Mahnmale als Zeitzeichen: Der Nationalsozialismus in der Erinnerungskultur Nordrhein-Westfalens 9783839450642

Suppress or set a sign? The negotiation processes of West German memory culture in NRW.

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Mahnmale als Zeitzeichen: Der Nationalsozialismus in der Erinnerungskultur Nordrhein-Westfalens
 9783839450642

Table of contents :
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Inhalt
1 Zeichen der Erinnerung
2 Zwischen Aufbruch und Erinnerung:Die erste Konjunktur der Erinnerungszeichen (1945-ca. 1965)
2.1 Eine widersprüchliche Erinnerungskultur: Brüche und Kontinuitäten nach 1945
2.2 Vergraben: Das Sühnekreuz von Meschede (1947)
2.3 Für den Widerstand: Das Mahnmal in Wuppertal (1950/1958)
2.4 Annahme ohne Debatte: Die Gedenktafel für die Neusser Synagoge (1953)
2.5 Für den Frieden: Das Mahnmal in Paderborn (1953)
2.6 Zeichen der Zerrissenheit: Die Drei Nornen in Düsseldorf (1958)
2.7 Zeichen der Versöhnung: Das Bittermark-Denkmal in Dortmund (1960)
2.8 Für das Staatsprotokoll: Das nationale Ehrenmal in Bonn (1964)
2.9 Zeit der Zerrissenheit
3 Symbole einer untergegangenen Zeit:Krisenjahre der Erinnerungszeichen (ca. 1965-ca. 1975)
3.1 Das Scheitern des Mahnmals in Münster (1950-1973)
3.2 Die Krise der Erinnerungszeichen
3.3 Der »Verlust der Geschichte«
3.4 Geschichtsbilder und Geschichtslosigkeit:Die Gedenkpraxis an den Erinnerungszeichen
3.5 Zeit der Zukunft
4 Zwischen Stolz und Scham:Die zweite Konjunktur der Erinnerungszeichen (ca. 1975-1990)
4.1 Vom »Verlust der Geschichte« zur »Erinnerungswut«
4.2 Gegen den Zeitgeist: Das Kardinal‑von‑Galen‑Denkmal in Münster (1978)
4.3 Zwei unumstrittene Denkmäler:Die Erinnerung an die Paderborner Synagoge (1980/1993)
4.4 Ausgegraben: Das Sühnekreuz von Meschede (1981)
4.5 Jugend forscht, Jugend baut: Das Mahnmal für das KZ Kemna in Wuppertal (1983)
4.6 Zeichen der Pluralität: Der Zwinger in Münster (1985/1997)
4.7 Gescheitert: Das nationale Mahn- und Ehrenmal in Bonn (1975-1986)
4.8 Protest und Historisierung: Die Gedenkpraxis an den Erinnerungszeichen
4.9 Zeit der Deutungskämpfe
5 Mahnmale als Zeitzeichen:Der Nationalsozialismus in der Erinnerungskultur Nordrhein‑Westfalens
6 Danksagung
7 Anhang
7.1 Abkürzungsverzeichnis
7.2 Verzeichnis der verwendeten Sekundärliteratur
7.3 Verzeichnis der gedruckten Quellen
7.4 Verzeichnis der verwendeten Archivbestände
7.5 Verzeichnis der verwendeten Zeitungen und Zeitschriften
7.6 Sonstiges

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Jan Niko Kirschbaum Mahnmale als Zeitzeichen

Public History – Angewandte Geschichte  | Band 1

Jan Niko Kirschbaum, geb. 1985, lebt in Wuppertal und forscht zur Geschichte des 20. Jahrhunderts mit einem Schwerpunkt auf Erinnerungskultur.

Jan Niko Kirschbaum

Mahnmale als Zeitzeichen Der Nationalsozialismus in der Erinnerungskultur Nordrhein-Westfalens

Diese Publikation wurde gefördert von

Diese Publikation wurde unter dem Titel »Erinnerungszeichen für den Nationalsozialismus und den Zweiten Weltkrieg in Nordrhein-Westfalen« von der Philosophischen Fakultät der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf als Dissertation zur Erlangung eines Doktorgrades (Dr. phil.) angenommen. D61

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2020 transcript Verlag, Bielefeld Alle Rechte vorbehalten. Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Maria Arndt, Bielefeld Umschlagabbildung: Foto von Jan Niko Kirschbaum (Ausschnitt); es zeigt das Bittermark-Denkmal in Dortmund mit der Skulptur von Karel Niestrath Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-5064-8 PDF-ISBN 978-3-8394-5064-2 https://doi.org/10.14361/9783839450642 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de Unsere aktuelle Vorschau finden Sie unter www.transcript-verlag.de/vorschaudownload

Inhalt

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Zeichen der Erinnerung ............................................................. 7

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Zwischen Aufbruch und Erinnerung: Die erste Konjunktur der Erinnerungszeichen (1945-ca. 1965) ...................... 29 Eine widersprüchliche Erinnerungskultur: Brüche und Kontinuitäten nach 1945 .......... 29 Vergraben: Das Sühnekreuz von Meschede (1947)................................................. 53 Für den Widerstand: Das Mahnmal in Wuppertal (1950/1958).................................... 72 Annahme ohne Debatte: Die Gedenktafel für die Neusser Synagoge (1953) ................ 83 Für den Frieden: Das Mahnmal in Paderborn (1953)................................................ 87 Zeichen der Zerrissenheit: Die Drei Nornen in Düsseldorf (1958) .............................. 127 Zeichen der Versöhnung: Das Bittermark-Denkmal in Dortmund (1960) .....................156 Für das Staatsprotokoll: Das nationale Ehrenmal in Bonn (1964)..............................185 Zeit der Zerrissenheit..................................................................................... 213

2.1 2.2 2.3 2.4 2.5 2.6 2.7 2.8 2.9 3 3.1 3.2 3.3 3.4 3.5 4 4.1 4.2 4.3 4.4 4.5

Symbole einer untergegangenen Zeit: Krisenjahre der Erinnerungszeichen (ca. 1965-ca. 1975) ...........................219 Das Scheitern des Mahnmals in Münster (1950-1973) ............................................. 219 Die Krise der Erinnerungszeichen ................................................................... 242 Der »Verlust der Geschichte« ......................................................................... 254 Geschichtsbilder und Geschichtslosigkeit: Die Gedenkpraxis an den Erinnerungszeichen .................................................... 264 Zeit der Zukunft........................................................................................... 286 Zwischen Stolz und Scham: Die zweite Konjunktur der Erinnerungszeichen (ca. 1975-1990).................... 289 Vom »Verlust der Geschichte« zur »Erinnerungswut« ......................................... 289 Gegen den Zeitgeist: Das Kardinal-von-Galen-Denkmal in Münster (1978) ................. 306 Zwei unumstrittene Denkmäler: Die Erinnerung an die Paderborner Synagoge (1980/1993) ...................................... 316 Ausgegraben: Das Sühnekreuz von Meschede (1981) ............................................ 338 Jugend forscht, Jugend baut: Das Mahnmal für das KZ Kemna in Wuppertal (1983).... 343

4.6 4.7 4.8 4.9

Zeichen der Pluralität: Der Zwinger in Münster (1985/1997) .................................... 362 Gescheitert: Das nationale Mahn- und Ehrenmal in Bonn (1975-1986)....................... 385 Protest und Historisierung: Die Gedenkpraxis an den Erinnerungszeichen ............... 423 Zeit der Deutungskämpfe .............................................................................. 444

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Mahnmale als Zeitzeichen: Der Nationalsozialismus in der Erinnerungskultur Nordrhein-Westfalens ......... 449

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Danksagung ...................................................................... 463

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Anhang ........................................................................... 465 Abkürzungsverzeichnis ................................................................................. 465 Verzeichnis der verwendeten Sekundärliteratur ................................................. 466 Verzeichnis der gedruckten Quellen ................................................................. 476 Verzeichnis der verwendeten Archivbestände .................................................... 481 Verzeichnis der verwendeten Zeitungen und Zeitschriften.................................... 483 Sonstiges ................................................................................................... 484

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Zeichen der Erinnerung »Hol den Vorschlaghammer! Sie haben uns ein Denkmal gebaut und jeder Vollidiot weiß, dass das die Liebe versaut. Ich werd’ die schlechtesten Sprayer dieser Stadt engagieren, die sollen nachts noch die Trümmer mit Parolen beschmieren.« 1 Wir sind Helden, »Denkmal«, 2003

Mit dem Ruf nach einem Vorschlaghammer im Refrain des Liedes »Denkmal« wehrt sich die deutsche Band Wir sind Helden gegen eine fiktive Denkmalerrichtung. Die Sorgen vor den negativen Folgen des Erinnerungszeichens sind so groß, dass sie es zerstören wollen. Der Schriftsteller Robert Musil hätte ihnen geraten, das Denkmal unbeschädigt stehen zu lassen, denn es bemerke ja doch keiner. So schrieb Musil in seinem 1957 veröffentlichten »Nachlass zu Lebzeiten«, der auf Arbeiten aus der Zeit zwischen 1920 und 1929 basiert: »Es gibt nichts auf der Welt, was so unsichtbar wäre wie Denkmäler. […] der Beruf der meisten gewöhnlichen Denkmale ist es wohl, ein Gedenken erst zu erzeugen, oder die Aufmerksamkeit zu fesseln und den Gefühlen eine fromme Richtung zu geben, weil man annimmt, daß es dessen einigermaßen bedarf; und diesen ihren Hauptberuf verfehlen Denkmäler immer. Sie verscheuchen geradezu das, was sie anziehen sollten.«2 Denk- und Mahnmäler lösen, wie man sieht, ganz unterschiedliche Reaktionen aus. Die gegensätzlichen Charakterisierungen von Musil und Wir sind Helden stehen stellvertretend für ein breites Spannungsfeld, in dem sie sich bewegen. Dieses reicht von Vorwürfen der Nutzlosigkeit bis hin zum Gefühl der Bedrohung und zu Zerstörungsaufrufen. In der Mitte des Spannungsfeldes liegen die Hoffnungen, die die Stifter*innen und Künstler*innen in die Errichtung eines Denk- oder

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Wir sind Helden, Denkmal, auf: Dies. CD Die Reklamation, EMI Music 2003, Nr. 4. Robert Musil, Nachlass zu Lebzeiten, Hamburg 1957, S. 59-63.

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Mahnmale als Zeitzeichen

Mahnmals legen. Die vielfachen Widersprüche, die Denk- und Mahnmäler auslösen, machen die Beschäftigung mit ihnen so spannend. Wie jede menschliche Person haben sie einen eigenen Charakter und sind trotz aller Gleichförmigkeit in Form und Inschrift Individuen mit eigener Biografie. Wir sind Helden und Robert Musil singen und sprechen von Denkmälern, doch je nach Bedeutung und Gestaltung des Zeichens werden auch Benennungen als Mahnmal, Ehrenmal, Ehrenzeichen, Monument, Gedächtnis oder Denkstein verwendet. Als übergeordneter Begriff hat sich die Bezeichnung Erinnerungszeichen etabliert, die daher hier überwiegend verwendet wird, sofern nicht die konkreten Namen der Stifter*innen für ihre Zeichen benutzen werden. Der Terminus »Erinnerungszeichen« ist ein moderner, der in den Quellen nicht verwendet wird. In der Regel sprachen die Zeitgenossen von Denk- oder Mahnmälern. Kein Geringerer als Martin Luther verwandte 1523 den Terminus »Denkmal« als erster. Er übersetzte das griechische Wort »mnemosynon« oder seine lateinische Version »monumentum« mit »Denckmal«.3 Das Wort Monument selbst hat seinen Ursprung im lateinischen »monere« und bedeutet »erinnern« oder »mahnen«. Das altgriechische Wort »mnema« ist eine sächliche Abwandlung von »mneme«: »Gedächtnis«.4 Was ist nun, um bei der Ausdrucksweise Musils zu bleiben, der Beruf der Erinnerungszeichen? Er besteht darin, die Vergangenheit einer Gesellschaft zu thematisieren und zu interpretieren. Sie erzählen, mahnen, erinnern und geben Erklärungsmuster für das Geschehene. Sie sind damit ein Mittel der politisch-gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit Gegenwart und Vergangenheit. Sie bringen, so beschreibt es die Wiener Politikwissenschaftlerin Karin Liebhart, das politische Selbstverständnis einer Gesellschaft zum Ausdruck. Soziale Gruppen verknüpfen an und mit ihnen ausgewählte historische Ereignisse mit dem gegenwärtigen SinnRahmen zu Erzählungen.5 Sowohl die Errichtung von Erinnerungszeichen, ihre anschließende Pflege und Nutzung, aber auch ihre Beschädigung und Zerstörung dienen dem symbolischen Ausdruck einer bestimmten Interpretation historischer Ereignisse oder Personen. Sie sind ein wichtiger Bestandteil symbolischer Politik, stellt der Berliner Politik-

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Vgl. Reinhard Alings, Monument und Nation: das Bild vom Nationalstaat im Medium Denkmal, Berlin 1994, S. 3. Zu finden ist das Wort im Alten Testament, 2. Buch Mose, Kap. 13,9. Zitiert nach: Willibald Sauerländer, Erweiterung des Denkmalbegriffs?, in: Wilfried Lipp, Denkmal – Werte – Gesellschaft. Zur Pluralität des Denkmalbegriffs, Frankfurt a.M./New York 1993, S. 123f. Vgl. Karin Liebhart, Authentischer Ort, »DDR-Disneyland« oder »Pendant zum Holocaustdenkmal«? Checkpoint Charlie und das Berliner Mauermuseum, in: Rudolf Jaworski und Peter Stachel (Hg.), Die Besetzung des öffentlichen Raumes. Politische Plätze, Denkmäler und Straßennamen im europäischen Vergleich, Berlin 2007, S. 269.

1 Zeichen der Erinnerung

wissenschaftler Peter Reichel fest.6 Ähnlich definiert Jochen Spielmann das Erinnerungszeichen »als Symbol in der politisch-historischen Auseinandersetzung in einer Gesellschaft, in seiner Verknüpfung von kultureller Formung und institutionalisierter Kommunikation als Medium und Manifestation des kulturellen Gedächtnisses und zugleich als eine Manifestation des Geschichtsbewußtseins.«7 Ihren historisch-politischen Auftrag erfüllen Erinnerungszeichen mit verschiedenen ikonographischen Formen, mit vielfältiger inschriftlicher Sprache – und mit unterschiedlichem Erfolg. Sie beleuchten vielfach weniger die Vergangenheit, an die sie erinnern sollen, als vielmehr die Interpretation der Vergangenheit durch die gegenwärtige Gesellschaft, oder präziser: ihre Errichter. Sie sind Zeitzeichen ihrer Gegenwart und werden – früher als es ihren Stifter*innen lieb ist – zu historischen Objekten. Die Untersuchung von Erinnerungszeichen ermöglicht den historisch Forschenden, die verschiedenen Aspekte des von den Zeitgenossen in Stein oder Metall festgehaltenen Geschichtsbildes in einzelne Elemente aufzufächern und anschließend zu untersuchen. Sie funktionieren somit wie Prismen8 und geben einen Einblick in die Erzählungen, Mahnungen, Heldengeschichten, Anklagen und Versprechen, mit denen die Stifter*innen, Künstler*innen und Politiker*innen eine bestimmte Wahrnehmung ihrer Vergangenheit als Anleitung für die Lebenden nutzen. Das Interesse an der Erinnerungskultur durch eine Erinnerungsgemeinschaft speist sich immer, so stellt der Oldenburger Historiker Stephan Scholz fest, aus der Gegenwart, nicht der Vergangenheit.9 Peter Reichel bezeichnet Erinnerungszeichen deshalb als Zeugnisse einer »doppelten historischen Zeit«, da nicht das erinnerte Ereignis, sondern auch die Motive und Geschichtsbilder der Stifter in ihnen bewahrt werden.10 Daher sind Erinnerungszeichen nicht nur als

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Vgl. Peter Reichel, Politik mit der Erinnerung. Gedächtnisorte im Streit um die nationalsozialistische Vergangenheit, München/Wien 1995, S. 32f. Vgl. Jochen Spielmann, Entwürfe zur Sinngebung des Sinnlosen. Zu einer Theorie des Denkmals als Manifestation des ›kulturellen Gedächtnisses‹. Der Wettbewerb für ein Denkmal für Auschwitz, Berlin 1990, S. 241. Der Begriff des »Prismen der Macht« wurde 2000 von Olaf B. Rader im Zusammenhang mit einer Untersuchung der Versuche Hitlers und Mussolinis, das kulturelle Gedächtnis und kommunikative Gedächtnisinhalte der Gesellschaft für die eigene Legitimation und Herrschaftsfestigung zu nutzen, verwendet. Während Raders Begriff einen historischen Vorgang beschreibt, nämlich den Versuch geschichtliche Brüche und Diskontinuitäten zur eigenen Herrschaftssicherung zu instrumentalisieren, soll das Bild des Prismas an dieser Stelle die Funktion von Erinnerungszeichen für die historische Forschung beschreiben. Vgl. Olaf B. Rader, Prismen der Macht. Herrschaftsbrechungen und ihre Neutralisierung am Beispiel von Totensorge und Grabkulturen, in: Historische Zeitschrift, Bd. 271 (Oktober 2000), S. 312f. Vgl. Stephan Scholz, Vertriebenendenkmäler. Topographie einer deutschen Erinnerungslandschaft, Paderborn 2014, S. 41f. Vgl. Peter Reichel, Politik mit der Erinnerung, S. 33.

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Mahnmale als Zeitzeichen

kunstgeschichtliche Untersuchungsgegenstände interessant, sondern auch aus einem historischen Blickwinkel. Sie sind mit den Worten Helmut Scharfs »Dokumente einer Geistes- und Ideologiegeschichte«11 und eröffnen den historisch Forschenden einen Zugang zum kulturellen Gedächtnis. Das kulturelle Gedächtnis, so der Ägyptologe und Kulturwissenschaftler Jan Assmann, dient der Überlieferung des Sinns an eine entfernte Nachwelt.12 Es unterscheide sich darin vom kommunikativen Gedächtnis, das als GenerationenGedächtnis die Erinnerungen an Zeitgenossen weitergebe. Das kommunikative Gedächtnis vergesse, sobald die Großelterngeneration aus dem Leben scheide und damit das Ende des Erinnerungsraumes erreicht sei. Das kommunikative Gedächtnis unterliege folglich einem stetigen Vergessen, welches als »floating gap« dem Wechsel der Generationen durch die Zeit folge.13 Mit dem Ende der direkten Kommunikationsfähigkeit trete das kulturelle Gedächtnis, bei dem ein bestimmter Träger, ein »Wissensbevollmächtiger«, Erinnerungen und Sinnbezüge bewahre und tradiere, an die Stelle des kommunikativen Gedächtnisses.14 Die Erinnerungszeichen dienen dem kulturellen Gedächtnis in diesem Zusammenhang als Gedächtnisträger, wie die Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmann bemerkt.15 Die Nachwelt entscheide bewusst, so Jan Assmann, was oder wen sie dem Vergessen preisgebe und was oder wen sie mittels der Erinnerung in der Gegenwart präsent halte.16 Das kulturelle Gedächtnis verfahre rekonstruktiv, die Erinnerung werde »fortwährend von den sich wandelnden Bezugsrahmen der fortschreitenden Gegenwart her reorganisiert«.17 Daraus folge, dass das kulturelle Gedächtnis sich laufend verändere und neugeschrieben werde; Elemente kämen hinzu oder würden als nicht erinnerungswürdig verworfen.18 Auch wenn in dem hier untersuchten Zeitraum das kommunikative Gedächtnis das Ende seines Erinnerungsraumes noch nicht erreicht hatte, sorgten die Zeitgenoss*innen schon für die Errichtung von Erinnerungszeichen als zukünftige Träger des kulturellen Gedächtnisses, auf das sie selbst damit Einfluss auszuüben hoffen. An Erinnerungszeichen bietet sich somit die Gelegenheit mittels eines versteinerten, starrgewordenen Monuments das fluide kulturelle Gedächtnis zu untersuchen. Das Erinnerungszeichen ist wie

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Vgl. Helmut Scharf, Kleine Kunstgeschichte des deutschen Denkmals, Darmstadt 1984, S. 20. Vgl. Jan Assmann, Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen, München 6. Auflage 2007, S. 21. Vgl. ebd. S. 48-50. Vgl. ebd. S. 54. Vgl. Aleida Assmann, Erinnerungsräume. Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnis, München 2010, S. 15. Vgl. Jan Assmann, Das kulturelle Gedächtnis, S. 33. Vgl. ebd., S. 41. Vgl. ebd.

1 Zeichen der Erinnerung

eine Fotografie, die uns den Zustand einer Gruppe von Personen zu einem bestimmten Zeitpunkt zeigt, während sich die Gruppenmitglieder längst an anderen Orten befinden. Ein ebenfalls vielfach genutzter Terminus ist der des »kollektiven Gedächtnisses«. Diesen lehnt der amerikanische Judaist James E. Young ab und argumentiert nachvollziehbar, »individuals cannot share another’s memory more than they can share another’s cortex.« Dementsprechend spricht er statt von »collective memory« von »collective meaning« [also »kollektiver Bedeutung«, Anm. JNK], die in Erinnerungszeichen von einer Generation an die nächste im Rahmen der nationalen Traditionen, Rituale und Institutionen weitergegeben werde.19 Erinnerungslandschaft Nordrhein-Westfalen Die Analyse und Interpretation von Erinnerungszeichen und anderen bildlichsymbolischen Objekten als Quellen gehört für jene Historiker*innen zum Alltag, die sich in den Sphären der Antike, des Mittelalters oder der Frühen Neuzeit bewegen. Für Historiker*innen der Neuen Geschichte, so stellte Thomas Nipperdey 1968 fest, gehören diese Quellen – vor allem wenn der Untersuchungszeitraum jünger sei als die Zeit der Französischen Revolution – nicht zu den selbstverständlichen, da die schriftlichen Quellen im Vergleich zu den vorgenannten Zeitaltern im Überfluss vorhanden sind. Nipperdey selbst gehörte zu den Pionieren, die sich Ende der 1960er Jahre aufgemacht haben, Erinnerungszeichen der Neuzeit als Quellen zu erschließen.20 Bei der Beschäftigung mit modernen Erinnerungszeichen verfolgte die Forschung verschiedene Themen. Auf Nipperdeys grundlegenden Aufsatz aus dem Jahr 1968 folgten in den 1970er Jahren zahlreiche Forschungsvorhaben, die sich mit den Symboliken und dem (National)-Denkmal im 19. Jahrhundert beschäftigten. Hilfreich war hierbei vor allem das bereits 1962 etablierte »Forschungsunternehmen 19. Jahrhundert« der Fritz-Thyssen-Stiftung, dessen Ergebnisse in den 1970er Jahren erschienen. Im Juli 1970 fand in München eine Tagung statt, in deren Folge das Sammelwerk »Denkmäler im 19. Jahrhundert« von Volker Plagemann und Hans-Ernst Mittig veröffentlicht wurde. Einzelstudien zu Nationaldenkmälern folgten.21 In den 1980er Jahren weckten vor allem die Kriegerdenkmäler das Interesse der Forschung, deren Arbeiten durch die Volkswagenstiftung gefördert wurden.22 Seit Anfang der 1990er Jahre beschäftigte sich die Kulturwissenschaft, 19 20 21 22

Vgl. James E. Young, The texture of memory. Holocaust Memorials and Meaning, New Haven 1993, Preface S. XIf. Vgl. Thomas Nipperdey, Nationalidee und Nationaldenkmal in Deutschland im 19. Jahrhundert, in: Historische Zeitschrift Bd. 206 (1968), S. 529. Vgl. Reinhard Alings, Monument und Nation: das Bild vom Nationalstaat im Medium Denkmal, S. 53ff. Vgl. ebd., S. 58f.

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Mahnmale als Zeitzeichen

ausgehend von den Ideen Maurice Halbwachs’, die er in den 1920er und 1930er Jahren entwickelt hatte, mit der Gedächtnisforschung und -theorie,23 aber auch mit Erinnerungs- und Geschichtspolitik und Erinnerungsorten. Diese Arbeit wird auch im 21. Jahrhundert fortgesetzt. 2015 veröffentlichte Stephan Scholz seine Habilitationsschrift zu den deutschen Vertriebenendenkmälern, bereits 2010 legte Alexandra Kaiser eine umfassende Geschichte des Volkstrauertags vor, dessen Rituale häufig einen von Erinnerungszeichen symbolisierten Ort einschließen. Diese Studie untersucht 13 Erinnerungszeichen, die an die Zeit des Nationalsozialismus in Nordrhein-Westfalen erinnern. Die Analyse dieser geografisch eingegrenzten Erinnerungszeichen bietet die Möglichkeit, der in vielen Fällen schon breit erzählten deutschen Nachkriegsgeschichte und dem Umgang mit NS-Vergangenheit und Weltkrieg in der Bundesrepublik ein lokal- und regionalhistorisches Puzzlestück hinzuzufügen, das bisher fehlt. Die Ambivalenz der Erinnerungszeichen zwischen Ewigkeitsanspruch und Zerstörung, Sichtbarkeit und Vergessen, künstlerischer Darstellung und allgemeiner Verständlichkeit ermöglichten einen Zugang zur lokalen Mentalitätsgeschichte und Vergangenheitsbewältigung im einwohnerstärksten Bundesland der Republik. Anhand der Fallbeispiele wird überprüft, ob sich überhaupt von einer allgemeinen Erinnerungskultur sprechen lässt oder ob wir von verschiedenen kommunalen Erinnerungskulturen ausgehen müssen, die in eine bundesdeutsche Erinnerungskultur münden. Wieviel Austausch gab es zwischen einzelnen Gemeinden, dem Land NRW und der Bundesebene in Bonn? War jede Kommune auf sich allein gestellt? Verlief der Prozess der Vergangenheitsverarbeitung und Errichtung von Erinnerungszeichen individuell und auf einzelne Stadtgesellschaften bezogen isoliert ab? Oder lässt sich, wenn man von deutscher Erinnerungskultur spricht, statt des skizzierten Bottom-up-Prozesses auch ein Top-down-Prozess denken? Das würde bedeuten, dass die lokalen Erinnerungskulturen Ableger und Empfänger einer bundespolitisch dominierten Erinnerungskultur wären und die lokalen Erinnerungszeichen darauf beruhten. Anhand der Fallbeispiele soll zudem geklärt werden, ob sich die Erkenntnisse der Forschung (siehe insbesondere Kapitel 2.1 und 4.1) in der mikrohistorischen Perspektive bestätigen lassen, oder ob der Blick auf die lokale Ebene ein anderes Bild der bundesrepublikanischen Erinnerung an die Zeit des Dritten Reiches und des Weltkrieges zeichnet. Nordrhein-Westfalen mit seinen unterschiedlichen heterogenen Regionen bietet sich zur Beantwortung dieser Fragen als Forschungsgegenstand an. Die Auswahl der untersuchten Erinnerungszeichen orientierte sich dabei an drei Kriterien: Zum einen wurde eine geografisch ausgewogene Verteilung der Fallbeispiele vom katholischen Rheinland über das sozialdemokratisch geprägte Ruhrgebiet bis 23

Vgl. Holger Thünemann, Holocaust-Rezeption und Geschichtskultur. Zentrale HolocaustDenkmäler in der Kontroverse. Ein deutsch-österreichischer Vergleich, Idstein 2005, S. 22.

1 Zeichen der Erinnerung

hin ins ländliche Westfalen, von der Studenten- und Garnisonsstadt Münster bis ins kleinindustrielle Bergische Land angestrebt. Damit soll sichergestellt werden, dass die sieben Kommunen die verschiedenen Regionen des Landes zumindest zu einem gewissen Teil widerspiegeln. Außerdem soll mit dem Blick auf die Pläne für nationale Ehrenmale anhand der Stadt Bonn geprüft werden, ob und inwieweit die Bundespolitik Vorreiter oder Nachahmer im Vergleich zur lokalen Ebene war. Das zweite Kriterium auf der Suche nach geeigneten Erinnerungszeichen bewertete die Qualität der überlieferten Dokumentation.24 Erinnerungszeichen, die in stiller Harmonie gesetzt wurden, die meist von Sportvereinen, kirchlichen Gemeinden oder den Brauchtumsvereinen gestiftet wurden, eignen sich für eine quantitative Untersuchung, aufgrund ihres geringen Niederschlags in Archiven aber kaum für eine qualitative Analyse. Das führt dazu, dass vor allem auf offizielle städtische Erinnerungszeichen zurückgegriffen wurde. Zum einen fand ihre Errichtung in der Regel in einem Resonanzraum zwischen Politik, Verwaltung und Bürgerschaft statt und zum anderen wurden die darin geführten Debatten durch die Beteiligung städtischer Ämter ausreichend dokumentiert. Ausnahmen stellen das Sühnekreuz in Meschede (Kapitel 2.2 und 4.4), das Mahnmal KZ Kemna in Wuppertal (Kapitel 4.5) und wie bereits erwähnt die Pläne für nationale Ehrenmale in Bonn (Kapitel 2.8 und 4.7) dar, bei denen es nicht die Unterlagen der jeweiligen Stadtarchive waren, die die Quellengrundlage lieferten. Das dritte Kriterium bewertete schlussendlich die (lokale) Bedeutung des Erinnerungszeichens. In der Regel wurden die städtischen Erinnerungszeichen – soweit vorhanden – ausgewählt, die wie gerade bereits skizziert von den Stadträten und der Stadtöffentlichkeit diskutiert wurden. Die Gründe für die jeweilige Auswahl des Fallbeispiels werden zu Beginn des jeweilige Unterkapitels erläutert. Mithilfe der Kriterien wurden insgesamt 13 Fallbeispiele in Meschede, Wuppertal, Neuss, Düsseldorf, Paderborn, Dortmund, Münster und Bonn ausgewählt, die eine gewisse, in dieser Studie abbildbare Repräsentativität herstellen. Aber angesichts der Vielzahl der Städte, Gemeinden und Erinnerungszeichen in NordrheinWestfalen kann die Untersuchung nicht umfassend und erschöpfend sein. Es werden sowohl die Entstehungsprozesse der gewählten Erinnerungszeichen, sowie so weit möglich ihre Rezeption in den Gedenkfeiern eingehend untersucht. Welche gesellschaftlich-politischen Fraktionen setzten sich für die Errichtung von Erinnerungszeichen ein? Welche Widerstände gab es und welche Einflüsse führten zur

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Eine quantitative Erhebung der vorhandenen Erinnerungszeichen in Nordrhein-Westfalen erwies sich aufgrund fehlender bzw. uneinheitlicher Erhebung in den Gemeinden als nicht durchführbar. Auch die Aufnahme des Erinnerungszeichens für die Duisburger Synagoge, das im Jahr 1974 entstand, scheiterte am unzureichenden Quellenbestand des Duisburger Stadtarchivs. Das Kölner Stadtarchiv wurde mit Berücksichtigung des 2009 erfolgten Einsturz des Gebäudes ausgeschlossen.

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Mahnmale als Zeitzeichen

Setzung der Erinnerungszeichen? Was passierte, nachdem die Erinnerungszeichen errichtet waren? Welches Geschichtsbild wurde vor Ort vermittelt? Und wie veränderten sich die Antworten auf diese Fragen von den 1950er Jahren bis zum Ende der Bonner Republik 1990? Die Charakteristika von Erinnerungszeichen Bevor die Suche nach Antworten beginnen kann, soll zunächst eine andere Frage aufgegriffen werden: Was zeichnet eigentlich ein Erinnerungszeichen aus? Im ersten deutschen Universallexikon von Johann Heinrich Zedler aus dem Jahre 1734 heißt es: »Monument […] Denck- und Ehrenmäler heißen […] alle dergleichen Dinge und aufgeführte Gebäude, wodurch man eines Verstorbenen Ruhm und Namen, wie auch dessen merckwürdigste Verdienste und Thaten auch bey den spätesten Nachkommen in beständig gutem Andencken zu erhalten sucht.« Johann Martin Chladenius definierte 1752 das »Denckmahl« in seiner »Allgemeinen Geschichtswissenschaft« als »ein Ding, welches die Kinder veranlasset, ihre Eltern nach der Ursach und Bedeutung zu fragen […]. Dieses kann ein Cörper sein, der wegen seiner besonderen Beschaffenheit die Aufmerksamkeit an sich zieht. […] Denckmal […] heisset nehmlich jedes Werck, welches vermögend ist, die Menschen von vergangenen Dingen zu belehren.«25 Das Historische Wörterbuch der Rhetorik definiert Denkmäler im engeren Sinne als »jedes in der Öffentlichkeit errichtete, meist für die Dauer bestimmte Werk, das bereits seine Entstehung, zumindest aber seine Erhaltung dem Zwecke des Erinnerns an Personen, Handlungen oder ›merk-würdige‹ Ereignisse verdankt.« Es besitze eine memorierende und eine appellative Funktion und verbinde so Vergangenheitserinnerung und Zukunftsappell in der Gegenwart der Denkmalserrichtung. Der Appell könne affirmativ, analogisierend, moralisierend, apologetisch, legitimierend, panegyrisch, normativ, aber auch antagonistisch und kritisch-distanzierend sein. Es richte sich an den Betrachter individuell oder als Teil der öffentlichen Menge und benutzte dafür redende Komponenten: Inschriften, Attribute, Embleme, Allegorien, Personifikationen und bildlich-plastische Formen. Erinnerungszeichen schlügen die Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart, unterlägen aber mit zunehmendem zeitlichem Abstand zu ihrer Errichtung der »Tragik«, dass sie als Kunstwerke selbst vielfältigen Wandlungen der Zeit ausgesetzt seien. Das betreffe sowohl ihr häufig dauerhaftes Material als auch ihr Wertgefüge und die Überzeugungskraft ihres Zukunftsappells.26

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Vgl. Reinhard Alings, Monument und Nation: das Bild vom Nationalstaat im Medium Denkmal, S. 4. Zitat nach: Johann Martin Chladenius, Allgemeine Geschichtswissenschaft, Leipzig 1752, S. 194f. Vgl. P. Springer, Denkmalsrhetorik, in: Historisches Wörterbuch der Rhetorik, hg. von Gert Ueding, Tübingen 1992, S. 527ff.

1 Zeichen der Erinnerung

Die drei zentralen Charakteristika dieser Definition – Dauerhaftigkeit, redende Komponenten, die Rolle in der Öffentlichkeit – sollen mit Blick auf die Diskussionen der Forschung einer ausführlicheren Betrachtung unterzogen und dabei um ein viertes Charakteristikum – die Herstellung eines Gedächtnisortes – ergänzt werden. Die Dauerhaftigkeit von Erinnerungszeichen wird meist durch die verwendeten Materialien (überwiegend Bronze oder Stein) gewährleistet. Sie dienen der gewünschten »ewigen« Präsenz des Denkmals und seiner Aussagen im Bewusstsein der Allgemeinheit.27 Die Denkmalsetzer wollen gruppenspezifische, mitunter auch gruppenübergreifende Geschichtsbilder festschreiben: »Mit der Auswahl und Interpretation im Denkmal vollzieht sich der ›Übergang von Geschichten zu Geschichte‹. Es wird einer Gesellschaft damit augenfällig und mit normativem Anspruch demonstriert, was von historischer Bedeutung sein soll und wie es zu deuten ist,« erklärt Stephan Scholz.28 Dem Material kommt dabei die Aufgabe zu, den Ewigkeitsanspruch nicht nur zu symbolisieren, sondern auch glaubhaft zu vertreten. Denn der Anspruch der Erinnerungszeichen liege darin, so Scholz, erinnerungskulturelle Hegemonie herzustellen und gemeinsame Werte zu vermitteln und zu beglaubigen.29 Damit werde die Sicht der Denkmalstifter auf die Vergangenheit als vermeintlich allgemeingültig präsentiert und verbreitet.30 Der Potsdamer Historiker Jan-Holger Kirsch, der sich mit der Errichtung des »Mahnmals für die ermordeten Juden Europas« beschäftigt hat, bemerkt dazu spöttisch: »Wenn die Alternden spüren, daß ihnen die Macht über die Köpfe der Jüngeren entgleitet, bauen sie Denkmäler wie steinerne Ausrufezeichen.«31 Erinnerungszeichen sind nach dieser Lesart auch Zeichen des eigenen Machtverlusts und Teil des kommunikativen Gedächtnisses. Wie Manfred Hettling richtigerweise anmerkt, reicht die Festigkeit des Materials nicht aus, um die Geschichtsdeutung der Stifter*innen dauerhaft festzuschreiben.32 Die redenden Komponenten – Symboliken und Inschriften der Erinnerungszeichen – dienen der Vermittlung des in Bronze oder Stein festzuschreibenden Geschichtsbildes. Die von Peter Reichel als Deutungs- und Identifikationsangebote33 bezeichneten Elemente müssen aber, um zu funktionieren, für die Allgemeinheit

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Vgl. Felix Reuße, Das Denkmal an der Grenze seiner Sprachfähigkeit, Stuttgart 1995, S. 17. Vgl. Stephan Scholz, Vertriebenendenkmäler, S. 37. Vgl. ebd., S. 22 und 34. Vgl. ebd., S. 37. Vgl. Jan-Holger Kirsch, Nationaler Mythos oder historische Trauer. Der Streit um ein zentrales »Holocaust-Mahnmal« für die Berliner Republik, Köln 2003, S. 147. Vgl. Manfred Hettling, Militärisches Totengedenken in der Berliner Republik. Opfersemantik und politischer Auftrag, in: Manfred Hettling und Jörg Echternkamp (Hg.), Bedingt erinnerungsbereit. Soldatengedenken in der Bundesrepublik, Göttingen 2008, S. 19. Vgl. Peter Reichel, Politik mit der Erinnerung, S. 32f.

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»decodierbar«34 sein. Das wiederum bedeutet, dass Erinnerungszeichen verpflichtet sind, eine verallgemeinernde Symbolik zur vereinfachenden Darstellung der Vergangenheit zu verwenden,35 die selten Raum für Differenzierungen lässt. Das führt dazu, dass die Zeichensprache, um decodierbar zu sein, einförmig werden kann, wie es Reinhart Koselleck für die Kriegerdenkmäler festgestellt hat. Bei ihnen sei das »Formenarsenal« über die Zeiten hindurch vergleichsweise stabil (und begrenzt) geblieben. »[D]ie siegenden und sterbenden Krieger stehen immer wieder auf, die hilfreichen Götter, Engel oder Heiligen werden weiterhin abgerufen und so die Frauen in vielerlei Rollen, Kreuze werden errichtet, mythisch aufgeladene Tiere werden symbolisiert oder allegorisiert, Waffen werden verewigt, die architektonischen Signale von der Pyramide über den Obelisken zum Triumphbogen tauchen immer wieder auf, die Kolonnaden, die Sarkophage und Kenotaphe, Kapellen oder Gedenkstätten. Pathosformeln sowie Zitate aus den beiden Testamenten oder von klassischen Autoren werden über die Generationen hinweg weitergereicht.«36 Übergeordnetes Ziel der redenden Komponenten ist der Appell, die Erziehung der Betrachtenden. Während Kriegerdenkmäler beispielsweise in aller Regel bemüht sind, eine Nachahmung des Opferns für das Vaterland zu empfehlen, wollen Mahnmale meistens vor der Wiederholung von Gewalt warnen. Hierfür bedienen sie sich unter anderem der Form einer »öffentlichen Drohgebärde«, die die gegenwärtigen Akteure zur Unterlassung von bestimmten Handlungen auffordern solle, wie es der Philosoph Joachim Landkammer bezeichnet hat.37 Ob nach dem Zweiten Weltkrieg, wie Jeffrey Herf behauptet, Erinnerungszeichen mit besonderem erzieherischen Charakter vor allem als Mahnmäler bezeichnet wurden,38 und damit die Kategorien Denkmal und Mahnmal als Unterscheidungsmerkmal taugen, soll im Rahmen dieser Untersuchung ebenfalls überprüft werden. Um ihren Appell den Empfängern zukommen zu lassen, müssen Erinnerungszeichen in der Öffentlichkeit präsent sein. Das bedeutet, dass ihre Stifter*innen Einfluss auf den öffentlichen Raum nehmen können müssen. Daher bezeichnet

34 35 36 37

38

Vgl. Felix Reuße, Das Denkmal an der Grenze seiner Sprachfähigkeit, S. 17. Vgl. Biljana Menkovic, Politische Gedenkkultur. Denkmäler – die Visualisierung politischer Macht im öffentlichen Raum, Wien 1999, S. 10. Ebd., S. 9. Vgl. Joachim Landkammer, »Wir spüren nichts«. Anstößige Thesen zum zukünftigen Umgang mit der NS-Vergangenheit, in: Joachim Landkammer, Thomas Noetzel (u.a.) (Hg.), Erinnerungsmanagement. Systemtransformation und Vergangenheitspolitik im internationalen Vergleich, München 2006, S. 68. Vgl. Jeffrey Herf, The Holocaust and the competition of memories in Germany 1945-1999, in: Dan Michman (Hg.), Remembering the Holocaust in Germany 1945 – 2000. German Strategies and Jewish Responses, New York 2002, S. 9.

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die Wiener Politikwissenschaftlerin Biljana Menkovic Erinnerungszeichen als »Zeichenträger der Macht« und »Visualisierung politischer Macht im öffentlichen Raum«.39 Je nachdem, ob eine Gesellschaft eher monolithisch oder pluralistisch organisiert ist, ist der Kreis der Akteure, die den öffentlichen Raum besetzen können kleiner oder größer. In monolithischen Gesellschaften ist die Errichtung von Denkmälern, wie Menkovic beschreibt, nur dem Staat oder den »staatstragenden« Gruppen möglich, was bedeute, dass in ihnen Geschichte »von oben« geschrieben werde und mittels der Benennungsmacht über Sachverhalte den Empfängern vorgegeben werde, wie Geschichte zu lesen sei. Der Denkmalsturz oder auch das Beschmieren von Erinnerungszeichen sei ein politischer Akt.40 »Die Opposition baut«, so sieht es auch Thomas Nipperdey, »keine Denkmäler.«41 Ein Beispiel für eine solche Geschichtspolitik »von oben« findet sich in der ehemaligen DDR. Der israelische Geograph Maoz Azaryahu verweist darauf, dass die Verewigung historischer Personen mittels Gedenkstätten, Straßennamen, Briefmarken oder Denkmälern der Repräsentation von politischen Ideen dient. Es wird ein in der Ansicht der Stifter*innen gültiges Geschichtsbild präsentiert, damit dieses »zum wesentlichen Bestandteil der offiziellen Identität wird.« Dementsprechend entwickelte die DDR, die Azaryahu in seiner Studie analysiert, ein offizielles Pantheon historischer Gestalten, der im öffentlichen Leben vorgezeigt wurde, um die Identität der DDR zu prägen.42 Demgegenüber stehen pluralistische Gesellschaften, in denen sich Erinnerungszeichen an eine breite Öffentlichkeit richten. Aber, so Felix Reuße, dies müsse nicht bedeuten, dass es einen breiten gesellschaftlichen Konsens gäbe, im Gegenteil. Ein Denkmal solle den Anspruch der Denkmalsetzer oft erst konsensfähig machen, was sich an der Diskussion über Berechtigung und Ausführung des Denkmals zeige.43 Ähnlich sieht es der Kölner Historiker Holger Thünemann. Auch wenn Denkmäler mit nationaler Relevanz nur bei politischer Mehrheitsfähigkeit durchgesetzt werden könnten, bedeute dies aber nicht, dass es dabei zu einem Konsens über die Bewertung von Geschichte komme.44 Stephan Scholz stellt fest, dass in demokratisch verfassten Gesellschaften wie der Bundesrepublik zwar die Allgemeinheit, vertreten durch die politischen

39 40 41

42 43 44

Vgl. Biljana Menkovic, Politische Gedenkkultur, S. 1. Vgl. ebd., S. 2f. Vgl. Thomas Nipperdey. Nationalidee und Nationaldenkmal in Deutschland im 19. Jahrhundert, in: Jutta Schuchard und Horst Claussen (Hg.), Vergänglichkeit und Denkmal. Beiträge zur Sepukralkultur, Bonn 1985, S. 189. Vgl. Maoz Azaryahu, Von Wilhelmplatz zu Thälmannplatz. Politische Symbole im öffentlichen Leben der DDR, Göttingen 1991, S. 149. Vgl. Felix Reuße, Das Denkmal an der Grenze seiner Sprachfähigkeit, S. 17. Vgl. Holger Thünemann, Holocaust-Rezeption und Geschichtskultur, S. 291.

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Repräsentanten, über den öffentlichen Raum und damit Errichtung und Gestaltung von Denkmälern verfüge, die Erinnerungskultur aber trotzdem heterogen bleibe. Die verschiedenen »Erinnerungssubkulturen« könnten dabei nicht nur verschieden sein, sondern sogar miteinander rivalisieren. Die Entstehungs- und Planungsphase offenbare, inwieweit in einer Gesellschaft ein erinnerungskultureller Konsens oder eine Hegemonie herrsche, oder ob Erinnerungsmodelle in Konkurrenz und Widerspruch zueinander stünden.45 Jede Erinnerungsgemeinschaft erhebe den Anspruch, die eigene Vergangenheitsdeutung durchzusetzen und das öffentliche Gedächtnis zu beeinflussen. Zu diesem Zweck entwickelten sie Exklusionsstrategien gegenüber anderen Gruppen und Individuen, die nicht »an der kollektiven Selbstverständigung über die Bedeutung des Vergangen für die Zukunft« teilhaben sollen.46 Am Ende der Entstehungsphase stehe aber fest, welche Denkmalstifter an der »Verfügungsgewalt über den öffentlichen Raum zumindest partizipiert haben und dass eine politische Mehrheit das umgesetzte Denkmal gebilligt hat.« Dadurch entstehe, so Scholz, der Eindruck eines gesellschaftlichen Konsenses über die »Gültigkeit und Verbindlichkeit der Denkmalaussage.«47 Die Möglichkeit im öffentlichen Raum ein Denkmal zu errichten, bedeute daher auch immer die Anerkennung der Gesellschaft gegenüber den Denkmalinitiatoren. Diese Würdigungsgeste könne dabei auch eine integrative Maßnahme gegenüber gesellschaftlichen Teilgruppen darstellen.48 Erinnerungszeichen stellen durch ihre Präsenz im öffentlichen Raum darüber hinaus einen Gedächtnisort dar, an dem historisches Wissen gesichert und Rituale öffentlichen Gedenkens vollzogen werden. Das menschliche Gedächtnis funktioniere schließlich auch orts- und raumbezogen, sodass Inhalte über die Verortung besser abgerufen werden können, stellt Stefanie Endlich in Anlehnung an den Bauhistoriker Winfried Nerdinger fest.49 Dabei können Denkmäler auch Konfliktorte unterschiedlicher Geschichtsverständnisse werden, besonders im Fall der Gegendenkmäler der 1980er Jahre.50 So ist es kein Wunder, dass die Frage des Standorts viel und kontrovers diskutiert wird. Jochen Spielmann erklärt, dass ein Denkmal auf einem zentralen Platz eine wesentlich größere Bedeutung habe als ein Denkmal auf einem Friedhof, denn der öffentliche Platz sei der zentrale Ort der Kommunikation der Bürger einer Stadt.51 Fraglich bleibt, ob diese Feststellung auf die

45 46 47 48 49 50 51

Vgl. Stephan Scholz, Vertriebenendenkmäler, S. 22 und 34. Vgl. ebd., S. 41f. Vgl. ebd., S. 22 und 34. Vgl. ebd., S. 34f. Vgl. Stefanie Endlich, Wege zur Erinnerung. Gedenkstätten und -orte für die Opfer des Nationalsozialismus in Berlin und Brandenburg, Berlin 2007, S. 29. Vgl. Stephan Scholz, Vertriebenendenkmäler, S. 37. Vgl. Jochen Spielmann, Entwürfe zur Sinngebung des Sinnlosen, S. 49 und 51.

1 Zeichen der Erinnerung

Verkehrs- und Kommunikationsräume in modernen Städten anwendbar ist. Stephan Scholz folgt Spielmanns Bewertung von der Bedeutung des Standorts für die Wertschätzung des Erinnerungszeichens, gibt aber auch zu bedenken, dass die beabsichtigte Nutzung des Denkmals auch andere Standorte als geeigneter erscheinen lässt, zum Beispiel wenn eine gewünschte »alltägliche Mahnung« am bedeutendsten Ort der Stadt keine Wirkung entfalten kann. Auch müsse man zwischen der intimen Stimmung an eng begrenzten Orten und der politisch-feierlichen Stimmung an offenen Platzanlagen für Aufmärsche und Versammlungen unterscheiden.52 Nach der Errichtung vollziehen sich am Ort des Erinnerungszeichens »Akte öffentlichen Gedenkens«, die die Leiterin der KZ Gedenkstätte Ravensbrück, Insa Eschebach, untersucht hat. Das öffentliche Gedenken richte sich nicht nur an die Angehörigen und Freunde der Toten, sondern auch an die Veteranen und Überlebenden, deren eigene, spezifische Leiderfahrung durch den öffentlichen Akt gesellschaftliche Anerkennung erfahre, stellt sie fest. Dabei basiere öffentliches Gedenken auf Ausschlussprinzipien, so gedenke eine Nation an Kriegerdenkmälern immer nur den eigenen Toten. Die Frage, wem gedacht werde, sei ein Ausschlusskriterium, da im Gegenzug andere Gruppen dem Vergessen anheimfielen.53 Aus wissenschaftlicher Perspektive ähneln die Gedenkfeiern, die an einem Denkmal stattfinden, einem »Vergrößerungsglas, welches das Bild der Vergangenheit dahinter verzerre und das Selbstverständnis derer, die gedenken, um so präziser anzeigt«, erklärt Eschebach.54 Daher wird in dieser Arbeit in den Kapiteln 3.4 und 4.8 die Gedenkpraxis an den Erinnerungszeichen explizit untersucht. Nutzlose Zeichen? Es gibt aber auch Zweifel daran, ob die Erinnerungszeichen ihren »Beruf«, wie Musil es nennt, überhaupt erfüllen können. Stephan Scholz sieht beispielsweise ebenfalls eine Nutzlosigkeit von Denkmälern. Er schränkt aber diese Beobachtung gleichzeitig ein, denn mit der Planungsphase, den Einweihungen und den Gedenkveranstaltungen erhielten Erinnerungszeichen verschiedenartige Aufmerksamkeitsschübe, die kurzfristig die Erinnerungszeichen und ihre Geschichtsbilder ins Licht der Öffentlichkeit rücken und auch längerfristig nachwirken können. Somit sei die Gedenkpraxis ein entscheidender Faktor für die Funktionalität und Sichtbarkeit von Denkmälern. Darüber hinaus könnten Denkmäler als Teil der Alltagskultur und Teil des lokalen Raumes auch langfristig quasi unbemerkt ins Bewusstsein eingreifen und zum Teil der lokalen Identität werden.55 52 53 54 55

Vgl. Stephan Scholz, Vertriebenendenkmäler, S. 26f. Vgl. Insa Eschebach, Öffentliches Gedenken. Deutsche Erinnerungskulturen seit der Weimarer Republik, Frankfurt 2005, S. 12-14. Vgl. ebd., S. 206. Vgl. Stephan Scholz, Vertriebenendenkmäler, S. 24f.

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Reinhart Koselleck erklärte 2002 gerade in Bezug auf Erinnerungszeichen für den Nationalsozialismus zunächst unmissverständlich, dass es für die Totalität der nationalsozialistischen Verbrechen keine Sinnstiftung geben könne.56 Zwar erkennt Koselleck an, dass es auch ein »negatives Gedächtnis« gebe und nennt als Beispiel die im Mittelalter errichteten Sühnekreuze und Schandmale, die dazu dienten, den Fluch böser Taten zu bannen. Doch diese Mittel versagten angesichts der Dimensionen der Verbrechen der Nationalsozialisten.57 Obwohl Koselleck eine Sinnstiftung verneint, forderte er die Deutschen auf, nach der Denkmalsstiftung für die jüdischen Opfer auch jenen Opfern ein Denkmal zu setzen, die durch diese Stiftung ausgeklammert wurden: zum Beispiel Sinti und Roma, Homosexuelle und russische Kriegsgefangene. Neben den »Opfermalen«, die den Ermordeten gedenken, regte er an, über ein Tätermal nachzudenken, dass ohne Hierarchisierung und Differenzierung aller Opfer gedenke und gleichzeitig die Täterschaft in die Erinnerung einbeziehet. Dabei warnte er davor, die eigenen Toten der Einigungs- und Weltkriege, die im Zweiten Weltkrieg nur teilweise schuldig geworden seien, zu vergessen.58 Schließlich führte Kosellecks Abwägungsprozess doch noch zu einer denkmalsbejahenden Aussage. Denkmäler seien bis zum Ersten Weltkrieg Sinnstiftungsdenkmäler gewesen, nach dem Ersten Weltkrieg häuften sich Denkmäler, die die Sinnsuche symbolisierten. Nach dem Zweiten Weltkrieg hätten Denkmäler die Sinnlosigkeit der Sinnsuche thematisiert, so Koselleck. Hier gebe es Negativaussagen, die er als ästhetisch gelungen bezeichnet, da sie die Ausweglosigkeit (Aporie) der Opfer darstellen: etwa eine Mauer mit Spalt, durch den man das Licht sehe, ohne es erreichen zu können, da der Spalt zu schmal ist. Auch die verschwindenden Denkmäler von Jochen Gerz in Hamburg-Harburg und Saarbrücken, deren Funktion eben nicht auf Dauerhaftigkeit ausgerichtet war, nennt er. »So erkennen wir, daß ästhetische Lösungen möglich sind, wenn sie die Unbeantwortbarkeit selber thematisieren, wenn sie Umwege einschlagen, die den Leser, den Zuschauer oder den Reflektierenden in einen Zustand versetzen, der ihn zu denken nötigt, ohne zu wissen, wie er all das, was geschehen ist, in seine Erinnerungen einbeziehen kann.«59 In einer früheren Veröffentlichung stellt er 1994 gar fest, dass einige wenige Künstler es geschafft hätten, die Wende »unserer eigenen Erfahrung« zu visualisieren, und mahnte, dass der mögliche Beitrag dieser Denkmäler zu einer Verhaltensänderung nicht unterschätzt werden dürfe,

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Vgl. Reinhart Koselleck, Formen und Traditionen des negativen Gedächtnisses, in: Norbert Frei und Volkhardt Knigge (Hg.), Verbrechen erinnern. Die Auseinandersetzung mit Holocaust und Völkermord, München 2002, S. 23. Vgl. ebd., S. 21f. Vgl. ebd., S. 28f. Vgl. ebd., S. 31f.

1 Zeichen der Erinnerung

auch wenn er »wie in der Geschichte üblich« zu spät wahrgenommen werde.60 Auch die Frage nach der Nutzlosigkeit und Sinnhaftigkeit von Erinnerungszeichen soll in diese Arbeit aufgenommen und anhand des Vergleichs der vorgestellten Fallbeispielen beantwortet werden. Spezialfall Kriegerdenkmal Innerhalb der Gruppe der Erinnerungszeichen bilden die Kriegerdenkmäler der Neuzeit eine besondere Kategorie. Das Kriegerdenkmal bietet mit den Worten der Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmann seit dem Peloponnesischen Krieg ein »nationales Ewigkeitsversprechen« von Ruhm und Unvergesslichkeit für die in die Schlacht ziehenden Soldaten.61 So pauschal stimmt diese Aussage allerdings nicht. Das Kriegerdenkmal der Neuzeit entstand erst im Anschluss an die Französische Revolution und die Napoleonischen Kriege.62 Es manifestierte eine entscheidende Veränderung im Status des Militärs für Staat und Gesellschaft: den Wandel vom Söldner- zum Bürgerheer, vom bezahlten Kriegshandwerk zur vaterländischen Pflicht der Verteidigung der Nation. Der Kriegstod wurde damit formal demokratisiert, so Michael Jeismann und Rolf Westheider. Jeder Gefallene sei nun als Bürger des Staates erinnerungswürdig gewesen.63 Kriegerdenkmäler dienten hierbei wie andere Erinnerungszeichen auch der Identitätsstiftung,64 nicht nur innerhalb einer Nation, sondern auch innerhalb einer Dorfgemeinschaft, wie Martin Bach in seiner Fallstudie für Westfalen und Lippe ausführt.65 Paradoxerweise dienen die Kriegerdenkmäler der Abgrenzung nach außen, gegen den Feind, werden aber oft bei beiden (oder mehreren) Parteien von Kriegshandlungen mit identischen Zeichen und Funktionen eingesetzt, die sich nur durch die jeweilige Botschaft der »Handlungseinheit« voneinander unterscheiden.66 Die Besonderheit der Kriegerdenkmäler kennzeichnet vor allem, dass sie den Angehörigen der oft weit entfernt der Heimat gefallenen und begrabenen Soldaten Trost spenden sollen. Das Totengedenken am Denkmal verknüpft nach der Ansicht Dieter und Kristina Hübeners individuelle, persönliche Betroffenheit und kollek-

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Vgl. Reinhart Koselleck, Einleitung, S. 20. Vgl. Aleida Assmann, Erinnerungsräume, S. 43. Vgl. Reinhart Koselleck, Einleitung, S. 10. Vgl. Michael Jeismann und Rolf Westheider, Wofür stirbt der Bürger? Nationaler Totenkult und Staatsbürgertum in Deutschland und Frankreich seit der Französischen Revolution, in: Reinhart Koselleck und Michael Jeismann (Hg.), Der politische Totenkult. Kriegerdenkmäler in der Moderne, München 1994, S. 25. Vgl. Biljana Menkovic, Politische Gedenkkultur, S. 23. Vgl. Martin Bach, Studien zur Geschichte des deutschen Kriegerdenkmals in Westfalen und Lippe, Frankfurt a.M. (u.a.) 1985, S. 267. Vgl. Reinhart Koselleck, Einleitung, in: Reinhart Koselleck und Michael Jeismann (Hg.), Der politische Totenkult. Kriegerdenkmäler in der Moderne, München 1994, S. 10.

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tiv-nationale, gesamtgesellschaftliche Belange.67 Gerade die in der Nachkriegszeit des Zweiten Weltkriegs durch die Überlebenden der nationalsozialistischen Verfolgung gesetzten Erinnerungszeichen für die Ermordeten und Getöteten in den Konzentrationslagern und anderen Stätten der NS-Verbrechen sind in dieser Hinsicht Kriegerdenkmälern sehr ähnlich. Wie leer dieses Ewigkeitsversprechen indes ist, zeigt auf ganz banale Weise ein französisches Kartenspiel namens »Les Poilus« aus dem Jahr 2015, bei dem die Spielenden versuchen müssen, kooperativ den Ersten Weltkrieg zu überleben. Das Spiel ist gewonnen, wenn die Spielkarte mit der Friedenstaube aufgedeckt werden kann. Das Spiel ist verloren, wenn die Karte mit dem Kriegerdenkmal sichtbar wird, auf dem die Namen der Spielfiguren eingetragen sind.68 Konjunkturen der deutschen Erinnerungskultur nach 1945 Die Errichtung eines Erinnerungszeichens ist eine komplexe Aufgabe. Die Stifter*innen müssen über einen Zugang zur öffentlichen Meinung und den gesellschaftlich-politischen Machtverhältnissen verfügen. Sie benötigen die Verfügungsgewalt über einen geeigneten Standort, der im Idealfall passende historische Bezüge aufweist und für Gedenkveranstaltungen geeignet ist. Sie müssen Künstler*innen finden, die es vermögen, das gewünschte Geschichtsbild für die Betrachtenden decodierbar zu visualisieren. Alle diese Punkte bieten viel Konfliktpotential, aus dem sich Hinderungsgründe für die Stiftung von Erinnerungszeichen ergeben. Eine elementare Voraussetzung, um diese Hürden zu überwinden, ist der Wille zur historischen Sinnstiftung. Die Motivation, ein Zeichen zu initiieren und durchzusetzen, ergibt sich in der Regel aus der Gegenwart der Stiftenden. So ist es nicht verwunderlich, dass die Errichtung von Erinnerungszeichen Konjunkturen unterliegt, die in verschiedenen Phasen der bundesdeutschen Geschichte unterschiedlich ausgeprägt waren. Die Forschung ist sich in groben Zügen einig in der Einteilung der Konjunkturzyklen. Bei genauerer Betrachtung weisen die Periodisierungen aber deutliche Unterschiede auf, die auch teilweise im Widerspruch zu den Ergebnissen dieser Studie stehen. Im folgenden Abschnitt sollen daher die Phasen der allgemeinen westdeutschen Erinnerungskultur zwischen 1945 und 1989, die von Norbert Frei sowie Helmut König entworfen wurden, sowie die Analysen der Phasen der Errichtung von Erinnerungszeichen mit Bezug zum Nationalsozialismus in der BRD von Martin

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Vgl. Dieter und Kristina Hübener, Einführung, in: Dieter Hübener, Kristina Hübener (u.a.) (Hg.), Kriegerdenkmale in Brandenburg. Von den Befreiungskriegen 1813/1815 bis in die Gegenwart, Berlin 2003, S. 8. Fabien Riffaud und Juan Rodriguez, Les Poilus. L’amitié plus forte que la guerre?, Verlag Sweet November, 2015.

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Stankowski, Mitautor der Dokumentation »Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus« der Bundeszentrale für politische Bildung, und Jochen Spielmann, miteinander verglichen werden (siehe Abb. 01). Anschließend wird kurz die Phaseneinteilung vorgestellt, die auf Basis dieser Untersuchung vorgenommen wurde und sich in der Gliederung widerspiegelt.

Abb. 01: Periodisierungen deutscher Erinnerungskultur im Vergleich

Schematische Darstellung der Periodisierungen deutscher NS-Erinnerungskultur bis 1989 durch Norbert Frei, Helmut König, Martin Stankowski und Jochen Spielmann.

Alle vier Historiker sehen in der unmittelbaren Nachkriegszeit von 1945 bis 1949 einen eigenen Zeitabschnitt. In dieser »Phase der politischen Säuberung«, so Frei, habe das Heft des Handelns bei den Alliierten gelegen,69 wie auch König betont.70 Ein wesentliches Ziel sei die Entnazifizierung gewesen, die Frei als nicht gescheitert bezeichnet.71 Für König charakterisiert die Nachkriegszeit eine politikferne »sogenannte Schuld-Debatte« in den politisch-kulturellen Zeitschriften, 69 70 71

Vgl. Norbert Frei, 1945 und wir. Das Dritte Reich im Bewußtsein der Deutschen, München 2005, S. 91. Vgl. Helmut König, Die Zukunft der Vergangenheit. Der Nationalsozialismus im politischen Bewußtsein der Bundesrepublik, Frankfurt a.M. 2003, S. 20. Vgl. Norbert Frei, 1945 und wir. S. 91.

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»in der Nationalsozialismus, Krieg und Vernichtung unter stark moralischen und abstrakten Vorzeichen erörtert wurden.«72 Mit Blick auf die Erinnerungszeichen erklärt Stankowski, dass unmittelbar nach Kriegsende nur ausländische Überlebende der nationalsozialistischen Verfolgung oder »Konzentrationäre«73 Erinnerungszeichen errichtet hätten. Überregional gehörten die Gedenkstätten in Stukenbrock74 und Bergen-Belsen dazu, aber auch Gedenksteine entlang der Routen der Todesmärsche in Bayern. Es hätten Kreuze, Obelisken und Mauern mit kurzen, oft fremdsprachigen Texten überwogen, die nicht der Informationsvermittlung dienten, da das Geschehene als bekannt vorausgesetzt worden sei.75 So sieht es auch Spielmann: In der Nachkriegszeit seien nur die Besatzungsmächte und die ehemaligen Verfolgten Denkmalsetzer gewesen. Eine eigene Ikonographie habe sich nicht herausgebildet. Obelisk, Kreuz und Grabstein seien die typischen und traditionellen Formen gewesen.76 In den 1950er Jahren, für Frei die Phase der »Vergangenheitspolitik«, sei die Kritik der 1905er Generation77 an Ungerechtigkeiten bei der Entnazifizierung erhört worden und man habe einen »Schlussstrich« unter die politische Säuberung gezogen, indem mehrere Gesetze die Errungenschaften der Entnazifizierung aufhoben.78 Darin habe sich ein »Schlussstrich-Verlangen« einer überwiegenden

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Vgl. Helmut König, Die Zukunft der Vergangenheit, S. 17 und 22f. Diesen Begriff verwendet Stankowski unter Bezug auf die Sprache der Zeitgenossen. Dort befand sich das Kriegsgefangenenlager Stalag 326 (VI K) Senne. Vgl. Martin Stankowski, Grenzen der Erinnerung, Historische Denkmäler. Vergangenheit im Dienste der Gegenwart?, Bensberger Protokolle 81 (1994), S. 44f. Vgl. Jochen Spielmann, Steine des Anstoßes – Denkmale zur Erinnerung an den Nationalsozialismus in der Bundesrepublik Deutschland, in: Kritische Berichte 3/88, S. 9ff. Frei verfolgt neben einer Phaseneinteilung auch ein Generationenkonzept. Er teilt die Akteure wie folgt ein: Die um 1905 geborene Funktionselite des NS-Systems, die um 1925 geborene skeptische Flakhelfer-Generation, die um 1945 geborene Nachkriegsgeneration, aus denen die 1968er-Bewegung entstand, und die zwischen 1965 und 1985 Geborenen, die mit der Auseinandersetzung zur NS-Vergangenheit aufwuchsen und die Zeitzeugen noch persönlich erlebten. Vgl. Norbert Frei Deutsche Lernprozesse. NS-Vergangenheit und Generationenfolge seit 1945, in: Ignacio Olmos und Nikky Keilholz-Rühle (Hg.), Kultur des Erinnerns. Vergangenheitsbewältigung in Spanien und Deutschland, Frankfurt a.M. 2009, S. 90. Auch Aleida Assmann hat ein Generationenkonzept entworfen: Auf die 33er Generation, die eine vom Nationalsozialismus geprägte Jugend erlebte und sehr stark politisiert war, folgte die 45er Generation, die eine von Krieg geprägte Jugend erlebte und der Politik skeptisch gegenüberstand. Diese Teilnahmslosigkeit und der fehlende Zorn der 45er forderte die 68er Generation heraus. Sie brach mit der Tradition des kommunikativen Beschweigens und mit ihr begann eine bis heute anhaltende Phase der Forschung und Aufklärung über die nationalsozialistischen Verbrechen, so Assmann. Vgl. Aleida Assmann, Geschichte im Gedächtnis. Von der individuellen Erfahrung zur öffentlichen Inszenierung, München 2007, S. 43-45. Vgl. Norbert Frei, 1945 und wir, S. 92f.

1 Zeichen der Erinnerung

Mehrheit des deutschen Volkes manifestiert, sekundiert Peter Reichel.79 »In diesem Kontext«, konstatiert Frei, »wurde Anfang der 50er Jahre eine beispiellose Strategie der Verharmlosung, Leugnung und Irreführung aufgeboten, die am Ende selbst ruchlosesten NS-Verbrechern zur Freiheit verhalf […]«80 Ein wichtiger Faktor sei die Ablehnung einer nie wirklich aufgestellten Kollektivschuldthese gewesen, in deren Abwehr sich die Deutschen hatten solidarisieren können. Als die Alliierten Mitte der 1950er Jahre dem vielfach artikulierten Wunsch nach der Begnadigung und Entlassung verurteilter Kriegsverbrecher nachgaben, habe man das NS-Regime und seine Verbrechen aus dem »kollektiven Bewusstsein« ausblenden können, so Frei. Dies habe die Legende von der sauberen Wehrmacht gefördert und verhindert, dass die von ehemaligen NS-Funktionären geprägte Justiz weiter gegen ehemalige Kameraden ermittelte.81 Dieser kritischen Sicht Freis steht die positivere Beurteilung Königs gegenüber. In den 1950er Jahren, so erklärt König, vollbrachte die junge Demokratie das »Kunststück«, gleichzeitig ehemalige Nazis zu integrieren und den offiziellen Bruch mit dem Herrschaftssystem des Nationalsozialismus nie in Frage zu stellen. Die »politische und ökonomische Verfassung« der BRD sei zur »Negation des Nationalsozialismus« erklärt worden.82 König bezeichnet die 1950er Jahre im Gegensatz zu Frei auch nicht als Phase des Beschweigens und Verleugnens der Vergangenheit, sondern als eine Zeit mit einer weitgehenden Abwesenheit der Gefühle von Schuld, Scham und schlechtem Gewissen. Allerdings habe zwischen der öffentlichen Kommunikation und dem privaten, individuellen Bewusstsein eine große Divergenz bestanden.83 Die in diesen Jahren errichteten Denkmäler, so Jochen Spielmann, zeichneten sich nicht durch eine intensive Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus aus. Der konservativ-militärische Widerstand sei denkmalfähig geworden, die Motive wären entweder christlich gewesen und förderten eine religiöse Interpretation des Nationalsozialismus oder wären von antiken Formen beeinflusst gewesen, die eine konkrete Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus ebenfalls verhindert hätten.84 Abweichend von den Einschätzungen Spielmanns, Freis und Königs endet für Stankowski die zweite Phase bundesdeutscher Erinnerungskultur nicht 1959, sondern erst 1967 und umfasst die Kanzlerschaften Adenauers und Erhardts. Gekennzeichnet war sie, so Stankowski analog zu Frei, von einem Klima politischer Stille,

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Vgl. Peter Reichel, Politik mit der Erinnerung, S. 17. Norbert Frei, Deutsche Lernprozesse, S. 94. Vgl. ebd., S. 94f. Vgl. Helmut König, Die Zukunft der Vergangenheit, S. 24f. Vgl. ebd., S. 26f. Vgl. Jochen Spielmann, Steine des Anstoßes – Denkmale zur Erinnerung an den Nationalsozialismus in der Bundesrepublik Deutschland, in: Kritische Berichte 3/88, S. 9ff.

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des »kommunikativen Beschweigens«, wie es Heinrich Lübbe bezeichnete.85 Im Gegensatz dazu sehen Spielmann, Frei und König schon 1959 eine Zäsur. Spielmann beschreibt die folgende Phase als Zeit eines »hilflosen Antifaschismus«. Es habe, argumentiert er, eine intensive gesellschaftliche Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus, aber keine Denkmalsetzungen mehr gegeben. Die Gestaltung der Erinnerungszeichen habe sich von traditionellen Formen entfernt und architektonischen Vorstellungen zugewandt. Die Zeit von 1968 bis 1979 ist für Spielmann ebenfalls ein eigener Zeitabschnitt, der geprägt gewesen sei von einer intensiven Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus, die sich ebenfalls nicht in Denkmälern niedergeschlagen habe, da diese von der 1968er-Bewegung als Medium eines herrschaftsfreien Diskurses abgelehnt worden seien. Auffällig sei, dass die Denkmäler künstlerisch aufgewertet worden seien und an aktuelle Formensprache anknüpften.86 Während Spielmann aufgrund der 1968er-Generation und ihres Geschichtsbewusstseins im Jahr 1968 eine weitere Zäsur setzt, ist für Frei der Zeitraum von 1959 bis 1979 eine Zeiteinheit, für König kommt sogar erst das Wendejahr 1989 als Zäsur in Frage. Für Frei trat die bundesrepublikanische Öffentlichkeit durch den Auschwitz-Prozess 1963 in die Phase der »Vergangenheitsbewältigung« ein. Von nun an habe sich ein kleines Netzwerk von Juristen, Politikern, Künstlern und Intellektuellen dem Schlussstrich-Verlangen widersetzt. Doch erst mit der amerikanischen TV-Serie »Holocaust«, die 1979 in Deutschland ausgestrahlt wurde, sei das »Zentralverbrechen« des NS-Regimes in den Fokus der breiten Öffentlichkeit gekommen. Es habe eine neue Konjunktur in der NS-Forschung begonnen und der Begriff Holocaust habe im Sprachgebrauch die Metapher Auschwitz abgelöst.87 Die Erinnerungskultur sei dann in ihre letzte Phase eingetreten, nach Frei die »Vergangenheitsbewahrung«88 , die bis heute andauere und geprägt sei von der Erinnerung an die Verbrechen der Nationalsozialisten.89 Speziell der Zeitraum zwischen 1983 und 1995, so stellte Frei 2005 fest, sei »ein beispielloser Zyklus öffentlicher Gedenkveranstaltungen und Diskussionen [gewesen,] in dem das ›Dritte Reich‹ zwölf Jahre lang gleichsam kommemorierend nacherlebt wurde.« Seitdem werde auch die Forschung durch »runde« Erinnerungsdaten geprägt.90 Das Jahrzehnt der 1980er Jahre ist auch für Spielmann die letzte Phase seiner Einteilung. Für ihn ist sie geprägt von fünf Tendenzen: einer größeren Rolle des 85 86 87 88 89 90

Vgl. Martin Stankowski, Grenzen der Erinnerung, S. 44f. Vgl. Jochen Spielmann, Steine des Anstoßes – Denkmale zur Erinnerung an den Nationalsozialismus in der Bundesrepublik Deutschland, S. 9ff. Vgl. Norbert Frei, Deutsche Lernprozesse, S. 97f. Der Begriff stammt von Aleida Assmann. Vgl. Norbert Frei, Deutsche Lernprozesse, S. 98f. Vgl. Norbert Frei, 1945 und wir. Das Dritte Reich im Bewußtsein der Deutschen, München 2005, S. 49.

1 Zeichen der Erinnerung

Denkmals im politischen Diskurs, einem größeren Spektrum der Denkmalssetzer, der Wiederentdeckung des historischen Ortes, der Begleitung mit pädagogischen Maßnahmen und neuen Formen des Gedenkens.91 Betrachtet man diese Darstellung Spielmanns, so stellt sich die Frage, ob die intensiven Auseinandersetzungen mit dem Nationalsozialismus in den 1960er und 1970er Jahren ein breites Publikum erreicht haben oder nur einen Teil der Gesellschaft, wie von Frei betont. Auffällig ist, dass nach Spielmanns Beobachtung bis etwa 1960 Denkmäler akzeptierte Formen des Gedenkens waren und sie dies erst um 1980 wieder wurden. Die Gründe für die Ablehnung und anschließende Renaissance der Erinnerungszeichen werden in Kapitel 3 und 4 dieser Untersuchung diskutiert. Wiederum als einziger setzt Stankowski eine Zäsur Mitte der 1980er Jahre. Die Phase von 1967 bis dahin ist für ihn gekennzeichnet von der Diskussion um Vergangenheitsbewältigung und der »differenzierten Analyse gesellschaftlicher Gruppen und ihres Verhaltens im Dritten Reich, wie Militär, Unternehmer, Justiz usw., aber auch [durch] das Interesse am Widerstand.« Hintergründe hierfür seien die 1968er-Bewegung und der damit ausgelöste politische Aufbruch gewesen. Ab Mitte der 1980er Jahre sei eine Phase lokaler Auseinandersetzung gefolgt, gefördert durch eine bundesweite »Neue Geschichtsbewegung«, durch die unter anderem vergessene Gruppen in den Blick kamen, wie Homosexuelle, Zwangsarbeiter, Sinti und Roma.92 Helmut König beurteilt im Unterschied zu Frei, Spielmann und Stankowski die 1960er, 1970er und 1980er Jahre als eine einzige Phase der »langen Welle«, in der der negative Bezug zur NS-Vergangenheit »zum zentralen Deutungsmuster der politischen Kultur« in Westdeutschland geworden sei. Ausgelöst durch die antisemitischen Schmierereien an der neuen Kölner Synagoge am Heiligabend 1959 habe die Kontinuität politischen, administrativen und wissenschaftlichen Personals in der Kritik gestanden und in deutscher Verantwortung liegende Prozesse gegen die Täter seien geführt worden.93 Mit der 1968er-Bewegung seien weitere Entscheidungen und Werte der 1950er Jahre hinterfragt worden, wie der Kapitalismus oder die Kleinfamilie, die beide als Wegbereiter des Faschismus angesehen worden seien. König bezeichnet dies als angestrengt nachgeholten Widerstand gegen Hitler und den Versuch, der eigenen Abstammung zu entkommen.94 Diese Versuche der Kindergeneration, die Bundesrepublik zur Auseinandersetzung mit ihrer Herkunft aus dem Nationalsozialismus zu zwingen, hätten in den 1980er Jahren zum Ende der »langen Welle« und zu einer Präsenz des Bewusstseins der »kriminellen

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Vgl. Jochen Spielmann, Steine des Anstoßes – Denkmale zur Erinnerung an den Nationalsozialismus in der Bundesrepublik Deutschland, S. 9ff. Vgl. Martin Stankowski, Grenzen der Erinnerung, S. 44f. Vgl. Helmut König, Die Zukunft der Vergangenheit, S. 30-32. Vgl. ebd., S. 34f.

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Mahnmale als Zeitzeichen

Vergangenheit der eigenen Gesellschaft« geführt wie nie zuvor.95 Die letzte Phase bildet dann nach König die neue Bundesrepublik nach der Wende 1989, in der die DDR-Vergangenheit ins Zentrum politischer Entscheidungen gerückt sei, das psychoanalytische Verdrängungsmotiv durch die kulturwissenschaftliche Diskussion der Halbwachs’schen Gedächtnistheorie abgelöst worden sei und der Bezug zur NS-Vergangenheit seine politische Orientierungskraft verloren habe.96 Die Gliederung dieser Studie folgt einer eigenen Periodisierung, die den Erkenntnissen der zugrundeliegenden Forschung folgt. Dabei sei an dieser Stelle betont, dass die Stiftungen von Erinnerungszeichen nicht nur mit dem Datum der Errichtung zu greifen sind, sondern bis zu diesem Zeitpunkt komplexe erinnerungskulturelle, verwaltungstechnische und künstlerische Prozesse absolviert wurden, die in den untersuchten Städten in unterschiedlichen Geschwindigkeiten abgelaufen sind. Dies belegen die folgenden Fallbeispiele. Dennoch lassen sich Trends erkennen. Betrachtet man die Planung und Errichtung von Erinnerungszeichen im Rahmen des hier gesetzten Beobachtungszeitraumes von 1945 bis 1989, gab es zwei Boomphasen: in den 1950er Jahren (Kapitel 2) und in den 1980er Jahren (Kapitel 4). Dazwischen lag eine Phase der Vergangenheits- und Denkmalsmüdigkeit, die um 1970 ihren Höhepunkt erreichte (Kapitel 3). Das Jahr 1989 wurde im Hinblick auf die Schutzfristen der Archive und das Ende der Bonner Republik als Ende des Betrachtungszeitraumes gewählt. Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede die Boomphasen eint und trennt und welche Gründe für die Depression verantwortlich zeigten, soll in den folgenden Kapiteln untersucht werden. Dabei stellt sich zunächst die Frage, welche Einflüsse historische Traditionen auf die Errichtung von Erinnerungszeichen ausübten, welche Brüche und Kontinuitäten sichtbar wurden und warum das Jahr 1949 im Fall der Erinnerungszeichen keine Zäsur darstellt.

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Vgl. ebd., S. 36f. Vgl. ebd., S. 37.

2 Zwischen Aufbruch und Erinnerung: Die erste Konjunktur der Erinnerungszeichen (1945-ca. 1965)

2.1

Eine widersprüchliche Erinnerungskultur: Brüche und Kontinuitäten nach 1945 »Vom Siegesdenkmal des vorigen Jahrhunderts wurden wir über das Ehrenmal von 1914-18 nun zum Mahnmal geführt.«1 Werner Lindner, Vorsitzender der AG »Friedhof und Denkmal«

Als am 8. Mai 1945 in Europa der Zweite Weltkrieg zu Ende ging, stellte sich für die Überlebenden der Konzentrationslager und Gefängnisse, Ruinenstädte und Schlachtfelder die Frage, wie mit Genozid und Verfolgung durch den Nationalsozialismus, aber auch Tod und Leid in Folge des Weltkrieges umgegangen werden sollte. Zunächst ging mit dem Kriegsende der Überlebenskampf der Menschen weiter. Der »totale Krieg« hatte in Deutschland und anderswo in Europa den totalen Zusammenbruch mit sich gebracht. Die Städte waren stark zerstört, Wohnraum knapp, die Infrastruktur kaum funktionsfähig, viele Menschen vertrieben und auf der Flucht irgendwo gestrandet. Soldaten waren in Kriegsgefangenschaft, die Überlebenden der Konzentrationslager kämpften weiter um ihre Leben und mussten von den Alliierten medizinisch versorgt werden. Der Schwarzmarkt blühte, die Währung war entwertet und die Wirtschaft produzierte kaum. Die Lösung dieser Probleme stand im Fokus des Handelns. Unmittelbar nach den Befreiungen der Überlebenden der Konzentrationslager und an anderen Orten der Verfolgung mussten sich die Alliierten zudem um die sterblichen Überreste derjenigen kümmern, die das Kriegsende nicht überlebt 1

Vgl. Werner Lindner, Mahnmale. Voraussetzungen – Ratschläge – Lösungen, Kassel 1956, S. 21. Zur Person Lindner siehe Fußnote 45 dieses Kapitels.

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hatten. Zu diesem Zweck legten die Besatzungsmächte vor allem Ehrenfriedhöfe an. Die Friedhöfe wurden nach den Prinzipien der Soldatenfriedhöfe gestaltet und waren von militärischem Charakter geprägt,2 was dem gewohnten Umgang der Alliierten mit Kriegstoten entsprach. Dauerhafte Erinnerungszeichen oder Gedenktafeln, zum Beispiel an den Stätten der Konzentrations- und Vernichtungslager, errichteten sie selten. Die Besatzungsmächte übergaben diese Verwaltungsaufgaben bald wieder den deutschen Behörden und kümmerten sich – verständlicherweise – um ihre eigenen Toten. Erinnerungszeichen wurden daher bis zur Gründung der beiden deutschen Staaten überwiegend nur von den Überlebenden der Verfolgung errichtet.3 Nichtsdestotrotz entstanden in dieser Zeit in den Kommunen die ersten Ideen für Erinnerungszeichen. In den folgenden sieben Unterkapiteln werden Erinnerungszeichen vorgestellt, die für verschiedene Formen des Erinnerns an Krieg und Diktatur auf dem Gebiet Nordrhein-Westfalens stehen. Die Analyse wird zeigen, dass es keine Zäsur im Jahr 1949, dem Gründungsjahr der beiden deutschen Nachkriegsstaaten, gegeben hat. Vielmehr etablierten sich in den Jahren zwischen 1945 und 1965 Prozesse, in dessen Verlauf die Akteure in den Kommunen Projekte, Ideen und Vorstellungen entwickelten und anschließend Erinnerungszeichen realisierten. Gerade Denkmäler größerer Dimensionen haben ihren Ursprung bereits in der unmittelbaren Nachkriegszeit. In Dortmund wurde im April 1946 der Grundstein für ein erstes Denkmal gesetzt, aus dem sich das 1960 eingeweihte Bittermark-Denkmal entwickelte. Im Juli 1946 wurde in Düsseldorf der Anstoß für die 1958 eingeweihten Drei Nornen gegeben. In Wuppertal beantragte die KPD im Januar 1949 eine Ehrengrabstätte für ermordete Antifaschisten, aus der bis 1958 ein Erinnerungszeichen entstand, und in Meschede wurde 1947 das Sühnekreuz errichtet, aber auch im selben Jahr entfernt. Nachdem die US-Amerikaner schon vor der Gründung der BRD die Erinnerungspolitik den Deutschen überlassen hatten, verloren sie nach dem Abschluss der juristischen Aufarbeitung im Laufe der 1950er Jahre das Interesse an der Beschäftigung mit den deutschen Verbrechen. Die amerikanische Historikerin Sybil Milton meint, dass die Shoa in den USA als unangenehmes Ereignis betrachtet worden sei, das man lieber nicht thematisierte, während die Überlebenden damit beschäftigt gewesen seien, in den USA eine neue Existenz aufzubauen.4 Holger Thünemann glaubt, dass die »ideologischen und machtstrategischen Fronten« nach 1945 entscheidend dazu beitrugen, dass bei den Alliierten das Interesse an

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Vgl. Peter Fibich, Gedenkstätten, Mahnmale und Ehrenfriedhöfe für die Verfolgten des Nationalsozialismus, S. 107. Vgl. ebd., S. 33f. Vgl. Sybil Milton, Holocaust-Memorials: ein amerikanisch-europäischer Vergleich, in: Rolf Steininger (Hg.), Der Umgang mit dem Holocaust. Europa – USA – Israel, Wien 1994, S. 436f.

2 Zwischen Aufbruch und Erinnerung

einer »strikten Vergangenheitspolitik« deutlich abgesunken sei.5 Die Verwendung des Geländes des Konzentrationslagers Dachau, anhand dessen James E. Young den amerikanischen Umgang mit der jüngsten Vergangenheit in den 1950er Jahren illustriert, zeigt ebenfalls den nachlassenden Impetus von Aufarbeitung und Reeducation. Nachdem der letzte SS-Mann im Rahmen der Dachauer Prozesse verurteilt worden war, wandelte sich das ehemalige Konzentrationslager zum Flüchtlingslager für Vertriebene aus dem Sudetenland und wurde gleichzeitig von den US-Streitkräften als Zentrum zur Verteilung von Lebensmitteln für Deutschland und Österreich genutzt. Eine grafische Ausstellung der Amerikaner über die Geschichte des Lagers, über die sich führende Personen der lokalen Zivilgesellschaft wegen der »geschmacklosen« Darstellung und des Schadens für die internationalen Beziehungen beschwerten, wurde Anfang 1955 geschlossen. Die Eindrücke des geschlossenen Museums, der großen LKWs der US-Streitkräfte auf dem Gelände und der Nutzung der Baracken für Vertriebene führten schließlich zur Neugründung des Internationalen Dachau Komitees. Es kämpfte anschließend für die 1965 eingeweihte Gedenkstätte und das dortige Erinnerungszeichen.6 Vorbilder? Die Erinnerungszeichen des Kaiserreichs, der Republik und der Diktatur Überall da, wo schon bald nach 1945 Pläne für Erinnerungszeichen entstanden, machten sich die Initiatoren nicht in einem vorstellungsfreien Raum auf, Denkund Mahnmäler zu errichten. Sie waren beeinflusst von den Ideen ihrer Väter und Vorväter, an denen sie sich anlehnen oder von denen sie sich distanzieren konnten. Die überlieferten Erinnerungszeichen der Monarchie, der Republik und der Diktatur dienten als Positiv oder Negativ. Um zu verstehen, woran sich die Initiatoren orientierten, ist ein Blick auf die Geschichte des deutschen Denkmals hilfreich, die daher nun kurz skizziert wird. Als im 19. Jahrhundert in den deutschen Städten öffentliche Grünanlagen entstanden, wurden diese zu öffentlichen Standorten von Denkmälern. Ihre Aufgabe war neben gesundheitlichen Aspekten, städtebaulicher Auflockerung und städtischer Repräsentation die moralische, politische und sittliche Erziehung des Publikums.7 Außerhalb der Städte wiederum führten die Wanderbegeisterung und die steigende Bedeutung des Tourismus zur Errichtung von Denkmälern und Aussichtstürmen in der Landschaft.8 Die Tradition, in Gärten Erinnerungszeichen zu errichten, stammte aus England und war in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in die Parkanlagen deutscher Fürsten gekommen, von wo sie alsbald in die

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Vgl. Holger Thünemann, Holocaust-Rezeption und Geschichtskultur, S. 51. Vgl. James E. Young, The texture of memory, S. 61-63. Vgl. Peter Fibich, Gedenkstätten, Mahnmale und Ehrenfriedhöfe für die Verfolgten des Nationalsozialismus, S. 27. Vgl. ebd., S. 28.

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Städte weiterzog. Die Fürsten ließen vor allem Gedenksteine großer Deutscher,9 oder traditionelle Fürstenbelobigungen, deren Darstellungen Familienangehörigen, Künstlern, philosophischen Weltbildern oder Reiseeindrücken gewidmet waren, aufstellen.10 Durch die Aufklärung und zunehmende Pressefreiheit sah sich das an öffentlich zugänglichen Orten aufgestellte Denkmal erstmals einer öffentlichen Meinung ausgesetzt. Eine Konsequenz dieser neuen Öffentlichkeit war, dass Meriten anstelle des Geburtsstandes zum neuen Leitbild wurden und dem aufstrebenden Bürgertum mit zahlreichen individuellen Verdienstdenkmälern gesellschaftliche Anerkennung attestiert wurde.11 Nachdem in der Gründerzeit das Denkmal der Arbeit als neuer Denkmalstypus entstanden war,12 fanden sich in Deutschland im späten 19. Jahrhundert viele verschiedene Arten und Stile von Erinnerungszeichen, darunter »absolutistische« Denkmalstypen, allegorische und mythische Herrschergestalten sowie Standbilder und Büsten bekannter und verehrter Geistesgrößen, die die Leistungen und geistige Einheit der Nation belegen sollten.13 Ende des 19. Jahrhunderts setzte eine ausführliche Denkmalkritik ein. Karl Scheffler kritisierte beispielsweise in seinem 1907 veröffentlichten Werk über »Moderne Baukunst« die »Denkmalmanie«, die keine Kunst mehr sei, sondern nur noch dem Erziehungszweck diene. Denkmäler seien profan geworden wie Werbetafeln. Zudem würden die Bildhauer nur die Vergangenheit kompilieren, sodass eine stilistische Hilflosigkeit entstanden sei.14 Cornelius Gurlitt beklagte 1899 in »Die deutsche Kunst des Neunzehnten Jahrhunderts«, dass Deutschland mit Statuen übersät sei, um die sich ab dem Zeitpunkt der Aufstellung keiner mehr kümmere. Durch die Menge an Denkmälern hätten die einzelnen Werke ihren Wert verloren. Er kritisierte auch ihre Aufstellung an öffentlichen Plätzen: Sie führe zu Monumentalität und »idealer Langweiligkeit«. Gerade Dichter und Denker gehörten nicht auf einen Sockel, da fühlten sie sich unwohl. »Wenn auf einem Gebiete die deutsche Kunst ein wahrer Stumpfsinn packte, so in der Denkmalbildnerei«, urteilte Gurlitt.15 In Wien schimpfte der Publizist und Schriftsteller Ferdinand Kürnberger Ende des 19. Jahrhunderts über die »Denkmalpest« und die »Selbstbemalungsarroganz« der

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Vgl. Reinhard Alings, Monument und Nation: das Bild vom Nationalstaat im Medium Denkmal, S. 20ff. Vgl. Peter Fibich, Gedenkstätten, Mahnmale und Ehrenfriedhöfe für die Verfolgten des Nationalsozialismus, S. 26. Vgl. P. Springer, Denkmalsrhetorik, S. 533. Vgl. ebd., S. 213 und 218. Vgl. Helmut Scharf, Kleine Kunstgeschichte des deutschen Denkmals, S. 182 und 186. Vgl. Karl Scheffler, Moderne Baukunst, Berlin 1907, S. 128. Vgl. Cornelius Gurlitt, Die deutsche Kunst des Neunzehnten Jahrhunderts, Berlin 1899, S. 407, 412-414.

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Stifter16 und Max Schasler veröffentlichte bereits 1878 eine Streitschrift gegen »moderne Denkmalswuth«.17 Victor Laverrenz wusste in seiner um die Jahrhundertwende in mehreren Auflagen erschienenen Betrachtung »Die Denkmäler Berlins und der Volkswitz« zu berichten, dass Kaiser Wilhelm II. bei der Enthüllung des Begas-Brunnens (1891) in seiner Dankrede erklärt hatte: »Und damit das Kind auch einen Namen habe [sic!], so denke ich, nennen wir den neuen Brunnen einfach Schloßbrunnen, denn meine lieben Berliner sind etwas boshaft und machen gerne Witze.«18 Der Kaiser habe sich damit einem bereits in Berlin kursierenden Bonmot, welches Laverrenz nicht wiedergibt, geschlagen gegeben und auf eine bedeutungsvolle Benennung verzichtet. Das kleine Büchlein von Laverrenz ist eine amüsante Lektüre, die nachdrücklich aufzeigt, dass die hochfliegenden Erwartungen der Stifter von Erinnerungszeichen oft enttäuscht werden. So führt Laverrenz für die Siegessäule die Spottnamen »Siegesschornstein, Siegesspargel, Zigarrenständer« auf, und gibt für die krönende Viktoria die Beinamen »Siegestante« oder »Nährmutter des deutschen Heeres« wieder.19 Der Berliner sei halt Demokrat, erklärte Laverrenz: Er glaube, wenn etwas mit seinen Steuergeldern errichtet werde, damit »das Recht zu erwerben, als oberste Instanz über Kunstwerk und Künstler zu Gericht sitzen zu dürfen.«20 Der pädagogische und schmückende Charakter der Erinnerungszeichen änderte sich, als nach dem Ersten Weltkrieg europaweit (mit Ausnahme Russlands) Kriegerdenkmäler gesetzt wurden. Sie thematisierten in unterschiedlichen Formen und Aussagen den großen Krieg und die aktuelle politische Gegenwart. Die Mehrzahl der deutschen Kriegerdenkmale, so urteilen Michael Jeismann und Rolf Westerheide (allerdings ohne dies im Einzelnen zu belegen), seien von einem oft christlich verbrämten »dumpfen Heroismus« geprägt gewesen. Die Niederlage habe dieser ausgespart. Trauermotive habe man selten, Revanchismus-Motive hingegen zahlreich benutzt. Politische Bekenntnisse für ein demokratisch verfasstes Deutschland seien nicht denkmalfähig gewesen.21 Während in Frankreich der Soldat als Zivilist, auch mit Frau und Kindern, dargestellt worden sei, habe in Deutschland der männlich-soldatische Kriegseinsatz als Thema des Denkmals dominiert.22 Fraglich bleibt, ob dieses pauschale Urteil den Kriegerdenkmälern der 16

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Vgl. Gerhardt Kapner, Skulpturen des 19. Jahrhunderts als Dokumente der Gesellschaftsgeschichte – eine kultursoziologische Studie am Beispiel einiger Ringstraßendenkmäler in Wien, in: Hans-Ernst Mittig und Volker Plagemann (Hg.), Denkmäler im 19. Jahrhundert. Deutung und Kritik, München 1972, S. 9. Vgl. Max Schasler, Über moderne Denkmalswuth, in: Deutsche Zeit- und Streitfragen, Jg. 7, Heft 103 (1878). Vgl. Victor Laverrenz, Die Denkmäler Berlins und der Volkswitz, Berlin o.J., 4. Auflage, S. 9f. Vgl. ebd., S. 115f. Vgl. ebd., S. 9. Vgl. Michael Jeismann und Rolf Westheider, Wofür stirbt der Bürger?, S. 29. Vgl. ebd., S. 29f. u. 36f.

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Weimarer Republik mit seinen verschiedenen Landesteilen und den Unterschieden zwischen Stadt und Land sowie den heterogenen Akteuren von Schulen, über Sportvereine, Stadtverwaltungen, Firmen bis hin zu den Kirchen gerecht wird. In Bezug auf die Gestaltung der Kriegerdenkmäler beobachtet Helmut Scharf, dass in der Zwischenkriegszeit zum ersten Mal expressionistische Gestaltungsformen zur Ausführung gekommen seien.23 Jeismann und Westerheide erklären dem widersprechend, dass moderne Formensprachen wie die des Expressionismus nach dem Ersten Weltkrieg nicht konsensfähig gewesen seien.24 In den 1930er Jahren sei das Totengedenken als Aspekt des Kriegerdenkmals in den Hintergrund getreten und das Denkmal zum Ort politisch-programmatischer Kundgebungen geworden, so die beiden Historiker.25 Nach dem Ende der Weimarer Republik folgte mit dem Nationalsozialismus die Phase des Neoklassizismus. Dieser eignete sich »hervorragend« dazu, so der Münsteraner Historiker Hans-Ulrich Thamer, den Machtanspruch von Diktaturen darzustellen, indem die Aura des Heldenhaften durch Attribute wie Säulen, Obelisken und die Monumental- und Repräsentationsarchitektur verstärkt wurde.26 Ziel der nationalsozialistischen Denkmalspolitik sei die Beschwörung von Tradition, Heroismus, Monumentalität und Härte gewesen.27 Man habe sich an den Denkmälern der nationalen Sammlung und der nationalen Konzentration orientiert, wie sie Thomas Nipperdey definiert hat,28 und deren bekanntester Vertreter das Völkerschlachtdenkmal in Leipzig ist. Die Eigenschaften Monumentalität, mythischkultischer Charakter und die vermeintlich ewigen Werte des Kampfes, der heroischen Schönheit und der monumentalen Einfachheit hätten zu den nationalsozialistischen Übernahmen der Denkmalskonzepte der Zwischenkriegszeit gehört. Schmuckelemente habe der Nationalsozialismus hingegen abgelehnt, so Thamer. Im 1934 veröffentlichten Werk »Das deutsche Nationaldenkmal« des Heidelberger Kunsthistorikers Hubert Schrade,29 auf das sich Thamer für seine Analyse

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Vgl. Helmut Scharf, Kleine Kunstgeschichte des deutschen Denkmals, S. 269f. Vgl. Michael Jeismann und Rolf Westheider, Wofür stirbt der Bürger?, S. 36. Vgl. ebd., S. 44. Vgl. Hans-Ulrich Thamer, Nationalsozialismus und Denkmalskult, in: Historische Denkmäler. Vergangenheit im Dienste der Gegenwart?, Bensberger Protokolle 81 (1994), S. 29. Vgl. Hans-Ulrich Thamer, Nationalsozialismus und Denkmalskult, S. 11. Vgl. Thomas Nipperdey, Nationalidee und Nationaldenkmal in Deutschland im 19. Jahrhundert, S. 573. Hubert Schrade, geboren 1900 in Allenstein, wurde 1922 in Heidelberg als Germanist promoviert und wandte sich anschließend der Kunstgeschichte zu. In Heidelberg war er Dozent und nutzte die nationalsozialistische Machtübernahme 1933 für seine wissenschaftliche Karriere. 1937 wurde er »ehrenvoll« in die Heidelberger NSDAP aufgenommen. Während des Zweiten Weltkrieges lehrte er in Straßburg, von 1954 bis 1965 in Tübingen. Eine ausführliche Biografie unter der Überschrift »Hubert Schrade – oder: der stramme Nazist« findet sich in: Dietrich Schubert, Heidelberger Kunstgeschichte unterm Hakenkreuz: Profes-

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unter anderem bezieht, wird die Denkweise dahinter deutlich. Angeprangert wurde von Schrade der Individualismus des 19. Jahrhunderts, der in den Denkmälern aus dieser Zeit zum Ausdruck komme. Das nationalsozialistische Denkmal sollte sich abheben vom »Statuendenkmal italienisch-antiker Form«,30 dem die Künstler und Stifter des 19. Jahrhunderts blind gefolgt seien, obwohl diese Kunstform in Deutschland unüberwindbar fremd sei. In der Folge habe »der Deutsche dann mit der Überzahl seiner Denkmäler durch die Fremdheit ihrer Form sich beinahe systematisch zu einer falschen und zutiefst unechten Pathetisierung seiner Verehrung für die Person und ihre geistige Leistung erziehen lassen.«31 Die Fremdheit äußerte sich laut Schrade in protzigem Reichtum und sinnloser Überladenheit der Kunst. Der wahre Schmuck eines Denkmals bestehe in Einfachheit und dem Verzicht auf »alles Figürliche«.32 Die Verkörperung des Individuums, wie es das Denkmal des 19. Jahrhunderts vorsah, hatte unter den Nationalsozialisten keine Zukunft. Es kam, so stellt Thamer fest, auch in den zwölf Jahren des Dritten Reiches nicht zu einer Denkmalsetzung für den Führer oder andere Größen der NSDAP,33 überhaupt beschränkte sich die Denkmalproduktion in dieser Zeit auf ein geringes Maß, wie Peter Fibich beobachtet.34 Das nationalsozialistische Gegenmodell zum Denkmal des 19. Jahrhunderts bestand in symbolbesetzten, architektonischen Formen. »Für die schöpferische Gegenwart der mythischen, das Geheimnis des Lebens unmittelbar umkreisenden, geheimnisvoll von ihm zeugenden Kräfte gibt es kein echteres Zeichen als das Erscheinen von Symbolen«, stellte Schrade dazu schwülstig fest.35 Als Vorbilder für Denkmäler in diesem nationalsozialistischen Sinne nannte er einige Erinnerungszeichen, die schon in der Zeit der Weimarer Republik entstanden: das Marine-Ehrenmal in Laboe, das Tannenberg-Denkmal in Ostpreußen, das SchlageterDenkmal (siehe Abb. 22) in Düsseldorf und das Münchner Gefallenen-Denkmal von Karl Knappe und Franz Bleker. Das Marine-Ehrenmal, dessen erste Baustufe 1929 vollendet wurde, verglich er mit dem Bismarck-Denkmälern des 19. Jahrhunderts.

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soren im Übergang zur NS-Diktatur und nach 1933, in: Ruth Heftrig, Olaf Peters (u.a.) (Hg.), Kunstgeschichte im »Dritten Reich«: Theorien, Methoden, Praktiken. Berlin 2008, S. 71-83. (URN: urn:nbn:de:bsz:16-artdok-31049) Vgl. Hubert Schrade, Das deutsche Nationaldenkmal. Idee/Geschichte/Aufgabe, München 1934, S. 36. Vgl. ebd., S. 39. Vgl. ebd., S. 8. Vgl. Hans-Ulrich Thamer, Nationalsozialismus und Denkmalskult, S. 12ff. Vgl. Peter Fibich, Gedenkstätten, Mahnmale und Ehrenfriedhöfe für die Verfolgten des Nationalsozialismus, S. 32. Für die Stadt Wuppertal lässt sich diese Aussage statistisch belegen. Vgl. Jan Niko Kirschbaum, Webseite Denkmal-Wuppertal.de, Liste der Denkmäler, https:// www.denkmal-wuppertal.de/denkmaler-liste, abgerufen am 6. Juni 2016. Vgl. Hubert Schrade, Das deutsche Nationaldenkmal, S. 104.

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»Hoch aufragend und Land und See weithin beherrschend ist das Denkmal nichts als Zeichen.« Das figurlose Denkmal sei Symbol der mythischen Gefallenen und Zeichen des Lebens und des Stolzes.36 Am Kriegerdenkmal vor dem damaligen Armeemuseum in München (geschaffen 1924) lobte Schrade ebenfalls die geometrische Schlichtheit, gar Leere der Gestaltung, die etwas Geheimnisvolles ausstrahle. Altar und Sarkophag seien gewohnte Emblematik. Die Figur des gefallenen Soldaten kritisierte er nicht, sondern lobte die ruhige Darstellung des Soldaten, die nirgendwo die Schrecken des Krieges erkennen lasse, als hätten diese dem Gefallenen nichts anhaben können. Wie in Laboe sah Schrade in dem Denkmal ein Zeichen des Lebens, hier noch verdeutlicht durch die Inschrift: »Sie werden auferstehen«.37 In Bezug auf Tannenberg bemerkte Schrade, dass dort dem deutschen Volk das deutsche Schicksal gegenwärtig werde, »wenn wir mit tausenden Deutschen von den Mauern des Tannenbergdenkmals umfangen werden«.38 Tannenberg- und Schlageter-Denkmal seien nicht für den einzelnen Betrachter geschaffen. Der Einzelne verliere sich »ortlos« darin, die Architektur bedürfe einer Menschenmenge – »so viele als nötig sind«. »Dann erst erfüllt auch die Architektur ihren Sinn, dann erst vollendet sie sich auch.« Denn das Denkmal ermögliche, so Schrade, den »Übergang des Einzelnen aus der individuellen Isolierung in die Anderheit gemeinschaftlichen Daseins.«39 Das typische nationalsozialistische Denkmal blieb also zwischen den Nutzungszeiten als Aufmarschfläche ein unvollendetes Zeichen. Als weiteren Vorteil dieser Form des Denkmals beurteilte Schrade, dass man ihm ansehe, wenn keiner mehr an den »Geist, aus dem heraus es geschaffen wurde« glaube. Dann sei es nichts als eine von Mauern und Türmen umstellte große Leere.40 Die Beispiele Tannenberg- und Schlageter-Denkmal verdeutlichen nicht nur, welche Übernahmen es nach 1933 gab, sondern auch, mit welchen Ideen der Zwischenkriegszeit die Nationalsozialisten nicht einverstanden waren. Das Düsseldorfer Schlageter-Denkmal, das paradoxerweise als das erste nationalsozialistische Großdenkmal gilt, aber bereits im Jahr 1931 errichtet41 wurde, entsprach in einigen Elementen der Gestaltung überhaupt nicht der nationalsozialistischen Vorstellung von Erinnerungszeichen. Die polygonalen Sandsteinplatten, mit denen der Boden des Schlageter-Denkmals belegt war, eigneten sich beispielsweise nicht als Orientierungshilfen für die militärisch-korrekte Aufstellung großer Menschenmengen, denn sie gaben keine Ordnung vor. Der verwendete Klinker wurde als Kunst- und Industriestein abgelehnt, ebenso, dass nur Ruhrsandstein verwendet 36 37 38 39 40 41

Vgl. ebd., S. 105f. Vgl. ebd., S. 108f. Vgl. ebd., S. 106. Vgl. ebd., S. 9f. Vgl. ebd., S. 106. Auf das Schlageter-Denkmal, dass 1947 entfernt wurde und an dessen Standort nun das Düsseldorfer Mahnmal steht, wird in Kap. 2.5 ausführlicher eingegangen.

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worden war und nicht Naturstein aus »allen Gauen Deutschlands«, um ein nationales Gemeinschaftswerk zu schaffen. Daher planten die Nationalsozialisten eine weitgreifende Umgestaltung des Schlageter-Denkmals zu einem monumentalen Schlageter-Forum nach ihren Vorstellungen, die aber nicht realisiert wurde. In der Ruine der Barbarossa-Pfalz im Düsseldorfer Stadtteil Kaiserswerth errichtet die Hitlerjugend stattdessen eine »Schlagetergedenkstätte der deutschen Jugend«, die mit einem Marmor-Gedenkstein und einer »Schlageter-Flamme« versehen wurde.42 Die Errichtung eines zusätzlichen Schlageterdenkmals wäre nicht notwendig gewesen, wenn die Nationalsozialisten mit dem überlieferten zufrieden gewesen wären. Im Tannenberg-Denkmal, das von 1924 bis 1927 errichtet worden war, ersetzten die Nationalsozialisten den verhassten Klinkerboden durch Granit und schafften den größten in Ostpreußen je gefundenen Findlingsblock herbei, der als Antithese zum Kunststein diente. Hans-Ulrich Thamer weist daraufhin, dass ab 1937 mit der »Großen Deutschen Kunstausstellung« und der Ausstellung »Entartete Kunst« die Formensprache von Erinnerungszeichen auf klassizistische oder realistische Formen, ergänzt durch germanisierende Motive, eingeengt worden sei.43 Die Nationalsozialisten schufen aber nicht nur neue Denkmäler, sie beseitigten auch wie keine andere Epoche in der deutschen Geschichte, so Thamer, Denkmäler anderer Zeiten und politischer Kulturen, insbesondere aus der Weimarer Republik, deren politische Intention und/oder formale Gestaltung nicht ihren Ideen entsprachen. Darunter fielen modern gestaltete Kriegerdenkmäler, die häufig zudem auch die unerwünschten Gefühle Trauer und Schmerz darstellten, ebenso wie Denkmäler für jüdische Bürger, etwa Mendelssohn in Leipzig oder auch Werke bestimmter Künstler wie Ernst Barlach.44 Eine widersprüchliche Erinnerungskultur nach 1945 Spätestens mit den beiden Staatsgründungen im Jahr 1949 und der Besserung der Lebensverhältnisse wurden die Deutschen vor die Aufgabe gestellt, ihre jüngste Vergangenheit zu erklären und auch ihre beiden neuen Staaten nach innen und außen zu legitimieren. Ein Mittel dafür waren Erinnerungszeichen. Je nach Alter und Sozialisation waren die Vorstellungen und Erfahrungen der Akteure, die vom Dritten Reich über die Weimarer Republik bis ins Kaiserreich reichen konnten, unterschiedlich. Basierend auf diesen unterschiedlichen Ideenhaushalten konnten sie nicht unbeeindruckt neu anfangen. Ihre Prägung ließ sich nicht löschen. Es ist von der Forschung inzwischen häufig genug betont worden, dass es in Deutschland

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Vgl. Christian Fuhrmeister, Beton, Klinker, Granit. Material, Macht, Politik, Berlin 2001, S. 195 u. 216ff. Vgl. Hans-Ulrich Thamer, Nationalsozialismus und Denkmalskult, S. 19f. Vgl. ebd., S. 20ff.

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nach dem 8. Mai 1945 keine »Stunde Null« gegeben hat, sondern vielfache Kontinuitäten der Weimarer Republik und des Nationalsozialismus in die Nachkriegszeit. Diese gab es auch bei den Erinnerungszeichen. Dennoch gab es Brüche, die eine Abkehr von den Ideen und Praktiken der Nationalsozialisten bedeuteten. Im Fall der Erinnerungszeichen konnten inhaltliche Brüche zeitgleich mit gestalterischen Kontinuitäten konform gehen oder neue Denkmalsformen inhaltliche Kontinuitäten bergen. Dies führte – ex post betrachtet – zu einer widersprüchlichen Erinnerungskultur. Ein anschauliches Beispiel dafür sind die Versuche von Werner Linder, dem Vorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft »Friedhof und Denkmal«,45 in den 1950er Jahren Ratschläge für die Errichtung von Kriegerdenkmälern zu geben. Auf der einen Seite stellte Lindner, wie bereits eingangs zitiert, fest: »Vom Siegesdenkmal des vorigen Jahrhunderts wurden wir über das Ehrenmal von 1914-18 nun zum Mahnmal geführt.«46 Lindner reklamierte also einen Fortschritt für sich und die Zeitgenossen: Das alte Kriegerdenkmal habe ausgedient, und das neue sei die rechte Form. In seiner unmittelbar folgenden Beschreibung der Idee setzten sich aber alte Motive durch: »Jedes mannhafte Volk wird auch weiterhin Heimat und Vaterland schützen. Dazu gehört Mut, Tapferkeit und Opferbereitschaft des Einzelnen, bis zum Opfer des Lebens. Sie verdienen den Dank der Allgemeinheit in jedem Volk. Diese Begriffe bleiben lebendig, trotz des immer brutaler gewordenen Kampfeinsatzes von raffinierten Maschinen und mechanisch mißbrauchten, von der Wissenschaft genial erklügelten Stoffen bis zur alles vernichtenden Atomkraft, die drückende Angst über die Menschheit gelegt hat. Immer wird man dem Dank für den Opferwillen Ausdruck verleihen wollen, in Wort, Bild und Mal.«47

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Werner Lindner, 1883 in Eisleben geboren, war von 1914 bis 1945 Geschäftsführer des Deutschen Bundes Heimatschutz und nach dem Zweiten Weltkrieg lange Jahre Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft »Friedhof und Denkmal« aus Kassel. Durch aktive Mitarbeit bei der Gleichschaltung des Bundes Heimatschutz und seine »positive Grundhaltung«, so Barbara Banck in ihrer 2001 vorgelegten Dissertation, gegenüber dem Nationalsozialismus, blieb ihm eine erneute Karriere nach 1945 verwehrt. Es fehlte ihm auch offensichtlich an Unrechtsbewusstsein und er bemühte sich erfolglos um eine Wiederbelebung des Bundes Heimatschutz nach 1945. Banck bezeichnet die Beschäftigung mit Kriegsgräberstätten als Rückzugsgebiets Lindners, der 1953 das Verdienstkreuz I. Klasse und 1959 das Große Verdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik erhielt, nunmehr ungeachtet seiner Funktion im Nationalsozialismus. Vgl. Barbara Banck, Werner Lindner. Industriemoderne und Regionale Identität, Dortmund 2008, S. 271 und 277. Vgl. Werner Lindner, Mahnmale. Voraussetzungen – Ratschläge – Lösungen, Kassel 1956, S. 21. Ebd.

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Der Begriff des »Opfers« wurde von Lindner klassisch als sacrificium gedeutet, nicht als victima. Damit dachte Lindner wie das mehrfach von ihm verspottete Landvolk »genauso wie früher«. Der neue Begriff »Mahnmal« bot zwar eine andere Deutung des Kriegsausgangs als 1870/71 und 1918, aber nicht zwingend eine andere Wahrnehmung des Kriegsdienstes. Und dennoch schob sich in diese traditionelle Sichtweise ein neues Anliegen. Lindner erklärte: »Wir führen nun für unser hier behandeltes Schaffen das Wort Mahnmal ein, das sich mehr und mehr durchsetzt. Das bedeutet auch neues für den Inhalt der zu gestaltenden Werke, es mag deutlich in ihnen aufklingen oder unwillkürlich und leise mitschwingen. Dieses Wort schließt ein das Bekenntnis unserer nicht geringen Mitschuld am entsetzlichen Kriegsgeschehen mit seinen fürchterlichen Folgen. Darüber hinaus umfaßt es das Versprechen, in Liebe nicht nur des eigenen vielfachen Leides, sondern auch des Kummers anderer Völker in Brüderlichkeit zu gedenken. Es will unsere Bereitschaft bezeugen, Überheblichkeit, Haß, Gier, Neid und andere Leidenschaften zu begraben, aus denen Kriege geboren werden. Es will unsere Demut bekunden vor dem Schöpfer aller Dinge, der weiß und tut, was allen Menschen letzten Endes dient, und unseren unverrückbaren Glauben an seine Güte; diese gibt auch dem tiefsten Leid seinen Sinn, den wir oft nur erst sehr spät verstehen.«48 An dieser Passage wird deutlich, wie schwer sich Lindner damit tat, Kontinuitäten und neue Denkweisen zu kombinieren. Die Aussage »Unsere nicht geringe Mitschuld am Kriegsgeschehen« ist aus der heutigen Perspektive eine starke Untertreibung, doch klarer wollte oder konnte sich Lindner nicht ausdrücken. Unklar bleibt auch, wer in das »Wir« eingeschlossen war. Auf der anderen Seite benannte er klar die Gründe (»Überheblichkeit, Hass, Gier, Neid und andere Leidenschaften«), die die Deutschen in den Krieg getrieben hätten und zog – anders als nach dem Ersten Weltkrieg – die Konsequenz, jegliches kriegerisches Ansinnen aufzugeben und auch Mitleid für die andere Seite der kriegführenden Parteien zu empfinden. Die Sinnstiftung des Kriegerdenkmals bezog sich nicht mehr auf das Opfer für die ohnehin gespaltene Nation, sondern wurde ersetzt durch eine christliche und dem Sterblichen oft verborgene göttliche Sinnstiftung. Aber auf der anderen Seite war das heroische Bild des Soldaten, der sich für das Vaterland opfert, ungebrochen. Kritik äußerte Lindner an der Form der Kriegerdenkmäler. Die Idee, Erinnerungszeichen der Kriege von 1870/71 und 1914/18 zu ergänzen, wurde von Lindner weitestgehend verurteilt, da sie häufig weder in der Platzfrage noch in der Gestalt vorbildlich seien. »Es fehlt ihnen bei strengem Maßstab und ernster Gewissensprüfung oft eine überzeugende Selbstverständlichkeit, Ausdruckskraft, handwerk-

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Ebd., S. 21f.

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liche und gestalterische Gediegenheit.«49 Sein Ratschlag lautete: »Einseifen und abrasieren«.50 Die Ablehnung der Denkmäler des 19. Jahrhunderts aufgrund des überreichen Schmucks kennzeichnet indes eine Kontinuität aus der Zeit des Nationalsozialismus. Ein weiteres Beispiel für die Widersprüchlichkeit der Erinnerungskultur der Nachkriegszeit sind die Erinnerungszeichen für die Opfer von Luftangriffen. Ihre Bedeutung werde nach Jörg Arnold erst deutlich, wenn man den Blick von der nationalen Ebene ab- und der lokalen Einheit zuwende. Aus der nationalen Perspektive sei die Gruppe der Betroffenen klein: Sechs Prozent der deutschen Toten des Zweiten Weltkriegs starben durch alliierte Luftangriffe. Aus der lokalen Perspektive sieht dies aber anders aus: In Kassel starben 9.000 von 15.000 Kriegsopfern, also 60 Prozent, durch Luftangriffe.51 In Wuppertal gehörten von den 16.000 Toten des Zweiten Weltkriegs über 6.000 zu den Opfern der Luftangriffe52 und Düsseldorf beklagte 5.858 Opfer von Luftangriffen und Artilleriebeschuss neben 15.682 Gefallenen.53 Dass den Opfern der Luftangriffe eigene Erinnerungszeichen gesetzt oder sie in anderen Erinnerungszeichen sichtbar gemacht wurden, stellte eine Neuerung der westdeutschen Erinnerungskultur dar. Beim Gedenken legte man den Fokus, so Arnold, auf die Widerstandskraft, die Aufopferung und die Opferrolle der deutschen Zivilbevölkerung, aber auch auf Schuld und Sühne. Die Nennung von Ursache und ausführendem Organ der Luftangriffe auf (west)deutsche Städte wurde angesichts des beginnenden Kalten Krieges vermieden.54 Obwohl die Erinnerungszeichen für die zivilen Kriegsopfer nach dem Zweiten Weltkrieg zum ersten Mal auftauchten, standen sie in einer Kontinuität zum Nationalsozialismus. Bereits während des Krieges wurde versucht, die Opfer der Luftangriffe entweder als »Soldaten der Heimat« in den NS-Totenkult einzubeziehen oder ihren Tod als Verbrechen eines »sadistischen Feindes« zu brandmarken, wie es Goebbels am 19. Juni 1943 bei einer Gedenkfeier für die Opfer des Luftangriffes in Wuppertal

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Vgl. ebd., S. 8f. Vgl. ebd., S. 12f. Vgl. Jörg Arnold, Beyond usable pasts: Rethinking the Memorialization of the Strategic Air War in Germany 1940 to 1965, in: Bill Niven und Chloe Paver (Hg.), Memorialization in Germany since 1945, Basingstoke 2010, S. 27. Vgl. Gedenktafel für die Opfer des Zweiten Weltkriegs im Barmer Rathaus, Beitrag in denkmal-wuppertal.de, www.denkmal-wuppertal.de/2011/08/gedenktafel-fur-die-opferdes-zweiten.html, abgerufen am 3. August 2017. Vgl. Peter Hüttenberger, Düsseldorf. Geschichte von den Anfängen bis ins 20. Jahrhundert, Band 3: Die Industrie- und Verwaltungsstadt (20. Jahrhundert), herausgegeben im Auftrag der Landeshauptstadt Düsseldorf von Hugo Weidenhaupt, Düsseldorf 2. Auflage 1990, S. 660. Vgl. Jörg Arnold, Beyond usable pasts: Rethinking the Memorialization of the Strategic Air War in Germany 1940 to 1965, S. 26.

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tat.55 Nach dem Krieg setzte sich das Bild des heroischen Opfers durch, was unter anderem in öffentlichen Gedenkfeiern nach nationalsozialistischem Muster deutlich wurde.56 Nicht nur der Blick auf zeitgenössische Quellen und Erinnerungszeichen offenbart eine zwiespältige Erinnerungskultur. Auch die historische Forschung ist teilweise zu widersprüchlichen Ergebnissen gekommen. In der Bundesrepublik, so meinen sowohl Detlef Garbe als auch Biljana Menkovic, seien in den 1950er Jahren die wenigsten Denkmäler mit NS-Bezug aufgestellt worden, das Gedenken sei entpolitisiert worden.57 Dem widerspricht Michael Jeismann, der betont, dass in den 1950er Jahren viele Kommunen und Gemeinden Gedenktafeln und Denkmäler »für die ermordeten Juden« errichtet hätten.58 Die folgenden Fallbeispiele werden deutlich machen, dass beide Positionen zutreffen können, da die Erinnerungskulturen der BRD heterogen waren und stark von den kulturellen und politischen Identitäten des jeweiligen lokalen Raumes geprägt waren. Für beide Positionen lassen sich Belege finden, wenn man nur einzelne Räume untersucht. Der lange Arm der Tradition Im Hinblick auf Erinnerungszeichen lassen sich anhand der Forschung vor allem in drei Bereichen Kontinuitäten zur Zeit vor 1945 ausmachen: Die Zeitgenoss*innen hatten weiterhin das traditionelle Bedürfnis Erinnerungszeichen zu errichten, deren Formen wiederum von Beständigkeit gekennzeichnet waren. Im Nationalsozialismus diskriminierte Gruppen waren nach wie vor aus der Erinnerungsgemeinschaft ausgeschlossen. Im Fall der DDR lässt sich hinsichtlich der Ziele und Nutzung der Erinnerungszeichen noch eine vierte Kontinuität feststellen: Teile der nationalsozialistischen Gedenkpraxis wurden übernommen. In der BRD bestanden vor allem Gedenkpraxen vor allem lokaler Gemeinschaften, zum Beispiel am Tag des Schützenfestes, weiter. Aber der Reihe nach: Dass nach den gewaltigen Zivilisationsbrüchen der nationalsozialistischen Genozide und des Krieges die Überlebenden an jene erinnern wollten, die getötet worden waren, schien ihnen eine menschliche Pflicht. In der Bundesrepublik erhielt diese Erinnerung, so die Forschung, eine stark christlichreligiöse Sinngebung, aus der die Bewertung übernommen wurde, dass alle Menschen im Tod gleich seien. Es habe sich ein übergreifendes, verallgemeinerndes 55 56 57 58

Vgl. Die Tagebücher von Joseph Goebbels, hg. von Elke Fröhlich im Auftrag des Instituts für Zeitgeschichte, Band 8, München (u.a.) 1993, S. 492. Vgl. Jörg Arnold, Beyond usable pasts: Rethinking the Memorialization of the Strategic Air War in Germany 1940 to 1965, S. 28f. Vgl. Detlef Garbe, Gedenkstätte: Orte der Erinnerung, S. 261f. und Biljana Menkovic, Politische Gedenkkultur, S. 68. Vgl. Michael Jeismann, Zeichenlehre. Vom Nationalen Kriegsgedenken zum kulturellen Gedächtnis, in: Ders. (Hg.), Mahnmal Mitte. Eine Kontroverse, Köln 1999, S. 15.

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Totengedenken etabliert, das NS-Verfolgte, zivile Kriegsopfer, Gefallene und auch SS-Angehörige einschloss. Dementsprechend bezog das Kriegsgräbergesetz vom 27. Mai 1952 neben denen der Toten des Krieges auch die Gräber ermordeter NSVerfolgter ein. Doch obwohl alle Toten als Opfer des Nationalsozialismus und des Krieges zusammengefasst wurden, gab es eine klare Hierarchie: An der Spitze die deutschen Gefallenen, dahinter die zivilen Opfer des Krieges und dann erst die Verfolgten des Nationalsozialismus.59 Stefanie Endlich behauptet, dass die Kriegstoten in der Bundesrepublik im Zentrum des öffentlichen Gedenkens standen, neue Gefallenen-Denkmäler aber selten gewesen seien. Vielmehr habe sich das Gedenken durch Zusatztafeln an bestehenden Denkmälern vollzogen, sodass die Interpretationsangebote der alten Denkmäler übernommen worden seien.60 Michael Jeismann bezeichnet diese Vorgehensweise in den deutschen Kommunen als Standardprozedere.61 Endlichs These lässt sich zumindest mit Blick auf den ländlichen Raum in NordrheinWestfalen nicht halten. Für die Kriegerdenkmäler in Westfalen und Lippe liegt eine Aufstellung aus dem Jahr 1972 vor. Damals erarbeitete das Landesamt für Baupflege des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) eine Liste der bis zu diesem Zeitpunkt errichteten Gefallenendenkmäler in der Region. An die Gefallenen des Deutsch-Französischen Krieges 1870/71 erinnerten demnach 119 Kriegerdenkmäler. 374 neue Kriegerdenkmäler waren nach dem Ersten Weltkrieg errichtet und 65 alte umgestaltet worden. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden in Westfalen und Lippe 424 Erinnerungszeichen neu gebaut und 431 alte umgestaltet. Die Zahl der neu errichteten Kriegerdenkmäler entspricht also ungefähr der Zahl der um die Gefallenen des Zweiten Weltkrieges ergänzten Denkmäler des Ersten Weltkrieges oder gar des Deutsch-Französischen Krieges. Insgesamt beträgt die Zahl der Erinnerungszeichen, die um 1970 an den Zweiten Weltkrieg erinnerten, mindestens 855 Objekte. Zu einigen Ämtern oder Städten existierten, so ist in der 49-seitigen Tabelle vermerkt, keine Daten, beispielsweise fehlen die Städte Paderborn und Siegen. Daher ist von einer noch höheren Zahl an Kriegerdenkmälern auszugehen. Schaut man sich die Tabelle genauer an, fällt die Dominanz der Ämter und amtsangehörigen Gemeinden auf. Von den 855 Erinnerungszeichen lassen sich nur 90, also

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Vgl. Peter Fibich, Gedenkstätten, Mahnmale und Ehrenfriedhöfe für die Verfolgten des Nationalsozialismus, S. 42f. Vgl. Stefanie Endlich, Denkmäler und Mahnmale zur NS-Diktatur, in: Hans-Joachim Veen, Volkhard Knigge (Hg.), Denkmäler demokratischer Umbrüche nach 1945, Köln (u.a.) 2014, S. 66. Vgl. Michael Jeismann, Zeichenlehre. Vom Nationalen Kriegsgedenken zum kulturellen Gedächtnis, S. 15.

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nur etwa ein Zehntel, amts- und kreisfreien Städten zu ordnen. Die überwiegende Mehrheit der Kriegerdenkmale entstand auf dem Land.62 Dabei scheint überraschend, dass überhaupt so viele Erinnerungszeichen errichtet werden konnten oder die Nachkriegszeit überstanden hatten. Der Alliierte Kontrollrat hatte am 17. Mai 1946 mit der Direktive Nr. 30 die Beseitigung aller deutscher Denkmäler mit militärischem und nationalsozialistischem Charakter angeordnet und die Errichtung von neuen Denkmälern, Statuen, Gedenksteinen und ähnlichem verboten. Dies betraf alle Denkmäler, »die darauf abzielen, die deutsche militärische Tradition zu bewahren und lebendig zu erhalten, den Militarismus wachzurufen oder die Erinnerung an die nationalsozialistische Partei aufrechtzuerhalten, oder ihrem Wesen nach in der Verherrlichung von kriegerischen Ereignissen bestehen.« Es galten aber Ausnahmen für Erinnerungszeichen, die vor dem Ersten Weltkrieg errichtet worden waren, wesentlichen Nutzen für die Allgemeinheit hatten oder von großem architektonischen Wert waren, für Gedenksteine für Angehörige »regulärer militärischer Einheiten« und Einzelgrabsteine, deren Ausschmückung »weder militärischen Geist widerspiegeln noch das Gedächtnis an die nationalsozialistische Partei bewahren.« Die gewünschte Konformität konnte auch durch Beseitigung anstößiger Merkmale erreicht werden und unterlag einem weiten Interpretationsspielraum.63 Martin Bach betont, dass die nicht vollzogene Beseitigung der Weltkriegsdenkmäler im Widerspruch zur Direktive Nr. 30 des Alliierten Kontrollrats stand und dass »[d]ie Toleranz der alten Weltkriegsdenkmäler […] die Anerkennung der durch sie veranschaulichten vaterländischen weltlichen, teils religiös-weltlichen Heroik« impliziere.64 Bisher ist die Forschung davon ausgegangen, dass die Ausnahmen der Direktive dafür verantwortlich waren, dass die Zahl der daraufhin zerstörten Denkmäler eher gering war.65 Allerdings zeigt das Beispiel Paderborn (Kapitel 2.5), dass auch rechtliche Gründe hierfür verantwortlich sein konnten. Die Gestaltung der Erinnerungszeichen wurde, so die Forschung, sowohl von Denkmälern mit christlicher Ikonografie als auch von traditionellen, bruchlosen Erweiterungen der Denkmäler des Ersten Weltkriegs geprägt, in denen die »soldatischen Tugenden« nicht in Frage gestellt wurden.66 Insa Eschebach weist in Bezug auf die Kriegerdenkmäler darauf hin, dass die Übernahme des bestehenden, vom Ersten Weltkrieg geprägten Bilderhaushalts notwendig gewesen sei, um 62 63 64 65 66

Vgl. LWL-Archivamt für Westfalen, Archiv LWL, Best. 710/166, Untersuchung von Gefallenendenkmälern. Amtsblatt des Kontrollrates in Deutschland, Nr. 7 vom 31. Mai 1946, S. 154f. Vgl. Martin Bach, Studien zur Geschichte des deutschen Kriegerdenkmals in Westfalen und Lippe, S. 263. Vgl. Peter Fibich, Gedenkstätten, Mahnmale und Ehrenfriedhöfe für die Verfolgten des Nationalsozialismus, S. 33f. Vgl. Martin Bach, Studien zur Geschichte des deutschen Kriegerdenkmals, S. 250.

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trauern und erinnern zu können, schließlich seien die Beteiligten vom Gedenken in der Weimarer Republik geprägt gewesen.67 Ähnlich sieht es Jan-Holger Kirsch: In stilistischer Hinsicht bedeute das Jahr 1945 keinen Bruch, auch habe es keine Auseinandersetzung mit Theorie und Praxis des Denkmals gegeben.68 Gleiches galt nach Peter Fibich für die Überlebenden der nationalsozialistischen Verfolgung. Sie waren ebenfalls durch die Beispiele herkömmlicher Denkmalgestaltung geprägt und skeptisch gegenüber künstlerischen Experimenten. Dabei seien sich die in diesen Fragen Engagierten aufgrund ihrer unterschiedlichen Herkunft, Sozialisation, politischer Standpunkte und ästhetischen Ansichten oft uneinig in der Art der Ausführung des Denkmals gewesen.69 Nicht selten hätten Künstler und Laien aus den Reihen der Häftlingsgemeinschaften selbst die Denkmäler der Nachkriegszeit entworfen und produziert, da besonders die ehemals Verfolgten den Standpunkt vertraten, dass nur diejenigen Künstler in der Lage seien, ein adäquates Denkmal zu schaffen, die selbst Verfolgung und Haft erlitten hätten oder im Widerstand aktiv gewesen seien. Dabei habe auch die Hoffnung eine Rolle gespielt, dass moralische Integrität automatisch zu einem guten künstlerischen Entwurf führen würde.70 Die ersten Mahnmale vor Ort seien auch mithilfe von eher als »würdelos« eingeschätzten Materialien wie Holz, Pappe und Gips errichtet worden. Die verwendeten Formen wie Obelisk, Stele, Pylon waren dabei traditionell.71 Nach Biljana Menkovic wäre bei der Verwendung der in der zeitgenössischen Kunst beliebten abstrakten Formen die Kommunikationsfähigkeit der Denkmäler aufgrund der Symbollosigkeit verloren gegangen, weswegen man in den 1950er Jahren beim Kriegerdenkmal weiter »konventionelle« Darstellungen verwendet habe.72 Ein prägnantes Beispiel für die Kontinuität der Formen findet sich in der Arbeit des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge (VDK). Der VDK hatte 1926 die Aufgabe erhalten, im Ausland deutsche Soldatenfriedhöfe anzulegen und zu pflegen. Er widmet sich dieser Aufgabe bis heute. Der VDK entwickelte stark anonymisierte Friedhöfe mit einem zentralen Denkmal, die nur wenige, am Vorbild mittelalterlicher Weg- und Sühnezeichen orientieren Grabzeichen aufweisen. Ab 1930 entwickelte Wilhelm Kreis für den VDK das Konzept der monumentalen Totenburgen.73 Sie gelten als Superlativ der nationalsozialistischen Kriegerdenkmäler. Ihre Konzeption stand in der Tradition historischer Kenotaphen und orientier-

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Vgl. Insa Eschebach, Öffentliches Gedenken, S. 208. Vgl. Jan-Holger Kirsch, Nationaler Mythos oder historische Trauer, S. 31. Vgl. ebd., S. 108. Vgl. ebd., S. 112. Vgl. ebd., S. 158. Vgl. Biljana Menkovic, Politische Gedenkkultur, S. 39. Vgl. Peter Fibich, Gedenkstätten, Mahnmale und Ehrenfriedhöfe für die Verfolgten des Nationalsozialismus, S. 31.

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ten sich an deren Bauformen (Rundpyramide, Obelisk, Kegel oder Tor). Aufgrund des Kriegsausgangs wurden sie nicht in Kutno, am Dnjepr und den anderen Grenzen eines zusammenfantasierten Großgermanischen Reiches errichtet. Nur die Totenburg von El-Alamein für die Gefallenen des deutschen Afrikakorps konnte 1955 durch den VDK verwirklicht und damit zu einem Zeichen nationalsozialistischbundesdeutscher Kontinuität werden.74 Diese Kontinuität zeigte sich beim VDK nicht nur in der Verwendung von Denkmalsformen der Zwischenkriegszeit, sondern auch beim Personal. Von 1946 bis 1949 war Wilhelm Ahlhorn Präsident des VDK. Er gehörte bereits seit 1938 als Stellvertreter zur Führungsriege des VDK und hatte 1944 zu seinem 70. Geburtstag das Ehrenzeichen für Deutsche Volkspflege II. Klasse erhalten.75 Chefarchitekt war von 1926-1959 der Landschaftsarchitekt Robert Tischler.76 Die Ehrenfriedhöfe für die Toten der Todesmärsche aus den Konzentrationslagern in Osteuropa und Ostdeutschland, die von den Alliierten an den Zielen der Märsche vor allem in Westdeutschland angelegt worden waren, wurden nach der Übertragung der Zuständigkeit auf deutsche Behörden nach dem Vorbild der Ehrenfriedhöfe des VDK verändert. Ihre Gestaltung, so Peter Fibich, habe nicht zwischen Gefallenen und Verfolgten unterschieden. Die architektonischen und bildhauerischen Elemente und Motive hätten der Anlage einen christlich-religiösen Charakter gegeben. Die uniformen Grabzeichen orientierten sich am Gefallenengedenken. Auf eine Kennzeichnung des einzelnen Grabes, wie von den Alliierten eingeführt, sei von den zuständigen Stellen der Landesregierung oder der kommunalen Ämter verzichtet worden. Dies habe zu einem Verblassen der Erinnerung und einem fortschreitenden Identitätsverlust bis hin zur Anonymisierung der Gräber geführt. Die Kennzeichnung des historischen Hintergrunds sei lapidar und unbestimmt geblieben, und damit häufig auch unklar, aus welchem Grund die Ehrenfriedhöfe angelegt und welche Menschen dort bestattet wurden.77 Das stand im Einklang mit den Versuchen des VDK, die Verfolgten des Nationalsozialismus zu marginalisieren, was auf zwei Arten geschah. Einerseits wurden sie, so Manfred Wittig, in Gedenkreden und offiziellen Trauerzeremonien schlicht ignoriert. 74 75

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Vgl. ebd., S. 27f. Vgl. Manfred Wittig, »Der Tod hat alle Unterschiede ausgelöscht«. Anmerkungen zur Geschichte und Ideologie des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge nach 1945, in: Unglücklich das Land, das Helden nötig hat. Leiden und Sterben in den Kriegsdenkmälern des Ersten und Zweiten Weltkrieges, hg. von Michael Hütt (u.a.), Studien zur Kunst- und Kulturgeschichte Bd. 8, Marburg 1990, S. 92. Christian Fuhrmeister, »Robert Tischler, Chefarchitekt 1926-1959. Ein Desiderat«, RIHA Journal 0159 (Juni 2017), www.rihajournal.org/articles/2017/0150-0176-special-issue-war-graves/0159-fuhrmeister, http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:101:1-201711132193, abgerufen am 2. Januar 2018. Vgl. Peter Fibich, Gedenkstätten, Mahnmale und Ehrenfriedhöfe für die Verfolgten des Nationalsozialismus, S. 162ff.

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Anderseits wurden sie, wenn sie dennoch erwähnt wurden, in ein Geschichtsbild eingefügt, dass das gesamte deutsche Volk als Opfer eines verbrecherischen Systems sah.78 Folgerichtig könne als eine weitere Kontinuität der Nachkriegszeit, so die Forschung, die Fortschreibung der nationalsozialistischen »Volksgemeinschaft« konstatiert werden. In der bundesdeutschen Gesellschaft sei die Wertschätzung gegenüber der Ehrung NS-Verfolgter in den 1950er Jahren »äußerst gering« gewesen, urteilt Peter Fibich. Die Übertragung der Verantwortung für die Denkmäler als Kulturobjekte im Rahmen der föderalistischen Verfassung auf die Bundesländer wertet er als Zeichen des Desinteresses der Adenauer-Regierung.79 Jeffrey Herf führt aus, dass diejenigen, die an die Shoa als spezifischen Teil der nationalsozialistischen Verfolgung erinnern wollten, in der Minderheit gewesen seien, im Gegensatz zu denen, die den durch die Alliierten zu Tode gekommen vier Millionen deutschen Zivilisten und Soldaten gedenken wollten. Herf verbindet das Schweigen der deutschen Öffentlichkeit der 1950er Jahre ebenfalls mit Bundeskanzler Konrad Adenauer, der die Anhänger des Nationalsozialismus über den Prozess der Demokratisierung in die Gesellschaft integrieren und sich durch seine Amnestie-Politik Wählerstimmen sichern wollte. Zusätzlich habe auch der Kalte Krieg fördernd auf die Bereitschaft gewirkt, einen Schlussstrich zu ziehen.80 Dementsprechend beobachtet Biljana Menkovic, dass Denkmäler vor allem auf Stifter aus Kreisen der SPD zurückzuführen seien.81 Jan-Holger Kirsch meint, es habe keine Trauer für die deutschen NS-Verfolgten geben können, weil diese von der »Volksgemeinschaft« ausgegrenzt worden seien. Nach dem Krieg fehlte der Mehrheitsbevölkerung ein unmittelbares Verlustgefühl, auch wenn es sich bei den Juden, Kommunisten, Behinderten, Sinti und Roma, Homosexuellen, Zeugen Jehovas und weiteren Gruppen um Nachbarinnen und Nachbarn, Kolleginnen und Kollegen oder Mitschülerinnen und Mitschüler gehandelt hatte. Noch ferner standen den Deutschen die Opfer Osteuropas.82 Die widrigen Lebensumstände der Nachkriegszeit, so urteilt Peter Fibich, führten zusätzlich dazu, dass die Mehrheitsbevölkerung sich selbst zu den Opfern des Krieges zählte.83

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Vgl. Manfred Wittig, »Der Tod hat alle Unterschiede ausgelöscht«, S. 93f. und 96. Vgl. Peter Fibich, Gedenkstätten, Mahnmale und Ehrenfriedhöfe für die Verfolgten des Nationalsozialismus, S. 42f. Vgl. Jeffrey Herf, The Holocaust and the Competition of Memories in Germany, 1945-1999, in: Dan Michman (Hg.), Remembering the Holocaust in Germany 1945-2000. German Strategies ans Jewish Responses, New York 2002, S. 14f. Vgl. Biljana Menkovic, Politische Gedenkkultur, S. 65. Vgl. Jan-Holger Kirsch, Nationaler Mythos oder historische Trauer, S. 11. Vgl. Peter Fibich, Gedenkstätten, Mahnmale und Ehrenfriedhöfe für die Verfolgten des Nationalsozialismus, S. 35.

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Anfang der 1950er Jahre wurde die kommunistisch geprägte Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) mit jeweils unterschiedlichen Begründungen als Initiatorin von Erinnerungszeichen aus der Erinnerungspolitik in Ost- und Westdeutschland verdrängt. In der DDR wurde sie landesweit verboten. In der BRD gab es teilweise erfolgreiche Verbote und die Gründung von Konkurrenzvereinigungen durch SPD (AvS) und CDU (BVN). Mitglieder der VVN durften nicht in den öffentlichen Dienst eintreten.84 Damit verschwand auch weitgehend, wie Peter Fibich beobachtet, der Begriff der »Verfolgten des Nationalsozialismus« aus dem öffentlichen Sprachgebrauch. Der Vorteil der Bezeichnung »Verfolgte« sei, so Fibich, dass er die vom Nationalsozialismus zum Feind erklärten Menschen unabhängig von den jeweiligen politischen, rassistischen, religiösen, weltanschaulichen oder sozialen Motiven umfasse, aber zivile Opfer des Luftkrieges und die Gefallenen der Wehrmacht ausschließe. Diese könne man zwar mit Recht als Opfer, nicht aber als Verfolgte bezeichnen.85 Der in der deutschen Erinnerungskultur allgegenwärtige Begriff der »Opfer des Nationalsozialismus« wird bis heute oft und viel genutzt. Auf und an Erinnerungszeichen sowie in Reden ist er zu lesen und zu hören. Es ist aber selten klar, welcher konkrete Opferbegriff dahintersteht, und diese Offenheit des Begriffs ist durchaus erwünscht. Die Verwendung des Begriffs der Verfolgten des Nationalsozialismus ermöglicht allerdings nicht nur die präzisere Unterscheidung zwischen denen, die vom Nationalsozialismus verfolgt, gedemütigt, gefangen gehalten, gequält und ermordet wurden, und jenen, die aufgrund der vom Nationalsozialismus initiierten kriegerischen Auseinandersetzung starben. Er verhindert auch eine pejorative Verurteilung der Verfolgten. Vor allem wenn der Begriff »Opfer« in der Bedeutung victima gebraucht wird – und nicht in der Bedeutung des sich absichtlich Opfernden (sacrificium) – kann dem Betroffenen Schwäche und Versagen unterstellt werden. Besonders augenscheinlich ist dies in der Jugendsprache, die »Du Opfer« als Beleidigung kennt. 2012 wurde der Begriff »Opfer-Abo« zum Unwort des Jahres gekürt, als nach einem vielbeachteten Vergewaltigungsprozess gegen einen TV-Wettermoderator dessen Ehefrau Frauen allgemein bescheinigte, immer Opfer zu sein, selbst wenn sie Täterinnen würden.86 Zu guter Letzt betont der Begriff der Verfolgten den Täter stärker. Während der Begriff »Opfer« sich nur auf die benachteiligte Person konzentriert und der Täter nebulös bleibt, betont der Terminus der Verfolgung den (politischen) Willen des Täters. Der Opferbegriff blendet diesen Zusammenhang aus, da er auch bei Unglücksfällen benutzt wird, denen nicht zwingend ein aktives,

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Vgl. ebd., S. 111. Vgl. Peter Fibich, Gedenkstätten, Mahnmale und Ehrenfriedhöfe für die Verfolgten des Nationalsozialismus. Ihre landschaftsarchitektonische Gestaltung in Deutschland 1945 bis 1960, Dresden Techn. Univ. Diss. 1999, S. 8f. Vgl. Kollektiver Blutrausch, in: Der Spiegel 41/2012, S. 138.

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schädigendes Handeln vorausgeht. Die Anwendung auf Opfer im Straßenverkehr, bei Flugzeugunglücken, Haushaltsunfällen oder Naturkatastrophen höhlt den Opferbegriff im Vergleich zu den Verbrechen des Nationalsozialismus aus. Brüche und Kontinuitäten in der DDR Die DDR unterschied sich hierin von der BRD, wenn auch die Fallbeispiele in Wuppertal (Kapitel 2.3) und Dortmund (Kapitel 2.7) zeigen werden, dass durchaus Parallelen zu erkennen sind, da die kommunistische Sichtweise in den 1950er Jahren in Nordrhein-Westfalen eine kleine, aber nicht unbedeutende Rolle spielte. Das Beispiel des anderen deutschen Staates zeigt zudem Interpretationsalternativen auf. Maoz Azaryahu bemerkt, dass in der DDR die sowjetischen Toten an erster Stelle genannt wurden und die jüdischen Verfolgten nicht als separate Gruppe galten, sondern nur als Bürger ihres jeweiligen Staates zählten.87 Eine Sonderrolle nahmen in der DDR die »Märtyrer« ein, jene Widerstandskämpfer, im Duktus der DDR lange Zeit »Antifaschisten« genannt, die von den Nationalsozialisten wegen ihrer Taten oder wegen ihrer Ansichten ermordet worden waren. Diese »Märtyrer« wurden zwischen 1957 und 1964 kanonisiert. Die in der Bundesrepublik im Laufe der Zeit besonders geehrten Widerstandskämpfer des 20. Juli blieben – mit Ausnahme Stauffenbergs – in der DDR als »militärisch-bürgerliche Gruppe«, deren Ziel der Rettung des deutschen Imperialismus gewesen sei, als Reaktionäre diskreditiert.88 Ebenfalls abweichend zur Bundesrepublik wurden in den Städten und Bezirken der DDR, so Peter Fibich, Kriegerdenkmäler gestürzt und »nicht wenige« durch Mahnmale an den Nationalsozialismus ersetzt.89 Ihre Standorte befanden sich, nach dem Vorbild des barocken Herrscherdenkmals, in der symmetrischen Mitte eines Platzes.90 Besonders in den Mittel- und Kleinstädten sowie den Dörfern der DDR, wo die zentrale staatliche Kontrolle nicht so ausgeprägt war, seien eher individuelle Erinnerungszeichen errichtet worden. In den ostdeutschen Großstädten hätten hingegen der Abwägungs- und Planungsprozess, die Probleme des Wiederaufbaus und die Ernährungslage zu einem Scheitern von Mahnmalsprojekten geführt. In Berlin, Leipzig, Dresden, Chemnitz, Rostock und Erfurt seien in den 1950er Jahren keine zentralen Erinnerungszeichen im Stadtzentrum errichtet worden, sondern nur dezentrale, bescheidene Erinnerungszeichen auf Friedhöfen und in Wohngebieten.91

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Vgl. Maoz Azaryahu, Von Wilhelmplatz zu Thälmannplatz. Politische Symbole im öffentlichen Leben der DDR, Göttingen 1991, S. 188ff. Vgl. ebd., S. 191, 193 u. 196. Vgl. Peter Fibich, Gedenkstätten, Mahnmale und Ehrenfriedhöfe für die Verfolgten des Nationalsozialismus, S. 148. Vgl. ebd., S. 149. Vgl. ebd., S. 161.

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Die Erinnerungszeichen in der DDR, so Fibich, seien auch außerhalb der Einweihungsfeiern und der offiziellen Gedenktage am 2. Sonntag im September (»Internationaler Gedenktag für die Opfer des faschistischen Terrors und Kampftag gegen Faschismus und imperialistischen Krieg«) und am 8. Mai (»Tag der Befreiung des deutschen Volkes vom Hitlerfaschismus«) genutzt worden. Neben Gedenkapellen von Schulen und Betrieben hätten feierliche Aufnahmen in die Partei und gesellschaftliche Organisationen stattgefunden und von Schulklassen, Jugendweihegruppen und Arbeitskollektiven seien Besichtigungsfahrten durchgeführt worden. Die Erinnerungszeichen seien so »zum zentralen Topos des jeweiligen Ortes bzw. der Region entwickelt«92 worden. Auch die Anteilnahme an Gedenkfeiern aus eigenem Antrieb ist nach Fibich nicht gering gewesen. Allerdings bleibe unklar, »ob der hohe Stellenwert, den das Gedenken an die NS-Verfolgten in der DDR genießt, ob die breite Anteilnahme der ostdeutschen Bevölkerung an Gedenkveranstaltungen vorrangig als Folge eines ›verordneten Antifaschismus‹ oder als Ausdruck tatsächlicher Identifikation zu bewerten ist.«93 Die bedeutendsten Erinnerungszeichen der DDR waren Teil der Gedenkstätten in den ehemaligen Konzentrationslagern Buchenwald (1958), Ravensbrück (1959) und Sachsenhausen (1961), wobei Buchenwald die wichtigste »Nationale Mahnund Gedenkstätte« darstellte.94 Der Ausschreibungstext für das dort zu errichtende Denkmal blieb vage, schloss aber eine abstrakte Formensprache apodiktisch aus. Er forderte zudem zwingend einen großen Kundgebungsplatz und eine Fernwirkung des Gesamtdenkmals, bediente sich also traditioneller Ideen des 19. und 20. Jahrhunderts. Vorbild der Anlage sollte die Großzügigkeit des sowjetischen Ehrenmals sein.95 In den Augen Peter Fibichs ist die Funktion als Schauplatz von Massenkundgebungen einer der offenkundigsten Unterschiede der Erinnerungszeichen zwischen der BRD und der DDR. Kriterien für die Denkmalskunst seien die affektive, massenkompatible Wirkung, politische Bindungsfähigkeit und Schaffung von Loyalität gewesen. Diese Kriterien standen damit in Kontinuität zu Ideen der Zwischenkriegszeit und jenen der Nationalsozialisten. Wenig überraschend wurde daher in Ostdeutschland auch die nationalsozialistische Terminologie vom »Aufmarschplatz« übernommen.96 Während in der BRD das Gedenken entpolitisiert und auf die Trauer fokussiert worden sei, habe es die SED als bloßen Anlass genommen, die DDR in der internationalen Öffentlichkeit zu repräsentieren, indem zum Beispiel Gedenkfeierlichkeiten dafür genutzt wurden, die Leistungsfähigkeit der 92 93 94 95 96

Ebd., S. 130. Vgl. ebd., S. 130f. Vgl. ebd., S. 41. Vgl. Volkhard Knigge, Buchenwald-Denkmal, in: Monika Flacke (Hg.), Auftragskunst der DDR 1949-1990, München 1995, S. 106, 109f. Vgl. Peter Fibich, Gedenkstätten, Mahnmale und Ehrenfriedhöfe für die Verfolgten des Nationalsozialismus, S. 126f.

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DDR-Wirtschaft zu demonstrieren.97 Die Erinnerungszeichen sowohl für Gefallene als auch für Verfolgte hätten sich in der BRD hingegen eher an den Einzelbesucher gewandt und durch einen intimen und behaglichen Charakter ausgezeichnet. Sie unterschieden sich damit von den Aufmarschflächen der Nationalsozialisten – und denen in der DDR. Dementsprechend fehlten auch Fahnen, Feuerschalen, dauerhafte Rednerpulte und technische Infrastruktur für solche Kundgebungen. Gedenkfeiern seien in Westdeutschland seltener gewesen als in Ostdeutschland und zumeist nicht Teil von Massenmobilisierungen, so Peter Fibich, sodass die Teilnehmerzahl nur diejenigen umfasst habe, die aus innerer Überzeugung oder professioneller Zuständigkeit vor Ort waren.98 Traditionelle Form – neue Sinnstiftung? Die fehlende Ausstattung für die Durchführung von Massenkundgebungen an den von Erinnerungszeichen markierten Gedächtnisorten war nicht der einzige Bruch der BRD gegenüber der Zeit vor 1945, den die Forschung ausgemacht hat. Nach Ansicht von Peter Fibich kann man in der deutschen Erinnerungskultur anders als in der Alltagskultur tatsächlich von einem 1945 erfolgten Neubeginn sprechen. Dieser sei vor allem inhaltlicher Natur gewesen und habe die erinnerten Ereignisse und Personen, die politische, soziale und kulturelle Herkunft der Stifter und die Prozesse der Entstehung von Erinnerungszeichen betroffen.99 Auch Michael Jeismann und Rolf Westheider meinen, dass es eine tiefgreifende Zäsur gegeben habe. Die Kategorien »Nation« und »Volk« seien obsolet geworden, die Erinnerung an die Gefallenen sei in den Hintergrund und stattdessen das mahnende Gedenken an die unschuldig Umgekommenen in den Vordergrund getreten. Jeismann und Westheider stellen auch in Frage, ob die Denkmäler des Zweiten Weltkrieges noch unter der Kategorie des nationalen, bürgerlichen Totenkultes zu fassen seien: Mit dem Rückzug auf traditionelle christliche Sinn- und Troststiftungen seien die Merkmale des bürgerlichen Totenkults verschwunden.100 Reinhart Koselleck sieht ebenfalls einen tiefgreifenden Wandel. Die Totalisierung des Krieges, die Perfektionierung mechanischer, chemischer und atomarer Tötungsverfahren habe zu Denkmälern der Sprachlosigkeit geführt, die die Zerbrechlichkeit des Menschen thematisieren. Beispielhaft nennt Koselleck Lehmbrucks Gestürzten, Kollwitz’ Elternpaar und Zadkines Denkmal Die zerstörte Stadt in Rotterdam.101 Der Wandel der ikonologischen Denkmalslandschaft voll-

97 98 99 100 101

Vgl. ebd., S. 129. Vgl. ebd., S. 132f. Vgl. ebd., S. 4. Vgl. Michael Jeismann und Rolf Westheider, Wofür stirbt der Bürger?, S. 49. Vgl. ebd., S. 10 und 18.

2 Zwischen Aufbruch und Erinnerung

ziehe sich aber insgesamt nur langsam, zögerlich und längerfristig.102 Wolfgang Kruse weist auf eine markante Bedeutungsverschiebung hin: Im Gegensatz zu den vorherigen Kriegerdenkmälern trügen die Inschriften nicht mehr den Text »Opfer für …« sondern »Opfer von …«, die Gefallenen seien somit von Akteuren zu passiv Hilflosen geworden.103 Menkovic macht auf eine weitere Verschiebung aufmerksam: Sprach man im 18. und 19. Jahrhundert von »Siegesmonumenten« und zwischen den Weltkriegen von »Helden-Denkmälern«, so ersetzte man diese Bezeichnungen ab 1945 durch »Mahnmal« oder »Kriegsopfermal«, wie auch am Beispiel Lindners deutlich geworden ist. Das Mahnmal warne vor Wiederholung, das Kriegsopfermal verweise auf die christliche Sinngebung des Kriegstodes.104 Gerhard Schneider ergänzt, dass der Verlust des Konsenses über das nationale Geschichtsbild dazu geführt habe, dass die traditionsstiftende, integrierende Kraft des Kriegerdenkmals verloren gegangen sei. Lediglich in den Dörfern, wo »nur« gefallene »Frontsoldaten« zu beklagen waren, habe man nahtlos an bestehende Formen des Gedenkens anknüpfen können.105 Dieser Erkenntnis entspricht die Beobachtung, dass in Westfalen-Lippe Kriegerdenkmäler vor allem im ländlichen Raum entstanden. Manfred Hettling erklärt die Abkehr vom traditionellen militärischen Gefallenenkult und die damit einhergehende Distanzierung von einer gemeineuropäischen Tradition zu einer bundesdeutschen Errungenschaft.106 Wolfgang und Kai Kruse stellen in ihrer Lokalstudie zu Bielefeld heraus, dass es keine bruchlose Fortsetzung des Gefallenenkults gegeben habe. Die unzähligen Gefallenen, Ziviltoten und Opfer des NS-Regimes hätten die Frage nach dem Sinn des Soldatentodes gestellt.107 Außerdem erkennen die beiden Bielefelder Historiker, dass Ablehnung des Krieges und Würdigung der soldatischen Leistung in einem Zwiespalt zueinander standen.108

102 Vgl. Reinhart Koselleck, Die Transformation der politischen Totenmale im 20. Jahrhundert, in: Martin Sabrow, Ralph Jessen (u.a.) (Hg.), Zeitgeschichte als Streitgeschichte. Große Kontroversen nach 1945, München 2003, S. 206. 103 Vgl. Wolfang Kruse, Strukturprobleme und Entwicklungsphasen des monumentalen Gefallenenkultes in Deutschland seit 1813, in: Manfred Hettling und Jörg Echternkamp (Hg.), Bedingt erinnerungsbereit. Soldatengedenken in der Bundesrepublik, Göttingen 2008, S. 42. 104 Vgl. Biljana Menkovic, Politische Gedenkkultur, S. 11. 105 Vgl. Gerhard Schneider, »… nicht umsonst gefallen?« Kriegerdenkmäler und Kriegstotenkult in Hannover, S. 12. und S. 267. 106 Vgl. Manfred Hettling, Militärisches Totengedenken in der Berliner Republik, Opfersemantik und politischer Auftrag, in: Manfred Hettling und Jörg Echternkamp (Hg.), Bedingt erinnerungsbereit. Soldatengedenken in der Bundesrepublik, Göttingen 2008, S. 14. 107 Vgl. Kai Kruse und Wolfgang Kruse, Kriegerdenkmäler in Bielefeld. Ein lokalhistorischer Beitrag zur Entwicklungsanalyse des deutschen Gefallenenkultes im 19. und 20. Jahrhundert, in: Reinhart Koselleck und. Michael Jeismann (Hg.), Der politische Totenkult. Kriegerdenkmäler in der Moderne, München 1994, S. 91. 108 Vgl. ebd., S. 120.

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Solche Zwiespalte tauchten überall auf, wo Brüche der Kontinuitäten und Traditionen Konfrontationen auslösten. Jörg Echternkamp identifiziert beim Totengedenken der Bundesrepublik zum Beispiel einen Erinnerungskonflikt, da die Gefallenen nicht die Toten der Bundesrepublik und ihrer Armee, sondern die des vorangegangenen Staates waren, von dem sich die Bundesrepublik abzugrenzen versuchte. Das Bedürfnis der Hinterbliebenen nach Trost, der ehemaligen Kameraden nach Ehrung und auch die religiöse Pflicht den Toten zu gedenken, habe dazu im Widerspruch gestanden. Die zentrale Frage war: Wofür waren die Soldaten der Wehrmacht gestorben? Und damit zusammenhängend: Welche Sinnstiftung war möglich?109 Die Antwort habe darin bestanden, dass man den »politischsozialen« Zusammenhang des Todes ausblendete und sich auf die Person selbst konzentrierte, die in einem Krieg kämpfte, der wie ein »Naturereignis« über die Welt gekommen sei. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass das Kriegsende und damit die Leidenserfahrung für die Soldaten und ihre Angehörigen bis 1955 verlängert worden sei, bis die letzten deutschen Kriegsgefangenen aus der UdSSR zurückkehrten.110 Diesen problematischen Fragen der Sinnstiftung von Kriegerdenkmälern musste sich die DDR nicht stellen. Deutsche Gefallene gehörten nicht zu den Geehrten der DDR, es sei denn, sie waren im Spanischen Bürgerkrieg auf Seiten der 11. Internationalen Brigade »Ernst Thälmann« gefallen. Die Stelle der Toten der Wehrmacht nahmen die Gefallenen der Roten Armee ein, gemäß der DDRDoktrin, dass der 8. Mai 1945 der Tag der Befreiung des deutschen Volkes durch die Sowjetarmee gewesen sei. Amerikaner und Briten, die »Zerstörer Dresdens«, gehörten in der DDR hingegen nicht zu den Befreiern Deutschlands.111 Konflikte löste auch die Frage des Umgangs mit den Orten der nationalsozialistischen Verbrechen aus, beobachtet Peter Fibich: Während die Verfolgten des Nationalsozialisten den Ort ihres Leidens, in der Annahme der Schauplatz des Geschehens werde für sich sprechen,112 erhalten wollten, seien über 10.000 dieser Orte in den 1950er Jahren zerstört worden. Die Kasernen und Kommandanturen, die zum Wirkungskomplex der Konzentrationslager gehörten, seien als Orte der Täter nicht denkmalfähig gewesen, da sie unter dem Verdacht standen, Denkmäler für die Täter zu werden.113 Der Wunsch der NS-Verfolgten, die Historizität der

109 Vgl. Jörg Echternkamp, Kein stilles Gedenken. Die Toten der Wehrmacht im Erinnerungskonflikt der Bundesrepublik, in: Manfred Hettling und Jörg Echternkamp (Hg.), Bedingt erinnerungsbereit. Soldatengedenken in der Bundesrepublik, Göttingen 2008, S. 46f. 110 Vgl. ebd., S. 47 u. 55. 111 Vgl. Maoz Azaryahu, Von Wilhelmplatz zu Thälmannplatz. Politische Symbole im öffentlichen Leben der DDR, Göttingen 1991, S. 184f. 112 Vgl. Peter Fibich, Gedenkstätten, Mahnmale und Ehrenfriedhöfe für die Verfolgten des Nationalsozialismus, S. 136f. 113 Vgl. ebd., S. 139f.

2 Zwischen Aufbruch und Erinnerung

Orte zu erhalten, habe zudem in Widerspruch zu gestalterischen und finanziellen Möglichkeiten gestanden. Die Gartenkunst stand etwa vor der schwierigen Frage, wie man Landschaft und Natur in Gedenkstätten und an Erinnerungszeichen einsetzte und pflegte. Die chemische Bekämpfung der Vegetation wurde zum Beispiel als pietätlos angesehen. Die vegetationsreiche, parkartige Gestaltung von Gedenkstättenanlagen stand auf der einen Seite für eine würdevolle Totenehrung, wirkte auf der anderen Seite aber auch idyllisierend. Die Beseitigung von Spuren der nationalsozialistischen Herrschaft und Verbrechen entschärfte das historische Bild, die Wiederherstellung der Natur am Ort des Verbrechens konnte aber gleichsam als Überwindung des NS-Regimes interpretiert werden.114 Die Suche nach einem würdigen Gedenkformat sprach auch gegen den Erhalt von pragmatischen, schäbigen und verfallenden Gebäuden.115 Mit dem Wiederauf- und Neubau der zerstörten deutschen Städte wurde zudem ein neuer Ort für das Erinnerungszeichen benötigt. Die Denkmäler, die sich meist mit einer christlichen Ikonographie ausdrücklich an das trauernde Gedenken richteten, verschwanden aus den Zentren westdeutscher Städte und wurden nun, so Kai und Wolfgang Kruse, auf Friedhöfen oder in Parks und Grünanlagen aufgestellt.116 Besonders der Friedhof als »entpolitisierter, der individuellen Trauer gewidmeter Ort schien der Erinnerungskultur der BRD der fünfziger Jahre besser zu entsprechen als etwa die Straße oder der innerstädtische Platz.«117 Stefanie Endlich hingegen urteilt, dass die Gedenkorte für Verfolgte des Nationalsozialismus »auf den Friedhof verbannt« worden seien.118 Die acht nordrhein-westfälischen Städte, die im Folgenden als Fallbeispiele dienen, haben alle eigene Antworten auf die Frage gefunden, warum, für wen, wo und in welcher Gestalt Erinnerungszeichen errichtet werden sollten. Sie zeigen auf, wie unterschiedlich die NS-Vergangenheit in Nordrhein-Westfalen interpretiert wurde und welche Kontinuitäten und Brüche es vor Ort gegeben hat.

2.2

Vergraben: Das Sühnekreuz von Meschede (1947)

Die Stadt Meschede liegt im nördlichen Sauerland an der Ruhr und ist Kreisstadt des Hochsauerlandkreises. Im Stadtkern leben heute (Stand: 2017) über 15.000 Einwohner und mit den verschiedenen Ortsteilen zusammen kommt die Stadt auf über 31.000 Einwohner. Von 1952 bis 2009 regierte die CDU in der Stadt stets mit 114 115 116 117 118

Vgl. ebd., S. 152f. Vgl. ebd., S. 156. Vgl. Kai Kruse und Wolfgang Kruse, Kriegerdenkmäler in Bielefeld, S. 123. Vgl. ebd., S. 143ff. Vgl. Stefanie Endlich, Denkmäler und Mahnmale zur NS-Diktatur, in: Hans-Joachim Veen und Volkhard Knigge (Hg.), Denkmäler demokratischer Umbrüche nach 1945, S. 65.

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absoluter Mehrheit. Über 70 Prozent der Gläubigen im Hochsauerlandkreis gehören der römisch-katholischen Konfession an. In Meschede erinnern zwei Gedenktafeln und zwei Denkmäler an die Ermordung von Zwangsarbeiter*innen im März 1945. Die Gedenktafeln finden sich auf dem Kriegsgräberfriedhof und dem Waldfriedhof. Auf letzterem ist auch eine Stele zu finden, die auf Initiative der UdSSR vermutlich in der Nachkriegszeit am Tatort im Langenbachtal errichtet und die mit der Umbettung der sterblichen Überreste 1964 ebenfalls auf den Waldfriedhof umgesetzt wurde. Das eindrücklichste Erinnerungszeichen, das Mescheder Sühnekreuz, steht in der Kirche Mariä Himmelfahrt. Die schlichte Kirche aus den 1950er Jahren befindet sich außerhalb des historischen Stadtkerns in einem Viertel von Einfamilienhäusern, die in derselben Zeit erbaut wurden. Angrenzend an das Portal der Kirche befindet sich im Inneren eine moderne Beichtkapelle, in der das Sühnekreuz untergebracht ist. Zwischen zwei kleinen Fenstern ist es an der Wand befestigt. Das Holz ist schwarz, verwittert und trägt Spuren von Gewalt. Eine kleine, moderne Tafel aus Glas am Eingang zur Beichtkapelle und eine ältere, die am Boden stehend gegen die Wand gelehnt ist, geben Auskunft über die Vergangenheit des Kreuzes. Da Kollekte und Münzen für die Kerzen in der Kirche regelmäßig gestohlen wurden, ist der Kirchenraum seit einiger Zeit (Stand: Oktober 2017) außer zu den Gottesdiensten verschlossen. Das Sühnekreuz ist damit aus dem öffentlich zugänglichen Raum verschwunden und das nicht zum ersten Mal.

Abb. 02: Die Heimat des Sühnekreuzes

Seit 1964 die Heimat des Sühnekreuzes: Die Kirche Mariä Himmelfahrt in Meschede. Foto: Jan Niko Kirschbaum

2 Zwischen Aufbruch und Erinnerung

Das Mescheder Sühnekreuz ist, wie auch die Erinnerungszeichen in Dortmund, Wuppertal und Düsseldorf, ein Beispiel dafür, dass es entgegen der Forschungsmeinung durchaus in der Nachkriegszeit Bestrebungen aus der deutschen Gesellschaft gab, an die Verbrechen des Nationalsozialismus zu erinnern. Das Sühnekreuz zeigt, vor allem im Vergleich mit den rheinischen Friedenskreuzen, auf, was in der Nachkriegszeit in einer ländlich-konservativen Region sagbar war, womit sich die Mehrheitsgesellschaft identifizieren konnte – und womit nicht. Das Sühnekreuz ist eines der wenigen Erinnerungszeichen, das von den Errichtern selbst aufgrund des örtlichen Widerstands entfernt wurde. In diesem Kapitel wird die Geschichte des Sühnekreuzes von der Errichtung und Entfernung in der Nachkriegszeit bis zur Sicherstellung in den 1960er Jahren behandelt. Die Wiederaufstellung des Sühnekreuzes und die damit verbundene neue Akzeptanz und Neuinterpretation in den 1980er Jahren schildert Kapitel 4.4. Die Geschichte des Sühnekreuzes ist im Stadtarchiv Meschede nicht dokumentiert, denn es war nie eine Angelegenheit der Stadtverwaltung, sondern eine innerkirchliche. 2015 veröffentlichte das Museum Eslohe in seiner Reihe Daunlots. Internetbeiträge des Christine-Koch-Mundartarchives am Museum Eslohe einen Band zu den Kriegsendphaseverbrechen im Sauerland und der Geschichte des Sühnekreuzes, inklusive einer Dokumentation von Quellen, Pressespiegeln und Berichten von Zeitzeugen. Zusätzlich zu dieser Publikation wurde die Dokumentation der örtlichen pax christi-Gruppe und eine Schülerarbeit, die im Rahmen des Geschichtswettbewerbs des Bundespräsidenten entstand, zur Auswertung herangezogen. Die Quellenlage bleibt auch deswegen kritisch, weil weitere Überlieferungen aus dem Jahr 1947, zum Beispiel die unregelmäßig erschienenen lokalen Tageszeitungen, fehlen. Die Untersuchung des Sühnekreuzes muss sich daher überwiegend auf Quellen der Befürworter stützen. Fünf weitere Erinnerungszeichen sind in Meschede der Zeit des Nationalsozialismus gewidmet. Seit 1990 erinnert ein Gedenkstein in der Kampstraße an die Synagoge und ein anderer Gedenkstein am jüdischen Friedhof in der Beringhauser Straße an die Opfer der Shoa.119 Außerdem sind Stolpersteine, seit 1986 ein Nagelkreuz von Coventry als Zeichen der Völkerverständigung und ein Gedenkbuch für die gefallenen Soldaten in der Kirche St. Walburga bekannt.120 Ein Kriegsverbrechen im Sauerland Das Sühnekreuz in Meschede erinnert an ein Kriegsverbrechen aus den letzten Tagen des Zweiten Weltkrieges. Vom 20. bis zum 23. März 1945 wurden nördlich von Meschede in Warstein und Suttrop (der Ort wurde 1975 nach Warstein eingemeindet) sowie im Mescheder Stadtteil Eversberg (seit 1975 Teil von Meschede) über 200 119 Vgl. Ulrike Puvogel, Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus, Bonn 1995, S. 488f. 120 Auskunft Stadtarchiv Meschede vom 3. Februar 2014.

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Abb. 03: Das Sühnekreuz

Das Sühnekreuz und die Gedenktafel aus dem Jahr 1981. Foto: Jan Niko Kirschbaum

Zwangsarbeiter, Zwangsarbeiterinnen und zwei Kinder ermordet. Verantwortlich war eine Einheit aus Wehrmachtssoldaten und Angehörigen der Waffen-SS, die Division z.V. Diese Einheit war für den Einsatz der als V2-Waffen bekannten, ballistischen Raketen aufgestellt worden. Zur Zeit des Verbrechens befand sie sich nach dem Verlust der Abschussrampen in den Niederlanden in der Umwandlung zu einer Panzergrenadierdivision. Der Stab der Division lag im März 1945 in Suttrop.121 Als Hauptverantwortlicher für das Verbrechen wurde der Kommandeur der

121

Vgl. Jens Hahnwald, Der Arnsberger Kriegsverbrecherprozess von 1957/1958, in: Peter Bürger, Jens Hahnwald, (u.a.) (Hg.), »Zwischen Jerusalem und Meschede«. Die Massenmorde an sowjetischen und polnischen Zwangsarbeitern im Sauerland während der Endphase des 2.

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Einheit, SS-General Hans Kammler identifiziert, der am 9. Mai 1945 in Prag Selbstmord begangen haben soll.122 Das Sauerland wurde zum Ende des Jahres 1944 zur Durchgangsstation für ungefähr eine Million Zwangsarbeiter*innen und 500.000 Kriegsgefangene, die wegen der herannahenden Front aus dem Ruhrgebiet und dem Rheinland nach Osten gebracht wurden. Mangelhafte Versorgung mit Nahrungsmitteln, Chaos bei den Wachmannschaften und Kompetenzstreitigkeiten führten zu Fluchten in die Wälder, Nahrungsmitteldiebstählen und Wilderei. In einigen westfälischen Städten kam es einem Befehl des Reichsverteidigungskommissars folgend zu standrechtlichen Erschießungen von Zwangsarbeitern. Anfang März 1945 kamen täglich über 1.000 Zwangsarbeiter auf ihrem Marsch in Richtung Osten durch das nördliche Sauerland. Eine Bedrohungslage der örtlichen Bevölkerung war aber nicht gegeben, auch wenn das Landgericht in Arnsberg 1957 die Schutzbehauptung der Täter übernahm, dass »die hungernden Fremdarbeiter in ihrer gewaltigen Massierung eine große Gefahr für die deutsche Bevölkerung darstellten.«123 Jens Hahnwald, der die Prozessakten des Kriegsverbrecherprozesses ausgewertet hat, erklärt plausibel, dass die vor Gericht stehenden Verantwortlichen die Gefahr aus Gründen der Selbstrechtfertigung übertrieben hatten.124 Als Beleg führt er an, dass in Warstein die Zwangsarbeiter kaum bewacht wurden, was gegen eine Bedrohungslage spricht. Plünderung oder Überfälle waren nicht verübt worden, höchstens kleinere Nahrungsmitteldiebstähle.125 In der Nacht auf den 21. März 1945 wurden 56 Zwangsarbeiterinnen, 14 Zwangsarbeiter und ein Kind, die sich nach einem Aufruf freiwillig zum Arbeitseinsatz

Weltkrieges und die Geschichte des »Mescheder Sühnekreuzes« (Daunlots. Internetbeiträge des Christine-Koch-Mundartarchives am Museum Elslohe Nr. 76), Eslohe 2015, S. 10. 122 Rainer Karlsch stellte 2014 anhand neuer Quellen die These auf, dass Kammler im Rahmen der Operation Paperclip als Geheimnisträger nicht nur für das A4-Raketenprogramm, sondern auch für die Entwicklung von Strahltriebwerken der Me262 in die USA gebracht wurde. Karlsch bezeichnet es als höchst merkwürdig, dass Kammler, der als Leiter der Amtsgruppe C im SS-Wirtschafts-Verwaltungshauptamt u.a. für die Errichtung der Gaskammern und Krematorien in den Vernichtungslagern Auschwitz II, Majdanek und Bełżec zuständig gewesen war, als einer der Hauptverantwortlichen für die Durchführung des Genozids an den europäischen Juden nicht angeklagt wurde, auch nicht in Abwesenheit. Seine Leiche und persönlichen Unterlagen wurden nie gefunden, die einzigen Zeugen seines Selbstmords gehörten zu seinem unmittelbaren, persönlichen Umfeld. Laut Aussage eines 1997 verstorbenen ehemaligen Agenten des Office of Strategic Services wurde Kammler in die USA gebracht, blieb aber inhaftiert und nahm sich in der Haft das Leben. Vgl. Rainer Karlsch, Ein inszenierter Selbstmord. Überlebte Hitlers »letzter Hoffnungsträger«, SS-Obergruppenführer Hans Kammler den Krieg?, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 62 (2014), S. 485-505. 123 Zitiert nach: Jens Hahnwald, Der Arnsberger Kriegsverbrecherprozess von 1957/1958, S. 25. 124 Vgl. Jens Hahnwald, Der Arnsberger Kriegsverbrecherprozess von 1957/1958, S. 24f. 125 Vgl. ebd., S. 26.

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gemeldet hatten, in mehreren Transporten mit LKWs zu einer Lichtung im Langenbachtal gefahren und ermordet. In der folgenden Nacht wurden bei Eversberg in einer abgeschiedenen Talmulde 80 Zwangsarbeiter nahe der Reichsstraße 55 ermordet. Die dritte Mordaktion bei Suttrop lässt sich nicht mehr einwandfrei datieren. Auch hier wurden die Mordopfer, 35 Männer, 21 Frauen und ein Säugling, in den Wald gefahren und erschossen. Wenig später brannte die Warsteiner Schützenhalle, in der ca. 1.000 Zwangsarbeiter untergebracht waren, unter nicht genau geklärten Umständen ab. Die Türen seien fest verschlossen worden und die Feuerwehr sei am Löschen gehindert worden, wie Zeugen berichteten. Die Zwangsarbeiter hätten sich aber retten können, als französische Kriegsgefangene, die separat untergebracht gewesen seien, eine Trennwand einrissen und so ein Entkommen ermöglichten. Ein Zusammenhang mit den Ermordungen liegt auf der Hand, konnte bislang aber nicht bewiesen werden. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft in den 1950er Jahren blieben ergebnislos, weswegen der Brand beim späteren Kriegsverbrecherprozess nicht untersucht wurde.126 Während die Tatorte bei Suttrop und Warstein bereits 1945 entdeckt und am 3. und 4. Mai auf Anweisung der US-Amerikaner die sterblichen Überreste exhumiert wurden, blieb der Tatort zwischen Eversberg und Meschede zunächst verborgen. Erst im März 1947 führte ein anonymer Hinweis zur Exhumierung der 80 Opfer des Verbrechens durch die nun britische Besatzungsmacht. Die sterblichen Überreste wurden am 3. April 1947 auf dem sogenannten »Franzosenfriedhof« (die offizielle Bezeichnung lautet »Kriegsgräber-Ehrenfriedhof«) in Meschede bestattet.127 Der Friedhof war im Ersten Weltkrieg als Teil eines Kriegsgefangenenlagers bei Meschede angelegt worden. Der Bürgermeister der Stadt, Christdemokrat Engelbert Dick, rief mit öffentlichen Anschlägen zur Teilnahme an der Trauerfeier auf:128 »Mescheder! Der Nationalsozialismus zeigte sich uns noch einmal – so Gott will zum letzten Mal – in seiner brutalen Grausamkeit und Herrschaft. In unmittelbarer Nähe unserer friedlichen Stadt wurden 80 ermordete Menschen, deren einziges Verbrechen es war, einem anderen Volk anzugehören, in einem Massengrab in verbrecherischer und bestialischer Weise verscharrt. Im Namen aller 126 127 128

Vgl. ebd., S. 29-36. 1964 wurden auch die Opfer der Morde bei Suttrop und Warstein dahin überführt. Vgl. Peter Bürger, »Zwischen Jerusalem und Meschede«. Die denkwürdige Geschichte eines sauerländischen »Sühnekreuzes« zur Erinnerung an Massenmorde im März 1945 – zugleich ein Beitrag zur Kirchengeschichte unserer Landschaft, in: Peter Bürger, Jens Hahnwald (u.a.) (Hg.), »Zwischen Jerusalem und Meschede«. Die Massenmorde an sowjetischen und polnischen Zwangsarbeitern im Sauerland während der Endphase des 2. Weltkrieges und die Geschichte des »Mescheder Sühnekreuzes« (Daunlots. Internetbeiträge des Christine-KochMundartarchives am Museum Elslohe Nr. 76), Eslohe 2015, S. 52f.

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anständigen Deutschen verneigen wir uns in Ehrfurcht vor diesen Opfern des Nationalsozialismus! Unsere Aufgabe ist es, das Opfer dieser armen Menschen zu erkennen. Ihr Opfertod gilt einer reinen Zukunft! Die Stadt Meschede sieht sich für das ganze deutsche Volk verpflichtet, diesen Menschen, denen die Ruhe in heimatlicher Erde verwehrt ist, in ihren Mauern die letzte Ruhestätte zu bereiten. Wir haben die geborgenen Leichen auf dem Franzosenfriedhof beigesetzt, wo sie inmitten ihrer Kameraden der Auferstehung entgegensehen. […]«129 Auffällig an diesem Aufruf ist, dass der Opfertod der Zwangsarbeiter als sacrificium gedeutet wird, als selbstbestimmtes Opfer »für eine reine Zukunft«. Unklar bleibt, was sich genau hinter der Formulierung verbergen soll. Von einem freiwilligen Opfer kann bei dem Kriegsverbrechen keine Rede sein, die Opfer wurden unter Vorspiegelung falscher Ziele auf die LKW gelockt, die sie statt zu einer Zwangsarbeitsstelle zur Mordaktion brachten. Dem Aufruf folgte von den 150 Anwesenden der Trauerfeier wohl nur ein Drittel freiwillig, die übrigen, wie die zwei Geistlichen beider Konfessionen, waren in amtlicher Funktion zugegen. Das Sühnekreuz von Meschede Damit war die Angelegenheit für die meisten Mescheder erledigt. Eine kleine Gruppe katholischer Männer, die sich in einem Männerkreis der beiden katholischen Gemeinden der Stadt traf, fasste aber den Plan, in der Nähe des Massengrabes an der Bundesstraße im Einklang mit katholischer Tradition am Karfreitag, dem 4. April 1947, ein Sühnekreuz zu errichten. Einer der Initiatoren, Georg Heidingsfelder, dokumentierte die Geschehnisse aus seiner Sicht. Die 1960 abgeschlossene Dokumentation soll unmittelbar nach den Ereignissen niedergelegt und eidlich bekräftigt worden sein. 2015 wurde sie in der Reihe Daunlots. Internetbeiträge des Christine-Koch-Mundartarchives am Museum Elslohe veröffentlicht. Heidingsfelder war vom Protestantismus zum Katholizismus konvertiert und 1933 mit Beginn der Herrschaft der Nationalsozialisten als Redakteur entlassen worden. Er verstand sich als Gegner der Nationalsozialisten und tauchte zum Schutz, so heißt es in seiner Grabrede, in der Wehrmacht unter. Inwiefern er nach 1933 aktiven Widerstand leistete, bleibt unklar. Seine Kritik an Wiederbewaffnung und Militarismus, seine antifaschistische Vergangenheit und seine Veröffentlichungen in kommunistischen Zeitschriften machten ihn auch nach 1945 zu einem Außenseiter in Meschede.130 Der Bericht aus der Feder eines der Initiatoren gibt einen Einblick in die 129 Zitiert nach: Peter Bürger, »Zwischen Jerusalem und Meschede«, S. 53. 130 Vgl. Grabrede von Pastor Carl-Peter Klusmann 1967, in: Peter Bürger, Jens Hahnwald (u.a.) (Hg.), »Zwischen Jerusalem und Meschede«. Die Massenmorde an sowjetischen und polnischen Zwangsarbeitern im Sauerland während der Endphase des 2. Weltkrieges und die Geschichte des »Mescheder Sühnekreuzes« (Daunlots. Internetbeiträge des Christine-KochMundartarchives am Museum Elslohe Nr. 76), Eslohe 2015, S. 145f.

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Motivation und die Beurteilung der Reaktionen aus Sicht der katholischen Männergemeinschaft. Heidingsfelder erklärt, dass die Mehrheit der Mescheder »wegen eigener Sorgen und Nöte« und wegen des Glaubens, dass »die anderen nicht besser seien als die Deutschen«, kaum auf die Entdeckung des Verbrechens und seiner Opfer reagierten. Nur eine Minderheit, eben jene katholische Männergemeinschaft, diagnostizierte hingegen, dass ein Berg von »ungesühnte[r] Schuld« und die Erinnerung an den Nationalsozialismus »vor die Seele« des Volkes gerückt sei und auf ihr laste. Sie sahen sich als Teil einer »Schuldgemeinschaft aller Deutschen, die den Zorn Gottes verdientermaßen auf sich herabgerufen hatte.« Mit dem Sühnekreuz wollten sie den Zorn Gottes besänftigen, beginnen, den Berg der Schuld abzutragen und den deutschen, christlichen Willen zur Sühne verkünden.131 Der Pfarrer der Kirche St. Walburga, dem zentralen Gotteshaus in Meschede, lehnte das Ansinnen mit Verweis auf die Bedeutung des Karfreitags ab, der Vikar sprach sich aus Prinzip gegen das »absonderliche« Sühnekreuz aus. Er sah in der »Schuldgemeinschaft aller Deutschen«132 , wie es Heidingsfelder und die Männergemeinschaft nannten, einen Kollektivschuldvorwurf und sorgte damit für weiteren Widerspruch innerhalb der Gemeinde gegen den Plan. Der Vorwurf war nicht unberechtigt. Die Männergemeinschaft sah das deutsche Volk in der Verantwortung für die Verbrechen, die in seinem Namen begangen wurden, wenngleich sie nicht von einer kollektiven Verstrickung des deutschen Volkes als Einheit ausgingen. Im unangenehmen und schmerzhaften Auseinandersetzungsprozess mit dem Verbrechen bei Meschede forderten sie dennoch ein Schuldeingeständnis von den Bürgern, das sich als Schuldvorwurf interpretieren ließ. Die Männergemeinschaft, die von eher randständigen Mitgliedern der Mescheder Bürgerschaft gebildet wurde, griff damit in den Augen der Alteingesessenen die Identität der Stadt an. Allerdings verstanden sich diese Männer nicht als Ankläger, sondern als Mitschuldige bzw. in diesem explizit christlich-religiösen Kontext als Sünder, die einen Sühneakt zur Abtragung von Schuld initiieren wollten. Die Mehrheit der Mescheder hingegen sah keine Schuld, die es abzutragen galt. Es trafen politische und theologische Begriffe aufeinander und waren nicht zu vereinen, auch, weil die Männergemeinschaft dem Vikar bei einem klärenden Gespräch mit dem Pfarrer eine »nationalistische Blockierung« attestierte, woraufhin dieser das Gespräch verließ.133 Eine der

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Vgl. Georg D. Heidingsfelder, Christen verwerfen das Kreuz. Eine Dokumentation der Verblendung, in: Peter Bürger, Jens Hahnwald (u.a.) (Hg.), »Zwischen Jerusalem und Meschede«. Die Massenmorde an sowjetischen und polnischen Zwangsarbeitern im Sauerland während der Endphase des 2. Weltkrieges und die Geschichte des »Mescheder Sühnekreuzes« (Daunlots. Internetbeiträge des Christine-Koch-Mundartarchives am Museum Elslohe Nr. 76), Eslohe 2015, S. 85f. Vgl. ebd., S. 87. Vgl. ebd., S. 87.

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Konsequenzen der Unterredung war, dass die Männergemeinschaft in einer Einladung »an die Männerwelt« zur Kreuzesaufrichtung zum Ausdruck brachte, dass man damit keine Kollektivschuld anerkennen wolle.134 Dennoch lehnte die Mehrheit der Mescheder Bevölkerung das Sühnezeichen ab. Der Pfarrer von St. Walburga ließ die Errichtung des Kreuzes schließlich unter der Bedingung zu, dass diese nicht im Namen der Gemeinde geschehe. So versammelten sich am 4. Mai 1947 rund 200 Menschen unter einem vier Meter hohen Holzkreuz, dessen Querbalken die folgende Inschrift trug: »Errichtet zur Sühne für die Ermordung von 80 Fremdarbeitern«

Es wurde von Pfarrvikar Franz Josef Grumpe von der Gemeinde Mariä Himmelfahrt gesegnet. Außer ihm waren auch der Prior und der Subprior des örtlichen Benediktinerklosters und die beiden Geistlichen der evangelischen Gemeinde zu Einweihung gekommen. Das überlieferte Gebet zur Segnung des Kreuzes hatte den folgenden Wortlaut: »Herr Jesus Christus, beschütze unsere Stadt und unsere Fluren! Nimm sie unter deinen Schutz und Schirm und wende ab von uns, die wir Dir in diesem Kreuze Sühne anbieten, Krankheit, Krieg und Hungersnot!«135 Anhand der Segnung des Sühnekreuzes lässt sich der kircheninterne Konflikt zwischen den Gemeinden erkennen. Die Verantwortlichen der Gemeinde St. Walburga, zu deren Sprengel die alteingesessenen Mescheder aus der Altstadt südlich der Bahnlinie gehörten, waren gegen das Erinnerungszeichen. Unterstützung erhielt der Männerkreis von der Gemeinde Mariä Himmelfahrt nördlich der Bahnlinie. In deren Sprengel hatte im Ersten Weltkrieg das bereits erwähnte Kriegsgefangenenlager bestanden, sodass dieser neubesiedelte Teil der Stadt verächtlich »Lager« genannt und die Errichter des Sühnekreuzes als »Buiterlinge« (Fremde, Außenstehende) diffamiert wurden.136 Die Errichtung des Sühnekreuzes blieb nicht unbemerkt und wurde von der Mehrheit der Mescheder Bevölkerung nicht verstanden. Bereits an Pfingsten (25./26. Mai 1947) wurde versucht, das Fundament zu beschädigen, das Kreuz zu zersägen und es anzuzünden. Drei weitere Zerstörungsversuche folgten bald. Im Männerkreis wurde daraufhin überlegt, ob man den theologischen Begriff der stellvertretenden Sühne, der kein Schuldanerkenntnis beinhaltet, sondern als Mahnung an das Verbrechen erinnert, ausreichend vermittelt habe. Daher lud der Männerkreis die Bevölkerung zu einer öffentlichen Aussprache in die Aula des Gymnasiums der Benediktiner ein, die am 10. Juni 1947 stattfand.137 Man spürt 134 135 136 137

Vgl. ebd., S. 91. Vgl. ebd., S. 55f. Vgl. ebd., S. 72. Vgl. ebd., S. 56f.

