesem großen Land geleistet hat. Die Mexikaner sollten es lesen, nicht um zum Nationalsozialismus zu konvertieren, sondern um die von Feinden Deutschlands verbreiteten Fehlinformationen zu entkräften« (»Y el nazismo ha salvado a Alemania: y Hitler, el Führer, el creador del Tercer Reich, ha hecho que su patria ocupe nuevamente su lugar bajo el sol. El Almanaque Excélsior para 1938 dedica un trabajo a la Alemania de hoy, en el cual se ofrece un cuadro real de lo que ha hecho en ese gran país el nacionalsocialismo. Los mexicanos deben leerlo, no para convertirse al nazismo, sino para desvirtuar los errores propalados por los enemigos de Alemania«) (o.A. 1937: 5).

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sehr präziser Dokumente hervor: Er glossierte deutsche Zeitungen, er kommentierte Fragmente aus Lehrbüchern für die Grundschule, er analysierte Lieder und Gedichte, die Hitler vergötterten und genutzt wurden, um die Jugend zu indoktrinieren. Revueltas nutzte für seine Kolumne letztlich Texte mit Informationen aus erster Hand. Sogleich stellen sich die Fragen: Woher nahm er diese Daten? Wer ließ sie ihm zukommen? Wie konnte er zu solchen Dokumenten Zugang haben, die zu jenem Zeitpunkt in Mexiko kaum bekannt waren? Ein Eintrag in »La marea de los días« vom 3. September 1941 kann dabei helfen, diese Fragen aufzuklären: »Obwohl wir nicht die gesamte Reichweite der neuen nationalsozialistischen Ordnung kennen, liegen uns einige Texte aus der Hand einer deutschen Quelle vor, die uns einen – wenn auch schwachen und verworrenen – Eindruck ermöglichen« (»Aunque no conocemos el alcance total del Nuevo Orden nazi, tenemos algunos textos a la mano de fuente germana que nos permiten alguna luz, bien que débil y confusa«) (Revueltas 2018: 41). Aus diesen Zeilen geht hervor, dass Revueltas eine direkte Beziehung zu antifaschistischen Quellen in Deutschland aufgebaut hatte, was schließlich eine naheliegende Erklärung für die Herkunft der Daten ist. In den Jahren von 1939 bis 1941 versammelte sich in Mexiko-Stadt bekanntermaßen eine große Gruppe von deutschen antifaschistischen Schriftstellern, die im Untergrund an Widerstandsbewegungen gegen Hitler teilhatten. Zwei Schlüsselfiguren ermöglichten ihnen den Weg nach Mexiko: Gilberto Bosques und Vicente Lombardo Toledano. Es ist sehr wahrscheinlich, dass ein Teil der Informationen über das Nazi-Regime, das Revueltas in seiner Kolumne anprangerte, aus Dokumenten stammte, die ihm durch Mitglieder der Bewegung Freies Deutschland zugespielt wurden. Zahlreiche Zeugnisse beweisen, dass der mexikanische Schriftsteller während dieser Zeit den Kern der antifaschistischen ExilDeutschen kannte und mit ihnen zusammenlebte. Am 23. Mai 1943 publizierte Revueltas in El Popular zum Beispiel einen Text zur Verteidigung Ludwig Renns. Der Grund: Tage zuvor hatte die Zeitung El Universal den deutschen Intellektuellen bezichtigt, ein Nazi-Spion zu sein (o.A. 1943). Revueltas widerlegte diese Nachricht und erzählte die persönliche Geschichte von Renn. Er berichtete davon, dass er ihn in Mexiko-Stadt im Hause Pablo Nerudas kennenlernte; er erinnerte daran, dass Renn sich im spanischen Bürgerkrieg in Diensten des Bataillons Thälmann beteiligte, dass er einer der Vorsitzenden des Bunds proletarischrevolutionärer Schriftsteller in Berlin war und dass er zu jenem Zeitpunkt gemeinsam mit der »großartigen Schriftstellerin Anna Seghers« Teil der Bewegung Freies Deutschland war (Revueltas 1943: 7). Dieser Text ist ein Zeugnis davon, wie nah der Mexikaner der Gruppe war. Die Bande können sich jedoch auch durch einen weiteren Grund intensiviert haben: Ab dem Juli 1942, kurz nach der

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Gründung der Zeitschrift Freies Deutschland, wurde in El Popular ein neuer wöchentlicher Teil mit dem Titel »Mártires de Alemania Libre« (›Märtyrer des Freien Deutschlands‹) gedruckt. Verantwortlich dafür waren Bruno Frei, Alexander Abusch und Ludwig Renn. Bedenkt man die konstante Beteiligung von Revueltas im gesamten Jahr 1942 auf den Seiten des Editorials der Zeitung, erscheint es sehr unwahrscheinlich, wenn der Autor von »La marea de los días« keinen regelmäßigen Austausch mit all ihnen gehabt hätte. Es ist daher nicht abwegig, anzunehmen, dass das diskursive Universum des Antifaschismus in Revueltas in all diesen Jahren mit den Diskussionen und bereitgestellten Informationen der Bewegung Freies Deutschland im Dialog stand. Dies ist direkt der Kolumne des mexikanischen Schriftstellers zu entnehmen. Zunächst zieht darin die durchgängige Charakterisierung der Nazi-Ideologie die Aufmerksamkeit auf sich. Zwei Elemente stechen besonders hervor: einerseits die rassistische und gewalttätige Pädagogik des Hitler-Regimes; andererseits die Bestrebungen des Nationalsozialismus, sich mithilfe einer barbarischen Mythologie zu einer neuen Religion zu erheben. In dem Eintrag vom 25. Oktober 1941 behauptete Revueltas, dass das nationalsozialistische Regime eine Blutsreligion zu erschaffen versuchte, deren finales Ziel es war, einen Todeskult zu befeuern. Dazu zitiert er Fragmente aus dem Buch von Alfred Rosenberg, Der Mythus des 20. Jahrhunderts, in dem der frenetische Ideologe Hitlers versicherte, die Verehrung der nordischen Lebenskräfte wäre das Leitprinzip der neuen deutschen Kirche. Die durch den Nationalsozialismus vorangetriebene und auf der Grundlage der Konzepte von Rasse, Blut und Boden basierende Mythologie der Gewalt zirkulierte in den deutschen Zeitungen der Zeit. Revueltas zitierte Abschnitte aus der Zeitschrift Durchbruch, die in Stuttgart im Jahr 1936 erschien. In dieser Publikation behauptete man, der Nationalsozialismus sei eine Bewegung des Glaubens. Deutschland hat eine neue Religion hervorgebracht. Vier Tage später erläutert Revueltas die Prinzipien der Nazi-Erziehung. Er wies darauf hin, dass ihre zentrale pädagogische Stütze in der rassischen Konzeption der Welt läge. Aus dieser würde das Ideal der arischen Vorherrschaft abgeleitet. Er kommentierte anschließend Fragmente der ersten Ausgabe von Hitlers Mein Kampf. Im darauffolgenden Beitrag behandelte Revueltas das Ziel und den Zweck der Pädagogik Hitlers. Die Erziehung unter dem Nazi-Regime hatte ein zentrales Ziel: die Herausbildung des Soldatenbewusstseins. Der Junge wurde von den Klassenzimmern aus erzogen, um Waffen zu bedienen und gehorsam zu sein. Der Plan: einen Soldaten zu schaffen, der den Tod verehrte. In diesen Passagen glossierte Revueltas Bücher und Artikel namhafter Nazi-Pädagogen. Dort äußerte sich der Mexikaner (1. November 1941):

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All dies ist mit einer absolut lächerlichen, pseudo-heroischen und pseudo-heidnischen Terminologie verwoben. Der Junge wird nicht Bürger genannt, sondern Träger der Rasse. Und die gesamte Erziehung reduziert sich darauf, den Träger der Rasse in einen Träger von Waffen zu verwandeln. Das heißt, in einen Träger des Todes. Todo esto está mezclado con la más ridícula terminología, pseudoheroica y pseudopagana. El joven no es llamado ciudadano, sino portador de la Raza. Y toda la educación se reduce a convertir al Portador de la Raza en Portador de Armas. Es decir, en portador de la Muerte. (Revueltas 2018: 90)

Die Blutsreligion, der Todeskult, die rassische Erziehung: all dies begründete die ideologische Struktur des Hitler-Regimes. Diese Prämissen tragen zur Gestaltung solch eines menschenzerstörenden Ethos bei; mit ihnen wurde die Ordnung einer neuen Kirche hergestellt. Gegenüber diesem menschenverachtenden Kult hielt Revueltas an der Notwendigkeit fest, eine Kirche ins Leben zu rufen, die den Menschen verehrte. Die in der Kolumne geschilderten ideologischen und erzieherischen Praktiken ließen eine einzige Schlussfolgerung zu: Deutschland lebte in einer Diktatur der Verwirrung und Dunkelheit. Das Land ist zerstört worden. Ein düsterer Kult regierte über ihm. Eines der vielleicht prägnantesten Bilder, das Revueltas in »La marea de los días« hinterließ, findet sich in einem Text, der an die Bücherverbrennungen durch die Nazis im Mai 1933 erinnert: Die braune, gierige, ungezügelte Masse jault vor Vergnügen […]. Wir sehen, wie jeder von den dort Versammelten die größtmögliche Zahl an Büchern an sich nimmt und gleich auf die Straße geht. Wohin? […] [Z]u dem öffentlichen Platz, wo bereits eine dichte und blutrünstige Menge wartet. ›Wir‹ sagt der Anführer ›wollen durch einen Scheiterhaufen die Erde erglühen lassen‹. Ein Berg von Büchern erhebt sich in der Mitte und kurz darauf ist dieser von flackerndem Feuer bedeckt. […] Es ist ein Feuer, in dessen Flammen die erschütternde Dunkelheit keimt. Schon diese Nacht im Mai ist undurchdringlich geworden, wir sind blind, können nichts in unserer Umgebung erkennen. Wo sind wir? Ja, ein Buch ist ein kleines Ding. Aber niemand kann es jemals zerstören. Es bleibt ewig; Bruder, Vater, Mutter des Menschen. La multitud parda, ebria, lúbrica, desenfrenada, aúlla de placer […]. Miremos cómo cada uno de los ahí reunidos toma sobre sí el mayor número de libros para salir luego a la calle. ¿A dónde? […] a la plaza pública donde ya una multitud espesa y sangrienta, espera. ›Haremos –dice el jefe– una hoguera que ilumine la tierra‹. Una montaña de libros se eleva a la mitad y a poco llamaradas inmensas cubren todo. […] Es un fuego de cuyas llamas brota desoladora obscuridad. Ya la noche de mayo se ha hecho impenetrable,

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estamos ciegos, sin poder advertir nada en nuestro rededor. ¿Dónde estamos? Sí, un libro es poca cosa. Pero nadie jamás podrá destruirlo. Es eterno; hermano, padre, madre del hombre. (Revueltas 2018: 194)

An jenem Tag, an dem dieser Beitrag erschien, dem 9. Mai 1942, versammelten sich die Mitglieder der Bewegung Freies Deutschland im Palast Bellas Artes von Mexiko-Stadt und gründeten offiziell mit der Unterstützung des ehemaligen Direktors der Universidad Nacional, Antonio Castro Leal, den Verlag El Libro Libre (›Das freie Buch‹). Die Gleichzeitigkeit der Kolumne mit dem Ereignis lässt keine Zweifel zu: Revueltas erarbeitete seinen Diskurs im Einklang mit den antifaschistischen Aktivitäten dieser Exil-Bürger. Diese politischen und ethischen Reflexionen über den Nationalsozialismus sind im literarischen Werk von José Revueltas aus einem einfachen Grund von Bedeutung. Genau zu dieser Zeit schrieb der mexikanische Autor seinen zweiten Roman. Zwischen Dezember 1941 und August 1942, inmitten der Verfassung der Kolumne »La marea de los días« und inmitten eines tiefgehenden antifaschistischen Umfelds, verfasste José Revueltas El luto humano (›Menschentrauer‹). Dieses Werk kann durchaus als Vorläufer des neuen mexikanischen Romans klassifiziert werden. Darin entfaltete Revueltas eine ungewöhnliche Erzähltechnik, ein »Zwischending von Poesie, Essay und Roman« (»a caballo entre la poesía, el ensayo y la novela«), indem er »biblische, pamphletähnliche und historische« (»bíblicos, panfletarios e históricos«) Diskurse mit »klarem Bewusstsein über ihren innovativen Charakter« (»clara conciencia de su carácter renovador«) mischte (Cajero Vázquez 2014: XXXI). Das im Januar 1943 veröffentlichte Werk weckte unmittelbares Interesse. Die Jury des zweiten literarischen Wettbewerbs Lateinamerikas, zusammengestellt durch den Verlag Farrar & Rinehart aus New York, zeichnete den Roman als bestes fiktionales Werk aus. Kurz darauf wählten auch die Buchhändler und Verleger Mexikos den Roman zum besten des Jahres. Bodo Uhse rezensierte ihn in der Zeitschrift Freies Deutschland (vgl. Uhse 1943). Einige der im Rahmen seiner anonymen Kolumne in El Popular publizierten Texte sind bedeutsam, da sie Fragmente und Passagen des Romans ankündigen. So entwickelte Revueltas im Beitrag vom Montag, 2. März 1942 eine Allegorie des primitiven Christentums; er behauptete, dass dieses in seinen Anfängen »eine wandernde, unbeschuhte Kirche von Tischlern und Fischern« (»una Iglesia transhumante y descalza, de carpinteros y pescadores«) war (Revueltas 2018: 143). Mit der Zeit wandelte sich diese menschliche und arme Kirche zu einer Institution der Hierarchien und Mächte. Daraus entstand schließlich eine Reflexion über die Notwendigkeit der menschlichen Suche nach einem religiösen Sinn:

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[Die Menschen] setzten ihren Weg fort auf der Suche nach demjenigen, der gekreuzigt wurde. Denn das Volk ist nicht gestorben […]. Mit edelmütigen Druckern […], mit rebellierenden Webern, mit Philosophen aus der Fabrik hat sich [das Volk] seinen Tempel errichtet, seine nicht erbaute Kirche […]. Das ist die Kirche des Menschen, eines besiegten, besiegenden, fallenden und wiederaufstehenden Menschen. [Diese Kirche ist durch] die Kirche der Leugnenden und Vernichtenden, [durch] die Kirche Hitlers bedroht [worden]. Denn [das Wort] Religiosität stammt – und nicht umsonst – von dem antiken und tiefsinnigen lateinischen Wort re-ligare, sich anbinden, mit der Erde leben. [Los hombres] han continuado, empero, su caminar, buscando aquello que fue crucificado. Porque el pueblo no ha muerto […]. Con impresores generosos […]; con tejedores rebeldes; con filósofos de la fábrica, [el pueblo] ha ido formando su templo, su iglesia sin construir […]. Es la iglesia del hombre, vencido, vencedor, cayendo y levantándose. [Esa iglesia ha sido] amenazada [por la] Iglesia de los negadores y aniquiladores, [por] la Iglesia de Hitler. Porque [la palabra] religiosidad, y no en vano, viene de la antigua y profunda palabra latina: re-ligare, religarse, vivir con la tierra. (Revueltas 2018: 145)

In einem Prozess der réécriture wird diese Passage aus »La marea de los días« in den Roman El luto humano auf folgende Weise überführt: Jene beiden wandernden Menschen waren seine Kirche; eine Kirche ohne Glaube und Religion, aber eine tiefgründige und religiöse Kirche. Das Religiöse hatte für seine Kirche einen direkten und wörtlichen Sinn: re-ligare, anbinden, festbinden, wieder werden, zurückkehren zum Ursprung oder an einem Ziel ankommen; obwohl tragisch dabei war, dass Ursprung und Ziel bereits verloren waren oder sich nicht mehr finden würden, und die beiden Wanderer, die drei Wanderer […] nichts weiter als eine Berufung und eine Bemühung ohne wirkliches Ziel waren. Aquellos dos hombres caminando, eran su iglesia; iglesia sin fe y sin religión, pero iglesia profunda y religiosa. Lo religioso tenía para su iglesia un sentido estricto y literal: re ligare, ligarse, atarse, volver a ser, regresar al origen o arribar a un destino; aunque lo trágico era que origen y destino habíanse perdido, no se encontraban ya, y los dos hombres caminando, los tres hombres caminando […], eran tan sólo una vocación y un esfuerzo sin meta verdadera. (Revueltas 2014: 27-28)

Wird das journalistische Fragment der Kolumne mit der Passage aus dem Roman verglichen, entstehen aufschlussreiche Beziehungen. In beiden Schriften beschreibt Revueltas eine andauernde Verzweiflung des Menschen. In »La marea de los días« geht es um das Ethos der Zerstörung des Menschen, welches der Na-

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tionalsozialismus verkörpert; im Roman herrscht die kosmische Verlassenheit des Menschenwesens vor, das von Gewalt durchfahren ist. Essay und Fiktion ergänzen sich. Die Überlegungen des Schriftstellers, die er in seiner journalistischen Kolumne ausdrückt, finden Eingang in der ästhetischen Umsetzung seines Romans. Die Repräsentation und Diskussion über den Nationalsozialismus in seiner Kolumne erscheint schließlich wie ein Substrat der Romanerzählung.

3. DIE KOLUMNE »EL HOMBRE DE LA ESQUINA« Am Mittwoch, 4. Oktober 1939, kurz nach Beginn der Nazi-Offensive gegen Polen, erschien erstmals der Beitrag »El hombre de la esquina« – im Bereich des Editorials der Zeitung El Popular und ohne Unterschrift. Nur wenige Leser vermuteten, dass der junge Autor dieser Seiten im Titel der Kolumne die Initialen seines eigenen Namens verbarg: Efraín Huerta war der Verantwortliche jener Zeilen. Im Einklang mit der Wahrnehmung von Angst und Unsicherheit jenes Moments begann der junge, 25-jährige Huerta – genau wie sein Freund José Revueltas – in dieser Kolumne seine Eindrücke über die die Welt um ihn herum zu veröffentlichen. Auf diesen Seiten machte sich eine unerschütterliche ethische Verpflichtung erkennbar: Angesichts der faschistischen Bedrohung aus Europa sowie der durch die Medien verbreiteten Lügen der mexikanischen Reaktionäre bezog »El hombre de la esquina« Stellung und behauptete seine Position »in den entscheidenden Zeiten jener moralischen, psychologischen und ästhetischen Neudefinierung« (»en momentos culminantes para la definición moral, psicológica y estética«), die die Gegenwart einforderte (Huerta 1939). Der abgehärtete und mutige Ton, den alle Beiträge teilten, soll daher nicht verwundern. In den knapp fünf Jahren des Erscheinens dieser Kolumne (von Oktober 1939 bis März 1944) können die erschütternden Ereignisse der Zeit verfolgt werden. Aus all den Fragen, die in den um die tausend Beiträgen Huertas in El Popular gestellt werden, beschränke ich mich auf eine einzige: die nach der geforderten Antwort der Poesie auf die Ereignisse der Zeit und die Repräsentation der nationalsozialistischen Gräueltaten in ihr. Vor diesem Szenario der Gewalt, der Manipulation von Information, der antisemitischen Propaganda unterließ Huerta es nicht, die Rolle der Literatur zu hinterfragen: Welche Art von Poesie kann man inmitten der Barbarei schreiben? Was kann ein Gedicht im Angesicht dieses Gräuels bewirken? Eine der möglichen Antworten fand er in der Figur und im Werk Pablo Nerudas. Der chilenische Dichter kam im August 1940 in diplomatischer Funktion nach Mexiko und blieb etwas mehr als drei Jahre im Land. Zwischen den Personen, mit denen er

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sich anfreundete, befinden sich einige der Beiträger von El Popular, darunter der junge Efraín Huerta. Die persönliche und dichterische Beziehung, die Neruda und Huerta in jenen Jahren entwickelten, stellt ohne Zweifel eines der gewichtigen Themen dar, von denen in der Kolumne »El hombre de la esquina« zu lesen ist. Unter all den Informationen, welche die Kolumne preisgibt, interessiert an dieser Stelle vor allem die literarische Diskussion, in die beide verwickelt waren. Zwei polemische Auseinandersetzungen sind diesbezüglich relevant. Es geht um die Reaktionen, die Nerudas Poesie bei Juan Ramón Jiménez und Octavio Paz hervorrief. In beiden ergriff Erfraín Huerta Partei, was sich deutlich in dieser Kolumne zeigte. Die kontroverse Aura um die Figur Nerudas war, wie bekannt ist, kein neues bzw. auf die Zeit seines Mexiko-Aufenthaltes beschränktes Phänomen. Schon an weiteren Haltepunkten seines Irrwegs hatte er ernste intellektuelle Auseinandersetzungen erlebt. Eine von ihnen entwickelte sich in Spanien im Austausch mit Juan Ramón Jiménez. In seinem berühmten Text »Sobre una poesía sin pureza« (›Über eine Poesie ohne Reinheit‹) vom Oktober 1935 kritisierte Neruda offen die poetischen Vorstellungen des Andalusiers (Neruda 1935). Juan Ramón brauchte nicht lange, um dem Chilenen durch die Seiten der Zeitung El Sol zu antworten. 6 Dieselbe Auseinandersetzung, mit neuen Protagonisten und neuen Argumenten, verlagerte sich auf intensive Art und Weise nach Mexiko direkt nach der Ankunft Nerudas in dem Land. In seinem Willkommensgrußwort in »El hombre de la esquina« am 19. August 1940 erinnert sich Huerta: Ich habe gehört, und es scheint mir fast, als hätte ich es in einer südamerikanischen Zeitschrift gelesen, dass Juan Ramón de la Espada, der berühmte, neurasthenische und zurzeit in La Habana ansässig Andalusier der Erzfeind Pablo Nerudas ist. Es ist eine ideale Feindschaft. Juan Ramón sprach von einer ›nerudanischen‹ Poesie; das aber sicherlich nur, um sein mangelndes Verständnis Amerikas und deren Poeten zu verdecken. Pablo ist ein gigantischer Dichter Amerikas. Das kann verleugnet werden, unverstanden bleiben; aber keinesfalls kann man ihm die Position bestreiten, die er sich verdient hat.

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Die Antworten von Juan Ramón Jiménez wurden am 17. November 1935 und am 23. Februar 1936 in der Tageszeitung El Sol veröffentlicht. In diesen nannte er Neruda einen »Dichter des Deliriums« (»poeta del delirio«) und stellte sich als Verteidiger einer reinen Poesie, einer »authentische[n], qualitativ hochwertige[n] Poesie« (»poesía auténtica, poesía de calidad«) dar (vgl. Gullón 1971).

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He oído decir y hasta me parece haber leído en una revista sudamericana, que Juan Ramón de la Espada, el famoso y neurasténico andaluz actualmente radicado en La Habana, es el enemigo jurado de Pablo Neruda. Es una enemistad ideal. Juan Ramón ha hablado de una poesía ›nerudona‹; pero seguramente para encubrir su incomprensión de América y de sus poetas. Pablo Neruda es un enorme poeta americano. Puede ser negado, puede ser no entendido; pero jamás se le discute una posición que ha conquistado. (Huerta 1940)

In diesen Zeilen ergriff Huerta vehement die Verteidigung des Autors von Residencia en la Tierra (›Aufenthalt auf Erden‹) aufgrund einer Reihe von Bezeichnungen, die Juan Ramón im April 1940 in der Zeitschrift Nosotros in Buenos Aires öffentlich gemacht hatte. Der Höhepunkt der Konfrontation zwischen Juan Ramón und Neruda jedoch zeigte sich anderthalb Jahre später. Am 17 Januar 1942 erschien in der Zeitschrift Repertorio Americano aus Costa Rica ein Brief an Pablo Neruda (»Carta a Pablo Neruda«), in welcher der andalusische Dichter behauptete: Es ist für mich offensichtlich, dass Sie mit übermütiger Berechnung eine allgemeine, authentische hispanoamerikanische Poesie proklamieren, mit all der natürlichen Revolution und der Metamorphose von Leben und Tod dieses Kontinents. Ich bedauere, dass diese poetische Haltung eines bedeutenden Teils Hispanoamerikas sich so verhält; ich kann es nicht nachempfinden […]. Und die chaotische Ansammlung ist dem notwendigen endgültigen Befreiungsschlag vorgängig, das Prähistorische dem Posthistorischen, der turbulente und geschlossene Schatten dem offenen, besseren Licht. Vorgängig sind auch Sie, prähistorisch und turbulent, geschlossen und düster. Es evidente para mí que usted espresa [sic] con tanteo exuberante una poesía hispanoamericana jeneral [sic] auténtica, con toda la revolución natural y la metamorfosis de vida y muerte de este continente. Yo deploro que tal grado poético de una parte considerable de Hispanoamérica sea así; no lo sé sentir […]. Y el amontonamiento caótico es anterior al necesario despeje definitivo, lo prehistórico a lo poshistórico, la sombra turbulenta y cerrada a la abierta luz mejor. Usted es anterior, prehistórico y turbulento, cerrado y sombrío. (Jiménez 1942a)

Die Antwort auf die neue Provokation stammte nicht von Neruda, der noch sehr viel stärkere Kritik von Seiten des Andalusiers, einige Monate später mit der Publikation von Españoles de tres mundos (›Spanier aus drei Welten‹) zu erwarten hatte, in der er als der »große schlechte Dichter, der große Dichter der Unorganisiertheit und […] ungeschickter Übersetzer seiner selbst« (»gran mal poeta, gran poeta de la desorganización […] torpe traductor de sí mismo«) bezeichnet

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wird (Jiménez 1942b: 45). Diese stammte stattdessen von den jungen Schriftstellern, die in diesem Moment den Autor von Aufenthalt auf Erden in Mexiko umgaben: José Revueltas und Efraín Huerta. Die Texte der Mexikaner erschienen nacheinander. Revueltas Text ist zu Genüge bekannt; er erschien am 13. März 1942 in El Popular mit dem Titel »América Sombría« (›Düsteres Amerika‹). Hier beteuert der junge Schriftsteller, dass mit der Beurteilung von Neruda als chaotisch, prähistorisch und düster Juan Ramón nicht nur auf einen schlichten Unterschied zwischen seiner und Nerudas Poesie hingewiesen [hat], sondern auf das europäische Problem, der europäischen Tradition, der europäischen Sensibilität schlechthin, gegenüber einem neuen Sachverhalt, in welchem sich Dinge finden, die anders sind, anderen Materials, primitiv, mysteriös, archaisch, für sich sprechend und, namenlos, ohne dass es irgendeinen Champollion gibt, der ihnen einen Namen verleiht. Juan Ramón ha indicado no solo una simple diferencia entre su poesía y la de Neruda sino el problema mismo de Europa, de la tradición europea, de la sensibilidad europea, frente a un hecho nuevo, donde hay otras cosas, otros materiales, primitivos, misteriosos, antiguos, con voz, sin nombre, sin Champollion que los bautice. (Revueltas 1942: 5)

Für Revueltas lässt Juan Ramón das Dilemma unvergleichbar durchschimmern: »die Prähistorie und das Chaos sind die Unsrigen, sie fließen in unseren Venen« (»la prehistoria y el caos son nuestros, nos corren por las venas«) (ebd.). Das Unbehagen bestand darin, dass der andalusische Dichter dies nicht »für Amerika als gültig akzeptieren« (»aceptar esto de América como válido«) wollte (ebd.). Ähnliche Argumente wie die Revueltas schieb Huerta einen Tag zuvor in seiner Kolumne in El Popular. In »El hombre de la esquina« kann man am 12. März lesen: Worin wir mit Juan Ramón übereinstimmen, ist, dass dieser niemals den amerikanischen Kontinent mit der Leichtigkeit, mit der er die Vereinigten Staaten verstehen lernte, begreifen wird. Rubén Darío hat mit der Schlichtheit eines Genies einen Strich unter das europäische Problem gezogen. So geniereich, als würde die gesamte Poesie aus der Quelle des Nicaraguaners stammen. En lo que estamos de acuerdo es que Juan Ramón no comprenderá jamás el Continente Americano con la facilidad con que él entendió, por ejemplo, los Estados Unidos; Rubén Darío le dio el golpe al problema europeo con sencillez de genio. Y tan genio, como que toda la poesía española viene del manantial del nicaragüense. (Huerta 1942b)

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Die Schlussfolgerung Huertas ist sehr deutlich: Aus dieser kleinen, erbaulichen Affäre kann Vieles ins Reine kommen. Juan Ramón verabscheut alles Ungezähmte, Dunkle, Unverständliche, Mysteriöse, Tragische, Dramatische, Widersprüchliche, Revolutionäre, Lebhafte, Moribunde, Blutüberströmte dieses Kontinents – und wird es auch weiterhin verabscheuen. Er versteht es nicht; aber belässt er es nicht dabei, sondern drückt sein Entsetzen, seine Abscheu aus, die diese beklemmende Situation in ihm auslöst. Und er hat Recht. Sein Haus aus Glas und Kork würde keinen Augenblick der Erschütterung dieses amerikanischen Bocks widerstehen. De este pequeño, edificante lío, puede salir mucho en limpio. Juan Ramón detesta, sigue detestando, todo lo bravío, oscuro, incomprensible, misterioso, trágico, dramático, contradictorio, revolucionario, vital, moribundo, sangriento de este Continente. No lo entiende; pero no para aquí sino que manifiesta el horror, el asco que le provoca esta angustiosa situación. Y tiene razón. Su casa de cristal y corcho no resistiría ni un instante una sacudida de este potro americano. (Ebd.)

Die Verteidigung des Gedankenguts des Chilenen von Seiten der jungen Mexikaner ist sogar aufschlussreicher, wenn man bedenkt, dass sich zum März 1942 bereits ein weiterer tiefgreifender Konflikt im poetischen Umfeld von MexikoStadt entwickelt hatte. Innerhalb dieses Disputs war Neruda erneut das Auge des Hurrikans. Die Anekdote ist hinlänglich bekannt: Am 20. August 1941 erscheint im Verlag Séneca von José Bergamín Laurel. Antología de la poesía moderna en lengua española (›Lorbeer. Anthologie der modernen spanischsprachigen Poesie‹). Die Auswahl erfolgte durch zwei spanische Dichter, die in jenem Moment im mexikanischen Exil lebten (Emilio Prados und Juan Gil-Albert), und durch zwei mexikanische Schriftsteller (Xavier Villaurrutia und Octavio Paz). Pablo Neruda und León Felipe baten, kurz bevor der Band in Druck ging, nicht in die Veröffentlichung aufgenommen zu werden. 7 Über die Gründe für diese Entscheidung kursieren viele Geschichten. Wahr ist jedoch, dass die Publikation dieser Anthologie den heftigen Bruch zwischen Octavio Paz und Pablo Neruda begünstigte. »Das generell sanftmütige Ambiente unserer Literaten erhitzte sich mit diesen Ereignissen bis zu einer ungewöhnlichen Temperatur, in der sich die Schriftsteller in zwei Gruppen spalteten und beschimpften: Nerudisten und Antinerudisten« (»El ambiente generalmente apacible de nuestras letras, se caldeó con estos sucesos hasta una temperatura inusitada, en la que se injuriaban los dos

7

León Felipe veröffentlichte einen kurzen Text, in dem er seine Gründe für den Rückzug aus der Anthologie erläutert (vgl. Felipe 1941: 7).

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grupos en que se escindieron los escritores: nerudistas y antinerudistas«) (Cantón 1971: 264). Efraín Huerta, wie zu erwarten war, bezog ebenfalls Stellung. Dies ist klar erkennbar in den Beitrag vom 4. Februar 1942 in »El hombre de la esquina«, in dem der Kolumnist, mit dem ironischen Titel »Torres de dios« (›Die Türme Gottes‹), über die kontroverse Anthologie behauptete: Dieses voluminöse, unvollständige und ungerechte Buch ist bereits getadelt worden, aber dennoch nicht genug. Nach Nostalgie, nach billigem Wermut riechend bleibt uns diese schwülstige, üble Poesie betrügerisch in der Seele. Sie schafft es aber nicht, uns hinzureißen. Aber doch schafft sie es, uns langsam zu erkranken. Es scheint wie eine hinausgezögerte, überdrüssige Philosophie-Lehrstunde. Es ist – was wollten wir denn mehr? – nicht das, was man unreine, engagierte Poesie nennt. Es ist eine kreischend grelle und saure Poesie, eigens um von Anhängern des Erfindergeists gelesen zu werden. Es ist der Strom in einem trüben Fluss, dessen Wellental von den Kobolden der Effekthascherei beheimatet ist. Este voluminoso, parcial e injusto libro, ya ha sido fustigado; pero no lo bastante. Oliendo a nostalgia, a ajenjo barato, esta poesía campanuda, malandrinesca, se nos queda en el alma falazmente. No llega a poseernos. Pero sí llega a enfermar lentamente. Parece una prolongada, tediosa clase de filosofía. No es, qué más quisiéramos, lo que se llama poesía impura. Es una poesía chillona y agria, propia para ser leída por los afectos a las ingeniosidades. Es la corriente de un río turbio, cuyo seno está habitado por los duendes de la tecniquería. (Huerta 1942a)

Der Schluss des Essays weist tatsächlich provokative Töne auf: Efraín bezeichnet die Verantwortlichen der Anthologie als »romantische Langhaarige einer Faubourg-Boheme oder der Avenida Juárez, als polierte Kinder von metrisch geordneten Verslein, aber leer bis zur Misere. Selbstvergoldete Goethes, verachtete Lehrlinge des Menschen« (»románticos melenudos de una bohemia de Faubourg o Avenida Juárez; niños bien pulidores de versitos medidos, pero huecos hasta la miseria. Goethitos autoauroleados, despreciabilísimos aprendices de hombres«) (ebd.). Die Worte in »El hombre de la esquina« provozierten die unmittelbare Reaktion von José Bergamín, des verantwortlichen Herausgebers des Buchs, der am nächsten Tag in einem an Alejandro Carrillo, den aktuellen Direktor der Zeitung El Popular gerichteten Brief schrieb: »Ich brauche nicht nochmal hervorzuheben, dass er (dieser Schreiberling) das Unrecht, das er (den Dichtern der Anthologie) tut, vor allem sich selbst antut« (»no necesito subrayar el agravio que (este gacetillero) hace (a los poetas antologados) haciéndoselo sobre todo a sí mismo« (Bergamín 1942).

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Diese beiden Auseinandersetzungen waren der Wendepunkt, um die poetischen Übungen zu verstehen, die Neruda wie Huerta in jenen Momenten vollzogen. Einem kriegerischen und bedrückenden Szenario gegenüber musste die Poesie reagieren. Die Situation in der Welt verlangte nach einer Poesie, die nicht nur engagiert, sondern komplett in die aktuellen Geschehnisse verwickelt sei. Mitte 1942 – vor dem Hintergrund der Nachrichten, die über die Schlachten zwischen den Truppen Hitlers und der russischen Armee ankamen – entschieden Huerta und Neruda also, an einer öffentlichen Kundgebung zu Ehren der Verteidigung von Stalingrad teilzunehmen. Die Nachrichten, die eintrafen, waren verheerend. Nach fünfzehn Monaten der Belagerung durch die Truppen von Hitler hielt die russische Stadt weiterhin stand. Huerta schrieb sein Gedicht »Stalingrado en pie« (›Stalingrad steht‹) inmitten der Redaktion der Zeitung El Popular, zwischen Telefonleitungen und Nachrichten, die von den Umständen des Kampfes sprachen; Neruda seinerseits schrieb seinen »Canto a Stalingrado« (›Gesang für Stalingrad‹). Beide wurden in einem Treffen gelesen, welches in den Räumen des Sindicato Mexicano de Electricistas (der mexikanischen Gewerkschaft für ElektroIngenieure) stattfand. In den Kompositionen konkretisiert sich eine erste lyrische Impression des Kriegs, den sich Sowjets und Nazis liefern, in Mexiko. Der Beginn des Gedichts 8 von Huerta lässt das Gefühl von Tragödie und Hoffnung wieder spürbar werden: Die Wolga, dahinten, in Ruinen losgelöste Asche und verworrene Fülle. Der Vater Fluss, müde, vernichtet, der Vater Fluss mit Blut, der süße Vater Fluss mit verletzten Schultern […] Und der weite, der noble, der bittere Fluss Wolga erschüttert, gigantisch und in Ruinen den Befehl wiederholend: ›Nun, wisset, alles hier ist heilig: die brennenden Menschen in den Reihen, entschlossene Scharfschützen, treffsichere Maschinengewehrschützen, genaue Artilleristen […], Männer und Frauen in den Guerillas. Lasst uns das Jahr 1942 in ein Jahr der endgültigen Niederlage der faschistischen deutschen Armeen verwandeln‹.

8

Veröffentlicht am Sonntag, 20. September 1942, in El Popular. Das Gedicht ist zwei Tage zuvor datiert (18. September).

