Gesetzliche Krankenkassen als Normadressaten des Europäischen Wettbewerbsrechts: Zugleich ein Beitrag zum wettbewerbsrechtlichen Unternehmensbegriff im allgemeinen sowie im Bereich der sozialen Sicherheit [1 ed.] 9783428528400, 9783428128402

Sebastian Kluckert untersucht auf der Grundlage der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes, insbesondere nach den

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Gesetzliche Krankenkassen als Normadressaten des Europäischen Wettbewerbsrechts: Zugleich ein Beitrag zum wettbewerbsrechtlichen Unternehmensbegriff im allgemeinen sowie im Bereich der sozialen Sicherheit [1 ed.]
 9783428528400, 9783428128402

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Schriften zum Gesundheitsrecht Band 16

Gesetzliche Krankenkassen als Normadressaten des Europäischen Wettbewerbsrechts Zugleich ein Beitrag zum wettbewerbsrechtlichen Unternehmensbegriff im allgemeinen sowie im Bereich der sozialen Sicherheit

Von Sebastian Kluckert

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

SEBASTIAN KLUCKERT

Gesetzliche Krankenkassen als Normadressaten des Europäischen Wettbewerbsrechts

Schriften zum Gesundheitsrecht Band 16 Herausgegeben von Professor Dr. Helge Sodan, Freie Universität Berlin, Direktor des Deutschen Instituts für Gesundheitsrecht (DIGR), Präsident des Verfassungsgerichtshofes des Landes Berlin a.D.

Gesetzliche Krankenkassen als Normadressaten des Europäischen Wettbewerbsrechts Zugleich ein Beitrag zum wettbewerbsrechtlichen Unternehmensbegriff im allgemeinen sowie im Bereich der sozialen Sicherheit

Von Sebastian Kluckert

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Der Fachbereich Rechtswissenschaft der Freien Universität Berlin hat diese Arbeit im Sommersemester 2008 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten # 2009 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 1614-1385 ISBN 978-3-428-12840-2 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Meinen Eltern in Liebe und Dankbarkeit

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Dezember 2007 am Fachbereich Rechtswissenschaft der Freien Universität Berlin als Dissertation eingereicht und im Sommersemester 2008 als solche angenommen. Zu ihrem Erscheinen haben viele Menschen einen Beitrag geleistet, denen ich an dieser Stelle dafür danken möchte. An erster Stelle ist mein verehrter akademischer Lehrer und zugleich Doktorvater, Herr Universitätsprofessor Dr. Helge Sodan, Präsident des Verfassungsgerichtshofes des Landes Berlin a. D., zu nennen. Ihm gilt für die wohlwollende Betreuung meiner Arbeit sowie die schnelle Erstellung des Erstgutachtens mein größter Dank. Im Laufe meiner fast neun Jahre andauernden Tätigkeit an seinem Lehrstuhl – zunächst als studentische Hilfskraft, danach als Wissenschaftlicher Mitarbeiter – hat er mich an das wissenschaftliche Arbeiten herangeführt, meine Freude daran geweckt und mir dadurch die Vertiefung meiner Rechtskenntnisse ermöglicht. Besonders danke ich für die zügige und gewissenhafte Erstellung des umfangreichen Zweitgutachtens Herrn Professor Dr. Herbert Bültmann, Präsident des Finanzgerichts a. D., den ich bereits im rechtswissenschaftlichen Studium als einen höchst angenehmen und kompetenten Gesprächspartner schätzen gelernt habe. Er hat mit seinem Examinatoriumskurs im Öffentlichen Recht ebenfalls meine Neigung zu diesem Rechtsgebiet bestärkt. Herr Rechtsanwalt Björn Jotzo, Mitglied des Abgeordnetenhauses von Berlin, übernahm die mühevolle Aufgabe, die Arbeit einer abschließenden Korrekturdurchsicht zu unterziehen, wofür ich ihm ganz herzlich danke. Dankbar bin ich ferner dem Deutschen Institut für Gesundheitsrecht (DIGR), welches die Veröffentlichung dieser Arbeit durch einen großzügigen Druckkostenzuschuß gefördert hat. Schließlich bedanke ich mich bei dem Geschäftsführer der Duncker & Humblot GmbH, Herrn Dr. Florian R. Simon, LL.M., für die Aufnahme meiner Arbeit in die Reihe „Schriften zum Gesundheitsrecht“. Gewidmet ist die Arbeit meinen Eltern, Guido und Heidi Kluckert, ohne deren bedingungslose und uneingeschränkte Liebe so vieles in meinem Leben nicht möglich gewesen wäre. Berlin, im Juni 2008

Sebastian Kluckert

Inhaltsverzeichnis Einleitung

23

A. Ausgangsbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

23

B. Krankenkassen: Begriff, Rechtsform, Arten und Organisation . . . . . . . . . . . . . . .

27

C. Determinanten des Europäischen Wettbewerbsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Normadressatensystematik des Europäischen Wettbewerbsrechts und Funktion des Unternehmenstatbestandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Weitere Determinanten der Anwendbarkeit des Europäischen Wettbewerbsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Unternehmensbezogene Wettbewerbsregeln: Erfordernis der Verantwortlichkeit des Unternehmens und Haftung der Mitgliedstaaten bei fehlender Verantwortlichkeit des Unternehmens aufgrund staatlicher Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zwischenstaatlichkeitsklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

32

34 38

D. Gang der Untersuchung und erhoffter Ertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

40

32 34

Erstes Kapitel Der Unternehmensbegriff des Europäischen Wettbewerbsrechts – allgemeine Grundsätze

43

A. Auslegung des Unternehmenstatbestandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

43

B. Funktionaler Unternehmensbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Funktionale Begriffsbildung als rechtswissenschaftliche Methode . . . . . . . 1. Zweck der Wettbewerbsregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Wirtschaftliche Betrachtungsweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Wirtschaftliche Tätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Abgrenzungsmerkmal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bedeutung der funktionalen Betrachtungsweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verneinung der Unternehmenseigenschaft aus funktionalen Erwägungen (funktionale Ausnahmebereiche) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Abgrenzung zur wettbewerbsrechtlichen Bereichsausnahme . . . . . . 3. Begriff der wirtschaftlichen Tätigkeit und Marktbezug . . . . . . . . . . . . . . III. Relativität des Unternehmensbegriffes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Merkmale wirtschaftlicher Tätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

46 49 51 54 58 59 60 61 62 63 67 69

10

Inhaltsverzeichnis 1. Allgemeine Abgrenzungsmerkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Möglichkeit der Tätigkeitsausübung durch Private mit Gewinnerzielungsabsicht (Popitz-Kriterium) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Austausch von Gütern oder Dienstleistungen auf dem Markt . . . . . aa) Marktfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Wirtschaftswissenschaftliche Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . (2) Übertragbarkeit der wirtschaftswissenschaftlichen Grundlagen auf das Wettbewerbsrecht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Austausch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Begründung einer wirtschaftlichen Tätigkeit durch Nachfrage nach Gütern oder Dienstleistungen als solche? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Rechtssache FENIN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes vor FENIN . . . . . c) Auslegung des Begriffs der wirtschaftlichen Tätigkeit . . . . . . . . . . . 3. Einzelne Merkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gewinnerzielungsabsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Entgeltlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Selbständigkeit/Risikoübernahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Rechtsform, Unternehmensträgerschaft und Finanzierung . . . . . . . . e) Nichthoheitlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

70

C. Wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gründe der öffentlichen Hand für eine wirtschaftliche Betätigung . . . . a) Monopolkontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Versorgungssicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Durchführung von Ordnungsaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Wirtschaftsförderung/Konjunkturbeeinflussung/Wettbewerbsbelebung e) Sozialpolitisch motivierte Wirtschaftsintervention . . . . . . . . . . . . . . . f) Bedarfsdeckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Lückenschluß bei Marktversagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Spezielle Gefahren aus der wirtschaftlichen Betätigung der öffentlichen Hand für den Wettbewerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Unternehmenseigenschaft der öffentlichen Hand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Funktionale Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Art. 86 Abs. 1 EG: Geltung der Wettbewerbsregeln für öffentliche Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Begriff des öffentlichen Unternehmens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Unbeachtlichkeit der Organisationsform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Unbeachtlichkeit der Handlungsform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Keine Anwendbarkeit des Europäischen Wettbewerbsrechts auf hoheitliche Tätigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

96 97 97 99 99 100 101 102 103 103

70 72 73 73 75 77 78 79 81 83 89 89 91 93 94 96

103 105 105 107 108 109 111 112

Inhaltsverzeichnis

11

1. Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Abgrenzung zwischen hoheitlicher und nichthoheitlicher Tätigkeit . . . a) Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Rechtssache Bodson . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Rechtssache SAT Fluggesellschaft/Eurocontrol . . . . . . . . . . . . . cc) Rechtssache Diego Cali & Figli . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Rechtssache Höfner und Elser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Weitere Rechtsansichten von Gemeinschaftsorganen . . . . . . . . . . . . . c) Ermittlung maßgeblicher Kennzeichen hoheitlicher Tätigkeit auf der Grundlage der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes d) Im Schrifttum vertretene Ansichten und Stellungnahme . . . . . . . . . .

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D. Exkurs: Der Unternehmensbegriff im deutschen Kartellrecht . . . . . . . . . . . . . . . I. Sprachgebrauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Funktion des Unternehmenstatbestandes im deutschen Kartellrecht . . . . . . III. Unternehmensbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Wirtschaftliche Tätigkeit der öffentlichen Hand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Hoheitliches Handeln und deutsches Kartellrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

126 126 127 128 131 132

120 122

Zweites Kapitel Der Unternehmensbegriff des Europäischen Wettbewerbsrechts im Bereich der sozialen Sicherheit

136

A. Tätigkeitsbereich „soziale Sicherheit“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 B. Bestehen einer wettbewerbsrechtlichen Bereichsausnahme zugunsten von Tätigkeiten auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Normenbefund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Sozialsektor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Tarifverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Ableitung einer Bereichsausnahme aus der Kompetenzverteilung des EG-Vertrags? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kompetenzverteilung im Bereich der Sozialpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtliche Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Kompetenzverteilung im Arbeitsmarktbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

143 144 148 150

C. Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes zum Unternehmensbegriff im Bereich der sozialen Sicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Rechtsprechungsentwicklung und maßgebliche Entscheidungen . . . . . . . . . 1. Rechtssache Höfner und Elser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtssache Poucet und Pistre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rechtssache Corbeau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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138 139 140 140 141

12

Inhaltsverzeichnis 4. Rechtssache Fédération française des sociétés d’assurance u. a. . . . . . . 5. Niederländische Betriebsrentenfonds (Rechtssachen Albany sowie Brentjens’ Handelsonderneming und Drijvende Bokken) sowie Rechtssache Pavlov u. a. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Rechtssache Cisal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Rechtssache AOK Bundesverband u. a. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ansichten der Verfahrensbeteiligten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ansicht des Generalanwalts Francis G. Jakobs . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Ableitung von nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes zur Beurteilung der Unternehmenseigenschaft relevanten und irrelevanten Merkmalen von sozialen Zwecken dienenden Einrichtungen . . . . . . . . 1. Irrelevante Merkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Relevante Merkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grundsatz der Solidarität und seine Merkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Finanzierungsverfahren (Kapitaldeckungsverfahren/Umlageverfahren) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Zusammenhang zwischen Beitragshöhe und Leistungsumfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Zusammenhang zwischen Beitragshöhe und Risiko . . . . . . . . . dd) Freiwilligkeit der Mitgliedschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Zusammenfassende Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Festlegung der marktbezogenen Hauptwettbewerbsparameter durch den Gesetzgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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D. Resonanz in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 I. Zustimmende Literaturansichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 II. Ablehnende Literaturansichten und Alternativlösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 E. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Abweichungen von allgemeinen Grundsätzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Abhängigkeit von der Art der Finanzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Fehlender Tätigkeitsbezug und Mißachtung der Relativität des Unternehmensbegriffes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Einwirkungsmöglichkeiten der Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Solidarität versus wirtschaftliche Tätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Kritik an Einzelargumenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Unbeachtlichkeit von Wettbewerbsbeziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gesetzliche Festlegung von Beitragshöhe (Preis) und Leistungsumfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zwischenergebnis: Sonderrechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes IV. Bestehen eines funktionalen Ausnahmebereiches? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

198 198 199 200 202 203 204 204 206 207 208

Inhaltsverzeichnis F. Exkurs: Anwendbarkeit und Unternehmensbegriff des deutschen Kartellrechts im Bereich der sozialen Sicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Unterscheidung zwischen Beschaffungsseite (Nachfragemarkt) und Versicherungsseite (Angebotsmarkt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Beschaffungsseite (Nachfragemarkt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Versicherungsseite (Angebotsmarkt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Rechtslage bezüglich Krankenkassen seit dem 1.1.2000 (§ 69 S. 1 SGB V) 1. Vorgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gesetz zur Reform der gesetzlichen Krankenversicherung ab dem Jahr 2000 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Rechtsweg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Materiellrechtliche Zuordnung aller Leistungserbringerverhältnisse zum Öffentlichen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Geltung des deutschen Kartellrechts außerhalb von Leistungserbringerverhältnissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Fazit zum deutschen Kartellrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

13 210 210 211 212 214 214 216 216 217 220 223 224

Drittes Kapitel Krankenkassen als Unternehmen im Sinne des Europäischen Wettbewerbsrechts – Untersuchung auf der Grundlage der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes unter Beachtung der Relativität des Unternehmensbegriffes

225

A. Prämissen und Vorgehensweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 B. Berücksichtigung der Relativität des Unternehmensbegriffes bei der Rechtsanwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 I. Ausgangsproblem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 II. Lösung: Marktbezogene Zurechnung der mutmaßlich wettbewerbsbeschränkenden Verhaltensweise (Zurechnungsmodell) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 C. Qualifizierung der verschiedenen Tätigkeiten von Krankenkassen . . . . . . . . . . . I. Nachfragetätigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Eigenständige Qualifizierung von Nachfragetätigkeiten? . . . . . . . . . . . . 2. Nachfrage nach Gesundheitsleistungen (Leistungserbringung) . . . . . . . a) Krankenkassen als Nachfrager im Rahmen der Leistungserbringung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Sachleistungsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Kostenerstattungsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Festbetragsregelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Hilfsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

231 232 233 234 234 235 238 239 244

14

Inhaltsverzeichnis (a) Rechtslage bis zum 31.3.2007 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Rechtslage seit dem 1.4.2007 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Arznei- und Verbandmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Mehrkostenregelung und Festzuschüsse bei zahnärztlicher Behandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Zwischenergebnis (Krankenkassen als Nachfrager bei der Leistungserbringung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Leistungserbringung und Grundsatz der Solidarität . . . . . . . . . . . . . . aa) Präjudizien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Eigene Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Leistungserbringung und Gesetzesvollzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Zwischenergebnis (Qualifizierung von Nachfragetätigkeiten im Rahmen der Leistungserbringung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Nachfrage nach sonstigen Gütern und Dienstleistungen . . . . . . . . . . . . . II. Angebotstätigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Angebot von Versicherungsleistungen (Krankenversicherung) . . . . . . . . a) Markt und Wettbewerb als Voraussetzungen wirtschaftlicher Tätigkeit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Wirtschaftliche Tätigkeit und Markt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Wirtschaftliche Tätigkeit und Wettbewerb . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Wettbewerbslage der Krankenkassen im Bereich der Krankenvollversicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Wettbewerb unter den Krankenkassen (Kassenwettbewerb) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Wettbewerb zwischen Krankenkassen und privaten Krankenversicherungsunternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Schließt die Wettbewerbslage auf dem Krankenvollversicherungsmarkt die Anwendbarkeit des Europäischen Wettbewerbsrechts auf Krankenkassen aus? . . . . . . . . . . . . b) Krankenversicherung und Grundsatz der Solidarität . . . . . . . . . . . . . aa) Präjudizien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Krankenvollversicherung von Pflichtversicherten . . . . . . . . . . . (1) Bisherige Rechtslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Veränderungen durch das Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung vom 26.3.2007 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Finanzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Wahltarife . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (aa) Wahltarif für Kostenerstattung . . . . . . . . . . . . . . . . (bb) Selbstbehalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (cc) Prämienzahlung bei Leistungsfreiheit . . . . . . . . . . (c) Basistarif . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

245 247 249 253 257 257 258 267 274 278 279 280 280 281 281 284 284 284 290

292 294 294 296 297

300 300 306 307 310 313 315

Inhaltsverzeichnis (d) Zusammenfassung und Fazit zum GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Krankenvollversicherung von freiwillig Versicherten . . . . . . . . (1) Freiwillige Versicherung als eigenes Tätigkeitsgebiet . . . . (2) Prägung durch den Grundsatz der Solidarität . . . . . . . . . . . dd) Angebot von Zusatzkrankenversicherungen . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Vermittlung von Zusatzkrankenversicherungen . . . . . . . . . . . . . c) Krankenversicherung und Gesetzesvollzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Pflichtversicherung und freiwillige Versicherung . . . . . . . . . . . bb) Angebot und Vermittlung von Zusatzkrankenversicherungen . . d) Zwischenergebnis (Qualifizierung von Angebotstätigkeiten im Rahmen der Krankenversicherung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Angebot von Gesundheitsleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grundvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Selbständige wettbewerbsrechtliche Qualifizierung? . . . . . . . . . bb) Marktmäßige Strukturen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Wirtschaftliche Tätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Entgeltlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Grundsatz der Solidarität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Gesetzesvollzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zwischenergebnis (Qualifizierung der Tätigkeit des Anbietens von Gesundheitsleistungen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Angebotsorientierte Referenztätigkeit für die Qualifizierung der Nachfrage nach sonstigen Gütern und Dienstleistungen? . . . . . . . . . . . . . . . . .

15 316 318 318 319 324 331 332 333 335 335 336 338 340 341 343 343 345 348 350 351

D. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 Viertes Kapitel Zusammenfassung in Leitsätzen

355

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

375

Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

400

Abkürzungsverzeichnis a. A. a. a. O. ABl. EG ABl. EU Abs. a. E. a. F. AFG AktG Alt. AltZertG AMG Anm. AOK A&R Art. ASP Aufl. AuR Az. BB Bd. BDA Begr. BGB BGBl. BGH BGHZ BKartA BKK BMV-Ä BR-Drucks. BSG BSGE

anderer Ansicht am angegebenen Ort Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Amtsblatt der Europäischen Union Absatz am Ende alte Fassung Arbeitsförderungsgesetz Aktiengesetz Alternative Gesetz über die Zertifizierung von Altersvorsorgeverträgen (Altersvorsorgeverträge-Zertifizierungsgesetz) Gesetz über den Verkehr mit Arzneimitteln (Arzneimittelgesetz) Anmerkung Allgemeine Ortskrankenkasse Arzneimittel & Recht Artikel Arbeits- und Sozialpolitik Auflage Arbeit und Recht Aktenzeichen Der Betriebs-Berater Band Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände Begründer(in) Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen Bundeskartellamt Die Betriebskrankenkasse Bundesmantelvertrag – Ärzte Drucksache des Bundesrates Bundessozialgericht Entscheidungen des Bundessozialgerichts

Abkürzungsverzeichnis BT-Drucks. Buchst. BVA BVerfG BVerfGE DB dens. ders. dies. Diss. DNotZ DÖV DStR DVBl. DZWir E EEA EG EGKS EGV EL ErsK EuG EuGH EuR EuZW e.V. EWiR EWR EWS f. ff. FK Fn. FS GesR GewArch. GG GKV

17

Drucksache des Deutschen Bundestages Buchstabe(n) Bundesversicherungsamt Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Der Betrieb denselben derselbe dieselbe(n) Dissertation Deutsche Notar-Zeitschrift Die Öffentliche Verwaltung Deutsches Steuerrecht Deutsches Verwaltungsblatt Deutsche Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Entwurf Einheitliche Europäische Akte Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft [in der ab dem 1.5.1999 geltenden Fassung] Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft [in der vor dem 1.5.1999 geltenden Fassung] Ergänzungslieferung Die Ersatzkasse Europäisches Gericht erster Instanz Europäischer Gerichtshof Europarecht Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht eingetragener Verein Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht folgende (Seite) folgende (Seiten) Frankfurter Kommentar zum Kartellrecht Fußnote(n) Festschrift Gesundheitsrecht Gewerbearchiv Grundgesetz gesetzliche Krankenversicherung

18 GKV-WSG

Abkürzungsverzeichnis

Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz) GMG GKV-Modernisierungsgesetz GmSOGB Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes Grabitz/Hilf, Bd. II Eberhard Grabitz (Begr.)/Meinhard Hilf (Hrsg.): Das Recht der Europäischen Union, Kommentar, Bd. II, EUV/EGV, München GRG Gesundheits-Reformgesetz GRUR Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht GS Gedächtnisschrift GVBl. f. Bln. Gesetz- und Verordnungsblatt für Berlin HdbStR Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland Hrsg. Herausgeber(in) hrsg. herausgegeben Hs. Halbsatz Immenga/Mestmäcker, Ulrich Immenga/Ernst-Joachim Mestmäcker (Hrsg.): GWB – GWB Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, Kommentar, 3. Aufl. München 2001 Immenga/Mestmäcker, Ulrich Immenga/Ernst-Joachim Mestmäcker (Hrsg.): WettbeWettbR EG/1 werbsrecht, Bd. 1: EG/Teil 1, Kommentar zum Europäischen Kartellrecht, 4. Aufl. München 2007 i. S. d. im Sinne der/des JA Juristische Arbeitsblätter Jg. Jahrgang JR Juristische Rundschau jur. juristisch(e) JuS Juristische Schulung JZ Juristenzeitung Kfz Kraftfahrzeug KG Kammergericht KHG Gesetz zur wirtschaftlichen Sicherung der Krankenhäuser und zur Regelung der Krankenhauspflegesätze (Krankenhausfinanzierungsgesetz) KOM Kommissionsdokument KrV Die Krankenversicherung KVLG 1989 Zweites Gesetz über die Krankenversicherung der Landwirte Langen/Bunte I Eugen Langen (Begr.)/Hermann-Josef Bunte (Hrsg.): Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, Bd. 1: Deutsches Kartellrecht, 10. Aufl. München 2006 Langen/Bunte II Eugen Langen (Begr.)/Hermann-Josef Bunte (Hrsg.): Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, Bd. 2: Europäisches Kartellrecht, 10. Aufl. München 2006 LG Landgericht LKV Landes- und Kommunalverwaltung

Abkürzungsverzeichnis Lkw LS LSG MedR Mio. MPG Mrd. m. w. N. Nachw. n. F. NJOZ NJW NJWE-WettbR NJW-RR Nr. NVwZ NVwZ-RR NZA NZS OLG OLG-NL OLGR PBefG PKV RabelsZ RdA Rn. Rs. RsDE RVO S. SG SGb SGB IV SGB V SGB VI SGG Slg. SozR SozSich SozVers

19

Lastkraftwagen Leitsatz Landessozialgericht Medizinrecht Million(en) Gesetz über Medizinprodukte (Medizinproduktegesetz) Milliarde(n) mit weiteren Nachweisen Nachweis(e) neue Fassung Neue Juristische Online-Zeitschrift Neue Juristische Wochenschrift NJW-Entscheidungsdienst Wettbewerbsrecht NJW-Rechtsprechungs-Report Zivilrecht Nummer Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht NVwZ-Rechtsprechungs-Report Verwaltungsrecht Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht Neue Zeitschrift für Sozialrecht Oberlandesgericht OLG-Rechtsprechung Neue Länder OLG-Report Personenbeförderungsgesetz private Krankenversicherung Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht Recht der Arbeit Randnummer(n) Rechtssache(n) Beiträge zum Recht der sozialen Dienste und Einrichtungen Reichsversicherungsordnung Seite(n) Sozialgericht Die Sozialgerichtsbarkeit Viertes Buch Sozialgesetzbuch Fünftes Buch Sozialgesetzbuch Sechstes Buch Sozialgesetzbuch Sozialgerichtsgesetz Sammlung Sozialrecht. Entscheidungen des Bundessozialgerichts, bearbeitet von den Richtern des Bundessozialgerichts Soziale Sicherheit Die Sozialversicherung

20 SPD st. Rspr. Tn. u. a. Univ. Urt. usw. UWG v. VAG verb. Verf. VersR vgl. VO (EG) von der Groeben/ Schwarze I

von der Groeben/ Schwarze II

von der Groeben/ Schwarze III

von der Groeben/ Schwarze IV

Vorbem. VSSR VVDStRL WiGBl. WiVerw WRP WuW WuW/E z. B. ZESAR ZEuP

Abkürzungsverzeichnis Sozialdemokratische Partei Deutschlands ständige Rechtsprechung Textnummer(n) und andere, unter anderem Universität Urteil und so weiter Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb vom, von Gesetz über die Beaufsichtigung der Versicherungsunternehmen (Versicherungsaufsichtsgesetz) verbunden(e) Verfasser Versicherungsrecht vergleiche Verordnung der Europäischen Gemeinschaft Hans von der Groeben/Jürgen Schwarze (Hrsg.): Kommentar zum Vertrag über die Europäische Union und zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Bd. 1: Art. 1–53 EUV und Art. 1–80 EGV, 6. Aufl. Baden-Baden 2003 Hans von der Groeben/Jürgen Schwarze (Hrsg.): Kommentar zum Vertrag über die Europäische Union und zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Bd. 2: Art. 81–97 EGV, 6. Aufl. Baden-Baden 2003 Hans von der Groeben/Jürgen Schwarze (Hrsg.): Kommentar zum Vertrag über die Europäische Union und zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Bd. 3: Art. 98–188 EGV, 6. Aufl. Baden-Baden 2003 Hans von der Groeben/Jürgen Schwarze (Hrsg.): Kommentar zum Vertrag über die Europäische Union und zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Bd. 4: Art. 189–314 EGV, 6. Aufl. Baden-Baden 2003 Vorbemerkungen Vierteljahresschrift für Sozialrecht Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Gesetzblatt der Verwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebietes Wirtschaft und Verwaltung Wettbewerb in Recht und Praxis Wirtschaft und Wettbewerb WuW-Entscheidungssammlung zum Kartellrecht zum Beispiel Zeitschrift für europäisches Sozial- und Arbeitsrecht Zeitschrift für europäisches Privatrecht

Abkürzungsverzeichnis ZFSH/SGB ZHR ZIP ZMGR ZRP ZSR z. T. ZTR ZWeR

Zeitschrift Zeitschrift Zeitschrift Zeitschrift Zeitschrift Zeitschrift zum Teil Zeitschrift Zeitschrift

für für für für für für

21

Sozialhilfe und Sozialgesetzbuch das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht Wirtschaftsrecht das gesamte Medizin- und Gesundheitsrecht Rechtspolitik Sozialreform

für Tarifrecht für Wettbewerbsrecht

Einleitung A. Ausgangsbetrachtung Die deutschen gesetzlichen Krankenkassen sind zentrale Akteure auf den verschiedenen Gesundheitsmärkten in der Bundesrepublik Deutschland. Bei ihnen sind gegenwärtig ca. 88 Prozent der Bevölkerung krankenversichert,1 ein Großteil davon als Pflichtversicherte, welche keine Möglichkeit haben, zu einem privaten Krankenversicherungsunternehmen zu wechseln. Damit haben die Krankenkassen nicht nur eine hervorgehobene und marktbeherrschende Stellung auf dem Krankenversicherungsmarkt. Auch die Anbieter von Gesundheitsleistungen (z. B. Ärzte, Zahnärzte, Hebammen, Psychotherapeuten, Apotheker, Arzneimittelhersteller etc.) können ihnen in der Regel nicht ausweichen, weil diese Anbieter ihre Leistungen nicht ohne Mitsprache der Krankenkassen zu den gesetzlich Versicherten transportieren können. Die Anbindung an die Krankenkassen der gesetzlichen Krankenversicherung ist somit für die meisten Gesundheitsleistungserbringer die Grundlage ihrer gesamten beruflichen Betätigung. Allein die Betrachtung dieser Marktverhältnisse wirft die Frage auf, inwiefern auf den verschiedenen Gesundheitsmärkten wettbewerbsrechtliche Spielregeln für Krankenkassen gelten. Ferner spielte der Gesichtspunkt des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung für den Gesetzgeber bei seinen Reformbemühungen in den vergangenen Jahren eine immer stärkere Rolle.2 Bereits das Gesetz zur Sicherung und Strukturverbesserung der gesetzlichen Krankenversicherung (Gesundheitsstrukturgesetz) vom 21.12.19923 strengte mittels einer Organisationsreform eine „Modernisierung der Wettbewerbsordnung durch gleiche Wettbewerbsbedingungen in der GKV“ an.4 Die damals eingeführte Kassenwahlfreiheit ist bis heute die Grundlage des Wettbewerbs unter den Krankenkassen um Versicherte. Stärker trat der Wille des Gesetzgebers, wettbewerbliche Lösungsansätze im Gesundheitssystem zu implementieren, im Gesetz zur Reform der gesetzlichen Krankenversicherung ab dem Jahr 2000 (GKV-Reformgesetz 2000) vom 22.12. 19995 hervor, welches u. a. das Ziel verfolgte, „Qualität und Effizienz der Ver1 2 3 4 5

Vgl. Statistisches Bundesamt, Statistisches Jahrbuch 2006, 2006, S. 45. Vgl. W.-H. Roth, GRUR 2007, 645 f. BGBl. I 2266. Vgl. BT-Drucks. 12/3608 S. 69. BGBl. I 2626, in Kraft getreten am 1.1.2000.

24

Einleitung

sorgung über den Wettbewerb zwischen den Krankenkassen und zwischen den Leistungserbringern zu stärken“ sowie „Wettbewerbsverzerrungen innerhalb des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung“ sowie „Verzerrungen im Wettbewerb zwischen gesetzlicher und privater Krankenversicherung“ zu beheben.6 Daran schloß das Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Modernisierungsgesetz – GMG) vom 14.11.20037 an, mit welchem der Gesetzgeber die „solidarische Wettbewerbsordnung weiterentwickeln“ wollte.8 Schließlich erreichte die – oftmals aber auch vermeintliche – Hinwendung des Sozialgesetzgebers zum Wettbewerb ihren vorläufigen Höhepunkt mit dem Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz – GKV-WSG) vom 26.3.20079. Grundlegendes Ziel dieses jüngsten Reformwerkes ist es, das Gesundheitssystem auf allen Ebenen neu zu strukturieren und wettbewerblicher auszurichten.10 Insbesondere bezweckt es Qualitäts- und Effizienzsteigerungen durch Intensivierung des Wettbewerbs auf Kassenseite und Seiten der Leistungserbringer.11 Auch diese Entwicklung führt zwangsläufig zu der Frage, ob Krankenkassen wettbewerbsrechtlichen Verhaltensmaßstäben unterworfen sind oder aber ob es im Gesundheitswesen etwa einen Wettbewerb ohne Wettbewerbsrecht geben sollte. Auf der Suche nach einer Antwort auf die Frage nach den für Krankenkassen geltenden Wettbewerbsvorschriften kommt dem Europarecht größte Bedeutung zu. Dies liegt zum einen allgemein daran, daß traditionell rein national geregelte Sachbereiche eine zunehmende europarechtliche Durchdringung erfahren. In den vergangenen zwei Jahrzehnten sind unter dem Einfluß des europäischen Rechts ursprünglich weitgehend unangefochtene Monopole der öffentlichen Daseinsvorsorge in wettbewerbliche Strukturen überführt worden. Die Durchsetzung der gemeinschaftsrechtlichen Wettbewerbsregeln und Grundfreiheiten durch Kommission und Europäischen Gerichtshof führte insbesondere in den Sektoren öffentlicher Verkehr, Telekommunikation, Elektrizität, Strom und Gas zur Marktöffnung. Die Dynamik des Liberalisierungsprozesses auf Gemeinschaftsebene hat dazu geführt, daß heute auch die europa- und wirtschaftsrechtliche Durchleuchtung der nationalen Gesundheitssysteme auf der Tagesordnung steht. Im besonderen kommt dem Europarecht im Bereich der sozialen Sicherheit aufgrund des nationalen Rechtsrahmens in der Bundesrepublik Deutschland 6

Vgl. BT-Drucks. 14/1245 S. 1, 53 ff. BGBl. I 2190. 8 Vgl. BT-Drucks. 15/1525 S. 71. 9 BGBl. I 378. Siehe näher zu den Änderungen durch das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz M. Bitter, GesR 2007, 152 ff.; R. Richter, DStR 2007, 810 ff.; H. Sodan, NJW 2007, 1313 ff. 10 Vgl. BT-Drucks. 16/3100 S. 85. 11 Vgl. BT-Drucks. 16/3100 S. 1 f., 85 ff. 7

A. Ausgangsbetrachtung

25

größte Bedeutung zu, wenn es darum geht, wettbewerbsrechtliche Verhaltensmaßstäbe für Krankenkassen zu finden. Oftmals ermöglicht das deutsche Sozialrecht den Krankenkassen Verhaltensweisen oder Maßnahmen, die sich wettbewerbsbeschränkend auswirken. Das Verfassungsrecht, vor allem in Gestalt der Auslegung durch das Bundesverfassungsgericht, welches dem Gesetzgeber einen größtmöglichen Gestaltungsspielraum bei der Ordnung des Gesundheitswesens zubilligt, setzt dem kaum wirksame Grenzen. Ferner ist die Anwendbarkeit des deutschen Wettbewerbsrechts im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung weitgehend ausgeschlossen. Einerseits können die sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften als leges speciales die allgemeinen nationalen wettbewerbsrechtlichen Bestimmungen, insbesondere des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) oder des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG), verdrängen. Andererseits ist der Gesetzgeber im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung auch darum bemüht, die Durchsetzung von Wettbewerbsvorschriften zu erschweren (z. B. durch die Zuweisung wettbewerbsrechtlicher Streitigkeiten zu den Sozialgerichten) oder die Anwendbarkeit des nationalen Wettbewerbsrechts weitgehend auszuschließen (vgl. § 69 SGB V in der Fassung vor und nach dem 1.4.2007). Das Europarecht steht dagegen nicht zur Disposition eines nationalen Gesetzgebers, und ihm kommt grundsätzlich Anwendungsvorrang vor nationalen Regelungen zu. Gerade die an Unternehmen gerichteten Wettbewerbsregeln des EG-Vertrags (Art. 81 bis 86 EG) sind als gemeinschaftsrechtliche Kernmaterie – unter Abkehr von der üblichen Systematik – auch im Verhältnis der Bürger untereinander unmittelbar geltendes Primärrecht. Zwar mochten für einen längeren Zeitraum seit Geltung des EG-Vertrags Konflikte zwischen nationalen Sozialsystemen und gemeinschaftlicher Marktordnung sowie Wirtschaftsverfassung nicht offen zu Tage getreten sein. Wirtschafts- und Sozialordnung stehen aber in einem unlösbaren Zusammenhang, weisen etliche Wechselbeziehungen und unzählige Reibungspunkte auf, so daß es letztlich nur eine Frage der Zeit gewesen ist bis auch die nationalen Sozialsysteme im Kontext des Binnenmarktes und seiner Gesetzmäßigkeiten betrachtet werden würden. Daß die nationalen Gesundheitssysteme und die im EG-Vertrag niedergelegte Marktordnung der Europäischen Gemeinschaft nicht voneinander getrennte Bereiche sind, sondern auch Systeme der sozialen Sicherheit mit dieser Marktordnung in Einklang gebracht werden müssen, hat der Europäische Gerichtshof bereits bei den Grundfreiheiten geltend gemacht. Wichtige Impulse zur Öffnung der nationalen Sozialsysteme gingen in diesem Zusammenhang aus von den Entscheidungen des Gerichtshofes in den Rechtssachen Decker12, Kohll13, Smits und Peerbooms14, Müller-Fauré und van Riet15 sowie 12 EuGH, Urt. v. 28.4.1998, Rs. C-120/95, Slg. 1998, I-1831 – Decker. Vgl. zu dieser Entscheidung U. Becker, NZS 1998, 359 ff.; W. Berg, EuZW 1999, 587 ff.; H. Sodan, JZ 1998, 1168 ff.

26

Einleitung

Inizan16. Die Berufung auf gemeinschaftsrechtliche Grundfreiheiten setzt jedoch immer eine konkrete Benachteiligung von Ausländern voraus, mit der Folge, daß Inländer sich nicht auf Grundfreiheiten berufen können, um eine Maßnahme abzuwehren, die nur potentiell Ausländer mitbetreffen könnte. Dagegen ist das Europäische Wettbewerbsrecht (Art. 81 bis 89 EG) auch dann anzuwenden, wenn Personen oder Unternehmen anderer Mitgliedstaaten konkret nicht beteiligt sind, aber von einer beanstandeten nationalen Regelung potentiell betroffen werden könnten.17 Deshalb wurzelt im Europäischen Wettbewerbsrecht sogar ein größeres Veränderungspotential für das deutsche Gesundheitswesen als in den Grundfreiheiten. Ob Krankenkassen die Wettbewerbsregeln des EG-Vertrags zu beachten haben, hängt generell und im Ausgangspunkt davon ab, ob Krankenkassen Normadressaten des Europäischen Wettbewerbsrechts sind. Die Normadressateneigenschaft von Krankenkassen auf der Grundlage der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes im einzelnen zu untersuchen, ist Aufgabe der vorliegenden Arbeit. Allerdings ist allein mit der Einbeziehung von Krankenkassen in den persönlichen Anwendungsbereich noch nicht über die Reichweite und Durchschlagskraft des Europäischen Wettbewerbsrechts im Sektor der gesetzlichen Krankenversicherung entschieden. Es gibt eine Reihe weiterer Punkte, die dafür mitentscheidend sind und im Einzelfall viele Fragen aufwerfen können, beispielsweise das Tatbestandsmerkmal der Wettbewerbsbeschränkung oder die Zwischenstaatlichkeitsklausel. Ferner sieht der EG-Vertrag für Unternehmen, die mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse betraut sind18, in Art. 86 Abs. 2 Sonderregelungen vor, welche eine einzelfallbezogene Abwägung erforderlich machen. Um so erstaunlicher ist es, daß die „Abwehrschlacht“ gegen eine Einflußnahme des Europäischen Wettbewerbsrechts auf die Tätigkeiten von Krankenkassen gegenwärtig noch an der Türschwelle, d. h. bei der Frage nach der Normadressateneigenschaft von Krankenkassen, geführt wird. Die wenigen wettbewerbsrechtlichen Monographien zur gesetzlichen Krankenversicherung behandeln diese Frage regelmäßig sehr kurz und bejahen sie im Ergebnis jedenfalls für bestimmte Tätigkeiten. Stärker widmen sich diese Abhandlungen dann den Problemen im Zusammenhang mit möglichen Wettbe13 EuGH, Urt. v. 28.4.1998, Rs. C-158/96, Slg. 1998, I-1931 – Kohll. Vgl. zu dieser Entscheidung U. Becker, NZS 1998, 359 ff.; W. Berg, EuZW 1999, 587 ff.; H. Sodan, JZ 1998, 1168 ff. 14 EuGH, Urt. v. 12.7.2001, Rs. C-157/99, Slg. 2001, I-5473 – Smits und Peerbooms. 15 EuGH, Urt. v. 13.5.2003, Rs. C-385/99, Slg. 2003, I-4509 – Müller-Fauré und van Riet. 16 EuGH, Urt. v. 23.10.2003, Rs. C-56/01, Slg. 2003, I-12403 – Inizan. 17 Vgl. BSG, NZS 1995, 502 (507). 18 Siehe näher zum Begriff der Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse B. Schulte, ZFSH/SGB 2007, 13 ff.

B. Krankenkassen: Begriff, Rechtsform, Arten und Organisation

27

werbsbeschränkungen, die von Krankenkassen ausgehen können, und deren Rechtfertigung. Das Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 16.3.2004 in der Rechtssache AOK Bundesverband u. a.19 hat aber deutlich gemacht, daß es sehr fraglich ist, ob nach den vom Gerichtshof entwickelten Maßstäben Krankenkassen überhaupt als Normadressaten der Wettbewerbsregeln des EG-Vertrags anzusehen sind, sofern sie als Träger der gesetzlichen Krankenversicherung tätig werden. Deshalb bedarf gerade die Normadressateneigenschaft der Krankenkassen als wettbewerbsrechtliche Geltungsgrundlage einer vertieften rechtswissenschaftlichen Untersuchung.

B. Krankenkassen: Begriff, Rechtsform, Arten und Organisation Krankenkassen sind Träger der gesetzlichen Krankenversicherung in der Bundesrepublik Deutschland.20 Die gesetzliche Krankenversicherung hat nach § 1 Abs. 1 S. 1 SGB V als Solidargemeinschaft die Aufgabe, die Gesundheit der Versicherten zu erhalten, wiederherzustellen oder den Gesundheitszustand der Versicherten zu bessern. Sie gewährleistet dabei einen umfassenden Krankenversicherungsschutz für alle von ihr erfaßten Versicherten. Als Träger der Sozialversicherung im Versicherungszweig21 der Krankenversicherung sind Krankenkassen gemäß § 29 Abs. 1 SGB IV als rechtsfähige Körperschaften des Öffentlichen Rechts mit Selbstverwaltung zu organisieren. Körperschaften des Öffentlichen Rechts sind mitgliedschaftlich verfaßte juristische Personen, die durch formelles Gesetz oder aufgrund eines formellen Gesetzes mittels Hoheitsaktes errichtet worden sind. Sie beruhen auf der Mitgliedschaft natürlicher oder juristischer Personen; ihre Existenz ist aber unabhängig von einem Mitgliederwechsel und dem gegenwärtigen Mitgliederbestand. Hinter der Errichtung von Körperschaften des Öffentlichen Rechts steht der Grundgedanke, staatliche Aufgaben durch die Betroffenen im Wege der Selbstverwaltung erledigen zu lassen und dadurch die staatliche Verwaltung zu entlasten.22 Die Selbstverwaltung der Krankenkassen ist jedoch nicht mit der gemeindlichen Selbstverwaltung zu vergleichen, die nach Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG besonders geschützt ist. Das Bundesverfassungsgericht betont, im Bereich der Sozialversicherung lasse „sich nur bedingt von Selbstverwaltung sprechen. Als ,Selbstverwaltung‘ kann hier nur die vom Gesetz eingeräumte und im Rahmen 19 EuGH, Urt. v. 16.3.2004, verb. Rs. C-264/01, C-306/01, C-354/01 und C-355/ 01, Slg. 2004, I-2493 – AOK Bundesverband u. a. 20 Vgl. ausführlich zu den Krankenkassen als Träger der Krankenversicherung N. Finkenbusch, Die Träger der Krankenversicherung, 2003. 21 Vgl. § 1 Abs. 1 S. 1 SGB IV. 22 Vgl. H. Sodan/J. Ziekow, Grundkurs Öffentliches Recht, 2007, § 60 Rn. 2.

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Einleitung

des Gesetzes bestehende organisatorische Selbständigkeit und die Erledigung dessen verstanden werden, was die Kassen als Maßnahmen vorbeugender, heilender und rehabilitierender Fürsorge für ihre Versicherten – nach den gesetzlichen Vorschriften zwar weisungsfrei, aber nicht frei von Rechtsaufsicht – ins Werk setzen.“23 Die Rechtsaufsicht über Sozialversicherungsträger ist in den §§ 87 ff. SGB IV geregelt.24 Krankenkassen können bundesunmittelbare oder landesunmittelbare Körperschaften des Öffentlichen Rechts sein. Erstreckt sich die Zuständigkeit einer Krankenkasse über das Gebiet eines Bundeslandes hinaus, wird sie grundsätzlich nach Art. 87 Abs. 2 S. 1 GG als bundesunmittelbare Körperschaft geführt. Ausnahmsweise kann sie auch als landesunmittelbare Körperschaft geführt werden, wenn sich ihr Zuständigkeitsbereich nicht über mehr als drei Bundesländer ausdehnt und das aufsichtsführende Bundesland durch die beteiligten Länder bestimmt ist, vgl. Art. 87 Abs. 2 S. 2 GG. Organe einer Krankenkasse sind der Verwaltungsrat (teilweise auch Vertreterversammlung genannt) und der Vorstand. Der Verwaltungsrat besteht aus Vertretern der Versicherten und der Arbeitgeber25, bei Ersatzkassen26 nur aus Vertretern der Versicherten27, die im Rahmen der alle sechs Jahre stattfindenden Sozialversicherungswahlen (vgl. §§ 45 ff. SGB IV) von den entsprechenden Gruppenangehörigen gewählt werden. Der Verwaltungsrat hat insbesondere die Aufgabe, die Satzung und sonstiges autonomes Recht der Krankenkasse zu beschließen sowie alle Entscheidungen zu treffen, die für die Krankenkasse von grundsätzlicher Bedeutung sind (§ 197 Abs. 1 Nr. 1, 1b SGB V). Die gesetzliche Krankenversicherung finanziert sich durch Beiträge der Versicherten und sonstige Einnahmen (§ 221 Abs. 1 S. 1 SGB V), wobei im Jahr 2005 von den ca. 146 Mrd. Euro Gesamteinnahmen der verschiedenen Krankenkassen ca. 140 Mrd. Euro auf Beiträge entfielen28. Grundsätzlich wird die gesetzliche Krankenversicherung somit nicht durch staatliche Zuschüsse finanziert. § 221 SGB V bestimmt als Ausnahme dazu, daß der Bund sich zur pauschalen Abgeltung der Aufwendungen für versicherungsfremde Leistungen an der Finanzierung der Krankenkassen beteiligt, und zwar für das Jahr 2005 mit 23

BVerfGE 39, 302 (313 f.). Vgl. näher zur Rechtsaufsicht über Krankenkassen N. Finkenbusch, Die Träger der Krankenversicherung, 2003, S. 143 ff. 25 Vgl. § 44 Abs. 1 Nr. 1, 3 SGB IV. 26 Siehe zum Begriff der Ersatzkasse sogleich. 27 Vgl. § 44 Abs. 1 Nr. 4 SGB IV. 28 Vgl. die Endgültigen Rechnungsergebnisse der gesetzlichen Krankenversicherung für das Jahr 2005, S. 127 (Angaben inklusive freiwillig Versicherter) – veröffentlicht im Internet unter: www.bmg.bund.de/cln_040/nn_601100/SharedDocs/Download/DE/ Datenbanken-Statistiken/Statistiken-Gesundheit/Gesetzliche-Krankenversicherung/Finanz ergebnisse/KJ12005,templateId=raw,property=publicationFile.pdf/KJ12005.pdf. 24

B. Krankenkassen: Begriff, Rechtsform, Arten und Organisation

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2,5 Mrd. Euro, für 2006 mit 4,2 Mrd. Euro sowie für 2007 und 2008 mit jeweils 2,5 Mrd. Euro. Die Leistungen des Bundes sollen sich in den Folgejahren um jährlich 1,5 Mrd. Euro bis zu einer jährlichen Gesamtsumme von 14 Mrd. Euro erhöhen (§ 221 Abs. 1 S. 2 SGB V). Zwischen den Krankenkassen findet ein Risikostrukturausgleich statt (§ 266 SGB V).29 In diesem Rahmen wurden im Jahr 2006 Mittel in Höhe von ca. 15 Mrd. Euro zwischen den Krankenkassen umverteilt.30 Die Beiträge werden bislang nach einem Beitragssatz erhoben, der als Prozentsatz der beitragspflichtigen Einnahmen eines Versicherten in der Satzung der jeweiligen Krankenkasse festgesetzt wird (§ 241 S. 1 SGB V). Dabei sind die Beiträge so zu bemessen, daß sie zusammen mit den sonstigen Einnahmen die im Haushaltsplan vorgesehenen Ausgaben und die vorgeschriebene Auffüllung der Rücklage decken (§ 220 Abs. 1 S. 2 SGB V). Das Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz – GKV-WSG) vom 26.3.200731 sieht vor, daß ab dem Jahr 2009 die bisherigen krankenkassenabhängigen Beiträge entfallen und statt dessen die Bundesregierung durch Rechtsverordnung den Beitragssatz für alle Krankenkassen einheitlich festlegt (§ 241 Abs. 2 SGB V n. F.). Die Beiträge und Bundesmittel gemäß § 221 SGB V fließen ab dann auch nicht mehr den Krankenkassen zu, sondern dem vom Bundesversicherungsamt als Sondervermögen verwalteten Gesundheitsfonds (§ 271 Abs. 1 SGB V n. F.).32 Als Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds erhalten die Krankenkassen dann zur Deckung ihrer Ausgaben eine Grundpauschale, alters-, geschlechts- und risikoadjustierte Zu- und Abschläge zum Ausgleich der unterschiedlichen Risikostrukturen und Zuweisungen für sonstige Ausgaben (§ 266 Abs. 1 SGB V n. F.). Reichen die Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds nicht aus, um den Finanzbedarf einer Krankenkasse zu decken, muß die Krankenkasse in ihrer Satzung vorsehen, von den Mitgliedern einen kassenindividuellen Zusatzbeitrag zu erheben, welcher aber auf ein Prozent der beitragspflichtigen Einnahmen des Mitgliedes begrenzt ist (§ 242 Abs. 1 SGB V n. F.).33 Historisch bedingt finden sich verschiedene Kassenarten, nämlich Ortskrankenkassen, Betriebskrankenkassen, Innungskrankenkassen und Ersatzkassen. 29 Vgl. näher zum Risikostrukturausgleich BVerfGE 113, 167 ff.; BSGE 90, 231 ff.; H. Sodan/O. Gast, NZS 1999, 265 ff.; dies., Umverteilung durch „Risikostrukturausgleich“, 2002. 30 Vgl. H. Sodan, NJW 2007, 1313 (1316). 31 BGBl. I 378. Siehe näher zu den Änderungen durch das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz M. Bitter, GesR 2007, 152 ff.; R. Richter, DStR 2007, 810 ff.; H. Sodan, NJW 2007, 1313 ff. 32 Vgl. näher zum Gesundheitsfonds P. Axer, GesR 2007, 193 (195 f.). 33 Siehe näher zur Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung nach dem GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz P. Axer, GesR 2007, 193 ff.; H. Sodan, NJW 2007, 1313 (1316 ff.).

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Ferner sind Träger der Krankenversicherung die landwirtschaftlichen Krankenkassen, die See-Krankenkasse und die Deutsche Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See. Ortskrankenkassen bestehen für abgegrenzte Regionen (§ 143 Abs. 1 SGB V). Die Regionen sind identisch mit dem Gebiet der Bundesländer; lediglich in Nordrhein-Westfalen gibt es zwei selbständige Ortskrankenkassen. Somit existieren 17 Ortskrankenkassen in Deutschland. Eine Betriebskrankenkasse kann von einem Arbeitgeber für einen oder mehrere Betriebe errichtet werden, wenn in diesen Betrieben regelmäßig mehr als 1000 Versicherungspflichtige beschäftigt werden und die Leistungsfähigkeit der Krankenkasse auf Dauer gesichert ist (§ 147 Abs. 1 SGB V). Die Errichtung bedarf der Zustimmung der Mehrheit der im Betrieb Beschäftigen (§ 148 Abs. 2 SGB V). Durch Satzungsregelung können sich Betriebskrankenkassen für die Allgemeinheit öffnen (§ 173 Abs. 2 S. 2 SGB V). Das Zuständigkeitsgebiet einer geöffneten Betriebskrankenkasse erstreckt sich auf das Gebiet der Ortskrankenkassen, in deren Kassenbezirk Betriebe angesiedelt sind, die zur Betriebskrankenkasse gehören.34 Derzeit gibt es 199 Betriebskrankenkassen.35 Eine Innungskrankenkasse kann von einer oder mehreren Handwerksinnungen für die Handwerksbetriebe ihrer Mitglieder, die in die Handwerksrolle eingetragen sind, errichtet werden, wenn in den Handwerksbetrieben der Mitglieder regelmäßig mindestens 1000 Versicherungspflichtige beschäftigt werden und die Leistungsfähigkeit der Krankenkasse dauerhaft gesichert ist (§ 157 SGB V). Die Errichtung bedarf der Zustimmung der Innungsversammlung und der Mehrheit der in den Innungsbetrieben Beschäftigten (§ 158 Abs. 2 SGB V). Für die Öffnung gilt das oben bei den Betriebskrankenkassen Dargelegte entsprechend. Gegenwärtig existieren 16 Innungskrankenkassen.36 Der Begriff der Ersatzkasse erschließt sich nur aus dem historischen Zusammenhang. Die Krankenkassenmitgliedschaft beruhte früher auf einer festen Zuordnung von Versicherten zu bestimmten Krankenkassen.37 Einige Versicherungspflichtige oder -berechtigte konnten aber zwischen der zuständigen Primärkasse und einer Ersatzkasse wählen, wenn sie dem durch Satzung festgelegten Versichertenkreis der Ersatzkasse angehörten (vgl. §§ 168, 183 Abs. 1 S. 1, § 184 SGB V a. F.). Zum satzungsmäßigen Versichertenkreis einer Ersatzkasse gehörten entweder Arbeiter oder Angestellte, weshalb man auch heute noch zwischen Arbeiter- und Angestelltenersatzkassen unterscheidet. Die festen Zu34 Vgl. D. Neumann, Kartellrechtliche Sanktionierung von Wettbewerbsbeschränkungen im Gesundheitswesen, 2000, S. 33 f. 35 Vgl. im Internet: www.g-k-v.de/gkv/index.php?id=72. 36 Vgl. im Internet: www.g-k-v.de/gkv/index.php?id=72. 37 Vgl. B. Schmidt, NJW 2004, 2628.

B. Krankenkassen: Begriff, Rechtsform, Arten und Organisation

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ordnungen wurden durch das Gesetz zur Sicherung und Strukturverbesserung der gesetzlichen Krankenversicherung (Gesundheitsstrukturgesetz) vom 21.12. 199238 mit Wirkung zum 1.1.1996 aufgehoben.39 Als Ersatzkassen definiert das Gesetz daher seit dem 1.1.1996 solche Krankenkassen, die bereits am 31.12. 1992 bestanden und bei denen Versicherte die Mitgliedschaft bis zum 31.12. 1995 durch Ausübung des Wahlrechts erlangen konnten. Es bestehen derzeit 10 vorwiegend bundesweit tätige Ersatzkassen.40 Zwischen Orts-, Ersatz-, geöffneten Betriebs- oder Innungskrankenkassen kann die Mitgliedschaft grundsätzlich frei gewählt werden (§ 173 Abs. 2 SGB V). Die bei den landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften eingerichteten landwirtschaftlichen Krankenkassen sind Träger der Krankenversicherung der Landwirte (§§ 2, 19 KVLG 1989). Bei Seeleuten ist die See-Krankenkasse Träger der Krankenversicherung (§ 176 SGB V). In beiden Bereichen besteht ausnahmsweise noch eine berufsspezifische Krankenkassenzuordnung. Eine berufsspezifische Zuordnung galt bis zum 31.3.2007 auch für die knappschaftliche Krankenversicherung, für welche gemäß § 167 S. 1 SGB V a. F. die Deutsche Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See zuständig war.41 Nunmehr nimmt auch diese Krankenkasse am Kassenwettbewerb im Rahmen des Wahlrechts der Versicherten gemäß § 173 Abs. 2 S. 1 Nr. 4a SGB V teil.42 In jedem Bundesland bilden die Orts-, Betriebs- und Innungskrankenkassen jeweils einen Landesverband in der Rechtsform der Körperschaft des Öffentlichen Rechts (§ 207 Abs. 1 SGB V). Auf Bundesebene sieht die Verbandslandschaft bisher noch wie folgt aus: Die Landesverbände der vorstehenden Kassenarten bilden jeweils einen Bundesverband (§ 212 Abs. 1 SGB V) und die landwirtschaftlichen Krankenkassen den Bundesverband der landwirtschaftlichen Krankenkassen (§ 212 Abs. 2 SGB V) als Körperschaft des Öffentlichen Rechts (§ 212 Abs. 4 SGB V). Für die knappschaftliche Krankenversicherung nimmt die Deutsche Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See die Aufgaben eines Bundesverbandes und eines Landesverbandes wahr (§ 212 Abs. 3 SGB V). Die Ersatzkassen können sich zu Verbänden auf Bundesebene zusammenschließen (§ 212 Abs. 5 S. 1 SGB V) und haben dies im Arbeiter-Ersatzkassen-Verband e.V. und im Verband der Angestelltenkrankenkassen e.V. auch getan. Die Bundesverbände der Krankenkassen, die Deutsche Rentenversicherung Knappschaft38

BGBl. I 2266. Vgl. dazu S. 284 ff. 40 Vgl. im Internet: www.g-k-v.de/gkv/index.php?id=72. 41 Vgl. auch § 177 Abs. 1 SGB V a. F. in Verbindung mit §§ 133, 273 SGB VI. 42 Vgl. BT-Drucks. 16/3100 S. 157. Die ursprünglich auch für die See-Krankenkasse geplante Öffnung wurde im weiteren Gesetzgebungsverfahren aufgegeben, vgl. BT-Drucks. 16/4200 S. 97. 39

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Bahn-See, die Verbände der Ersatzkassen und die See-Krankenkasse stellen die Spitzenverbände der Krankenkassen im Sinne des Fünften Buches Sozialgesetzbuch dar, welche wichtige gemeinsam und einheitlich zu entscheidende Selbstverwaltungsaufgaben zu erledigen haben (§ 213 SGB V). Ab dem 1.1.2009 werden die Aufgaben der Spitzenverbände bei dem durch das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz neu errichteten Spitzenverband Bund der Krankenkassen konzentriert, der von allen Krankenkassen gebildet wird und eine Körperschaft des Öffentlichen Rechts ist (§§ 217a SGB V n. F.).43 Die Bundesverbände der Orts-, Betriebs- und Innungskrankenkassen werden kraft Gesetzes in Gesellschaften bürgerlichen Rechts umgewandelt, die sogar aufgelöst werden dürfen (§ 212 Abs. 1 SGB V n. F.). Der Bundesverband der landwirtschaftlichen Krankenkassen besteht ab dem 1.1.2009 nicht mehr fort.44

C. Determinanten des Europäischen Wettbewerbsrechts I. Normadressatensystematik des Europäischen Wettbewerbsrechts und Funktion des Unternehmenstatbestandes Das erste Kapitel (Art. 81 bis 89 EG) des sechsten Titels des Vertrags über die Gründung der Europäschen Gemeinschaft ist überschrieben mit der Bezeichnung „Wettbewerbsregeln“. Während der erste Abschnitt (Art. 81 bis 86 EG) dieses Kapitels ausweislich seiner Überschrift („Vorschriften für Unternehmen“) die für Unternehmen geltenden Wettbewerbsregeln enthält, befaßt sich der zweite Abschnitt (Art. 87 bis 89 EG) mit staatlichen Beihilfen. Die im EG-Vertrag verankerten Wettbewerbsregeln lassen sich somit unterscheiden nach solchen, die an Unternehmen gerichtet sind und die Verhaltensmöglichkeiten von Unternehmen zum Zwecke der Aufrechterhaltung wirksamen Wettbewerbs beschränken, und anderen Wettbewerbsregeln, welche bezwecken, staatliches Handeln in bezug auf die Gewährung von wettbewerbsverzerrenden Beihilfen zu reglementieren und sich somit an die Mitgliedstaaten45 richten 46. 43 Siehe näher zu den Aufgaben sowie zur Organisation und Errichtung des Spitzenverbandes Bund H. Stapf-Finé, SozSich 2007, 176 (177 ff.). 44 Vgl. BT-Drucks. 16/3100 S. 159 f. Siehe näher zu den Änderungen in der Organisationsstruktur P. Axer, GesR 2007, 193 (198 f.); H. Sodan, NJW 2007, 1313 (1316). 45 Die Art. 87 bis 89 EG gelten nicht für Gemeinschaftsbeihilfen, sondern nur für Beihilfen, die von den Mitgliedstaaten oder von staatlichen Stellen der Mitgliedstaaten gewährt werden, vgl. W. Mederer, in: von der Groeben/Schwarze II Vorbem. zu den Artikeln 87 bis 89 EG Rn. 5. 46 Obwohl sich die Beihilfevorschriften an staatliche Stellen richten, sind sie von den Unternehmen jedoch nicht außer acht zu lassen. Denn Verstöße gegen das europäische Beihilfenrecht führen regelmäßig dazu, daß der Mitgliedstaat verpflichtet ist, die zu Unrecht gewährten Beihilfen zurückzufordern, vgl. Erwägungsgrund Nr. 13 sowie Art. 14 VO (EG) Nr. 659/1999 (ABl. EG 1999 Nr. L 83/1). Vgl. ferner zur ständigen

C. Determinanten des Europäischen Wettbewerbsrechts

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Bei einer genaueren Betrachtung der „Vorschriften für Unternehmen“ ist zu erkennen, daß nur die Art. 81, 82 und 86 Abs. 2 EG Wettbewerbsregeln für Unternehmen darstellen. Art. 86 Abs. 1 EG richtet sich eindeutig an die Mitgliedstaaten und die Art. 83, 84, 85 und 86 Abs. 3 EG befassen sich primär verfahrensrechtlich mit Durchführungsvorschriften sowie mit Befugnissen der Mitgliedstaaten und der Kommission. Die materiellrechtlichen Bestimmungen des Europäischen Wettbewerbsrechts (Art. 81, 82, 86 und 87 EG) unterteilen sich somit in Wettbewerbsregeln, die sich an Unternehmen (einschließlich öffentliche Unternehmen, vgl. Art. 86 Abs. 2 EG) richten und andere Wettbewerbsregeln, welche von den Mitgliedstaaten zu beachten sind. Im Rahmen der unternehmensbezogenen Bestimmungen (Art. 81, 82, 86 Abs. 2 EG) kommt dem Tatbestandsmerkmal des Unternehmens die Funktion zu, den persönlichen Anwendungsbereich der vom EG-Vertrag als „Vorschriften für Unternehmen“ (vgl. die Abschnittsüberschrift der Art. 81 bis 86 EG) bezeichneten Wettbewerbsregeln abzustecken. Mit anderen Worten werden über den Unternehmenstatbestand die Normadressaten dieser Wettbewerbsregeln festgelegt. Normadressat der Wettbewerbsregeln ist eben nicht jeder Private, sondern grundsätzlich nur ein Unternehmen oder eine Unternehmensvereinigung. Eine Beeinträchtigung des Wettbewerbs ist somit nicht in jedem Fall wettbewerbsrechtlich relevant. „Der persönliche Geltungsbereich und somit auch die Tragweite der Artikel 81 und 82 hängen daher entscheidend von der Interpretation des Wortes ,Unternehmen‘ ab.“47 Ohne daß sich dies bereits aus der Systematik der Wettbewerbsregeln erschließt, hat das Tatbestandsmerkmal des Unternehmens – in seiner durch den funktionalen Unternehmensbegriff gewonnenen Ausprägung – auch die Funktion, neben dem persönlichen auch den sachlichen Anwendungsbereich der unternehmensbezogenen Wettbewerbsregeln abzugrenzen,48 welches an dieser Stelle schon Erwähnung finden soll. Der Unternehmensbegriff gewinnt jedoch auch Bedeutung im Rahmen der an die Mitgliedstaaten gerichteten Wettbewerbsregeln (Art. 86 Abs. 1, Art. 87 EG, Art. 10 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 81, 82 EG). Eine Beihilfe im Sinne des Art. 87 Abs. 1 EG liegt nur vor, wenn Vergünstigungen an Unternehmen (oder Produktionszweige49) gewährt werden.50 Liegt keine Unternehmenssubventionierung vor, ist Art. 87 EG auch nicht einschlägig. Ferner verpflichten Art. 10 Rechtsprechung EuGH, Urt. v. 21.3.1991, Rs. C-305/91, Slg. 1991, I-1603 Rn. 41 – Italien/Kommission. 47 H. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze II Vorbem. zu den Artikeln 81 bis 85 EG Rn. 17. 48 Siehe dazu S. 48 f. und 67 f. 49 Einem Produktionszweig können ebenfalls nur Unternehmen angehören.

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Abs. 2 und Art. 86 Abs. 1 EG die Mitgliedstaaten, keine staatlichen Maßnahmen zu ergreifen oder beizubehalten, welche die praktische Wirksamkeit der unternehmensgerichteten Wettbewerbsregeln aufheben.51 Auch hier kommt eine Verletzung dieser Vorgaben nur dann in Betracht, wenn sich die staatlichen Handlungen auf Unternehmen beziehen. Bei diesen vorstehend genannten, an Mitgliedstaaten gerichteten Wettbewerbsregeln wird durch den Unternehmenstatbestand jedoch nicht der persönliche Anwendungsbereich bestimmt, denn Normadressaten sind die Mitgliedstaaten. Der Unternehmenstatbestand steckt hier vielmehr allein den sachlichen Anwendungsbereich ab. II. Weitere Determinanten der Anwendbarkeit des Europäischen Wettbewerbsrechts Der Anwendungsbereich der an Unternehmen gerichteten Wettbewerbsregeln des EG-Vertrags wird nicht ausschließlich durch das Tatbestandsmerkmal des Unternehmens umrissen. Die Handlungen eines Unternehmens können nicht immer an den wettbewerbsrechtlichen Maßstäben des Gemeinschaftsrechts gemessen werden, weil neben dem Unternehmenstatbestand weitere Anwendbarkeitsvoraussetzungen existieren. 1. Unternehmensbezogene Wettbewerbsregeln: Erfordernis der Verantwortlichkeit des Unternehmens und Haftung der Mitgliedstaaten bei fehlender Verantwortlichkeit des Unternehmens aufgrund staatlicher Maßnahmen Die unternehmensbezogenen Vorschriften des Art. 81 EG (Kartellverbot) und des Art. 82 EG (Mißbrauchsverbot) greifen nur dann ein, wenn wettbewerbsbeschränkendes Verhalten auf einer selbstbestimmten Entscheidung des Unternehmens beruht.52 Als „Vorschriften für Unternehmen“ gelten Kartellverbot und 50 Vgl. die Schlußanträge des Generalanwalts Siegbert Alber v. 7.5.2002, Rs. 351/ 98, Slg. 2002, I-8031 Tn. 25 – Spanien/Kommission. 51 Siehe S. 35 f. 52 EuGH, Urt. v. 11.9.1997, verb. Rs. C-359/95 P und C-379/95 P, Slg. 1997, I6265 Rn. 33 f. – Kommission und Frankreich/Ladbroke Racing; Urt. v. 9.9.2003, Rs. C-198/01, Slg. 2003, I-8055 Rn. 51 – CIF; EuG, Urt. v. 18.9.1996, Rs. T-387/94, Slg. 1996, II-961 Rn. 61 – Asia Motor France u. a.; OLG Düsseldorf, WuW/E DE-R 233 (238) – Inkontinenzhilfen; Pharma Recht 1999, 283 (296); P. Axer, NZS 2002, 57 (62); H.-J. Bunte, in: Langen/Bunte II Art. 81 [Generelle Prinzipien] Rn. 65; K.-J. Bieback, RsDE Nr. 49 (2001), 1 (14 f., 22 f.); A. Duisberg, Die Anwendung der Artikel 85 und 86 EG-Vertrag in den Fällen der staatlichen Einflußnahme auf Unternehmensverhalten, 1997, S. 77 ff., 87 ff.; E. Eichenhofer, NZS 2001, 1 (4); C. Engelmann, Kostendämpfung im Gesundheitswesen und EG-Wettbewerbsrecht, 2002, S. 68, 103 ff.; R. Giesen, VSSR 1996, 311 (327 f.); A. Hänlein/J. Kruse, NZS 2000, 165 (170); E.-J. Mestmäcker, RabelsZ 52 (1988), 526 (546 f.).

C. Determinanten des Europäischen Wettbewerbsrechts

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Mißbrauchsverbot nur für Maßnahmen, welche das Unternehmen selbst zu verantworten hat. Dieser den Art. 81 und 82 EG immanenten Grundannahme wird bei der Rechtsanwendung folgendermaßen Rechnung getragen: Wird einem Unternehmen ein wettbewerblich relevantes Verhalten durch Regelungen der Mitgliedstaaten zwingend vorgeschrieben, fehlt es regelmäßig an einer tatbestandsmäßigen Wettbewerbsbeschränkung53 im Sinne von Art. 81 Abs. 1 EG bzw. an einem Mißbrauch im Sinne von Art. 82 Abs. 1 EG. Ist eine konkrete Verhaltensweise dem Unternehmen nicht zuzurechnen, insbesondere wenn wettbewerbswidriges Verhalten durch nationale Rechtsvorschriften geboten wird, kann aber die zugrunde liegende staatliche Maßnahme unter Umständen gemäß Art. 10 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 81, 82 EG mit dem EG-Vertrag unvereinbar sein.54 Denn Art. 10 Abs. 2 EG verpflichtet die Mitgliedstaaten, alle Maßnahmen zu unterlassen, welche die Verwirklichung der Ziele dieses Vertrags gefährden könnten. Deshalb dürfen nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes die Mitgliedstaaten keine Maßnahmen, und zwar auch nicht in Form von Gesetzen oder Verordnungen, treffen oder beibehalten, welche die praktische Wirksamkeit der für Unternehmen geltenden Wettbewerbsregeln aufheben könnten.55 Demnach ist subsidiär auch ein 53 Unter einer Wettbewerbsbeschränkung im Sinne des Art. 81 Abs. 1 EG wird im allgemeinen eine Einschränkung der wirtschaftlichen Handlungsfreiheit der an einer Vereinbarung oder Verhaltensabstimmung beteiligten bzw. von einem Beschluß betroffenen Unternehmen verstanden (vgl. V. Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, WettbR EG/1 Art. 81 Abs. 1 EGV Rn. 137, 146; H.-J. Bunte, in: Langen/Bunte II Art. 81 [Generelle Prinzipien] Rn. 60 f.). Wird ein unternehmerisches Verhalten staatlich vorgeschrieben, fehlt es von vornherein an der wirtschaftlichen Handlungsfreiheit der Unternehmen. Siehe auch C. Engelmann, Kostendämpfung im Gesundheitswesen und EG-Wettbewerbsrecht, 2002, S. 103 ff. Von Teilen der Literatur wird auch eine Beeinträchtigung des wirtschaftlichen Handlungsspielraums Dritter als tatbestandsmäßige Wettbewerbsbeschränkung im Sinne des Art. 81 Abs. 1 EG angesehen (vgl. H.-J. Bunte, in: Langen/Bunte II Art. 81 [Generelle Prinzipien] Rn. 62 m. w. N.; V. Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, WettbR EG/ 1 Art. 81 Abs. 1 EGV Rn. 133 f., 148, der diesen Ansatz jedoch selbst ablehnt; W.-H. Roth/T. Ackermann, in: FK Art. 81 Abs. 1 EG-Vertrag Grundfragen Rn. 229 ff. [Stand: November 1999]). Wird bestimmten Unternehmen ein dritte Unternehmen wettbewerblich beeinträchtigendes Verhalten vorgeschrieben, fehlt es an dem erforderlichen Kausalzusammenhang zwischen der Koordinierungshandlung (Absprache, Verhaltensabstimmung, Beschluß) und der Wettbewerbsbeschränkung (so H.-J. Bunte, a. a. O.) oder jedenfalls an der Zurechenbarkeit des Verhaltens. 54 Siehe dazu EuGH, Urt. v. 9.9.2003, Rs. C-198/01, Slg. 2003, I-8055 Rn. 40 ff. – CIF; Schlußanträge des Generalanwalts Francis G. Jakobs v. 28.1.1999, Rs. C-67/96, Slg. 1999, I-5751 Tn. 301, 370 ff. – Albany. Vgl. P. Axer, NZS 2002, 57 (62); G. Bauer, Wettbewerbsbeschränkungen durch Staaten?, 1990, S. 106 ff.; A. Kämmer, Kartellrechtliche Grenzen für die Beschränkungen des Wettbewerbs bei der Leistungsbeschaffung im Gesundheitswesen, 2004, S. 224 ff. 55 EuGH, Urt. v. 21.9.1988, Rs. 267/86, Slg. 1988, 4769 Rn. 16 – Van Eycke; Urt. v. 17.11.1993, Rs. C-185/91, Slg. 1993, I-5801 Rn. 14 – Reiff; Urt. v. 5.10.1995, Rs. C-96/94, Slg. 1994, I-2883 Rn. 20 – Centro Servizi Spediporto; Urt. v. 17.6.1997, Rs. C-70/95, Slg. 1997, I-3395 Rn. 41 – Sodemar u. a.; Urt. v. 18.6.1998, Rs. C-35/96,

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Verstoß gegen unternehmensbezogene Vorschriften durch die Mitgliedstaaten möglich, insbesondere wenn sie hoheitlich handeln.56 Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes müßten die nationalen Wettbewerbsbehörden die betroffenen Unternehmen anweisen, die gegen den EG-Vertrag verstoßenden nationalen Vorschriften unbeachtet zu lassen, wodurch die Unternehmen ihre notwendige Handlungsfreiheit zurückerlangten.57 Wie der Gerichtshof entschieden hat, liegt eine Verletzung der Art. 10 Abs. 2, 81 EG vor, wenn ein Mitgliedstaat gegen Art. 81 verstoßende „Kartellabsprachen vorschreibt oder erleichtert oder die Auswirkungen solcher Absprachen verstärkt oder wenn er seiner eigenen Regelung dadurch ihren staatlichen Charakter nimmt, daß er die Verantwortung für in die Wirtschaft eingreifende Entscheidungen privaten Wirtschaftsteilnehmern überträgt“.58 Hinsichtlich öffentlicher Unternehmen sowie für die Gewährung besonderer oder ausschließlicher Rechte an (öffentliche und private) Unternehmen durch die Mitgliedstaaten enthält Art. 86 Abs. 1 EG eine spezielle Vorschrift. Die Mitgliedstaaten werden angehalten, in bezug auf diese Unternehmen keine den Wettbewerbsregeln der Art. 81 bis 89 EG widersprechenden Maßnahmen zu treffen. Die staatliche Bevorzugung öffentlicher Unternehmen oder die Gewährung von Vorzugsrechten an private Unternehmen können die praktische Wirksamkeit der Wettbewerbsregeln beeinträchtigen, insbesondere wenn aufgrund staatlicher Vorgaben die Zurechenbarkeit eines wettbewerblich nachteiligen Verhaltens ausscheidet, so daß Art. 81 und 82 EG hinsichtlich des Unternehmens nicht greifen59. Daher stellt Art. 86 Abs. 1 EG einen speziellen Anwendungsfall von Art. 10 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 81, 82 EG dar.60

Slg. 1998, I-3851 Rn. 53 – Kommission/Italien (Zollspediteure); Urt. v. 18.6.1998, Rs. C-266/96, Slg. 1998, I-3949 Rn. 35 – Corsica Ferries France; Urt. v. 9.9.2003, Rs. C-198/01, Slg. 2003, I-8055 Rn. 45 ff. – CIF. 56 Vgl. EuGH, Urt. v. 5.10.1995, Rs. C-96/94, Slg. 1994, I-2883 Rn. 21 – Centro Servizi Spediporto; Urt. v. 18.6.1998, Rs. C-35/96, Slg. 1998, I-3851 Rn. 54 – Kommission/Italien (Zollspediteure); Urt. v. 18.6.1998, Rs. C-266/96, Slg. 1998, I-3949 Rn. 40 – Corsica Ferries France m. w. N. Siehe auch R. Giesen, VSSR 1996, 311 (328 ff.) m. w. N. 57 Vgl. EuGH, Urt. v. 9.9.2003, Rs. C-198/01, Slg. 2003, I-8055 Rn. 48 ff. – CIF. 58 EuGH, Urt. v. 5.10.1995, Rs. C-96/94, Slg. 1994, I-2883 Rn. 21 – Centro Servizi Spediporto; Urt. v. 17.6.1997, Rs. C-70/95, Slg. 1997, I-3395 Rn. 42 – Sodemar u. a.; Urt. v. 18.6.1998, Rs. C-35/96, Slg. 1998, I-3851 Rn. 54 – Kommission/Italien (Zollspediteure); Urt. v. 9.9.2003, Rs. C-198/01, Slg. 2003, I-8055 Rn. 46 – CIF. 59 Vgl. T. Kapp, in: FK Art. 86 EG Rn. 60 (Stand: Oktober 2005). Siehe auch Fn. 53. 60 EuGH, Urt. v. 5.10.1994, Rs. C-323/93, Slg. 1994, I-5077 Rn. 15 – Centre d’Insémination de la Crespelle; Schlußanträge des Generalanwalts Francis G. Jakobs v. 28.1.1999, Rs. C-67/96, Slg. 1999, I-5751 Tn. 371 – Albany; C. Stadler, in: Langen/ Bunte II Artikel 86 Rn. 6 m. w. N.

C. Determinanten des Europäischen Wettbewerbsrechts

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Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes ist die Schaffung einer beherrschenden Stellung durch die Gewährung ausschließlicher Rechte im Sinne von Art. 86 Abs. 1 EG zwar als solche noch nicht mit Art. 82 EG (Mißbrauchsverbot) unvereinbar,61 doch „verstößt ein Mitgliedstaat gegen die in diesen beiden Bestimmungen enthaltenen Verbote, wenn das betreffende Unternehmen durch die bloße Ausübung der ihm übertragenen ausschließlichen Rechte seine beherrschende Stellung mißbräuchlich ausnutzt oder wenn durch diese Rechte eine Lage geschaffen werden könnte, in der dieses Unternehmen einen solchen Mißbrauch begeht“.62 Das Verhältnis zwischen Art. 81, 82 EG (Verstoß gegen unternehmensbezogene Normen durch Unternehmen selbst) auf der einen Seite und Art. 10 Abs. 2 in Verbindung mit 81, 82 EG bzw. Art. 86 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 81, 82 EG (Verstoß gegen unternehmensbezogene Normen durch den Mitgliedstaat) auf der anderen Seite ist noch weitgehend ungeklärt und wird in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes nicht deutlich. Richtigerweise ist davon auszugehen, daß Verstöße gegen unternehmensbezogene Normen für beide Adressatengruppen nebeneinander möglich sind und somit keine sich gegenseitig ausschließende, sondern eine voneinander unabhängige Anwendbarkeit besteht.63 Gerade wenn die hoheitlichen Bindungen die wettbewerbliche Handlungsfreiheit der Unternehmen nur teilweise beseitigen, sind die unternehmensbezogenen Wettbewerbsregeln auf den verbleibenden Teil anwendbar, während der ausgeschlossene Teil nach dem an die Mitgliedstaaten gerichteten Gemeinschaftsrecht zu beurteilen ist.64 Art. 86 Abs. 1 EG ist im Verhältnis zu Art. 10 Abs. 2 EG lex specialis.65 Problematisch ist, daß Rechtsprechung und ihr folgend Teile der Literatur einen Verstoß durch den Mitgliedstaat nur dann bejahen, wenn der Mitgliedstaat ein unter Art. 81 oder 82 EG fallendes Verhalten den Unternehmen vorschreibt und dafür – nunmehr auch in der mitgliedstaatlichen Dimension – ein vorgeschriebenes Unternehmensverhalten mit Handlungsfreiheit verlangen66.67 Bleibt 61 Vgl. auch C. Koenig/C. Engelmann, in: N. Klusen (Hrsg.), Europäischer Binnenmarkt und Wettbewerb – Zukunftsszenarien für die GKV, 2003, 107 (109 f.). 62 EuGH, Urt. v. 18.6.1998, Rs. C-266/96, Slg. 1998, I-3949 Rn. 40 – Corsica Ferries France m. w. N. 63 So auch A. Kämmer, Kartellrechtliche Grenzen für die Beschränkungen des Wettbewerbs bei der Leistungsbeschaffung im Gesundheitswesen, 2004, S. 236; T. Kapp, in: FK Art. 86 EG Rn. 60 (Stand: Oktober 2005). 64 A. Kämmer, Kartellrechtliche Grenzen für die Beschränkungen des Wettbewerbs bei der Leistungsbeschaffung im Gesundheitswesen, 2004, S. 238; E.-J. Mestmäcker, RabelsZ 52 (1988), 526 (547). 65 Siehe die Nachweise bei Fn. 60. 66 Vgl. EuGH, Urt. v. 17.11.1993, Rs. C-2/91, Slg. 1993, I-5751 Rn. 14 f. – Meng; Urt. v. 17.11.1993, Rs. C-245/91, Slg. 1993, I-5851 Rn. 10 ff. – Ohra Schadeverzekeringen; EuG, Urt. v. 18.9.1996, Rs. T-387/94, Slg. 1996, II-961 Rn. 60 f. – Asia Mo-

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Einleitung

einem Unternehmen dagegen überhaupt keine Handlungsfreiheit, ist nach dieser Auffassung zum einen ein Verstoß des Unternehmens gegen Art. 81, 82 EG mangels zurechenbaren Verhaltens ausgeschlossen, und zum anderen verstößt der Mitgliedstaat mit seiner wettbewerbsbeschränkenden Vorgabe nicht gegen Art. 10 Abs. 2 EG bzw. Art. 86 Abs. 1 EG (in Verbindung mit Art. 81, 82 EG), weil kein unter die Art. 81 oder 82 EG fallendes Verhalten vorgegeben wurde. 2. Zwischenstaatlichkeitsklausel Das Kartellverbot des Art. 81 Abs. 1 EG erfaßt nur solche wettbewerbsbeschränkenden koordinierenden Handlungen von Unternehmen oder einer Unternehmensvereinigung, „welche den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet sind“. Ebenso verbietet das Mißbrauchsverbot des Art. 82 EG die mißbräuchliche Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung nur, „soweit dies dazu führen kann, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen“. Im Tatbestand des an die Mitgliedstaaten gerichteten Beihilfenverbotes gemäß Art. 87 Abs. 1 EG ist eine ähnliche einschränkende Formulierung zu finden. Diese in den Art. 81, 82 und 87 EG enthaltenen gleichartigen Tatbestandsmerkmale werden als Zwischenstaatlichkeitsklausel bezeichnet. Die Zwischenstaatlichkeitsklausel erfüllt die Funktion, eine vertikale Abgrenzung des Anwendungsbereichs der Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft vom nationalen Wettbewerbsrecht vorzunehmen.68 Sie beschränkt den Anwendungsbereich der Art. 81 und 82 EG auf unternehmerische Maßnahmen, „die geeignet sind, ein Mindestmaß an grenzüberschreitenden Auswirkungen innerhalb der Gemeinschaft zu entfalten“69 und stellt somit eine Kollisionsnorm dar70. Daß eine wettbewerbsbeschränkende Handlung im Sinne der Art. 81 oder 82 EG

tor France u. a.; H.-J. Bunte, in: Langen/Bunte II Art. 81 [Generelle Prinzipien] Rn. 14 m. w. N.; R. Giesen, VSSR 1996, 311 (329). A. A. A. Kämmer, Kartellrechtliche Grenzen für die Beschränkungen des Wettbewerbs bei der Leistungsbeschaffung im Gesundheitswesen, 2004, S. 228 ff., insb. S. 236. Auch kritisch M. Caspari, in: Problematik der Ausnahmebereiche im Kartellrecht, 1988, 69 (72 f.). Vgl. auch G. Bauer, Wettbewerbsbeschränkungen durch Staaten?, 1990, S. 134. 67 So erklären sich Formulierungen wie: „Eine Verletzung von Art. 10 Abs. 2, Art. 81 EG liegt vor, wenn ein Mitgliedstaat gegen Art. 81 EG verstoßende Kartellabsprachen vorschreibt“ (vgl. die Nachweise bei Fn. 58). 68 EuGH, Urt. v. 13.7.1966, verb. Rs. 56 und 58/64, Slg. 1966, 321 (389) – Consten und Grundig; Urt. v. 31.5.1979, Rs. 22/78, Slg. 1979, 1869 Rn. 17 – Hugin/Kommission; J. Aicher/F. Schuhmacher, in: Grabitz/Hilf, Bd. II, Art. 81 EGV Rn. 46 (Stand: Januar 2004); J. Basedow, NJW 1996, 1921 (1924); E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2004, § 4 Rn. 1. 69 Kommission, Leitlinien über den Begriff der Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags, ABl. EU 2004 Nr. C 101/81 Rn. 13. 70 Vgl. H.-J. Bunte, in: Langen/Bunte II Art. 81 [Generelle Prinzipien] Rn. 117.

C. Determinanten des Europäischen Wettbewerbsrechts

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einen zwischenstaatlichen Bezug hat, schließt die Anwendbarkeit des nationalen Wettbewerbsrechts allerdings nicht aus. Grundsätzlich sind die europäischen und nationalen Wettbewerbsvorschriften nebeneinander anwendbar.71 Das Verhältnis zwischen den Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft, deren Geltungsbereich überhaupt nur bei einem zwischenstaatlichen Bezug eröffnet ist, und dem nationalen Wettbewerbsrecht wird aus Sicht des Gemeinschaftsrechts durch Art. 3 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 vom 16.12.200272 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des EG-Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln konkretisiert. Komplementärvorschrift im deutschen Kartellrecht ist § 22 GWB. Danach darf die Anwendung des deutschen Rechts nicht zum Verbot von Vereinbarungen oder Beschlüssen im Sinne des Art. 81 Abs. 1 EG führen, welche den Handel zwischen den Mitgliedstaaten beeinträchtigen können, aber nach Europäischem Wettbewerbsrecht erlaubt sind (§ 22 Abs. 2 GWB, Art. 3 Abs. 2 S. 1 VO [EG] 1/2003).73 Dagegen ist auf einseitige Wettbewerbsbeschränkungen, welche nach europäischem Recht ausschließlich nach Art. 82 EG zu beurteilen sind, das deutsche Recht unabhängig davon anzuwenden, wie im Ergebnis die Beurteilung nach Art. 82 EG ausfällt (§ 22 Abs. 3 GWB, vgl. auch Art. 3 Abs. 2 S. 2 VO [EG] 1/2003).74 Der Begriff des Handels zwischen den Mitgliedstaaten umfaßt alle grenzüberschreitenden wirtschaftlichen Tätigkeiten und ist nicht auf den Austausch von Waren beschränkt.75 Für die Anwendbarkeit der Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft genügt es, daß eine unternehmerische Maßnahme im Sinne der Art. 81, 82 EG (Vereinbarung, Beschluß, aufeinander abgestimmte Verhaltensweise, mißbräuchliche Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung) geeignet ist, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen.76 Es ist nicht erforderlich, daß die Maßnahme den zwischenstaatlichen Wirtschaftsverkehr tatsächlich beeinträchtigen wird oder beeinträchtigt hat. Eine Maßnahme ist nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes geeignet, den Han71 Vgl. R. Bechtold, in: ders., Kartellgesetz – Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, 2006, § 22 Rn. 1; W. Weiß, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2007, Art. 81 EGV Rn. 16. 72 ABl. EG 2003 Nr. L 1/1. 73 Vgl. A. Weitbrecht, EuZW 2003, 69 (70 f.). 74 Vgl. zum Verhältnis des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen zu den Art. 81 und 82 EG R. Bechtold, in: ders., Kartellgesetz – Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, 2006, § 22 Rn. 1 ff. 75 Vgl. EuGH, Urt. v. 25.10.1979, Rs. 22/79, Slg. 1979, 3275 Rn. 11 – Greenwich Film/SACEM; Urt. v. 14.7.1981, Rs. 172/80, Slg. 1981, 2021 Rn. 18 – Züchner/Bayerische Vereinsbank; Kommission, Leitlinien über den Begriff der Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags, ABl. EU 2004 Nr. C 101/81 Rn. 19; E. Rehbinder, in: Immenga/Mestmäcker, WettbR EG/1 Art. 81 Abs. 1 EGV Rn. 266. 76 Vgl. zu möglichen grenzüberschreitenden Gesundheitsleistungen innerhalb der Europäischen Union B. von Maydell, VSSR 1999, 3 (5).

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del zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen, wenn sich nach objektiven, rechtlichen oder tatsächlichen Umständen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit voraussehen läßt, daß die Maßnahme den Wirtschaftsverkehr unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell beeinflussen kann.77 Durch diese weite Auslegung der Zwischenstaatlichkeitsklausel wird der vertikale Anwendungsbereich der Wettbewerbsregeln weit gefaßt.78 Um zu verhindern, daß schon minimale Handelsbeeinträchtigungen den Geltungsbereich der gemeinschaftsrechtlichen Wettbewerbsregeln eröffnen, verlangt der Europäische Gerichtshof als quantitatives Element die Spürbarkeit der Handelsbeeinträchtigung.79 „Die Beurteilung der Spürbarkeit ist abhängig von den in jedem Einzelfall vorherrschenden Umständen, insbesondere von der Art der Vereinbarung oder Verhaltensweise, der Art der erfassten Waren und der Marktstellung der beteiligten Unternehmen.“80 Eine einzelne Maßnahme, die alleine nicht geeignet ist, spürbare Beeinträchtigungen zu bewirken, unterfällt den Wettbewerbsregeln aber dann, wenn mittels vergleichbarer paralleler Maßnahmen kumuliert die Geringfügigkeitsschwelle überschritten wird (Bündeltheorie).81

D. Gang der Untersuchung und erhoffter Ertrag Am Anfang der Untersuchung werden die allgemein für die Beurteilung der Normadressateneigenschaft maßgeblichen Grundsätze zum Unternehmensbegriff des Europäischen Wettbewerbsrechts ermittelt. Als allgemeine Grundsätze sind dabei diejenigen den Unternehmenstatbestand ausfüllenden Prinzipien zu verstehen, welche sich im Laufe einer jahrzehntelangen Praxis des Europäischen Gerichtshofes und der Kommission herausgebildet haben und nach welchen sich außerhalb des Tätigkeitsbereiches der sozialen Sicherheit generell die Normadressateneigenschaft einer Einheit, Einrichtung oder Person bestimmt. Dabei werden die einzelnen für das Verständnis des Unternehmensbegriffes maßgeblichen Aspekte, Gehalte, Rechtsinstitute und Methoden systematisiert und im 77 Vgl. EuGH, Urt. v. 9.7.1969, Rs. 5/69, Slg. 1969, 295 Rn. 5 – Völk/Vervaecke; Urt. v. 28.4.1998, Rs. C-306/96, Slg. 1998, I-1983 Rn. 16 – Javico; Urt. v. 25.10. 2001, Rs. C-475/99, Slg. 2001, I-8089 Rn. 48 – Ambulanz Glöckner; Urt. v. 19.2. 2002, Rs. C-309/99, Slg. 2002, I-1577 Rn. 128 – Wouters u. a. 78 Vgl. W. Möschel, NJW 1995, 281 (282). 79 Vgl. EuGH, Urt. v. 28.4.1998, Rs. C-306/96, Slg. 1998, I-1983 Rn. 16 – Javico; Urt. v. 25.10.2001, Rs. C-475/99, Slg. 2001, I-8089 Rn. 48 – Ambulanz Glöckner. 80 Kommission, Leitlinien über den Begriff der Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags, ABl. EU 2004 Nr. C 101/81 Rn. 45. 81 Vgl. EuG, Urt. v. 8.6.1995, Rs. T-7/93, Slg. 1995, II-1533 Rn. 120 – LangneseIglo; Urt. v. 14.5.1997, Rs. T-77/94, Slg. 1997, II-759 Rn. 140 – VGB u. a.; W. Weiß, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2007, Art. 81 EGV Rn. 86.