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in der von Heidingsfelder verfassten und deshalb stark subjektiven Beschreibung der Aussprache deutlich seinen Zorn und das Unverständnis über die Wut und die Argumente, die ihm als Initiator des Sühnekreuzes entgegenschlugen. Nachdem der Bürgermeister, bereits gestört durch »Gemurmel des Unwillens«, an die Verbrechen des Zweiten Weltkriegs und die Zeit des Nationalsozialismus erinnert hatte, vor Wiederholung gemahnt und an die Pflicht zur Sühne erinnert hatte, brach, in Heidingsfelders moralisch aufgeladenen Worten, »die Stunde der Finsternis über die Stadt« herein, »da sie das Kreuz nicht mehr als Zeichen des Heils erkennen konnte.« Ein Kreistagsmitglied lehnte die Beschädigung des guten Rufs der Stadt ab und berief sich auf seine echte Heimatliebe. Ein alter Mittelschullehrer zeigte sich angesichts der Schändung des Kreuzes erfreut, dass es noch ein Nationalbewusstsein in der Jugend gebe. Ein Soldat, der in Russland gekämpft hatte, verrechnete russische und deutsche Kriegsverbrechen und erinnerte an die Kameraden in Gefangenschaft. Auch der Vorwurf, dass die Männergemeinschaft gar nicht zur Bürgerschaft gehöre, kam auf. »[D]amit waren sie diffamiert als wurzellose Asphaltmenschen ohne Scholle an den Stiefeln«, stellte Heidingsfelder fest.138 Er benutzte damit einen Begriff der Nationalsozialisten, die unter »Asphaltmenschen« heimatlose, moralisch verkommene Menschen aus der Großstadt bezeichneten, die das Gegenteil der nationalsozialistischen Blut- und Boden-Ideologie verkörperten, da sie nicht an eine heimatliche »Scholle« gebunden waren.139 Der Hauptredner des Abends soll ein Kaufmann gewesen sein, der an die Vaterlandsgefühle der Anwesenden appellierte und »rauschenden Beifall« bekam. Mit bitterer Ironie kommentiert Heidingsfelder: »[…] da wähnte man sich in die herrlichen Zeiten vor der ›Machtergreifung‹ zurückversetzt, in denen die gleichen Töne Orkane des Beifalls auslösten – und den Untergang eingeleitet hatten.« Während der katholische Pfarrer zwar vor der Kreuzschändung warnte, aber gleichzeitig dessen Entfernung forderte, trat ein evangelischer Geistlicher für das Kreuz ein und forderte von den Deutschen ein »Umdenken von Grund aus«. Er scheint nach Heidingsfelders Bericht der einzige Befürworter des Sühnekreuzes gewesen zu sein.140 Heidingsfelder sah Verstocktheit und Unverstand als Gründe für die Ablehnung des Sühnekreuzes an und ordnete die Gegner in vier Kategorien ein: Jene, die Angehörige im Russland-Feldzug verloren hatten oder in Gefangenschaft wussten, »glaubten das ›für die Russen aufgerichtete Kreuz‹ ablehnen zu müssen«.141 Sie waren in ihrer Loyalität und Trauer gegenüber den Angehörigen gefangen. Radikaler war die Gruppe der »Militaristen«, die bedauerten, dass nicht »80.000 Russen« an 138 139

Vgl. Georg D. Heidingsfelder, Christen verwerfen das Kreuz, S. 92f. Vgl. Christian Zentner und Friedemann Bedürftig, Das große Lexikon des Dritten Reiches, München 1985, S. 41. 140 Vgl. Georg D. Heidingsfelder, Christen verwerfen das Kreuz, S. 92f. 141 Vgl. ebd.

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der Stelle getötet worden waren. Die »Altbürger« forderten die »Kreuzigung der Kreuzaufrichter« und wandten sich so gegen die Außenseiter in der Stadt. Die »Patrioten« rechneten schließlich Kriegsverbrechen der Alliierten und der Deutschen gegeneinander auf. Das interessanteste Argument, von dem Heidingsfelder berichtet und das er als bürgerliches Hauptargument bezeichnet, war die Angst vor russischer Rache: »[…] wenn eines Tages die Russen kommen (!!), sehen sie in diesem Kreuz das Eingeständnis unserer Schuld und üben Rache; man müsse also vertuschen, wo immer man könne.«142 Auch wenn Heidingsfelder das Argument mit zwei Ausrufezeichen versieht, um in seinen Augen die Lächerlichkeit und Hysterie zu verdeutlichen, möglicherweise gerade auch aus der Sichtweise des Jahres 1960, ist dieses Argument zwar historisch falsch, aber doch verständlich. Die grausame innenpolitische sowjetische Geschichte der 1920er und 1930er Jahre, jahrelange Propaganda der Nationalsozialisten gegenüber der Sowjetunion, die Besetzung und Vertreibung der deutschen Bevölkerung aus Ostpreußen und Schlesien und eingehende Berichte aus der sowjetischen Besatzungszone werden Spuren in den Köpfen hinterlassen haben. Dazu kam die Erinnerung an die erschütterte Reaktion der Amerikaner über die Kriegsverbrechen im Sauerland, ihre Unterstützung der »Fremdarbeiter« unmittelbar nach Kriegsende und an die Bestrafung der Deutschen durch die Zwangsbesichtigung der Tatorte und Leichen. Die Unfähigkeit der Alliierten zu einer gemeinsamen Deutschlandpolitik war auch schon 1947 offensichtlich und nicht zuletzt führte die bereits seit 1944 bestehende Sorge des britischen Militärs vor einer Übernahme Rest-Deutschlands oder auch nur des Ruhrgebiets durch die Russen und/oder deutsche Kommunisten zur Gründung des Landes Nordrhein-Westfalen.143 Vor diesem Hintergrund scheint die Furcht vor den Besatzern und eine abstrakte Kriegsgefahr als Argument gegen das Sühnekreuz durchaus glaubhaft. Auch die Zurückhaltung derjenigen, die Angehörige im Russland-Feldzug verloren hatten, mag von einem emotionalen Standpunkt aus verständlich sein. Heidingsfelder beschreibt diese emotionalen Begründungen als Kitt, mit dem unterschiedlichste Argumente zu einem geschlossenen Widerstand zusammengeführt wurden.144 Ohne es anzukündigen entfernte der Männerkreis am folgenden Tag das Sühnekreuz und vergrub es in der Erde.145 Heidingsfelders Fazit lautet: »Dies in jener kleinen Stadt geschändete Kreuz ist Symbol; es hätte wahrscheinlich in jeder deutschen Stadt schon 1947 ein gleiches Schicksal gehabt. Die geistige Verfasstheit der Christenheit war danach.«146 1954 urteilte er in einem Artikel unter der Überschrift 142 Vgl. ebd., S. 92. Hervorhebung durch Heidingsfelder. 143 Vgl. Rolf Steininger, Ein neues Land an Rhein und Ruhr. Die Entstehungsgeschichte Nordrhein-Westfalens 1945/46, Düsseldorf 1988, unveränderter Nachdruck 2016, S. 31, S. 266. 144 Vgl. Georg D. Heidingsfelder, Christen verwerfen das Kreuz, S. 92. 145 Vgl. ebd., S. 57. 146 Vgl. ebd., S. 94.

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»Deutsche Kleinstadt in der Restauration« in der Zeitschrift Christ in der Welt, dass in der Stadt das »bürgerlich-nationalistische Christentum über die Gesinnungsrevolution der durch den Hitlerkrieg Belehrten« gesiegt habe.147 Da keine direkten Quellen der Gegenseite bekannt sind, bietet sich ein Blick auf die offizielle Publikation zum Kriegsende im Sauerland an, um einen Eindruck vom Mescheder Umgang mit der jüngsten Vergangenheit zu erhalten. 1949 veröffentlichte der Kreis Meschede eine Sammlung von Erinnerungen an die Kriegszeit und besonders ihr Ende. Die Ermordungen durch die Division z.V. fanden hier keine Berücksichtigung, obwohl sie bekannt waren. Stattdessen wird in dem aus »Erlebnisberichten« zusammengetragenen Buch »Der Kreis Meschede unter der Feuerwalze des Zweiten Weltkrieges« deutlich, dass an eine Aufarbeitung der Zeit des Nationalsozialismus noch gar nicht gedacht wurde. In der Schilderung des Kriegsausbruchs wurde unreflektiert der nationalsozialistischen Propaganda gefolgt: »Die in einer Auseinandersetzung mit Polen erstrebte Änderung der Ostgrenze, Vereinigung Danzigs mit dem Reich, Beseitigung des Korridors, angebliche Unterstützung der Deutschen in Polen und polnische Grenzübergriffe [sic!] brachten den Weltkrieg, bei dem Rußland dem Deutschen Reiche Hülfsstellung leistete.« Zwar schränkte der Autor des Werkes ein, man müsse es den späteren Historikern überlassen, die Schuldfrage gerecht zu beurteilen, stellte dann aber apodiktisch fest: »Jedenfalls hat das friedliebende deutsche Volk in seiner Masse allen weitausschauenden Plänen auf kriegerische Ausdehnung seiner Grenzen und Unterdrückung fremder Völker ferngestanden und würde diesen auch nie seine Zustimmung gegeben haben.«148 Professor Albert Huyskens, den die Kreisverwaltung zur Verarbeitung der gesammelten Erlebnisberichte auswählte, war vor dem Krieg in Aachen als Historiker und Archivar tätig gewesen. 35 Jahre war er Direktor des Aachener Stadtarchivs und lange Jahre Vorsitzender der Westdeutschen Gesellschaft für Familienkunde und des Aachener Geschichtsvereins. 1944 kam er nach der Räumung Aachens in den sauerländischen Ort Nordenau. Für die Beurteilung des Werkes »Der Kreis Meschede unter der Feuerwalze des Zweiten Weltkrieges« ist festzuhalten, dass

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Der Artikel wurde unter Pseudonym veröffentlicht und lässt sich aufgrund der Ähnlichkeit zum Bericht Heidingsfelders und dem Auffinden des Artikels in der Sammlung von Irmgard und Alfons Rode diesem zuordnen. Vgl. Arnold Prant, Deutsche Kleinstadt in der Restauration, in: Christ in der Welt, Heft 2, 1954, S. 47-50. Abdruck in: Peter Bürger, Jens Hahnwald (u.a.) (Hg.), »Zwischen Jerusalem und Meschede«. Die Massenmorde an sowjetischen und polnischen Zwangsarbeitern im Sauerland während der Endphase des 2. Weltkrieges und die Geschichte des »Mescheder Sühnekreuzes« (Daunlots. Internetbeiträge des Christine-KochMundartarchives am Museum Elslohe Nr. 76), Eslohe 2015, S. 136. 148 Vgl. Der Kreis Meschede unter der Feuerwalze des Zweiten Weltkrieges. Aus den Erlebnisberichten vieler Mitarbeiter aus dem ganzen Kreisgebiet zusammengetragen und dargestellt im Auftrage der Kreisverwaltung von Prof. Dr. Albert Huyskens, Bielefeld 1949, S. 5.

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die Auftraggeber einen Mann wählten, der 1948 offiziell in keiner Weise entnazifiziert war. Stefan Krebs und Werner Tschacher konstatierten 2005, dass Huyskens »mit den wesentlichen ideologischen Zielen des Nationalsozialismus und speziell der antisemitischen Rassenpolitik übereinstimmte« und willfährig und auf eigene Initiative die Bestände des Aachener Stadtarchives nutzte, um »Nichtarier« zu ermitteln und eine »restlose sippenkundliche Erfassung der Aachener Bevölkerung« zu beginnen.149 Wenn man davon ausgeht, dass der Bericht Huyskens im Auftrag der Kreisverwaltung weitestgehend im Einklang mit der offiziellen Meinung bzw. der der Mehrheitsgesellschaft stand, dann lassen sich weitere Erkenntnisse in Bezug auf die öffentliche Wahrnehmung gewinnen. Das Kriegsende prägte die Nachkriegserinnerung der Bewohner des Sauerlandes durch das persönliche Erleben des Krieges während der Eroberung des Gebietes durch die amerikanischen Truppen in besonderem Maße. Im Gegensatz zu den Städten im Ruhrgebiet und am Rhein erreichte die Zerstörung durch Luft- und besonders Artillerieangriffe das Sauerland erst in den letzten Kriegstagen.150 Auch im Anschluss, in den ersten Wochen der Besetzung, erlebten die Mescheder zum ersten Mal Nahrungsknappheit und mussten mit ansehen, dass die Amerikaner, sofern man den Berichten Glauben schenkt, zuerst die »Fremdarbeiter« vor der deutschen Zivilbevölkerung versorgten. Eine Reflexion über die Notwendigkeit, die Zwangsarbeiter*innen zu ernähren und die bisherige rassistische, nationalsozialistische Ernährungshierarchie aufzuheben, fand nicht statt.151 Auch die Berichte über diejenigen Zwangsarbeiter*innen, die nach der Evakuierung aus dem Rhein- und Ruhrgebiet von der Front eingeholt und von den Amerikanern befreit wurden, aber nicht zu den »im Kreisgebiet eingesetzt gewesenen Arbeitskräften« gehörten, lassen jegliches Verständnis für die Situation dieser Menschen vermissen. Die unmittelbare erste Besatzungszeit, in der die amerikanische Besatzungsmacht aufgrund weniger Truppen als Ordnungsmacht nicht ausreichend präsent gewesen zu sein scheint, benennt Huyskens als »Todesangstnächte« und Nächte der »Russenplage«, in der »nicht wenige Männer und Frauen der einheimischen Bevölkerung ihr Leben eingebüßt haben.« Nur widerwillig erwähnt Huyskens, dass »hie und da« geäußert wurde, dass sich auch Deutsche an den Plünderungen beteiligten und als Hehler dienten. Mit der Übernahme der Besatzungsgewalt durch die Briten seien die Requisitionen geringer, die Plünderungen aber mehr geworden. »Die Leidenszeit der deutschen Bevölkerung, die manchen noch schlimmer erschien als die Tage des Kampfes, ging

149 Vgl. Stefan Krebs und Werner Tschacher, »Sippenforschung und Rassepolitik« – Albert Huyskens und der Aachener Mythos vom katholischen Widerstand, [20.10.2005], www.archiv.rwth-aachen.de/web/ouploads/Sippenkunde.pdf, abgerufen am 13. Juli 2016. 150 Vgl. Der Kreis Meschede unter der Feuerwalze des Zweiten Weltkrieges, S. 38ff. 151 Vgl. ebd., S. 125.

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erst zu Ende, als endlich die Lager [eingerichtet von den Alliierten für die ehemaligen Zwangsarbeiter*innen, Anm. JNK] geräumt und ihre Insassen abtransportiert wurden.«152 Die reale oder auch nur erzählte Bedrohung durch befreite Zwangsarbeiter*innen kann im Streit um das Mescheder Sühnekreuz eine entscheidende Rolle gespielt haben. Auf der einen Seite die gefährlichen fremden Zwangsarbeiter*innen, besonders Russen, auf der anderen Seite die friedliebenden, hilflosen Deutschen, dieses Bild wurde entworfen und gepflegt. Im Jahr 1981 erlebte die Publikation Huyskens noch einmal eine neue Bedeutung, als sie zur Beurteilung des Sühnekreuzes durch Karl Berkenkopf herangezogen wurde (siehe Kapitel 4.4). Das Aachener Friedenskreuz – ein Gegenbeispiel? Während das Sühnekreuz in Meschede vergraben und vergessen wurde, war das christliche Kreuz als Erinnerungszeichen im Jahr 1947 in Nordrhein-Westfalen nicht ungewöhnlich.153 So entstanden in diesem Jahr in Aachen, Dremmen (Kreis Heinsberg) und Willich (Kreis Viersen) sogenannte Friedenskreuze. Das bedeutendste, das Aachener Friedenskreuz, wurde wie auch das Kreuz in Meschede aus einem Kreis katholischer Männer initiiert. In diesem Fall waren es ehemalige Soldaten aus Krefeld, die sich bereits im Kriegsgefangenenlager in Eutin verabredet hatten, einen solchen Kreis zu gründen. Nicht nur in Krefeld, im ganzen Bistum Aachen waren Männer in katholischen Männerkreisen zusammengekommen und hatten schließlich im Januar 1946 die »Katholische Männerbewegung im Bistum Aachen« gegründet, die sich Bildungsarbeit und religiöse Zusammenkünfte zur Aufgabe machte.154 Im Dezember 1946 wurde in Krefeld ein ökumenischer Schweigegang mit dem Ziel der Stärkung des christlichen Bekenntnisses veranstaltet. Bei der Massenkundgebung wurde ein Kreuz durch die Straßen getragen und ein

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Vgl. ebd., S. 128. Stephan Scholz stellt in seiner Arbeit zu den Vertriebenendenkmälern fest, dass das Kreuz ganz verschiedene Bedeutungen in sich trägt. Natürlich dient es einerseits als christliches Symbol der Trauer, aber gleichzeitig auch als Auferstehungssymbol »im Rahmen des territorialen Revisionsdiskurses«. Die dritte Bedeutung, die Scholz erkennt, ist die des christlichen Opfers, des Martyriums, der Passion. Ab den 1960er Jahren nahm die Verwendung des Kreuzes ab. Vgl. Stephan Scholz, Vertriebenendenkmäler, S. 287f. und S. 291. Das christliche Kreuz kann auch als Siegessymbol gesehen werden. So fasste 1988 Hermann Henselmann, der ein provisorisches Denkmal zur Erinnerung an Buchenwald 1946 in Weimar geschaffen hatte, seinen damaligen Gedanken wie folgt zusammen: »Vom christlichen Kreuz ausgehend, das ja der Hinrichtung im Altertum diente, schwebte mir vor, den Galgen von Buchenwald als Tor aufzufassen, durch das unsere Helden hindurchgeschritten sind, um einer besseren Welt willen.« Vgl. Volkhard Knigge, Zur Entstehungsgeschichte der Nationalen Mahn- und Gedenkstätte Buchenwald, S. 103. Vgl. August Brecher, »Im Kreuz ist Heil«. Die Geschichte des Aachener Friedenskreuzes, Aachen 1992, S. 15f.

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weiteres auf einem Schutthügel aufgerichtet. Alle Christen der Welt wurden dazu aufgerufen, sich in folgendem Gebet zu vereinigen: »Herr, gib daß Hunger und Not überall, so auch in deutschen Landen, aufhören, daß Flüchtlinge und Vertriebene ein Obdach finden, und hilf vor allem denen, die ganz und gar in Verzweiflung sind und ohne Hoffnung. Gib, daß aus Trümmern wieder menschenwürdiges Leben erwachse, in dem jeder zum eigenen Wohle wie zum Wohle der Menschheit arbeiten kann. Herr, schenke diesem geschlagenen Volke Frieden! Gib seinen Frauen die Männer, seinen Vätern und Müttern die Söhne wieder, schenke den Familien die Kriegsgefangenen zurück!«155 Zwar wiesen die Initiatoren auch auf eigenes Unrecht und eigene Schuld hin, sie warnten aber gleichzeitig davor, daraus nicht neues Unrecht zu schaffen.156 Der Veranstaltung haftet ein schaler Beigeschmack an. Die Rufe nach Hilfe angesichts des Chaos der Nachkriegszeit waren laut, die eigene Verantwortung dafür wurde nicht benannt. Der Wunsch nach Frieden speiste sich aus dem Erleben der eigenen Not, nicht aus einer Erkenntnis über eigenes Verschulden. Wenige Wochen später, am Neujahrstag 1947, wurde in Krefeld die Idee des Friedenskreuzes geboren, das in der für Deutschland noch unsicheren und unbefriedeten Zeit an Karfreitag durch Krefeld und anschließend durch alle Dekanate des Bistums getragen werden sollte. Am Fest von St. Michael, dem Schutzheiligen der Deutschen, sollte es in Aachen, dem Sitz der Diözese, eine Schlussfeier geben. Bischof van der Velden schloss sich dem Ansinnen an, sein Wahlspruch »im Kreuz ist Heil« (in cruce salus) sollte so in der Diözese bekannt und zum Allgemeingut werden. Ein Krefelder Schreiner fertigte das 3,50 Meter hohe und drei Zentner schwere Eichenkreuz, in dessen Schnittpunkt das Antlitz des dornengekrönten Christus’ eingelassen wurde. Träger des Kreuzes waren vor allem heimgekehrte Soldaten. Als am 4. April 1947 die Wallfahrt des Friedenskreuzes begann, waren in manchen Orten schon im Rahmen einer Bußwallfahrt der Männer in der Nacht zum Passionssonntag 1947 Bußkreuze aufgestellt worden.157 Gleichzeitig mit der Wallfahrt wurde Kontakt zur pax christi-Bewegung158 um den französischen Bischof Théas aufgenommen, der die Wallfahrt des Friedenskreuzes begrüßte und zur Abschlussfeier kommen wollte, aber von den britischen Besatzungsbehörden keine Einreisegenehmigung bekam.159 Die Kontakte wurden aber weiter gepflegt. 1948 wurde der 155 156 157 158

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Ebd., S. 20f. Vgl. ebd., S. 20f. Vgl. ebd., S. 24f. und Erlaß Nr. 46, in: Kirchlicher Anzeiger für die Diözese Aachen, vom 10. Februar 1948, S. 20. Pax christi ist eine 1945 in Frankreich gegründete internationale katholische Friedensbewegung. Erstes Ziel der Bewegung war ein deutsch-französischer Ausgleich und Versöhnung. Heute versteht sich die Bewegung als ökumenisch. Vgl. ebd., S. 32.

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deutsche Zweig der pax christi-Bewegung gegründet und in Kevelaer fand der internationale pax christi-Kongress statt. Im Jahr 1950 führte eine Kreuzfahrt nach Rom, wo das Friedenskreuz durch den Papst gesegnet wurde. Ende der 1950er Jahre kam es zu weiteren Wallfahrten ins westliche Ausland, unter anderem nach Lourdes. Das Kreuz als Zeichen des Friedens war im Rheinland 1947 ein weithin anerkanntes Symbol, dessen Kraft sich ohne Zweifel aus dem gegenwärtigen Nachkriegsleid der deutschen Bevölkerung speiste. Im Gegensatz zum Mescheder Sühnekreuz richtete sich das Friedenskreuz an Gegenwart und Zukunft und beklagte das Leid der Deutschen, nicht ihre Verbrechen. Das Aachener Friedenskreuz, hinter dem sich viele Menschen versammelten, stand für Frieden, Hoffnung und Versöhnung. Das Mescheder Sühnekreuz hingegen stand für Sühne, Buße und evozierte eine diffuse Bedrohung durch die UdSSR. Im Laufe der Zeit konnte das Friedenskreuz über seine positive Sinnstiftung auch zum Symbol von Sühne und Buße werden. Anlässlich des Katholikentages 1962 stand das Friedenskreuz erstmals als Zeichen der Sühne im ehemaligen Konzentrationslager Bergen-Belsen. 1964 veranstaltete der Katholikenausschuss der Stadt Krefeld eine »Schiffswallfahrt der Sühne« für die Jahre 1933-1945 nach Xanten, bei der das Friedenskreuz vom Schiff zum Victorsdom getragen wurde. In den anschließenden zehn Jahren, der Zeit der Krise der Geschichte und der Erinnerungszeichen (siehe Kapitel 3), fand kein bemerkenswertes Ereignis statt, erst 1975 kam das Friedenskreuz auf eine Rom-Wallfahrt mit und 1977 wurde es auf Einladung des späteren Papstes Johannes Paul II. durch Auschwitz getragen. Mescheder Schlussstriche Nachdem das Sühnekreuz vergraben worden war, beauftragte das für Meschede zuständige Erzbistum Paderborn 1948 den Geistlichen Schulte mit der Klärung des Disputs. Dieser legte die Aufgabe aber bald aus unbekannten Gründen nieder. Schließlich zog Generalvikar Dr. Friedrich Rintelen in einem Schreiben an den Männerkreis einen Schlussstrich unter die Debatte. Er bemühte sich, beiden Seiten gerecht zu werden. Er verurteilte das Kriegsendphaseverbrechen und stellte fest, dass die Errichter des Sühnekreuzes die edelsten Motive gehabt hätten, aber die »schwierige Frage« der Kollektivschuld aufgeworfen worden sei. Er plädierte dafür, die Angelegenheit ruhen zu lassen, da »sich religiöse und andere Gesichtspunkte« so vermischt hätten, dass jede weitere Aktion Zwietracht säen würde, was nicht »im Sinne des Gekreuzigten sei«. Stattdessen schlug er vor: »Zur Zeit erscheint es uns das Gottgefälligste, wenn die Gutgesinnten der dortigen Bevölkerung still und ungesehen in freiwilligen Opfern Gott dem Herrn Sühne leisten für die furchtbaren Verbrechen, [durch] die ER beleidigt wurde.«160 Die Lösung des Generalvikars 160 Vgl. Schreiben des Generalvikars Rintelen an Heidingsfelder vom 14.12.1948, abgedruckt in: Peter Bürger, Jens Hahnwald (u.a.) (Hg.), »Zwischen Jerusalem und Meschede«. Die Massen-

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lautete angesichts des nicht zu kittenden Risses in der Mescheder Bevölkerung also: Schweigen und Warten. Eine Unterstützung der Männer mit den »edelsten Motiven« gab es von der katholischen Kirche nicht. Nachdem sich bereits die amerikanischen Besatzungstruppen um Aufklärung der Verbrechen bemüht hatten, führten anonyme Hinweise an mehrere Staatsanwaltschaften im Winter 1955/56 zu Ermittlungen der Arnsberger Staatsanwaltschaft und des Landeskriminalamts. Daraus resultierte ein Kriegsverbrecherprozess gegen sechs Angeklagte vor dem Landgericht Arnsberg, wodurch Meschede und die in der Umgebung stattgefundenen Verbrechen 1957 und 1958 die bundesweite Öffentlichkeit beschäftigten.161 Neben den örtlichen Zeitungen Westfalenpost und Westfälische Rundschau, die täglich und ausführlich berichteten, verfolgten auch die Frankfurter Rundschau, die Frankfurter Allgemeine Zeitung, Die Zeit, der Stern und Der Spiegel den Prozess.162 Am 12. Februar 1958 wurden vier Angeklagte vom Landgericht freigesprochen. Die lokale Presse begrüßte das Urteil, wie Jens Hahnwald feststellt. Sie argumentierte: Da kein Sauerländer beteiligt gewesen sei, sei auch das Sauerland und seine Bevölkerung freigesprochen worden, auch wenn das nun aufgedeckte »unselige Stück unserer Heimatgeschichte« trotz des günstigen Urteils furchtbar bliebe. Dass einer der Angeklagten aus dem Sauerland kam, unterschlugen die Journalisten der Leserschaft. Die überörtliche Presse und auch die Bundespolitik, darunter der Vorsitzende des Rechtsausschusses des Bundestages, Matthias Hoogen (CDU), und der sozialdemokratische Abgebordnete Adolf Arndt, kritisierten das Urteil.163 1959 verwarf der Bundesgerichtshof drei Urteile und verwies das Verfahren an das Landgericht Hagen. Der wieder aufgerollte Prozess rief bei weitem nicht so starke Emotionen hervor. Das Landgericht verhängte deutlich höhere Strafen, darunter einmal lebenslänglich, und musste nach einer weiteren Revision beim Bundesgerichtshof einen Freispruch erneut verhandeln und im dritten Prozess kam es dann auch in diesem Fall zu einer Haftstrafe. 1961 verwarf der Bundesgerichtshof die letzten Revisionsanträge der Angeklagten und damit endete die juristische Aufarbeitung.164 Einen Einfluss auf die Auseinandersetzung um das Sühnekreuz hat es durch die Prozesse und Berichterstattung nicht gegeben. Erst 1964 wurde das Sühnekreuz wieder in Erinnerung gerufen. Irmgard Rode, die Ehefrau von Dr. Alfons Rode, der Teil des besagten katholischen Männerkreises

morde an sowjetischen und polnischen Zwangsarbeitern im Sauerland während der Endphase des 2. Weltkrieges und die Geschichte des »Mescheder Sühnekreuzes« (Daunlots. Internetbeiträge des Christine-Koch-Mundartarchives am Museum Elslohe Nr. 76), Eslohe 2015, S. 97. 161 Vgl. Jens Hahnwald, Der Arnsberger Kriegsverbrecherprozess von 1957/1958, S. 12. 162 Vgl. ebd., S. 18. 163 Vgl. ebd., S. 41ff. 164 Vgl. ebd., S. 48f.

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war, bat als Mitglied der katholischen Friedensbewegung pax christi den Paderborner Erzbischof Jaeger um Unterstützung bei der geplanten Wiederaufrichtung des Sühnekreuzes. Denn, so ihre Begründung, sie sei auf so viele ausweichende, ängstliche, unentschlossene und unklare Antworten bei der Erforschung der Vergangenheit des Sühnekreuzes gestoßen, dass sie sich nun ein mutiges Wort von ihm erhoffe. Der Erzbischof hatte zwar in seiner Antwort keine Lösung zu bieten, verurteilte aber die Beseitigung des Sühnekreuzes »[…] und zwar umso schärfer, als Emotionen von Völkerhass und Vergeltungsdrang das Tun bestimmt haben.« Es gebe zwar psychologische Gründe, die die Ablehnung 1947 erklärten, aber die stellten »niemals« eine Rechtfertigung dar. Er würde es begrüßen, wenn eine Wiedererrichtung des Kreuzes allgemeine Zustimmung fände. Peter Bürger weist in seinem Beitrag zur Geschichte des Sühnekreuzes darauf hin, dass der Erzbischof mit Blick auf seine eigene Vergangenheit und seine Reputation allen Grund gehabt habe, sich für ein christliches Gedenken für die ermordeten Menschen aus der Sowjetunion einzusetzen. Schließlich war er selbst als Divisionspfarrer im Zweiten Weltkrieg als Verkünder nationalsozialistischer Propaganda am Russland-Feldzug beteiligt, wie 1965 der Vorabdruck von Guenter Lewys Buch »Die katholische Kirche und das Dritte Reich« im Magazin Der Spiegel unter dem Reihentitel »Mit festem Schritt ins neue Reich« aufzeigte.165 Durch das positive Votum des Bischofs bestärkt, gruben nun Jugendliche aus Meschede, teilweise Söhne der Mitglieder des Männerkreises um Georg Heidingsfelder, das Kreuz im November 1964 aus, nachdem dieser sie zu dessen »Grab« geführt hatte. Einer der Beteiligten, Martin Stankowski, war 1995 Mitherausgeber der Dokumentation »Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus« der Bundeszentrale für politische Bildung. Er gab 1993 in einem Interview für eine Schülerarbeit zum Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten an, dass dies auch geschah, um die Mescheder Bürger zu provozieren, denn er habe sich »stets als Opposition in Meschede gefühlt.« Da er durch seinen Vater von den Reaktionen der Mescheder erfahren hatte, hätte es ihn gereizt, das Kreuz wieder auszugraben.166 Das seinem Erdgrab enthobene Sühnekreuz wurde anschließend in der Garage der Familie Rode getrocknet und aufbewahrt. Doch weitere Schritte ließen auf sich warten. 1966 bat Irmgard Rode, nachdem sie mit Pfarrer Luhmann von der Gemeinde St. Walburga in Streit geraten war, Franz Josef Grumpe um Hilfe, der inzwischen vom Vikar zum Dechanten der Gemeinde Mariä Himmelfahrt aufgestiegen war.167 Grumpe war nicht erfreut in die

165 Vgl. Peter Bürger, »Zwischen Jerusalem und Meschede«, S. 60ff. und S. 142. 166 Vgl. Interview mit Martin Stankowski am 9. Februar 1993, in: Sabine Schäfer und Alexandra Ricket, Das Mescheder Sühnekreuz, Beitrag zum Schülerwettbewerb Deutsche Geschichte um den Preis des Bundespräsidenten, Beitrag 1993-0929, 1993. 167 Vgl. Peter Bürger, »Zwischen Jerusalem und Meschede« S. 63f.

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Angelegenheit erneut einbezogen zu werden. Das Gesprächsprotokoll von Irmgard Rode zeichnet das Bild eines Mannes, der sich unter Druck gesetzt fühlte, da die Gruppe um Rode das Kreuz ausgegraben hatte, ohne das weitere Vorgehen mit ihm abzusprechen. Wie 1947 wurde damit die Geistlichkeit mehr oder weniger vor vollendete Tatsachen gestellt. Außerdem blitzt in den theologischen Argumentationen Rodes der für einen Dechanten nicht unerhebliche Vorwurf durch, dass dieser das Christentum nicht ausreichend lebe. Grumpe erklärte schließlich, er sei zwar für das Kreuz, aber der Klerus sich nicht einig. Die Leute würden einen Aufruhr machen und er kenne niemanden, der das Kreuz aufrichten wolle. Er nahm das Kreuz dennoch in die Obhut der Kirche, versteckte es aber hinter dem Hochaltar, sodass es nicht sichtbar war.168 Erst 1981 sollte es diesen Platz wieder verlassen (siehe Kapitel 4.4). Auch 1966 wurde noch einmal deutlich, dass die Errichtung des Sühnekreuzes in Meschede ohne die Beteiligung der Stadt als Institution geschah, wichtiger waren die kirchlichen Organisationen. Es handelt sich um ein sehr frühes Erinnerungszeichen, eines der wenigen dieser Zeit, die nicht von den Verfolgten und Opfern des Nationalsozialismus selbst errichtet wurde. Die Idee des Sühnekreuzes als Zeichen des Gedenkens und der Sühne ohne Übernahme von Verantwortung wurde von der Mehrheitsgesellschaft nicht akzeptiert. Zu tief war die Indoktrination der nationalsozialistischen Propaganda eingedrungen, als dass man sich in irgendeiner Weise positiv mit russischen »Fremdarbeitern« identifizieren wollte und konnte. Hinzu kam, dass die Zeit des Durchtriebs von Zwangsarbeiter*innen mit der zurückweichenden Front und die Eroberung und Besetzung des Sauerlandes zu den traumatischen Erfahrungen einer ländlichen Region gehörte, die bis 1945 weitgehend von Krieg und Zerstörung verschont geblieben war. Zuletzt trug die politische Unsicherheit der Nachkriegszeit in Verbindung mit den nationalsozialistischen Zerrbildern der UdSSR zur Ablehnung des Sühnekreuzes bei. Es lässt außerdem ein innerkirchlicher Konflikt konstatieren. Die Vertreter der katholischen Kirche zeigten sich uneins in der Behandlung des Kreuzes, die einen lehnten es als Kollektivschuldvorwurf strikt ab, die anderen segneten es. Das Fehlen einer positiven Identifikation führte dazu, dass die Stifter sich gezwungen sahen, das Kreuz selbst zu entfernen. Anders lag der Fall bei den rheinischen Friedenskreuzen, bei denen sich die Deutschen als Kriegsopfer mit dem Anliegen und der Idee identifizieren konnten.

168 Vgl. ebd., S. 64 und S. 143.f.

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2.3

Für den Widerstand: Das Mahnmal in Wuppertal (1950/1958)

Wuppertal ist die größte Stadt im Bergischen Land und eine der jüngsten Großstädte Deutschlands. Sie entstand erst 1929 durch einen Zusammenschluss der fünf Städte Barmen, Cronenberg, Elberfeld, Ronsdorf und Vohwinkel. Die einzelnen Stadtteile waren Zentren der Frühindustrialisierung in den Bereichen Textilien und Werkzeugindustrie, sodass sich hier früh eine organisierte Arbeiterschaft entwickelte. Friedrich Engels wurde hier geboren. In den 1970er Jahren brach die Textilindustrie als Motor der Wuppertaler Industrie weg. Die Stadt durchlebt bis heute einen tiefgreifenden Strukturwandel und schrumpfte von 420.000 auf 350.000 Einwohner. Wuppertal war sowohl ein Zentrum des politischen und kirchlichen Widerstands (Bekennende Kirche) gegen die Nationalsozialisten, als auch früh ein westdeutsches Zentrum der NSDAP. Das wilde KZ Kemna, dessen Mahnmal in Kapitel 4.5 untersucht wird, war eines der ersten Konzentrationslager im nationalsozialistischen Deutschland. Am westlichen Ende des Luisenviertels, am Rande der Wuppertaler Innenstadt, befindet sich der Deweerthsche Garten: ein kleiner Park mit ein paar Tischtennisplatten, einem Kinderspielplatz, Bänken, einer Rasenfläche und einer Brunnenanlage, aus dessen drei Säulen an Sommertagen das Wasser in Kaskaden herunterfällt. Ein Café lockt unter großen Sonnenschirmen mit Sitzgelegenheiten und kulinarischen Angeboten. Mehrere hohe Stufen mit Sitzbänken trennen den Garten von einem kleinen Platz, auf dem ein hoher Riegel aus Stein das Bild bestimmt. Vor dem Riegel findet sich auf einem eigenen kleinen Sockel eine überlebensgroße Figur aus Muschelkalk, die in knieender Pose mit hinter dem gesenkten Kopf verschränkten Armen verharrt. Drei Inschriften sind in den Stein des Riegels gemeißelt: Der Mensch sei Mensch Den Opfern des Nationalsozialismus. Die Stadt Wuppertal K-Z Kemna 5. Juli 1933 -19. Jan. 1934 An einer der beiden schmalen Seiten des Riegels ist seit 2011 eine dünne Metallplatte angebracht, die zahllose Namen der Wuppertaler Verfolgten des Nationalsozialismus trägt. Im Hintergrund des Erinnerungszeichens steht eine Villa, die in den Deweerthschen Garten hineinragt. Sie war von 1938 bis 1945 Sitz der Kreisleitung der NSDAP. Das Mahnmal der Stadt Wuppertal steht in dieser Arbeit stellvertretend für eine Reihe von städtischen Mahnmälern, die in den 1950er Jahren vor allem in den nordrhein-westfälischen Großstädten für die Verfolgten des Nationalsozialismus entstanden, zum Beispiel 1950 in Bonn am Alten Zoll, 1950 in Dortmund auf dem Hauptfriedhof, 1951 in Gelsenkirchen im Stadtgarten, 1956 in Mülheim a. d. Ruhr in den Ruhranlagen oder 1956 in Remscheid auf dem Waldfriedhof. Die Initiative für

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Abb. 04: Der Mensch sei Mensch

Das Mahnmal im Deweerthschen Garten im Mai 2010. Im Hintergrund: Der ehemalige Sitz der NSDAP-Kreisleitung. Foto: Jan Niko Kirschbaum

das Wuppertaler Mahnmal entstand noch vor der Gründung der Bundesrepublik. Wie bei vielen Erinnerungszeichen dauerte der Prozess der Fertigstellung bis in die späten 1950er Jahre. Das Fallbeispiel macht deutlich, wie die Wuppertaler Politik aus dem Widerstand gegen den Nationalsozialismus einen Gründungsmythos der Bundesrepublik kreierte und damit im Gegensatz zum Mescheder Sühnekreuz eine positive Identifikation mit dem Erinnerungszeichen ermöglichte. In Wuppertal wurden nach dem Zweiten Weltkrieg 22 Kriegerdenkmäler und Gedenktafeln zur Erinnerung an die Gefallenen des Krieges errichtet. 19 davon entstanden zwischen 1950 und 1962, ein Denkmal im Jahr 1995 und zwei in den Jahren 2010 und 2016. Unter ihnen sind drei 1956 und 1957 entstandene Ehrenmäler für die Opfer der Luftangriffe. Zusätzlich wurden an 16 Kriegerdenkmälern des Ersten Weltkriegs ergänzende Tafeln und Inschriften für die Gefallenen des Zweiten Weltkriegs angebracht, sodass insgesamt 38 Erinnerungszeichen den Soldaten und Luftkriegsopfern gewidmet sind.169 An die Verfolgten des Nationalsozialismus erinnern 55 Erinnerungszeichen (Stand Ende 2017). Sechs von ihnen entstanden von 1945-1965, eines 1969, acht 1983-1989, ebenfalls acht in den 1990er Jahren und

169 Vgl. Jan Niko Kirschbaum, Liste Kriegerdenkmäler, in: www.denkmal-wuppertal.de/kriegerdenkmaler#1939-1945, abgerufen am 3. August 2017.

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32 nach dem Jahr 2000, wobei hier in der Mehrzahl Gedenk- und Informationstafeln zu zählen sind. Große, umfangreiche Erinnerungszeichen wie das hier besprochene Mahnmal sind seit 1990 selten.170 (Stolpersteine werden, auch in den anderen untersuchten Städten, als dezentrales Denkmal gewertet und damit als ein Erinnerungszeichen gezählt.) Die Quellenlage für das Erinnerungszeichen im Deweerthschen Garten ist nicht optimal, da der Erschließungszustand des Wuppertaler Stadtarchivs unzureichend ist. Eine zentrale Akte zu dem Mahnmal existiert nicht, sodass die Sicht der Verwaltung, ggf. eine Pressedokumentation oder der Briefverkehr mit den Verantwortlichen und Künstlern nicht nachvollzogen werden können. Der politische Prozess im Rat, in Ausschüssen und in Kommissionen ist teilweise im Wortlaut, teilweise nur als Ergebnis dokumentiert. Die Analyse der Entstehungsgeschichte beschränkt sich aufgrund des Fehlens verwaltungsinterner Quellen (oder da sie möglicherweise noch nicht erschlossen sind) auf den politischen Raum und wurde im Rahmen der vorhandenen Überlieferung nachvollzogen. Die Reden vor Ort und die Rezeption des Erinnerungszeichens lassen sich mit Hilfe von Zeitungsartikeln rekonstruieren (siehe Kapitel 3.4). »Wir ehren damit auch unsere Heimatstadt Wuppertal« Am 29. Januar 1949 beantragte die KPD im Ausschuss für Garten-, Forst-, Siedlungs- und Friedhofsangelegenheiten der Stadt Wuppertal die Errichtung einer Grabstätte für ermordete Antifaschisten auf den beiden Ehrenfriedhöfen der Stadt, auf denen bis dahin Gefallene des Ersten und Zweiten Weltkriegs ihre letzte Ruhe gefunden hatten. Der Antrag wurde abgelehnt und durch einen Vorschlag des Ausschussvorsitzenden ersetzt. Dieser sah vor, eine Grabstätte für alle gefallenen Kämpfer gegen Militarismus und Faschismus, gefallene Soldaten und Luftkriegsgefallene zu errichten. In derselben Sitzung wurde auch die Frage diskutiert, was nun mit dem Sockel des Kaiser-Wilhelm-Denkmals passieren sollte, der im Deweerthschen Garten stand. Im Dezember 1937 hatte die nationalsozialistische Stadtverwaltung das Reiterdenkmal des deutschen Kaisers vom zentralen Brausenwerther Platz entfernt, den alten Sockel abgetragen und die bronzene Plastik Wilhelms auf einem neuen, schmucklosen Sockel im Deweerthschen Garten aufgestellt. Offiziell begründet wurde der Umzug des Kaisers aus seiner Denkmalanlage mit Reliefplatten, Germania und siegreichem Löwen mit verkehrstechnischen Veränderungen. Gleichzeitig wurde auch das Kaiser-Friedrich-Denkmal auf dem Neumarkt der Einrichtung von Parkplätzen

170 Vgl. Ders., Liste Denk- und Mahnmäler Nationalsozialismus, in: www.denkmal-wuppertal.de/ denk-und-mahnmaler-nationalsozialismus, abgerufen am 3. August 2017).

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Abb. 05: Das Kaiser-Wilhelm-Denkmal

Das Kaiser-Wilhelm-Denkmal im Deweerthschen Garten, abgebildet auf einer Postkarte. Quelle: Stadtarchiv Wuppertal, 19.6.8

geopfert. Die Wertschätzung der Nationalsozialisten für die schmuck- und allegoriereiche Kunst des 19. Jahrhunderts war gering. Im Zweiten Weltkrieg wurde das Kaiser-Wilhelm-Denkmal dann entfernt und der Sockel blieb nutzlos zurück.171 Der Garten war nach dem Krieg instandgesetzt und erweitert worden, die weitere Verwendung des Sockels unklar.172 In der Hauptausschusssitzung vom 13. Januar 1950 berichtete der Beigeordnete Hübler, dass das Bauamt nach einem Entwurf des Remscheider Bildhauers Neumann einen Vorschlag zur Nutzung des Sockels als »Denkstein für Opfer des Faschismus« entwickelt habe. Welche Schritte das Amt sonst noch unternommen hat, ist aufgrund des Fehlens einer zusammenhängenden Verwaltungsakte nicht nachvollziehbar. Verschiedene, im Protokoll der Ausschusssitzung nicht genannte Organisationen hatten den Plan eingesehen und sich einverstanden erklärt. Die Kosten betrugen bei der Weiterverwendung des Sockels 12.500 DM, andernfalls 20.000 DM. Die anschließende Debatte, deren Wortbeiträge leider nicht notiert wurden, drehte sich um die Verwendung des Sockels, die mit zwei Enthaltungen beschlossen wurde und die Ablehnung von Plaketten und Reliefs. Außerdem wurde die Inschrift in »Den Opfern des Nationalsozialismus« anstatt »Den Opfern 171 172

Vgl. Ruth Meyer-Kahrweg, Denkmäler, Brunnen und Plastiken in Wuppertal. Beiträge zur Denkmal- und Stadtbildpflege des Wuppertals, Wuppertal 1991, S. 80. Vgl. StA Wuppertal, D V 864, Protokoll der Sitzung des Ausschusses für Garten-, Forst-, Siedlungs- und Friedhofsangelegenheiten vom 28. Januar 1949. Die benutzten Bestände des StA Wuppertal verfügen nicht durchgehend über eine Paginierung, Ausnahmen sind gebundene Niederschriften von Rat und Ausschüssen.

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des Faschismus« geändert, was mit zwei Gegenstimmen beschlossen wurde.173 Im Mai 1950 wurde vom Bildhauer die Widmung und auch die Inschrift »Der Mensch sei Mensch« eingearbeitet.174 Damit war das Kapitel »Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus« zunächst abgeschlossen und wurde bemerkenswerter Weise nicht weiter verfolgt. Auch ein regelmäßiges Gedenken am Mahnmal lässt sich nicht feststellen. Erst 1957 folgte die zweite Etappe bei der Ausgestaltung des städtischen Mahnmals zur Erinnerung an den Nationalsozialismus. In der Debatte zum Haushaltsplan für das Rechnungsjahr 1957 meldete sich der Stadtverordnete Ibach zu Wort. Im Haushaltsplan waren bereits Mittel für die Instandsetzung des »Ehrenmals für die Opfer des nationalsozialistischen Terrors« vorgesehen, aber Karl Ibach von der sozialdemokratischen Fraktion, gleichzeitig Landesgeschäftsführer des Bundes der Verfolgten des Nazi-Regimes (BVN), ließ es sich nicht nehmen, zu diesem Punkt das Wort zu ergreifen. Er beschrieb Wuppertal als Ort eines großen und nachhaltigen Widerstands gegen den nationalsozialistischen Terror. »Ungeheure Opfer« habe die Wuppertaler Arbeiterschaft gebracht und die Bekennende Kirche habe hier ihr Zentrum gehabt. Die »ehemals blühenden jüdischen Gemeinden« seien von 3.000 auf 120 »Seelen zusammengeschmolzen« und in Wuppertal seien von den »heroischen« Aufständischen des 20. Juli 1944 während der Garnisonszeit Stauffenbergs und Hoepners die ersten Fäden geknüpft worden, zum Beispiel zu Bernhard Letterhaus. Er führte dann aus: »Dies alles verpflichtet uns, und wir sollten diese Stunde benutzen, hier ein Bekenntnis abzulegen. Wir sollten diesem Bekenntnis auch dadurch Ausdruck verleihen, daß wir das bestehende Ehrenmal im Deweerthschen Garten in Elberfeld, das sich in einem außerordentlich bescheidenen, unansehnlichen und unwürdigen Zustand befindet, instandsetzen und würdig ausbauen. Dafür sind die Mittel bereitgestellt, dafür werden die Pläne ausgearbeitet. Wir sollten uns aber auch vornehmen, daß die Einweihung, die Enthüllung des neu instandgesetzten Ehrenmals in einem feierlichen Akt der Stadtvertretung und der Stadtverwaltung vorgenommen wird. Wenn wir uns in dieser Sache in dieser Stunde zu einer einmütigen Willenskundgebung zusammenfinden, dann ehren wir damit nicht nur die beklagenswerten Opfer einer maßlosen und unmenschlichen Zeit, die wir zwar politisch, aber noch nicht völlig geistig überwunden haben; wir ehren damit auch unsere Heimatstadt Wuppertal, wir erfüllen damit eine hohe geschichtliche Verpflichtung.175 173 174 175

Vgl. StA Wuppertal, D V 830, Protokoll der Sitzung des Hauptausschusses vom 13. Januar 1950. Vgl. Den Opfern des Nationalsozialismus, in: Westdeutsche Rundschau vom 4. Mai 1950. StA Wuppertal, D V 772, S. 245f., Niederschrift der Sitzung des Rates der Stadt Wuppertal vom 9. April 1957.

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Das Ratsprotokoll verzeichnet an dieser Stelle Beifall von allen Fraktionen. 8.000 bis 10.000 DM wurden vom Hauptausschuss bereitgestellt und die »Kommission für die Vergabe künstlerischer Arbeiten« damit beauftragt, unter Hinzuziehung der Stadtverordneten Ibach (SPD) und Brauda (CDU) einen Vorschlag zu Form und Ausführung auszuarbeiten.176 Beide wurden ausgewählt, da sie, so erklärte später der Stadtverordnete Bamberger, »in der Nazi Zeit besonders unangenehme Erfahrungen mit dem Terrorsystem gemacht haben«.177 In derselben Sitzung beschloss der Hauptausschuss die Errichtung eines Gedenksteins für Friedrich Engels mit einer sehr knappen Mehrheit von acht zu sieben Stimmen.178 Bei diesem Erinnerungszeichen, das 1958 eingeweiht wurde, zeigten sich die Stadtverordneten im Gegensatz zum Mahnmal alles andere als einig. In der Sitzung der Kommission für die Vergabe künstlerischer Arbeiten Anfang Mai 1957 erfolgte eine undokumentierte Aussprache, bei der »u.a. auf den Modellfall Rotterdam« verwiesen wurde. Damit war das Erinnerungszeichen Die zerstörte Stadt von Ossip Zadkine gemeint, das 1953 auf dem Plein 1940 aufgestellt worden war. Zadkines Kunstwerk ist eines der wenigen, das in verschiedenen Städten als Vorbild oder Referenz in den Diskussionen erwähnt wurde. Dies geschah durch Oberbürgermeister Gockeln in Düsseldorf,179 Bürgermeister Görshop in Dortmund,180 Universitätsprofessor Lützeler in Bonn181 und die Verfasser von Leserbriefen in Münster.182 Die Wuppertaler Kommission hielt als Ergebnis der Aussprache fest, dass die Mittel für eine »nunmehr wirklich würdig[e]« Gestaltung nicht ausreichen würden. Am Ende der Diskussion legten sich die Teilnehmenden auf die Beibehaltung des Standorts fest und beauftragten das Kommissionsmitglied Dr. Seiler, Direktor des städtischen Kunstmuseums, einen geeigneten Künstler vorzuschlagen.183

176

Vgl. StA Wuppertal, S V 835 i, S. 244, Protokoll der Sitzung des Hauptausschusses vom 2. April 1957. 177 Vgl. StA Wuppertal, D V 773, S. 265, Niederschrift der Sitzung des Rates der Stadt Wuppertal vom 25. Juni 1958. 178 Vgl. StA Wuppertal, S V 835 i, S. 244, Protokoll der Sitzung des Hauptausschusses vom 2. April 1957. 179 Vgl. StA Düsseldorf, 9-0-4-30.0000, S. 9, Stenographische Mitschrift der Ratssitzung vom 26. Juli 1955. 180 Vgl. StA Dortmund, Bestand 167-78, Bl. 62ff., Auszug aus der Niederschrift des Kulturausschusses vom 7. Oktober 1954. 181 Vgl. Heinrich Lützeler, Das Bonner Ehrenmal, in: Ders., Die Bonner Universität. Bauten und Bildwerke, Bonn 1968, S. 281-183 und S. 293f. 182 Vgl. H.W.M., Nichts gelernt?, in: Münstersche Zeitung vom 12. Juli 1963 und A.v.B., Stärkere Aufforderung zur Auseinandersetzung, in: Westfälische Nachrichten vom 18. Juli 1964. 183 Vgl. StA Wuppertal, 149/197, Niederschrift über die Sitzung der Kommission für die Vergabe von künstlerischen Arbeiten am 7. Mai 1957.

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Im Juli 1957 stellte Herbert Volwahsen184 , damals Leiter der Werkgruppe Plastik an der Werkkunstschule Bielefeld, der Kommission grundsätzliche Gedanken zum Denkmal vor. Außerdem schlug der Stadtverordnete Brauda (CDU) vor, dass man das Mahnmal zu einem Denkmal gestalten könne, das »nicht nur an die Opfer des nationalsozialistischen Terrors erinnert, sondern auch für vorherige Ereignisse gewidmet werden könne«. Als Beispiel nannte er die Besteigung der Barrikaden 1848 [sic!] oder die Bekennende Kirche. Außerdem erklärte er, dass das Denkmal nicht surrealistisch gestaltet werden dürfe, sondern gegenwärtig sein müsse und mahnen solle, damit Ausschreitungen gegen die Menschheit in Zukunft vermieden würden. Der Vorschlag wurde nicht weiter verfolgt.185 Inwiefern die Ausweitung des historischen Inhalts durch Brauda das Gedenken an den Nationalsozialismus am geplanten Erinnerungszeichen verwässern sollte oder ob der Wunsch nach Ausweitung darauf abzielte, im Mahnmal auch positiver empfundene Erinnerung wie die der Bekennenden Kirche oder der demokratischen Revolution 1848/49 als Sinnstiftung zu integrieren, kann im Rückblick nicht beantwortet werden. In der November-Sitzung beschloss die Kommission dann folgende Künstler um einen Entwurf mit einem Honorar von 500 DM zu bitten: Herbert Volwahsen, Erich Glauer, Otto Geiger, Gertrud Kortenbach und Max Kratz.186 Am 12. Juli 1957 bewegte den Stadtrat in Wuppertal eine ganz andere, wenn auch verwandte Debatte. Sie zeigt, ebenso wie die bereits erwähnte umstrittene Entscheidung für einen Friedrich-Engels-Gedenkstein, auf, dass sich SPD, FDP und CDU nicht in allen erinnerungspolitischen Fragen so einig waren wie beim Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus. Das 1900 errichtete Gebäude der Ruhmeshalle in Barmen wurde ab 1955, nachdem es zehn Jahre lang aufgrund von Beschädigung nach den Luftangriffen als Ruine ein ungenutztes Dasein gefristet hatte, von der Stadt als Haus der Jugend wiederaufgebaut. Der Hauptausschuss hatte mit der knappen Mehrheit von acht SPD-Stimmen gegen sieben Stimmen von CDU und FDP beschlossen, die letzten Reste der ursprünglichen künstlerischen Gestaltung, die an der Fassade angebrachten Figurenfriese der preußischen Könige und Kaiser, vom Großen Kurfürst bis zu Kaiser Friedrich III., zu beseitigen. Dagegen wehrte sich die CDU mit einem Dringlichkeitsantrag bei der Ratssitzung. Dr. Brauda begründete den Antrag mit dem knappen Abstimmungsergebnis und führte dann aus, dass die kriegerische Darstellung geringfügig sei und warnte davor, den Respekt vor der geschichtlichen Vergangenheit zu verlieren. Weder 1945 184 Herbert Volwahsen (1906-1988) stammte aus Schlesien, lebte 1935 bis 1953 im Künstlerhaus Dresden-Loschwitz, floh 1953 aus der DDR und war 1955-1964 Leiter der Werkgruppe Plastik an der Werkkunstschule Bielefeld. 185 Vgl. StA Wuppertal, 149/197, Niederschrift über die Sitzung der Kommission für die Vergabe von künstlerischen Arbeiten vom 18. Juli 1957. 186 Vgl. StA Wuppertal, 149/197, Niederschrift über die Sitzung der Kommission für die Vergabe von künstlerischen Arbeiten vom 22. November 1957.

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noch 1957 könne man »irgendeinen Zeitraum der Vergangenheit abhaken«. Man wolle keineswegs eine billige Verneigung vor der wilhelminischen Vergangenheit, aber man wolle von den Franzosen lernen, Geschichte als geschlossenes Ganzes zu verstehen. Außerdem sei Wuppertal durch die Kriegseinwirkungen arm an Baudenkmälern und sogar in Petersburg würden zaristische Bauten gepflegt. Die SPDStadtverordnete Lünemann warf der CDU vor, dass es ihr bei der Einrichtung des Hauses der Jugend in der ehemaligen Ruhmeshalle nur darum ginge, diese Halle, die »in ihrem Geist und in ihren Mauern morsch war«, zu erhalten. Die Reliefs würden die Hohenzollern verherrlichen und unterschlügen zum Beispiel die Rolle Wilhelms I. als »Kartätschenprinz« bei der Niederschlagung der Revolution von 1848. Man wolle nicht, dass sich die Jugend noch einmal für Kriege wie die Einheitskriege begeistern ließe. Der Stadtverordnete Daum von der SPD ergänzte, dass die Fraktion seit 1945 keinen Antrag gestellt habe, irgendetwas zu beseitigen und wenn Dinge ihrem ursprünglichen Zweck dienten, würde man sie nicht berühren, wie das Bismarck-Denkmal. Auch die Statuen am Rathaus in Elberfeld (u.a. von Wilhelm II.) hätte man unverändert gelassen. »Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, haben wir nicht auch eine Mission, die kriegerischen Zeiten von 1864, 1866, 1871 zum Vergessen zu bringen? Sehen Sie bloß die glorreiche Bravour der Krieger aus den gewonnenen Kriegen? Sehen Sie nicht die vielen Tausenden von Toten, von Waisen, von Witwen, die eigentlich dahinterstehen müßten? Zu vielen Millionen?« Dem Gebäude sei ein neuer Zweck zugekommen, nämlich die Erziehung der Jugend »im Zeichen des Friedens, der Duldsamkeit und der Toleranz«. Daher müssten die Reliefs entfernt werden. Es folgten in der Debatte noch einige teils längere Interpretationen der deutschen Geschichte insbesondere im 19. Jahrhundert. Am Ende blieb der Beschluss bestehen und der Dringlichkeitsantrag wurde mit 27:19 Stimmen abgelehnt.187 Die Vollendung des Mahnmals Am 7. März 1958 entschied sich die Mahnmalskommission für den Entwurf von Herbert Volwahsen, ohne dass die Gründe für die Wahl aus den überlieferten Unterlagen erkennbar sind. Neben den angesprochenen Künstlern beteiligten sich noch die Düsseldorfer Bildhauerin Anne Henecke und der Wuppertaler Bildhauer Joachim Wolf-Müller aus freien Stücken. Alle Künstler wählten für ihren Entwurf eine Figur oder Figurengruppe entweder vor oder auf dem Sockel. Max Kratz, Anne Henecke und Joachim Wolf-Müller schlugen in ihren weiteren Entwürfen auch ein Fries bzw. Relief am Sockel vor.188 Am 7. Mai 1958 stimmte der Bauausschuss

187

Vgl. StA Wuppertal, D V 772, S. 305ff., Niederschrift der Sitzung des Rates der Stadt Wuppertal vom 12. Juli 1957. 188 Vgl. StA Wuppertal, 149/197, Drucksache 77/58 zur Niederschrift über die Sitzung der Kommission für die Vergabe von künstlerischen Arbeiten vom 7. März 1958.

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mit einer Stimmenthaltung dem Votum der Kommission zu. Die Gesamtkosten beliefen sich auf 38.500 DM, von denen 35.000 DM auf das Denkmal entfielen. Da im ursprünglichen Beschluss nur 12.500 DM veranschlagt worden waren,189 hatte der Rat am 25. Juni 1958 über eine außerplanmäßige Ausgabe zu entscheiden. In einer Wortmeldung erklärte der Stadtverordnete Bamberger, dass die Kommission von Anfang an der Meinung gewesen war, dass die Summe zu gering sei, um eine würdige Ausgestaltung vorzunehmen und dass dies der Verwaltung auch bewusst gewesen wäre. »Sie werden jetzt fragen, weshalb wir so unwirtschaftlich gearbeitet haben. Ich werde Ihnen jetzt einen Rat geben, wie wir künftig in dieser Beziehung sehr wirtschaftlich arbeiten können. Ich hatte von einer anderen Kommission den Auftrag, die Denkmäler in Wuppertal – nötige und unnötige – zu überprüfen. Wir haben festgestellt, daß von den 66 Denkmälern, die wir beobachteten, mindestens 50 % dubios oder überhaupt absolut unbrauchbar seien [sic!]. Jeder, der irgendwie einen Freund oder eine Erinnerung hatte, schuf ein Denkmal oder ließ es schaffen, und zwar zu einem möglichst billigen Preise – so mutet es fast an –, und dementsprechend sind auch die Denkmäler ausgefallen. Die Kommission war der Meinung, daß Denkmäler so wenig wie möglich geschaffen werden sollten. Wenn sie aber einmal geschaffen werden, dann sollen sie in einer Form geschaffen werden, daß sich die Einwohner unserer Stadt ihrer Denkmäler nicht schämen brauchen.190 Zum Zweck des Mahnmals im Deweerthschen Garten äußerte er: »Den Opfern des Nationalsozialismus sind wir zweifellos alle miteinander Dank schuldig, größten Dank, weil wir ja letztendlich von dem Kredit leben, den sie uns gebracht haben«.191 Außer einer kurzen Nachfrage der FDP-Fraktion, warum nur ein Wuppertaler Künstler beteiligt wurde, gab es keine Debatte. Ein weiterer FDP-Stadtverordneter erklärte, sich zu enthalten, ohne dies zu begründen. Damit wurde die Vorlage mit einer Enthaltung angenommen.192 Am 15. November 1958, dem Samstag vor dem Volkstrauertag, wurde das erneuerte Mahnmal mit der Figur von Herbert Volwahsen schließlich eingeweiht. Die Gedenkrede hielt Annedore Leber, deren Ehemann, der sozialdemokratische Reichstagsabgeordnete Dr. Julius Leber, im Zuge der Hinrichtungen nach dem Attentat vom 20. Juli 1944 ermordet worden war. Anwesend waren der Oberbürgermeister, Vertreter des Stadtrates und der Stadtverwaltung, sowie eine Delegation des

189 Vgl. StA Wuppertal, D V 835 l, S. 376, Drucksache 117/58. 190 StA Wuppertal, D V 773, S. 266, Niederschrift der Sitzung des Rates der Stadt Wuppertal vom 25. Juni 1958. 191 Vgl. ebd., S. 265. 192 Vgl. ebd., S. 268.

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BVN.193 Die Enthüllung wurde von Oberbürgermeister Herberts (SPD) »unter großer Beteiligung der Bevölkerung« vorgenommen, wie der General-Anzeiger berichtete. Herberts beschrieb den Charakter des Erinnerungszeichens wie folgt: »Dieses Mahnmal kündet nicht von Ruhm und auch nicht von menschlicher Vorzüglichkeit, sondern von den Schrecknissen, derer Menschen fähig sind, ihren Mitmenschen zuzufügen.« Das Mahnmal sei nicht errichtet worden, um anzuklagen, obwohl es da noch immer Gründe für gebe, sondern um daran zu erinnern, dass »Menschen nicht ungestraft den Mißbrauch der Gewalt dulden.« In der Rede wurden der jüdische Zahnarzt Dr. Meyer, die Gewerkschafter Fritz Sänger und Bernhard Letterhaus, die militärischen Widerstandskämpfer Hoepner und Stauffenberg sowie die Barmer Bekenntnissynode als Beispiele für Widerstand und Verfolgung genannt.194

Abb. 06: Das Mahnmal mit Blick auf den Deweerthschen Garten

Foto: Jan Niko Kirschbaum

Offene Kritik an der Errichtung des Denkmals blieb aus, privat wurde sie sicherlich geübt. In einem wohl eher zufällig überlieferten Brief an den Oberbürgermeister beklagte ein Bürger, dass das Denkmal für die Opfer des Faschismus schön und nett sei, aber man vergesse die »tausende[n] Wuppertaler Männer und Söhne«,

193

Vgl. Mahnmal für NS-Opfer wird am 15. 11. enthüllt, in: Westdeutsche Rundschau vom 6. November 1958. 194 Vgl. Herberts enthüllte Mahnmal für Opfer des NS-Regimes, in: General-Anzeiger der Stadt Wuppertal vom 17. November 1958.

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die »draußen« geblieben seien, die tausenden Opfer der Luftangriffe, die Kriegsgefangenen und die Flüchtlinge. »Daran denkt man nicht. Die einzigen Menschen, welche im letzten Krieg gelitten haben, sind die Juden und KZ-Häftlinge. Es wäre nett gewesen, wenn man an diesem Tage auch der anderen Opfer, die in weit größerer Zahl sind, gedacht hätte.« Die Antwort des Oberbürgermeisters war deutlich. Nachdem er auf die Feierlichkeiten des Volkstrauertages hingewiesen hatte, bei denen gerade diesen Gruppen, die der Verfasser vermisste, gedacht worden war, erklärte er: »Bedenken Sie bitte, es hat 25 Jahre gedauert, ehe man dieser Opfer in Wuppertal öffentlich gedenkt. Dabei stehen die Exzesse gegen die jüdischen Mitbürger und gegen die übrigen Gegner des Nationalsozialismus im Beginn einer Zeit, die am Ende die Zerstörung unserer Stadt und die Vernichtung unserer staatlichen Einheit gebracht hat. Ich glaube, es ist sehr wichtig, daß die deutschen Menschen darauf hingewiesen werden, wie notwendig es für alle Zukunft ist, Entwicklungen zu verhindern, die noch einmal derartige Folgen haben könnten. Nichts [a]nderes aber ist mit dem Denkmal im Deweerthschen Garten beabsichtigt.«195 In Wuppertal ermöglichte der geleistete Widerstand gegen den Nationalsozialismus eine positive Identifikation mit dem Erinnerungszeichen. Es diente der Darstellung der Verbrechen am politischen Widerstand und stellte diesen heraus. Der Widerstand wurde zu einem Gründungsmythos der BRD aufgebaut und die Stadt stilisierte sich damit zu einem nachträglichen Sieger über den Nationalsozialismus. Die Stadtvertreter erhofften sich dadurch auch Anerkennung durch die Besatzungsmächte. Die Initiatoren des Erinnerungszeichens waren die Verfolgten des Nationalsozialismus, 1949 zunächst die KPD, dann 1957 aus den Reihen der SPD. Während über dieses Mahnmal Einigkeit herrschte, brach über die Interpretation der vornationalsozialistischen Vergangenheit anhand der Reliefs der Kaiserzeit an der Ruhmeshalle während der Umwidmung zum Haus der Jugend ein schwerer Streit zwischen Sozialdemokraten und Christdemokraten sowie Liberalen aus. Ein neues Kriegerdenkmal wurde in Wuppertal nicht errichtetet, die Stadt nutzte weiterhin die vorhandenen. Ein Gedenken speziell an die jüdischen Verfolgten machte sich der Rat der Stadt Wuppertal jedoch nicht zu eigen. Das erste Erinnerungszeichen, das dieser Gruppe gedachte, wurde von der jüdischen Gemeinde selbst auf dem Friedhof Am Weinberg errichtet. Zur Einweihungsfeier am 16. Oktober 1955 erklärte der Vorsitzende der jüdischen Kultusgemeinde, Josef Heimann, gemäß der Berichterstattung der Neuen Rhein Zeitung: »Wir haben zehn Jahre verstreichen lassen, denn wir wollten nicht mit den Gefühlen des Hasses, den Gedanken an Rache und Vergeltung auf 195

StA Wuppertal, E I 109c, Bl. 6f., Schreiben des Oberbürgermeisters an Hans Markgraf vom 4. Dezember 1958.

2 Zwischen Aufbruch und Erinnerung

unserem Friedhof stehen, sondern abgeklärter werden, mit dem Blick in die Zukunft«.196 Auch in Neuss, das zeigt das folgende Fallbeispiel, kam der Anstoß zur Erinnerung an die verfolgten Juden aus der jüdischen Gemeinde und nicht aus der Mehrheitsgesellschaft.

2.4

Annahme ohne Debatte: Die Gedenktafel für die Neusser Synagoge (1953)

Von den Römern als Novaesium gegründet, zählt Neuss197 zu den ältesten Städten in Deutschland und ist überregional vor allem für das jährliche Schützenfest bekannt. Die 150.000 Einwohner zählende Stadt liegt der Landeshauptstadt Düsseldorf gegenüber auf dem linken Rheinufer und ist seit 1975 kreisangehörige Stadt des Rhein-Kreises-Neuss. In der mehrheitlich katholischen Stadt stellte die CDU seit 1946 immer die stärkste Fraktion, teilweise mit absoluter Mehrheit. Wirtschaftlich wird die Stadt vom Rheinhafen geprägt. Insgesamt 23 Erinnerungszeichen erinnern in Neuss an die Zeit des Nationalsozialismus und den Zweiten Weltkrieg. 17 davon sind Krieger- und/oder Luftkriegsdenkmäler der einzelnen Stadtteile und Gemeinden. Zwei weitere Denkmäler lassen sich der Kategorie Vertriebenendenkmäler zuordnen, sodass nur vier Erinnerungszeichen den Verfolgten des Nationalsozialismus gewidmet sind. Bereits seit 1953 erinnert die Stadt an die Juden aus ihrer Gemeinschaft, die während der Zeit des Nationalsozialismus ermordet wurden. Damals wurde eine bescheidene Gedenktafel aus Sandstein an der Außenwand eines Bunkers angebracht. Der Bunker wurde in den 1980er Jahren abgerissen und die Gedenktafel 1995 durch ein Erinnerungszeichen des Bildhauers Ullrich Rückriem ersetzt, das in Kapitel 4.8 thematisiert wird. Die heute nicht mehr vorhandene Gedenktafel ist ein Beispiel dafür, dass die Existenz eines Erinnerungszeichens nicht zwingend ein aktives, gelebtes Gedenken nach sich ziehen muss. Zudem ist dieses Fallbeispiel das Einzige, bei dem die Initiative von Bürgern einer anderen Stadt kam und sich keine Debatte, kein Streit entwickelte, aber auch keine Wahrnehmung entstand. Im Neusser Archiv ist keine Akte zu dem Erinnerungszeichen für die Neusser Synagoge überliefert, was weniger auf die Qualität des Archivs und der Verwaltung schließen lässt, als vielmehr auf die geringe Bedeutung, die dem Vorgang 1953 beigemessen wurde. Im Gegensatz dazu sind die Reden der (Ober)Bürgermeister bei den Gedenkfeiern ab den 1960er Jahren größtenteils überliefert. Ebenso standen

196 Vgl. Jüdisches Mahnmal mahnt zur versöhnenden Toleranz, in: Neue Rhein Zeitung vom 18. Oktober 1955. 197 Bis 1968 wurde der Stadtname offiziell »Neuß« geschrieben.

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für die Untersuchung die Ausgaben der Neuß-Grevenbroicher Zeitung und der Westdeutschen Zeitung zur Verfügung. »Mahnmal der Erinnerung, des Friedens und der Freiheit« Am 12. Januar 1953 gab es einen unscheinbaren Tagesordnungspunkt im Ausschuss für Tiefbau-, Garten- und Friedhofsangelegenheiten der Stadt Neuss. Der Beigeordnete Artz brachte ein Anliegen zur Sprache, mit dem sich die Synagogengemeinde Düsseldorf als Vertreterin der Neusser Juden an die Verwaltung gewandt hatte. Sie bat um die Anbringung einer Gedenktafel am Luftschutzbunker, der am Standort der 1938 zerstörten und später abgerissenen Synagoge in der Promenadenstraße stand. Die Kosten für Herstellung und Anbringung sowie die Verschönerung der Bunkerwand sollte die Stadt übernehmen. Als Einweihungstermin war der 9. November 1953 vorgesehen. Auch die Inschrift schlug die Synagogengemeinde vor: »Auf diesem Platz stand die Synagoge der früheren Synagogengemeinde in Neuß. Sie ging am 9.11.1938 in Flammen auf. Von den Mitgliedern der früheren Gemeinde sind 179 Personen in der nationalsozialistischen Verfolgungszeit von 1933-1945 ums Leben gekommen. Den Toten zum Gedenken, den Lebenden zur Mahnung, wurde diese Gedenktafel errichtet Neuß, den 9.11.1953 Stadt Neuß« Es handelt sich um exakt den Text, der später verwirklicht wurde. Der Stadtverordnete Hagen beantragte die Annahme ohne Debatte, dem kam der Ausschuss einstimmig nach. Das Gartenamt wurde mit der Umsetzung beauftragt, der Rat nahm am 28. Januar 1953 vom Beschluss des Ausschusses Kenntnis.198 Ähnlich wie in Wuppertal war auch in Neuss die jüdische Gemeinde Initiatorin des spezifischen Erinnerungszeichens für die Shoa und ihre ermordeten Mitglieder. Am 9. November 1953 wurde die Gedenktafel aus Sandstein eingeweiht. Anwesend waren NRW-Finanzminister Dr. Flecken (CDU), Regierungspräsident Baurichter (SPD), »Vertreter aller kirchlichen und weltlichen Behörden der Stadt«, Vertreter der Parteien und Bürger jüdischen Glaubens aus Neuss und benachbarten Gemeinden. Die Außenwand des Bunkers war mit Pflanzen und Flaggen – darunter die israelische – geschmückt. Die Reden zur Einweihung des Erinnerungszeichens lassen sich nur aus den Zeitungsartikeln nachvollziehen. Dr. Weinberg, Vorstandsmitglied der jüdischen Gemeinde Düsseldorfs, hielt eine Ansprache und bezeichnete den 9. November 1938 als Fanal zu einem der »schrecklichsten Vernichtungswerke der Geschichte. Das Schicksal habe es gefügt, dass aus dem Tode 198 Vgl. StA Neuss, B.01.01 123, S. 183f., Niederschrift über die Sitzung des Ausschusses für Tiefbau-, Garten- und Friedhofsangelegenheiten am 12. Januar 1953.

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aller Opfer der Wille zur Versöhnung der Völker entstanden sei.« »Als Mahnmal der Erinnerung, des Friedens und der Freiheit«, übergab er dann, so berichtete die Neuß-Grevenbroicher Zeitung, die Gedenktafel in die Obhut des Neusser Oberbürgermeister Frings. Dieser erklärte, die ruchlose Tat nicht beschönigen zu wollen, um dann ebendies zu tun: Der weitaus größte Teil der Neusser, so das Oberhaupt der Stadt, habe die Zerstörung des jüdischen Gotteshauses verabscheut. Nach einem Sprecher, der den Innenminister des Landes vertrat, ergriff auch Julius Dreifuß, Vorsitzender des Landesverbands jüdischer Gemeinden von Nordrhein, das Wort. Er erklärte, der Vernichtungstag der Synagogen sei der Beginn der Kirchenzerstörungen [sic!] gewesen, die im Kriege in weitem Ausmaß fortgesetzt sein worden. Er bat die Umstehenden um eine Erziehung der Kinder im Geiste der Menschlichkeit und Toleranz – ein »Nur-geduldet-sein« der Juden in Neuss genüge nicht. Den Schluss der Feier gestaltete der Oberrabbiner der Nordwestdeutschen Gemeinden, Dr. Holzmann.199 Die Redner sprachen also vor allem von Versöhnung und einer Rückkehr zur Normalität, soweit es denn möglich war. Durch die Gleichsetzung von zerstörten Kirchen und der zerstörten Synagoge zielte Dreifuß vermutlich auf eine Eingliederung der Neusser Jüdinnen und Juden in die Opfergemeinschaft der religiös Verfolgten. Durch die Akzeptanz dieser Sichtweise hätte Neuss die Rassenlehre der Nationalsozialisten offiziell abgelehnt. Doch mit der Einweihung der Gedenktafel 1953 scheinen die Neusser dem Gedenken an die ermordeten Juden erst einmal genug Rechnung getragen zu haben. Im Gegensatz zu den jährlichen Gedenkveranstaltungen des Volkstrauertags sind – zumindest in der Neuß-Grevenbroicher Zeitung und den Beständen des Archivs – keine weiteren Gedenkfeiern dokumentiert. Regelmäßige Gedenkfeiern lassen sich erst in den 1960er Jahren nachweisen (siehe Kapitel 3.4). Deutlich wird, dass sich die Stadt Neuss dem Ansinnen der jüdischen Gemeinde in Düsseldorf nicht entzogen hat. Es lässt sich aber auch keine Bereitschaft erkennen, das Anliegen zu einem eigenen zu machen. Bemerkenswert ist, dass die verharmlosende Formulierung der Inschrift, die Synagoge sei 1938 in Flammen aufgegangen, von der jüdischen Gemeinde selbst stammt. Das Ziel war offensichtlich nicht die Anklage, sondern die Erinnerung. Vor dem Hintergrund, dass die wenigen in der Region ansässigen Überlebenden der Shoa selbst traumatisiert waren, sich wieder im Leben zurechtfinden mussten und vermutlich angesichts der erlebten Verfolgung nicht in den Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit geraten wollten, ist das verständlich. Die Erinnerungen der überlebenden Neusser Juden unterschieden sich massiv von denen der Mehrheitsgesellschaft, die sich mit Kriegerdenkmälern und Luftkriegsdenkmälern identifizieren konnte, aber nicht mit der ehemaligen Synagoge und den jüdischen Mitbürgern als Opfergruppe. Die 199 Vgl. Mahnmal des Friedens und der Freiheit, in: Neuß-Grevenbroicher Zeitung vom 11. November 1953, S. 3.

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Abb. 07: Die Neusser Gedenktafel

Die Gedenktafel am Tag ihrer Einweihung. Quelle: StA Neuss, e020101.430.060.017. Foto: Philipp Groß, Neuß.

verharmlosende Formulierung entsprach der empfundenen Unschuld der Neusser Mehrheitsbevölkerung, was aus den Worten des Oberbürgermeisters hervorgeht. Vor diesem Hintergrund fand eine Auseinandersetzung nicht statt, viel mehr wurde so getan, als habe die Shoa nichts mit den Neusser Bürgern zu tun. Dreyfuss erinnerte in seiner Rede darüber hinaus an das Leid, dass die Neusser erlitten hatten und stellte es mindestens im Fall der zerstörten Gotteshäuser auf dieselbe Stufe. Im Gegensatz zu Meschede, wo die Initiative zur Denkmalsetzung auch nicht aus der Mehrheitsbevölkerung stammte, wurde das Erinnerungszeichen in Neuss daher nicht als Anklage verstanden und konnte gesetzt werden. Es ist damit auch

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ein Denkmal einer weitgehenden Abwesenheit von Schuld, Scham und schlechtem Gewissen, wie Helmut König die 1950er Jahre charakterisiert hat (siehe S. 25). Dies führte dazu, dass nach der Einweihung der Gedenktafel regelmäßige Gedenkfeiern vorerst ausblieben. Erst mit dem Beginn der 1960er Jahre wurde das Erinnerungszeichen zu einem Ort jährlich wiederkehrenden Gedenkens. Dieses wird in den Kapiteln 3.4 und 4.8 analysiert.

Abb. 08: Alltag einer Gedenktafel

Die Gedenktafel an der Wand des Bunkers. Quelle: StA Neuss, e020101.430.060.018. Foto: Philipp Groß, Neuß, 19.11.1953.

2.5

Für den Frieden: Das Mahnmal in Paderborn (1953)

Die 150.000 Einwohner zählende Stadt Paderborn ist ein Oberzentrum der Region Ostwestfalen-Lippe, Kreisstadt des gleichnamigen Kreises und Sitz des Erzbistums Paderborn. Die Stadtgeschichte reicht bis zu Karl dem Großen zurück. Um 1800 war Paderborn noch agrarisch geprägt und hatte wenige tausend Einwohner. Erst im Kaiserreich erlebte die Stadt einen langsamen Modernisierungsschub, dennoch blieb die Wirtschaft kleingewerblich strukturiert. In der überwiegend katholischen Stadt hatte die Partei des Zentrums bis 1933 eine dominante Stellung inne. Ende der 1960er Jahre nahm der kirchliche Einfluss auf die Gesellschaft ab, gleichzeitig entwickelte sich die Stadt ab Mitte der 1950er Jahre mithilfe des Ostwestfalenplans

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zu einer modernen Großstadt mit Universität und einem Zentrum der Mikroelektronik.

Abb. 09: Ein Engel für Paderborn

Die Engelsfigur des Paderborner Mahnmals. Foto: Jan Niko Kirschbaum

Der historische Ortskern von Paderborn, dessen Bausubstanz zu 85 Prozent bei den Luftangriffen auf die Stadt im Jahr 1945 zerstört wurde, ist umgeben von einer mehrspurigen Ringstraße, an der sich kleine Grünanlagen, Radwege und alter Baumbestand befinden. An einigen Stellen ist die historische Stadtmauer sichtbar, so auch am Abschnitt Busdorfwall. In der Nähe der Einmündung der Driburger Straße liegt zwischen der Stadtmauer und der Straße eine kleine, mit Gras bewachsene Mulde. An der Stadtmauer selbst befindet sich ein Mauervorsprung aus Beton, in dessen Mitte eine Gedenktafel eingelassen ist. Auf dem Vorsprung ist eine reliefartige Skulptur angebracht, die aus einem rechteckigen Stein modelliert zu sein

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scheint. Die figürliche Darstellung ist abstrakt. Deutlich zu erkennen sind Füße und Beine der sitzenden Figur, die Hände, ein quadratischer Oberkörper und das kreisförmig umrahmte Gesicht, das die Stadtmauer überragt und auf den Besucher hinunterschaut. Direkt an der Stadtmauer sind rechts und links Feuerschalen angebracht. Die Gedenktafel trägt folgende Inschrift:

Heil liegt nicht im Kriege Frieden wünschen wir alle (Vergil) Uns mahnen 827 Opfer des Bombenkrieges 1940-1945 die Gefallenen unserer Stadt und der Paderborner Regimenter 1914-1918 + 1939-1945 Die Stadt Paderborn

Das Leitmotiv des Paderborner Erinnerungszeichens ist der Frieden, womit es für eine neue Sinnstiftung der Kriegerdenkmäler nach 1945 steht. Die Bedeutung dieses Erinnerungszeichens kann nicht verstanden werden ohne die Untersuchung des gleichzeitig ausgetragenen Konflikts um zwei den Gefallenen des Ersten Weltkrieges gewidmete Kriegerdenkmäler an der Heiersburg und am Westerntor. Gerade weil die Entstehung und Formensprache dieses Erinnerungszeichen nicht in allen Teilen beispielbildend war, wurde es als Fallbeispiel gewählt, denn es zeigt auf, welche Veränderungen in der Erinnerungskultur möglich waren und welche Kräfte dagegen arbeiteten. Die juristischen Fragen, die anhand der entfernten Kriegerdenkmäler aufkamen, können erklären, warum so wenig alte Kriegerdenkmäler nach 1945 entfernt wurden. Die Argumente des vor Ort ausgetragenen Konfliktes verdeutlichen, wie in Paderborn eine Stadtgesellschaft um ein neues Verständnis von Krieg, Frieden und Erinnerungszeichen rang. Zudem wird in diesem Kapitel ein Blick auf den Umgang der Stadt Paderborn mit der jüdischen Gemeinde in den 1950er Jahren geworfen und die Frage gestellt, ob die neue Synagoge nicht gleichzeitig auch als Erinnerungszeichen gesehen werden kann. Sowohl die städtische Beteiligung am Neubau der Synagoge als auch der Streit um die Erinnerungszeichen sind in den städtischen Akten sowie im Nachlass des damals verantwortlichen Bürgermeisters Tölle, den Rats- und Ausschussprotokollen und anderen Nachlässen im Stadtarchiv sehr gut dokumentiert und werden in dieser Arbeit zum ersten Mal ausgewertet.

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Abb. 10: Blick auf das Mahnmal am Busdorfwall

Foto: Jan Niko Kirschbaum

Eine Übersicht vorhandener Erinnerungszeichen gibt es in Paderborn nicht. Erinnerungszeichen für die Shoa gab es erst in den 1980er Jahren, sie werden in Kapitel 4.3 behandelt. Denkmalstürze im Namen des Friedens Die Geschichte des Erinnerungszeichens in Paderborn begann unspektakulär. Im November 1949 trat beim zuständigen Bauausschuss die Frage auf, was mit dem Husarendenkmal am Westerntor geschehen sollte. Das 1925 errichtete Kriegerdenkmal des 1. Westfälischen Husaren-Regiments Nr. 8 bestand aus einem Brunnen aus bayerischem Muschelkalk, war sieben Meter hoch, elf Meter breit und besaß acht Brunnenöffnungen. Auf dem Rand waren einst acht bronzene Miniatur-Reiter aufgestellt,200 die bereits 1938/39 entfernt worden waren (siehe Abb. 12).201 Der Bauausschuss beschloss 1949 einstimmig: Das Denkmal solle abgebrochen und das Material anderweitig verwendet werden.202 Am selben Tag nahm der Rat davon Kennt-

200 Vgl. StA Paderborn, B 3341, Gutachten Bernard Brechmann vom 10. Oktober 1953. Im StA Paderborn sind nicht alle Bestände durchgängig paginiert. 201 Vgl. Rolf Buttler, Alte Husaren wollen ihr Denkmal wiederhaben, in: Westdeutsche Allgemeine Zeitung vom 7. März 1952. 202 Vgl. StA Paderborn, S1 002/8 (Nachlass Tölle), Beschluss des Bauausschusses vom 18. November 1949.

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nis.203 Die Verwaltung prüfte die Rechtmäßigkeit der Entscheidung und kam am 23. Januar 1950 nach Rücksprache mit Stadtdirektor Fischer zu der Feststellung, dass das Husarendenkmal mit dem städtischen Grund und Boden verwachsen und die Verfügungsgewalt daher auf die Stadt übergegangen sei.204 Ebenfalls wurde vermerkt, dass der Stifter, der »Verein ehemaliger Offiziere des westfälischen Husarenregiments Nr. 8 in Paderborn« gemäß des Kontrollratsgesetz Nr. 3 Art. III und Nr. 34 Art. I aufgelöst und von Amts wegen am 12. November 1949 aus dem Vereinsregister gelöscht worden war.205

Abb. 11: Das restaurierte Infanteriedenkmal; Abb. 12: Das zerstörte Husarendenkmal

Foto: Jan Niko Kirschbaum; Quelle: Stadt- und Kreisarchiv Paderborn; Foto: Karl Auffenberg.

Den nächsten Akt löste eine Kranzniederlegung aus. Am »Heldengedenktag« des Jahres 1950, so stellte eine 1953 verfasste Denkschrift des »Bundes der ehemaligen Angehörigen des 158er Regiments« fest, hatten Angehörige des ehemaligen 203 Nach den Wahlen vom 17.10.1948 verfügte die CDU über 46,2 % der Stimmen, die SPD über 23,3 %, die FDP über 5,5 % und das Zentrum über 23,7 %. Vgl. Karl Hüser, Die Großstadt Paderborn. Entwicklungslinien im Überblick (1975-1995), in: Ders. (Hg.), Paderborn. Geschichte der Stadt in ihrer Region, Band 3: Das 19. und 20. Jahrhundert, Paderborn 1999, S. 405. 204 Vgl. StA Paderborn, B 3341, Verfg. 92 vom 23. Januar 1950. 205 Vgl. StA Paderborn, B 3341, Auszug aus dem »Öffentlichen Anzeiger zu Nr. 19 des Amtsblattes für den Regierungs-Bezirk Detmold«.

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Husarenregiments an ihrem Denkmal »in aller Stille ein[en] Kranz mit schwarzweiß-roter Schleife niedergelegt. Weder eine politische Partei noch irgendeine politische Gruppe hatte mit dieser Kranzniederlegung irgendetwas zu tun.«206 Das genaue Datum wurde nicht angegeben. Da die Kranzniederlegung bereits in der Ratssitzung am 3. März 1950 thematisiert wurde, kann diese nicht am 2. Fastensonntag (Sonntag Reminiscere), dem Tag des nationalsozialistischen Heldengedenktags bis 1939, stattgefunden haben. Auch der ab 1939 verwendete nationalsozialistische Heldengedenktag am Sonntag vor oder am 16. März scheidet aus. Wahrscheinlich hatte der Soldatenverband der 8. Husaren den 26. Februar 1950 (Sonntag Invocavit) gewählt, der in der Weimarer Republik als Volkstrauertag genutzt worden war. Damit bestand ein deutlicher Abstand zum nationalsozialistischen Heldengedenktag. Bei der Paderborner Verwaltung und dem Stadtrat müssen ob der kaiserlichdeutschen Farben am Kranz trotzdem die Alarmglocken geschrillt haben. Die Verwaltung entfernte den Kranz laut Denkschrift »demonstrativ sofort nach Niederlegung« und in der folgenden Ratssitzung wurde von den Stadträten aller Parteien vor reaktionären und dunklen Kräften und der Gesinnung, die die Kranzniederlegung aufgezeigt habe, gewarnt. Als Reaktion, so behauptet die Denkschrift, habe die Stadt die Beseitigung der Denkmäler beschlossen.207 In der Tat vermerkt das Protokoll der Ratssitzung vom 3. März 1950 Stellungnahmen der Stadträte vor Eintritt in die Tagesordnung. So verwahrte sich Stadtrat Brockmann für die SPD gegen die »provokatorische Kranzniederlegung« und wies die Stadtverwaltung auf die Pflicht hin, »derartigen Handlungen das nötige Augenmerk zu widmen«. Die anderen Fraktionen schlossen sich an und »legten schärfste Verwahrung« ein. Dabei waren sie nicht gegen Totenehrungen im Allgemeinen, so der Tenor der Stellungnahmen, aber diese könnten nur in den Farben der Bundesrepublik durchgeführt werden.208 Der Abbruch des Husarendenkmals war damals zwar bereits beschlossen, aber die Kranzniederlegung mit den Farben des Kaiserreiches führte dazu, dass die Politiker auch über das Kriegerdenkmal des 158er Regiments debattierten (siehe Abb. 11). Als dem Bauausschuss berichtet wurde, dass die Entfernung des Husarendenkmals wegen der entstehenden Kosten zurückgestellt worden sei, beantragte Stadtrat Geile von der SPD, dass nicht nur das Husarendenkmal, sondern auch das Denkmal des Infanterie Regiments 158 an der Heiersburg zu entfernen sei. Der Bauausschuss 206 Vgl. StA Paderborn, S1 002/8 (Nachlass Tölle), Abbruch und Vernichtung der 3 GefallenenEhrenmale, Denkschrift, Anlage zur Klageschrift des Bundes der Angehörigen des ehemaligen Paderborner Infanterie-Regiments 158 vom 7. Mai 1953. 207 Vgl. StA Paderborn, S1 002/8 (Nachlass Tölle), Abbruch und Vernichtung der 3 GefallenenEhrenmale, Denkschrift, Anlage zur Klageschrift des Bundes der Angehörigen des ehemaligen Paderborner Infanterie-Regiments 158 vom 7. Mai 1953. 208 Vgl. StA Paderborn, Niederschrift der Sitzung des Rates vom 3. März 1950.

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folgte diesem Antrag einstimmig.209 Das Erinnerungszeichen des 158. InfanterieRegiments war 1934 eingeweiht worden. Es stand in einer Grünanlage an der Heiersburg und zeigte auf einem Sockel die figürliche Darstellung eines Infanteristen in voller Montur mit Mantel, Helm und Patronengurt. Breitbeinig stehend fasste er das Gewehr am Lauf, dessen Kolben auf den Boden gestützt war. Die Figur guckte entschlossen und die herabhängende linke Hand bildete eine Faust. Seine Darstellung war (und ist) deutlich militaristischer als jene des Erinnerungszeichens am Westerntor. Ende Mai 1950 rückten die Bautrupps in der nordwestlichen Ecke der Parkanlage an der Heiersburg an. Sie führten den Auftrag aber nicht wie angeordnet aus. Der Infanterist des 158er-Denkmals wurde vom Sockel gehoben anstatt zerstört und in einer eigens ausgehobenen Grube in der Nähe »beerdigt«.210 Der Spiegel berichtete 1953, dass unter den Bauarbeitern ehemalige Soldaten eben jenes Infanterie-Regimentes gewesen waren.211 Ende September 1952 begründete der verantwortliche Leiter des Bautrupps die Vorgehensweise gegenüber einem Vertreter der Veteranen des Infanterie-Regiments damit, dass er trotz der »bilderstürmenden« [im Original in Anführungszeichen, Anm. JNK] Stadträte sich nicht habe entschließen können, jede Pietät gegenüber den geehrten Gefallenen zu vergessen und dabei auch noch ein Kunstwerk zu zerstören. Er sah in dem Auftrag eine Denkmalsschändung und wünschte sich – hier offenbart sich seine politische Einstellung – die Aufstellung eines Parteilosen bei den kommenden Wahlen, der »uns so aus der fast zur Diktatur werdenden Herrschaft der Parteien herausbringen« werde.212 Die Reste des Husarendenkmals und auch das städtische Kriegerdenkmal für den Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 wurden wie geplant zerstört. Am 8. September 1950 wandte sich der Rat der Stadt Paderborn geschlossen gegen Kritik aus der Presseöffentlichkeit wegen des Abbruchs der Kriegerdenkmäler. Nach Erklärungen der Fraktionsvorsitzenden der SPD, des Zentrums, der CDU und der FDP, deren Wortlaut das Protokoll nicht überliefert hat, schlug Bürgermeister Tölle (CDU) folgenden Beschluss vor, der einstimmig verabschiedet wurde: »Die Anwürfe in der Presse wegen der Art der Beseitigung der Kriegerdenkmäler am Westerntor und am Heierswall werden entschieden zurückgewiesen. Die Ratsversammlung gibt einstimmig ihren Willen dahin kund, ein gemeinsames

209 Vgl. StA Paderborn, S1 002/8 (Nachlass Tölle), Auszug aus dem Protokoll des Bau- und Kanalisationsausschusses vom 21. März 1950. 210 Vgl. StA Paderborn, S1 002/8 (Nachlass Tölle), Klageschrift des Bundes der Angehörigen des ehemaligen Paderborner Infanterie-Regiments 158 vom 7. Mai 1953. 211 Vgl. An die Wehrfreunde, in: Der Spiegel 22/1953 vom 27. Mai 1953, S. 11. 212 Vgl. StA Paderborn, S1 002/8 (Nachlass Tölle), Schreiben Werner Eichler an Oberst a.D. Habersang vom 30. September 1952, Abschrift als Anlage zur Klageschrift des Bundes der Angehörigen des ehemaligen Paderborner Infanterie-Regiments 158 vom 7. Mai 1953.

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Ehrenmal für alle Gefallenen und Toten der Stadt Paderborn, Zivilisten wie Soldaten, Männer wie Frauen, baldmöglichst an geeigneter Stelle in der Stadt Paderborn in würdiger Form zu errichten.«213 Das Vorhaben, ein gemeinsames Ehrenmal zu errichten, taucht an dieser Stelle zum ersten Mal in den Akten und im Rat auf.214 Ein Mahnmal für die Kräfte des Friedens Die Westfalen-Zeitung berichtete am folgenden Tag ausführlicher als das wortkarge Ergebnisprotokoll von der Ratssitzung, besonders die Äußerungen von Bürgermeister Tölle und Stadtrat Brockmann (SPD) wurden dokumentiert. Letzterer machte deutlich, dass die Stadtvertretung und -versammlung schon seit »langem aus Liebe zu allen Gefallenen und Toten des Krieges und zur Mahnung aller Lebenden die Errichtung einer gemeinsamen Weihestätte« plane. Die Vorwürfe gegen den Rat wies er scharf zurück und unterstellte den Kritikern den Willen, den Mitgliedern der Ratsversammlung einen Mangel an nationaler Ehre und Würde unterzuschieben. Anschließend beschrieb er Funktion und erhoffte Wirkung der neuen »Weihestätte«: »Im Gedenken an die Wirkungen des zweiten [sic!] Weltkrieges fühlen wir uns verpflichtet, dahin zu wirken, daß in unserer Stadt eine Weihestätte errichtet wird zum ehrenden Gedenken der Gefallenen aller Waffengattungen, aller Mütter und Kinder, aller Männer und Frauen, Jungen und Mädel, die der teuflischen Bosheit der totalen Kriegführung zum Opfer fielen. Diese Weihestätte soll aber auch ein Mahnmal sein für alle, darauf zu achten, daß wir unter nationaler Ehre und Würde das internationale Ansehen, die moralische Weltgeltung unseres Volkes und seine Wertschätzung in der Gemeinschaft der Völker verstehen müssen!«215 Bürgermeister Tölle stellte die Beobachtung in den Vordergrund, dass nach den ersten Beschlüssen eigentlich nicht über die Kriegerdenkmäler geredet worden sei. Erst seit die »Koreakrise im Gange ist«, sei dem Thema bedeutend mehr Aufmerksamkeit zuteil geworden. Er wandte sich scharf gegen den gezogenen Vergleich, die Entfernung der Kriegerdenkmäler sei gleichzusetzen mit der Entfernung von Denkmälern auf jüdischen Friedhöfen: »Die Antisemiten sitzen nicht in der Paderborner Stadtvertretung, sie sitzen anderswo.« Außerdem verwies er auf die Leistungen, die der Rat bisher erbracht hatte, um dessen Kompetenz zu verdeutlichen: »Wir haben seit 1945, wo unsere Stadt in Trümmern lag, bewiesen, daß wir für

213 Vgl. StA Paderborn, Auszug aus dem Protokoll der Ratsversammlung vom 8. September 1950. 214 Vgl. StA Paderborn, Auszug aus dem Protokoll der Ratsversammlung vom 8. September 1950. 215 Ein Ehrenmal für alle Kriegsopfer, in: Westfalen-Zeitung vom 9. September 1950.

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unser Volk einzustehen bereit waren. Wir stellen uns nicht hinter Phrasen, sondern hinter verantwortungsvolle Arbeit für Volk und Land.« In Bezug auf das zu errichtende neue Ehrenmal erklärte Tölle: »Wir haben zu überlegen, an welchem rechten Ort der stillen Besinnung und Einkehr und in welcher Form wir ein solches Mal für die Ehrung der Kriegsopfer errichten sollen. Dieses Toten- und Mahnmal soll die Kräfte des Friedens stärken, denn gegen eine gewisse Art der Heldenehrung muß man mißtrauisch sein. Ich erinnere Sie daran, daß auch damals nach dem ersten [sic!] Weltkrieg es mit Heldenverehrung anfing. Und dann kam die Pflege des Frontgeistes hinzu, die Dolchstoßlegende und das Märchen ›Im Felde unbesiegt‹. Wie müssen auch in dieser Hinsicht die Augen und Ohren offen halten, um unser Volk nicht in ein falsches Fahrwasser zu bringen.«216 Als Bürgermeister spielte Christoph Tölle217 bei der Errichtung des Mahnmals und dem Streit um die entfernten Kriegerdenkmäler der ehemaligen Regimenter eine entscheidende Rolle. Sein politisches Wirken begann im Jahr 1923, als er auf der Gründungsversammlung des Paderborner Windthorstbundes, der Jugendorganisation der katholischen Zentrumspartei, zu dessen Vorsitzenden gewählt wurde. 1924 übernahm er auch den Vorsitz der in diesem Jahr gegründeten Paderborner Gruppe des Friedensbundes Deutscher Katholiken. Seine Teilnahme am Ersten Weltkrieg in den Jahren 1916 bis 1918 hatte ihn zu einem überzeugten Kriegsgegner gemacht.218 Das Jahr 1933 markiert in Tölles Biografie einen Bruch, unter anderem mit der Zentrumspartei, deren Zustimmung zum Ermächtigungsgesetz bei der katholischen Friedensbewegung auf »erbitterte Ablehnung« stieß und nach 1945 Tölles Hinwendung zur CDU begünstigte. Die katholische Friedensbewegung und der Windthorstbund wurden Anfang Juni 1933 aufgelöst und für Tölle erschien während der Herrschaft des Nationalsozialismus »nur ein Weg gangbar, nämlich unauffällig zu überleben, ohne die persönlichen Überzeugungen preiszugeben«, so die Paderborner Historikerin Barbara Stambolis. Das Kriegsende erlebte Tölle mit seiner Frau und seinem 12-jährigen Sohn in Paderborn. Unter anderem waren sie Zeugen der schweren Luftangriffe auf die Stadt Ende März und auch des Einmarschs der Amerikaner am 1. April 1945. Der spätere Stadtdirektor Fischer, der aus Breslau nach Paderborn geflohen war, wurde zunächst zum Bürgermeister bestimmt. 1946 216 217

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Ein Ehrenmal für alle Kriegsopfer, in: Westfalen-Zeitung vom 9. September 1950. Christoph Tölle wurde am 13. März 1898 als eines von zwölf Kindern in Paderborn geboren. Sein Vater arbeitete bei der Reichsbahn, Tölle selbst schaffte den Aufstieg zum Angestellten und arbeitete nach einer Lehre bei der Stadtverwaltung bis 1953 als Rendant bei der Kreissparkasse. Er starb 1977. Vgl. Barbara Stambolis, Christoph Tölle (1898-1977). Politik aus christlicher Verantwortung für Demokratie und Frieden – ein Portraitbeitrag zur Geschichte des katholischen Pazifismus, Paderborn 1997, S. 10 und 12. Vgl. Barbara Stambolis, Christoph Tölle (1898-1977), S. 15, 17 und 19.

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wurde Tölle Bürgermeister und Fischer Stadtdirektor. Zu den Leitsätzen von Toelles politischer Tätigkeit, die er Anfang 1946 vorstellte, gehörten der Aufbau einer »echten lebensnahen Demokratie« und »ein innerlich bejahender und erarbeiteter Frieden«. Ziele, die er schon vor 1933 energisch verfolgt hatte. Sein Politikverständnis äußerte sich unter anderem darin, dass sich die Sitzordnung im Rat nicht an der Parteizugehörigkeit, sondern an den Nachnamen der Ratsvertreter orientierte und das zu seinem Stellvertreter von 1946 bis 1961 stets der SPD-Politiker Lücking gewählt wurde, obwohl die CDU immer die absolute Mehrheit innehatte.219 Ausdrücklich privat wandte er sich der pax christi-Bewegung zu und reiste als Privatperson 1948 zur Gründung der deutschen Sektion in Kevelaer. Im September 1953 nahm er an der ersten Tagung der Internationalen-Bürgermeister-Union teil, die die deutsch-französische Versöhnung zum Ziel hatte und aus der Anfang der 1960er Jahre die Paderborner Städtepartnerschaft mit Le Mans entstand.220 In der Frage der deutschen Wiederbewaffnung war er lange Gegner neuer deutscher Streitkräfte. Er entschied sich aber nach sicherlich nicht leichten Abwägungen für die Haltung Adenauers und – für Tölle wichtiger – der deutschen Bischöfe.221 1968, in seinem 70. Lebensjahr und seinem 22. Amtsjahr, gab er sein Amt auf.222 Zurück ins Jahr 1950: Für das neue Mahnmal musste zunächst ein Platz gefunden werden. Am 23. Oktober 1950 schlug die Verwaltung die Paderinsel zwischen Michaelisstraße und Auf den Dielen und den ehemaligen Ehrenhain an der Heiersburg vor. Der Bauausschuss konnte sich darauf nicht einigen und gründete einen Unterausschuss.223 Als der vierköpfige Unterausschuss zur Prüfung der Platzfrage des Mahnmals am 28. Dezember 1950 die vorgeschlagenen Plätze besichtigte, erachtete er die Freifläche auf der anderen Seite der Heiersburg, einem Gebäude der ehemaligen Stadtbefestigung, zwischen Heierswall und Heiersstraße, wo das Infanteriedenkmal gestanden hatte, als sehr geeignet. Die weiteren geprüften Flächen (die Grünanlage an der ehemaligen Freilichtbühne bei den Paderquellen, der Abdinghof sowie der ehemaligen Geisselschen Garten nahe des zerstörten Amtsgerichtsgebäudes) wurden vor allem wegen noch nicht abgeschlossener Bauplanung als weniger empfehlenswert beurteilt. Ebenso wurde die Vorfläche zum Maspernplatz als zu klein erachtet.224 Auch dem Vorschlag des Vorstands des Jugendherbergswerks Paderborn, die Jugendherberge in der Heiersburg selbst zur Erinnerungsstätte auszubauen, folgte der Ausschuss nicht. Der Vorstand hatte argumentiert: »Durch die 219 220 221 222 223 224

Vgl. Ebenda, S. 31-38. Vgl. Ebenda, S. 43 und S. 49. Vgl. Ebenda, S. 54. Vgl. Ebenda, S. 60. Vgl. StA Paderborn, Protokoll der Sitzung des Bauausschusses vom 23. Oktober 1950. Vgl. StA Paderborn, B 3344, Vermerk über die Beratung des Unterausschusses des Bauausschusses zur Prüfung der Platzfrage für die Aufstellung eines Mahnmales vom 29. Dezember 1950.

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Lösung wird der wandernden deutschen Jugend ständig vor Augen geführt, welche Opfer die vergangenen Kriege gefordert haben, auch wird das Gedenken an die Toten dieser Kriege ständig wachgehalten.« Außerdem sei dieser Ort für die Jugend losgelöst von Parteien und Konfessionen.225 Der Unterausschuss indes hielt das Gebäude wegen seiner baulichen Gestalt als Mahn- oder Denkmal nicht geeignet.226 Am 5. November 1951 schrieb die Stadt Paderborn einen »Wettbewerb für ein Mahnmal der Stadt Paderborn« aus, der »Ideenskizzen für die Gestaltung eines Mahnmals zum Gedenken an die Toten aller Kriege« liefern sollte. Teilnahmeberechtigt waren in erster Linie Architekten und Bildhauer, die mindestens seit dem 1. April 1951 ihren ständigen Wohnsitz in den westfälischen Regierungsbezirken Münster, Detmold und Arnsberg hatten oder dort geboren waren. Auch Personen, die den beiden Berufen nicht angehörten, durften Vorschläge einreichen. Es wurden drei Preise in Höhe von 1.000 DM, 600 DM und 400 DM ausgelobt, die Frist zur Einreichung endete nach knapp drei Monaten am 31. Januar 1952. Der Bauplatz wurde auf Basis der Beschlüsse der Ausschüsse zwar vorgegeben, war aber nicht zwingend festgeschrieben. Ob in den Entwurf das Gefallenengedenken der beiden nun denkmallosen Regimenter integriert wurde, stellte man den Künstlern frei. Das Mahnmal wurde wie folgt bezeichnet: »Das Mahnmal ist zum Gedenken an alle Gefallenen und Toten der Stadt Paderborn, Zivilisten wie Soldaten, Männer wie Frauen bestimmt.« Die Wahl der Baustoffe und ob eine architektonische oder bildhauerische Lösung gewählt wurde, blieb den Künstler überlassen. Wichtig war: »Es ist eine schlichte, unserer Zeit entsprechende Form erwünscht.«227 Ein gemeinsames Mahnmal? Verhandlungen mit den Veteranen Parallel zur Planung des Mahnmals mussten sich Verwaltung und Politik mit Forderungen der Veteranenverbände nach Restaurierung der Kriegerdenkmäler auseinandersetzen. Bei zwei Besprechungen versuchten die Stadtverwaltung um Stadtdirektor Fischer, Bürgermeister Tölle mit Vertretern der Ehemaligen der beiden Regimenter 1951 eine Lösung zu finden. Im März 1951 stellte die Stadt, so lässt sich eine Erklärung von Rechtsanwalt Hansen auf Seiten der Veteranen interpretieren, in Aussicht, dass am Ehrenhain an der Heiersburg auf Kosten der Stadt neue Denkmäler [sic!] aufgestellt werden sollten, darunter auch Denkmäler der beiden Regimenter.228 Im August 1951 wurde deutlich, dass die Stadt angebo225 Vgl. StA Paderborn, B 3344, Schreiben des Vorstands des Jugendherbergwerkes Paderborn vom 28. November 1950. 226 Vgl. StA Paderborn, B 3344, Vermerk über die Beratung des Unterausschusses des Bauausschusses zur Prüfung der Platzfrage für die Aufstellung eines Mahnmales vom 29. Dezember 1950. 227 Vgl. StA Paderborn, S1 002/8 (Nachlass Tölle), Wettbewerb für ein Mahnmal der Stadt Paderborn. 228 Vgl. StA Paderborn, B 3340, Schreiben RA Hansen an Stadtdirektor Fischer vom 16. März 1951.

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ten hatte, die Veteranen an der Planung und Gestaltung des neuen Mahnmals zu beteiligen. Diese waren aber nur daran interessiert, die alten Kriegerdenkmäler wiederaufzustellen. Eine »Verquickung« ihres Denkmals mit anderen Denkmälern lehnten sie ab. Oberst a.D. Habersang begründete dies mit den vielen nicht aus Paderborn stammenden Soldaten, die im Regiment der 158er gedient hätten und bei einem städtischen Ehrenmal nicht berücksichtigt werden würden. Damit war während der Besprechung jede Verhandlungsgrundlage weggebrochen. Rechtsanwalt Hansen riet daraufhin den Regimentern zu klagen, da die Stadt deren Wünsche nicht akzeptiere.229 Die Haltung der Politik war im Gegensatz zur städtischen Verwaltung kompromisslos. Am 31. Mai 1951 sprachen die Stadträte Haake (CDU) und Geile (SPD) den Vertretern der ehemaligen Regimenter jegliche Legitimation für Verhandlungen mit der Stadt ab und der Ausschuss beschloss an diesem Tag, dass das neu zu schaffende Denkmal demonstrativ den Namen »Mahnmal« tragen solle.230 Am 31. August 1951 nahm der Verwaltungs- und Finanzausschuss »eindeutig Stellung gegen die in der Besprechung gezeigte Art und Weise des Verhaltens der Vertreter Paderborner Regimenter.« Weiteren unangekündigten Vorschlägen sehe man gelassen entgegen.231 Während der Wettbewerb zum Mahnmal lief, versuchten die Verbände der ehemaligen Regimenter erneut auf ihr Anliegen aufmerksam zu machen. So legte der Bildhauer Graf Plettenberg dem Verein der ehemaligen 8. Husaren am 30. November 1951 einen Entwurf für ein Denkmal vor, das halb reliefartig, halb plastischen einen reitenden Husaren zeigen sollte. Der Kostenvoranschlag belief sich auf 22.000 DM.232 Am 17. Januar 1952 wurde dieser Entwurf dem Bauausschuss vorgelegt. Dieser bezeichnete den Entwurf nach kurzer Aussprache einstimmig als nicht ausführungsfähig. Eine weitere Beschlussfassung stellte der Bauausschuss bis zur Entscheidung in Sachen Mahnmal zurück.233 Auch ehemalige Soldaten des Regiments, die nicht in Paderborn und Umgebung zu Hause waren, wirkten bei den Bemühungen um eine Wiederherstellung des Denkmals mit. Drei Schreiben von ehemaligen 8. Husaren gingen im Februar und März 1952 bei der Stadtverwaltung ein, die aus Wuppertal, Wermelskirchen

229 Vgl. StA Paderborn, S1 002/8 (Nachlass Tölle), Vermerk vom 25. August 1951 über die Besprechung der Denkmalsangelegenheit. 230 Vgl. StA Paderborn, B 3340, Auszug aus dem Protokoll des Verwaltungs- und Finanzausschusses vom 31. Mai 1951. 231 Vgl. StA Paderborn, Auszug aus dem Protokoll über die Sitzung des Verwaltungs- und Finanzausschusses vom 31. August 1951. 232 Vgl. StA Paderborn, B 3341, Schreiben Graf Plettenberg an Verein ehem. 8. Husaren vom 30. November 1951. 233 Vgl. StA Paderborn, Beschluss des Bauausschusses vom 17. Januar 1952.

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und Bochum stammten. Die Mitglieder des »Vereins ehemaliger 8. Husaren Bochum und Umgebung« erklärten beispielsweise, sie hätten »mit Entrüstung und Abscheu Kenntnis von der ruchlosen Vernichtung unseres Denkmals« genommen. Die Vernichtung des Denkmals gleiche einer Friedhofsschändung. Die Veteranen mahnten die Stadt in harschen Worten, den Gefallenen des 8. Husaren-Regiments die Treue nicht zu versagen und drohten mit dem Staatsanwalt. Außerdem erinnerten sie daran, dass die CDU die »Remilitarisierung« fördern wolle und der Bürgermeister und die Mehrheit des Rates dieser Partei angehörten. Mit der »Vernichtung unseres Regimentsdenkmals« könne man aber keine neuen Vaterlandsverteidiger werben. Das Schreiben endet mit dem Satz »Haltet Schwert und Ehre blank, unsere Toten warten.«234 Antworten der Stadtverwaltung oder des Bürgermeisters sind nicht überliefert. Am 21. Februar 1952 berichtete die Westfalen-Zeitung über eine Zusammenkunft des CDU-Sozialausschusses, bei dem neben dem Verteidigungsbeitrag der BRD auch die Verhandlungen mit den ehemaligen 8. Husaren diskutiert wurden. Die Mitglieder des Ausschusses wandten sich gegen die Symbole und Formen des Militarismus und forderten in Übereinstimmung mit dem Rat ein Mahnmal für Gefallene und Opfer der Zivilbevölkerung, bei dem auf jegliche kriegerische Dekoration verzichtet und stattdessen christliche Symbole eingesetzt werden sollten. Statt eines Denkmals für das 8. Husaren-Regiment sollten dessen ehemaligen Angehörigen mit dem Geld lieber ein Siedlungshaus für Kriegshinterbliebene als Erinnerungsstätte errichten, das sei viel zweckmäßiger als ein Denkmal.235 Deutlich wird, dass der Rückgriff auf die christliche Symbolik, wie häufig von der Forschung beobachtet, zumindest in Paderborn darauf zurückzuführen war, dass die Mehrheit der Paderborner sich damit von militaristischen Traditionen distanzieren konnte. Eine schwierige Wahl: Die Ergebnisse des Wettbewerbs Am 3. März 1952 hatte das Preisgericht236 die schwierige Aufgabe, ein geeignetes neues Mahnmal auszuwählen. Innerhalb der Einsendefrist waren 76 Vorschläge eingegangen, von denen 72 den Vorgaben entsprachen.237 Nach der Wahl Prof. Matarés zum Vorsitzenden des Preisgerichts wurden zunächst alle Arbeiten in Augenschein genommen und anschließend die vorgeschlagenen Bauplätze. Dann kam es 234 Vgl. StA Paderborn, B 3341, Schreiben des Vereins ehem. 8. Husaren Bochum und Umgebung vom 1. März 1952. Siehe auch Schreiben Paul Seyffardt vom 11. Februar 1952 und Schreiben Albert Molineus vom 19. Februar 1952 ebd. 235 Vgl. Für ein Mahnmal mit christl. Symbolen, in: Westfalen-Zeitung vom 21. Februar 1952. 236 Laienpreisrichter waren Oberstudienrat Rohrbach, Dr. Tack aus Hövelriege und Bürgermeister Tölle, die Fachpreisrichter waren Prof. Dr. Hoff aus Köln, Stadtrat und Architekt Lucas aus Paderborn, Prof. Mataré von der Kunstakademie Düsseldorf und Stadtoberbaurat Schmidt aus Paderborn. 237 Vgl. StA Paderborn, S1 002/8 (Nachlass Tölle), Bericht des Vorprüfers.

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zur ersten Auswahlrunde, bei der 47 Arbeiten abgelehnt wurden. Die meisten wurden als ideenlos, handwerklich schlecht oder nicht ausführbar bezeichnet. In der zweiten Auswahlrunde schieden 16 Werke aus. Nach dem dritten Durchgang verblieben noch sechs Arbeiten im Wettbewerb. Karl Tüttelmanns Vorschlag stellte auf einer Säule stehend die biblische Figur Noah dar. Hierfür schien dem Preisgericht der geplante Standort ungeeignet, auch die Symbolik der Arche fand die Jury ausbaufähig. Der Entwurf von Karl Ehlers aus Detmold regte den später verwirklichten Standort am Busdorfwall an. Als Mahnmalsobjekt hatte er eine nicht näher bezeichnete Figur vorgesehen. Stadtbaumeister Walter Kreuzer und der Architekturstudent Martin Kreuzer aus Bochum hatten einen Obelisken mit umgebenden Stelen vorgeschlagen. Entwurf Nr. 24 von Bildhauer Josephthomas [sic!] Brinkschröder aus Paderborn bediente sich des Motivs der trauernden Frau, deren Figur aus einem länglichen steinernen Block herausgearbeitet werden sollte. Für die Seiten des Blocks waren Reliefs vorgesehen, die das Preisgericht aber als überflüssig ansah. Berthold Müller-Oerlinghausens Entwurf eines quadratischen Blocks mit Relief lobte das Preisgericht und empfahl für diesen die Verwirklichung in der Mulde am Busdorfwall. Zu guter Letzt wurde der Vorschlag des damals in München lebenden Paderborner Bildhauers Josef Rikus gelobt, der einen großen segnenden und mahnenden Engel darstellte. Als unmöglich wurden aber sein Maßstab zur Stadtmauer und die kellerartige Ausbildung des Raumes darunter bezeichnet. Letztere sei praktisch nicht durchführbar.238 (siehe die Collagen der Abb. 13 und 14.) Das Preisgericht entschied, Entwurf Nr. 61 von Karl Tüttelmann aus Iserlohn mit dem ersten Preis auszuzeichnen und die fünf anderen Arbeiten mit den Mitteln des nicht vergebenen zweiten und dritten Preises anzukaufen. Aber es urteilte auch: »[…] daß verhältnismäßig wenig von den Ideen aufgenommen wurden, die eigentlich die Grundlage des ganzen Ausschreibens bedeuten. Eigentlich ist nur Entwurf 61 als Ideenanregung im Sinne dieses Wettbewerbs anzusprechen. Die Mehrzahl der Einsendungen hielt sich an konventionelle, schon häufig dargestellte Motive, so daß kein neuer Gedanke für die Stadt Paderborn daraus entwickelt werden konnte. Die Ausführung fast sämtlicher Modelle sind in der Durchbildung nicht sehr hoch, so daß es dem Preisgericht manchmal sehr schwer fiel, eine Entscheidung zu treffen […].«239 Verschiedene Preisrichter äußerten sich öffentlich. Fachpreisrichter Stadtrat Lucas (CDU) beklagte, dass sich namhafte Künstler wegen der geringen Höhe der

238 Vgl. StA Paderborn, S1 002/8 (Nachlass Tölle), Sitzung des Preisgerichts zum Wettbewerb für ein Mahnmal der Stadt Paderborn vom 3. März 1952. 239 Ebd.

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Preisgelder nicht beteiligt hätten. Mit dem Niveau der Entwürfe sei man nicht zufrieden. Laienpreisrichter und Bürgermeister Tölle bemängelte, dass ein Großteil der Entwürfe »Dutzendware« gewesen sei, die um 1900 üblich gewesen seien.240

Abb. 13: Die Entwürfe I

Die Entwürfe von Karl Tüttelmann (li.), Josef Rikus (o.re.) und Karl Ehlers (u.re.). Collage: Jan Niko Kirschbaum. Quelle: Stadt- und Kreisarchiv Paderborn

Dr. Tack, wie Tölle einer der Laienpreisrichter, schilderte, dass die Mehrzahl der Entwürfe im »Traditionellen oder Technischen oder Realistischen stecken, ohne das große Geschehen ins Symbolische und damit zur reinen Idee zu erheben«. Es habe Entwürfe gegeben, die zu viel im Mahnmal darstellen wollten, Entwürfe, die an bekannte Denkmäler erinnerten, wie Tessenows Alte Wache, das Tannenbergoder das Schlageter-Denkmal, und Entwürfe, die gewaltige architektonische Bauten vorsahen. Die Wahl für die Darstellung Noahs sei wegen der Originalität, Schlichtheit und Überzeugungskraft getroffen worden. »Mit dem Namen [Noah] verbindet sich seit jeher das Gedenken an eine der größten Katastrophen mit der Vernichtung fast aller Menschen, die Sintflut. Sie ist darum auch treffendes Sinnbild für den 240 Vgl. StA Paderborn, V 007 62, Das Mahnmal im Spiegel der Meinungen.

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Untergang Paderborns am Ende des zweiten [sic!] Weltkrieges.« Tack verglich die Darstellung des Paderborner Noah-Entwurfs auch mit den 32 Noah-Darstellungen in den Katakomben von Rom, die »an die Opfer der furchtbaren Christenverfolgung« erinnerte und gleichzeitig die Geborgenheit in Gottes Hand darstellte. Tack bekräftigte ebenso, die Darstellung stehe auch für den Friedens- und Lebenswillen der Überlebenden.241 Es wird anhand dieses Bildes und des Vergleichs deutlich, dass das Mahnmal die Paderborner als Opfer darstellen sollte, als Opfer eines Krieges, der wie eine Sintflut, eine unausweichliche Katastrophe göttlichen Ursprungs über die Stadt gekommen sei. Es fehlte jeder Verweis auf die Rolle der Deutschen im Zweiten Weltkrieg, noch dazu mit einem Querverweis auf die antike Christenverfolgung anstatt auf die Shoa.

Abb. 14: Die Entwürfe II

Die Entwürfe von Josephthomas Brinkschröder (li.), Berthold Müller-Oerlinghausens (o.re.) und Walter Kreuzer und Martin Kreuzer (u.re.). Collage: Jan Niko Kirschbaum. Quelle: Stadtund Kreisarchiv Paderborn

Im Anschluss an das Urteil des Preisgerichts wurden die Modelle öffentlich ausgestellt. Am Ende der Ausstellungszeit hatten sich 2.100 Personen ein eigenes

241 Als Auszug abgedruckt in: Noch einmal das Mahnmal der Stadt Paderborn, in: WestfalenZeitung vom 25. März 1952.

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Bild gemacht.242 Am 7. März 1952 rief die Westfalen-Zeitung die Öffentlichkeit auf, sich zum Mahnmal zu äußern und Vorschläge zu machen. Es werde, so vermuteten die Redakteure, kaum einen Paderborner geben, der sich nicht schon Gedanken gemacht habe, gerade weil die Meinungen »über das Wie, Wo und Wann […] heute noch stark auseinander [gehen].«243 Die Interpretation der jüngsten Vergangenheit durch den Siegerentwurf stieß bei den Leserbriefverfassern mehrheitlich auf Unverständnis. G. Hoffmann fragte: »Kann einer den Glauben ermessen, mit dem einer Stadt zugemutet wird, sich um ihrer Gerechtigkeit willen als die Einzigerrette [sic!] zu fühlen und nach überstandener Sintflut (der gelungene Wiederaufbau!) die Flügel des göttlichen Friedens sich entgegenschlagen zu lassen?« Dies sei zu vermessen und werde auf die Stadt zurückfallen. Hoffmann plädierte für Rikus’ mahnenden und segnenden Engel als Darstellung, die zu einer neuen Besinnung führe.244 Dr. R. Niggemeyer schrieb von bitteren Gefühlen, die die Darstellung Noahs in denjenigen wecke, die »neidvoll zusehen mußten, wie alle die Paderborner Noahs, denen eine innere Stimme die nahende Katastrophe vorausgesagt hatte, auf ihren hochbeladenen LKW-Archen die Stadt verließen und erst heimkehrten, als es in den Ruinen wieder grünte und blühte.« Er wolle diesen keinen Vorwurf machen, ihnen aber auch kein Denkmal setzen.245 Ein Leser der Freien Presse kommentierte die Wahl des Preisgerichts, die von vielen Paderbornern belächelt werde, mit den Worten »Wen die Götter verderben wollen, den schlagen sie mit Blindheit.«246 Die Debatte in den Zeitungen schlief Ende März ein. Ein rätselhaftes Schicksal? Die Interpretation des Krieges im Mahnmal Da als Gegenmodell zur Noah-Darstellung Tüttelmanns mehrfach Rikus’ Werk in den Leserbriefen genannt wurde, bekamen beide Künstler in der Presse die Möglichkeit, ihre Standpunkte zu erläutern. Karl Tüttelmann warb vor allem für die Schaffung eines allgemeinen Mahnmals. Mahnmale für alle Toten seien von dem Gedanken der Menschlichkeit getragene Zeichen der Mahnung und Verkündigung, der Ehrung und des Trostes zugleich, sowie Zeichen des Gedenkens und Lebenswillens. Eine Aufteilung der Toten- und Ehrenmäler lehnte er ab, denn es gebe einen gemeinsamen Auftrag, das neu empfangene Leben zu füllen. Für Tüttelmann war der Zweite Weltkrieg eine kosmische Katastrophe, unausweichlich, der menschlichen Macht entrissen: »Ein Krieg, der nicht eine Auseinandersetzung der Soldaten oder gar einzelner Truppengattungen allein, noch die der Rüstungsarbeiter, 242 Vgl. Noch einmal das Mahnmal der Stadt Paderborn, in: Westfalen-Zeitung vom 25. März 1952. 243 Vgl. Wir stellen zur Diskussion: Das Ehrenmal!, in: Westfalen-Zeitung vom 7. März 1951. 244 Vgl. Erste kritische Stimmen zum Mahnmal, in: Westfälisches Volksblatt vom 8. März 1952. 245 Vgl. Kritische Stimmen zum Mahnmal, in: Westfälisches Volksblatt vom 11. März 1952. 246 Vgl. StA Paderborn, V 007 62, Leser schreiben der Freien Presse.

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der Frauen und der Kinder war. Alle wurden in dieses Geschehen hineingezogen, grenzenlos und rücksichtslos auf Freund und Feind, wie in den Sog eines erdnahen Planeten.«247 Josef Rikus beschrieb sein Auftragsverständnis wie folgt: »[…] Ein Mahnmal zu projektieren heißt nicht einfach, ein Denkmal für die Toten und Lebenden zu errichten, sondern eine Antwort zu finden, anläßlich der hinter uns liegenden furchtbaren Geschehnisse, die in der Heftigkeit der Zerstörung so umfassend wie erschreckend, so geheimnisvoll wie rätselhaft, den Bestand der Welt zu bedrohen scheinen. […] Die Aufgabe für den Künstler lautet also, eine Antwort auf die so schicksalsschweren Fragen zu finden, eine Antwort auf Tod und Leben, ein Gleichnis zu finden, in dem das Rätsel dieser Welt geheimnisvoll verborgen bleibt.«248 Es gab für Rikus demnach keine Sinnstiftung des Zweiten Weltkrieges, stattdessen verbarg oder verklärte er die Zeit als geheimnisvoll, schicksalhaft und rätselhaft und verneinte menschliche Handlungsfähigkeit. Dementsprechend war seine Figur des mahnenden und segnenden Engels keine Figur, die Vergangenes symbolisierte, sondern die eine »überwundene Zeit« verkündete. Die Stadtmauer im Hintergrund bezeichnete er als Ort des Gedenkens oder »im übertragenen Sinn« auch als Grabkammer.249 Um zu einer Entscheidung zu kommen, beschloss der Rat im Mai 1952 einstimmig, die fünf Bildhauer (Tüttelmann, Rikus, Brinkschröder, Ehlers, MüllerOerlinghausen) um die Ausarbeitung ihrer Ideenskizze zu bitten. Sie sollten dabei die Kritik von Preisgericht und Bevölkerung berücksichtigen. Ein neues Modell im Maßstab 1:3 wurde gefordert und dafür eine Entschädigung von 300 DM geboten. Einer der fünf Bildhauer werde dann den Auftrag erhalten.250 Am 24. Juli 1952 begutachtete der Kulturausschuss die eingereichten Modelle. »Nach lebhafter Diskussion und vielen wertvollen Anregungen« wurden die Entwürfe von Tüttelmann und Brinkschröder als nicht geeignet verworfen. Die Krypta-Ideen von Ehlers und Rikus wurden »besonders lebhaft erörtert«. Der Engel von Rikus fand keine Anerkennung, daher überlegte der Kulturausschuss eine Kombination der Entwürfe von Rikus und Ehlers.251 Am selben Tag diskutierte auch der Bauausschuss über die Mahnmalsvorschläge. Tüttelmanns Entwurf fiel hier aufgrund der Einzelgestaltung des Noah in Ungnade. Besonders die Taube, die von der Figur in der Hand

247 248 249 250 251

Vgl. Karl Tüttelmann, Zum Mahnmal-Wettbewerb, in: Westfalen-Zeitung vom 5. April 1952. Vgl. Zum Thema »Mahnmal«, in: Westfälisches Volksblatt vom 20. Mai 1952. Vgl. Zum Thema »Mahnmal«, in: Westfälisches Volksblatt vom 20. Mai 1952. Vgl. StA Paderborn, B 3344, Schreiben an die fünf Bildhauer vom 21. Mai 1952. Vgl. StA Paderborn, Protokoll der Sitzung des Kulturausschusses vom 24. Juli 1952.

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gehalten wurde, stieß auf Ablehnung, da sie an die verfemte Picasso-Taube252 erinnerte, berichtete Der Spiegel 1953.253 Stattdessen wurde Rikus’ Arbeit gewählt, besonders wegen der darin angedachten Krypta. Der mahnende und segnende Engel hingegen wurde für verzichtbar erklärt. Der Bauausschuss beauftragte einstimmig die Verwaltung, in Abstimmung mit dem Bildhauer eine architektonische und bildhauerische Gesamtlösung zu finden. Die endgültige Entscheidung blieb der Ratsversammlung vorbehalten.254 Bevor der Rat entscheiden konnte, musste der Bauausschuss im September 1952 noch einmal zusammentreten, denn Josef Rikus weigerte sich, den Plänen der Stadtverordneten zu folgen und den Engel als Mahnmalsbestandteil aufzugeben. Rikus erklärte, dass das Modell nur das Kräfteverhältnis aufzeigen sollte. Die endgültige Gestaltung des Engels müsse dem Künstler überlassen bleiben. Der Bauausschuss vermied eine Auseinandersetzung mit dem Bildhauer und beschloss daher einstimmig, dass Rikus das vorliegende Modell am Busdorf umsetzen solle und er damit sofort beauftragt werde. Bei der Entscheidungsfindung spielten die anstehenden Neuwahlen am 9. November 1952 eine erhebliche Rolle, der Ratsbeschluss wurde deshalb als gegeben vorausgesetzt. Die Stadträte wollten Tatsachen schaffen, da sie sich der Verfolgung des Projekts in der neuen Legislaturperiode nicht sicher waren.255 Die Erinnerungszeichen im Kommunalwahlkampf In derselben Sitzung hatte der Ausschuss erneut über die entfernten Denkmäler zu entscheiden, denn die Regimentsvertreter hatten inzwischen weiter mobilgemacht. Am 1. September 1952 gründeten zahlreiche Vereine256 eine Arbeitsgemeinschaft der Verbände im Kreis Paderborn, die die Interessen der Soldaten wahren 252 Für den Weltfriedenskongress in Paris im Jahr 1949 wählte man als Symbol für das Plakat das Bild einer Taube von Pablo Picasso, der 1944 in die Kommunistische Partei Frankreichs eingetreten war. Die Friedenstaube zierte auch den Theatervorhang von Bertold Brechts Ensemble in Ostberlin, sodass im Westen Deutschlands das bald weltberühmte Friedensemblem des Kommunisten Picasso im heraufziehenden Kalten Krieg verpönt war. So ließ 1952 der Westberliner Kultursenator eine Ausstellung mit Graphiken Picassos, darunter auch besagte Friedenstaube, wegen kommunistischen Gedankenguts verbieten. Vgl. Werner Fuld, Das Buch der verbotenen Bücher. Universalgeschichte des Verfolgten und Verfemten von der Antike bis heute, Berlin 2012, S. 261f. 253 Vgl. An die Wehrfreunde, in: Der Spiegel 22/1953 vom 27. Mai 1953, S. 12. 254 Vgl. StA Paderborn, Auszug aus dem Protokoll des Bauausschusses vom 24. Juli 1952. 255 Vgl. StA Paderborn, Auszug aus dem Protokoll des Bau- und Kanalisationsausschusses vom 19. September 1952. 256 Dazu gehörten: Allgemeiner Beamtenschutzbund, Bund deutscher Kriegsbeschädigter und Kriegshinterbliebener, Bund der Hirnverletzten, Interessensgemeinschaft ehemaliger Gefolgschaftsmitglieder der Wehrmacht, Verband der Heimkehrer, Verband der Kriegsbeschädigten und Sozialrentner, Verband der Reichsbeamten der ehemaligen Wehrmacht, Verband deutscher Soldaten. Vgl. Was wird aus den Ehrenmalen?, in: Westfälisches Volksblatt vom 26. September 1952.

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sollten. Am 21. September sandte diese ein Protestschreiben wegen der zerstörten Denkmäler an die Stadt. Das Westfälische Volksblatt kommentierte, dass 1950 »weite Kreise« die Entfernung der Denkmäler »außerordentlich scharf mißbilligt« hätten.257 Am 9. September 1952 hatte Oberst a. D. Habersang als bevollmächtigter Vertreter des Offiziers-Vereins ehemaliger 158er gefordert, das Denkmal der 158er wiederaufzustellen. Zu Verhandlungen über den Aufstellungsort wäre man bereit, solange dieser repräsentativ sei. Sollte die Stadt sich nicht bereit erklären, sei er beauftragt Klage einzureichen.258 Zur Unterstützung fügte er ein Schreiben der Hagener Kameradschaft bei, die bedauerte, dass Paderborn seine Toten vergesse und sich seiner Überlieferung schäme. »Dass wir nach 12-jährigem nationalistischem [sic!] Rummel und mehrjährigem nationalistischem [sic!] Vakuum noch zu einer kleinen nationalen Bekundung fähig sind, hätte die Stadt Paderborn beweisen können, […].« In »westfälischer herber und derber Art« forderten die Veteranen die Neuerrichtung des Denkmals und fügten das schlagkräftigste Argument erst zum Schluss des Briefes an: Sie pochten auf das Eigentumsrecht.259 In einem Schreiben vom 29. September 1952 legte Rechtsanwalt Petrich diese Position im Auftrag der ehemaligen 8. Husaren noch einmal schriftlich dar. Seiner Meinung nach war der Bund ehemaliger 8. Husaren Eigentümer des Denkmals. Das Eigentum sei niemals auf die Stadt Paderborn übergegangen, dazu hätte auch jeglicher Willen gefehlt. Urkundlich könne nachgewiesen werden, dass bei der Einweihung die Stadt das Denkmal in ihre Pflege und Obhut genommen hatte. Der Bund ehemaliger 8. Husaren sei zwar durch die Kontrollratsgesetze aufgelöst worden, doch könne man unterschiedlicher Ansicht darüber sein, ob dies dauerhaft gelte. Der Bund habe sich am 24. Mai 1952 neu konstituiert. Aber selbst, wenn die Auflösung dauerhaft wäre, so argumentierte Petrich, sei das Eigentum nicht eingezogen und falle somit durch die Auflösung an die Gesamtheit der Mitglieder. Die Entfernung des Denkmals wegen der Veränderung der Verkehrslage des Westerntorprojektes hätte die Stadt verpflichtet, das Denkmal zu versetzen, seine restlose Zerstörung sei nicht rechtmäßig gewesen. Die Husaren verlangten deshalb die Erstellung eines Ersatzdenkmals oder Schadensersatz.260 Nach Rücksprache mit Oberst a.D. Habersang vermerkte Stadtdirektor Fischer, dass die 158er nicht gegen das neue, allgemeine Denkmal seien, es ihnen aber nicht genüge. Von seinen Forderungen rückte der Oberst nicht ab, erklärte aber, dass die Wiedererrichtung des Denkmals in keiner Weise zu Demonstrationen gegen die demokratische 257 Vgl. Was wird aus den Ehrenmalen?, in: Westfälisches Volksblatt vom 26. September 1952. 258 Vgl. StA Paderborn, B 3340, Schreiben Oberst Habersang an Bürgermeister Tölle vom 9. September 1952. 259 Vgl. StA Paderborn, B 3340, Abschrift der Stellungnahme Bund ehem. 158er Kameradschaft Hagen vom 6. September 1952. 260 Vgl. StA Paderborn, B 3341, Schreiben von RA Petrich an Stadtdirektor Fischer vom 29. September 1952.

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Staatsform oder die Stadt genutzt werde würde.261 Inwiefern solche Befürchtungen vorher von der Stadt zur Sprache gebracht wurde, kann nicht nachvollzogen werden. Deutlich wird, dass hinter den Bestrebungen der Kameradschaften und Vereine Kräfte vermutet wurden, die von der Paderborner Politik als potenziell demokratiefeindlich eingeschätzt wurden. Das Schreiben Oberst Habersangs wurde im Bauausschuss am 19. September 1952 besprochen. Stadtdirektor Fischer vertrat weiterhin die Auffassung, dass die Stadt Paderborn als Eigentümerin der Grundstücke, auf denen die Denkmäler standen, über diese verfügungsberechtigt sei. Ein Beschluss wurde nicht gefasst, sondern auf die Ratsversammlung verschoben.262 In der Ratssitzung am 10. Oktober 1952 trug Bürgermeister Tölle eine von ihm angeregte gemeinsame Erklärung aller Fraktionen vor. Sie war eine Reaktion auf Vorwürfe in Zuschriften und der Presse, die beklagt hatten, dass die Stadt das neue Mahnmal verschleppe. Zunächst rekapitulierte die Erklärung noch einmal die Schritte, die für die Errichtung des Mahnmals vorgenommen worden waren, um dem Vorwurf der Verschleppung entgegen zu treten. Anschließend beschrieb sie die Probleme auf dem Weg zur Entscheidungsfindung: »Bei der Zerrissenheit im Denken unserer Zeit und in Fragen künstlerischer Gestaltung ist eine Lösung auf möglichst breiter Basis nicht leicht zu finden.« Danach nahm die Erklärung Bezug auf die zerstörten Denkmäler: Zum einen gebe es noch eine geschmackvolle Ehrung der 158er am Paterskump und zwar seit 1924, zum anderen sei das Denkmal der 158er 1934 unter den Nationalsozialisten errichtet worden und zum dritten habe das Denkmal der 8. Husaren am Westerntor nur noch aus einem Torso bestanden, denn »die nationalsozialistische Zeit hatte bereits die Reiter abmontiert«, wogegen sich kein Protest erhoben habe.263 Die Argumentation der Erklärung war an dieser Stelle schwach: Dem einen Denkmal warf man die Einweihung im Dritten Reich vor und dem anderen, dass es schon während der NS-Diktatur wesentliche Elemente verloren habe. Die Leitgedanken für den Gegenentwurf zu den alten Erinnerungszeichen, das neue Mahnmal, waren konsistenter. »Tatkräftig im Alltag Volk und Vaterland zu dienen und leeren Pathos gegenüber kritisch zu sein; würdig und ohne Überheblichkeit den deutschen Standpunkt zu vertreten; den Soldaten, die im Kriege in sauberer Haltung ihre Pflicht getan haben, Dank, Achtung und Respekt nicht zu versagen; der Opfer der Frauen und Männer, Kinder und Greise, die im Bombenkrieg der Heimat und in den Ent-

261

Vgl. StA Paderborn, B 3340, Vermerk Stadtdirektor Fischer über die Rücksprache mit Oberst Habersang vom 12. September 1952. 262 Vgl. StA Paderborn, Auszug aus dem Protokoll des Bau- und Kanalisationsausschusses vom 19. September 1952. 263 Vgl. StA Paderborn, S1 002/8 (Nachlass Tölle), Erklärung aller Fraktionen zur »Mahnmalfrage«.

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behrungen und seelischen Belastungen des Krieges gebracht sind, besonders zu gedenken; mahnend und warnend an den Krieg zu erinnern.«264 Zum Schluss wiederholte die Erklärung erneut das Angebot der Integration des Gedenkens der alten Regimenter im Mahnmal und rief deren Vertreter auf, einen »Schlußstrich« [sic!] unter die Angelegenheit zu ziehen: »Unser Volk ist genug zerrissen. Die Opfer des Krieges waren auf allen Seiten. Führen wir deshalb eine echte, würdige Gesamtlösung durch.«265 Anschließend trat der Rat am 10. Oktober 1952 einstimmig allen Beschlüssen der Ausschüsse bei.266 Damit waren die Denkmal-Angelegenheiten für das Jahr 1952 beendet, denn am 9. November wurde ein neues Stadtparlament gewählt. Die FDP instrumentalisierte den Streit im Wahlkampf explizit auf einem Flugblatt mit Zeichnungen der Beseitigung der Kriegerdenkmäler und einiger Straßennamen preußischer und deutscher Generäle wie Roon und Moltke. »Wer seine ruhmreiche Vergangenheit nicht ehrt, ist einer besseren Zukunft nicht wert!« lautet das Fazit und die Partei forderte den Leser auf, die Kandidaten der nationalen Sammlung auf der Liste der FDP zu wählen (siehe Abb. 15 und 16).267 Die Paderborner FDP folgte damit der »Politik der nationalen Sammlung« des Landesvorsitzenden Friedrich Middelhauve. Unter ihm hatte sich die nordrhein-westfälische FDP schon vor der Landtagswahl 1950 für rechte Wählerstimmen geöffnet. Mit Zustimmung und Protektion Middelhauves waren hochrangige ehemalige NS-Funktionäre hauptamtliche Mitarbeiter, politische Berater und Landtagsabgeordnete geworden. Im Herbst 1951, ein Jahr vor den Kommunalwahlen, begann Middelhauves »Politik der nationalen Sammlung«. Ihr Ziel war die Etablierung der FDP als Partei rechts von der CDU. Hierfür entwarfen drei ehemalige führende NS-Funktionäre268 das sogenannte »Deutsche Programm«, das nationalsozialistisches Unrecht verharmloste, die alliierte Entnazifizierungspolitik anprangerte und, so der Kölner Historiker Dieter Düding, »dick aufgetragenes« nationales Pathos enthielt. Auf dem Landesparteitag Ende Juli 1952 in Bielefeld, wenige Monate vor den Kommunalwahlen in Paderborn, erklärte Middelhauve, dass mit dem Programm ehemalige Soldaten, frühere Ange-

264 265 266 267 268

StA Paderborn, Niederschrift der Sitzung des Rates vom 10. Oktober 1952. Vgl. ebd. Vgl. StA Paderborn, Niederschrift der Sitzung des Rates vom 10. Oktober 1952. Vgl. StA Paderborn, V 060-80, Flugblatt der FDP. Es handelte sich um Wolfgang Diewerge, SS-Standartenführer, Gaupropagandaleiter in Danzig-Westpreußen und Intendant des Reichssenders Danzig; Dr. Werner Best, ein ehemaliger Stellvertreter Heydrichs und Reichskommissar in Dänemark; und Prof. Alfred Six, SS-Obergruppenführer. Vgl. Dieter Düding, Parlamentarismus in Nordrhein-Westfalen 19461980. Vom Fünfparteien- zum Zweiparteienlandtag, Handbuch der Geschichte des deutschen Parlamentarismus, Düsseldorf 2008, S. 296-298.

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hörige der NSDAP und vor allem Mitglieder früherer Jugendorganisationen des NS-Deutschlands gewonnen werden sollten.269

Abb. 15: Wahlkampf 1952

Flugblatt der FDP zur Kommunalwahl in Paderborn 1952. Quelle: StA Paderborn, V 060 080

Inwiefern der Denkmalstreit Einfluss auf die Wahl genommen hat, ist nicht eindeutig festzustellen. Die CDU verlor im Vergleich zu 1948 4 Prozentpunkte, die 269 Eine Übertragung des Programms auf die Bundes-FDP scheiterte im November 1952 am Widerstand der liberalen Landesverbände. 1953 geriet Middelhove wegen der NaumannAffäre und des Verdachts nationalsozialistischer Unterwanderung der FDP in die Kritik und das »Deutsche Programm« wurde nicht weiterverfolgt, ehemalige NS-Funktionäre aus den Diensten der FDP entlassen. Vgl. Dieter Düding, Parlamentarismus in Nordrhein-Westfalen 1946-1980, S. 295-301.

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SPD 0,5 Prozentpunkte und das Zentrum 5,3 Prozentpunkte, während die FDP 8,5 Prozentpunkte gewann und insgesamt 14 Prozent der Stimmen holte. Gleichzeitig stieg aber auch die Wahlbeteiligung von 58,6 Prozent auf 80,2 Prozent, sodass nicht allein aufgrund der Gewinne und Verluste auf Wählerwanderungen geschlossen werden kann.270 In der Berichterstattung der drei Paderborner Zeitungen spielte die Kriegerdenkmalsdiskussion für das Wahlergebnis keine Rolle. Die Vollendung des Mahnmals Der Konflikt ging im neuen Jahr 1953 weiter. Schlechte Nachrichten kamen zunächst vom Mahnmal. Nachdem der Bauausschuss im September und der Rat im Oktober 1952 die grundlegenden Beschlüsse gefällt hatten, war die Verwaltung mit Josef Rikus zu einer Besprechung zusammengekommen, um über die Kosten des Denkmals zu sprechen. Zum ersten Mal überhaupt taucht dieses Thema in den überlieferten Dokumenten auf. Die geplanten Kosten lagen bei 20.000 DM, die geschätzten bei 40.000 DM. Nach Rücksprache mit dem Bauausschuss wurde die oberste Grenze neu auf 30.000 DM festgelegt. Rikus legte daraufhin einen neuen Entwurf vor, der die Eingangssituation für die vorgesehene Krypta vereinfachte. Der Kostenvoranschlag betrug nun 26.000 DM und wurde am 2. Februar 1953 im Bauausschuss diskutiert. Stadtoberbaurat Schmidt ergänzte zu Beginn, dass die Gesamtkosten durch Grundstückskosten, Wege- und Gartenanlagen 33.000 bis 35.000 DM betragen würden. Die Stadtverordneten konnten sich aber weder mit dem neuen, einfacheren Entwurf, noch mit Ausgaben über 30.000 DM anfreunden. Der Verzicht auf die Krypta wurde diskutiert, aber mit Rücksicht auf Rikus’ Aussage, dass sowohl Engel als auch Krypta essenzielle Bestandteile des Mahnmals seien, fallen gelassen. Schließlich einigten sich die Politiker mehr oder weniger ratlos mehrheitlich darauf, Professor Mataré als Bildhauer und Vorsitzenden des Preisgerichts zu einer Besprechung mit zwei Stadträten und Josef Rikus einzuladen, um eine Lösung zu finden.271 Am 19. Februar 1953 lag diese Lösung dann vor: Die Krypta sollte verkleinert werden und statt zwei Öffnungen nur noch eine aufweisen. Dadurch bekam der Engel eine stärkere Bedeutung, ragte aber nur noch mit dem Kopf über die Höhe der Stadtmauer. Auf eine Beleuchtung wurde verzichtet. Die Krypta sollte aus Beton mit Edelputz hergestellt und mit Mosaiksteinen und Gedenktafeln versehen werden. Veranschlagt wurden dafür 24.000 DM, sowie 6.000 DM für das Grundstück und gärtnerische Arbeiten. Der Bauausschuss stimmte dem neuen Plan einstimmig zu, zeigte sich besonders erfreut

270 Vgl. Karl Hüser, Die Großstadt Paderborn. Entwicklungslinien im Überblick (1975-1995), in: Ders. (Hg.), Paderborn. Geschichte der Stadt in ihrer Region, Band 3: Das 19. und 20. Jahrhundert, Paderborn 1999, S. 405. 271 Vgl. StA Paderborn, Niederschrift der Sitzung des Bauausschusses vom 2. Februar 1953.

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Abb. 16: Wahlkampf 1953

Flugblatt der FDP zur Bundestagswahl 1953. Quelle: StA Paderborn, V 060 080

über die Erhaltung der Krypta und regte an, eine bessere Beleuchtung derselben zu prüfen.272 272 Vgl. StA Paderborn, Niederschrift der Sitzung des Bauausschusses vom 19. Februar 1953.

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Nachdem diese Frage gelöst war, taten sich neue Schwierigkeiten auf. Der Entwurf Rikus’ hatte vorgesehen, die Krypta in die historische Stadtmauer zu integrieren, doch der Landeskonservator untersagte den hierfür notwendigen Durchbruch. Am 20. Juli 1953 beschlossen die Mitglieder des Preisgerichts für den Rathaus-Wettbewerb273 auf die Krypta zu verzichten. Der Entschluss fiel ihnen leicht, da die letzten Entwürfe das Preisgericht im Gegensatz zum Bauausschuss nicht überzeugt hatten.274 Stattdessen sollte nun der Engel, der von Rikus bereits fertiggestellt worden war und bei der Gelegenheit besichtigt wurde, auf der Rasenfläche vor der Stadtmauer auf einem niedrigen Sockel aufgestellt werden. Eine Gedenktafel für die Regimenter sollte in die Rasenfläche eingelassen werden. Einmütig befand der Ausschuss die Veränderung als Verbesserung und Steigerung, doch Josef Rikus, der zunächst nicht abgeneigt gewesen war, so legt es jedenfalls der städtische Vermerk der Besprechung nahe275 , protestierte wenig später energisch. Er verwies auf drei durchgeführte, bzw. geplante Durchbrüche der Stadtmauer am Gierstor, Neuhäusertor und neben dem Gebäude der Landeszentralbank, die vom Landeskonservator genehmigt worden waren. Er vermutete, dass der Bescheid des Landeskonservators nur genutzt werde, damit die Verwaltung die Durchführung seiner Idee verhindern könne, die aber durch den Ratsbeschluss und vertraglich beschlossen sei. Er wehrte sich dagegen, seine Arbeit dem geplanten Zusammenhang zu entreißen und forderte eine ministerielle Entscheidung, die den Landeskonservator überstimmen sollte.276 Auch der Vorstand des Heimatvereins stellte Bedenken wegen des Durchbruchs der Stadtmauer zurück und plädierte für die Mahnmals-Version mit Krypta.277 Der Bauausschuss konnte sich im September 1953 nicht auf eine Entscheidung einigen und beschloss die Aufstellung von Attrappen am Busdorf. Deutlich wurde in der Sitzung der Wille der Stadträte, das Projekt möglichst schnell und geräuschlos abzuschließen und vor allem das Mahnmal fertig zu stellen, bevor die Verhandlungen mit den Ehemaligen-Verbänden weitergingen.278 Am 2. Oktober 1953 sah sich der Bauausschuss vor Ort zwei Vorschläge anhand von Attrappen im Maßstab 1:1 an. Die eine stellte den von Bauausschuss und Rat beschlossenen Entwurf dar. Die andere zeigte einen Kompromissvorschlag des Bildhauers, bei dem der Engel auf

273 Es bestand aus Prof. Mataré, Bürgermeister Tölle, Architekt Lucas, Pfarrvikar Tack, Oberstudienrat Rohrbach und Oberbaurat Schmidt. 274 Vgl. StA Paderborn, S1 002/8 (Nachlass Tölle), Vermerk betr. Gestaltung des Mahnmals. 275 Vgl. StA Paderborn, S1 002/8 (Nachlass Tölle), Vermerk betr. Gestaltung des Mahnmals. 276 Vgl. StA Paderborn, S1 002/8 (Nachlass Tölle), Schreiben von Josef Rikus an Oberbaurat Schmidt vom 30. Juli 1953. 277 Vgl. StA Paderborn, S1 002/8 (Nachlass Tölle), Schreiben von Herrn Rohrbach an Bürgermeister Tölle vom 31. August 1953. 278 Vgl. StA Paderborn, Beschluss des Bauausschusses vom 24. September 1953.

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einem hohen Sockel mit Inschrift angebracht werden sollte. Dieser Vorschlag wurde, auch aufgrund der Zustimmung des Bildhauers und zur Vermeidung von weiteren Verzögerungen, zur Ausführung bestimmt. Hilfreich war dabei sicher auch, dass sich die Ausschussmitglieder am selben Tag die Skulptur des Engels ansahen und einhellig die Meinung äußerten, dass diese ihre Erwartungen übertraf. Die Stadträte lobten die Schlichtheit der Lösung und stellten fest, dass eine einfache Lösung manchmal schwieriger zu erreichen sei als eine aufwendige. Als Einweihungstermin wurde in Absprache mit Rikus Allerheiligen festgelegt. Außerdem wurde die Inschrift »Heil liegt nicht im Kriege, Frieden wünschen wir alle!« einstimmig beschlossen. Darunter sollte den Bombenopfern und Regimentern je eine Zeile gewidmet werden. Die Zeile für die gefallenen Soldaten solle nach Absprache mit einem militärisch und [Hervorhebung in der Quelle, Anm. JNK] demokratisch geschulten Bürger festgelegt werden, so legte es der Ausschuss ausdrücklich und spitzfindig fest.279 Die Verfolgten des Nationalsozialismus spielten im ganzen Prozess keine Rolle. An Allerheiligen 1953 wurde das Mahnmal der Stadt Paderborn eingeweiht. Die Kosten beliefen sich insgesamt auf 29.993,97 DM, davon entfielen auf Rikus 23.630,84 DM.280 Auf Anregung von Bürgermeister Tölle wurden noch 1953 Leuchten und Feuerschalen nachgerüstet, »um das Mahnmal genügend der Bürgerschaft vertraut zu machen.«281 In seiner Einweihungsrede, die in Auszügen vom Westfälischen Volksblatt dokumentiert wurde, wandte sich Tölle gegen Militarismus und forderte Freiheit und Friedensarbeit. Er wehrte sich gegen eine Glorifizierung der Soldaten und eine falsche Heldenverehrung: »Wir sollten nicht vergessen, die rücksichtslose brutale Gewalt, der wir ausgesetzt waren, nicht vergessen den Rassenwahn, den Hochmut, den nationalen Egoismus, die Krieg und Katastrophe bewirkten.« Er räumte ein, dass zur Verteidigung der Gemeinschaft eine ordnungsgemäße und verantwortungsbewusste Regierung das Recht habe, das »höchste Opfer von jedem einzelnen zu fordern« und bedauerte, dass die »weltpolitische Entwicklung« verhinderte, dass Deutschland ohne militärische Waffen auskommen könne. Aber er stellte die deutschen Waffen in den Dienst einer übernationalen Gesellschaft Europas und forderte »daß wir mit wachen Sinnen alles verfolgen, was auf militärischem Gebiet vor sich geht. Wir müssen sorgen, daß wir eine demokratische Ordnung behalten, daß weitgehende Sicherungen und parlamentarischen Kontrollen eingeschaltet werden, da das Militär ein Machtinstrument bedeutet, das in der Hand Verantwortungsloser der Volksgemeinschaft [sic!] zum Verhängnis werden kann.« Tölle forderte, gegen den Hass zu kämpfen und alle Wege der Verständigung

279 Vgl. StA Paderborn, Niederschrift über die Sitzung des Bauausschusses vom 2. Oktober 1953. 280 Vgl. StA Paderborn, B 3344, Abrechnung Mahnmal vom 8. Januar 1954, sowie Schlussrechnung des Stadtbauamts Leistungen an Rikus vom 9. Dezember 1954. 281 Vgl. StA Paderborn, Niederschrift der Sitzung des Bauausschusses vom 12. November 1953.

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zu suchen, was für ihn bedeutete, übernationale Gremien auszubauen, persönliche Einzelbeziehungen »von Volk zu Volk« zu pflegen und einen Austausch der Jugend und aller Volksschichten zu fördern. Er forderte die Aufarbeitung ungerechtfertigter Vorurteile über andere Völker, ein Entgegentreten gegen die Vergiftung der öffentlichen Meinung, das wahre, totale Gesicht des Krieges zu schildern, für den Frieden zu arbeiten und an ihn zu glauben.282 Am 23. November 1953 veröffentlichte das Westfälische Volksblatt eine Betrachtung des Rikus’schen Mahnmals. Noch würden die Paderborner das Kunstwerk überwiegend ablehnen, beobachtete der Autor. Er hoffte mit Verweis auf die zeitgenössische Ablehnung der Werke von Michelangelo, Goya oder Manet, dass man im Laufe der Zeit auch dieses Mahnmal würdigen werde.283 Am 2. April 1954 legte der Hauptausschuss in Paderborn die Form der Ehrungen am Mahnmal fest. Man beschloss, das Leuchten der Feuerschalen mit dem Totenleuchten am Dom in Einklang zu bringen. An den Tagen der Luftangriffe auf Paderborn, dem 17. Januar, dem 22. März und dem 27. März, sowie an Allerheiligen, Allerseelen, dem Volkstrauertag und dem Totensonntag sollten die beiden Flammen von 8 bis 22 Uhr leuchten. Am 27. März, Allerheiligen und am Volkstrauertag waren zudem Kranzniederlegungen durch den Bürgermeister in Anwesenheit je eines Vertreters der Ratsfraktionen vorgesehen.284 1958 veränderte man diese Aufteilung und fügte am 17. Januar, 22. März, Volkstrauertag und Totensonntag die inoffizielle Ablegung eines Blumengebindes hinzu. Dabei kam es zunächst zu dem bemerkenswerten Beschluss, den 27. März zu Gunsten des Volkstrauertages abzuwerten, bis die Mitglieder feststellten, dass der Volkstrauertag (seit 1952!) gar nicht mehr in den März fiel.285 Eine Frage des Rechts: Die Restauration der Kriegerdenkmäler Während die Paderborner Ratsherren 1953 noch darum rangen, die rechte Form für das beschlossene Mahnmal zu finden, waren auch die Kriegerdenkmäler wieder auf die politische Tagesordnung gekommen. Für die Rückkehr auf die Agenda hatte der FDP-Stadtrat und Fraktionsvorsitzende Schulze Waltrup gesorgt, der erst im November 1952 in den Rat gewählt worden war. Er bat um eine unverbindliche Aussprache von Bürgermeister Tölle und dem neuen Stadtdirektor, Wilhelm Sas-

282 Vgl. Friede und Freiheit fordern höchsten Einsatz, in: Westfälisches Volksblatt vom 2. November 1953. 283 Vgl. Dr. K.W., Dem Gedenken der Toten, in: Westfälisches Volksblatt vom 23. November 1953. 284 Vgl. StA Paderborn, Niederschrift der Sitzung des Hauptausschusses vom 2. April 1954. 285 Vgl. StA Paderborn, Niederschriften der Sitzungen des Hauptausschusses vom 4. September und 2. Oktober 1958.

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se286 , mit den Soldatenverbänden.287 Schulze Waltrup begründete seinen Vorstoß damit, dass die Soldatenverbände an ihn herangetreten seien, um eine Lösung herbeizuführen, was nach dem Kommunalwahlkampf der FDP nicht verwundert. Er erklärte, es sei sein persönliches Anliegen, den Streit aus der Welt zu schaffen, ohne das Paderborn erneut Gegenstand der Berichterstattung der überregionalen Presse werde. Das könne sich auch negativ auf die Stationierung von Truppen auswirken und wenn Paderborn dabei nicht berücksichtigt werden würde, blieben die wirtschaftlichen Schäden seit dem Wegfall der Garnisonen bestehen.288 Die Hoffnung auf eine Rückkehr der Soldaten als Wirtschaftsfaktor, so berichtete Der Spiegel im Mai 1953, baue auf die Idee der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft. Es bestehe die Möglichkeit, dass Paderborn wieder Garnisonsstadt werde, was besonders die Gastwirte, die ehemaligen zivilen Wehrmachtsangestellten und die Veteranen des Ersten Weltkrieges in Paderborn erfreue. Die FDP hatte gefordert, dass sich die Stadt Paderborn beim Sicherheitsbeauftragten der Bundesregierung, Theodor Blank, dafür einsetze, dass deutsche Garnisonen nach Paderborn verlegt würden. Der Betonung auf deutsche Soldaten waren sorgenvolle Diskussionen vorausgegangen, so schilderte es der Spiegel, dass ausländische oder gar »farbige Truppen« nach Paderborn kommen könnten. Die Abstimmung führte zu einem haarscharfen Ergebnis von 15:14. 15 Abgeordnete folgten der Ablehnung der Stationierung der Truppen durch die SPD. 14, darunter Tölle, folgten dem Antrag der FDP. Der Riss ging mitten durch die CDU. Anlässlich dieses Streites, ein seltenes Ereignis im Paderborner Rat, berichtete Der Spiegel auch über den Streit um die Denkmäler und erklärte, dass Tölle Paderborn 1950 »ideologisch entmilitarisiert« habe.289 Die von Schulze Waltrup geforderte Besprechung in Paderborn verlief zwar friedlich, aber die Teilnehmer kam sich nicht näher. Vertreter beider Veteranenverbände drohten mit einer Klage und monierten die Diffamierung der Gefallenen des Ersten Weltkriegs durch die Beseitigung der Denkmäler und die in diesem Zusammenhang getätigten Äußerungen. Sie baten als Kompromiss an, dass der Aufstellungsort der Denkmäler verhandelbar sei. Die 8. Husaren liebäugelten mit einem Umzug nach Neuhaus. Stadtdirektor Sasse verwahrte sich gegen die Vorwürfe, der vorherige Rat hätte die Gefallenen diffamiert, mit dem Verweis darauf,

286 Die Neubesetzung des Stadtdirektoren-Postens war notwendig geworden, nachdem der Vorgänger, Norbert Fischer, eine Stelle als Verbandsvorsteher des Westfälischen Sparkassenund Giroverbands angenommen hatte. 287 Vgl. StA Paderborn, Niederschrift der Sitzung des Verwaltungs- und Finanzausschusses vom 29. Mai 1952. 288 Vgl. StA Paderborn, S1 002/8 (Nachlass Tölle), Schreiben von Schulze-Waltrup an die Stadtverwaltung vom 3. Februar 1953. 289 Vgl. An die Wehrfreunde, in: Der Spiegel 22/1953 vom 27. Mai 1953, S. 9ff.

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dass der größte Teil der Stadträte selbst den Ersten Weltkrieg »von Anfang bis Ende« mitgemacht hätte. Außerdem habe niemand in »jenen Jahren«, also 1949 und 1950, voraussehen können, »daß seit 2-3 Jahren auch bei unseren früheren Gegnern eine andere Auffassung über die Aufstellung deutscher Truppenverbände, gleich in welchem Rahmen, nämlich die genau gegenteilige Auffassung von 1945 zum Durchbruch gelange.« Er verbat sich die scharfen, öffentlichen Vorwürfe in der Presse und Versuche »zu Gunsten irgendeiner Seite politisches Kapital« daraus zu schlagen. Stattdessen forderte er eine positive Haltung und Mitarbeit am Mahnmal anstatt der bisherigen negativen oder passiven Haltung der Soldatenverbände. Nachdem die Stadtverwaltung betont hatte, dass sie sich eine Kooperation der Soldatenverbände beim Mahnmal gut vorstellen könne und auch beim Wettbewerb zum Mahnmal die Option der Integration des Gedenkens an die Gefallenen der Regimenter offengelassen habe, revidierte Tölle dieses Angebot. Er bezweifelte, ob »aus der Errichtung eines Sonderdenkmals« nicht doch versucht werden würde, »politisches Kapital zu schlagen. Der in dem deutschen Volke bedauerlicherweise bestehende Riss werde daher sicherlich noch vertieft werden, während wir uns doch alle bemühen müßten, das Trennende zu vergessen und allmählich umzulernen.«290 Als am 26. Februar 1953 der Hauptausschuss tagte, kam es zu einer erneuten Debatte über eine Erstattungspflicht der Stadt Paderborn für die zerstörten Kriegerdenkmäler. Die Argumentationen dafür (durch die FDP) und dagegen (durch die SPD) wurden zwar im Protokoll nicht dokumentiert, aber beide Redner reichten nachträglich schriftliche Stellungnahmen ein. FDP-Stadtrat und Rechtsanwalt Schulze Waltrup folgte im Wesentlichen der Argumentation seines Anwaltskollegen Petrich und führte an, dass die Ehemaligenverbände zur Klage legitimiert seien. Ihre Aufhebung durch die Militärregierung sei nur eine Suspendierung gewesen. Das Eigentum an den Denkmälern, die durch Sammlungen der Mitglieder finanziert worden waren, habe die Stadt Paderborn nie erworben. Die Verbindung mit Grund und Boden der Stadt habe aufgrund eines Vertragsverhältnisses besonderer Art bestanden und die Stadt habe beide Denkmäler treuhänderisch in ihre Obhut genommen.291 Dagegen argumentierte Stadtrat Brockmann von der SPD. Er unterschied zunächst zwischen dem Denkmal der 8. Husaren, das während der Weimarer Republik errichtet worden war, und dem Denkmal der 158er, das 1934 an der Heiersburg errichtet worden war. Das Husarendenkmal sei rechtmäßig errichtet worden und in

290 Vgl. StA Paderborn, Akte S1 002/8 (Nachlass Tölle), Vermerk über die am 20.2.1953 stattgefundene Besprechung in Sachen Kriegerdenkmäler von Stadtdirektor Sasse. 291 Vgl. StA Paderborn, S1 002/8 (Nachlass Tölle), Schreiben von Stadtrat Schulze Waltrup vom 12. März 1953 an die Stadtverwaltung mit schriftlicher Stellungnahme zur Hauptausschusssitzung am 26. Februar 1953.

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die Obhut der Stadt übergegangen. Es sei aber nicht das Eigentum der Vereine, denn ein wesentlicher Bestandteil, die freie Verfügungsgewalt über das Eigentum, fehle vollständig. Daher argumentierte Brockmann: »Es handelt sich um ein Gut, das in stadteigenen Anlagen errichtet, dem öffentlichen Interesse von öffentlicher Hand dienstbar gemacht, in den Besitz der Gemeinschaft übergegangen ist.« 1950 hätten dringende Notwendigkeiten im öffentlichen Interesse, nämlich die Neuplanung der Stadtanlagen und des Westerntorplatzes im Zuge der 85prozentigen Zerstörung der Stadt und des anwachsenden Verkehrs, erfordert, das Husarendenkmal zu beseitigen. Dieses, auch das war bereits in der überfraktionellen Stellungnahme als Argument genannt worden, habe seinen wesentlichen Charakter bereits durch die Entfernung der acht Reiterfiguren im Krieg verloren, ohne dass es damals zu einem Einspruch irgendeines Personenkreises gekommen wäre. Als Ersatz – hier argumentierte Brockmann auch in Richtung Schadensersatz – habe die Gemeinschaft aus eigenen Mittel ein neues Mahnmal für die Toten aller Kriege geschaffen, das einem viel größeren Kreis gewidmet war, sodass die Handlung der Stadtvertretung moralisch über den »vermeintlichen Rechten« kleinerer Personenkreise stehe. Im Fall des Infanteristen an der Heiersburg erklärte Brockmann, dass dessen Aufstellung gar nicht rechtmäßig erfolgt sei: »Niemals war das Nazireich legalisierte Macht.« Die Machtergreifung durch Hitler habe dazu geführt, dass die demokratische Rechtsstaatlichkeit durch Nötigung der Bürger beseitigt worden sei. Die Beseitigung der gewählten Stadtvertretung und des gewählten Bürgermeisters habe dies bewiesen. Er führte weiter aus: »[…] das Ansehen, der gute Ruf unserer sozialen Gemeinschaft wurde durch Handlungen des Dritten Reiches beschmutzt. Unter Ausserachtlassung der unabdingbaren Menschenrechte setzte das Dritte Reich seine politischen Ziele durch. Die Errichtung des Denkmals an der Heiersburg war ein Glied der politischen Ziele des Dritten Reiches, in Gestaltung, Ausdrucksform und Weihe Reden [sic!] und kann den Schutz eines Rechtsstaates nicht beanspruchen.« Es sei nicht von einer demokratischen Stadtverwaltung in Obhut und Pflege genommen worden, sondern durch einen Personenkreis, der diese Stellung durch Unrecht und Vergewaltigung des Rechts eingenommen habe. Die Stadtverwaltung könne für die Handlungen dieses Personenkreises nicht haftbar gemacht werden.292 Wie schon in der überfraktionellen Erklärung vom 10. Oktober 1952 (siehe S. 107f.) wurde das NS-Regime beim Husarendenkmal als Beleg für die rechtmäßige Entfernung von Denkmalselementen angeführt, beim 158er Denkmal aber der nationalsozialistischen Stadtverwaltung jede Handlungslegitimation abgesprochen. Beim Versuch, die Restaurierung der Kriegerdenkmäler und ihrer Inhalte zu verhindern, litt die Logik der Argumentation. Oberst Habersang hatte 292 Vgl. StA Paderborn, S1 002/8 (Nachlass Tölle), Schreiben von Stadtrat Hermann Brockmann vom 18. März 1952 an die Stadtverwaltung mit schriftlicher Stellungnahme zur Hauptausschusssitzung am 26. Februar 1953.

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bereits während einer Besprechung der Darstellung des 158er-Denkmals als NSKriegerdenkmal widersprochen. Die Form sei schon 1930 festgelegt worden und die Geldsammlung habe erst 1934 eine Aufstellung ermöglicht.293 Der Hauptausschuss konnte sich zwischen beiden Positionen nicht entscheiden und beschloss, ein rechtliches Gutachten der Hans-Soldan-Stiftung (Wissenschaftliche Hilfsstelle Deutscher Rechtsanwälte) einzuholen. Bevor das Ergebnis des Gutachtens in Paderborn eintraf, erreichte ein anderer Schriftsatz einen Briefkasten in der Stadt. Mitglieder des »Bundes der Angehörigen des ehemaligen Paderborner Infanterie-Regimentes 158« reichten am 7. Mai 1958 vor dem Landgericht Klage ein. Die Stadt Paderborn sollte verurteilt werden, das Denkmal der 158er wiederherzustellen und auf seinem alten oder einem vom Gericht zu bestimmendem Standplatz wiederaufzurichten. Hilfsweise forderten die Veteranen die Herausgabe des Denkmals, seine Reparatur und die Erstattung der Kosten der Aufstellung. Sie beriefen sich in der Begründung auf eine eigene Denkschrift, die den Ablauf der Ereignisse rekonstruierte, dabei aber mindestens zwei Daten für Ratssitzungen falsch angab.294 Hauptsächlich postulierten sie, dass die Denkmäler aus politischen Gründen entfernt worden seien, nachdem am 5. März 1950 ein Kranz mit einer Schleife in Farben des Kaiserreiches am Husarendenkmal niedergelegt worden war.295 Die Klageschrift führte weiter aus, dass Bürgermeister Tölle gegenüber Oberst a. D. Habersang nach dem Abbruch des Denkmals geäußert habe: »Ich bin Pazifist und gegen jede Art der Heldenverehrung. Nichts dürfe mehr an Militarismus erinnern. Deutschland hat der Welt viel gutzumachen. Es dürfe auch keine deutschen Soldaten mehr geben.« Ratsherr Brockmann von der SPD wurde wie folgt zitiert: »Der Geist, der Paderborn zerstört hat und der Militarismus müssen ausgerottet werden. Allein die Reden, die bei der Einweihung des Denkmals von Nazi-Größen und ähnlichen Offizieren gehalten wurden, waren Grund genug, um dieses Denkmal abzubrechen. Es sind die Kreise, die den totalen Krieg entfesselt haben, ihn aber an sich selbst unbeschadet vorüberziehen ließen.« Anschließend folgten die bereits bekannten Argumente hinsichtlich der Vertragsverletzung durch die Stadt und über das Eigentum des Bundes an dem Denkmal. Abschließend erklärt die Klageschrift:

293 Vgl. StA Paderborn, Akte S1 002/8 (Nachlass Tölle), Vermerk über die am 20.2.1953 stattgefundene Besprechung in Sachen Kriegerdenkmäler von Stadtdirektor Sasse. 294 Vgl. StA Paderborn, S1 002/8 (Nachlass Tölle), Klageschrift des Bundes der Angehörigen des ehemaligen Paderborner Infanterie-Regiments 158 vom 7. Mai 1953. Die Sitzung am 4. März 1950 hat nicht stattgefunden und mit der Dezember-Sitzung ist nachweislich der Zitate die Sitzung vom 8. September 1950 gemeint. 295 Vgl. StA Paderborn, S1 002/8 (Nachlass Tölle), Abbruch und Vernichtung der 3 GefallenenEhrenmale, Denkschrift, Anlage zur Klageschrift des Bundes der Angehörigen des ehemaligen Paderborner Infanterie-Regiments 158 vom 7. Mai 1953.

2 Zwischen Aufbruch und Erinnerung

»Bei jeder ideologisch motivierten Bilderstürmerei pflegen – wie die Geschichte lehrt – die Täter sich als Vorkämpfer für vermeintlich neue oder bessere Ideale aufzuspielen, und die Vernichtung bestehender Bildwerke mit dem Streben nach angeblich höheren Idealen zu rechtfertigen. Dieses für solche historischen Vorgänge typische Verhalten legt auch die Beklagte an den Tag. […] An Stelle der ideologisch angeblich überholten Symbole will sie zur Pflege eines abstrakten Pazifismus ein allgemeines Mahnmal für alle Kriegsopfer der Stadt errichten. Über diese völlig anders geartete, zum Teil widersprechende Zielsetzung und das Wesen eines solchen Bestrebens geben die Akten der Beklagten u.a. auch das Preisausschreiben für Errichtung eines solchen Mahnmales und dessen Ergebnis einen klaren Beweis. So wurde ein Produkt der abstrakten Kunst, eine Säule mit einer Picasso-Taube und einer Sockelaufschrift ›Noah‹ mit dem ersten Preis ausgezeichnet!«296 Zwei Tage später ging bei der Stadt das 27-seitige Rechtsgutachten der HansSoldan-Stiftung ein. Dieses soll an dieser Stelle ausführlich betrachtet werden, weil die dargelegten juristischen Einschätzungen auch in anderen Stadtverwaltungen und Stadträten bei der Frage nach dem Umgang mit alten Kriegerdenkmälern eine Rolle gespielt haben könnten. Das Gutachten stellte zunächst fest, dass Denkmäler »öffentliche Sachen« seien, die dem Privatrecht nur beschränkt unterlägen. Es handele sich nicht um einen privatrechtlichen Vertrag mit dem Eigentümer. Ihren Status als öffentliche Sache erlangten sie durch die Widmung und Indienststellung. »Die Widmung ist als der Entschluss der widmenden Instanz, die Sache der öffentlichen Benutzung für die Allgemeinheit zu überlassen, aufzufassen.« Statt eines privatrechtlichen Vertrags entstehe dadurch eine öffentlich-rechtliche Zweckbindung. Diese Zweckbindung ende erst mit dem Untergang der öffentlichen Sache oder deren Entwidmung, die im Ermessen der verwaltenden Behörde bleibe. Der Beschluss des Rates, die Denkmäler zu entfernen, könne als ordnungsgemäße Entwidmung aufgefasst werden, allerdings habe die Stadt dadurch keine Berechtigung in fremdes Eigentum einzugreifen und es zu zerstören. Eine besondere Rolle in der Beurteilung durch die Stiftung spielte die Direktive Nr. 30 des Alliierten Kontrollrates. Diese wurde am 13. Mai 1946 erlassen und forderte die Beseitigung sämtlicher Denkmäler, die die deutsche militärische Tradition und den Militarismus bewahren und lebendig halten wollten oder den Krieg verherrlichten, bis zum 1. Januar 1947 durchzuführen (siehe S. 43). Das Rechtsgutachten hielt fest, dass die Entfernung der Paderborner Kriegerdenkmäler erst 1950 geschah, nach Inkrafttreten des Besatzungsstatuts. Inzwischen habe sich die »Einstellung der Besatzungsmächte zum Militarismus grundlegend gewandelt«.

296 StA Paderborn, S1 002/8 (Nachlass Tölle), Klageschrift des Bundes der Angehörigen des ehemaligen Paderborner Infanterie-Regiments 158 vom 7. Mai 1953.

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Die Hans-Soldan-Stiftung stellte fest, dass nach höchstrichterlicher Rechtsprechung auch bei der Durchführung von Besatzungsbefehlen die Verfassungsgarantien (Art. 14 GG, Recht auf Privateigentum) der Grundrechte zu achten seien, sodass eine nach Besatzungsbefehl vorgenommene Enteignung ebenfalls zum Entschädigungsanspruch führe. Das Eigentum an den Denkmälern läge bei den früheren Soldatenverbänden und es gebe keinen Beleg für eine Übertragung dieser Rechte auf die Stadt. Das Privateigentum sei durch die Widmung nicht verloren gegangen. Die Argumentation des ehemaligen Stadtdirektors Fischer, wonach die Stadt das Verfügungsrecht besäße, weil die Denkmäler mit dem Grund und Boden der Stadt verwachsen seien, lehnte das Rechtsgutachten ab. Die Denkmäler unterlägen öffentlich-rechtlichen und nicht bürgerlich-rechtlichen Grundsätzen und auch nach bürgerlichem Recht sei diese Annahme zweifelhaft. Die Denkmäler seien vielmehr als Teil eines öffentlich-rechtlichen Gestattungsvertrages nur Scheinbestandteile der Grundstücke. Das bedeutete, dass die Verbände mit Recht auf Entschädigung und Herausgabe des 158er Denkmals drängen konnten. Eine Entschädigung durch die Errichtung des städtischen Mahnmals könne nicht als Ersatz anerkannt werden.297 Am 21. Mai 1953 empfahl Stadtdirektor Sasse den vier Fraktionsvorsitzenden und Bürgermeister Tölle angesichts des Gutachtens und der eingereichten Klage, das 158er Denkmal auszugraben und zu reparieren, um größeren Schaden von der Stadt abzuwenden.298 Eine Woche später einigten sich die damit befassten Amtsträger darauf, den Infanteristen zu bergen und nach Rücksprache mit den Vertretern der 158er direkt zu einem Bildhauer zu bringen.299 Durch die Anerkennung der Entschädigungspflicht war der Konflikt über die Kriegerdenkmäler seitens der Stadt zwar entschärft worden, aber damit noch lange nicht gelöst. Mit beiden Veteranen-Verbänden stritten die Verwaltung und der Rat um Kosten und Standorte. Im Fall des 158er Denkmals wurde der von den 158ern vorgeschlagene Standort auf der Paderinsel vom zuständigen Ausschuss abgelehnt, da diese sonst ihren intimen und naturverbundenen Charakter verlieren würde.300

297 Vgl. StA Paderborn, B 3340, Rechtsgutachten der Hans-Soldan-Stiftung für RA Zacharias in Vertretung für die Stadt vom 9. Mai 1953. Der Form halber hatte Stadtrat Dr. Zacharias in seiner Funktion als Rechtsanwalt die Anfrage gestellt, da die Soldan-Stiftung nicht direkt für Stadtverwaltungen tätig wurde. Das Gutachten trägt die Nummer H 3210. 298 Vgl. StA Paderborn, Akte B 3340, Schreiben von Stadtdirektor Sasse an Bürgermeister Tölle vom 21. Mai 1953, sowie StA Paderborn, S1 002/8 (Nachlass Tölle), Schreiben von Stadtdirektor Sasse an die Fraktionsvorsitzenden vom 21. Mai 1953. 299 Vgl. StA Paderborn, S1 002/8 (Nachlass Tölle), Aktennotiz vom 30. Mai 1953 über die Besprechung am 28. Mai 1953. 300 Vgl. StA Paderborn, Niederschrift der Sitzung des Friedhofs-, Promenaden- und Forstausschusses vom 21. Januar 1954.

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Von den ehemaligen 158ern wurde dann der alte Standort an der Heiersburg eingefordert, aber ebenso von den Ratsherren abgelehnt. Die Nähe zum Mahnmal, das in wenigen hundert Metern Entfernung errichtet worden war, war unerwünscht und für die Ratsvertreter untragbar. Ein rechtlicher Anspruch auf die Aufstellung am alten Ort konnte nicht geltend gemacht werden. Auch das Paderquellgebiet und der Geißelsche Garten an der Michaelisstraße wurden von der Stadt abgelehnt. Stattdessen schlug der Ausschuss die Ehrenfriedhöfe oder den bereits abgelehnten Schützenplatz vor.301 Schließlich wurde den 158ern ein Denkmalplatz auf der Paderwiese an der Ecke Rolandsweg und Fürstenweg außerhalb der Innenstadt in Aussicht gestellt.302 Bei der Frage der Entschädigung für die Schäden des Abbruchs bot der Bauausschuss am 18. Februar 1954 nur 2.000 DM als Entschädigungssumme an, obwohl der Bildhauer der 158er Kosten von 5.400 DM und der Gegengutachter der Verwaltung 2.900 DM geltend gemacht hatten.303 Da die Mehrkosten aber tragbar waren, lohnte sich für die ehemaligen 158er eine weitere Auseinandersetzung darüber nicht. Anders war es beim Husarendenkmal. Zwei Gutachten ergaben für das zerstörte Kriegerdenkmal einen Wert von 40.000 DM304 bzw. 43.000 DM,305 was dem Bauausschuss entschieden zu hoch war.306 Er beauftragte einen öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen mit einem weiteren Gutachten, welches durch anders gewertete Kriegsschäden und eine andere Berechnung der Wertminderung (»Die technische und wirtschaftliche Lebensdauer derartiger Anlagen ist erfahrungsgemäß mit 100 Jahren anzurechnen«) einen Neuwert von 23.200 DM und einen Zeitwert von 18.600 DM ergab.307 Rasch erkannte der Bauausschuss den Zeitwert an,308 während die Vertreter der 8. Husaren heftig protestierten.309 Die Stadt hielt aber nur dieses Angebot aufrecht. Zudem sah sich der Bund ehemaliger Husaren gezwungen, selbst drei Entwürfe für ein neues Kriegerdenkmal einzuholen. Die Verwaltung wollte den Soldaten zwar entgegenkommen, in dem auf Kosten der Stadt ein Wettbewerb mit dem Motiv »Friedenshusar zu Pferde« durchgeführ-

301 Vgl. StA Paderborn, B 3343, Niederschrift über die Besprechung am 2.4.1954 bezüglich der Wiederaufstellung des Ehrenmals des Bundes ehem. 158er. 302 Vgl. StA Paderborn, B 3340, Niederschrift über die Besprechung am 16. Juli 1954 betr. Wiederaufstellung der Ehrenmäler. 303 Vgl. StA Paderborn, Niederschrift der Sitzung des Bauausschusses vom 18. Februar 1954. 304 Vgl. StA Paderborn, B 3341, Gutachten Bernard Brechmann vom 10. Oktober 1953. 305 Vgl. StA Paderborn, B 3341, Schreiben Fritz Braun vom 30. November 1953. 306 Vgl. StA Paderborn, Niederschrift der Sitzung des Bauausschusses vom 12. Dezember 1953. 307 Vgl. StA Paderborn, B 3341, Wert-Gutachten über das Ehrenmal des ehemaligen 8. HusarenRegiments vom öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen Theodor Tersluisen vom 25. März 1954. 308 Vgl. StA Paderborn, Niederschrift der Sitzung des Bauausschusses vom 25. März 1954. 309 Vgl. StA Paderborn, B 3341, Schreiben RA Petrich an Stadtdirektor Sasse vom 3. April 1954.

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te werden sollte,310 die Kooperationsbereitschaft der Verwaltung wurde aber durch den Bauausschuss gestoppt. Insbesondere Bürgermeister Tölle sah keine Notwendigkeit einen Wettbewerb für das Husarendenkmal durchzuführen oder irgendwie anders aktiv zu werden.311 Die Husaren wählten schließlich das Reiter-Denkmal von Prof. Werner mit vier Metern Höhe und fünf Metern Breite, das einen lebensgroßen Husaren in einer Kombination aus Relief und freistehender Figur zeigte. Als Material war Muschelkalk vorgesehen (siehe Abb. 17).312 Anschließend war nur noch der Ort der Aufstellung zu klären. Die 8. Husaren beantragten nun einen Platz in der Grünanlage am Rolandsweg, in der auch der Infanterist der 158er seinen Platz finden sollte. Der Bauausschuss sprach sich am 10. Februar 1955 dagegen aus und schlug den Jahnplatz gegenüber der ehemaligen Husarenkaserne vor.313 Die Gründe hierfür sind nicht nachzuvollziehen, möglicherweise wollte der Ausschuss eine Ansammlung von Kriegerdenkmälern vermeiden. Im Haupt- und Finanzausschuss gab es dann keine Mehrheit für den Vorschlag Jahnplatz. Schließlich stimmte der Rat am 3. März 1955 für den Rolandsweg als Standort beider Denkmäler. 16 Stadträte sprachen sich dafür aus, zehn dagegen und zwei enthielten sich.314 Am 6. Juni 1955 wurden beide Denkmäler eingeweiht. Der Haupt- und Finanzausschuss beschloss später, die Denkmäler nicht in die Obhut der Stadt zu nehmen.315 Damit war der Konflikt beendet. Als im Februar 1957 die ehemaligen Soldaten der Panzerregimenter Paderborns baten, ein Denkmal in Form eines Sarkophags auf der Grünanlage vor dem Eingang zum Ostfriedhof aufzustellen, entsprach der zuständige Ausschuss diesem Ansinnen einstimmig.316 Die neue Synagoge als jüdisches Erinnerungszeichen? Ein Erinnerungszeichen für die ermordeten Juden Paderborns wurde erst 1981 geschaffen (siehe Kapitel 4.3). Doch kann man deshalb von einem Vergessen und einem Verdrängen der jüdischen Opfer Paderborns in den 1950er Jahren sprechen? Schaut man sich den Umgang mit der Wiedergutmachung im Fall der zerstörten Synagoge an, fällt es schwer, diese These zu verfolgen. Vielmehr ergibt sich der Eindruck, dass die neuerrichtete Synagoge ein Erinnerungszeichen und gleichzeitig ein dringend benötigter Raum für die jüdische Gemeinde war. Die neue Synagoge 310 Vgl. StA Paderborn, B 3340, Niederschrift über die Besprechung am 16. Juli 1954 betr. Wiederaufstellung der Ehrenmäler. 311 Vgl. StA Paderborn, Niederschrift der Sitzung des Bauausschusses vom 22. Juli 1954. 312 Vgl. StA Paderborn, B 3341, Entwurf Prof. Werner vom 15. September 1954. 313 Vgl. StA Paderborn, Niederschrift der Sitzung des Bauausschusses vom 10. Februar 1955. 314 Vgl. StA Paderborn, Protokoll der Ratssitzung vom 3. März 1955 sowie vom 14. April 1955 (Änderung der Niederschrift vom 3. März 1955). 315 Vgl. StA Paderborn, Niederschrift der Sitzung des Haupt- und Finanzausschusses vom 28. April 1955. 316 Vgl. StA Paderborn, Niederschrift der Sitzung des Friedhofs-, Promenaden- und Forstausschusses vom 25. Februar 1957.

