Gesprochenes Jiddisch: Textzeugen einer europäisch-jüdischen Kultur [Reprint 2015 ed.] 9783110944242, 9783484731011

This first book in the »Ancillary Study Series« accompanying the ongoing »Language and Culture Atlas of Ashkenazic Jewry

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German Pages 398 [400] Year 1995

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Gesprochenes Jiddisch: Textzeugen einer europäisch-jüdischen Kultur [Reprint 2015 ed.]
 9783110944242, 9783484731011

Table of contents :
Vorwort der Herausgeber
Zum Geleit
Vorbemerkungen
Einleitung
1. Die Datensammlung
2. Das Mannheimer Jiddisch-Korpus
3. Die Zielsetzung dieser Publikation
4. Die präsentierten Texte
4.1 Die phonetische Transkription
4.1.1 Vokale
4.1.2 Konsonanten
4.1.3 Klammern
4.1.4 Das Symbolinventar
4.1.5 Morphologisches Verschriftungsprinzip
4.1.6 Parallelformen zu anderen Sprachen
4.2 Die jiddische Verschriftung
4.3 Die deutsche Version
4.4 Die Kommentierung
4.4.1 Die Texteinführung
4.4.2 Die Anmerkungen
4.4.3 Die dialektologische Einteilung
5. Identifizierung der vorliegenden Aufnahmen
Die Texte
XIV/ 32 Vilna
XIV/ 1-2 Kaunas
XIV/ 37 Rovno
XIV/ 36 Kolonye Gershenovke, bei Balta
XIV/ 28 Odessa
XIV/ 29 Skalat
XIV/ 18 Sighet
XIV/ 34 Trzebinia, bei Sosnowiec
XIV/ 33 Lodz
XIV/ 38 Bonyhad
Zitierte Literatur

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Beihefte zum Language and Culture Atlas of Ashkenazic Jewry Band 1

Herausgegeben von Marvin Herzog, Ulrike Kiefer, Robert Neumann, Wolfgang Putschke und Andrew Sunshine

Ulrike Kiefer

Gesprochenes Jiddisch Textzeugen einer europäischjüdischen Kultur

Max Niemeyer Verlag Tübingen 1995

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Die Deutsche Bibliothek- CIP-Einheitsaufnahme Kiefer, Ulrike: Gesprochenes Jiddisch : Textzeugen einer europäisch-jüdischen Kultur / Ulrike Kiefer. - Tübingen : Niemeyer, 1995 (Beihefte zum Language and Culture Atlas of Ashkenazic Jewry ; Bd. 1) NE: Language and Culture Atlas of Ashkenazic Jewry / Beihefte ISBN 3-484-73101-x © Max Niemeyer Verlag GmbH & Co.KG, Tübingen 1995 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Druck: Weihert-Druck GmbH, Darmstadt Einband: Hugo Nädele, Nehren

Inhaltsverzeichnis Vorwort der Herausgeber

VII

Zum Geleit: Erika Timm

IX

Vorbemerkungen

XIII

Einleitung 1. 2. 3. 4. 4.1

4.2 4.3 4.4

1

Die Datensammlung Das Mannheimer Jiddisch-Korpus Die Zielsetzung dieser Publikation Die präsentierten Texte Die phonetische Transkription 4.1.1 Vokale 4.1.2 Konsonanten 4.1.3 Klammern 4.1.4 Das Symbolinventar 4.1.5 Morphologisches Verschriftungsprinzip 4.1.6 Parallelformen zu anderen Sprachen Die jiddische Verschriftung Die deutsche Version Die Kommentierung 4.4.1 Die Texteinführung 4.4.2 Die Anmerkungen 4.4.3 Die dialektologische Einteilung

4.4.3.1 Grundlegung 4.4.3.2 Die Arealbildungen

5.

Identifizierung

der vorliegenden

Aufnahmen

1 4 6 8 10 11 12 13 13 14 14 14 16 17 17 18 18

18 22 22

Die Texte XIV/ XIV/ XIV/ XIV/ XIV/ XIV/ XIV/ XIV/ XIV/ XIV/

32 1-2 37 36 28 29 18 34 33 38

Vilna Kaunas Rovno Kolonye Gershenovke, bei Balta Odessa Skalat Sighet Trzebinia, bei Sosnowiec Lodz Bonyhad

Zitierte Literatur

54257 54239 50264 47298 46306 48267 47239 50192 51198 46182

26 51 98 133 156 186 231 268 297 334 372

Vorwort der Herausgeber Die Beiheftreihe zum Language and Culture Atlas of Ashkenazic Jewry präsentiert Materialien, die notwendige und wünschenswerte Ergänzungen zu den Editionen des LCAAJ-Archivs darstellen. Sie bietet ein Forum für Arbeiten, die entweder theoretische Aspekte zum Material des LCAAJ untersuchen oder Themen behandeln, die dem LCAAJ Material immanent und für die Diskussion in der Jiddistik bedeutsam sind. Dieses erste Beiheft ergänzt und unterstützt die Publikationen des LCAAJ-Archiv methodologisch und materialiter. Es bietet eine Untersuchung, die im Sinne des initiierten Erzählmonologs "freie" Sprache zum Gegenstand hat. Die Untersuchung zeigt die gesamte linguistische Themenbreite, einschließlich volkskundlicher und zeitgeschichtlicher Aspekte, die in jiddischen Sprachdokumenten zu finden ist. Der symbiotische Effekt zum LCAAJ ergibt sich aus zwei Aspekten dieser Arbeit: Die räumliche und systemare Struktur, in die Ulrike Kiefer die in den Interviewauszügen vorfindliche sprachliche Realität einbettet und wertet, ist im ersten Band des LCAAJ vorgezeichnet. Im exzellenten Bezug auf die kulturgeschichtlichen Aspekte des von ihr interpretierten Materials gibt sie Anhaltspunkte für die Perspektive und das strukturelle Raster, das der volkskundliche Band des LCAAJ aufspannen wird. Darüber hinaus ist es Ulrike Kiefers Verdienst, der Zeitgeschichte und ihren Zeugen Raum zu geben. Wir hoffen, daß damit der Damm gebrochen ist, der Sprachwissenschaft und Leben und Leiden der Träger des Jiddischen trennt. Auch das LCAAJ-Archiv ist voll von solchen Zeugnissen. Dieses Beiheft wird Ermutigung sein, auch diese Seite des Archivs zum Sprechen zu bringen, und wissenschaftliche Standards dabei nicht zu vernachlässigen. Dieses Beiheft gibt in besonderer Weise Hoffnung für die deutsche Jiddistik. Die Voraussetzungen, auf denen dieses Beiheft gründet, gehen auf die Zeit um 1990 zurück. Es gibt nur wenige, in die Wissenschaft hineinwirkende Initiativen zur Integration des Jiddischen in den deutschen Wissenschafts- und Kulturbetrieb. Das langjährige Engagement der Universität Trier mündete 1990 in die Einrichtung eines jiddistischen Lehrstuhls mit sprachhistorischem Schwerpunkt. Der Versuch der

Vili Berliner Humboldt-Universität, jiddistische Forschungen zu etablieren, endete mit dem frühen Tod von Bettina Simon 1989 und wurde in der Folge der Umstrukturierungen im Zusammenhang mit der Wiedervereinigung nicht wieder aufgenommen. Mit dem Institut für deutsche Sprache initiierte zum ersten Mal in Deutschland nach 1945 eine bedeutsame quasi nationale Institution Jiddisch-Forschungen. Es ist das Verdienst des IDS, mit der Untersuchung des modernen Jiddisch die Aufarbeitung eines wissenschaftlichen Desiderats in Deutschlands begonnen zu haben. Die vorliegende Arbeit stellt den Ertrag dieser Aktivitäten dar. Trotz Unterstützung durch die Jiddistik der New Yorker Columbia Universität konnten die den Herausgebern des LCAAJ zunächst in Aussicht gestellten Forschungen zum Jiddischen am IDS nicht fortgesetzt werden. Die Herausgeber sehen nun die Einrichtung einer Jiddistik-Professur an der Düsseldorfer Heinrich-Heine-Universität als hoffnungsvolles und verdienstvolles Zeichen. Die Herausgeber empfinden es als besondere Ermutigung, daß Mitglieder des Fördervereins für Jiddische Sprache und Kultur, Frankfurt, als private Geldgeber in die Bresche sprangen, als die Drucklegung dieser Arbeit durch den Ausfall der institutionellen Verankerung ins Stocken geriet. In Zusammenarbeit mit dem Förderverein beabsichtigen die Herausgeber, dieses Beiheft in eine Computer-Präsentation umzusetzen, die, didaktisiert und auf einzelne Rezipientengruppen ausgerichtet, die Interviews zusammen mit dem kritischen Apparat unter Einbezug von Bild- und Ton-Medien präsentiert. Sie hoffen, so die Distanz zwischen Wissenschaft und Kultur, Politik und Zeitgeschehen ein Stück weit abzubauen. Cui bono? Dieses Beiheft ist geeignet, eine Antwort zu geben. Für die Herausgeber Marvin Herzog Robert Neumann

Erika Timm: Zum Geleit Nur selten kann man Sprachwissenschaftlern das große Kompliment machen, daß sie bei der Aufarbeitung von Texten deren sämtliche Schichten von den rein inhaltlichen bis zu den rein instrumenteilen mit gleicher Sorgfalt dem Leser nahezubringen verstehen. Ulrike Kiefers Buch verdient dieses Kompliment. Schon in den instrumenteilen Bereichen - wenn wir mit ihnen beginnen dürfen - betritt die Autorin Neuland, wenn sie gesprochenes Jiddisch, also zusammenhängende mündliche Texte, nicht an einem einzelnen Idiolekt (über dessen Exemplarizitätsgrad dann immanent nichts Sicheres mehr ausgesagt werden kann), sondern erstmalig in der geographischen Vielfalt vorführt. Sie darf sich dabei im weiteren Sinne in der Tradition unter anderem von U. Weinreich, Labov und Herzog fühlen, für die ja ein sinnvoller Begriff von 'Sprache' immer auch schon 'Variation' einschließt. Und sie veranschaulicht in einem nunmehr engeren, technischeren Sinne nahezu auf jeder Seite und insgesamt sehr eindrucksvoll, weshalb vielen Linguisten heute für die Erforschung des Jiddischen - dank der schieren Weite seines Raumes, der ständigen Gegenwart von Kontaktsprachen, aber auch der historisch bedingten Schwäche aller Zentralisierungs- und Normierungstendenzen - die Sprachgeographie in ganz anderem Maße als via regia erscheint als etwa für das Deutsche oder gar für das Französische. Dabei darf man innerhalb der Rahmenbedingungen des Mannheimer Korpus und der vorliegenden Monographie die Zahl von zehn ausgewählten Orten (bzw. elf Sprechern) samt deren Streuung über das rezente jiddische Sprachgebiet wohl als optimal bezeichnen. Man muß der Autorin weiterhin zustimmen, wenn sie in der Einleitung einen knappen Uberblick über die Dialektphonemik des rezenten Jiddisch für unerläßlich hält und später im laufenden Kommentar ständig auf die zugehörigen Befunde einschließlich der Dialektmischung verweist; ohne Kenntnis dieser phonemischen Grundtatsachen ist ein Studium, ja schon ein Verständnis des gesprochenen Jiddisch kaum möglich. Für den Fachmann vielleicht noch interessanter, weil in der Forschung weniger oder noch gar nicht abgeklärt, sind in der Phonetik etwa die r-Realisierungen, das Ausmaß der Senkungen vor x, gelegentliche Senkung i zu e, gelegentliche Diphthongierung vom Typ g(u)ot (Russizismus?), Desonorierungs-, Affrizierungs-, Deaffrizierungsspuren, vor

χ allem aber die grandiose Fülle der satzphonetischen Erscheinungen von den hiatustilgenden Sproßkonsonanten bis zu den Reduktionsformen von Dienstwörtern und Dienstwortgruppen; in der Wortbildung Tautologien vom dernoxdem-Typ und Anwuchsformen wie ojxet, merart; in der Morphologie flegn als AspektTempus-Marker, ferner bisher wenig beachtete Analogieformen wie etwa gagansn; in der Syntax Negationenhäufung, expletives (oder vielmehr schon 'wucherndes') es, fehlende Numeruskongruenz, fehlende Genusdifferenzierung vielleicht in Ausdehnung des jeder-Typs, Mischung von 'wir' - und 'man'-Konstruktionen, zirkuläre Wortstellung. Dazu kommen bei einzelnen Sprechern, biographisch bedingt, im Wortschatz politische Kennformen wie bruzaze (u.ä.) 'Bourgoisie', kómpartéj 'KP' sowie klare fremdsprachliche Interferenzen: aus dem Russischen klingt hier und da Institutionsvokabular nach, aus dem Deutschen manches aus der Sprache des Horrors (es-es-lojts [nicht -lajt !], auzi:dlui)k, pla:(n)mesik)\ aus dem Englischen ist bei einzelnen Sprechern außer Realien eine erstaunliche Fülle von Trivialelementen präsent. Alles das hat Ulrike Kiefer kommentiert in einer Sprache, die Präzision mit urbaner Verständlichkeit verbindet. Insgesamt: welches bis zum Bersten konkrete Bild sprachlicher Vielfalt, wie unendlich entfernt von der erst dreißig Jahre zurückliegenden intellektualstolzen Beschränkung der damals jungen Generativistik auf die Untersuchung (oder gar das Selbermachen!) von well-formed sentences! Man kann sich kaum eine Subdisziplin der allgemeinen Sprachwissenschaft vorstellen, deren Vertreter aus dem Buch nicht Anregungen schöpfen könnten, und keinen Studenten des Jiddischen, der nach Absolvierung etwa der U. Weinreichschen oder der Birnbaumschen Einführung in das standardisierte oder doch das literarische Jiddisch nicht durch die Lektüre des Buches zu einer - praktisch wie theoretisch gleich wünschenswerten - ausgewogeneren Einschätzung des Verhältnisses zwischen Ideal und Wirklichkeit kommen müßte. Einige der obigen Einzelbemerkungen haben uns schon an die Inhalte der Texte herangeführt. Auch diese Inhalte findet der Leser ebenso prägnant wie anschaulich kommentiert vor, und die Auswahl der Texte ist auch inhaltlich bewundernswert breit und ausgewogen: da zieht die jiddische Kultur Osteuropas von vor 1939 an uns vorüber mit den Schlaglichtern ihrer pekuniären

XI Armut und doch in der unvergleichlichen Aufbruchstimmung ihrer Theater, Dichter, Schulen, Jugendorganisationen, landwirtschaftlichen Kolonien; da werden uns alle religiösen Begriffe sorgsam erklärt; da kommen die Geographica, die Demographie, die von der nichtjüdischen Staatenwelt bestimmten, meist sich schon vor 1939 verengenden Lebensbedingungen zur Sprache. Und da erscheinen selbstverständlich, den Himmel auch für die Überlebenden ein Leben lang verdunkelnd, Krieg und Holocaust. Ulrike Kiefer ist der Ehrenpflicht gegenüber den Berichterstattern nachgekommen, auch hier so präzis wie möglich zu kommentieren. Ich gestehe, daß mich wie in Gesprächen mit jüdischen Freunden und Kollegen, so auch in diesen Texten jene ganz persönlichen Aussagen am tiefsten beeindrucken, in denen davon die Rede ist, daß und wie 'meine' Mutter, Schwester, Tochter, 'mein' Vater, Bruder, Sohn umkamen. Heute, wo die infernalische These von der 'Auschwitzlüge' sich auch pseudowissenschaftlich darin versucht, Zahlen und Daten so lange aneinander kleinzureiben, bis endlich aus sechs Millionen Null geworden sein muß, da scheinen mir - neben den hoffentlich unverdrängbaren Photodokumentationen des Holocaust - diese schlichten individuellen Aussagen die sichersten Siegel der Wahrheit auch auf jenen Zahlen und Daten. Danken wir Ulrike Kiefer, daß sie alles das zum Sprechen bringt, indem sie es zum Gelesenwerden bringt. Zum Gelesenwerden, wie ich hoffe, vor allem von jungen Menschen: Sprachwissenschaft als Kulturwissenschaft, als eine noch mögliche Form des Humanismus, des Nichtabstumpfens.