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El Volga, atrás, en ruinas desatada ceniza y turbia plenitud. El padre río cansado, aniquilado, el padre río con sangre, el dulce padre río con los hombros heridos […] Y el ancho, el noble, el amargo río Volga se estremece, gigantesco y en ruinas repitiendo la orden: ›Pues todo aquí es sagrado, sabedlo: ardientes hombres de las filas, decididos francotiradores, certeros ametralladoristas, puntuales artilleros […] hombres y mujeres de las guerrillas. Convirtamos el año 1942 en un año de derrota final de los ejércitos fascistas alemanes‹. (Huerta 1942c: 3)

In diesem Gedicht dramatisiert Efraín Huerta den Kriegsmoment und repräsentiert die Kräfte einer Konfrontation. Neruda, seinerseits, las »auf überhebliche Weise« (»en forma soberbia«) (Huerta 1973: 8) in diesem selben öffentlichen Akt sein Gedicht »Canto a Stalingrado«. Genau wie in den Versen von Efraín dramatisiert er eine Grenzsituation des Krieges: Stadt, roter Stern, sagen das Meer und der Mensch, Stadt, schließ deine Grenzen, schließ deine harten Tore, schließ, Stadt, deinen erlauchten Lorbeer, blutgetränkt, und lass die Nacht zittern mit dem düsteren Funkeln deiner Augen hinter einem Planeten der Schwerter. Ciudad, estrella roja, dicen el mar y el hombre, ciudad, cierra tus rayos, cierra tus puertas duras, cierra, ciudad, tu ilustre laurel ensangrentado, y que la noche tiemble con el brillo sombrío de tus ojos detrás de un planeta de espadas. (Neruda 1942: 5)

Drei Tage nach dem Treffen wurde zur Unterstützung der russischen Stadt der »Gesang für Stalingrad« in El Popular veröffentlicht. Neruda, der nicht mit der Verbreitung in der Tageszeitung einverstanden war, druckte das Gedicht in Format eines Plakats (34x56 cm) und ließ es an den Mauern von Mexiko-Stadt anbringen. Die Poesie musste auf die Straße und die schreckliche Kriegssituation herausschreien. Die provokante Anspielung – der Überfall des öffentlichen Raums mit politischer Kunst – lässt unschwer die Haltung der mexikanischen

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muralistas erkennen. Das Gedicht musste in allen Winkeln der Stadt sichtbar werden. Die Reaktionen gegen Neruda aufgrund seiner politischen Dichtkunst und seiner massiven Verbreitung an den Wänden in der Stadt ließen nicht auf sich warten. In der Zeitung Novedades hieß es, »Canto a Stalingrado« sei ein »Auftragsgedicht, vollgestopft mit Gemeinplätzen«, »ohne lyrische Intimität, ohne ästhetische Absichten« (»de encargo, plagado de lugares comunes«, »sin intimidad lírica, sin propósitos estéticos«) (Prado 1942: 7). Neruda wurde als »skurril« (»estrambótico«) abgestempelt, als »Mann, der, nachdem er die Zügel seines alten Pegasus verlor, durch die Welt mit weit aufgerissenen Augen geht, der seine Zähne zeigt, seine Nägel schärft, rasend, verrückt, halluzinierend« (»hombre que a fuer de haber perdido las riendas de su antiguo pegaso, va por el mundo con los ojos afuera de las órbitas, enseñando los dientes, afilando sus uñas, desbocado, loco, alucinado«) (ebd.: 5). Die Kritiken gegen das Projekt einer politischen Poesie erreichten auch Efraín Huerta. Die Kommentare gegen den jungen Schriftsteller waren derart aggressiv, dass José Revueltas sich gezwungen sah, einige Wochen später die Verteidigung seines Freundes zu ergreifen. Am 5. Dezember 1942 versicherte der Romanautor in »La marea de los días«, dass das Werk Efraíns »keinen Waffenstillstand kennt und wächst, süß oder bitter, furios oder erleuchtend« (»no tiene tregua y crece, dulce o áspera, furiosa o iluminada«); dass es eine Poesie des Kampfes ist: »Diese Poesie […] brachte ihn zum Kampf aller Kämpfe, und seine Verse waren sein Werkzeug, sein Beil. Es gibt heute keinen weniger absoluten Poeten, keinen größeren anti-absoluten Poeten als Efraín Huerta, den Schriftsteller, Journalisten und ebenfalls Politiker« (»esta poesía, […] lo condujo a la batalla esencial; y sus versos fueron su instrumento, su hacha. Hoy no hay un poeta menos puro, más antipuro, que Efraín Huerta, escritor, periodista, político también«) (Revueltas 2018: 276). Dass die Reaktionen gegen Huerta und Neruda keine Auswirkungen auf ihr Anliegen hatten, weiterhin die Kunst und Politik miteinander in Austausch treten zu lassen, ist auf den Seiten von El Popular auch noch später bemerkbar. Gegen Ende des Jahres 1942 erschien eine literarische Seite in der Zeitung der Arbeiterbewegung; es handelte sich um die von Efraín Huerta koordinierte Sonntagssektion mit dem Titel »Crítica – Poesía – Polémica« (›Kritik – Poesie – Kontroverse‹). Darin ermutigte der junge Schriftsteller zur Publikation von offenmilitanter Literatur. Dort publizierte er auch Ende März 1943 sein Gedicht »Oración por Tania« (›Gebet für Tania‹) mit dem Untertitel »Joven guerrilla Soviética ahoracada por los nazis« (›Eine junge sowjetische Guerilla, erhängt durch die Nazis‹). Einige der Verse erinnern erneut an die Bedeutung, die bereits in je-

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nen Tagen von der Niederschrift und Verteidigung einer kämpferischen, eng mit den Ereignissen der Zeit verbundenen Dichtkunst ausging: Unter deinen Füßen zerfloss der Schnee zu Tränen, unter deiner zerfetzten Haut und deinen fiebrigen Augen wuchsen die Schluchzer; die Scherben des Hasses drangen in dein jungfräuliches Fleisch ohne Triumph; unter dem Himmel des Winters, eines Morgens warst du ein Baum, ein Baum der Folter und des Martyriums, Baum des Feuers, Baum allein, Baum der Rache. […] Es kamen die Wölfe, um dich zu holen. Sie fanden dich, sie verstümmelten dich und raubten dir die Stimme, sie geißelten dich, die Nazis. Und später, in der Kälte, in den Straßen zogen deine Füße Furchen. Bajo tus pies la nieve se hizo llanto, bajo tu desgarrada piel y tus ojos con fiebre crecieron los sollozos; los cristales del odio penetraron tu carne de doncella sin triunfo; bajo el cielo de invierno, una mañana fuiste un árbol, un árbol de tortura y de martirio, árbol de los incendios, árbol puro, árbol de venganza. […] Venían por ti los lobos. Te encontraron, te mutilaron y arrancaron la voz, te azotaron, los nazis. Y luego, por el frío, por las calles, tus pies abrieron surcos. (Huerta 1943a: 3)

Neruda schrieb regelmäßige Beiträge in der von Efraín koordinierten Sektion. In einem dieser Beiträger forderte er diejenigen heraus, die ihn selbst aufgrund der Verbreitung seines »Canto a Stalingrado« getadelt hatten, und publizierte seinen »Nuevo canto de amor a Stalingrado« (›Neuen Liebesgesang für Stalingrad‹) im

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April 1943. In dem Ambiente tiefer Konfrontation über die Rolle der Dichtkunst in kriegerischen Zeiten erschien im April 1943, nur wenige Wochen vor der Rückkehr des dichterischen Konsuls nach Chile, die Plaquette: Poemas de Guerra y Esperanza (›Gedichte von Krieg und Hoffnung‹) (Huerta 1943b). In dieser versammelte Huerta einige der Gedichte, die er im Getöse der Kämpfe an der Seite von Pablo Neruda geschrieben hatte. Der nerudianische Sinn dieses Bandes blieb von einigen der zeitgenössischen Leser nicht unbemerkt. Diese Seiten möchte ich nicht beschließen, ohne eine kurze Bilanz zu ziehen. Die bisher unbekannten Zeugnisse aus »La marea de los días« und »El hombre de la esquina« geben unter anderem Auskunft über zwei junge Schriftsteller, die sich einer Idee und Praxis von Literatur verpflichteten, welche die Gräueltaten des Kriegs darstellte und verurteilte. Die beiden journalistischen Kolumnen zeigen uns unterschiedliche Dimensionen auf: Einerseits sind sie eng mit einem ästhetischen und intellektuellen internationalen Umfeld verknüpft; andererseits handelt es sich bei ihnen um einen ästhetischen Einsatz, der aus der Perspektive eines amerikanischen Lands nach der Funktion von Kunst in komplizierten, kriegerischen Zeiten wie während des Zweiten Weltkriegs fragt. Offen bleibt jedoch neben diesen beiden Aspekten die Frage nach den Beziehungen zwischen Literatur, Antifaschismus und den weltweiten Dynamiken, die zu jener Zeit in Mexiko-Stadt erfahrbar wurden.

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Nationalsozialistische Agitation in der kolumbianischen und brasilianischen Provinz Los informantes von Juan Gabriel Vásquez und A Segunda Pátria von Miguel Sanches Neto als Basis weitergehender Überlegungen zu einer chrono-mnemotopischen Klassifizierung ›peripherer‹ Romane über den Zweiten Weltkrieg Marco Thomas Bosshard

1. NATIONALSOZIALISMUS UND WELTKRIEG IN DEN IBEROROMANISCHEN LITERATUREN: EINE PROVISORISCHE TYPOLOGIE ZUR EINLEITUNG Seit einigen Jahren lässt sich in der spanisch- und auch portugiesischsprachigen Gegenwartsliteratur eine Zunahme ›deutscher‹ Referenzen beobachten, darunter prominent zum Themenkomplex Weltkrieg und Nationalsozialismus. Während diese Themen in der Nachkriegszeit bis zur Jahrtausendwende in den iberoromanischen Literaturen schlichtweg kaum vorkamen – eine der wenig zahlreichen Ausnahmen stellen Jorge Luis Borges’ Erzählungen »Deutsches Requiem« (1946) und »El milagro secreto« (1943), José Emilio Pachecos Morirás lejos (1967) und Moacyr Scliars A Guerra do Bom Fim (1972) in Lateinamerika sowie die der sog. Lagerliteratur verhafteten, teils fiktionalisierten Zeugnisse Jorge Semprúns, Max Aubs und Joaquín Amat-Piniellas in Spanien dar – markiert Roberto Bolaños La literatura nazi en América (1996) einen Wendepunkt, ab dem die (vermeintlich) deutschen, häufig mit dem Zweiten Weltkrieg korrelierten Themen in den iberoromanischen Literaturen massiv zu zirkulieren beginnen. Eingedenk auch anderer Werke Bolaños aus jenen Jahren wie z.B. El Tercer

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Reich (verfasst 1989, veröffentlicht postum 2010), Estrella distante (1996) oder auch 2666 (veröffentlicht postum 2004) mit seinen impliziten und expliziten Verweisen auf die Nazis und die Wehrmacht vollzieht sich diese Wende just zu einem Zeitpunkt, an dem sich die Erinnerungskultur rund um den Holocaust, den Zweiten Weltkrieg und den Nationalsozialismus globalisiert und in gewisser Weise wohl auch volatilisiert oder gar profanisiert hat (vgl. Levy/Sznaider 2007). Denn nach Bolaños Veröffentlichungen in den 1990er Jahren nehmen lateinamerikanische (aber auch spanische 1) Romane mit Nazis als Haupt- oder zumindest Nebenfiguren sprunghaft zu. Hierbei lassen sich unterschiedliche Ausprägungen erkennen, die es erlauben, die recht große Menge an Texten zu dem Thema ab der Jahrtausendwende in einem ersten Schritt zumindest provisorisch zu kategorisieren. Ein erster Typus nach dem durch Bolaño eingeleiteten Paradigmenwechsel betrifft Romane, die sich ohne prominente Rückbezüge auf Lateinamerika um das Phänomen des Nationalsozialismus drehen und deshalb ganz oder mehrheitlich in Europa spielen. Hierzu gehört Jorge Volpis Roman En busca de Klingsor (1999), der Heisenberg und andere Wissenschaftler der NS-Zeit zu seinen Helden erhebt. 2 Als Vertreter der sog. Generation McOndo, die sich gegen die (angeblich) lokalen Schreibweisen der lateinamerikanischen Boom-Autoren wandte und für die lateinamerikanischen Autoren eine dezidiert internationale Perspektive reklamierte, setzt Volpi dieses Postulat in seinem Roman fast idealtypisch um. Als weiteres Beispiel für diesen Typus kann El comienzo de la primavera (2004) des Argentiniers Patricio Pron angeführt werden, dessen Held und IchErzähler nach und nach die nationalsozialistischen Verstrickungen von durch Heidegger geprägter deutscher Philosophen entdeckt, oder auch jüngst La última hermana (2016) des chilenischen Cervantes-Preisträgers Jorge Edwards, der seine Romanhandlung (mit Ausnahme des Schlusses in Chile) nach Paris unter der Okkupation durch die Nazis verlegt. Zwischen Europa und Lateinamerika angesiedelt sind hingegen viele der Romane, die aus lateinamerikanischer Perspektive die Shoah thematisieren. Repräsentationen des Nationalsozialismus oder von Nazi-Tätern stehen in dieser Kategorie nicht im Zentrum, sind jedoch implizit trotzdem oft präsent. Seit der Jahrtausendwende sind hier insbesondere die Argentinier Manuela Fingueret (Hija del silencio, 1999) und Ariel Magnus (La abuela, 2006), der Guatemalteke Eduardo Halfon (El boxeador polaco, 2008; Monasterio, 2014) sowie die Brasilianer Halina Grynberg (Mameloshn, 2004) und Michel Laub (Diário da Queda

1

Zu spanischen Autoren vgl. Steenmeijer (2009) und Bosshard (2016a).

2

Vgl. hierzu u.a. Haro-Luviano/Rall (2019) in diesem Band.

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2011) zu nennen. Der letztgenannte Roman sticht hierbei hervor, weil der nach Brasilien geflohene jüdische Großvater des Ich-Erzählers seine Vergangenheit als Auschwitz-Überlebender gegenüber der Familie konsequent verschweigt, während sein Sohn, der Vater des Erzählers, sich sein Wissen um den Holocaust nur angelesen hat. Im Alter leidet er an Alzheimer, weshalb der Ich-Erzähler der dritten Generation auf keinerlei Zeugnisse aus der eigenen Familie mehr zurückgreifen kann. Trotz dieser Besonderheit kann Laubs Roman in den abschließenden Überlegungen (vgl. Punkt 5) als einigermaßen prototypisch 3 für diese Kategorie von Romanen bezeichnet werden. Abgesehen von diesem speziellen Setting sowie von seiner Verortung in Lateinamerika ähnelt er vielen Romanen europäischer Autoren der zweiten und dritten Generation, insofern in ihnen ausgehend vom Holocaust über die jüdische Identität der Gegenwart reflektiert wird. Allgemein handelt es sich bei diesem Typus um die wohl konventionellste bzw. am meisten standardisierte Ausprägung des Phänomens, bei der die etablierten Modi der Darstellung des Unsagbaren selten transzendiert werden und der Fokus entsprechend auf den Opfern, nicht aber auf den Nazi-Tätern liegt, die deswegen in der Regel – wenn überhaupt – nur als Nebenfiguren auftauchen. Einen ähnlichen Status als Nebenfiguren der Handlung haben Nazis in einer weiteren Kategorie inne, die das Zusammenleben unterschiedlicher europäischer bzw. deutscher Migranten – sowohl Juden als auch Nazis – mit der autochthonen lateinamerikanischen Bevölkerung in den Vordergrund stellen. Als Referenzroman dieser Kategorie ist Juan Gabriel Vásquez’ Los informantes (2004) zu bezeichnen, den wir im Rahmen dieses Artikels näher betrachten werden. In dieselbe Kategorie scheint aber auch ein Roman wie Los afectos (2015) des Bolivianers Rodrigo Hasbún zu gehören, der darin das Schicksal von Martina Ertl, der Tochter von Leni Riefenstahls Kameramann Hans Ertl, und ihrer Familie in La Paz erzählt. Davon wäre ein anders gearteter Romantypus zu unterscheiden, der nun größtenteils auf oft geradezu monströse, nach Amerika geflüchtete NaziTäterfiguren als seine Protagonisten fokussiert ist. Zu nennen wären hier insbesondere Lejos de dónde (2009) von Edgardo Cozarinksy, dessen Protagonistin SS-Aufseherin in Auschwitz war und dann unter falscher jüdischer Identität nach

3

Klaus W. Hempfer hat in seinen Arbeiten zu einer Theorie der Lyrik den Ansatz der Prototypikalität für die Literaturwissenschaft fruchtbar gemacht (vgl. Hempfer 2014 und 2017). Auch wenn hier keine literarische Großgattung wie die Lyrik, sondern bestimmte Untertypen einer bereits thematisch spezifischen Romanform untersucht werden, kann Hempfers theoretisch-methodische Herleitung auf unser Vorgehen bezogen werden.

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Buenos Aires geflohen ist, sowie Wakolda (2011) von Lucía Puenzo, einem Roman, in dem das mögliche Leben Josef Mengeles in Argentinien imaginiert wird. 4 Mit Abraxas (2015) hat der Mexikaner Pablo Paniagua schließlich einen ähnlich gestrickten Roman verfasst, dessen Protagonist ein Gehilfe Mengeles in Auschwitz war, nun aber in Kalifornien in einer Hippie-Kommune lebt und zum Peyote-Konsum nach Mexiko fährt. Eine weitere, eigenständige Kategorie stellen schließlich Romane dar, die ebenfalls ausdrücklich in Lateinamerika spielen, jedoch in der Annahme, dass der Faschismus sich nach dem Sieg des Deutschen Reichs auch dort hat etablieren können. Dieser in der Tradition von Philip K. Dicks The Man in the High Castle (1962) und Robert Harris’ Fatherland (1992) oft ›alternative Geschichte‹ oder ›Uchronie‹ genannte Gattungstypus soll hier mit ›Dyschronie‹ (vgl. Henriet 2004) bezeichnet werden, ist mit der Dystopie verwandt und kommt etwa in Juan Terranovas Roman El vampiro argentino (2010) zum Tragen, wenn die Hauptfigur Víctor Bravard, seines Zeichens SS-Obersturmbannführer und Kommissar, im Jahr des argentinischen Bicentenario 2010 einen Serienmord an SSFunktionären mitten in Buenos Aires aufklären muss. In dieselbe dyschrone Kategorie gehört schließlich auch der zweite hier näher zu betrachtende Roman A Segunda Pátria des Brasilianers Miguel Sanches Neto, den wir unten ausführlich kommentieren.

2. ZUM KONTEXT DER ROMANE: NAZIS IN DER KOLUMBIANISCHEN UND BRASILIANISCHEN PROVINZ Bisher ist nur ein Bruchteil dieses (in Wirklichkeit noch sehr viel größeren Textkorpus) systematisch analysiert worden. Schritt für Schritt müssen diese Texte einem sorgfältigen close reading unterzogen werden, welches das oben skizzierte typologische Modell verifizieren oder auch modifizieren bzw. erweitern soll. 5 Hierzu werden im Folgenden zwei dieser für ihre jeweiligen Kategorien prototy4

Zu diesen beiden argentinischen Romanen ausführlich Bosshard (2016b).

5

Das hier skizzierte typologische Modell konzentriert sich bisher offensichtlich auf literarische Manifestationen in der Gegenwartsliteratur seit Bolaño. Ggf. wäre auch die durch ›Vorläufer‹ wie Borges, Pacheco oder Scyliar markierte Nachkriegsphase weiter auszudifferenzieren, ebenso wie Texte, die zeitlich simultan zum NS-Regime auf dieses zustimmend oder ablehnend Bezug nehmen (hierzu z.B. aus mexikanischer Perspektive Ugalde 2019 in diesem Band).

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pisch zu nennende Romane vergleichend betrachtet, die auf unterschiedliche Weise die Verstrickungen zwischen dem Dritten Reich und der lateinamerikanischen Provinz thematisieren. Zum einen ist dies mit Juan Gabriel Vásquez’ Los informantes (2004) ein Roman aus Kolumbien, einem Land, das mit Blick auf die europäische Migration und das Exil nicht zuletzt aus geographischen, aber auch aus anderen, historischen Gründen – denken wir an die jahrzehntelange Periode der violencia und der guerrilla im 20. Jahrhundert – als eher periphere Destination kriegsbedingter Fluchtbewegungen zu bezeichnen ist. Andererseits sind Los informantes und auch Vásquez’ Folgeromane international stark rezipiert und in viele Sprachen übersetzt worden, sodass der Autor selbst mittlerweile fraglos als einer der wichtigsten Vertreter der jüngeren Generation lateinamerikanischer Schriftsteller gilt. Demgegenüber ist der Autor des zweiten hier zu betrachtenden Romans A Segunda Pátria (2015), der Brasilianer Miguel Sanches Neto, abgesehen von Anthologiebeiträgen bisher unübersetzt geblieben. Die Wichtigkeit Brasiliens als ein bevorzugter Ort deutscher Immigration bereits ab dem 19. Jahrhundert und dann auch während und nach dem Weltkrieg (vgl. u.a. Mauch/Vasconcellos 1994; Dias Brepohl de Magalhães 1998) hingegen braucht hier nicht hervorgehoben zu werden und schlägt im Vergleich zu den Migrationsbewegungen nach Kolumbien (vgl. Biermann Stolle 2001) auch zahlenmäßig weitaus stärker zu Buche. Die 1850 von deutschen Siedlern gegründete Stadt Blumenau im Bundesstaat Santa Caterina ist daher auch einer der Hauptschauplätze von Miguel Sanches Netos Roman, wohingegen das ebenso provinzielle Duitama im kolumbianischen Beispiel – ohne auch nur eine annähernd vergleichbare massive Zuwanderung von Deutschen aufzuweisen – als wichtigster Ort der Handlung auf der im Roman vorherrschenden Vergangenheitsebene identifiziert werden kann.

3. LOS INFORMANTES UND DIE LATEINAMERIKANISCHEN ›KONZENTRATIONSLAGER‹ Das zentrale Thema von Los informantes ist dasjenige der ›schwarzen Listen‹, die die USA während des Weltkriegs von allen lateinamerikanischen Staaten eingefordert hatten und auf denen jene Personen zu vermerken waren, die sich nationalsozialistischer Agitation schuldig gemacht hatten oder aber auch nur verdächtigt wurden, Anhänger faschistischer Ideologien zu sein. Die Geschichtswissenschaft hat in den vergangenen Jahren etwas klarer herausarbeiten können, wie dieses System funktionierte und wie Tausende von Personen auf diesen schwarzen Listen entweder in den lateinamerikanischen Ländern selbst

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interniert oder gar in ein zentrales Konzentrationslager nach Texas deportiert wurden (vgl. Fox 2000; Friedman 2003; Molina Londoño 2017). Da der bloße Verdacht, oft auch nur ein deutsch klingender Name, schon ausreichte, um angeschwärzt zu werden, standen auch viele Unschuldige – in mehreren Fällen sogar Juden! – auf diesen Listen. Genau das ist Konrad Deresser, dem Vater des besten Freundes des IchErzählers in Vásquez’ Roman, widerfahren. Aus einem Akteneintrag erfahren wir: Bei der Unterredung im Café Automático sagte der Zeuge Gabriel Santoro aus, Konrad Deresser, Eigentümer von Cristales Deresser, pflege engste Verbindungen mit Sympathisanten der kolumbianischen Nazipartei (mit Sitz in Barranquilla, die jedoch das gesamte Landesgebiet unterwandert hat) und habe mehrmals in Gegenwart kolumbianischer Staatsbürger seine antiamerikanische Gesinnung offenbart. Die Aussage des Zeugen wird als glaubwürdig eingestuft. (Vásquez 2010: 247) Entrevistado en el café El Automático, el testigo Gabriel Santoro manifestó que Konrad Deresser, propietario de Cristales Deresser, tiene relaciones de extrema confianza con simpatizantes del Partido Nazi colombiano (con sede en Barranquilla y elementos infiltrados en todo el territorio) y en más de una ocasión ha demostrado posiciones antiamericanas en presencia de ciudadanos colombianos. Se ha determinado que la palabra del testigo es digna de confianza. (Vásquez 2017: 219)

Der Denunziant Deressers – also einer der ›Informanten‹ aus dem Romantitel – ist wiederum der Vater des Ich-Erzählers, Gabriel Santoro, Rhetorikprofessor und Literaturkritiker aus Bogotá, sodass man das zentrale Thema des Romans alternativ auch als Vater-Sohn-Konflikt um eine nie eingestandene Schuld umschreiben könnte, in deren Zentrum die besagten schwarzen Listen stehen. Die Romanhandlung selbst ist recht komplex, haben wir es doch u.a. mit einem Buch im Buch zu tun, gegen das der Vater des Verfassers und Ich-Erzählers Sturm läuft und es in seiner Funktion als Literaturkritiker öffentlich verreißt – auf diesen Aspekt wird noch einmal zurückzukommen sein. Konrad Deresser wird zum Verhängnis, in falsch verstandener Höflichkeit Umgang mit der Familie Bethke gepflegt zu haben. Deren Umgebung in Barranquilla, der wichtigen Provinz- und Industriestadt an der karibischen Küste, die gleichzeitig Zentrum des Ablegers der Nationalsozialistischen Partei in Kolumbien war (vgl. Lázaro 2012), wird im Roman wie folgt beschrieben:

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Davon gibt es Fotos: Versammlungen in Barranquilla mit einem Hakenkreuz in Größe einer Kinoleinwand, und diese Leute auf ihren weiß angestrichenen Holzstühlen, alle adrett gekämmt. Und auf dem Podium oder der Bühne oder wie man es nennen mag die Leute in ihren akkurat gebügelten Braunhemden, in strammer Haltung, die Hände hinter dem Rücken. Die Bethkes mittendrin, in weißem Anzug und Krawatte, er mit Armbinde, sie mit Abzeichen, auf dem Foto erkennt man das kaum, aber ich erinnere mich genau, der Adler war aus Gold und das Hakenkreuz aus Onyx, ein kunstvoll gemachtes Schmuckstück. (Vásquez 2010: 160) Hay fotos de eso, reuniones en Barranquilla, una esvástica del tamaño de una pantalla de cine y esta gente en sus sillas de madera pintadas de blanco, todos muy bien peinados. Y sobre el estrado o el escenario, como se diga, gente con sus camisas pardas bien planchadas y las manos atrás, firmes. O en reuniones, todos sentados a una mesa, con su mantelito bordado y tomando cerveza. Los Bethke ahí metidos, de traje y corbata blancos, él con el brazalete y ella con un prendedor en el pecho, en la foto apenas se ve pero yo me acuerdo perfecto, el águila era de oro y la esvástica de ónice, una joyita muy bien hecha. (Vásquez 2017: 143)

Dass Deresser die Ansichten der Bethkes aber gar nicht teilt, sondern ebenso verzweifelt wie vergeblich zwischen der Blut-und-Boden-Ideologie der Bethkes (die im selbstgewählten kolumbianischen »Exil« doppelt seltsam anmutet) und der rebellischen, den mestizaje verteidigenden Position seines Sohnes Enrique zu vermitteln versucht (denn die Mutter, Margarita, ist Kolumbianerin), wird insbesondere in der folgenden Szene deutlich, bei der Hans Bethke zum Essen bei den Deressers zu Besuch ist. Sie endet in einem Eklat: ›Auch ich bin in Kolumbien geboren‹, fiel ihm Bethke ins Wort, ›aber das war nur ein Zufall, ich vergesse niemals, woher ich komme und wo meine Wurzeln liegen. Wenn das so weitergeht, wird Deutschland Schiffbruch erleiden, den Krieg verlieren, und zwar nicht gegen die Amerikaner, nicht gegen die Kommunisten, sondern gegen jeden einzelnen Auslandsdeutschen. […] Jeder Deutsche, der mit einer Kolumbianerin verheiratet ist, bedeutet eine verlorene Blutlinie für das deutsche Volk. Jawohl. Verloren für das Deutschtum‹. Die letzten Worte sprach er, den Blick auf seinen Teller gesenkt, aus dem er gerade einen Löffel voll Brühe holte. Nein, es war keine Brühe, sondern eine Tomatencremesuppe, dick wie Pudding, die Margarita mit einer Sahnespirale auf der Oberfläche verziert hatte. Und im Zentrum der Spirale, in der ein Petersilienzweig steckte, landete ein Brötchen, eines dieser faustgroßen Brötchen mit harter Kruste, weißt du welche ich meine? Enrique hatte es mit solcher Kraft geworfen, als wollte er damit eine Fliege auf der Petersilie erschlagen. Das Brötchen blieb dort liegen, gebremst von dem zähflüssigen Tomatensumpf, und die

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Suppe verteilte sich auf Hemd, Krawatte, Gesicht und Pomadenlocken von Herrn Bethke. (Vásquez 2010: 168f.) ›Yo también nací en Colombia‹, dijo Bethke, cortándolo, ›pero eso fue un accidente, y en cualquier caso no se me olvida de dónde vengo y cuáles son mis raíces. A este paso Alemania va a acabarse, va a perder la guerra, no contra los americanos, no contra los comunistas, sino contra cada Auslandsdeutsche. […] Cada alemán casado con colombiana es una línea perdida para el pueblo alemán. Sí, señor. Perdida para la alemanidad‹. Esto último lo dijo mirando su propio plato para recoger una cucharada de sopa. No, no era sopa, era crema, una crema de tomate espesa como una torta que Margarita había hecho servir con un espiral de leche adornando la superficie. Pues en el centro del espiral, ahí donde había una ramita de perejil, cayó un pan entero, uno de esos panes del tamaño de un puño, de corteza dura, ¿sabes cuáles son? Enrique se lo había tirado con tanta fuerza como si quisiera matar a una mosca parada sobre el perejil. El pan se quedó ahí, como detenido por la espesura de la crema de tomate, y la crema de tomate fue a parar a la camisa y la corbata y la cara y el pelo engominado de Herr Bethke. (Vásquez 2017: 150f.)

Vásquez’ Roman fixiert sich aber nicht einseitig auf Nazis wie Bethke. Im Zentrum der Erzählung steht vielmehr das bereits erwähnte ›Buch im Buch‹ von Santoro jr., ein Sachbuch, ein testimonio, das auf Interviews mit der jüdischen Immigrantin Sara Guterman fußt. Es weckt das schlechte Gewissen des Vaters Santoro und verleitet ihn zu seiner literaturkritischen Überreaktion, denn nur durch Saras Zeugenschaft kommt der Sohn, Santoro jr., der Schuld des denunziatorischen Santoro sr. auf die Spur. Als Tochter eines vor den Nazis geflohenen Hotelbesitzers in Duitama, Provinz Boyacá, kennt Sara ihrerseits alle Beteiligten: die Deressers, Santoros, Bethkes etc. Das Hotel der jüdischen Familie Guterman – vielmehr eine Pension mit dem programmatischen Namen Hotel Nueva Europa – fungiert dabei zunächst als Anlaufstelle für Immigranten bzw. Exilanten aller Couleurs und Nationalitäten. Derselbe Ort wird jedoch im Verlauf des Krieges durch die Einflussnahme der USA in eines der vielen Internierungslager verwandelt, wo u.a. auch Konrad Deresser festgesetzt wird: ›Später erst erstellte man schwarze Listen, verwandelte die Hotels in Luxusgefängnisse‹, sagt Sara und meint die Internierungslager für die Bürger der Achsenmächte. ›Ja, das kam später. Erst später kam der Krieg von jenseits des Meeres den Leuten an diesem Ufer ins Haus. Wir waren so naiv, wiegten uns in Sicherheit. Das wird dir alle Welt bestätigen. Das hat noch jeder gut in Erinnerung. Es war schwierig damals, deutsch zu sein‹. Im Hotel der Familie Guterman, geschahen Dinge, die Familien zerrütteten, Leben zerbrachen, Schicksale zerstörten. (Vásquez 2010: 43f.)

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›Fue después que ocurrió lo de las listas negras, lo de los hoteles convertidos en encierros de lujo‹, dice Sara, refiriéndose a los campos de concentración para alemanes, japoneses e italianos acusados de propaganda enemiga. ›Sí, eso pasó después. Fue después que la guerra del otro lado del mar se les metió al cuarto a los que estaban de éste. Éramos tan inocentes, nos creíamos a salvo. Todo el mundo te lo puede confirmar. Todo el mundo lo recuerda muy bien: era muy difícil ser alemán en esa época‹. En el hotel de la familia Guterman pasaron cosas que destruyeron familias, que trastocaron vidas, que arruinaron destinos. (Vásquez 2017: 41f.)

Vásquez vermittelt uns auf diese Weise ein Gesellschaftsporträt, in dem uns die Opfer des Naziregimes, die Anhänger der Nazi-Ideologie (weniger die wirklichen Täter, sondern die unseligen geistigen Multiplikatoren in der Diaspora, wenn man diesen Terminus in diesem Kontext überhaupt verwenden darf), aber auch Vertreter ganz normaler kolumbianischer Familien der Epoche in einer angesichts der lokalen Internierungslager zwar nicht konfliktfreien, aber doch – im Vergleich zu den Geschehnissen in Europa – weitgehend unverfänglichen, pragmatischen Konvivenz nähergebracht werden. All dies fundiert recherchiert, historisch abgesichert und mittels der Strategie der Implementierung eines fiktiven testimonio, eines fiktiven Sachbuchs mit Interviews mit Zeitzeugen, in die eigentliche Rahmenhandlung des Romans, vermeintlich beglaubigt – wir kommen weiter unten im Rahmen des Vergleichs der textuellen Strategien der beiden Romane noch einmal auf diesen Sachverhalt zurück.

4. A SEGUNDA PÁTRIA ODER DIE VORSTELLUNG VON EINEM NATIONALSOZIALISTISCHEN BRASILIEN Auch Sanches Neto hat viel recherchiert: Sein Roman A Segunda Pátria umfasst in der E-Book-Version – nicht aber in der gedruckten Ausgabe! – einen ganzen Appendix mit dem Titel »Biografia de um Livro« (›Biographie eines Buches‹). Dort schildert und problematisiert der Autor nicht nur seinen Schreibprozess, sondern gibt uns auch eine ganze Liste von Sekundärliteratur, die er im Zuge seiner Recherchen konsultiert hat, ebenso wie ältere literarische Intertexte zum Thema Nazis in Brasilien – etwa Clodomiro Vianna Moogs Um rio imita o Reno (1938) und Lausimar Laus’ O guarda-roupa alemão (1975) –, die unbedingt auch in das im Entstehen begriffene Textkorpus einer weitergehenden, vergleichenden Studie zum Thema mit einzubeziehen wären. Auch an den wichtigsten Ort der Handlung, nach Blumenau, hat sich der Autor für seine Nachforschungen selbst begeben, jedoch berichtet er, dass sich die älteren Bewohner zur Präsenz

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des Nationalsozialismus in ihrer Stadt nicht äußern wollen. Laut Sanches Neto zögen sie es vor, »die erlittenen Aggressionen unter Getúlio Vargas’ Nationalisierungskampagne zu untersuchen [estudar as agressões sofridas com a nacionalização imposta por Getúlio Vargas]« (Sanches Neto 2015 E-Book; Pos. 4129; Übersetzung MTB). Damit ist gleichzeitig der inhaltliche und zeitliche Rahmen des Romans abgesteckt: Die nicht durchgängig chronologisch angeordneten vier Teile »Neger, 1940«, »Wolfsschlucht, 1938«, »A teoria do lobo, 1941« und »Kanibalen [sic], 1941« spielen allesamt in Brasilien während des Zweiten Weltkriegs unter der autokratischen Präsidentschaft von Getúlio Vargas. Dieser war als Folge eines Staatsstreichs seit 1930 an der Macht und hat sich nach anfänglichen Sympathien für faschistisches und nationalsozialistisches Gedankengut von diesem abgewandt und 1937 den Estado Novo, den ›Neuen Staat‹ brasilianischer Prägung, ausgerufen. Dies ging einher mit der Auflösung des Parlaments, der Abschaffung aller Parteien und der Außerkraftsetzung der Verfassung; man könnte also fast von einer Art ›Gleichschaltung‹ sprechen. Außerdem setzte Vargas fortan auf die oben erwähnte Strategie der »nacionalização«, d.h. einer Politik der »Nationalisierung«, die auf Homogenisierung und Assimilation abzielte, was 1938 das Verbot aller ausländischen Parteien in Brasilien – also auch des brasilianischen Ablegers der NSDAP – sowie die Installierung des Portugiesischen als einziger Sprache an den Schulen des Landes nach sich zog; 1942 erklärte Vargas Deutschland und den Achsenmächten schließlich den Krieg. So weit das reale, historische Setting. Denn obwohl Sanches Neto historische Personen wie Getúlio Vargas, dessen legendenumwobenen schwarzen Leibwächter Gregório Fortunato, den Außenminister Osvaldo de Aranha, ja Hitler höchstselbst in die Handlung einbaut, ist der gesamte Roman letztlich als fiktionales Gedankenexperiment zu bezeichnen: Sanches Neto malt sich nämlich aus, was gewesen wäre, hätte sich Vargas – angesichts seiner Affinität zu autokratischen Strukturen, seiner Bestrebungen zur ›Gleichschaltung‹ des brasilianischen Staates und dessen kulturellen Homogenisierung sowie seinen anfänglich durchaus guten, ja freundschaftlichen persönlichen Kontakten zu Hitler und Mussolini nicht ganz undenkbar – am Ende auf deren Seite gestellt. Das erste Romankapitel setzt 1940 in Blumenau ein, in einem Kontext, der dem historisch verbürgten jedoch gerade nicht (mehr) entspricht. Die NSDAP wurde nicht verboten, sondern ist in den Straßen Blumenaus omnipräsent:

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Es herrschten mittelalterliche Hymnen vor, gesungen als würde man marschieren und zum Kampf gegen die schrecklichen und verabscheuungswürdigen Feinde aufrufen. Es gibt keinen Krieg ohne solche Mystik. Die Bewohner der Region, unter ihnen Frauen und Kinder, kannten die Lieder der Wehrmacht, hatten sie im Neuen Soldatenliederbuch gelernt, das die brasilianische NSDAP verteilte. Im Marsch in Richtung Präfektur und danach durch mehrere Straßen zeigte die SA die Fahne der Nazis und machte großen Lärm. Reichlich Bier unter den Erwachsenen war üblich, was den Enthusiasmus und die Reden belebte. An in den Vorgärten errichteten Masten wehten Wimpel mit dem Hakenkreuz. In den Läden hatten einige Händler Holzbüsten von Hitler herstellen lassen, die sie am Eingang hinstellten. (Übersetzung MTB) Prevaleciam os hinos medievais, cantados como se estivessem em marcha, incentivando a luta contra os inimigos terríveis e odientos. Não há guerra sem essa mística. Moradores da região, mulheres e crianças entre eles, sabiam as canções do exército alemão, aprendidas em O novo livro de cantos de soldados, distribuído pelo Partido Nazista do Brasil. […] Marchando rumo à Prefeitura e depois por várias ruas, meio desertas, a tropa de assalto exibia a bandeira nazista e fazia grande barulho. Era regra uma embriaguez de cerveja entre os adultos, que avivava o entusiasmo dos discursos. Em mastros erguidos no jardim da frente das casas, tremulavam flâmulas com a suástica. Nas lojas, alguns comerciantes mandaram fazer bustos de madeira de Hitler, deixando-os na entrada. (Sanches Neto 2015: 13f.)