2 Zwischen Aufbruch und Erinnerung

Abb. 17: Das zweite Husarendenkmal

Das neue Husarendenkmal am Rolandsweg. Die Inschrift gedenkt sowohl den im 1. Weltkrieg gefallenen Husaren als auch den »Kameraden vom Traditionsregiment, dem Rhein. Westfälischen Kavallerieregiment Nr. 15«, die im Zweiten Weltkrieg gefallen waren. Foto: Jan Niko Kirschbaum

wurde am 29. November 1959 eingeweiht. In beiden Zeitungsartikeln, die dazu in der Sammlung des Stadtarchivs zu finden sind, wird dieser Bau explizit als Zeichen der Wiedergutmachung verstanden. So schrieb die Freie Presse: »Alle Menschen, die guten Willens sind, begrüßen es, weil der Bau dieses jüdischen Gotteshauses ein wesentlicher Akt der Wiedergutmachung ist. Ein schwarzer Tag der deutschen Geschichte, der 9. November 1938, an dem ein gelenkter Pöbel sämtliche jüdischen Gotteshäuser schändete, kann dadurch leider nicht ausgelöscht werden.«317 Die Paderborner Nachrichten berichteten: »Am 28. Marcheschwan 5720 nach jüdischer Zeitrechnung, am Tag des 1. Advent nach der unsrigen, wurde ein furchtbares Unrecht, das der jüdischen Kultusgemeinde in der Kristallnacht 1938 mit dem Niederbrennen der Synagoge am Bogen angetan wurde, durch die Weihe der neuen Synagoge, einem klar gegliederten Bauwerk des Architekten Gerle, endlich wiedergutgemacht. Groß war an

317

Vgl. Die jüdische Kultusgemeinde Paderborn weiht am Sonntag ihre neue Synagoge ein, in: Freie Presse vom 27. November 1959.

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diesem Novembertag die Zahl der Ehrengäste, die durch ihre Teilnahme an den Weihefeierlichkeiten bekunden wollten, daß die Menschen in der Bundesrepublik heute ihren jüdischen Mitbürgern Verständnis und Toleranz, Ehrfurcht vor ihrem Glauben und Hilfsbereitschaft entgegenbringen wollten. Denn Unterdrückung und Ausrottung, das sind Dinge, die in unserem neuen Staat keinen Platz mehr finden können.« Der Weg zum Neubau der Synagoge war – wie bei der Errichtung der Erinnerungszeichen der 1950er Jahre – lang und begann schon in der unmittelbaren Nachkriegszeit: Am 9. August 1946 beschloss der Rat der Stadt Paderborn, den Verkauf des Geländes der zerstörten Synagoge vom 30. Dezember 1938 mit dem Einverständnis des damaligen Käufers rückgängig zu machen.318 Der aus drei Männern bestehende Vorstand der jüdischen Gemeinde nahm im September 1946 den Rückerstattungsvertrag an. Allerdings stimmte die britische Militärregierung dem Vorgang nicht zu.319 Am 6. März 1950 machte die Stadt einen neuen Anlauf und gab alle Grundstücke der ehemaligen jüdischen Gemeinde (neben dem Synagogengelände gehörten dazu zwei Friedhöfe) an die neue Nachkriegs-Synagogengemeinde zurück und trug die Kosten hierfür. Damit, so glaubte die Verwaltung, hatte die Stadt die Anforderungen des Gesetzes Nr. 59 der britischen Militärregierung erfüllt.320 Dieses Gesetz vom 12. Mai 1949 regelte die »Rückerstattung feststellbarer Vermögensgegenstände an Opfer der nationalsozialistischen Unterdrückungsmaßnahmen«. Überrascht musste die Stadtverwaltung zur Kenntnis nehmen, dass sich am 19. Januar 1951 die hannoversche Zweigstelle der Jewish Trust Corporation for Germany (JTC) zu Wort meldete und sich unter Berufung auf Artikel 2 der 7. Durchführungsverordnung des Gesetzes Nr. 59 zum alleinigen Vertreter für Vermögensgegenstände, die früher jüdischen Organisationen gehört hatten, erklärte. Sie brachte den Grundbesitz der ehemaligen jüdischen Gemeinde Paderborn zur Anmeldung für die Rückerstattung.321 Diesem Anliegen folgend schloss die Stadt Paderborn am 22. Oktober 1952 vor dem Wiedergutmachungsamt am Landgericht Paderborn einen Vergleich mit der JTC. Die Stadt musste die Übergabe des Eigentums an die Nachkriegs-Synagogengemeinde zurücknehmen und zahlte stattdessen 13.740 DM an die JTC.322

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Vgl. StA Paderborn, B 2065, Bl. 141, Vermerk vom 2. September 1946. Vgl. StA Paderborn, B 2065, Bl. 154, Urkundenrolle des Notars vom 26. September 1946, sowie Ebenda, Bl. 161, Schreiben des Sanitätshauses Brinkmann. 320 Vgl. StA Paderborn, B 2065, Bl. 186, Protokoll der Verhandlung vor dem Notar am 6. März 1950. 321 Vgl. StA Paderborn, B 2065, Bl. 208, Schreiben der Jewish Trust Corporation for Germany vom 19. Januar 1951. 322 Vgl. StA Paderborn, B 2065, Bl. 256, Protokoll der Verhandlung vor dem Wiedergutmachungsamt am Landgericht Paderborn vom 22. Oktober 1952.

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Die nach 1945 neu gegründete jüdische Gemeinde Paderborns ging dadurch leer aus, wehrte sich aber juristisch. Vor dem Landgericht verlangte sie die Auszahlung der Vergleichssumme an die jüdische Gemeinde anstatt an die JTC. Das Landgericht wies die Klage ab. In der Begründung führte es an, dass alle Juden in Deutschland gemäß dem Reichsbürgergesetz vom 4. Juli 1939 in der Reichsvereinigung der Juden zusammengeschlossen worden waren und der Reichsinnenminister am 27. Mai 1941 alle jüdischen Organisationen aufgelöst hatte. Damit, so die juristische Konsequenz, hatte die jüdische Gemeinde ihre »Rechtspersönlichkeit« verloren und die JTC war gemäß des Gesetzes Nr. 59 der britischen Militärregierung die einzige und alleinberechtigte Nachfolgeorganisation.323 Die jüdische Gemeinde Paderborns legte Rechtsmittel ein und das Oberlandesgericht Hamm hob am 30. April 1955 das Urteil der Wiedergutmachungskammer in Paderborn auf, da die Individualberechtigten der jüdischen Gemeinde nicht gehört worden waren.324 Der Rechtsstreit zwischen der Gemeinde und der JTC endete schließlich am 11. Juli 1957, als das Oberste Rückerstattungsgericht gegen die Entscheidung des OLG Hamm votierte und somit die jüdische Gemeinde endgültig verloren hatte.325 Die jüdische Gemeinde sah sich anschließend vor die Aufgabe gestellt, ohne Grundstück und ohne Wiedergutmachungsmittel eine Synagoge zu bauen und erhielt hierfür Hilfe der Stadt Paderborn. Neben der Herrichtung des Friedhofs an der Warburger Straße für 3466,39 RM und 2505,94 DM bestand diese vor allem in der Erschließung des neuen Grundstücks an der Pipinstraße und dem Verzicht auf die Bezahlung von städtischen Leistungen in Höhe von 15.165,55 DM.326 Darüber hinaus konnte eine Thorarolle der alten Rüthener Synagoge, die Krieg und Verfolgung in einem Tresor des erzbischöflichen Palastes in Paderborn überstanden hatte, übergegeben werden.327 In die südwestlich von Paderborn gelegenen Kleinstadt Rüthen kehrte das jüdische Leben nach 1945 nicht zurück. Auch in Köln, Düsseldorf und Dortmund gab es Auseinandersetzungen zwischen der JTC und den dortigen Gemeinden, sodass die Synagogengründungen sich bis zum Ende der 1950er Jahre verzögerten. Jürgen Zieher urteilt in seiner Analyse der Nachkriegszeit der jüdischen Gemeinden in Düsseldorf, Dortmund

323 Vgl. StA Paderborn, B 2065, Bl. 319, Beschluss des Wiedergutmachungsamtes beim Landgericht Paderborn vom 16. November 1953. 324 Vgl. StA Paderborn, B 2065, Bl. 351, Beschluss des OLG Hamm vom 30. April 1955. 325 Vgl. StA Paderborn, B 2065, Bl. 406, Entscheidung des Obersten Rückerstattungsgerichtes vom 11. Juli 1957. 326 Vgl. StA Paderborn, B 2065, Bl. 411, Betrifft: Entgegenkommen Leistungen gegenüber der Jüdischen Kultusgemeinde Paderborn durch die Stadt Paderborn vom 26. November 1959. 327 Vgl. Als Geschenk zur Synagogenweihe: Vor Vernichtung bewahrte Thorarolle, in: Paderborner Nachrichten vom 30. November 1958. Siehe auch: Die neue Synagoge der jüdischen Gemeinde Paderborn, in: Woche der Brüderlichkeit 1997, herausgegeben von der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit, Paderborn 1996, S. 44.

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und Köln, dass die Synagogenbauten aus jüdischer Sicht ein Zeichen für eine gewollte dauerhafte Existenz jüdischen Lebens in Deutschland waren. Die »nichtjüdische Seite« sah die Synagogen als Zeichen einer toleranten und demokratisierten bundesdeutschen Gesellschaft.328 Auch am Beispiel Paderborn wird deutlich, dass das Fehlen eines Erinnerungszeichens für die verfolgten jüdischen Mitbürger nicht zwingend für ein Verdrängen der Shoa stehen muss. Die Unterstützung der jüdischen Gemeinde, die bei der Errichtung einer neuen Synagoge ohne die von der Stadt anerkannten und von der Jewish Trust Corporation for Germany beanspruchten Wiedergutmachungsmittel auskommen musste, war gegeben. Die Unterstützung der jüdischen Gemeinde kann als Akt der Distanzierung von der NS-Zeit und als Versuch der aufrichtigen Wiedergutmachung verstanden werden. In Kapitel 3.3. (S. 229f.) und 4.3 wird sich zeigen, dass das Verhältnis zwischen Gemeinde und Stadtverwaltung im Laufe der folgenden Jahrzehnte schlechter werden sollte. Das Leitmotiv der Paderborner Denkmalsetzung, die begleitet wurde von einem heftigen Streit um die Kriegerdenkmäler der Zwischenkriegszeit, war der Frieden. Akteure, die schon vor 1933 politisch aktiv gewesen waren, standen sich unversöhnlich gegenüber: Zum einen die katholische Friedensbewegung um Bürgermeister Tölle mit Unterstützung durch die SPD, auf der anderen Seite die Veteranen des Ersten Weltkriegs, die um ihr Erbe kämpften. Am Beispiel Paderborn wird zudem deutlich, dass die Wiederbewaffnung der Bundeswehr nicht ohne Alternative war. Gerade Anfang der 1950er Jahre bestand eine Chance auf ein waffenloses Deutschland, das zumindest in Paderborn eine breite Unterstützung genossen hätte, aber auch einen ebenso breiten Widerstand provoziert hätte, war doch Paderborn als ehemalige Garnisonsstadt eng mit dem Militär verbunden. Besonders die FDP setzte sich im Rahmen der Politik der »Nationalen Sammlung« für die Soldaten ein. Der Konflikt in Paderborn um die Kriegerdenkmäler zeigt aber auch auf, warum fast alle der Kriegerdenkmäler die alliierten Bemühungen um eine Demilitarisierung der deutschen Denkmalslandschaft überstanden: Die rechtlichen Voraussetzungen für eine restlose Beseitigung waren nicht gegeben. Es lässt sich natürlich im Rahmen dieser Studie schwer nachweisen, ob auch in anderen Städten überhaupt Überlegungen zur Beseitigung angestellt wurden, aber selbst, wenn dies geschehen wäre, war eine Entfernung der Kriegerdenkmäler nicht ohne weiteres möglich gewesen, wenn die Stadt nicht die Eigentümerin der Kriegerdenkmäler war. Es gab aber mit Sicherheit nicht nur rechtliche Gründe, die eine Entfernung der Kriegerdenkmäler verhinderte.

328 Vgl. Jürgen Zieher, Im Schatten von Antisemitismus und Wiedergutmachung. Kommunen und jüdische Gemeinden in Dortmund, Düsseldorf und Köln 1945-1960, Berlin 2005, S. 239. Zu den Auseinandersetzungen mit der JTC siehe S. 225ff.

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2.6

Zeichen der Zerrissenheit: Die Drei Nornen in Düsseldorf (1958)

Düsseldorf ist nicht nur die Landeshauptstadt Nordrhein-Westfalens, sondern als »Schreibtisch des Ruhrgebietes« auch ein bedeutender Wirtschafts-, Dienstleistungs- und Messestandort im bevölkerungsreichsten Bundesland der Republik. Die Stadt am Rhein mit ihren 600.000 Einwohnern ist heute die zweitgrößte Stadt des Bundeslandes und international vielfältig verflochten. Die ehemalige bergische Residenzstadt ist ein wichtiger Ort der Kultur- und Kunstszene, aber auch für die »längste Theke der Welt« und die »Kö« als Shoppingmeile bekannt. Mit Kirmes und Karneval ist die Stadt ein Anziehungspunkt für Besucher aus dem Rheinland und aller Welt. Nach mehreren Eingemeindungen, vor allem 1929 und 1975, sind vormals unabhängige Städte wie Benrath und Kaiserswerth Teil der Stadt geworden. In der Politik ist die CDU bei elf von 17 Kommunalwahlen seit 1945 die stärkste Kraft gewesen. Seit 1965 ist Düsseldorf Universitätsstadt, seit 1988 trägt die Universität den Namen des in Düsseldorf geborenen Schriftstellers Heinrich Heine. Die Landeshauptstadt Düsseldorf verfügt über eine vergleichsweise große Anzahl an Erinnerungszeichen für den Zweiten Weltkrieg und die Zeit des Nationalsozialismus. Ungefähr 90 sind über das Stadtgebiet verteilt. 19 davon sind ergänzende Gedenktafeln an Kriegerdenkmälern des Ersten Weltkrieges oder auch des Deutsch-Französischen Krieges. Das älteste Erinnerungszeichen, das eine solche Ergänzung erhielt, stammt aus dem Jahr 1871 und steht im Stadtteil Lörick. Von zwölf Erinnerungszeichen ließ sich anhand der Literatur kein Aufstellungsdatum ermitteln. Bis 1949 entstanden drei Erinnerungszeichen für den Widerstand der Aktion Rheinland,329 die Opfer der jüdischen Gemeinde und sowjetische Kriegsgefangene. In den 1950er Jahren entstanden 16 Erinnerungszeichen. Sechs davon waren Kriegerdenkmäler und sechs erinnerten ausschließlich an die Verfolgten des Nationalsozialismus, davon vier an sowjetische Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter, die mutmaßlich auch von ihren Landsleuten errichtet wurden. Die restlichen vier Erinnerungszeichen, darunter auch das in diesem Kapitel untersuchte, waren sowohl den Opfern des Krieges als auch den Verfolgten des Nationalsozialismus gewidmet. Zwischen 1960 und 1979 wurden vier weitere Erinnerungszeichen

329 Das Ziel der Aktion Rheinland war die kampflose Übergabe der Stadt Düsseldorf an die USamerikanische Armee im April 1945. Die Besetzung des Polizeipräsidiums glückte zunächst. Während Mitglieder der Widerstandsgruppe in Mettmann mit den US-Streitkräften verhandelten, wurde die anderen Mitglieder verraten, verhaftet, verurteilt und hingerichtet. Durch den Erfolg der Verhandlungen zog die US-Armee dennoch kampflos in die Stadt ein. Die vollständige Zerstörung der Stadt und Schaden an den verbliebenen Einwohnenden wurde abgewendet. Ausführlich in: Volker Zimmermann, In Schutt und Asche. Das Ende des Zweiten Weltkrieges in Düsseldorf, Düsseldorf 3. Auflage 2006, S. 85-98.

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gestiftet und in den 1980er Jahren 19. 14 davon waren den Verfolgten des Nationalsozialismus gewidmet, drei den Soldaten und zwei erinnerten an alle Opfer des Krieges und die Verfolgten des Dritten Reiches. Nach 1990 entstanden 17 Erinnerungszeichen, unter denen kein Kriegerdenkmal zu finden ist.330

Abb. 18: Das Düsseldorfer Erinnerungszeichen

Die drei Figuren des Düsseldorfer Erinnerungszeichens. Die Figur »Hoffnung« ist hier frontal zu sehen, rechts »Liebe«, links »Glaube«. Foto: Jan Niko Kirschbaum

330 Vgl. Ulrike Puvogel, Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus, S. 488ff., Clemens von Looz-Corswarem und Rolf Purpar, Kunststadt Düsseldorf, Objekte und Denkmäler im Stadtbild, Düsseldorf 1996, sowie Wolfgang Funken, Ars Publica. Geschichte der Kunstwerke und kulturellen Zeichen im öffentlichen Raum der Landeshauptstadt, Essen 2012.

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Als Beispiel für die Düsseldorfer Erinnerungskultur wird im Folgenden das Mahnmal der Stadt am Nordfriedhof untersucht. Wer dieses Gelände heute sucht und betreten will, folgt am besten einem schmalen Pfad durch ein Gebüsch am Thewissenweg. Vom Nordfriedhof erreicht man das Gelände nicht, da die drei Tore verschlossen sind. Der vierte Zugang erfolgte früher von der Danziger Straße, die schon kurz nach der Einweihung des Denkmals zur vierspurigen Schnellstraße ausgebaut wurde. Das Umfeld des Mahnmals macht einen verlassenen und verlorenen Eindruck. Innerhalb einer runden, mit Rasen versehenen Freifläche, die von Bäumen umstanden ist, steht das wuchtige Denkmal auf einem steinernen Postament. Drei monumentale, überlebensgroße Frauenfiguren stehen Rücken an Rücken zusammen. Eine Figur hat die Hände vor der Brust zusammengelegt und hört dem Rauschen des nahen Autoverkehrs auf der B8 zu. Die zweite hält zwei kümmerliche Blätter in den großen Händen, die dritte hochkant einen leeren Teller. Auf dem ebenfalls mächtigen Sockel ist zu den nackten Füßen der grauen Damen je ein Relief in den Stein gehauen. Eines zeigt zwei behelmte Soldaten, die einen unbehelmten Soldaten vom Felde tragen. Ob er tot oder verwundet ist, wird nicht ersichtlich. Das zweite Relief zeigt zwei von einem schweren Balken getroffene Frauen und einen Säugling, sowie einen jaulenden Hund am Rand der Szene. Das dritte Relief zeigt zwei barfüßige Männer in gestreifter Kleidung, die sich in Schritt-Stellung hingekniet haben, um einen dritten Mann in ihrer Mitte bei den Beinen zu fassen und zu tragen. Er hat das Gesicht dem Himmel zugewandt. Den Reliefs und den Frauenfiguren sind drei Inschriften an den Seiten des Sockels zugeordnet: Den Opfern des Krieges und der Gefangenschaft Den Opfern in der Heimat, den Vermissten und Hinterbliebenen Den Opfern des politischen Terrors Das Düsseldorfer Mahnmal ist ein Beispiel für den Versuch, verschiedenen Opfergruppen der Zeit von 1933-1945 in einem Erinnerungszeichen zu gedenken: den Gefallenen, den Luftkriegstoten und den Verfolgten des NS-Regimes. Es ist damit vergleichbar mit den Bestrebungen in Bonn (Kapitel 2.8) und Münster (Kapitel 3.1). Die Quellenlage zur Entstehungsgeschichte, aber auch zum Gedenken am Mahnmal ist sehr gut. Im Düsseldorfer Stadtarchiv sind drei je circa 300 Blatt dicke Akten aus dem Bestand des am Ende des Vorgangs federführenden Kulturamtes vorhanden (0-1-4-13047, 0-1-4-13048 und 0-1-4-13049). Sie enthalten von der ersten Idee im Jahr 1946 bis zur Abschlussrechnung 1958 Briefwechsel mit der Politik, dem Künstler und innerhalb der Verwaltung, die Niederschriften der Ausschüsse und Zeitungsartikel. Im Bestand der Oberbürgermeister sind Reden der städtischen Politiker überliefert, in den Akten zum Volkstrauertag auch das Prozedere dieser Veranstaltungen von 1976-1989. Die politische Entscheidungsfin-

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Abb. 19: Relief für die gefallenen Soldaten; Abb. 20 Relief für die Opfer der Luftangriffe

Fotos: Jan Niko Kirschbaum

Abb. 21: Relief für die »Opfer des politischen Terrors«

Foto: Jan Niko Kirschbaum

dung ist indes schwerer zu greifen, da die Entscheidungen an Ausschüsse delegiert wurden, die nur protokollarische Niederschriften, aber keine detaillierten Wortprotokolle überliefert haben. Nur in einem Fall kann auf die stenografischen Mitschriften des Rates zurückgegriffen werden. Zur Analyse des Volkstrauertags (siehe Kapitel 3.4 und 4.8) wurden auch die Berichte der beiden Tageszeitungen, Rheinische Post und Westdeutsche Zeitung/Düsseldorfer Nachrichten ausgewertet.

2 Zwischen Aufbruch und Erinnerung

Ein Ehrenmal für die Opfer des Nationalsozialismus Die Geschichte des Düsseldorfer Erinnerungszeichens reicht zurück bis in das Jahr 1946 und lässt sich grob in drei Phasen gliedern. In der ersten Phase zwischen 1946 und 1949 fanden die Akteure rasch einen Standort und einen Entwurf für das Denkmal, dessen Errichtung dann bis 1956 manipuliert und verschleppt wurde. Erst danach erfolgten in der dritten Phase die entscheidenden Beschlüsse und die Umsetzung des Erinnerungszeichens. Der erste Impuls kam von einem Geistlichen: Anfang Juli 1946 regte Pater Superior Kremer in einem persönlichen Gespräch mit dem Oberbürgermeister an, dass die Opfer der Gestapo, die bisher in Einzelgräbern lagen, auf jedem der drei großen Friedhöfe der Stadt einen zentralen Ehrenplatz erhalten sollten.331 Wenige Tage später fand eine Besprechung mit Pater Kremer bei der Friedhofsverwaltung statt, bei der das Amt zusagte, eine »Begräbnisstätte für politisch und religiös Verfolgte« zu prüfen. Das Amt empfahl den Nordfriedhof als Standort eines zentralen Denkmals zu wählen.332 Bereits im Juli 1946 wurde demnach von einem zu bauenden Erinnerungszeichen gesprochen. Am 10. Oktober 1946 beschloss der Ausschuss für das Garten- und Friedhofsamt als erstes Gremium der Stadt Düsseldorf die Errichtung eines »Ehrenmals für die Opfer des Nationalsozialismus«. Der Hauptausschuss erweiterte dieses Vorhaben Anfang Dezember 1946 um die »Opfer des Bombenterrors« und »die an der Front Gefallenen«. Mit Hilfe von sachkundigen Fachleuten sollte eine »großzügige Lösung« gewährleistet werden.333 Ein Fachausschuss wurde für die Umsetzung des Vorhabens eingerichtet. Das Kulturamt ernannte die beiden Bildhauer Jupp Rübsam334 und Zoltan Székessy335 331 Vgl. StA Düsseldorf, 0-1-4-13047.0000, Bl. 2, Vermerk vom 9. Juli 1946. 332 Vgl. StA Düsseldorf, 0-1-4-13047.0000, Bl. 4, Abschrift der Besprechung vom 11. Juli 1946. 333 Vgl. StA Düsseldorf, 0-1-4-13047.0000, Bl. 8, Auszug aus Niederschrift des Hauptausschusses vom 2. Dezember 1946. 334 Jupp Rübsam wurde 1896 in Düsseldorf als Sohn eines Steinmetzes geboren. 1912 kam er auf die Düsseldorfer Kunstgewerbeschule, die damals von Wilhelm Kreis geleitet wurde. 1914 wurde Rübsam Kriegsfreiwilliger im Niederrheinischen Füsilierregiment Nr. 39 in Düsseldorf, 1916 geriet er in französische Gefangenschaft, aus der er erst 1920 zurückkehrte. Anschließend studierte er an der Kunstakademie und wurde freischaffender Künstler. Deutschlandweite Bekanntheit erhielt er durch den Streit um das Kriegerdenkmal für »sein« 39erRegiment (siehe S. 434). Ein Foto des 1933 abgebrochenen Denkmals wurde 1937 Teil der NSPropaganda-Ausstellung »Entartete Kunst«. Von den Nationalsozialisten wurde er nicht verfolgt, aber auch nicht gefördert. Nachdem sein Atelier 1942 bei einem Luftangriff zerstört wurde, verließ er Düsseldorf und bezog das Atelier des verstorbenen Freundes Heinz Tappeser in Hinsbeck (Stadt Nettetal, Kreis Viersen). Nachdem er in den 1950er Jahren noch zahlreiche Werke schaffen konnte, verhinderten die Folgen eines Autounfalls 1963 weitere berufliche Tätigkeit. Er starb 1976. Vgl. Jutta Pitzen, »Ich habe immer geformt« Jupp Rübsam – Bildhauer am Niederrhein, in: Dies., Jupp Rübsam. 1896-1976, Krefeld 1991, S. 35-101. 335 Zoltan Székessy wurde 1899 in Ungarn geboren und kam 1922 zum ersten Mal nach Düsseldorf, um an der Kunstakademie zu studieren. Ab 1929 wohnte er dauerhaft in der Stadt. 1938

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zu Fachberatern, ohne dass die Gründe für die Wahl aus den Quellen hervorgehen. Ersterer sollte später den Wettbewerb für sich entscheiden. Der Düsseldorfer »Ausschuss für politisch und rassisch Verfolgte«, der kein Organ der Stadtverwaltung Düsseldorfs war, wählte den Initiator Kremer und den Vorsitzenden der VVN, Saalwächter, als Delegierte. Weitere Fachberater kamen vom Garten- und Friedhofsamt, vom Stadtplanungs- und Hochbauamt und dem Garten- und Friedhofsausschuss. Außerdem schlossen sich dem Fachausschuss Oberbürgermeister Karl Arnold (CDU) und Bürgermeister Glock (SPD) sowie weitere Stadtverordnete an.336 Am 28. Oktober 1946 berichtete der zuständige Beigeordnete Hoffmann an den Oberstadtdirektor, dass die »Kommission für die politisch und rassisch Verfolgten« vorgeschlagen habe, die Opfer des Nationalsozialismus in das Rondell des 1946 entfernten Schlageter-Denkmals umzubetten, da im unmittelbar angrenzenden Friedhof auch ein Ehrenfriedhof für Bombenopfer und Gefallene entstehe.337 Auch wenn die Bezeichnung »Kommission« nicht identisch mit dem Begriff »Ausschuss« ist, kann davon ausgegangen werden, dass hiermit die gleiche Gruppierung gemeint war, die mit dem Pater Kremer und dem Vorsitzenden der VVN Mitglieder im städtischen Mahnmals-Ausschuss stellte. Bereits am 8. März 1946 hatte der Düsseldorfer Stadtrat einstimmig die Entfernung des Denkmals und die Erweiterung des Nordfriedhofs auf das Schlageter-Gelände beschlossen.338 Das Schlageter-Denkmal Das Schlageter-Denkmal in Düsseldorf erinnerte von 1931 bis 1946 an Albert Leo Schlageter und die Besetzung des Ruhrgebietes in der Zwischenkriegszeit. Da die Geschichte dieses Erinnerungszeichens bereits erforscht ist, sei an dieser Stelle nur ein kursorischer Abriss eingeflochten. Albert Leo Schlageter, geboren 1894 in Schönau im Schwarzwald, diente im Ersten Weltkrieg im Feldartillerie-Regiment 76 und schloss sich 1919, nach dem kurzen Versuch ein theologisches Studium in Freiburg zu beginnen, mehreren Freikorps an. Er kämpfte im Baltikum, in Schlesien und beteiligte sich am Kapp-Putsch bei der Freikorps-Brigade »Löwenfeld«. Anschließend kämpfte er mit dem Freikorps von Heinz Hauenstein in Oberschlesien bis Oktober 1921. Nach Aufenthalten in Danzig und Berlin schloss er

erhielt er den Cornelius-Preis der Stadt und wurde 1952 als Kunstprofessor an die Kunstakademie berufen. 1957 schuf er für die Stadt Viersen ein Mahnmal »für die Opfer des Unrechts und der Gewalt«, das eine Mädchengestalt darstellt. 1960 fertigte er für das Düsseldorfer Rathaus die Figur »Der Wächter«. Vgl. Wend Fischer, Zoltan Szekessy, Monographien zur rheinisch-westfälischen Kunst der Gegenwart, Recklinghausen 1965, S. 19-21. 336 Vgl. StA Düsseldorf, 0-1-4-13047.0000, Bl. 9, Schreiben Oberstadtdirektor vom 9. Januar 1947, sowie Ebenda, Bl. 13, Abschrift der Niederschrift Hauptausschuss vom 17. Februar 1947. 337 Vgl. StA Düsseldorf, 0-1-4-13047.0000, Bl. 6, Hoffmann an Hensel, 28. Oktober 1946. 338 Vgl. Manfred Franke, Albert Leo Schlageter. Der erste Soldat des 3. Reiches. Die Entmythologisierung eines Helden, Köln 1980, S. 101.

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sich 1923 angesichts der Ruhrbesetzung durch belgische und französische Truppen dem reaktivierten Freikorps Hauenstein wieder an. Das Freikorps führte Sabotageakte gegen die Besatzer durch. Nach einem Anschlag auf eine unbedeutende Eisenbahnbrücke bei Kalkum wurde Schlageter von deutschen und französischen Stellen gesucht, gefunden und verhaftet. Am 8. Mai wurde er mit weiteren Angeklagten in Düsseldorf vor ein französisches Kriegsgericht gestellt, am 9. Mai als einziger zum Tode verurteilt und am 26. Mai 1923 in einer Sandgrube in der Golzheimer Heide bei Düsseldorf hingerichtet.339

Abb. 22: Das Schlageter-Denkmal in Düsseldorf

Das Schlageter-Denkmal am Tag der Einweihung (23.5.1931) aus der Luft fotografiert. Blick nach Westen. Foto: Platows Kunstanstalt. Quelle: StA Düsseldorf, 105-400-019.

Bereits kurz nach diesem Ereignis wurde an der Sandgrube ein einfaches Birkenkreuz aufgestellt und von den Franzosen geduldet. Nach dem Abzug der Besatzungsmacht Ende August 1925 verfolgte der Düsseldorfer Oberbürgermeister Robert Lehr (1929-1933 Mitglied der DNVP) die Idee eines Denkmals für Schlageter und den Ruhrkampf nahe des Hinrichtungsortes und des Nordfriedhofes.340 Im Januar 1927 konstituierte sich der Denkmal-Ausschuss – ohne die Beteiligung von NSDAP-Mitgliedern. Dennoch wird das Denkmal oft als prototypisch für nationalsozialistische Erinnerungszeichen angesehen. Das von Clemens Holzmeister gestaltete Denkmal bestand aus einem Hof von 28 Metern Durchmesser und einem 27 Meter hohen Stahlkreuz. Der Hof lag vier 339 Vgl. Michael Knauff, Das Schlageter-Nationaldenkmal auf der Golzheimer Heide in Düsseldorf, in: Geschichte im Westen, 10/1995, S. 170f. 340 Vgl. ebd., S. 175f.

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Meter unterhalb des Normalniveaus und wurde über Treppen in zwei ringförmig um den Hof angelegten Kreisen mit der Zugangsebene verbunden. Vom Hof konnte man einen unterirdischen Gedenkraum betreten, der sich unter dem rechteckigen, vier Meter hohen Sockel des Stahlkreuzes befand. Das Denkmal war architektonisch-abstrakt gestaltet und der Denkmalraum für zehntausende Besucher begehbar.341 Das am 23. Mai 1931 eingeweihte Denkmal sollte Aufbruch und Geschlossenheit der Deutschen symbolisieren. Die NSDAP nahm nicht an den Einweihungsfeierlichkeiten teil, der Völkische Beobachter erklärte die bürgerlichen Stifter zu Mitschuldigen an Schlageters Tod.342 Nichtsdestotrotz machten sich die Nationalsozialisten das Denkmal nach der Machtübernahme zu eigen und beförderten es zum Nationaldenkmal, wenngleich sie auch Schwierigkeiten mit der abstrakten Bauweise und dem künstlichen Material Klinker hatten (siehe S. 36). Die Stadt Düsseldorf versuchte sich mit Hilfe des Denkmals als Schlageter-Stadt zu profilieren und drittes Zentrum der NSDAP neben München und Nürnberg zu werden.343 Dass hier 1946 nun das Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus, des Bombenterrors und die an der Front Gefallenen entstehen sollte, lässt sich als symbolische Überwindung des Nationalsozialismus interpretieren. Die Drei Nornen Am 24. Februar 1947 beschloss der vom Hauptausschuss gegründete Fachausschuss die Errichtung eines Mahnmals und kalkulierte mit Kosten in Höhe von einer Million Reichsmark. Die Stadt wollte davon aber nur ein Viertel übernehmen, der Rest sollte durch Spenden finanziert werden. Die Ausrichtung des öffentlichen Wettbewerbs befand sich komplett in der Verantwortung der Stadtverwaltung. Preise und Ankäufe von Entwürfen ließ sich die Stadt 16.000 RM kosten, für Planung und Austragung veranschlagte die Verwaltung 5.000 RM.344 Außerdem bezeichnete sie das Erinnerungszeichen nun als »Erinnerungsmal für die Opfer des Nationalsozialismus« und ließ den Annex »und des Krieges« wegfallen, da alle im Kriege zu Tode gekommenen Opfer des Nationalsozialismus seien.345 In den Wettbewerbsbedingungen beschrieb die Stadt das Ansinnen als »Wettbewerb Ehrenmal 19351945« [sic!] und beschränkte die Teilnahme auf Künstler aus dem Regierungsbezirk Düsseldorf.346 Innerhalb kurzer Zeit wurde in der Bezeichnung des Vorhabens aus

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Vgl. ebd., S. 177f. Vgl. ebd., S. 181f. Vgl. ebd., S. 187f. Vgl. StA Düsseldorf, 0-1-4-13047.0000, Bl. 14, Bericht über den Fachausschuss vom 28. Februar 1947. 345 Vgl. StA Düsseldorf, 0-1-4-13047.0000, Bl. 216, Denkschrift zur Geschichte des Verfahrens 1953. 346 Vgl. StA Düsseldorf, 0-1-4-13047.0000, Bl. 15, Wettbewerbs Entwurf.

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Abb. 23: Blick in die Krypta (1934)

Quelle: StA Düsseldorf, 105-400-021.

einem Denkmal ein Mahnmal und daraus wiederum ein Ehrenmal. Diese fast simultane Verwendung legt nahe, dass die Begrifflichkeiten »Denkmal«, »Mahnmal« und »Ehrenmal« von den Zeitgenossen synonym verwendet wurden. Ein halbes Jahr später, am 3. September 1947, beurteilten im Hetjens-Museum die Preisrichter347 , angeführt vom neuen Oberbürgermeister, dem Landtagsprä-

347 Der Hauptausschuss der Stadt bestimmte am 24. März 1947 Oberbürgermeister Gockeln, Stv. Brix (KPD), Ernst Saalwächter (VVN), Dr. Düttmann (Leiter der Rheinischen Heimstätten), Dr. Doede (Direktor der städtischen Kunstsammlungen), Dr. Köngeter (Dozent an der Kunstaka-

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sidenten Josef Gockeln (CDU), die eingereichten Entwürfe. Unter ihnen befanden sich auch Pfarrer Kremer und der Vertreter der VVN, Saalwächter. 46 Wettbewerbsunterlagen waren angefordert worden, 31 Arbeiten fristgerecht eingegangen. Auch die beiden Fachberater des Kulturamtes, Jupp Rübsam und Zoltan Székessy, hatten Entwürfe eingereicht. Aus den überlieferten Quellen geht nicht hervor, inwiefern beide Künstler Einfluss auf die Wettbewerbsgestaltung nehmen konnten und dies taten. Zum Preisgericht gehörten sie nicht. Nach einer Besichtigung des Geländes des ehemaligen Schlageter-Denkmals erfolgte ein erster Durchgang, bei dem die Künstler*innen der jeweiligen Entwürfe gemäß den Wettbewerbsbedingungen der Jury unbekannt waren.348 Nach dem ersten Rundgang wurden acht der 31 Entwürfe in die engere Auswahl genommen, aus der dann noch drei Entwürfe ausschieden, sodass fünf Entwürfe übrigblieben, die Preisgelder erhielten. Das Preisgericht in Düsseldorf bemängelte aber wie jenes in Paderborn die Qualität der Entwürfe: »Das Preisgericht hält keinen der einzelnen Vorschläge für völlig ausführungsreif. Es empfiehlt, den 1. Preis als Grundlage zu nehmen, hier den Gedanken des Versammlungsplatzes […] einzubeziehen, die bildnerische Betonung des Hauptpunktes […] und die Bettung der KZ-Opfer in der Nähe des Schwerpunktes vorzusehen. Da gerade der 1. Preis eine größere Zahl von Möglichkeiten plastischer und bildhauerischer Bereicherung vorgesehen hat, schlägt das Preisgericht vor, für die Ausstattung der bevorzugten Stelle den 2. Preisträger mit seiner Ideengruppe in angemessener Anpassung hinzuzuziehen.«349 Der Entwurf, dem der erste Preis zugesprochen wurde, war von drei Personen eingereicht worden: dem Gartenarchitekten Nosbusch, dem Architekten Stang und dem Bildhauer Moshage, die alle aus Düsseldorf stammten. Zweiter Preisträger war Jupp Rübsam.350 Am folgenden Tag besichtigten auch die Mitglieder des Fachausschusses die Entwürfe und stimmten der Idee des Preisgerichts zu, die Entwürfe der ersten beiden Preisträger zu kombinieren und besprachen dies mit den Preisträgern.351

demie), Prof. Dr. Ing. Schwippert (Dozent an der Kunstakademie), Rektor Kremer, Beigeordneter Kralik, Baurat Dierichsweiler, Baurat Küchler und Bildhauer Hoselmann als Preisrichtern. Vgl. StA Düsseldorf, 0-1-4-13047.0000, Bl. 16, Abschrift der Sitzung des Hauptausschusses vom 24. März 1947 und ebd., Bl. 19, Niederschrift über die Tagung des Preisgerichts zum Mahnmalwettbewerb vom 3. September 1947. 348 Vgl. StA Düsseldorf, 0-1-4-13047.0000, Bl. 15, Wettbewerbs Entwurf. 349 StA Düsseldorf, 0-1-4-13047.0000, Bl. 19, Niederschrift über die Tagung des Preisgerichts zum Mahnmalwettbewerb vom 3. September 1947. 350 Vgl. StA Düsseldorf, 0-1-4-13047.0000, Bl. 56, Ergebnis vom 9. September 1947. 351 Vgl. StA Düsseldorf, 0-1-4-13047.0000, Bl. 55, Niederschrift zum Mahnmal-Ausschuss am 4. September 1947.

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Zur nächsten Sitzung des Ausschusses am 21. Oktober 1947, die zusammen mit dem Kulturausschuss abgehalten wurde, traten die Herren Nosbusch, Stang und Moshage vom Auftrag zurück, da die linksgerichtete Zeitung Freiheit berichtet hatte, dass alle drei NSDAP-Mitglieder gewesen waren.352 Die Niederschrift erklärte dazu nur, dass die drei Männer von der Freiheit angegangen worden seien. Der neue kombinierte Entwurf wurde vor allem von den neu hinzugekommenen Mitgliedern des Kulturausschusses aufgrund der Vielzahl von Plastiken abgelehnt. Geplant waren eine Urne, ein Obelisk und eine Figurengruppe, die Kameradschaft353 darstellen sollte. Nachdem die gartenbauliche Gestaltung Zustimmung gefunden hatte, erhielt Jupp Rübsam den Auftrag, einen neuen Entwurf im November vorzulegen und dabei eine schärfere Konzentration auf eine plastische Gestaltung für alle Opfer des Nationalsozialismus zu legen.354 Die Sitzung im November fiel allerdings aus. Am 23. August 1948 wurde im Hauptausschuss angedeutet, dass benötigte Gelder blockiert waren, weitere Gründe werden in der Niederschrift nicht erwähnt.355 Am 22. Januar 1949, über ein Jahr später, fand in Jupp Rübsams Atelier in Krickenbeck (Gemeinde Nettetal) an der niederländischen Grenze eine Besichtigung des aktuellen Entwurfs statt. Im Bericht dazu heißt es: »Herr Rübsam führte den plastischen Entwurf des Mahnmals vor. Es sind die 3 Schicksalsgöttinnen (Nornen) die den Lebensfaden tragen mit einer Schere die ihn zerschneidet, auf Sockel [sic!] dargestellt. Sie stehen Rücken an Rücken, sodaß das Denkmal umgangen werden kann und keine Rückseite hat. An den 3 Stirnseiten der Sockel werden im Relief scenische Darstellungen der 3 verschiedenen Arten des Leidens in der Nazizeit dargestellt: Flieger-Opfer, K.Z.-Opfer, und die Opfer der Armee. Das Denkmal soll in Basalt in etwa 12 mtr. Höhe ausgeführt werden. Der Entwurf fand gegenüber den anderen Plänen, die skizzenhaft vorhanden waren, den ungeteilten Beifall der Kommission; es wurde beschlossen, diesen Entwurf der etwa Mitte Februar einzuberufenden Sitzung des DenkmalAusschusses mit dem Hauptausschuss zur positiven Entscheidung vorzuschlagen.«356 Wie in Paderborn wurde damit das Motiv des Schicksals für die künstlerischen Sinnstiftung herangezogen.

352 Vgl. StA Düsseldorf, 0-1-4-13047.0000, Bl. 225, Denkschrift zur Geschichte des Verfahrens 1953. 353 Vgl. StA Düsseldorf, 0-1-4-13047.0000, Bl. 19, Niederschrift über die Tagung des Preisgerichts zum Mahnmalwettbewerb vom 3. September 1947. 354 Vgl. StA Düsseldorf, 0-1-4-13047.0000, Bl. 27, Niederschrift über die Sitzung von Mahnmalund Kulturausschuss am 21. Oktober 1947. 355 Vgl. StA Düsseldorf, 0-1-4-13047.0000, Bl. 26, Niederschrift Hauptausschuss vom 23. August 1948. 356 StA Düsseldorf, 0-1-4-13047.0000, Bl. 77, Bericht zur Besichtigung vom 1. Februar 1949.

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Manipulation und Sabotage Nach der Bestätigung des Entwurfs der Drei Nornen begann eine Phase der Verzögerung, die zwischen 1949 und 1956 dazu führte, dass das Erinnerungszeichen vorerst nicht ausgeführt wurde. Die Gründe hierfür sind vielfältig und es lässt sich nicht mit Bestimmtheit benennen, ob hinter den angeführten sachlichen Gründen auch andere Motive standen. Es bleibt jedoch der Eindruck, dass niemand in der Stadtverwaltung oder den Stadtratsfraktionen mit sehr großem Nachdruck die Schaffung des Erinnerungszeichens verfolgte. Zunächst wurden die Arbeiten der gärtnerischen Gestaltung im Oktober 1950 vom Hauptausschuss beschlossen und vergeben.357 1951 wurden die Gelder wieder gestrichen, sodass die Arbeiten gestoppt werden mussten, ein Nachkredit ermöglichte dann die Fortsetzung.358 1952 ging die Federführung vom Gartenamt auf das Amt für kulturelle Angelegenheiten über, da die Gartenbaugestaltung abgeschlossen war.359 Eine Sitzung des Mahnmalausschusses Ende Oktober 1952 wurde aufgrund der Kommunalwahlen im November verschoben,360 die Neueinsetzung des Ausschusses erfolgte erst Anfang September 1953, über zehn Monate nach der Wahl.361 Durch den Wechsel des federführenden Amtes und die Neubesetzungen der Mahnmalskommission wurde 1953 eine 25-seitige Denkschrift erstellt, die alle Beteiligten auf den gleichen Stand der Information bringen sollte. Die Mahnmalserrichtung wurde weiterhin nicht mit besonderem Nachdruck vorangetrieben. Derweil überlegte der Oberbürgermeister in einer Besprechung im Dezember 1952, ob nicht noch die Toten des Deutschen Ostens362 als besondere Ehrung in das Mahnmal integriert werden könnten, bevor für diese ein eigenständiges Mahnmal geschaffen werde.363 Der Beigeordnete Hoffmann, nun mit seinem Aufgabenbereich nicht mehr für das Mahnmal zuständig, erklärte im Januar 1953 in einem Schreiben an Oberstadtdirektor Hensel, dass »[n]ach dem Verlauf der jüngsten Beratungen u.a. im Finanzausschuss, […] keine Aussicht [besteht], das Projekt Rübsam wegen der hohen finanziellen Aufwendungen zur Durchführung zu bringen.« Außerdem sei die gärtnerische Gestaltung anders durchgeführt worden als ursprünglich geplant.364 357 Vgl. StA Düsseldorf, 0-1-4-13047.0000, Bl. 110ff., Mitteilungen und Niederschriften. 358 Vgl. StA Düsseldorf, 0-1-4-13047.0000, Bl. 123 und 128. Vermerke vom 7. Juli 1951 und 6. Dezember 1951. 359 Vgl. StA Düsseldorf, 0-1-4-13047.0000, Bl. 145, Vermerk vom 17. September 1952. 360 Vgl. StA Düsseldorf, 0-1-4-13047.0000, Bl. 152, Vermerk vom 28. Oktober 1952. 361 Vgl. StA Düsseldorf, 0-1-4-13047.0000, Bl. 169, Niederschrift Hauptausschuss vom 7. September 1953. 362 Düsseldorf ist Partnerstadt der vertriebenen Danziger und ist bis heute Ort des »Tages der Danziger«. 363 Vgl. StA Düsseldorf, 0-1-4-13047.0000, Bl. 153, Vermerk vom 18. Dezember 1952. 364 Vgl. StA Düsseldorf, 0-1-4-13047.0000, Bl. 156, Schreiben Hoffmann an Hensel vom 13. Januar 1953.

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Nachdem endlich ein Sitzungstermin zustande gekommen war, musste sich die Mahnmalskommission vertagen – die beiden Modelle der Entwürfe von Székessy und Rübsam waren verschwunden.365 Wieso und durch wen der Entwurf von Székessy, der eine weinende Mutter darstellte, wieder auf die Tagesordnung kam, ist unklar. 1947 war der Entwurf Székessys vom Preisgericht angekauft worden.366  Wie Rübsam war auch Székessy 1947 vom Kulturamt als Fachberater eingesetzt worden. Nachdem nun dieses Amt die Federführung übernommen hatte, scheint Székessy von diesem entgegen der Entscheidung des Preisgerichts und der Beschlüsse der Ratsgremien wieder gefördert worden zu sein. Der zuständige Beigeordnete Menken äußerte Anfang Januar 1954 allerdings gegenüber Jupp Rübsam sein Unverständnis darüber, dass nun der Entwurf von Székessy im Vordergrund stehe und versicherte, dass wegen des verschwundenen Rübsam-Entwurfs eine Untersuchung anberaumt sei.367 Rübsam legte unterdessen einen Kostenanschlag von 152.300 DM368 und auf eigene Initiative einen neuen Entwurf vor. Dieser zeigte eine stehende und zwei sitzende Frauen, die nun nur noch eine Höhe von 7,60 Meter erreichten. Damit verlöre der Entwurf im Vergleich zum vorherigen aber zwei Werte, so urteilte Stadtbaudirektor Camp: einerseits Ruhe und Geschlossenheit und andererseits die beabsichtigte Fernwirkung. Gemeint war damit die Sichtbarkeit des Erinnerungszeichens auch aus größerer Distanz. Außerdem berichtete er, dass beim Kostenanschlag noch die Ausgaben für das Fundament fehlten. Bei der gärtnerischen Ausgestaltung sei das Gelände um vier Meter aufgeschüttet worden, sodass sich die Mauerreste des Schlageter-Denkmals noch unter der Erde befinden würden. Ein tragfähiges Fundament müsse bis auf tragfähigen Boden geführt werden und durch Probebohrungen der Untergrund festgestellt werden.369 Auch hier zeigte sich einmal mehr die unzureichende Koordination verschiedener Ämter, sodass von einem von der Stadtverwaltung zielstrebig verfolgten Projekt nicht wirklich gesprochen werden kann. Ende Februar 1954 berichteten mehrere Zeitungen über das verschwundene Gipsmodell des ersten Entwurfs. Die kommunistisch geprägte Zeitung Freies Volk vermutete, dass das Mahnmal in der Form verhindert werden sollte, denn ein zufälliger Diebstahl des einen Meter hohen und 100 Kilogramm schweren Gipsmodells sei ausgeschlossen. Es könne weder aus Magazinen spurlos verschwinden,

365 Vgl. StA Düsseldorf, 0-1-4-13047.0000, Bl. 179, Niederschrift Mahnmalkommission 17. November 1953. 366 Vgl. StA Düsseldorf, 0-1-4-13047.0000, Bl. 19, Niederschrift über die Tagung des Preisgerichts zum Mahnmalwettbewerb vom 3. September 1947. 367 Vgl. StA Düsseldorf, 0-1-4-13047.0000, Bl. 243, Schreiben Menken vom 4. Januar 1954. 368 Vgl. StA Düsseldorf, 0-1-4-13047.0000, Bl. 250, Angebot Rübsam vom 11. Januar 1954. 369 Vgl. StA Düsseldorf, 0-1-4-13047.0000, Bl. 249a, Bericht Stadtbaudirektor Camp vom 13. Januar 1954.

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noch versehentlich von der Putzfrau in die Mülltonne geworfen werden. Die aufgekommene Kritik an der Größe und Kosten diene in Wahrheit nur dazu, die Ehrung der KZ-Opfer zu verhindern.370 Konkurrenz belebt das Geschäft Da die Stadt nicht in der Lage war, die Pläne für das Erinnerungszeichen energisch voranzutreiben, eröffnete dies Raum für Alternativvorschläge, die den Fokus vor allem auf die gefallenen und die zivilen Kriegstoten legten. Die Düsseldorfer Nachrichten sprachen sich im Oktober 1953 angesichts der Zahl von angeblich 8.000 zivilen Kriegstoten371 in Düsseldorf dafür aus, am Ananasberg im Hofgarten oder am Schwanenmarkt in der südlichen Innenstadt ein eigenständiges Mahnmal für diese Opfergruppe zu errichten.372 Die Zeitung Der Mittag brachte am 12. Dezember 1953 einen Vorschlag in die Debatte ein, der sich am Vorgehen einer ungenannten westenglischen Gemeinde orientierte, die statt eines Mahnmals eine Wohnsiedlung mit geringen Mieten eingerichtet habe, in der »alte Leute« wohnen könnten. In der Siedlung gebe es einen kleinen Weiheraum mit Gedenktafel, die darauf hinweise, dass dieser Ort dem Andenken der Toten gewidmet sei. Die Zeitung regte an – und sollte das im Laufe der Debatte regelmäßig wiederholen – das Geld für das Mahnmal in ein Heim oder eine kleine Siedlung zu investieren, da diese die Zeiten besser überdauern würden als toter Stein.373 Die Rheinische Post veröffentlichte im Januar 1954 die Zeichnung einer Urne, auf der ein umlaufendes Relief zu sehen war, das eine unendliche Reihe von Personen mit trauernd gesengtem Kopf zeigte. Der schmale quadratische Sockel war mit der Inschrift »Mahnmal der Stadt Düsseldorf« versehen. Am nächsten Tag erläuterte ein Artikel, dass Hans Nosbusch – einer der Preisträger beim städtischen Wettbewerb – vorgeschlagen habe, die drei Meter hohe Urne mit dem Relief »Zug klagender Mütter« am ehemaligen Standort des Bergischen Löwen374 am Graf-Adolf-Platz zu platzieren (siehe Abb. 24). So ein Denkmal, das eine längst fällige Ehrenpflicht sei, 370 Vgl. StA Düsseldorf, 0-1-4-13047.0000, Bl. 253, Wer hat dieses Gips-Modell gestohlen?, in: Freies Volk vom 26. Februar 1954. 371 1952 berechnete die Verwaltung, dass die Stadt 15.682 Gefallene und 5.858 bei Luftangriffen oder durch Artilleriebeschuss ums Leben Gekommene zu beklagen hatte. Vgl. Peter Hüttenberger, Düsseldorf. Geschichte von den Anfängen bis ins 20. Jahrhundert, S. 660. 372 Vgl. StA Düsseldorf, 0-1-4-13047.0000, Bl. 172, Zeitungsausschnitt der Düsseldorfer Nachrichten vom 21. Oktober 1953. 373 Vgl. StA Düsseldorf, 0-1-4-13047.0000, Bl. 240, Zeitungsausschnitt Der Mittag vom 12. Dezember 1953. 374 Beim Bergischen Löwen handelte es sich um eine 1916 aufgestellte Holzskulptur, die nach dem Entrichten einer Kriegsspende mit Nägeln versehen werden konnte. Dies war eine weitverbreitete Praxis im Ersten Weltkrieg. 1934 wurde die Skulptur wegen Baufälligkeit entfernt und 1937 durch einen neuen Bergischen Löwen aus Teakholz ersetzt. 1943 wurde der Löwe bei einem Luftangriff zerstört und der Sockel war somit verwaist. 1963 stiftete das Bankhaus C.G.

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Abb. 24: Alternativer Entwurf für ein Mahnmal

Zeichnung des Mahnmalentwurfs für die Innenstadt mit dem »Zug klagender Mütter«. Abgedruckt in Rheinische Post vom 5. Januar 1954. Quelle: StA Düsseldorf, 0-1-4-13047.0000, Bl. 247.

so die Wortwahl der Rheinischen Post, gehöre laut Nosbusch nicht auf einen Friedhof, sondern auf einen hervorragenden Platz. Auch Paris ehre seine Toten ja unter dem Arc de Triomphe, womit das sich dort befindende Grab des unbekannten Soldaten gemeint war.375 Der Vergleich mit Paris macht deutlich, dass dieser Vorschlag eindeutig den Gefallenen gewidmet war und die politisch Verfolgten der Stadt aus dem Gedenken verdrängt hätte. Die Düsseldorfer Nachrichten berichteten ebenfalls Anfang des Jahres 1954, dass sich die »Interessensgemeinschaft der Fliegergeschädigten« für ein Mahnmal am Schwanenmarkt einsetze. 1.000 DM hätten die Mitglieder seit August 1952 auf einem Spendenkonto sammeln können. Adolf Palme und Ernst Oberhoff hatten für die Interessensgemeinschaft ein Mahnmal entworfen, das aus einem liegenden, sieben bis neun Meter langen und drei bis vier Meter hohen und tiefen Rechteck

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Trinkhaus zu seinem 175-jährigen Bestehen eine neue Skulptur aus Bronze. Vgl. Wolfgang Funken, Ars Publica Düsseldorf, S. 312-314. Vgl. StA Düsseldorf, 0-1-4-13047.0000, Bl. 246, Mahnmal am Graf-Adolf-Platz?, in: Rheinische Post vom 6. Januar 1954.

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Abb. 25: Entwurf für ein Mahnmal für die Opfer der Luftangriffe

Postkarte mit einer Zeichnung des Projektes. StA Düsseldorf, 0-1-413047.0000, Bl. 260.

bestand, welches aus Trümmergestein aller Art und aller Stadtteile zusammengefügt werden sollte (siehe Abb. 25). »Die Platzwahl im Herzen der von Bomben heimgesuchten Stadt und nicht irgendwo an der menschenleeren Peripherie, aber ebenso entrückt dem stärksten Verkehrsstrom, erscheint wohlbedacht«, urteilten die Düsseldorfer Nachrichten und mahnten, dass auch in einer vorwärtsschauenden, aufbaufreudigen Stadt die Prüfungen der Vergangenheit nicht vergessen werden sollten und das Andenken der unschuldigen Opfer in Ehren gehalten werden solle. Das städtische Mahnmalprojekt wurde kritisiert, da es durch die inzwischen hochgezogenen Wohnbauten »um alle perspektivischen Wirkungsmöglichkeiten« gebracht worden sei. Es werde zudem mit einer »auffallenden Mattigkeit bei den maßgebenden Stellen betrieben.«376 Bei einer Sitzung der Interessengemeinschaft der Fliegergeschädigten erklärte der Ratsherr Kreiterling (Zentrum), dass das Gelände am Nordfriedhof aufgrund der Ausfallstraße nun unbrauchbar geworden sei und schon 100.000 DM »verplempert« worden seien. In einer einstimmigen Entschließung forderte die Interessengemeinschaft ein Ende der Verschwendung von Steuermitteln und verlangte eine zweckmäßigere, den örtlichen Verhältnissen angemessenere, allgemeine Totenehrung. Nach acht Jahren Diskussion müssten jetzt endlich Taten folgen. Die Forde-

376 Vgl. StA Düsseldorf, 0-1-4-13047.0000, Bl. 252, Für ein Mahnmal im Herzen der Stadt, in: Düsseldorfer Nachrichten vom 16. Januar 1954.

2 Zwischen Aufbruch und Erinnerung

rung einer besonderen Ehrung der Opfer des Luftkrieges wurde beibehalten und erneut als Standort der Schwanenmarkt gefordert.377 Mit dem Vorschlag der Interessensgemeinschaft kam wieder Bewegung in die Planung des Mahnmals. Am 13. März 1954 brachte Kreiterling im Rat den Antrag ein, dass die Stadt Düsseldorf ein »Mahn- und Ehrenmal für die Opfer des Luftkrieges« am Schwanenmarkt errichten solle und der vorhandene Entwurf von Adolf Palme und Ernst Oberhoff zur Beratung und Beschlussfassung dem Kulturausschuss überwiesen werde. Oberbürgermeister Gockeln erklärte nach dem positiven Votum des Rates die Mahnmalskommission als Fachausschuss für zuständig. Dagegen protestiere Kreiterling energisch, denn die Kommission in der Mahnmalangelegenheit sei völlig verfahren und die Initiative dieses Gremiums sehr gering gewesen. Er bat vergeblich um die Überweisung des Antrags an den Kulturausschuss, damit der Antrag nicht wie das Modell der Drei Nornen nach einem Jahr verschwände.378 Am 14. Mai 1954 beriet die Mahnmalskommission mit dem Kulturausschuss über den Antrag. Die Teilnehmer erklärten, dass ein eigenes Mahnmal für die Opfer des Luftkriegs vertretbar sei, dieses aber bis zur Vollendung des Mahnmals auf dem Nordfriedhof warten müsse. Den Schwanenmarkt hielt man nicht für den geeigneten Standort.379 Beide Gremien beschlossen nun am ursprünglichen RübsamEntwurf festzuhalten. Es wurde allerdings noch überlegt, ob nicht auch ein acht Meter hohes Mahnmal seinen Zweck erfülle und orderte eine Attrappe zur Überprüfung dieser Überlegung an Ort und Stelle. Zwei Mitglieder des Ausschusses, unter ihnen Kreiterling, der entschiedene Befürworter des »Konkurrenzmahnmals« auf dem Schwanenmarkt, erklärten, dass der ursprüngliche Plan durch den Bau von Wohnhäusern und des Ausbaus der Danziger Straße zur Zufahrtsstraße der Nordbrücke380 nicht mehr plausibel sei. Diese Neubauten sollten später noch einmal Streit auslösen. Kreiterling stimmte als Einziger gegen den Beschluss des Gremiums.381 Nach den Sommerferien trafen sich die Mitglieder des Hauptausschusses und der Mahnmalskommission am 13. September 1954 vor der aufgestellten Attrappe am Nordfriedhof. Zwischen Oberbürgermeister Gockeln und Bürgermeister Glock entspann sich eine Diskussion über die Höhe, ersterer fand acht Meter ausreichend, letzterer schlug zehn Meter vor, damit man schon auf größere Entfernung von dem Mahnmal beeindruckt werde. Stadtbaudirektor Camp veranschlagte 377

Vgl. StA Düsseldorf, 0-1-4-13047.0000, Bl. 287, Neuer Akt im Streit um das Mahnmal, in: Düsseldorfer Nachrichten vom 14. Juni 1954. 378 Vgl. StA Düsseldorf, 9-0-1-31.0000, Stenographische Mitschrift Ratssitzung vom 13. Mai 1954. 379 Vgl. StA Düsseldorf, 0-1-4-13047.0000, Bl. 279, Niederschrift gemeinsame Sitzung der Mahnmal-Kommission und des Kulturausschusses vom 14. Mai 1954. 380 Die Brücke trägt heute den Namen »Theodor-Heuss-Brücke.« 381 Vgl. StA Düsseldorf, 0-1-4-13047.0000, Bl. 279, Niederschrift gemeinsame Sitzung der Mahnmal-Kommission und des Kulturausschusses vom 14. Mai 1954.

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200.000 DM als Gesamtkosten für das Denkmal. Schließlich fasste der Ausschuss den Beschluss, eine neue Attrappe mit 10 Metern Höhe aufstellen zu lassen, einen detaillierten Kostenvoranschlag erarbeiten zu lassen und dann endgültig den Bau des Mahnmals zu verabschieden.382 Die Neuanfertigung der Attrappe führte zu erneuten Verzögerungen von acht Monaten. Erst am 17. Mai 1955 fand die Besichtigung der neuen Mahnmal-Attrappe statt. Hauptausschuss, Kulturausschuss und Mahnmalskommission beschlossen nun vermeintlich endgültig die Errichtung des Mahnmals mit einer Höhe von zehn Metern.383 Währenddessen hatte in der Verwaltung der Kampf um die Kosten des Erinnerungszeichens begonnen. Nachdem die Probebohrung für das Fundament durchgeführt worden war, belief sich die erste Kostenrechnung auf 215.000 DM. Für die einfache Gestaltung des Geländes mit Maschendrahtzaun und der Errichtung von Toren zum Friedhof wurden weitere 35.000 DM veranschlagt. Weitere Optionen wie Parkplätze, Bedürfnisanstalt etc. seien vorstellbar, merkten die zuständigen Planer an.384 Der Beigeordnete Menken verlangte daraufhin eine komplette Kostenschätzung, inklusive der optionalen Ausgestaltung des Geländes.385 Die gewünschte Zusammenstellung, bei der in einem Dokument die Begriffe »Mahnmal« und »Gefallenen-Ehrenmal« erneut synonym verwendet wurden, belief sich dann auf 589.000 DM, von denen 130.000 DM auf einen Sonderparkplatz, 60.000 DM auf eine Basaltlavaeinfassung zur Straße, auf Bänke, Beleuchtung, Pförtnerhaus und Bedürfnisanstalt 174.000 DM entfielen und 225.000 DM auf das Mahnmal selbst.386 Der Oberstadtdirektor, so schrieb sein Büro am 21. März, habe allerdings »bald einen Schlag bekommen« als er die Summe sah, sie schien ihm »unvertretbar«.387 Auch die Ermittlung des möglichst teuersten Kostenanschlags gehörte zu den internen Versuchen, das Erinnerungszeichen zu manipulieren und zu sabotieren.

382 Vgl. StA Düsseldorf, 0-1-4-13048.0000, Bl. 33, Niederschrift gemeinsame Sitzung Hauptausschuss und Mahnmal-Kommission am 13. September 1954. 383 Vgl. StA Düsseldorf, Akte 0-1-4-13048.0000, Bl. 76, Bericht über Besichtigung von Hauptausschuss, Kulturausschuss und Mahnmal-Kommission vom 17. Mai 1955. 384 Vgl. StA Düsseldorf, 0-1-4-13048.0000, Bl. 45, Schreiben an Amt 31 von Stadtbaudirektor Camp vom 17. Dezember 1954. 385 Vgl. StA Düsseldorf, 0-1-4-13048.0000, Bl. 47, Menken an Camp vom 27. Dezember 1954. 386 Vgl. StA Düsseldorf, 0-1-4-13048.0000, Bl. 52, Kostenzusammenstellung vom 8. Januar 1955. Zur niedrigeren Endsumme als in diesem Dokument (624.000 DM) vgl. StA Düsseldorf, 0-14-13048.0000, Bl. 65, Einwand Camp im Schreiben von Menken an Oberbürgermeister vom 24. März 1955. 387 Vgl. StA Düsseldorf, Akte 0-1-4-13048.0000, Bl. 64, Schreiben Büro Oberstadtdirektor vom 21. März 1955.

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Die Diskussion in den Zeitungen Nachdem sich die Ausschüsse im Mai 1955 nach der Ansicht der zweiten Attrappe auf eine Variante des Erinnerungszeichens geeinigt hatten, begann eine Diskussion des Entwurfs in der Öffentlichkeit, die sich in Teilen anhand der Presseveröffentlichungen nachvollziehen lässt. Die Neue Rhein Zeitung, Düsseldorfer Nachrichten und Rheinische Post berichteten am 18. Mai 1955 über das geplante Erinnerungszeichen. Es sei ein »Zeichen bleibenden Gedenkens für alle Opfer des Krieges und der Gewaltherrschaft«, für die Toten des Luftkrieges, die an der Front Gefallenen »oder die vielen Düsseldorfer, die auf dem politischen Felde ihren Kampf für die Freiheit und gegen die Unterdrückung mit dem Tode in Konzentrationslagern und Gefängnissen bezahlen mußten«, beschrieb die Neue Rhein-Zeitung das Vorhaben.388 Sie wies wenige Tage später Kritik an den Kosten zurück, fragte aber: »Bleibt ein Mahnmal allein nicht immer eine tote Angelegenheit? Und könnte man der Opfer der Naziherrschaft und der Bombennächte nicht besser durch eine Einrichtung gedenken, die dem Leben dient?« Dem »Inferno des Untergangs« solle man ein Lebenszeichen entgegensetzen. Vorgeschlagen wurde ein Kinderheim mit großem Park, in dem Platz für einen Gedenkstein sei und wo man alljährlich der Gefallenen, Bombenopfer und politisch Verfolgten gedenken könne, während dort Kinder in einem Geist erzogen würden, der eine Rückkehr des nationalsozialistischen Gedankenguts verhindern solle.389 Dies ähnelte stark dem Vorschlag, den Der Mittag wiederholt eingebracht hatte. Die konservative Rheinische Post veröffentlichte mehrere anonyme Leserbriefe, deren Tenor gleich war: das Motiv der Nornen aus der germanisch-nordischen Mythologie wurde heftig kritisiert. »C.S.«390 merkte an, dass die Angehörigen der Gefallenen die ihren nicht in Walhalla, sondern im Himmel wiederzusehen hofften. »H.S.« erklärte, das christliche Gedankengut allein könne das Leid überwinden und forderte dementsprechend eine christliche Symbolik.391 Das Mahnmal sei ein »Eingeständnis der inneren Haltlosigkeit des heutigen Menschen« urteilte »W.H.« Es sei schockierend, dass das Mahnmal, das daran erinnern solle, dass die Schuld des Dritten Reiches zu sühnen sei, der nordischen Mythologie entspringe, aus der sich auch der Nationalsozialismus gespeist habe. Hätte dieser gesiegt, wäre das Mahnmal dieser »perversen Geisteshaltung« würdig gewesen. Ein Kreuz oder gefaltete Hände mit der Bitte »Vergib uns unsere Schuld« seien ein besseres Zeichen für die innere Wandlung seit 1945. Wenn diese aber nicht eingetreten sei, könne man 388 Vgl. StA Düsseldorf, 0-1-4-13048.0000, Mahnmal wird endlich gebaut, in: Neue Rhein Zeitung vom 18. Mai 1955. 389 Vgl. StA Düsseldorf, 0-1-4-13048.0000, Das Mahnmal sollte dem Leben dienen, in: Neue Rhein Zeitung vom 21. Mai 1955. 390 Anonymisierungen im Original. 391 Vgl. StA Düsseldorf, 0-1-4-13048.0000, Leserbriefe »Wiedersehen in Walhall?« und »Nicht der Mythos der Nornen« in: Rheinische Post vom 21. Mai 1955.

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ruhig das Nornendenkmal aufstellen. »H.A.« kritisierte die Kosten des Mahnmals und schlug vor, statt den Nornen die Figuren mit den christlichen Begriffen wie Glaube, Hoffnung und Liebe zu belegen. »R.H.« wandte sich ebenfalls gegen den Begriff der Drei Nornen, aber da das Mahnmal begutachtet und abgenommen sei, solle man es dabei belassen, denn es sei ein neutrales Kunstwerk, das allen, ohne Rücksicht auf Konfession, Nationalität und Weltanschauung, gerecht werde und der Würde des Ortes entspreche.392 Die Kirchenzeitung des Erzbistums Köln nahm sich des Themas am 29. Mai 1955 unter der Überschrift »Unmögliches Geschehen in der Golzheimer Heide« an. Die Zeitung stellte fest: »Nun ja, der ›nordische Mythos‹ und die ›nordische Weltanschauung‹ sind nicht ganz unschuldig am Tode derer, zu deren Gedächtnis das Mal errichtet wurde, und wenn der Nationalsozialismus in dem von ihm entfesselten Kampfe Sieger geblieben wäre, würde es in Deutschland von solchen NornenDenkmälern wimmeln.« Als Erklärung für die Wahl der Drei Nornen wurde auf die politischen Mehrheitsverhältnissen im Rat verwiesen.393 Bei den Kommunalwahlen 1952 erzielte die CDU 35,2 %, die tendenziell atheistische SPD 34,8 % und die Partei der »Nationalen Sammlung«, die FDP, 13,5 %. Das Zentrum war noch mit 5,03 % im Rat vertreten. 1956 gewann die SPD die Wahl mit 46,9 %, die CDU erhielt 38,1 % und die FDP 8,8 %. Das Zentrum schied mit 2,4 % aus dem Rat aus.394 Die Kirchenzeitung beklagte weiter, dass kein christlicher Ratsherr Protest eingelegt habe. Aber nicht nur die Nicht-Christlichkeit der Nornen war ein Kritikpunkt der Zeitung, sondern auch eine durchaus nachvollziehbare Interpretation der Schicksalsgöttinnen: »Das bedeutet also, daß die Greuel des Krieges und der Verfolgung nichts waren als ein vorherbestimmtes Schicksal, das so oder so gekommen wäre. Hitler und seine Paladine sind also ganz unschuldig, die von ihnen entfesselte Verfolgung und der Krieg waren einfach unabwendbar, von den Nornen beschlossen. Niemand trifft eine Verantwortung für die Folterungen und Konzentrationslager, niemand für die Ueberfälle auf friedliche Völker.«395 Damit legte die Kirchenzeitung in deutlichen Worten alle Schwachstellen des Erinnerungszeichens und seiner Sinnstiftung offen. Man solle, so mahnte die Kirchenzeitung, auch auf die Wirkung dieser Figuren auf Ausländer achten.396

392 Vgl. StA Düsseldorf, 0-1-4-13048.0000, Leserbriefe »Vergib uns unsere Schuld«, »Mehr für die Kriegsopfer« und »›Ein neutrales Kunstwerk‹« in: Rheinische Post vom 24. Mai 1955. 393 Vgl. StA Düsseldorf, 0-1-4-13048.0000, Unmögliches Geschehen in der Golzheimer Heide, in: Kirchenzeitung für das Erzbistum Köln vom 29. Mai 1955. 394 Webseite Kommunalwahlen der Landeshauptstadt Düsseldorf, https://www.duesseldorf.de/ statistik-und-wahlen/wahlen/kommunalwahlen.html, abgerufen am 16.9.2017. 395 Vgl. StA Düsseldorf, 0-1-4-13048.0000, Unmögliches Geschehen in der Golzheimer Heide, in: Kirchenzeitung für das Erzbistum Köln vom 29. Mai 1955. 396 Vgl. ebd.

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Am 16. Juni 1955 berichtete die Rheinische Post von der einstimmig angenommen Entschließung einer von der CDU einberufenen Bürgerversammlung im Stadtteil Derendorf. Die Entschließung, eingebracht vom Landtagsabgeordneten Dr. Flehinghaus, bat den Rat, den Plan für das Mahnmal aufgrund der in der Öffentlichkeit laut gewordenen Bedenken erneut zu überprüfen. Dr. Flehinghaus erklärte, dass ihm der Bildhauer bei einem Besuch auch keine Erklärung für das Mahnmal habe geben können. Er sei aber der Meinung, ein Mahnmal müsse klar, einfach und allen verständlich sein; es dürfe nicht trennen, sondern müsse verbinden und solle als Sinnbild dem christlichen Gedankengut entsprechen, zum Beispiel mittels einer trauernden Mutter und eines schlichten Kreuzes. Die Nornen hingegen gehörten zum Gedankengut des Dritten Reiches. Jupp Rübsam selbst wurde damit kein konkreter Vorwurf gemacht, da er zu den Verfolgten des Nationalsozialismus gehört habe. Auch die Idee einer einfachen Gedenkstätte und einer Stiftung für Hinterbliebene griff Flehinghaus wieder auf.397 Am 20. Juni 1955 teilte Dr. Flehinghaus Oberstadtdirektor Dr. Hensel die Entschließung noch einmal mit und machte gleichzeitig einen Vorschlag, den Streit auf eine elegante Art aus dem Weg zu räumen. Im Einverständnis mit NRW-Kultusminister Schütz erklärte er, dass man Jupp Rübsam einen anderen Auftrag zusichern könne, wenn die Stadt Düsseldorf sich gegen den Nornen-Entwurf entscheide.398 Der Maler Arthur Kaufmann, der während der Zeit des Nationalsozialismus als Jude verfolgt worden war und deshalb emigrierte, nahm per Brief an die Stadtverwaltung Stellung zu den Forderungen nach christlicher Symbolik anstelle der Nornen. Das Schreiben wurde auch in den Düsseldorfer Nachrichten am 9. Juli 1955 abgedruckt. Der Ruf Düsseldorfs als Kunststadt sei in Gefahr, erklärte er. Er habe im Atelier von Rübsam das neue Modell und die neuen Entwürfe betrachtet und dabei von Einzelheiten erfahren, »die nach Dunkelmänner-Methoden« schmeckten. Er fragte, ob ein Denkmal für die Erinnerung an die Opfer des Nazismus [sic!] immer eine Jesus- oder Madonna-Figur sein müsse. Die Kirche müsse auch keine Angst vor germanischer Mythologie haben, der Vatikan sei voll von heidnisch inspirierten Werken. Es komme einzig und allein auf die künstlerische Qualität an. Als Kompromiss schlug er vor, die Nornen in »Müttergruppe« umzubenennen.399 Die kommunistische Zeitung Freies Volk machte sich am 21. Juli 1955 auf, das Mahnmal zu verteidigen und den von den Nationalsozialisten verfolgten Künstler vor der »Hetze« des katholischen Milieus zu bewahren. Das Mahnmal der Gefallenen, Bombenopfer und Verfolgten wurde in der Sprache der Zeitung zum Mahnmal

397 Vgl. StA Düsseldorf, 0-1-4-13048.0000, Der Kampf um die Nornen, in: Rheinische Post vom 16. Juni 1955. 398 Vgl. StA Düsseldorf, 0-1-4-13048.0000, Bl. 112, Schreiben Dr. Flehinghaus vom 20. Juni 1955. 399 Vgl. StA Düsseldorf, 0-1-4-13048.0000, Bl. 117, Schreiben Arthur Kaufmann, ohne Datum. Ebenfalls abgedruckt in den Düsseldorfer Nachrichten vom 9. Juli 1955.

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gegen Militarismus und Nazismus, legte also andere Schwerpunkte. Als der Künstler 1947 gewählt worden sei, habe sich kein Widerstand gegen das Motiv, das möglichst breite Kreise ansprechen musste, erhoben, argumentierte die Zeitung. Allerdings habe es »endlose Verschleppungsmaßnahmen« gegeben, zum Beispiel den Diebstahl des Modells. Nach dem nun erfolgten Beschluss kämen »Schüsse aus dem Hinterhalt«. Neben dem Konkurrenzkampf zweier Künstler und dem Kampf »der Abstrakten« gegen ein gegenständliches Denkmal stünde hinter allem als treibende Kraft die militaristische Reaktion, die kein Mahnmal gegen den Krieg zustande lassen kommen wolle, urteilte die Zeitung. »Zu feige, offen aufzutreten, weil sie genau weiß, wie stark der Wille zum Frieden in den Herzen der Menschen verankert ist, bedient sie sich des Spießbürgers, der im Vollbewußtsein seiner christlichen Überzeugung losbelfert und kurzerhand alles für heidnisch, teuflisch, antichristlich und kommunistisch erklärt, was nicht in sein Begriffsvermögen hineinpaßt.« Man solle das Mahnmal endlich aufstellen und der Stadt dazu gratulieren, so das Fazit der Zeitung.400 Am 23. September 1956 beklagte sich die Zeitung Freies Volk darüber, dass die Verwaltung die Entscheidung des Rates manipuliere, indem sie den Auftrag immer noch nicht vergeben habe, obwohl der Oberbürgermeister am Tag der Besichtigung und des Beschlusses per Handschlag Jupp Rübsam mit der Erstellung des Mahnmals beauftragt habe. Man frage sich, wie lange der Rat noch die Verschleppung seiner Beschlüsse hinnehmen wolle.401 Rübsam hatte in der Tat bereits am 14. Juli 1955 per Einschreiben eine schriftliche Bestätigung des Auftrags angemahnt,402 die ihm der Oberbürgermeister aber vor seinem Urlaub nicht hatte geben wollen. Glaube – Liebe – Hoffnung Am 3. Februar 1956 fand eine Besprechung beim Oberbürgermeister statt, an der Bürgermeister Glock, verschiedene Ratsherren, unter ihnen Dr. Flehinghaus, der Stadtdechant, der Oberkirchenrat, der Präsident der Oberpostdirektion, der gleichzeitig der Vorsitzende der katholischen Arbeitsgemeinschaft war, der Beigeordnete Tamms, Baudirektor Camp und Jupp Rübsam teilnahmen. Die Teilnehmer versuchten, auf die Kritik am Entwurf zu reagieren, ohne diesen maßgeblich zu verändern und überlegten, ob den Frauenfiguren eine andere Deutung als die der Nornen gegeben werden könne. Die Teilnehmer der Besprechung einigten sich schließlich auf den Vorschlag des Oberkirchenrats Harney, dass die Figuren, wie es auch schon in einem anonymisierten Leserbrief von »H.A.«

400 Vgl. StA Düsseldorf, 0-1-4-13048.0000, Hetze gegen einen Nazi-verfolgten Künstler, in: Freies Volk vom 21. Juli 1955. 401 Vgl. StA Düsseldorf, 0-1-4-13048.0000, Bl. 117, Trauerspiel um ein Mahnmal, in: Freies Volk vom 23. September 1955. 402 Vgl. StA Düsseldorf, 0-1-4-13048.0000, Bl. 128, Einschreiben Rübsam vom 14. Juli 1955.

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vorgeschlagen worden war, die Begriffe Glaube, Liebe und Hoffnung darstellen sollten. Anschließend wurde Rübsam aufgefordert, einen angepassten Entwurf vorzulegen.403 Am 26. Juli 1956 befasste sich der Rat der Stadt das erste Mal im Plenum mit dem Mahnmal, dessen Kostenanschlag sich nun inklusive der gärtnerischen Gestaltung auf 498.000 DM belief.404 Nachdem Bürgermeister Glock als Vorsitzender der Mahnmalskommission den Sachverhalt erläutert und auch vorgetragen hatte, dass der aktualisierte Entwurf von Rübsam ohne die Symbolik der Nornen auskam, ergriff Ratsherr Sauerborn von der FDP das Wort. Wie alle folgenden Redner war er mit dem Entwurf nicht glücklich. Er kritisierte, dass nach der Veränderung des Entwurfs eine vollendete Ausführung nicht mehr gegeben sei. Der »Monumentalcharakter« sei im ursprünglichen Entwurf stärker zum Ausdruck gekommen, was der »Zweckbedeutung« wesentlich besser entsprochen hätte. Ratsherr Laube verwies darauf, dass in der Bevölkerung bereits gewitzelt worden sei, man hätte die Vergangenheit vergessen. Eine Hinausschiebung der Entscheidung lehnte er ab, denn es würde noch einmal zehn Jahre dauern, bis alle Entscheidungen »unter einen Hut« gebracht seien. Er mahnte aber an, dass die »Fliegergeschädigten«, die bereits Gelder für ein eigenes Mahnmal gesammelt hätten, und das teilweise aus den ärmsten Kreisen Düsseldorfs, auch die Gelegenheit bekommen sollten, eine eigene Plakette irgendwo anzubringen, um den angeblich fast 9.000 Toten der Luftangriffe405 ein eigenes Gedenken zu ermöglichen. Auch die folgenden Redner sprachen sich trotz ihrer Unzufriedenheit aus Ratlosigkeit für den letztlich gefundenen Entwurf aus. Ratsherr Ingenhut von der sozialdemokratischen Partei konstatierte, dass das Mahnmal »wirklich ein Denkmal unserer Zeit [wird], der Zerrissenheit, in der wir leben«. Der aktuelle Entwurf sage aus, was heute sei, das werde man später schon verstehen, wichtig sei, dass das Denkmal nun entstehe.406 Ratsherr Schabrod von der KPD erklärte, als Widerstandskämpfer hätte er gerne etwas gesehen, dass den Widerstand mehr betonte als die schicksalshaften Nornen, aber man habe da zurückgesteckt. Auch habe man den ersten Entwurf für besser gehalten, aber in Düsseldorf regierten ja doch »andere Kräfte als etwa nur diejenigen die gegen Hitler gestanden haben«. Ratsherr Dr. Vomfelde von der CDU erklärte, dass sich über künstlerischen Geschmack nicht streiten ließe, man werde sicherlich nicht in der ganzen Stadt eine Zustimmung finden. Nach zehn Jahren Planung müsse aber dieser Entwurf nun ausreichen, auch wenn er nicht allgemein befriedigen wür-

403 Vgl. StA Düsseldorf, 0-1-4-13048.0000, Bl. 151, Aktennotiz zur Besprechung beim Oberbürgermeister vom 3. Februar 1956. 404 Vgl. StA Düsseldorf, 0-1-4-13048.0000, Bl. 199, Kostenanschlag vom 5. Juli 1956. 405 Vgl. Fußnote 371 dieses Kapitels. 406 Vgl. StA Düsseldorf, 9-0-4-30.0000, Stenographische Mitschrift der Ratssitzung vom 26. Juli 1955.

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de. Man habe aber erreicht, dass die Opfer der vergangenen Jahre immer noch im Gedächtnis seien. Er bat, die Erstellung des Denkmals nicht weiter zu verzögern. Anschließend schlug Ratsherr Sauerborn vor, an diesem Tag die Gelder zu bewilligen und den Künstler zu bitten, aus den beiden Entwürfen einen zu schaffen, der das ganze Haus befriedige. Daraufhin griff Oberbürgermeister Gockeln in die Debatte ein. Er bat die Anwesenden, dass eine nochmalige Überprüfung unbedingt vermieden werde, da man in zehn Jahren keine einheitliche Beurteilung der künstlerischen Form erhalten habe, dieser Leidensweg solle sich nicht fortsetzen. Dann warnte er – und das gibt einen prägnanten Einblick in die politische und gesellschaftliche Atmosphäre der späteren 1950er Jahre – : »Wenn in Deutschland nicht bald Mahnmale geschaffen werden für die Zeit, die zurückliegt, dann kommt keines mehr zustande.«407 Eine Bewertung der nicht näher definierten zurückliegenden Zeit äußerte er nicht. Zur Bildsprache des Mahnmals trug er dann noch folgende Gedanken vor: Er fragte, ob man es so machen solle wie in Rotterdam, wo eine der realistischsten, aber auch gefährlichsten Anklagen »gegen uns« stehe. Oder solle man Althergebrachtes oder Überkommenes wählen? Reiter und Kanoniere seien keine Lösung mehr. Eine Möglichkeit, eine letzte Zuflucht gebe es aber nach dem Vorbild anderer Völker: das Motiv der Mutter. »Wer die Schlachtfelder von Verdun besucht, sieht, daß man das Leid auf die Frau und Mutter übertragen hat. Das ist es, was mich versöhnt, daß man ein Motiv gefunden hat, bei dem noch die Pflicht des Schweigens besteht vor dem, was dort symbolisiert ist.«408 Am Ende der Debatte stimmte der Stadtrat einstimmig für den umgedeuteten Entwurf, indem man die drei Frauengestalten als die Darstellung dreier Mütter interpretierte.409 Nachdem der Oberbürgermeister sich im Rat mit seiner Interpretation durchgesetzt hatte, stellte die konservative Rheinische Post fest, dass die Verwaltung die Frauenfiguren abweichend weiterhin als Allegorien von Glaube, Liebe und Hoffnung verstand.410 Am 30. Oktober 1956 legte die Stadtverwaltung die Texte der Inschriften fest. Die Figur Glaube sollte »Den Opfern des Feldes und der Gefangenschaft« gewidmet werden, die Figur Hoffnung »Den Opfern des politischen Unrechts« und die Figur Liebe »Den Opfern der Heimat, den Vermißten, und Hinterbliebenen.« Da die Verwaltung den Hauptzugang an der Straße zum Nordpark vermutete, beschloss sie, die Figur Glaube aufgrund der größten Opferzahlen, gemessen an den Einwohnern der Stadt Düsseldorf, an diese Seite zu stellen und die Figuren Hoffnung und Liebe in Richtung der anderen beiden Zufahrtswege schauen zu lassen.411 Die drei Figuren wurden auch bildlich gekennzeichnet, so legt die Figur Glaube ihre 407 408 409 410 411

Vgl. ebd., S. 8. Vgl. ebd., S. 9. Vgl. ebd. Vgl. Mahnmal wird 1957 fertig, in: Rheinische Post vom 25. Juli 1956. Vgl. StA Düsseldorf, 0-1-4-13048.0000, Bl. 242, Aktennotiz vom 30. Oktober 1956.

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Hände nahe des Herzens auf die Brust, die Figur Hoffnung hält zwei Blätter vom Zweig der Hoffnung in der Hand und die Figur Liebe hält einen leeren Teller in der Hand, der die gefüllte Schale der Caritas symbolisieren soll.412 Wenig später änderte man den Text für die Verfolgten des Nationalsozialismus in »Den Opfern der politischen Tyrannei«.413 »Der Sieg der Kunstamateure« Da schon die Ratsherren und -frauen nicht von dem Entwurf, den sie einstimmig beschlossen hatten, überzeugt gewesen waren, verwundert es nicht, dass in der Presse deutliche Kritik laut wurde. Die Düsseldorfer Nachrichten betitelten einen ausgiebigen Kommentar zur Ratsentscheidung mit: »Der Sieg der Kunstamateure«. Der Artikel erinnerte an die persönliche Inaugenscheinnahme des ersten Entwurfs, an dem man die künstlerische Handschrift Rübsams habe wiedererkennen können. Doch nun hätten »beamtete Kunstamateure« den Künstler mit sanfter Gewalt dazu gezwungen, aus den Schicksalsgöttinnen »konfektionierte Allerweltsgestalten mit modisch nichtssagenden Gesichtern« zu machen, »Biskuit-Madonnen« habe ein Redaktionskollege sie genannt. Der Verfasser verglich dann die Unterdrückung Rübsams im Dritten Reich mit dem nun geführten »Kalten Krieg gegen eigenwillige künstlerische Lebensäußerungen«. Auch Rübsam wurde dafür angegriffen, dass er die Gestaltung des Mahnmals, das ja auch dem Widerstand gewidmet war, zu eilfertig für »ein reichlich dotiertes Linsengericht« opfere. Masse bedeute noch nicht Monumentalität, das hätte man aus der Vergangenheit schon lernen können.414 Die Neue Rhein Zeitung schlug am nächsten Tag nach einer sehr überzeugend vorgebrachten Kritik am dritten Entwurf vor, sich noch einmal auszusprechen, während die technischen Vorbereitungen liefen, so komme es auch nicht erneut zu Verzögerungen. Das Mahnmal solle »unsere Generation« überdauern und für lange Zeit »unsere Gesinnung« bezeugen, da müsse man sich auf die stärkste Form einigen.415 Die Zeitung Der Mittag brachte erneut, wie schon 1953, den Vorschlag einer Gedenksiedlung ein416 und die Kirchenzeitung des Erzbistums kritisierte den Etikettenwechsel des Mahnmals. Sie schickte ihrem Kommentar eine Anekdote über einen Kunsthändler voran, der vier Frauenfiguren zum Verkauf erst als Allegorie der Vier Jahreszeiten anbot, dann als Drei Grazien, anschließend

412 Vgl. Jutta Pitzen, »Ich habe immer geformt« Jupp Rübsam – Bildhauer am Niederrhein, S. 96f. 413 Vgl. StA Düsseldorf, 0-1-4-13048.0000, Bl. 265, Aktennotiz. 414 Vgl. StA Düsseldorf, 0-1-4-13048.0000, K.R., Der Sieg der Kunstamateure, in: Düsseldorfer Nachrichten vom 26. Juli 1956. 415 Vgl. StA Düsseldorf, 0-1-4-13048.0000, Bl. 218, Artikel ohne Titel, Neue Rhein-Zeitung vom 28. Juli 1956. 416 Vgl. StA Düsseldorf, 0-1-4-13048.0000, Umstrittenes Mahnmal, in: Der Mittag vom 28./29. Juli 1956.

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als Tag und Nacht und die zuletzt verbliebene schließlich als Einsamkeit verscherbelte. Die Kirchenzeitung kritisierte die Ausrichtung der Figuren als Trösterinnen anstatt als Mahnerinnen. »Außerdem halten wir es für unsere Pflicht als Christen daran zu erinnern, daß unsere jüdischen Mitbürger unter den Opfern des Dritten Reiches an erster Stelle stehen, daß auch viele andere Gruppen, die sich nicht zum Christentum bekannten, einen entsetzlichen Blutzoll entrichten mußten. Müssen sie nicht den Eindruck haben, als ob die Opfer aus den christlichen Reihen allein geehrt werden sollen?«417 Es ist bemerkenswert, dass gerade die Kirchenzeitung so klar gegen ein Mahnmal mit nun rein christlicher Symbolik Stellung nahm und die fehlende Einbeziehung der jüdischen Opfer oder Verfolgter anderer Glaubensrichtungen kritisierte. Bevor das Mahnmal vollendet wurde, gab es noch eine große Aufregung, die einmal mehr den geringen Stellenwert des Projekts und die Intransparenz der Mahnmalserstellung belegt. Am 10. Dezember 1956 schickte Jupp Rübsam einen Brief an den Nachfolger des bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommenen Oberbürgermeisters Gockeln, den vormaligen Bürgermeister Glock. Rübsam beklagte, dass durch Bautätigkeiten im Umfeld des Mahnmals die Wirkung im Vergleich zur Besichtigung der Attrappen im Vorjahr verändert und damit in das Mahnmalskonzept eingegriffen werde. Die Bebauungs- und Straßengestaltung habe die Situation grundlegend geändert. Rübsam hatte bei einem Besuch der Fundamentierungsarbeiten für das Mahnmal vermutlich auf der anderen Seite der Danziger Straße die Bauarbeiten für einen Wohnblock gesehen. Er wies auch darauf hin, dass die Pläne für die Schnellstraße, welche die gedachte Achse vom Mahnmal zur Neuen Kunstakademie im Nordpark durchschneiden werde, damals noch nicht bekannt gewesen seien. Er wies daher jede Verantwortung für eine veränderte Wahrnehmung zurück und schlug vor, das Mahnmal enger an den Ehrenfriedhof zu koppeln.418 Im Hauptausschuss wurde die Angelegenheit am 18. März 1957 diskutiert. Im nüchternen Protokoll steht nur der Beschluss, die Inschriften final mit folgendem Wortlaut festzulegen: »Den Opfern des Kriegs und der Gefangenschaft«; »Den Opfern des politischen Terrors«; »Den Opfern [in]419 der Heimat, den Vermißten und Hinterbliebenen«.420 Die Düsseldorfer Nachrichten berichteten ausführlich über den Verlauf der Sitzung. So äußerte Oberbürgermeister Glock, dass der Bau des Wohnblocks »ein Skandal« sei und man den Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen 417

Vgl. StA Düsseldorf, 0-1-4-13048.0000, Bl. 227, Mahnmal ohne Substanz empört Düsseldorfer, in: Kirchenzeitung für das Erzbistum Köln vom 2. August 1956. 418 Vgl. StA Düsseldorf, 0-1-4-13048.0000, Bl. 286, Schreiben von Rübsam vom 10. Oktober 1956. 419 Vgl. StA Düsseldorf, 0-1-4-13049.0000, Bl. 32, Das Wort »in« wurde mit Genehmigung des Oberbürgermeisters wenig später noch in die Inschrift integriert. 420 Vgl. StA Düsseldorf, 0-1-4-13049.0000, Bl. 23, Niederschrift Hauptausschuss vom 18. März 1957.

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werde. Man wolle anscheinend das Denkmal verhindern, konstatierte der Vorsitzende des Kulturausschusses Schracke (SPD). Der Beigeordnete Tamms erwiderte, dass die Planung durch den Planungsausschuss schon seit Jahren bekannt sei und weitere Wohnhochhäuser mit elf Etagen geplant seien. Seiner Meinung nach sei die Fernwirkung des Mahnmals schon durch die ringsum gepflanzten Bäume eingeschränkt, die das Mahnmal gegen die Außenwelt abschirmen sollten. Oberbürgermeister Glock erwiderte: Wenn die Pläne, 150 Meter vom Mahnmal entfernt hohe Wohnhäuser zu errichten, bekannt gewesen wären, hätten diese keine Zustimmung bekommen.421 Allerdings hatten sowohl die Düsseldorfer Nachrichten als auch der Stadtverordnete Kreiterling schon 1954 auf diese Veränderungen hingewiesen (siehe S. 142). Tamms erklärte darauf wiederum, dass eine solche Fernwirkung, wie sie beabsichtigt war, nur im Maßstab übersteigerte Denkmäler schaffen würden, wie das Hermannsdenkmal. Diese Äußerung erregte neuen Unmut, der Oberbürgermeister ließ eine Fotomontage herumgehen, die die neue Situation aufzeigte. Ratsherr Schulhoff (CDU) kündigte an, er werde als Vorsitzender des Planungsausschusses die Angelegenheit untersuchen lassen, allerdings wäre er damals noch nicht Vorsitzender gewesen. Auch sein Vorgänger, Ratsherr Sauerborn von der FDP, erklärte, das wäre vor seiner Zeit gewesen. Kurzfristig kam sogar der Gedanke auf, das Denkmal auf den Ehrenfriedhof zu versetzen und die Arbeiten am Fundament abzubrechen.422 Doch trotz der Erregung und dem Missfallen der Ratsherren sahen sie sich nicht in der Lage, die beschlossene Ausführung noch einmal zu verändern und damit die Fertigstellung des Mahnmals erneut zu verzögern. Die Vollendung des Erinnerungszeichens Angesichts der bevorstehenden Fertigstellung des Erinnerungszeichens machte sich das Kulturamt der Stadt Ende Oktober 1958 Gedanken zur bevorstehenden Einweihungsfeier. Die geplante Gestaltung gibt auch darüber Auskunft, wie das Kulturamt die Stimmung in der Stadt einschätzte. Es schien den Mitarbeitern im Kulturamt nur dann möglich, eine friedliche und streitfreie Veranstaltung durchzuführen, wenn die verschiedenen Gruppen von Betroffenen sich nicht artikulieren durften, wenn sie ihrem Schmerz, ihrer Mahnung keine Stimme geben konnten. »Es muß alles vermieden werden, was die überkonfessionelle und überparteiliche Symbolik des Mahnmals entwerten und in Bezug auf die bei der Feier gebotene Neutralität irgendwelche Zweifel bei den Teilnehmern aufkommen lassen könnte. […] Es wird davon abgeraten, einen oder mehrere Vertreter der eingeladenen Organisationen oder einer Religionsgemeinschaft sprechen zu lassen, da hierdurch Verstimmungen entstehen könnten,« empfahl das Kulturamt dem 421 Vgl. StA Düsseldorf, 0-1-4-13049.0000, Bl. 21, Hochhaus Golzheim sperrt Sicht auf Mahnmal, in: Düsseldorfer Nachrichten vom 20. März 1957. 422 Vgl. ebd.

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Oberbürgermeister.423 Wie Ratsherr Ingenhut in der Debatte im Rat schon feststellte, spricht auch dies für eine Zerrissenheit in der Düsseldorfer Gesellschaft, nur schweigend einen Weg fand, gemeinsam zu gedenken. Die Gräben zwischen den »Opfergruppen« waren zu groß. Es wurden sogar paramilitärische Verbände erwartet, die ein Bedrohungsszenario darstellten, weswegen die Stadtverwaltung Polizeischutz angefordert hatte, der illegal uniformierte Verbände am Betreten des Geländes hindern sollte.424 Gemeint waren damit, so geht aus zwei Abschriften des Polizeipräsidenten hervor, der »Bund der Frontsoldaten Stahlhelm« und die »Scharnhorstjugend«, die 1955 an der Feier des Volkstrauertags teilgenommen hatten.425 Die Liste der versandten Einladungen zur Einweihungsfeier zählt 1.300 offizielle Gäste auf, von der Landesregierung über Mitglieder des Landtags, Leiter in Düsseldorf ansässiger Behörden, konsularische Vertretungen, Vertreter der Religionsgemeinschaften, Heimat- und Bürgervereine, Organisationen der Vertriebenen und der politisch Verfolgten, Traditionsverbände der ehemaligen Wehrmacht bis hin zur Bundeswehr.426 Die Anstrengungen bei der Vorbereitung der Einweihungsfeier lassen sich sowohl als Sorge interpretieren, dass sich die Düsseldorfer ohne Nachdruck nicht gemeinsam am Mahnmal versammeln würden, gleichzeitig auch als Versuch, die zerrissene Stadtgesellschaft im Gedenken am Mahnmal zu vereinen. Der zuständige Ausschuss legte zudem fest, dass nunmehr die Kranzniederlegungen der Stadt Düsseldorf auf den anderen Friedhöfen der Stadt zu unterlassen waren.427 Ebenfalls 1958 vermerkte das Kulturamt, als in Benrath das Ende 1937 abgebaute Kriegerdenkmal wiedererrichtet werden sollte, dass die Politik den Grundsatz vertrat, dass das Erinnerungszeichen am Nordfriedhof für alle Opfer der Gesamtstadt errichtet worden war und daher in den Bezirken keine eigenen Kriegerdenkmäler errichtet werden sollten.428 Die Schlussrechnung des Mahnmals belief sich auf 486.418,50 DM und blieb damit um 19.581,50 DM unter der bereitgestellten Summe.429 Die Einweihungsrede am Düsseldorfer Mahnmal hielt Oberbürgermeister Glock am Volkstrauertag 1958. Er erinnerte in seiner Rede, deren Manuskript nicht überliefert ist, an die zahlreichen Opfer »der fast vergessenen schweren Zeit«, so die Düsseldorfer Nachrichten: 5.000 Menschen waren durch Luftangriffe gestorben, 1.000 durch Artilleriebeschuss in den letzten Kriegstagen und 14.581

423 Vgl. StA Düsseldorf, 0-1-4-13049.0000, Bl. 163f., Schreiben Kulturamt an Oberbürgermeisterbüro vom 28. Oktober 1958. 424 Vgl. ebd. 425 Vgl. StA Düsseldorf, 0-1-4-13049.0000, Bl. 171f., Abschriften des Polizeipräsidenten. 426 Vgl. StA Düsseldorf, 0-1-4-13049.0000, Bl. 180, Einladungsliste. 427 Vgl. StA Düsseldorf, 0-1-4-43440.0000, Drucksache 335/58 vom 31. Oktober 1958. 428 Vgl. StA Düsseldorf, 9-1-4-29426.0000, Vermerk vom 5. Mai 1958. 429 Vgl. StA Düsseldorf, 0-1-4-13049.0000, Bl. 245, Schlußabrechnung Mahnmal.

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»fielen im Waffenrock«. Glock erinnerte auch an die 56.000 Soldaten, die in Kriegsgefangenschaft gewesen waren. Zahlen für die von den Nationalsozialisten Verfolgten wurden – zumindest in den Zeitungen – nicht genannt.430 Der geringe Stellenwert der politisch Verfolgten von Seiten der Stadt lässt sich auch anhand der Gedenkpraxis nachvollziehen (siehe Kapitel 3.4). Am Ulanen-Denkmal am Rheinufer hatte es im Vorfeld des Volkstrauertages eine Provokation gegeben. Unbekannte hatten ein Schild angebracht, dessen Text identisch mit einer Inschrift war, die die Stadt nach der Renovierung des Denkmals entfernt hatte: »Wenn tausend einen Mann erschlagen, das ist nicht Ruhm, das ist nicht Ehr’, noch heißen wird’s in späteren Tagen, gesiegt hat doch das deutsche Heer.« Die Stadt entfernte das Schild und erstattete Anzeige, denn sie war nicht gewillt, diese »unverantwortliche Herausforderung mit Stillschweigen zu übergehen«.431 Das 1958 eingeweihte Düsseldorfer Mahnmal der Drei Nornen (oder: Glaube – Liebe – Hoffnung, oder: Müttergruppe) auf dem Nordfriedhof ist ein unmögliches Erinnerungszeichen. Potenzielle Täter und Anhänger des Nationalsozialismus in einem Erinnerungszeichen mit den Verfolgten des Nationalsozialismus zusammen zu ehren, wurde von niemandem unterstützt und war künstlerisch nicht darstellbar. Die Vereinigung aller »Opfergruppen« der Zeit zwischen 1933 und 1945, also der Gefallenen, der Luftkriegsopfer und der Verfolgten des Nationalsozialismus führte zu schweren Konflikten, zu Sabotage in der Stadtverwaltung und einem gescheiterten Erinnerungszeichen. Am Ende entschied sich der Düsseldorfer Rat dennoch für das Projekt, weil er keine andere Lösung fand. Die Zerrissenheit der Zeit, wie es Stadtrat Ingenhut nannte, wollten die Ratsherren nicht dadurch befördern, dass sie viele einzelne Erinnerungszeichen zuließen und gewissermaßen einen Wettstreit der Opfergruppen heraufbeschworen. Konkurrierende Erinnerungszeichen, wie für die Luftkriegstoten oder Kriegerdenkmäler wurden von der Stadt, auch aus Angst vor einer Wiederkehr des Militarismus, abgelehnt. Gleichzeitig hatte man Angst, das Vergessen zu befördern. Am Ende waren alle unzufrieden mit dem Erinnerungszeichen. Es konnte seine zugedachte Aufgabe nie erfüllen.

430 Vgl. »Den Opfern des Terrors und des Krieges.« Gedenkstunde am neuen Mahnmal – 4000 folgten dem Aufruf des Oberbürgermeisters, in: Düsseldorfer Nachrichten vom 17. November 1958. 431 Vgl. Strafantrag gegen Unbekannt, in: Düsseldorfer Nachrichten vom 18. November 1958.

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Zeichen der Versöhnung: Das Bittermark-Denkmal in Dortmund (1960)

Stahl, Kohle und Bier: für diese drei Produkte war Dortmund lange Zeit bekannt. Mit ihren Standbeinen Kohleförderung und Stahlverarbeitung gehörte die Stadt zu den Gewinnern der Industrialisierung und entwickelte sich von einer armen Kleinstadt zu einer bedeutenden Großstadt, die durch Eingemeindungen bis 1929 immer weiter anwuchs. Im Zweiten Weltkrieg wurde die Stadt fast vollständig zerstört. Die derzeit achtgrößte Stadt der Bundesrepublik (ca. 600.000 Einwohner) und größte Stadt des Ruhrgebietes macht wie die ganze Region einen langfristigen Strukturwandel durch. Als Industriestadt verfügte sie über eine starke Arbeiterschaft. Von 1952 bis 1999 regierte die SPD in der »Herzkammer der Sozialdemokratie« stets mit absoluter Mehrheit und stellte bislang immer den Oberbürgermeister. Wie in Wuppertal ist das Dortmunder Mahnmal in einer Stadt mit starker SPD entstanden. Wie in Meschede wird in der Bittermark einem Kriegsendphaseverbrechen gedacht. Dennoch ist das Denkmal in Dortmund einzigartig in seiner Formensprache und seiner internationalen Wirkung. Es entstand als lokales Mahnmal, entwickelte sich aber aufgrund der Zusammenarbeit mit französischen Zwangsarbeiterorganisationen zu einem über die Landesgrenzen hinaus beachteten Erinnerungszeichen, das einen aktiven Beitrag zur Versöhnung der Deutschen vor allem mit Franzosen und Belgiern leistete. Dabei ist das Mahnmal gar nicht so einfach zu finden, denn es liegt weitab der Innenstadt. Wenn man das Altenheim Augustinum und seinen großen Parkplatz im Dortmunder Stadtteil Kirchhörde erreicht hat, ist man noch einen Kilometer vom Erinnerungszeichen entfernt. Eine Viertelstunde geht man auf einem breiten Waldweg durch den welligen Stadtforst der Bittermark, bis man auf eine große Lichtung kommt. Am Ende einer großen Wiese erhebt sich auf einer durch wenige Stufen abgehobenen, gepflasterten Fläche ein schmaler, langer Betonblock in schmutzigem Grau, dessen obere Linie nach hinten abfällt. In der Mitte der Längsseiten sind hoch oben vergitterte Fensteröffnungen eingelassen. An den Längsseiten des Betonblocks sind Reliefs aus Stein angebracht, an seiner Vorderseite befindet sich unter der Inschrift »Gemordet Karfreitag 1945« eine überlebensgroße Männerfigur. Breitbeinig, mit nackten Füßen steht diese da, die Hände sind hinter dem Rücken gefesselt. Durch das offene Hemd schaut eine schmale Brust hervor, die Rippenbögen sind deutlich sichtbar. Der kahle, große Kopf ist zur Seite gedreht, wendet sich ab, der Mund steht offen. Die Reliefs an der Seite erzählen die Geschichte von Unterdrückung und Terror durch den Nationalsozialismus. Frauen und Männer, Sträflinge, Abgemagerte, an ein Kreuz gefesselte, leidende Menschen, Gehenkte, auf dem Boden Sterbende, Erschossene. Hinter ihnen die Schützen, drei eckige, roboterhafte Wesen ohne Antlitz, deren Arme in Waffen enden und deren Köpfe Kreise sind. Dann drei Krema-

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Abb. 26: Die zentrale Figur des Bittermark-Denkmals

Foto: Jan Niko Kirschbaum

torien, deren Schornsteine und der abziehende Rauch aus Buchstaben bestehen, die die Namen Dora-Mittelbau, Majdanek, Arnheim, Hadamar, Ackerhus, Warschau, Neuruppin, Wappy-Metz, Natzweiler, Mauthausen, Chelmno, Linz, Boulogne SM, Chingorossa, Peiskretscham, Buchenwald, Auschwitz, Bergen-Belsen, Lemberg, Malborg, Brendone, Koskowice, Plötzensee, Gross-Rosen, Hazebrook, Uchtspringe, Neuengamme, Babi-Jar, Kiew, Ponary, Wilna, Oranienburg, Sachsenhausen, Stutthof, Theresienstadt, Dachau, Mecheln, Lasante, Bialystok, Pirna, Lille, Treblinka, Papenburg, Esterwegen, Fort Quelen, Radogoszow, Ravensbrück, Wien, Krakau und Flossenbürg tragen. Die bekanntesten Konzentrationslager dieser Aufzählung stellen den Rauch der Krematorien dar. Daneben stehen zwei Männer und Frauen, die mit geballten Fäusten dem Treiben zusehen. Offensichtlich sind sie keine Häftlinge. Dann folgt ein mit der Spitze nach unten gekehrtes Dreieck, das an das Symbol der VVN erinnert und das unter einem Band aus Stacheldraht »268 Widerstandskämpfern aus 7 Nationen« gedenkt. Eine Mutter mit zwei Kindern schließt die Darstellung auf dieser Seite ab. Auf der anderen Seite des Erinnerungszeichens, wieder von der Spitze aus gesehen, sind leidende Männer, Frauen und Kinder hinter einem Stacheldrahtzaun zu sehen, die aus diesem Gefängnis auf ihren Mörder zugehen, die Hände auf dem Rücken gefesselt. Der Mörder ist auch hier aller menschlichen Physiognomie beraubt, Kopf und Hals bilden einen Haken. Rechts von ihm liegen unter der Erde die Ermordeten auf Leichenbergen. Am Ende der Darstellung, die in der Mitte den Davidstern

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Abb. 27: Das Bittermark-Denkmal von der Seite.

Foto: Jan Niko Kirschbaum

zeigt, hängt ein Sterbender mit nur noch einer Hand am Kreuz und hat die andere Hand in Richtung der Leichen ausgestreckt. Auf der Rückseite des Betonblocks findet sich eine verschlossene Doppeltür aus Metall. Über ihr steht auf einer bronzenen Tafel in Französisch und Deutsch: »CE MEMORIAL A ETE ERIGE PAR LA MUNICIPALITE DE LA VILLE DE DORTMUND AVEC LA PARTICIPATION DE LA FEDERATION NATIONALE DES DEPORTES DU TRAVAIL DE FRANCE A LA MEMOIRE DES LEURS CAMARADES VICTIMES DE LEUR PATRIOTISME   DIESES MAHNMAL WURDE VON DER STADT DORTMUND MIT BETEILIGUNG DES NATIONALEN BUNDES DER ARBEITSDEPORTIERTEN VON FRANKREICH ERRICHTET ZUM GEDENKEN AN IHRE KAMERADEN, DIE OPFER IHRER VATERLANDSLIEBE WURDEN.« Hinter dem Mahnmal befindet sich im Halbkreis um das Monument, direkt vor dem Wald, die Grabanlage der in der Bittermark und im Romberg-Park Ermordeten. Im Dortmunder Stadtarchiv sind drei Akten aus den Beständen des Gartenund Friedhofsamtes vorhanden, die sowohl die politischen Prozesse, als auch Aktenvermerke, Zeitungsausschnitte und Briefwechsel in Bezug auf das BittermarkDenkmal dokumentieren. Das Material ist teilweise ungeordnet und nicht immer

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Abb. 28: Ausschnitte der Reliefs an den Seiten des Mahnmals.

Fotos: Jan Niko Kirschbaum

in der chronologischen Reihenfolge auf die Akten verteilt, ermöglicht aber eine ausführliche Analyse der Genese des Denkmals. Der politische Prozess ist allerdings in vielen Fällen nicht im Detail greifbar, da die Niederschriften der politischen Gremien nur Zusammenfassungen enthalten. Wörtliche Protokolle sind nicht vorhanden, auch nicht für den Rat der Stadt Dortmund. Zusätzlich existieren Dokumentationen zur Errichtung des Denkmals mit zum Teil privaten Dokumenten und zum Gedenken am Mahnmal anhand von Zeitungsartikeln, die von Wolfgang Asshoff, der ab 1960 die Gedenkfeier am Mahnmal betreute, erstellt und veröffentlicht wurden. In Dortmund sind 62 Erinnerungszeichen an den Nationalsozialismus und den Zweiten Weltkrieg bekannt, allerdings sind diese Zahlen nicht als zuverlässig zu werten.432 18 der Erinnerungszeichen sind Kriegerdenkmäler, von denen elf bereits

432 Die Zahlen wurden ermittelt unter zu Hilfenahme von: Ulrike Puvogel, Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus, S. 488f. Jürgen Zänker, Öffentliche Denkmäler und Kunstobjekte in Dortmund, Dortmund 1984, sowie der Zeitungsausschnittsammlung des Stadtarchivs Dortmund zum Thema Denkmäler.

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Abb. 29: Ansicht aus dem Ehrengräberfeld

Foto: Jan Niko Kirschbaum

vor dem Zweiten Weltkrieg bestanden und nach 1945 um Gedenktafeln und Inschriften ergänzt wurden. Sechs Erinnerungszeichen entstanden von 1945 bis 1949 für Verfolgte des Nationalsozialismus, darunter je ein sowjetisches, polnisches und jugoslawisches Erinnerungszeichen und eines für die Opfer der Shoa. Von 1950 bis 1980 entstanden das Bittermark-Denkmal, sechs Kriegerdenkmäler, sowie zwei Erinnerungszeichen für Verfolgte des Nationalsozialismus. In den 1980er Jahren entstanden sechs Erinnerungszeichen für die Verfolgten des Nationalsozialismus und eines für die Opfer der Luftangriffe. In den 1990er Jahren wurden zwölf und in den 2000ern sechs Erinnerungszeichen errichtet, die an die Verfolgten erinnern. Neun Erinnerungszeichen konnten aufgrund fehlender Jahreszahlen nicht eingeordnet werden, bei zweien ist die Frage der Widmungsgruppe schwer zu bestimmen. Ein Tatort wird zum Gedenkort In den letzten Wochen der Herrschaft der Nationalsozialisten wurden der Dortmunder Romberg-Park und eine Waldlichtung im Stadtwald Bittermark im Süden der Stadt Schauplatz von Kriegsendphaseverbrechen. Vom 7. März bis zum 9. April 1945 wurden hier ungefähr 280 Kriegsgefangene, Zwangsarbeiter und politisch Verfolgte erschossen und in Bombentrichtern verscharrt. Die meisten von ihnen waren Ausländer. Durch die Ermordung von 42 Menschen im Romberg-Park an Karfreitag (30. März 1945) stand dieser kirchliche Feiertag fortan emblematisch für die

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Verbrechen. Vier Tage nach dem letzten Mord trafen amerikanische Truppen in Dortmund ein. Am 19. April wurden die ersten Leichen exhumiert und teilweise auf einer Wiese in der Bittermark, aber auch auf Friedhöfen im Stadtteil Hörde bestattet.433 Bereits am 11. Juni 1945 befasste sich das städtische Bezirksamt mit der Begräbnisstätte in der Bittermark und teilte dem Oberbürgermeister mit, dass der Ruf nach einer würdigen Ausgestaltung laut werde.434 Die städtische Betreuungsstelle für politische Gefangene erteilte im August 1945 dem Garten- und Friedhofsamt den Auftrag, die Gräber instand zu setzen, da am Ende des Monats eine Trauerfeier stattfinden solle.435 Die erste Gedenkfeier für die »Gemordeten des Faschismus« fand am 26. August 1945 auf dem Hansaplatz in der Dortmunder Innenstadt statt.436 1946 folgte dann die erste Gedenkfeier am Ort des Geschehens im Romberg-Park. Der Aufruf zum »Gedenken für 300 ermordete Antifaschisten« wurde mit den Worten beendet: »Männer und Frauen der Stadt Dortmund! Beweist durch rege Anteilnahme an der Morgenfeier im Romberg-Park, daß Ihr nichts gemein hattet mit diesen Henkern und Mördern.«437 Die Gedenkfeier (und später das Erinnerungszeichen) boten den Dortmundern die Gelegenheit, sich öffentlich sichtbar vom Nationalsozialismus zu distanzieren und sich am Todesort von deutschen und ausländischen Widerstandskämpfern und Zwangsarbeitern in die Riege der Verfolgten des NSRegimes einzureihen. Bei der Gedenkfeier am Karfreitag 1946 wurde »unter starker Beteiligung der Bevölkerung« der Grundstein für das erste Ehrenmal im Romberg Park gelegt.438 1947 wurden auch auf den Friedhöfen im Stadtteil Hörde und in der Bittermark kleine Denkmäler errichtet. Anfang 1950 beschloss der Haupt- und Finanzausschuss der Stadt Dortmund die Errichtung eines neuen Erinnerungszeichens. Geplant war ein 3,50 Meter hoher Obelisk am Gemeinschaftsgrab der Getöteten in der Bittermark, der sich einfach und schlicht in die Landschaft einpassen und an Karfreitag desselben Jahres eingeweiht werden sollte.439 Die Einweihung erfolgte aber erst am 6. August 1950. Aus

433 Vgl. Wolfgang Asshoff, Die Dortmunder Bittermark und ihr Mahnmal. Eine Dokumentation. November 1988, S. 5-7. 434 Vgl. StA Dortmund, 167-292, Bl. 1, Schreiben des städt. Bezirksamts Dortmund-Wellinghofen vom 11. Juni 1945. 435 Vgl. StA Dortmund, 167-292, Bl. 3, Schreiben der städt. Betreuungsstelle vom 1. August 1945. 436 Vgl. Wolfgang Asshoff, Die Gedenkfeier in der Bittermark, Dortmund 2009, S. 2. 437 Unterzeichnet war der Aufruf von Oberbürgermeister Hansmann, SPD, KPD, CDU, FDP, der FDJ, dem Einheitsverband der Gewerkschaften, der Jugendbewegung Rote Falken, dem Kreissonderhilfsausschuß und dem Hauptausschuss für die Opfer des Faschismus der Provinz Westfalen. Vgl. Gedenken für 300 ermordete Antifaschisten, in: Bekanntmachungen der britischen Militärregierung, 18. April 1946. 438 Vgl. Ihr Tod soll uns verpflichten, in: Westfälische Rundschau, vom 20. April 1946. 439 Vgl. Wolfgang Asshoff, Die Gedenkfeier in der Bittermark, Dortmund 2009, S. 5.

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dem Obelisken war eine gemauerte Stele geworden. Die Inschrift lautete: »Gemordet von verruchter Hand, sei Euer Blut der Freiheit Unterpfand«.440 Oberbürgermeister Henßler stellte anlässlich der Einweihung zwei Ziele des Mahnmals heraus: »Wir ehren die Opfer des nazistischen Terrors und dienen zugleich einer friedlichen Entwicklung, wirksam und würdig, wenn wir unsere Aufgabe darin erblicken, der ganzen Welt sichtbar den Beweis zu bieten: Hier ist ein Volk sichtbar, das in Freiheit und Recht ein friedliches Leben gestalten will.«441 Bei der Feier waren auch französische Pfadfinder und eine Jugendgruppe aus England zugegen,442 die Dortmunder selbst waren ebenfalls »zahlreich« erschienen.443 Ähnlich wie in Wuppertal, wo 1950 mehr oder weniger provisorisch ein Zeichen gesetzt worden war, dachten auch die Dortmunder bald an eine Neugestaltung des Erinnerungszeichens. Zunächst fand 1952 in Dortmund ein Schwurgerichtsverfahren statt, in dem die Verbrechen juristisch aufgearbeitet wurden.444 Im folgenden Jahr begannen die Planungen für eine Neugestaltung des 1950 errichteten Erinnerungszeichens. Ein direkter Einfluss des Gerichtsverfahrens auf den Planungsprozess lässt sich nicht feststellen. Am 30. September 1953 wurde im Ausschuss für das Garten- und Friedhofsamt die Neugestaltung des »Ehrenmals für politische Opfer« beraten. Es lässt sich nicht klären, auf wessen Veranlassung das Vorhaben auf die Tagesordnung gesetzt wurde, aber offensichtlich waren bei den zuständigen Stellen der Stadtverwaltung schon Planungen vorgenommen worden. Einstimmig erkannten die Mitglieder des Ausschusses, dass eine Umgestaltung des bestehenden Erinnerungszeichens unzureichend wäre und eine vollständige Neugestaltung notwendig sei.445 Der hierfür vorgelegte Plan von Gartendirektor Glocker fand Zustimmung, der Ausschuss einigte sich aber aufgrund der »großen Unzufriedenheit« in durch die Niederschrift nicht näher spezifizierte »interessierte[n] Kreise[n]« auf die Einsetzung einer besonderen Kommission, die eine Besichtigung der Anlagen in der Bittermark vornehmen sollte.446 Wenige Tage später folgte eine Eingabe der Ortsgruppe der »Arbeitsgemeinschaft ehemals verfolgter Sozialdemokraten« (AvS). Sie erklärte, dass sie bereits bei Bekanntwerden des Verbrechens die Verpflichtung erkannt habe, ein ehrendes Gedächtnis der Opfer zu erhalten. Schon 440 Vgl. Henßler enthüllt Ehrenmal für Rombergpark-Opfer, in: Westdeutsche Allgemeine Zeitung vom 7. August 1950. 441 Ehrung der Opfer des Nationalsozialismus, in: Bekanntmachungen der Stadt Dortmund, vom 11. August 1950. 442 Vgl. Ehrenmal in der Bittermark enthüllt, in: Ruhr Nachrichten vom 7. August 1950. 443 Vgl. Bittermark: Mahnruf für Menschenrechte, in: Westfälische Rundschau vom 7. August 1950. 444 Vgl. Dortmunder Karfreitag 1945, herausgegeben von der Stadt Dortmund 1960, S. 23. 445 Vgl. StA Dortmund, 167-292, Vermerk StR Exius vom 14. November 1953. 446 Vgl. StA Dortmund, 167-292, Niederschrift der Sitzung des Ausschusses für Garten- und Friedhofsamt vom 30. September 1953.

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damals sei deutlich geworden, dass dies nur durch die Mithilfe der Gesamtbevölkerung und ihrer Vertretung, der Stadtverwaltung, geschehen könne. Die AvS hielt die Ausgestaltung des »Ehrenmals, wie es jetzt besteht, in keiner Weise geeignet, als Dankesschuld der Bevölkerung […] angesehen zu werden […].« Sie forderte eine neue Anlage, zu der auch die sterblichen Überreste, die auf dem Hörder Friedhof bestattet worden waren, umgebettet werden sollten, schließlich böte der Wald in der Bittermark genügend Platz. Um ihr Vorhaben nicht als Angriff auf die städtische Verwaltung wirken zu lassen, appellierte die AvS an die Vorbildfunktion der Stadt. Diese könne »hier etwas schaffen, was der Grösse der Opfer angepasst ist und erneut unter Beweis stellt, dass die Stadtverwaltung Dortmund stets dort an erster Stelle steht, wo es gilt, begangenes Unrecht, das leider nicht wieder gut gemacht werden kann, wenigstens anzuerkennen und sich den Opfern gegenüber dankbar zu erweisen.«447 Wenige Tage später folgte eine gemeinsame Eingabe in gleicher Angelegenheit von AvS und VVN, die sich allerdings vor allem auf die im Romberg-Park ermordeten »Widerstandskämpfer« bezog.448 Der Wettbewerb für einen »Ehrenhain mit Ehrenmal« Im November 1953 wurde im Austausch zwischen Stadt, Politik und den engagierten Bürger*innen in zwei Besprechungen das Verfahren festgezurrt. Die Niederschrift des Treffens am 4. November 1953449 berichtet vor allem von den Ideen des VVN-Vertreters Herzog, der vorschlug, alle in der Bittermark und im Romberg-Park Ermordeten in das Ehrengrab in der Bittermark umzubetten. Außerdem wäre es jetzt an der Zeit, ein entsprechendes Ehrenmal zu schaffen. Herzog zeigte außerdem Abbildungen »eindrucksvoller auswärtiger Ehrenmale«, um zu bewiesen, dass bereits andere Städte würdige Gedenkstätten errichtet hätten.450 Die Vertreter der politisch Verfolgten brachten nach der Bitte des Oberstadtdirektors, die Notwendigkeit der Umbettung zu prüfen, am 24. November 1953 verschiedene Gründe hierfür vor: Zum einen sei der Platz auf den Friedhöfen in Hörde für Gedenkveranstaltungen viel zu klein, es seien schon andere Gräber beschädigt worden. Im folgenden Jahr solle außerdem eine französische Delegation der Gedenkfeier beiwohnen und das werde die Platzprobleme noch verstärken. Zudem habe eine symbolische Veranstaltung in der Bittermark nur dann die nötige Strahlkraft,

447 Vgl. StA Dortmund, 167-78, Bl. 1, Eingabe der Arbeitsgemeinschaft politisch Verfolgter Sozialdemokraten vom 5. Oktober 1953. 448 Vgl. StA Dortmund, 167-78, Bl. 2, Eingabe der VVN und der Arbeitsgemeinschaft politisch Verfolgter Sozialdemokraten vom 9. Oktober 1953. 449 Die Teilnehmer waren der zuständige Dezernent Exius, Vertreter der politisch Verfolgten und der Leiter des Garten- und Friedhofsamtes, Gartendirektor Glocker. 450 Vgl. StA Dortmund, 167-292, Niederschrift über die Besprechung bei Stadtrat Exius, vom 4. November 1953.

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wenn alle Opfer vor Ort bestattet seien und schließlich würden auch die Angehörigen die Umbettung wünschen. Diesen Argumenten wollte sich die Stadt nicht verschließen.451 In einem Vermerk notierte der Dezernent, dass man als berechtigt anerkannt habe, dass der aus Überzeugung, wegen des Glaubens oder wegen des Gewissens geleistete Widerstand »ein Verdienst am Wohl des Deutschen Volkes und Staates« sei und verwies zur Bekräftigung auf den 2. Abschnitt der Präambel des Bundesentschädigungsgesetzes vom 18. September 1953, wo diese Worte verwendet werden.452 Ratsvertreter Höbener und Gartenbaudirektor Glocker schätzten die Kosten des Ehrenmals und der Umbettung auf 150.000 DM, wovon 20.000 DM vom Land als Teil der Umbettungskosten übernommen werden würden.453 Außerdem bemerkte Exius, dass der Wunsch der politisch Verfolgten, das Denkmal bis zum Karfreitag 1954 zu errichten, aufgrund des Winters wohl nicht einzuhalten sei.454 Um das Ziel trotz der Zeitnot noch erreichen zu können, setzte die Stadt rasch ein Preisgericht ein, das aus einem Vertreter der AvS, der VVN, des Kleinen Ausschusses für das Ehrenmal, des Garten- und Friedhofsausschusses, Gartendirektor Glocker und Ratsmitglied Boas bestand, letzterer explizit als Vertreter der jüdischen Gemeinde. Die Dortmunder Künstler Gottfried Lederer, Karel Niestrath, Heinrich Bayer, Kurt Kupke und Eugen Senge-Platten wurden mit der Einreichung von Entwürfen beauftragt.455 Am 25. November 1953 beschloss der Haupt- und Finanzausschuss die Errichtung des »Ehrenhains mit Ehrenmal«.456 Wichtig war den Ratsmitgliedern, ebenso wie den Vertretern der Verfolgten, dass aufgrund der nicht möglichen Identifizierung aller Opfer des Verbrechens das Wort »Unbekannt« in der Grabanlage oder im Denkmal seinen Platz fand. 1.000 DM lobte das Schreiben an die Künstler als Belohnung für die rechtzeitige Abgabe eines Entwurfs aus.457 Als sich Eugen Senge-Platten wegen Arbeitsüberlastung frühzeitig entschied, keinen Entwurf einzureichen, wurde er durch Artur Schulze-Engels ersetzt.458 Von den pünktlich eingereichten Vorschlägen sind in der Akte die beigefügten Beschreibungen der Künstler erhalten. Alle Künstler versuchten die Dramatik 451 452 453 454 455 456 457 458

Vgl. StA Dortmund, 167-78, Bl. 6, Niederschrift über die Besprechung bei Stadtrat Exius, vom 24. November 1953. Vgl. StA Dortmund, 167-292, Vermerk StR Exius vom 14. November 1953. Vgl. StA Dortmund, 167-292, Niederschrift über die Besprechung bei Stadtrat Exius, vom 4. November 1953. Vgl. StA Dortmund, 167-292, Vermerk StR Exius vom 14. November 1953. Vgl. StA Dortmund, 167-78, Bl. 6, Niederschrift über die Besprechung bei Stadtrat Exius, vom 24. November 1953. Vgl. StA Dortmund, 167-78, Bl. 15, Vermerk vom Garten- und Friedhofsamt vom 3. Dezember 1953. Vgl. StA Dortmund, 167-78, Bl. 17, Schreiben von Stadtrat Heinisch vom 4. Dezember 1953. Vgl. StA Dortmund, 167-78, Bl. 18, Handschriftlicher Vermerk, Rückseite einer Kopie des Schreibens von StR Heinisch.

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der Verbrechen bildlich und symbolisch darzustellen. Heinrich Bayer schlug ein Ehrenmal aus Ruhrkohlensandstein mit einer Bekrönung in Form eines emporgestreckten Armes mit einer Taube aus Bronze als Sinnbild für Frieden und Freiheit vor. Als Variante regte er einen Pylon an, der an der Vorderseite ein Relief mit einem Sinnbild für Friede und Freiheit und an der Rückseite ein Relief mit gefesselten Händen tragen sollte. Für die Reliefs sowie eine beizufügende Schrifttafel sah er die Anfertigung in Bronze vor. Karel Niestrath erläuterte, dass das Denkmal im Wald nicht zur Geltung komme. Er plante deshalb, einen 15 Meter hohen »Blickpunkt« zu schaffen. Eine Mauer oder Hecke sollte die Gräber miteinbeziehen. Für den so entstehenden Innenraum sah er Pfeiler mit Plastiken und Schrifttafeln mit Verweisen auf das »dramatische Geschehen« vor. Die Beschreibungen der drei Entwürfe von Artur Schulze-Engels sind aufgrund der ebenfalls eingereichten, aber nicht überlieferten Tonmodelle recht kurz geraten: »Dreieckturm auf Plattform mit Stufen und Reliefplatte«, »Vierkantturm mit Relief, Plattform mit Stufen und Reliefplatte«, »Plastikgruppe auf Sockel«. Kurt Kupke merkte zu seinem Mahnmal aus Muschelkalk lediglich an, dass er dieses Material gewählt habe, damit es sich vom Wald mit seiner Leuchtkraft abhebe. Gottfried Lederer entwickelte eine zehn Meter hohe Säule, die aus einem angedeuteten Bombentrichter ragte. In goldenen Buchstaben sollte auf der Verkleidung aus Muschelkalk-Platten »Romberg-Park 1945« sowie optional »Karfreitag« stehen. Ein sich unter der Schrift befindliches Relief sollte verdeutlichen, dass man den »Gemordeten das Sonnenlicht nicht mehr gegönnt« habe und das Leben »wie mit einem Sensenschlag« ausgelöscht worden sei. Auf dem Boden des angedeuteten Bombentrichters, dessen Wellenform die Menge des geflossenen Blutes andeuten sollte, waren drei überlebensgroße Figuren vorgesehen: ein Sterbender im Todeskampf, ein durch Genickschuss zusammengefallenen Toter und eine Frau, die sich aus dem Knäuel der Toten aufreckt und Richtung Himmel schreit. Auch drei Feuerschalen waren vorgesehen, die bei »Weihestunden« angezündet werden sollten.459 Als am 9. März 1954 der Kleine Ausschuss des Gartens- und Friedhofsausschusses zusammentrat, hielt er nach »sehr lebhafter Aussprache« keinen der Entwürfe für geeignet. Während in Paderborn und Düsseldorf auf Basis der unbefriedigenden Wettbewerbsergebnisse eine Lösung gesucht wurde, beschloss man in Dortmund einen neuen Wettbewerb auszuschreiben.460 Unterdessen liefen die Vorbereitungen für die Umbettungen der sterblichen Überreste in die Grabanlage in der Bittermark an. Anfang März 1954 hatte ein Mitarbeiter des Hauptfriedhofs darauf aufmerksam gemacht, dass sich mindestens 34 Ausländer, davon möglicherweise 32 Franzosen, unter den Opfern befänden. Ein 459 Vgl. StA Dortmund, 167-78, Bl. 37, Umschlag mit den fünf Briefen der Künstler. 460 Vgl. StA Dortmund, 167-78, Bl. 39, Niederschrift der Zusammenkunft des Kleinen Ausschusses vom 9. März 1954.

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Franzose war bereits 1946 identifiziert worden. Da die Franzosen erfahrungsgemäß sehr bemüht seien, die Toten in die Heimat zu überführen, müsse der Französische Suchdienst in Iserlohn verständigt werden.461 Diese Einschätzung erwies sich als richtig. Am 5. März 1954 schrieb M. Fassina, Délégué Général pour l’Allemagne et l’Autriche du Ministère des Anciens Combattants et Victimes de Guerre, an Gartendirektor Glocker und kündigte eine Delegation aus einem Arzt, einem Fotografen, einem Protokollanten und einem Assistenten an, die die zu identifizierenden Franzosen identifizieren und in die Heimat überführen sollten. Dafür müssten alle Leichen untersucht werden, denn die Rückführung sei von einem großen Interesse für die Familien der Opfer.462 Es ist davon auszugehen, dass diese Ankündigung auch umgesetzt wurde. Am 24. März 1954 waren bereits 43 Leichen auf dem katholischen und 63 auf dem evangelischen Friedhof in Hörde exhumiert, »ordnungsgemäß eingesargt« und auf dem Hauptfriedhof abgestellt worden. Auch in der Bittermark hatte man 70 Leichen freigelegt und untersucht, 91 wurden noch in der Erde vermutet.463 Insgesamt wurden 194 Umbettungen durchgeführt. Die Leichen, die teilweise ohne Sarg im Grundwasser gelegen hatten und deshalb halb verwest waren, mussten von Hand von anhaftenden Leichenteilen gesäubert, gewaschen und untersucht werden. Diese Arbeit wurde nur ausgewählten Männern des Hauptfriedhofs zugetraut und sie wurden mit 15 DM pro Leiche entschädigt.464 Die Beisetzung des letzten umgebetteten Leichnams bildete den Hintergrund der Gedenkfeier am 16. April 1954, an der 400 Hinterbliebene und Abgeordnete verschiedenster Organisationen teilnahmen. Im Vorfeld der Feier war der »Hinterbliebenen-Ausschuss der Opfer im Romberg-Park« mit verschiedenen Bitten an die Stadtverwaltung herangetreten. Zum einen wünschte der HinterbliebenenAusschuss, dass die Dortmunder aufgefordert würden, ein Ehrenspalier bei der feierlichen und würdigen Überführung der Särge vom Hauptfriedhof zur Bittermark zu bilden und dass die Särge dann bei der Gedenkfeier an den offenen Gräbern beigesetzt würden. Zum anderen wünschte sich der HinterbliebenenAusschuss eine offizielle Schirmherrschaft der Stadt über die Gedenkfeier und die Unterrichtung der Jugend in den Schulen über das »hiesige Verbrechen der faschistischen Barbarei«, da in der Öffentlichkeit »über Hergang und geschichtliche Bedeutung der Blutigen Karwoche 1945 irrige und z.T. sogar diffamierende Auffassungen« bestünden. Weitere Bitten lauteten, dass die Fahnen an den öffentlichen Gebäuden auf Halbmast gesetzt würden und die Kultureinrichtungen der Stadt

461 Vgl. StA Dortmund, 167-292, Schreiben Krahn an Glocker vom 1. März 1953. 462 Vgl. StA Dortmund, 167-292, Schreiben des Délégué Général vom 5. März 1954. 463 Vgl. StA Dortmund, 167-292, Auszug der Niederschrift der Sitzung des Ausschusses für Garten- und Friedhofsamt vom 24. März 1954. 464 Vgl. StA Dortmund, 167-292, Vermerk vom Garten- und Friedhofsamt vom 3. Mai 1954.

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an der Gestaltung der Gedenkfeier mitwirken sollten.465 Der Ausschuss für das Garten- und Friedhofsamt entschied sich nach »sehr eingehender« Aussprache dafür, den meisten Bitten stattzugeben. Auf Antrag der SPD wurden die Leichen allerdings in aller Stille beigesetzt. Dem Ehrenspalier und der Bestattung als Teil der Gedenkfeier verweigerte das Gremium mit einer Gegenstimme die Zustimmung. Es beschloss, weiterhin das bestehende Mahnmal mit einem schwarzen Tuch zu verhüllen, bis das neue Mahnmal errichtet sei.466 Die beiden Redner der Gedenkfeier – Oberbürgermeister Keuning und Oberregierungsrat Ratke von der Bezirksregierung Arnsberg – mahnten, dass man die Toten nicht vergessen dürfe und dass sie umsonst gestorben seien, wenn es nicht gelänge »die demokratischen Grundlagen des Staates zu erhalten und zu festigen.« Damit erklärten sie die Ermordeten wie in Wuppertal zu Märtyrern der Bundesrepublik. Am Ende der Gedenkfeier kam es zu einem Eklat, als sich ein 150 Personen starker Demonstrationszug der »KP-Tarnorganisation VVN«, so berichteten die konservativen Ruhr Nachrichten, mit Hammer- und Sichel-Fahnen hinter der Begräbnisstätte positionierte. Die Stadt beendete daraufhin die Gedenkfeier und zog die Ehreneskorte der Polizei ab, während die Neuankömmlinge die Internationale spielten und anschließend ein Redner auf das Podium stieg.467 Die Westfälische Rundschau urteilte, dass die »Agitationsrede« und die »Schalmeienmusik« die feierliche Andacht und Würde des Ortes gestört hätten. »Jedem wurde bewußt, daß im Osten noch immer Millionen ermordet, gefoltert und gequält werden, weil sie die Freiheit lieben, ebenso wie die Opfer des Karfreitags sie geliebt haben. Die ›entliehene Rummelplatzmusik‹ entehrte die Stunde und die Stätte.«468 Die Westdeutsche Allgemeine Zeitung berichtete nicht über den Zwischenfall.469 Ein neuer Entwurf: Die Kerkermauer als warnendes Symbol Im Sommer 1954 hatte das Garten- und Friedhofsamt die notwendigen Rahmenbedingungen für einen neuen Wettbewerb festgelegt. Allerdings wurde dieser dann doch nicht ausgeschrieben, denn mittlerweile hatte der Kleine Ausschuss die Orientierung verloren, wie er weiter vorgehen wollte. Er übergab die Angelegenheit ans Kulturamt und damit auch an den Kulturausschuss, der am sich 7. September 1954 zum ersten Mal mit dem Thema befasste. Die VVN verlor bei der Umstruk-

465 Vgl. StA Dortmund, 167-292, Auszug der Niederschrift der Sitzung des Ausschusses für Garten- und Friedhofsamt vom 24. März 1954. 466 Vgl. StA Dortmund, 167-292, Auszug der Niederschrift der Sitzung des Ausschusses für Garten- und Friedhofsamt vom 24. März 1954. 467 Vgl. Stadt-Gedenkfeier in der Bittermark, in: Ruhr Nachrichten vom 17. April 1954. 468 Vgl. Wir aber wollen Male errichtet, in: Westfälische Rundschau vom 17. April 1954. 469 Vgl. Bittermark-Hain nimmt letzten Toten auf, in: Westdeutsche Allgemeine Zeitung vom 17. April 1954.

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turierung ihre Beratungsfunktion.470 Am 7. Oktober 1954 trat der Kulturausschuss unter Beteiligung des Kleinen Ausschusses vom Ausschuss für das Garten- und Friedhofsamt wieder zusammen und ließ sich von Gartendirektor Glocker über den bisherigen Verlauf der Denkmalserrichtung informieren. Ratsvertreterin Beuster, Vorsitzende des Garten- und Friedhofsamtausschusses, erklärte, dass man auf einen weiteren Wettbewerb verzichtet habe, weil auf künstlerischem Gebiet eine bedauerliche Armut herrsche. Ratsvertreter Höbener, gleichzeitig Vertreter der AvS, beharrte auf dem Karfreitag 1955 als Fertigstellungstermin. Paul Walter Jacob, Intendant des Dortmunder Theaters, gab zu bedenken, dass die Künstler die Zeit noch nicht erfasst hätten und man vielleicht ein rein architektonisches Mahnmal in Erwägung ziehen sollte. Bürgermeister Görshop von der SPD vertrat die Position, dass man das Vollendungsdatum nicht über die Qualität stellen solle. Er schlug vor, sich an anderen Orten nach guten Vorbildern umzusehen, damit die »Endlösung« [sic!] etwas wirklich Besonderes sei, das nicht nur Ziel der Dortmunder Bürger werde. Zusammenfassend stellte er fest, dass die bisherigen Entwürfe nicht den Ansprüchen genügt hätten. Er selbst habe sich nun kundig gemacht und in Stockholm, Basel, Rotterdam verschiedene Denkmäler gesehen, die gute Arbeit darstellten. Jeder müsste sich von der Ausdruckskraft des Kunstwerks angesprochen fühlen, damit es seinen Zweck als Mahnmal auch wirklich erfüllen könne. Als Beispiel gab er Fotos von Kunstwerken des Berliner Bildhauers Reuter in die Diskussion, bemerkte aber, dass diese ihm zu »hypermodern« seien. Schließlich beschloss der Kulturausschuss, einen neuen Ausschuss mit dem energischen Vorwärtstreiben der Angelegenheit zu beauftragen. Er bestand aus einem Kleinen Ausschuss des Kulturausschusses und dem Kleinen Ausschuss des Gartens- und Friedhofsausschusses sowie Intendant Jacob und Kulturamtsdirektor Dr. Wenzel.471 Der neue Ausschuss traf sich am 14. Oktober 1954 zum ersten Mal unter Vorsitz von Bürgermeister Görshop und ließ sich ebenfalls von Gartendirektor Glocker die bisherigen Planungen erläutern. Dieser betonte, dass der vorherige Kleine Ausschuss zu dem Schluss gekommen sei, dass ein Mahnmal hochstrebend sein und von allen Seiten eine charakteristische Wirkung ausüben solle. Freistehende Plastiken kämen nicht in Frage, Reliefs seien aber durchaus möglich. Das verwendete Material solle hell sein, aber aufgrund der Diebstahlgefahr auf keinen Fall Metall enthalten. Ratsvertreter Boas war gegen jede Plastik, da man ihr Köpfe und Glieder abschlagen werde. Bürgermeister Görshop wandte ein, dass man aus bloßer Angst nicht kapitulieren dürfe. Er schlug daraufhin vor, dass ein »Team« von Künstlern zusammenarbeiten solle, auch wenn mancher Künstler darüber vielleicht entsetzt

470 Vgl. StA Dortmund, 167-78, Bl. 56, Auszug aus der Niederschrift des Kulturausschusses vom 7. September 1954. 471 Vgl. StA Dortmund, 167-78, Bl. 62ff., Auszug aus der Niederschrift des Kulturausschusses vom 7. Oktober 1954.

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sei. Deshalb habe er den Architekten Schwarz472 und den Bildhauer Niestrath473 zum Ausschuss dazu gebeten, letzterer habe »ja auch einige Schläge vom Dritten Reich abbekommen.« Bürgermeister Görshop konstatierte, dass ihm bislang »das Ideeliche, die Mahnung« fehle. Das Denkmal müsse das Auge beeindrucken, nach langer Zeit noch wirken und der einfache Mensch müsse es verstehen, daher dürfe es nicht zu »subjektivistisch« sein. Die Erinnerung müsse so wachgehalten werden, dass schon das kleine Kind es verstehe. Karel Niestrath zeigte sich mit dem vorgeschlagenen Weg einverstanden und betonte, dass er zusammen mit Schwarz auch schon erste Entwürfe gemacht habe. Er ergänzte, dass die Frist beim Wettbewerb einfach zu kurz gewesen sei. Zum Ausreifen einer Idee habe die Zeit gefehlt. Schließlich beschloss der neue Ausschuss die Einrichtung eines Sonderausschusses, der mit Karel Niestrath und Will Schwarz Ideen entwickeln sollte. Zeit und Geld dürften keine Rolle spielen, betonte Bürgermeister Görshop zum Ende der Sitzung. Wieder einmal wurden in der Diskussion die Begriffe Denkmal und Mahnmal synonym verwendet.474 472 Will Schwarz wurde 1907 in Gelsenkirchen geboren. Nach Abschluss der Volksschule in Lünen fing er eine Lehre zum Bauhandwerker an, wechselte dann in ein Volontariat bei einem Architekturbüro und machte eine Ausbildung an der Dortmunder Handwerker- und Kunstgewerbeschule. 1929 begann er ein Studium an der Hochschule für Bildende Künste in BerlinCharlottenburg. Nach einem Unfall brach er 1931 das Studium ab und arbeitete als Illustrator für den »General-Anzeiger« in Dortmund. Seine Zeichnungen und Karikaturen stießen bei den Nationalsozialisten »auf Missfallen«, daher arbeitete ab 1935 freiberuflich als Architekt, bevor er 1939 eingezogen wurde und 1945 aus dem Krieg zurückkehrte. Er schuf anschließend als Architekt in Dortmund zunächst Einfamilienhäuser und erhielt dann auch bedeutendere Aufträge wie den Wiederaufbau des Gebäudes der Industrie- und Handelskammer, den Bau des Gesundheitshauses, verschiedener Schulbauten und Gebäude für die Bundesgartenschau 1959, darunter ein Dortmunder Wahrzeichen: den Fernsehturm Florian. Außerdem gehörte er zu den Initiatoren der »Dortmunder Gespräche« zur Stadtplanung in den 1950er Jahren. Er starb 1992. Vgl. Peter Kroos, Will Schwarz – Leben und Werk, in: Thomas Schilp und Andrea Zupancic (Hg.), »Das neue Dortmund«. Das Dortmunder Gesundheitshaus von Will Schwarz. Fotografiert von Gerd Kittel, Veröffentlichungen des Stadtarchivs Dortmund Bd. 20, Tübingen (u.a.) 2014, S. 34-38. 473 Karel Niestrath wurde 1896 in Bad Salzuflen geboren und machte nach dem Besuch der Volksschule eine Ausbildung als Holzschnitzer. Im Ersten Weltkrieg kämpfte er von 1915 bis 1918 und wurde schwer verwundet. Anschließend studiert er an der Dresdner Akademie, bevor er 1924 nach Hagen kam, wo er bis zu seinem Tod 1971 lebte. In den 1920er Jahren gehörte Niestrath zu den »großen Talenten der aufbrechenden Moderne«. Seine Skulpturen und Plastiken waren von Armut, Verzweiflung und Traurigkeit geprägt. In der Zeit des Nationalsozialismus gehörten seine Arbeiten zur »Entarteten Kunst« und wurden aus Museen entfernt. Vgl. HagenKunst. Kunst im öffentlichen Raum, hg. von Hans Friesen, Hagen 2006, S. 202. 474 Vgl. StA Dortmund, 167-78, Bl. 68ff., Niederschrift der gemeinsamen Sitzungen des Kleinen Ausschusses des Garten- und Friedhofsamtes mit Vertretern des Kulturausschusses, des Kulturamtes und einigen Fachberatern am 14. Oktober 1954.

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Am 24. November 1954 wandte sich Will Schwarz, der die Projektleitung übernommen hatte, dann an Bürgermeister Görshop und sandte einen ersten Entwurf mit Skizzen und einem Erläuterungsbericht ein.475 In diesem heißt es: »Aus dem Frieden der Waldlichtung dringt nichts mehr von dem Grauen, dessen Zeuge sie einst wurde, an das Gewissen des Besuchers. Das aber ist es, was das hier geplante Mahnmal für immer wachhalten soll, die Qual des Wissens, dass Menschen noch zu solcher Tat fähig waren zu einer Zeit, als sie durch lange Kultivierung glaubten, genügend Sicherheit zu haben. Der Damm, den der humanistische Geist, Erziehung, Kultur und Sitte in jahrhundertelangem Bemühen aufrichteten, hat nicht gehalten. […] Das Mal soll daran mahnen, dass der Geist der Bestie in uns noch nicht erloschen ist und die Gefahr des Wiederaufbrechens weiterhin besteht. Dass es Kerkermauern sind, in denen die leben mussten und noch müssen, die sich dem Ungeist, dem Antihumanismus nicht unterwerfen. Dieser Widersinn allen humanistischen Bemühens, für dieses Thema wird in dem Entwurf eine Form gesucht. Es ist sicherlich ungewohnt und nicht alltäglich und unseres Wissens auch noch nicht versucht worden, die Kerkermauer zum Symbol zu erheben. Manches in uns mag sich dagegen sträuben, und es mag manchem zu wenig ästhetisch erscheinen. Aber, wohin man auch denken mag, die Ästhetik erreicht nicht das Gebiet menschlichen Fühlens, in dem das hier zu behandelnde Geschehen sich abspielte. Die hohe Lebensform der Ästhetik verschliesst unserem Denken und Fühlen die Niederungen in die wir ganz eindringen müssen um jene Untat erkennen zu können. Auch das Christentum scheute sich nicht, das grauenhafteste Henkergerüst der damaligen Zeit, den kreuzförmigen Galgen zum warnenden Symbol zu erheben.«476 Schwarz und Niestrath schlugen einen geschlossenen, unverrückbaren und unverwitterbaren Block vor, der eine Kerkermauer versinnbildlichen sollte, an der die Leidensgeschichte der Toten in Reliefform dargestellt wird. Im Inneren war Raum für eine Krypta, in der ein nicht identifizierbarer Toter stellvertretend für alle Unbekannten bestattet werden sollte.477 Am 17. Februar 1955 besuchte der neue Sonderausschuss Karel Niestrath in seinem Atelier in Hagen. Er besichtigte ein Gipsmodell des geplanten Mahnmals und diskutierte über die Figur an der Vorderseite. Ein erster Entwurf, der einen gefesselten Menschen seitlich von hinten zeigte, wurde als zu unsymmetrisch abgelehnt. Ein zweiter Entwurf, der eine symmetrische Ausrichtung nach vorne zeigte,

475 Vgl. Wolfgang Asshoff, Die Dortmunder Bittermark und ihr Mahnmal, S. 88. 476 StA Dortmund, 167-78, Bl. 66, Erläuterungsbericht zum Entwurf Will Schwarz – Karel Niestrath – für das Mahnmal in der Bittermark. 477 Vgl. ebd.

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wurde wegen eines Kreuzes abgelehnt, es verkörpere eine problematische Symbolik. Vermutlich wollte sich der Sonderausschuss damit nicht den Widerstand der kommunistischen Opferverbände zuziehen. Karel Niestrath versprach daraufhin, so vermerkt es das Protokoll, einen neuen Entwurf auszuarbeiten, »der einen nach vorn schauenden Gefesselten darstellt, welcher in furchtbarem Ernst, aber doch auch mit einigem Trotz die Kugel erwartet.« Im Schneegestöber fuhren die Politiker dann mit dem Bildhauer in die Bittermark und trafen dort auf den Dezernenten Exius und den Oberstadtdirektor. Am Platz des Mahnmals hatte das Garten- und Friedhofsamt aus Holz und Leinwand ein Modell des Denkmals errichtet, das nun begutachtet wurde. Die Anwesenden einigten sich darauf, das Denkmal niedriger zu gestalten, die obere Längskante nach hinten stärker abzusenken und das Denkmal um drei Meter nach hinten zu verschieben. Ein neues Modell mit den entsprechenden Maßen sollte bei besseren Witterungsverhältnissen errichtet werden.478 Am 7. März 1955 nahm der Haupt- und Finanzausschuss das aktualisierte Modell in Augenschein. Bürgermeister Görshop setzte sich in der anschließenden Diskussion für eine baldige Errichtung in der vorgesehenen Art und Weise ein. Die zu erwartenden Kosten spiegelten in seinen Augen die Dankesschuld wider, die es gelte den Opfern abzustatten. Bürgermeister Scherer (CDU) kritisierte den Standort. Das Mahnmal müsse ständige Mahnung sein. Diesen Zweck könne es nur an einem anderen Ort, nicht in der Abgeschiedenheit der Bittermark, besser erfüllen. Ratsmitglied Sprave (SPD) erwiderte darauf, dass die Anlage in der Bittermark schon jetzt von vielen tausend Menschen besucht werde und das Mahnmal noch mehr Menschen anziehen werde. Ratsmitglied Harnischmacher (FDP) schlug vor, ein künstlerisches Gutachten über den Entwurf einzuholen und Prof. Raskopp (CDU) regte wegen der Kosten eine interfraktionelle Beratung im Vorfeld der Ratssitzung am nächsten Tag an.479 Einen Tag später legte Will Schwarz einen ersten Kostenvoranschlag vor, der die Gesamtkosten des Erinnerungszeichens auf 355.474,84 DM bezifferte.480 Am 29. März 1955 hatte dann der Kulturausschuss über das Erinnerungszeichen zu befinden. Im interfraktionellen Austausch hatte es keine Meinungsverschiedenheit gegeben. Nun äußerte Prof. Raskopp von der CDU Bedenken, unter anderem, weil die CDU-Fraktion die Mahnmal-Attrappe nicht in Augenschein hatte nehmen können, da diese wegen der winterlichen Schneelast und eines Sturms nur anderthalb Tage der Witterung standgehalten hatte. Sowohl die Dezernenten als auch In478 Vgl. StA Dortmund, 167-78, Bl. 73, Niederschrift des Kleinen Ausschusses im Ausschuss für das Mahnmal vom 18. Februar 1955. 479 Vgl. StA Dortmund, 167-292, Auszug aus der Niederschrift des Haupt- und Finanzausschusses vom 7. März 1955. 480 Davon waren 98.600 DM den Betonierungsarbeiten zugerechnet, 111.840 DM den Steinmetzarbeiten, 111.840 DM dem Bildhauerhonorar und 33.194,84 DM dem Architektenhonorar. Vgl. Wolfgang Asshoff, Die Dortmunder Bittermark und ihr Mahnmal, S. 89.

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tendant Jacob und andere Mitglieder des Ausschusses sprachen sich für eine rasche Vergabe aus, um zum 10. Jahrestag des Verbrechens an Karfreitag etwas vorzeigen zu können. Dementsprechend bat der Kulturausschuss, eine symbolische Handlung am 8. April 1955 vorzunehmen und auch das Modell auszustellen. Widerstand gegen die künstlerische Ausführung wurde nicht geäußert.481 Kritik am Entwurf: Das Fehlen des »dennoch-Sieghaften« Doch die Mühlen der politischen Gremien mahlten langsamer als gehofft. Erst am 6. Mai 1955 veröffentlichten die »Bekanntmachungen«, das amtliche Organ der Stadt, den Erläuterungsbericht von Will Schwarz und ein Foto der MahnmalAttrappe, bei der aber die geplante Figur fehlte. Das Modell wurde im Stadthaus ausgestellt und man bat die Bevölkerung vor der endgültigen Entscheidung um die Diskussion des Vorschlags.482 Die VVN und der Hinterbliebenen-Ausschuss der Opfer im Romberg-Park nahmen diese Aufforderung dankbar an und übten in einer vierseitigen Stellungnahme grundsätzliche Kritik an dem Entwurf und seinem Erläuterungsbericht. Das Bemühen Schwarz’ und Niestraths, der Wirkungslosigkeit allen humanistischen Bemühens als Thema des Mahnmals Ausdruck zu verleihen, wurde schon in seiner Intention als Fehler betrachtet. Sie empfanden es als »Negierung der Grösse des Opfers« der Ermordeten und als historische Unwahrheit. Die Widerstandskämpfer, als die die Verfolgten und Zwangsarbeiter alle bezeichnet wurden, seien mit dem Ziel vor Augen gestorben, dem humanistischen Bemühen zum Sieg über die Barbarei zu verhelfen. Das, so verstanden es VVN und Hinterbliebenen-Ausschuss, war ihr Vermächtnis: der Sieg über das »barbarische Hitlersystem«. Dementsprechend hätte das Thema des Mahnmals der Opfertod für eine humanistische Gestaltung von Gegenwart und Zukunft und eine »rückhaltlose Einsatzbereitschaft für eine bejahende Lebensauffassung« sein müssen. Ebenso kritisierten sie das im Erläuterungsbericht beschriebene Bild, dass der »Geist der Bestie« in jedem Menschen noch vorhanden sei. Diese »verheerende Verallgemeinerung« lenke Verantwortung von den Machthabern des Dritten Reiches auf eine bestialische Veranlagung des Menschen schlechthin, was man als Neuauflage der Kollektivschuld interpretieren könne. Nicht die »Gefahr der Bestie« hätte thematisiert werden müssen, sondern die Gefahr des Faschismus und die Aufgabe, daran zu erinnern, dass man aus der Geschichte lernen müsse. Da nun die Ausgangslage schon falsch sei, könne die künstlerische Gestaltung gar nicht richtig sein, so lautete das Zwischenfazit von VVN und Hinterbliebenen-Ausschuss:

481 Vgl. StA Dortmund, 167-292, Auszug aus der Niederschrift des Kulturausschusses vom 29. März 1955. 482 Vgl. Das Modell des Mahnmals, in: Bekanntmachungen. Amtliches Organ der Stadt Dortmund vom 6. Mai 1955.

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»Das Mahnmal in der Bittermark muss in echter Verbindung von geschichtlicher Wahrheit und Zukunftsgestaltender [sic!] Wirkung seine Form finden. Das ist möglich durch freimütige Aussprache und demokratisches Zusammenwirken a l l e r beteiligten [sic!].«483 Danach widmete sich die Stellungnahme trotzdem den künstlerischen Aspekten des Mahnmals, um auch diese Stück für Stück auseinander zu nehmen. Zuallererst wurden die Attrappe und das Foto des Ehrenhains im Winter kritisiert, da so die gärtnerische Gestaltung nicht darstellbar sei. Die Stellungnahme forderte eine Fotomontage des Denkmals in anderen Jahreszeiten. Ein Denkmal, so dozierte die Stellungnahme dann, müsse im Hauptteil eine bildhauerische Arbeit sein, die Architektur dürfe nur Hilfestellung bieten. Hier aber trete die bildhauerische Arbeit zurück hinter einen Kasten mit Kerkerfenstern, der die Gefühle des Grauens unterstreiche, anstatt Ehrfurcht und Anerkennung für den Opfertod der Widerstandskämpfer auszulösen. Das Kerkerfenster, das anstelle einer Figur oder Reliefs das Augenfällige an dem Mahnmal sei, stelle ein Symbol der Unterdrückung und des Leidens dar und sei damit als Symbol ungeeignet. Der Vergleich mit dem christlichen Kreuz sei unglücklich gewählt, da das Kreuz immer ein Zeichen des Sieges vom Leben über den Tod gewesen sei. Auch viele andere Mahnmale im Inund Ausland hätten das »dennoch-Sieghafte« zum Thema gemacht. Als letzten Kritikpunkt wurde angeführt, dass das wuchtige Mahnmal den Versammlungsplatz zerschneiden und bei Gedenkkundgebungen und Feiern die Teilnehmer trennen würde. Ebenso mahnten die Verfasser an, dass der internationale Charakter der »Märtyrerstätte« zum Ausdruck kommen müsse, die sich einreihe in Orte wie Oradour-sur-Glane, Marzabotto, Chateaubriant, Lidice und viele andere. Zum Schluss der Stellungnahme schilderten VVN und Hinterbliebenen-Ausschuss, welches Thema das Mahnmal in ihren Augen haben sollte: »Die Verbrechen, durch die unsere Heimat geschändet und völkerverbindende Bande brutal zerschnitten werden sollten, sind eine ständige Anklage, Warnung und Mahnung, die in dem Mahnmal Form finden müssen. Ebenso muss das Mahnmal das Vermächtnis der Toten Gestalt werden lassen: immerwährender, rückhaltloser Einsatz für den Frieden.«484 Auffällig an der Stellungnahme ist das Beharren auf der Formensprache des 19. Jahrhunderts. Nur eine bildhauerische Lösung wurde akzeptiert. Dass der »Sieg« der Ermordeten betont, dass ihrem Tod eine positivere Sinnstiftung gege-

483 StA Dortmund, 167-79, Stellungnahme des Hinterbliebenen-Ausschusses zum Mahnmal, ohne Datum. Sperrung im Original. 484 Vgl. StA Dortmund, 167-79, Stellungnahme des Hinterbliebenen-Ausschusses zum Mahnmal, ohne Datum.

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ben werden sollte, war dagegen kein Alleinstellungsmerkmal der Stellungnahme der VVN, wie sich in der weiteren Debatte in Dortmund zeigen sollte. Die Diskussion wurde zunächst Anfang Juli im Kulturausschuss fortgesetzt. Ratsmitglied Wechsung von der KPD schloss sich der Stellungnahme von VVN und Hinterbliebenen-Ausschuss an und beanstandete die »sonderbare Bearbeitung der ganzen Angelegenheit«, weswegen er für einen Neustart votierte. Ratsmitglied Höbener als Vertreter der AvS hingegen stellte sich hinter das Mahnmal und bat um einen schnellen Beschluss. Ratsmitglied Unselm schloss sich in einem einzigen Punkt der KPD an, auch die FDP empfände den Betonklotz als zu niederschmetternd.485 Am 22. Juli tagten Kulturausschuss und Bauausschuss gemeinsam zur Mahnmal-Frage. Das zentrale Thema war die Figur an der Spitze. Karel Niestrath legte zu Beginn der Sitzung drei neue Entwürfe aus Ton vor, die, wie er hoffte, nun auch Zorn, Schmerz und Stolz des Widerstandskämpfers beinhalteten. Ratsmitglied Heitland (KPD) erklärte, dass das Mahnmal Freiheit, Demokratie, Menschenwürde und den Sieg über das Grausame zeigen müsse. Auch wenn jetzt schon zehn Jahre vergangen seien, müsse man gegebenenfalls noch einige Monate Zeit investieren, damit der Rat einmütig hinter dem Mahnmal stehe, denn nur dann sei es ein gutes Mahnmal. Ratsmitglied Harnischmacher von der FDP legte »in längeren Ausführungen« seine Gedanken zum Entwurf dar, über die sich die Niederschrift allerdings ausschweigt. Auf jeden Fall stimmte Harnischmacher dem Entwurf nun zu, stellte aber auch zwei Fragen: Solle das Mahnmal eine Reportage des Geschehens darstellen oder solle es eine Mahnung »für jeden Menschen, der klar denken könne« sein. Falls die erste Variante gewählt werde, könne das Mahnmal nie grausam genug sein. Falls die zweite Variante gewählt werde, müsse das »Nie wieder« klar zum Ausdruck gebracht werden, die Figur des Verfolgten müsse ausdrücken, dass sie im Recht sei. Bürgermeister Görshop gab zu, dass auch er seine Meinung nun geändert habe und dass die Hauptfigur zwar den leidenden, aber auch den kämpfenden Menschen darstellen müsse. Ratsmitglied Brinkmann (CDU) stimmte dem zu, der Ausdruck des Sieghaften über den Terror sei wichtig. Ratsmitglied Wenk (SPD) bezweifelte die Möglichkeit all dies auszudrücken. Er fand aber die Entwürfe, die viel Trotz und Mut ausdrückten als Gegengewicht zu den Leidenden in den Reliefs an den Seiten gut. Dr. Wenzel, Leiter des Kulturamts, bestätigte die allgemeine Stimmung, dass die Figur das »Dennoch-Siegreiche« verkörpern solle, auch wenn es künstlerisch schwer darzustellen sei. Bürgermeister Görshop ergänzte, dass er immer darum gerungen habe, kein Parteidenkmal entstehen zu

485 Vgl. StA Dortmund, 167-78, Bl. 78 und 79, Auszug aus der Niederschrift des Kulturausschusses vom 7. Juli 1955, sowie der Bericht von Stadtrat Exius dazu.

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lassen. Wenn die heutigen Wünsche und Anregungen verwirklicht würden, wäre das ja auch gegeben.486 Mahnmal oder Siegeszeichen? Die Debatte in Dortmund hat auffallende Parallelen mit der Darstellung des Widerstands gegen den Nationalsozialismus an den Erinnerungszeichen in der DDR. Die Ähnlichkeiten zwischen dem Buchenwald-Denkmal, der Diskussion um das Denkmal in der Gedenkstätte Sachsenhausen und den Ideen und Gedanken besonders hinter dem Bittermark-Denkmal sind kaum von der Hand zu weisen. Alle drei Erinnerungszeichen sollen einen Sieg über das NS-Regime darstellen und sind maßgeblich aus der Arbeiterbewegung beeinflusst. In Buchenwald war der Mythos der Selbst-Befreiung der KZ-Häftlinge am 11. April 1945 von besonderer Bedeutung. Als die amerikanischen Soldaten Buchenwald erreichten, war das Lager bereits in der Hand der Häftlinge. Die SS-Wachen hatten sich kurz zuvor abgesetzt, als sich die amerikanische Armee unter General Patton in Hörweite befand.487 Diese Szene stellt die Figurengruppe des Buchenwald-Denkmals dar: den Triumph des politischen Widerstands. Die Ermordung von zahlreichen Juden, die aus den Vernichtungslagern nach Buchenwald getrieben worden waren, sowie die Ermordung von sowjetischen Kriegsgefangenen wurden kaum thematisiert.488 Das Buchenwald-Denkmal vermittelt, so urteilt Volkhard Knigge, die geschichtsteleologische Heilsgewissheit der Arbeiterbewegung, die im Sozialismus ihr fortschrittliches Ende gefunden habe.489 Das Lager sei als eine dem Fortschritt nützliche Schule oder als Höllenfeuer dargestellt worden, in dem eine neue Geistes- und Tatenelite geschmiedet und gehärtet worden sei.490 James E. Young ergänzt, dass Buchenwald eine fast schon mythologische Rolle in der DDR eingenommen habe.491 Volkhard Knigges Kommentar zum Buchenwalder Mahnmal lässt sich auf das Dortmunder ebenso wie das Sachsenhausener Beispiel übertragen: »Im Grunde ist die hier formulierte Heilsgewißheit christlich, ist Buchenwald nichts anderes als Golgatha und Ostern der deutschen Arbeiterbewegung in einem. Faktisch ist sie eine Aus- und Überblen-

486 Vgl. StA Dortmund, 167-78, Bl. 81ff., Auszug aus der Niederschrift des Kulturausschusses vom 22. Juli 1955. 487 Vgl. ebd., S. 75. 488 Vgl. ebd., S. 78. 489 Vgl. Volkhard Knigge, Buchenwald-Denkmal, in: Monika Flacke (Hg.), Auftragskunst der DDR 1949- 1990, München 1995, S. 115. 490 Vgl. Volkhard Knigge, Zur Entstehungsgeschichte der Nationalen Mahn- und Gedenkstätte Buchenwald, in: Günter Morsch (Hg.), Von der Erinnerung zum Monument. Die Entstehungsgeschichte der Nationalen Mahn- und Gedenkstätte Sachsenhausen, Schriftenreihe der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten Band 8, Oranienburg 1996, S. 111. 491 Vgl. James E. Young, The texture of memory. Holocaust Memorials and Meaning, S. 73.

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dung der Realität, bis hin zur Lüge. Verkehrt wird die größte Niederlage der Arbeiterbewegung in ihren größten Sieg.«492 Ähnlich wie die Diskussion um die Figur in der Bittermark war auch der Streit um die zentrale Figur der Gedenkstätte Sachsenhausen in der DDR. Am Fuß eines 40 Meter hohen Betonmonuments befindet sich die Plastik »Befreiung« des Bildhauers René Graetz. Sie stellt einen älteren und einen jüngeren Mann dar, hinter denen ein sowjetischer Soldat schützend den Mantel ausbreitet. Die beiden Männer sind durch äußere Kennzeichen, zum Beispiel Häftlingskleidung oder den körperlichen Zustand, nicht als Häftlinge zu erkennen, dies wird nur aus dem Kontext der Aufstellung deutlich. Der erste Entwurf Graetz’ wurde vom wissenschaftlichkünstlerischen Beirat abgelehnt, da er zu sehr ein trauerndes Motiv zeigte und zu wenig eine kämpferisch-antifaschistische Aussage. Die Befreiung geschundener Menschen sollte nicht im Mittelpunkt stehen, sondern die befreiten antifaschistischen Widerstandskämpfer, als deren Nachfolger die DDR sich sah. Der Beirat forderte vom Künstler von den äußeren Erscheinungsformen zu abstrahieren und den Menschen eine Gestalt zu geben, die ihrer Leistung entspreche, so wie Mütter, Brüder, Schwestern, Freunde und Kampfgenossen diese Person wahrnehmen wollten. Nach der offiziellen Einweihung des Denkmals wurde auf Betreiben Rudolf Wunderlichs, einem der engagiertesten Mitglieder des Komitees, ein Abguss der Plastik »Stärker als der Tod« von Fjodor Fiwejskij im Innenhof des Widerstandsmuseums aufgestellt. Die Mittel dafür stellte das Moskauer Komitee der sowjetischen Kriegsveteranen zur Verfügung. Die Plastik zeigt Partisanen, deren Hände hinter dem Rücken gefesselt sind und die mutig und unerschrocken ihrer Erschießung entgegensehen. Sie waren viel heldenhafter dargestellt als die Häftlinge in Graetz’ Plastik, im gewissen Sinne auch »antifaschistischer« und idealer, so dass es, wie Stefan Becker meint, »ein wenig erscheint […], als wolle Wunderlich zum Graetzschen Hauptdenkmal in der Gedenkstätte einen Gegenentwurf errichten.«493 In Anlehnung an Volkhard Knigge, der über das Buchenwald-Denkmal urteilte, dass es das deutsche Siegesdenkmal des Zweiten Weltkrieges sei,494 könnte man behaupten, das Bittermark-Mahnmal sei ein westdeutsche Siegesdenkmal. Anhand der Dortmunder Debatte werden aber auch die Brüche in der Erinnerungsgemeinschaft der Widerstandskämpfer zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten in Westdeutschland deutlich. Nicht nur die feindliche Übernahme 492 Vgl. Volkhard Knigge, Zur Entstehungsgeschichte der Nationalen Mahn- und Gedenkstätte Buchenwald, S. 111. 493 Vgl. Stefan Becker, Zur künstlerischen Gestaltung der Gedenkstätte Sachsenhausen, in: Günter Morsch (Hg.), Von der Erinnerung zum Monument. Die Entstehungsgeschichte der Nationalen Mahn- und Gedenkstätte Sachsenhausen, Schriftenreihe der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten Band 8, Oranienburg 1996, S. 285ff. 494 Vgl. Volkhard Knigge, Buchenwald-Denkmal, in: Monika Flacke (Hg.), Auftragskunst der DDR 1949- 1990, München 1995, S. 110.

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der Gedenkfeier durch die Kommunisten 1954 und die Ablehnung des DenkmalEntwurfs sind ein Indiz dafür. 1959 lehnten der Oberbürgermeister, der Oberstadtdirektor, der zuständige Dezernent und der Gartendirektor die Annahme eines Ehrendiploms mit Medaille ab, nachdem sie auf die kommunistische Ausrichtung des französischen Stifters hingewiesen wurden.495 Als im Juli 1959 ehemalige französische Zwangsarbeiter aus dem Département Pas-de-Calais nebst Gattinnen in Dortmund empfangen wurden, gesellte sich ungeladen auch Wilhelm Herzog von der VVN hinzu, was Ratsmitglied Höbener von der AvS dazu veranlasste, sich unter Berufung auf andere Termine der Ortsbesichtigung am Mahnmal zu entziehen.496 »In Stein gehauene Mittelmäßigkeit«: Die Debatte im Rat Am 28. Juli 1955 stimmte der Rat der Stadt Dortmund über das Mahnmal in der Bittermark ab. Obwohl Kulturausschuss und Bauausschuss eine einstimmige Empfehlung in den Rat gegeben hatten, stimmten Teile der CDU-Fraktion dagegen und auch einige Stimmenthaltungen vermerkt das Sitzungsprotokoll. Die Westdeutsche Allgemeine Zeitung ordnete die Enthaltungen, laut den Bekanntmachungen der Stadt Dortmund »etwa fünf«, der sieben Mann starken FDP-Fraktion zu, und die 8 bis 10 Gegenstimmen der 18-Personen starken CDU-Fraktion, die damit kein einheitliches Bild abgab.497 Die Ruhr Nachrichten hingegen berichteten, dass die CDUFraktion geschlossen gegen das Mahnmal gestimmte habe und sich bei der FDP drei von vier anwesenden Ratsvertretern enthalten hätten.498 CDU und FDP kritisierten in ihren Wortbeiträgen vor allem den Entwurf und die Form des Erinnerungszeichens. Ratsvertreter Unshelm von der FDP sprach sich gegen die Verewigung des Grauenhaften aus. Stattdessen solle der Sinn des »Opfers« herausgestellt werden.499 SPD und KPD warben hingegen trotz aller Gegensätze bei der künstlerischen Beurteilung um ein einstimmiges Votum für das Mahnmal, die in den 23 Sitzungen der entsprechenden Gremien erreicht worden war. Außerdem wurden in der anderthalbstündigen Debatte die Kosten kritisiert und dass nach dem ersten offenen Wettbewerb kein zweiter gefolgt war, sondern das Duo Niestrath/Schwarz direkt beauftragt worden war.500 Hintergrund dieser Diskussionspunkte waren von der CDU-Fraktion aufgenommene Vorwürfe der Ruhr Nachrich495 Vgl. StA Dortmund, 167-79, Aktenvermerke von Dezernent Exius vom 11. März 1959 und vom 14. März 1959. 496 Vgl. StA Dortmund, 167-79, Vermerk Stadtrat Exius vom 15. Juli 1959. 497 Vgl. CDU-Fraktionschef zum Ehrenmalentwurf: »Das ist kein Stein, der wirklich redet!«, in: Westdeutsche Allgemeine Zeitung (Dortmunder Tageszeitung) vom 29. Juli 1955. 498 Vgl. SPD und KP setzen Bittermark-Mahnmal gegen Bedenken von CDU und FDP durch, in: Ruhr Nachrichten (Dortmunder Stadtanzeiger) vom 29. Juli 1955. 499 Vgl. CDU-Fraktionschef zum Ehrenmalentwurf: »Das ist kein Stein, der wirklich redet!«, in: Westdeutsche Allgemeine Zeitung (Dortmunder Tageszeitung) vom 29. Juli 1955. 500 Vgl. Mahnmal in der Bittermark, in: Bekanntmachungen der Stadt Dortmund, vom 5. August 1955.

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ten, die dem SPD-Fraktionsvorsitzenden Görshop eigenmächtige Auftragsvergabe an Niestrath und Schwarz und eine Erhöhung der Mittel von 70.000 auf 375.000 DM vorwarfen. Die Ruhr Nachrichten griffen mit dem Artikel nicht nur den SPDFraktionsvorsitzenden an, sondern auch das Mahnmal. Sie empfahlen unter Bezug auf »viele Bürger unserer Stadt«, das bisherigen Ehrenmal bestehen zu lassen und mit den 375.000 DM etwas für die Lebenden zu tun, anstatt das Geld »für in Stein gehauene Mittelmäßigkeit, wenn nicht gar Scheußlichkeit« aufzuwenden. Nach eigener Aussage wandten sich die Ruhr Nachrichten nicht gegen die Idee eines Mahnmals an sich, sondern nur gegen den vorliegenden Entwurf und seinen Entstehungsprozess. Allerdings wecken die Vorschläge, lieber in 20 Wohnungen oder ein Jugendheim zu investieren, doch Zweifel, ob nicht auch das Andenken an die Verfolgten angegriffen werden sollte.501 31 Ratsmitglieder der SPD und vier der KPD stimmten dem Mahnmal schließlich zu. Der Rat forderte die Verwaltung auf, die Fertigstellung des »Ehrenmals« im Sommer 1956 sicherzustellen.502 Bürgermeister Görshop schrieb zwei Tage später an Will Schwarz und teilte ihm das Ergebnis der Abstimmung mit. Er bedauerte, dass keine Einstimmigkeit vorhanden gewesen war, aber immerhin hätten drei der vier Ratsfraktion für das Mahnmal gestimmt. Man wolle auch während des Bauens nichts unterlassen, um die sachliche Opposition eines Besseren zu überzeugen, gegen Böswilligkeit und Dummheit sei aber kein Kraut gewachsen. Er bat Schwarz nun ans Werk zu gehen und ein »rechtes Kunstwerk« zu schaffen, das gleichzeitig »Mahnmal in des Sinnes bester Bedeutung« werde. Schwarz erwiderte, dass die »bis zur Verleumdung gehende Hetze« der letzten Tage ihn in der Tat habe zweifeln lassen, das Projekt durchzuführen. Doch die Wichtigkeit der Sache und die nun erfolgte Unterstützung des Rates hätten ihn vom Gegenteil überzeugt. Er sei sich der Schwierigkeit der Aufgabe immer bewusst gewesen, fuhr er fort, ein »weites Gedankengebiet« auf eine sehr knappe Formel, ein Zeichen, zu bringen.503 Anschließend analysierte er die Probleme der 1950er Jahre, Erinnerungszeichen künstlerisch darzustellen: »Hier kommt noch hinzu, daß wir in einer Zeit leben, in der die ganze menschliche Formenwelt sich in einem Wandel befindet, der einer Umwälzung gleicht. Wer von diesem Geschehen nichts weiß, oder es nicht wahrhaben möchte, wird schwerlich davon zu überzeugen sein, daß die in unserem Entwurf entwickelte Form eine echte künstlerische ist. Die Einfachheit des Blocks ist ohne Effekt im Sinne von Schmücken. Es ist aber ein [sic!] weitverbreitete Meinung, daß Kunst eine Art Schmuck sein müßte. Pyramiden, Obelisken und Stelen waren aber immer schmucklos und ihre Schönheit geht nur denen auf, die die Vollendung auch 501 Vgl. Ratsversammlung mit gebundenen Händen vor Mahnmal für Bittermark, in: Ruhr Nachrichten vom 28. Juli 1955. 502 Vgl. StA Dortmund, Niederschrift der Ratsversammlung vom 28. Juli 1955. 503 Vgl. Wolfgang Asshoff, Die Dortmunder Bittermark und ihr Mahnmal, S. 16.

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in ihrer einfachsten Erscheinung finden und empfinden. Unsere Aufgabe verbietet, meiner Überzeugung nach, jeden Aufwand in Richtung auf das, was man als ›Triumpf‹ [sic!] bezeichnet. Je stiller das Mal wirkt, je mehr nähert es sich dem Sinne, den es verbildlichen soll. […] Würden die Menschen doch einsehen, daß anhaltende Mahnung mehr Aussicht auf Läuterung bietet, als die grobe Seelenregung[,] die mit Optimismus bezeichnet wird und die den Keim des Selbstbetruges immer in sich trägt. […] Wir haben heute so wenig wie zu irgend einer anderen Zeit eine einheitliche Vorstellungswelt. Soweit es sich um künstlerische Form handelt darf man sagen, daß die Meinungen selten so sehr gespalten waren, wie in der gegenwärtigen Zeit. Im politischen Denken ist das ja ähnlich so. […] Im Kunstwerk Gedanken zu verwirklichen, auch das war den Menschen des vorigen Jahrhunderts nicht selbstverständlich. Und wie in der Politik so leben auch sonst noch viele Menschen in der Vorstellungswelt vergangener Generationen und können sich von ihr nicht lösen. Daraus entsteht die tragische Lage unseres Bemühens um eine ehrliche Kunst, einschließlich der Baukunst.«504 Diese Einschätzung von Schwarz korrespondiert mit der schon in Düsseldorf und Paderborn erkannten »Zerrissenheit« der Gesellschaft in den 1950er Jahren. Er stellte diese hier für den künstlerischen Bereich fest, verwies aber auch auf den politischen Raum. Gleichzeitig bemängelte er, dass sich die Kunst als Ganzes schneller in Richtung Moderne entwickelte als die noch sich an der Vergangenheit orientierende Meinung der Bevölkerungsmehrheit. In seinem Brief zeichnet sich schon jener Wandel ab, der in den 1960er Jahren zur Krise der Erinnerungszeichen führen sollte (siehe Kapitel 3.2). Das Siegeszeichen wird zur terre française Der neu gebildete Sonderausschuss zur Überwachung der Arbeiten trat nach dem Ende der Sommerferien am 25. August 1955 zum ersten Mal zusammen. Offen war nach wie vor die Frage nach der Gestaltung der Hauptfigur. Niestraths Entwurf sah einen an die Wand gestellten Mann vor, dessen Hände hinter dem Rücken gefesselt waren. Sowohl Ratsmitglied Harnischmacher (FDP) als auch Bürgermeister Görshop (SPD) legten Niestrath nahe, eher eine gegenständliche als eine expressive Ausführung zu erwägen. Ratsmitglied Wechsung (KPD) bat darum, bei der Figur das Sieghafte und die Überwindung des Leidens zu betonen. Außerdem regte er an, die Inschrift »Gemordet Karfreitag 1945« nach unten zu setzen und die Figur stattdessen höher zu platzieren und auch größer zu gestalten. Nach intensiver Aussprache einigte sich der Sonderausschuss darauf, dass Niestrath die Figur so groß wie möglich gestalten und zur Beurteilung ein Modell schaffen solle. Anschließend

504 Ebd.

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warf Bürgermeister Görshop die Frage auf, was mit der Krypta im Mahnmal werden sollte. Er überlegte, einen besonderen Inhalt einzuplanen, um im Inneren die Besinnlichkeit zu steigern. Die daran anschließende Aussprache wurde ergebnislos abgebrochen und vertagt.505 Die Frage der Ausgestaltung des Innenraums der Krypta wurde ein Jahr später von ungeahnter Seite beantwortet. Gartendirektor Glocker begleitete am 29. September 1956 eine französische Delegation durch Dortmund. Neben einem Herrn Fuchs, der für die französische Mission Recherche in Bad Neuenahr arbeitete, waren vier ehemalige französische Zwangsarbeiter angereist, unter ihnen Claude Accart, Generalsekretär der Association Nationales des Déportés du Travail du Pas-de-Calais. Glocker führte sie in den Romberg-Park, den Tierpark und zur Bittermark. Er erläuterte die vorgenommenen Umbettungen und die ersten sichtbaren Bauarbeiten am Mahnmal. Per Aktenvermerk notierte Glocker: »Die Abordnung war sehr beeindruckt von dem ehrlichen Willen und der mahnenden Tat der Stadt Dortmund für die Opfer des Karfreitages 1945. Sie wird in Frankreich entsprechend berichten und wollte sich auch um einen finanziellen Beitrag von französischen Kreisen bemühen. Sie machte eine Reihe Fotoaufnahmen, die in französischen Zeitungen veröffentlicht werden.«506 Drei Wochen später, am 19. Oktober 1956, wandte sich Accart per Brief an Glocker. Er erklärte, wie bereits bei seinem Besuch in Dortmund, dass die 650.000 Mitglieder starke Fédération Nationale des Déportés du Travail (FNDT) plane, in einer deutschen Stadt ein Mahnmal zu errichten. Er sei bereits über die Verbandszeitung für Nordfrankreich über das »Blutbad im Romberg-Park« unterrichtet worden und hatte geplant, den Oberbürgermeister Dortmunds um Rat zu fragen, wie sie daran erinnern könne. Daher sei seine Überraschung groß gewesen, als er gesehen habe, dass die Stadt Dortmund schon zur Tat geschritten sei. »Tief beeindruckt« schlug er nun vor, die Bemühungen der Stadt Dortmund und der FNDT zu bündeln. Da der Nationalrat des Verbandes sich demnächst zusammensetzen werde, fragte er an, ob die Stadt Dortmund sich bereiterklären würde, eine Sammlung französischer und belgischer Arbeiter anzunehmen und dann deren Beteiligung durch eine Inschrift am Denkmal zu vermerken.507 Am 12. November 1956 schrieb Accart, dass der Nationalrat seinen Vorschlägen gefolgt sei und dass man den Kameraden mitteilen werde, »dass die Stadt DORTMUND diese prächtige Gedenkstätte baut. […] Auf diese Weise besiegeln wir die Freundschaft unserer beiden Länder, die nie mehr erlöschen darf zum grössten Wohle der Kinder Deutschlands so gut wie [sic!]

505 Vgl. StA Dortmund, 167-292, Niederschrift über die Sitzung des Sonderausschusses für das Mahnmal Bittermark, vom 25. August 1955. 506 Vgl. StA Dortmund, 167-292, Aktenvermerk Glocker vom 1. Oktober 1956. 507 Vgl. StA Dortmund, 167-292, Schreiben von Claude Accart an Gartendirektor Glocker vom 19. Oktober 1956.

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Frankreichs und auch ganz Europas vor einem Mahnmal, das den Krieg als grösste Ungeheuerlichkeit versinnbildlichen wird.«508 Am 19. November 1956 antwortete Oberbürgermeister Keuning, dass der Wunsch der FNDT »wärmsten Beifall« gefunden habe und die Stadt Dortmund sich freue, gemeinsam den Gemordeten eine würdige Ruhestätte zu schaffen. Er versicherte, »daß die Stadt Dortmund Ihre spontane Hilfsbereitschaft als ein Symbol der Verständigung zwischen dem französischen und dem deutschen Volk empfindet.« Eine Inschrift über die Mitwirkung der FNDT sagte Keuning zu.509 Im März 1958 war dann eine französische Abordnung unter Leitung von Louis Cloarec, Mitglied des Direktoriums der FNDT, beim Oberbürgermeister und erklärte die Absicht, das Mahnmal in der Bittermark als Denkmal für die in Deutschland umgekommenen französischen Zwangsarbeiter anzusehen.510 Man vereinbarte, dass der französische Beitrag zum Mahnmal in der Ausgestaltung der Krypta liegen solle, in der eine unbekannte Leiche »möglichst französischer Nation« bestattet werde.511 Vor dem unfertigen Mahnmal versammelten sich an Karfreitag, dem 4. April 1958, 30.000 Menschen, darunter 2.500 Franzosen, wie der Sonderberichterstatter der französischen Zeitung Courrier de l’Ouest, Raymond Siler, feststellte. In der Februar/März-Ausgabe von Le D.T, der Zeitung der FNDT, war in zahlreichen Artikeln für die anstehende Feier in der Bittermark geworben worden, inklusive eines beigelegten Sonderheftes zur Stadt Dortmund mit allerlei Tipps zur Reise und einer Einladung des Oberbürgermeisters »von ganzem Herzen« an die Mitglieder der FNDT.512 Der Eingang zur Krypta und die Gedenktafel waren mit der französischen Trikolore verhüllt. Vor dem Rednerpult stand der Sarg, der die sterblichen Überreste eines unbekannten französischen Zwangsarbeiters enthielt. Oberbürgermeister Keuning eröffnete mit seiner Rede die Gedenkveranstaltung. Er betonte, dass die FNDT durch ihre Beteiligung an der Errichtung dafür gesorgt habe, dass dieses Mahnmal die 600.000 Arbeitsdeportierten, die in Deutschland zu Tode gekommen seien, ehre. Deutsche und Franzosen hätten nun eine gemeinsame Gedenkstätte, um sich an die zu erinnern, die hier ihre letzte Ruhe gefunden hätten: »Dieser Ort möge eine Begegnungsstätte wahrer Menschlichkeit sein, wo nationale Grenzen keine Gültigkeit haben. Alle Teilnehmer mögen feierlich das Versprechen abgeben,

508 Vgl. StA Dortmund, 167-292, Schreiben von Claude Accart an Gartendirektor Glocker vom 12. November 1956. 509 Vgl. StA Dortmund, 167-292, Schreiben des Oberbürgermeisters Keuning an Claude Accart vom 19. November 1956. 510 Vgl. StA Dortmund, 167-292, Auszug aus der Niederschrift der Dezernenten-Konferenz vom 3. März 1958. 511 Vgl. Wolfgang Asshoff, Die Dortmunder Bittermark und ihr Mahnmal, S. 102. 512 Vgl. ebd., S. 29.