Vorbemerkungen Die vorliegende Edition gesprochener jiddischer Texte entstand 1990 bis 1992 am Institut für deutsche Sprache, Mannheim, finanziell getragen durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft. Nach Auslaufen der Förderung durch das IDS finanzierte der Förderverein für Jiddische Sprache und Kultur die zur Drucklegung erforderlichen Arbeitsmittel. Verantwortlich gegenüber der Forschungsgemeinschaft zeichneten Rainer Wimmer, Institutsvorstand, Wolfgang Teubert, Leiter der Abteilung "Wissenschaftliche Dienste", sowie Erika Timm, Professorin der Jiddistik an der Universität Trier. Ihnen allen gilt mein Dank für die Unterstützung, die die Durchführung der Arbeiten sicherstellten. Das Projekt wurde durch Wolfgang Teubert angeregt, als er sich zu Aufnahmearbeiten im Frühjahr 1982 in New York aufhielt. Im Sommer 1988 folgte ich der Einladung des IDS, die Planung zu diesem Buch auszuarbeiten, die die Institutsleitung dann als Projektskizze der Deutschen Forschungsgemeinschaft vorgelegte. Für die förderliche Mitarbeit an den Texten danke ich meinen New Yorker Kollegen Holger Nath und Paul Glasser von der Universität Columbia, die die Rohfassungen der Transkriptionen lieferten, wie auch Helen Coles-Beer vom Worcester College, Oxford, für ihre Hilfe bei der Koordination der Textversionen. Mein herzlicher Dank geht an Erika Timm - ihre Kommentierungen waren ein großer Gewinn und haben den vorliegenden Text an vielen Stellen verbessert und klarer gemacht. Marvin Herzog, Professor Emeritus der Columbia Universität New York, meinem früheren Doktorvater, schulde ich besonderen Dank. Er stand für die Arbeiten mit Rat zur Verfügung und brachte in zahlreichen Diskussionen über fachliche Details seine langjährige Erfahrung mit dem reichhaltigen Archiv des Language and Culture Atlas of Ashkenazic Jewry ein. Wertvolle Hinweise zum kulturellen und kulturhistorischen Umfeld der Thematik der Arbeit verdanke ich David WeissHalivni, Professor für Religionswissenschaft, Columbia Universität. Den Kolleginnen und Kollegen des New Yorker Institute for Jewish Research (YIVO) sage ich Dank für hilfreiche Anmerkungen und Verweise, allen voran den Spezialisten der YIVO-Bibliothek Dina Abramowicz und Zachary Baker. Joachim Hemmerle, Redakteur, Mannheim, danke ich für seine trefflichen Informationen zu etlichen zeitgeschichtlichen Details und seine Hilfsbereitschaft bei der Beschaffung dokumentarischer Quellen.

XIV An Robert Neumann vom Institut für deutsche Sprache geht mein besonderer Dank für seine gründliche und vorausschauende Auswahl der geeigneten Hard- und S o f t w a r e , der Planung des Computereinsatzes und seinen bereitwilligen Einsatz bei den vielfältigen und mühevollen Stadien der Texteinrichtung. Im Austausch mit ihm ist es gelungen, im begrenzten finanziellen Rahmen des Projekts einer komplexen Konzeption eine geeignete Form zu geben. Herzlichen Dank richte ich auch an meine Freunde Diana und Peter Bethke, die meine New Yorker Studienaufenthalte stets mit großzügigem Entgegenkommen erleichtert haben und meine Arbeit mit unermüdlichem Interesse begleiten. Diese Publikation gründet auf dem Zeugnis von aus Osteuropa stammenden Jiddischsprechern. Ihrer keineswegs selbstverständlichen Bereitschaft, Auskunft zu geben, weiß ich mich besonders verpflichtet. Die Aufnahmen wurden mit Blick auf eine sprachwissenschaftlich-dialektologische Auswertung erhoben. Dem Hörer wird jedoch bald bewußt, daß dem hier festgehaltenen sprachlichen Zeugnis ein Stellenwert eigen ist, der über die linguistische Bedeutung im engeren Sinn hinausgeht. Textproben zum heute gesprochenen Jiddischen lassen vor unseren Augen die Umrisse des ehemaligen osteuropäischen Sprachgebiets mit seinen regionalsprachlichen Variationen erstehen. Indem die Gewährsleute von ihrer Jugend und früheren Heimat erzählen, machen sie für den Hörer Geschichte im jeweiligen gesellschaftlichen Umfeld und in der kulturellen Verankerung konkret; die Schilderungen bringen uns gelebten Alltag nahe, umreißen Familienleben, Schulbildung, Formen religiöser Praktik, soziales Engagement, sie zeigen politische und kulturelle Gruppierungen auf, reflektieren Denk- und Lebensweisen mit ihren aktuellen Bezugspunkten. Die Sprecher sind in Arhus, Berlin und New York befragt worden; sie stammen aus Litauen, der polnisch regierten Wilna-Region, Wolhynien, Bessarabien, Ostgalizien, Siebenbürgen, Polen, Ungarn und treffen sich in der gemeinsamen Sprache, die über den weit gespannten Raum hinweg den Verbund dieser Kultureinheit europäisch-jüdischer Prägung manifestiert. Das Jiddische ist Verbindungsglied zu der seit Ende des Zweiten Weltkriegs nicht mehr bestehenden Gesellschaft und Kultur in dem ihr angestammten Raum. Mit besonderer Unmittelbarkeit machen die vorliegen-

XV den Texte die Schlüsselfunktion der Sprache evident, die Kulturräume erschließt und Zeitgeschichte greifbar werden läßt. Nolens volens markieren die vorliegenden Zeugnisse zugleich die Stadien des deutschen Mord- und Vernichtungszuges gegen die jüdische Bevölkerung in Osteuropa. Ob direkt oder indirekt bezeugt, spiegelt sich in der Folge der Schilderungen auch die Abfolge der systematischen Tötungsaktion, die nach den vorausgehenden Schritten der Konzentration und Gettobildung mit Beginn des Krieges gegen die Sowjetunion einsetzt: Massenerschießungen - belegt in den Stimmen aus Kaunas und Rovno (XIV/1, Teil 2; XIV/37); die deutsch-rumänische Allianz im Vernichtungskrieg gegen die südosteuropäischen Juden (Odessa, XIV/28); die ersten stationären Gaskammern in Belzec (Skalat XIV/29); die weiter westlich gelegenen Vernichtungs- und Konzentrationslager, die später mit dem Zusammenbruch der Ostfront als Rückzugslager dienten (Trzebinia und Lodz, XIV/34 und 33); die Befreiung der Überlebenden durch die Alliierten (Lodz und Kaunas, XIV/33 und 1). Die Feindseligkeiten und Pogrome gegen Rückkehrende nach Polen und der Ukraine zu Kriegsende finden in den Stimmen aus Skalat, Trzebinia und Odessa (XIV/29, 34, 28) ihren Widerhall. Die Streuung der Aufnahmeorte Arhus, Berlin, New York zeichnen Spuren des Exodus aus Osteuropa nach. In den Schilderungen der aus Bonyhad (XIV/38) und der Umgegend von Balta (XIV/36) stammenden Sprecher sind exemplarisch die noch früheren Emigrationswellen faßbar, durch die seit dem späten neunzehnten Jahrhundert Standorte der jiddischen Sprache auf anderen Kontinenten entstanden sind. Gerade gesprochene jiddische Sprache macht deutschsprachigen Hörern augenfällig, wie eng das Jiddische mit dem Deutschen verbunden ist. Diese Nähe ist verfänglich: sie schränkt die zwischen Trägern verschiedener Sprachen normalerweise wirksamen Differenzierfähigkeiten erheblich ein. In der Konfrontation mit gesprochener jiddischer Sprache nimmt man als Deutschsprachiger vorrangig Ähnlichkeiten wahr und fühlt sich Dialektmerkmalen der eigenen Sprache angenähert. Über der Vielzahl an Anklängen, Einzelmomenten, die alle irgendwie bekannt scheinen, löst sich das Wahrnehmungsbild atomistisch auf und die Konturen verschwimmen. Die eingeschränkte Wahrnehmung verhindert den Blick für die systematischen Unterschiede zur anderen Sprache hin, für deren Gesamtbild und das ihr eigene

XVI Wechselspiel an linguistischen Variationen. Das in Deutschland vielerorts noch immer tradierte "Jüdeln" hat mit dem Jiddischen nichts zu tun - es reflektiert bestenfalls ungelungene Imitation, schlimmstenfalls die ideologischen Projektionen seiner Betreiber. Vielleicht kann diese Publikation die entscheidenden Unterschiede zwischen den zwei Schwestersprachen nahebringen und zu einem besseren Verständnis darüber beitragen, wie ihre enge Verwandtschaft zu definieren ist.

Einleitung 1. Die

Datensammlung

Die hier präsentierte Textauswahl beruht auf der Sammlung jiddischer Dialektaufnahmen in den Beständen XIV des Deutschen Spracharchivs am Institut für deutsche Sprache, Mannheim. Dieses Korpus zur Dokumentation gesprochener jiddischer Sprache stammt aus den Jahren 1975-1982, als Mitarbeiter des Instituts, finanziell gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft, Interviews mit Überlebenden und Emigranten aus Osteuropa aufzeichneten. Die Befragungen wurden im Rahmen mehrerer Aufnahmeaktionen in Arhus (Dänemark), Berlin und New York durchgeführt, mit Unterstützung durch jüdische Gemeinden vor Ort. Die Zielsetzung, das Deutsche Spracharchiv durch jiddische Materialien zu komplettieren, geht noch auf den Gründer des Archivs, den Neurologen und Phonetiker Eberhard Zwirner, zurück (nach Angaben seiner früheren Mitarbeiterinnen Edeltraud Knetschke und Margret Sperlbaum). Zwirner selbst wuchs in engem Kontakt zum Jiddischen in Breslau auf, und einige seiner Freunde waren Jiddischsprecher (ebenfalls nach Angaben der obengenannten Mitarbeiterinnen). Bereits vor dem Krieg war es Zwirners Absicht gewesen, neben der Archivierung deutscher Sprachvarietäten auch gesprochene jiddische Sprache auf Tonträgern festzuhalten. Die politische Entwicklung in Deutschland jedoch und die damit verbundene wissenschaftspolitische Ausrichtung, ab 1939 dann die Kriegsereignisse, verhinderten die Verwirklichung. Das Institut für deutsche Sprache hat Zwirners Zielsetzung realisiert. Erste Kontakte zur Jiddistik gingen vom damaligen Direktor des Instituts, Ulrich Engel, zu dem Arhuser Lektor Abraham G. Epstein und führten zu den ersten Aufnahmen unter dessen Leitung und mit von ihm vermittelten Informanten. Die Aufzeichnungen wurden durch die früheren Mitarbeiterinnen im Spracharchiv, Edeltraud Knetschke und Margret Sperlbaum, vorgenommen. In der Folge gelang es, Geldmittel der Deutschen Forschungsgemeinschaft einzuwerben, die weitere Aufnahmen in Berlin ermöglichten. Dem Kontakt zu muttersprachlichen Informanten wurde durch Unterstützung der jüdischen Gemeinde Berlin der Weg bereitet.

2 Der Grundstock von 31 Interviews (mit 33 Sprechern) wurde später um weitere sieben (mit insgesamt acht Sprechern) ergänzt, die Wolfgang Teubert, Leiter der Abteilung Wissenschaftliche Dienste am Mannheimer Institut, in New York aufnahm. Über die Jiddistikabteilung der Columbia Universität gelang es, Kontakte zu geeigneten Informanten herzustellen, und dortige Kollegen nahmen auch die Mehrzahl der Befragungen vor: Marvin Herzog, Atran-Professor für Linguistik und Jiddistik, inzwischen emeritiert, Mordkhe Schaechter, Lexikograph und langjähriger Lektor für Jiddisch, sowie Paul Glasser, damals noch Doktorand. Die Vorstellungen und Zielsetzungen Zwirners inbezug auf die Archivierung gesprochener jiddischer Sprache sind zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht aufgearbeitet. Es scheint jedoch, daß die Unternehmungen des Mannheimer Instituts in Umfang und Ausrichtung weit über Zwirners ursprüngliche Pläne hinausgingen. Im Bewußtsein der Tatsache, daß gesprochenes Jiddisch immer auch dialektal gebunden ist und Standardisierungstendenzen hier sehr viel weniger Fuß fassen konnten als etwa im Deutschen, erstrebte man bei den Aufnahmen areale Repräsentativität. Damit ist das Archiv neben dem Wert, das es für die Dokumentation von gesprochenem Jiddisch besitzt, auch zur Untersuchung dialektologischer Fragestellungen geeignet. Unter linguistischen Gesichtspunkten trägt das IDS mit der Erstellung und nunmehr ersten systematischen Auswertung seines Jiddischkorpus 1 dem Faktum Rechnung, daß dem Jiddischen im Hinblick auf die Erforschung des Deutschen eine besondere Stellung zukommt: unter allen Sprachen des germanischen Kontinuums ist das Jiddische die einzige, die mit dem Deutschen eine mittelalterliche Basis gemeinsam hat. Seit den Anfängen deutscher Sprachentwicklung läuft die Entwicklung des Jiddischen parallel, über lange Jahrhunderte hinweg standen beide Sprachen in koterritorialem Kontakt auf ein und demselben Sprachgebiet oder bildeten Kontaktsprachen in enger geographischer Nachbarschaft. Der Einbeziehung jiddistischer Befunde in die germanistische Forschung kommt damit eine ganz besondere Bedeutung zu und ermöglicht den Anschluß an die dem Deutschen am engsten verbundene Nahsprache. Die Aufnahme X I V / 4 wurde 1988 von Mogens Dyhr und Ingeborg Zint als monographische Studie unter dem Titel "Lubliner Jiddisch" h e r a u s g e geben.