D. Gang der Untersuchung und erhoffter Ertrag

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Gesamtsystem des Wettbewerbsrechts, der Rechtsordnung oder der juristischen Methodenlehre verortet. Bei umstrittenen bzw. ungeklärten Fragestellungen, die allgemein den wettbewerbsrechtlichen Unternehmenstatbestand betreffen und auch für die Normadressateneigenschaft von Krankenkassen relevant sein können, wird ein eigener Standpunkt begründet bzw. ein eigener Lösungsansatz entwickelt. Darüber hinaus werden wirtschaftswissenschaftliche Bezüge eruiert, welche im Zweifelsfall für die Beurteilung der Unternehmenseigenschaft fruchtbar gemacht werden können, und es wird das Verhältnis zwischen wirtschaftswissenschaftlicher und wettbewerbsrechtlicher Betrachtung durchleuchtet. Schließlich werden in einem Exkurs der Unternehmensbegriff des deutschen Kartellrechts erkundet sowie Parallelen und Unterschiede zum Europäischen Wettbewerbsrecht erhoben. Im zweiten Kapitel wird zunächst untersucht, ob für den Tätigkeitsbereich der sozialen Sicherheit eine wettbewerbsrechtliche Bereichsausnahme im EG-Vertrag angelegt ist, welche eine Anwendung der Wettbewerbsregeln auf Krankenkassen verhindern würde. Hierbei ist insbesondere der gegenwärtige Stand der Kompetenzverteilung zwischen Mitgliedstaaten und Europäischer Gemeinschaft im Bereich der Sozialpolitik auszuloten. Daran anschließend wird erforscht, inwiefern die allgemeinen Grundsätze zum Unternehmensbegriff auch im Bereich der sozialen Sicherheit gelten, der seit noch nicht allzulanger Zeit überhaupt erst wettbewerbsrechtlich erschlossen wird. Dazu wird die für diesen Bereich einschlägige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes ermittelt, dargestellt und analysiert. Um zur Normadressateneigenschaft von Krankenkassen eine Aussage treffen zu können, müssen aus den einzelnen einschlägigen Entscheidungen die zur Beurteilung der Unternehmenseigenschaft relevanten und irrelevanten Merkmale von sozialen Zwecken dienenden Einrichtungen abgeleitet werden. Dabei ist kritisch zu hinterfragen, ob die relevanten Merkmale mit den allgemeinen Grundsätzen zum Unternehmensbegriff in Einklang zu bringen sind oder ob nicht vielmehr im Bereich der sozialen Sicherheit eine Sonderrechtsprechung besteht. Schließlich wird wiederum in einem Exkurs Anwendbarkeit und Unternehmensbegriff des deutschen Kartellrechts im Bereich der sozialen Sicherheit erkundet und untersucht, inwiefern auch hier Besonderheiten gegenüber allgemeinen Grundsätzen bestehen. Auf der Grundlage der im zweiten Kapitel ermittelten relevanten Merkmale für die Beurteilung der Unternehmenseigenschaft im Bereich der sozialen Sicherheit wird im dritten Kapitel überprüft, inwiefern Krankenkassen als Unternehmen anzusehen sind. Die Prüfung erfolgt dabei nicht institutionell, sondern gesondert nach einzelnen Tätigkeitsbereichen. Innerhalb der Nachfragetätigkeiten ist zu unterscheiden zwischen der Nachfrage nach Gesundheitsleistungen und der Nachfrage nach sonstigen Gütern und Dienstleistungen. Insbesondere wird bei der Nachfrage nach Gesundheitsleistungen zu klären sein, ob Krankenkassen bei der Leistungserbringung nach dem Sachleistungsprinzip oder dem

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Einleitung

Kostenerstattungsprinzip, bei Festbetragsregelungen sowie bei Mehrkostenregelungen und Festzuschüssen tatsächlich Nachfrager der verschiedenen Gesundheitsleistungen sind. Die Angebotstätigkeiten der Krankenkassen unterteilen sich in das Angebot von Versicherungsleistungen und das Angebot von Gesundheitsleistungen. Bei den Versicherungsleistungen sind die Tätigkeitsbereiche der Krankenvollversicherung von Pflichtversicherten, der Krankenvollversicherung von freiwillig Versicherten sowie das Anbieten und Vermitteln von Zusatzkrankenversicherungen zu unterscheiden und getrennt zu untersuchen. Wenn der Europäische Gerichtshof oder die Europäische Kommission dem Europäischen Wettbewerbsrecht im Bereich der sozialen Sicherheit und speziell im Tätigkeitssektor von Krankenkassen größere Bedeutung zumessen möchten, werden sich beide Akteure dabei zunächst auf dem von der Rechtsprechung bereiteten Boden bewegen. Es ist daher erforderlich, auf der Grundlage der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes die Reichweite, Grenzen und interpretatorischen Spielräume des von ihm im Bereich der sozialen Sicherheit verfolgten Unternehmensbegriffes zu beleuchten und zu untersuchen, ob sogar innerhalb dieses Ansatzes die Normadressateneigenschaft von Krankenkassen nicht oder nicht gänzlich abgelehnt werden darf. Wäre letzteres der Fall, böte auch dieser Ansatz die Möglichkeit, wettbewerbsrechtliche Verhaltensmaßstäbe gegenüber Krankenkassen in Zukunft stärker zur Geltung zu bringen, ohne daß es einer kopernikanischen Wende in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes bedürfte.

Erstes Kapitel

Der Unternehmensbegriff des Europäischen Wettbewerbsrechts – allgemeine Grundsätze A. Auslegung des Unternehmenstatbestandes Die Erkenntnis, daß Normadressaten der Wettbewerbsregeln der Art. 81, 82 und 86 Abs. 2 EG nur Unternehmen sind, führt für sich allein noch zu keinem Ergebnis. Es ist erforderlich, eine Antwort auf die Frage zu finden, wer oder was ein Unternehmen im Sinne des Europäischen Wettbewerbsrechts ist. Der EG-Vertrag enthält keine Definition des Unternehmens. Aufgrund der Funktion des Tatbestandsmerkmals des Unternehmens im Europäischen Wettbewerbsrecht, nämlich den Anwendungsbereich der Wettbewerbsregeln abzugrenzen, hängen Geltungsbereich und Tragweite des Europäischen Wettbewerbsrechts somit in erster Linie von der engen oder weiten Auslegung dieses Tatbestandsmerkmals ab82. Dabei ist es weder erforderlich noch möglich, eine Auslegung zu finden, die allen Verwendungen83 des Wortes „Unternehmen“ im EG-Vertrag gerecht wird.84 Innerhalb der Wettbewerbsregeln des EG-Vertrags (Art. 81 bis 89 EG) muß jedoch eine einheitliche Bestimmung des Unternehmensbegriffes erfolgen.85 Das Erfordernis einer abschnittsübergreifenden und kapiteleinheitlichen Begriffsbestimmung ergibt sich zwingend aus systematischen Gründen, weil die im ersten Abschnitt (Art. 81 bis 86 EG) befindliche Vorschrift des 82 V. Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, WettbR EG/1 Art. 81 Abs. 1 EGV Rn. 10. 83 Im EG-Vertrag ist das Wort „Unternehmen“ außerhalb der Art. 81 bis 86 in folgenden Bestimmungen zu finden: Art. 27 Buchst. b; 43 Abs. 2; 76 Abs. 1; 87 Abs. 1; 101 Abs. 1; 102 Abs. 1; 103 Abs. 1; 105 Abs. 6; 110 Abs. 3; 131 Abs. 2; 132 Abs. 1; 137 Abs. 2 Buchst. b; 150 Abs. 2 Spiegelstrich 4; 157 Abs. 1 S. 2 Spiegelstrich 2, 3; 163 Abs. 2; 164 Buchst. a; 167 Spiegelstrich 1; Art. 171; 267 Abs. 1 S. 2 Buchst. b; 287. 84 Vgl. EuGH, Urt. v. 23.4.1991, Rs. C-41/90, Slg. 1991, I-1979 Rn. 21 – Höfner und Elser: „Im Rahmen des Wettbewerbsrechts umfaßt der Begriff des Unternehmens [. . .]“ – Hervorhebung durch Verfasser. Siehe auch allgemein R. Zippelius, Rechtsphilosophie, 2003, § 39 III 1 (S. 272). 85 Vgl. die Schlußanträge der Generalanwältin Christine Stix-Hackl v. 14.11.2002, Rs. C-355/00, Slg. 2003, I-5263 Tn. 66 ff.; U. M. Gassner, VSSR 2000, 121 (134); W. Mederer, in: von der Groeben/Schwarze II Artikel 87 Absatz 1 EG Rn. 31; G. von Wallenberg, in: Grabitz/Hilf, Bd. II, Art. 81 EGV Rn. 43 (Stand: September 2004); G. Wilms, Das Europäische Gemeinschaftsrecht und die öffentlichen Unternehmen, 1996, S. 106. A. A. C. Koenig, EuZW 2001, 37 (39).

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1. Kap.: Der Unternehmensbegriff des Europäischen Wettbewerbsrechts

Art. 86 Abs. 1 EG ausdrücklich auf die Regeln des zweiten Abschnitts (Art. 87 bis 89 EG) Bezug nimmt. Im Gegensatz zum EG-Vertrag enthielt der Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl vom 18.4.195186, welcher nach 50jähriger Laufzeit am 23.7.2002 auslief, eine Unternehmensdefinition in seinem Art. 80. Zwar könnte man im Hinblick darauf, daß sich das Kartellverbot in Art. 81 EG als Fortführung des bereits in Art. 65 EGKS enthaltenen Kartellverbots darstellt, an eine inhaltliche Übernahme auch des Unternehmensbegriffes denken. Jedoch ist die Definition des Art. 80 EGKS87 allein darauf ausgerichtet, den Anwendungsbereich des EGKS-Vertrags zu bestimmen. Nun geht es aber gerade umgekehrt darum, den Anwendungsbereich der unternehmensgerichteten Wettbewerbsregeln des EG-Vertrags zu ermitteln. Einen Anhaltspunkt liefert das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum vom 2.5.199288. Kapitel 1 (Art. 53 bis 60) des vierten Teils dieses Abkommens – überschrieben mit „Vorschriften für Unternehmen“ – ist hinsichtlich der materiellrechtlichen Bestimmungen weitgehend inhaltsgleich mit den Art. 81 bis 86 EG. Art. 1 des 22. Protokolls zum Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum89 enthält eine Definition, nach der als Unternehmen jedes Rechtssubjekt gilt, das eine kommerzielle oder wirtschaftliche Tätigkeit ausübt. Wenn in der Literatur darauf hingewiesen wird, der Europäische Gerichtshof komme mit seiner im Urteil Höfner und Elser entwickelten Auslegung, nach der ein Unternehmen im Rahmen des Wettbewerbsrechts „jede eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einheit“ sei90, der Definition im 22. Protokoll sehr nahe,91 so ist dieser Hinweis ungenau. Denn das am 2.5.1992 unterzeichnete Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum hat wohl eher die aktuelle Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes aufgenommen, da das Urteil Höfner und Elser bereits am 23.4.1991 erging.92 Abgeschwächt wird 86

BGBl. 1952 II 447. Art. 80 EGKS lautete: „Unternehmen im Sinne dieses Vertrags sind diejenigen Unternehmen, die innerhalb der in Artikel 79 Absatz 1 genannten Gebiete eine Produktionstätigkeit auf dem Gebiet von Kohle und Stahl ausüben; was die Artikel 65 und 66 sowie die zu ihrer Anwendung erforderlichen Auskünfte und die ihretwegen erhobenen Klagen anbelangt, so sind Unternehmen im Sinne dieses Vertrags ferner diejenigen Unternehmen oder Organisationen, die gewerbsmäßig eine Vertriebstätigkeit ausüben, mit Ausnahme des Verkaufs an Haushaltungen oder an Kleingewerbetreibende.“ 88 BGBl. 1993 II 267. 89 BGBl. 1993 II 267 (407). 90 EuGH, Urt. v. 23.4.1991, Rs. C-41/90, Slg. 1991, I-1979 Rn. 21 – Höfner und Elser. 91 So W.-H. Roth/T. Ackermann, in: FK Art. 81 Abs. 1 EG-Vertrag Grundfragen Rn. 9 (Stand: November 1999). 92 So auch H. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze II Vorbem. zu den Artikeln 81 bis 85 EG Rn. 21. 87

A. Auslegung des Unternehmenstatbestandes

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die Bedeutung der Definition dadurch, daß sie gemäß dem Wortlaut des Art. 1 des 22. Protokolls zum Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum allein zum „Zwecke der Zuweisung der Einzelfälle gemäß Artikel 56 des Abkommens gilt“, d. h. ihr unmittelbar nur eine auf Art. 56 EWR beschränkte verfahrensrechtliche Bedeutung zukommt. Da jedoch nicht ersichtlich ist, daß der (verfahrensrechtliche) Unternehmensbegriff des Art. 56 EWR von dem materiellrechtlichen der Art. 53 bis 60 EWR abweicht, kann die Definition im 22. Protokoll als eine gewisse Bestätigung der genannten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes durch die Vertragsstaaten angesehen werden.93 Da das Tatbestandsmerkmal des Unternehmens die Funktion erfüllt, den persönlichen Anwendungsbereich (Normadressaten) der unternehmensgerichteten Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft sowie den sachlichen Anwendungsbereich für bestimmte an Mitgliedstaaten gerichtete Wettbewerbsregeln zu umreißen,94 muß sich die Auslegung dieses Tatbestandsmerkmals am Zweck der Wettbewerbsregeln orientieren95. Der Zweck der Wettbewerbsregeln des EG-Vertrags besteht gemäß Art. 3 Abs. 1 Buchst. g EG darin, zur Durchsetzung eines grenzüberschreitenden freien Handels den Wettbewerb innerhalb des Binnenmarktes vor Verfälschungen oder Beschränkungen zu schützen und „einen freien, redlichen, unverfälschten und gleichzeitig wirksamen Wettbewerb zu gewährleisten“96.97 Die Abschaffung (hoheitlicher) staatlicher Handelsbeschränkungen im Rahmen des im EG-Vertrag geregelten Umfanges (z. B. durch die Gewährleistung von Warenverkehrsfreiheit, Niederlassungsfreiheit, Dienstleistungsfreiheit etc.) wäre nicht wirksam, um einen wettbewerblich organisierten Binnenmarkt zu errichten und aufrechtzuerhalten, wenn die staatlichen durch private Beschränkungen ersetzt werden könnten.98 Die an Unternehmen gerichteten Wettbewerbsregeln der Art. 81 und 82 EG schützen den Binnenmarkt vor privaten Beschränkungen, denen gemäß Art. 86 EG Beschränkungen durch den unternehmerisch handelnden Staat grundsätzlich gleichgestellt sind.99 Für die Auslegung des Unternehmenstatbestandes lassen sich daraus zwei Maßgaben ableiten: Erstens sollte die Interpretation eine einheitliche Anwendung der Wettbewerbsregeln gewährleisten und erreichen, daß die Frage der 93 Siehe auch S. Billinger, Das Pflichtversicherungsmonopol der gesetzlichen Krankenversicherung in der Bundesrepublik Deutschland im Lichte des EG-Vertrags, 2001, S. 37 f. 94 Vgl. S. 33 f., 48 f., 67 f. 95 E. Eichenhofer, NJW 1991, 2857 (2859); W.-H. Roth/T. Ackermann, in: FK Art. 81 Abs. 1 EG-Vertrag Grundfragen Rn. 11 (Stand: November 1999). 96 H. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze II Vorbem. zu den Artikeln 81 bis 89 EG Rn. 8 – Hervorhebungen vom Verfasser weggelassen. 97 Siehe näher zum Zweck der Wettbewerbsregeln S. 51 ff. 98 Vgl. V. Emmerich, Kartellrecht, 2006, § 3 Rn. 4. 99 EuGH, Urt. v. 13.7.1966, verb. Rs. 56 und 58/64, Slg. 1966, 321 (388) – Consten und Grundig. Vgl. auch U. Everling, EuR 1982, 301 (312).

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1. Kap.: Der Unternehmensbegriff des Europäischen Wettbewerbsrechts

Anwendbarkeit des Europäischen Wettbewerbsrechts nicht von den Mitgliedstaaten durch Gestaltungsvarianten beantwortet werden kann.100 Zweitens gebietet sich eine eher weite Auslegung, da die Funktionsfähigkeit des Binnenmarktes zu den Elementarzielen der Europäischen Gemeinschaft gehört.101 Die vorgehobene Position der Wettbewerbsregeln kommt gerade dadurch zum Ausdruck, daß die Normen abweichend von der üblichen Regelungssystematik des EG-Vertrags unmittelbar Rechte und Pflichten der Bürger untereinander begründen. Deshalb muß die Zuordnung von Personen oder Einrichtungen zum Kreis derjenigen, deren wettbewerbsbeschränkendes Verhalten mangels Unternehmenseigenschaft grundsätzlich sanktionslos bleibt, Ausnahmecharakter haben. Das gilt ebenso für den Kreis von Personen und Einrichtungen, denen die Mitgliedstaaten wettbewerbsbeschränkende Vorteile zuwenden (vgl. Art. 87 EG) oder denen sie wettbewerbsbeschränkende Verhaltensweisen aufgeben (vgl. 86 Abs. 1 in Verbindung mit 81, 82 EG sowie Art. 10 Abs. 2 in Verbindung mit 81, 82 EG) dürfen.

B. Funktionaler Unternehmensbegriff Mangels einer Definition im EG-Vertrag oblag die Konkretisierung des wettbewerbsrechtlichen Unternehmensbegriffes der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes. Bei der Bewältigung dieser Aufgabe mußte der Gerichtshof keine Pionierarbeit leisten, denn der Unternehmensbegriff war schon lange vorher ein Schlüsselbegriff nationaler Kartellrechtsordnungen und hatte dort gefestigte Ausformungen gefunden102. Zwar muß die Auslegung des Unternehmenstatbestandes der Art. 81 ff. EG zu einem autonomen Begriff des Gemeinschaftsrechts führen;103 dies schließt jedoch nicht aus, nationale Erfahrungen in die gemeinschaftsrechtsautonome Begriffsbildung einfließen zu lassen104. 100 Vgl. E. Eichenhofer, NJW 1991, 2857 (2859); E.-J. Mestmäcker, RabelsZ 52 (1988), 526 (534); G. Wilms, Das Europäische Gemeinschaftsrecht und die öffentlichen Unternehmen, 1996, S. 109. Siehe ferner EuGH, Urt. v. 15.7.1964, Rs. 6/64, Slg. 1964, 1251 (1269 f.) – Costa/E.N.E.L.; W. Boecken, NZS 2000, 269 (271 f.); R. Giesen, VSSR 1996, 311 (316 f.); J. Isensee, VSSR 1996, 169 (174); R. Streinz, Europarecht, 2005, Rn. 572. Vgl. auch die Nachweise bei Fn. 321. 101 Vgl. OLG Düsseldorf, WuW/E DE-R 233 (235) – Inkontinenzhilfen; Pharma Recht 1999, 283 (291); H.-J. Bunte, in: Langen/Bunte II Art. 81 [Generelle Prinzipien] Rn. 5; J. Fante, Die Instrumentalisierung des öffentlichen Beschaffungswesens zur Durchsetzung politischer Ziele, 2004, S. 152; S. Graf von Wallwitz, Tarifverträge und die Wettbewerbsordnung des EG-Vertrages, 1997, S. 143 f. Siehe auch zum deutschen Kartellrecht BGH, WuW/E DE-R 289 (291) – Lottospielgemeinschaft; KG, WuW/E OLG 4914 (4917) – Mustermietvertrag II; OLG Düsseldorf, WuW/E DE-R 585 (587) – Kfz-Werkstätten. 102 Siehe zum deutschen Kartellrecht S. 126 ff. 103 Vgl. I. Ebsen, KrV 2004, 95 (97); J. Fante, Die Instrumentalisierung des öffentlichen Beschaffungswesens zur Durchsetzung politischer Ziele, 2004, S. 151; W. Frenz, NZS 2007, 233; D. Neumann, Kartellrechtliche Sanktionierung von Wettbewerbsbe-

B. Funktionaler Unternehmensbegriff

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Auffällig ist, daß der Europäische Gerichtshof lange Zeit ohne eine Definition des Unternehmens im Sinne der (heutigen) Art. 81 bis 89 EG arbeitete, obwohl die wettbewerbsrechtlichen Normen von Anfang an Bestandteil des EGVertrags sind105. In seiner Rechtsprechung zum EGKS-Vertrag stützte er sich eher auf einen materiell-institutionellen Unternehmensbegriff. Danach stellte sich das Unternehmen als „einheitliche, einem selbständigen Rechtssubjekt zugeordnete Zusammenfassung personeller, materieller und immaterieller Faktoren dar, mit welcher auf die Dauer ein bestimmter wirtschaftlicher Zweck verfolgt wird“.106 Fraglich ist, ob der Europäische Gerichtshof diese Betrachtung in seiner Hydrotherm-Entscheidung107 auf das Wettbewerbsrecht des EG-Vertrags übertragen hat, denn es handelt sich bei den dortigen Ausführungen zum Unternehmensbegriff eher um die Erörterung eines Einzelproblems (nämlich ob ein Unternehmen auch aus mehreren natürlichen oder juristischen Personen bestehen kann). Aufgegriffen wurde die materiell-institutionelle Formel für die Art. 81 bis 89 EG durch das Europäische Gericht erster Instanz;108 interessanterweise noch nachdem der Europäische Gerichtshof in seinem Urteil vom 23.4.1991 in der Rechtssache Höfner und Elser bereits dem funktionalen Begriffsverständnis für das Wettbewerbsrecht des EG-Vertrags gefolgt ist. Seit dem Urteil Höfner und Elser vertritt der Europäische Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung einen funktionalen Unternehmensbegriff. Danach umfaßt der Begriff des Unternehmens im Rahmen des Wettbewerbsrechts „jede eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einheit unabhängig von ihrer Rechtsform und der Art ihrer Finanzierung“.109 Diesem Verständnis haben sich die schränkungen im Gesundheitswesen, 2000, S. 97; W.-H. Roth/T. Ackermann, in: FK Art. 81 Abs. 1 EG-Vertrag Grundfragen Rn. 10 (Stand: November 1999); G. Skorczyk, in: N. Klusen (Hrsg.), Europäischer Binnenmarkt und Wettbewerb – Zukunftsszenarien für die GKV, 2003, 93 (97); R. Streinz, Europarecht, 2005, Rn. 572. Siehe auch OLG Düsseldorf, WuW/E DE-R 233 (235) – Inkontinenzhilfen; Pharma Recht 1999, 283 (291). 104 So auch W.-H. Roth/T. Ackermann, in: FK Art. 81 Abs. 1 EG-Vertrag Grundfragen Rn. 10 (Stand: November 1999); ferner P. Stockenhuber, in: Grabitz/Hilf, Bd. II, Art. 81 EGV Rn. 60 (Stand: Juli 2000). Möglicherweise a. A. A. von Boetticher, Die frei-gemeinnützige Wohlfahrtspflege und das europäische Beihilfenrecht, 2003, S. 57; W. Frenz, NZS 2007, 233. 105 Vgl. Art. 85 ff. EGV a. F.; BGBl. 1957 II 766 (824 ff.). 106 EuGH, Urt. v. 13.7.1962, verb. Rs. 17/61 und 20/61, Slg. 1962, 655 (687) – Klöckner und Hösch/Hohe Behörde; Urt. v. 13.7.1962, Rs. 19/61, Slg. 1962, 719 (750) – Mannesmann/Hohe Behörde. 107 EuGH, Urt. v. 12.7.1984, Rs. 170/83, Slg. 1984, 2999 Rn. 11 – Hydrotherm. 108 EuG, Urt. v. 10.3.1992, Rs. T-11/89, Slg. 1992, II-757 Rn. 311 – Shell/Kommission; Urt. v. 12.1.1995, Rs. T-102/92, Slg. 1995, II-17 Rn. 50 – Viho Europe unter Berufung auf EuGH, Urt. v. 12.7.1984, Rs. 170/83, Slg. 1984, 2999 Rn. 11 – Hydrotherm. 109 Ständige Rechtsprechung seit EuGH, Urt. v. 23.4.1991, Rs. C-41/90, Slg. 1991, I-1979 Rn. 21 – Höfner und Elser. Vgl. zuletzt EuGH, Urt. v. 11.7.2006, Rs. C-205/03 P, Slg. 2006, I-6295 Rn. 25 – FENIN. Siehe auch M. Fuchs, JZ 2005, 87 (88 f.).

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1. Kap.: Der Unternehmensbegriff des Europäischen Wettbewerbsrechts

Kommission110 und nunmehr auch das Europäische Gericht erster Instanz111 angeschlossen; in der Literatur112 trifft es auf einhellige Anerkennung. Wie bereits oben dargelegt, kann die Definition in Art. 1 des 22. Protokolls zum Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum vom 2.5.1992 als Bestätigung dieser Rechtsprechung durch die Vertragsstaaten angesehen werden.113 Daß es sich um ein funktionales Begriffsverständnis handelt, wird weniger durch die Definition selbst deutlich, sondern vielmehr durch die vom funktionalen Begriffsverständnis geleitete und mit der Subsumtion verbundene Rechtsanwendung, die maßgeblich von Sinn und Zweck der Wettbewerbsregeln bestimmt wird114.115 Die soeben dargestellte Begriffsbestimmung kennzeichnet sich zunächst dadurch, daß sie ausdrücklich nur „im Rahmen des Wettbewerbsrechts“ Geltung beansprucht; sie muß auch nicht für alle Verwendungen116 des Wortes „Unternehmen“ im EG-Vertrag passend sein117. Dagegen gilt die Begriffsbestimmung Siehe zur deutschen Rechtsprechung: BGH, WuW/E DE-R 747 (751) – Festbeträge; BSGE 90, 231 (267 f.); 91, 263 (265); OLG Düsseldorf, WuW/E DE-R 233 (234 f.) – Inkontinenzhilfen; Pharma Recht 1999, 283 (291). 110 Vgl. Kommission, Entscheidung v. 10.2.1999, ABl. EG 1999 Nr. L 69/24 Rn. 21 f. – Ilmailulaitos/Luftfartsverket; Entscheidung v. 2.7.2002, ABl. EU 2003 Nr. L 255/1 Rn. 237 – Methionin. 111 Vgl. EuG, Urt. v. 22.10.1997, verb. Rs. T-213/95 und T-18/96, Slg. 1997, II1739 Rn. 120 – SCK und FNK. Das Europäische Gericht erster Instanz folgte aber noch nach der Entscheidung Höfner und Elser einem institutionell-materiellen Verständnis, vgl. die Nachweise bei Fn. 108. 112 Vgl. K.-J. Bieback, RsDE Nr. 49 (2001), 1 (11); ders., RsDE Nr. 56 (2004), 57 (58); A. S. Bien, Die Einflüsse des europäischen Kartellrechts auf das nationale Gesundheitswesen, 2004, S. 81 ff.; H.-J. Bunte, in: Langen/Bunte II Art. 81 [Generelle Prinzipien] Rn. 5; I. Ebsen, in: G. Igl (Hrsg.), Das Gesundheitswesen in der Wettbewerbsordnung, 2000, 22 (31); C. Engelmann, Kostendämpfung im Gesundheitswesen und EG-Wettbewerbsrecht, 2002, S. 65 ff.; U. M. Gassner, VSSR 2000, 121 (134); R. Geiger, EUV/EGV, 2004, Art. 81 EGV Rn. 6; W. Kahl, NVwZ 1996, 1082 (1083); H.-G. Kamann/P. Gey, Pharma Recht 2006, 255 (258); G. Kordel, Arbeitsmarkt und Europäisches Kartellrecht, 2004, S. 27 ff.; K. W. Lange, WuW 2002, 953 (954 ff.); D. Neumann, Kartellrechtliche Sanktionierung von Wettbewerbsbeschränkungen im Gesundheitswesen, 2000, S. 97 f.; N. Reich, ZSR 46 (2000), 449 (462 f.); J.-R. von Renesse, VSSR 2001, 359 (365 f.); B. Schulte, ZFSH/SGB 2006, 719 (727 f.); H.-D. Steinmeyer, Wettbewerbsrecht im Gesundheitswesen, 2000, S. 43; D. Stelzer, SozVers 2000, 141 (142); 169 (170); S. Graf von Wallwitz, Tarifverträge und die Wettbewerbsordnung des EG-Vertrages, 1997, S. 143 f.; W. Weiß, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2007, Art. 81 EGV Rn. 25. 113 Vgl. S. 44 f. 114 Vgl. OLG Düsseldorf, WuW/E DE-R 233 (235) – Inkontinenzhilfen; Pharma Recht 1999, 283 (291); J. Aicher/F. Schuhmacher, in: Grabitz/Hilf, Bd. II, Art. 81 EGV Rn. 17 (Stand: Januar 2004); D. Neumann, Kartellrechtliche Sanktionierung von Wettbewerbsbeschränkungen im Gesundheitswesen, 2000, S. 97; G. Skorczyk, in: N. Klusen (Hrsg.), Europäischer Binnenmarkt und Wettbewerb – Zukunftsszenarien für die GKV, 2003, 93 (97). 115 Siehe dazu S. 50, 60 ff. 116 Siehe Fn. 83.

B. Funktionaler Unternehmensbegriff

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im Rahmen des Wettbewerbsrechts des EG-Vertrags, d. h. der Art. 81 bis 89 EG (Kapitelüberschrift: „Wettbewerbsregeln“), einheitlich.118 Sie kennzeichnet sich ferner dadurch, daß sie nicht allein den persönlichen Anwendungsbereich (Normadressateneigenschaft) bestimmt, sondern damit zugleich auch eine Aussage über den sachlichen Anwendungsbereich der Wettbewerbsregeln umfaßt, d. h. über die für das Wettbewerbsrecht relevanten und von ihm reglementierten Verhaltensweisen. Zwei Elemente charakterisieren danach ein Unternehmen im Sinne des Europäischen Wettbewerbsrechts: Rechtssubjektivität und wirtschaftliche Betätigung. Für die im Rahmen dieser Arbeit zu untersuchende Unternehmenseigenschaft von Krankenkassen bereitet die Voraussetzung der Rechtssubjektivität keine Schwierigkeiten. Krankenkassen sind als Körperschaften des Öffentlichen Rechts juristische Personen (vgl. § 29 Abs. 1 SGB IV). Anerkannt ist sogar, daß ein Unternehmen im Sinne des Wettbewerbsrechts nicht notwendigerweise eine eigene Rechtspersönlichkeit besitzen muß, vielmehr eine gewisse organisatorische Selbständigkeit der betreffenden Einheit ausreichen kann.119 Daher wird auf eine nähere Vertiefung dieses Merkmals verzichtet und das Augenmerk auf das Problemfeld der wirtschaftlichen Betätigung gelenkt. I. Funktionale Begriffsbildung als rechtswissenschaftliche Methode Kennzeichnend für funktionale Rechtsbegriffe ist ihr besonders enger Zusammenhang zum Zweck des Gesetzes. Ausgangspunkt ist die allgemeine Funktionsgebundenheit der Rechtsbegriffe. Damit ist gemeint, daß Rechtsbegriffe darauf zugeschnitten sein sollen, „für das je anstehende Rechtsproblem eine gerade ihm angemessene Lösung zu finden. Das kann dazu führen, daß ein und dasselbe Wort in verschiedenen Normen eine unterschiedliche Bedeutung erhält, wenn und weil mit jenen Normen unterschiedliche Rechtsprobleme zu lösen sind.“120 117

Vgl. R. Zippelius, Rechtsphilosophie, 2003, § 39 III 1 (S. 272). Siehe die Nachweise bei Fn. 85. 119 G. Wilms, Das Europäische Gemeinschaftsrecht und die öffentlichen Unternehmen, 1996, S. 109. Vgl. ferner Kommission, Entscheidung v. 23.4.1986, ABl. EG 1986 Nr. L 230/1 Rn. 96 ff. – Polypropylen; Entscheidung v. 13.7.1994, ABl. EG 1994 Nr. L 243/1 Rn. 141 – Karton; H.-J. Bunte, in: Langen/Bunte II Art. 81 [Generelle Prinzipien] Rn. 9; V. Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, WettbR EG/1 Art. 81 Abs. 1 EGV Rn. 14 ff.; C. Koenig, EuZW 2001, 37 (39 f.); K. W. Lange, WuW 2002, 953 (954 f.); W. Weiß, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2007, Art. 81 EGV Rn. 27. Verfahrensrechtlich ist jedoch für die Durchsetzung der Wettbewerbsregeln (z. B. mittels Unterlassungsverfügung oder Bußgeld) eine Rechtspersönlichkeit des Adressaten erforderlich, vgl. Kommission, Entscheidung v. 13.7.1994, ABl. EG 1994 Nr. L 243/1 Rn. 141 – Karton. Die wettbewerbsrechtlichen Verstöße des Unternehmens sind daher einem rechtsfähigen Unternehmensträger zuzurechnen, vgl. W. Weiß, a. a. O. 118

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1. Kap.: Der Unternehmensbegriff des Europäischen Wettbewerbsrechts

Die funktionale Begriffsbildung geht über dieses allgemeine Postulat hinaus. Mit ihr werden Begriffe so bestimmt, daß „in deren Inhalt die einer Regelung zu Grunde liegende Sinnbeziehung auf ein maßgebendes Prinzip [insbesondere den Gesetzeszweck] . . . zum Ausdruck kommt“; diese Sinnbeziehung zwischen Begriffsinhalt und maßgebendem Prinzip muß erkennbar bleiben, kann aber notwendig verkürzt zum Ausdruck kommen.121 Karsten Schmidt formuliert, es gehe bei der funktionalen Betrachtungsweise um „die Würdigung von Regelungen und Rechtsfiguren im Hinblick auf ihren praktischen Beitrag zur Verwirklichung von Gesetzeszwecken einschließlich des Rechtsschutzes“122. Erklärungsbedürftig ist, wie eine solche Würdigung bei der konkreten Rechtsanwendung erfolgt, zumal ja der Gesetzeszweck nicht mit dem Begriffsinhalt, d. h. der Begriffsbestimmung bzw. -definition, identisch ist. Dieser gedankliche Prozeß erfolgt bei der Subsumtion des konkreten Lebenssachverhaltes unter den funktionalen Rechtsbegriff: „Funktionale Begriffe zwingen demnach dazu, bei der Rechtsanwendung den im Tatbestand der Norm unmittelbar aufscheinenden Regelungszweck sozusagen direkt mit anzuwenden. Auf diese Weise wird vermieden, dass ein Sachverhalt allein aufgrund formaler Kriterien nicht dem Anwendungsbereich einer Norm zugeordnet wird, obwohl die Verwirklichung des Gesetzeszwecks dies gebietet.“123

Die Begriffsbildung ist somit zur Vorbereitung der Subsumtion unerläßlich. Eine funktionale Begriffsbildung ist gegeben, wenn der Begriffsinhalt dazu bestimmt und geeignet ist, den Raum für eine den Gesetzeszweck maßgeblich berücksichtigende Subsumtion zu eröffnen. Insofern eignen sich für eine funktionale Begriffsbildung weder Begriffe, die eine festumschriebene, keiner Bewertung mehr zugängliche Bedeutung haben, noch „abstrakt-allgemeine Begriffe [. . .], die mit fortschreitender Abstraktionshöhe immer inhaltsloser werden“.124 Stellt sich bei der Subsumtion dann die Frage, ob ein Lebenssachverhalt von einem Tatbestandsmerkmal erfaßt wird, ist im Zweifelsfall immer der Rückgriff auf die im funktionalen Rechtsbegriff enthaltene Wertung, d. h. den entsprechenden Gesetzeszweck erforderlich.125

120 R. Zippelius, Rechtsphilosophie, 2003, § 39 III 1 (S. 272). Vgl. auch R. Wank, Die juristische Begriffsbildung, 1985, S. 79. 121 K. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 1991, S. 482. 122 K. Schmidt, Kartellverfahrensrecht, 1977, S. 5. 123 D. Neumann, Kartellrechtliche Sanktionierung von Wettbewerbsbeschränkungen im Gesundheitswesen, 2000, S. 120. Vgl. ferner C. Benicke, EWS 1997, 373 (375); H. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze II Vorbem. zu den Artikeln 81 bis 89 EG Rn. 16. 124 Vgl. K. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 1991, S. 482. 125 C.-W. Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, 1983, S. 50. Vgl. auch C. Benicke, EWS 1997, 373 (375). Siehe dazu wettbewerbsrechtliche Auslegungsbeispiele auf S. 60 ff.

B. Funktionaler Unternehmensbegriff

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Versucht man die Methode der funktionalen Begriffsbildung in die allgemeinen Grundsätze der juristischen Methodenlehre einzuordnen, erweist sie sich als eine besondere Ausprägung der teleologischen Gesetzesauslegung:126 „Gesetzesbegriffe haben [. . .] regelmäßig einen Bedeutungsspielraum [. . .]. Die Unschärfezone der Wortbedeutungen läßt sich durch Auslegung methodisch einengen; ganz beseitigen läßt sie sich regelmäßig nicht“.127 Demgemäß eröffnet auch das Tatbestandsmerkmal des Unternehmens einen Auslegungsspielraum, der durch die Begriffsbildung verkleinert wird. Die Begriffsbildung muß dabei selbst Ergebnis einer auf anerkannten juristischen Methoden beruhenden Auslegung sein.128 Deshalb ist es irreführend, wenn im kartellrechtlichen Schrifttum die funktionale Begriffsbildung oftmals losgelöst von allgemeinen Auslegungsgrundsätzen dargestellt wird. Die als teleologische Auslegung bezeichnete Interpretation einer Norm (insbesondere ihrer Tatbestandsmerkmale) nach dem verfolgten Zweck, d. h. im Europarecht vor allem im Hinblick auf die Vertragsziele der Gemeinschaft, kommt im europäischen Recht eine hervorgehobene Bedeutung zu.129 Der Vorteil der funktionalen Methode im Bereich des Wettbewerbsrechts liegt darin, daß sie nicht von einem idealtypischen Modell der Wirtschaftsordnung ausgeht und keine Schwierigkeiten damit hat, die von Wirtschafts- und Rechtstheorie abweichenden Fallgestaltungen wettbewerbsrechtlich mitzuerfassen. Eine funktionale Gesetzesauslegung ist insbesondere unabhängig von gesellschaftsund vertragsrechtlichen Kategorien und Instituten. So kommt es beispielsweise für das Vorliegen einer Vereinbarung im Sinne des Art. 81 EG nicht zwingend darauf an, ob bestimmte zivilrechtliche Elemente, wie beispielsweise ein Rechtsbindungswillen, vorhanden sind. Schließlich erfordert eine auf den Gesetzeszweck abstellende funktionale Interpretation der wettbewerbsrechtlichen Normen eine wirtschaftliche Betrachtungsweise130.131 1. Zweck der Wettbewerbsregeln Die in den Artikeln 81 bis 89 niedergelegten Wettbewerbsregeln des EG-Vertrags sind Teil eines mehrstufigen Systems zur Wahrung der Vertragsziele: Die 126 So wohl auch J. Aicher/F. Schuhmacher, in: Grabitz/Hilf, Bd. II, Art. 81 EGV Rn. 17 (Stand: Januar 2004); U. Immenga/E.-J. Mestmäcker, in: Immenga/Mestmäcker, WettbR EG/1 Einleitung [C] Rn. 8; G. Wiedemann, in: ders. (Hrsg.), Handbuch des Kartellrechts, 1999, § 3 Rn. 14. 127 R. Zippelius, Juristische Methodenlehre, 2006, S. 11. 128 Vgl. G. Wiedemann, in: ders. (Hrsg.), Handbuch des Kartellrechts, 1999, § 3 Rn. 14. 129 M. Pechstein/C. Drechsler, in: K. Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, 2006, S. 102 ff. 130 Siehe dazu S. 54 ff. 131 Vgl. U. Immenga, in: Immenga/Mestmäcker, GWB Einleitung Rn. 64 ff.

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1. Kap.: Der Unternehmensbegriff des Europäischen Wettbewerbsrechts

Wettbewerbsregeln stellen auf der ersten Stufe das System dar, mit welchem die Gemeinschaft den Wettbewerb innerhalb des Binnenmarktes vor Verfälschungen schützt (Art. 3 Abs. 1 Buchst. g EG). Der Schutz des Wettbewerbs ist jedoch kein Selbstzweck.132 Er dient wiederum dazu, das in Art. 2 EG normierte Zwischenziel der Gemeinschaft zu erreichen, einen Gemeinsamen Markt zu errichten. Auch die Errichtung eines Gemeinsamen Marktes wird von der Gemeinschaft nicht als Selbstzweck angestrebt. Der Gemeinsame Markt stellt ein Instrumentarium dar, um die in Art. 2 EG benannten Endziele der Gemeinschaft zu verwirklichen, nämlich „in der ganzen Gemeinschaft eine harmonische, ausgewogene und nachhaltige Entwicklung des Wirtschaftslebens, ein hohes Beschäftigungsniveau und ein hohes Maß an sozialem Schutz, die Gleichstellung von Männern und Frauen, ein beständiges, nichtinflationäres Wachstum, einen hohen Grad von Wettbewerbsfähigkeit und Konvergenz der Wirtschaftsleistungen, ein hohes Maß an Umweltschutz und Verbesserung der Umweltqualität, die Hebung der Lebenshaltung und der Lebensqualität, den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt und die Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten zu fördern“. Wettbewerb und Markt sind damit Teil eines Systems, welches dazu bestimmt ist, letztlich den Menschen innerhalb der Europäischen Gemeinschaft zu dienen und ihren Wohlstand zu vermehren. Die für die Auslegung der Wettbewerbsregeln charakteristische Bindung an die dargelegten Vertragsziele ergibt sich aus der zwingenden Geltung dieser Ziele.133 Unmittelbar bezwecken die Wettbewerbsregeln demnach, den Wettbewerb im Binnenmarkt vor Verfälschungen zu schützen und „einen freien, redlichen, unverfälschten und gleichzeitig wirksamen Wettbewerb zu gewährleisten“.134 Aus der Zweckbezogenheit des Wettbewerbsschutzes auf die Errichtung des Gemeinsamen Marktes kann abgeleitet werden, welche Aufgaben der zu schützende unverfälschte Wettbewerb innerhalb der Europäischen Gemeinschaft besitzt: Unverfälschter Wettbewerb soll zum einen die Integration der nationalen Volkswirtschaften vorantreiben und eine gegenseitige wirtschaftliche Durchdringung herbeiführen.135 Ein solcher Wettbewerb sichert somit die Durchlässigkeit zwischen den nationalen Märkten ab, ohne die die Gewährleistung von Grundfrei132 H.-J. Bunte, in: Langen/Bunte II Einführung zum EG-Kartellrecht Rn. 3, 39. Siehe auch zu den wirtschaftswissenschaftlichen Grundlagen des Wettbewerbs als Instrument zur Erreichung von Zielen S. Greß/J. Wasem, MedR 2006, 512. 133 EuGH, Urt. v. 21.2.1973, Rs. 6/72, Slg. 1973, 215 Rn. 25 – Continental Can. 134 H. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze II Vorbem. zu den Artikeln 81 bis 89 EG Rn. 8 – Hervorhebungen vom Verfasser weggelassen. Vgl. auch V. Emmerich, Kartellrecht, 2006, § 3 Rn. 4; K. W. Lange, WuW 2002, 953 f.; W. Schulz-Weidner, in: I. Ebsen (Hrsg.), Europarechtliche Gestaltungsvorgaben für das deutsche Sozialrecht, 2000, 57 (59); H. Sodan, GesR 2005, 145 (149). 135 Vgl. J. Aicher/F. Schuhmacher, in: Grabitz/Hilf, Bd. II, Art. 81 EGV Rn. 12 (Stand: Januar 2004); V. Emmerich, in: Ulrich Immenga/Ernst-Joachim Mestmäcker (Hrsg.), EG-Wettbewerbsrecht – Kommentar, Bd. 1, 3. Aufl. München 1997, Art. 85 Abs. 1 [A] Rn. 177; H. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze II Vorbem. zu den

B. Funktionaler Unternehmensbegriff

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heiten (Warenverkehrsfreiheit gemäß Art. 28 ff. EG, Freizügigkeit gemäß Art. 39 ff. EG, Niederlassungsfreiheit gemäß Art. 43 ff. EG, Dienstleistungsfreiheit gemäß Art. 49 ff. EG, Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit gemäß Art. 56 ff. EG) gegenstandslos wäre.136 Eine weitere Aufgabe des unverfälschten Wettbewerbs innerhalb des Gemeinsamen Marktes ist die Förderung des Wohlstandes der Verbraucher sowie die Gewährleistung einer effizienten Ressourcenallokation.137 Durch eine Vielzahl dezentralisierter Entscheidungen soll im Interesse der Allgemeinheit und der Verbraucher u. a. eine optimale Ressourcennutzung bewirkt und der wirtschaftliche und technische Fortschritt beschleunigt werden.138 In der Entscheidung für ein System unverfälschten Wettbewerbs kommt zugleich die untrennbar damit verbundene Entscheidung für eine offene Marktwirtschaft innerhalb der Europäischen Gemeinschaft zum Ausdruck (vgl. Art. 4 Abs. 1, 2 EG). Schließlich ist ein unverfälschter Wettbewerb nur ein solcher, der eine Gleichbehandlung aller Marktteilnehmer gewährleistet. Das gemäß Art. 3 Abs. 1 Buchst. g EG über die Wettbewerbsregeln vermittelte „System, das den Wettbewerb innerhalb des Binnenmarktes vor Verfälschungen schützt“, muß daher eine einheitliche Anwendung seiner Maßstäbe in der ganzen Europäischen Gemeinschaft sicherstellen. Die im EG-Vertrag angelegte Öffnung der nationalen Märkte steht unter der zwingenden Voraussetzung, daß im Gemeinsamen Markt gleiche Spielregeln für alle am Wettbewerb beteiligten Personen und Unternehmen gelten.139 „Die oben umschriebenen wettbewerbsrelevanten Ziele und Grundsätze des Vertrags bilden zusammen mit den im Vertrag niedergelegten Wettbewerbsregeln eine systematische Einheit. Diese Vorschriften enthalten die konkrete Ausgestaltung der vorgenannten allgemeinen Prinzipien und lassen sich somit als deren Durchführungsbestimmungen kennzeichnen. Beide sind daher stets zusammen anzuwenden. Eine eigene unmittelbare Anwendbarkeit in dem Sinne, daß sich der Marktbürger vor Gericht auf sie berufen könnte, kommt den Artikeln 2 und 3 nicht zu. Sie stellen lediglich die oberste Richtschnur für die Interpretation der Artikel 81 bis 89 dar.“140

Artikeln 81 bis 89 EG Rn. 13; T. W. Wessely, in: FK Art. 82 EG-Vertrag Anwendungsgrundsätze Rn. 58 (Stand: April 2005). 136 H. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze II Vorbem. zu den Artikeln 81 bis 89 EG Rn. 13. Vgl. auch U. Immenga/E.-J. Mestmäcker, in: Immenga/Mestmäcker, WettbR EG/1 Einleitung [C] Rn. 12. 137 Vgl. Kommission, Bekanntmachung der Leitlinien zur Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 EG-Vertrag, ABl. EU 2004 Nr. C 101/97 Rn. 13. 138 Vgl. J. Aicher/F. Schuhmacher, in: Grabitz/Hilf, Bd. II, Art. 81 EGV Rn. 10, 12 f. (Stand: Januar 2004); C. Benicke, EWS 1997, 373 (375); H. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze II Vorbem. zu den Artikeln 81 bis 89 EG Rn. 14. 139 Vgl. H. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze II Vorbem. zu den Artikeln 81 bis 89 EG Rn. 15. 140 H. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze II Vorbem. zu den Artikeln 81 bis 89 EG Rn. 8 – Hervorhebungen vom Verfasser weggelassen.

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1. Kap.: Der Unternehmensbegriff des Europäischen Wettbewerbsrechts

Die Wettbewerbsregeln sind somit Teil eines zweckgerichteten Systems, aus welchem Hinweise für die Auslegung einer einzelnen Vorschrift gewonnen werden können.141 Der Europäische Gerichtshof beschreibt diesen Zusammenhang wie folgt: „Die Verbote der Artikel 85 und 86 [heute: Art. 81, 82] müssen nämlich im Lichte des Artikels 3 Buchstabe f [heute: Art. 3 Abs. 1 Buchst. g] des Vertrages – der die Errichtung eines Systems vorsieht, das den Wettbewerb innerhalb des Gemeinsamen Marktes vor Verfälschungen schützt – und des Artikels 2 des Vertrages ausgelegt und angewendet werden“.142

Aus einer Gesamtbetrachtung der Wettbewerbsregeln und der für ihre Auslegung maßgeblichen wettbewerbsrelevanten Ziele und Grundsätze des EG-Vertrags lassen sich die Schutzgüter und Schutzsubjekte des Europäischen Wettbewerbsrechts ablesen. Geschützt sind der Wettbewerb als Institution, insbesondere der auf einem Markt noch bestehende Restwettbewerb, sowie die Wettbewerber und ihre Geschäftspartner als Personen. Ferner werden die Verbraucher geschützt.143 Aus der Aufgabe des unverfälschten Wettbewerbs, eine effiziente Ressourcenallokation zu gewährleisten, und seiner Einbindung zur Erreichung der Endziele der Gemeinschaft gemäß Art. 2 EG läßt sich schließlich entnehmen, daß auch die Allgemeinheit in den wettbewerbsrechtlichen Schutz einbezogen ist.144 2. Wirtschaftliche Betrachtungsweise Ein Zweck der Wettbewerbsregeln besteht darin, bei der vom EG-Vertrag gewollten Öffnung der nationalen Märkte eine Gleichbehandlung aller Marktteilnehmer zu gewährleisten.145 Das Europäische Wettbewerbsrecht muß daher eine einheitliche Anwendung seiner Maßstäbe gemeinschaftsweit sicherstellen. Dazu dienen verschiedene Mittel, u. a. die für das Europarecht untypische unmittelbare Anwendbarkeit der Wettbewerbsregeln im Verhältnis der Bürger (Unternehmen) untereinander sowie die gemeinschaftsrechtsautonome Normauslegung und Begriffsbildung. Die im Rahmen der Rechtsanwendung maßgebliche wirt141 Vgl. U. Immenga/E.-J. Mestmäcker, in: Immenga/Mestmäcker, WettbR EG/1 Einleitung [C] Rn. 8. 142 EuGH, Urt. v. 6.3.1974, verb. Rs. 6 und 7/73, Slg. 1974, 223 Rn. 32 – Commercial Solvents/Kommission. 143 Vgl. EuGH, Urt. v. 13.7.1966, verb. Rs. 56 und 58/64, Slg. 1966, 321 (387) – Consten und Grundig; EuG, Urt. v. 12.12.1996, Rs. T-88/92, Slg. 1996, II-1961 Rn. 106 ff. – Leclerc/Kommission II; J. Aicher/F. Schuhmacher, in: Grabitz/Hilf, Bd. II, Art. 81 EGV Rn. 16 (Stand: Januar 2004) m. w. N. 144 Vgl. T. W. Wessely, in: FK Art. 82 EG-Vertrag Anwendungsgrundsätze Rn. 54 ff. (Stand: April 2005). Vgl. auch H.-J. Bunte, in: Langen/Bunte II Einführung zum EGKartellrecht Rn. 39. 145 Siehe zu den Zwecken der Wettbewerbsregeln S. 51 ff.

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schaftliche Betrachtungsweise stellt eine weitere Methode zur Absicherung einheitlicher Spielregeln auf dem Gemeinsamen Markt dar. Von Rechtsprechung, Kommission und Literatur ist anerkannt, daß bei der Anwendung der wettbewerbsrechtlichen Normen des EG-Vertrags eine wirtschaftliche Betrachtungsweise geboten ist.146 Wozu sie dient und was mit ihr bewirkt werden soll, erschließt sich, wenn man die Begriffe ermittelt, zu denen das Adjektiv „wirtschaftlich“ abgrenzen soll. Als Abgrenzungsgegenbegriffe werden u. a. „rechtlich“147 und „formal“148 genannt.149 Da sich jedoch auch die Anwendung des Europäischen Wettbewerbsrechts nicht von rechtlichen Maßstäben lösen darf, ist wohl die Bezeichnung „formalrechtlich“ ein rechtswissenschaftlich akzeptabler Gegenbegriff. Die wirtschaftliche Betrachtungsweise will verhindern, daß formale bzw. formalrechtliche Gesichtspunkte über die Anwendung der Wettbewerbsregeln des EG-Vertrags entscheiden. Daher kommt es beispielsweise für das Vorliegen einer nach Art. 81 Abs. 1 EG verbotenen Vereinbarung nicht darauf an, ob es sich um einen zivilrechtlichen Vertrag handelt, eine bindende Rechtswirkung überhaupt besteht oder in welcher Form die Übereinkunft getroffen wurde; im Rahmen der wirtschaftlichen Betrachtung ist nur relevant, ob „die Parteien ihren gemeinsamen Willen zum Ausdruck gebracht haben, sich auf dem Markt in einer bestimmten Weise zu verhalten“.150 Damit 146 Vgl. EuGH, Urt. v. 14.12.2006, Rs. C-217/05, Slg. 2006, I-11987 Rn. 38 ff., insb. 45 f. – Confederación Española; EuG, Urt. v. 23.2.2006, Rs. T-282/02, Slg. 2006, II-319 Rn. 142 – Cementbouw Handel & Industrie; Kommission, Entscheidung v. 19.12.1984, ABl. EG 1985 Nr. L 85/1 Rn. 82 – Zellstoff; Entscheidung v. 26.6.2002, ABl. EU 2003 Nr. L 282/1 Rn. 23 – Haniel/Cementbouw/JV (CVK); Schlußanträge des Generalanwalts Dámaso Ruiz-Jarabo Colomer v. 25.3.1998, Rs. C22/98, Slg. 1999, I-5665 Tn. 47 – Becu u. a.; Schlußanträge der Generalanwältin Juliane Kokott v. 13.7.2006, Rs. C-217/05, Slg. 2006, I-11987 Tn. 53 – Confederación Española; OLG Düsseldorf, NJOZ 2006, 4639 (4662); R. Klotz, in: von der Groeben/ Schwarze II nach Artikel 81 EG – Fallgruppen Rn. 52, 56; H. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze II Artikel 81 EG Absatz 1 Rn. 88; G. Wiedemann, in: ders. (Hrsg.), Handbuch des Kartellrechts, 1999, § 4 Rn. 1. 147 Vgl. EuGH, Urt. v. 14.12.2006, Rs. C-217/05, Slg. 2006, I-11987 Rn. 46 – Confederación Española; Schlußanträge des Generalanwalts Dámaso Ruiz-Jarabo Colomer v. 25.3.1998, Rs. C-22/98, Slg. 1999, I-5665 Tn. 47 – Becu u. a.; H.-G. Borck, WRP 1994, 15 (16). 148 Vgl. Kommission, Entscheidung v. 26.6.2002, ABl. EU 2003 Nr. L 282/1 Rn. 23 – Haniel/Cementbouw/JV (CVK); Schlußanträge der Generalanwältin Juliane Kokott v. 13.7.2006, Rs. C-217/05, Slg. 2006, I-11987 Tn. 53 – Confederación Española; H.G. Borck, WRP 1994, 15 (16); C. Möller, Die wirtschaftliche Betrachtungsweise im Privatrecht, 1997, S. 19. 149 Weitere Gegenbegriffe sind beispielsweise „rechtstechnisch“ oder „formalistisch“, vgl. P. Ulmer, WuW 1971, 878 (881) sowie Kommission, Entscheidung v. 26.6.2002, ABl. EU 2003 Nr. L 282/1 Rn. 23 – Haniel/Cementbouw/JV (CVK). 150 R. Bechtold/W. Bosch/I. Brinker/S. Hirsbrunner, EG-Kartellrecht – Kommentar, 2005, Art. 81 EG Rn. 34 ff. – Hervorhebungen im Zitat vom Verfasser weggelassen. Vgl. ferner EuGH, Urt. v. 29.10.1980, verb. Rs. 209 bis 215 und 218/78, Slg. 1980, 3125 Rn. 85 f. – van Landewyck; Urt. v. 24.10.1995, Rs. C-70/93, Slg. 1995, I-3439

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1. Kap.: Der Unternehmensbegriff des Europäischen Wettbewerbsrechts

trägt die wirtschaftliche Betrachtungsweise dazu bei, die Aushebelung der wettbewerbsrechtlichen Verhaltensmaßstäbe durch Umgehungskonstruktionen der Beteiligten oder mitgliedstaatliche Ausgestaltungen des Rechtsrahmens zu verhindern. Da die Bezeichnung wirtschaftliche Betrachtungsweise und ähnliche Bezeichnungen auch in anderweitigem Zusammenhang verwendet werden, sei zur Verdeutlichung hervorgehoben, daß im hiesigen Zusammenhang nicht der Fall gemeint ist, daß die Bedeutsamkeit wirtschaftlicher Umstände für einzelne Tatbestandsmerkmale bereits im Tatbestand einer Norm vorgegeben ist oder bei der Rechtsfindung auf wirtschaftswissenschaftliche Methoden zurückgegriffen wird.151 Ob eine Maßnahme „den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet“ ist (Art. 81 Abs. 1 EG) oder ob ein Unternehmen eine „marktbeherrschende Stellung“ einnimmt (Art. 82 EG), ist zwar nach ökonomischen Gesichtspunkten zu beantworten, bedarf jedoch keines Rückgriffes auf die hier gemeinte Methode. Anders liegt der Fall beispielsweise bei der Frage, ob im Rahmen des Sachleistungsprinzips in der gesetzlichen Krankenversicherung (§ 2 Abs. 2 S. 1 SGB V) die Krankenkassen oder die Versicherten gegenüber den Leistungserbringern Nachfrager der Gesundheitsleistungen im Sinne des Wettbewerbsrechts sind.152 Eine Einordnung der wirtschaftlichen Betrachtungsweise in den rechtswissenschaftlichen Methodenkanon ist im Schrifttum selten unternommen worden. Ohne eine solche Einordnung in den Kontext der juristischen Methodenlehre gerät die wirtschaftliche Betrachtungsweise jedoch schnell in den Verdacht, als Leerformel richterlicher Willkür das Tor zu öffnen und die wahren Entscheidungsgründe zu vernebeln.153 Die wirtschaftliche Betrachtungsweise wirkt unterschiedlich auf die Rechtsanwendung ein; sie entfaltet sich im Schnittkreis von Gesetzesauslegung, Subsumtion, Rechtsfortbildung (insbesondere Analogie, aber auch teleologische Reduktion) und Sachverhaltseingrenzung, ohne daß eine eindeutige Zuordnung bzw. Abgrenzung immer möglich wäre.154

Rn. 16 – BMW/ALD; W.-H. Roth/T. Ackermann, in: FK Art. 81 Abs. 1 EG-Vertrag Grundfragen Rn. 79 ff. (Stand: November 1999). 151 Siehe dazu und zu weiteren ähnlich bezeichneten Gegenständen C. Möller, Die wirtschaftliche Betrachtungsweise im Privatrecht, 1997, S. 22 ff. 152 Vgl. dazu OLG Dresden, NZS 2002, 33 (34) m. w. N.: „Bei einer funktionalen Betrachtungsweise stellen die Versicherten mit ihrem Nachfrageverhalten auf dem medizinischen Sach- und Dienstleistungsmarkt in einem weiteren Sinne lediglich Repräsentanten der Krankenkassen dar“. Siehe auch E. Eichenhofer, in: S. Empter/H. Sodan (Hrsg.), Markt und Regulierung, 2003, 81 (86 f.); C. Engelmann, Kostendämpfung im Gesundheitswesen und EG-Wettbewerbsrecht, 2002, S. 79. 153 Vgl. F. Rittner, Die sogenannte wirtschaftliche Betrachtungsweise in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, 1975, S. 54. 154 Vgl. C. Möller, Die wirtschaftliche Betrachtungsweise im Privatrecht, 1997, S. 134 ff.; P. Ulmer, WuW 1971, 878 (882 f.).

B. Funktionaler Unternehmensbegriff

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Gesetzesauslegung liegt beispielsweise dann vor, wenn mit der wirtschaftlichen Betrachtungsweise die inhaltliche Bedeutung eines Tatbestandsmerkmales abstrakt-generell konkretisiert wird, wie beispielsweise oben für das Merkmal der Vereinbarung im Sinne des Art. 81 Abs. 1 EG. Bei der Rechtsanwendung im Einzelfall tritt jedoch regelmäßig die Frage auf, ob ein bestimmter, ungewöhnlicher Sachverhalt unter eine Norm fällt. Hier nimmt der Rechtsanwender oftmals nicht in einem ersten Schritt eine vom konkreten Sachverhalt völlig losgelöste, abstrakt-generelle Normauslegung vor und überprüft dann in einem zweiten Schritt, ob der Sachverhalt (zufällig) unter die soeben ausgelegte Norm subsumiert werden kann. Vielmehr spitzt sich die Rechtsanwendung sogleich auf die Frage zu, ob der konkret vorliegende Tatbestand von der Norm schon oder noch erfaßt wird. Einzelne von der wirtschaftlichen Betrachtungsweise geleitete Gedankenschritte lassen sich dann sowohl der Normauslegung als auch der Subsumtion zuordnen. Da der Wortlaut einer Norm nicht nur den Ausgangspunkt, sondern auch die Grenze jeder Normauslegung darstellt,155 kann die wirtschaftliche Betrachtungsweise auch nahtlos zur Rechtfortbildung, insbesondere zur Bildung einer Analogie führen. Prüft man beispielsweise, ob ein wettbewerbsbeschränkender Beschluß der Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) von Art. 81 Abs. 1 EG erfaßt sein könnte, ist zu beachten, daß der Wortlaut des Art. 81 Abs. 1 EG nur Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen nennt. Mitglieder der BDA sind jedoch keine Unternehmen, sondern Unternehmensvereinigungen. Rechtsprechung und Literatur beziehen aber wegen ihrer wirtschaftlichen Gleichwertigkeit nicht nur Beschlüsse von einzelnen Unternehmensvereinigungen, sondern auch von Zusammenschlüssen von Unternehmensvereinigungen in den Regelungskreis des Art. 81 Abs. 1 EG mit ein.156 Das Instrument der Analogie wird jedoch im Europarecht oftmals nicht als eigene methodische Kategorie wahrgenommen und den Wortlaut einer Norm verlassende Interpretationen regelmäßig als Ergebnisse einer „ausdehnenden, teleologischen und am effet utile orientierten Auslegung“ angesehen.157 Aufgrund der vielen unterschiedlichen Sprachfassungen des EG-Vertrags, welche aber gleichermaßen verbindlich sind, kommt dem Wortlaut einer Norm des Gemeinschaftsrechts in der Praxis der Rechtsanwendung durch Kommission und Europäischen Gerichtshof geringere Bedeutung zu.158 Die durch den Wortlaut mar155 K. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 1991, S. 320 ff.; H. Sodan/ J. Ziekow, Grundkurs Öffentliches Recht, 2007, § 2 Rn. 6. 156 Vgl. OLG Düsseldorf, WuW/E DE-R 233 (234) – Inkontinenzhilfen; Pharma Recht 1999, 283 (290 f.); V. Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, WettbR EG/1 Art. 81 Abs. 1 EGV Rn. 44 m. w. N. 157 Vgl. U. Everling, JZ 2000, 217 (218). 158 Vgl. K.-D. Borchardt, in: R. Schulze/M. Zuleeg (Hrsg.), Europarecht, 2006, § 15 Rn. 34 ff.; M. Pechstein/C. Drechsler, in: K. Riesenhuber (Hrsg.), Europäische

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1. Kap.: Der Unternehmensbegriff des Europäischen Wettbewerbsrechts

kierte Grenze zwischen Auslegung und Rechtsfortbildung wird daher im Europarecht regelmäßig nicht deutlich,159 zumal gerade auch bei einer den Wortlaut überschreitenden Rechtsfortbildung durch Analogie die Frage nach dem Telos der gemeinschaftsrechtlichen Norm maßgeblich ist160. Der Grundsatz der wirtschaftlichen Betrachtungsweise im Wettbewerbsrecht kann sich auch dergestalt auswirken, daß er zur Auswahl des für die Subsumtion maßgeblichen Sachverhaltsausschnittes führt. Im Rahmen wettbewerbsrechtlicher Fallgestaltungen könnte zum Beispiel die Frage auftauchen, wer im Sachleistungssystem der gesetzlichen Krankenversicherung (§ 2 Abs. 2 S. 1 SGB V) Nachfrager der von den Leistungserbringern angebotenen Gesundheitsleistungen ist. Hier könnte man einerseits an die Versicherten denken, weil sie den Leistungserbringer auswählen, oder an die Krankenkassen, weil letztere die wirtschaftlichen Folgen treffen. So stellte das Oberlandesgericht Dresden dazu fest: „Bei einer funktionalen Betrachtungsweise stellen die Versicherten mit ihrem Nachfrageverhalten auf dem medizinischen Sach- und Dienstleistungsmarkt in einem weiteren Sinne lediglich Repräsentanten der Krankenkassen dar“.161

In diesem Beispielsfall kommt es letztlich nicht darauf an, den Begriff des Nachfragers durch Auslegung zu konkretisieren, sondern es gilt zu ermitteln, welcher Sachverhaltsausschnitt für die Subsumtion nach einer wirtschaftlichen Betrachtung maßgeblich ist. II. Wirtschaftliche Tätigkeit Im Kontext des funktionalen Unternehmensbegriffes im Europäischen Wettbewerbsrecht, nach welchem jede eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einheit als Unternehmen gilt, kommt der Frage, ob ein Rechtssubjekt eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübt, bei der Prüfung der Unternehmenseigenschaft die Schlüsselstellung zu.

Methodenlehre, 2006, S. 102. Siehe auch C. Buck, Über die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaft, 1998, S. 168 ff. 159 Vgl. K.-D. Borchardt, in: R. Schulze/M. Zuleeg (Hrsg.), Europarecht, 2006, § 15 Rn. 3; M. Pechstein/C. Drechsler, in: K. Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, 2006, S. 111 f.; K. Riesenhuber, in: ders. (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, 2006, S. 192. 160 Vgl. U. Everling, JZ 2000, 217 (223 ff.); K. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 1991, S. 366 f. 161 OLG Dresden, NZS 2002, 33 (34) m. w. N. Siehe auch E. Eichenhofer, in: S. Empter/H. Sodan (Hrsg.), Markt und Regulierung, 2003, 81 (86 f.); C. Engelmann, Kostendämpfung im Gesundheitswesen und EG-Wettbewerbsrecht, 2002, S. 79; H.-P. Schwintowski, in: E. Bruckenberger/S. Klaue/H.-P. Schwintowski, Krankenhausmärkte zwischen Regulierung und Wettbewerb, 2006, S. 122.

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1. Abgrenzungsmerkmal Ursprünglich (vgl. das Urteil Höfner und Elser162 des Europäischen Gerichtshofes, in welchem erstmals das funktionale Begriffsverständnis übernommen wurde) diente das Merkmal der wirtschaftlichen Tätigkeit zur Abgrenzung zwischen von den Wettbewerbsregeln erfaßter und von den Wettbewerbsregeln befreiter Staatstätigkeit.163 Über diese spezielle Problematik hinaus, wurde das Merkmal dann auch für eine allgemeine Anwendung im Rahmen der Wettbewerbsregeln erschlossen, da es sich aufgrund seiner weiten Fassung dafür eignete.164 Neben der hoheitlichen Staatstätigkeit165 werden nach allgemeiner Ansicht zwei weitere Lebensbereiche von der Anwendbarkeit der unternehmensbezogenen Wettbewerbsregeln freigestellt: der private Endverbrauch166 und der Arbeitsmarkt167. Außerhalb dieser drei Bereiche sind allgemein alle Rechtssubjekte, Einrichtungen oder Einheiten von der Beachtung der Wettbewerbsregeln befreit, die einer nichtwirtschaftlichen Tätigkeit nachgehen. Dogmatisch erfolgt die Freistellung hinsichtlich hoheitlicher, dem privaten Endverbrauch zurechenbarer oder sonstiger nichtwirtschaftlicher Tätigkeiten über den beim Unternehmenstatbestand verorteten Abgrenzungsgegenbegriff der wirtschaftlichen Tätigkeit und somit über des Ausschluß der entsprechenden Akteure aus dem persönlichen Anwendungsbereich der Wettbewerbsregeln.168 Beim Arbeitsmarkt, vornehmlich geht es hier um die wettbewerbsrechtliche Freistellung von Tarifverhandlungen und -vereinbarungen, ist die dogmatische Begründung des Ausnahmebereiches umstritten. Teilweise wird – wie bei den zuvor genannten Bereichen – die Unternehmenseigenschaft der Akteure (Arbeitgeber169, Arbeitnehmer, Gewerkschaften) verneint170 oder es wird im Ergebnis eine Bereichsausnahme171 konstruiert.172 162

Siehe näher S. 152 f. Vgl. J. Gundel, EuR 2004, 575 (577). 164 Vgl. H. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze II Vorbem. zu den Artikeln 81 bis 85 EG Rn. 21. 165 Siehe ausführlich zur Nichtanwendbarkeit des Wettbewerbsrechts auf hoheitliche Maßnahmen S. 112 ff. 166 Siehe dazu näher im folgenden S. 60 ff. 167 Siehe dazu näher S. 141 ff. und 150 f. 168 Vgl. OLG Düsseldorf, WuW/E DE-R 233 (234 f.) – Inkontinenzhilfen; Pharma Recht 1999, 283 (291); C. Engelmann, Kostendämpfung im Gesundheitswesen und EGWettbewerbsrecht, 2002, S. 67; U. M. Gassner, VSSR 2000, 121 (134 f.); G. Kordel, Arbeitsmarkt und Europäisches Kartellrecht, 2004, S. 30; K. W. Lange, WuW 2002, 953 (954); H.-D. Steinmeyer, Wettbewerbsrecht im Gesundheitswesen, 2000, S. 44. 169 Die Verneinung der Unternehmenseigenschaft von Arbeitgebern ist aufgrund der Relativität des funktionalen Unternehmensbegriffes vom Grundsatz her möglich. Siehe zur Relativität des Unternehmensbegriffes S. 67 f. 163

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1. Kap.: Der Unternehmensbegriff des Europäischen Wettbewerbsrechts

2. Bedeutung der funktionalen Betrachtungsweise Am Beispiel der Verneinung der Unternehmenseigenschaft der privaten Endverbraucher soll noch einmal die funktionale Sicht auf den wettbewerbsrechtlichen Unternehmenstatbestand verdeutlicht werden. Anschließend soll gezeigt werden, inwiefern sich eine Verneinung des Unternehmenstatbestandes aus funktionalen Erwägungen dogmatisch von den sog. Bereichsausnahmen unterscheidet.

170 Der Ausschluß der Arbeitnehmer vom persönlichen Anwendungsbereich des Europäischen Wettbewerbsrechts wird oftmals damit begründet, daß sie einer weisungsgebundenen und unselbständigen und infolgedessen nichtwirtschaftlichen Tätigkeit nachgingen und folglich keine Unternehmen seien (vgl. die Schlußanträge des Generalanwalts Francis G. Jakobs v. 28.1.1999, Rs. C-67/96, Slg. 1999, I-5751 Tn. 209 ff. – Albany; H.-J. Bunte, in: Langen/Bunte II Art. 81 [Generelle Prinzipien] Rn. 7; S. Graf von Wallwitz, Tarifverträge und die Wettbewerbsordnung des EG-Vertrages, 1997, S. 146). Den Arbeitgebern kann in ihrer Rolle als Tarifpartner die (relative) Unternehmenseigenschaft abgesprochen werden (vgl. W.-H. Roth/T. Ackermann, in: FK Art. 81 Abs. 1 EG-Vertrag Grundfragen Rn. 29; a. A. Schlußanträge des Generalanwalts Francis G. Jakobs v. 28.1.1999, Rs. C-67/96, Slg. 1999, I-5751 Tn. 228 ff. – Albany; G. Kordel, Arbeitsmarkt und Europäisches Kartellrecht, 2004, S. 41). 171 Vgl. EuGH, Urt. v. 21.9.1999, Rs. C-67/96, Slg. 1999, I-5751 Rn. 46 ff., 60 – Albany: „Bei einer sachgerechten und zusammenhängenden Auslegung der Bestimmungen des Vertrages in ihrer Gesamtheit ergibt sich daher, daß die im Rahmen von Tarifverhandlungen zwischen den Sozialpartnern im Hinblick auf diese Ziele geschlossenen Verträge aufgrund ihrer Art und ihres Gegenstands nicht unter Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages [Art. 81 Abs. 1 EG] fallen.“ Siehe dazu ferner S. 141 f. und 150 f. Vgl. zum deutschen Recht U. Immenga, Grenzen des kartellrechtlichen Ausnahmebereichs Arbeitsmarkt, 1989, S. 9 ff. 172 Vgl. die Darstellungen bei G. Kordel, Arbeitsmarkt und Europäisches Kartellrecht, 2004, S. 21 ff. sowie U. Büdenbender, ZIP 2000, 44 f.; W.-H. Roth/T. Ackermann, in: FK Art. 81 Abs. 1 EG-Vertrag Grundfragen Rn. 22 ff. (Stand: November 1999) und U. Huber/T. Baums, in: FK § 1 GWB a. F. Rn. 74 ff. (Stand: Januar 1993). Vgl. ferner die unterschiedlichen Begründungen bei R. Bechtold, in: ders., Kartellgesetz – Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, 2006, § 1 Rn. 7; ders./W. Bosch/ I. Brinker/S. Hirsbrunner, EG-Kartellrecht – Kommentar, 2005, Art. 81 EG Rn. 15; H.-J. Bunte, in: Langen/Bunte II Art. 81 [Generelle Prinzipien] Rn. 7; V. Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, WettbR EG/1 Art. 81 Abs. 1 EGV Rn. 25 f.; H. Fleischer, DB 2000, 821 (822 ff.); Schlußanträge des Generalanwalts Francis G. Jakobs v. 28.1.1999, Rs. C-67/96, Slg. 1999, I-5751 Tn. 131 ff. – Albany; K. W. Lange, WuW 2002, 953 (954); F. Rittner, Wettbewerbs- und Kartellrecht, 1999, § 6 Rn. 4; H. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze II Vorbem. zu den Artikeln 81 bis 85 EG Rn. 24; P. Stockenhuber, in: Grabitz/Hilf, Bd. II, Art. 81 EGV Rn. 60 (Stand: Juli 2000). Siehe näher zur Bereichsausnahme S. 141 f. und 150 f.

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a) Verneinung der Unternehmenseigenschaft aus funktionalen Erwägungen (funktionale Ausnahmebereiche) Zum privaten Endverbrauch gehört die Nachfrage von Einzelpersonen und Familien nach Gütern oder Dienstleistungen zur Deckung ihres persönlichen Bedarfs. Die Verneinung der Unternehmenseigenschaft der privaten Endverbraucher vermag zu verwundern, wenn man sich vor Augen hält, daß als Unternehmen „jede eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einheit unabhängig von ihrer Rechtsform und der Art ihrer Finanzierung“ definiert wird.173 Denn das wirtschaftliche Gewicht der zur Deckung des persönlichen Bedarfs getätigten Einkäufe von Privatpersonen ist nicht von der Hand zu weisen. Nachvollziehbar wird die Verneinung der Unternehmenseigenschaft, wenn der Grundsatz beachtet wird, daß letztlich nicht unter Definitionen zu subsumieren ist, sondern unter Tatbestandsmerkmale. So ist jedes Ergebnis, welches durch die Anwendung einer Begriffsdefinition gewonnen wird, auf seine Vereinbarkeit mit dem im Gesetz verwendeten Tatbestandsmerkmal zu überprüfen. Daß private Endverbraucher unter das Tatbestandsmerkmal Unternehmen fallen, wäre kaum mit dem Wortlaut zu vereinbaren.174 Letzte Zweifel können über eine funktionale Betrachtungsweise gelöst werden, denn gerade „in Zweifelsfällen ist in Anwendung des funktionalen Begriffs der direkte Rückgriff auf den Gesetzeszweck unumgänglich“175. Die Wettbewerbsregeln dienen aber gerade auch dem Schutz des privaten Endverbrauchers und sollen eine bestmögliche Versorgung der Verbraucher sicherstellen.176 Die dem funktionalen Unternehmensbegriff geschuldete Berücksichtigung des Gesetzeszwecks kann bei der Gesetzesanwendung innerhalb der Subsumtion unter das zur Definition des Unternehmensbegriffes gehörende Merkmal der wirtschaftlichen Tätigkeit erfolgen. Dies hat zum Vorteil, daß die Definition als uneingeschränkt zu richtigen Ergebnissen führend erscheint. Nachteilig ist, daß in einigen Fällen die Verneinung der Unternehmenseigenschaft mit dem Argument, es läge keine wirtschaftliche Tätigkeit vor, als dem natürlichen Wortsinn wider173 S. Vogel, Der Staat als Marktteilnehmer, 2000, S. 13. Vgl. auch G. Kordel, Arbeitsmarkt und Europäisches Kartellrecht, 2004, S. 30. 174 Der Begriff Unternehmen stammt aus dem Sprachgebrauch der Nationalökonomie. Volkswirtschaftlich ist der Begriff des Unternehmens gerade der Gegenbegriff zum (privaten) Haushalt, vgl. F. Rittner, Wettbewerbs- und Kartellrecht, 1999, § 6 Rn. 4. Siehe auch J. Fante, Die Instrumentalisierung des öffentlichen Beschaffungswesens zur Durchsetzung politischer Ziele, 2004, S. 154. 175 D. Neumann, Kartellrechtliche Sanktionierung von Wettbewerbsbeschränkungen im Gesundheitswesen, 2000, S. 121. Vgl. auch C.-W. Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, 1983, S. 50. 176 W.-H. Roth/T. Ackermann, in: FK Art. 81 Abs. 1 EG-Vertrag Grundfragen Rn. 20 (Stand: November 1999). Vgl. auch J. Fante, Die Instrumentalisierung des öffentlichen Beschaffungswesens zur Durchsetzung politischer Ziele, 2004, S. 154; U. Huber/T. Baums, in: FK § 1 GWB a. F. Rn. 43 (Stand: Januar 1993).

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1. Kap.: Der Unternehmensbegriff des Europäischen Wettbewerbsrechts

sprechend erscheint. Andererseits kann dem Gesetzeszweck auch neben dem Begriff der wirtschaftlichen Tätigkeit Geltung verschafft werden. Dies vermeidet zwar eine Verbiegung des natürlichen Wortsinnes, schiebt im Einzelfall aber die anerkannte Begriffsdefinition beiseite. Letztes kann in Ausnahmefällen gerechtfertigt sein, wenn man sich vor Augen führt, daß bei jeder Rechtsanwendung zu beachten ist, daß unter das gesetzliche Tatbestandsmerkmal und nicht unter seine Definition zu subsumieren ist und Definitionen im Ringen um eine inhaltliche Konkretisierung von Tatbestandsmerkmalen eine Hilfsfunktion erfüllen. Eine derartige funktionale Einengung des Begriffs der wirtschaftlichen Tätigkeit bleibt jedoch von vornherein auf wenige Ausnahmefälle beschränkt, weil nämlich die funktionale Betrachtungsweise – gemäß der Zielsetzung der Europäischen Gemeinschaft, den Wettbewerb innerhalb des Binnenmarktes vor Verfälschungen zu schützen (Art. 3 Abs. 1 Buchst. g EG) – regelmäßig zu einer Bejahung der Unternehmenseigenschaft und damit der wirtschaftlichen Tätigkeit zwingt. Denn das Merkmal der wirtschaftlichen Tätigkeit als Voraussetzung der Unternehmenseigenschaft ist selbst Ausfluß der funktionalen Tatbestandsauslegung im Lichte des Art. 3 Abs. 1 Buchst. g EG. b) Abgrenzung zur wettbewerbsrechtlichen Bereichsausnahme Zwar suggeriert die Verneinung der Unternehmens- bzw. Normadressateneigenschaft (persönlicher Anwendungsbereich) beim privaten Endverbrauch einen personalen Bezug der die Verneinung stützenden Argumente, jedoch handelt es sich hier vielmehr um einen sachlichen Ausnahmebereich des Wettbewerbsrechts, der über den Unternehmenstatbestand vermittelt wird. Letztlich wird ein Lebenssachbereich bzw. Tätigkeitsfeld von den „Fesseln“ des Wettbewerbsrechts befreit. Damit stellt sich die Frage, ob und wie sich eine aus dem Gesetzeszweck abgeleitete funktionale Ausnahme von einer sog. wettbewerbsrechtlichen Bereichsausnahme unterscheidet. Von einer Bereichsausnahme wird gesprochen, wenn bestimmte Institutionen (z. B. Deutsche Bundesbank) oder Tätigkeitsfelder (z. B. Landwirtschaft) von der Geltung der Wettbewerbsregeln generell befreit sind.177 Die aufgeworfene Frage, ob es einen Unterschied zwischen einer Bereichsausnahme und der oben aus funktionalen Überlegungen gewonnenen Ausnahme gibt, ist zu bejahen: Während die Ausnahme zugunsten des privaten Endverbrauches aus dem inneren Zusammenhang des Wettbewerbsrechts abgeleitet ist, nämlich aus einer maßgeblich vom Zweck der Wettbewerbsregeln bestimmten funktionalen Betrachtung, ergeben sich Bereichsausnahmen aus dem Verhältnis des Wettbewerbsrechts zu anderen Regelungskreisen (z. B. Kompetenzverteilungen178) 177 178

Vgl. F. Rittner, Wettbewerbs- und Kartellrecht, 1999, § 6 Rn. 71 ff. Vgl. S. 143 ff., 150 f.

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bzw. sind auf spezielle Bestimmungen (z. B. Art. 36 Abs. 1, 296 Abs. 1 Buchst. b EG) zurückzuführen, welche Ergebnis anderweitiger externer Vorgaben (z. B. aus politischen Willensbildungsprozessen) sind. 3. Begriff der wirtschaftlichen Tätigkeit und Marktbezug Kommt es auf der Grundlage des funktionalen Unternehmensbegriffes bei der Prüfung der Unternehmenseigenschaft entscheidend darauf an, ob ein Rechtssubjekt einer wirtschaftlichen Tätigkeit nachgeht, ist eine genauere inhaltliche Bestimmung dessen, was eine die Unternehmenseigenschaft begründende wirtschaftliche Tätigkeit ist, notwendig. Vielfach wird in der Literatur – mit Referenz auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes – unter einer wirtschaftlichen Tätigkeit jedes Verhalten verstanden, welches darin besteht, Güter oder Dienstleistungen auf einem bestimmten Markt anzubieten oder nachzufragen.179 Oftmals wird auch formuliert, wirtschaftliche Tätigkeit sei bereits jedes Verhalten, welches darauf gerichtet ist, Güter oder Dienstleistungen am Markt anzubieten oder nachzufragen.180 Dieser sprachliche Unterschied wird vom Schrifttum regelmäßig nicht problematisiert oder als inhaltlicher Unterschied wahrgenommen. Hierzu soll aber sogleich eine Aussage getroffen werden. Zuvor ist anzumerken, daß hinsichtlich dieser Begriffsbestimmungen die Berufung auf den Europäischen Gerichtshof nicht ganz genau ist. Regelmäßig wird vom Gerichtshof der Begriff der wirtschaftlichen Tätigkeit nicht näher definiert. In den wenigen Entscheidungen, welche eine Begriffsbestimmung enthalten, stellte er aber fest, wirtschaftliche Tätigkeit sei „jede Tätigkeit, die darin besteht, Güter oder Dienstleistungen auf einem bestimmten Markt anzubieten“181. 179 Vgl. K.-J. Bieback, RsDE Nr. 56 (2004), 57 (58); W. Boecken, NZS 2000, 269 (272); G. Kordel, Arbeitsmarkt und Europäisches Kartellrecht, 2004, S. 29; D. Neumann, Kartellrechtliche Sanktionierung von Wettbewerbsbeschränkungen im Gesundheitswesen, 2000, S. 98; H. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze II Vorbem. zu den Artikeln 81 bis 85 EG Rn. 22; P. Stockenhuber, in: Grabitz/Hilf, Bd. II, Art. 81 EGV Rn. 56 (Stand: Juli 2000). 180 Vgl. P. Axer, NZS 2002, 57 (62); C. Engelmann, Kostendämpfung im Gesundheitswesen und EG-Wettbewerbsrecht, 2002, S. 65 f.; U. Hösch, GewArch. 2003, 453 (456); C. Koenig/C. Engelmann, in: N. Klusen (Hrsg.), Europäischer Binnenmarkt und Wettbewerb – Zukunftsszenarien für die GKV, 2003, 107 (111); K. W. Lange, WuW 2002, 953 (954); J.-R. von Renesse, VSSR 2001, 359 (365 f.); W.-H. Roth/T. Ackermann, in: FK Art. 81 Abs. 1 EG-Vertrag Grundfragen Rn. 15 (Stand: November 1999). 181 EuGH, Urt. v. 18.6.1998, Rs. C-35/96, Slg. 1998, I-3851 Rn. 36 – Kommission/ Italien (Zollspediteure); Urt. v. 12.9.2000, verb. Rs. C-180/98 bis C-184/98, Slg. 2000, I-6451 Rn. 75 – Pavlov u. a. (Hervorhebung durch Verfasser). Ähnlich schon EuGH, Urt. v. 16.6.1987, Rs. 118/85, Slg. 1987, 2599 Rn. 7 – Kommission/Italien (AAMS). Siehe insbesondere EuGH, Urt. v. 11.7.2006, Rs. C-205/03 P, Slg. 2006, I-6295 Rn. 25 f. – FENIN.

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1. Kap.: Der Unternehmensbegriff des Europäischen Wettbewerbsrechts

Siehe S. 78 ff. dazu, ob auch die Nachfrage als solche bzw. eine darauf gerichtete Tätigkeit als wirtschaftliche anzusehen ist. Zurückkommend auf den zuvor aufgezeigten Unterschied in der Literatur ist zu untersuchen, welche der beiden Formulierungen vorzuziehen ist. Es ist nicht nur ein sprachlicher Unterschied, ob die für die Begründung der Unternehmenseigenschaft maßgebliche Verhaltensweise im Anbieten oder Nachfragen selbst liegt oder aber bereits in jeder Tätigkeit zu sehen ist, die auf das Anbieten oder Nachfragen von Gütern oder Dienstleistungen am Markt gerichtet ist, denn die letzte Variante umfaßt eine Vielzahl vorgelagerter Tätigkeiten. Die Formulierung, eine wirtschaftliche Tätigkeit sei jedes Verhalten, welches darauf gerichtet ist, Güter oder Dienstleistungen auf einem Markt anzubieten oder nachzufragen, erweist sich als problematisch, weil sie genaugenommen die unmittelbare Marktteilnahme selbst gar nicht als wirtschaftliche Betätigung erfaßt, sondern gerade den vorgelagerten Tätigkeiten Maßgeblichkeit beimißt. Wenn sich der wirtschaftliche Charakter einer Tätigkeit erst aus der Bejahung ihres Zweckzusammenhanges mit dem Anbieten von bzw. Nachfragen nach Gütern oder Dienstleistungen auf einem Markt ergeben soll, stellt sich die praktische Frage, wozu überhaupt ein solcher Zusammenhang zwischen der vorgelagerten Tätigkeit und dem Anbieten bzw. Nachfragen zur Bejahung der Unternehmenseigenschaft hergestellt werden muß, wo doch das Anbieten und Nachfragen selbst schon wirtschaftliche, d. h. die Unternehmenseigenschaft selbständig begründende Tätigkeiten sind. Das Abstellen auf dem eigentlichen Angebot bzw. der Nachfrage vorgelagerte Verhaltensweisen zur Begründung der Unternehmenseigenschaft geht auch leicht am Zweck der Wettbewerbsregeln vorbei, den Wettbewerb im Binnenmarkt vor Verfälschungen zu schützen (vgl. Art. 3 Abs. 1 Buchst. g EG) und „einen freien, redlichen, unverfälschten und gleichzeitig wirksamen Wettbewerb zu gewährleisten“182. Die Normgebundenheit einer Person oder Einrichtung ist gerade darin begründet, daß sie durch ihre Marktteilnahme auf diesem Binnenmarkt auftritt und als Marktteilnehmer versucht, sich Vorteile gegenüber anderen Marktakteuren auf dem Binnenmarkt zu verschaffen, daß sie als Marktteilnehmer Angriffen der Wettbewerber ausgesetzt ist oder als Marktbeherrscher zu diskriminierenden Maßnahmen greift. Die Frage der Normadressateneigenschaft ist somit nicht von der Marktteilnahme zu trennen. Unterstrichen wird dieser Bezug durch den Wortlaut von Art. 81 Abs. 1 und Art. 82 Abs. 1 EG. Beide Vorschriften beginnen mit der Formulierung „Mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar und verboten sind [. . .]“ und nehmen den Begriff des Gemeinsamen Marktes dann noch einmal auf, um die relevante Wirkungsrichtung der Wettbe182 H. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze II Vorbem. zu den Artikeln 81 bis 89 EG Rn. 8 – Hervorhebungen vom Verfasser weggelassen. Vgl. auch H. Sodan, GesR 2005, 145 (149).

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werbsbeschränkung (Art. 81 EG) bzw. des Mißbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung (Art. 82 EG) zu verdeutlichen. Der unmittelbaren Marktteilnahme vorgelagerte Tätigkeiten könnten sicherlich auch als wirtschaftliche bezeichnet werden. Diese Bezeichnung beruht dann aber gerade auf dem Zweckzusammenhang dieser Tätigkeiten zur Marktteilnahme, wie auch die zweite Definitionsvariante ausdrücklich anerkennt. Nichtsdestotrotz bleibt das allen vorgelagerten Tätigkeiten sinngebende Anbieten bzw. Nachfragen von Gütern oder Dienstleistungen die für die Begründung der Unternehmenseigenschaft allein maßgebliche Verhaltensweise. Eine die wettbewerbsrechtliche Normadressateneigenschaft begründende wirtschaftliche Tätigkeit ist daher nur eine Verhaltensweise mit unmittelbarem Marktbezug.183 Dem entspricht auch das Begriffsverständnis des Europäischen Gerichtshofes.184 Unter einer wirtschaftlichen Tätigkeit ist somit jedes Verhalten zu verstehen, welches darin besteht, Güter oder Dienstleistungen auf einem Markt anzubieten oder nachzufragen. Das Aufschließen des Werktores, das Einschalten der Maschinen, die Fertigung der Produkte oder die Qualitätskontrolle kommen trotz ihrer im wirtschaftlichen Sinnzusammenhang stehenden Funktionen nicht als für die Normadressatenstellung maßgebliche Verhaltensweisen in Betracht. Die hier vertretene Unbeachtlichkeit dieser inneren Modalitäten der Marktteilnahme für die Begründung der Unternehmenseigenschaft spiegelt sich auch in der Definition des Europäischen Gerichtshofes zum Unternehmenstatbestand wider, nach der ein Unternehmen jede eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einheit „unabhängig von der Art ihrer Finanzierung“ ist185.186 Der definitorische Hinweis auf die Finanzierungsart steht dabei pars pro toto für die inneren Modalitäten. Der Angebots- oder Nachfragetätigkeit, als für die Begründung der Unternehmenseigenschaft maßgebliche Verhaltensweisen, kann aber jeweils ein Bündel einzelner Verrichtungen zugeordnet werden, die keinen unmittelbaren Marktbezug haben und der Marktteilnahme vorgeschaltet sind. Damit wird auch deutlich, daß zwischen der wettbewerbsbeschränkenden Verhaltensweise187 im Sinne der Art. 81 und 82 EG und der die Unternehmens-

183 Vgl. G. Kordel, Arbeitsmarkt und Europäisches Kartellrecht, 2004, S. 29; E.-J. Mestmäcker, RabelsZ 52 (1988), 526 (536). A. A. ders./H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2004, § 8 Rn. 5; H. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze II Vorbem. zu den Artikeln 81 bis 85 EG Rn. 23. 184 Vgl. EuGH, Urt. v. 16.6.1987, Rs. 118/85, Slg. 1987, 2599 Rn. 7 – Kommission/Italien (AAMS); Urt. v. 18.6.1998, Rs. C-35/96, Slg. 1998, I-3851 Rn. 36 – Kommission/Italien (Zollspediteure); Urt. v. 12.9.2000, verb. Rs. C-180/98 bis C-184/ 98, Slg. 2000, I-6451 Rn. 75 – Pavlov u. a. 185 Siehe Nachweise bei Fn. 109. 186 Vgl. auch S. 77 f. 187 Art. 81 Abs. 1 EG: Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen.