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alles in ihrer Kraft stehende zu tun, um solche Greueltaten, wie sie hier geschahen, in Zukunft zu verhindern.«513 Jean-Louis Forest, Präsident der FNDT, erklärte anschließend die hier Gestorbenen zu Helden. Dann dankte er der Stadt Dortmund: »Und deshalb stehen wir hier an ihrer [sic!] Seite, vor allem an der Seite von Oberbürgermeister Keuning. Und wir fühlen uns befugt, danke zu sagen, danke dafür, daß diese Menschen die Grenzen das Nationalismus gesprengt haben, um mit uns gemeinsam nur eines in der Welt zu hassen, den Krieg.«514 Nach Ms. Vranckx, der in Vertretung des belgischen Ministers für Gesundheit und Familie sprach, ging das Wort an Ms. Lepeltier, der in Vertretung des französischen Ministers für Kriegsopfer und Kriegsteilnehmer angereist war. Er beschrieb neben seiner Betroffenheit über das Verbrechen ebenso wie Forest auch seine Hoffnung für die Zukunft: »Chateaubriand, ein Zeitgefährte Goethes, sagte, daß der Fortschritt die Menschen dahin bringen müsse, über die Grenzen der Städte, ihrer Provinz, ja sogar ihrer Länder hinaus zu blicken… Vor diesem Mahnmal können wir uns einer Einsicht nicht entziehen: Es ist nicht mehr die Stunde der Auseinandersetzungen, sondern die der Erschaffung einer Gemeinschaft, derer wir uns hier erinnern.«515 Anschließend übergab Oberbürgermeister Keuning die Schlüssel zur Krypta an Forest und machte diese damit symbolisch zur terre française. Drei französische Zwangsarbeiter und drei deutsche Widerstandskämpfer trugen den Sarg in die Krypta, Ms. Lepeltier weihte anschließend die Gedenktafel ein. Die Vizepräsidentin des Internationalen Vereins für Brüderlichkeit entzündete das Licht der Brüderlichkeit und die französische Nationalhymne wurde gespielt. Anschließend sprach zum Abschluss der Feier der Landesminister für Arbeit und Soziales, Heinrich Hemsath (SPD). Auch er erinnerte an die Tat und lobte die Stadt Dortmund dafür, dass sie sich in Zeiten, in denen der Versuch die Vergangenheit zu vergessen selbstverständlich sei, zu anderen Maßstäben bekenne und die mahnende Erinnerung wachhalte und »in das Bewußtsein der Öffentlichkeit hämmern möchte.«516 Hemsath schloss seine Rede damit, dass er das Mahnmal in die Obhut des Landes nahm. Anschließend wurde die deutsche Nationalhymne gespielt.517 Bereits bei der Gedenkfeier des Jahres 1956 hatte NRW-Ministerpräsident Steinhoff mit ähnlichen Worten vor dem Vergessen gemahnt, so berichteten die Amtlichen Bekanntmachungen der Stadt Dortmund: »Es bestehe die große Gefahr, daß jetzt aus Feigheit, Bequemlichkeit, Scham oder einem Schuldbewußtsein vergessen werde, was geschehen sei.«518 An beiden Reden wird deutlich, dass das Mahnmal auch 513 514 515 516 517 518

Vgl. ebd., S. 33. Vgl. ebd. Vgl. ebd., S. 34. Vgl. ebd., S. 35. Vgl. ebd. Vgl. Nicht vergessen/aber wiedergutmachen, in: Bekanntmachungen der Stadt Dortmund vom 6. April 1956.

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ein Erinnerungszeichen gegen das Vergessen war, das mit seinem Ewigkeitsversprechen das Verbrechen in der Bittermark bezeugen und gegen gesellschaftliche Schlussstriche schützen sollte. Die Worte richteten sich an Elemente der Gesellschaft, die zwar nicht in Dortmund die Mehrheit stellten, aber in anderen Teilen der Bunderepublik. Raymond Siler, der bereits erwähnte Berichterstatter des Courrier de l’Ouest, urteilte nach der Gedenkfeier, dass Deutschland im Jahr 13 nach dem Kriegsende in Dortmund seine moralische Wiedergeburt bestätigt habe. Doch er blieb skeptisch. Am Abend des Karfreitags habe Oberbürgermeister Keuning bei einem Empfang der FNDT gesagt: »Ich hoffe, daß sie an unsere Aufrichtigkeit glauben.« »Der Ausspruch schien den Willen zur moralischen Wiedergeburt Deutschlands ausdrücken zu wollen, der weniger sichtbar ist als die materielle Wiedergeburt, die praktisch schon erreicht worden ist«, berichtete Siler, um dann am Ende des Artikels zu fragen: »Aber können wir dies glauben? Nur die Zeit wird das beweisen.«519 Am Ostersonntag schrieb Will Schwarz an Bürgermeister Görshop, dass an diesem Karfreitag alle Sorgen um die Berechtigung der Argumente der Gegner und Zweifel an der Formensprache des Mahnmals ausgeräumt worden seien. Anstatt zu den Honoratioren zu gehören, hatte sich Will Schwarz unter die Teilnehmer gemischt und kam zu dem Schluss: »Seit diesem Karfreitag[,] glaube ich[,] wissen wir, daß unsere Überlegungen richtig waren und sind.« Es sei auch gut, führte er fort, dass das Denkmal noch nicht fertig sei und auf diese Weise langsam in das Bewusstsein der Menschen hineinwachse. »Es schien mir, daß das was wir anstrebten und erhofften, eingetreten ist, nämlich daß die Ausstrahlung des Blocks so stark sein sollte, daß er Schweigen gebietet. Das einmal!«520 Görshop antworte einen Monat später: »Wie das bei Ihnen der Fall ist, so erfüllt auch mich die grosse Genugtuung, dass sich der Kampf um dieses Mahnmal gelohnt hat. Wie alles Grosse nur durch Kampf und Überwindung von Widerständen zuletzt zum Erfolg führt, hat sich in diesem Falle wieder bewahrheitet. Es war nur ein kleines »Häuflein der Aufrechten«, das von Anfang an nach der Idee, dass dieses fürchterliche Geschehen auch für kommende Generationen mahnend festgehalten würde, den Plan mit Zähigkeit und nach innerer Überzeugung immer wieder propagierte und schliesslich mit einem Ratsbeschluss erwirkte. Nun, da das Werk getan und sein Wirken erkennbar geworden ist, stimmen alle, auch die bisherigen Gegner und Zögerer stimmen in den Ruf ein: ›Dortmund hat sich durch dieses Mahnmal auch selbst ein Denkmal gesetzt!‹«521

519 Vgl. ebd., in deutschem Wortlaut, S. 36. 520 Vgl. ebd., S. 41. 521 Ebd.

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Die Vollendung des Erinnerungszeichens Nach der eindrucksvollen Gedenkfeier galt es, die Vollendung des Mahnmals voranzutreiben. Am 14. Juli 1958 traf sich der Oberbürgermeister mit Vertretern der FNDT und der Mission Recherche. In der Besprechung wurde endgültig festgelegt, dass die Ausgestaltung der Krypta durch einen Franzosen erfolgen sollte. Die Kosten sollten von der FNDT oder dem französischen Ministerium für schöne Künste übernommen werden. Eine Million Francs, bzw. 10.000 DM, waren bereits als Ergebnis der Sammlung der FNDT auf ein Dortmunder Konto eingezahlt worden. Am selben Tag wurde ein kupferner Sarkophag, der den bei der Gedenkfeier in die Krypta getragenen Sarg ersetzte, zum Mahnmal gebracht. Dabei stellten die Anwesenden mit Befremden fest, dass bei den Arbeiten an den Reliefs kein Fortschritt zu erkennen war. Dezernent Exius wurde beauftragt, alle geeigneten Schritte zu unternehmen, um sicherzustellen, dass die Arbeiten rechtzeitig fertig würden.522 Daraufhin wurden eine Baracke aufgestellt und für den Winter Infrarotheizungen installiert, um die Arbeit am Mahnmal auch in der Kälte des Winters zu ermöglichen.523 Am 16. September 1958 drohte Exius mit der Kündigung des Vertrages und Schadensersatzforderungen, wenn das Mahnmal nicht Karfreitag 1959 fertig sei.524 Niestrath erwiderte, wenn keine Krankheit dazwischen komme, werde das Mahnmal Karfreitag 1959 fertig sein. Er bat um mehr Vertrauen und weniger Voreingenommenheit.525 Doch auch die Franzosen kamen mit ihrem Projekt der Ausgestaltung der Krypta nicht voran. Die politischen Umstände, die zum Ende der vierten Französischen Republik führten, ließen andere Dinge in den Vordergrund treten. Erst nach dem Referendum zur Verfassung der fünften Republik konnte die FNDT am 28. November 1958 mitteilen, dass sie mit dem Secrétariat d’Etat aux Beaux-Arts in Kontakt sei und Mitte Dezember einen Künstler präsentieren werde.526 Im März 1959527 wurde Léon Zack528 beauftragt, die Krypta auszugeschalten. Da dieser das ganze Jahr 1959 auf seine Auftragsbestätigung warten musste, verzögerten sich die Arbeiten weiter. Am 18. November 1959 konnte Zack schließlich die Vollendung der Finanzierung durch das Ministère des anciens combattants et victimes de guerre vermelden.529 Im Dezember 1959 musste der Präsident der FNDT, Forest, aber zugeben, 522 523 524 525 526 527 528

Vgl. StA Dortmund, 167-79, Aktenvermerk von Dezernent Exius vom 18. Juli 1958. Vgl. StA Dortmund, 167-292, Schreiben von Will Schwarz an Bildhauer Kock, vom 28. Juli 1958. Vgl. ebd., Rückseite. Vgl. StA Dortmund, 167-79, Aktenvermerk von Dezernent Exius vom 2. Oktober 1958. Vgl. StA Dortmund, 167-79, Schreiben der FNDT vom 28. November 1958. Vgl. Wolfgang Asshoff, Die Dortmunder Bittermark und ihr Mahnmal, S. 105. Léon Zack war ein russisch-französischer Künstler jüdischer Herkunft. Er wurde 1892 in Nischni Nowgorod geboren, hatte 1920 das bolschewistische Russland verlassen, lebte nach einem Aufenthalt in Italien für ein Jahr in Berlin und zog dann nach Frankreich, wo er den Rest seines Lebens verbrachte und die deutsche Besetzung unter falschem Namen überlebte. 529 Vgl. StA Dortmund, 167-79, Brief von Léon Zack an Architekt Schwarz vom 18. November 1959.

2 Zwischen Aufbruch und Erinnerung

dass noch kein Geld von einem der Ministerien ausgezahlt worden sei. Da man aber ein Versprechen gemacht habe, werde die FNDT Léon Zack nun selbst den Auftrag geben, damit Karfreitag 1960 das Mahnmal endlich vollendet sei.530 Ein erster Entwurf Zacks wurde vom Sonderausschuss abgelehnt, ein zweiter akzeptiert. Am 21. März wurde damit begonnen, das im Atelier des Künstlers in Vanves bei Paris gefertigte Mosaik in der Krypta anzubringen. Am 15. April 1960, 15 Jahre nach dem Verbrechen und 13 Jahre nach dem ersten Erinnerungszeichen, konnte das Mahnmal schließlich vollständig eingeweiht werden. Von den bereitgestellten 360.000 DM wurden 330.170,76 DM verwendet,531 somit waren in Dortmund wie in Düsseldorf die Kosten unter den bereitgestellten Mitteln geblieben. Im Gegensatz zu Düsseldorf, Wuppertal und Paderborn gelang es in Dortmund aber nicht, eine Einstimmigkeit in den kommunalen Gremien über das Mahnmal herzustellen. Die CDU stimmte der Errichtung in dieser konkreten Form nicht zu. Das »Dennoch-Sieghafte«, der Wunsch durch den Widerstand Hitler und den Nationalsozialismus doch aus eigener Kraft besiegt zu haben und der Wunsch, nicht umsonst gekämpft zu haben, prägten die Gestaltung der zentralen Figur. Die drastische Darstellung des Erinnerungszeichens lässt keine Verklärung des nationalsozialistischen Verfolgungsapparates zu. Wichtig für die Hinterbliebenen und die entscheidenden Parteien war, dass das Mahnmal als Siegeszeichen über den Faschismus gesehen werden konnte. Die deutschen Opfer eines lokalen Verbrechens ermöglichten eine positive Identifizierung mit dem Erinnerungszeichen. Während des Errichtungsprozesses des Erinnerungszeichens in der Bittermark verschob sich aber die Bereitschaft, die kommunistischen Widerstandsgruppen als Teil der politischen Akteure und der westdeutschen Erinnerungsgemeinschaft zu akzeptieren bis hin zur Ablehnung jeglicher Beteiligung. Zu einer internationalen Erfolgsgeschichte der Versöhnung und damit auch Anerkennung des Dortmunder Widerstandes wurde das Erinnerungszeichen durch die Beteiligung ehemaliger französischer Zwangsarbeiter*innen an der Ausgestaltung der Krypta und ihrer regelmäßigen Teilnahme an den Gedenkfeiern in der Bittermark (siehe Kapitel 3.4).

2.8

Für das Staatsprotokoll: Das nationale Ehrenmal in Bonn (1964)

Das in diesem Kapitel vorgestellte nationale Ehrenmal in Bonn stellt eine Ausnahme zu den bisher untersuchten Erinnerungszeichen dar. Es war es kein städtisches

530 Vgl. StA Dortmund, 167-79, Schreiben von J. L. Forest an den Oberbürgermeister vom 22. Dezember 1959. 531 Vgl. StA Dortmund, 167-293, Schlussabrechnung vom 25. Oktober 1961.

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Denkmal, wenngleich die Stadt zunächst als Träger vorgesehen gewesen war. Errichter war die Universität, der Bundespräsident widmete es als öffentliche Sache im Namen der Bundesrepublik und nutzte es als offizielles nationales Ehrenmal, die federführende Zuständigkeit lag aber beim Bundesministerium des Inneren (BMI). Diese Konstellation macht es gleichzeitig so interessant. Während die bisher vorgestellten Erinnerungszeichen (außer dem Sühnekreuz in Meschede) durch Aushandlungsprozesse und Planungen in städtischen Gremien entstanden, zeigt das nationale Ehrenmal die Probleme, Sorgen und Motivationen eines Bundesehrenmals auf. Dabei wird auch deutlich, dass dieses späte Denkmal schon veränderten Formenideen folgte und zum Ende der ersten Konjunktur von Erinnerungszeichen entstand. Die Stadt Bonn selbst gehörte zu den Akteuren bei der Errichtung des Erinnerungszeichens. Die CDU verfügte hier nach allen Kommunalwahlen seit 1946 über eine komfortable Mehrheit, von 1961 bis 1979, also in Teilen des hier untersuchten Zeitraums, sogar über eine absolute. Von 1949 bis 1999 war Bonn Regierungssitz der Bundesrepublik, bis 1990 auch Bundeshauptstadt. Vor allem zu Beginn der deutschen Teilung wurde dieser Status der Stadt am Rhein als provisorisch angesehen. Die Mehrheit der Bundesbürger ebenso wie die Bonner Stadtbevölkerung und ihre Politiker gingen davon aus, dass die Funktion als Bundeshauptstadt ein kürzerer Abschnitt in der über 2000-jährigen Geschichte der Stadt bleiben würde, als die historisch gewordenen 50 Jahre. Bis heute ist die Stadt erster oder zweiter Dienstsitz einiger Ministerien des Bundes und Sitz von 19 Organisationen der Vereinten Nationen. 1969 erweiterte sich das Stadtgebiet um die Städte Beuel und Bad Godesberg. Wenn man heute über die Wiese des Bonner Hofgartens geht, zeigen sich an zwei Enden die historischen Bauten des kurfürstlichen Schlosses und des ehemaligen Instituts für Anatomie der Universität. Beide Gebäude gehören heute zur Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Das Schloss bildet das Hauptgebäude, die ehemalige Anatomie gegenüber wird als Akademisches Kunstmuseum genutzt. Der Bau wirkt gedrungen und schmal. Das Umfeld macht einen verlassenen und schmutzigen Eindruck. Der Zugang zum Gebäude erfolgt nicht über den Hofgarten. Zwischen den beiden Freitreppen des Museums, die vom Hofgarten vor die verschlossenen Türen des Gebäudes führen, gibt es eine Leerstelle. Hier stand von 1964 bis 1980 das nationale Ehrenmal. Heute klärt an diesem Ort eine unscheinbare flache Metalltafel über die Geschichte des Gebäudes auf. Mitten auf dem Bonner Nordfriedhof, etwa 20 Minuten Fahrtzeit vom Hofgarten entfernt, liegt ein großes, lichtes Areal mit eigenem Tor zur Straße. Von Bäumen umstanden finden sich hier die gleichförmigen Grabstellen von Gefallenen der beiden Weltkriege. Auf dem Nordfriedhof sind 920 Tote des Ersten Weltkrieges, inklusive ziviler Opfer des Luftangriffs auf Bonn im Oktober 1918, und 1.267 militärische und zivile Tote des Zweiten Weltkrieges, darunter auch ausländische

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Abb. 30: Das Ehrenmal am 14. November 1964

Quelle: BArch, B 145 Bild-F019313-0010, Foto: Egon Steiner.

Abb. 31: Das Akademische Kunstmuseum im Bonner Hofgarten

Foto: Jan Niko Kirschbaum

Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter*innen, bestattet.532 Gräber von Verfolgten des Nationalsozialismus, die nicht zu den beiden zuletzt genannten Gruppen gehörten, gibt es auf dem Bonner Nordfriedhof nicht. Gegenüber dem Tor, am Ende eines breiten Kieswegs, steht im Halbrund immergrüner Hecken auf einem Sockel ein 1933 errichtetes, schmales, hohes Hoch532 Vgl. Alexandra Kaiser, Von Helden und Opfern. Eine Geschichte des Volkstrauertages, Frankfurt a.M. 2010, S. 302.

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Abb. 32: Das Denkmal auf dem Bonner Nordfriedhof im November 2017

Foto: Jan Niko Kirschbaum

kreuz aus Holz, davor befindet sich eine Rasenfläche. Auf dieser stand auf einem eigenen Sockel von 1980 bis 2017 das Erinnerungszeichen aus dem Hofgarten. Es bestand aus einer eher unscheinbaren bronzenen Gedenktafel mit schlichten Haltern aus Aluminium. Die Gedenktafel hatte eine Breite von 2,20 Metern, war 1,20 Meter hoch und 8 Zentimeter tief. Die Inschrift verkündete in Großbuchstaben: Den Opfern der Kriege und der Gewaltherrschaft Nachdem das Original im April 2017 gestohlen wurde, steht hier seit November 2017 eine Kopie aus weniger wertvollem rotem Eifelsandstein.533 Die Tafel wirkt fremd an diesem Ort. Sie ist neu und trägt keine Spuren der Verwitterung. Die alten Aluminium-Halter erscheinen nicht ganz passend. Im Bundesarchiv sind die Akten zur Entstehung des Erinnerungszeichens aus den Beständen des Bundesinnenministeriums (Bestand 106) vollständig in vier Bänden überliefert. Korrespondierend sind die Akten des Bundespräsidialamtes (B122) vorhanden. Im Stadtarchiv Bonn gibt es neben der sehr guten 533

Auskunft der Bonner Friedhofsverwaltung im November 2017.

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Zeitungsausschnittsammlung eine Akte der Stadtverwaltung. Das Archiv der Universität bewahrt die knappen Senatsprotokolle, aber keine eigene Akte zum Erinnerungszeichen. In der Dokumentation der Bundeszentrale für politische Bildung zu Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus finden sich für Bonn 24 Erinnerungszeichen für die Verfolgten des Nationalsozialismus. Zehn davon entstanden zwischen 1980 bis 1990, fünf in den 1960er Jahren, zwei im Jahr 1950 und eines 1994.534 Bei den anderen sechs findet sich kein Datum. Aktuellere Zahlen, zum Beispiel auch zu Kriegerdenkmälern, sind nicht bekannt. Das Jahr 1960 und die Korrekturen in der westdeutschen Erinnerungspolitik Erste Überlegungen, ein Erinnerungszeichen in Bonn zu errichten, kamen in der Bundesregierung im Nachgang zum Volkstrauertag 1959 auf. In den Jahren vor 1959 hatte das Programm zum Volkstrauertag aus Musik und Reden bestanden. 1959 hatte der Veranstalter, der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge (VDK), neue Akzente gesetzt und unter anderem die Uraufführung des Theaterstücks »Der Andere« von Otto-Heinrich Kühner ins Programm genommen. Diese Ausgestaltung des Volkstrauertages stieß bei der Regierung, insbesondere bei Bundeskanzler Adenauer, auf Ablehnung. Adenauer war der Feier im Bonner Bundeshaus sogar ferngeblieben, da ihm das Schauspiel als nicht übereinstimmend mit christlichen Anschauungen vom Tod und ungeeignet zur Ehrung des Andenkens der Gefallenen erschien.535 Im April 1960 forderte Adenauer vom Bundesinnenministerium und dem Bundesministerium für Verteidigung Vorschläge für eine Neugestaltung der Volkstrauertagsfeier und regte an, dass die Bundesregierung die Hauptfeier des VDK durch einen Staatsakt ersetzen solle.536 Unabhängig davon kritisierten die Regierungsmitglieder, dass die Feier im Plenarsaal die Bevölkerung so wenig einband, sondern sich fast ausschließlich auf die geladene Prominenz konzentrierte. Innerhalb der Regierung herrschte Einigkeit darüber, dass eine Reform des Volkstrauertages nötig sei.537 Zusätzlich zu den Überlegungen rund um den Volkstrauertag gab es im Jahr 1960 zwei weitere Geschehnisse, die Fragen an die bundesdeutsche Erinnerungskultur stellten. Ein direkter Einfluss auf die Planungen des Erinnerungszeichens lässt sich anhand der Aktenlage zwar nicht feststellen, dennoch seien sie hier erwähnt, da ihre Diskussion in den Medien die handelnden Personen beeinflusst ha534 Vgl. Ulrike Puvogel, Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus, S. 500-508. 535 Vgl. Sondersitzung des Kabinetts am 4. November 1959, außerhalb der Tagesordnung, A. Volkstrauertag, Kabinettsprotokolle der Bundesregierung online. 536 Vgl. Sondersitzung des Kabinetts am 28. Juni 1960, TOP 4, Anmerkungen, Kabinettsprotokolle der Bundesregierung online. 537 Vgl. 122. Kabinettssitzung am 21. September 1960 TOP 2, Kabinettsprotokolle der Bundesregierung online.

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ben dürfte. Dazu gehörte eine Welle antisemitischer Schmierereien an Synagogen, jüdischen Friedhöfen und Denkmälern in Westdeutschland, die an Weihnachten 1959 in Köln begonnen hatte. Es waren nicht die ersten Taten dieser Art, die Forschung geht von ca. zwölf Friedhofsschändungen pro Jahr in den 1950er Jahren aus.538 Dass diesmal am Heiligen Abend die Synagoge in Köln beschmiert worden war, löste eine beträchtliche innerdeutsche und internationale Diskussion aus, die von weiteren Taten dieser Art, bis zum 28. Januar 1960 waren es 470 an der Zahl,539 befeuert wurde. Die beiden 25-jährigen Täter, Mitglieder der rechtsextremen Deutschen Reichspartei, wurde noch am Weihnachtstag in Köln verhaftet. Politik und Bevölkerung äußerten Empörung. Das Ausland wertete die Vorfälle als Beleg für einen nicht überwundenen Nazismus und vor allem jüdische Organisationen forderten Konsequenzen. Besonders der Verbleib von nationalsozialistisch belasteten Personen in Politik, Justiz, Pädagogik und Wirtschaft der BRD wurde kritisiert und eine zweite Entnazifizierung gefordert, die auch die Bundesregierung selbst betreffen müsse, zum Beispiel den Chef des Bundeskanzleramtes Globke und den Vertriebenenminister Oberländer.540 Die Bundesregierung drängte auf den raschen Beschluss des sich bereits im Gesetzgebungsprozess befindlichen Volksverhetzungsgesetzes und eine schnelle und harte Bestrafung der Täter. Eine Ablenkungsstrategie durch Schuldzuweisung an vermeintlich kommunistische Organisatoren der Vorfälle fruchtete nicht.541 Als deutlich wurde, dass ein Großteil der Taten von nationalsozialistisch weitgehend »unbelasteten« Kindern und Jugendlichen ausgeführt worden waren, gerieten zum Schluss das Erziehungswesen und die dortige Aufklärung über den Nationalsozialismus in die Kritik.542 Unter anderem demonstrative Symbolik, wie der erstmalige Besuch des Bundeskanzlers in einem Konzentrationslager am 2. Februar 1960 in Bergen-Belsen, sorgte für ein Ende der Debatte.543 Der Soziologe Werner Bergmann betrachtet die antisemitische Schmierwelle in seiner historischen Analyse als durchaus positive Krise und Katharsis: »Die ausbleibende Resonanz und die öffentliche und politische Gegenreaktion haben den Antisemitismus – zumindest in seiner manifesten Form – desavouiert und die Modifikation von Normen hin zu Toleranz und Verständigung be-

538 Vgl. Werner Bergmann, Antisemitismus als politisches Ereignis. Die antisemitische Schmierwelle im Winter 1959/1960, in: ders. und Rainer Erb (Hg.): Antisemitismus in der politischen Kultur nach 1945, Opladen 1990, S. 254. 539 Vgl. Ulrich Brochhagen, Nach Nürnberg. Vergangenheitsbewältigung und Westintegration in der Ära Adenauer, Hamburg 1994, S. 279. 540 Vgl. Werner Bergmann, Antisemitismus als politisches Ereignis, S. 263 u. 270. 541 Vgl. ebd., S. 271. 542 Vgl. ebd., S. 268. 543 Vgl. Ulrich Brochhagen, Nach Nürnberg, S. 285.

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günstigt«, auch wenn die öffentlich-politische Bearbeitung nicht in jeder Hinsicht überzeugend verlaufen sei.544 Das zweite Ereignis, das auf die Planungen des Bundesehrenmals Einfluss genommen haben dürfte, war die Umwandlung des deutschen Ehrenmals in der Neuen Wache (siehe Abb. 33) in Ost-Berlin in eine Gedenkstätte für die »Opfer des Faschismus und des Militarismus« durch die DDR. Hier wurden Soldaten und Verfolgte zusammen memoriert. Zwanzig Gefäße mit Erde von den Todes- und Vernichtungslagern und Schlachtfeldern des Zweiten Weltkrieges wurden aufgestellt. Die Soldaten wurden aber nicht als heldenhaft Gefallene geehrt, sondern als Opfer des Nationalsozialismus, ohne Ansehen der Nation, sodass neben Deutschen auch Amerikaner, Bürger der Sowjetunion und Engländer dazu gehörten, zusammen mit den Millionen Toten der Konzentrationslager und des Völkermords.545 Die Neujustierung der Erinnerungspolitik der Bundesregierung war also nicht intrinsisch motiviert, sondern wurde von externen Ereignissen, wie den antisemitischen Schmierereien, der Inbetriebnahme der Neuen Wache durch die DDR und der Umgestaltung des Volkstrauertags durch den VDK initiiert. Im Juli 1960 teilte der Bundesminister für Verteidigung, Strauß (CSU), dem Innenminister mit, dass der Volkstrauertag »die Verpflichtung der Lebenden, zur Verteidigung der Freiheit zu jedem Opfer bereit zu sein« stärker betonen solle. Daher müssten die Soldaten stärker in Erscheinung treten und die Feier brauche eine christliche Note. Der VDK sollte weiter beteiligt werden. Einen Hinweis des Bundesinnenministeriums über drohende Ähnlichkeit zum nationalsozialistischen Heldengedenktag wischte das Verteidigungsministerium mit dem Verweis, dass »Massnahmen unserer Demokratie mit typischen Formen des Dritten Reiches« nicht verglichen werden könnten, einfach beiseite. Außerdem schlug der Verteidigungsminister zum Schluss seines Schreibens vor, am Sitz der Bundesregierung ein Ehrenmal für die Toten des Krieges und der Gewaltherrschaft zu bestimmen und später gegebenenfalls neu zu schaffen, ohne dabei »die zeitlose Bedeutung des in Berlin stehenden Ehrenmals [gemeint war die Neue Wache, Anm. JNK] zu gefährden«.546 Pläne des Ringes Deutscher Soldaten, ein Grabmal des unbekannten Soldaten am Hermannsdenkmal zu schaffen, könnten eventuell auch in Bonn verwirklicht werden, schlug Strauß vor.547 Wenig später wandte sich der Ring Deutscher Soldaten selbst an das BMI, um von seinen angeblich vor der Vollendung stehenden Plänen zur Errichtung eines schlichten »Ehrenmals« im Teutoburger Wald für die gefallenen und vermissten 544 Vgl. Werner Bergmann, Antisemitismus als politisches Ereignis, S. 272. 545 Vgl. Maoz Azaryahu, Von Wilhelmplatz zu Thälmannplatz. Politische Symbole im öffentlichen Leben der DDR, S. 188ff. 546 Vgl. BArch B 106/77166, Bd. 1, Bl. 1, Schreiben des Bundesministers für Verteidigung an den Bundesminister des Inneren vom 5. Juli 1960. 547 Vgl. ebd.

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Soldaten beider Weltkriege zu berichten. Er regte eine Besprechung an, um zu eruieren, ob beide Projekte kombiniert werden könnten. Das Kriegerdenkmal solle aus »Achtung vor dem Opfer der toten und vermissten Soldaten, aus dem Bekenntnis zu ihrem Erbe und aus Dankbarkeit gegenüber ihren toten und vermissten Kameraden« errichtet werden. Es solle zudem Mahnung an den Gedanken des Friedens sein und symbolisch alle Toten aus fremder Erde heimholen. Auch der Ring Deutscher Soldaten betonte, dass das Denkmal kein Ersatz der Neuen Wache in Berlin sein solle.548 Die Motivation für das Ehrenmal entsprang also dem Wunsch, einen Ort für soldatisches Gedenken zu haben, und entsprach damit dem klassischen Gebrauch eines Kriegerdenkmals. Den Überlegungen, den Volkstrauertag stärker mit militärischen Elementen zu gestalten, erteilte Adenauer eine Absage. Er halte es für sehr gut, dass die Bundeswehr nur mit einer Abordnung bei der Kranzniederlegung auf dem Nordfriedhof vertreten sei, da auch der großen Anzahl von Zivilisten gedacht werden solle, die im Kriege umgekommen sei, erklärte er seinem Kabinett.549 Von den Verfolgten des Nationalsozialismus war an dieser Stelle nicht explizit die Rede. Die Errichtung eines »Ehrenmals für den unbekannten Soldaten«, so nannte es das Kabinettsprotokoll im September 1960, war Adenauer nicht wichtig und er verschob die Erörterung. Einen konkreten Standortvorschlag hatten Bundesinnenministerium und das Verteidigungsministerium indes schon vorgelegt: Vor der Bonner Universität sollte das Ehrenmal stehen.550 Widerstand von Universität und Stadt Am 3. Oktober 1960 stellte das Bundesinnenministerium in einem Vermerk fest, dass nach Auffassung des Verteidigungsministeriums das Ehrenmal keine »allzu große Sache« werden solle. Das BMI selbst befand sich von Anfang an in der Defensive. Es wollte vermeiden, dass das Ehrenmal zu viel Aufmerksamkeit bekam, hatte Sorge vor den am Ehrenmal interessierten Verbänden und den damit verbundenen Kosten.551 Daher strebte das BMI eine Trägerschaft durch die Stadt Bonn an, denn so könne das Vorhaben »entpolitisiert« werden und die Bemühungen der Soldatenverbände, eigene Denkmäler zu errichten, könnten »eingefangen« werden.552 Deswegen zog das BMI den VDK unter seinem neuen Präsidenten Trepte und dessen Chefarchitekten Professor Offenburg hinzu. Dieser sollte einen Entwurf aus548 Vgl. BArch B 106/77166, Bd. 1, Bl. 25ff., Schreiben des Rings deutscher Soldaten vom 19. September 1960 nebst Antrag vom 11. September 1957 als Abschrift. 549 Vgl. 122. Kabinettssitzung am 21. September 1960 TOP 2, Kabinettsprotokolle der Bundesregierung online. 550 Vgl. ebd. 551 Vgl. BArch B 106/77166, Bd. 1, Bl. 7f. Vermerk Betr. Volkstrauertag vom 3. Oktober 1960. 552 Vgl. BArch B 106/77166, Bd. 1, Bl. 31, Vermerk über die Sitzung bei Oberstadtdirektor Dr. Schmidt am 20. Dezember 1960 vom 21. Dezember 1960.

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arbeiten und der Stadt Bonn als Ehrenmal vorschlagen, die dieses errichten und betreiben sollte. Die Bundesregierung wäre zwar beteiligt, würde aber nicht als Akteur auftreten. Erst nach Fertigstellung des Erinnerungszeichens war eine aktive Rolle des Bundes als Träger des Gedenkens bei besonderen Anlässen wie dem Volkstrauertag oder durch die Kranzniederlegung ausländischer Staatsgäste vorgesehen. Drei grobe Pläne lägen schon vor und seien von der Universität und dem Stadtbaudirektor der Stadt Bonn positiv aufgenommen worden. Der eine Plan sah einen schlichten Sockel vor, der zweite eine Gruft und der dritte eine im Boden eingelassene Platte. Der Volkstrauertag könne dann am Ehrenmal und in der Aula der Universität mit der gewünschten Öffentlichkeitswirkung durchgeführt werden.553 Am 20. Dezember 1960 trafen sich im Bonner Rathaus Vertreter des BMI, der Stadt Bonn und des VDK, um die Entwürfe Offenburgs entgegenzunehmen. Offenburg betonte, dass der Hofgarten der beste Platz für das Ehrenmal in Bonn sei, insbesondere für die angedachte Funktion als Ort der Kranzniederlegung ausländischer Staatsgäste. Er sei nicht nur einer der schönsten Plätze Bonns, sondern auch weitestgehend lärmfrei, liege nahe der Koblenzer Straße (heute: Adenauerallee) und damit verkehrsgünstig für die Anfahrt vom Palais Schaumburg oder dem Auswärtigen Amt. Der Plattenhof vor dem Universitätsgebäude könne als Sammelplatz und Aufmarschfläche der Ehrenkompanie dienen. Das Ehrenmal solle in den Rasen des Hofgartens hineingeschoben sein. Offenburg wollte die Tieferlegung des Mahnmalraumes nutzen, um Intimität herzustellen und das Erinnerungszeichen vom Hofgarten abzuschirmen. Die Treppen, die vom Platz vor der Universität zum Denkmal hinabführten, sollten gleichzeitig würdevolles Herabschreiten ermöglichen. In der Mitte des »Ehrenraumes« waren vier bis zu fünf Meter hohe Bronzetafeln geplant, die »eindrucksvoll und jedem Beschauer unvergesslich de[n] Wahnsinn des Krieges und de[n] Willen und die Sehnsucht der Menschen zum Frieden« beschwören sollten. Als Beispiele für die Gestaltung nannte Offenburg die Domtüre Matarés des brennenden Kölns und das »Lufttotendenkmal« Wimmers in München. Eine Tafel, die er der Universität zuwenden wollte, war den Bonner Männern und Frauen gewidmet, die in den Weltkriegen gefallen waren, zwei andere sollten vom »Leben und Tod der Soldaten« erzählen und die vierte vom »Schrecken des Krieges in der Heimat«. Die Spitzen der Tafeln sollten »wie eine Schwurhand« über der Vertiefung aufragen und vom Hofgarten sichtbar sein. Schriftbänder nach mittelalterlichem Vorbild sollten zum Frieden aufrufen.554 Die Motivwahl offenbart, wie sehr sich durch die Übergabe der Initiative an den VDK die inhaltliche Ausrichtung des Mahnmals verschob. Waren die Verfolgten des Nationalsozialismus immerhin

553 Vgl. BArch B 106/77166, Bd. 1, Bl. 7f. Vermerk: Betr. Volkstrauertag vom 3. Oktober 1960. 554 Vgl. BArch B 106/77166, Bd. 1, Bl. 36, Abschrift der Beschreibung des Ehrenmal-Entwurfs von Prof. Offenburg vom 19. Dezember 1960.

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noch in Strauß’ Schreiben als »Opfer der Gewaltherrschaft« genannt worden, waren sie nun aus den Planungen gänzlich verschwunden. Die Bezugnahme zu mittelalterlicher Kunst und zu künstlerischen Wettbewerben der Renaissance zeigt, dass die Gestaltung traditionellen Ideen folgte, wenngleich Offenburg, ohne dies weiter zu präzisieren, erklärte, dass der »geistige Inhalt« der Tafeln über die üblichen Formen eines städtischen Ehrenmales hinausginge.555 Die Kosten wurden mit 360.000 DM beziffert und entsprachen damit in etwa den Ausgaben des Mahnmals in der Bittermark in Dortmund. Der Vertreter des BMI war über den Entwurf nicht allzu glücklich, er erschien ihm zu wuchtig und das Gesamtbild der Universität störend. Er schlug im Verlauf der Besprechung eine einfache, liegende Tafel mit der Aufschrift »Den Toten beider Weltkriege« vor. Auch der Kanzler der Universität Bonn äußerte sich zurückhaltend und verwies auf den Senat, der entscheiden müsse. Die Universität müsse auch ihre Rolle als Institution von Forschung und Lehre bedenken. Oberstadtdirektor Schmidt hielt den Standort für überzeugend, zumal über dem Südeingang der Universität seit 1744 die Madonnenstatue Regina Pacis angebracht war. Er gab aber ebenfalls zu bedenken, dass der Platz Lieblichkeit und Freude am Leben ausstrahle. Darauf müsse das Vorhaben Rücksicht nehmen. Die anschließende Diskussion brachte auch das Sommerfest der Studenten zur Sprache, das dann in Zukunft nicht mehr möglich sei. Daher erwog man das andere Ende des Hofgartens am Akademischen Kunstmuseum zu nutzen.556 Schon einen Monat später waren alle Pläne obsolet. Ende Januar 1961 teilte der Rektor der Universität Bonn bei einer Besprechung im Bonner Rathaus mit, dass es keine Möglichkeit gebe, für das Ehrenmal im Senat der Universität eine Mehrheit zu finden.557 Er verwies darauf, dass die Universität die Fläche selbst für Veranstaltungen in Anspruch nehme, besonders für das Sommerfest. Daraufhin erörterten die Akteure ohne Erfolg alternative Standorte: am Alten Zoll, in der Gronau, vor der Beethovenhalle und zwischen Reuterbrücke und Bundeskanzleramt. Der einzige Standort, der keinen Widerspruch hervorrief, war eine Fläche vor dem ebenfalls von der Universität genutzten Poppelsdorfer Schloss am Ende der Poppelsdorfer Allee.558 Im Februar 1961 äußerte die Bau- und Grundstückskommission der Universität keine grundsätzlichen Bedenken,559 sodass die Planungen in Angriff genommen wurden.

555 Vgl. ebd. 556 Vgl. BArch B 106/77166, Bd. 1, Bl. 31, Vermerk über die Sitzung bei Oberstadtdirektor Dr. Schmidt am 20. Dezember 1960 vom 21. Dezember 1960. 557 In den Senatsprotokollen der Universität finden sich in diesem Zeitraum allerdings keine Belege für eine offizielle Behandlung des Themas. 558 Vgl. BArch B 106/77166, Bd. 1, Bl. 44, Vermerk über eine Besprechung bei Herrn Oberstadtdirektor Dr. Schmidt vom 30. Januar 1961. 559 Vgl. BArch B 106/77166, Bd. 1, Bl. 45ff., Vermerk Betr. Ehrenmal in Bonn vom 17. Februar 1961.

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Ende März 1961 wandte sich das Bundespräsidialamt auf Wunsch des seit 1959 amtierenden Bundespräsidenten Lübke, der vom örtlichen Beauftragten des VDK über den Stand der Dinge informiert worden war, an die Stadt Bonn, um mit Nachdruck die Verfolgung der Pläne am Poppelsdorfer Schloss zu fördern. Der Bundespräsident zeigte Verständnis für die Haltung der Universität und begrüßte den Ortswechsel. Er forderte in höflichem Ton die Fertigstellung des Ehrenmales bis zum Volkstrauertag 1962 und zeigte sich überzeugt, dass der Bund die Stadt unterstützen werde.560 Die Stadt Bonn war der Meinung, dass wiederum Professor Offenburg eine Skizze liefern werde. Nachdem sie feststellen musste, dass dieser für längere Zeit verreist war, beauftragte die Stadt Bonn im Mai 1961 das eigene Personal mit der Erstellung von Entwürfen.561 Das zuständige Amt war aber von den Plänen am Poppelsdorfer Schloss selbst nicht überzeugt. Es störte sich an den fehlenden axialen Beziehungen am Denkmalstandort und war bestrebt, die alten barocken Bezugspunkte im Umfeld des Schlosses bestehen zu lassen. Außerdem wurde die flankierende Bebauung als dürftig und nicht würdig bezeichnet. »Unter diesen Umständen können die skizzenmäßigen Vorüberlegungen für ein Ehrenmal an dieser Stelle nicht befriedigen«, stellte das Amt fest.562 Dennoch trug der städtische Beigeordnete Marx am 3. Juli 1961 bei einer weiteren Besprechung mit dem BMI, der Universität und nun auch dem Bundespräsidialamt zwei Pläne für ein Ehrenmal am Poppelsdorfer Schloss vor. Der erste sah einen freien, rechteckigen Platz vor, an dessen Nordwestecke ein Pylon aufgestellt werden sollte, der außerhalb der Sichtachse von der Allee zum Schloss platziert war. Der andere Vorschlag sah einen Platz mit tiefergelegtem Ehrenmal in der Mitte vor, sodass auch dieses die Ansicht des Schlosses nicht stören würde. Anschließend wurde die Frage der Inschrift besprochen. Die Vertreter des BMI und des VDK schlugen »Den Toten beider Weltkriege« vor, die Vertreter der Stadt Bonn und des Bundespräsidialamtes »Den Opfern des Krieges und der Verfolgung«. Ein Kompromissvorschlag lautete »Den Opfern der beiden Weltkriege und den Opfern der Unmenschlichkeit«. Rektor Troll sprach sich für eine möglichst weite Fassung aus.563 Der Beigeordnete Marx verwies darauf, dass der Hauptausschuss der Stadt Bonn bereits am 23. Juni 1955 in nicht-öffentlicher Sitzung über ein eigenes Erinnerungszeichen beraten habe. Bei dieser Sitzung sei eine generel-

560 Vgl. BArch B 106/77166, Bd. 1, Bl. 50, Schreiben des Bundespräsidialamtes an Oberstadtdirektor Schmidt vom 29. März 1961. 561 Vgl. StA Bonn, N61/120, Aktennotiz vom 9. Mai 1961. 562 Vgl. StA Bonn, N61/120, Schreiben von Amt 65 an Beigeordneten Marx vom 27. Juni 1961. 563 Vgl. BArch B106/77166, Bd. 1, Bl. 55ff. Vermerk über eine Besprechung am 3. Juli 1961 vom selbigen Tag.

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le Skepsis des Gremiums gegenüber Denkmälern dieser Art deutlich geworden.564 Damit scheint der Hauptausschuss zu einer ähnlichen Erkenntnis gekommen zu sein, wie eine Kommission der Stadt Wuppertal im Jahr 1958. Die Kommunalpolitiker misstrauten den Erinnerungszeichen, ohne dass Gründe anhand der knappen protokollierten Äußerungen deutlich werden. Konsequenterweise musste der Bonner Beigeordnete Marx am 21. August 1961 dem BMI mitteilen, dass der Ältestenrat der Stadt Bonn sich nicht mit dem Standort vor dem Poppelsdorfer Schloss habe anfreunden können. Der Inschrift »Den Toten der beiden Weltkriege und den Opfern der Gewaltherrschaft« für das nun standortlose Erinnerungszeichen wurde hingegen zugestimmt.565 Nach den Bundestagswahlen im November 1961 wurde auf Drängen von Bundespräsident Lübke die Angelegenheit weiterverfolgt. Der Bundespräsident war der Meinung, dass der Bund notfalls selbst aktiv werden müsse, wenn man mit der Stadt Bonn nicht zu einem Ergebnis komme.566 Zuvor hatte der Präsident des Rings Deutscher Soldaten an den Bundespräsidenten geschrieben und aus Anlass des Volkstrauertages 1961 die Errichtung einer zentralen Gedenkstätte für die Gefallenen und Vermissten angemahnt.567 In einem Vermerk stellte das BMI hilflos fest, dass es nicht nachhaltig auf die Stadt Bonn einwirken könne. Drohungen, in die damals noch selbstständige Stadt Bad Godesberg auszuweichen, würden vermutlich von der Stadt Bonn sogar begrüßt werden. Das Bundesministerium für Verteidigung ließ ausrichten, Minister Strauß befürworte das Ehrenmal, halte sich aber nicht für zuständig und wolle sich auch nicht als Vorspann für den Ring Deutscher Soldatenverbände hergeben.568 Fasst man die Situation zusammen, ergab sich Ende 1961 folgendes Bild: Das BMI bestand darauf, dass die Stadt Bonn Stifterin des Ehrenmales wurde. Diese wiederum hatte kein gesteigertes Interesse am Ehrenmal und konnte gut darauf verzichten. Die Universität verfügte über geeignete Grundstücke, war aber nicht bereit, für ein Ehrenmal das Sommerfest aufzugeben. Der Bundespräsident setzte das federführende BMI unter Druck und unterstützte den Ring Deutscher Soldatenverbände, dem das Bundesverteidigungsministerium sehr skeptisch gegen564 Vgl. StA Bonn, N61/120, Eigenvermerk über die Besprechung beim Oberstadtdirektor am 3. Juli 1961 sowie ebenda, Auszug aus der Niederschrift über die 30. nichtöffentliche Sitzung des Hauptausschusses vom 23. Juni 1955. 565 Vgl. BArch B 106/77166, Bd. 1, Bl. 65, Vermerk vom 21. August 1961. Im Protokoll der Sitzung des Ältestenrates vom 31. Juli 1961 findet sich kein Hinweis auf die Beweggründe der Stadtverordneten, die Entscheidung fällt aber einvernehmlich. Weitere Vorschläge werden vom Ältestenrat gemacht u.a. die Gronau und der Alte Friedhof. Vgl. StA Bonn, Pr 9/1703, Niederschrift über die Sitzung des Ältestenrates am 31. Juli 1961. 566 Vgl. BArch B 106/77166, Bd. 1, Bl. 77, Vermerk Betr. Ehrenmal in Bonn vom 17. November 1961. 567 Vgl. BArch B 122/58755, Schreiben des Präsidenten des Rings deutscher Soldatenverbände an Bundespräsident Lübke vom 10. November 1961. (Archivalie ohne Paginierung.) 568 Vgl. BArch B 106/77166, Bd. 1, Bl. 79, Vermerk Betr. Ehrenmal in Bonn vom 11. Dezember 1961.

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überstand. Das einzige, das bislang geklärt war, war die Inschrift und auch hier hatte es lange Diskussionen gegeben. Das Bundeskanzleramt war nicht involviert. Die vergebliche Suche nach einem Standort für das Erinnerungszeichen Dann trat ein neuer Akteur auf den Plan. Willy Brandt (SPD), Regierender Bürgermeister von Berlin, regte 1962 im Gespräch mit dem Bundespräsidenten und Außenminister Schröder (CDU) an, eine zentrale Gedenkstätte in Berlin zu errichten, gewissermaßen als Konkurrenz zur nunmehr ostdeutschen Neuen Wache. Das Bundesinnenministerium sah den Vorschlag nicht als brauchbar an, denn das Ziel der Wiedervereinigung sei gleichbedeutend mit der Wiederaufnahme der Neuen Wache als zentralem Gedenkort. Eine neue Westberliner Gedenkstätte stünde diesem Ziel entgegen. Außerdem warnte das BMI davor, dass die geplante Gedenkstätte funktionslos werden könnte, wenn den Regierungsmitgliedern, Verbänden und der Bevölkerung der Zutritt nach Berlin verwehrt werden würde. Außerdem müsste dann die zentrale Feier des Volkstrauertages in Berlin stattfinden. Zudem kritisierte es den Personenkreis, dem gedacht werden sollte. Während man in Bonn schon Mühe hatte, die Gefallenen und die Verfolgten des Nationalsozialismus zu vereinen, wollte Brandt auch die »Opfer der beiden Gewaltsysteme in beiden Teilen Deutschlands«, »Tote aus den Gebieten jenseits der Oder und der Neiße« und »Tote der sowjetisch besetzten Zone und des Berliner Ostsektors, deren Gräber nicht mehr aufgesucht werden können« einbeziehen. Das BMI warnte davor, dass man die allgemeine Anerkennung verlieren könnte, wenn viele einzelne Gruppen in dem Denkmal zusammengefasst würden. Und zu guter Letzt prognostizierte das BMI, dass die Stadt Bonn kein Denkmal errichten würde, wenn sich der Bund aus dem Projekt zurückziehe, was bedeute, dass sich bei hohen ausländischen Besuchen peinliche Situationen ergeben könnten.569 Am 28. Februar 1962 beschloss das Kabinett gegenüber dem Berliner Vorschlag Zurückhaltung.570 Währenddessen machte die Stadt Bonn zwei neue Standortvorschläge: den Ausbau eines Wellenbrechers am Rheinufer in Höhe der Schaumburg-Lippe-Straße oder die Verwendung des Akademischen Kunstmuseums am Südrand des Hofgartens. Der erste Vorschlag erfuhr sehr schnell Ablehnung, da die Fläche nicht für die Aufstellung einer Ehrenkompanie geeignet war, Hochwassergefahr bestand und zusätzlich zu den Kosten für das Ehrenmal Ausgaben in Höhe von 130.000 DM für die Erweiterung der Uferanlage veranschlagt werden müssten.571 In einem ersten Entwurf hatte die Stadt Bonn sogar 350.000 DM für eine Erweiterung des Eis-

569 Vgl. BArch B 106/77166, Bd. 1, Bl. 89, Vorlage für den Minister vom 17. Februar 1962. 570 Vgl. BArch B 106/77166, Bd. 1, Bl. 101, Mitteilungen aus dem Kabinettsprotokoll über die 17. Sitzung vom 28. Februar 1962. 571 Vgl. BArch B 106/77166, Bd. 1, Bl. 96, Vermerk über die Besprechung am 22. Februar 1962 vom 26. Februar 1962.

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und Wellenbrechers vorgesehen. Das Wasser- und Schifffahrtsamt Köln hatte sich aber gegen eine Erweiterung zu Lasten des Rheins ausgesprochen.572 Der zweite Vorschlag sah vor, die Rotunde des Akademischen Kunstmuseums zu nutzen, in dem das Archäologische Institut Skulpturen ausstellte. Hierfür müssten die Aufgangstreppen zu einer großen Freitreppe ausgebaut, der Fußboden saniert und gegebenenfalls im Kuppelbau ein Mahnmal oder eine Gedenktafel eingebaut werden. Der rückwärtige Gebäudeteil war von den Plänen nicht betroffen. Dieser Vorschlag wurde vom BMI und dem Bundespräsidialamt sehr begrüßt, auch, weil Karl Friedrich Schinkel, der Architekt der Neuen Wache in Berlin, am Bau des Gebäudes, das ursprünglich das Institut für Anatomie beherbergt hatte, beteiligt gewesen war. Der Vorschlag brachte die Universität als beteiligte Institution wieder ins Spiel.573 Der Bonner Oberstadtdirektor Dr. Schmidt hielt dies aber für nicht problematisch, da die Universität diesen Teil des Gebäudes lediglich »als Abstellraum für Skulpturen« nutze.574 Beide Vorschläge stammten allerdings ursprünglich gar nicht aus der Stadtverwaltung, sondern waren von Soldatenvertretern angeregt worden. Den Standort am Wellenbrecher prüfte die Stadt Bonn nach einem Hinweis des lokalen Beauftragten des VDK.575 Der Vorschlag, das Akademische Kunstmuseum zu nutzen, ging vermutlich auf den Juristen Erich Röhlke zurück, der in den Januar-Ausgaben der Zeitschriften Soldat im Volk und Internationale Luftwaffenrevue einen Artikel bzw. Leserbrief veröffentlicht hatte. Unter dem Titel »Ein Schinkel-Bau als GefallenenEhrenmal des deutschen Volkes« beschrieb er das aktuelle Gedenken am Volkstrauertag in Bonn, berichtete von der »Alten Wache« [sic!] in Berlin und beklagte, dass die Bundesrepublik als einziges Kulturland der Erde nicht über ein Ehrenmal verfüge. Ausgehend davon, dass die Neue Wache in Berlin von Schinkel erbaut und das Gebäude des Akademischen Kunstmuseums ebenfalls von ihm errichtet worden war, schlug er vor, dort das Gefallenen-Ehrenmal zu errichten, an dem es dem deutschen Volk seiner Meinung nach mangelte. Schinkel war für ihn ein Rückgriff auf eine Zeit, »die unsere besten geistig-kulturellen Kräfte wirksam sah.« Außerdem diente der Name Schinkel als Bindeglied »zu Berlin und zu den deutschen Landen, die jetzt unter fremder Verwaltung stehen«. Unklar bleibt bei dieser For-

572 Vgl. StA Bonn, N61/120, Schreiben von Amt 65 und dem Tiefbauamt vom 12. bzw. 16. Februar 1962. 573 Vgl. BArch B 106/77166, Bd. 1, Bl. 96, Vermerk über die Besprechung am 22. Februar 1962 vom 26. Februar 1962. 574 Vgl. BArch B 122/58755, Aufzeichnung Errichtung städtisches Ehrenmal vom 23. Februar 1963. 575 Vgl. BArch B 122/58755, Aufzeichnung Errichtung städtisches Ehrenmal vom 23. Februar 1963.

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mulierung, ob damit nur die DDR gemeint war oder die nach 1945 verlorenen Gebiete des Deutschen Reiches. Die Offenheit war vermutlich beabsichtigt.576

Abb. 33: Die Neue Wache in Berlin

Foto: Jan Niko Kirschbaum

Bei der nächsten Besprechung im März 1962 waren auch die Universität, vertreten durch Rektor Niehaus, und der Landeskonservator, Professor Wesenberg, zugegen. Wesenberg stellte gleich klar, dass das Akademische Kunstmuseum kein »überflüssiges Werkzeug der Archäologie« sei, sondern eine wertvolle Skulpturensammlung beherberge, für die Studenten aus München oder Marburg anreisten. Oberstadtdirektor Schmidt berichtete über die Bedenken, die Professor Heinrich Lützeler, Vorsitzender der Kunstkommission der Universität, ihm gegenüber geäußert habe. Dieser habe kritisiert, dass die Bundesregierung kein eigenes Denkmal errichten wolle, habe bemängelt, dass von den wenigen klassischen Bauten »nicht auch noch« das Kunstmuseum einem anderen Zweck dienen solle und darauf verwiesen, dass eine Tiefgarage unter dem Hofgarten geplant werde, die den Verkehr in diesem Abschnitt des Hofgartens steigern werde. Außerdem habe Lützeler den nahen, bereits 1950 errichteten Gedenkstein für die Opfer der Gewaltherrschaft der Stadt Bonn und zwei von der Universität geplante Brunnen, die als Ehrenmal für gefallene Studenten vor dem Hauptgebäude der Universität errichtet werden sollten, angeführt. Eine Anhäufung von so vielen Gedenkstätten in den Grünanlagen der

576 Vgl. BArch B 122/58755, Schreiben des Luftwaffenrings an den Bundespräsidenten vom 24. Februar 1962 sowie ebd. die übersandten Ausschnitte aus der Internationalen Luftwaffenrevue 1/1962 und Soldat im Volk 1/1962.

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Universität lehnte Lützeler ab.577 Pikanterweise sollten die Brunnen jenen Standort vor dem Hauptgebäude erhalten, den die Universität der Bundesregierung und der Stadt Bonn als Ort des Ehrenmals verweigert hatte. Die Brunnen waren als Alternative zu Namenstafeln der Gefallenen 1953 von einem Mitglied der Universitätsverwaltung vorgeschlagen worden. Diese Lösung hatte Lützeler unterstützt, sie konnte von der Universität während des Wiederaufbaus aber nicht finanziert werden. Die Brunnen wurden auch später nicht realisiert.578 Im Mai 1962 konnte Lützeler seine Bedenken persönlich vortragen. Er störte sich an der Ähnlichkeit zwischen der Neuen Wache und dem Akademischen Kunstmuseum durch dessen Rotunde. Als Alternative zum Hofgarten schlug er den Münsterplatz und den Alten Zoll vor. Bei letzterem böten sich die Rasenfläche und das Gewölbe unterhalb der Bastion, einem Überrest der Bonner Stadtbefestigung, an.579 Er argumentierte, dass er den Akt der Erinnerung als einen Akt des Innewerdens und der Innerlichkeit betrachte und dass das Innerliche nicht von den Augen Neugieriger beobachtet oder gar begafft werden wolle. Ein solches Ehrenmal im Gewölbe stünde in der Tradition der Höhlen als älteste Heiligtümer der Menschheit.580 Unterstützt wurde Heinrich Lützeler durch Professor Langlotz, einem weiteren Vertreter der Kunstkommission, der sich um die Nutzung des Erinnerungszeichens außerhalb von Staatsakten durch militärische Verbände sorgte.581 Landeskonservator Wesenberg sprach sich aus denkmalpflegerischen Gründen gegen das Akademische Kunstmuseum aus und präferierte den Münsterplatz. Dagegen legte Oberstadtdirektor Dr. Schmidt Widerspruch ein. Er empfand den Münsterplatz als zu belebt und verwies auf eine auch hier geplante Tiefgarage. Die Stadt Bonn stellte zudem fest, dass es bereits ein Erinnerungszeichen auf dem Nordfriedhof gebe und bisher nicht an ein weiteres im Stadtzentrum gedacht worden sei. Schließlich nahmen die Teilnehmer der Besprechung persönlich eine Besichtigung des Museums und des Alten Zolls vor. Die Rotunde des Akademischen Kunstmuseums wurde als zu klein und schlecht gebaut bezeichnet. Die sehr helle Lichtstimmung durch die Oberlichter wurde kritisiert, ebenso die Tatsache, dass im 19. Jahrhundert in dem Saal anatomische Sektionen stattgefunden hatten. Der Platz am Alten Zoll wurde

577

Vgl. BArch B 106/77166, Bd. 1, Bl. 99, Vermerk über die Besprechung am 2. März 1962 vom 3. März 1962. 578 Vgl. Ebenda, S. 286f. 579 Vgl. BArch B 106/77166, Bd. 1, Bl. 108, Vermerk über eine Besprechung am 15. Mai 1962 in der Universität vom 16. Mai 1962, sowie ebenda, Bl. 115, Protokoll der Besprechung über die Errichtung eines Ehrenmals durch die Universität. 580 Vgl. Heinrich Lützeler, Das Bonner Ehrenmal, in: Ders. Die Bonner Universität. Bauten und Bildwerke, Bonn 1968, S. 270. 581 Vgl. BArch B 106/77166, Bd. 1, Bl. 108, Vermerk über eine Besprechung am 15. Mai 1962 in der Universität vom 16. Mai 1962, sowie ebenda, Bl. 115, Protokoll der Besprechung über die Errichtung eines Ehrenmals durch die Universität.

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wegen des regen Besucherverkehrs missbilligt, lediglich mit der Rasenfläche zwischen dem Alten Zoll und der Koblenzer Straße (heute: Adenauerallee) konnten sich die Teilnehmer der Besprechung anfreunden und veranlassten eine weitere Prüfung. Die Vertreter des Bundes lehnten den von den Vertretern der Kunstkommission als originell bevorzugten Standort im Gewölbe unter dem Alten Zoll ab, denn die Bevölkerung könne nur in sehr geringer Zahl teilnehmen. Die Besprechung endete ohne Einigung auf einen Standort.582 Die Bedeutung der Inschrift Allerdings verständigten sich an diesem Tag die Vertreter von Bundesregierung, Universität und Stadt Bonn, so beschrieb es Lützeler in seinem 1968 veröffentlichten Aufsatz über das Bonner Ehrenmal, auf die Inschrift »Den Opfern der Kriege und der Gewaltherrschaft«. Lützeler erklärte dazu rückblickend: »Alle Kriege sind damit gemeint, auch die in Indonesien, Korea, Vietnam. Alle Gewaltherrschaften sind ins Gedächtnis gerufen – solche, die die Deutschen ausgeübt, und solche, die sie erlitten haben, Gewaltherrschaften durch europäische, asiatische, afrikanische, amerikanische Staaten. Ein Mal unendlicher Not, nicht eigenvölkischer Rühmung war beabsichtigt; es sollte die in unserer Welt seit fünfzig Jahren ununterbrochen wirksame Brutalität ins Gedächtnis rufen.«583 In seiner Abhandlung ging Lützeler zunächst auf die allgemeine Geschichte der Ehrenmäler ein, um anschließend die Frage nach der Deutung der Zeit von 19391945 [sic!] zu stellen. Er ordnete die bisherigen Denkmäler von 1870 bis 1939 in zwei Kategorien ein, die parallel bestanden hätten: die Denkmäler des pathetischen Heroismus, die eine Lüge seien, und die Denkmäler des bürgerlichen Humanismus, die ein Ausweichen bedeuteten. Beide Formen seien von der »Einzelgestalt« aus gedacht und würden dem »Massengeschehen des modernen Kampfes« nicht gerecht. Der heutige Krieg fege gestaltlos über das Individuum hinweg. Als Vorbild nannte er Denkmäler »echter Gegenwärtigkeit«, die aber eine Ausnahme seien. Nur Picassos Gemälde Guernica und Zadkines Denkmal für das zerstörte Rotterdam konnten ihn überzeugen, dazu noch der Entwurf des nicht ausgeführten Gedächtnismals für die sechs Millionen ermordeten Juden im Riverside Park in New York von Erich Mendelsohn. Man konnte nicht davon ausgehen, stellte er 1968 fest, dass in Bonn eine Lösung gleichen Ranges gefunden werde.584

582 Vgl. BArch B 106/77166, Bd. 1, Bl. 108, Vermerk über eine Besprechung am 15. Mai 1962 in der Universität vom 16. Mai 1962, sowie ebd., Bl. 115, Protokoll der Besprechung über die Errichtung eines Ehrenmals durch die Universität. 583 Heinrich Lützeler, Das Bonner Ehrenmal, S. 269. 584 Vgl. ebd., S. 281-183.

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Lübke greift ein Während Bundeskanzler Konrad Adenauer vom 2. bis 8. Juli 1962 zum Staatsbesuch in Frankreich weilte und dabei am Grab des unbekannten Soldaten am Arc de Triomphe einen Kranz niederlegte, machte man sich in Bonn Gedanken um den geplanten Gegenbesuch des französischen Präsidenten. Eine Erwiderung der Kranzniederlegung in Bonn musste unterbleiben, da es keinen akzeptablen Ort dafür gab. Der Gedenkstein für die Verfolgten des Nationalsozialismus am Alten Zoll wurde als nicht geeignet angesehen, da »dadurch die Akzente verschoben würden.«585 Zwar holte De Gaulle diesen Teil des Staatsbesuchs in München am Ehrenmal vor der Ruine des Armeemuseums nach, dennoch blieb das protokollarische Problem in Bonn bestehen. Inzwischen hatte sich der Bundespräsident höchstselbst der Sache angenommen. Am 22. August 1962 traf sich Lübke mit Vertretern der Universität und der Stadt Bonn.586 Bei diesem Termin wurden die letzten Standortvorschläge noch einmal diskutiert. Gegen ein Ehrenmal im Stadtgarten, zwischen dem Alten Zoll und Hofgarten, sprachen der nahe gelegene Musikpavillon mit Zuhörerplatz und das als »wenig anziehend« bezeichnete gegenüberliegende Rheinufer der Stadt Beuel. Einer Verlegung in Richtung Hofgarten standen die städtische Bedürfnisanstalt und die eingeschränkte Sicht durch die Bäume des Stadtgartens entgegen. Die Vertreter der Stadt Bonn sprachen sich gegen eine Anlage im Stadtgarten aus. Die Universität trug dann die bereits benannten Gründe gegen das Akademische Kunstmuseum vor, die der Bundespräsident noch dadurch ergänzte, dass das Ehrenmal in dem Gebäude »den Blicken der Öffentlichkeit« entzogen wäre. Außerdem erörterte man noch die Anlage des Ehrenmals am Platz eines Kinderspielplatzes im Hofgarten oder auf dessen gegenüberliegender Seite, wogegen die Universität Einspruch erhob. Schließlich blieb nur noch der Platz vor dem Akademischen Kunstmuseum übrig, den Heinrich Lützeler als zu klein befand.587 Einen Tag später, am 23. August 1962, nahm der Bundespräsident persönlich eine Ortsbesichtigung vor und wählte insgesamt fünf Standorte im Umfeld des Hofgartens aus. Der von ihm bevorzugte Vorschlag war eine Rasenfläche im Hofgarten von etwa 12 mal 15 Metern gegenüber dem Akademischen Kunstmuseum, da die Südfassade der Universität als Hintergrund dienen konnte. Der zweite Vorschlag brachte zum ersten Mal den späteren Standort auf, nämlich die Fläche zwischen den beiden Freitreppen des Akademischen Kunstmuseums. Außerdem nannte der Bundespräsident noch einen Platz im Stadtgarten, für den eine öffentliche Bedürfnisanstalt hätte weichen müssen, eine Wiesenmulde bei einer Blutbuche

585 Vgl. BArch B 106/77166, Bd. 1, Bl. 121, Internes Schreiben an den Abteilungsleiter Referat I vom 3. Juli 1962. 586 Diese waren von der Universität: Rektor, Kanzler und Prof. Lützeler; von der Stadt: Oberstadtdirektor und Oberbaudirektor. 587 Vgl. BArch B 122/58755, Vermerk zur Besprechung vom 22. August 1962.

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(ebenfalls im Stadtgarten) und die schon genannte Rasenfläche am Alten Zoll.588 Ende August trat der Bundespräsident wieder mit Vertretern der Universität und der Stadt Bonn zusammen, um das Ergebnis der Ortsbesichtigung zu besprechen. Der bevorzugte Standort auf dem Rasen des Hofgartens schied aus, da, wie bereits erwähnt, unter dem Hofgarten die Anlage einer Tiefgarage geplant war und die Bauarbeiten eine Errichtung des Erinnerungszeichens bis Ende 1965 verzögert hätten. Außerdem befürchtete man, dass sich das Ehrenmal in der Rasenfläche verlieren würde. Stattdessen einigte man sich rasch auf die Fläche zwischen den Freitreppen des Akademischen Kunstmuseums, während die anderen Vorschläge unter anderem wegen des Verkehrslärms abgelehnt wurden. Für den Standort am und nicht im Akademischen Kunstmuseum sprachen die einfache Regelung der An- und Abfahrt und die fehlende Notwendigkeit, den Senat oder ein anderes akademisches Gremium hinzuzuziehen, da das Akademische Kunstmuseum in der Substanz nicht betroffen war. Bedenken des Landeskonservators trug man Rechnung, indem man beschloss, keine Veränderungen am Gebäude vorzunehmen oder Fahnenmasten und Kandelaber aufzustellen. Allerdings erhoffe man sich vom Land NordrheinWestfalen die Finanzierung der Renovierung des Gebäudes, die Herrichtung des Platzes und auch die Errichtung des Ehrenmals mit finanzieller Unterstützung der Bundesregierung.589 Ein Denkmal des Humanismus Heinrich Lützeler begrüßte in seinem Aufsatz aus dem Jahr 1968 rückblickend die Verwendung des Akademischen Kunstmuseums als Kulisse für das Erinnerungszeichen. Es sei nicht nur eine Verbindung zur Neuen Wache, sondern durch die Nutzung als universitäres Gebäude auch ein Denkmal des Humanismus, in welches das Ehrenmal eingebettet werden sollte. Die klassische Architektur zeige die Bildungsmacht des europäischen Humanismus und betone dessen Gesinnung, die Deutschland im 19. Jahrhundert groß gemacht habe und durch die Deutschland die Achtung der Völker gewonnen habe. Diese Achtung habe Deutschland verloren, als es sich von der Humanität abgewandt habe, denn der Nationalismus habe zur Bestialität geführt: »Der Bau verkörpert eine unwiederbringlich verlorene Weise der Humanität, bewußt machend und Maß setzend; die Tafel stellt einen grenzenlosen Zerfall der Humanität fest; dann folgt nichts: kein Rezept für die Zukunft, kein gebahnter Weg, doch eine produktive Leere für uns.« Lützeler stellte fest, dass die Tafel denen gedenke, die im Krieg oder durch die Gewaltherrschaft starben. Weder der Krieg noch die Gewaltherrschaft waren – seiner retrospektiven Deutung nach –

588 Vgl. BArch B 122/58755, Vermerk Betr.: Errichtung eines Städtischen Ehrenmals in Bonn vom 23. August 1962. 589 Vgl. BArch B 122/58755, Sitzungsvermerk Betr.: Errichtung eines Städtischen Ehrenmals in Bonn vom 4. September 1962.

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schicksalhaft über Deutschland hereingebrochen, sondern von vielen gewollt worden. Lützeler ging davon aus, dass diese harte und schwerwiegende Erkenntnis durch den Hintergrund des humanistischen Bauwerks verdeutlicht werde und aufzeige, dass die »gegenwärtig-künftige Ungewißheit« nicht als dumpfes Schicksal über »uns« verhängt sei, sondern der Mensch die Möglichkeit habe diese Herausforderung zu bestehen.590 Zum Schluss verglich er das Bonner Ehrenmal mit dem Zadkines in Rotterdam, denn es sei gelungen, das Bonner Zeichen in den Alltag einzuordnen und ihm gleichzeitig einen Ort der Stille zu sichern. Außerdem sei die architektonische Achse zwischen Kunstmuseum und Universität eine Lebensachse, auf der das Ehrenmal blutigste Gewalt, die Plastik der Regina Pacis dagegen die Vision des Friedens darstellten.591 Bei der folgenden Besprechung Anfang Oktober 1962 wurde von allen Beteiligten592 das Verfahren festgezurrt und man konstituierte sich als Planungskommission. Demnach waren Universität und Staatshochbauamt für die Umbauarbeiten am Gebäude und für die Errichtung des Denkmals zuständig, die Stadt Bonn übernahm die Trägerschaft und die Unterhaltung und der Bund die wesentlichen Kosten für die Errichtung in Höhe von 50.000 DM. Die Planungskommission verzichtete, um Zeit zu sparen, auf eine Ausschreibung und übertrug den Auftrag an den Architekten und Direktor der Düsseldorfer Kunstakademie, Hans Schwippert, mit dem es bereits eine Vorbesprechung seitens der Universität gegeben hatte. Als Alternative wurde Professor Mataré genannt, da »mit einer gewissen Eigenwilligkeit« Schwipperts gerechnet werden müsse. Die Kommission diskutierte auch die Aufstellung von Fahnenmasten, verwarf die Idee aber. Sie einigte sich darauf, den Entwurf zu prüfen, zu beschließen und dann den Bundespräsidenten, den Kultusminister des Landes, den Bundesinnenminister und die Stadt Bonn zu unterrichten. Als Inschrift wurde nun endgültig die Formel »Den Opfern der Kriege und der Gewaltherrschaft« festgelegt, ohne dass dies im Protokoll begründet wurde.593 Einen Monat später lagen die Entwürfe Schwipperts vor, die tatsächlich eine »gewisse Eigenwilligkeit« aufzeigten. Die Beschreibungen der ersten drei Skizzen, bei denen wie vorgegeben das Erinnerungszeichen zwischen den Freitreppen platziert war, lesen sich wie abwertende Kritiken der Standortwahl. Eine Tafel auf dem

590 Vgl. Heinrich Lützeler, Das Bonner Ehrenmal, S. 288-290. 591 Vgl. ebd., S. 293f. 592 Dies waren für die Universität der Kanzler und der Vorsitzende der Bau- und Grundstückskommission, Prof. Lützeler, der Leiter des Staatshochbauamtes der Universität, Vertreter des Landeskonservators, des Bundespräsidialamtes, des Bundesinnenministeriums und der Chef des Protokolls des Außenministeriums sowie der Beigeordnete Marx der Stadt Bonn. 593 Vgl. BArch B 106/77166, Bd. 1, Bl. 143, Vermerk über die Besprechung beim Kanzler der Universität Bonn am 8. Oktober 1962 vom 9. Oktober 1962, sowie BArch B106/77167, Bd. 2, Bl. 151, Ergebnisniederschrift der Sitzung der Planungskommission für ein Ehrenmal in Bonn am 8. Oktober 1962.

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Untergeschosssockel anzubringen sei nicht würdig. Werde die Tafel zu klein, verliere sie sich vor dem Bauwerk, werde sie zu groß, sitze sie beengt und störe das Bauwerk. Auch ein Podest zwischen den Treppen, auf dem ein Stein oder ein anderes Zeichen stehen könne, sei aufgrund der Raumbreite ungenügend und störe das Bauwerk. Am ehesten neigte Schwippert noch zu der Idee, auf dem Podest eine Platte auf den Boden zu legen, auch wenn die psychologisch bedenkliche Enge bleibe. Die Inkongruenz zwischen der musealen Aufgabe des Hauses und dem Sinn einer würdig stillen Gedenkstelle sei nicht zu beseitigen. Schwippert riet nachdrücklich von den Plänen ab und schlug im vierten Entwurf vor, das Erinnerungszeichen axial vor dem Gebäude in das Ende der Rasenfläche einzubetten. Sein Entwurf sah eine runde Mulde vor, die um drei Stufen abgesenkt eine große Bronzetafel, »Brosche« genannt,594 mit umlaufender Inschrift aufnehmen und durch ein einheitliches Blütenfeld vom Rasen abgegrenzt sein sollte. Bei besonderen Anlässen könne man Fackeln anbringen.595 In der Planungskommission kamen die Pläne Schwipperts, das Denkmal vom Museum zu trennen, schlecht an, besonders bei der Universität. Sowohl Heinrich Lützeler von der universitären Kunstkommission als auch der Landeskonservator meldeten für den vierten Entwurf nachdrückliche Bedenken an. In der weiteren Diskussion stellten die Teilnehmer fest, dass der Senat nur dem Vorschlag einer Anbringung des Ehrenmals am Museumsgebäude zugestimmt hatte und alle anderen Pläne nur mit größten Schwierigkeiten vom Senat beschlossen werden könnten.596 Um die problematische Situation am Akademischen Kunstmuseum zu lösen, beschloss die Planungskommission, einem Vorschlag Schwipperts zu folgen und sich selbst mit Hilfe von Modellen ein Bild zu machen. Das Staatshochbauamt fertigte für den 22. November 1962 Modelle einer Wandplatte, eines Kubus (mit dem Maßen 90 x 90 cm), einer Sarkophagplatte (1,20 x 1,80 m) und einer Pyramide an.597 Die vorgelegten Modelle konnten keine befriedigende Lösung simulieren, allerdings fand die Kommission eine neue Lösung: Die Stirnwand des Treppenaufgangs sollte ihre bestehende grüne Bepflanzung behalten und in dem Raum zwischen den Treppen auf einem Sockel eine Bronzetafel aufrecht aufgestellt werden. Nachdem eine simulierte Kranzniederlegung durch die Vertreter des Protokolls ergab, dass Raum und Bewegungsfreiheit genügten, beschloss man diese Variante und legte sie den Gremien der Universität, der Stadt Bonn und anschließend dem Bundespräsi-

594 Vgl. Heinrich Lützeler, Das Bonner Ehrenmal, S. 273. 595 Vgl. BArch B 106/77167, Bd. 2, Bl. 169, Bemerkungen von Prof. Schwippert zu den für die Errichtung eines Ehrenmals am Akademischen Kunstmuseum entworfenen Skizzen. 596 Vgl. BArch B 106/77167, Bd. 2, Bl. 166, Ergebnisniederschrift der Sitzung der Planungskommission für ein Ehrenmal in Bonn am 8. November 1962. 597 Vgl. ebd.

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denten vor.598 Der einzige Nachweis einer offiziellen Behandlung des Themas durch den Senat der Bonner Universität findet sich in der Kenntnisnahme eines Berichts des Rektors am 13. Dezember 1962. Dieser erklärte, der Prorektor, die Kunstkommission und der Kanzler hätten alles versucht, »um den Bereich der Universität frei von einer solchen politischen Stätte zu halten.« Der nun beschlossene Plan sei das mindeste, was die Universität akzeptieren müsse, um ungünstigere Projekte zu verhindern.599 Der Senat lehnte das Erinnerungszeichen weiterhin ab und stimmte dieser Lösung nur aus Sorge vor größeren Übeln zu. Welche Motive die Mitglieder des Senats leitete, wird aus den zur Verfügung stehenden Quellen leider nicht deutlich. Nach einem erneuten Ortstermin mit Modellen, welche die getroffene Entscheidung bestärkten, beschloss die Kommission den Bruder von Hans Schwippert, den Bildhauer Kurt Schwippert, mit der Gestaltung des Entwurfs für die Bronzeplatte zu beauftragen.600 Im Februar 1963 stellte Kurt Schwippert vier verschiedene Entwürfe für die Bronzeplatte vor. Die Planungskommission sprach sich für den Entwurf aus, bei dem die Bronzeplatte von Metallfüßen gehalten wurde, weil dieser am wenigsten wuchtig wirkte. Schwippert wurde mit der Erstellung eines 1:1 Holzmodells beauftragt. Außerdem beschloss die Kommission den Zugangsweg zu pflastern. Wie das BMI jedoch feststellte, standen die Kosten für die Pflasterung in Höhe von 62.000 DM601 »in keinem Verhältnis« zu den Kosten des Ehrenmals, die sich auf 37.000 DM602 beliefen. Anschließend entspann sich ein Streit über die Beteiligung der Soldatenverbände und des VDK. Wie der Vertreter des BMI vermerkte, war »die Stimmung allgemein gegen dieses Vorhaben«, die Kommissionsmitglieder befürchteten unerwünschte Einflussnahme. Der Rektor der Universität stellte klar, dass der Senat zwar der Bundesregierung das Ehrenmal zur Verfügung stelle, aber nicht den Verbänden für Aufmärsche. Das BMI verwies darauf, dass vor einer Entscheidung des Bundespräsidenten das Kabinett das Thema behandeln müsse. Außerdem wurden die Bedingungen für die Übergabe des Ehrenmals besprochen. Im Grunde waren alle Beteiligten dafür, dies so lautlos wie möglich zu machen. Die Bonner Stadtverwaltung legte Wert darauf, »möglichst

598 Vgl. BArch B 106/77167, Bd. 2, Bl. 175, Ergebnisniederschrift des Ortstermins der Planungskommission für ein Ehrenmal in Bonn am 22. November 1962. 599 Vgl. Archiv der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, Senatsprotokolle, Niederschrift über die Sitzung des Senats am 13. Dezember 1962. 600 Vgl. BArch B 106/77167, Bd. 2, Bl. 193, Vermerk Betr.: Errichtung eines Ehrenmals im Hofgartengelände vom 17. Dezember 1962. 601 Vgl. BArch B 106/77167, Bd. 2, Bl. 248, Schreiben an das Referat Z7 vom 20. Februar 1963. 602 Vgl. ebd.

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nicht den Stadtrat einschalten zu müssen.«603 Daher wurden die bisherigen Planungen geändert und die Universität zum Träger des Denkmals gemacht.604 Am 22. April 1963 traf sich die Planungskommission, um die Beratungen abzuschließen. Schwippert hatte drei Entwürfe von Ständermodellen für die Bronzetafel vorgestellt, von denen die Kommission Modell Nummer eins wegen der Strenge und Sachlichkeit wählte. Die Pläne für die Pflasterung des Zugangsweges wurden kritisiert und als zu auffällig zurückgewiesen. Man beschloss, dem Bundespräsidenten das Modell des Bildhauers im Maßstab 1:1 Anfang Mai vorzuführen.605 Bei dem geplanten Termin war der Bundespräsident aus gesundheitlichen Gründen verhindert und wurde vertreten, nichtsdestotrotz stimmte er der Planung zu.606 Alles wieder auf Anfang? Am Tag der Besichtigung kam das Ehrenmal auch außerhalb der Tagesordnung im Bundeskabinett zur Sprache. Bundeskanzler Adenauer beurteilte den Standort am Akademischen Kunstmuseum als ungeeignet und regte an, die Ostseite der Universität als Standort zu prüfen. Bundesinnenminister Höcherl (CSU) verwies auf die bereits entstandenen Probleme bei dieser Frage. Schließlich wurde vereinbart, bei der nächsten Sitzung anhand von Tischmodellen das Thema erneut aufzugreifen.607 Der ganze Prozess drohte also nun wieder von vorne zu beginnen. Bei der Sitzung des Kabinetts am 22. Mai 1963 wurde der erhoffte Beschluss verweigert, der Innenminister wurde vielmehr nach der Aussprache beauftragt, in Verhandlungen mit der Stadt Bonn ein »schlichtes, aber repräsentatives« Ehrenmal am Alten Zoll zu realisieren.608 Nachdem das BMI feststellen musste, dass der Alte Zoll nicht der Stadt Bonn, sondern der Universität gehörte und dort inzwischen ein Kriegerdenkmal der Bonner Husaren entstanden war, beschloss man, die Angelegenheit bis zum angekündigten Rücktritt Adenauers im Herbst 1963 ruhen zu lassen.609

603 Vgl. BArch B 106/77167, Bd. 2, Bl. 257, Ergebnisniederschrift des Ortstermins der Planungskommission für ein Ehrenmal in Bonn am 11. Februar 1963, sowie ebenda, Bl. 232, Vermerk über die Sitzung der Planungskommission am 11. Februar 1963. 604 Vgl. BArch B 106/77167, Bd. 2, Bl. 295, Kabinettsvorlage für den Minister des Inneren vom 6. April 1963. 605 Vgl. BArch B 106/77167, Bd. 2, Bl. 311, Ergebnisniederschrift der Sitzung der Planungskommission für ein Ehrenmal in Bonn am 22. April 1963, sowie ebenda, Bl. 316, Vermerk über die Sitzung der Planungskommission am 22. April 1963 vom 23. April 1963. 606 Vgl. BArch B 106/77167, Bd. 2, Bl. 333, Vermerk Besichtigung des Modells vom 7. Mai 1963. 607 Vgl. BArch B 106/77167, Bd. 3, Bl. 354, Mitteilungen aus dem Kabinettprotokoll über die 74. Sitzung am 2. Mai 1963. 608 Vgl. BArch B 106/77167, Bd. 3, Bl. 377, Mitteilungen aus dem Kabinettprotokoll über die 77. Sitzung am 22. Mai 1963. 609 Vgl. BArch B 106/77167, Bd. 3, Bl. 365 und 378, Vermerke Betr.: Errichtung eines Ehrenmals in Bonn vom 29. Mai 1963 und vom 16. Juli 1963.

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Nachdem am 17. Oktober 1963 Ludwig Erhard die Kanzlerschaft übernommen hatte, wurden bei der Kabinettssitzung am 30. Oktober 1963 die Ehrenmalspläne ohne weiteren Vorbehalt gebilligt.610 Dabei war die Bundesregierung weiterhin bestrebt, den Eindruck zu vermeiden, dass sie selbst für das Erinnerungszeichen verantwortlich war. Das zeigen die Vorbereitungen des Bundesinnenministers auf eine Fragestunde im Bundestag im Januar 1964. Wäre eine Nachfrage zum Ehrenmal gestellt worden, hätte der Bundesinnenminister geantwortet, dass die Bundesregierung kein Denkmal plane, aber die Planungen der Universität Bonn ideell und materiell unterstütze.611 Als sich ebenfalls im Januar des Jahres 1964 der Vorsitzende des Zentralverbands Demokratischer Widerstandskämpfer und Verfolgtenorganisationen (ZDWV), Unger, an das Innenministerium wandte und beklagte, dass man am Entstehungsprozess nicht beteiligt worden sei, erklärte das Ministerium in seiner Antwort, dass man sich nur finanziell mit einem Zuschuss beteilige und deshalb die Anhörung der Verbände nicht erfolgt sei.612 Nichtsdestotrotz hatte schon am 20. März 1963 im BMI ein Gespräch mit zwei Vertretern des Rings Deutscher Soldaten stattgefunden. Diese begrüßten die Lösung, wünschten aber zwei entscheidende Änderungen, die eine Umdeutung des Erinnerungszeichens bedeutet hätten. Die erste Änderung betraf die Inschrift. Diese sollte von der beschlossenen Formel »Den Opfern der Kriege und der Gewaltherrschaft« zu der Formulierung »Den Opfern der beiden Weltkriege« geändert werden. Die Vertreter des RDS argumentierten sogar, dass das im Teutoburger Wald geplante Ehrenmal nach dem antiken Staatsmann und Feldherren Perikles die Inschrift »An dem Ruhm dieser Toten sollt ihr euch aufrichten« tragen sollte und deshalb die Inschrift auch lauten könnte: »Den Opfern der beiden Weltkriege. An dem Ruhm dieser Toten sollt ihr euch aufrichten.« Nachdem das BMI deutlich gemacht hatte, dass die Inschrift bereits die Zustimmung des Bundespräsidenten und des Innenministers hatte, bemühten sich die Vertreter des Rings Deutscher Soldaten um die Kompromissformel: »Den Opfern beider Weltkriege und der Gewaltherrschaft«. Die Nennung der Weltkriege war ihnen besonders wichtig, um die Inschrift gegenwartsbezogener zu gestalten, aber auch, weil ihnen der Begriff »aller Kriege« zu pazifistisch war. Die zweite Änderungsforderung betraf die Finanzgeber des Ehrenmals. Der Ring Deutscher Soldaten wünschte sich bis zu einem Drittel der Kosten an der Finanzierung zu beteiligen, um mit dem Ehrenmal verbunden zu sein und damit deutlich 610 Vgl. BArch B 106/77167, Bd. 3, Bl. 402, Mitteilungen aus dem Kabinettprotokoll über die 97. Sitzung am 30. Oktober 1963. Dabei wird missverständlicherweise auch der Alte Zoll als Standort genannt, dies aber nach Telefonaten, die in der Akte dokumentiert sind, klargestellt. 611 Vgl. BArch B 106/77167, Bd. 3, Bl. 421, Vorlage für die Fragestunde am 9. Januar 1964, vom 6. Januar 1964. 612 Vgl. BArch B 106/77167, Bd. 3, Bl. 503, Schreiben H.J. Unger an BMI vom 4. Januar 1964 und Vermerk über ein Telefonat mit Unger vom 18. Februar 1964.

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werde, dass das Ehrenmal »auch zu Ehren der Toten geschaffen werde, die der Ring deutscher Soldatenverbände meine«. Das BMI vermied in beiden Punkten klare Aussagen.613 Die letzte Hürde vor der Errichtung des Erinnerungszeichens war ein Gespräch zwischen dem Bundespräsidenten und den Fraktionsvorsitzenden614 der Bundestagsparteien, das am 19. Februar 1964 stattfand. Die Besprechung hatte der Haushaltsausschuss des Bundestages im März 1963 eingefordert, als er die nötigen Mittel in Höhe von 100.000 DM genehmigte. Die Abgeordneten hatten kritisiert, dass die Planungen ohne Beteiligung des Bundestages bereits weit fortgeschritten waren und dass bei den Nebenkosten eine höhere Summe zu Buche stand als bei den Kosten des Ehrenmals.615 Bei der Unterredung wurden zwar »eine Menge Einwendungen geltend gemacht und Fragezeichen gestellt«, das Projekt im Ganzen aber nicht verhindert.616 Die überraschende Vollendung des Ehrenmals Am Vorabend des 17. Juni 1964 wurde das Ehrenmal durch den Bundespräsidenten als finaler Akt der Errichtung eingeweiht. Als Ehrengäste waren die Vertreter der Verfassungsorgane, die Vorsitzenden der Bundestagsparteien, Oberbürgermeister und Oberstadtdirektor der Stadt Bonn, Universitätsrektor und -kanzler sowie die Vorsitzenden von Soldaten-, Kriegsopfer- und Verfolgtenverbänden eingeladen.617 Die Einweihungsprozedur wird im Folgenden auf Basis der Planungen des offiziellen Protokolls beschrieben: Die Ehrengäste, der Ehrenzug der Bundeswehr und die Presse hatten bis 17:20 Uhr ihre Plätze einzunehmen. Um 17:30 Uhr traf der Bundespräsident im Hofgarten ein und begab sich zum Ehrenmal. Der Ehrenzug präsentierte das Gewehr und die Kranzträger traten vor die Ehrengäste. Lübke begrüßte die Ehrengäste durch ein Kopfnicken und schritt dann unter Trommelwirbel hinter den Kranzträgern zum Ehrenmal. Nachdem der Kranz abgelegt worden war und der Bundespräsident die Schleife geordnet hatte, setzte der Trommelwirbel aus. Die Kranzträger traten zur Seite und der Bundespräsident verharrte in einer Gedenkminute. Der Luftraum über Bonn war zu diesem Zeitraum gesperrt. Anschließend wandte sich der Bundespräsident den Ehrengästen zu und widmete das Ehrenmal mit folgenden Worten:

613 Vgl. BArch B 106/77167, Bd. 2, Bl. 273, Vermerk Betr.: Ehrenmal in Bonn vom 20. März 1963. 614 Vgl. Für die CDU der stellvertretende Vorsitzende Barzel, für die SPD Erler, für die FDP von Kühlmann-Stumm. Vgl. BArch B 122/58755, Vermerk Ehrenmal Bonn vom 10. Januar 1964. 615 Vgl. BArch B 106/77167, Bd. 2, Bl. 278, Auszug aus dem Kurzprotokoll der 69. Sitzung des Haushaltsausschusses am 21. März 1963. 616 Vgl. BArch B 106/77167, Bd. 3, Bl. 507, Vermerk Betr.: Ehrenmal in Bonn vom 24. Februar 1964. 617 Vgl. BArch B 106/77167, Bd. 4, Bl. 536, Vermerk Widmungsakt durch den Herrn Bundespräsidenten am 16. Juni 1964 vom 9. Juni 1964.

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»Im Gedenken an die Opfer des Volksaufstandes vom 17. Juni 1953 habe ich diesen Kranz niedergelegt. Ich übergebe das Ehrenmal, das uns stets an die Opfer der Kriege und der Gewaltherrschaft erinnern soll, seiner Bestimmung.«618 Anschließend sollte sich der Bundespräsident wiederum mit einem Kopfnicken verabschieden und zu seinem Wagen gehen. Sobald er diesen bestieg, hatte der Ehrenzug abzurücken und der Widmungsakt war beendet.619 Auffällig an der Einweihung sind zum einen die kurze Dauer des Widmungsaktes nahezu ohne jeden Pomp und lange Ansprachen, aber auch die neue Sinnstiftung vor dem Tag der deutschen Einheit, die sich damit auf die gegenwärtige Teilung Deutschlands bezog und nicht mehr auf den Zweiten Weltkrieg und die Zeit des Nationalsozialismus. Es scheint, dass die Vergangenheit im Laufe des Prozesses deutlich an Bedeutung verloren hatte, was auch durch die Interpretation der Inschrift deutlich wurde. Lützeler bezog »Kriege« auch auf aktuelle Konflikte in der Welt und der Bundespräsident verwies beim Begriff »Gewaltherrschaft« auf die SED-Herrschaft anstatt auf das NS-Regime. Eine Krise der Geschichte wird hier schon deutlich, die im Verlauf der 1960er Jahr noch stärker werden sollte (siehe Kapitel 3.3). Das Erinnerungszeichen wurde ab 1964 für die Kranzniederlegung bei Staatsbesuchen genutzt. Außerdem fanden Kranzniederlegungen durch den Chef des Bundespräsidialamtes am 20. Juli und durch den Bundespräsidenten am Volkstrauertag statt.620 Bei Staatsbesuchen sah das Protokoll vor, dass zwanzig Minuten vor der Kranzniederlegung die jeweilige Botschaft den Kranz an die zwei Kranzträger der Bundeswehr zu übergeben hatte. Zehn Minuten vorher hatten der Ehrenzug, Trommler, Trompeter, Ehrenposten und die Kranzträger ihre Posten einzunehmen. Eine Minute vor der Kranzniederlegung traf die Wagenkolonne von der Koblenzer Straße ein, der Ehrengast wurde durch den General der Bundeswehr begrüßt und zu den Kranzträgern geleitet, während der Ehrenzug das Gewehr präsentierte. Die Begleiter des Ehrengastes nahmen ihre Plätze an der Wiese mit Blick zum Ehrenmal ein. Anschließend schritten der Ehrengast und seine engere Begleitung hinter den Kranzträgern zur Ehrentafel. Nur der Ehrengast durfte hinter den Kranzträgern die Stufen des Podestes betreten, begleitet von einem gedämpften Trommelwirbel. Der Ehrengast ordnete die Kranzschleifen und die Kranzträger traten in Habachtstellung neben den Ehrenposten. Während der folgenden Gedenkminute spielte der Trompeter einige Takte des Liedes vom guten Kameraden, dann begaben sich der Ehrengast und seine Begleitung zu den Wagen und fuhren 618 BArch B 106/77167, Bd. 4, Bl. 551. Programm Widmung des Ehrenmals vom 10. Juni 1964. (Ab hier ist der Bestand von Bd. 4f. ohne Paginierung.) 619 Vgl. ebd. 620 Vgl. BArch B 122/58781, Vermerk Betr. 1. Staatsakte und Staatsbegräbnisse 2. Kranzniederlegungen aus anderen Anläßen vom 16. April 1969.

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ab. Sobald sich die Wagen in Bewegung setzten, endete das militärische Zeremoniell.621 Mit der »Inbetriebnahme« des Ehrenmals stellte sich zuletzt noch die Frage nach dem Umgang mit Kundgebungen und Demonstrationen. Der Bundespräsident legte, nachdem er die deutschen Botschaften in Rom, Paris und London zu den dortigen Regelungen konsultiert hatte, fest, dass das Niederlegen von Kränzen durch Verbände und Organisationen einer Genehmigung des BMI bedürfe.622 Beim BMI stellte man daraufhin fest, dass die Konstruktion des Ehrenmals in Trägerschaft der Universität dies aber unmöglich machte. Ein öffentlich-rechtliches Verfahren war allenfalls aufgrund § 14 und § 15 des Versammlungsgesetzes denkbar, welche die Anmeldung einer solchen Veranstaltung regelten, aber nicht die Handhabe boten, Kranzniederlegungen zu verhindern, sofern nicht die öffentliche Ordnung oder Sicherheit unmittelbar gefährdet war. Verantwortlich hierfür war auch nicht das BMI, sondern die Landespolizei. Delegationen mit wenigen Teilnehmern selbst fielen überhaupt nicht unter das Versammlungsrecht. Auch ein privatrechtliches Verfahren war problematisch, da sich das Ehrenmal in der Obhut der Friedrich-Wilhelms-Universität befand. Diese hatte zwar prinzipiell das Recht, jeden von der Einwirkung auf das Ehrenmal auszuschließen. Dieses wurde aber durch die Widmung als öffentliche Sache für den Gemeingebrauch eingeschränkt. Daher hätte der Gemeingebrauch des Ehrenmals, der vom Bundespräsidenten gewünscht war, beschnitten werden müssen, um der Universität das Recht zur Erteilung von Genehmigungen für Kranzniederlegungen zu verschaffen. Der angestrebte zusätzliche Polizeischutz war nicht durch das BMI realisierbar, da auch hier das Land NRW zuständig war. Allenfalls konnte man die Bundeswehr oder den Bundesgrenzschutz am Ehrenmal zur Bewachung ohne polizeiliche Befugnisse einsetzen.623 Am 6. Oktober 1964 kam es zu einem Zwischenfall, als ein Betrunkener den Kranz einer in Bonn weilenden niederländischen Delegation entwendete, um damit in einem Krankenhaus eine Krankenschwester zu beglücken. Der Kranz wurde rasch wieder zurückgebracht, aber das Bundespräsidialamt forderte energisch mehr Polizeischutz, den die zuständigen Dienststellen mit Verweis auf eine schwierige Personallage ablehnten und auf den Bundesgrenzschutz und die Bundeswehr verwiesen. Diese Lösung wiederum lehnte das Bundespräsidialamt ab.624 Nach vielem Hin und Her der Behörden erklärte sich schließlich der Polizeipräsident von Bonn bereit, das Ehrenmal laufend zu überwachen, Anmel-

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Vgl. BArch B 122/58781, Ablauf einer Kranzniederlegung am Ehrenmal im Hofgarten vom 6. Mai 1965. 622 Vgl. BArch B 106/77167, Bd. 4, Schreiben des Bundespräsidialamtes vom 1. Juli 1964. 623 Vgl. BArch B 106/77167, Bd. 4, Untersuchung der Rechtslage bzgl. der Genehmigung zur Kranzniederlegung vom 5. Oktober 1964. 624 Vgl. BArch B 106/77167, Bd. 4, Vermerk Betr.: Ehrenmal Bonn vom 6. Oktober 1964.

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dungen für Kranzniederlegungen entgegenzunehmen und gegebenenfalls Bundesund Landesbehörden zu informieren.625 Die Interessenverbände lehnten das am Vorabend des 17. Juni 1964 eingeweihte nationale Ehrenmal im Hofgarten ab. Der Zentralverband Demokratischer Widerstandskämpfer und Verfolgtenorganisationen kündigte 1967 an, die finanziellen Mittel für ein eigenes Widerstandsdenkmal in Bonn zu sammeln.626 Der geschäftsführende Landesvorsitzende des ZDWV Bayern, Dr. Georg Ott, kritisierte, dass viele Verfolgte des In- und Auslandes es nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren könnten, am Mahnmal im Hofgarten Kränze niederzulegen. Nicht wegen der gleichzeitig geehrten Soldaten, die er als »tapfer, im Glauben an eine gute Sache kämpfend« bezeichnete, sondern wegen der Gefallenen der SS, des SD und anderen Gliederungen des NS-Staates, die dort geehrt würden. Ott diagnostizierte in der gleichen Rede, dass in den letzten Jahren die Gefahr bestanden hatte, dass die Widerstandskämpfer und Verfolgten »in eine hoffnungslose Isolierung in unserem eigenen Volk gerieten. Wie man die NS-Vergangenheit vertuschen (statt bewältigen) wollte, so wollte man auch die Opfer des Nationalsozialismus aus dem Bewußtsein des Volkes verdrängen.« Deshalb forderte er ein »Ehrenmal für die Opfer des NS«, dass der Verband aus eigenen Mittel schaffen sollte. »Ein repräsentatives Ehrenmal für die Opfer des Nationalsozialismus ist für uns keine sentimentale Angelegenheit, sondern es soll ein weithin sichtbares Zeichen dafür sein, daß unser Volk sich zu denen öffentlich bekennt, die 1933 – 1945 der Unfreiheit und der Unmenschlichkeit widerstanden haben.«627 Der Ring Deutscher Soldatenverbände wandte sich 1972 an den Innenminister, um den Bau eines »geeigneten, würdigen Ehrenmals oder einer Gedenkstätte für die Opfer der Kriege und der Gewaltherrschaft« anzuregen. Man werde immer wieder von Freunden und Verbänden dazu gedrängt und ausländische Soldaten und Politiker hätten oft privat gefragt, wo sie »ehrend ihrer gefallenen deutschen Gegner gedenken könnten.« Stets stelle man Erstaunen fest, wenn man auf die Tafel im Hofgarten verweise, berichtete der Ring Deutscher Soldatenverbände. In seiner Antwort verweigerte Innenminister Genscher (FDP) die Unterstützung eines neuen nationalen Erinnerungszeichens.628 Es kann also schwerlich von einer Akzeptanz des nationalen Ehrenmals in Bonn gesprochen werden. Seine Entstehungsgeschichte ist von externen erinnerungspolitischen Ereignissen und der Notwendigkeit des diplomatischen Protokolls, aber auch von der Abwehr einer öffentlichen Auseinandersetzung geprägt. Lange versuchte die Bundesregierung, letztendlich mit Erfolg, nicht selbst als Stifterin in 625 Vgl. BArch B 106/77167, Bd. 4, Vermerk vom 22. Juni 1965. 626 Vgl. BArch B 106/77168, Bd. 5, Schreiben des Bundespräsidialamtes vom 19. Mai 1967. 627 Vgl. Georg Ott, »Ihr kennt Eure Pflicht – tut sie«, in: Freiheit und Recht. Die Stimme der Widerstandskämpfer für ein freies Europa, 13. Jahrgang, 11/1967, S. 14f. 628 Vgl. BArch B 106/77168, Bd. 5, Eingabe und Antwortschreiben des Rings Deutscher Soldatenverbände vom 5. April 1972.

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Erscheinung zu treten, sondern wälzte diese Verantwortung auf die Stadt und die Universität ab. Beide Institutionen zeigten sich wenig begeistert davon und verhinderten die präferierten Standorte der Bundesregierung. Diese musste sich aber nicht nur mit Universität und der Stadt, sondern auch den eher unerwünschten Soldatenvertretern und dem provisorischen Charakter der Bundeshauptstadt auseinandersetzen. Gleichzeitig mussten die Akteure eine angemessene künstlerische Form finden. Beim Bundestag stieß das nationale Ehrenmal auf wenig Interesse, am Ende wurde es von der Öffentlichkeit fast unbemerkt eingeweiht und die Bedeutung verschob sich im Einweihungsakt von den Gefallenen und den Verfolgten des Nationalsozialismus zu den Opfern des Volksaufstandes vom 17. Juni 1953. Von den Verfolgtenverbänden wie auch von den Soldatenverbänden wurde das Erinnerungszeichen abgelehnt. Es ist damit auch ein Beleg für die heraufziehende Krise der Erinnerungszeichen, die in Kapitel 3.2 untersucht wird.

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Zeit der Zerrissenheit Für nahezu die Hälfte aller Menschen in unserem Lande sind die Jahre 1933 bis 1945 geschichtliche Vergangenheit ohne persönliche Erinnerung. Für nahezu die Hälfte aller Völker der Erde liegt die Stunde Null ihrer nationalstaatlichen Geschichte nach dem Jahre 1945. Alle Generationen unseres Volkes tragen zwar an den Folgen einer im deutschen Namen von 1933 bis 1945 geübten Politik. Die Bezugspunkte in der Arbeit des 5. Deutschen Bundestages und der Politik der Bundesregierung dürfen dennoch nicht mehr der Krieg und die Nachkriegszeit sein. Sie liegen nicht hinter uns, sondern vor uns. Die Nachkriegszeit ist zu Ende!629 Bundeskanzler Ludwig Erhard, 10. November 1965

Zwanzig Jahre nach dem Ende der Zweiten Weltkrieges definierte Bundeskanzler Ludwig Erhardt in seiner Regierungserklärung das Jahr 1965 als Endpunkt der

629 Regierungserklärung von Bundeskanzler Ludwig Erhard am 10. November 1965, in: Verhandlungen des Deutschen Bundestages, Stenographische Berichte Band 60, Bonn 1965, S. 17.

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Nachkriegszeit. Dies korrespondierte mit der Verwirklichung zahlreicher Kriegerdenkmäler vom Ende der 1950er bis zur Mitte der 1960er Jahre, als auch die Bundesrepublik ein zentrales Ehrenmal einweihte. Schaut man sich die Entstehungsprozesse der Erinnerungszeichen an, so lässt sich festhalten, dass die Begriffe Mahnmal, Ehrenmal und Denkmal sehr oft synonym verwendet wurden, ohne dass eine inhaltliche Ausdifferenzierung erfolgte. Für die Zeitgenoss*innen gab es keinen Unterschied. Vergleicht man alle vorgestellten Erinnerungszeichen, lassen sich verschiedene Aspekte der Interpretation des Nationalsozialismus und des Weltkrieges destillieren, die in unterschiedlichen Städten, Regionen und Stadtbevölkerungen diskutiert wurden. Alle Erinnerungszeichen waren Produkte innerstädtischer Aushandlungsprozesse, die in jeder Stadt eigenständig geführt wurden. Bezugnahmen auf andere Kommunen lassen sich kaum feststellen. Viele dieser Prozesse begannen bereits in der unmittelbaren Nachkriegszeit, deutlich vor der Gründung der Bundesrepublik. Das Jahr 1949 bietet sich somit als Zäsur nicht an. Der Anstoß für die Stiftung von Erinnerungszeichen kam selten aus der Politik und nie wirkten andere Städte als Vorbild. Einzige Ausnahmen in den untersuchten Quellen sind zum einen die Argumentation der VVN in Dortmund 1953, die mit Beispielen aus anderen Städten, wo würdige Ehrenmale entstanden seien, für ein Erinnerungszeichen warb. Da war in Dortmund die Grundsatzentscheidung für das Mahnmal allerdings schon gefallen.630 Zum anderen lässt sich eine Bitte der Stadtverwaltung von Mülheim an der Ruhr an die Düsseldorfer Kollegen finden. Man bat um Informationen, ob und wie die Mahnmalserrichtung vor sich gehe. Hintergrund der Anfrage war die Bitte des Landesverbands der jüdischen Gemeinden, ein Mahnmal für die jüdischen Opfer des Nazi-Regimes zu errichten.631 Generell lassen sich die konkreten Initiatoren der einzelnen Erinnerungszeichen – mit den Ausnahmen Bonn und Meschede – im Entstehungsprozess nicht so genau verfolgen wie später in den 1980er Jahren, da die Verwaltung die Verfahren schnell übernahm und steuerte, meistens begleitet von einem Ausschuss oder einer Kommission des Rates. Mit der raschen Übernahme des Prozesses durch die städtischen Verwaltungsstellen und politischen Gremien lässt sich ein traditionelles Obrigkeitsverständnis belegen. Die konkrete Denkmalsgestaltung und ihre Veröffentlichung löste oft eine medienöffentliche Diskussion aus und das jeweilige Erinnerungszeichen wurde ab diesem Zeitpunkt kontrovers diskutiert. In mehreren Städten wurde besonders deutlich, dass die Nachkriegsgesellschaft eine gespaltene war. 1952 erklärte Bürgermeister Tölle bei der Vorstellung einer gemeinsamen Erklärung aller Fraktionen im Paderborner Stadtrat: »Bei der 630 Vgl. StA Dortmund, 167-292, Niederschrift über die Besprechung bei Stadtrat Exius, vom 4. November 1953. 631 Vgl. StA Düsseldorf, 0-1-4-13047.0000, Bl. 150, Schreiben vom 11. September 1952.

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Zerrissenheit im Denken unserer Zeit und in Fragen künstlerischer Gestaltung ist eine Lösung auf möglichst breiter Basis nicht leicht zu finden.« Und wenig später: »Unser Volk ist genug zerrissen. Die Opfer des Krieges waren auf allen Seiten.«632 In Dortmund stellte Architekt Schwarz fest: »Wir haben heute so wenig wie zu irgend einer anderen Zeit eine einheitliche Vorstellungswelt. Soweit es sich um künstlerische Form handelt darf man sagen, daß die Meinungen selten so sehr gespalten waren, wie in der gegenwärtigen Zeit. Im politischen Denken ist das ja ähnlich so.«633 Bei der Bundesregierung in Bonn lässt sich ebenfalls eine große Sorge vor der öffentlichen Meinung, vor öffentlichen Auseinandersetzungen und der Beteiligung von Soldatenverbänden beobachten, was dazu führte, dass die Bundesregierung unter keinen Umständen als Denkmalstifter auftreten wollte. In Düsseldorf war es Ratsherr Ingenhut, der angesichts der Ratlosigkeit der Stadträte aufgrund der unterschiedlichen Vorstellungen zum Mahnmal hoffte, dass das Mahnmal »wirklich ein Denkmal unserer Zeit [wird], der Zerrissenheit, in der wir leben«.634 1959 fragte Manfred Hausmann in den Düsseldorfer Nachrichten: »Warum wollten und könnten die Überlebenden so schlecht gedenken?« Es liege daran, analysierte er, dass der innere Krieg in der NS-Zeit und die Totalitarität des Krieges unheimliche Spannungen in den Menschen – »bis in die Mitte seines Wesens« – erzeugt habe, sodass der Riss nicht nur durch den Volkskörper, sondern durch den einzelnen Menschen ging und ihn »vernichtete«. Je mehr man nach einem Sinn suche, desto unsinniger erscheine es. Man könne die Toten aber nicht mit bloßer Feierlichkeit und Poesie abtun, man dürfe die Toten in gesicherten Zeiten nicht verklären, sondern müsse die Bitterkeit des Todes ernst nehmen. Die Toten warnten, indem sie die Abgründe im Bild des Menschen aufzeigten, der zwischen Großartigkeit und Abscheulichkeit schwanke.635 Die untersuchten Erinnerungszeichen der Jahre 1945-1965 lassen sich in vier Kategorien einteilen: Unerwünschte Erinnerungszeichen, Kriegs- und Friedensdenkmäler, Siegesdenkmäler und nivellierende Erinnerungszeichen für alle Opfergruppen. Deutlich geworden ist auch, dass jedes Erinnerungszeichen, unabhängig von seiner Bezeichnung als Denk-, Mahn- oder Ehrenmal, die Möglichkeit der positiven Sinnstiftung gewährleisten musste, um Akzeptanz zu finden. Jede Stadt hatte ihre eigenen, historisch bedingten Voraussetzungen, die eine Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus bestimmten. Für die Mehrheit der Einwohnenden der hier untersuchten Städte gab es in den 1950er Jahren nur zwei 632 Vgl. StA Paderborn, S1 002/8 (Nachlass Tölle), Erklärung aller Fraktionen zur »Mahnmalfrage«. 633 Vgl. Wolfgang Asshoff, Die Dortmunder Bittermark und ihr Mahnmal, S. 16. 634 Vgl. StA Düsseldorf, 9-0-4-30.0000, Bl. 7, Stenographische Mitschrift der Ratssitzung vom 26. Juli 1955. 635 Vgl. Manfred Hausmann, Weicht den Toten nicht aus, in: Düsseldorfer Nachrichten vom 14. November 1959.

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Mahnmale als Zeitzeichen

positiv besetzte Identifikationsmomente: die gefallenen Soldaten zusammen mit den zivilen Kriegsopfern und die Widerstandskämpfer. In Wuppertal ermöglichten letztere die Identifikation mit dem Erinnerungszeichen, der Widerstand wurde zu einem Gründungsmythos der BRD aufgebaut. Die Stadt präsentierte sich mit Verweis auf den Widerstand als ein Sieger über den Nationalsozialismus. Ebenso stand in Dortmund der Sieg über den Faschismus im Vordergrund. Hier erlaubten die deutschen Opfer des lokalen Verbrechens eine positive Identifizierung, wenngleich es im Gegensatz zu Wuppertal nicht gelang, eine Einstimmigkeit über das Mahnmal herzustellen. Wichtig für die Hinterbliebenen und alle Parteien war, dass das Mahnmal als Siegeszeichen gesehen werden konnte. Das »Dennoch Sieghafte« sollte die zentrale Figur symbolisieren. Durch die Beteiligung ehemaliger französischer Zwangsarbeiter wurde das Erinnerungszeichen zu einer internationalen Erfolgsgeschichte der Versöhnung. In den Orten, wo der Widerstand keine Möglichkeit zur Identifikation bot, konnte der Wunsch nach Frieden diese positive Identifikation übernehmen, wie zum Beispiel in Paderborn oder beim Aachener Friedenskreuz. Dass der Frieden das Leitmotiv der Paderborner Denkmalsetzung war, lag an der Person des Bürgermeisters und seiner Verwurzelung in der katholischen Friedensbewegung. Bei den rheinländischen Friedenskreuzen konnten sich die Deutschen als Kriegsopfer mit dem Anliegen und der Idee, zum Frieden aufzurufen, identifizieren. Schuld und Sühne funktionierten in der Nachkriegsgesellschaft der hier untersuchten Beispielstädte hingegen nicht als Identifikationsmomente, wie der Fall des Sühnekreuzes von Meschede deutlich belegt. Mit dem Tod von »Fremdarbeitern« und Buße wollte und konnte sich die Mescheder Mehrheitsgesellschaft nicht einmal arrangieren. Die theologische Idee der Sühne ohne Übernahme von Verantwortung konnte sich nicht durchsetzen. Hinzu kam ein diffuses Bedrohungsgefühl durch die UdSSR und die traumatische Erinnerung an als brutal empfundene Eroberung des Hochsauerlands in den letzten Kriegswochen, da die Region bis dato von direkten Kriegseinflüssen weitgehend verschont geblieben war. Das Fehlen einer positiven Identifikation und die Ablehnung führten dazu, dass die Stifter sich gezwungen sahen, das Kreuz selbst zu entfernen. In Neuss existierte von 1953 bis in die 1980er Jahre ein Zeichen der Gleichgültigkeit, das dem Vorwurf an die 1950er Jahre, ein Jahrzehnt der Verdrängung gewesen zu sein, entspricht. Es wurde von der jüdischen Gemeinde Düsseldorf angeregt und ohne Debatte beschlossen, angebracht und vergessen. Die Neusser konnten sich mit der ehemaligen Synagoge und den ermordeten jüdischen Mitbürgern als Opfergruppe zumindest in den 1950er Jahren nicht identifizieren. Kriegsverbrecherprozesse spielten als Anstoß für die Setzung eines Erinnerungszeichens keine Rolle, wie sich an den Beispielen Meschede oder Dortmund zeigen lässt. Eine positive Identifikation konnten Prozesse, die sich ja mit den Tätern beschäftigten, nicht bieten.

2 Zwischen Aufbruch und Erinnerung

Wie schon die Paderborner Erklärung anklingen ließ, gab es Differenzen nicht nur in der Frage der Ausrichtung der Erinnerungszeichen und der Interpretation der jüngsten Vergangenheit, sondern auch in der künstlerischen Darstellung. Fast alle Preisgerichte beklagten sich über die eingereichten Arbeiten und waren unzufrieden mit den Entwürfen, wussten aber oft selbst nicht genau, wie eine neue Form aussehen könnte. Das Phänomen lässt sich nicht nur in Nordrhein-Westfalen beobachten: In Frankfurt a.M. blieben in den 1950er Jahren zwei Wettbewerbe für ein »Denkmal für die Opfer des Nationalsozialismus«, das auf dem Hauptfriedhof entstehen sollte, ohne Ergebnis.636 Der Standort wurde ebenfalls häufig engagiert diskutiert, mit jeweils plausiblen Argumenten für Erinnerungszeichen inmitten des hektischen Stadtlebens oder an Orten stiller Besinnung. Nachdem in den 1950er Jahren der Druck der Überlebenden und der empfundenen Pflicht noch dafür gesorgt hatte, dass Erinnerungszeichen trotz unzureichender Formensprache errichtet wurden, kam es in den folgenden Jahren immer seltener zu Stiftungen von Erinnerungszeichen. In Münster scheiterte die Errichtung eines Erinnerungszeichens in den 1960er und 1970er Jahren. Ob dies nur an der Kritik an den künstlerischen Darstellungen lag, soll im folgenden Kapitel untersucht werden.

636 Vgl. Gescheiterter Wettbewerb, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 17. Juli 1959.

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3 Symbole einer untergegangenen Zeit: Krisenjahre der Erinnerungszeichen (ca. 1965-ca. 1975)

3.1

Das Scheitern des Mahnmals in Münster (1950-1973)

Die Stadt Münster ist der Mittelpunkt des Münsterlandes und war von 1815 bis 1946 Hauptstadt der preußischen Provinz Westfalen. Sie ist ein bedeutender Verwaltungs-, Dienstleistungs- und Hochschulstandort und ein Zentrum des Katholizismus. Während Düsseldorf als »Schreibtisch des Ruhrgebietes« gilt, gibt es für Münster die Bezeichnung »Schreibtisch Westfalens«. Internationale historische Bekanntheit erlangte die Stadt als einer der beiden Orte des Westfälischen Friedens. Mit der preußischen Herrschaft wurde die Stadt an der Aa ab 1815 zu einer bedeutenden Garnison, aus ihren Kasernen zogen die Regimenter in zwei Weltkriege. Nach 1945 wurden die Kasernen mit britischen Besatzungstruppen und der Bundeswehr belegt. Im Zweiten Weltkrieg wurde die Altstadt vollständig zerstört und anschließend wiederaufgebaut. Von 1959 bis 1973 diskutierte Münster die Aufstellung eines Erinnerungszeichens zur Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg und die Zeit des Nationalsozialismus. Am Ende der Diskussion, die sich über 14 Jahre erstreckte, stand die Aufgabe des Projektes, beziehungsweise der Ersatz durch einfache Gedenktafeln. Das Beispiel Münster enthält sowohl bekannte Elemente der Erinnerungskultur der 1950er Jahre, als auch neue Elemente der Krisenphänomene der Erinnerungskultur in den 1960er und 1970er Jahren. Zu ersteren gehörten die Sorge um die Veränderung der Stadt nach dem Wiederaufbau und die Sorge um den Verlust der (bau)historischen Vergangenheit, die die Idee eines Erinnerungszeichens erzeugten und die Zerrissenheit der Gesellschaft, die die ausführliche Diskussion prägte. Zu letzteren gehörte der Umgang mit der Geschichte des geplanten Standortes und die Ablehnung des Konzeptes von Erinnerungszeichen. Die Quellenlage zur Geschichte des gescheiterten Mahnmals ist ambivalent. Es existiert im Münsteraner Stadtarchiv kein Bestand zum geplanten Erinnerungszeichen. Nur im Stadtmuseum sind Kopien der Akten des zuständigen Amtes über-

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liefert. Ihr großer Wert besteht nicht in der Nachvollziehbarkeit der politischen Entscheidungsprozesse – diese sind lediglich in den Ergebnisprotokollen des Rates und der Ausschüsse greifbar – sondern in der Dokumentation der öffentlichen Debatte in den 1960er Jahren, wie sie sich in Leserbriefen in Zeitungen spiegelt. Erinnerung an die Zerstörung Münsters Ein erster nachweisbarer Aufruf zur Errichtung eines den Kriegsopfern gewidmeten Mahnmals stammt vom 1. August 1959. In Münster wurde das Erinnerungszeichen also ähnlich spät wie in Bonn angestoßen. Franz Klemens Gieseking1 forderte auf einer Sonderseite der Münsterschen Zeitung, ein Mahnmal zu errichten, das an die Kriegsfolgen erinnern sollte. Er begründete sein Anliegen damit, dass es kaum noch eine Stelle in der Stadt gebe, an der man erkennen könne, wie »gründlich und schrecklich die Zerstörungen am Ende des Krieges aussahen.« Besucher der Stadt, vor allem Ausländer, hätten Schwierigkeiten, die Erzählungen der Münsteraner über die Folgen der Zerstörung nachzuvollziehen. Angesichts der schönen und glänzenden »Wiederaufbauten in allen Stadtteilen« würden viele sich auch gar nicht mehr daran erinnern wollen, noch weniger an die Stunden, als die Bomben fielen und 1.594 Todesopfer forderten. In einer Gedächtnisstätte, so schlug Gieseking vor, könnte man eindrucksvolle Bilder der Zerstörung zeigen. Aber man dürfe auch die Toten und ihr Opfer nicht vergessen, indes ohne allen falschen schwärmerischen Heldenkult. »Es ist angesichts des Glanzes und der Glorie unseres allgemeinen wirtschaftlichen Wiederaufstiegs, insbesondere des geradezu unwahrscheinlichen Ausmaßes und Gelingens des Neubaues unserer Stadt, einfach unfaßbar, daß von allen materiellen und ideellen Bemühungen der Nachkriegszeit nicht auch der Ehrung der Toten, die zwischen den Zeiten begraben liegen, wenigstens ein bescheidener Teil mitgegeben wurde.«2 Reisen, Sport, Feiern, Jubiläen und Vergnügungen füllten einen großen Teil des Lebens aus, das von einer hektischen Betriebsamkeit gekennzeichnet sei, fuhr er fort. Die Toten, die dies nicht miterleben könnten, würden dabei allzu sehr vergessen. Es fehle ein konfessionsübergreifendes, alle Unterschiede vereinendes Mahnmal, das der Einmaligkeit des vergangenen schrecklichen Geschehens entspreche. Gieseking bedauerte, dass es kein in seiner Kriegszerstörung unberührt gebliebenes Baudenkmal als ständiges Zeugnis der Kriegsgräuel mehr gebe. »Es spricht für 1

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Kulturschriftleiter der Münsterschen Zeitung und u.a. Autor des Stadtführers »Kennen Sie Münster?« Führer durch das alte und neue Münster, herausgegeben vom Verlag C. J. Fahle in Zusammenarbeit mit dem städtischen Werbe- und Verkehrsamt und dem Verkehrsverein Münster, die 1. Auflage erschien ca. 1955 in Münster. Franz Klemens Gieseking, Kein Mahnmal für Münster?, in: Münstersche Zeitung vom 1. August 1959.

3 Symbole einer untergegangenen Zeit

unseren beispiellosen Wiederaufbaueifer (der nichts derartiges mehr sehen will), daß weit und breit ein solches Denkmal der Zerstörung kaum mehr zu finden ist,« stellte er fest. Die Käfige der Wiedertäufer3 hingen noch sichtbar am Turm der Kirche St. Lambertus. An die neueste Geschichtsepoche, die ungleich größere Verwüstungen hinterlassen habe, erinnere schon nach 15 Jahren kein entsprechend eindrucksvolles Dokument mehr.4 Die Motivation Giesekings, ein Erinnerungszeichen anzustoßen, speiste sich weniger daraus, aufgrund der geschichtlichen Erfahrung mahnend an die Gegenwart zu appellieren, als vielmehr aus dem Wunsch, an das untergegangene Münster zu erinnern. Am 18. August 1959 veröffentlichte die Münstersche Zeitung sechs Leserbriefe, die alle zustimmend waren. Ratsherr und Landtagsmitglied Hermann Josef Neuhaus (CDU) wusste zu berichten, dass inoffizielle Kreise des Rates bereits über ein Ehrenmal gesprochen hatten und es sei sogar bei der Clemenskirche zu konkreten Überlegungen gekommen. Er regte an, die Finanzierung durch ein Gemeinschaftswerk der Bürgerschaft sicherzustellen.5 Oberstadtdirektor Austermann erklärte zu einer Zeit, in der in Wuppertal, Düsseldorf, Paderborn, Dortmund und Neuss schon Erinnerungszeichen errichtet worden waren, dass es schwierig sei, eine Form des Gedenkens zu finden und dass ein überzeugender Plan erst reifen müsse.6 Die Initiative von Gieseking blieb unvollendet und versandete mangels Unterstützung zunächst. Im Januar 1963 – dreieinhalb Jahre später – regte der Oberstadtdirektor »eine möglichst vollständige Sammlung der Namen aller Gefallenen, in der Kriegsgefangenschaft Verstorbenen und Vermißten, sowie der in der Heimat bei Bombenangriffen Getöteten« an. Mit Blick auf die hohe Anzahl von Vertriebenen, die in Münster lebten, müsse überlegt werden, ob die Namen ihrer Toten auch aufgenommen werden sollten. Die Basis der Erhebung bildeten die in Münster beurkundeten 3.989 »Kriegssterbefälle«, von denen allerdings diejenigen Wehrmachtsangehörigen noch aussortiert werden mussten, die eines natürlichen Todes gestorben waren. Darüber hinaus hatte das Standesamt tausende Bombentote beurkundet. Zur Vervollständigung plante die Stadt, die Bevölkerung, bei den

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Radikalreformatorische christliche Bewegung, deren Anführer nach der Eroberung Münsters im Jahr 1535 durch katholische Truppen 1536 gefoltert und hingerichtet wurden. Ihre sterblichen Überreste wurden zur Warnung in eisernen Käfigen an der Kirche St. Lambertus zur Schau gestellt. Vgl. Franz Klemens Gieseking, Kein Mahnmal für Münster?, in: Münstersche Zeitung vom 1. August 1959. Vgl. Hermann Josef Neuhaus, Mahnmal und Kirche, in: Münstersche Zeitung vom 18. August 1959. Vgl. Oberstadtdirektor Austermann, »Ein überzeugender Plan muß reifen!«, in: Münstersche Zeitung vom 18. August 1959.

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Vertriebenen die Landsmannschaften, zur Überprüfung und Ergänzung der Angaben aufzurufen.7 Der Hauptausschuss stimmte diesem Vorhaben am 14. Januar 1963 zu. Er machte aber die Vorgabe, dass alle Toten, die für die Aufnahme in das sogenannte Ehrenbuch in Frage kämen, erfasst würden.8 Offensichtlich waren damit Bürger gemeint, »die in den Konzentrationslagern und bei nationalsozialistischen Verfolgungsmaßnahmen getötet worden sind«, wie einem späteren Bericht mit Bezug auf den Beschluss des Hauptausschusses zu entnehmen ist. Vom Oberstadtdirektor waren die Verfolgten nicht berücksichtigt worden.9 Das Standesamt hatte bis zum April 1963 4.638 Namen derjenigen, die für eine Aufnahme ins Ehrenbuch in Frage kamen, erfasst. Die Stadt legte die Kartei in diesem Monat im Stadthaussaal aus, damit die Bevölkerung die Richtigkeit der Angaben überprüfen und die Aufnahme fehlender Toter beantragen konnte. Zudem wurden die katholischen und evangelischen Pfarrämter, sowie die jüdische Gemeinde gebeten, Verzeichnisse über Tote und Vermisste zur Verfügung zu stellen. Die Zahl der Namen stieg daraufhin – ohne die jüdischen Opfer schon berücksichtigt zu haben – auf 5.340. Tausend Bürger hatten die Kartei eingesehen, 700 Anträge auf Aufnahme wurden gestellt.10 Lediglich ein Brief eines Münsteraner Bürgers ist dokumentiert, der die Aufnahme seiner Angehörigen in das Ehrenbuch ablehnte. »Zwar ist meine Ehefrau Hanny Bietendüvel beim Bombenabwurf am 10. Okt. 1943 umgekommen, mein einziger Sohn Bernd im Oktober 1945 bei der Heimkehr aus russ. Gefangenschaft an Entkräftigung gestorben und es sind außerdem meine beiden Brüder Wilhelm und Friedrich im letzten Weltkrieg geblieben. Doch verzichte ich nachdrücklich auf eine Aufnahme in das »Ehrenbuch der Stadt Münster« wobei ich glaube, auch im Sinne meiner verstorbenen Angehörigen zu handeln.«11 Da dies eine Minderheitsmeinung darstellte, ist davon auszugehen, dass die Idee des Ehrenbuchs in der Bevölkerung mehrheitlich positiven Anklang fand. Am 22. Mai 1963 fand schließlich auch eine Besprechung mit Vertretern der jüdischen Gemeinde statt, bei der vereinbart wurde, dass diejenigen, »die keine Bürger der Stadt waren und hier nur gesammelt wurden,« nicht aufgenommen werden sollten und dass man von den nach dem Krieg Verstorbenen nur diejenige aufnehme, 7

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Vgl. StA Münster, Amt 12/Nr. 10, Bd. 2, Ehrenbuch für die Toten des 2. Weltkrieges der Stadt Münster (Westf.), 2 lose Blätter ohne Datum, sowie StA Münster, Amt 12, Nr. 10, Bd. 2, Aktennotiz Austermann vom 9. Januar 1963. Vgl. StA Münster, Niederschrift der Sitzung des Hauptausschusses vom 14. Januar 1963. Zur Person des Oberstadtdirektors siehe Kap. 3.3, S. 261f. Vgl. StA Münster, Amt 12, Nr. 10, Bd. 2, Bericht über die Vorarbeiten für das Ehrenbuch der Stadt Münster. StA Münster, Amt 12, Nr. 10, Bd. 2, Brief von Dr. B. Bietendüvel vom 8. April 1963.

3 Symbole einer untergegangenen Zeit

deren »Todesursache einwandfrei als Folge der Inhaftierung anzusehen ist.« Die Sprache der Niederschrift vermeidet mit Ausnahme des Begriffs Konzentrationslager konsequent die klare Bezeichnung der Deportation (»Sammlung«), ihre Motive (»Inhaftierung«) und die Ermordung (»in den Konzentrationslager zu Tode gekommen«) der Münsteraner Juden.12 Die Namenskartei des Standesamtes, aus der das Ehrenbuch entstehen sollte, ist im Stadtarchiv überliefert, eine Erklärung, warum das Projekt unveröffentlicht blieb, nicht. Parallel zu diesem Projekt lebten die Planungen für das Mahnmal wieder auf. Im Rat erklärte Oberstadtdirektor Austermann auf Nachfrage am 29. November 1962, dass mehrere Künstler aufgefordert worden seien, Vorschläge für den Ort und die Anlage des Mahnmals zu unterbreiten.13 Am 14. Januar 1963 wurde im Hauptausschuss eine Idee des Leiters der Münsteraner Werkkunstschule vorgestellt. Professor Fritz Reese erläuterte, dass man zunächst verschiedene Standorte geprüft habe: den Domplatz, den Schlossplatz, die Promenade am Aasee und den Innenhof zwischen Rathaus und Stadtverwaltungsgebäude. Die nähere Prüfung hatte dann als idealen Ort den Zwinger ergeben, ohne dass das Protokoll dies näher erläuterte.

Abb. 34: Der Zwinger an der Promenade in Münster

Foto: Jan Niko Kirschbaum.

Dieses Gebäude (siehe Abb. 34) war in den 1530er Jahren als Teil der Münsteraner Stadtbefestigung errichtet worden. Der kreisrunde, im Inneren zweistöckige

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Vgl. StA Münster, Amt 12, Nr. 10, Bd. 2, Niederschrift über eine Besprechung über die Berücksichtigung der jüdischen Opfer vom 24. Mai 1963. Vgl. StA Münster, Niederschrift der Sitzung des Rates vom 19. November 1962.

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Bau, der über eine bewegte Geschichte verfügt und unter anderem als Gefängnis genutzt wurde, steht an der Promenade, die den abgetragenen Befestigungsring kennzeichnet. Im Zweiten Weltkrieg wurde der Zwinger beschädigt und danach sich selbst überlassen. Professor Reese plante, die ehemaligen Sträflingszellen im Erdgeschoss abzubrechen und einen großen, offenen Innenhof zu schaffen, an dessen Innenwänden »in geeigneter Form auf die verschiedenen markanten Ereignisse« hingewiesen werden sollte. In der Mitte sollte eine Feuerschale aufgestellt werden. Reese sah bei der Ausführung dieses Vorschlags die Möglichkeit, eine Gedächtnisstätte ganz besonderen Gepräges zu erhalten, die für lange Zeit ihre Gültigkeit behalten würde, so das Protokoll. Es vermerkt ebenso das rege Interesse des Hauptausschusses und den Auftrag, ein größeres und anschaulicheres Modell zu fertigen, sowie mit dem Landeskonservator zu klären, ob Einwände zu erwarten seien.14 Die öffentliche Debatte um das Mahnmal Das »Projekt Mahnmal« tauchte 1963 in der Politik nicht weiter auf. Erst im Februar 1964, ein Jahr später, stellte Fritz Reese anhand von Plänen und Modellen sein bereits geschildertes Konzept im Hauptausschuss erneut vor. In der Aussprache erhielt es »volle Zustimmung.« Der Ausschuss bat ihn, die Pläne weiter auszuarbeiten und bei der übernächsten nicht-öffentlichen Ratssitzung vorzustellen, zu der dann auch die Presse zugelassen und eingeladen werden sollte.15 In der entsprechenden Ratssitzung am 6. Juli 1964 fanden die »von Herrn Reese entwickelten Ideen […] die volle Zustimmung des Rates«.16 Mit der Ratssitzung gelangte das Thema Mahnmal im Zwinger auch in die Öffentlichkeit. Im Juli und August 1964 erschienen 35 Artikel und Leserzuschriften in den Westfälischen Nachrichten und der Münsterschen Zeitung, die in den Akten der Stadtverwaltung dokumentiert wurden. Beide Zeitungen hatten die Bürgerschaft zu Stellungnahmen aufgerufen. Die konservativen Westfälischen Nachrichten stellten in ihrem Artikel vom 11. Juli 1964 fest, dass man vielerorts ganz froh wäre, dass die alten Ehrenmale von den Bomben des Zweiten Weltkrieges zerstört worden wären. Denn: »Unsere Einstellung hat sich angesichts eines Zweiten Weltkrieges gewandelt.« Bei einem neuen Erinnerungszeichen könne es sich also nur um ein Mahnmal handeln. Ob der Zwinger dafür geeignet sei, bezweifelte der Artikel. Er liege zu abseits, sei mit den Erinnerungen als Kerker behaftet und laufe Gefahr, zu einer Idylle zu werden. Ein Mahnmal müsse aber, um wirksam zu sein, inmitten der Stadt stehen. Außerdem mahnten die Westfälischen Nachrichten, zu überlegen,

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Vgl. StA Münster, Niederschrift der Sitzung des Hauptausschusses vom 14. Januar 1963. Vgl. StA Münster, Niederschrift der Sitzung des Hauptausschusses vom 24. Februar 1964. Vgl. StA Münster, Niederschrift über die nicht-öffentliche Sitzung des Rates vom 6. Juli 1964.

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wem gedacht werden solle. Festgelegt hatte sich die Stadt auf die gefallenen Soldaten, die Zeitung brachte nun verschiedene weitere Gruppen ins Spiel: Die Opfer der Bombenangriffe, die Verfolgten des Nationalsozialismus, die vor den Nationalsozialisten Emigrierten und in der Fremde Gestorbenen, die Fremdarbeiter, Gefangenen und die Vertriebenen. Daher wandte sich die Zeitung gegen den Zeitplan des Rates, das Mahnmal in der nächsten Sitzung zu beschließen, um den richtigen Ort und die richtige (künstlerische) Form zu finden.17 Die anschließende Diskussion in den Leserbriefen drehte sich um drei Hauptthemen: Die Sinnstiftung des Erinnerungszeichens, den Standort im Allgemeinen und die Zweckmäßigkeit des Zwingers. Gerd Schroeder äußerte sich als einer der ersten und warnte davor, zwischen den Soldaten und Opfern der Konzentrationslager zu differenzieren, in dem zum Beispiel der Opfer im Keller gedacht werde und den Gefallenen im Erdgeschoß. »Wer die Toten, alle Toten in ihrer Gesamtheit nicht unterschiedslos als Opfer einer Katastrophe begreift, der geht den Weg in die Zukunft nach wie vor mit dem Gesicht nach rückwärts.«18 Unter Bezugnahme auf Schroeder schlug E. Reppekus am 16. Juli 1964 vor, den Zwinger mit seinen Zellen, »in denen das Angstgeschrei der Gefolterten verröchelte«, abzubrechen und die Überreste mit einer Gedenktafel zu versehen. Für die Gefallenen und zivilen Opfer der Kriege solle man ein eigenes Denkmal errichten, das nicht vom Wohlleben einer genussfreudigen Gegenwart künde, sondern davon, dass die Gefallenen nicht »für die beherrschende Macht des Mammons, sondern im guten Glauben an höhere Werte für Volk und Vaterland [starben].«19 Ob Mahn- oder Ehrenmal, diese Streitfrage beantwortete Alfred Gornschlüter pragmatisch: Man müsse ein Mal errichten, das die Toten ehre und die Lebenden mahne, »nie wieder den Phantomen kriegerischen Heldentums nachzujagen.«20 Vor allem ehemalige Soldaten forderten ein eigenes Ehrenmal. So äußerte sich zum Beispiel Theo Klein am 22. Juli im Namen der »noch lebenden ehemaligen Frontsoldaten des ersten Weltkrieges [sic!]« in Erwiderung auf einen vorherigen Leserbrief, in dem ein Mahnmal zur »Aechtung des Krieges« gefordert und darüber hinaus die Beseitigung aller Heldendenkmäler verlangt wurde.21 Mit spürbarer Verachtung wurde von Klein gemutmaßt, dass dieser Mann kein Soldat gewesen sei und deshalb den Wert einer vorbildlichen »Kameradschaft bis in den Tod«22 nicht kennengelernt habe. Die Soldaten seien in den Weltkriegen nicht aus-

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Vgl. Wird Zwinger Ehrenmal?, in: Westfälische Nachrichten vom 11. Juli 1964. Vgl. Gerd Schroeder, Was will man denn?, in: Münstersche Zeitung vom 11. Juli 1964. Vgl. E. Reppekus, »Thema Mahnmal«, in: Münstersche Zeitung vom 16. Juli 1964. Vgl. Alfred Gornschlüter, »Ein Ehren- oder Mahnmal«, in: Münstersche Zeitung vom 22. Juli 1964. Vgl. »Mahnmal im Erbdrostenhof«, in: Münstersche Zeitung vom 18. Juli 1964. Klein setzt die Redewendung selbst in Anführungszeichen.

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gerückt, um den Krieg zu verherrlichen, sondern, so zitierte er, »weil das Gesetz es befahl.«23 Am 28. Juli deutete »-r–r-«24 die Ehrung so: »Im Sinne der Mehrzahl der Toten (nicht der Überlebenden!) läge ein klage- und anklageloses, bejahendes Ehren ihrer harten Einsatzbereitschaft und der Hinnahme ihres Opfers für ihre Volksgemeinschaft, einerlei, welche Idealvorstellung bei jedem Einzelnen der Gefallenen über den Begriff ›Gemeinschaft‹ mehr oder weniger deutlich herausgebildet haben mag. Und es muß in diesem Belangen auch gleichgültig bleiben, ob wir selbst noch solche schicksalsbejahende Härte gültig bleiben lassen oder es gar eher vorzögen, Opfer um jeden Preis vermeidend, lieber unvermerkt allmählich aus der Reihe der auftragsbewußt gebliebenen Völker gelöscht zu werden.«25 Ein weiterer Autor, der sich als soldatisch denkend bezeichnete, stellte zunächst, wie auch schon Akteure in anderen nordrhein-westfälischen Städten (siehe Kapitel 2.9), fest: »In keinem anderen Land als bei uns ist nach dem Kriegsende die geistige Zerrissenheit derart und finden Zeitgeist und Augenblicksmaßstäbe Anwendung.« Die Opfer der politischen Terrorherrschaft seien bedauernswert, hätten mit dem Krieg aber nichts zu tun. Zur Verdeutlichung verwies er auf die DDR, freilich ohne sie zu nennen: »Noch heute« gebe es in Mitteldeutschland täglich ungezählte Tote in den »Ulbricht-KZ«. Es bestehe kein Anlass, das Gedächtnis an Hingabe und tapfere Pflichterfüllung der für ihr Vaterland gefallenen Soldaten und an die »unschuldigen« Opfer der Bombenkeller und Flüchtlingstrecks mit den Opfern politischer Gewalt zu vermischen. Es gebe verschiedene Gedenktage, also solle es auch verschiedene Mahnmale geben.26 In einem Schreiben vom 13. Juli 1964 an Rat und Oberbürgermeister begrüßte Oberst a. D. Irkens, Vorsitzender der »Gemeinschaft der soldatischen Traditionsverbände zu Münster«, das Vorhaben, ein Denkmal für »unsere Toten des 2. Weltkriegs« zu errichten. Er stimmte der Verwendung des Zwingers zu. Die ruhige Lage abseits vom Straßenverkehr erlaube, dass die Besucher sich ungestört und ernst besinnen könnten. Auch die An- und Abmarschmöglichkeiten der Bundeswehr wären kaum verkehrsbehindernd. Die Frage, ob es ein Ehrenmal oder Mahnmal sei, erledige sich von selbst, wenn man den Zwinger als Ehrenhof umbenenne. Grundsätzlich erklärte er im Namen der ehemaligen Soldaten, dass man nicht an eine Verherrlichung des Krieges denke, man habe ihn nicht gewollt. Man wolle aber stets den gefallenen Kameraden ein ehrendes Gedenken bewahren und diesem durch ein Denkmal Ausdruck verleihen. »Ihre getreue soldatische Pflichterfüllung bis zum Tode, dem sie bewußt, aktiv handelnd und ohne 23 24 25 26

Vgl. Theo Klein, »…wie das Gesetz befahl«, in: Münstersche Zeitung vom 22. Juli 1964. Ähnlich äußerte sich O.N., … wäre daneben, in: Münstersche Zeitung vom 22. Juli 1964. Anonymisierung im Original. -r--r-, »Ein Ehrenmal für unsere Toten?«, in: Münstersche Zeitung vom 28. Juli 1964. Vgl. H. Qu., Keine Begriffsvermengung, in: Westfälische Nachrichten vom 25. Juli 1964.

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jedes Pathos entgegen gingen, ist und bleibt ihre Ehre, damals – heute – immer!« Die Idee, die in der Presse geäußert wurde, im Kellergeschoss den Toten der Konzentrationslager zu gedenken, lehnte Oberst a.D. Irkens ab. »Die Opfer des Krieges sollten nicht getrennt oder gar klassifiziert werden – weder nach politischen noch nach sonstigen Gesichtspunkten – und schon gar nicht in einem Denkmal.« Wenn man den Opfern des Nationalsozialismus nicht als Kriegsopfern gedenken wolle, so das Fazit des Schreibens, sondern explizit als Opfern des Nationalsozialismus, dann müsse das in einem besonderen Denkmal erfolgen.27 Auffällig ist an diesen Meinungen einiger ehemaliger Soldaten, dass das Erinnerungszeichen nur die Gefallenen ehren sollte und dass sie die Hintergründe des Krieges von der Sinnstiftung trennten. Erinnerungswürdig war der Einsatz und das Opfer ganz in der soldatischen Tradition – ohne Berücksichtigung des NS-Regimes, der Angriffskriege oder der Kriegsverbrechen. Für die Verfolgten des Nationalsozialismus war hier kein Platz. Aber es gab auch gänzlich andere Meinungen. Dr. Freisenhausen kritisierte in den Westfälischen Nachrichten die Position der ehemaligen Soldaten als indiskutabel. Die Soldatenverbände würden in Begriffen einer verschwundenen Zeit denken. Das Gedenken, konstatierte Dr. Freisenhausen, sei erst dann glaubwürdig, wenn es allen gelte: denen, die für das Vaterland starben, durch das Vaterland oder wegen ihres Vaterlandes. Man müsse Hans Scholl ebenso gedenken wie des Grenadiers, der vor Smolensk zu Tode gekommen sei und der Frau, die unter dem Bombenschutt gestorben sei. Wenn der Sprecher der Soldatenverbände das Schicksal derjenigen, die beim Tod eine Uniform trugen, höher bewerte, als das der vielen anderen sinnlos Geopferten, dann sei das im Kern die alte Glorifizierung des Soldatentums und passe nicht zum Leitbild des »Bürgers in Uniform«. Falls die Soldaten das nicht einsähen, wäre es besser das Mahnmal aufzugeben, der Schaden wäre größer als der Nutzen.28 H. Esser äußerte sich am 25. Juli ähnlich skeptisch zum Bild der heldenhaft gestorbenen Soldaten: »Aus der Ehrung von Toten aller Kriege, oft »Helden« genannt, ergibt sich nach meiner Meinung kein Sinn. Die Toten haben nicht, wie man so schön gesagt hat, ihr Leben hingegeben oder gar freudig hingegeben, sondern es wurde ihnen genommen, geraubt, gegen ihren Willen, und ohne den Sinn, den man in den verschiedenen Zeiten jeweils unterstellte. Daß ihnen das Leben genommen wurde,

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28

Vgl. StA Münster, Obm Nr. 234, Schreiben des Vorsitzende der Gemeinschaft der soldatischen Traditionsverbände zu Münster, Oberst a.D. Irkens an den Rat und Oberbürgermeister der Provinzialhauptstadt Münster vom 13. Juli 1964. Vgl. Dr. Freisenhausen, Der Sinn des geplanten Denkmals, in: Westfälische Nachrichten vom 16. Dezember 1964.

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ist nicht die Folge einer Weltkatastrophe oder des sogenannten Schicksales gewesen, sondern liegt in der Schuld von Menschen begründet, nicht eines Menschen nur, sondern vieler Menschen, so daß man trotz aller Schwierigkeiten des Einzelbeweises oder Feststellung des Maßes von der Verwobenheit einer Generation in die Schuldfrage sprechen muß. […] Mir scheint, daß der einzig mögliche Sinngehalt einer Erinnerungsstätte der eines Mahnmals sein kann. Erst wenn durch die Erinnerung an die Leiden und die Schuld der Vergangenheit bei uns etwas bewirkt wird, unser Verhalten in der Gegenwart und Zukunft beeinflusst wird, wenn wir uns aufgerufen fühlen und so handeln, daß wir nicht an möglichen Katastrophen der Zukunft schuldig werden, erst dann entsteht eine Frucht aus dem Leiden und dem Tod der Vergangenheit.«29 Engagiert wurde auch die Frage diskutiert, ob der Zwinger der richtige Ort für ein Erinnerungszeichen sei. Der gerade zitierte H. Esser lehnte den Zwinger als zu unheimlich-idyllisch ab, vor allem, wenn er zu einer »glatt sanierten« Ruine werde. Das Mahnmal müsse im Menschenstrom des täglichen Lebens stehen, die Wiedertäuferkäfige habe man auch nicht in den Kellern des Museums aufgestellt, sondern sichtbar über dem Prinzipalmarkt.30 Konträr zu dieser Auffassung hatte sich ebenfalls bereits am 18. Juli ein Leser in den Westfälischen Nachrichten geäußert, denn er bezweifelte angesichts der menschlichen Natur, genauer: der Fähigkeit der Gewöhnung, eine lang andauernde Wirkung eines solch gewünschten »Stachels«. Der Zwinger lade hingegen zur bewussten Besinnung ein, müsste aber nach außen als Mahnmal kenntlich gemacht werden, zum Beispiel durch ein Relief oder eine Skulptur an der gegenüberliegenden Seite der Promenade. Interessanterweise wurde auch in Münster, wie so oft in anderen Städten, Zadkines Skulptur Die zerstörte Stadt in Rotterdam als Vorbild genannt.31 Ähnlich äußerte sich Dr. Freisenhausen, der den Zwinger nur unter der Voraussetzung als geeignet ansah, dass er kein Mahnmal unter Ausschluss der Öffentlichkeit werde. So schlug er vor, ein Viertel der Rundung ungleichmäßig herauszubrechen und dann im Inneren, sichtbar und zugänglich, das Mahnmal zu errichten.32 Ein weiterer Autor befürwortete den Zwinger, da Mahnmale an den Ort des Geschehens gehörten. Da der Zwinger ein Bauwerk sei, das dem Krieg gedient habe, sei er als »Mahnmal für die Opfer der Gewalt«, wie sein Vorschlag für die Widmung lautete, geeignet.33 Gegenteilig

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H. Esser, »Man kann kein Ehrenmal errichten«, in: Münstersche Zeitung vom 25. Juli 1964. Vgl. ebd. Vgl. A.v.B., Stärkere Aufforderung zur Auseinandersetzung, in: Westfälische Nachrichten vom 18. Juli 1964. Vgl. Dr. Freisenhausen, »Für alle Opfer einer dunklen Zeit«, in: Münstersche Zeitung vom 25. Juli 1964. Vgl. Dr. K.H.K, »Den Opfern der Gewalt«, in: Westfälische Nachrichten vom 18. Juli 1964.

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war die daneben abgedruckte Meinung, die sich dagegen wehrte, die mittelalterliche Vergangenheit mit der Neuzeit vermischt werden sollte. »Dann«, so der Autor, »könnte man ebenso gut drei Wachsfiguren von Hitler, Göring und Goebbels in die Käfige am Lambertiturm hängen.«34 Alfred Gornschlüter hatte hingegen den Verdacht, dass die Verwendung des Zwingers einfach billig sei und fand es beleidigend, ein Bauwerk »aus der Mottenkiste« zu verwenden. Er schlug stattdessen »im Zeichen der religiösen Einigungsbestrebungen unserer Zeit« die Herrichtung der Clemenskirche als Andachtsstätte vor.35 Bernhard Dirksmeier warnte in seiner Stellungnahme, dass die Errichtung eines Mahnmals auch missbraucht werden könnte, um die Erinnerung abzuschließen. Nach seiner Beobachtung wurde die Erinnerung an die Vergangenheit nämlich mit dem Schutt der zerstörten Häuser entfernt, »denn wer kann noch dem [sic!] Gedanken nachvollziehen, daß vor 20 Jahren hier die Gasöfen rauchten, um Millionen Menschen zu verbrennen.« Die »notwendige Selbsterniedrigung zur gerechten Lösung der Aufgabe« könne heute nur schwer ins Bewusstsein zurückgeholt werden. Daher plädierte er für ein bewegliches Mahnmal, dessen Inhalt aus Fotos, Schriften und Äußerungen von Künstlern stetig ausgetauscht werden könnte. Auch die gegenwärtigen Verbrechen, so seine Idee, sollten mit einbezogen werden, zum Beispiel Kuba, Vietnam und die Berliner Mauer, als ständige Belastung seiner Beschauer und Organisatoren.36 K.H.A. Dütting aus Telgte warnte davor, als Mahnmal für die Opfer von Krieg und Vertreibung eine Skulptur aufzustellen, die nur Künstlern und Kunstwissenschaftlern zugänglich sei. Die Skulpturen der Gegenwart bezeichnete er als moderne Abnormitäten und Denksportaufgaben, die von der Masse der Bevölkerung abgelehnt würden.37 Die Vorstellungen der Bevölkerung gingen weit auseinander. Die Argumentationen für und wider die Verwendung des Zwingers zeigen ein Dilemma auf, dass sich nicht auflösen lässt: Für Trauer und Besinnung ist an belebten Orten kein Raum, Mahnmäler leiden unter Gewöhnungseffekten und ein abgeschlossener, besinnlicher Raum verfehlt seine öffentliche Wirkung. Es gab auch einzelne Stimmen, die ein Erinnerungszeichen rundheraus ablehnten. So meldete sich ein Leserbriefschreiber mit einer kulturpessimistischen Einsendung, dass das Anliegen des Mahnmals überhaupt nicht darstellbar sei. »Vor dem, was uns widerfuhr und noch wiederfährt [sic!], verblaßt jedes Mahnmal.« 34

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Vgl. W.K., Vergangenheit und Neuzeit, in: Westfälische Nachrichten vom 18. Juli 1964. Ebenso äußerte sich Wilhelm Kaiser, »Zwinger nicht zweckentfremden«, in: Münstersche Zeitung vom 24. Juli 1964. Vgl. Alfred Gornschlüter, »Ein Ehren- oder Mahnmal«, in: Münstersche Zeitung vom 22. Juli 1964. Vgl. Bernhard Dirksmeier, »Mahnmal in Münster«, in: Münstersche Zeitung vom 7. August 1964. Vgl. K.H.A. Dütting, Den Zwinger als ein Erinnerungsstück belassen!, in: Westfälische Nachrichten vom 8. August 1964.

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Man könne viel eher ein Mahnmal auf jedem Politikerschreibtisch gebrauchen. Aber ein Mahnmal, das nur errichtet werde, weil es zum guten Ton gehöre, damit Besucher der Stadt einen weiteren Punkt zum Abhaken hätten und damit jemand Kunst verkaufen könne, lehnte der Verfasser ab.38 Ein anderer, der sich nicht berufen fühlte, sich zur Art eines Ehrenmales zu äußern, bat die Zeitung, sich stattdessen mit Nachdruck für die Errichtung des dringend erforderlichen großräumigen, modernen Freibads einzusetzen.39 Am 28. Juli 1964 beschloss der Rat einstimmig auf Vorschlag des Hauptausschusses, die Entscheidung über das Mahnmal mit Berücksichtigung der laufenden Diskussion von der Tagesordnung zu nehmen.40 Die Münstersche Zeitung mahnte ebenfalls eine Verschiebung der Entscheidung in die nächste Legislaturperiode an, da im Herbst Kommunalwahlen anstanden. Die Zeitung sah die Stadt aber weiterhin in der Verpflichtung, ein Erinnerungszeichen zu errichten, das an diejenigen erinnern sollte, »die durch ihr Opfer eine Basis geschaffen haben, daß wir in Freiheit und im Wohlstand leben können.«41 Damit war die öffentliche ebenso wie die kommunalpolitische Debatte zunächst beendet. Historische Reminiszenzen: Der Umgang mit der Vergangenheit Erst zwei Jahre später, 1966, nahm das Projekt wieder Fahrt auf. Am 18. April 1966 stellte Professor Reese noch einmal ein Modell und Skizzen vor. Der Hauptausschuss beurteilte die Pläne »durchaus positiv« und die Idee fand »grundsätzliche Zustimmung«. Auch wenn die spröde technokratische Sprache des Protokolls nicht unbedingt die Aussagen der Handelnden adäquat wiedergibt, drängt sich doch der Eindruck auf, dass die Politik die Pläne nicht nachdrücklich vorantrieb.42 Am 24. April 1966 berichtete Reese dem Ausschuss, dass das Mahnmal 200.000 DM kosten würde. Eine nicht genauer bezeichnete Mehrheit des Ausschusses stimmte dafür, »ein Mahnmal für die Opfer der Gewalt und des Krieges« zu errichten, dafür die Ruine des Zwingers zu verwenden und Reese mit der Erstellung der Pläne zu betrauen.43 Der Rat schloss sich am 2. Mai 1966 an und bezeichnete das Erinnerungszeichen als »Mahnmal für die Opfer des Krieges und der Gewalt«. Ob die Vertauschung von »Krieg« und »Gewalt« ein Ergebnis der Aussprache war, wird aus dem Protokoll nicht deutlich. Das Erinnerungszeichen war aber nun beschlossen.44 Für die äußere Ausschmückung des Zwingers, so berichtete die Münstersche Zeitung,

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Vgl. »In Münster mahnt zuviel«, in: Münstersche Zeitung vom 31. Juli 1964. Vgl. J.K., »Gehört an den Pranger«, in: Münstersche Zeitung vom 24. Juli 1964. Vgl. StA Münster, Niederschrift über die nicht-öffentliche Sitzung des Rates vom 28. Juli 1964. Vgl. HJK, Bau eines Ehrenmals zurückgestellt, in: Münstersche Zeitung vom 29. Juli 1964. Vgl. StA Münster, Stadt-Dok Nr. 233, Auszug aus der Niederschrift über die öffentliche Sitzung des Hauptausschusses am 18. April 1966. Vgl. StA Münster, Niederschrift der Sitzung des Hauptausschusses vom 25. April 1966. Vgl. StA Münster, Niederschrift über die Sitzung des Rates vom 2. Mai 1966.

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seien ein Kreuz und die Jahreszahlen des Krieges vorgesehen, für die innere Gestaltung eine Inschrift und ein »Teppich von Kreuzen« an der Wand. Sowohl CDU als auch SPD und FDP stimmten dem Entwurf zu.45 Der Beschluss des Rates basierte auf einer Vorlage des auch für Kultur zuständigen Stadtschulrats Dr. Hoss. Dieser setzte sich in diesem Schriftstück intensiv mit der vorangegangenen öffentlichen Debatte auseinander. Er hielt fest, dass es eine weitgehende Übereinstimmung in der Diskussion gebe, dass »die Gedenkstätte den Charakter eines zur Besinnung führenden Mahnmals haben soll.« Während die soldatischen Traditionsverbände ein Ehrenmal forderten, das »die Ehre, der soldatischen Pflichterfüllung« anerkenne, würden die meisten Stimmen dafür sprechen, das Mahnmal auch den Opfern des Naziregimes zu widmen, »da beide Gruppen das gemeinsame Schicksal einer grauenvollen Epoche deutscher Geschichte als deren ›Opfer des Krieges und der Gewalt‹ teilen.« In einer kritischen Stellungnahme hielt Hoss dann fest, dass »die Stadt Münster […] sich aller ihrer Toten erinnern [wolle], die in der Zeit des nationalsozialistischen Herrschaftssystems durch Kriegseinwirkung oder Verfolgung ihr Leben verloren haben.« Dass sie sich in verschiedene Gruppen einteilen ließen, sei sekundär, wichtig sei, dass sie unterschiedslos Bürger der Stadt gewesen seien. Er äußerte Verständnis für den Wunsch nach einem stets »anstachelnden« Mahnmal im Zentrum des städtischen Lebens, bezweifelte aber, dass die Gewöhnung diese Wirkung zulasse: »Demgegenüber weiß man aus vielfach bestätigter Erfahrung sehr genau, daß der durch Lärm und Tempo stark gereizte heutige Mensch Stille, Sammlung und Einkehr bracht [sic!], um zu sich selbst und zu ihn in der Tiefe seiner Person anrührenden Erlebnissen und Einsichten zu gelangen. Wenn also die Botschaft des Mahnmals ernsthaft aufgenommen und bedacht werden soll, wird dies nur an einem ungestörten und zu ruhiger Betrachtung einladenden Orte möglich sein.«46 Daher spreche alles für den Zwinger: Er liege an ruhiger Stelle, aber nicht allzu fern vom Stadtkern, es gebe nur Fußgängerverkehr, das mächtige, fensterlose Mauerwerk schirme den Besucher von der Außenwelt ab und gestatte so keine Flucht in den schönen Schein. Zuletzt sei die historische Bewertung in der öffentlichen Debatte falsch. Damit bezog sich Hoss unter anderem auf Leserbriefe, in denen die Geschichte des Zwingers als vorbelastet bezeichnet worden war. So war schon im Juli 1963 bemängelt worden, dass der Bauherr, der Fürstbischof, den Zwinger schließlich gebaut habe, um die Bürger in Schach zu halten und jahrelang hätten

45 46

Vgl. Der Zwinger soll Mahnmal werden, in: Münstersche Zeitung vom 3. Mai 1966. StA Münster, Vorlage 120/66, Zur Niederschrift über die öffentliche Sitzung des Rates vom 2. Mai 1966.

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dort besonders böse Kriminelle vergangener Jahrhunderte eingesessen.47 Hoss erklärte dagegen, der Zwinger sei ein »besonders machtvolles Bollwerk zum Schutze der Bürger gegen den andrängenden Feind« gewesen. »Er ist also ausdrücklich ein Zeichen für das Schutzbedürfnis der Bürgerschaft und gerade nicht ein Instrument grausamer Gefangenschaft unschuldiger Menschen.«48 Zur Geschichte des Zwingers äußerte sich Fritz Reese wenige Tage nach dem Ratsbeschluss im Interview mit der Münsterschen Zeitung persönlich. Er konstatierte, die Geschichte sei nur bedingt von Bedeutung. Dennoch zog er die Vergangenheit des Bauwerks zur Begründung der Eignung als Erinnerungszeichens heran. Anders als Dr. Hoss beschrieb er ihn nicht nur als Verteidigungsbollwerk. Seine Nutzung als Kerker und zur Verhinderung von Aufständen machte ihn für Reese zum Symbolbild für die Zeit des Nationalsozialismus. Außerdem sei die Ruine eine Erinnerung an die völlige Zerstörung der Stadt und ihren Wiederaufbau.49 Im September 1966 wandte sich der Ring Deutscher Soldatenverbände an Rat und Oberbürgermeister und forderte den Bau eines Ehrenmals für »die Gefallenen, die als Soldaten ihr Leben für das deutsche Volk geopfert haben.« Der Zwinger schied für den Ring Deutscher Soldatenverbände als Ort inzwischen aus, weil Gerüchte aufgekommen waren, dass dort in den letzten Monaten des Weltkriegs willkürliche Hinrichtungen stattgefunden hätten. Die Soldatenvertreter schlugen daher die Errichtung eines Ehrenmals in der Grünanlage am nordwestlichen Aaseeufer vor.50 Der Stadtschulrat teilte daraufhin dem Oberbürgermeister mit, dass das Gerücht nicht bestätigt werden könne. Es gebe keine entsprechende Notiz im Stadtarchiv. Staatsarchivdirektor Professor Bauermann, der als Volkssturmmann eingesetzt worden war, halte Hinrichtungen an Deserteuren für »ganz und gar unwahrscheinlich«. Andere mögliche Opfer wurden von der Verwaltung scheinbar nicht in Betracht gezogen. Aber selbst, wenn tatsächlich etwas geschehen sei, so fügte Oberbürgermeister Dr. Beckel hinzu, wäre der Zwinger besonders als Ort geeignet und verglich ihn mit der Hinrichtungsstätte in Plötzensee, die einen tiefen Eindruck auf Besucher mache.51 Im April 1967 führte ein Leserbrief in der Münsterschen Zeitung zu einer neuen, wenn auch folgenlosen Debatte um den Zwinger. Karl Heimann ging darin besonders auf die frühneuzeitliche Geschichte des Bauwerks ein und charakterisierte

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Vgl. Gerd Schroeder, Zwinger »vorbelastet«, in: Münstersche Zeitung vom 6. Juli 1963. Vgl. StA Münster, Vorlage 120/66, Zur Niederschrift über die öffentliche Sitzung des Rates vom 2. Mai 1966. Vgl. »Bekommt einen völlig neuen Sinn«, in: Münstersche Zeitung vom 7. Mai 1966. Vgl. StA Münster, Obm Nr. 234, Schreiben des Rings Deutscher Soldatenverbände an Rat und Oberbürgermeister vom 14. September 1966. Vgl. StA Münster, Obm Nr. 234, Schreiben des Stadtschulrates an Oberbürgermeister Beckel vom 3. Oktober 1966.

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es als Folterkammer, Ort der Unterdrückung der Münsteraner, Hinrichtungsstätte für desertierte Soldaten und Schindacker für Wiedertäufer. Er erwähnte auch Gerüchte von »Nacht- und Nebelaktionen« der Gestapo. Diese »Stätte der Schande und des Verbrechens« sei als Ort der Totenehrung unwürdig.52 Nachdem am 29. April 1967 der Leiter des Münsteraner Stadtarchivs zu den geschichtlichen Hintergründen Stellung genommen hatte und dabei auch die Behauptungen über Erhängungen und Erschießungen im oder am Zwinger in den Jahren 1944 und 1945 Kriegsjahren als beweislos zurückgewiesen hatte,53 äußerten sich in der Münsterschen Zeitung drei ehemalige Polizeireservisten. Sie bestätigten, dass Russen und Polen im Zwinger hingerichtet worden waren. Das erste Opfer, ein Russe, sei hingerichtet worden, nachdem er selbst den Galgen angebracht habe. Auch seien dort 17 Menschen, darunter ein Mädchen, unmittelbar vor der Ankunft der Amerikaner erschossen worden.54 Eine Auswirkung dieser Erkenntnisse auf die Errichtung des Erinnerungszeichens, wie in Dortmund und Meschede, ist allerdings nicht festzustellen. Die Münstersche Zeitung verfolgte das Thema nicht mehr, im Mai 1967 findet sich keine weitere Berichterstattung dazu. Die lokale NS-Geschichte blieb unaufgearbeitet. Am 12. Februar 1968 besprach die Verwaltung mit Professor Reese den Stand der Planung. Die historischen Erkenntnisse waren kein Thema. Im Gegenteil: Aufgrund des Widerspruchs der Soldatenverbände überlegte die Stadt nun, das »Bauwerk durch die Entfernung der architektonisch und denkmalspflegerisch unerheblichen Kellergewölbe von historischen Reminiszenzen an Unfreiheit und Gewalttätigkeit freizumachen und dem so zeitlos und auch noch monumentaler gewordenen Bauwerk einen ganz neuen Sinn zu geben.« Unklar bleibt, ob mit den »historischen Reminiszenzen« nur die frühneuzeitlichen Zwecke des Gebäudes oder auch die Gestapo-Vergangenheit gemeint waren. Die Stadtverwaltung war aber unzweifelhaft bereit, die historische Bausubstanz zu vernichten, um einen Kompromiss mit den Soldatenverbänden zu finden. Für die Ausgestaltung des Innenraums wurde nun eine Veränderung erwogen und man überlegte die bisher geplanten Kreuze durch die Namen der Gefallenen und Getöteten zu ersetzen. »Durch die Vielzahl der Namen von Menschen, die wirklich gelebt haben, prägt sich die Ungeheuerlichkeit des Geschehens dem Betrachter als eine ernste Mahnung mit unwiderstehlicher Gewalt ein,« begründete die Stadtverwaltung den Vorschlag. Offen blieb aber, wie die Namen gruppiert und welche Angaben, zum Beispiel zur Todesursache, gemacht werden sollten. Die Verwaltung gab die Änderungswünsche Reese mit, der sie in seine Gestaltungspläne einarbeiten sollte.55 52 53 54 55

Vgl. Karl Heimann, »Verneinung sittlicher Werte«, in: Münstersche Zeitung vom 17. April 1967. Vgl. »Vieles ist nur eine Legende«, in: Münstersche Zeitung vom 29. April 1967. Vgl. »Da ist fast täglich was passiert!«, in: Münstersche Zeitung vom 10. Mai 1967. Vgl. Stadtmuseum Münster, Akte Zwinger, Bd. 15/16, Aktenvermerk Stadtschulrat vom 12. Februar 1968.

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Am 22. Januar 1969 trat die Kunstkommission des Rates zusammen. Reese legte ihr zwei Entwürfe vor. Dem ersten Entwurf – unter Beibehaltung des Kellergeschosses – hatte der Landeskonservator zugestimmt. In einer Grundsatzdebatte kam die Kunstkommission zu demselben Ergebnis wie der Rat: Man müsse aller Opfer der Zeit von 1933-1945 gedenken. Die Innengestaltung hingegen bereitete weiterhin Kopfzerbrechen. Die Kommission beschloss gemäß dem zweiten Entwurf das Kellergeschoss auszuräumen und dann, wenn ein besserer Raumeindruck gewonnen werden konnte, sollte die Konzeption des Innenraums fortgesetzt werden.56 Am 25. April 1969 empfahl die Kunstkommission dem Rat einen Wettbewerb für die Ausgestaltung des Innenraums mit einem Honorar von 3.000 DM pro Künstler. Sie schlug hierfür Hans Kleyer aus Münster, Heinz Güter Prager aus Köln, den Österreicher Karl Prantl, Balduin Romberg aus Coesfeld, Ernst Hermanns aus München und Fritz Reese selbst vor.57 Am 6. Juni 1969 schaltete sich dann der Landeskonservator in die Debatte ein. Er wies darauf hin, dass der Kaufvertrag, mit dem die Stadt Münster den Zwinger 1911 von der Bezirksregierung erworben hatte, die Auflage beinhalte, den Zwinger, der als spätmittelalterliches Bauwerk in Westfalen einzigartig sei, dauerhaft zu erhalten. Gegen eine Verwendung als Ehrenmal spreche seitens des Landeskonservators nichts, sofern die Bausubstanz und das Kellergeschoß in vollen Umfang bestehen blieben und die übrige Gestaltung im Einvernehmen mit dem Amt des Landeskonservators erfolge.58 Zweifel am Sinn des traditionellen Gedenkens Unterdessen war das Erinnerungszeichen auch wieder in der Münsterschen Zeitung thematisiert worden. Am 5./6. Mai 1969 ließ die Zeitung die Landschaftsarchitekten der S.A.L. Planungsgruppe als Vertreter einer jungen Architektengeneration zu Wort kommen. Diese kritisierten das Mahnmal als Stätte der Pflichtübung, des pathetischen Redenschwingens und des Kranzniederlegens an bestimmten Kalendertagen. Die geplante Entfernung des Kellergeschosses diene der Gestaltung eines ästhetisch wohlgefälligen Raumes, sodass deutlich werde, dass dem Rat nicht an einem Mahnmal zur Erinnerung an Unmenschlichkeit und Krieg gelegen sei, sondern an einem angenehmen Feierraum für den harmonischen Verlauf der alljährlichen Trauerfeier. Zudem sei anzunehmen, dass der Zwinger »aus hygienischen Gründen« ansonsten ständig abgeschlossen sein werde. Als Alternative schlugen die Architekten die Restauration des Zwingers und die Einrichtung eines Jugend-,

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Vgl. Stadtmuseum Münster, Akte Zwinger, Bd. 15/16, Niederschrift über die 6. Sitzung der Kunstkommission vom 22. Januar 1969. Vgl. Stadtmuseum Münster, Akte Zwinger, Bd. 15/16, Protokoll über die Sitzung der Kunstkommission vom 25. April 1969. Vgl. Stadtmuseum Münster, Akte Zwinger, Bd. 15/16, Schreiben des Landeskonservators an die Stadtverwaltung vom 6. Juni 1969.

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Bildungs- und Freizeitzentrums darin vor.59 Durch die Veröffentlichung brach der Konflikt zwischen jenen, die die Gefallenen ehrend memorieren wollten und jenen, die nach dem Krieg keine Ehre mehr finden konnten, in den Leserbriefspalten erneut aus. Oder in der Sprache von Karl Heimann: »Als geborener Münsteraner und alter 13er warne ich den Rat der Stadt Münster, einen für alle Zukunft schandbaren Plan der Totenehrung im Zwinger, einem Ort der Unterdrückung, des Grauens und Verbrechens, durchzuführen, der für die Gefallenen zweier Weltkriege, deren Angehörige und die noch lebenden Kriegsteilnehmer geradezu eine Herausforderung ist. Gilt das Lebensopfer der für Heimat und Volk gefallenen Soldaten in Münster so wenig, daß ausgerechnet der am wenigsten für eine Totenehrung geeignete Platz unserer Heimatstadt für die Ehrung gefallener Soldaten ausgewählt wurde? […] Die Durchführung der beschämenden Pläne des Rates bewirken eine Verneinung des ethischen Begriffs vom Lebensopfer des Soldaten und zersetzt damit den Wehrwillen und die Wehrkraft unseres Volkes.«60 Dieser Leserbrief löste zahlreiche Reaktionen aus, zustimmende wie ablehnende. Maria Sieben fragte sich zum Beispiel, ob da ein Hitlerjunge spräche, der 30 Jahre in einer Konservendose gesessen hätte.61 A.K.62 erklärte: »Ein Mahnmal soll, vor allem in unserem aktuellen Fall, an die Ganzheit des über uns gekommenen Unheils erinnern und uns gemahnen, alles zu tun, um seine Wiederholung zu verhüten. Es geht primär davon aus, daß wir etwas falsch gemacht und dadurch unser Unglück selbst verschuldet haben. Dieses Unglück geht hier zudem über den tragischen Verlust von Millionen Toten weit hinaus. Zu ihm ist vor allem auch das Schicksal von vielen Millionen Überlebenden zu rechnen, die als Folge verfehlter Politik bis an das Lebensende, mit ihren Familien, das Los der Verkrüppelung, der Verstümmelung, der Erblindung, des Siechtums oder geistiger Krankheiten zu tragen haben; die ihre Heimat verloren, ihre Freunde, ihre Existenz, ihr redlich erworbenes Besitztum; die aus ihrer Lebensbahn geworfen wurden; ferner für Millionen der Verlust bester Lebensjahre, der Kinderzeit, der Jugend; weiter die Angst und Not der Kriegszeit und die furchtbaren Entbehrungen nach dem Kriege: für die Mütter und Kinder die entsetzlichen Schrecken der Bombennächte; für zahllose auch das Martyrium der Kriegsgefangenschaft; für uns alle aber endlich der Verlust eines blühenden geeinten Staatswesens auf

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Vgl. Mahnmal im Zwinger, in: Münstersche Zeitung vom 5./6. Mai 1969. Karl Heimann, »Mahnmal gleich Wahnmal«, in: Münstersche Zeitung vom 13. Mai 1969. Seinem Unmut machte Heimann auch per Brief an den Oberbürgermeister am 5. Mai 1969 Luft, vgl. StA Münster, Obm Nr. 234. Vgl. Maria H. Sieben, »Kein Ehrenmal« in: Münstersche Zeitung vom 23. Mai 1969. Anonymisierung im Original.

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ein Menschenalter hinaus; der Verlust des Vertrauens der Völker, die Unruhe der gegenwärtigen Welt, die bereits wieder, ebenfalls auf ein Menschenalter hinaus, die Gefahr neuer und größerer Schrecken in sich birgt. Wenn man das alles bedenkt, dann kann doch unmöglich der Gedanke im Vordergrund stehen, daß unsere Toten »für uns«, »für unsere Heimat« ihr Leben hingaben, und daß wir ihrer dankbar gedenken und sie ehren müssen; sondern daß die sinnlos und skrupellos mißbraucht wurden, daß ihr Opfer wie die Ganzheit unserer Opfer und Leiden überhaupt zu unserem Unheil gebracht worden sind!«63 Karl Heimann reagierte darauf: »Unrichtig ist die im geplanten ›Mahnmal‹ zum Ausdruck kommende negative Geisteshaltung der Selbstanklage und Selbstbesudelung, die nach dem verlorenen Krieg in ein geistiges Flagellantentum ausartete. Im anderen Teile Deutschlands ist eine auch nur ähnliche Haltung völlig undenkbar. Für uns wirkt die lähmend im Bestreben, unter den Völkern eines vereinten Europas einen ehrenvollen Platz zu erringen. Letzten Endes zersetzt sie die Wehrkraft unseres Volkes, die heute mehr als je eine Garantie für den Frieden sein soll. Welchen Sinn hat ein ›Mahnmal‹ in der alten Garnisonstadt [sic!] Münster?«64 Diese Stellungnahme blieb nicht unwidersprochen: »Aha! Da haben wir es! Aus einer ganz bestimmten Ecke scheint der Wind zu wehen! Endlich sind jene Worte gefallen, mit denen man sich vor aller Welt allerbestens selbst disqualifiziert: ›Negative Geisteshaltung (im Mahnmal), Selbstanklage, Selbstbesudelung, geistiges Flagellantentum, Zersetzung der Wehrkraft.‹ […] Und wenn es wirklich noch nötig sein sollte, die Frage nach dem Sinn des Mahnmals (auch – oder gerade – für ›die alte Garnisonstadt‹) Münster zu beantworten: Es soll uns mahnen, stets daran zu denken, daß furchtbares Elend über Millionen Menschen gekommen ist durch ein verbrecherisches System, das im deutschen Namen handelte! Es soll uns mahnen, nicht zu vergessen, wieviele Angehörige auch des eigenen Volkes dabei geopfert wurden! Vor allem aber soll es uns mahnen, einer Wiederholung solcher Geschehnisse, solchen Ungeistes und solcher Unmenschlichkeit nie mehr zuzulassen! […] Die Menschen, die dort in aller Stille gedenken wollen, brauchen dazu kein Kommando; und die Toten, derer man dort gedenkt, können ganz sicher auf falschen militärischen Pomp und Firlefanz verzichten! D e r hat sie nämlich dorthin gebracht, wo sie jetzt sind: ins Grab, sofern man nicht ein Verschachern für ausreichend hielt.«65

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A.K. »Beim Mahnmal verbleiben«, in: Münstersche Zeitung vom 22. Mai 1969. Karl Heimann, »Ehrenmal – Mahnmal«, in: Münstersche Zeitung vom 24. Mai 1969. F. Birrong, »Ein Mahnmal«, in: Münstersche Zeitung vom 29. Mai 1969.

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Oberst a.D. Klingsporn drohte am 27. Januar 1970, dass die Beibehaltung des bisherigen Standpunktes des Rates erhebliche Konsequenzen haben werde. Die Stadt solle an den im »Ring Deutscher Soldatenverbände« zusammengeschlossenen Soldatenvereinigungen mit ca. 8.000 Mitgliedern, zu denen ein großer Teil ihrer Familienangehörigen hinzuzurechnen sei, nicht vorübergehen.66 Am Volkstrauertag 1970, den der Ring Deutscher Soldatenverbände am 1925 errichteten Kriegerdenkmal des Reserve Infanterie Regiments Nr. 13 unter Beteiligung der Bundeswehr abhielt, erklärte er, was die ehemaligen Soldaten von der Stadt erwarteten: »Eine Stätte, wo die Millionen zählenden gefallenen Soldaten nicht als bedauernswerte Opfer einer verbrecherischen Politik abgetan werden, sondern wo sie den Platz einnehmen, der ihnen als in treuer Pflichterfüllung dahingegangenen zukommt.« Da er sich von Stadt und Rat missachtet fühlte, kündigte er im Januar 1971 an, man werde nun unabhängig von der Stadt das Vorhaben selbst in die Hand nehmen.67 Auch wenn diese Debatte sehr emotional geführt wurde, gelang es manchen doch, diese komplett zu ignorieren. Die 1848 gegründete Karnevalsgesellschaft »Narrenzunft vom Zwinger« fragte im Oktober 1969 an, ob sie die Senatorentaufe durch den »Obergeist vom Zwinger« nicht in diesem durchführen könne.68 Die Stadtverwaltung lehnte mit Blick auf den Ratsbeschluss vom April des Jahres ab.69 Im Juni 1969 wurde der Wettbewerb für die Innenraumgestaltung des Zwingers schließlich vom Stadtbauamt ausgeschrieben. Als Abgabetermin wurde der 15. Oktober 1969 festgelegt, das Honorar auf 1.500 DM, die Hälfte der von der Kunstkommission empfohlenen Summe. Man wünschte sich eine Auseinandersetzung mit den bisherigen Gestaltungsentwürfen von Fritz Reese.70 Karl Prantl sagte aufgrund einer Japanreise seine Teilnahme ab,71 der stattdessen angeschriebene Ernst Hermanns aufgrund von Terminschwierigkeiten ebenfalls.72 Reese, der schon be-

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Vgl. StA Münster, Obm Nr. 234, Schreiben von Oberst Klingsporn a.D., Ring Deutscher Soldatenverbände zu Münster, an den Oberbürgermeister, Rat und Fraktionen im Rat der Stadt Münster vom 27. Januar 1970. Vgl. StA Münster, Obm Nr. 234, Schreiben von Oberst Klingsporn a.D., Ring Deutscher Soldatenverbände zu Münster, an den Oberbürgermeister, Rat und Fraktionen im Rat der Stadt Münster vom 27. Januar 1971. Dort befindet sich auch das Zitat aus der Rede. Vgl. Stadtmuseum Münster, Akte Zwinger, Bd. 15/16, Schreiben der KG Narrenzunft vom Zwinger vom 24. Oktober 1969. Vgl. Stadtmuseum Münster, Akte Zwinger, Bd. 15/16, Schreiben des Hochbauamts vom 7. November 1969. Vgl. Stadtmuseum Münster, Akte Zwinger, Bd. 15, Schreiben des Stadtbauamtes, datiert auf Juni 1969. Vgl. Stadtmuseum Münster, Akte Zwinger, Bd. 15, Aktenvermerk vom 28. August 1969. Vgl. Stadtmuseum Münster, Akte Zwinger, Bd. 15, Schreiben von Ernst Hermanns vom 16. September 1969.

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achtliche Vorarbeiten geleistet hatte, erklärte, dass er in der vorgesehenen Form nicht am Wettbewerb teilnehmen könne.73 Am 8. Dezember 1969 trat das Preisgericht zusammen, um über die drei eingegangenen Entwürfe zu urteilen. Da kein Preisrichter aus Münster kam,74 besichtigte man den Zwinger und gab den Künstlern Gelegenheit ihre Entwürfe vorzustellen. Doch die Preisrichter wählten keinen davon. Die Niederschrift erklärt: »Die Jury kam jedoch unter dem Eindruck des Bauwerkes und nach eingehender Überprüfung der eingereichten Entwürfe zu der Übereinstimmung, dem Rat der Stadt zu empfehlen, das Bauwerk mitsamt der von Schlaun [dem ursprünglichen Baumeister, Anm. JNK] eingebrachten Innenstruktur zugänglich und deutlich zu machen und keine Maßnahme zuzulassen, die das geschichtlich Gewordene des Bauwerks abschwächen. Im Gegenteil suggeriere das Bauwerk in seiner gegebenen Struktur in so eindringlicher Weise die Assoziationen von Schicksal, Schuld, Strafe, Gewalt, Leid und Behauptung, daß es einer ästhetischen Modifikation durch eine Neugestaltung gerade nicht bedarf: Um die geplante Gedenkstätte in möglichst vollkommener Weise zu einem Ort umfassender Nachdenklichkeit werden zu lassen, bedarf es nach einmütiger Auffassung der Jury eines hinweisenden kurzen Textes, der in angemessener Typografie am Gebäude anzubringen ist. Als Verfasser des Textes schlägt die Jury Heinrich Böll, als Typografen Josua Reichert vor. Für die bauliche Instandsetzung schlägt die Jury den Architekten v. Hausen vor.«75 Die Stadt folgte den Empfehlungen des Preisgerichts, sodass sich die Kunstkommission 1970 erneut mit einem Entwurf zu beschäftigen hatte. Das Architekturbüro von Hausen sprach sich gegen den Charakter einer Gedenkstätte aus und entwickelte Pläne, die die Wiederherstellung des Zwingers vorsahen, um darin eine Versammlungsstätte einzurichten. Die Kosten hierfür wurden auf 470.000 DM bis 538.000 DM beziffert. In einer undatierten Beschreibung der Entwürfe führten die Architekten aus: »Die Verfasser sind grundsätzlich dagegen, nur eine Gedenkstätte zu schaffen. Sie sehen es als nicht opportun an, daß ein solches Gebäude an den wenigen Gedenktagen des Jahres frequentiert wird. Außerdem zweifeln sie am Sinn traditionellen Gedenkens. Die Aussagekraft einer Kranzniederlegung, Musik usw. ist heute nur noch wenigen zugänglich. Um aber allen gerecht zu werden, wird 73 74

75

Vgl. Stadtmuseum Münster, Akte Zwinger, Bd. 15, Aktenvermerk, undatiert. Vgl. Es waren: Prof. Götz aus Düsseldorf, Oberstudienrat Ehlers aus Hiddesen, Museumsdirektor Dr. Leo aus Bochum, Univ.-Prof. Dr. Imdahl aus Bochum, Museumsdirektor Grochowiak aus Recklinghausen. Stadtmuseum Münster, Akte Zwinger, Bd. 15, Niederschrift über die Preisgerichtssitzung »Mahnmal Zwinger« vom 8. Dezember 1969.

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versucht, den inneren Zylinder des Zwingers so zu gestalten, daß er die Möglichkeit einer traditionellen Ehrung bietet, aber auch pluralistischen Denkens Sinn sein kann. Keine herkömmliche Empfindungs- und Reizästhetik in einem ikonologischen Arsenal, keine rückwärtsgewandte Sehnsucht nach Naturhaftigkeit als Beweis für einen Verlust. Nichts wird zum negativen Fetisch gemacht. Es bildet sich etwas Neues, und dieses Neue ist nichts Geringeres als das allgemein intelligible [Verständliche, Anm. JNK]: […] Vieles bedeutet experimentelle Arbeit im räumlich-visuellen Bereich. Es ist nichts, oder soll nicht auf rein syntaktische Perfektionierung angelegt sein. Die ins Ungewisse greifende Hand Le Corbusiers würde genug vermitteln. Jegliche Typographie würde nur falsche Assoziation aufkommen lassen.«76 Ähnlich wie von Hausen stellte auch das Magazin Münster Presse die Frage nach dem Sinn des Denkmals. »Wir wollen wissen, wozu Denkmale gut sind. Eins ist sicher: Ein Denkmal ist nicht nur auf Vergangenes gerichtet, es trägt für sein eigenes Vergessen schon den Keim in sich. Spätestens in 20 Jahren wird das Denkmal ›Zwinger‹ ebenso erklärungsbedürftig sein wie die Ereignisse, an die es die Erinnerung wachhalten soll.«77 Das Scheitern des Erinnerungszeichens Mit ihrem Entwurf gingen die Architekten weit über das von Rat und Jury angedachte Konzept hinaus, fanden aber die Zustimmung der Kunstkommission. Sie beschloss, dass die Planung in einem Modell dargestellt werden solle. Einstweilen wolle man aber die Errichtung des Mahnmals mit der außen anzubringenden Inschrift verwirklichen. Anschließend könne dann in einer zweiten Baustufe über die weitergehenden Pläne entschieden werden.78 In diesem Sinne schrieb Oberbürgermeister Dr. Beckel dann an Heinrich Böll und setzte ihn vom Wunsch des Preisgerichts in Kenntnis, einen Text zu entwerfen, der, so formulierte es Dr. Beckel, »darauf hinweisen kann, daß diese Stätte, die in der Vergangenheit kriegerischen Verteidigungszwecken gedient hat und auch wohl zwischendurch Verlies für Gefangene gewesen ist, heute an alle Opfer des Krieges und der Gewalt in unserer Zeit erinnern, aber mehr die Lebenden mahnen als die Toten ehren und ihrer gedenken soll.«79 Am 27. April 1971 besuchte der Schriftsteller den Zwinger, klet-

76 77 78 79

Stadtmuseum Münster, Akte Zwinger, Bd. 16, Entwurf Zwinger vom Architektenteam von Hausen und Ortwin. Vgl. Stadtmuseum Münster, Akte Zwinger, Bd. 13, Alfons Maria Spitzmueller, Mach mal ein Denkmal … oder der Zwinger im Jahre 2000, in: Münster Presse 1/März 1970. Vgl. StA Münster, Niederschrift über die 1. Sitzung der Kunstkommission vom 8. Dezember 1970. Vgl. StA Münster, Obm Nr. 234, Schreiben von Oberbürgermeister Beckel an Heinrich Böll vom 2. Juli 1970.

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terte auch mit Oberbürgermeister, Baudirektor und Kulturdezernent im Gemäuer herum und suchte nach Ideen. Da aber der Baubeschluss noch nicht gefasst war, war unklar, wo genau die Worte Bölls angebracht werden sollten.80 Unterdessen lag der Plan zur Wiederherstellung des Zwingers in drei Bauabschnitten vor. Die Kosten betrugen 605.000 DM. Die Stadt stellte Anträge auf Landesbeihilfen beim Landeskonservator. Dort wurden die Finanzierungshilfen allerdings mit Hinweis auf die zahlreichen Beihilfen, die Münster bereits zur Kriegsschädenbeseitigung an denkmalwerten stadteigenen Gebäude erhalten hatte, abgelehnt.81 Wie aus einem Schreiben vom 4. Juli 1972 hervorgeht, hatte die Stadtverwaltung auf eine Kostenbeteiligung von 50 Prozent durch das Land gehofft. Nun sah sich die Stadt angesichts einer angespannten Haushaltslage nicht mehr in der Lage, das Mahnmal zu realisieren.82 Im September 1972 befragte die Münstersche Zeitung im Rahmen der Reihe »Politik aus erster Hand« drei Ratsherren der Ratsfraktionen zur Frage des Mahnmals. Da aus den Protokollen der Ratssitzungen und der Ausschüsse kaum eine politische Positionierung deutlich wird, ist dieser Artikel eine der wenigen Gelegenheiten, die Standpunkte der Parteien festzustellen. Dr. Pierchalla (CDU), der wenige Wochen später Oberbürgermeister werden sollte, vertrat die offizielle Verwaltungslinie und hoffte noch auf einen Zuschuss des Landes, um wenigstens den ersten Bauabschnitt des Mahnmals zu verwirklichen. SPD-Ratsherr Liersch konstatierte zunächst, dass die Idee des Mahnmals aus der Verlegenheit entstanden sei, da man mit dem Gebäude des Zwingers sonst nichts anzufangen wisse. Wie auch Pierchalla betonte er, dass es ein Mahnmal geben müsse und kein einzelnes Ehrenmal für die Soldaten. Er sah im Zwinger, den er als Standort begrüßte, einen Anfang zur »Bewältigung unserer eigenen Vergangenheit«, auch wenn ein Mahnmal allein weder Krieg noch Terror noch Gewalt verhindern könne. Der Ratsherr von der FDP schloss sich dagegen dem Lager der Skeptiker an. Gedenken, Mahnen und Erinnern seien etwas, das eher in den Köpfen und Herzen der Bürger sein sollte, als in noch so würdigen »Denkmals-Steinen«. Ein Mahnmal, so beeindruckend es sein möge, könne die Erziehung zum Frieden, die Absage an jede Gewalt, den im Verhalten geäußerten Verzicht auf Aggressionen nicht ersetzen und nicht fördern. Ob ein Ehrenmal oder Mahnmal von heute den inhaltlichen Ansprüchen in der Form überhaupt noch genügen könne, sei doch mehr als zweifelhaft. Er schlug stattdessen die Erstellung eines Schulbuchs vor, das die Geschichte in Münster bis 1945 thematisiere.83 80 81 82 83

Vgl. Michael Bornefeld-Ettmann, Brechen Worte das Mauerwerk?, in: Münstersche Zeitung, vom 28. April 1971. Vgl. StA Münster, Obm Nr. 234, Sachstandsbericht vom 9. August 1973. Vgl. Stadtmuseum Münster, Akte Zwinger, Bd. 15/16, Schreiben Dr. Hoss an den Landeskonservator Dr. Ellger vom 4. Juli 1972. Vgl. Politik aus erster Hand, in: Münstersche Zeitung vom 8. September 1972.