3 Für die germanistische Forschung liefert eine Kontrastierung mit dem Jiddischen weitaus konkretere und aktuellere Information bei der eigenen Theorie- und Hypothesenbildung, als es die übrigen germanischen Sprachen zulassen, die sonst meist zum Vergleich herangezogen werden. Der Status synchroner Befunde im Deutschen ist in der Gegenüberstellung zum Jiddischen um vieles klarer zu umgrenzen und zu bewerten als dies im Alleingang möglich wäre. Unter diachronischen Gesichtspunkten bietet sich mit dem Jiddischen die einzigartige Gelegenheit, alternative Entwicklungsgänge gerade von der Nahtstelle zur Moderne an zu verfolgen, die die Sprachgeschichte des Deutschen so entscheidend geprägt haben. Wie Erika Timm 1986 gezeigt hat, bleibt auch das Kontrastpotential der deutschen Mundarten weit hinter dem zurück, was eine Heranziehung des Jiddischen zur Erforschung des Deutschen beitragen kann. Uber den engen Bezug zwischen dem Deutschen und Jiddischen hinaus aber hilft die Integration jiddistischer Befunde, die Lücke bei der typologischen und strukturellen Definition des germanischen Sprachkontinuums zu schließen, das mit dem Jiddischen noch weit über die Grenzen des Deutschen hinaus in den slawischsprachigen Raum hineinreicht. So können Fragen der Interferenz- und Sprachkontaktforschung zu zentralen grammatikalischen, lexikologischen oder pragmatischen Themenbereichen anhand der Mannheimer Jiddisch-Materialien abgeklärt werden. Der Rückgriff auf die Mannheimer Textsammlung ermöglicht etwa eine Untersuchung darüber, welche Mechanismen es erlauben, einerseits slawisch- andererseits hebräischstämmige Komponenten in einen durch vorwiegend deutsche und germanische Strukturen bestimmten Sprachbau zu integrieren. Methodologisch gesehen schließen die Jiddisch-Aufnahmen an die Tradition des Deutschen Spracharchivs an. Sie reflektieren den Texttyp des 'initiierten Erzählmonologs' und bilden damit einen reizvollen Kontrast zu der umfangreichen Sammlung von gesprochenem Jiddisch, die im Archiv des Language and Culture Atlas of Ashkenazic Jewry in New York vorliegt. Für die Dokumentation des unvergleichlich viel größeren New Yorker Archivs wurden Informanten im Stil des 'formalen Interviews' befragt, um die strikte Parallelität der Information zu linguistischen Detailfragen zu garantieren und damit die Vergleichbarkeit ausgewählter Daten zu gewährleisten, wie sie für sprachgeographische Untersuchungen und Atlanten benötigt wird. Zwar

4 sind längere Redepassagen auch hier enthalten; sie sind jedoch eher zufällig entstanden, situativ und konnotativ bedingt, nicht in gezielter Absicht und Steuerung durch die Befrager. Von daher sind sie auch nur mit Mühe auf dem extensiven Bandmaterial lokalisierbar. Die Aufzeichnungen im Mannheimer Institut sind eine komplementäre Ergänzung zu den New Yorker Aufnahmen, auch wenn sie in Anzahl und Dauer nicht entfernt an den Umfang der New Yorker Dokumentation heranreichen. Mit der Mannheimer Textsorte ist die Möglichkeit gegeben, gesprochene jiddische Sprache im Kontext zu untersuchen; sie ermöglicht spezifische Aspekte der sprachlichen Analyse, wie textlinguistische Studien, Untersuchungen der Syntax und suprasegmentaler Strukturen, die Analyse einzelner Grammatikbereiche unter funktionalen Gesichtspunkten und die Beobachtung der Variation signifikanter Laut- und Morphemdifferenzen im natürlichen Redefluß. 2. Das Mannheimer Jiddisch-Korpus

- linguistische

Einordnung

Die Erhebungen mit der Archivkennung XIV, die in 5 Aktionen zwischen 1975 und 1982 aufgenommen wurden, galten dem Ostjiddischen und seinen Spracharealen. Eine solche Zielsetzung ist von vornherein einschränkenden Bedingungen ausgesetzt: seit 1945 müssen alle Bestandsaufnahmen des gesprochenen Jiddisch, soweit sie sich auf das osteuropäische Sprachgebiet beziehen, aus der Rückprojektion geleistet werden, also konzipiert sein als eine Sprach- und Kulturgeographie 'aus der Ferne', wie Uriel Weinreich (1962) es genannt hat. 2 Die Diskontinuität zur früheren Sprache und Kulturgemeinschaft, die jeder einzelne der Informanten so einschneidend hat erfahren müssen, hat auch die räumlich-zeitliche Diskontinuität der Erhebungen zur Folge: anders als bei vergleichbaren Unternehmen können die Informanten nicht in situ befragt werden, und nicht die Gegenwart ist Ziel der Befragung, sondern ein früherer Lebensausschnitt. Den Möglichkeiten, diese raum-zeitliche Kluft zu überspringen, sind Grenzen gesetzt. Dies betrifft nicht nur das Gedächtnis 2 In A n l e h n u n g an M. M e a d und Rh. Metraux, T h e S t u d y o f Culture at a D i s t a n c e , C h i c a g o 1953.

5 der Informanten. Vor allem ist die von ihnen attestierte Sprache nicht dieselbe, die vor Ausbruch des Krieges gesprochen wurde. In den Erhebungen hat die neue Umgebung ebenso ihren Niederschlag gefunden wie neue Gesellschaftsformationen und neue soziale Inhalte, der Kontakt mit anderen Sprachen und der binnensprachliche Kontakt mit Varietäten der eigenen. Die an verschiedenen Orten durchgeführten Mannheimer Erhebungen lassen solche Unterschiede erkennen. Am stärksten machen sich die Einwirkungen durch die Umgebung bei den Berliner Aufnahmen bemerkbar. Der Kontakt mit der Nahsprache Deutsch, der bei manchen der dortigen Informanten bereits über eine ganze Reihe von Jahren angedauert hatte, hat zum Teil erhebliche Interferenzen zur Folge, die durch die auf deutsch durchgeführte Befragung zusätzlich gefördert werden. Ein gut Teil der Berliner Interviews eignet sich von daher eher für ausgewählte Aspekte der Interferenzforschung als für eine Rückprojektion auf das Jiddische bis 1939. Die Einflüsse vom Englischen her, die sich bei den in New York aufgenommenen Sprachproben bemerkbar machen, sind anderer Natur. Mit Ausnahme des auch in die vorliegende Sammlung einbezogenen Spezialfalls XIV/36 betreffen sie in der Regel lexikalische Einzelelemente in einem intakt gebliebenen grammatisch-syntaktischen und auch idiomatischen Rahmen. Eine Reihe der dortigen Aufnahmen konnten ohnehin auf jiddisch durchgeführt werden, was spontane Interferenzen und Probleme des Code-switching vermeiden half. Auch dialektologisch gesehen ergeben sich Einschränkungen. Eine Reihe der repräsentierten Belegorte sind mehrfach vertreten, so daß ein Viertel aller Aufnahmen Doppelbelegungen darstellen und die relativ breite Ausgangsbasis des Korpus im Hinblick auf dessen areale Repräsentativität um ein gut Teil schmälern. Im Zusammenhang mit den Faktoren der Mehrfachbelegung und sprachlichen Interferenz zeigt die Mannheimer Sammlung Lücken bei der Besetzung dialektologisch zentraler Bereiche. Regionen wie das Baltikum (jiddisch 'Kurland'), der Südwesten, sowie Teile der Mitte und des Südostens (Übergangsgebiet zwischen nördlichem und südlichem Dialekt) sind unterbesetzt oder gar nicht vertreten. Damit bleiben gerade Grenzbereiche mit ihren Übergangsvarietäten, denen unter strukturellen Aspekten besondere Aufmerksamkeit zukommt, im Mannheimer Korpus nur marginal repräsentiert.

6 Einschränkungen sind zudem im Hinblick auf Textsorte und Textvergleichbarkeit der Materialien zu vermerken. Eine Reihe der Aufnahmen wurden eher im Stil eines Interviews erhoben und enthalten nur eingeschränkt frei gesprochenen Text. 3.

Die Zielsetzung

dieser

Publikation

Mit der vorliegenden Publikation soll die Mannheimer Sammlung der Öffentlichkeit vorgestellt werden. Zu diesem Zweck werden ausgewählte Auszüge der auf Tonträgern festgehaltenen Archivmaterialien in einer kommentierten verschrifteten Form präsentiert. Die Bänder sind im Institut für deutsche Sprache verfügbar. Verschriftung und Kommentierung dienen dem Ziel, die Materialien für den Benutzer zugänglich zu machen. Sie sollen die Vielfalt der Materialien dokumentieren, sie inhaltlich transparent machen und in ihrem linguistischen, kulturellen und zeitgeschichtlichen Dokumentationswert für die Öffentlichkeit erschließen. Im Mittelpunkt steht die Darstellung gesprochener jiddischer Sprache in Rückprojektion auf den Stand bis Kriegsausbruch 1939 im ehemaligen Sprachgebiet. Damit soll die Studie der Aufarbeitung der sprachlich-kulturellen Verhältnisse und Entwicklungen dienen, die durch die brutale Vernichtung der Bevölkerung ihr Ende fanden. Als deutschsprachige Publikation ist die Herausgabe und Kommentierung der vorliegenden Textsammlung vornehmlich auf das Deutsche und an Deutschsprachige gerichtet. Sie soll vor allem dem deutschsprachigen Benutzer (Spezialisten wie Laien) eine Möglichkeit zum Kontakt mit der dem Deutschen nächstverwandten Sprache bieten und ein Teil der Gemeinsamkeiten greifbar machen, die die jiddische und deutsche Sprache seit Entstehen und anfänglicher Parallelentwicklung auf deutschem Sprachgebiet verbinden. Um das Spektrum der Aspekte bei der Textedition und Bearbeitung möglichst umfassend widerzuspiegeln und damit auch die Vielfalt der Möglichkeiten zu weiteren Materialauswertungen sichtbar werden zu lassen, wurde für eine problemoffene Präsentation optiert. Sie strebt an, die Materialien möglichst weitgehend in der Variation abzubilden, die ihnen als Texte gesprochener Sprache eigen ist. Gleichermaßen zielen die Annotatio-

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nen und Texteinführungen nicht auf die Erkundung bestimmter Themenstellungen, sondern bleiben text- und leserorientiert. Bei der Verschriftung der Texte, wie auch bei ihrer Kommentierung steht das Bemühen im Mittelpunkt, die festgehaltene Sprache für den Leser im weitesten Sinn zu lokalisieren und ihren Standort linguistisch, geographisch sowie soziokulturell zu umreißen. Eine synoptische Ausgabe unterschiedlicher Texte wie die vorliegende dokumentiert bereits ihrer Natur nach die Variation, die gesprochene Sprache kennzeichnet, sei sie phonetischer, grammatischer oder auch textkonstitutiver Art. Die Kommentierung hat das Ziel, auf sprachinterne Unterschiede und Besonderheiten zu verweisen, die in den Texten zum Ausdruck kommen und in das System des Jiddischen integriert sind. Sprachextern gesehen finden in der Kommentierung darüber hinaus solche Elemente und Phänomene Eingang, die das Jiddische in Abweichung zum eng verwandten Deutschen charakterisieren und die Variation vor Augen führen, die die strukturelle Nähe zwischen beiden Sprachen zeitigt. So sind viele der Hinweise vor allem an den deutschsprachigen Benutzer gerichtet und dienen der Kontrastierung beider Sprachen. Da die kontinuierliche Entwicklung des Jiddischen im genuinen Sprachgebiet abgeschnitten wurde und Standardisierungsbestrebungen geographisch und soziologisch gesehen nur in eingeschränktem Maße Fuß fassen konnten, ist gesprochene jiddische Sprache weitgehend regional gebunden. Die areale Verankerung und dialektologische Einordnung der dokumentierten Varietäten bilden von daher eine der Hauptkomponenten bei der Standortbestimmung der Texte im Kommentar. Sprache ist nur durch Sprecher faßbar, und das Schicksal jeder Sprache ist an das ihrer Sprecher gebunden. Die Informanten der vorliegenden Aufnahmen sind nach ihrer früheren Heimat, ihrer Kindheit oder Jugend befragt worden, nach dem Leben in Familie und Gemeinde, nach Festen, Bräuchen und anderem mehr. Eine unbefangene Antwort darauf wird niemand erwarten - der Riß in der Existenz, die Abgründe persönlicher Bedrohung, Vernichtung der ihnen Nahstehenden und ihrer gesamten Umgebung, sind für jeden von ihnen präsent. Viele der Aufnahmen sind bewegendes Zeugnis über das persönliche und jüdische nationale Schicksal in der Zeit des Krieges und der organisierten

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Vernichtung durch Deutsche, und in der Reihung der Schilderungen tritt schemenhaft die systematische Abfolge der Stadien in diesem Vernichtungsprozeß zutage. Mit der Schilderung ihrer Beobachtungen und Erfahrungen machen die Informanten für den Leser Ausschnitte der Zeitgeschichte konkret und geben Kunde von dem facettenreichen Leben einer weitgefächerten und multikulturellen Gesellschaft, das bis Kriegsausbruch bestanden hat. Es ist das Ziel dieser Publikation, möglichst viele Aspekte der in den Schilderungen enthaltenen Inhalte zum Ausdruck kommen zu lassen. Daß dies in der ihnen eigenen Sprache geschehen kann, ist der Bereitschaft der Informanten zu verdanken, auch sprachlich Zeugnis zu geben. Es mag befremdlich wirken, daß zeitgeschichtliche Ereignisse so ausführlich kommentiert werden in einer Untersuchung, die primär sprachwissenschaftlich ausgerichtet ist. Für die Entscheidung, das in den Schilderungen zur Sprache kommende Zeitgeschehen so detailliert zu diskutieren, waren mehrere Faktoren ausschlaggebend. Der Zweite Weltkrieg wurde für keine andere Sprache schicksalhaft wie für das Jiddische, dessen angestammtes Sprachgebiet und institutionelle Basis zu Kulturpflege und gesellschaftlicher Aktivität in Osteuropa vollkommen von der Karte verschwanden. Kontinuität zu dem verlorenen Kernland jiddischer Sprache und Kultur ist seit 1945 nur in Zeugnissen Überlebender lebendig. Die Dimension der Vernichtung hat zugleich dazu geführt, das Bewußtsein vom jiddischsprachigen europäischen Leben weitgehend zu tilgen. Berichte von Einzelpersonen können meist auf keinen ungefähren Vorstellungsrahmen und allgemeinen Wissenshintergrund beim durchschnittlichen Hörer rechnen und bleiben ohne Kommentierung unvermittelt 'in der Luft' hängen. Die meisten der hier vertretenen Stimmen sind Zeugnisse aus einer apokalyptischen Endzeit. Wenn sie zu sprachwissenschaftlichen Zwecken herangezogen werden, so fordert der Respekt vor den Zeugen, ihre Stimmen in den Rahmen dokumentierter Fakten einzuordnen und sie historisch zu verankern. 4. Die präsentierten

Texte - Materialauswahl

und

Darbietung

Der vorliegenden Textsammlung liegen zehn Aufnahmen aus dem Mannheimer Archiv zugrunde. Aus diesen wurden je etwa zehn Minuten Text ausgewählt, die meist fortlaufende Rede

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darstellen, in vereinzelten Fällen jedoch aus unterschiedlichen Interviewsegmenten bestehen. Die Auswahl der Aufnahmen und Bandsegmente orientierte sich gemäß der oben diskutierten Zielsetzung für die Publikation an folgenden Kriterien: 1. sprachliche Repräsentativität bzw. Authentizität im Hinblick auf die hier intendierte Rückprojektion auf den jiddischen Sprachstand von vor 1939 - dies stellt Aufnahmen zurück, die starke Interferenzen aufweisen; 2. geographische Repräsentativität im Hinblick auf die im ehemaligen Sprachgebiet vertretenen Dialektvarietäten - dies klammert Mehrfachbelegungen für einen Ort oder Bereich aus und zielt auf eine breit gestreute Heranziehung von Aufnahmen, um die großräumige dialektale Auffächerung im früheren Sprachgebiet zu dokumentieren; 3. inhaltliche Akzentsetzung - es wurde solchen Aufnahmen und Aufnahmesegmenten der Vorzug gegeben, deren spezifische oder bewegende Inhalte für den allgemeinen Hörer von besonderem Interesse scheinen und die zusammengenommen thematische Vielfalt reflektieren; 4. Textsorte und -vergleichbarkeit - Aufnahmen mit fortlaufendem, freigesprochenen Erzähltext wurden solchen vorgezogen, die eher Interviewcharakter tragen. Neben diesen Kriterien waren bei der Auswahl zusätzliche Aspekte wie individuelle Sprechereigenschaften - flüssiges Sprechen, Erzählinitiave, Erzählmotivation - und eine möglichst ausgewogene Geschlechterverteilung unter den Sprechern maßgebend. Der ausgewählte Aufnahmetext wird in drei Versionen dargeboten, die sich auch dem Zeichensatz nach unterscheiden. Zuerst dient eine phonetische Transkription der lautlichen Wiedergabe des Textes mit seinen dialektalen Variationen. Zur phonetischen Transkription tritt die jiddische Verschriftung in hebräischen Lettern als kulturell adäquate Entsprechung und zugleich überdachende Referenzform, die die unterschiedlichen Lautungen integriert und damit auch die phonetische Version komplementiert. Zum Dritten wird der Aufnahmetext von einer fortlaufenden deutschen Übersetzung begleitet; sie soll jenen, die nicht jiddisch lesen, Verständnishilfe bieten und entfällt daher bei Textteilen, die einem Deutschsprachigen ohne weiteres transparent sind.