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1. Kap.: Der Unternehmensbegriff des Europäischen Wettbewerbsrechts

eigenschaft begründenden wirtschaftlichen Tätigkeit regelmäßig zu unterscheiden ist, sofern nicht ausnahmsweise die wettbewerbsbeschränkende Verhaltensweise bereits im Anbieten oder Nachfragen selbst liegen soll. Denn Kartellabsprachen und Boykottaufrufe erweisen sich nicht als Anbieten von bzw. Nachfragen nach Gütern oder Dienstleistungen auf einem Markt, können aber einer Marktteilnahme zugeordnet werden.188 Auch sog. potentielle Unternehmen werden als Normadressaten der Wettbewerbsregeln angesehen.189 Potentielle Unternehmen sind solche Einrichtungen oder Personen, die zwar gegenwärtig nicht am Markt auftreten, deren Marktteilnahme aber jederzeit bzw. innerhalb kurzer Zeit nicht nur theoretisch bzw. mit gewisser Wahrscheinlichkeit möglich ist.190 Hier könnte man geneigt sein anzunehmen, daß bei potentiellen Unternehmen letztlich auf die vorgelagerten Tätigkeiten abzustellen ist, mitunter die Unternehmenseigenschaft durch Tätigkeiten begründet wird, welche darauf gerichtet sind, Güter oder Dienstleistungen auf einem Markt anzubieten oder nachzufragen. Dennoch geht auch diese Annahme an dem entscheidenden Gesichtspunkt vorbei, weil auch ohne irgendeine vorbereitende Tätigkeit die Normadressateneigenschaft zu bejahen sein kann. So können beispielsweise Personen potentielle Unternehmen sein, die aufgrund eines vertraglichen Wettbewerbsverbotes gerade untätig bleiben.191 Insofern begründet auch hier allein das mögliche künftige Anbieten bzw. Nachfragen die Normadressateneigenschaft. Bei der Prüfung der Unternehmenseigenschaft ist eine genaue Abgrenzung des sachlich, räumlich und ggf. zeitlich relevanten Marktes192 nicht erforderArt. 82 EG: Mißbrauch; vgl. insbesondere den Beispielkatalog des Art. 82 Buchst. a bis d EG. 188 Siehe dazu S. 229 ff. 189 Kommission, Leitlinien zur Anwendbarkeit von Artikel 81 EG-Vertrag auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit, ABl. EG 2001 Nr. C 3/2 Rn. 9; Entscheidung v. 15.9.1999, ABl. EG 1999 Nr. L 312/1 Rn. 141 ff. – British Interactive Broadcasting/Open; H.-J. Bunte, in: Langen/Bunte II Art. 81 [Generelle Prinzipien] Rn. 53; V. Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, WettbR EG/1 Art. 81 Abs. 1 EGV Rn. 20; C. Engelmann, Kostendämpfung im Gesundheitswesen und EG-Wettbewerbsrecht, 2002, S. 103; W. Frenz, NZS 2007, 233; C. Jennert, WuW 2004, 37 (42); K. W. Lange, WuW 2002, 953 (955); H. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze II Vorbem. zu den Artikeln 81 bis 85 EG Rn. 30; K. Stockmann, in: G. Wiedemann (Hrsg.), Handbuch des Kartellrechts, 1999, § 7 Rn. 13; W. Weiß, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2007, Art. 81 EGV Rn. 26. A. A. Schlußanträge des Generalanwalts Francis G. Jakobs v. 17.5.2001, Rs. C-475/99, Slg. 2001, I-8089 Tn. 77 f. – Ambulanz Glöckner. 190 Vgl. näher K. Stockmann, in: G. Wiedemann (Hrsg.), Handbuch des Kartellrechts, 1999, § 7 Rn. 13. 191 Vgl. H.-G. Pelster, Wettbewerbsverbote in Unternehmensveräußerungsverträgen nach EG-Recht, 1992, S. 29 ff., 291 ff. 192 Vgl. zur Abgrenzung des sachlich, räumlich und zeitlich relevanten Marktes die Bekanntmachung der Kommission über die Definition des relevanten Marktes im

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lich, da es für die Normadressateneigenschaft einer Person oder Einrichtung keine Rolle spielt, auf welchem konkreten Einzelmarkt eine Leistung angeboten oder nachgefragt wird. „Hauptzweck der Marktdefinition ist die systematische Ermittlung der Wettbewerbskräfte, denen sich die beteiligten Unternehmen zu stellen haben. Mit der Abgrenzung eines Marktes in sowohl seiner sachlichen als auch seiner räumlichen Dimension soll ermittelt werden, welche konkurrierenden Unternehmen tatsächlich in der Lage sind, dem Verhalten der beteiligten Unternehmen Schranken zu setzen und sie daran zu hindern, sich einem wirksamen Wettbewerbsdruck zu entziehen.“193

Eine Marktabgrenzung ist somit bedeutsam, um die Spürbarkeit einer von einem Unternehmen ausgehenden Wettbewerbsbeschränkung bzw. des Mißbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung zu ermitteln. Die Normadressateneigenschaft wird davon nicht berührt. Daher sind Definitionen als ungenau abzulehnen, welche eine für die Begründung der Normadressateneigenschaft notwendige wirtschaftliche Tätigkeit im Anbieten oder Nachfragen von Gütern oder Dienstleistungen auf einem bestimmten Markt sehen194. III. Relativität des Unternehmensbegriffes Der funktionale Unternehmensbegriff ist tätigkeitsbezogen, d. h. die „Unternehmenseigenschaft ist für Zwecke der Anwendung der Wettbewerbsregeln immer nur im Hinblick auf eine ganz bestimmte wirtschaftliche Tätigkeit als Anbieter oder Nachfrager [. . .] festzustellen“.195 Aus der Vielzahl der von einem Rechtssubjekt bzw. einer Einheit oder Einrichtung ausgeübten Tätigkeiten mögen einige Tätigkeiten wirtschaftlicher und andere nichtwirtschaftlicher Natur sein. Die Feststellung der Unternehmenseigenschaft im Hinblick auf eine bestimmte Tätigkeit, und nicht im Hinblick auf die ganze Institution, führt zur Relativität des (funktionalen) Unternehmensbegriffes. Der Unternehmensbegriff Sinne des Wettbewerbsrechts der Gemeinschaft, ABl. EG 1997 Nr. C 372/5 sowie D. Dirksen, in: Langen/Bunte II Artikel 82 [Mißbrauch einer marktbeherrschenden Stellung] Rn. 17 ff.; W. Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, WettbR EG/1 Art. 82 EGV Rn. 38 ff.; H. Wendland, in: W. Büchner/J. Ehmer/M. Geppert/B. Kerkhoff/H.-J. Piepenbrock/R. Schütz/F. Schuster (Hrsg.), Beck’scher TKG-Kommentar, 2000, Vor § 33 Rn. 23 ff. 193 Kommission, Bekanntmachung über die Definition des relevanten Marktes im Sinne des Wettbewerbsrechts der Gemeinschaft, ABl. EG 1997 Nr. C 372/5 Rn. 2. 194 Vgl. EuGH, Urt. v. 18.6.1998, Rs. C-35/96, Slg. 1998, I-3851 Rn. 36 – Kommission/Italien (Zollspediteure); Urt. v. 12.9.2000, verb. Rs. C-180/98 bis C-184/98, Slg. 2000, I-6451 Rn. 75 – Pavlov u. a.; EuG, Urt. v. 4.3.2003, Rs. T-319/99, Slg. 2003, II-357 Rn. 36 – FENIN; D. Neumann, Kartellrechtliche Sanktionierung von Wettbewerbsbeschränkungen im Gesundheitswesen, 2000, S. 98; W.-H. Roth, GRUR 2007, 645 (650); H. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze II Vorbem. zu den Artikeln 81 bis 85 EG Rn. 22. 195 W.-H. Roth/T. Ackermann, in: FK Art. 81 Abs. 1 EG-Vertrag Grundfragen Rn. 13 (Stand: November 1999).

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1. Kap.: Der Unternehmensbegriff des Europäischen Wettbewerbsrechts

ist relativ in dem Sinne, daß eine Einheit hinsichtlich eines Teils ihrer Tätigkeiten als Unternehmen angesehen werden kann, während ihr hinsichtlich anderer Tätigkeiten die Unternehmenseigenschaft abzusprechen ist.196 Die Relativität des Unternehmensbegriffes entspringt der funktionalen Betrachtungsweise, welche bei der Rechtsanwendung des Tatbestandsmerkmals des Unternehmens im Rahmen der Wettbewerbsregeln maßgeblich ist197. Der relative Begriff erfüllt zum einen die Funktion, eine durch die Unternehmenseigenschaft begründete Normadressatenstellung auf die die Unternehmenseigenschaft konstituierende Tätigkeit zu beschränken.198 Denn weitergehende Bindungen entsprächen nicht dem Zweck der Wettbewerbsregeln. So soll beispielsweise ein Einzelkaufmann für den Bereich seiner gewerblichen Tätigkeit Normadressat der Wettbewerbsregeln sein. Die Unternehmenseigenschaft fehlt ihm aber weiterhin, wenn er für sich und seine Familie Güter des privaten Bedarfs einkauft und insofern nicht als Unternehmer, sondern als Endverbraucher handelt. Zum anderen begrenzt die Relativität des Unternehmensbegriffes umgekehrt eine persönliche Freistellung vom Wettbewerbsrecht auf den Bereich der nichtwirtschaftlichen Aktivitäten. In beiden Fällen wird damit zugleich eine Aussage über den sachlichen Anwendungsbereich des Wettbewerbsrechts getroffen. Die Erkenntnis, eine Einheit könne – abhängig von der Tätigkeit – sowohl Unternehmen als auch kein Unternehmen sein, ist für sich aber nicht weiterführend. In der konkreten Fallprüfung muß eine Antwort darauf gefunden werden, ob das Tatbestandsmerkmal nun zu bejahen oder zu verneinen ist, wenn sowohl nichtwirtschaftliche als auch wirtschaftliche Tätigkeiten eines Rechtssubjektes auszumachen sind. Ein Entscheidungsmodell bleibt die Literatur – soweit ersichtlich – schuldig. Auch in der Rechtsprechung wird nicht deutlich, auf wel-

196 Schlußanträge des Generalanwalts Francis G. Jakobs v. 13.9.2001, Rs. C-218/ 00, Slg. 2002, I-691 Tn. 48 – Cisal; A. S. Bien, Die Einflüsse des europäischen Kartellrechts auf das nationale Gesundheitswesen, 2004, S. 84; C. Engelmann, Kostendämpfung im Gesundheitswesen und EG-Wettbewerbsrecht, 2002, S. 65; U. M. Gassner, VSSR 2000, 121 (135); ders., WuW 2004, 1028 (1033 f.); W. Jaeger, ZWeR 2005, 31 (51); H.-G. Kamann/P. Gey, Pharma Recht 2006, 255 (258); T. Kingreen, ZESAR 2007, 139 (141); C. Koenig/C. Engelmann, in: N. Klusen (Hrsg.), Europäischer Binnenmarkt und Wettbewerb – Zukunftsszenarien für die GKV, 2003, 107 (111); dies., EuZW 2004, 682 (683); G. Kordel, Arbeitsmarkt und Europäisches Kartellrecht, 2004, S. 29 f.; T. Kunze/R. Kreikebohm, NZS 2003, 62 (64 f.); A. Penner, NZS 2003, 234 (235); W.-H. Roth, GRUR 2007, 645 (650); O. Seewald, SGb 2004, 453 (457); H.-D. Steinmeyer, Wettbewerbsrecht im Gesundheitswesen, 2000, S. 47; P. Stockenhuber, in: Grabitz/Hilf, Bd. II, Art. 81 EGV Rn. 61 (Stand: Juli 2000). 197 Siehe S. 60 ff. sowie 49 ff. 198 W.-H. Roth/T. Ackermann, in: FK Art. 81 Abs. 1 EG-Vertrag Grundfragen Rn. 13 (Stand: November 1999). Dies verkennt aber S. Kontusch, Wettbewerbsrelevantes Verhalten der Krankenkassen im Rahmen des deutschen und europäischen Wettbewerbs-, Kartell- und Verfassungsrechts, 2004, S. 61 ff.

B. Funktionaler Unternehmensbegriff

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chen Wertungen die Maßgeblichkeit der wirtschaftlichen (= Bejahung) oder der nichtwirtschaftlichen (= Verneinung) Tätigkeit einer Einheit im konkreten Fall beruht. Nach dem in dieser Arbeit vertretenen Entscheidungsmodell erfolgt die Lösung über eine marktbezogene Zurechnung der mutmaßlich wettbewerbsbeschränkenden Verhaltensweise.199 Ist die mutmaßlich wettbewerbsbeschränkende Verhaltensweise der wirtschaftlichen Tätigkeit200 der Einheit, d. h. einem bestimmten Marktverhalten, zuzurechnen, ist die Unternehmenseigenschaft und damit die Normadressatenstellung im konkreten Fall zu bejahen. Dagegen sind Unternehmens- bzw. Normadressateneigenschaft dann zu verneinen, wenn die Verhaltensweise einem nichtwirtschaftlichen Tätigkeitssektor zuzurechnen ist. IV. Merkmale wirtschaftlicher Tätigkeit Hängt bei dem allgemein anerkannten funktionalen Begriffsverständnis die Unternehmenseigenschaft entscheidend davon ab, ob eine Einheit einer wirtschaftlichen Tätigkeit nachgeht, bedarf es einer Auseinandersetzung darüber, welche Merkmale menschlichen Verhaltens eine wirtschaftliche Tätigkeit kennzeichnen. Eine solche Auseinandersetzung über diese sehr allgemeine, aber für das Wettbewerbsrecht fundamentale Frage findet in der wettbewerbsrechtlichen Rechtsprechung und Literatur kaum statt. Hintergrund dafür ist sicherlich, daß regelmäßig eine wirtschaftliche Betätigung im Rahmen eines wettbewerbsrechtlichen Rechtsstreites auf der Hand zu liegen scheint. Dennoch ist es erforderlich, sich darüber eine Vorstellung zu verschaffen, was gerade eine wirtschaftliche Tätigkeit charakterisiert. Zum einen fehlte ohne ein grundlegendes Verständnis davon der Subsumtion im Einzelfall das Fundament, und ihr Ergebnis bliebe eine „Gefühlsentscheidung“, deren Richtigkeit objektiv nicht nachzuvollziehen wäre. Zum anderen ist die Feststellung der kennzeichnenden Merkmale notwendig, um für Grenzfälle eine Zuordnung nach objektiven Kriterien zu erreichen. Dabei ist jedoch zu beachten, daß Begriffe in der Rechtsordnung jeweils in einem bestimmten Zusammenhang (z. B. Gesetzesabschnitt, Gesetz, Rechtsgebiet) verwendet werden und der konkrete Begriffsinhalt von dem jeweiligen Regelungszusammenhang nicht zu trennen ist. Daher muß die Verwendung des gleichen Begriffes in einem anderen Zusammenhang nicht mit der gleichen Begriffsdeutung einhergehen.201 Beispielhaft sei hier nur die unterschiedliche Be199

Siehe dazu S. 229 ff. Wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne des Unternehmenstatbestandes ist eine solche mit unmittelbarem Marktbezug, vgl. S. 63 ff. 201 Vgl. R. Zippelius, Rechtsphilosophie, 2003, § 39 III 1 (S. 272). 200

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1. Kap.: Der Unternehmensbegriff des Europäischen Wettbewerbsrechts

deutung des Begriffes „verfassungsmäßige Ordnung“ bei Art. 2 Abs. 1, Art. 9 Abs. 2 und Art. 20 Abs. 3 GG erwähnt.202 Eine allgemeingültige Bedeutung wird nur bei vollständig deskriptiven Begriffen, welche keiner wertenden Betrachtung zugänglich sind, in Erwägung zu ziehen sein. Die Findung kennzeichnender Begriffsmerkmale im Rahmen des jeweiligen Zusammenhangs (hier: Wettbewerbsregeln des EG-Vertrags) wird daher zunächst mit allgemeinen Überlegungen ihren Ausgangspunkt nehmen und in einem zweiten Schritt den Besonderheiten des bestimmten Regelungszusammenhangs Rechnung tragen müssen. Für die konkrete Aufgabenstellung, nämlich den Charakter wirtschaftlicher Tätigkeit zu erfassen, ist bezüglich des allgemeinen Ausgangspunktes besonders zu prüfen, inwiefern wirtschaftswissenschaftliche Erkenntnisse fruchtbar gemacht werden können. 1. Allgemeine Abgrenzungsmerkmale a) Möglichkeit der Tätigkeitsausübung durch Private mit Gewinnerzielungsabsicht (Popitz-Kriterium) Zur Beschreibung der wirtschaftlichen Tätigkeit wird oftmals das sog. PopitzKriterium203 herangezogen. Danach liegt eine wirtschaftliche Tätigkeit vor, wenn der Betätigung auch von einem Privaten in der Absicht der Gewinnerzielung nachgegangen werden kann.204 Dieses Kriterium ist ursprünglich erkennbar darauf zugeschnitten, die Frage zu beantworten, ob die öffentliche Hand einer unternehmerischen Betätigung nachgeht und sich insofern wie ein privates Wirtschaftssubjekt verhält. Was allgemein als wirtschaftliche Betätigung anzusehen ist, verbirgt sich letztlich hinter dem Merkmal „Betätigung, die von einem Privaten mit Gewinnerzielungsabsicht ausgeübt werden kann“. Da diese Umschreibung nur auf die Möglichkeit 202 Siehe dazu P. Kunig, in: I. von Münch (Begr.)/P. Kunig (Hrsg.), GrundgesetzKommentar, Bd. 1, 2000, Art. 2 Rn. 22. 203 Benannt nach Johannes Popitz; vgl. dens., Der zukünftige Finanzausgleich zwischen Reich, Ländern und Gemeinden, Berlin 1932, S. 46 ff. 204 Vgl. die Schlußanträge des Generalanwalts Francis G. Jakobs v. 28.1.1999, Rs. C-67/96, Slg. 1999, I-5751 Tn. 311 – Albany; Schlußanträge v. 17.5.2001, Rs. C-475/ 99, Slg. 2001, I-8089 Tn. 67 – Ambulanz Glöckner; Schlußanträge v. 13.9.2001, Rs. C-218/00, Slg. 2002, I-691 Tn. 38 – Cisal; Schlußanträge des Generalanwalts Giuseppe Tesauro v. 29.9.1992, verb. Rs. C-159/91 und C-160/91, Slg. 1993, I-637 Tn. 8 – Poucet und Pistre; J. Gundel, EuR 2004, 575 (577); A. Hänlein/J. Kruse, NZS 2000, 165 (167). Ähnlich: T. Kingreen, ZESAR 2007, 139 (141); K. W. Lange, WuW 2002, 953 (958); T. Lübbig, EuZW 2002, 149; D. Neumann, Kartellrechtliche Sanktionierung von Wettbewerbsbeschränkungen im Gesundheitswesen, 2000, S. 98 f.; R. Pitschas, VSSR 1999, 221 (235); W. Schulz-Weidner, in: I. Ebsen (Hrsg.), Europarechtliche Gestaltungsvorgaben für das deutsche Sozialrecht, 2000, 57 (60).

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einer Gewinnerzielung abstellt, steht sie nicht im Widerspruch zu dem für das Wettbewerbsrecht allgemein anerkannten Grundsatz, daß wirtschaftliche Tätigkeit keine tatsächlich vorhandene Gewinnerzielungsabsicht voraussetzt.205 Klarzustellen ist hier ferner, daß es wettbewerbsrechtlich nicht darauf ankommt, ob eine konkrete Marktsituation noch eine Gewinnmöglichkeit beläßt, um von einer wirtschaftlichen Tätigkeit zu sprechen. Ansonsten führten besonders wettbewerbsfeindliche staatliche oder private Maßnahmen gerade zu einer Ausschaltung der Wettbewerbsregeln, da sich diese Maßnahmen dann nicht mehr gegen Unternehmen richten würden. Ein derartiger zweckwidriger Interpretationsansatz scheidet zweifellos aus. Im Rahmen dieser Klarstellungen ist das Popitz-Kriterium nicht ungeeignet, im Wettbewerbsrecht Relevanz zu erlangen und zur Bestimmung einer wirtschaftlichen Tätigkeit beizutragen, denn es besteht kein Bedürfnis nach Anwendung der Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft, wenn die Möglichkeit auszuschließen ist, daß ein privates Unternehmen eine bestimmte Tätigkeit ausübt206. Insbesondere der Generalanwalt beim Europäischen Gerichtshof Francis G. Jakobs, aber auch der Generalanwalt Giuseppe Tesauro verbinden die Prüfung der Unternehmenseigenschaft mit der Frage, ob eine Tätigkeit „zumindest im Grundsatz von einem Privaten mit der Absicht der Gewinnerzielung ausgeübt werden könnte“207. Ebenso hat die Kommission darauf in ihrer Entscheidungspraxis abgestellt.208 Das Popitz-Kriterium vermag aber nicht deutlich genug herauszustellen, was nun gerade diejenigen Tätigkeiten ausmacht, welche von Privaten mit Gewinnerzielungsabsicht ausgeübt werden können. Vom Europäischen Gerichtshof wurde das Popitz-Kriterium – trotz der Schlußanträge der Generalanwälte Jakobs und Tesauro – bislang nicht herangezogen. Der Gerichtshof stellt allerdings sprachlich bei der Abgrenzung zur staatlichen Wirtschaftstätigkeit hin und wieder auf das in der Entscheidung Höfner und Elser209 erstmalig verwendete ähnliche Kriterium ab, ob die betreffende Aufgabe auch von Privaten wahrgenommen wird oder jedenfalls von Privaten 205

Siehe dazu S. 89 ff. H. Sodan, GesR 2005, 145 (147). 207 Schlußanträge des Generalanwalts Francis G. Jakobs v. 28.1.1999, Rs. C-67/96, Slg. 1999, I-5751 Tn. 311 – Albany; Schlußanträge v. 17.5.2001, Rs. C-475/99, Slg. 2001, I-8089 Tn. 67 – Ambulanz Glöckner; Schlußanträge v. 13.9.2001, Rs. C-218/00, Slg. 2002, I-691 Tn. 38 – Cisal; Schlußanträge des Generalanwalts Giuseppe Tesauro v. 29.9.1992, verb. Rs. C-159/91 und C-160/91, Slg. 1993, I-637 Tn. 8 – Poucet und Pistre. Vgl. auch die Schlußanträge des Generalanwalts Giuseppe Tesauro v. 10.11. 1993, Rs. C-364/92, Slg. 1994, I-43 Tn. 9 – SAT Fluggesellschaft/Eurocontrol. 208 Kommission, Entscheidung v. 28.6.1995, ABl. EG 1995 Nr. L 216/8 Rn. 2 – Flughafenrabattsystem. 209 EuGH, Urt. v. 23.4.1991, Rs. C-41/90, Slg. 1991, I-1979 Rn. 22 – Höfner und Elser. Siehe ausführlich zu dieser Entscheidung S. 152 f. Vgl. auch EuGH, Urt. v. 11.12.1997, Rs. C-55/96, Slg. 1997, I-7119 Rn. 22 – Job Centre. 206

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1. Kap.: Der Unternehmensbegriff des Europäischen Wettbewerbsrechts

wahrgenommen werden könnte.210 Faktisch wurde dieses Abgrenzungskriterium aber – jedenfalls als maßgeblicher Leitgedanke im Bereich der sozialen Sicherheit – bereits in der Rechtssache Poucet und Pistre211 aufgegeben.212 b) Austausch von Gütern oder Dienstleistungen auf dem Markt Ein anderer Ansatz stellt stärker das Wesen der wirtschaftlichen Tätigkeit in den Vordergrund. Danach ist allgemein unter einer wirtschaftlichen Tätigkeit jede Betätigung anzusehen, die im Austausch von Gütern oder Dienstleistungen auf dem Markt besteht bzw. darauf gerichtet ist.213 Bereits an dieser Stelle ist aber darauf hinzuweisen, daß Vertreter dieses Ansatzes oftmals nicht vom Austausch, sondern nur vom Angebot bzw. von der Produktion oder der Verteilung von Gütern oder Dienstleistungen sprechen214. Es wird u. a. daher die gerade auch in der jüngsten Rechtsprechung des Europäischen Gerichts erster Instanz und des Europäischen Gerichtshofes relevant gewordene Frage zu beantworten sein, ob auch in der Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen auf dem Markt als solche eine wirtschaftliche Betätigung gesehen werden kann.215

210 Vgl. EuGH, Urt. v. 25.10.2001, Rs. C-475/99, Slg. 2001, I-8089 Rn. 20 – Ambulanz Glöckner: „Diese Tätigkeiten [Notfall- und Krankentransport] wurden nicht immer und werden nicht notwendigerweise von diesen Sanitätsorganisationen oder von den Behörden erbracht.“ Ebenso in der Literatur W. Schulz-Weidner, in: I. Ebsen (Hrsg.), Europarechtliche Gestaltungsvorgaben für das deutsche Sozialrecht, 2000, 57 (60 f.). 211 EuGH, Urt. v. 17.2.1993, verb. Rs. C-159/91 und C-160/91, Slg. 1993, I-637 – Poucet und Pistre. Siehe ausführlich zu dieser Entscheidung S. 153 ff. 212 Vgl. S. 183 f. 213 Vgl. EuGH, Urt. v. 12.9.2000, verb. Rs. C-180/98 bis C-184/98, Slg. 2000, I6451 Rn. 75 – Pavlov u. a. m. w. N.; Kommission, Entscheidung v. 27.10.1992, ABl. EG 1992 Nr. L 326/31 Rn. 43 – Pauschalarrangements; P. Behrens, in: G. Igl (Hrsg.), Das Gesundheitswesen in der Wettbewerbsordnung, 2000, 8 (16); W. Boecken, NZS 2000, 269 (272); H.-J. Bunte, in: Langen/Bunte II Art. 81 [Generelle Prinzipien] Rn. 5; W.-H. Roth/T. Ackermann, in: FK Art. 81 Abs. 1 EG-Vertrag Grundfragen Rn. 15 (Stand: November 1999); W. A. Stoffel, Wettbewerbsrecht und staatliche Wirtschaftstätigkeit, 1994, S. 9 f.; S. Vogel; Der Staat als Marktteilnehmer, 2000, S. 16; W. Weiß, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2007, Art. 81 EGV Rn. 29. 214 So beispielsweise W. A. Stoffel, Wettbewerbsrecht und staatliche Wirtschaftstätigkeit, 1994, S. 9 f.; S. Vogel; Der Staat als Marktteilnehmer, 2000, S. 16. Siehe auch EuGH, Urt. v. 12.9.2000, verb. Rs. C-180/98 bis C-184/98, Slg. 2000, I-6451 Rn. 75 – Pavlov u. a.; EuG, Urt. v. 4.3.2003, Rs. T-319/99, Slg. 2003, II-357 Rn. 36 f. – FENIN; W. Boecken, NZS 2000, 269 (272); V. Emmerich, in: Ulrich Immenga/ErnstJoachim Mestmäcker (Hrsg.), EG-Wettbewerbsrecht – Kommentar, Bd. 1, 3. Aufl. München 1997, Art. 85 Abs. 1 [A] Rn. 22. 215 Siehe dazu S. 78 ff. Nach hier vertretener Ansicht ist das zu bejahen.

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aa) Marktfähigkeit Eine wirtschaftliche Tätigkeit setzt demnach voraus, daß Gegenstand des Austausches marktfähige Güter und Dienstleistungen sind.216 Marktfähig bedeutet nicht, daß aktuell für das betreffende Gut oder die betreffende Dienstleistung bereits ein Markt vorhanden sein muß. Es muß nur generell geeignet sein, über einen Markt abgesetzt oder bezogen zu werden. Das Erfordernis der Marktfähigkeit korrespondiert jedenfalls mit den bisherigen Feststellungen zum Bezug der Wettbewerbsregeln zum Gemeinsamen Markt und zur daraus abgeleiteten Erkenntnis, daß die Frage der Normadressateneigenschaft nicht von einer Marktteilnahme zu trennen ist.217 (1) Wirtschaftswissenschaftliche Grundlagen In der Wirtschaftswissenschaft wird unter einem Markt ein Ort verstanden, an dem Angebot und Nachfrage zusammentreffen. Dort wird unter Ausgleich der jeweiligen Preisvorstellungen von Anbietern und Nachfragern der Preis für die entsprechenden Güter oder Dienstleistungen ermittelt. Den jeweiligen Preisvorstellungen korrespondiert eine bestimmte Angebots- und Nachfragemenge.218 In einer marktwirtschaftlichen Wirtschaftsordnung erfolgt über den Markt eine Lösung bestimmter ökonomischer Grundprobleme, insbesondere der Fragen was, wie und für wen produziert werden soll.219 Die Volkswirtschaftslehre unterscheidet zwischen privaten und öffentlichen Gütern, deren Marktfähigkeit verschieden zu beurteilen ist. Zur Abgrenzung werden vornehmlich zwei Kriterien herangezogen:220 – Rivalität im Konsum, d. h. die gleichzeitige Nutzung desselben Gutes durch mehrere Personen ist entweder nicht möglich oder verursacht zusätzliche Kosten, – Ausschließbarkeit vom Konsum, d. h. es ist möglich, Nichtzahler vom Konsum eines Gutes auszuschließen. Von fehlender Ausschließbarkeit wird auch 216

Vgl. auch S. Storr, ZESAR 2003, 249 (251). Vgl. S. 63 ff. 218 W. Cezanne, Allgemeine Volkswirtschaftslehre, 2005, S. 20 ff.; E. Schwark, DZWir 1997, 89 (92). 219 W. Cezanne, Allgemeine Volkswirtschaftslehre, 2005, S. 20; E. Schwark, DZWir 1997, 89 (92). 220 Vgl. S. Billinger, Das Pflichtversicherungsmonopol der gesetzlichen Krankenversicherung in der Bundesrepublik Deutschland im Lichte des EG-Vertrags, 2001, S. 118 ff.; H.-J. Bontrup, Volkswirtschaftslehre, 1998, S. 33 f.; D. Greiling, Öffentliche Trägerschaft oder öffentliche Bindung von Unternehmen?, 1996, S. 219 f.; H.-D. Hardes/F. Schmitz, Grundzüge der Volkswirtschaftslehre, 2000, S. 54 ff.; R. List, Das Honorarsystem der vertragsärztlichen Versorgung in der Gesetzlichen Krankenversicherung, 1999, S. 18 f.; J. E. Stiglitz, Volkswirtschaftslehre, 1999, S. 176 ff. 217

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1. Kap.: Der Unternehmensbegriff des Europäischen Wettbewerbsrechts

dann gesprochen, wenn es prohibitive Kosten verursacht, einen Konsumenten von der Nutzung des Gutes auszuschließen. Danach zeichnet sich ein privates Gut durch Rivalität im Konsum und Ausschließbarkeit vom Konsum aus. So kann beispielsweise eine Flasche Wein nur einmal getrunken werden (Rivalität), und die Abgabe der Flasche an einen Nichtzahler kann problemlos verhindert werden. Demgegenüber wird ein öffentliches Gut durch Nichtrivalität im Konsum und fehlende Ausschließbarkeit vom Konsum charakterisiert. Als geläufiges Beispiel wird der Leuchtturm angeführt: Sein Lichtsignal kann von beliebig vielen Personen gleichzeitig genutzt werden, ohne daß dadurch zusätzliche Betriebskosten entstünden. Ein nichtzahlender Schiffsführer kann jedoch nicht von der Nutzung des Leuchtturmsignals ausgeschlossen werden. In der Volkswirtschaftslehre wird für öffentliche Güter ein Marktversagen attestiert. Öffentliche Güter werden von Privaten nicht oder viel zu wenig produziert. Das liegt am sog. Trittbrettfahrereffekt, welcher mit öffentlichen Gütern verbunden ist. Weil „es schwierig ist, jemanden von der Nutzung auszuschließen, haben die Nutznießer dieser Güter keinen Anreiz, sich an der Finanzierung zu beteiligen“.221 Ein Markt besteht mangels Bereitschaft der Nutznießer, einen Preis für das ihnen auch ohne Entgeltzahlung zur Verfügung stehende Gut zu zahlen, nicht.222 Für die beiden zur Bestimmung eines öffentlichen Gutes genannten Kriterien ist somit das Merkmal der fehlenden Ausschließbarkeit vom Konsum für das Marktversagen entscheidend. Nichtrivalität im Konsum läßt die Marktfähigkeit eines Gutes nicht entfallen. So bildet sich ohne weiteres ein Marktpreis für den Besuch einer (nicht ausverkauften)223 Theatervorstellung. Weisen Güter oder Dienstleistungen die Eigenschaft fehlender Ausschließbarkeit auf, müßte ihnen nach den in der Volkswirtschaftslehre beschriebenen Gesetzmäßigkeiten von vornherein die Marktfähigkeit abgesprochen werden. Auf der Grundlage dieser wirtschaftswissenschaftlichen Erkenntnisse wird in der rechtswissenschaftlichen Literatur vereinzelt vertreten, daß Gegenstand einer wirtschaftlichen Tätigkeit nur solche Güter seien, welche einer ausschließlichen Nutzung zugänglich sind.224 221

J. E. Stiglitz, Volkswirtschaftslehre, 1999, S. 179. Vgl. dazu S. Billinger, Das Pflichtversicherungsmonopol der gesetzlichen Krankenversicherung in der Bundesrepublik Deutschland im Lichte des EG-Vertrags, 2001, S. 119 f.; H.-J. Bontrup, Volkswirtschaftslehre, 1998, S. 34; W. Cezanne, Allgemeine Volkswirtschaftslehre, 2005, S. 32 ff., insb. 36 f.; H.-D. Hardes/F. Schmitz, Grundzüge der Volkswirtschaftslehre, 2000, S. 54 ff.; R. List, Das Honorarsystem der vertragsärztlichen Versorgung in der Gesetzlichen Krankenversicherung, 1999, S. 18 ff.; J. E. Stiglitz, Volkswirtschaftslehre, 1999, S. 179. 223 Bei einer ausverkauften Theatervorstellung läge Rivalität im Konsum vor. 222

B. Funktionaler Unternehmensbegriff

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(2) Übertragbarkeit der wirtschaftswissenschaftlichen Grundlagen auf das Wettbewerbsrecht? Bei der Auslegung des Wettbewerbsrechts sind wirtschaftswissenschaftliche Erkenntnisse zu berücksichtigen. Dies ergibt sich schon aus der Verwendung von Tatbestandsmerkmalen durch den Gesetzgeber, welche durch wirtschaftswissenschaftliche Begriffe inhaltlich geprägt sind. Dennoch sind solche Begriffe durch Aufnahme in den Tatbestand zu Rechtsbegriffen geworden und bedürfen daher der „Übersetzung in die Denkkategorie des Rechts“225.226 „Auch wirtschaftswissenschaftlich geprägte Begriffe sind deshalb daraufhin zu untersuchen, welchen Zweck sie im jeweiligen Normzusammenhang haben.“227 Fraglich ist demnach, ob auf der Grundlage der dargestellten wirtschaftswissenschaftlichen Erkenntnisse bei fehlender Ausschließbarkeit vom Konsum eines Gutes, einem solchen Gut die Marktfähigkeit auch im Sinne des Wettbewerbsrechts abzusprechen ist, mit der Folge, daß hinsichtlich des Austausches eines solchen Gutes keine wirtschaftliche Tätigkeit vorliegt. Es ist zu untersuchen, ob auch für Güter mit fehlender Ausschließbarkeit Märkte – jedenfalls im Sinne des Wettbewerbsrechts – existieren oder denkbar sind. Beispielhaft für einen solchen Markt könnte die Tätigkeit von Rundfunkanstalten sein, sofern sie sich auf die frei empfangbare Ausstrahlung von Rundfunkveranstaltungen gegenüber Hörern oder Zuschauern bezieht. Für den Konsum (Empfang) solcher Rundfunkveranstaltungen fehlt regelmäßig die Ausschließbarkeit vom Konsum. Rundfunksendungen können grundsätzlich von jedem konsumiert werden, der ein Empfangsgerät besitzt. Ein Ausschluß von bestimmten Hörern oder Zuschauern ist regelmäßig auch gar nicht gewünscht, sondern die Sender möchten gerade möglichst viele Empfänger erreichen und ihren Verbreitungsgrad steigern. Auf der Grundlage der wirtschaftswissenschaftlichen Erkenntnisse dürfte es aber für die Verbreitung von Rundfunksendungen keinen Markt geben. Die Nachfrage nach Rundfunkveranstaltungen wird aber trotzdem von privaten Anbietern befriedigt, weil die Kosten des Sendebetriebes durch Werbeeinnahmen refinanziert werden können. Zwar wäre es möglich, nur in dieser Refinanzierungstätigkeit eine wirtschaftliche Tätigkeit der Sendeanstalt zu sehen und letztlich allein auf den Werbemarkt abzustellen, auf welchem sich Rund224 So W. A. Stoffel, Wettbewerbsrecht und staatliche Wirtschaftstätigkeit, 1994, S. 9 f. 225 R. Lukes, in: Wirtschaftsordnung und Rechtsordnung – FS für F. Böhm, 1965, 199 (213). 226 Vgl. R. Lukes, in: Wirtschaftsordnung und Rechtsordnung – FS für F. Böhm, 1965, 199 (212 ff.); F. Rittner, Wettbewerbs- und Kartellrecht, 1999, § 5 Rn. 78 f.; U. Immenga, in: Immenga/Mestmäcker, GWB Einleitung Rn. 67. 227 U. Immenga, in: Immenga/Mestmäcker, GWB Einleitung Rn. 67.

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1. Kap.: Der Unternehmensbegriff des Europäischen Wettbewerbsrechts

funkanstalten und werbende Unternehmen gegenüber stehen. Dann wäre das Bemühen um Hörer und Zuschauer sowie die Sendetätigkeit selbst nur ein Annex des Werbegeschäftes der Rundfunkanstalten. Fraglich ist jedoch, ob eine solche Betrachtung, nach der die einzelne Rundfunkveranstaltung selbst kein Wirtschaftsgut darstellen würde, im Wettbewerbsrecht angezeigt ist. Diese Frage stellt sich insbesondere deshalb, weil bei einer natürlichen Betrachtung davon auszugehen ist, daß es tatsächlich sowohl ein privates Angebot von Rundfunksendungen als auch eine darauf gerichtete Nachfrage von Verbrauchern gibt. Gleichzeitig besteht ein erheblicher Konkurrenzkampf unter den Sendern, um die Gunst von Hörern oder Zuschauern. Einen Markt und damit eine wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne des Wettbewerbsrechts nur aufgrund einer fehlenden Ausschließbarkeit zu verneinen, würde an dem tatsächlich vorzufindenden Wettbewerbsgeschehen vorbeigehen und den Zweck des Wettbewerbsrechts verfehlen. Märkte für Rundfunk- bzw. Fernsehsendungen sind folglich von der Kommissionspraxis228 sowie in der Rechtsprechung und Literatur zum nationalen und Europäischen Wettbewerbsrecht anerkannt.229 Es läßt sich zwar feststellen, daß es in der großen Vielzahl aller Lebenssachverhalte zwischen der wirtschaftswissenschaftlichen und wettbewerbsrechtlichen Beurteilung der Marktfähigkeit von Gütern und Dienstleistungen im Ergebnis keinen Unterschied gibt. In Randbereichen ist aber die Marktfähigkeit unterschiedlich zu beurteilen und das wettbewerbsrechtliche Marktverständnis weiter. Der Unterschied zwischen Wettbewerbsrecht und Wirtschaftswissenschaft erklärt sich damit, daß aus wirtschaftswissenschaftlicher Perspektive der Preis Drehund Angelpunkt des Marktmechanismus’ ist. Die volkswirtschaftlichen Anpassungsprozesse werden nämlich über den Preis gesteuert.230 Austauschprozesse, welche nicht der Preisbildung dienen bzw. einen Preis nicht hervorbringen, sind somit von vornherein außerhalb der wirtschaftswissenschaftlichen Marktbetrachtung. Marktfähigkeit im Sinne der volkswirtschaftlichen Betrachtung bedeutet daher in erster Linie die Fähigkeit, durch das Zusammentreffen von Angebot und Nachfrage einen Preis ermitteln zu können. 228 Vgl. Kommission, Entscheidung v. 21.12.1988, ABl. EG 1989 Nr. L 78/43 Rn. 6, 20 – Magill TV Guide; Entscheidung v. 10.5.2000, ABl. EG 2000 Nr. L 151/18 Rn. 50 ff., 58 – Eurovision; Entscheidung v. 19.4.2001, ABl. EG 2001 Nr. L 171/12 Rn. 59 – UEFA-Übertragungsregelung; Entscheidung v. 15.10.2003, ABl. EU 2005 Nr. L 142/1 Rn. 43, 70, 146 – RTP. Vgl. auch die Mitteilung der Kommission über die Anwendung der Vorschriften über Staatliche Beihilfen auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, ABl. EG 2001 Nr. C 320/5. 229 EuGH, Urt. v. 30.4.1974, Rs. 155/73, Slg. 1974, 409 Rn. 14 ff. sowie Rn. 6 zur Dienstleistungsfreiheit: „In Ermangelung ausdrücklich entgegenstehender Vertragsbestimmungen sind Fernsehsendungen ihrer Natur nach als Dienstleistungen anzusehen.“; V. Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, GWB § 130 Abs. 1 Rn. 16 m. w. N. Vgl. auch P. Badura, in: J. Schwarze (Hrsg.), Daseinsvorsorge im Lichte des Wettbewerbsrechts, 2001, 25 (37 ff.). 230 Vgl. W. Cezanne, Allgemeine Volkswirtschaftslehre, 2005, S. 20 ff.

B. Funktionaler Unternehmensbegriff

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Das Wettbewerbsrecht verfolgt dagegen die Zielsetzung, der ungerechtfertigten Entstehung oder Ausnutzung wirtschaftlicher Macht entgegenzutreten und den Leistungswettbewerb zu schützen. Der Preis spielt in dieser Funktion nur eine untergeordnete Rolle. Wirtschaftliche Macht kann, muß aber nicht über den Preis ausgeübt werden. Entscheidend ist hier das Vorhandensein eines tatsächlichen oder potentiell möglichen Wettbewerbes, der zu schützen ist. Ist ein Gut (einschließlich Dienstleistungen) marktfähig im wirtschaftswissenschaftlichen Sinne, ist es ohne weiteres auch marktfähig im wettbewerbsrechtlichen Sinne und damit geeignet, Gegenstand einer wirtschaftlichen Tätigkeit zu sein. Die von Krankenkassen bezogenen und die von ihnen erstellten bzw. erbrachten Güter und Dienstleistungen sind marktfähig im wirtschaftswissenschaftlichen Sinne. Insbesondere beziehen die Krankenkassen von Leistungserbringern Gesundheitsleistungen, welche den Versicherten im Rahmen des sozialversicherungsrechtlichen Sachleistungsprinzips231 (§ 2 Abs. 2 SGB V) zur Verfügung gestellt werden, und sie bieten gegenüber den Versicherungsberechtigten Krankenversicherungsleistungen an. Es besteht für diese Güter und Dienstleistungen die tatsächliche Möglichkeit des Ausschlusses vom Konsum. So wäre es den Leistungserbringern ohne weiteres möglich, nichtzahlende Krankenkassen nicht zu beliefern (z. B. mit Arznei-, Heil- und Hilfsmitteln) oder ihnen gegenüber keine Dienstleistungen zu erbringen (z. B. ärztliche Leistungen der Vertragsärzte), wobei es hier für die wirtschaftswissenschaftliche Güterzuordnung allein auf das tatsächliche Können und nicht auf das rechtliche Dürfen ankommt. Umgekehrt könnten Krankenkassen Nichtversicherte und Nichtzahler ohne Schwierigkeiten vom Versicherungsschutz ausschließen. Somit werden von den Krankenkassen letztlich im wirtschaftswissenschaftlichen Sinne private Güter nachgefragt und angeboten. Im Rahmen dieser Untersuchung bedarf daher der Randbereich, in welchem die Marktfähigkeit im wirtschaftswissenschaftlichen und wettbewerbsrechtlichen Sinne unterschiedlich zu beurteilen ist, keiner weiteren Vertiefung. bb) Austausch Die Tätigkeit der handelnden Einheit muß ferner im Austausch von Gütern oder Dienstleistungen zwischen Anbietern und Nachfragern bestehen.232 Dies bedeutet, daß eine nach außen gerichtete Tätigkeit vorliegen muß. Vorgänge innerhalb der betreffenden Einheit sind – in parallelem Einklang mit der obigen Feststellung, daß innere Modalitäten der Marktteilnahme keinen Einfluß auf die 231

Siehe im einzelnen S. 235 ff. Vgl. Fn. 213 sowie S. Billinger, Das Pflichtversicherungsmonopol der gesetzlichen Krankenversicherung in der Bundesrepublik Deutschland im Lichte des EG-Vertrags, 2001, S. 140 ff. Siehe näher zum Marktbezug der wirtschaftlichen Tätigkeit S. 63 ff. 232

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1. Kap.: Der Unternehmensbegriff des Europäischen Wettbewerbsrechts

Beurteilung der Unternehmenseigenschaft besitzen233 – nicht geeignet, eine wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne des Wettbewerbsrechts darzustellen und folglich die Unternehmenseigenschaft zu begründen.234 Regelmäßig setzt ein Austausch zwei gegenläufige Leistungsbewegungen voraus, d. h. einer Leistung steht eine (wie auch immer geartete) Gegenleistung gegenüber. Darin begründet sich das in der Literatur oftmals erhobene Postulat der Entgeltlichkeit.235 Dennoch zeigt das Beispiel des „Marktes für frei empfangbares Fernsehen“236, daß wettbewerbsrechtlich nicht zwingend gegenläufige Leistungsbewegungen vorhanden sein müssen.237 2. Begründung einer wirtschaftlichen Tätigkeit durch Nachfrage nach Gütern oder Dienstleistungen als solche? Die Marktteilnahme eines Unternehmens kann nach zwei Marktseiten unterschieden werden, auf denen es regelmäßig agiert. Zum einen fragt ein Unternehmen fremde Güter und Dienstleistungen nach (Nachfrageseite), insbesondere Vorleistungen für seine eigenen Produkte. Andererseits bietet es eigene Güter oder Dienstleistungen an (Angebotsseite). Bei einer näheren, jedoch zur Bestimmung der Unternehmenseigenschaft nicht erforderlichen sachlichen, örtlichen und zeitlichen Marktabgrenzung238 könnten zu jeder Marktseite viele einzelne Märkte ermittelt werden, auf denen ein Unternehmen Güter oder Dienstleistungen nachfragt oder anbietet. Wie bereits dargestellt, wird verbreitet in der Literatur unter einer wirtschaftlichen Tätigkeit jedes Verhalten verstanden, welches darin besteht, Güter oder Dienstleistungen auf einem Markt anzubieten oder nachzufragen.239 Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes hat nur in wenigen Entscheidungen eine eigene Begriffsbestimmung vorgenommen. In jenen Entscheidungen stellte der Gerichtshof aber fest, wirtschaftliche Tätigkeit sei „jede Tätigkeit, die darin besteht, Güter oder Dienstleistungen auf einem bestimmten Markt anzubieten“240. Die Nachfrage nach Gütern oder Dienstleistungen wird dort gerade

233

Vgl. S. 65. Vgl. S. Vogel, Der Staat als Marktteilnehmer, 2000, S. 22. 235 Vgl. dazu S. 91 ff. 236 Kommission, Entscheidung v. 10.5.2000, ABl. EG 2000 Nr. L 151/18 Rn. 58 – Eurovision. 237 Beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk in der Bundesrepublik Deutschland liegen gegenläufige Leistungsbewegungen aufgrund der Rundfunkgebührenpflicht vor. 238 Vgl. S. 66 f. 239 Vgl. die Nachweise bei Fn. 179. 240 EuGH, Urt. v. 18.6.1998, Rs. C-35/96, Slg. 1998, I-3851 Rn. 36 – Kommission/ Italien (Zollspediteure); Urt. v. 12.9.2000, verb. Rs. C-180/98 bis C-184/98, Slg. 234

B. Funktionaler Unternehmensbegriff

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nicht als eine die Unternehmenseigenschaft begründende Tätigkeit aufgeführt. Dieser Unterschied wurde – soweit ersichtlich – bis zur Entscheidung in der Rechtssache FENIN von den europäischen Rechtsprechungsorganen nicht weiter problematisiert. Im folgenden ist zu untersuchen, ob die Nachfragetätigkeit als solche eine wirtschaftliche Tätigkeit darstellen kann und somit geeignet ist, die Unternehmenseigenschaft einer Einheit, Einrichtung oder Person selbständig zu begründen. a) Rechtssache FENIN In der Rechtssache FENIN241 traf das Europäische Gericht erster Instanz auf Einrichtungen, welche das spanische nationale Gesundheitssystem verwalten und denen Unternehmen, die in Spanien medizinische Erzeugnisse für Krankenhäuser vertreiben, einen Mißbrauch der marktbeherrschenden Stellung durch systematische Spätbezahlung von Rechnungen vorwarfen. Für die Tätigkeit dieser Einrichtungen auf der Angebotsseite, nämlich die Versicherung von Personen gegen Krankheit, wobei sich die Einrichtungen und versicherungsbedürftige Bürger als Marktteilnehmer gegenüberstehen, wurde auf der Grundlage der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes242 ein wirtschaftlicher Charakter verneint. Fraglich war nun, was für die Tätigkeit dieser Einrichtungen auf der Nachfrageseite gelten sollte, welche u. a. den Einkauf von medizinischen Erzeugnissen für Krankenhäuser umfaßt. Auf dieser Seite stehen die das spanische Gesundheitssystem verwaltenden Einrichtungen den Verkäufern der medizinischen Erzeugnisse gegenüber. Bezogen auf die Tätigkeit der Nachfrage nach medizinischen Erzeugnissen für Krankenhäuser wurde vom Europäischen Gericht erster Instanz das Vorliegen einer wirtschaftlichen Tätigkeit in seinem Urteil vom 4.3.2003 mit folgenden Argumenten verneint: „Was dabei den Begriff der wirtschaftlichen Tätigkeit kennzeichnet, ist nicht die Einkaufstätigkeit als solche, sondern das Anbieten von Gütern oder Dienstleistungen auf einem bestimmten Markt [. . .]. Wie die Kommission vorträgt, ist bei der Beurteilung der Art der Tätigkeit der Kauf des Erzeugnisses somit nicht von dessen späterer Verwendung durch den Käufer zu trennen. Der wirtschaftliche oder nichtwirtschaftliche Charakter der späteren Verwendung des erworbenen Erzeugnisses bestimmt daher zwangsläufig den Charakter der Einkaufstätigkeit.

2000, I-6451 Rn. 75 – Pavlov u. a. (Hervorhebung durch Verfasser). Ähnlich schon EuGH, Urt. v. 16.6.1987, Rs. 118/85, Slg. 1987, 2599 Rn. 7 – Kommission/Italien (AAMS). 241 EuG, Urt. v. 4.3.2003, Rs. T-319/99, Slg. 2003, II-357 – FENIN. 242 Vgl. zu dieser Rechtsprechung ausführlich das zweite Kapitel.

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1. Kap.: Der Unternehmensbegriff des Europäischen Wettbewerbsrechts Kauft eine Einrichtung ein Erzeugnis – auch in großen Mengen – nicht ein, um Güter oder Dienstleistungen im Rahmen einer wirtschaftlichen Tätigkeit anzubieten, sondern um es im Rahmen einer anderen, z. B. einer rein sozialen, Tätigkeit zu verwenden, so wird sie demnach nicht schon allein deshalb als Unternehmen tätig, weil sie als Käufer auf einem Markt agiert. Zwar trifft es zu, dass eine solche Einrichtung eine erhebliche Wirtschaftsmacht auszuüben vermag, die gegebenenfalls zu einem Nachfragemonopol führen kann. Das ändert jedoch nichts daran, dass sie, soweit die Tätigkeit, zu deren Ausübung sie Erzeugnisse kauft, nichtwirtschaftlicher Natur ist, nicht als Unternehmen im Sinne der Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft handelt und daher nicht unter die in Artikel 81 Absatz 1 EG und 82 EG vorgesehenen Verbote fällt.“243

Auf das Rechtsmittel244 gegen die Entscheidung des Europäischen Gerichts erster Instanz gemäß Art. 225 Abs. 1 EG in Verbindung mit Art. 56 Abs. 1 der Satzung des Europäischen Gerichtshofes hat der Europäische Gerichtshof durch Urteil vom 11.7.2006 entschieden und sich ohne nähere Begründung der Rechtsauffassung der Vorinstanz angeschlossen.245 Der in der Rechtssache FENIN verfolgte Ansatz ist insofern bemerkenswert, als daß die Verneinung der Unternehmenseigenschaft hier nicht mit besonderen Überlegungen zur Tätigkeit von Sozialversicherungsträgern im Bereich der sozialen Sicherheit begründet wurde. Vielmehr enthält die Entscheidung eine allgemeingültige Aussage zum Unternehmensbegriff des Europäischen Wettbewerbsrechts. Daher ist in diesem Kapitel zu überprüfen, ob der von beiden Gerichten vertretenen Ansicht beizutreten ist, die Nachfrage nach Gütern oder Dienstleistungen auf einem Markt könne als solche den Unternehmenstatbestand nicht begründen. Da diese Ansicht darauf beruht, daß der wirtschaftliche Charakter der Einkaufstätigkeit maßgeblich von der späteren Verwendung der eingekauften Güter oder Dienstleistungen bestimmt werde, muß die Untersuchung den Begriff der wirtschaftlichen Tätigkeit in den Mittelpunkt stellen.

243

EuG, Urt. v. 4.3.2003, Rs. T-319/99, Slg. 2003, II-357 Rn. 36 f. – FENIN. Vgl. ABl. EU 2003 Nr. C 184/19. 245 Vgl. EuGH, Urt. v. 11.7.2006, Rs. C-205/03 P, Slg. 2006, I-6295 Rn. 26 – FENIN: „Das Gericht hat [. . .] zutreffend abgeleitet, dass bei der Beurteilung des Wesens der Einkaufstätigkeit der Kauf eines Erzeugnisses nicht von dessen späterer Verwendung zu trennen ist und dass der wirtschaftliche oder nichtwirtschaftliche Charakter der späteren Verwendung des erworbenen Erzeugnisses zwangsläufig den Charakter der Einkaufstätigkeit bestimmt.“ Verfehlt ist die von U. M. Gassner, WuW 2004, 1028 (1034) vertretene Ansicht, der Europäische Gerichtshof hätte bereits in seinem Urteil vom 16.3.2004 in der Rechtssache AOK Bundesverband u. a. (verb. Rs. C-264/01, C-306/01, C-354/01 und C-355/ 01, Slg. 2004, I-2493) implizit auch das Europäische Gericht erster Instanz in die Schranken gewiesen. Der Gerichtshof hat in dieser Entscheidung überhaupt nicht dargelegt, welche Marktseite er durch die Festsetzung von Arzneimittelfestbeträgen betroffen sah. Diese Frage ist auch in der Literatur umstritten (vgl. S. 261 ff.). 244

B. Funktionaler Unternehmensbegriff

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b) Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes vor FENIN Zutreffend ist, daß in den Fällen, in welchen der Europäische Gerichtshof den Begriff der wirtschaftlichen Tätigkeit definierte, die Nachfrage nach Gütern oder Dienstleistungen nicht erwähnt wurde.246 Daraus läßt sich aber noch nicht ableiten, der Gerichtshof habe die Nachfrage als solche bewußt ausschließen wollen.247 In keinem dieser Fälle wurde das Nachfrageverhalten der betreffenden Personen oder Einrichtungen wettbewerbsrechtlich relevant. Im ersten Fall war die Unternehmenseigenschaft eines staatlichen Finanzmonopols für Tabakwaren fraglich (Kommission/Italien [AAMS])248, in den beiden anderen Fällen ging es um Zollspediteure (Kommission/Italien [Zollspediteure])249 bzw. um Fachärzte (Pavlov u. a.)250. Das alleinige Abstellen auf die Angebotsseite geht zurück auf die Entscheidung Kommission/Italien (AAMS) vom 16.7.1987, in welcher der Europäische Gerichtshof formulierte: „Die in der sechsten Begründungserwägung [der Richtlinie 80/723/EWG251] erwähnte Unterscheidung geht von der Anerkennung der Tatsache aus, daß der Staat sowohl als öffentliche Hand als auch in der Weise handeln kann, daß er wirtschaftliche Tätigkeiten industrieller oder kommerzieller Art ausübt, die darin bestehen, Güter und Dienstleistungen auf dem Markt anzubieten.“252

Die Umschreibung der „wirtschaftlichen Tätigkeit industrieller oder kommerzieller Art“ erweist sich hier eher als eine beiläufige Anmerkung und nicht als eine Definition. Streng genommen wird in der Entscheidung auch nur eine Aussage zum Unternehmensbegriff der Richtlinie 80/723/EWG und nicht des EGVertrags getroffen, wobei zuzugeben ist, daß es keine Anhaltspunkte dafür gibt, daß der Begriff in der Richtlinie eine wesentlich andere Bedeutung hätte als im EG-Vertrag,253 zumal die Richtlinie auf Art. 86 Abs. 3 EG beruht. Auch fällt bei einer genauen Betrachtung auf, daß der Gerichtshof eine wirtschaftliche Tä-

246

Siehe die Nachweise bei Fn. 181. A. Scheffler, EuZW 2006, 601. 248 EuGH, Urt. v. 16.6.1987, Rs. 118/85, Slg. 1987, 2599 – Kommission/Italien (AAMS). 249 EuGH, Urt. v. 18.6.1998, Rs. C-35/96, Slg. 1998, I-3851 – Kommission/Italien (Zollspediteure). 250 EuGH, Urt. v. 12.9.2000, verb. Rs. C-180/98 bis C-184/98, Slg. 2000, I-6451 – Pavlov u. a. 251 Richtlinie 80/723/EWG vom 25.6.1980 über die Transparenz der finanziellen Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten und den öffentlichen Unternehmen (ABl. EG 1980 Nr. L 195/35), sog. Transparenzrichtlinie. Siehe näher S. 108 f. 252 EuGH, Urt. v. 16.6.1987, Rs. 118/85, Slg. 1987, 2599 Rn. 7 – Kommission/Italien (AAMS). 253 Vgl. die Ansicht der Kommission, wiedergegeben im Sitzungsbericht, Rs. 118/ 85, Slg. 1987, 2599 (2603 f.) – Kommission/Italien (AAMS). 247

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1. Kap.: Der Unternehmensbegriff des Europäischen Wettbewerbsrechts

tigkeit industrieller oder kommerzieller Art umschreibt und nicht eine wirtschaftliche Tätigkeit generell. Dies könnte entweder auf die Umschreibung eines Unterfalles wirtschaftlicher Betätigung schließen lassen oder aber lediglich eine Tautologie darstellen. Jedenfalls findet die Formel, eine wirtschaftliche Tätigkeit bestehe im Anbieten von Gütern oder Dienstleistungen, ihren Ausgangspunkt im Bedürfnis, hoheitliche und wirtschaftliche Tätigkeit des Staates zu unterscheiden und abzugrenzen; für eine bezweckte Ausgrenzung der Nachfrage ist nichts ersichtlich.254 Als Definition und bezogen auf die Wettbewerbsregeln des EG-Vertrags wird die einseitig auf das Angebot abstellende Formulierung erst in dem Urteil Kommission/Italien (Zollspediteure) vom 18.6.1998 verwandt, wobei sich der Gerichtshof dabei auf die soeben angesprochene Entscheidung Kommission/Italien (AAMS) vom 16.7.1987 beruft.255 Bei diesem Fall ist aber zu berücksichtigen, daß es um die Unternehmenseigenschaft von Zollspediteuren ging, welche gar keine Einkaufstätigkeit entfalten. Die Nichterwähnung der Nachfrage nach Gütern oder Dienstleistungen kann also schlicht daran liegen.256 In den verbundenen Rechtssachen Pavlov u. a. war die Unternehmenseigenschaft von niederländischen Fachärzten zu beurteilen, welche auch Nachfrager sind. Hier hat der Europäische Gerichtshof im Urteil vom 12.9.2000 seine in der Entscheidung Kommission/Italien (Zollspediteure) verwendete Formulierung einfach aufgegriffen und folglich nur auf die Angebotsseite abgestellt. Jedoch drängt sich bei Ärzten die Tätigkeit des Anbietens medizinischer Leistungen gegenüber Patienten geradezu auf. Daß jedenfalls eine erneute inhaltliche Auseinandersetzung mit der auf das Angebot fixierten Definition in der Entscheidung nicht stattfand, ergibt sich daraus, daß die Definition vom Gerichtshof dort sogar schon als „ständige Rechtsprechung“ bezeichnet wird.257 So könnte eine zunächst möglicherweise ohne genauere inhaltliche Auseinandersetzung beiläufig aufgestellte Erläuterung zu einer Richtlinien-Begründungserwägung in diesem Dreischritt eine Bedeutung erlangt haben, welche jener Erläuterung anfangs gar nicht zugedacht war. Aus der Entstehungsgeschichte der vom Europäischen Gerichtshof verwendeten Formulierung zur Bestimmung des Begriffs der wirtschaftlichen Tätigkeit ergeben sich daher keine Anhaltspunkte dafür, daß die Nachfrage nach Gütern oder Dienstleistungen auf einem Markt als eine die Unternehmenseigenschaft begründende Tätigkeit bewußt ausgeschlossen werden sollte. 254

Vgl. A. Scheffler, EuZW 2006, 601. EuGH, Urt. v. 18.6.1998, Rs. C-35/96, Slg. 1998, I-3851 Rn. 36 – Kommission/ Italien (Zollspediteure). 256 So A. Lober, EWiR 2003, 575 (576). 257 Vgl. EuGH, Urt. v. 12.9.2000, verb. Rs. C-180/98 bis C-184/98, Slg. 2000, I6451 Rn. 75 – Pavlov u. a. 255

B. Funktionaler Unternehmensbegriff

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c) Auslegung des Begriffs der wirtschaftlichen Tätigkeit Die Verneinung der Unternehmenseigenschaft im Fall FENIN beruht auf einer Petitio principii. Für seine Behauptung, der wirtschaftliche oder nichtwirtschaftliche Charakter der späteren Verwendung eines erworbenen Erzeugnisses bestimme zwangsläufig den Charakter der Einkaufstätigkeit, führt das Europäische Gericht erster Instanz weder eine Begründung noch irgendeinen Beleg an. Seine Berufung auf die vorherige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes ist – wie oben dargestellt – nicht tragfähig.258 Ebenso ohne weitere Begründung bestätigte der Europäische Gerichtshof den Ansatz der Vorinstanz als angeblich zutreffende Ableitung aus dem Gemeinschaftsrecht und der Rechtsprechung. Lediglich der Generalanwalt Miguel Poiares Maduro beruft sich argumentativ darauf, die einer nichtwirtschaftlichen Verwendung dienenden Einkäufe seien mit der Endnachfrage vergleichbar.259 Ferner behauptet er, das Bestehen eines Nachfragemonopols gefährde kaum den Wettbewerb.260 Sein Hinweis auf die Rechtssache SAT Fluggesellschaft/Eurocontrol261, in welcher der Europäische Gerichtshof die Einziehung von Gebühren durch Eurocontrol gegenüber Fluggesellschaften als nichtwirtschaftliche Tätigkeit qualifizierte, ist jedoch eindeutig verfehlt, weil hier gar keine Nachfragetätigkeit vom Gerichtshof qualifiziert wurde. Die Gebühreneinziehung wurde vom Gerichtshof als nicht trennbarer Annex zur hoheitlichen Flugüberwachung beurteilt.262 Sofern der vom Europäischen Gericht erster Instanz entwickelte und vom Europäischen Gerichtshof nunmehr bestätigte Ansatz im deutschen Schrifttum vereinzelt Unterstützung findet,263 werden folgende Argumente zusätzlich angeführt: Zum einen könne es nicht sein, daß das Wettbewerbsrecht, welches dazu bestimmt sei, den Interessen der Endabnehmer und Verbraucher zu dienen, umgekehrt zu einem Schutzinstrument der Anbieter gegen ihre Kunden (Abnehmer) werde. „Wenn Art. 81 EG auf das Kaufverhalten, ohne ein Auftreten am Markt als Lieferant zu fordern, ausgeweitet würde, hätte dies zur Folge, dass 258

Siehe S. 81 f. Vgl. die Schlußanträge des Generalanwalts M. Poiares Maduro v. 10.11.2005, Rs. C-205/03 P, Slg. 2006, I-6295 Tn. 64 – FENIN. So auch in der Literatur N. Meyer, Die Einbeziehung politischer Zielsetzungen bei der öffentlichen Beschaffung, 2002, S. 132. 260 Vgl. die Schlußanträge des Generalanwalts M. Poiares Maduro v. 10.11.2005, Rs. C-205/03 P, Slg. 2006, I-6295 Tn. 66 – FENIN. 261 Siehe näher S. 116 f. 262 Vgl. EuGH, Urt. v. 19.1.1994, Rs. C-364/92, Slg. 1994, I-43 Rn. 28 – SAT Fluggesellschaft/Eurocontrol. 263 Vgl. E. Gippini-Fournier, in: U. Loewenheim/K. M. Meessen/A. Riesenkampff (Hrsg.), Kartellrecht, Bd. 1: Europäisches Recht, 2005, Art. 81 Abs. 1 EG Rn. 48 f.; W.-H. Roth, GRUR 2007, 645 (650). 259

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1. Kap.: Der Unternehmensbegriff des Europäischen Wettbewerbsrechts

sich Anbieter gegen nicht-kommerzielle Kunden auf das Wettbewerbsrecht berufen können.“264 Zum anderen könnte es bei der Beschaffung von Gütern und Dienstleistungen durch den Staat zu Konflikten zwischen Vergaberecht und Wettbewerbsrecht kommen.265 Keines dieser vorstehenden Argumente aus der Literatur ist tragfähig: Zwar stimmt es, daß das Wettbewerbsrecht die Endabnehmer und Verbraucher schützt, in erster Linie wird aber die Handlungsfreiheit von Unternehmen im Wettbewerb geschützt. Zur geschützten Handlungsfreiheit gehört zunächst auch die Nachfrage, wie von den Befürwortern des dargestellten Ansatzes selbst anerkannt wird, wenn es um die Nachfrage von Leistungen geht, die zur Erstellung eines wirtschaftlichen Angebotes verwendet werden. Daß Anbietern gegenüber ihren Kunden (Abnehmern) kein wettbewerbsrechtlicher Schutz zur Seite stehen könne, ist kein dem Wettbewerbsrecht immanenter Grundsatz. Aus dem deutschen Kartellrecht ist sogar bekannt, daß in Ausnahmefällen ein vom Anbieter durchsetzbarer Kontrahierungszwang eines marktbeherrschenden Abnehmers bestehen kann.266 Unter diesen Voraussetzungen wäre es abwegig zu meinen, im Europäischen Wettbewerbsrecht sei jeglicher Schutz von Anbietern gegen Nachfrager undenkbar (vgl. insbesondere Art. 81 Abs. 1 Buchst. a und c, Art. 82 S. 2 Buchst. a EG). Auch verfängt der Hinweis auf das Verhältnis zwischen Vergabe- und Wettbewerbsrecht nicht. Erstens ist nicht ersichtlich, weshalb eine über den Unternehmenstatbestand vermittelte Freistellung vom Wettbewerbsrecht auch dann gelten sollte, wenn das Vergaberecht gar keine Anwendung findet. Zweitens sind mögliche Konflikte zwischen beiden Rechtsgebieten über allgemeine Derogationsgrundsätze zu lösen, welche im Konfliktfall den spezielleren Normen Geltung verschaffen. Wird als Unternehmen im Sinne der Wettbewerbsregeln weiterhin jede eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einheit unabhängig von ihrer Rechtsform und der Art ihrer Finanzierung verstanden, muß es letztlich auf die Auslegung des Begriffs der wirtschaftlichen Tätigkeit unter Berücksichtigung funktionaler Aspekte ankommen. Vom Wortlautverständnis stellt sich die Nachfrage nach Gütern oder Dienstleistungen auf einem Markt ganz klar als eine wirtschaftliche Tätigkeit dar. Die Nachfrage ist nämlich ein Kernelement des Marktes.267 Eine einschränkende 264 E. Gippini-Fournier, in: U. Loewenheim/K. M. Meessen/A. Riesenkampff (Hrsg.), Kartellrecht, Bd. 1: Europäisches Recht, 2005, Art. 81 Abs. 1 EG Rn. 48. 265 E. Gippini-Fournier, in: U. Loewenheim/K. M. Meessen/A. Riesenkampff (Hrsg.), Kartellrecht, Bd. 1: Europäisches Recht, 2005, Art. 81 Abs. 1 EG Rn. 49. 266 Vgl. BGH, WuW/E BGH 2990 (2995 ff.) – Importarzneimittel = BGHZ 129, 53 (60 ff.); WuW/E BGH 3104 (3106 f.) – Zuckerrübenanlieferungsrecht II. 267 Vgl. W. Cezanne, Allgemeine Volkswirtschaftslehre, 2005, S. 21 f.; A. Scheffler, EuZW 2006, 601; H. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze II Vorbem. zu den Artikeln 81 bis 85 EG Rn. 22.

B. Funktionaler Unternehmensbegriff

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Auslegung wäre nur aufgrund von funktionalen Erwägungen denkbar, wenn Sinn und Zweck der Wettbewerbsregeln es geböten, den persönlichen Anwendungsbereich nicht aufgrund der Nachfragetätigkeit als solcher zu eröffnen. Eine parallele Konstellation bezüglich einer solchen Einschränkung wurde bereits oben für den privaten Endverbrauch aufgezeigt. Auch dort wird aufgrund funktionaler Erwägungen – welche schon im Rahmen der inhaltlichen Konkretisierung des Begriffs der wirtschaftlichen Tätigkeit berücksichtigt werden können – für einen eigentlich dem wirtschaftlichen Tätigkeitsfeld zuzuordnenden Bereich268, die wirtschaftliche Tätigkeit bzw. die unternehmerische Tätigkeit verneint.269 Wenn also durch die Nachfrage als solche keine Unternehmenseigenschaft begründet werden soll, müßte sich die Nachfrage im Falle fehlender wirtschaftlicher Verwendung der beschafften Leistungen entweder als privater Endverbrauch darstellen oder unter allen wettbewerbsrechtlich maßgeblichen Gesichtspunkten diesem gleichzustellen sein, oder es dürften von der Nachfrage selbst von vornherein keine Gefahren für den Wettbewerb ausgehen. Insbesondere bei staatlichen Einrichtungen, welche beschaffte Leistungen für ihre hoheitliche oder sonstige nichtwirtschaftliche Tätigkeit verwenden, stellt sich die Frage, ob ihre Einkaufstätigkeit dem privaten Endverbrauch gleichzustellen ist. Eine Parallele zum privaten Endverbrauch könnte allenfalls nur dort angenommen werden, wo die eingekauften Leistungen von der Einrichtung tatsächlich selbst verbraucht werden. Vollkommen anders liegt der Fall aber, wo Leistungen beschafft werden, um sie an Dritte weiterzuverteilen.270 Ein solches Durchgangsgeschäft zur Weiterverteilung an Dritte hat mit einem privaten Endverbrauch überhaupt nichts gemeinsam. Diese Bewertung wird im Ergebnis vom Generalanwalt Miguel Poiares Maduro geteilt, auch wenn er im Ausgangspunkt den Ansatz des Europäischen Gerichts erster Instanz stützt. Der Generalanwalt sieht nämlich in dem (unentgeltlichen) Weiterverteilungsvorgang eine mögliche wirtschaftliche Tätigkeit der Einrichtung, welches folglich dazu führt, daß sich die Problematik der Beschaffung von Leistungen zu nichtwirtschaftlichen Zwecken gar nicht mehr stellt. Wer also zur Beurteilung des wirtschaftlichen Charakters der Nachfrage auf die Verwendung der beschafften Leistung abstellt, muß jedenfalls den Weiterverteilungsvorgang als wirtschaftliche Tätigkeit ins Auge fassen. Der Europäische Gerichtshof hat dieser Sichtweise des Generalanwaltes nicht widersprochen, welcher der Vorinstanz wegen Nichtbeachtung und fehlender gesonderter Prüfung des Weiterverteilungsvorganges einen Rechtsverstoß vorwarf271, sondern eine Prüfung des wirtschaftlichen Cha268

Siehe S. Vogel, Der Staat als Marktteilnehmer, 2000, S. 13. Vgl. S. 60 ff. 270 So auch C. Engelmann, Kostendämpfung im Gesundheitswesen und EG-Wettbewerbsrecht, 2002, S. 66 f. 271 Schlußanträge des Generalanwalts M. Poiares Maduro v. 10.11.2005, Rs. C-205/ 03 P, Slg. 2006, I-6295 Tn. 44 – FENIN. 269

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1. Kap.: Der Unternehmensbegriff des Europäischen Wettbewerbsrechts

rakters der Tätigkeit des Anbietens von medizinischen Leistungen durch die das spanische Gesundheitssystem verwaltenden Einrichtungen allein aus prozessualen Gründen (verspäteter Prozeßvortrag) abgelehnt.272 Darüber hinaus ist auch die ohne Weiterverteilungsabsicht erfolgende Nachfrage des Staates nicht mit dem privaten Endverbrauch gleichzusetzen. Der Staat kann – im Gegensatz zu dem vergleichsweise schwachen privaten Verbraucher – regelmäßig eine erhebliche Nachfragemacht in die Waagschale werfen, die ihn befähigt, seinerseits diskriminierend auf den verschiedenen Märkten zu agieren und eine Angriffsposition einzunehmen.273 Aus funktionalen Gründen würde die Nachfrage als eine eigenständig die Unternehmenseigenschaft begründende wirtschaftliche Tätigkeit ausscheiden, wenn vom Nachfrageverhalten überhaupt keine Nachteile für den Wettbewerb auf Märkten ausgehen könnten. In diese Richtung argumentiert der Generalanwalt, wenn er behauptet, ein Nachfragemonopol gefährde den Wettbewerb kaum, weil es sich nicht zwangsläufig auf den nachgelagerten Märkten auswirke; zudem hätte ein Unternehmen, welches ein Nachfragemonopol innehabe, kein Interesse daran, seine Lieferanten so unter Druck zu setzen, daß diese aus dem vorgelagerten Markt gedrängt würden.274 Wettbewerbsrechtlich kann der Argumentation des Generalanwaltes schon deshalb nicht gefolgt werden, weil die Anwendbarkeit des Wettbewerbsrechts nicht davon abhängt, ob eine Handlung zwangsläufig zu Wettbewerbsbeschränkungen führt. Zweifel an der These von der wettbewerblichen Irrelevanz der Nachfrage werden schon vom Wortlaut der Wettbewerbsregeln hervorgerufen:275 Art. 81 Abs. 1 EG nennt in Buchst. a und c die „unmittelbare oder mittelbare Festsetzung von Ankaufspreisen“ sowie „die Aufteilung der Versorgungsquellen“ als Regelbeispiele einer Wettbewerbsbeschränkung. In Art. 82 S. 2 Buchst. a EG wird die „unmittelbare oder mittelbare Erzwingung von unangemessenen Einkaufspreisen“ als Regelbeispiel des Mißbrauchs erwähnt. Ein verbotenes Kartell zur Festsetzung von Ankaufspreisen liegt vor, wenn Nachfrager ihre Ankaufspreise absprechen. Unangemessene Einkaufspreise können von marktstarken Nachfragern mißbräuchlich durchgesetzt werden.

272 Vgl. EuGH, Urt. v. 11.7.2006, Rs. C-205/03 P, Slg. 2006, I-6295 Rn. 21 f. – FENIN. 273 Vgl. J. Fante, Die Instrumentalisierung des öffentlichen Beschaffungswesens zur Durchsetzung politischer Ziele, 2004, S. 154 f.; A. Scheffler, EuZW 2006, 601 (602). Siehe auch OLG Düsseldorf, WuW/E DE-R 233 (238) – Inkontinenzhilfen; Pharma Recht 1999, 283 (295). 274 Vgl. die Schlußanträge des Generalanwalts M. Poiares Maduro v. 10.11.2005, Rs. C-205/03 P, Slg. 2006, I-6295 Tn. 66 – FENIN. 275 Vgl. A. Scheffler, EuZW 2006, 601.

B. Funktionaler Unternehmensbegriff

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Über den Wortlaut hinaus wird es aber gerade der wettbewerblichen Relevanz nachfragemächtiger Einheiten nicht gerecht, wenn die Frage der wirtschaftlichen Tätigkeit der Nachfrager mit der späteren Verwendung des erworbenen Erzeugnisses verknüpft wird.276 Die Nachfrage ist als solche schon geeignet, die jeweiligen Wettbewerbsverhältnisse spürbar zu beeinflussen277. „Die Konzentration von Nachfragemacht in der Hand eines Großeinkäufers oder die Bündelung von Einkäufen mehrerer Abnehmer wirkt sich regelmäßig zum Nachteil der Anbieter aus, weil sie deren Freiheit der Kundenwahl zumeist erheblich beeinträchtigt.“278

Wie die oben erwähnten Regelbeispiele unterstreichen, dienen Art. 81 und 82 EG auch dem Schutz der anbietenden Marktgegenseite. Nicht nachzuvollziehen ist, weshalb beispielsweise ein sozialer Zweck bei der Verwendung der Güter wettbewerblich zweifelhafte Praktiken bei deren Einkauf rechtfertigen sollte.279 „Eine auch nur teilweise Befreiung der – nicht privater Bedarfsdeckung dienenden – Nachfragetätigkeit von der Kontrolle durch die Artikel 81, 82 [EG] läßt sich somit mit dem in Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe g) [EG] geforderten System eines unverfälschten und zugleich wirksamen Wettbewerbs nicht vereinbaren.“280

Wortlaut, Sinn und Zweck der Wettbewerbsregeln des EG-Vertrags sprechen somit nicht gegen, sondern gerade für eine Auslegung des Begriffes der wirtschaftlichen Tätigkeit, welche die Nachfragetätigkeit als solche mitumfaßt. Die Auffassung, der wirtschaftliche oder nichtwirtschaftliche Charakter der späteren Verwendung einer beschafften Leistung bestimme zwangsläufig den Charakter der Einkaufstätigkeit, stellt darüber hinaus weitgehend die Relativität des Unternehmensbegriffes in Frage. Die tätigkeitsbezogene Ermittlung der Unternehmenseigenschaft erfüllt die Funktion, den Anwendungsbereich der Wettbewerbsregeln auf die die Unterneh-

276

BKartA, Ausnahmebereiche des Kartellrechts, 2003, S. 38; BGH, WuW/E BGH 442 (449 f.) – Gummistrümpfe = BGHZ 36, 91 (103 f.). 277 Vgl. die Ausführungen von Volker Emmerich (Kartellrecht, 8. Aufl. München 1999, S. 23 f.) zum deutschen Kartellrecht: Durch die Geltung des deutschen Kartellrechts für den Staat „ist es endlich möglich geworden, die privaten Anbieter, die häufig auf den Staat als Nachfrager angewiesen sind – man denke nur an die Anbieter von Bauleistungen, Bahnmaterial oder militärischen Ausrüstungsgegenständen – wirksam gegen die üblichen Mißbräuche der Nachfragenmacht der öffentlichen Hand zu schützen, die von der willkürlichen Benachteiligung oder Bevorzugung einzelner Anbieter über grundlose Sperren bis zur Ausplünderung der Vertragspartner reichen“ (Hervorhebung durch Verfasser). Siehe auch BGH, WuW/E BGH 442 (449 f.) – Gummistrümpfe = BGHZ 36, 91 (103 f.). 278 H. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze II Vorbem. zu den Artikeln 81 bis 85 EG Rn. 22. 279 A. Lober, EWiR 2003, 575 (576). 280 H. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze II Vorbem. zu den Artikeln 81 bis 85 EG Rn. 22.

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1. Kap.: Der Unternehmensbegriff des Europäischen Wettbewerbsrechts

menseigenschaft konstituierende marktbezogene Tätigkeit zu beschränken.281 Diese Funktion verleiht dem Unternehmensbegriff eine Beschränkungs- bzw. Trennungswirkung, welche darin besteht, ein Übergreifen der wettbewerbsrechtlichen Bindungen auf andere nichtwirtschaftliche Tätigkeitsbereiche zu verhindern. Die vom Europäischen Gerichtshof bestätigte Ansicht des Europäischen Gerichts erster Instanz hebt diese Trennung auf, indem die als solche angeblich nichtwirtschaftliche Nachfragetätigkeit eben doch dem Wettbewerbsrecht unterliegen soll, wenn auf der Angebotsseite eine wirtschaftliche Tätigkeit festzustellen ist. Die Geltung der Wettbewerbsregeln für die Nachfragetätigkeit folgt demnach aus der Charakterisierung eines ganz anderen, der Angebotsseite zuzurechnenden Tätigkeitsbereiches (Verwendung). In umgekehrter Hinsicht bewirkt die Relativität des Unternehmensbegriffes bzw. seine Tätigkeitsbezogenheit, daß die Freistellung von wettbewerbsrechtlichen Bindungen für eine bestimmte nichtwirtschaftliche Tätigkeit keine generelle Freistellung für die betreffende Einrichtung auslöst. Wird beispielsweise für die Angebotstätigkeit einer Einrichtung die wirtschaftliche Natur verneint, folgt daraus nicht, daß diese Einrichtung generell oder auch nur für bestimmte andere Tätigkeiten ebenfalls nicht die wettbewerbsrechtlichen Spielregeln zu beachten hätte. Gerade dies ist jedoch die Konsequenz der von den europäischen Rechtsprechungsorganen vertretenen Ansicht, wenn aufgrund der vermeintlich nichtwirtschaftlichen Krankenversicherungstätigkeit der Einrichtungen des spanischen Gesundheitswesens die nichtwirtschaftliche Natur ihrer Einkaufstätigkeit abgeleitet wird. Die Verknüpfung verschiedener Marktseiten zur Ermittlung der wirtschaftlichen oder nichtwirtschaftlichen Natur einer Tätigkeit widerspricht daher dem tätigkeitsbezogenen funktionalen Unternehmensbegriff.282 Sie hebt die Relativität des Unternehmensbegriffes letztlich auf und führt zu einer institutionellen Betrachtungsweise, nach der Personen, Einheiten oder Einrichtungen einheitlich und als ganzes beurteilt werden.283 Diese Institutionalisierung des Unternehmensbegriffes folgt zwangsläufig schon daraus, daß zum Zeitpunkt des Einkaufes dem Beschaffungsvorgang die spätere Verwendung oftmals noch gar nicht zugeordnet werden kann (z. B. bei späteren Privatentnahmen durch den Geschäftsinhaber). Zu Recht ist daher die von den europäischen Rechtsprechungs281

Siehe S. 68. So auch A. Kämmer, Kartellrechtliche Grenzen für die Beschränkungen des Wettbewerbs bei der Leistungsbeschaffung im Gesundheitswesen, 2004, S. 213. 283 Vgl. nur E. Gippini-Fournier, in: U. Loewenheim/K. M. Meessen/A. Riesenkampff (Hrsg.), Kartellrecht, Bd. 1: Europäisches Recht, 2005, Art. 81 Abs. 1 EG Rn. 48, der es unter völliger Verkennung der Relativität des Unternehmensbegriffes „paradox“ findet, „wenn Einrichtungen, die bezüglich ihrer Hauptbetätigung nicht als ,Unternehmen‘ anzusehen sind, auf Grund ihres Auftretens am Markt als Käufer automatisch zu Unternehmen würden“. 282

B. Funktionaler Unternehmensbegriff

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organen vertretene Ansicht in der Literatur weitgehend auf Ablehnung gestoßen, ebenso wie beim Bundeskartellamt.284 Die grundsätzliche Eignung der Nachfragetätigkeit einer Einheit, als solche unabhängig von der Qualifizierung der Verwendungsseite die Unternehmenseigenschaft zu begründen, muß schließlich auch der vielfach verbreiteten Ansicht zugrunde liegen, daß der Staat bei seiner Einkaufstätigkeit, insbesondere bei fiskalischen Hilfsgeschäften, als Unternehmen anzusehen ist285. 3. Einzelne Merkmale a) Gewinnerzielungsabsicht Regelmäßig wird eine wirtschaftliche Tätigkeit mit Gewinnerzielungsabsicht ausgeübt. Zwingend notwendig ist eine solche Motivationsgrundlage jedoch nicht. Rechtsprechung286, Literatur287 und Entscheidungspraxis der Kommis284 Vgl. BKartA, Ausnahmebereiche des Kartellrechts, 2003, S. 37 f.; V. Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, WettbR EG/1 Art. 81 Abs. 1 EGV Rn. 22 f.; U. M. Gassner, WuW 2004, 1028 (1034); M. Helios, EuZW 2003, 288; A. Kämmer, Kartellrechtliche Grenzen für die Beschränkungen des Wettbewerbs bei der Leistungsbeschaffung im Gesundheitswesen, 2004, S. 211 ff.; A. Lober, EWiR 2003, 575 f.; A. Scheffler, EuZW 2006, 601 ff.; H. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze II Vorbem. zu den Artikeln 81 bis 85 EG Rn. 22; S. Storr, LKV 2005, 521 (Fn. 9). Unabhängig von der Entscheidung des Europäischen Gerichts erster Instanz und des Europäischen Gerichtshofes in der Rechtssache FENIN wird die Begründung der Unternehmenseigenschaft durch die Nachfrage als solche bejaht von: K.-J. Bieback, RsDE Nr. 49 (2001), 1 (2); C. Engelmann, Kostendämpfung im Gesundheitswesen und EG-Wettbewerbsrecht, 2002, S. 66; U. M. Gassner, VSSR 2000, 121 (138 ff.); R. Giesen, ZESAR 2004, 151 (153); J. Karenfort/U. von Koppenfels/S. Siebert, BB 1999, 1825 (1832 f.); T. Kingreen, MedR 2004, 188 (195); C. Koenig/J. Kühling, ZHR 166 (2002), 656 (668); G. Kordel, Arbeitsmarkt und Europäisches Kartellrecht, 2004, S. 29; R. Pitschas, VSSR 1999, 221 (235); S. Storr, ZESAR 2003, 249 (253); siehe ferner die Nachweise bei Fn. 285. Vgl. zum deutschen Kartellrecht BGH, WuW/E BGH 442 (449) – Gummistrümpfe = BGHZ 36, 91 (103) sowie S. 130 f. 285 Vgl. K.-J. Bieback, RsDE Nr. 49 (2001), 1 (11, 13); J. Fante, Die Instrumentalisierung des öffentlichen Beschaffungswesens zur Durchsetzung politischer Ziele, 2004, S. 151 ff.; G. Püttner, Die öffentlichen Unternehmen, 1985, S. 41; W.-H. Roth/ T. Ackermann, in: FK Art. 81 Abs. 1 EG-Vertrag Grundfragen Rn. 39 (Stand: November 1999); A. Schäfer, Öffentliche Belange im Auftragswesen und Europarecht, 2003, S. 453 f.; H. Schricker, Wirtschaftliche Tätigkeit der öffentlichen Hand und unlauterer Wettbewerb, 1987, S. 13; siehe auch C. Engelmann, Kostendämpfung im Gesundheitswesen und EG-Wettbewerbsrecht, 2002, S. 66 f. Speziell für Krankenkassen U. M. Gassner, VSSR 2000, 121 (138 ff.). A. A. N. Meyer, Die Einbeziehung politischer Zielsetzungen bei der öffentlichen Beschaffung, 2002, S. 132 ff. 286 EuGH, Urt. v. 16.11.1995, Rs. C-244/94, Slg. 1995, I-4013 Rn. 21 – Fédération française des sociétés d’assurance u. a.; Urt. v. 21.9.1999, Rs. C-67/96, Slg. 1999, I5751 Rn. 79, 85 – Albany; Urt. v. 12.9.2000, verb. Rs. C-180/98 bis C-184/98, Slg. 2000, I-6451 Rn. 110, 117 – Pavlov u. a.