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Angesichts der hohen Kosten und des Unwillens, diese aufzubringen, entschloss sich der Rat am 12. Oktober 1973 zu einem drastischen Schritt. Eine 1964 am Rathaus angebrachte Holztafel zur Erinnerung an 43 Kriegsgefangene und 200 Vermisste wurde kurzerhand durch eine Steintafel mit der Widmung »Den Opfern des Krieges und der Gewalt« ersetzt und damit die Debatte beendet. Die Tafel diene in umfassender Weise dem Gedächtnis der Toten und Vermissten des Zweiten Weltkrieges wie auch der Opfer der politischen Gewalt, hieß es im Beschluss.84 Das Mahnmalsprojekt war damit zu den Akten gelegt. Am Beispiel Münster wird deutlich, dass die Zerrissenheit der Nachkriegsgesellschaft das Projekt im Zwinger verhinderte. Es konnte keine Antwort darauf gefunden werden, wem gedacht werden sollte. Vor allem die ehemaligen Soldaten wehrten sich gegen einen Opferstatus und wollten »ihre Gefallenen« als Helden des Vaterlands geehrt wissen. Dass die lokale Politik diesem Begehren widerstand und die Verfolgten nicht aus der Widmung des Erinnerungszeichens entfernte, war ein wichtiger Schritt gegen eine Überhöhung des Militärischen. Anders als in Düsseldorf kam kein Konsens zustande. Das lag aber auch daran, dass Münster erst seit 1960 plante und so der gesellschaftliche Druck nicht mehr so stark war wie in den 1950er Jahren. Außerdem konnte keine akzeptable Form für das Erinnerungszeichen gefunden werden. Schnell versteiften sich die Akteure sich auf das altertümliche Gebäude des Zwingers und suchte dessen Abgeschiedenheit für ein eher sakrales Gedenken anstatt einer täglichen Mahnung im Stadtzentrum. Am Ende vermochte das Konzept eines Erinnerungszeichens nicht mal mehr die Künstler*innen überzeugen. Deutlich wurde am Münsteraner Fall auch, dass kein Interesse an der Erforschung der lokalen NS-Geschichte bestand. Damit war die Stadt Münster nicht allein. Um die Hintergründe dieser Phänomene zu verstehen, ist es notwendig, die lokale Ebene zu verlassen und die Münsteraner Ereignisse mit Blick auf den Zeitgeist in Bezug auf Erinnerungszeichen (Kapitel 3.2) und die Wahrnehmung der Geschichte (Kapitel 3.3) zu betrachten. Die Idee eines Erinnerungszeichens im Zwinger lebte erst zehn Jahre nach dem Abschluss dieses ersten Prozesses unter ganz anderen Vorzeichen in einer veränderten Gesellschaft wieder auf. Dies schildert Kapitel 4.6.

84

Vgl. StA Münster, Niederschrift über die öffentliche Sitzung des Rates vom 12. Oktober 1973.

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3.2

Die Krise der Erinnerungszeichen »Essentially, what has been attempted has been the creation – or, in the case of the jury, the choice – of a monument to crime and ugliness, to murder and to horror. The crime was of such stupendous proportions that any work of art must be on an appropriate scale. But, apart from this, is it in fact possible to create work of art that can express the emotions engendered by Auschwitz?« 85 Henry Moore, 1958

Die Darstellbarkeit von Auschwitz Nicht nur in Münster, Dortmund, Düsseldorf und Paderborn haderten in den 1950er und 1960er Jahren die Preisgerichte von Wettbewerben für Erinnerungszeichen mit den eingereichten Entwürfen. Auch der britische Bildhauer Henry Moore sah sich 1958 als Präsident der Jury des Wettbewerbes für ein Auschwitz-Denkmal im Auftrag des Internationalen Auschwitz Komitees vor das Problem gestellt, ein Mahnmal für das Gelände des ehemaligen Vernichtungslagers Birkenau aus 426 eingereichten Entwürfen auszuwählen. Die von Henry Moore geleitete Jury war international besetzt, hatte aber mit nur einem osteuropäischen und sechs westeuropäischen Vertretern deutlich Schlagseite. Von den eingereichten Vorschlägen, bei denen die architektonischen Ausführungen dominierten, konnte keiner überzeugen. Moore kam zu der Erkenntnis, dass nur ein neuer Michelangelo oder ein neuer Rodin möglicherweise ein adäquates Auschwitz-Mahnmal schaffen könne. Die Jury um Moore forderte schließlich drei Künstlergruppen zur Zusammenarbeit und zur Überarbeitung ihrer Entwürfe auf. Aus vier neuen Entwürfen wählten die Preisrichter dann mit vier zu zwei Stimmen einen Preisträger aus, dessen Vorschlag aber nicht zur Ausführung kam.86 1960 musste das Internationale Auschwitz Komitee verschiedene Regierungen und internationale Organisationen um finanzielle Hilfen bitten, da das Spendenaufkommen für ein Erinnerungszeichen am emblematischsten Ort der Shoa nicht einmal ausreichte, um vorbereitende Arbeiten in Angriff zu nehmen.87 Erst nach einem langen Prozess konnte am 16. April 1967 ein Erinnerungszeichen in AuschwitzBirkenau eingeweiht werden, das vom Internationalen Auschwitz Komitee und

85 86 87

Henry Moore, Writings and Conversations, hg. von Alan Wilkinson, Berkeley and Los Angeles 2002, S. 135. Vgl. Jochen Spielmann, Entwürfe zur Sinngebung des Sinnlosen, S. 86ff. und S. 93f. Vgl. ebd., S. 96.

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dem polnischen Rat für den Schutz der Denkmäler des Kampfes und des Martyriums finanziert worden war.88 Die Resonanz des Denkmals war eher gering, die meisten Besucher beschränkten sich in den 1970er Jahren auf den Besuch des Museums im ehemaligen Stammlager Auschwitz und besuchten nicht das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau und sein Erinnerungszeichen.89 Wie in Auschwitz wurden in allen ehemaligen Konzentrations- und Vernichtungslagern in Polen in den 1960er Jahren Denkmäler eingeweiht: 1963 in Belzec, 1964 in Treblinka, Kulmhof und in Plaszow bei Krakau, 1968 in Stutthof bei Danzig, 1969 in Majdanek. In diese Reihe gliedern sich auch die westeuropäischen Konzentrationslager NatzweilerStruthof (1960) und Dachau (1968) ein. In Israel nahm Yad Vashem 1963 die Arbeit auf.90 Die Zahl der errichteten Mahnmale an den zentralen Orten nationalsozialistischer Verfolgung mag zwar ein Fortbestehen der Konjunktur der Stiftung von Erinnerungszeichen suggerieren. Aber in der breiten und vor allem auch lokalen Erinnerungslandschaft lässt sich ein deutlicher Rückgang verzeichnen. Die KZErinnerungszeichen waren die Ausnahmen eines Trends, was sich durch die Bedeutung der Orte und die langen und schwierigen Prozesse der Planung und Motivfindung, wie Moore sie beschreibt, erklären lässt. In den 1960er und 1970er Jahren entstanden insgesamt weniger Erinnerungszeichen als in den 1950er oder 1980er Jahren. Anfang und Ende dieser Phase der Krise der Erinnerungszeichen lassen sich nicht genau datieren. Eine grundlegende Skepsis gegenüber den traditionellen Erinnerungszeichen und die Schwierigkeiten der Verantwortlichen, eine geeignete Form für das Gedenken zu finden, wurde schon in den Prozessen der bisher behandelten Erinnerungszeichen deutlich, die meist in den 1950er Jahren entstanden. Der Tiefpunkt der Krise lässt sich um das Jahr 1970 attestieren. Denkmalkritik ist als Phänomen nichts Neues. Zum Ende des 19. Jahrhunderts beklagte man schon die Unzulänglichkeiten der zeitgenössischen Erinnerungszeichen (siehe S. 32) und auch in den 1920er Jahren gab es kritische Stimmen, wie diejenige Robert Musils: »Mit einem Wort, auch Denkmäler sollten sich heute, wie wir es alle tun müssen, etwas mehr anstrengen! Ruhig am Wege stehn und sich Blicke schenken lassen, könnte jeder; wir dürfen heute von einem Monument mehr verlangen. Wenn man erst diesen Gedanken erfaßt hat – der sich dank gewisser Strömungen des Geistes langsam durchzusetzen beginnt – erkennt man, wie rückständig unsere Denkmalskunst ist, verglichen mit der zeitgenössischen Entwicklung des Anzeigenwesens. Warum greift der in Erz gegossene Held nicht wenigstens zu

88 89 90

Vgl. ebd., S. 98 u. 101. Vgl. ebd., S. 105. Vgl. ebd., S. 212-215.

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dem anderwärts längst überholten Mittel, mit dem Finger an eine Glasscheibe zu klopfen?«91 Nach dem Zweiten Weltkrieg und der Disruption durch die Genozide gab es aber zusätzlich zur gewohnten Denkmalkritik eine neue Dimension, die auch Henry Moore beschäftigte: die Frage nach der Darstellbarkeit von Auschwitz. Der Kölner Kunsthistoriker Heinz Ladendorf erklärte anlässlich der Ausstellung »Monumenta Judaica. 2000 Jahre Geschichte und Kultur der Juden am Rhein«, dass der bereits im Jahr 1963 von Zeitgenossen verwendete Begriff der »Denkmalsmüdigkeit« nicht den Kern der Erklärung treffe. Das auffällige »Fehlen einer Auseinandersetzung mit dem Gedanken des Denkmals« solle man nicht nur als Begleiterscheinung des »oft beklagten Mangels […] Schuld, Verpflichtung und Lasten, Forderungen und Versäumnisse der letzten Jahrzehnte zu erkennen« sehen, sondern zubilligen, dass die Kunst in Deutschland nach 1945 erst wieder zu sich selbst finden und die Rückständigkeit des »totalitären Systems« überwinden müsse. Auch sei die Selbstbesinnung angesichts der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs noch nicht abgeschlossen und auch nicht auf Deutschland beschränkt, was man daran erkenne, dass es bei den Siegermächten keine Siegesdenkmäler gebe. Ladendorf ignorierte mit dieser Aussage die UdSSR als Teil der Alliierten, die in Berlin zwei ebensolche als Siegerdenkmal interpretierbare Monumente errichtete, und auch das BuchenwaldDenkmal, das, wie erwähnt, in der Interpretation von Volkhard Knigge ein Siegesdenkmal darstellt. Das »große repräsentative Denkmal« habe, so Ladendorf, nur wenige und wenig bedeutsame Nachkömmlinge aufzuweisen.92 »Denkmäler traditioneller Art und Form sind nach diesem Kriege nicht mehr möglich und in den letzten verspäteten Beispielen einer alten, verebbenden Kunstbewegung unbeträchtlich. Die Denkmäler können sich nicht mehr den alten Inhalten des Sieges und des Stolzes widmen, die Gehalte haben sich gewandelt. Das Überleben und das Todesopfer, der Frieden und die Hoffnung verlangen nach Gestaltung, und die mahnende Klage hat andere Zusammenhänge zu bedenken als je zuvor. Die alten Gestalten und Symbole reichen für ein neues Weltverständnis nicht aus. Es ist schwer, sie zu ersetzen, und nicht immer gelingt es; überall aber stellt sich deutlich dar, daß es notwendig ist. […] Der Wandel betrifft nicht nur Denkmalsvorstellung und Denkmalsform, er betrifft auch die Geschichte, die Ereignisse selbst und ihre Erläuterung. So wie es eine neue Kunst gibt, so gibt es offenbar auch eine neue Auffassung von Inhalt und Sinn der Geschichte. Es ist nicht mehr ein Sieg zu feiern oder gegen eine

91 92

Robert Musil, Nachlass zu Lebzeiten, S. 62. Heinz Ladendorf, Denkmäler und Mahnmale seit 1945, in: Konrad Schilling (Hg.), Monumenta Judaica. 2000 Jahre Geschichte und Kultur der Juden am Rhein, Handbuch, Köln 1963, S. 656f.

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Niederlage aufzutrumpfen, es handelt sich nicht um Ruhm oder pathetische Glorifikation, der laute Anspruch tritt zurück hinter das feierlich stille Gedenken. Die alten, früherer Zeit wichtigen Vorstellungen liegen fern und weitab, die Werte haben sich völlig verändert, Leid und Anklage, Tröstung und Friede, Hoffnung und Überwindung, Erlösung und Freiheit lassen sich nun auch nur in neuen Formen ausdrücken.«93 Ähnlich wie Ladendorf fragte Werner Lindner, der bereits erwähnte Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Friedhof und Denkmal, 1956 in Bezug auf die Kriegerdenkmäler: »[H]aben wir denn überhaupt wirkliche Gestalter für dieses Schaffensgebiet?«. Ebenso wie Ladendorf bezweifelte er dies, denn auch die Künstler müssten erst die Erlebnisse des Zweiten Weltkriegs innerlich durchleben und verarbeiten, bevor ihnen die Gnade zuteilwerde, »[ihrem] Werk einen tiefen, dabei allgemein verständlichen, immer von neuem erschütternden, trostreichen und letzten Endes versöhnenden Ausdruck zu verleihen.«94 Schließlich sprach er sich sogar gegen Denkmäler aus: »Baut doch überhaupt keine Denkmäler, wenn Ihr Euch nicht dazu aufraffen vermögt, Euch wahrhaft Berufenen in diesen Dingen anzuvertrauen! Es wäre beschämend für unsere Dörfer und Landschaften und untragbar für unser Volk, wenn diese unsere Denkmäler des letzten Weltkrieges nur ganz ausnahmsweise echte Mahnmale würden. Wie stünden wir mit solchem kläglichem Abschluß vor kommenden Geschlechtern, die sich so hoffen wir, mehr und mehr aus den Irrungen lösen, die uns noch fesseln?«95 Rückblickend wies James E. Young 1993 darauf hin, dass zeitgenössische Kunst von Künstlern und Architekten, Kritikern und Kuratoren zwar bevorzugt, aber von der Öffentlichkeit mit Fassungslosigkeit und den Überlebenden der Verfolgung mit Empörung aufgenommen werde. Young zitierte dazu die plakative Äußerung Nathan Rapoports, Schöpfers des 1948 errichteten Warschauer Ghetto Monuments: »Could I have made a rock with a hole in it and said, ›Voilà! The heroism of the Jewish people?‹« »Probably not«, löst Young die rhetorische Frage auf und stellt klar, dass öffentliche Kunst und öffentliches Gedenken nicht zwingend Hand in Hand gehen müssen. Nicht jedes öffentliche Kunstwerk sei ein Erinnerungszeichen und nicht jedes Erinnerungszeichen ein Kunstwerk.96 Gerade abstrakte Kunst erfordere, dass sich der Betrachter selbst ein Bild mache, was der Idee des Denkmals als Ort zum Teilen eines bestimmten Selbstbildes und gemeinschaftlicher Ideale widerspreche. Figürliche Darstellungen hingegen könnten mithilfe des Bildnisses von 93 94 95 96

Ebd., S. 660 u. S. 664. Vgl. Werner Lindner, Mahnmale. Voraussetzungen – Ratschläge – Lösungen, S. 10f. Ebd. Vgl. James E. Young, The texture of memory, S. 9.

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Menschen empathische Verbindungen zu dem Betrachter aufbauen und dann die gewünschte Meinung transportieren. Auf der anderen Seite ermöglichten abstrakte Formen die größte Möglichkeit für Künstler, sich selbst und auch Unsagbares auszudrücken.97 Martin Damus bezeichnete 1974 in seiner Untersuchung des 1953 errichteten Denkmals für den Widerstand des 20. Juli im Bendler-Block in Berlin – eine figürliche Darstellung eines nackten, an den Händen gefesselten Mannes – die Mehrzahl der Denkmäler als unmodern. Die Denkmalkunst sei allgemein zurückgeblieben, was ihr allerdings eine große Breitenwirkung ermögliche. Das wichtigste Thema der bürgerlichen Bildhauer, so die Kritik weiter, sei die menschliche Gestalt. Diese Darstellungsweise sei nötig, da man mit einem Denkmal einen Allgemeinheitsanspruch verdeutlichen wolle, deswegen seien abstrakte Formen »bis heute weniger zu diesem Zweck« geeignet. Dementsprechend falle die öffentliche oder auch staatlich bestimmte Denkmalsplastik zunehmend aus der allgemeinen Kunstentwicklung heraus und werde von der Allgemeinheit belächelt.98 Plastik versus Denkmal Die Frage nach der Darstellbarkeit von Auschwitz blieb eine schwierige, auf die zunehmend seltener eine Antwort gefunden wurde, desto mehr sich die Zeit von dieser Zäsur entfernte. Das Konzept des Erinnerungszeichens, seine Kunstform, sein Zweck und seine Intention wurde in den 1960er Jahren vielfach infrage gestellt. Der Kunsthistoriker Eduard Trier stellte 1962 in seinem Aufsatz »Notizen zum neuen Denkmal« fest, dass es dem 20. Jahrhundert an Staatsmännern, Heerführern, Helden und denkwürdigen Ereignissen nicht gefehlt habe, sie aber keine Denkmäler mehr erhielten, da sie nicht mehr denkmalwürdig seien. An ihre Stelle seien Denkmäler für kollektiv erlittene Schicksale getreten, deren neuen Aufgaben die Bildhauer aber nicht immer gewachsen seien. So habe der internationale Wettbewerb zum Denkmal des unbekannten politischen Gefangenen99 zwar zahlreiche 97 98

99

Vgl. ebd., S. 10f. Vgl. Martin Damus, Der Kunstwissenschaftler: Die Vergegenständlichung bürgerlicher Wertvorstellungen in der Denkmalsplastik, in: Kunst + Unterricht, Zeitschrift für alle Bereiche der ästhetischen Erziehung, Sonderheft 1974, S. 70, 72, 74, 77. Der Wettbewerb für ein Denkmal für den »Unbekannten politischen Gefangenen« wurde im Januar 1952 vom Institute of Contemporary Art (ICA) in London ausgeschrieben. Aus aller Welt wurden die Künstler eingeladen, sich zu beteiligen. Die Länder des Ostblocks boykottierten den Wettbewerb, da sie vermuteten, dass der Wettbewerb weniger an die Verfolgung der Nationalsozialisten, sondern an die Unterdrückung der freien Meinungsäußerung in ihren Ländern erinnern solle. 3.500 Bildhauer beteiligten sich am Wettbewerb, dessen Durchführung dezentral organisiert war. Sowohl die Bundesregierung, der Berliner Senat, als auch der Kulturkreis im Bundesverband der Deutschen Industrie vergaben eigene Preise im Rahmen der Entscheidung der deutschen Regionaljury. Der (West)Berliner Bürgermeister, Ernst Reuter, bewarb seine geteilte Stadt als Standort des Denkmals. 1953 wählte eine international besetzte Jury in London den Entwurf von Reg Butler aus. Neben anderen diskutierten

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figurative und abstrakte Sinnbilder hervorgebracht, aber keine Ideen zu einer neuen Konzeption des Denkmals an sich. Von einem Denkmal in »unserer Zeit« werde mehr erwartet als die Erinnerung an einen großen Menschen: »Es soll, mitten im Leben der Öffentlichkeit stehend, sein Werk in der Gegenwart lebendig halten.« Gleichzeitig beobachtete Trier, dass die plastischen Formen allein nicht mehr ausreichten, architektonische müssten hinzukommen, um Leiden in »Denkmälern der Erinnerung und des Miterlebens« darzustellen. Als Beispiel verwies Trier auf den Mahnmalsentwurf von Helmut Wolff für ein Erinnerungszeichen in Auschwitz. Dieser plante eine 18 Meter hohe, 26 Meter breite und elf Meter tiefe Betonwand, die der Besucher des Konzentrationslagers betreten und in drei schmalen Gängen, die sich auf menschliches Körpermaß verengen, durchqueren sollte. Ein solches Monument diene nicht nur dem Gedächtnis und der Erinnerung, meinte Trier, sondern auch der steten Vergegenwärtigung des Opfergangs, um als Mahnmal für die Zukunft zu dienen. Eine weitere Beobachtung notierte Trier ebenfalls: Die Denkmäler als verbindliches, aber abstraktes Symbol würden zunehmend »durch Originalrelikte oder Reproduktionen einer photographisch dokumentierten« Situation ersetzt. So stehe vor dem Bahnhof Köln-Deutz nun die älteste Konstruktion eines Verbrennungsmotors auf demselben hohen Sockel, den einst »Potentaten, Heerführer und Dichterfürsten« einzunehmen pflegten.100 Ähnlich urteilte 2003 Reinhart Koselleck: Stein, Ton, Bronze, Stahl, Beton usw. hätten Konkurrenz durch Foto, Film und Fernsehen erhalten. Ereignisse müssten nicht mehr dargestellt werden, sondern das Abbild selbst werde zum Erinnerungszeichen. Die traditionelle Zeichenwelt verlor an Bedeutung.101 Ebenfalls 1962 äußerte sich der Kölner Kunstsammler, Buchhändler und Korrespondent der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Albert Schulze Vellinghausen zu der Situation von Denkmälern. Anders als Eduard Trier schwebte ihm jedoch nicht ein neuer Denkmalstypus vor. Schulze Vellinghausen beschränkte sich vielmehr auf eine Analyse der Ursachen für die von ihm als international wahrgenommene Krise des Denkmals. Er stellte fest, dass die Gegenwart voller plastischer Fantasie und bildhauerischer Potenz sei, aber nicht denkmalsfreudig. »Das betrifft nicht nur

Standorten verblieb zum Schluss einzig Berlin, wo das 30 Meter hohe Zeichen an der Sektorengrenze weithin sichtbar aufgestellt werden sollte. Es konnte aber nicht finanziert werden. Vgl. Abstrakte Kunst als Instrument des Kalten Krieges der Kulturen. Der Wettbewerb für das Denkmal des unbekannten politischen Gefangenen 1952/53, in: Themenportal Europäische Geschichte, 01.01.2014, www.europa.clio-online.de/essay/id/artikel-3774, abgerufen am 2. Juli 2018. 100 Vgl. Eduard Trier, Notizen zum neuen Denkmal, in: Der Mensch und die Künste. Festschrift für Heinrich Lützeler zum 60. Geburtstage, Düsseldorf 1962, S. 494-499. 101 Vgl. Reinhart Koselleck, Die Transformation der politischen Totenmale im 20. Jahrhundert, S. 208.

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uns Deutsche, die wir bestimmte Mahnmäler mit gehobenem und gewinkeltem Arm grüßen mußten und von daher (in fast allen Schichten) ein gehöriges Trauma behalten haben. Es betrifft die gesamte zivilisatorische Welt […]«. Das Denkmal als Element der »Stadtmöblierung« werde von der Plastik abgelöst. Neben dem diagnostizierten nationalsozialistischen Trauma macht Schulze Vellinghausen einen weiteren Faktor aus: den Persönlichkeitskult in den Magazinen und die Verbreitung von Fotografien, die dazu führe, dass die Kunst von diesem Gegenstand Abstand nehme. Und als dritten Teil der Diagnose identifizierte er einen Bruch im Menschenbild: »Andererseits aber wissen wir, nach Auschwitz und Hiroshima, deutlicher als die Generationen vor uns, daß der Mensch mit sich selbst nicht identisch ist, daß er seiner Erscheinung nur ähnelt, daß er in Wahrheit ein pluralistisches Bündel aus bestialischen und sublimeren Regungen ist, voll von Brüchen, Störungen, Sprüngen. Opfer unterschwelliger Prägungen und zugleich Ort eines edlen Elans.«102 Bereits 1958 hatte der Kunsthistoriker Udo Kultermann in der Zeitschrift Das Kunstwerk den Denkmalbegriff der Gegenwart auf alle plastischen Kunstwerke, die aus einem echten Anliegen geschaffen worden seien, erweitert. Die Kunst selbst sei gesellschaftliches Mahnmal geworden. Er definierte die Aufgabe der Künstler folgendermaßen: »Der Bildhauer hat heute nicht mehr die Aufgabe, Ereignisse oder Personen überhöhend zu verherrlichen, sondern in erster Linie das Bestreben, die herrschenden Einzelnen wie die Allgemeinheit zu mahnen. Das Denkmal in unserer Zeit ist daher in erster Linie Mahnmal und geformt von den Lebensvorstellungen der Allgemeinheit.« Der moderne Bildhauer könne, so Kultermann, nur das leidende, nicht aber das siegende Prinzip ausdrücken. Dabei seien menschliche Figuren nicht länger als Symbolträger geeignet. Des Weiteren, so stellte er fest, sei es die Aufgabe des Bildhauers der Gegenwart, seine Schöpfung nicht isoliert zu schaffen, sondern in die neue Gestalt der Stadt einzubinden. Als Beispiel vollendeter Verbindung von Architektur und Plastik zu einem Mahnmal erschien Kultermann die Bogenform des Friedenszentrums von Kenzo Tange in Hiroshima. Aber diese neuen Werke, so bedauerte er, blieben besonders in Europa meistens unausgeführt oder würden nur von Museen und von Privatsammlungen gekauft. Sie gehörten aber, da sie von der Anlage vielfach Denkmäler oder Mahnmale seien, in die Öffentlichkeit.103 Radikaler war der Frankfurter Kunsthistoriker Hans Voss. Er wollte Denkmäler aller Art zukünftig ganz abschaffen. Er konstatierte 1967 wiederum in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung: »Wir bauen keine Denkmäler mehr.« Als Erklärung schickte

102 Vgl. Albert Schulze Vellinghausen, Denkmäler oder Zeichen?, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 17. Februar 1962. 103 Vgl. Udo Kultermann, Das Denkmal in unserer Zeit, in: Das Kunstwerk Bd. 12, Heft 5/6 (1958/59), S. 42ff.

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er voraus: »Wir schütteln den Kopf über die wunderlichen Auswüchse des Denkmalkultes vor hundert Jahren, die uns Dichterfürsten Auge in Auge und Hand in Hand präsentieren, so, als stünden sie leibhaftig vor uns. Und wir belächeln jene Arbeiten moderner Diktaturen von Hitler bis Stalin, die ganz konsequent den Verehrungsstil des 19. Jahrhunderts mit Säulen, Triumphbogen und Standbildern in trivialisierender Weise aufgenommen und weitergeführt haben.« Die Gesellschaft des Jahres 1967 sei sparsamer geworden in der Verteilung öffentlicher Denkmäler, fuhr er fort, was auch daran liege, dass Auftraggeber und Auftragnehmer, aber auch Initiator und Öffentlichkeit viel weniger in ihren Ideen übereinstimmten als im 19. Jahrhundert. Als Beispiel führte Voss das Denkmal für den US-amerikanischen General und Außenminister George C. Marshall in Frankfurt an, das von einem Monument zu einem Brunnen degradiert worden und nun Treffpunkt der einheimischen Gammler sei. Auch die Benennung von Straßen und Schulen nach berühmten Personen wie Anne Frank hielt er für verfehlt. Anne Frank gehöre in den Unterricht und nicht an die Fassade. Straßennamen dienten der Orientierung, nicht der Verewigung. Er lobte die Einfachheit der Namen der Via Appia, ChampsElysées und Unter den Linden als »höchstes Beispiel der Sachlichkeit.« »Wir glauben, daß das Pathos der Verehrung verschwunden ist, wir wissen, daß wir auch mit sparsamen Gesten lieben, bewundern und verehren können.«104 Ähnlich skeptisch gegenüber jedem Personenkult äußerte sich 1977 das Deutsche Institut für Urbanistik. Ende Januar 1977 hatte sich der Münsteraner Oberstadtdirektor Fechtrup an das Institut gewandt und wollte anlässlich der Pläne für ein Kardinal-von-Galen-Denkmal (siehe Kapitel 4.1) wissen, ob in anderen Städten personenbezogene Denkmäler errichtet worden seien. Er begründete die Anfrage damit, dass die Meinungen über die Frage, ob die Errichtung eines solchen Denkmals noch eine zeitgemäße und einleuchtende Ehrung darstelle, geteilt seien.105 Das DIFU reichte die Anfrage an den Deutschen Städtetag weiter, der eine Liste übersandte, die auf 13 Seiten 201 Denkmäler aufzählte, die bis 1961 in Deutschland errichtet worden waren. Die meisten hatten einen Bezug zu Krieg, Verfolgung und Vertreibung. Unter ihnen waren lediglich das 1950 in Frankfurt wiedererrichtete Denkmal für Friedrich Ebert, eine Anne-Frank-Gedenktafel, ebenfalls in Frankfurt, und die Gedenktafel für den Regensburger Domprediger Johann Maier personenbezogen.106 Dr. Haus vom DIFU erwiderte dann Anfang März die Anfrage und erklärte, dass ihm abgesehen von Büsten, Reliefs und Masken keine Beispiele bekannt

104 Vgl. Hans Voss, Denkmal und Verehrung. Kritische Bemerkungen, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 13. Juli 1967. 105 Vgl. StA Münster, V-Ostd Nr. 320 Bd. 1., Schreiben von Dr. Fechtrup an Dr. Haus, Deutsches Institut für Urbanistik vom 28. Januar 1977. 106 Vgl. StA Münster, V-Ostd Nr. 320 Bd. 1., Verzeichnis von Denkmälern der Nachkriegszeit aus dem Jahr 1961 von Prof. Dr. Ladendorf.

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seien, dass ein prominenter Staatsmann ein Standbild bekommen habe: »Die überhöhende, heroisierende Wirkung, die von Standbildern ausgeht, wird – und das nicht erst seit 1945, sondern eigentlich schon seit 1918 – oft als nicht mehr zeitgemäß empfunden. Hinzu kommt, daß sich viele Bildhauer, darin der allgemeinen Entwicklung der Künste folgend, der abstrakten Darstellung zugewandt und deshalb auch bei der gelegentlich gestellten Aufgabe gegenständliche oder symbolische Lösungen gesucht haben,« ergänzte er.107 Mit den Vorteilen der Plastiken gegenüber den Erinnerungszeichen beschäftigte sich 1976 Ursula Uber in ihrer Dissertation. Sie kritisierte den Ewigkeitsanspruch von Denkmälern, der eine Rezeptionsproblematik und Verständnisbarrieren erzeuge. Denkmäler würden sich an die Intellektuellen der Nachwelt richten, ihre Aussagen seien nur einer gebildeten Elite zugänglich. Den Künstlern böte sich zudem wenig Originalitätsentfaltung, da die Inhalte (»Personen oder Fakten«) festgelegt seien »und mehr oder weniger« realistisch abgebildet würden. Dafür stehe ein überliefertes Repertoire an Symbolen, Attributen und Emblemen zur Verfügung, das eigenschöpferische, innovatorische Leistungen einschränke und nur handwerkliches Können verlange.108 Als Antonym zum Denkmal behandelte Uber die Plastik, die sich mit weitergefassten, abstrakten Inhalten beschäftigte und auch »unwürdige Materialien einsetzte.«109 Aufschlussreich sind die Begriffspaare, die Uber wählte, um das Denkmal dem »Objekt«, der Extremform der Plastik, gegenüberzustellen. Übersetzt man diese Gegenüberstellung in Kritik am Denkmal, dann lassen sich folgende Vorwürfe extrahieren: Uber nahm das Denkmal als totes Signal wahr. Es diente ihrer Meinung nach der Repräsentation statt der Identifikation, bezog sich auf Konkretes anstatt auf Abstraktes, war nicht offen und variabel, richtete sich an die Nachwelt anstatt die Gegenwart und Mitwelt und legte mehr Wert auf den Ewigkeitsanspruch anstatt des »Jetztwerts«. Es war distanziert statt nahbar, hatte Verständnisbarrieren und benötigte Vorwissen, das nur den Eliten gegeben war. Im Gegensatz dazu sorgte das Objekt für Egalität unter den Betrachtern und gewährte dem Künstler Autonomie, anstatt ihn zu binden.110 Ebenfalls 1976 urteilte Dietrich Schubert in seiner Auseinandersetzung mit dem Denkmal für die Märzgefallenen von Gropius, dass das Denkmal eine typische Form der öffentlichen Ideologisierung gewesen sei, bevor es Film, Fotografie und Fernsehen gegeben habe. Man könne im geschichtlichen Vergleich sehen, dass Denkmäler mit Zuwachs an Herrschaft und dem Feiern herrschaftlicher Ideale quantitativ zunähmen. Demokratische Entwicklungen bauten aber autoritäre 107 Vgl. StA Münster, V-Ostd Nr. 320 Bd. 1., Schreiben von Dr. Haus an Oberstadtdirektor Dr. Fechtrup vom 4. März 1977. 108 Vgl. Ursula Uber, Stadtbildgestaltung durch Freiplastiken. Paradigma Münster (Westf.), Diss. Münster 1976, S. 14f. 109 Vgl. ebd., S. 15f. 110 Vgl. ebd., S. 21.

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Strukturen ab und bedürften daher nicht des Denkmals, da sie sich dem christlichen und sozialistischen Ideal [sic!] der sozialen Gleichheit und Abschaffung von Herrschaft näherten. Dementsprechend sei der Denkmalkult in der Kaiserzeit, unter Hitler und unter Stalin zur Denkmalpest gewachsen. »Bewegungen, die eine echte Befreiung der Menschen von Herrschaft suchen, dürften mit ihrer Etablierung kaum eine breite Denkmalkampagne aktiv betreiben.«111 Denkmäler wurden von Schubert mit überkommenen, nicht-demokratischen Herrschaftsformen verbunden. Die Annahme Schuberts, dass es unter Hitler eine Denkmalpest gegeben habe, zeigt, dass der Denkmalstil der Nationalsozialisten die Debatte nachhaltig prägte und die Erinnerungszeichen im Ganzen diskreditierte hatte, wenngleich die Zahl nationalsozialistischer Denkmäler geringer war als von Schubert angenommen. Ähnlich analysierte der Kunsthistoriker Christoph Heinrich 1992, dass das traditionelle Denkmal Harmonie zwischen Regierenden und Regierten suggeriere. Diese Darstellung von Harmonie sei aber durch das Dritte Reich diskreditiert worden.112 Heinrich zeigt auch auf, dass die Ablehnung des Erinnerungszeichens auch in der Kunstszene selbst ihren Ausdruck fand und in Kunstwerken thematisiert wurde. Ein Beispiel, das Heinrich nennt, ist das Portable War Memorial von Edward Kienholz. Dieser platzierte 1968 eine Kopie des United States Marine Corps War Memorial (auch bekannt als Iwo Jima Memorial), dessen Original auf dem Friedhof Arlington zu finden ist, in das Umfeld eines Fast-Food-Ladens. Der Fahnenmast mit der amerikanischen Fahne wurde so von den sechs Soldatenfiguren neben einem funktionierenden Cola-Automaten errichtet. Als weiteres Beispiel führt Heinrich den 1970 gemachten Vorschlag des französischen Aktionskünstlers Robert Filliou an, die Völker Europas sollten ihre Kriegerdenkmäler untereinander austauschen. Auch die Arbeiten Claes Oldenburgs trugen dazu bei, dass Denkmäler in Verruf gerieten. In seinen large scale projects stellte er alltägliche Gegenstände wie Wäscheklammern, Lippenstifte oder Zahnpastatuben in monumentalen Ausmaßen im Stadtbild auf.113 Oskar Negt und Alexander Kluge sprachen 1972 in ihrer antipodischen Gegenüberstellung von proletarischer und bürgerlicher Öffentlichkeit davon, dass öffentliche Denkmäler von geschichtlicher Armut geprägt seien, da sie starr und unveränderlich seien. Sie schlugen vor zu prüfen, ob Denkmäler, die geschichtliche Stationen dokumentierten, nicht zweifach herzustellen seien: ein Denkmal, das einen bestimmten, möglicherweise verzerrten und irrtümlichen geschichtlichen Stand 111

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Vgl. Dietrich Schubert, Das Denkmal für die Märzgefallenen 1920 von Walter Gropius in Weimar und seine Stellung in der Geschichte des neueren Denkmals, in: Jahrbuch der Hamburger Kunstsammlungen 21 (1976), S. 228 (Fußnote 27). Vgl. Christoph Heinrich, Strategien des Erinnerns. Der veränderte Denkmalbegriff in der Kunst der achtziger Jahre, München 1992, S. 19. Vgl. ebd., S. 19-21.

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festhalte, und ein zweites, das im weiteren Verlauf der Zeit von den Menschen deformiert, korrigiert und verändert werden könne.114 Die DDR machte in den 1950er Jahren die Erfahrung, wie schnell Denkmäler als irrtümlich und verzerrt angesehen wurden, wie es Kluge und Negt bezeichnet hätten. Die SED hatte »flächendeckend« Lenin- und Stalin-Denkmäler aufgestellt, deren sowjetische Pendants in der ikonographischen Tradition der absolutistischen Herrscherstandbilder standen. Sie sollten allerdings nicht persönliche Herrschaft, sondern die »universelle Gültigkeit der marxistisch-leninistischstalinistischen Lehre« verkörpern.115 Mit dem 20. Parteitag der KPdSU 1956 endete die Phase der Stalin-Verewigung. Im November und Dezember 1961 demontierte die DDR alle Stalin gewidmeten Denkmäler.116 Anschließend tat sich die DDR in den 1960er und 1970er Jahren ebenfalls mit Erinnerungszeichen schwer, denn es gab auch auf der anderen Seite der Berliner Mauer eine »Krise des Denkmals«: »Mit kaum einer Angelegenheit tat sich die SED-Kulturpolitik […] so schwer wie mit historischen Standbildern«, urteilen Monika Flacke und Jörn Schütrumpf. Von den Planungen für ein Marx-Engels-Denkmal, ein Thälmann-Denkmal, ein LiebknechtLuxemburg-Denkmal und ein Lenin-Denkmal wurde 1970 lediglich letzteres durch einen sowjetischen Künstler als 19 Meter hohes monumentales Standbild realisiert. Die anderen angedachten Stiftungen wurden erst 1983 (Marx-Engels-Denkmal) und 1986 (Thälmann-Denkmal) verwirklicht.117 Die Schwierigkeiten der DDR, neue Formen zu finden, könnten auch damit zusammenhängen, dass die SED in den 1950er Jahren auf mit NS-Vergangenheit belastete Künstler zurückgegriffen hatte, da diese bereit waren, die »realistische« Formensprache der DDR zu erfüllen. Viele Künstler, die unter den Nationalsozialisten emigriert oder verfolgt worden waren, wollten an moderne Traditionen anknüpfen und waren in der DDR unerwünscht.118 Die denkmalunfähige City Die Errichtung von Erinnerungszeichen in den ehemaligen Konzentrationslagern gehörte, wie bereits erwähnt, zu den Ausnahmen in der Krise der Erinnerungszeichen, denn hier herrschte diesbezüglich ein starker Druck der Überlebenden. Zudem war an diesen historischen Orten die Frage des Standorts und seiner Umgebung weniger brisant. Während die Erinnerungszeichen der Konzentrationsla-

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Vgl. Oskar Negt, Alexander Kluge, Öffentlichkeit und Erfahrung. Zur Organisationsanalyse von bürgerlicher und proletarischer Öffentlichkeit, Frankfurt a.M. 1972, S. 447 und 451. Vgl. Jörn Schütrumpf und Arnulf Siebeneicker, Lenindenkmal, in: Monika Flacke (Hg.), Auftragskunst der DDR 1949- 1990, München 1995, S. 52ff. Vgl. Maoz Azaryahu, Von Wilhelmplatz zu Thälmannplatz, S. 166ff. Vgl. Monika Flacke und Jörn Schütrumpf, Lenindenkmal, in: Monika Flacke (Hg.), Auftragskunst der DDR 1949- 1990, München 1995, S. 204f. Vgl. Jörn Schütrumpf und Arnulf Siebeneicker, Lenindenkmal, in: Monika Flacke (Hg.), Auftragskunst der DDR 1949- 1990, München 1995, S. 52ff.

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ger den Boden und die Kulisse der Vergangenheit, sofern noch vorhanden, in ihre Wirkung miteinbeziehen konnten, war dies in den modernen, nach dem Zweiten Weltkrieg errichteten Städten schwieriger, wie es schon in den Beiträgen von Udo Kultermann angedeutet wurde. In den modernen Städten der Nachkriegszeit war offenbar kein Platz mehr für die traditionellen Formen der Erinnerungszeichen. Willibald Sauerländer, Direktor am Zentralinstitut für Kunstgeschichte in München, beobachtete 1975, dass die moderne Stadt nach anderen Vorgaben entstehe als die Vorkriegsstädte: »Es ist die technokratisch geplante und gesteuerte City, die keine Sinnbezüge mehr, sondern nur noch Funktionen kennt und daher auch im buchstäblichsten Sinne denkmallos, ja schlechterdings denkmalunfähig ist.«119 Auch der Kunsthistoriker Trier stellte schon 1962 fest: Man müsse darauf reagieren, dass dem Denkmal in modernen Städten kaum noch Beachtung zuteilwerde.120 Im Sommer des Jahres 1962 sprach der Düsseldorfer Oberstadtdirektor Dr. Hensel auf der Hauptversammlung des Deutschen Städtetages in Düsseldorf und zeigte in einem Nebensatz auf, was in der Gegenwart als denkmalstiftend wahrgenommen wurde. Die Sorge um die Befriedigung der Ansprüche der Bürger sei das tägliche Brot der Stadtverwaltungen, erklärte er und fuhr dann fort: »Nicht einzelnen Potentaten dienen die Denkmale unserer Zeit. Die Brücken und Theater, die Verwaltungsgebäude und Stadtautobahnen sprechen als moderne Zeugen städtischen Lebensgeistes alle Bürger an und sollen den Bürger mit Stolz erfüllen.«121 Diese Haltung wird auch durch die Zerstörung des Hörder Kriegerdenkmals in Dortmund belegt. Das 1888 errichtete Erinnerungszeichen stand auf dem Alten Markt des Stadtteils und bestand aus einem Sockel mit Gedenktafel, einer hohen Säule und wurde von einer bronzenen Viktoria gekrönt. Im März 1961 legt ein Bautrupp ein Seil an die Säule, band das andere Ende an einen Lastwagen und »Viktoria zerbarst auf dem Pflaster«, wie die Ruhr Nachrichten 2002 berichteten. Während die Zeitgenossen das Denkmal ohne Scheu zur Optimierung der Verkehrsführung entfernt hatten, beklagte die Zeitung 41 Jahre später die »sinnlose Zerstörung des erhaltenswerten Denkmals.«122 Damit lassen sich insgesamt drei Faktoren für die Krise der Erinnerungszeichen in den 1960er und 1970er Jahren destillieren. Der erste Faktor bestand, wie gerade beschrieben, in einer fundamentalen Transformation, die die Städte durchlebten. In den neugeschaffenen Citys war für Erinnerungszeichen kein Platz mehr vorgesehen. Als zweiten Faktor taten sich die Zeitgenossen spätestens ab

119 Vgl. Willibald Sauerländer, Erweiterung des Denkmalbegriffs?, S. 120. 120 Vgl. Eduard Trier, Notizen zum neuen Denkmal, in: Der Mensch und die Künste. Festschrift für Heinrich Lützeler zum 60. Geburtstage, Düsseldorf 1962, S. 494-499. 121 Vgl. StA Düsseldorf, Akte 4-23-0-16.0000, Bl. 130, Zusammenfassendes Referat von Dr. Hensel vor der Hauptversammlung des Deutschen Städtetages in Düsseldorf am 29.6.62. 122 Vgl. Viktoria zerbarst auf dem Pflaster, in: Ruhr Nachrichten vom 13. Februar 2002.

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den 1960er Jahren, von Ausnahmen abgesehen, mit dem Medium Erinnerungszeichen schwer. Abstrakte Kunstformen setzte sich durch, erwiesen sich aber als ungeeignet zur Schaffung von herkömmlichen Denkmälern, wie sie von den Ausschreibenden gewünscht wurden. Neue Medien wie die Fotografie erlebten einen Siegeszug und verdrängten klassische Kunstformen. Zugleich wurde die Idee des Erinnerungszeichens als Herrschaftssymbol, auch mit Blick auf die sowjetischen Denkmalsformen, diskreditiert. Verstärkend kam als dritter Faktor hinzu, dass die Verbrechen des Nationalsozialismus, die bis in die Mitte der 1960er Jahre noch mit der überkommenen Formensprache der Künstler*innen der Zwischenkriegszeit dargestellt werden konnten, nun als nicht mehr darstellbar galten. Neben den drei auf die Erinnerungszeichen als Kunstform bezogenen Faktoren gab es noch einen vierten Grund, der zu weniger Denkmalsetzungen in den 1960er und 1970er Jahren führte: Im selben Zeitraum wandten sich die Zeitgenossen von der Beschäftigung der Historie – und damit nicht nur von der NS-Geschichte – ab. Oder wie es Wilfried Lipp ausdrückte: Es herrschte eine Ästhetik, »die alles Historische aus ihrem Kanon ausschloß.«123 Die Umstände, die zu diesem »Verlust der Geschichte« führten, werden im nächsten Kapitel untersucht.

3.3

Der »Verlust der Geschichte« »Ein Volk, das diese wirtschaftlichen Leistungen vollbracht hat, hat ein Recht darauf, von Auschwitz nichts mehr hören zu wollen.« Bundesfinanzminister Franz-Josef Strauß, 1969.124

Als im April 1967 drei Polizeireservisten in der Münsterschen Zeitung bestätigten, dass der Zwinger in Münster Ort nationalsozialistischer Verbrechen geworden war (siehe Kapitel 3.1.), erfolgte kein Aufschrei in der Öffentlichkeit, keine erregte Debatte in den Leserbriefspalten. Der Leiter des Münsteraner Stadtarchivs hatte die Behauptung sogar vorher noch dementiert. Die einzig fassbare Reaktion war der Plan, die »historischen Reminiszenzen«, womit auch die frühneuzeitliche Nutzung des Gebäudes als Kerker gemeint war, durch Entkernung des Gebäudes zu beseitigen. Die Geschichte des Zwingers spielte in der Debatte um die Errichtung eines Erinnerungszeichens kaum eine Rolle. Und wie schon in der Analyse der Krise der Erinnerungszeichen anklang, war das Verhältnis der bundesdeutschen Gesellschaft 123

Vgl. Wilfried Lipp, Einleitung, in: Ders., Denkmal – Werte – Gesellschaft. Zur Pluralität des Denkmalbegriffs, Frankfurt/New York 1993, S. 22. 124 Vgl. Frankfurter Rundschau, 13. September 1969, siehe auch: Strauss Prozesse: Alte Kunden, in: Der Spiegel 52/1978, S. 28f.

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zur Vergangenheit in den 1960er und 1970er Jahren skeptisch, was angesichts der nationalsozialistischen Geschichte Deutschlands und der beiden Weltkriege nicht verwundert. Es gab aber neben der Belastung durch die nicht allzu fern liegende Zeit des Dritten Reiches noch weitere Faktoren hierfür. In dem von Anselm Doering-Manteuffel und Lutz Raphael als »lange sechziger Jahre« bezeichneten Zeitraum von 1957/58 bis 1973/74 stieg europaweit das Wirtschaftswachstum an und die positiven Effekte kamen in dieser Zeit des Booms beim »kleinen Mann« an. Die Nachkriegsgesellschaft transformierte sich zur Wohlstandsgesellschaft: »Ein Gefühl von Sicherheit und Zukunftsgewißheit breitete sich aus. Die Erinnerungen an das Kriegsende, als jedes Vertrauen in die Zukunft und in verläßliche Ordnung zerstört zu sein schien, war inzwischen verblaßt.« Das lange Jahrzehnt kennzeichnete eine nüchtern funktionale Umgestaltung von Stadt- und Wohnraum, Planung und Aufbruch von den Bundesfernstraßen bis zur Bildungsund Hochschulpolitik. Die Lebensbedingungen und Konsumstandards in Westeuropa näherten sich »zu einem bis dahin unbekannten Maß« an. Der Glaube an Modernität, Expertenkultur, Globalsteuerung, Planbarkeit und Steuerung der Zukunft beflügelte die Fantasien der Menschen.125 Die Modernisierung betraf in den 1970er Jahren auch die Gesellschaftspolitik. Dazu gehörte die Abschaffung des Kuppeleiparagrafen, das Ende der Strafverfolgung von Homosexuellen, die Liberalisierung von Abtreibungen, die rechtliche Gleichstellung der Geschlechter und die Reform des Eherechts. Der Wohlfahrtsstaat wurde ausgebaut und das Sozialbudget wuchs von 8 auf 33,4 Prozent.126 In den späten 1960er und frühen 1970er Jahren folgte auf den wirtschaftlichen Höhenflug ein neuer politischer Aufbruch: »Mit großen emotionalen Investitionen, mit weitgestreckten Hoffnungshorizonten« wuchsen die Erwartungen in die Politik als Akteur der Glücksvermittlung. Die Leitbegriffe der Zeit waren Fortschritt, Lebensqualität, Demokratisierung, Verständigung und soziale Gerechtigkeit, stellt Werner Weidenfeld fest.127 Joachim Radkau beschreibt in seiner Untersuchung der »Geschichte der Zukunft« die 1960er Jahre als eine Zeit, in der wider alle Vernunft an ein unendliches Wirtschaftswachstum geglaubt wurde und sich die Zukunftsforschung (Futurologie) als neue wissenschaftliche Disziplin etablierte.128 Mit dem Beginn der Großen Koalition 1966 »wurde Planung zur Parole der Zeit«, stellt Rad-

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Vgl. Anselm Doering-Manteuffel und Lutz Raphael, Nach dem Boom. Perspektiven auf die Zeitgeschichte seit 1970, Göttingen 2008, S. 20-24. Vgl. ebd., S. 28f. Vgl. Werner Weidenfeld, Geschichte und Politik, in: Werner Weidenfeld und Peter Alter (Hg.), Geschichtsbewußtsein der Deutschen. Materialien zur Spurensuche einer Nation, Köln 1987, S. 24f. Vgl. Joachim Radkau, Geschichte der Zukunft. Prognosen, Visionen, Irrungen in Deutschland von 1945 bis heute, München 2017, S. 256 und 259.

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kau fest.129 Die Zukunft schien wissenschaftlich berechenbar zu werden, der technische Fortschritt förderte das »Machbarkeitsdenken«.130 Der Stellenwert der Geschichte Der zukunftsgewisse Zeitgeist hatte auch Auswirkungen auf die Wahrnehmung der Geschichte und der Geschichtswissenschaften, was mit einem Blick auf die Deutschen Historikertage der beiden Jahrzehnte deutlich wird. 1967 beschrieb der Vorsitzende des Verbands Deutscher Historiker, Theodor Schieder, in Freiburg, dass die Verbindlichkeit historischer Denkkategorien für die Allgemeinheit und auch für die Kultur- und Sozialwissenschaften geschwunden sei. Besonders in Deutschland habe ein Kontinuitätsbruch stattgefunden, den man als »Verlust der Geschichte« bezeichnen könne. Knut Borchardt ergänzte im Koreferat, dass der Bildungswert der Geschichtswissenschaft zweifelhaft geworden sei.131 Hans Maier, der Ende des Jahres 1970 zum bayerischen Kultusminister ernannt werden sollte, diagnostizierte 1970 in der Zeitschrift Geschichte in Wissenschaft und Unterricht, dass Geschichte uninteressant werde. Es werde bestritten, dass sich aus der Geschichte überhaupt Lehren ziehen ließen. Geschichte verkomme zu etwas Gleichgültigem. Zur »allbekannten Geschichtsmüdigkeit« komme nun die Flucht vor der Geschichte hinzu.132 Die Geschichte werde ausgeblendet, Phänomene wie Gedächtnis, Erinnerung, Reue, Nachdenken überhaupt verkümmerten angesichts einer weder vor- noch rückwärtsgewandten Betriebsamkeit, die nicht nur in Deutschland zu beobachten sei.133 Er nannte hauptsächlich zwei Gründe, die dafür maßgeblich seien: Die Geschichte sei kein Vorbild in der »isolierenden Gewalt der Gegenwart« mehr, in der ein rein sachlich-technisches Weltverständnis vorherrsche: »Warum geht es in der Geschichte so ganz und gar nicht planhaft zu, warum klappt und funktioniert es nicht, wie man sich’s wünschte, warum ist die Geschichte nicht ein Zeugnis für die Pfiffigkeit, sondern für die Pathologie des Menschen? […] [S]ie kann ihm für den Lebenskampf nichts geben, sie entmutigt ihn nur in seinem Bestreben, sich in dieser komplizierten Welt zurechtzufinden, aus ihr ist keine Hilfe, kein Halt zu holen.«134 Dazu komme, dass sich – besonders in Deutschland – kein Teil der jüngeren Vergangenheit dazu eigne, den Interessierten als Bürger und Erben einer großen Vergangenheit zu »behausen«

129 Vgl. ebd., S. 282. 130 Vgl. ebd., S. 261. 131 Vgl. Theodor Schieder, Die Geschichte im System der Geistes- und Sozialwissenschaften, in: Bericht über die 27. Versammlung deutscher Historiker in Freiburg i.Br., Stuttgart 1969, S. 17 und 21. 132 Vgl. Hans Maier, Die Abwesenheit der Geschichte. Ein Vortrag, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 5/1970, S. 263. 133 Vgl. ebd., S. 272. 134 Ebd., S. 267.

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und ihn als Mitträger in der Gegenwart zu inspirieren. Im Gegenteil sei es nur zu verständlich, dass jemand angesichts der Verwerfungen und Abgründe des Dritten Reiches, der Ersten Republik, des Ersten Weltkrieges und des Kaiserreiches die Lust an der Geschichte verliere.135 Der zweite Grund für die Krise der Geschichte, den Maier ausmachte, bezog sich auf die Umwälzungen innerhalb der Geschichtswissenschaft, die ihre Paradigmen »Entwicklung, Kontinuität und organische Bildung« verloren habe und nicht adäquat durch neue Begriffe und ein neues Geschichtsbild ergänzen könne. Das traditionelle europazentrische Geschichtsbild sei durch den Aufstieg Russlands und der USA zu den Antipoden des Kalten Krieges und das neue Gewicht der afrikanischen und asiatischen Staaten nachhaltig beschädigt und fragwürdig geworden.136 In den gebildeten Schichten komme noch hinzu, dass die Beschäftigung mit der Geschichte zu Pessimismus, Passivität und Untergangsszenarios geführt habe.137 Reinhart Koselleck konstatierte im selben Jahr in seinem Vortrag »Wozu noch Historie?« auf dem Historikertag, dass die Historische Wissenschaft als Ganzes in der Krise sei und infrage gestellt werde. Er beschrieb einen Enthistorisierungsprozess, der seit dem Ersten Weltkrieg dazu geführt habe, dass die Einzelfächer der philosophischen Fakultäten aus dem »einigen Band der Geschichte« ausgeschert seien, sodass die Geschichtswissenschaft nun mehr oder weniger allein und funktionslos dastehe und kein Erkenntnisobjekt mehr habe.138 1972 beschrieb Hans Maier zur Eröffnung des Deutschen Historikertages in Regensburg den von Schieder fünf Jahre zuvor postulierten Kontinuitätsbruch noch genauer. Demnach konnte der Bürger bis zum Ersten Weltkrieg »die« Geschichte in dem Bewusstsein lesen, dass »eine breite Straße aus der Vergangenheit in seine Gegenwart« führe. »In diesem Gefühl eines ungestörten Zusammenhangs mit seinen Altvorderen vertiefte er sich liebevoll in die Zeugnisse der Vergangenheit, sammelte ihre Kunstwerke, edierte ihre Schriften, schuf Denkmäler aus ihren unscheinbarsten Hinterlassenschaften: ein lebendiges Band schlang sich hier zwischen Wissenschaft und Leben, Historie und Politik.« Aber vom historischen Interesse sei gegenwärtig nur wenig übriggeblieben. Die nationalen Geschichtsbilder seien deformiert. »Moderne Politik,« stellte er fest, »lebt stärker von sozialwissenschaftlichen Querschnitts- und Zukunftsanalysen […]« als vom Erfahrungsgehalt der Geschichte, bei der Politiker sich früher Rat geholt hatten. Als Rat an die Historiker gab er ihnen mit, »in einer relativ geschichtsfremden Zeit« nicht Therapeut, sondern Chronist zu sein, geduldige »Aufräum- und Ausgräberarbeit« zu leisten, mit unpathetischer Sachlichkeit zu desillusionieren, damit jüngere Menschen ihre

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Vgl. ebd., S. 268f. Vgl. ebd., S. 270f. Vgl. ebd., S. 273. Vgl. Reinhart Koselleck, Wozu noch Historie?, in: Historische Zeitschrift 212 (1970), S. 1-3.

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nüchterne Faszination für die Historie zurückgewinnen könnten.139 Der Vorsitzende des Verbands der Geschichtslehrer Deutschlands urteilte 1984 im Rückblick, dass Mitte der 1960er Jahre unabhängig von der Fischer-Kontroverse die Vorstellung einer neuen Welt ohne Zwänge, die durch Selbstverwirklichung erreichbar sei, verbreitet wurde. Daraufhin sei versucht worden, den Geschichtsunterricht für eine Erziehung, die nur auf die Zukunft angelegt sei, nutzbar zu machen, mit der Konsequenz, dass die Geschichte vor 1789 oder 1776 nur noch den Status »l’art pour l’art« erhalten habe.140 Willibald Sauerländer beschrieb 1975 die für ihn paradoxe Gleichzeitigkeit von Geschichtslosigkeit und neuem Interesse für den Denkmalschutz. Die Bevölkerung entledige sich mit wachsender Schnelligkeit überkommenen Vorstellungen von Geschichte, Bildung und Brauchtum, gleichzeitig werde aber mehr Denkmalschutz gefordert. Der »Abschied von der Geschichte« und die Aktualisierung der Denkmalpflege träten schizophrener Weise synchron auf. Dabei spiele die Geschichtswissenschaft bei der neuen Schubkraft der Denkmalpflege keine Rolle, sondern vielmehr und erneut das »Grauen« der »verödeten Städte« und eine Umwelt, in der sich weite Teile der Landschaft in Wüsten verwandelten.141 Ein weiteres Indiz für die Vergangenheitsverdrossenheit in den 1960er und 1970er Jahren findet sich in den Jahrbüchern für Demoskopie des Instituts für Demoskopie Allensbach. In Band VI der Jahrbücher, veröffentlicht 1976 mit Material aus den Jahren 1974 bis 1976, verzichtete man zum ersten Mal ganz auf die Fragen zum »Geschichtsbewusstsein«.142 1977 konstatierte die Leiterin des Instituts, Elisabeth Noelle-Neumann, eine stille Revolution in der deutschen Gesellschaft. In der Erziehung befänden sich 250 Jahre lang gepflegte bürgerliche Tugenden im raschen Absinken. Ebenfalls hatten sich zwischen 1967 und 1972 die Einstellungen bei gesellschaftlichen Grundwerten besonders zwischen den Generationen stark verändert. Man könne, so urteilte Noelle-Neumann, dies »regelhaft als ein revolutionäres Symptom betrachten.« Während die Arbeiterschaft bürgerliche materielle Werte erreicht habe, vollziehe sich »im geistigen Bereich« eine »Anpassung an [die] Unterschichtmentalität«.143 Im Rückblick aus dem Jahr 1993 erklärte Renate Köcher vom Allensbach-Institut, dass die Jahre zwischen 1968 und 1973 als die einschneidendsten Jahre der Bundesrepublik angesehen werden müssten: »In diesen

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Vgl. Eröffnung des 29. Deutschen Historikertages, in: Bericht über die 29. Versammlung deutscher Historiker in Regensburg, Stuttgart 1973, S. 13f. 140 Vgl. Ansprache des Vorsitzenden des Verbandes der Geschichtslehrer Deutschlands, in: Bericht über die 35. Versammlung deutscher Historiker in Berlin, Stuttgart 1985, S. 33f. 141 Vgl. Willibald Sauerländer, Erweiterung des Denkmalbegriffs, S. 122. 142 Vgl. Elisabeth Noelle-Neumann (Hg.), Allensbacher Jahrbuch der Demoskopie 1974-1976, Bd. VI, Wien (u.a.) 1974, S. 213. 143 Vgl. Elisabeth Noelle-Neumann (Hg.), Allensbacher Jahrbuch der Demoskopie 1976-1977, Bd. VII, Wien (u.a.) 1977, S. VIIff.

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Jahren veränderten sich nicht nur die politische Kultur und die Formen politischen Protests grundlegend, sondern auch die religiösen und moralischen Wertvorstellungen wie die Einstellung zu Wirtschaft und Arbeit und die Gewichtung von individuellen und kollektiven Interessen. Erdrutschartig verfielen in diesen wenigen Jahren Kirchenbindung und der Stellenwert des Religiösen im Leben der Bevölkerung, die moralischen Normen wurden liberaler, individuelle Interessen wurden höher bewertet, kollektive niedriger.«144 Die Aufbruchstimmung der späten 1960er Jahre, die Phase von Utopie und Hoffnungen auf eine neue Zeit führten in den 1970er Jahren dann, so Köcher, zu einer tiefen Enttäuschung, mit der das Vertrauen in die Zukunft verfiel. Damit einher schwand die Zuversicht in die Bewältigung politischer und ökonomischer Probleme und der Pessimismus in der Öffentlichkeit wuchs.145 Frank Bösch und Constantin Goschler vermuten, dass in den 1970er Jahren die Wirtschaftskrisen, der Terrorismus und die politische Polarisation das Interesse an der Zeitgeschichte überlagerten.146 Das Jahr 1968 und die mit diesem Datum etikettierte Studierendenbewegung stellte für die Krise der Geschichte keine Zäsur dar. Joachim Radkau weist die Vorstellung, erst die 1968er hätten die Verdrängung der NS-Verbrechen in der Bundesrepublik seit 1945 aufgedeckt und ihr heftig widersprochen, klar zurück. Er belegt dies mit der Veröffentlichung der Anne-Frank-Tagebücher bereits 1950, den Auschwitz-Prozessen (ab 1961) und dem Eichmann-Prozess (1961), die in der Öffentlichkeit rezipiert wurden. Auch wenn der Geschichtsunterricht an vielen Schulen noch nicht über das Jahr 1933 hinauskam, waren die Informationsmöglichkeiten und Diskussionsbeiträge in der Öffentlichkeit vorhanden.147 Zu diesem Befund können die bisher vorgestellten Erinnerungszeichen der 1950er Jahre hinzugefügt werden, die Anknüpfungspunkte der Erinnerung sein konnten. Die 1968er, so stimmt Radkau Hans-Ulrich Wehler zu, seien ein Symptom und nicht die Ursache des Wandels gewesen. Nicht die Vergangenheit war ihre Triebfeder, sondern die Zukunft, ihre Perspektiven und die sich öffnenden Freiräume.148 Ähnlich sehen es Bösch und Goschler. Die Zeit des Nationalsozialismus, so ihr Urteil, diente der »gegenwartsfixierten Studentenbewegung« nur als »historische Folie« für ihre Faschismus-, Imperialismus- und Kapitalismuskritik.149 Die Studentenbewe-

144 Elisabeth Noelle-Neumann, Renate Köcher (Hg.), Allensbacher Jahrbuch der Demoskopie 1984-1992, Bd. 9, München (u.a.) 1993, S. 405. 145 Vgl. ebd. 146 Vgl. Frank Bösch und Constantin Goschler, Der Nationalsozialismus und die deutsche Public History, in: Dies. (Hg.), Public History. Öffentliche Darstellungen des Nationalsozialismus jenseits der Geschichtswissenschaft, Frankfurt a.M. 2009, S. 19. 147 Vgl. Joachim Radkau, Geschichte der Zukunft, S. 266-268. 148 Vgl. ebd. 149 Vgl. Frank Bösch und Constantin Goschler, Der Nationalsozialismus und die deutsche Public History, S. 19.

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gung der 1968er führte deshalb zwar zu einer Auseinandersetzung mit der NSVergangenheit, aber nicht zu neuen Denkmalstiftungen, stellt Peter Fibich fest.150 Die Verdrängung der eigenen Vergangenheit: Die biografische Ebene Das fehlende Interesse für die Geschichte half natürlich auch denjenigen, die ihre nationalsozialistisch belastete Vergangenheit verbergen wollten. Diese Personen bestärkten die Abkehr von der Geschichte. Nach dem Ausscheiden der Generation von Amtsträgern, die in der Weimarer Republik noch demokratisch sozialisiert worden war, waren in den 1960er und 1970er Jahren die Karrieristen des NS-Staates an entscheidende Positionen in der Bundesrepublik und den Stadtverwaltungen gelangt. Sabine Meckings Vergleich der Stadt- und Oberstadtdirektoren von Münster, Paderborn und Osnabrück, die alle zwischen 1929 und 1935 ihre juristische Verwaltungskarriere in Münster begonnen hatten, kommt zu dem Ergebnis, dass nach den ersten Nachkriegsmonaten, in denen die kommunalen Spitzenpositionen mit bewährten Kräften aus der Weimarer Republik besetzt worden waren, die jüngere, im Nationalsozialismus ausgebildete Generation zum Zuge gekommen sei und beträchtlichen Einfluss in der Bundesrepublik gehabt habe.151 Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt Jürgen Zieher in seinem Fazit der Untersuchung der jüdischen Gemeinden Dortmund, Köln und Düsseldorf in den Jahren 1945-1960. Er stellt fest, dass die projüdische Haltung, die unter anderem zur Unterstützung der Errichtung neuer Synagogen in den 1950er Jahren führte, vor allem bei der kommunalen Führungsebene zu finden war und weniger bei den nachgeordneten Verwaltungskräften. Diese stammten aus dem Kreis ehemaliger Nationalsozialisten, wurden weiter beschäftigt und später dann auf einflussreiche Posten befördert.152 Eine aktive Erinnerungspolitik und wissenschaftliche Erforschung der lokalen NS-Vergangenheit hätte für sie eine Bedrohung dargestellt. Die Werte einer Erinnerungskultur, die mahnend an die NS-Verfolgten gedachte, entsprachen auch nicht ihrer Sozialisation. Damit waren sie gewiss nicht allein. Die Biografien des Stadtdirektors von Paderborn, Wilhelm Sasse153 , der zu der um 1905 geborenen Generation der NS-Funktionselite gehörte, wie sie Norbert 150 Vgl. Peter Fibich, Gedenkstätten, Mahnmale und Ehrenfriedhöfe für die Verfolgten des Nationalsozialismus, S. 44f. 151 Vgl. Sabine Mecking, Rechtsrat im »Dritten Reich«, Stadtdirektor in der Bundesrepublik. Biographische Skizzen städtischer Verwaltungsjuristen vor und nach 1945, in: Juristische Zeitgeschichte, Jahrbuch der Juristischen Zeitgeschichte, 6/2005, S. 353. 152 Vgl. Jürgen Zieher, Im Schatten von Antisemitismus und Wiedergutmachung, S. 277. 153 Sasse wurde 1907 in Paderborn geboren, der Vater war Direktor des Paderborner Landeshospitals, die Mutter Tochter eines Brauereibesitzers. 1909 zog die Familie nach Frankfurt a.M., nach dem Tod des Vaters 1914 nach Lippstadt und anschließend nach Münster. Dort machte Sasse Abitur, studierte Jura und absolvierte im März 1933 das Assessorexamen. Vgl. Wolfgang Stüken, Vom nationalsozialistischen Rechtsrat zum Stadtdirektor. Wilhelm Sasse (1907-1996) in Paderborn, in: Die Warte 144 (2009), S. 18.

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Frei in seinem Generationenkonzept definiert,154 und des Oberstadtdirektors von Münster, Heinrich Austermann155 , sind Beispiele für eine solche Karriere eines Nationalsozialisten in der bundesrepublikanischen Kommunalverwaltung. An ihren Biografien wird deutlich, wie durch die Generation der durch den Nationalsozialismus geprägten Verwaltungsbeamten die Erinnerungskultur der 1960er und 1970er Jahre beeinflusst wurde. Die Anpassung an das neue System der bundesdeutschen Demokratie forderte als »Hypothek«, wie es Mecking nennt, die Verdrängung der eigenen Vergangenheit.156 Heinrich Austermann, jener Münsteraner Oberstadtdirektor, der 1963 ein Ehrenbuch für die Münsteraner Kriegsopfer vorschlug, ohne die Verfolgten des Nationalsozialismus zu berücksichtigen (siehe S. 221), war zum 1. Mai 1933 in die NSDAP und im selben Jahr in die SA eingetreten. 1935 absolvierte er die Große Juristische Staatsprüfung und kam in den Dienst der Stadt Münster. Erst sechs Jahre nach der Einstellung wurde er vom juristischen Hilfsarbeiter zum Rechtsrat befördert, eine ungewöhnlich lange Zeit. Sabine Mecking führt dies auf ein mangelndes politisches Engagement zurück.157 Im August 1939 wurde Austermann Soldat und kehrte 1946 nach seiner Zeit in norwegischer Kriegsgefangenschaft zurück nach Münster. Er wurde im Entnazifizierungsverfahren entlastet. Er wurde 1948 Stadtrat, 1941 Kämmerer und 1953 Oberstadtdirektor, ohne dass seine Zugehörigkeit zu NSDAP und SA problematisiert wurden.158 1953 trat er in die CDU ein.159 Seine Nicht-Berücksichtigung der vom Nationalsozialismus verfolgten Toten im Ehrenbuch der Stadt Münster, die der Hauptausschuss korrigierte, mag nicht auf persönliches Verschulden oder bösen Willen zurückzuführen sein. Ebenso könnte es aber der Versuch eines ehemaligen NSDAP, SA- und Wehrmachtsmitglieds sein, eine Ehrung der Verfolgten zu verhindern. Die Wehrmachts-Kameraden waren ihm sehr wahrscheinlich näher als die ausgegrenzten und vom Nationalsozialismus Verfolgten. Der Paderborner Stadtdirektor Wilhelm Sasse ist ein weiteres Beispiel. Sasse war wie Austermann am 1. Mai 1933 der NSDAP und im selben Jahr der SA beigetreten. Im Juli 1933 wurde er juristischer Hilfsarbeiter der Stadtverwaltung Münster. 1935 beförderte ihn der Münsteraner Bürgermeister Hillebrandt zum Rechtsrat und machte ihn zu seiner rechten Hand. Das Rechtsamt wurde mit der »Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben« beauftragt. Binnen vier Monaten erledigte Sasses Amt diese Aufgabe. Von 1939 bis September 1940 ist seine 154 155 156 157 158 159

Siehe Einleitung, Fußnote 77. Austermann wurde 1909 in Papenburg geboren und verstarb 1984 in Münster. Vgl. Sabine Mecking, Rechtsrat im »Dritten Reich«, S. 338. Vgl. Sabine Mecking, Rechtsrat im »Dritten Reich«, S. 353. Vgl. ebd., S. 339f. Vgl. ebd. S. 341f. Vgl. ebd. S. 344.

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Funktion als stellvertretender Gauamtsleiter der NSDAP nachweisbar.160 Am 19. November 1941 war Sasse Protokollant einer vertraulichen Besprechung zwischen Vertretern der Stadt Münster, der NSDAP-Gauleitung, den Finanzbehörden und der Polizei, bei der die bevorstehende Deportation der westfälischen Juden besprochen worden war: eine lokale Wannseekonferenz. Konkret war die Deportation vom 13. Dezember 1941 vorbereitet worden, die Juden aus dem Münsterland ab Münster, aus Osnabrück und ab Bielefeld auch aus dem Regierungsbezirk Minden nach Riga brachte. Unter den 420 Juden, die in Bielefeld zusteigen mussten, waren auch viele aus dem Paderborner Land. Sasse war nicht nur stummer Protokollant geblieben, sondern hatte auch praktische Vorschläge gemacht, um welche jüdischen Frauen, Männer und Kinder das Deportationsverzeichnis noch erweitert werden könnte. Ein weiteres Thema, die Verwendung von jüdischen Wohnungen, war ihm zur Ausführung überlassen worden. Fünf Tage vor der Abfahrt des Deportationszuges hatte Sasse selbst noch 16 Münsteraner Juden an die Staatspolizeileitstelle gemeldet.161 Sabine Mecking bezeichnet ihn unter anderem deswegen als »städtischen Deportationsbeauftragten«.162 Während die Stadt Paderborn Anfang der 1950er Jahren unter Bürgermeister Toelle offiziell den Neubau der Synagoge förderte, erlebte der spätere Vorsitzende der jüdischen Gemeinde, Erwin Angreß, 1954 eine demotivierende Begegnung mit dem Stadtdirektor. Angreß forderte für seine geleistete Zwangsarbeit im Lager am Grünen Weg, bei der er unter anderem für das Tiefbauamt, die Straßenreinigung und Müllabfuhr der Stadt Paderborn Arbeiten verrichten musste, eine Bescheinigung dieses »öffentlichen Dienstes«. Sasse lehnte ab, da Angreß nicht mit der Stadt, sondern mit der »Reichsvereinigung der Juden« im »Arbeitsverhältnis« gestanden habe. Zynischer Weise forderte er Angreß auf, Zeugen für seine Zwangsarbeit zu benennen und deren Aussagen einzureichen: Zeugen, die 1943 alle in ein Vernichtungslager deportiert worden waren.163 Dass Sasse als NSDAP und SA-Mitglied überhaupt in das Amt des Stadtdirektors gekommen war, zeigt einmal mehr die bekannten Kontinuitäten zwischen dem Dritten Reich und der frühen Bundesrepublik auf. Sasse war nach dem Ende des Krieges von den Briten aus dem städtischen Dienst in Münster als »politically unacceptable« entlassen worden. Er betrieb anschließend seine Entnazifizierung, fand Entlastungszeugen und revanchierte sich bei diesen wiederum durch Entlastungszeugnisse. Im Dezember 1948 wurde er als Mitläufer eingestuft (Kategorie IV). Die Stadt Münster lehnte seine Wiedereinstellung ab. Sasse wandte sich an den Sonderbeauftragten für die Entnazifizierung im Land Nordrhein-Westfalen 160 Vgl. Wolfgang Stüken, Vom nationalsozialistischen Rechtsrat zum Stadtdirektor. Wilhelm Sasse (1907-1996) in Paderborn, in: Die Warte 144 (2009), S. 18. 161 Vgl. ebd., S. 13. 162 Vgl. Sabine Mecking, Rechtsrat im »Dritten Reich«, S. 340. 163 Vgl. ebd., S. 351.

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und erreichte die Wiederaufnahme des Verfahrens.164 An dessen Ende war seine Weste mit Hilfe der berühmten Persilscheine so weiß, dass man glaubt, einen Helden des Widerstands vor sich zu haben: »Er hat rassisch und religiös Verfolgte bevorzugt behandelt und hatte wegen seiner christlichen Gesinnung und Überzeugung wiederholt Differenzen mit Parteikreisen«, lautete der Befund des Haupt-Entnazifizierungsausschusses Münster im Februar 1950 und bescheinigte dem ehemaligen Rechtsrat außerdem »ein über innere Ablehnung hinausgehendes Aufbegehren gegen die Ziele der NSDAP.«165 1950 kehrte er in die Stadtverwaltung Münster zurück und arbeitete in der Wohnungsbauförderung, bis er sich 1952 erfolgreich auf die Stelle des Stadtdirektors der Stadt Paderborn bewarb. Im Besetzungsverfahren setzte er sich mit acht zu drei Stimmen durch. Die Belastung durch die NSDAP-Mitgliedschaft war damals bekannt, aber die Persilscheine wirkten. Direkte Handlungen Sasses zur Verhinderung historischer Forschung sind nicht nachweisbar, es ist auch zweifelhaft, ob diese aktenkundig geworden wären. Vorwürfe des städtischen Archivars Molinski, die unter anderem in der linken Monatszeitung Konkret in der Ausgabe 18/1969166 veröffentlicht wurden, nach denen die Stadtverwaltung mit Sasse an der Spitze die Recherchen Molinskis zum Schicksal Paderborner Juden im Nationalsozialismus mit allerlei dubiosen Methoden zu verhindern versucht habe, scheinen mit Blick auf die Person Molinskis nicht glaubhaft.167

164 Vgl. Wolfgang Stüken, Vom nationalsozialistischen Rechtsrat zum Stadtdirektor. Wilhelm Sasse (1907-1996) in Paderborn, in: Die Warte 144 (2009), S. 14. 165 zitiert nach: Wolfgang Stüken, Vom nationalsozialistischen Rechtsrat zum Stadtdirektor, S. 18. Dortige Quellenangabe: LAV NRW R, NW 1038, Nr. 5337, Bl. 2 166 Vgl. Irma Reblitz und Günter Wallraff, Die Judenehrung von Paderborn oder eine Stadt bewältigt ihre Vergangenheit, in: Konkret 18/1969, S. 18f. 167 Der Fall Molinski und seine Konflikte mit seiner Arbeitgeberin, der Stadt Paderborn, ist überaus komplex und kann erst nach Ablauf der Schutzfristen ausführlich analysiert werden. Die in den Unterlagen der Rechtsverfahren befindlichen psychologischen Gutachten ziehen die Glaubwürdigkeit Molinskis stark in Zweifel. (Vgl. StA Paderborn, J 9280, Psychiatrische Gutachten der Jahre 1976.) Die Stadt Paderborn hatte schon 1960 beschlossen, Informationen über das Schicksal der in der NS-Zeit ermordeten oder vermissten jüdischen Bürger zu sammeln und diese Aufgabe Molinski übertragen. (Vgl. Wolfgang Stüken, Vom nationalsozialistischen Rechtsrat zum Stadtdirektor, S. 15.) Da dieser aber keine Publikation zu den jüdischen Kulturtagen des Jahres 1964 erstellen konnte, wurde vom städtischen Kultur- und Pressereferenten Alois Erich Boskamp eine solche Schrift verfasst. (Vgl. A. Erich Boskamp, Bauen wir doch aufs neue das alte Haus. Jüdisches Schicksal in Paderborn, herausgegeben von der Stadt Paderborn, Paderborn 1964.) In ihr findet sich eine chronikhafte Zusammenfassung der Geschichte jüdischen Lebens im Hochstift Paderborn, Beiträge der in Paderborn geborenen und aufgrund nationalsozialistischer Verfolgung emigrierten Dichterin Jenny Aloni und zum Schluss eine Aufzählung der bekannten Schicksale jüdischer Paderborner Bürgerinnen und Bürger in der Zeit des Nationalsozialismus, die allerdings eine Beschäftigung mit den

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Dennoch blieb die Gefahr einer Aufdeckung seiner nationalsozialistischen Vergangenheit eine stete Quelle der Bedrohung seiner Existenz. Hätte die Stadt Münster 1966 mit dem Beschluss zur Errichtung eines Erinnerungszeichens im Zwinger lokale Forschung betrieben, hätten Historiker*innen 1963 nach Austermanns Vorschlag, ein Ehrenbuch zu schaffen, die Geschichte der NS-Verfolgung untersucht oder die Münstersche Zeitung 1967 nach der Aufdeckung der ehemaligen Reservepolizisten die NS-Geschichte des Gebäudes recherchiert, hätten sowohl Austermann als auch Sasse Ansehen, Stellung und womöglich auch ein Leben in Freiheit verloren. Und damit waren sie gewiss nicht allein. Aber erst 1981 wurde das Protokoll der vertraulichen Besprechung von 1941 in einer Reihe namens »Geschichte original – am Beispiel der Stadt Münster« als Faksimile publiziert. In dieser Zeit war der 1971 pensionierte Sasse schon nicht mehr im Amt, ebenso wie der 1973 in den Ruhestand gegangene Austermann. Es sollte noch bis 1993 dauern, bis das Protokoll in Paderborn bekannt wurde. Wolfgang Stüken stellt dazu fest: »Als lägen zwischen Münster und dem 90 Kilometer entfernten Paderborn Welten – in Paderborn bleibt diese Entdeckung [bis zu diesem Zeitpunkt, Anm. JNK] unbeachtet.«168 Die Veröffentlichung des Protokolls im Jahr 1981 ist ein Zeichen für ein sich wandelndes Geschichtsverständnis, das ab den späten 1970er Jahren Wirkung entfaltete, nachdem die Generation der nationalsozialistischen Karrieristen aus den bundesrepublikanischen Ämtern geschieden war. Bevor nun die Gründe für den neue Aufschwung der Erinnerungszeichen und der Geschichte untersucht werden, soll zuvor noch ein Blick auf die Gedenkpraxis an den in den 1950er Jahren errichteten Erinnerungszeichen geworfen werden, denn auch hier wird an vielen Beispielen das Desinteresse an Geschichte ab den 1960er Jahren deutlich.

3.4

Geschichtsbilder und Geschichtslosigkeit: Die Gedenkpraxis an den Erinnerungszeichen

Die Erinnerungszeichen, die in den 1950er Jahren geplant und bis zum Ende des Jahrzehnts fertiggestellt wurden, waren nach ihrer Einweihung mehrheitlich Orte des ritualisierten Gedenkens. Ausnahmen waren das zerstörte Sühnekreuz in Meschede und die Gedenktafel in Neuss, die erst Jahre nach ihrer Einweihung zu einem solchen Ort wurde. Die Untersuchung der Gedenkpraxis an den Erinnerungszeichen bietet die Möglichkeit, die verschiedenen Interpretationen des Weltkriegs und des Nationalsozialismus in Nordrhein-Westfalen zu vergleichen und nachzuzeichnen, wie sich diese veränderten. Gleichzeitig lässt sich die Krise des

(lokalen) Tätern als auch Einordnungen der verwendeten Begrifflichkeiten (»in den Osten deportiert und dort umgekommen«) vermissen lässt. 168 Vgl. Wolfgang Stüken, Vom nationalsozialistischen Rechtsrat zum Stadtdirektor, S. 15 f.

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Geschichtsbewusstseins, die sich trotz aller Heterogenität der verschiedenen Städte überall zeigte, auch anhand des Gedenkens illustrieren und nachverfolgen. Bonn: »Den Opfern von Krieg und Gewalt in unserer Zeit« Wie bereits in Kapitel 2.8 ausgeführt, entsprang die Planung für das nationale Ehrenmal in Bonn unter anderem der Unzufriedenheit Adenauers mit der Ausgestaltung des Volkstrauertages 1959. Das Kabinett sammelte Ideen, wie der Volkstrauertag zu einem Staatsakt ohne Verantwortung des VDK werden könne. Doch am Ende stellte das Kabinett diese Pläne zurück, da es den Anschein eines neuen Heldengedenktages nationalsozialistischer Prägung auf jeden Fall vermeiden wollte. Stattdessen wurde zusammen mit dem VDK ein Ritual festgelegt, das die nächsten Jahrzehnte mehr oder weniger Bestand haben sollte. Am Vortag des Volkstrauertages (ab 1969 am selben Tag) fand auf dem Nordfriedhof eine von militärischem Gepränge begleitete Kranzniederlegung statt, während die Kammerstunde im Plenarsaal bedeutend ziviler gestaltet war: Klassische Musik rahmte Reden, Ansprachen und gelegentlich auch Lesungen aus Originaldokumenten ein. Den Schlusspunkt setzten die Verlesung der Totenehrung, eine Schweigeminute und das Lied vom guten Kameraden. Das neue Ehrenmal im Hofgarten war dabei nur von 1964 bis 1968 in dieses Gedenken am Volkstrauertag eingebunden und verlor nach dem Rücktritt von Bundespräsident Lübke auf Drängen des VDK seine Funktion zu Gunsten des Bonner Nordfriedhofs.169 Das starre Ritual bot nur in den Reden und der Verlesung der Totenehrung die Möglichkeit einer persönlichen Einflussnahme. Gleich beim ersten Mal, 1960, nutzte Bundespräsident Lübke nach Ansicht des VDK diese Möglichkeit über die Maßen aus. Lübke erwähnte die Toten des Ersten Weltkrieges nicht, gedachte ausdrücklich den Verfolgten des Nationalsozialismus (als zweiter Redner nach Bundesinnenminister Schneider 1958) und setzte sich kritisch mit der Zeit des Nationalsozialismus und der Verantwortung des deutschen Volkes auseinander, bevor er zum Abschluss den Toten aller Nationen gedachte, ohne die deutschen explizit zu erwähnen.170 Als Reaktion darauf entwarf der VDK eine feste Formel der Totenehrung, die eine strenge Hierarchie befolgte: Gefallene – zivile Kriegsopfer – Opfer der Vertreibung und zum Schluss erst die Verfolgten des Nationalsozialismus als »Opfer ihrer politischen oder religiösen Überzeugung.«171 Nachdem Ludwig Erhard 1963 die Opfer der Teilung Deutschlands integrierte, veränderte Willy Brandt in seiner Regierungszeit bis 1973 die Textform stärker. In ihr komme, so interpretiert Alexandra Kaiser, eine Loslösung von der Vergangenheit zum Vorschein,

169 Vgl. Alexandra Kaiser, Von Helden und Opfern. Eine Geschichte des Volkstrauertages, S. 264267, 304. 170 Vgl. ebd., S. 270f. 171 Vgl. ebd., S. 272.

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stattdessen werde eine Brücke in die Zukunft geschlagen. Die Toten der Gegenwart (»Opfer von Krieg und Gewalt in unserer Zeit«) standen nun in der Hierarchie ganz oben und Brandt schloss mit der Hoffnung auf Versöhnung und Frieden und der Aufforderung, daran mitzuwirken.172 Im Laufe der 1960er Jahre wurden die Verfolgten des Nationalsozialismus immer mehr zu einem Teil des Volkstrauertages. Dabei spielte die bei der Planung des Ehrenmals gefundene Formulierung »Den Opfern des Krieges und der Gewaltherrschaft« eine besondere Rolle. Auch wenn sie später unter anderem von Reinhart Koselleck als Heuchelei hart kritisiert wurde, ermöglichte die Entdifferenzierung der Kategorien Schuld und Unschuld sowie Ehre und Unehre eine Integration der Gefallenen und Verfolgten des Nationalsozialismus als gesamtdeutsche Opfer, denen man zusammen gedachte. Zwar wurde die Schuldfrage nivelliert, gleichzeitig erfüllte diese Formulierung aber eine Brückenfunktion, die langfristig zur Anerkennung der Verfolgten des Nationalsozialismus führte, so Alexandra Kaiser.173 Ab den 1970er Jahren wurden die NS-Verfolgten schließlich zu einem verbindlichen Inhalt der Ansprachen, während die Gefallenen zwar noch immer geehrt, aber nicht mehr glorifiziert wurden.174 Allerdings, darauf weist Kaiser hin, galt dies nur für den Veranstaltungsteil im Bundeshaus. Die Kranzniederlegung am Nordfriedhof konzentrierte sich auf die Ehrung der Gefallenen und zivilen Toten des Krieges, während die Verfolgten des NS-Regimes bei diesem Gedenken vollständig fehlten.175 Misst man die öffentliche Anteilnahme an der zentralen Gedenkfeier des Volkstrauertags anhand der Fernsehübertragung, so wird auch hier eine Krise deutlich sichtbar. War es von 1955 bis 1969 üblich gewesen, dass die ARD die Feierstunde in voller Länge live übertrug, lehnte sie dies 1970 zum ersten Mal ab. Gleichzeitig nahm die Bundesregierung mangels Interesses auch nur mit einem Minister an der Feier teil, während in der Öffentlichkeit die Kritik an der Veranstaltung lauter wurde. Erst 1981 kehrte die Live-Übertragung ins Programm von ARD und ZDF zurück. In den 1970er Jahren verschwanden die Bilder der Kranzniederlegung sogar aus den Nachrichtensendungen.176 Nachlassendes Interesse der Bevölkerung und der Berichterstattung lassen sich auch anhand der lokalen Gedenkfeiern beobachten. Wuppertal: »Aber die Opfer des 20. Juli gaben uns eine Chance!« Nachdem das Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus in Wuppertal 1950 zum ersten Mal fertiggestellt wurde, fanden zunächst keine regelmäßigen Gedenk172 173 174 175 176

Vgl. ebd., S. 275f. Vgl. ebd., S. 287-290. Vgl. ebd., S. 301. Vgl. ebd., S. 302f. Vgl. ebd., S. 316f.

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feiern an diesem Ort statt. Erst mit der Installation der Skulptur von Herbert Vohlwahsen 1958 begann eine Gedenktradition, die den 20. Juli als Gedenktag des Widerstands würdigte (siehe Kapitel 2.2). An diesem Tag kamen jährlich die Akteure der Lokalpolitik und interessierte Bürgerinnen und Bürger zusammen, hielten Reden und legten Kränze nieder. Der bedeutendste Gedenktag bis dahin – und danach parallel – war der Volkstrauertag, der ab 1951 in Wuppertal begangen wurde. Auffällig ist, dass die Berichterstattung über die verschiedenen Gedenkfeiern in den Wuppertaler Zeitungen im Jahr 1958 im Vergleich zu den Jahren zuvor und danach am ausführlichsten war. Am 20. Juli 1959, dem 15. Jahrestag des Attentats auf Hitler, fand die erste offizielle Gedenkfeier für die Opfer des Widerstands im Deweerthschen Garten statt. Das »eigenwillig gestaltete« Denkmal, so bemerkte der General-Anzeiger, sei bereits ein Jahr nach der Einweihung zu einem Symbol für den Widerstandskampf in Wuppertal geworden. Besondere Aufmerksamkeit, erklärte der Berichterstatter, erhielt die Niederlegung des Kranzes der Gesellschaft für Christliche-Jüdische Zusammenarbeit (GCJZ) durch die Landtagsabgeordneten Emil Marx (CDU) und Johannes Rau (SPD). Die Gedenkrede hielt Karl Ibach, der den Wuppertaler Anteil am 20. Juli betonte und erklärte: »Der 20. Juli 1944 war ein Ausbruch des guten Gewissens, ein Zeugnis für ein besseres Deutschland, kein reaktionärer Putsch, sondern eine Bewegung, die alle Schichten des Volkes umfaßte, ein geschichtlicher Höhepunkt des Widerstands«.177 Damit bewegte sich die Rede Ibachs auf der Argumentationslinie, die auch im Rat für die Errichtung des Mahnmals vorgebracht worden war und die auch in den folgenden Jahren vorherrschte. Für das Jahr 1960 findet sich kein Beleg, dass eine Gedenkfeier für die Verfolgten des Nationalsozialismus stattfand. Im Juli 1961 berichtete der General-Anzeiger von einer »überzeugenden Kundgebung im Sinne des demokratischen Vermächtnisses« der Opfer des 20. Juli, »das von einer breiten Schicht der Bevölkerung getragen wird.« Die Bundeswehr beteiligte sich mit einer Ehrenwache am Mahnmal an der Gedenkfeier, bei der Bürgermeister Dobbert (SPD) erklärte, dass das Opfer der Widerstandskämpfer gerade in der Zeit des Eichmann-Prozesses ein Ehrenschild sei. Am Nachmittag war bereits der Rat der Stadt Wuppertal zusammengetreten und hatte die Widerstandskämpfer geehrt.178 Im folgenden Jahr erfolgte die Einladung zur Veranstaltung vom BVN und der GCJZ. Neben der Bundeswehr beteiligte sich nun auch die Polizei an der Ehrenwache. Der Polizeipräsident hielt vor den zahlreichen Vertretern der Parteien, Behörden und des öffentlichen Lebens die Gedenkrede, in der er betonte, dass die idealistischen und selbstlosen Opfer

177 178

Vgl. Ein Zeugnis für ein besseres Deutschland, in: General-Anzeiger der Stadt Wuppertal vom 21. Juli 1959. Vgl. Der 20. Juli 1944 ist ein Ehrenschild, in: General-Anzeiger der Stadt Wuppertal vom 21. Juli 1961.

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des Widerstandes dem deutschen Volk unschätzbares moralisches Kapital hinterlassen hätten. Es sei jetzt die Aufgabe, den Vorkämpfern zu danken. Im Anschluss an die Gedenkrede ertönte das Lied vom guten Kameraden, was der Orientierung des Gedenktags am militärischen Widerstandskampf entsprach.179 Im Sommer 1964 erschienen am 20. Jahrestag des 20. Juli neben »vielen hundert Bürgern« auch Ehrenzüge des Bundeswehr-Beobachtungsbataillons 170, der Bereitschaftspolizei sowie das Polizeimusikkorps. »Der 20. Juli 1944 war keine Niederlage. Er war der erlösende Beweis, daß es trotz des Terrors, der sich im Laufe der Jahre in einem unerträglichem Maße gesteigert hatte noch Männer und Frauen gab, denen Ehre und Leben höher standen als das eigene Leben«, erklärte Oberbürgermeister Dr. Frowein (CDU).180 Am Abend folgte noch eine Gedenkstunde, bei der Landtagsvizepräsident Dobbert (SPD) erklärte, dass man den Helden des 20. Juli die Rückkehr in die Völkerfamilie verdanke. »Unsere Demokratie ist zwar von den Alliierten installiert worden, aber die Märtyrer gaben zu ihr die Impulse. Der Widerstand hat nur das Tor aufstoßen können. Aber die Opfer des 20. Juli gaben uns eine Chance!«181 An diesen Beispielen wird noch einmal deutlich, dass der Widerstand gegen den Nationalsozialismus, so erfolglos er auch im Kampf gegen das NS-Regime gewesen war, von den Überlebenden zum Gründungsmythos der Bundesrepublik erhoben wurde. Der westdeutsche Staat wurde in Wuppertal als Staat der Widerstandskämpfer gesehen, dessen Errichtung nur aufgrund der Leistungen der Widerstandskämpfer geschehen konnte. Der Widerstand gegen den Nationalsozialismus ermöglichte eine positive Identifikation, seine Widerstandskämpfer, so unterschiedlich ihre Herkunft und Ziele waren, wurden zu moralischen Gründungsvätern der Bundesrepublik stilisiert. Das Mahnmal gedachte zwar den Verfolgten ohne spezifische Unterscheidung in Opfergruppen, in den Reden wurde es aber zu einem Siegesdenkmal. Die geehrten und beschworenen Widerstandskämpfer wurden als Kämpfer für die Bundesrepublik angesehen, deren opfernder Einsatz für ein Deutschland ohne Nationalsozialismus das moralische Kapital darstellte, das die Gründung der Bundesrepublik ermöglichte. Ohne die Widerstandskämpfer, so die Schlussfolgerung in Wuppertal, würde es Wohlstand und Demokratie in Westdeutschland nicht geben. In den nächsten Jahren ging die Bedeutung der Gedenkfeier spürbar zurück. 1965 zeigte sich der Berichterstatter des General-Anzeigers enttäuscht: Die Gedenkfeier sei kurz und würdig, aber eine Besinnung aufgrund des nahen Großstadtver179

Vgl. Der Toten Mahnung: Frieden in Freiheit!, in: General-Anzeiger der Stadt Wuppertal vom 21. Juli 1962. 180 Vgl. »Sie dürfen nicht umsonst gestorben sein«, in: General-Anzeiger der Stadt Wuppertal vom 21. Juli 1964. 181 Die Opfer des 20. Juli gaben eine Chance, in: General-Anzeiger der Stadt Wuppertal vom 21. Juli 1964.

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kehrs kaum möglich gewesen. Anwesend waren bei heranziehendem Regen fast nur Politiker und Männer [sic!] des öffentlichen Lebens, nur wenige Männer und Frauen waren von selbst gekommen.182 In den Jahren 1968 und 1969 nahm die Berichterstattung in den Zeitungen über den Volkstrauertag deutlich ab. Auch der Gedenktag zum 20. Juli war nun Routine. 1969, vor dem 25. Jahrestag des Attentats, wurden sowohl die bundesoffizielle Gedenkstätte in Berlin-Plötzensee als auch das Mahnmal im Deweerthschen Garten mit roter Farbe beschmiert.183 Die Polizei vermutete Rechtsextreme als Täter, die Feuerwehr reinigte das Mahnmal notdürftig. Bürgermeister Dr. Frowein wies darauf hin, dass die Jugend Schwierigkeiten habe, das Ereignis des 20. Juli zu würdigen, da sie keine Vorstellung vom damaligen Druck der Zeit habe.184 1970 erklärte der Stadtverordnete und spätere Oberbürgermeister Gurland (SPD), dass mehr als ein Vierteljahrhundert nach dem 20. Juli 1944 eine Generation herangewachsen sei, der das Tun ihrer Eltern fragwürdig gewesen sei, und es sei deshalb nur zu gut verständlich, dass die Jugend vorwärtsblicken und für die Zukunft arbeiten wolle. Dennoch müsse man sich am 20. Juli vor denen verneigen, die gegen das Unrecht angekämpft hätten.185 Zum Volkstrauertag 1970 erschien im General-Anzeiger eine Kritik an der »verordneten Trauer« der Trauertage im November. Der Bericht zum Volkstrauertagsgedenken fiel dementsprechend in diesem Jahr klein aus und wurde von einem großen Bild dominiert.186 Dieser Trend setzte sich auch in den folgenden Jahren fort. Mit Blick auf die Gedenkfeier des 20. Juli kommentierte die Westdeutsche Zeitung 1972: »Leider gehört zur Tradition dieser Gedenkstunde auch, daß die Öffentlichkeit kaum Notiz von ihr nimmt.«187 Am 20. Juli 1973 konnte Oberbürgermeister Gurland eine neue Inschrift am Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus einweihen, die an das lokale KZ Kemna erinnert, das von Juli 1933 bis Januar 1934 auf Wuppertaler Stadtgebiet bestand. Den 40. Jahrestag der Einrichtung dieses KZs am 5. Juli 1933 hatte man zum Anlass genommen, daran gesondert zu erinnern. Die Anbringung der Inschrift hatten die Überlebenden des Konzentrationslagers angeregt.188 1975 beklagte sich 182

Vgl. Die Freiheit jeden Tag neu erkämpfen, in: General-Anzeiger der Stadt Wuppertal vom 21. Juli 1965. 183 Vgl. Zwei Gedenkstätten für Opfer des 20. Juli geschändet, in: General-Anzeiger der Stadt Wuppertal vom 21. Juli 1969. 184 Vgl. Feier am besudelten Mahnmal, in: General-Anzeiger der Stadt Wuppertal vom 21. Juli 1969. 185 Vgl. Den rechten Weg gehen, in: General-Anzeiger der Stadt Wuppertal vom 21. Juli 1970. 186 Vgl. Artikel »Das Trauern« und Feiern zum Volkstrauertag in allen Stadtteilen, in: GeneralAnzeiger der Stadt Wuppertal vom 15. November 1971. 187 Der 20. Juli bleibt Mahnung und Auftrag, in: Westdeutsche Zeitung vom 21. Juli 1972. (Vormals: General-Anzeiger der Stadt Wuppertal) 188 Vgl. Waltraud Bierwirth, Heute vor 40 Jahren: Privat KZ der SA, in: Neue Rhein Zeitung vom 5. Juli 1973.

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Oberbürgermeister Gurland bei der Gedenkfeier, dass viele junge Menschen kaum etwas über die NS-Zeit wüssten – »schon gar nicht über den Widerstand«. Das geringe Wissen sei zudem oft böswillig verzerrt oder bewusst verharmlost.189 Die Berichterstattung zu den Gedenkfeiern schwand weiter. 1977 wurde vom Volkstrauertag nur noch mit einem kleinen Bild und einer schmalen, fünfzeiligen Bildunterschrift in einer Ecke des Lokalteils berichtet,190 der Gedenkfeier zum 20. Juli erging es ähnlich.191 Dortmund: »Das Geschenk der Versöhnung« In Dortmund wurde wie in Wuppertal der Widerstand als Vorbild in den Vordergrund geschoben und vor dem Vergessen dieser Leistung gemahnt. Die Zahl der Teilnehmer der internationalen Gedenkveranstaltung lag in den 1960er Jahren im Mittel192 bei ca. 7.500, in den 1970er Jahren bei ca. 5.200, in den 1980er Jahren bei ca. 3.600, in den 1990er Jahren ca. 2.400 und schließlich ca. 1.100 im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts. Regelmäßig wurde am Mahnmal in der Bittermark vor dem Vergessen des Verbrechens und der Zeit des Nationalsozialismus gewarnt. 1963 sprach mit dem Präses der evangelischen Kirche, Dr. Wilm, jemand, der selbst unter dem NS-Regime gelitten hatte und im KZ Dachau inhaftiert gewesen war. Er erinnerte mit der Erzählung seiner persönlichen Erlebnisse an 90 erschossene russische Offiziere und 700 französische Zwangsarbeiter, die eine 14-tägige Odyssee in einem Zug kaum überlebten, Baracken, in denen 1.000 Pfarrer gestorben waren und er schilderte seinen Besuch in einer Gedenkstätte in Israel – vermutlich Yad Vashem – für sechs Millionen ermordeten Juden. Er bedauerte, dass viele Menschen in Deutschland nichts davon wissen wollen würden. »Sie möchten am liebsten die Gräber einebnen und die Mahnmale beseitigen.« Man sei es aber den Toten schuldig, die gegen das Unrecht gekämpft hätten, dass man sie nicht vergesse, wie es in Dortmund vorbildlich geschehe, so Wilm. Man laufe bereits jetzt wieder Gefahr, in der »Macht allein das Heil zu erblicken und die Menschen in gute und böse zu teilen.«193 1964 waren Vertreter aus Polen und der Sowjetunion bei der Gedenkfeier zugegen, die Franzosen erschienen mit 600 Teilnehmern. Hauptredner war Eberhard Brühnen, MdB, ein Sozialdemokrat, der selbst 1933 Verfolgung

189 Vgl. Wachsamkeit aus ihrem Beispiel, in: Westdeutsche Zeitung vom 21. Juli 1975. 190 Vgl. Am Volkstrauertag: Zahlreiche Gedenkfeiern, in: Westdeutsche Zeitung vom 14. November 1977. 191 Vgl. Opfern des Nationalsozialismus gedacht, in: Westdeutsche Zeitung vom 21. Juli 1977. 192 Vgl. Wolfgang Asshoff, Die Gedenkfeier in der Bittermark, gesammelte Zeitungsartikel der Ruhr Nachrichten, Westdeutsche Allgemeine Zeitung, Westfälische Rundschau und Amtliche Bekanntmachungen der Stadt Dortmund, Dortmund 2009. Angegeben wird der Mittelwert der Teilnehmerzahlen laut der Berichterstattung der verschiedenen Zeitungen. 193 Vgl. Große Gemeinschaft des Todes verpflichtet. Gedenkfeier am Mahnmal in der Bittermark, in: Amtliche Bekanntmachungen der Stadt Dortmund vom 19. April 1963.

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und Gewalt durch die Nationalsozialisten erfahren hatte. Als Vertreter der FNDT erklärte M. Cloarec, dass das Mahnmal in der Bittermark zu einem Treffpunkt derjenigen geworden sei, die guten Willens seien und sich für Völkerverständigung und Frieden einsetzten, über die Grenzen von Sprache und Weltanschauung hinweg.194 1965, am 20. Jahrestag der Morde in der Bittermark, warnte NRW-Kultusminister Prof. Dr. Paul Mikat erneut davor zu vergessen. »Mit der Verpflichtung nichts zu vergessen, bleibe verbunden das Geschenk der Versöhnung«, erklärte er laut den Amtlichen Bekanntmachungen der Stadt Dortmund. Der Bundestagsabgeordnete Martin Hirsch (SPD) ehrte die antifaschistischen Widerstandskämpfer, die zu den »Besten ihrer Völker« gehörten und beschwor die Teilnehmer der Gedenkveranstaltung, es ihnen gleich zu tun, wenn Unrecht geschehe, Grundrechte missachtet oder die Verfassung gebrochen werde. Das sei die Verpflichtung, die von den Toten in der Bittermark auf die Lebenden übergegangen sei. Hirsch kritisierte aber auch das Verhalten des Auslands während der Existenz des Dritten Reiches und die fehlende Unterstützung für die vom Dritten Reich verfolgten Juden und den deutschen Widerstand.195 Hirsch bat um das Vertrauen der Völker, dass die junge Generation der Deutschen aus den Fehlern der Väter gelernt habe und gemeinsam den Weg in eine »Welt des Friedens, des Rechtes und der Gerechtigkeit« suche.196 Der Redner des Jahres 1967, Arbeits- und Sozialminister in NordrheinWestfalen, Werner Figgen (SPD), sprach von Scham und Entsetzen gegenüber dem Verbrechen an Deutschen, Franzosen, Russen, Niederländern, Belgiern und Polen. Anschließend schilderte er drei Einzelschicksale deutscher Opfer, darunter das einer Frau, die im Romberg-Park ermordet wurden. Es sei der an Ausdrücken reichen deutschen Sprache nicht möglich, das menschliche Leid und das Verbrechen zu erfassen. Es bleibe die Frage, wie so etwas geschehen konnte. Figgen beantwortete diese Frage mit fanatischem Nationalismus, Rassen- und Herrenwahn. Er beschrieb das deutsche Volk als von Propaganda geblendet und bis 1944 nicht fähig Kritik zu üben, als die Gaskammern ihr »schauriges Werk« vollbracht hätten. Nun solle man an den Gräbern der Opfer ein Bekenntnis zu Frieden und sozialer Gerechtigkeit abgeben, das sei man den Opfern schuldig, damit ihr Tod nicht sinnlos gewesen sei.197 Während in der ersten Hälfte der 1960er Jahre die Interpretation des Nationalsozialismus und das Nacherzählen der Verbrechen noch deutlich im Vordergrund standen, traten ab ca. 1968 tagesaktuelle Ereignisse öfter in den Fokus der Reden. 194 Vgl. Treffpunkt des guten Willens, in: Amtliche Bekanntmachungen der Stadt Dortmund vom 1. April 1964. 195 Vgl. Es darf nicht vergessen werden – sonst könnte sich das Vergangene wiederholen, in: Amtliche Bekanntmachungen der Stadt Dortmund vom 23. April 1965. 196 Vgl. ebd. 197 Vgl. Minister Werner Figgen hielt Gedenkrede am Mahnmal Bittermark, in: Amtliche Bekanntmachungen der Stadt Dortmund vom 31. März 1967.

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Ministerpräsident Kühn verurteilte am 12. April 1968 in seiner Rede den am Vortag stattgefundenen Anschlag auf Rudi Dutschke. Die Teilnehmer der Gedenkfeier gedachten auch der am 4. April stattgefundenen Ermordung Martin Luther Kings in den USA.198 Auch der Sechstagekrieg im Nahen Osten und der Vietnamkrieg im Fernen Osten wurden von Oberbürgermeister Keuning in seiner Ansprache thematisiert, ebenso wie die schon genannten Attentate. Er forderte Frieden und die Aufklärung der Morde. Es sei der Sinn dieser Gedenkstunde, so sehe es die Stadt Dortmund, daran zu denken, dass man um Menschenrechte ständig kämpfen müsse.199 Ab den 1970er Jahren wurden die Berichte über die jährliche Gedenkfeier nicht nur in den Zeitungen signifikant dünner, sondern auch die Amtlichen Bekanntmachungen der Stadt Dortmund begrenzten den Raum auf maximal eine Seite, anstatt der bisher ausführlichen Berichterstattung über mehrere Seiten. 1970 verurteilte Hauptredner Egon Franke, Minister für innerdeutsche Fragen, die Proteste der Studentenbewegung, die sich Methoden bedienten, die er selbst im Widerstand nicht zur Verfügung gehabt habe – Demonstrationen, Megafone, bunte Prospekte und Transparente. Er mahnte, mit der Bezeichnung Faschismus dürfe man nicht leichtfertig umgehen.200 Auch im folgenden Jahr diente die Gedenkfeier am Mahnmal der Behandlung aktueller politischer Themen. Die Anwesenheit einer großen osteuropäischen Delegation, erstmals auch aus der DDR, nutzte Oberbürgermeister Sondermann, um die neue Ostpolitik Brands zu loben und zu bestärken.201 Das Anliegen der Aussöhnung mit dem Osten war auch das Leitthema der Rede Sondermanns 1972 und er stellte die Ratifizierung der Ostverträge und die einseitige Verzichtspolitik in die Sinnfolge der Opfer in der Bittermark, die für Toleranz und Frieden stünden.202 1974 vereitelte die Polizei eine Störaktion von 25-40 Mitgliedern der KPD/ML203 während der Mahnfeier. Der für den erkrankten Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbundes eingesprungene stellvertretende Gewerkschaftsvorsitzende

198 Vgl. Walter Giott, Bittermark-Gedenkstunde erhielt durch Attentat bittere Aktualität, in: Westfälische Rundschau von Ostern 1968. (Dieser wie die folgenden Artikel finden sich in: Wolfgang Asshoff, Die Gedenkfeier in der Bittermark, Dortmund 2009, z.T. ohne exakte Datumsangabe). 199 Vgl. Ministerpräsident Heinz Kühn hielt Gedenkrede am Mahnmal in der Bittermark, in: Amtliche Bekanntmachungen der Stadt Dortmund vom 19. April 1968. 200 Vgl. Bekenntnis zur Brüderlichkeit am Mahnmal in der Bittermark, in: Westfälische Rundschau von Ostern 1970. 201 Vgl. Beteiligung aus dem Osten immer stärker, in: Ruhr Nachrichten von Ostern 1971. 202 Vgl. Normalisierung und Aussöhnung auch mit dem Osten suchen, in: Amtliche Bekanntmachungen der Stadt Dortmund vom 7. April 1972. 203 Vgl. Gerd Muhr warnt vor Restauration. Protest gegen Unmenschlichkeit, in: Westfälische Rundschau von Ostern 1974.

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Gerd Muhr befand es für nötig, eindringlich vor revisionistischen, geschichtsvergessenen Tendenzen in der BRD zu warnen: »Wenn der Bundeskanzler wegen seiner Versöhnungspolitik mit dem Osten angepöbelt werden kann, daß er kommunistische Mörder finanziere, wenn ein gewinnsüchtiger Verleger zur Anpreisung einer Dokumentationsserie HakenkreuzFähnchen flattern lassen möchte, wenn ein Irrer in Nürnberg einen paramilitärischen Trupp nach SA-Muster ausbilden kann –, dann sollten wir dies nicht alles als bedeutungslose Randerscheinung abtun! […] Kaum stehen wir einmal vor wirtschaftlichen und politischen Schwierigkeiten, da ertönt bereits wieder der Ruf nach dem starken Mann. Die Forderung nach gleichberechtigter Mitbestimmung der Arbeitnehmer wird als ›Gewerkschaftsstaat‹ verteufelt. Die angestrebte Bildungsreform wird in erschreckendem Ausmaß mit einer Verweigerung der Lehrlingsausbildung beantwortet.«204 Es gelte, den Anfängen zu wehren, so berichteten die Amtlichen Bekanntmachungen der Stadt Dortmund über die Forderung Muhrs, der die Anwesenden bat, die Verpflichtung der in der Bittermark Gestorbenen, die für ein sozialdemokratisches [sic!] Deutschland mit gleichen Rechten und Freiheiten für alle Bürger gestorben seien, zu erfüllen.205 Neuss: »So führt denn ein gerader Weg vom 9. November 1938 zum 8. Mai 1945« Der Beginn der jährlich in Neuss stattfindenden Gedenkfeier für den Novemberpogrom und die Shoa am 9. November eines Jahres ist schwer zu fassen. Oberbürgermeister Kallen (CDU) sprach 1963 von einem »alljährlichen Zusammenkommen«, das sich aber bislang nicht weiter belegen lässt. Ein erster Nachweis ist ein Zeitungsbericht der Gedenkstunde aus dem Jahr 1963. Trotz der fehlenden Belege für eine Gedenkfeier lässt sich eine Kontinuität zur Einweihung der Gedenktafel feststellen. Wie Oberbürgermeister Frings 1953 sprachen Kallen 1963 und sein Nachfolger Karrenberg (CDU) 1968 von einem unmenschlichen Regime206 oder von einer verbrecherischen Staatsführung »mit perfekter Organisation«207 , die für die Shoa verantwortlich seien. Die Neusser Bevölkerung hingegen wurde für unschuldig erklärt. In den Überschriften der Redemanuskripte aller Reden Kallens stand die Bezeichnung »Jüdischer Gedenktag«. Diese sprachliche Abgrenzung zwischen Juden und Deutschen verschwand mit dem Wechsel 204 Auftrag der Karfreitag-Toten und aller Opfer der Gewaltherrschaft erfüllen, in: Amtliche Bekanntmachungen der Stadt Dortmund vom 19. April 1974. 205 Vgl. ebd. 206 Vgl. StA Neuss, B.02.04.001 49, Ansprache von Oberbürgermeister Kallen zum Jüdischen Gedenktag am 8. November 1963. 207 Vgl. Schweigemarsch in der Innenstadt, in: Neuß-Grevenbroicher Zeitung vom 11. November 1968.

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an der Stadtspitze zu Karrenberg. Er sprach am 9.11.1968 von den Deutschen jüdischen Glaubens und jüdischer Abstammung. Neben der offiziellen Gedenkfeier am Samstagvormittag fand 1968 am Nachmittag eine weitere statt, initiiert von Jugendlichen aus dem Gewerkschaftsmilieu. An einen Schweigemarsch mit Fackeln schloss sich eine Kundgebung an, die sich gegen den Faschismus richtete, und darauf hinwies, dass auch linke Minderheiten in Konzentrationslagern ums Leben gekommen waren, berichtete die NeußGrevenbroicher-Zeitung. Den Abschluss bildete die Vorführung eines nicht näher genannten Dokumentarfilms, der auf die Bunkerwand projiziert wurde.208 1970 thematisierte Oberbürgermeister Karrenberg unter Bezugnahme auf den späteren Papst Benedikt XVI., Prof. Joseph Ratzinger, der vor Geschichtsvergessenheit und Identitäts- und Erinnerungsverlust gewarnt habe, die Gefahren der Geschichtslosigkeit. Das Manuskript gibt als einzigen zeitlichen Anhaltspunkt »vor einigen Monaten« an, sodass die Quelle unbekannt bleibt. Allerdings findet sich in Ratzingers 1968 veröffentlichten Vorlesungen über das Apostolische Glaubensbekenntnis die Klage, dass in »dieser Zeit« die Idee des Fortschritts an die Stelle des »Gedankens der Tradition« getreten sei. »Tradition erscheint als das Abgetane, das bloß gestrige, der Fortschritt aber als die eigentliche Verheißung des Seins, so daß der Mensch sich nicht am Ort der Tradition, der Vergangenheit, sondern im Raum des Fortschritts und der Zukunft ansiedelt.« Es bestehe gleichzeitig und miteinander verbunden eine Krise der Geschichte und eine Krise des Glaubens. Die Krise der Geschichte erklärte Ratzinger wiederum damit, dass die Methoden und Rekonstruktionen der Historiker den Ansprüchen der naturwissenschaftlichen Methoden aufgrund fehlender Wiederholbarkeit im Sinne des Experiments und der damit verbundenen fehlenden Faktizität nicht genügten.209 Ob Karrenberg sich exakt auf diese Passage bezog, bleibt im Ungewissen. Er erklärte bei der Neusser Gedenkfeier: »[…] ist die Flucht in die Geschichtslosigkeit, die sich in weiten Kreisen bemerkbar macht, – in der Tat ist die irreale Schwärmerei von einem Neubeginn der Menschheitsentwicklung, von einer utopischen ›Stunde Null‹ eine große Gefahr. Wer immer es verachtet, die Erfahrungen, die allzu teuer erkauften Erfahrungen unserer Vergangenheit zu beherzigen und zu beachten – wer immer sich der ge-

208 Vgl. Schweigemarsch in der Innenstadt, in: Neuß-Grevenbroicher Zeitung vom 11. November 1968. 209 Vgl. Joseph Ratzinger, Einführung in das Christentum, Vorlesungen über das Apostolische Glaubensbekenntnis, München 1968, S. 29f. und 39f.

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schichtlichen Ereignisse und Fakten nicht erinnern will, der ist früher oder später dazu verdammt, diese Vergangenheit zu wiederholen.«210 Seine Lehre aus der Vergangenheit lautete: »[Die] Machthaber loteten am 9. November 1938 aus, wie weit sie ungestraft zu gehen vermochten. Es nutzt uns nichts, daß in Wahrheit die Mehrheit des deutschen Volkes mit diesen Schandtaten aktiv nichts zu schaffen hatte, daß sie am Morgen des 10. November 1938 entsetzt vor den Ereignissen der vorangegangenen Nacht stand. Zu ihrem Entsetzen hat diese passive Minderheit dennoch geschwiegen – so führt denn ein gerader Weg vom 9. November 1938 zum 8. Mai 1945. […] So gedenken wir in dieser Stunde in Trauer der Verfolgten des 9. November 1938 und der unübersehbaren Scharen, die ihnen nachfolgten. Wir wenden unsere Gedanken den Neusser jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern zu, die unter uns gelebt haben und die wir haben leiden lassen. Wir tun es mit dem Versprechen, uns der Gewalt als Mittel der Politik in jeder Stunde zu widersetzen – in dem Versprechen, nicht nachlassen zu wollen in unserem Bemühen, allen Menschen ein Leben in Würde zu sichern. Unser Gruß in dieser Stunde sei Frieden, Frieden, Shalom.«211 1971 wurde die Gedenkfeier erstmals in Anwesenheit von Schülern durchgeführt. Die Oberklassen des Marienberg- und Nelly-Sachs-Gymnasiums sowie der Hauptschule Bergheimer Straße dienten Oberbürgermeister Karrenberg als Beweis, »daß ein gewandeltes Denken Platz gegriffen hat«, wie die Neuß-GrevenbroicherZeitung berichtete.212 1976 berichtete Dr. Adlerstein, Vertreter der jüdischen Gemeinde, dass besonders junge Menschen die Forderung äußerten, die Toten und die Vergangenheit ruhen zu lassen, und nahm diese Äußerungen zum Anlass, den Anwesenden die Ereignisse des 9. November 1938 zu referieren.213 Im Gegensatz dazu stand die Gedenkfeier des nächsten Jahres: Über hundert Schüler waren gekommen, das Nelly-Sachs-Gymnasium legte sogar einen eigenen Kranz nieder. Gleichzeitig ergab eine (nicht repräsentative) Umfrage der Neuß-Grevenbroicher Zeitung, dass die geschichtliche Bedeutung des Datums kaum in der Bevölkerung präsent war. Die Befragten dachten eher daran, dass der 9. November der Namenstag des hl. Theodor war als der Tag des Novemberpogroms. Dementsprechend

210 StA Neuss, Akte B.02.04.001 351, Ansprache von Herrn Oberbürgermeister Karrenberg anlässlich der Gedenkfeier zum 9. November 1938 an der Gedenktafel in der Promenadenstraße. 211 Ebd. 212 Vgl. Jugend umstand Gedenktafel, in: Neuß-Grevenbroicher Zeitung vom 10. November 1971. 213 Vgl. Warnung und Ermahnung, in: Neuß-Grevenbroicher Zeitung vom 10. November 1976.

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waren neben den Vertretern von Stadt und Gemeinden nur wenige »Erwachsene« vor Ort.214 Paderborn: »Das Gottesgeschenk des Friedens« Das Gedenken am Mahnmal in Paderborn fand bemerkenswerter Weise ohne offizielle Reden und Ansprachen statt. Ausnahmen davon machten nur runde Jahrestage der Zerstörung Paderborns. Am 27. März 1955 war es Bürgermeister Christoph Tölle, der die Ansprache bei der »Totengedenkfeier am Mahnmal« hielt. Er ging zunächst auf die Luftangriffe auf Paderborn am 27. März 1945 ein, auf die Ruinen und die Zerstörung der Stadt und gedachte der 827 getöteten »Kinder, Frauen und Männer«. Daran schloss er das Gedenken an »[alle] gefallenen Soldaten des Krieges, die Opfer der Vertreibung aus der Heimat, die Opfer des Terrors, der Ungerechtigkeit, die für ihren Glauben verfolgten und getöteten christlichen und jüdischen Angehörigen unseres Volkes« an. In einer Schweigeminute legte er einen Kranz am Mahnmal nieder und setzte dann seine Ansprache fort. Er warnte vor Atomwaffen und stellte ihrer Gefährlichkeit die »ungeahnten Fortschritte« für die Menschheit gegenüber, die eine friedliche Nutzung der Atomkraft mit sich bringen könne. Der Gedenktag solle helfen, »Energien des Guten und Kräfte des Friedens auszulösen«. Er lehnte »jede Glorifizierung des Krieges ab« und warb stattdessen für »Gesinnungsänderung, Wachsein für die Gefahren, positive[n] Einsatz für den Frieden«. Zum Schluss betonte er als aufmunternden Aspekt des »Zusammenbruchs« die gegenseitige Hilfe der Bevölkerung in der Nachkriegszeit und den Wiederaufbau: »Dazu wollen wir Dank sagen dem Lenker der Weltgeschichte, daß er uns in diesem Jahrzehnt gnädig war, daß er uns den Frieden erhalten und uns die Kraft und die Möglichkeit gegeben hat, unsere Stadt neu aufzubauen, daß die rauchenden Trümmer neuen Wohnungen Platz gemacht haben und wirtschaftliche Gesundung eintreten konnte. Mit dem Dank verknüpfen wir die Bitte an Gott, uns für das weitere Jahrzehnt Mut und Vertrauen zu erhalten, uns vor dem Machtwahn zu bewahren und uns das Gottesgeschenk des Friedens weiter zu erhalten.« Daran schloss sich noch ein Gebet an.215 1965 erinnerte Tölle zunächst an den 20. Juli 1944, an das Vorrücken der Alliierten im Jahr 1945 und dann an den Luftangriff auf Paderborn am 27. März 1945. Man wolle aber auch nicht vergessen, mahnte er, »daß Verblendung und Hochmut uns in diese Katastrophe führten – die Herrschaft des Pöbels, der Diktatur.« Er appellierte an die Paderborner, den Gemeinschaftsgeist der Zeit nach dem Luftangriff nicht zu vergessen,216 forderte speziell die Jugend auf, an der

214 Vgl. Dieser Tag darf nicht vergessen werden, in: Neuß-Grevenbroicher Zeitung vom 10. November 1977. 215 Vgl. StA Paderborn, B 514, Ansprache bei der Totengedenkfeier am Mahnmal am 27.3.1945. 216 Vgl. Paderborn gedachte der Bombenopfer »Der äußere Aufbau ist nicht alles«, in: Westfalenpost vom 29. März 1965.

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freiheitlichen Ordnung mitzuarbeiten und bat alle Teilnehmenden, sich für aktive Friedenspolitik einzusetzen.217 Nachdem Tölle in den Ruhestand gegangen war, hielt 1970 Bürgermeister Schwiete die Ansprache. In seiner Rede bildete die Zerstörung Paderborns nur die Klammer für die Thematisierung der Veränderung der Stadt zu einer modernen Großstadt, »die in keiner Weise mehr mit den Verhältnissen einer ländlichen Mittelstadt zu vergleichen sind.« Die Arbeit in Paderborn sei, ein Vierteljahrhundert nach der Zerstörung der Stadt, ganz auf die Zukunft ausgerichtet. »Es vollzieht sich ein schneller Wandel in der Entwicklung dieser Stadt, deren Ergebnisse noch nicht in allen Einzelheiten fixiert werden können,« so Schwiete.218 Während Tölle in seinen Reden von der Vergangenheit erzählte, sprach Schwiete von der Zukunft der Stadt. Die Themenverschiebung lag nicht nur am Wechsel der Person an der Spitze der Stadt, sondern war dem Zeitgeist geschuldet. Das Westfälische Volksblatt kommentierte, es sei heute nicht mehr zeitgemäß an »damals« und die Tage, Wochen und Jahre des Hungerns und Leidens, der Ungewissheit zu erinnern und die Leistungen des Wiederaufbaus zu beschreiben. »Die Menschen von heute wollen über die Zukunft diskutieren, sie möchten weniger an das Gestern erinnert werden.« Allerdings fand der Kommentator in der Erinnerung an die Gemeinschaft der Not und die Integration der Flüchtlinge und Vertriebenen genügend Gründe für das Gedenken, denn diese Rückschau ergebe einen mehr als hoffnungsvoll stimmenden Blick in die Zukunft.219 In den folgenden Jahren fanden außer 1975 nur Kranzniederlegungen ohne Ansprache am Mahnmal statt, 1976 zählte ein empörter Leserbriefschreiber nur knapp 20 Personen bei der Gedenkstunde am Mahnmal.220 Düsseldorf: »Die bohrende Frage nach Schuld und Sühne, nach Schande und Scham« Die Geschichte der Gedenkfeiern am Mahnmal im Düsseldorfer Norden ist ebenso wechselhaft wie die der Entstehung des Mahnmals.221 Von Anfang an waren die Erwartungen an die Beteiligung der Bevölkerung zu hoch und wurden nie erfüllt.

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Vgl. »Der 27. März 1945 bedeutet stete Mahnung zu aktiver Friedenspolitik, in: Freie Presse vom 29. März 1965. 218 Vgl. StA Paderborn, 105-2814, Rede Schwietes »Zum 27. März 1970«. 219 Vgl. StA Paderborn, 105-2814, Georg Vockel, Unser Kommentar: 25 Jahre danach: 27. März. 220 Vgl. Dr. Helmut Sting, Leserbrief, in: Westfälisches Volksblatt vom 5. April 1976. 221 Bis zur Einweihung des Mahnmals wurde der Volkstrauertag 1952 und 1953 auf dem Nordfriedhof begangen, bis 1958 vor dem Hochkreuz auf dem Südfriedhof. 1957 war die Beteiligung der Bevölkerung sehr groß, an der offiziellen Gedenkfeier des VDK war sie »wesentlich stärker«, in Holthausen so groß »wie nie zuvor«, in Eller ungewöhnlich groß und in Wersten hielt man die erste eigene Gedenkfeier ab. Vgl. Düsseldorf gedachte der Toten beider Weltkriege, in: Düsseldorfer Nachrichten vom 18. November 1957.

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Nur 4.000 Personen waren 1958 zur Einweihung zugegen,222 eine magere Zahl angesichts der 1.300 verschickten Einladungen an alle möglichen Vereine und Institutionen in der Stadt223 und der 1954 allein im linksrheinischen Stadtteil Heerdt erreichten Teilnehmerzahl von 1.500.224 1960 richteten VDK, Stadtverwaltung und Landesregierung nach dem Vorbild der Bundesregierung in Bonn gemeinsam eine Veranstaltung am Volkstrauertag aus225 und die Beteiligung der Bevölkerung war wieder größer. Oberstadtdirektor Dr. Hensel stellte aber unzufrieden fest, er habe den Eindruck, dass die Veranstaltung nicht den Widerhall in der Bevölkerung gefunden habe, der ihr aus Anlass des Volkstrauertages gebühre.226 Die Düsseldorfer Nachrichten bemängelten ebenfalls, dass nur 2.000 Menschen gekommen seien, lobten aber die verschiedenen anwesenden Verbände: »Hier fand sich ohne Rücksicht auf religiöse, soziale oder politische Bindungen der echte Querschnitt eines in Trauer geeinten Volkes. Da fanden sich zu den Männern und Frauen des Roten Kreuzes die Schützen, die christlichen Arbeitervereine, die in der Nazizeit verfolgt gewesenen Sozialdemokraten und die Vertreter der israelitischen Kultusgemeinde neben den »Düsseldorfer Jonges« und die Soldatenkameradschaften bis hinüber zur Gemeinschaft der Ritterkreuzträger.«227 Im folgenden Jahr, 1961, beteiligten sich laut Oberstadtdirektor Hensel mehr Menschen als jemals zuvor an der Gedenkfeier.228 Dies spiegelte sich in der Presse nicht unbedingt wider, die Düsseldorfer Nachrichten berichteten von mehreren hundert,229 die Rheinische Post allerdings von einigen tausend Teilnehmern.230 Ab 1962 wurden vierstellige Teilnehmerzahlen nicht mehr erreicht. Die Rheinische Post kommentierte, die späte Zeit am Vormittag würde die Tagesplanung der Düsseldorfer durcheinanderwerfen, man könne kaum zeitig zum Mittagessen zu Hause sein, da der behagliche Sonntagsverkehr der Rheinbahn und die abgeschiedene Lage dies verhindere: »Die Teilnahme an einer alljährlichen Gedenkfeier soll doch nicht zu einer Pilgerfahrt werden.«231

222 Vgl. »Den Opfern des Terrors und des Krieges.« Gedenkstunde am neuen Mahnmal – 4000 folgten dem Aufruf des Oberbürgermeisters, in: Düsseldorfer Nachrichten vom 17. November 1958. 223 Vgl. StA Düsseldorf, 0-1-4-13049, Bl. 180ff. Liste der Einladungen. 224 Vgl. Düsseldorf gedachte der Toten des Krieges, in: Düsseldorfer Nachrichten vom 15. November 1954. 225 Vgl. StA Düsseldorf, 0-1-4-43440.0000, Schreiben Dr. Hensel vom 31. Juli 1959. 226 Vgl. StA Düsseldorf, 0-1-4-43440.0000, Schreiben Hensel an Oberbürgermeister Becker vom 25. November 1960. 227 Vgl. Ergreifende Gedächtnisstunde am Mahnmal, in: Düsseldorfer Nachrichten vom 14. November 1960. 228 Vgl. StA Düsseldorf, Akte 0-1-4-43440.0000, Schreiben Hensel an Paul Seifert vom 6. Dezember 1961. 229 Vgl. Gedenkstunde am Mahnmal, in: Düsseldorfer Nachrichten vom 20. November 1961. 230 Vgl. Gedenken an 65 Millionen Tote, in: Rheinische Post vom 20. November 1961. 231 Vgl. »Die Toten leben unter uns weiter«, in: Rheinische Post vom 19. November 1962.

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1962 setzte sich Annemarie Weber in einem nachdenklichen Artikel mit den Schwierigkeiten des Erinnerns der Soldatenfrauen, -bräute und -mädchen auseinander. Ihr Text zeigt, dass die persönliche Ebene der Trauer, die gerade auch Kriegerdenkmäler angesichts der fern liegenden oder unbekannten Gräber ermöglichen und verkörpern sollen, 17 Jahre nach Kriegsende nicht mehr angenommen wurde. Zugleich macht ihr Text die Dimension des gesellschaftlichen und technologischen Wandels in der Bundesrepublik deutlich. Weber beschrieb, dass die Trauer mit der zeitlichen Entfernung schwinde und inzwischen sei es für manche quälender, dass man sich nicht mehr des letzten Urlaubs, des letzten Gesprächs und der letzten Zärtlichkeiten erinnern könne. In den letzten 17 Jahren hätten sich die Welt, die großen Städte und die Menschen (unter ihnen auch sie selbst) so sehr verändert, dass sie unsicher sei, ob der wesentliche Teil ihres Lebens in die mit ihrem Mann verlebte kurze Zeit falle. Auch die Kinder wüssten nicht, wie man zu jener Zeit lebte, als man auffiel, wenn man »Guten Tag« sagte (anstatt des Hitlergrußes, was Weber ihren Leser*innen nicht erklären musste). »Auch die Frauen verlieren allmählich die Vorstellung davon, wie es damals war.« Sie entwickelten sich weiter, studierten vielleicht und nähmen andere Rollen ein, als in der Ehe mit den Gefallenen, die in ihrer Zeit gestorben und geblieben seien. Die Jugend der Männer auf den Fotos sei ihnen fremd geworden und die Tagessorgen, Beruf, Büro, Haushalt, Verwandtschaft und die Kinder überdeckten den Verlust, von dem nicht mehr gesprochen werde. Zum Schluss ihres Textes stellte sie auch den Sinn des Gedenkens an Erinnerungszeichen in Frage: 3.760.000 Gefallenen werde in Grabmälern des unbekannten Soldaten zwar gedacht, doch diese Mahnung sei zu groß und zu vage. »Ihre wahren Denkmäler und Mahnungen sind intimer Art, sie stehen als Fotografien auf kleinen Schreibtischen, junge und ältere Gesichter, staunende, nachdenkliche, muntere und ernste.«232 Im September 1964 beschloss die Landesregierung unter Ministerpräsident Franz Meyers (CDU), sich erneut und dauerhaft am Volkstrauertag im Verbund mit der Landeshauptstadt zu beteiligen. Meyers, der 1958 Ministerpräsident geworden war, verfolgte gegen den Trend eine aktive Geschichtspolitik zur Steigerung des Landesbewusstseins und zur »Entkrampfung« des Verhältnisses der Deutschen zu ihrer Nation. Dabei war er kein Anhänger einer Restauration von Kaiser und Reich oder der deutschen Politik nach dem Abgang Bismarcks. Diese lehnte er als krasse Großmannssucht ab, die schließlich von den Nationalsozialisten endgültig pervertiert worden sei. Ihm ging es um die Verbindung von Nation und Demokratie. Er warnte, dass es mit einem Volk bald zu Ende sei, das den Blick auf die eigene Geschichte nicht mehr ertrage und ihr den Rücken kehre, als ob

232 Vgl. Annemarie Weber, Die Bilder werden blaß in: Düsseldorfer Nachrichten vom 17. November 1962.

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es nur noch Zukunft gebe.233 Daher verwundert es nicht, dass Meyers Regierung sich für einen eindrücklichen Volkstrauertag stark machte. Die Gestaltung des Volkstrauertags wurde überarbeitet. Der bis dahin verwendete Modus stammte vom VDK und hatte vorgesehen, dass sich die Teilnehmer, Abordnungen, Fahnenund Kranzträger um 12 Uhr vor der Kapelle des Nordfriedhofs trafen. Schweigend waren die Teilnehmenden hinter den Kranzträgern und Fahnen über den Friedhof zum Mahnmal gegangen. Der einst prognostizierte Hauptzugang vom Nordpark war durch den inzwischen erfolgten Bau der Danziger Straße schon seit 1959 nicht mehr sinnvoll. Um 12:15 Uhr begann die Totengedenkfeier am Mahnmal mit der einleitenden Musik der Polizeikapelle Düsseldorf, dann war ein Chorgesang des Quartettvereins 1853, die Gedenkrede, erneuter Chorgesang und die Kranzniederlegung unter Begleitung des Lieds vom guten Kameraden durch die Polizeikapelle gefolgt.234 1964 wurde das Mahnmal in der Neuplanung zur »Kranzabwurfstelle« degradiert, wenngleich die Kranzniederlegung von einem Ehrenzug der Bundeswehr und einem der Polizei begleitet wurde. Die offizielle Gedenkfeier fand im ca. 800 Personen fassenden Robert-Schumann-Saal in der Innenstadt statt. Ziel war, so das Innenministerium, eine Feier, die mit Hilfe der Staatsbürgerlichen Bildungsstelle abweichend von dem üblichen Schema dadurch möglichst eindrucksvoll gestaltet werden sollte, dass die kurze Ansprache umrahmt werde von Liedern einer Jugendgruppe, von Lesungen aus letzten Briefen Gefallener oder Hingerichteter, vielleicht auch aus politisch besonders wichtigen Dokumenten aus der neuen Geschichte.235 Zum Debüt dieses Formates 1964 wählte man den Brief eines Arztes aus russischer Kriegsgefangenschaft, das Schlusswort von Prof. Kurt Huber, Mitglied der Widerstandsbewegung Weiße Rose, in der Verhandlung vor dem Volksgerichtshof, seinen Abschiedsbrief und den Bericht des Hamburger Polizeipräsidenten über die Bombenangriffe auf die Hansestadt. Zur Kranzniederlegung auf dem Nordfriedhof erwarteten die Veranstalter 1.000-2.000 Teilnehmer.236 1967 fand die Gedenkfeier wieder vollständig am Mahnmal statt, möglicherweise als Reaktion auf die geringe Resonanz im Schumann-Saal in den Jahren zuvor.237 Da im Vorjahr nur 300-400 Teilnehmer zur Trauerfeier am Mahnmal erschienen waren, gab es 1968 im Hause des Ministerpräsidenten Heinz Kühn (SPD)

233 Vgl. Christoph Cornelißen, Der lange Weg zur historischen Identität, S. 427. 234 Vgl. StA Düsseldorf, 0-1-4-43440.0000, Gestaltungsvorschlag VDK. 235 Vgl. StA Düsseldorf, 0-1-4-43440.0000, Schreiben des NRW-Innenministeriums vom 24. September 1964. 236 Vgl. StA Düsseldorf, 0-1-4-43440.0000, Protokoll einer Besprechung von Stadt und Land am 15. Oktober 1964. 237 Vgl. Hermann Plankermann, Pflicht zum Frieden als Vermächtnis, in: Rheinische Post vom 20. November 1967.

3 Symbole einer untergegangenen Zeit

eine Besprechung zur erneuten Umgestaltung des Volkstrauertages. Das Mahnmal wurde in seiner Formensprache nicht kritisiert, wohl aber sein Standpunkt an der Peripherie Düsseldorfs. Eine Verlegung schied aber aufgrund des Gewichts und des nötigen Eisenbetonfundaments aus. Alternativ wurde überlegt, eine Bronzetafel im Stadtkern anzubringen, an der die Feiern und Kranzniederlegungen stattfinden könnten. Der Vertreter des Landesverbands der jüdischen Kultusgemeinden in Nordrhein-Westfalen sprach sich für einen witterungsgeschützten Ort aus, während der Vertreter des VDK die Abkehr von den Gräbern kritisierte.238 Schließlich wählte man 1968 das Schauspielhaus als zentralen Ort der Veranstaltung und legte am Mahnmal ohne Ansprache, aber mit musikalischer Begleitung von Bundeswehr- und Polizeiorchester lediglich die Kränze ab.239 Doch es gelang den Beteiligten nicht, die Bürger zu mobilisieren. So stellte die Stadtverwaltung im April 1969 fest, »daß die Öffentlichkeit offenbar heute kein Interesse mehr an derartigen staatlichen Feierstunden aufbringt. Die trotz vielseitiger Bemühungen äußerst geringen Teilnehmerzahlen sprechen hier eine deutliche Sprache.«240 Die Düsseldorfer Nachrichten beschrieben das 1.050 Personen fassende Schauspielhaus als schwach besetzt und von vielen Bundeswehruniformen dominiert.241 Die Rheinische Post erkannte nicht zu übersehende Lücken in den Zuschauerreihen.242 Die Stadt beschloss zusammen mit dem Land von Veranstaltungen in geschlossenen Räumen Abstand zu nehmen, »um das beschämende Bild leerer Stuhlreihen zu vermeiden und sich stattdessen auf eine Kranzniederlegung zu beschränken, diese dann aber stärker zu betonen.« Wieder einmal wurde das Mahnmal bzw. sein Standort in Frage gestellt und eine Gedenktafel oder ein Mahnmal am Schwanenmarkt angedacht.243 Doch im Februar 1970 erteilte Oberbürgermeister Becker den Überlegungen der Staatskanzlei eine Absage. Auch der Schwanenmarkt hätte Verkehrsprobleme, nämlich die nicht vorhandenen Parkplätze. Viel wichtiger: Die Bevölkerung habe kein Verständnis dafür, eine Grünanlage für einen Sonntag im Jahr in einen Aufmarschplatz umzuwandeln.244 Aber auch bei den Gedenkfeiern selbst suchten die Redner nach Erklärungen für die geringe Beteiligung. So erklärte 1968 der Vizepräsident des Landtags, der Düsseldorfer Dr. Flehinghaus (CDU), dass der Volkstrauertag ein amtlich

238 Vgl. StA Düsseldorf, 0-1-4-43440.0000, Vermerk einer Besprechung vom 5. Juli 1968. 239 Vgl. StA Düsseldorf, 0-1-4-43440.0000, Protokoll einer Besprechung zwischen Land und Stadt am 16. Oktober 1968. 240 Vgl. StA Düsseldorf, 0-1-4-43440.0000, Vermerk Oberstadtdirektor Just vom 24. April 1969. 241 Vgl. Gedenkfeier mit schwachem Echo, in: Düsseldorfer Nachrichten vom 18. November 1968. 242 Vgl. Gerda Kaltwasser, Suche nach dem Sinn des Todes, in: Rheinische Post vom 18. November 1968. 243 Vgl. StA Düsseldorf, 0-1-4-43440.0000, Vermerk Oberstadtdirektor Just vom 24. April 1969. 244 Vgl. StA Düsseldorf, 0-1-4-43440.0000, Schreiben von Oberbürgermeister Becker vom 11. Februar 1970.

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dekretierter Gedenktag sei, der vielen nur hinderlich sei.245 Es bestünde ein Riss zwischen den Generationen, zwischen Eltern und den Großeltern, die noch einen Heldengedenktag feierten und sich mit dem Verständnis des Volkstrauertages schwertäten.246 Von 1970 bis 1975 fanden am Volkstrauertag am Mahnmal nur Kranzniederlegungen ohne Ansprache statt. Kritik daran ist nicht festzustellen. Im Gegenteil: Der Verzicht auf Reden und Pathos habe Würde, urteilten die Düsseldorfer Nachrichten.247 Die Berichterstattung nahm in den folgenden Jahren immer weniger Raum in den Zeitungen ein. 1972 wurde auch die Gedenkfeier noch einmal verkürzt, so spielte das Musikkorps der Bundeswehr nur noch eine Strophe des Lieds vom guten Kameraden und das Musikkorps der Polizei einen verkürzten Trauermarsch von Chopin und einen Choral bei der Kranzniederlegung.248 Allerdings berichtete die Rheinische Post, dass von der teilnehmenden Bevölkerung Kritik an der stummen Feier laut geworden sei.249 Obschon immer weniger Menschen die Gedenkreden am Mahnmal hörten, soll ein Blick auf ihren Inhalt geworfen werden. Die Reden von Oberbürgermeister Wilhelm Becker (SPD) und Kultusminister Schütz bzw. Ministerpräsident Meyers (beide CDU), deren Redemanuskripte vollständig überliefert sind, zeigen, wie unterschiedlich diese Amtsvertreter die nationalsozialistische Geschichte interpretieren. Kultusminister Schütz, der 1933 bis 1945 Justiziar der Bekennenden Kirche gewesen war, lieferte 1959 in seiner Rede eine schonungslose Analyse des Dritten Reiches, nachdem er zuvor vor dem gleichgültigen Vergessen der Opfer gewarnt hatte. »Maßlosigkeit bei der Erhebung begründeter und vermeintlicher Ansprüche, schrankenloser Eigensinn und unbegrenzte Selbstsucht, Überheblichkeit und Haß, dünkelhafte Vorstellungen von einer Höherwertigkeit der eigenen Rasse und der eigenen Nation und Mangel an Verständnis für die berechtigten Belange anderer, auch anderer Völker; – alles dies fand sich fast bei allen in höherer Verantwortung Stehenden. Kleinmut, unechte Begeisterung, Mangel an Selbsterkenntnis und die Bereitschaft, sich durch äußere Erfolge berauschen zu lassen, zeichnete große Teile unseres Volkes aus; und alles in allem hat doch ein für uns Überlebende kaum faßbar erscheinender, nur allzu leichtfertiger Glaube an große und leere Versprechungen bei den Geführten unser Volk und die Welt mit erkennbarer und tödlicher Sicherheit an den Rand des Abgrunds gebracht. Diese Mängel und Fehler – die sich übrigens keineswegs auf die Epoche des

245 Vgl. Gerda Kaltwasser, Suche nach dem Sinn des Todes, in: Rheinische Post vom 18. November 1968. 246 Vgl. Gedenkfeier mit schwachem Echo, in: Düsseldorfer Nachrichten vom 18. November 1968. 247 Vgl. Gedenkfeier ohne Pathos, in: Düsseldorfer Nachrichten vom 17. November 1969. 248 Vgl. Viele Kränze am Mahnmal niedergelegt, in: Düsseldorfer Nachrichten vom 20. November 1972. 249 Vgl. Kränze am Mahnmal, in: Rheinische Post vom 20. November 1972.

3 Symbole einer untergegangenen Zeit

Dritten Reichs allein beschränken und uns auch heute noch gefährden können –, seien uns in dieser Stunde dauernde Mahnung.«250 Die Rede von Oberbürgermeister Becker klang 1960 ganz anders, viel versöhnlicher. Eine der Rede vorgeheftete Notiz des VDK riet von »Kriegstoten« zu sprechen, um niemanden zu verletzen, und in folgender Reihenfolge, die sich an der Hierarchie des VDK orientierte, zu gedenken: Deutsche und ausländische Gefallene, Bombenopfer, politisch Verfolgte, Vertriebene und auf der Flucht Gestorbene, sowie zum Schluss in der Gefangenschaft Verstorbene. An diese Reihenfolge, die der VDK im selben Jahr angesichts der Rede Lübkes noch verändern sollte (siehe S. 265), hielt sich der Düsseldorfer Oberbürgermeister auch. Sie alle, fasste er dann zusammen, seien Opfer einer heute nicht mehr vorstellbaren Schreckensherrschaft geworden. Es sei nicht der Ort, um die geschichtlichen Zusammenhänge aufzuhellen, die zu dieser Katastrophe geführt hätten. Die Soldaten seien im Glauben an die patriotische Pflicht gestorben, die Widerständler im Glauben an ein besseres Deutschland, wie ihre Abschiedsbriefe belegten. Man dürfe in dieser Stunde nun keinen Hass säen. Die Toten mahnten, dass man sich gegen jede Gewaltherrschaft zu Wehr setzen müsse und jeder einzelne müsse sich fragen, ob er dem Vermächtnis der Toten gerecht würde, die zu den moralischen Gründungsvätern der Bundesrepublik wurden: »Wir wollen niemals wieder Einflüssen erliegen, die unsere freiheitliche Grundordnung in Gefahr bringen können. Wir senken unsere Fahnen in dieser Stunde in Trauer. Wir geloben den Toten, daß wir ihres Opfers würdig sein wollen.«251 Am Ende der Rede blieb völlig unklar, welchen Appell der Oberbürgermeister aus den historischen Geschehnissen ableitete, denn dass die gefallenen Soldaten gleichzeitig eine patriotische Pflicht erfüllen, sich gegen die Gewaltherrschaft zur Wehr setzen und dabei auch noch eine freiheitliche Grundordnung verteidigen wollten, wird auch er nicht geglaubt haben. Vielmehr zeigte sich hier einmal mehr, wie unvereinbar die Motive der Gefallenen, die zur vermeintlichen Verteidigung des Landes und der dort etablierten Diktatur in den Kampf gezogen waren, und die die Widerstandskämpfer*innen waren, die gegen ebenjene Gewaltherrschaft kämpften, deren Existenz die Soldaten glaubten im Namen des Patriotismus verteidigen zu müssen. Gleichermaßen wird deutlich, dass die Hypothek der Vergangenheit für den Oberbürgermeister nur mit einer Verklärung derselben für die Gegenwart nutzbar zu machen schien. 1966 fragte Becker, wer größeres Recht habe, zu sagen, dass man Krieg und Terror nicht gewollt habe, als die schuldlosen Soldaten und Gefallenen, im Bombenkrieg zu Tode gekommenen Frauen und in Konzentrationslagern auf grauenvolle Weise umgekommene Mitmenschen? Mit dieser Zusammenfassung verschiedener 250 StA Düsseldorf, 0-1-4-43440.0000, Rede Kultusminister Schütz zum Volkstrauertag 1959. 251 Vgl. StA Düsseldorf, 0-1-23-2448.0001, Rede von Oberbürgermeister Becker zum Volkstrauertag 1960.

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Opfergruppen des Krieges und des Nationalsozialismus wurde allen Toten zugleich die Absolution erteilt: Wer gestorben war, konnte nicht schuldig gewesen sein. Es sei traurig, dass die Opfer des Zweiten Weltkriegs nicht dazu führten, dass es Frieden auf der Welt gebe, er denke an Vietnam und andere kriegerische Auseinandersetzungen in der Welt. Leider [sic!] habe das deutsche Volk das geringste Recht als Ankläger oder Lehrmeister aufzutreten: »Es darf aber alle Welt immer wieder auf das eigene Schicksal hinweisen. Wir können und wir wollen unsere Schuld nicht beschönigen. Wir wollen aber auch nicht die vom deutschen Volk gebrachten Opfer verkleinern.« Zum Ende der Rede zählte Becker noch einmal die Opfer auf, zum Beispiel die Mütter, die im Phosphorregen ihre Kinder schützten, die jungen Mädchen, die schwerste Arbeit leisten mussten, die treuen und redlichen Soldaten und die Vertriebenen und die »Hunderttausenden«, die in den Konzentrationslagern umkamen. Becker klammerte alle nicht-deutschen Opfer aus dem Gedenken aus und reduzierte so die Zahl der Verfolgten des Nationalsozialismus, denen man gedenken sollte. Er begründete dies damit, dass nicht-deutsche Opfer sich nicht geopfert hätten, sondern Opfer wurden und sich somit als Vorbild, als Handlungsoption, nicht eigneten, um erinnert zu werden. Auch in den Beziehungen zum Ausland sei spürbar, hatte Becker bereits zuvor berichtet, dass der von Hitler ausgegangene Krieg und Terror nicht vergessen und bewältigt seien, so sehr man sich auch bemüht habe, die Vergangenheit zu tilgen. Wenn die Zeit der Trauer einst vorbei sei, müsse der Volkstrauertag als Volksmahntag erhalten bleiben.252 Die als Gegenrede interpretierbare Ansprache von Ministerpräsident Meyers 1964 wiederum war kraftvoll, lang und sparte nicht mit Selbstkritik. So prangerte er die Geisteshaltung der 1960er Jahre an: »Einmal im Jahr sollten wir den Mut haben, die Schleier des Vergessens von unserer jüngsten Vergangenheit forzuziehen [sic!] und an Menschen und Ereignisse zu denken, die wir sonst, oft nur allzubereitwillig aus unserem Gedächtnis entlassen.« Auch sei der Sinn des Tages sich einzugestehen, dass keine »dämonischen Kräfte« die Staaten und Völker im 20. Jahrhundert zweimal in mörderische Kriege stürzten, sondern dass »das Böse« »neben und unter uns« Gestalt gewonnen habe. Er kritisierte die Haltung, die Toten zu betrauern, ohne die Hintergründe anzusprechen, wie es auch diverse Vorredner an diesem Volkstrauertag getan hatten. Als Grund für die Zurückhaltung benannte er den fehlenden Mut, den Anwesenden den Spiegel vorzuhalten und am Tag der Trauer auch noch die Leviten zu lesen. So trat er selbst an, getreu dem Ansinnen, diesen Volkstrauertag abweichend vom althergebrachten Schema zu gestalten. »Haben wir den Mut, an diesem Tage um der Toten und um unserer selbst willen die furchtbaren Worte und Bilder der großen Völkerkriege dieses Jahrhunderts,

252 Vgl. StA Düsseldorf, 0-1-23-2448.0003, Rede von Oberbürgermeister Becker zum Volkstrauertag 1966.

3 Symbole einer untergegangenen Zeit

der Verfolgung, des Hasses und der Zerstörung, uns erneut ins Gedächtnis zu rufen, – Worte und Bilder, vor denen uns schaudert und vor denen wir uns um des Gebots der Menschlichkeit und Brüderlichkeit willen voll Scham verstecken müßten: – zerstörte Städte und Dörfer, vernichtete Werte der Kultur, verbrannte Erde und geschändete Landschaften, Stacheldraht und Todesstreifen, Gaskammern und Erschießungsstätten, Massengräber in Kellern friedlicher Häuser und unter den zerborstenen Betonmassen von Bunkern und Schutzräumen. Sprechen wir sie wenigstens heute wieder aus, die Worte des Schreckens: erschossen und verbrannt, ertrunken und erschlagen, erstickt und verschüttet, zu Tode gefoltert und vergast: – das Vokabular der Vernichtung hat in diesem Jahrhundert nie gekannte, grausige Perfektion erreicht. Für uns aber ist das Schlimmste, daß wir den Volkstrauertag nicht nur in jener stillen und gefaßten Trauer begehen können, mit der frühere Geschlechter der Toten des Krieges gedachten: in unsere Trauer mischt sich, unüberhörbar und immer gegenwärtig, die bohrende Frage nach Schuld und Sühne, nach Schande und Scham.«253 Er widmete den Tag den Soldaten, den Gefangenen, Frauen, Männern, Kindern und Greisen, die hinter den Fronten, im »Feuersturm« der Luftangriffe oder auf der Flucht starben und den Opfern der Gewaltherrschaft. Die großen Worte des Heldengedenktags kämen einem heute nicht mehr über die Lippen. Die Suche nach dem Sinn des Soldatentods sei mühselig und quälend, denn die Soldaten hätten nicht für Freiheit, Recht und Menschenwürde gekämpft, sondern für einen Staat, der diese Ideale nicht vertrat. Diesem ging es nur um die »schrankenlose Ausweitung seiner Macht, die sich längst von allen sittlichen Grundsätzen gelöst hatte und mit brutaler Gewalt den Versuch unternahm, sich alle Völker Europas zu unterwerfen.« Wie vielen Soldaten diese Erkenntnis die letzten Atemzüge vergiftet habe, könne man nicht sagen, so Meyers. Die Schlussfolgerung daraus müsse für die Überlebenden die Frage danach sein, ob man es sich gestatten könne, so zu leben, ob man die öffentlichen Angelegenheiten so behandeln könne, wie man es heute tue. Man sei nicht frei in seinem Handeln und Entscheiden, man müsse vor denen, derer man heute gedenke, bestehen können. Außerdem habe man als Deutscher nun die Pflicht, und das solle am Volkstrauertag bewusst werden, unbeirrbar den Weg von Gerechtigkeit, Menschlichkeit und Frieden zu gehen und alle inneren und äußeren Grenzen zu beseitigen, die Engstirnigkeit und Neid, Missgunst und Hass errichtet hätten. Meyers beendete die Rede mit einem Versprechen: »Sie haben uns die Verantwortung für diese Welt auf die Schultern gelegt: wir müssen, wir werden sie auch für diese Toten mittragen, solange unsere menschliche Kraft reicht.«254 253 StA Düsseldorf, 0-1-23-2448.0002, Rede von Ministerpräsident Dr. Meyers am Volkstrauertag 1964. 254 Vgl. ebd.

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Wie die Geschichte der Erinnerungszeichen, blieb auch die Gedenkpraxis in jeder Stadt einzigartig und vom individuellen Umgang der Bürgerschaft mit ihrer Vergangenheit geprägt. Das betraf nicht nur die gewählten Gedenktage, sondern auch die Veranstaltungsformen und ihre Häufigkeit. Die Gedenkreden orientierten sich oft am Tenor, der schon bei der Errichtung des Erinnerungszeichens vorgeherrscht hatte. So steht das zuletzt vorgestellte Beispiel Düsseldorf auch in der Kontinuität einer zerrissenen Gesellschaft und am Volkstrauertag waren Redebeiträge zu hören, die zwischen Anklage und Verharmlosung schwankten. Eines aber einte alle Erinnerungszeichen und die Gedenkpraxis an ihnen: Das Interesse der Öffentlichkeit an den meist ab Ende der 1950er Jahre etablierten Praktiken schwand stetig und erreichte in den frühen 1970er Jahren seinen Tiefpunkt. Die stetige Abnahme der Teilnehmerzahlen und der Berichterstattung war Teil des »Abschieds der Geschichte«, wie es Willibald Sauerländer nannte.

3.5

Zeit der Zukunft

Zwischen 1960 und 1980 vollzog sich ein Transformationsprozess in der Bundesrepublik, in dessen Verlauf sowohl die Geschichte als Ganzes als auch die Erinnerungszeichen in eine Krise gerieten. Die Ursachen dafür sind vielfältig. Mit dem Ende des Wiederaufbaus der deutschen Städte, dem Abschluss der Trauerphase nach dem Zweiten Weltkrieg und der Etablierung der bundesdeutschen Demokratie ohne eine vergleichbare Krisensituation wie in der Weimarer Republik verloren der Zweite Weltkrieg und auch die Zeit des Nationalsozialismus an Bedeutung für die Zeitgenoss*innen. Die bei Gedenkfeiern oft beklagte »Geschichtsvergessenheit«, die sowohl die gefallenen Soldaten als auch die Verfolgten des Nationalsozialismus an Bedeutung verlieren ließ, hatte ihre Ursache auch im Ausscheiden von Politikern der »Weimarer« Generation aus den Ämtern und deren Ersatz durch die Generation, deren Karrieren im NS-Staat begonnen hatten. Gleichzeitig veränderte sich die Umwelt – nicht nur der Deutschen – besonders in den Städten rasant. Der Wohlstand hielt Einzug in die Stuben, das Fernsehen eroberte die Wohnzimmer, die Autos die Straßen. Hochhäuser, Autobahnen und U-Bahnen wurden in den Städten geplant und gebaut. Bald war das »alte Deutschland« (bzw. seine Ruinen) verschwunden und dem Antlitz des modernen Städtebaus gewichen. Anschaulich schilderte Annemarie Weber in den Düsseldorfer Nachrichten 1962,255 wie sich die Städte und die Menschen verändert hatten, wie fremd ihnen die Zeit vor dem Krieg in ihrer Erinnerung erschien. Das Westfälische Volksblatt in Paderborn kommentierte 1970: »Die Menschen von heute wollen

255 Siehe S. 279.

3 Symbole einer untergegangenen Zeit

über die Zukunft diskutieren, sie möchten weniger an das Gestern erinnert werden,«256 und fasste damit den Zeitgeist prägnant zusammen. Die Vergangenheit bot für die Gegenwart und erst recht für die Zukunft im Zeitalter der Raumfahrt und der Atomkraft keine Ratschläge und keine Identifikationsmöglichkeiten. Die Geschichte wurde unwichtiger und auch in den Lehrplänen der Schulen marginalisiert. Man glaubte nicht, in ihr Antworten auf die Fragen der Gegenwart zu finden. Und natürlich war es für die »Generation des Führers« alles andere als unbequem, sich nicht erinnern zu müssen. Die Zeit der Verdrängung und des Vergessens dauerte nicht lange, zehn bis 15 Jahre, doch sie genügte, um die NS-Vergangenheit mit genügend Gras zu bedecken. Davon zeugt auch das nachlassende Interesse der Bevölkerung an allen untersuchten Gedenkfeiern in diesem Zeitraum. Dabei ist auch zu beobachten, dass die Gedenkpraxis an den vorgestellten Erinnerungszeichen ebenso einzigartig war, wie die Erinnerungszeichen selbst. In Meschede wurde das Denkmal vergraben und verschwand. In Wuppertal wurde das Denkmal am Volkstrauertag und vor allem am 20. Juli zum Ort des Gedenkens. In Neuss wurde das Erinnerungszeichen erst mit Beginn der 1960er Jahre zu einem Ort regelmäßigen Gedenkens am 9. November. In Paderborn gedachte man am 27. März der Zerstörung der Stadt. Düsseldorf wählte den Volkstrauertag, Dortmund den Karfreitag eines jeden Jahres. In Münster kam der Ruf nach einem Erinnerungszeichen hingegen relativ spät auf. Während in Düsseldorf seit 1946 geplant und überlegt wurde, lässt sich dies für die Stadt Münster erst ab 1959 belegen. Hier waren es der erfolgreiche Wiederaufbau, das Verschwinden der Kriegsfolgen, der neue wirtschaftliche Erfolg, die den Ruf nach einer Erinnerung laut werden ließen. Allzu große Unterstützung hatte dieses Vorhaben bei Stadt und Politik allerdings nicht. Als klar wurde, dass für ein traditionelles Kriegerdenkmal kein Platz und auch keine Akzeptanz in Münster vorhanden war, wehrten sich die ehemaligen Soldaten dagegen, mit den Verfolgten des Nationalsozialismus zusammen geehrt zu werden. Als 1967 die Hinrichtung von Zwangsarbeitern im Zwinger bekannt wurde, wies das Stadtarchiv die Information von Zeitzeugen zurück. Das Thema löste keine weiteren Recherchen und Debatten aus und wurde vergessen. Gleichzeitig mit dem geringer werdenden Interesse an der »Geschichte« im Allgemeinen gerieten auch die Erinnerungszeichen in eine deutliche Krise, die sich schon in den 1950er Jahren angedeutet hatte. Die überkommenen Formen hatten schon in dieser Zeit für viel Kritik gesorgt und waren kaum geeignet, die Vorstellungen der Zeitgenoss*innen von einem würdigen Erinnerungszeichen zu erfüllen. Immer mehr Bildhauer*innen und Auftraggeber*innen wandten sich von der klassischen Denkmalsform ab und experimentierten mit neuen Materialien und 256 StA Paderborn, Akte 105-2814, Georg Vockel, Unser Kommentar: 25 Jahre danach: 27. März.

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Formen, die als geschichtslos wahrgenommenen Plastiken die neuen Plätze und Grünanlagen der deutschen Städte prägten. In Münster wurde vor und nach dem erfolgten Wettbewerb zum Zwinger von Architekten die Idee eines Erinnerungszeichens in diesem Gebäude kritisiert. Erst mit der Politisierung der Plastik und Aktionskunst Ende der 1970er Jahre wurde das Erinnerungszeichen in neuer Form wiederbelebt, zusammen mit einem neuerwachten Interesse an der Vergangenheit. Die Ursachen hierfür und die Gründe für den neuen Boom von Erinnerungszeichen werden im nächsten Kapitel untersucht.

4 Zwischen Stolz und Scham: Die zweite Konjunktur der Erinnerungszeichen (ca. 1975-1990)

4.1

Vom »Verlust der Geschichte« zur »Erinnerungswut« »There’s no future, no future No future for you.« Sex Pistols, »God save the Queen«, 19771

Die Renaissance der Geschichte Auf die Krise der Geschichte, wie sie in Kapitel 3.3 beschrieben wird, folgte ab den späten 1970er Jahren eine Krise der Zukunftsgewissheit. Da die Zukunft nicht mehr rosig erschien, glaubten die Zeitgenossen, Antworten auf die Fragen der Gegenwart könnten nun wieder mit einem Blick in die Vergangenheit gefunden werden. Wie Jörn Rüsen beschreibt, wurde in den 1980er Jahren der historische Rückblick zur Messlatte der Gegenwartsverhältnisse in Zeiten düsterer Zukunftserwartungen. »No future« sei die bekannte Parole der Zeit gewesen. »Das Pendel hat zur anderen Seite ausgeschlagen: Die historische Erinnerung fungiert nicht mehr als Abstoß in eine utopiegeschwängerte Zukunftsrichtung der politischen Kultur, sondern sie droht zur Kompensationsinstanz enttäuschter Hoffnungen zu werden, zur Fluchtburg vor Zukunftsängsten, die die Erwartung, daß sich die gegenwärtigen Verhältnisse bessern, an verklärten Zuständen der Vergangenheit festmacht.«2 Die Renaissance der Geschichte begann. Ein erster Fingerzeig auf die bevorstehende Renaissance der Geschichte lässt sich auf dem Historikertag 1974 in Braunschweig finden, auf dem der niedersächsische Wissenschaftsminister und Historiker Joist Grolle berichtete, dass es eine

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Sex Pistols: God save the Queen, auf: Dies. CD Never Mind the Bollocks, Here’s the Sex Pistols, Virgin Records, Nr. 5. Vgl. Jörn Rüsen, Strukturen historischer Sinnbildung, in: Werner Weidenfeld und Peter Alter (Hg.), Geschichtsbewußtsein der Deutschen. Materialien zur Spurensuche einer Nation, Köln 1987, S. 53.

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neue Sensibilität geschichtlichen Bewusstseins gebe, die sich unter anderem in scharfen Diskussionen um das Gesicht der Städte zeige. Damit rückte die Geschichte als Lieferant von Identitäten wieder in den Fokus einer breiten Öffentlichkeit.3 Deutlicher wurde das neue Interesse an der Geschichte, als 1976 in Mannheim kein geringerer als Bundespräsident Scheel (FDP) die Eröffnungsansprache zum Historikertag hielt. Als erstes deutsches Staatsoberhaupt nahm er an einem Historikertag teil und brachte den Zuhörenden nicht nur freundliche Worte mit. Scheel konstatierte damals noch, dass die Geschichte es schwer habe in Deutschland. Das Land laufe Gefahr geschichtslos zu werden. Zwei konkrete Ursachen waren für ihn maßgeblich: zum einen der Inhalt der deutschen Geschichte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, »erfüllt von Kriegen, Schuld, Umsturz, Katastrophen, Teilung.« Die deutsche Geschichte sei quälend, alptraumhaft und da liege es nahe, wenn mancher die »Stunde Null« auch auf die Geschichte beziehe und alles davor vergessen wolle.4 Zum anderen ging Scheel mit den deutschen Historikern ins Gericht und offenbarte einen Vertrauensverlust in die Zunft der historisch Lehrenden und Forschenden, der den Zuhörenden im Kongresszentrum in Mannheim vermutlich alles andere als angenehm war. Sein Vorwurf lautet kurz und knapp: Mittäterschaft an der Herrschaft des Kaisers und des Führers als Propagandakohorte einer undemokratischen, nationalistischen Staats- und Gesellschaftsordnung. In den Worten Scheels: »Es ist die Gefahr des historischen Denkens, alles, was ist, nur deswegen, weil es ist, historisch zu rechtfertigen. Und dieser Gefahr sind manche deutsche Historiker und viele deutsche Geschichtslehrer erlegen. Sie waren zu oft Apologeten der jeweils herrschenden Macht. Sie lehrten an den Universitäten und in den Schulen, daß es besondere, heilige Rechte der deutschen Nation gebe, daß Demokratie eine undeutsche, welsche Angelegenheit sei, daß der deutsche Obrigkeitsstaat mit Kaiser und später mit Führer und Gefolgschaft aus den Urquellen deutscher Geschichte flösse, daß Deutschland von der Geschichte berufen sei, die Welt zu beglücken.«5 Für Scheel führte ein direkter Weg vom »verbogenen Geschichtsbewusstsein« der Schulbank zum »Gefühl subjektiver Schuldlosigkeit«, mit dem »unser verblendetes Volk« in den Zweiten Weltkrieg zog. Doch Scheel brachte nicht nur Kritik mit nach Mannheim, sondern auch Hinweise auf die Rolle der Geschichte in der Gegenwart. Er lehnte einen neuen Histo-

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Vgl. Joist Grolle, Eröffnungsrede, in: Bericht über die 30. Versammlung deutscher Historiker in Braunschweig, Stuttgart 1976, S. 12 und 15. Vgl. Ansprache des Bundespräsidenten Walter Scheel, in: Bericht über die 31. Versammlung deutscher Historiker in Mannheim, Stuttgart 1977, S. 12. Ebd., S. 15.

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rismus ebenso ab wie einen »geschichtslosen Fortschrittsglauben«, der im Namen der Utopie dem Alten sein Lebensrecht abspreche. Er verwahrte sich dagegen, dass »das einzige, was man aus der Geschichte lernen könne, die Tatsache sei, dass man noch nie aus der Geschichte gelernt habe«. Sein Gegenbeweis zu dieser These waren die Lehren, die bei der Schaffung des Grundgesetzes der Bundesrepublik, der »Magna Charta unserer Demokratie«, gezogen worden waren. Weitere Lehren der Geschichte seien: »Die Bewahrung der Deutschen Nation, die Einheit Deutschlands, die Schaffung Europas, die Sicherung des Friedens.«6 Für den Geschichtsunterricht forderte Scheel ganz dem Beutelsbacher Konsens und dem Überwältigungsverbot folgend: »Und deswegen sollte es keiner Gruppe erlaubt sein, ihr ideologisiertes Geschichtsverständnis einer ganzen Generation von Schülern aufzuprägen. Wir haben genug von alleinseligmachenden, verordneten Geschichtsbildern. […] Die geschichtliche Grunderfahrung, die in einer Hochschule oder Schule unseres Landes vermittelt wird, sollte sein, daß jedes geschichtliche Ereignis unter sehr unterschiedlichen Gesichtspunkten beschrieben und beurteilt werden kann. […] Das Ziel des Geschichtsunterrichts sollte es sein, den Schülern ein tiefes Mißtrauen gegen jede einseitige Geschichtsdeutung mit auf ihren Lebensweg zu geben.«7 Damit wandte sich Scheel nicht nur gegen den Historismus, sondern explizit auch gegen das marxistische Geschichtsbild. Siegfried Graßmann, Vorsitzender des Verbands deutscher Geschichtslehrer, konnte die Sorge vor einem geschichtslosen Volk, die Scheel skizziert hatte, in seinem Beitrag anschließend entkräften: Die Krise des Geschichtsunterrichts in den Schulen sei vorbei. Die Versuche, den Geschichtsunterricht zugunsten von Gemeinschaftskunde, Sozialkunde und Politikunterricht aufzugeben, seien beendet worden. Stattdessen gebe es ein neues allgemeines Interesse an Geschichte. Sie werde zum Gegenstand des Massenkonsums, die Auflagen von Büchern zu historischen Themen stiegen in erstaunliche Höhen, historische Ausstellungen erzielten Besucherrekorde und in den Massenmedien wie dem Magazin Stern gebe es Geschichtsserien. Es sei aber erstaunlich, so Graßmann, dass der Bestsellermarkt so selten von deutschen Professoren beschickt werde. Er forderte diese auf, allgemein interessierende und verständliche wissenschaftliche Darstellungen zu schaffen und in die Öffentlichkeit zu tragen. Dann, so gab er sich zuversichtlich, bleibe die »Krise der Geschichte« überwunden.8 Zwei Jahre später, 1978, war es Bundeskanzler Helmut Schmidt, der den Historikertag in Hamburg mit seiner Anwesenheit aufwertete. Seine Ansprache trug den Titel »Auftrag und Verpflichtung der Geschichte« und er konstatierte, dass die Gesellschaft nun den Eindruck habe, es mangele an Geschichtskenntnis und an

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Vgl. ebd., S. 12ff. Vgl. ebd., S. 16. Vgl. ebd., S. 19.

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Geschichtsvorstellungen. Es gebe ein schwaches historisches Bewusstsein. Die von Bundespräsident Scheel 1976 geäußerte Sorge vor einem geschichtslosen Land teilte er tendenziell.9 In Bezug auf das Wissen über die Zeit des Nationalsozialismus ergänzte er: »Das düstere Kapitel jüngster deutscher Geschichte ist vor lauter Theorien und Überschriften für viele der heutigen Erwachsenen immer noch ein Bild ohne ausreichend klare Kontur. Viele der jüngeren Zeitgenossen haben sehr verschwommene Vorstellungen über jene Zeit, und der Handel mit Hakenkreuzsymbolen und Schallplatten mit Reden aus jener Zeit und Schundliteratur macht Umsätze. Es gibt zu denken, daß andererseits Versuche, Hitler zu erfassen und ihn damit zu entdämonisieren, wenn ich es richtig sehe, in letzter Zeit nicht von Historikern, sondern historisch versierten Journalisten kommen; ich rede von Joachim Fest und Sebastian Haffner.«10 Drei Aufgaben gab Schmidt der Geschichtswissenschaft mit auf den Weg: »Sie muß an der Bewältigung der Orientierungsschwierigkeiten unserer Tage teilnehmen; sie muß ihre Bindung an den Bestand gemeinsamer Grundwerte zu erkennen geben; sie muß ihre Verpflichtung zu Toleranz und Meinungspluralismus ernst nehmen und darin sogar Vorbilder setzen«.11 Das neue Interesse für die Geschichte speiste sich aus einer verlorener Sicherheit, auf dem richtigen Weg zu sein. »Die Geschichte« sollte nun wieder verstärkt einen Beitrag zur Sicherung der Grundwerte und Diskussionskultur der Bundesrepublik leisten. Der Vorsitzende des Historikerverbands, G. A. Ritter, sekundierte beim Hamburger Historikertag seinen optimistischen Vorrednern. Er verwies ebenfalls auf ein breites Interesse an der Geschichte im Ganzen, über das sich die Historiker nicht beklagen könnten. Das Römisch-Germanische Museum erhalte mehr Zulauf, ebenso die Geschichts-Leistungskurse an den Schulen. Durch den Auslandstourismus kämen immer mehr Menschen in Kontakt mit Überresten fremder Kulturen und der Geschichte anderer Völker. Der Erhalt von Baudenkmälern stoße auf immer mehr Verständnis und tausende Schüler nähmen an Wettbewerben zur Geschichte teil. Das sei aber nicht nur ein deutsches oder europäisches Phänomen. In den USA hätten 1977 80 Millionen Menschen die 12-stündige historische Verfilmung einer Familiengeschichte der schwarzen Minderheit verfolgt.12 Gemeint war die TV-Serie »Roots« nach dem gleichnamigen Buch von Alex Haley. Sie kann als Vorläufer der TV-Serie »Holocaust« verstanden werden, die im gleichen Jahr, 9

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Vgl. Helmut Schmidt, Auftrag und Verpflichtung der Geschichte, Ansprache beim Historikertag 1978, in: Bericht über die 32. Versammlung deutscher Historiker in Hamburg, Stuttgart 1979, S. 20. Ebd., S. 20f. Vgl. ebd., S. 25. Vgl. ebd., S. 49f.

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in dem der Historikertag stattfand, ein Straßenfeger werden sollte. Auch die Wissenschaft, so fuhr Ritter fort, speziell die benachbarten Disziplinen, hätte ihr Interesse an der Geschichte wiederentdeckt. »So sind die Soziologen heute viel eher als noch vor 10 bis 15 Jahren bereit, die Zeitgebundenheit ihrer Denkfiguren zu berücksichtigen und einzuräumen, daß trotz raschen Wandels in unserer Zeit soziale und politische Verhaltensweisen, Gewohnheiten und Institutionen über Jahrzehnte und Jahrhunderte überleben, daß sich also menschliches Handeln nicht etwa in geschichtsloser Umgebung vollzieht.«13 Ritter mahnte seine Kolleg*innen, sich bewusst zu sein, dass sie für ein breites Publikum schrieben und die »Komplexität der vergangenen Wirklichkeit« auch für nicht vorgebildete Leser aufbereiten müssten. Man müsse sich aber gleichzeitig darüber im Klaren sein, dass das »anhand von Umfrageergebnissen über das Wissen zur jüngeren deutschen Geschichte oder an Erscheinungen wie der populären Hitlerwelle nachgewiesene mangelnde oder falsche Geschichtsbewußtsein großer Teile der deutschen Bevölkerung« nicht allein durch guten Geschichtsunterricht oder die Geschichtswissenschaft zu beheben sei. Dies gehe auch die Massenmedien, die Politik und besonders die Verantwortlichen für Bildung und Erziehung »bis in die Familien« an.14 Nicht nur bei Bundespräsident und Bundeskanzler war eine neue Hinwendung zur Geschichte zu beobachten. Der am 20. September 1978 zum Ministerpräsident Nordrhein-Westfalens gewählte Johannes Rau (SPD) brach in seiner Amtszeit mit dem Kurs seines Vorgängers Kühn und entwickelte sich zum »Geschichtspolitiker par excellence«, wie Christoph Cornelißen feststellt. Schon 1977 hatte Rau die Bedeutung historisch vermittelter Erkenntnisse für die Demokratie betont und in den Zeiten des soziokulturellen Wandels an Rhein und Ruhr diente seine »Geschichte von unten« der Selbstvergewisserung einer desorientierten Gesellschaft.15 Einen anderen Ministerpräsidenten holte 1978 seine Vergangenheit und der Umgang mit ihr ein. Die Debatte um die Haltung Hans Filbingers als NS-Marinerichter und sein Verhalten in der Diskussion führte nach monatelangen öffentlichen Diskussionen zu seinem Rücktritt als baden-württembergischer Ministerpräsident, während frühere Debatten 1972 und 1974 nicht zu dieser Konsequenz geführt hatten. Auf dem Historikertag in Würzburg erklärte 1980 der bayerische Staatsminister für Unterricht und Kultus, Prof. Hans Maier, dass die gegenwärtigen Zerstörungen in Würzburg vielleicht ebenso groß seien wie am Ende des Zweiten Weltkrieges, wenn auch weniger sichtbar. »Ist nicht der Verlust des Gedächtnisses ebenso ruinös wie die Zerstörung von Häusern und Denkmälern?« lautete seine Frage. Er beobachtete eine »Gegenwarts- und Zukunftsangst« und ein »Regnum des Zweifels am

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Vgl. G.A. Ritter, Die Lage der Geschichtswissenschaften, in: Bericht über die 32. Versammlung deutscher Historiker in Hamburg, Stuttgart 1979, S. 46f. Vgl. ebd., S. 49f. Vgl. Christoph Cornelißen, Der lange Weg zur historischen Identität, S. 437, 439.

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Lebenssinn«.16 Ähnlich beschrieb der Würzburger Oberbürgermeister die vergangenen Jahrzehnte als geschichtslose und gesichtslose Zeit, in denen die Stadt ohne Rücksicht auf historische Traditionen wiederaufgebaut worden sei. »Wie können Kinder ein historisches Bewußtsein haben, wenn sie erleben, daß historisch Gewachsenes so wenig gilt, wie bei den Planern jener furchtbar geraden Straßen, die wie Schneisen durch gewachsene Städte gehauen werden?«17 Der neue Trend der Hinwendung zur Geschichte führte 1980 zu einer energischen Warnung des Vorsitzenden des Geschichtslehrerverbands. Der Geschichtsunterricht werde als Reparaturbetrieb der Gesellschaft angesehen, könne das aber gar nicht leisten, erklärte Siegfried Graßmann. Gleichzeitig forderte er neue Formen des Geschichtsunterrichts, zum Beispiel Geschichtsprojekte, zu nutzen, denn der Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten erfreue sich einer steigenden Beliebtheit. Die Schüler sollten im Unterricht den »Schlössern und Fabriken, den Burgen, Festungen und Luftschutzbunkern, den Kirchen und Rathäusern, den Denkmälern [sic!] und technischen Bauten, den Museen, Archiven und Sammlungen in ihren Städten begegnen« und öfter selbst aktiv werden, Ausstellungen durchführen, Materialien sammeln, Wandertage zu historischen Zielen durchführen und Zeitzeugen befragen.18 Binnen zehn Jahren wurde der Geschichtsunterricht erst zu einem bedrohten Schulfach, um dann als spannendes, wertgeschätztes Fach rehabilitiert zu werden. Die Schüler*innen wurden nun motiviert, Inhalte nicht nur passiv zu rezipieren, sondern aktiv zu erarbeiten und selbst zu erforschen. Am Ende der 1980er Jahre war die Beschäftigung mit der Vergangenheit immer noch en vogue. Der Philosoph Hermann Lübbe konstatierte 1987 sogar, dass die Intensität »unserer Bemühungen, Vergangenes gegenwärtig zu halten« historisch beispiellose Grade erreicht habe.19 Der französische Historiker Pierre Nora, der sich mit dem Begriff der »lieux de mémoire« einen Namen gemacht hat, stellte in den 1990er Jahren eine neue Geschichtsbesessenheit fest. Er diagnostizierte, dass »wir« uns gehalten fühlten »in fast religiöser Weise Überreste, Zeugnisse, Dokumente, Bilder, Diskurse, sichtbare Zeichen dessen anzuhäufen, was einst

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Vgl. Ansprache des Bayerischen Staatsministers Prof. Dr. H. Maier, in: Bericht über die 33. Versammlung deutscher Historiker in Würzburg, Stuttgart 1982, S. 18. Vgl. Tischrede von Oberbürgermeister Dr. K. Zeitler, in: Bericht über die 33. Versammlung deutscher Historiker in Würzburg, Stuttgart 1982, S. 17. Vgl. S. Graßmann: Überlegungen zur Lage des Geschichtsunterrichts in der Bundesrepublik Deutschland, in: Bericht über die 33. Versammlung deutscher Historiker in Würzburg, Stuttgart 1982, S. 21 u. 24. Vgl. Hermann Lübbe, Historisches Bewußtsein heute, in: Werner Weidenfeld und Peter Alter (Hg.), Geschichtsbewußtsein der Deutschen. Materialien zur Spurensuche einer Nation, Köln 1987, S. 139f.

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war.«20 Die zeitgenössischen Einschätzungen bestätigt Christoph Kleßmann. Das neu erwachte Interesse an Geschichte wurde nicht nur in Geschichtswerkstätten und Monumenten sichtbar, sondern auch durch unerwartet breite Resonanz auf historische Ausstellungen, Bildbände und Gesamtdarstellungen.21 Die Faktoren der »Geschichtsbesessenheit« Die Faktoren, die zur Renaissance der Geschichte führten, sind vielfältig und miteinander auf unterschiedliche Weise verwoben. 1971 brach das System von BrettonWoods zusammen und damit der stabile Rahmen der internationalen Wirtschaftsordnung. In der Folge stieg die Inflation in der BRD von zwei Prozent im Jahr 1969 auf sieben Prozent im Jahr 1973.22 Auf die Ölkrisen folgte die Ölpreisexplosion. 1975 stieg die Zahl der Arbeitslosen zum ersten Mal seit 16 Jahren auf über eine Million und das Verstörende daran war nicht nur die Zahl, sondern vielmehr die Erkenntnis, dass diese Arbeitslosen auch nach dem folgenden konjunkturellen Aufschwung keine Aussicht auf Beschäftigung hatten. Während die Gewerkschaften in den 1960er Jahren gehofft hatten, dass die Automation stumpfsinnige Arbeit durch intelligentere ersetzen werde, sorgte die Revolution der Mikroelektronik dafür, dass auch »intelligentere« Arbeit durch Maschinen geleistet werden konnte. Statt besserer Arbeit standen die Zeichen nun auf Arbeitslosigkeit. Die einsetzende Dauerarbeitslosigkeit begründete pessimistische Zukunftsperspektiven.23 Dies betraf nicht nur die Arbeiter, sondern nach 1980 auch die akademischen Lehramtsanwärter. Hatten die »1968er« noch im Vertrauen auf sichere Arbeitsplätze rebellieren können, fehlte ihren Nachfolgern dieses beruhigende Kissen. Und statt dem (selten wirklich gelebten) Ideal der freien Liebe der »1968er« dominierte nun die Angst vor AIDS die Debatte.24 Anselm Doering-Manteuffel und Lutz Raphael bezeichnen die Nachfolger der »68er«, die autonome Jugendszene, als geprellte Generation, deren Lebensentwürfe von Arbeitslosigkeit und neuartigen Ausbildungs- und Erfolgszwängen verstellt wurden. Die Heranwachsenden prägte nun ein fortschrittsskeptisches Lebensgefühl.25 Ein weiterer Baustein der »Zukunftslosigkeit« und Verzweiflung der jungen Generation26 war die Wiederkehr der Angst vor einem Atomkrieg, die Joachim 20 21

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Vgl. Pierre Nora, Zwischen Geschichte und Gedächtnis, Frankfurt a.M. 1998, S. 23. Vgl. Christoph Kleßmann, Geschichtsbewußtsein nach 1945: Ein neuer Anfang?, in: Werner Weidenfeld und Peter Alter (Hg.), Geschichtsbewußtsein der Deutschen. Materialien zur Spurensuche einer Nation, Köln 1987, S. 111. Vgl. Anselm Doering-Manteuffel und Lutz Raphael, Nach dem Boom. Perspektiven auf die Zeitgeschichte seit 1970, S. 30. Vgl. Joachim Radkau, Geschichte der Zukunft, S. 318f. Vgl. ebd. Vgl. Anselm Doering-Manteuffel und Lutz Raphael, Nach dem Boom. Perspektiven auf die Zeitgeschichte seit 1970, S. 33f. Vgl. Joachim Radkau, Geschichte der Zukunft, S. 289.

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Radkau als Hauptgrund für die »Wende zum Pessimismus« ausmacht. Nach der Entspannungsphase in Folge der neuen Ostpolitik und der Verhandlungen um Rüstungsbegrenzungen zwischen Ost und West sorgten die atomare Aufrüstung und der NATO-Doppelbeschluss für das Entstehen einer neuen Friedensbewegung.27 Last but not least führte in der Analyse Radkaus die Umweltbewegung zu einer Abkehr von den Utopien der 1960er und 1970er Jahre. Auch wenn schon 1968 der Club of Rome »Die Grenzen des Wachstums« erkannt hatte, kam der Bericht doch erst mit der Ölkrise im Herbst 1973 im Bewusstsein der Öffentlichkeit an.28 Mit der Debatte über das Waldsterben 1981 und der durch die Ölkrisen ausgelösten neuen Planungen für Atomkraftwerke, die sich seit den 1970er Jahren mit einer immer stärker werdenden Anti-Atomkraft-Bewegung konfrontiert sahen, gewann die Umweltbewegung und damit auch der Fortschritts- und Technikskeptizismus immer mehr an Einfluss. 1977 protestierten 40.000 Menschen gegen den »Schnellen Brüter« im nordrhein-westfälischen Kalkar und sorgten damit für das bis dahin größte Polizeiaufgebot in der Geschichte der Bundesrepublik. 1979 kam es zum Störfall von Harrisburg und 1986 dann bekanntlich zum Super-GAU in Tschernobyl.29 Der Meinungsforscher Edgar Piel vom Allensbach Institut für Demoskopie stellte 1984 fest »Chemieverseuchte Umwelt, Lärm, Technik: das ist mittlerweile all das, was uns ängstigt.« Die wachsende »Irritation« durch Technik sei eine der deutlichsten demoskopischen Tendenzen der letzten Jahre. Die Technik werde nicht mehr wie in den 1960er Jahren als Garant von Wohlstand und Lebensqualität verstanden.30 Werner Weidenfeld beurteilte 1987, dass am Anfang der 1980er Jahre von dem Optimismus der 1960er und 1970er Jahre nichts mehr geblieben sei. Man sicherte das Erreichte, bezweifelte die Finanzierbarkeit des Sozialstaates und statt Fortschritt war nun »Stagnation« der Begriff der Zeit. Wurden die Krisen der ausgehenden Adenauer-Zeit mit dem Blick auf die Zukunft beantwortet, suchte man nun in alten Fragen neue Antworten. Das Verblassen großer außenpolitischer Perspektiven und die Erledigung oder Versandung großer innenpolitischer Aufgaben erzeugten einen hohen Bedarf an Gemeinschaftsbewusstsein und Gemeinschaftserfahrung in den frühen 1980ern.31 Die moderne Gesellschaft führte zu einem Vertrautheitsschwund, bedingt durch die Geschwindigkeit des technologischen Wandels, die wachsende Arbeitsteiligkeit und die Differenzierung der Arbeitsorganisation. »Die Sehnsucht nach Geschichte resultiert aus dem Versuch, diesen Wunsch an Vertrautheit mit unserer Gegenwartsgesellschaft zu kompensieren«, analysiert

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Vgl. ebd., S. 322f. Vgl. ebd., S. 290f. Vgl. ebd., S. 325 und 331. Vgl. Elisabeth Noelle-Neumann und Edgar Piel (Hg.), Allensbacher Jahrbuch der Demoskopie 1976-1977, Bd. VIII, München (u.a.) 1984, S. XXVIIIf. und S. XXIX f Vgl. Werner Weidenfeld, Geschichte und Politik, S. 24f.