Die Nationalsozialisten haben hierbei freie Hand, denn Präsident Vargas bekräftigt in einer Radioansprache ihre Legitimation, indem er unterstreicht, es sei »nur natürlich, dass die Ausländerkolonien, die unser Fortschritt als Nation sind, ihre Mythen kultivieren und dass wir als Regierung die Gesetze ihrer Herkunftsländer respektieren [nada mais natural que as colônias estrangeiras, que são o nosso progresso como nação, cultivem seus mitos e que nós, como governo, respeitemos as leis vigentes em seu país de origem]« (Sanches Neto 2015: 83; Übersetzung MTB). Entsprechend gelten in Blumenau und anderen, deutsch dominierten Gebieten Brasiliens die Nürnberger Rassengesetze. Der perfekt Deutsch sprechende brasilianische Ingenieur Adolpho Ventura, die Hauptfigur dieses ersten Teils, der seinen Namen durchaus als Hommage an den Führer trägt, macht sich anfänglich noch Hoffnungen, diese Übereinkunft zwischen dem Dritten Reich und dem Estado Novo biete ihm »eine einmalige Gelegenheit, aufgrund seiner Sprachkenntnisse auf andere Stellen zu gelangen [uma grande oportunidade para que alçasse outros postos por conta de seu domínio da língua]« (Sanches Neto 2015: 28; Übersetzung MTB) – das Problem hierbei ist allerdings, dass Ventura selber schwarz ist und allmählich der Tatsa-

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che gewahr wird, dass die Schwarzen in Brasilien die Stelle der Juden in Deutschland einnehmen. So wird sein Hab und Gut – darunter seine Bibliothek mit deutschen Klassikern, die er im Gegensatz zu den nationalsozialistischen Schlägern und Funktionären alle gelesen hat – konfisziert. Sein halbweißes Kind übergibt Ventura seinen leiblichen Eltern, denen die Flucht gelingt; wenig später wird er, in Anspielung auf die stereotypen Bilder der Züge in die Arbeits- und Vernichtungslager der Nazis, in einem Eisenbahnwaggon deportiert, auf einer Hacienda interniert und dort zur Zwangsarbeit gezwungen. Im chronologisch vorangehenden Teil zwei, »Wolfsschlucht, 1938«, betritt die weibliche Protagonistin des Romans, Hertha Sheiffer [sic], eine deutsche Pianistin mit freizügigem Lebensstil, die Bühne; zunächst ebenfalls in Blumenau, von wo sie stammt. Dort wird Hertha – zu diesem Zeitpunkt noch überzeugte Nationalsozialistin – vom lokalen Gestapo-Funktionär Bruno Fricke für eine geheime Mission angeworben und zu diesem Zweck nach Porto Alegre gebracht. In einer bunkerartigen unterirdischen Anlage mit Verbindung zum Regierungspalast von Rio Grande do Sul, die Vargas vor seiner Präsidentschaft als Gouverneur des Bundesstaats eingerichtet hatte, wird sie als erotisches Gastgeschenk niemand Geringerem als Hitler höchstpersönlich zugeführt – auf detaillierte Zitate soll an dieser Stelle verzichtet werden –, bevor dieser tags darauf gemeinsam mit Vargas vor die Weltöffentlichkeit tritt und jenes Abkommen zwischen Deutschland und Brasilien unterzeichnet, das auch die Übernahme der Nürnberger Rassengesetze vorsieht: Nach einer kurzen Pause setzten die zwei Diktatoren ihren Marsch bis ins Zentrum fort, wo ein Marmortisch mit Tischbeinen aus geschnitztem Edelholz platziert wurde, der nur bei besonderen Anlässen zum Einsatz kam. Hitler behielt seinen angespannten Gesichtsausdruck bei; Vargas lächelte. Innerlich war es vielleicht umgekehrt. Vargas überspielte seine Ängste; Hitler überzeichnete seine Erscheinung als Führer im Kampf. (Übersetzung MTB) Depois de uma pequena parada, os dois ditadores recomeçaram a marcha até o centro, onde fora colocada uma mesa de tampo de mármore com pés de madeira trabalhada, reservada às grandes solenidades. Hitler seguia com uma expressão tensa; Vargas sorria. Interiormente talvez fosse o contrário. Vargas disfarçava seus temores; Hitler exagerava o perfil de líder em combate. (Sanches Neto 2015: 145)

Zurück in Blumenau, das mittlerweile von Pogromen gegen Schwarze geprägt ist, entfremdet sich Hertha nach und nach von der nationalsozialistischen Ideologie. Sie gebärt ein Kind, das sie sogleich in Pflege gibt, und zieht sich weiter zu-

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rück – bis sie von Fricke befragt und gefoltert wird, denn dieser vermutet, der Vater von Herthas Kind (von dem niemand, auch der Leser nicht, Genaueres weiß) sei womöglich der Führer selbst. Auch sind wir wieder zurück auf jener Hacienda, auf die Adolpho Ventura deportiert wurde, und erfahren, dass dort jetzt regelmäßig Jagden auf Schwarze stattfinden, die man in dem riesigen Areal ausgesetzt hat: richtiggehende Safaris, zu denen überzeugte Nazis aus ganz Brasilien mit ihren Gewehren anreisen. 6 Zeitgleich stiftet der Außenminister Osvaldo de Aranha Vargas’ schwarzen Leibwächter Gregório Fortunato, der seit Inkrafttreten der Rassengesetze nicht mehr mit seinem Präsidenten fotografiert werden darf und allmählich auch der Verfolgung seiner Ethnie gewahr wird, zum Mord am Präsidenten an. Fortunato erstickt Getúlio Vargas mit einem Kopfkissen, worauf in Brasilien ein Bürgerkrieg ausbricht, eine guerrilla gegen die Faschisten. Hertha, die sich am Ende des Romans als Mutter von Adolpho Venturas Kind entpuppt (man hat das schon geahnt), wird als Nazi-Anhängerin verhaftet, während Ventura stirbt. Ihr gemeinsames Kind hingegen, das mit Venturas schwarzen Eltern geflohen ist, überlebt und affirmiert das Paradigma der brasilianischen Rassendurchmischung nach dem Ende der Nazi-Herrschaft aufs Neue.

5. VERGLEICH DER TEXTUELLEN STRATEGIEN DER BEIDEN ROMANE: FIKTIVES ZEUGNIS VS. DYSCHRONIE Vásquez’ Roman scheint sich in spezifischer Weise einzuschreiben in das gerade im spanischsprachigen Raum sehr beliebte und verbreitete Paradigma der docuficción – wörtlich also der Dokufiktion (vgl. Martínez Rubio 2015). Die historisch pertinente, aber gleichwohl in der lateinamerikanischen Diskussion wenig bekannte Problematik der schwarzen Listen (wenig bekannt deshalb, weil die Betroffenen fast durchweg Deutsche, Italiener und Japaner waren) wird in Form eines fiktiven Zeugnisses bzw. testimonio – einer sowohl im europäischen Kontext des Holocaust als auch, in ganz anderer Ausprägung, gerade in Lateinamerika der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts (vgl. Beverley 2004) wegweisenden Gattung also, die sich üblicherweise durch ihren faktualen Status und Wahrheitsanspruch auszeichnet – eingeführt und mittels eines Austauschs im Rahmen des generationenübergreifenden kommunikativen Gedächtnisses vertieft und reflektiert. Dabei greift die Vater-Sohn-Konstellation in doppelter Hinsicht: Der Er-

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Dabei wird allerdings eine Jägergruppe von den Schwarzen überrascht, überwältigt und getötet, und als Trophäe ziehen sich die Schwarzen deren Nazi-Uniformen an.

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zähler (und Interviewer der Zeitzeugin Sara Guterman) Gabriel Santoro jr. erfährt eine Entfremdung von seinem namensgleichen Vater Gabriel Santoro sr., indem er durch das Gespräch mit seinem Jugendfreund Enrique Deresser den Verrat aufdeckt, den sein eigener Vater gegenüber Enriques Vater Konrad begangen hat – was wiederum eine finale Aussprache mit dem eigenen Vater nach sich zieht. Die Fiktionalisierung des doppelten Vater-Sohn-Konflikts und des testimonio der jüdischen Immigrantin Sara Guterman soll das historische Setting nicht wirklich verfälschen, sondern es erst plastisch und für den uninformierten Leser lebensweltlich erfahrbar machen, der ansonsten nur auf historiographische Darstellungen oder gar auf von der Historiographie erst noch auszuwertende Quellen zurückgreifen könnte. Insofern könnte man sagen, dass es sich hier um eine Verlebendigung und Aktualisierung eines bisher kaum bekannten und kaum präsenten Themas qua Fiktion handelt, die außerdem die gängigen Täter-OpferDichotomien im Zusammenhang mit dem Weltkrieg modifiziert: Zwar haben sich die Nationalsozialisten in der lateinamerikanischen Peripherie als Mitläufer und Multiplikatoren ideologisch schuldig gemacht, in das direkte Kriegsgeschehen oder gar in direkte Gewalt gegen die in Europa verfolgten Minderheiten waren sie aber aufgrund ebendieser geographischen Randlage in der Regel nicht involviert. Die Randlage ermöglicht daher eine zwar prekäre, aber zumeist noch gangbare Konvivenz der in Europa unversöhnlichen Gruppierungen, was dazu führt, dass es keine vergleichbar eindeutigen Täter-Opfer-Zuschreibungen gibt. Vielmehr führt das System der von den USA initiierten Konzentrationslager für Faschisten und Nationalsozialisten – insbesondere dann, wenn Deutsche unschuldig interniert wurden – zu einem anders gearteten Täter-Opfer-Schema, das mit demjenigen in Europa während des Weltkriegs wenig gemein hat. Am ehesten noch wäre es vielleicht mit den Täter-Opfer-Zuschreibungen in den sowjetischen Arbeitslagern nach Ende des Krieges zu vergleichen, in die – wie es z.B. Herta Müller in ihrem Roman Atemschaukel (2009) beschrieben hat – viele Deutsche weniger wegen ihres ideologischen Standpunktes, sondern in erster Linie aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit deportiert wurden. Die Charakterisierung des (Konzentrations-)Lagers als des »Nomos der Moderne« (vgl. Agamben 2002) scheint in diesem Fall über ideologische und geographische Grenzen hinweg auch in peripheren oder peripheralisierten Gesellschaften Gültigkeit zu besitzen: Das Lager ist überall. Ganz anders hingegen geht Sanches Neto vor. Er fiktionalisiert nicht eine üblicherweise der Faktualität verpflichtete Gattung oder den intergenerationellen Austausch zu einem historisch unbestreitbaren Ereignis innerhalb des kommunikativen Gedächtnisses, sondern er fiktionalisiert das historische Ausgangsmaterial selbst, das auf diese Weise seinen Status als historisches Material verliert.

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Indem er historische Figuren aus ihrem historischen Kontext herauslöst und sie diesem gewissermaßen entfremdet, richtet er seinen Blick auf historische Potentialitäten. Gattungstechnisch haben wir es bei A Segunda Pátria – mit Henriet (2004) gesprochen – mit einer »Dyschronie« zu tun. Während sich die mit ihr verwandte Dystopie normalerweise durch eine Anonymisierung, Universalisierung oder Allegorisierung von Ort, Figuren und Handlung und einen expliziten Zukunftsbezug auszeichnet, schafft Sanches Neto durch die konkrete Verortung seines Settings in einem durch die genannten historischen Figuren klar identifizierbaren, real existenten und auf die Vergangenheit bezogenen Umfeld eine Art von ›historisierender Dystopie‹ – eine Dsychronie also –, deren Reflexionspotential sich jedoch, so wie sich die Dystopie trotz ihres Zukunftsbezugs allegorisch auf Missstände in der Gegenwart beziehen lässt, weniger auf das historische Problem des Nationalsozialismus in Brasilien an sich richtet, sondern auf dessen rassistisches Substrat abzuheben scheint, das in der brasilianischen Gesellschaft bis heute präsent ist (vgl. Telles 2003). Sanches Netos Dsychronie problematisiert daher nicht nur, so unsere Lesart, die historisch verbürgte Tatsache nationalsozialistischer Agitation in Brasilien, sondern auch die Anfälligkeit der brasilianischen Gesellschaft für rassistisch-totalitäres Gedankengut. Während Dystopien und Dsychronien somit immer auch auf Probleme in der gegenwärtigen Gesellschaft zu verweisen scheinen, bringt der Einsatz von testimonios (seien diese nun faktual oder, wie in unserem Fall, atypischerweise fiktiv) tatsächliche, jedoch oft verdrängte oder unbekannte Begebenheiten der Vergangenheit zur Sprache, um sie einer gegenwärtigen Reflexion erst (oder wieder) zugänglich zu machen. Diese ganz unterschiedlichen Strategien des Zugriffs auf das Thema Nationalsozialismus in Lateinamerika und die mit ihnen einhergehenden divergierenden Funktionalisierungen verlangen zur besseren Kategorisierung nach einem erweiterten Chronotopos-Begriff (vgl. Bachtin 2008), der sich nicht allein erzähl- und gattungstheoretisch mit dem im literarischen Text manifesten Raum-Zeit-Kontinuum auseinandersetzt, sondern die außertextuelle Referenz und Relevanz der Erzählung mit den kulturwissenschaftlich und gedächtnistheoretisch fundierten »Erinnerungsorten« (vgl. Nora 1984) oder Mnemotopoi zu verbinden vermag.

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6. ERSTE ÜBERLEGUNGEN ZU EINER CHRONOMNEMOTOPISCHEN CHARAKTERISIERUNG ›PERIPHERER‹ LATEINAMERIKANISCHER ROMANE ZUM THEMENKOMPLEX NATIONALSOZIALISMUS Welche Kategorien solcher Chrono-Mnemotope sich dabei in der literarischen Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus über die hier geschilderten Konstellationen hinaus ergeben können, müssen weitergehende Überlegungen erst noch zeigen. Wir beschränken uns an dieser Stelle auf die hier und in anderen Arbeiten (vgl. Bosshard 2016b) analysierten Beispiele und begnügen uns dabei mit einem ersten, noch sehr groben Schema, das aber dennoch eine Präzision der eingangs vorgeschlagenen Klassifizierung und Typologisierung des lateinamerikanischen Textkorpus zum Themenkomplex Nationalsozialismus erlaubt. Ausgehend von der oben formulierten Forderung, Bachtins literaturwissenschaftlich fundierte Chronotopoi mit kulturwissenschaftlichen Erörterungen rund um die Mnemotopoi zu verbinden, muss die Frage, wo und wann ein literarischer Text spielt bzw. entstanden ist und auf welche historischen Ereignisse er aus welcher räumlichen und zeitlichen Distanz verweist, notwendigerweise mit der Frage gekoppelt werden, wie und zu welchem Zweck die als Referenzen in ihm vorhandenen historischen Ereignisse erinnert werden – und durch welche textuellen Strategien schließlich die chrono- in die mnemotopische Ebene hineinwirkt und umgekehrt. In der untenstehenden Tabelle wurde versucht, ein solches klassifikatorisches Schema zur chrono-mnemotopischen Differenzierung des eingangs skizzierten, stetig wachsenden Textkorpus vereinfacht darzustellen (weitere spezifische Kriterien ließen sich hinzufügen). Hierbei wurde neben Bolaños Die Naziliteratur in Amerika pro in der Einleitung identifizierter Kategorie je ein prototypischer Roman ausgewählt und in der eingangs referierten Reihenfolge angeordnet; die im Rahmen des vorliegenden Artikels ausführlicher betrachteten Romane von Vásquez und Sanches Neto sind dabei grau unterlegt. In der ersten Spalte ganz links verläuft der Übergang von chronotopischen zu mnemotopischen Kriterien vertikal von oben nach unten. Obwohl in der Tabelle nur affirmative Ja-Antworten jeweils mit einem Kreuz markiert wurden (ggf. in Klammern, wenn die Aussage nur teilweise zutrifft), verstehe man die Übersicht bitte nicht streng dichotomisch und starr, sondern als erste Annäherung an das spezifische chronomnemotopische Profil jedes einzelnen Romans bzw. auch – sollten sich die gewählten Romane tatsächlich als prototypisch erweisen – jeder Kategorie. Der verallgemeinerte europäische Prototyp in der letzten Spalte bleibt virtuell und soll lediglich die auftretenden Alterationen aus lateinamerikanischer Perspektive

Die Handlung spielt zu großen Teilen nach dem Weltkrieg.

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Ort der erzählten Handlung

Die Handlung spielt mehrheitlich in Europa. Die Handlung spielt mehrheitlich in Lateinamerika.

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Referentialität bzw. Fiktionalitätsgrad der erzählten Handlung

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Nähe und Distanz der Erinnerungsarbeit

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(ggf. fiktionalisierte) Erfahrungen von Zeitzeugen des Weltkriegs nehmen im Text breiten Raum ein.

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(ggf. fiktionalisierte) Erfahrungen der 2. oder 3. Generation nehmen im Text breiten Raum ein.

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Der Text erinnert zentral die historische Situation in Europa im zeitlichen Umfeld des Weltkriegs.

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Der Text will (ggf. unterhaltend) mahnen. Der Text will (ggf. mahnend) unterhalten.

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Referenz der Der Text erinnert zentral die historische Situation in Lateinamerika im zeitlichen Umfeld des Erinnerungsarbeit Weltkriegs.

Modus der Erinnerungsarbeit

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Der Text erinnert (ggf. implizit) andere lateinamerikanische Erfahrungen nach dem Weltkrieg, die mit der NS-Zeit verglichen werden.

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Der Text hält sich tendenziell an historische Fakten. Der Text betreibt ein systematisches Vexierspiel zwischen Fakten und Fiktion.

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Im Text kommen europäische und lateinamerikanische Perspektiven nahezu gleichberechtigt vor. Perspektive Der Text fokussiert stark auf die Perspektive der der erzählten Opfer bzw. deren Nachkommen. Handlung Im Text gibt es mindestens eine tragende Figur mit faschistischer Ideologie und eigener Perspektive.

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europ. Prototyp

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Puenzo (2011)

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Sanches Neto (2015)

Zeit der erzählten Handlung

Vásquez (2017)

Volpi (1999)

Die Handlung spielt zu großen Teilen im zeitlichen Umfeld des Weltkriegs.

Chronobzw. mnemotopische Ebene Kriterium

Laub (2011)

Bolaño (1996)

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198 | Marco Thomas Bosshard

besser hervorheben helfen. Er ließe sich jedoch durchaus mit konkreten Texten kanonischer Autoren wie Imre Kertész (Roman eines Schicksallosen, 1975) für die Generation der Zeugen oder Patrick Modiano (Dora Bruder, 1997) für die nachfolgende Generation in Verbindung bringen – bis hin zu den Familienromanen jüngerer Autor*innen wie Cécile Wajsbrot oder Marcel Beyer. Je nach Referenzwerk wären hierbei die Klassifizierungen in den Kategorien »Zeit der erzählten Handlung« und »Nähe und Distanz der Erinnerungsarbeit« anzupassen, während die anderen Charakteristika wohl nahezu invariant blieben. Gewiss gäbe diese Tabelle Anlass zu vielerlei präzisierenden Kommentaren. Eine erschöpfende Diskussion dieses Vorschlags kann in diesem Rahmen jedoch schwerlich geleistet werden. Es ist aber zu vermuten, dass die eingangs identifizierten unterschiedlichen Romantypen auf der präzisierenden Grundlage des hier skizzierten chrono-mnemotopischen Klassifikationsschemas tatsächlich hinreichend verschiedene Konfigurationen aufweisen, um sie in künftigen Arbeiten gesondert betrachten zu können, ja müssen. Für die Erörterung spezifisch lateinamerikanischer Implikationen von Weltkrieg und Nationalsozialismus scheidet der von Volpi (1999) prototypisch modellierte Romantypus – anders als die Romane Bolaños – aus. Auch der Typ von Erinnerungsroman der zweiten oder dritten Generation, wie er in Lateinamerika z.B. von Laub (2010) realisiert wird, trägt trotz seines durch das Exil bedingten Lateinamerikabezugs recht wenig zu neuen Erkenntnissen über solche Implikationen bei. Vielmehr greift er weitgehend bekannte Fakten zu Weltkrieg und Holocaust im Sinne einer Tradierung einer bereits bestehenden, opferzentrierten Erinnerungskultur auf, während im Gegensatz dazu in Romanen nach dem Typus von Vásquez (2004/2017) – wenngleich auch dort auf (fiktionalisierte) Zeugnisse jüdischer Opfer abgehoben wird – neue, einer breiteren Öffentlichkeit weitgehend unbekannte Fakten zum historischen Phänomen des Nationalsozialismus in Lateinamerika zum Tragen kommen und mit Blick auf ihre Auswirkungen in der Gegenwart reflektiert werden. Auf diese Weise wird ein Bewusstsein über bisher verdrängte, erinnerungswürdige Ereignisse und mit ihm eine genuin lateinamerikanische Erinnerungsarbeit im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg überhaupt erst generiert. Eine solche lateinamerikanische Erinnerungsarbeit, die sich auch der Tatsache stellt, dass viele Kriegsverbrecher auf dem Kontinent eine neue Existenz haben aufbauen können, vollbringt in Ansätzen auch der prototypisch von Puenzo (2011) modellierte Romantypus. Indem er, zwar ausgehend von einem realen historischen Setting, seine Handlung weitgehend losgelöst von überprüfbaren Fakten frei erfindet, lotet er Potentialitäten aus und stellt nicht nur Nazigestalten, sondern auch die Frage nach deren Protektion durch lateinamerikanische Re-

Nationalsozialistische Agitation in der Provinz | 199

gimes ins Zentrum. Gleichzeitig will er (wie auch die meisten anderen lateinamerikanischen Romantypen) immer auch unterhalten und kokettiert deshalb regelmäßig mit Elementen des Schauerromans bzw. des Horrorfilms. Eine ähnliche Stoßrichtung weisen historisierend dyschronische Erzählungen wie diejenige von Sanches Neto (2015) auf. Obwohl das Thema des Nationalsozialismus in Romanen dieses Typus omnipräsent ist, scheinen sie es dennoch nicht als ihr eigentliches oder alleiniges Thema zu behandeln. Implizite Referenz der von ihnen angestoßenen Erinnerungsarbeit scheinen vielmehr vergleichbare Probleme oder Strukturen in der autochthonen lateinamerikanischen Gesellschaft der Nachkriegszeit oder gar der Gegenwart zu sein. Ebenso wie bei den großen dystopischen Romanen der Weltliteratur erfolgt diese Reflexion über die Gegenwart jedoch üblicherweise nicht im Text, sondern muss vom Leser selbst realisiert werden. Wenn wir weitere Beispiele aus unserem Textkorpus einbeziehen, dürften sich darüber hinaus weitere Varianten ergeben, so z.B. Erzählungen, die keine Dyschronien sind, jedoch die Darstellung des Nationalsozialismus ebenfalls mit vergleichbar totalitären Strukturen (etwa denjenigen der Militärdiktaturen) in der Geschichte der jeweiligen Gesellschaften explizit engführen (vgl. Fingueret 1999). Spätestens hier wären die Betrachtungen auf das immense, im Vergleich zum Themenkomplex Nationalsozialismus in Lateinamerika sehr viel besser erforschte Textkorpus von Romanen auszuweiten, die die Verbrechen der Militärdiktaturen (insbesondere in Argentinien, Chile, Uruguay und Brasilien), aber auch die Gewaltexzesse der langen und blutigen Bürgerkriege (z.B. in Kolumbien, Peru und Zentralamerika) verhandeln. Denn diejenigen Texte, die im Sinne Huyssens den Holocaust als »universal trope for historical trauma« (Huyssen 2003: 13) umfunktionalisieren und die Verbrechen der lateinamerikanischen Diktaturen explizit mit denjenigen während des Zweiten Weltkriegs in Verbindung bringen – so etwa Liliana Hekers El fin de la historia (1996) in Argentinien oder Bernardo Kucinskis K. Relato de uma busca (2011) in Brasilien –, könnten mit Blick auf ihr chrono-mnemotopisches Profil zu beträchtlichen Teilen mit den hier identifizierten Konfigurationen übereinstimmen.

200 | Marco Thomas Bosshard

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Nationalsozialistische Agitation in der Provinz | 201

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202 | Marco Thomas Bosshard

Vásquez, Juan Gabriel (2017): Los informantes. Bogotá. Volpi, Jorge (1999): En busca de Klingsor. Barcelona.

Against Oblivion Himmelweg and the Theatre of the Holocaust Fernando García Naharro 1

»In dem Augenblick aber, da der Begriff der Echtheit an der Kunstproduktion versagt, hat sich die gesamte soziale Funktion der Kunst umgewälzt. An die Stelle ihrer Fundierung aufs Ritual ist ihre Fundierung auf eine andere Praxis getreten: nämlich ihre Fundierung auf Politik« Walter Benjamin 2

I »The theatre of the Shoah – since Brecht’s The Jewish Wife – deserves a chapter of its own within the larger study of historical theatre«. With these words, Juan Mayorga (2016a: 7) argued in his article »The Playwright as Historian« the special condition of the theatre of the Holocaust while offering a reflection on historical theatre’s own capacity to go beyond the past: »the best historical theatre does not put the spectator in the position of eyewitness. What is important is not what any given historical period knows about itself, but rather what a period is not able to know and which can only be revealed with time« (ibid.: 9). Like Mayorga’s theatre, this paper deals also with the wounds of the past, the silences of the vanquished and the handful of unpleasant questions invoked in his play

1

I am grateful to participants in the Symposium at the Europa-Universität Flensburg for comments on a preliminary presentation. I wish to thank Juan Mayorga and Tracy Quan for their support.

2

Benjamin 1980: 482.

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Himmelweg. Camino al cielo (2003). 3 In so doing, I intend to address the main aesthetic and ethical problems displayed in this work, focusing on characters, comparative human aspects of camp life and the role of testimony and memory within the play. With this, I intend to show how Juan Mayorga deals with complex issues of human kind such as fear, solidarity, personal interests and betrayal. However, this involves also placing this work in the context of Mayorga’s philosophical outlook, especially in relation to Walter Benjamin (Berlin, 1892– Portbou, 1940). Through the eyes of the German-Jewish writer and in the light of such ideas, an attempt is made to clarify Mayorga’s understanding of the true function of theatre in contemporary western society.

II Perhaps the playwright can be a historian, but the philosopher that Juan Mayorga actually is shows that the ›lover of wisdom‹ can also be a playwright; in this case, one of the most influential Spanish playwrights in the current time. Juan Mayorga was born in Madrid in 1965. He studied Mathematics and obtained his PhD in Philosophy with a dissertation on Politics and Memory in Walter Benjamin (Mayorga 2003). This self-recognized disciple of scholars, such as Walter Benjamin and Reyes Mate, and playwright – situated within the »Bradomín Generation« (Floeck 2004a; Floeck 2004b), and influenced by authors such us Bertolt Brecht, Heiner Müller, Tadeusz Kantor, George Tabori or José Sanchís Sinisterra (Mayorga 2016b: 198-294) – has received several awards, such as the Spanish National Prize of Theatre (2007) or the Spanish National Prize of Dramatic Literature (2013). His works have been translated to more than 20 languages, some of them very concerned with the Holocaust and the Exile experience (Mayorga 2016c: 317-319). Therefore, it is no exaggeration to say that today he is probably one of the Spanish experts on the »Theatre of the Holocaust« 4. With this in mind, we will see how the main idea of the play Himmelweg came to Juan Mayorga’s mind.

3

In English translation: Way to heaven (Mayorga 2005).

4

Theatrical works dealing with the Holocaust have grown enormously since the last decades. Robert Skloot (University of Wisconsin-Madison) set down what he thought would be the five main goals of Holocaust theatre: »to honor the victims, to teach history, to evoke emotional responses, to raise and discuss ethical issues, and to draw lessons from the issues raised theatrically in the plays« (Skloot 2013: 26).

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»Storytellers« – Walter Benjamin pointed out – »tend to begin their story with a presentation of the circumstances in which they themselves have learned what is to follow« (Benjamin 2007a: 92). Likewise, Juan Mayorga recalls clearly that it was during a workshop, when he listened for the first time to the story of a Red Cross representative that travelled to Terezín, a Nazi concentration camp that was disguised as a charming place to fool the visiting Red Cross worker, who, finally, wrote a favourable report to the Nazis. This man was Maurice Rossel, the one who Claude Lanzmann interviewed in 1979 for his film, A VISITOR FROM THE LIVING (Original title: UN VIVANT QUI PASSE, F 1997) (cf. Mayorga 2016d: 44-45). 5 The ›Jewish Settlement Area‹ at Terezin, in what is now the Czech Republic, was set up by the Nazis to persuade international observers that Jews were held in good conditions. In the historical account, Eichmann ordered the »Beautification« of Theresienstadt for the visit of the Danish and International Red Cross commission – that took place on June 23, 1944. This »old-age ghetto‹ – a »reservation« for »old and sick Jews who could not stand the strains of resettlement« (Hilberg 2003: 448) – turned into an idyll »Jewish settlement« (built upon the Nazi myth of the »model ghetto«) as a proof of how Hitler’s Germany cared about Jews. It was depicted as a self-governing Jewish settlement in the film about Theresienstadt directed by Kurt Gerron. 6 In reality, however, the prison camp of Theresienstadt was full of hunger and misery and a way station leading to Auschwitz and other death camps (Adler 2017). In other words, Theresienstadt was the »Vorhof der Hölle« (Modlinger 2010: 662). »When I heard that story – tells Mayorga about the story of Maurice Rossel – I immediately thought […] that he is similar to people that I know and, probably, he is similar to me […]. When he knew the truth, how could he not commit a suicide? […] Could he have an ordinary life?« (Mayorga 2014; translation by F.G.N.). Hence, the brand new »storyteller« 7 (a.k.a. Juan Mayorga) is concerned here with what Walter Benjamin understood to be the task of the critic. This figure that can be linked to the »alchemist«, concerned only with »the enigma of

5

For the differences between Mayorga’s character and the real Maurice Rossel see March Tortajada 2014: 25-30.

6

THERESIENSTADT – EIN DOKUMENTARFILM AUS DEM JÜDISCHEN SIEDLUNGSGEBIET (DE 1944). See also Margry 2016. A documentary film over this shameful lie and the story of Kurt Gerron in Clarke, Malcolm; Sender, Stuart: PRISONER OF PARADISE (CA/US/UK 2002).

7

»The storyteller is the figure in which the righteous man encounters himself« (Benjamin 2007a: 109).

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being alive«: »thus the critic inquires about the truth whose living flame goes on burning over the heavy logs of the past and the light ashes of life gone by« (Arendt 2007: 5). Indeed, the searching for the »truth« deeply embedded in the subject matter remains at the core of Mayorga’s Himmelweg – his most acclaimed play, titled with the word used at the Lager to denote the way to the Gas Chambers: »You say ›him-mel-veck‹. It sounds like a word, but it’s two. Himmel means ›heaven‹ – the Red Cross representative explains in his monologue – Weg means ›way‹. Himmelweg: ›way to heaven‹. I heard it for the first time here, in this place, thirty kilometres north of Berlin. In 1942« (Mayorga 2005: 19). The work is divided into five sections composed in a complex structure that loops back and forth through time. However, it helps Mayorga to tell the events from several different points of view. The first section is a monologue by this Red Cross visitor relating to the audience his guilty memories of the fake tour in the concentration camp, apparently inhabited by happy Jewish inmates. In sections two and four, the audience attends to the rehearsal process of this masquerade: gentle scenes of children playing onstage, a young couple on a date – both scenes replayed – or the rehearsals and discussions between the Camp Commandant and the selected Jewish prisoner, Gershom Gottfried, while they are preparing the performance for the Red Cross representative. The third section remains as a monologue where the Commandant speaks to the spectators welcoming them ›once again‹, as if they had been there before everything was swallowed up by the woods. Finally, the last section shows how Gottfried urges his actors to »focus on the words and gestures and you won’t hear the trains« while he tells the girl that »if you do it well, we’ll see Mummy again« (Mayorga 2016e: 331).

III Theatrical explorations of the catastrophic events dealing with the ethical ambiguities of performing survivors’ testimony portray, for sure, ethical risks and dangers. Because of that, and concerned as Juan Mayorga was with the issue of representing the Holocaust (Mayorga 2016f: 165-172), I shall begin addressing one of the themes analysed in the script: the very nature of the performance itself. If, like Walter Benjamin argued, »the presence of the original is the prerequisite to the concept of authenticity« (Benjamin 2007b: 220), then it could explain why Juan Mayorga doesn’t represent on stage the Red Cross representative touring the camp, only his memories of that day in the fake ›Jewish re-plantation

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zone‹. 8 Despite being based on a true event, its unique existence is not available any longer: »Even the most perfect reproduction – wrote Walter Benjamin – […] is lacking in one element: its presence in time and space, its unique existence at the place where it happens to be. This unique existence […] determined the history to which it was subject throughout the time of its existence« (ibid.). Furthermore, the ›here and now‹ of the original performance in Himmelweg is never available for the audience: even though the play performs the whole script – from the montage to the result of this process – its authenticity is already lost. 9 However, it makes more interesting the meta-theatrical proposal of Himmelweg: it is a play within another play, and the beholder – or the reader of the script – is attending to almost the entire process of production of these scenes, where everything is carefully controlled. The Commandant conducts this performance organized through an unequivocal line of development. The spectator/reader witness the basic conditions of a theatrical work, where each actor is learning the script and performing every movement under the gaze of the director. Hence, the audience of this play can see clearly how this process affects the whole performance: the Commandant’s intervention determines the process demanding a specific kind of reception, highly controlled by a particular way to approach the scenes. Dialogues, stage actions, gestures and tempos become obligatory and unchangeable under Commandant’s expert appraisal: »As you can see, we are going to transform the whole area – the Commandant says to Gottfried – but much more important, and more difficult, is the way we transform ourselves. All of us, you and us« (Mayorga 2005: 49). However, Juan Mayorga uses this masquerade not only to show the fake inmates’ lives theatricalized, but also as an example of what the theatre should never be. 10 In his view, theatre should always be performatively open. This is the reason why – out of the content of the play Himmelweg, but on its form–, there are few instructions written upon the script of the play, indicating just stage actions, interactions of performers with the audience and the silence or the sound of those trains that the audi-

8

»In der Unsichtbarkeit des Horrors und der Manipulation der Opfer sieht der Autor demnach selbst die beiden entscheidenden Themen seines Dramas. In der Tat werden weder das Elend des Lagerlebens noch die Gewalt der Täter gegen die Opfer oder der Opfer untereinander gezeigt oder erwähnt« (Floeck 2014: 53).

9

»The authenticity of a thing is the essence of all that is transmissible from its beginning, ranging from its substantive duration to its testimony to the history which it has experienced« (Benjamin 2007b: 221).

10 A theatre that hides the truth. On theatre as a deception, see Brignone 2017: 197-198.

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ence never sees. 11 Despite these stage directions that address a minimalist set design, in the end, it is up to each director. 12

IV »Part documentary, part metatheatre, part testimonial – argues John P. Gabriele – Mayorga melds several dramatic forms into a single text to underscore the fragmented manner in which memory operates when recalling or depicting disturbing historical events and how they are forever mired and steeped in ambiguity and uncertainty« (Gabrielle 2011: 39). Precisely because of that, the script of Himmelweg is construct of monologues and dialogues 13 displayed on stage to facilitate the interchange between audience and actors. »The thought that matters does not come from the author – Juan Mayorga argues – but from the spectator« (Mayorga 2016g: 323; translation by F.G.N.): in his work, Juan Mayorga intends to leave behind any link between the characters and the author’s convictions. Instead of a narcissistic theatre, he defends a political theatre that appeals to the critical thought of the audience that should be suspicious of what they heard or see (ibid.). For instance, they should be wary of the Red Cross man he describes, in the first section, episodes that he himself witnessed. Again, like the Benjamin’s »storyteller« that »takes what he tells from experience« and »makes it the experience of those who are listening to his tale« (Benjamin 2007a: 87), here is the Red Cross representative who describes on the stage – so to say, ›here and now‹ – his doubts and suspicions of that time. That never-ending/never-made second final report, reconstructed by a person remembering to, make sense of his former testimony. A man who is struggling now, several years later, with problems that emerge from his own experience of the past, his interests as well as his frustrated expectations. However, this testimony modifies the ways in which he attended to the performance displayed then in the camp; in many ways, I could say that he is placing the ›copy‹ of the ›orig11 It also highlights how Juan Mayorga uses this camp as a metaphor of the »Lager«: »In der historischen Wirklichkeit war Theresienstadt kein Vernichtungslager. Von hier gingen die Transporte vielmehr in die Gaskammern von Auschwitz. Mayorga hat in seinem Stück Theresienstadt und Auschwitz miteinander verbunden« (Floeck 2014: 71). 12 On the importance of directors in choosing how to perfom Himmelweg see Mayorga 2014. 13 A complete analyse of Himmelweg’s script structure in García Barrientos 2016: 225264.

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inal‹ in situations, which the original itself cannot attain. 14 This also raises crucial questions about the meaning and use of witness testimony, because »›Past‹ and ›Now‹ always exclude one another« (Ricoeur 2004: 35). The past will never be the same simply because when we recall something, we actually reproduce a temporal object that has disappeared already. Therefore, »the memory itself can in turn be retained in the mode of having just been remembered, re-presented, reproduced« (ibid.). I shall analyse later, throughout the monologue that one can perceive something odd while the Red Cross representative is touring the camp: glances 15, smiles and awkward situations that, however, now means different to him. »But who knew any of that then? – the Red Cross representative argues – Now, it’s easy to see me as a fool, but I’m not different from anyone else« (Mayorga 2005: 29). This oral testimony, understood as a form of endless remembering and reorganizing disorder 16, deals also with what the Red Cross representative could do but he actually didn’t: »Today I’d have asked, ›if they (Jews) look after their own affairs, what are you doing here, Commandant?‹ But I didn’t. Nobody talked to Germans like that« (ibid.: 27). Curiously, among the permanent features within the versions that his narrative unfolds, remain the description of the camp Commandant: »A man about my age, with blue eyes […] He recognised my accent: »I like your country. I was on holiday there before the war«. He wanted me to know that he was from the sort of family that could afford holidays abroad. I wasn’t; I’d never had the money to travel. Until the war, that is; that was the first time I ever got the chance to go abroad. So he talked about my country« […] »He told me about how he felt more European than German. He wanted the war to be over as soon as possible, because for him it was like a civil war. He showed me his library: »Calderón, Corneille, Shakespeare… That’s my Europe«. I felt unconfortable. Was he trying to show me what a great…man of culture he was? More than I was anyway, that was certainly true. From a family that could afford the best schools, afford to travel, to meet people. As we were walking into the camp, he told me that the war was a mistake, a misunderstanding between brothers«. (ibid.: 21-22)

14 »The situations into which the product of mechanical reproduction can be brought may not touch the actual work of art, yet the quality of its presence is always depreciated« (Benjamin 2007b: 221). 15 »The people looked at me in a strange sort of way. I put it down to the fact I wasn’t wearing a uniform. They looked at me like somebody who wasn’t one of them, but not a German either« (Mayorga 2005: 23). 16 Lawrence Langer’s reflexion quoted in Skloot 2012: 265-266.

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In this first monologue, as well as in the fourth and the third section of the script (where the Commandant speaks directly to the audience), one can also see him taking books of Pascal or Aristotle from his library or quoting Spinoza – »Hatred which is conquered by love, becomes love; and that love is greater than if hatred had not been its forerunner« (ibid.: 24). In so doing, the Nazi-Commandant remains a Gentleman with a high social status, a man of culture – »too affable, too cultivated« (ibid.: 25) – interested in Philosophy and Literature, always surrounded by books: perhaps we can be tempted to agree with Mayorga in saying that »he is similar to people that I know and, probably, he is similar to me« (Mayorga 2014; translation by F.G.N). Don’t misunderstand me: like the journalist and Auschwitz survivor Marian Turski (Druskieniki, 1926) said in an interview, »the Holocaust was made by people that loved its children and listened to Strauss music« (Turski in Hernández 2018; translation by F.G.N.). 17 Indeed, the only true monsters are always human beings. Therefore, by emphasizing the wise Commandant’s personality, Juan Mayorga is depicting this Nazi chief not only as a learned human being with a sophisticated taste for literature, culture and arts; what is more dangerous, he is actually presenting us a plausible human being – in Hannah Arendt’s words »terribly and terrifying normal« (Arendt 1964: 276). 18 »Hitler was, after all, a human being« wrote Ian Kershaw in The Guardian after watching the DER UNTERGANG (DE 2004), merely the first time that the bunker story was filmed by a German cast, »We well know that he could be kind and considerate to his secretaries, and with the next breath show cold ruthlessness, dispassionate brutality, in determining the deaths of millions« (Kershaw 2004). Probably the reason why this broadly acclaimed film provoked controversy in Germany was – and still is – that it is dangerous to see Nazis as human beings: 19 but, recalling again Ian Kershaw’s words, »what does that thought imply about the self-confidence of a stable, liberal democracy?« (ibid.).

17 »Después del Holocausto, contraponer cultura a barbarie es una peligrosa ingenuidad. Se puede escuchar la mejor música por la mañana y torturar por la noche. Se puede llorar de emoción ante un cuerpo pintado o esculpido y contemplar con indiferencia el dolor de un ser humano. Una sociedad de lectores, una sociedad que llene los museos, una sociedad que abarrote los teatros, puede aplaudir el genocidio« (Mayorga 2016h: 25). 18 On plays dealing with Nazi figures such us Hitler, Eichmann, Göring, Mengele and Hess, see Skloot 1994: 57-87. 19 On films dealing with the Holocaust, see Wende 2008.