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1. Kap.: Der Unternehmensbegriff des Europäischen Wettbewerbsrechts

sion288 stimmen einhellig darin überein, daß eine wirtschaftliche Tätigkeit auch ohne Gewinnerzielungsabsicht ausgeübt werden kann. Daher können auch gemeinnützige Organisationen289, Wohltätigkeitsverbände290 oder Sportvereine291 wirtschaftlich tätig werden. Dieses Ergebnis läßt sich wiederum allgemein aus der obigen Feststellung ableiten, daß die inneren Modalitäten der Marktteilnahme keinen Einfluß auf die Beurteilung der Unternehmenseigenschaft haben292. Obwohl es nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für die Beurteilung der Unternehmenseigenschaft einer Person, Einrichtung oder Einheit nicht auf das Vorhandensein einer Gewinnerzielungsabsicht ankommt, wird vom Gerichtshof eine fehlende Gewinnerzielungsabsicht oftmals dann argumentativ herangezogen, wenn die Unternehmenseigenschaft verneint wird.293 Fehlende Gewinnerzielungsabsicht mag zwar ein Anhaltspunkt dafür sein, das Vorliegen einer wirtschaftlichen Tätigkeit zu hinterfragen und näher zu untersuchen. Da jedoch unstreitig auch Personen, Einrichtungen oder Einheiten ohne

287 R. Bechtold/W. Bosch/I. Brinker/S. Hirsbrunner, EG-Kartellrecht – Kommentar, 2005, Art. 81 EG Rn. 12; R. Geiger, EUV/EGV, 2004, Art. 81 EGV Rn. 6; A. Hänlein/J. Kruse, NZS 2000, 165 (167); K. W. Lange, WuW 2002, 953 (955); W. Kahl, NVwZ 1996, 1082 (1083); J.-R. von Renesse, VSSR 2001, 359 (366); W.-H. Roth/T. Ackermann, in: FK Art. 81 Abs. 1 EG-Vertrag Grundfragen Rn. 19 (Stand: November 1999); J. Schwarze, in: ders. (Hrsg.), Europäisches Wettbewerbsrecht im Wandel, 2001, 69 (71); P. Stockenhuber, in: Grabitz/Hilf, Bd. II, Art. 81 EGV Rn. 57 (Stand: Juli 2000); S. Graf von Wallwitz, Tarifverträge und die Wettbewerbsordnung des EGVertrages, 1997, S. 144; W. Weiß, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2007, Art. 81 EGV Rn. 25; G. Wiedemann, in: ders. (Hrsg.), Handbuch des Kartellrechts, 1999, § 4 Rn. 1. 288 Kommission, Entscheidung v. 29.10.1981, ABl. EG 1981 Nr. L 370/49 Rn. 44 – GVL; Entscheidung v. 12.4.1999, ABl. EG 1999 Nr. L 125/12 Rn. 50 f. – P Entscheidung v. 23.7.2003, ABl. EU 2003 Nr. L 291/25 Rn. 106 und Fn. 54 – UEFA Champions League. 289 Kommission, Entscheidung v. 29.10.1981, ABl. EG 1981 Nr. L 370/49 Rn. 44 – GVL; K. W. Lange, WuW 2002, 953 (955); J.-R. von Renesse, VSSR 2001, 359 (366); P. Stockenhuber, in: Grabitz/Hilf, Bd. II, Art. 81 EGV Rn. 56 (Stand: Juli 2000); W. Weiß, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2007, Art. 81 EGV Rn. 25. 290 So wurde beispielsweise die Erbringung von Leistungen auf dem Markt für Notfall- und Krankentransporte durch den Arbeiter-Samariter-Bund, das Deutsche Rote Kreuz, die Johanniter-Unfall-Hilfe und den Malteser-Hilfsdienst vom Europäischen Gerichtshof als wirtschaftliche Tätigkeit qualifiziert (EuGH, Urt. v. 25.10.2001, Rs. C475/99, Slg. 2001, I-8089 Rn. 4 f., 20 – Ambulanz Glöckner). 291 Vgl. die Schlußanträge des Generalanwalts Carl Otto Lenz v. 20.9.1995, Rs. C415/93, Slg. 1995, I-4921 Tn. 255 – Bosman; Kommission, Entscheidung v. 23.7. 2003, ABl. EU 2003 Nr. L 291/25 Rn. 106 – UEFA Champions League. 292 Vgl. S. 65 und 77 f. 293 Vgl. EuGH, Urt. v. 17.2.1993, verb. Rs. C-159/91 und C-160/91, Slg. 1993, I637 Rn. 18 – Poucet und Pistre; Urt. v. 16.3.2004, verb. Rs. C-264/01, C-306/01, C354/01 und C-355/01, Slg. 2004, I-2493 Rn. 47, 51 – AOK Bundesverband u. a.

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Gewinnerzielungsabsicht Unternehmen sein können, ist die besondere Erwähnung dieses Merkmals durch den Gerichtshof in seinen Begründungen zur Verneinung der Unternehmenseigenschaft fragwürdig.294 b) Entgeltlichkeit Grundsätzlich setzt eine wirtschaftliche Tätigkeit Entgeltlichkeit voraus,295 d. h. die Güter oder Dienstleistungen werden gegen Entgelt angeboten oder nachgefragt. Dieses Erfordernis ist eng verbunden mit dem Verständnis der wirtschaftlichen Tätigkeit als Austausch von Gütern oder Dienstleistungen auf einem Markt296. Ein Austausch ergibt sich im Regelfall dadurch, daß der Leistung eine Gegenleistung (Entgelt297) gegenübersteht.298 Auch mit dem Popitz’schen Verständnis, welches für die Wirtschaftlichkeit einer Tätigkeit darauf abstellt, ob der Betätigung auch von Privaten mit der Absicht der Gewinnerzielung nachgegangen werden kann,299 ist das Erfordernis der Entgeltlichkeit verbunden, weil ohne Entgelt eine Gewinnerzielung ausscheidet. Für die Feststellung der Entgeltlichkeit einer Leistung sind verschiedene Punkte zu beachten: Ist im konkreten Fall eine entgeltliche Leistung festzustellen, ist dies ausreichend. Bei fehlendem Entgelt im Einzelfall kommt es aber darauf an, ob eine Ware bzw. Dienstleistung im allgemeinen gegen Entgelt abgegeben oder er294

Siehe dazu auch S. 181. Vgl. EuGH, Urt. v. 18.6.1998, Rs. C-35/96, Slg. 1998, I-3851 Rn. 37 – Kommission/Italien (Zollspediteure); Urt. v. 12.9.2000, verb. Rs. C-180/98 bis C-184/98, Slg. 2000, I-6451 Rn. 76 f. – Pavlov u. a.; R. Bechtold/W. Bosch/I. Brinker/ S. Hirsbrunner, EG-Kartellrecht – Kommentar, 2005, Art. 81 EG Rn. 11; K.-J. Bieback, RsDE Nr. 49 (2001), 1 (14 ff.); H.-J. Bunte, in: Langen/Bunte II Art. 81 [Generelle Prinzipien] Rn. 5; E. Eichenhofer, NJW 1991, 2857 (2859); E. Gippini-Fournier, in: U. Loewenheim/K. M. Meessen/A. Riesenkampff (Hrsg.), Kartellrecht, Bd. 1: Europäisches Recht, 2005, Art. 81 Abs. 1 EG Rn. 41; K. W. Lange, WuW 2002, 953 (955); F. Marhold, in: Aktuelle Probleme des Unternehmensrechts – FS für G. Frotz, 1993, 645 (649); B. Baron von Maydell/B. Karl, Das Angebot von Zusatzkrankenversicherung, 2003, S. 60 f.; J.-R. von Renesse, VSSR 2001, 359 (365 f.); W.-H. Roth/T. Ackermann, in: FK Art. 81 Abs. 1 EG-Vertrag Grundfragen Rn. 17 (Stand: November 1999). A. A. C. Benicke, EWS 1997, 373 (376), der jedoch darauf abstellt, ob eine Leistung in Konkurrenz zu Anbietern erbracht wird, welche ein Entgelt verlangen; C. Jennert, WuW 2004, 37 (43); D. Stelzer, SozVers 2000, 169 (177); G. Wilms, Das Europäische Gemeinschaftsrecht und die öffentlichen Unternehmen, 1996, S. 107. 296 Vgl. zu diesem Verständnis S. 72 ff. Siehe auch S. Billinger, Das Pflichtversicherungsmonopol der gesetzlichen Krankenversicherung in der Bundesrepublik Deutschland im Lichte des EG-Vertrags, 2001, S. 141. 297 Wesensmerkmal des Entgeltes ist es, daß das Entgelt die wirtschaftliche Gegenleistung für die in Anspruch genommene Leistung darstellt; siehe C. Jennert, WuW 2004, 37 (39). 298 Siehe W. Cezanne, Allgemeine Volkswirtschaftslehre, 2005, S. 21. 299 Vgl. S. 70 f. 295

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1. Kap.: Der Unternehmensbegriff des Europäischen Wettbewerbsrechts

bracht wird.300 Daher kann der wirtschaftliche Charakter einer Tätigkeit im konkreten Fall nicht dadurch ausgeschlossen werden, daß ein einzelner bestimmte Waren kostenlos abgibt. Dem Wettbewerbsrecht unterliegen somit gerade auch Fallgestaltungen einer durch Quersubventionierung ermöglichten dauerhaften Gratisverteilung von Gütern.301 Für die Frage, ob eine Ware bzw. Dienstleistung im allgemeinen gegen Entgelt abgegeben oder erbracht wird, ist auf den gesamten Binnenmarkt abzustellen302, und es dürften für ihre Bejahung schon die Verhältnisse in nur einem der Mitgliedstaaten ausschlaggebend sein303. Zum anderen kann das Entgelt auf verschiedene Weise vereinnahmt werden. Das Entgelt kann auf der einen Seite direkt oder indirekt durch den Empfänger der Ware oder Dienstleistung aufgebracht werden. Eine indirekte Entgeltzahlung durch den Empfänger wäre beispielsweise gegeben, wenn eine Einzelleistung durch Bezahlung von Beiträgen zu einem Gesamtsystem abgegolten wird.304 Auf der anderen Seite ist es aber nicht notwendig, daß das Entgelt durch den Empfänger selbst aufgebracht wird. Möglich ist auch, daß die Kosten der Leistung von einem Dritten getragen werden.305 Im letzten Fall ist jedoch zu untersuchen, ob der Beitrag des Dritten den Charakter einer Gegenleistung hat. Dies ist insbesondere dann anzunehmen, wenn der Dritte ein eigenes Interesse an der Leistungserbringung gegenüber dem anderen hat.

300 R. Bechtold/W. Bosch/I. Brinker/S. Hirsbrunner, EG-Kartellrecht – Kommentar, 2005, Art. 81 EG Rn. 11; E. Gippini-Fournier, in: U. Loewenheim/K. M. Meessen/A. Riesenkampff (Hrsg.), Kartellrecht, Bd. 1: Europäisches Recht, 2005, Art. 81 Abs. 1 EG Rn. 41; W.-H. Roth/T. Ackermann, in: FK Art. 81 Abs. 1 EG-Vertrag Grundfragen Rn. 17 (Stand: November 1999). Ähnlich C. Benicke, EWS 1997, 373 (376); C. Engelmann, Kostendämpfung im Gesundheitswesen und EG-Wettbewerbsrecht, 2002, S. 66. 301 So werden z. B. in manchen Ländern Ortsgespräche gratis angeboten, vgl. Kommission, Entscheidung v. 13.10.1999, ABl. EG 2001 Nr. L 40/1 Fn. 15. 302 W.-H. Roth/T. Ackermann, in: FK Art. 81 Abs. 1 EG-Vertrag Grundfragen Rn. 17 (Stand: November 1999). A. A. R. Bechtold/W. Bosch/I. Brinker/S. Hirsbrunner, EG-Kartellrecht – Kommentar, 2005, Art. 81 EG Rn. 11, die nur auf den sachlich und räumlich relevanten Markt abstellen. 303 Vgl. E. Eichenhofer, NJW 1991, 2857 (2859); F. Marhold, in: Aktuelle Probleme des Unternehmensrechts – FS für G. Frotz, 1993, 645 (651). 304 Vgl. C. Engelmann, Kostendämpfung im Gesundheitswesen und EG-Wettbewerbsrecht, 2002, S. 79. 305 E. Eichenhofer, NJW 1991, 2857 (2859); B. Baron von Maydell/B. Karl, Das Angebot von Zusatzkrankenversicherung, 2003, S. 60 f.; vgl. auch EuGH, Urt. v. 23.4.1991, Rs. C-41/90, Slg. 1991, I-1979 Rn. 6, 22 f. – Höfner und Elser. Siehe ferner EuGH, Urt. v. 12.7.2001, Rs. C-157/99, Slg. 2001, I-5473 Rn. 56 ff. – Smits und Peerbooms sowie A. von Boetticher, Die frei-gemeinnützige Wohlfahrtspflege und das europäische Beihilfenrecht, 2003, S. 55 betreffend das Erfordernis der Entgeltlichkeit im Rahmen der Dienstleistungsfreiheit.

B. Funktionaler Unternehmensbegriff

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Beispielhaft sei hier der Fall Höfner und Elser erwähnt, in welchem die Unternehmenseigenschaft der Bundesanstalt für Arbeit hinsichtlich ihrer Tätigkeit der Vermittlung von Führungskräften der Wirtschaft bejaht wurde.306 Die Vermittlungstätigkeit war für die Arbeitssuchenden entgeltfrei; die Kosten wurden letztlich von den Beitragszahlern (Arbeitnehmer und Arbeitgeber) aufgebracht. Für die Frage der Entgeltlichkeit der Tätigkeit wäre somit zunächst zu untersuchen, ob die Beitragszahler ein eigenes Interesse an dem Vermittlungsangebot gegenüber Arbeitssuchenden haben. Sofern ein solches Interesse der Arbeitgeber verneint wird, müßte untersucht werden, ob im allgemeinen die Arbeitsvermittlung von Führungskräften der Wirtschaft gegen Entgelt erfolgt, wobei nicht nur die Verhältnisse in Deutschland, sondern im gesamten Binnenmarkt in Bezug zu nehmen sind. Nach Betrachtung von bestimmten anerkanntermaßen vom Wettbewerbsrecht erfaßten Tätigkeitsbereichen kann induktiv hergeleitet werden, daß die Entgeltlichkeit nicht ausnahmslos wirtschaftliche Tätigkeiten kennzeichnet. Dies gilt namentlich gerade für die bereits oben307 erörterten wettbewerbsrechtlichen Märkte, auf denen sich entgegen der wirtschaftswissenschaftlichen Markttheorie kein Preis einstellt. Auf dem „Markt für frei empfangbares Fernsehen“308 werden von privaten Anbietern entgeltfrei Rundfunkveranstaltungen (Fernsehprogramme) angeboten.309 Siehe weitere Aspekte zur Entgeltlichkeit, insbesondere dazu, daß das Entgelt nicht kostendeckend sein muß, bei den Ausführungen zur Finanzierung auf Seite 95. c) Selbständigkeit/Risikoübernahme Weitere Merkmale, die oftmals zur Kennzeichnung einer wirtschaftlichen Tätigkeit verwandt werden, sind die selbständige310 Ausübung der Tätigkeit sowie die Übernahme des damit verbundenen finanziellen Risikos311. 306 Vgl. EuGH, Urt. v. 23.4.1991, Rs. C-41/90, Slg. 1991, I-1979 Rn. 6, 22 f. – Höfner und Elser. 307 Siehe S. 75 ff. 308 Kommission, Entscheidung v. 10.5.2000, ABl. EG 2000 Nr. L 151/18 Rn. 58 – Eurovision. 309 Das Angebot der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in der Bundesrepublik Deutschland ist dagegen entgeltlich, da Rundfunkgebühren als Gegenleistung gezahlt werden müssen. 310 Vgl. EuGH, Urt. v. 12.9.2000, verb. Rs. C-180/98 bis C-184/98, Slg. 2000, I6451 Rn. 76 – Pavlov u. a.; Kommission, Entscheidung v. 10.10.2001, ABl. EG 2002 Nr. L 257/1 Rn. 123 – Mercedes Benz. 311 Vgl. EuGH, Urt. v. 18.6.1998, Rs. C-35/96, Slg. 1998, I-3851 Rn. 37 – Kommission/Italien (Zollspediteure); Urt. v. 12.9.2000, verb. Rs. C-180/98 bis C-184/98, Slg. 2000, I-6451 Rn. 76 – Pavlov u. a.; Urt. v. 19.2.2002, Rs. C-309/99, Slg. 2002,

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1. Kap.: Der Unternehmensbegriff des Europäischen Wettbewerbsrechts

Die Unternehmenseigenschaft wird – vorbehaltlich anderer Merkmale – somit dann begründet, wenn eine Person die Tätigkeit im eigenen Namen und auf eigene Rechnung ausübt. In solchen Fällen werden die Merkmale der Selbständigkeit und Risikotragung regelmäßig gar nicht erwähnt, sondern vorausgesetzt. Seine Eigenschaft als selbständiger Wirtschaftsteilnehmer kann aber verlieren, wer kein Geschäftsrisiko trägt und als Hilfsorgan in das Unternehmen eines Geschäftsherrn eingegliedert ist.312 So kann es im Einzelfall „notwendig sein, zu ermitteln, ob zwei Gesellschaften oder Personen mit je eigener Rechtspersönlichkeit ein und dasselbe Unternehmen oder ein und dieselbe wirtschaftliche Einheit mit einheitlichem Marktverhalten bilden oder hierzu gehören“.313 Problematisch ist unter diesem Gesichtspunkt die Unternehmenseigenschaft von Vertriebsmittlern (Vertragshändlern, Handelsvertretern, Kommissionären etc.). Abhängige Konzerngesellschaften gelten als Unternehmen, selbst wenn sie den Weisungen ihrer Mutterunternehmen unterliegen und ihr Verlust von den Mutterunternehmen ausgeglichen werden muß (vgl. §§ 308 ff., 317 AktG). Denn auch sie handeln – trotz rechtlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit – unmittelbar nach außen im eigenen Namen und auf eigene Rechnung. Die konzerninternen Verhältnisse und Rückabsprachen sind für die Beurteilung der Unternehmenseigenschaft nicht beachtlich.314 d) Rechtsform, Unternehmensträgerschaft und Finanzierung Seit der Entscheidung Höfner und Elser formuliert der Europäische Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung, der Begriff des Unternehmens umfasse im Rahmen des Wettbewerbsrechts „jede eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einheit unabhängig von ihrer Rechtsform und der Art ihrer Finanzierung“.315 Dieser Begriffsbestimmung haben sich auch die wettbewerbsrechtliche Literatur sowie die Kommission in ihrer Entscheidungspraxis einhellig angeschlossen.316 Die Rechtsform ist demnach sowohl hinsichtlich der Organisation als auch der Handlungsweise der Einheit grundsätzlich unbeachtlich. Daher kann sogar I-1577 Rn. 48 – Wouters u. a.; Kommission, Entscheidung v. 10.10.2001, ABl. EG 2002 Nr. L 257/1 Rn. 123 – Mercedes Benz. 312 EuGH, Urt. v. 16.12.1975, Rs. 40 bis 48, 50, 54 bis 56, 111, 113 und 114/73, Slg. 1975, 451 Rn. 538 ff. – Suiker Unie u. a.; Urt. v. 24.10.1995, Rs. C-266/93, Slg. 1995, I-3477 Rn. 19 – VAG Leasing; EuG, Urt. v. 15.9.2005, Rs. T-325/01, Slg. 2005, II-3319 Rn. 87 – DaimlerChrysler/Kommission. 313 EuG, Urt. v. 15.9.2005, Rs. T-325/01, Slg. 2005, II-3319 Rn. 87 – DaimlerChrysler/Kommission. 314 W.-H. Roth/T. Ackermann, in: FK Art. 81 Abs. 1 EG-Vertrag Grundfragen Rn. 64 f. (Stand: November 1999) m. w. N. 315 Ständige Rechtsprechung seit EuGH, Urt. v. 23.4.1991, Rs. C-41/90, Slg. 1991, I-1979 Rn. 21 – Höfner und Elser. Vgl. zuletzt EuGH, Urt. v. 11.7.2006, Rs. C-205/03 P, Slg. 2006, I-6295 Rn. 25 – FENIN. 316 Vgl. die Nachweise bei Fn. 110 und 112.

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eine natürliche Person (z. B. ein Landwirt oder „Ein-Mann-Betrieb“) ein Unternehmen im Sinne des Europäischen Wettbewerbsrechts sein.317 Unternehmen können sowohl privatrechtlich als auch öffentlich-rechtlich organisierte Einrichtungen sein.318 Ebenso ist im Europäschen Wettbewerbsrecht eine wirtschaftliche Tätigkeit nicht auf privatrechtliche Handlungsformen beschränkt, sondern sie umfaßt auch öffentlich-rechtliche Betätigungen.319 Genausowenig ist entscheidend, ob ein Privater oder der Staat Unternehmensträger ist; dies wird bereits durch Art. 86 Abs. 1 und 2 EG bestätigt.320 Dieses umfassende, von Rechtsform und Trägerschaft losgelöste Verständnis der wirtschaftlichen Tätigkeit ist notwendig, um eine einheitliche Durchsetzung der Wettbewerbsregeln zu gewährleisten, denn andernfalls könnten die Mitgliedstaaten über nationale rechtliche und organisatorische Ausgestaltungen die Normadressanteneigenschaft beeinflussen bzw. ausschalten.321 Auch spielt die Art und Weise der Finanzierung der ausgeübten Tätigkeit für die Beurteilung ihres wirtschaftlichen Charakters keine Rolle. An dieser Stelle ist kurz darzulegen, wie sich diese Aussage dazu verhält, daß eine wirtschaftliche Tätigkeit grundsätzlich Entgeltlichkeit voraussetzt322. Entgeltlichkeit bedeutet jedoch nur, daß einer Leistung im konkreten Fall oder im allgemeinen eine Gegenleistung gegenübersteht. Wie die Gegenleistung aussieht (Geldzahlung, Warentausch etc.), wer sie erbringt, ob sie kostendeckend ist, ob die Tätigkeit mit Gewinn oder Verlust ausgeübt wird, ob zu ihrer Fortführung Zuschüsse erforderlich sind usw. hat dagegen keinen Einfluß auf die Qualifizierung als wirtschaftliche oder nichtwirtschaftliche Tätigkeit.323 Das Entgelt ist nach außen auf den Geschäftspartner bezogen, während Merkmale, welche die Art und Weise der Finanzierung betreffen, in der Regel eine innere Modalität der Marktteilnahme darstellen.324

317 Kommission, Entscheidung v. 2.4.2003, ABl. EU 2003 Nr. L 209/12 Rn. 104 f. – Viandes bovines françaises; K. W. Lange, WuW 2002, 953 (955). 318 Siehe S. 109 ff. 319 Siehe S. 111 f. Anders jedoch im deutschen Kartellrecht, vgl. S. 132 ff. 320 Siehe eingehend zur wirtschaftlichen Tätigkeit der öffentlichen Hand S. 96 ff. 321 Vgl. EuGH, Urt. v. 16.6.1987, Rs. 118/85, Slg. 1987, 2599 Rn. 10 f. – Kommission/Italien (AAMS); OLG Düsseldorf, WuW/E DE-R 233 (235) – Inkontinenzhilfen; Pharma Recht 1999, 283 (291); J. Isensee, VSSR 1996, 169 (174); D. Neumann, Kartellrechtliche Sanktionierung von Wettbewerbsbeschränkungen im Gesundheitswesen, 2000, S. 98; G. Skorczyk, in: N. Klusen (Hrsg.), Europäischer Binnenmarkt und Wettbewerb – Zukunftsszenarien für die GKV, 2003, 93 (97). 322 Siehe S. 91 ff. 323 Vgl. EuG, Urt. v. 16.3.2004, Rs. T-157/01, Slg. 2004, II-917 Rn. 5, 61 ff. – Danske Busvognmænd. 324 Vgl. zur Unbeachtlichkeit der inneren Modalitäten der Marktteilnahme für die Beurteilung der Unternehmenseigenschaft S. 65.

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1. Kap.: Der Unternehmensbegriff des Europäischen Wettbewerbsrechts

e) Nichthoheitlichkeit Auf hoheitliche Tätigkeiten sind die unternehmensbezogenen Normen des Europäischen Wettbewerbsrechts nicht anwendbar. Eine Tätigkeit, welche die Ausübung hoheitlicher Gewalt mit sich bringt, kann daher nicht als wirtschaftliche Tätigkeit qualifiziert werden. Wirtschaftliche und hoheitliche Tätigkeit schließen sich gegeneinander aus.325 Hoheitliches und öffentlich-rechtliches Handeln von Organen oder Einrichtungen der Mitgliedstaaten sind im Europäischen Wettbewerbsrecht aber nicht wie im deutschen Kartellrecht synonyme Kategorien. Siehe ausführlich zum fehlenden wirtschaftlichen Charakter der hoheitlichen Tätigkeit S. 112 ff.

C. Wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand In diesem Abschnitt soll untersucht werden, ob auch die wirtschaftliche Tätigkeit der öffentlichen Hand grundsätzlich den Restriktionen des Europäischen Wettbewerbsrechts unterliegt. Insofern geht es darum, ob die öffentliche Hand Normadressatin der unternehmensbezogenen Wettbewerbsregeln (Art. 81, 82, 86 Abs. 2 EG), d. h. Unternehmen im Sinne der Art. 81 ff. EG sein kann. Unter dem Begriff der „öffentlichen Hand“ wird die Gesamtheit aller juristischen Personen des Öffentlichen Rechts in ihrer Eigenschaft als Glieder der Volkswirtschaft verstanden, insbesondere der staatlichen326 und kommunalen Gebietskörperschaften, aber auch aller sonstigen Körperschaften, Anstalten oder Stiftungen des Öffentlichen Rechts.327 Im europäischen Kontext könnte man vom Mitgliedstaat sowie aller seiner gebiets- und aufgabenbezogenen Untergliederungen sprechen.328 Abweichend davon wird vom Europäischen Gerichtshof als öffentliche Hand oftmals der hoheitlich (nichtwirtschaftlich) handelnde Staat bezeichnet.329 Diese Begriffsverwendung widerspricht nicht nur dem allgemei325

Siehe bereits oben S. 59. Staatliche Gebietskörperschaften in der Bundesrepublik Deutschland sind der Bund und die Länder, vgl. H. Sodan/J. Ziekow, Grundkurs Öffentliches Recht, 2007, § 59 Rn. 1. 327 G. Püttner, Die öffentlichen Unternehmen, 1985, S. 1 f.; H. Schricker, Wirtschaftliche Tätigkeit der öffentlichen Hand und unlauterer Wettbewerb, 1987, S. 4. 328 Vgl. H. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze II Vorbem. zu den Artikeln 81 bis 85 EG Rn. 34. Die Richtlinie 80/723/EWG vom 25.6.1980 (ABl. EG 1980 Nr. L 195/35) – Transparenzrichtlinie – in der Fassung der Richtlinie 2000/52/EG vom 26.7.2000 (ABl. EG 2000 Nr. L 193/75) definiert in Art. 2 Abs. 1 Buchst. a als öffentliche Hand „alle Bereiche der öffentlichen Hand, inklusive Staat sowie regionale, lokale und alle anderen Gebietskörperschaften“. 329 Vgl. EuGH, Urt. v. 18.3.1997, Rs. C-343/95, Slg. 1997, I-1547 Rn. 16 – Diego Cali & Figli: „Was die eventuelle Anwendung der Wettbewerbsregeln des Vertrages angeht, ist aber zwischen dem Fall, daß der Staat als öffentliche Hand handelt, und dem Fall zu unterscheiden, daß er wirtschaftliche Tätigkeiten industrieller oder kom326

C. Wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand

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nen deutschen Sprachgebrauch, sondern auch der Begriffsdefinition in einschlägigen Richtlinien der Europäischen Gemeinschaft330. Im Rahmen der folgenden Untersuchung geht es allein um die eigenwirtschaftliche Betätigung. In dieser Funktion tritt die öffentliche Hand als Anbieter oder Nachfrager von Gütern oder Dienstleistungen auf, ohne Rücksicht darauf, ob der Güter- bzw. Leistungsaustausch sich nach öffentlichem oder privatem Recht vollzieht und welcher Zweck mit ihm verfolgt wird. Im Gegensatz dazu steht die hier nicht zu behandelnde wirtschaftslenkende Tätigkeit, bei welcher der Staat nicht selbst am Wirtschaftsleben teilnimmt, sondern durch andere Maßnahmen (z. B. Gesetzeserlaß, Subventionsvergabe) in die Wirtschaft eingreift.331 Die zur öffentlichen Hand zählenden juristischen Personen des Öffentlichen Rechts können entweder selbst (eigen-)wirtschaftlich tätig werden oder als Träger anderweitiger wirtschaftlicher Einheiten (z. B. als Gesellschafter oder Aktionär einer privatrechtlichen Kapitalgesellschaft) auftreten.332 I. Allgemeines Eingangs sollen im folgenden die Gründe der öffentlichen Hand für eine wirtschaftliche Betätigung sowie die daraus resultierenden Gefahren für den Wettbewerb dargestellt werden. 1. Gründe der öffentlichen Hand für eine wirtschaftliche Betätigung Ebenso wie private Unternehmen kann auch die öffentliche Hand mit ihrer eigenwirtschaftlichen Betätigung einen Erwerbszweck verfolgen oder sogar auf die Erzielung eines Gewinnes ausgerichtet sein.333 Bei der öffentlichen Hand merzieller Art ausübt, die darin bestehen, Güter oder Dienstleistungen auf dem Markt anzubieten“. 330 Vgl. Art. 2 Abs. 1 Buchst. a und b der Richtlinie 80/723/EWG vom 25.6.1980 über die Transparenz der finanziellen Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten und den öffentlichen Unternehmen (ABl. EG 1980 Nr. L 195/35) in der veränderten Fassung der Richtlinie 2000/52/EG vom 26.7.2000 (ABl. EG 2000 Nr. L 193/75) sowie S. 108 f. 331 Vgl. H. Schricker, Wirtschaftliche Tätigkeit der öffentlichen Hand und unlauterer Wettbewerb, 1987, S. 4. 332 Vgl. W. A. Stoffel, Wettbewerbsrecht und staatliche Wirtschaftstätigkeit, 1994, S. 133, 137. 333 Das Gemeinschaftsrecht verbietet eine Wirtschaftsbetätigung aus erwerbswirtschaftlichen Motiven nicht, vgl. F. Meininger, in: B. Fabry/U. Augsten (Hrsg.), Handbuch Unternehmen der öffentlichen Hand, 2002, S. 62 f. Jedoch kann das nationale Recht Grenzen setzen; siehe zum deutschen Recht: G. Britz, NVwZ 2001, 380 (381 ff.); S. Eisenmenger, Neuregelung des öffentlichen Unternehmensrechts?, 2004, S. 85 ff., insb. 109 f.; W. Kluth, in: R. Stober/H. Vogel (Hrsg.), Wirtschaftliche Betäti-

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1. Kap.: Der Unternehmensbegriff des Europäischen Wettbewerbsrechts

treten neben diesen Zielen erwerbswirtschaftlicher Art regelmäßig anderweitige Haupt- oder Nebenzwecke ihrer jeweiligen Wirtschaftsaktivitäten hervor. Es bereitet einige Schwierigkeiten, die maßgeblichen Zwecke zu identifizieren, welche die öffentliche Hand durch ihre eigenwirtschaftlichen Aktivitäten jeweils verfolgt. Die Zielsetzung öffentlicher Unternehmen ist regelmäßig nicht ausdrücklich und eindeutig niedergelegt, sondern sie muß aus dem Gründungsgeschehen und der Betätigungsart ermittelt werden. Auch kann es sein, daß die öffentliche Hand bestrebt ist, den eigentlichen Zweck ihrer wirtschaftlichen Betätigung zu verdecken und anderweitige Zwecke vorzuschieben. Darüber hinaus können sich die Ziele der wirtschaftlichen Betätigung im Laufe der Zeit ändern bzw. es können weitere Ziele hinzutreten und nebeneinander verfolgt werden. Öffentliche Unternehmen besitzen instrumentale Funktion334 und sind potentiell offen „für neue oder weitere Ziele, die sich aus der jeweiligen Wirtschafts- oder Sozialpolitik ergeben“335. Neben dem Erwerbszweck fallen insbesondere wirtschaftspolitische und sozialpolitische Ziele ins Gewicht. Durch die eigenwirtschaftliche Betätigung kann die öffentliche Hand beispielsweise Einfluß auf Wirtschaftsstruktur, Wettbewerbsgeschehen und Konjunktur nehmen oder aber die Umsetzung sozialstaatlicher Vorstellungen verfolgen. Eine genaue Trennung und Zuordnung der Motivationen, Zwecke und Ziele ist dabei nicht immer möglich.336

gung der öffentlichen Hand, 2000, 23 (27 ff.); L. Kolbe, Rechtsformen und Ziele öffentlicher Unternehmen, 1987, S. 34 ff.; F. Meininger, a. a. O., S. 62 ff.; M. Ronellenfitsch, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), HdbStR, Bd. IV, 2006, § 98 Rn. 32 ff., 46 ff.; S. Schmahl, LKV 2000, 47 (48 ff.); R. Stober, NJW 2002, 2357 (2361 f.). Vgl. zur Zulässigkeit eines auf Gewinnerzielung ausgerichteten Staatshandelns S. Storr, Der Staat als Unternehmer, 2001, S. 119 ff. 334 Vgl. A. S. Bien, Die Einflüsse des europäischen Kartellrechts auf das nationale Gesundheitswesen, 2004, S. 36; H. Cox, in: T. Thiemeyer (Hrsg.), Instrumentalfunktion öffentlicher Unternehmen, 1990, 203 (205 ff.); ders., in: R. H. Hasse/K.-E. Schenk/T. Straubhaar/A. Wass von Czege (Hrsg.), Wettbewerb und die Rolle der öffentlichen Unternehmen in der Europäischen Union, 2004, 13 (14); E.-J. Mestmäcker, RabelsZ 52 (1988), 526 (530 f.). 335 G. Püttner, Die öffentlichen Unternehmen, 1985, S. 51 ff. Siehe ferner dens., DÖV 1983, 697 ff. 336 Vgl. dazu ausführlich G. Püttner, Die öffentlichen Unternehmen, 1985, S. 51 ff. m. w. N. Siehe ferner M. Möstl, Grundrechtsbindung öffentlicher Wirtschaftstätigkeit, 1999, S. 5 ff.; H. Schricker, Wirtschaftliche Tätigkeit der öffentlichen Hand und unlauterer Wettbewerb, 1987, S. 6 ff.; W. B. Schünemann, WRP 2000, 1001 (1002 f.) mit zahlreichen Beispielen öffentlicher Unternehmen; W. A. Stoffel, Wettbewerbsrecht und staatliche Wirtschaftstätigkeit, 1994, S. 37 ff. Siehe auch zu öffentlichen Belangen und vergabefremden Zwecken bei der staatlichen Beschaffungstätigkeit J. Fante, Die Instrumentalisierung des öffentlichen Beschaffungswesens zur Durchsetzung politischer Ziele, 2004, S. 31 ff.; A. Schäfer, Öffentliche Belange im Auftragswesen und Europarecht, 2003, S. 60 ff.

C. Wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand

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Im folgenden sollen die neben dem Erwerbszweck stehenden wichtigsten Gründe für die Wirtschaftstätigkeit der öffentlichen Hand kurz beschrieben werden. a) Monopolkontrolle Ein Grund für eigene wirtschaftliche Aktivitäten der öffentlichen Hand ist die Monopolkontrolle. Der Staat bezweckt damit, Monopole in der Hand von Privaten zu vermeiden. Da Monopolunternehmen keiner Kontrolle durch Wettbewerber unterliegen, möchte der Staat das Monopol selbst ausüben und dadurch besser überwachen können. Durch das eigenwirtschaftliche Engagement will die öffentliche Hand den Mißbrauch privater Monopolmacht, insbesondere die Ausbeutung der Nachfrager durch überhöhte Preise, verhindern.337 In dieser Weise kann er die wirtschaftliche Macht eines Monopols in gewisser Hinsicht demokratisch legitimieren und die Monopolrente im öffentlichen Interesse nutzbar machen.338 Günter Püttner weist aber kritisch darauf hin, man könne „beobachten, daß nicht selten die Übernahme einer Tätigkeit durch den Staat mit der Monopolbildung Hand in Hand geht“.339 Umgekehrt können öffentliche Unternehmen den funktionsfähigen Wettbewerb in den Bereichen fördern, in welchen Konzentrationstendenzen seitens der privaten Marktteilnehmer zu verzeichnen sind, indem sie als Gegengewicht im Wettbewerb die Marktmacht Privater begrenzen und die Märkte durch wettbewerbskonformes Verhalten auflockern.340 b) Versorgungssicherheit Eng mit der Monopolkontrolle, aber nicht darauf beschränkt, hängt das Ziel zusammen, Mißbräuche und Gefahren für die Versorgung der Bürger zu verhüten, welche (vermeintlich) zu befürchten wären, wenn ihre Bereitstellung der Privatwirtschaft überlassen wäre. Dies ist ein Grund, mit welchem die öffentliche Hand gerade in Bereichen der sog. Daseinsvorsorge (z. B. Energie- und Wasserversorgung, Verkehrs- und Gesundheitswesen, Post und Telekommunika-

337 K. Böhmann, Privatisierungsdruck des Europarechts, 2001, S. 41; D. Greiling, Öffentliche Trägerschaft oder öffentliche Bindung von Unternehmen?, 1996, S. 196 ff. 338 Vgl. W. A. Stoffel, Wettbewerbsrecht und staatliche Wirtschaftstätigkeit, 1994, S. 37 f. 339 G. Püttner, Die öffentlichen Unternehmen, 1985, S. 55. 340 K. Böhmann, Privatisierungsdruck des Europarechts, 2001, S. 41; D. Greiling, Öffentliche Trägerschaft oder öffentliche Bindung von Unternehmen?, 1996, S. 206 f.; L. Kolbe, Rechtsformen und Ziele öffentlicher Unternehmen, 1987, S. 23. Vgl. auch R. Schneider, Öffentliche Unternehmen als Mittel einer interventionistischen Wettbewerbspolitik, 1982, S. 76 ff.

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1. Kap.: Der Unternehmensbegriff des Europäischen Wettbewerbsrechts

tion) ihre eigenwirtschaftlichen Aktivitäten rechtfertigt oder rechtfertigte.341 Unterziele der Versorgungssicherheit sind die Gewährleistung einer (1) dauerhaften und (2) flächendeckenden Versorgung, welche (3) dem Postulat der Sicherheit genügt.342 c) Durchführung von Ordnungsaufgaben Ein weiterer Zweck öffentlicher Unternehmen kann in der Durchführung von Ordnungsaufgaben zur Unterstützung der Verwaltung liegen. Oftmals soll durch öffentliche Unternehmen eine effektive Gefahrenabwehr sichergestellt werden. Da der polizeiliche Überwachungszweck vielfach nicht erreicht würde, wenn diese Unternehmen in Konkurrenz zur Privatwirtschaft stünden, werden sie oftmals mit einem Monopol ausgestattet. In diesem Bereich überschneiden sich fiskalische Erwerbsinteressen der öffentlichen Hand mit den öffentlichen Interessen, die der Staat als Hoheitsträger wahrzunehmen hat.343 Beispielsweise werden staatliche Spielbanken und Lottogesellschaften nicht tätig, um Gewinne zu erzielen, sondern sie dienen angeblich dazu, den Gefahren des Mißbrauchs und der Manipulation sowie der Ausbeutung der menschlichen Spielleidenschaft wirksam zu begegnen.344 Gerade in diesem Bereich dürften die offiziell verlautbarten Zwecke der Unternehmenstätigkeit oftmals vorgeschoben sein, um anderweitige Zwecke, insbesondere den vorherrschenden Erwerbszweck, zu verdekken.345 341 Vgl. L. Kolbe, Rechtsformen und Ziele öffentlicher Unternehmen, 1987, S. 27; H. Schricker, Wirtschaftliche Tätigkeit der öffentlichen Hand und unlauterer Wettbewerb, 1987, S. 11. 342 Vgl. D. Greiling, Öffentliche Trägerschaft oder öffentliche Bindung von Unternehmen?, 1996, S. 271. 343 H. Schricker, Wirtschaftliche Tätigkeit der öffentlichen Hand und unlauterer Wettbewerb, 1987, S. 12. 344 Vgl. nur den in BVerfGE 102, 197 (205) wiedergegebenen Vortrag der Landesregierung von Baden-Württemberg: „Die Beschränkung der Erteilung der Spielbankerlaubnis auf Unternehmen in der Rechtsform des privaten Rechts, deren sämtliche Anteile unmittelbar oder mittelbar vom Land gehalten würden, sei geeignet, die Bevölkerung vor den Gefahren der strafbaren Ausbeutung der natürlichen Spielleidenschaft zu schützen, und dafür auch erforderlich. Gegenüber solchen Unternehmen bestünden umfangreichere und intensivere Informations-, Kontroll- und Einwirkungsmöglichkeiten als gegenüber Unternehmen, deren Anteile überwiegend von Dritten gehalten würden. Bei landeseigenen Unternehmen könne deshalb sowohl die Abwehr von Gefahren, die mit dem öffentlichen Glücksspiel verbunden seien, als auch die Führung von Spielbanken unter Berücksichtigung öffentlicher Belange besser gewährleistet werden als durch staatliche Kontrollmechanismen gegenüber von Dritten beherrschten privaten Betreibergesellschaften. Dazu komme die öffentliche Kontrollmöglichkeit durch den Landesrechnungshof, der die gesamte Haushalts- und Wirtschaftsführung des Landes einschließlich seiner Betriebe prüfe.“ Vgl. ferner zum (angeblichen) Zweck der staatlichen Lottogesellschaften den Parteivortrag in KG, WuW/E OLG 5821 (5825) – Gewerbliche Spielgemeinschaften.

C. Wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand

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d) Wirtschaftsförderung/Konjunkturbeeinflussung/ Wettbewerbsbelebung Eine Vielzahl von öffentlichen Unternehmen verfolgt u. a. das Ziel, die Wirtschaft zu fördern.346 Diese sind schwerpunktmäßig auf kommunaler oder Landesebene angesiedelt; beispielhaft zu nennen sind Landesbanken, Investitionsbanken, Sparkassen, Messegesellschaften und landwirtschaftliche Musterbetriebe. Mit dem Ziel der Wirtschaftsförderung wird z. B. vom Bund die Kreditanstalt für Wiederaufbau getragen.347 Wirtschaftsförderung hängt eng mit dem weiteren Ziel zusammen, die Konjunktur zu beeinflussen oder den Wettbewerb zu stimulieren. So können öffentliche Unternehmen gehalten sein, sich antizyklisch zu verhalten, um beispielsweise in Phasen der Rezession Konjunkturimpulse zu geben oder eine öffentliche Nachfrage gegenüber Privatanbietern zu schaffen.348 „Durch die Förderung neuer, effizienter und zukunftsträchtiger Produkte und Produktionsverfahren sowie durch Strukturinnovationen sollen die Voraussetzungen für eine dynamische Entwicklung der Volkswirtschaft geschaffen werden.“349 Ferner kann von öffentlichen Unternehmen erwartet werden, daß sie eine Vorreiterrolle einnehmen mit dem Ziel, Innovationsprozesse auszulösen bzw. zu fördern.350 Die Aktivitäten der Wirtschaftsförderungsgesellschaften können ebenfalls auf ganz bestimmten Sektoren die Konjunktur unterstützen (z. B. Förderung der Bauwirtschaft durch zinsgünstige Kredite der Landesbanken für den Eigenheimbau). Oben wurde bereits darauf hingewiesen, daß öffentliche Unternehmen den funktionsfähigen Wettbewerb in den Bereichen fördern können, in denen Konzentrationstendenzen der privaten Marktteilnehmer zu verzeichnen sind.

345

Vgl. KG, WuW/E OLG 5821 (5835) – Gewerbliche Spielgemeinschaften. Vgl. D. Greiling, Öffentliche Trägerschaft oder öffentliche Bindung von Unternehmen?, 1996, S. 204 ff., 225 ff.; S. Storr, Der Staat als Unternehmer, 2001, S. 130 f., 133 f. Siehe auch W. Noll, in: P. Eichhorn/W. W. Engelhardt (Hrsg.), Standortbestimmung öffentlicher Unternehmen in der Sozialen Marktwirtschaft, 1994, 117 ff. 347 Vgl. § 2 Abs. 1 des Gesetzes über die Kreditanstalt für Wiederaufbau vom 5.11.1948 (WiGBl. 123) in der Fassung vom 23.6.1969 (BGBl. I 573), zuletzt geändert durch die Neunte Zuständigkeitsanpassungsverordnung vom 31.10.2006 (BGBl. I 2407). 348 Vgl. K. Böhmann, Privatisierungsdruck des Europarechts, 2001, S. 41; D. Greiling, Öffentliche Trägerschaft oder öffentliche Bindung von Unternehmen?, 1996, S. 236 ff., 247 ff.; L. Kolbe, Rechtsformen und Ziele öffentlicher Unternehmen, 1987, S. 19 f. 349 D. Greiling, Öffentliche Trägerschaft oder öffentliche Bindung von Unternehmen?, 1996, S. 247. 350 Vgl. D. Greiling, Öffentliche Trägerschaft oder öffentliche Bindung von Unternehmen?, 1996, S. 207, 214 f.; L. Kolbe, Rechtsformen und Ziele öffentlicher Unternehmen, 1987, S. 32 f.; R. Schneider, Öffentliche Unternehmen als Mittel einer interventionistischen Wettbewerbspolitik, 1982, S. 73 ff. 346

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1. Kap.: Der Unternehmensbegriff des Europäischen Wettbewerbsrechts

e) Sozialpolitisch motivierte Wirtschaftsintervention Eine Vielzahl von Wirtschaftsaktivitäten der öffentlichen Hand ist dadurch motiviert, dem Bürger einen sozialstaatlich-fürsorglichen Schutz vor der Privatwirtschaft zu gewähren. Öffentliche Unternehmen werden daher vielfach aus sozialpolitischen Gründen errichtet und tätig. Insbesondere verfolgt der Staat das Ziel, über seine Unternehmen den Bürgern Leistungen bereitzustellen, welche der Markt nur unter Bedingungen erbringt, die sozialpolitisch nicht erwünscht sind, und bestimmten Gruppen sozialpolitisch motivierte Sondertarife zu offerieren (z. B. Wohnungsbaugesellschaften, öffentliche Verkehrsbetriebe).351 Vornehmlich geht es dem Staat darum, Einfluß auf die Preise von Gütern und Dienstleistungen ausüben zu können und den Marktmechanismus auszuschalten. Ebenso bedeutend ist die Einflußnahme auf die Geschäftsbedingungen. Damit verbunden ist die Bestimmung des Kreises derjenigen, welche die von einem öffentlichen Unternehmen erbrachten Leistungen in Anspruch nehmen können (z. B. Kontoeröffnung für Hilfebedürftige nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch352 bei Sparkassen).353 Im Rahmen ihrer Beschaffungstätigkeit versucht die öffentliche Hand oftmals eine sozialpolitisch motivierte Lieferantenselektion durchzusetzen (z. B. Tariftreue der Auftragnehmer).354 Zur Absicherung der sozialpolitischen Ziele, insbesondere zur Finanzierung der sozialen Wohltaten durch Umverteilung, wird den öffentlichen Unternehmen regelmäßig eine Monopolstellung eingeräumt bzw. ein Benutzungszwang eingeführt. Die wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand kann u. a. auch das beschäftigungspolitische Ziel verfolgen, Arbeitsplätze zu schaffen oder zu sichern. Die Erhaltung von Arbeitsplätzen steht vor allem bei der Gründung von temporären staatlichen Auffanggesellschaften im Falle von Insolvenzen im Vordergrund.355

351 Vgl. D. Greiling, Öffentliche Trägerschaft oder öffentliche Bindung von Unternehmen?, 1996, S. 260; L. Kolbe, Rechtsformen und Ziele öffentlicher Unternehmen, 1987, S. 31; W. B. Schünemann, WRP 2000, 1001 (1002 f.); E. Schwark, DZWir, 1997, 89 (95); W. A. Stoffel, Wettbewerbsrecht und staatliche Wirtschaftstätigkeit, 1994, S. 38. Siehe ferner H.-J. Bontrup, Volkswirtschaftslehre, 1998, S. 34. Siehe zu den Unternehmenszielen von Krankenkassen H. Haenecke, ASP 2001 Nr. 1/2, 27 ff. 352 Sog. Arbeitslosengeld II- bzw. Hartz IV-Empfänger. 353 Vgl. E. Schwark, DZWir 1997, 89 (95). 354 Vgl. J. Fante, Die Instrumentalisierung des öffentlichen Beschaffungswesens zur Durchsetzung politischer Ziele, 2004, S. 40 ff.; A. Schäfer, Öffentliche Belange im Auftragswesen und Europarecht, 2003, S. 62 ff. 355 Vgl. D. Greiling, Öffentliche Trägerschaft oder öffentliche Bindung von Unternehmen?, 1996, S. 242.

C. Wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand

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f) Bedarfsdeckung Die öffentliche Hand benötigt Güter und Dienstleistungen zur Erfüllung ihrer vielfältigen Aufgaben. Deshalb tritt sie als Nachfrager am Markt auf,356 oder sie gründet eigene Betriebe (z. B. Bundesdruckerei357, Verwaltungsämter), um die benötigten Leistungen zu produzieren. g) Lückenschluß bei Marktversagen Schließlich ist noch zu erwähnen, daß öffentliche Unternehmen den Zweck verfolgen können, bestimmte Güter, die auf dem Markt nicht oder nicht ausreichend von privaten Unternehmen angeboten werden, bereitzustellen. Dies betrifft in erster Linie öffentliche Güter, die durch fehlende Rivalität im Konsum und fehlende Ausschließbarkeit beim Konsum gekennzeichnet sind,358 sowie Mischformen zwischen öffentlichem und privatem Gut.359 2. Spezielle Gefahren aus der wirtschaftlichen Betätigung der öffentlichen Hand für den Wettbewerb Spezielle Gefahren aus der wirtschaftlichen Betätigung der öffentlichen Hand für den Wettbewerb erwachsen dort, wo die öffentliche Hand gegenüber Privatunternehmen eine Überlegenheit aufweist, die auf ihrer Sonderstellung und nicht auf eigener Leistung beruht. Solche Überlegenheiten können auf mannigfache Gründe zurückzuführen sein; einige sollen hier aufgezeigt werden. Die Überlegenheit öffentlicher Unternehmen ergibt sich in einigen Bereichen aufgrund rechtlicher Vorteile gegenüber Privatunternehmen.360 Oftmals wird die Wirtschaftstätigkeit der öffentlichen Hand durch die Einräumung einer Monopolstellung abgesichert (z. B. Postmonopol, Spielbankenmonopol). Solche Absicherungen sind besonders wettbewerbsfeindlich, weil sie Privatunternehmen den Marktzutritt gänzlich verschließen. Eine ähnliche Wirkung entfalten Benutzungszwang und Pflichtmitgliedschaft zu Gunsten öffentlicher Unternehmen (z. B. Schlachthof, Versorgungswerke), da private Unternehmen aus dem Perso356 Siehe zum wirtschaftlichen Charakter der Bedarfsdeckung der öffentlichen Hand G. Püttner, Die öffentlichen Unternehmen, 1985, S. 41; W.-H. Roth/T. Ackermann, in: FK Art. 81 Abs. 1 EG-Vertrag Grundfragen Rn. 39 (Stand: November 1999); H. Schricker, Wirtschaftliche Tätigkeit der öffentlichen Hand und unlauterer Wettbewerb, 1987, S. 13. Speziell zu Krankenkassen U. M. Gassner, VSSR 2000, 121 (138 ff.). 357 Die Bundesdruckerei wurde im Jahr 2000 privatisiert. 358 Siehe S. 73 f. 359 Vgl. D. Greiling, Öffentliche Trägerschaft oder öffentliche Bindung von Unternehmen?, 1996, S. 218 ff.; R. Schneider, Öffentliche Unternehmen als Mittel einer interventionistischen Wettbewerbspolitik, 1982, S. 65 ff. 360 Vgl. E. Preißinger, Die Privilegierung öffentlicher Unternehmen, 1990, S. 46 ff.

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1. Kap.: Der Unternehmensbegriff des Europäischen Wettbewerbsrechts

nenkreis, welcher dem Benutzungszwang oder der Pflichtmitgliedschaft unterliegt, regelmäßig keine Geschäftspartner akquirieren können. Vorteile rechtlicher Art erwachsen der öffentlichen Hand ferner dadurch, daß sie nach dem Recht der Mitgliedstaaten u. U. befugt sein kann, ihre wirtschaftliche Betätigung einem öffentlich-rechtlichen Regime zu unterstellen361. Obendrein kann dann der öffentlich-rechtliche Charakter der Wirtschaftstätigkeit zur Nichtanwendbarkeit des nationalen Wettbewerbsrechts führen.362 Ferner können rechtliche Vorkehrungen gegen Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit bestehen, die zu einer höheren Bonität des Unternehmens führen (z. B. durch die Gewährsträgerhaftung, bei der die entsprechende öffentliche Gebietskörperschaft die Haftung für den Bestand einer Sparkasse oder Landesbank garantiert). Weiterhin existieren steuerliche Privilegien.363 Daneben beeinträchtigen die tatsächlichen Vorteile der öffentlichen Hand das Wettbewerbsgeschehen. Tatsächliche Vorteile bestehen insbesondere bei der Finanzierung öffentlicher Unternehmen. Solche Finanzierungsvorteile beginnen bei der Verzinsung des Eigenkapitals. Die öffentlichen Kapitalgeber erwarten regelmäßig nicht die gleiche Eigenkapitalverzinsung wie private Investoren.364 Ein Grund dafür ist, daß der Staat mit seiner Wirtschaftsaktivität regelmäßig nicht allein erwerbswirtschaftliche Zwecke verfolgt. Die Finanzierungsvorteile setzen sich darin fort, daß öffentliche Unternehmen im allgemeinen darauf vertrauen dürfen, im Krisenfall vom öffentlichen Träger saniert zu werden. In der Regel ist die öffentliche Hand nämlich bestrebt, eine Insolvenz ihrer Unternehmen in jedem Fall zu vermeiden, da eine Insolvenz einen immensen Ansehensoder Vertrauensverlust zur Folge hätte. Aufgrund dieser Bonitätsvorteile können öffentliche Unternehmen Fremdkapital zu günstigeren Konditionen aufnehmen als Privatunternehmen.365 Daneben können personelle Verflechtungen zwischen

361

Vgl. W. Brohm, NJW 1994, 281 (284 f.); M. Gaa, WRP 1997, 837 (839); U. Gundlach, LKV 2000, 58; S. Schmahl, LKV 2000, 47 (50); H. Sodan, in: ders./J. Ziekow (Hrsg.), Verwaltungsgerichtsordnung – Großkommentar, 2006, § 40 Rn. 312 ff., 370 ff. m. w. N. 362 W. Brohm, NJW 1994, 281 (285). Siehe gerade zum deutschen Kartellrecht S. 132 ff. 363 Vgl. E. Preißinger, Die Privilegierung öffentlicher Unternehmen, 1990, S. 94 ff.; J. Wolf, Steuerliche Privilegien staatlicher Wirtschaftstätigkeit, in: DB 2003, S. 849 ff. 364 Vgl. H. Seeberg, LKV 1995, 353 (358). Siehe auch § 16 Abs. 5 des Berliner Betriebe-Gesetzes vom 14.6.2006 (GVBl. f. Bln. 827), wonach das betriebsnotwendige Kapital der Berliner Stadtreinigungsbetriebe und der Berliner Wasserbetriebe (nur) mit mindestens der durchschnittlichen Rendite zehnjähriger deutscher Bundesanleihen kalkulatorisch zu verzinsen ist. Für eine solche Verzinsung würden private Investoren regelmäßig keine unternehmerischen Risiken in Kauf nehmen. 365 Siehe dazu H. Schricker, Wirtschaftliche Tätigkeit der öffentlichen Hand und unlauterer Wettbewerb, 1987, S. 17 ff.; D. Wolf, in: R. Stober/H. Vogel (Hrsg.), Wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand, 2000, 3 (10).

C. Wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand

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politischen Entscheidungsträgern und öffentlichen Unternehmen zu Informationsvorsprüngen und Vorzugsbehandlungen führen.366 Diese nicht auf eigener Leistung beruhenden Vorteile verleihen den Staatsunternehmen zusätzliche Handlungsspielräume gegenüber den privaten Wettbewerbern. II. Unternehmenseigenschaft der öffentlichen Hand Die öffentliche Hand367 wäre Normadressatin der unternehmensbezogenen Wettbewerbsregeln des EG-Vertrags (Art. 81, 82 und 86 Abs. 2 EG), wenn sie selbst als Unternehmen qualifiziert werden könnte. Dabei geht es nicht darum, die öffentliche Hand oder ihre Einrichtungen im Ganzen zu beurteilen. Die Unternehmenseigenschaft ist nach allgemeinen Grundsätzen aufgrund der Relativität des Unternehmensbegriffes im Hinblick auf eine bestimmte Tätigkeit zu beurteilen; ist das zu beurteilende Verhalten eine wirtschaftliche Tätigkeit wird die Einheit nur insofern als Unternehmen angesehen.368 Da auch die öffentliche Hand aus unterschiedlichen Gründen wirtschaftlichen Aktivitäten nachgeht, stellt sich nur die Frage, ob sie wegen ihrer besonderen Stellung trotzdem nicht als Unternehmen qualifiziert werden darf. Bei genauer Betrachtung ist die Frage der Unternehmenseigenschaft der öffentlichen Hand für zwei verschiedene Konstellationen zu beleuchten: Zum einen geht es um wirtschaftlich tätige Einheiten, welche von der öffentlichen Hand getragen werden, und bei denen sich die Frage stellt, ob die Unternehmenseigenschaft wegen ihres öffentlichen Trägers ausgeschlossen ist. Zum anderen geht es darum, ob ein Mitgliedstaat oder seine gebiets- und aufgabenbezogenen Untergliederungen selbst als Unternehmen qualifiziert werden können, wenn er bzw. eine Untergliederung wirtschaftliche Aktivitäten entfaltet. 1. Funktionale Aspekte Ob die öffentliche Hand bei ihrer wirtschaftlichen Betätigung als Unternehmen Normadressatin des Europäischen Wettbewerbsrechts sein kann, hängt bei Fortgeltung des funktionalen Unternehmensbegriffes maßgeblich vom Zweck der Wettbewerbsregeln ab, nämlich zur Erreichung der in Art. 2 EG genannten Vertragsziele und zur Verwirklichung eines grenzüberschreitenden freien Han366 D. Wolf, in: R. Stober/H. Vogel (Hrsg.), Wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand, 2000, 3 (10). 367 Siehe zur Verwendung des Begriffes der öffentlichen Hand im Rahmen dieser Arbeit S. 96 f. 368 Siehe zur Relativität des Unternehmensbegriffes S. 67 ff.

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1. Kap.: Der Unternehmensbegriff des Europäischen Wettbewerbsrechts

dels den Wettbewerb innerhalb des Binnenmarktes vor Verfälschungen oder Beschränkungen zu schützen (Art. 3 Abs. 1 Buchst. g EG)369. Die unternehmensbezogenen Wettbewerbsregeln bezwecken speziell einen Schutz vor privaten Wettbewerbsbeschränkungen. „Dahinter steht die Erfahrung, daß private Wettbewerbsbeschränkungen weithin dieselben Wirkungen wie die vom [EG-]Vertrag gerade abgeschafften staatlichen Handelsschranken haben können. Will der Vertrag durch die Beseitigung der staatlichen Handelshemmnisse einen echten Binnenmarkt schaffen (Art. 2, 14), so muß er deshalb zugleich Sorge dafür tragen, daß die staatlichen Handelshemmnisse nicht durch private ersetzt werden.“370 Würde die öffentliche Hand mit ihren Wirtschaftsaktivitäten mangels Unternehmenseigenschaft nicht von den Wettbewerbsregeln erfaßt, bestünde für sie die Möglichkeit, als Wirtschaftsteilnehmer Wettbewerbsbeschränkungen durchzusetzen, deren Implementierung ihr als Hoheitsträger gerade durch den EG-Vertrag verboten wäre. Die Mitgliedstaaten könnten nämlich mittels der von ihnen kontrollierten wirtschaftlich tätigen Einheiten den Zugang zu Märkten ebenso schließen wie mittels gesetzlicher Vorschriften oder behördlicher Anweisungen.371 Ein anderer Aspekt betrifft das Verhältnis zwischen Privat- und Staatswirtschaft, welches in den Mitgliedstaaten unterschiedlich ausgeprägt ist. Während in einigen Mitgliedstaaten eine starke Industriepolitik betrieben wird und bedeutende Wirtschaftssektoren sozialisiert sind oder von Staatsbetrieben beherrscht werden (z. B. Frankreich und Italien), setzen andere Mitgliedstaaten eher darauf, daß die ökonomischen Fragen vorrangig von Privatunternehmen zu lösen sind (z. B. Benelux-Staaten, Großbritannien, aber auch Deutschland), so daß der öffentliche Wirtschaftssektor im Vergleich zu den Vorgenannten eine geringere Bedeutung hat. Der EG-Vertrag verbietet die Verstaatlichung ganzer Wirtschaftszweige nicht. Art. 295 EG bestimmt, daß der EG-Vertrag die Eigentumsordnung in den verschiedenen Mitgliedstaaten unberührt läßt. Allgemein wird darin „eine Vorschrift gesehen, mit der die Neutralität des Vertrages gegenüber nationalen Verstaatlichungsmaßnahmen oder Privatisierungen festgestellt wird“372. Daher würde eine Verneinung der Unternehmenseigenschaft für öffentliche Unternehmen zu schwerwiegenden Wettbewerbsverzerrungen und volkswirtschaftlichen Benachteiligungen der liberalen Mitgliedstaaten führen. 369

Vgl. zum Zweck der Wettbewerbsregeln S. 51 ff. V. Emmerich, Kartellrecht, 2006, § 3 Rn. 4. 371 E.-J. Mestmäcker, RabelsZ 52 (1988), 526 (528, 534). 372 B. Bär-Bouyssière, in: von der Groeben/Schwarze IV Artikel 295 EG Rn. 12 m. w. N. Vgl. dazu Kommission, Mitteilung über bestimmte rechtliche Aspekte von Investitionen innerhalb der EU, ABl. EG 1997 Nr. C 220/15 Fn. 1; Schlußanträge des Generalanwalts Dámaso Ruiz-Jarabo Colomer v. 3.7.2001, verb. Rs. C-367/98, C-483/ 99 und C-503/99, Slg. 2002, I-4731 Tn. 39 ff. – Kommission/Portugal u. a. („golden shares“). 370

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Während große finanzkräftige Staatskonzerne frei von den Beschränkungen des Wettbewerbsrechts europaweit agieren könnten, müßten ihre privaten Wettbewerber – insbesondere aus den liberalen Mitgliedstaaten – als Unternehmen im Sinne der Art. 81 ff. EG eben diese Beschränkungen hinnehmen. Die Aufgabe der Gemeinschaft besteht aber vor dem Hintergrund des Art. 295 EG gerade darin, gleiche Wettbewerbsbedingungen für öffentliche und private Unternehmen zu schaffen.373 Weitere funktionale Argumente für die Normadressateneigenschaft der wirtschaftlich tätigen öffentlichen Hand ergeben sich daraus, daß aus der wirtschaftlichen Betätigung der öffentlichen Hand für den Wettbewerb spezielle Gefahren erwachsen.374 Die an den Zielen des Gemeinsamen Marktes, an der Gewährleistung des freien, grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehrs und der Errichtung eines Systems unverfälschten Wettbewerbs ausgerichtete und somit funktionale Auslegung des Gemeinschaftsrechts führt dazu, daß die Wettbewerbsregeln keine von ihrer Geltung allgemein ausgenommenen Organisationen oder Wirtschaftsbereiche kennen,375 es sei denn, solche sind im EG-Vertrag ausdrücklich genannt (vgl. Art. 36 Abs. 1, 296 Abs. 1 Buchst. b EG). 2. Art. 86 Abs. 1 EG: Geltung der Wettbewerbsregeln für öffentliche Unternehmen Das aus der funktionalen Betrachtung gewonnene Ergebnis wird durch den Normenbefund bestätigt. Art. 86 Abs. 1 EG bestimmt, daß die Mitgliedstaaten in bezug auf öffentliche Unternehmen keine den Art. 81 bis 89 EG widersprechenden Maßnahmen treffen oder beibehalten dürfen. Bereits die Verwendung des Begriffes „öffentliches Unternehmen“ innerhalb der Wettbewerbsregeln des EG-Vertrags verdeutlicht, daß der Vertrag Unternehmen der öffentlichen Hand ausdrücklich anerkennt. Deutlicher wird die Einbeziehung von Wirtschaftsaktivitäten der öffentlichen Hand in den Unternehmenstatbestand der Art. 81 ff. EG, wenn man sich die Funktion der Regelung des Art. 86 Abs. 1 EG vergegenwärtigt: Art. 81 und 82 EG sind unternehmensbezogene Vorschriften, welche aber nur dann anwendbar sind, wenn das handelnde Unternehmen für eine wettbewerbsbeschränkende Verhaltensweise auch verantwortlich ist. Seine Verantwortlichkeit entfällt insbesondere dann, wenn das Verhalten durch staatliche Maßnahmen vorgeschrieben wird und folglich dem Unternehmen kein eigener Handlungsspielraum ver-

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E.-J. Mestmäcker, RabelsZ 52 (1988), 526 (529). Vgl. S. 103 ff. E.-J. Mestmäcker, RabelsZ 52 (1988), 526 (534).

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1. Kap.: Der Unternehmensbegriff des Europäischen Wettbewerbsrechts

bleibt.376 Die Geltung der Wettbewerbsregeln für öffentliche Unternehmen machte wenig Sinn, wenn ein Mitgliedstaat seinen öffentlichen Unternehmen wettbewerbsbeschränkendes Verhalten mittels hoheitlicher Anordnungen vorgeben dürfte und eben dadurch die Anwendbarkeit der Wettbewerbsregeln ausschließen könnte. Gerade für diesen Fall ist das staatsbezogene Verbot des Art. 86 Abs. 1 EG gedacht, welches einer derartigen staatlichen Maßnahme die Grundlage entzieht. Art. 86 Abs. 1 EG setzt daher die Anwendbarkeit der Art. 81 ff. EG auf öffentliche Unternehmen geradezu voraus. Denn isoliert machte das Verbot des Art. 86 Abs. 1 EG ebensowenig Sinn: Weshalb sollten die Mitgliedstaaten in bezug auf öffentliche Unternehmen keine den Art. 81 bis 89 EG widersprechenden Maßnahmen treffen dürfen, wenn jene Unternehmen selbst über diese Vorschriften hinwegsehen könnten? Ferner könnten die Mitgliedstaaten auf wettbewerbsbeschränkendes Verhalten anordnende Maßnahmen zugunsten ihrer Unternehmen ohne weiteres verzichten, wenn ihre Wirtschaftseinheiten mangels Unternehmenseigenschaft schon von vornherein keine Wettbewerbsregeln zu beachten hätten und (rechtlich) in der Lage wären, Wettbewerbsbeschränkungen selbst vorzunehmen. a) Begriff des öffentlichen Unternehmens Zur inhaltlichen Klärung des Begriffes des öffentlichen Unternehmens im Sinne von Art. 86 Abs. 1 EG wird regelmäßig auf die Richtlinie 80/723/EWG vom 25.6.1980 über die Transparenz der finanziellen Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten und den öffentlichen Unternehmen377 (sog. Transparenzrichtlinie) zurückgegriffen,378 welche in Art. 2 Abs. 1 Buchst. b eine Definition enthält. Danach wird als öffentliches Unternehmen verstanden, „jedes Unternehmen, auf das die öffentliche Hand aufgrund Eigentums, finanzieller Beteiligung, Satzung oder sonstiger Bestimmungen, die die Tätigkeit des Unternehmens regeln, unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden Einfluß ausüben kann“. Die Transparenzrichtlinie der Kommission gründet auf der Ermächtigung des Art. 86 Abs. 3 EG; ihre Begriffsdefinition vom öffentlichen Unternehmen muß sich daher innerhalb des Begriffes des öffentlichen Unternehmens im Sinne von 376

Siehe dazu S. 34 ff. ABl. EG 1980 Nr. L 195/35, zuletzt geändert und neugefaßt durch Richtlinie 2000/52/EG vom 26.7.2000 (ABl. EG 2000 Nr. L 193/75). 378 Vgl. R. Dohms, in: G. Wiedemann (Hrsg.), Handbuch des Kartellrechts, 1999, § 35 Rn. 22; S. Eisenmenger, Neuregelung des öffentlichen Unternehmensrechts?, 2004, S. 20 f.; W. Kahl, NVwZ 1996, 1082 (1083); E.-J. Mestmäcker, RabelsZ 52 (1988), 526 (556); J. Schwarze, in: ders. (Hrsg.), Europäisches Wettbewerbsrecht im Wandel, 2001, 69 (97); S. Storr, Der Staat als Unternehmer, 2001, S. 48; W. Weiß, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2007, Art. 86 EGV Rn. 12 f.; G. Wilms, Das Europäische Gemeinschaftsrecht und die öffentlichen Unternehmen, 1996, S. 113 f. 377

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Art. 86 Abs. 1 EG halten. Daß dieser Rahmen von der Richtlinie eingehalten wird, ist vom Europäischen Gerichtshof bestätigt worden.379 Einigkeit herrscht darüber, daß die Definition über den Anwendungsbereich der Richtlinie hinaus von Bedeutung ist.380 Nichtsdestotrotz kann der Begriff des öffentlichen Unternehmens im Sinne der Wettbewerbsregeln auch weiter sein als die in der Transparenzrichtlinie enthaltene Definition. Insbesondere muß die Vermittlung des beherrschenden Einflusses der öffentlichen Hand nicht auf die in der Richtlinie benannten Formen beschränkt sein. Zur Beantwortung der Frage, inwieweit die öffentliche Hand Unternehmen im Sinne der Wettbewerbsregeln sein kann, darf daher nicht allein auf die dargestellte Definition der Transparenzrichtlinie zurückgegriffen werden, sondern es ist vielmehr eine ergänzende funktionale Würdigung unter Berücksichtigung weiterer allgemeiner Grundsätze des Gemeinschaftsrechts (z. B. gleichmäßige Anwendung und Wirksamkeit) vorzunehmen. Unter Beachtung dieser einschränkenden Vorgaben kann die dargestellte Definition aus der Transparenzrichtlinie zur Konkretisierung des Begriffes des öffentlichen Unternehmens im Sinne des Art. 86 Abs. 1 EG herangezogen werden. b) Unbeachtlichkeit der Organisationsform Sofern die öffentliche Hand einer wirtschaftlichen Tätigkeit nachgeht, ist ihre Unternehmenseigenschaft unabhängig von der Organisationsform381 der handelnden Einheit zu bejahen.382 Dies ergibt sich insbesondere aus der Überle379 EuGH, Urt. v. 6.7.1982, verb. Rs. 188 bis 190/80, Slg. 1982, 2545 Rn. 22 ff., insb. 26 – Frankreich, Italien und Vereinigtes Königreich/Kommission (Transparenzrichtlinie). 380 Vgl. R. Dohms, in: G. Wiedemann (Hrsg.), Handbuch des Kartellrechts, 1999, § 35 Rn. 26; S. Eisenmenger, Neuregelung des öffentlichen Unternehmensrechts?, 2004, S. 20 f.; W. Kahl, NVwZ 1996, 1082 (1083); A. Kämmer, Kartellrechtliche Grenzen für die Beschränkungen des Wettbewerbs bei der Leistungsbeschaffung im Gesundheitswesen, 2004, S. 233; J. Schwarze, in: ders. (Hrsg.), Europäisches Wettbewerbsrecht im Wandel, 2001, 69 (97); W. Weiß, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2007, Art. 86 EGV Rn. 12; G. Wilms, Das Europäische Gemeinschaftsrecht und die öffentlichen Unternehmen, 1996, S. 113. Vgl. auch E.-J. Mestmäcker, RabelsZ 52 (1988), 526 (537 f.); M. Möstl, Grundrechtsbindung öffentlicher Wirtschaftstätigkeit, 1999, S. 4 f. 381 Vgl. zu den Organisationsformen öffentlicher Unternehmen in Deutschland B. Fabry, in: dies./U. Augsten (Hrsg.), Handbuch Unternehmen der öffentlichen Hand, 2002, S. 1 ff.; M. Möstl, Grundrechtsbindung öffentlicher Wirtschaftstätigkeit, 1999, S. 7 ff. 382 EuGH, Urt. v. 16.6.1987, Rs. 118/85, Slg. 1987, 2599 Rn. 7 ff. – Kommission/ Italien (AAMS); Kommission, Entscheidung v. 9.4.2002, ABl. EU 2003 Nr. L 183/19 Rn. 22 – Seilbahnbetreiber; Schlußanträge des Generalanwalts Giuseppe Tesauro v. 10.11.1993, Rs. C-364/92, Slg. 1994, I-43 Tn. 6 ff. – SAT Fluggesellschaft/Eurocontol; OLG Düsseldorf, WuW/E DE-R 233 (235) – Inkontinenzhilfen; Pharma Recht 1999, 283 (291); H.-J. Bunte, in: Langen/Bunte II Art. 81 [Generelle Prinzipien] Rn. 8; V. Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, WettbR EG/1 Art. 81 Abs. 1 EGV Rn. 34 f.; C. Engelmann, Kostendämpfung im Gesundheitswesen und EG-Wettbe-

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gung, daß das Gemeinschaftsrecht so auszulegen ist, daß seine gleichmäßige Anwendung und Wirksamkeit gewährleistet wird.383 Würde die Anwendung der Wettbewerbsregeln auf die gleiche Tätigkeit von einem Mitgliedstaat zum anderen danach verschieden ausfallen, welche Rechtsform die einzelnen Mitgliedstaaten den öffentlichen Wirtschaftseinheiten verleihen, wären gleichmäßige Anwendung und Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts nicht gewährleistet.384 Die Normadressateneigenschaft hinge dann weitgehend von nationalen Ausgestaltungen ab, welches schnell zur Wahl entsprechender Umgehungskonstruktionen führen würde. Es spielt daher keine Rolle, ob die Wirtschaftseinheit privatrechtlich oder öffentlich-rechtlich organisiert ist oder ob sie eine eigene Rechtspersönlichkeit besitzt. Ein öffentliches Unternehmen kann ein Regie- oder Eigenbetrieb,385 eine Anstalt386 oder Körperschaft387 des Öffentlichen Rechts, ein Handelsmonopol, Sondervermögen oder eine Außenhandelsorganisation388 ebenso sein wie eine privatrechtliche Handelsgesellschaft (z. B. Aktiengesellschaft oder Gesellschaft mit beschränkter Haftung), sofern die öffentliche Hand auf die Einheit unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden Einfluß ausüben kann (z. B. mittels Weisungsbefugnissen bzw. als Aktionär oder Gesellschafter). Die wirtschaftlich

werbsrecht, 2002, S. 67; J. Fante, Die Instrumentalisierung des öffentlichen Beschaffungswesens zur Durchsetzung politischer Ziele, 2004, S. 152 f.; U. M. Gassner, VSSR 2000, 121 (134); J. Isensee, VSSR 1996, 169 (174); K. W. Lange, WuW 2002, 953 (956); D. Neumann, Kartellrechtliche Sanktionierung von Wettbewerbsbeschränkungen im Gesundheitswesen, 2000, S. 98; G. Skorczyk, in: N. Klusen (Hrsg.), Europäischer Binnenmarkt und Wettbewerb – Zukunftsszenarien für die GKV, 2003, 93 (97). 383 Vgl. EuGH, Urt. v. 10.1.1980, Rs. 69/79, Slg. 1980, 75 Rn. 6 – Jordens-Vosters; T. Oppermann, Europarecht, 2005, § 8 Rn. 26; R. Streinz, Europarecht, 2005, Rn. 572. 384 Vgl. EuGH, Urt. v. 16.6.1987, Rs. 118/85, Slg. 1987, 2599 Rn. 10 f. – Kommission/Italien (AAMS); OLG Düsseldorf, WuW/E DE-R 233 (235) – Inkontinenzhilfen; Pharma Recht 1999, 283 (291); J. Fante, Die Instrumentalisierung des öffentlichen Beschaffungswesens zur Durchsetzung politischer Ziele, 2004, S. 152 f.; D. Neumann, Kartellrechtliche Sanktionierung von Wettbewerbsbeschränkungen im Gesundheitswesen, 2000, S. 98; G. Skorczyk, in: N. Klusen (Hrsg.), Europäischer Binnenmarkt und Wettbewerb – Zukunftsszenarien für die GKV, 2003, 93 (97). 385 Kommission, Entscheidung v. 1.8.1990, ABl. EG 1990 Nr. 233/19 Rn. 5 f. – internationale Eilkurierdienstleistungen in Spanien. 386 Z. B. die Bundesanstalt für Arbeit, vgl. EuGH, Urt. v. 23.4.1991, Rs. C-41/90, Slg. 1991, I-1979 Rn. 20 ff. – Höfner und Elser. 387 EuGH, Urt. v. 20.3.1985, Rs. 41/83, Slg. 1985, 873 Rn. 2, 16 ff. – Italien/Kommission (British Telecommunications). Gerade Körperschaften des Öffentlichen Rechts kommen als Unternehmensvereinigungen im Sinne des Wettbewerbsrechts in Betracht, vgl. für die Niederländische Rechtsanwaltskammer EuGH, Urt. v. 19.2.2002, Rs. C-309/99, Slg. 2002, I-1577 Rn. 64 f. – Wouters u. a. 388 Kommission, Entscheidung v. 19.12.1984, ABl. EG 1985 Nr. L 92/1 Rn. 9.2. – Aluminiumeinfuhren aus Osteuropa.

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tätigen Einheiten, welche von der öffentlichen Hand getragen werden, sind somit Unternehmen im Sinne der Art. 81 ff. EG.389 Aus den gleichen Überlegungen heraus kann es auch nicht darauf ankommen, ob ein Mitgliedstaat (oder seine gebiets- und aufgabenbezogenen Untergliederungen) wirtschaftliche Tätigkeiten durch eine andere Einrichtung ausübt oder ob er die Tätigkeiten unmittelbar durch eine Stelle ausübt, die zur staatlichen Verwaltung gehört bzw. in sie inkorporiert ist. Ein Mitgliedstaat oder seine gebiets- und aufgabenbezogenen Untergliederungen sind selbst als Unternehmen zu qualifizieren, wenn er bzw. eine Untergliederung wirtschaftliche Aktivitäten entfaltet.390 c) Unbeachtlichkeit der Handlungsform Die Unternehmenseigenschaft der öffentlichen Hand ist schließlich auch unabhängig davon zu beurteilen, in welche nationalen rechtlichen Handlungsformen die Wirtschaftsaktivitäten eingekleidet sind, insbesondere ob sie sich nach Privatrecht oder Öffentlichem Recht vollziehen.391 Daher können sogar rechtsetzende Tätigkeiten von selbständigen Verwaltungseinheiten, wie beispielsweise der Erlaß von Satzungen oder Verordnungen, einer wettbewerbsrechtlichen Kontrolle unterliegen.392 Die Wahl der rechtlichen Handlungsform für die Durchführung einer Aufgabe unterliegt der Gestaltungsfreiheit der Mitgliedstaaten. Aus dem deutschen Recht ist bekannt, daß öffentliche Aufgaben in bestimmten Bereichen nach 389 Vgl. H.-J. Bunte, in: Langen/Bunte II Art. 81 [Generelle Prinzipien] Rn. 8 m. w. N.; K. W. Lange, WuW 2002, 953 (956) m. w. N. 390 Vgl. EuGH, Urt. v. 16.6.1987, Rs. 118/85, Slg. 1987, 2599 Rn. 3 ff. – Kommission/Italien (AAMS); Urt. v. 18.3.1997, Rs. C-343/95, Slg. 1997, I-1547 Rn. 17 – Diego Cali & Figli; J. Fante, Die Instrumentalisierung des öffentlichen Beschaffungswesens zur Durchsetzung politischer Ziele, 2004, S. 152 f. 391 Vgl. EuGH, Urt. v. 18.6.1998, Rs. C-35/96, Slg. 1998, I-3851 Rn. 40 – Kommission/Italien (Zollspediteure); OLG Düsseldorf, WuW/E DE-R 233 (235) – Inkontinenzhilfen; Pharma Recht 1999, 283 (291); I. Ebsen, KrV 2004, 95 (97); E. Eichenhofer, NZS 2001, 1 (4); C. Engelmann, Kostendämpfung im Gesundheitswesen und EGWettbewerbsrecht, 2002, S. 67; U. M. Gassner, VSSR 2000, 121 (135 f.); R. Giesen, VSSR 1996, 311 (317); E.-J. Mestmäcker, RabelsZ 52 (1988), 526 (533 f.); D. Neumann, Kartellrechtliche Sanktionierung von Wettbewerbsbeschränkungen im Gesundheitswesen, 2000, S. 98. 392 Vgl. EuGH, Urt. v. 20.3.1985, Rs. 41/83, Slg. 1985, 873 Rn. 16 ff. – Italien/ Kommission (British Telecommunications), betreffend den Erlaß von Benutzungsverordnungen durch British Telecommunications; EuGH, Urt. v. 19.2.2002, Rs. C-309/99, Slg. 2002, I-1577 Rn. 60 ff. – Wouters u. a., betreffend die Beurteilung von Verordnungen der Niederländischen Rechtsanwaltskammer als Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen. Vgl. auch C. Engelmann, Kostendämpfung im Gesundheitswesen und EG-Wettbewerbsrecht, 2002, S. 67; D. Neumann, Kartellrechtliche Sanktionierung von Wettbewerbsbeschränkungen im Gesundheitswesen, 2000, S. 100 f.

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Wahl der Verwaltung im Wege des Privatrechts (Verwaltungsprivatrecht) oder öffentlich-rechtlich erfüllt werden können.393 Wirtschaftliche Tätigkeiten können daher problemlos auch im Rahmen eines öffentlich-rechtlichen Regimes durchgeführt werden. Könnte die öffentliche Hand durch die Wahl hoheitlicher Handlungsformen die Unternehmenseigenschaft ausschließen, läge die Normadressateneigenschaft ihrer Wirtschaftseinheiten wiederum weitgehend in der Hand der Mitgliedstaaten. Die Anerkennung der Wettbewerbsregeln bliebe dann eher ein Akt „freiwilliger Unterwerfung“. Mit dem Willen der Vertragsparteien, öffentliche Unternehmen grundsätzlich den Wettbewerbsregeln zu unterstellen,394 wäre eine Auslegung des Gemeinschaftsrechts, die solche Lücken zuließe, nicht vereinbar. An dieser Stelle muß darauf hingewiesen werden, daß die hier getroffene Feststellung der Unbeachtlichkeit einer öffentlich-rechtlichen bzw. hoheitlichen Handlungsform nur für die Qualifizierung der Handlung als öffentlich-rechtlich bzw. hoheitlich nach nationalem Recht gilt. Ganz anders ist dies, wenn eine Maßnahme vorliegt, welche sich nach den Maßstäben des Gemeinschaftsrechts als eine hoheitliche darstellt. Wie sogleich dargelegt werden wird, schließt eine auf dieser Grundlage als hoheitlich zu qualifizierende Handlung ihre gleichzeitige Bewertung als wirtschaftliche Tätigkeit aus, so daß die Unternehmenseigenschaft durch eine solche Handlung niemals begründet werden kann. III. Keine Anwendbarkeit des Europäischen Wettbewerbsrechts auf hoheitliche Tätigkeiten 1. Ausgangspunkt Auf hoheitliche Tätigkeiten sind die unternehmensbezogenen Normen des Europäischen Wettbewerbsrechts nicht anwendbar395 (vgl. aber zur Anwendbarkeit der an die Mitgliedstaaten gerichteten Normen S. 34 ff. sowie S. 107 f.). 393 Vgl. W. Brohm, NJW 1994, 281 (284); M. Gaa, WRP 1997, 837 (839); U. Gundlach, LKV 2000, 58; S. Schmahl, LKV 2000, 47 (50); H. Sodan, in: ders./J. Ziekow (Hrsg.), Verwaltungsgerichtsordnung – Großkommentar, 2006, § 40 Rn. 312 ff., 370 ff. 394 Vgl. S. 107 f. 395 EuGH, Urt. v. 19.1.1994, Rs. C-364/92, Slg. 1994, I-43 Rn. 30 – SAT Fluggesellschaft/Eurocontrol; Urt. v. 18.3.1997, Rs. C-343/95, Slg. 1997, I-1547 Rn. 23 – Diego Cali & Figli; Schlußanträge des Generalanwalts Francis G. Jakobs v. 17.5. 2001, Rs. C-475/99, Slg. 2001, I-8089 Tn. 72 ff. – Ambulanz Glöckner; Schlußanträge desselben v. 13.9.2001, Rs. C-218/00, Slg. 2002, I-691 Tn. 48 f. – Cisal; OLG Düsseldorf, WuW/E DE-R 233 (235) – Inkontinenzhilfen; Pharma Recht 1999, 283 (291); R. Bechtold/W. Bosch/I. Brinker/S. Hirsbrunner, EG-Kartellrecht – Kommentar, 2005, Art. 81 EG Rn. 16; R. Giesen, VSSR 1996, 311 (313); U. M. Gassner, VSSR 2000, 121 (134 f.); E. Gippini-Fournier, in: U. Loewenheim/K. M. Meessen/A. Riesenkampff (Hrsg.), Kartellrecht, Bd. 1: Europäisches Recht, 2005, Art. 81 Abs. 1

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Systematisch ist diese dem Wettbewerbsrecht immanente und sich auch im Unternehmensbegriff widerspiegelnde Ausnahme in eine Reihe mit den Vorschriften der Art. 39 Abs. 4, Art. 45 Abs. 1 sowie Art. 55 EG zu stellen, welche ausdrücklich den Hoheitsbereich von der Geltung der Grundfreiheiten ausnehmen.396 Neben dem privaten Endverbrauch und dem Arbeitsmarkt ist das hoheitliche Handeln somit der dritte Bereich, welcher dem Wettbewerbsrecht grundsätzlich entzogen ist. Erfüllt das Tatbestandsmerkmal des Unternehmens die Funktion, den persönlichen Anwendungsbereich (Normadressatenkreis) der unternehmensbezogenen Wettbewerbsregeln festzulegen, muß der wettbewerbsrechtliche Unternehmensbegriff eine Abgrenzungsfunktion erfüllen,397 sofern nicht außerhalb der geschriebenen Tatbestandsvoraussetzungen eine Lösung gefunden werden soll (z. B. durch einen eigenständigen Prüfungspunkt „Anwendbarkeit der Wettbewerbsregeln“398). Der funktionale Unternehmensbegriff, nach welchem der Begriff des Unternehmens im Rahmen des Wettbewerbsrechts jede eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einheit unabhängig von ihrer Rechtsform und der Art ihrer Finanzierung umfaßt,399 findet seinen Ausgangspunkt in dem Bedürfnis, zwischen dem Staat als Hoheitsträger und dem Staat als Unternehmer zu unterscheiden.400 Eine Tätigkeit, welche mit der Ausübung hoheitlicher Gewalt einhergeht, kann daher nicht als wirtschaftliche Tätigkeit qualifiziert werden. Wirtschaftliche und hoheitliche Tätigkeit müssen sich gegenseitig ausschließen, damit eine staatliche Stelle bei der Ausübung ihrer hoheitlichen Befugnisse nicht fälschlicherweise als Normadressatin der (unternehmensbezogenen) Wettbewerbsregeln erscheint. Hoheitliche Tätigkeit kann auch deshalb zugleich keine wirtschaftliche im Sinne des Wettbewerbsrechts sein, weil sie grundsätzlich nicht von Privaten aus eigener Kraft ausgeübt werden kann.401

EG Rn. 47; A. Hänlein/J. Kruse, NZS 2000, 165 (167); J. Isensee, VSSR 1996, 169 (174); C. Koenig/C. Engelmann/U. Steiner, NZS 2002, 288 (290); K. W. Lange, WuW 2002, 953 (956); H. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze II Vorbem. zu den Artikeln 81 bis 85 EG Rn. 34 f.; J. Schwarze, in: ders. (Hrsg.), Europäisches Wettbewerbsrecht im Wandel, 2001, 69 (71 ff.). 396 Siehe zum systematischen Zusammenhang C. Jennert, WuW 2004, 37 (44 f.). 397 Vgl. S. 59 f. 398 Teilweise deuten Formulierungen des Europäischen Gerichtshofes auf diesen Ansatz, vgl. EuGH, Urt. v. 19.1.1994, Rs. C-364/92, Slg. 1994, I-43 Rn. 30 – SAT Fluggesellschaft/Eurocontrol; Urt. v. 18.3.1997, Rs. C-343/95, Slg. 1997, I-1547 Rn. 14 – Diego Cali & Figli. 399 Ständige Rechtsprechung seit EuGH, Urt. v. 23.4.1991, Rs. C-41/90, Slg. 1991, I-1979 Rn. 21 – Höfner und Elser. Vgl. zuletzt EuGH, Urt. v. 11.7.2006, Rs. C-205/03 P, Slg. 2006, I-6295 Rn. 25 – FENIN. 400 Siehe S. 59. 401 Vgl. zum Popitz-Kriterium S. 70 f.

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Was jedoch als hoheitliches Handeln gilt, muß auch hier aufgrund einer eigenen gemeinschaftsrechtlichen Begriffsbestimmung ermittelt werden, da andernfalls der Anwendungsbereich der Wettbewerbsregeln, welche als unmittelbar geltendes Recht ein Kernbestandteil des EG-Vertrags sind, zur Disposition der Mitgliedstaaten stünde, mit der Folge, daß die einheitliche Anwendung und praktische Wirksamkeit gefährdet wären402. Die Gefahr besteht hier gerade deshalb, weil es die Mitgliedstaaten selbst in der Hand haben, wem und wofür sie hoheitliche Machtbefugnisse zuerkennen. Auf einer theoretischen Ebene ist somit klar, daß nicht jede Tätigkeit dem Anwendungsbereich des Europäischen Wettbewerbsrechts entzogen sein kann, nur weil ein Mitgliedstaat sich entschlossen hat, die Aktivität – innerhalb seines Rechtsrahmens – einem öffentlich-rechtlichen Regime zu unterstellen, welches die Ausübung von Hoheitsbefugnissen beinhaltet.403 Daraus folgt für das gemeinschaftsrechtliche Begriffsverständnis, daß hoheitliches Handeln nach nationalen Maßstäben nicht gleichfalls hoheitliches Handeln im Sinne des EG-Vertrags sein muß. Umgekehrt könnte sich wohl auch ein nach nationalen Maßstäben nichthoheitliches Tun auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene als Ausübung hoheitlicher Befugnisse erweisen.404 Die Beschreibung und inhaltliche Erfassung dessen, was nach dem Gemeinschaftsrecht hoheitliches Handeln ausmacht und kennzeichnet, bereitet aufgrund der soeben beschriebenen Aufgabenstellung in der Praxis jedoch größte Schwierigkeiten. 2. Abgrenzung zwischen hoheitlicher und nichthoheitlicher Tätigkeit Bei der Abgrenzung zwischen hoheitlicher und nichthoheitlicher Tätigkeit ist systematisch zu beachten, daß die positive Feststellung des hoheitlichen Charakters einer Tätigkeit zwar die Wirtschaftlichkeit ausschließt, umgekehrt aber aus einer negativen Feststellung nicht zwangsläufig das Vorliegen einer Wirtschaftsaktivität gefolgert werden kann. Vielmehr gibt es auch Tätigkeiten des Staates, welche weder hoheitlich noch wirtschaftlich sind.405 So ist beispielsweise auch der Staat in seiner Eigenschaft als Tarifpartner kein Unternehmen, 402 Vgl. U. M. Gassner, VSSR 2000, 121 (135 f.); R. Giesen, VSSR 1996, 311 (316 f.); E.-J. Mestmäcker, RabelsZ 52 (1988), 526 (533); H. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze II Vorbem. zu den Artikeln 81 bis 85 EG Rn. 35; G. Wilms, Das Europäische Gemeinschaftsrecht und die öffentlichen Unternehmen, 1996, S. 109. Siehe auch S. 111 f. 403 Vgl. auch I. Ebsen, in: H. Sodan (Hrsg.), Die sozial-marktwirtschaftliche Zukunft der Krankenversicherung, 2005, 59 (65). 404 Vgl. zur privatrechtlichen Form der Flugsicherung die Schlußanträge des Generalanwalts Giuseppe Tesauro v. 10.11.1993, Rs. C-364/92, Slg. 1994, I-43 Tn. 12 – SAT Fluggesellschaft/Eurocontrol. 405 Siehe auch S. 125 f. A. A. C. Jennert, WuW 2004, 37 (43 ff.).