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Weidenfeld. Geschichte sollte demnach dem modernen Menschen die Orientierung zurückgeben, die er in der Gegenwart der späten 1970er und 1980er Jahre nicht finden konnte. Andere Phänomene dieser Suche nach Orientierung waren nach Weidenfeld der Anstieg des Drogenkonsums, Hang zum Okkultismus, Ausflüge in Subkulturen und »immer neue romantische Aufstände gegen die komplizierte Industriegesellschaft.« Die Psychotherapie, so berichtete er weiter, bezeichne dieses Phänomen als »Sinnlosigkeitssyndrom« und »Überforderungssyndrom«.32 Die Sehnsucht nach Geschichte, nach Identität und Orientierung in den 1980er Jahren sei ein Indiz für einen neuen Verständigungsbedarf der Gesellschaft.33 Herman Lübbe erklärte, dass sich die Innovationsrate, die die Menge der Neuerungen pro Zeiteinheit misst, ebenso wie die Alterungsgeschwindigkeit erhöhe und die Gegenwart geschrumpft werde. Die Zahl der Jahre, die als zusammenhängend empfunden werden, würde immer kleiner. Die hohe Dynamik der Modernisierungsprozesse steigere komplementär die Notwendigkeit der Vergangenheitsvergegenwärtigung.34 Harald Schmid kommt zu einem ähnlichen Ergebnis: Zwischen den 1970er Jahren und dem beginnenden Geschichtsboom der 1980er Jahre sei die sozialdemokratische Wohlfahrtspolitik gescheitert und beginnende ökologische Katastrophenszenarien hätten das optimistische Fortschritts- und Zukunftsdenken verunsichert. Man habe sich auf die Suche nach neuer, alternativer und auch historisch begründeter Identität gemacht. Die Neue Soziale Bewegung habe ein neues Geschichtsbewusstsein entwickelt, das nach den dunklen Seiten der Modernisierung fragte und Verlierer, Opfer und Vergessene stärker in den Fokus der Geschichte rückte. Zudem sei lokale, konkrete Geschichte in das Interesse der Öffentlichkeit gerückt.35 Den 9. November 1978 markiert Schmid als gedenktagsgeschichtlichen und geschichtsperspektivischen Einschnitt, der die Opfer des Nationalsozialismus in den Mittelpunkt der politischen Öffentlichkeit stellte. Das folgende Jahr 1979 ähnelte für ihn in den Reaktionen denen der antisemitischen Schmierwelle 1959/60, die Politik, Medien, Justiz, Pädagogik und Wissenschaft aufgeschreckt hatte.36 Anselm Doering-Manteuffel und Lutz Raphael fügen zu dieser Analyse noch die Beobachtung hinzu, dass die politische Reaktion der englischen Premierministerin Thatcher ab 1979 stilprägend für den Kontinent wurde. Sie habe neoliberale 32 33 34 35

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Vgl. ebd., S. 26f. Vgl. ebd., S. 32. Vgl. Hermann Lübbe, Historisches Bewußtsein heute, S. 146f. Vgl. Harald Schmid, Von der »Vergangenheitsbewältigung« zur »Erinnerungskultur«. Zum öffentlichen Umgang mit dem Nationalsozialismus seit Ende der 1970er Jahre, in: Gerhard Paul, Bernhard Schoßig (Hg.), Öffentliche Erinnerung und Medialisierung des Nationalsozialismus. Eine Bilanz der letzten dreißig Jahre, Göttingen 2010, S. 171. Vgl. ebd., S. 174f.

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Wirtschaftspolitik mit einem nostalgisch drapierten Nationalismus verknüpft. Den »1968ern«, die als linke Bewegung vereinseitigt wurden, sei die Schuld an den negativen Begleiterscheinungen der Liberalisierungswelle gegeben worden, wie zum Beispiel Drogenproblemen, Pornographie, hohe Scheidungsraten und Erziehungsprobleme in Familie und Schule. Dem habe Thatcher viktorianische Werte und den Appell an kollektive Identitäten wie Nation und Volk entgegengesetzt. Diese »Identitätspolitik« sei erfolgreich gewesen, habe Ausländer- und Fremdenfeindlichkeit befeuert und auch auf dem Kontinent zum Aufstieg rechtspopulistischer Parteien geführt.37 Der Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte beschreibt die 1980er Jahre als eine Zeit der Suche nach der Identität der Deutschen, der jedoch ein nationalistischer Antrieb weitgehend gefehlt habe. Nachdem um das Jahr 1965 die Nachkriegszeit im Bewusstsein vieler Deutscher geendet und Wirtschaftswunder, Antikommunismus und Westintegration das Gefühl der Anerkennung der Bundesrepublik mit sich gebracht hätten, sei das Nationalbewusstsein in der ersten Hälfte der 1970er Jahre geschwunden. Mit Beginn des ökonomischen und ökologischen Krisenbewusstseins sei ab 1977 die »Deutsche Frage« als Thema in den Diskurs der Bundesrepublik zurückgekehrt, um dann in den 1980er Jahren die Suche nach der eigenen Identität zu verstärken.38 Dies belegt auch die Ansprache von Bundespräsident Carstens auf dem Historikertag 1982 in Münster. Er erklärte, dass man von einer Identitätskrise unter jungen Menschen spreche, die zu einer neuen Beschäftigung mit Geschichte führe. Er äußerte den Wunsch, dass neben einer Geschichte der Demokratie und des Parlamentarismus für den Schulunterricht eine Geschichte des »nationalen Gedankens« geschrieben werde. Wichtig war ihm einerseits das Erleben Deutschlands als ungeteilte Nation, wie es im Geschichtsunterricht möglich sei, aber andererseits, dass überhaupt eine Geschichte der Bundesrepublik geschrieben werde. Die Bundesrepublik, so Carstens, sei eine starke politische Kraft und ihre Hinwendung zu Europa seit 30 Jahren müsse erzählt werden.39 Deutlich wird an dem Wunsch Carstens, dass die Bundesrepublik anfing, ihre eigene Geschichte zu historisieren, sie positiv zu bewerten und diese damit Teil ihrer Identität wurde. Durch dieses neue Selbstbewusstsein wurde eine kritische Auseinandersetzung mit der Geschichte des Dritten Reiches ermöglicht.

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Vgl. Anselm Doering-Manteuffel und Lutz Raphael, Nach dem Boom. Perspektiven auf die Zeitgeschichte seit 1970, S. 50f. Vgl. Karl-Rudolf Korte, Erinnerungsspuren: Das neue Gesellschaftsbewußtsein, in: Werner Weidenfeld, Peter Alter (Hg.), Geschichtsbewußtsein der Deutschen. Materialien zur Spurensuche einer Nation, Köln 1987, S. 72-74. Vgl. Ansprache des Bundespräsidenten, in: Bericht über die 34. Versammlung deutscher Historiker in Regensburg, Stuttgart 1984, S. 24f.

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Eine neue Erinnerungskultur Den Auftakt für den in den 1980er Jahren einsetzenden Denkmalboom bildete 1978 der 40. Jahrestag des Novemberpogroms.40 Weitere Meilensteine waren die Ausstrahlung der TV-Serie »Holocaust«, ebenfalls 1978, die Rede des Bundespräsidenten Weizsäcker zum 40. Jahrestag der deutschen Kapitulation am 8. Mai 198541 und die ersten »50er« Jahrestage, beispielsweise der Machtübernahme, in den 1980er Jahren. Die Jahrestage schufen zusammen mit dem neu entstandenen Bewusstsein für den Nationalsozialismus eine neue Nachfrage nach Erinnerungszeichen auf lokaler Ebene. In Berlin wurden vom Anfang der 1980er bis zur Mitte der 1990er Jahre – also während des von Frei postulierten »beispiellosen Zyklus öffentlicher Gedenkveranstaltungen und Diskussionen«42 – mehr Denkmäler mit Bezug auf den Nationalsozialismus gesetzt, als in den Jahrzehnten zuvor.43 Gleichzeitig erforschten lokale Arbeitskreise und Geschichtswerkstätten die NS-Ortsgeschichte und brachten Gedenktafeln an, die von Christoph Heinrich als »Sühnezeichen« bezeichnet werden.44 Worin lag die Motivation, über 60 Jahre nach dem Kriegsende noch Denkmäler aufzustellen? Sie lag, so Biljana Menkovic, gerade in diesem zeitlichen Abstand. Die Generation der Zeitzeugen sei verschwunden und die neue Generation in den Augen der Denkmalstifter Gefahr gelaufen, den Holocaust als mythische Erinnerung oder als Klischee wahrzunehmen.45 Brigitte Hausmann, die sich in ihrer 1997 veröffentlichten Dissertation sehr ausführlich mit den Erinnerungszeichen mit Bezug zum Nationalsozialismus in den 1980er Jahren auseinandergesetzt hat, beobachtet, dass die »Geschichte von unten«-Bewegung, die vielfach die Denkmalsetzung anstrebte, vor allem von der zweiten und dritten Generation, also den Enkeln der Zeitzeugengeneration, getragen wurde. Gleichzeitig emanzipierten sich gesellschaftliche Minderheiten, die mit Hilfe von (versuchten) Denkmalsetzungen ihren Platz in der Erinnerungskultur und Gegenwartsgesellschaft einforderten. 1979 gründete sich der Zentralrat der Sinti und Roma, seit 1986 existierte die Interessensgemeinschaft ehemaliger Zwangsarbeiter, seit 1987 organisierten sich die Euthanasie-Geschädigten und Zwangssterilisierten und 1990 bildeten die Deserteure, Kriegsdienstverweigerer und sogenannte Wehrkraftzersetzer die Bundesvereinigung Opfer der NS-Militärjustiz.46 Dabei soll nicht außer Acht gelassen

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Vgl. Jan-Holger Kirsch, Nationaler Mythos oder historische Trauer, S. 32. Vgl. Stefanie Endlich, Wege zur Erinnerung, S. 29. Siehe S. 26. Vgl. Insa Eschebach, Öffentliches Gedenken, S. 210. Vgl. Christoph Heinrich, Strategien des Erinnerns, S. 31. Vgl. Biljana Menkovic, Politische Gedenkkultur, S. 17. Vgl. Brigitte Hausmann, Duell mit der Verdrängung? Denkmäler für die Opfer des Nationalsozialismus in der Bundesrepublik Deutschland 1980 bis 1990, Münster 1997, S. 8.

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werden, dass sich auch die Geschichtswissenschaft von den Fragen der Strukturgeschichte und den Biografien der führenden Personen des NS-Staates abwandte, sich ab Ende der 1970er Jahre der Sozial- und Alltagsgeschichte zuwandte und durch die Lokal- und Regionalgeschichte die NS-Gesellschaften vor Ort entdeckte. Die Regionalgeschichte führte so zu einer Auseinandersetzung mit der lokalen Geschichte, die durch den örtlichen Bezug auch stärker als eigene Vergangenheit wahrgenommen wurde; ein Prozess, der auch nach 1989 weiter anhielt.47 Allerdings verlief dies nicht frei von Konflikten, zumindest bei den Gedenkstätten, die zwischen 1982 und 1992 eingerichtet wurden, stellt Detlef Garbe fest. Diese mussten gegen teils massiven öffentlichen Widerstand erstritten werden.48 Weitere Aspekte, die laut Christoph Heinrich diese konfliktreiche Phase prägten, waren die »geistig-moralische Wende« der Regierung Kohl und der Versuch, einen endgültigen Schlussstrich unter die Vergangenheitsbewältigung zu ziehen und ein neues Nationalgefühl zu propagieren.49 Die Initiatoren der Gedenkstätten, die in diesen Jahren gegründet wurden, hatten laut Detlef Garbe einen sehr vielfältigen Hintergrund. Sie kamen aus Jugendverbänden, Gewerkschaften, kirchlichen oder politischen Gruppen, waren Student*innen, Lehrer*innen oder auch Pastor*innen.50 Habbo Knoch ordnet die Gedenkstättenbewegung den »neuen sozialen Bewegungen« der 1960er und 1970er Jahre zu, da ihre Aktivisten in dieser Zeit politisch sozialisiert wurden und von den Emanzipationsimpulsen der sozialliberalen Politik profitierten.51 Sie verstanden die konservative Geschichtspolitik der Regierung Kohl, die unter dem Begriff »Tendenzwende« zunächst publizistisch und dann politisch-kulturell eine Gegenbewegung zu einer behaupteten Vorherrschaft linker, sozialliberaler Geschichtsbilder formte, als Verharmlosung und Entkriminalisierung des Nationalsozialismus.52 Brigitte Hausmanns Bestandsaufnahme von Erinnerungszeichen für den Nationalsozialismus in der Bundesrepublik, für die sie tausend Stadt- und Gemeindeverwaltungen angefragt hatte, ermittelte, dass über 40 Prozent der zwischen 1980 und 1990 errichteten Denkmäler den ehemaligen jüdischen Gemeinden und deren 47

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Vgl. Claus-Christian W. Szejnmann, Die Bedeutung der Regionalgeschichte für die Erforschung des NS, in: Olaf Hartung und Katja Köhr (Hg.), Festschrift für Karl Heinrich Pohl, Bielefeld 2008, S. 86, 92. Vgl. Detlef Garbe, Gedenkstätten: Orte der Erinnerung und die zunehmende Distanz zum Nationalsozialismus, in: Loewy, Hanno, Holocaust: Die Grenzen des Verstehens. Eine Debatte über die Besetzung der Geschichte, Hamburg 1992, S. 260. Vgl. Christoph Heinrich, Strategien des Erinnerns, S. 27 und 33. Vgl. Detlef Garbe, Gedenkstätte: Orte der Erinnerung, S. 263f. Siehe auch: Jan-Holger Kirsch, Nationaler Mythos oder historische Trauer, S. 32. Vgl. Habbo Knoch, Die Rückkehr der Zeugen. Gedenkstätten als Gedächtnisorte der Bundesrepublik, in: Gerhard Paul, Bernhard Schoßig (Hg.), Öffentliche Erinnerung und Medialisierung des Nationalsozialismus. Eine Bilanz der letzten dreißig Jahre, Göttingen 2010, S. 123. Vgl. Harald Schmid, Von der »Vergangenheitsbewältigung« zur »Erinnerungskultur«, S. 181f.

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ermordeten Mitgliedern gewidmet waren. Die europäische Dimension der Shoa sei allerdings selten thematisiert worden. Typisch für die 1980er Jahre waren Deportationsdenkmäler, die stärkeren Bezug zur Shoa nahmen als bloße Gedenktafeln für die zerstörten Synagogen. Zur nächsten Gruppe von Erinnerungszeichen gehörten Mahnmale zur Erinnerung an KZ-Häftlinge, vor allem von lokalen Konzentrationslagern, die 25 Prozent der Erinnerungszeichen stellten. Die Gruppe der Zwangsarbeiter wurde eher wenig beachtet. Weniger als 15 Prozent der Erinnerungszeichen erinnerten pauschal an die Verfolgten des Nationalsozialismus, davon diente die Hälfte gleichzeitig als Kriegerdenkmal; eine antiquierte Kombination, die eher an die 1950er und 1960er Jahre erinnert. Auch diesen Erinnerungszeichen fehlte eine europäische Dimension. Weniger als zehn Prozent der Erinnerungszeichen erinnerten an den Widerstand, fünf Prozent an die Opfer der »Euthanasie«. Zum Ende der 1980er Jahre wurden auch Denkmäler für Sinti und Roma, Homosexuelle und Deserteure gesetzt.53 Während der Genozid an den europäischen Juden in den 1980er Jahren zu einem unverhandelbaren Faktum der deutschen Vergangenheit wurde, was sich durch die Erhebung Hausmanns quantitativ belegen lässt, waren der Widerstand, die Wehrmacht, das Verhalten der Mehrheitsbevölkerung und auch die Behandlung von anderen Opfergruppen wie Sinti und Roma, Homosexuellen oder Zwangsarbeitenden noch umstritten. Das führte zu einer Konkurrenz dieser Gruppen um Aufmerksamkeit und Würdigung. Stephan Scholz beobachtet, dass der Boom der Erinnerungszeichen zum Nationalsozialismus seinerseits einen zweiten Boom der Vertriebenendenkmäler befeuerte, die auf die Geschichtsinterpretation der neuen, anklagenden Erinnerungszeichen antworteten. In Oberschleißheim bei Dachau entstand 1984 ein »Gegengewicht«, so Scholz, zur KZ-Gedenkstätte. Ein Pionierlandungsboot, das 1945 bei der Evakuierung deutscher Flüchtlinge eingesetzt worden war, fungierte als Mahnmal der Vertreibung.54 In den 1990er Jahren wandte sich der Fokus dann den Tätern zu, beobachtet Jan-Holger Kirsch.55 Ein verändertes Denkmalverständnis Das zum Mahnmalselement erhobene Pionierlandungsboot ist ein Beispiel dafür, wie sich während des Denkmalbooms in den 1980er Jahren auch die Form der Denkmäler veränderte. In der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und dem herkömmlichen Totenkult entstanden Gegendenkmäler, temporäre Installationen, veränderbare Denkmäler und solche, die Raum- und Körpererfahrung beeinflussen wollten. Sie wurden nicht mehr auf einen Sockel gestellt und einige

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Vgl. Brigitte Hausmann, Duell mit der Verdrängung?, S. 9f. Vgl. Stephan Scholz, Vertriebenendenkmäler, S. 310f. Vgl. Jan-Holger Kirsch, Nationaler Mythos oder historische Trauer, S. 32.

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Denkmäler setzten auf Dezentralität. Ein weiterer Trend war die Steigerung des Informationsanteils der Inschriften.56 Christoph Heinrich macht als Grund für die Renaissance der Denkmäler auch die unpolitische, beliebige Nutzung von Kunstobjekten zur Kompensation für die radikale verkehrsfreundliche Sanierung der Städte in den 1960er Jahren aus. Die künstlerische Belanglosigkeit der »drop«- oder »plop-sculptures« führte zu einer Rückbesinnung auf die Auseinandersetzung des Kunstobjekts mit seiner Umwelt, seinem Standort, der Geschichte und der gesellschaftlichen Verantwortung. Eine wichtige Rolle spielten dabei die Skulpturen-Projekte in Münster 1977 und 1987. Gewissermaßen »durch die Hintertür der autonomen Kunst« betrat das Denkmal wieder den städtischen Raum, analysiert Heinrich.57 Er kommt zu der Erkenntnis, dass die 1980er Jahre einen neuen Denkmaltypus hervorbrachten, der sich vom traditionellen stark unterschied und unterscheiden musste. Das Denkmal galt bis dahin (siehe Kapitel 3.2) als undemokratische Institution, dazu gedacht, dass die Mächtigen Zeichen setzen, um den Untertanen Werte und Vorbilder vorzuführen und das selbstständige Denken zum Schweigen zu bringen. Sie waren einseitig kommunizierende Schlusssteine. Die Künstler der 1980er Jahre hätten es geschafft, so Heinrich, mehrwegige Kommunikation zu etablieren und das Denkmal als »Impulsgeber zur kritischen Auseinandersetzung, [als] Reibungsfläche der öffentlichen Diskussion« wiederzubeleben. Es sei nicht das Ziel der Denkmäler, das Geschichtsbild auf eine allgemeingültige Formel zu bringen. Sie seien widersprüchlich und offen, bezögen sich teilweise auf sehr aktuelle gesellschaftliche Missstände und provozierten, um dem Schicksal des Vergessenwerdens zu entgehen.58 Allerdings lässt Heinrich in seinem Fazit die von ihm gestellte Frage unbeantwortet, wie schnell sich Provokation und Schrecken verbrauchen.59 Heinrich kritisiert angesichts der unverwirklichten Pläne für ein Erinnerungszeichen in Bonn und Wien: »Vielleicht wäre es von Nutzen, wenn die Politiker, Historiker und Publizisten für einen Moment schwiegen und den Künstlern das Terrain überließen.«60 Holger Thünemann macht am Beispiel von Hrdlickas Mahnmal vor der Albertina in Wien aber deutlich, dass auch das Konzept »Überlasst den Künstlern das Terrain« seine Schwächen hat. Das Geschichtsbewusstsein habe sich in den 15 Jahren nach der Einweihung dieses Erinnerungszeichens so weit fortentwickelt, dass Hrdlickas Mahnmal dieses nicht mehr repräsentierte. Es erscheine aus dem gegenwärtigen Rückblick, so Thünemann, politisch opportun.61

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Vgl. Jan-Holger Kirsch, Nationaler Mythos oder historische Trauer, S. 33, S. 39. Vgl. Christoph Heinrich, Strategien des Erinnerns, S. 21, 24. Vgl. ebd., S. 162f. Vgl. ebd., S. 112. Vgl. ebd., S. 164. Vgl. Holger Thünemann, Holocaust-Rezeption und Geschichtskultur, S. 179-182.

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In der Bilanz ihrer Untersuchung der bundesdeutschen Erinnerungszeichen stellt auch Brigitte Hausmann fest, dass sich das Denkmal in den 1980er Jahren weiterentwickelt habe und daher nicht mehr von Entwicklungsarmut und biederprovinzieller Rückständigkeit gesprochen werden könne. Das häufigste Thema, die Vernichtung der Juden, werde fast ausschließlich ungegenständlich behandelt. »Bildverweigerungen, ob architektonisch, spurensichernd oder konzeptuell, stellen Geschichte als Frage und geben ihre Bewertung und ihre Bewahrung im Gegenwartsbewusstsein an das Publikum zurück,« meint sie.62 Die Kunstwerke würden Dogmen der Moderne in Frage stellen, sich für historische und gesellschaftliche Probleme öffnen und den urbanen Raum suchen. Ihnen sei zu Gute gekommen, dass die Auftraggeber experimentierfreudiger geworden und die Jurys kompetenter besetzt seien.63 Positiv habe sich auch die aus den 1970er Jahren vorhandene Nachfrage nach Kunst als Gegenpol zur rationalisierten modernen Welt ausgewirkt.64 Eine interessante Beobachtung von Hausmann ist, dass die Opfer des Nationalsozialismus »fast ausnahmslos« als Männer dargestellt worden seien. Frauen wären höchstens in der Inschrift erwähnt, aber nicht bildlich gewürdigt worden.65 Auch wenn die Erinnerungszeichen in den 1980er Jahren eine neue Akzeptanz erfuhren, gab es dennoch Kritik an ihnen. Hausmann beobachtet, dass der Bereitwilligkeit der Politiker Denkmäler zu genehmigen und zu setzen, misstraut worden sei. Als Motive seien Selbstgefälligkeit und Geschäftigkeit statt Moral und Würde vermutet worden und es wurde geargwöhnt, das egoistische Motiv der Absolution stecke dahinter, und befürchtet, mit den Denkmälern als Schlusssteinen wollten die Kritiker*innen sich der »Bürde der Vergangenheit« entledigen. Die Kritik habe gemahnt, ohne Lehre in Schule, Universität und Öffentlichkeit würden die Mahnmale nicht lesbar und damit aussagelos bleiben.66 Der Versuch, mithilfe von figürlichen Darstellungen eine emotionale Annäherung an die Geschehnisse zu erzeugen, wurde gerade von Überlebenden gefordert, so Hausmann, traf aber auf bereits bekannt Kritikpunkte: Nachhaltig wirksame Bilder liefere nicht die Kunst, deren fiktive Darstellung »zwangsläufig« als euphemistisch und trivialisierend gelte, sondern Fotografie und Film, sei es als Dokumentarfilm wie Claude Lanzmanns »Shoa« oder als Spielfilm wie Steven Spielbergs »Schindlers Liste«.67

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Vgl. Brigitte Hausmann, Duell mit der Verdrängung?, S. 101. Vgl. ebd., S. 101f. Vgl. ebd., S. 131. Vgl. ebd., S. 34. Vgl. ebd., S. 132f. Vgl. ebd., S. 17, 22f. 27, 32, 34, 36.

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Neue Internationalität Obgleich im Rahmen dieser Arbeit der Blick auf die lokale Erinnerung gerichtet wird, soll der Hinweis nicht fehlen, dass die Stiftung von Erinnerungszeichen in den 1980er Jahren sich über den landes- und bundespolitischen Kontext hinaus auch in einem internationalen Rahmen vollzog. Insa Eschebach weist zu Recht darauf hin, dass die Erinnerungskultur nicht isoliert betrachtet werden kann. Die Konjunktur von Geschichte, Gedächtnis und Gedenken sei seit Anfang der 1980er Jahre in vielen Gesellschaften zu beobachten und die Geschichtsdebatten und Medienereignisse wie die bereits schon erwähnte TV-Serie »Holocaust«, aber auch die 1985 ausgestrahlte TV-Serie »Heimat« waren Teil dieses internationalen »Historisierungsprozesses«.68 Wie Constantin Goschler und Frank Bösch feststellen, kann man die Bedeutung der 1978 ausgestrahlten TV-Serie »kaum überschätzen«. Sie trug wesentlich zu einem Paradigmenwechsel in der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und seinen Verbrechen bei. So stiegen zum Beispiel nach der Ausstrahlung der Serie die Verkäufe im Sachbuchmarkt an und sie befeuerte die Aufarbeitung vergessener Lagerorte – wie in der Kemna in Wuppertal (siehe Kapitel 4.5). Auch die Gedenkstätten verzeichneten seit 1978 einen Besucherzuwachs.69 Der Erfolg der Serie »Holocaust«, so Christoph Heinrich, gehe auf die Dramaturgie der Serie zurück, die auf emotionale Anteilnahme und Identifikation gesetzt habe, anstatt das Thema abstrakt-dokumentarisch darzustellen. Die Thriller/Abenteuerfilm ähnliche Konzeption erreichte auch ein Publikum, dem der Nationalsozialismus bislang durch obligatorische Schulstunden bekannt war, wohingegen sich Dokumentarfilme bislang vor allem an bereits historisch interessierte Kreise gerichtet hatten. Die »trivial-epische« Form der Serie brach den Gleichmut und interessierte bislang indifferente Bürger. »Holocaust« wurde so zu einem Medienereignis mit außergewöhnlich hohen Einschaltquoten und einer großen Resonanz, das den Nationalsozialismus, bzw. die Shoa in das »kollektive Bewußtsein« der Deutschen brachte.70 Frank Bösch beobachtet, dass die zunächst abgelehnte Serie, die in den meisten europäischen Ländern als zu emotional, zu »amerikanisch« und zu unauthentisch empfunden wurde, zu vielen ähnlichen TV-Produktionen auch in der Bundesrepublik führte, die sich mit der Verfolgung der Juden beschäftigten. Auch hier wurde die Opferperspektive emotionalisiert. Deutsche Filme verzichteten allerdings im Gegensatz zu »Holocaust« auf die Darstellung der Massenvernichtung und der brutalen Gewalt gegen Juden.71 Weitere Neuerungen des Genres waren

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Vgl. Insa Eschebach, Öffentliches Gedenken, S. 43. Frank Bösch und Constantin Goschler, Der Nationalsozialismus und die deutsche Public History, S. 19f. Vgl. Christoph Heinrich, Strategien des Erinnerns, S. 29f. Vgl. Frank Bösch, Bewegte Erinnerung. Dokumentarische und fiktionale Holocaustdarstellungen im Film und Fernsehen seit 1979, in: Gerhard Paul und Bernhard Schoßig (Hg.), Öf-

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die Konzentration auf einzelne Familienschicksale, die Verlagerung der Darstellung auf die mikrohistorische Perspektive, die Abkehr vom auktorialen Erzähler und der Einsatz von Zeitzeugen in den Dokumentationen, was Bösch als »Siegeszug der Zeitzeugen« bezeichnet.72 Der Besuch von Fernsehjournalisten an den Schauplätzen des Geschehens und die Befragung von Zeitzeugen kennzeichneten eine Abkehr von Dokumentationen auf Basis von Bücherwissen. Die Journalisten inszenierten sich selbst zum investigativen Ermittler, ähnlich den Arbeiten der Geschichtswerkstätten und Schülerwettbewerbe vor Ort.73 Besonders Filme und TV-Serien eigneten sich aufgrund ihrer grenzübergreifenden Rezeption besonders gut als Initiatoren für eine neue internationale Beschäftigung mit der Vergangenheit. Die Konsequenz war eine »veritablen Explosion« von Holocaust-Monumenten in Europa, Amerika und Israel in den 1980er Jahren, wie James E. Young beobachtet.74 Die Ursachen hierfür waren unterschiedlich. In den USA waren es die Zerstörung des unkritischen Geschichtskonsenses durch den Vietnamkrieg, die Studentenbewegung und der Kampf um die »Gleichberechtigung der Rassen«. Außerdem wollte eine neue Generation jüdischer Amerikaner die Geschichte der Shoa nicht länger verschweigen.75 In Frankreich war es der Film »Shoa« von Claude Lanzmann (1985), der eine »vague mémorielle« (Erinnerungswelle) auslöste, die sich immer weiter entwickelte und im »Supergedenkjahr« 2004 ihren Scheitelpunkt erreichte, bis man von einer »tyrannie de la mémoire« sprach.76 Hatte bis Mitte der 1970er Jahre der Resistance-Mythos ungebrochen dominiert, »überschattete« die Erinnerung an die Shoa in den 1980er und 1990er Jahren alle anderen Aspekte.77 Auch in Israel erlangte die Shoa in den 1980er Jahren eine neue Bedeutung als raison d’être des Staates, nachdem der Zionismus in Teilen erfüllt worden war (Staatlichkeit) und in Teilen unerreichbar geworden war oder an Kraft verloren hatte, analysiert der israelische Historiker Moshe Zimmermann. Bis 1961, dem Jahr des Eichmann-Prozesses, sei der Genozid erinnerungsgeschichtlich verdrängt worden, da er nicht zum Bild des wehrhaften Zionismus passte. Ab ca. 1980 sei die Shoa mythologisiert worden und habe damit den Rang einer ewigen, unveränderlichen Wahrheit erhalten, anstatt mit zunehmender historischer

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fentliche Erinnerung und Medialisierung des Nationalsozialismus. Eine Bilanz der letzten dreißig Jahre, Göttingen 2010, S. 40f. Vgl. ebd., S. 44f. Vgl. ebd., S. 47. Vgl. James E. Young, The texture of memory, Preface S. X. Vgl. Sybil Milton, Holocaust-Memorials: ein amerikanisch-europäischer Vergleich, S. 437. Vgl. Henning Meyer, Der Wandel der französischen »Erinnerungskultur« des 2. Weltkriegs. Das Beispiel dreier »Erinnerungsorte« Bordeaux, Caen und Oradour-sur-Glane, Saarbrücken 2009, S. 9 und 43. Vgl. Arno Gisinger, Vel’ d’Hiv’ und Oradour sur Glane oder: La compétition des mémoires, in: Rolf Steininger (Hg.), Der Umgang mit dem Holocaust. Europa – USA – Israel, Wien 1994, S. 342f.

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Distanz eine Versachlichung zu erfahren. Die Shoa sei seitdem nicht mehr von der öffentlichen Tagesordnung verschwunden. Die Relevanz dieser Epoche werde in jedem Augenblick vergegenwärtigt. Es sei kaum möglich, in irgendwelchen Diskussionen in Israel nicht über die Shoa sprechen zu müssen, so Zimmermann.78 Für den französischen Historiker Pierre Nora steht dahinter ein universelles Phänomen, eine neue Beziehung zur Vergangenheit und eine neue Bindung an »heritage«, »patrimoine« oder »Erbe«.79 Er diagnostiziert einen Verlust des Gedächtnisses, das sich aus der Gesellschaft zurückgezogen habe, nur noch im Privaten existiere und Schuld an der »Erinnerungswut« sei. Die Geschichtswissenschaft lebe im Gegensatz dazu vom Zweifel und zerstöre so das natürlich gewachsene Gedächtnis der Gesellschaft.80 Während das kulturelle Gedächtnis eine Verbindung zur Vergangenheit schaffe, sodass diese nicht völlig vergangen sei, sondern mit der Gegenwart ihre Fortsetzung finde, breche die Geschichtsbegeisterung der Gegenwart mit der Vergangenheit: »[S]ie gilt als jene Welt, von der wir für immer geschieden sind«.81 Wie die nationalsozialistische Vergangenheit aus der Perspektive der Gegenwart der späten 1970er und 1980er Jahre in Nordrhein-Westfalen interpretiert wurde, zeigen die folgenden Fallbeispiele auf. Münster ist gleich mit drei Erinnerungszeichen vertreten, in Paderborn und Wuppertal wurden neue Zeichen errichtet, in Meschede ein altbekanntes ausgegraben und in Bonn scheitere ein neues nationales Ehrenmal. Anhand der Gedenkpraxis wird zum Schluss aufgezeigt, wie sich in Neuss, Düsseldorf und Dortmund in dieser Zeit die Erinnerungskultur veränderte.

4.2

Gegen den Zeitgeist: Das Kardinal-von-Galen-Denkmal in Münster (1978)

Während in Münster der Zwinger Anfang der 1970er Jahre sich selbst, der Natur und den Elementen überlassen wurde, kam 1975 ein anderes, fast vergessenes Projekt wieder ans Tageslicht: ein Denkmal für Clemens August Kardinal Graf von Galen. Bereits 1955 hatte eine Gruppe Münsteraner Bürger an ein Erinnerungszeichen für den Münsteraner Kardinal gedacht, konnte es damals aufgrund fehlender

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Vgl. Moshe Zimmermann, Israels Umgang mit dem Holocaust, in: Rolf Steininger (Hg.), Der Umgang mit dem Holocaust. Europa – USA – Israel, Wien 1994, S. 391 u. 399. Ähnlich schildert es Anita Shapira. Vgl. Anita Shapira, The Holocaust: Private Memories, Public Memory, in: Jewish Social Studies, New Series, Bd. 4 Nr. 2 (1998), S. 40-58. Vgl. Henning Meyer, Der Wandel der französischen »Erinnerungskultur« des 2. Weltkriegs, S. 9. Vgl. Pierre Nora, Zwischen Geschichte und Gedächtnis, S. 11ff. Vgl. ebd., S. 28.

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finanzieller Mittel aber nicht verwirklichen.82 Anders als das zunächst gescheiterte Mahnmal der Stadt Münster und als die Pläne aus dem Jahr 1955 wurde 1978 das Kardinal-von-Galen-Denkmal vollendet und aufgestellt.

Abb. 35: Das Kardinal-von-Galen-Denkmal

Foto: Jan Niko Kirschbaum.

Das Erinnerungszeichen befindet sich ein wenig versteckt auf dem großen, teilweise von Bäumen umstandenen Platz des St.-Paulus-Doms neben dem Hochchor, hinter einer Reihe von Parkplätzen. Die Figur aus Muschelkalk steht auf einem kleinen Sockel im Schatten von großen Linden. An der Soutane und dem Kreuz auf der Brust erkennt man den Kirchenmann, der die rechte Hand auf Kopfhöhe gehoben hat. Die Figur trägt keine Kopfbedeckung. Auf einer Bodenplatte sind vier Bronzetafeln angebracht. Die Inschriften der Bronzetafeln erklären:

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Vgl. StA Münster, Amt 20/Nr. 45, Schreiben Dr. Roters an Stadt Münster vom 18. April 1955.

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  [Darstellung des Kardinalswappen] Clemens August Kardinal von Galen Bischof von Münster 1933 – 1946 Steh auf und rede zu ihnen alles was ich dir gebiete. Denn ich mache dich heute zur festen Burg zur eisernen Säule zur ehernen Mauer wider das ganze Land. Sie werden kämpfen gegen dich aber nicht dich bezwingen denn ich bin mit dir spricht der Herr. Jeremia I 17-19

Was allein uns retten kann: Dass wir die Gebote Gottes zur Richtschnur unseres Lebens machen. Bischof Graf von Galen aus der Predigt vom 3.8.1941 Wir aber sind nicht solche, die zurückweichen und so verloren gehen sondern solche, die glauben und so das Leben gewinnen. Hebräer X 39

In der Entstehungsgeschichte des Erinnerungszeichens finden sich noch Hinweise auf die Krise der Erinnerungszeichen, aber auch schon Anzeichen der Renaissance der Geschichte. Kardinal von Galen: Ein katholischer Widerstandskämpfer? Das Denkmal wurde von einer 1975 gegründeten Initiative um den ehemaligen Bundesfamilienminister Franz-Josef Wuermeling (CDU) getragen. Da die Stadt über den Oberstadtdirektor Dr. Fechtrup in das Verfahren eingebunden war, lässt sich dieser Prozess mit Hilfe der Bestände des Stadtarchives rekonstruieren. Bemerkenswert ist die Skepsis des Oberstadtdirektors und anderer Personen gegenüber dem Erinnerungszeichen. Fechtrup vermerkte schon 1975, dass beim Generalvikar des bischöflichen Stuhls in Münster, Dr. Spital, eine deutliche Reserve gegenüber einer großen Denkmalslösung zu verspüren sei. Auch die Denkmalsform hielt Spital für problematisch, da es möglicherweise entweder künstlerischen Ansprüchen nicht genüge oder bei »eigenwilliger Gestaltung« von der Bevölkerung nicht verstanden werde.83 Damit war er nicht allein. Auch der Oberstadtdirektor gestand, er sei recht skeptisch gewesen, »ob es gelingen könne, für das Denkmal eine künstlerisch überzeugende Lösung zu finden.« Bei einem Besuch in Salzburg sei er aber auf eine Kardinalsfigur des italienischen Bildhauers Giacomo Manzù

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Vgl. StA Münster, V-Ostd Nr. 320 Bd. 1, Vermerk des Oberstadtdirektors Fechtrup vom 8. Oktober 1975.

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aufmerksam geworden und sei von ihr eines Besseren belehrt worden. Allerdings galt dies nicht unbedingt für die Vermittelbarkeit, musste er im Schreiben zugeben, denn es gebe weder eine Postkarte mit der Figur als Motiv, noch wüssten die Salzburger viel damit anzufangen.84 Als sich Ende Dezember 1975 unter dem Vorsitz Wuermelings ein Initiativkreis mit über 20 Personen aus überwiegend katholischem Milieu gründete,85 lagen bereits Spendenzusagen in Höhe von 38.000 DM vor, unter anderem versprach Bundespräsident Scheel 300 DM.86 Im Februar 1976 erschien ein Spendenaufruf des Initiativkreises, in dem die Denkmalserrichtung begründet wurde.87 Der Initiativkreis bewerte den Kardinal als tapferen Widerstandskämpfer: »Todesmutig trat er öffentlich auf gegen die Tötung Geisteskranker, gegen die Vertreibung und Enteignung treuer Staatsbürger, gegen willkürliche Inhaftierungen ohne Gerichtsverfahren und gegen allen Rechtsmissbrauch gewissenloser Machthaber.« Man behauptete, dass der Widerstand des Kardinals von einer millionenfachen Bewegung unterstützt worden sei, die verhindert habe, dass er verhaftet und in ein Konzentrationslager gebracht worden sei: »Tausende verbreiteten geheim die Texte der Predigten. Auch sie riskierten Freiheit und Leben. Den Bischof wagte man nicht anzufassen. Man weiß nur, daß die Rache der Machthaber ›nach dem Siege‹ folgten sollte.« Das Ziel des Denkmals wurde so beschrieben: »Auch die Welt schuldet diesem Ehrenbürger von Münster, sein Andenken für kommende Generationen lebendig zu halten. Dabei geht es nicht um Ehrung seiner Person, die er ablehnen würde. Es geht vielmehr darum, kommenden Zeiten immer wieder die von ihm verteidigte Wertordnung und seine todesmutige mannhafte Haltung bewußt zu machen. Dies gerade heute in einer Zeit, in der Freiheit, Menschenrechte und Menschenwürde weltweit gefährdet sind.«88 Das Erinnerungszeichen sollte ein Beispiel für den kirchlichen Widerstand, personifiziert durch den Kardinal, geben und an diesen erinnern. Darüber hinaus hatte es eine Gegenwartskomponente, die sich für Freiheit, Menschenrechte und Menschenwürde im Sinne einer katholisch-christlichen Werteordnung aussprach, die

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Vgl. StA Münster, V-Ostd Nr. 320 Bd. 1, Schreiben des Oberstadtdirektors Fechtrup an Wuermeling vom 28. Oktober 1975. Darunter Dr. Florian, Ratsherr der CDU in Münster, Graf Galen, Domkapitular Hellbernd, Pfarrer Rohr, der Theologe Dr. Klockenbusch, Prälat Wüstefeld, Prälat Stumpe, Fries-Bormann als anscheinend einzige Frau für die Arbeitsgemeinschaft katholischer Verbände und die CDUPolitiker Prof. Stier und Dr. Wuermeling. Vgl. »Private Zusagen in Höhe von 38000 DM liegen bereits vor«, in: Westfälische Nachrichten vom 17. Dezember 1975. Vgl. StA Münster, V-Ostd Nr. 320 Bd. 1, Schreiben Wuermelings vom 2. Februar 1976. Vgl. StA Münster, V-Ostd Nr. 320 Bd. 1, Zweiter Entwurf des Aufrufs des Initiativkreises, undatiert.

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vom Initiativkreis als bedroht angesehen wurde, ohne dass die Urheber der Bedrohung explizit genannt wurden. Die Sichtweise des Initiativkreises auf den Kardinal war und ist nicht unumstritten. Von Galen wird bis heute kritisch bewertet, was sich auch an der öffentlichen Debatte rund um seine Seligsprechung 2005 belegen lässt. Damit teilt er das Schicksal vieler Widerstandskämpfer und Widerstandskämpferinnen, die mit unterschiedlichem Einsatz, zu unterschiedlichen Zeitpunkten und mit unterschiedlichen Zielen für ein postnationalsozialistisches Deutschland/Europa agierten. In den 1970er und 1980er Jahren stellten die Galen-Kritiker Fragen zu dessen Nähe zum Nationalsozialismus und seinem Verhalten gegenüber der jüdischen Bevölkerung und der Shoa. Später setzte sich die Forschung auch kritisch mit seinem Verhältnis zum Krieg und der Demokratie auseinander.89 (K)ein Kommunist und Pornograph Im Juni 1976 zeigte sich, dass der Spendenaufruf nicht sehr erfolgreich gewesen war. In einem halben Jahr war die Spendensumme lediglich um 15.000 DM gestiegen. Giacomo Manzù hatte sich inzwischen bereit erklärt, ein Denkmal zu schaffen – für 300.000 DM zuzüglich Transport- und Montagekosten. Der Initiativkreis diskutierte aufgrund der fehlenden 247.000 DM über die Bedeutung Manzùs und die Möglichkeit, andere Künstler zu beauftragen, um die Kosten zu senken. Von Stadt und Kirche war keine monetäre Unterstützung zu erwarten.90 Im Juli, die Spendensumme hatte sich auf 75.000 DM erhöht, kam man nicht weiter. Das Domkapitel äußerte sich kritisch gegenüber einem sehr teuren Denkmal. Der Initiativkreis einigte sich daher darauf, mit dem Bildhauer Toni Schneider-Manzell und der Bildhauerin Yrsa von Leistner zu verhandeln.91 Im September 1976 stand der Auftrag für Manzù im Initiativkreis wieder zur Debatte. Nach einem Vortrag von Hermann Josef Gerhardi rückten 16 Mitglieder des Initiativkreises von einem Engagement des Italieners ab. Gerhardi hatte darauf hingewiesen, dass das Kardinal-von-Galen-Denkmal für die geistigen und sittlichen Grundwerte stehen solle, ohne die Staat und Mensch nicht existieren könnten. Gerade diese Werte würden aber in der Gegenwart von niemandem mehr bedroht als vom atheistischen Kommunismus. Ein Denkmal für von Galen könne also nur als Warnung vor diesem verstanden werden und müsse die geistigen und sittlichen Abwehrkräfte stärken. Nun sei Manzù aber in aller Öffentlichkeit als Kommunist 89

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Vgl. Joachim Kuropka, Ein Seliger, ein Streitfall, in: Ders. (Hg.), Streitfall Galen. Clemens August Graf von Galen und der Nationalsozialismus. Studien und Dokumente, Münster 2007, S. 9f. Vgl. StA Münster, V-Ostd Nr. 320 Bd. 1, Kurzprotokoll der Sitzung des Initiativkreises vom 25. Juni 1976. Vgl. StA Münster, V-Ostd Nr. 320 Bd. 1, Kurzprotokoll der Sitzung des Initiativkreises vom 9. Juli 1976.

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bekannt und habe den von der Sowjetunion verliehenen Lenin-Orden angenommen. Er sei also ein Feind der Werte, die in dem Denkmal dargestellt werden sollten. Gerhardi betonte, dass er keine Aussage zum künstlerischen Rang Manzùs treffen wolle, aber es sei mit einer heftigen Auseinandersetzung in der Öffentlichkeit gerade auch angesichts der Kosten von bis zu 350.000 DM zu rechnen. Dass niemand Geringeres als Papst Johannes XXIII. an Manzù Aufträge vergeben habe, sei ein Fehler gewesen, denn damit habe dieser »zu dem verhängnisvollen Schwund des Bewusstseins vom unüberbrückbaren Gegensatz zwischen Christentum und Kommunismus in Italien und anderswo« beigetragen. Das Mahnmal für einen vorbildlichen Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus wurde in der Interpretation der Mehrheit des Initiativkreises nun zu einem Mahnmal gegen Atheismus und Kommunismus. Ein anderer Teilnehmer hielt einen Zyklus Manzùs für »üble Pornographie« und lehnte ihn deshalb ab. Einziger Befürworter Manzùs war der Direktor des heutigen LWL-Museums für Kunst und Kultur, Prof. Pieper.92 Pieper schied nach diesem Beschluss aus Protest aus dem Initiativkreis aus und bereitete eine Manzù-Ausstellung im Landesmuseum vor.93 Der Journalist Jürgen Wallmann berichtete am 4. November 1976 in der Sendung »Mosaik« des Radiosenders WDR 3 über die Entscheidung und den Rücktritt Piepers, dem auch ein langjähriges Mitglied des Münsteraner Kulturausschusses, der katholische Theologe Dr. Klockenbusch, gefolgt war. Mit unverkennbarem Sarkasmus bezeichnete Wallmann Wuermeling und den Initiativkreis als »wackere Exorzisten«, die verhindert hätten, dass ein Kommunist und Pornograph Einzug in Münster halten könne. Wallmann berichtete, dass von Anfang an immer wieder unaufgefordert Entwürfe für Denkmäler »gespickt mit Gutachten« eingereicht worden waren, denen es auffällig an Qualität gemangelt habe. Dass sich Manzù als reicher Mann für von Galen interessierte, wertete er als alternativlose Chance, ein modernes Kunstwerk von Rang nach Münster zu bringen. Die von Manzù aufgerufene Summe beurteilte er als Freundschaftspreis.94 Die Zeit lobte am 12. November den Austritt der beiden Männer aus dem Initiativkreis mit den Worten: »Recht so. Lieber kein Denkmal für einen mutigen Mann wie den Kardinal von Galen als eines von Duckmäusern.«95 Die Westfalenpost bezeichnete die Absage des Initiativkreises als Schelmenstück und urteilte über Manzù:

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Vgl. StA Münster, V-Ostd Nr. 320 Bd. 1, Kurzprotokoll der Sitzung des Initiativkreises vom 4. September 1976, sowie Anlage 3 dazu. Vgl. StA Münster, V-Ostd Nr. 320 Bd. 1, Schreiben an Stadtdirektor Dr. Schultz vom 3. November 1976. Vgl. StA Münster, V-Ostd Nr. 321, Transskript des Beitrags von Jürgen P. Wallmann für WDR III, Köln, Sendung »Mosaik« vom 4. November 1976. Vgl. Kardinales aus Münster, in: Die Zeit vom 12. November 1976.

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»Gewiß, er ist ein eigenwilliger Mann. Er hegt eine Neigung zum Kommunismus der Intellektuellen, wie ihn auch Picasso bewunderte. Aber er ist ein Erzgegner jeglicher orthodoxer Doktrin. Mit dem Etikett »Kommunist« kommt man nicht einer doch etwas komplizierter addierten Kunstpersönlichkeit bei, die religiöse Bildwerke von tiefer Ausdruckskraft geschaffen hat. Daß der auf der ganzen Welt enorm gefragte Manzu nicht billig ist, hätten die wackeren Münsteraner vorher wissen müssen. Und seinen linken Flirt hat der Schusterssohn aus Bergamo schließlich auch nie verhehlt. Es geht aber nicht an, ihn schlichten Gemüts in eine totalitäre Ecke zu verbannen. Dort gehört der undoktrinäre Mann nicht hin.«96 Im Initiativkreis herrschte nach der Absage an Manzù Uneinigkeit über die Form des Erinnerungszeichens. Die einen wünschten sich eine eindrucksvolle Figur des Kardinals mit symbolischer Darstellung seiner Leistungen (»Kampf für die Verfolgten, für das Menschenrecht, für rechtsstaatliche Ordnung, gegen das Naziunrecht«), während andere den Kardinal einfach und schlicht als Mann des Volkes dargestellt sehen wollten. Unter anderem der Bildhauer Schneider-Manzell äußerte Zweifel an der Darstellbarkeit von Freiheit und Menschenwürde, der ehemalige Oberstadtdirektor Austermann wiederum zweifelte an der Wirksamkeit des Denkmals ohne weitere Symbolik. Verschiedene Bildhauer stellten im November ihre Entwürfe vor, die allesamt figürlich ausgeführt und deutlich günstiger als Manzùs Angebot waren.97 Schließlich entschied der Initiativkreis mehrheitlich, den Entwurf Schneider-Manzells98 weiter zu verfolgen. Dr. Wuermeling wies nach dem Beschluss darauf hin, dass der namhafte Künstler Schneider-Manzell die Abwehr der »Medienkampagne« erleichtere.99 Im Anschluss an die Versammlung erklärte Oberstadtdirektor Dr. Fechtrup, der von keinem der Entwürfe überzeugt gewesen war,100 dass er trotz der freimütigen Aussprache mit dem Ablauf nicht zufrieden

96 97

Vgl. Günther Engels, Schelmenstück um Manzu, in: Westfalenpost vom 9. November 1976. Vgl. StA Münster, V-Ostd Nr. 320 Bd. 1, Anlage 1 und 2 zum Kurzprotokoll der Sitzung vom 4. September 1976. 98 Toni Schneider-Manzell wurde 1911 in Friedrichshafen geboren. Nach dem Abitur und einem Noviziat im Kloster Loretto studierte er in Wien und Innsbruck zunächst Philosophie und Theologie, bevor er 1934 zum Studium der Bildhauerei und Kunsterziehung nach München wechselte. Von 1941-44 kämpfte er als Soldat im Zweiten Weltkrieg. Ab 1955 lebte und arbeitete er in Salzburg und war besonders für kirchliche Auftraggeber tätig. Er starb 1996 in Stephanskirchen bei Rosenheim. Vgl. Angelika Burger, »Schneider-Manzell, Toni« in: Neue Deutsche Biographie 23 (2007), S. 312-313 [Online-Version]; URL: https://www. deutsche-biographie.de/pnd118758691.html#ndbcontent 99 Vgl. StA Münster, V-Ostd Nr. 320 Bd. 1, Protokoll der Sitzung des Initiativkreises vom 20. November 1976. 100 Vgl. ebd.

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gewesen sei. Er forderte eine gründliche Überarbeitung des Entwurfs, die Hinzuziehung von Gutachtern in den Kreis der Laien und dass seine Mitwirkung als privat beschrieben werde. Außerdem bedauerte er, da er die inzwischen stattgefundene Manzù-Ausstellung im Landesmuseum gesehen hatte, dass ein so exzellenter und feinsinniger Künstler aus dem Rennen genommen worden war.101 Ende Januar 1977 fragte er, wie schon in Kapitel 3.2 geschildert, beim Deutschen Institut für Urbanistik nach Beispielen für die Zeitgemäßheit personenbezogener Denkmäler. Am 15. Januar 1977 traf sich der Initiativkreis in Anwesenheit SchneiderManzells. Bei einem Ortstermin wurde ein »Denkmal-Phantom« durch die Gegend geschoben, um unter vier Standorten einen auszuwählen.102 Anschließend widmete sich der Kreis der Frage, welche Aussage die Gestaltung des Denkmals zum Ausdruck bringen solle. Das Denkmal sollte weder sozialer Realismus wie in den »Oststaaten« sein, noch pathetisch, noch bürgerlich-illustrativ. Ob eine mahnende oder eine kämpferische Haltung dargestellt werden sollte, ob die Statur des Kardinals (»Westfälische Eiche«) wahrheitsgetreu wiedergegeben werden sollte, darüber gab es auch in dieser Sitzung keine Einigkeit.103 Davon unbeirrt machte sich der Bundesminister a.D. Wuermeling weiter daran, Zustimmung und Geld für sein Projekt zu sammeln. Ersteres erwies sich als ungeahnt schwierig, ausgerechnet die CDU-Fraktion im Rat schoss quer.104 In einem Brandbrief wandte er sich nach einem Telefonat mit dem Kreisvorsitzenden Dr. Jahn, MdB, an das Ratsmitglied Dr. Florian und drohte: »Wenn unsere Fraktion diese Sache kaput [sic!] macht – oder auch eine weniger öffentliche Minimallösung zu erzwingen versuchte, sehe ich eine Katastrophe für die Münstersche CDU unausweichlich kommen. Das »C« wird ja ohnehin in der CDU nicht mehr als »kleingeschrieben«. Wenn man jetzt nicht einmal mehr so viel »C« hat, daß man den grössten Ehrenbürger unserer Stadt nicht g e b ü h r e n d zu ehren bereit ist, dafür aber unsere Wähler mit so blöden »Kunstwerken« wie an der Petrikirche verärgert, braucht das nur Herr Dr.

101

Vgl. StA Münster, V-Ostd Nr. 320 Bd. 1, Schreiben von Dr. Fechtrup an Wuermeling vom 23. November 1977. 102 Vgl. Zur Wahl standen die Domplatzspitze am Zugang zum Michaelisplatz und zum Rathaus, an der bis 1945 das Fürstenberg-Denkmal gestanden hatte, der Platz am Dom zwischen Salvatorgiebel und Paradies, der Platz unter den Westtürmen gegenüber der bischöflichen Residenz und der Platz vor dem Kapellenkranz gegenüber der Domgasse. Man entschied sich einstimmig für die erste Variante. 103 Vgl. StA Münster, V-Ostd Nr. 320 Bd. 1., Protokoll der Sitzung des Initiativkreises vom 15. Januar 1976. 104 Vgl. StA Münster, V-Ostd Nr. 320 Bd. 1, Schreiben Dr. Wuermelings an Dr. Florian vom 5. März 1977.

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Reismann zu erfahren, um dem fast gestorbenen Zentrum kräftigsten Auftrieb zu geben.«105 Auch an diesem Schreiben wird deutlich, wie sehr die Initiative um Wuermeling in einer katholisch-christlichen Werteordnung verhaftet war und mit diesem religiösen Hintergrund die Errichtung des Erinnerungszeichens für den Kardinal vorantrieb. Die deutsche Verantwortung für den Nationalsozialismus und die Mahnung vor einer Wiederkehr desselben standen nicht im Zentrum des Interesses. Die SPD in Münster war nicht prinzipiell gegen ein Denkmal für den Kardinal, wandte sich aber gegen die »anachronistische Gestaltung«, die an das Hermannsdenkmal oder »Ostblock-Monumente« erinnere. Ein wahres Kunstwerk brauche keine vier Schrifttafeln zur Erläuterung. Bei der Gelegenheit setzten die Sozialdemokraten eine weitere Spitze und stellten auch gleich die Verfassungstreue einer geplanten, aber nicht verwirklichten Schrifttafel in Frage. Der Entwurf der Tafel enthielt ein Zitat des Kardinals, der erklärt hatte, dass nur der Staat das Recht habe, mittels eines geordneten Gerichtsverfahrens unter anderem das Recht auf Leben zu beschränken. Das Grundgesetz, so bemerkte die SPD, verbiete aber die Todesstrafe.106 Im Oktober 1977 begab sich Oberstadtdirektor Fechtrup persönlich zum Künstler nach Salzburg und nahm dort zu seinem Erstaunen schon das Modell im Rohzustand in Augenschein. Das schränke die Freiheit der Stadt ein, beschwerte er sich bei Wuermeling und bemängelte, dass es noch keinen Ausführungsbescheid gebe. »Meine persönliche Befürchtung, daß ein Galen-Denkmal mit einer überlebensgroßen und porträtähnlichen [sic!] Figur von 3,60 Meter Höhe auf einem massiven Sockel von 1,20 m Höhe schon von den Proportionen her ein falsches Pathos erhalten könnte, hat sich leider bestätigt und verfestigt.«107 Die Vollendung des Erinnerungszeichens Am 31. Mai 1978 beschloss der Rat mit 29 zu 24 Stimmen schließlich die Aufstellung der Figur an der Ostseite des Domes, nahe den Galenschen Kapellen, zu gestatten.108 Der Autor eines Beitrags für die WDR-2-Sendung »Zwischen Rhein und Weser« urteilte, dass den Rat angesichts des zuvor zur Klärung der Standortfrage eingesetzten Denkmal-Phantoms, bei dem der Kopf der Attrappe gewackelt habe,

105 Vgl. StA Münster, V-Ostd Nr. 320 Bd. 1, Schreiben Dr. Wuermelings an Dr. Florian, vom 5. März 1977. Hervorhebung im Original. 106 Vgl. Denkmal-Text verfassungswidrig?, in: Münstersche Zeitung vom 26. Januar 1978. 107 Vgl. StA Münster, V-Ostd Nr. 320 Bd. 2, Schreiben von Fechtrup an Wuermeling vom 21. Oktober 1977. 108 Vgl. StA Münster, Niederschrift über die öffentliche Sitzung des Rates vom 31. Mai 1978.

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leises Grauen gepackt hätte, weshalb er das Erinnerungszeichen verschämt »hinter ein paar Linden« in eine ruhige Ecke gestellt habe.109 Am 23. September 1978 wurde das 100.000 DM teure Denkmal eingeweiht. Schneider-Manzell beschrieb es im November 1977 als ein figurativ gestaltetes Denkmal, das nicht nur ein Monument der Personenverehrung, sondern ein wirkliches »Denk-mal« sein sollte. Seiner Ansicht nach war es ein Ort, der zum Denken darüber anrege oder sogar zwinge, was die Gestalt als Anruf, als Mahnung oder als Erinnerung an ein beispielhaftes Leben den heutigen und kommenden Generationen zu sagen habe. Anders als vom Künstler ursprünglich geplant, erhebt die Figur nicht mahnend den Zeigefinger,110 da der Initiativkreis befürchtete, dass sie so als Oberlehrer wahrgenommen werden würde.111 Der Journalist Jürgen Wallmann kritisierte zur Einweihung erneut das Fehlen Manzùs und beklagte, dass das Erinnerungszeichen ein Denkmal wie aus dem 19. Jahrhundert sei. Dass man noch vier Texttafeln anbringen wolle, zeige, dass man der Aussagekraft des Werkes nicht vertraue.112 Auffällig am Kardinal-von-Galen-Denkmal ist, dass es aus der Stadtgesellschaft heraus an die Stadtverwaltung und später den Rat herangetragen wurde und mit seinem explizit christlichen Hintergrund eine Spendensumme von über hunderttausend Mark generieren konnte. Auch wenn die Stadt und das Domkapitel lose involviert waren, war es doch eine Initiative der Bürger*innen, zum Erfolg geführt durch die Durchsetzungsfähigkeit und die Kontakte eines ehemaligen Bundesministers. Dass die CDU-Fraktion im Rat der Stadt sich mit der Annahme der Schenkung zunächst schwertat, ist bemerkenswert und verweist auf den schweren Stand, den Erinnerungszeichen in den 1970er Jahren noch hatten. Im Gegensatz zum zunächst gescheiterten Mahnmal im Zwinger, über dessen Widmungsgruppen und Gestaltung keine Einigung erzielt werden konnte, stand die Ehrung des Kardinals als christlicher Widerstandskämpfer für eine als positiv und vorbildhaft wahrgenommene Sinnstiftung, wenngleich das Abstimmungsergebnis bezeugt, dass auch hier keine Einigkeit herrschte. Für die Stifter*innen verkörperte er vor allem Widerstand gegen Atheismus, Zeitgeist und Kommunismus in der Gegenwart. Ein Ort städtischen Gedenkens wurde das versteckte Erinnerungszeichen nicht.

109 Vgl. StA Münster, V-Ostd Nr. 320 Bd. 2, Transkript des Beitrags in WDR 2 »Zwischen Rhein und Weser« vom 23. September 1978. 110 Vgl. StA Münster, V-Ostd Nr. 320 Bd. 2, Toni Schneider-Manzell, Kurze Erläuterung meines Entwurfs für ein Kardinal von Galen Denkmal vom 22. November 1977. 111 Vgl. Galen-Denkmal erst im September, in: Westfälische Nachrichten vom 11./12. Februar 1978. 112 Vgl. Jürgen P. Wallmann, Trauriges Ende einer Posse, in: Mannheimer Morgen vom 26. Januar 1978.

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4.3

Zwei unumstrittene Denkmäler: Die Erinnerung an die Paderborner Synagoge (1980/1993)

Verlässt man das Mahnmal der Stadt Paderborn am Busdorfwall (siehe Kapitel 2.5) zu Fuß und geht durch eine kleine Gasse in Richtung der Altstadt Paderborns, kommt man zuerst zur Busdorfkirche und dann bald zum Komplex des St. Vincenz-Krankenhauses. Auf der rechten Seite öffnet sich ein kleiner Platz, auf dem ein Eiscafé Tische, Stühle und Schirme aufgestellt hat. Davor, dem Krankenhaus gegenüber, steht eine übermannshohe Mauer frei auf dem Platz, rotbraun und ockerfarben, mit drei Bögen zum Abschluss. Der Zustand lässt erkennen, dass es sich nicht um eine Ruine oder einen anderen historischen Überrest handelt. Auf der dem Platz zugewandten Seite der Mauer sind sehr kleine bronzene Gedenktafeln in zwei der drei Mauernischen angebracht. Man muss sehr nah herantreten, um sie lesen zu können. Sieben Tafeln tragen die Namen der ermordeten Paderborner Juden, eine achte trägt die Inschrift: »Hier stand seit 1882 die Synagoge der jüdischen Gemeinde Paderborn. Sie wurde am 10. November 1938 während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Brand gesetzt und zerstört. Zum Andenken an unsere jüdischen Bürger und Bürgerinnen, die in den Jahren 1933-1945 gedemütigt, entrechtet, vertrieben und ermordet wurden.«   »Ihr alle, die Ihr vorübergeht, kommt und seht, ob ein Schmerz sei wie mein Schmerz, den man mir angetan. (Klgl. 1,12)« Die dritte Mauernische ist frei gehalten von Tafeln, als Zeichen der Hoffnung, dass sich ein solches Schicksal nie wiederholen möge.113 Das Mahnmal am Platz An der Alten Synagoge steht an diesem Ort seit 1993. Ab 1980 erinnerte hier bereits eine kleine, unscheinbare Gedenktafel auf einem Gedenkstein an das Gotteshaus. Das Ersetzen des Erinnerungszeichens nach 13 Jahren lässt auf einen innerstädtischen Konflikt schließen, doch diesen gab es nicht. Vielmehr zeigt die Neukonzeption den tiefgreifenden Wandel in der Paderborner Erinnerungskultur auf. Durch die lokale Erforschung der jüdischen Geschichte, engen Kontakt zur jüdischen Gemeinde und dem Besuch ehemaliger Paderborner Juden wurde das erste Erinnerungszeichen sehr schnell von allen Beteiligten als unwürdig angesehen. Das Beispiel Paderborn zeigt auf, wie eine Stadt in den 1980er Jahren weitgehend einmütig und ohne größeren Konflikt die Erinnerung an die Shoa diskutierte. 113

Vgl. Zwei Denk-mäler, in: Woche der Brüderlichkeit 1997, hg. von der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit, Paderborn 1996, S. 13.

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Abb. 36: Das Mahnmal zur Erinnerung an die Paderborner Synagoge.

Foto: Jan Niko Kirschbaum

Die Quellenlage zu beiden Erinnerungszeichen ist gut. Die Protokolle des Rates und der Ausschüsse sind vorhanden, aber leider sehr knapp gehalten. Zeitungsartikel sind hingegen in großer Breite gesammelt worden und in der Zeitungsausschnittsammlung des Stadtarchivs verfügbar. Eine Akte existiert im Zwischenarchiv und beinhaltet die Zeit bis zur Ausschreibung des Wettbewerbs 1992. Vier weitere Akten, unter anderem zum Preisgericht, konnten im Kulturamt der Stadt Paderborn eingesehen werden, bevor sie Ende 2017 vom Stadtarchiv übernommen wurden.114 40 Jahre nach dem Novemberpogrom: Der Anstoß zum ersten Erinnerungszeichen Am 9. November 1978, 40 Jahre nach dem Novemberpogrom, beantragte die 16 Personen starke SPD-Fraktion im Paderborner Stadtrat die Anbringung einer Gedenktafel zur Erinnerung an das Ereignis und die zerstörte Synagoge. Das Protokoll vermerkt zur Antragsbegründung, dass die SPD erklärte habe: »[D]as Gedenken an die furchtbaren Gewalttaten, die durch die sogenannte Reichskristallnacht vor genau 40 Jahren ausgelöst worden seien, sollte Anlass genug sein, mit einer Ge-

114

Signaturen des Stadtarchivs lagen zum Zeitpunkt der Bearbeitung dieses Kapitels noch nicht vor.

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denktafel an das Leiden zu erinnern, das auch in Paderborn jüdischen Mitbürgern in der NS-Zeit zugefügt worden sei.«115 Vorausgegangen war diesem Antrag am Vorabend eine Gedenkfeier des »Arbeitskreises 9. November« zusammen mit der SPD Paderborn. Die SPDOrtsvereinsvorsitzende Erchinger erklärte zu diesem Anlass: »Wir sind betroffen, was an Terror möglich war und geschehen ist und wollen mit dieser Feierstunde einen Beitrag dazu leisten, daß nie wieder ein solches Klima des Hasses und des Faschismus aufkommt.« Ein Augenzeuge erinnerte an die »Reichskristallnacht« in Paderborn, die Sprecherin des Arbeitskreises warnte vor einer neofaschistischen Wirklichkeit und davor, die »Reichskristallnacht« »in die Vergangenheit einzuordnen«. Hauptredner war an diesem Abend Pfarrer Dr. Werner Koch, der selbst KZ-Häftling gewesen war. Er fragte: »Warum hat es solche Gedenkfeiern nicht schon 1968, nicht 1958, und nicht 1948 gegeben?« Die Neue Westfälische Zeitung berichtete über seine Antwort: »Die Öffentlichkeit heute sei durch das Auftreten von Neonazis erschreckt, die Kirchen hätten sich auf ihr Verhältnis zum jüdischen Volk besonnen, die Nahost-Friedensverhandlungen hätten den Blick auf das israelische Volk gelenkt. Entscheidend aber seien ›bohrende Fragen‹ der heutigen Jugend: ›Wie war das möglich, und wie war das wirklich?‹« Nach einer Kranzniederlegung am Mahnmal am Busdorf folgte ein Fackelmarsch der 150 Teilnehmer der Gedenkfeier zur neuen Synagoge, dem sich auf dem Weg 100 weitere Bürger anschlossen. Dort erwartete der Vorsitzende der jüdischen Kultusgemeinde, Erwin Angreß, die Menge und hielt eine Ansprache.116 Bei der Gedenkfeier war auch der sozialdemokratische Bundestagsabgeordneten Thüsing zugegen. Thüsing hatte ein Jahr zuvor die Aufmerksamkeit der bundesweiten Öffentlichkeit erregt, als er zusammen mit vier anderen Bundestagsabgeordneten seiner Partei eine Gedenktafel auf der Wewelsburg angebracht hatte, gefolgt von einem großen Presse- und Medienecho. Drei Kamerateams von der ARD, dem ZDF und der BBC waren vor Ort, als Thüsing auf diese Weise den Kreistagsbeschluss zur Nutzung der Wewelsburg als Dokumentationsstätte an Stelle der Errichtung eines Mahnmals kritisierte. Eine 1965 angebrachte Gedenktafel war 1973 wegen Einsprüchen der Burgverwaltung entfernt worden.117 Hinter der Bezeichnung »Arbeitskreis 9. November« verbarg sich im Wesentlichen die lokale, vom Verfassungsschutz überwachte VVN, die im SPD-Antrag mit Rücksicht auf die CDU nicht erwähnt und daher auf diese Weise umschrieben wurde. Die SPD in Paderborn, auch dies wird an dieser Verschleierung deutlich, war

115 116 117

Vgl. StA Paderborn, Niederschrift der Ratssitzung vom 9. November 1978. Vgl. »Betroffen, was an Terror möglich war«, in: Neue Westfälische Zeitung vom 9. November 1978. Vgl. Seit gestern mahnt wieder eine Gedenktafel an die KZ-Opfer, Neue Westfälische Zeitung vom 10. November 1977.

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nicht an einer politischen Konfrontation interessiert und verzichtete auf die Thematisierung von Arisierung oder der Beteiligung der Kirchen am NS-Staat. Das lag, so erinnert sich der Initiator des Erinnerungszeichens, durchaus im eigenen Interesse, denn auch in der Paderborner SPD habe es braune Vergangenheiten, Antisemiten und ehemalige HJ-Führer gegeben.118 Wer war die Person, die die Mahnmalserrichtung anstieß? Günter Bitterberg, Jahrgang 1934, hatte 1955 das Abitur gemacht, evangelische Theologie und Englisch studiert und war ab 1963 Lehrer am Pelizaeus-Gymnasium in Paderborn. Sein ganz persönlicher Zugang zur Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus hatte mit dem Erwerb des nichts beschönigenden, 1960 veröffentlichten Bildbandes »Der gelbe Stern. Die Judenverfolgung in Europa 1933 bis 1945«119 begonnen. Die fotografischen Aufnahmen der Verfolgung und der Vernichtungslager beeindruckten ihn so sehr, dass er sich der Theologie nach Auschwitz und der Frage »Wie können wir mit dem Holocaust noch leben?« zuwandte. Dementsprechend spielten die jüdische Geschichte und der Holocaust auch in seinem Unterricht eine große Rolle. Nach der Unterzeichnung des Warschauer Vertrags (1970) stieß er einen bis heute währenden Schüleraustausch des Pelizaeus-Gymnasiums mit einer Schule in Krakau an. 1971 fuhr er zum ersten Mal mit Schülern nach Polen und besuchte mit ihnen auch Auschwitz und das Warschauer Ghetto. Seine persönlichen Erfahrungen in und mit Polen, die Besuche in den Vernichtungslagern und im Ghetto, sein Unterricht und schließlich die persönlichen Begegnungen mit Paderborner Juden trieben ihn an, nachdem er 1975 Stadtratsmitglied geworden war, den Antrag für das Mahnmal zu stellen und mit seinen persönlichen Erfahrungen zu begründen.120 Die CDU, im Rat mit 39 Sitzen vertreten, unterstützte den Antrag der SPD »mit Entschiedenheit«. »Die CDU lehne eine Haltung des bewußten Vergessens, des Ignorierens, des Nicht-Wahrhaben-Wollens, des Verdrängens ab. Die Rückerinnerung an jene dunklen Tage der deutschen Geschichte sollte aber auch als Mahnung für die Zukunft verstanden werden; als Mahnung, wachsam zu sein gegen jede Form der politischen Intoleranz und des politischen Fanatismus,« vermerkte das Protokoll.121 Darin unterschied sich die städtische CDU in Paderborn nach Ansicht des Sozialdemokraten Bitterberg von der Haltung der Partei auf Kreisebene, die dort frühzeitig bei der Debatte um die Wewelsburg gegen ein Erinnerungszeichen gestimmt hatte.122 Auch die vier Mandatsträger der FDP-Fraktion sprachen sich »ausdrücklich« für die Annahme des Antrags aus. Der Rat nahm nach diesen 118 119

Vgl. Interview mit Günter Bitterberg am 16. Februar 2017. Vgl. Gerhard Schoenberner, Der gelbe Stern. Die Judenverfolgung in Europa 1933 bis 1945, Hamburg 1960. 120 Vgl. Interview mit Günter Bitterberg am 16. Februar 2017. 121 Vgl. StA Paderborn, Niederschrift der Ratssitzung vom 9. November 1978. 122 Vgl. Interview mit Günter Bitterberg am 16. Februar 2017.

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Wortbeiträgen den Antrag einstimmig an und verwies die weitere Beratung an die Ausschüsse.123 1980 wurde die Gedenktafel anstatt wie zunächst geplant an einer Hauswand auf einem eigenen Gedenkstein angebracht. Die Inschrift der Gedenktafel lautete: »An dieser Stelle stand die im Jahre 1881 errichtete Synagoge der Jüdischen Gemeinde. In der Reihe der unmenschlichen Verfolgung der jüdischen Mitbürger durch die nationalsozialistische Gewaltherrschaft wurde sie nach der Reichskristallnacht am 10.11.1938 ein Opfer der Flammen.«

Bei der Gedenkveranstaltung zur Einweihung am 9. November hielt Bürgermeister Schwiete (CDU) die Ansprache, der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde, Goldstein, sprach ein Gebet und Vertreter der beiden Kirchen waren vor Ort.124 Schwiete ging zunächst auf sein persönliches Erleben der Repression der jüdischen Bevölkerung 1935 und 1938 ein. So schilderte er, wie er als Wehrpflichtiger am 9. November 1938 in Bielefeld mit seinen Kameraden schweigend die brennende Synagoge vom Kasernenfenster aus beobachtete. Anschließend schlug er vor, den Tag nicht mehr »Reichskristallnacht«, wie auf der Inschrift, sondern »Reichspogromnacht« zu nennen. Das Denkmal solle nun erinnern und alle, »auch die junge Generation«, mahnen. Anschließend schilderte er die Zerstörung der Synagoge am Tag des 10. November 1938. Der in Paderborn vorhandene Mythos, dass die Feuerwehr das Anzünden der Synagoge aus ideellen Gründen verhindert habe, anstatt als Teil des Mobs lediglich das Übergreifen der Flammen auf das nahe Krankenhaus zu verhindern, wurde von Schwiete nicht tradiert. Zum Schluss seiner Rede zitierte er Bundespräsident Heuss: »Kollektivschuld: Nein, Kollektivscham: Ja!«125 Verstehen, Forschen und Versöhnen: Der Weg zum zweiten Erinnerungszeichen Die Neue Westfälische Zeitung monierte, dass auch bei der Gedenkfeier 1980 ungeklärt geblieben war, warum 42 Jahre vergehen mussten, bis eine Gedenktafel an die Reichspogromnacht erinnerte. Immerhin die jüngste Verzögerung konnte man in der Verwaltung verorten. Zunächst hatte sich die Stadt mit der Formulierung des Textes schwergetan und dann war auch eine Neuanfertigung der Tafel wegen eines Rechtschreibfehlers notwendig geworden.126

123 Vgl. StA Paderborn, Niederschrift der Ratssitzung vom 9. November 1978. 124 Vgl. Beschämendes Kapitel deutscher Geschichte, in: Neue Westfälische Zeitung vom 10. November 1980. 125 Vgl. StA Paderborn, S1 46 5 (Nachlass Schwiete), Rede Bgm. Schwiete zur Gedenkstunde 9.11. Synagogenstandort an der Straße am Busdorf. 126 Vgl. Beschämendes Kapitel deutscher Geschichte, in: Neue Westfälische Zeitung vom 10. November 1980.

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In der Tat verdient die von der Neuen Westfälischen Zeitung aufgeworfene Frage, warum erst ab 1980 ein Gedenkstein an die Verfolgung der Juden in Paderborn erinnerte, eine Antwort. Die Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Paderborn (GCJZ) erklärt in ihrer 2012 erschienen Festschrift: »Es hat mehr als 30 Jahre gedauert, bis ein öffentliches Gedenken an die Opfer möglich wurde. Es waren immer die ›Falschen‹, die das Erinnern anmahnten, sie stießen mit ihrem Anliegen auf Misstrauen, Unverständnis und Ablehnung durch die politische Mehrheit. Diese Erinnerung war gefährlich, darum begnügte man sich lieber mit der ungefährlichen Erinnerung und ihren bekannten Erinnerungsritualen.«127 Allerdings wird hierbei nicht berücksichtigt, dass sich die Stadt Paderborn in den 1950er Jahren beim Neubau der Synagoge engagierte (siehe Kapitel 2.5). In den 1980er Jahren bemühten sich Paderborner um eine Annäherung an die jüdische Gemeinde, die damals etwa 40 Mitglieder aus dem Paderborner Land umfasste. Im Juni 1987 wurde die Paderborner Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit gegründet. Zu Beginn zählte die Gesellschaft 104 Gründungsmitglieder und wuchs rasch auf 200 Mitglieder an. Sie war die Institutionalisierung verschiedener Aktionen und Arbeitskreise, die, meist aus dem katholischen Milieu stammend, die Verbindung zum Judentum und zu Israel gesucht hatten. So veranstaltete eine Dekanats-Arbeitsgemeinschaft des Erzbistums Paderborn in Brilon und Paderborn von 1980 bis 1983 Seminare zum Thema: »Mit einem Juden die Bibel lesen«. Außerdem wurden von der Abteilung Religionspädagogik Seminare für Lehrer zu jüdischem Leben, »Der Jude Jesus« und »Christliche Missverständnisse des Judentums« angeboten und fanden starkes Interesse. Bereits seit 1976 wurden dreiwöchige »Jerusalem-Seminare« für Religionslehrer angeboten, deren Ziel der Dialog der drei monotheistischen Religionen war und die mit Begegnungen, Gesprächen und »gottesdienstlichen Feiern« arbeiteten. Die Familienbildungsstätte, die Volkshochschule und das Stadtjugendamt führten auch Fahrten nach Israel durch.128 Hintergrund dieser Veranstaltungen war eine veränderte katholische Perspektive auf die Shoa in den 1980er Jahren. Bis dahin war die katholische Kirche von zwei Annahmen ausgegangen. Zum einen wurde das Leid der Häftlinge in den Konzentrationslagern im Rahmen einer imitatio Christi mit dem Opfer Christi in Verbindung gebracht. Dieser Annahme folgend interpretierte die Kirche, dass die Häftlinge ohne Unterschied für »unsere« Sünden geopfert worden seien. Zum anderen wurden die Gläubigen selbst zu einer stellvertretenden Sühne aufgerufen, womit diese einen analogen Status wie die KZ-Häftlinge erhielten. Die dahinterstehende Logik, so Insa Eschebach, sei ein beispielloser christlicher Triumphalismus, der auch die jüdischen Häftlinge vereinnahmt hatte. Erst in den 1970er Jahren 127 128

Vgl. Für ein erneuertes Verhältnis von Christen und Juden. 25 Jahre Gesellschaft für ChristlichJüdische Zusammenarbeit Paderborn e.V., Paderborn 2012, S. 68. Vgl. Für ein erneuertes Verhältnis von Christen und Juden, S. 33-36.

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wurde das »Sühnekonzept« durch eine »Theologie nach Auschwitz« ersetzt, die zu einer Revision der katholischen Positionen führte.129 Besonders Erwin Angreß, von 1986 bis 2000 Vorsitzender der jüdischen Gemeinde, war ein engagierter Gesprächspartner und Zeitzeuge. Er war 1940 aus Hindenburg in Oberschlesien in das sogenannte Umschulungslager Am Grünen Weg in Paderborn gekommen und wurde 1943 mit der Schließung des Lagers wie alle Inhaftierten nach Auschwitz deportiert. Seine Frau wurde am Tag der Ankunft in den Gaskammern ermordet, während er selbst zur Zwangsarbeit eingeteilt wurde. Am 15. April 1945 wurde er im KZ Bergen-Belsen befreit und kehrte nach Paderborn zurück.130 In der Festschrift zum 25-jährigen Bestehen der GCJZ heißt es über Angreß: »Viele Menschen, besonders viele Schülerinnen und Schüler, sowie Studenten, haben durch ihn den Weg in die Synagoge und zu einer Begegnung mit jüdischer Religion und Kultur gefunden. Als Zeitzeuge ist er zu einem Zeichen geworden.«131 Entscheidend für die Öffnung der jüdischen Gemeinde gegenüber der Paderborner Bevölkerung war auch die Freundschaft zwischen Günter Bitterberg und Erwin Angreß. Die persönliche Beziehung ließ keine Angst aufkommen, dass hinter der Annäherung Bestrebungen zur Missionierung steckten. Bitterberg besuchte auch persönlich ehemalige jüdische Paderborner in Israel, recherchierte Schicksale und gehörte zu den Gründungsmitgliedern der GCJZ Paderborn.132 In ihrer Festschrift stellte die GCJZ fest, dass erst die Gründung der Gesellschaft zu einer deutlichen Klimaverbesserung im christlich-jüdischen Verhältnis und auch im Verhältnis der jüdischen Gemeinde gegenüber dem Rat geführt habe.133 Die geschäftsführende Vorsitzende der GCJZ, Monika Schrader-Bewermeier, bemerkte 2017, dass es sowohl bei Hubert Frankemölle, dem ersten Vorsitzenden der GCJZ und Professor für Exegese des Neuen Testaments am Institut für katholische Theologie der Universität Paderborn, als auch bei Günter Bitterberg von Vorteil war, dass beide nicht aus Paderborn stammten und somit zwei Externe die Gründung der GCJZ und das Mahnmal anstießen.134 1988 veröffentlichte Margit Naarmann ihre Dissertation »Die Paderborner Juden 1802-1945: Emanzipation, Integration und Vernichtung; ein Beitrag zur Geschichte der Juden in Westfalen im 19. und 20. Jahrhundert«. Sie stellte einen entscheidenden Schritt in der lokalen Aufarbeitung der NS-Geschichte dar. Bereits am 13. September 1987 beantragte die CDU-Ratsherrin Paula Hermes auf der Grundlage der Forschung Naarmanns an der »Gedenkstätte für die Paderborner Synagoge« 129 130 131 132 133 134

Vgl. Insa Eschebach, Öffentliches Gedenken, S. 170. Vgl. Für ein erneuertes Verhältnis von Christen und Juden, S. 69f. Vgl. ebd., S. 69f. Vgl. Interview mit Günter Bitterberg am 16. Februar 2017. Vgl. Für ein erneuertes Verhältnis von Christen und Juden, S. 70. Vgl. Interview mit Günter Bitterberg am 16. Februar 2017.

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eine Gedenktafel mit den Namen der jüdischer Mitbürger Paderborns anzubringen, die Opfer der Verfolgung geworden waren. Die Einweihung solle im Rahmen der Gedenkfeier »50 Jahre Reichskristallnacht« stattfinden. Außerdem regte Hermes an, dass der Rat der Stadt zusammen mit der neugegründeten GCJZ nun alljährlich »der Opfer des Nationalsozialismus« gedenken möge. Sie erinnerte Bürgermeister Schwiete daran, dass er selbst darauf hingewiesen habe, dass es eine Verpflichtung sei, die Erinnerung an die jüdischen Mitbürger Paderborns, die »Opfer der Verfolgung wurden, ehrend wachzuhalten.« Diese Worte hatte Schwiete in einer Festrede aus Anlass des Geburtstags der in Paderborn geborenen Kulturpreisträgerin Jenny Aloni, welche Opfer von nationalsozialistischer, rassistischer Verfolgung geworden war, geäußert.135 In der folgenden Ratssitzung am 24. September 1987 wurde dieser Antrag von allen Fraktionen unterstützt. Die Anregung einer jährlichen Gedenkfeier wurde zum Beschluss erhoben und der Rat sprach sich dafür aus, die Paderborner Juden, die den Holocaust überlebt hatten, in die Stadt einzuladen. Alle drei Maßnahmen wurden einstimmig beschlossen.136 Meinolf Praest kommentierte für die Neue Westfälische Zeitung, dass die geleistete Einstimmigkeit auch geboten sei: »Zum einen deshalb, weil weiterhin bedenklich viele Mitbürger fordern, dass ›endlich mal ein Schlußstrich‹ unter dieses ›Kapitel‹ deutscher Geschichte gezogen werden müsse. Zum anderen, weil die Aktivitäten von Neonazis beängstigend – und erfolgreich, siehe Bremen-Wahl – zunehmen, etwa in Bielefeld, wo in der Bleicherstraße ein regelrechtes ›Zentrum‹ eingerichtet wurde, aber auch im Raum Paderborn, wo schlimme ›Bürgeranträge‹ im Demokratiemäntelchen gestellt werden, die weitere Ausländerfeindlichkeit schüren sollen.«137 Wenige Wochen nach dem Antrag zur Ergänzung des Erinnerungszeichens veranstaltete die Stadt zum ersten Mal in Kooperation mit der GCJZ eine Gedenkfeier am Abend des 9. November 1987. Die Ansprache hielt erneut Bürgermeister Schwiete und Erwin Angreß rezitierte das jüdische Totengebet. Anschließend gab es eine Lesung (Korczak und die Kinder) und einen Vortrag von Prof. Hillgruber von der Universität Köln.138 Ebenfalls an diesem Abend fand ein Vortrag von Dr. Hohmann zum Thema »Paderborn im Nationalsozialismus« statt, als erster Vortrag der Winterreihe des Altertumsvereins. Der Andrang war so groß, dass das Auditorium Maximum der Paderborner Universität überfüllt war. Die Neue Westfälische Zeitung kommentierte: »Viele ältere Besucher hatten die braunen Jahre und gar die sich 135 136 137 138

Vgl. StA Paderborn, 47-04-06-6, Arbeitskreis »Jüdisches Mahnmal«, Schreiben von Ratsherrin Paula Hermes an Bürgermeister Schwiete vom 13. September 1987. Vgl. StA Paderborn, 47-04-06-6, Arbeitskreis »Jüdisches Mahnmal«, Niederschrift der Ratssitzung vom 24. September 1987. Vgl. Meinolf Praest, (Ge)Denken, in: Neue Westfälische Zeitung vom 26. September 1987. Vgl. Heute Gedenkstunde am Mahnmal der alten Synagoge am Busdorf, in: Neue Westfälische Zeitung vom 9. November 1987.

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entwickelnde Vorgeschichte dazu selbst miterlebt, bei den jüngeren Generationen sind […] die Hitler Jahre zu einem beachtlichen Teil immer noch unbewältigte Vergangenheit, oder aber es war einfach nur die Interesse weckende Historie gerade zu einem Zeitpunkt, da die braunen Kolonnen wieder auf Filmleinwänden und in Illustrierten marschieren.«139 Am folgenden Tag fand nach einem Aufruf vom Bund der Antifaschisten, der Jungsozialisten und der Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend ein Schweigemarsch statt, der auch als Demonstration gegen »neonazistische Tendenzen« gedacht war.140 Ein Jahr später, am 50. Jahrestag des Novemberpogroms, rief eine Erklärung der »Initiative gegen ein Nazi-Zentrum in Paderborn« dazu auf, im Anschluss an die Gedenkfeier eine Demonstration zum »Drosselstübchen« durchzuführen, weil sich dort »Alt-Nazis und Jung-Faschisten« der NPD sammelten und ein Büro eingerichtet hätten. Die Erklärung beklagte die Duldung, Deckung und Finanzierung der Neonazis durch interessierte Kreise konservativer Politiker und der Wirtschaft und mahnte, 1938 wie gegenwärtig seien Nazis in Paderborn keine Randerscheinung.141 Die Erweiterung des bestehenden Mahnmals um eine Gedenktafel mit den Namen der Opfer erwies sich bald als komplizierter als gedacht. Zwar bildete der Kulturausschuss am 17. Februar 1988 eine Arbeitsgruppe zur Erfüllung des Ratsbeschlusses, die aus je einem Mitglied der vier Fraktionen, der Antragstellerin, einem Vertreter der GCJZ, dem Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde und der zuständigen Beigeordneten bestand. Aber schon in der Ausschusssitzung erkannten die Mitglieder, dass es außerordentlich schwierig war, eine Liste der Opfer des Nationalsozialismus aufzustellen, da die Gemeindemitglieder nirgendwo erfasst worden waren.142 Einen Tag später fand das erste Treffen der Arbeitsgruppe statt. Eingehend wurde das Problem diskutiert, dass keine Akten zur jüdischen Gemeinde von 1933 vorlagen und dass die Melderegister der Stadt vor 1945 durch Kriegseinwirkungen unvollständig waren. Die Arbeitsgruppe gab einer möglichst vollständigen Ermittlung der Namen den Vorzug vor einer schnellen Lösung, verschob die Einweihung einer neuen Gedenktafel und kam gleichzeitig überein, das Mahnmal »würdiger« zu gestalten.143 Ein zusätzliches Argument für ein neues Erinnerungs-

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Vgl. Vor 39 Jahren brannte die Synagoge, in: Neue Westfälische Zeitung vom 10. November 1987. 140 Vgl. Schwiete: »Opfer sind uns Warnung vor Rassenhaß«, in: Westfälische Volkszeitung vom 10. November 1987. 141 Vgl. Kulturamt der Stadt Paderborn, Akte Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit, Erklärung zum 50. Jahrestag der Reichspogromnacht, Initiative gegen ein NaziZentrum. 142 Vgl. StA Paderborn, Niederschrift der Sitzung des Kulturausschusses vom 17. Februar 1988. 143 Vgl. StA Paderborn, C 2270, Protokollnotizen über die Sitzung des »Arbeitskreises zur Erfüllung des Ratsbeschlusses vom 24.9.1987« am 18. Februar 1988.

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zeichen war der neue Rahmenplan für die Innenstadt. Dieser sah die Verkehrsberuhigung des gesamten Innenstadtbereichs vor. Durchgangsstraßen sollten gesperrt, Straßen zurückgebaut und die Parkplätze durch Parkhäuser an dem die Innenstadt umgebenden Wallring ersetzt werden.144 Damit war die Möglichkeit gegeben, den Bereich, an dem die Synagoge gestanden hatte, ebenfalls neu zu planen und in diese Überlegungen eine größere Gedenkstätte einzubeziehen.145 Im Kulturausschuss bestätigte Dipl. Ing. Kron von der Stadtverwaltung die Befürchtung, dass die Umgestaltung des Areals noch mehrere Jahre in Anspruch nehmen werde, was für die CDU-Ratsherrin Hermes nicht akzeptabel war. Schließlich wurde die Verwaltung vom Kulturausschuss einstimmig aufgefordert »eine Funktionsplanung für eine Neugestaltung der Gedenkstätte der jüdischen Paderborner Opfer des Nationalsozialismus im Nahbereich der ehemaligen Synagoge zu erarbeiten und mehrere Vorschläge im Kulturausschuss vorzustellen.« Ratsherr Weber von der CDU schlug vor, die Gedenkstätte am nahegelegenen Busdorfwall in der Nähe des Mahnmals für die Opfer des Krieges zu errichten. Eine Gedenkstätte solle schließlich zur Ruhe und Besinnung anhalten.146 Die jüdische Gemeinde machte aber klar, dass nur der Standort an der ehemaligen Synagoge zählte, auch die SPD sprach sich für den Ort der »historischen Wahrheit« aus.147 Der Landesrabbiner lehnte es ebenfalls ab, »jüdische Gedenkstätten neben schon bestehenden Gedenkstätten für die Opfer des 2. Weltkrieges oder auch an wenig frequentierten Plätzen zu errichten.« Damit war der Vorschlag von Ratsherr Weber vom Tisch.148 Wenige Tage zuvor hatte die GCJZ in ihrer Vorstandssitzung die Stadt zugleich gelobt und getadelt, wie die Neue Westfälische Zeitung berichtete: Man habe »dankbar die Offenheit, Kooperationsbereitschaft und Eigeninitiative der Stadt anerkannt«, die sich deutlich von den früheren Jahren unterscheide, beklagte aber trotzdem »Halbherzigkeit und allzu phlegmatischen Umgang mit sensiblen Fragen«, die langsame Vorbereitung der Einladung jüdischer Überlebender und die schleppende Planung des Mahnmals. Die GCJZ schlug vor, den Platz an der Straße »Am Bogen«, der am Standort der zerstörten Synagoge lag, in »Platz an der Alten

144 Vgl. Detlef Kron, Rahmenplanung Innenstadt Paderborn. Ein städtebaulicher Rahmenplan zur Entwicklung des Zentrums von Paderborn, hg. von der Stadt Paderborn im Januar 1989, S. 125. 145 Vgl. StA Paderborn, 47-04-06-6, Arbeitskreis »Jüdisches Mahnmal«, Schreiben von Ratsherr Hackfort an den Vorsitzenden des Kulturausschusses vom 6. Juni 1988. 146 Vgl. StA Paderborn, Niederschrift der Sitzung des Kulturausschusses vom 22. Juni 1988. 147 Vgl. Besinnliche Ruhe oder historische Wahrheit?, in: Neue Westfälische Zeitung vom 25. Juni 1988. 148 Vgl. StA Paderborn, Niederschrift der Sitzung des Kulturausschusses vom 23. August 1988.

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Synagoge« umzubenennen.149 Als kleine Geste beschloss der Rat am 14. März 1989 die Umbenennung des Platzes.150 Die Versöhnung mit den Überlebenden hatte nun aufgrund der aufgetretenen Schwierigkeiten Vorrang vor der Neugestaltung des Mahnmals. Der erste Plan, die ehemaligen Paderborner in der Woche der Brüderlichkeit einzuladen, musste fallengelassen werden, weil ein zeitgleich stattfindender Mediävisten-Kongress bereits alle Hotelzimmer in Beschlag genommen hatte und ein Ausweichquartier im katholischen Liborianum als unpassend abgelehnt wurde. Schließlich fand man freie Hotelbetten in der Woche vom 21. bis 28. Mai 1989.151 Weitere Planungen wurden vom Arbeitskreis durchgeführt, aber nicht protokolliert. Im April 1989 wurde dem Kulturausschuss schließlich mitgeteilt, dass 99 Personen eingeladen worden waren. 56 von ihnen hatten die Einladung nach Paderborn angenommen, sodass mit ihren Begleitern 102 Gäste erwartet wurden. 55 kamen aus Israel, 43 aus den Vereinigten Staaten.152 Am Ende der Besuchswoche resümierten die Teilnehmer ihre Erlebnisse, wie die Neue Westfälische Zeitung berichtete: Ilse Johnson aus den USA stellte in Anlehnung an John F. Kennedy fest: »Ich bin eine Paderbornerin« und sprach im Namen aller jüdischen Gäste davon, »daß es schöner nicht hätte sein können«. Der Empfang sei an Warmherzigkeit kaum zu überbieten gewesen und viel Misstrauen habe einem neuen Deutschlandbild Platz gemacht. Bürgermeister Wilhelm Lüke erklärte: »Sie haben die Hände ausgestreckt und uns ermutigt, sie dankbar anzunehmen. Ich hoffe, wir haben es gemeinsam geschafft, versöhnlich, verständnisvoll und ehrlich miteinander umzugehen.« Landesrabbiner Barsilay betonte: »Wenn sich große Parteien ultrarechtem Gedankengut öffnen und Fremdenhaß sich ausbreitet, ist dieser hier in Paderborn vollzogene Besuch um so anerkennenswerter.« Der Mut der Stadt, so erkannte die Neue Westfälische, habe sich gelohnt.153 Das Westfälische Volksblatt schrieb pathetisch: »Die Zeit heilt Wunden, so sagt man. Daß nur eine Woche selbst zur Linderung der schlimmsten Schmerzen, ja fast zur völligen Genesung führen kann, konnte man in den vergangenen Tagen in Paderborn erleben. 86 Juden waren der Einladung der Stadt gefolgt, das heutige Paderborn kennenzulernen. Viele von ihnen haben seit den grausamen Jahren des Nazi-Terrors erstmals wieder deutschen Boden betreten. Mit der Furcht vor dem Zwiespalt der Gefühle

149 Vgl. »Allzu phlegmatischer Umgang mit sensiblen Fragen und Halbherzigkeit«, in: Neue Westfälische Zeitung vom 20. Juni 1988. 150 Vgl. Kulturamt der Stadt Paderborn, Akte Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit, Sitzungsvorlage 100/89. 151 Vgl. StA Paderborn, C 2270, Protokollnotizen über die Sitzung des »Arbeitskreises zur Erfüllung des Ratsbeschlusses vom 24.9.1987« am 6. Juli 1988. 152 Vgl. StA Paderborn, Niederschrift der Sitzung des Kulturausschusses vom 24. April 1989. 153 Vgl. Empfang in der »alten Heimat« an Warmherzigkeit kaum zu überbieten, in: Neue Westfälische Zeitung vom 29. Mai 1989.

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waren sie in ihre ehemalige Heimatstadt gekommen, mit einer Liebeserklärung an das neue Paderborn fuhren sie zurück in ihre jetzigen Heimatländer.«154 Der Wettbewerb für das zweite Erinnerungszeichen Der Prozess zur Errichtung des neuen Mahnmals stockte weiterhin. Im September 1989 fand unabhängig davon ein Treffen mit Ratsvertretern, der Stadt und der Westfälischen Schule für Blinde statt, an deren gegenwärtigem Standort früher ein jüdisches Waisenhaus gestanden hatte, dessen Bewohner während der Shoa deportiert und ermordet worden waren. Daran sollte nun ebenfalls erinnert werden. Die Stadt hatte bereits zugesagt, die Kosten einer Gedenktafel in Höhe von 7.000 DM zu übernehmen, nun waren die Kosten wegen der Anfertigung einer Bronzestele verdoppelt worden. Die Kämmerin Bickeböller vermerkte in den Akten: »Ich habe dennoch [trotz der Kostensteigerung, Anm. JNK] die Unterstützung der Verwaltung für dieses Projekt zum Ausdruck gebracht, weil es m.E. peinlich – und auch entgegen der Intention der anwesenden Politiker – wäre, angesichts der historischen Verpflichtung hier eine Diskussion über die Restfinanzierung zu führen.«155 Auch drei Jahre später ließ sich diese Haltung bei Bickeböller feststellen, als es in der Debatte zum Mahnmal um fehlende Haushaltsmittel für die Platzgestaltung ging. Die Neue Westfälische Zeitung hielt den Satz von Bickeböller »Geld für das Mahnmal gibt unser Haushalt immer her!« fest.156 Die Neuplanung des Mahnmals kam erst im Februar 1990 wieder in Fahrt. Im Kulturausschuss stellte die Verwaltung drei Gutachten von Planungsbüros vor, die sich im Rahmen der Neugestaltung für die »Innenstadt Ost« mit dem inzwischen umbenannten Platz An der Alten Synagoge beschäftigt hatten.157 Die drei Gutachten sahen für den Bereich sehr unterschiedliche Lösungen vor. Peter Zlonicky & Partner, ein Büro für Stadtplanung und Stadtforschung aus Dortmund, hielten fest, dass der Platz keiner monumentalen Gesten bedürfe. Für einen Mahnmalscharakter könne aber auch kein gemütlicher Aufenthaltsraum entstehen, weswegen sie auf eine strenge Gestaltung und entsprechende Auswahl der Materialien setzten.158 WoltersPartner [sic!] sahen in dem Bereich die Möglichkeit, der vorwiegend steinernen historischen Platzanlagen der Paderborner Innenstadt einen grünen Quartiersplatz mit Rasenfläche entgegen zu setzen. Im Norden war eine Brunnenplastik

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Vgl. Geschichte wurde neu geschrieben, in: Westfälisches Volksblatt vom 29. Mai 1989. Vgl. Kulturamt der Stadt Paderborn, Akte Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit, Vermerk Betr.: Stele zur Erinnerung an das ehemalige jüdische Waisenhaus. Vgl. »Geld für Mahnmal gibt unser Haushalt immer her«, in: Neue Westfälische Zeitung vom 23. November 1992. Vgl. StA Paderborn, Niederschrift der Sitzung des Kulturausschusses vom 28. Februar 1990. Vgl. StA Paderborn, Peter Zlonicky & Partner, Büro für Stadtplanung und Stadtforschung Dortmund, Verkehrs- und Gestaltungskonzept östliche Innenstadt Paderborn.

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vorgesehen, im Süden ein steinerner Torbogen, der an die Juden in Paderborn erinnern solle.159 Ähnlich sah es das Büro für Stadt- und Verkehrsplanung Baier aus Aachen, das aus dem reinen Verkehrs- und Parkplatz einen Aufenthaltsbereich für Fußgänger mit Außenausschank und Spielfläche auf einer wassergebundenen Fläche vorschlug. Davon abgegrenzt durch einen Höhenunterschied und eine niedrige Mauer sollte der Bereich zur Aufstellung des Mahnmals eingerichtet werden.160 Anschließend beschloss der Kulturausschuss mit Enthaltungen einstimmig, dem Rat zu empfehlen, einen Ideenwettbewerb zur Mahnmalsgestaltung auszuschreiben und dann entsprechend der Ergebnisse umzusetzen.161 Danach geschah über ein halbes Jahr nichts, denn die offene Planungssituation durch den Rahmenplan Innenstadt bestand weiterhin. Um diese Blockade aufzulösen, schlug der technische Beigeordnete am 7. November 1990 im Kulturausschuss vor, 225 Quadratmeter der vorhandenen Parkplatzfläche bereits jetzt als Planungsfeld für das Mahnmal vorzusehen, die Zufahrt zu verlegen und sechs Parkplätze aufzugeben. Nach einer lebhaften Diskussion gründete der Kulturausschuss wieder einen Arbeitskreis zur Durchführung des Ideenwettbewerbs, bestehend aus je einem Vertreter der jüdischen Gemeinde und der GCJZ, vier Mitgliedern der Verwaltung, vier Fraktionsmitgliedern der CDU, zwei der SPD und je einem von Grünen und FDP. Der Vorschlag, die gesamte Fläche des Parkplatzes als Mahnmalsareal einzubeziehen, wurde abgelehnt.162 Der Rat der Stadt Paderborn trat dem Beschluss am 10. Dezember bei und ergänzte den Arbeitskreis dabei noch um einen Vertreter der Anwohnenden.163 In der ersten Sitzung des etwas unglücklich benannten Arbeitskreises »Jüdisches Mahnmal« am 5. März 1991 berichtete der Kulturreferent von einem Wettbewerb in Celle, der bundesweit ausgeschrieben worden war und 600 Bewerbungen und 270 Modelle erhalten habe. Der Finanzrahmen habe sich hier schnell als zu niedrig erwiesen. Der Arbeitskreis schlug daraufhin vor, die Zahl der Teilnehmer auf zehn zu begrenzen und drei Preise in Höhe von 25.000, 15.000 und 10.000 DM auszuloben. Die Verwaltung wurde beauftragt, Vorschläge zur Einsetzung der Jury und zum Auslobungstext vorzulegen.164 Die Besetzung der Jury, des Teilnehmerfelds und das weitere Vorgehen führten schließlich zu längeren Diskussionen und Änderungsvorschlägen, ohne dass der Arbeitskreis zu einem tragfähigen Ergebnis

159 Vgl. StA Paderborn, WoltersPartner Coesfeld, Gutachten Östliche Innenstadt. 160 Vgl. StA Paderborn, Büro für Stadt- und Verkehrsplanung Baier, Wettbewerb Strassen und Plätze östliche Innenstadt Paderborn. 161 Vgl. StA Paderborn, Niederschrift der Sitzung des Kulturausschusses vom 28. Februar 1990. 162 Vgl. StA Paderborn, Niederschrift der Sitzung des Kulturausschusses vom 7. November 1990. 163 Vgl. StA Paderborn, Niederschrift der Sitzung des Rates vom 10. Dezember 1990. 164 Vgl. StA Paderborn, Niederschrift der Sitzung des Arbeitskreises »Jüdisches Mahnmal« vom 5. März 1991.

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kam. Schließlich einigten sich die Mitglieder des Arbeitskreises darauf, die Jury bereits bei der Auswahl der einzuladenden Künstler hinzuzuziehen.165 Anfang September traf sich die Fachpreisjury166 zum ersten Mal. Sie bemängelte, dass kein Architekt in die Vorschlagsliste der möglichen Wettbewerbsteilnehmer einbezogen worden war. Nach einer Ortsbesichtigung diskutierte die Jury darüber, ob es sinnvoll wäre, einen einzelnen Künstler aufzufordern oder ob es besser wäre, durch ein Mahnmal einen städtebaulichen Akzent zu setzen. Die Diskussion mündete in dem Vorschlag, Daniel Libeskind zu einem persönlichen Gespräch einzuladen, da er als Gewinner des Wettbewerbs »Jüdisches Mahnmal« in Berlin gezeigt habe, dass er ein architektonisches Zeichen verwirklichen könne. »Es wird betont, daß in diesem Vorschlag eine Chance besteht, etwas Neues auf dem Gebiet der Mahnmalgestaltung mit überregionaler Resonanz zu erreichen.« Die Fachpreisjury verzichtete deswegen auf die Auswahl von weiteren Künstlern.167 In der Sitzung des Arbeitskreises konnte sich die Ansicht der Fachpreisjury, der Platzgestaltung Vorrang vor einer Mahnmalsgestaltung zu geben, nicht durchsetzen. Die Fachpreisjury wurde mit neun Stimmen und vier Enthaltungen einstimmig gebeten, drei bis fünf Künstler für einen Wettbewerb vorzuschlagen. Die Entwürfe sollten aber das städtebauliche Ensemble berücksichtigen.168 Die Fachpreisjury reagierte darauf, indem sie die Liste der vorgeschlagenen Künstler des Arbeitskreises ausschlug und neben Daniel Libeskind, Gottfried Böhm, Isa Genzken, Architekturpartner Meißner + Fortmann-Drühe und Per Kirkeby benannte.169 Die Mittel sollten gleichmäßig aufgeteilt werden, sodass jeder Künstler 10.000 DM erhielt. Der Arbeitskreis folgte nun dem Votum der Fachpreisjury. In der gleichen Sitzung wurde beschlossen, dass der Landesrabbiner in die Erstellung der Inschrift eingebunden werden sollte.170

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Vgl. StA Paderborn, 47-04-06-6, Arbeitskreis »Jüdisches Mahnmal, Niederschrift der Sitzung des Arbeitskreises »Jüdisches Mahnmal« vom 5. Juni 1991. Sie bestand aus Dr. Ulrich Weisner, dem Leiter der Kunsthalle Bielefeld, Dr. Uwe Rüth, dem Leiter der Kunsthalle Marl, Rago T. Ebeling, freischaffender Künstler und Lehrbeauftragter der Universität Paderborn, Prof. Hubert Krawinkel, Architekt und Lehrbeauftragter der Universität Paderborn und Dr. Käthe Sander-Wietfeld, Journalistin und Kulturpreisträgerin der Stadt Paderborn. Vgl. StA Paderborn, 47-04-06-6, Arbeitskreis »Jüdisches Mahnmal«, Niederschrift über die Sitzung der Fachpreisjury »Jüdisches Mahnmal« vom 03. September 1991. Vgl. StA Paderborn, 47-04-06-6, Arbeitskreis »Jüdisches Mahnmal«, Niederschrift der Sitzung des Arbeitskreises »Jüdisches Mahnmal« vom 4. September 1991. Vgl. StA Paderborn, 47-04-06-6, Arbeitskreis »Jüdisches Mahnmal«, Niederschrift über die Sitzung der Fachpreisjury »Jüdisches Mahnmal« vom 7. November 1991. Vgl. StA Paderborn, 47-04-06-6, Arbeitskreis »Jüdisches Mahnmal«, Niederschrift der Sitzung des Arbeitskreises »Jüdisches Mahnmal« vom 12. November 1991.

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Am 11. Februar 1992 lagen dem Arbeitskreis zwei Textentwürfe vor, die hier dokumentiert werden sollen. Vom Landesrabbiner stammte folgender Text, zuzüglich einer noch offenen Bibelstelle: »Hier stand die im Jahre … [Zahl wurde offengelassen, Anm. JNK] erbaute Synagoge der Jüdischen (Kultus-?)Gemeinde Paderborn. Sie wurde bei den Judenverfolgungen während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft am 9. November 1938 geschändet und in Brand gesetzt. Zum Andenken an unsere jüdischen Bürger und Bürgerinnen, die in den Jahren 1933-1945 gedemütigt, entrechtet, vertrieben und ermordet wurden.« Die GCJZ schlug folgenden Text vor: »Hier stand seit 1882 die Synagoge der jüdischen Gemeinde Paderborn. Sie wurde in der Pogromnacht am 9. und 10. November von Nationalsozialisten zerstört. Das Opfer der jüdischen Mitbürger verpflichtet uns, für die Freiheit, Frieden und Gerechtigkeit gegenüber allen Menschen einzutreten.« Der Arbeitskreis entschied sich anschließend für folgende kompilierte Version: »Hier stand seit 1882 die Synagoge der jüdischen Gemeinde Paderborn. Sie wurde am 10. November 1938 von den Nationalsozialisten in Brand gesetzt und zerstört. Zum Andenken an unsere jüdischen Bürger und Bürgerinnen, die in den Jahren 1933-1945 gedemütigt, entrechtet, vertrieben und ermordet wurden.« »Ihr alle, die Ihr vorübergeht, kommt und seht, ob ein Schmerz sei wie mein Schmerz, den man mir angetan. (Klgl. 1,12)« Der Arbeitskreis kam überein, dem Landesrabbiner noch einmal Zeit zur Begutachtung zu geben.171 Dieser hatte in der Tat noch Korrekturbedarf und regte an, die Formulierung »von den Nationalsozialisten in Brand gesetzt und zerstört« durch »während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Brand gesetzt und zerstört« zu ersetzen und begründete dies damit, dass man in 50 bis 100 Jahren den Begriff »Nationalsozialismus« möglicherweise nicht mehr kennen würde.172 Aufgrund von Zeitknappheit entschied der Kulturausschuss, ohne dass der Arbeitskreis noch einmal zusammengekommen war, die Inschrift inklusive der Änderung des Landesrabbiners zu beschließen. Zwei Ausschussmitglieder votierten dagegen.173 Am 5. März 1992 stimmte der Rat der Stadt für den Inschrifttext und die

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Vgl. StA Paderborn, 47-04-06-6, Arbeitskreis »Jüdisches Mahnmal«, Einladung und Niederschrift der Sitzung des Arbeitskreises »Jüdisches Mahnmal« vom 11. Februar 1992. Vgl. Kulturamt der Stadt Paderborn, Akte Jüdisches Mahnmal, Vermerk Dr. Säuberlich, Kulturamt, nach Telefonat mit Barsilay vom 24. Februar 1992. Vgl. StA Paderborn, Niederschrift der Sitzung des Kulturausschusses vom 26. Februar 1992.

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Durchführung des Wettbewerbs mit den genannten Künstlern bei fünf Gegenstimmen.174 In der Ausschreibung der Stadt Paderborn wurde das Erinnerungszeichen als »Mahnmal zum Gedenken an die ermordeten jüdischen Mitbürger und Mitbürgerinnen und an die ehemalige Synagoge« bezeichnet und eine künstlerisch-architektonische Lösung gewünscht, die das Gedenken an die Opfer und die Erinnerung an die ehemalige Synagoge wachhalten könne. Als Bedingungen wurden festgelegt, dass die Namen der ermordeten Juden und die Inschrift zu integrieren seien, dass das Material und die Befestigung den normalen mechanischen Beanspruchungen und der Witterung widerstehen können sollte und dass es möglichst wenig Aufwand an Pflege und Unterhalt erfordere. 150.000 DM standen zur Verfügung und stammten aus dem Investitionsprogramm für die östliche Innenstadt. Anonym einzureichen waren ein Modell im Maßstab 1:10, ein weiteres im Maßstab 1:200 für das bereits bestehende Umgebungsmodell, sowie perspektivische Skizzen nach eigenem Ermessen.175 Kurz nach dem Ratsbeschluss und der Ausschreibung sagte der Architekt Gottfried Böhm, der 1968 bis 1975 den Neubau des Diözesanmuseums konzipiert hatte,176 seine Teilnahme ab. Böhm gab an, er sei sehr verunsichert, da er bisher »so etwas« noch nie gemacht habe und dies auch eher für eine Aufgabe der Bildhauer hielte.177 Damit sank die Zahl der Teilnehmer auf vier. »Klarheit ist am Geheimnisvollsten«: Die Ergebnisse des Wettbewerbs Als das Preisgericht am 14. Oktober 1992 zusammentrat, waren von allen verbliebenen Künstlern Entwürfe eingegangen. Isa Genzkens Skulptur-Entwurf stellte die Metapher einer Zelle dar. Sie bestand aus neun einzelnen, 3,90 Meter hohen Betonelementen, aus denen gegossene Knochenskulpturen aus Aluminium emporstanden, sodass die Gesamthöhe 4,50 Meter betrug. Zu einer Seite war die Skulptur offen, aber nicht betretbar, da eine gekippte Gedenktafel aus Edelstahl den Zutritt verwehrte. In ihrer Erläuterung bezog sich die Künstlerin auf einen Besuch in der Gedenkstätte Buchenwald, bei dem für sie einer der »schmerzlichsten Anblicke« die Einzelzellen waren, die »alle Unmenschlichkeiten auf kleinstem Raum zusammenfaßten.« Da der Raum in Paderborn keine Großskulptur zulasse, habe sie sich für dieses Motiv entschieden, wollte es aber nicht naturalistisch gestalten. Um die Unverbindlichkeit einer beliebigen Andachtsskulptur zu verhindern, ergänzte sie 174 175 176

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Vgl. StA Paderborn, Niederschrift der Sitzung des Rates vom 5. März 1992. Vgl. Kulturamt der Stadt Paderborn, Akte Jüdisches Mahnmal, Anlage zur Sitzungsvorlage 71/1992 (nach der Beratung im Kulturausschuß am 22.01.1992). Vgl. Lars Reinking, Das Mahnmal für die ehemalige Synagoge in Paderborn. Zu den Entscheidungsprozessen um einen Ort des Gedenkens im öffentlichen Raum, in: Mitteilungen des Vereins für Geschichte an der Universität Paderborn, 15/2002, Heft 1, S. 13. Vgl. Kulturamt der Stadt Paderborn, Akte Jüdisches Mahnmal, Schreiben Architekturbüro Böhm an Kulturamt vom 16. März 1992.

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die Betonstelen durch die Aluminiumknochen. Den Platz wollte sie nicht gestalten, um keine aufgeräumte Geschichte zu präsentieren, sondern die Auseinandersetzung mit der Gegenwart aufzunehmen. Die veranschlagten Gesamtkosten lagen bei 62.000 DM, ohne Fundamente.178 Der Entwurf der Architekten Nicola Fortmann-Drühe und Harald Meißner war im Grunde eine Kritik an den Ausschreibungsbedingungen: »Jüdisches Mahnmal – das Unfaßbare künstlerisch darstellen, ist unmöglich. Es bleibt das Gedenken, das Mahnen. Eine Pflichtübung etwa? An einer Stelle, die auf 225 m² abgezirkelt worden ist? Der Historie wird ja an anderer Stelle so viel Platz zugestanden, z.B. um und hinter dem Dom, der Kommerz hat auch seine Zeile, ganz zu schweigen vom Platz für’s Auto!« Daher legten die beiden Architekten eine Gesamtplatzgestaltung vor. Der engere Mahnmalsbereich wurde in ihrem Entwurf von vier zehn Meter hohen Stahlstelen gekennzeichnet. Sie grenzten einen freien Platz ab, der die Leere darstellen sollte, welche die Opfer und die zerstörte Synagoge in der Stadt hinterlassen hätten. Die Höhe der Stelen bezog sich auf die Traufhöhe der alten Synagoge. Das eigentliche Mahnmal war eine gegen das Gefälle des Platzes verkippte Grundplatte mit einer erhaben gesetzten Inschrift, da alle verbliebenen Spuren dort lägen, »wo die Vergangenheit in den Boden getreten wurde.« Das vom Mahnmalsbereich abfallende Gelände sollte mit fragmentarischen Grasterrassen und Mauern, die auch als Sitzgelegenheit dienen sollten, eingefasst werden. Die Terrassen sollten keine Axialität aufweisen und so auf den Bruch in der Vergangenheit hinweisen. Am Übergang vom Mahnmal zum Platz war Wasser als reinigendes, reines Element vorgesehen. Die Architekten stellten fest, dass eine Trennung des Entwurfs in Platzgestaltung und Mahnmal nicht erwünscht war, wenngleich eine getrennte Realisation möglich war. Die Kosten für das Mahnmal als ersten Bauabschnitt betrugen 218.175,00 DM, sodass sie anregten, die Kosten durch ein Sponsoring von Firmen zu senken.179 Daniel Libeskinds Entwurf beschreibt er selbst am besten: »Das Denkmal hat die Form eines teils geöffneten, teils geschlossenen Buches (oder ein Buch in Bewegung), befestigt an einem einzigen ausgestreckten Arm, der sich räumlich windet, und an dessen Vorderseite der Text eingraviert ist. Das Buch und der Arm sind beide entlang unsichtbarer Achsen plaziert [sic!], die sich an der niedergebrannten Synagoge orientieren, und mit anderen öffentlichen Einrichtungen der Stadt (Kirche, Schule, Hospital etc.) verbunden sind. Die Achse des Denkmales selbst weist direkt in Richtung Jerusalem. Die Namen der Opfer der Vernichtung befinden sich hinter der inneren Wand, 178 179

Vgl. Kulturamt der Stadt Paderborn, Akte Jüdisches Mahnmal, Wettbewerbsunterlagen Isa Genzken. Vgl. Kulturamt der Stadt Paderborn, Akte Jüdisches Mahnmal, Wettbewerbsunterlagen Nicola Fortmann-Drühe und Harald Meißner.

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sich in einem Raum einschließend, in dem nur die Stille herscht [sic!]. Es gibt eine Spalte zwischen Buch und Arm, durch die die [sic!] Dichter der in der Mauer eingravierten Namen von der Öffentlichkeit zu sehen ist. Die Namen können weder oberflächlich gelesen werden, noch sind sie dem profanen, betäubenden statistischen Blick zugänglich. Wie bei der Klagemauer in Jerusalem, kann die geschichtliche Tragödie nur durch Glauben, nicht durch das Offensichtliche bewältigt werden. Das Denkmal besteht aus Beton und Metall. Der Winkel des Buches beträgt 66 Grad. Es ist 7 Meter hoch und 13.75 Meter lang. Es steht quer über ein Eckgrundstück, und die ganze Konstruktion steht im visuellen Bezug zur Kirche, sowie zur geplanten Bushaltestelle. […] Das Denkmal ist eine ewige Erinnerung an die Tatsache, daß das Buch des Lebens, in dem jeder Bürger und jede Stadt sich eingetragen findet, sich entlang einer unsichtbaren Achse öffnet und schließt, dessen Seiten beim Umblättern zugleich offenbaren wie auch binden. Das Schicksal bleibt gerade im Augenblick der Zugänglichkeit vorenthalten.«180 Die Kosten setzte Libeskind mit 145.000 DM an. Der vierte Entwurf von Per Kirkeby sah eine 6,40 Meter breite und 5,50 Meter hohe Mauer aus roten und gelben Backsteinen vor, die die Farbgebung der zerstörten Synagoge aufnahm. Zwischen den arkadenartigen Bögen der dem Platz zugewandten Seite sollten die Gedenktafeln ihren Raum finden. In seiner Erläuterung stellte der dänische Künstler fest, dass die Entstehung durch die Lektüre von Naarmanns Dissertation, einem sommerlichen Besuch im »nachkriegsopulenten« Paderborn und einem Foto der alten Synagoge beeinflusst worden sei. »Sonst habe ich versucht freizusteuern von illustrativen, penetrant didaktischen und pathetischen Zutaten. Ich glaube, das paradoxerweise ist Klarheit am ›Geheimnisvollsten‹. [sic!] Das hier ist eine ganz klare Backsteinkonstruktion. Eine Mauer, ein Wandstück, die lassen Licht und Schatten reden. […] Also: mein Ausgangspunkt ist etwas zu schaffen, das über ein ›privates‹ Kunstwerk geht. Etwas das ganz einfach da ist.« Kirkeby betonte, dass das Mahnmal am liebsten von Maurern vor Ort gemauert werden sollte und das ihn »dieses ganze Unternehmen ziemlich berührt« und zu vielen Überlegungen gezwungen habe.181 Das Preisgericht musste nun über diese Entwürfe entscheiden. Neben den Fachpreisrichtern gehörten als Sachpreisrichter Bürgermeister Lüke (CDU), der stellvertretende Bürgermeister und Vorsitzende des Kulturausschusses Vögele, Erwin Angreß von der Jüdischen Gemeinde, Prof. Frankemölle von der GCJZ, Ratsherrin Meermeier vom Arbeitskreis »Jüdisches Mahnmal« und der zuständige 180 Vgl. Kulturamt der Stadt Paderborn, Akte Jüdisches Mahnmal, Wettbewerbsunterlagen Daniel Libeskind. 181 Vgl. Kulturamt der Stadt Paderborn, Akte Jüdisches Mahnmal, Unterlagenf. Pressekonferenz, Erläuterungen Per Kirkeby zum Wettbewerb, August 1992.

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Beigeordnete Slawig dazu. Nach dem ersten Rundgang wurden die Arbeiten von Isa Genzken und Fortmann-Drühe/Meißner einstimmig aus dem Wettbewerb genommen. Zu den Gründen schweigt sich das Protokoll aus. Rückschlüsse zur Bewertung des Preisgerichtes lassen sich nur aus dem Aufsatz von Lars Reinking ziehen. Dieser führte mit vier Preisrichtern im Jahr 2000 telefonische Interviews. Das Preisgericht selbst hatte Stillschweigen über persönliche Ansichten und den Diskussionsprozess vereinbart, um die Unbefangenheit der Preisrichter zu gewährleisten. Die anonymisiert wiedergegebenen Aussagen bemängeln bei Genzken fehlende Bezugnahme zum Ort und eine zu drastische und in Bezug auf das Knochenmotiv auch eine zu makabre Darstellung. Der Entwurf von Fortmann-Drühe/Meißner wurde vor allem wegen der Platzgestaltung zurückgewiesen, die damals noch nicht festgelegt war und die Jury deshalb Verzögerungen beim Mahnmal befürchtete, die sie nicht hinnehmen wollte. Außerdem fehlte den Preisrichtern der Bezug zum historischen Ort und sie sprachen sich dagegen aus, die Namen der Opfer auf dem Boden zu platzieren, da niemand darauf herumlaufen sollte.182 Zu den verbliebenen Entwürfen von Kirkeby und Libeskind wurden im offiziellen Protokoll Bewertungen vermerkt. Kirkebys Entwurf zeichnete sich demnach durch künstlerische Eigenständigkeit und die Einbindungsmöglichkeiten in die noch ausstehende Platzgestaltung aus. Die Aussage »Klarheit [ist] am Geheimnisvollsten« wurde vom Gremium geteilt, die streng architektonische Lösung verbiete oberflächliche und plakative Schlüsse und lade zu Verinnerlichung, Mahnung und Erinnerung ein. Libeskinds Entwurf hingegen sei der Einzige, der eine Synthese von Inschrift, Namensnennung und Gesamtform vollzogen habe. Die Verdeckung der Namen und damit die Abkehr vom Plakativen wurde gelobt, da die Verdeckung sie umso stärker wirken lasse. Die Vielschichtigkeit der abstrahierten Grundformen sei geeignet das Unsagbare anzudeuten. Die Gesamtanlage wurde als Vertreter des klassischen Typus jüdischer Mahnmale der letzten Jahrzehnte eingeschätzt, aber seine Einbindung in die bestehende Umgebung diskutiert und angezweifelt. Ein erster Wahlgang ergab ein Patt von 6:6 Stimmen, im zweiten Wahlgang erhielt Kirkebys Entwurf eine Stimme mehr: 7:5.183 Am Ende gaben dann wohl, so kann man es den anonymisierten Aussagen entnehmen, Befürchtungen zur Größe des Libeskind-Entwurfs, der Verdeckung der Namenstafel und die Sorge, der Zwischenraum könnte als Abfallablage missbraucht werden,184 den Ausschlag für Kirkebys Wettbewerbsbeitrag. Der Vertreter der Jüdischen Gemeinde, Erwin Angreß, hatte vermutlich für den Libeskind-Entwurf gestimmt, denn ein Jahr später

182 183

Vgl. Lars Reinking, Das Mahnmal für die ehemalige Synagoge in Paderborn, S. 27. Vgl. Kulturamt der Stadt Paderborn, Akte Jüdisches Mahnmal, Niederschrift über die Sitzung des Preisgerichts »Jüdisches Mahnmal« am Mittwoch, dem 14.10.1992. 184 Vgl. Lars Reinking, Das Mahnmal für die ehemalige Synagoge in Paderborn, S. 27.

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berichtete die Neue Westfälische Zeitung, dass er auf das Mahnmal »immer noch etwas reserviert« reagiere.185 Die Vollendung des Erinnerungszeichens Am 4. November 1992 folgte der Kulturausschuss einstimmig dem Votum des Preisgerichts und vergab den Auftrag an Per Kirkeby. 250.000 DM standen nun zur Verfügung.186 Ende November und Anfang Dezember informierte die Verwaltung die Anwohner und Geschäftsleute über die Pläne für das neue Denkmal und erntete Kritik bezüglich des Standortes und der Größe des Denkmals. Ein Bürgerantrag mit 150 Unterschriften forderte ein Modell des Mahnmals in Originalgröße, damit sich die Bürger vier Wochen lang ein Bild vom Mahnmal machen könnten und anschließend eine neue Beratung. Der Sprecher der »Interessengemeinschaft Giersstraße« betonte gegenüber der Westfälischen Volkszeitung, man sei nicht gegen ein Mahnmal, fürchte aber wegen der »monumentalen Dimensionen« eine Beeinträchtigung der Wohnqualität und Einbußen durch die fehlenden Parkplätze.187 Auch bei einer Informationsveranstaltung für Geschäftsleute am 2. Dezember 1992 wurde Kritik laut. Vor allem die Äußerungen einer »Geschäftsfrau« erregten Aufsehen. Sie erklärte, ein Denkmal, das an etwas Trauriges erinnere, gehöre nicht ins Stadtzentrum neben Eisdiele und Tanzschule, sondern in die äußerste Peripherie. Sie zweifelte auch daran, ob junge Leute, die Kunden der beiden genannten Betriebe, den Sinn verstehen würden. Der Gipfel ihrer Forderungen bestand darin, Wiedergutmachungszahlungen von der jüdischen Gemeinde wegen Geschäftsschädigung zu erwägen, da das Mahnmal den Blick auf den Platz verdecke.188 Dass dieses Verhalten als Affront verstanden wurde, machten die Reaktionen der Zeitungen, der Leserbriefe als auch der Politik deutlich. Die CDU-Ratsfraktion betonte: »Vergangenheit und Gegenwart verlangen ein grundsätzliches Bekenntnis gegen Rassenhaß und Ausländerfeindlichkeit.« Mit Errichtung des Mahnmals müsse gerade in der heutigen Zeit ein deutliches politisches Zeichen gesetzt werden.189 Der Kulturausschuss lehnte es am 2. Dezember 1992 einstimmig ab, die getätigten Beschlüsse in Frage zu stellen.190 Die Neue Westfälische Zeitung kommentier185 186

187 188 189 190

Vgl. »Was ich zu sagen habe, steht ganz einfach da.«, in: Neue Westfälische Zeitung vom 10. November 1993. Vgl. StA Paderborn, Niederschrift der Sitzung des Kulturausschusses vom 4. November 1992. Siehe auch Kulturamt der Stadt Paderborn, Akte Jüdisches Mahnmal, Sitzungsvorlage 1122/92. Vgl. Anlieger besorgt um Größe des geplanten jüdischen Mahnmals, in: Westfälische Volkszeitung vom 3. Dezember 1992. Vgl. Peter Ahrens, Geschäftsleute wollen das Mahnmal nicht, in: Neue Westfälische Zeitung vom 3. Dezember 1992. Vgl. »Gerade heute ein deutliches politisches Zeichen setzen«, in: Neue Westfälische Zeitung vom 7. Dezember 1992. Vgl. StA Paderborn, Niederschrift der Sitzung des Kulturausschusses vom 2. Dezember 1992.

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te: »Intoleranz sowie Geschichtslosigkeit können schnell allergrößte gesellschaftliche Probleme bereiten. Umso wichtiger also das Gedenken an das, was einmal war, was um Himmels willen nicht wiederkommen darf. Wer seine demokratische Lektion gründlich gelernt hat, weiß ohne Zaudern, daß das Erinnern wichtige Pflicht ist. Heute erst recht. Wer kein Erinnern will, macht sich mitschuldig an dem, was heute leider (wieder?) möglich scheint: Mord, schwere Körperverletzung, Brandanschläge. Da tut es gut zu wissen, daß die Verantwortlichen in Paderborn solchem Drang nicht nachgeben wollen. Entschiedenheit ist angesagt, gerade jetzt. Wo kämen wir sonst hin?«191 Auch das Presbyterium der evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde reagierte »mit Befremden« auf die Ablehnung, befürchtete, dass hinter den Äußerungen ein »neu aufkeimender Antisemitismus« stehe und beklagte die wachsende Fremdenfeindlichkeit »auch in unserer Stadt.«192 In den Leserbriefen an die Neue Westfälischen Zeitung wurden vielfach Vergleiche gezogen zu Neofaschismus, Ausländerfeindlichkeit und Neonazismus. Angesichts dieses eindeutigen Protestes sah sich die »IG Giersstraße« gezwungen, sich von den Meinungsäußerungen zu distanzieren und statt des Mahnmals die noch nicht existente weitere Platzgestaltung anzuprangern.193 Diese sollte in der Tat erst Ende 1995 beschlossen werden, dabei fielen alle weiteren Parkplätze weg. Eine tiefgreifende Debatte entspann sich nicht, die Entscheidung des Kulturausschusses blieb endgültig. Das Mahnmal wurde errichtet und nach seiner Fertigstellung von 20 Uhr am Abend bis 6 Uhr am Morgen durch einen Wachdienst geschützt, da der verwendete poröse Backstein, bis die Imprägnierung wirken konnte, besonders anfällig für Schmierereien aller Art war. In der Begründung für den Einsatz des Wachdienstes wies die Stadt ausdrücklich auf die »Zunahme rechtsradikaler Maßnahmen« in der Bundesrepublik hin.194 Die Gesamtkosten des Mahnmals betrugen 255.000 DM. 178.710 DM (70 %) davon kamen aus Stadterneuerungsmitteln des Landes.195 Der alte Gedenkstein von 1980 wurde mit einer neuen Gedenktafel auf dem Gelände des früheren jüdischen Friedhofs zwischen den Straßen Auf der Schulbrede und Am Hilligenbusch aufgestellt.196 Am 9. November 1993 wurde das Mahnmal eingeweiht. Zwischen 500 und 1.000 Bürger nahmen an der Einweihungsfeier teil. Bürgermeister Lüke, Erzbischof Degenhardt, Superintendent Ziermann und der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde,

191 192 193 194

Vgl. Mechthild Koch, »Mitschuldig«, in: Neue Westfälische Zeitung vom 4. Dezember 1992. Vgl. »Der einzig geeignete Platz«, in: Neue Westfälische Zeitung vom 7. Dezember 1992. Vgl. Einseitiges Feindbild aufgebaut, in: Neue Westfälische Zeitung vom 9. Dezember 1992. Vgl. Kulturamt der Stadt Paderborn, Akte Jüdisches Mahnmal: Ausführung und Gedenkfeier, Verfg. 41 vom 18. Oktober 1993. 195 Vgl. Kulturamt der Stadt Paderborn, Akte Jüdisches Mahnmal: Ausführung und Gedenkfeier, Schriftwechsel zwischen Bezirksregierung Detmold und Beigeordnetem Slawig vom 15. März bzw. 19. Mai 1994. 196 Vgl. StA Paderborn, Niederschrift der Sitzung des Kulturausschusses vom 19. Januar 1994.

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Angreß, legten drei Kränze am Mahnmal nieder. Mitglieder der GCJZ verlasen die Namen der 111 bekannten jüdischen Opfer der Shoa aus Paderborn, Kerzen wurden entzündet. Die Kantorei Abdinghofkirche sorgte für die musikalische Gestaltung, Angreß sprach das jüdische Totengebet. Die Reden hielten Professor Frankemölle von der GCJZ und Bürgermeister Lüke. Frankemölle hoffte, dass das Denkmal die Älteren zwinge, den Jüngeren die Geschichte des nationalsozialistischen Holocausts zu erzählen. Er erklärte, dass die Gedenktafeln nicht im rechten Mauerbogen des Mahnmals angebracht worden seien, um darauf hinzuweisen, dass man mehr Tafeln hätte anbringen müssen, wenn es mehr als 200 jüdische Bürger in Paderborn in der Zeit des Nationalsozialismus gegeben hätte. Und er verwies auf 4.761 rechtsextreme Gewalttaten und 209 Anschläge auf jüdische Einrichtungen in der Bundesrepublik seit Anfang das Jahres 1991. »Wer meint, das Gift der Vergangenheit sei vergangen, der irrt«.197 Bürgermeister Lüke erinnerte in seiner Rede zunächst an den Anlass des Gedenktages: »Es ist ein schwarzer Tag in der Geschichte unseres Volkes und unserer Stadt, ein Tiefpunkt in der Leidensgeschichte der Juden. Der 9. November 1938, ein unübersehbares Fanal für die systematische Vernichtung unserer jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger.« Anschließend beschrieb er den »Völkermord an den europäischen Juden« und betonte, dass der Zweck des Mahnmals nicht nur in der Erinnerung an die Vergangenheit liege, sondern auch in der Mahnung für die Zukunft: »Die Schrecken des Holocaust haben uns gelehrt: nur Achtung vor der Würde des Menschen, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit im Inneren sowie Freiheit und Frieden als Ziele der äußeren Beziehungen sind Garanten für das gedeihliche Zusammenleben von Menschen und Völkern. Das Mahnmal soll uns alle ermahnen und auffordern, die Erinnerung an die millionenfachen Morde wachzuhalten, die Gründe für den Holocaust zu reflektieren, um jedweden neuen Ungeist schon im Ansatz einzudämmen und die Wiederholbarkeit der unseglichen [sic!] Geschichte auszuschließen.« Das Mahnmal sollte seiner Ansicht nach auch vor Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus warnen. Er gab der Hoffnung Ausdruck, dass das gemeinsame Erinnern zwischen Christen und Juden zur aufrichtigen Verständigung und Versöhnung führen werde.198 In Paderborn lässt sich bei der Errichtung der Erinnerungszeichen für die Shoa entgegen der ersten Vermutung kein Konflikt feststellen, im Gegensatz zum Streit um die Kriegerdenkmäler in den 1950er Jahren. Es gab lediglich Schwierigkeiten, die rechte Form für ein Erinnerungszeichen zu finden, was sich 1992 im Patt von

197

Vgl. »Zeichen gegen das Verdrängen und Vergessen«, in: Westfälische Volkszeitung vom 10. November 1993, sowie Mahnmal an der Alten Synagoge übergeben, in: Neue Westfälische Zeitung vom 10. November 1993. 198 Vgl. StA Paderborn, 105-2790, Rede des Bürgermeisters bei der Übergabe des neuen jüdischen Mahnmals.

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6:6 Stimmen bei den Preisrichtern manifestierte. Persönliche Freundschaften zur jüdischen Gemeinde, das Engagement eines Lehrers seit den 1960er Jahren und das anklagelose Gedenken an die jüdischen Mitbürger führten zunächst zu einem bescheidenen Erinnerungszeichen im Jahr 1980. Nach weiterer lokaler NSForschung und einem Besuch ehemaliger Paderborner Juden entstand ein Erinnerungszeichen eines renommierten internationalen Künstlers, das sich gut in den Ort einfügt und durchaus als gefällig beschrieben werden kann. Zudem gab es von den Zeitgenoss*innen immer wieder besorgte Hinweise über eine neue Präsenz des Neonazismus, die auch in Wuppertal (Kapitel 4.5) und den Gedenkreden an den Erinnerungszeichen (Kapitel 4.8) thematisiert wurde. Doch bevor das zweite Wuppertaler Erinnerungszeichen vorgestellt wird, soll gezeigt werden, wie 1981 die erfolgreiche Etablierung des Sühnekreuzes in Meschede gelang.

4.4

Ausgegraben: Das Sühnekreuz von Meschede (1981)

Nachdem das Sühnekreuz von Meschede 1964 in der Kirche Mariä Himmelfahrt versteckt worden war (siehe Kapitel 2.2), kam es im November 1981 im Rahmen der Mescheder Friedenswoche auf Betreiben der örtlichen pax christi-Gruppe wieder ins Licht der Öffentlichkeit. Es wurde frei zugänglich und sichtbar in der Seitenkapelle der Kirche aufgestellt. Die Friedenswoche wurde im Rahmen des Volkstrauertages 1981 begangen und von einem ökumenischen Arbeitskreis beider Kirchen und mehreren bürgerlich-pazifistischen Gruppen, unter anderem der Mescheder Friedensoffensive, geplant. Das Programm bestand aus Vorträgen, Gebeten, Spielen, Filmen, Aktionen, einer Aufführung von Dürrenmatts »Die Physiker«, Liedern und Podiumsdiskussionen zum Thema Wehrdienst und Frieden.199 Im Mescheder Ortsteil Wallen und in der Stadt Olpe wurden am Volkstrauertag neue Kriegerdenkmäler eingeweiht.200 Die Mescheder Friedensoffensive, die sich für die erneute Aufstellung des Sühnekreuzes eingesetzt hatte, thematisierte in ihrer Schrift »Arbeit für den Frieden – Sühne für den Krieg. Dokumentation über Naziverbrechen im Raum Meschede« das System der Zwangsarbeit in und um Meschede während des Zweiten Weltkrieges. Das Sühnekreuz wurde darin in einen neuen Kontext gestellt. Neben der Sühne interpretierte man es auch als Zeichen der »Versöhnung, als Zeichen neuer Hoffnung, Bekräftigung der Friedenssehnsucht und Suche nach internationaler Verständigung, als Zeichen des Friedens.« Der Hintergrund des Sühnekreuzes blieb das Kriegsendphaseverbrechen bei Meschede, die Sinnstiftung

199 Vgl. Mit einem aktuellen Kommentar beginnt am Freitag die Mescheder Friedenswoche, in: Westfalenpost vom 12. November 1981. 200 Vgl. Olpe und Wallen weihten neue Gedenkstätten, in: Westfalenpost vom 16. November 1983.

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war aber nun geprägt vom Kalten Krieg, der Aufrüstungsdebatte in Deutschland und der Kriegsangst. Es ging nicht mehr um die christlich-theologische Sühne der Tat, sondern um eine politische Geste der Versöhnung mit der Sowjetunion.201 Die neuerliche Aufstellung des Sühnekreuzes blieb nicht ohne Widerspruch. Karl Berkenkopf, Chronist der Schützengemeinschaft und Mitglied der KatholischenArbeitnehmer-Bewegung (KAB), veröffentlichte im November 1981 eine Broschüre zu Kreuzen im Sauerland und widmete sich darin auch dem Mescheder Sühnekreuz. Die Vorgeschichte begann bei ihm erst mit der Besetzung des Sauerlandes durch die Alliierten und weist klare Bezüge zum in Kapitel 2.2 zitierten Werk von Albert Huyskens »Der Kreis Meschede unter der Feuerwalze des Zweiten Weltkrieges« auf. Berkenkopf schilderte, dass auf Anweisung der Besatzungsmacht die »Fremdarbeiter«, er verwendete diesen zeitgenössischen Begriff, zuerst versorgt werden mussten. »Dazu wurde so manches Stück Vieh geschlachtet, das die Bauern ›Für’n Appel un’n Ei‹ abzuliefern hatten.« Dabei sei die Region um Meschede besonders betroffen gewesen, da die Fremdarbeiter zu Plünderungen und Gewalttaten übergegangen seien. Die schwierige Versorgungslage für die Lokalbevölkerung lastete Berkenkopf allein den Requirierungen der Alliierten zugunsten der ehemaligen Zwangsarbeiter*innen an, die dann auch noch am helllichten Tage »durchweg mit Waffen« zu Raubzügen aus ihren Lagern aufgebrochen seien und Angst und Schrecken verbreitetet hätten. Berkenkopf zitiert zum Teil aus Huyskens Werk: »Die wehrfähige Bevölkerung saß in den Gefangenenlagern, und die anwesenden Männer hatten keine Schußwaffen. So kam es, daß in diesen »›Todesangstnächten‹, wie man diese Nächte der Russenplage nannte, nicht wenige Männer und Frauen der einheimischen Bevölkerung ihr Leben eingebüßt haben.« Die Wunden, so Berkenkopf, seien unvergesslich eingebrannt und noch verstärkt worden »durch den Anblick und die Erzählungen heimkehrender […] Söhne und Brüder.« Nach der langen Vorrede, die nur eine eindimensionale deutsche Opferperspektive kennt, kam Berkenkopf schließlich zur Errichtung des Sühnekreuzes, das »in diese Stimmung« hereinplatzte, wie er es nannte. Zudem behauptete er noch, dass die 80 Ermordeten nicht Zwangsarbeiter gewesen seien, sondern 80 Ukrainer aus der Wlassow-Armee. Einen Beleg für diese und andere Behauptungen, wie die Zahl der getöteten Sauerländer, legte Berkenkopf nicht vor.202 Schließlich berichtete er

201 Vgl. Peter Bürger, »Zwischen Jerusalem und Meschede«, S. 65f. und S. 149. 202 Eine mögliche Quelle für Berkenkopfs Behauptung, dass es sich nicht um Zwangsarbeiter handelte, könnte eine Meldung der Westfalenpost bei der Entdeckung des Massengrabes gewesen sein, nach der die Leichen einheitliche und gute Kleidung trugen, was darauf schließen lasse, dass sie »zu einem Trupp« gehörten, der der Wehrmacht angehörte. Vgl. Massengrab bei Meschede entdeckt, Westfalenpost vom 1. April 1947, abgedruckt in: Peter Bürger, Jens Hahnwald (u.a.) (Hg.), »Zwischen Jerusalem und Meschede«. Die Massenmorde an sowjetischen und polnischen Zwangsarbeitern im Sauerland während der Endphase des 2.

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von den Angriffen auf das Sühnekreuz und stellte fest, dass diese garantiert unterblieben wären, wenn man 1947 schon gewusst hätte, dass die Erschossenen ukrainische Angehörige der deutschen Wehrmacht gewesen wären und nicht russische Fremdarbeiter, wie sie in Suttrop und Warstein ermordet wurden.203 Berkenkopf orientierte sich bei der Bewertung des Verbrechens und seiner Opfer ungeniert an der nationalsozialistischen Hierarchie und Rassenlehre. Doch nicht nur diese Broschüre stellte die Zwangsarbeiter und das Sühnekreuz in schlechtes Licht. Wenige Wochen nach der Mescheder Friedenswoche wurden Pläne der Schützengemeinschaft Meschede-Nord bekannt, für den Benediktinermönch Virgil Wilhelm ein Gedenkkreuz zu errichten. Dieser war vermutlich am 8. Juni 1945 am Stimmstamm, einem Pass zwischen Warstein und Meschede, ums Leben gekommen. Die genaueren Umstände des Todes blieben in den Nachkriegswirren ungeklärt. Der Schützenverein vermutete mit dem Hinweis darauf, dass es keine Zeugen gebe, dass die »Mörder unter den ehemaligen russischen Kriegsgefangenen zu suchen sind«. Ein Artikel in der kostenlosen Zeitung Blick-Punkt wies darauf hin, dass es im Sauerland »seit undenklichen Zeiten« ein guter Brauch sei, am Ort eines nicht auf natürliche Weise gestorbenen Menschen ein Erinnerungskreuz zu setzen. Warum dies ausgerechnet 1982 geschehen sollte und warum dieser Brauch nicht beim Sühnekreuz 1947 zu tragen kam, wurde nicht erklärt. Die pax christi-Aktivistin Irmgard Rode und weitere Angehörige der Friedensbewegung stritten anschließend im Blick-Punkt via Leserbriefen mit der Schützenbruderschaft und Karl Berkenkopf über die Deutung des gewaltsamen Todes des Mönches und die allzu auffällige Parallelität mit der Wiedererrichtung des Sühnekreuzes. Der Gedanke liegt nahe, dass es sich bei dem Gedenkkreuz für Virgil Wilhelm gleichsam um ein Anti-Denkmal zum Sühnekreuz handeln sollte.204 Auffällig an den Leserbriefen ist zum einen, dass neben der pax christi-Gruppe und der Friedensoffensive Meschede, für die Irmgard Rode sprach, auch die Jungsozialisten und die Grünen mit ihrem Namen in der Debatte Stellung bezogen. Alle gemeinsam kritisierten die »Feindbildpropaganda gegen die Sowjetunion« und das Verschweigen des Sühnekreuzes.205

Weltkrieges und die Geschichte des »Mescheder Sühnekreuzes«, Daunlots. Internetbeiträge des Christine-Koch-Mundartarchives am Museum Elslohe Nr. 76, Eslohe 2015, S. 104. 203 Karl Berkenkopf, Kreuze im Sauerland, hg. vom KAB Bezirksverband Brilon – Meschede – Waldeck, Brilon 1981, S. 13f. und 21. 204 Vgl. Peter Bürger, »Zwischen Jerusalem und Meschede«, S. 72f. und S. 150. 205 Vgl. Leserbriefe, in Blick-Punkt – Meschede vom 10.02.1982, abgedruckt in: Peter Bürger, Jens Hahnwald (u.a.) (Hg.), »Zwischen Jerusalem und Meschede«. Die Massenmorde an sowjetischen und polnischen Zwangsarbeitern im Sauerland während der Endphase des 2. Weltkrieges und die Geschichte des »Mescheder Sühnekreuzes«, Daunlots. Internetbeiträge des Christine-Koch-Mundartarchives am Museum Elslohe Nr. 76, Eslohe 2015, S. 153ff.

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Im März 1982 erhielt die pax christi-Gruppe öffentliche Unterstützung durch den Beitrag eines Mitglieds der Jungen Union, dem angehenden Historikers Ulrich Hillebrand, der in der Westfalenpost an Meschedes »bestgehütetem Tabu« rührte. Er wies die falschen Behauptungen Berkenkopfs zurück, rief den damaligen Mediziner Pasch, der bei der Exhumierung dabei gewesen war, als Zeugen an und forderte Aufklärung, um aus der Vergangenheit zu lernen. Bereits im Vorfeld der Friedenswoche hatte der Stadtverbandsvorsitzende der Jungen Union, Johannes Slawig, an Irmgard Rode, die SPD-Mitglied war, geschrieben. Er stellte fest, dass wohl beide dieselbe Erfahrung gemacht hätten, als man sich mit dem Kriegsendphaseverbrechen und dem Sühnekreuz auseinandergesetzt habe. Man habe feststellen müssen, »daß den meisten älteren Mitbürgern, die diese Zeit miterlebt haben, entweder die Erinnerung daran sehr schwerfällt oder sie diese Erinnerung fast ganz verdrängt haben und nicht darüber sprechen wollen.« Das jüngere Publikum sei hingegen stark interessiert gewesen und deswegen habe man den Mut gewonnen, auch weiter derartige Themen aufzugreifen. Für die Junge Union gehöre die Aufarbeitung zur »vielbeschworenen ›Friedenserziehung‹«.206 Während der Mescheder Friedenswoche hatte die Junge Union einen Zeitzeugen des Novemberpogroms zu einer Veranstaltung geladen, bei der die Jugendlichen »bohrende Fragen« stellten und Ulrich Hillebrand festgestellt hatte, dass heute zu wenig das Gespräch über den Nationalsozialismus gesucht werde. Angesichts von zunehmendem Rechtsextremismus und »grassierenden Judenwitzen« sei aber ein Schlussstrich der falsche Weg.207 Vielleicht war es gerade dieser Widerstand der Alten, der weitere historische Forschung durch Ulrich Hillebrand nach sich zog. In einem Gespräch erinnerte sich Slawig 2016, dass die nationalsozialistische Geschichte ein Tabu-Thema in Meschede war. Vor allem die TV-Serie »Holocaust« 1978 war für die Jüngeren beeindruckend und führte zu Nachfragen in Meschede. Hatte sich der Konflikt um das Sühnekreuz in den 1940er Jahren zwischen den Zugewanderten und Alteingesessenen abgespielt, lag die Konfliktlinie bei der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit in den 1980er Jahren zwischen Jung und Alt.208 Mescheder Entspannungspolitik Die pax christi-Gruppe hatte mit der Aufstellung des Sühnekreuzes 1981 zwar einen großen Schritt gemacht, war aber noch nicht am Ziel, denn aufgrund der verwitterten, unlesbaren Inschrift war das Sühnekreuz in der Kapelle für den Unkundigen nichts weiter als ein verkohltes altes Kreuz. Eine erklärende Tafel wurde erst Anfang 1985 angebracht. Im März desselben Jahres verweigerte Pfarrer Brockmann

206 Vgl. ebd., S. 73f. und S. 157. 207 Vgl. Befehl von oben: Polizist durfte nicht eingreifen, in: Westfalenpost vom 18./19. November 1981. 208 Vgl. Interview mit Dr. Johannes Slawig vom 16. November 2016.

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dem WDR eine Drehgenehmigung am Sühnekreuz, wodurch er ein neues Politikum auslöste, diesmal bekannt gemacht durch den Sprecher der »Christlichen Demokraten für Schritte zur Abrüstung«, die sich ausdrücklich als Unterstützer des Sühnekreuzes zu erkennen gaben. Ein Flugblatt der pax christi-Gruppe, das die Vorwürfe Heidingsfelders an die Mescheder thematisiert hatte (siehe Kapitel 2.2), sorgte für weitere Verstimmungen, sodass es schließlich zu einem klärenden Gespräch zwischen den beiden Geistlichen der Gemeinde, Karl Berkenkopf und der pax christiGruppe kam. Dabei wurde auf einmal die Verbrennung des Kreuzes thematisiert. Berkenkopf argumentierte, dass 1947 beschlossen worden sei, das Kreuz zu vergraben und dieser Wunsch solle respektiert werden. Daraufhin wählte die pax christi-Gruppe den gleichen Weg wie ihre Vorgänger: Sie wandte sich an die Diözese in Paderborn, nicht um den Schlussstrich von 1948 bestätigt zu bekommen, sondern das positive Votum des Erzbischofs für das Sühnekreuz von 1964. Mit Erfolg: Erzbischof Johannes Joachim Degenhardt stellte sich vorbehaltlos hinter die pax christi-Gruppe. Mit der Veröffentlichung der Dokumentation »40 Jahre Sühnekreuz« und einem feierlichen Gottesdienst am 27. März 1987 in der Kirche Mariä Himmelfahrt wurde das Kapitel Sühnekreuz dann geschlossen.209 Die Ansprache, wie 1947 vom Vikar der Gemeinde gehalten, machte deutlich, welche weitere tagespolitisches Konfliktlinie sich hinter dem Streit um das Sühnekreuz in den 1980er Jahren verbarg. Nach der Schilderung der Behandlung von sowjetischen Soldaten im Zweiten Weltkrieg und dem Zustandekommen des Hitler-Stalin-Paktes stellte er fest: »Die Russen eroberten deutsches Land und zahlten den Deutschen heim, was ihr eigenes Volk erlitten hatte. Der ›nationale‹, der ›aufrechte‹, der ›christliche‹ Deutsche wiederholt seither stereotyp: ›Der Russe ist grausam, er ist ein Unmensch!‹ Trotz [›]unseres[‹] eigenen Vertragsbruchs scheuen wir uns nicht, zu behaupten, mit [›]dem Russen[‹] könne man keinen Vertrag abschließen, er halte ihn ja nicht. ›Auge um Auge – Zahn um Zahn!‹ oder christlich: ›Liebet eure Feinde und bittet für die, die euch verfolgen.‹ Aber jeder, der den Finger auf diese Wunde legt, wird abgestempelt. Nicht daran rühren – vertuschen! Sanftes Gras soll wachsen, wo schmerzliche Aufarbeitung geleistet werden müßte. Gleichmut ist an die Stelle christlicher Umkehr getreten. Entweder wir lernen ein Leben in friedlichem Miteinander – trotz unterschiedlicher Systeme – oder wir werden alle untergehen. Völkerverständigung muß das Ziel sein – nicht Abschreckung. Entspannung nicht Verhärtung!«210

209 Vgl. Peter Bürger, »Zwischen Jerusalem und Meschede«, S. 75ff. 210 Zitiert nach: Peter Bürger, »Zwischen Jerusalem und Meschede«, S. 79. Eckige Klammern im Original.

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Der Wunsch nach Versöhnung wurde von der pax christi-Gruppe nicht nur eingefordert, sondern auch gelebt. Im Jahr 1988 weilte der russisch-orthodoxe Erzbischof Kyrill von Smolensk mehrere Tage im Paderborner Bistum und feierte unter anderem in Meschede einen ökumenischen Gedenkgottesdienst an den Massengräbern der ermordeten Zwangsarbeiter*innen im Rahmen der »Versöhnung mit den Völkern der Sowjetunion«.211 Eine zweite tagespolitische Konfliktlinie zeigte die Erklärung der pax christi-Bistumsstelle Paderborn auf, die zur Versöhnung mit den in Deutschland lebenden Ausländern aufrief. Statt unchristlicher Gastfeindschaft solle doch christliche Gastfreundschaft vorherrschen, womit das Sühnekreuz und seine Geschichte auch zur Argumentation in der aufkeimenden Asyldebatte verwendet wurden.212 Die erfolgreiche, dauerhafte Aufstellung des Sühnekreuzes in Meschede gelang in den 1980er Jahren durch eine Neuinterpretation des Erinnerungszeichens. Sühne blieb zwar noch Teil der Sinnstiftung, diese wurde aber ergänzt um »Friedenssehnsucht«, »Hoffnung« und »internationale Verständigung«. Dazu geriet das Thema Zwangsarbeit neu in den Fokus und wurde von der Bevölkerung nicht mehr so kontrovers aufgenommen wie 1947. Unterstützung erhielt die pax christi-Gruppe als Teil der Friedensbewegung vor Ort auch von der Jungen Union, die im Generationenkonflikt für ein neues Geschichtsverständnis warb, selbst lokale Forschung anstellte und veröffentlichte. Der Schulterschluss der Jugend von der linken SPD bis zur konservativen Jungen Union ermöglichte den diesmaligen Erfolg und die dauerhafte Etablierung des Sühnekreuzes. Dennoch gab es Widerstand, zum Beispiel durch die Veröffentlichungen des Chronisten der Schützengemeinschaft und der Setzung eines Gedenkkreuzes für den 1945 ums Leben gekommenen Mönch Virgil Wilhelm, was als »Gegendenkmal« zum Sühnekreuz verstanden werden kann. Die Jugend(verbände) und ein Historiker der CDU waren auch in Wuppertal entscheidende Akteure bei der Stiftung eines neuen Erinnerungszeichens.

4.5

Jugend forscht, Jugend baut: Das Mahnmal für das KZ Kemna in Wuppertal (1983)

Verlässt man die Stadt Wuppertal gen Südosten entlang der Wupper auf dem Weg in den abgelegenen Ortsteil Beyenburg mit seinem Kloster, den Fachwerkhäusern und dem Stausee, kommt man immer wieder an Fabrikgebäuden vorbei, die sich in das enge Tal der Wupper gezwängt haben. In Höhe eines dieser Fabrikgebäude

211 212

Vgl. Peter Bürger, »Zwischen Jerusalem und Meschede«, S. 81. Vgl. Erklärung der pax christi-Bistumsstelle Paderborn zum Mescheder Sühnekreuz, enthalten in: pax christi. Internationale katholische Friedensbewegung. Basisgruppe Meschede (Hg.): Dokumentation: 40 Jahre Mescheder Sühnekreuz. 1947-1987, Meschede 1987.

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befindet sich eine Bushaltestelle mit dem Namen »Mahnmal«. Links davon windet sich eine schmale, landwirtschaftliche Straße den steilen Berg hinauf, sie trägt den Namen Karl-Ibach-Weg. An der Stelle, an der die Straße nach einem kurzen, steilen Anstieg in einer rechtwinkligen Kurve vom Tal der Wupper den Berg hinaufführt, steht das Mahnmal für das KZ Kemna. Eine Parkbank, ein Papierkorb und ein runder, gepflasterter Platz säumen das Erinnerungszeichen. Es besteht aus einer gebogenen Mauer und einer daran angebrachten Bronzetafel, die als Halbrelief eine Hand mit Unterarm, Gleise, Stacheldraht und in der linken oberen Ecke Wolle zeigt. Vom erhöhten Standpunkt am Mahnmal hat man einen guten Blick auf das enge Tal, auf die Landstraße, ein lebloses Eisenbahngleis und das unscheinbare Fabrikgebäude dahinter.

Abb. 37: Das Mahnmal für das KZ Kemna.

Foto: Jan Niko Kirschbaum

         

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  Zwei Gedenktafeln an den Schmalseiten der Mauer erklären: »KZ Kemna Auf dem gegenüberliegenden Fabrikgelände bestand von Juli 1933 bis Januar 1934 das Konzentrationslager Kemna. Hier wurden über 4000 Gegner des Nationalsozialismus gequält und gefoltert.«   »Dieses Mahnmal wurde im Rahmen eines Jugendwettbewerbs von Schülern des Gymnasiums am Kothen entworfen und von Wuppertaler Bürgern und Jugendlichen durch Spenden und Mitarbeit errichtet. Wuppertal 1983«

Abb. 38: Blick vom Mahnmal auf das Gebäude des ehemaligen Konzentrationslagers

Foto: Jan Niko Kirschbaum

Das Do-it-Yourself-Mahnmal in der Kemna zeigt auf, wie in den 1980er Jahren in Wuppertal, ähnlich wie in Paderborn und Meschede, durch die Lokalforschung der Wunsch nach neuen Erinnerungszeichen aufkam. Gleichzeitig wird deutlich, wie neue gesellschaftliche Gruppen, darunter Jugendliche, das Thema besetzten und im Fall Wuppertal die Unterstützung der lokalen Politik erhielten. Nicht zuletzt die fehlenden finanziellen Möglichkeiten einer Stadt im Strukturwandel beförderten ein anderes Kunstverständnis als in Paderborn. Während dort in den 1990er

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Jahren groß gedacht wurde, überließ man in Wuppertal die Anfertigung und Planung den Laien des Jugendrings. Anders als das 1958 eingeweihte Mahnmal im Deweerthschen Garten (siehe Kapitel 2.3) wurde das Mahnmal für das KZ Kemna nicht vom Rat, sondern von einem Verein angestoßen und umgesetzt. Die Entstehung des Mahnmals ist durch den Jugendring Wuppertal e.V. in zwei veröffentlichten Dokumentationen sowie im vereinseigenen Archiv dokumentiert, das dankenswerter Weise eingesehen werden konnte. Außerdem wurden die offiziellen Protokolle des Stadtrates im Stadtarchiv und ein Vorlass von Klaus Goebel, Initiator des Arbeitskreises »Wuppertal im Nationalsozialismus«, herangezogen. Zusätzlich wurde mit Professor Goebel ein Interview geführt. Ob im Stadtarchiv noch Unterlagen der Stadt Wuppertal existieren, konnte aufgrund des unzureichenden Erschließungszustandes der Akten der 1980er Jahre nicht geklärt werden. Die »historische Distanz« einer Generation Die Geschichte des Mahnmals ist eng verknüpft mit anderen erinnerungskulturellen Ereignissen. 1978 wurde der 40. Jahrestag des Novemberpogroms in Wuppertal in großem Rahmen begangen. Der Rat der Stadt selbst lud zu einer Gedenkfeier am 9. November ein, die Westdeutsche Zeitung berichtete mit einer Sonderseite über die lokalen historischen Ereignisse.213 Die evangelische und katholische Kirche, sowie die Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit (GCJZ) veranstaltete einen ökumenischen Gottesdienst in der Gemarker Kirche, der so viel Interessierte anlockte, dass das Gebäude überfüllt war. Oberbürgermeister Gurland (SPD) legte am Mahnmal auf dem jüdischen Friedhof Am Weinberg einen Kranz nieder. Am Mahnmal im Deweerthschen Garten fanden sich 300 »junge Leute«, so berichtete die Westdeutsche Zeitung, auf Einladung des Jugendrings zu einer Gedenkstunde zusammen und zogen anschließend in einem Demonstrationszug mit brennenden Fackeln zum jüdischen Friedhof.214 Gurland sprach in seiner Rede über den Antisemitismus und erklärte, dass der Weg nach Auschwitz nicht erst mit den Nationalsozialisten begonnen, sondern schon mit den weithin zurückreichenden Vorurteilen und Hetzreden eines Martin Luther, Rütger Brüning (Erster Oberbürgermeister in (Wuppertal-) Elberfeld) und des hohenzollernschen Hofprediger Stöckers angefangen habe. Die Lehre daraus sei, dass man in Deutschland und Wuppertal Widerstand leisten müsste, wenn Minderheiten verteufelt und diskriminiert würden. Gurland erkannte aber auch: »Viele Mitbürger, die diese Zeit miterlebten und mitgelitten hatten, wollten bewußt die jüngste Vergangenheit verdrängen. Sie konnten

213

Vgl. Als die Synagogen in Flammen standen, in: Westdeutsche Zeitung vom 9. November 1978. 214 Vgl. Es geschah nicht irgendwo, in: Westdeutsche Zeitung, vom 10. November 1978.

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oder wollten das Geschehene aus vielerlei Gründen nicht bewältigen.«215 Am selben Tag wurde auch eine aus Oberhausen stammende und für Wuppertal angepasste Ausstellung zum Novemberpogrom in der Volkshochschule eröffnet.216 Das Gedenken zum 40. Jahrestag des Novemberpogroms nahm der Historiker und CDU-Stadtverordnete Klaus Goebel zum Anlass, sich beim Oberbürgermeister für die Etablierung eines Arbeitskreises »Wuppertal in der Zeit des Nationalsozialismus« einzusetzen. Die Möglichkeit städtische Räume zu nutzen und die Mitarbeit des Stadtarchivdirektors waren für ihn entscheidende Faktoren, um den Arbeitskreis mit einem breiten Kreis an Mitstreitern etablieren zu können.217 In seinem Brief an den sozialdemokratischen Oberbürgermeister, der selbst aus einer von den Nationalsozialisten verfolgten Familie stammte, erklärte Goebel: »In letzter Zeit werden immer wieder, vor allem von jungen Leuten, Fragen nach dem Nationalsozialismus in unserer Stadt gestellt. Antworten zur Entstehung der NSBewegung, zu den Ereignissen seit 1933 und zum Verlauf des 2. Weltkrieges in Wuppertal fallen oft unbefriedigend aus, weil noch viel Anschauungsmaterial fehlt und zahlreiche Quellen unausgewertet sind.« Goebel forderte, eine Ausstellung zur Dokumentation der Zeit von 1933 bis 1945 zu erstellen, da nun zwischen der Gegenwart und der NS-Diktatur die »historische Distanz« einer Generation liege. Man müsse jetzt Erinnerungen und Zeugnisse erfassen, solange diese noch greifbar seien.218 Als mitentscheidend für seine Initiative zu diesem Zeitpunkt benennt Goebel im Rückblick, dass um 1978 viele Personen mit belasteten NS-Vergangenheiten aus ihren Berufen ausschieden, deren Tätigkeit vorher eine Untersuchung erschwert habe. Von den Parteien erhielt der Arbeitskreis Rückendeckung, erinnerte sich Goebel 2017, aber nur so lange ihnen das Thema nicht schadete.219 In einem 1985 veröffentlichten Aufsatz erklärte er, dass aufgrund der angesprochenen Distanz nun auch von »einstmals überzeugten Nationalsozialisten« offen und ohne Beschönigung über die Zeit des Nationalsozialismus gesprochen werde. Die nüchternen, aber hartnäckigen Fragen der Jugend, die nicht über die ältere Generation zu Gericht säßen, würden bei vielen Älteren zum ersten Mal zu einer Selbstkritik führen.220

215

Vgl. StA Wuppertal, W15 741, Entwurf einer Rede für Oberbürgermeister Gottfried Gurland zum 40. Jahrestag der Reichskristallnacht am 9.11.78. 216 Vgl. Kristallnacht-Ausstellung, in: Westdeutsche Zeitung, vom 10. November 1979. 217 Vgl. Interview mit Klaus Goebel vom 20. April 2017. 218 Vgl. StA Wuppertal, NDS 32-18 (Nachlass Goebel), Schreiben Klaus Goebel an Oberbürgermeister Gurland vom 26. September 1978. 219 Vgl. Interview mit Klaus Goebel vom 20. April 2017. 220 Vgl. Klaus Goebel, Aufklärung über den Nationalsozialismus als kommunalpolitische Aufgabe, in: Freiheit und Recht. Halbjahresschrift für streitbare Demokratie und Widerstand gegen Diktatur, 4/1985, S. 17.

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Klaus Goebel, der sich 1975 habilitierte und 1980 einen Ruf an die TU Dortmund erhielt, war von 1974-1989 Mitglied des Wissenschaftlichen Beirates und der Zentraljury des Geschichtswettbewerbs um den Preis des Bundespräsidenten und hatte in Wuppertal schon zwei andere historische Arbeitskreise angestoßen: 1974 gründete er einen Arbeitskreis zur Geschichte der evangelischen Barmer Gemeinde Gemarke, die durch die Barmer Erklärung auch als Teil der Bekennenden Kirche bekannt ist. 1978 gründete er den Arbeitskreis zum »Frühindustriellen Lehrpfad Gelpetal«, der bis 1982 den »Industrie-Geschichtspfad Historisches Gelpetal« entwickelte. Geschichte sichtbar zu machen war ein dauerhaftes Anliegen Goebels.221 Ideelle Unterstützung erhielt Goebel vom Stadtarchiv, das ebenfalls mit Blick auf die jüngere Generation eine Aufbereitung empfahl. Die Quellenlage stellte sich indes schwierig dar, da alle Partei- und Polizeiakten 1943 bei einem Luftangriff vernichtet worden waren. Die Erschließung und Sammlung von Quellen in Privatbesitz und anderen Archiven lag daher auch im Interesse des Stadtarchivs, das aber aufgrund der Vorbereitung einer Ausstellung zum 50. Geburtstag der Stadt Wuppertal kein unterstützendes Personal stellen konnte. Es empfahl die befristete Anstellung eines Historikers.222 Nachdem am 21. Februar 1979 der Ältestenrat der Stadt der Einrichtung des Arbeitskreises ohne Gegenstimme zugestimmt hatte,223 trafen sich am 5. September 1979 im Rathaus zum ersten Mal dessen Mitglieder. Das Gremium bestand aus Vertretern beider Kirchen, des DGB, der VVN-BdA, des ZDWV, der Industrie- und Handelskammer, der Gesamthochschule Wuppertal, des Stadtarchivs und des Historischen Zentrums der Stadt und machte es sich zur Aufgabe, schriftliche Zeugnisse der NS-Zeit aus öffentlichem und privatem Besitz zu sammeln und Zeugen zu befragen.224 Die Jugend forscht In diesen Rahmen passte sich nahtlos ein, dass die Jugend des Deutschen Gewerkschaftsbundes am Antikriegstag (1. September) des Jahres 1979 eine Stadtrundfahrt »zu Stätten des Faschismus und des Widerstandes« veranstaltet und festgestellt hatte, dass nur wenige dieser elf Orte gekennzeichnet waren. Wenig später stellte die DGB-Jugend im Jugendring Wuppertal e.V., der Arbeitsgemeinschaft Wuppertaler (mehrheitlich linker) Jugendverbände mit 30 Mitgliedsverbänden und 60.000

221

Vgl. Interview mit Klaus Goebel vom 20. April 2017, sowie StA Wuppertal, NDS 24 (Nachlass Goebel). 222 Vgl. StA Wuppertal, Nachlass Goebel, NDS 32-18, Schreiben Dr. Dr. Revermann an Oberbürgermeister Gurland vom 27. Oktober 1978. 223 Vgl. StA Wuppertal, NDS 32-18 (Nachlass Goebel), Schreiben Oberbürgermeister Gurland an Klaus Goebel vom 9. März 1979. 224 Vgl. StA Wuppertal, NDS 32-18 (Nachlass Goebel), Ergebnisprotokoll der 1. Sitzung des Arbeitskreises »Wuppertal in der Zeit des Nationalsozialismus« am 5. September 1979.

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Mitgliedern,225 die Stadtrundfahrt vor. Außerdem diskutierten die Teilnehmenden die formell bestehende Ehrenbürgerschaft Hitlers und die fehlende Ehrung des Widerstands gegen den Faschismus durch eine umfassende Dokumentation. Der Jugendring beschloss in dieser Sitzung, den Ende September neu zu wählenden Stadtrat aufzufordern, eine zentrale Gedenkstätte zu errichten, an der alle Orte genannt werden sollten, »wo Bürger inhaftiert waren, gefoltert wurden und gelitten haben« und auch die Schauplätze des Widerstands sichtbar sein sollten. Weiter wurde die Publikation eines Werkes gefordert, das den Widerstand würdige. Zuletzt verlangte der Jugendring, die Aberkennung der Ehrenbürgerschaft Hitlers zu prüfen.226 Am 10. November 1979 demonstrierte der DGB mit »zahlreichen« Wuppertalern gegen eine Veranstaltung der NPD und gedachte gleichzeitig am Mahnmal der »antijüdischen Ausschreitungen« während des Novemberpogroms.227 Der Jugendring Wuppertal war inzwischen ebenfalls Teil des Arbeitskreises »Wuppertal in der Zeit des Nationalsozialismus« geworden. Da mit Karl Ibach, dem Vorsitzenden des ZDWV, der jüngste Häftling des KZ Kemna Mitglied im Arbeitskreis war, wurde überlegt, wie das Konzentrationslager behandelt werden sollte. Der Arbeitskreis entschloss sich, das KZ Kemna als »spektakulären«228 Vorgang in der Wuppertaler NS-Geschichte, so erinnert sich Goebel rückblickend, zu nutzen, um der Jugend NS-Geschichte zu vermitteln und diese selbst aktiv werden zu lassen. Das ehemalige KZ sollte als Stimulanz der Erinnerung genutzt werden. Daher warben DGB und Jugendring für eine Beteiligung der Jugend an einem Mahnmal und trieben diese Angelegenheit im Einvernehmen mit dem Arbeitskreis voran.229 1981 erschien der 1948 von Karl Ibach veröffentlichte Bericht »Kemna. Wuppertaler Lager der SA 1933«230 in einer Neuausgabe mit einem Vorwort des aus Wuppertal stammenden Ministerpräsidenten Rau. In den Erläuterungen zur Neuausgabe erklärte Ibach, dass die 10.000 Exemplare 1948 innerhalb von sechs Wochen vergriffen gewesen seien und ihm persönlich nur ein einziges Exemplar geblieben sei. »Die nunmehrige Neuauflage ergibt sich nicht nur aus der derzeitigen verdichteten Nachfrage (die übrigens in der mehr als 30-jährigen Zwischenzeit niemals völlig verstummt war), sondern auch aus den allgemeinen Zeitumständen,

225 Vgl. Siegfried Wirtz, Wuppertaler Jugend gab den Anstoß, in: Mahnmal KZ Kemna, Redaktion Kurt Schnöring, herausgegeben von der Stadt Wuppertal, Wuppertal 1983, S. 31. 226 Vgl. Archiv Jugendring, Akte Dokumentation KZ Kemna Wuppertal, Schreiben des Jugendrings Wuppertal Betr. Wünsche an den neuen Stadtrat und an die Verwaltung vom 24. September 1979. 227 Vgl. 1932 und heute: Nazis in Wuppertal ausgepfiffen, in: Westdeutsche Zeitung vom 12. November 1979. 228 Vgl. Interview mit Klaus Goebel vom 20. April 2017. 229 Vgl. Interview mit Klaus Goebel vom 20. April 2017. 230 Herausgegeben von der VVN Wuppertal im August 1948.

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die heute durch ein verstärktes Interesse nach Aufklärung über die Zeit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft gekennzeichnet sind.« Außerdem stellte er fest, dass er angesichts des zeitlichen Abstands einige Passagen anders formulieren würde, das Zeitdokument aber nicht habe verändern wollen.231 Im selben Jahr nahm der Remscheider Schüler Olaf Wunder mit einem Beitrag über das Konzentrationslager Kemna beim Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten teil. Seine Arbeit wurde mit dem Preis des Bundespräsidenten ausgezeichnet.232 Wunder soll hier als Beispiel für die immer wieder als Initiator der neuen Beschäftigung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit genannte Jugend betrachtet werden, wenn auch die im Folgenden vorgestellten Ansichten Wunders nicht als pars pro toto zu werten sind. Dennoch bieten sie einen Einblick in Denken und Empfinden des historisch interessierten Teils der Jugend im Bergischen Land. In den Vorbemerkungen, der Einleitung und auch im Fazit seines Wettbewerbsbeitrags machte Wunder deutlich, was ihn antrieb, die Geschichte des Lagers zu untersuchen. In Kontakt mit dem Thema kam er durch einen Lehrer, der ihm das Buch von Karl Ibach über »die Kemna« zur Verfügung stellte. Obwohl er bereits 1978 und 1979 am Wettbewerb teilgenommen hatte und prämiert worden war, bezeichnete er das Thema KZ Kemna als jenes, das ihn am meisten interessiert und am stärksten bewegt habe. »Betroffen, zu welchen bestialischen Mißhandlungen die Menschen, nicht nur in Deutschland, fähig sind, zu welchen Zerstörungen dieses Lebewesen die Nerven aufbringt, was im Dritten Reich einen traurigen Rekord verzeichnete mit mehreren Millionen ermordeter Juden, Sinties [sic!] und anderen Volksgruppen und Religionen, nicht zu vergessen die vielen Millionen deutschen Soldaten, Zivilisten und Hitlerjungen, noch mehr Millionen Engländer, Franzosen, Russen, Amerikaner etc., die bis zur Befreiung Deutschlands 1945 durch die Alliierten vom faschistischen System in den Tod geschickt wurden.«233 Er wolle, so schrieb Wunder weiter, allen Deutschen am Beispiel Kemna »ins Licht rücken«, dass schon die frühen Jahre des Nationalsozialismus von Gräueltaten geprägt waren und keineswegs als »gute Jahre« aufgrund des Verschwindens der Arbeitslosigkeit anzusehen seien, wie »allzu oft« erklärt werde. Man müsse zu seiner

231

Vgl. Karl Ibach, Erläuterung zur Neuausgabe, in: Ders. Wuppertaler Konzentrationslager 1933-1934, Wuppertal 1981, o. S. 232 Vgl. StA Wuppertal, W15 741, Entwurf einer Rede für Bürgermeister Kurt Drees zur Eröffnung der Ausstellung »Jugendwettbewerb Mahnmal KZ Kemna« am 28. Januar 1983. 233 Vgl. Körber-Archiv GW 1981-0338: Olaf Wunder: Den Frieden, die Freiheit, das Recht? Unterdrückung des proletarischen Widerstandes im KZ-Kemna. Dokumentation zum Schülerwettbewerb Deutsche Geschichte um den Preis des Bundespräsidenten 1980, Vorbemerkungen o. S.

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Vergangenheit stehen und dem Verschweigen des Ortes ein Ende setzen.234 Wunder stand unter dem Eindruck des rechtsradikalen Terroranschlags auf das Münchner Oktoberfest im Jahr 1980 und verglich die Gegenwart mit der Vergangenheit als eine Zeit, in der sich der Nationalsozialismus wieder auf dem Weg zur Macht befinde; diesmal nicht aufgrund einer materiellen Not wie in der Weimarer Republik, sondern einer geistigen. Die geistige Not war für Wunder gekennzeichnet von einer Unaufgeklärtheit über die nationalsozialistische Vergangenheit.235 Dies gelte, so schrieb er in seinem Fazit, vor allem für die Art, den Umfang und die Absicht des Widerstandes. In den Schulen werde lediglich der 20. Juli 1944 mit »dem viel zu späten« Widerstand der Offiziere und die Geschichte der Geschwister Scholl gelehrt. Der Widerstand der Arbeiterschaft, hauptsächlich getragen von den Kommunisten, werde aber »wohl auch aus politischen Gründen« verschwiegen.236 Die Konsequenz: Niemand demonstriere angesichts der Tat in München auf den Straßen, beklagte er in der Einleitung und diagnostizierte: »Nach zwei Wochen ist [der Massenmord] vergessen, niemand geht er etwas an weil kaum jemand über die Vergangenheit aufgeklärt ist und niemand die tragikomische Identität zwischen dem Ende der Weimarer Republik und der heutigen Zeit sieht.«237 In Wunders Vergleich schnitt die Gesellschaft der Bundesrepublik sogar noch schlechter ab als diejenige der ersten deutschen Republik, denn damals »wußten zumindest einige um den Wert der nichtvorhandenen Freiheit und bekämpften die Faschisten.«238 Der Schüler Olaf Wunder zog aus seiner Recherche zum KZ Kemna zum Schluss folgende Lehre, die auch von einer steigenden Ausländerfeindlichkeit beeinflusst wurde: »Die Welt und besonders die Deutschen müssen lernen, tolerant gegenüber anderen Völkern, Rassen, Religionen, Meinungen und Lebensauffassungen zu werden und nicht das bzw. die ihre für d a s Volk, für d i e Rasse, für d i e Meinung, für d i e Lebensauffassung zu halten.«239 Am 12. Juni 1981 wandte sich der DGB an den Rat der Stadt und forderte, nachdem die Zustimmung aller Ratsfraktionen zur Errichtung einer Gedenkstätte vorlag, diese auch zu beschließen. Dazu sollte allen Wuppertaler Schulen ein Exemplar des Kemna-Buches von Karl Ibach zur Verfügung gestellt und die Schulleiter gebeten werden, den Lehrern zu empfehlen, das Thema im Geschichts- oder Deutschunterricht zu behandeln. Zudem sollte ein Wettbewerb zur Gestaltung der Gedenk-

234 Vgl. Körber-Archiv GW 1981-0338: Olaf Wunder: Den Frieden, die Freiheit, das Recht? Vorbemerkungen o. S. 235 Vgl. ebd., S. 1. 236 Vgl. ebd., S. 113. 237 Vgl. ebd., S. 1. 238 Vgl. ebd., S. 3. 239 Vgl. ebd., S. 115f. Hervorhebungen im Original.

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stätte unter den Schülern durchgeführt werden.240 Als der Arbeitskreis »Wuppertal in der Zeit des Nationalsozialismus« am 22. Juni 1981 über die Pläne des DGB informiert wurde, befürwortete er diese Pläne nachdrücklich.241 Im Juli 1981 wandte sich der Jugendring an Oberbürgermeister Gottfried Gurland und schloss sich der Forderung des Arbeitskreises, einen Ratsausschuss zur Realisierung eines KemnaMahnmals einzusetzen, mit Nachdruck an. Man wolle die noch lebenden Bürger ehren, die unter dem Nationalsozialismus gelitten hatten, aber auch die Ermordeten. An der Forderung, das Mahnmal im Deweerthschen Garten zu einer zentralen Gedenkstätte auszubauen, hielt man fest.242 Die Jugend baut Am symbolträchtigen 20. Juli des Jahres 1981 beschloss der Rat der Stadt Wuppertal vor der am selben Tag stattfindenden Gedenkfeier im Deweerthschen Garten einstimmig auf Basis von Anträgen der SPD- und der CDU-Fraktion die Errichtung einer Gedenkstätte für das KZ Kemna.243 In der gleichen Sitzung entschied der Rat auch auf Antrag der CDU die Anbringung einer Gedenktafel am Geburtsort des katholischen Widerstandskämpfers Bernhard Letterhaus, der am 14. November 1944 in Folge des Attentatsversuchs auf Hitler am 20. Juli 1944 hingerichtet worden war.244 Außerdem beantragte die CDU-Fraktion die Unterstützung des Arbeitskreises »Wuppertal in der Zeit des Nationalsozialismus« durch verschiedene Verwaltungsstellen.245 Da keine stenografischen Mitschriften existieren, ist als einzige Rede der Entwurf der Wortmeldung Prof. Goebels in seiner Funktion als Stadtverordneter der CDU-Fraktion überliefert. Er stellte zunächst fest, dass kein Tag vergehe, an dem nicht gefragt werde, was vor 1945 gewesen und wie es dazu gekommen sei. »Leidenschaftslos, aber bohrend fragt die junge Generation nach Begeisterung, Anpassung und Widerstand der Großeltern. Das sind keine Fragen von Richtern oder Verteidigern. Junge und auch ältere Bürger wollen wissen, wie es unter dem Hakenkreuz gewesen ist.« Darauf könne man aber keine Antworten geben und keine Rechenschaft ablegen. Es gebe beschämende Defizite: Schauplätze seien unbekannt geworden, Zeitzeugen würden nicht gefragt und Dokumente und Darstellungen

240 Vgl. Schreiben des DGB vom 12. Juni 1981, in: Mahnmal KZ Kemna, Redaktion Kurt Schnöring, herausgegeben von der Stadt Wuppertal, Wuppertal 1983, S. 55. 241 Vgl. StA Wuppertal, NDS 32-18 (Nachlass Goebel), Ergebnisprotokoll der 9. Sitzung des Arbeitskreises »Wuppertal in der Zeit des Nationalsozialismus« am 22. Juni 1981. 242 Vgl. Archiv Jugendring Wuppertal, Akte Dokumentation KZ Kemna, Schreiben Betr.: Zentrale Gedenkstätte und Kemna-Mahnmal an den Oberbürgermeister vom 2. Juli 1981. 243 Vgl. StA Wuppertal, Rat 476, Protokolle der Sitzung des Rates der Stadt Wuppertal vom 20. Juli 1981. 244 Vgl. StA Wuppertal, Drs. 226/81. 245 Vgl. StA Wuppertal, Drs. 289/81.

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würden in Schubladen vergessen. Dabei könne gerade die Kenntnis des lokalen Geschehens das Verstehen fördern. Damit verband Goebel auch große Hoffnungen für das gegenwärtige Handeln für die »freiheitliche, soziale und rechtsstaatliche Lebensordnung« der Bundesrepublik. »Wer die Geschichte von Begeisterung, von Anpassung, von Widerstand und Verfolgung in Wuppertal zwischen 1933 und 1945 kennenlernt, wird in der Absicht bestärkt, allen Anfängen von Gewalt, Radikalismus, antidemokratischen Denkens und Handelns kompromißlos zu begegnen. Unsere Anträge wollen zu dieser Bewußtseinsbildung beitragen.«246 Ebenfalls 1981 fand im Kontext des Jahrestag des Novemberpogroms eine Aufklärungsreihe im Haus der Jugend von der GCJZ, dem Jugendring und dem Ring politischer Jugend statt, bei der unter anderem die »TV-Dokumentation Holocaust« besprochen wurde.247 Die Wuppertaler Volkshochschule bedauerte im Juli 1982, dass sie aufgrund von Terminkonflikten nicht regelmäßig an den Treffen und der Arbeit des Arbeitskreises teilnehmen konnte, verwies aber auf die jahrelange Beschäftigung des Themas Nationalsozialismus in der VHS, das seit der »Holocaust«Verfilmung auch mit deutlichem Interesse bei der Bevölkerung angenommen werde.248 Diese Beobachtung gilt nicht nur für Wuppertal (siehe S. 304). Das Do-It-Yourself-Mahnmal 1982 wurde die Errichtung des Mahnmals endgültig zu einer Angelegenheit des Jugendrings, der sich mit dem Jugend- und Kulturamt der Stadt darauf einigte, zusammen einen Wettbewerb für die »Kemna-Gedenkstätte« auszuschreiben.249 Der im Juli 1982 von Oberbürgermeister Gurland verfasste Begleittext zur Ausschreibung stellte fest, dass das KZ Kemna eine »der ersten und zugleich schlimmsten Folterstätten des Dritten Reiches« gewesen war, »in denen fanatische Nationalsozialisten ihre wehrlosen Gegner demütigten und quälten.« Er betonte in Bezug auf die Häftlinge: »Sie alle, ohne Unterschied ihrer sozialen Herkunft, religiösen Überzeugung und politischen Ansichten, setzten in dieser dunkelsten Zeit unserer Geschichte ein Zeichen der Hoffnung.« Solidarisch und unbeirrbar gingen sie »ihren schweren Weg«, so beschrieb es Gurland, und gaben der heutigen Generation mit, jederzeit für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit einzutreten, wachsam zu bleiben und sich gegen Anfänge des Extremismus zu wehren, »aus welcher Richtung er

246 Vgl. StA Wuppertal, NDS 32-18 (Nachlass Goebel), Rede Goebels im Rat der Stadt Wuppertal am 20. Juli 1981. 247 Vgl. Holocaust auch in Wuppertal?, in: Westdeutsche Zeitung vom 11. November 1981. 248 Vgl. StA Wuppertal, NDS 32-18 (Nachlass Goebel), Schreiben der Volkshochschule Wuppertal an Klaus Goebel vom 8. Juli 1982. 249 Vgl. Archiv Jugendring Wuppertal, Akte Dokumentation KZ Kemna, Ergebnis einer Besprechung von Jugendring, Stadtjugendpfleger und Kulturamt vom 14. Juni 1982.