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V »The quality of theatre – argued Walter Benjamin in The Origin of German Tragic Drama – speaks with particular emphasis in those violent actions with their eminently visual appeal« (Benjamin 2003: 51). Unlike, in Himmelweg the audience has the chance to listen to a Nazi-Commandant talking about extreme violent events (i.e., II World War 20, concentration Camps 21 or the Final Solution 22) but without showing any act of violence: »it would be totally naïve and obscene to pretend to represent, on the stage, the overwhelming violence of a Gas Chamber – says Juan Mayorga –. Only the audience can recall this violence« (Mayorga 2014; translation by F.G.N.). Therefore, only specific situations of Mayorga’s work reveals conditions that actually were undercover, impelling the audience to take up an attitude towards what it sees. »Two objects are provided for this interest« recalled Walter Benjamin while explaining what Epic Theatre was: The first is the action; it has to be such that the audience can keep a check on it at crucial places on the basis of its own experience. The second is the performance; it should be mounted artistically in a pellucid manner. (This manner of presentation is anything but artless; actually, it presupposes artistic sophistication and acumen on the part of the director). (Benjamin 2007c: 147-148)

These ideas and objectives link the work of Juan Mayorga with the Epic Theater of Bertolt Brecht – whose Short Organum for the Theatre is quite familiar to

20 »This war is the work of humanity«; »One day will be impossible to tell the victors from the vanquished«; »There is a sense for all of this suffering« (Mayorga 2005: 43). 21 »Walking skeletons in striped pyjamas. I’ve had the same nightmares. But who can sleep easy these days?«; »Trains travelling through the night, that’s my Europe. Our nightmares travel on the trains. They’ve happened. Our nightmares have happened« (Mayorga 2005: 42 and 46). 22 »Remember that we are addressing a problem that has confronted the whole Europe for centuries. It was us who first realised that it is, fundamentally, a problem of transport. Our great achievement has been the solving of that technical issue«; »The immediate objective is to regroup all the Hebrews scattered across Europe into one place: here. But the final objective is much more elevated. Our final objective is to show that everything is possible. Everything is possible« (Mayorga 2005: 45).

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him. 23 The Epic Theatre, in Walter Benjamin’s words, »is concerned less with filling the public with feelings, even seditious ones, than with alienating it in an enduring way, through thinking, from the conditions in which it lives« (Benjamin 2008a: 91). In other words, »if theatre is not able to destabilize the spectator’s memory, imagination and desires – Juan Mayorga argues – then it is not relevant, it is irrelevant« (Mayorga 2014; translation by F.G.N.). In so doing, Mayorga uses the procedure of montage according to the principle of interruption where the truth remains: 24 »The interruption of action, on account of which Brecht described his theatre as ›epic‹ – says Walter Benjamin – constantly counteracts illusion on the part of the audience. For such illusion is a hindrance to a theatre that proposes to make use of elements of reality in experimental rearrangements« (Benjamin 2008a: 90). In producing astonishment rather than empathy, and in portraying situations – »a situation that, in this or that form, is always ours« – rather than developing plots, Juan Mayorga agrees with Bertolt Brecht’s theatre also in discovering current questions in past events (Benjamin 2007c: 147-154): what emerges are always present-day struggles in disguise. 25 Nevertheless, does it justify turning the Holocaust into a theme? Is it still necessary to recall a traumatic event of its magnitude? Among the irreconcilable understandings on the representation of the Shoah (Friedlander 1992), Juan Mayorga appeals to the maxim that only against the Holocaust can one learn to face old and new shades of violence, torture and discrimination: »For placing Auschwitz no more in the heart of Europe, every European must past through it only with his heart and his memory« (Mayorga 2016j: 56; translation F.G.N.). Moreover, like in other touchstone plays such as Die Ermittlung (Peter Weiss, 1965), The Cannibals (George Tabori, 1968), Broken Glass (Arthur Miller, 1994) or Ashes to Ashes (Harold Pinter, 1996), Juan Mayorga seeks to confront

23 His discourse to the Real Academia de Doctores de España (RADE), titled »Razón del teatro«, in many ways, can be understood as an homage to Bertolt Brecht. See Mayorga 2016i: 87-107; Brecht 1974: 179-205. 24 »Se anuncia aquí lo que será un rasgo mayor de la obra benjaminiana: la verdad no se vincula al discurso, sino a su interrupción […] de ahí su interés por el teatro brechtiano, que, basándose en la interrupción, hace del público un crítico« (Mayorga 2003: 38). 25 »No quiero que Himmelweg se considere una obra histórica. Si alguien sale de la sala y piensa que ›eran tiempos horribles‹, he fracasado. Quiero que Himmelweg concierna a la gente de hoy. Es una historia de cómo pueden ser las personas y sobre acontecimientos que pueden suceder y suceden siempre« (Hartwig; Pörtl 2008: 27).

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the audience with the guiltiness: is there Auschwitz’ poison still running through our veins? (García Barrientos 2011: 41).

VI »›Did you not see the ovens? Did you not see the trains?‹ No, I saw none of that. ›The smoke? The ash?‹ No – the Red Cross delegate says – Everything that people say was there, I saw none of it« (Mayorga 2005: 28). Indeed, he was the one that was there, he was the eyes of the world but he saw nothing. He, the one that went to Germany as a Red Cross representative because he cared about people 26 and he always had: My parents taught me the virtue of compassion. I never close my eyes to the suffering of other people. That’s why I joined the Red Cross, because I wanted to help. That’s why I agreed to work in Germany, and that’s why I was there, thirty kilometres north of Berlin. Because I wanted to help. (ibid.: 25)

No doubt, it was his main goal and he wanted to do it properly, who would not? However, he couldn’t notice any signal of pain and horror except, perhaps, that awkward gaze upon the inmates’ faces. Nonetheless, he recalls that he never doubted they were Jews, or that there was something strange in the way they moved (»they seemed awkward, unsure«) as well as in Commandant’s manners (»too affable, too cultivated«) or in the way that Gershom Gottfried talked to him (»The Mayor spoke like a machine«) (ibid). He, finally, hesitates: The couple, the old man, the boys, was there not something artificial about them? Was it not like being inside a beautiful toy, from the moment Gottfried had greeted me with his cheery smile? The station still smelled of paint. The orchestra, the swings, everything – all of a sudden – seemed as strange as the Mayor’s tone of the voice. What had the place been like before I arrived? And what would it be like once I’d gone? I’d come here to look. I was the eyes of the world. I was going to leave with photographs, and a report describing what I’d seen. (ibid.: 24-25)

26 »I have always cared about people. When I was asked to go to Berlin as a Red Cross representative, I thought that I could help in some way. It was my job to visit prisoners of war camps and make sure they were complying with all the international conventions. I felt useful« (Mayorga 2005: 19).

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Pictures as the evidence, the proof 27; eyewitness as the first-hand description of them. However, what if the essential was invisible to the eye? What if he was too blind to see or, perhaps, too deaf to listen? What if he was just not ready for accepting it? »Did he think I was going to open the door?« – the Red Cross representative recalls that moment when he was touching the hangar door of the fake »infirmary« 28 – »Because I thought I might. But what if I was wrong after all? Perhaps I was just giving in to prejudice? Or arrogance? The vanity of someone who thought he could see beyond what was there. I stepped away from the door and I rejoined them« (ibid.: 28). Fear, doubts and hesitations of a man struggling with his duty and his past. 29 A man that, on the one hand, in reclaiming the repressed and the unmapped areas of his memory, he does this »recognition« as a confession on stage, in front of the audience: 30 he was, therefore, part of the process of legitimation of the concentration camp. 31 On the other hand, however, the Red Cross representative doesn’t want to overestimate himself as a way to justify what he actually did in the past; because, after all, his »mission was to look and to see«. 32 A testimony

27 »Photographs become standard evidence for historical occurrences« (Benjamin 2007b: 226). 28 »›The infirmary‹, he [Commandant; F.G.N.] said. ›The path between the infirmary and the train, we call it »way to heaven‹. He looked at Gottfried, expectantly. Gottfried nodded: ›The way to heaven‹« (Mayorga 2005: 26). 29 »I walk up in the night. Every night I dream that I’m walking up the ramp to the hangar door. I open it and there they are, smiling, waiting for me Gottfried… and the others« (ibid.: 29). 30 »Every night I write my report in my memory. ›Hygienic conditions are satisfactory. The people are well dressed, taking into account the normal differences of social status and background. Accommodation is modest, but of reasonable standard. Food appears sufficient‹« (ibid.). 31 »Lifton’s work (The Nazi Doctors: Medical Killing and the Psychology of Genocide) indicates the pervasive role of physicians in the camp system […] He also shows that camp hospitals were death rows, that Red Cross vans were usually employed to take the prisoners to the ›disinfection‹ chambers, and that the cans of Zyklon-B gas (stored in the camp’s pharmacy together with the phenol used for lethal injections) were usually brought there in Red Cross ambulances« (Biagioli 1992: 203) 32 »I was only charged to write a report and put my name to it. Even if I had written something different, what would have changed? […] Today, standing in this place, I feel horror. But I will not apologise for having written that. I would write it again,

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regarded as fact based upon the credibility of the eyewitness – a »modest witness« (Shapin 1995) humble and concerned with the suffering of other people – and the photographs, the »primary metaphor for objective truth« (Daston/Galison 1992: 120). Nevertheless, like the photographs that couldn’t grasp the movements and the »authenticity« 33 of the mechanical figures show that – like Master Peter Henlein, the Clockmaker of Nuremberg – the Commandant had arranged, the Red Cross representative couldn’t really understand what was happening there. He couldn’t grasp the very essence of the unnameable: 34 the sound of silence. Because silence actually is the most important feature in Himmelweg. Juan Mayorga uses it as a way to face the »unrepresentable« uniqueness of the Shoah. »Silence is the antiworld of speech, and at least as polyvalent, constitutive and fragile […] Silence can be the marker of courage and heroism or the cover of cowardice and self-interest; sometimes, it is the road sign of an impossible turning« (Haidu 1992: 278). Indeed, as Peter Haidu points out, silence must be judge in its own situations of enunciation. However, in Himmelweg silence is never a mere absence of speech. It is the omnipresent speechless voice of the underdogs, a fundamental part in the few instructions written upon the script (as well as the instructions for the sounds of trains) for making the unsaid – and the pervasive noise of the unseen – an essential feature of the play (Francisco Rodó 2017: 233237). »In Himmelweg, silence is the only true«, argues Juan Mayorga, who highlights the ways in which the dialogues in the play undercover the living tragedy of the ventriloquized inmates: 35 »people don’t talk like that – Gottfried says – not in the real life« (Mayorga 2005: 55). Furthermore, objects are equally relevant for depicting the terrible fate of the inmates: »for once human life has sunk into the merely creaturely – Walter Benjamin pointed out – even the life of apparently dead objects sources power over it. The effectiveness of the object where guilt has been incurred is a sign of the

word for word. And I would put my name on it again. I wrote what I had seen« (Mayorga 2005: 29-30). 33 »The whole sphere of authenticity is outside technical –and, of course, not only technical- reproducibility« (Benjamin 2007b: 220). 34 »No one gave me the slightest sign. No one had said: ›I need help‹« (Mayorga 2005: 25). 35 »De algún modo, Himmelweg no es una obra sólo sobre la manipulación, sino también sobre cómo se manipula a las víctimas para que enmascaren su propia tragedia, para que de algún modo fortalezcan el relato del vencedor« (interview with Juan Mayorga, Madrid, 7th april 2008 in Spooner 2013: 469).

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approach of death« (Benjamin 2003: 132). From the Commandant’s library to the station clock, every object portrays meaning beyond its appearance: for instance, the dolls seem to be metaphors of those speechless inmates, greeting and acting like mechanical figures; mostly ›Figuren‹ – like the Nazis called the cadavers – on the hands of the master of »marionetten« (Francisco Rodó 2017: 223). Likewise, the books and the library itself shape the Commandant as a reliable and cultivated man, while turns its enlightenment »into an outright deception of the masses« (Horkheimer/Adorno 2002: 34) 36. Then, it seems like the »catastrophe« became the rule: 37 an accurate machinery that, like the clock’s scales of the station clock in Himmelweg, hasn’t stopped at least since the times when the Catholic Monarchs signed a decree expelling the Jews from their kingdoms and Columbus made landfall in the Caribbean, first stage in the conquest of the New World. 38 However, the station clock is still (Jetztzeit /nunc stans) showing six o’clock exactly – the time when the death trains arrived in the morning but also the time when the Red Cross representative was in the camp: maybe it is the gesture, the signal for firing »at the dials in order to stop the day« (Benjamin 2007d: 262). Like Walter Benjamin appealing to the real state of exception »to bring about the miracle« (Mayorga 1993: 300), Juan Mayorga intends to stop the time while he imagines alternative pasts informed by the repressed memory of the Red Cross representative 39. Also, not approaching this issue directly but surrounding it in a more productive way (connecting distant points, breaking out the boundaries of the object itself), the author gives the beholder/reader more space for new reflections (Mayorga 2016k: 17-19).

36 »COMMANDANT: ›People think we’re animals. But look at my library‹« (Mayorga 2005: 42) 37 »One single catastrophe which keeps piling wreckage upon wreckage« (Benjamin 2007d: 257). 38 »In fact, the clock’s scales derive from an earlier set, manufactured in Toledo in 1492. Which means you’re looking at a machine that hasn’t stopped for almost five hundred years« (Mayorga 2005: 26). 39 »El recuerdo del pasado fallido es fuente de esperanza para la actualidad« (Mayorga 2003: 78).

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VII In so doing, I would like to finish these pages recalling the character of Gershom Gottfried, the fake Mayor. Juan Mayorga named 40 this character Gershom Gottfried – may I say: »Gott-fried. It sounds like a word, but it’s two. Gott means ›God‹, Fried(en) means ›peace‹« –, the only character of the script known by his proper name. 41 »A man’s name is his fate« (Benjamin 1997: 69), Walter Benjamin argued, and precisely because of that, Gottfried portrays a privileged status in the script but also within the concentration camp: being a privileged prisoner. 42 Gottfried is, however, performing a terrifying ethical choice oriented toward utilitarian but humanitarian motives; dealing with rewards 43, coercion and complicity 44, Gottfried also plays the role of the preserver of Jewish life in a framework of German destruct. 45 However, the script put the copy of the original Gottfried – not the original, that »confronted with its manual reproduction« (for instance, a portrait painting of Gottfried with his wife and daughter) 46, »preserved all its authority« (Benjamin 2007b: 220) – into extreme situations »which

40 »Man is the namer […] Hence, he is the lord of nature and can give names to things. Only through the linguistic being of things can he get beyond himself and attain a knowledge of them – in the name« (Benjamin 1997: 65). 41 »Things have no proper names except in God […]. In the language of men, however, they are overnamed« (Benjamin 1997: 73). 42 On Primo Levi and the Gray Zone see Mayorga 2016d: 39-52; Floeck 2014: 59-60. 43 »Your cooperation will be rewarded. Naturally, if you choose not to assume this responsibility, we shall find someone else. However, a negative reply would prove very disappointing« (Mayorga 2005: 48). 44 »We have chosen you to be an interlocutor […] I shall tell you what we want, and you will transmit those wishes to your people. You will find the right words« […] You came to our attention because we could see that you enjoy the respect of your people« (Mayorga 2005: 47-48). 45 On these tensions the Judenräte are illustrative. See Diner 1992: 128-142; Hilberg 1980: 98-112. 46 »RED CROSS REPRESENTATIVE: ›We ended up talking about the man who’d owned the house, a Jew. Nobody had bothered taking down a portrait of him with his wife and daughter. We were talking about the quality of the painting, but we ended up agreeing it was time one of us visited the civilian internment camps‹ […] ›I couldn’t speak for a moment. Gottfried, standing there smiling, reminded me of the man in the portrait, in the house in Berlin‹« (Mayorga 2005: 20 and 22).

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would be out of reach for the original itself« (Benjamin 2007b: 220), 47 encouraging the audience to face them. However, maybe not all have the courage to look them in the face. Nevertheless, Gottfried (a.k.a. Gott-Fried) is also the character that, breaking out of his role in the (hi)story 48, annoyed the Commandant – for the first time in the script – with a poetic drift, disturbing the idyllic image of the fake camp: It’s difficult, especially for the older people, but the young ones know that we’re like a ship waiting to enter the harbour that’s been sown with mines. The Captain doesn’t know the safe route in and he has to ignore all the false signals coming from the shore. The Captain waits for a clear signal. And while he does, it’s his duty to be patient. (Mayorga 2005: 27) 49

It was a moment of danger, out of the rules repeatedly rehearsed – like when the girl threw the doll in the water and shouted »Run away, Rebecca, the German’s coming« (ibid.: 67). An instant that unexpectedly appears fanning the spark of hope in the past (Benjamin 2007d: 255): »For a moment, I thought you would try something – the Commandant tells Gottfried – […] and when you started about the boats, I thought: ›At last. Gerhard’s really going to do it‹. For just a moment, but for that moment I wanted you to« (Mayorga 2005: 67) 50.

47 »GOTTFRIED turns to the little GIRL […]: ›We have to wait a little more […] (He lifts the doll) ›Be a good boy, Walter, say hello to the nice man‹. If we do it well, we’ll see Mummy again. She’ll come on one of those trains. If we do what they ask us […] You’ll keep on going right to the end. For Mummy. For Mummy and for me, if I lose my patience. ›Be a good boy, Walter, and say hello to the nice man‹. And then a song. They want you to sing a song. That’s nice, isn’t it? Do you remember what Mummy used to sing at bed time‹« (ibid.: 71). 48 »La interrupción redentora de la (historia) por el Mesías. Tal interrupción es redentora […]. El Mesías está fuera de la historia« (Mayorga 2003: 108-109). 49 On the image of the ship and the danger see also ibid.: 190-191. 50 »De ahí que el momento de la irrupción mesiánica, al ser el que da sentido a los demás momentos, sea el único verdaderamente pleno« (ibid.: 108).

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VIII The thoughts I have put before you are an attempt to draw a »prudent« reflection 51 from this script. There is no easy critical approach beyond the widely shared perception of decorum in post-Holocaust era: the representability of this cataclysm (Friedlander 1992; Lang 1988; Lang 2000) deals also with the complexities of appropriation and misappropriation of this by literature, film, art, theatre (Rothberg 2000: 1-24) or music. 52 Juan Mayorga is quite aware that a realistic form of telling the Holocaust »story« is almost impossible. Dealing with the problems of testimony and storytelling, but also with the uniqueness – in some sense – of the Holocaust (cf. Rudolf et al 1995; Mate 2003: 51-78), this play represents the Holocaust as an absent cause: it is recalled, but never depicted. Like Walter Benjamin recalling Goethe’s statement – »Nothing that had a great effect can really be judged any longer« 53 –, Juan Mayorga considers that he is facing an irretrievable image of the past. That’s why his theatre of the Holocaust doesn’t follow the style of realism. Neither a comfortable theatre nor a nostalgic or a naïve one, Mayorga’s historical theatre intends to show, however, what that historical period did not know about itself. That’s why he employs in Himmelweg a Red Cross representative reclaiming the repressed areas of his memory; so to say, a man reclaiming the past informed by the present –»a consciousness of the present which explodes the continuum of history«. 54 »Only for the shake of the hopeless ones have we been given hope«: 55 hence, Juan Mayorga confirms the capacity of the failed past to be a hope for the pre-

51 »En este sentido, el lector viene a ser – Novalis lo cree – un autor ampliado […] la crítica así entendida […] cree evitar la arbitrariedad, puesto que la guían las ›intenciones‹ de la obra […] se trata de una productividad que no renuncia a ser objetiva; una creatividad prudente« (ibid.: 30). 52 See for example, in the recent German press, Frank 2019. 53 »Unease over the provocation to the researcher, who must abandon the calm, contemplative attitude toward his object in order to become conscious of the critical constellation in which precisely this fragment of the past finds itself with precisely this present« (Benjamin 2008b: 118). 54 »An afterlife of that which has been understood and whose pulse can be felt in the present« (ibid.: 119). 55 Walter Benjamin is here quoting Goethe's statements about hope in his essay on Elective Affinities: »Hope passed over their heads like a star that falls from the sky«; and the concluding sentence of this study: »Only for the sake of the hopeless ones have we been given hope« (Arendt 2007: 17).

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sent. Because, as Walter Benjamin said, if barbarism taints the manner in which history was transmitted from one time to another, Mayorga’s theatre intends to dissociate itself from this process of transmission as far as possible: »He regards it as his task – in Benjamin’s words – to brush history against the grain« (Benjamin 2007d: 256-257). Indeed, the »sovereign« should not be the representative of history any longer 56 if recalling the »unpredictability of historical accident« becomes the core of his theatrical approach (Benjamin 2003: 65 and 74). In so doing, Juan Mayorga argues that the performance can stop time and death, which belong to history, highlighting an extreme idea: that all humans are contemporary. For better and worse, »beyond the historical condition there is the human condition, Humanity« (Mayorga 2016a: 2). Hence, this timeless condition should retain its germinative power 57 to become the main subject matter of every critical work, theatrical included. In sum, Juan Mayorga intends to create a theatre that the barbarism cannot use (Mayorga 2016i: 98): a theatre informed by a poetically thinking that, »fed by the present, works with the ›thought fragments‹ it can wrest from the past«, bringing them up »into the world of the living« (Arendt 2007: 50-51).

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56 »La catástrofe no es lo que el soberano impide, sino lo que el soberano amontona« (Villacañas/García 1996: 54). 57 The question remains: is it still possible? »COMMANDANT: ›The nightmares that surround us come from inside our soul, they’ve been growing inside us, in our heads and our hearts‹« (Mayorga 2005: 46).

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Fluchtort Madrid Nationalsozialisten und Kriegsverbrecher in der spanischen Gegenwartsliteratur Volker Jaeckel

1. EINLEITUNG Seit der Veröffentlichung des Bestsellers Die Akte Odessa – im Englischen: The Odessa File – des britischen Autors Frederick Forsyth im Jahre 1972, verfilmt als deutsch-britische Koproduktion im Jahre 1974, ist die Frage nach den untergetauchten Nazis, die sich dem Griff der Justiz nach dem Zweiten Weltkrieg durch Flucht entzogen, immer wieder in zahlreichen Romanen und anderen literarischen Werken in verschiedenen Ländern der Welt präsent gewesen. Da zwei der beliebtesten Ziele der Nazis, die wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit gesucht wurden, Argentinien und Spanien waren, verwundert es nicht, dass eine Vielzahl spanischsprachiger Werke dieses Thema behandelt. Im vorliegenden Beitrag soll ein kleiner Überblick dieser Art von Literatur im Spanien des 21. Jahrhunderts gegeben werden. Dabei handelt es sich vorwiegend um renommierte Autoren, die historische Romane verfassen, in denen Deutsche mit einer Nazi-Vergangenheit als Figuren eine Rolle spielen. Unsere Analyse wird auf die Relation von Fakten und Fiktion eingehen und auch nach der Intention der Autoren dieser historischen Romane und ihre Rezeption beim Leser fragen. Die literarischen Werke erscheinen zu einem Zeitpunkt, als die spanische Öffentlichkeit nach Erklärungen für den Kampf der Erinnerungen an den Spanischen Bürgerkrieg und die Franco Diktatur sucht. Nazis erscheinen als Agenten, Spione, Geschäftsleute, Diplomaten, Militärs sowie als Flüchtlinge vor der Justiz. Es hat den Anschein, als wenn der Nazi als Übeltäter und Schuft der kleinste gemeinsame Nenner sei von Autoren, die eine sehr unterschiedliche Auffassung der eigenen Geschichte hinsichtlich des Bürgerkriegs und der Franco-Diktatur vertre-

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ten. Die Vergangenheitsbewältigung der Erfahrung von Krieg und Diktatur im 20. Jahrhundert in Deutschland und Spanien weist einige erstaunliche Parallelen auf, die sich auch auf die aktuelle Literatur in beiden Ländern erstrecken und bereits Anlass für verschiedene komparatistische Studien gegeben haben, auf die aber hier nicht näher eingegangen werden kann. Für die Analyse wurden folgende sechs Romane, alle nach 2000 veröffentlicht, ausgewählt: Sefarad (2001) von Antonio Muñoz Molina, El tiempo entre costuras (2009) von María Dueñas, Lo que esconde tu nombre von Clara Sánchez (2010), El silencio de tu nombre von Andrés Pérez Domínguez (2012), Pacto de lealtad (2014) von Gonzalo Giner, Los pacientes del doctor García (2017) von Almudena Grandes sollen hier kommentiert werden. Die Autoren der Romane, die sich mit der Erinnerung an die NS-Zeit in Deutschland befassen, gehören alle der sogenannten ›Enkelgeneration‹ an. Zur Beschränkung des Themas haben wir nur Romane herangezogen, in denen Nazideutsche als (historische oder erfundene) Figuren in Spanien auftauchen. Die Frage nach der Rolle von NS-Angehörigen in Spanien während und nach dem Zweiten Weltkrieg nimmt einen immer breiteren Raum ein in neuen historischen Romanen, die in den letzten Jahren einen regelrechten Boom erlebten. Heute besteht kein Zweifel daran, dass Spanien zu einem der bedeutendsten Zufluchtsorte für einige der am meisten von der Justiz gesuchten Naziverbrecher nach dem Zweiten Weltkrieg wurde. Es gab eine sogenannte schwarze Liste mit 104 Namen, die von den Alliierten in Spanien gesucht wurden und deren Auslieferung man vom Diktator Franco verlangte. Viele von ihnen waren in Madrid untergetaucht, fanden Unterschlupf in Denia oder in der Nähe von Málaga mit Hilfe des dortigen deutschen Konsuls, wobei der Badeort in der Provinz Alicante am Mittelmeer gelegen, wohl der Ort war, an dem zeitweilig die größte Ansammlung von gesuchten Nazis zu finden war.

2. SEFARAD (2001) Der erste hier analysierte Roman ist Sefarad vom andalusischen Autor Antonio Muñoz Molina, der viel Interesse und auch Polemik auf internationaler Bühne erregte. Es handelt sich um einen polyphonen Roman mit 17 voneinander unabhängigen Geschichten, in denen es um die Marginalisierten des 20. Jahrhunderts geht: als Homosexuelle, »Zigeuner«, Drogenabhängige, Arbeitsmigranten Diskriminierte, von Hitler und Stalin Verfolgte sowie andere, die Teil dieses sogenannten Romans der Romane sind.

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Hier wird auf die Erzählung »Berghof« eingegangen, die in unserem Zusammenhang besonders relevant ist. In ihr befindet sich der Erzähler der Geschichte auf Urlaub in einem andalusischen Küstenort, der unschwer als Zahara de los Atunes zu identifizieren ist. Er wird als Arzt zu einem Notfall gerufen und lernt bei dieser Gelegenheit den Lebensstil der Nazideutschen kennen, die nach dem Ende des Dritten Reichs nach Spanien emigrierten, da sie in den anderen Ländern verfolgt wurden und keine Zuflucht fanden: Los alemanes empezaron a llegar al final de la guerra, la suya, eligieron para construir sus casas y plantar sus jardines esas laderas batidas por todos los vientos a las que no subía entonces nadie, en las que no había nada, sólo esa gruta con pinturas de siluetas negras de animales y arqueros, con ánforas enterradas en las que después se descubrió que había esqueletos de viajeros fenicios. (Muñoz Molina 2001: 262) [Die Deutschen fingen an am Ende des Krieges zu kommen, ihres Krieges, sie wählten diese vom Wind zerzausten Hänge aus, an denen sie ihre Häuser und Gärten anlegten, die damals niemand hinaufstieg, wo es niemanden gab, nur diese Höhle mit schwarzen Zeichnungen von Tieren und Bogenschützen, mit vergrabenen Amphoren, in denen man später die Skelette der phönizischen Reisenden fand]. 1

Der Erzähler zeigt, dass es sich bei dem Todkranken um einen derjenigen Nazis handelt, die immer noch Hitler verehren, nicht die Lehren aus der Geschichte gezogen haben und eine Vielzahl von Erinnerungsobjekten als bizarre Relikte des Dritten Reiches aufbewahren, die einen total surrealen Eindruck auf den Arzt machen, der zu Hilfe gerufen wird: En una pared hay un gran retrato al óleo de Hitler, rodeado por dos cortinajes rojos que resultan ser dos banderas con esvásticas. En el interior iluminado de una vitrina hay una guerrera negra con las insignias de las SS en las solapas, y con un desgarrón manchado de oscuro en un costado. En una fotografía pomposamente enmarcada Adolf Hitler está imponiendo una condecoración a un joven oficial de las SS. En otra vitrina hay una Cruz de Hierro, y junto a ella un pergamino manuscrito en caracteres góticos y con una esvástica impresa en el sello de lacre. (Ebd.: 267) [An einer Wand hängt ein Ölbild von Hitler, umgeben von roten Vorhängen, die nichts Anderes als zwei Hakenkreuzflaggen sind. Im beleuchteten Innern gibt es eine Vitrine mit einer schwarzen Kampfjacke mit den Insignien der SS an den Krägen und einem dunklen

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Alle Übersetzungen der spanischen Literatur ins Deutsche sind vom Verfasser.

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fleckigen Riss auf der Rückenseite. In einer pompös gerahmten Photographie verleiht Adolf Hitler einem jungen SS-Offizier eine Auszeichnung. In einer anderen Vitrine gibt es ein Eisernes Kreuz und daneben ein handschriftliches Pergament in gotischen Buchstaben mit einem Hakenkreuz auf dem aufgedrückten Siegel].

In einer weiteren Erzählung mit dem Titel »Narva« im selben Band geht es um die Verbrechen und die Kaltherzigkeit von deutschen Soldaten, wie sie von einem Spanier der División Azul (›Blaue Division‹) in der Sowjetunion erlebt werden. Der Spanier sieht im Gegensatz zu den Deutschen in den Juden keine minderwertigen Menschen, und er verliebt sich in eine jüdische Frau, die ihm im Vertrauen die Information mitteilt, dass in jener Stadt von 10.000 Juden bereits 8.000 von der SS getötet worden seien. Auch der deutsche Hauptmann, der Freund und Kamerad des spanischen Leutnants ist, erweist sich als Judenhasser. Obwohl er ein sehr gebildeter Mensch ist, Philosophieprofessor mit einer Vorliebe für Brahms und Benny Goodman, billigt er den Holocaust und spricht das Wort Juden mit totaler Verachtung in der Stimme aus und macht sich auch noch über das Unwissen seines spanischen Kameraden lustig (vgl. ebd.: 411). Der Autor will damit den Widerspruch zwischen der Bewunderung für ein großes Musikgenie der klassischen Musik und der unmenschlichen Verfolgung von Juden durch die SS mit Unterstützung der deutschen Wehrmacht zum Ausdruck bringen. Demzufolge können wir beobachten, dass die Darstellungen der Deutschen im Roman Sefarad des Bestsellerautors Muñoz Molina mitunter sehr klischeehaft und den wohlbekannten Bildern des Dritten Reiches im nordamerikanischen Film ähnlich sind. Sie unterstreichen das grausame Wesen und lassen Fragen nach einer etwaigen Beteiligung der spanischen ›Blauen Division‹ an den Verbrechen völlig unangetastet.

3. LO QUE QUE ESCONDE TU NOMBRE (2010) Das zweite hier analysierte Buch ist von der Autorin Clara Sánchez, trägt den Titel Lo que esconde tu nombre und handelt von einer Siedlung in Denia, in der eine Vielzahl von Naziverbrechern sich versteckten. Die Autorin, Universitätsprofessorin, erhielt mit diesem Buch im Jahr 2010 den angesehenen Literaturpreis Premio Nadal. Die Handlung hat in etwa folgenden Charakter: Sandra ist schwanger und arbeitslos, sie verbringt ihre Zeit in einer kleinen Stadt am Mittelmeer. Dort lernt sie ein vorgeblich norwegisches Ehepaar kennen, beide achtzig Jahre alt, das sehr nett zu sein scheint und ihr zu helfen versucht. Julian ist ein Überlebender

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des KZ Mauthausen, lebt in Buenos Aires und macht sich an denselben Ort auf, um untergetauchte Nazis zu verfolgen. Er lernt Sandra kennen und eröffnet ihr eines Tages die Vergangenheit des alten Ehepaares. Trotz der vermeintlichen norwegischen Nationalität des alten Ehepaares wird klar, dass es sich um Angehörige der deutschen Gemeinschaft in Denia handelt, wo sich zeitweise so illustre Gestalten wie Johannes Bernhardt, Otto Skorzeny, Otto Remer, Aribert Heim und Gerhard Bremer aufhielten. 2 Clara Sánchez mischt historisch bewiesene Fakten mit fiktiven Figuren und historische Figuren mit fiktiven Erzählungen. Denia und vor allem die Feriensiedlung am Strand Les Rotes verwandelten sich tatsächlich in ein goldenes Paradies der Nazis. Die Autorin enthüllt die mysteriöse Aura einer Bruderschaft von in Denia ansässigen Nazis. Ähnlich wie schon Antonio Muñoz Molina nimmt sie einige Veränderungen an den historischen Figuren vor und so wird Johannes Bernhardt zu Sebastian Bernhardt mit dem Beinamen »Ángel negro« (›Schwarzer Engel‹): Julián suponía que el hasta ahora para mí Ángel Negro había muerto en Alemania cuando en realidad había regresado a este pueblo, donde vivió desde 1940 hasta los cincuenta y tantos. Él y su familia disfrutaron de una villa que le regaló Franco en reconocimiento a los servicios prestados, que habían consistido nada más y nada menos que en convencer a Hitler para que le prestara ayuda a Franco. (Sánchez 2010: 173f.) [Julián ging von der Annahme aus, dass der bis dahin für sie als Schwarzer Engel bekannte Mann in Deutschland gestorben sei, wobei er tatsächlich in dieses Städtchen zurückgekehrt war, wo er bereits von 1940 bis in 1950er Jahre gelebt hatte. Er und seine Familie genossen eine Villa, die ihnen Franco geschenkt hatte als Anerkennung für seine geleisteten Dienste, die in nicht weniger bestanden, als Hitler davon zu überzeugen, dass er Franco Hilfe leistete].

Die literarische Figur Sandra spricht auch von Ihren Begegnungen mit Aribert Heim, dem Schlächter von Mauthausen, der Hunderte von Gefangenen mit medizinischen Experimenten als KZ-Arzt umbrachte und »Doctor Muerte« (›Todesdoktor‹) genannt wird.

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Zur Rolle der Nazis in Denia und zu den Nachforschungen der Autorin aus Guadalajara siehe auch die Reportage des spanischen Fernsehens RTVE LA ESPAÑA DE FRANCO TAMBIÉN FUE REFUGIO DE OFICIALES NAZIS (ES 2010). Online unter: http://www.rtve.es/alacarta/videos/reporteros-del-telediario/reporteros-del-telediarioespana-franco-tambien-fue-refugio-oficiales-nazis/754884/ [Stand: 30.7.2018].

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Aribert Heim me había dado la mano, y al enterarme de lo que esas manos habían hecho sentí que estaba tocada y que ahora sí que no podía abandonar, aunque siempre cabía la posibilidad de que tratase de simples parecidos, todos los ancianos se parecen. Ojalá no fuese verdad que le había estrechado la mano al Carnicero, sólo pensarlo me daba asco. […] De no haber sabido que eran nazis habrían seguido siendo normales para mí. Sin embargo, ahora todo, cualquier cosa, tenía un significado, los rasgos marcados de Fred eran rasgos arios y la extraña juventud de Alice provenía de Dios sabe dónde, tal vez de su confianza en su superioridad genética. (Ebd.) [Aribert Heim hatte mir die Hand gegeben, und als ich erfuhr, was diese Hände gemacht hatten, fühlte ich mich betroffen und dass ich jetzt nicht aufgeben konnte, auch wenn es immer die Möglichkeit gab, dass es sich einfach um zum Verwechseln ähnliche Personen handelte, alle Alten sind sich ähnlich. Wenn es bloß doch nicht die Wahrheit wäre, dass ich dem Schlächter die Hand gegeben hatte, allein der Gedanke erregte Ekel in mir. […] Wenn ich nicht gewusst hätte, dass es sich um Nazis handelte, waren sie für mich weiterhin normal gewesen. Jetzt jedoch hatte alles, irgendwelche Dinge, eine andere Bedeutung, die markanten Züge von Fred, waren arische Züge und die seltsame Jugend von Alice hatte ihren Ursprung, weiß Gott wo, vielleicht in ihrem Vertrauen auf ihre genetische Überlegenheit].

Der Roman von Clara Sánchez überzeugt durch seinen Erzählstil, in dem die Stimmen von Sandra und Julian sich abwechseln vor einem interessanten historischen Hintergrund, der Tatsache, dass das franquistische Spanien den gesuchten Verbrechern nicht nur Schutz, sondern auch ein komfortables Auskommen in ungestrafter Freiheit am Mittelmeer gewährte. Diese Tatsachen wurden auch in dem fast zeitgleich erschienen Sachbuch La huella de la bota enthüllt, in dem der Journalist Joan Cantarero (2010) eine Kontinuität von den deutschen Altnazis zu den spanischen Vertretern der neuen Ultrarechten nachweist. Er verfolgt die Spuren und rekonstruiert die Präsenz einiger der gesuchten Kriegsverbrecher in Denia in der Provinz Alicante. Angeblich soll dort noch bis 2009 Hitlers Geburtstag in großem Stil gefeiert worden sein. Der Roman war national und international so erfolgreich, dass Clara Sánchez 2016 unter dem Titel Cuando llega la luz eine Fortsetzung der Geschichte mit denselben Hauptpersonen Sandra und Julián veröffentlichte.

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4. EL SILENCIO DE TU NOMBRE (2012) Ein anderer Roman, der sich mit dem Thema der Naziverbindungen in Spanien befasst, ist El silencio de tu nombre von Andrés Pérez Domínguez. In diesem Buch, das mit dem Premio Ateneo von Sevilla ausgezeichnet wurde, wird die Geschichte von Erika Walter erzählt, der Witwe eines deutschen Geheimagenten, die mit einem wichtigen Bündel an Dokumenten nach Madrid flieht, die Belastungsmaterial gegen verschiedene Nazigrößen für eine Anklage darstellen könnten. Ihr Geliebter Martín Navarro sieht sich gezwungen, Paris zu verlassen und ihr zu folgen. Martín ist ein ehemaliges Mitglied der Kommunistischen Partei Spaniens (PCE) und riskiert alles, um wieder mit Erika zusammen zu sein. Das Paar sieht sich in eine Spionageaffäre verwickelt, in der die spanische Polizei, die Nazis, die Kommunisten und die CIA verwickelt sind. Offensichtlich weist dieser Roman eine gewisse Intertextualität mit Beltenebros (1989) von Antonio Muñoz Molina auf, von Pilar Miró sehr erfolgreich 1992 verfilmt, in dem ebenfalls ein republikanischer Agent von der verborgenen und illegalen PCE damit beauftragt wird, in Madrid einen Mann mit dem Namen Walter zu töten. Erika Walter erlebt im Roman das Ende des Zweiten Weltkrieges in Berlin und zusammen mit ihren Nachbarn erleidet sie die Kriegsfolgen zwischen den Fronten des deutschen und des sowjetischen Heeres in den Ruinen einer zerstörten Stadt. Ihre Ängste, Sorgen und Verzweiflung in dieser Extremsituation können in folgendem Monolog wahrgenommen werden: Y tres días sin beber es mucho tiempo. Demasiado. Los labios agrietados, la lengua hinchada, áspera. Hacía por lo menos dos horas que ya no se oían bombas. La primera tregua en tres días. ¿Habría terminado todo? ¿Se había rendido a los rusos lo que quedaba del Estado Mayor en Berlín? ¿Es verdad que Hitler había muerto, como se rumoreaba? A Erika le daba lo mismo. La sed era más importante que todo eso. (Domínguez 2012: 148) [Und drei Tage ohne zu trinken ist eine lange Zeit, zu lange. Die Lippen hatten Risse, die Zunge war aufgequollen, rau. Seit mindestens zwei Stunden hörte man keine Bomben mehr. Die erste Waffenruhe in drei Tagen. War alles vorbei? Hatte sich das, was vom Generalstab in Berlin übriggeblieben war, den Russen ergeben? Ist es wahr, dass Hitler tot war, wie es die Gerüchte besagten? Erika war das alles völlig gleich. Der Durst war wichtiger als all das andere].