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obwohl ihm dabei keine hoheitlichen Befugnisse zu Gebote stehen. Der Wirtschaftscharakter erschließt sich bei Verneinung hoheitlicher Tätigkeit erst aus weiteren, allgemeinen Überlegungen. Insofern sind Ansätze in der Literatur406 ungenau, welche bei der „Abgrenzung zwischen hoheitlicher und wirtschaftlicher Tätigkeit“ ausschließlich auf eine Kennzeichnung der hoheitlichen Tätigkeit fokussieren. Praktisch mag sich zwar oftmals allein die Frage stellen, ob die Annahme einer – ansonsten unzweifelhaft – wirtschaftlichen Tätigkeit aufgrund eines möglicherweise hoheitlichen Charakters ausgeschlossen ist. Dennoch ist nicht alles wirtschaftlich, das sich als nichthoheitlich erweist.407 Ansonsten wären die Art. 81 ff. EG Vorschriften für jedermann und eben nicht mehr nur „Vorschriften für Unternehmen“ (vgl. Abschnittsüberschrift); das Tatbestandsmerkmals des Unternehmens wäre völlig überflüssig. a) Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes Die Abgrenzung zwischen hoheitlicher und nichthoheitlicher Tätigkeit vollzieht sich in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes anhand von Einzelfallentscheidungen. Leider ist es sehr schwierig, aus diesen Entscheidungen Kriterien abzuleiten, welche auch in anderen Fällen richtungsweisend sein könnten.408 aa) Rechtssache Bodson In der Rechtssache Bodson409 ging es um die Erteilung ausschließlicher Konzessionen zur Ausübung von Monopolen im Bereich bestimmter Dienstleistungen des Bestattungswesens durch französische Gemeinden. Eine solche Konzession wurde im Wege des Vertragsschlusses zwischen Gemeinde und Bestattungsunternehmer vergeben. Sehr knapp stellt der Gerichtshof dazu fest, Art. 81 EG ziele „nicht auf Konzessionsverträge zwischen Gemeinden, die in ihrer Eigenschaft als Träger öffentlicher Gewalt handeln, und Unternehmen, die mit der Wahrnehmung einer öffentlichen Aufgabe betraut werden“410. Der Vorgang der Betrauung eines Unternehmens mit der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben durch eine staatliche Stelle ist demnach als hoheitliche Tätigkeit zu qualifizie-

406 K. W. Lange, WuW 2002, 953 (957); J. Schwarze, in: ders. (Hrsg.), Europäisches Wettbewerbsrecht im Wandel, 2001, 69 (72). Vgl. ferner C. Jennert, WuW 2004, 37 (43 f.). 407 So aber C. Jennert, WuW 2004, 37 (43 f.). 408 Vgl. C. Jennert, WuW 2004, 37 (38); K. W. Lange, WuW 2002, 953 (957); J. Schwarze, in: ders. (Hrsg.), Europäisches Wettbewerbsrecht im Wandel, 2001, 69 (72). 409 EuGH, Urt. v. 4.5.1988, Rs. 30/87, Slg. 1988, 2479 – Bodson. Vgl. zu dieser Entscheidung C. Zeiss, EWS 2001, 418 (420 f.). 410 EuGH, Urt. v. 4.5.1988, Rs. 30/87, Slg. 1988, 2479 Rn. 18 – Bodson.

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ren.411 Von dem Betrauungsvorgang als solchem ist jedoch die Wahrnehmung der öffentlichen Aufgabe zu unterscheiden, welche eine wirtschaftliche Tätigkeit sein kann. bb) Rechtssache SAT Fluggesellschaft/Eurocontrol In der Rechtssache SAT Fluggesellschaft/Eurocontrol412 hatte der Europäische Gerichtshof den Charakter der Tätigkeit von Eurocontrol zu beurteilen, einer durch Übereinkommen geschaffenen internationalen Einrichtung, welche mit der Flugsicherung über dem Luftraum der Vertragsstaaten des Übereinkommens sowie dem Einzug entsprechender Gebühren von den Fluggesellschaften betraut worden ist. Auch hier enthält das Urteil wenig Anhaltspunkte, um die maßgeblichen Wertungskriterien nachzuzeichnen. Nach einer Darstellung der Aufgaben von Eurocontrol kommt der Gerichtshof zu dem Ergebnis: „Eurocontrol nimmt somit für Rechnung der Vertragsstaaten Aufgaben von allgemeinem Interesse wahr, durch die ein Beitrag zur Aufrechterhaltung und zur Verbesserung der Flugsicherung geleistet werden soll. Entgegen dem Vorbringen der Firma SAT läßt sich die die Einziehung der Streckengebühren betreffende Tätigkeit von Eurocontrol [. . .] von den anderen Tätigkeiten der Organisation nicht trennen. [. . .] In ihrer Gesamtheit hängen die Tätigkeiten von Eurocontrol ihrer Art, ihrem Gegenstand und den für sie geltenden Regeln nach mit der Ausübung von Vorrechten zusammen, die die Kontrolle und die Überwachung des Luftraums betreffen; dies sind typischerweise hoheitliche Vorrechte. Sie weisen keinen wirtschaftlichen Charakter auf, der die Anwendung der Wettbewerbsregeln des EWG-Vertrags rechtfertigen würde.“413

Aufschlußreicher sind dagegen die Schlußanträge des Generalanwalts Giuseppe Tesauro, dessen Argumenten sich der Europäische Gerichtshof in dieser Sache wohl inhaltlich weitgehend angeschlossen haben dürfte. Allgemein wird dort hoheitliche Tätigkeit als öffentliche Gewalt charakterisiert, die der staatlichen Herrschaftsmacht entspringt, und welche die Möglichkeit beinhaltet, dem Bürger gegenüber von Sonderrechten, Hoheitsprivilegien und Zwangsbefugnissen Gebrauch zu machen. Zu den Tätigkeiten und Funktionen, welche dem Hoheitsbereich zuzurechnen sind, gehörten „ohne Zweifel diejenigen, die die grundlegenden Aufgaben der Staatsgewalt in Bereichen wie der allgemeinen Verwaltung und Finanzverwaltung, der Justiz, der Sicherheit oder der Landes411 Vgl. die Schlußanträge des Generalanwalts Francis G. Jakobs v. 17.5.2001, Rs. C-475/99, Slg. 2001, I-8089 Tn. 74 f. – Ambulanz Glöckner. 412 EuGH, Urt. v. 19.1.1994, Rs. C-364/92, Slg. 1994, I-43 – SAT Fluggesellschaft/ Eurocontrol. Vgl. zu dieser Entscheidung folgende Aufsätze, Anmerkungen und Besprechungen: A. Federle, EWiR 1994, 667 f.; H. P. Kunz-Hallstein, EuZW 1994, 402 ff.; I. Seidl-Hohenveldern, EWS 1994, 132. 413 EuGH, Urt. v. 19.1.1994, Rs. C-364/92, Slg. 1994, I-43 Rn. 27 ff. – SAT Fluggesellschaft/Eurocontrol.

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verteidigung betreffen“414. Bezogen auf die Tätigkeit von Eurocontrol wird ausgeführt, daß die betroffenen Staaten den allgemeinen Rahmen bestimmen und ständig die Modalitäten der Ausführung der von ihnen delegierten Aufgaben überwachen. Ferner seien Eurocontrol bei der Flugverkehrskontrolle Sonderrechte (insbesondere Weisungsrechte gegenüber den Piloten, Feststellung von Rechtsverstößen) eingeräumt, die eine Ausübung hoheitlicher Gewalt darstellten. Schließlich stellt der Generalanwalt fest, daß in bezug auf die Tätigkeit der Luftraumkontrolle „ein Wettbewerb zwischen zwei Organisationen nicht nur nicht wünschenswert, sondern tatsächlich unmöglich wäre. Es handelt sich im Grunde um einen öffentlichen Dienst, bei dem jeder Gedanke an eine auf die Erzielung eines Gewinns gerichtete kommerzielle Nutzung sachfremd ist“.415 Insgesamt enthalten auch diese Ausführungen wenig konkrete Anhaltspunkte, um die zum Ausschluß des Wettbewerbsrechts führenden Hoheitsbefugnisse und Sonderrechte von jenen trennen zu können, welche im Interesse der Einheitlichkeit und Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts diese Rechtswirkung gerade nicht hervorbringen. cc) Rechtssache Diego Cali & Figli In der Rechtssache Diego Cali & Figli416 kam es auf die Qualifizierung der Tätigkeit der ständigen Überwachung der Gewässer eines italienischen Hafens an, welche im Interesse des Umweltschutzes von der öffentlichen Hafenverwaltung einer privatrechtlichen Einrichtung in Form einer ausschließlichen Konzession übertragen wurde. Der Europäische Gerichtshof kam zu dem Ergebnis: „Die Überwachung zur Bekämpfung der Umweltverschmutzung, mit deren Durchführung im Erdölhafen Genua die SEPG beauftragt worden ist, stellt aber einen im Allgemeininteresse stehenden Auftrag dar, der zu den wesentlichen Staatsaufgaben auf dem Gebiet des Umweltschutzes im Meeresbereich gehört. Eine solche Überwachungstätigkeit hängt ihrer Art, ihrem Gegenstand und den für sie geltenden Regeln nach mit der Ausübung von Befugnissen zusammen, die den Schutz der Umwelt betreffen; dies sind typischerweise hoheitliche Befugnisse. [. . .] Die Erhebung der Gebühr für die vorbeugende Überwachung zur Bekämpfung der Umweltverschmutzung durch die SEPG ist wesentlicher Bestandteil ihrer Tätigkeit zur Überwachung des Meeresbereichs des Hafens und kann an der rechtlichen Qualifizierung dieser Überwachungstätigkeit nichts ändern.“417

414 Schlußanträge des Generalanwalts Giuseppe Tesauro v. 10.11.1993, Rs. C-364/ 92, Slg. 1994, I-43 Tn. 9 – SAT Fluggesellschaft/Eurocontrol. 415 Schlußanträge des Generalanwalts Giuseppe Tesauro v. 10.11.1993, Rs. C-364/ 92, Slg. 1994, I-43 Tn. 13 – SAT Fluggesellschaft/Eurocontrol. 416 EuGH, Urt. v. 18.3.1997, Rs. C-343/95, Slg. 1997, I-1547 – Diego Cali & Figli. 417 EuGH, Urt. v. 18.3.1997, Rs. C-343/95, Slg. 1997, I-1547 Rn. 22 ff. – Diego Cali & Figli.

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Dagegen könnten wohl Maßnahmen zur Beseitigung einer aufgetretenen Umweltverschmutzung als wirtschaftliche Tätigkeit qualifiziert werden. Auch in diesem Fall enthalten die Schlußanträge des Generalanwalts Georges Cosmas einige weiterführende Bemerkungen. Er stellt fest, daß der Schutz der Hafengewässer im Interesse des Staates und der Bürger erfolgt und als Gefahrenabwehrtätigkeit zu den wesentlichen Tätigkeiten des Staates gehört. Die Umweltschutzüberwachung sei nicht geeignet, im Wettbewerb ausgeübt zu werden, da dies die Wirksamkeit des Schutzmechanismus gefährden oder sogar zunichte machen würde. Ferner müßten die Tarife der SPEG einseitig durch die Hafenverwaltung genehmigt werden, welches selbständige Entscheidungen auf dem Gebiet der Gebührenfestsetzung ausschlösse. Schließlich wird der Umweltschutz, vor allem in Form von Verhütungsmaßnahmen, als eine hoheitliche Tätigkeit eingestuft, die nur als eine Hauptaufgabe des Staates denkbar ist.418 dd) Rechtssache Höfner und Elser Während der Europäische Gerichtshof in den bisher dargestellten Fällen im Ergebnis eine hoheitliche Tätigkeit bejahte, hat er in der Rechtssache Höfner und Elser419 die Arbeitsvermittlungstätigkeit der damaligen Bundesanstalt für Arbeit (heute: Bundesagentur für Arbeit) als eine wirtschaftliche Tätigkeit angesehen. Auch hier enthält das Urteil nur eine sehr knappe, wiederum eher feststellende und weniger argumentative Begründung: „Daß die Vermittlungstätigkeit normalerweise öffentlich-rechtlichen Anstalten übertragen ist, spricht nicht gegen die wirtschaftliche Natur dieser Tätigkeit. Die Arbeitsvermittlung ist nicht immer von öffentlichen Einrichtungen betrieben worden und muß nicht notwendig von solchen Einrichtungen betrieben werden. Diese Feststellung gilt insbesondere für die Tätigkeiten zur Vermittlung von Führungskräften der Wirtschaft. Somit läßt sich eine Einheit wie eine öffentlich-rechtliche Anstalt für Arbeit, die Arbeitsvermittlung betreibt, als Unternehmen im Sinne der gemeinschaftsrechtlichen Wettbewerbsregeln qualifizieren.“420

418 Schlußanträge v. 10.12.1996, Rs. 343/95, Slg. 1997, I-1547 Tn. 49 f., 56 – Diego Cali & Figli. 419 EuGH, Urt. v. 23.4.1991, Rs. C-41/90, Slg. 1991, I-1979 – Höfner und Elser. Vgl. zu dieser Entscheidung folgende Aufsätze, Anmerkungen und Besprechungen: E. Eichenhofer, NJW 1991, 2857 ff.; U. M. Gassner, WuW 2004, 1028 (1030 ff.); A. Krölls, GewArch. 1993, 1 (7 f.); R. Möller, ZESAR 2006, 200 f.; W. Mummenhoff, DB 1992, 1982 ff.; U. Pallasch/M. Steckermeier, NZA 1991, 913 ff.; R. Pitschas, SGb 1992, 477 (485 ff.); R. Richardi/M. Steckermeier, DZWir 1991, 120 ff.; F. Ruland, JuS 1992, 529 f.; D. Schroeder, EWiR 1991, 1083 f.; K. Sieg, SGb 1994, 253 (254 f.); S. Speyer, EuZW 1991, 399 ff.; D. Stelzer, SozVers 2000, 169 (176 ff.). 420 EuGH, Urt. v. 23.4.1991, Rs. C-41/90, Slg. 1991, I-1979 Rn. 22 f. – Höfner und Elser.

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Eine ausdrückliche Abgrenzung zur hoheitlichen Tätigkeit enthält das Urteil nicht.421 Vereinzelt wird in der Literatur ein gewisser Argumentationswiderspruch darin gesehen, daß in dieser Rechtssache eine wirtschaftliche Tätigkeit deshalb angenommen wurde, weil die Aufgabe nicht notwendig von öffentlichen Einrichtungen betrieben werden müsse, während in den zeitlich nachfolgenden Entscheidungen SAT Fluggesellschaft/Eurocontrol sowie Diego Cali & Figli zur Bejahung des hoheitlichen Charakters darauf abgestellt wurde, daß die Aufgabe mit typischerweise hoheitlichen Befugnissen erfüllt wird.422 Dieser Kritik ist jedoch nicht zu folgen, da der Gerichtshof bei seiner Argumentation ersichtlich davon ausgeht, daß die Aufgaben der Flugverkehrs- bzw. Umweltüberwachung notwendig von staatlichen Stellen423 auszuüben sind, weil sie mit typisch(erweise – im Sinne von vorbildhaft) hoheitlichen Befugnissen einhergehen. Der Gerichtshof hat dagegen nicht formuliert, jene Aufgaben würden typischerweise mit hoheitlichen Befugnissen einhergehen424.425 b) Weitere Rechtsansichten von Gemeinschaftsorganen Die Schlußanträge des Generalanwalts Francis G. Jakobs in der Rechtssache Ambulanz Glöckner enthalten Aussagen darüber, wie die Tätigkeit der Genehmigungserteilung durch staatliche Stellen zu qualifizieren ist: „Die Erteilung oder Versagung einer Genehmigung ist mithin eine typische Entscheidung der Verwaltung, die in Ausübung von gesetzlich verliehenen Befugnissen ergeht, die gewöhnlich der öffentlichen Gewalt vorbehalten sind. Es ist nicht ersichtlich, wie in dieser Entscheidungstätigkeit ein Angebot von Waren oder Dienstleistungen auf bestimmten Märkten gesehen werden könnte.“426 In einer Kartellentscheidung der Kommission wurde die Erhebung der LkwMaut auf deutschen Autobahnen obiter dicta als hoheitliche Tätigkeit bezeichnet.427 421

Siehe näher zur Entscheidung in der Rechtssache Höfner und Elser S. 152 f. Vgl. K. W. Lange, WuW 2002, 953 (957 f.); T. Lübbig, EuZW 2002, 149. 423 Einschließlich solcher Stellen, denen diese Hoheitsrechte zur Wahrnehmung übertragen wurden (internationale Organisationen wie Eurocontrol), sowie natürlicher oder juristischer Personen, welche man im deutschen Recht als Beliehene bezeichnen würde. 424 Beachte zum Verständnis den Unterschied der Wortreihenfolge von „mit typischerweise hoheitlichen Befugnissen“ und „typischerweise mit hoheitlichen Befugnissen“. 425 Siehe S. 123 f. 426 Schlußanträge v. 17.5.2001, Rs. C-475/99, Slg. 2001, I-8089 Tn. 76 – Ambulanz Glöckner. 427 Kommission, Entscheidung v. 30.4.2003, ABl. EU 2003 Nr. L 300/62 Rn. 42 – DaimlerChrysler/Deutsche Telekom/JV. 422

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c) Ermittlung maßgeblicher Kennzeichen hoheitlicher Tätigkeit auf der Grundlage der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes Die Ermittlung maßgeblicher Kriterien, von denen sich der Europäische Gerichtshof bei der Abgrenzung zwischen hoheitlicher und nichthoheitlicher Tätigkeit leiten läßt, ist nicht einfach. Dies ist auf methodische Schwächen der einschlägigen Urteilsbegründungen zurückzuführen. Der Gerichtshof beschränkt sich nämlich darauf, die zu beurteilende konkrete Tätigkeit ausführlich darzustellen, um dann mit wenigen Worten festzustellen, daß es sich dabei um eine hoheitliche bzw. nichthoheitliche Aktivität handele. Dadurch wird leider nicht deutlich, welche Punkte der Tätigkeitsbeschreibung ausschlaggebend waren. Dennoch können einige Parallelen herausgearbeitet werden; insbesondere wird deutlich, daß die Abgrenzung nach materiellen Kriterien erfolgen muß428: Zunächst setzt hoheitliche Tätigkeit nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes die Wahrnehmung von Aufgaben im Allgemeininteresse voraus.429 Dieses Kriterium dürfte seine Bedeutung aus der Rechtslage von Mitgliedstaaten ableiten, in denen staatliches Handeln keiner besonderen Zweckbindung unterliegt. Dagegen besitzt es für die Bundesrepublik Deutschland weniger Relevanz, um hoheitliche und nichthoheitliche Aktivitäten der öffentlichen Hand zu trennen. Zum einem steht hier aufgrund verfassungsrechtlicher Vorgaben die gesamte staatliche Tätigkeit grundsätzlich unter dem Vorbehalt, öffentlichen Interessen zu dienen bzw. einen öffentlichen Zweck zu verfolgen.430 Eine Betätigung staatlicher Stellen ausschließlich im Eigeninteresse oder Privatinteresse Dritter scheidet de jure aus. Ferner wurde bereits oben festgestellt, daß bei den jeweiligen Wirtschaftsaktivitäten der öffentlichen Hand neben die erwerbswirtschaftlichen Ziele regelmäßig anderweitige, am Allgemeinwohl orientierte Haupt- oder Nebenzwecke treten.431 Völlig irrelevant ist das Kriterium bezogen auf deutsche Verhältnisse indes nicht: Erstens dürfte die Berufung darauf, eine hoheitliche Tätigkeit auszuüben, für alle öffentlichen Unternehmen ausscheiden, welche in Wirklichkeit einem 428 I. Ebsen, in: G. Igl (Hrsg.), Das Gesundheitswesen in der Wettbewerbsordnung, 2000, 22 (32); K. W. Lange, WuW 2002, 953 (958); J. Schwarze, in: ders. (Hrsg.), Europäisches Wettbewerbsrecht im Wandel, 2001, 69 (79). 429 Vgl. EuGH, Urt. v. 19.1.1994, Rs. C-364/92, Slg. 1994, I-43 Rn. 27 – SAT Fluggesellschaft/Eurocontrol; Urt. v. 18.3.1997, Rs. C-343/95, Slg. 1997, I-1547 Rn. 22 – Diego Cali & Figli. 430 W. Kluth, in: R. Stober/H. Vogel (Hrsg.), Wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand, 2000, 23 (26, 32 f.); M. Ronellenfitsch, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), HdbStR, Bd. IV, 2006, § 98 Rn. 40. Vgl. auch W. Brohm, NJW 1994, 281 (283). 431 Siehe S. 97 ff.

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klaren erwerbswirtschaftlichen Ziel dienen und deren Allgemeinwohlzwecke vorgeschoben sind. In der wettbewerbsrechtlichen Betrachtung und vom Standpunkt des Gemeinschaftsrechts ist nämlich auf die tatsächlichen Verhältnisse abzustellen.432 Zweitens muß die von einem öffentlichen Unternehmen ausgeübte Tätigkeit selbst im Allgemeininteresse liegen. Unzulässig zur Begründung ihres hoheitlichen Charakters wären mittelbare Kettenherleitungen der Allgemeinwohlbezogenheit, etwa mit dem Argument, die Tätigkeit diene der Erschließung zusätzlicher Mittel für die Staatskasse zur Finanzierung öffentlicher Aufgaben. Ein weiteres Merkmal hoheitlicher Tätigkeit sieht der Europäische Gerichtshof darin, daß diese dazu diene, wesentliche Staatsaufgaben zu erledigen bzw. grundlegende Aufgaben der Staatsgewalt zu erfüllen.433 Die Beschränkung hoheitlichen Handelns (im Sinne des Gemeinschaftsrechts) auf wesentliche bzw. grundlegende Staatsaufgaben zielt erkennbar auf die bereits beschriebene Problematik ab, daß die Mitgliedstaaten im Rahmen ihres Rechtsrahmens selbst bestimmen können, welche Aufgaben staatliche Stellen im öffentlich-rechtlichen Regime (im Sinne des nationalen Rechts) erfüllen sollen. Wettbewerbsrecht ausschließendes Staatshandeln soll gemeinschaftsrechtlich nur in einem Kernbereich staatlicher Aufgabenerfüllung anerkannt werden.434 Dennoch bleibt vom Europäischen Gerichtshof ungeklärt, was nun wesentliche und unwesentliche Staatsaufgaben sind.435 Diesbezüglich wird man nur klar aus der Rechtsprechung in den Rechtssachen SAT Fluggesellschaft/Eurocontrol436 sowie Diego Cali & Figli437 ablesen können, daß jedenfalls der gesamte Bereich der präventiven Gefahrenabwehr zu den wesentlichen Staatsaufgaben gehört. Der Generalanwalt Giuseppe Tesauro benennt als weitere Bereiche die allgemeine Verwaltung, Finanzverwaltung, Justiz und Landesverteidigung.438

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Vgl. S. 54 ff. Vgl. EuGH, Urt. v. 18.3.1997, Rs. C-343/95, Slg. 1997, I-1547 Rn. 22 – Diego Cali & Figli. 434 Vgl. dazu auch C. Jennert, WuW 2004, 37 (44), nach dem „grundsätzlich sämtliche, nicht zum Kernbereich mitgliedstaatlicher Souveränität zählende Tätigkeiten den Grundfreiheiten und den Wettbewerbsregeln unterliegen“. 435 Daher diesen Ansatz ablehnend G. Wilms, Das Europäische Gemeinschaftsrecht und die öffentlichen Unternehmen, 1996, S. 109 f. 436 EuGH, Urt. v. 19.1.1994, Rs. C-364/92, Slg. 1994, I-43 Rn. 27 ff. – SAT Fluggesellschaft/Eurocontrol. 437 EuGH, Urt. v. 18.3.1997, Rs. C-343/95, Slg. 1997, I-1547 Rn. 22 ff. – Diego Cali & Figli. 438 Schlußanträge des Generalanwalts Giuseppe Tesauro v. 10.11.1993, Rs. C-364/ 92, Slg. 1994, I-43 Tn. 9 – SAT Fluggesellschaft/Eurocontrol. 433

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Ein weiteres Kennzeichen hoheitlicher Tätigkeit ist in den Schlußanträgen der Generalanwälte Giuseppe Tesauro und Georges Cosmas in den Rechtssachen SAT Fluggesellschaft/Eurocontrol sowie Diego Cali & Figli herausgestellt worden. Danach sind hoheitliche Tätigkeiten nicht geeignet, im Wettbewerb ausgeübt zu werden, weil Wettbewerb die Aufgabenerfüllung gefährden oder zunichte machen würde.439 Die Ungeeignetheit einer Tätigkeit, im Wettbewerb ausgeübt zu werden, soll an den Beispielen der Flugverkehrs- und der Umweltüberwachung verdeutlicht werden: Könnten sich die zur Vermeidung von Gefahren und zur Feststellung von Gesetzesverstößen Überwachten ihren Überwacher aus einer Zahl konkurrierender Anbieter auswählen, würde die Wahl auf denjenigen fallen, der ihnen am wenigsten Probleme bereitet. Die Überwachten wären wahrscheinlich sogar bereit, demjenigen ein höheres Entgelt zu bezahlen, der sich ihnen gegenüber bei der Gesetzesanwendung besonders großzügig gibt oder seine Pflichten vernachlässigt. Dagegen würde ein Anbieter, der im Interesse einer sicheren Luftfahrt oder eines wirksamen Umweltschutzes strengere Maßstäbe anlegt, schnell aus diesem Markt verschwinden. Ein solcher Wettbewerb würde in diesen Sektoren letztlich eine wirksame Aufgabenerfüllung verhindern. Die Überwachung Dritter im Rahmen der Gefahrenabwehr hat somit Züge eines natürlichen Monopols.440 Solche Denkmodelle sind auch auf andere Aufgabenbereiche (z. B. auf das Steuer- und Abgabenwesen) übertragbar. Schließlich kann der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes entnommen werden, daß die Betrauung eines Unternehmens mit der Wahrnehmung einer öffentlichen Aufgabe als eine hoheitliche Tätigkeit der Verwaltung angesehen wird.441 d) Im Schrifttum vertretene Ansichten und Stellungnahme In der Literatur wird bei der Abgrenzung zwischen hoheitlicher und nichthoheitlicher Tätigkeit (oftmals als Abgrenzung zwischen hoheitlicher und wirtschaftlicher Tätigkeit bezeichnet442) unter anderem darauf abgestellt, ob „eine 439 Schlußanträge des Generalanwalts Giuseppe Tesauro v. 10.11.1993, Rs. C-364/ 92, Slg. 1994, I-43 Tn. 13 – SAT Fluggesellschaft/Eurocontrol; Schlußanträge des Generalanwalts Georges Cosmas v. 10.12.1996, Rs. 343/95, Slg. 1997, I-1547 Tn. 49 – Diego Cali & Figli. 440 Siehe zum Begriff des natürlichen Monopls S. Billinger, Das Pflichtversicherungsmonopol der gesetzlichen Krankenversicherung in der Bundesrepublik Deutschland im Lichte des EG-Vertrags, 2001, S. 126. Vgl. auch zur Durchführung von Ordnungsaufgaben durch öffentliche Unternehmen S. 100. 441 Siehe EuGH, Urt. v. 4.5.1988, Rs. 30/87, Slg. 1988, 2479 Rn. 18 – Bodson. Vgl. auch die Schlußanträge des Generalanwalts Francis G. Jakobs v. 17.5.2001, Rs. C-475/99, Slg. 2001, I-8089 Tn. 74 f. – Ambulanz Glöckner. 442 Vgl. auch S. 114 f.

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betroffene Tätigkeit ohne wesentliche Veränderung ihrer Rahmenbedingungen privatisierungsfähig wäre“443. Diesem Ansatz kann gefolgt werden, knüpft er doch nahtlos an das bereits oben dargestellte und aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes abgeleitete Merkmal hoheitlicher Tätigkeit an, nicht geeignet zu sein, im Wettbewerb ausgeübt zu werden. Hoheitsbefugnisse können notwendigerweise nur durch staatliche Stellen444 ausgeübt werden, da eine solche Rechtsmacht von einem Privaten nicht von sich aus aktiviert werden kann. Eine Beleihung dagegen erweist sich nicht als Privatisierung der Aufgabe. Der in der Literatur vertretenen Ansicht, ein Indiz für hoheitliche Tätigkeit ergäbe sich daraus, ob die zu beurteilende Tätigkeit traditionellerweise dem Staat zugeordnet ist,445 kann nicht gefolgt werden. Der Europäische Gerichtshof hat mehrfach eine wirtschaftliche Tätigkeit mit dem Argument bejaht, die Tätigkeit sei nicht immer von öffentlichen Einrichtungen betrieben worden und müsse nicht notwendig von solchen Einrichtungen betrieben werden.446 Das heißt, selbst wenn eine Tätigkeit immer (traditionell) vom Staat ausgeübt worden ist, bleibt sie grundsätzlich eine nichthoheitliche, sofern sie nicht auch vom Staat ausgeübt werden muß. Deshalb wurde die in Deutschland traditionell dem öffentlichen Bereich zuzurechnende Arbeitsvermittlung als wirtschaftliche Tätigkeit eingestuft.447 Die den tradierten Verhältnissen eine Indizwirkung gebende Ansicht beruht auf einer Verkennung der jüngeren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes. Er hatte in einigen Entscheidungen, in welchen eine hoheitliche Tätigkeit bejaht wurde, formuliert, jene Tätigkeiten hingen mit der Ausübung von Befugnissen und Vorrechten zusammen, die typischerweise hoheitliche seien.448 Von den Vertretern der auf die traditionellen Verhältnisse abstellenden Ansicht werden die Aussagen des Gerichtshofes falsch gelesen, nämlich so als hätte er ge443 K. W. Lange, WuW 2002, 953 (958). Vgl. auch J. Schwarze, in: ders. (Hrsg.), Europäisches Wettbewerbsrecht im Wandel, 2001, 69 (79); G. Wilms, Das Europäische Gemeinschaftsrecht und die öffentlichen Unternehmen, 1996, S. 111. 444 Einschließlich solcher Stellen, denen diese Hoheitsrechte zur Wahrnehmung übertragen wurden (internationale Organisationen wie Eurocontrol), sowie natürlicher oder juristischer Personen, welche man im deutschen Recht als Beliehene bezeichnen würde. 445 K. W. Lange, WuW 2002, 953 (958); J. Schwarze, in: ders. (Hrsg.), Europäisches Wettbewerbsrecht im Wandel, 2001, 69 (75). 446 EuGH, Urt. v. 23.4.1991, Rs. C-41/90, Slg. 1991, I-1979 Rn. 22 – Höfner und Elser; Urt. v. 25.10.2001, Rs. C-475/99, Slg. 2001, I-8089 Rn. 20 – Ambulanz Glöckner. 447 Vgl. EuGH, Urt. v. 23.4.1991, Rs. C-41/90, Slg. 1991, I-1979 Rn. 20 ff. – Höfner und Elser. 448 Vgl. EuGH, Urt. v. 19.1.1994, Rs. C-364/92, Slg. 1994, I-43 Rn. 30 – SAT Fluggesellschaft/Eurocontrol; Urt. v. 18.3.1997, Rs. C-343/95, Slg. 1997, I-1547 Rn. 23 – Diego Cali & Figli.

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sagt: Eine hoheitliche Tätigkeit ist gegeben, weil die zu beurteilende Tätigkeit typischerweise mit hoheitlichen Befugnissen ausgeübt wird. Dagegen bedeuten die verwendeten Formulierungen des Gerichtshofes ersichtlich folgendes: Die wirksame Ausübung der zu beurteilenden Tätigkeit hängt notwendig mit Befugnissen und Vorrechten zusammen, welche typischerweise (im Sinne von beispielhaft) hoheitliche sind.449 Andere Ansätze versuchen, den Bereich des von den Wettbewerbsregeln ausgenommenen hoheitlichen Handelns auf bestimmte Staatsfunktionen zu beschränken. So wird beispielsweise vertreten, die Herausnahme der hoheitlichen Tätigkeit des Staates aus dem direkten Anwendungsbereich der Art. 81 und 82 EG betreffe allein den Staat als Gesetz- bzw. Verordnungsgeber450 oder es würde nur eine Tätigkeit erfaßt, welche von ihrer Natur her ausschließlich eine solche ist, die notwendigerweise Teil der Regierung oder der Gesetzgebung ist451. Diesen Ansätzen kann nicht gefolgt werden. Zunächst erscheint es offenkundig, daß Hoheitsgewalt in allen Funktionsbereichen der Staatsgewalt ausgeübt wird, insbesondere und gerade auch im Bereich der Rechtsprechung. Ferner widerspricht es jeder natürlichen Betrachtungsweise, Verwaltungshandeln – im Gegensatz zum Regierungshandeln – als grundsätzlich nichthoheitlich anzusehen bzw. hoheitliches Handeln auf abstrakt-generelle Normsetzung zu beschränken. Für solche künstlichen Reduzierungen zur Erweiterung des Anwendungsbereichs der Wettbewerbsregeln gibt es im EG-Vertrag keine Anhaltspunkte, und den genannten Ansichten steht auch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes eindeutig entgegen.452 Weiterhin wird im Schrifttum dargelegt, die inhaltliche Bestimmung dessen, was hoheitliche Tätigkeit ausmacht, müsse in Anlehnung an die Art. 39 Abs. 4, Art. 45 Abs. 1, Art. 55 EG vorgenommen werden.453

449

Vgl. auch S. 119. D. Neumann, Kartellrechtliche Sanktionierung von Wettbewerbsbeschränkungen im Gesundheitswesen, 2000, S. 99. 451 G. Wilms, Das Europäische Gemeinschaftsrecht und die öffentlichen Unternehmen, 1996, S. 111. 452 Vgl. z. B. EuGH, Urt. v. 4.5.1988, Rs. 30/87, Slg. 1988, 2479 Rn. 18 – Bodson: Konzessionsverträge zwischen Gemeinde und Unternehmen; Urt. v. 18.3.1997, Rs. C343/95, Slg. 1997, I-1547 Rn. 22 f. – Diego Cali & Figli: präventive Umweltüberwachung. Vgl. auch die Schlußanträge des Generalanwalts Francis G. Jakobs v. 17.5. 2001, Rs. C-475/99, Slg. 2001, I-8089 Tn. 76 – Ambulanz Glöckner: Krankentransportgenehmigung; Kommission, Entscheidung v. 30.4.2003, ABl. EU 2003 Nr. L 300/ 62 Rn. 42 – DaimlerChrysler/Deutsche Telekom/JV: Mauterhebung. 453 Vgl. C. Jennert, WuW 2004, 37 (43 f.). Siehe auch E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2004, § 33 Rn. 29; F. Montag/C. Leibenath, in: M. Heidenhain (Hrsg.), Handbuch des Europäischen Beihilfenrechts, 2003, § 30 Rn. 26; G. Wilms, Das Europäische Gemeinschaftsrecht und die öffentlichen Unternehmen, 1996, S. 112. 450

C. Wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand

125

Art. 39 Abs. 4 EG enthält bezogen auf die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft eine Ausnahmebestimmung für die „Beschäftigung in der öffentlichen Verwaltung“. Unter einer Beschäftigung in der öffentlichen Verwaltung im Sinne dieser Vorschrift versteht der Europäische Gerichtshof Tätigkeiten, die eine unmittelbare oder mittelbare Teilnahme an der Ausübung hoheitlicher Befugnisse darstellen und mit denen Aufgaben wahrgenommen werden, die auf die Wahrung der allgemeinen Belange des Staates oder anderer öffentlicher Körperschaften gerichtet sind.454 Art. 45 Abs. 1 EG bestimmt, daß die Vorschriften über die Niederlassungsfreiheit nicht auf Tätigkeiten anzuwenden sind, die in einem Mitgliedstaat dauernd oder zeitweise mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden sind. Art. 55 EG verweist für die Dienstleistungsfreiheit auf diese Ausnahmebestimmung. Zutreffend ist, daß die dem Wettbewerbsrecht immanente, sich auch im Unternehmensbegriff widerspiegelnde Ausnahme zugunsten der hoheitlichen Tätigkeit in Anlehnung an die ausdrücklichen Ausnahmebestimmungen der Art. 39 Abs. 4, Art. 45 Abs. 1, Art. 55 EG zu interpretieren ist, da die Ausnahmeregelungen Ausdruck einer einheitlichen Systematik des EG-Vertrags sind.455 Dennoch reicht es nicht aus, für das Wettbewerbsrecht einfach auf diese ausdrücklichen Bestimmungen zu verweisen456, da auch sie nicht definieren, was unter „Ausübung hoheitlicher Befugnisse“ oder „öffentlicher Gewalt“ zu verstehen ist. Ein weiterer Abgrenzungsansatz in der Literatur geht davon aus, daß sämtliche nicht zum Kernbereich mitgliedstaatlicher Souveränität zählenden Tätigkeiten den Wettbewerbsregeln (und Grundfreiheiten) unterliegen.457 Danach sind – im Umkehrschluß – hoheitliche Tätigkeiten nur solche, die zum Kernbereich mitgliedstaatlicher Souveränität gehören. Gerade hinsichtlich des Umkehrschlusses, d. h. der inhaltlichen Konkretisierung des gemeinschaftsrechtlichen Begriffes hoheitlicher Tätigkeit, geht diese Literaturauffassung mit den oben aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes abgeleiteten Merkmalen hoheitlicher Tätigkeit einher, nämlich Erledigung wesentlicher Staatsaufgaben bzw. Erfüllung grundlegender Aufgaben der Staatsgewalt458. Nicht gefolgt werden kann dieser Ansicht aber darin, daß alles das, was nicht zum Souveränitätskern zählt, als wirtschaftliche Tätigkeit

454 Vgl. EuGH, Urt. v. 15.1.1998, Rs. C-15/96, Slg. 1998, I-47 Rn. 13 – SchöningKougebetopoulou. Siehe näher zu der Ausnahmebestimmung des Art. 39 Abs. 4 EG U. Wölker/G. Grill, in: von der Groeben/Schwarze I Artikel 39 EG Rn. 155 ff. 455 Vgl. C. Jennert, WuW 2004, 37 (44 f.). 456 So aber G. Wilms, Das Europäische Gemeinschaftsrecht und die öffentlichen Unternehmen, 1996, S. 112. 457 Vgl. C. Jennert, WuW 2004, 37 (44 ff.). 458 Siehe S. 121.

126

1. Kap.: Der Unternehmensbegriff des Europäischen Wettbewerbsrechts

den Wettbewerbsregeln unterliege, weil alles, was nicht hoheitlich ist, wirtschaftlich sein soll459. Vielmehr existieren auch Tätigkeiten, welche nichthoheitliche und nichtwirtschaftliche zugleich sind.460

D. Exkurs: Der Unternehmensbegriff im deutschen Kartellrecht Den unternehmensbezogenen Wettbewerbsregeln des Europäischen Wettbewerbsrechts entsprechende Vorschriften des deutschen Rechts finden sich im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB). Dem Kartellverbot des Art. 81 EG entspricht § 1 GWB und dem Regelungsbereich des Art. 82 EG (Mißbrauch marktbeherrschender Stellung) korrespondieren die Bestimmungen der §§ 19 ff. GWB. Auch im Rahmen dieser nationalen Wettbewerbsvorschriften wird das Tatbestandsmerkmal des Unternehmens verwendet, und ihm kommt bei der Rechtsanwendung entscheidende Bedeutung zu. Im folgenden sollen daher Funktion und Inhalt des Unternehmenstatbestandes im deutschen Kartellrecht kurz dargestellt und die weitgehende Übereinstimmung mit dem gemeinschaftsrechtlichen Unternehmensbegriff aufgezeigt werden. Die gemeinschaftsrechtliche Interpretation beruht nämlich ursprünglich weitgehend auf den zuvor für die nationalen Kartellrechtsordnungen gefundenen Ansätzen. Seit einiger Zeit ist jedoch umgekehrt zu beobachten, daß sich Rechtsetzung und Interpretation des nationalen Rechts durch Gesetzgeber und Rechtsprechung zunehmend an die Entwicklung im Europäischen Wettbewerbsrecht anpassen.461 I. Sprachgebrauch Während der Begriff des Wettbewerbsrechts auf der Ebene des europäischen Primärrechts klar den Art. 81 ff. EG zuzuordnen ist, kann er im deutschen Recht nicht auf die diesen Regelungen entsprechenden Normen des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen begrenzt werden. Der Begriff des Wettbewerbsrechts ist im deutschen Recht weiter; insbesondere umfaßt er gerade auch 459

So aber C. Jennert, WuW 2004, 37 (43 f.). Siehe zur Begründung S. 114 f. 461 Vgl. BT-Drucks. 15/3640 S. 21 ff. Siehe auch § 23 GWB-E nach dem Regierungsentwurf v. 12.8.2004 (BT-Drucks. 15/3640 S. 9, 47): „Die Grundsätze des europäischen Wettbewerbsrechts sind bei der Anwendung der §§ 1 bis 4 und 19 maßgeblich zugrunde zu legen, soweit hierzu nicht in diesem Gesetz besondere Regelungen enthalten sind.“ Der Bundesrat lehnte diese Neuregelung zwar ab, stellte aber fest (BR-Drucks. 441/04 [B] S. 5): „Dass das künftig eng an das europäische Recht angepasste nationale Kartellgesetz im Lichte eben dieser europäischen Regeln auszulegen sein wird, ist eine methodische Selbstverständlichkeit.“ 460

D. Exkurs: Der Unternehmensbegriff im deutschen Kartellrecht

127

das Unlauterkeitsrecht, welches vornehmlich im Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) seine Rechtsquelle findet. Der wettbewerbsrechtliche Regelungskreis des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen wird als Kartellrecht bezeichnet. Regelmäßig wird der Begriff „Wettbewerbs- und Kartellrecht“ zur Kennzeichnung des gesamten Rechtsgebiets verwendet.462 Zur sprachlich genauen Bezeichnung des hier dargestellten nationalen Unternehmensbegriffes wird daher nicht die Bezeichnung „deutsches Wettbewerbsrecht“ (als Vergleichsgegenstand zum Europäischen Wettbewerbsrecht) herangezogen, sondern die engere Bezeichnung „deutsches Kartellrecht“, welche auf die den Art. 81 ff. EG korrespondierenden Normen verweist. II. Funktion des Unternehmenstatbestandes im deutschen Kartellrecht Die materiell-rechtlichen Bestimmungen des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen befinden sich fast ausschließlich in seinem ersten und vierten Teil, wobei letzter die Vergabe öffentlicher Aufträge regelt und somit dem öffentlichen Vergaberecht zuzuordnen ist. Die kartellrechtlichen Bestimmungen befinden sich im ersten Teil (§§ 1 bis 47 GWB), welcher die Überschrift „Wettbewerbsbeschränkungen“ trägt. Ausweislich ihrer tatbestandlichen Fassungen gelten die kartellrechtlichen Bestimmungen für Unternehmen und ihre Vereinigungen. Der Unternehmenstatbestand erfüllt demnach zunächst die Funktion, den persönlichen Anwendungsbereich der kartellrechtlichen Bestimmungen festzulegen; die Normadressateneigenschaft einer Einheit, Einrichtung, natürlichen oder juristischen Person richtet sich danach, ob sie ein Unternehmen (oder eine Unternehmensvereinigung) ist.463 Der persönliche Anwendungsbereich des Kartellrechts hängt daher in erster Linie von der engen oder weiten Fassung des Unternehmensbegriffes ab.464 Ohne daß sich dies bereits aus Wortlaut oder Systematik erschließen ließe, hat der Unternehmensbegriff im Rahmen des auch im deutschen Recht vorherrschenden funktionalen Verständnisses ferner die Funktion, den sachlichen Anwendungsbereich der kartellrechtlichen Vorschriften mitzubestimmen.465

462

Vgl. F. Rittner, Wettbewerbs- und Kartellrecht, 1999, Einleitung Rn. 1 ff. Vgl. H.-J. Bunte, in: Langen/Bunte I § 1 Rn. 12. 464 V. Emmerich, Kartellrecht, 2006, § 20 Rn. 4; F. Rittner, Wettbewerbs- und Kartellrecht, 1999, § 6 Rn. 3. 465 Siehe S. 129 f. 463

128

1. Kap.: Der Unternehmensbegriff des Europäischen Wettbewerbsrechts

III. Unternehmensbegriff Wer oder was ein Unternehmen im Sinne des deutschen Kartellrechts ist, ist nach einhelliger Auffassung in Rechtsprechung und Literatur aufgrund eines funktionalen Begriffsverständnisses zu entscheiden.466 Somit enthält das Tatbestandsmerkmal des Unternehmens einen in spezifischer Weise am Zweck des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen ausgerichteten Begriffsinhalt.467 Dieser Gesetzeszweck besteht darin, einen funktionsfähigen wirksamen Wettbewerb als Grundlage einer durch den Markt geordneten Wirtschaft, d. h. einen Wettbewerb, der seine volkswirtschaftliche Aufgabe möglichst gut erfüllt, zu gewährleisten468 und die Freiheit des Wettbewerbs zum Wohle der Allgemeinheit, der Verbraucher und Marktteilnehmer sicherzustellen469. „Das Ziel wird nicht um seiner selbst willen, sondern letztlich zur Erhaltung einer auf der Privatautonomie beruhenden freiheitlichen Ordnung angestrebt“.470 Aus dem Gesetzeszweck wird daher geschlossen, daß das Tatbestandsmerkmal des Unternehmens weit auszulegen sei.471 Nach der Rechtsprechung stellt „jedwede Tätigkeit im geschäftlichen Verkehr“ ein Unternehmen im Sinne des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkun466 BGH, WuW/E BGH 1661 (1662) – Berliner Musikschule; WuW/E DE-R 349 (350) – Beschränkte Ausschreibung; OLG Düsseldorf, WuW/E DE-R 585 (587) – Kfz-Werkstätten; OLG Koblenz, OLGR Koblenz 2001, 93; J. F. Baur, in: FS für O.-F. Frhr. v. Gamm, 1990, 525; R. Bechtold, in: ders., Kartellgesetz – Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, 2006, § 1 Rn. 6; H. Bruhn, DStR 1994, 1539; H.-J. Bunte, in: Langen/Bunte I § 1 Rn. 13; U. Huber/T. Baums, in: FK § 1 GWB a. F. Rn. 41 (Stand: Januar 1993); M. Krasney, Die Anwendbarkeit des Kartellrechts auf die Rahmenverträge in der Gesetzlichen Krankenversicherung am Beispiel der Verträge nach §§ 125 Abs. 2, 127 Abs. 1 SGB V, 2005, S. 73 ff.; D. Neumann, Kartellrechtliche Sanktionierung von Wettbewerbsbeschränkungen im Gesundheitswesen, 2000, S. 70 ff.; W. Odersky, in: Wege und Verfahren des Verfassungslebens – FS für P. Lerche, 1993, 949 (951); H. Poth, NZA 1989, 626 (629); T. H. Schwarz, BB 1973, 1283 (1284 f.); G. Wiedemann, in: ders. (Hrsg.), Handbuch des Kartellrechts, 1999, § 4 Rn. 9; D. Zimmer, in: Immenga/Mestmäcker, GWB § 1 Rn. 24 ff. 467 Siehe allgemein zur rechtswissenschaftlichen Methode der funktionalen Begriffsbildung S. 49 ff. 468 Vgl. BT-Drucks. VI/2520 S. 34; BGH, WuW/E BGH 1685 (1687) – SpringerElbe Wochenblatt = BGHZ 76, 55 (64). 469 Vgl. BGH, WuW/E BGH 2627 (2632) – Sportübertragungen = BGHZ 110, 371 (380); WuW/E DE-R 289 (291) – Lottospielgemeinschaft. 470 BGH, WuW/E BGH 1685 (1687) – Springer-Elbe Wochenblatt = BGHZ 76, 55 (64). 471 BGH, WuW/E DE-R 289 (291) – Lottospielgemeinschaft; KG, WuW/E OLG 4914 (4917) – Mustermietvertrag II; OLG Düsseldorf, WuW/E DE-R 233 (235) – Inkontinenzhilfen; Pharma Recht 1999, 283 (291); WuW/E DE-R 585 (587) – KfzWerkstätten; H. Bruhn, DStR 1994, 1539; H.-J. Bunte, in: Langen/Bunte I § 1 Rn. 13; J. Fante, Die Instrumentalisierung des öffentlichen Beschaffungswesens zur Durchsetzung politischer Ziele, 2004, S. 152; D. Zimmer, in: Immenga/Mestmäcker, GWB § 1 Rn. 30.

D. Exkurs: Der Unternehmensbegriff im deutschen Kartellrecht

129

gen dar.472 Dieser Definition schließt sich – teilweise mit kleineren Erläuterungen oder Konkretisierungen – auch die Literatur weitgehend an.473 Das Begriffsverständnis ist somit eindeutig tätigkeitsbezogen und enthält eine Absage an einen institutionellen Unternehmensbegriff. Ferner ist die Unternehmenseigenschaft unabhängig von der Rechtsform des Handelnden.474 Dagegen sind die für Unternehmen geltenden wettbewerbsrechtlichen Verhaltensregeln des deutschen Kartellrechts nicht unabhängig von der rechtlichen Handlungsform anzuwenden. Als nach herrschender Ansicht auf der Gleichordnungsebene existierende – und damit als privatrechtliche – Normen sind sie grundsätzlich nicht auf in öffentlich-rechtlicher Handlungsform ergehende Maßnahmen anzuwenden, es sei denn, von diesen Maßnahmen gehen privatrechtliche Nebenwirkungen aus.475 Mit dem Merkmal der Tätigkeit im geschäftlichen Verkehr soll der Unternehmensbegriff im deutschen Kartellrecht zunächst eine Abgrenzungsfunktion zu den vom Kartellrecht nicht erfaßten Lebensbereichen erfüllen, nämlich zum privaten Endverbrauch und hoheitlichen Handeln.476 Regelmäßig wird auch ein wettbewerbsrechtlicher Ausschluß von den Arbeitsmarkt betreffenden Tätigkeiten (insbesondere Tarifverhandlungen und -vereinbarungen) an diesem Merkmal festgemacht.477 Aus diesen Gründen werden in der Literatur der vorstehend dargestellten Definition zur Verdeutlichung ihrer Abgrenzungsfunktion oftmals aus472 Ständige Rechtsprechung, vgl. BGH, WuW/E BGH 442 (449) – Gummistrümpfe = BGHZ 36, 91 (103); WuW/E DE-R 289 (291) – Lottospielgemeinschaft. 473 Vgl. R. Bechtold, NJW 1993, 1896 (1897); W. Boecken, NZS 2000, 269 (270 f.); M. Krasney, Die Anwendbarkeit des Kartellrechts auf die Rahmenverträge in der Gesetzlichen Krankenversicherung am Beispiel der Verträge nach §§ 125 Abs. 2, 127 Abs. 1 SGB V, 2005, S. 74 f.; K.-H. Mühlhausen, Der Mitgliederwettbewerb innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung, 2002, S. 83; J.-B. Nordemann, in: U. Loewenheim/K. M. Meessen/A. Riesenkampff (Hrsg.), Kartellrecht, Bd 2: GWB, 2006, § 1 Rn. 18 ff.; W. Odersky, in: Wege und Verfahren des Verfassungslebens – FS für P. Lerche, 1993, 949 (951); H. Poth, NZA 1989, 626 (629); H.-D. Steinmeyer, Wettbewerbsrecht im Gesundheitswesen, 2000, S. 20 f.; D. Zimmer, in: Immenga/ Mestmäcker, GWB § 1 Rn. 30 ff. Siehe aber auch U. Huber/T. Baums, in: FK § 1 GWB a. F. Rn. 41 (Stand: Januar 1993). 474 BGH, WuW/E BGH 442 (448 f.) – Gummistrümpfe = BGHZ 36, 91 (103); NJW 2000, 866 (867) – Kartenlesegerät (insoweit nicht bei WuW/E DE-R 352 abgedruckt). 475 Siehe dazu näher S. 132 ff. 476 Vgl. J. Fante, Die Instrumentalisierung des öffentlichen Beschaffungswesens zur Durchsetzung politischer Ziele, 2004, S. 153 ff.; U. Huber/T. Baums, in: FK § 1 GWB a. F. Rn. 39 (Stand: Januar 1993); D. Zimmer, in: Immenga/Mestmäcker, GWB § 1 Rn. 24 ff. 477 Vgl. H.-J. Bunte, in: Langen/Bunte I § 1 Rn. 27 f.; U. Huber/T. Baums, in: FK § 1 GWB a. F. Rn. 74 ff. (Stand: Januar 1993); H. Poth, NZA 1989, 626 (629 f.); D. Zimmer, in: Immenga/Mestmäcker, GWB § 1 Rn. 27. Siehe auch C. Jäger, Die Anwendbarkeit des GWB auf die Verbandsarbeit der Deutschen Arbeitgeberverbände, 1998, S. 134 ff. und 269 f., der die Verneinung der Unternehmenseigenschaft aber selbst ablehnt.

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1. Kap.: Der Unternehmensbegriff des Europäischen Wettbewerbsrechts

schließende Erläuterungen hinzugefügt.478 Somit erfüllt der funktional verstandene Unternehmensbegriff auch die Aufgabe, den sachlichen Anwendungsbereich des Kartellrechts mitzubestimmen. Die durch eine bestimmte Tätigkeit begründete Unternehmenseigenschaft (Normadressatenstellung) ist allein auf dieses Tätigkeitsfeld beschränkt. Auf den Bereich eines anderen Tätigkeitsfeldes, welches nicht dem Geschäftsverkehr zuzuordnen ist, wird die Unternehmenseigenschaft grundsätzlich nicht erstreckt. Eine Einrichtung bzw. natürliche oder juristische Person kann somit hinsichtlich einer bestimmten Tätigkeit als Unternehmen gelten, während sie in anderweitigen Zusammenhang den Normen des Kartellrechts mangels Unternehmenseigenschaft nicht unterworfen ist.479 Eine Tätigkeit im geschäftlichen Verkehr wird im Anbieten oder Nachfragen von Waren oder Dienstleistungen auf einem Markt gesehen.480 Oftmals wird auch formuliert, eine Tätigkeit im geschäftlichen Verkehr sei jede Tätigkeit, die auf den Austausch von Waren oder Dienstleistungen gerichtet ist.481 „Tätigkeit im geschäftlichen Verkehr“ wird weitgehend mit wirtschaftlicher Tätigkeit gleichgesetzt.482 Nur ganz vereinzelt wird in der Literatur vertreten, daß ein Unternehmen nur dann vorliegen könne, wenn es nicht ausschließlich als Nachfrager, sondern auch als Anbieter tätig sei (sog. Zweifrontentheorie).483 Diese Ansicht wirkt 478 Vgl. beispielsweise D. Zimmer, in: Immenga/Mestmäcker, GWB § 1 Rn. 32: „jede nicht lediglich dem privaten Verbrauch dienende Tätigkeit im geschäftlichen Verkehr“. Siehe auch U. Huber/T. Baums, in: FK § 1 GWB a. F. Rn. 41 (Stand: Januar 1993); W. Odersky, in: Wege und Verfahren des Verfassungslebens – FS für P. Lerche, 1993, 949 (951); H. Poth, NZA 1989, 626 (629); H.-D. Steinmeyer, Wettbewerbsrecht im Gesundheitswesen, 2000, S. 20. 479 Vgl. M. Krasney, Die Anwendbarkeit des Kartellrechts auf die Rahmenverträge in der Gesetzlichen Krankenversicherung am Beispiel der Verträge nach §§ 125 Abs. 2, 127 Abs. 1 SGB V, 2005, S. 75 f.; D. Neumann, Kartellrechtliche Sanktionierung von Wettbewerbsbeschränkungen im Gesundheitswesen, 2000, S. 72; H.-D. Steinmeyer, Wettbewerbsrecht im Gesundheitswesen, 2000, S. 21. 480 Vgl. BGH, NJW 2000, 866 (868) – Kartenlesegerät (insoweit nicht bei WuW/E DE-R 352 abgedruckt); NJW 2000, 3426 (3427 f.) – Zahnersatz aus Manila; H.-J. Bunte, in: Langen/Bunte I § 1 Rn. 13. 481 Vgl. BGH, WuW/E BGH 1253 (1257) – Nahtverlegung; J.-B. Nordemann, in: U. Loewenheim/K. M. Meessen/A. Riesenkampff (Hrsg.), Kartellrecht, Bd. 2: GWB, 2006, § 1 Rn. 19. 482 Vgl. BGH, WuW/E DE-R 1087 (1089) – Ausrüstungsgegenstände für Feuerlöschzüge = BGHZ 152, 347 (351); R. Bechtold, in: ders., Kartellgesetz – Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, 2006, § 1 Rn. 6; I. Ebsen, in: G. Igl (Hrsg.), Das Gesundheitswesen in der Wettbewerbsordnung, 2000, 22 (27); U. Huber/T. Baums, in: FK § 1 GWB a. F. Rn. 41 (Stand: Januar 1993); F. J. Säcker, in: ders. (Hrsg.), Fallbuch Kartellrecht, Wettbewerbsrecht, Markenrecht, 2001, S. 18. 483 H. Müller-Henneberg, in: ders. (Begr.)/G. Schwartz (Begr.)/W. Benisch (Hrsg.), Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen und Europäisches Kartellrecht – Gemeinschaftskommentar, 1. Lieferung 1980 §§ 1–4 GWB, § 1 Rn. 6, der jedoch die Be-

D. Exkurs: Der Unternehmensbegriff im deutschen Kartellrecht

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sich insbesondere bei der Beschaffungstätigkeit der öffentlichen Hand aus, welche Güter und Dienstleistungen oftmals nicht für geschäftliche, sondern für Zwecke ihrer hoheitlichen Tätigkeit erwirbt und daher mit keinem wirtschaftlichen Angebot auf einem Markt auftritt.484 Der Zweifrontentheorie entgegengesetzt, entspricht es der langjährigen und ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung und fast einhelligen Auffassung im Schrifttum, daß im deutschen Kartellrecht die Unternehmenseigenschaft auch durch die Nachfrage nach Gütern oder Dienstleistungen als solche – und damit unabhängig von der Verwendungsseite – begründet werden kann.485 Eine Einheit, Einrichtung oder Person kann die Unternehmenseigenschaft auch dann aufweisen, wenn sie gegenwärtig tatsächlich noch nicht als Anbieter oder Nachfrager am Marktgeschehen teilnimmt. Auch sog. potentielle Unternehmen werden vom Unternehmensbegriff des deutschen Kartellrechts erfaßt. Eine gegenwärtig nicht unternehmerisch tätige Einheit, Einrichtung oder Person gilt als (potentielles) Unternehmen, wenn ihre Marktteilnahme unter den gegebenen Umständen nicht nur theoretisch bzw. mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit als möglich erscheint.486 IV. Wirtschaftliche Tätigkeit der öffentlichen Hand Betätigt sich die öffentliche Hand im geschäftlichen Verkehr bzw. wirtschaftlich ist auch sie den wettbewerblichen Spielregeln des deutschen Kartellrechts grundsätzlich unterworfen. Ausdrücklich wird in § 130 Abs. 1 S. 1 GWB klargestellt, daß das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen auch auf Unternehmen Anwendung findet, die ganz oder teilweise im Eigentum der öffentlichen Hand stehen oder die von ihr verwaltet oder betrieben werden. Eine allgemeine „Sonderstellung“ der öffentlichen Hand, welche ihre Ausnahme von den wettbewerbsrechtlichen Verhaltensregeln geböte, wird vom deutschen Kartellrecht gerade nicht anerkannt.

zeichnung „Zweifrontentheorie“ ablehnt, da es nach seiner Auffassung unwesentlich sei, ob ein Rechtssubjekt an beiden Fronten des Marktes tätig wird und es nur darauf ankomme, daß ein Rechtssubjekt als Anbieter auftrete. 484 Vgl. T. H. Schwarz, BB 1973, 1283 ff. 485 BGH, WuW/E BGH 442 (449) – Gummistrümpfe = BGHZ 36, 91 (103); WuW/ E DE-R 1087 (1089) – Ausrüstungsgegenstände für Feuerlöschzüge = BGHZ 152, 347 (351 f.); U. Huber/T. Baums, in: FK § 1 GWB a. F. Rn. 45 (Stand: Januar 1993); W. Odersky, in: Wege und Verfahren des Verfassungslebens – FS für P. Lerche, 1993, 949 (953 f.); T. H. Schwarz, BB 1973, 1283 (1284). 486 Vgl. OLG Schleswig, NJW-RR 1997, 292; LG Dortmund, WuW/E LG/AG 467 f.; R. Bechtold, in: ders., Kartellgesetz – Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, 2006, § 1 Rn. 8; H.-J. Bunte, in: Langen/Bunte I § 1 Rn. 29; K. Haberkorn, GRUR 1962, 449 (450); R. Kanzleiter, DNotZ 1989, 195 (198 f.); D. Zimmer, in: Immenga/Mestmäcker, GWB § 1 Rn. 41.

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1. Kap.: Der Unternehmensbegriff des Europäischen Wettbewerbsrechts

„Die Teilnahme am allgemeinen Geschäftsverkehr durch einen Träger hoheitlicher Gewalt verliert den Charakter einer geschäftlichen, den Bindungen des Kartellrechts unterliegenden Tätigkeit nicht schon deshalb, weil mit ihr auch öffentliche Aufgaben erfüllt oder öffentlichen Interessen genügt werden soll. Greift ein Hoheitsträger bei der Erfüllung seiner Aufgaben zu den von der Privatrechtsordnung bereitgestellten Mitteln, unterliegt er den gleichen Beschränkungen wie jeder andere Teilnehmer am privatrechtlich organisierten Markt und hat dabei insbesondere die durch das Wettbewerbsrecht gezogenen Grenzen einer solchen Tätigkeit zu beachten.“487

Die Unternehmenseigenschaft ist unabhängig von der Rechtsform der im geschäftlichen Verkehr bzw. wirtschaftlich tätigen Einheit oder Einrichtung. Der Staat selbst (Bund oder Land), Gemeinden sowie Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des Öffentlichen Rechts können ebenso Unternehmen sein wie privatrechtliche Handelsgesellschaften (Aktiengesellschaft, Gesellschaft mit beschränkter Haftung, offene Handelsgesellschaft), an denen die öffentliche Hand eine Beteiligung hält. Die Tätigkeiten von Regie- und Eigenbetrieben sind ihren Rechtsträgern zuzurechnen.488 V. Hoheitliches Handeln und deutsches Kartellrecht Auf hoheitliches Handeln ist das deutsche Kartellrecht nach Rechtsprechung und ganz überwiegender Ansicht in der Literatur grundsätzlich nicht anwendbar. Während im Europäischen Wettbewerbsrecht der Begriff der hoheitlichen Tätigkeit sehr eng verstanden wird und auf einen Kernbereich staatlicher (Grund-) Aufgabenwahrnehmung beschränkt bleibt,489 ist im deutschen Kartellrecht jedes in öffentlich-rechtlicher Rechtsform erfolgende Tätigwerden von den kartellrechtlichen Verhaltensmaßstäben grundsätzlich befreit.490 487

BGH, WuW/E DE-R 289 (293) – Lottospielgemeinschaft. Vgl. die Schlußanträge des Generalanwalts M. Poiares Maduro v. 10.11.2005, Rs. C-205/03 P, Slg. 2006, I-6295 Tn. 56 – FENIN. 489 Vgl. S. 120 ff. 490 Vgl. BT-Drucks. II/1158 S. 30 ff.; BGH, WuW/E BGH 442 (448 f.) – Gummistrümpfe = BGHZ 36, 91 (101); WuW/E BGH 1757 f. – Zahnprothetik; WuW/E BGH 2370 – importierte Fertigarzneimittel; WuW/E BGH 2603 (2605) – Neugeborenentransporte; WuW/E BGH 2919 (2921) – Orthopädisches Schuhwerk; LSG Essen, NZS 2000, 245 (249); OLG Celle, WuW/E OLG 4061 (4062) – Altenpfleger; OLG Düsseldorf, WuW/E OLG 3082 (3084) – Bundesverband der Ortskrankenkassen; WuW/E OLG 5255 – Krankenpflegehelfer und Altenpfleger; OLG München, WuW/E OLG 1823 – Hörgeräte; OLG Stuttgart, WuW/E OLG 1740 (1741) – Badeinstitut; WuW/E OLG 4257 (4258) – häusliche Krankenpflege; R. Bechtold, in: ders., Kartellgesetz – Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, 2006, § 1 Rn. 10; P. Behrens, in: G. Igl (Hrsg.), Das Gesundheitswesen in der Wettbewerbsordnung, 2000, 8 (19); W. Brohm, NJW 1994, 281 (286 f.); O. Esch, Rechtsfragen der Erbringung und Vergütung rettungsdienstlicher Leistungen, 2005, S. 289; M. Gaa, WRP 1997, 837 (839 f.); R. Giesen, in: Soziale Sicherheit und Wettbewerb, 2001, 123 (124); A. Jungbluth, in: Eugen Langen (Begr.)/Hermann-Josef Bunte (Hrsg.), Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, Bd. 1, 9. Aufl. Neuwied/Kriftel/Berlin 2001, § 130 Abs. 1 488

D. Exkurs: Der Unternehmensbegriff im deutschen Kartellrecht

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Für dieses Ergebnis gibt es zwei Begründungsansätze: Einerseits wird einer öffentlich-rechtlich handelnden Einheit insofern491 die Unternehmenseigenschaft und damit die Normadressatenstellung abgesprochen.492 Andererseits (bzw. parallel) wird argumentiert, die Anwendbarkeit der auf der Gleichordnungsebene angesiedelten, d. h. zivilrechtlichen493 Verhaltensregeln des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen auf öffentlich-rechtliche Rechtsverhältnisse sei von vornherein nicht gegeben.494 Dieser zweite und entscheidende Gesichtspunkt liegt letztlich auch der die Unternehmenseigenschaft verneinenden Argumentation zugrunde. Die Nichtanwendbarkeit des deutschen Kartellrechts auf öffentlich-rechtliches Handeln beruht somit auf der grundsätzlichen Zweiteilung der (deutschen) Rechtsordnung in Öffentliches Recht und Privatrecht. Nicht überzeugend ist dagegen die Begründung, hoheitliche Beschränkungen des Wettbewerbs, die stets auf einer gesetzlichen Grundlage beruhten, gingen den Wettbewerbsgesetzes vor, solange beide gesetzlichen Regelungen auf derselben Stufe der Normhierarchie stünden495. Nach diesem Ansatz müßte das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen als Bundesgesetz insbesondere für hoheitliche Tätigkeiten gelten, welche auf Landesgesetzen beruhen.496 Die

Rn. 8, 23 ff. m. w. N.; F. von Maltzahn, GRUR 1993, 235 (236) m. w. N.; F. Rittner, Wettbewerbs- und Kartellrecht, 1999, § 6 Rn. 4; G. Skorczyk, in: N. Klusen (Hrsg.), Europäischer Binnenmarkt und Wettbewerb – Zukunftsszenarien für die GKV, 2003, 93 (94); D. Stelzer, SozVers 2000, 141 (146); P. Wigge, in: Soziale Sicherheit und Wettbewerb, 2001, 79 (80). A. A. M. Heinze, SGb 1992, 33 (34); D. Neumann, WuW 1999, 961 (963 f.); H. Sodan, in: ders./J. Ziekow (Hrsg.), Verwaltungsgerichtsordnung – Großkommentar, 2006, § 40 Rn. 377 m. w. N.; ferner U. Becker, in: Soziale Sicherheit und Wettbewerb, 2001, 7 (27 f.) zum Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb. 491 Der Unternehmensbegriff ist tätigkeitsbezogen. 492 Vgl. V. Emmerich, Kartellrecht, 2006, § 20 Rn. 5; W. Odersky, in: Wege und Verfahren des Verfassungslebens – FS für P. Lerche, 1993, 949 (951); C. Stadler, in: Langen/Bunte I § 130 Rn. 17, 23. 493 Nach H. Sodan, in: ders./J. Ziekow (Hrsg.), Verwaltungsgerichtsordnung – Großkommentar, 2006, § 40 Rn. 377 ist die ausschließlich privatrechtliche Qualifizierung wettbewerbsrechtlicher Normen abzulehnen: Das Wettbewerbsrecht sei vielmehr als neutrales Recht anzusehen und staatliches Handeln auch am Maßstab wettbewerbsrechtlicher Vorschriften zu messen. Ebenso R. Scholz, NJW 1978, 16 (17 f.). Ähnlich D. Neumann, WuW 1999, 961 (963 f.). 494 Vgl. J. Bösmeier, Staatlich verursachte Wettbewerbsverzerrungen durch die Subventionierung privater Unternehmen, 1989, S. 204 f.; M. Gaa, WRP 1997, 837 (839); M. Krasney, Die Anwendbarkeit des Kartellrechts auf die Rahmenverträge in der Gesetzlichen Krankenversicherung am Beispiel der Verträge nach §§ 125 Abs. 2, 127 Abs. 1 SGB V, 2005, S. 79 m. w. N.; F. von Maltzahn, GRUR 1993, 235 (236) m. w. N.; D. Neumann, Kartellrechtliche Sanktionierung von Wettbewerbsbeschränkungen im Gesundheitswesen, 2000, S. 77 f.; W. Odersky, in: Wege und Verfahren des Verfassungslebens – FS für P. Lerche, 1993, 949 (951). 495 So P. Behrens, in: G. Igl (Hrsg.), Das Gesundheitswesen in der Wettbewerbsordnung, 2000, 8 (19). 496 So aber V. Emmerich, Kartellrecht, 2006, § 20 Rn. 10 f.

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1. Kap.: Der Unternehmensbegriff des Europäischen Wettbewerbsrechts

Nichtanwendbarkeit des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen hinsichtlich hoheitlicher Tätigkeiten ist kein Nebenprodukt der Normenhierarchie. Die vollständige Freistellung des hoheitlich handelnden Staates von jeglichen kartellrechtlichen Verpflichtungen, welche als Konsequenz der zivilrechtlichen Verortung der hier maßgeblichen kartellrechtlichen Bestimmungen naheliegt, geht jedoch den für das Wettbewerbsrecht zuständigen Zivilgerichten und weiten Teilen der wettbewerbsrechtlichen Literatur zu weit. Deshalb wurden verschiedene Korrekturansätze entwickelt, um dennoch hoheitlichem Handeln wettbewerbsrechtliche Schranken zu setzen. Zum einen soll das Handeln eines Hoheitsträgers dann an den Vorschriften des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen zu messen sein, wenn er den ihm durch das Öffentliche Recht zugewiesenen Aufgabenbereich deutlich erkennbar verlassen und der Sache nach eine in den Wettbewerb eingreifende Maßnahme getroffen habe. Habe der Hoheitsträger sich dagegen aber innerhalb seines öffentlich-rechtlichen Kompetenzbereiches – wenn auch im Einzelfall fehlerhaft – bewegt, könne sein Handeln nicht nach den zivilrechtlichen Kartellvorschriften beurteilt werden.497 Ein weiterer Begründungsansatz zur Ausdehnung des Kartellrechts auf den Bereich des hoheitlichen Handelns beruht auf der Annahme, hoheitliches Handeln könne wettbewerbliche, privatrechtlich zu beurteilende Drittwirkung haben (Theorie der Doppelqualifikation). Dieselbe Tätigkeit, welche sich gegenüber bestimmten Personen als hoheitlich darstellt, könne gegenüber Dritten privatrechtliche, nämlich wettbewerbsrechtliche Auswirkungen zeitigen.498 Beispielsweise könne sich ein öffentlich-rechtliches Verhalten der Krankenkassen gegenüber ihren Mitgliedern (kostenlose Abgabe von Krankenhilfsmitteln) als hoheitlich erweisen, während es hinsichtlich seiner Auswirkungen auf die privaten Anbieter solcher Krankenhilfsmittel dem privatrechtlichen Wettbewerbsrecht unterliege. Denn nur im Verhältnis zu ihren Mitgliedern könnten sich die Kran-

497 BGH, WuW/E BGH 2688 (2694) – Warenproben in Apotheken; WuW/E BGH 2813 (2817) – Selbstzahler = BGHZ 119, 93 (98). 498 GmSOGB, BGHZ 102, 280 (284 ff.) – Rollstühle; BGH, BGHZ 82, 375 (381 ff.) – Brillen-Selbstabgabestelle; OLG Düsseldorf, WRP 1994, 345; NZS 1998, 290 f.; J. Bösmeier, Staatlich verursachte Wettbewerbsverzerrungen durch die Subventionierung privater Unternehmen, 1989, S. 206 ff.; M. Gaa, WRP 1997, 837 (838); F. von Maltzahn, GRUR 1993, 235 (238, 240) mit vielen Beispielen; K.-H. Mühlhausen, NZS 1999, 120 (121 f.); ders., Der Mitgliederwettbewerb innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung, 2002, S. 61 f., 80; W. Odersky, in: Wege und Verfahren des Verfassungslebens – FS für P. Lerche, 1993, 949 (954 ff.) mit verschiedenen Beispielen; R. Pester, Die wettbewerblichen Rechtsbeziehungen im Mitgliederwettbewerb der gesetzlichen Krankenkassen, 2005, S. 86 ff. Vgl. auch D. Neumann, Kartellrechtliche Sanktionierung von Wettbewerbsbeschränkungen im Gesundheitswesen, 2000, S. 78 f.; R. Scholz, NJW 1978, 16 f.; W. B. Schünemann, WRP 2000, 1001 (1004 ff.).

D. Exkurs: Der Unternehmensbegriff im deutschen Kartellrecht

135

kenkassen auf hoheitliche Befugnisse stützen, nicht dagegen gegenüber betroffenen Dritten.499 Im verwaltungsrechtlich ausgerichteten Schrifttum wird diese Ausdehnung des Wettbewerbsrechts in den Bereich des öffentlich-rechtlichen Handelns überwiegend abgelehnt. Die Rechtmäßigkeit der Ausübung öffentlicher Gewalt beurteile sich ausschließlich nach Öffentlichem Recht; zivilrechtliche Vorschriften seien dafür kein Maßstab. Daß hoheitliche Maßnahmen zugleich Auswirkungen auf private Wettbewerber haben, könne an der Qualifizierung als hoheitlich auch im Verhältnis zu den Wettbewerbern nichts ändern. Ferner werde die Zuständigkeit der allgemeinen oder besonderen Verwaltungsgerichte umgangen.500 Teilweise wird die von Rechtsprechung und überwiegender Literaturansicht vertretene ausschließliche privatrechtliche Qualifizierung wettbewerbsrechtlicher Verhaltensregeln abgelehnt. Da das Wettbewerbsrecht, einschließlich des Kartellrechts, sowohl an privatrechtliche als auch öffentlich-rechtliche Sachverhalte anknüpfe, sei es vielmehr als neutrales Recht anzusehen. Hierauf gestützte Streitigkeiten sollen sich, je nachdem ob hoheitliches oder privatrechtliches Handeln in Frage stehe, als öffentlich-rechtliche oder als bürgerlich-rechtliche darstellen. Bei einer Qualifizierung als öffentlich-rechtliche Streitigkeit hätten die allgemeinen oder besonderen Verwaltungsgerichte das in Frage stehende Handeln auch am Maßstab des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen und anderer wettbewerbsrechtlicher Vorschriften zu messen.501

499

Vgl. GmSOGB, BGHZ 102, 280 (286 f.). Vgl. K. A. Bettermann, DVBl. 1977, 180 ff.; W. Brohm, NJW 1994, 281 (287 ff.); I. Ebsen, in: G. Igl (Hrsg.), Das Gesundheitswesen in der Wettbewerbsordnung, 2000, 22 (28 ff.); D. Ehlers, in: F. Schoch/E. Schmidt-Aßmann/R. Pietzner (Hrsg.), Verwaltungsgerichtsordnung – Kommentar, Bd. I, § 40 Rn. 286 ff. (Stand: Februar 1996); U. Hösch, GewArch. 2003, 453 (455); F. O. Kopp/W.-R. Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung – Kommentar, 2007, § 40 Rn. 30; H. Sodan, in: ders./J. Ziekow (Hrsg.), Verwaltungsgerichtsordnung – Großkommentar, 2006, § 40 Rn. 375 ff. m. w. N., der jedoch die ausschließlich privatrechtliche Qualifizierung wettbewerbsrechtlicher Normen ablehnt und auch hoheitliches Handeln am Maßstab des Wettbewerbsrechts messen möchte. Ebenso ablehnend M. Gaa, WRP 1997, 837 ff.; U. Knispel, NZS 2000, 379 (380). 501 R. Scholz, NJW 1978, 16 (17 f.); H. Sodan, in: ders./J. Ziekow (Hrsg.), Verwaltungsgerichtsordnung – Großkommentar, 2006, § 40 Rn. 377 m. w. N.; vgl. ferner U. Becker, in: Soziale Sicherheit und Wettbewerb, 2001, 7 (27 f.); H.-P. Schwintowski, ZEuP 1994, 296 (298 f.); C. Stadler, in: Langen/Bunte I § 130 Rn. 23. 500

Zweites Kapitel

Der Unternehmensbegriff des Europäischen Wettbewerbsrechts im Bereich der sozialen Sicherheit A. Tätigkeitsbereich „soziale Sicherheit“ Die Darstellungen in diesem Kapitel nehmen den Unternehmensbegriff des Europäischen Wettbewerbsrechts im Bereich der sozialen Sicherheit in den Blickpunkt. Der Europäische Gerichtshof spricht in seinen für diesen Bereich maßgeblichen Entscheidungen regelmäßig von „Einrichtungen, welche damit betraut sind, ein System der sozialen Sicherheit zu verwalten“502, „Einrichtungen, die Systeme der sozialen Sicherheit verwalten“503, „Einrichtungen, die an der Verwaltung eines der Zweige bzw. eines Systems der sozialen Sicherheit mitwirken“504 oder von „Verwaltungsträgern der sozialen Sicherheit“505. Es ist daher angezeigt, den Tätigkeitsbereich solcher Einrichtungen näher zu umreißen. Einen Anknüpfungspunkt zur Erfassung des Tätigkeitsbereiches „soziale Sicherheit“ liefert die Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern vom

502 Vgl. EuGH, Urt. v. 17.2.1993, verb. Rs. C-159/91 und C-160/91, Slg. 1993, I637 Rn. 16 – Poucet und Pistre; Urt. v. 21.9.1999, Rs. C-67/96, Slg. 1999, I-5751 Rn. 76, 82 – Albany; Urt. v. 21.9.1999, verb. Rs. C-115/97 bis C-117/97, Slg. 1999, I-6025 Rn. 76, 82 – Brentjens’ Handelsonderneming; Urt. v. 21.9.1999, Rs. C-219/97, Slg. 1999, I-6121 Rn. 66, 72 – Drijvende Bokken; Urt. v. 12.9.2000, verb. Rs. C-180/ 98 bis C-184/98, Slg. 2000, I-6451 Rn. 107, 112 – Pavlov u. a. 503 Vgl. EuGH, Urt. v. 16.11.1995, Rs. C-244/94, Slg. 1995, I-4013 Rn. 15 – Fédération française des sociétés d’assurance u. a.; Urt. v. 21.9.1999, Rs. C-67/96, Slg. 1999, I-5751 Rn. 78 – Albany; Urt. v. 21.9.1999, verb. Rs. C-115/97 bis C-117/97, Slg. 1999, I-6025 Rn. 78 – Brentjens’ Handelsonderneming; Urt. v. 21.9.1999, Rs. C219/97, Slg. 1999, I-6121 Rn. 68 – Drijvende Bokken; Urt. v. 12.9.2000, verb. Rs. C180/98 bis C-184/98, Slg. 2000, I-6451 Rn. 109 – Pavlov u. a.; Urt. v. 16.3.2004, verb. Rs. C-264/01, C-306/01, C-354/01 und C-355/01, Slg. 2004, I-2493 Rn. 49 – AOK Bundesverband u. a. 504 Vgl. EuGH, Urt. v. 22.1.2002, Rs. C-218/00, Slg. 2002, I-691 Rn. 45 – Cisal; Urt. v. 16.3.2004, verb. Rs. C-264/01, C-306/01, C-354/01 und C-355/01, Slg. 2004, I-2493 Rn. 51– AOK Bundesverband u. a. 505 Vgl. EuGH, Urt. v. 16.11.1995, Rs. C-244/94, Slg. 1995, I-4013 Rn. 12 – Fédération française des sociétés d’assurance u. a.

D. Exkurs: Der Unternehmensbegriff im deutschen Kartellrecht

137

14.6.1971506. In dieser sekundärrechtlichen Vorschrift werden gegliedert nach Leistungsarten verschiedene „Zweige der sozialen Sicherheit“507 benannt,508 über welche der Tätigkeitsbereich „soziale Sicherheit“ weitgehend erschlossen werden kann: – Leistungen bei Krankheit und Mutterschaft, – Leistungen bei Invalidität einschließlich der Leistungen, die zur Erhaltung oder Besserung der Erwerbsfähigkeit bestimmt sind, – Leistungen bei Alter, – Leistungen an Hinterbliebene, – Leistungen bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten, – Sterbegeld, – Leistungen bei Arbeitslosigkeit, – Familienleistungen, – Sozialhilfe509, – Leistungen für Opfer des Krieges und seiner Folgen510. Die in Bezug genommenen Leistungen werden teilweise ausschließlich durch staatliche Einrichtungen bzw. Sozialversicherungsträger erbracht (Leistungen bei Arbeitslosigkeit511, Sozialhilfe, Familienleistungen), im übrigen aber im Zusammenspiel mit privaten Versicherungsunternehmen. Den Tätigkeitsbereich „soziale Sicherheit“ kennzeichnet in erster Linie die materielle Absicherung einzelner Personen gegen Schicksalsschläge des Lebens sowie im Alter. Diese Absicherung erfolgt vielfach über Versicherungssysteme.

506 ABl. EG 1971 Nr. L 149/2, zuletzt geändert durch VO (EG) Nr. 647/2005 vom 13.4.2005 (ABl. EU 2005 Nr. L 117/1). 507 Art. 4 Abs. 1 VO (EWG) Nr. 1408/71. 508 Vgl. Art. 4 Abs. 1 Buchst. a bis h VO (EWG) Nr. 1408/71. 509 Art. 4 Abs. 4 VO (EWG) Nr. 1408/71 schließt diese Leistungsart vom Anwendungsbereich der Verordnung aus, welches jedoch die Zugehörigkeit dieser Leistungsart zum Bereich der sozialen Sicherheit impliziert. 510 Siehe Fn. 509. 511 In der Literatur wird davon ausgegangen, daß eine Arbeitslosenversicherung von privaten Versicherungsunternehmen nicht betrieben werden kann; vgl. R. Giesen, in: Soziale Sicherheit und Wettbewerb, 2001, 123 (136, 141) m. w. N.; J. Isensee, VSSR 1996, 169 (174).

138

2. Kap.: Wettbewerbsrecht im Bereich der sozialen Sicherheit

B. Bestehen einer wettbewerbsrechtlichen Bereichsausnahme zugunsten von Tätigkeiten auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit? Vor Erörterung der Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen auch Einrichtungen der sozialen Sicherheit Unternehmen und somit Normadressaten des Europäischen Wettbewerbsrechts sein können, ist zu klären, ob dem EG-Vertrag nicht zugunsten von Tätigkeiten auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit eine Bereichsausnahme zu entnehmen ist, welche die Anwendbarkeit der Wettbewerbsregeln von vornherein ausschließt.512 Von einer Bereichsausnahme wird gesprochen, wenn bestimmte Institutionen oder Tätigkeitsfelder von der Geltung der Wettbewerbsregeln generell befreit sind.513 Die Prüfung des Bestehens von Bereichsausnahmen ist somit im Verhältnis zur Klärung der Unternehmenseigenschaft vorgreiflich. Eine andere Art der Ausnahme bestimmter Tätigkeitsfelder von der Geltung wettbewerbsrechtlicher Verhaltensmaßstäbe wurde bereits aufgezeigt bei der Darstellung, warum der private Endverbrauch nach Maßgabe eines funktionalen Unternehmensbegriffes nicht als eine die Normadressateneigenschaft begründende wirtschaftliche Tätigkeit qualifiziert wird.514 Dieser wettbewerbsrechtliche Ausnahmebereich unterscheidet sich jedoch von der hier zu prüfenden Bereichsausnahme zugunsten von Sozialeinrichtungen bzw. Sozialtätigkeiten. Die Ausnahme zugunsten des privaten Endverbrauches ergab sich aus dem inneren Zusammenhang des Wettbewerbsrechts, nämlich aus einer maßgeblich vom Zweck der Wettbewerbsregeln bestimmten funktionalen Betrachtung.515 Der private Endverbrauch stellt dabei einen dem Wettbewerbsrecht immanenten Ausnahmebereich dar.516 Dagegen ergeben sich die hier zu prüfenden Bereichsausnahmen aus dem Verhältnis des Wettbewerbsrechts zu anderen Regelungskreisen (z. B. Kompetenzverteilung), bzw. sie sind auf spezielle Bestimmungen (z. B. Art. 36 Abs. 1, Art. 296 Abs. 1 Buchst. b EG) zurückzuführen, welche Ergebnis anderweitiger Vorgaben (z. B. aus politischen Willensbildungsprozessen) sind.517

512

So nämlich in der Literatur K.-J. Bieback, RsDE Nr. 49 (2001), 1 (5 ff.). Vgl. F. Rittner, Wettbewerbs- und Kartellrecht, 1999, § 6 Rn. 71 ff. Vgl. ferner R. Bechtold, in: ders., Kartellgesetz – Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, 2006, Vor § 28 Rn. 2; R. Streinz, Europarecht, 2005, Rn. 825 f. (bezugnehmend auf Grundfreiheiten). Siehe auch S. 62 f. 514 Siehe S. 60 ff. 515 Vgl. zu funktionalen Rechtsbegriffen und zum Gesetzeszweck S. 49 ff. und 51 ff. 516 Vgl. S. 60 ff. 517 Siehe auch S. 62 f. 513

B. Bestehen einer wettbewerbsrechtlichen Bereichsausnahme

139

I. Normenbefund Der Anwendungsbereich der Wettbewerbsregeln des EG-Vertrags ist zunächst auf der Grundlage der positiven Rechtssätze des primären Gemeinschaftsrechts zu bestimmen. Der EG-Vertrag enthält jedoch keine Vorschrift, welche Tätigkeiten auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit generell von den wettbewerbsrechtlichen Bindungen ausnimmt. Dagegen finden sich im EG-Vertrag im Hinblick auf andere Tätigkeitsbereiche ausdrückliche Ausnahmeregelungen. So besagt Art. 36 Abs. 1 EG, daß das Kapitel über die Wettbewerbsregeln (Art. 81 bis 89 EG) auf die Produktion landwirtschaftlicher Erzeugnisse und den Handel mit diesen nur insoweit Anwendung findet, als der Rat dies bestimmt. Ferner ist gemäß Art. 296 Abs. 1 Buchst. b EG der Bereich des militärischen Beschaffungswesens von den Wettbewerbsregeln ausgenommen. Beide Vorschriften statuieren Bereichsausnahmen. Eine weitere Einschränkung erfährt das Wettbewerbsrecht durch die nach Art. 86 Abs. 2 S. 1 EG bestehende Ausnahme zugunsten von Unternehmen, die mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse518 betraut sind oder den Charakter eines Finanzmonopols haben. Letzte Bestimmung ist aber keine Bereichsausnahme, sondern setzt gerade die grundsätzliche Geltung der Wettbewerbsregeln voraus. Der Normenbefund spricht dafür, daß die Wettbewerbsregeln nur dort ganz (Bereichsausnahme) oder teilweise unanwendbar sind, wo dies im EG-Vertrag ausdrücklich angeordnet ist.519 Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem durch den Amsterdamer Vertrag eingefügten Art. 16 EG, welcher den besonderen Stellenwert der sog. Dienste von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse betont sowie die Gemeinschaft und die Mitgliedstaaten verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, daß die Grundsätze und Bedingungen für das Funktionieren dieser Dienste so gestaltet sind, daß sie ihren Aufgaben nachkommen können. Gerade weil Art. 16 EG diese Verpflichtung ausdrücklich unbeschadet der Art. 73, 86, und 87 EG begründet, kann aus dieser Vorschrift keine generelle Befreiung gemeinwohlorientierter Unternehmen vom Europäischen Wettbewerbsrecht abgeleitet werden.520 Vielmehr gelten 518 Siehe näher zum Begriff der Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse B. Schulte, ZFSH/SGB 2007, 13 ff. 519 So auch EuGH, Urt. v. 30.4.1986, verb. Rs. 209 bis 213/84, Slg. 1986, 1425 Rn. 40 – Ministère public/Asjes; Urt. v. 27.1.1987, Rs. 45/85, Slg. 1987, 405 Rn. 12 – Verband der Sachversicherer; Schlußanträge des Generalanwalts Francis G. Jakobs v. 28.1.1999, Rs. C-67/96, Slg. 1999, I-5751 Tn. 123 f. – Albany; A. Hänlein/J. Kruse, NZS 2000, 165 (167); E. Rehbinder, in: Ulrich Immenga/Ernst-Joachim Mestmäcker (Hrsg.), EG-Wettbewerbsrecht – Kommentar, Bd. 1, 3. Aufl. München 1997, Einleitung [E] Rn. 5; H. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze II Vorbem. zu den Artikeln 81 bis 85 EG Rn. 42; vgl. auch U. M. Gassner, VSSR 2000, 121 (131). A. A. M. Fuchs, NZS 2002, 337 (342). 520 R. P. Schenke, VersR 2004, 1360 (1362); J. Schwarze, EuZW 2001, 334 (336 f.); vgl. ferner C. Koenig, EuZW 2001, 481; A. Kolb, LKV 2006, 97 (99).

140

2. Kap.: Wettbewerbsrecht im Bereich der sozialen Sicherheit

insbesondere mit Art. 86 Abs. 2 EG diejenigen Einschränkungen, welche das Wettbewerbsrecht auf der Grundlage seiner allgemeinen Anwendbarkeit selbst vorsieht. II. Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes 1. Sozialsektor Auch der Europäische Gerichtshof geht davon aus, daß zugunsten des Sozialsektors keine Bereichsausnahme besteht. Insbesondere in seiner Sozialversicherungsträger (der Renten-, Kranken- und Unfallversicherung) betreffenden wettbewerbsrechtlichen Rechtsprechung kommt deutlich zum Ausdruck, daß die Anwendbarkeit der Art. 81 ff. EG nicht von vornherein und generell ausgeschlossen ist, sondern im konkreten Fall davon abhängt, ob die betreffende Einrichtung ein Unternehmen ist.521 Ob die Verhaltensmaßstäbe des Europäischen Wettbewerbsrechts auch an auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit tätige Einrichtungen gerichtet sind, wurde somit auf Tatbestandsebene entschieden.522 Die rechtlichen Würdigungen des Gerichtshofes zum Unternehmenstatbestand lägen neben der Sache, wenn die Art. 81 ff. EG von vornherein aufgrund einer Bereichsausnahme gar nicht anwendbar wären. Das Fehlen einer Bereichsausnahme wird auch durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes zur Anwendbarkeit der Grundfreiheiten (insbesondere Warenverkehrs- und Dienstleistungsfreiheit gemäß Art. 28 ff. bzw. 49 ff.