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auch kommen mag.«250 Die Ausschreibung, 2.500 mal gedruckt und zu Beginn des Schuljahres verteilt, sah als Teilnahmeberechtigte Schüler ab der 5. Klasse, Berufsschüler, Auszubildende in Lehrwerkstätten, Jugendgruppen und Gruppen aus Jugendverbänden und Häusern der offenen Tür, sowie Einzelpersonen bis zum Alter von 25 Jahren vor, sofern sie »keine Profis« waren. Als Standort wurde die Einmündung der heutigen Karl-Ibach-Straße in die Beyenburger Straße festgelegt. Vorgaben für eine Gestaltung wurden nicht gemacht, abgesehen von den Grenzen des Ortes. Verlangt wurde ein Vorschlag für die Inschrift, eine Beschreibung der Ausführung und eventuell ein Modell, sowie die Angabe, ob der Vorschlag selbst realisiert werden könne. Zum 50. Jahrestag der Einrichtung des KZ Kemna sollte das Mahnmal eingeweiht werden.251 Der Inhaber des Gebäudes, das weiterhin als Fabrik diente, lehnte jegliche Anbringung von Gedenktafeln, Zutritt für Schulklassen, Drehund Fotogenehmigungen ab. Gegenüber der Zeitschrift Das Parlament äußerte der Wuppertaler Kulturamtsleiter die Vermutung, dass der Besitzer das halb leerstehende Gebäude gerne an die Stadt verkauft hätte. Diese konnte sich das aber angesichts der durch den Strukturwandel leeren Stadtkassen nicht leisten.252 Die lange Vorbereitungszeit der Ausschreibung, aber auch die schleppende Besetzung einer befristeten Stelle im Stadtarchiv führte bei den Mitgliedern des Arbeitskreises »Wuppertal in der Zeit des Nationalsozialismus« zu Unmut. So kündigte der Stadtverordnete und Rektor einer Hauptschule, Ulrich Föhse (CDU), weitere Ratsinitiativen an, wenn der skandalöse Eindruck bestehen bleibe, dass man im Rathaus nicht ernst genommen werde.253 Die Wuppertaler Abteilung des Bergischen Geschichtsvereins stieß ins gleiche Horn und erklärte, dass die Stadt »sich der Notwendigkeit, diesen Abschnitt der jüngeren Geschichte mit seinen in wenigen Worten kaum zu beschreibenden Auswirkungen auf die Gegenwart und Zukunft aufzuarbeiten, nicht entziehen« könne.254 Der Historiker Helmut Hirsch, der 1933 vor den Nationalsozialisten geflohen und zunächst nach Frankreich und dann in die USA emigriert war, beschwerte sich zornig: »Die Affen im Zoo, die ein neues Haus brauchten, bekamen ein Millionending hingesetzt, weil’s anders nicht ging. Wer aber fast vier Jahrzehnte nach der NS-Schweinerei ergründen möchte, was damals eigentlich passiert ist, nun, der greife in die eigne Tasche!« Außerdem

250 Vgl. Archiv Jugendring Wuppertal, Akte Dokumentation KZ Kemna, Gottfried Gurland, Zum Wettbewerb. 251 Vgl. Archiv Jugendring Wuppertal, Akte Dokumentation KZ Kemna, Ausschreibung. 252 Vgl. Bernd Eichmann, Folter hinter Backsteinmauern, in: Das Parlament vom 5. November 1983, abgedruckt in: Mahnmal KZ Kemna, S. 100f. 253 Vgl. StA Wuppertal, NDS 32-18 (Nachlass Goebel), Schreiben Ulrich Föhse an Oberbürgermeister Gurland vom 8. Juni 1982. 254 Vgl. StA Wuppertal, NDS 32-18 (Nachlass Goebel), Schreiben des Bergischen Geschichtsvereins, Abteilung Wuppertal, an die Ratsfraktionen, den Oberbürgermeister und den Oberstadtdirektor vom 16. Juni 1982.

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beklagte Hirsch auch die Ignoranz des Arbeitskreises seiner Person als Zeitzeuge gegenüber und dass es auch den Mitgliedern des Arbeitskreises nicht gelang, die nationalsozialistische »Zwangsjacke der Einteilung in Rassen, Religionen, Klassen usw.« zu überwinden, was dazu führte, dass er sich als Mensch mit jüdischen Wurzeln auf diese reduziert und dadurch erneut ausgegrenzt fühlte. Auch die einseitige Etikettierung seines Vaters, der als Häftling im KZ Kemna saß, in aktuellen Publikationen als Jude, trotz dessen langjährigen Wirkens als Sozialdemokrat, stieß ihm bitter auf.255 Am 25. November 1982, dem Tag des Teilnahmeschlusses, waren 26 Entwürfe eingegangen, darunter acht von Einzelpersonen, zehn von Schulklassen oder -gruppen, drei von Vereinen, drei von Lehrwerkstätten bzw. der Jugend der IG Metall und zwei von kirchlichen Gruppen.256 Nun hatte die Jury zu entscheiden.257 Der dritte Preis ging an einen Entwurf der 8. Klasse der Schule für Lernbehinderte Kyffhäuserstraße, der in Lebensgröße eine geschundene, am Boden liegende Gestalt zeigte, die einen letzten Versuch unternahm sich aufzubäumen. Umrahmt wurde das Gipsmodell von Stacheldraht. »Die Züge des Antlitzes zeugen vom Leid, aber auch von Unbeugsamkeit und dem Willen, bis zum letzten Atemzug Widerstand gegen die Peiniger zu leisten«, vermerkte die Jury und kommentierte, dass der Entwurf sich wohlwollend von der großen Zahl monumentaler Heldendenkmäler abhebe. Stattdessen zeige es den unbekannten KZ-Häftling als Menschen und Mitbruder, frei von verschönernder Idealisierung und pathetischer Überspitzung. »Das Modell ist in hervorragender Weise geeignet, durch das Bewahren der Erinnerung an die Opfer und an deren Leid, an die verletzte Menschlichkeit und Menschenwürde, den Betrachter zu einer aktiven Haltung zu motivieren. Das Modell mahnt die heute Lebenden, die Jungen wie die Alten, eindringlich, nie wieder zuzulassen, daß Menschen aus politischen, religiösen und rassischen Gründen ihrer Würde beraubt werden.«258 Der auf Platz zwei gesetzte Entwurf der Jugendgruppe der IG Metall zeigte auf einer Metallplatte den Schriftzug »Als Mahnung an das Konzentrationslager 1933255 Vgl. StA Wuppertal, NDS 32-18 (Nachlass Goebel), Schreiben von Helmut Hirsch an Prof. Goebel vom 28. Juni 1982. 256 Vgl. Mahnmal KZ Kemna, Redaktion Kurt Schnöring, herausgegeben von der Stadt Wuppertal, Wuppertal 1983, S. 62. 257 Sie bestand aus der Vorsitzenden des Jugendwohlfahrtsausschuss Ruth Kolb-Lünemann, dem Vorsitzenden des Kulturausschusses, Herbert Feuser, dem Vorsitzenden des Arbeitskreises »Wuppertal in der Zeit des Nationalsozialismus«, Prof. Dr. Klaus Goebel, dem Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Heino Ahr, dem Bundesvorsitzenden des ZDWV, Karl Ibach, dem Vorsitzenden des Jugendrings Wuppertal, Siegfried Wirtz, dem Leiter des Stadtarchivs, Dr. Uwe Eckhardt, dem Leiter des Kulturamtes Hans-Hermann Schauerte, einer Vertreterin des Jugendamtes, Liesel Frowein, und Kurt Schnöring vom Presse- und Informationsamt. Vgl. ebd., S. 46. 258 Vgl. ebd., S. 65.

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1934«, darunter ein Zitat des »Arbeiterdichters« Emil Ginkel und zwei Hände, die im Stacheldraht hängen und danach greifen und damit Leiden und gleichzeitig Widerstand symbolisieren. Die Zeilen des Textes lauteten: »Die Ausweglosigkeit wurde losgelassen/Und das Verbrechen lief um seine Frist/Die Scheußlichkeit ist einfach nicht zu fassen/Die bei der Wupper geschehen ist!«259 Der Entwurf vom Kunst-Kurs der 13. Jahrgangsstufe des Gymnasiums Kothen, der später in der heute zu sehenden Form realisiert wurde, zeigte eine Hand, zwei Gleise und eine zerborstene Mauer im Halbrelief, die in der späteren Ausführung fehlte. Die Jury lobte, dass dieser Entwurf besonders gut auf die lokalen Verhältnisse einging. Im Wortlaut der Jury: »Er stellt die Spannung zwischen der das Lager umgebenden landschaftlichen Idylle und der Brutalität des Lagers in realistischer Weise dar. Die aus dem Irgendwoher ins Irgendwohin verlaufenden Schienen stellen gleichzeitig den Bezug zu anderen Konzentrationslagern jener Zeit her. Die aus der Mitte […] herausgestreckte Hand symbolisiert sowohl den Ruf nach Hilfe als auch die Mahnung zur Wachsamkeit vor den dunklen Kräften im Menschen.«260 Die verantwortliche Lehrerin erklärte später, sie habe ihre Pläne für das Schuljahr geändert, nachdem sie das brennende Interesse der Schüler für das Thema bemerkt hatte.261 Der erste Preis war mit 800 DM dotiert, der zweite mit 500 DM, der dritte Preis mit 400 DM und die drei Viertplatzierten erhielten je 100 DM. Die offizielle Preisverleihung fand am 21. Dezember 1982 in Anwesenheit des tief bewegten Karl Ibach statt.262 Bürgermeister Drees (CDU) zeigte sich in seinem Grußwort »außerordentlich beeindruckt von der großen Zahl und Qualität der Vorschläge«. Für ihn lautete das Vermächtnis der Überlebenden: »Jederzeit für die Demokratie, für Freiheit und soziale Gerechtigkeit, für die Wahrung der Menschenwürde einzutreten. In Wuppertal, wie überall in der Bundesrepublik Deutschland und in der ganzen Welt.«263 Die Vollendung des Do-It-Yourself-Mahnmals Anfang Januar 1983 wurden die letzten Hürden genommen. Die Jury setzte sich mit den ersten drei Preisträgern zusammen und prüfte die Konzepte auf Umsetzbarkeit. Der Jugendring Wuppertal verpflichtete sich, die Mauer und das Fundament für das Mahnmal zu errichten. Das Gymnasium Kothen versprach, die Kosten für den Guss der Bronzeplatte zu übernehmen und richtete unmittelbar nach der Entscheidung ein Spendenkonto ein. Vom 28. Januar bis zum 28. Februar besuchten 259 Vgl. ebd., S. 64. 260 Vgl. ebd., S. 63. 261 Vgl. Schluß mit dem Schweigen, in: Die Zeit vom 9. April 1983, abgedruckt in: Mahnmal KZ Kemna, S. 89. 262 Vgl. Mahnmal KZ Kemna, S. 47f. 263 Vgl. ebd., S. 69.

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1.700 Wuppertaler eine Ausstellung, in der die Entwürfe ausgestellt wurden.264 Das Rahmenprogramm zur Ausstellung bestand aus sechs Filmen zum Nationalsozialismus und zum System der Konzentrationslager mit teilweise anschließender Diskussion, einem Referat zu »Schule und Schulbuch im Nationalsozialismus«, einem Abend über Lieder des Widerstandes und einer Diskussion mit den Preisträgern des Wettbewerbs.265 Während die Spendensammlung lief, bereitete der Jugendring um den Vorsitzenden und Architekten Siegfried Wirtz den Bauplatz vor und erstellte das Fundament und die Mauer. Gleichzeitig wurde noch eine Ausstellung mit den Entwürfen des Wettbewerbs im Landtag vorbereitet, die vom Landtagspräsidenten in Anwesenheit des Ministerpräsidenten Rau am 8. Juni 1983 eröffnet wurde.266 Am 3. Juli 1983 wurde das Mahnmal eingeweiht. 42.362 DM waren dafür gespendet worden, darüber hinaus ein beträchtlicher Teil an Sachspenden und Eigenleistungen erbracht worden, wie die Planung und der Bau der Trägermauer, die Erstellung des Wachsgusses für das Bronzerelief, Anbringung von Hinweisschildern etc.267 Die Vorsitzenden der Schulpflegschaft des Gymnasiums Kothen betonten in einem Leserbrief, dass die Spendensammlung ein allgemeines Gespräch in Gang gebracht habe und dass sich viele mit der »Schreckenszeit des Nationalsozialismus« vertieft beschäftigt hätten und so zu Erkenntnissen gelangten seien, »die auf andere Weise wohl nie vermittelt worden wären. So hat dieser Gedenkstein schon Akzente gesetzt, ehe er noch errichtet wurde.«268 Die Zeit aus Hamburg wiederum setzte die Spendensumme ins Verhältnis zu einer anderen Spendenaktion vom Anfang des Jahres: 100.000 DM waren damals zustande gekommen, um einen neuen Elefanten für den Zoologischen Garten zu finanzieren.269 Über 3.000 Bürger erschienen zur Einweihung des Mahnmals, unter ihnen ehemalige Kemna-Häftlinge, Bundestags- und Landtagsabgeordnete und Stadtverordnete, Vertreter von Kirchen und Mitglieder des Jugendrings.270 Empörung

264 265 266 267

Vgl. ebd., S. 48f. Vgl. ebd., S. 72. Vgl. ebd., S. 51. Die Spenden verteilten sich auf 18.744 DM, die von der Schulpflegschaft des Gymnasiums gesammelt wurden, 12.500 DM aus einer Sammlung innerhalb der SPD, 4000 DM von der evangelischen Kirche, 3118 DM von der katholischen Kirche, 3000 DM vom Jugendring und 1000 DM vom Peter Hammer Verlag. Siehe Mahnmal KZ Kemna, S. 52f. Die Arbeitsleistung bezifferte der Jugendring auf 410 Arbeitsstunden an über 30 Tagen, umgerechnet 17.125 DM. Blatt 28 und 31 zur Ausstellung, Vgl. Archiv Jugendring Wuppertal, Akte KZ Kemna I Gedenkfeiern bis 1993. 268 Vgl. Mahnmal KZ Kemna, S. 73 269 Vgl. Schluß mit dem Schweigen, in: Die Zeit vom 9. April 1983, abgedruckt in: Mahnmal KZ Kemna, S. 89. 270 Vgl. Mahnmal KZ Kemna, S. 52f.

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löste die Anwesenheit des Bundestagsabgeordneten Hupka (CDU) aus, der zu dieser Zeit die Oder-Neiße-Grenze radikal ablehnte.271 Nachdem Oberbürgermeister Gottfried Gurland die Gäste begrüßt, die Genese des Mahnmals beschrieben und den Handelnden gedankt hatte, sprach der aus Wuppertal stammende Ministerpräsident Johannes Rau. In seiner Rede bemerkte er, dass man an Denkmälern reich sei, aber arm an Mahnmalen, die zum Denken anregten, anstatt zum Andenken, wie das bei Denkmälern der Fall sei. Er setzte das KZ-Kemna in Beziehung zu den späteren Vernichtungslagern (»Was in Kemna begann, endete grausam folgerichtig in Auschwitz«), aber auch in Bezug zur zeitgenössischen Debatte um die Friedensbewegung. Er lehnte es strikt ab, Bertha von Suttner, Carl von Ossietzky und andere in- und ausländische Pazifisten, denen durch ihre Ablehnung von Krieg und Gewalt eine Unterstützung von anti-demokratischen Kräften vorgeworfen wurde, in Verbindung mit Auschwitz zu bringen. In den Worten Raus lagen die Gründe für den Holocaust darin, dass viele Millionen Menschen in Deutschland und anderswo Angst hatten, stillhielten oder nicht weit genug sehen wollten oder konnten und Staatsmänner sich verrechneten, die Augen versperrten »oder einfach dachten: ›Was geht mich das an?‹«. Hinzu sei ein rasanter Prozess der Resignation gekommen, der von März bis Juli 1933 gedauert habe. In diesen Monaten, so Rau, kapitulierten die meisten Demokraten, sofern sie nicht geflohen waren oder gefangen gehalten wurden, während die Welt ratlos oder mit anderen Problemen beschäftigt zuschaute und viele Deutsche von der großen Erneuerung träumten und auf Ordnung, Arbeit und Ehre hofften. »Wuppertal setzt heute diesen Opfern des Anfangs ein Denkmal, das wir mit Recht Mahnmal nennen, weil es uns alle, ob Zeitgenossen der Opfer oder zur Kinder- und Enkelkindergeneration gehörend, ermahnt, die Folgen zu bedenken, richtige Zusammenhänge zu sehen, weil es uns erinnert an Macht ohne Recht, an Angst, an Ohnmacht, an Resignation der Zuschauer, der Zeugen der Nichtwissen-wollenden von damals.« Rau machte in seiner Rede auch ein anderes Verständnis von den Aufgaben des Staates und der Stadt und der Bürgerschaft deutlich: »Das ist ein Mahnmal gegen das Vergessen und gegen das Verharmlosen. Und das Ermutigende daran ist, daß Jugend dieser Zeit es zustande gebracht hat. Nicht Staat oder Stadt übergeben es dem Bürger, sondern Bürger, Schüler und andere engagierte Mitbürger haben sich dafür stark gemacht, haben Geld gesammelt, Entwürfe gemacht und Pläne verwirklicht.« Dementsprechend sah er das Erinnerungszeichen als Zeichen des Begreifens, der Solidarität und der Hoffnung. Zum Schluss seiner Rede appellierte er an die Zuhö271

Vgl. ebd., S. 99.

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rer, Wächter der zweiten deutschen Demokratie zu sein und auf den Rechtsstaat und den Bestand der Freiheitsrechte zu pochen.272 Der nach ihm sprechende Karl Ibach, der 50 Jahre nach der Einrichtung des Konzentrationslagers verblüfft zeitliche Distanz und örtliche Nähe verarbeiten musste, schilderte seine Überraschung, dass »das Kapitel Kemna« heute wieder eine derartige Aktualität erlebe und dass die Erinnerungen und Ereignisse von damals »in jüngster Zeit eine unvermutete, erstaunliche Renaissance« erfahren hätten. Sein Dank galt der Jugend, die sich ein großartiges Zeugnis ausgestellt habe. Ibach war gerührt von ihrem Eifer, Interesse und der Anteilnahme. »Es ist erfreulicherweise eine neue, kritische junge Generation herangewachsen, die wissen will was damals wirklich geschehen ist, die sich nicht mehr von den Erwachsenen mit der Stereotype abspeisen läßt: Wir haben doch nichts gewußt, so schlimm ist es ja nicht gewesen!« Nachdem Ibach darauf eingegangen war, wie früh man die »Juda verrecke«-Rufe in Wuppertal habe vernehmen können, sodass niemand sich unwissend geben dürfe, appellierte auch er an die Zuhörer, besonders an die Jugend: »Tretet aktiv ein für eine kämpferische Demokratie! Entscheidet Euch politisch! Nehmt Eure Bürgerpflichten wahr – vertretet Eure Bürgerrechte! Wehrt Euch gegen Willkür, Terror und Rechtsbruch! […] Verteidigt unsere demokratische Freiheit!«273 Siegfried Wirtz, Vorsitzender des Jugendrings, widmete seine Rede vor allem der Erzählung der Entstehung des Denkmals. Er betonte, dass das Jahr 1979 der Beginn einer intensiven Auseinandersetzung mit der »braunen Vergangenheit« gewesen sei. Er überhöhte das Konzentrationslager zu einem Ort eines »beispiellosen Verbrechens an wehrlosen Mitbürgern. […] Das Ausmaß der hier verübten Verbrechen gegen die Menschlichkeit übersteigt unser Vorstellungsvermögen…«274 Die Verbrechen, die Folter und der Terror gegen die Inhaftierten in der Kemna sollen an dieser Stelle keinesfalls verharmlost werden, zumal viele der Inhaftierten ihren Leidensweg nach der Auflösung des Lagers im Januar 1934 in anderen Konzentrationslagern fortsetzen mussten. Aber gerade der immer wieder gezogene Vergleich zu Auschwitz zeigt auf, dass das KZ-Kemna nicht so beispiellos war, wie es von Wirtz dargestellt wurde. Die Grausamkeit hatte sich nach 1934 enorm steigerungsfähig gezeigt und führte vom Terror gegen den politischen Widerstand zum industriellen Massenmord, zum Genozid an den europäischen Juden. An der Überhöhung

272 Vgl. Johannes Rau, Was in Kemna begann, endete in Auschwitz, in: Mahnmal KZ Kemna, Redaktion Kurt Schnöring, herausgegeben von der Stadt Wuppertal, Wuppertal 1983, S. 1926. Hervorhebungen im Original. 273 Vgl. Karl Ibach, Für eine kämpferische Demokratie eintreten, in: Mahnmal KZ Kemna, Redaktion Kurt Schnöring, herausgegeben von der Stadt Wuppertal, Wuppertal 1983, S. 27-30. 274 Vgl. Siegfried Wirtz, Wuppertaler Jugend gab den Anstoß, in: Mahnmal KZ Kemna, Redaktion Kurt Schnöring, herausgegeben von der Stadt Wuppertal, Wuppertal 1983, S. 31-39.

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des KZs Kemna wird deutlich, wie groß die Empörung, die Empathie beim Vorsitzenden des Jugendrings gewesen ist, die zu seinem Engagement für das Mahnmal führte. Im Gegensatz zu seinen Vorrednern verstand er das Mahnmal – ohne es so zu nennen – eher als Denkmal – für die Männer, die gequält wurden, die den Mut aufbrachten, der Gewaltherrschaft die Stirn zu bieten. Außer der Zwischenüberschrift »Nie wieder Faschismus!« äußerte Wirtz in der Rede keinen Appell oder eine Lehre.275 Im Entwurf der Rede findet sich noch eine Passage, die in der veröffentlichten Dokumentation der Reden nicht enthalten ist, in der Wirtz die Gründe für die Beschäftigung der Jugend mit dem Thema Nationalsozialismus mit der gegenwärtigen Situation der Jugend zu erklären versuchte: »In der Jugendpflege haben wir uns mit der Zukunftsangst als einer Ursache des jugendlichen Protestes auseinanderzusetzen. Die wesentlichen Gründe sind Arbeitslosigkeit und Verschlechterung der Ausbildungschancen und Berufsaussichten für Jugendliche, zunehmende Zerstörung der natürlichen Umwelt, gewachsener Lebenszusammenhänge und der persönlichen Beziehungen, fortschreitendes Wettrüsten und zunehmende Kriegsgefahr, Probleme wachsender Minderheiten in der Wohlstandsgesellschaft und viele mehr. In dieser Angst um ihre Zukunft äußern sie den Verdacht, daß die Erwachsenen, die heute die Entscheidungen für die Zukunft treffen, ihrer Verantwortung nicht immer für Erhaltung menschenwürdiger Lebensbedingungen gerecht würden.«276 Den Abschluss des offiziellen Programms bildete Ines Brüggemann von der Naturfreundejugend, die über die Verwunderung der Jugendlichen über das Fehlen eines Mahnmals bis zu diesem Tag und die Gedanken und Fragen der Jugendlichen bei der Erstellung des Mahnmals berichtete. Im Gegensatz zu Wirtz richtete sie einen konkreten Appell an die Zuschauer und endete mit einem bekannten Zitat aus einem Theaterstück von Bertolt Brecht. »Durch meine Beteiligung nicht nur am Wettbewerb, sondern auch am Bau dieses Mahnmals drücke ich stellvertretend für alle Jugendlichen meinen Wunsch nach Frieden und Achtung der Menschenwürde aus. Ich erwarte durch die heutige Übergabe des Mahnmals an die Öffentlichkeit, d.h. an Sie alle, eine gleichzeitige Übernahme der Verpflichtung, etwas zu tun gegen den noch vorhandenen und wieder aufkeimenden faschistischen Ungeist, gegen Ausländerfeindlichkeit und Diskriminierung von Minderheiten. [›]Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem dieser Geist kroch.[‹] «277 275 Vgl. ebd., S. 36. 276 Archiv Jugendring Wuppertal, Akte Dokumentation KZ Kemna, Redemanuskript von Siegfried Wirtz vom 28. Juni 1983. 277 Ines Brüggemann, Lehren aus der Vergangenheit ziehen, in: Mahnmal KZ Kemna, Redaktion Kurt Schnöring, herausgegeben von der Stadt Wuppertal, Wuppertal 1983, S. 40f.

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Anschließend ergriff – ohne eingeladen worden zu sein – Grete Thiele von der VVN das Wort, ihre Äußerungen wurden aber nicht dokumentiert. Über die Gedenkstunde zur Mahnmalseinweihung wurde in der überregionalen Presse, in den Fernseh-Nachrichten »Tagesschau« und »heute« sowie in der WDR-Sendung »Hier und Heute« berichtet.278 Bereits wenige Tage nach der Einweihung wurde das Mahnmal mit roter Farbe beschmiert und ein Davidstern auf das Relief gemalt.279 Es sollte nicht der einzige Anschlag auf Erinnerungszeichen in diesem Jahr bleiben. Vor dem Volkstrauertag kam es ebenfalls zu Farbanschlägen: An die Ehrenmale der beiden Ehrenfriedhöfe in den Stadtteilen Elberfeld und Barmen sowie an Kriegerdenkmäler in Cronenberg und Langerfeld wurden am Samstag vor dem Volkstrauertag »Anti-Nato-Parolen« und weitere Sprüche gesprüht und in der Nacht von der Feuerwehr beseitigt.280 Die CDU-Fraktion im Stadtrat beschwerte sich nach der Einweihung des Erinnerungszeichens beim Oberbürgermeister, dass weder die Bundes-, noch die Landes- oder Stadtfahne am Mahnmal aufgestellt worden war, dafür aber die Stadt als Veranstalter es zugelassen habe, dass die Fahnen der Naturfreunde, der Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend und der DKP unmittelbar am Mahnmal gezeigt werden konnten. Außerdem beschwerte sich die CDU darüber, dass die Reden von Naturfreunden und DKP/VVN ohne Absprache und Widerspruch ermöglicht wurden, während den Kirchen der von der CDU unterstützten Wunsch, ebenfalls am Mahnmal reden zu können, im Vorfeld verweigert worden war. Auch das Schweigen des Oberbürgermeisters gegenüber den »Hupka raus«-Rufen wurde heftig kritisiert.281 Im Februar 1984 erklärte der Jugendring Wuppertal e.V. »in feierlicher Form« gegenüber der Stadt, dass er jedes Jahr am 5. Juli der Errichtung des Konzentrationslagers am Mahnmal gedenken und auch in der Arbeit mit Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen auf die Zeit des Nationalsozialismus hinweisen und erinnern wolle, um wachsam gegenüber faschistischen Tendenzen zu bleiben und sich diesen rechtzeitig erwehren zu können.282 Der Stolz des Jugendrings und des DGB auf »ihr« Mahnmal wurde auch darin deutlich, dass sie erfolgreichen darum baten, das Mahnmal in die Stadtprospekte aufzunehmen. »Wir glauben, daß wir als Bürger dieser Stadt stolz auf den Widerstand großer Teile unserer Bevölkerung

278 Vgl. Mahnmal KZ Kemna, S. 83. 279 Vgl. ebd., S. 85 280 Vgl. An Ehrenmalen der Kriegsopfer gedacht, in: Westdeutsche Zeitung vom 14. November 1983. 281 Vgl. StA Wuppertal, NDS 32-18 (Nachlass Goebel), Schreiben der CDU-Fraktion im Stadtrat an Oberbürgermeister Gurland vom 5. Juli 1983. 282 Vgl. Archiv Jugendring Wuppertal, Akte KZ Kemna I Gedenkfeiern bis 1993, Schreiben des Jugendrings Wuppertal an den Oberbürgermeister, die Bürgermeister und den Oberstadtdirektor der Stadt Wuppertal vom 4. Februar 1984.

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gegen Faschismus und Tyrannei sein können. Ebenso können wir stolz sein, daß unsere Jugend sich bei der Schaffung des Mahnmals so stark engagiert hat.«283 Vermutlich 1985 oder 1986, so lässt es die Position in der Akte vermuten, veröffentlichte die Stadt Wuppertal ein englischsprachiges Faltblatt zu KZ und Mahnmal, das neben den über 400 Opfern des Widerstands auch die circa tausend Wuppertaler Juden thematisierte, die während der Shoa ermordet worden waren. Auf der Vorderseite versprach ein Satz in Deutsch, Englisch, Französisch, Russisch, Hebräisch und Slowakisch: »Wir haben es nicht vergessen«.284 1990 beantragte der Jugendring die Benennung des Weges am Mahnmal nach dem am 3. Mai 1990 verstorbenen Karl Ibach.285 In Wuppertal waren es maßgeblich der Jugendring und die DGB-Jugend, die, zusammen mit einem Arbeitskreis aus lokal-historisch interessierten Bürger*innen aus allen gesellschaftlichen Bereichen, die lokale Bedeutung des Widerstands ins Bewusstsein riefen und den emblematischen Ort für dessen Repression, das KZ Kemna, zu einem Ort der Erinnerung machten. Das Erinnerungszeichen wurde mit eigenem Geld und eigener Arbeit geschaffen. Das »Do-it-yourself«-Mahnmal der Jugend entstand nicht nur aus dem persönlichen Kontakt zum Zeitzeugen Karl Ibach und aus der Forschung zum Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten, sondern auch als Reaktion auf deutlich spürbaren Neonazismus in Wuppertal. Dazu kamen weitere gegenwartsbezogene Motivationen: Zukunftsangst durch Arbeitslosigkeit, Umweltzerstörung und Wettrüsten, die Zerstörung persönlicher Beziehungen und eine Zergliederung der Wohlstandsgesellschaft. Auch in Münster war der Jugendring daran beteiligt, dass der Zwinger erneut als Mahnmal der Stadt diskutiert wurde. Wie das gelang, zeigt das nächste Kapitel.

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Zeichen der Pluralität: Der Zwinger in Münster (1985/1997)

Geht man vom Münsteraner Bahnhof ein paar Meter in Richtung Innenstadt, trifft man auf die Promenade. Der breite, baumbestandene Rad- und Fußweg verläuft auf dem alten, um 1770 aufgegebenen und abgetragenen, äußeren Festungsring um die Stadt. An der nordöstlichen Ecke dieser Ringstraße befindet sich ein aus dem Jahre 1534 stammendes, kreisrundes und zwei Stockwerke hohes Gebäude: der Zwinger. Ein imposantes Baudenkmal aus der Frühen Neuzeit, das man für ein 283 Vgl. StA Wuppertal, Nachlass Goebel, NDS 32-18, Schreiben des DGB Wuppertal an Oberbürgermeister Gurland vom 17. August 1983. Siehe auch: Archiv Jugendring Wuppertal, Akte Dokumentation KZ Kemna, Schreiben des Oberstadtdirektors an den Jugendring vom 6. Oktober 1983. 284 Vgl. Archiv Jugendring Wuppertal, Akte KZ Kemna I Gedenkfeiern bis 1993, Faltblatt KZ Kemna, eingeheftet zwischen den Gedenkfeiern 1985 und 1986. 285 Vgl. KZ Kemna, 10 Jahre Mahnmal, Dokumentation Teil 2, Wuppertal 1993, o. S.

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Entgelt von 1,50 € in den Monaten von Juni bis September an Sonntagen betreten kann. Die ersten Meter im Gang, der innen an der Außenwand entlangführt, sind mühsam, bis sich die Augen an die Dunkelheit gewöhnt haben. Einzelne, türenlose Zellen können betreten werden. Rote, elektrische Lampen leuchten und flackern künstlich. An den Wänden befinden sich schmale, langstielige Hämmer, die von elektrischen Motoren aufgezogen werden, um dann auf Metallplättchen in der Mauer zu schlagen. Immer wieder. Später wird es heller, das Obergeschoss fehlt. Die Sonne scheint herein. In den Zellen werden die ehemaligen Abtritte unter den Fenstern zum Innenhof sichtbar. Von außen schauen neugierig Passanten in das Gebäude. Auf der anderen Seite des Gebäudes kommt man auf einen kleinen Hof. Eine Treppe führt in den noch vorhandenen Teil des Obergeschosses. Ein von zwei Stangen durchbohrtes Ei ist dort angebracht. Im nächsten Raum lädt ein Kondensator eine Metallkonstruktion an der Decke auf. Von Zeit zu Zeit entlädt sich die elektrische Spannung in einem knisternden Lichtbogen. An einer von vielen Fußabdrücken geprägten, sandigen Fläche kann man bis in den Innenhof sehen. Wie eine Deckenlampe hängt ein Wasserbecken an Stahlträgern über dem Hof. Ab und zu fällt ein Tropfen daraus in den grünbewachsenen, mit einem Wasserbecken versehenen Innenhof. Eine Inschrift, eine Erklärung, ein Hinweis auf die Bedeutung des Gebäudes ist im Inneren nirgendwo angebracht.

Abb. 39: Der Zwinger und der vorgelagerte Gedenkstein

Foto: Jan Niko Kirschbaum

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Abb. 40: Blick ins Innere des Zwingers I; Abb. 41 Blick ins Innere des Zwingers II

Fotos: Jan Niko Kirschbaum

Verlässt man den Zwinger und geht um das Gebäude herum, dann findet man auf der nördlichen Seite eine aus dem Boden ragende Gedenktafel sowie zwei weitere Gedenktafeln an der Wand des Zwingers. Die erste trägt die Inschrift: An dieser Stelle wurden während der Naziherrschaft Antifaschisten, Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene eingekerkert und ermordet. - Im Gedenken an die Opfer des Hitlerfaschismus Mahnung für den Frieden

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Das obere Drittel der Tafel zeigt ein Relief, auf dem ein Baum und vier Personen zu sehen sind. Von einer Person ist nur der schmale Kopf und ein Teil des Oberkörpers abgebildet, die andere wird nur mit dem Kopf und hoch erhobenen, großen Händen dargestellt. Darunter finden sich ein Liegender und daneben ein gebückt Knieender, der die Hand des Liegenden hält und offenbar um diesen trauert. Die zweite Tafel, seit dem Diebstahl des bronzenen Originals aus Stein, erklärt: »Im Zweiten Weltkrieg wurden in der Stadt Münster auf Befehl der Geheimen Staatspolizei zahlreiche russische und polnische Zwangsarbeiter im Untersuchungsgefängnis am Hindenburgplatz, in der neuen Artilleriekaserne am Hohen Heckenweg, im Zuchthaus an der Gartenstraße und im Befestigungswerk Zwinger ermordet. Der Zwinger war in der Zeit von Sommer 1944 bis Anfang 1945 Inhaftierungs- und Hinrichtungsstätte der Geheimen Staatspolizei. Dort wurden ausländische Zwangsarbeiter gefoltert und gehängt. Ihr Tod ist uns Verpflichtung und Mahnung zur Versöhnung.« Die dritte Tafel erzählt ohne jeden Hinweis auf die oben geschilderten und memorierten Ereignisse die architektonische Geschichte des Zwingers. Das Münsteraner Erinnerungszeichen für den Zweiten Weltkrieg verbirgt ein wesentliches Element seiner Erinnerungsfunktion vor dem Publikum. Darüber hinaus erscheint es im Gewand einer frühneuzeitlichen Bastion, eines Baudenkmals und verlangt für sein Betreten Eintritt. Erst 1997 eingeweiht, weist die Debatte um den Zwinger doch eine lange Geschichte auf, die 1959 begann und ihre Hochphasen in den 1960er (siehe Kapitel 3.1) und 1980er Jahren hatte. Im Folgenden soll untersucht werden, wie der Streit um das Erinnerungszeichen in Münster 1985 doch beigelegt werden konnte und welche Umstände zu dessen Vollendung führten. 1988/1989 erregte die Black Form von Sol LeWitt die Gemüter der Stadt, denn der schwarze Quader vor dem Schloss, dem Sitz der Universität, »dedicated to the missing Jews«, wurde nach der Ausstellungszeit der »Skulptur-Projekte ´87« abgebrochen und die Versuche der Wiedererrichtung scheiterten. Heute steht er in Hamburg-Altona. Auch dieser Disput wird analysiert. Insgesamt erinnern in Münster 45 Erinnerungszeichen an die Zeit von 19331945. Die 1976 geschaffenen Gedenktafeln der Stadt Münster (siehe Kapitel 3.1) erinnern als einzige übergreifend an Gefallene, Verfolgte des Nationalsozialismus und zivile Opfer des Krieges. 25 Kriegerdenkmäler, Ehren- und Mahnmale erinnern an Gefallene und zivile Opfer des Krieges. Sechs davon stammen aus der Zwischenkriegszeit und erhielten nach dem Zweiten Weltkrieg eine Aktualisierung. Bereits 1943 entstand ein Erinnerungszeichen für die Opfer der Luftangriffe. Von 1950 bis 1964 entstanden zehn Kriegerdenkmäler, weitere 1969, 1971 und 1984. Bei fünf Kriegerdenkmälern lässt sich das Aufstellungsdatum nicht bestimmen. 21 Erinnerungszeichen sind den Verfolgten des Nationalsozialismus gewidmet. Drei

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Abb. 42: Blick ins Innere des Zwingers III

Fotos: Jan Niko Kirschbaum

entstanden in der Nachkriegszeit bis 1949, 1968 folgte ein weiterer Gedenkstein für die Opfer der Shoa und 1978 das bereits besprochene Kardinal-von-Galen-Denkmal (siehe Kapitel 4.2). In den 1980er Jahren entstanden drei Erinnerungszeichen, vier in den 1990ern und sieben seit der Jahrtausendwende.286 Ein Friedenszeichen für Münster Am 13. Dezember 1982 beantragte der Jugendring der Stadt Münster, die Stadtverwaltung möge dem Jugendring zum 50. Jahrestag der Machtübernahme der Nationalsozialisten auf der Promenade an gut sichtbarer Stelle einen Platz zur Errichtung eines Friedensdenkmals bereitstellen. Zum Beginn der fünften Münsteraner Friedenswochen im Mai 1983 sollte das Denkmal nach eingehender öffentlicher Diskussion aufgestellt werden. In der Begründung für die Errichtung bezog sich der Jugendring einerseits auf den Nationalsozialismus, andererseits aber auf die breite

286 Vgl. Stadt Münster (Hg.), Erinnern im öffentlichen Raum. Krieger-Denkmäler – Ehrenmale – Mahnmale und Kriegsgräberstätten in Münster, Münster 2013, sowie Ulrike Puvogel, Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus, Bonn 1995, S. 488f.

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Unterstützung der Initiative gegen die Stationierung weiterer atomarer Trägersysteme in Europa: »Es ist schon makaber, wenn in diesem 50. Jahr der Wiederkehr der nationalsozialistischen Machtübernahme und dem damit verbundenen Leid, das über Millionen von Bürgern in Europa durch Tod, Verletzung und Zerstörung durch die Kriegsmaschinerie hereingebrochen ist, die ersten Schritte zur Stationierung von weiteren atomaren Trägersystemen in der Bundesrepublik von hohen Politikern befürwortet werden«, hieß es im Antrag. Bemerkenswerter Weise betonte der Jugendring, dass die Friedenswochen nicht mehr ausreichten, sondern dass der »atomare Wahnsinn« täglich durch ein Friedensdenkmal aufgezeigt werden müsse.287 Oberstadtdirektor Dr. Fechtrup konstatierte für die Verwaltung in einer Stellungnahme, dass die Stadt Münster mit der 1973 beschlossenen Gedenktafel und den korrespondierenden Friedenssymbolen bereits ein Friedensdenkmal im Herzen der Stadt habe. Wenn dennoch der Wunsch nach einem weiteren Friedensdenkmal bestehe, müsse der alte Plan, den Zwinger zu verwenden, neu diskutiert werden. »Es liegt allerdings auf der Hand, daß eine solche Aufgabe nicht kurzfristig erledigt werden kann. Gleichwohl erscheint mir dieses als der bessere Weg. Von einer übereilten und zudem noch in einem zeitlichen Zusammenhang mit aktuellen politischen Aktionen stehenden Lösung muß die Verwaltung abraten.« Er empfahl die Anrufung des Ältestenrats.288 Auch Oberbürgermeister Pierchalla (CDU) äußerte sich ablehnend. Er werde versuchen den Antrag zu Fall zu bringen, falls dieser in den Hauptausschuss vordringe. »Wenn da ein paar Stümper ein bißchen [sic!] Beton zusammengießen, sollen sie den Schandfleck meinetwegen am Bennoheim [Städtisches Jugendhaus, Anm. JNK] aufstellen, aber nicht an herausragender Stelle in der Promenade.«289 Bereits zuvor hatte er den Unmut der friedensbewegten Jugend erregt, als er sich geweigert hatte, seine Unterschrift unter einen Demonstrationsaufruf zu setzen, weil dort ebenfalls DKP, Spartakisten und der Sozialistische Hochschulbund unterschrieben hatten.290 Die CDU-Fraktion zeigte sich weniger ablehnend und beantragte ihrerseits Ende Januar 1983, dass der Rat »die Friedenssehnsucht aller Bürger in unserer Stadt« aufgreife und ihr sichtbaren Ausdruck in einem »Mahnmal für Frieden und Freiheit« gebe. Es gehe dabei nicht um eine Beurteilung verschiedener politischer Lö287 Vgl. Stadtmuseum Münster, Akte Zwinger Bd. 10, Antrag des Jugendrings über die Gewerkschaftsjugend des DGB an den Oberbürgermeister der Stadt Münster vom 13. Dezember 1982. 288 Vgl. StA Münster, V-OstD 209, Stellungnahme von Oberstadtdirektor Fechtrup vom 19. Januar 1983. 289 Vgl. Jugend will ein Friedensdenkmal. Pierchalla: »Standort Bennohaus?«, in: Münstersche Zeitung vom 19. Januar 1983. 290 Vgl. Bald Friedensdenkmal im Promenaden-Ring?, in: Westfälische Nachrichten vom 13. Januar 1983.

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sungswege, sondern um ein gemeinsames Bekenntnis zu Frieden und Demokratie und zur Untrennbarkeit von Frieden und Freiheit. Die CDU forderte die Mitwirkung von Jugendlichen und ihren Verbänden, den Schulen, den Kirchen und den in Münster stationierten Einheiten der Bundeswehr und der britischen Rheinarmee »wegen ihres besonderen Dienstes für den Frieden und ihre Sicherheit«.291 Damit kaperte die CDU das Vorhaben des Jugendrings und forderte die Beteiligung des Militärs an einer Initiative, die sich im grundsätzlichen Gegensatz zu dessen Aufgaben und den Rüstungsbestrebungen des Kalten Krieges befand. Auch der Verweis Dr. Fechtrups auf den Zwinger kann angesichts der komplizierten Geschichte des Gebäudes als taktische Maßnahme zur Verzögerung des Projekts des Jugendrings interpretiert werden. Anschließend veranlasste der Rat mehrere Gespräche zwischen Jugendring, DGB-Jugend und den Ratsfraktionen, um eine konsensfähige Grundlage zu schaffen. Am 19. Oktober 1983 schlug die Verwaltung vor, auf Grundlage des Friedensaufrufs des DGB vom 1. September 1981 eine Initiative zu starten und den Zwinger als Standort zu wählen. Der Vorschlag wurde von den Fraktionen positiv angenommen.292 Mit dem unerwarteten Ausscheiden des Jugendringes kamen die Gespräche aber zum Erliegen. Der Jugendring warf dem CDU-Ratsherrn Ruprecht Polenz vor, das Thema Mahnmal in den Wahlkampf einzubringen und damit das Bestreben der Münsteraner Bürger für parteipolitische Ziele zu vereinnahmen. Der DGB äußerte hingegen sein Unverständnis über den Rückzug des Jugendrings.293 Während in Wuppertal DGB und Jugendring bei der Politik auf offene Ohren (wenn auch nicht auf ein geöffnetes Stadtsäckel) stießen, kam eine konstruktive Zusammenarbeit in Münster nicht zustande. Die Fraktion der Grünen Alternativen Liste (GAL) beantragte dann am 2. Januar 1984 die Anbringung einer Gedenktafel zur Erinnerung an die Opfer des Faschismus. Der Antrag wurde vom Rat der Diskussion um das Friedensmahnmal zugewiesen und versandete so ebenfalls.294 Ein Akt zivilen Ungehorsams Im Mai 1985 überholten die Bürger*innen Verwaltung und Politik einfach. Die »Initiative 8. Mai« ließ eine Gedenktafel produzieren und rief im Vorfeld des 40. Jahrestages der deutschen Kapitulation 1945 (»40 Jahre nach der Befreiung von Faschismus und Krieg«) zu einer Gedenkveranstaltung am Zwinger auf. Neben einer Kranzniederlegung sollte dabei auch die Gedenktafel aufgestellt werden. Zur Finanzierung konnten Spendenpostkarten im Wert von zwei oder fünf DM erworben

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Vgl. Stadtmuseum Münster, Akte Zwinger Bd. 10, Antrag der CDU-Fraktion vom 31. Januar 1983. 292 Vgl. Stadtmuseum Münster, Akte Zwinger Bd. 10, Vorlage 180/85 vom 14. Mai 1985. 293 Vgl. Trauerspiel ums Friedensmahnmal, in: Westfälische Nachrichten vom 14. April 1984. 294 Vgl. Stadtmuseum Münster, Akte Zwinger Bd. 10, Vorlage 180/85 vom 14. Mai 1985.

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werden. Zwar hatte die Initiative am 9. März 1985 auch einen förmlichen Bürgerantrag zur Genehmigung der Gedenktafel an den Rat gestellt, dennoch war die Einweihung fest eingeplant, unabhängig von der Zustimmung des Rates. Im »Münsteraner Aufruf zum 8. Mai« stellte die Initiative klar, dass sie den 8. Mai als Tag der Befreiung von Unterdrückung und Terror und als Chance eines Neubeginns interpretierte und nicht als Tag der Niederlage, des Zusammenbruchs, des verlorenen Krieges. Dies sei eine Denktradition der Industriellen, der Generäle und der Rechtskonservativen, womit deutlich gemacht war, dass die »Initiative 8. Mai« aus linksorientierten Kreisen kam, schließlich bedauerte man auch die Restaurierung der alten Macht- und Besitzverhältnisse. Die Initiative forderte als Konsequenz aus Faschismus und Krieg ein Ende des »Rüstungswahnsinns«, Abzug aller amerikanischen Mittelstreckenraketen und ein ABC-Waffen-freies Europa sowie ein Ende des Abbaus demokratischer Rechte und Freiheiten, ein Ende von Ausländerfeindlichkeit, Rassenhetze und Revanchismus, die Anerkennung der europäischen Nachkriegsgrenzen durch die Bundesregierung, ein Ende von Antikommunismus und Neofaschismus und ein Verbot von neonazistischen Aktivitäten und der SSHIAG295 . Der Veranstaltungskalender zum Aufruf zählte acht Veranstaltungen im Zeitraum vom 15. April bis zum 9. Mai 1985 auf, darunter Ausstellungen zu Auschwitz und der Verfolgung Homosexueller, Diskussionsveranstaltungen und gemeinsame Fahrten zu Demonstrationen nach Köln und Bonn. Zahlreiche Verbände und Parteien unterstützten die Initiative.296 Am 8. Mai 1985 fuhr ein Lautsprecherwagen durch Münster und Informationsstände in der Innenstadt informierten über die um 16 Uhr stattfindende »Mahnund Gedenkveranstaltung«. Die ungenehmigte Gedenktafel, die 1.500 DM297 gekostet hatte, wurde vor den 1.000298 Teilnehmern der Veranstaltung enthüllt. Die Gedenkrede hielt der Theologe Prof. Dr. Walter Rest, der sich als Zeitzeuge daran erinnerte, dass man in der Nacht oftmals Schreie aus dem Zwinger habe hören können. Er erklärte, man müsse anerkennen, dass sich diejenigen, die im Zwinger ermordet wurden, gegen die Tyrannei eingesetzt hätten.299 Am Abend folgten

295 Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit der Angehörigen der ehemaligen Waffen-SS. 296 Unter anderem Vertreter der Jungsozialisten (Jusos), der Fraktion Grüne Alternative Liste, Vertreter des DGB, der SPD-Ratsfraktion, der Friedensinitiative Münster, der VVN-BdA, des Sozialistischen Hochschulbundes, des SPD Unterbezirks Münster, der Demokratischen Lesben- und Schwuleninitiative, der DKP Münster und Landtags- und Bundestagsmitglieder der SPD, (Fach-)Hochschulmitarbeiter und -vereinigungen sowie der Allgemeine Studierendenausschuss. 297 Vgl. Bronzene Gedenktafel am Zwinger wurde gestohlen, in: Münstersche Zeitung vom 29. August 1985. 298 Vgl. Dagmar von Kathen, Bitburg in Münster, in: Stadtblatt 11/1985. 299 Vgl. Tafel als Mahnung für den Frieden, in: Westfälische Nachrichten vom 9. Mai 1985.

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weitere Veranstaltungen, unter anderem mit einem Vortrag Ralph Giordanos zur »zweiten Schuld« und den Folgen kollektiver Verdrängung nach 1945.300 Die real existierende Gedenktafel, gestaltet vom Münsteraner Künstler Christian Geißler,301 setzte die Verwaltung unter Zugzwang. Am 14. Mai 1985 lag dem Kultur- und dem Hauptausschuss eine siebenseitige Beschlussvorlage vor, die verschiedene Anträge und Vorhaben sammelte. Die Anträge zum Friedensmahnmal des Jugendrings, der CDU-Fraktion zum Mahnmal für Frieden und Freiheit, der GAL-Fraktion und der »Initiative 8. Mai« wurden damit als erledigt angesehen. Die Verwaltung schlug vor, die Gedenktafel der Initiative zu entfernen und durch eine eigene zu ersetzen. Darüber hinaus hielt die Verwaltung verschiedene Leistungen zur Erinnerung an den Nationalsozialismus in Münster fest. So hatten sich in Münster in den vorangegangenen Jahren eine Reihe von geschichtsorientierten Initiativen mit Stadtgeschichte beschäftigt, auch mit dem Nationalsozialismus. Es waren Publikationen zu Widerstand und Verfolgung, der »Machtergreifung« und den Luftangriffen auf Münster erschienen. Darüber hinaus hatte die Stadt Münster 1983 mit einer Gedenkstunde am 2. Februar 1983, einer Ausstellung mit historischen Dokumenten und zwei Vorträgen an die »Machtergreifung« erinnert. In Anknüpfung an die Wettbewerbe des Bundespräsidenten hatte die Stadt Münster 1984 einen kommunalen Wettbewerb zum Thema »Überleben – politischer Neubeginn – Wiederaufbau. Münster in den Nachkriegsjahren 1945-1949« ausgerichtet. Auch 1985 war in Münster mit einer Gedenkstunde, einer Ausstellung zu Kriegsende und Nachkriegszeit, einer Filmvorführung und einer Autorenlesung mit Zeitzeugengespräch an den 8. Mai 1945 erinnert worden.302 Die sprachlichen Unterschiede der Inschriften (s.o.) sind auffällig. Während die Inschrift der »Initiative 8. Mai« stark wertende (Kampf)Begriffe verwendete, bemühte sich der Verwaltungsvorschlag mehr um eine informative, einordende Beschreibung der Vorgänge. Die Initiative mahnte zum Frieden, die Verwaltung versah ihren Entwurf mit dem Wunsch nach Versöhnung. Im Sinne der Verwaltung sollte die Gedenktafel am Zwinger auch nur eine von vieren sein, die an Orten nationalsozialistischer Verbrechen angebracht werden sollten. Weitere Standorte sollten die Justizvollzugsanstalt, die ehemalige jüdische Marks-Haindorf-Stiftung und der Friedhof Lauheide sein, wo zahlreiche Gräber russischer und polnischer Zwangsarbeiter zu finden sind. Für die Realisierung der Pläne stellte die Stadt außerplanmäßig 10.000 DM zur Verfügung.303 Das Stadtblatt berichtete, dass die CDU sich vor allem an den Begriffen »Antifaschisten« und »Hitler-Faschismus« störe und kritisierte, dass die Stadt die Hintergründe der nationalsozialistischen Morde im

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Vgl. Stadtmuseum Münster, Akte Zwinger Bd. 10, Aufruf der Initiative 8. Mai. Vgl. Stadt Münster ignoriert Bürgerwillen, in: Stadtblatt 10/1985. Vgl. Stadtmuseum Münster, Akte Zwinger Bd. 10, Vorlage 180/85 vom 14. Mai 1985. Vgl. Ebd.

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Zwinger ausklammere. Die Vorsitzende der »Initiative 8. Mai«, die Historikerin Ulrike Hörster-Philipps, verglich dieses Bestreben mit der »verfälschenden und vernebelnden Geschichtsaufarbeitung, wie sie auch beim Reagan-Besuch in Bitburg vorgeführt wurde.« Sie kritisierte auch die SPD, eigentlich Unterstützerin der Initiative, dafür, dass sie die Diskussion um den Begriff »Antifaschisten« mittrug.304 Eine überraschende und für die CDU-Fraktion unbequeme Wendung erhielt die Debatte vor der Hauptausschusssitzung am 29. Mai 1985. In einem Artikel für das »Stadtblatt« berichtete Hörster-Philipps, dass sich der neue Oberbürgermeister Dr. Twenhöfen (CDU) in einer persönlichen Stellungnahme vor der Sitzung für die Gedenktafel ausgesprochen habe. Nachdem er die Tafel selbst angesehen hätte, habe er sie als künstlerisch gut gestaltet beurteilt und befunden, dass die Stadt den Text tragen könne. Der Fraktionsvorsitzende der CDU, Polenz, habe daraufhin Verhandlungen mit der Initiative vorgeschlagen. Für Hörster-Philipps war aber der einzig mögliche Konsens der Verbleib der Tafel.305 Doch nicht nur im Rat wurde um die Gedenktafel gestritten. Die Initiative wertete das wiederholte Niederlegen von Kränzen und Blumen an der Tafel als Zeichen dafür, dass diese ein »echtes Denkmal von unten« sei und von den Bürgern angenommen werde. Diesen Akten des Gedenkens standen solche des Vandalismus gegenüber. Kränze und Blumen wurden heimlich in die nahe Aa geworfen, die Tafel wurde erst mit blauer Farbe, dann mit Kot beschmiert und schließlich in der Nacht auf den 28. August 1985 gestohlen. Empört forderte die »Initiative 8. Mai« die Spurensicherung der Polizei an und drohte mit einer Dienstaufsichtsbeschwerde, als diese erst 14 Stunden nach der Tat eintraf.306 Die »Initiative 8. Mai« gab der CDU-Fraktion, die sich als einzige für einen neuen Text ausgesprochen hatte, eine Mitschuld an der Tat, da sie durch ihre Haltung dieses Handeln ermöglicht habe.307 Ähnlich argumentierte ein Vertreter der SPD und vermutete, dass die jahrelange Weigerung der Stadt, ein Mahnmal zu errichten, die Täter ermuntert und bestätigt habe.308 Die »Initiative 8. Mai« und die Bewohner des umgebenden Viertels protestierten mit Pressemitteilungen, verteilten Flyer, legten Blumen nieder, brachten eine provisorische Gedenktafel an und hielten an ihr Nachtwachen. Im Gegenzug wurden die Beteiligten am Telefon mit nächtlichen Anrufen belästigt und auch bedroht. Die Täter vermutete man, so berichtete Das Stadtblatt unbestimmt, im Kreis der neonazistischen Freiheitlichen Arbeiter Partei (FAP).309 Die SPD und GAL forderten daraufhin, dass die Stadt die Tafel ersetze und als ihre 304 305 306 307

Vgl. Dagmar von Kathen, Bitburg in Münster, in: Stadtblatt 11/1985. Vgl. Ulrike Hörster-Philipps, Antifaschismus unerwünscht?, in: Stadtblatt 12/1985. Vgl. Dagmar von Kathen, Gedenktafel gestohlen, in: Stadtblatt 18/1985. Vgl. Bronzene Gedenktafel am Zwinger wurde gestohlen, in: Münstersche Zeitung vom 29. August 1985. 308 Vgl. Dagmar von Kathen, Gedenktafel gestohlen, in: Stadtblatt 18/1985. 309 Vgl. Dagmar von Kathen, Initiative darf gestohlene Tafel ersetzen, in: Stadtblatt 19/1985.

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übernehme, die CDU-Fraktion bestand aber weiterhin auf dem städtischen Text. Die Politik einigte sich schließlich unter öffentlichem Druck darauf, beide Tafeln nebeneinander aufzustellen und der »Initiative 8. Mai« die Ersetzung ihrer Tafel zu gestatten.310 Ein weiterer Antrag der GAL-Fraktion, eine vom »Arbeitskreis Afrika« gestiftete Mahntafel zum »Gedenken der Opfer des Völkermordes unter deutscher Kolonialherrschaft in Namibia« am Ludgeriplatz aufzustellen, wurde hingegen im September 1985 vom Rat abgelehnt.311 Am 14. Oktober 1985 ersetzte die »Initiative 8. Mai« das Provisorium durch die neue Bronzegedenktafel.312 Am 21. März 1986 wurde die städtische Gedenktafel angebracht, 27 Jahre nach den ersten Überlegungen und nun ohne Bezug auf Gefallene und zivile Opfer des Krieges.313 Eine Gedenkrede oder eine andere Zeremonie fand nicht statt – eine weitere Peinlichkeit, wie ein Bürger in den Westfälischen Nachrichten erklärte.314 Im selben Jahr wurden auch zwei weitere informative Gedenktafeln an der JVA und der jüdischen Marks-Haindorf-Stiftung angebracht, um dort in ähnlich knapper Form wie bei der städtischen Tafel am Zwinger über die geschichtlichen Hintergründe der Gebäude in der Zeit des Nationalsozialismus aufzuklären. Das gegenläufige Konzert Alles schien bereit, damit die Ruine des Zwingers mit ihrer Geschichte wieder in Vergessenheit geraten und nur zu offiziellen Feiern besucht werden würde. Doch während der Ausstellung »Skulptur Projekte in Münster 1987«, für die das Westfälische Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte 60 international bekannte Künstler um Beiträge in Form von Skulpturen im öffentlichen Raum der Stadt gebeten hatte,315 machte die deutsche Künstlerin Rebecca Horn die Ruine zum Schauplatz für ihre Installation Das gegenläufige Konzert. Der Katalog der Ausstellung erläutert dazu: »Das Kunstwerk entfaltet sich in den fast labyrinthartigen Korridoren des Zwingers bis hin zum lichtdurchtränkten, schmalen, mit üppigen Gewächsen überwucherten Innenhof. Man betritt das Kunstwerk bzw. den Zwinger durch das Kellertor und befindet sich in einem dunklen, feuchten Innengewölbe. Kleine, 310 Vgl. Stadt stellt am Zwinger Mahntafel mit eigenem Text auf, in: Münstersche Zeitung vom 12. September 1985. 311 Vgl. StA Münster, Niederschrift der Sitzung des Hauptausschusses vom 19. September 1985. 312 Vgl. »Blamabel für die CDU«, in: Münstersche Zeitung vom 14. September 1985. 313 Vgl. Gedenktafel am Befestigungswerk Zwinger erinnert an Opfer der Nazi-Herrschaft, in: Münstersche Zeitung vom 27. März 1986. 314 Vgl. Warum keine Gedenkrede?, in: Westfälische Nachrichten vom 2. April 1986. 315 Vgl. Stefan Goebel, Stein des Anstosses: Black Form (Dedicated to the Missing Jews), in: Denkmäler in Münster. Auf Entdeckungsreise in die Vergangenheit, Schriftproben Bd. 10, hg. von Heinrich Anschlag (u.a.), S. 318.

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flachrunde Öllampen erhellen den Rundgang bis zum äußeren Innenhof. Durch kleine, an den Wänden befestigte Hammer hört man von fern aus allen Richtungen leises Klopfen. In der Nische des ersten Zellenraumes des Zwingers öffnet sich langsam, völlig lautlos ein Federflügel, spreizt sich, bis die erste Feder die letzte berührt. Für Sekunden dreht sich das Rad im Kreis und fällt fast, in seiner Balance gestört, ruckartig leise in sich zusammen. Durch die dunklen, feuchten Gänge wird der Besucher ständig mit dem rhythmischen Klopfen von kleinen Stahlhammern fast drohend begleitet. Im tiefsten Innern des Zwingers befindet sich der Betrachter in einem kleinen lichtdurchtränkten Innenhof, der sich wie ein Miniaturbildnis über die Jahre hineingewachsen hat. In einem Baum in diesem Innenhof hängt ein großer Glastrichter. Alle 20 Sekunden gibt er aus seinen gefüllten Bechern einen Tropfen Wasser ab, der 12 Meter tief in ein rundes Becken fällt. Die kreisförmigen Wellen glätten sich zu einem schwarzen Spiegel, bis der nächste Tropfen den Takt zum ›Gegenläufigen Konzert‹ angibt.«316 Die Essener Kunstwissenschaftlerin Cordula Meier urteilte, mit dem Gegenläufigen Konzert breche Rebecca Horn das Verschweigen und beschwöre schamanenhaft die Ungeheuerlichkeit dieses Ortes herauf. Horn versuche, so zitierte Meier aus der Beschreibung der Künstlerin, »Gespenster des Irrationalen, die in jedem schlummern, aus dem Sumpf zu heben«.317 Am 20. Oktober 1987 sprach sich Stadtdirektor Janssen im Kulturausschuss für einen Ankauf des Kunstwerks aus. Die Münsteraner Zeitung berichtete Ende Oktober 1987, dass sich zahlreiche Münsteraner den Verbleib eines der am meisten diskutierten Werke der Ausstellung wünschten.318 Am 10. Dezember 1987 wandte sich die VVN-BdA mit einem Bürgerantrag an den Rat der Stadt Münster und forderte die regelmäßige Öffnung des Zwingers, den Verbleib des Kunstwerks im Gebäude und die Aufstellung von Dokumentationstafeln zur NS-Geschichte des Zwingers. Für den Fall, dass ein Ankauf des Kunstwerks nicht möglich sei, beantragte die VVN-BdA die Einrichtung einer Mahn- und Gedenkstätte. Durch die seit 1985 entfalteten Aktivitäten am Zwinger, so begründete die Vorsitzende der »Initiative 8. Mai« den Antrag, sei der Zwinger als Gestapo-Gefängnis erst bekannt und nach zahlreichen Kranzniederlegungen und Kundgebungen mittlerweile der bekannteste Ort der NS-Herrschaft in Münster geworden.319 Am 8. Mai 1988 übergab Hörster-Philipps während einer Demonstration am Stadthaus dem Vorsitzenden

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Zitiert nach: Stadtmuseum Münster, Akte Zwinger Bd. 10, Vorlage 408/94. Vgl. Cordula Meier, Anselm Kiefer. Christian Boltanski. On Kawara. Rebecca Horn. Zur künstlerischen Konstruktion von Erinnerung, in: Nicolas Berg, Jess Jochimsen (u.a.) (Hg.), Shoah. Formen der Erinnerung. Geschichte, Philosophie, Literatur, Kunst, München 1996, S. 278f. Vgl. Bleibt Installation im Zwinger?, in: Münsteraner Zeitung vom 31. Oktober 1987. Vgl. Stadtmuseum Münster, Akte Zwinger Bd. 10, Bürgerantrag von Dr. Ulrike HörsterPhilipps vom 01.12.1987.

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der SPD-Fraktion eine Liste mit 700 Unterschriften für den Ankauf der Installation und die Umgestaltung des Zwingers zum Mahnmal. Die Kundgebung bewegte sich anschließend zum ehemaligen Bollwerk, um dort der Opfer des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkrieges zu gedenken.320 Der Rat der Stadt Münster beschloss die Prüfung des Ankaufs und der notwendigen Sanierungsmaßnahmen. Der bauliche Zustand des Zwingers war inzwischen so katastrophal, dass für die Begehung während der Skulptur-Projekte 1987 eine ganztägige Aufsicht gewährleisten sollte, dass kein Besucher zu Schaden kam. Ohne Sanierung, so die Prognose, führe der Verfall, der sich von Innen nach Außen vollziehe, in wenigen Jahren zur völligen Zerstörung des Zwingers. Bereits Ende Januar 1988 wurde deutlich, dass die Sanierung des Bauwerks und die Erhaltung des Kunstwerks Konfliktpotential boten, da der schädliche Bewuchs und der baufällige Zustand von Rebecca Horn als Teil der Installation gesehen wurde.321 So erklärt ein von der Stadt Münster herausgegebenes Faltblatt: »Außergewöhnlich an Rebecca Horns Arbeit ›Das gegenläufige Konzert‹ ist das ausgeprägt symbiotische Verhältnis zwischen Kunstwerk und Entstehungsort. Die Erfahrungen und Erinnerungen, die dieser Ort birgt, aber auch den scheinbaren Verfall des Gebäudes mit der sich anbahnenden Überwucherung der Natur verwandelte die Künstlerin zu einer essentiellen Aussage ihres Werkes.«322 Im September 1989 beschloss der Rat der Stadt die bauliche Sicherung und Restaurierung des Zwingers, seine Nutzung als öffentliche Gedenkstätte und Mahnmal, den Ankauf der Installation und deren Weiterentwicklung im Einvernehmen mit der Künstlerin. Die Kosten wurden auf 1,8 Millionen DM geschätzt. Angesichts der stattlichen Summe erhoffte sich die Stadt 1,44 Millionen aus Mitteln zur Stadtbauförderung des Landes.323 Der Streit um Sol LeWitts Black Form Als der Rat diese Entscheidung fällte, war die turbulente Debatte um die Skulptur Black Form (siehe Abb. 43) von Sol LeWitt, die ebenfalls bei den Skulptur-Projekten in Münster 1987 aufgestellt worden war, gerade beendet worden. Die Black Form, eine quaderförmige Plastik aus schwarz bemalten, gemauerten Steinblöcken, stand während der Ausstellungszeit auf dem Schlossplatz unmittelbar vor dem Haupteingang des alten Fürstbischöflichen Schlosses, in dem seit 1954 die Westfälische Wilhelms-Universität ihren Hauptsitz hat. Von 1897 bis 1945 hatte an diesem Standort, dem Cour d’honneur,324 das Kaiser-Wilhelm-Denkmal der Stadt Münster gestan320 Vgl. Marsch für Öffnung des Zwingers, in: Westfälische Nachrichten vom 09. Mai 1988. 321 Vgl. Stadtmuseum Münster, Akte Zwinger Bd. 10, Aktenvermerk zur Chronologie der Verhandlungen, 41 0 001, vom 24. September 1992. 322 Vgl. StA Münster, Slg-DS Nr. 742, Faltblatt Zwinger. 323 Vgl. Stadtmuseum Münster, Akte Zwinger Bd. 10, Aktenvermerk zur Chronologie der Verhandlungen, 41 0 001, vom 24. September 1992. 324 Vgl. Stefan Goebel, Stein des Anstoßes: Black Form, S. 327.

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den. Korrespondierend mit der Black Form errichtete Sol LeWitt die White Pyramid im Botanischen Garten der Universität. Erst kurz bevor die Ausstellung eröffnet wurde, erklärte Sol LeWitt am 14. Juni 1987, dass die Black Form nicht bloß eine Skulptur sei, sondern »dedicated to the Missing Jews«.325 In einem Brief an die Schriftstellerin Mona Yahia erklärte Sol LeWitt am 22. August 1987 die Intention seiner Widmung: »Nicht nur die im Holocaust verlorenen, die wirklich fort sind – sondern hauptsächlich die Tatsache, daß nun Münster (Deutschland, Europa) deren Kinder und die nächste Generation nicht mehr hat. Es würde jüdische Künstler, Gelehrte, Geschäftsleute, Lehrer, Bauern, Museumsdirektoren, Fabrikarbeiter etc. im Leben der Gemeinde geben – und es gibt sie nicht. Dies ist eine traurige Lücke, und ich dachte, sie sollte beachtet werden. Was nicht da ist – was fehlt – daran denkt man nicht, aber die Leute sollten hin und wieder daran erinnert werden. Dies soll sich nicht gegen die heutige Generation von Deutschen richten. Jene etwa nach 1930 geborenen, die nicht an dem Verbrechen mitgewirkt haben, sollten sich nicht genötigt fühlen, deswegen defensiv (offensiv) zu sein und in irrationaler Weise zu reagieren, außer natürlich wenn sie mit dem Verbrechen einverstanden sind und sich deshalb schuldig fühlen.«326 Klaus Bußmann, Direktor des Westfälischen Landesmuseums für Kunst und Kulturgeschichte, erklärte zur Skulptur: »Ich kenne kein anderes Beispiel einer so eindrucksvollen und tiefempfundenen Symbiose zwischen historischem Ort und aktueller ästhetischer Intervention.«327 Die Münsteraner sahen das mehrheitlich anders. Eine im September 1987 durchgeführte Umfrage der Westfälischen Nachrichten mit 700 eingegangenen Meinungen ergab für die Black Form – im Gegensatz zur White Pyramid – ein schlechtes Ergebnis. Bei der Frage, welches Objekt in Münster bleiben sollte, erhielt die Black Form fünf Zustimmungen, auf die gegenteilige Frage allerdings 38 Ablehnungen, die fünftmeisten. (Ungeschlagen in der Ablehnung war Richard Serras trunk mit 339 Ablehnungen.) Das Gegenläufige Konzert von Rebecca Horn wollten hingegen 31 Bürger behalten.328 Bereits während der Ausstellungsphase wurde die Black Form beschmiert (wie andere Kunst im öffentlichen Raum auch), die kleine Gedenktafel wurde gestohlen. Durch die hierauf folgende

325 Vgl. Körber-Archiv GW 1993-1937: Stefan Goebel, Stein des Anstoßes: Black Form (Dedicated to the Missing Jews), Beitrag zum Schülerwettbewerb Deutsche Geschichte um den Preis des Bundespräsidenten, S. 3-7. 326 Ebd., S. 8. 327 Vgl. Ebd., S. 7. 328 Vgl. Wolfgang Schemann, »Wir werden die Documenta übertrumpfen«, in: Westfälische Nachrichten vom 19. September 1987.

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Berichterstattung erlangte die bisher wenig beachtete Installation erst ihre große Bekanntheit.329 Nach dem Ende der Skulptur-Projekte begann eine breite Diskussion in der Öffentlichkeit. Während sich das Landesmuseum für den Erhalt einsetzte, führten der Regierungspräsident als Eigentümer des Platzes und die Universität entsprechend der Planung der Skulptur-Projekte im Februar 1988 den vereinbarten Abbruch der Black Form nach dem Ende der Ausstellungszeit durch.330 Bereits vor dem Abriss äußerten sich 36 Bedienstete der Universität dahingehend, dass die Skulptur viel zu gefährlich sei und schon Unfälle mit einem PKW provoziert habe. Den »Kunst-Spaß« könne man nun nicht mehr ertragen.331 Auch die Universität zeigte sich erfreut, dass der Beschluss des Rektorats umgesetzt wurde.332 Im Herbst 1988 entspann sich aufgrund einer Initiative der Vorsitzenden von CDU, SPD und FDP eine anderthalbjährige Debatte in der Stadt über den Ankauf und die Wiederaufstellung der Black Form. Die Grünen blieben der erhofften AllParteien-Initiative fern, da ihrer Ansicht nach die Diskussion über die Black Form von der Verpflichtung ablenke, eine eindrucksvolle wie aufklärerische Gedenkstätte für die Opfer des Faschismus zu errichten, obwohl seit zwei Jahrzehnten über den Zwinger debattiert werde.333 Die jüdische Gemeinde war über den nicht abgesprochenen Vorstoß und das Datum einer Diskussionsveranstaltung am Vorabend des 9. Novembers 1988 nicht erfreut. Man fühlte sich als Objekt behandelt.334 Das »Missverständnis« konnte zwar ausgeräumt werden, blieb aber als Makel bestehen.335 Hans-Otto Höyng, Vorsitzender der CDU, hatte die Initiative ergriffen und setzte sich selbst dann weiter ein, als er aus den eigenen Reihen Drohungen und Beschimpfungen »unter der Gürtellinie« erhielt und anonyme Anrufer mit wirtschaftlichen Konsequenzen drohten. Höyng führte gegenüber Stefan Goebel, Schüler des Wilhelm-Hittorf-Gymnasiums und Teilnehmer des Geschichtswettbewerbs des Bundespräsidenten im Jahr 1992/93, als Erklärung an, dass der Widerstand aus der CDU auf die Verdrängung und ausgebliebene Aufarbeitung des Nationalsozialismus sowie nationalistische Tendenzen zurückzuführen sei.336 Die Motivation von Höyng speiste sich, wie er Museumsdirektor Bußmann schrieb, aus der Faszination, nicht nur den verschwundenen Juden und der ungeborenen Generation ein

329 Vgl. Körber-Archiv GW 1993-1937: Stefan Goebel, Stein des Anstoßes, S. 4. 330 Vgl. Ebd., S. 3. 331 Vgl. Franz-Josef Wennemer, Schwarzer Fleck vorm Schloß muß weg, in: Münstersche Zeitung vom 2. Februar 1988. 332 Vgl. Abbruch vor dem Schloß, in: Westfälische Nachrichten vom 25. Februar 1988. 333 Vgl. Winfried Nachtwei, Sprecher der Grünen, in: kaufen & sparen vom 3. November 1988. 334 Vgl. Jeackel gegen »Black Form«, in: Münstersche Zeitung vom 27. Oktober 1988. 335 Vgl. Gemeinde ist interessiert, in: Westfälische Nachrichten vom 29. Oktober 1988. 336 Vgl. Stefan Goebel, Stein des Anstosses: Black Form, S. 335f.

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Denkmal zu setzen, sondern auch »tausenden von jungen Menschen vielleicht ›Anstoß‹« geben zu können. Der 50. Jahrestag des Novemberpogroms spielte auch eine Rolle, aber ebenfalls die Aussicht, dem Ruf Münsters etwas Gutes zu tun. So schrieb Höyng: »Ihr Hinweis, daß es [sic!] bisher kein Denkmal für die durch die millionenfache Ermordung fehlender[sic!] nachgeborener[sic!] Generation existiert, gibt dem Vorhaben eine über Münster reichende Bedeutung.«337 Innerhalb der FDP war die Idee ebenfalls umstritten. Lediglich der sozialdemokratische Unterbezirk Münster stand voll hinter seinem Vorsitzenden Klaus-Dieter Franke. 65 Zeitungsartikel und publizierte Leserbriefe hat der Münsteraner Walter Kutsch in seiner »Monasteria-Bibliothek« zum Streit über die Black Form gesammelt, sodass sich eine Auswertung dieses Korpus anbietet. Die Münstersche Zeitung lobte den Mut des Projektes und wunderte sich, dass die drei Parteivertreter diesmal ohne Streit zusammengefunden hätten, was selten sei für Münster. Für mutig hielt man die Entscheidung vor allem auch deshalb, weil die Black Form bereits während der Ausstellung von vielen angefeindet und abgelehnt worden sei wegen des ästhetischen Empfindens, wegen Widerstand gegen die Erinnerung an die »dunkle Nazi-Zeit« oder weil der Standort als falsch empfunden werde.338 Offen ablehnende Zuschriften gab es kaum in den Leserbriefspalten. Eine Ausnahme waren die Leserbriefe von Helene Menke. Sie verglich mehrfach die Erinnerung an die ungeborenen, fehlenden Juden mit der Abtreibungsdebatte und bezeichnete die Erinnerung an die einen und die Erlaubnis des anderen als schizophren.339 Erich Müller rechnete die Schuld der Deutschen mit der anderer Völker auf und forderte eine Black Form vor dem Weißen Haus wegen des »millionenfachen Mords« an den »Indianern« und »schätzungsweise 20 Millionen Schwarzen«. Auch Engländer, Russen und Franzosen würden sich bestimmt für eine Black Form interessieren, schloss sein Leserbrief ironisch.340 Die meisten Zuschriften beschäftigten sich indes mit der Aussagekraft der Black Form. Axel Bogocz beurteilte sie als ungeeignet, da sie zu wenig von ihrer Intention verrate und so vor allem den Blick auf das Schloss verbaue. Regelmäßige Aktionen der GCJZ seien da geeigneter als Monumentalskulpturen, die »am Thema vorbei klotzten«.341 Die Westfälischen Nachrichten lobten zwar, dass das Mahnmal keine gefällige, ästhetische Form habe – alles andere sei auch ein Widerspruch –, fragten aber, ob die schlichte Hässlichkeit des »schwarzen Sarkophags« die Idee der Politiker transportieren könne, und für Nicht-Kunstexperten verständlich 337

Vgl. Schreiben von Höyng an Prof. Bußmann, vom 23. März 1988, zitiert nach: Stefan Goebel, Stein des Anstosses: Black Form, S. 340f. 338 Vgl. Marion Scholz, Löbliche Ausnahme, in: Münstersche Zeitung vom 22. Oktober 1988. 339 Vgl. Helene Menke, Große Schizophrenie, in: Westfälische Nachrichten vom 31. Oktober 1988. 340 Vgl. Erich Müller, Schwarzer Klotz vorm Weißen Haus, in: Münstersche Zeitung vom 6. Dezember 1988. 341 Vgl. Axel Bogocz, »Black form« oder Blackout, in: kaufen & sparen vom 27. Oktober 1988.

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sei.342 Ein Leser der Westfälischen Nachrichten sprach von intellektuell aufgepfropftem Sinn und warnte, dass die mahnende Erinnerung jeden »kunstpolitischen Extremismus« verbiete.343 Die Grünen bemängelten, dass die Aussage des Denkmals außer seiner Provokation unstrittig und allgemein sei und nicht über den Appell traditioneller Denkmäler hinausreiche.344 Gisela Schultz bemängelte, dass die Black Form Aggressionen wecke, anstatt zum Versöhnen aufzurufen.345 Der wiederholt in Leserbriefen als Unterstützer des Mahnmals im Zwinger in Erscheinung getretene Heinz Büdding kritisierte die Einfachheit der Herstellung (die Black Form könne ein Lehrling im ersten Jahr in acht Stunden mauern) und die Assoziation zu schwarzen Wänden und Blöcken als Erschießungsstätten in Konzentrationslagern.346 Ein anderer Leserbriefverfasser befürchtete, dass das Mahnmal vor allem Empörung und Schmierereien provozieren würde. Das Mahnmal wäre an anderer Stelle besser aufgehoben, etwa neben der Synagoge.347 Diese Bemerkung lässt den Verdacht zu, dass hier die unbequeme Vergangenheit auf die Promenade, weit weg von dem Platz der Universität abgeschoben werden sollte. Generell ließen sich aus der Universität verschiedene ablehnen Stimmen vernehmen. Eine Arbeitsgruppe zur Vorbereitung eines Senatsausschusses für Kunst und Kultur der Universität schlug vor, die figürliche Plastik Moses, im Jahr 1964 von Erich Fritz Reuter geschaffen, wegen ihrer hebräischen Inschrifttafel mit den Worten »Du sollst nicht töten« als Ersatz für die Mahnung der Black Form an einen würdigeren Platz zu versetzen. Die Skulptur zeigt einen mageren, erschrockenen, Mitleid erregenden Menschen, dessen figürliche Darstellung als intuitiv begreifbar erachtet wurde. Der Arbeitsgruppe schien die Black Form zu unverständlich für einen normalen Betrachter.348 Die Personalratsvorsitzende der Universität bezichtigte den Künstler, erst später auf die Idee gekommen zu sein, der Skulptur einen anderen Sinn zu geben. Man wolle sich nun weder den schwarzen Block

342 Vgl. Erhard Obermeyer, Black Form: Mut zur Provokation, in: Westfälische Nachrichten vom 29. Oktober 1988. 343 Vgl. Karl-Josef Schukalla, Nur aufgepfropfter Sinn, in: Westfälische Nachrichten vom 29. Oktober 1988. 344 Vgl. Winfried Nachtwei, Sprecher der Grünen, in: kaufen & sparen vom 3. November 1988. 345 Vgl. Gisela Schulz, Kunstwerk weckt an dieser Stelle extreme Aggression, in: Westfälische Nachrichten vom 8. November 1988. 346 Vgl. Heinz Büdding, Schnellstens weg von dieser Idee, in: Münstersche Zeitung vom 18. Juli 1989. 347 Vgl. Dr. H. Kemmerich, Wie die Faust aufs Auge, in: Westfälische Nachrichten vom 4. November 1988. 348 Vgl. Mitglieder der Arbeitsgruppe zur Vorbereitung eines Senatsausschusses für Kunst und Kultur der Universität, Als Kunstwerk begreifen, in: Münstersche Zeitung vom 8. November 1988.

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noch seine nachträgliche Bedeutung als Kunst oktroyieren lassen.349 Im Dezember wandte sich Herbert Kober von der Universitätsverwaltung mit 189 nicht genannten, aber mitunterzeichnenden Universitätsangehörigen per Leserbrief gegen die Black Form. Sein Argument: Toten gedenke man mit würdigen Gedenkstätten. »Das gehört zur abendländischen Kultur«. Da man die Münsteraner mit etwas Hässlichem und Abstoßenden ärgern und provozieren wolle, sei dies kein würdiges Monument für die »vermißte Judengeneration.«350 Auch das Rektorat der Universität hatte sich im Laufe der Debatte in einer Stellungnahme gegenüber dem Regierungspräsidenten negativ gegenüber der Black Form geäußert.351 Das Studierendenparlament der Universität unterstützte hingegen die Pläne zur Wiederaufstellung der Black Form durch eine am 14. November 1988 einstimmig verabschiedete Resolution. Es begründete die Unterstützung damit, dass Juristen, Mediziner und Historiker zur pseudowissenschaftlichen Begründung der Rassengesetze und des Aggressionskriegs einen Beitrag geleistet hätten und dass sich die Universität diesem Aspekt der NS-Geschichte noch nicht gestellt habe. Gleichzeitig forderte die Vertreter*innen der Studierenden auch die Realisierung des zentralen Mahnmals am Zwinger.352 Neben dem Studierendenparlament gab es weitere befürwortende Wortmeldungen. Der stellvertretende Kreisvorsitzende der CDU sah in der Black Form eine Abkehr von der Verwendung von Kunst als »Beruhigungspille« und in Verbindung mit der störenden Funktion vor der Schlossfassade einen symbolischen schwarzen Fleck gegen die Verdrängung einer unrühmlichen deutschen Vergangenheit. Angesichts zunehmenden Ausländerhasses und eines Brandanschlags auf die Münsteraner Synagoge seien die Lehren aus der Geschichte noch nicht von allen Bürgern gezogen worden. Kein Buch eines Historikers, keine Gedenkveranstaltung werde jemals so viele, vor allem junge Menschen erreichen wie das Mahnmal auf dem Universitätsplatz.353 Beate Gerke-Rulle befürwortete die Black Form gerade wegen ihrer Aussagelosigkeit: »[…] weil ich dieses Maßlose in ihr wiederfinde, weil sie ahnen lässt, wie viel Geschehenes ich mir nicht ausmalen kann und niemals erfahre. […] Ich finde, indem diese Skulptur extrem ist, kommt sie der extremen Geschichte am nächsten.«354 Die Studentin Stefanie Wiech begrüßte die ständige Konfrontation 349 Vgl. Anette Wöstenkötter, Personalratsvorsitzende der Universität Münster, Tieferen Sinn andichten, in: Westfälische Nachrichten vom 18. November 1988. 350 Vgl. Herbert Kober, Motto: Münster stößt ab, in: Westfälische Nachrichten vom 1. Dezember 1988. 351 Vgl. Stefan Goebel, Stein des Anstoßes, S. 336. 352 Vgl. Für den »Black Form«-Wiederaufbau, Semesterspiegel Dezember 1988, hier zitiert anhand des Abdrucks in: Stefan Goebel, Stein des Anstosses: Black Form, S. 364. 353 Vgl. Werner Stolz, Kunst ist keine Beruhigungspille, in: Westfälische Nachrichten vom 4. November 1988, kaufen & sparen und Münstersche Zeitung vom 3. November 1988. 354 Vgl. Beate Gerke-Rulle, Extreme Geschichte – extreme Skulptur, in: Münstersche Zeitung vom 3. November 1988.

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mit dem Holocaust, forderte aber wegen der Anstrengungen, die Symbolik zeitgenössischer Kunst zu entschlüsseln, kunstpädagogische Hilfestellungen.355 Ebenso befürwortete Hans Sommer die Black Form als Denkanstoß universeller Natur, da sie auch an einen Atomkrieg oder eine Reaktorkatastrophe denken lasse. Ihm war der Standort für die Mitbürger aber zu abgeschieden und er forderte, die Black Form im Zentrum Münsters aufzubauen.356 Andreas Rulle votierte für eine Annahme des Geschenks, obwohl man es noch nicht liebe. »[…] das wäre ein starker Anfang. Und das wäre genau die Kraft, mit der wir damals die Juden hätten annehmen können, obwohl wir sie noch nicht liebten.«357 Bei einer Diskussion für und wider die Black Form am 8. November 1988 in der Aula des Schlosses waren die Reihen der Zuschauer spärlich besetzt, von einer Unterstützung des Vorschlags war wenig zu merken.358 Mehrfach wurde die Nutzung des Zwingers durch die Stadt als Mahnmal eingefordert.359 Nachdem 200 Bürger mit ihrer Unterschrift für die Wiederherstellung der Black Form geworben hatten, entschied sich die Initiative, Doppelpostkarten in einer Auflage von 10.000 Exemplaren herauszugeben, die als Bürgerantrag an den Rat dasselbe forderten. Die Aktion erwies sich aber als grandioser Fehlschlag, nur 151 Karten wurden eingesandt, ein Großteil wurde aufgrund mangelnder Unterstützung von den Parteien gar nicht verteilt.360 Am 13. September 1989 sprach sich der Rat der Stadt Münster etwas überraschend einstimmig für eine Wiederherstellung aus, nachdem Oberbürgermeister Twenhöfen die Unterstützung der Initiative angekündigt hatte. Der Regierungspräsident als Eigentümer des Platzes hatte aber bereits am 1. August 1989 das Vorhaben untersagt und brachte es damit endgültig zu Fall.361 Er begründete dies mit

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Vgl. Stefanie Wiesch, Zweifacher Lernprozeß, in: Münstersche Zeitung vom 5. November 1988. Vgl. Hans Sommer, Als Denkanstoß für das Handeln sehr zu begrüßen, in: Westfälische Nachrichten vom 7. November 1988. Vgl. Andreas Rulle, Diesen Stein annehmen …, in: Westfälische Nachrichten vom 18. November 1988. Vgl. Foto in Westfälische Nachrichten vom 9. November 1988. Bildunterschrift: Reichlich spärlich besetzt waren die Reihen in der Aula des Schlosses, als gestern abend die Vorsitzenden der drei Altparteien zur Diskussion über die »Black Form« als Mahnmal eingeladen hatten. Foto -dkk-. So Winfried Nachtwei in der Diskussionsveranstaltung, vgl.: Der politische und künstlerische Störfall, in: Westfälische Nachrichten vom 9. November 1988. Auch die Friedensinitiative Münster mahnte die Vollendung des Zwingers an: Warum ohne Beteiligung der Betroffenen?, in: Westfälische Nachrichten vom 9. November 1988 und Münstersche Zeitung vom 12. November 1988. Vgl. Stefan Goebel, Stein des Anstosses: Black Form, S. 337. Vgl. ebd.

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dem Respekt vor dem Baudenkmal des Schlosses und mit der festgelegten Nutzung der Fläche nur für vorübergehende Aktionen.362 Ende Oktober 1989 stimmte schließlich die Bezirksvertretung in Hamburg-Altona einstimmig für den Ankauf der Black Form und weihte das neu aufgebaute Kunstwerk bereits im November 1989 ein. James E. Young stellte 1993 fest, dass womöglich kein Zeichen die widerstreitenden, sich selbst verleugnenden Motive der Erinnerung in Deutschland mehr repräsentiere als das verschwundene Monument. Niemand nähme Erinnerungszeichen ernster als die Deutschen, fast monatlich gebe es neue Wettbewerbe für Erinnerungszeichen gegen Krieg und Faschismus, für Frieden oder zur Sichtbarmachung von historischen Orten der Vernichtung oder Deportation. »No less industrious than the generations preceding them, German teenagers now work as hard at constructing memorials as their parents did in rebuilding the country after the war, as their grandparents did in building the Third Reich itself.« Erinnerungsarbeit in Deutschland bleibe eine quälende, selbstreflektierende, lähmende Beschäftigung. Jedes Denkmal werde auf Schritt und Tritt endlos geprüft, erklärt und debattiert. Künstlerische, ethische und historische Fragen nähmen Wettbewerbskommissionen in einem Maß in Anspruch, der in anderen Ländern unbekannt sei. Das beste deutsche Erinnerungszeichen sei möglicherweise die nie abgeschlossene Debatte über die Art der Erinnerung, was bewahrt werden solle, wie dies durchzuführen sei, in wessen Namen und zu welchem Ziel.363 Die Vollendung des Erinnerungszeichens im Zwinger Nachdem sich der Rat für Das gegenläufige Konzert ausgesprochen hatte, begannen die Arbeiten zur Sanierung des Zwingers und auch die Verhandlungen mit Rebecca Horn, die sich als außerordentlich schwierig erwiesen. Die Installation war 1987 in einer Ruine eingerichtet worden, jetzt sollte diese saniert, überdacht und aufgehübscht werden, sodass die ursprüngliche Aussage des Kunstwerks nicht mehr die gleiche war. Besonders die Beseitigung der Vegetation, die sich in der Ruine eingenistet hatte, war Horn ein Dorn im Auge. 1990 war sie für die Stadt Münster zehn Monate lang nicht zu erreichen und beim angesetzten Ortstermin am 12. Dezember 1990 erkrankt.364 Erst im Mai 1991 kam es in Münster zu einem Ortstermin, nachdem die beiden Parteien sich schon im Februar einmal in Berlin getroffen hatten. Rebecca Horn

362 Vgl. »Black Form«: RP verweigert Aufstellung vor dem Schloß, in: Münstersche Zeitung vom 10. August 1989. 363 Vgl. James E. Young, The texture of memory, S. 18-21. 364 Vgl. Stadtmuseum Münster, Akte Zwinger Bd. 10, Aktenvermerk zur Chronologie der Verhandlungen, 41 0 001, vom 24. September 1992.

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Abb. 43: Die Black Form in Hamburg-Altona

Foto: Jan Niko Kirschbaum

lehnte dabei jegliche Schautafeln am oder im Zwinger unter Hinweis auf ihr künstlerisches Konzept ab.365 Nachdem im August 1991 ein Vorgutachten festgestellt hatte, dass die Integration der Installation in das Gemäuer prinzipiell möglich war, begann wieder eine längere Phase, in der die Stadt Münster Rebecca Horn nicht erreichen konnte. Erst im September 1992 wandte sie sich an die Stadt und bat um die Beantwortung inhaltlicher Fragen zur Restaurierung, um dann zu entscheiden, ob sie weiterhin eine Reinstallation befürworten könne.366 Ende 1992 musste aufgrund des rasch fortschreitenden Verfalls der Bausubstanz ein Notdach über dem Zwinger errichtet werden. 1993 stellte das Land Mittel in Höhe von vier Millionen Euro aus Anlass des Stadtjubiläums zur Verfügung, die auch dem Zwinger zu Gute kommen sollten. Gleichzeitig setzte sich Ministerpräsident Rau bei der Stiftung »Kunst und Kultur« des Landes NRW dafür ein, Mittel für den Ankauf der Installation bereitzustellen. Am 4. Mai 1994 folgte schließlich der endgültige und einstimmige Beschluss des Stadtrates zur Sanierung des Zwingers mit Integration des Gegenläufigen Konzerts und Ankauf desselbigen. Die Widmung lautete: »Er erinnert an die Opfer der Gewalt in Münster, an die Opfer der Kriegsgewalt und

365 Vgl. StA Münster, V-OstD 209, Aktenvermerk vom 14. Mai 1991. 366 Vgl. Stadtmuseum Münster, Akte Zwinger Bd. 10, Aktenvermerk zur Chronologie der Verhandlungen, 41 0 001, vom 24. September 1992.

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der Verfolgung Unschuldiger, er erinnert besonders an die unmenschliche Strafjustiz und den Terror gegen politische Gegner, Angehörige von Minderheiten und Kriegsgefangene während des Nazi-Regimes.« Für die Sanierung erhielt die Stadt Unterstützung durch das »Europäische Zentrum Schloß Raesfeld – Gesellschaft für Denkmalpflege, Bauwerksunterhaltung und umweltschonendes Bauen«. Das Land beteiligte sich mit 250.000 DM und die Stiftung »Kunst und Kultur« des Landes NRW mit 200.000 DM367 am Ankauf der Installation, deren Kosten 700.000 DM betrugen. Von den Gesamtkosten in Höhe von drei Millionen DM hatte die Stadt Münster laut Beschluss vom 4. Mai 1.164.000 DM zu tragen, also knapp 38 %.368 Am 18. Juni 1997 wurde der Zwinger schließlich als Mahnmal der Stadt Münster eingeweiht. In einem Faltblatt des Stadtmuseums zum Mahnmal wurde dieses nun wie folgt beschrieben: »An den Wänden der fast spiralartig verlaufenden Gänge sind 42 Metallhämmer befestigt, deren rhythmisches Ticken die Stille des Ortes durchdringt. Rote ewige Lichter flackern und spenden einen Hauch von Helligkeit in der sonst beklemmenden Finsternis. Auf dem Weg ins Innere des Zwingers befindet sich in einer Nische ein Ei, das von zwei spitzen Metallstäben in einem prekären Schwebezustand gehalten wird. Wie dieses symbolträchtige Ding der tierischen Natur nistet Horn ein Paar schlangenartige Gestalten in einen Nebenraum des Gebäudes ein, die sich bei Berührung elektrifizieren und Funken ausstrahlen. Im tiefsten Inneren des Zwingers tropft von weit oben – wie vom Himmel kommend – regelmäßig Wasser aus einem Trichter herab, das in eine dunkle Zisterne zwölf Meter tief in einen Schacht herabfällt. Horns Eingriffe in die Räume des Zwingers versetzen die Besucher in ein Wechselbad der Gefühle. Beklemmende Erinnerungen an eine brutale menschenverachtenden Vergangenheit, aber auch eine belebende Faszination durch die ursprünglich wirkende Schönheit von Naturphänomenen werden durch Rebecca Horns Kunstwerk erweckt. Die düsteren Erinnerungen der Vergangenheit, aber auch die heilenden Urkräfte der Natur, versetzen die Besucher des Zwingers in ein zeitliches Kontinuum. Man hat das Gefühl, daß die Zeit zurück gedreht wird, aber gleichzeitig ist die erneuernde Kraft einer lebenden Gegenwart deutlich spürbar. Vergangenheit und Gegenwart treffen sich simultan – das »gegenläufige Konzert« findet seinen zeitlichen Anklang im Raum des Zwingers. Als Mahnmal verharrt Horns Kunstwerk auf keinen Fall in der rechthaberischen Eindimensionalität vieler offizieller Gedenkstätten – durch das Kunst-

367 Die Summe wird in der Vorlage 408/94 noch als nicht gesichert angegeben, von den Westfälischen Nachrichten dann bestätigt. Vgl. »Ja zum Mahnmal gegen die Gewalt«, in: Westfälischen Nachrichten vom 5. Mai 1994. 368 Vgl. Stadtmuseum Münster, Akte Zwinger Bd. 10, Vorlage 408/94.

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werk wird das mahnende Gebot der Geschichte, aber auch die lebensbejahende Kraft der Hoffnung auf eine bessere Zukunft freigesetzt.«369 Oberbürgermeisterin Marion Tüns (SPD) hielt die Ansprache. Sie erinnerte an die Geschichte des Gebäudes, die Geschichte der Debatte um das Mahnmal und berichtete von persönlichen Erfahrungen am Mahnmal: »Jedesmal, wenn ich vor diesem Bauwerk stehe, lösen sie [die runden Mauern, Anm. JNK] in mir die Erinnerung an die dunkelsten Kapitel deutscher Geschichte aus und appellieren an meine Pflicht, mich für den Frieden und gegen Rechtsradikalismus einzusetzen.« Darin sah sie auch die fortdauernde Aufgabe des Zwingers, nämlich »Erinnerung wachzuhalten an den Schrecken und menschenverachtenden Terror, an die grausame Folterung und feigen Morde der Nationalsozialisten und Mahnung zu sein für unsere eigene persönliche Bereitschaft, diese Geschichte unwiederholbar zu machen[…].« Tüns Prognose: »Dieses Mahnmal Zwinger ist ein stummer Zeitzeuge, der auf seine Weise zu den Menschen spricht. Zu den noch lebenden Zeitzeugen, zu den jungen Menschen und zu den zukünftigen Generationen. Seine Sprache wird in jede Zeit passen und zu jeder Zeit Widerspruch gegen Gewalt sein.«370 In Münster gelang es Stadtverwaltung, Politik und Bürgerschaft erst nach einer Jahrzehnte dauernden Debatte, sich auf ein Erinnerungszeichen zu einigen und eine Pluralität der Interpretationen zuzulassen. Die erneute Diskussion des Zwingers als Ort und Erinnerungszeichen kam durch die Friedensbewegung und den Jugendring in Gang. Nach einem verweigerten Friedensdenkmal gegen den »atomaren Wahnsinn« versuchten Rat und Verwaltung in konstruktiven Gesprächen mit dem DGB und dem Jugendring zu einem Ergebnis zu kommen. Als dieses nicht zu erzielen war, schuf die Friedensbewegung in einem Akt zivilen Ungehorsams Fakten, in dem sie einen Gedenkstein errichtete, dessen Entfernung sich die Stadt nur schwer ohne Ansehensverlust leisten konnte – erst recht, nachdem dieser mehrfach Opfer rechtsradikaler Attacken geworden war. Das schließlich neben den beiden Gedenktafeln noch ein erweitertes Gedenken stattfand, verdankte die Stadt Münster der Künstlerin Rebecca Horn, deren Installation mit Fördergeldern erworben, der Zwinger saniert und die Stadt Münster um eine Sehenswürdigkeit reicher gemacht werden konnte. Bei Sol Le Witts Black Form hingegen gelang es nicht, diesen Kompromiss zustande zu bringen. Hier fühlte sich nicht nur die Universität zu einem Gedenken von außen gezwungen und nicht wenige begrüßten die Entscheidung des Regierungspräsidenten gegen das Kunstwerk, das in HamburgAltona hingegen willkommen war. Während in Münster eine lange Debatte mit einem Erinnerungszeichen erfolgreich abgeschlossen wurde, scheiterte in Bonn ebenfalls nach einer langen Pla369 StA Münster, Slg-DS Nr. 742, Faltblatt Zwinger. 370 Vgl. StA Münster, Obm Nr. 605, Ansprache bei der offiziellen Übergabe des restaurierten Zwingers durch Oberbürgermeisterin Marion Tüns am 18. Juni 1997.

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nungsphase die Stiftung eines neuen nationalen Ehrenmals. Die Gründe hierfür werden im folgenden Kapitel untersucht.

4.7

Gescheitert: Das nationale Mahn- und Ehrenmal in Bonn (1975-1986)

Während in Münster der lange Streit um ein Mahnmal letztendlich 1985 und 1997 zu einem erfahrbaren Erinnerungszeichen führte, überlegten in Bonn verschiedene Ministerien ab den späten 1970er Jahren, das 1964 eingeweihte Ehrenmal zu ersetzen. Der etwa zehn Jahre währende Prozess scheiterte letztendlich nach langen Debatten im Bundestag, wo es keine Mehrheit für das Projekt gab. Während die bislang untersuchten Beispiele erfolgreiche lokale Denkmalsetzungen der 1980er Jahre darstellen, soll hier am Beispiel der Auseinandersetzung zwischen den Ministerien und den Parteien im Bundestag das Scheitern eines Bundeserinnerungszeichens analysiert werden. Der Prozess der Planung des nationalen Mahn- und Ehrenmals der Bundesrepublik ist in den Beständen B106/77168 und B106/160274 des Bundesarchivs ausführlich dokumentiert, lediglich 20 Blatt des letztgenannten Bestandes lagen zum Zeitpunkt der Einsichtnahme noch innerhalb der Schutzfrist und konnten nicht einbezogen werden. Einige Quellen stammen auch aus den Akten des Bundespräsidialamtes (B122) und dem Stadtarchiv Bonn. Die Diskussion um das Mahnmal beim Forum des Bundes deutscher Architekten ist in »Der Architekt 12/1984« ausführlich dokumentiert, die stenographischen Mitschriften der Bundestagsdebatten und die Fraktions-Anträge im Deutschen Bundestag in dessen digitaler Datenbank. Mit der »Gelassenheit unbefangenen Denkens«: Eine neue deutsche Gedenkstätte in Bonn Der neue Anlauf für ein nationales Mahn- und Ehrenmal begann Ende 1974, gerade einmal zehn Jahre nachdem überhaupt ein Erinnerungszeichen in Bonn geschaffen worden war. Sowohl Bundespräsident Scheel (FDP) als auch Außenminister Genscher (FDP) zeigten daran Interesse. Scheel, der seit dem 1. Juli 1974 als Bundespräsident amtierte, beklagte in einer Besprechung mit Bundesinnenminister Maihofer (ebenfalls FDP) am 21. November 1974, dass es keine würdige »Gedenkstätte für die Ehrung aller Opfer der Kriege sowie des Widerstandes und der Verfolgung« gebe.371 Wenig später wandte sich Außenminister Genscher an Bundeskanz371

Vgl. BArch B106/77168, Bd. 6, Auszug aus dem Ergebnisvermerk über eine Besprechung von Bundespräsident und Bundesinnenminister am 21. November 1974. Die Paginierung dieses Bestandes endet in Bd. 4. (siehe Kap. 2.7).

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ler Schmidt (SPD) und argumentierte aufgrund kürzlich gemachter Erfahrungen bei Kranzniederlegungen in Moskau und Washington: Das Ehrenmal im Hofgarten sei so ausdruckslos, dass »[es] nicht als eine angemessene moralische und künstlerische Andeutung des trauernden und ehrenden Gedenkens unseres Volkes und Staates an Millionen Tote gilt.« Er betonte, dass ausländische Besucher darüber staunten, dass die BRD nicht den Mut aufbringe, ein sichtbares, mahnendes Bekenntnis zu den Gefallenen und Opfern der Gewaltherrschaft zu errichten. Dabei, so stellte er heraus, dachte er nicht an eine monumentale Stätte, sondern an eine »künstlerisch eindringliche Skulptur an passender Stelle«. Die Unterstützung der Soldatenverbände und auch des Bundesverteidigungsministers Leber (SPD) wusste er auf seiner Seite.372 Schon im August 1972 hatte sich das BMI gegenüber dem Bundespräsidialamt vorsichtig offen zur Schaffung eines »Nationaldenkmals für die Opfer nationalsozialistischer Gewaltherrschaft« gezeigt. Es verwies auf den geplanten Bau eines Parlaments- und Regierungsviertels in der Bundeshauptstadt zwischen Bonn und Bad Godesberg. Hierbei könne sich die Gelegenheit ergeben, eine neue, moderne Gedenkstätte für die Opfer der Kriege und der Gewaltherrschaft zu schaffen, »die nicht nur der Größe der gebrachten Opfer angemessen ist, sondern auch der Selbstdarstellung der Bundesrepublik besser gerecht wird und den Gedanken der Versöhnung und Wiedergutmachung stärker betont, als dies bei dem schlichten und sehr bescheidenen Ehrenmal im Bonner Hofgarten der Fall ist.«373 Es fällt auf, dass die Argumente, die zehn Jahre zuvor das Aussehen und den Standort des Ehrenmals entscheidend beeinflusst hatten – die Bescheidenheit und damit verbundene Würde und der provisorische Charakter der Bundeshauptstadt – nun weitgehend kritisiert wurden. Das BMI stellte 1975 fest, dass die Kritik am Ehrenmal mit seiner äußersten Einfachheit und betonten Zurückhaltung berechtigt sei. Die Anlage drücke eine 1964 vorherrschende zeitbedingte Befangenheit aus, die es heute nicht mehr gebe. Nun sei eine »Gelassenheit unbefangenen Denkens« eingetreten und damit das »Bewußtsein allgemein wiedergekehrt, daß es zu den selbstverständlichen Aufgaben eines Kulturvolkes gehört, sich zu seinen Toten, die ihr Leben für Alle hingegeben haben, ihrem Opfer entsprechend und der Mahnung folgend, die sie den Lebenden überlassen haben, zu bekennen und ihrer würdig und ehrenvoll zu gedenken.« Die bauliche Gestaltung müsse dementsprechend Achtung gebieten und gleichzeitig zur Besinnung einladen.374 372 Vgl. BArch B106/77168, Bd. 5, Schreiben des Bundesaußenministers Genscher an Bundeskanzler Schmidt vom 17. Dezember 1974. 373 Vgl. BArch B106/77168, Bd. 5, Stellungnahme ggü. dem Bundespräsidialamt zur Anregung eines Nationaldenkmals für die Opfer des Nationalsozialismus durch Leo Baer vom 21. August 1972. 374 Vgl. BArch B106/77168, Bd. 6, Ministervorlage Betr. Ausbau der Bundeshauptstadt, hier: Errichtung eines Ehrenmals vom 24. Januar 1975.

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Zu Beginn des Jahres 1975 zeigte sich der Bundeskanzler gegenüber dem Anliegen, ein neues Erinnerungszeichen zu errichten, aufgeschlossen375 und im Bundesinnenministerium begann mit einer Ministervorlage ein Prozess, der über elf Jahre dauerte und außer der Verlegung der Gedenktafel vom Hofgarten zum Nordfriedhof kein manifestes Ergebnis mit sich bringen sollte. Zunächst versuchte das BMI intern zu einer einheitlichen Position zu gelangen, was sich aber als sehr schwierig erwies. Einig war man sich darin, eine Totengedenkstätte zu errichten und kein nationales Ehrenmal, denn dieses müsse sich mit der Einheit der Nation beschäftigen und sei am ehesten in Berlin zu errichten. Uneinig war man sich im Innenministerium hingegen bei der Frage, ob das Gedenken nur den deutschen Opfern oder auch ausländischen Opfern gelten sollte. Die einen argumentierten, dass die nach 1945 etablierte Praxis »allen Opfern« undifferenziert zu gedenken, diese Interpretationsmöglichkeit zulasse und eine christliche und humanistische Gesinnung eine solche Lösung befürworte. Das aber, so lautete das Gegenargument, hätte den Charakter des Ehrenmals verändert. Es gehe um eine Gedenkstätte des eigenen Volkes, wie es den »Gepflogenheiten in den Staaten der Welt« entspreche. »Überall gilt der Grundsatz, dass es nicht Sache des eigenen Volkes sein kann, durch eine Gedenkstätte an die Todesopfer zu erinnern, die fremde Völker bringen mußten. […] So geschieht es überall.« Zwar räumte der Verfasser ein, dass sich die Bundesrepublik verpflichtet fühlen müsse, der Angehörigen »fremder Völker« zu gedenken, die von der NS-Gewaltherrschaft verfolgt wurden. Aber diese Aufgabe übernähmen schon die Gedenkstätten im Lande, die an die Opfer der NS-Konzentrationslager erinnerten und dafür weltweit anerkannt würden. Außerdem entspräche es den Erwartungen, insbesondere der ausländischen Staatsgäste, eine Gedenkstätte nur für die Toten eines Volkes – der Deutschen – vorzufinden. Andere Mitarbeitende des BMI plädierten in ihrer Stellungnahme dafür, keine Rücksicht auf die Staatsangehörigkeit zu nehmen, sondern nur die Opfer fremder Diktaturen und Kriege, an denen das »deutsche Volk« nicht unmittelbar beteiligt war, auszuschließen. Einig war man sich darin, dass kein Bezug zum Zweiten Weltkrieg und der Zeit des Nationalsozialismus hergestellt werden sollte, damit der Kreis der Geehrten und Gedachten auch auf die Opfer der Gewaltherrschaft der Alliierten nach 1945 [sic!] und der gegenwärtigen Gewaltherrschaft in der DDR ausgedehnt werden könne. Zudem sollten auch die Vertriebenen einbezogen werden und man machte sich außerdem Gedanken, ob denn Opfer politischer Attentate auch zum Opferkreis

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Vgl. BArch B106/77168, Bd. 5, Schreiben des Chefs des Bundeskanzleramtes an Bundesinnenminister Maihofer vom 3. Januar 1975.

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gehören sollten, als Beispiel wählte man »eine […] Explosion in einer voll besetzten Lufthansa-Maschine«.376 Das Bundesinnenministerium war sich bewusst, dass die Entscheidung für eine gemeinsame Gedenkstätte ein schwieriges Unterfangen war und die »Opfertode« der drei zentralen Gruppen keineswegs Gemeinsamkeiten hatten, sondern höchst unterschiedlich gewesen waren. In den Worten der Vorlage: »Ein Besonderes des Soldatentodes liegt darin, daß sich der Soldat, in der Bereitschaft und mit dem Willen, sein Leben einzusetzen, aktiv dem Kampf in unmittelbarem Kriegsgeschehen stellt. Gleiches enthält der Tod der vom Kriegsgeschehen betroffenen Zivilpersonen nicht, ebenso nicht derjenigen, die ihr Leben durch Gewaltmaßnahmen des NS-Regimes lassen mußten. Unterschiede bestehen auch zwischen dem Kriegstod von Zivilpersonen und dem Tod von Opfern der Gewaltherrschaft, vor allem wegen des oft besonders großen Maßes von körperlicher und seelischer Qual, die den Opfern der Gewaltherrschaft bis zu ihrem Tode aufgebürdet wurde, besonders auch deshalb, weil sie häufig durch ihr eigenes Handeln die Gefahr ihres Todes heraufbeschworen und, im Bewußtsein dessen, gleichwohl handelten. Deshalb haben gerade sie einen Anspruch darauf, daß ihr Opfertod als ein besonderer dargestellt und gewürdigt wird.«377 Die Konsequenz aus dieser Erkenntnis war die Forderung, die Gedenkstätte so zu gestalten, dass die unterschiedlichen Opfergruppen ausreichend widergespiegelt würden und auch ausländische Staatsgäste die Möglichkeit hätten, einzelne Opfergruppen zu ehren. Diese Ansicht führte zu internem Widerspruch: Der Gegenentwurf sah eine Gedenkstätte vor, die genügend Platz für das Zeremoniell und die beteiligte Bevölkerung bieten sollte, sodass Ansprachen gehalten und Lieder gespielt werden könnten. Man könne auch nicht »ein für allemal ausschließen«, dass eine Ehrensalve geschossen werde. Wichtig zur Integration der Gedenkstätte in das öffentliche und gesellschaftliche Leben sei auch ein Mindestmaß an Attraktivität für Touristen und die Bevölkerung der Umgebung.378 Wenig später machte sich das BMI bereits erste Gedanken zur Inschrift. In einem Vermerk wurde festgehalten, dass der »üblich gewordene Text ›Für die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft‹« nicht mehr den gegenwärtigen Bedürfnissen entspreche. Zwar wurde anerkannt, dass die Zeitgenossen nach 1945 allein durch 376 Vgl. BArch B106/77168, Bd. 6, Ministervorlage Betr.: Ausbau der Bundeshauptstadt, hier: Errichtung eines Ehrenmales vom 24. Januar 1975, sowie Stellungnahme der Referate V I 6 und V I 7 vom 31. Januar 1975. 377 BArch B106/77168, Bd. 6, Ministervorlage Betr.: Ausbau der Bundeshauptstadt, hier: Errichtung eines Ehrenmales vom 24. Januar 1975. 378 Vgl. BArch B106/77168, Bd. 6, Ministervorlage Betr.: Ausbau der Bundeshauptstadt, hier: Errichtung eines Ehrenmales vom 24. Januar 1975, sowie Stellungnahme der Referate V I 6 und V I 7 vom 31. Januar 1975.

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die Erwähnung des Wortes Gewaltherrschaft einen NS-Bezug herstellten. Nun sei die Kürze der Inschrift aber unzureichend, denn sie sei zu abstrakt, distanziert und biete Raum für Interpretation. Der neue Inschrifttext müsse mehr informieren, anstatt sich auf die Informiertheit der Betrachtenden zu verlassen und er müsse den Ausdruck innerer Teilnahme beinhalten. Die häufige Benutzung der alten Formel habe diese schablonenhaft und stereotyp werden lassen. Neben einem neuen, eher erklärenden, aber auch emotionaleren Text, überlegte man im BMI, beispielhaft Orte und Jahreszahlen bedeutender Ereignisse für die drei Opfergruppen zu nennen, wie »Stalingrad 1943«, »Dresden 13./14. Februar 1945« und »Auschwitz 19431945.« Auch die stellvertretende Bestattung von Opfern an der Gedenkstätte wurde in Erwägung gezogen.379 Am 26. Juni 1975 fand eine Besprechung mit Vertretern des BMI, des Bundesverteidigungsministeriums, des Auswärtigen Amtes, des Bundeskanzleramtes und des Bundespräsidialamtes statt, bei der die Frage des Standorts des Denkmals zum ersten Mal näher erörtert wurde. Unter anderem der fehlende Erfolg bei der Beantwortung der Standortfrage verzögerte die Pläne des nationalen Ehrenmals für lange Zeit. Im Juni 1975 legten die Beteiligten zunächst den Bedarf fest: Das Areal musste Platz bieten für eine große Anzahl an Teilnehmenden und die militärischen Ehrenformationen, sollte an einem landschaftlich oder städtebaulich hervorgehobenen Ort des Stadtgebietes gelegen, dabei aber vom Straßenverkehr unbeeinträchtigt sein und in der Nähe des Bundespräsidialamtes, des Bundeskanzleramtes, und der Bundestags- und -ratsgebäude liegen. Eine vorangegangene Besprechung mit der Stadt Bonn hatte sieben mögliche Standorte ergeben. Von diesen wurden sechs in der Besprechung aussortiert: Das Gelände am Alten Zoll war schon in den 1960er Jahren diskutiert worden und wurde nun als zu klein und städtebaulich nicht passend verworfen. Der Erwerb des Grundstücks des Hotels Königshof wurde für zu teuer befunden. Auch der Platz vor dem Poppelsdorfer Schloss war bereits in den 1960er Jahren besprochen worden und wurde nun wieder abgelehnt, weil eine Gedächtnisstätte den baulichen Eindruck verändert hätte und auch die Anbindung eher schlecht war. Der hinter dem Schloss gelegene Botanische Garten an der Reuterstraße wurde zwar als geeignet eingestuft, aber die Zweckentfremdung des Geländes und seiner Gebäude als nicht zumutbar ausgeschlossen. Der Panoramaplatz am Rhein in Bad Godesberg wies alle nötigen Anforderungen auf – bis auf eine: Die Erschließung war nur über schmale Straßen möglich, sodass Staatsgäste mehrere 100 Meter bis zum Areal und dann zum Erinnerungszeichen zu Fuß zurückzulegen hätten. Der letzte abgelehnte Standort gehörte der Gärtnerischen Lehr- und Versuchsanstalt und befand sich an der Kreuzung von Stresemannstraße und Mittelstraße. Die Kreuzung war einer der beiden Gründe, die zur 379 Vgl. BArch B106/77168, Bd. 6, Vermerk Betr. Errichtung eines neuen Ehrenmales in Bonn vom 14. Februar 1975.

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Ablehnung führten, denn sie wurde als zu verkehrsreich betrachtet. Außerdem lag das Areal in einem Bereich, in dem in den nächsten 10 Jahren zahlreiche Baustellen im Rahmen des Ausbaus der Bundeshauptstadt die Ruhe des Ortes beeinträchtigen würden. Stattdessen entschieden sich die Teilnehmer der Besprechung für das Gelände rund um den Bismarck-Turm in der Rheinaue im Bonner Stadtviertel Gronau. Es handelte sich um einen damals noch landwirtschaftlich genutzten Bereich, für den ein Landschaftspark vorgesehen war, der mit der Bundesgartenschau 1979 auch realisiert wurde. Die Größe und der Charakter der geplanten Parkanlage wurde positiv bewertet, auch die Lage nahe den Neubauten für Bundestag und Bundesrat wurde gelobt und ebenso, dass die Parkanlage noch nicht gebaut war, sodass die benötigten Zufahrtswege rechtzeitig noch eingeplant werden konnten.380 Der Bundespräsident war mit dieser Lösung einverstanden.381 Man wollte zeitnah die Zustimmungen der Fraktionen des Bundestages einholen und das Ehrenmal in der Gronau bis zur Eröffnung der Bundesgartenschau 1979 errichten.382 Der ehrgeizige Plan ließ sich nicht umsetzen. Erst fehlte das Geld, dann kam der Standort wieder abhanden: Im Sommer 1977 mussten die beteiligten Ministerien erkennen, dass die Planungsgelder, die bisher mit ca. 70.000 DM veranschlagt worden waren, erneut nicht in den Bundeshaushalt aufgenommen worden waren. Den Vorschlag des Auswärtigen Amtes, den VDK zur Finanzierung heranzuziehen, lehnten die anderen Ministerien mit Hinblick auf die Gestaltungshoheit des Bundes ab. Eine Co-Finanzierung wollte man aber ansprechen.383 Im August meldete sich dann die Verwaltung des Deutschen Bundestages zu Wort und lehnte den Standort in der Gronau aus zwei Gründen ab: Zum einen werde durch den geplanten Neubau des Bundestages der Bannkreis um das Parlament nach Süden bis zur Konrad-Adenauer-Brücke ausgedehnt und umfasse damit auch den Standort des geplanten Ehrenmals. Damit falle jede Versammlung oder jeder Aufzug unter §3 des Bannmeilengesetzes und werde genehmigungspflichtig. Die Verwaltung des Bundestages befürchtete, dass nicht genauer definierte »extremistische Gruppen« unter dem Vorwand des Besuchs des Ehrenmales die Genehmigung dazu nutzen könnten, im unmittelbaren Umfeld des Bundestages aggressive und gewalttätige Demonstrationen durchzuführen. Zum anderen wurde die nötige Zufahrt kritisiert, denn öffentliche Verkehrswege waren bislang nicht eingeplant und würden den gewünschten, fließenden Übergang des Rheinauenparks in die Garten-

380 Vgl. BArch B106/77168, Bd. 6, Anschreiben und Niederschrift der Besprechung am 19. Juni 1975 vom 20. Juni 1975. 381 Vgl. BArch B122/58783, Schreiben des Bundespräsidialamtes an den Bundesinnenminister vom 24. September 1975. 382 Vgl. BArch B106/77168, Bd. 6, Vermerk zur Besprechung am 13. Februar 1976, vom 16. Februar 1976. 383 Vgl. BArch B106/77168, Bd. 7, Vermerk Betr. Errichtung eines Ehrenmales vom 28. Juni 1977.

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anlage des Bundeshauses unterbrechen und den Charakter der Anlage stören.384 Der Bundesgrenzschutz und das Bundeskriminalamt unterstützten die Position der Verwaltung des Bundestages.385 Die naheliegende Überlegung, durch Nutzung des rechtsrheinischen Teils des Rheinauenparks die Bannmeile zu verlassen, wurde vom Auswärtigen Amt aus protokollarischen Gründen abgelehnt. Es wollte bei Staatsbesuchen die Konrad-Adenauer-Brücke nicht mehrfach oder für längere Zeit für den Verkehr sperren.386 Ehrenmal statt Gedenkstätte: Der Primat des Soldatentodes Während sich die Bundesministerien mit Geld- und Standortfragen beschäftigten, legte der VDK im April 1977 eine Schrift mit dem Titel »Überlegungen für ein zentrales Ehrenmal in der Bundeshauptstadt Bonn« vor, die vom VDK-Architekten Dr. Georg Fischbacher verfasst worden war. Er forderte, dass das Hochbauprogramm der Bundeshauptstadt die Errichtung eines »zentralen Ehrenmals für die Toten beider Weltkriege und die Opfer der Gewaltherrschaft« beinhalten sollte. Die Schrift verwies darauf, dass jede Hauptstadt in Ost und West ein zentrales Ehrenmal besitze, nur die Bundesrepublik nicht. Der Bonner Nordfriedhof wurde wegen seines zivilen und kommunalen Charakters, sowie seiner Entfernung vom Stadtzentrum abgelehnt. Das Ehrenmal im Hofgarten charakterisierte der VDK als »primär den Opfern der Gewaltherrschaft gewidmet.« Das neue zentrale Ehrenmal sollte Kranzniederlegungen gemäß internationalen Gepflogenheiten ermöglichen und zum Frieden mahnen. »Um das Bewußtsein für Geschichte, für die Opfer des Krieges und Terrors wachzuhalten, bedarf es eines sichtbaren Zeichens, das über das Ehrenmal im herkömmlichen Sinne hinausgeht, alle Opfer der Kriege einschließt und sich an alle Menschen dieses Landes wendet. Jedoch ist eine sinnvolle Deutung der Opfer und Leiden im Rahmen einer zentralen Gedenkstätte kaum zu bewältigen. Sie soll Symbol sein für die Opfer des Krieges und der Gewaltherrschaft.« Aus Sicht des VDK zählten dazu ca. 6,3 Millionen Gefallene und Vermisste der beiden Weltkriege, 500.000 Opfer der Zivilbevölkerung, 300.000 Opfer der Gewaltherrschaft und 2,2 Millionen Opfer von Flucht und Vertreibung, alles in allem 9,5 Millionen deutsche Opfer der Kriege des 20. Jahrhunderts und der »Gewaltherrschaft«. Der VDK blendete Opfer anderer Nationen rigoros aus und kannte

384 Vgl. BArch B106/77168, Bd. 7, Schreiben der Verwaltung des Deutschen Bundestages an das Bundesinnenministerium vom 9. August 1977. 385 Vgl. BArch B106/77168, Bd. 7, Schreiben Referat BGS I 1 an Referat VI 6 vom 1. September 1977, sowie Stellungnahme des BKA per Fernschreiben ohne erkennbares Datum. 386 Vgl. BArch B106/77168, Bd. 7, Schreiben des stellvertretenden Chefs des Protokolls im Auswärtigen Amt vom 1. September 1977 an den Bundesinnenminister.

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nur die deutsche Perspektive. Dadurch ließen sich die Zahlen der durch die nationalsozialistische Verfolgung getöteten Menschen kleinrechnen und der Krieg als Schuldiger am Massensterben benennen. Außerdem stellte Fischbacher fest, dass die Vorstellungen der Vorkriegs-, Kriegs- und Nachkriegszeit in Bezug auf Ehrenmäler nicht mehr den gegenwärtigen Bedürfnissen einer veränderten Welt entsprächen. »Dabei ist davon auszugehen, daß das zur Zeit noch fehlende zentrale Mal sowohl eine politische als auch kulturelle Aufgabe zu erfüllen haben wird und bestimmt ist, die Lücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart zu schließen. Der jetzige Zeitpunkt ist geeignet, nachdem durch den Zeitabstand von dem grauenhaften Geschehen ein gesellschaftspolitischer und geistiger Reifeprozeß stattgefunden hat.« Das Ehrenmal sollte nach der Vorstellung Fischbachers vorbildlos sein, eine Identifikation mit der Hauptstadt entstehen lassen, »ein unverwechselbares Zeichen für politischen Willen, kulturelle Ausstrahlungskraft und Humanität« sein und demonstrieren, dass die Bundeshauptstadt eine Großstadt geworden war. Ausgehend von diesen grundsätzlichen Überlegungen schlug der VDK vor, als Standort des Ehrenmals einen zentralen Ort nach dem Vorbild der Berliner Neuen Wache in Bonn zu finden, wie es 1964 noch verpönt gewesen war. In der Frage der Gestaltung hatte der VDK hohe Anforderungen: Das Mal sollte fast kunstlos und verständlich sein (hier spiegelt sich noch die Skepsis gegenüber Erinnerungszeichen der frühen 1970er Jahre wider), »einen schöpferischen Ausdruck der Gegenwart widerspiegeln«, dabei aber zeitlos sein und ohne Pathos als Symbol das deutsche demokratische Staatswesen verkörpern. Ein Grab des unbekannten Soldaten, in Erweiterung mit unbekanntem Flüchtling, Bombenopfer und Deportierten lehnte der VDK ab, ebenso eine Plastik, da diese stark umstritten sein dürfte. Als ideal sah er stattdessen ein abstrahiertes Zeichen wie den Berliner Silberkranz an. Allerdings räumte Fischbacher ein, dass dieser als Symbol für die Deportierten fragwürdig sein könnte. Ein christliches Kreuz lehnte er ab, da es die jüdischen Opfer ausschloss. Der VDK schlug auch eine Inschrift vor, die sich an der eigenen Gedenkformel für den Volkstrauertag orientierte.

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Vergleich der Totenehrung am Volkstrauertag (links: aus dem Jahr 1973 ) und dem Vorschlag für die Inschrift (rechts). Wir gedenken heute der Soldaten, die in den beiden Weltkriegen gefallen, ihren Verwundungen erlegen oder in Kriegsgefangenschaft gestorben sind, der Männer, Frauen und Kinder, die in der Heimat ihr Leben lassen mußten.   Wir gedenken ebenso all derer, die unter Gewaltherrschaft Opfer ihrer Überzeugung oder ihres Glaubens wurden, oder die getötet wurden, weil sie von anderer Herkunft waren oder einem anderen Volk angehörten.   Wir gedenken der Männer, Frauen und Kinder, die in der Folge des Krieges und wegen der Teilung Deutschlands umgekommen sind.   Wir nehmen Anteil an dem Schmerz der Hinterbliebenen um die Gefallenen und Toten aller Völker, die unter den beiden Weltkriegen leiden mußten oder die unter kriegerischen Auseinandersetzungen bis in diese Tage leiden müssen. Wir trauern, doch wir leben in der Hoffnung auf Versöhnung der Völker und Frieden in der Welt. Dafür wollen wir alle Wirken

Wir gedenken der Soldaten, die in den beiden Weltkriegen gefallen, ihren Verwundungen erlegen oder in Kriegsgefangenschaft gestorben sind, der Männer, Frauen und Kinder, die in der Heimat und auf der Flucht ihr Leben lassen mußten und die in der Folge des Krieges und wegen der Teilung Deutschlands umgekommen sind.   Wir gedenken all derer, die unter Gewaltherrschaft Opfer ihrer Überzeugung oder ihres Glaubens wurden, oder die getötet wurden, weil sie von anderer Herkunft waren oder einem anderen Volk angehörten.   Wir nehmen Anteil an dem Schmerz der Hinterbliebenen um die Gefallenen und Toten aller Völker, die unter den beiden Weltkriegen leiden mußten oder die unter kriegerischen Auseinandersetzungen bis in diese Tage leiden müssen. Wir trauern, doch wir leben in der Hoffnung auf Versöhnung der Völker und Frieden in der Welt.

Auffällig an der Inschrift ist die Zusammenfassung von Gefallenen, Zivilopfern und Vertriebenen zu einer priorisierten Opfergruppe, während die Verfolgten des Nationalsozialismus in der Hierarchie von Platz drei auf Platz vier zurückgestuft wurden.387 Die deutsche Täterrolle sowohl im Krieg aus auch in den Jahren der Diktatur bis 1939 wurde ausgeblendet und verschwiegen. Das Friedens- und Versöhnungsangebot am Ende der Inschrift speiste sich nicht aus einer Anerkennung

387 Vgl. BArch B106/77168, Bd. 7, Überlegungen für ein zentrales Ehrenmal in der Bundeshauptstadt Bonn, herausgegeben vom Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge, bearbeitet von Dr. Georg Fischbacher, April 1977.

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eigener Schuld, sondern aus der Position, selbst ein Opfer der Zeit zu sein. Ein Einfluss des VDK auf die Pläne der Ministerien ist Ende der 1970er Jahre, im Gegensatz zum späteren Aide-mémoire, nicht festzustellen. Die Standortfrage erhielt zum Ende des Jahres 1977 zusätzliche Brisanz, als sich das Auswärtige Amt und auch das Protokollreferat des Bundesverteidigungsministeriums für einen größeren Platz aussprachen. Das Auswärtige Amt forderte eine 6.000 m² große Fläche. Das Bundesverteidigungsministerium sandte einen ganzen Anforderungskatalog. So sollte die Zeremonie nicht mehr nur vier Minuten dauern, sondern zu einem wichtigen Ereignis bei Staatsbesuchen aufgewertet werden, weswegen auch Orte mit längerer Anfahrt in Betracht zu ziehen waren, damit dem Staatsgast die Bedeutung des Aktes bewusst werden könne. Das Protokollreferat wünschte sich einen Ort mit feierlicher Stille, mit mindestens 2.500 m² Fläche, auf der die Ehrenformation der Bundeswehr, Fackelspaliere und das Musikkorps ihren Platz finden sollten, dahinter dann erst die Zuschauer.388 Im Gegensatz dazu war das gegenwärtige militärische Zeremoniell im Hofgarten sehr bescheiden, nur ein Zug und ein Trompeter der Bundeswehr hatten Platz. Das entspreche der Akkreditierungszeremonie eines Botschafters, bemängelte das Bundesverteidigungsministerium.389 Nach der Auflistung dieser ganzen Anforderungen hatte es auch einen Lösungsvorschlag parat: das Kreuz auf dem Bonner Nordfriedhof, wo von 1950 bis 1964 die Kranzniederlegungen stattgefunden hatten und auf dem seit 1969 auch wieder die Zeremonie des Volkstrauertags stattfand.390 Ein weiterer Vorteil des Nordfriedhofs war aus Sicht des Protokolls, dass der Raum für Zuschauer begrenzt war, sodass das Fehlen einer Zuschauermenge (wie bei einem kenianischen Staatsbesuch, bei dem sich nur 20 Menschen eingefunden hatten) nicht nachteilig auffiel.391 Im neuen Jahr ging der Streit zwischen den Ministerien weiter. Die Zeit drängte, denn die Umbaupläne in Bonn standen vor den parlamentarischen Entscheidungen von Bund und Stadt, sodass man sich nicht nur mit Ersatzlösungen, sondern auch noch mal mit der großen Lösung beschäftigte. Während das Verteidigungsministerium für ein stilles Gedenken votierte, sprach sich das Bundesbauministerium für einen Standort im »Brennpunkt des staatlichen öffentlichen und

388 Vgl. BArch B106/77168, Bd. 7, Schreiben des Auswärtigen Amts vom 2. November 1977 sowie Stellungnahme des Protokollreferats des Bundesverteidigungsministeriums vom 5. Dezember 1977. 389 Vgl. BArch B122/58783, Vermerk Betr. Ehrenmal vom Verbindungsoffizier vom 21. November 1977. 390 Vgl. BArch B106/77168, Bd. 7, Schreiben des Auswärtigen Amts vom 2. November 1977 sowie Stellungnahme des Protokollreferats des Bundesverteidigungsministeriums vom 5. Dezember 1977. 391 Vgl. BArch B122/58783, Erfahrungsbericht über die Kranzniederlegung anläßlich des Staatsbesuches des Präsidenten der Französischen Republik am 7. Juli 1980, vom 14. Juli 1980.

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gesellschaftlichen Lebens« aus. Am Ende einer Besprechung im Januar 1978 präferierten alle Ministerien einen Standort an der Walter-Flex-Straße, wo auch die Bundeskunsthalle geplant war, die quasi den baulichen Rahmen des Erinnerungszeichens bieten sollte. An zweiter Stelle wurde der umstrittene Hofgarten genannt und an dritter Stelle das Gelände des Neubaus des Bundesverteidigungsministeriums, das allerdings den Nachteil hatte, aus Sicherheitsgründen nicht öffentlich zugänglich zu sein.392 Im Anschluss an die Besprechung wurde die Stadt Bonn gebeten, den Standort Walter-Flex-Straße zu prüfen.393 Ein überraschendes Comeback Während die Stadt Bonn noch prüfte, zeigte sich Bundespräsident Scheel ungeduldig und unzufrieden mit dem Zustand des Ehrenhains im Hofgarten. Er verlangte eine Lösung bis zum Besuch des amerikanischen Präsidenten Carter am 14. Juli 1978. Das Bundespräsidialamt schlug im Einvernehmen mit dem BMI und dem Bundesverteidigungsministerium daraufhin die Verlegung der Tafel zum Alten Zoll vor.394 Später beauftragte es auch eigenständig einen Gartenarchitekten mit der Planung eines Ehrenmals ebendort.395 Doch auch dieses Vorhaben war nicht von Erfolg gekrönt. Schließlich sah sich der Chef des Bundespräsidialamtes Anfang Februar 1979 genötigt, einen Brandbrief an die Stadt Bonn zu schreiben und die Missstände explizit zu benennen. Nach einem Ortstermin mit dem Kanzler der Universität und dem Hausherrn des Akademischen Kunstmuseums stellte er fest, dass »die mit Büschen und Bäumen bepflanzte Umgebung zur Kloake geworden [ist], deren Gerüche jedem Staatsoberhaupt vor allem bei wärmeren Temperaturen direkt in die Nase wehen.« Zwar könne man den Bereich durch einen Zaun schützen, aber man wolle ja nicht, dass sich der Staatsgast im Gefängnis wähne. Die Zufahrt und der Zugang vom Hintereingang des Museums seien ebenfalls beschämend.396 Das Gartenamt der Stadt Bonn selbst sah keine Möglichkeit, die Situation wirksam zu verbessern, im Gegenteil: Die geplanten Hecken als Lärmschutz zur B9 würden die Verunreinigungen durch Urin etc. noch weiter begünstigen. Stattdes-

392 Vgl. BArch B122/58783, Kurzprotokoll über die Besprechung am 25. Januar 1978 vom 25. Januar 1978. 393 Vgl. BArch B122/58783, Schreiben des Bundesinnenministeriums an einen Beigeordneten der Stadt Bonn vom 13. Februar 1978. 394 Vgl. BArch B122/58783, Schreiben des Chefs des Bundespräsidialamtes an den Oberstadtdirektor der Stadt Bonn vom 26. Juni 1978. 395 Vgl. BArch B122/58783, Schreiben des Chefs des Bundespräsidialamtes an den Oberstadtdirektor der Stadt Bonn vom 4. Juli 1978. 396 Vgl. BArch B122/58783, Schreiben des Chefs des Bundespräsidialamtes an Dr. Daniels, Stadt Bonn, vom 1. Februar 1979.

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sen plädierte man für eine Neuordnung des nahen Stadtgartens und die Etablierung des Denkmals dort oder in Verbindung mit dem Alten Zoll.397 Inzwischen hatte sich die Arbeitsgemeinschaft Friedhof und Denkmal e.V. in die Debatte eingeschaltet und durch das geschäftsführende Vorstandsmitglied Dr. Kurt Boehlke einen alten Vorschlag (siehe Kapitel 2.8) neu eingebracht. Aufgrund einer persönlichen Begehung zehn unterschiedlicher Standorte schlug er vor, das Akademische Kunstmuseum auszulagern und dessen Gebäude im Hofgarten zur Gedenk- und Erinnerungsstätte umzubauen. Er betonte die Verbundenheit mit der Neuen Wache in Berlin über den Architekten Schinkel und argumentierte, dass die Innenraumgestaltung das Gedenken an die Vielfalt der Opfer viel besser ermögliche als ein Denkmal unter freiem Himmel.398 Der Bundespräsident nahm diesen Vorschlag auf, und ähnlich wie Lübke 1964 persönlich die endgültige Lösung angestoßen hatte, trieb nun das Bundespräsidialamt die Untersuchung des Akademischen Kunstmuseums voran. Die Prüfung von anderen Standorten wurde zurückgestellt, zumal die zuletzt präferierte Lösung an der Bundeskunsthalle vor 1988 nicht zu verwirklichen war. Fast alle beteiligten Ministerien, die Stadt Bonn und die Universität waren von der Idee einer Gedenkstätte in der Rotunde mit angeschlossener Dokumentationsstätte, in der unter anderem der Widerstand dargestellt werden sollte, angetan. Die Stadt Bonn versprach eine Aufwertung des Umfelds und die Installation einer Toilettenanlage im Hofgarten. Die Universität erklärte sich bereit, die Sammlung des Akademischen Kunstmuseums ins Poppelsdorfer Schloss zu verlegen, wenn das dort beheimatete Institut einen Neubau in Höhe von 30 Millionen DM finanziert bekomme. Nur das Bundesverteidigungsministerium beharrte auf dem Nordfriedhof, da sich dieser für Staatsbesuche besser eigne. Außerdem wäre der Hofgarten mit seinen städtischen Veranstaltungen und als Treffpunkt breiter Bevölkerungsschichten nicht würdig genug.399 Im Bundespräsidialamt verschob sich mit dem Standort auch die Bedeutung des Erinnerungszeichens. In einem Vermerk wurde festgestellt, dass angestrebt werde, das Akademische Kunstmuseum zu einer »Gedenkstätte für den deutschen Widerstand gegen das Dritte Reich und für die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft« zu machen. Damit wurde die bisherige Hierarchie der Opfergruppen einfach umgekehrt. Der Verfasser plädierte für eine Gedenkstätte mit Ehrenmal, zentraler Bibliothek des deutschen Widerstandes, Ausstellung von Erinnerungsstücken, zentraler Bibliothek »über die Ermordung der Juden« und Räumen für Wech-

397 Vgl. StA Bonn, Zug. 1759/155, Schreiben des Bonner Gartenamtes an Amt 61 vom 8. Februar 1979. 398 Vgl. BArch B122/58783, Schreiben und Anlage von Dr. Boehlke an Bundespräsident Scheel vom 14. Dezember 1978. 399 Vgl. BArch B122/58783, Kurzprotokoll über die Besprechung im Bundespräsidialamt am 13. März 1979.

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selausstellungen. In der Begründung wurde deutlich, dass der Vorschlag eine Neuinterpretation deutscher Geschichte beinhaltete: »Den Gedanken an den Widerstand lebendig zu halten, scheint mir auch deshalb wichtig, weil ich glaube, daß der Weg in die deutsche Geschichte nur durch die schmale Tür des Widerstands führt. Nur wenn wir erkennen, daß sich im Widerstand deutsche Konservative und Kommunisten, deutsche Liberale und Sozialdemokraten, deutsche Adlige und Bürgerliche, deutsche Militärs und Zivilisten gegen den Diktator zusammengetan haben, können wir versuchen, uns über den 20. Juli hinaus unserer Geschichte zu nähern. Gelingt uns dies nicht, hat Hitler die deutsche Geschichte 1945 beendet.«400 Der Verbindungsoffizier der Bundeswehr im Bundespräsidialamt, Kapitän zur See Maurer, bezeichnete als Aufgabe des Ehrenmals die Ehrung aller »Opfer der Gewaltherrschaft und jene[r] die für die Demokratie und die Bundesrepublik Deutschland ihr Höchstes gaben«, und eine Öffnung des Zugangs zu »unserer Geschichte um [sic!] zu deren Werten, die wir Demokraten den nachkommenden Generationen weiterzureichen verpflichtet sind.« Als »schaufensterartige Einblicke« in die deutsche Geschichte empfahl er, in der Gedenkstätte die Schaffung des Grundgesetzes, den Widerstand gegen Hitler, die Verfassungen von Weimar und der Paulskirche, sowie die Freiheitskriege darzustellen. Darüber hinaus sollte das Erinnerungszeichen mahnen und Würde ausstrahlen, dieser Würde habe sich alle Monumentalität unterzuordnen. Die Rotunde sollte nicht mit dem Ehrenmal ausgestattet werden, sondern leer bleiben bis auf die älteste deutsche Flagge in den Farben schwarz-rot-gold, die beschafft werden könne. An der Wand war eine Inschrift über die Bedeutung des Raumes vorgesehen, ansonsten sollte der Staatsgast mit sich und seinen Gedanken allein gelassen werden. Der Kranzträger – es reiche einer – könne an der Tür warten, mehr als zwei Begleitpersonen für den Staatsgast sollte es nicht geben. »Welche Wirkung muß ein Staatsoberhaupt verspüren, wenn wir ihm die Gelegenheit geben, ohne den Zublick der Neugierde allein mit seiner Trauer und mit seinen Gedanken sein zu dürfen, der die ungeheuerlichsten Vorgänge der Geschichte gleichsam fokussiert.« Maurer berief sich auch auf seine eigene Erfahrung von zwölf Staatsbesuchen. Als Beispiel für ein beeindruckendes Denkmal als Vorbild für die Rotunde nannte er das neuseeländische Ehrenmal in Wellington.401 Der erste Widerstand kam vom Akademischen Kunstmuseum. Sein Leiter, Prof. Himmelmann, verwies gegenüber dem Kanzler der Universität gleich auf

400 BArch B122/58783, Vermerk Betr.: Zentrale Gedenkstätte für den deutschen Widerstand gegen das Dritte Reich und für die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft vom 2. April 1979. 401 Vgl. BArch B122/58783, Stellungnahme Betr. Ehrenmal der Bundesrepublik Deutschland vom 11. Mai 1979.

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mehrere Gründe, die gegen die Einrichtung der Gedenkstätte sprachen. Zum einen werde der bisherige Vorwurf, das Gebäude biete einen zu lieblichen Rahmen für die »ungeheuren Vorgänge, die mit der Inschrift gemeint sind«, nicht dadurch besser, dass man das Ehrenmal in eine heitere Biedermeier-Stube versetze. Darüber hinaus passe das Denkmal auch ästhetisch nicht in die Rotunde. Eine weitere wichtige Problematik war die Eingangssituation. Die zweigeteilte Freitreppe (siehe Abb. 31, S. 187) ließ sich von einer Gruppe nur getrennt oder auf einer Treppenseite nutzen, die engen Durchgänge nötigten dann die Gruppe zum Eintreten »im Gänsemarsch« und der Kranz müsste von einer Person allein senkrecht hineingetragen werden. Kurz: »eine lächerliche Vorstellung«. Auch bauliche Änderungen der Rotunde führte er als Hinderungsgrund an. Die freitragende Balkenkonstruktion des Bodens müsste aufgrund der Akustik durch einen Betonboden ersetzt werden. Dem würde sich nicht nur der Landeskonservator kategorisch widersetzen, sondern auch die Kunstkommission und der Senat.402 Das Projekt scheiterte kurz darauf, als das Auswärtige Amt bei einer Ortsbesichtigung am 27. Juli 1979 kurzerhand feststellte, dass die gewünschte Öffentlichkeit nicht gegeben war und die Türen, wie von Prof. Himmelmann prognostiziert, zu schmal waren.403 Die Konsequenz aus den ergebnislosen Beratungen zogen das Bundespräsidialamt unter dem neuen Bundespräsidenten Karl Carstens (CDU), der seit dem 1. Juli 1979 im Amt war, das Auswärtige Amt und das Bundesverteidigungsministerium im Sommer 1980. Handstreichartig ließen sie – ohne das Bundesinnenministerium zu informieren – das Ehrenmal auf Kosten des Auswärtigen Amtes vom Hofgarten auf den Nordfriedhof versetzen (siehe Abb. 32).404 Die Stadt Bonn als Eigentümerin des Nordfriedhofes wurde informiert, aber nicht offiziell gefragt, sodass es zwischen dem Stadtrat und den Bundesministerien zu erheblichem Unmut kam.405 Das BMI erfuhr aus der Zeitung von der Verlegung des Denkmals und konnte nur noch Protest einlegen.406 Der äußere Grund für die Verlegung war der Staatsbesuch des französischen Präsidenten am 7. Juli 1980, der nun statt einem Denkmal auf einer öffentlichen Liegewiese und Schlafstätte für Stadtstreicher ei-

402 Vgl. BArch B122/58783, Schreiben Prof. Himmelmann an den Kanzler der Rhein. FriedrichWilhelms-Universität vom 23. März 1979. 403 Vgl. BArch B122/58783, Schreiben des Bundesbauministeriums an den Chef des Bundespräsidialamtes vom 30. November 1979. 404 Vgl. BArch B122/58783, Schreiben des Chefs des Bundespräsidialamtes an Oberstadtdirektor van Kaldenkerken vom 24. Juni 1980. 405 Vgl. BArch B122/58783, Mitschrift eines Beitrages in »Forum West« des WDR vom 17. Juli 1980. 406 Vgl. BArch B122/58783, Schreiben des Bundesinnenministeriums an das Bundespräsidialamt, Auswärtige Amt, Bundesverteidigungsministerium und Bundesbauministerium vom 3. Juli 1980.

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nen würdigen Rahmen vorfand, wie im Bundespräsidialamt zufrieden festgestellt wurde.407 Den »Kriegstoten unseres Volkes«: Das Aide-mémoire des VDK Nach der Verlegung des Erinnerungszeichens kehrte nur kurz Ruhe ein. Zum einen stellte das Bundesinnenministerium verschnupft die Frage nach dem Standort für das neue Mahnmal, nachdem es den Nordfriedhof widerwillig als provisorische Heimat des alten Erinnerungszeichens akzeptieren musste. Zum anderen strebten die Vertreter des Protokolls und der VDK nach der Umsiedlung eine Verbesserung des Umfelds des Nordfriedhofs an. Die Planungen sahen eine Neugestaltung des Ehrenfriedhofs vor, den Einbau von Pressetribünen, Flächen für die militärischen Formationen und insgesamt eine würdigere Umgebung für den Akt der Kranzniederlegung.408 Ein Konflikt entstand um das in den 1920er Jahren errichtete Hochkreuz des im Ersten Weltkrieg angelegten Ehrenfriedhofs. Am 31. März 1981 schrieb der zuständige Ministerialdirektor im Bundespräsidialamt an den VDK: »Symbolisches Hauptproblem ist dort das Kreuz, das die ganze Anlage beherrscht. Es ist nach meiner Auffassung ausgeschlossen, daß wir den toten deutschen jüdischen Frontkämpfern und den von Hitler während des Zweiten Weltkrieges ermordeten Juden unter dem christlichen Symbol des Kreuzes gedenken.«409 Der VDK sah dies nicht so. Der Landesvorsitzende des VDK teilte dem Garten- und Friedhofsamt Bonn dazu mit: »[…] vielmehr halte ich es gerade für ein Zeichen der erweiterten Toleranz und Anerkennung, wenn Staatsbesucher ihre Referenz vor Symbolen erweisen, die für den jeweiligen Kulturkreis spezifisch sind.«410 Ein anderer Konflikt entwickelte sich um die Finanzierung der Umbaupläne. Das Auswärtige Amt hatte kein geeignetes Budget zur Verfügung und das BMI hatte man verärgert. Die Stadt Bonn kam als Eigentümer in Frage,411 aber auch deren Gremien waren durch das Vorgehen im Sommer 1980 gründlich aufgebracht und dort vermerkte man spitz, dass bisher von einer Beteiligung der Stadt Bonn nie die Rede gewesen sei.412

407 Vgl. BArch B122/58783, Erfahrungsbericht über die Kranzniederlegung anläßlich des Staatsbesuchs des Präsidenten der Französischen Republik am 7. Juli 1980 vom 14. Juli 1980. 408 Vgl. BArch B106/160274 Bd. 1, Schreiben vom städtischen Garten- und Friedhofsamt an Ministerialrat Dr. Seemann vom Bundespräsidialamt vom 12. Februar 1981. 409 Vgl. StA Bonn, N1989/338, Schreiben von Dr. Seemann, Bundespräsidialamt, an Hans Soltau vom VDK vom 31. März 1981. 410 Vgl. StA Bonn, N1989/338, Schreiben vom NRW-Landesgeschäftsführer Dirk Thiele an den Leiter des Stadtgarten- und Friedhofsamtes der Stadt Bonn, Hunkler, vom 9. April 1981. 411 Vgl. StA Bonn, N1989/338, Schreiben von Dr. Seemann, Bundespräsidialamt, an Hans Soltau vom VDK vom 31. März 1981. 412 Vgl. StA Bonn, N1989/338, Schreiben an Oberstadtdirektor van Kaldenkerken vom 13. April 1981.

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Mit der Hilfe des Bundesbauministeriums konnte dieser Konflikt durch mehrere Kompromisse gelöst werden. Das Ministerium übernahm in Abstimmung mit dem Garten- und Friedhofsamt der Stadt Bonn die Kosten der Umgestaltung in Höhe von 32.000 DM. Das Kreuz wurde trotz der Kritik des Bundespräsidialamtes nicht angetastet. Vom VDK gemachte Gestaltungsvorschläge, die nicht in der Akte überliefert sind, wurden abgelehnt,413 ebenso das Ansinnen, finanzielle und personelle Unterstützung bei der Umgestaltung zu leisten.414 Das im Dezember beschlossene Konzept sah unter anderem vor, die Wiese vor dem Ehrenmal mit einer Drainage zu versehen und zu diesem Zweck Sickergruben zu schaffen, die Hecke zu stutzen und einen gepflasterten Weg durch die Wiese anzulegen. Bis zum Besuch der niederländischen Königin am 1. März 1982 sollten die Arbeiten abgeschlossen sein.415 Nicht nur das BMI, auch der VDK sah die Umsetzung des bestehenden Denkmals zum Nordfriedhof nur als provisorische Verbesserung der Situation. An der Idee eines nationalen Ehrenmals wurde festgehalten. Angesichts des fehlenden Fortschritts bei den Planungen verabschiedete der Vertretertag des VDK am 24. Oktober 1981 eine Resolution an die Bundesregierung mit der Bitte, »sie möge für die Errichtung eines zentralen Gedenk- und Mahnmals auf deutschem Boden besorgt sein. Das Gedenk- und Mahnmal soll Stätte des Gedenkens sein an alle Toten der Kriege und der Gewaltherrschaft, insbesondere an jene, deren Gräber unerreichbar sind. Das Gedenk- und Mahnmal soll zugleich Ort der Mahnung und der Besinnung sein darauf, daß der Friede das höchste Gut der Menschheit ist.«416 Da vom Bund einstweilen keine Hilfe und keine Einigung auf einen Standort zu erwarten war, entschloss sich der VDK, selbst aktiv zu werden und in Bonn oder der Umgebung eine nationale Mahn- und Gedenkstätte zu errichten. Die Bereitschaft, selbst als Stifter aufzutreten, ergab sich aber nicht nur durch das aus Sicht des VDK unkooperative Verhalten der Bundesbehörden, sondern auch angesichts drohender Arbeitslosigkeit des VDK. In Westeuropa war die Aufgabe des VDK mit der Schaffung von Kriegsgräberstätten getan und in Osteuropa verhinderte der Eiserne Vorhang die Pflege der Kriegsgräber.417 Als Ersatztätigkeit plante der VDK

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Vgl. BArch B106/160274 Bd. 1, Schreiben des Bundesbauministeriums an das Bundespräsidialamt vom 30. Oktober 1981. 414 Vgl. BArch B106/160274 Bd. 1, Vermerk über ein Gespräch zwischen BMI und VDK am 4. September 1981. 415 Vgl. StA Bonn, N1989/338, Vermerk Betr.: Neugestaltung des Ehrenmals auf dem Nordfriedhof vom 8. Dezember 1981. 416 Vgl. BArch B106/160274 Bd. 1, Schreiben des Bundeskanzleramtes an das Bundesinnenministerium vom 24. Februar 1982. 417 Vgl. BArch B106/160274 Bd. 1, Vorlage an den Bundesinnenminister zum Stand der Bemühungen um ein Ehrenmal vom 30. Mai 1983.

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daher eine Mahn- und Gedenkstätte in der Bundesrepublik, gewissermaßen eine grablose Kriegsgräberstätte, und verabschiedete am symbolträchtigen 8. Mai 1983 ein Aide-mémoire »über die Errichtung einer nationalen Gedenkstätte für die Kriegstoten des deutschen Volkes«. In dem 13-seitigen Aide-mémoire wurden die Gefallenen des Ersten und Zweiten Weltkrieges als Anlass für das Unternehmen genannt, zu den sieben Millionen Opfern des Zweiten Weltkrieges wurden die bereits im April 1977 genannten Zahlen der Zivilbevölkerung (500.000), Opfer »politischer, rassischer und religiöser« Verfolgung (300.000) und 2,3 Millionen Opfer der Vertreibung mitgezählt. Ausdrücklich wurde hier nur die Kriegszeit »1939-1945« betrachtet und die Getöteten allesamt als Kriegstote begriffen. Der VDK beklagte nach der Nennung dieser Zahlen, dass es bislang keine einheitlichen amtlichen Angaben zu den »deutschen Menschenverlusten im Zweiten Weltkrieg« gebe. Die Gebote der Pietät und Humanität, so der VDK, geböten es, dass auch Deutschland seinen Toten aus der unfassbaren Opferzahl von 65 Millionen Menschen weltweit ein ehrenvolles Gedenken bewahre.418 Zu den Ursachen der Kriege, insbesondere des Zweiten Weltkriegs, zu der Vermischung von Opfern und Tätern und der Ausklammerung der Verfolgung der Jahre 1933 bis 1938 verlor das Aide-mémoire kein Wort. Zu den Unterstützern des Vorhabens zählte der VDK die Verbände der Soldaten, Vertriebenen, Kriegsopfer, Heimkehrer und Opfer der Gewaltherrschaft. Er rief alle Deutschen »über alte Trennungen politischer, religiöser und sonstiger Art hinweg« dazu auf, die nationale Mahn- und Gedenkstätte zu einem Anliegen »unseres ganzen Volkes« zu machen. Die Mahn- und Gedenkstätte sollte »den Toten der Kriege ein ehrendes Gedenken bewahren, die Menschheit der Gegenwart und künftige Generationen erinnern, daß sich diese Opfer nicht mehr wiederholen dürfen, zum Frieden mahnen« und »der Geschichtslosigkeit unserer Zeit entgegenwirken und einen Beitrag für die Identität unseres Volkes erbringen.«419 »Die zu schaffende nationale Gedenkstätte soll daher Opfer und Geopferte in einem versöhnenden Gedenken vereinen, da nur mit dem Willen zur Versöhnung untereinander die Voraussetzungen für den inneren Frieden in unserem Volke geschaffen werden können. […] Ein Denkmal dieser Art gibt es bisher in Deutschland nicht. Ein Denkmal mit diesem Anspruch und dieser Aussage gehört aber zu den geistigen Richtlinien, die unser Volk auch heute benötigt. Der Leitgedanke für die nationale Gedenkstätte muß daher sein: Trauer – Mahnung – Hoffnung – Friede!«420

418 Vgl. Aide-mémoire des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. über die Errichtung einer nationalen Gedenkstätte für die Kriegstoten des deutschen Volkes, Kassel 1983, S. 1f. Hier und im Folgenden zitiert aus BArch B106/160274 Bd. 1. 419 Vgl. ebd., S. 3f. 420 Ebd., S. 4f.

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Deutlich wird hier eine Stilisierung des deutschen Volkes als Opfer zweier scheinbar aus dem Nichts gekommener Kriege, als Volk, das sich entzweit habe, identitätslos in der Gegenwart lebe und durch die Gedenkstätte, deren Umfang und Größe »in einem angemessenen und würdigen Verhältnis zu dem unserem Volke in zwei Weltkriegen abverlangten Opfern«421 stehen müssten, geeint werden sollte. Die vorgeschlagene Gedenkstätte sollte das deutsche Volk, das »infolge des Ausgangs des letzten Krieges«422 – das Wort Niederlage wurde vermieden – auf seine Hauptstadt Berlin verzichten musste, wieder in seine nationale Geschichte einbinden. Das Aide-mémoire forderte für die Errichtung der Mahn- und Gedenkstätte der BRD ein vier Hektar großes Gelände neben dem Abgeordnetenhochhaus an der Kurt-Schumacher-Straße am Übergang zum Rheinauenpark in der Gronau, an dem Bürohäuser geplant waren. Heute ist hier die Deutsche Welle beheimatet und in unmittelbarer Nähe ragt der Post-Tower empor. Der Grundstein für die Gedenkstätte sollte 1985 zum 40. Jahrestages des Kriegsendes gelegt werden und die Fertigstellung spätestens bis zum 50. Jahrestag des Kriegsbeginns 1989 erfolgt sein. Im Anhang war neben einer Skizze des Geländes auch noch ein Gestaltungsvorschlag des Architekten des VDK, Dr. Georg Fischbacher, enthalten, der, wie bereits erwähnt, schon 1977 eine Denkschrift zu dem Thema verfasst hatte. In seiner Vorstellung sollte die Mahn- und Gedenkstätte über ein gewöhnliches Mahnoder Denkmal hinausgehen und in »Inhalt und Darstellung zum Nachdenken« anregen, was gleichzeitig implizierte, dass dies von Denk- und Mahnmälern bisher nicht geleistet werden konnte. Weder zu monumental, noch zu historisierend, eher einfach, aber mit Überzeugungskraft, so charakterisierte er die Gedenkstätte. Von den vier Hektar Fläche sah er einen Hektar als Kernfläche vor und drei Hektar als Grünfläche mit Parkplätzen und Verwaltungsräumen. Zentrales Element der Kernfläche war eine Gedenkhalle, deren Symbol eine entweder schwebend oder in Bodennähe angebrachte maßstäblich überzogene Dornenkrone darstellen sollte. Außerdem sollte ein Teil der Bodenfläche (250m²) mit Mosaiksteinchen423 bedeckt werden, welche die unauffindbaren und unzugänglichen Gräber vieler Toter symbolisieren sollten. An den Wandflächen der Halle sollten künstlerische Werke die Opfer beider Weltkriege und der Gewaltherrschaft darstellen. Außerdem sollte die noch zu ermittelnde Zahl der Opfer »zur Verdeutlichung der Verluste« genannt werden. Die Gedenkhalle sollte aber nicht dem Staatsprotokoll dienen, hierfür war

421 Ebd., S. 5. 422 Ebd., S. 6. 423 Der Architekt Helmut Dahmer bezeichnete die Idee der Mosaiksteinchen als »der Jerusalemer Holocaust-Gedenkstätte ›Yad Waschem‹ [sic!] nachempfunden.« Vgl. Helmut Dahmer, Verdrängungen. Von schmerzhaften Erinnerungen, von Wirklichkeit und Leid, in: Der Architekt 12/1984, S. 563.

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eine Fläche von mindestens 1.800 m² im Vorfeld der Gedenkhalle auserkoren. Außerdem waren 1.000 m² bis 1.500 m² Fläche zur Dokumentation und Information der Ursachen, des Verlaufs und der Folgen der Kriege – und zwar nur der Kriege – vorgesehen, ganz im Sinne der Schaffung eines Ortes »nationaler Besinnung und Identität«.424 Wenig später gründete der VDK zusammen mit anderen Verbänden425 den »Verein zur Errichtung einer Nationalen Mahn- und Gedenkstätte für die Opfer von Krieg und Gewalt.«426 Die Geschichtspolitik von Bundeskanzler Kohl Diesmal blieb der Aufruf des VDK nicht ungehört. Im Gegensatz zu seinen Vorgängern unterstützte Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) persönlich die Planung eines nationalen Ehrenmals. Das federführende Bundesinnenministerium, ab 1982 geleitet von Friedrich Zimmermann (CSU), wurde nun statt vom Bundespräsidialamt vom Bundeskanzleramt zu Aktionen gedrängt. »Der Bundeskanzler«, so teilte das Bundeskanzleramt im Juli 1983 mit, »mißt der Repräsentation der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland und unserer geistig-kulturellen Werte in Bonn große Bedeutung bei.«427 Wenig überraschend sagte der Bundeskanzler dem VDK seine Unterstützung bei dessen Bemühungen zu und auch auf Ministerebene fanden direkte Gespräche zwischen dem Bundesinnenminister und Bundesbauminister Schneider (ebenfalls CSU) statt.428 Bereits im März hatte das BMI für die Regierungserklärung nach den Bundestagswahlen vom 6. März 1983 Textbausteine zusammengestellt. Darin erklärte das BMI: »In Bonn fehlt es an einem zentralen Mahnmal des deutschen Volkes, in dem der Opfer des Krieges und der Gewaltherrschaft in würdiger Weise gedacht werden kann und das auch den Anforderungen, die das international übliche Protokoll stellt, genügt.« Doch das diplomatische Protokoll war nur zweitrangig, denn das Mahnmal sollte »in erster Linie Symbol und

424 Vgl. Anlage 2 zum Aide-mémoire des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. über die Errichtung einer nationalen Gedenkstätte für die Kriegstoten des deutschen Volkes, Kassel 1983, hier zitiert aus BArch B106/160274 Bd. 1. 425 Dazu gehörten das Deutsche Roten Kreuz, der Bund der Vertriebenen, der Deutsche Bundeswehrverband, der Reichsbund der Kriegsopfer, Behinderten, Sozialrentner und Hinterbliebenen, der Ring deutscher Soldaten, der Verband der Heimkehrer, Kriegsgefangenen und Vermißtenangehörigen, der Verband der Kriegs- und Wehrdienstopfer, Behinderten und Sozialrentner Deutschlands und der ZDWV. 426 So aufgeführt in der Anlage zum Schreiben von Bundesbauminister Schneider an den Bundeskanzler vom 14. Dezember 1984, BArch B106/160274 Bd. 2. 427 Vgl. BArch B106/160274 Bd. 1, Schreiben von Staatssekretär Schreckenberger vom Bundeskanzleramt an den Chef des Bundespräsidialamtes vom 1. Juli 1983. 428 Vgl. BArch B106/160274 Bd. 1, Vorlage an den Bundesinnenminister zum Stand der Bemühungen um ein Ehrenmal vom 30. Mai 1983, sowie Schriftwechsel zwischen BMI Zimmermann und BMBau Schneider vom 30. Juni 1983 und 12. Juli 1983.

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Anlaß emotionaler wie rationaler Besinnung auf die eigene, selbsterlebte oder wirkende Geschichte, eine Stätte der Besinnung auf die eigene Entwicklung und die Entwicklung des eigenen Volkes« sein.429 Die Bausteine fanden keinen Eingang in die Regierungserklärung. Im Sommer 1983 diskutierten das Bundeskanzleramt und das Bundesinnenministerium verschiedene Varianten der Verbindung einer Erinnerungsstätte an den Nationalsozialismus, wie es der Abgeordnete Ehmke (SPD) vorgeschlagen hatte, mit dem geplanten Haus der Geschichte und dem Ehrenmal.430 Das BMI lehnte eine Verbindung des nationalen Ehrenmals mit anderen Einrichtungen ab. Es berief sich dabei zum einen auf die deutsche Staatstradition und sprach sich zum anderen gegen eine Akzentverschiebung insbesondere beim Haus der Geschichte aus. Eine Erinnerungsstätte müsse ein Ort der Stille sein. Das Haus der Geschichte, das vor allem der Nachkriegsgeschichte gewidmet sein solle (und ist), »darf froh stimmen. Es soll die Jahre seit der Nachkriegszeit in ihrer ganzen Vielfalt darstellen, in ihren Problemen und Niederlagen, aber auch – und vor allem – in ihren Erfolgen.« Das Mahnmal hingegen sollte in erster Linie Kriegsgeschehen und dann neben nationalsozialistischen Verfolgungs- und Unterdrückungsmaßnahmen auch die anderer »autoritärer Systeme« darstellen.431 Ziel des Hauses der Geschichte war die »laute« und selbstbewusste Verkündung der positiv besetzen Geschichte der Bundesrepublik, ohne Belastung durch das Dritte Reich und seine Taten. Dem Gedenken vor allem an die Opfer der Weltkriege war ein Ort der Stille zugedacht. Ein redendes Denkhaus der deutschen NS-Geschichte konnte in diesem Konzept keinen Platz finden, denn die Verfolgten des Nationalsozialismus (und damit diese Epoche der deutschen Geschichte) sollten marginalisiert und mit den Verfolgten der DDR und dem Ostblock gleichgestellt werden. Vor diesem Hintergrund lud das Bundeskanzleramt am 14. September 1983 Vertreter der Behörden, Parteien und Verbände432 zu einer Besprechung ein. Als Ergebnis wurde vermerkt, dass die große Mehrheit der Eingeladenen dafür gestimmt hatte, eine Erinnerungsstätte an den Nationalsozialismus mit der Sammlung der 429 Vgl. BArch B106/160274 Bd. 1, Beiträge zur Regierungserklärung, Schreiben vom 14. März 1983. 430 Vgl. BArch B106/160274 Bd. 1, Vermerk zu einem Telefongespräch mit dem Bundeskanzleramt vom 22. August 1981. 431 Vgl. BArch B106/160274 Bd. 1, Schreiben von Referat Z II 5 an Referatsleiter V I 1 vom 26. August 1983, sowie Schreiben Leonhard an Referat V I 1 vom 6. September 1983. 432 Dazu gehörten: die parlamentarischen Geschäftsführer der Parteien des Bundestages, die Staatskanzlei des Landes NRW, die Stadt Bonn, das Kommissariat der Deutschen Bischöfe, der Rat der Evangelischen Kirche Deutschlands, der Zentralrat der Juden, der Deutsche Gewerkschaftsbund, die Arbeitgeberverbände, der Bund der Vertriebenen, das Kuratorium Unteilbares Deutschland, der VDK und der ZDWV. Vgl. BArch B106/160274 Bd. 1, Schreiben von Staatssekretär Schreckenberger vom Bundeskanzleramt an den Chef des Bundespräsidialamtes vom 1. Juli 1983.

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Geschichte der Bundesrepublik zu verbinden und unabhängig davon ein Mahnmal als »Ort der Trauer und Besinnung« zu verwirklichen. Der einzige, der diese Lösung ablehnte, war der parlamentarische Geschäftsführer der Grünen, Joschka Fischer.433 Zwar wurde in dieser Besprechung die Darstellung der Verbrechen des Nationalsozialismus dem Haus der Geschichte als Aufgabe zugewiesen, aber hier wiederum nur als Hintergrundfolie für die Erfolgsgeschichte BRD. Ein Denkhaus als eigenständige Instanz zur Vermittlung deutscher NS-Geschichte war abermals abgelehnt worden. Am Volkstrauertag 1983 hielt Bundeskanzler Kohl persönlich die Gedenkrede im Plenarsaal des Bundestages. Er stellte fest, dass die »Menschen und Völker aus gemeinsamer geschichtlicher Erfahrung verbunden sind in einer tiefen Sehnsucht nach Versöhnung, nach Frieden und Freiheit.« Diese drei Begriffe dominierten seine Rede, ebenso wie Rückgriffe auf die Geschichte: »Deshalb denken wir in historischen Dimensionen, deshalb sehen wir uns in der geschichtlichen Erfahrung als Erben derjenigen, die vor uns waren, und allein daraus können wir das Recht ableiten, die Zukunft über unsere eigene irdische Zeit hinaus zu gestalten. Wir Deutschen und die Völker Westeuropas haben die Lektion der Geschichte gelernt.« An diesem letzten Satz wird auch ein weiterer Tenor deutlich: Kohl bettete den Nationalsozialismus in einen größeren Kontext des 20. Jahrhunderts ein und bezog die Völker Westeuropas in die Reihe derjenigen ein, die Lektionen zu lernen hatten, nicht die Deutschen alleine. Er skizzierte eine deutsche Familie, die nur aus Opfern und nicht aus Tätern bestand: »Es gibt kaum eine deutsche Familie, die nicht auf den Schlachtfeldern des Krieges, in den Bombennächten in der Heimat, in der Gefangenschaft oder bei der Vertreibung, im Widerstand gegen die Diktatur, Angehörige oder nahe Freunde verloren hat. Unzählige Familien in Europa und in der Welt teilen dieses Schicksal.« Auch hier wurden die deutschen Opfer in eine internationale Opfergemeinschaft integriert, erst danach erwähnte Kohl überhaupt eine deutsche Täterschaft: »Und unfaßbares Leid ist in deutschem Namen jüdischen Familien in ganz Europa zugefügt worden.« Anschließend begründete Kohl die Notwendigkeit der Totenehrung: »Und nur ein Volk, das seine Toten ehrt, ist fähig, sich selbst zu achten und verantwortlich zu handeln für die nächste nachwachsende Generation.« Außerdem ereigne sich an den Gräbern Versöhnung zwischen den Völkern und »Rassen« [sic!]. Von einer Bewertung der Toten sprach Kohl nicht, stattdessen von einem Geist der Solidarität der Geschlechter und der Generationen, indem man die Toten an einem würdigen Ort ehre und in die Geborgenheit des ehrenden Angedenkens aufnehme. Anschließend benannte er die Orte, an denen dies in Deutschland geschah: Plötzensee für die Opfer des Widerstands, Dachau für die »jüdischen und die deutschen Opfer der Gewalt«, womit 433 Vgl. BArch B106/160274 Bd. 1, Ergebnisvermerk Besprechung vom 14. September 1983, vom 14. Oktober 1983.

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deutlich wurde, dass Kohl jüdisch sein und deutsch sein voneinander trennte. Die Berliner Mauer repräsentiere als Ort des Gedenkens die Opfer der deutschen Teilung. Der Bonner Nordfriedhof stehe für die Gefallenen der Kriege an der Front, für die in der Heimat und in Gefangenschaft Gestorbenen. Durch diese Äußerungen hatte das Mahnmal seine ursprüngliche, umfassende Bedeutung aus dem Jahr der Einweihung 1964 verloren. Kohl kündigte an, ein neues Mahnmal für alle diese Gruppen zu schaffen. In den Worten von Kohl: »Ihnen allen, den Opfern der beiden Weltkriege, den Opfern der Gewaltherrschaft und des Rassenwahns, den Opfern des Widerstandes, der Vertreibung und der Spaltung unseres Vaterlandes, und auch den Opfern des Terrorismus ein gemeinsames würdiges Mahnmal zu schaffen, dies ist ein wichtiges Vorhaben, das jetzt endlich Gestalt annehmen muß.«434 Bevor der Prozess der Mahnmalserrichtung weiterverfolgt wird, sei an dieser Stelle ein kurzer Blick auf die generelle Entwicklung des Volkstrauertages in den 1980er Jahren geworfen. Das Ritual in der Bundeshauptstadt wurde – abgesehen von den baulichen Änderungen am Nordfriedhof – ab 1975 zweimal ergänzt. 1975 wurde die Gedenkrede um eine vorherige kurze thematische Lesung erweitert und ab 1983 folgte auf das Lied vom guten Kameraden noch die Nationalhymne zum Abschluss der Veranstaltung, sodass sich auch hier der »nationalkonservative Ruck« (Alexandra Kaiser) der Regierung Kohl wiederspiegelte. Es lässt sich aber nicht feststellen, wer der Urheber dieser Änderung war.435 Auch die gesprochene Totenehrung wurde stetig erweitert. Ab 1976 wurde es üblich, dass die Totenehrung vom Bundespräsidenten als Schirmherrn des Volksbundes vorgetragen wurde. 1977 wurden die Opfer des Terrorismus, 1979 die Opfer der Vertreibung, 1987 diejenigen, die im Widerstand ihr Leben verloren hatten und 1989 die Opfer der Euthanasie ergänzt. 1990 fielen die Opfer der Teilung Deutschlands und Europas weg, 1991 kamen dafür »die Opfer sinnloser Gewalt, die bei uns Schutz suchten« hinzu. Ab 1993 wurde mit der Umdrehung der Bezeichnung »Opfer von Krieg und Gewalt« in »Opfer von Gewalt und Krieg« eine Bedeutungsverschiebung zum Nachteil der gefallenen Soldaten deutlich.436 Für eine tiefergehende Analyse des bundesdeutschen Rituals sei auf Alexandra Kaisers Untersuchung verwiesen. Im November 1983 besprachen Bundesinnenminister Zimmermann und Bundesbauminister Schneider erneut die Frage des Standorts. Der Bundesbauminister präferierte ein Areal an der Dahlmannstraße/Welckerstraße, wo sich damals das WDR-Studio und die Landesvertretung Niedersachsens befanden. Für diesen Ort

434 Vgl. Rede Bundeskanzler Helmut Kohls zum Volkstrauertag 1983, in: Wir gedenken… Reden zum Volkstrauertag 1951-1995. Eine Auswahl von Reden, die anläßlich der Zentralen Gedenkstunde des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge gehalten wurden, herausgegeben vom Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge, Kassel 1995, S. 124ff. 435 Vgl. Alexandra Kaiser, Von Helden und Opfern, S. 265f. 436 Vgl. ebd., S. 277f.

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sprach die Anbindung an den Park des Palais Schaumburg, sodass ein direkter Zugang zum Kanzlerbungalow, dem Bundeskanzleramt im Palais Schaumburg und der Villa Hammerschmidt, dem Dienstsitz des Bundespräsidenten, bestanden hätte. Die Bedenken seines Ministeriums bezüglich der Bannmeile teilte Innenminister Zimmermann nicht. Im Gegenteil: Er begrüßte die Möglichkeit, über das Bannmeilengesetz politische Demonstrationen besser im Griff zu haben. Unpolitische Veranstaltungen, so die Annahme, könnten unkompliziert über Ausnahmegenehmigungen geregelt werden.437 Daher wurde das Areal an der Dahlmannstraße/Welckerstraße als Standort des Ehrenmals festgelegt. Wie bei den früheren Bemühungen zur Einrichtung einer nationalen Mahnund Gedenkstätte vergrößerten sich die Standortprobleme mit der Einbeziehung weiterer Stellen. Ende Februar 1984 sprachen sich sowohl Vertreter des Bundestages als auch des Bundesrates gegen den Standort aus, wegen der Bannmeilenproblematik und da das Gelände schon für Abgeordnetenwohnungen vorgesehen war.438 Am 13. Juni 1984 einigte sich das Kabinett auf den alten Standortvorschlag Gronau, einen offiziellen Beschluss wollte es aber erst fassen, wenn die Präsidenten des Deutschen Bundestages und des Bundesrates informiert wurden.439 Vor allem der Präsident des Deutschen Bundestages, Rainer Barzel (CDU), verhinderte zunächst eine Ausschreibung des geplanten Wettbewerbs, da er weiterhin den Standort Dahlmannstraße/Welckerstraße präferierte.440 Aus den Büros in die Öffentlichkeit: Das Forum des Bundes Deutscher Architekten und des Deutschen Kulturrats Noch bevor der Rücktritt Barzels in Folge der Flick-Affäre und der Wahl Jenningers, des bisherigen Staatsministers im Kanzleramt, zu seinem Nachfolger, eine Einigung auf einen Standort ermöglichte, brachte der Bund Deutscher Architekten zusammen mit dem Deutschen Kulturrat das Vorhaben aus den Büros der Minister und Ministerien in das Licht der Öffentlichkeit. Am 18. Oktober 1984 veranstalteten die beiden Institutionen in der schleswig-holsteinischen Landesvertretung ein Forum zur geplanten Mahn- und Gedenkstätte. In der Ausgabe 12/1984 der Verbandszeitschrift Der Architekt wurden die Vorträge und Diskussionen der Veranstaltung dokumentiert. Die Motivation zu dieser Veranstaltung speiste sich aus der Kritik am öffentlich bekannten Aide-mémoire des VDK und den »zweifelhaften deut437 Vgl. BArch B106/160274 Bd. 1, Vermerk über das Gespräch von Bundesbauminister und Bundesinnenminister am 22. November 1983, vom 23. November 1983. 438 Vgl. BArch B106/160274 Bd. 2, Ergebnisvermerk der Besprechung am 28. Februar 1984 beim Bundesbauministerium zum Entwurf der Kabinettsvorlage, vom 7. März 1984. 439 Vgl. Kabinettsprotokoll der 42. Kabinettssitzung vom 13. Juni 1984 TOP 4, Kabinettsprotokolle der Bundesregierung online. 440 Vgl. BArch B106/160274 Bd. 2, Schreiben von RD Theilmann an den Bundesinnenminister vom 10. Oktober 1984.

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schen Erfahrungen mit der Bewältigung von gewaltsamer und kriegerischer Vergangenheit«, weshalb die Veranstalter dafür plädierten, ein nationales Mahnmal nicht ohne gründliches Nachdenken zu planen.441 Die Veranstaltung sollte ihren Beitrag dazu leisten. Einer der Referenten war der Theologe, Schriftsteller und Stadtplaner Dr. Dieter Hoffmann-Axthelm, der aufgrund seiner Erfahrungen zum Wettbewerb über das Berliner Projekt zur »Topographie des Terrors« eingeladen worden war. Aus diesem Wettbewerb hatte er die Erkenntnis gewonnen, »daß die Sprachfähigkeit noch nach vierzig Jahren in so einem ungeheuren Maße verschüttet ist, daß wir jetzt eine ganze Phase brauchen, in der wir wieder historisch sprechen lernen müssen. Gleich mit einem Mahnmal anzufangen, das heißt, bei der eingeübten Sprachlosigkeit der letzten vierzig Jahre anzufangen.« Hoffmann-Axthelm forderte einen Prozess der Trauer, der Aufklärung und der Reflexion ein, aus dem ein Mahnmal hervorgehen könne. Er kritisierte, dass die Deutschen nur den privaten Verlust betrauern könnten, dies aber den Weg zu Aufarbeitung und Trost versperre. Die Trauer müsse beinhalten, dass nur der Tod der deutschen Soldaten eine »Befreiung vom NS« ermöglicht habe. Wenn dies nicht erkannt werde, sei die Trauer keine wirkliche Trauer. Hoffmann-Axthelm sah in jedem deutschen Soldaten einen »Stützpunkt des NS bei seiner Ausrottung der Bevölkerung der eroberten Völker und der europäischen Juden im besonderen.« Er lehnte den Opferbegriff, wie er im »grausigen Aide-mémoire« verwendet wurde, ab, denn »wir Deutschen« seien Täter. Hoffmann-Axthelm kritisierte das »ewige Selbstmitleid« der Elterngeneration, die immer nur erzählt habe, was den Deutschen angetan worden und wer im Krieg gefallen sei, ohne das erzählt worden sei, was Deutsche anderen angetan hätten. Er sah auch niemanden, der im Namen des deutschen Volkes gedenken könne, gab es doch zwei deutsche Staaten. Er kritisierte außerdem die Bundesregierung dafür, in aller Welt zu erklären, »daß sie 1933-45 noch nicht dabei war, und auf der anderen Seite für 1933-45 ein Ehrenmal aufrichten« wolle. Er warf dem VDK und der Bundesregierung vor, mit dem Mahnmal den Prozess des Nachdenkens über den Nationalsozialismus stoppen zu wollen, in einer Zeit, in der Sprachfähigkeit wiederhergestellt werde. Zuletzt stellte Hoffmann-Axthelm fest, dass es in Bonn keinen geeigneten Ort gebe. Während das Gelände an der Prinz-Albrecht-Straße in Berlin gleichzeitig Täterort und Ort der Verdrängung sei, ein Ort voller Symbolik für den Prozess der Verdrängung und Erinnerung, gebe es in Bonn kein Gelände, an dem die deutsche Täterschaft festzumachen sei. Es fehle ein historischer lokaler Ort. »Es ist für mich, unbefangen gesagt, eigentlich komisch, wenn ich mir vorstelle, ein nationales Ehrenmal solle in Bonn platziert werden. Das ist, wie wenn man

441 Vgl. Gedenken – Denken – Erinnern, in: Der Architekt 12/1984, S. 541.

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Pferderennen auf dem Ozean veranstalten wolle.« Wenig überraschend forderte er am Ende seines Vortrags zum Mahnmal: »Vergessen wir es.«442 Ein weiterer Vortrag stammte vom Wuppertaler Professor für Ästhetik und Kulturvermittlung, Bazon Brock. Er kritisierte mit scharfen Worten das Aide-mémoire als Werk voller anrüchiger, verquerer, zurechtgestutzter Gemeinplätze über versöhnendes Gedenken, über Demut und Weihe, über angebliche Gleichheit der Opfer und Geopferten, »also der Gleichheit von Mördern und Ermordeten« und über eine vermeintliche Geschichtslosigkeit »unserer Zeit«. Er bezeichnete diese Worte als »Gemeinheiten des ›aide-mémoire‹, die noch nachträglich alle jene Opfer beleidigen, die doch angeblich geehrt werden sollen, und die vor allem Opfer wurden, weil sie sich dergleichen Niederträchtigkeiten, dergleichen Inhumanität und programmatischer Dummheiten nicht unterwerfen wollten.« Die Verfasser des Aidemémoires seien die besten Beispiele für mangelndes Geschichtsbewusstsein und in ihrer Bewusstlosigkeit »willfähriges Medium jener deutschen Traditionen, die nur als heldische Namen für die ewig gleiche Dummheit des gesunden Menschenverstandes verständlich sind.« Brock kritisierte die geplante Dornenkrone als Verbrämung des Heldenlorbeers und ebenso die Wertehierarchie des Aide-mémoires mit den Soldaten an der Spitze, obwohl schon im Ersten Weltkrieg die Zivilbevölkerung mehr zu leiden gehabt habe als das Militär. 1934 habe die Armee ihre Ehre in schändlicher Weise verspielt, als sie durch ihr »feiges und ehrloses Stillhalten« Hitler definitiv etabliert habe und im Zweiten Weltkrieg habe sie Terror und Ausrottungskampagnen mindestens geduldet. Wenn das Mahnmal sich an die Zukunft richten solle, müsse das Militär strikt aus einem solchen Denkmal rausgehalten werden. Die Soldaten gehörten bereits zu einem Klub der Privilegierten. Ihnen allein werde »nach menschlichem Ermessen eine Chance zum Überleben des nächsten Krieges zugestanden […], weil nur das Militär über Ausrüstung und Training für einen solchen Fall verfügt, während der Zivilbevölkerung ohne jede Einschränkung, von vornherein, keine Überlebenschance zugestanden wird.«443 Auch die Verbände waren eingeladen worden, sich während des Forums zu äußern. Karl Ibach als Vertreter des ZDWV kritisierte Hoffmann-Axthelm dafür, dass er unter den Verfolgten vor allem die Juden und »Zigeuner« genannt und nicht die »Opfer der politischen Verfolgung« erwähnt habe. Die politisch Verfolgten seien die ersten Opfer des Dritten Reiches gewesen. Die Äußerung zeugt einmal mehr von der Opferkonkurrenz, die bei Fragen der Erinnerung ausgehandelt wird. Am Mahnmal war ihm wichtig, dass es die Jugend erinnere, dass man bereit sein müsse, für Freiheit und Demokratie Opfer zu bringen. Seit 30 Jahren versuche sein Verband eine angemessene Gedenkstätte zu errichten, wie dies lokal schon oft gesche442 Vgl. Dieter Hoffmann-Axthelm, Über das Weitergeben von Geschichte. Von Tatorten ist zu reden, nicht von Opferhallen, in: Der Architekt 12/1984, S. 543ff. 443 Vgl. Bazon Brock, Denkmäler als Initiativen gegen Schuld, in: Der Architekt 12/1984, S. 547ff.

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hen sei. Aber auf Bundesebene sei man jahrzehntelang gegen eine Mauer gerannt. Erst mit der TV-Serie »Holocaust« (siehe S. 304) und dem 50. Erinnerungsjahr der Machtergreifung sei ein Aufbruch entstanden.444 Richard Wagner vom VDK wies darauf hin, dass viele Redner »einer Generation angehören, die nicht mehr den Mut aufbringen muß, im Widerstand zum Märtyrer zu werden.« Er selbst sei als 18-jähriger eingezogen worden. Seine beiden Brüder seien im Alter von 19 und 20 Jahren gefallen. Dass seine Brüder Täter sein sollten, sei für ihn eine Anmaßung. Er wehrte sich gegen die geäußerte Kritik und sah das Mahnmal ungerechtfertigterweise in die Nähe der Symbolik des Dritten Reiches gerückt. Das Aide-mémoire, so erklärte er, sei lediglich als Denkanstoß zu verstehen. Die Realisierung sei Sache der Bundesrepublik.445 Hans-Kurt Boehlke, Geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Arbeitsgemeinschaft Friedhof und Denkmal, plädierte dafür, nicht auf Zeichen zu verzichten und führte die Symbolkraft des gemeinsamen Besuchs von Kohl und Mitterand in Verdun im September 1984 an, bei dem der Kranz von einem jungen französischen und einem jungen deutschen Soldaten niedergelegt wurde, um Versöhnung, Frieden und Freundschaft zu dokumentieren. Dementsprechend war für ihn das Wie entscheidend, nicht die Frage, ob überhaupt ein Denkmal errichtet werden sollte. »Es geht bei einer solchen Gedenkstätte nicht mehr um die Verherrlichung eines Ereignisses mit historisierenden oder heroisierenden Reliefdarstellungen oder von Personen mit Büsten und Standbildern, sondern um einen Denkanstoß, durch den aus Trauer gewonnene Besinnung in prospektive Mahnung, Mahnung gegen jede Form des Absolutismus, das heißt auch gegen jeden ausschließlichen ideologischen Machtanspruch einmündet. Der Gewaltanwendung abschwören heißt auch, das Gedenken an heutige Opfer jeglichen Terrors in der ganzen Welt einzubeziehen.« Er sprach sich für einen Wettbewerb aus und dass die nationale Gedenkstätte als Mahnzeichen für den Frieden keine Stiftung der Regierung, sondern des Volkes werde, das auch die Kosten aufbringen solle.446 Als letzter Vortragender referierte der Frankfurter Sozialpsychologe Helmut Dahmer über »Verdrängungen« und stellte fest: »Der unverarbeitete Alptraum [sic!] der zwölfjährigen Terrordiktatur beherrscht noch immer die Gemüter, nicht nur der Generation, die ihn miterlebt hat, sondern auch die ihrer Kinder und Kindeskinder, die die im tausendjährigen Reich erworbenen Denkformen und Reaktionsweisen mimetisch von den von der Diktatur Geprägten übernommen haben.« Das Aide-mémoire stamme aus dieser weitreichenden Selbstvergessenheit, so Dahmer, und sei anachronistisch, wenn man bedenke, dass im selben Jahr der Veröffentlichung die Friedensbewegung es geschafft habe, »Hunderttausende von Menschen

444 Vgl. Diskussion, in: Der Architekt 12/1984, S. 556f. 445 Vgl. Diskussion, in: Der Architekt 12/1984, S. 556f. 446 Vgl. Hans-Kurt Boehlke, Zeichen sind notwendig, in: Der Architekt 12/1984, S. 558ff.

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der Apathie, mit der sie die Installation immer neuer Großvernichtungswaffen hingenommen hatten, zu entreißen.« Die große Menschenkette zwischen Stuttgart und Neu-Ulm sei ein lebendiges Denkmal für die Toten beider Weltkriege gewesen. Dahmer setzte sich explizit mit dem Text des Aide-mémoires auseinander und benannte und befragte die zahlreichen Leerstellen, die sich hinter dem verallgemeinerten Opferbegriffen verbargen. Für Dahmer hatte das Sterben in den Weltkriegen keinen Sinn und er lehnte jede Sinnstiftung als Trost, so wie es Boehlke formulierte, ab. Wie Brock bezeichnete Dahmer sich und seine Zeitgenossen als die möglichen Toten des letzten, mit Kernwaffen geführten Krieges, dessen ›Ausbrechen‹ [Dahmer setzt das Wort in Anführungszeichen, JNK] man nicht durch Weihe und Pietät verhindere, sondern auch durch den Verzicht auf falsche Gefühle, die animiert werden sollen. Dahmer lehnte in seinen Schlussworten wie Brock und Hoffman-Axthelm die nationale Mahn- und Gedenkstätte kategorisch ab, denn sie sollte in seinen Augen dazu dienen, zu verhindern, aus der »Mordgeschichte unseres Jahrhunderts etwas zu lernen, das zur Abwendung aktueller Gefahren taugt.«447 Die Rede von Weizsäckers als Formel der Sinnstiftung Nachdem sich die Redner, abgesehen von den Verbandsvertretern, in dieser Veranstaltung überwiegend skeptisch gezeigt und sich gegen das Projekt ausgesprochen hatten, brachte die SPD das Thema im November 1984 mit einem Entschließungsantrag in den Bundestag ein. Dieser forderte die Bundesregierung auf, dem Parlament »ihre Vorstellungen für das in Bonn geplante Mahnmal für die Opfer des Krieges und der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft vorzulegen« und bei den Planungen die Verbände der Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft stärker zu beteiligen, »insbesondere den Zentralrat der Juden.« Außerdem forderten die Sozialdemokraten die Bundesregierung auf, die Ausschreibung eines Wettbewerbs erst nach Anhörung und Beschluss des Parlamentes durchzuführen. »Diese Entscheidung ist Sache des Parlaments, nicht nur der Exekutive«, stellte die SPD-Fraktion fest.448 Am 9. November 1984 diskutierte der Deutsche Bundestag diesen Entschließungsantrag zusammen mit weiteren Anfragen von SPD und CDU zur Kulturpolitik und Kulturförderpolitik der Bundesregierung. Abschließend wurde der Entschließungsantrag an den Innenausschuss überwiesen. In der Debatte betonte der parlamentarische Staatssekretär beim Innenministerium, Dr. Waffenschmidt, den Zusammenhang der Planungen für das Haus der Geschichte, die Bundeskunsthalle und das Ehrenmal. Die Bundesrepublik erlebe eine »bemerkenswerte Hin-

447 Vgl. Helmut Dahmer, Verdrängungen. Von schmerzhaften Erinnerungen, von Wirklichkeit und Leid, in: Der Architekt 12/1984, S. 562ff. 448 Vgl. BArch B106/160274 Bd. 2, Entschließungsantrag der SPD-Fraktion, Drucksache 10/2280 vom 7. November 1984.