Wir haben hier eine deutsche Überlebende mit menschlichen Zügen, die Durst und Not leidet, wie jeder andere Mensch, aber wir werden in diesem Roman auch mit einem anderen Typ von Deutschen konfrontiert, denjenigen, die sich in

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Spanien aus politischen und finanziellen Interessen aufhalten. Sie sind an den natürlichen Reichtümern des Landes, vor allem am Wolfram interessiert, ein chemisches Element, das die Deutschen für ihre Kriegsmaschinerie brauchen und gegen 87.422 Kilo Gold eintauschen; so stellt es der Autor des Buches in einem Interview mit El País im Dezember 2012 (Intxausti 2012) dar. Die ersten Nachkriegsjahre der Franco-Diktatur sind sehr treffend beschrieben, und der Autor lässt an der Romanhandlung Figuren mitwirken, die schon in seinen früheren Werken in Erscheinung getreten sind. Unter den deutschen Romanfiguren befinden sich Alois Becker, Herbert Mundt und Emil Liebermann. Becker und Mundt sind zwielichtige Gestalten, ehemals bedeutende Nazibosse, die völlig unbehelligt im Spanien des Jahres 1950 leben, geschützt von der Regierung des Generals Franco. Sie wollen sich der Goldbarren bemächtigen und haben den Verdacht, dass Liebermann, der verstorbene Ehemann von Erika Walter den Schlüssel dazu hat. Sie erscheinen als die klassischen Nazischurken, die auch Martín Navarro grausam foltern lassen durch ihren Handlanger den sogenannten ›Sicario‹ (›Auftragskiller‹). Sie wollen den Verbleib des Goldes um jeden Preis erfahren, und ihre Methoden sind dabei absolut verabscheuungswürdig. Die Lektion, die uns der Autor aus Sevilla lehrt, ist in etwa folgende: die Habgier steht über jeder Ideologie für all diejenigen, die keine moralischen Werte besitzen, und das Versprechen einer reichen Kompensation bringt den Menschen dazu, absolut jeden zu verraten, der sich ihm in den Weg stellt. Mundt se movió, para que Erika pudiera ver a Navarro. La barbilla le descansaba en el pecho, como si estuviera desmayado, y ahora de la entrepierna le brotaba un cable que terminaba en el maletín abierto sobre la mesa, y de éste salía otro cable más grueso que el esbirro enchufaba en la pared. »Esto no va a resultar agradable« le advirtió Mundt. Erika avanzó un paso en dirección hacia Navarro, pero Becker la sujetó por un brazo. »Será mejor que ahora no te acerques a él« le dijo, empujándola, con suavidad aparente, en dirección contraria »Le hemos prometido a Mercedes que no te haríamos daño, y eso también significa que no recibas una descarga eléctrica«. (Ebd.: 409f.) [Mundt bewegte sich, damit Erika Navarro sehen konnte. Das Kinn ruhte auf seiner Brust, wie wenn er ohnmächtig wäre und zwischen den Beinen ragte ein Kabel hervor, das in einem geöffneten Aktenkoffer auf dem Tisch endete, von dem wiederum ein anderes dickeres Kabel an die Steckdose in der Wand führte. »Das wird nicht angenehm werden«, warnte sie Mundt. Erika ging einen Schritt auf Navarro zu, aber Becker hielt sie am Arm fest.

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»Es wird besser sein, wenn du dich ihm jetzt nicht näherst« sagte er ihr und schubste sie sanft in die entgegen gesetzte Richtung. »Wir haben Mercedes versprochen, dass wir dir nicht wehtun würden und das bedeutet auch, dass Du keine elektrische Ladung abbekommst«].

In den Szenen, in denen die Deutschen Martín Navarro, den kommunistischen Liebhaber von Erika, auf dem Landsitz, der Hacienda, der andalusischen Großgrundbesitzerin Mercedes Corrientes foltern lassen, wird die ganze Kaltherzigkeit und Skrupellosigkeit der Naziagenten deutlich. Der extreme Zynismus, das Fehlen von moralischen Vorbehalten der Deutschen und ihrer Folterknechte wird in verschiedenen Momenten des Romans wie diesem offenbar: Herbert Mundt sacudió la cabeza. »No seremos nosotros quienes lo hagamos, querida. Si no nos dices dónde está el oro de Emil, será como si tú misma aplicaras la descarga«. Lo dijo y asintió despacio. Luego fue hasta la mesa y se volvió de nuevo hacia ella. »Tú verás« le dijo. »Podemos hacer esto fácil o difícil. Depende de ti«. (Dominguez 2012: 409f.). [Herbert Mundt schüttelte den Kopf »Wir werden es nicht sein, die das tun, meine Liebe. Wenn du uns nicht sagst, wo das Gold von Emil ist, wird es so sein, als wenn du selbst die elektrische Ladung auslöst«. Er sagte das und bestätigte mit dem langsamen Kopfnicken. Danach ging er zum Tisch und wandte sich erneut an sie. »Du wirst es sehen« sagte er. »Wir können das leicht oder schwer machen. Das hängt ganz von dir ab«].

Letzten Endes kann man daran die Handlungsweise der Nazis erkennen, die Folter als Mittel der Erpressung an Erika Walter einsetzen. Es handelt sich um einen Roman der Leidenschaften, der Spione, Kriege, Verbrechen, Morde, Verfolgungen und Verräter. Geschichte, Romanhandlung, Politik, Spionage wird mit Elementen der novela negra (›Kriminalroman›‹) vermischt, und vor allem handelt es sich um eine Liebesgeschichte. Alle diese Elemente scheinen heutzutage die magische Formel für ein sehr erfolgreiches Buch in Spanien zu sein.

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5. EL TIEMPO ENTRE COSTURAS (2009) Wie in verschiedenen anderen Romanen zu diesem Thema verwendet María Dueñas eine Formel, die eine Geschichte aus Liebe, Spionen, Politik, historischem Roman und Krimi in ihrem Bestseller El tiempo entre costuras kombiniert, der bei Temas de hoy der Verlagsgruppe Planeta veröffentlicht wurde. Dieser Roman wurde auch sehr erfolgreich als Filmserie in 17 Kapiteln von Antena 3 gesendet und ist derzeit als Netflix-Serie weltweit verfügbar. In ihm erscheinen ebenfalls die historisch authentischen Nazis Johannes Bernhardt und Adolf Langenheim, die als Unterhändler von Franco zu Hitler geschickt wurden, um die entscheidende Unterstützung der deutschen Luftwaffe für den Transport der aufständischen Truppen im Juli 1936 von Nordafrika nach Spanien zu erbitten. Über Langenheim und diese Episode lesen wir in dem Bestseller: Uno de los nazis, me contó Félix, que de manera casi inesperada y ante el pasmo de los republicanos obtuvieron directamente de Hitler la primera ayuda externa para el ejército sublevado apenas unos días después del alzamiento. Hasta pasado algún tiempo no fui yo capaz de calibrar en qué medida la actuación del envarado marido de mi clienta había resultado crucial para el rumbo de la contienda civil, pero gracias a Langenheim y a Bernhardt, otro alemán residente en Tetuán para cuya mujer medio argentina también llegué a coser alguna vez, las tropas de Franco, sin tenerlo previsto y en un plazo minúsculo de tiempo, se hicieron con un buen arsenal de ayuda militar gracias al cual trasladaron a sus hombres hasta la Península. (Dueñas 2009: 153) [Einer der Nazis, erzählte mir Felix, erhielt völlig unerwartet und zum absoluten Erstaunen direkt von Hitler die erste Hilfe von außen für die aufständische Armee, die sich erst wenige Tage zuvor erhoben hatte. Erst einige Zeit später konnte ich realisieren, in wieweit die Handlung des steifen Mannes meiner Kundin ein entscheidendes Resultat für den Verlauf des Bürgerkriegs bewirkte, aber dank Langenheim und Bernhardt, einem anderen in Tetuán ansässigen Deutschen, für dessen halb argentinische Frau ich auch schon mal genäht hatte, schafften es die Franco-Truppen, ohne dass es vorgesehen war und in einem sehr kurzen Zeitraum, umfassende militärische Unterstützung zu bekommen, dank derer sie ihre Männer auf die Iberische Halbinsel übersetzen konnten].

In einer anderen Episode macht Hillgarth, ein Mitarbeiter des britischen Geheimdienstes in Madrid die Hauptperson des Romans, Sira Quiroga in einem Kommentar mit den wichtigsten Agenten der Deutschen in der spanischen Hauptstadt zur damaligen Zeit bekannt und bewertet sie. Wiederum ist Bernhardt

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unter den herausragenden Repräsentanten des Naziregimes und wird zur literarischen Figur: Paul Winzer, el hombre fuerte de la Gestapo en Madrid. Muy peligroso; le temen y odian incluso muchos de sus compatriotas. Es el esbirro en España de Himmler, el jefe de los servicios secretos alemanes. Apenas alcanza los cuarenta años, pero es un perro viejo. Mirada perdida, gafas redondas. Tiene decenas de colaboradores repartidos por todo Madrid, ándese con ojo. Siguiente: Walter Junghanns, una de nuestras pesadillas particulares. Es el mayor saboteador de cargamentos de fruta española con destino a Gran Bretaña: introduce bombas que ya han matado a varios trabajadores. Siguiente: Karl Ernst von Merck, un destacado miembro de la Gestapo con gran influencia en el partido nazi. Siguiente: Johannes Franz Bernhardt, empresario. (Dueñas 2009: 310) [Paul Winzer, der starke Mann der Gestapo in Madrid. Sehr gefährlich; ihn fürchten und hassen sogar seine Landsleute. Er ist der Handlanger Himmlers in Spanien, der Chef der deutschen Geheimdienste. Er hat gerade erst die 40 erreicht, aber er ist ein alter Hund. Verlorener Blick, runde Brille. Er hat Dutzende von Mitarbeitern in ganz Madrid verteilt, seien Sie vorsichtig. Der nächste: Walter Junghanns, einer unserer besonderen Alpträume. Es ist der größte Saboteur von Obstladungen mit dem Ziel Großbritannien: er versteckt Bomben, die schon viele Arbeiter getötet haben. Der nächste: Karl Ernst von Merck, ein herausragendes Mitglied der Gestapo mit großem Einfluss in der NSDAP. Der nächste: Johannes Franz Bernhardt, Geschäftsmann.].

Die Suche nach dem Metall Wolfram, das die Deutschen für die Inganghaltung ihrer Kriegsmaschinerie brauchen, führt verschiedene Agenten und auch die Modeschneiderin Sira nach Portugal, das seiner Zeit das begehrte Metall sowohl an die Alliierten als auch an die Deutschen exportierte. Sie arbeitet dort ebenfalls für die Engländer um zu verhindern, dass den skrupellosen Deutschen der Rohstoff in die Hände fällt. In Madrid und zuvor in Tetuán gewinnt Sira Quiroga durch die Konfektion von wunderschönen Kleidern das Vertrauen der Frauen der Nazis. Sie nutzt dann diese Position, um vertrauliche Informationen zu erhalten und diese an die englischen Geheimdienste weiterzuleiten. Auch für ihre Freundin, die Engländerin Rosalinda Powell Fox, im Roman wie in der Realität, Geliebte des Hochkommissars für Spanisch-Marokko, Juan Luis Beigbeder, fertigt sie praktisch über Nacht ein sehr hochwertiges und elegantes Kleid für einen of-

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fiziellen Empfang mit Nazigrößen an. 3 Der Erfolg des Romans war so groß, dass ein amerikanischer Journalist sich dazu veranlasst sah, 2015 ein Sachbuch zu verfassen, in dem er sich wiederholt auf das Buch von Dueñas bezieht und minutiös die Wege der deutschen und englischen Spione im Madrid der 40er Jahre nachzeichnet (vgl. Besas 2015).

6. PACTO DE LEALTAD (2014) Auch in diesem Roman aus dem Jahre 2014 von Gonzalo Giner, einem Veterinärmediziner, handelt es sich um eine sehr ähnliche Thematik. In seinem Buch sehen wir brutale Nationalsozialisten, die Hunde züchten und trainieren, damit sie im Krieg Gegner töten. Sie lassen sogar genetische Forschungen anstellen, um eine bereits ausgestorbene Rasse, die Bullenbeißer, wieder entstehen zu lassen. Sie werden von so finsteren Gestalten wie Göring, Heydrich oder dem fiktiven Oskar Stulz angeführt. Aber es gibt auch einen deutschen Veterinär mit noblen Idealen, Luther Krugg, der in die Falle der GESTAPO tappt, die das Leben seiner Frau völlig zerstört. Eine besonders zwielichtige und bösartige Frau mit Namen Martha Mussen, die im Auftrag der SS arbeitet, enthüllt dem deutschen Veterinär im Hafen von Bremen das Schicksal seiner Frau, seines Freundes und bedroht ihn ganz eindeutig: Herr Luther Krugg, su amigo Dieter Slummer y su deliciosa mujer Katherine viajan en este momento hacia un centro especial donde serán interrogados y después aislados, por lo menos hasta que usted cumpla su misión en Inglaterra. El periodista, por cierto, un sucio traidor a Alemania, estaba bajo sospecha desde que supimos que había dirigido un seguimiento a nuestro embajador y a usted mismo en Argentina. Lo descubrimos al recuperar el carné de prensa de uno de sus corresponsales, que según tengo entendido tuvo un fatal accidente. Como lo teníamos estrechamente controlado desde entonces, supimos que le hizo una visita no hará ni dos semanas. (Giner 2014: 316) [Herr Luther Krugg, ihr Freund Dieter Slummer und ihre wunderbare Frau Katherine reisen in diesem Moment in eine Spezialeinheit, wo sie verhört und danach isoliert werden, auf jeden Fall bis sie ihre Mission in England erfüllt haben werden. Der Journalist, sicher ein schmutziger Verräter Deutschlands, stand unter Verdacht, seit wir erfuhren, dass er ih-

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Die Bedeutung dieses Delphos de Fortuny im Roman sowie die Verknüpfung Spionage und Modedesign wurde auch schon in der Sekundärliteratur analysiert (vgl. Salomon 2015).

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re Verfolgung und die unseres Botschafters in Argentinien anführte. Wir entdeckten es, als wir den Presseausweis eines seiner Korrespondenten erhielten, der, soweit ich erfuhr, einen fatalen Unfall hatte. Da wir seitdem alles unter totaler Kontrolle hatten, erfuhren wir, dass Sie ihm vor weniger als zwei Wochen einen Besuch abgestattet haben].

Auch in diesem Roman wird Johannes Bernhardt erwähnt, ebenso wie auch die berühmte Episode seiner Vermittlung zwischen Franco und Hitler im Juli 1936, die dazu führte, dass die deutsche Luftwaffe etwa 12.000 Soldaten der rebellierenden Truppen der Legion sowie freiwillige Marokkaner von Nordafrika über die Straße von Gibraltar auf die Iberische Halbinsel brachte. In diesem Teil des Buches scheint sich der Autor am Werk von María Dueñas oder gemeinsamen Quellen inspiriert zu haben, da sowohl Marokko als auch Madrid als Szenarien dienen und die Ähnlichkeiten in der Handlung auffallend sind: Yagüe dio por terminada la conversación indignado. No había querido contarle que ya se había puesto en marcha otra vía de trabajo. Dada la amistad que tanto él como el general Franco tenían con el empresario nazi Johannes Bernhardt, habían decidido trasladarlo a Alemania en compañía del responsable de la aviación sublevada, Francisco Arranz, y de un tercer empresario, Adolf Langenheim, este último con excelentes contactos en la cúpula del partido. Los tres iban a solicitar una entrevista personal con Hitler. (Giner 2014: 351f.) [Entrüstet erklärte Yagüe die Unterhaltung für beendet. Er wollte nicht erkennen lassen, dass sich schon eine andere Arbeitsweise in Gang gesetzt hatte. Aufgrund der Freundschaft, die sowohl ihn als auch General Franco mit dem Naziunternehmer Johannes Bernhardt verband, hatten sie beschlossen, diesen zusammen mit dem verantwortlichen Kommandeur der aufständischen Luftwaffe, Francisco Arranz und in Begleitung eines anderen Unternehmers, Adolf Langenheim, letzterer mit exzellenten Kontakten zur Parteispitze, nach Deutschland zu schicken. Die drei würden um ein persönliches Gespräch mit Hitler ersuchen].

Die Deutschen erscheinen in diesem Roman mit historischem Hintergrund von dem Ansporn getrieben, eine Hunderasse – die Bullenbeißer – für den Kampf im Krieg zu züchten. Sie verkörpern das Schlechte, im Gegensatz zur spanischen Protagonistin Zoe, die ihre Hunde dazu trainiert, um überlebende verletzte Soldaten zwischen den Frontlinien zu retten. Die unmenschliche und erniedrigende Behandlung, die Katherine, der Frau des deutschen Veterinärs Luther Krugg, dem einzigen guten Deutschen im Buch, zuteil wird, zeigt die grausamste Seite

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der SS, deren verschlagenste, fanatischste, wildeste und unerbittlichste Vertreterin eben erstaunlicher Weise eine Frau ist.

7. LOS PACIENTES DEL DOCTOR GARCÍA (2017) In diesem Zusammenhang ist das vorletzte Werk von Almudena Grandes zu nennen, das sich in Form einer transnationalen Erzählung mit der Erinnerung an Nationalsozialismus, Krieg und Diktatur befasst: In diesem Roman der spanischen Bestsellerautorin geht es um Nationalsozialisten, die als Kriegsverbrecher international gesucht werden, nach Spanien und dann teilweise weiter nach Argentinien fliehen. Clarita Stauffer ist die zentrale Figur im Roman, eine deutschstämmige Falangistin, die über 800 geflüchteten deutschen und ausländischen Kriegsverbrechern Zuflucht vor den Alliierten in Spanien besorgt haben soll. Es handelt sich um das vierte Buch in der Serie Episodios de una guerra interminable, das wiederum fiktive und reale Geschichten und Figuren vermischt und den Leser auf die Spur der geflüchteten Nazis bringt, die bei Franco oder Perón nicht nur Schutz fanden, sondern als angesehene Männer ein gutes Leben führen konnten. Clarita Stauffer ist die einzige Frau auf der Liste der 104 gesuchten Nationalsozialisten, deren Auslieferung die Alliierten von Spanien seiner Zeit einforderten (vgl. Irujo 2012). Der Roman wird von einem Ich-Erzähler dominiert, dem Arzt Rafael Medina, der allerdings in der Zeit nach dem Spanischen Bürgerkrieg seinen Beruf nicht ausüben kann und für eine Transportfirma arbeitet, gelegentlich aber auch kommunistischen Widerstandskämpfern hilft. Das Buch weist verschiedene Bezüge zu den drei vorausgegangenen Büchern in derselben Serie auf, so tauchen verschiedene dem Leser bereits bekannte Figuren erneut auf. Es handelt sich um einen Spionageroman vor einem historischen Hintergrund: Madrid in den vierziger Jahren des 20. Jahrhunderts war die Hauptstadt der Spione, die für Nazideutschland oder für das Britische Empire handelten, etwa wie Berlin in der Zeit des Kalten Krieges. Die spanische Autorin präsentiert eine Episode der deutsch-spanischen Geschichte, die eher gerne unter den Teppich gekehrt wird, weil sie sehr beschämend ist. Nazikriegsverbrecher finden in Spanien Zuflucht, können sich dort frei bewegen und reisen auch häufig in die Bundesrepublik Deutschland der Adenauerzeit. Die legendärste dieser 200 Figuren, die im Roman auftauchen, ist sicherlich der Österreicher Otto Skorzeny, SS-Obersturmbannführer, Held vom Gran Sasso und Befreier Mussolinis. Um ihn ranken sich bis heute sehr sagen-

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hafte Legenden bis hin zu seiner vermeintlichen Anwerbung durch den israelischen Geheimdienst Mossad. Skorzeny erscheint im Roman unter seinem Decknamen Rolf Steinbauer, den er in Spanien gebrauchte, wo er aber vor allem als ›Caracortada‹ (›Narbengesicht‹) wegen einem Schmiss an der linken Wange bekannt war. Er stellt sich nicht nur als erfolgreicher Geschäftsmann unter Beweis, sondern auch als umsichtiger Agent, der durch den fiktiven Rafael Cuesta Sánchez einen in der Madrider Nazihilfsorganisation infiltrierten Mitwisser aus dem Weg räumen lässt und sich danach per Telefonanruf aus München davon vergewissert: »Allo?« cuando me contestó, Rolf ya sabía que le estaba llamando desde la centralita automática de La Meridiana. »Ya está hecho« le dije. »Al final, todo ha salido como tú querías«. »Wunderbar! Muchas gracias, Rafa. Eres mejor camarada. Nunca olvidaré esto. Ahora puedes descansar. Marcha a tu casa, tranquilo, Unos amigos recogen el paquete. Son profesionales, muy serios, lo hacen bien. ¿Sabes que dejamos libre la oficina?« (Grandes 2017: 604) [»Hallo?« als er mir antwortete, wusste Rolf, dass ich ihn nicht von der automatischen Telefonzentrale der La Meridiana anrief. »Es ist schon getan« sagte ich ihm. Am Ende ist alles so verlaufen, wie du wolltest. »Wunderbar! Vielen Dank, Rafa. Du bist der beste Kamerad. Nie werde ich das vergessen. Jetzt kannst du ausruhen. Geh nach Hause, beruhigt. Ein paar Freunde werden das Paket abholen. Sie sind Profis, ganz seriös, sie machen das gut. Weißt du, dass wir das Büro aufgeben werden«].

Wie die Autorin in einem Interview am 28. März 2018 (Jaeckel 2018) erklärte, interessieren sie doppeldeutige Gestalten, die nicht einfach zu den Guten oder zu den Bösen zu rechnen sind. Sie gibt auch unumwunden zu, sich nicht einer gewissen Bewunderung für Otto Skorzeny entziehen zu können, der sicherlich nicht mit anderen gesuchten Kriegsverbrechern zu vergleichen ist, die gewissenlose Massenmörder waren. 4

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Siehe hierzu das sehr aufschlussreiche Interview des Verfassers mit Almudena Grandes in Anuari de Filologia. Literatures contemporànies, unter dem Titel »Todos los seres humanos somos capaces de lo mejor y de lo peor« (Jaeckel 2018).

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8. SCHLUSSFOLGERUNGEN Wie man bei diesem kurzen Rundgang durch die aktuelle spanische Literatur wahrnehmen konnte, ist die Figur des Nationalsozialisten in Spanien sehr präsent. Es handelt sich vorwiegend um böswillige, zwielichtige Figuren, die mit Intrigen und unlauteren Methoden handeln, um ihre Ziele zu erreichen. Es sind generell skrupellose Personen, die Spaß daran haben zu foltern und über Leichen gehen, um ihre Ideale zu verwirklichen. Die politische Frage nach der warmherzigen Aufnahme, die Hitlers Handlanger im Spanien Francos nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches im Jahr 1945 erhielten, wird kaum problematisiert, am ehesten noch im Roman von Almudena Grandes und vielleicht ansatzweise bei Clara Sánchez. Antonio Muñoz Molina ist möglicherweise derjenige Autor, der weniger realitätsgetreue Figuren und Ereignisse in seinem Roman kreiert, während Pérez Domínguez, derjenige ist, der sich am meisten dem Genre des Kriminalromans annähert, der novela negra. Die Gier der Nazis nach Wolfram und andere dunkle Geschäfte sind ebenfalls Bestandteil des Romans El silencio de tu nombre und auch des Bestsellers von María Dueñas. Die Figurendarstellung in El tiempo entre costuras ist nicht sehr verschieden, aber die Anschuldigungen gegen die Nazideutschen sind wesentlich subtiler, da sie mehr über die Frauen der Nazis und ihren Modegeschmack schreibt. Man muss ebenfalls berücksichtigen, das ihr Lesepublikum sich vornehmlich aus Frauen desselben Alters der Autorin zusammensetzt, was Szenen mit Folterung oder anderen großen Grausamkeiten verbietet. Wir können feststellen, dass in einem historisch motivierten Roman, der die 30er und 40er Jahre des 20. Jahrhunderts behandelt, die Figur des Nazideutschen nicht fehlen darf. Geschichten aus der Zeit des Spanischen Bürgerkriegs, des Zweiten Weltkriegs und der frühen Nachkriegszeit kommen offenbar ohne diese im allgemeinen recht stereotyp auftretende Figur ohne Skrupel, die sich machthungrig und geldgierig zeigt, nicht aus. Die literarischen Texte greifen eine heikle Angelegenheit auf, die Kooperation zwischen den gesuchten Nazis und führenden Vertretern des totalitären Staates von Franco, ohne jedoch auf bedeutsame Details einzugehen, mit Ausnahme von Almudena Grandes. Wir wissen, dass der Handel mit Wolfram eines der Kernstücke dabei war, da dieses Metall für die Panzerung von Projektilen oder der Panzer selbst gebraucht wurde. Diese verborgenen Geschäfte mit Nazideutschland provozierten nicht nur eine schwere diplomatische Krise zwischen Spanien und den Vereinigten Staaten von Amerika, sondern auch einen kalten Krieg zwischen deutschen und angelsächsischen Spionen, dessen Zentrum die spanische Hauptstadt Madrid war.

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Spanien war während des Zweiten Weltkrieges ein heißes Pflaster für deutsche, britische, amerikanische, französische und sogar japanische Spione. Die Augen ganz Europas ruhten auf dem Land, das gerade aus dem Bürgerkrieg kam und dessen Regierung mit Hitler kokettierte, auch wenn es sich selbst als neutral bezeichnete. Die Deutschen waren die einzigen, die Vorteile gegenüber ihren Gegenspielern hatten. Hunderte von Agenten der Gestapo, der Abwehr und des SD (Sicherheitsdienst) bewegten sich in den spanischen Städten in absoluter Freiheit und bildeten ein ausgedehntes Netz mit Verzweigungen und Kontakten in der Verwaltung und vor allem in den dominanten Eliten der spanischen Gesellschaft. Diplomaten. Journalisten, Geschäftsleute, Filmemacher, Leitende Angestellte von Firmen und professionelle Agenten arbeiteten still für die Sache von Hitler, der zeitgleich praktisch den ganzen Kontinent mit Gewalt beherrschte. Man kann heute eine gewisse Kontinuität von der Anwesenheit der alten deutschen Nazis bis hin zu den Aktionen von neuen Rechtsradikalen, die sich in Spanien organisieren, beobachten. Diese neue Rechte – die ultraderecha – ist in Spanien politisch präsent, was sich seit 2018 auch deutlich in den Wahlergebnissen bei allen Parlamentswahlen niedergeschlagen hat. Allerdings können wir gerade in den Romanen von Clara Sánchez und Almudena Grandes beobachten, dass es heute auch Bestrebungen gibt, die Inschutznahme von geflüchteten Nationalsozialisten durch Franco-Spanien in literarischer Form anzuklagen bzw. Position zu beziehen für den Widerstand gegen die mit Hitlers Hilfe errichtete Diktatur. Für den heutigen Leser in Spanien scheinen die Geschichten, in denen Nazis im Spanien der Franco-Zeit erscheinen, eine große Anziehungskraft zu besitzen, was die hohen Verkaufszahlen und die enorme Vielfalt an Titeln in den letzten Jahren bestätigen. Das Erscheinen dieser Figuren kann schließlich in gewisser Weise einen gemeinsamen Bösewicht identifizieren, während die eigene konfliktreiche Vergangenheit noch längst nicht vollständig aufgearbeitet worden ist, was ständig neue Diskussionen beispielsweise um die Umbenennung von Straßen oder die zukünftige Funktion der vom Diktator Franco errichteten Gedenkstätte Valle de los Caídos (›Tal der Gefallenen‹) beweisen.

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BIBLIOGRAPHIE Besas, Peter (2015): Nazis en Madrid. Madrid. Cantarero, Joan (2010): La huella de la bota. De los nazis del franquismo a la nueva ultraderecha. Madrid. Dominguez, Andrés Pérez (2012): El silencio de tu nombre. Barcelona. Dueñas, María (2009): El tiempo entre costuras. Madrid. Giner, Gonzalo (2014): Pacto de Lealtad. Barcelona. Grandes, Almudena (2017): Los pacientes del doctor García. Episodios de una guerra interminable 4. Barcelona. Intxausti, Aurora (2012): Los nazis escondidos en España. In: El País 10.12.2012, online: https://elpais.com/cultura2012/11/21/actualidad/ 1353509370_427064.html [Stand 30.01.2020]. Irujo, José María (2012): La lista negra. Los espías nazis protegidos por Franco y la Iglesia. Madrid (ebook). Jaeckel, Volker (2018): Todos los seres humanos somos capaces de lo mejor y de lo peor. In: Anuari de Filologia. Literatures contemporànies 8, S. 217-227; online: http://revistes.ub.edu/index.php/AFLC/issue/view/8-2018 [Stand 22.01.2019]. Muñoz Molina, Antonio (2001): Sefarad. Madrid. Reichold, Anne Kathrin (2014): Arbeit an der Erinnerung. Die Bewältigung der Vergangenheit in der deutschen und spanischen Literatur der Gegenwart. Würzburg. Salomon, Geaneti Tavares (2015): Moda e espionagem em El tiempo entre costuras, de María Dueñas. In: Dobras 8, H. 18; online: https://dobras.emnuvens.com.br/dobras/article/view/100 [Stand 24.01.2019]. Sánchez, Clara (2010): Lo que esconde tu nombre. Barcelona.

Verflochtene Erinnerungen Der Zweite Weltkrieg, die algerische Geschichte und die Figur des Nazitäters in der nordafrikanischen Literatur Claudia Gronemann

Obgleich der Bezug auf den Zweiten Weltkrieg in den offiziellen nordafrikanischen Geschichtsdiskursen bis heute keine bedeutende Rolle spielt, ist die Geschichte des Maghreb durchaus mit diesem Krieg, mit Nationalsozialismus und Holocaust verknüpft. Die antisemitischen Gesetze des Vichy-Regimes wurden in Algerien mit Nachdruck umgesetzt; Tausende Soldaten kämpften ab 1940 in den Französischen Streitkräften sowohl in Europa als auch im kolonialen Afrika gegen die deutschen Nationalsozialisten. 1 Marokko und Algerien wurden selbst Kriegsschauplatz, als 1942 amerikanische Truppen dort landeten und eine zweite Front eröffneten (Operation Torch). Daraufhin besetzte die deutsche Wehrmacht Tunesien. De Gaulle kam schließlich 1943 nach Algier, wo das von ihm gegründete Comité français de libération nationale ab 1944 als provisorische Regierung der Französischen Republik firmierte. 2 So nehmen die Ereignisse der Jahre 1939-1945 im kolonialen Algerien, das französisches Staatsterritorium war, zwar in der Geschichte Frankreichs einen zentralen Platz ein, finden in die offiziellen Diskurse nach der Unabhängigkeit Nordafrikas aber kaum Eingang (vgl. Simon 2015). In Frankreich werden sie aus nationaler Perspektive, d.h. aus Sicht der be-

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Einen historischen Überblick über das Ausmaß der algerischen Beteiligung bietet Belkacem (1996). Rachid Boucharebs Spielfilm INDIGÈNES (DZ/MA/F/B 2006; Deutsch: TAGE DES RUHMS) vermittelt die Geschichte von vier maghrebinischen Soldaten publikumswirksam und zeigt die gravierende Diskriminierung innerhalb der Truppen.

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Zur Geschichte des Maghreb im Zweiten Weltkrieg vgl. Metzger (2018).

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teiligten französischen Bevölkerung geschildert, 3 so dass die von der Staatsbürgerschaft ausgeschlossene nordafrikanische Mehrheitsbevölkerung in diesen Darstellungen kaum vorkommt. Gleichwohl litt sie unter den traumatischen Ereignissen, war von Gewalt, Tod und Verfolgung betroffen, so wie auch die nordafrikanischen Juden Deportation und Lager erleben mussten. 4 Ihre Weltkriegserfahrungen sind somit weder in der französischen Geschichtsschreibung noch in der nordafrikanischen Erinnerungskultur nach der Unabhängigkeit sichtbar. Im Zentrum der geschichtlichen Auseinandersetzung in den postkolonialen Staaten Nordafrikas steht hingegen die Ablösung von der Kolonialmacht, die das Nationenbewusstsein prägt. Die Beschreibung der eigenen geschichtlichen Identität setzt bei der Dekolonisierung an, die mit der Ablösung vom französischen Kolonialregime die Ausbildung einer eigenen nationalen Identität erlaubte und daran ihre Erinnerungspolitik ausrichtete. Nicht der Weltkrieg ist hier gemeinsamer Erfahrungsraum, sondern die koloniale Gewalt und deren Überwindung sind Bezugspunkte für die Gemeinschaftsbildung. Anders als in Europa befassen sich die Erinnerungsdebatten im Maghreb vorrangig mit den Geschehnissen und Folgen des französischen Kolonialismus als jener traumatischen Erfahrung, auf die die eigene Geschichte in fundamentaler Weise bezogen bleibt und die erinnert werden muss. Dies hat seine Ursache in der Kolonisierung, zunächst Algeriens, das 1830 als Siedlerkolonie besetzt und 1881 in Form dreier Départements zum Territorium Frankreichs erklärt wurde, aber auch Tunesiens (1881-1956) und Marokkos (1912-1956) als angrenzenden Protektoraten. Folglich bildet der bewusste Bruch mit dieser kolonialen Vergangenheit den bis heute verbindlichen Bezugsrahmen für die eigenen Erinnerungsdiskurse. Sie folgen der Logik eines kollektiven und kulturellen Erinnerns, wie es von Maurice Halbwachs (1950 [1939]) verstanden als soziale Prägung der Erinnerung des Einzelnen, über Aleida und Jan Assmann bis hin zu Pierre Nora beschrieben wurde, und zwar als Ort eines kollektiv geteilten Wissens und des Bewusstseins einer gemeinsamen Vergangenheit. 5 Für die Angehörigen der nordafrikanischen Kultur ist somit die Ko-

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Es geht um das »Algeria Snydrome« Frankreichs (Donadey 1996).

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Nach der französischen Niederlage 1940 wurde den algerischen Juden die seit 1870 verliehene französische Staatsbürgerschaft (Décret Crémieux) aberkannt, einige Tausend wurden in Arbeits- und Konzentrationslager deportiert. Stora (2004: 81) verweist darauf, dass Algier die Verfolgung sogar forcierte. Im Maghreb waren ca. 400.000 Juden bedroht (Abitbol 1983).

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Bei Assmann (1988: 15) heißt es dazu: »Unter dem Begriff des kulturellen Gedächtnisses fassen wir den jeder Gesellschaft und jeder Epoche eigentümlichen Bestand an Wiedergebrauchs-Texten, -Bildern und -Riten zusammen, in deren ›Pflege‹ sie ihr

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lonisierung durch Frankreich jenes »schicksalhafte Ereignis der Vergangenheit«, dessen »Erinnerung durch kulturelle Formung […] und institutionalisierte Kommunikation […] wachgehalten wird« (Assmann 1988: 12), und im Sinne ihrer endgültigen Überwindung weiterhin wachgehalten werden muss. Sie markiert den Fixpunkt für die Entfaltung eines eigenständigen kulturellen Gedächtnisses, das sich im Sinne der Definition von Assmann aus einem gemeinsamen Wissensvorrat speist, aus dem die Gemeinschaft das »Bewusstsein ihrer Einheit und Eigenart bezieht« (ebd.: 13). In diesem Prozess werden die Gegenstände des Gedächtnisses im Rahmen diskursiver und medialer Verfahren identifikatorisch besetzt und, durch Abgrenzung, Umwertung oder Ausblendung, neu geformt. Aus der Distanz zu europäischen und vor allem den kolonialen Mustern entstehen die eigenen kollektiven Praktiken des Erinnerns. Ein Beispiel hierfür ist die Wahrnehmung des 8. Mai 1945, der in Algerien nicht mit dem Kriegsende und der Befreiung, sondern den Massakern von Sétif und Guelma verbunden ist und als Gedenktag für die Opfer des antikolonialen Widerstands gilt. 6 Dieser Moment des Aufbegehrens gegen die Unterdrückung steht symbolisch für die antikoloniale Bewusstseinsbildung, die das gesamte kulturelle Erinnern im Maghreb prägt. Das Datum taucht somit auf differente Weise in westlichen und nordafrikanischen Kommemorationen auf, verweist jedoch zugleich auf die enge historische Verflechtung (›entangled history‹) 7 von Weltkrieg und Dekolonisierung, wie sie in aktuellen Debatten diskutiert wird. 8

Selbstbild stabilisiert und vermittelt, ein kollektiv geteiltes Wissen vorzugsweise (aber nicht ausschließlich) über die Vergangenheit, auf das eine Gruppe ihr Bewusstsein von Einheit und Eigenart stützt«. 6

Im Kontext der Siegesfeiern der Alliierten fanden die Massaker in Guelma, Sétif und Khetara statt, die einen Höhepunkt der französischen Gewalt darstellten und durch Stärkung der nationalen Unabhängigkeitsbewegung zu Vorboten des Algerienkrieges wurden. Vor Vereinnahmung ist der Gedenktag gleichwohl nicht gefeit, wie der Film UN CERTAIN 8 MAI 1945, LES MASSACRES DE SÉTIF (F 1995) von Mehdi Lallaoui und Bernard Langlois belegt (vgl. Pervillé 2008).

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Diner (2007: 67) sieht in dieser Verflechtung »eine dem westlichen Gedächtnis gegenläufige Konstellation«, insofern sie die Einmaligkeit des Holocaust als Zivilisationsbruch und seine Wahrnehmung als »bloße Vernichtung jenseits von Krieg, Konflikt und Gegnerschaft« (ebd.: 81) unterminieren könnte.

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Vgl. Diner (2007) für die Geschichte, und für die kulturwissenschaftliche Ausrichtung Rothberg (2009), Sanyal (2015), Silverman (2013) sowie Rothberg/Sanyal/Silverman (2010). Die Autoren beziehen sich auf das Konzept des multidirektionalen Erinnerns und bieten wichtige Ansätze für die Untersuchung globaler Erinnerungskulturen.