10 4.1 Die phonetische

Transkription

Die phonetische Transkription soll die lautlichen Besonderheiten der mündlichen Texte möglichst getreu wiedergeben. Sie ist andererseits nicht nur für Spezialisten gedacht, sondern dient der Vermittlung der zugrundeliegenden gesprochenen Sprache für ein breiteres interessiertes Publikum. Um dies zu erreichen, war es Ziel, die Darstellung der Textvarietäten möglichst unkompliziert und leicht zugänglich zu halten. Symbolinventar und Notierung sind daher auf das Minimum an Komplexität beschränkt, das notwendig ist, um die Repräsentation charakteristischer Spezifika zu gewährleisten. Charakteristische Merkmale betreffen in diesem Fall nicht nur phonologische Signifikanz. Im jiddischen Konsonantismus etwa lassen sich eine ganze Reihe dialektaler Unterschiede beobachten, die nicht phonematisch bestimmt sind. 3 Andererseits gibt es im Vokalismus Variationen, die eine phonematische Zuordnung schwermachen (siehe dazu die Aufnahme XIV/28 unten). Aber auch in den Fällen, in denen die phonematischen Verhältnisse 'geregelt' sind, wird jede Realisierung der Lautung Schwankungen mit sich bringen, deren strukturelle Relevanz nicht eo ipso auszuschließen ist. Um die Vielfalt der Variationen nicht von vornherein zu nivellieren und durch 'systemgerechte' Vorentscheidungen Lautungsabstufungen und Schwankungen zu übergehen, wurde die Notierung des Vokalismus nicht streng strukturell nach den arealen Diasystemen ausgerichtet. Dies bedeutet jedoch nicht Rückkehr zum Atomismus. Grundsätzlich bleiben Notierung und Kommentierung strukturell verankert und vom System abweichende Formen werden als solche gekennzeichnet. Darüber hinaus aber ist Raum für 'Zwischentöne' gegeben, der neben dem theoretischen System der Performanz des Sprechaktes, der Realität des Kontexts für den Sprecher und dem Ohr des Hörers Rechnung tragen soll. Auch bei der phonetischen Transkription gilt also das Prinzip der problemoffenen Materialpräsentation. Zwar ist nicht sicher, daß die hier vorgelegten Notierungen bereits als Grundlage für spezifischere Untersuchungen ausreichen, aber eine problemoffene Darbietung wird eher den Zweck erfüllen, die ausgewählten Texte auch in phonetisch/phonologischer Hinsicht für weitere Bearbeitungen offenzuhalten. 3

Vgl. dazu jetzt LCAAJ 1, IV, 1.7-1.8.

11 Das Symbolinventar stellt eine modifizierte Version aus den Notationen des Teuthonista (1924/1925) und des International Phonetic Alphabet dar (1962; vgl. die Diskussionen in Phonai 1967 und 1973). Nur der Text der Informanten ist phonetisch transkribiert. Zwischenfragen und Einwürfe durch Befrager oder sonst am Gespräch Beteiligten sind kursiv vom Text der Informanten abgesetzt und erscheinen in der normalen Verschriftung der Sprache, in der sie geäußert werden (entweder Deutsch oder Englisch). Sofern es sich um jiddische Fragen und Kommentare durch Befrager oder Dritte handelt, wird die normale Verschriftung (mit hebräischen Lettern) durch die international geltende Transkription nach dem YlVO-System ersetzt (niedergelegt bei U. Weinreich 1954:VI-VIII), das sich am Standardjiddischen orientiert. Der Einfachheit halber sei hier vermerkt, daß darin kh phonetisch x, sh phonetisch 5, zh phonetisch ζ entspricht; y tritt an die Stelle von j als Diphthongglied bzw. silbenanlautendem /'.

4.1.1 Vokale Bei den Vokalen treten zu den üblichen Zeichen a, e, i, o, u das Schwa-Symbol a sowie ε zur Bezeichnung des offenen e-Lauts. Vokallänge wird durch nachfolgendes Kolon (:) wiedergegeben - ohne Längenzeichen ist ein Vokal entweder kurz oder quantitätsneutral, je nachdem, ob dialektal nach Quantität unterschieden wird. Vokalgespanntheit (bei den Mittelvokalen) ist durch untergestellten Punkt gekennzeichnet, also Q oder Q. Im allgemeinen erübrigt sich eine Angabe über die Geschlossenheit beziehungsweise Hebung von Vokalen, da sie im Jiddischen fast durchweg mit Länge gekoppelt ist, während Kürze und Offenheit kombiniert sind. Nasalierung ist mit Tilde über dem Vokal wiedergegeben. Das Symbol j bezeichnet entweder den Teil eines Diphthongs (auch Triphthongs), oder silbenbildenden /-Laut. Wortakzent ist durch Schrägstrich über dem betreffenden Vokal markiert, wird jedoch nicht durchgängig gesetzt, sondern erscheint nur bei nicht deutschstämmigen oder vom deutschen Muster abweichenden Wörtern und Wortgliedern.

12 4.1.2

Konsonanten

Abweichend zur Schreibung im Deutschen bezeichnet ζ den stimmhaften s-Laut. Das Zeichen S gibt die palato-alveolare Fortis wieder, die in deutscher Schreibung als Kombination von sch erscheint. Entsprechend bezeichnet ζ das stimmhafte Korrelat. Durch έ wird der Laut wiedergegeben, dessen Realisierung zwischen der eines stimmlosen s- und S-Lautes lokalisiert ist, also eine fronti-palato-alveolare Fortis. Die entsprechende Lenis ist durch t symbolisiert. Beide Laute (wie auch ihre affrikatisierten Korrelate tá und dt) erscheinen nur im Text von Aufnahme XIV/1, Teil 1 und 2. Affrikaten unter den Zischlauten sind durch die entsprechende Kombination mit t (bei Stimmlosigkeit) bzw. d (bei Stimmhaftigkeit) angeben, also ts, tè, tè, bzw. dz, dz, d2. Bei den Sonorlauten dient das Symbol η der Wiedergabe des Velarnasals, in deutscher Schreibung durch die Kombination ng gekennzeichnet. Die Folge rçg bezeichnet die Verbindung von Velarnasal mit zusätzlicher velarer Lenis, wie sie dem Jiddischen geläufig ist. Die im Auslaut allgemein gültige silbenbildende Eigenschaft der Nasale nach Konsonant wird nicht eigens ausgewiesen. Bei spezifischen Lautungen jedoch kennzeichnet eine durch Apostroph getrennte Doppelung des Nasals dessen silbentragende Funktion (im Gegensatz zu einer etwaigen nicht-silbentragenden): gagorj'i] arbatn J ü i m g ¡yngiitt gegangen arbetn; zon'n ex gablibm p ' ^ a y ; τ ι κ Ι^ΐ-ϊ [ " τ ] [zey] zaynen oykh geblibn. Regional zeigt der stimmlose frikative Guttural in der Assimilation an eine stimmhafte lautliche Umgebung das stimmhafte Allophon y, das oft an velar r anklingt. (Umgekehrt ist bekannt, daß r regional in bestimmten Stellungen frikativisiert wird; siehe LCAAJ 1, IV, 1.831 und Karte 55). Durch das Sonderzeichen t wird auf besondere Verdunkelung oder Velarität des Liquiden verwiesen (also nicht auf Vokalisierung, wie in der polnischen Schreibung). Die Transkription unterscheidet nicht zwischen den 1-Tönungen in den verschiedenen Aufnahmen im allgemeinen, sondern hält nur die Extreme 1 oder palatalisiert Γ dort fest, wo sie gegenüber dem Kontext hervortreten.

13 Zur Bezeichnung des liquiden Vibranten findet sich durchweg r. Einführung und Kommentierung spezifizieren dann die nähere Lautqualität und verweisen darauf, ob r alveolar im Gegensatz zum weiter verbreiteten uvularen r realisiert wird, auf Besonderheiten bei der Reduktion im Auslaut und anderes mehr. Als Palatalisierungszeichen wird ein hochgestelltes Strichlein hinter dem betreffenden Konsonanten verwendet, so etwa t', n'. 4.1.3 Klammern In der phonetischen Transkription, ebenso wie in der jiddischen Verschriftung (siehe unten 4.2), dient die Unterscheidung zwischen runden und eckigen Klammern der Differenzierung zwischen Sprecher- und Bearbeiterebene. So bezeichnen die runden Klammern "( )" zum Beispiel nicht deutliche Laute oder Silben, deren Präsenz oder Identifizierung beim Hören ambig bleiben. Sie beziehen sich damit auf den Sprechertext. Im Gegensatz dazu kennzeichnen die eckigen Klammern "[ ]" die Zuordnung einzelner Elemente zu bestimmten Laut- oder Wortformen oder machen Ambiguitäten bei dieser Zuordnung explizit, beziehen sich also auf die Textbearbeitung. 4.1.4 Das

Symbolinventar i(:) ÍÜ e(:) é(:) ë(:) ç θ

ε έ ι ä(:) OÜ ό ϋ

a(:) á(:)

ï( : )

j ej aj oj

θ(:) 0 Q υ(:) Ú(:) ü(:)

t'

Ρ t f

()

b d d' g ν Ϊ

χ

h m m'm 1 r s Z

k

η η'η }

Γ

έ 2

S ζ

[]

η'

Π. η D

09

ts dz

tè di

14 4.1.5 Morphologisches Lautassimilation

Verschriftungsprinzip, und Kontraktion

In der phonetischen Transkription wird die lexikalisch-morphologische Segmentierung prinzipiell beibehalten. In An- und Auslaut schlagen sich dabei oft assimilatorisch bedingte Lautungen nieder, die mit dem vorausgehenden oder nachfolgenden Wortelement im Zusammenhang stehen. Wortübergreifende Assimilation wird nur dort durch den Bindebogen "_" gekennzeichnet, wo sie andernfalls zu phonologischer oder morphologischer Ambiguität führen würde. Kontrahierte Wortformen sind durch Apostroph gekennzeichnet: m' ot ϋΚΠ Jün men hot ('man hat') oder z' obm p j t n " r zey hobn ('sie haben'). Um bei mehreren kontrahierten Einheiten eine Anhäufung von Apostroph und einzeln stehenden Lautzeichen zu vermeiden, werden die betreffenden Elemente zusammengezogen: xo'm (fritti) PN 3ΚΠ ~ρκ ikh hob in (gantsn) oder a'zóbm ( D T Ì H Ì U ) ρ κ π " r Tg az zey hobn (geredt). In Fällen besonders starker pronominaler Enklise, die in einem Teil des Zentraljiddischen auftritt, werden die Elemente in der Transkription zusammengezogen, zum Beispiel ofmar TIN ~Tß oyf mir. 4.1.6

Parallelformen

zu anderen

Sprachen

Sofern im Text erscheinende Formen nicht in den einschlägigen Wörterbüchern bei U. Weinreich 1968 oder Harkavy 1988 (1928) aufgeführt sind, werden hinter ihnen die betreffenden anderssprachigen Korrelate in eckigen Klammern (vgl. oben 4.1.3) notiert (dabei gilt "d." für deutsch, "e." für englisch, "p." für polnisch, "r." für russisch). 4.2 Die jiddische

Verschriftung

Die Niederlegung der Texte in jiddischer Schreibung bildet die in soziokultureller und nationaler Hinsicht adäquate Form der Verschriftung. Dabei ist zu betonen, daß im Jiddischen die Schrift nicht nur die überdachende Referenzform für alle Texte der Sprache darstellt - sie ist durch Herkunft und Überlieferung in hebräischen Lettern zugleich in der Lage, dialektale Lautung zu integrieren. In erheblich höherem Maß als bei den meisten europäischen Sprachen ist es im Jiddischen qua Tradition mög-

15 lieh, ein und denselben schriftlichen Text mit der regelmäßigen Alternation dialektaler Varianten zu 'vermündlichen', und tagtäglich wird es beim Lesen so praktiziert. Der Buchstabe etwa integriert die Lautungen o und u(:), die sich im Nord(ost)en bzw. Süden gegenüberstehen; die Letter l repräsentiert sowohl die nördliche Lautung u als auch südliches i(:)\ "" vereinigt die östliche Lautung ej gegenüber zentraljiddischem aj , und "Ί integriert sowohl südliches oj als auch nördliches ej, und so weiter. Bei den vorliegenden Texten erfolgt die Verschriftung nach der Standardisierung der sogenannten YlVO-Orthographie (niedergelegt bei Schaechter/Weinreich 1961), die zwei Prinzipien der Schreibung vereinigt: bis auf alle hebräischstämmigen Wörter und Elemente erfolgt die Verschriftung nach dem sogenannten phonetischen Prinzip, in dem (Standard-)Laut und Zeichen in einer E ins-zu-eins-Relation korrelieren. Die Schreibung der hebräischstämmigen Elemente bleibt dagegen in der tradierten Weise erhalten, richtet sich also nach dem 'traditionellen' Prinzip (dazu Katz 1987: 20-24). Da bei den vorliegenden Texten eine möglichst integrative Verschriftung angestrebt wird und standardisierende Eingriffe lexikalischer oder grammatischer Art vermieden werden sollen, bleiben Einzelelemente und Phrasierungen weitestgehend in der Form erhalten, wie sie im mündlichen Text erscheinen. Allerdings ergeben sich manche Modifikationen. Da die jiddische Verschriftung bei der vorliegenden Studie unter anderem dazu dient, die phonetisch dokumentierten Textvarietäten zu komplementieren, wurde für Vollschreibung optiert, das heißt, Kontraktionen von Wörtern und Satzteilen sind aufgelöst. So steht auch PK iz 'ist' für die mündliche Verkürzung zu i und einheitlich jyn men 'man', unabhängig von seiner prä- oder postverbalen Stellung.4 Eine Ausnahme bildet die Folge PN oy es iz 'es ist', nicht nur weil die Verkürzung PK Ό s' iz (mündlich auch s'i) weit verbreitet ist, sondern weil sie auch lexikalisch und syntaktisch gesehen zum Teil zu Umbildungen geführt hat: VD se als 'es' oder 'es ist'. Bei geringfügigen Modifikationen (meist lautlicher oder morphologischer Art) wird in der Verschriftung die übliche Form wiedergegeben und die abweichende Variante des mündlichen Textes 4

Zur schriftlichen Repräsentation d e s Pronomens siehe Katz 1993:149-151.

16 erscheint dahinter in runden Klammern (von rechts nach links!): (iuyn) μΐηΐ vegn 'Wege' (Plural, in Präpositionalphrase, XIV/18 - die hier in Klammern notierte Lautung entspricht der deutschen); (^yg-irx) ^κ-ιίΣΓ yisróel 'Israel' (XIV/37, neben der hier in Klammern notierten Lautung izrael erscheint in der Aufnahme sonst die authentisch dialektale (j)isrúel). Lexikalische Varianten und Interferenzen werden in der jiddischen Verschriftung phonetisch so wiedergeben wie sie im Text erscheinen. Neben Sprecher-, situations- oder interferenzbedingten Abweichungen von der üblichen jiddischen Form gibt es Regionalismen, die im Schreibstandard keine Entsprechung besitzen. Zu solchen gehören etwa die zentraljiddischen Pronominalformen wie indzemer, indzomer 'wir sind', 'wir haben', die normalerweise durch ijji^t/ jyivr ~PQ mir zenen/zaynen und pitn τ η mir hobn wiedergegeben werden. Auch die ursprünglichen Dualformen ets, enk, enker 'ihr/Sie (Anrede)', 'euch/ Sie', 'euer/Ihr' wären hier zu nennen, anstelle derer die Schriftsprache "PK ir, ~Π!Ν aykh, "lì^K ayer gebraucht. Um die Verschriftung nicht vom mündlichen Text zu entfernen, werden sie ihrer dortigen Form nach vermerkt; die üblichere Standardform erscheint in eckigen Klammern dahinter (vgl. oben 4.1.3). Die jiddische Verschriftung der Texte ist in Zeilen- und Seitenformat auf die jeweilige phonetische Transkription abgestimmt, so daß die einzelnen Zeilen miteinander korrespondieren. Sofern sich ein Textüberlauf ergibt, wird dieser durch Stern (*) zu Anfang der Zeile (rechts) gekennzeichnet. Zwischenfragen und Kommentare der Interviewer oder vonseiten Dritter sind in der jiddischen Version in kleingesetzten Lettern wiedergegeben. 4.3.