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wendung« seiner Bevölkerung zu seiner Geschichte. Insbesondere begrüßte er das Interesse von jungen Menschen, das die Bundesregierung durch die Errichtung der genannten drei Projekte zu fördern gedenke.449 Der SPD-Abgeordnete Conradi nutzte die Gelegenheit zu einer Generalabrechnung. Er beklagte, dass es als einzigen schriftlichen Beleg »das unsägliche Aide-mémoire« des VDK und weiterer Verbände gebe, das er als »schwülstig, verlogen wie ein wilhelminisches Kriegerdenkmal« bezeichnete. Er kritisierte Bundeskanzler Kohl dafür, sich dieses Anliegen zu eigen gemacht zu haben, ohne die Schwächen zu benennen und das Fehlen des Zentralrats der Juden zu bemerken. »Hat Helmut Kohl nicht gemerkt, daß in dieser Denkschrift das Wort ›Jude‹ nicht vorkommt, genausowenig wie das Wort ›Schuld‹?«, fragte Conradi. Er bemängelte die Vereinigung von Opfern und Tätern in der Widmung und den Ausschluss der »Millionen Toten anderer Völker, die von Deutschen umgebracht worden sind.« Den Begriff Ehrenmal kritisierte er massiv und konstatierte, dass die deutsche Wehrmacht ihre Ehre zwischen Lidice und Oradour verloren habe und diese nicht durch ein Ehrenmal wiedergewinnen könne. Auch könne er sich keinen Staatsmann vorstellen, der der Täter von Oradour und Lidice gedenken wolle. Er verurteilte die Fortsetzung der Verdrängung und benannte die Rollen der Generalität, der Kirchen, der Wissenschaft und der Industrie im Nationalsozialismus. In diesem Zusammenhang verwies er auch auf einen wenige Tage zuvor ausgestrahlten Film von Lea Rosh, der späteren Initiatorin des Denkmals für die ermordeten Juden Europas, namens »Vernichtet durch Arbeit«, der sich mit der Rolle der Industrie bei der Vernichtung von KZ-Häftlingen auseinandersetzte. »Das war ein Denkmal!«, urteilte Conradi. Er forderte die Bundesregierung auf, das Vorhaben im Parlament, in der Öffentlichkeit zu diskutieren. »Wer ein solches Mahnmal so betreibt, wer sich das wie der Bundeskanzler so zu eigen macht, der will nicht trauern, nicht mahnen, nicht erinnern, sondern der will einem sinnlosen Sterben nachträglich verklärenden Sinn geben«, warf Conradi der Bundesregierung vor und erhielt dafür Applaus von Grünen und SPD. Aus den Reihen der CDU/CSU-Fraktion kam indes der Vorwurf, Conradi habe eine Hetzrede gehalten. Angesichts der mit Verve vorgetragenen Kritik meldete sich Bundesbauminister Schneider anschließend persönlich zu Wort.450 Er versprach eine entsprechende Beteiligung des Parlaments, nachdem die Standortfrage geklärt sei. Außerdem erklärte er, dass der Bundeskanzler davon ausgehe, dass alle Verfassungsorgane des Bundes zusammen zu einem Ergebnis in Sachen Mahnmal kommen müssten, bevor es verwirklicht werden könne und wies alle Kritik an Kohl zurück. Auch

449 Vgl. Stenographischer Bericht der 99. Sitzung des 10. Deutschen Bundestages vom 9. November 1984, S. 7188, http://dipbt.bundestag.de/doc/btp/10/10099.pdf, abgerufen am 13. November 2017. 450 Vgl. ebd., S. 7192.

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der Zentralrat der Juden solle nun beteiligt werden.451 Bei einem »Hearing« der AG »Kunst und Kultur« der SPD-Bundestagsfraktion im Juli 1985 sprach sich allerdings der Vertreter der jüdischen Gemeinde Bonns, Schafgans, gegen das Projekt aus. Ein Mahnmal könne nicht differenzieren. Sollte das Mahnmal sowohl an die ermordeten Juden als auch an die Gefallenen erinnern, überfordere das den Besucher.452 Am 5. Juni teilte Bundesbauminister Schneider dem Präsidenten des Bundestages mit, dass in Abstimmung mit den Fraktionen das nationale Ehrenmal im Oktober 1985 im Plenum debattiert werden solle. Das beigefügte Sachstandspapier zeigt auf, welche Bedeutungsverschiebungen sich durch den interfraktionellen Austausch ergeben hatten. Die zentrale Gedenkstätte sollte nun in erster Linie ein Ort der Rückbesinnung auf die Geschichte und der Reflexion der eigenen Entwicklung sein, und nicht mehr ein Ort des Gedenkens an die Gefallenen: »Die Mahn- und Gedenkstätte der Bundesrepublik Deutschland muß vielmehr an die Gesamtheit der Ereignisse anknüpfen, die Unglück, Leid und Unrecht hervorgerufen haben, sie muß an die Ursachen erinnern, für die Zukunft mahnen, den Willen nach Frieden und Versöhnung ausdrücken.« Der Schwerpunkt der Aufgabe der Gedenkstätte verschob sich mit dieser Formulierung deutlicher in Richtung Ursachenanalyse, als das bisher der Fall gewesen war. Eine zweite Änderung zeigte sich bei der Widmung. Inzwischen erwog man, Ausschnitte aus der Rede des Bundespräsidenten Weizsäcker zum 8. Mai 1985 zu verwenden, in der er die Hierarchie der Opfer im Vergleich zum VDK fundamental verändert hatte. Sie zeigen die Bedeutungsverschiebung, die das Projekt von 1977 bis 1985 erfuhr, sehr anschaulich auf: »Wir gedenken heute in Trauer aller Toten des Krieges und der Gewaltherrschaft. Wir gedenken insbesondere der sechs Millionen Juden, die in deutschen Konzentrationslagern ermordet wurden. Wir gedenken aller Völker, die im Krieg gelitten haben, vor allem der unsäglich vielen Bürger der Sowjetunion und der Polen, die ihr Leben verloren haben. Als Deutsche gedenken wir in Trauer der eigenen Landsleute, die als Soldaten, bei den Fliegerangriffen in der Heimat, in Gefangenschaft und bei der Vertreibung ums Leben gekommen sind. Wir gedenken der ermordeten Sinti und Roma, der getöteten Homosexuellen, der umgebrachten Geisteskranken, der Menschen, die um ihrer religiösen oder politischen Überzeugung willen sterben mußten. Wir gedenken der erschossenen Geiseln. Wir denken an die Opfer des Widerstandes in allen von uns besetzten Staaten. 451 Vgl. ebd., S. 7192ff. 452 Vgl. BArch B106/160274 Bd. 2, Schreiben Ministerialrat Thiemann an den Bundesinnenminister vom 4. Juli 1985.

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Als Deutsche ehren wir das Andenken der Opfer des deutschen Widerstandes, des bürgerlichen, des militärischen und glaubensbegründeten, des Widerstandes in der Arbeiterschaft und bei Gewerkschaften, des Widerstandes der Kommunisten. Wir gedenken derer, die nicht aktiv Widerstand leisteten, aber eher den Tod hinnahmen, als ihr Gewissen zu beugen. […] Heute erinnern wir uns dieses menschlichen Leids und gedenken seiner in Trauer.«453 Allerdings war man in den Gesprächen noch weit davon entfernt, eine Einigung zu erzielen. Daher hoffte man, im Bundestag einen Grundkonsens zu finden, »über das, was Ausdruck finden soll«.454 Offen war immer noch die Frage des Standorts. Die Gronau wurde zwar weiter bevorzugt, aber es fehlte weiterhin die Zustimmung des Präsidenten des Bundestages, Philipp Jenninger (CDU).455 Am 16. März 1985 berichtete der Bonner General-Anzeiger über eine Sitzung des Bundestagsausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, in der sich 13 Abgeordnete für den Standort in der Gronau ausgesprochen und acht das Gelände Dahlmannstraße/Welckerstraße präferiert hätten. Das Abstimmungsverhalten war dabei innerhalb jeder Fraktion uneinheitlich.456 Das Scheitern des Mahnmals im Bundestag Am 25. April 1986 beschäftigte sich der Bundestag final mit der nationalen Mahnund Gedenkstätte. Die SPD hatte als erste Fraktion einen Antrag vorgelegt und forderte damit auch eine Debatte ein, die, so die Bonner Rundschau, die Koalition aus FDP und CDU/CSU lieber vermieden hätte.457 Die Münstersche Zeitung, die parallel auch die Auseinandersetzungen um den Zwinger begleitete, kommentierte, dass die Debatte um das Mahnmal zeige, wie schwer man sich in der Bundesrepublik

453 Gedenkveranstaltung im Plenarsaal des Deutschen Bundestages zum 40. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkrieges in Europa, in: www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Richard-von-Weizsaecker/Reden/1985/05/19850508_Rede.html;jsessionid=124511DA88FFB0CB783FE0B8B2E166AE.2_cid362, abgerufen am 13. Juli 2018. 454 Vgl. BArch B106/160274 Bd. 2, Aufzeichnung als Informations- und Sachstandsunterlage zur Frage der Errichtung einer zentralen Gedenkstätte für die Opfer des Krieges und der Gewalt im Parlaments- und Regierungsviertel, Anhang zum Schreiben von Bundesbauminister Schneider an Bundestagspräsident Jenninger vom 5. Juni 1985. 455 Vgl. BArch B106/160274 Bd. 2, Schreiben von Bundesbauminister Schneider an den Bundeskanzler vom 14. Dezember 1984 nebst Anlagen. 456 Vgl. Bernd Leyendecker, »Mahnmal nicht ins Grüne abschieben«, in: Bonner General-Anzeiger vom 16. März 1985. 457 Vgl. Die SPD verlangt eine Debatte zum Mahnmal, in: Bonner Rundschau vom 23. November 1985.

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tue, die jüngste deutsche Geschichte übereinstimmend zu bewerten.458 In ihrem Antrag nahm die SPD Bezug auf die umstrittenen Gedenkfeiern in Bitburg und in Bergen-Belsen im Jahr 1985. Sie forderte den Bundestag auf, eine breite öffentliche Diskussion über das Mahnmal zu führen: »Wenn [der Bundestag] über Aufgabe und Aussage dieses Mahnmals spricht, muß er über unsere Vergangenheit, über den Nationalsozialismus, über Ursachen und Folgen des Zweiten Weltkrieges, über politische Verantwortung und moralische Schuld reden.« Das Aide-mémoire des VDK lehnte die SPD als ideelle Grundlage des Vorhabens ab. Auch die Idee eines auf deutsche Opfer beschränkten nationalen Ehrenmals wies die SPD-Fraktion zurück und zeigte sich bereit, auf Basis des oben bereits zitierten Auszugs der WeizsäckerRede über das Mahnmal zu sprechen. Außerdem forderte sie die Ergänzung des Mahnmals durch ein Denkhaus, »in dem die Menschenrechte und ihre Mißachtung durch Staats- und Kriegsterror dargestellt werden« sollten. Darüber hinaus wurde der Bundestag aufgefordert, nicht nur das Mahnmal in Bonn, sondern viele andere Initiativen in der Bundesrepublik ebenfalls zu fördern.459 Bevor es im April zur Aussprache kam, wurde Bundestagspräsident Jenninger gebeten, einen gemeinsamen Entschließungsantrag zu erarbeiten. Als dieser vorlag und vorsah, dass die Totenrede zum Volkstrauertag sowie die Rede zum 8. Mai 1985 von Bundespräsident von Weizsäcker die Grundlage der Überlegungen zur nationalen Gedenkstätte sein sollten, verweigerte die CDU/CSU-Fraktion ihre Zustimmung.460 In der Bundestagsdebatte ergriffen der Fraktionsvorsitzende Alfred Dregger, der Bundesbauminister Schneider und der Abgeordnete Herbert Czaja, der gleichzeitig Präsident des Bundes der Vertriebenen war, das Wort für die CDU/CSUFraktion. Alfred Dregger sprach zunächst über seine Erfahrungen als Oberbürgermeister in Fulda. Die Anekdote zielte darauf ab, die Diskussion um die Inschrift des Mahnmals zu entschärfen. In Fulda, so erinnerte sich Dregger, war Anfang der 1960er Jahre in der Michaeliskirche ein Ehren- und Mahnmal errichtet worden. Die damals erstellte kurze und schlichte Inschrift sei trotz der Kürze auf Kritik gestoßen und so habe er diese entfernen lassen. Das Denkmal verblieb ohne Inschrift, weil die Aussagekraft des Kunstwerks ausgereicht habe. Dregger hoffte, dass ein Künstler ein Werk in Bonn schaffen könne, das man nicht mit Inschriften erklären müsse. In Fulda könne jeder der Toten aller Völker gedenken und auch den Toten, die ihm besonders nahestünden. Der Tod nivellierte für Dregger die Fragen von 458 Vgl. Karl-Ludwig Kelber, Bonner Winkelzüge um ein nationales Mahnmal, in: Münstersche Zeitung vom 30. November 1985. 459 Vgl. Deutscher Bundestag, 10. Wahlperiode, Drucksache 10/4293 vom 21. November 1986, http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/10/042/1004293.pdf, abgerufen am 13. November 2017. 460 Vgl. Björn Herder und Sven Kraus, »Den Opfern der Kriege und der Gewaltherrschaft«. Das nationale Ehrenmal in der Bundeshauptstadt Bonn, in: Bonner Geschichtsblätter 43/44 (1996), S. 526.

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Schuld, Täter und Opfer. »Im Tode sind wir alle gleich, und unsere Seelen – das glauben Christen, Moslems und Juden – sind in der Gerechtigkeit Gottes, die die unsere bei weitem übersteigt.« Die Einteilung in Opfer und Täter hatte für ihn keine Bedeutung. Er argumentierte, die Zugehörigkeit zu dieser Kategorie sei nicht zu ermitteln, schon gar nicht anhand von zehn Millionen Deutschen, die seit 1914 »gewaltsam vom Leben zum Tode befördert wurden«. »Ich frage: Wer will sich zum Richter dieser Toten aufspielen, die stumm sind und sich nicht verteidigen können?« Die Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944 machte er zu Kronzeugen seiner Argumentation. Diese hätten gar nicht zu den Opfern des Nationalsozialismus gehören können, wenn sie vor der Ausübung des Attentats im Krieg gefallen wären und damit zu der von Grünen und SPD postulierten Täter-Gruppe gehört hätten. Auch seine persönliche Geschichte brachte er ein. Dreggers Bruder fiel 1944 im Alter von 18 Jahren an der Ostfront. Er wehrte sich auch mit Bezug auf ihn gegen Kollektivbezeichnungen wie Täter und Opfer, Russe und Deutscher, Jude oder Kommunist. Er vertraue in der Bewertung des persönlichen Verhaltens auf den Herrgott, das machte er auch in seinem Abschlussstatement deutlich: »Wer sich anschickt, unserem Volk eine zentrale oder nationale Gedenkstätte zu geben, der sollte es ohne Anmaßung und ohne Selbstgerechtigkeit gegenüber den Opfern tun. Er sollte die Toten nicht zum Gegenstand der Vergangenheitsbewältigung machen. Er sollte sie ruhen lassen und sich vor ihnen verneigen.« Dregger wandte sich in seiner Rede außerdem gegen die Vereinnahmung des Bundespräsidenten durch die SPD und verwies darauf, dass der Bundespräsident über den Parteien stehe und sich nicht zum Mahnmal geäußert habe. Das Denkhaus der SPD lehnte er ab, denn diese Aufgabe erfüllten Museen schon und es müsse auch einen Platz geben, an dem man den Millionen Toten »unseren Respekt und unsere Ehrfurcht« auch ohne »volkspädagogische Absichten« bekunden könne. Das Protokoll verzeichnete lebhaften Beifall bei der CDU/CSU und FDP.461 Bundesbauminister Schneider argumentierte, dass der Ort des Gedenkens an die Toten eines Volkes zur politischen Kultur gehöre. Er verglich das Mahnmal mit den Gedenksteinen auf den Friedhöfen des VDKs und begründete die Pläne für das nationale Ehrenmal auch damit, dass es zwar in Berlin nationale Gedenkstätten gebe, aber nicht in Bonn. Die Menschenwürde, so Schneider, als Maßstab für menschliches Handeln, als höchstes Gut der Verfassung, sei die sittliche Rechtfertigung für das Mahnmal, denn ein Volk, das vergäße seine Toten zu ehren, verlöre das Fundament seiner Kultur. »Der Mißbrauch nationaler Symbole und Traditionen zerstört nicht ihre geistig-sittliche Substanz. Die Tatsache, daß unsere Soldaten von einem Unrechtsregime in einem sinnlosen Krieg mißbraucht worden sind, mindert nicht 461 Vgl. Stenografischer Bericht der 214. Sitzung des 10. Deutschen Bundestages vom 25. April 1986, S. 16460-16463, http://dipbt.bundestag.de/doc/btp/10/10214.pdf, abgerufen am 13. November 2017.

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unsere Dankbarkeit für ihr Pflichtgefühl und ihre Tapferkeit«, erklärte Schneider. Die Bundesregierung sei von Anfang an bemüht gewesen, erklärte Schneider offen, die Planung dem parteipolitischen Streit zu entziehen. Als er die Nutzung des Mahnmals skizzierte, spielten die Verfolgten des Nationalsozialismus keine Rolle: »Viele werden an das Mahnmal treten und an Kriegskameraden denken, an die Nachbarn im Luftschutzkeller, die Leidensgefährten der Kriegsgefangenschaft, der Flucht und der Vertreibung, die ertrunken oder erfroren sind. Viele von ihnen sind in den letzten Kriegsmonaten Opfer brutaler Gewalt und unmenschlicher Grausamkeit geworden.« Die Andeutung von Kriegsverbrechen durch die Alliierten war ihm wichtiger als die Benennung der Ermordung von Juden, Sinti und Roma und den anderen Verfolgten des Nationalsozialismus. Für seine Rede erhielt er Beifall von der CDU/CSU, der FDP und Teilen der SPD.462 Auch Herbert Czaja, der dritte Vertreter der CDU/CSU-Fraktion in der Debatte, wehrte sich dagegen, die Toten zu hinterfragen und zu richten. Er lehnte die Debatte um Vergangenheit und Zeitgeschichte ab: »Man muß die Frage aufwerfen, ob es dem nötigen Maß an Ehrfurcht entspricht, wenn wir vor einer solchen Gedenkstätte über Gruppen der Toten und über das streiten, was dem Tod voranging.« Das gelte auch für die zwei Millionen auf der Flucht und während der Vertreibung zu Tode Gekommenen: »Aber angesichts ihres Todes, so meine ich, sollte man nach ihren qualvollen Erlebnissen an dieser Stätte nicht mehr — allerdings ohne Tatsachen zu vernebeln — über die verworrene Verstrickung von Opfern und Verursachern streiten.« Stattdessen erweiterte er die Funktion des Mahnmals um die einer »Stätte der Barmherzigkeit für die leidende, für die geschundene Kreatur«. Außerdem solle das Mahnmal daran erinnern, dass im Widerstand Konservative, Liberale und Sozialdemokraten, Protestanten und Katholiken vereint gewesen seien. Das Mahnmal solle deshalb Zeichen der »Hoffnung für die Aufgaben unseres Volkes« sein und für ein »erträgliches Zusammenwirken der Europäer« wirken. Auch er erhielt Beifall von der CDU/CSU, der FDP und Teilen der SPD.463 Für die Sozialdemokraten sprachen die Abgeordneten Horst Ehmke, Peter Conradi und Freimut Duve. Ehmke beklagte die mangelnde Aufarbeitung der Geschichte des »Nazi-Unrechtsregimes« in Deutschland und dass in den vergangenen Jahrzehnten Themen wie Wirtschaftswunder und Antikommunismus wichtiger gewesen seien. Er bezeichnete das Mahnmal als Versuchung, einen Schlusspunkt »unter die offene Auseinandersetzung mit unserer Geschichte der Jahre von 1933 bis 1945« zu setzen. Er forderte eine tiefgreifende Diskussion über die deutsche Geschichte »mit dem Ziel, durch gemeinsame Vergewisserung über unsere demokratischen Grundüberzeugungen zu größerer Einigkeit zu kommen.« Davon sei man noch weit entfernt. Die SPD fordere ein Mahnmal für alle Opfer 462 Vgl. ebd., S. 16469-16471. 463 Vgl. ebd., S. 16472f.

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der Gewaltherrschaft und der Kriege ohne Beschränkung auf deutsche Opfer. Ehmke lobte die »große Rede« des Bundespräsidenten zum 8. Mai im Jahr 1985, da sie nichts verschweige oder mythisch verschleiere, sondere differenziere. Er stellte daran anschließend fest, dass eine Verständigung zwischen den Fraktionen »auf eine solche Sinngebung« vorerst am Widerstand eines Teils der Unionsparteien gescheitert sei, die sich mit einer solchen Sinngebung nicht identifizieren wollten. Die SPD, so machte Ehmke deutlich, könne einem Mahnmal nur zustimmen, wenn es in einer öffentlichen Diskussion zu einem breiten Konsens komme. Dabei war Ehmke einem Mahnmal, in dem gleichzeitig Gefallenen und Verfolgten des Naziregimes gedacht werden sollte, nicht abgeneigt, denn er fragte, ob ein Volk (»im politischen, demokratischen Sinne«) noch ein Volk sei, wenn es seiner Toten nicht gemeinsam gedenken könne. Aber im Gegensatz zum »Gleichmacher des Todes«, wie er Dreggers Idee verstand, plädierte Ehmke für eine Differenzierung. Dazu sollte das Denkhaus – auch als Gegenentwurf zum Haus der Geschichte – beitragen, das aufklären und aufarbeiten sollte. Ursache und Wirkung des Nationalsozialismus sollten hier ebenso zum Ausdruck kommen wie die Rettung der Ehre der Deutschen durch die Frauen und Männer des Widerstandes. Das Protokoll verzeichnete Beifall bei den Fraktionen SPD, FDP, Grünen und von Abgeordneten der CDU/CSU.464 Peter Conradi kritisierte zu Beginn seiner Rede die Tradition der Erinnerungszeichen. Die Bundesrepublik könne aufgrund der verbrecherischen Gewaltherrschaft und des Zweiten Weltkriegs ihre Toten nicht unbefangen ehren und ihnen ein Ehrenmal bauen. Stattdessen solle es ein »Zeichen der Erinnerung, der Trauer und der Mahnung« werden. Die Motivation, ein Mahnmal aus Gründen des Staatsprotokolls zu errichten, lehnte er ab, da vielen Bürgern dieses als leeres und kaltes Ritual erscheine. Er wunderte sich auch, dass nach 1945 kein Bundespräsident und kein Bundeskanzler dieses militärische Ritual durch neue, friedlichere Formen ersetzt habe.465 Conradi kritisierte die Verweigerung der Koalitionsfraktionen über die Geisteshaltung des Mahnmals eine Debatte zu führen: »Glauben Sie, daß wir, wenn wir wie die anderen Völker ein nationales Mahnmal haben, es dann mit der Erinnerung genug sein lassen können? Für ein solches Mahnmal des Vergessens werden Sie unsere Zustimmung nicht finden. Wir wollen uns nicht mit dem Hinweis auf unser Geburtsjahr in der deutschen Geschichte hinweg stehlen. Es gibt keine deutsche Kollektivschuld, das ist gewiß; aber — das müssen wir heute angesichts der Tendenzen zum Verschweigen und zum Vergessen deutlich sagen — es gibt auch keine kollektive Unschuld des deutschen Volkes. Wer die wachsende Ausländerfeindlichkeit, wer den neuen Antisemitismus,

464 Vgl. ebd., S. 16463-16465. 465 Vgl. ebd., S. 16471f.

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wer die kalte Entsolidarisierung in unserer Gesellschaft wachsam beobachtet, der weiß, daß der Schoß noch fruchtbar ist, aus dem der Faschismus kroch. Deshalb wollen wir erinnern, und deshalb ist für uns der Weg zu diesem Mahnmal, das Gespräch über seine Aussage, über seine Notwendigkeit, über seine geistige Grundlage, für uns genauso wichtig wie das Ergebnis, das Mahnmal selbst.«466 Conradi schloss seine Rede mit dem Hinweis, dass das Mahnmal eine schwierige Aufgabe sei, die viel über das Geschichtsbewusstsein der Gegenwart aussage. Wenn man am Ende des mühsamen Gesprächs keinen Konsens fände, sei die Zeit noch nicht reif dafür, dann gebe es keine gemeinsame moralische und geistige Grundlage. Er erhielt Beifall von der SPD-Fraktion und Teilen der FDP-Fraktion.467 Freimut Duve warf dem Abgeordneten Dregger vor, zwar mit großer Leidenschaft für das Mahnmal zu werben, aber außer der Formulierung »den Toten unseres Volkes gewidmet« nichts Inhaltliches beigetragen zu haben. Er forderte eine präzise Benennung der Opfergruppe. Er fragte, ob deutsche Juden, die einen kubanischen oder brasilianischen Pass bekommen hatten, aber in Holland und Frankreich »ihren Häschern in die Hände fielen,« dazu gehören würden, ob Juden in Ungarn und Norwegen dazu gehören würden und ob bei den Soldaten junge flämische, kroatische oder rumänische Soldaten in den deutschen Armeen in der Formel eingeschlossen seien. Er verwies auch darauf, dass die ersten Opfer des Nationalsozialismus die politischen Gegner waren und der Terror bereits 1933 begonnen hatte. An dieser Stelle der Rede applaudierten alle Fraktionen außer der CDU/CSU. Duve beklagte, dass an tausenden Orten in Deutschland Hinweise auf die Geschichte des Terrors fehlten. Aber es gebe Mahnstätten in ganz Europa, die konkret, schmerzhaft an die Verfolgung durch die Nationalsozialisten erinnerten und die Flucht in die Abstraktion erschwerten. Erst wenn man die Fähigkeit habe, sowohl um den vor Leningrad erfrorenen Soldaten als auch um den in Leningrad verhungerten Bürger zu trauern, um die Insassen von Konzentrationslagern, Zwangsarbeiter und auch Vertriebene, erst dann könne man im Konsens eine Gedenkstätte errichten. Duves Rede wurde von der SPD-Fraktion und Abgeordneten der Grünen mit Applaus quittiert. Für die FDP-Fraktion sprachen der parlamentarische Geschäftsführer Klaus Beckmann und die Abgeordnete Hildegard Hamm-Brücher. Klaus Beckmann nahm eine Position ein, die der der SPD ähnelte. Ihn erinnere die Debatte, wie es auch der SPD-Abgeordnete Duve vor ihm geäußert hatte, an Mitscherlichs Buch »Die Unfähigkeit zu trauern«. Er charakterisierte die geplante Gedenkstätte als Ort der Trauer der Hinterbliebenen, Stätte der Begegnung und Verständigung und als Mahnmal an die Lebenden, als Zeichen der Bereitschaft zum Frieden mit

466 Ebd., S. 16472. 467 Vgl. ebd., S. 16472.

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den Toten und den Völkern der Welt. Sie solle nicht nur ausländischen Staatsoberhäuptern, sondern auch den tausenden Besuchern der Bundeshauptstadt den Wunsch des deutschen Volkes nach Frieden und Versöhnung dokumentieren und »zugleich ausdrücken […], daß für das heutige Deutschland die Katastrophe des NS-Staates nicht ein Betriebsunfall der Geschichte, sondern eine ständige Mahnung und Verpflichtung zur Wachsamkeit gegenüber allen radikalen und rassistischen Erscheinungen geworden ist.« Beckmann als Vertreter der FDP stimmte der SPD zu und sprach sich für eine sorgfältige, differenzierte Debatte ohne Zeitdruck aus und erhielt dafür Beifall von den Sozialdemokraten. Er schlug vor, die zuständigen Ausschüsse sollten eine öffentliche Anhörung durchführen, um alle Meinungen zu hören und zu prüfen. Eine nationale Gedenkstätte könne es nur mit einer überwiegenden Mehrheit des Bundestages und der Bevölkerung geben, womit Beckmann eine einseitige Durchsetzung des Vorhabens durch die schwarz-gelbe Koalition ausschloss. Er lobte den Bundespräsidenten für den Nekrolog seiner Rede zum 8. Mai 1985 und bezeichnete diesen als von herausragender Bedeutung und richtungsweisend. Das Protokoll verzeichnete Beifall bei der FDP, CDU/CSU und der SPD.468 Auch Hamm-Brücher erklärte in ihrer Rede, dass die FDP das Thema ohne Koalitions- und Fraktionszwänge behandeln wolle. Die Debatte habe aufgezeigt, »wie schwer wir uns immer noch mit einer politikgeschichtlichen Standortbestimmung tun.« Sie warnte Dregger davor, den sich anbahnenden Konsens leichtfertig zu zerreden oder zu zerstören, lobte die historische Rede des Bundespräsidenten, bezog sich aber auch auf Reden von Theodor Heuss und zitierte ihn unter anderem mit folgenden Worten: »Ein neues Geschichtsbild entsteht nicht, indem man das alte in eine Reinigungsanstalt bringt und statt Braun, Rot oder Schwarz irgendeine andere Farbe darauf malt. Ein neues Geschichtsbild entsteht dadurch, daß wir den Sinn für die Wahrhaftigkeit zurückgewinnen.« Die Liberalen hatten gehofft, so richtete sie sich an die Koalitionskolleginnen und -kollegen, dass man nach der historischen Rede Weizsäckers »ein gutes Stück weitergekommen sei«. Da sie als einzige weibliche Abgeordnete sprach, wies sie außerdem daraufhin, dass es viele Denkmäler für unbekannte Soldaten gebe, aber kein Denkmal für die unbekannte Mutter. Für ihre Rede erhielt Hamm-Brücher Applaus von Abgeordneten aller Fraktionen.469 Für die Grünen trat der Abgeordnete Christian Ströbele ans Rednerpult. Er sprach sich – wie erwartet – gegen ein Mahnmal aus und begründete dies mit dem »Dilemma, daß die Ermordeten mit denen gemeinsam geehrt werden sollten, die ihren Tod verursacht haben« und der damit einhergehenden Ablehnung durch die Vertreter des deutschen Judentums, ehemalige Widerstandskämpfer, 468 Vgl. ebd., S. 16465-16467. 469 Vgl. ebd., S. 16475f.

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den Zentralrat der Sinti und Roma und die Aktion Sühnezeichen. Er unterschied zwischen privater Trauer wie im Fall von Dreggers Bruder und des staatlich-politischen Aktes der Setzung eines Denkmals. »Nationale Gedenkstätten zeigen nicht nur, wie ein Volk und die Regierung mit Geschichte umgehen, sondern Denkmale sind vor allem auch gegenwartsbezogen.« Ströbele bemängelte, dass es in der Auseinandersetzung mit deutscher Geschichte nie den Mut gegeben habe, »die eigene Verantwortung, das eigene Beteiligt-Sein an der Leidenszufügung, an den Eroberungskriegen […] und vor allem an der Ermordung von Millionen von Menschen auch zu akzeptieren.« Ströbele kritisierte die Aussage des Bundeskanzlers von der »Gnade der späten Geburt« und beklagte die fehlende Auseinandersetzung mit der Nazizeit. Auch bezweifelte Ströbele die Darstellbarkeit der »Unfaßbarkeit dessen, was in Deutschland von 1933 bis 1945 und aus Deutschland durch seine Soldaten geschehen ist.« Ströbele begrüßte die öffentliche Debatte und wehrte sich gegen jeden Versuch, eine nationale Gedenkstätte in den Diensträumen des Bundestagspräsidenten zu verhandeln. Er kritisierte die Planung »riesiger, fast schon sakraler Geschichtsmuseen in Berlin und Bonn«, die das Ziel hätten, ein neues bundesdeutsches Nationalgefühl zu schaffen. Dies lehnte er ab und verwies dafür auf die Folgen des Nationalismus in der jüngeren deutschen Geschichte: »Eine solche Ideologie, die nur dazu dient, die Bevölkerung auf hinlänglich bekannte Sachen zuzurichten, lehnen wir ab. Denkmale zur ideologischen Ausrichtung, zur militärischen Aufrüstung des Denkens haben wir schon genug.« Das Ehrenmal für das Heer in Koblenz, die Luftwaffe in Fürstenfeldbruck und die Marine in Laboe genügten, ebenso die Walhalla, die Befreiungshalle in Kehlheim, das Niederwalddenkmal am Rhein und das Hermannsdenkmal als Vertreter deutscher Nationaldenkmale. Stattdessen forderte er die Auseinandersetzung mit der Geschichte vor Ort, um Zivilcourage und Unangepaßtsein zu lernen, sowie Widerstand zu entwickeln. Das Protokoll vermerkte Beifall bei der Fraktion der Grünen und von Abgeordneten der SPD.470 Die Debatte, die keinen Konsens zustande brachte, wurde anschließend, wie in den Anträgen vorgesehen, in die Ausschüsse verwiesen. Die zeitnahe Errichtung eines Mahnmals in Bonn war damit gescheitert. Eine im Dezember veröffentlichte repräsentative Umfrage des IFAK-Instituts im Auftrag des Deutschen Kulturrates ergab eine Ablehnung der Pläne für eine nationale Gedenkstätte von 66 % der deutschen Bevölkerung.471 Mit der deutschen Wiedervereinigung und der Verlagerung der Bundeshauptstadt nach Berlin wurden alle Pläne einer nationalen Gedenkstätte in Bonn obsolet. Stattdessen musste nun in Berlin eine Lösung gefunden werden. Anders 470 Vgl. ebd., S. 16467f. 471 Vgl. Mahnmal des Bundes: 66 Prozent sind nicht dafür, in: Bonner Rundschau vom 11. Dezember 1987.

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Abb. 44: Das Bundesehrenmal in Berlin

Blick ins Innere der Neuen Wache mit der Replik der Skulptur »Trauernde Mutter mit Sohn« von Käthe Kollwitz. Foto: Jan Niko Kirschbaum

als in Bonn entschied diesmal einfach das Bundeskabinett am 28. Januar 1993 auf Wunsch des Bundeskanzlers – ohne Beteiligung des Bundestages, sondern in Form eines Verwaltungsaktes – die Neue Wache zur »Zentralen Gedenkstätte der Bundesrepublik« umzugestalten. Sie wurde in den Zustand von 1931 zurückversetzt und um eine vergrößerte Pietà »Trauernde Mutter mit Sohn« von Käthe Kollwitz ergänzt. Am 14. November 1993 wurde die Neue Wache eingeweiht, nicht ohne den lautstarken Protest von mehreren hundert Demonstranten, scharfer Kritik unter anderem vom Akademischen Senat der Hochschule der Künste in Berlin und des Historikers Reinhart Koselleck, der die Pietà als christliches Symbol verurteilte, das die Juden nicht mit einbeziehe. Die Inschrift »Den Opfern von Krieg und Gewaltherrschaft« löste ebenso Kritik des Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, Ignatz Bubis, aus. Die Kritik bewirkte immerhin die Anbringung zweier separater Gedenktafeln am Eingang, die einerseits die Geschichte der Neuen Wache erklären und andererseits die Gruppen, derer gedacht werden soll, spezifizieren.472 Währenddessen war in Berlin die Debatte um das Denkmal für die ermordeten Juden Europas schon in vollem Gange. Auch sie füllt ganze Bücher. Das Beispiel Bonn zeigt auf, wie schwer sich Ministerien, Bundespräsidenten und Bundesregierungen mit dem Bundesehrenmal taten. Einen Ort in Bonn zu fin472 Vgl. Björn Herder und Sven Kraus, »Den Opfern der Kriege und der Gewaltherrschaft«. Das nationale Ehrenmal in der Bundeshauptstadt Bonn, S. 258f.

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den erwies sich als außerordentlich schwierig, die Anforderungen der Ministerien waren sehr unterschiedlich und auch die Erwartungen der beteiligten Verbände. Mit dem Regierungswechsel zur Regierung Kohl fand der VDK mit seinen Plänen deutlich mehr Gehör, auch war Kohl deutlich interessierter an der Verwirklichung eines Ehrenmals in seiner Amtszeit als sein Vorgänger Schmidt. Kohl sah die Deutschen ebenso als Opfer des Nationalsozialismus wie die von den Deutschen überfallenen Länder oder die Opfer des Genozids. Gegen den Kohl’schen Wunsch nach einem bundesdeutschen, alle Opfergruppen inkludierenden Erinnerungszeichen wuchs Widerstand zunächst aus der Zivilbevölkerung, die das Projekt und seine Sinnstiftung in Frage stellten, und schließlich auch im Bundestag, dessen Debatte im Februar 1986 alle Differenzen, aber auch verbindende Interpretationen der vier Bundestagsparteien offen legte. Deutlich wurde, dass der Nekrolog Bundespräsident Weizsäckers aus seiner Rede vom 8. Mai 1985 einen Kompromiss ermöglicht hätte. Ein Teil der CDU-Fraktion war jedoch nicht bereit, dem Bundespräsidenten in dessen Ansichten zu folgen und verweigerte jegliche Bewertung der Motive, Handlungen und Todesursachen der Opfergruppen, die man ehren wollte. Am Ende gab es keine gemeinsame Position und kein Bundesehrenmal. Die Ergebnislosigkeit der Verhandlungen um ein deutsches Ehrenmal stellte aber gleichzeitig nur einen Zwischenpunkt bei der Aushandlung des Geschichtsverständnisses der Bundesrepublik dar. Obwohl lokal ein Denkmalboom zum Wachsen der deutschen Erinnerungslandschaft beitrug, gab es auf Bundesebene keine bedeutende Stiftung. Drei Projekte wurden diskutiert, die aber erst in den 1990ern oder gar 2005 verwirklicht werden konnten. Dazu gehören die Zentrale Gedenkstätte der Bundesrepublik in der Neuen Wache, die Topographie des Terrors und das Mahnmal für die ermordeten Juden Europas. Eine unmittelbare Rückwirkung der Bundestagsdebatte auf lokale Erinnerungsprozesse ist nicht festzustellen, sie ist aber auch nicht auszuschließen.

4.8

Protest und Historisierung: Die Gedenkpraxis an den Erinnerungszeichen

Nicht nur im Bonner Bundestag wurden die deutschen Geschichtsbilder in Bezug auf politische Handlungsfelder der 1980er Jahre neu ausgehandelt. Auch an den neuen und den alten Erinnerungszeichen fanden Transformationen der Gedenkpraxis und Geschichtsbilder statt. Mal mit weitreichenden Konsequenzen, mal mit leichten Anpassungen des Rituals. In Münster lässt sich ein regelmäßiges, bedeutendes Gedenken am Kardinal-von-Galen-Denkmal nicht nachweisen, der Zwinger wurde erst 1997 fertiggestellt und das Gedenken dort wird daher hier nicht untersucht. Gleiches gilt aufgrund des späten Beginns regelmäßiger Gedenkveranstaltungen für das Mahnmal an der Synagoge in Paderborn, daher soll hier nur

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ein kurzer Blick auf die Gedenkpraxis der 1980er Jahre am Mahnmal am Busdorf geworfen werden. Umfangreicher ist die Quellenlage zu den anderen Fallbeispielen: während an Wupper und Emscher die Gedenkfeiern in der Regel harmonisch verliefen, wurde besonders am Rhein hart über die Erinnerungspolitik gestritten. Neuss: »Enorme Geschichtssplitterungen« In Neuss waren ähnliche Debatten wie im Bundestag zu beobachten: hart geführt und mitunter unversöhnlich zwischen den Lagern. Mit der Übernahme des Oberbürgermeisteramts473 durch Hermann-Wilhelm Thywissen (CDU) veränderte sich 1982 in Neuss parallel zu Kohls geistig-moralischer Wende der Tenor der Gedenkreden. So warnte Thywissen, dass man nicht leichtfertig über die damalige Generation urteilen solle. In einer Diktatur könne man nicht auf die Straße gehen und demonstrieren. Als Beleg verwies er auf die Situation in der DDR. Die Bevölkerung, so erklärte Thywissen, habe dem Hass der Nationalsozialisten gegenüber den Juden völlig verständnislos gegenübergestanden. In seinen Augen gab es, abgesehen von den angeblich wenigen Nationalsozialisten, noch einen Täter: das Ausland, das es ebenfalls unterlassen habe, den Juden zu helfen, obwohl es nicht von einer nationalsozialistischen Diktatur daran gehindert worden sei, wie Thywissen am 9. November 1983 feststellte: »Aber die, die gefahrlos den Juden helfen konnten, haben es auch nicht getan und die waren im westlichen und östlichen Ausland zu finden. Es ist traurig nachzulesen, wie schwer sich Juden taten, die auswandern wollten.« Dass viele der ins kontinentaleuropäische Ausland ausgewanderten Juden durch die deutschen Eroberungskriege in den Vernichtungslagern ermordet wurden, war Thywissen keine Erwähnung wert. Wichtiger war für ihn stattdessen auch den von Bomben und auf der Flucht getöteten Deutschen zu gedenken.474 Dieser Tonfall herrschte auch noch im Jahr 1985 vor. Thywissen beklagte, dass ausländische »Staatsmänner, Sportler und Wissenschaftler«, die Hitler besuchten, hinterher jeweils von der hitlerschen Friedensliebe und seiner Menschlichkeit beeindruckt und überzeugt gewesen wären. Erst 1938 habe der Westen erkannt, dass Hitler unbeirrt zum Kriege gerüstet habe und habe endlich seine Rüstung verstärkt. So sei indirekt verhindert worden, dass oppositionelle Kräfte einen so international anerkannten Diktator hätten stürzen können. Dieser habe dann nur mit seinen engsten Mitarbeitern »die Verbrechen […] betrieben […], die aber nach dem Krieg dem ganzen deutschen Volk angelastet wurden.«475 Diese Haltung Thywissens und der örtlichen CDU-Fraktion führte zu geschichtspolitischem Widerstand und einem innerstädtischen Diskurs, an dessen Ende zwei neue Erinnerungszeichen entstanden.

473 Ab 1984 wurde nach dem Verlust der Kreisfreiheit das Oberbürgermeisteramt in Neuss zu einem Bürgermeisteramt umgewandelt. 474 Vgl. StA Neuss, ZG E.11 430-60, Rede Bürgermeister Thywissen am 9. November 1983. 475 Vgl. StA Neuss, ZG E.11 430-60, Rede Bürgermeister Thywissen am 8. November 1985.

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Am 29. April 1985 begann zunächst eine Auseinandersetzung um eine Gedenktafel für Neusser Widerstandskämpfer. Die Fraktionen von SPD und Grünen hatten diesbezüglich zwei unterschiedliche Anträge eingereicht. Die SPD-Fraktion schlug vor, eine Wanderausstellung zu erstellen, die im Rathaus und in den Schulen Neusser Widerstandskämpfer würdigen sollte. Ihre Namen sollten bei der Benennung von Straßen in Zukunft berücksichtigt werden.476 Der Antrag der GrünenStadtratsfraktion war weitgehender. Sie beantragte, eine Sondersitzung des Rates am 8. Mai 1985 durchzuführen, zudem 15 Neusser Bürger für ihr antifaschistisches Engagement zu würdigen, Straßen nach ihnen zu benennen, eine Ausstellung und Unterrichtshilfen zu konzipieren und eine Gedenktafel anzubringen. In der Begründung führte die Fraktion aus, dass die Maßnahmen dazu beitragen könnten, »die Gleichgültigkeit gegenüber den Verbrechen der Nazis zu überwinden und das Nachdenken über die Ursachen der Nazi-Diktatur und des Krieges anzuregen.« Die vollständige Aufarbeitung des Faschismus sei auch in Neuss lange genug verdrängt worden.477 Dr. Hüsch von der CDU-Fraktion erklärte in der Debatte, dass eine Gedenkstunde oder Gedenkfeier am 8. Mai nicht statthaft sei, weil die DDR am selben Tag den Sieg über den »Hitler-Faschismus« begehe und sich dabei Ausdrucksmitteln bediene, die dem Terminus der Befreiung entgegenstünden. Überhaupt seien ja nicht alle Deutschen befreit worden, weder jene, die in der DDR lebten, noch jene, die vertrieben wurden. Man habe auch den Nationalsozialismus nicht selbst überwunden und so bleibe der »8. Mai ein Tag des Entsetzens, der Erschütterung über die Verbrechen des 3. Reiches. Es ist ein Tag der militärischen, aber auch der politischen Niederlage der Deutschen.« In Neuss, das war ihm wichtig, habe man die NSDAP allerdings nie mit einer politischen Mehrheit ausgestattet, eine Mitschuld an Diktatur und Krieg wollte er daher nur für eine Minderheit der Neusser anerkennen.478 Der Stv. Molitor (Grüne) bedauerte, dass es keine Geschichtsschreibung gebe, die sich mit der großen, linken Widerstandstradition in Neuss beschäftige, immerhin sei die KPD zweitstärkste Partei nach dem Zentrum gewesen. Er habe den Eindruck, dass eine Aufarbeitung der Zeit des Dritten Reiches nicht gewollt sei. Am Ende seiner Rede beklagte er, dass sich der wirtschaftlich-militärische Rüstungskomplex wieder selbstständig gemacht habe, was zu Remilitarisierung und Aufrüstung führe.479 Die Erwiderung der CDU darauf war kurz: Man habe nicht vor, Kommunisten zu ehren, höchstens für das Verbrechen, das an ihnen verübt wurde. »Es sei letztlich gleich, ob an einem KZ-Eingang ›Arbeit macht frei‹ stehe

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Vgl. StA Neuss, B.01.01 634, Bl. 14, Antrag der SPD-Fraktion vom 11. April 1985. Vgl. StA Neuss, B.01.01 634, Bl. 16, Antrag der Grünen-Fraktion vom 12. April 1985. Vgl. StA Neuss, B.01.01. 634, Bl. 74f., Ansprachen zum Kriegsende. Vgl. ebd., S. 130ff.

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oder in der Sowjetunion die Bezeichnung ›Archipel Gulag‹,« vermerkt das Protokoll.480 Dr. Kissenkoeter von der SPD warb anschließend für eine »vernünftige objektive historische Dokumentation über die Jahre 1933 bis 1945«, da beide Vorredner neben richtigen Argumenten auch »enorme Geschichtssplitterungen« vorgetragen hätten. Nach den letzten Wortmeldungen beschloss der Rat die Angelegenheit mit grundsätzlicher Zustimmung zu einer Aufarbeitung der Widerstandsgeschichte an den Hauptausschuss zu verweisen.481 Am Ende des Aufarbeitungsprozesses und der damit einhergehenden lokalgeschichtlichen Forschung stand die Einweihung einer Gedenktafel im Juli 1992. Während der Streit um den (kommunistischen) Widerstand zunächst in die Gremien ausgelagert wurde, kam es 1986 während des Gedenktags des Novemberpogroms zum Eklat. Thywissen sprach einen aktuellen politischen Vorgang an: den Rücktritt des Korschenbroicher Bürgermeisters Wilderich Freiherr von Mirbach Graf von Spee. Dieser hatte bei einer Ratssitzung bemerkt, um den Haushalt sanieren zu können, müsse man »einige reiche Juden erschlagen«. Diese antisemitische Bemerkung führte nach einer bundesweit rezipierten Diskussion zu seinem Rücktritt.482 Vor dem Hintergrund dieser Ereignisse warnte Thywissen in Neuss die anwesenden »jüdische Repräsentanten« vor einer Rückkehr des Antisemitismus dadurch, dass diese sich dagegen wehrten. »Und eben dieser Antisemitismus darf nicht wiederentstehen. […] Da ereignete sich nun, daß im Februar dieses Jahres ein Bürgermeister aus der Nachbarschaft eine wenig glückliche Bemerkung, die sich auf Juden bezog, machte. Es war klar zu sehen, daß er damit keine Juden beleidigen wollte und daß dieser Ausspruch eine unbeabsichtigte Panne war. […] Entscheidend ist für mich, daß es nicht wenige Menschen gab, die nur mit Verbitterung erlebten wie ein ansonsten hoch angesehener und korrekter Mann bis in die Familie hinein verfolgt wurde. Damit haben sich die jüdischen Repräsentanten, die glaubten, hier ein Exempel statuieren zu müssen, was sie an dieser Stelle nicht taten, keinen Gefallen erwiesen. Wir sind hier in der überwiegenden Mehrheit Christen, für die Verzeihen, Nächstenliebe und gegenseitiges Verständnis wesentliche Lebensmerkmale sind. Auge um Auge und Zahn um Zahn sind Begriffe, die ein Zusammenleben nur erschweren. Darum habe ich die aufrichtige Bitte, daß sich eine derartige Auseinandersetzung nicht wiederholt.«483

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Vgl. ebd., S. 134. Vgl. ebd., S. 135. Vgl. Jürgen Leinemann, Die Vergangenheit holt uns ein, in: Der Spiegel 10/1986, S. 59-71. Rede Bürgermeister Thywissen am 7.11.1986, entnommen aus: Frederik Eue, Christopher Fedder (u.a.), Eigentlich war es nur eine falsche Formulierung. Der Skandal um die Rede des Neusser Bürgermeisters Thywissen 1986, (Beitrag zum Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten), StA Neuss, KO26 Thy007.

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Thywissens Verteidigung einer antisemitischen Äußerung an eben dem Tag, an dem in Neuss den brutalen Folgen des deutschen Antisemitismus gedacht wurde, konnte nicht unerwidert bleiben. Die SPD-Fraktion im Neusser Stadtrat beantragte noch am selben Tag eine Sondersitzung des Rates, die am 17. November 1986 stattfand. Zu Beginn stand eine Entschuldigung Thywissens.484 Er bezeichnete die Zeit des Nationalsozialismus als dunkelste Epoche deutscher Geschichte. Die Verhinderung einer Wiederholung sei politische Pflicht und seine politische und religiöse Überzeugung. In der Feierstunde am 9. November solle die Schuld deutlich gemacht und um Versöhnung gebeten werden. Er bedauere Missverständnisse und entschuldige sich dafür.485 Anschließend gab es eine breite Debatte im Rat. Für die Ratsfraktion der CDU verteidigte Dr. Reinartz den Bürgermeister. Diesem sei, auch aufgrund seiner religiösen Überzeugung, jeder Antisemitismus fremd. Reinartz gab aber zu, dass die gewählten Worte nicht vertretbar gewesen seien.486 Für die SPD setzte sich Dr. Kissenkoetter mit der Rede Thywissens auseinander. Sein Redebeitrag beinhaltete eine längere Abhandlung über die Entstehung des NS-Regimes und den Untergang der Weimarer Republik. Die »Reichskristallnacht« sei ohne einen passiven Antisemitismus und ohne Widerspruch nicht möglich gewesen. Es mache ihn fassungslos, dass der Bürgermeister den »jüdischen Repräsentanten« vorschreiben wolle, ob sie sich gegen antisemitische Äußerungen zur Wehr setzen dürften. Es sei viel mehr die Pflicht aller, dass der Antisemitismus auch aus der Sprache verschwinde. Für ihn sei der Bürgermeister nicht mehr der erste Vertreter aller Neusser Bürger.487 Der Stadtverordnete Molitor von den Grünen erklärte, dass die Umkehrung von Tätern und Opfern, die in der Rede geschehen sei, die demokratische Kultur beschädige. Es bestätige für ihn, dass es in der Bundesrepublik und in Neuss Meinungen gebe, die die damalige Geisteshaltung restaurieren wollten. Beispiele dafür seien die nicht erfolgte Straßenbenennung nach Widerstandskämpfern und ihre nicht stattfindende Ehrung, die späte Dokumentation der »Nazizeit« und das Vorhaben, die Geschichte Neuss’ im Nationalsozialismus von einem NPD-Mitglied aufarbeiten zu lassen. (Letzteres konnte allerdings noch verhindert werden, als es publik wurde.) Als Bürgermeister sei Thywissen nicht mehr tragbar, fuhr Molitor fort. Er müsse zurücktreten.488 Nach einer Sitzungsunterbrechung, in der die zuvor mündlich vorgetragene Entschuldigung Thywissens in Schriftform verteilt wurde, stellte Stv. Bolten für die SPD-Fraktion fest, dass das Weltbild des Bürgermeisters von der Zeit des Nationalsozialismus einer objektiven Prüfung nicht 484 Vgl. StA Neuss, B.01.01 707, Bl. 9ff., Niederschrift der Sondersitzung des Rates vom 17. November 1987. 485 Vgl. ebd., Bl. 8f. 486 Vgl. ebd., Bl. 12. 487 Vgl. ebd., S. 15ff. 488 Vgl. ebd., S. 21ff.

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standhalten könne und empfahl ihm die Erwägung der Konsequenzen. Stv. Demmer von den Grünen ergänzte, dass die von Thywissen vorgenommene Gleichsetzung der planmäßigen Ermordung der Juden mit Menschenrechtsverletzungen in den Ostblockstaaten darauf hinweise, dass Thywissen jeden historischen Maßstab verloren habe.489 Es mag die Debatte um Thywissens Rede gewesen sein, die dazu führte, dass der Stadtrat am 23. Oktober 1987 auf Initiative des neuen Bürgermeisters Dr. Reinartz (Thywissen war zu seinem 70. Geburtstag vom Amt zurückgetreten490 ), auf Antrag aller Fraktionsvorsitzenden eine Erklärung verabschiedete, mit der ehemalige jüdische Mitbürger nach Neuss eingeladen wurden. Ähnliches geschah Ende der 1980er Jahre auch in Paderborn, Düsseldorf und Wuppertal. Ziel, so die Erklärung, sei es, in dieser Begegnungswoche den Dialog zu suchen, bei den Neussern die Erinnerung wachzurufen und sie durch die persönliche Begegnung Anteil an deren Schicksal nehmen zu lassen. Begleitend sollte eine Ausstellung die Bürger im Jahr der 50. Wiederkehr des Novemberpogroms über das jüdische Leben in Neuss informieren.491 In der folgenden Hauptausschuss-Sitzung wurden weitere Details besprochen, auch eine Erneuerung des Mahnmals wurde in Aussicht gestellt,492 aber zunächst aufgrund des Neubaus einer Sparkassen-Filiale am Standort der ehemaligen Synagoge nicht verwirklicht. Stattdessen erhielt eine Stichstraße den Namen An der Synagoge.493 Der Besuch ehemaliger jüdischer Mitbürger in der ersten Juliwoche des Jahres 1988 führte dann dazu, dass sich der Rat genötigt sah, die Gedenktafel von 1953 abzuhängen und die mittlerweile aufgekommene Kritik ernst zu nehmen. Neben der oberflächlichen, verschleiernden Formulierung wurde auch die Zahl von 179 Opfern korrigiert, die 1945 aus der Differenz zwischen der Anzahl der 1933-1939 in Neuss gemeldeten Juden und den Abmeldungen errechnet worden war. Die historische Forschung ergab in den 1980er Jahren die Zahl von 207 Opfern.494 Dass die Formulierung der Tafel gar nicht von der Stadt entworfen worden war (siehe Kapitel 2.4), war in den 1980er Jahren nicht mehr bekannt. Bürgermeister Reinartz erklärte angesichts der Abnahme der Gedenktafel: »Die Übernahme von Verantwortung gegenüber der eigenen geschichtlichen Vergangenheit ist nur möglich, wenn dies in Offenheit und Ehrlichkeit gegenüber 489 Vgl. ebd., S. 25f. 490 Vgl. Carina Wernig, Hermann Wilhelm Thywissen – ein Lebensbild, in: Hermann Wilhelm Thywissen. Ehrenbürger der Stadt Neuss, hg. von Jens Metzdorf im Auftrag der Bürgergesellschaft zu Neuss e.V., Neuss 2017, S. 33. 491 Vgl. StA Neuss, B.01.01 750, Bl. 124f. Niederschrift der Ratssitzung vom 23. Oktober 1987. 492 Vgl. StA Neuss, B.01.01 750, Niederschrift der Hauptausschusssitzung vom 6. November 1987. 493 Vgl. StA Neuss, B.01.01 787, Niederschrift der Hauptausschusssitzung vom 26. Mai 1988. 494 Vgl. Rückriem-Steinskulptur soll an das Leiden Neusser Juden erinnern, in: NeußGrevenbroicher Zeitung vom 29. Juli 1995.

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der Vergangenheit geschieht. Diese Ehrlichkeit gegenüber der Vergangenheit ist es, die den Rat der Stadt Neuss veranlaßt hat, die Gedenkplatte an dieser Stelle – die sich dort seit 1953 findet – abzuhängen […]. Die Erlebnisse anläßlich des Besuchs unserer früheren jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger und die Begegnung mit der Jugend dieser Stadt haben uns allen die Hoffnung gegeben, daß der sorgsame Umgang mit der Wahrheit auch die Chance bietet, aus der Geschichte zu lernen.«495 Von 1989 bis 1994 ersetzte ein provisorischer Gedenkstein – eine steinerne Stele mit den Namen der Ermordeten – ein noch zu errichtendes Mahnmal, das sich aufgrund von Baumaßnahmen am ehemaligen Standort der Synagoge verzögerte. Der Ältestenrat des Rates der Stadt entschloss sich im März 1994 – nach Forderungen durch den Judaisten Stefan Rohrbacher, der 1986 seine Dissertation über die »Juden in Neuss« veröffentlicht hatte, und die Jüdische Gemeinde Neuss, das 1989 gemachte Versprechen zu halten496 – zu einem Wettbewerb. Doch vor der Veröffentlichung der Ausschreibung wurde der in Neuss geborene Bildhauer Ulrich Rückriem für das Projekt »begeistert«, sodass die Stadt Neuss dem »international renommierten« Künstler den Auftrag erteilte. Bezahlt wurde das »Kunstwerk«, das die typische Formensprache Rückriems aufgreift und dem 1982 errichteten HeineDenkmal in Bonn ähnelt, von der Jubiläumsstiftung Sparkasse Neuss, da die neue Filiale auf dem Grund der alten Synagoge steht.497 Bürgermeister Dr. Reinartz betonte bei der Einweihung am 9. November 1995 die Zusammenarbeit und die intensiven Diskussionen zwischen Dr. Rohrbacher, der Jüdischen Gemeinde und den Gremien der Stadt. Der Erinnerungswille der Stadt finde in der steinernen Form und in der Nennung jedes Namens seinen Ausdruck.498 Der Monolith aus grau-braunem Stein ist zersägt, neu zusammengesetzt und von Bohrlöchern durchzogen. In den entstandenen drei Öffnungen, die wie Türen wirken, die ins Innere des massiven Steinblocks führen, zählen Bronzetafeln jeden getöteten Neusser Juden namentlich auf. Die neue Inschrift verkündet, von einem Davidsstern unterbrochen:  

495 StA Neuss, ZG E.11 430-60, Rede von Bürgermeister Dr. Bertold Reinartz am 9. November 1988. 496 Vgl. Heribert Brinkmann, In der Erinnerung liegt die Erlösung, in: Neuß-Grevenbroicher Zeitung vom 15. März 1994. 497 Vgl. Rückriem-Steinskulptur soll an das Leiden Neusser Juden erinnern, in: NeußGrevenbroicher Zeitung vom 29. Juli 1995. 498 Vgl. StA Neuss, ZG E.11 430-60, Rede Bürgermeister Dr. Reinartz vom 9. November 1995.

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»Hier gegenüber stand die 1867 eingeweihte Synagoge der Jüdischen Gemeinde von Neuss. Am 9. November 1938 wurde sie von SA-Leuten, unter denen auch Bürger dieser Stadt waren, geschändet und niedergebrannt. Das Vergessenwollen verlängert das Exil, und das Geheimnis der Erlösung heißt Erinnerung.«

Das Erinnerungszeichen steht in einer Ecke eines kleinen Parks zwischen zwei Straßen der Neusser Innenstadt, der vor allem von Radfahrern und Fußgängern genutzt wird. Das Denkmal ist durch eine großgewachsene Hecke von der Straße und auch vom Sparkassenbau abgeschirmt. Der Platz vor dem Denkmal wirkt einsam und verlassen.

Abb. 45: Das Mahnmal der Stadt Neuss

Wie eine kleine Plakette stolz verrät: Teil der Kunstsammlung der Stadt Neuss. Foto: Jan Niko Kirschbaum

Düsseldorf: Ein »Schandmal« am Reeser Platz Auch die Neusser Nachbarstadt musste sich in den 1980er Jahren mit der Erinnerung an die NS-Vergangenheit auseinandersetzen. Zunächst fand die Stadt aber 1975, dreißig Jahre nach dem Kriegsende, eine neue Form des offiziellen Gedenkens in Düsseldorf. An die Kranzniederlegung am Mahnmal schloss sich wieder eine Gedenkstunde an, die nun im Plenarsaal des Rathauses stattfand. In diesem Jahr kam es auch zu einer Provokation, als Unbekannte vor dem Volkstrauertag am Mahnmal ein fünf Meter hohes Schlageterkreuz mit Gedenkkranz aufstellten. Der

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Kranz wurde sofort entfernt, das Kreuz erst am folgenden Montag.499 Von 1978 bis 1989 sah der Ablaufplan gemäß der Aktenlage wie folgt aus: Um 10:40 Uhr erfolgte die Aufstellung der Ehreneinheiten der Bundeswehr und der Polizei am Mahnmal. Um 10:43 Uhr trafen die offiziellen Vertreter von Landtag, Landesregierung, Landeshauptstadt, VDK und der Befehlshaber des Wehrbereichs III an der Danziger Straße ein. Um 10:45 Uhr spielte das Bundeswehrmusikkorps auf, die Fahnen wurden gesenkt und die Kränze niedergelegt. Die Bundeswehr begleitete die Niederlegung des Kranzes für die Gefallenen mit dem Lied vom guten Kameraden. Das Polizeimusikkorps spielte den Trauermarsch von Chopin während der Kranzniederlegung für die »Opfer der Gewaltherrschaft« und einen Choral während der Kranzniederlegung für die Ziviltoten. Anschließend konnten Behörden und Organisationen ihre Kränze ablegen. Den Abschluss bildeten ein Trommelwirbel und die rituellen Kommandos von Bundeswehr und Polizei. Die offiziellen Vertreter verließen den Platz ohne Ansprache und begaben sich zur Gedenkstunde ins Rathaus, die um 11:30 Uhr begann.500 1982 kritisierte die Rheinische Post in einem Kommentar die stattgefundene Gedenkfeier als »Ritual für falsche Adressaten«. Es fehle die Jugend im Saal, den Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, die sich dort versammelten, sei die Wahrung des Friedens aufgrund ihrer Erfahrung zuzutrauen. Der Monolog der Älteren solle durch einen Dialog mit den Jüngeren ersetzt werden.501 Die Ansprachen bei der Gedenkfeier im Rathaus hielten ab 1975 je eine Person des Öffentlichen Lebens und eine Person aus der Wissenschaft. In deutlicher Überzahl wurden hierfür bis 1988 Historiker geladen, acht der 14 Hauptredner von 1975 bis 1988 gehörten dieser Zunft an, lediglich 1979 und 1984 kam der Hauptredner nicht von einer Hochschule.502 Damit wandelte sich das Gedenken von den Erinnerungen, Erklärungen und Mahnungen der Zeitzeugen zu einer Historisierung des Nationalsozialismus durch die Nachgeborenen. Die historisch-wissenschaftlichen Erklärungen wurden von den Rednern mit Blick auf die Gegenwart gedeutet und daher boten auch diese Interpretationen des historisch Gewordenen Raum für Debatte und Streit. Ein Beispiel hierfür sind die Worte des Bonner Professors für mittlere und neue Geschichte, Konrad Repgen im Jahr 1978. Die Rheinische Post widmete sich in einem längeren Artikel der »mutigen, das politische und moralische

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Vgl. Schlageterkreuz am Nordfriedhof, in: Rheinische Post vom 17. November 1975. Vgl. StA Düsseldorf, 1-2014-2-146, Ablauf der Kranzniederlegung der Jahre 1978ff. Vgl. Sonntagsrede, in: Rheinische Post vom 15. November 1982. 1975: Prof. Theodor Schieder, 1976: Prof. Bernhard Kötting, 1977: Prof. Karl Dietrich Bacher, 1978: Prof. Konrad Repgen, 1979: Prof Dr. Joachim Beckmann, Präses der ev. Kirche im Rheinland, 1980: Prof. Hans Buchholz, 1981: Prof. Hans-Peter Schwarz, 1982: Prof. Friedrich Kieneker, 1983: Prof. Hans-Adolf Jacobsen, 1984 Michael Geuenich, Landesvorsitzender des DGB in NRW, 1985: Prof. Gertrud Höhler, 1986: Prof. Karl Hüser, 1987: Prof. Hans Mommsen, 1988: Prof. Franz Böckle.

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Gewissen aufrüttelnden Rede«. Nach den einleitenden Worten von Ministerpräsident Johannes Rau kritisierte Repgen, so die Zeitung, die »nachgewachsene« Generation, die es sich auf ihren bequemen Richterstühlen nicht zu leicht machen dürfe, über die Erlebnisgeneration zu urteilen und ging mit der »Zweckhaftigkeit der Enthüllungstechnik« für die heute 60- und 70-jährigen Männer und Frauen mit NS-Vergangenheit ins Gericht. Repgen konstatierte: »Diese Rechnungslegung aber gehört nicht vor die Tribunale der Menschen. Sie sind für solche Gewissensentscheidungen unzuständig.«503 »Heute, im bequemen Richterstuhl in Freiheit und Wohlstand, könne man kein gerechtes Urteil fällen über Verhaltensweisen, die von Angst, Diktatur und Krieg bedingt gewesen seien,« zitierten die Düsseldorfer Nachrichten aus der Rede. Repgen lehne die Gleichsetzung von Verstrickung und Schuld ab.504 Ähnlich äußerte sich Prof. Christian Maier, der Vorsitzende des Verbandes deutscher Historiker, 1982 auf dem Historikertag in Münster. »Wenn früher das Allesverstehen/Allesverzeihen vorgeherrscht hat, ist heute ein Urteil vom Hohen Roß stark im Vordringen«. Er warnte vor zu viel Selbstgerechtigkeit und SchwarzWeiß-Denken und forderte mehr Gerechtigkeit im Einzelnen.505 Versöhnlicher äußerte sich 1981 NRW-Justizministerin Inge Donnep (SPD). Sie bat bei der Gedenkfeier die ältere Generation um Verständnis für die Bereitschaft der jungen Menschen, an den Friedensdemonstrationen teilzunehmen. Ebenso verständnisvoll äußerte sich der Kölner Historiker Hans Peter Schwarz, warnte aber gleichzeitig davor, den »Weg der Abschreckungspolitk« zugunsten »gefährlicher, pazifistischer Gedanken zu verlassen«506 und verglich die gegenwärtige Situation mit dem Verhalten Frankreichs und Englands in den 1930er Jahren, denn schließlich habe die dortige Friedensstimmung dazu beigetragen, Hitlers Krieg zu ermöglichen. Die Freiheit könne momentan ohne Abschreckung nicht aufrechterhalten werden.507 Die Frage nach der Rolle der Friedensbewegung im Kalten Krieg bewegte auch Johannes Rau bei der Einweihung des Mahnmals KZ Kemna in Wuppertal (siehe Kapitel 4.5). Die Friedensbewegung übte in den 1980er Jahren in Düsseldorf großen Einfluss auf den Volkstrauertag aus. 1981 wurden 1.500 Menschen am selben Tag zur Aktion »Frieren für den Frieden« zum Auftakt der Düsseldorfer Friedenswoche mobilisiert. 1983 nahmen die Friedensaktivisten auf ihre Weise an der Kranznieder-

503 Vgl. Horst Morgenbrod, Auf den Richterstuhl der Gegenwart, in: Rheinische Post vom 20. November 1978. 504 Vgl. Mit der Geschichte im Guten und im Bösen verbinden, in: Düsseldorfer Nachrichten vom 20. November 1978. 505 Vgl. Eröffnung des 34. Deutschen Historikertages, in: Bericht über die 34. Versammlung deutscher Historiker in Regensburg, Stuttgart 1984, S. 120. 506 Vgl. Friedenswünsche erfüllen!, in: Westdeutsche Zeitung vom 16. November 1981. 507 Vgl. Horst Morgenbrod, Sanftmütige und die Friedensstörer, in: Rheinische Post vom 16. November 1981.

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legung am Mahnmal teil: Sie trugen großformatige Plakate, auf denen sie gegen neue Waffen und Rüstung protestierten. Am Rathaus demonstrierte schweigend mit Kindern die Vereinigung »Mütter für den Frieden« und verteilte Flugblätter, in denen sie kritisierte, dass die Politik am Volkstrauertag Krieg in einer Feierstunde verurteile und eine Woche später die Aufstellung von Massenvernichtungsmitteln beschließe.508 In der Tat stimmte der Bundestag am 22. November 1983 der Stationierung von amerikanischen Pershing II-Raketen in Deutschland als Teil des NATO-Doppelbeschlusses zu. Ein Jahr später protestierten erneut mehrere Friedensgruppen am Mahnmal mit Plakaten, die »Mütter für den Frieden« vor dem Rathaus und sogar auf der Empore des Plenarsaals wurde ein Banner entrollt.509 Die Rheinische Post berichtete, dass nach der Rede des Landesvorsitzenden des DGB, Michael Geuenich, der die Rüstungsexporte und die gegenwärtige politische Lage der Welt hart kritisiert hatte, im Plenarsaal die Hoffnungslosigkeit vorgeherrscht habe.510 1985 bezeichnete die Rheinische Post die Anti-Kriegs-Demonstrationen während des Volkstrauertags am Mahnmal auf dem Nordfriedhof bereits als Gewohnheit, aufgrund des friedlichen Ablaufs aber auch als Zeichen, dass die gesellschaftlichen Gruppen der Stadt zusammen aus dem Volkstrauertag mehr und mehr einen Mahn- und Gedenktag im Sinne eines »Nie Wieder« machen würden.511

Abb. 46: Das Denkmal am Reeser Platz.

An der rechten Seite ist eine das Erinnerungszeichen erläuternde Tafel zu sehen. Foto: Jan Niko Kirschbaum

508 Vgl. Thomas Niermann, Gegen Herrschaft der Schlagworte, in: Westdeutsche Zeitung vom 14. November 1983. 509 Vgl. Wolfgang Schmalz, »Wir dürfen uns nicht aus der Verantwortung stehlen.«, in: Westdeutsche Zeitung vom 19. November 1984. 510 Vgl. Horst Morgenbrod, Haben wir die Lektion gelernt?, in: Rheinische Post vom 19. November 1984. 511 Vgl. Horst Morgenbrod, Trauer ist die Kraft, die Feinde verbindet, in: Rheinische Post, vom 18. November 1985.

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Ein Jahr später rückte das Denkmal am Reeser Platz in das Zentrum der Düsseldorfer Auseinandersetzung zwischen Friedensbewegung und KriegsgefallenenGedenken. Als das Mahnmal am Nordfriedhof und die zugehörigen Gedenkveranstaltungen in Düsseldorf zu Beginn der 1970er Jahre eine schwere Krise durchlebten (siehe Kapitel 3.4), war in der Berichterstattung der Presse die Gedenkveranstaltung von Bundeswehr und 39er-Kameradschaft am Reeser Platz an prominente Stelle gerückt. Das ehemalig in Düsseldorf stationierte Niederrheinische Füsilier-Regiment Nr. 39 hatte in der Zwischenkriegszeit ein Kriegerdenkmal durch Jupp Rübsam, der nach dem Krieg auch die Drei Nornen schuf (siehe Kapitel 2.6), anfertigen lassen. Dieses an der Tonhalle aufgestellte Erinnerungszeichen hatte nach seiner Einweihung 1928 aufgrund seiner Gestaltung für Empörung in rechtsnationalen Kreisen gesorgt und war dann von den Nationalsozialisten zerstört worden. Seine Überreste wurden 1978 in der Nähe des alten Standorts wieder aufgestellt. Wenige Tage vor dem Kriegsbeginn 1939 wurde am Reeser Platz ein zweites Kriegerdenkmal durch die 39er eingeweiht, das bis heute besteht. Es bildet einen breiten, wandartigen Block, der den Platz von der dahinterliegenden Grünfläche trennt. In der Mitte befindet sich eine vergitterte Gruft mit Eisernem Kreuz. Aus dieser steigen als Halbrelief in die Mauer geschlagene Soldaten kampfbereit empor. Die Inschrift, die in großen Lettern oben an der Mauer angebracht ist, erklärt: »Für des deutschen Volkes Ehre und Freiheit«. Das Kriegerdenkmal blieb nach 1945 ein fester Anzugspunkt der ehemaligen Angehörigen des Regiments und seiner Nachfolgeorganisationen. Weitgehend unbehelligt fanden Zusammenkünfte und Gedenkfeiern am Volkstrauertag bis in die 1980er Jahre statt.512 1986 feierte die »Kameradschaft ehemaliger 39er« ihr 100-jähriges Bestehen am Kriegerdenkmal und mehrere hundert Gegendemonstranten brachten diese Feierlichkeit in den Blickpunkt der Öffentlichkeit. »Mit Staunen, Erschrecken und Unglauben nahmen viele, vor allem auch junge Menschen wahr, daß ein derartiges Spektakel vor diesem Relikt aus der Nazizeit heutzutage noch und wieder möglich ist, daß dort ein ›Bund der Ritterkreuzträger‹ und ein ›Panzerkorps Großdeutschland‹ Seit an Seit mit dem Verteidigungsminister der Bundesrepublik Deutschland Kränze niederlegen«, stellte das »Friedensforum Düsseldorf« in seiner Dokumentation »Kriegsverherrlichend« fest. Das Friedensforum forderte die Errichtung eines Gegendenkmals oder die Neugestaltung des Denkmals.513 Neben den bereits genannten Vereinigungen waren auch die »Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit der Angehörigen der ehemaligen Waffen-SS« (SS-HIAG), der Verband »Deutsches

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Vgl. Josef Odenthal, Das Vermächtnis der Gefallenen, in: Rheinische Post vom 15. November 1971. Vgl. StA Düsseldorf, 0-1-23-1507.0000, Kriegsverherrlichend, Dokumentation zum Denkmal der 39er, Düsseldorf 1988,

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Afrikakorps e.V.« und der Stahlhelm vertreten. Von der Bundeswehr kamen die Kameradschaft der Feldjäger und das Feldjägerbataillon 730, aber auch Vertreter der US-Force Rheinberg und »Commander and all Ranks Düsseldorf Station« der britischen Rheinarmee nahmen an der Veranstaltung teil.514 Empörung löste eine Inschrift aus, die nach dem Zweiten Weltkrieg am Kriegerdenkmal ergänzt worden war. Sie zeichnete die Marschroute der Nachfolgeeinheiten des nach dem Ersten Weltkrieg aufgelösten 39er-Regiments auf, die von 1941 bis 1944 in Osteuropa kämpften und bis kurz vor Moskau kamen. Bei Rshew fanden besonders erbitterte Kämpfe statt, bei denen auch Kriegsverbrechen an der lokalen Bevölkerung stattfanden. Auch dies spielte in der Debatte um das Denkmal eine Rolle, ebenso die Befürchtung, dass die im Erinnerungszeichen propagierte Heldenverehrung zu einem dritten, diesmal atomaren Massenmord am deutschen Volk und anderen Völkern Europas führen könnte, wie der Landesverband der Deutschen Journalisten Union per Brief dem Friedensforum mitteilte. Daher stellte man fest: »Denkmäler, die nicht Mahnmal oder Warnmale sind, kann man deshalb nur als Schandmal betrachten. Das 39er Denkmal am Reeser Platz ist ein solches Schandmal.«515 Zu den Gegnern der Feierlichkeiten gehörten vor allem Gewerkschaften, die Grünen, die VVN und Teile der SPD.516 Die Jubiläumsfeier wurde von einem Aufgebot aus Punks, Kommunisten, Falken und »Friedenskämpfern« gestört, so berichtete die konservative Rheinische Post. Polizeibeamte und Angehörige der Kameradschaft drängten die Gruppe der Demonstranten ab, als diese versuchte, den Denkmalplatz zu besetzen. Dennoch gelang es den Protestierenden, einen Sarg mit einer Puppe in Bundeswehruniform vor dem Innenraum des schon in der Nacht zuvor beschmierten Denkmals zu platzieren. Sarg und Puppe wurde von den ehemaligen 39ern umgehend retourniert. Das Lied vom guten Kameraden ging im Pfeifkonzert unter. Bei der anschließenden Festveranstaltung im Radschlägersaal waren die Veteranen und ihre Gäste dann ungestört. Der Kommandeur der Feldjäger, Oberstleutnant Wiesner, versicherte, dass man sich die Weltanschauung nicht vom dümmlichen Dünkel einer kleinen Gruppe kaputtmachen lasse. Auch der Baas des Heimatvereins »Düsseldorfer Jongens« sicherte den 39ern seine Unterstützung zu.517

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Vgl. StA Düsseldorf, 0-1-23-1507.0000, Kriegsverherrlichend, Dokumentation zum Denkmal der 39er, Düsseldorf 1988. Vgl. StA Düsseldorf, 0-1-23-1507.0000, Brief der Deutschen Journalisten Union an Fritz Hollstein vom 30. Juli 1986, abgedruckt in: Kriegsverherrlichend, Dokumentation zum Denkmal der 39er, Düsseldorf 1988. Vgl. Gerda Kaltwasser, Warum nicht an Rübsams Denkmal?, in: Rheinische Post vom 9. September 1986. Vgl. Horst Morgenbrodt, Viel Aufregung am Ehrenmal, in: Rheinische Post vom 15. September 1986.

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Im November 1986 waren sowohl die Kranzniederlegung am Reeser Platz als auch am Nordfriedhof Ziel der Demonstranten, die von der Polizei auf Abstand gehalten wurden. Die Gedenkstunde im Rathaus blieb störungsfrei.518 Der SPDUnterbezirk Düsseldorf beschloss 1986 auf einem Parteitag, dass »dem Denkmal am Reeser Platz ein deutliches Gegengewicht für die vielen Opfer der Gewaltherrschaft des Faschismus entgegengestellt wird, das die Agressivität [sic!] und Kriegsverherrlichung des bestehenden Denkmals verdeutlicht.« Die Ratsfraktion wurde beauftragt, einen entsprechenden Antrag in den Rat einzubringen. Besonders wichtig, so wurde der Antrag begründet, sei die Veränderung des Denkmals, da sich das in Düsseldorf stationierte Feldjägerbataillon 730 mit Soldaten an den Feiern am Volkstrauertag und der 100-Jahr-Feier beteiligt hätte. Die Soldaten, zum Teil Wehrpflichtige, seien per Befehl dazu verpflichtet worden, sie sogar maßgeblich mitzugestalten. Somit sei das Denkmal kein Relikt einer überwundenen Vergangenheit, stellte die SPD fest.519 Ein Antrag auf Abriss des Denkmals fand bei der SPD keine Mehrheit.520 Am 25. November 1986 legte der SPD-Unterbezirk in einem Schreiben an den Oberbürgermeister nach: »Wir leben in einer Zeit, in der erzreaktionäre und faschistische Überzeugungen zunehmend offen und demonstrativ geäußert werden. Zu dem geistigen Klima, in dem dies möglich wird, hat sicherlich die Regierungsübernahme durch die Konservativen und die von diesen forcierte Diskussion zur Wiederbelebung von ›überkommenen und bewährten Werten‹ beigetragen. […] Es ist ein Skandal, daß über 40 Jahre nach dem Zusammenbruch des Hitler-Faschismus ein Denkmal mit provozierend kriegsverherrlichender Gestaltung immer noch als Anziehungspunkt für Unbelehrbare für makabre Feiern zur Verfügung steht.«521 1987 löste ein polizeiliches Verbot einer Demonstration der Initiative »Düsseldorfer gegen Atomraketen« vor der eigentlichen Trauerfeier Empörung aus. Der Chef der Schutzpolizei begründete die Ablehnung damit, dass man an einem stillen Feiertag vormittags keine Demonstrationen wünsche, während die Veranstaltung der 39er »voll im Sinne des Volkstrauertags« sei. Der städtische Ordnungsdezernent, Mitglied der FDP, pflichtete ihm bei. Dass die Soldatenfeier »reichlich militaristisch« war, wie die Neue Rhein Zeitung den Chef der Schutzpolizei zitier-

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Vgl. Horst Morgenbrodt, Was hätten wir heutigen getan?, in: Rheinische Post vom 17. November 1986. 519 Vgl. StA Düsseldorf, 0-1-23-1507.0000, Kriegsverherrlichend, Dokumentation zum Denkmal der 39er, Düsseldorf 1988. 520 Vgl. Dieter Schneider, Parteitag rüffelt die SPD-Fraktion, Neue Rhein Zeitung, vom 5. November 1987. 521 Vgl. StA Düsseldorf, 0-1-23-1507.0000, Brief des SPD-Unterbezirks an OB Bungert vom 25. November 1986, abgedruckt in: Kriegsverherrlichend, Dokumentation zum Denkmal der 39er, Düsseldorf 1988.

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te, wurde nicht in die Bewertung einbezogen.522 Am Reeser Platz zeigte sich dann für den Berichterstatter der Rheinischen Post folgendes Bild: Auf der einen Seite gesammelter Ernst, Gleichschritt, Nationalhymne, Beteiligung von Bundeswehr und amerikanischer und britischer Verbündeter, auf der anderen Seite die grellgefärbten Haare der Punks, rote Fahnen der Politaktivisten, Trillerpfeifen und »Humbahumba-humba-täterä«-Gesänge.523 Die Gruppe der Gegendemonstranten schätzte die Westdeutsche Zeitung auf 250 Personen.524 Auch bei der offiziellen Feier am Mahnmal gab es den Gegensatz zwischen den dunkel gekleideten Offiziellen und den Jüngeren mit Fahnen, legerer Kleidung und Pappplakaten. »Hart bedrängt« marschierten die Kapellen von Polizei und Bundeswehr auf, so die Rheinische Post. Im Plenarsaal des Rathauses, zur Gedenkstunde, wo der Historiker Hans Mommsen Stellung zum Historikerstreit nahm, war die »seriöse« Trauergemeinde dann aber ungestört.525 Im August 1988 empfahl der Beschwerdeausschuss der Stadt Düsseldorf schließlich auf Antrag Fritz Hollsteins von der VVN, dass die Vereine und Verbände aufgefordert werden sollten, am Reeser Platz keine Gedenkfeiern mehr abzuhalten, sondern stattdessen die wiederaufgestellten Reste des ersten 39er Denkmals von Rübsam an der Tonhalle zu benutzen.526 Die Verbände, die Bundeswehr und der Heimatverein der »Düsseldorfer Jongens« kündigten aber sofort an, nicht auf die 20 Jahre alte Tradition verzichten zu wollen und die Feier wie bisher auszurichten. Sie sei ein Zeichen der Pietät und habe keine politischen Hintergründe.527 Anlässlich der Eröffnung einer Bundeswehrausstellung im September bekräftigte Oberbürgermeister Bungert (SPD), dass das Denkmal am Reeser Platz in der Tradition der Nationalsozialisten stehe, während die von der Stadt aufgestellten Reste des ursprünglichen 39er Denkmals für eine demokratische Tradition stünden. Damit brachte er die Bundeswehr in den Zwiespalt, entweder die Stadt oder die soldatischen Verbände zu verprellen.528 Schließlich lenkte die Bundeswehr ein und dem »Kult um Düsseldorfs umstrittenstes Denkmal« wurde

522 Vgl. Gibt die Polizei »alten und neuen Nazis« den Vorzug?, Neue Rhein Zeitung, vom 12. November 1987. 523 Vgl. Horst Morgenbrod, Schnoor: Sorge um inneren Frieden, in: Rheinische Post vom 16. November 1987. 524 Vgl. Mit dem Gedenken zugleich Hoffnung auf Versöhnung, in: Westdeutsche Zeitung vom 16. November 1987. 525 Vgl. Horst Morgenbrod, Schnoor: Sorge um inneren Frieden, in: Rheinische Post vom 16. November 1987. 526 Vgl. Anna Lewy, Keine Treffen mehr am 39er Denkmal, in: Neue Rhein Zeitung vom 27. August 1988. 527 Vgl. Horst Morgenbrod, Feier auch künftig am 39er Denkmal, in: Rheinische Post vom 3. September 1988. 528 Vgl. Bundeswehr im Zwiespalt, in: Rheinische Post vom 22. September 1988.

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ein Ende gesetzt. Dieses Kriegerdenkmal dürfe nun nur noch einen Zweck erfüllen, bilanzierte Michael Mücke von der Neuen Rhein Zeitung: Daran zu erinnern, mit welchen propagandistischen Tricks im Dritten Reich versucht wurde, Menschen für den Krieg zu begeistern.529 Paderborn: Frieden und Versöhnung In Paderborn verliefen die Debatten in den 1980er Jahren harmonischer als am Rhein. Die Reden und Ansprachen, die Bürgermeister Schwiete 1982, 1985, 1986, 1987 und 1988 am Mahnmal am Busdorf hielt, sind überliefert. Es lassen sich neben der üblichen Schilderung und Erinnerung an die Luftangriffe auf Paderborn stets zwei weitere Motive wiedererkennen: die Mahnung zum Frieden und die positive Erinnerung an den Wiederaufbau der Stadt aus den Trümmern.530 Ab 1985 kam als weiteres Thema die Versöhnung hinzu, da ehemalige niederländische Zwangsarbeiter an den Gedenkfeiern teilnahmen. 1985 erinnerte Schwiete auch explizit an den Widerstand des 20. Juli und schloss in das Gedenken die Verfolgten des Nationalsozialismus ein, allerdings mit der unglücklichen Formulierung, dass diese »Opfer ihrer Überzeugung oder ihres Glaubens wurden« oder weil sie »einem anderen Volk angehörten oder einer anderen Rasse zugerechnet wurden«. Die Täter wurden in der Rede nicht benannt. Auch die Opfer des Terrorismus, der Kriege und Bürgerkriege der Gegenwart wurden in das Gedenken eingeschlossen. 1986 und 1988 schloss Schwiete mit dem Aufruf des Bundespräsidenten von Weizsäcker in seiner Rede vom 8. Mai 1985 an die jungen Menschen, »sich nicht hineintreiben zu lassen in Feindschaft und Hass gegen andere Menschen, gegen Russen und Amerikaner, gegen Juden oder Türken, gegen Alternative oder Konservative, gegen schwarz oder weiß.«531 Deutlich erkennbar ist bei diesen Ansprachen, dass das Gedenken am Mahnmal weiter primär den Opfern der Luftangriffe und den Gefallenen galt und weniger der Verfolgten des Nationalsozialismus. Dies machte es zugleich aber möglich, das Gedenken mit dem Wiederaufbau, der Versöhnung mit den ehemaligen Kriegsgegnern und dem Frieden als Ziel jeglicher Mahnung positiv zu besetzen. Wuppertal: Gegen den Neofaschismus Während in Neuss und Düsseldorf gestritten wurde, verlief nicht nur die Errichtung des Erinnerungszeichens in der Kemna fast harmonisch, auch das Gedenken in Wuppertal folgte bekannten und bewährten Wegen. Jedes Jahr zeichnete ein anderer Verband aus dem Jugendring für die Gestaltung der Feier verantwortlich. In

529 Vgl. Michael Mücke, Nicht mehr im Trott der Tradition, in: Neue Rhein Zeitung vom 6. Oktober 1988. 530 Vgl. StA Paderborn, S1 46 6 (Nachlass Schwiete), Reden und Ansprachen 1982-1988. 531 Vgl. ebd.

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den Gedenkreden wurden mit Rückgriff auf die nationalsozialistische Vergangenheit die politischen Entwicklungen der Gegenwart bewertet. Lediglich 1989 kam es zu einem Eklat um die »Internationale«. 1984 organisierte der CVJM die Gedenkfeier am Mahnmal Kemna. Zu den Gestaltungselementen gehörten Musik durch den CVJM-Posaunenchor, eine Mahnwache der Jugend, die Kranzniederlegung, ein Beitrag von Schülern der Schule Kyffhäuserstraße, zwei Kurzansprachen durch den CVJM und Karl Ibach und das gemeinsame Singen des Liedes »Die Moorsoldaten« zum Abschluss der Feier. Die Stadt und Ratsvertreter aller Fraktionen nahmen daran teil. Karl Ibach thematisierte in seiner Rede die Ambivalenz des Erinnerungsortes: auf der einen Seite die Interpretation als »unrühmlichstes, schändlichstes Kapitel in der Geschichte unserer Stadt«, voll »Schmach und Schande« in Bezug auf die Errichter und Folterknechte des Lagers. Auf der anderen Seite die Inhaftierten, die sich gegen die Gefahr des Nationalsozialismus stemmten. Männer, so Ibach, »die in Hitler und seiner Partei ein fürchterliches Unglück heraufziehen sahen und dieses zu verhindern suchten«, die Judenverfolgung und -vernichtung, Krieg und Untergang kommen sahen. Der Widerstand gegen Hitler sei eben kein unrühmliches Kapitel deutscher Geschichte, so Ibachs Fazit. Er schlug eine Brücke zur Aktualität des Widerstandes in der Gegenwart. Er warnte vor denen, die den Einsatz für den Frieden mit dem Begriff »Friedenshetzer« diskreditierten, verglich die Judenverfolgung und die Parole »Juda verrecke!« mit der Ausländerfeindlichkeit und den Parolen »Ausländer raus!« und »Türken raus!«, warnte vor den Umtrieben der »Altnazis« der SS-HIAG, die »Führers-Geburtstag« feierten und Auschwitz leugneten und vor den Gewalttaten der Neonazis. Gegen alle diese Phänomene wünschte er sich eine kämpferische Demokratie.532 Die weithin beachtete Rede von Bundespräsident Weizsäcker am 8. Mai 1985 fand auch in Wuppertal ihren Widerhall und wurde in Gedenkreden am 5. Juli am Mahnmal KZ Kemna und am 20. Juli 1985 am städtischen Mahnmal zitiert.533 Die Feier zum Jahrestag des Kriegsendes in Wuppertal fand am 8. Mai 1985 allerdings nicht am Mahnmal statt, sondern in der (säkularisierten) Immanuelskirche. Bereits im Entwurf der Rede für Oberbürgermeisterin Kraus (SPD) finden sich eigene Worte, wenngleich weniger prägnant und präzise wie diejenigen, die der Rede des Bundespräsidenten weltweite Aufmerksamkeit verschafft hatten. »Auch für viele Deutsche war der 8. Mai 1945, der Tag der bedingungslosen Kapitulation, ein Tag

532 Vgl. Archiv Jugendring Wuppertal, Akte KZ Kemna I Gedenkfeiern bis 1993, Karl Ibach, »Die andere Seite«, Manuskript zur Rede am 5. Juli 1984. 533 Vgl. StA Wuppertal, W15 Nr. 743, Entwurf einer Ansprache für Bürgermeister Kurt Drees zur Gedenkfeier des Jugendrings Wuppertal e.V., und: Gedenkrede für Oberbürgermeisterin Kraus zum 20. Juli 1985.

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der Befreiung«, erklärte sie.534 Bereits ihr Vorgänger, Oberbürgermeister Gurland (SPD) hatte 1983 vom 8. Mai 1945 als einem »Tag der Befreiung von der Diktatur« gesprochen, der ein Signal zur Aufarbeitung der Vergangenheit sei. Ein Signal, das nicht verstummen dürfe.535 Der Jugendring rief an diesem Tag zu einer dreistündigen Mahnwache am Mahnmal KZ Kemna auf, um damit »unsere Verpflichtung neonazistischen, militaristischen, antisemitischen und ausländerfeindlichen Bestrebungen entgegenzutreten« zu erneuern und »Krieg und Barbarei« zu verhindern.536 1986 war die katholische Jugend für die Gestaltung der Gedenkfeier verantwortlich, 1987 die dem Jugendring Wuppertal angeschlossenen Pfadfinderverbände. 1988 wurde in Wuppertal eine »Antifaschistische Woche« veranstaltet. Die Initiatoren, die sich in der Einladung nicht zu erkennen gaben, beklagten die Zunahme neonazistischer Aktivitäten in der Stadt. Es war zu Schmierereien, Angriffen auf Punks, Schlägereien, Pöbeleien und Überfällen gegen Ausländer und Asylbewerber gekommen. Bundesweite Ereignisse, wie der Mord an Ramazan Avci in Hamburg, der Stimmenzuwachs für rechtsradikale Parteien bei den jüngsten Landtagswahlen in Bremen, Bayern und Baden-Württemberg waren für die Einlader weitere Gründe, um Unterstützer zu suchen, mit denen die »Neofaschismusszene« in Wuppertal untersucht und gemeinsame Aktionen dagegen initiiert werden sollten.537 Den Abschluss der »Antifaschistischen Woche« bildete die Gedenkveranstaltung am Mahnmal KZ Kemna. Die Rede hielt Grete Thiele von der VVN – diesmal offiziell und mit Einladung. Sie berichtete als Zeitzeugin von der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Wuppertal 1933. Sie bezeichnete als wichtigste Lehre des 30. Januar 1933, dass die Arbeiterbewegung gespalten gewesen sei und die Zusammenarbeit mit allen antifaschistisch-demokratischen Kräften über alle politischen, religiösen und weltanschaulichen Grenzen hinweg nicht habe hergestellt werden können. Deshalb forderte sie Zusammenhalt ein, insbesondere im Hinblick auf die Beseitigung aller Massenvernichtungswaffen. Den kurz zuvor zwischen der UdSSR und den USA abgeschlossenen INF-Vertrag bezeichnete sie als Sieg eines neuen Denkens, der unter anderem von der Friedensbewegung getragen werde. Im Hinblick auf den Anstieg der rechtsradikalen Straftaten warnte sie vor »Sozial- und Demokratieabbau« und Massenarbeitslosigkeit als günstigem Boden für faschistische Ideologie und Politik. Gleichzeitig wies sie aber auch auf Beispiele für erfolgreichen 534 Vgl. StA Wuppertal, W 15 743, Entwurf einer Rede für Oberbürgermeisterin Ursula Kraus für die Zentrale Gedenkveranstaltung der Stadt Wuppertal am 20. Juli 1985. 535 Vgl. StA Wuppertal, W15 741, Rede für Oberbürgermeister Gurland zur Gedenkfeier am 20. Juli 1983. 536 Vgl. Archiv Jugendring Wuppertal, Akte KZ Kemna I Gedenkfeiern bis 1993, Nie wieder Faschismus!, Aufruf des Jugendrings Wuppertal zum 8. Mai 1945. 537 Vgl. Archiv Jugendring Wuppertal, Akte KZ Kemna I Gedenkfeiern bis 1993, Spurensicherung Neofaschismus in Wuppertal, Einladung zu einem Treffen am 30. Juni 1988.

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Widerstand gegen neonazistische Bestrebungen hin. Sie forderte, den Neonazis entgegenzutreten und sie nicht zu verharmlosen, im Sinne des Vermächtnis’ »der Widerstandskämpfer gegen Krieg und Faschismus« im KZ Kemna.538 Doch das von Thiele eingeforderte Zusammenarbeiten aller demokratischen Kräfte scheiterte schon im folgenden Jahr 1989. FDP, CDU und ihre Jugendorganisationen blieben der Gedenkfeier fern, denn die verantwortliche Naturfreundejugend hatte die »Internationale« für das Rahmenprogramm vorgesehen. Vor allem die zweite Strophe, in der die Existenz Gottes verneint wird, hatte aus Reihen der Kirchen für Kritik gesorgt. Nachdem auf das Singen der zweiten Strophe verzichtet wurde, nahmen die Kirchenvertreter doch an der Gedenkfeier teil.539 Neofaschistische Tendenzen und rechtsextreme Kampagnen gegen Ausländer, Asylbewerber und Aussiedler waren 1989 ein wichtiges Thema der Ansprache von Oberbürgermeisterin Kraus (SPD). Sie forderte, diese zu bekämpfen und nicht zu verharmlosen. Kraus wies angesichts der Unstimmigkeiten im Vorfeld der Gedenkfeier auf die Verfolgung der Naturfreundejugend im Nationalsozialismus hin, aber auch auf die Sorge, dass das bisher von allen politischen Parteien, Gewerkschaften, Kirchen und Jugendverbänden getragene Gedenken aufgesplittert werde in Arbeiterbewegung, bürgerliche Kreise, Bekennende Kirche und den »Glaubenskampf katholischer Christen.« Das Erinnern und Gedenken müsse dem ganzen Widerstand gelten. Hierzu zählte sie verschiedene lokale Opfer des Nationalsozialismus auf, vom Sozialdemokraten Fritz Senger über den Kommunisten Otto Böhne, den katholischen Arbeiterführer Bernhard Letterhaus, den evangelischen Theologen Helmut Hesse, den zweifelhaften Widerstandskämpfer Generaloberst Hoepner bis hin zum Rabbiner Josef Norden. Dazu erwähnte sie noch »die vielen namenlosen Bibelforscher«. Als Pflicht bezeichnete sie es im Hinblick auf diejenigen, die in der »Finsternis« des Dritten Reiches die »Fackel der Hoffnung« weitergaben, die Demokratie zu festigen, Toleranz gegenüber Minderheiten zu erreichen und für Freiheit und Menschlichkeit einzustehen.540 Die Gedenkfeiern am Mahnmal KZ Kemna, als auch am Mahnmal am Deweerthschen Garten finden bis heute statt. In jüngster Zeit wird durch den »Verein zur Erforschung der sozialen Bewegungen im Wuppertal« jedes Jahr am städtischen Mahnmal der Befreiung der Stadt am 16. April 1945 gedacht. Dortmund: Die Übergabe an die nächste Generation In Dortmund standen ebenfalls die Lehren aus der Vergangenheit angesichts gegenwärtiger Entwicklungen im Zentrum der Gedenkreden. 30 Jahre nach der blu538 Vgl. Archiv Jugendring Wuppertal, Akte KZ Kemna I Gedenkfeiern bis 1993, Redemanuskript Grete Thiele für die Rede am 3. Juli 1988. 539 Vgl. Annette Ludwig, Menschen nie wieder für ihre Überzeugung leiden lassen, in: Westdeutsche Zeitung vom 10. Juli 1989. 540 Vgl. Archiv Jugendring Wuppertal, Akte KZ Kemna I Gedenkfeiern bis 1993, Redemanuskript von Oberbürgermeisterin Ursula Kraus vom 8. Juli 1989.

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tigen Tat in der Bittermark und im Rombergpark dienten die Toten den Rednern des Jahres 1975, Oberbürgermeister Samtlebe (SPD) und NRW-Arbeitsminister Werner Figgen, wie bereits in den Reden zuvor als Identifikationsvorbilder für die Bundesrepublik. »Die jüngsten Ereignisse«, Samtlebe bezog sich auf die terroristischen Aktionen der Roten Armee Fraktion (RAF), hätten bewiesen, dass die Organe des Staates diesen nicht allein schützen könnten, sondern nur die Wachsamkeit und die rechtsstaatliche Gesinnung aller Bürger. Man sei es den Gemordeten schuldig, politischem Terror und Gewaltanwendung als Mittel der politischen Auseinandersetzung entgegenzutreten. Samtlebe verglich den Terror von SA und SS gegen die Weimarer Republik mit jenem der RAF gegen die Bundesrepublik. Werner Figgen erklärte: »Die Toten, die wir auf diesem Blutacker ehren, sind nicht nur Bestandteil der Geschichte, nicht nur Anlaß zur bloßen Auseinandersetzung mit der Vergangenheit. Sie sind Elemente unserer Gegenwart, Integrationspunkte für die Demokraten der verschiedensten politischen Richtungen, wenn es darum geht, Freiheit und Recht als Basis auch des zukünftigen Landes zu erhalten.«541 1977 war der tags zuvor verübte Mord an Generalbundesanwalt Siegfried Buback das beherrschende Thema der Gedenkveranstaltung. Oberbürgermeister Samtlebe warnte in weiser Voraussicht, dass die Prinzipien, die aus zwölf Jahren Diktatur, dem schwersten Kriege der Geschichte und dem Opfer von 55 Millionen Menschen entstanden seien, nicht verraten werden dürften, indem der Boden des freiheitlichen Rechtsstaats zur Terror-Bekämpfung verlassen werde. »Die Opfer des Karfreitags 1945 wären umsonst gestorben. Die Mahnung dieser Toten hätte eine Generation nicht überdauert.«542 Damit wurden die Toten erneut zu Vorbildern, zu Identifikationspersonen der Bundesrepublik, zu Märtyrern des Staates erklärt. 1981 war das Mahnmal am Sonntag vor der Karfreitags-Gedenkfeier beschmiert worden. Die Zeitungen identifizierten die Schmierereien eindeutig als rechtsradikal (»Ausländer raus!«). Ein großes Polizeiaufgebot wurde deshalb abgestellt, um die Veranstaltung zu schützen. Die Gedenkfeier stand unter zwei Leitbildern: Gegen den neuen Rechtsradikalismus und für ein geeintes, friedliches Europa.543 »Die Bittermark ist das Gewissen unserer Stadt«, erklärte Bürgermeister Gustav Kothen 1983, »und fordert von uns eine Neuorientierung, Veränderung von Intoleranz zur Toleranz, von der Unterdrückung zur Verständigung und vom Haß zur Freundschaft.« Das Gewissen der Stadt mahne, so die weiteren Ausführungen des Bür-

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Vgl. Vor 30 Jahren starben die Toten der Bittermark, in: Amtliche Bekanntmachungen der Stadt Dortmund, vom 2. April 1975. 542 Vgl. Mahnung der Bittermark-Toten beherzigen, in: Amtliche Bekanntmachungen der Stadt Dortmund vom 15. April 1977. 543 Vgl. »Ausländer Raus« ist ein Alarmsignal, in: WAZ von Ostern 1981. (Dieser wie die folgenden Artikel finden sich in: Wolfgang Asshoff, Die Gedenkfeier in der Bittermark, Dortmund 2009, z.T. ohne exakte Datumsangabe)

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germeisters, zu Frieden.544 Die Themensetzung der Folgejahre war ähnlich. Besonders 40 Jahre nach Kriegsende 1985 war die zentrale Forderung jene nach Frieden und Abrüstung.545 1987 erklärte der Hauptredner, NRW-Kultusminister Hans Schwier (SPD): »Die Deutschen müssen lernen, daß Schuld bereits im Mangel an Widerstand liegt und nicht erst in der aktiven Beteiligung am Mord.«546 Gerade der Ungehorsam der Widerstandskämpfer, die in der Bittermark bestattet wurden, sei eine Tugend und so sei diese Gedenkfeier keine Stunde der Stille, sondern der Anklage.547 Diese historische Erkenntnis wandte er dann auf die Gegenwart an: Der Ruf »Nie wieder [Krieg]« habe sich verändert. Die deutschen Rüstungsexporte in Länder der Dritten Welt würden nur dazu führen, dass man sich heutzutage nicht selbst die Hände schmutzig mache.548 1990 wurden neben der Erinnerung an die Vergangenheit die europäische Einheit und eine friedliche Zukunft angemahnt, sowohl von Stadtoberhaupt Samtlebe als auch von Hauptrednerin Anke Brunn (SPD), NRW-Ministerin für Wissenschaft und Forschung.549 Im selben Jahr wurden zum ersten Mal zwei Vertreter der Nachkriegsgeneration aktiv an der Gedenkfeier beteiligt. Ein junger Franzose und ein Deutscher legten einen Kranz nieder, es waren der Enkel von Jean-Louis Forest und der Sohn Wolfgang Asshoffs, der seit 1960 die Gedenkfeiern betreut hatte.550 Doch so hoffnungsvoll die 1990er Jahre anfingen, so dramatisch änderten sich die Appelle in den Jahren danach. 1994 fasste Landessozialminister Franz Müntefering (SPD) zusammen: »Es wird verhöhnt, es wird geleugnet, es wird geschändet, es wird geschlagen, es wird gemordet: Deutschland 1994.« Ausländerfeindlichkeit und ein Erstarken des Neonationalsozialismus wurden in den Gedenkreden angeprangert.551 1998 betonte dann Forest, dass das Mahnmal nun der Jugend anvertraut werde, 40 Jahre nach der Belegung der Krypta (siehe S. 182) sei diese Gedenkfeier für viele der Zeitzeugen die letzte gewesen.552 2002 wurde erstmals eine Schülerin an der Gestaltung der Gedenkfeier beteiligt. Ein Stück Hoffnung sei das, so kommentierte

544 Vgl. »Sorgt Ihr, daß Frieden bleibe«, in: Ruhr Nachrichten von Ostern 1983. 545 Vgl. 40 Jahre nach Kriegsende Appell für Frieden und Abrüstung, in: Amtliche Bekanntmachungen der Stadt Dortmund vom 12. April 1985. 546 Vgl. 6000 kamen zur Gedenkstunde in die Bittermark, in: Amtliche Bekanntmachungen der Stadt Dortmund vom 24. April 1987. 547 Vgl. Minister Schwier: Schuld liegt schon im Mangel an Widerstand, in: Dortmunder Rundschau vom 18. April 1987. 548 Vgl. Stunde der Anklage am Mahnmal, in: Ruhr Nachrichten von Ostern 1987. 549 Vgl. Hoffnung auf ein geeintes Europa, in: Ruhr Nachrichten von Ostern 1990. 550 Vgl. Dank an die Stadt für Mahnung an Vergangenheit, in: Westfälische Rundschau von Ostern 1990. 551 Vgl. Müntefering: Wurzeln der Gewalt erkennen, in: Ruhr Nachrichten von Ostern 1994. 552 Vgl. Das Mahnmal wird nun der Jugend anvertraut, in: Ruhr Nachrichten von Ostern 1998.

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die Westdeutsche Allgemeine Zeitung, dass das Gedenken auch in der Jugend lebe. Damit wurde der traditionelle Verlauf aus Ansprache des (Ober-)Bürgermeisters, des Hauptredners, der Vertreter(in) des Internationalen Rombergpark-Komitees und des Vertreters der FNDT ergänzt und verändert.553 2005 wurde unabhängig von der offiziellen Gedenkfeier eine neue Gedenkform eingeführt. Der Heinrich-CzerkusLauf führt seitdem, initiiert von den Naturfreunden des Dortmunder Kreuzviertels, zur Erinnerung an den ehemaligen Platzwart des Fußball-Bundesligisten Borussia Dortmund vom Stadion Rote Erde durch den Rombergpark zum Mahnmal in der Bittermark.554 80 Läufer nahmen am ersten Lauf teil, bei dem ernstes Gedenken und Freizeitsport miteinander verbunden wurden.555 Bereits 1998 hatten die Naturfreunde einen Lauf zum Mahnmal ausgerichtet.556 Nachdem 2005 mit Joachim Gauck der letzte große Name die Veranstaltung dominiert hatte, wurden ab 2006 Schüler nicht nur mit Redebeiträgen aufgenommen, sondern sie übernahmen auch die Gestaltung der Gedenkfeier.557 Inwieweit dies einen Bedeutungsverlust der Gedenkfeier widerspiegelt oder nur die weitere Historisierung des Verbrechens nach dem Ende der Zeitzeugenschaft bedeutet, lässt sich im Rahmen dieser Arbeit nicht beantworten. Feststellen lässt sich allerdings, dass in den 1980er Jahren an den Gedenkfeiern nur noch selten Erklärungen für die nationalsozialistische Zeit gesucht, sondern vielfach die Erkenntnisse der Geschichtswissenschaft referiert wurden, um diese dann auf die politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen der Gegenwart anzuwenden. Frieden, Atomkriegsangst und ein Erstarken von Ausländerfeindlichkeit und Neofaschismus wurden thematisiert. Die NS-Vergangenheit diente als Negativ zur Veranschaulichung der Bedrohungen der Bundesrepublik und ihrer gesellschaftlichen Ordnung. In Düsseldorf und Neuss führten Proteste und Auseinandersetzungen zu einer Neubewertung von Erinnerungszeichen und der (lokalhistorischen) Vergangenheit.

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Es liegt im Charakter von Prozessen, dass diese selten ein konkretes Datum haben, an dem Historiker*innen eine Zäsur setzen können. Es fällt schwer, einen konkreten Zeitpunkt zu benennen, an dem in den späten 1970er Jahren eine Wende in der Erinnerungskultur eingetreten ist. Es lässt sich aber beobachten, dass in diesem 553

Vgl. Das Gedenken lebt auch in der Jugend, in: Westdeutsche Allgemeine Zeitung, von Ostern 2000. 554 Vgl. Läufer ehrten Heinrich Czerkus, in: Westfälische Rundschau, von Ostern 2005. 555 Vgl. Rund 80, in: Ruhr Nachrichten, von Ostern 2005. 556 Vgl. Das Mahnmal wird nun der Jugend anvertraut, in: Ruhr Nachrichten von Ostern 1998. 557 Vgl. Erinnerung jung gehalten, in: Ruhr Nachrichten von Ostern 2006.

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Zeitraum die zweite Konjunktur der Erinnerungszeichen an den Nationalsozialismus und den Zweiten Weltkrieg begann. Die zweite Phase, in der in NordrheinWestfalen (und nicht nur dort) Erinnerungszeichen gesetzt wurden, unterschied sich deutlich von der unmittelbaren Nachkriegszeit. Ein Phänomen jedoch blieb ähnlich: Es waren innerstädtische Aushandlungsprozesse, die ihren Anfang selten durch Debatten in anderen, benachbarten Städten nahmen. Das Beispiel Paderborn zeigt dies besonders gut. Während sich die lokale CDU offen gegenüber dem Erinnerungszeichen für die jüdische Gemeinde zeigte und alle Beschlüsse mehr oder weniger einstimmig fielen, lässt sich auf Kreisebene nachvollziehen, wie die CDU im Falle des Erinnerungszeichens auf der Wewelsburg einen Konfrontationskurs fuhr. Verantwortlich dafür waren zum einen die Divergenz der Themen SS-Ordensburg und Shoa und zum anderen unterschiedliche ländliche und städtische Herangehensweisen. Gleichzeitig lässt sich am Fall des ehemaligen Stadtdirektors Wilhelm Sasse (siehe Kapitel 3.2) beobachten, wie isoliert die Städte in der Erinnerungspolitik agierten, ohne über die Grenzen ihrer Kommune hinaus zu blicken: Obgleich in Münster 1981 der Beleg über Sasses aktive Beteiligung an der Deportation der westfälischen Juden publiziert wurde, wurde dieses Dokument in Paderborn erst 1993 zur Kenntnis genommen. Auch der CDU-Politiker, Historiker und Kämmerer der Stadt Wuppertal, Johannes Slawig, stellt fest, dass die Städte, in denen er die Entstehung von Erinnerungszeichen in unterschiedlichen Funktionen begleitete (Meschede, Münster, Paderborn), sowie die Stadt seines jetzigen politischen Wirkens unterschiedliche politische Erinnerungskulturen pflegten. So erinnerte er sich 2016, dass er als Vorsitzender der Jungen Union in Meschede gegen ein Tabu kämpfen musste, während sich die CDU in Münster unter Oberbürgermeister Twenhöfen offen für die Anliegen der Friedensbewegung zeigte und sich konstruktiv an der Aufarbeitung des Nationalsozialismus beteiligte, auch wenn das alteingesessene Bildungsbürgertum in der CDU dem skeptisch gegenüber stand. In Paderborn habe sich die CDU eher passiv verhalten, in Wuppertal hingegen war eine aktive Erinnerungskultur Teil der politischen Kultur aller Parteien. Jeder Wechsel Slawigs in eine andere Stadt bedeutete für ihn einen Bruch in der Erinnerungskultur, auf die die Bundespolitik kaum Einfluss nahm.558 Es lassen sich aber neben stadtinternen auch stadtübergreifende Faktoren festmachen, die in allen untersuchten Städten zur Setzung neuer Erinnerungszeichen führten. Diese sind: ein neues Geschichtsbewusstsein, neue Akteure aus der Jugend- und Friedensbewegung, eine neue Formenvielfalt der Erinnerungszeichen und zu guter Letzt auch eine neue Internationalität des Gedenkens. 1979 feierte die Bundesrepublik ihren 30. Geburtstag. Damit war sie schon doppelt so alt geworden wie die erste deutsche Republik. Während der 1960er und 1970er Jahre veränderte sich der Blick auf den eigenen Staat. Auch wenn es Krisen 558 Vgl. Interview mit Dr. Johannes Slawig vom 16. November 2016.

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gegeben hatte, sah sich die Bundesrepublik als Erfolgsmodell. Schon die Regierung Schmidt dachte an eine neue, dauerhafte Umgestaltung der Bundeshauptstadt und an die Einrichtung jener Institution, die heute den Namen Haus der Geschichte trägt: ein Ort, an dem eine positive Geschichte der Bundesrepublik erzählt werden sollte. Die Suche nach einer selbstständigen Identität der Bundesrepublik führte zusammen mit dem Scheitern der Zukunftsvisionen der 1960er Jahre wieder zu Fragen nach der Geschichte der Deutschen und ihrer Interpretation. Das neue Interesse für Geschichte auf der Suche nach einer historischen Erzählung, nach einer Identifikationsmöglichkeit für die Bürger der Bundesrepublik, schuf einen konstruktiven Streit über die Art und Weise, wie man den Nationalsozialismus interpretieren und in die Identität der Bundesrepublik als Nachfolgestaat integrieren könne. Der Stolz auf die Leistung der Bundesrepublik bot dabei zwei unterschiedliche Ansatzpunkte für eine Integration der NS-Vergangenheit. Eine Variante war die Marginalisierung der zwölf Jahre des Dritten Reiches als »Unfall« der Geschichte. Hierbei betonte man Leistungen und Kontinuitäten der deutschen Geschichte. Die damit unvereinbare Variante war die explizite Erforschung und Schilderung aller Grausamkeiten des NS-Regimes und der sie unterstützenden Bevölkerung, mit dem Clou, stolz auf die Vergangenheitsbewältigung zu sein, die eigene Läuterung klar herauszustellen und sich damit immer wieder und deutlich von der NS-Vergangenheit zu distanzieren. Eine direkte Rückwirkung der Bundestagsdebatte über das nationale Ehrenmal auf lokale Erinnerungsprozesse in den anderen untersuchten Städten ist nicht festzustellen. Allerdings gab es an vielen Orten ähnliche Debatten. In Neuss, Meschede, Münster und Düsseldorf sorgte der Konflikt über die neue bundesrepublikanische Identität für Streit und Kontroversen. Teilweise waren die Debatten ein Spiegelbild der Bundestagsdebatte im Kleinen. Die offenen Fragen und gegensätzlichen Interpretationen lösten vielfach lokalhistorische Forschungen aus. In Düsseldorf führte man zudem eine Gedenkpraxis ein, in der Wissenschaftler*innen den Nationalsozialismus historisierten, erklärten und einordneten. Die Forschungen und Historisierungen führten auch zu neuen Kontakten mit den einst Verfolgten. Der zeitliche Abstand zum Geschehen sorgte für die Möglichkeit einer Versöhnung und Begegnung mit den Überlebenden der Shoa. In Paderborn, Wuppertal, Düsseldorf oder Neuss wurden die ehemaligen Mitbürger von der Generation der Täterkinder und -enkel eingeladen, um die Geschichte dieser Zeitzeugen zu erfahren, das Andenken der Ermordeten zu ehren und auch die neue, selbstbewusste Bundesrepublik zu präsentieren. Wichtige neue Akteure in den Auseinandersetzungen um die Erinnerungszeichen der 1980er Jahre waren die Friedensbewegung, die sich zum einen wegen der empfundenen (Atom-)Kriegsgefahr in den frühen 1980er Jahren mit dem Thema »Krieg« auseinandersetzte, und die Jugendbewegungen, die sich, um die Ge-

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genwart, die Kriegsproblematik und den Neonazismus zu verstehen, für die lokale Geschichte zu interessieren begannen. Unterstützt von Geschichtswerkstätten, Arbeitskreisen und Fragestellungen des Geschichtswettbewerbs des Bundespräsidenten erlebte die lokale NS-Forschung einen Boom, erzeugte manche Konflikte, sorgte für überraschende Erkenntnisse und am Ende auch für Denkmalsetzungen: in Wuppertal im Eigenbau mit Unterstützung der städtischen Politik, in Münster im Eigenbau als Widerstand gegen die Mehrheit der städtischen Politik. Inwieweit dieses Auftreten, das immer auch von älteren Bürger*innen gefördert wurde, eine Folge der Bildungsreformen der 1960er und 1970er Jahre war, kann im Rahmen dieser Arbeit nur schwer beurteilt werden. Anhand der untersuchten Beispiele lässt sich zwar die Forschungsmeinung bestätigen, dass CDU und FDP selten zu denen gehörten, die offiziell die Erinnerungszeichen anstießen, aber an den Beispielen Meschede, Paderborn, Münster und Wuppertal wird deutlich, dass sich durchaus Mitglieder dieser Parteien oder auch Funktionsträger an den Entscheidungsprozessen im Sinne der Errichtung eines Denkmals beteiligten. So war der Vorsitzende eines historischen Arbeitskreises in Wuppertal CDU-Kreisvorsitzender, der Antrag zum zweiten Paderborner Synagogen-Denkmal kam von einer CDU-Ratsherrin, der CDU-Oberbürgermeister in Münster sprach sich für den Erhalt der Gedenktafel der Friedensbewegung aus und der Fraktionsvorsitzende der CDU für die Black Form. Am Beispiel Meschede wird zudem ein Generationenkonflikt deutlich, der die Debatte mitbestimmte. Der Schulterschluss der Jugend von der linken SPD bis zur konservativen Jungen Union ermöglichte diesmal die dauerhafte Etablierung des Sühnekreuzes. Ein ähnlicher Konflikt lässt sich in Düsseldorf feststellen, wo Friedensbewegung, Punks, Grüne, Gewerkschaften und Teile der SPD an Traditionen und überkommenen Werten des Gedenkens am 39er Kriegerdenkmal rüttelten. Ein weiterer Wandel der Erinnerungskultur betraf die Form der Erinnerungszeichen selbst. Zum einen lässt sich die Bereitschaft nachzeichnen, auch ohne städtische Unterstützung, mit eigener Arbeit und eigenem Geld Erinnerungszeichen zu entwerfen und zu vollenden, wie zum Beispiel in Wuppertal oder bei der ersten Gedenktafel am Zwinger in Münster. Diese selbstgebauten Erinnerungszeichen wurden, zumindest von den Schöpfern, nicht als unwürdiger angesehen als ein offizielles, städtisches Erinnerungszeichen. Zum anderen erweiterte sich in den 1980er Jahren die Formenvielfalt der Erinnerungszeichen: vom »klassischen« Denkmal, über die Installationskunst bis hin zum architektonischen Zeichen. In Münster erlebte zum Beispiel 1978 zunächst das traditionelle Personendenkmal mit dem Kardinal-von-Galen-Denkmal eine Renaissance. Später war es in Sol Le Witts und Rebecca Horns Werken die Kunst selbst, die neue Formen fand, die weniger aus der Denkmaltradition stammten, sondern vielmehr die Installation für den Bau von Erinnerungszeichen nutzte. Auch in Paderborn und Neuss wurden mit Kirkeby und Rückriem namhafte Künstler mit der Umsetzung moderner Kunstformen

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als Erinnerungszeichen beauftragt. All diesen neuen Erinnerungszeichen war gemein, dass sie nicht nur Zeichen für die furchtbare Vergangenheit sein, sondern zugleich die Stadt und ihre Bewohner schmücken sollten. In Wuppertal wurde in diesem Sinne das Mahnmal KZ Kemna in die werbenden Stadtprospekte aufgenommen. Obschon diese Arbeit einen fokussierten Blick auf die lokale Erinnerung wirft, wird anhand der Fallbeispiele deutlich, dass die Stiftung von Erinnerungszeichen in den 1980er Jahren nicht nur in einen landes- oder bundesgeschichtspolitischen Kontext eingebettet war, sondern auch in einen internationalen. Die neue Internationalität der Geschichtskonjunktur zeigte sich unter anderem bei den Besuchsprogrammen für ehemaligen jüdischen Einwohner von Paderborn, Neuss, Düsseldorf und Wuppertal, die vor allem aus England, den Vereinigten Staaten und Israel zurück in ihre alte Heimat kamen. In Münster und Paderborn waren es internationale Künstler wie Sol Le Witt und Per Kirkeby, die sich mit der Erinnerung an den Nationalsozialismus beschäftigten. Der Italiener Manzù war eine Zeit lang der Kandidat für das Kardinal-von-Galen-Denkmal. In Meschede wurde der russischorthodoxe Erzbischof zu einem ökumenischen Gedenkgottesdienst eingeladen. In Wuppertal fertigte man Broschüren in mehreren Sprachen zum Erinnerungszeichen an. In Dortmund war das Gedenken bis in die 1990er Jahre weiterhin vor allem von der deutsch-französischen Freundschaft geprägt und in Bonn war das internationale Protokoll bei Staatsbesuchen nicht nur ein vorgeschobener Grund für die Planung des nationalen Ehrenmals. Inwieweit sich die internationalen Prozesse der Vergangenheitsbewältigung, Konjunkturen von Erinnerungszeichen, Museen, Ausstellungen und des Interesses für Geschichte im Allgemeinen gegenseitig beeinflussten, ist im Rahmen dieser Untersuchung nicht zu beantworten.

5 Mahnmale als Zeitzeichen: Der Nationalsozialismus in der Erinnerungskultur Nordrhein-Westfalens Wir lernen aus unserer eigenen Geschichte, wozu der Mensch fähig ist. Deshalb dürfen wir uns nicht einbilden, wir seien nun als Menschen anders und besser geworden.1 Bundespräsident Richard von Weizsäcker, 8. Mai 1985

Jedes Erinnerungszeichen hat seine eigene Biografie. Sie sind Individualisten, mit eigenen Initiator*innen, Künstler*innen und Diskussionen. Ebenso einzigartig wie die Erinnerungszeichen sind die in dieser Arbeit untersuchten Erinnerungskulturen der nordrhein-westfälischen Stadtgesellschaften für den Nationalsozialismus und den Zweiten Weltkrieg. An allen Fallbeispielen ist deutlich geworden, dass die Erinnerungskultur einer Stadt zwar nicht unbeeinflusst von externen Einflüssen, aber doch weitgehend unabhängig ist. Nirgendwo ist eine direkte und aktive Bezugnahme zu anderen Städten oder der Landes- und Bundespolitik zu beobachten, auch wenn diese im Hintergrund naturgemäß durchaus vorhanden waren. Betrachtet man die Denkmäler, Mahnmäler und Ehrenzeichen für den Nationalsozialismus und den Zweiten Weltkrieg in Nordrhein-Westfalen zwischen dem Ende des Zweiten Weltkrieges und der deutschen Wiedervereinigung, lassen sich drei verschiedene Phasen identifizieren, die nicht scharf zu trennen sind, sondern allmählich ineinander übergehen. In der Zeit zwischen 1945 und der Mitte der 1960er Jahre setzte vor allem die Erlebnisgeneration Erinnerungszeichen. Sie erinnerten an die ermordeten, getöteten und gefallenen Kameraden der eigenen Gemeinschaft, unter der sowohl die Widerstandsgruppe, die Stadtgesellschaft oder

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Gedenkveranstaltung im Plenarsaal des Deutschen Bundestages zum 40. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkrieges in Europa, in: www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Richard-von-Weizsaecker/Reden/1985/05/19850508_Rede.html;jsessionid=124511DA88FFB0CB783FE0B8B2E166AE.2_cid362, abgerufen am 13. Juli 2018.

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eine militärische Einheit verstanden werden konnte. Zwischen der Mitte der 1960er Jahre und dem Ende der 1970er Jahre hinterfragte vor allem die Nachkriegsgeneration Rollen- und Gesellschaftsbilder der post-nationalsozialistischen Gesellschaft und setzte sich von diesen ab. Die Vergangenheit versprach keinen Erkenntnisgewinn und die Erinnerungszeichen gerieten in eine ernste Krise. Ihnen wurde die Relevanz abgesprochen, für die Gestaltung der modernen Gegenwart und der hypermodernen Zukunft sinnvolle Anstöße geben zu können. Nach dem Zerbrechen dieser Zukunftshoffnungen in den Wirtschafts- und Gesellschaftskrisen der späten 1970er und der 1980er Jahre bezweifelte eine neue, skeptische Generation die Zukunftsvorstellungen und stellte neue Fragen an die vernachlässigte Geschichte. Die Vergangenheit wurde wieder als Erkenntnislieferant angesehen, vergessenes und verschüttetes Wissen ans Tageslicht befördert und unter anderem die Zeit des Nationalsozialismus analysiert. Unterschiedliche Antworten auf die Fragen nach den Lehren aus der Zeit des Dritten Reiches beförderten eine intensive Auseinandersetzung vor dem Hintergrund der Krisen der 1980er Jahre, die zu neuen Setzungen von Erinnerungszeichen führte. Zeit einer zerrissenen Gesellschaft Was machte diese gerade nur schemenhaft skizzierten Phasen im Hinblick auf die Erinnerungszeichen im Einzelnen aus? Die 1950er Jahre, denen oft eine Schlussstrich-Mentalität vorgeworfen und das Verlangen nach einem Beschweigen der Verbrechen des Nationalsozialismus nachgesagt wird, sind bei den Erinnerungszeichen eine sprechende Epoche, keine schweigende. Die Unterteilung von Erinnerungszeichen in Denkmäler, Mahnmäler und Ehrenmäler, die manchmal von der Forschung vorgenommen wird (siehe S. 16), ist in den Quellen nicht nachzeichenbar. Für die Zeitgenossen der 1950er Jahre meinten diese Begriffe ein und dasselbe, dies belegt die vielfache synonyme Verwendung der Bezeichnungen. Sowohl in den Ansichten zur Kunst als auch in den Debatten um die Sinnstiftung dieser Erinnerungszeichen kam immer wieder zum Ausdruck, dass die deutsche Nachkriegsgesellschaft zerstritten und zerrissen war. Auf der einen Seite standen die Verfolgten, auf der anderen die Mitläufer und Täter. Ab 1945 und besonders in den 1950er Jahren entstanden Erinnerungszeichen an den Nationalsozialismus zumeist dort, wo eine Gruppe der Verfolgten – in der Regel waren es die politisch Verfolgten – organisiert und stark genug war, diese Erinnerungszeichen durchzusetzen. Dies geschah überwiegend in den Städten, in denen die Mehrzahl der Verfolgten des Nationalsozialismus vor der Diktatur gelebt hatte und auch nach dem Zweiten Weltkrieg wieder lebte. Es waren vor allem Städte mit einer sozialdemokratischen Mehrheit im Stadtrat, aber nicht nur: in Paderborn gab es Deutungskämpfe zwischen den Weimarer Eliten der Friedensbewegung und den Veteranen des Ersten Weltkriegs. In Meschede, Münster und Neuss hingegen ver-

5 Der Nationalsozialismus in der Erinnerungskultur Nordrhein-Westfalens

hinderte die schwache Position der Verfolgten Erinnerungszeichen oder ein aussagefähiges Gedenken. In Wuppertal und Dortmund wurden die Erinnerungszeichen als Siegeszeichen interpretiert. Dort konnte man eine positive Identifikation mit dem Zeichen etablieren. Der Widerstand und seine Opfer, so die Geschichtsdeutung, hätten erst die Existenz eines souveränen deutschen Staates, der Bundesrepublik, ermöglicht. Die BRD, so lautete die Interpretation, war eine Republik der Widerstandskämpfer, die als erste Kämpfer des Staates mythologisiert wurden. Ein Beschweigen des Nationalsozialismus kann in diesen Städten nicht festgestellt werden, der Nationalsozialismus war Berichts- und Gesprächsthema. In ländlichen Regionen, wie in Meschede und Paderborn, lebten die Verfolgten des Nationalsozialismus nur in kleinen, nicht durchsetzungsfähigen Minderheiten und hatten dort auch vor 1933 keine wichtige Rolle gespielt. Erinnerungszeichen an den Genozid an den europäischen Juden hatten es in dieser Zeit schwer, weil die wenigen Überlebenden keine Ressourcen besaßen, um eigene, öffentliche Erinnerungszeichen zu setzen. Die Mehrheitsgesellschaft und auch die politisch Verfolgten waren nicht an der Erinnerung an die Shoa interessiert. So erfolgte zum Beispiel in Neuss nach der Einweihung der Gedenktafel am Ort der zerstörten Synagoge lange Zeit keine weitere Auseinandersetzung mit dem Genozid an den Neusser, den deutschen und europäischen Juden. Zerrissenheit zeigte sich auch bei der Formgebung. Von nahezu allen Preisgerichten wurden die eingereichten Entwürfe beklagt. Die Erwartungen waren angesichts des Themas hoch und wurden immer enttäuscht. Das Kunstverständnis der Künstler*innen, auch derjenigen aus den Reihen der Verfolgten, blieb traditionell und in alten Mustern verhaftet. Will Schwarz, Architekt des Erinnerungszeichens in der Bittermark, erkannte richtiger Weise, dass es problematisch war, sich von der Vorstellungswelt vergangener Generationen zu lösen (siehe S. 179). Dazu gehörte auch die Monumentalität, die besonders in Düsseldorf in Erscheinung trat, aber auch in Wuppertal und Dortmund in abgeschwächter Form. Generell kann festgestellt werden, dass das Denkmalverständnis in den 1950er Jahren noch dem der Weimarer Republik entsprach. Erinnerungszeichen waren von der Stadt zu setzen und dienten ihrer positiven Darstellung. Die Denkmalsplanungen selbst fanden meist unter Ausschluss der Öffentlichkeit in Ausschüssen, Kommissionen und der städtischen Verwaltung statt, bis beim endgültigen Beschluss des Rates dann Berichterstattung und Kritik einsetzten. Dortmund ist die einzige der betrachteten Städte, deren Erinnerungszeichen eine über die Stadtgrenzen hinausgehende Bedeutung entwickelte und sogar international wirkte. Die am häufigsten gesetzten Erinnerungszeichen erinnerten an die Soldaten. Kriegerdenkmäler entstanden vor allem auf dem Land, für den Nachbarn, Sohn, Bruder, Vater, Vereinskamerad, der im Zweiten Weltkrieg gefallen war. Diese Kriegerdenkmäler finden sich in jeder Gemeinde, in jedem Kirchsprengel. In Westfalen wurden Kriegerdenkmäler in höherer Anzahl als nach dem Ersten Weltkrieg er-

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richtet, wie die Liste des LWL-Archivamtes belegt (siehe S. 42). Während auf dem Land diese Form des Gedenkens keine Widersprüche auslöste, waren in den Städten Kriegerdenkmäler weniger häufig als nach dem Ersten Weltkrieg. Neben der Weiternutzung von Kriegerdenkmälern des Ersten Weltkriegs entstanden seltener neue Denkmäler, gerne wurden auch beide Weltkriege in einem neuen Denkmal zusammengefasst. Es gab keine nennenswerte Kritik am Kriegerdenkmal selbst, nur an seiner Form. Diese Kritik stand teilweise in Kontinuität zum Nationalsozialismus, es wurde vor übermäßigem Schmuck und Nutzung von Allegorien nach dem Muster des 19. Jahrhunderts gewarnt. Je nach Tradition wurden die Kriegerdenkmale weiterhin als Aufmarschort für jährliche Feiern und Prozessionen genutzt. Wenn man den Helden von 1870, den Kämpfern von 1914 die Ehre erwies, konnte dies auch für die Kameraden von 1939 nicht verkehrt sein. Das Bild des Soldaten war vor allem das des treuen Kämpfers für die Heimat, unabhängig von dem Regime, das den Krieg begonnen hatte, das den Vernichtungskrieg wollte. Der Soldat erledigte seine Pflicht und dafür wurde er gewürdigt, right or wrong, my country. Es gab nach 1945 immer noch eine Sinngebung für den Soldatentod: Der Soldat blieb der Beschützer der Heimat, ein Infragestellen des Krieges, des Kriegsdienstes oder der soldatischen Tugenden fand nicht statt. Die Identifikation mit den Verteidigern des Vaterlandes war im Kriegerdenkmal der Nachkriegszeit ungebrochen. Dennoch enthielt es auch eine neue Komponente: den Wunsch nach Frieden. Neu war ebenfalls eine Skepsis der verantwortlichen Demokraten gegenüber dem althergebrachten Gedenken und den Vertretern der Soldatenverbände. Sowohl in Bonn als auch in Münster ist eine Reserviertheit zu beobachten, die im ersten Fall in Form und Ort des Mahnmals sichtbar wird und im zweiten Fall ein Erinnerungszeichen verhinderte. Ein besonderes Beispiel der Ablehnung der Tradition der Kriegerdenkmäler stellte die Entfernung zweier Kriegerdenkmäler des Ersten Weltkriegs in Paderborn dar. Der Versuch von CDUBürgermeister Tölle, mit dem Abbau der Kriegerdenkmäler auch den Soldatendienst zu diskreditieren, scheiterte am Widerstand der ehemaligen Weltkriegssoldaten, an den Überlegungen zur Wiederaufrüstung im Kontext des Kalten Krieges sowie an rechtlichen Voraussetzungen in Bezug auf das Eigentum an den Erinnerungszeichen. Aber der Fall Paderborn zeigt, dass durchaus Handlungsspielräume vorhanden waren. Die Prozesse der (versuchten) Etablierung von Erinnerungszeichen und die Reden bei den an ihnen gehalten Gedenkfeiern ermöglichen uns auch einen Einblick in die Geschichtsbilder, die die Zeitgenoss*innen vom Nationalsozialismus zeichneten. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass auch diese Bilder immer nur Momentaufnahmen sind und außerdem die Reden von Personen gehalten wurden, die nicht als pars pro toto für die Einwohner einer Stadt oder gar die ganze Bevölkerung der

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BRD stehen. Die Zerrissenheit der Bevölkerung führte nicht zu einem Bild, sondern zu verschiedenen, widersprüchlichen Bildern. Eine Variante im Umgang mit der furchtbaren Vergangenheit ist dabei überall zu beobachten: die Entkopplung der eigenen Stadt aus der gemeinsamen deutschen Geschichte. Meschede war eine friedliebende Stadt und der Nationalsozialismus eine grausame Fremdherrschaft, Münster wollte allen »Opfern« des NSHerrschaftssystems gedenken, da sie schließlich Bürger der Stadt waren und die SPD in Paderborn bezeichnete das Dritte Reich als illegale Macht, die das demokratische Paderborn überwältigte. Die Künstler der Erinnerungszeichen in Paderborn und Düsseldorf wählten als Motiv ihrer Kunstwerke das Schicksal, das die angebliche Fremdbestimmtheit und Ohnmacht der Stadtgesellschaft thematisierte und die Unmöglichkeit einer Handlungsoption in Krieg und Nationalsozialismus postulierte. Auch die Neusser waren unschuldig und Opfer einer verbrecherischen Staatsführung. In Dortmund und Wuppertal vollzog sich dieser Ausgrenzungsgedanke mithilfe der Erinnerungszeichen für die Widerstandskämpfer. Diese standen für den Kampf der beiden Städte gegen den Nationalsozialismus. Die Unabhängigkeit der Stadt, die Abgrenzung von der gesamtdeutschen Geschichte, ermöglichte eine positive Identifikation mit ihrer Geschichte und eine persönliche Entlastung. Die Verantwortlichen waren um den Ruf der Stadt besorgt, der möglichst unbelastet sein sollte. 1958 stellte die Presse im Sauerland mit dem Ende der Gerichtsprozesse zu den Kriegsendphasenverbrechen bei Meschede (siehe S. 69) erleichtert fest: Freispruch für das Sauerland!2 Selbst das nationale Ehrenmal in Bonn vermied jede Antwort auf die Frage nach Gründen, warum man nun der Opfer der Kriege und Gewaltherrschaft gedenken musste. In der Einweihungszeremonie 1964 erinnerte Bundespräsident Lübke vor allem an die Opfer des Aufstandes vom 17. Juni 1953 in der DDR (siehe S. 210). Eine andere Variante des Umgangs mit der Vergangenheit war eng verbunden mit dem Motiv der Trauer. Die Trauer überdeckte mit ihrem strikt auf das persönliche Gedenken gerichtete Ziel die politisch-kritische Auseinandersetzung und wurde zum Teil bewusst so eingesetzt. In Düsseldorf sprach der Oberbürgermeister alle Gestorbenen pauschal frei von Schuld und machte sie unterschiedslos zu Opfern des Nationalsozialismus und des Krieges. Für ihn waren die Täter und Taten nicht mit menschlichen Strafmaßen zu fassen und somit blieb nur die gemeinsame Trauer übrig. In Meschede verhinderten die Gegner des Sühnekreuzes das Gedenken an die ermordeten Russen auch wegen Solidaritätsgefühlen gegenüber den Angehörigen der im Kampf gegen die Rote Armee gefallenen Soldaten. In Münster strebten die ehemaligen Soldaten nach Anerkennung ihres persönlichen Einsatzes – angeblich ohne politische Bewertung. Gleichzeitig wurde die Gleich-

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Vgl. Jens Hahnwald, Der Arnsberger Kriegsverbrecherprozess von 1957/1958, S. 46.

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macherei im Denkmal vielfach von Befürwortern und Gegnern der verschiedenen Erinnerungszeichen kritisiert. Während diese Varianten der Vergangenheitsbewältigung vor allem Vermeidungsverhalten zeigten, gab es auch Versuche den Nationalsozialismus zu erklären. Im Kern kann man auch hier zwei Ansätze unterscheiden: Das Bemühen, im Allgemeinen, Ungefähren zu bleiben und von Schicksal, Gottesfügung, Katastrophen, dem Bösen und Barbarei zu sprechen, oder ganz im Gegenteil Ursachen und Taten klar zu benennen. Beide Möglichkeiten fanden sich oft nebeneinander und lassen sich rückblickend nicht an einzelnen Städten und Erinnerungskulturen festmachen, sondern eher an den handelnden Personen. Eine einheitliche Sinnstiftung etablierte sich nicht. Auf der einen Seite sprach man in Wuppertal zum Beispiel vage von einer »maßlosen und unmenschlichen Zeit«, andererseits machte die SPD klar den Militarismus seit 1870 als Ursache aus. In Paderborn nannte Bürgermeister Tölle neben Militarismus und falschen Heldenbildern auch Rassenwahn, Hochmut, Propaganda und nationalen Egoismus als Ursachen des Nationalsozialismus. Er und die lokale CDU verfolgten eine radikale Abkehr von militaristischer Heldenverehrung und Militarismus und wurden dennoch zum Wiederaufbau der alten Kriegerdenkmale gezwungen. In Bonn führte Professor Lützeler als Teil der Kommission für das nationale Ehrenmal den Nationalismus als Grund an. Der Nationalismus als entscheidende Triebfeder von Krieg und Zerstörung wurde auch von den Franzosen beim Gedenken in der Bittermark in Dortmund ausgemacht, zusätzlich zu NS-Propaganda, Rassen- und Herrenwahn. Aber auch hier wird die Widersprüchlichkeit des Gedenkens deutlich. Während der Architekt des Erinnerungszeichens betonte, dass der »Geist der Bestie« in jedem Menschen zu finden sei, wollten die Kommunisten klar die Faschisten als Urheber der Verbrechen genannt haben. Bürgermeister Keuning betonte, dass der Nationalsozialismus deutsch war, aber auch die Deutschen Opfer von Tätern der eigenen Nation geworden seien. In Münster fehlte es zwar an einem Erinnerungszeichen als Ort der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus, aber in den Leserbriefen wird deutlich, dass sich auch hier zwei Fraktionen unversöhnlich gegenüberstanden. Die einen erinnerten an das selbstverschuldete Unglück des Krieges, an Schuld und Taten der Nationalsozialisten und beschrieben die Soldaten als sinnlos missbrauchte Menschen. Die Gegenseite sprach angesichts dieser Geschichtsinterpretation von Selbstanklage und Selbstbesudelung und hätte am liebsten den Krieg und den Nationalsozialismus voneinander getrennt. Am Beispiel Düsseldorf wird besonders deutlich, wie nah Vergessen und Anklage mitunter zusammenlagen. Oberbürgermeister Becker verzichtete 1960 auf die Erklärung geschichtlicher Zusammenhänge, versuchte niemanden zu verletzen und betonte die Wichtigkeit des Zusammenhalts. Andererseits hatte der nordrhein-westfälische Kultusminister 1959 Klartext gesprochen. Er kritisierte Überheblichkeit und Hass, »dünkelhafte Vorstellungen von einer Höherwertigkeit der eigenen Rasse« bei den Verantwortli-

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chen und Kleinmut, mangelnde Selbsterkenntnis und Bereitschaft sich verführen zu lassen bei einem Großteil des deutschen Volkes.3 Zeit der Utopien Ein gemeinsames Thema findet sich in den Reden aller Personen an den Erinnerungszeichen: Die Warnung vor dem Vergessen. Sie verhallte ungehört, denn spätestens ab Mitte der 1960er Jahre setzte dieses schleichend ein. In Düsseldorf verzichtete man von 1968 bis 1975 auf jede Erklärung, Mahnung und Ansprache und legte nur Kränze am Mahnmal ab. In Paderborn wurde in der Ansprache 1970 nicht mehr an die Vergangenheit erinnert, sondern die Gegenwart thematisiert. In Wuppertal gingen die Teilnahme und Berichterstattung zu den Gedenkfeiern zurück und in Münster wurden die Mahnmalspläne zu den Akten gelegt. In den späten 1960er und frühen 1970er Jahren wandten sich die Deutschen von der Vergangenheit ab und der Zukunft zu. Während Anfang der 1960er Jahre die letzten Kriegerdenkmäler ausgeführt wurden, war das Erinnerungszeichen und mit ihm auch die Beschäftigung mit der eigenen Geschichte in einer Krise. Der Wiederaufbau war abgeschlossen, die Städte, die vom Krieg zerstört worden waren, erstrahlten in neuem Gewand, ein nicht gekannter Wohlstand machte sich breit. Das Jahrzehnt der Raumfahrt, das Atomzeitalter, der Massenkonsum prägten die Gegenwart und ließen die Vergangenheit vergessen. Mit der gewaltigen technologischen Transformation kam auch ein gesellschaftlicher Wandel, der nicht ohne Debatten, Streit und Kämpfe ausgetragen werden konnte. Unter diesen Bedingungen geriet die Geschichte aus dem Blick, Gegenwart und Zukunft schienen wichtiger und attraktiver. Es folgten eine Geschichtsmüdigkeit und eine Geschichtslosigkeit. Wissen über die Vergangenheit ging verloren, wenngleich sich die Geschichtswissenschaft und auch die Zeitungen zum Beispiel im Rahmen der Kriegsverbrecherprozesse um Forschung und Aufklärung bemühten. Ein Beispiel hierfür ist die Publikation »Der gelbe Stern« aus dem Jahr 1960, die schonungslos mit Fotografien das Grauen der Konzentrationslager aufzeigt und in Paderborn einen Lehrer für das Thema interessierte, der sich erst viel später (1978) für ein Erinnerungszeichen einsetzte. Andere Publikationen zur Shoa waren schon in den 1950er Jahren erschienen und erhältlich. Dazu gehörten zum Beispiel die Dokumentensammlung »Das Dritte Reich und die Juden« von Léon Poliakov und Josef Wulf, die Ende 1955 erschien, und deren Nachfolger »Das Dritte Reich und seine Diener« (1956), Gerald Reitlingers Werk »Die Endlösung. Hitlers Versuch der Ausrottung der Juden Europas 1939-1945« (1956 erstmals in deutscher Sprache erschienen) oder auch die Dokumentation der Nürnberger Prozesse aus dem Jahr 1947. Während die Forschung spätestens in den 1950er Jahren mit Publikationen die großen Verbrechen des Nationalsozialismus schilderte und die Kriegserinnerun3

Vgl. StA Düsseldorf, 0-1-4-43440.0000, Rede Kultusminister Schütz zum Volkstrauertag 1959.

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gen vielfach verschriftlicht und publiziert wurden, ging in den 1960er und 1970er Jahren vor allem das Wissen um die lokalen Akteure verloren und Schauplätze des Nationalsozialismus wurden anderweitig genutzt. Zeitgleich schieden auch die letzten Demokraten der Weimarer Republik aus ihren Ämtern aus und an deren Stelle trat die Generation der Funktionäre aus der zweiten und dritten Reihe des Nationalsozialismus. Diese hatte logischerweise kein Interesse an der Aufklärung und Bewahrung der eigenen Vergangenheit. Dazu kam im Falle der Erinnerungszeichen, dass ihre Formensprache nun endgültig veraltet war und nicht mehr in das Zeitalter passte. Ihre Vergangenheit als Lobpreiser bedeutender Personen und Ereignisse machte sie in der Protestwelle der 1968er zu einem Teil des Establishments, aber nicht zu einem Instrument des Widerspruchs. Zeit der Geschichtsdebatten Erst zum Ende der 1970er Jahre wurde das Erinnerungszeichen wiederentdeckt. Diesmal diente es nicht als Werkzeug der Obrigkeit, sondern oft als Zeichen des Protestes. Mit dem Scheitern der Visionen, Illusionen und Utopien der 1960er und 1970er Jahre, den hereinbrechenden Wirtschaftskrisen und der (nicht neuen) Erkenntnis, dass jede Technologie auch Nachteile mit sich bringt, machten sich die Deutschen auf die Suche nach neuen Antworten auf die Herausforderungen der Gegenwart. Eine neue Generation stellte Fragen an die Geschichte, gründete Geschichtswerkstätten und entdeckte die Spuren der NS-Vergangenheit vor der eigenen Haustür. Der Geschichtsboom führte zu Geschichtsprojekten »von unten«, zu einer hohen Nachfrage in Museen, nach Ausstellungen und TV-Serien. Verlorenes Wissen wurde wiederentdeckt. Die Zeitzeugen der nationalsozialistischen Ära schieden aus den Ämtern aus und hatten nun durch die Aufdeckung ihrer persönlichen Vergangenheit weniger zu verlieren. Die Erinnerung war weniger gefährlich geworden. Die Enkel befragten die Großeltern und erhielten mehr Antworten als die dazwischenliegende Generation. Hinzu kamen die Friedensbewegung, die bis in die CDU anschlussfähig war, eine neue Partei (die Grünen), die sich profilieren musste, sowie das Erstarken des Neonazismus. Die Bundesrepublik als gefestigter Staat, als erste erfolgreiche deutsche Demokratie konnte es sich leisten, sich mit der eigenen Vergangenheit kritisch auseinanderzusetzen. Selbstbewusst konnte man auf die Erfolge der letzten Jahrzehnte verweisen. Die zerrissene Gesellschaft war gewichen. Aber auch die bundesrepublikanische Gesellschaft der 1980er Jahre vertrat unterschiedliche Ansichten und stritt über die Interpretation des Nationalsozialismus. Die eher konservative Argumentation verteidigte die Deutschen als Opfer ihrer eigenen Diktatur und verwies eifrig auf die DDR, wo die Bürger auch keinen Widerstand leisten könnten (die freilich 1989 den Gegenbeweis antraten). Die Bevölkerung sei unschuldig an den Verbrechen, habe diese nie gewollt und sei dem Rattenfänger Hitler ausgelie-

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fert gewesen. Das Ausland wiederum habe sich schuldig gemacht durch die Anerkennung des NS-Staates und den Umgang mit Hitler, die Appeasement-Politik und die Abweisung der verfolgten Juden. Mit Blick auf den Ostblock wurde der kommunistische Widerstand gegen den Nationalsozialismus oft nicht gewürdigt, sondern als Bedrohung angesehen. Ultimatives Argument waren die Opferzahlen, bei denen die deutschen Soldaten und zivilen Kriegsopfer uneinholbar an der Spitze lagen, vor allem, wenn man die Gefallenen des Ersten Weltkrieges hinzuzählte. Bundeskanzler Kohl folgte 1982 der Linie des VDK, der das Gedenken thematisch auf die Kriegsjahre beschränken wollte und eine deutsche Opferschaft in den Vordergrund stellte. Die Ursachen des Krieges wurden nicht hinterfragt, Erster und Zweiter Weltkrieg vielmehr zu Naturgewalten erklärt. Die Interpretation, deutsche Soldaten seien Unterstützer des Nationalsozialismus gewesen, lehnte die CDU im Bundestag ab. Sie sah die Soldaten als Missbrauchte des Regimes, deren Pflichtgefühl und Tapferkeit geehrt werden sollten. Vor allem die Ehrung des Pflichtgefühls zeigt, sobald sie hinterfragt wird, zahlreiche argumentative Leerstellen auf, weshalb dies konsequent vermieden wurde. Des Weiteren lehnte man jedwede Analyse, Differenzierung der Opfergruppen oder Urteile ab und verband mit der Trauer auch die Verdrängung der Vergangenheit. Anhand der Reden in Neuss und im Bundestag lässt sich feststellen, dass die rassistische Trennung zwischen Juden und Deutschen im konservativen Spektrum teilweise weiter Bestand hatte (siehe S. 405 und 422). Die Gegenpartei, der in unterschiedlichen Konstellationen SPD, Grüne, CDUund FDP-Mitglieder, Gewerkschaften und die Friedensbewegung angehörten, beklagte die fehlende Aufarbeitung der Vergangenheit und die Weiterführung zweifelhafter Traditionen, wie am 39er-Denkmal in Düsseldorf (siehe S. 433). Der deutsche Nationalismus und Militarismus wurden verantwortlich gemacht. Statt die Deutschen als unschuldig darzustellen, wurden der deutsche Antisemitismus thematisiert und kritisiert und die Soldaten als Täter und Unterstützer des Regimes gesehen, nicht als Opfer. Man wehrte sich gegen die Reduzierung des Gedenkens auf die Kriegszeit, forderte eine Differenzierung der Opfergruppen und machte sich auf den Weg der Versöhnung mit den Überlebenden der deutschen Verbrechen. Schlussstriche und Verdrängungsbemühungen wurden scharf kritisiert, stattdessen die Akzeptanz der eigenen Verantwortung für die Machtübernahme der Nationalsozialisten und deren Verbrechen gefordert. In Dortmund und Wuppertal lässt sich auch eine Mystifizierung des Widerstands feststellen. Der Nationalsozialismus und sein Fanatismus wurden überhöht, um das Heroische des Widerstands zu betonen. Kritik am Widerstand wurde selten geübt, sondern dieser meist als solidarisch und unbeirrbar dargestellt. Ein bundesdeutsches Erinnerungszeichen war mit diesen Gegensätzen nicht umzusetzen, wenngleich die Rede von Richard von Weizsäcker am 8. Mai 1985 einen Weg für einen konservativen Umgang mit dem Thema aufzeigte, der aber von

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der CDU/CSU-Bundestagsfraktion nicht gegangen wurde (siehe S. 415). Dabei soll an dieser Stelle noch einmal betont werden, dass die CDU lokal wie bundesweit kein einheitliches Bild abgab, sondern sich in Münster und Meschede Parteimitglieder der nationalsozialistischen Vergangenheit stellten und auch in Paderborn und Wuppertal kaum Konflikte in den Stadträten festzustellen sind. Ein wichtiger Schritt in den teilweise heftig geführten Debatten, die sich in den meisten untersuchten Städten feststellen lassen, waren lokalhistorische Forschungen, wie diejenigen von Rohrbacher und Naarmann in Neuss und Paderborn zur Geschichte der Juden in beiden Städten4 oder die Gründungen von Geschichtswerkstätten und Arbeitskreisen zur (NS-)Geschichte in Wuppertal und Münster, die Erinnerungszeichen »von unten« beförderten. Auch die lokalhistorische Forschung in Meschede, welche die Mythen der Nachkriegszeit entlarvte und konservative Gegenreaktionen provozierte, gehört dazu. Die Wiederentdeckung lokalund regionalhistorischer Ereignisse führte zu einer neuen Bewertung der Vergangenheit, zur Aufdeckung von Schutzbehauptungen und letztendlich einem neuen Geschichtsbild. In Neuss und Paderborn (ähnlich in Wuppertal und Düsseldorf) führten Einladungen an emigrierte und geflüchtete Juden, die einst in den Städten gelebt hatten, zu persönlichen Kontakten, Zeitzeugenberichten und der Erneuerung von Erinnerungszeichen im Sinne des aktualisierten Geschichtsbildes. In Düsseldorf etablierte man nach dem Scheitern des Gedenkens am Mahnmal ab 1975 eine neue Form des Gedenkens, das die Vermittlung historischen Wissens über den Nationalsozialismus durch Hochschulprofessoren, in der Mehrzahl Historiker, vorsah. Die historisch-wissenschaftliche Information über die Vergangenheit hielt Einzug in die Reden. Gleichzeitig rückten auch neue Gruppen von Verfolgten in den Fokus. Nicht nur die Widerstandskämpfer waren erinnerungsfähig, sondern (zum Teil seit den 1960ern) die Opfer der Shoa, Sinti und Roma, Opfer der sogenannten Euthanasie und Zwangsarbeiter*innen. In den 1990er Jahren sollten noch weitere Gruppen wie Homosexuelle oder Deserteure hinzukommen, aber auch die Opferkonkurrenz verstärken. Die notwendige positive Identifikation zum Setzen und zur Akzeptanz der Erinnerungszeichen kam aus einer neuen Haltung, die sich bewusst abgrenzte von der Vergangenheit. Man identifizierte sich nicht mit den Verfolgten des Nationalsozialismus, sondern mit der erfolgreichen Vergangenheitsbewältigung selbst, der Sorge um Aufrüstung und Atomschläge und dem Kampf gegen den Rechtsradikalismus der 1980er Jahre. Die Versuche von Helmut Kohl, mit diesem neuen Selbstbewusstsein eine neue Geschichtsdeutung zu etablieren, die weniger auf

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Stefan Rohrbacher, Juden in Neuss, Neuss 1986 und Margit Naarmann, Die Paderborner Juden 1802-1945. Emanzipation, Integration und Vernichtung. Ein Beitrag zur Geschichte der Juden in Westfalen im 19. und 20.Jahrhundert, Paderborner Historische Forschungen Bd. 1, Schernfeld 1988.

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die deutsche Schuld als auf die deutschen Opfer Wert legte, führte zu zahlreichen und heftigen Debatten und zu einem neuen Interesse am Thema. Am Ende führte gerade Kohls geistig-moralische Wende zu einem Widerstand, der in neuen Erinnerungszeichen und hart geführten Geschichtsdebatten mündete. In Dortmund, Düsseldorf, Wuppertal und Münster gab es rechtsextreme Anschläge auf die Erinnerungszeichen und damit auch auf ihre Botschaften. In Düsseldorf wurde das Geschichtsbild des nationalsozialistischen 39er Denkmals Ende der 1980er nach Demonstrationen und Aktionen gegen den Widerstand von Soldaten und Traditionsvereinen verworfen. Auch die neue Formensprache der Erinnerungszeichen trug dazu bei, dass diese wieder zahlreich gesetzt wurden. Nicht nur gab es eine Akzeptanz für viele schlicht erklärende Gedenktafeln und abstrakte Formen; auch die Installationen der 1970er Jahre wurden nun von einem zunächst apolitischen Kunstverständnis in eine politisch verstandene Kunstform überführt. Rebecca Horns Installation im Zwinger und Sol LeWitts Black Form in Münster sind dafür die besten Beispiele. Zu den neuen Formen gehörten auch die verschwindenden Erinnerungszeichen und Gegendenkmale. Nicht zuletzt die Chance, die eigene Stadt mit einem Erinnerungszeichen eines renommierten Künstlers zu schmücken, sorgte für zustimmende Entscheidungen der Räte. In langer Sicht zeigt sich, dass Kriegerdenkmäler keineswegs obsolet geworden sind. Nachdem bis zur Mitte der 1960er Jahre der Bedarf an Kriegerdenkmälern befriedigt wurde, kehrten sie in den 1980er Jahren zurück. Aber auch im neuen Jahrtausend werden sie für die ersten deutschen Gefallenen seit 1945 wieder gesetzt – diesmal für die Sinnstiftung des gewaltsamen Todes von Soldaten fern der Heimat im Auftrag einer demokratischen Gesellschaft, die sich selber überhaupt nicht im Kriegszustand wähnt.5 Zeichen ihrer Zeit Die in dieser Arbeit vorgestellten Erinnerungszeichen fächern dem historisch Forschenden wie Prismen unterschiedliche Erzählungen, Mahnungen, Heldengeschichten, Anklagen und Versprechen auf, mit denen die Gesellschaft oder Teile von ihr eine bestimmte Wahrnehmung ihrer Geschichte als Anleitung für die Lebenden nutzten. Auch wenn Erinnerungszeichen unmittelbar meist nur beschränkte Botschaften senden können, für den Forschenden bieten die Abwägungsprozesse im Vorfeld einen Quellenfundus an, mit dem sich Geschichtsbilder

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Dazu gehören das 2009 eingeweihte Ehrenmal der Bundeswehr am Bendlerblock in Berlin und der Wald der Erinnerung in der Henning-von-Tresckow-Kaserne in Geltow, wo die provisorischen Gedenksteine aus Einsatzländern wie Bosnien und Afghanistan neu aufgestellt wurden. Siehe auch: Manfred Hettling, Militärisches Totengedenken in der Berliner Republik. Opfersemantik und politischer Auftrag, S. 11-21.

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einer Stadtgesellschaft gut untersuchen lassen. Die Analyse der Entstehungsprozesse der Erinnerungszeichen und der Rezeption nach ihrer Errichtung führen zu Erkenntnissen, die simple Untersuchungen der Formensprache und Inschriften nicht leisten können. Zu Beginn dieser Untersuchung wurden vier Charakteristika für Erinnerungszeichen definiert: ihre Dauerhaftigkeit zur Festschreibung eines Geschichtsbildes; ihre redenden Komponenten, mit denen das Geschichtsbild vermittelt wird; die Öffentlichkeit, an die sich das Erinnerungszeichen richtet und über deren Raum die Stifter verfügen können müssen; und der konkrete Ort, an dem Wissenssicherung oder/und die Akte des Gedenkens stattfinden. Am Ende der Untersuchung der Fallbeispiele nordrhein-westfälischer Erinnerungszeichen für den Nationalsozialismus und den Zweiten Weltkrieg kann ein weiteres Kennzeichen hinzugefügt werden: die Notwendigkeit einer als positiv empfundenen Sinnstiftung. Sie ist Grundbedingung für die Etablierung und den Erfolg eines Erinnerungszeichens. Auch an unbequeme historische Ereignisse, Taten und Personen kann erinnert werden, aber nicht, in dem sich die Stifter und Rezipienten mit diesen identifizieren, sondern mittels der am oder im Erinnerungszeichen vorgenommenen eigenen Distanzierung von ihnen. Das Wichtigste an den Erinnerungszeichen für die Zeit des Nationalsozialismus und den Zweiten Weltkrieg ist aber, wie es James E. Young treffend bemerkt, nicht die Errichtung, Einweihung und Pflege, sondern der Prozess ihrer Entstehung: »In fact, the best German memorial to the Fascist era and its victims may not be a single memorial at all – but simply the never-to-be-resolved debate over which kind of memory to preserve, how to do it, in whose name, and to what end.«6 Während dieses Prozesses diskutiert die Öffentlichkeit, die Stadt in ihren Gremien und Medien über die Geschichte, interpretiert, verhandelt und schafft oder aktualisiert ein Geschichtsbild. Dabei kommen Gegensätze in die Öffentlichkeit, werden historische Untersuchungen getätigt, die Gestaltung und die Sinnhaftigkeit des Zeichens diskutiert. In den Debatten werden Fragen beantwortet, Tabus gebrochen, Gruppen anerkannt oder verdammt und Lehren für die Gegenwart und vermeintlich für die Ewigkeit (Nie wieder!) gezogen. Auch hier zeigt sich einmal mehr, dass der Einfluss von Erinnerungszeichen auf das kommunikative Gedächtnis größer und bedeutender ist als auf das kulturelle Gedächtnis. Denn nichtsdestotrotz verschwinden Erinnerungszeichen nach ihrem großen Tag, der Einweihung, in der Missachtung des Alltags. Die Erwartung der Stifter*innen, ihr Erinnerungszeichen würde eine besondere Wirkung entfalten, scheint illusorisch. Zwar mögen Erinnerungszeichen, vor allem wenn sie neu sind, den ein oder anderen irritieren oder Neugierige ansprechen, aber im Alltag gewöhnt man sich schnell an sie. Erinnerungszeichen, da liegt Robert Musil sicherlich richtig, verfehlen ihren Beruf, Aufmerksamkeit zu erzeugen. Aber vielleicht ist das ja gar 6

James E. Young, The texture of memory, S. 21.

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nicht ihr Hauptberuf. Ihre Aufgabe ist es vielmehr, einen außeralltäglichen Erinnerungsraum bereitzustellen, an dem einem historischen Ereignis gedacht wird, sei es am Volkstrauertag, am Tag des lokalen Schützenfestes, dem 20. Juli, dem 1. September oder dem 8. Mai. Wenn sich eine Gedenktradition an einem Zeichen etablieren lässt, ist es nicht nutzlos. Ein Ewigkeitsanspruch lässt sich aber daraus nicht ableiten. Geschichte, Gedenken und Erinnerung unterliegen Konjunkturen und jede Generation bewertet mit den Fragen ihrer Zeit die Vergangenheit, die Erinnerungswürdigkeit einzelner Elemente der Geschichte und damit auch die gesetzten Erinnerungszeichen neu.

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6 Danksagung

Der Weg bis zu diesen Worten ist weit. Nicht für Leser*innen, sondern auch für den Autor. Wie schön, dass ich ihn nicht allein gehen musste, auch wenn mein Name allein auf dem Titel steht. Ohne Hilfe, Zuspruch, Rat und Tat wäre der Weg noch viel weiter, oder gar unmöglich gewesen. Daher möchte ich an dieser Stelle denjenigen meinen Dank aussprechen, die ihn verdient haben: Ich danke meinem Doktorvater, Prof. Christoph Nonn, für die Ratschläge, das Teilen von Erfahrungen und vor allem für das Vertrauen in meine Arbeit und die Freiheit, in der Lehre an der Heinrich-Heine-Universität auch aufwendige Projekte durchzuführen, unter denen die Arbeit an der Dissertation mitunter zurückstehen musste. Mein Dank gilt auch Prof. Guido Thiemeyer für die Übernahme des Zweitgutachtens und seinen kritisch-konstruktiven Widerspruch in den Kolloquien. Ich danke meinen Kolleg*innen am Lehrstuhl für Neueste Geschichte für den produktiven Austausch, insbesondere Simon und Andrea für die unersetzliche Arbeit, die sie in die Korrektur des Manuskriptes investiert haben. Ebenso danke ich meiner Schwester Anna für ihre engagierte Jagd auf jeden falsch gesetzten Buchstaben und jedes abtrünnige Komma. Ich danke Anne Friedrich für ihren unermüdlichen Einsatz im Sekretariat und dafür, dass sie stets ein freundliches Wort für jeden hat. Ich danke meinen Kolleg*innen am Institut für Geschichtswissenschaften für die freundliche und hilfsbereite Zusammenarbeit sowie den Studierenden, die meine Arbeit an der Heinrich-Heine- Universität bereichert haben. Mein Dank gilt auch den Mitarbeiter*innen der Archive, in denen ich den Großteil meiner Quellen gefunden habe und recherchieren konnte. Für besondere Kollegialität und Freundlichkeit bedanke ich mich bei den Stadtarchiven in Neuss, Düsseldorf, Wuppertal und Paderborn sowie dem Stadtmuseum in Münster. Ebenso danke ich Dr. Johannes Slawig, Günter Bitterberg und Prof. Klaus Goebel, die mir persönlich Auskunft gegeben haben, sowie dem Kulturamt Paderborn und dem Jugendring Wuppertal für die Möglichkeit, in deren Akten Einsicht zu nehmen. Last but not least bin ich denen, die mir immer vertraut haben, diesen Weg zu gehen, unendlich dankbar: Meiner Familie und Sabrina.

7 Anhang

7.1

Abkürzungsverzeichnis

AvS Arbeitsgemeinschaft ehemals verfolgter Sozialdemokraten BArch Bundesarchiv BMI Bundesministerium des Inneren BRD Bundesrepublik Deutschland BVN Bund der Verfolgten des Naziregimes CDU Christlich Demokratische Union CSU Christlich Soziale Union in Bayern DDR Deutsche Demokratische Republik DGB Deutscher Gewerkschaftsbund DKP Deutsche Kommunistische Partei DNVP Deutschnationale Volkspartei FDP Freie Demokratische Partei FNDT Fédération Nationale des Déportés du Travail GAL Grüne Alternative Liste GAU Größter Anzunehmender Unfall; ein Super GAU überschreitet die Sicherheitsmaßnahmen eines Kernkraftwerkes GCJZ Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit JTC Jewish Trust Corporation for Germany KPD Kommunistische Partei Deutschlands

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KZ Konzentrationslager NATO North Atlantic Treaty Organization NRW Nordrhein-Westfalen NSDAP Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei LWL Landschaftsverband Westfalen-Lippe RDS Ring Deutscher Soldatenverbände SA Sturmabteilung der NSDAP SED Sozialistische Einheitspartei Deutschlands SPD Sozialdemokratische Partei Deutschlands SS Schutzstaffel der NSDAP SS-HIAG Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit der ehemaligen Angehörigen der Waffen-SS StA Stadtarchiv Stv Stadtverordnete*r UdSSR Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken VDK Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge VVN Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes, seit 1971 ergänzt um die Bezeichnung »Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten« (=VVN-BdA) ZDWV Zentralverband Demokratischer Widerstandskämpfer und Verfolgtenorganisationen

7.2

Verzeichnis der verwendeten Sekundärliteratur

Abstrakte Kunst als Instrument des Kalten Krieges der Kulturen. Der Wettbewerb für das Denkmal des unbekannten politischen Gefangenen 1952/53, in: Themenportal Europäische Geschichte, 01.01.2014, www.europa.clio-online.de/essay/id/artikel-3774, abgerufen am 2. Juli 2018. Alings, Reinhard: Monument und Nation: das Bild vom Nationalstaat im Medium Denkmal; zum Verhältnis von Nation und Staat im deutschen Kaiserreich 1871 – 1918, Berlin 1994.

7 Anhang

Arnold, Jörg: Beyond usable pasts: Rethinking the Memorialization of the Strategic Air War in Germany 1940 to 1965, in: Bill Niven und Chloe Paver (Hg.), Memorialization in Germany since 1945, Basingstoke 2010, S. 26-47. Assmann, Aleida: Erinnerungsräume. Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnis, München 2010. Dies.: Geschichte im Gedächtnis. Von der individuellen Erfahrung zur öffentlichen Inszenierung, München 2007. Assmann, Jan: Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen, München 6. Auflage 2007. Azaryahu, Maoz: Von Wilhelmplatz zu Thälmannplatz. Politische Symbole im öffentlichen Leben der DDR, Göttingen 1991. Bach, Martin: Studien zur Geschichte des deutschen Kriegerdenkmals in Westfalen und Lippe, Frankfurt a.M. (u.a.) 1985. Banck, Barbara: Werner Lindner. Industriemoderne und Regionale Identität, Dortmund 2008. Becker, Stefan: Zur künstlerischen Gestaltung der Gedenkstätte Sachsenhausen, in: Günter Morsch (Hg.), Von der Erinnerung zum Monument. Die Entstehungsgeschichte der Nationalen Mahn- und Gedenkstätte Sachsenhausen, Schriftenreihe der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten Bd. 8, Oranienburg 1996, S. 284-288. Bergmann, Werner: Antisemitismus als politisches Ereignis. Die antisemitische Schmierwelle im Winter 1959/1960, in: ders. und Rainer Erb (Hg.): Antisemitismus in der politischen Kultur nach 1945, Opladen 1990, S. 253-277. Bloch, Peter: Vom Ende des Denkmals, in: Friedrich Piel und Jörg Traeger (Hg.), Festschrift für Wolfgang Braunfels, Tübingen 1977, S. 25-30. Bösch, Frank und Goschler, Constantin: Der Nationalsozialismus und die deutsche Public History, in: Dies. (Hg.), Public History. Öffentliche Darstellungen des Nationalsozialismus jenseits der Geschichtswissenschaft, Frankfurt a.M. 2009, S. 7-23. Bösch, Frank: Bewegte Erinnerung. Dokumentarische und fiktionale Holocaustdarstellungen im Film und Fernsehen seit 1979, in: Gerhard Paul und Bernhard Schoßig (Hg.), Öffentliche Erinnerung und Medialisierung des Nationalsozialismus. Eine Bilanz der letzten dreißig Jahre, Göttingen 2010, S. 39-61. Brecher, August: »Im Kreuz ist Heil«. Die Geschichte des Aachener Friedenskreuzes, Aachen 1992. Brochhagen, Ulrich: Nach Nürnberg. Vergangenheitsbewältigung und Westintegration in der Ära Adenauer, Hamburg 1994. Burger, Angelika, »Schneider-Manzell, Toni« in: Neue Deutsche Biographie 23 (2007), S. 312-313 [Online-Version]; https://www.deutsche-biographie.de/ pnd118758691.html#ndbcontent.

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Mahnmale als Zeitzeichen

19850508_Rede.html;jsessionid=124511DA88FFB0CB783FE0B8B2E166AE.2_cid362, abgerufen am 13. Juli 2018. Hoffmann-Axthelm, Dieter: Über das Weitergeben von Geschichte. Von Tatorten ist zu reden, nicht von Opferhallen, in: Der Architekt 12/1984, S. 543-547. Kabinettsprotokolle der Bundesregierung online: Sondersitzung des Kabinetts am 28. Juni 1960, 122. Kabinettssitzung am 21. September 1960, Sondersitzung des Kabinetts am 4. November 1959. Kohl, Helmut: Rede zum Volkstrauertag 1983, in: Wir gedenken… Reden zum Volkstrauertag 1951-1995. Eine Auswahl von Reden, die anläßlich der Zentralen Gedenkstunde des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge gehalten wurden, herausgegeben vom Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge, Kassel 1995, S. 124-129. Lützeler, Heinrich: Das Bonner Ehrenmal, in: Ders., Die Bonner Universität. Bauten und Bildwerke, Bonn 1968, S. 268- 294. Stenographischer Bericht der 99. Sitzung des 10. Deutschen Bundestages vom 9. November 1984, S. 7188, http://dipbt.bundestag.de/doc/btp/10/10099.pdf, abgerufen am 13. November 2017. Stenografischer Bericht der 214. Sitzung des 10. Deutschen Bundestages vom 25. April 1986, S. 16460 -16463, http://dipbt.bundestag.de/doc/btp/10/10214.pdf, abgerufen am 13. November 2017.

Dortmund Asshoff, Wolfgang: Die Dortmunder Bittermark und ihr Mahnmal. Eine Dokumentation. November 1988. Asshoff, Wolfgang: Die Gedenkfeier in der Bittermark, Dortmund 2009.

Düsseldorf Webseite Kommunalwahlen der Landeshauptstadt Düsseldorf, https://www. duesseldorf.de/statistik-und-wahlen/wahlen/kommunalwahlen.html, abgerufen am 16.9.2017.

Meschede Berkenkopf, Karl: Kreuze im Sauerland, hg. vom KAB Bezirksverband Brilon – Meschede – Waldeck, Brilon 1981. Der Kreis Meschede unter der Feuerwalze des Zweiten Weltkrieges. Aus den Erlebnisberichten vieler Mitarbeiter aus dem ganzen Kreisgebiet zusammengetragen und dargestellt im Auftrage der Kreisverwaltung von Prof. Dr. Albert Huyskens, Bielefeld 1949.

7 Anhang

Erklärung der pax christi-Bistumsstelle Paderborn zum Mescheder Sühnekreuz, enthalten in: pax christi. Internationale katholische Friedensbewegung. Basisgruppe Meschede (Hg.): Dokumentation: 40 Jahre Mescheder Sühnekreuz. 1947-1987, Meschede 1987. Grabrede von Pastor Carl-Peter Klusmann 1967, in: Peter Bürger, Jens Hahnwald (u.a.) (Hg.), »Zwischen Jerusalem und Meschede«. Die Massenmorde an sowjetischen und polnischen Zwangsarbeitern im Sauerland während der Endphase des 2. Weltkrieges und die Geschichte des »Mescheder Sühnekreuzes« (Daunlots. Internetbeiträge des Christine-Koch-Mundartarchives am Museum Elslohe Nr. 76), Eslohe 2015, S. 145-147. Heidingsfelder, Georg D.: Christen verwerfen das Kreuz. Eine Dokumentation der Verblendung, in: Peter Bürger, Jens Hahnwald (u.a.) (Hg.), »Zwischen Jerusalem und Meschede«. Die Massenmorde an sowjetischen und polnischen Zwangsarbeitern im Sauerland während der Endphase des 2. Weltkrieges und die Geschichte des »Mescheder Sühnekreuzes« (Daunlots. Internetbeiträge des Christine-Koch-Mundartarchives am Museum Elslohe Nr. 76), Eslohe 2015, S. 84-103. Interview mit Martin Stankowski am 9. Februar 1993, in: Sabine Schäfer und Alexandra Ricket, Das Mescheder Sühnekreuz, Beitrag zum Schülerwettbewerb Deutsche Geschichte um den Preis des Bundespräsidenten, Beitrag 1993-0929. Leserbriefe, in Blick-Punkt – Meschede vom 10.02.1982, abgedruckt in: Peter Bürger, Jens Hahnwald (u.a.) (Hg.), »Zwischen Jerusalem und Meschede«. Die Massenmorde an sowjetischen und polnischen Zwangsarbeitern im Sauerland während der Endphase des 2. Weltkrieges und die Geschichte des »Mescheder Sühnekreuzes«, Daunlots. Internetbeiträge des Christine-Koch-Mundartarchives am Museum Elslohe Nr. 76, Eslohe 2015, S. 153ff. Massengrab bei Meschede entdeckt, Westfalenpost vom 1. April 1947, abgedruckt in: Peter Bürger, Jens Hahnwald (u.a.) (Hg.), »Zwischen Jerusalem und Meschede«. Die Massenmorde an sowjetischen und polnischen Zwangsarbeitern im Sauerland während der Endphase des 2. Weltkrieges und die Geschichte des »Mescheder Sühnekreuzes«, Daunlots. Internetbeiträge des Christine-KochMundartarchives am Museum Elslohe Nr. 76, Eslohe 2015, S. 104. Prant, Arnold: Deutsche Kleinstadt in der Restauration, in: Christ in der Welt, Heft 2, 1954, S. 47-50. Abdruck in: Peter Bürger, Jens Hahnwald (u.a.) (Hg.), »Zwischen Jerusalem und Meschede«. Die Massenmorde an sowjetischen und polnischen Zwangsarbeitern im Sauerland während der Endphase des 2. Weltkrieges und die Geschichte des »Mescheder Sühnekreuzes« (Daunlots. Internetbeiträge des Christine-Koch-Mundartarchives am Museum Elslohe Nr. 76), Eslohe 2015, S. 136-139. Schreiben des Generalvikars Rintelen an Heidingsfelder vom 14.12.1948, abgedruckt in: Peter Bürger, Jens Hahnwald (u.a.) (Hg.), »Zwischen Jerusalem und

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Mahnmale als Zeitzeichen

Meschede«. Die Massenmorde an sowjetischen und polnischen Zwangsarbeitern im Sauerland während der Endphase des 2. Weltkrieges und die Geschichte des »Mescheder Sühnekreuzes« (Daunlots. Internetbeiträge des ChristineKoch-Mundartarchives am Museum Elslohe Nr. 76), Eslohe 2015, S. 97.

Neuss Rede Bürgermeister Thywissens am 7.11.1986, entnommen aus: Frederik Eue, Christopher Fedder (u.a.), Eigentlich war es nur eine falsche Formulierung. Der Skandal um die Rede des Neusser Bürgermeisters Thywissen 1986, (Beitrag zum Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten), StA Neuss, KO26 Thy007.

Paderborn Boskamp, A. Erich: Bauen wir doch aufs neue das alte Haus. Jüdisches Schicksal in Paderborn, herausgegeben von der Stadt Paderborn, Paderborn 1964. Detlef Kron, Rahmenplanung Innenstadt Paderborn. Ein städtebaulicher Rahmenplan zur Entwicklung des Zentrums von Paderborn, hg. von der Stadt Paderborn im Januar 1989. Die neue Synagoge der jüdischen Gemeinde Paderborn, in: Woche der Brüderlichkeit 1997, herausgegeben von der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit, Paderborn 1996, S. 44. Für ein erneuertes Verhältnis von Christen und Juden. 25 Jahre Gesellschaft für Christlich-jüdische Zusammenarbeit Paderborn e.V., Paderborn 2012.

Wuppertal Brüggemann, Ines: Lehren aus der Vergangenheit ziehen, in: Mahnmal KZ Kemna, Redaktion Kurt Schnöring, herausgegeben von der Stadt Wuppertal, Wuppertal 1983, S. 40-41. Eichmann, Bernd: Folter hinter Backsteinmauern, in: Das Parlament vom 5. November 1983, abgedruckt in: Mahnmal KZ Kemna, Redaktion Kurt Schnöring, herausgegeben von der Stadt Wuppertal, Wuppertal 1983, S. 100-101. Ibach, Karl: Für eine kämpferische Demokratie eintreten, in: Mahnmal KZ Kemna, Redaktion Kurt Schnöring, herausgegeben von der Stadt Wuppertal, Wuppertal 1983, S. 27-30. KZ Kemna, 10 Jahre Mahnmal, Dokumentation Teil 2, Wuppertal 1993. Mahnmal KZ Kemna, Redaktion Kurt Schnöring, herausgegeben von der Stadt Wuppertal, Wuppertal 1983. Rau, Johannes: Was in Kemna begann, endete in Auschwitz, in: Mahnmal KZ Kemna, Redaktion Kurt Schnöring, herausgegeben von der Stadt Wuppertal, Wuppertal 1983, S. 19-26.

7 Anhang

Schluß mit dem Schweigen, in: Die Zeit vom 9. April 1983, abgedruckt in: Mahnmal KZ Kemna, Redaktion Kurt Schnöring, herausgegeben von der Stadt Wuppertal, Wuppertal 1983, S. 89. Schreiben des DGB vom 12. Juni 1981, in: Mahnmal KZ Kemna, Redaktion Kurt Schnöring, herausgegeben von der Stadt Wuppertal, Wuppertal 1983, S. 55. Wirtz, Siegfried: Wuppertaler Jugend gab den Anstoß, in: Mahnmal KZ Kemna, Redaktion Kurt Schnöring, herausgegeben von der Stadt Wuppertal, Wuppertal 1983, S. 31-39.

7.4

Verzeichnis der verwendeten Archivbestände

Archiv der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn Senatsprotokolle

Bundesarchiv (Koblenz) B106/160274, B106/77166, B106/77167, B106/77168, B122/58755, B122/58781, B122/58783

Körber-Archiv GW 1981-0338: Olaf Wunder: Den Frieden, die Freiheit, das Recht? Unterdrückung des proletarischen Widerstandes im KZ-Kemna. Dokumentation zum Schülerwettbewerb Deutsche Geschichte um den Preis des Bundespräsidenten 1980. GW 1993-1937: Stefan Goebel, Stein des Anstoßes: Black Form (Dedicated to the Missing Jews), Beitrag zum Schülerwettbewerb Deutsche Geschichte um den Preis des Bundespräsidenten.

LWL-Archivamt für Westfalen, Archiv LWL Best. 710/166

Stadtarchiv Bonn N61/120, N1989/338, Zug. 1759/155

Stadtarchiv Dortmund 167-78, 167-79, 167-292

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Mahnmale als Zeitzeichen

Stadtarchiv Düsseldorf 0-1-23-1507, 0-1-23-2448.0001, 0-1-23-2448.0002, 0-1-23-2448.0003, 0-1-4-13047, 0-1-4-13048, 0-1-4-13049, 0-1-4-43440, 9-0-1-31, 9-0-4-30, 9-1-4-29426

Stadtarchiv Münster Amt 12/Nr. 10, Bd. 2, Amt 20/Nr. 45, Obm Nr. 234, Obm Nr. 605, Slg-DS Nr. 742, Stadt-Dok Nr. 233, Vorlage 120/66, V-OstD 209, V-Ostd Nr. 320, V-Ostd Nr. 321. Dazu Protokolle und Niederschriften des Rates und der zugehörigen Ausschüsse ohne Signatur

Stadtmuseum Münster Akten zum Zwinger, Bände 10, 13, 15, 15/16, 16

Stadtarchiv Neuss B.01.01 123, B.01.01 634, B.01.01 750, B.01.01 787, B.02.04.001 49, B.02.04.001 351, ZG E.11 430-60

Stadtarchiv Paderborn 47-04-06-6, 105-2790, 105-2814, B 514, B 2065, B 3340, B 3341, B 3343, B 3344, C 2270, S1 002/8 (Nachlass Tölle), S1 46 5 (Nachlass Schwiete), S1 46 6 (Nachlass Schwiete), V 007 62, V 060 80. Dazu Protokolle und Niederschriften des Rates und der zugehörigen Ausschüsse ohne Signatur. Büro für Stadt- und Verkehrsplanung Baier, Wettbewerb Strassen und Plätze östliche Innenstadt Paderborn, ohne Signatur. Peter Zlonicky & Partner, Büro für Stadtplanung und Stadtforschung Dortmund, Verkehrs- und Gestaltungskonzept östliche Innenstadt Paderborn, ohne Signatur. Wolters Partner Coesfeld, Gutachten Östliche Innenstadt, ohne Signatur.

Kulturamt der Stadt Paderborn Aktentitel: Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit, Jüdisches Mahnmal, Jüdisches Mahnmal: Ausführung und Gedenkfeier.

Stadtarchiv Wuppertal 149/197, Drs. 226/81, Drs. 289/81, D V 830, D V 864, D V 772, D V 773, D V 835 l, E I 109c, NDS 32-18 (Nachlass Goebel), Rat 476, S V 835 i, W15 741, W15 Nr. 743

7 Anhang

Archiv des Jugendrings Wuppertal e.V. Aktentitel: Dokumentation KZ Kemna Wuppertal, KZ Kemna I Gedenkfeiern bis 1993

7.5

Verzeichnis der verwendeten Zeitungen und Zeitschriften

Bekanntmachungen der Stadt Dortmund Blick-Punkt (Meschede) Bonner General-Anzeiger Bonner Rundschau Der Spiegel Die Zeit Dortmunder Rundschau Düsseldorfer Nachrichten Frankfurter Allgemeine Zeitung Frankfurter Rundschau Freie Presse Freiheit und Recht. Die Stimme der Widerstandskämpfer für ein freies Europa General-Anzeiger der Stadt Wuppertal kaufen & sparen (Münster) Kirchenzeitung für das Erzbistum Köln Kirchlicher Anzeiger für die Diözese Aachen Mannheimer Morgen Münstersche Zeitung Neue Rhein Zeitung Neue Westfälische Zeitung Neuß-Grevenbroicher Zeitung Paderborner Nachrichten Rheinische Post Ruhr Nachrichten Stadtblatt (Münster) Westdeutsche Allgemeine Zeitung Westdeutsche Allgemeine Zeitung (Dortmunder Tageszeitung) Westdeutsche Rundschau Westdeutsche Zeitung Westfalenpost Westfalen-Zeitung Westfälische Nachrichten Westfälische Rundschau

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Mahnmale als Zeitzeichen

Westfälische Volkszeitung Westfälisches Volksblatt

7.6

Sonstiges

Interview mit Dr. Johannes Slawig vom 16. November 2016. Interview mit Günter Bitterberg am 16. Februar 2017. Interview mit Klaus Goebel vom 20. April 2017. Riffaud, Fabien und Rodriguez, Juan: Les Poilus. L’amitié plus forte que la guerre?, Verlag Sweet November 2015. Sex Pistols: God save the Queen, auf: Dies. CD Never Mind the Bollocks, Here’s the Sex Pistols, Virgin Records, Nr. 5. Wir sind Helden: Denkmal, auf: Dies. CD Die Reklamation, EMI Music 2003, Nr. 4.

Geschichtswissenschaft Reinhard Bernbeck

Materielle Spuren des nationalsozialistischen Terrors Zu einer Archäologie der Zeitgeschichte 2017, 520 S., kart., 33 SW-Abbildungen, 33 Farbabbildungen 39,99 € (DE), 978-3-8376-3967-4 E-Book: 39,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3967-8

Gertrude Cepl-Kaufmann

1919 – Zeit der Utopien Zur Topographie eines deutschen Jahrhundertjahres 2018, 382 S., Hardcover, 39 SW-Abbildungen, 35 Farbabbildungen 39,99 € (DE), 978-3-8376-4654-2 E-Book: 39,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4654-6

Thomas Etzemüller (Hg.)

Der Auftritt Performanz in der Wissenschaft 2019, 428 S., kart., 42 SW-Abbildungen, 44 Farbabbildungen 44,99 € (DE), 978-3-8376-4659-7 E-Book: 44,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4659-1

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Geschichtswissenschaft Nina Kleinöder, Stefan Müller, Karsten Uhl (Hg.)

»Humanisierung der Arbeit« Aufbrüche und Konflikte in der rationalisierten Arbeitswelt des 20. Jahrhunderts 2019, 336 S., kart., 1 Farbabbildung 34,99 € (DE), 978-3-8376-4653-5 E-Book: 34,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4653-9

Alexandra Przyrembel, Claudia Scheel (Hg.)

Europa und Erinnerung Erinnerungsorte und Medien im 19. und 20. Jahrhundert 2019, 260 S., kart., 10 SW-Abbildungen, 2 Farbabbildungen 24,99 € (DE), 978-3-8376-4876-8 E-Book: 21,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4876-2

Eva von Contzen, Tobias Huff, Peter Itzen (Hg.)

Risikogesellschaften Literatur- und geschichtswissenschaftliche Perspektiven 2018, 272 S., kart. 29,99 € (DE), 978-3-8376-4323-7 E-Book: 26,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4323-1

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