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Die Vergangenheit, so lautet eine der Grundeinsichten der Gedächtnisforschung, kann nicht als solche aufgerufen werden, vielmehr wird sie unter Bezug auf Sinnbedürfnisse in der Gegenwart rekonstruiert und konstruiert, d.h. anhand der Fixpunkte im gegenwärtigen Bewusstsein entworfen. Die Erinnerung von Individuen wiederum ist in diese »sozialen Rahmungen« (Halbwachs 1994) durch das jeweilige kollektive Imaginäre verstrickt, Erinnern vollzieht sich dabei nicht nur interaktiv, sondern auch als ein höchst spannungsreicher Prozess. Es findet in steter Wechselbewegung zwischen offiziellen Mustern, die auf Gemeinschaftsbildung zielen, und partikularen Ausdrucksformen als deren Katalysatoren oder Widerstandspotentialen statt. Das gemeinsame Fundament der verschiedenen nationalen Erinnerungsdiskurse im Maghreb stellt die Abgrenzung von der Kultur der Eroberer dar. Die Kolonialkritik bildet den grand récit (Lyotard 1979), in dessen Rahmen nationale geschichtliche Ereignisse nicht nur erfasst, sondern auch (um)gedeutet und neu perspektiviert werden. 9 So wird der Zweite Weltkrieg vor dem Hintergrund der kolonialen Kritik nicht als Ereignis der eigenen Geschichte gedeutet und der Nationalsozialismus häufig unkritisch eingeschätzt. 10 Diese Betrachtung perpetuiert die problematische koloniale Grenzziehung zwischen Frankreich als imperialer Macht und der kolonisierten Bevölkerung. So kommt es sogar auch dazu, dass umgekehrt das nationalsozialistische Deutschland als Gegenspieler des eigenen Feindes mit Sympathie bedacht wird. Ob Nationalsozialismus und Kolonialismus hinsichtlich der verübten Gewalt verglichen oder aber Frankreich und Deutschland als Kriegsgegner moralisch unterschiedlich bewertet werden, in beiden Fällen erscheint die nordafrikanische Bevölkerung in der bloßen Zuschauerrolle. Doch erst die Ablösung von einem Denken der Gegenläufigkeit verändert ihren passiven Zugang zu welthistorischen Ereignissen und schafft erinnerungsgeschichtliche Muster, die – wie ich zeigen möchte – den Feind nicht nur in der Kolonialmacht verorten, sondern auch die Taten des nationalsozialistischen Regimes kritisch behandeln und nordafrikanische Akteure ebenso wie die Opfer einbeziehen. Eine solche – zweifellos

Stärker als dort ist unsere Perspektive auf die Dissonanzen und Formungen der Erinnerungen in Nordafrika selbst gerichtet. 9

Dabei entstehen auch normative und ahistorische Sichtweisen. So werden antikoloniale Muster zuweilen in eine weit zurückliegende Vergangenheit projiziert, etwa in Form einer Kritik am Römischen Reich, das – angelehnt an das imperiale Selbstbild Frankreichs – mit dem modernen französischen Kolonialsystem gleichgesetzt wird.

10 Das Kolonialregime wird beispielsweise mit den Nationalsozialisten verglichen oder es wird eine Analogie der Folterpraktiken im Zweiten Weltkrieg und im Algerienkrieg hergestellt.

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spannungsreiche – Betrachtung liegt in den hier analysierten Romanen vor und manifestiert sich in deren kritischer Auseinandersetzung mit dem Zweiten Weltkrieg, dem Algerienkrieg, dem Bürgerkrieg sowie deren Folgen. In Algerien wird der offizielle Erinnerungsdiskurs bis heute von der nationalen Einheitsideologie der (militärisch gestützten) 11 Regierungspartei Front de Libération Nationale (FLN) kontrolliert, die den Unabhängigkeitskrieg als Revolution umdeutete und die eigenen Akteure, darunter die Mitglieder der Armée de la Libération Nationale als bewaffneter Arm, bis heute als Nationalhelden, Märtyrer (Shuhada) und Partisanen des Untergrunds, genannt »Heilige Krieger« (Mudschaheddin), inszeniert. 12 Der offizielle Erinnerungsdiskurs gründet demnach auf dem vereinfachten Bild einer mit dem Unabhängigkeitskampf verbundenen Bevölkerung und blendet die inneralgerischen Konflikte ebenso aus wie die Heterogenität der nationalistischen Bewegungen oder die tiefe Gespaltenheit der französischen Reihen; von kritischen und komplexen Positionen, wie sie sich beispielsweise in den Stellungnahmen Camus’ gegen die Unabhängigkeit zeigen, zu schweigen. Der Algerienkrieg stellt das zentrale und vielbeachtete Thema dar; man kann von einer »hypermnésie« (Porra 2015) sprechen. 13 Zudem wird er, in die Geschichte der Unabhängigkeit eingebunden, als Heldenepos erzählt. Das staatliche Bildungssystem vermittelt bis heute die »mythologisierende Befreiungshistorie« ebenso wie es die Legende »von einem im Widerstand monolithisch geeinten Volk« verbreitet (Kohser-Spohn 2006: 9). Frankreich fungiert als Feindbild. Dabei werden Widersprüche und Brüche verschwiegen, so beispielsweise die inneralgerische Gewalt im Konflikt, die – »à proportions fratricides« (Maazouzi 2015: 108) – einen beträchtlichen Teil des Kriegsgeschehens ausmachte. Während der Algerienkrieg im Zentrum der Erinnerungskultur des Landes nach der Unabhängigkeit steht, dort einseitig heroisiert, zur Revolution verklärt und als Befreiungsmythos den neuen Staat legitimiert, 14 ist er in Frankreich

11 Spätestens seit der Regierung Boumedienne (1965-1978) spielt das Militär eine entscheidende Rolle. 12 Siehe dazu Branche (2011). 13 Unter Verweis auf die Frankophonie liefert Porra (2015) zahlreiche Beispiele für derart inflationäre Formen des Erinnerns, das mit Verkürzungen einhergeht und die Vielschichtigkeit historischer Ereignisse gezielt unterminiert. 14 Pervillé (2008: 311) verweist auf die politische Funktionalisierung in offiziellen Darstellungen des Krieges in Algerien und eine abhängige Geschichtswissenschaft: »L’État a organisé une commémoration obsessionnelle de la ›guerre de libération‹ qui est la seule source de légitimité du régime et de ses dirigeants. En conséquence de

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mit einem Ansehensverlust verbunden und wird im öffentlichen Bewusstsein verdrängt; erst Anfang der 1990er Jahre erhält der namenlose ›Krieg‹ auch seine adäquate Bezeichnung. 15 Das Beispiel verweist auf die Spezifik des Erinnerns, welches Orte des Vergessens 16 erzeugt und mit diesen unsichtbar verbunden bleibt. Wenn bestimmte Ereignisse selektiert und für eine Gemeinschaft bedeutsam werden, können sie im Sinne von Pierre Noras »lieu de mémoire« (Nora 1984-1992) einen Ort der nationalen Selbstvergewisserung bilden. Andere Geschehnisse werden dabei gezielt ausgeblendet, bleiben jedoch weiterhin für die Erinnerung konstitutiv. Daher gilt es den Blick gerade auf Verdrängungen und jene Formen zu richten, in denen sie wieder aufscheinen. 17 Dies ist längst der Fall, insofern die Auseinandersetzung mit dem Zweiten Weltkrieg als dem aus den offiziellen Geschichtsbildern des Maghreb Verdrängten in Literatur, Film und Kunst stattfindet, wie ich es am Beispiel der Darstellung von Nazitätern zeigen möchte. Algerien bildet inzwischen einen zentralen Bezugspunkt für die französischen Erinnerungsdebatten und die politische Aufarbeitung der kolonialen Rolle Frankreichs, wie es die Ergebnisse einer höchst produktiven Forschung unter dem Begriff transcultural bzw. multidirectional memory zeigen. Der Verlust der ehemaligen Kolonie stellt für Frankreich ein eigenes Trauma dar und wird zum Ort jenes Verdrängten, welches die Gegenwart im Sinne eines permanenten haunting weiterhin begleitet und prägt. 18 So haben Autoren und Künstler ihr Au-

l’importance des enjeux politiques, des contraintes très lourdes pèsent sur ›l’écriture de l’histoire‹«. 15 Erst zu Beginn der 1990er Jahre hat der französische Historiker Benjamin Stora (1998 [1991]) dieses vergessene Kapitel der französischen Geschichte aufgearbeitet. Er belegt die Tabuisierung in den Institutionen, die ›Namenlosigkeit‹ des Algerienkrieges verbunden mit der Amnestie und einer lang anhaltenden Amnesie. Catherine Milkovitch-Rioux (2012: 288) spricht von einem regelrechten »oubli commandé« aus Sorge um gesellschaftliche Spaltungen. 16 Eine systematische Betrachtung solcher Orte des Vergessenen innerhalb der Frankophonie findet sich in Dumontet et al. 2015. 17 Porra (2015: 8f.) zufolge befassen sich im Unterschied zu Studien über Frankreich nur wenige Arbeiten mit den Formen und Funktionen der »lieux d’oubli« in den frankophonen postkolonialen Kulturen. 18 Damit bezeichnet Barclay (2011: XIV-XVII) die Wiederkehr des Maghreb als verdrängtes koloniales Erbe in der postkolonialen Literatur Frankreichs. In Form von literarisch inszenierten »spectres« heben jüngere Autoren und Autorinnen die koloniale Struktur zeitlicher, geographischer und identitärer Dichotomisierung auf.

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genmerk immer wieder gezielt auf das gerichtet, was die nationale französische Geschichtsschreibung lange Zeit suspendiert hat, wie etwa die eigene Kolonialgeschichte, die vielleicht den unsichtbaren Bezugspunkt für die Nora’schen Erinnerungsorte bildet. Erst in jüngerer Zeit analysiert auch die Geschichtswissenschaft jene »koloniale Fraktur«, 19 die – bis heute in unterschiedlicher Art und Weise – die Französische Republik spaltet. 20 Gerade die höchst symbolischen ›Orte des Vergessens‹, neben dem Algerienkrieg auch das Regime von Vichy, haben durch ihre Ausgrenzung aus dem Bewusstsein der Fünften Republik spezifische Wertvorstellungen geprägt. 21 Diese lange Zeit aus der Geschichte verdrängten Ereignisse, die seit den 1990er Jahren in Frankreich aufgearbeitet wurden, haben inzwischen zu einer intensiven Auseinandersetzung geführt und sind heute vielfach Gegenstand der Erforschung globalisierter Erinnerungskulturen. 22 Allerdings sind bislang weniger die nordafrikanischen Erinnerungsdiskurse selbst und der spezifische Kontext der Nationen- und Identitätsbildung nach der Unabhängigkeit thematisiert worden. Daher setzt der vorliegende Beitrag gerade in dieser Richtung an und fragt nach den globalisierenden Komponenten in den Gedächtniskulturen Nordafrikas. Während die spezifischen Selektionsprozesse und daraus folgende systematische Leerstellen im französischen Nationaldiskurs weithin beachtet wurden, fand die Frage nach den historischen Verdrängungen in offiziellen Diskursen des Maghreb kaum Beachtung, oder nur dann, wenn sie mit

19 Als Pionier der Aufarbeitung dieser verdrängten kolonialen Vergangenheit jenseits von revisionistischen Ansätzen gilt Pascal Blanchard (2005), zusammen mit einer Reihe von Kollegen und Kolleginnen. 20 Jüngst zu besichtigen in Ladj Lys Spielfilm LES MISÉRABLES (F 2019; Deutsch: DIE WÜTENDEN – LES MISÉRABLES), der die Gewalt der Pariser Vorstädte auf der Folie von Victor Hugos gleichnamigem Roman erzählt und den Straßenjungen Issa als Gavroche der Gegenwart zeigt. 21 Rousso (1987) hat die aktive Verdrängung des Vichy-Frankreichs im politischen Diskurs des Gaullismus herausgearbeitet, in dem die Résistance zum Gründungsmythos der Fünften Republik erhoben wurde. Er übt vor diesem Hintergrund auch Kritik an Noras Erinnerungsorten. Ihm zufolge rückte erst der Film von Max Ophüls LE CHAGRIN ET LA PITIÉ

(F/DE/CH 1971) Vichy ins Bewusstsein, ein echtes Umdenken

setzte dann mit Robert Paxtons kontrovers diskutierter Studie Vichy France: Old Guard and New Order 1940-1944 (1972) ein. 22 In Rothbergs Studie (2009) über die Globalisierung des Holocaust-Erinnerns und dessen interkulturelle Verflechtung fungiert Nordafrika vor allem als Bezugspunkt französischer Debatten, insbesondere mit Blick auf den Algerienkrieg und den 18. Oktober 1961, den Tag des Massakers an algerischen Demonstranten in Paris.

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französischen Akteuren oder Räumen verbunden waren. Eine genauere Reflexion auf das eigene, von spezifischen Auslassungen geprägte nationale Selbstbild von Marokkanern, Algeriern und Tunesiern findet in Debatten über globalisierte Erinnerungskulturen kaum statt. Bislang ist der von Nordafrika ausgehende Blick auf den Zweiten Weltkrieg und den Nationalsozialismus einer, der Frankreich als damalige Kolonialmacht und die französischen Staatsbürger in den Mittelpunkt stellt. So kommt es, dass die Perspektive der Kolonisierten in den nationalen Erinnerungsdiskursen auf beiden Seiten fehlt, sie ist weder Teil der französischen Kommemoration noch ist sie historische Referenz für die postkoloniale Nationenbildung. Die Auseinandersetzung mit der Rolle nordafrikanischer Akteure im Weltkrieg kollidiert mit dem Selbstbild auf beiden Seiten: in Frankreich, weil sie die Verbrechen der Kolonialgeschichte aufrufen, im Maghreb, weil der Kampf gegen den Nationalsozialismus an der Seite der Alliierten Ambivalenzen aufwirft oder sogar als Kollaboration mit der Kolonialmacht gilt. So nimmt der Zweite Weltkrieg, der – wie oben ausgeführt – mit der Geschichte Nordafrikas verbunden ist, in den offiziellen Erinnerungsformen des Maghreb eine Randstellung ein. 23 Hier wirkt die Selbstwahrnehmung der Bevölkerung als Kolonisierte fort, für die der Weltkrieg eine Angelegenheit der Kolonialmacht ist und somit nicht Gegenstand der eigenen Erinnerungsgeschichte sein kann. 24 Der Holocaust dagegen ist weitgehend tabuisiert oder wird durch die Wahrnehmung des israelisch-palästinensischen Konflikts nachträglich verklärt. So bezeichnet Diner den Blick der arabischislamischen Welt auf den Holocaust, den – im Unterschied zu anderen traumatischen Gewaltereignissen der Geschichte – einzigartigen Zivilisationsbruch, als »verstellte Wahrnehmung« (Diner 2007: 104f.) und nennt als ihre Ursachen eine zeitverzögerte Säkularisierung sowie die fehlende Profanierung der Lebenswelten, die zu Negationismus (Leugnung) und Relativierung geführt hätten (ebd.:

23 Ursache ist ein auf kolonialen oder antikolonialen Mustern beruhendes Selbstbild, bei dem der Krieg nicht als Ereignis der eigenen Geschichte wahrgenommen wird. Als solcher bildet er einen Ort des Vergessenen, was nicht bedeutet, dass er nicht als Element der Kolonialgeschichte durchaus zur Sprache kommt. 24 Dieser Wahrnehmung stehen Fakten entgegen, etwa, dass die maghrebinischen Juden unter Anwendung der Nürnberger Rassengesetze zu den Verfolgten des Nationalsozialismus gehörten und im besetzten Tunesien den gelben Stern tragen mussten. Robert Sattlof begibt sich in seinem Dokumentarfilm LE MAGHREB SOUS LA CROIX GAMMÉE

(F 2010, Robert Sattlof) auf die Suche nach den nordafrikanischen Unter-

stützern dieser Juden.

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105f.). 25 Auch die politische Indienstnahme des muslimischen Antisemitismus wirkte sich hier aus, sie setzte 1937 ein und wurde von den Nationalsozialisten gezielt medial eingesetzt. 26 Bensoussan zufolge ist der arabische Antisemitismus gleichwohl nicht erst nach dem Zweiten Weltkrieg und der Gründung Israels entstanden, sondern hat traditionelle Wurzeln (vgl. Bensoussan 2017). Für unseren Zusammenhang ist die Feststellung entscheidend, dass die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg, an Nationalsozialismus und den Völkermord an den Juden im Maghreb keineswegs zum festen Erinnerungsrepertoire gehört und dort im öffentlichen Bewusstsein kaum oder allenfalls unkritisch verankert ist. In künstlerischen Formen und insbesondere in literarischen Texten nordafrikanischer Autoren und Autorinnen wird diese Erinnerung hingegen im Rahmen komplexer Darstellungsstrategien reflektiert, wie ich zeigen möchte. Die Literatur – dies muss hier nicht eigens belegt werden – leistet zur Entfaltung eines differenzierten Panoramas von Erinnerungsdiskursen und zur kritischen Reflexion offizieller Gedächtnispolitik und deren Instrumentalisierungen einen entscheidenden Beitrag. 27 Anders als kollektive Erinnerungsdiskurse, die der Gemeinschaftsbildung dienen und nicht dem Speicher- sondern dem Funktionsgedächtnis entsprechen, setzen sich ästhetische Arbeiten gerade mit den Brüchen, Dissonanzen und Ungereimtheiten in derart konventionalisierten Artikulationsformen der Erinnerung auseinander. 28 Sie lenken den Blick kritisch auf Formen und Strategien der Vereinheitlichung und Vereinfachung und konfrontieren ihr Publikum mit dem, was gerade nicht gesagt oder symbolisch erfasst wird oder darauf, wie es geformt und artikuliert wird.

25 Diner betont: »Ein sakral durchdrungenes Bewusstsein wird sich dem Holocaust als Zivilisationsbruch verweigern […]« (Diner 2007: 105), und begründet das anschließend damit, dass der Holocaust erst mit der anthropozentrischen Sicht der Aufklärung als Zivilisationsbruch kenntlich wird (ebd.). 26 Vgl. Küntzel (2020), der hierin die neue Qualität eines politischen Antisemitismus sieht, der über den latenten islamischen Antijudaismus hinausgeht. 27 Dieser Zusammenhang wird beispielsweise in der postfrankistischen Erinnerungskultur augenfällig, die mit Erscheinen des Bestsellerromans Soldados de Salamina von Javier Cercas 2001 eine Wende erlebte und sich von tradierten ideologischen Polarisierungen lösen konnte (vgl. Jünke 2012). 28 Bedenkenswert scheint daher Borsòs Kritik (2014: 77) an einem Modell des Funktionsgedächtnisses, das politische Implikationen glättet, wohingegen Halbwachs und Benjamin »die Elemente der Verbindung von subjektiver Erinnerungsproduktion und kollektiver Erinnerungsvernunft als spannungsreichen Artikulationsraum« verstehen.

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So hat die Entmystifizierung des Unabhängigkeitskampfes der FLN in Algerien nicht zufällig in Literatur, Film und Künsten begonnen. 29 Die Fixierung auf die Kolonialkultur und die Erklärung der Gegenwart aus dem Bruch mit der Kolonialgeschichte, so haben viele Werke gezeigt, hat die eigenen Handlungsmöglichkeiten verdeckt. Internationales Renommee erlangte mehr als 50 Jahre nach der Unabhängigkeit der Roman Meursault, contre-enquête (2013) des algerischen Journalisten und Autors Kamel Daoud. Der Protagonist Haroun löst sich vom kolonialen Trauma, von seiner Opferrolle und der daraus resultierenden fatalistischen Sicht ausgerechnet über den vielfach geschmähten Autor Camus, nach einem zunächst naiven und später kritischen Verständnis des Klassikers Der Fremde (1942). In der Literatur wurden historische Ereignisse immer schon jenseits gängiger politischer und ideologischer Raster betrachtet. So entstehen in der hochgradig produktiven und lebendigen Literatur Nordafrikas derzeit neue Narrative für die Auseinandersetzung mit dem Zweiten Weltkrieg. Verschiedene Texte – zu nennen sind Assia Djebars Les nuits de Strasbourg (1997) oder Leïla Sebbars La Seine était rouge (1999) – eröffnen den Zugang zu einem bislang verstellten Erbe, d.h. der Zweite Weltkrieg wird Gegenstand der eigenen Erinnerungskultur. Die hier zu untersuchenden Romane von Kebir Ammi und Boualem Sansal verknüpfen das Geschehen ebenfalls mit Ereignissen der algerischen Geschichte, stellen darüber hinaus aber eine neue Komponente aus. Sie befassen sich mit der Figur des Nazitäters im algerischen Kontext. Damit eröffnen sie eine Auseinandersetzung mit eigenen Akteuren im Zweiten Weltkrieg jenseits der üblichen kolonialen und antikolonialen Muster. Weltgeschichtliche Ereignisse wie Krieg und Holocaust werden nicht mehr über die Beziehung zur Kolonialmacht vermittelt, sondern gelangen durch ihre Verflechtung mit der eigenen Vergangenheit auf neue Art ins Bewusstsein. 30 Damit erhalten auch die Erinnerungen an Algerien- und Bürgerkrieg eine neue Funktion, sie werden zum Ausgangspunkt für ein nordafrikanisches Erinnern an den Zweiten Weltkrieg. Hier entsteht eine transnationale globalisierte Erinnerungskultur, so meine These, wie sie in den Transcultural bzw. Global Memory Studies bereits beschrieben wurde. Der Ge-

29 Einschlägige Publikationen hierzu sind Ibrahim-Lamrous/Milkovitch-Rioux (2004), Milkovitch-Rioux (2012), Mertz-Baumgartner (2013), Dayan Rosenman (2004) und Schyns (2012), letztere mit gezieltem Blick auf die Verflechtung von Erinnerungen. 30 Ich untersuche nicht die Ereignisse selbst und ihre historische Verflechtung, wie sie in der Geschichtswissenschaft erörtert oder in Strukturvergleichen nahegelegt wird, wenn es um koloniale und faschistische Gewalt geht. Vielmehr geht es um narrative Muster des Erinnerns als gegenwartsbezogenen Prozess im Sinne eines Beitrags zur sog. Gedächtnisgeschichte (Assmann 1998: 26f.).

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danke, dass vielfältige Erinnerungen an traumatische Ereignisse in der Öffentlichkeit nicht um Aufmerksamkeit konkurrieren, sondern sich produktiv bestärken und über Verknüpfungen auch beiderseits profitieren können, 31 ließe sich für die heutigen Erinnerungskulturen im Maghreb stärker fruchtbar machen als dies bisher erfolgt ist. Rothberg (2009) sieht in der Globalisierung des HolocaustErinnerns die Chance, 32 auch anderen traumatischen Geschichten wie etwa den Ereignissen der Dekolonisierung Geltung zu verschaffen. 33 So beschreibt er, wie die Autorin und Künstlerin Charlotte Delbo zuerst mit ihrem antikolonialen Engagement an die Öffentlichkeit trat, ehe sie ihre Auschwitz-Trilogie veröffentlichte. Das Jahr 1960 erscheint als Schlüsseldatum einer doppelten »emergence of Holocaust memory and the unfolding of decolonization as overlapping and not separate processes« (Rothberg 2006: 160; Hervorhebung C.G.). Rothberg versteht das Erinnern an Holocaust und Dekolonisierung als verflochtenen Prozess und sieht in der Verwobenheit selbst das entscheidende Moment: »a nodal point of intersecting histories […] intersections might inflect narratives of the era« (Rothberg 2009: 200). Die transkulturellen Verflechtungen zeigen sich vor allem in ästhetischen Beispielen, die der kompetitiven Kultur des Erinnerns (competitive memory) in Form homogenisierender nationaler Diskurse eine multidirectional memory entgegensetzen. 34 Das in der globalen Öffentlichkeit verankerte Holocaust-Gedenken weise dabei den Weg für die Auseinandersetzung

31 So beschreibt es Rothberg (2009: 6f.) in seiner Theorie einer globalen Kultur der »multidirectional memory«. 32 Das weltweite Verständnis des Holocaust als eines universalen Gedächtnisortes gilt als Kosmopolitisierung. Für andere ist er Ausdruck eines dominanten westlichimperialen Gedächtnisses. 33 Im Gegensatz zur Skepsis bei Diner betont Rothberg die Vorteile der Verflechtung: »I argue that far from blocking other historical memories from view in a competitive struggle for recognition, the emergence of Holocaust memory on a global scale has contributed to the articulation of other histories […]« (Rothberg 2009: 6). Beide Positionen lassen sich möglicherweise vermitteln, wenn man daraus erwachsende neue Zugänge zur Shoah berücksichtigt. 34 Vgl. die einschlägigen Untersuchungen der Forschergruppe um Rothberg (2006 und 2009), Silverman (2013), Sanyal (2015), Rothberg/Sanyal/Silverman (2010). Diese Studien liefern – wenngleich sie auch normative Ansprüche mitführen – für die Analyse globalisierender Erinnerungsdiskurse eine entscheidende Grundlage. Auch werden nordafrikanische Beispiele einbezogen, der Schwerpunkt liegt jedoch auf der Rolle Nordafrikas in französischen Geschichts- und Erinnerungsdiskursen, nicht auf der nordafrikanischen Erinnerungskultur selbst.

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mit der Dekolonisierung. Doch auch umgekehrt, wie ich zeigen möchte, kann die algerische Geschichte – nicht nur die der Dekolonisierung – eine Brücke für die Auseinandersetzung mit dem Zweiten Weltkrieg bilden. Ich möchte auf zwei Romane der jüngeren Maghrebliteratur eingehen, Boualem Sansals Le village de l’allemand, ou le journal des frères Schiller (2008a) und Kebir Ammis Un génial imposteur (2014), der dritte Band seiner Trilogie Tryptique de l’imposture. 35 Beide Romane entwerfen grundverschiedene Perspektiven auf den Zweiten Weltkrieg: Sansal zeigt die Erinnerungsarbeit der Söhne eines in Algerien untergetauchten Nazitäters, während Ammi keinen deutschen, sondern einen algerischen Nazitäter zeigt, der ähnlich wie Hans Schiller in Sansals Roman als Held des Algerienkriegs gilt. Boualem Sansal ist in Frankreich und Deutschland höchst erfolgreich und vertritt seine Positionen vielfach in europäischen Medien, weil er nach eigener Aussage in Algerien kein Gehör finde. Er gehört in der Tat zu den »wenigen in Algerien verbliebenen Intellektuellen, die offen Kritik an den politischen und sozialen Verhältnissen üben«. 36 Doch positioniert er sich dabei nicht nur zu Algerien, sondern auch innerhalb eines Medienbetriebs, der ihm inzwischen eine feste Position zuweist und damit paradoxerweise immer weiter vom algerischen Publikum entfernt. 37 Kebir Ammi, geboren in Marokko, hingegen studierte in den USA und lebt seit mehr als dreißig Jahren in einem Pariser Vorort. Sein auf sieben Romane, mehrere Theaterstücke und Essays gewachsenes Œuvre erschien größtenteils bei

35 Das Motiv der Täuschung ist im algerischen Kontext dezidiert politisch besetzt, so etwa auch die kritische Bestandsaufnahme von Benchicous (2004). 36 So heißt es in der Laudatio zur Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels 2011 (Matt 2011). Sansal ist ein vielgefragter Kommentator des Verhältnisses zur arabischen Welt und übt offen Kritik am algerischen Regime, doch spitzt er seine Äußerungen und Einordnungen oftmals derart zu, dass sie fragwürdig werden. 37 Sansals Kritik an den Zuständen in seiner Heimat steuert die politische Wahrnehmung seiner Texte. Ihm ist es zwar einerseits gelungen, seine Stimme in westlichen Medien erfolgreich zu erheben, andererseits zahlt er dafür einen doppelten Preis: Er entfernt sich vom algerischen Publikum und wird im Rahmen seiner medialen »Heroisierung« (Leperlier 2019) deklassiert. Der Literatursoziologe Tristan Leperlier (ebd.) betonte anlässlich der Buchmesse Maghreb-Orient des livres 2019, dass die Heroisierung algerischer Schriftsteller in den französischen Medien äußerst ambivalent sei, weil sie ihnen einen Sonderstatus zuweist und die Gleichrangigkeit mit französischen Autoren abspreche. Zur Bedeutung des französischen Literaturfeldes für die algerische Literatur und speziell jene Autoren, die wie Sansal während des Bürgerkriegs zu schreiben begannen, vgl. Leperlier 2018.

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Gallimard und widmet sich der kritischen Aufarbeitung der maghrebinischen Geschichte, angefangen mit der Antike über das 16. und 19. Jahrhundert bis ins 21. Jahrhundert, in einer globalisierenden Perspektive. Für den nordafrikanischen Erinnerungsdiskurs scheinen beide Autoren auf ihre Weise unverzichtbar, selbst wenn die Romane in Algerien schwer zugänglich sind. Sie sind sicher unter der Hand verfügbar, aber erfahren keinerlei publizistisches Echo. 38 Dies wiegt schwer, denn die algerischen Medien gelten als vergleichsweise offen und sind für die Zivilgesellschaft – wie sich aktuell auch am Hirak zeigt – von entscheidender Bedeutung. 39 In beiden Romanen – die strukturell kaum vergleichbar sind – geht es um Nazitäter, die zugleich als Helden des Algerienkriegs erscheinen, und um die Frage des Erinnerns der Vergangenheit in einer jeweils doppelt angelegten Perspektive. In Sansals Roman alternieren die Tagebucheinträge der beiden Söhne eines SS-Mannes, die die Verbrechen ihres Vaters nach dessen Tod entdecken und sich auf je eigene Weise mit der Frage der Schuld auseinandersetzen. Auch Kebir Ammi entwickelt eine Doppelperspektive, doch sind es hier nicht nacheinander verfasste Tagebucheinträge, sondern gänzlich entgegengesetzte, konkurrierende Sichtweisen auf das Geschehen. Ein junger Schriftsteller, so die Rahmenhandlung, bemüht sich vergeblich darum, die Lügen eines Kriegsverbrechers zu entlarven. Der Täter selbst lanciert seine Version der Dinge und vermittelt eine scheinbar ungefilterte Sicht auf die Wirren des Algerienkrieges. Ammi entwirft ein zweifelhaftes Sittengemälde dieses Krieges 40 und rückt die offiziell glorifizierten Führer des Widerstandskampfes, darunter einen algerischen Nazi, ins Zentrum. Bei Sansal spricht nicht der Täter, sondern es schreiben die algerischen Söhne des deutschen SS-Angehörigen Hans Schiller. 41 Dieser hatte sich nach

38 Bücher sind in Algerien unerschwinglich, trotz offizieller Druckfreiheit, d.h. wenn sie nicht in der Presse besprochen werden, wirkt dies wie Zensur. Sansals Bücher gelangen seit der Veröffentlichung des Briefes Poste restante: Alger (2006) nicht mehr offiziell nach Algerien. 39 Die algerische galt »als einzige Presse in der islamischen Welt [welche] vor Drucklegung nicht mehr die Zensur des Innenministeriums passiert« (Kebir 2007). 40 Zur pikaresken Erzählperspektive auf diesen Krieg vgl. Gronemann 2020 (in Druck). 41 Sansal verweist in vielen Interviews auf eine authentische Vorlage für Hans Schiller, dezidiert in einem Gespräch mit der Zeitschrift L’orient littéraire (Sansal 2008c). Eine historische Vorlage ist denkbar und wird in der Forschung häufig übernommen. Tatsächlich recherchiert wurde ein solches Dorf allerdings nie. Entscheidend ist vielmehr die Funktionsweise dieses romanesken Erinnerungskonstrukts, das zwei Algerier mit dem Nazi-Erbe als Teil ihrer Familiengeschichte konfrontiert.

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dem Krieg in den Nahen Osten abgesetzt und trat – inspiriert von Gamal Abdul Nassers panarabischem Nationalismus – in den algerischen Unabhängigkeitskrieg ein. Weil er erfolgreich in den Reihen der FLN kämpfte, wurde er in seiner neuen Heimat als Mudschahed verehrt. Seine Vergangenheit als Mitglied des Totenkopfbataillons der Waffen-SS und als Chemiker, der aktiv an der Vernichtung Tausender europäischer Juden beteiligt war (Sansal 2008a: 53), verschweigt er. Er heiratet eine junge Berberin, konvertiert zum Islam und lässt sich im fiktiven Dorf Aïn Deb nieder. 42 Als Hassan Hans steigt er in der Nachfolge des Schwiegervaters zum angesehenen Dorfältesten auf, wird jedoch 1994 bei einem Anschlag der Groupe islamique armé (GIA) zusammen mit seiner Frau ermordet. Erst da erfahren die beiden in Frankreich ansässigen Söhne von seiner Nazivergangenheit. Über den Vater als Bezugspunkt (nicht als Figur) verbindet Sansal den Holocaust mit dem Befreiungskampf in Algerien, mit dem Bürgerkrieg der 1990er Jahre und seinen in Frankreich spürbaren Folgen in Form des Islamismus der Vorstädte und produziert dabei »gefährliche« Parallelen (Rosello 2010: 197), auf die ich zurückkommen werde. Das Besondere der literarischen Umsetzung liegt in der Verflechtung und »cohabitation des journaux« (ebd. 196), welche nicht mehr ein Gegeneinander, sondern das unauflösbare Nebeneinander verschiedener Erinnerungsversionen und Verarbeitungen eines gemeinsamen Traumas implizieren. Damit entwirft Sansal zwei grundlegend verschiedene Modelle für den Umgang mit dem Holocaust, die das Brüderpaar samt ihren verschiedenen Lebenswegen verkörpert. Beide sind gleichermaßen Erben der kolonialen Vergangenheit und finden sich in der historischen Rolle der Opfer wieder, zu denen sie gemacht wurden. 43 Dennoch sind sie auch die Söhne eines deutschen Nazitäters und müssen sich entgegen dem ursprünglichen Selbstverständnis mit dessen Perspektive auseinandersetzen. Sie tun dies auf unterschiedliche Weise und stehen emblematisch für die Verinnerlichung der Schuld (die Figur des Algeriers Rachel) 44 und die nach außen gerichtete kämpferische Reaktion (sein jüngerer Bruder Malrich). 45 Der ältere und gebildetere der beiden Brü-

42 Dass es bei Sétif liegt, scheint ein Verweis auf den 8. Mai 1945 und die globale Verflechtung der Geschichte zu sein. 43 Rosello (2010: 208) spricht daher von einem »héritage de victimisation«. 44 Sanyal (2015: 246f.) untersucht diesen Aspekt ausführlich mit Agambens Begriff der ›Grauzone‹. 45 Ihre Namen resultieren aus der Komposition eines deutschen und arabischen Teils, Rachel wird aus Rachid und Helmut geformt, Malrich aus Malek und Ulrich. Die künstlich anmutende Neubildung vermittelt das nationalsozialistische Familienerbe

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der versucht die Dimension der Verbrechen zu begreifen, die das Militärbuch (livret militaire) des Vaters enthüllt. Er gibt sein bürgerliches Leben auf, begibt sich auf Spurensuche, einerseits über die Literatur der überlebenden Zeugen (Primo Levi, Charlotte Delbo, Robert Antelme), und andererseits reist er wie sein Vater nach Frankreich, Deutschland, Polen, Österreich, Ägypten und die Türkei. Er macht sich nicht nur die monströse Schuld des Vaters zu eigen, 46 sondern verzweifelt daran, dass sein eigener Vater, den er als liebenden Menschen in Erinnerung hat, erheblichen Anteil an der Vernichtung der europäischen Juden hatte. Bei seinem Besuch von Auschwitz, so vermutet der jüngere Bruder später, muss ihn das Grauen unmittelbar ereilt haben. So wählt Rachel nach seiner Rückkehr den Freitod und übernimmt die Rolle der Opfer: »Toute la nuit, il a baigné dans les gaz d’échappement de sa tire. Il portait un drôle de pyjama, un pyjama rayé que je ne lui connaissais pas et il avait la tête rasée comme au bagne, tout de travers« (Sansal 2008a: 12). Mit diesen Worten beschreibt der fünfzehn Jahre jüngere Malrich, wie er seinen toten Bruder in der Garage vorgefunden hat. Dabei wird deutlich, dass ihm das Bewusstsein für die Symbolik der Situation fehlt, er weder den kahl rasierten Schädel noch Häftlingskleidung und Abgase als Bezugnahmen auf den Holocaust zu deuten versteht. Sansal umreißt damit bereits zu Beginn des Romans sein Programm, anhand der Figuren gegenläufige Erinnerungsmuster zu etablieren. Diese stehen, wie gezeigt werden soll, jedoch nicht mehr komplementär und in Konkurrenz zueinander, sondern sie bilden einen neuartigen »lieu de mémoire mélangée« (Rosello 2010: 196), einen Erinnerungsort der Dissonanz und – mit Rothberg gesprochen – der Multidirektionalität. Anders als Rachel ist der jüngere Malrich aus dem Milieu der Pariser Vorstädte nicht herausgekommen und es mangelt ihm an politischer Bildung, Rosello (2010: 204) zufolge nicht nur ein Skandalon, sondern eine deutliche Kritik am französischen Bildungssystem. Das historische Bewusstsein dieses banlieusard entsteht vielmehr indirekt über die Lektüre des Tagebuchs, das ihm der arrivierte Bruder hinterlassen hat. 47 Zunächst ohne tieferes Verständnis des Ge-

der algerischen Figuren und motiviert deren intensive Beschäftigung mit der Schuldfrage. 46 Die Darstellung orientiert sich an westlichen Diskursen von Schuld und Scham, deren (u.a. mediale) Verbreitung als Form der Synchronisierung der Erinnerungskulturen kritisiert wurde (Marchart/Öhner/Uhl 2003: 308). Sansal hingegen setzt das Thema bewusst gegen die arabischen Sympathien für Hitler und die Judenvernichtung ein. 47 Rachel hatte es 1994 nach dem Attentat auf das Dorf der Eltern zu schreiben begonnen. Malrich fand es nach dem Tod seines Bruders am 24. April 1996, dem zweiten

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lesenen beginnt er selbst zu schreiben und die Einträge des Bruders zu kommentieren. Über die Verflechtung beider Perspektiven entsteht somit ein Roman, der den Prozess der individuellen Verarbeitung des Holocaust im Zusammenspiel mit kulturell geformten Erinnerungsdiskursen unmittelbar vorführt. Die Perspektive des Jüngeren verwandelt den Text zudem in eine Art Entwicklungsroman. Malrich steht für die junge Generation der Vorstädte und deren unreflektierte Sicht auf die Geschichte, was vielfach Ablehnung hervorrief. Vor allem der unlautere Vergleich des jungen Mannes, der Nazivertreter und die Islamisten vor Ort gleichsetzt (Sansal 2008a: 144f.), stieß auf Ablehnung. 48 Doch scheint dabei die Funktion des Vergleichs als Element der Figurenkonzeption übersehen zu werden. Da Malrich die intellektuelle Auseinandersetzung verwehrt bleibt, erschließt er die Geschichte über die eigene Erfahrungswelt und entwickelt über jene – sicher streitbaren – »métaphores mobilisatrices« eine Handlungsfähigkeit in der Gegenwart. 49 Mehr noch, Malrich wehrt sich und macht den Jugendlichen, vermittelt über den Tod seines Bruders und die Geschichte des Holocaust, ihre eigene Gegenwart begreifbar. Aus dem banlieusard wird ein selbstbewusster Akteur. Malrich notiert: »Au bout d’une semaine, j’ai compris, son histoire est la mienne, la nôtre, c’est le passé de papa, il me fallait à mon tour le vivre, suivre le même chemin, me poser les mêmes questions et, là où mon père et Rachel ont échoué, tenter de survivre« (ebd.: 15). Erst über die eigene Familiengeschichte, über die Retraumatisierung des Bruders und seine Lektüre gewinnt Malrich Zugang zur Geschichte und begreift die Dimension der Shoah. Er entwickelt eine ethische Position und kann sich anders als sein Bruder dafür einsetzen, dass sich die Verbrechen nicht wiederholen. 50 Somit ist dem Roman Sansals eine geschichtsdidaktische Funktion eigen, die die Verknüpfung der algerischen Nazitäterschaft nicht nur mit dem Diskurs der Schuld, sondern auch mit einem Szenarium der politischen Bildung für die Jugendlichen der Vorstädte verknüpft. Die Konstruktion der Täterschaft als algerisches Erbe ermöglicht eine solche Auseinandersetzung mit Schuld und Verantwortung und eröffnet wichtige Impulse für

Todestag der Eltern, und begann ein eigenes Tagebuch zu verfassen, das er 1997 beendet. 48 Dies ist längst selbst Gegenstand kritischer Auseinandersetzung, so betont Brisley (2013: 72), dass man Malrichs Perspektive eindeutig als Figurenblick deuten muss (»Malrich’s analogies are far too crude and undeveloped to be taken at face value by a reader«) und der Autor hier divergente Erinnerungsformen inszeniert. 49 Rosello (2010: 204) deutet Malrichs Tagebuch als ein Manifest (»texte de combat«). 50 »Ce sont des histoires d’hier mais, en même temps, la vie c’est toujours pareil et donc ce drame unique peut se reproduire« (Sansal 2008b: 15).