Die deutsche

Version

Eine deutsche Übersetzung in Auszügen erscheint in kleinem Druck über dem phonetischen Text. Sie ist nach Phrasen und Syntagmen synchronisiert und entfällt mitunter an Stellen, an denen der phonetische Text ohne weiteres verständlich ist. Wie bei der phonetischen Transkription werden Zwischenfragen und Kommentare durch Interviewer oder Dritte kursiv abgesetzt. Die deutschen Bezeichnungen für jüdische Feiertage, Bräuche, Kultgegenstände etc. richten sich nach dem im PhiloLexikon 1935 angezeigten Formen.

17 4.4

Die

Kommentierung

Die Aufnahmen werden einerseits in Fußnoten annotiert, andererseits durch einen einleitenden Text eingeführt. Die beiden Teile der Kommentierung sollen sich im Vermerken der jeweiligen Textbesonderheiten ergänzen, indem die Einführung den Rahmen inbezug auf Sprecher und Sprache absteckt und eine eher allgemeine zeitgeschichtliche, inhaltliche und sprachliche Einordnung präsentiert, während die Annotierung konkret auf die im Text erscheinenden Elemente, Bezeichnungen, kulturellen Spezifika, sprachlichen Formen und anderes mehr Bezug nimmt. Die Kommentierung richtet sich wiederum nach dem themen- und problemoffenen Prinzip und versucht, die sich mit dem Text bietenden Aspekte auf möglichst vielseitige Weise zu diskutieren. Wie im phonetischen Text werden bei der Kommentierung nur die von den Informanten im Text tatsächlich realisierten Lautungen 'phonetisch' gesetzt (recte). Sofern von systematischen dialektalen Lautungen die Rede ist, erscheinen diese im normalen Zeichensatz kursiv (zu den Prinzipien der dialektologischen Einteilung und ihrer Notierung siehe unten 4.4.3). Standardjiddische Referenzen (hebräische Lettern) werden in der Kommentierung zur Erleichterung zusätzlich in romanischen Lettern transkribiert - nach dem YlVO-System (oben 4.1) - und kursiv gesetzt. 4.4.1

Die

Texteinführung

Zu Beginn eines jeden Textes deutet ein einleitender Kommentar die Gesprächssituation an und liefert Angaben zu Person und Hintergrund des jeweiligen Sprechers oder der Sprecherin, soweit sie für das Textverständnis wichtig scheinen. Die Einführung verweist auf zeitgeschichtliche Faktoren und Konstellationen, die dem gegenwärtigen Leser/Hörer nicht mehr ohne weiteres geläufig sind. Zu eventuell relevanten Interaktionen mit den am Gespräch Beteiligten oder zur Erzählhaltung der Informanten erscheinen Anmerkungen. Die Einführung skizziert Hauptinhalte der Schilderung und deren spezifisch soziokulturelle Verankerung. Sie diskutiert die Sprache des Texts nach linguistischen Gesichtspunkten, macht auf Sprechereigentümlichkeiten neben allgemeineren Merkmalen aufmerksam und ordnet den Text aufgrund seiner dialektalen Basis ein. Die Prinzipien, nach denen die dialektologische Einteilung erfolgt, werden im folgenden (4.4.3) dargelegt.

18

4.4.2

Anmerkungen

Die Fußnoten zum phonetischen Text kommentieren einzelne Formen und Syntagmen im Text linguistisch, identifizieren sie ihrer dialektalen Zugehörigkeit nach und weisen Besonderheiten aus (zur Grundlegung der dialektologischen Beschreibung vgl. im folgenden 4.4.3). Dabei werden neben den sprachinternen Beschreibungsaspekten auch externe Gesichtspunkte aufgenommen, vor allem im Vergleich mit dem Deutschen. Lexikalische Bildungen und Bildungsmittel, ebenso wie grammatische Spezifika, werden dem Nicht-Muttersprachler transparent gemacht und mit dem Deutschen kontrastiert. Auf dem Hintergrund der engen Koppelung von deutschstämmigen Elementen und Teilstrukturen mit andersstämmigen Bildungsmitteln und dem Jiddischen eigenen Bedeutungen und Funktionen können insbesondere dem Deutschsprachigen die spezifischen Strukturen und Entwicklungen im Jiddischen sinnfällig werden. In den Anmerkungen wird darüber hinaus auf kulturelle und zeitgeschichtliche Zusammenhänge und Spezifika verwiesen, die in die Schilderungen eingegangen sind, wie Feiertage, Bräuche, Traditionen, Elemente des jüdischen Ritus und historische Ereignisse, gesellschaftliches Leben etc. 4.4.3 Die dialektologische 4.4.3.1.

Einteilung

Grundlegung

Die Dialektgliederung im Jiddischen basiert auf der regelmäßigen Alternation der betonten Vokale, im Gegensatz zur Einteilung im Deutschen etwa, bei der vor allem der systematische Wechsel im Konsonantismus zugrundegelegt wird. Am grundlegendsten und umfassendsten wurde die Struktur des jiddischen Vokalismus durch Max Weinreich eruiert, zuerst 1960, revidiert 1973 (=1980:658-718). Seine Systematisierung verbindet zwei Bezugspunkte: die Variation der Lautrealisierungen in den Dialekten zum einen, und die Evidenz der entsprechenden Korrelate in den Stammsprachen zum anderen. Weinreichs Konzept integriert somit die synchronische und die diachronische Perspektive und legt ein Schema zum Vokalismus vor, das die synchron dialektalen Manifestationen diachron auf dem Hintergrund der erschlossenen historischen Vorstufe verankert. Eine Neuerung besteht dabei auch in der Hinzuziehung aller Dia-

19 lektvarianten unter gleichzeitiger Bezugnahme auf alle Komponenten im Jiddischen (die gemäß ihrer Herkunft nach deutsch-, hebräisch-, slawisch- und romanischstämmig unterschieden werden). In seinem System zum jiddischen Protovokalismus geht Weinreich von den fünf Vokalstufen A, E, I, 0 , U aus und inferiert Entwicklungsverläufe nach grundsätzlich vier Rubriken: 1 - historisch kurz (in geschlossener Silbe) und kurz geblieben (in den Dialekten, die nach Vokalquantität unterscheiden); 2 - historisch lang und lang geblieben (außer in den isochronen Dialektvarietäten im Nord- und Südosten, in denen sich die Vokalquantität neutralisiert hat 5 ); 3 - historisch kurz (in offener Silbe) und lang geworden (in den nach Quantität unterscheidenden Varietäten); 4 - diphthongiert (mit Kurzvokal als Basis, kombiniert mit entweder i oder u). Unregelmäßigkeiten ergeben sich in den beiden ersten Vokalstufen, indem nach Weinreich für historisch A die Rubrik (4) der Diphthonge entfällt und andererseits aufgrund einer Reihe distinktiver Diaphoneme eine zusätzliche Rubrik (5) für historisch E postuliert werden muß.6 Das Schema Weinreichs ist in Abbildung 1 illustriert. In der Schreibung wird die jeweilige Rubriknummer meist in einem Subskript zum großgedruckten Systemvokal gekennzeichnet, also Αχ entspricht A der ersten Rubrik (kurz gewesen, kurz geblieben) etc.

5 Zur näheren Beschreibung und geographischen Distribution siehe die Darstellung in LCAAJ 1, IV, 1.2 und 1.3 passim, sowie Karte 44. ® Vgl. dazu die Überlegungen von Jacobs, Katz und Herzog zu einer Reklassifizierung, diskutiert in L C A A J 1, IV, 1.3241.

20

Rubrik

1

Vokalstufe

2 -I^Bll

1 (A)

[i||ä||a/o»||a]

2 (E)

esn 'essen' [i||4||e||e]

3 (I)

vint

'Wind'

4 (0)

gold

'.Gold'

S

zun 'Sonne* Cù II I II * II u]

vald

'Wald'

3

sbof

'Schaf'

zotl

'Sattel'

geyn

'gehen'

eydl

'edel'

[o:/ou2||u:3||u||o]

TOM

Dl-11

[iimiiii¡]

4

5

[2/o:/ou2||u:||u||o]

[e:||aj||ej||ej]

Ce:||aj||ej||ej]

lib 'lieb' [i:||¡:ll¡ll¡]

shtivl

Fleysh

70

'Fleisch'

[a:||aj||ej||ej]

Vll-Dü

'Stiefel'

Ci:||i:|l¡ll¡]

tsajt

'Zeit'

lehn,

mei

'leben', 'Mehl' [e:||ej||I/»||e]

O-ü

[aj||a : ||a/aj||aj]

ρι-ικ D-na D-13 broyt 'Brot' Oy ν η Ofen' boym 'Baum' [a/ou/au||oj||oj||ej] [o:/ou/au||oj||oj||ej] Mojllojllej]

[SJ|5||o||o]

I"

pn bun 'Huhn' [u:/U:||i:||i||u]

'du' [u:/U:||i:||i||u]

du

η

hoyt

D'ITI

'Haut'

[ou||o:/ou4llu/ojll oj/uj/au/ 5 ]

Abb. 1: S y s t e m der jiddischen starktonigen Protovokale 6

Die dialektalen Varianten in den eckigen Klammern folgender Reihenfolge angeführt:

sind

in

[ W e s t j i d d i s c h || Zentraljiddisch || Siidostjiddisch || N o r d o s t j i d d i s c h ]

Anmerkungen:

2

Außer in bestimmten Lautkombinationen. Hinzeine l e x i k a l i s c h e Einheiten z e i g e n r e g i o n a l oj (siojfn, doj, joj - ' s c h l a f e n ' , 'da', 'ja').

3

Hinzukommen

1

die Allophone

' G a b e l ' , 'Stadt'.

4 5

stust

-

M i t r e g i o n a l e r Variante ous. Die nordostjiddischen Phoneme schließen die begrenzten Varianten

6

ιϊ, u a ( ζ . B . güpl,

ou/ol/u

ein

(boux/bolx/bux -

'Bauch').

Aus Vergleichsgriinden wurden nur Korrelate aus der d e u t s c h sprachigen Komponente herangezogen, das d a r g e s t e l l t e L a u t v e r hältnis g i l t grundsätzlich für a l l e Komponenten im J i d d i s c h e n .

21

Für die Handhabung bei der dialektologischen Analyse und Diskussion wurde Weinreichs Schema auf sehr praktische Weise durch die numerische Notation seines Sohnes Uriel ergänzt. 7 Verbindet man die Nummern der Vokalstufen mit denen der Rubriken, so wird es möglich, sich abstrakt auf Systemvokale zu beziehen (Vokal 11 statt Αχ etwa) und eine diaphonemische regionale Lautung mit dieser Notierung zu identifizieren sowie strukturell zu verankern: o n gegenüber a n zum Beispiel weist auf eine dialektale Opposition bei der Realisierung von historisch Aj hin; zugleich unterscheidet die Notierung diese o-Lautung (die einen Teil des Südostens charakterisiert) gegenüber der Lautung 012,13 etwa, die eine ganz andere Region (den Nord(ost)en) betrifft; darüber hinaus identifiziert die numerische Notierung auch historischen Lautungszusammenfall, und macht durch die Kennzeichnung 011,41 z u m Beispiel evident, daß Ai und Oi, also die Systemvokale 11 und 41, in einem bestimmten (südöstlichen) Dialektbereich synchron verschmolzen sind. Ein Uberblick zur numerischen Notierung ist in Abbildung 2 gegeben.

1

2

3

4

5

A

11

12

13





E

21

22

23

24

I

31

32

33

34



0

41

42

43

44



υ

51

52

53

54



25

Abb. 2: Das jiddische Protovokalsystem - numerische Notation (aus: LCAAJ 1, III, 3.)

η

Verwendet in den Arbeitsunterlagen zum LCAAJ-Projekt, s i e h e L C A A J 1, III, 3 .

22 4.4.3.2 Die

Arealbildungen

Da gesprochenes Jiddisch, haben wir es bei den vorliegenden Aufnahmen durchweg mit dem sogenannten Ostjiddischen zu tun. Auch wenn sich zum Teil Verbindungen zum Westjiddischen hin ergeben (siehe XIV/38), so ist doch allgemein gesehen eine ostjiddische Grundlage gegeben, unter anderem schon mit dem Kriterium der gesprochenen Alltagssprache, die weiter westlich bis auf Reste und in Randgebieten aufgegeben wurde. Die Übersichtskarte (Abbildung 3) zeigt das frühere ostjiddische Sprachgebiet in seiner Unterteilung durch phonologisch signifikante Isoglossen, die in der Legende nach den oben beschriebenen, protojiddischen Systemvokalen ausgewiesen sind. Auf der Karte ist die Lokalisierung der Belegorte kenntlich gemacht, für die die vorliegenden Texte zeugen, so daß eine geographische und erste dialektale Orientierung problemlos möglich wird. Die bisher umfassendste theoretische Grundlegung und empirische Übersicht zur jiddischen Areallinguistik liegt im 1992 erschienenen ersten Band des "Language and Culture Atlas of Ashkenazic Jewry" (LCAAJ 1) vor. Ein praktischer Überblick ist bei Katz 1983 gegeben. (Weitere Literatur findet sich in beiden Titeln.) 5. Identifizierung

der vorliegenden

Aufnahmen

Die Identifizierung der Aufnahmen erfolgt nach der Mannheimer Archivnummer, dem bezeugten Belegort und der Lokalisierungsnummer gemäß dem im Language and Culture Atlas of Ashkenazic Jewry, New York, zugrundegelegten Belegnetz. XIV/ XIV/ XIV/ XIV/ XIV/ XIV/ XIV/ XIV/ XIV/ XIV/ o 9

1-2 18 28 29 32 33 34 36 37 38

Kaunas Sighet Odessa Skalat Vilna Lodz Trzebinia, bei Sosnowiec Kolonye Gershenovke, bei Balta Rovno Bonyhad

Die Sigle identifiziert Sosnowiec. Die Sigle identifiziert Balta.

54239 47239 46306 48267 54257 51198 50192 8 47298 9 50264 46182

23

au-oti,·\oj(/uJ)

Abb. 3: Das ehemalige jiddische Sprachgebiet in Osteuropa in dialektologischer Unterteilung (signifikante Isoglossen)

24 Erklärungen zur Kartenlegende

'(er) weint'

in Abbildung 3

Dr*n

:

I

:

II

'aus Fleisch bestehend/ zubereitet' Buchstabe - entspricht 'r' '(er) weint' 'heute' 'Bräutigam' 'Hase' 'gesund' 'Synagoge' 'Hose' 'Auge'

Di^n

III

Inn rjjTT

IV

DllTiU

ΤΤ-1Π : πκ

'kalt'

VI

D^KP : VII

'Maus'

T*ia : Vili

'Mutter des Schwiegersohnes oder der Schwiegertochter'

WJ OJ

ϋ-Ί

= Westjiddisch = Ostjiddisch Zj = Zentraljiddisch Noj = Nordostjiddisch Soj = Südjiddisch

νοπιπιπη

IX

:

X

25 Die Schreibweise der Ortsnamen und geographischen B e z e i c h nungen richtet sich nach dem Columbia Lippincott Gazetteer 1970, bzw. nach Mokotoff/Sack 1991. Im Jiddischen richtet sich die Verschriftung nach Kagan 1975. In der deutschen Interlinearversion wurden die gängigen deutschen Benennungen gewählt, sofern solche vorhanden sind. Die Anordnung der Texte in der vorliegenden Präsentation richtet sich nach dialektologischen Prinzipien und beginnt mit der dem Standardjiddischen am nächsten stehenden Aufnahme X I V / 3 2 (Wilna/Litauen). Von den im Nordosten des ehemaligen jiddischen Sprachgebiets zu lokalisierenden Texten X I V / 3 2 (Wilna) und XIV/1 (Kaunas) geht der Weg zu den dialektal verwandten Varietäten des Südostens, XIV/37 (Rovno), X I V / 3 6 (Kolonye Gershenovke, bei Balta), XIV/28 (Odessa), X I V / 2 9 Skalat (Ostgalizien), und im Anschluß daran zu den westlicher, im Zentraljiddischen, verankerten Texten, XIV/18 (Sighet), X I V / 3 4 (Trzebinia, bei Sosnowiec) und X I V / 3 3 (Lodz). Die dem Westjiddischen nahestehende Aufnahme X I V / 3 8 (Bonyhad/Ungarn) bildet den Abschluß.