521 Vgl. EuGH, Urt. v. 17.2.1993, verb. Rs. C-159/91 und C-160/91, Slg. 1993, I637 Rn. 18 f. – Poucet und Pistre: „Die Krankenkassen oder die Einrichtungen, die bei der Verwaltung der öffentlichen Aufgabe der sozialen Sicherheit mitwirken, erfüllen jedoch eine Aufgabe mit ausschließlich sozialem Charakter. [. . .] Folglich ist diese Tätigkeit keine wirtschaftliche Tätigkeit, und die mit ihr betrauten Einrichtungen sind daher keine Unternehmen im Sinne der Artikel 85 und 86 EWG-Vertrag.“ Vgl. EuGH, Urt. v. 22.1.2002, Rs. C-218/00, Slg. 2002, I-691 Rn. 45 – Cisal: „Das INAIL nimmt folglich durch seine Mitwirkung an der Verwaltung eines der traditionellen Zweige der sozialen Sicherheit, der Versicherung gegen Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten, eine Aufgabe rein sozialer Natur wahr. Seine Tätigkeit ist daher keine wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne des Wettbewerbsrechts, und diese Einrichtung ist somit kein Unternehmen im Sinne der Artikel 85 und 86 EG-Vertrag.“ Vgl. ferner EuGH, Urt. v. 16.3.2004, verb. Rs. C-264/01, C-306/01, C-354/01 und C-355/01, Slg. 2004, I-2493 Rn. 45 ff. – AOK Bundesverband u. a. Vgl. EuGH, Urt. v. 16.3.2004, verb. Rs. C-264/01, C-306/01, C-354/01 und C-355/ 01, Slg. 2004, I-2493 Rn. 64 – AOK Bundesverband u. a.: „Somit ist festzustellen, dass die Kassenverbände mit der Festsetzung der Festbeträge nur eine Pflicht im Rahmen der Verwaltung des deutschen Systems der sozialen Sicherheit erfüllen, die ihnen das Gesetz auferlegt, und dass sie nicht als Unternehmen handeln, die eine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben.“ 522 Vgl. auch die Schlußanträge des Generalanwalts Francis G. Jakobs v. 28.1. 1999, Rs. C-67/96, Slg. 1999, I-5751 Tn. 127 – Albany.

B. Bestehen einer wettbewerbsrechtlichen Bereichsausnahme

141

EG) bestätigt. Daß streitige nationale Regelungen zum Bereich der sozialen Sicherheit gehörten, hinderte den Gerichtshof nicht, diese für unvereinbar mit dem Gemeinschaftsrecht zu erklären.523 Da Grundfreiheiten und Wettbewerbsrecht im Zusammenspiel die Herstellung und Aufrechterhaltung von wirtschaftlicher Freiheit innerhalb des Gemeinsamen Marktes bewirken sollen,524 kann ohne eine im Vertragstext verankerte ausdrückliche Willenskundgabe der Vertragsstaaten keine allein für das Wettbewerbsrecht geltende Bereichsausnahme angenommen werden. 2. Tarifverträge Dennoch gibt es einen Lebenssachbereich für den der Europäische Gerichtshof eine weitgehende Befreiung von wettbewerbsrechtlichen Bindungen – wie sie der einer Bereichsausnahme dogmatisch entspricht – annimmt, obwohl der Gerichtshof die Bezeichnung „Bereichsausnahme“ vermeidet. Die im Rahmen von Tarifverhandlungen zwischen den Sozialpartnern im Hinblick auf die Ziele des Art. 136 Abs. 1 EG (früher Art. 1 des Abkommens über die Sozialpolitik525) geschlossenen Verträge sollen aufgrund ihrer Art und ihres Gegenstandes nicht unter die Art. 81 ff. EG fallen.526 Diese Bereichsausnahme steht in einem gewissen Widerspruch zu der ansonsten vertretenen Ansicht des Gerichtshofes, daß die Wettbewerbsregeln nur dort ganz oder teilweise unanwendbar sind, wo dies im Vertrag ausdrücklich angeordnet ist527. Der Gerichtshof leitet den Ausnahmefall hier aus dem Verhältnis der Wettbewerbsregeln zu anderen, die Sozialpolitik und den Arbeitsmarkt betreffenden Regelungen des EG-Vertrags (Art. 2, 136 ff. EG) ab. Insbesondere stützt er sich dabei auf Vorschriften, welche wenig konkrete Programmsätze 523 Vgl. EuGH, Urt. v. 28.4.1998, Rs. C-120/95, Slg. 1998, I-1831 Rn. 20 ff. – Decker; Urt. v. 28.4.1998, Rs. C-158/96, Slg. 1998, I-1931 Rn. 16 ff. – Kohll; Urt. v. 12.7.2001, Rs. C-157/99, Slg. 2001, I-5473 Rn. 44 ff. – Smits und Peerbooms; G. G. Sander, VSSR 2005, 447 (455 ff.). Siehe auch S. 149. Vgl. ferner EuGH, Urt. v. 5.3.1998, Rs. C-160/96, Slg. 1998, I-843 Rn. 13 ff. – Molenaar, wobei hier Bestimmungen des nationalen Sozialrechts (Pflegeversicherung) an einer gemeinschaftsrechtlichen Verordnung überprüft wurden. 524 Vgl. C. Benicke, EWS 1997, 373 (374 f.); A. von Boetticher, Die frei-gemeinnützige Wohlfahrtspflege und das europäische Beihilfenrecht, 2003, S. 46; E.-J. Mestmäcker, in: Immenga/Mestmäcker, WettbR EG/1 Einleitung [C] Rn. 8 ff.; A. Wunder, ZESAR 2006, 58 f. Nicht nachzuvollziehen ist dagegen die Behauptung von M. Krajewski EWS 2004, 256 (265), mit dem Europäischen Wettbewerbsrecht werde allein eine bestimmte ordnungspolitische Konzeption verfolgt, die keine individuellen Freiheiten garantiere. 525 BGBl. 1992 II 1314; ABl. EG 1992 Nr. C 191/91. 526 EuGH, Urt. v. 21.9.1999, Rs. C-67/96, Slg. 1999, I-5751 Rn. 60 – Albany. Vgl. H. Fleischer, DB 2000, 821 (822 f.). 527 Vgl. die Nachweise bei Fn. 519.

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2. Kap.: Wettbewerbsrecht im Bereich der sozialen Sicherheit

und Politikziele enthalten.528 Tragendes Argument des Gerichtshofes ist, daß die Erreichung der mit Tarifverträgen angestrebten sozialpolitischen Ziele ernsthaft gefährdet wäre, wenn für die Sozialpartner bei der gemeinsamen Suche nach Maßnahmen zur Verbesserung der Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen das Wettbewerbsrecht Geltung hätte.529 Mit der Herleitung einer ungeschriebenen wettbewerbsrechtlichen Bereichsausnahme aus horizontalen Normenverhältnissen im EG-Vertrag begibt sich der Europäische Gerichtshof „auf einen gefährlichen Weg, der Ansätze zur Aushöhlung des EG-Kartellrechts eröffnet“.530 Der dargelegte generelle Ausschluß des Wettbewerbsrechts in bezug auf Tarifverträge ist ein Einzelbeispiel geblieben. Dabei ist zu berücksichtigen, daß die dogmatische Begründung von wettbewerbsrechtlichen Ausnahmen für kollektive Vereinbarungen des Arbeitsrechts sowohl im nationalen Kartellrecht als auch im Europäischen Wettbewerbsrecht sehr umstritten und ungeklärt ist.531 Weitgehend einig scheint man sich in beiden Rechtskreisen nur über das Ergebnis zu sein, nämlich daß Tarifverhandlungen und -vereinbarungen im Kernbereich532 keinen wettbewerbsrechtlichen Bindungen unterliegen.533 Aus der Rechtsprechung zu den Tarifverträgen kann jedenfalls keine generelle Bereichsausnahme für die soziale Sicherheit abgeleitet werden; sie ist begrenzt auf Tarifverträge.534 Im folgenden wird sich erweisen, daß sich die vom Europäischen Gerichtshof befürwortete Bereichsausnahme für Tarifverträge zwar nicht aus dem horizontalen Verhältnis von Normen des EG-Vertrags untereinander ergibt, aber aus der

528 Vgl. EuGH, Urt. v. 21.9.1999, Rs. C-67/96, Slg. 1999, I-5751 Rn. 54 ff. – Albany. Siehe auch H. Fleischer, DB 2000, 821 (822 f.). 529 EuGH, Urt. v. 21.9.1999, Rs. C-67/96, Slg. 1999, I-5751 Rn. 59 – Albany. 530 W. Berg, EuZW 2000, 170 (171). 531 Vgl. die Darstellungen bei G. Kordel, Arbeitsmarkt und Europäisches Kartellrecht, 2004, S. 21 ff. sowie U. Büdenbender, ZIP 2000, 44 f.; W.-H. Roth/T. Ackermann, in: FK Art. 81 Abs. 1 EG-Vertrag Grundfragen Rn. 22 ff. (Stand: November 1999) und U. Huber/T. Baums, in: FK § 1 GWB a. F. Rn. 74 ff. (Stand: Januar 1993). Vgl. ferner die unterschiedlichen Begründungen bei R. Bechtold, in: ders., Kartellgesetz – Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, 2006, § 1 Rn. 7; ders./W. Bosch/ I. Brinker/S. Hirsbrunner, EG-Kartellrecht – Kommentar, 2005, Art. 81 EG Rn. 15; H.-J. Bunte, in: Langen/Bunte II Art. 81 [Generelle Prinzipien] Rn. 7; V. Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, WettbR EG/1 Art. 81 Abs. 1 EGV Rn. 25 f.; H. Fleischer, DB 2000, 821 (822 ff.); Schlußanträge des Generalanwalts Francis G. Jakobs v. 28.1.1999, Rs. C-67/96, Slg. 1999, I-5751 Tn. 131 ff. – Albany; K. W. Lange, WuW 2002, 953 (954); F. Rittner, Wettbewerbs- und Kartellrecht, 1999, § 6 Rn. 4; H. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze II Vorbem. zu den Artikeln 81 bis 85 EG Rn. 24; P. Stockenhuber, in: Grabitz/Hilf, Bd. II, Art. 81 EGV Rn. 60 (Stand: Juli 2000). 532 Vgl. H. Fleischer, DB 2000, 821 (822 ff.). 533 Vgl. die Nachweise bei Fn. 531. 534 P. Axer, NZS 2002, 57 (60 f.). Vgl. C. Koenig/C. Engelmann/U. Steiner, NZS 2002, 288 (289).

B. Bestehen einer wettbewerbsrechtlichen Bereichsausnahme

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vertikalen Kompetenzaufteilung zwischen Gemeinschaft und Mitgliedstaaten begründet werden kann.535 III. Ableitung einer Bereichsausnahme aus der Kompetenzverteilung des EG-Vertrags? Eine wettbewerbsrechtliche Bereichsausnahme zugunsten von Tätigkeiten auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit könnte sich aber aus der im EG-Vertrag angelegten Verteilung der Kompetenzen zwischen Mitgliedstaaten und Gemeinschaft im Bereich der Sozialpolitik ableiten. Wenn nämlich die Ausgestaltung der sozialen Sicherungssysteme nach dem EG-Vertrag eine in die Alleinzuständigkeit der Mitgliedstaaten fallende Aufgabe wäre, dürfte das gemeinschaftsrechtliche Wettbewerbsrecht nicht in einen Bereich ausschließlicher Zuständigkeit der Mitgliedstaaten übergreifen.536 Der Ausgangspunkt dieser Überlegungen wurzelt in dem Anliegen, dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung Rechnung zu tragen und eine Ausdehnung von Gemeinschaftskompetenzen auf die der Gemeinschaft nicht zugewiesenen Sachmaterien zu verhindern. Das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung besagt, daß die Gemeinschaft nur in den Fällen rechtssetzend tätig werden darf, die im EG-Vertrag bzw. EU-Vertrag ausdrücklich vorgesehen sind (vgl. Art. 5 Abs. 1 EG); die Organe der Gemeinschaft dürfen weder in Bereichen Recht setzen, die in den Verträgen nicht benannt sind, noch dürfen sie über die dort einzeln aufgeführten Kompetenzen hinausgehen.537 Diese für den Erlaß von Sekundärrecht geltenden Grundsätze haben ebenso Bedeutung für die Auslegung des Primärrechts. Daher könnte das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung eine Reduktion des Anwendungsbereichs einer sachmaterienübergreifenden Gemeinschaftsrechtsnorm nahelegen. Durch eine extensive Auslegung und Anwendung der Wettbewerbsvorschriften besteht nämlich die Gefahr der Einmischung der Gemeinschaft in Politikbereiche, deren Ausfüllung nicht in die Hände der Gemeinschaftsorgane gelegt wurde und die deshalb den Mitgliedstaaten vorbehalten sind.538 535

Siehe S. 150 f. Vgl. C. Benicke, EWS 1997, 373 (377); K.-J. Bieback, NZS 2001, 561 (563); A. von Boetticher, Die frei-gemeinnützige Wohlfahrtspflege und das europäische Beihilfenrecht, 2003, S. 47, 50 ff.; M. Helios, EuZW 2003, 288; J. Möller, VSSR 2001, 25 (40 ff.), der die Kompetenzabgrenzung jedoch beim Unternehmensbegriff verortet, welches jedoch erstaunlicherweise nicht für die Grundfreiheiten gelten soll (a. a. O., S. 52 f.); A. Penner, NZS 2003, 234 (238). 537 Vgl. BVerfGE 89, 155 (193, 210); U. Goll/M. Kenntner, EuZW 2002, 101 f.; M. Schweitzer/W. Hummer, Europarecht, 1996, Rn. 335; U. Voß/G. Wenner, NVwZ 1994, 332 f. 538 A. von Boetticher, Die frei-gemeinnützige Wohlfahrtspflege und das europäische Beihilfenrecht, 2003, S. 47. Siehe ferner C. Calliess, NJW 2005, 929 (930); U. Goll/ 536

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2. Kap.: Wettbewerbsrecht im Bereich der sozialen Sicherheit

Vor einer näheren Überprüfung der Kompetenzverteilung zwischen Gemeinschaft und Mitgliedstaaten im Bereich der Sozialpolitik ist aber darauf hinzuweisen, daß die obigen Überlegungen in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes leider wenig Berücksichtigung finden. Seine am „effet utile“539 orientierte Auslegung des Gemeinschaftsrechts sowie die Annahme von inhärenten Zuständigkeiten („implied powers“) führt de facto zu einer starken Ausdehnung der Gemeinschaftskompetenzen zu Lasten der Mitgliedstaaten.540 Außerdem wird das fundamentale Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung durch den Gerichtshof dadurch in Frage gestellt, daß er von Aufgabenzuweisungsnormen auf entsprechende Befugnisse der Gemeinschaft schließt541.542 1. Kompetenzverteilung im Bereich der Sozialpolitik Die Sozialpolitik ist jedenfalls bis zum Vertrag von Maastricht als eine ausschließlich den Mitgliedstaaten vorbehaltene Sachmaterie anzusehen: Der in Rom unterzeichnete Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft vom 25.3.1957543 (EGV) enthält zwar in seiner Präambel die Bekräftigung der Mitgliedstaaten, „durch gemeinsames Handeln den wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt ihrer Länder zu sichern“. Nach der allgemeinen Aufgabenbeschreibung des damaligen Art. 2 EGV verfolgte die Gemeinschaft allerdings allein mittels wirtschaftspolitischer Maßnahmen, nämlich durch die Errichtung eines Gemeinsamen Marktes und die schrittweise Annäherung der Wirtschaftspolitik, vor allem wirtschaftspolitische Ziele sowie die Förderung engerer Beziehungen zwischen den Staaten. Soziale Ziele oder gar die Verfolgung einer Sozialpolitik werden dort nicht genannt. Jedoch enthält der Vertrag im Dritten Teil über die Politiken der Gemeinschaft auch einen eigenen M. Kenntner, EuZW 2002, 101 (102); J. Möller, VSSR 2001, 25 (41); Schlußanträge des Generalanwalts Antonio Tizzano v. 8.5.2001, Rs. C-53/00, Slg. 2001, I-9067 Tn. 37 – Ferring. Vgl. J. Schwarze, EuZW 2001, 334 ff. 539 Darunter wird der Grundsatz der Interpretation des Primärrechts verstanden, welcher auf eine größtmögliche Ausschöpfung der Gemeinschaftsbefugnisse gerichtet ist, vgl. BVerfGE 89, 155 (210). 540 Vgl. C. Calliess, NJW 2005, 929 (931). Siehe beispielsweise die Entscheidung EuGH, Urt. v. 11.1.2000, Rs. C-285/98, Slg. 2000, I-69 – Kreil, nach der das Gemeinschaftsrecht die Mitgliedstaaten (hier: Deutschland) dazu zwänge, Frauen den Dienst an der Waffe in den Streitkräften zu ermöglichen. 541 Vgl. EuGH, Urt. v. 9.7.1987, verb. Rs. 281, 283 bis 285 und 287/85, Slg. 1987, 3203 Rn. 28 – Deutschland u. a./Kommission: „Weist eine Bestimmung des EWG-Vertrags [. . .] der Kommission eine bestimmte Aufgabe zu, so ist davon auszugehen, daß sie ihr dadurch notwendigerweise auch die zur Erfüllung dieser Aufgabe unerläßlichen Befugnisse verleiht; andernfalls würde der Bestimmung jede praktische Wirksamkeit genommen“. 542 H. Sodan, JZ 1998, 1168 (1169). 543 BGBl. II 766.

B. Bestehen einer wettbewerbsrechtlichen Bereichsausnahme

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Titel über die Sozialpolitik (Titel III – Die Sozialpolitik). Art. 118 Abs. 1 EGV sprach der Gemeinschaft die Aufgabe zu, „eine enge Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten in sozialen Fragen zu fördern“. Zu diesem Zweck durfte die Kommission gemäß Art. 118 Abs. 2 EGV aber nur „in enger Verbindung mit den Mitgliedstaaten durch Untersuchungen, Stellungnahmen und die Vorbereitung von Beratungen tätig“ werden. Echte Kompetenzen wurden der Gemeinschaft versagt. Bei genauerer Betrachtung beschränkt sich diese „Sozialpolitik“ zunächst schon thematisch auf den Bereich „der Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeitskräfte“ (vgl. Art. 117 S. 1 sowie Art. 118 Abs. 1 Spiegelstriche 1 bis 7 EGV). Die Festlegung sozialer Standards wurde im übrigen nur unter dem Aspekt der Sicherung des Wettbewerbs im Binnenmarkt betrieben.544 Insbesondere Frankreich befürchtete, daß die von seinen Unternehmen zu tragenden hohen Sozialkosten, die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber ausländischer Konkurrenz beeinträchtigen würden und dadurch zu einem Absenken seiner Sozialstandards gezwungen werden könnte.545 Als Rechtsgrundlage für eine etwaige Harmonisierung stand deshalb nur Art. 100 EGV zur Verfügung, „dessen Inanspruchnahme immer einen Bezug zum Funktionieren des Binnenmarktes voraussetzte“.546 Diese Rechtslage wurde durch die Einheitliche Europäische Akte vom 17. und 28.2.1986547, welche zum 1.7.1987 in Kraft trat, etwas verändert. Deren Präambel bekräftigte zunächst den Willen der Vertragsstaaten, „durch die Vertiefung der gemeinsamen Politiken und die Verfolgung neuer Ziele die wirtschaftliche und soziale Lage zu verbessern“. Mit Art. 21 EEA wurde Art. 118a EGV in den EG-Vertrag eingefügt, welcher eine Kompetenz der Gemeinschaft zur Harmonisierung auf dem Gebiet der „Arbeitsumwelt“ beinhaltete, um Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer zu schützen. Die Harmonierung sollte auf der Grundlage von Mindestvorschriften enthaltenden Richtlinien erfolgen. Diese wiederum auf den Bereich der Arbeitnehmer und ihre Arbeitsbedingungen beschränkte punktuelle Veränderung ließ jedoch die Kompetenzverteilung im Bereich der Sozialpolitik im großen und ganzen unberührt.548

544 Vgl. B. Schulte, in: H. Kaelble/G. Schmid (Hrsg.), Das europäische Sozialmodell, 2004, 75 (84); ferner R. Pitschas, SGb 1992, 477 (478); B. Schulte, ZFSH/SGB 2006, 719 (724). 545 M. Fuchs, in: ders. (Hrsg.), Europäisches Sozialrecht, 2005, Einführung Rn. 12; R. Langer, in: von der Groeben/Schwarze III Vorbem. zu den Artikeln 136 und 137 EG Rn. 16 f. 546 R. Langer, in: von der Groeben/Schwarze III Vorbem. zu den Artikeln 136 und 137 EG Rn. 18. Vgl. ferner R. Pitschas, SGb 1992, 477 (478); H.-J. Rabe, NJW 1997, 2631 (2633). 547 BGBl. II 1102; ABl. EG 1987 Nr. L 169. 548 Vgl. A. Kliemann, Die europäische Sozialintegration nach Maastricht, 1997, S. 21 ff., 54 f.

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2. Kap.: Wettbewerbsrecht im Bereich der sozialen Sicherheit

Beginnend mit dem am 1.11.1993 in Kraft getretenen Vertrag von Maastricht vom 7.2.1992549 wurde die Kompetenzverteilung zwischen Gemeinschaft und Mitgliedstaaten wesentlich umgestaltet. Die allgemeine Aufgabennorm des Art. 2 EGV wurde neugefaßt und bestimmte nunmehr, daß es Aufgabe der Gemeinschaft sei, u. a. „durch die Durchführung der in den Artikeln 3 und 3a genannten gemeinsamen Politiken oder Maßnahmen [. . .] ein hohes Maß an sozialem Schutz [. . .] zu fördern“. Art. 3 Buchst. i EGV sah dementsprechend auch eine Sozialpolitik vor. Eine Neufassung der Sozialvorschriften (Art. 117 bis 122 EGV) scheiterte jedoch am Widerstand Großbritanniens.550 Die wesentliche materielle Veränderung findet sich daher eher versteckt im „Protokoll (Nr. 14) über die Sozialpolitik“551, welches von den übrigen elf Mitgliedstaaten unterzeichnet wurde und den Zweck hatte, das „Abkommen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft mit Ausnahme des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland über die Sozialpolitik“552 zu verwirklichen. Mit Wirkung für die Unterzeichnerstaaten traten die Bestimmungen des Abkommens an die Stelle der Art. 117 bis 122 EGV.553 Das Abkommen über die Sozialpolitik erweiterte die Bereiche, in denen die Gemeinschaft die Tätigkeit der Mitgliedstaaten unterstützen und ergänzen sollte und in diesem Rahmen auch Harmonisierungen vornehmen durfte. So sah das Abkommen in seinem Art. 2 Abs. 3 Spiegelstrich 1 u. a. vor, daß der Rat im Bereich „soziale Sicherheit und sozialer Schutz der Arbeitnehmer“ Richtlinien einstimmig beschließen konnte. Die Alleinzuständigkeit der Mitgliedstaaten im Bereich der Sozialpolitik wurde durch das Abkommen in eine Primärzuständigkeit umgewandelt.554 Bereits durch dieses Abkommen, welches über das „Protokoll (Nr. 14) über die Sozialpolitik“ zum Gegenstand des Primärrechts wurde, hat die Sozialpolitik auf europäischer Ebene an Bedeutung gewonnen.555 549

BGBl. II 1251; ABl. EG 1992 Nr. C 191. Vgl. O. Schulz, Grundlagen und Perspektiven einer Europäischen Sozialpolitik, 2003, S. 90 ff.; H.-D. Steinmeyer, RdA 2001, 10 (13). 551 BGBl. 1992 II 1313; ABl. EG 1992 Nr. C 191/90. 552 BGBl. 1992 II 1314; ABl. EG 1992 Nr. C 191/91. 553 Vgl. R. Langer, in: von der Groeben/Schwarze III Vorbem. zu den Artikeln 136 und 137 EG Rn. 25 ff. Vgl. ausführlich zur Rechtsnatur von Sozialprotokoll und Sozialabkommen A. Kliemann, Die europäische Sozialintegration nach Maastricht, 1997, S. 143 ff. 554 So auch A. von Boetticher, Die frei-gemeinnützige Wohlfahrtspflege und das europäische Beihilfenrecht, 2003, S. 49, jedoch mit Bezug auf den Amsterdamer Vertrag, welcher das Abkommen über die Sozialpolitik in den EG-Vertrag transformierte. 555 Teilweise wird in der Literatur erst auf den Amsterdamer Vertrag abgestellt, mit welchem das Abkommen über die Sozialpolitik in den EG-Vertrag überführt wurde; vgl. A. von Boetticher, Die frei-gemeinnützige Wohlfahrtspflege und das europäische Beihilfenrecht, 2003, S. 49 f.; J. Möller, VSSR 2001, 25 (26); B. Schulte, in: H. Kaelble/G. Schmid (Hrsg.), Das europäische Sozialmodell, 2004, 75 (88 f.); H.-D. Steinmeyer, RdA 2001, 10 (16). 550

B. Bestehen einer wettbewerbsrechtlichen Bereichsausnahme

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Mit dem Vertrag von Amsterdam vom 2.10.1997556 (in Kraft getreten am 1.5.1999) wurde das Abkommen über die Sozialpolitik in den EG-Vertrag überführt und die Sonderrolle Großbritanniens beendet.557 Die Sozialpolitik ist seitdem in den Art. 136 ff. EG konkretisiert. Insbesondere wurde Art. 2 des Abkommens über die Sozialpolitik nach Art. 137 EG558 überführt. Darüber hinaus wurde mit Art. 140 Abs. 1 Spiegelstrich 4 EG eine Förderung der Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten durch die Kommission auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit vorgesehen. Der am 1.2.2003 in Kraft getretene Vertrag von Nizza vom 26.2.2001559 hat noch einmal zu Veränderungen im Bereich der Sozialpolitik geführt.560 Die Gemeinschaft hat weiterhin – insofern inhaltlich unverändert – die Aufgabe, u. a. „durch die Durchführung der in den Artikeln 3 und 4 genannten gemeinsamen Politiken und Maßnahmen in der ganzen Gemeinschaft [. . .] ein hohes Maß an sozialem Schutz [. . .] zu fördern“ (Art. 2 EG), und die Gemeinschaft betreibt nach Art. 3 Abs. 1 Buchst. j EG eine Sozialpolitik. Der Katalog der Tätigkeitsgebiete (siehe Art. 137 Abs. 1 EG), auf denen die Gemeinschaft unterstützend und ergänzend tätig werden darf, wurde erweitert. Insbesondere benennt Art. 137 Abs. 1 Buchst. c EG das Gebiet der sozialen Sicherheit als Aufgabenfeld der Gemeinschaft. Die Kompetenz, Richtlinien auf diesem Gebiet als Mindestvorschriften einstimmig zu beschließen, ergibt sich aus Art. 137 Abs. 1 Buchst. c, Abs. 2 Unterabsatz 1 Buchst. b, Abs. 2 Unterabsatz 2 EG. Ferner nennt Art. 137 Abs. 1 Buchst. k EG als weiteres Tätigkeitsgebiet der Gemeinschaft die „Modernisierung der Systeme des sozialen Schutzes“, wobei auf diesem Sektor jegliche Harmonisierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften ausgeschlossen bleibt (vgl. Art. 137 Abs. 2 Unterabsatz 1 EG). Zusätzlich bestimmt Art. 137 Abs. 4 EG, daß die aufgrund des Art. 137 EG erlassenen Bestimmungen „nicht die anerkannte Befugnis der Mitgliedstaaten, die Grundprinzipien ihres Systems der sozialen Sicherheit festzulegen“, berühren und auch nicht das finanzielle Gleichgewicht dieser Systeme erheblich beeinträchtigen dürfen.

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BGBl. 1998 II 386; ABl. EG 1997 Nr. C 340. M. Hilf/E. Pache, NJW 1998, 705 (708); H.-D. Steinmeyer, RdA 2001, 10 (12). Vgl. auch O. Schulz, Grundlagen und Perspektiven einer Europäischen Sozialpolitik, 2003, S. 152 f. dazu, daß das Abkommen nicht gänzlich wortwörtlich übernommen wurde. 558 Vgl. zu den Kompetenzen gemäß Art. 137 EG H.-D. Steinmeyer, RdA 2001, 10 (12 ff., 16 ff.). 559 BGBl. II 1666; ABl. EG 2001 Nr. C 80. 560 Vgl. O. Schulz, Grundlagen und Perspektiven einer Europäischen Sozialpolitik, 2003, S. 128 ff. 557

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2. Kap.: Wettbewerbsrecht im Bereich der sozialen Sicherheit

2. Rechtliche Würdigung Auf der Grundlage der vorstehend dargestellten Entwicklung des Gemeinschaftsrechts kann spätestens seit dem Vertrag von Amsterdam, wohl eher bereits seit dem Maastrichter Vertrag561, nicht mehr davon ausgegangen werden, die Mitgliedstaaten besäßen im Bereich der Sozialpolitik eine Alleinzuständigkeit, und es ist nicht mehr möglich, eine Gemeinschaftskompetenz auf diesem Gebiet grundsätzlich in Abrede zu stellen.562 Die Gemeinschaft ist heute im EG-Vertrag ausdrücklich als sozialpolitische Akteurin anerkannt. Das eingangs aufgeworfene Problem des Übergreifens von gemeinschaftlichem Wettbewerbsrecht in eine den Mitgliedstaaten vorbehaltene Sachmaterie stellt sich somit heute nicht mehr. Besonders macht die durch den Vertrag von Nizza eingefügte Vorschrift des Art. 137 Abs. 4 EG deutlich, daß die Kompetenz der Gemeinschaft auf dem Gebiet der Sozialpolitik heute auch in den Bereich der sozialen Sicherungssysteme hineinragt. Art. 137 Abs. 4 EG schützt allein die Grundprinzipien des Systems sowie vor erheblichen Beeinträchtigungen des finanziellen Gleichgewichts. Was also das finanzielle Gleichgewicht nur weniger als erheblich beeinträchtigt und nicht die Grundprinzipien des Systems auflöst, kann im Umkehrschluß durchaus zum Gegenstand der Sozialpolitik der Gemeinschaft werden. Ferner ist zu beachten, daß die Ausnahmeklarstellung des Art. 137 Abs. 4 EG ausdrücklich auf die gemäß Art. 137 EG (im Rahmen der Sozialpolitik) erlassenen Gemeinschaftsbestimmungen beschränkt ist. Sekundärrechtliche Gemeinschaftsregelungen aufgrund anderer Ermächtigungsgrundlagen des EGVertrags und erst recht das Primärrecht selbst sind somit nach der Vorstellung der Vertragsstaaten nicht per se ungeeignet, sogar die Grundprinzipien der nationalen sozialen Sicherungssysteme zu berühren oder ein (europarechtswidriges) Finanzierungssystem erheblich zu beeinträchtigen. Jedenfalls kann vor dem Hintergrund der Formulierung des Art. 137 Abs. 4 EG eine wettbewerbsrecht-

561 Vgl. H. Sodan, JZ 1998, 1168 f. sowie ferner H. Kuhn, Die soziale Dimension der Europäischen Gemeinschaft, 1995, S. 377, 387, 389 ff. A. A. wohl J. Isensee, VSSR 1996, 169 (177 ff., 184) der zum damaligen Zeitpunkt das Sozialrecht als „domaine réservé der Nationalstaaten“ bezeichnete; R. Pitschas, SGb 1992, 477 (478). 562 Vgl. A. von Boetticher, Die frei-gemeinnützige Wohlfahrtspflege und das europäische Beihilfenrecht, 2003, S. 50; B. J. Harich, Das Sachleistungsprinzip in der Gemeinschaftsrechtsordnung, 2006, S. 56; A. Kliemann, Die europäische Sozialintegration nach Maastricht, 1997, S. 93 ff.; H. Kuhn, Die soziale Dimension der Europäischen Gemeinschaft, 1995, S. 377, 387, 389 ff.; R. Langer, in: von der Groeben/ Schwarze III Artikel 136 Rn. 3; J. Möller, VSSR 2001, 25 (26); R. Pitschas, in: I. Ebsen (Hrsg.), Europarechtliche Gestaltungsvorgaben für das deutsche Sozialrecht, 2000, 83 (90 ff.); B. Schulte, in: H. Kaelble/G. Schmid (Hrsg.), Das europäische Sozialmodell, 2004, 75 (87 ff., 90); O. Schulz, Grundlagen und Perspektiven einer Europäischen Sozialpolitik, 2003, S. 156; H. Sodan, JZ 1998, 1168 (1169); H.-D. Steinmeyer, RdA 2001, 10 (12 ff., 16 ff.); C. Wagner, in: W. Mummenhoff (Hrsg.), Administrative Restriktionen in der Arzneimittelversorgung, 2002, 85 (85, 90).

B. Bestehen einer wettbewerbsrechtlichen Bereichsausnahme

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liche Bereichsausnahme aus kompetenziellen Gründen zu Gunsten von Tätigkeiten auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit ausgeschlossen werden. Die in den Sozialversicherungsträger betreffenden Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes aufgestellten Grundsätze zur Anwendbarkeit der Grundfreiheiten im Bereich der sozialen Sicherheit erweisen sich vor diesem Hintergrund als rechtlich zutreffend. Dort hat der Gerichtshof ausgeführt, das Gemeinschaftsrecht lasse die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten zur Ausgestaltung ihrer Systeme der sozialen Sicherheit unberührt; gleichwohl müßten die Mitgliedstaaten bei der Ausübung ihrer Ausgestaltungsbefugnis das Gemeinschaftsrecht beachten. Daß eine nationale Regelung zum Bereich der sozialen Sicherheit gehöre, schlösse daher die Anwendung der Art. 28, 49 EG nicht aus.563 In der Rechtssache Müller-Fauré und van Riet hat der Gerichtshof betont: Die „Verwirklichung der durch den Vertrag garantierten Grundfreiheiten [verpflichtet] die Mitgliedstaaten unvermeidlich, einige Anpassungen in ihren nationalen Systemen der sozialen Sicherheit vorzunehmen, ohne dass dies als Eingriff in ihre souveräne Zuständigkeit in dem betreffenden Bereich angesehen werden könnte.“564 Für die Anwendbarkeit der Wettbewerbsregeln kann nichts anderes gelten.565 Ein solches Zusammenspiel zwischen nationalem Sozialrecht und europäischem Marktrecht berücksichtigt zum einen den Vorbehalt, daß die Gemeinschaft die Sozialpolitik der Mitgliedstaaten nur unterstützt und ergänzt, zum anderen aber als eigenständige Akteurin auf diesem Gebiet im Rahmen ihrer Kompetenzbereiche naturgemäß auch Einfluß nimmt. Besonderen sozialpolitischen Belangen ist allein durch entsprechende Modifikationen auf der Ebene der Rechtsanwendung Rechnung zu tragen.566 Mit der Vorschrift des Art. 86 Abs. 2 EG sieht das Europäische Wettbewerbsrecht genau dafür auch eine Ausnahmeregelung vor. Im Ergebnis wird – mit unterschiedlichen Begründungen – das Bestehen einer das Gebiet der sozialen Sicherheit umfassenden wettbewerbsrechtlichen Bereichsausnahme auch im Schrifttum fast einhellig verneint.567 Die sozialgerichtliche Rechtsprechung schließt die Anwendbarkeit von 563 EuGH, Urt. v. 28.4.1998, Rs. C-120/95, Slg. 1998, I-1831 Rn. 20 ff. – Decker; Urt. v. 28.4.1998, Rs. C-158/96, Slg. 1998, I-1931 Rn. 16 ff. – Kohll. Siehe ferner EuGH, Urt. v. 12.7.2001, Rs. C-157/99, Slg. 2001, I-5473 Rn. 44 ff. – Smits und Peerbooms; Urt. v. 23.10.2003, Rs. C-56/01, Slg. 2003, I-12403 Rn. 15 ff. – Inizan. 564 EuGH, Urt. v. 13.5.2003, Rs. C-385/99, Slg. 2003, I-4509 Rn. 102 – MüllerFauré und van Riet. 565 OLG Düsseldorf, Pharma Recht 1999, 283 (294 f.); W. Boecken, NZS 2000, 269 (272); U. M. Gassner, VSSR 2000, 121 (133); A. Wunder, ZESAR 2006, 58 f. 566 Vgl. die Schlußanträge des Generalanwalts Francis G. Jakobs v. 28.1.1999, Rs. C-67/96, Slg. 1999, I-5751 Tn. 126 – Albany; S. Jäger-Lindemann, Die Vereinbarkeit der Leistungserbringung in der gesetzlichen Krankenversicherung mit den Gemeinschaftsgrundfreiheiten, 2004, S. 57. 567 Vgl. P. Axer, NZS 2002, 57 (60 f.); C. Benicke, EWS 1997, 373 (378); W. Boecken, NZS 2000, 269 (272); A. von Boetticher, Die frei-gemeinnützige Wohlfahrtspflege und das europäische Beihilfenrecht, 2003, S. 47 ff.; C. Engelmann, Kosten-

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2. Kap.: Wettbewerbsrecht im Bereich der sozialen Sicherheit

wettbewerbsrechtlichen Verhaltensmaßstäben regelmäßig über den Unternehmensbegriff oder andere Tatbestandsmerkmale aus, welches aber die Verneinung einer Bereichsausnahme ebenfalls impliziert.568 Darüber hinaus weist Arne von Boetticher zutreffend darauf hin, daß die eine Bereichsausnahme postulierende Ansicht außer acht läßt, „dass die Mitgliedstaaten aufgrund einer solchen Bereichsausnahme (die dann u. a. auch für soziale Dienstleistungen gelten würde) einen separaten Sozialmarkt etablieren könnten, der – obwohl auf ihm auch grundsätzlich marktgängige Dienstleistungen erbracht werden – dem freien Wettbewerb als Optimierungsmaxime bezüglich Preis und Qualität entzogen wäre. [. . .] Insofern wäre es verfehlt, von einem Wirtschaftsmarkt unter Kontrolle der EU einerseits und einem durch eine Bereichsausnahme geschützten Sozialmarkt unter nationaler Kontrolle andererseits auszugehen. Vielmehr handelt es sich um einen einheitlichen Markt, dessen Grenzen sich aus den Vorgaben sowie den Ausnahmetatbeständen des EG-Vertrages ergeben.“569

3. Kompetenzverteilung im Arbeitsmarktbereich Kurz soll hier noch einmal auf die nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Tarifverträge bestehende Bereichsausnahme570 eingegangen werden, deren Vorhandensein in der Literatur kaum umstritten ist, deren dogmatische Begründung dagegen sehr571. Diese Bereichsausnahme sollte nicht dämpfung im Gesundheitswesen und EG-Wettbewerbsrecht, 2002, S. 73; U. M. Gassner, VSSR 2000, 121 (131 ff.); R. Giesen, VSSR 1996, 311 (317, 319); A. Hänlein/J. Kruse, NZS 2000, 165 (167); A. Kämmer, Kartellrechtliche Grenzen für die Beschränkungen des Wettbewerbs bei der Leistungsbeschaffung im Gesundheitswesen, 2004, S. 197 f.; C. Koenig/C. Engelmann/U. Steiner, NZS 2002, 288 (289); C. Koenig/C. Sander, EuZW 2000, 716 (722); M. Krajewski, EWS 2004, 256 (257); T. Kunze/R. Kreikebohm, NZS 2003, 62 (63); D. Neumann, Kartellrechtliche Sanktionierung von Wettbewerbsbeschränkungen im Gesundheitswesen, 2000, S. 96; R. Pitschas, VSSR 1999, 221 (228 f.); ders., in: I. Ebsen (Hrsg.), Europarechtliche Gestaltungsvorgaben für das deutsche Sozialrecht, 2000, 83 (94); N. Reich, ZSR 46 (2000), 449 (462 f.); G. G. Sander, VSSR 2005, 447 (467 f.); R. P. Schenke, VersR 2004, 1360 (1362); B. Schulte, in: H. Kaelble/G. Schmid (Hrsg.), Das europäische Sozialmodell, 2004, 75 (90 ff.); O. Seewald, SGb 2004, 387 (388 ff.), 453 (455 f.); S. Storr, ZESAR 2003, 249 f.; H.-J. Vogel, NZS 1999, 375 (376 f.). So auch LSG Celle, Urt. v. 28.5.2003 – Az. L 4 KR 241/01; Schlußanträge des Generalanwalts Francis G. Jakobs v. 28.1.1999, Rs. C-67/96, Slg. 1999, I-5751 Tn. 120 ff. – Albany. A. A. K.-J. Bieback, RsDE Nr. 49 (2001), 1 (5 ff.). 568 Vgl. BSGE 90, 231 (267 ff.); 91, 263 (265 ff.); BSG, NZS 1995, 502 (507 f.); LSG Celle, Urt. v. 28.5.2003 – Az. L 4 KR 241/01 (Bereichsausnahme ausdrücklich abgelehnt); LSG München, GesR 2003, 316 (317); LSG Stuttgart, Urt. v. 27.3.2006 – Az. L 1 U 1430/05. 569 A. von Boetticher, Die frei-gemeinnützige Wohlfahrtspflege und das europäische Beihilfenrecht, 2003, S. 50, 52. 570 Die Bezeichnung als Bereichsausnahme vermeidet der Europäische Gerichtshof aber. 571 Siehe dazu Fn. 531.

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aus dem horizontalen Verhältnis von Normen des EG-Vertrags hergeleitet werden, da dieser Ansatz der Aushöhlung des Europäischen Wettbewerbsrechts Tür und Tor öffnet572. Vielmehr ergibt sich die Bereichsausnahme aus der (vertikalen) Kompetenzverteilung zwischen Gemeinschaft und Mitgliedstaaten: Art. 137 EG, welcher die Kompetenzen der unterstützenden und ergänzenden Politik der Gemeinschaft auf dem Gebiet der Sozialpolitik beinhaltet, enthält nämlich in seinem Abs. 5 die ausdrückliche Bestimmung, daß der gesamte Artikel nicht für das Arbeitsentgelt, das Koalitionsrecht, das Streikrecht sowie das Aussperrungsrecht gilt. Damit haben die Mitgliedstaaten als Herren der Verträge klargestellt, daß die oben aufgezeigte Kompetenz der Gemeinschaft für eine gemeinsame Sozialpolitik in den in Art. 137 Abs. 5 EG bezeichneten Bereichen vollständig und ersatzlos entfällt und im ausschließlichen Bereich nationaler Zuständigkeit verbleiben soll.573 Ebenso beläßt der mit „Beschäftigung“ überschriebene Titel VIII (Art. 125–130 EG) des dritten Teils des EG-Vertrags „die Kompetenz der Beschäftigungspolitik vollständig in der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten und beschränkt sich im Wesentlichen darauf, die Förderung der Beschäftigung als gemeinsames Interesse zu betrachten“.574

C. Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes zum Unternehmensbegriff im Bereich der sozialen Sicherheit Dem Europäischen Gerichtshof obliegt gemäß Art. 220 Abs. 1 EG die Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung des EG-Vertrags. Die praktische Anwendung des primären und sekundären Gemeinschaftsrechts durch die Kommission, nationale Behörden und Gerichte hängt im wesentlichen von seiner Interpretation der verschiedenen Bestimmungen ab. Auch im rechtswissenschaftlichen Schrifttum wird vielfach eine vom Gerichtshof vertretene Interpretation des Gemeinschaftsrechts übernommen. Das Verständnis der Begriffe des Europarechts, und auch des Unternehmensbegriffes der Art. 81 ff. EG, wird somit in erster Linie vom Gerichtshof geprägt. Im folgenden sollen daher zunächst die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes beleuchtet werden, welche sein Verständnis vom Unternehmensbegriff im Bereich der sozialen Sicherheit maßgeblich ausgebildet haben. Daran anschließend werden aus der dargestellten Judikatur die – nach Ansicht des Gerichtshofes – für die Beurteilung der Unternehmenseigenschaft relevanten und irrelevanten Gesichtspunkte abgeleitet.

572 573 574

Vgl. W. Berg, EuZW 2000, 170 (171). H.-D. Steinmeyer, RdA 2001, 10 (17 f.). H.-D. Steinmeyer, RdA 2001, 10 (21 f.).

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2. Kap.: Wettbewerbsrecht im Bereich der sozialen Sicherheit

I. Rechtsprechungsentwicklung und maßgebliche Entscheidungen 1. Rechtssache Höfner und Elser In der Rechtssache Klaus Höfner und Fritz Elser gegen Macrotron GmbH (Höfner und Elser)575 hatte der Europäische Gerichtshof über die Vereinbarkeit des früheren deutschen Arbeitsvermittlungsmonopols zugunsten der Bundesanstalt für Arbeit mit dem Europäischen Wettbewerbsrecht zu entscheiden, soweit sich dieses Monopol auch auf die Vermittlung von Führungskräften der Wirtschaft bezog. Das zum damaligen Zeitpunkt geltende Arbeitsförderungsgesetz576 begründete in § 4 ein Monopol der Bundesanstalt für Arbeit für die Aufgabe der Arbeitsvermittlung. Arbeitsvermittlung wurde in § 13 Abs. 1 AFG a. F. definiert als „eine Tätigkeit, die darauf gerichtet ist, Arbeitssuchende mit Arbeitgebern zur Begründung von Arbeitsverhältnissen [. . .] zusammenzuführen“. Ausnahmsweise war nach § 23 Abs. 1 AFG a. F. Arbeitsvermittlung durch Dritte aufgrund einer Erlaubnis der Bundesanstalt zulässig. Gegenstand des nationalen Ausgangsverfahrens war ein Zahlungsstreit, in dem sich die deutsche Firma Macrotron weigerte, den von ihr mit der Suche und Auswahl von Bewerbern für die Stelle eines Verkaufsabteilungsleiters beauftragten deutschen Personalberatern Klaus Höfner und Fritz Elser die vereinbarte Vergütung zu bezahlen. Unter anderem berief sich Macrotron darauf, der Vertrag sei wegen eines Verstoßes gegen das gesetzlich begründete Vermittlungsmonopol der Bundesanstalt für Arbeit gemäß § 134 BGB nichtig und begründe folglich keine Zahlungspflicht. Die hier allein interessierende Frage nach der Unternehmenseigenschaft (im Sinne von Art. 81 ff. EG) der Bundesanstalt für Arbeit spielte in den Stellungnahmen der am Rechtsstreit vor dem Europäischen Gerichtshof Beteiligten – sofern sie im Sitzungsbericht wiedergegeben werden – keine zentrale Rolle. Die Kläger des Ausgangsverfahrens (Höfner und Elser) legten jedoch dar, die „Bundesanstalt müsse als Unternehmen qualifiziert werden, weil sie eine ge575 EuGH, Urt. v. 23.4.1991, Rs. C-41/90, Slg. 1991, I-1979 – Höfner und Elser. Vgl. zu dieser Entscheidung folgende Aufsätze, Anmerkungen und Besprechungen: S. Billinger, Das Pflichtversicherungsmonopol der gesetzlichen Krankenversicherung in der Bundesrepublik Deutschland im Lichte des EG-Vertrags, 2001, S. 45 f.; E. Eichenhofer, NJW 1991, 2857 ff.; U. M. Gassner, WuW 2004, 1028 (1030 ff.); S. Kontusch, Wettbewerbsrelevantes Verhalten der Krankenkassen im Rahmen des deutschen und europäischen Wettbewerbs-, Kartell- und Verfassungsrechts, 2004, S. 41 ff.; A. Krölls, GewArch. 1993, 1 (7 f.); R. Möller, ZESAR 2006, 200 f.; W. Mummenhoff, DB 1992, 1982 ff.; U. Pallasch/M. Steckermeier, NZA 1991, 913 ff.; R. Pitschas, SGb 1992, 477 (485 ff.); R. Richardi/M. Steckermeier, DZWir 1991, 120 ff.; F. Ruland, JuS 1992, 529 f.; D. Schroeder, EWiR 1991, 1083 f.; K. Sieg, SGb 1994, 253 (254 f.); S. Speyer, EuZW 1991, 399 ff.; D. Stelzer, SozVers 2000, 169 (176 ff.). 576 Vom 25.6.1969, BGBl. I 582.

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werbliche Tätigkeit ausübe“.577 Dagegen meinte die Bundesregierung, „daß die Arbeitsvermittlung dem Wettbewerb nicht unterliege. Die Bundesanstalt erfülle eine ausschließlich staatliche Aufgabe im Allgemeininteresse ohne Verfolgung eines wirtschaftlichen Zwecks.“578 Diese Formulierung deutet auf eine Verneinung der Unternehmenseigenschaft durch die Bundesregierung hin. Der Generalanwalt Francis G. Warren hatte dagegen keine Schwierigkeiten, die Bundesanstalt als ein Unternehmen im Sinne der Art. 81 ff. EG anzusehen.579 Der Europäische Gerichtshof hat in seinem Urteil geprüft, ob eine öffentlichrechtliche Anstalt wie die Bundesanstalt für Arbeit als Unternehmen im Sinne der Art. 81 und 82 EG [Art. 85, 86 EGV] angesehen werden kann. Er hat die Unternehmenseigenschaft hinsichtlich der Aufgabe der Arbeitsvermittlung bejaht und festgestellt, daß die Arbeitsvermittlung eine wirtschaftliche Tätigkeit darstelle.580 „Daß die Vermittlungstätigkeit normalerweise öffentlich-rechtlichen Anstalten übertragen ist, spricht nicht gegen die wirtschaftliche Natur dieser Tätigkeit. Die Arbeitsvermittlung ist nicht immer von öffentlichen Einrichtungen betrieben worden und muß nicht notwendig von solchen Einrichtungen betrieben werden. Diese Feststellung gilt insbesondere für die Tätigkeiten zur Vermittlung von Führungskräften der Wirtschaft.“581

Entscheidendes Kriterium dafür, ob eine Tätigkeit als wirtschaftliche zu qualifizieren ist, war für den Europäischen Gerichtshof somit, ob die betreffende Aufgabe auch von Privaten wahrgenommen wird oder jedenfalls von Privaten wahrgenommen werden könnte.582 Danach wären aus dem Unternehmensbegriff nur solche Betätigungen auszuschließen, die schlichtweg nicht dem privatwirtschaftlichen Geschäftsverkehr zugänglich sind und folglich von ihm nicht erbracht werden können. 2. Rechtssache Poucet und Pistre Die Entscheidung Poucet und Pistre betrifft die verbundenen Rechtssachen des Christian Poucet gegen Assurances générales de France (AGF) und Caisse mutuelle régional du Languedoc-Roussillon (Camulrac) sowie des Daniel Pistre gegen Caisse autonome nationale de compensation de l’assurance vieillesse des ar577

Sitzungsbericht zur Rs. C-41/90, Slg. 1991, I-1979 Tn. 51 – Höfner und Elser. Sitzungsbericht zur Rs. C-41/90, Slg. 1991, I-1979 Tn. 57 – Höfner und Elser. 579 Vgl. die Schlußanträge des Generalanwalts Francis G. Jacobs v. 15.1.1991, Rs. C-41/90, Slg. 1991, I-1979 Tn. 40 – Höfner und Elser. 580 EuGH, Urt. v. 23.4.1991, Rs. C-41/90, Slg. 1991, I-1979 Rn. 21 – Höfner und Elser. 581 EuGH, Urt. v. 23.4.1991, Rs. C-41/90, Slg. 1991, I-1979 Rn. 22 – Höfner und Elser. 582 Vgl. zum sog. Popitz-Kriterium S. 70 ff. 578

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tisans (Cancava).583 In dem nationalen Ausgangsverfahren wandte sich Christian Poucet gegen einen Zahlungsbefehl, mit dem er zur Entrichtung von Beiträgen an eine Einrichtung herangezogen wurde, die das System der Kranken- und Mutterschaftsversicherung der selbständig Erwerbstätigen in den nichtlandwirtschaftlichen Berufen in Frankreich verwaltete. Ebenso wehrte sich Daniel Pistre gegen einen Zahlungsbefehl, mit welchem er zur Beitragszahlung an die die Altersversicherung der Handwerker verwaltende Einrichtung aufgefordert wurde. Beide Kläger bestritten nicht eine grundsätzliche Pflicht zur Versicherung, sondern machten geltend, „eine derartige Pflicht könne, wie in anderen Bereichen auch, über privatrechtliche, im gesamten Gebiet der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft niedergelassene Unternehmen erfüllt werden, die jedoch nicht in der Lage seien, in Frankreich derartige Verträge anzubieten,“584 da die Angehörigen der entsprechenden Berufsgruppen bereits bei den beklagten Einrichtungen pflichtversichert sind. Gegenstand der rechtlichen Auseinandersetzung war somit die Zulässigkeit der Pflichtmitgliedschaft in einem bestimmten Sozialversicherungsträger als Grundlage der Beitragspflicht. In dem Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof stellte sich die Frage, ob eine mit der Verwaltung eines besonderen Systems der sozialen Sicherheit betraute585 Einrichtung als Unternehmen im Sinne der Art. 81, 82 EG [Art. 85, 86 EGV] anzusehen ist. Christian Poucet und Daniel Pistre waren der Auffassung, daß die beklagten Kassen und entsprechende Einrichtungen auf dem Markt als Wirtschaftsteilnehmer aufträten und somit Unternehmen im Sinne der Art. 81, 82 EG seien. Daß es sich um mit Aufgaben der Leistungsverwaltung betraute öffentliche Einrichtungen der sozialen Sicherheit handele, ändere nichts an dieser Einstufung.586 583 EuGH, Urt. v. 17.2.1993, verb. Rs. C-159/91 und C-160/91, Slg. 1993, I-637 – Poucet und Pistre. Vgl. zu dieser Entscheidung folgende Aufsätze, Anmerkungen und Besprechungen: S. Billinger, Das Pflichtversicherungsmonopol der gesetzlichen Krankenversicherung in der Bundesrepublik Deutschland im Lichte des EG-Vertrags, 2001, S. 46 ff.; E. Eichenhofer, NJW 1993, 2598; R. Giesen, in: Soziale Sicherheit und Wettbewerb, 2001, 123 (130 f.); A. Kämmer, Kartellrechtliche Grenzen für die Beschränkungen des Wettbewerbs bei der Leistungsbeschaffung im Gesundheitswesen, 2004, S. 200 ff.; S. Kontusch, Wettbewerbsrelevantes Verhalten der Krankenkassen im Rahmen des deutschen und europäischen Wettbewerbs-, Kartell- und Verfassungsrechts, 2004, S. 45 ff.; R. Möller, ZESAR 2006, 200 (201 ff.); H.-P. Schwintowski, ZEuP 1994, 296 ff.; D. Stelzer, SozVers 2000, 169 (173 ff.). 584 Sitzungsbericht zu den verb. Rs. C-159/91 und C-160/91, Slg. 1993, I-637 (I639) – Poucet und Pistre. 585 Die Rechtsform der beiden Kassen – privatrechtliche oder öffentlich-rechtliche Einrichtung – spielte im Verfahren keine Rolle, und der Europäische Gerichtshof geht in seinem Urteil darauf auch nicht ein. Nur an einer Stelle im Sitzungsbericht wird erwähnt, daß es sich um privatrechtliche Einrichtungen handelt, denen die Verwaltung „administrativer öffentlicher Dienstleistungen“ anvertraut wurde; siehe den Sitzungsbericht zu den verb. Rs. C-159/91 und C-160/91, Slg. 1993, I-637 (I-646) – Poucet und Pistre.

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Dagegen argumentierten die beklagten Kassen, mit der Verwaltung eines Systems der sozialen Sicherheit betraute Einrichtungen könnten nicht als Unternehmen angesehen werden. Sie würden nämlich keine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben, da eine solche einen kommerziellen Austausch auf einem – zumindest potentiellen – Markt mit einem Preismechanismus voraussetze.587 Die EG-Kommission unterstrich, daß es entscheidend auf den wirtschaftlichen oder nichtwirtschaftlichen Charakter der von einer staatlichen Einrichtung ausgeübten Tätigkeit ankomme und es erforderlich sei, „in jedem Einzelfall die vom Staat ausgeübten Tätigkeiten zu prüfen und zu bestimmen, zu welcher Kategorie sie gehören“.588 Als maßgebliches Abgrenzungskriterium machte die Kommission den Umstand aus, ob ein sozialen Zwecken dienendes System auf dem Grundsatz der Solidarität beruhe und deshalb eine Pflichtmitgliedschaft notwendig sei, um den Solidarausgleich vorzunehmen.589 Daß die beiden betroffenen Systeme (Kranken- und Mutterschaftsversicherung sowie Altersversicherung) auf dem Grundsatz der Solidarität beruhten, war auch für die französische Regierung dafür ausschlaggebend, diese Einrichtungen nicht als Unternehmen zu qualifizieren.590 Der Generalanwalt Giuseppe Tesauro schloß sich dieser Betrachtungsweise an und arbeitete die Kriterien heraus, welche den solidarischen Charakter der genannten Systeme ausprägen.591 Der Europäische Gerichtshof entschied, daß die hier betroffenen Einrichtungen der Kranken- und Mutterschaftsversicherung sowie der Altersversicherung keine Unternehmen im Sinne der Art. 81, 82 EG seien, weil sie keiner wirtschaftlichen Tätigkeit nachgingen, sondern eine „Aufgabe mit ausschließlich sozialem Charakter“ erfüllten.592 Ihre „Tätigkeit beruht nämlich auf dem Grundsatz der nationalen Solidarität und wird ohne Gewinnzweck ausgeübt. Die Leistungen werden von Gesetzes wegen und unabhängig von der Höhe der Beiträge erbracht.“593 586 Sitzungsbericht zu den verb. Rs. C-159/91 und C-160/91, Slg. 1993, I-637 (I640) – Poucet und Pistre. 587 Sitzungsbericht zu den verb. Rs. C-159/91 und C-160/91, Slg. 1993, I-637 (I644) – Poucet und Pistre. 588 Sitzungsbericht zu den verb. Rs. C-159/91 und C-160/91, Slg. 1993, I-637 (I655 f.) – Poucet und Pistre [Zitat auf S. I-656]. 589 Sitzungsbericht zu den verb. Rs. C-159/91 und C-160/91, Slg. 1993, I-637 (I656 f.) – Poucet und Pistre. 590 Sitzungsbericht zu den verb. Rs. C-159/91 und C-160/91, Slg. 1993, I-637 (I650 f.) – Poucet und Pistre. 591 Schlußanträge des Generalanwalts Giuseppe Tesauro v. 29.9.1992, verb. Rs. C159/91 und C-160/91, Slg. 1993, I-637 Tn. 8 ff. – Poucet und Pistre. 592 EuGH, Urt. v. 17.2.1993, verb. Rs. C-159/91 und C-160/91, Slg. 1993, I-637 Rn. 18 – Poucet und Pistre. 593 EuGH, Urt. v. 17.2.1993, verb. Rs. C-159/91 und C-160/91, Slg. 1993, I-637 Rn. 18 – Poucet und Pistre.

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2. Kap.: Wettbewerbsrecht im Bereich der sozialen Sicherheit

Folgende Merkmale hat der Europäische Gerichtshof herausgearbeitet, welche nach seiner Auffassung ein durch den Solidaritätsgrundsatz geprägtes System charakterisieren, und welche demnach die Annahme einer wirtschaftlichen Betätigung ausschließen. Hinsichtlich der Kranken- und Mutterschaftsversicherung: – Versicherungsschutz für alle, unabhängig von ihrer Vermögenslage oder dem Gesundheitszustand; – Beiträge nach Maßgabe der Einkünfte, während die Leistungen für alle Versicherten gleich sind („Diese Solidarität bringt eine Einkommensumverteilung zwischen den Wohlhabenderen und den Personen mit sich, denen angesichts ihrer Mittel und ihrer gesundheitlichen Lage ohne eine solche Regelung die notwendige soziale Absicherung fehlen würde“594); – Befreiung einzelner einkommensschwacher Personen von der Beitragspflicht. Hinsichtlich der Altersversicherung: – Versicherungsschutz für alle, unabhängig von ihrer Vermögenslage oder dem Gesundheitszustand; – Finanzierung der Renten der sich im Ruhestand befindlichen Arbeitnehmer durch die von den Erwerbstätigen geleisteten Beiträge (Umlageverfahren); – Gewährung von Rentenansprüchen, denen keine Gegenleistung in Form von Beiträgen gegenübersteht und deren Höhe nicht von den geleisteten Beiträgen abhängt595. Systemübergreifendes Merkmal: – Finanzierung der Systeme mit strukturellen finanziellen Schwierigkeiten durch die Systeme, die Überschüsse erwirtschaften.

594 EuGH, Urt. v. 17.2.1993, verb. Rs. C-159/91 und C-160/91, Slg. 1993, I-637 Rn. 10 – Poucet und Pistre. 595 Unklar ist, was der Europäische Gerichtshof mit der Formulierung „und deren Höhe nicht von den geleisteten Beiträgen abhängt“ hinsichtlich des zugrunde liegenden französischen Altersversicherungssystems genau gemeint hat. Zwar sind Modelle denkbar, bei denen trotz eines unterschiedlichen (einkommensabhängigen) Beitrags eine Einheitsrente bezahlt wird. Das französische Modell sieht jedoch ausweislich der Systembeschreibung in den Schlußanträgen des Generalanwalts unterschiedliche, auf die individuellen Beitragszahlungen zurückzuführende Renten vor (vgl. die Schlußanträge des Generalanwalts Giuseppe Tesauro v. 29.9.1992, verb. Rs. C-159/91 und C160/91, Slg. 1993, I-637 Tn. 11 – Poucet und Pistre). Der Gerichtshof bezieht die Formulierung wohl auf den Sonderfall, „daß in bestimmten Fällen Rentenansprüche anerkannt werden, die ohne Beitragszahlung im Verlauf bestimmter Zeitabschnitte, während deren der Betroffene nicht gearbeitet hatte, erworben wurden, wie dies insbesondere für Zeiten zutrifft, in denen der Betroffene krank, arbeitsunfähig oder arbeitslos war oder seinen Militärdienst ableistete“ (Schlußanträge, a. a. O.).

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Der Europäische Gerichtshof schließt seine Feststellungen zu den Solidaritätsmerkmalen mit dem Satz: „Folglich beruhen die so gestalteten Systeme der sozialen Sicherheit auf einem System der Versicherungspflicht, das für die Anwendung des Solidaritätsgrundsatzes sowie für das finanzielle Gleichgewicht dieser Systeme unerläßlich ist.“596 Neben dem Grundsatz der Solidarität war für den Gerichtshof entscheidend, daß die Kassen bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben die Gesetze anwenden und daher keine Möglichkeit hätten, auf die Höhe der Beiträge, die Verwendung der Mittel oder die Bestimmung des Leistungsumfangs Einfluß zu nehmen.597 Kritisch anzumerken ist, daß der Europäische Gerichtshof zwar seine Entscheidung im Fall Höfner und Elser zitiert, jedoch auf das dort entwickelte Kriterium zur Abgrenzung von wirtschaftlicher und nichtwirtschaftlicher Tätigkeit an keiner Stelle eingeht. Dort war entscheidend, ob die betreffende Aufgabe auch von Privaten wahrgenommen wird oder wahrgenommen werden könnte.598 Kranken- bzw. Mutterschaftsversicherungen sowie Altersversicherungen mit gewissen Solidarelementen können grundsätzlich auch von privaten Unternehmen angeboten werden.599 3. Rechtssache Corbeau Die Rechtssache Strafverfahren gegen Paul Corbeau (Corbeau)600 betraf ein den Basispostdienst und den Expreßpostdienst umfassendes belgisches Postmonopol. Paul Corbeau erbrachte innerhalb eines räumlich abgegrenzten Bereichs Postdienstleistungen unter Verletzung der belgischen Vorschriften über das Postmonopol. Daraufhin wurde ein Strafverfahren gegen ihn eingeleitet. Seine Straf596 EuGH, Urt. v. 17.2.1993, verb. Rs. C-159/91 und C-160/91, Slg. 1993, I-637 Rn. 13 – Poucet und Pistre. Fraglich bleibt, wie diese Aussage des Gerichtshofes einzuordnen ist. Denn dogmatisch befindet er sich bei der Abgrenzung zwischen wirtschaftlicher und nichtwirtschaftlicher Tätigkeit zur Ermittlung der Unternehmenseigenschaft (vgl. a. a. O., Rn. 19). Die von ihm hier verwendeten Formulierungen erinnern jedoch eher an Rechtfertigungsgründe nach Art. 86 Abs. 2 S. 1 EG. 597 EuGH, Urt. v. 17.2.1993, verb. Rs. C-159/91 und C-160/91, Slg. 1993, I-637 Rn. 15 – Poucet und Pistre. 598 EuGH, Urt. v. 23.4.1991, Rs. C-41/90, Slg. 1991, I-1979 Rn. 22 – Höfner und Elser. 599 Der Europäische Gerichtshof hat das im Fall Höfner und Elser entwickelte Kriterium dahingehend verschoben, daß es ihm nunmehr darauf ankommt, ob eine Tätigkeit auch von Privaten in der gleichen Weise finanziert werden könnte; vgl. S. 199 f. Nach dem Umlageverfahren können private Versicherungsunternehmen ihre Leistungen nicht finanzieren, vgl. die Schlußanträge des Generalanwalts Francis G. Jakobs v. 13.9.2001, Rs. C-218/00, Slg. 2002, I-691 Tn. 50, 56 – Cisal. 600 EuGH, Urt. v. 19.5.1993, Rs. C-320/91, Slg. 1993, I-2533 – Corbeau. Vgl. zu dieser Entscheidung folgende Aufsätze und Anmerkungen: C. Grave, EuZW 2001, 709 ff.; D. Schroeder, EWiR 1993, 683 f.

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barkeit hing somit von der Vereinbarkeit der entsprechenden belgischen Vorschriften mit dem Europäischen Wettbewerbsrecht ab. Die Stellungnahmen der Verfahrensbeteiligten vor dem Europäischen Gerichtshof, die Schlußanträge des Generalanwalts Giuseppe Tesauro sowie das Urteil setzen alle die Unternehmenseigenschaft des belgischen Postdienstes, einer juristischen Person des Öffentlichen Rechts, voraus und befassen sich inhaltlich nur mit der Ausnahmevorschrift des Art. 86 Abs. 2 EG [Art. 90 Abs. 2 EGV]. Dennoch weist der Postdienst einige Merkmale601 auf, die einem Solidarprinzip entsprechen, welche aber nicht dazu führten, daß die Unternehmenseigenschaft überhaupt in Frage gestellt wurde:602 – Postdienstleistungen werden für jedermann auf Nachfrage im gesamten Hoheitsgebiet erbracht. – Es besteht ein vom Versand- oder Bestimmungsort entfernungs- und lageunabhängiger Einheitstarif, welcher auf einem für alle Bürger erreichbaren Niveau festgelegt ist. – Bei der Festlegung des Einheitstarifes nimmt der Postdienst einen Tarifausgleich vor. Hierbei erfolgt eine Mischkalkulation bzw. Kompensation zwischen den Gewinnen, die auf den Beförderungsstrecken mit niedrigeren Kosten erzielt werden (insbesondere die besser versorgten Strecken mit stärkerem Verkehr), und den Verlusten, die auf Strecken mit höheren Kosten entstehen. – Die Festlegung differenzierter Tarife stünde „im Widerspruch zur besonderen Sozialfunktion des Postdienstes, weil sie zu einer Erhöhung der Tarife für die verkehrsschwachen Strecken, deren Betrieb belastender ist, führen würde, was wiederum zur Folge hätte, daß der Briefverkehr aus und nach den abgelegensten und bevölkerungsschwächsten Gebieten benachteiligt würde“603. – Der Tarifausgleich „setzt die Schaffung eines gesetzlichen Monopols voraus. Wäre nämlich der Postdienst liberalisiert, so würden sich die Konkurrenten auf die rentableren Strecken konzentrieren und damit einen zunehmenden Druck auf die Tarife ausüben und somit von den Einnahmen der Postverwaltung ,den Rahm abschöpfen‘. Die Wahrnehmung der lästigeren und deshalb strukturell verlustbringenden Aufgaben wiederum würde der Postverwaltung überlassen.“604 601 Vgl. die Schlußanträge des Generalanwalts Giuseppe Tesauro v. 9.2.1993, Rs. C320/91, Slg. 1993, I-2533 Tn. 15 – Corbeau. 602 Vgl. C. Benicke, EWS 1997, 373 (377). 603 Schlußanträge des Generalanwalts Giuseppe Tesauro v. 9.2.1993, Rs. C-320/91, Slg. 1993, I-2533 Tn. 15 – Corbeau. 604 Schlußanträge des Generalanwalts Giuseppe Tesauro v. 9.2.1993, Rs. C-320/91, Slg. 1993, I-2533 Tn. 15 – Corbeau.

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Obwohl das beschriebene Postwesen starke Umverteilungselemente aufweist, wurde die Unternehmenseigenschaft in der Rechtssache Corbeau vom Europäischen Gerichtshof nicht angezweifelt.605 4. Rechtssache Fédération française des sociétés d’assurance u. a. In der Rechtssache Fédération française des sociétés d’assurance u. a. gegen Ministère de l’Agriculture et de la Pêche (Fédération française des sociétés d’assurance u. a.)606 stand die Frage im Mittelpunkt, ob eine französische Einrichtung, welche mit der Verwaltung eines freiwilligen Rentenversicherungssystems für Landwirte, ihre Ehegatten und ihre Familienangehörigen betraut607 wurde, ein Unternehmen im Sinne der Art. 81, 82 EG ist. Vor Erlaß der fraglichen Vorschriften des französischen Rechts gab es in Frankreich für Landwirte eine von einer öffentlichen Einrichtung verwaltete Rentengrundversicherung mit Pflichtmitgliedschaft; Zusatzversicherungen konnten bei privaten Versicherungsgesellschaften abgeschlossen werden. Dann erweiterte der französische Gesetzgeber den Aufgabenkreis der genannten Einrichtung um die Verwaltung eines freiwilligen Zusatzrentenversicherungssystems. 605 Siehe EuGH, Urt. v. 19.5.1993, Rs. C-320/91, Slg. 1993, I-2533 Rn. 8 – Corbeau. Vgl. auch C. Benicke, EWS 1997, 373 (377). 606 EuGH, Urt. v. 16.11.1995, Rs. C-244/94, Slg. 1995, I-4013 – Fédération française des sociétés d’assurance u. a. Vgl. zu dieser Entscheidung folgende Aufsätze, Anmerkungen und Besprechungen: C. Benicke, EWS 1997, 373 ff.; S. Billinger, Das Pflichtversicherungsmonopol der gesetzlichen Krankenversicherung in der Bundesrepublik Deutschland im Lichte des EG-Vertrags, 2001, S. 48 ff.; A. Kämmer, Kartellrechtliche Grenzen für die Beschränkungen des Wettbewerbs bei der Leistungsbeschaffung im Gesundheitswesen, 2004, S. 203 ff.; S. Kontusch, Wettbewerbsrelevantes Verhalten der Krankenkassen im Rahmen des deutschen und europäischen Wettbewerbs-, Kartell- und Verfassungsrechts, 2004, S. 50 f.; R. Möller, ZESAR 2006, 200 (204 f.); D. Stelzer, SozVers 2000, 169 (175 f.). 607 Aus der Formulierung in den Schlußanträgen „Mit der vorliegenden Vorabentscheidungsfrage ersucht [das französische Gericht] um Entscheidung, ob eine öffentlich-rechtliche Einrichtung, die die Verwaltung eines freiwilligen Zusatzversicherungssystems zur Aufgabe hat, den Wettbewerbsvorschriften des EG-Vertrags unterliegt“ (Schlußanträge des Generalanwalts Giuseppe Tesauro v. 13.7.1995, Rs. C-244/94, Slg. 1995, I-4013 Tn. 1 – Fédération française des sociétés d’assurance u. a.) könnte der Schluß gezogen werden, es handele sich hier um eine öffentlich-rechtliche Einrichtung. Die vorstehende Formulierung ist jedoch nicht mit der tatsächlich vom Europäischen Gerichtshof beantworteten Vorlagefrage identisch, in welcher nämlich nur von einer „Einrichtung“ gesprochen wird (vgl. EuGH, Urt. v. 16.11.1995, Rs. C-244/94, Slg. 1995, I-4013 Rn. 6 – Fédération française des sociétés d’assurance u. a.). Nach der im Sitzungsbericht zum Fall Poucet und Pistre wiedergegebenen Darstellung der französischen Regierung sind die französischen Gegenseitigkeitskassen, welche das Grundversicherungssystem verwalten, privatrechtliche Einrichtungen, denen die Verwaltung „administrativer öffentlicher Dienstleistungen“ anvertraut wurde (Sitzungsbericht zu den verb. Rs. C-159/91 und C-160/91, Slg. 1993, I-637 [I-646] – Poucet und Pistre).

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2. Kap.: Wettbewerbsrecht im Bereich der sozialen Sicherheit

Aufgrund der steuerlichen Abzugsfähigkeit der Beiträge zu diesem Zusatzrentensystem und der Vorteile, welche die Einrichtung aus dem Verwaltungsmonopol für die Grundpflichtversicherung nutzen konnte, sahen sich die klagenden konkurrierenden privaten Versicherungsgesellschaften schrittweise aus dem Markt für zusätzliche Altersversicherungen (Lebensversicherungen, Kapitalanlagen und Sparverträge) für Landwirte gedrängt. Das freiwillige Zusatzrentenversicherungssystem für Landwirte, ihre Ehegatten und ihre Familienangehörigen zeichnete sich im entschiedenen Fall durch folgende Merkmale608 aus: – Verfolgung eines sozialen Zwecks (Absicherung einer benachteiligten Bevölkerungsgruppe gegen Lebensrisiken); – keine Gewinnerzielungsabsicht des Verwaltungsträgers; – Beiträge werden prozentual auf der Grundlage des Erwerbseinkommens berechnet und sind unabhängig vom Versicherungsrisiko609; – Möglichkeit der Beitragsbefreiung oder -herabsetzung bei längerer Krankheit, wobei die Beitragsausfälle durch einen „sozialen Aktionsfond“ ausgeglichen werden, der durch eine Abgabe auf die Beiträge (in Höhe von maximal 0,5 Prozent des Gesamtbetrags der Bruttobeiträge) finanziert wird; – Möglichkeit der vorübergehenden Beitragsfreistellung bei schlechter Ertragslage des landwirtschaftlichen Betriebs, wobei der Versicherte die Rückstände spätestens innerhalb von zwei Jahren nach dem Ende der Freistellungszeit nachzuzahlen hat; – „Beiträge der Versicherten werden [. . .] kapitalisiert und in verschiedene Finanzanlagen investiert, so daß die dem Versicherten zugute kommende endgültige Leistung von dem Ergebnis der Anlagegeschäfte und dem Investitionserfolg abhängt“610 (Kapitaldeckungsverfahren); – Verbleib der Mittel aus den geleisteten Beitragszahlungen im Versicherungssystem im Fall des vorzeitigen Versterbens des Versicherten; – ministerielle Festlegung, welche Arten von Geschäften der Verwaltungsträger auf dem Finanzmarkt tätigen darf; – staatliche Aufsicht.

608 Vgl. die Schlußanträge des Generalanwalts Giuseppe Tesauro v. 13.7.1995 und EuGH, Urt. v. 16.11.1995, Rs. C-244/94, Slg. 1995, I-4013 passim – Fédération française des sociétés d’assurance u. a. 609 Siehe dazu Fn. 615. 610 Schlußanträge des Generalanwalts Giuseppe Tesauro v. 13.7.1995, Rs. C-244/94, Slg. 1995, I-4013 Tn. 8 – Fédération française des sociétés d’assurance u. a.

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Die französische Regierung argumentierte unter Berufung auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes in der Rechtssache Poucet und Pistre611, daß die mit der Verwaltung des beschriebenen Zusatzrentenversicherungssystems betraute Einrichtung kein Unternehmen im Sinne der Art. 81 ff. EG [Art. 85 ff. EGV] sei, weil sie einen sozialen Zweck verfolge, keine Gewinnerzielungsabsicht habe, unter staatlicher Aufsicht stehe und ihr ein Prinzip der Solidarität zugrunde liege.612 Dagegen bejahte der Generalanwalt Giuseppe Tesauro die Unternehmenseigenschaft, da das Versicherungssystem nicht oder nur zum geringsten Teil auf dem Solidaritätsgrundsatz beruhe.613 Vom Europäischen Gerichtshof wurde die das beschriebene Zusatzrentensystem verwaltende Einrichtung als Unternehmen im Sinne der Art. 81 ff. EG [Art. 85 ff. EGV] angesehen. Aufgrund der folgenden Merkmale ging der Gerichtshof von einer wirtschaftlichen Tätigkeit aus: – Freiwilligkeit der Mitgliedschaft im Versicherungssystem; – Kapitaldeckungsverfahren; – gewährte „Leistungen richten sich ausschließlich nach der Höhe der von den Leistungsempfängern gezahlten Beiträge und den Erträgen der von der Einrichtung vorgenommenen Investitionen“.614 „Die in dem Versicherungssystem enthaltenen Elemente der Solidarität [. . .] stehen dieser Bewertung nicht entgegen. Der Solidaritätsgrundsatz kommt im vorliegenden Fall zunächst darin zum Ausdruck, daß die Beiträge vom Versicherungsrisiko unabhängig sind,[615] daß im Fall des vorzeitigen Versterbens des Versicherten die Mittel der geleisteten Beitragszahlungen im Versicherungssystem verbleiben, 611

Siehe S. 153 ff. Wiedergegeben bei EuGH, Urt. v. 16.11.1995, Rs. C-244/94, Slg. 1995, I-4013 Rn. 7 ff. – Fédération française des sociétés d’assurance u. a. 613 Vgl. die Schlußanträge des Generalanwalts Giuseppe Tesauro v. 13.7.1995, Rs. C-244/94, Slg. 1995, I-4013 Tn. 15 ff. – Fédération française des sociétés d’assurance u. a. 614 EuGH, Urt. v. 16.11.1995, Rs. C-244/94, Slg. 1995, I-4013 Rn. 17 – Fédération française des sociétés d’assurance u. a. 615 Das Merkmal des risikounabhängigen Beitrags kann in dem hier beschriebenen Rentensystem kein Solidarmerkmal sein: Sofern ab Eintritt des Rentenalters nur der kapitalisierte Beitrag bis zur Erschöpfung der angesparten Mittel ausgeschüttet wird, besteht für das Versicherungsunternehmen und Mitversicherte kein wirtschaftlicher Nachteil. Anders ist dies bei Gewährung einer Leibrente, wie im vorliegenden System. Dann entsteht nämlich die Situation, daß an überdurchschnittlich lange lebende Rentner insgesamt mehr ausgezahlt werden muß, als es die von ihnen angesparten Mittel hergeben. Innerhalb eines Versicherungssystems werden diese Mehrausgaben versicherungsmathematisch berechnet und durch die Minderausgaben bei früh versterbenden Rentnern ausgeglichen. Wenn der risikounabhängige Beitrag nun als Solidarmerkmal 612

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2. Kap.: Wettbewerbsrecht im Bereich der sozialen Sicherheit daß im Krankheitsfall eine Freistellung von der Beitragszahlung möglich ist und daß die Beitragszahlung schließlich aus Gründen, die mit der Ertragslage des Betriebs zusammenhängen, vorübergehend ausgesetzt werden kann.

Entsprechende Bestimmungen gibt es aber auch bereits in bestimmten Gruppen-Lebensversicherungsverträgen oder sie können in sie aufgenommen werden. Da das Versicherungssystem auf Freiwilligkeit beruht, gilt der Grundsatz der Solidarität jedenfalls nur äußerst begrenzt. Unter diesen Umständen läßt er den wirtschaftlichen Charakter der Tätigkeit, die die das Versicherungssystem verwaltende Einrichtung ausübt, nicht entfallen.“616

5. Niederländische Betriebsrentenfonds (Rechtssachen Albany sowie Brentjens’ Handelsonderneming und Drijvende Bokken) sowie Rechtssache Pavlov u. a. Die Parallelverfahren Albany International BV gegen Stichting Bedrijfspensioenfonds Textielindustrie (Albany)617, Brentjens’ Handelsonderneming BV gegen Stichting Bedrijfspensioenfonds voor de Handel in Bouwmaterialen (Brentjens’ Handelsonderneming)618 und Maatschappij Drijvende Bokken BV gegen Stichting Bedrijfspensioenfonds voor de Vervoer- en Havenbedrijven (Drijvende Bokken)619 betreffen die Vereinbarkeit eines obligatorischen Betriebsrentensystems mit den Wettbewerbsregeln des EG-Vertrags, wobei Albany als Hauptentscheidung des Europäischen Gerichtshofes gilt und die Entscheidungsgründe der beiden anderen Verfahren weitgehend wortidentisch mit denen von Albany sind. In den Niederlanden besteht neben der gesetzlichen Grundrente vielfach eine weitere Altersabsicherung durch betriebliche Zusatzrenten. Zwar können die Arverstanden wird, könnte damit nur die „Solidarität“ der Frühversterbenden mit den Langlebigen gemeint sein. Diese ist aber keine sozialstaatliche Solidarität, sondern es handelt sich um eine dem Versicherungswesens immanente Risikoverteilung; vgl. auch O. Seewald, SGb 2004, 453 (458). 616 EuGH, Urt. v. 16.11.1995, Rs. C-244/94, Slg. 1995, I-4013 Rn. 18 f. – Fédération française des sociétés d’assurance u. a. (Schriftbild durch Verfasser). 617 EuGH, Urt. v. 21.9.1999, Rs. C-67/96, Slg. 1999, I-5751 – Albany. Vgl. zu dieser Entscheidung folgende Aufsätze, Anmerkungen und Besprechungen: W. Berg, EuZW 2000, 170; S. Billinger, Das Pflichtversicherungsmonopol der gesetzlichen Krankenversicherung in der Bundesrepublik Deutschland im Lichte des EG-Vertrags, 2001, S. 52 ff.; T. Blanke, AuR 2000, 28 ff.; U. Büdenbender, ZIP 2000, 44 ff.; H. Fleischer, DB 2000, 821 ff.; R. Giesen, in: Soziale Sicherheit und Wettbewerb, 2001, 123 (131 ff.); A. Kämmer, Kartellrechtliche Grenzen für die Beschränkungen des Wettbewerbs bei der Leistungsbeschaffung im Gesundheitswesen, 2004, S. 209 ff.; R. Möller, ZESAR 2006, 200 (205 f.); A. Röhling, EWiR 2000, 483 f.; K. Stürmer, ZTR 2000, 293 (294 f.). 618 EuGH, Urt. v. 21.9.1999, verb. Rs. C-115/97 bis C-117/97, Slg. 1999, I-6025 – Brentjens’ Handelsonderneming. Vgl. dazu W. Berg, EuZW 2000, 170. 619 EuGH, Urt. v. 21.9.1999, Rs. C-219/97, Slg. 1999, I-6121 – Drijvende Bokken. Vgl. dazu W. Berg, EuZW 2000, 170.

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beitgeber grundsätzlich frei über die Gewährung von betrieblichen Zusatzrenten an ihre Arbeitnehmer entscheiden, in der Praxis sind sie jedoch häufig gezwungen, ihre Arbeitnehmer als Pflichtmitglieder einem Rentenfonds anzuschließen, der für eine Industriebranche, einen Beruf oder die Arbeitnehmer eines Unternehmens zuständig ist. Solche Rentenfonds werden durch Tarifvertrag eingerichtet. Ein niederländisches Gesetz ermächtigt den Sozialminister auf Antrag einer Gruppe von Arbeitgeberorganisationen und Gewerkschaften, welche er für hinreichend repräsentativ hält, die Pflichtmitgliedschaft aller zu einer bestimmten Branche gehörenden Personengruppen bei einem Rentenfonds durch Verordnung festzulegen. Die Pflichtmitgliedschaft für alle Angehörigen eines Sektors soll verhindern, daß einige Arbeitgeber dadurch wirtschaftliche Vorteile erlangen, daß sie keine Renten gewähren.620 Die Kläger der Ausgangsverfahren waren niederländische Unternehmen, welche sich gegen Zahlungsverfügungen wehrten, die von den verschiedenen Fonds zur Beitragsbeitreibung erlassen wurden. Die klagenden Unternehmen hatten ihre Arbeitnehmer bereits bei anderen privaten Versicherungsunternehmen versichert, deren Leistungen sie für gleichwertig oder besser erachteten. Die Betriebsrentenfonds verweigerten jedoch eine gesetzlich mögliche Freistellung von der Mitgliedschaft. Gegenstand der rechtlichen Auseinandersetzung beim Europäischen Gerichtshof war somit die wettbewerbsrechtliche Vereinbarkeit der Pflichtmitgliedschaft der Arbeitnehmer in den Betriebsrentenfonds als Grundlage der Beitragspflicht. Die am Verfahren beteiligten Betriebsrentenfonds wiesen folgende Merkmale621 auf: – Pflichtmitgliedschaft für alle Arbeitnehmer einer bestimmten Branche; – Verfolgung eines sozialen Zwecks (Sicherstellung einer ausreichenden Altersvorsorge); – kein Gewinnerzielungszweck; – risikounabhängige Aufnahme; – Beitragshöhe: • durchschnittlicher622 und risikounabhängiger Beitrag; • Festlegung durch den Fonds; 620 Vgl. die Schlußanträge des Generalanwalts Francis G. Jakobs v. 28.1.1999, Rs. C-67/96, Slg. 1999, I-5751 Tn. 3 ff. – Albany. 621 Vgl. die Schlußanträge des Generalanwalts Francis G. Jakobs v. 28.1.1999 und EuGH, Urt. v. 21.9.1999, Rs. C-67/96, Slg. 1999, I-5751 passim – Albany. 622 Dabei handelt es sich wohl um einen für alle Arbeitnehmer gleich hohen Beitrag, vgl. die Schlußanträge des Generalanwalts Francis G. Jakobs v. 28.1.1999, Rs. C-67/96, Slg. 1999, I-5751 Tn. 307, 424 – Albany.

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2. Kap.: Wettbewerbsrecht im Bereich der sozialen Sicherheit

– Leistung: • im Fall Albany: lohnorientiertes Rentensystem, welches dem Arbeitnehmer nach 40 Berufsjahren zusammen mit der Grundrente eine Gesamtrentenleistung von 70 Prozent des letzten Lohns sichern sollte; • in den Fällen Brentjens’ Handelsonderneming und Drijvende Bokken: Rentenleistung in Form eines für alle Arbeitnehmer gleichen Festbetrages je Berufsjahr; • Festlegung der Leistungshöhe durch den Fonds; – Kapitaldeckungsverfahren; – Fonds bestimmt Höhe der Beiträge und der Leistungen selbst; – staatliche Kontrollen in bezug auf die Investitionen des Fonds; – Fortsetzung des Erwerbs von Rentenansprüchen unter Befreiung von der Beitragspflicht bei Arbeitsunfähigkeit; – Übernahme der vom Arbeitgeber geschuldeten Beitragsrückstände durch den Fonds im Fall der Insolvenz des Arbeitgebers und Indexierung der Höhe der Renten zur Erhaltung ihres Wertes; – Möglichkeit der Befreiung von der Mitgliedschaft durch den Fonds unter engen Voraussetzungen. Der Generalanwalt Francis G. Jakobs bejahte die Unternehmenseigenschaft der niederländischen Betriebsrentenfonds. Auf der Grundlage der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes betrachtete er als irrelevante Merkmale für die Annahme einer wirtschaftlichen Tätigkeit die Rechtsstellung der Einrichtung, ihre Errichtung durch Tarifvertrag, die staatliche Kontrolle, die Verfolgung sozialer Ziele sowie die fehlende Gewinnerzielungsabsicht. Folgende Merkmale hielt er dagegen für relevant für die Abgrenzung zwischen wirtschaftlicher und nichtwirtschaftlicher Tätigkeit: finanzwirtschaftliche Funktionsweise des Fonds (Kapitaldeckungsverfahren/Umlageverfahren), entscheidungsbestimmende Mechanismen für Beitragshöhe und Leistung (Festlegung durch Fonds/Festlegung durch Gesetzgeber) sowie Solidarität (schwach/hoch). In der freiwilligen Mitgliedschaft sah er einen besonderen Anhaltspunkt für eine wirtschaftliche Tätigkeit623.624 Damit rückte er von seiner noch in der Rechtssache van Schijndel

623 Umgekehrt soll dies jedoch nicht gelten, d. h. die Zwangsmitgliedschaft soll kein Indiz für eine nichtwirtschaftliche Tätigkeit sein; vgl. die Schlußanträge des Generalanwalts Francis G. Jakobs v. 28.1.1999, Rs. C-67/96, Slg. 1999, I-5751 Tn. 347 – Albany. 624 Schlußanträge des Generalanwalts Francis G. Jakobs v. 28.1.1999, Rs. C-67/96, Slg. 1999, I-5751 Tn. 332 ff. – Albany.

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und van Veen vertretenen Ansicht ab; dieser Fall betraf auch einen niederländischen Betriebsrentenfonds.625 Die Unternehmenseigenschaft wurde schließlich auch vom Europäischen Gerichtshof mit folgender Begründung bejaht: „In diesem Zusammenhang ist festzustellen, daß der Betriebsrentenfonds die Höhe der Beiträge und der Leistungen selbst bestimmt und daß der Fonds nach dem Kapitalisierungsprinzip arbeitet. Anders als bei den Leistungen, die von den mit der Verwaltung von Pflichtsystemen der sozialen Sicherheit betrauten Einrichtungen gewährt werden, auf die sich das Urteil Poucet und Pistre bezieht, hängt die Höhe der vom Fonds gewährten Leistungen von den Erträgen der Anlagen ab, die er vornimmt und bei denen er wie eine Versicherungsgesellschaft der Aufsicht der Versicherungskammer unterliegt. Wie [aus den niederländischen Vorschriften] hervorgeht, ist ein Betriebsrentenfonds außerdem verpflichtet, einem Unternehmen eine Freistellung zu gewähren, wenn [. . .]. Ein Betriebsrentenfonds wie der im Ausgangsverfahren betroffene übt folglich eine wirtschaftliche Tätigkeit im Wettbewerb mit den Versicherungsgesellschaften aus. Unter diesen Umständen genügen das Fehlen eines Gewinnerzielungszwecks und die Solidaritätsgesichtspunkte, auf die der Fonds und die am Verfahren beteiligten Regierungen sich berufen, nicht, um dem Betriebsrentenfonds die Eigenschaft eines Unternehmens im Sinne der Wettbewerbsregeln des Vertrages zu nehmen.“626

Die verbundenen Rechtssachen Pavel Pavlov u. a. gegen Stichting Pensioenfonds Medische Specialisten (Rechtssache Pavlov u. a.)627 betraf die Pflichtmitgliedschaft von Fachärzten in einem niederländischen Berufsrentenfonds. Im Gegensatz zu den Betriebsrentenfonds wurde der Berufsrentenfonds nicht durch Tarifvertrag eingerichtet, sondern von der Standesvertretung der freiberuflich tätigen Fachärzte. Im übrigen bestehen kaum Unterschiede zu dem oben beschriebenen niederländischen Betriebsrentenfondssystem.628 Insbesondere wurde 625 Vgl. die Schlußanträge des Generalanwalts Francis G. Jakobs v. 15.6.1995, verb. Rs. C-430/93 und C-431/93, Slg. 1995, I-4705 Tn. 55 ff. – van Schijndel und van Veen. Der Europäische Gerichtshof hat sich in seinem Urteil vom 14.12.1995 (a. a. O.) zu der Frage der Unternehmenseigenschaft nicht äußern müssen. 626 EuGH, Urt. v. 21.9.1999, Rs. C-67/96, Slg. 1999, I-5751 Rn. 81 ff. – Albany; Urt. v. 21.9.1999, verb. Rs. C-115/97 bis C-117/97, Slg. 1999, I-6025 Rn. 81 ff. – Brentjens’ Handelsonderneming; Urt. v. 21.9.1999, Rs. C-219/97, Slg. 1999, I-6121 Rn. 71 ff. – Drijvende Bokken (Schriftbild durch Verfasser). 627 EuGH, Urt. v. 12.9.2000, verb. Rs. C-180/98 bis C-184/98, Slg. 2000, I-6451 – Pavlov u. a. 628 Vgl. die Schlußanträge des Generalanwalts Francis G. Jakobs v. 23.3.2000, verb. Rs. C-180/98 bis C-184/98, Slg. 2000, I-6451 Tn. 4 – Pavlov u. a.