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eine transkulturelle Erinnerungskultur. Dass Malrichs Tagebuch am Ende von der Französischlehrerin Madame Dominique G.H. redigiert wird, die die Auszüge beider Tagebücher anordnet, scheint wiederum ein Verweis auf das französische Bildungssystem, allerdings schwächt er die Position Malrichs. 51 Der Roman stellt seine Entwicklung damit als staatsbürgerliche Erziehung und Integration in ein republikanisches System aus, das längst selbst in eine tiefgreifende Legitimationskrise geraten ist. 52 Der Roman gilt ohne Zweifel als einer der ersten in der arabischen Welt, der sich kritisch und in globalisierender Perspektive mit dem Holocaust auseinandersetzt. 53 Anhand einer transkulturellen Familienkonstellation, die das Erbe der

51 Vor diesem Hintergrund entwirft Sanyal (2015) eine eher skeptische Position. Im Sinne Rothbergs betrachtet sie den Holocaust als Bezugspunkt für die Erinnerung verschiedenartiger Geschichten und die Anerkennung kultureller Traumata im Plural, »the multiplication of histories, memorial agents, and identity groups with their distinctive claims for recognition« (Sanyal 2015: 217f.). Doch situiert sie Sansals Roman nicht im algerischen Diskurs, sondern innerhalb französischer Erinnerungsdebatten (ebd.: 244-263). Weder in der Perspektive Rachels (»melancholic sacralization«) noch in Malrichs Tagebuch (»banalisation«) erkennt sie ernsthafte Vorbilder. Durch den Blick der Lehrerin wird letzteres an das universalistische Modell angepasst: »His final act of transmission thus passes through the standardized French of the republican educational system, assimilating the journal’s intertwined histories into the archive of French secular universalism« (ebd.: 254). 52 Das zeigt sich bis heute nicht nur in den Vorstädten, in denen 2005 und 2007 heftige Unruhen stattfanden, die immer wieder aufflammen. 53 Sansal hierzu im Interview: »Je me doutais bien qu’être le premier auteur algérien à écrire sur la Shoah allait faire de moi un animal bizarre, un dangereux contrevenant. Après avoir longuement hésité, je l’ai quand même fait, parce que le sujet mérite toute l’attention du monde et parce que je crois que reculer devant un tabou c’est accepter de se laisser conduire par le bout du nez« (Geffroy 2008). An anderer Stelle (Sansal 2008b) präzisiert er, dass es sich noch nicht einmal um ein Tabu handelt, sondern – schlimmer – um eine naive oder kalkulierte Unwissenheit: »Le mot tabou ne convient pas. La Shoah est ignorée dans nos pays, purement et simplement, quand elle n’est pas considérée comme une invention des Juifs ou regardée comme un ›point de détail de l’histoire‹, pour reprendre la formule tristement célèbre de Jean-Marie Le Pen«. Sansals Roman vermittelt ein anderes Bild des Holocaust und nimmt dezidiert Bezug auf die von Migration geprägte Gesellschaft. Den pädagogischen Herausforderungen dieser Vermittlung, und in einem Kapitel auch der Verflechtungsgeschichte von Algerienkrieg und Shoah, widmet sich der Band von Ernst (2008). Er warnt vor einer Ba-

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Schuld impliziert, vermittelt er gerade die Möglichkeit des Nebeneinanders verschiedener erinnernder Bezugnahmen auf das Vergangene und plädiert gegen offizielle nationale Sichtweisen für eine Pluralisierung und Dynamisierung etablierter Erinnerungsmuster. Sansal fokussiert dabei die plurale Kultur des Erinnerns im postkolonialen Frankreich, in dem die beiden Brüder ihren Wohnsitz haben. Neu ist dabei die familiäre Beziehung der beiden Algerier zu einem deutschen Nazitäter. Kebir Ammi zeigt das Problem in noch radikalerer Form, indem er sich mit der algerischen Erinnerungspolitik auseinandersetzt und einen algerischen Nazitäter zeigt, auch wenn dieser nicht das Zentrum bildet. Sein Roman Un génial imposteur nimmt eine andere Perspektive ein und beleuchtet den Algerienkrieg aus der Innensicht eines Täters, der mordet, foltert, lügt und betrügt und doch am Ende als Held dasteht. Die Glorifizierung der ehemaligen Untergrundkämpfer durch den algerischen Staat wird hier als Propaganda entlarvt. Über eine weitere Täterfigur, einen algerischen Feldwebel der Wehrmacht, stellt der Autor jedoch auch einen Bezug zum Zweiten Weltkrieg her. Die nationalsozialistischen Verbrechen erscheinen hier nicht nur als deutsches Erbe wie bei Sansal, sondern finden – historisch durchaus schlüssig – zudem unter Beteiligung von Arabern wie dem erwähnten algerischen Nazi-Kollaborateur statt. 54 Doch zuerst zur Geschichte des Protagonisten, der seinen Vater früh verliert und auf die schiefe Bahn gerät. Sharradi, genannt Shar 55, will seinen Vater rächen, dies misslingt und er muss als Jugendlicher aus dem berberischen Heimatdorf fliehen. Er reist um die Welt und schlägt sich im kriminellen Milieu und im Indochinakrieg durch, ehe er nach Algerien zurückkehrt und dort auf Seiten der Unabhängigkeitsbewegung kämpft. Er lässt alle Skrupel hinter sich, durch Gewalt und Heimtücke gelingt ihm der militärische Aufstieg, er wird ein Anführer im algerischen Befreiungskampf. Sein Patriotismus erweist sich allerdings als Heuchelei, aus Angst vor einer Niederlage wechselt er die Seiten, begeht Verrat an Kampfgefährten, kann aber dank seiner Verstellungskunst nie zur Rechenschaft gezogen werden und steigt am Ende sogar in den algerischen Staatsapparat auf. Er gilt als

nalisierung, vor der Konkurrenz der Opfer und plädiert zugleich für Empathie und Sachlichkeit. 54 Vgl. zur arabischen Kollaboration die Publikation der französischen Journalisten Faligot und Kauffer (1990), aber vor allem die differenzierte Analyse des Historikers David Motadel (2017), der sowohl die Kollaboration als auch die Unterstützung der Alliierten und die Rettung von Juden durch nordafrikanische Muslime darstellt.

55 Auf Arabisch ‫[ ﺷﺮ‬šarr] bedeutet ›Übel‹, ›Böses‹, ›Schlechtigkeit‹ (vgl. Wehr 1977: 420).

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Held und lebt ganz unbehelligt von Strafverfolgung, vor der ihn seine alten Netzwerke schützen. Einen ähnlichen Typus verkörpert sein Landsmann und Kontrahent Jok, auf den er als Führer einer algerischen Untergrundeinheit trifft. Shar schließt sich dessen Einheit an und beäugt den Befehlshaber genau. Das ehemalige Mitglied der Wehrmacht erweist sich als unfähiger Truppenführer, der mit seinem alten Stahlhelm ein lächerliches kleines, dazu homosexuelles Monster darstellt: »un gnome coiffé d’un casque du IIIe Reich« (Ammi 2014: 75), »un roi pygmée, un fou« (ebd.: 78). Shar kann ihm alsbald das Wasser reichen und so belauern sich die Kombattanten fortan gegenseitig, sie schrecken vor Lüge und Verrat nicht zurück. Ihre ›Freundschaft‹ ist Zweck und beruht auf jenem Prinzip der Täuschung, das Shar lustvoll erfüllt: »On eût pu croire que nous étions les plus vieux amis du monde. Deux faussaires se donnèrent la réplique avec un art consommé de l’imposture« (ebd.: 124). In Wahrheit trachten sie sich gegenseitig nach dem Leben. Ammis Fiktion nimmt hier Bezug auf reale Verhältnisse im Untergrund, wo die FLN keineswegs als geschlossene Formation agierte, sondern Bruderzwist, Intrigen und Misstrauen regierten und sogar Mord in Betracht kam (Harbi 1980: 171; Meynier 2002). Jahrzehnte später treffen sich die Konkurrenten am Sterbebett des Staatspräsidenten wieder, sie befinden sich nicht zufällig dort, sondern sind von den gleichen Aspirationen getrieben: Shar und Jok würden diesen Präsidenten zu gern beerben. Dass es dazu nicht kommt, dafür sorgt der gerissene Shar. Er tötet seinen ewigen Widersacher, der ihm den Heldenplatz in der Geschichte streitig machen will. Denn Jok war Zeuge des Gesinnungswandels im Untergrund und könnte die mühsam aufgebaute Heldenlegende zerstören. Welche Art von Ruhm er seinem Widersacher gönnt, äußert Shar belustigt im Angesicht des Toten, nun könne man ihn einbalsamieren und für seinen – ebenfalls zweifelhaften – Patriotismus vergöttern: »Il ne restait plus qu’à l’embaumer, comme l’illustre Mao, et le coller dans un mausolée pour que les générations futures puissent idolâtrer celui qui avait tant œuvré pour la libération de son pays« (Ammi 2014: 211). Ein weiteres Mal setzt Shar auf eine solche infame Strategie; indem er die anderen als Betrüger hinstellt, erscheint er selbst als Held und Retter des algerischen Volkes: »J’étais, se mit-on à dire, de cette race d’homme qui refusent que l’Algérie soit livrée aux imposteurs« (ebd.: 212). Dies sind die wenig glaubhaften Worte eines »genialen Betrügers«, der titelgebenden Figur, der Jok als Nazi-Kollaborateur konzeptuell ganz ähnlich ist. Über den gemeinsamen Figurentypus des Heuchlers und Betrügers stellt Kebir Ammi den Bezug zum Nationalsozialismus her und entwickelt hier Analogien der Täterschaft. Beide Figuren übertreffen sich an Skrupellosigkeit. Mehr noch,

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beide sind einem wahren Vorbild nachempfunden, wie der Autor in einem Interview (Ammi 2017) berichtet. Sie tragen Züge des aus der Kabylei stammenden schillernden FLN-Führers Mohammedi Said, der die wichtige Kampfeinheit Wilaya III befehligte und zuvor an der Seite der Nationalsozialisten gekämpft hatte. Er machte später Karriere in der algerischen Politik und wurde schließlich Mitbegründer der islamistischen Partei Front islamique du Salut (FIS). Ammi beschreibt ihn als großartigen Manipulator und verschiebt somit den Blick auf die Befreiungskämpfer: »Au départ, je crois qu’il voulait vraiment prendre part à la libération de son pays, mais il a cru, un jour, que les Français allaient gagner la guerre et il les a rejoints, puis il est revenu dans le camp algérien à la veille de l’indépendance! C’était un grand manipulateur. Il a fait croire que c’était un héros, mais c’était un imposteur, un génial imposteur! Il n’a jamais été démasqué, et il a eu une vie bien remplie, il a traversé différents régimes sans être inquiété« (ebd.: 40). Noch heute wird der 1994 verstorbene Mohammedi Said in Algerien von Märtyrerverbänden verehrt, die seine Kriegsverbrechen und speziell die Kollaboration mit den Nationalsozialisten damit entschuldigen, dass er sich in jungen Jahren mit den Deutschen als Feind des kolonialen Regimes verbünden wollte. Mit seinem Roman über einen genialen Betrüger setzt ihm Kebir Ammi ein literarisches Denkmal, und zwar in Verknüpfung mit einem grundlegend kritischen Diskurs über die Täterfiguren der algerischen Geschichte. Anders als Sansal, der die Vernichtung der Juden aus der Sicht der Nachgeborenen zeigt, 56 fokussiert Ammi die Täter. Der ironisch-pikareske Ton von Shars Selbstinszenierung verändert den Blick auf die verübten Gewalttaten und verleiht der Darstellung eine Ambiguität. Der wortgewandte Erzähler Shar zielt auf die Sympathien der Leserschaft. Während er das Infame verkörpert, 57 weist er die Verantwortung anderen zu und weiß sich stets geschickt zu rechtfertigen. Der Autor überschreitet bewusst den ethischen Rahmen, der die Darstellung von Gewalt und Kriegsverbrechen bestimmt, fügt aber eine Rahmenhandlung ein, in der Shar als Lügner und sein Selbstporträt als höchst unzuverlässig entlarvt wird. Kebir Ammi inszeniert dabei eine erinnerungspolitische Auseinandersetzung, die

56 Im Sinne von Marianne Hirsch (2012) handelt es sich hier um einen Roman der Postmemory, der lesbar wird als ein Transfer zwischen Generationen, »as a structure of inter- and transgenerational return of traumatic knowledge and embodied experience« (Hirsch 2012: 6). 57 Das erzählende Ich ließe sich mit dem Modell des »infamen« Erzählers fassen, der emotionalisiert und die Affekte des Lesers anspricht, so wie es von Koppenfels (2009) anhand von Céline und Littell entwickelt.

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von Morddrohungen und Verfolgung des Schriftstellers geprägt ist und in einen gewaltsamen Kampf um die Suche nach der Wahrheit mündet. An deren Anfang stand die Nachforschung eines jungen Mannes, der das Motiv für den Selbstmord seines Vaters ergründen will. Dieser stammte aus dem gleichen Dorf wie Shar und beide waren nicht nur Jugendfreunde, sondern trafen sich im Unabhängigkeitskrieg wieder. Khair, so der Name des Vaters, ist Patriot und brennt für die Befreiung Algeriens. Er bewundert Shars militärisches Geschick und dessen Durchsetzungsfähigkeit als Chef der Truppe im festen Glauben an den Sieg Algeriens. Doch Shar hat längst alle Überzeugungen verloren und spielt nur noch die Rolle eines von Idealen geleiteten Untergrundkämpfers. Er täuscht damit alle anderen. Die Situation von allgemeinem Misstrauen, Intrigen und Desinformationskampagnen im eigenen Lager kommt ihm zupass und er denunziert Khair – um sein eigenes falsches Spiel zu verschleiern – als Überläufer in die Reihen der französischen Armee. Für den echten Patrioten ist der Ruf des Verräters, des harki, 58 eine solche Schmach, dass er sich das Leben nimmt und sein Sohn ohne Vater aufwachsen muss. Khair bittet in seinem Abschiedsbrief darum, dass seine Geschichte und die Verbrechen in den Reihen der FLN eines Tages aufgearbeitet werden. So beginnt sein Sohn, der Schriftsteller, das Leben von Shar zu recherchieren, doch er wird bedroht und sein Manuskript wird vernichtet, wie zuvor bereits alle anderen Enthüllungen. Shar hat mächtige Freunde und stemmt sich mit allen Mitteln gegen die Wahrheit, denn er selbst war ein harki, der zu den französischen Truppen übertrat, in der Terrorgruppe OAS (Organisation de l’armée secrète) kämpfte, erneut Verrat begangen hatte und in die eigenen – nunmehr siegreichen – algerischen Reihen zurückkehrte. Shar ist hier als Figur nach dem grundlegenden Muster des Verräters angelegt, wie es in Literatur und Kunst verankert ist. Kebir Ammi deutet mit seiner Rahmenerzählung an, dass ideologische Sichtweisen bis in die Gegenwart hinein die Auseinandersetzung mit der Geschichte dominieren, jedoch auch verborgene Versionen eines Tages ans Licht kommen werden. In diesen wird der Märtyrerkult um die Befreiungskämpfer ebenso abgelehnt wie jene, die die Kollaboration mit den Nationalsozialisten fei-

58 Stora (1998: 200, 142) zufolge stellte der Begriff ›Verräter‹ angesichts der Verwerfungen innerhalb der Reihen der FLN ein Reizwort dar. Der harki galt als absolutes Feindbild und wurde zuweilen mehr verachtet als der eigentliche Gegner. Wie der Roman L’Art de perdre (2017) von Alice Zeniter jüngst zeigt, setzen sich die Nachkommen sogenannter harki (der Begriff wurde stark erweitert) literarisch mit der Verfolgung und den transgenerationellen Folgen der mit der Bezeichnung verbundenen Stigmatisierung auseinander.

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ern. Dies ist beinahe als Aufforderung an den Leser zu verstehen, sich von Demagogen wie Shar abzuwenden und die algerische Geschichte ebenso wie den Nationalsozialismus kritisch-differenziert zu betrachten. Auch wenn der Zweite Weltkrieg keineswegs im Zentrum des Romans steht, gilt Ammis Kritik an der Glorifizierung charismatischer Täterpersönlichkeiten in der algerischen Geschichte indirekt auch dem Nationalsozialismus und er mahnt neue Formen der Aufarbeitung an. Noch weiter geht der Autor in der Wahl der Figur des Nazitäters, denn er bezieht sich nicht auf einen Deutschen, der sich in Algerien versteckt, sondern – nach einem historischen Vorbild – auf einen Algerier. Beide Romane verknüpfen die Erinnerung des Zweiten Weltkriegs mit einer Perspektive auf Schlüsselereignisse der algerischen Geschichte, wobei sie den offiziellen Bezugsrahmen für die Darstellung von Erinnerung dezidiert überschreiten. Aus meiner Sicht stellen sie entscheidende Weichen für globalisierte Diskurse innerhalb der Erinnerungskulturen im Maghreb. Sie schaffen einen neuartigen Zugang zum Nationalsozialismus, indem sie ihn nicht nur als Teil der Kolonialgeschichte beschreiben, sondern Bezüge zur eigenen Kultur herstellen. Dies tun sie anhand von vielschichtigen Täterfiguren: Jok und Hans Schiller sind sowohl Helden im Algerienkrieg als auch Nazitäter; Hans Schiller wird zudem Opfer von Islamisten. Darüber hinaus thematisieren beide Romane die Prozesse des Erinnerns selbst: bei Sansal in Form miteinander verwobener Tagebücher, bei Kebir Ammi wird der Leser direkt mit dem Täter, d.h. der manipulativen Sicht des Kriegsverbrechers konfrontiert. Die Rahmenhandlung weist zwar auf dessen Fälschungsabsicht hin, doch will der Roman nicht aufklären. Er verweigert sich abschließender Deutung und zeigt vielmehr den andauernden Kampf um die Erinnerungen, nicht nur der des titelgebenden ›Helden‹. Beide Autoren setzen sich sowohl mit dem Nationalsozialismus als auch mit offiziellen Erinnerungsdiskursen in Frankreich und Algerien kritisch auseinander. Ihre Literatur ist Teil einer globalisierten Erinnerungskultur, insofern sie den Zweiten Weltkrieg, den Nationalsozialismus und den Holocaust als Teil einer transkulturellen Verflechtungsgeschichte reflektieren. 59 Vermittelt über die Ereignisse des Algerienkriegs und dessen Folgen (Bürgerkrieg und Islamismus) entwerfen sie neue Muster globalisierten Erinnerns. Ihre Romane artikulieren auf je eigene Weise den Zugang zu welthistorischen Ereignissen und schließen damit an aktuelle Erinnerungsdebatten an. Indem sie zugleich innovative und kritische Perspektiven auf die eigenen Kommemorationsformen des Unabhängig-

59 Damit stehen sie dem negativen Befund Diners (2007: 107f.), der die Pluralisierung der Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg kritisch sieht, entgegen und entwerfen ein eigenes historisches Bewusstsein.

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keitskrieges entwickeln und sich von (anti-)kolonialen Mustern lösen, schaffen sie Neuansätze für die Integration und Verflechtung der Ereignisse. Sie verknüpfen lokale und globale Erinnerungsformen und stehen für den Wandel innerhalb der maghrebinischen Erinnerungskulturen, weil sie Ideologien aufbrechen und damit Erinnerungsmuster der nordafrikanischen und der westlichen Kultur des Erinnerns nicht mehr als gegenläufig betrachten.

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›Good Empire‹, ›Bad Empire‹ Representations of Nazism and Holocaust in Sub-Saharan African Literatures Gilbert Shang Ndi

The human tragedy unleashed by the Nazi regime during the Second World War remains a phenomenon whose ethical resonances reach wide beyond the frontiers of Europe and continue to serve as a paragon of systematically organized state terror and human abjection in contemporary history. Both in the discourses on global human rights regimes and in the popular consciousness at an almost global scale, Holocaust memory has generated, in the words of Amos Goldberg, »a common identity or common awareness of belonging that creates a very large kind of imagined community of the global village, or at least the Western global village« (Goldberg 2015: 5). However, in parts of Africa, especially those ›formerly‹ under the French and British Empires, colonial discourses in relation to the nature of the Nazi horror inevitably entered the self-defensive colonial representation of ›good empire‹ versus ›bad empire‹ that had earlier characterized European powers’ responses to the tragedy of Leopold II’s blood rubber in the Congo in the last quarter of the 19th century. In both Anglophone and Francophone African literatures, especially in spaces where African colonial subjects were galvanized to contribute to the liberation of the European metropolises and their overseas territorial possessions, representations of Nazism/Holocaust became subject to contending discourses. Both the pioneer and ensuing generations of post-war African writers began to interrogate the way Nazism and Holocaust were inscribed in the discursive infrastructure intended to re-assert French/British political and moral authority in Africa. Thus, postcolonial African authors and critics re-appropriated these discourses, infusing them with alternate imaginations and cultural translations, using imagery akin to their African settings to make meaning of a war that was presented not only as a struggle against

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the global expansion of Nazism but as a defence of the core values of human civilization. This article examines the framing of the Nazi Holocaust both during the Second World War and in the aftermath as a contentious site of meaning de/construction with regard to the decolonization of memory in British/French (neo-)colonial empires in Africa. The article is based on the analysis of the creative works such as Ngũgĩ wa Thiong’o’s Dreams in a Time of War (2010), Werewere-Liking’s La Mémoire Amputée (The Amputated Memory) (2008) and Sony Labou Tansi’s The Shameful State (2016 [1981]). The Second World War proved to be a decisive conjuncture, directly and indirectly, in the decolonization process in Africa. While Western leaders like Charles de Gaulle had outlined political reforms in the colony during the war as a quid pro quo for Africans’ contribution to the liberation of Allied territories, such measures did not augur any significant overhaul/dismantling of France’s racist colonial policies in her African colonies. Summoned to contribute their quota to the stemming of the evil of National Socialism, African soldiers were to realize that their commitment to the liberation of Europe did not spare them from white racism at the war front as well as from obnoxious colonial policies during and after the war. However, the war constituted formative years for two categories of Africans who were going to be determinant in the continent’s subsequent struggle for self-determination: the African freedom fighters (most of who had fought alongside allied soldiers) and the African liberation intellectuals (some of whom were equally war veterans, such as Franz Fanon and Léopold Sédar Senghor), who became very critical of Africa’s participation in the war and the place of the African subject within the economy of life in the colonial Empires. Thus, the period between 1939-1960 was crucial for a number of Africans who began to re-cast events of the Second World War within the framework of the contradictory discourses of colonialism and subsequent decolonization. While Africans contributed to the liberation of Europe, their relationship with the infrastructure of colonial hegemony remained that of a permanently normalized war pitting (neo-)colonial policies against the struggle for the emergence of the African subject at the table of humanity. Writing about the politics of African involvement in the Second World War, Alexandre Kum’a Ndumbe III remarks that: the peoples that were dominated by Europe had been able to perceive the contradictions in the imperialist system, and weigh up their masters’ strengths and weaknesses at close hand. The ideals for which the colonizers had called them to arms were not translated into practical action in the colonies after the war, and often the urgent demands for autonomy and independence merely fell on deaf ears or met with blind repression. (Ndumbe III 1985: 73)

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The experiences of African soldiers in the Second World War constitute a threshold in the blossoming of a political consciousness that would lead to the political demands for autonomy and independence. However, the other consequence, which is more crucial for this paper, concerns the ethical consciousness about the humanity of the African subject that emerged from Africa’s participation in the war. Writings about Second World War experiences and their perception of the evil of Nazism can thus be inscribed in a critique of both the decolonization process and the quest for recognition of the African subject. Citing Charles Maier, Goldberg holds that the two narratives of decolonization and Holocaust are the most defining narratives of the twentieth century and were closely allied to each other right up to the 60s. Goldberg proceeds to state that, while the postcolonial narrative has sustained its criticism of Western societies and their liberal democracies for their ongoing historical involvement in acts of domination, racism, extreme violence, and criminality, the Holocaust seems to become a reassuring narrative. It was the »bad guys« – the Nazis – who messed it all up, and as long as we stick to our democratic values and strengthen our civic society while moderating radical ideological trends, we can protect ourselves from slipping into criminality, thereby reinforcing our identity as the »good guys«, the upholders of democracy and freedom. (Goldberg 2015: 14)

While I concur with the above claim, I seek to assert that the strategic use of Holocaust memories by some European Allied powers had raised questions in the minds of some African postcolonial critics and writers right in the heart of the war. In order to sway the sympathies of their colonial subjects and enlist them in their ranks against the Nazis, the discourse of »the good guys« versus »the bad guys « was the major weapon of the Allied powers. This trend has been sustained in the politics of memorialization that have inscribed the Holocaust in Western collective memory as far as human rights regimes are concerned. In this regard, Anthony Dirk Moses has noted that »the Holocaust is becoming a kind of defining metaphor for global human rights regimes, while at the same time it is intimately linked to a very particular historical agent, namely, its Jewish victim« (Dirk Moses quoted in ibid.:18). It is within this framework that the creative and critical production by African authors on the subject of the Holocaust can be understood as an embrace of the moral regime occasioned by the Holocaust while at the same time interrogating the deeply anchored Eurocentric culture of bias towards peoples that are far removed from the Western ›core‹ in the face of horrendous crimes whose perpetrators are none other than the same European powers who stood against Nazi Evil. Viewed from the margins, the globalization of Holocaust memory becomes, for the African author, an instance of claiming hu-

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man solidarity but also an opportunity to interrogate the ideological framework behind the process of globalizing memories of human abjection in a deeply racist world. Reflections on the Second World War, the colonial discourse around the Holocaust and on the decolonization process in postcolonial African literature constitute key issues in the works of the Kenyan author Ngũgĩ wa Thiong’o. Ngũgĩ is at once a novelist, playwright, critic, memoirist and a public intellectual whose works have engaged with various dimensions of the epistemological decolonization of the continent and Africa’s relationship with the rest of the world. Many of his works employ the medium of memory to ask difficult questions about African history and Africa’s place within the so-called globalized world. In this paper, I examine the first text in his trilogy of memoirs: Dreams in a Time of War in regard to Africa’s relation to the history of the Second World War and the Holocaust. 1 Published in 2010, Ngũgĩ’s Dreams narrates the early years of the author’s life, which coincides with the involvement of the British colony of Kenya in the Second World War and the armed struggle for independence by the Kenyan Land and Freedom Army, commonly known as Mau Mau. As the young Ngũgĩ struggles to make meaning of the brutal realities of the world around him, his infant but curious mind enables him to ask troubling questions about Africa’s stakes in the war. The questions raised in this memoir contribute in dismantling the premises of the British colonial discourses that sought to socialize Africans into willing and docile subjects of the British colonial system and to enlist them as defenders of British civilisation against the expansion of the Nazism in the Second World War. Born in 1938, Ngũgĩ wa Thiong’o’s initiation into the world is a precocious baptism of fire, with regard to the Second World War and the Mau Mau resistance struggle. The two wars constitute a depressing reality for the young Ngũgĩ, given his family’s involvement in both, compelling him to develop an early interest in global affairs and their translation into the reality of his Kenyan hometown of Limuru. His cousin Mwangi and his half-brother Kabae are recruited to fight in the British army in Burma. With regard to his half-brother, he says, ironically: »I don’t know if it was voluntary or forced – he went to fight for King George VI, in the Second World War, as a member of the King’s African Rifles« (Ngũgĩ wa Thiong’o 2010: 52). Having been introduced to the entrancing world of storytelling and fairy tales by his mother Wanjiku and step-mother Wangarĩ, the nature of the war resonates in his infant mind within the oral tale paradigm:

1

The others are In the House of the Interpreter and Birth of a Dream Weaver.

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Names of strange people – Mussolini, Hitler, Franco, Stalin, Churchill, and Roosevelt – and places – America, Germany, Italy, and Russia, Japan, Madagascar, and Burma – occasionally cropped up in the story sessions at Wangarĩ’s fireside. These names and places were vague in outline, and, like those surrounding Harry Thuku earlier, were really shadows in a mist. Was this Hitler, for instance, the same who had refused to shake hands with Jesse Owens? I could understand them only in terms of scary ogres versus heroes in the never-never land of orality. Hitler and Mussolini, who threatened to enslave Africans, were the bad, ugly ogres, the proof of their evil intent being next door. (Ibid.: 54)

The prism of the oral tale in which global history gets localised enables us to understand the dichotomy of ›good empire‹ versus ›bad empire‹ binary that characterised war-time propaganda in the British and French colonies in Africa, meant to rally the Africans on the side of ›the good‹. Since Africans were considered infants, the paternalistic French and British colonial masters took upon themselves the task of defining the interests of the Africans as being at stake in the war. The question that runs through Ngũgĩ wa Thiong’o’s memoir is: whose war was it? Whose values were Africans defending? From the perspective of the colonised Africans, was it as simple as a war between the proponents of freedom against agents of barbarism? If it is an undeniable and immitigable fact that the Nazi regime represented an evil ideology, that translated into the grim reality of the extermination of close to six million Jews and five hundred thousand Romas, Ngũgĩ’s text and those of many African writers of that generation force us to rethink British and French self-arrogation of the tag of redemptive nations, at least as far as the African experiences both during and after the war were concerned. While in Ghana, the returning veterans became cannon fodder for the colonial troops in the first wave of anticolonial protests, their Kenyan counterparts found themselves dispossessed of their land and were re-settled in concentration camps. In the following passage, Ngũgĩ narrates the deepening of Kenya’s colonial wound a few years following the war, especially with regard to Governor Evelyn Barring’s 1952 abolition of the Devonshire agreement that had guaranteed Kenyans’ rights to their land in spite of the open secret of unapologetic and incremental land dispossession by the British colonial regime: Every colonial governor from Eliot in 1902 to Mitchell in 1944 had committed some crime against us […] but this was the first time that a governor had declared war on the Kenyan people within a few days of his arrival. Of course, Governor Baring was taking orders from his boss in London, Churchill himself, who was, after all, the prime minister. Do you see the irony? Our own men help him fight Hitler and how does he reward us? […] As if to confirm Ngandi’s suspicions, the radio was soon reporting the landing of

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British troops, Lancashire Fusiliers, in Nairobi, or, as Ngandi put it, a »convoy« of British military planes had landed at Eastleigh to enhance the existing colonial forces […]. The war machine that had once been directed at Hitler was now turned against us, Ngandi lamented. (Ibid.: 190-191)

In the above, Ngũgĩ underlines the paradox of Africa’s involvement in the war: while the Kenyans engaged in the Allied war effort to secure victory against the Nazis, the British were conducting another kind of war at the Kenyan home front: the war over land. In effect, Ngũgĩ forces us to consider memories from the margins and to deconstruct a certain Allied narrative of the war that strengthened the hegemonic infrastructure of the colonial empires more than it did for the much-vaunted promotion of human freedoms and the claim that the values defended by the Allied powers in the war were »global« in nature. African participation in the war was undeniably vital to the survival of the French and British empires. What is, however, doubtful is whether the Africans, many of whom paid the ultimate price, were full-fledged members of that human community purportedly rescued from the fangs of National Socialism by Allied Powers. The liberation of Europe from the evil of Nazism did lead the Allied powers to apparently embrace a discourse of humanism and globalism in terms of Hitler’s crimes against humanity, and as discussed above, to convert the Holocaust into a universal signifier in human rights discourses. However, it did nothing to allay the egregious policies of British colonial governors that led to evictions, displacements and massacres, providing the ferment for the Mau Mau rebellion in the ensuing years. In many parts of Ngũgĩ’s text, the medium of transmission of the global stories of the war in the localized context of Ngũgĩ’s Limuru is the character called Ngandi, the elderly peer who infuses his stories with both rumours and historical knowledge, to whom everyone listens with keen attention. Ngandi appears to be more of a figural than a flesh and blood character, given that the questions he poses could have been technically impossible coming out of the mouth of a child who was barely seven years old by the time the Second World War ended. With regard to this character technique, Samuel Ndogo opines that: Ngũgĩ adopts a persona in Dreams… he relies on another voice (Mzee Ngandi) to tell the story. My argument is that Ngandi appears almost like a fictional character whom Ngũgĩ creates to conveniently render the story and to interpret otherwise complex events on behalf of the young protagonist. But as the narrative progresses, young Ngũgĩ’s awareness grows remarkably, until he reaches a point when he can interrogate the unfolding issues around him. (Ndogo 2016: 88)

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From this perspective, Ngandi becomes an alter ego of the author in the text, a midwife of consciousness that enables the young Ngũgĩ to register in his puerile but fertile memory the contradictory realities of the adult-colonial world. Ngandi’s accounts are not only based on verifiable historical facts, but also on rumours, a prolific medium of information acquisition and circulation in colonial and postcolonial Africa. Analysing the implications of the royal charter signed by colonial Governor P. E Mitchell in 1951, Ngandi posits that: The royal charter would mean that Africans would be removed from the town, and from areas surrounding Nairobi, as had happened to black people in South Africa, explained Ngandi coolly. Remember that the Kenyan Boers came here from South Africa. They expelled the dwellers of Ole Ngurueni in 1948 even as Boers in South Africa were doing the same to black people. White people had a master plan to make Africa, from Cape to Cairo, their own. It was Cecil Rhodes, owner of stolen diamonds and gold in South Africa, who had originally hatched the evil scheme. Ngandi elaborated. In the 1930s there was a secret society of whites based in Kenya plotting to kill black babies at birth, save a few strong in body for labor but feeble in mind and unable to plot resistance. It was called the Eugenics Society (Kiama Kia Njini), which in my imagination registered as a society of white arsonists, man-eating ogres, the kind that Kabae and others had gone to fight in the Second World War. And now this royal charter to clear black people from the city and the remaining lands contrary to Ngandi’s beloved 1923 Devonshire declaration! (Ngũgĩ wa Thiong’o 2010: 197-198)

The political situation at the time of the story, in the backdrop of successive British policies of recrimination and dispossession, provided a fertile ground for rumours and conspiracy theories. Thus, Ngũgĩ’s text writes back to the British Empire in this same vocabulary that is associated with the Nazi regime over which it claims moral superiority. The passage above carries allusions to eugenic selection, genocide, Lebensraum, as part and parcel of the British colonial policies in Africa, beginning with Cecil Rhodes’ Cape-to-Cairo planned route, that foreshadowed brutal conquest and submission of Africans and the dispossession of their lands. To grant contextual historical plausibility to the series of rumours outlined in the passage above with regard to the ominous plans of the Boers from South Africa in Ole Ngurueni, one could refer to relations and connections between the Nazi regime and the forbearers of Apartheid regime in South Africa. The South African pro-Nazi organization Afrikaner Broederbond was in contact with the German Nazi Party, and in 1934, one year after Hitler came to power, Graf von Durckheim Montmartin was sent to South Africa by the Nazis to negotiate with the Broederbond about the possibilities of reversing the generally pro-

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British attitude, thus allowing South Africa to take up position alongside Germany in the imminent world conflict (Ndumbe III 1985: 66). Other groups sympathetic to Hitler’s agenda included the anti-Semitist organization known as the grey shirts and South African Gentile National Socialist Movement (ibid.: 67). These Nazi-Apartheid connections make the possibility of a conspiracy by the whites against blacks plausible in the popular consciousness of the Kenyan colonial society as seen in the fears expressed by the local population about the real mission of the white Boers in Ole Ngurueni during the war. In another dimension, compelling research work has been done on the significance of rumours in colonial dispensations in Africa, how they factored into the colonial realities and influenced the existential anxieties of colonial subjects. In her study on rumours, gossips and vampire stories in colonial East Africa, Luise White holds that: The inaccuracies in these stories make them exceptionally reliable historical sources as well: they offer historians a way to see the world the way the storytellers did, as a world of vulnerability and unreasonable relationships. These stories of bloodsucking firemen or game rangers, pits and injections, allow historians a vision of colonial worlds replete with all the messy categories and meandering epistemologies many Africans used to describe the extractions and invasions with which they lived. (White 2000: 8)

In a similar way in which Ahmadou Kourouma’s Monnew (1992 [1990]) presents the Second World War through the cosmogenic lenses of his Malinke cultural setting, Ngũgĩ’s text casts the realities of the Second World War and its interconnection with British colonial policy in Kenya in a totally different narrative code. Reading Ngũgĩ’s memoirs in the framework of his later commitment to epistemological decolonisation throws more light on his concept of globalectics, his approach to the entanglements between putatively global histories and local memories. It is precisely the politics of the relationship between the global and the local that is subverted in Ngũgĩ’s memoirs and novels. The redemptive discourse of the Allied powers of Europe could not be given a blank cheque if testimonies of British actions in other spaces were to be considered. For (post)colonial subjects to remember what has become the global iconography of human suffering i.e. the Holocaust, they need to engage with localized and corporeal experiences of imperial orders that have brought untold suffering to many peoples even though these ›other‹ memories continue to be ignored and disregarded. Many colonial atrocities are only beginning to surface in the public and popular consciousness given that the archives of many formerly colonised coun-

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tries are still located in the western ›centres‹, only released in keeping with the sole interests of the metropolitan powers. What comes out clearly in Ngũgĩ’s memoirs is that they constitute an invitation to consider stories from the periphery that necessarily interrogate the discourses of ›good‹ versus ›evil‹ that characterize victor mentalities in war-time and post-war Europe. Memories from the margin force a dialectical and contrapuntal reading of world history, exposing the intricacies of global relations and revealing the underside of hegemonic discourses as experienced at the margins. Ngũgĩ defines his globalectic reading of memories as based on the postcolonial outlook which »is inherently outward looking, inherently international in its very constitution in terms of themes, language, and the intellectual formation of the writers« (Ngũgĩ wa Thiong’o 2012: 135). While being locally anchored, the postcolonial sensibility is also open to the other. So, it is bound to scrutinize the contradictions of globalized and localized renditions of every phenomenon. Drawing from postcolonial discourse, Ngũgĩ defines globalectics as underlined by »wholeness, interconnectedness, equality of potentiality of parts, tension, and motion. It is a way of thinking and relating to the world, particularly in the era of globalism and globalization« (ibid.: 37). The Cameroonian writer and playwright Werewere-Liking equally engages with the politics of memory with regard to the Second World War and the decolonization process in her autobiographical chant-novel La Memoire Amputée (The Amputated Memory) (2008). The text narrates the life of a young girl by name Halla Njoke and her determination to give meaning to her existence amidst a stifling patriarchal society. Though the narrator-singer does not provide any reallife precision to the setting of her chant-novel, it is clear from the historical cognates that underlie her narrative that it is set in French Cameroon during that country’s violent transition from a United Nations Trust Territory under France to an »independent« state in the late 1950s and early 1960s. In a manner similar to Ngũgĩ’s memoirs, Liking’s autobiographical novel establishes an analogy between the life of the protagonist and the allegory of the nation at the point of transition, with all the attendant uncertainties. Like most of the African autobiographical writings set between the 1940s and 1960s, the personal stories are considerably shaped by national history. Werewere-Liking’s narrative brings to the fore a brutal war that opposes the French Cameroonian nationalist fighters with the French colonial army over the political future of the territory. The conflict breeds immense division within family, clan and nation. Under inhuman conditions, innocent people are brutally slaughtered by the French forces, many of whom had fought in the Second World War. The protagonist witnesses the chaining and shooting of her uncle by the French while the heads of relatives ac-