26 XIV / 32 : Vilna

(Wilna, Vilnius)

Der folgende Text wurde 1982 in N e w York aufgenommen. Der Sprecher ist ein bekannter Schauspieler der N e w Yorker jiddischen Bühne. Die klare und klingende Diktion, die Sorgfalt beim Sprechen und der bemerkenswerte Mangel an Interferenz zum Englischen sind sicherlich zum großen Teil durch die schauspielerische Schulung bedingt. Der hohe Grad an sprachlicher Bewußtheit, für den sie zeugen, steht aber noch mit anderen Faktoren in Zusammenhang: Wie der Sprecher uns berichtet, absolvierte er nach dem Besuch einer traditionell jüdischen Elementarschule eine der relativ neu eingerichteten jiddischsprachigen Sekularschulen, das angesehene Realgymnasium Wilnas, in dem alle Fächer bis auf Polnisch und polnische Geschichte auf jiddisch unterrichtet wurden. 1 Zum anderen fungierte er später neben seiner Schauspieltätigkeit in New York als langjähriger Mitarbeiter des YlVO-Instituts, dem 1925 in Wilna gegründeten Dokumentations- und Forschungszentrum zur jiddischsprachigen Kultur (siehe den Aufnahmetext unten, dort Anm. 33). Mit seiner knappen biographischen Skizze zeichnet der Sprecher ein Bild vom kulturellen Leben seiner Heimatstadt Wilna, die mit den umliegenden Gebieten in den Zwischenkriegsjahren unter polnischer Hoheit stand. Krieg, Flucht und Emigration nach New York kommen nur indirekt zur Sprache, indem wir von Theateraktivitäten in Minsk erfahren, und von der mehrjährigen Mitgliedschaft in einer in München ansässigen Theatergruppe, die nach dem Krieg in den von den Alliierten eingeBestrebungen zur Einrichtung von jiddischsprachigen sekularen Schulen kristallisierten sich mit Ende des vorigen Jahrhunderts heraus. Bei der Gründung und dem späteren Betrieb in Osteuropa w a r man fast überall, und im L a u f e der großen politischen Umbrüche immer von neuem und von anderer Seite her, staatlichen Repressionen ausgesetzt (Kazdan 1948). In Polen, Litauen und den Vereinigten Staaten existierte seit den ersten Jahrzehnten dieses Jahrhunderts ein jiddischsprachiges Schulsystem; 1921 wurde in Polen ein Dachverband für jiddischsprachige Grund- und höhere Schulen gegründet, bekannt unter dem Akronym C Y S H O (iriíttflííJi-iK-^HD i W - r v V*7K-iDli>lt Tsentrale yidishe shulorganizatsye). Mit der Jahrhundertwende und nach dem Ersten Weltkrieg wurden teilweise auch die traditionellen jüdischen Schulen - Cheder und Jeschiwa - modernisiert; zugleich entstanden eine ganze Reihe neuer jüdischer Schultypen, zum Teil mit Hebräisch als Unterrichtssprache oder auch einer Kombination von Hebräisch und Jiddisch (Dawidowicz 1989:81, 87f., 104; Mendelsohn 1983:39, 64-68; Greenberg 1966:1265-1271; Kazdan 1948; Yefroikin 1948).

27

richteten Flüchtlingslagern auf Tournee ging. In New York ist der Sprecher Mitglied der Organisation "Nusach Vilne", die von Überlebenden aus Wilna gegründet wurde und weiterhin kulturell aktiv ist (siehe den Aufnahmetext unten und dort Anm. 25). Von allen hier präsentierten Texten kommt die vorliegende Aufnahme dem Bild von einer standardisierten jiddischen Lautung am nächsten. 2 Das distinktive Merkmal der nordöstlichen Varietät o 1 2 , 13 für die historischen A-Langvokale liegt auch der standardisierten Aussprache zugrunde, vgl. hier fótar -lytD^O 'Vater', miSpóxa nriSün 'Familie', zogq μίίτ 'sagen', d o ^rr 'hier (da)'. Auf dieses Kennzeichen, das südjiddischem langem bzw. quantitätsneutralem u gegenübersteht, weist der Sprecher in einem Exkurs über die Sprache selbst hin ("vos" un "dos" gegenüber "vus" un "dus" - OìJr~r ρκ Dìfη 'was'/ 'das'). Auch das nordöstliche Kriterium 051,52,53 für die entsprechenden historischen U-Laute ist Merkmal der standardjiddischen Lautung, und auch dies thematisiert der Sprecher selbst: "kum ahér" gegenüber südlichem "kim aher" ι ν π κ Dip 'komm her'; andere Beispiele aus dem Text: brudar - l i n m , gamuzd m i n a i 'gemußt', tsúgsvojnt m-inym 'gewöhnt', gut DU. fun p3 'von' etc. - in allen Fällen hätte das südliche Jiddisch / , jeweils kurz oder lang, bzw. auch längenneutral. Das spezifisch nordöstliche Merkmal 6/42,43,44 bei den entsprechenden historischen O-Lauten dagegen wird von unserem Sprecher nicht realisiert - es fehlt auch in der Standardlautung. Stattdessen finden wir das weiter verbreitete oj , wie es in der Standardlautung gilt: pójliè tö ,l 7 , i3 'polnisch', ojx τ ι κ 'auch', grojs D ' n j 'groß'. (Bei den seltenen Formen a z é j neben sonstigem azój ist nicht ganz eindeutig, ob sie als Reflektion von nordostjiddischem ej anzusehen sind oder einfach als abgeschwächte oy'-Lautung in unbetonter Stellung und bei schnellem Sprechen.) In unbetonter Stellung findet sich bei unserem Text häufig die Senkung bzw. Öffnung von e oder Θ ZU Ε oder a vor x, wie 2

Tatsächlich fußt die Standardisierung des Jiddischen auf dem sogenannten "literarischen Jiddisch", d e s s e n mündliche Realisierung weitgehend mit der Wilnaer Gebildetensprache identifiziert wurde (Katz 1993:47-68, b e s o n d e r s 57-59; M. Weinreich 1980:302f.).

28 bei der Form des Reflexivpronomens zax, oder im Auslaut vor r , wie in fótar, mutar, Svéster, brider, zéjar, etc. ("lVD^S 'Vater', -iVQin 'Mutter', -iVDOintD 'Schwester', l i n — η 'Brüder', i ï " î 'sehr'). Zudem erscheinen Nebentonsilben (wie auch Haupttonsilben) im Nordosten weniger abgeschwächt als in den anderen Dialekten, so daß der Eindruck größerer Klangfarbe entsteht, der im vorliegenden Text noch durch die klare Diktion verstärkt wird. 3 Im Auslaut etwa klingen die zu erwartenden Endungen mit Schwa oft eher geschärft nach -en, -je hin (aqglitsizmen, organizatsje); dasselbe trifft für das Präfix g e - statt g a - zu. Im konsonantischen Bereich läßt sich meist die für nordostjiddisch typische progressive Assimilation zu Stimmhaftigkeit hin beobachten, das heißt der Übergang zu stimmhafter Lautung (im Wort- oder Silbenauslaut), wenn die nachfolgende Umgebung stimmhaft ist. Diese Erscheinung wird als dem Lautungsstandard zugehörig empfunden und in Sprachkursen auch meist so unterrichtet (vgl. Katz 1987:30). Beim vorliegenden Text ergibt sich auf diese Weise oft mediales y, im Wechsel mit stimmlosem x, und entspricht dabei weitgehend reduziertem velaren r. 4 Im Zusammenhang mit seiner Berufserfahrung spricht der Befragte einen interessanten Punkt an: die unterschiedliche Sprechausbildung an den Theatern in Minsk und New York. Daraus ist ersichtlich, daß es verschiedene Ausprägungen des Bühnenjiddischen gibt, bzw. gab. Beim Bühnenjiddischen handelt es sich um die Standardisierungsform der jiddischen Aussprache, die sich für das Theater und die allgemeine Darbietungskunst eingebürgert hat und sich von der oben angesprochenen, in Lehrprogrammen und im wissenschaftlichen Bereich zugrundegelegten, Standardform unterscheidet. Während letztere weitgehend auf dem Vokalstand des Nordostjiddischen beruht, so meint man mit der ersteren meist jene Standardisierung, die im wesentlichen auf südöstlicher Grundlage basiert (vgl. Katz 1983:1034-1035; Prince 1987; Prilutski 1927) - siehe auch den Aufnahmetext unten und dort Anm. 30). Der Sprecher ruft uns in Erinnerung, daß es auch eine Bühnenvariante gegeben hat,

Zur Neutralisierung der Vokalqualität in bestimmter konsonantischer Umgebung vgl. LCAAJ 1, IV, 1.2311 und 1.232. 4 Über den Zusammenfall von r und χ bei Konsonantenverbindungen in Wortmitte oder Wortanfang gibt die Karte 55 in LCAAJ 1 Auskunft siehe dort auch die Beschreibung in IV, 1.7122.

29 die nordöstliche Basis hatte - mit dem Untergang des sowjetischjiddischen Theaters 1949 5 wurde sie jedoch zur Randerscheinung.

Im Januar 1948 wurde der legendäre Schauspieler und Leiter des angesehenen Moskauer jüdischen Staatstheaters, Shloyme Mikhoels, vom stalinistischen Geheimdienst ermordet, als er zur Auswahl eines StUckes für den Stalinpreis nach Minsk gerufen worden war. Die Beseitigung dieser charismatischen und international bekannten Persönlichkeit - offiziell als Verkehrsunfall deklariert - bildete den Auftakt zur cataclysmischen Wende in der sowjetischen Innenpolitik, mit der Stalin nun gezielt die Zerschlagung der jüdischen Kultur in der Sowjetunion verfolgte Uber Schließung aller Institutionen, Hinrichtung und Verschickung der Eliten, bis hin zu konkreten Maßnahmen für die geplante Massendeportation in den asiatischen Osten, die nur durch Stalins Tod 1953 verhindert wurde (dazu und zum folgenden jetzt Arkady Vaksberg, Stalin Against the Jews, New York 1994:159-280). Shloyme Mikhoels war Vorsitzender des auf Stalins Geheiß im April 1942 gebildeten Jüdischen Antifaschistischen Kommittees gewesen; die Einwerbung internationaler Solidarität durch das Kommittee - so willkommen im Krieg gegen Nazi-Deutschland - diente jetzt zur Brandmarkung als 'jüdisch-nationalistisch'. Alle Kommittee-Mitglieder, darunter die bekanntesten jiddischschreibenden Autoren - Dovid Bergelson, Dovid Hofshteyn, Leyb Kvitko, Perets Markish, Der Nister, Shmuel Persov, Itsik F e f e r -, sowie Mikhoels langjähriger Schauspielerkollege und letzter Direktor des Moskauer Jüdischen Theaters, Binyomen Zuskin, werden verhaftet, der Spionage bezichtigt und durch Folter zu 'Geständnissen' getrieben. Der Prozeß findet erst von Mai bis Juli 1952 statt - mit vorherigem Urteilsschluß, wie inzwischen zugängliche Dokumente es ausdrücklich bestätigen (Vaksberg a.a.O.:226-237) - die Exekutionen folgen am 12. August 1952. Bereits ab 1948 aber sind landesweite Verhaftungswelle η gegen fuhrende Vertreter jüdischer Literatur und Kunst im Gange, von denen die Mehrheit zu langjähriger Zwangsarbeit verurteilt wird. 1948 darf sich das Moskauer Theater nicht mehr "Staatstheater" nennen, und alle staatlichen Gelder werden gestrichen; 1949 sind alle jiddischsprachigen Theater, Zeitschriften, Verlage, Schulen und jüdischen Forschungsinstitutionen der Sowjetunion liquidiert (Shayn 1971:162f.; Pinkus 1988:138-208).

30

XIV / 32 : Vilna (Wilna1, Vilnius)

ich bin in Wilna geboren meine Familie mein Vater war bin g e b o j r e n in vilne - ma miëpôxe - majn fótar iz g e v e z n ... er hatte mit meiner Mutter ein Lebensmittelgeschäft Milchprodukte g e r á t [ ! ] o t 2 mit majn mútar a gaSeft fun Spajz - mílxiks - x ' o ich hatte noch zwei ältere Brüder ich war der jüngste und g e h a t nox tsvej bridar eitere - iy bin g a v é η der îrçstar - un eine Schwester meine Schwester wurde von den Nazis umgebracht a ëvéstar - di ëvéstar iz ù m g e b r a ï d g e v o r n dury di nátsis mein Vater auch und meine Mutter auch d a r fótar ojx - un di múter ojx. ich habe im Cheder gelernt danach habe ich χ ' o b gelernt in x é j d a r 3 - x u m e ë 4 - tanáx 5 - d a r n o j bin ix auf eine jüdische Sekularschule Ubergewechselt - ins 'Realgymnasium' in dem man a r i b a r in a jidië veltlaxer Sul - in reálgimnazja v o z di g a n t s e alle Fächer auf jiddisch gelernt (gelehrt) hat wir haben auch ë... ale limúdim o d men gelernt in jidiS - m e ' d gelernt ojx polnische Geschichte und Polnisch gelernt - aber alle übrigen Fächer haben wir pojliëe g e Sixte um_pojliä - o b e r ale íberike limúdim h o d men auf jiddisch gelernt auch meine Brüder sind auf dieses Gymnasium gegangen gelernt in jidië. ojx rnajne bridar zajn ( g ) e g a n g e n in der in höhere Klassen wir hatten sehr gute ze lbe(r) g i m n á z j e in hexere klasn. 6 mir o b m g e h a d z é j a r g u t e Lehrer einer von ihnen war der bekannte Dichter Moyshe Kulbak lerar - ejner fun zej i' g e v e n der barímtar poet mojáe kulbak 7

1 In d e r d e u t s c h e n Interlinearversion v e r w e n d e i c h d i e s e im D e u t s c h e n geläufige Form. 9 Dkfnyj gehat - a n s t e l l e d e s ü b l i c h e n H a u c h l a u t s f u n g i e r t h i e r r z u r H i a t u s v e r m e i d u n g . D a n e b e n ist die W o r t s t e l l u n g u n g e w ö h n l i c h , m a n w ü r d e e h e r tsKnvi hot gehat... e r w a r t e n , b e s o n d e r s n a c h d e m V o r s p a n n ; s i e h e a u c h die p a r a l l e l e Konstruktion in d e r F o l g e . T r a d i t i o n e l l e j ü d i s c h e G r u n d s c h u l e , a b d e m A l t e r von d r e i J a h r e n . 4 H e b r ä i s c h s t ä m m i g , die ' F ü n f B ü c h e r M o s e ' . 5 H e b r ä i s c h s t ä m m i g , Akronym für die B i b e l , b e s t e h e n d a u s d e m P e n t a t e u c h , den P r o p h e t e n und den ' S c h r i f t e n ' ( H a g i o g r a p h e n ) . ® D a s a n g e s e h e n e Realgymnasium wurde später, n a c h dem deutschen E i n m a r s c h im S o m m e r 1941 und d e r unmittelbar e r f o l g e n d e n G e t t o b i l d u n g , z u m S i t z d e s durch die D e u t s c h e n v e r f ü g t e n " J u d e n r a t e s " ( E n g e l s h t e m 1 9 7 2 : 1 4 , F o t o z w i s c h e n 112 und 113; vgl. d a z u E n z y k l o p ä d i e d e s H o l o c a u s t 1 9 9 3 : 1 6 0 0 ; in n e u e r , h i s t o r i s c h v e r t i e f t e r B e g e g n u n g j e t z t D o h m 1 9 9 4 : 2 4 7 f . 7 M o y s h e K u l b a k , 1 8 9 6 - 1 9 4 0 ; b e k a n n t e r D i c h t e r und P r o s a i s t ; S t a t i o n e n in K a u n a s , M i n s k , W i l n a ; B e r l i n 1 9 2 0 - 1 9 2 3 ; c h a r i s m a t i s c h e r L e h r e r f ü r L i t e r a t u r an j i d d i s c h e n S c h u l e n und L e k t o r a m L e h r e r s e m i n a r in W i l n a ; Q u e l l e d e r Inspiration für die s i c h bildende l i t e r a r i s c h e S t r ö m u n g Yung Vüne ; 1 9 2 8 in die j u n g e S o w j e t u n i o n n a c h Minsk; Mitglied d e r s o g e n a n n t e n M i n s k e r G r u p p e , die 1 9 3 6 / 1 9 3 7 liquidiert w u r d e (vgl. d a z u Liptzin 1 9 8 5 : 2 1 6 - 2 2 2 ) ; V e r h a f t u n g 1937; T o d im L a g e r 1 9 4 0 (Ort u n b e k a n n t ) .

31

yi*7-ll : 32 / XIV ... irynyj ρκ -ivdkO ρή - nnston πη -

ρκ p - u y i pa

- opoVd - Tra© p5 üSymu g -íyoin pn e n οκπ ügnyji Dijn ~ρκ* -iyi jynyji pn -ρκ - ynyo'jy ny-p-n -«nu -|Ki Dgnyi ρκ - nyoimv* pjtnyji DDgiayjimK ΡΚ nyüoynti? -τ - nycoynœ κ D-^ÌEl Ή -ρπ* • ΤΊΚ -lyoiQ 'Τ ρκ - τ ι κ "IVO^S Ί^Τ -ρκ pa n j n y n - -fin - e?mn - π π ρκ nny^yji 3κπ τ·κ yrgwi-^gy-i ρκ - *7ΐϋ -lyoy^tD^yn nyo-TV κ ρκ -lya-ns y^ìgj -τ οκη# οκπ ivo - ©"•τ!·' ρκ ony^yj imo dkh

y1?« ΤΙΚ Dny^yi*

ο,τιο,,,7 yp-nya-K y1?*? -iya*t - ü-^-is ρκ yea-rayi yœr^-is ivo Djçn* -îyr ρκ jyjiittiyji jyirr nyp-ia yira -ρικ .kp-p- ρκ ony^yji DKnyji pjjn τ η .log1?? y-iyoyn ρκ yi^ia-i you -lya^yr -iy-τ* oyijis nyon'HKa nyi lyny; ΡΚ --τ p5 nyr"K - ly-iy1? pita^ip ntün*

32 und der bekannte Literatuikritiker Maks Erik die später un der barimter literaturkritikar maks erik 8 velxa zajnan nach Sowjetrußland gingen und doit umgekommen sind a v e g a f o r n kin s o v j é trustant un dort úmgakumen. 9

ëpétar

ich habe das Gymnasium absolviert und bin auf die Schauspielschule gegangen ix o b g e e n d i g d di gimnázje - um_bin g e g a n g e n in dramátiáar ich wollte Schauspieler werden ich habe auch in einer äul - x ' o g a v o l t zajn an aktjór - ix o b o u gaSpilt in a Theatergruppe gespielt und in einem Marionettentheater das 'Maydim' hieß dramatiän krajs[!] - un in a marjonétn teátar vos o d g e é j s n ich habe gearbeitet habe nicht weitergelemt ich habe májdim. 1 0 ix o b g a á r b e t - vájtar o b a x niz gelernt - x ' ob das Gymnasium beendet ich mußte arbeiten gehen meine g a e n ' d i 1 1 gimnázja - ix 'o gamust g e j n árbetn vajl - majn(a) Eltem konnten mich nicht weiter - das war überhaupt nicht eitern o b m niz 'akent vájtar mir ... vos i' b a x l á l g a v é n niât

8 Maks Erik, 1898-1937; bedeutender Literaturkritiker und -historiker; produktive VeröfFentlichungstätigkeit zu allen Perioden und Bereichen der jiddischen Literatur; bekannt für seine Theorien die ältere jiddische Literatur b e t r e f f e n d ('Spielmann-Theorie' - siehe aber Shmeruk 1988: 97-120) und für seine Literaturgeschichtsschreibung; 1929 Aufbruch in die junge Sowjetunion (wie M. Kulbak, siehe oben Aran. 7); zuerst in Minsk, später in Kiev; Verhaftung 1936; T o d im L a g e r 1937. Q

Die Schicksale der beiden genannten Persönlichkeiten sind keine Einzelfälle, sondern können als exemplarisch für die sowjetisch-jiddische Literatur und ihre Autoren gelten. Voller Begeisterung und Einsatzbereitschaft hatte sich nach dem Zusammenbruch der alten, gerade Juden gegenüber s o repressiven, Ordnung eine g a n z e Generation anerkannter Literaten und Künstler der neuen Gesellschaft mit ihren verheißungsvollen Schaffensmöglichkeiten zugewendet und endete in Verschickung, Folter oder Hinrichtung (eine Reihe von ihnen wurde am 12. August 1952 exekutiert). Eine eindrucksvolle Dokumentation und Textsammlung ist in Shmeruk 1964 zu finden. Rehabilitationen wurden zum T e i l nach Stalins T o d in den f ü n f z i g e r Jahren ausgesprochen, aber eine o f f i z i e l l e Dokumentation der Namen und Rehabilitation durch das Sowjetische Zentralkomitee erfolgte erst 1988; in den deutschen Medien unterblieb die Kenntnisnahme - siehe A. Lustiger "Zu unsere brider un schwester ojf die g a n z e CG weit", in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Feuilleton, 14. 8. 1991 (Nr. 187), S. 25. 1 0 Das Wilnaer Marionettentheater "Maydim", 1933-1942, Gründer: A r o n Bastomski; ein populäres T h e a t e r , das sowohl eigene S t o f f e schuf als auch bekannte W e r k e der zeitgenössischen jiddischen Literatur f ü r die Marionettenbühne umarbeitete; breite Wirkung in den verschiedenen Gesellschaftsschichten, Auftritte bei Arbeiterorganisationen, kulturellen Veranstaltungen, literarischen Abenden; ein letzte Vorstellung wurde noch 1942 im Getto Wilna veranstaltet - die Initiatoren und Akteure sind j e d o c h unbekannt geblieben (Manger/Turkov/Perenson 1968:251-254). 1 1 Kontrahiert aus -T DP'"riüi>A geendikt di.

33

p--iy ορκη Hyp-D-np-nDK-iyo-1? ηνοη-Ίκη -un ρκ -lyoyse? ι^ιττ* •lympiuaiK tî-iip ρκ T i g l o n - ρ - ρ limsiiu Γ3 ρκ y-rgìn'i -τ

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Τικ nijn η-κ - -i^-DpK ικ irr d ^ i i w nijn τ κ - *7i© Κ ρκ ÜTsüíu* ηνοκνο-ιο^ι^-ικο κ ρκ ρκ - τ^ιρ ΐϋ-οκακπ ic-'ny; tsifn oçn* Dü··! Τ'Κ

- DimgiU 3ΚΠ ΤΚ ."D^T^O" 1-κ - m-iy^yi*

IDV3-IK p-ji οηηιη nçn τ κ - y-rein-Ji -τ op-Tiyyi yirn - ^ η * τ'κ σ^η ... τ η lyorn mvpy; ÜÜ-I ρ$π pytì^y Dei jynyi ^ m *

34 so leicht

an der polnischen Universität angenommen zu werden -

a z o j lajxt - ó n t s u k u m e n in pôjliën u n i v e r s i t é t 1 2 - bin i*

also bin ich

'agárjgen

arbeiten gegangen, in ein Büro - ein Verband von Holzhändlem

á r b e t n in a b(j)uró - v o s

i' g a v e n

a

f a r b á n t fun hóltssóxrim

dort habe ich bis zum Ausbruch des Krieges geaibeitet

dort h o b i j g a a r b e t 1939 najntsn n á j n u n d r á j s i k . 1 3

bizn

ojzbrux

fun

dar

milxórna

meine Schwester hat zuerst auf einem russischen Gymnasium gelernt

majn ävestar

ot frier g e l e r n t

auf einem polnischen Gymnasium

in

a

pôjliëar

gimnázja.

in a

-

brudar

hod

abgeschlossen

- un

geendikt

di

r e á l g i m n a z j e - o b a r di jidië' r e á l g i m n a z j e o d niz g e h á '

jidië' dámols

so daß man auf der polnischen Universität nicht angenommen wurde

matura

universitét

ápétar

hatte damals noch

kein Abitur

kin

biz

und später

rusiêar g i m n á z j a

mein Bruder hat das jiddische Realgymnasium

majn

bis

vos

ma

od

niz

'akent

ónkumen

also muBte er noch ein Jahr weiterlemen

- ot a r

gamuzd

gej'

nox

in

pôjliën

auf ein polnisch jüdisches

a jor - in a

pôjlië

jidiëar

das (die Möglichkeit zum) Abitur hatte - als er es abgeschlossen hatte

gimnázja

vos

od

gahad

matura

wurde er an der Universität in Wilna angenommen

(er) a r a j n g a k u m ' n

- un

az

ar

od

geendikt

iz

an der juristischen Fakultät

universitet in vilne - af j... juridiën

fakultet.

1 2 Trotz Unterzeichnung des Minoritätenvertrags 1919 bei der Pariser Friedenskonferenz weigerte sich der polnische Staat nicht nur, jüdische Schulen zu subsidieren, sondern legte solchen Einrichtungen vielfältige Hindernisse in den Weg und behandelte die Aufnahme von Absolventen jüdischer Gymnasien an Universitäten überaus restriktiv, so daß sich die Anzahl jüdischer Studenten in den Zwischenkriegsjahren dramatisch verringerte (Mendelsohn 1983:39, 42). Wie in Osteuropa im allgemeinen waren auch die Universitäten im Zwischenkriegspolen Brutstätten des Antisemitismus. In den zwanziger Jahren wurde ein ständig stärker begrenzender Numerus clausus gegen Juden praktiziert (wenn auch nicht offiziell eingeführt), und manche Studentengruppen machten sich sogar für einen 'Numerus nullus' stark. Die Universität in Wilna war seit ihrer Entwicklung aus einem jesuitischen Seminar heraus fruchtbarer Grund für ideologischen und tätlichen Antisemitismus gewesen. Eine Segregation jüdischer Studenten auf 'Gettobänken' wurde nach dem Polytechnicum in Lwów in Wilna inauguriert und anscheinend noch 1938 landesweit in Polen durchgesetzt (Mendelsohn 1983:42, 73; Dawidowicz 1989:35;167-169; auch zu dem weiteren Bericht des Informanten vgl. die fesselnde Schilderung von Wilna und seinem politisch-kulturellen Umfeld um 1939 aus der Feder der bekannten New Yorker Historikerin - eine Retrospektive auf ihren einjährigen Studienaufenthalt am dortigen YTVO-Institut, siehe dazu weiter unten im Text und Anm. 33). 11 Im September 1939 marschierten sowjetische Truppen in Wilna ein, übergaben die Stadt und das umliegende Wilna-Gebiet jedoch einige Wochen später an Litauen. Allerdings wurde Litauen im Juli 1940 der Sowjetunion als litauische Republik eingegliedert, bevor es im Juni 1941, mit dem Überfall auf die Sowjetunion, von der deutschen Armee besetzt wurde (vgl. unten Aufnahme XIV/1-2).

35

- Di>D',0-|iNT,llK JCT'nS PK Ii>niplltJ$ - ÜO^ "ΊΤ8 j i m i o s ~ρκ Ρ 3* nio-igC Κ jynyj ρκ οκη - rçnra s ρκ jDimg ••Ηπιο-γ^ίίπ ρ5* τ-η - ποπ^η ~ιιπ ρ3 -ρ-πο-ικ i m üim&m ~ρκ

tj-iíp

.ρ··οτ:~π ρκ m ρη^ι - y-TKin-i n s w o n s ρκ ony^iu ηντ-ιΟ οκπ ινϋοννίϋ ρ:η -ìyoys© τικ* üjtn -unna üü-i οκπ

- yusio"·* -lycr^-is s ρκ -τ Dp-Tium*

y e n v -τ -îinç - i r r ^ i n " ^ « ^ (O^KQÍO) tD^lJDin ügnyjl*

lü-^-is ρκ i^mpiít üiypyi « ρκ -

ivn οκη y-nugn ρ-ρ

κ η^ι p-i onnyi na o^n - l-yονο-ΌΊνιπικ e n v ©'^••ís*

οκπ -IV r& ρκ - anogn ognai οκπ οκιι y - r g w i fK opinavi* ... fpiK - yi1?··!! ρκ ονο-Ό-ινιπικ ρκ iynipyii^-ικ .ϋ^ϋ^ιρκδ i c m r *

36 meine Eltern und die ältere Generation

haben mit viel Slawismen gesprochen

da

obm

eitern

un

der

eiterer

dor

sie gebrauchten viel slawische Wärter

släviSa

garet

mit a

sax

slavízman

verter jahat[!] a s a x

- pójliSa ojx ó b a r

merstntejl

die ältere Generation hat russisch gesprochen

vajla14

da

eltara

... d a r

eltarer

dor

hat Wilna zu Rußland gehört

od

geret

rusië

vajl

lind mein Vater

auf ein russisches Gymnasium gegangen

a

rusiëer

war ihre Sprache

zejar

ëprax

gimnázja i'

rusiëa.

denn früher



gavezn

-

amól ist noch

o d g í l n e [ ! ] i s gehert tsu ruslant 1 6 - u n majn tata iz n o x 'n

-

auch polnische, aber zum göBten Teil russische

'agarçgen

und auf ein nissisches Lehrerseminar

(u)n



a

rusiSn

daher

lerarseminár

dujchflochten mit viçlen slawischen Wörtern

duygafloxtn

mit

a

sax

slaviëa

-

iz

verter

-

überhaupt hat von der älteren Generation - viele in Wilna haben nissisch gesprochen

baxlál

dar

έltarar

dor

- a sax

in vilna

o(b)m

auch jiddisch selbstverständlich - Doktoren - Rechtsanwälte

jidië farátéjd z a x

- doktójrim - advokátn

und ihre Schilder

un

zéjara

an der Tür

ëildarlax

-

bajm

auf polnisch und jiddisch iUdisçhen Geschäften, waren auf jiddisch

Ijjidiëa gaëeftn, z a j n ' n g a v e n in erçglië

- o(b)m

geret

-

un

- idië

beim Eingang

waren

bajm

iz

- ojy di

aràjngajrçk

ëildn

-

gavezn

-

in

f(u)n

ala

gaëeftn

-

zuip größten Teil avif jiddisclj

in jidië - merstntejl in jidië - etvos

Verzeihung - auf polnisch

- in... Süldikt

rusië

auch die Schilder von allen Geschäften

im_pójliS un in jidië g a ë r i b m

wenige auf

tir 17

garet

haben jiddisch gesprochen

pôjlië 1 8

weil ich schon lange hier in

-

ari

bin

ëan

lai]

do

in

Der Auslaut ist charakteristisch nordostjiddisch; siehe Mark 1951:433. Der g-Anlaut ist wohl ein Versprecher - bedingt durch den Anlaut des nachfolgenden gehért? 1 6 Alfred Döblin fand es 1924 bei seiner "Reise in Polen" bemerkenswert, daß in Wilna soviele Menschen russisch sprachen (1987:122). Seit den Teilungen Polens Ende des 18. Jahrhunderts hatte der Großteil Litauens zum zaristischen Rußland gehört und war einer intensiven Russifizierungspolitik unterworfen gewesen. Mit Ende des Ersten Weltkrieges und dem Zusammenbruch des Zarenreiches änderten sich die Hoheitsverhältnisse, im Versailler Vertrag wurde Wilna zunächst einem unabhängigen Staat Litauen (initiiert durch deutsche Kriegspolitik) zugesprochen, 1919 jedoch von der Roten Armee 'zurückerobert', bevor es von der Pi*sudski-Armee eingenommen wurde und nach erneuten Kämpfen mit bolschewistischen Truppen 1920 unter Polens Hoheit blieb (Dawidowicz 1989:30f.; Mendelsohn 1983:12-14). 17 Dies ist ein Beispiel für die Gruppe (unbelebter) Feminine, die im Nordostjiddischen in präpositionaler Fügung wie Maskulina behandelt werden (im Gegensatz zu 'wirklichen' Feminina wie etwa IVBOVTUD shvesterì. Die Erscheinung steht im Zusammenhang mit der Neuklassifizierung von Nomina, die durch den Wegfall der neutralen Substantivgruppe im Nordostjiddischen bedingt ist (siehe Wolf 1969). 1 8 Die doppelsprachigen Schilder und Plakate, die in der ganzen Stadt (nicht nur in bestimmten Vierteln) verbreitet waren, fielen Alfred Döblin mit als erstes auf, als er 1924 durch Wilna kam (siehe oben Anm. 16); sie waren ihm Indiz der besonderen Prägung und des Selbstbewußtseins der Wilnaer jüdischen Bevölkerung (eine "mutige Judenschaft" - 1987:118). Im folgenden ari ist kontrahiert aus ρ π ~ρκ rjj aCz) i(kh) bin, wobei r durch Hiatuselimination entsteht. 14