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cused of abetting or actively supporting the anti-colonialist guerilla are cut, hung on sticks and paraded on the public sphere as a way of cowering the local population and dissuading them from collaborating with the radical pro-independence resistance movement. The community is plunged into a collective trauma. Werewere-Liking’s narrative moves to France where, during a trip to that country as a grown-up artist, Njoke is made to visit an exhibition on the 1944 massacre of Limousin in Ourador committed by Nazi forces before they were defeated and forced to withdraw. This commemoration compels her to think about the amputated memories of her own homeland and the vicious role played by France in the violent history of her country, a history that has become anathema as a result of the censorship of the French government in connivance with its neocolonial cronies in Cameroon. In what is considered as one of the bloodiest independence struggles in Africa, the French colonial government and her surrogate neo-colonial counterpart in Cameroon have never officially acknowledged the war in Cameroon. This gagged history accounts for the following plaintive chant by the narrator in which she laments: Tu sais que nous avons vécu dans un contexte où nous avions dû choisir entre l’oubli comme un système de survie, un secret de vie, un art de vivre. Et tu n’ignores pas le gag immense, ce vaudeville qu’est l’histoire de l’Afrique. (Werewere-Liking 2008: 20-21) You know we’ve been living in a context that made us choose oblivion as a survival method, a secret of life, an art of living. And surely you know what a colossal joke, what a farce Africa’s history is. (Werewere-Liking 2014 [ebook]: position 181)

Though the French and the Cameroonian governments have recently made statements that partially suggest that military excesses occurred in Cameroon, no commission of inquiry has ever been ordered to investigate the gruesome pages of in Cameroonian history represented by the 1950s and 1960s. Liking’s protagonist questions why her French hosts are so insistent that she visit the exhibition on Nazi crimes at Limousin-Orador but at the same time they are ignorant of the massacres perpetrated in her home country by the French military. This episode is redolent of the oft-cited passage in Salman Rushdie’s The Satanic Verses (1993) whereby the fictional character Whisky Sisodia underscores that the »trouble with the Engenglish is that their hiss hiss history happened overseas, so they dodo don’t know what it means« (ibid.: 343). Both Njoke and Sisodia expose the selective and neocolonial subtexts that underline global and local politics of commemoration, including the very dichotomy between what »sells« as global memory and what is inscribed as local, insignificant memories, thus de-

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serving little or no commemoration, responsibility and debate. It is at this level that the title of Werewere-Liking’s text gains resonance as a critique of the centre-margin discourses, suggesting that memories of postcolonial societies are amputated, silenced and unvisited. This reveals the persistence of a certain vision of humanity that excludes certain races, peoples and segments of our society, based on what can be denominated the neo-colonial geography of sympathy or empathy which borders on the coloniality of being. The criticisms of the induced amnesia of European powers with regard to colonial and neo-colonial violence perpetrated by those same powers have shaped the way voices from the margin react to the portrayal of the Holocaust as a global memory. In her The Fragility of Empathy after the Holocaust, Carolyn Dean cites Jonathan Boyarin’s view that the politics of empathy toward the Jewish victims of the Holocaust in the West, as opposed to other memories of violence, has given the impression that »we can only empathize with, feel ourselves into, those we can imagine as ourselves« (Dean 2004: 9). This entails that what we are bound to commemorate is entangled in neo-colonial and geopolitical power calculus. Steven Aschheim corroborates this criticism of selective memorialization and commemoration when he states in At the Edges of Liberalism that »we only empathize with those who are part of the Eurocentric ›we‹ […] we are less likely to be taken aback by atrocities removed from the imagined Western core« (Aschheim 2012: 137). He lambasts this form of discriminatory identification by concluding that »this tendency to empathize with those with whom we identify, who are closest to us, is most natural and cannot be considered a particularly ethical achievement« (ibid.: 140). Amos Goldberg on his part considers these intricacies of commemorations as being more aligned with mirrors of identity than ethics (Goldberg 2015: 17). Given that the war narrated by Werewere-Liking in The Amputated Memory was fought by many of the French veterans of the Second World War and the French war in Indochina who did not fail to reproduce war tactics used against the Nazi on Cameroonian anti-colonial fighters, it is not surprising that certain historical accounts of that war have often made recourse to Second World War and Holocaust vocabulary to account for French military tactics in Cameroon. Here is a first-hand testimony on the situation in the Sanaga Maritime region of Cameroon in the early 1960s, the stronghold of the resistance movements as reported by a Reuters journalist Charles van de Lanoitte: Around three in the morning, it was the creaking and grating noise of the military lorry going to the cemetery where a team of prisoners buried the dead, naked and bloodied – unfortunates who had been tortured to death and sometimes still breathing […]. I couldn’t

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eat, or work or sleep. There have been massacres, summary executions, even hostages executed […]. It is estimated that 3.000 to 4.000 is the number of persons who have been deported […] to Mokolo and another concentration camp in North Cameroon (without trial) often, on the basis of an anonymous denunciation. The local »Gestapo« (policemen of the SEDOC) came at three in the morning to seize someone brutally in the midst of his dazed family who was then ordered to keep quiet. (Van de Lanoitte in Joseph 1978: 96)

One notices the references to Holocaust vocabulary in the above testimony with words such as deportation, Gestapo, concentration camps. In a way, this is the employment of Nazi methodology by the very French government whose citizens suffered from similar tactics under the Nazi regime. As Goldberg underscores, with regard to the Holocaust memory, given the tendency of the Holocaust memories becoming »moral kitsch« (Poole 2010: 38), »it, therefore, took thinkers who observed European history from a peripheral position to put things more accurately« (Goldberg 2015: 14). The background history that underlies the novel of Werewere-Liking is congenially linked to the historical context that foregrounds Achille Mbembe’s critical autobiographical text, Sortir de la Grande Nuit (Out of the Dark Night) (2010) that critiques the decolonization process in Francophone Africa, decrying the phenomenon of a colonial power that decolonized without self-decolonizing and without decolonizing its violent colonial memory archives (Membe 2010: 44). Decolonization was ideally conceived of as a process that would bring the former colonies out of the long night of colonial dehumanization onto inclusive humanity, ushering a new relationship between the postcolonial subject and the world and engendering a universal surge in humanity (ibid.: 156). This vision has remained a mirage in many parts of the world, including Francophone Africa. Mbembe’s ethical argument hinges on the premise that insofar as certain lives matter while others are not worth remembering, with no impetus for commemoration and the establishment of adequate historical responsibility as a basis for dialogue, human relations will persistently thrive on the politics of enmity, inequality and necropolitics that expose the barbaric dimension inherent in our otherwise advanced societies. Politics of memory combined with double standards continue to impede dialogue in a globalized world as well as undermine the emergence of truly universal humanity. Werewere-Liking’s text re-echoes a subject that has long pitted European relations with its colonial history, generating virulent criticisms of European humanist posturing from postcolonial writers and critics such as Aimé Césaire. In an interview granted in May 2008, François Bayrou, French Minister of National Education in 1994, revealed that there was an increased opposition from teachers

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and deputies who considered the works of the Martinique writer Aimé Césaire (on French school programmes) too political, contesting his comparison of colonialism to the Holocaust. This alludes particularly to Césaire’s Discourse on Colonialism (1950) in which he forcefully deconstructs the civilizing mission of colonialism, condemns its systematic massacres and expropriation of millions of Africans, consigning many of them to concentration camps in their own countries. These dismal colonial realities push Aimé Césaire to draw comparisons between realties of colonialism and the Holocaust, when he states that: the crime in itself, the crime against man, it is not the humiliation of man as such, it is the crime against the white man, the humiliation of the white man, and the fact that he applied to Europe colonialist procedures which until then had been reserved exclusively for the Arabs of Algeria, the coolies of India and the blacks of Africa. (Césaire 1950:14)

Even if the one-on-one comparison between any two phenomena resulting in massive experience of abjection is impossible, the fact remains that commemorative practices of European powers are selective and the vocabulary is watered down to the point of implicit denial when it comes to the question of colonial crimes in the context of Africa. Aimé Césaire’s implicit comparison should thus be read within the rhetorical framework of his entire text, that of re-signifying with violence in order to portray Europe’s hypocrisy and the corrosive role that race-motivated mass murders played both in the Holocaust and the colonial enterprise. Nelson Maldonado-Torres corroborates Aimé Césaire’s standpoint when he states that »the hyperbolical expression of coloniality includes genocide […] which is the paroxysm of the ego cogito« (Maldonado-Torres 2007: 247). One of the most vehement corroborations of Césaire’s critique of European humanism within the Holocaust debates has come from the Nigerian Nobel laureate Wole Soyinka who states in The Burden of Memory: I have railed against the thesis that it was the Jewish Holocaust that placed the first question mark on all claims of European humanism – from the Renaissance through the Enlightenment to the present-day multicultural orientation. Insistence on that thesis, we must continue to maintain, merely provides further proof that the European mind has yet to come into full cognition of the African world as an equal sector of universal humanity, for, if it had, its historic recollection would have placed the failure of European humanism centuries earlier. (Soyinka 1999: 38-39)

Postcolonial authors’ contention is that Eurocentricism still determines the way ›global‹ memories of violence are archived and deployed in a globalized world.

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The above considerations of the works of postcolonial authors with regard to the question of memories from the margins lead me to discuss the novel of one author whose novels constitute a forceful critique of the politics of memory and underline an all-embracing quest for the recognition of the sanctity of human life beyond any discriminatory categories. That author is the Congolese Labou Tansi, author of The Shameful State (2016 [1981]). In a text that can be described at face value as a dictatorship novel based on the critique of the postcolonial state as a political structure, the fundamental question that preoccupies the author is rather that of the shameful state of the human condition and the persistence of regimes of gross barbarity across the world. Labou Tansi indicts our failure to recognize the encompassing nature of our humanity and to accord value to the human body beyond any considerations of ethnicity and race. Through a deconstructive but nevertheless ethical frame, his creative narratives are often built on pastiche tales that cut across multiple landscapes of memories and histories of violence. In one passage of The Shameful State, the narrator gives voice to a prisoner on the point of execution in a postcolonial African dictatorial regime. Pablo Cataeno, a few hours before his execution for treason, questions the dictator’s moral legitimacy after the latter callously executes Yambi Yambo, a popular opposition leader. However, far from addressing just the dictator, Cataeno’s indicting letter speaks both to the past and present perpetrators of human terror, extending his addressee to every human being that is preoccupied with the shameless condition of the world: Mr. President, you will notice that I’m speaking here now with the words of a dead person. I’ve always spoken of love, fraternity, understanding […] but today I realize that those things can’t just be spoken, they must also be lived. But today, Mr. President, this is about us, us and this shameful state (by which I mean state as condition) in which we find ourselves. It is our country, continent, race and finally the Black man in general that is speaking through me […]. We entered history after a series of bad dice rolls, and I’m no longer interested in questioning the image we have of our own minorities as we spend time deploring the White minorities, I’m no longer interested in questioning the image we have of our own helmets as we bury the colonial helmet […]. Why condemn the Africa that kills Steve in order to free the Africa that kills Yambo? Am I to conclude then that freedom is not worth fighting for? That the Black man is a false problem? Well if that’s the case, then the slave trade probably was as well, and while we’re at it, hats off to Hitler and Pizarro, hats off to Auschwitz and to Hiroshima! Let’s not turn freedom into some kind of fool’s trap, let’s not turn our respect for human flesh into a farce, for in so doing, we would inadvertently be praising Pizarro and Hitler. And Mr. President sir, I know that you’re neither Hitler nor Pizarro, that you were averse to the sacrilegious bombing of Hi-

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roshima, I know that you condemn Auschwitz. Us Blacks have been historically christened with insults; we have more reasons than others for being human, and we must not only breathe but also function, function so that the race of crocodiles that came into History covered in scales of shame can function. (Tansi 2016: 91-92)

The text can be interpreted as an ardent request for consistency in the respect of human values that enable us to condemn barbarity wherever, whenever and by whoever it is committed, in a world in which the victims of yesterday can easily become killers of today. The »we« employed in the above passage constitutes a complex address that refers at once to »we the black race« but also »we, humans«. According to Richardson »›We‹ is fluid in a different way; it can grow or shrink to accommodate very different sized groups and can either include or exclude the reader too, though in a subtler manner, it also typically rejects the basic dyad of first and third person« (Richardson 2006:14). The voice of the character at the point of death is a potent ethical interpellation for the recognition of the universal value of human life be they the casualties of the genocides against America’s indigenous peoples, the black slave trade, colonial violence, the Holocaust or the Hiroshima and Nagasaki Second World War bombings. With regard to Cataeno’s address in Shameful State, János Riesz affirms that: Dans le style de la grande rhétorique politique et historique, Sony Labou Tansi réussit, dans ce texte d’une grande force, à lier à un cas particulier, une situation historique précise avec ses prisonniers politiques, la pratique de la torture […] le passé et l’avenir de l’humanité. In the tradition of great political and historical rhetorics, Sony Labou Tansi succeeds, in this compelling text, in linking a specific historical situation of political prisoners to the practice of torture and to the past and future of humanity. (Riesz 2007: 342; translation by G.S.N.).

In his characteristic subversive style, Labou Tansi exposes political hypocrisy and the contradictions of human rights regimes, bringing into intersection ›local‹ and ›global‹ regimes of injustice and barbarity. The long trail of human barbarism in Africa, the Americas and Europe are appropriated in his text as spectra of dehumanisation that need to enable us to re-think the fundamental ethical values of our common humanity. With the continuous reproduction of man’s cruelty towards man, the frame of his narrative removes Hitler and Pizarro from their historic exceptionality and localizes them within the ambiguity of every individual human conscience. In other words, Labou Tansi insinuates that there is a po-

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tential Hitler in every individual conscience that only requires specific political contexts to assert itself: On ne peut pas vouloir créer le bonheur sur terre sans avoir au préalable créé une humanité. Avant de réaliser que c’est l’humanité qui sauvera, et non un peuple ou une race dominante. Mais comment obliger les gens à jeter par-dessus bord ce côté Hitler que chacun porte en soi, pour alléger le navire ? […] Nous sommes tous des Hitler en puissance. We cannot want to create happiness on earth without first creating a humanity, before realizing that it is our humanity that will save us, and not any dominant people or race. But how do we compel people to throw overboard this side of Hitler inherent in every one of us, in order to lighten off the ship? […] We are all potential Hitlers. (Tansi 2015: 406; translation by G.S.N.)

An important aspect of Labou Tansi’s textuality, be it in his creative works, essays or interviews is his tendency to make unexpected connections between global memories in his usually fragmented narratives, an attempt to give voice to tragic phases of human history in multiple spaces with multiple victims and to generate an inter-textual memory of humanity. This is where Labou Tansi’s globalist vision of humanity intersects with Ngũgĩ’s globalectic imagination. Using globe as the etymological provenance of his theory of »Globalectics«, Ngũgĩ posits that the globe »has no centre: any point is equally a center. As for the internal center of the globe, all points on the surface are equidistant to it – like the spokes of a bicycle wheel that meet at the hub« (Ngũgĩ wa Thiong’o 2012: 37). Globalectics therefore underlines a »mutually affecting dialogue, or multi-logue, in the phenomena of nature and nurture in a global space that’s rapidly transcending that of the artificially bounded, as nation and region« (ibid.). A globalectic reading of memories of violence »should bring into mutual impact and comprehension the local and the global, the here and there, the national and the world« (ibid.: 163). The works of the authors discussed here bolster the standpoint that literatures from the margin consistently take account of realities beyond their respective geographical borders. Most postcolonial authors of the ›South‹ have inscribed memories of human tragedies at the centres of Western civilization in their creative texts, using such incursions to ascertain their sense of human solidarity but equally to point to the vestiges of the dark shadows of the European Enlightenment humanism on Europe’s ›others‹. On the other hand, most Western authors whose works focus on regimes of human barbarism sometimes develop their

›Good Empire‹, ›Bad Empire‹ | 287

humanist theories in a manner that is at best limited and at worst, hypocritical (Spivak 1988: 69). In this regard, Nelson Maldonado-Torres asserts that: while the critique that emerges in the periphery takes into consideration the philosophies that emerge in the centre, the philosophers of the centre hardly pay attention to the people at the periphery, not only in terms of their intellectual production but also in terms of the very problem of geographical division that reproduces the relation between master and slave, that is, in relation to colonialism. (Maldonado-Torres 2008: 250)

Nowhere is this assertion truer than in creative works by authors whose texts are baked in the memories of colonial barbarism and its contemporary variants. The geopolitics of life continues to be papered over the persistent traces of the coloniality of being that defines relations between the Western ›centre‹ and its ›others‹. Faced with this enduring trend, what most authors from the margin examined above suggest is that the abject subject of human terror, viewed from transversal perspectives, should serve as the basis for the foregrounding of a culture of mutual recognition within the ambits of global human rights regimes. Authors from marginalized societies use their marginal positions to interrogate dominant ideologies and systems and to respond to key challenges of our age in ways that some Western authors have not. Their multiple trajectories, sometimes triggered by displacement, exile and migration, therefore, becomes a forceful locus of enunciation that can provide a sound ethical voice in contexts of injustices and inequalities through an inclusive, transnational and trans-racial imagination of inclusive humanity.

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Maldonado-Torres, Nelson (2007): On the Coloniality of Being. In: Cultural Studies 21, issue 2, 240-270. Maldonado-Torres, Nelson (2008): Against War: Views from the Underside of Modernity. Durham/London. Mbembe, Achille (2010): Sortir de la Grande Nuit: Essai sur l’Afrique décolonisée. Paris. Ndumbe III, A. Kum’a (1985): Black Africa and Germany during the Second World War Africa and the Second World War. Paris, 51-76. Ngũgĩ wa Thiong’o (2010): Dreams in a Time of War: A Childhood Memoir. New York. Ngũgĩ wa Thiong’o (2012): Globalectics: Theory and the Politics of Knowing. New York. Poole, Ross (2010): Misremembering the Holocaust: Universal Symbol, Nationalist Icon or Moral Kitsch? In: Yifat Gutman/Adam Brown/Amy Sodaro (eds.): Houndmills Memory and the Future: Transnational Politics, Ethics and Society. London, 31-49. Riesz, János (2007) : De la littérature coloniale à la littérature africaine: prétextes, contextes, intertextes. Paris. Rushdie, Salman (1993): The Satanic Verses. Delaware. Samuel, Ndogo (2016): Narrating the Self and Nation in Kenyan Autobiographical Novels. Münster. Soyinka, Wole (1999): The Burden of Memory, the Muse of Forgiveness. New York/Oxford. Spivak, Gayatry Chakravorty (1990): The Postcolonial Critic. Interview, Strategies, Dialogues. New York. Steven Aschheim (2012): The (Ambiguous) Political Economy of Empathy. In: Aleida Assmann/Ines Detmer (eds.): Empathy and its Limits. Basingstoke, 21-37. Richardson, Brian (2006): Unnatural Voices: Extreme Narration in Modern and Contemporary Fiction. Columbus. Tansi, Sony Labou (2016 [1981]): The Shameful State. Bloomington. Tansi, Sony Labou (2015): Encre, sueur, salive et sang. Paris. Werewere-Liking (2008): La Mémoire Amputée: Chant-roman. Abidjan. Werewere-Liking (2014): The Amputated Memory. Translated by Marjolyjn de Jager. New York (ebook). White, Luise (2000): Speaking with Vampires: Rumor and History in Colonial Africa. Berkeley.

Autor*innen- und Herausgeber*innenverzeichnis

Bosshard, Marco Thomas, geboren 1976 in Zürich, ist Professor für Spanische Literatur- und Kulturwissenschaft an der Europa-Universität Flensburg. Zwischen 2007 und 2017 verantwortete er die iberoromanische Belletristik im Verlag Klaus Wagenbach. Monographien: La reterritorialización de lo humano. Una teoría de las vanguardias americanas (Pittsburgh, 2013); Churata y la vanguardia andina (Lima, 2014). Als Herausgeber u.a.: Las ferias del libro como espacios de negociación cultural y económica (Madrid/Frankfurt, 2019; hg. zusammen mit Fernando García Naharro); Zonas de contacto en el mundo hispánico (Frankfurt, 2019; hg. zusammen mit Laura Morgenthaler García); Epische Versdichtung im Frankreich des 19. Jahrhunderts zwischen Oralität, Auralität und Literalität (Sondernummer für Lendemains, 164, 2016); Buchindustrie und Buchmessen zwischen Deutschland, Spanien und Lateinamerika (Münster, 2015); Orientaciones transandinas para los estudios andinos (Sondernummer der Revista Iberoamericana, 253, 2015; hg. zusammen mit Vicente Bernaschina Schürmann) und Return Migration in Romance Cultures (Freiburg, 2014; hg. zusammen mit Andreas Gelz). Haro-Luviano de Rall, Adriana, geboren 1973 in Mexiko-Stadt, ist Komparatistin und Professorin für DaF und Literaturdidaktik an der Universidad Nacional Autónoma de México. Zur Zeit Leiterin von UNAM-Alemania, Centro de Estudios Mexicanos an der Freien Universität Berlin. Sie publizierte u. a. »Conectivos y otras palabras de enlace« und »Pragmática y paratextualidad« in Manual de Pragmática literaria (2012, hg. v. Alberto Vital); Eine Jugend in Deutschland. Una juventud en México. Recepción productiva de la autobiografía de Ernst Toller (2017, Hg.); Orígenes del cuento fantástico alemán. De ondinas, gnomos, silfos y salamandras (2017, hg. zusammen mit Sergio Sánchez Loyola); »Recepción y traducción en Ex libro de nymphis,

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sylvanis, pygmais, salamandris et gigantibus de Paracelso y su importancia en la redacción de paratextos« in Literatura mundial y traducción (2017, hg. v. Isabel Hernández und Antonio López Fonseca); »Maximiliano de Habsburgo: De figura histórica a figura literaria en la obra de Karl May, Franz Werfel, Victoriano Salado Álvarez y Fernando del Paso« in Diálogos literarios y culturales hispano-alemanes/Deutsch-spanischer Literatur- und Kulturdialog (2017, Hg. Arno Gimber); »Émile Chabrand y sus impresiones sobre México. Un acercamiento a la recepción de De Barceloneta a la República Mexicana»« in Trayectos del fulgor. Libros, viajes y viajeros en la circulación de saberes. Siglos XVI a XXI (2017, Hg. Ana María Dolores Huerta Jaramillo und Lilian Illades Aguiar); Los otros que me dan plena existencia. Reverberaciones en torno a la obra de Marlene Zinn de Rall (2019, hg. zusammen mit Alberto Vital); »Prólogo« in Pautas y experiencias para la literatura aplicada (2019, hg. v. Aurora González Roldán); »Migrierende Menschen – aktuelle Märchen. Die Rolle mündlicher Traditionen aus Afrika bei der Integration in Deutschland« in Zeitschrift für interkulturelle Germanistik (2019, in Zusammenarbeit mit Dietrich Rall; hg. v. Wilhelm Amann, Gesine Lenore Schiewer et al.). von Hoff, Dagmar ist Professorin für Neuere Deutsche Literaturgeschichte mit dem Schwerpunkt »Germanistische Medienwissenschaft und Ästhetik der textorientierten Medien« an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Zuvor Tätigkeiten u.a. an der Universidade Clássica de Lisboa sowie am Hamburger Institut für Sozialforschung. Publikationen: Dramen des Weiblichen. Deutsche Dramatikerinnen um 1800 (Opladen, 1989); Familiengeheimnisse. Inzest in Literatur und Film der Gegenwart (Köln, 2003); Intermedialität, Mediengeschichte, Medientransfer: Zu Georg Büchners Parallelprojekten Woyzeck und Leonce und Lena (München, 2008; gemeinsam mit Ariane Martin). Als Herausgeberin u.a. Mediale Ambivalenzen/Ambivalente Medien (Frankfurt, 2016) sowie jüngst (gemeinsam mit Brigitte E. Jirku und Lena Wetenkamp) Visualisierungen von Gewalt. Beiträge zu Film, Theater und Literatur (Berlin, 2018) und Literarisierungen von Gewalt. Beiträge zur deutschsprachigen Literatur (Berlin, 2018). García Naharro, Fernando (Madrid, 1985) is postdoctoral researcher at the Romanisches Seminar (Institut für Sprache, Literatur und Medien), EuropaUniversität Flensburg, currently working on the DFG-project »Book Fairs as Spaces of Cultural and Economic Negotiation«. PhD in Contemporary History (Universidad Complutense de Madrid), his main research interests include History of the Book and Media, Cultural Studies, Science and Technology Studies and Semiotics. Most recent publications: Editando ciencia y técnica durante el

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franquismo. Una historia cultural de la editorial Gustavo Gili (1939-1966) (Zaragoza, 2019); Las ferias del libro como espacios de negociación cultural y económica. Vol. I: Planteamientos generales y testimonios desde España, México y Alemania (Frankfurt am Main/Madrid, 2019; ed. with Marco Th. Bosshard); Entre libros y ferias. Espacios y (des)equilibrios en el campo editorial (dossier in Cuadernos de Historia Contemporánea, 41, 2009; ed. with Jesús A Martínez Martín). Gronemann, Claudia ist Professorin für Romanische Literatur- und Medienwissenschaft am Romanischen Seminar der Universität Mannheim. Sie hat mit einer Arbeit über neue autobiographische Schreibweisen in der französischen und maghrebinischen Literatur promoviert (Postkoloniale und postmoderne Konzepte der Autobiographie in der französischen und maghrebinischen Literatur, Hildesheim/Zürich, 2002) und habilitierte sich 2009 mit einer Studie zur Bedeutung der Kategorie Geschlecht in Literatur und Publizistik der spanischen Aufklärung (Polyphone Aufklärung. Zur Textualität und Performativität der spanischen Geschlechterdebatten im 18. Jahrhundert, Frankfurt am Main/Madrid, 2013). Ihre Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der frankophonen, französischen sowie der spanischen und lateinamerikanischen Literatur, insbesondere des 18. sowie des 20. und 21. Jahrhunderts. Sie beschäftigt sich mit postkolonialer Theorie, Autobiographie, Autofiktion und neuer Autobiographie, mit Fragen von Autorschaft, Genderthemen in Geschichte und Gegenwart sowie Film, Theater und Intermedialität. Sie ist Mitherausgeberin der Buchreihe Passagen: Transdisziplinäre Kulturperspektiven und Mitglied der wissenschaftlichen Redaktion der Zeitschrift Cuadernos de Estudios del Siglo XVIII. Zu ihren aktuellen Publikationen zählen die Bände Masculinités maghrébines (Leiden/New York 2018; hg. mit Michael Gebhard,); Le corps à l'épreuve du genre dans la littérature, le cinéma et le blogue maghrébins de langue française (Tunis, 2018; mit Sonia Fitouri) sowie Cuerpos extra/ordinarios. Discursos y prácticas somáticas en América Latina y España (Barcelona, 2017; mit Adriana López-Labourdette and Cornelia Sieber). Jaeckel, Volker ist seit 2006 Professor für Germanistik und Komparatistik an der Universidade Federal de Minas Gerais in Belo Horizonte, zuvor DAADLektor in Belém. Promotion an der Friedrich-Schiller-Universität Jena zur brasilianischen Kolonialliteratur. Gastprofessor in Freiburg i. Br. und in La Plata, Gastwissenschaftler in Freiburg, Valencia, Düsseldorf, Flensburg und Alcalá de Henares. Postdoc in Valencia zum Spanischen Bürgerkrieg in Dokumentarfilmen. Derzeitiges Projekt: »Nationalsozialisten als literarische Figuren im spani-

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schen Gegenwartsroman«. Er koordinierte zehn Jahre lang die Forschungsgruppe »Krieg und Literatur an der UFMG«. Unter seinen Publikationen: Monographien: Von Madrid in den Himmel – Die literarische Gestaltung der Großstadterfahrung im spanischen Roman des 20. Jahrhunderts (München, 2007); Von Alterität, Anthropophagie und Missionierung. Der Einfluss der Jesuiten auf die kulturelle Identität Brasiliens (1549-1711) (Stuttgart, 2007); Als Herausgeber: Olhares lítero-artísticos sobre a cidade moderna (München, 2011); Revisiting 20th Century Wars. New readings of modern armed conflicts in literature and image media (zusammen mit Elcio Cornelsen, Tom Burns, Luiz Gustavo Vieira; Stuttgart, 2012); War and Literature: Looking back on 20th century armed conflicts (zusammen mit Elcio Cornelsen, Tom Burns, Luiz Gustavo Vieira; Stuttgart, 2014); Roberto Arlt y el lenguaje literario argentino (zusammen mit Rolf Kailuweit, Angela di Tullio, Madrid/Frankfurt am Main, 2015; Memórias da Segunda Guerra Mundial: imagens, testemunhos e ficções (zusammen mit Elcio Cornelsen, Rio de Janeiro, 2018); Mulheres e Guerras (zusammen mit Terezinha Taborda Moreira, Denise Borille de Abreu; Belo Horizonte, 2020). Johann, Wolfgang ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Seminar für Germanistik der Europa-Universität Flensburg. Er studierte Germanistik, Geschichte und Philosophie in Trier und Ashland/VA (USA) mit Studienaufenthalten in Cambridge/UK, New York City, Washington, D.C. und Paris. Seine Forschungsschwerpunkte sind »Holocaust-Literatur und kulturelle Repräsentation des Holocaust in der deutschen Gesellschaft«, »Debattengeschichte der ›Vergangenheitsbewältigung‹ in der Bonner und Berliner Republik«; »Deutsch-jüdische Literaturen der Peripherie« (Wilna, Czernowitz, Prag); »Widerstand, Subversion und Nonkonformität in der Literatur«. Ausgewählte Publikationen: Das Diktum Adornos: Adaptionen und Poetiken. Rekonstruktion einer Debatte. (Würzburg, 2018); Transformationen Europas im 20. und 21. Jahrhundert. Zur Ästhetik und Wissensgeschichte der interkulturellen Moderne. (Bielefeld 2019; hg. zusammen mit Iulia-Karin Patrut und Reto Rössler) Ästhetische Transformationen der Gesellschaft. Von Hiob zu Patti Smith (Berlin, 2020; im Erscheinen). Lubrich, Oliver, geboren 1970 in Berlin, ist seit 2011 Professor für Komparatistik an der Universität Bern. Zuvor war er Juniorprofessor für Rhetorik am Peter Szondi-Institut sowie am Exzellenzcluster Languages of Emotion der Freien Universität Berlin. Monographien: Shakespeares Selbstdekonstruktion (Würzburg, 2001); Das Schwinden der Differenz. Postkoloniale Poetiken (Bielefeld, 2004); Emotionen auf Expeditionen. Ein Taschenhandbuch für die ethnographi-

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sche Praxis (Bielefeld, 2019; zusammen mit Thomas Stodulka); Botanik in Bewegung. Alexander von Humboldt und die Wissenschaft der Pflanzen (Bern, 2019; zusammen mit Adrian Möhl). Als Herausgeber u.a.: Reisen ins Reich, 1933 bis 1945. Ausländische Autoren berichten aus Deutschland (Frankfurt am Main, 2004); Berichte aus der Abwurfzone. Ausländer erleben den Bombenkrieg in Deutschland, 1939 bis 1945 (Frankfurt am Main, 2007); Alexander von Humboldt, Zentral-Asien (Frankfurt am Main, 2009); Transatlantic Echoes. Alexander von Humboldt in World Literature (New York/Oxford, 2012; hg. zusammen mit Rex Clark); John F. Kennedy, Unter Deutschen (Berlin, 2013); Alexander von Humboldt, Das graphische Gesamtwerk (Darmstadt, 2014); Alexander von Humboldt, Das zeichnerische Werk (Darmstadt, 2019; hg. zusammen mit Dominik Erdmann,); Alexander von Humboldt, Sämtliche Schriften (München, 2019; hg. zusammen mit Thomas Nehrlich); Thomas Wolfe, Eine Deutschlandreise (München 2020). Ndi, Gilbert Shang is a graduate in Comparative Literature from the University of Bayreuth, Germany. Currently a Feodor Lynen Fellow of the Alexander von Humboldt Foundation in La Universidad de los Andes, Bogota-Colombia, he is the author of State/society: Narrating Transformations in Selected African Novels (Berlin i.a. 2017) and co-editor of Tracks and Traces of Violence (Berlin i.a. 2017; edited together with BIGSAS-Workgroup Tracks and Traces of Violence«) and Re-writing Pasts, Imagining Futures Critical Explorations of Contemporary African Fiction and Theater (2017; ed. with Victor N. Gomia). Patrut, Iulia-Karin, geboren 1975 in Bukarest, ist seit 2015 Professorin für Neuere deutsche Literaturwissenschaft an der Europa-Universität Flensburg. Zuvor habilitierte sie im DFG-Sonderforschungsbereich »Fremdheit und Armut. Wandel der Modi von Inklusion/Exklusion von der Antike bis zur Gegenwart« an der Universität Trier (2005-2012) und promovierte als Stipendiatin im DFGGraduiertenkolleg »Identität und Differenz. Geschlechterkonstruktion und Interkulturalität« ebenda. Monographien: Phantasma Nation: ›Zigeuner‹ und Juden als Grenzfiguren des ›Deutschen‹ (1770-1920). Würzburg: 2014; »Schwarze Schwester« – »Teufelsjunge«. Ethnizität und Geschlecht bei Paul Celan und Herta Müller. Köln: 2006; Einführung in die interkulturelle Literatur (mit M. Hofmann), Darmstadt 2015. Herausgeberschaft: Poetiken des Übergangs. Sonderausgabe der ZiG (Zeitschrift für interkulturelle Germanistik) 4/2019; Transformationen Europas im 20. und 21. Jahrhundert. Zur Ästhetik und Wissensgeschichte der interkulturellen Moderne. Bielefeld 2019 (mit W. Johann und R.

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Rössler): Ähnlichkeit um 1800. Konturen eines literatur- und kulturtheoretischen Paradigmas am Beginn der Moderne. Bielefeld: 2019 (mit R. Rössler) Rall, Dietrich, geboren in Tübingen, war von 1975 bis 2007 Profesor für Deutsche Sprache und Literatur, Angewandte Linguistik und Vergleichende Literaturwissenschaft an der Universidad Nacional Autónoma de México in MexikoStadt. Zur Zeit lebt er in Berlin. Zwischen 1975 bis 2007 publizierte er u. a. folgende Titel: DVG für DaF. Dependez-Verbgrammatik für Deutsch als Fremdsprache (Heidelberg, 1977; zusammen mit Marlene Rall und Ulrich Engel); Diccionario de valencias verbales, alemán-español (Tübingen 1980; in Zusammenarbeit mit Marlene Rall und Oscar Zorrilla); La literatura española a la luz de la crítica francesa, 1898 a 1928 (Mexiko-Stadt, 1983); En busca del texto. Teoría de la recepción literaria (Mexiko-Stadt 1987; Hg.); Einmal El Dorado und zurück. Interkulturelle Texte: spanischsprachiges Amerika – deutschsprachiges Europa (München, 1992; hg. zusammen mit Eva-Maria Willkop, Michael Barh, et al.); Letras comunicantes. Estudios de Literatura Comparada (Mexiko-Stadt, 1996; hg. mit Marlene Rall); Paralelas. Estudios literarios, lingüísticos e interculturales (Mexiko-Stadt, 1999; zusammen mit Marlene Rall); Mira que si nos miran. Imágenes de México en la literatura de lengua alemana del siglo XX (Mexiko-Stadt, 2003; zusammen mit Marlene Rall); Entre culturas y literaturas. Antología personal 2003-2014 (Mexiko-Stadt, 2014). Rial y Costas, Gundo promovierte 2011 in Lateinamerikanistik an der Freien Universität Berlin. Er studierte u.a. am King’s College London sowie an der Universidad Autónoma de Yucatán (UADY). Als Postdoc forschte er an der Universidade Federal Fluminense (UFF) zur Entwicklung und Veränderung der Favelas von Rio de Janeiro und ist Mitglied des Núcleo de Estudos sobre Regionalização e Globalização (NUREG) an derselben Universität. Publikationen: Making America. The Social Imaginary of the Brazilian Telenovela (Berlin, 2011) sowie diverse Artikel in englischer, portugiesischer, spanischer und deutscher Sprache. Schlickers, Sabine (1964), Professur für Iberoromanische Literaturen an der Universität Bremen. Monographien: Verfilmtes Erzählen: Narratologischkomparative Untersuchung zu El beso de la mujer araña (Manuel Puig/Héctor Babenco) und Crónica de una muerte anunciada (Gabriel García Márquez/Francesco Rosi) (Frankfurt am Main, 1997); El lado oscuro de la modernización: Estudios sobre la novela naturalista hispanoamericana (Madrid u.a., 2003); »Que yo también soy pueta«. La literatura gauchesca rioplatense y

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brasileña (siglos XIX-XX) (Madrid u.a., 2007); La Conquista imaginaria de América: Crónicas, literatura y cine (Frankfurt am Main u.a., 2015); La narración perturbadora: un nuevo concepto narratológico transmedial (Madrid, 2017; u.M.v. Vera Toro); La modernidad revis(it)ada. Literatura y cultura latinoamericanas de los siglos XIX y XX (Berlin, 2000; hg. mit Inke Gunia, Katharina Niemeyer und Hans Paschen); La novela picaresca: concepto genérico y evolución del género (siglos XVI y XVII) (Navarra u.a., 2008; hg. mit Klaus Meyer-Minnemann); La obsesión del yo. La auto(r)ficción en la literatura española y latinoamericana (Madrid, 2010; hg. mit Vera Toro und Ana Luego); La reinvención de Latinoamérica: Enfoques interdisciplinarios desde las dos orillas (Frankfurt am Main u.a., 2012; hg. mit Ana Luego); Villes américaines du XXIème siècle: réalités et représentations sociales, culturelles et linguistiques (in: Amerika 9, 2013; hg. mit Néstor Ponce und Victoria Torres); Estéticas de autenticidad. Literatura, arte, cine y creación intermedial en Hispanoamérica (Medellín, 2015; hg. mit Clemencia Ardila J. und Inke Gunia); Perturbatory Narration in Film. Narratological Studies on Deception, Paradox and Empuzzlement (Berlin, 2018; hg. mit Vera Toro); Cine y literatura. Interferencias e intersecciones (in: De Signis 27, 2018; hg. mit Jörg Türschmann und Mónica Satarain); Genre-Störungen. Irritation als ästhetische Erfahrung im Film (Marburg, 2019; hg. mit H.-P. Preußer). Ugalde Quintana, Sergio, geboren 1971 in Mexiko-Stadt, ist Professor für Lateinamerikanische Literatur am Colegio de México. Monographien: La poética del cimarrón (Aimé Césaire y la literatura del Caribe francés) (Mekiko-Stadt, 2007); La biblioteca en la isla. Una lectura de la Expresión Americana de José Lezama Lima, (Madrid, 2011). Als Herausgeber u.a.: Prosas de guerra y esperanza. Efraín Huerta en El Popular (1939-1944) (Mexiko-Stadt, 2019); José Revueltas, La marea de los días (México, 2018; hg. zusammen mit Antonio Cajero Vázquez); Políticas y estrategias de la crítica: Ideología, Historia y Actores de los estudios literarios, (Madrid/Frankfurt, 2016; hg. zusammen mit Ottmar Ette); Banquete de imágenes en el centenario de José Lezama Lima (Mexiko-Stadt, 2015; hg. zusammen mit Luz Elena Gutiérrez de Velasco).