37 ηο s o-o ϋ-Γίπν; píjn i n ny-iyo^y

ρκ pyo^y *Ί - jynrnK^o*

-IV3K τ ι κ yer'ris - ηο κ Dttnyi nytnyri ycpiiK^o .ycpon "VÜ p o i y o * c o n o-rynyji Díyn i n -linyo^y -iyr ... ynyo^y ή ρκ vtíKo n o ρκ - -ηκ^οη

ρκ



tnynyji yi^-n ottn jyjutîjiyji

leron κ ρκ ρκ - yTgin-u nyttrDn « ρκ ΡΚ - -íKrnyo-nyiy 1 ?* ί ο κ d-ö pDK^Syjimn pynyji ρκ -uns® i ï " t - -lyo-iyn yi^iuno* ρκ - ü-on D-rynyji pjtn yi^-n ρκ ησ κ - i n ly-iyo^y ny-r ^ a a - ρκρίρπκ - η··~ΓΐΒρ sowie e25 aufweist. Die jiddische Bühnensprache zeigt jedoch keine' spezifisch südöstlichen Charakteristika und hat im Gegensatz zu anderen südöstlichen Regionalvarietäten ai 1 (nicht o), oj54 (nicht u), ej25 (nicht i). Vgl. dazu Katz 1983:1035; Prince 1987; Rrilutski 1927; sowie den obigen Einführungstext zu dieser Aufnahme. Isaac Bashevis Singer (jiddisch einfach Bashevis), 1904-1991; durch die vielen Übersetzungen seiner Werke auch in Deutschland weithin bekannt; 1978 Nobelpreisträger für Literatur (der einzige in der jiddischen Literatur); rabbinische Familientradition und auch selbst religiös ausgebildet; Bruder des in der jiddischen Literatur gut bekannten Israel Joshua Singer; 1935 von Warschau nach New York; publizistische Tätigkeit bei der jiddischen Tageszeitung Forverts; neue schriftstellerische Kreativität ab 1943; wachsender Ruhm durch Ubersetzungen ins Englische seit den 50er Jahren, Ehrendoktorwürden und Preise; hat verfügt, daß Übersetzungen seiner Werke die englische Version zugrundegelegt wird, nicht das jiddische Original (das meist erst nach der englischen Version erschien).

45

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y-iyu^y

,ινηδ

64 kamen oder von einem Brunnen da bin ich hingelaufen und habe ihnen geholfen né man 2 1 ódar fun a brune m. fleg ix úntarlejfn un ¿a élfn das Wasser nach Hause zu tragen daran erinnere ich mich von mir selbst her trogt] d a v a á a r 2 2 in êtub. do2 gadejrçk ix fun 2ix. un tèumir und wir waren viele solche Jungen die .. (tsa mir?) g a v é η a sax a2éjna íqglax 2 3 vélxa ...

Sie hatten zuhause kein Wasser? ir hot kejn vaser in der heym herbeitragen? fun ... in emers?

nil gehat,

Sie mußten es in Eimern ir hot gedarft trogn

von der Memel ja in früheren Jahren gab es bei uns noch nicht fun némen,24 je. amólika jorrj i' nid g a v é n b a un(d2) nox - in gab es bei uns noch kein (fließend) Wasser im Haus jena tSajt i' nox b a j und2 ke vaèar nid g a v é n in Stub. außer von den Wänden Feuchtigkeit gab es aber - kein x i b a fun di vent' i' gave2n - vílgot έ ' i gavén 2 5 ó b a r - ke solche .. keine solchen Wasserleitungen vaêar i' è tub a2éjna ... nit kejn udóbèaè [vgl. r. das gab es nur bei reichen Leuten vodoprobód] a2ejna - g a v é ' nor baj di gréèera gvírim 26 (dort) gab es das schon aber (den) gewöhnlichen Leuten èen do2 gave2n óbar baj da mitala' naród [ v g l . r. naród] gab es noch keine solchen i' nox ni gavén a2éjna ...

21

Niemen, Nemunas, deutsch "Memel". An ""lyo&n ' τ di vaser (direktes Objekt) läßt s i c h die s e m a n t i s c h motivierte N e u k l a s s i f i z i e r u n g von Substantiven - hier Kollektive - b e o b a c h t e n , die f ü r d a s nordöstliche Jiddisch, im Z u s a m m e n h a n g mit d e r Eliminierung d e r neutralen G e n u s f o r m , k e n n z e i c h n e n d ist (Wolf 1969: 196-198). 2 3 B e i m H ö r e n bleibt undeutlich, ob τ η ν τ 'sind wir' o d e r τ η Ίϋ 'zu mir' g e m e i n t ist, im l e t z t e r e n Fall a l s o in d e r B e d e u t u n g 'und ( a u c h ) mir g e g e n ü b e r h a b e n s i c h viele J u n g e n s o verhalten'. 2 4 Ein a m ü s a n t e s Mißverständnis z w i s c h e n d e m Fluß j v n v i nemen und d e n ( W a s s e r - ) E i m e r n 0~ii>Qi> emers a u f s e i t e n d e s B e f r a g e r s , allerdings ohne d a ß d e r Informant e s b e m e r k t . D a s F e h l e n d e r K a n a l i s a t i o n h a t e s einer n a c h d e m E r s t e n W e l t k r i e g von Berlin ü b e r g e s i e d e l t e n d e u t s c h e n Familie z u e r s t s c h w e r g e m a c h t , s i c h in K a u n a s e i n z u l e b e n , erfährt V e r e n a D o h m b e i ihrer kürzlichen B e g e g n u n g mit d e r S t a d t und den überall t r a n s p a r e n t e n S p u r e n einer g e b r o c h e n e n G e s c h i c h t e (1994:187; allgemein 175-218). 2 5 D e r S p r e c h e r w e i s t s c h e r z h a f t d a r a u f hin, daß m a n z w a r W a s s e r in d e n Wohnungen h a t t e , nämlich Feuchtigkeit an den W ä n d e n , nicht j e d o c h a u s W a s s e r l e i t u n g e n . (Morphologisch g e s e h e n w ä r e a u c h eine Zuordnung in v í l g o t s i g e v e n möglich - e r s t e r e s mit Nominalsuffix V- -ts). 2 6 D i e im S p r a c h g e b r a u c h oft a n z u t r e f f e n d e Formel D - n - a i i>-iiJ01>-u gresere gvírim drückt eine Relativierung d e r 'reichen' L e u t e a u s , e t w a 'die e h e r Wohlhabenden* g e g e n ü b e r D " T 3 i v n y i v ' j p klenere gvirim, d e n s o z u s a g e n s c h w a c h Wohlhabenden. 22

65 lO^yn " τ

ρκ jö-i^nymiK τ κ

. n y n - ο κ ρ9 ny-rç ujnyi

,-ρτ ρ S -ρκ purria o t p .did© ρ κ n y o g n - τ μ * ρ ο [?]-τη [ η - η jyiyr] - r n y r ρ κ * ... yrrtyn n y ^ i i r vrirtc ησ s lynyji ?oenvi ts'i •·"·)! -liJT ρ κ -ivogn p - p tsçn - τ κ UV"115 BSHOSJi

τκ*

?o-iwni> ρ κ ... jis ρ κ - nifi π η κ

r a jynyji d-i ρ κ p i p y p ^ n g

i r ,ΐκηνι ρ5

.AIO© ρ κ JYNYI TRI -LYOGN ρ - ρ π ι ι κ RA ~ικι ΡΚ ρκ

NYIY-

Ό ο ^ Λ - π - jrynyji ρ κ Djyn "·Ί pS ya"o p-p o y ü a í p i K p - p tD-i ... y n r g

aio© ρ κ

cri-aji ynyoy-u - τ r a Ί$Ι tipsi

jy^yo-n nyT r a

jynyji* nyogri

jynyji - yi-ιτκ

pynyji o i p pito ρ κ ... yriTg l y n y j c - i ηκι

66 un

ven

fayer?

men

[hot]

gedarft

gab es

wie heißt es

gevezn

vi heyst

makhn

esn,

hot

ir

ongetsundn

Holz haben Sie verbrannt, um Essen

er - holts

hot ir gebrent

tsu

makhn

maSínkas 2 7

gavén

in der Küche zu machen ?

esn in

kikh?

es gab

S'i

gavén

Elektrizität

- S'i g a v é n

al'0ktra, S'i

Maschinen

gavé'

Primuskocher für Gas

prímusn a v gàie

i' gave2n.

prímusn?

es gab damals Primuskocher

è' g a v é η prímusn in je na tsajtn ober nicht

nit

keyn

zuhause

vaser i ζ nit gevezn

nicht Uberall

das gab es

- nit umatu... d a s

hatten Wasser

i'

in der

heym?

nicht Uberall

gavén

nit

nicht alle

umatúm,

nit

ala,

nit

ala

jori)

nor

zuhause

ora g a h á t vaSar in dar hejm. nit aie hobn nit ale! gavén

gahat

vaser?

da war (nur) ein kleiner Prozentsatz in jenen Jahren

- doS

i'

gavén

a

klejnar

a

klejnar protsént. doS

Wohnungen wo es schon Wasser gab

diras

protsént

i'

jena

das war zum grüßten Teil

vu'Si

Sa g a v é n

vaSer

i' g a v é n

merStél - in

und Badewannen und so weiter

un

S'

in solchen

i gavén

vánaS

a2éjna

un

nox

die Bourgeoisie konnte so leben

a±éjna 2axn 'akent lebm bru2á2e 2 8 burzhuázye,

yo

aber nicht die Durchschnittsmenschen

das wurde in den letzten Jahren so

ó b a r ni' dar mítaler naród. dos i¿ a... gavorn Sejn 'n di letsta in früheren Jahren

jorr],

vajl

Litauen

lit a g a k o è d srédnij] 27

2fi 2q

in...

in

sehr teuer

amólika

waren Wohnungen bei uns in

jori]

ho'

denn ein Arbeiter

díra(¿)

ba

und2

ein durchschnittlicher

±éjar tájar. vajl an árbater - a Srednar [ v g l .

Arbeiter mußte für eine Wohnung

in r.

zwei Wochen arbeiten

arbatar ±'o(?) 2 9 gadarft arbatn af a dire - tSvej voxn.

Mit Diminutivsuffix (ü)p- -k(e). Mit Metathese ru aus ursprünglichem ur.

Die Form ist nicht gut zu hören - handelt es sich um eine Kontraktion aus utjn -irti azoy hot?

67 -Ι-Κ

OÇN .ROI? ΗΚΗ OO-I«-RYJI CÇN

Ι3ΒΗ IÎI DIY-IAYI -Ι »Κ

Ν 1 '»?" -

IMI

T30-*N -Η IRYNI» ? - Ι Ν Τ Β ?ΤΡ

LIMY; Ρ Κ

Ό .Y-IUPY^Y

ΡΚ

JINIIN Ρ Κ

Ό

ΙΌΝ

- JYNYI Ρ Κ

JYNY; -TTI?NVA Ρ Κ

Ι'Κ

Ό

ΟΝΡΙ-ΫΚΕΙ*

INGI Η·ΗΚ

IOICIS

?ΐΣΙΗ—IS VIU- Ρ Κ ? D - - N -Ι Y Η I'K IVIIUN Β Ί TRI . Í ^ K

TRI .NIOYNIK

Ο·Ί LIMY; .•"Π

ΊΣΙΟ—IS LIMY; Ρ Κ Τ'Κ I V O K H

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68 tsvey

vokhn mußte er

a

halbm mon(a)t (o)t ar

eine Wohnung

- wieviel

für eine Wohnung arbeiten - also ist auch-

g a dar ft arbatn af d a dire - i¿

Zimmer ungefähr

di d ± i r e 3 " ' d

...

hatte eine Wohnung?

a dire - vif] tsimern iz gevezn eine Wohnung konnte -

ejx

in der

dire?

es hängt davon ab, wo

'aken(d) 2ajn è'vent

èax

in vos far a n or'

di

die Wohnung gelegen war. wenn die Wohnung im Zentrum der Stadt lag

dir'

i'

gaêtanan.

éjba31

di

dira

ot

g a Stana η

in

konnte ein Arbeiter darin nicht wohnen

ètot

ot

kan

árbatar

darin wohnen

lebm

a

nid

gakent

têenter

lebm

in ar.

do2

ot

gakent

(so jemand wie) ein BUrobeamter

ôrçgaètelter - a élú±e¿j(a) [ v g l .

oder ein Geschäftsmann

von -

ódar

fum

a

rextn

ein Angestellter konnte

balabóS 3 3

Geschäftsinhaber

aber der größte Teil -

klejnar inober,

ober

in Slobodka gewohnt

r. sluzáÉtíij]

a

velxer 3 2

einer kleinen —

...

merètntejl di

a

klejnar

íbar...[?]

a

die armen Leute haben

... - d a r

auf dem Grünen Belg

galebt in èlabódke 3 4 - afn grinam b a r g

ór(a)mar

naród

od

also hinter der Stadt

- doS

i' interi] Stot.35

hintern shtot

Ein Fall starker kontextueller Palatalisierung, die in diesem Text jedoch Ausnahme bleibt, wie ein Vergleich mit den Formen im nahen Umfeld zeigt (siehe aber auch die Form d'ire gleich unten im Text). 3 1 Der Auslaut von T 1 K oyb (letzteres mit der nordöstlichen Lautung ej43) ist nordostjiddisches Charakteristikum, siehe Marie 1951:433. 3 2 Das Interrogativ- bzw. Relativpronomen erscheint hier in attributiver Stellung, im Sinne von 'irgendein', 'in der Art von'. -1-1

Hebräischstämmig, eigentlich 'Herr des Hauses' - im Jiddischen auch 'Boß (eines Unternehmens)', '(Wohnungs-)Vermieter', 'Familienoberhaupt'. 3 4 Zu diesem Teil der Stadt siehe oben Anm. 4. Bis ins 19. Jh. hinein durften in Kaunas keine Juden wohnen, also siedelten sie davor (beziehungsweise 'dahinter'). Mit der Übernahme ins Russische Reich, Öffnung für Juden und Entwicklung der Stadt zum Handelszentrum wandelte sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts die Freistadt Slobodka zur Proletarierund Armenvorstadt von Kaunas (Dohm 1994:206f.). Der Genusgebrauch ist kennzeichnend für Nordostjiddisch: shtot gehört zu einer großen Gruppe (nicht-natürlicher) Feminina, die in präpositionaler Stellung wie Maskulina behandelt werden. Die allgemeine Umstrukturierung der nominalen Klassen im Nordostjiddischen ist wohl mit der Auflösung der Neutra verbunden, siehe Wolf 1969 (siehe auch oben Anm. 22).

69 "na - π-π

-ivi

η-ικ

pymx

οδ-ιχτνι

-iy οι