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2. Kap.: Wettbewerbsrecht im Bereich der sozialen Sicherheit

auch hier die Pflichtmitgliedschaft mittels einer Ministerialverordnung angeordnet, und die Ausgestaltung des Berufsrentenfondssystems ist weitgehend identisch mit den Betriebsrentenfonds. Der Berufsrentenfonds der Fachärzte wurde deshalb vom Europäischen Gerichtshof ebenfalls als Unternehmen angesehen. Seine Urteilsbegründung zur Unternehmenseigenschaft ist inhaltlich und weitgehend sogar vom Wortlaut identisch mit derjenigen in den Rechtssachen Albany, Brentjens’ Handelsonderneming und Drijvende Bokken.629 6. Rechtssache Cisal Die Rechtssache Cisal di Battistello Venanzio & C. Sas gegen Istituto nazionale per l’assicurazione gli infortuni sul lavoro (INAIL) [Cisal]630 warf die Frage nach der Unternehmenseigenschaft eines italienischen staatlichen Pflichtversicherungssystems gegen Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten auf. Die italienischen Vorschriften über die Pflichtversicherung gegen Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten unterscheiden zwischen dem gewerblichen und dem landwirtschaftlichen Sektor, wobei in der Rechtssache nur das für den gewerblichen Sektor eingerichtete System relevant war. Nach den nationalen gesetzlichen Vorschriften müssen Arbeitgeber ihre Arbeitnehmer, Gesellschaften ihre Gesellschafter und Selbständige sich selbst versichern, wenn eine gefahrträchtige Tätigkeit ausgeübt wird. Die Gesellschaft Cisal di Battistello Venanzio & C. Sas (Cisal) wollte zu dem Pflichtversicherungssystem keine Beiträge für ihren als Handwerker tätigen Gesellschafter bezahlen, da dieser bereits über eine private Absicherung gegen Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten verfügte. Im nationalen Ausgangsverfahren machte die staatliche Versicherungseinrichtung ihre Beitragsforderung geltend. Das Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof hatte die Vereinbarkeit der Pflichtmitgliedschaft mit dem Europäischen Wettbewerbsrecht als Grundlage der Beitragspflicht zum Gegenstand. Das staatliche System der Pflichtversicherung gegen Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten wies folgende Merkmale auf:631

629 Vgl. EuGH, Urt. v. 12.9.2000, verb. Rs. C-180/98 bis C-184/98, Slg. 2000, I6451 Rn. 102 ff. – Pavlov u. a.; Urt. v. 21.9.1999, Rs. C-67/96, Slg. 1999, I-5751 Rn. 71 ff. – Albany; Urt. v. 21.9.1999, verb. Rs. C-115/97 bis C-117/97, Slg. 1999, I6025 Rn. 71 ff. – Brentjens’ Handelsonderneming; Urt. v. 21.9.1999, Rs. C-219/97, Slg. 1999, I-6121 Rn. 61 ff. – Drijvende Bokken. 630 EuGH, Urt. v. 22.1.2002, Rs. C-218/00, Slg. 2002, I-691 – Cisal. Vgl. zu dieser Entscheidung folgende Aufsätze, Anmerkungen und Besprechungen: M. Fuchs, SGb 2005, 65 ff.; R. Giesen, ZESAR 2004, 151 ff.; T. Lübbig, EuZW 2002, 149 f.; R. Möller, ZESAR 2006, 200 (206 f.); A. Penner, NZS 2003, 234 ff.; H. Plagemann, EWiR 2002, 1045 f.

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– Verfolgung sozialer Ziele (Deckung gegen die Risiken eines Arbeitsunfalls und der Berufskrankheit, unabhängig von jeder Pflichtverletzung des Geschädigten oder des Arbeitgebers); – Pflichtmitgliedschaft; – Verwaltung durch eine Anstalt des Öffentlichen Rechts; – Verwaltungseinrichtung ist parallel zu ihrer Versicherungstätigkeit auch noch auf den Gebieten der Unfallverhütung, Rehabilitation und sozialen Betreuung tätig; – keine Gewinnerzielungsabsicht; – Verwaltungseinrichtung ist gesetzlich verpflichtet, bei ihrer Tätigkeit die „Gesichtspunkte der Wirtschaftlichkeit und des unternehmerischen Handelns“ einzuhalten; – Leistungsarten und -höhe: • Tagegeld: Höhe abhängig vom Einkommen des Versicherten; • Renten: Höhe abhängig vom Einkommen des Versicherten, wobei lediglich die Einkommen zwischen einem vorgegebenen Höchst- und Mindestbetrag (das um 30 Prozent erhöhte bzw. verminderte landesweite Durchschnittseinkommen) berücksichtigt werden; • Höhe der Leistungen gesetzlich festgelegt; • Leistungen müssen unabhängig von den Erträgen der Verwaltungseinrichtung erbracht werden; – Grundsatz der automatischen Leistungsgewährung, d. h. Leistungen werden auch dann erbracht, wenn der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis nicht angezeigt oder die Beiträge nicht gezahlt hat; – Beiträge/Finanzierung des Systems: • Arbeitgeber sind beitragspflichtig; • Beiträge sind abhängig vom Einkommen des versicherten Arbeitnehmers (ohne Höchstgrenze) und vom Risiko der betreffenden Tätigkeit; • Höhe der Beiträge gesetzlich festgelegt (Beitragshöhe wird durch eine Ministerialverordnung auf der Grundlage eines Beschlusses der Verwaltungseinrichtung genehmigt); • Beiträge werden für jedes Jahr so festgesetzt, daß sie die voraussichtlichen Ausgaben für die in diesem Jahr eintretenden Unfälle decken; zu diesen

631 Vgl. die Schlußanträge des Generalanwalts Francis G. Jakobs v. 13.9.2001 und EuGH, Urt. v. 22.1.2002, Rs. C-218/00, Slg. 2002, I-691 passim – Cisal.

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2. Kap.: Wettbewerbsrecht im Bereich der sozialen Sicherheit

Ausgaben gehört bei langfristigen Renten ihr Barwert bzw. Kapitalwert632, 633. Cisal machte geltend, die das Versicherungssystem verwaltende staatliche Einrichtung sei ein Unternehmen. Ihre Versicherungsleistungen seien denen privater Versicherer vollständig vergleichbar, da sie ausschließlich durch Beiträge finanziert würden, die Beiträge auf der Grundlage des Risikos berechnet würden, zwischen den Beiträgen und den Leistungen eine enge Verbindung bestehe (beide prozentual zum Arbeitsentgelt festgesetzt) und die Einrichtung das Versicherungssystem nach Gesichtspunkten der Wirtschaftlichkeit und des unternehmerischen Handelns verwalten müsse, um die Einnahmen zu steigern.634 Diese Ansicht konnte sich auf die Einschätzung der italienischen Wettbewerbsbehörde stützen. Demnach weise die Tätigkeit der Einrichtung keine Elemente der Solidarität auf, welche die wirtschaftliche Natur der Tätigkeit im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes ausschließen könnte. Die von der Einrichtung erbrachten Versicherungsleistungen seien vielmehr mit denen eines privaten Versicherers „vollständig vergleichbar“.635

632 Der Barwert ist die Summe aller diskontierten zukünftigen Zahlungen, vgl. W. Gerke/M. Bank, Finanzierung, 2003, S. 24. Schlußanträge und Urteil enthalten aber die Bezeichnung Kapitalwert (vgl. die Schlußanträge des Generalanwalts Francis G. Jakobs v. 13.9.2001, Rs. C-218/00, Slg. 2002, I-691 Tn. 21 – Cisal; EuGH, Urt. v. 22.1.2002, Rs. C-218/00, Slg. 2002, I-691 Rn. 7 – Cisal). Der Kapitalwert ist definiert als der Barwert unter Berücksichtigung, d. h. Abzug der Anfangsinvestitionen (vgl. W. Gerke/M. Bank, a. a. O.; F.-J. Busse, Grundlagen der betrieblichen Finanzwirtschaft, 2003, S. 941 f.). Umkehrt heißt das, daß bei der Diskontierung von zukünftigen Auszahlungen, wie z. B. Renten, vorherige Zuflüsse zu berücksichtigen sind. Derartige Anfangszuflüsse sind hier nicht ersichtlich, so daß Bar- und Kapitalwert übereinstimmen dürften. 633 Die Aufbringung des Bar- bzw. Kapitalwertes für zukünftige Renten bedeutet, daß die gegenwärtige Versichertengemeinschaft bzw. Generation selbst und heute die für sie zukünftig auszuzahlenden Leistungen erwirtschaftet. Eine solche Finanzierungspolitik entspricht der eines privaten Versicherers. Im Gegensatz dazu werden im System des landwirtschaftlichen Sektors in jedem Jahr diejenigen Beiträge erhoben, welche zur Deckung der für das laufende Jahr erwarteten Ausgaben – Tagegeld, Renten (bloße Jahreszahllast) – erforderlich sind. Die gegenwärtige Versichertengemeinschaft (bestehend aus Erwerbstätigen) finanziert somit unmittelbar nur die gegenwärtigen Renten (für erwerbsunfähige Personen). Ihre eigenen Renten bei einem Arbeitsunfall oder einer Berufskrankheit müssen dagegen von der nächsten Generation bzw. späteren Versichertengemeinschaft finanziert werden. Die Unternehmenseigenschaft für ein solches, nach dem Umlageverfahren arbeitendes Versicherungssystem wurde vom Generalanwalt verneint, vgl. die Schlußanträge des Generalanwalts Francis G. Jakobs v. 13.9.2001, Rs. C-218/00, Slg. 2002, I-691 Tn. 55 ff. – Cisal. 634 Vgl. die Schlußanträge des Generalanwalts Francis G. Jakobs v. 13.9.2001, Rs. C-218/00, Slg. 2002, I-691 Tn. 44 – Cisal. 635 Vgl. die Schlußanträge des Generalanwalts Francis G. Jakobs v. 13.9.2001, Rs. C-218/00, Slg. 2002, I-691 Tn. 28, 65, 78 – Cisal.

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Der Generalanwalt Francis G. Warren zählte zunächst Merkmale auf, denen für die Verneinung einer wirtschaftlichen Tätigkeit keine Bedeutung zukomme, nämlich die öffentlich-rechtliche Form der Einrichtung, ihre fehlende Gewinnerzielungsabsicht, die Verfolgung sozialer Ziele und der Umstand, daß die Einrichtung neben ihrer Versicherungstätigkeit auch noch auf anderen Gebieten636 tätig ist. Die Verpflichtung einer staatlichen Einrichtung, die Gesichtspunkte der Wirtschaftlichkeit und des unternehmerischen Handelns zu beachten, sei für sich dagegen kein Anhaltspunkt für eine wirtschaftliche Natur ihrer Tätigkeit. Hinsichtlich der Finanzierung des Versicherungssystems stellte er fest, es funktioniere nach einer ähnlichen Grundkonzeption wie z. B. eine private Kfz-Versicherung, welche die Beiträge nach der Höhe des Risikos bemesse. Die automatische Leistungsgewährung könne nach seiner Auffassung auch durch einen vom Staat oder einer staatlichen Einrichtung verwalteten Fonds garantiert werden, wie das ähnlich im Bereich der Kfz-Haftpflichtversicherung geschehe.637 Zwei Merkmale ließen den Generalanwalt aber zu dem Schluß kommen, es handele sich dennoch nicht um eine wirtschaftliche Tätigkeit. Erstens sei „die Verknüpfung zwischen den Beiträgen und den Leistungen durch das Einkommen des Opfers zu indirekt, um mit einer für private Versicherungen typischen Verknüpfung verglichen werden zu können. Insbesondere könnte kein privater Versicherer auf dem freien Markt ein System anbieten, bei dem für die Bemessung der Rentenleistungen lediglich Einkünfte innerhalb einer relativ engen Spanne bestimmter Mindest- und Höchstbeträge berücksichtigt werden, während für die Bemessung der Beiträge sämtliche den Mindestlohn übersteigende Einkünfte herangezogen werden. Das System sieht mittlere Renten offensichtlich auch dann vor, wenn hohe oder niedrige Beiträge entrichtet worden sind. Aufgrund dieses Umverteilungselements funktioniert es [. . .] eher wie ein System der sozialen Sicherheit“.

Zweitens war für ihn entscheidend, daß sowohl die Beitragshöhe als auch der Leistungsumfang letztendlich vom Staat bestimmt werde und somit die Versicherungseinrichtung die zwei zentralen Elemente des Systems nicht kontrolliere.638 Nach Ansicht des Europäischen Gerichtshofes war die das beschriebene Versicherungssystem verwaltende Einrichtung mangels wirtschaftlicher Tätigkeit nicht als Unternehmen einzustufen. Maßgeblich waren dafür zwei Aspekte: „Erstens erlauben mehrere Faktoren die Feststellung, dass das im Ausgangsverfahren streitige Versicherungssystem den Grundsatz der Solidarität umsetzt. Zum einen wird das Versicherungssystem durch Beiträge finanziert, deren Höhe nicht streng proportional zum versicherten Risiko ist. 636

Siehe S. 167. Vgl. die Schlußanträge des Generalanwalts Francis G. Jakobs v. 13.9.2001, Rs. C-218/00, Slg. 2002, I-691 Tn. 46 ff. – Cisal. 638 Schlußanträge des Generalanwalts Francis G. Jakobs v. 13.9.2001, Rs. C-218/ 00, Slg. 2002, I-691 Tn. 80 f. – Cisal [Zitat bei Tn. 80]. 637

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2. Kap.: Wettbewerbsrecht im Bereich der sozialen Sicherheit So ergibt sich aus den Akten, dass der Beitragssatz einen bestimmten Höchstbetrag nicht übersteigen kann, auch wenn die ausgeübte Tätigkeit mit einem sehr hohen Risiko verbunden ist; die Finanzierungslücke wird von allen Unternehmen getragen, die derselben Risikogruppe angehören. Ferner werden die Beiträge nicht nur auf der Grundlage des mit der Tätigkeit des betreffenden Unternehmens verbundenen Risikos berechnet, sondern auch nach Maßgabe der Einkünfte des Versicherten.[639] Zum anderen ist die Höhe der gewährten Leistungen nicht notwendig proportional zu den Einkünften des Versicherten, da für die Berechnung der Renten nur die Gehälter berücksichtigt werden können, die zwischen einem Mindest- und einem Höchstbetrag liegen, entsprechend dem nationalen Durchschnittseinkommen, verringert oder erhöht um 30%. Aufgrund dessen ist es möglich, [. . .] dass die Zahlung hoher Beiträge nur zur Gewährung von in der Höhe begrenzten Leistungen führt, wenn das betreffende Einkommen den durch Dekret festgesetzten Höchstbetrag übersteigt, und dass umgekehrt relativ niedrige, auf der Grundlage des gesetzlichen Mindesteinkommens berechnete Beiträge einen Anspruch auf Leistungen eröffnen, die nach Maßgabe eines über diesem Mindestbetrag liegenden Einkommens, nämlich dem um 30% verringerten Durchschnittseinkommen, berechnet werden. Das Fehlen eines unmittelbaren Zusammenhangs zwischen den entrichteten Beiträgen und den gewährten Leistungen bewirkt somit eine Solidarität zwischen den hoch bezahlten Arbeitnehmern und denjenigen, die in Anbetracht ihrer niedrigen Einkünfte keine angemessene soziale Absicherung hätten, wenn ein solcher Zusammenhang bestünde.

Zweitens ergibt sich aus den Akten, dass die Tätigkeit des INAIL [Name der Versicherungseinrichtung], dem die Verwaltung des streitigen Systems gesetzlich übertragen wurde, staatlicher Aufsicht unterworfen ist und dass die Höhe der Leistungen sowie der Beiträge letztlich staatlich festgesetzt ist. [. . .] Aus alledem folgt, dass die Höhe der Leistungen und der Beiträge, die zwei wesentliche Elemente des vom INAIL verwalteten Systems darstellen, staatlicher Aufsicht unterliegt und dass die Pflichtmitgliedschaft, die für ein solches Versicherungssystem kennzeichnend ist, für dessen finanzielles Gleichgewicht sowie für die Umsetzung des Grundsatzes der Solidarität, der verlangt, dass die dem Versicherten gewährten Leistungen nicht proportional zu den von ihm entrichteten Beiträgen sind, unerlässlich ist.“640

7. Rechtssache AOK Bundesverband u. a. In den verbundenen Rechtssachen AOK Bundesverband, Bundesverband der Betriebskrankenkassen, Bundesverband der Innungskrankenkassen, Bundesver639 Dieses Argument ist angesichts der Tatsache, daß sich auch die Leistungen grundsätzlich nach dem Einkommen richten, kaum nachzuvollziehen. 640 EuGH, Urt. v. 22.1.2002, Rs. C-218/00, Slg. 2002, I-691 Rn. 38 ff. – Cisal (Schriftbild durch Verfasser).

C. Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes

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band der landwirtschaftlichen Krankenkassen, Verband der Angestelltenkrankenkassen e.V., Verband der Arbeiter-Ersatzkassen, Bundesknappschaft und SeeKrankenkasse gegen Ichthyol-Gesellschaft Cordes, Hermani & Co. (C-264/01), Mundipharma GmbH (C-306/01), Gödecke AG (C-354/01) und Intersan, Institut für pharmazeutische und klinische Forschung GmbH (C-355/01) [Rechtssache AOK Bundesverband u. a.]641 war die Frage zu entscheiden, ob die Spitzenverbände der Krankenkassen (vgl. §§ 212 f. SGB V) Unternehmensvereinigungen im Sinne des Art. 81 EG sind, welches wiederum davon abhing, ob Krankenkassen wettbewerbsrechtlich als Unternehmen anzusehen sind.642 a) Sachverhalt Im System der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung sind die Krankenkassen im Regelfall dazu verpflichtet, Gesundheitsleistungen (z. B. ärztliche und zahnärztliche Behandlung, Arznei-, Heil- und Hilfsmittel etc.643) zu beschaffen und den Versicherten im Bedarfsfall als Dienst- oder Sachleistungen zur Verfügung zu stellen (Sachleistungsprinzip), vgl. § 2 Abs. 2 S. 1 SGB V.644 Ausnahmsweise erfüllen die Krankenkassen ihre Leistungspflicht mit dem Festbetrag, wenn für eine Leistung ein Festbetrag festgesetzt ist (§ 12 Abs. 2 SGB V). Festbeträge sind Höchstbeträge für die Erstattung von Preisen durch die gesetzlichen Krankenkassen.645 Liegt der Preis einer Leistung über dem Festbetrag, muß der Versicherte die Differenz selbst bezahlen.646 Für die Leistungserbringung der Krankenkassen im Arzneimittelbereich sieht § 35 SGB V eine Festbetragsregelung vor. Der Verkaufspreis für ein Arzneimittel kann von den pharmazeutischen Unternehmen grundsätzlich frei festgelegt 641 EuGH, Urt. v. 16.3.2004, verb. Rs. C-264/01, C-306/01, C-354/01 und C-355/ 01, Slg. 2004, I-2493 – AOK Bundesverband u. a. Vgl. zu dieser Entscheidung folgende Aufsätze, Anmerkungen und Besprechungen: K.-J. Bieback, RsDE Nr. 59 (2004), 57 ff.; U. M. Gassner, WuW 2004, 1028 ff.; W. Jaeger, ZWeR 2005, 31 (47 ff.); U. Knispel, SozSich 2004, 244 ff.; C. Koenig/C. Engelmann, EuZW 2004, 682 ff.; M. Krajewski, EWS 2004, 256 ff.; R. Möller, ZESAR 2006, 200 (207 ff.); S. Mühlenbruch/T. Schmidt, ZESAR 2004, 171 ff.; D. Neumann, EWiR 2004, 435 f.; D. Riedel, EuZW 2004, 245; F. Ruland, JuS 2005, 212 ff.; R. P. Schenke, VersR 2004, 1360 ff.; H. Sodan, GesR 2005, 145 ff. 642 Da die Bundesknappschaft (§ 167 SGB V a. F.) selbst unmittelbare Trägerin der gesetzlichen Krankenversicherung war und die See-Krankenkasse (§ 165 SGB V) dies weiterhin ist, war bezogen auf beide Einrichtungen allein die Frage nach ihrer Unternehmenseigenschaft relevant. 643 Vgl. genauer die im Dritten Kapitel des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (§§ 11 bis 68 SGB V) genannten Leistungen. 644 Siehe näher S. 235 ff. 645 Vgl. P. Axer, NZS 2002, 57 (58); R. P. Schenke, WiVerw 2006, 34 (47); P. Wigge, in: Soziale Sicherheit und Wettbewerb, 2001, 79 (83); H. Sodan, GesR 2005, 145 (147). 646 Siehe näher S. 239 ff.

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2. Kap.: Wettbewerbsrecht im Bereich der sozialen Sicherheit

werden, d. h. auch über dem anwendbaren Festbetrag liegen. Verordnet ein Arzt ein Arzneimittel, dessen Preis den Festbetrag übersteigt, muß er den Versicherten auf die Pflicht zur Übernahme der Mehrkosten hinweisen (§ 73 Abs. 5 S. 3 SGB V). In der Praxis führt die Festbetragsregelung zu einer Preisobergrenze bei der Preisgestaltung der pharmazeutischen Unternehmen, denn nur ca. sieben Prozent der Arzneimittel auf dem deutschen Markt, für die ein Festbetrag gilt, würden zu einem über dem Festbetrag liegenden Preis verkauft.647 Einen Überblick über das Festbetragsfestsetzungsverfahren gibt der Generalanwalt Francis G. Jakobs in seinen Schlußanträgen: „Das Verfahren für die Festsetzung von Festbeträgen ist in § 35 SGB V zweistufig geregelt. Die erste Stufe dient dazu, Gruppen von Arzneimitteln auszuwählen, für die Festbeträge gelten sollen. Diese Aufgabe nimmt der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen [heute: Gemeinsamer Bundesausschuß] (im Folgenden: Bundesausschuss) wahr, eine Einrichtung, die sich aus Vertretern der [Spitzenverbände der Krankenkassen] und der Kassenärztlichen Bundesvereinigungen zusammensetzt[648]. Nach § 35 Absatz 1 SGB V sollen die Gruppen Arzneimittel mit denselben oder mit pharmakologisch-therapeutisch vergleichbaren Wirkstoffen oder mit pharmakologisch-therapeutisch vergleichbarer Wirkung enthalten. Die Auswahl des Bundesausschusses muss dem Bundesgesundheitsministerium vorgelegt werden. Sie wird nur wirksam, wenn das Bundesministerium sie genehmigt oder nicht innerhalb von zwei Monaten [heute: vier Wochen649] beanstandet.[650] Auf der zweiten Verfahrensstufe setzen die [Spitzenverbände der Krankenkassen] dann für jede Arzneimittelgruppe einen Festbetrag fest. Nach § 35 Absatz 3 SGB V setzen die [Spitzenverbände] gemeinsam und einheitlich Festbeträge auf der Grundlage von mittleren Tages- oder Einzeldosen oder anderen geeigneten vom Bundesausschuss bestimmten Vergleichsgrößen fest. Nach § 35 Absatz 5 SGB V sind die Festbeträge so festzusetzen, ,dass sie im Allgemeinen eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche sowie in der Qualität gesicherte Versorgung gewährleisten. Sie haben Wirtschaftlichkeitsreserven auszuschöpfen, sollen einen wirksamen Preiswettbewerb auslösen und haben sich deshalb an möglichst preisgünstigen Versorgungsmöglichkeiten auszurichten; soweit wie möglich ist eine für die Therapie hinreichende Arzneimittelauswahl sicherzustellen.‘

647 Siehe die Schlußanträge des Generalanwalts Francis G. Jakobs v. 22.5.2003, verb. Rs. C-264/01, C-306/01, C-354/01 und C-355/01, Slg. 2004, I-2493 Tn. 10 – AOK Bundesverband u. a. Vgl. auch OLG Düsseldorf, Pharma Recht 1999, 283 (297); W. Boecken, in: S. Empter/H. Sodan (Hrsg.), Markt und Regulierung, 2003, 139 (144); C. Koenig/C. Sander, WuW 2000, 975 (977); H. Posser/R.-G. Müller, NZS 2004, 178 (182). 648 § 91 Abs. 1 SGB V a. F. 649 § 94 Abs. 1 S. 2 Hs. 2 in Verbindung mit § 35 Abs. 1 SGB V. 650 § 94 Abs. 1 S. 1, 2 a. F. in Verbindung mit § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 6, § 35 Abs. 1 Hs. 1 SGB V.

C. Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes

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Zum Zeitpunkt der Erhebung der Klagen in den Ausgangsverfahren im Jahr 1998 sah § 35 Absatz 5 SGB V ferner vor, dass bei der Festsetzung von Festbeträgen ,grundsätzlich von den preisgünstigen Apothekenabgabepreisen in der Vergleichsgruppe auszugehen‘ sei. Später wurde er dahin geändert, dass lediglich verlangt wird, dass der Festbetrag in das untere Drittel der in der Vergleichsgruppe vorhandenen Preisspanne fällt.[651] Wenn es den [Spitzenverbänden der Krankenkassen] nicht gelingt, sich auf den Festbetrag für eine bestimmte Arzneimittelgruppe zu einigen, trifft das Bundesgesundheitsministerium im Einvernehmen mit dem Bundeswirtschaftsministerium die Entscheidung.[652] Bis zum Zeitpunkt der Vorlagebeschlüsse hat es für das Bundesgesundheitsministerium offenbar noch keinen Anlass gegeben, eine Entscheidung zur Festsetzung von Festbeträgen zu erlassen. Auf beiden Verfahrensstufen ist Sachverständigen der medizinischen und pharmazeutischen Wissenschaft und Praxis Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben, und diese Stellungnahmen sind zu berücksichtigen.[653] Die festgesetzten Festbeträge sind von den [Spitzenverbänden] einmal jährlich zu überprüfen und in geeigneten Zeitabständen an eine veränderte Marktlage anzupassen.[654] Nach ihrer Festsetzung sind sie im Bundesanzeiger bekannt zu machen und können gerichtlich angefochten werden.[655]“656

In den deutschen Ausgangsverfahren hatten verschiedene pharmazeutische Unternehmen die Festsetzung von Festbeträgen angefochten, die für Arzneimittelgruppen galten, zu denen ihre eigenen Produkte gehörten. Der Rechtsstreit warf die Frage auf, ob die angefochtenen Festsetzungen durch die Spitzenverbände der Krankenkassen kartellrechtlich als Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen im Sinne des Art. 81 Abs. 1 EG anzusehen sind.657 Dies könnte nur

651 Vgl. Art. 1 Nr. 6 des Gesetzes zur Stärkung der Solidarität in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Solidaritätsstärkungsgesetz) v. 19.12.1998 (BGBl. I 3853) mit Wirkung v. 1.1.1999. 652 § 35 Abs. 6 in Verbindung mit § 213 Abs. 3 SGB V. 653 § 35 Abs. 2, Abs. 3 S. 3 SGB V. 654 § 35 Abs. 5 S. 3 SGB V. 655 § 35 Abs. 7 SGB V. 656 Schlußanträge des Generalanwalts Francis G. Jakobs v. 22.5.2003, verb. Rs. C264/01, C-306/01, C-354/01 und C-355/01, Slg. 2004, I-2493 Tn. 11 ff. – AOK Bundesverband u. a. 657 Genaugenommen kommt der einzelne Spitzenverband als Unternehmensvereinigung in Betracht, deren Mitglieder die in diesem Verband organisierten Krankenkassen sind. Die Festbetragsfestsetzung erfolgt jedoch nicht durch den einzelnen Spitzenverband (als Beschluß einer Unternehmensvereinigung), sondern durch alle Spitzenverbände gemeinsam. Diese Zusammenarbeit der Spitzenverbände untereinander bei der Festbetragsfestsetzung ähnelt der eines Zusammenschlusses von Unternehmensvereinigungen. Art. 81 Abs. 1 EG erfaßt aber nicht nur Beschlüsse von einzelnen Unternehmensvereinigungen, sondern auch von Zusammenschlüssen von Unternehmensvereinigungen; vgl. OLG Düsseldorf, WuW/E DE-R 233 (234) – Inkontinenzhilfen; Pharma Recht 1999, 283 (290 f.); V. Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, WettbR EG/1 Art. 81 Abs. 1 EGV Rn. 44 m. w. N.

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2. Kap.: Wettbewerbsrecht im Bereich der sozialen Sicherheit

dann bejaht werden, wenn die Mitglieder der Spitzenverbände, nämlich die einzelnen Krankenkassen, Unternehmen im Sinne des Europäischen Wettbewerbsrechts (Art. 81 ff. EG) wären. b) Ansichten der Verfahrensbeteiligten Die in den nationalen Ausgangsverfahren beklagten Spitzenverbände der Krankenkassen, die Bundesregierung und die EG-Kommission machten gestützt auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes in den Rechtssachen Poucet und Pistre658 sowie Cisal659 geltend, Krankenkassen seien mangels wirtschaftlicher Tätigkeit keine Unternehmen. Die Funktionsweise der Krankenkassen basiere auf dem Grundsatz der Solidarität. Es werde allen Versicherten derselbe Leistungsumfang garantiert, unabhängig von ihrem Einkommen, ihrem Gesundheitszustand und der Risikohöhe. Die Höhe der Beiträge sei risikounabhängig und die Leistungen hingen nicht von der Beitragshöhe ab. Ungefähr 90 Prozent der Bevölkerung seien Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung und zwischen den Krankenkassen finde ein finanzieller Ausgleich660 statt.661 Nach Ansicht der Arzneimittelhersteller übten Krankenkassen eine wirtschaftliche Tätigkeit aus und seien folglich Unternehmen: „Die Krankenkassen konkurrierten stark miteinander in den folgenden drei Bereichen: bei der Beitragshöhe, dem Leistungsangebot und der Verwaltung und Organisation ihrer Dienstleistungen. Die Beitragshöhe werde von jeder Kasse festgelegt,[662] wobei sich jede Kasse bemühe, einen Beitragssatz anzubieten, der so niedrig wie möglich sei, u. a. durch Reduzierung ihrer Verwaltungsausgaben. Der Unterschied zwischen den Beitragssätzen der verschiedenen Krankenkassen sei teilweise erheblich. So habe am 1. Januar 2002 der höchste Satz um ein Drittel über dem niedrigsten gelegen. Die Leistungen würden zwar teilweise durch die Vorschriften des SGB V normiert, den Krankenkassen verblieben aber Spielräume im Bereich der freiwilligen Zusatzleistungen, die u. a. die Rehabilitation, die alternativen Heilmethoden und Naturheilverfahren oder Vorsorgemaßnahmen bei bestimmten chronischen Krankheiten wie Diabetes oder Asthma beträfen. 658

Siehe S. 153 ff. Siehe S. 166 ff. 660 Gemeint sind hier wohl die Finanz- und Risikostrukturausgleiche gemäß §§ 265 ff. SGB V. Siehe näher zum Risikostrukturausgleich H. Sodan/O. Gast, NZS 1999, 265 ff.; dies., Umverteilung durch „Risikostrukturausgleich“, 2002. 661 Vgl. die Darstellungen über die Erklärungen der Beteiligten bei EuGH, Urt. v. 16.3.2004, verb. Rs. C-264/01, C-306/01, C-354/01 und C-355/01, Slg. 2004, I-2493 Rn. 34 ff. – AOK Bundesverband u. a. sowie in den Schlußanträgen des Generalanwalts Francis G. Jakobs v. 22.5.2003, verb. Rs. C-264/01, C-306/01, C-354/01 und C355/01, Slg. 2004, I-2493 Tn. 36 – AOK Bundesverband u. a. 662 Vgl. § 241 S. 1, § 194 Abs. 1 Nr. 4 in Verbindung mit § 197 Abs. 1 Nr. 1 SGB V. 659

C. Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes

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Die Krankenkassen konkurrierten auch hinsichtlich der Verwaltung und Organisation ihrer Tätigkeit; einige von ihnen legten den Schwerpunkt auf ihre örtliche Präsenz durch ein dichtes Netz von Geschäftsstellen, während andere demgegenüber der Kommunikation über Telefon und Internet Vorrang einräumten. Die Krankenkassen bedienten sich im Allgemeinen intensiver Werbe- und Marketingmaßnahmen. Der Anteil der wechselnden Mitglieder am Gesamtbestand während der letzten drei Jahre habe zwischen 3% und 5% pro Jahr gelegen. Außerdem könnten die Krankenkassen von der Aufsichtsbehörde geschlossen werden, wenn ihre Leistungsfähigkeit nicht mehr auf Dauer gesichert sei. Daraus folge, dass die Versicherungstätigkeit der Krankenkassen einschließlich ihrer Tätigkeit des Arzneimittelkaufs wirtschaftlicher Art sei.“663

Die Arzneimittelhersteller sahen somit im Bestehen eines Wettbewerbs unter den Krankenkassen das entscheidende, eine nichtwirtschaftliche Tätigkeit ausschließende Merkmal.664 c) Ansicht des Generalanwalts Francis G. Jakobs Der Generalanwalt Francis G. Jakobs stellt in seinen Schlußanträgen zunächst die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes zur Unternehmenseigenschaft von sozialen Zwecken dienenden Einrichtungen dar. Er erkennt, daß es danach entscheidend auf das im betreffenden Sozialsystem verankerte Umverteilungselement ankomme. Zwar habe das System der gesetzlichen Krankenversicherung in der Bundesrepublik Deutschland eine Reihe von Gemeinsamkeiten mit den Systemen, die den Urteilen Poucet und Pistre665 sowie Cisal666 zugrunde lagen. Weil es aber ein gewisses Maß an Wettbewerb der Krankenkassen untereinander sowie zwischen den Krankenkassen und privaten Krankenversicherungsunternehmen vorsehe, unterscheide es sich von jenen Systemen und zeige, daß das Umverteilungselement nicht so ausgeprägt sei, um eine wirtschaftliche Tätigkeit auszuschließen.667 Die Krankenkassen stünden untereinander in einem gewissen Preiswettbewerb. Sie setzten nämlich bei bestehender Kassenwahlfreiheit der Versicherungspflichtigen die Beitragshöhe durch Festlegung des Beitragssatzes668 selbst fest

663 So die Darstellung der Erklärungen der Beteiligten bei EuGH, Urt. v. 16.3.2004, verb. Rs. C-264/01, C-306/01, C-354/01 und C-355/01, Slg. 2004, I-2493 Rn. 39 ff. – AOK Bundesverband u. a. (Hervorhebungen durch Verfasser). 664 Siehe näher zum Wettbewerb unter den Krankenkassen S. 284 ff. 665 Siehe S. 153 ff. (Unternehmenseigenschaft verneint). 666 Siehe S. 166 ff. (Unternehmenseigenschaft verneint). 667 Schlußanträge des Generalanwalts Francis G. Jakobs v. 22.5.2003, verb. Rs. C-264/01, C-306/01, C-354/01 und C-355/01, Slg. 2004, I-2493 Tn. 35, 37 ff. – AOK Bundesverband u. a.

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2. Kap.: Wettbewerbsrecht im Bereich der sozialen Sicherheit

(vgl. § 241 S. 1, § 194 Abs. 1 Nr. 4 in Verbindung mit § 197 Abs. 1 Nr. 1 SGB V). Daher differiere die Beitragshöhe je nach Krankenkasse. Untereinander stünden die Krankenkassen ferner auch in einem gewissen Leistungswettbewerb. Zwar sei der elementare Leistungsumfang gesetzlich festgelegt, die Krankenkassen verfügten aber über Ermessen bei der Entscheidung, wie sie ihren Verpflichtungen nachkämen. Beispielsweise könnten sie darüber entscheiden, ob sie bestimmte Zusatz- und Vorsorgebehandlungen anböten. Mit privaten Krankenversicherungsunternehmen stünden die Krankenkassen im Wettbewerb um diejenigen Arbeitnehmer, die nicht verpflichtet sind, sich in der gesetzlichen Krankenversicherung zu versichern.669 Da die Krankenkassen danach tatsächlich in der Lage seien, bei der Erbringung von Krankenversicherungsleistungen in bestimmten Grenzen miteinander und mit privaten Versicherungsunternehmen zu konkurrieren, könne man sie als Unternehmen betrachten. Die Festsetzung der Festbeträge lasse sich auch nicht von der Haupttätigkeit der Krankenkassen, nämlich der Erbringung von Krankenversicherungsleistungen, trennen. Die Krankenkassen legten damit den Höchstpreis, zu dem sie ein zentrales Einsatzgut einkaufen, bzw. den Umfang der Versicherungsleistungen, die sie den Versicherten erbringen, fest. Die Festbetragsfestsetzung falle daher in den Bereich der von den Krankenkassen ausgeübten wirtschaftlichen Tätigkeit. d) Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes Der Gerichtshof legt dar, er habe im Bereich der sozialen Sicherheit entschieden, daß „bestimmte Einrichtungen, die mit der Verwaltung gesetzlicher Kranken- und Rentenversicherungssysteme betraut sind, einen rein sozialen Zweck verfolgen und keine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben“.670 Nachdem er sehr kurz Entscheidungserwägungen aus den Urteilen Poucet und Pistre671, Cisal672,

668 Der Beitragssatz ist ein Prozentsatz der beitragspflichtigen Einnahmen des Versicherten, vgl. § 241 S. 1 SGB V. 669 Richtig müßte der Generalanwalt formulieren, daß die Krankenkassen und privaten Krankenversicherungsunternehmen im Wettbewerb stehen um diejenigen Personen, welche nicht pflichtversichert sind und freiwillig einer Krankenkasse beitreten dürfen bzw. sich auf Antrag von der Versicherungspflicht befreien lassen können. Dieser Personenkreis umfaßt nicht nur Arbeitnehmer. Siehe näher zum Wettbewerb zwischen Krankenkassen und privaten Krankenversicherungsunternehmen S. 290 ff. 670 EuGH, Urt. v. 16.3.2004, verb. Rs. C-264/01, C-306/01, C-354/01 und C-355/ 01, Slg. 2004, I-2493 Rn. 47 – AOK Bundesverband u. a. 671 Siehe näher S. 153 ff. 672 Siehe näher S. 166 ff.

C. Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes

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Fédération française des sociétés d’assurance u. a.673 sowie Albany674 wiedergibt, kommt der Gerichtshof zu der Erkenntnis, „dass die Krankenkassen der gesetzlichen Krankenversicherung in Deutschland [. . .] an der Verwaltung des Systems der sozialen Sicherheit mitwirken. Sie nehmen insoweit eine rein soziale Aufgabe wahr, die auf dem Grundsatz der Solidarität beruht und ohne Gewinnerzielungsabsicht ausgeübt wird. Besonders hervorzuheben ist, dass die Krankenkassen gesetzlich verpflichtet sind, ihren Mitgliedern im Wesentlichen gleiche Pflichtleistungen anzubieten, die unabhängig von der Beitragshöhe sind. Die Krankenkassen haben somit keine Möglichkeit, auf diese Leistungen Einfluss zu nehmen. [. . .675] Die Krankenkassen konkurrieren somit weder miteinander noch mit den privaten Einrichtungen hinsichtlich der Erbringung der im Bereich der Behandlung oder der Arzneimittel gesetzlich vorgeschriebenen Leistungen, die ihre Hauptaufgabe darstellt.[676] Aus diesen Merkmalen folgt, dass die Krankenkassen den Einrichtungen gleichen, um die es in den Rechtssachen Poucet und Pistre sowie Cisal ging, und dass ihre Tätigkeit nicht wirtschaftlicher Art ist.“677

Der Spielraum der Krankenkassen bei der Festlegung ihrer Beitragssätze und das Vorhandensein eines gewissen Wettbewerbs untereinander678 zwängen zu 673

Siehe näher S. 159 ff. Siehe näher S. 162 ff. 675 Die rechtliche Würdigung enthält an dieser Stelle eine im Konjunktiv verfaßte Wiedergabe aus dem Vorlagebeschluß des Bundesgerichtshofes. Sie scheint somit als eine vom Europäischen Gerichtshof nicht näher überprüfte Drittaussage keine entscheidungstragende Bedeutung zu haben. Die Passage lautet: „Der Bundesgerichtshof weist hierzu in seinen Vorlagebeschlüssen darauf hin, dass die Krankenkassen zu einer Art Solidargemeinschaft zusammengeschlossen seien, die es ihnen ermögliche, untereinander einen Kosten- und Risikoausgleich vorzunehmen. So erfolge nach den §§ 265 ff. SGB V ein Ausgleich zwischen den Krankenkassen mit den niedrigsten Gesundheitsausgaben und den Krankenkassen, die kostenträchtige Risiken versicherten und deren Ausgaben im Zusammenhang mit diesen Risiken am höchsten seien.“ 676 Die gesetzliche Festlegung des Leistungskatalogs der Krankenkassen sowie der Risikostrukturausgleich zwischen den Krankenkassen mögen vielleicht als Begründung dafür dienen, daß die Krankenkassen hinsichtlich der vorgeschriebenen Leistungen nicht untereinander konkurrieren. Es ist jedoch nicht nachzuvollziehen, wie der Europäische Gerichtshof zu dem Schluß kommt, deshalb sei auch der Wettbewerb mit privaten Krankenversicherungsunternehmen ausgeschlossen, für die der gesetzliche Leistungskatalog überhaupt nicht gilt und die auch nicht am Risikostrukturausgleich teilnehmen. 677 EuGH, Urt. v. 16.3.2004, verb. Rs. C-264/01, C-306/01, C-354/01 und C-355/ 01, Slg. 2004, I-2493 Rn. 51 ff. – AOK Bundesverband u. a. (Hervorhebungen durch Verfasser). 678 Auch hier ist nicht nachzuvollziehen, weshalb der Europäische Gerichtshof den Wettbewerb um Mitglieder zwischen Krankenkassen und privaten Krankenversicherungsunternehmen übergeht. 674

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2. Kap.: Wettbewerbsrecht im Bereich der sozialen Sicherheit

keiner anderen Betrachtung. Denn der deutsche Gesetzgeber habe „bei den Beiträgen ein Wettbewerbselement eingeführt, um die Krankenkassen zu veranlassen, im Interesse des ordnungsgemäßen Funktionierens des deutschen Systems der sozialen Sicherheit ihre Tätigkeit nach den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit auszuüben, d. h. so effizient und kostengünstig wie möglich.[679] Die Verfolgung dieses Zieles ändert nichts an der Natur der Tätigkeit der Krankenkassen.“680 Zum ersten Mal in seiner Rechtsprechung zur Unternehmenseigenschaft von Sozialversicherungsträgern erkennt der Europäische Gerichtshof im Anschluß, daß es auf der Grundlage des funktionalen Unternehmensbegriffs weniger auf eine Würdigung der Institution im ganzen, sondern vielmehr auf die Qualifizierung einer konkret von ihr ausgeübten Tätigkeit ankommt:681 „Es lässt sich jedoch nicht ausschließen, dass die Krankenkassen und die sie vertretenden Einheiten, d. h. die Kassenverbände, außerhalb ihrer Aufgaben rein sozialer Art im Rahmen der Verwaltung des deutschen Systems der sozialen Sicherheit Geschäftstätigkeiten ausüben, die keinen sozialen, sondern einen wirtschaftlichen Zweck haben. [. . .] Daher ist zu prüfen, ob die Festsetzung der Festbeträge durch die Kassenverbände zu den von den Krankenkassen wahrgenommenen Aufgaben rein sozialer Art gehört oder ob sie über diesen Rahmen hinausgeht und eine Tätigkeit wirtschaftlicher Art darstellt. [. . .] Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass die Kassenverbände, wie sich aus den Akten ergibt, mit der Festsetzung der Festbeträge nur einer Pflicht nachkommen, die ihnen § 35 SGB V auferlegt, um den Fortbestand des deutschen Systems der sozialen Sicherheit sicherzustellen. So regelt diese Vorschrift ausführlich die Einzelheiten der Festsetzung dieser Beträge [. . .]. Nur die konkrete Höhe der Festbeträge wird nicht durch das Gesetz vorgegeben, sondern von den Kassenverbänden unter Berücksichtigung der vom Gesetzgeber festgelegten Kriterien entschieden. Außerdem verfügen die Kassenverbände dabei zwar über ein gewisses Ermessen, dieses bezieht sich jedoch auf den Höchstbetrag, bis zu dem die Krankenkassen die Kosten von Arzneimitteln übernehmen und der einen Bereich darstellt, in dem die Krankenkassen nicht miteinander konkurrieren. Daraus ergibt sich, dass die Kassenverbände bei der Festsetzung dieser Festbeträge kein eigenes Interesse verfolgen, das sich vom rein sozialen Zweck der Krankenkassen trennen ließe. Vielmehr kommen die Kassenverbände mit dieser Festsetzung einer Pflicht nach, die vollständig zur Tätigkeit der Krankenkassen im Rahmen der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung gehört. 679 Der Europäische Gerichtshof scheint dem tatsächlich vorhandenen Wettbewerb unter den Krankenkassen die gleiche Bedeutung zuzumessen wie der Generalanwalt Francis G. Jakobs einer gesetzlichen Bestimmung im Fall Cisal, welche die betreffende Einrichtung verpflichtete, die „Gesichtspunkte der Wirtschaftlichkeit und des unternehmerischen Handelns“ einzuhalten (vgl. S. 169, 182). 680 EuGH, Urt. v. 16.3.2004, verb. Rs. C-264/01, C-306/01, C-354/01 und C-355/ 01, Slg. 2004, I-2493 Rn. 56 – AOK Bundesverband u. a. 681 Siehe ausführlich zur Relativität des Unternehmensbegriffes S. 67 ff.

C. Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes

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Somit ist festzustellen, dass die Kassenverbände mit der Festsetzung der Festbeträge nur eine Pflicht im Rahmen der Verwaltung des deutschen Systems der sozialen Sicherheit erfüllen, die ihnen das Gesetz auferlegt, und dass sie nicht als Unternehmen handeln, die eine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben.“682, 683

II. Ableitung von nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes zur Beurteilung der Unternehmenseigenschaft relevanten und irrelevanten Merkmalen von sozialen Zwecken dienenden Einrichtungen Der funktionale Unternehmensbegriff684, nach dem jede eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einheit wettbewerbsrechtlich als Unternehmen anzusehen ist, bleibt nach der oben dargestellten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes im Ausgangspunkt auch im Tätigkeitsbereich der sozialen Sicherheit maßgeblich.685 Tatsächlich ist eine Definition des Unternehmenstatbestandes und seine funktionale Begriffsbestimmung durch den Gerichtshof sogar erstmalig in der Entscheidung Höfner und Elser erfolgt, in welcher es um die Unternehmenseigenschaft eines Sozialversicherungsträgers (Bundesanstalt für Arbeit) ging. Die Würdigungen des Gerichtshofes zur Unternehmenseigenschaft der verschiedenen mit der Verwaltung eines Systems der sozialen Sicherheit betrauten Einrichtungen betrafen dogmatisch die Abgrenzung zwischen wirtschaftlicher und nichtwirtschaftlicher Tätigkeit. Aus den verschiedenen Entscheidungen zur Unternehmenseigenschaft von Sozialversicherungsträgern läßt sich eindeutig ablesen, daß der Gerichtshof Merkmale bzw. Eigenschaften der betreffenden Einrichtungen heranzieht, um eine Zuordnung zum wirtschaftlichen oder nichtwirtschaftlichen Sektor vorzunehmen. Dagegen wird in den einzelnen Entscheidungen oftmals nicht deutlich, 682 EuGH, Urt. v. 16.3.2004, verb. Rs. C-264/01, C-306/01, C-354/01 und C-355/ 01, Slg. 2004, I-2493 Rn. 58 ff. – AOK Bundesverband u. a. (Absätze teilweise verbunden durch Verfasser). 683 Richtigerweise stellt sich jedoch nicht die Frage, ob die Festbetragsfestsetzung selbst eine wirtschaftliche Tätigkeit ist, weil diese keinen unmittelbaren Marktbezug aufweist, d. h. kein Anbieten oder Nachfragen von Gütern oder Dienstleistungen auf einem Markt darstellt. Die Festbetragsfestsetzung ist vielmehr die mutmaßlich wettbewerbsbeschränkende Verhaltensweise, für die aufgrund der Relativität des Unternehmensbegriffes zu prüfen ist, ob sie einer wirtschaftlichen Tätigkeit zuzurechnen ist; siehe dazu S. 260 ff. 684 Siehe S. 46 ff. 685 Vgl. EuGH, Urt. v. 23.4.1991, Rs. C-41/90, Slg. 1991, I-1979 Rn. 21 – Höfner und Elser; Urt. v. 17.2.1993, verb. Rs. C-159/91 und C-160/91, Slg. 1993, I-637 Rn. 17 – Poucet und Pistre; Urt. v. 16.11.1995, Rs. C-244/94, Slg. 1995, I-4013 Rn. 14 – Fédération française des sociétés d’assurance u. a.; Urt. v. 21.9.1999, Rs. C-67/96, Slg. 1999, I-5751 Rn. 77 – Albany; Urt. v. 22.1.2002, Rs. C-218/00, Slg. 2002, I-691 Rn. 22 – Cisal; Urt. v. 16.3.2004, verb. Rs. C-264/01, C-306/01, C-354/01 und C355/01, Slg. 2004, I-2493 Rn. 46 – AOK Bundesverband u. a.

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2. Kap.: Wettbewerbsrecht im Bereich der sozialen Sicherheit

welche Relevanz einzelne Merkmale oder Eigenschaften für die rechtliche Beurteilung besitzen.686 Darüber hinaus leiden Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes daran, daß sie eine rechtsstaatlich gebotene Begründungstiefe oftmals vermissen lassen.687 Im folgenden wird mit einer Zusammenschau der verschiedenen Entscheidungen untersucht, welche Merkmale von Sozialversicherungsträgern nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für die Prüfung der Unternehmenseigenschaft keine Bedeutung haben und welche Merkmale beachtlich bzw. ausschlaggebend sind. 1. Irrelevante Merkmale Der Rechtsprechung kann zunächst entnommen werden, daß die Verfolgung sozialer Zwecke als solche die Unternehmenseigenschaft einer Einrichtung nicht ausschließt. Alle oben dargestellten Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes betrafen Einrichtungen, welche einem sozialen Zweck dienten, und dennoch wurde die Unternehmenseigenschaft unterschiedlich beurteilt. So hat der Gerichtshof in seinem Urteil in der Rechtssache Cisal auch ausgeführt: „Allerdings genügt der soziale Zweck eines Versicherungssystems als solcher nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes nicht, um eine Einstufung der betreffenden Tätigkeit als wirtschaftliche Tätigkeit auszuschließen“688.

Mißverständlich sind jedoch die jüngsten Formulierungen des Gerichtshofes in der Entscheidung AOK Bundesverband u. a. Dort erweckt er den Eindruck, die Verfolgung „rein sozialer Zwecke“ mit nichtwirtschaftlicher Tätigkeit gleichzusetzen.689 Da sich die Prüfung jedoch auch in dieser Rechtssache an den bisher entwickelten Kriterien ausrichtet, ist die neue Formulierung nicht als dogmatische Abkehr von der vorherigen Rechtsprechung zu verstehen. Die Charakterisierung als „rein soziale Zwecke verfolgende Einrichtung“ bezieht der Gerichtshof in der Entscheidung AOK Bundesverband u. a. auf jene Einrichtungen mit sozialer Zwecksetzung, die (nach seiner Ansicht) keine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben. Soziale Zwecke verfolgende wirtschaftlich tätige Einrichtungen bleiben daneben weiterhin anerkannt. Man könnte überlegen, ob die Verfolgung sozialer Zwecke durch eine Einrichtung allgemein dazu führt, daß der Europäische Gerichtshof die Unternehmenseigenschaft nach dem Grundsatz der Solidarität bestimmt. Gegen diesen Ansatz spricht jedoch, daß der Solidaritätsgrundsatz in der Rechtssache Cor686 Vgl. auch J. Möller, VSSR 2001, 25 (31 f.); R. Möller, ZESAR 2006, 200 (209); S. Storr, ZESAR 2003, 249 (250). 687 Vgl. R. Richardi/M. Steckermeier, DZWir 1991, 120 (121). 688 EuGH, Urt. v. 22.1.2002, Rs. C-218/00, Slg. 2002, I-691 Rn. 37 – Cisal. 689 Vgl. EuGH, Urt. v. 16.3.2004, verb. Rs. C-264/01, C-306/01, C-354/01 und C355/01, Slg. 2004, I-2493 Rn. 47, 51, 58 – AOK Bundesverband u. a.

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beau keinerlei Rolle spielte, obwohl die zu beurteilende Einrichtung (belgische Postverwaltung) soziale Zwecke verfolgte und solidarische Ausgestaltungsformen aufwies.690 Auch ist es für die Beurteilung der Unternehmenseigenschaft unerheblich, ob die betreffende Tätigkeit mit Gewinnerzielungsabsicht ausgeübt wird. Dies ergibt sich wiederum daraus, daß keine der hinsichtlich ihrer Unternehmenseigenschaft vom Gerichtshof unterschiedlich beurteilten Einrichtungen mit ihrer Tätigkeit auf Gewinnerzielung ausgerichtet war. Wettbewerbsrechtlich kann eine wirtschaftliche Tätigkeit auch ohne Gewinnzweck ausgeübt werden.691 Dennoch fällt auf, daß der Europäische Gerichtshof das Merkmal der fehlenden Gewinnerzielungsabsicht teilweise dann zur Begründung mit anführt, wenn er eine wirtschaftliche Tätigkeit wegen des Beruhens der Tätigkeit auf dem Solidaritätsgrundsatz verneint.692 Die wettbewerbsrechtlich unbeachtliche fehlende Gewinnerzielungsabsicht stellt in diesem Zusammenhängen nur ein Placebo dar, um den Ausschluß wettbewerbsrechtlicher Verhaltensnormen argumentativ zu unterstützen. In der Rechtssache Cisal hat der Gerichtshof darauf nicht zurückgegriffen, und die Gewinnerzielungsabsicht spielte überhaupt keine Rolle. Das Fehlen einer Gewinnerzielungsabsicht ist allenfalls ein dem Grundsatz der Solidarität innewohnender Umstand, der aber keine selbständige Bedeutung für die Abgrenzung von wirtschaftlicher und nichtwirtschaftlicher Tätigkeit besitzt. Ferner kommt es nicht auf die Rechtsform des Sozialversicherungsträgers an. Dies wird bereits dadurch deutlich, daß in den dargestellten Entscheidungen die genaue Rechtsform der betreffenden Einrichtung oftmals weder den Schlußanträgen des Generalanwaltes noch dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes eindeutig zu entnehmen ist. Es spielt somit keine Rolle, ob ein Sozialversicherungsträger öffentlich-rechtlich oder privatrechtlich organisiert ist oder ob er eine eigenständige juristische Person darstellt oder in den Staatsapparat integriert ist. Die Unbeachtlichkeit der Rechtsform ist gleichsam schon Bestandteil der Definition des Europäischen Gerichtshofes für den funktionalen Unternehmensbegriff. Seit seinem Urteil in der Rechtssache Höfner und Elser formuliert der Gerichtshof, im Rahmen des Wettbewerbsrechts umfasse „der Begriff des Unternehmens jede eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einheit, unabhän-

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Vgl. S. 157 ff. und 207 f. sowie C. Benicke, EWS 1997, 373 (377). Vgl. EuGH, Urt. v. 16.11.1995, Rs. C-244/94, Slg. 1995, I-4013 Rn. 21 – Fédération française des sociétés d’assurance u. a.; Urt. v. 21.9.1999, Rs. C-67/96, Slg. 1999, I-5751 Rn. 85 – Albany; D. Zimmer, in: Immenga/Mestmäcker, GWB § 1 Rn. 57. Siehe auch S. 89 ff. m. w. N. 692 EuGH, Urt. v. 17.2.1993, verb. Rs. C-159/91 und C-160/91, Slg. 1993, I-637 Rn. 18 – Poucet und Pistre; Urt. v. 16.3.2004, verb. Rs. C-264/01, C-306/01, C-354/ 01 und C-355/01, Slg. 2004, I-2493 Rn. 47 – AOK Bundesverband u. a. 691

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2. Kap.: Wettbewerbsrecht im Bereich der sozialen Sicherheit

gig von ihrer Rechtsform und der Art der Finanzierung“693. Die Mitgliedstaaten sollen nämlich nicht durch die Auswahl eines bestimmten Rechtsrahmens für ihre Sozialversicherungssysteme bzw. Sozialversicherungsträger die persönliche Anwendbarkeit des Europäischen Wettbewerbsrechts ausschließen können.694 Nach der soeben genannten Definition des Europäischen Gerichtshofes für den funktionalen Unternehmensbegriff dürfte es auch nicht auf die Art der Finanzierung des zu beurteilenden Sozialsystems ankommen. Im folgenden wird jedoch dargelegt werden, daß die Art der Finanzierung eines Sozialsystems für den Gerichtshof – entgegen der seinen rechtlichen Würdigungen immer wieder vorangestellten Definition des Unternehmenstatbestandes – ein ganz entscheidender Parameter für die Abgrenzung zwischen wirtschaftlicher und nichtwirtschaftlicher Tätigkeit ist.695 Einer gesetzlichen Verpflichtung des Sozialversicherungsträgers, bei seiner Tätigkeit die Gesichtspunkte der Wirtschaftlichkeit und des unternehmerischen Handelns einzuhalten, mißt der Europäische Gerichtshof keine Bedeutung für die Abgrenzung von wirtschaftlicher und nichtwirtschaftlicher Betätigung zu. Dies verwundert nicht, da jede dem Staat zurechenbare Aufgabe so effizient und kostengünstig wie möglich ausgeführt werden sollte. Im Fall AOK Bundesverband u. a. traf der Gerichtshof auf eine Ausgestaltung, in welcher das Krankenversicherungssystem durch verschiedene Träger (Krankenkassen) verwaltet wird, die miteinander im Wettbewerb um Mitglieder stehen. Einen solchen Wettbewerb hält der Gerichtshof jedenfalls dann für nicht bedeutsam, wenn er nur deshalb vom Gesetzgeber eingeführt bzw. zugelassen wird, um die verschiedenen an der Verwaltung des betreffenden Sozialsystems beteiligten Träger zu veranlassen, „im Interesse des ordnungsgemäßen Funktionierens des [. . .] Systems der sozialen Sicherheit ihre Tätigkeit nach den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit auszuüben“696. Schließlich kommt nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes auch dem Umstand keine Bedeutung zu, daß die Aufgaben eines bestimmten Sozialversicherungsträgers in der Verfassung eines Mitgliedstaates niedergelegt sind.697 693 EuGH, Urt. v. 23.4.1991, Rs. C-41/90, Slg. 1991, I-1979 Rn. 21 – Höfner und Elser, ständige Rechtsprechung. Vgl. zuletzt EuGH, Urt. v. 11.7.2006, Rs. C-205/03 P, Slg. 2006, I-6295 Rn. 25 – FENIN. 694 Siehe näher zur Unbeachtlichkeit der Rechtsform einer Einrichtung S. 94 f., 109 ff. 695 Siehe S. 184 ff., 199 f. 696 EuGH, Urt. v. 16.3.2004, verb. Rs. C-264/01, C-306/01, C-354/01 und C-355/ 01, Slg. 2004, I-2493 Rn. 56 – AOK Bundesverband u. a. Vgl. auch S. 204 ff. 697 In seiner Entscheidung in der Rechtssache Cisal (Urt. v. 22.1.2002, Rs. C-218/ 00, Slg. 2002, I-691) geht der Europäische Gerichtshof auf ein solches in den Schlußanträgen des Generalanwalts Francis G. Jakobs v. 13.9.2001 (Tn. 45, 47) erwähntes Vorbringen eines Beteiligten gar nicht ein.

C. Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes

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Ebenfalls kann heute zu den irrelevanten Merkmalen das in der Rechtssache Höfner und Elser entwickelte Abgrenzungskriterium gezählt werden, welches vom Europäischen Gerichtshof faktisch aufgegeben wurde.698 2. Relevante Merkmale Im folgenden ist zu untersuchen, welche Merkmale von Sozialversicherungsträgern für den Europäischen Gerichtshof bei der Abgrenzung zwischen wirtschaftlicher und nichtwirtschaftlicher Tätigkeit ausschlaggebend waren. Ob eine Tätigkeit als wirtschaftliche zu qualifizieren ist, hing für den Gerichtshof in seinem Urteil (vom 23.4.1991) in der Rechtssache Höfner und Elser davon ab, ob die betreffende Aufgabe auch von Privaten wahrgenommen wird oder jedenfalls von Privaten wahrgenommen werden könnte.699 Danach kamen zur Begründung der Unternehmenseigenschaft nur solche Betätigungen von vornherein nicht in Betracht, die dem privatwirtschaftlichen Geschäftsverkehr schlichtweg nicht zugänglich sind und folglich von ihm nicht erbracht werden können. Obwohl dieses Unterscheidungskriterium nie ausdrücklich vom Europäischen Gerichtshof aufgegeben worden ist, wurde es danach nicht mehr herangezogen, um die Unternehmenseigenschaft von mit der Verwaltung eines Systems der sozialen Sicherheit betrauten Einrichtungen zu beurteilen. Schon in der zeitlich nachfolgenden Entscheidung (vom 17.2.1993) im Fall Poucet und Pistre spielte die Frage, ob die Tätigkeit der Kranken- und Mutterschaftsversicherung bzw. der Altersversicherung von Privaten wahrgenommen werden kann, keine Rolle mehr.700 Bei Heranziehung dieses Abgrenzungskriteriums hätte das Ergebnis der rechtlichen Würdigung des Gerichtshofes in diesem Fall sowie in anderen Fällen, in welchen die Unternehmenseigenschaft verneint wurde, nämlich gegenteilig ausfallen müssen. Festzustellen ist daher, daß die Unternehmenseigenschaft von Sozialversicherungsträgern nach der heutigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes nicht davon abhängt, ob die Aufgaben des Sozialversicherungsträgers grundsätzlich auch durch Private erfüllt werden könnten. Dieser Abgrenzungsmaßstab ist stillschweigend aufgegeben worden.701 698

Siehe dazu sogleich im folgenden Abschnitt. Siehe S. 152 f. 700 Vgl. S. 153 ff. 701 Dieses Abgrenzungskriterium wird jedoch vom Generalanwalt Francis G. Jakobs noch öfter aufgegriffen: „Die Grundfrage ist daher, ob die betreffende Einheit einer Tätigkeit nachgeht, die zumindest grundsätzlich von einem privaten Unternehmen mit der Absicht der Gewinnerzielung ausgeübt werden könnte“ (Schlußanträge v. 28.1.1999, Rs. C-67/96, Slg. 1999, I-5751 Tn. 311 – Albany); „Das grundsätzliche Kriterium ist, ob die fragliche Einheit eine Tätigkeit ausübt, die darin besteht, Güter oder Dienstleistungen auf einem bestimmten Markt anzubieten, und die zumindest im Grundsatz von einem Privaten mit der Absicht der Gewinnerzielung ausgeübt werden 699

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2. Kap.: Wettbewerbsrecht im Bereich der sozialen Sicherheit

In dem erwähnten Urteil des Europäischen Gerichtshofes in der Rechtssache Poucet und Pistre rückten zwei neue Kriterien in den Mittelpunkt, nach denen sich bestimmen soll, ob eine Tätigkeit eines Sozialversicherungsträgers wirtschaftlicher oder nichtwirtschaftlicher Natur ist. Seit dieser Entscheidung stellt der Gerichtshof maßgeblich darauf ab, ob eine mit der Verwaltung eines Systems der sozialen Sicherheit betraute Einrichtung auf dem Grundsatz der Solidarität beruht.702 Zusätzlich – ohne daß klar ist, in welcher Relation zum Solidaritätskriterium703 – soll es darauf ankommen, durch wen die entscheidenden Wettbewerbsparameter Beitrag (Preis) und Leistung festgelegt werden, nämlich durch die Einrichtung selbst oder durch den Gesetzgeber. a) Grundsatz der Solidarität und seine Merkmale In erster Linie ist für den Europäischen Gerichtshof seit seiner Entscheidung vom 17.2.1992 in der Rechtssache Poucet und Pistre maßgeblich, ob das zu beurteilende Sozialsystem auf dem Grundsatz der Solidarität beruht. Systematisch versucht er diese Frage dadurch zu beantworten, indem er nach bestimmten Ausgestaltungsmerkmalen der jeweiligen Einrichtung sucht. Da soziale Sicherheit in den Mitgliedstaaten regelmäßig über Versicherungssysteme gewährleistet wird, die von Sozialversicherungsträgern verwaltet werden, sind die herangezogenen könnte“ (Schlußanträge v. 13.9.2001, Rs. C-218/00, Slg. 2002, I-691 Tn. 38 – Cisal); „Bei der Beurteilung, ob eine Tätigkeit wirtschaftlicher Natur ist, ist meines Erachtens im Wesentlichen danach zu fragen, ob sie zumindest grundsätzlich von einem privaten Unternehmen in der Absicht der Gewinnerzielung ausgeübt werden könnte“ (Schlußanträge v. 22.5.2003, verb. Rs. C-264/01, C-306/01, C-354/01 und C-355/01, Slg. 2004, I-2493 Tn. 27 – AOK Bundesverband u. a.). Hinsichtlich des konkreten Falles prüft der Generalanwalt jedoch dann die vom Europäischen Gerichtshof für relevant gehaltenen Merkmale, so daß auch er letztlich nicht darauf abstellt, ob die Tätigkeit von Privaten ausgeübt werden könnte. Das im Urteil Höfner und Elser entwickelte Abgrenzungskriterium wird vom Generalanwalt nämlich dahingehend uminterpretiert, daß er darauf abstellt, ob die zu beurteilende Einrichtung auch von Privaten in der gleichen Weise finanziert werden könnte: „Nach meiner Ansicht kann ein nach dem Umverteilungsprinzip arbeitendes Versicherungssystem von einem privaten Versicherer nicht angeboten werden“ (Tn. 56 – Cisal, a. a. O.; vgl. auch Tn. 338 – Albany, a. a. O.). 702 Die Behauptung, daß eine auf dem Grundsatz der Solidarität beruhende Einrichtung zwangsläufig keiner wirtschaftlichen Tätigkeit nachgeht, bleibt jedoch eine Petitio principii des Europäischen Gerichtshofes. 703 So geht der Europäische Gerichtshof in seinem Urteil in der Rechtssache Fédération française des sociétés d’assurance u. a. (v. 16.11.1995, Rs. C-244/94, Slg. 1995, I4013 – Unternehmenseigenschaft bejaht) auf dieses Merkmal gar nicht ein. Im Urteil AOK Bundesverband u. a. (v. 16.3.2004, verb. Rs. C-264/01, C-306/01, C-354/01 und C-355/01, Slg. 2004, I-2493 – Unternehmenseigenschaft verneint) wurde dem Umstand, daß die deutschen Krankenkassen den Beitragssatz (Prozentsatz der beitragspflichtigen Einnahmen) selbst festsetzen und somit Einfluß auf die Höhe der Beiträge haben, vom Europäischen Gerichtshof keine Bedeutung zugemessen, weil der Gesetzgeber nur im Interesse der Wirtschaftlichkeit ein Wettbewerbselement einführen wollte.

C. Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes

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Merkmale sehr stark auf Sozialversicherungsträger zugeschnitten. Eine inhaltliche bzw. materielle Bestimmung dessen, was unter Solidarität bzw. dem Solidaritätsgrundsatz zu verstehen ist, erfolgt nicht. Im folgenden werden die relevanten Ausgestaltungsmerkmale dargestellt, nach welchen der Gerichtshof beurteilt, ob eine sozialen Zwecken dienende Einrichtung auf dem Grundsatz der Solidarität beruht und folglich keine wirtschaftliche Tätigkeit ausübt. aa) Finanzierungsverfahren (Kapitaldeckungsverfahren/Umlageverfahren) Bei Versicherungssystemen unterscheidet der Europäische Gerichtshof zunächst danach, ob die Finanzierung des Systems auf dem Kapitaldeckungsverfahren704 oder dem Umlageverfahren705 beruht.706 Tätigkeiten von Einrichtungen, die auf dem Kapitaldeckungsverfahren basieren, wurden vom Gerichtshof regelmäßig707 dem wirtschaftlichen Bereich zugerechnet.708 Dagegen soll eine Aufgabenerfüllung nach dem Umlageverfahren für eine nichtwirtschaftliche Tätigkeit sprechen.709 Grundsätzlich werden bei Systemen, welche nach dem Kapitaldeckungsverfahren arbeiten, Auszahlungen durch vorherige Ansparleistungen (einschließlich Finanzanlagegewinn und Zinseszinsen) der Auszahlungsberechtigten oder der Versichertengemeinschaft erwirtschaftet. Die durch zukünftige Zahlungsverpflichtungen entstehende Finanzlast wird nicht auf nachfolgende Generationen verschoben, sondern ist aus dem selbst erwirtschafteten und zuvor angelegten Kapitalstock zu finanzieren.710 704 Das Kapitaldeckungsverfahren wird von den Generalanwälten und vom Europäischen Gerichtshof regelmäßig Kapitalisierungsprinzip genannt. 705 Das Umlageverfahren wird von den Generalanwälten und vom Europäischen Gerichtshof regelmäßig Umverteilungsprinzip genannt. 706 Unzutreffend ist die Auffassung von O. Seewald, SGb 2004, 453 (459 f.), der im Hinblick auf die allgemeine Unternehmensdefinition des Europäischen Gerichtshofes davon spricht, der Finanzierungsart komme in der neuesten Rechtsprechung des Gerichtshofes „offensichtlich keine Bedeutung“ zu. Vielmehr setzt sich der Gerichtshof mit der Berücksichtigung dieses Merkmals in Widerspruch zu allgemeinen Grundsätzen, vgl. S. 198 ff. 707 Nicht jedoch in der Rechtssache Cisal, vgl. S. 166 ff. 708 Vgl. EuGH, Urt. v. 16.11.1995, Rs. C-244/94, Slg. 1995, I-4013 Rn. 17 – Fédération française des sociétés d’assurance u. a.; Urt. v. 21.9.1999, Rs. C-67/96, Slg. 1999, I-5751 Rn. 81 – Albany; Urt. v. 21.9.1999, verb. Rs. C-115/97 bis C-117/97, Slg. 1999, I-6025 Rn. 81 – Brentjens’ Handelsonderneming; Urt. v. 21.9.1999, Rs. C219/97, Slg. 1999, I-6121 Rn. 71 – Drijvende Bokken; Urt. v. 12.9.2000, verb. Rs. C180/98 bis C-184/98, Slg. 2000, I-6451 Rn. 119 – Pavlov u. a. 709 Vgl. EuGH, Urt. v. 17.2.1993, verb. Rs. C-159/91 und C-160/91, Slg. 1993, I637 Rn. 11 – Poucet und Pistre. 710 Vgl. W. Blomeyer/K. Otto/C. Rolfs, Betriebsrentengesetz – Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung, 2006, § 1 Rn. 172; A. Polster, in: Kasseler

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2. Kap.: Wettbewerbsrecht im Bereich der sozialen Sicherheit

Das Umlageverfahren beruht dagegen darauf, daß die im laufenden Geschäftsjahr von der Einrichtung zu leistenden Auszahlungen durch die im laufenden Geschäftsjahr anfallenden Einnahmen (insbesondere Beiträge) gedeckt werden. Die Finanzmittel werden in kurzer Zeit von den Beitragszahlern zu den Leistungsempfängern umverteilt. Zukünftige Zahlungen können nur dann erbracht werden, wenn in Zukunft noch genügend Beitragszahler vorhanden sind. Ein Kapitalstock wird im Umlagesystem von den Versicherten nicht erwirtschaftet. Als Beispiel für ein nach dem Umlageverfahren finanziertes Sozialsystem kann die deutsche gesetzliche Rentenversicherung genannt werden. Die gegenwärtigen Renten werden nicht aus einem von den gegenwärtigen Rentnern angesparten Kapitalstock finanziert, sondern durch Rentenversicherungsbeiträge der heutigen Erwerbstätigen, welche wiederum darauf vertrauen müssen, daß in Zukunft genügend Erwerbstätige vorhanden sein werden, die ihnen im Alter die Renten finanzieren. Daher wird das Umlageverfahren auch als Generationenvertrag bezeichnet.711 Zwar kommt dem Abstellen auf die Alternative Kapitaldeckungs- oder Umlageverfahren im Hinblick auf die Bestimmung der Unternehmenseigenschaft elementare Bedeutung zu,712 der Gerichtshof hat aber die zuvor angenommene713 Maßgeblichkeit des zugrunde liegenden Finanzierungsverfahrens für die Ausfüllung des Grundsatzes der Solidarität – von der Literatur weitgehend unbemerkt – in der Rechtssache Cisal zurückgenommen.714 In dem dort beurteilten staatlichen italienischen Versicherungssystem gegen Berufsunfälle und Berufskrankheiten wurde von der gegenwärtigen Versichertengemeinschaft in einem Geschäftsjahr der Bar- bzw. Kapitalwert715 der im gleichen Geschäftsjahr neu begründeten langfristigen Rentenzahlungsverpflichtungen aufgebracht.716 Dabei handelte es sich um ein Finanzierungsmodell nach dem Kapitaldeckungsverfahren.717 Während der Gerichtshof in den früheren Rechtssachen, welche Versicherungssysteme betrafen, das Kapitaldeckungsverfahren anführte, um die UnKommentar – Sozialversicherungsrecht, Bd. 2, § 153 SGB VI Rn. 4 (Stand: Juni 1998); H. Sodan, NZS 2005, 561. 711 Vgl. zum Umlageverfahren A. S. Bien, Die Einflüsse des europäischen Kartellrechts auf das nationale Gesundheitswesen, 2004, S. 56; R. Giesen, VSSR 1996, 311 (321); T. Kingreen, ZESAR 2007, 139 (142); A. Polster, in: Kasseler Kommentar – Sozialversicherungsrecht, Bd. 2, § 153 SGB VI Rn. 3 (Stand: Juni 1998); H. Sodan, NZS 2005, 561. 712 M. Fuchs, SGb 2005, 65 (70). 713 Vgl. die Ausführungen bei EuGH, Urt. v. 21.9.1999, Rs. C-67/96, Slg. 1999, I5751 Rn. 78 ff. – Albany; Urt. v. 12.9.2000, verb. Rs. C-180/98 bis C-184/98, Slg. 2000, I-6451 Rn. 110 ff. – Pavlov u. a. 714 Vgl. A. Penner, NZS 2003, 234 (237). 715 Siehe zu den Begriffen Bar- und Kapitalwert Fn. 632. 716 Vgl. die Schlußanträge des Generalanwalts Francis G. Jakobs v. 13.9.2001, Rs. C-218/00, Slg. 2002, I-691 Tn. 21 – Cisal; EuGH, Urt. v. 22.1.2002, Rs. C-218/00, Slg. 2002, I-691 Rn. 7 – Cisal.

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ternehmenseigenschaft zu bejahen718 bzw. auf das Umlageverfahren verwies, um sie zu verneinen719, ging er im Fall Cisal auf das Finanzierungsverfahren im Rahmen seiner rechtlichen Würdigung gar nicht mehr ein. Vielmehr stellte er in diesem Fall allein auf die sonstigen Prüfungskriterien ab.720 bb) Zusammenhang zwischen Beitragshöhe und Leistungsumfang Ferner unterscheidet der Europäische Gerichtshof nach dem Grad der Verknüpfung zwischen Beitragszahlung/-höhe und Leistungsumfang, um zu prüfen, ob eine ein System der sozialen Sicherheit verwaltende Einrichtung auf dem Grundsatz der Solidarität beruht. Besteht ein unmittelbarer721 bzw. hoher Zusammenhang722 zwischen diesen beiden Größen, ist nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes regelmäßig von einer wirtschaftlichen Tätigkeit auszugehen. Ist dieser Zusammenhang dagegen eher gering oder gar nicht vorhanden, spreche dieser Umstand für eine nichtwirtschaftliche Tätigkeit, für ein auf dem Solidaritätsgrundsatz beruhendes System.723 Das Ausmaß der Verknüpfung von Beitragshöhe und Leistungsumfang ist graduell festzustellen. Auf der einen Seite des Spektrums gibt es Systeme, bei denen eine vollständige Proportionalität zwischen beiden Größen besteht, d. h. der Leistungsumfang vollständig von der Beitragshöhe abhängt. Beispielhaft kann hierzu das System der staatlich geförderten privaten Altersvorsorge gemäß § 1 des Gesetzes über die Zertifizierung von Altersvorsorgeverträgen (Alters717 Vgl. W. Blomeyer/K. Otto/C. Rolfs, Betriebsrentengesetz – Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung, 2006, § 1 Rn. 172. 718 Vgl. die Nachweise bei Fn. 708. 719 Vgl. den Nachweis bei Fn. 709. 720 M. Fuchs, SGb 2005, 65 (70). 721 Einem unmittelbaren Zusammenhang (Bezugsgröße zur Berechnung des Leistungsumfanges ist die Beitragshöhe) ist der Fall gleichzustellen, in welchem zwar der Leistungsumfang nicht von der Höhe der Beiträge abhängt, Beiträge und Leistungen aber über einen gemeinsamen für ihre Berechnung verwendeten dritten Faktor (z. B. das Einkommen) miteinander verknüpft sind. Vgl. dazu die Schlußanträge des Generalanwalts Francis G. Jakobs v. 13.9.2001, Rs. C-218/00, Slg. 2002, I-691 Tn. 61 ff. – Cisal. 722 Für den Zusammenhang zwischen Beitrag und Leistung sind zwei verschiedene Varianten denkbar: Zum einen kann der Leistungsumfang von der Gesamtbeitragszahlung abhängen. Andererseits kann sich der Leistungsumfang auch allein nach der Einzelbeitragshöhe richten, z. B. im Falle einer Versicherung, bei der ein Versicherter vom ersten Tag an vollständigen Versicherungsschutz genießt. 723 Vgl. EuGH, Urt. v. 17.2.1993, verb. Rs. C-159/91 und C-160/91, Slg. 1993, I637 Rn. 11 – Poucet und Pistre; Urt. v. 16.11.1995, Rs. C-244/94, Slg. 1995, I-4013 Rn. 16 f. – Fédération française des sociétés d’assurance u. a.; Urt. v. 21.9.1999, Rs. C-67/96, Slg. 1999, I-5751 Rn. 79 – Albany; Urt. v. 22.1.2002, Rs. C-218/00, Slg. 2002, I-691 Rn. 42 – Cisal; Urt. v. 16.3.2004, verb. Rs. C-264/01, C-306/01, C-354/ 01 und C-355/01, Slg. 2004, I-2493 Rn. 52 – AOK Bundesverband u. a.

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2. Kap.: Wettbewerbsrecht im Bereich der sozialen Sicherheit

vorsorgeverträge-Zertifizierungsgesetz – AltZertG) vom 26.6.2001724 (sog. Riester-Rente) genannt werden.725 Auf der anderen Seite existieren Systeme, bei denen überhaupt kein Zusammenhang zwischen Beitrag und Leistung besteht, d. h. trotz verschieden hoher Beiträge jeder die gleiche Leistung erhält. So richten sich die Beiträge in der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung nach dem individuellen Einkommen, während die Leistungen für alle Versicherten weitgehend gleich sind. Problematisch ist die Bewertung des Solidaritätsgrades bei Mischsystemen726 innerhalb dieses Spektrums, da offen bleibt, wo die Grenzen liegen.727 cc) Zusammenhang zwischen Beitragshöhe und Risiko Ob eine sozialen Zwecken dienende Einrichtung auf dem Solidaritätsgrundsatz aufbaut und folglich kein Unternehmen ist, wird vom Europäischen Gerichtshof ferner nach der Abhängigkeit der individuellen Beiträge vom durch die Einrichtung getragenen Risiko beurteilt. Erhebt die Einrichtung risikoabhängige bzw. risikoproportionale Beiträge spreche dies für eine wirtschaftliche Tätigkeit; risikounabhängige Beiträge sollen dagegen als Ausdruck des Solidaritätsgrundsatzes auf eine nichtwirtschaftliche Tätigkeit schließen lassen.728 Auch hier ist es erforderlich, das Ausmaß der Verknüpfung zwischen Beitragshöhe und Risiko graduell festzustellen, wenn keine extreme Ausgestaltung vorzufinden ist.729 Das Gewicht des Zusammenhanges zwischen Beitrag und Risiko für die Gesamtbeurteilung der Unternehmenseigenschaft ist unklar, weil der Europäische Gerichtshof auf der einen Seite schon einmal die Bedeutung eines risikounab-

724 Art. 7 des Gesetzes zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung und zur Förderung eines kapitalgedeckten Altersvorsorgevermögens (Altersvermögensgesetz – AVmG) vom 26.6.2001 (BGBl. I 1310). 725 Die Tatsache, daß gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 2 AltZertG seit dem 1.1.2005 nur eine unabhängig vom Geschlecht berechnete Altersversorgung zertifizierungs- und förderungsfähig ist, ändert nichts am bestehenden Zusammenhang zwischen Beitragshöhe und Leistungsumfang. Diese Neuregelung bewirkt aber eine gewisse Entkopplung des Beitrages vom versicherten Risiko, weil Männer eine kürzere Lebenserwartung als Frauen aufweisen und deshalb risikoadäquat geringere Beiträge als Frauen bezahlen müßten. 726 Dies ist insbesondere beim Bestehen von Kappungsgrenzen der Fall. Vgl. das System im Fall Cisal (S. 166 ff.). 727 T. Kingreen, ZESAR 2007, 139 (142); A. Penner, NZS 2003, 234 (236). 728 Vgl. EuGH, Urt. v. 17.2.1993, verb. Rs. C-159/91 und C-160/91, Slg. 1993, I637 Rn. 9 – Poucet und Pistre; Urt. v. 16.11.1995, Rs. C-244/94, Slg. 1995, I-4013 Rn. 19 – Fédération française des sociétés d’assurance u. a.; Urt. v. 21.9.1999, Rs. C67/96, Slg. 1999, I-5751 Rn. 109 – Albany; Urt. v. 22.1.2002, Rs. C-218/00, Slg. 2002, I-691 Rn. 38 f. – Cisal. 729 Vgl. S. 306 ff.

C. Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes

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hängigen Beitrages relativiert hat und die Unternehmenseigenschaft bejahte730 sowie auf der anderen Seite in einem Fall bei im großen und ganzen risikoabhängigen Beiträgen die Unternehmenseigenschaft u. a. deshalb verneinte, weil im Randbereich aufgrund einer typisierten Beitragsstruktur (Risikoklassen) und von Höchstbeträgen keine vollständige Proportionalität realisiert wurde731. dd) Freiwilligkeit der Mitgliedschaft Schließlich wurde die Freiwilligkeit der Mitgliedschaft in einer sozialen Zwecken dienenden Einrichtung vom Europäischen Gerichtshof als Indiz für ein nicht auf dem Grundsatz der Solidarität beruhendes System ausgemacht.732 Freiwilligkeit der Mitgliedschaft spricht demnach für eine wirtschaftliche Tätigkeit. Dahinter steht die Erfahrung, daß sich bei freiwilliger Mitgliedschaft einzelne dem Umverteilungssystem ohne weiteres entziehen können. Insbesondere könnten sich diejenigen „entsolidarisieren“, zu deren Lasten Transferleistungen finanziert werden.733 Die Freiwilligkeit der Mitgliedschaft ist daher ein Anhaltspunkt für einen niedrigen Umverteilungsgrad, da bei einem hohen Umverteilungsgrad nicht genügend Freiwillige zur Aufbringung der Umverteilungslasten gefunden werden könnten, so daß das System schnell zusammenbräche. Umgekehrt schloß der Gerichtshof aus der bloßen Pflichtmitgliedschaft nicht zwangsläufig auf eine nichtwirtschaftliche Tätigkeit, sondern auch Einrichtungen, die ein Pflichtversicherungssystem verwalteten, wurden als Unternehmen qualifiziert.734 Deshalb spricht allein die Freiwilligkeit der Mitgliedschaft für eine wirtschaftliche Tätigkeit; dem Bestehen einer Pflichtmitgliedschaft kommt dagegen keine richtungsweisende Bedeutung zu.735

730 EuGH, Urt. v. 16.11.1995, Rs. C-244/94, Slg. 1995, I-4013 Rn. 19 – Fédération française des sociétés d’assurance u. a. In dieser Rechtssache war der Hinweis auf die risikounabhängigen Beiträge als Gesichtspunkt der Solidarität jedoch verfehlt, vgl. Fn. 615. 731 EuGH, Urt. v. 22.1.2002, Rs. C-218/00, Slg. 2002, I-691 Rn. 9, 30, 39 – Cisal. 732 Vgl. EuGH, Urt. v. 16.11.1995, Rs. C-244/94, Slg. 1995, I-4013 Rn. 17, 19 – Fédération française des sociétés d’assurance u. a.; E. Eichenhofer, in: S. Empter/H. Sodan (Hrsg.), Markt und Regulierung, 2003, 81 (85). 733 Vgl. T. Kingreen, ZESAR 2007, 139 (142); S. Sell, in: AOK Hessen (Hrsg.), Solidarität im Wettbewerb – ein Widerspruch?, 2001, 16 (20). 734 Vgl. EuGH, Urt. v. 21.9.1999, Rs. C-67/96, Slg. 1999, I-5751 Rn. 87 – Albany; Urt. v. 21.9.1999, verb. Rs. C-115/97 bis C-117/97, Slg. 1999, I-6025 Rn. 87 – Brentjens’ Handelsonderneming; Urt. v. 21.9.1999, Rs. C-219/97, Slg. 1999, I-6121 Rn. 77 – Drijvende Bokken; Urt. v. 12.9.2000, verb. Rs. C-180/98 bis C-184/98, Slg. 2000, I6451 Rn. 119 – Pavlov u. a. 735 So auch die Schlußanträge des Generalanwalts Francis G. Jakobs v. 28.1.1999, Rs. C-67/96, Slg. 1999, I-5751 Tn. 347 – Albany.

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2. Kap.: Wettbewerbsrecht im Bereich der sozialen Sicherheit

ee) Zusammenfassende Analyse Zusammenfassend kann festgestellt werden, daß folgende Kriterien in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes dafür maßgeblich sind, ob eine mit der Verwaltung eines Systems der sozialen Sicherheit betraute Einrichtung auf dem Grundsatz der Solidarität beruht: – Finanzierung des Systems nach dem Kapitaldeckungs- oder dem Umlageverfahren; – Grad der Verknüpfung zwischen Beitragshöhe und Leistungsumfang; – Zusammenhang zwischen dem durch die Einrichtung getragenen Risiko und der Beitragshöhe; – Freiwilligkeit der Mitgliedschaft (oder Pflichtmitgliedschaft736). Die idealtypische auf dem Grundsatz der Solidarität beruhende Einrichtung operiert auf der Grundlage des Umlageverfahrens und einer Pflichtmitgliedschaft der Versicherten, gewährleistet ein einheitliches Leistungspaket für alle Versicherten und verlangt einkommensproportionale und risikounabhängige Beiträge. Eine solche Einrichtung verwirklicht dauerhaft eine hohe Umverteilung zwischen den verschiedenen Versicherten, insbesondere zwischen verschiedenen Einkommens- und Risikogruppen. Dabei ist für den Europäischen Gerichtshof wohl keines der obigen Kriterien unverzichtbar. Entscheidend kommt es ihm letztlich auf eine Gesamtschau zur Ermittlung des Umverteilungsgrades an.737 Ist trotz Fehlens eines Merkmales dennoch ein hoher Umverteilungsgrad durch die anderen Merkmale verwirklicht, wird vom Gerichtshof der Grundsatz der Solidarität bejaht. Ferner muß die Umverteilung dauerhaft sichergestellt sein, welches bei freiwilliger Mitgliedschaft regelmäßig nicht gelingt. Der Gerichtshof legt somit im Grundsatz der Solidarität ein technisches Verständnis von Solidarität zugrunde, welches Solidarität mit Umverteilung gleichsetzt.738

736 Die Pflichtmitgliedschaft ist nur insofern ein Solidaritätsmerkmal, als daß eine freiwillige Mitgliedschaft für den wirtschaftlichen Charakter der Tätigkeit spricht, vgl. S. 189. 737 Vgl. auch W.-H. Roth, GRUR 2007, 645 (650). 738 Vgl. die Schlußanträge des Generalanwalts Francis G. Jakobs v. 22.5.2003, verb. Rs. C-264/01, C-306/01, C-354/01 und C-355/01, Slg. 2004, I-2493 Tn. 32–35 – AOK Bundesverband u. a.; E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2004, § 33 Rn. 38; A. Penner, NZS 2003, 234 (236); C. Koenig/C. Engelmann, EuZW 2004, 682 (685); W. Schulz-Weidner, in: I. Ebsen (Hrsg.), Europarechtliche Gestaltungsvorgaben für das deutsche Sozialrecht, 2000, 57 (61); O. Seewald, SGb 2004, 453 (458); H. Sodan, GesR 2004, 145 (148). Siehe ferner F. Buchner/J. Wasem, in: G. Igl (Hrsg.), Das Gesundheitswesen in der Wettbewerbsordnung, 2000, 77 (79); A. Wunder, ZESAR 2006, 58 ff.

C. Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes

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b) Festlegung der marktbezogenen Hauptwettbewerbsparameter durch den Gesetzgeber Neben dem Solidaritätsgrundsatz stellt der Europäische Gerichtshof bei der Abgrenzung zwischen wirtschaftlicher und nichtwirtschaftlicher Tätigkeit zusätzlich darauf ab, ob Beitragshöhe und Leistungsumfang von einem Sozialversicherungsträger selbst oder aber von außen durch den Gesetzgeber festgelegt werden. Preis (Beitragshöhe) und Leistung stellen die marktbezogenen Hauptwettbewerbsparameter dar. Eine selbständige Festsetzung durch den Sozialversicherungsträger spricht nach Ansicht des Gerichtshofes für eine wirtschaftliche Tätigkeit, da die Einrichtung dann wie jedes private Unternehmen auch die wettbewerblichen Hauptparameter in der Hand halte; bei einer Festlegung durch den Gesetzgeber wende die Einrichtung dagegen nur Gesetze an, was gegen eine Zuordnung ihrer Tätigkeit zum wirtschaftlichen Sektor spreche.739 Der Ansatz des Europäischen Gerichtshofes weist Parallelen zur Verneinung einer tatbestandlichen Wettbewerbsbeschränkung im Sinne der Art. 81 ff. EG bei staatlich vorgegebenem Verhalten auf: Wird einem Unternehmen ein bestimmtes wettbewerblich relevantes Verhalten gesetzlich oder in anderer Weise durch den Staat vorgeschrieben, ohne daß dem Unternehmen ein Handlungsspielraum verbleibt, fehlt es hinsichtlich der Auswirkungen an einer tatbestandlichen Wettbewerbsbeschränkung.740 Unter einer Wettbewerbsbeschränkung im Sinne der Art. 81 ff. EG wird nämlich eine Einschränkung der wirtschaftlichen Handlungsfreiheit eines Unternehmens verstanden.741 Ist ein bestimmtes Verhalten staatlich vorgeschrieben, mangelt es diesbezüglich von vornherein an einem beschränkbaren Freiheitsraum. Im Unterschied zu dieser allgemeinen Dogmatik verortet der Gerichtshof im Bereich der sozialen Sicherheit die Relevanz der 739 Vgl. EuGH, Urt. v. 17.2.1993, verb. Rs. C-159/91 und C-160/91, Slg. 1993, I637 Rn. 15 – Poucet und Pistre; Urt. v. 22.1.2002, Rs. C-218/00, Slg. 2002, I-691 Rn. 43 – Cisal; Schlußanträge des Generalanwalts Francis G. Jakobs v. 13.9.2001, Rs. C-218/00, Slg. 2002, I-691 Tn. 71 – Cisal; M. Fuchs, SGb 2005, 65 (69 f.). 740 Vgl. EuGH, Urt. v. 11.9.1997, verb. Rs. C-359/95 P und C-379/95 P, Slg. 1997, I-6265 Rn. 33 f. – Kommission und Frankreich/Ladbroke Racing; Urt. v. 9.9.2003, Rs. C-198/01, Slg. 2003, I-8055 Rn. 51 – CIF; EuG, Urt. v. 18.9.1996, Rs. T-387/94, Slg. 1996, II-961 Rn. 61 – Asia Motor France u. a.; Schlußanträge des Generalanwalts Francis G. Jakobs v. 22.5.2003, verb. Rs. C-264/01, C-306/01, C-354/01 und C-355/ 01, Slg. 2004, I-2493 Tn. 73 – AOK Bundesverband u. a.; H.-J. Bunte, in: Langen/ Bunte II Art. 81 [Generelle Prinzipien] Rn. 65; C. Engelmann, Kostendämpfung im Gesundheitswesen und EG-Wettbewerbsrecht, 2002, S. 103 f.; R. Giesen, VSSR 1996, 311 (327 f.); C. Koenig/C. Engelmann, EuZW 2004, 682 (685); E.-J. Mestmäcker, RabelsZ 52 (1988), 526 (546 f.). 741 Vgl. EuGH, Urt. v. 28.4.1998, Rs. C-306/96, Slg. 1998, I-1983 Rn. 13 – Javico/ Yves Saint Laurent Parfums; R. Bechtold/W. Bosch/I. Brinker/S. Hirsbrunner, EG-Kartellrecht – Kommentar, 2005, Art. 81 EG Rn. 68; H.-J. Bunte, in: Langen/Bunte II Art. 81 [Generelle Prinzipien] Rn. 60 ff.; V. Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, WettbR EG/1 Art. 81 Abs. 1 EGV Rn. 137, 146.

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2. Kap.: Wettbewerbsrecht im Bereich der sozialen Sicherheit

staatlichen Festlegung von Beitragshöhe und Leistungsumfang auf der Ebene der Normadressatenstellung, und es kommt hier nicht darauf an, ob dem Sozialversicherungsträger ein wettbewerbsbeschränkendes Verhalten staatlich vorgeschrieben wird, sondern allein auf die staatliche Festlegung der beiden genannten Parameter. Aus der übertragenen allgemeinen Dogmatik kann jedoch für den Bereich der sozialen Sicherheit abgeleitet werden, daß es zur Verneinung der Unternehmenseigenschaft nicht bereits ausreicht, wenn Beiträge und Leistungen von der Einrichtung nach gesetzlichen Kriterien festgelegt werden und administrativer Genehmigung unterliegen,742 denn in diesem Fall verbleibt nämlich der Einrichtung regelmäßig ein Handlungsspielraum.743 Klärungsbedürftig ist, in welchem Verhältnis die Festlegung der marktbezogenen Hauptparameter durch den Gesetzgeber zum Grundsatz der Solidarität steht. Bislang hatte der Gerichtshof bei der Prüfung der Unternehmenseigenschaft von Sozialversicherungsträgern deutlich zwischen den Kriterien des Grundsatzes der Solidarität sowie der Festlegung von Beitragshöhe und Leistungsumfang unterschieden.744 In der Rechtssache AOK Bundesverband u. a. häufen sich unscharfe Formulierungen, aus denen man den Eindruck gewinnen könnte, die gesetzgeberische Festlegung von Beitragshöhe und Leistungsumfang sei bloß ein weiteres Kriterium des Grundsatzes der Solidarität745.746 Einiges 742

A. A. M. Fuchs, SGb 2005, 65 (69 f.). Vgl. C. Engelmann, Kostendämpfung im Gesundheitswesen und EG-Wettbewerbsrecht, 2002, S. 104 f. Im Urteil des Europäischen Gerichtshofes in der Rechtssache AOK Bundesverband u. a. (v. 16.3.2004, verb. Rs. C-264/01, C-306/01, C-354/01 und C-355/01, Slg. 2004, I-2493 Rn. 61 f.) findet sich aber folgender Abschnitt, welcher bei isolierter Betrachtung dahingehend verstanden werden könnte, das Erfordernis einer stringenten gesetzgeberischen Vorgabe für den Ausschluß der Unternehmenseigenschaft sei vom Gerichtshof aufgeweicht worden: „Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass die Kassenverbände, wie sich aus den Akten ergibt, mit der Festsetzung der Festbeträge nur einer Pflicht nachkommen, die ihnen § 35 SGB V auferlegt, um den Fortbestand des deutschen Systems der sozialen Sicherheit sicherzustellen. So regelt diese Vorschrift ausführlich die Einzelheiten der Festsetzung dieser Beträge [. . .]. Nur die konkrete Höhe der Festbeträge wird nicht durch das Gesetz vorgegeben, sondern von den Kassenverbänden unter Berücksichtigung der vom Gesetzgeber festgelegten Kriterien entschieden. Außerdem verfügen die Kassenverbände dabei zwar über ein gewisses Ermessen, dieses bezieht sich jedoch auf den Höchstbetrag, bis zu dem die Krankenkassen die Kosten von Arzneimitteln übernehmen und der einen Bereich darstellt, in dem die Krankenkassen nicht miteinander konkurrieren“. Diese Aussagen beziehen sich allerdings gar nicht auf die Festlegung von Beitragshöhe und Leistungsumfang, sondern allein auf die Festsetzung von Festbeträgen. Der Festlegung von Beitragshöhe und Leistungsumfang gilt in diesem Urteil vielmehr die in Fn. 746 zitierte Passage. 744 Vgl. beispielsweise EuGH, Urt. v. 22.1.2002, Rs. C-218/00, Slg. 2002, I-691 Rn. 38 ff., 43 – Cisal: „Erstens erlauben mehrere Faktoren die Feststellung, dass das im Ausgangsverfahren streitige Versicherungssystem den Grundsatz der Solidarität umsetzt. [. . .] Zweitens ergibt sich aus den Akten, [. . .] dass die Höhe der Leistungen sowie der Beiträge letztlich staatlich festgesetzt ist“ – Hervorhebungen durch Verfasser. 743

D. Resonanz in der Literatur

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spricht jedoch dafür, zwischen beiden Prüfungspunkten weiterhin zu unterscheiden. Zum einen entspricht diese Unterscheidung der in den vorangegangenen Entscheidungen gefestigten Vorgehensweise des Europäischen Gerichtshofes. Andererseits paßt die Festlegung der wettbewerblichen Hauptparameter als Kriterium auch nicht zum Grundsatz der Solidarität. Die Kriterien des Solidaritätsgrundsatzes dienen dazu, den Umverteilungsgrad einer sozialen Zwecken dienenden Einrichtung zu ermitteln.747 Ob Beitragshöhe und Leistungsumfang durch den Gesetzgeber oder die Einrichtung selbst festgelegt werden, hat aber keine Auswirkungen auf den Umverteilungsgrad. Der Europäische Gerichtshof hat die Unternehmenseigenschaft eines Sozialversicherungsträgers bisher immer nur dann verneint, wenn nach seiner Ansicht sowohl der Grundsatz der Solidarität erfüllt war, als auch eine gesetzgeberische Festlegung von Beitragshöhe und Leistungsumfang vorlag.748 Dagegen hat er schon bei Ablehnung der solidarischen Ausgestaltung die Unternehmenseigenschaft bejaht, ohne den zweiten Punkt zu prüfen.749 Daraus ist zu schließen, daß beide Voraussetzungen kumulativ erfüllt sein müssen, um die Unternehmenseigenschaft einer sozialen Zwecken dienenden Einrichtung zu verneinen.

D. Resonanz in der Literatur Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes zum Unternehmensbegriff im Bereich der sozialen Sicherheit bzw. zur Unternehmenseigenschaft von Einrichtungen, welche mit der Verwaltung eines Systems der sozialen Sicherheit betraut sind, ist angesichts ihrer Bedeutung für die Sozial- und Wirtschaftsordnung Gegenstand zahlreicher Beiträge in der Literatur.750 745

So O. Seewald, SGb 2004, 453 (457). Vgl. EuGH, Urt. v. 16.3.2004, verb. Rs. C-264/01, C-306/01, C-354/01 und C355/01, Slg. 2004, I-2493 Rn. 47 – AOK Bundesverband u. a.: „Im Bereich der sozialen Sicherheit hat der Gerichtshof entschieden, dass bestimmte Einrichtungen, die mit der Verwaltung gesetzlicher Kranken- und Rentenversicherungssysteme betraut sind, einen rein sozialen Zweck verfolgen und keine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben. Dies ist der Fall bei Krankenkassen, die nur die Gesetze anwenden und keine Möglichkeit haben, auf die Höhe der Beiträge, die Verwendung der Mittel und die Bestimmung des Leistungsumfangs Einfluss zu nehmen. Denn ihre auf dem Grundsatz der nationalen Solidarität beruhende Tätigkeit wird ohne Gewinnerzielungsabsicht ausgeübt, und die Leistungen werden von Gesetzes wegen und unabhängig von der Höhe der Beiträge erbracht“. 747 Siehe S. 190. 748 Vgl. die Rechtssachen Poucet und Pistre (S. 153 ff.), Cisal (S. 166 ff.) und AOK Bundesverband u. a. (S. 170 ff.). 749 Vgl. die Rechtssache Fédération française des sociétés d’assurance u. a. (S. 159 ff.). 750 Vgl. insbesondere P. Axer, NZS 2002, 57 ff.; C. Benicke, EWS 1997, 373 ff.; W. Berg, EuZW 2000, 170 ff.; A. S. Bien, Die Einflüsse des europäischen Kartellrechts auf das nationale Gesundheitswesen, 2004, S. 81 ff.; S. Billinger, Das Pflicht746

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2. Kap.: Wettbewerbsrecht im Bereich der sozialen Sicherheit

In der Literatur lassen sich grundsätzlich drei Richtungen unterscheiden. Vielfach wird – wie so oft bei höchstrichterlichen Entscheidungen – der Ansatz des Gerichtshofes einfach übernommen, ohne auf Widersprüche zu den allgemeinen Grundsätzen des wettbewerbsrechtlichen Unternehmensbegriffes einzugehen.751 Findet dagegen eine nähere Auseinandersetzung statt, wird der vom Europäischen Gerichtshof verfolgte Ansatz, nämlich mittels Verneinung des Unternehmenstatbestandes die Anwendbarkeit der Wettbewerbsregeln des EG-Vertrags auf typische Sozialversicherungsträger generell auszuschließen, einerseits unterstützt752, während andere Autoren diesen Ansatz grundsätzlich ablehnen753

versicherungsmonopol der gesetzlichen Krankenversicherung in der Bundesrepublik Deutschland im Lichte des EG-Vertrags, 2001, S. 39 ff., 61 ff.; W. Boecken, NZS 2000, 269 (271 ff.); E. Eichenhofer, NJW 1991, 2857 ff.; M. Fuchs, JZ 2005, 87 ff.; U. M. Gassner, VSSR 2000, 121 (133 ff.); ders., WuW 2004, 1028 ff.; R. Giesen, VSSR 1996, 311 ff.; ders., in: Soziale Sicherheit und Wettbewerb, 2001, 123 ff.; ders., ZESAR 2004, 151 (152 ff.); J. Gundel, EuR 2004, 575 (576 ff.); A. Hänlein/J. Kruse, NZS 2000, 165 ff.; W. Jaeger, ZWeR 2005, 31 (47 ff.); A. Kämmer, Kartellrechtliche Grenzen für die Beschränkungen des Wettbewerbs bei der Leistungsbeschaffung im Gesundheitswesen, 2004, S. 188 ff.; U. Knispel, SozSich 2004, 244 ff.; C. Koenig/C. Engelmann, in: N. Klusen (Hrsg.), Europäischer Binnenmarkt und Wettbewerb – Zukunftsszenarien für die GKV, 2003, 107 ff.; dies., EuZW 2004, 682 ff.; C. Koenig/C. Sander, WuW 2000, 975 ff.; M. Krajewski, EWS 2004, 256 ff.; J. Möller, VSSR 2001, 25 (29 ff.); R. Möller, ZESAR 2006, 200 ff.; D. Neumann, Kartellrechtliche Sanktionierung von Wettbewerbsbeschränkungen im Gesundheitswesen, 2000, S. 95 ff.; dies., EWiR 2004, 435 f.; A. Penner, NZS 2003, 234 ff.; W.-H. Roth, GRUR 2007, 645 (649 ff.); F. Ruland, JuS 2005, 212 ff.; R. P. Schenke, VersR 2004, 1360 ff.; ders., WiVerw 2006, 34 (53 ff.); H.-P. Schwintowski, ZEuP 1994, 296 ff.; O. Seewald, SGb 2004, 453 ff.; H. Sodan, GesR 2005, 145 ff.; H.-D. Steinmeyer, Wettbewerbsrecht im Gesundheitswesen, 2000, S. 43 ff.; D. Stelzer, SGb 2000, 141 ff., 169 ff. 751 Vgl. beispielsweise A. S. Bien, Die Einflüsse des europäischen Kartellrechts auf das nationale Gesundheitswesen, 2004, S. 116 ff., 139 ff.; E. Eichenhofer, NZS 2001, 1 (2 f.); M. Fuchs, SGb 2005, 65 ff.; U. Knispel, SozSich 2004, 244 (246 ff.); G. G. Sander, VSSR 2005, 447 (467); H. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze II Vorbem. zu den Artikeln 81 bis 85 EG Rn. 36; G. Skorczyk, in: N. Klusen (Hrsg.), Europäischer Binnenmarkt und Wettbewerb – Zukunftsszenarien für die GKV, 2003, 93 (98 f.). 752 Vgl. M. Fuchs, JZ 2005, 87 (90); M. Krajewski, EWS 2004, 256 (264); J. Möller, VSSR 2001, 25 (40 ff.); A. Penner, NZS 2003, 234 (237 f.). 753 Vgl. S. Billinger, Das Pflichtversicherungsmonopol der gesetzlichen Krankenversicherung in der Bundesrepublik Deutschland im Lichte des EG-Vertrags, 2001, S. 61 ff., 151 f.; J. Fesenmair, Öffentliche Dienstleistungsmonopole im europäischen Recht, 1996, S. 70; M. Gassner, WuW 2004, 1028 ff.; R. Giesen, VSSR 1996, 311 (321 f.); ders., in: Soziale Sicherheit und Wettbewerb, 2001, 123 (136); ders., ZESAR 2004, 151 (154 f.); R. Möller, ZESAR 2006, 200 ff.; W.-H. Roth, GRUR 2007, 645 (649 ff.); ders./T. Ackermann, in: FK Art. 81 Abs. 1 EG-Vertrag Grundfragen Rn. 49 (Stand: November 1999); R. P. Schenke, VersR 2004, 1360 (1364 f.); ders., WiVerw 2006, 34 (57 f.); H.-D. Steinmeyer, in: FS für O. Sandrock, 2000, 943 (947 ff.). Siehe ferner folgende, nicht mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes übereinstimmende Beiträge: P. Axer, NZS 2002, 57 (60 ff.); S. Storr, ZESAR 2003, 249 (252 ff.).

D. Resonanz in der Literatur

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und teilweise Alternativen aufzeigen, um soziale Aspekte im Rahmen des Wettbewerbsrechts zu berücksichtigen. I. Zustimmende Literaturansichten An der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes wird im Schrifttum u. a. begrüßt, daß die zur Beurteilung der Unternehmenseigenschaft von sozialen Zwecken dienenden Einrichtungen herangezogenen Kriterien, eine klare Grenzziehung zwischen Einrichtungen, für die das Wettbewerbsrecht gelte, und solchen, für die es nicht gelte, ermöglichten.754 Ferner wird die Funktion des Unternehmensbegriffes auch im Zusammenhang mit einer sachgerechten und angemessenen Kompetenzabgrenzung gesehen: „Der begrifflichen Aussonderung der ,Aufgabe mit sozialem Charakter‘ aus der ,wirtschaftlichen Tätigkeit‘ liegt bei näherer Betrachtung nicht die These zugrunde, daß soziales Handeln und ,Marktdenken‘ schlechthin unvereinbar wären, sondern die Erkenntnis, daß die Kompetenz der Mitgliedstaaten für die Sozialsysteme völlig von der Gemeinschaftskompetenz für Wettbewerb unterspült würde, müßte sich eine umverteilende Sozialversicherung an den Wettbewerbsregeln messen lassen. Diese beide Kompetenzen gilt es schon im Vorfeld zu separieren.“755

Teilweise sehen den Ansatz des Europäischen Gerichtshofes unterstützende Literaturansichten die zur Prüfung des Unternehmenstatbestandes herangezogenen Kriterien (insbesondere die Merkmale des Grundsatzes der Solidarität) im Einklang mit dem funktionalen Verständnis des Unternehmensbegriffes.756 Solidaritätsgesichtspunkte flössen nicht wegen ihrer sozialen Zielrichtung, sondern wegen ihrer Auswirkungen auf die wettbewerbsrechtliche Vergleichbarkeit ein, so daß die sich ergebende eingeschränkte Anwendung des Unternehmensbegriffes vom Wettbewerbsrecht selbst beeinflußt sei.757 In erster Linie stellt die Argumentation der Befürworter aber auf die systematischen und strukturellen Unterschiede zwischen Sozialversicherungsträgern und privaten Versicherungsunternehmen ab, welche eine Ausnahme vom Anwendungsbereich der Wettbewerbsregeln rechtfertigen sollen.758 Deshalb werden die befürworteten Abgrenzungsmerkmale kaum auf ihre Kompatibilität mit den 754

M. Krajewski, EWS 2004, 256 (264). J. Möller, VSSR 2001, 25 (40 f.). Vgl. auch A. Penner, NZS 2003, 234 (238). Siehe zur (zu verneinenden) Frage nach dem Bestehen einer aus der Kompetenzverteilung zwischen Gemeinschaft und Mitgliedstaaten abzuleitenden wettbewerbsrechtlichen Bereichsausnahme für den Bereich der sozialen Sicherheit S. 138 ff., 143 ff. 756 Vgl. M. Fuchs, JZ 2005, 87 (89); D. Neumann, Kartellrechtliche Sanktionierung von Wettbewerbsbeschränkungen im Gesundheitswesen, 2000, S. 102 ff. 757 A. Penner, NZS 2003, 234 (238). 758 Vgl. A. S. Bien, Die Einflüsse des europäischen Kartellrechts auf das nationale Gesundheitswesen, 2004, S. 139 ff.; J. Gundel, EuR 2004, 575 (578, 583). 755

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2. Kap.: Wettbewerbsrecht im Bereich der sozialen Sicherheit

ansonsten anerkannten allgemeinen Grundsätzen zum Unternehmensbegriff überprüft. II. Ablehnende Literaturansichten und Alternativlösung Die dargestellte Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes ist im Schrifttum auch auf umfangreichen und leidenschaftlichen Widerstand gestoßen, und hinter die Argumente des Gerichtshofes werden große Fragezeichen gesetzt. Dem Gerichtshof wird vorgehalten, im Bereich der sozialen Sicherheit keine einzelnen, vom Sozialversicherungsträger ausgeübten Tätigkeiten zu beurteilen, sondern in Abkehr vom funktionalen und relativen Verständnis einen institutionellen Unternehmensbegriff zu etablieren.759 Seine Rechtsprechung führe ferner zu dem sinnwidrigen Ergebnis, daß die Mitgliedstaaten es gerade durch eine besonders wettbewerbsfeindliche Ausgestaltung ihrer Sozialordnung erreichen könnten, ihre Sozialversicherungsträger mangels Unternehmenseigenschaft von den wettbewerbsrechtlichen Verhaltensmaßstäben des EG-Vertrags zu befreien.760 Weiterhin wird dem Rechtsprechungsansatz entgegengehalten, Solidarität auf sozial motivierte Umverteilung zu reduzieren und mit ihr gleichzusetzen; der Unternehmensbegriff werde dadurch „unter Umverteilungsvorbehalt“ gestellt761. Schließlich ließe sich die Bedenkenlosigkeit, mit welcher die Rechtsprechung über vorhandene Wettbewerbselemente hinweggehe, nur mit einem „ideologisch belasteten Vorverständnis“ erklären.762 Maßgeblich dürften nicht die inneren Strukturen des Sozialsystems sein, sondern für den wirtschaftlichen Charakter des Tätigwerdens von Sozialversicherungsträgern sei auf den tatsächlichen oder potentiellen Wettbewerb mit privaten Anbietern abzustellen.763 Letztlich handele es sich bei der Rechtsprechung zum Unternehmensbegriff im Bereich sozialer Sicherheit um eine „bereichsspezifische Abkehr vom funktionalen Unternehmensbegriff“764. Überwiegend wird in der Literatur daher vorgeschlagen, den Besonderheiten und der Bedeutung von Sozialversicherungsträgern nicht durch einen über den Unternehmenstatbestand konstruierten völligen Ausschluß des Wettbewerbsrechts Rechnung zu tragen, sondern für die Berücksichtigung derartiger Fakto759

Vgl. U. M. Gassner, WuW 2004, 1028 (1030); W. Jaeger, ZWeR 2005, 31 (50). Vgl. R. P. Schenke, VersR 2004, 1360 (1364 f.). Siehe auch J. Gundel, EuR 2004, 575 (580). 761 U. M. Gassner, WuW 2004, 1028 (1037 f.). 762 So U. M. Gassner, WuW 2004, 1028 (1033). 763 R. Möller, ZESAR 2006, 200 (203); W.-H. Roth/T. Ackermann, in: FK Art. 81 Abs. 1 EG-Vertrag Grundfragen Rn. 49 (Stand: November 1999). 764 R. P. Schenke, VersR 2004, 1360 (1365). Vgl. dens., in: A. Schmehl/A. Wallrabenstein (Hrsg.), Steuerungsinstrumente im Recht des Gesundheitswesens, Bd. 1, 2005, 77 (86 ff.). 760

D. Resonanz in der Literatur

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ren Art. 86 Abs. 2 EG zu aktivieren.765 Art. 86 Abs. 2 EG enthält – bei grundsätzlicher Anwendbarkeit der Wettbewerbsregeln – eine Ausnahmebestimmung zugunsten von „Unternehmen, die mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betraut sind“. Für solche Unternehmen sollen generell die Vorschriften des EG-Vertrags und speziell die Wettbewerbsregeln nur gelten, „soweit die Anwendung dieser Vorschriften nicht die Erfüllung der ihnen übertragenen besonderen Aufgaben rechtlich oder tatsächlich verhindert“, wobei allerdings die Entwicklung des Handelsverkehrs nicht in einem Ausmaß beeinträchtigt werden darf, das dem Interesse der Gemeinschaft zuwiderläuft. Der in Art. 86 Abs. 2 EG kodifizierte Gedanke postuliert für Dienste von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse „soviel Wettbewerb wie möglich, soviel Ausnahmen wie nötig“.766 Die eine Lösung über Art. 86 Abs. 2 EG suchenden Literaturansichten betonen, daß im Rahmen dieser Vorschrift ein Ausgleich zwischen den vom Europäischen Wettbewerbsrecht geschützten Interessen und den Erfordernissen zur Aufrechterhaltung leistungsfähiger Sozialsysteme möglich wäre. Während der Wortlaut des Art. 86 Abs. 2 S. 1 EG eine Ausnahme von Vertragsvorschriften nur unter der Voraussetzung zubilligt, daß ansonsten durch Vorschriften des EG-Vertrags die Aufgabenerfüllung durch die betraute Einrichtung „rechtlich oder tatsächlich verhindert“ wird und damit strenge Anforderungen aufstellt, läßt der Europäische Gerichtshof hier bereits bloße Gefährdungen767 ausreichen.768 So sollen auch umfangreiche Ausschlüsse des Wettbewerbsrechts zulässig sein, um der betreffenden Einrichtung eine Aufgabenerfüllung zu wirtschaftlich tragbaren oder annehmbaren Bedingungen zu ermöglichen.769 Um im Rahmen des Art. 86 Abs. 2 EG einen möglichst sachgerechten Ausgleich zwischen 765 Vgl. P. Axer, NZS 2002, 57 (63 f.); C. Benicke, EWS 1997, 373 (377); W. Berg, EuZW 2000, 170 (172 f.); U. M. Gassner, VSSR 2000, 121 (140 ff.); R. Giesen, VSSR 1996, 311 (322 f.); ders., in: Soziale Sicherheit und Wettbewerb, 2001, 123 (136); A. Hänlein/J. Kruse, NZS 2000, 165 (171 f.); C. Koenig/C. Sander, WuW 2000, 975 (982 ff.); R. Möller, ZESAR 2006, 200 (203); W.-H. Roth, GRUR 2007, 645 (650 f.); ders./T. Ackermann, in: FK Art. 81 Abs. 1 EG-Vertrag Grundfragen Rn. 49 (Stand: November 1999); R. P. Schenke, VersR 2004, 1360 (1365); ders., WiVerw 2006, 34 (57 f.); S. Storr, ZESAR 2003, 249 (253 ff.). Siehe ferner J. Isensee, VSSR 1996, 169 (174 f.); C. Koenig/C. Engelmann, in: N. Klusen (Hrsg.), Europäischer Binnenmarkt und Wettbewerb – Zukunftsszenarien für die GKV, 2003, 107 (119); R. Pitschas, ZSR 46 (2000), 475 (484 f.); N. Reich, EuZW 2000, 653 ff. In der deutschen Rechtsprechung wurde dieser Ansatz vertreten vom SG München, NZS 2002, 50 (52 f.) – Bayerische Kontrastmittelvereinbarung. 766 R. Klotz, in: von der Groeben/Schwarze I Artikel 16 EG Rn. 29. 767 Siehe zu den Abweichungen in den verschiedenen Übersetzungen der in Fn. 768 nachgewiesenen Urteile U. M. Gassner, VSSR 2000, 121 (141). 768 Vgl. EuGH, Urt. v. 21.9.1999, Rs. C-67/96, Slg. 1999, I-5751 Rn. 107 – Albany; Urt. v. 21.9.1999, verb. Rs. C-115/97 bis C-117/97, Slg. 1999, I-6025 Rn. 107 – Brentjens’ Handelsonderneming; Urt. v. 21.9.1999, Rs. C-219/97, Slg. 1999, I-6121 Rn. 97 – Drijvende Bokken. Kritisch dazu U. M. Gassner, VSSR 2000, 121 (141).

198

2. Kap.: Wettbewerbsrecht im Bereich der sozialen Sicherheit

Daseinsvorsorge und Wettbewerb zu erreichen, wird postuliert, bei jeder Ausnahme von den Vertragsvorschriften zu untersuchen, ob der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt sei:770 „Konkret ist sicherzustellen, dass Einschränkungen gegenüber den EG-Vertragsbestimmungen und insbesondere Einschränkungen des Wettbewerbs oder der Binnenmarktfreiheiten nicht über das zur tatsächlichen Erfüllung des Auftrags erforderliche Maß hinausgehen. [. . .] Die Kommission wacht [. . .] in vernünftiger und realistischer Weise und unter Aufsicht des Gerichtshofs über die Einhaltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes.“771

Dementsprechend wird an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes zum Unternehmensbegriff kritisiert, daß die über die Verneinung des Unternehmenstatbestandes im Ergebnis bewirkte vollständige und generelle Befreiung der Sozialversicherungsträger vom Wettbewerbsrecht unangemessen sei.772

E. Stellungnahme Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes zum wettbewerbsrechtlichen Unternehmensbegriff im Bereich der sozialen Sicherheit ist unter verschiedenen Aspekten zu kritisieren. Neben der Kritik an einzelnen Argumentationspunkten fallen die gewaltigen Abweichungen von allgemeinen Grundsätzen besonders ins Gewicht, die im Ergebnis auf eine Sonderrechtsprechung für den Bereich der sozialen Sicherheit hinauslaufen. I. Abweichungen von allgemeinen Grundsätzen Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes zur Beurteilung der Unternehmenseigenschaft von Einrichtungen der sozialen Sicherheit ist dadurch gekennzeichnet, daß sie in entscheidenden Punkten mit den zum Unternehmens769 EuGH, Urt. v. 19.5.1993, Rs. C-320/91, Slg. 1993, I-2533 Rn. 16 – Corbeau; Urt. v. 10.2.2000, verb. Rs. C-147/97 und C-148/97, Slg. 2000, I-825 Rn. 49 – Deutsche Post; siehe ferner die Nachweise bei Fn. 768. 770 Vgl. Kommission, Mitteilung über Leistungen der Daseinsvorsorge in Europa, ABl. EG 2001 Nr. C 17/4 Rn. 22 f.; K. Böhmann, Privatisierungsdruck des Europarechts, 2001, S. 137 ff.; R. Giesen, VSSR 1996, 311 (323); I. F. Hochbaum/R. Klotz, in: von der Groeben/Schwarze II Artikel 86 EG Rn. 74 f.; T. Kapp, in: FK Art. 86 EG Rn. 125 f., 139 (Stand: Oktober 2005); C. Koenig/C. Sander, WuW 2000, 975 (984); E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, in: Immenga/Mestmäcker, WettbR EG/1 Art. 31, 86 EGV Rn. 79 ff.; R. P. Schenke, VersR 2004, 1360 (1365); J. Schwarze, EuZW 2001, 334 (339). Vgl. auch S. Rumpff, Das Ende der öffentlichen Dienstleistungen in der Europäischen Union?, 2000, S. 242 ff., die eine Güterabwägung befürwortet. 771 Kommission, Mitteilung über Leistungen der Daseinsvorsorge in Europa, ABl. EG 2001 Nr. C 17/4 Rn. 23. 772 Vgl. W. Berg, EuZW 2000, 170 (173); J. Isensee, VSSR 1996, 169 (174); R. P. Schenke, VersR 2004, 1360 (1365).

E. Stellungnahme

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begriff entwickelten allgemeinen Grundsätzen773 nicht in Einklang zu bringen ist, obwohl der Gerichtshof vorgibt, seine Ergebnisse aus eben diesen allgemeinen Grundsätzen abzuleiten. Allgemein gilt ein funktionaler Unternehmensbegriff, welcher der Art der Finanzierung der zu beurteilenden Einrichtung keine Bedeutung zumißt, der relativ und tätigkeitsbezogen ist und der den Mitgliedstaaten wenig Spielräume ermöglicht, durch organisatorische Vorkehrungen, den Anwendungsbereich der gemeinschaftsrechtlichen Wettbewerbsregeln selbst zu bestimmen. Diese Grundannahmen werden vom Gerichtshof im Bereich der sozialen Sicherheit eklatant übergangen. 1. Abhängigkeit von der Art der Finanzierung Seit seinem Urteil in der Rechtssache Höfner und Elser formuliert der Europäische Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung, im Rahmen des Wettbewerbsrechts umfasse „der Begriff des Unternehmens jede eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einheit, unabhängig von ihrer Rechtsform und der Art der Finanzierung“.774 Die Frage, ob eine mit der Verwaltung eines Systems der sozialen Sicherheit betraute Einrichtung einer wirtschaftlichen Tätigkeit nachgeht, entscheidet sich für den Gerichtshof maßgeblich danach, ob das zugrunde liegende Sozialsystem auf dem sog. „Grundsatz der Solidarität“ beruht. Wie oben herausgearbeitet wurde, werden für den Gerichtshof bestimmte Ausgestaltungsmerkmale der jeweiligen Einrichtung relevant, um zu beantworten, ob eine Tätigkeit nach Maßgabe dieses Grundsatzes erfolgt. Relevante Ausgestaltungsmerkmale sind danach u. a. die Finanzierung des Systems nach dem Kapitaldeckungs- oder dem Umlageverfahren, der Grad der Verknüpfung zwischen Beitragshöhe und Leistungsumfang, der Zusammenhang zwischen dem durch die Einrichtung getragenen Risiko und der Beitragshöhe sowie die Freiwilligkeit der Mitgliedschaft.775 Diese vom Europäischen Gerichtshof zu nen Ausgestaltungsvarianten, welche dazu messen,776 betreffen jedoch alle unmittelbar einrichtung.777 Ob eine bestimmte Tätigkeit 773

Merkmalen der Solidarität erhobedienen den Umverteilungsgrad zu die Gesamtfinanzierung der Sozialals wirtschaftliche, d. h. als ein An-

Siehe zu den allgemeinen Grundsätzen das erste Kapitel. EuGH, Urt. v. 23.4.1991, Rs. C-41/90, Slg. 1991, I-1979 Rn. 21 – Höfner und Elser. Vgl. zuletzt EuGH, Urt. v. 11.7.2006, Rs. C-205/03 P, Slg. 2006, I-6295 Rn. 25 – FENIN. Siehe auch M. Fuchs, JZ 2005, 87 (88 f.). 775 Vgl. im einzelnen S. 183 ff. 776 Vgl. S. 190. 777 Vgl. M. Fuchs, JZ 2005, 87 (89); R. Möller, ZESAR 2006, 200 (203, 205). 774

200

2. Kap.: Wettbewerbsrecht im Bereich der sozialen Sicherheit

bieten oder Nachfragen von Gütern oder Dienstleistungen auf einem Markt, qualifiziert werden kann, ist nicht Gegenstand der vom Gerichtshof angestellten Betrachtung. Maßgeblich bleibt für ihn allein, auf welche Weise die Einrichtung ihre vielfältigen – den Gerichtshof gar nicht im einzelnen interessierenden – Aktivitäten finanziert und auf welche Kalkulationsmodelle sie dabei zurückgreift. Besonders wichtig sind dem Gerichtshof, welchen Einfluß die Faktoren Risiko und Einkommen auf die Beitragshöhe haben und ob die Einnahmen eines Geschäftsjahres von den Beitragszahlern komplett zu den Leistungsempfängern fließen (Umlage) oder aber der Bildung eines Kapitalstocks zugeführt werden (Kapitaldeckung). Die vom Grundsatz der Solidarität bestimmte Beurteilung der Unternehmenseigenschaft wird daher völlig losgelöst von einem konkreten, nach außen gerichteten (Markt-)Verhalten vorgenommen und allein von den Finanzierungsmodalitäten bestimmt. Denn Umverteilung ist in erster Linie eine Finanzierungsfrage. Damit weicht der Europäische Gerichtshof schon im Ansatz grundlegend von der eingangs jeder Prüfung von ihm selbst bekräftigten Definition des Unternehmenstatbestandes ab. Der definitorische Nebensatz „unabhängig von ihrer Rechtsform und der Art der Finanzierung“ weist gerade darauf hin, daß die inneren Modalitäten des Marktauftrittes, wozu auch die der Preiskalkulation zugrunde liegenden Regeln gehören, unbeachtlich sind. Mit dem vom Gerichtshof im Bereich der sozialen Sicherheit verfolgten Ansatz wird subtil der ausschlaggebende Leitgedanke verschoben: Kam es anfangs (Höfner und Elser) noch darauf an, ob eine Tätigkeit auch von Privaten ausgeübt werden könnte, ist seit Poucet und Pistre entscheidend, ob eine Tätigkeit auch von Privaten in der gleichen Weise finanziert werden könnte.778 2. Fehlender Tätigkeitsbezug und Mißachtung der Relativität des Unternehmensbegriffes Die Unternehmenseigenschaft von sozialen Zwecken dienenden Einrichtungen wird vom Europäischen Gerichtshof losgelöst von konkreten Tätigkeiten geprüft und nach Maßgabe von Organisationsstrukturen beantwortet.779 Unter Benennung der Hauptaufgabe der Einrichtung (z. B. Krankenversicherung, Altersabsicherung etc.) werden vom Gerichtshof Aussagen getroffen, die nach ihrer Formulierung für die gesamte Einrichtung gelten. In einer Globalbetrachtung findet die Verschiedenheit der Tätigkeiten und Marktauftritte der Einrichtung keinerlei Berücksichtigung.780 Bei seinen Würdigungen unterscheidet der Gerichtshof nicht einmal grob nach der Marktseite der einschlägigen Tätigkeitsfel778 779 780

Vgl. A. Penner, NZS 2003, 234 (237). Vgl. R. Giesen, VSSR 1996, 311 (322). Vgl. W. Berg, EuZW 2000, 170 (172); W. Jaeger, ZWeR 2005, 31 (50).

E. Stellungnahme

201

der.781 So wird in der Entscheidung AOK Bundesverband u. a. nicht im Ansatz deutlich, ob Festbetragsfestsetzungen das Marktverhältnis zwischen Arzneimittelherstellern und Krankenkassen (Nachfrageseite) oder aber zwischen Krankenkassen und Versicherten (Angebotsseite) betreffen.782 Diese Defizite unterstreichen den Eindruck, daß der Gerichtshof die Unternehmenseigenschaft immer für die gesamte Institution ausschließt bzw. von dem Ausschluß alle Tätigkeiten erfaßt sind, die in irgendeinem Zusammenhang mit der Aufgabenerfüllung stehen.783 Die Prüfungsmethodik und Würdigungen des Gerichtshofes zur durch den Unternehmenstatbestand vermittelten Normadressateneigenschaft deuten damit im Bereich der sozialen Sicherheit eher auf ein institutionelles Verständnis vom wettbewerbsrechtlichen Unternehmensbegriff hin. Vor einem solchen Verständnis wäre beispielsweise eine Aussage des Gerichtshofes verständlich wie „dass die Krankenkassen den Einrichtungen gleichen, um die es in den Rechtssachen Poucet und Pistre sowie Cisal ging, und dass ihre Tätigkeit [welche eigentlich?] nicht wirtschaftlicher Art ist“784. Dann ginge es dem Gerichtshof letztlich nicht mehr um die Würdigung von Tätigkeiten, sondern um die Charakterisierung von Institutionen. Daß Krankenkassen einer Berufsunfähigkeitsversicherungsanstalt (Rechtssache Cisal) glichen, kann wohl kaum einem Tätigkeitsvergleich entnommen werden, sondern ist vielmehr Ergebnis eines institutionell-organisatorischen Vergleiches. Die Abgehobenheit der rechtlichen Würdigung von konkreten Tätigkeiten der zu beurteilenden Einrichtungen berücksichtigt folglich im Bereich der sozialen Sicherheit auch überhaupt nicht die im allgemeinen anerkannte und dem funk781

Vgl. R. P. Schenke, VersR 2004, 1360 (1364). Daher ist diese Frage in der Literatur umstritten: Eine Zuordnung zur Leistungserbringung bzw. Nachfrage von Gesundheitsleistungen bejahen K.-J. Bieback, RsDE Nr. 56 (2004), 57 (59); J. Gundel, EuR 2004, 575 (581); C. Koenig/C. Engelmann, EuZW 2004, 682 (683 ff.); D. Neumann, EWiR 2004, 435 (436); D. Riedel, EuZW 2004, 245; F. Ruland, JuS 2005, 212 (214); R. P. Schenke, WiVerw 2006, 34 (58); G. Skorczyk, in: N. Klusen (Hrsg.), Europäischer Binnenmarkt und Wettbewerb – Zukunftsszenarien für die GKV, 2003, 93 (99); H. Sodan, GesR 2005, 145 (149). Dagegen befürworten eine Zuordnung zur Versichertenseite bzw. zum Angebot von Versicherungsleistungen E. Knappe, in: N. Klusen (Hrsg.), Zuwahlleistungen in der gesetzlichen Krankenversicherung, 2003, 13 (30); U. Knispel, NZS 2000, 379 (382); ders., SozSich 2004, 244 (245); M. Krajewski, EWS 2004, 256 (264); wohl auch M. Fuchs, JZ 2005, 87 f. Vgl. auch R. P. Schenke, VersR 2004, 1360 (1364), nach dem sich der Gerichtshof dem Fall fälschlicherweise vom Versichertenmarkt genähert hätte. Siehe dazu im einzelnen S. 259 ff. 783 Vgl. K.-J. Bieback, RsDE Nr. 56 (2004), 57; M. Gassner, WuW 2004, 1028 (1030 f.). 784 EuGH, Urt. v. 16.3.2004, verb. Rs. C-264/01, C-306/01, C-354/01 und C-355/ 01, Slg. 2004, I-2493 Rn. 55 – AOK Bundesverband u. a. Einen solchen institutionellorganisatorischen Vergleich stellt auch V. Neumann, in: S. Empter/H. Sodan (Hrsg.), Markt und Regulierung, 2003, 163 (177 f.) an. 782

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2. Kap.: Wettbewerbsrecht im Bereich der sozialen Sicherheit

tionalen Begriffsverständnis immanente Relativität785 des wettbewerbsrechtlichen Unternehmensbegriffes. Das relative Verständnis gebietet es nämlich, die Unternehmenseigenschaft einer Einheit oder Person immer nur im Hinblick auf eine ganz bestimmte Tätigkeit zu untersuchen.786 Denn eine Einheit oder Person kann nur hinsichtlich eines Teils ihrer Tätigkeiten als Unternehmen anzusehen sein, während ihr hinsichtlich eines anderen Teils diese Eigenschaft abzusprechen sein kann. 3. Einwirkungsmöglichkeiten der Mitgliedstaaten Als Ausfluß allgemeiner gemeinschaftsrechtlicher Interpretationsgrundsätze ist für die Auslegung der Wettbewerbsregeln anerkannt, daß die Bestimmungen des Europäischen Wettbewerbsrechts von den Mitgliedstaaten nicht durch nationale rechtliche oder organisatorische Gestaltungsvarianten ausgehebelt werden können dürfen.787 Dieser Maxime muß gerade bei einem solchen Tatbestandsmerkmal wie das des Unternehmens Geltung verschafft werden, welchem nämlich die Funktion zukommt, den persönlichen Anwendungsbereich eines ganzen gemeinschaftsrechtlichen Rechtskreises zu umreißen. Wie bereits dargelegt, wird der vom Europäischen Gerichtshof ausgeformte und maßgeblich herangezogene Grundsatz der Solidarität allein von finanzverfassungsmäßigen Parametern bestimmt.788 Die finanzverfassungsmäßigen Parameter einer Einrichtung werden aber für ein konkretes staatliches Sozialversicherungssystem durch die Mitgliedstaaten festgelegt. Neben dem Solidaritätsgrundsatz soll es nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes ergänzend darauf ankommen, ob die wettbewerblichen Hauptparameter Preis (Beitrag) und Leistung durch den Staat oder die Einrichtung selbst festgelegt werden.789 Auch hier verbleibt es wiederum in der Hand der Mitgliedstaaten im Rahmen der Systemausgestaltung zu bestimmen, wer zuständig ist, diese Hauptparameter festzulegen und welcher Freiraum dem Zuständigen dabei verbleiben soll. Daraus folgt, daß die vom Europäischen Gerichtshof für die Prüfung der Unternehmenseigenschaft herangezogenen Kriterien den Mitgliedstaaten ein Höchstmaß an Einfluß darüber geben, ob die Wettbewerbsregeln auf einen So-

785

Vgl. dazu S. 67 ff. Vgl. W.-H. Roth/T. Ackermann, in: FK Art. 81 Abs. 1 EG-Vertrag Grundfragen Rn. 13 (Stand: November 1999) sowie S. 67 ff. 787 Vgl. EuGH, Urt. v. 10.1.1980, Rs. 69/79, Slg. 1980, 75 Rn. 6 – Jordens-Vosters; T. Oppermann, Europarecht, 2005, § 8 Rn. 26; R. Streinz, Europarecht, 2005, Rn. 572. 788 Siehe S. 199 f. 789 Vgl. S. 191 ff. 786

E. Stellungnahme

203

zialversicherungsträger Anwendung finden. Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, sondern konsequent, wenn in der Literatur dem deutschen Gesetzgeber Handlungsempfehlungen gegeben werden, wie er nationale Sozialversicherungssysteme „vor der Anwendung des gemeinschaftlichen Wettbewerbsrechts bewahren“790 kann.791 4. Solidarität versus wirtschaftliche Tätigkeit Schon der Ausgangspunkt des Europäischen Gerichtshofes ist methodisch nicht gesichert. Seine These, eine auf dem Grundsatz der Solidarität beruhende Einrichtung ginge keiner wirtschaftlichen Tätigkeit nach, ist eine Petitio principii. Der Gerichtshof gibt an keiner Stelle eine Begründung dafür, weshalb das Solidarprinzip nicht auch im Rahmen einer wirtschaftlichen Tätigkeit zu verwirklichen ist bzw. umgekehrt, weshalb eine wirtschaftliche Tätigkeit durch das Solidarprinzip ausgeschlossen wird. Als Argument für die nichtwirtschaftliche Natur einer auf – im Sinne der Kriterien des Gerichtshofes – solidarischer Grundlage erbrachten Leistung wird teilweise angeführt, Privaten wäre es von vornherein nicht möglich, eine Leistung auf dieser Grundlage zu erstellen, beispielsweise ein „nach dem Umverteilungsprinzip [Umlageverfahren] arbeitendes Versicherungssystem“ anzubieten.792 Diese Argumentation erinnert an das bereits vorgestellte Popitz-Kriterium793. Dabei werden jedoch zwei Dinge verkannt: Erstens, weder private Unternehmen noch öffentliche Sozialversicherungsträger bieten ein Versicherungssystem an, sondern sie offerieren Kranken-, Renten- oder Berufsunfallversicherungen mit ganz bestimmten Konditionen. Diese verschiedenen Produkte, und nicht das hinter ihnen stehende System, sind die wettbewerbsrechtlich relevanten (Markt-)Leistungen.794 Zweitens, nach welchem System eine solche Leistung kalkuliert und finanziert wird, ist unbeachtlich, denn es handelt sich dabei um dem Marktauftritt vorgelagerte innere Modalitäten, welche für die Beurteilung der Unternehmenseigenschaft nach allgemeinen Grundsätzen keine Rolle spielen795. Daher ist allein entscheidend, ob auch Private ein vergleichbares Produkt anbieten können (Frage: Kann auch ein Privatunternehmen Menschen gegen Krankheiten versichern?). Völlig unbeachtlich ist dagegen, ob ein Priva-

790

So M. Krajewski, EWS 2004, 256 (265). Vgl. M. Krajewski, EWS 2004, 256 (265); S. Mühlenbruch/T. Schmidt, ZESAR 2004, 171 (172); G. G. Sander, VSSR 2005, 447 (467). 792 Vgl. die Schlußanträge des Generalanwalts Francis G. Jakobs v. 13.9.2001, Rs. C-218/00, Slg. 2002, I-691 Tn. 50, 56 – Cisal. 793 Siehe zum Popitz-Kriterium S. 70 ff. 794 Vgl. auch R. Giesen, VSSR 1996, 311 (321 f.). 795 Vgl. S. 65. 791

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2. Kap.: Wettbewerbsrecht im Bereich der sozialen Sicherheit

ter in der Lage wäre, seine vergleichbare Leistung auch so wie ein staatlicher Sozialversicherungsträger zu finanzieren.796 II. Kritik an Einzelargumenten 1. Unbeachtlichkeit von Wettbewerbsbeziehungen Aus vielen problematischen Einzelargumenten hebt sich besonders hervor, daß der Europäische Gerichtshof tatsächlich bestehenden Wettbewerb von Sozialversicherungsträgern untereinander oder zwischen Sozialversicherungsträgern und privaten Unternehmen entweder für unbeachtlich erklärt oder bewußt übergeht. In der Entscheidung AOK Bundesverband u. a. erklärt der Gerichtshof erstens den unter den Krankenkassen bestehenden Wettbewerb um Versicherte (Kassenwettbewerb)797 für nicht geeignet, auf eine wirtschaftliche Tätigkeit zu schließen: Der Gesetzgeber habe „ein Wettbewerbselement eingeführt, um die Krankenkassen zu veranlassen, im Interesse des ordnungsgemäßen Funktionierens des deutschen Systems der sozialen Sicherheit ihre Tätigkeit nach den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit auszuüben, d. h. so effizient und kostengünstig wie möglich“798. Der existierende Kassenwettbewerb ändere daher angeblich nichts an der nichtwirtschaftlichen Natur der Krankenkassentätigkeit.799 Zweitens wird vom Gerichtshof der noch vom Generalanwalt800 besonders ins Auge gefaßte Wettbewerb zwischen Krankenkassen und privaten Krankenversicherungsunternehmen um diejenigen Personen, welche nicht verpflichtet, aber berechtigt sind, sich im System der gesetzlichen Krankenversicherung zu versichern (freiwillige Versicherung, vgl. §§ 8, 9 SGB V), einfach übergangen.801 Die sich nach der Abhandlung zum Kassenwettbewerb aufdrängende Frage, nämlich ob der insbesondere für freiwillig Versicherte und Versiche796 Für A. Penner, NZS 2003, 234 (238) kommt es dagegen darauf an, ob private Unternehmen auch die gleichen Mittel anwenden (könnten). 797 Siehe zum Wettbewerb unter den Krankenkassen S. 284 ff. 798 EuGH, Urt. v. 16.3.2004, verb. Rs. C-264/01, C-306/01, C-354/01 und C-355/ 01, Slg. 2004, I-2493 Rn. 56 – AOK Bundesverband u. a. Vgl. dazu die gegenteilige Bewertung des Generalanwalts Francis G. Jakobs, Schlußanträge v. 22.5.2003, verb. Rs. C-264/01, C-306/01, C-354/01 und C-355/01, Slg. 2004, I-2493 Tn. 37 ff. – AOK Bundesverband u. a. 799 Siehe auch S. 289 f. 800 Vgl. die Schlußanträge des Generalanwalts Francis G. Jakobs v. 22.5.2003, verb. Rs. C-264/01, C-306/01, C-354/01 und C-355/01, Slg. 2004, I-2493 Tn. 37, 41 – AOK Bundesverband u. a. 801 Siehe zum Wettbewerb zwischen Krankenkassen und privaten Krankenversicherungsunternehmen S. 290 ff. Vgl. auch R. Giesen, in: Soziale Sicherheit und Wettbewerb, 2001, 123 (136).

E. Stellungnahme

205

rungsberechtigte viel interessantere Wettbewerb zwischen Krankenkassen und privaten Anbietern geeignet ist, auf eine wirtschaftliche Tätigkeit der Krankenkassen zu schließen, bleibt unangesprochen. Das bewußte Übergehen geht soweit, daß sich der Gerichtshof drittens zu der schlichtweg falschen Aussage hinreißen läßt, die Krankenkassen stünden hinsichtlich der Erbringung der im Bereich der Heilbehandlung oder der Arzneimittel gesetzlich vorgeschriebenen Leistungen nicht mit privaten Einrichtungen im Wettbewerb802. Natürlich werden diejenigen, welche zwischen der gesetzlichen und einer privaten Krankenversicherung wählen können, das gesetzliche Leistungsangebot der Krankenkassen mit dem Leistungsangebot privater Krankenversicherungsunternehmen vergleichen und zur maßgeblichen Entscheidungsgrundlage machen.803 Daß – nach Auslegung des Gerichtshofes – Wettbewerb unter den Krankenkassen vom Gesetzgeber allein deshalb eingeführt wurde, um die Wirtschaftlichkeit dieser Sozialversicherungsträger zu stärken, vermag allein zu erklären, warum das Wettbewerbsrecht im Verhältnis zwischen den Krankenkassen keine Anwendung findet. Selbst dies wäre schon zweifelhaft und begründungsbedürftig, weil die Wettbewerbsregeln der Art. 81 ff. EG grundsätzlich alle Erscheinungsformen des Wettbewerbs schützen804 und hier weder ein rechtswidriger noch unlauterer Wettbewerb in Rede steht. Jedoch hat der Gerichtshof schon wiederholt seine Bereitschaft gezeigt, bestimmte Formen des Wettbewerbs als nicht schutzwürdig aus dem Anwendungsbereich der Art. 81 ff. EG auszuklammern.805 Dogmatisch wäre eine solche Ausklammerung allerdings keine Frage des Unternehmenstatbestandes, sondern eine teleologische Reduktion des sachlichen Anwendungsbereiches. Die Wettbewerbsverhältnisse zwischen Krankenkassen und Dritten sind von den genannten Überlegungen des Gesetzgebers zum Zweck des Kassenwettbewerbs überhaupt nicht betroffen. Vor allem ist an der Argumentation des Europäischen Gerichtshofes problematisch, daß es wiederum die Mitgliedstaaten in der Hand haben, über die Anwendbarkeit der Wettbewerbsregeln zu entscheiden, indem sie in irgendwelchen Gesetzesbegründungen dem Wettbewerb in bestimmten Sektoren einen ganz bestimmten Zweck andichten.

802 EuGH, Urt. v. 16.3.2004, verb. Rs. C-264/01, C-306/01, C-354/01 und C-355/ 01, Slg. 2004, I-2493 Rn. 54 – AOK Bundesverband u. a. 803 So auch R. Giesen, VSSR 1996, 311 (321 f.). Vgl. auch R. Möller, ZESAR 2006, 200 (209). 804 Vgl. H.-J. Bunte, in: Langen/Bunte II Art. 81 [Generelle Prinzipien] Rn. 43; V. Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, WettbR EG/1 Art. 81 Abs. 1 EGV Rn. 138, 156; C. Engelmann, Kostendämpfung im Gesundheitswesen und EG-Wettbewerbsrecht, 2002, S. 103. 805 V. Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, WettbR EG/1 Art. 81 Abs. 1 EGV Rn. 178.

206

2. Kap.: Wettbewerbsrecht im Bereich der sozialen Sicherheit

Offensichtlich gibt der Europäische Gerichtshof dem in der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung zugelassenen und tatsächlich existierenden Kassenwettbewerb die gleiche (unbeachtliche) Bedeutung wie einer bloßen, an einen monopolistischen Sozialversicherungsträger gerichteten Gesetzesklausel, die „Gesichtspunkte der Wirtschaftlichkeit und des unternehmerischen Handelns“ einzuhalten.806 2. Gesetzliche Festlegung von Beitragshöhe (Preis) und Leistungsumfang Im Zusammenspiel mit dem Grundsatz der Solidarität wird die Unternehmenseigenschaft von Sozialversicherungsträgern vom Europäischen Gerichtshof auch danach beurteilt, ob Beitragshöhe807 (Preis) und Leistungsumfang vom Sozialversicherungsträger selbst festgelegt werden oder durch den Gesetzgeber, wobei letzteres nach Ansicht des Gerichtshofes gegen eine wirtschaftliche Tätigkeit spreche.808 Dahinter steht der Gedanke, Sozialversicherungsträger, welche keinen Einfluß auf die Festlegung der wettbewerblichen Hauptparameter haben, vollzögen nur Gesetze und könnten daher nicht als Unternehmen angesehen werden.809 Diesem Argumentationsansatz des Europäischen Gerichtshofes ist entgegenzuhalten, daß der wirtschaftliche Charakter einer Tätigkeit grundsätzlich nicht davon abhängt, in welchem Maße der Gesetzgeber diese Tätigkeit reglementiert. Es gibt eine Reihe von zweifellos wirtschaftlichen Tätigkeiten, für welche der Gesetzgeber umfangreiche Regelungen erlassen hat und sogar Preis, Leistungsumfang sowie einen Kontrahierungszwang vorschreibt. Als Beispiel soll hier auf das Taxigewerbe verwiesen werden: Nach § 21 Abs. 1 PBefG ist der Unternehmer verpflichtet, den ihm genehmigten Betrieb aufzunehmen und aufrechtzuerhalten. Ferner trifft ihn gemäß § 22 PBefG eine Beförderungspflicht, d. h. ein Kontrahierungszwang. Die gemäß § 51 Abs. 1 PBefG erlassenen Rechtsverordnungen in den Ländern schreiben die jeweiligen Beförderungsentgelte fest und konkretisieren die Beförderungspflicht. Ein Taxiunternehmer hat 806

Vgl. S. 169, 182. Nach Ansicht von M. Fuchs, SGb 2005, 65 (69) kann von einer unternehmerischen Tätigkeit sogar schon dann nicht mehr gesprochen werden, wenn allein die Beiträge durch Gesetz festgeschrieben sind. Danach würden wohl die meisten Angehörigen eines freien Berufes keiner wirtschaftlichen Tätigkeit nachgehen, da sie regelmäßig gesetzliche Honorarregelungen zu beachten haben, wie z. B. das Gesetz über die Vergütung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte vom 5.5.2004 (BGBl. I 718, 788) oder die Arzneimittelpreisverordnung vom 14.11.1980 (BGBl. I 2147). 808 Vgl. S. 191 ff. 809 Vgl. C. Engelmann, Kostendämpfung im Gesundheitswesen und EG-Wettbewerbsrecht, 2002, S. 68 f.; H. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze II Vorbem. zu den Artikeln 81 bis 85 EG Rn. 36. 807

E. Stellungnahme

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somit ebenfalls keinen Einfluß auf die Preisgestaltung und den Leistungsumfang. Auch hier kommt niemand auf die Idee, daß Taxifahrer nur das Gesetz vollzögen und daher keiner gewerblichen Tätigkeit nachgingen. Als weiteres Beispiel kann die durch kommunale Satzungen geregelte Abfallentsorgung durch Betriebe oder Einrichtungen der Gemeinden genannt werden.810 Somit zeigt sich, daß auch die Unterscheidung danach, wer Preis und Leistungsumfang festlegt, wenig geeignet ist, eine Antwort auf die Frage zu finden, ob eine wirtschaftliche Tätigkeit vorliegt. Für die Beantwortung der Frage ist nämlich nach allgemeinen Grundsätzen zum Unternehmensbegriff auf den Charakter der Tätigkeit selbst abzustellen und nicht auf die von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterschiedlichen Rahmenbedingungen ihrer Erbringung.811 Ist eine wirtschaftliche Tätigkeit auch größter staatlicher Gängelung (z. B. durch Festsetzung von Preisen und verbindliche Leistungsbeschreibungen) unterworfen, ändert dies nichts an ihrem Grundcharakter. III. Zwischenergebnis: Sonderrechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes Die vom Europäischen Gerichtshof für die Beurteilung der Unternehmenseigenschaft von sozialen Zwecken dienenden Einrichtungen herangezogenen Entscheidungsregeln stellen eine auf den durch klassische Sozialversicherungsträger verwalteten Bereich der sozialen Sicherheit begrenzte Sonderrechtsprechung dar. Es handelt sich deswegen um eine Sonderrechtsprechung, weil die Entscheidungsregeln in tragenden Punkten dem allgemein anerkannten und für alle anderen Tätigkeitsbereiche gültigen funktionalen Verständnis des wettbewerbsrechtlichen Unternehmenstatbestandes widersprechen. Zu Recht spricht Ralf P. Schenke von einer „bereichsspezifischen Abkehr vom funktionalen Unternehmensbegriff“812. Der Charakter einer Sonderrechtsprechung wird besonders dadurch deutlich, daß die vom Europäischen Gerichtshof als Grundsatz der Solidarität bezeichneten Umverteilungsmerkmale überhaupt keine Rolle für die Unternehmenseigenschaft spielen, wenn sie außerhalb klassischer Sozialversicherungssysteme bei anderen Einrichtungen ebenfalls zu verzeichnen sind. So hat der Gerichtshof in der Rechtssache Corbeau die Unternehmenseigenschaft einer staatlichen Postverwaltung ohne nähere Ausführungen vorausgesetzt,813 obwohl der entscheidungsgegenständliche Postdienst eine Vielzahl von Elementen der sozialen Um810 811 812 813

beau.

Vgl. H.-P. Schwintowski, ZEuP 1994, 296 (300). Vgl. S. 54 ff., 94 f., 111 f. R. P. Schenke, VersR 2004, 1360 (1365). Vgl. EuGH, Urt. v. 19.5.1993, Rs. C-320/91, Slg. 1993, I-2533 Rn. 8 – Cor-

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2. Kap.: Wettbewerbsrecht im Bereich der sozialen Sicherheit

verteilung aufwies.814 Hier sei noch einmal erwähnt, daß im Rahmen dieses Postsystems ein entfernungs- und lageunabhängiger Einheitstarif auf einem für alle Bürger erreichbaren Niveau festgelegt wurde. Die Festlegung erfolgte aufgrund einer Mischkalkulation zwischen den Gewinnen aus profitablen Beförderungsstrecken (Stadt, Ballungsräume) und den Verlusten aus kostspieligen Strecken (Landregionen). Ziel der Mischkalkulation war es, den Menschen in abgelegenen und bevölkerungsschwachen Gebieten aus sozialen Gründen Postdienstleistungen überhaupt bereitzustellen und zu für alle erschwinglichen Preisen anzubieten. Im diesem System findet somit auch eine solidarische Umverteilung aus sozialen Gründen zu Lasten der Menschen aus Ballungsräumen statt. Aus diesen Gründen wäre es dogmatisch ehrlich, wenn der Europäische Gerichtshof nicht mehr weiter vorgeben würde, seine Ergebnisse aus der Anwendung allgemeingültiger Grundsätze zum funktionalen Unternehmensbegriff herzuleiten. Seine Rechtsprechung hat im Ergebnis zu einer weitgehenden Defacto-Bereichsausnahme für soziale Sicherungssysteme geführt.815 IV. Bestehen eines funktionalen Ausnahmebereiches? Unabhängig von den dargelegten Argumenten des Europäischen Gerichtshofes könnte sich die Verneinung der Unternehmenseigenschaft im Ergebnis als richtig erweisen, wenn im Hinblick auf konkrete Tätigkeiten von Sozialversicherungsträgern aufgrund von funktionalen Erwägungen die persönliche Anwendbarkeit der Wettbewerbsregeln (Normadressateneigenschaft) zu verneinen wäre. Kennzeichnend für den funktionalen Charakter des Unternehmensbegriffes ist sein besonders enger Zusammenhang zum Gesetzeszweck. Im Rahmen der maßgeblichen funktionalen Betrachtungsweise sind die Wettbewerbsregeln des EG-Vertrags im Hinblick auf ihren praktischen Beitrag zur Verwirklichung ihres Zweckes zu würdigen, und der im Unternehmenstatbestand der Art. 81 ff. EG aufscheinende Gesetzeszweck ist bei der Rechtsanwendung direkt anzuwenden.816 Dabei ist immer zu beachten, daß nicht unter Begriffsdefinitionen, sondern unter Tatbestandsmerkmale zu subsumieren ist. Ist nach dem Gesetzeszweck keine persönliche wettbewerbsrechtliche Bindung geboten, ist die Unternehmenseigenschaft zu verneinen, wenn nicht schon aufgrund anderer Vorgaben (z. B. ausdrückliche Bereichsausnahmen) eine Prüfung auf Tatbestandsebene ausscheidet.

814 815 816

Vgl. S. 157 ff., 180 f. sowie C. Benicke, EWS 1997, 373 (377). So auch U. M. Gassner, WuW 2004, 1028 (1038). Vgl. S. 49 f.

E. Stellungnahme

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In wenigen Einzelfällen kann der Gesetzeszweck dem generellen funktionalen Postulat widersprechen, daß grundsätzlich jede wirtschaftliche Tätigkeit die Unternehmenseigenschaft begründet. Dies wurde bereits oben exemplarisch an der Verneinung des Unternehmenstatbestandes für die Tätigkeit des privaten Endverbrauchs verdeutlicht. Der Unternehmenstatbestand war zu verneinen, obwohl bei der im Wettbewerbsrecht grundsätzlich gebotenen weiten Betrachtung der Privateinkauf zweifellos als wirtschaftliche Betätigung aufgefaßt werden könnte.817 Während ein im Unternehmenstatbestand verorteter funktionaler Ausnahmebereich (privater Endverbrauch) aus dem inneren Zusammenhang des Wettbewerbsrechts abgeleitet wird, ergeben sich die eingangs dieses Kapitels erörterten Bereichsausnahmen aus dem Verhältnis des Wettbewerbsrechts zu anderen Regelungskreisen (z. B. Kompetenzverteilung zwischen Gemeinschaft und Mitgliedstaaten) oder aus Spezialnormen (z. B. Art. 36 Abs. 1, 296 Abs. 1 Buchst. b EG), welche Ergebnis anderweitiger externer Vorgaben sind.818 Einrichtungen, die mit der Verwaltung eines Systems der sozialen Sicherheit betraut sind, könnte somit die Normadressatenstellung abzusprechen sein, wenn der hinter den Wettbewerbsregeln stehende Zweck dies gebietet. Dann müßten die Art. 81 ff. EG gerade dazu bestimmt sein, das Tätigkeitsfeld und den Wirkungskreis dieser Einrichtungen abzusichern. Das ist aber nicht der Fall, denn Sozialversicherungsträger werden vom Wettbewerbsrecht nur als Wettbewerber oder möglicherweise noch als Teil der Allgemeinheit geschützt; besondere Zielpersonen des wettbewerbsrechtlichen Schutzes (wie beispielsweise die Verbraucher) sind sie dagegen nicht. Die Argumente, welche zur Begründung von wettbewerbsrechtlichen Sonderstellungen für Sozialversicherungsträger herangezogen werden, betreffen auch nicht die inneren, immanenten Zusammenhänge des Wettbewerbsrechts; die Sonderstellung wird vielmehr aus den Eigenheiten des Sozialbereichs abgeleitet.819 Es geht insoweit also um externe Einwirkungen auf das Wettbewerbsrecht. Der Zweck des Europäischen Wettbewerbsrechts, nämlich zur Erreichung der in Art. 2 EG genannten Vertragsziele und Verwirklichung eines grenzüberschreitenden freien Handels den Wettbewerb innerhalb des Binnenmarktes vor Verfälschungen oder Beschränkungen zu schützen (vgl. Art. 3 Abs. 1 Buchst. g EG),820 gebietet es dagegen, gerade auch Sozialversicherungsträger wettbewerbsrechtlichen Verhaltensmaßstäben zu unterwerfen, da sie aufgrund ihrer rechtlich abgesicherten und tatsächlich vorhandenen Machtstellung erheblichen Einfluß auf den Wettbewerb in verschiedenen Märkten aus817

Siehe S. 60 ff. Vgl. S. 62 f. 819 Vgl. S. 195 f. Anders jedoch A. Penner, NZS 2003, 234 (238), der versucht, die von der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes bewirkten Ausnahmen im Bereich der sozialen Sicherheit als wettbewerbsrechtsimmanent darzustellen. 820 Vgl. zum Gesetzeszweck S. 51 ff. 818

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2. Kap.: Wettbewerbsrecht im Bereich der sozialen Sicherheit

üben können. Besonderheiten des Sozialbereichs könnten daher allenfalls eine Bereichsausnahme begründen.821

F. Exkurs: Anwendbarkeit und Unternehmensbegriff des deutschen Kartellrechts im Bereich der sozialen Sicherheit Im folgenden soll dargestellt werden, ob Sozialversicherungsträger im allgemeinen und Krankenkassen im besonderen Normadressaten des deutschen Kartellrechts822 sein können. I. Unterscheidung zwischen Beschaffungsseite (Nachfragemarkt) und Versicherungsseite (Angebotsmarkt) Grundsätzlich können die wirtschaftlichen Aktivitäten von Unternehmen in einer Grobunterteilung zwei verschiedenen Marktseiten zugeordnet werden: Zum einen bietet ein Unternehmen Güter oder Dienstleistungen an, andererseits fragt es Güter oder Dienstleistungen selbst nach – letzteres insbesondere deshalb, um sein eigenes Angebot zu ermöglichen. Sozialversicherungsträger stellen auf der Angebotsseite ihren Versicherten bestimmte Versicherungsleistungen zur Verfügung (z. B. Krankenversicherung). Auf der Nachfrageseite werden von ihnen vielfältige Güter und Dienstleistungen „eingekauft“ (z. B. ärztliche Leistungen, Arzneimittel, Heil- und Hilfsmittel), um ihren Leistungsverpflichtungen aus den Versicherungsverhältnissen nachzukommen. Wie bereits oben bei den allgemeinen Grundsätzen dargestellt wurde, findet das deutsche Kartellrecht nach ständiger Rechtsprechung und ganz überwiegender Ansicht in der Literatur auf hoheitliche Betätigungen keine Anwendung.823 Hoheitshandeln ist dabei nicht wie im Europäischen Wettbewerbsrecht824 auf einen Kernbestand staatlicher Tätigkeit beschränkt, sondern umfaßt jedes Handeln in öffentlich-rechtlicher Form. Zwei Begründungansätze erklären die Nichtanwendbarkeit: Einerseits wird mangels einer „Tätigkeit im geschäftlichen Verkehr“ die Unternehmenseigenschaft, d. h. die Normadressatenstellung der handelnden Person oder Einrichtung verneint. Andererseits wird argumentiert, die dem Zivilrecht angehörenden kartellrechtlichen Verhaltensregeln finden von vornherein keine Anwendung auf öffentlich-rechtliche Sachverhalte.825

821 822 823 824 825

Eine Bereichsausnahme war aber abzulehnen, vgl. S. 138 ff. Siehe zum Begriff des deutschen Kartellrechts S. 126 f. Siehe S. 132 ff. Vgl. S. 112 ff., insb. 121. Siehe zu Einzelheiten, Gegenansichten und Nachweisen S. 132 ff.

F. Exkurs: Anwendbarkeit des deutschen Kartellrechts

211

Rechtsprechung und Literatur gehen davon aus, daß das Beschaffungsgeschäft der Sozialversicherungsträger seiner Rechtsnatur nach vom gesetzlichen Versicherungsverhältnis zu trennen ist.826 Da deutsche Sozialversicherungsträger auf den verschiedenen Marktseiten regelmäßig in unterschiedlicher Rechtsform (privatrechtlich/öffentlich-rechtlich) handeln, wird ihre Unternehmenseigenschaft bzw. die Anwendbarkeit des Kartellrechts auf sie differenziert beurteilt. 1. Beschaffungsseite (Nachfragemarkt) Ob Sozialversicherungsträger Unternehmen im Sinne des deutschen Kartellrechts, insbesondere der §§ 1, 19 ff. GWB sind, hängt von der Rechtsnatur des Beschaffungsvorganges ab. „Die öffentliche Hand benötigt zur Erfüllung ihrer gesetzlichen Aufgaben auch Waren und Leistungen, für deren Beschaffung ihr hoheitliche Mittel nicht zu Gebote stehen. Sie muß sich daher in diesem Bereich nach den für jedermann geltenden Bestimmungen, also auf privatrechtlicher Ebene, versorgen.“827

Ist mangels öffentlich-rechtlicher Ausgestaltung828 von einem privatrechtlichen Beschaffungsvorgang auszugehen, hat der Sozialversicherungsträger somit auch die Vorschriften des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen zu beachten, sofern er als Unternehmen handelt. Die Unternehmenseigenschaft hinsichtlich einer privatrechtlichen Beschaffungstätigkeit wird vom Bundesgerichtshof bejaht: „Die Stellung im geschäftlichen Verkehr, welche die Sozialversicherungsträger durch Vertragsabschlüsse mit den Lieferanten [. . .] erlangen, ist in rechtlicher und wirtschaftlicher Beziehung derjenigen gleichartig, die für private Versicherungsunternehmen mit einem vergleichbaren Kreis von Versicherten durch etwaige Vertragsabschlüsse entsprechenden Inhalts begründet werden würde.“829

Die Beschaffungstätigkeit von Sozialversicherungsträgern wird oftmals im Rahmen von privatrechtlich zu qualifizierenden Rechtsverhältnissen abgewickelt (vgl. aber S. 216 ff. zu der durch das „Gesetz zur Reform der gesetzlichen Krankenversicherung ab dem Jahr 2000“ geschaffenen neuen Rechtslage hin826 Vgl. GmSOGB, BGHZ 97, 312 (316); OLG Düsseldorf, NZS 1998, 290 f.; G. Skorczyk, in: N. Klusen (Hrsg.), Europäischer Binnenmarkt und Wettbewerb – Zukunftsszenarien für die GKV, 2003, 93 f. sowie A. Jungbluth, in: Eugen Langen (Begr.)/Hermann-Josef Bunte (Hrsg.), Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, Bd. 1, 9. Aufl. Neuwied/Kriftel/Berlin 2001, § 130 Abs. 1 Rn. 23 ff. m. w. N. und C. Stadler, in: Langen/Bunte I § 130 Rn. 49 ff., die jedoch beide den Begriff Sozialversicherungsträger auf Krankenkassen reduzieren. 827 GmSOGB, BGHZ 97, 312 (316). 828 So ist beispielsweise die Versorgung mit kassenärztlichen bzw. vertragsärztlichen Leistungen schon von jeher öffentlich-rechtlich ausgestaltet. 829 BGH, WuW/E BGH 442 (450) – Gummistrümpfe = BGHZ 36, 91 (104). Vgl. ferner BGH, WuW/E BGH 2919 (2921) – Orthopädisches Schuhwerk.

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2. Kap.: Wettbewerbsrecht im Bereich der sozialen Sicherheit

sichtlich der Tätigkeit von Krankenkassen). Somit handeln Sozialversicherungsträger bei der Nachfrage nach Versorgungsleistungen für den bei ihnen versicherten Personenkreis oder sonstigen Leistungen als Unternehmen.830 2. Versicherungsseite (Angebotsmarkt) Die Rechtsbeziehungen zwischen Sozialversicherungsträgern und den bei ihnen versicherten Mitgliedern sind vom deutschen Gesetzgeber regelmäßig in öffentlich-rechtlicher Rechtsform ausgestaltet worden. Nach ständiger Rechtsprechung und überwiegender Ansicht in der Literatur finden die an Unternehmen gerichteten wettbewerblichen Verhaltensmaßstäbe des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (insbesondere §§ 1, 19 ff., 33) als zivilrechtliche Normen keine Anwendung auf öffentlich-rechtliche Rechtsbeziehungen.831 Anzumerken ist aber, daß die Rechtsprechung das Anbieten von Sozialversicherungsleistungen im Ausgangspunkt wohl als eine Tätigkeit ansieht, für welche die Unternehmenseigenschaft ansonsten zu bejahen wäre.832 An dieser Stelle, wo eigentlich der Anwendungsbereich des deutschen Kartellrechts endet, greift nun die von den Kartellgerichten vertretene (und in der Literatur umstrittene) Theorie der Doppelqualifikation hoheitlicher Maßnahmen833 ein, mit welcher die Kartellgerichte eine Befugnis herleiten, hoheitliche Maßnahmen auch am Maßstab zivilrechtlicher Vorgaben des Kartellrechts zu 830 BGH, WuW/E BGH 2665 (2666) – Physikalisch-therapeutische Behandlung; WuW/E DE-R 303 (304) – Taxi-Krankentransporte; A. Jungbluth, in: Eugen Langen (Begr.)/Hermann-Josef Bunte (Hrsg.), Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, Bd. 1, 9. Aufl. Neuwied/Kriftel/Berlin 2001, § 130 Abs. 1 Rn. 52 f. und C. Stadler, in: Langen/Bunte I § 130 Rn. 49 ff., die jedoch beide den Begriff Sozialversicherungsträger auf Krankenkassen reduzieren; G. Skorczyk, in: N. Klusen (Hrsg.), Europäischer Binnenmarkt und Wettbewerb – Zukunftsszenarien für die GKV, 2003, 93 (94); P. Wigge, NZS 1999, 584 (588); ders., in: Soziale Sicherheit und Wettbewerb, 2001, 79 (85 f.). Vgl. auch BGH, WuW/E BGH 2370 (2373) – importierte Fertigarzneimittel; NJW 1987, 2931 ff. – Importvereinbarung; OLG Celle, WuW/E OLG 4061 (4062) – Altenpfleger; OLG Dresden, NZS 2002, 33 ff.; OLG Düsseldorf, WuW/E OLG 3082 (3083 ff.) – Bundesverband der Ortskrankenkassen; OLG Hamburg, WuW/ E DE-R 13 (14) – Eigenanteileinzug; OLG Jena, OLG-NL 2000, 82 (83 f.); OLG Schleswig, NJW-RR 1996, 1068 (1070); OLG Stuttgart, WuW/E OLG 1740 (1741) – Badeinstitut; WuW/E DE-R 307 (308 f.) – Medizinische Hilfsmittel; LG Rostock, NZS 1995, 460 (461). 831 Vgl. die Nachweise bei Fn. 490, 494 sowie Fn. 861. 832 Vgl. bezugnehmend auf eine Allgemeine Ortskrankenkasse BGH, WuW/E DER 839 (840) – Privater Pflegedienst: „Angesichts ihrer Teilnahme durch Nachfrage von Pflegeleistungen und als Anbieter von Versicherungen unterfällt sie dem weiten Unternehmensbegriff dieses Gesetzes [GWB], der auch juristische Personen des Öffentlichen Rechts einschließt, soweit sie als Anbieter oder Nachfrager auf dem Markt eine selbständige Tätigkeit bei der Erzeugung oder Verteilung von Waren oder gewerblichen Leistungen ausüben“ – Hervorhebung durch Verfasser. 833 Vgl. S. 134 f.

F. Exkurs: Anwendbarkeit des deutschen Kartellrechts

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überprüfen. Der Rechtsprechungsansatz beruht auf dem Umstand, daß hoheitliches Handeln wettbewerbliche Auswirkungen auf Dritte haben kann. Stehen sich der Hoheitsgewaltausübende und ein Dritter auf Gleichordnungsebene gegenüber, sind nach Ansicht der Kartellgerichte die Rechtsbeziehungen zwischen beiden privatrechtlich zu beurteilen. Ein gegenüber den Versicherten als öffentlich-rechtlich zu qualifizierendes Handeln eines Sozialversicherungsträgers sei im Hinblick auf seine privatrechtlichen Auswirkungen auf Dritte auch an privatrechtlichen Verhaltensmaßstäben, einschließlich der Vorgaben des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, zu messen.834 Demgemäß könne ein und dieselbe Tätigkeit eines mit hoheitlichen Befugnissen ausgestatteten Sozialversicherungsträgers je nach Blickrichtung, beanspruchter Klagegrundlage und Rechtsfolge mehrfach, und zwar unterschiedlich, qualifiziert werden.835,836 Hinsichtlich Krankenkassen wurden in der Rechtsprechung – auf der Grundlage der Annahme von privatrechtlichen wettbewerblichen Drittwirkungen – folgende das Versicherungsverhältnis betreffende Handlungen an kartellrechtlichen Maßstäben überprüft (vgl. aber S. 216 ff. zu der durch das „Gesetz zur Reform der gesetzlichen Krankenversicherung ab dem Jahr 2000“ geschaffenen neuen Rechtslage hinsichtlich der Tätigkeit von Krankenkassen): Abgabe von Brillen837 oder gebrauchten höherwertigen Hilfsmitteln (z. B. Rollstühle, Krankenbetten)838 an Mitglieder, Empfehlung bestimmter Leistungserbringer in einer Mitgliederzeitschrift839 oder einem Mitgliederanschreiben840, Festzuschußregelung für Zahnersatz841, Einwirkung auf Versicherte bei der Inanspruchnahme von Leistungen842.

834 GmSOGB, BGHZ 102, 280 (284 ff.) – Rollstühle; BGH, BGHZ 82, 375 (383 f.) – Brillen-Selbstabgabestelle; OLG Düsseldorf, WRP 1994, 345; NZS 1998, 290 (291). 835 GmSOGB, BGHZ 102, 280 (285) – Rollstühle; OLG Düsseldorf, NZS 1998, 290 (291). 836 Regelmäßig finden sich die entsprechenden Erwägungen der Gerichte bei den Ausführungen zum Rechtsweg (bürgerlich-rechtliche oder öffentlich-rechtliche Streitigkeit). 837 Vgl. BGHZ 82, 375 – Brillen-Selbstabgabestelle. 838 Vgl. OLG Stuttgart, WuW/E DE-R 307 – Medizinische Hilfsmittel. 839 Vgl. OLG Düsseldorf, WRP 1994, 345. Vgl. auch OLG Düsseldorf, SGb 2000, 266 ff. mit Anm. von V. Beuthien. 840 Vgl. OLG Stuttgart, WuW/E DE-R 321 – Medi Markt/Euro Care. 841 Vgl. BGH, NJW 2000, 3426 – Zahnersatz aus Manila. 842 Vgl. OLG Jena, OLG-NL 2000, 82.

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2. Kap.: Wettbewerbsrecht im Bereich der sozialen Sicherheit

II. Rechtslage bezüglich Krankenkassen seit dem 1.1.2000 (§ 69 S. 1 SGB V) Die oben aufgezeigten Grundsätze zur Anwendbarkeit des deutschen Kartellrechts im Bereich der sozialen Sicherheit sind maßgeblich anhand von Rechtsstreitigkeiten herausgebildet worden, an denen Krankenkassen beteiligt waren. Auf andere Bereiche der Sozialversicherung können diese Grundsätze ohne weiteres übertragen werden. Für die Tätigkeiten von Krankenkassen hat der Gesetzgeber nunmehr aber Sonderregelungen geschaffen, welche insofern die Fortsetzung der bisherigen Rechtsprechungsgrundsätze in Frage stellen. 1. Vorgeschichte Bereits die durch das Gesetz zur Strukturreform im Gesundheitswesen (Gesundheits-Reformgesetz – GRG) vom 20.12.1988843 im Fünften Buch Sozialgesetzbuch und im Sozialgerichtsgesetz bewirkten Veränderungen gaben Anlaß zur Diskussion über die Anwendbarkeit des deutschen Kartellrechts sowie den Rechtsweg im Hinblick auf Streitigkeiten zwischen Krankenkassen und Leistungserbringern, welche auf kartellrechtliche Ansprüche gestützt waren. Das Oberlandesgericht Düsseldorf interpretierte die neugeschaffene Klammervorschrift des § 69 SGB V844 dahingehend, daß der Gesetzgeber mit dem Gesundheits-Reformgesetz das Verhältnis der Krankenkassen zu allen Leistungserbringern dem Öffentlichen Recht zugeordnet hätte und daher die zivilrechtlichen Vorschriften des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen unanwendbar seien.845 Dieser Ansatz wurde aber vom Bundesgerichtshof bald verworfen846 und in der Rechtsprechung nicht weiter verfolgt. Umstrittener war dagegen die Frage, ob der neugefaßte § 51 Abs. 2 S. 1 SGG847 nunmehr auch für kartellrechtliche Streitigkeiten zwischen Krankenkas-

843

BGBl. I 2477, in Kraft getreten am 1.1.1989 (vgl. Art. 79 Abs. 1). Die damalige Fassung des § 69 SGB V lautete: „Dieses Kapitel regelt die Rechtsbeziehungen der Krankenkassen zu Ärzten, Zahnärzten, Krankenhäusern, Apotheken und sonstigen Leistungserbringern.“ 845 OLG Düsseldorf, SGb 1992, 32 (33); WuW/E OLG 4695 (4697) – häusliche Krankenpflege. 846 BGH, WuW/E BGH 2721 (2722 f.) – Krankenpflege. 847 Die damalige Fassung des § 51 Abs. 2 S. 1 SGG lautete: „Die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit entscheiden auch über Streitigkeiten, die in Angelegenheiten nach dem Fünften Buch Sozialgesetzbuch entstehen 1. auf Grund der Beziehungen zwischen Ärzten, Zahnärzten, Krankenhäusern und Krankenkassen einschließlich ihrer Vereinigungen und Verbände, 2. auf Grund von Entscheidungen der gemeinsamen Gremien von Ärzten, Zahnärzten, Krankenhäusern oder anderen Leistungserbringern und Krankenkassen sowie des Großgeräteausschusses oder 844

F. Exkurs: Anwendbarkeit des deutschen Kartellrechts

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sen und Leistungserbringern den Sozialgerichtsweg vorsah. Dieser Frage kam aufgrund der vermuteten Abneigung von Sozialgerichten, wettbewerbsrechtlichen Maßstäben Geltung zu verschaffen, besondere Bedeutung zu. So wird teilweise vertreten, der damalige Gesetzgeber habe durch diese Gesetzesänderung den Rechtsweg regeln und alle Streitigkeiten aus dem Leistungserbringerrecht den Sozialgerichten zuweisen wollen, auch soweit die Rechte Dritter berührt wären.848 Der Bundesgerichtshof erteilte dieser Ansicht ebenfalls eine Absage:849 Er sah in den §§ 87 bis 96 GWB a. F. eine umfassende, in sich geschlossene Sonderregelung für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten mit kartellrechtlichem Streitgegenstand. Deshalb fielen alle Rechtsstreitigkeiten, bei denen ein Anspruch geltend gemacht werde, der seine Grundlage im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen finde, in die ausschließliche Zuständigkeit der Landgerichte. Die kartellrechtliche Zuständigkeit (vgl. insbesondere §§ 87 und 96 GWB a. F.) sei vom Gesetzgeber so ausgestaltet worden, daß sie jeder anderen Zuständigkeit vorgehe. Es bestünde kein Grund für die Annahme, daß der Gesetzgeber die ausschließliche Zuständigkeit der Kartellspruchkörper mit dem durch das Gesundheits-Reformgesetz vom 20.12.1988 eingefügten § 51 Abs. 2 SGG aufheben wollte. Das Bundessozialgericht stand dieser Ansicht zwar kritisch gegenüber, vermied es jedoch, eine Klärung durch den Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes herbeizuführen.850 Infolge dieser höchstrichterlichen Entscheidungen wurden von den Zivilgerichten weiterhin den Angebots- und den Nachfragemarkt betreffende Tätigkeiten von Krankenkassen (im bereits dargestellten Umfange) an kartellrechtlichen Maßstäben gemessen.851

3. auf Grund von Entscheidungen oder Verträgen der Krankenkassen oder ihrer Verbände, auch soweit durch diese Angelegenheiten Dritte betroffen werden; [. . .]“. 848 Vgl. BSG, GesR 2005, 409 (410 f.); T. J. Diekmann/N. Wildberger/A. von Quast, NZS 2005, 187 (188); P. Wigge, NZS 2000, 533. 849 BGH, WuW/E BGH 2707 (2711 ff.) – Einzelkostenerstattung = BGHZ 114, 218 (224 ff.). 850 Vgl. BSG, NJW 1995, 1575 (1576). 851 Vgl. BGH, WuW/E BGH 2919 – Orthopädisches Schuhwerk; WuW/E DE-R 303 – Taxi-Krankentransporte; WuW/E DE-R 352 – Kartenlesegerät; OLG Celle, WuW/E DE-R 433 – Private Krankenpflege; OLG Düsseldorf, WuW/E OLG 5255 ff. – Krankenpflegehelfer und Altenpfleger; WRP 1994, 345 ff.; NZS 1998, 290; OLG Frankfurt a. M., NJW-RR 1994, 432; OLG Hamburg, WuW/E DE-R 13 – Eigenanteileinzug; OLG Jena OLG-NL 2000, 82; OLG Schleswig, NJW-RR 1996, 1068; OLG Stuttgart, WuW/E DE-R 307 – Medizinische Hilfsmittel; LG Kiel, WRP 2000, 797 – Schlick in Einmalpackungen; LG Rostock, NSZ 1995, 460.

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2. Kap.: Wettbewerbsrecht im Bereich der sozialen Sicherheit

2. Gesetz zur Reform der gesetzlichen Krankenversicherung ab dem Jahr 2000 Das Gesetz zur Reform der gesetzlichen Krankenversicherung ab dem Jahr 2000 (GKV-Reformgesetz 2000) vom 22.12.1999852 bewirkte hinsichtlich des Rechtsweges für kartellrechtliche Streitigkeiten, welche das Verhältnis zwischen Krankenkassen und Leistungserbringern betreffen853, eine klare Veränderung der Rechtslage; ob das Gesetz auch materiellrechtlich für derartige Streitigkeiten die Anwendbarkeit des deutschen Kartellrechts gänzlich ausgeschlossen hat, blieb umstritten. a) Rechtsweg „Ersichtlich als Reaktion auf die Rechtsprechung der Zivilgerichte insbesondere zur Inanspruchnahme der Zuständigkeit bei der Überprüfung von Festbetragsfestsetzungen und Arzneimittel-Richtlinien“ 854 hat der Gesetzgeber durch Einfügungen in § 51 SGG sowie §§ 87 und 96 GWB Änderungen im Verfahrensrecht herbeigeführt und das Leistungserbringerverhältnis betreffende Streitigkeiten der Sozialgerichtsbarkeit zugewiesen: In § 51 Abs. 2 S. 2 SGG (in der Fassung des GKV-Reformgesetzes 2000) wurde festgelegt, daß die zuvor von den Zivilgerichten als vorrangige Zuständigkeitsnormen angesehenen §§ 87 und 96 GWB a. F. auf solche Streitigkeiten keine Anwendung mehr finden. Umgekehrt wurde in § 87 Abs. 1 S. 3 GWB bestimmt, daß die kartellrechtliche Zuständigkeitsregelung nicht für Rechtsstreitigkeiten aus den in § 69 SGB V genannten Rechtsbeziehungen gilt, auch soweit Rechte Dritter betroffen sind. Gleiches sollte gemäß § 96 S. 2 GWB a. F. auch für auf wettbewerbsrechtliche Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts gestützte Streitigkeiten gelten (§ 96 GWB wurde mittlerweile aufgehoben durch Art. 1 Nr. 60 des Siebten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 7.7. 2005855; die bisherige Regelung wurde zu dem durch dieses Gesetz neugefaßten § 87 GWB gezogen). Vereinzelt wurde auch nach dieser Gesetzesänderung angezweifelt, in welchem Umfange Rechtsstreitigkeiten aus dem Bereich der Leistungserbringung den Sozialgerichten tatsächlich zugewiesen wurden.856 Auch diese letzte Unklarheit hat der Gesetzgeber durch eine Neufassung des § 51 SGG mittlerweile 852

BGBl. I 2626, in Kraft getreten am 1.1.2000. Dies gilt auch soweit hierdurch Rechte Dritter betroffen sind, vgl. § 69 Abs. 1 S. 4 SGB V, § 51 Abs. 2 S. 1 SGG, § 87 Abs. 1 S. 3, § 96 S. 2 GWB a. F. 854 K. Engelmann, NZS 2000, 213 (218). Vgl. auch I. Ebsen, in: H. Sodan (Hrsg.), Die sozial-marktwirtschaftliche Zukunft der Krankenversicherung, 2005, 59 (63 f.); P. Kummer, SGb 2001, 138 ff.; W.-H. Roth, GRUR 2007, 645 (647). 855 BGBl. I 1954, mit Wirkung vom 1.7.2005. 856 Vgl. P. Wigge, in: Soziale Sicherheit und Wettbewerb, 2001, 79 (96 ff.). 853

F. Exkurs: Anwendbarkeit des deutschen Kartellrechts

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beseitigt. Seit dem 2.1.2002857 bestimmt § 51 Abs. 1 Nr. 2 SGG, daß die Sozialgerichtsbarkeit über öffentlich-rechtliche Streitigkeiten in Angelegenheiten der gesetzlichen Krankenversicherung entscheidet, und § 51 Abs. 2 S. 1, 2 SGG lautet seitdem: „Die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit entscheiden auch über privatrechtliche Streitigkeiten in Angelegenheiten der gesetzlichen Krankenversicherung, auch soweit durch diese Angelegenheiten Dritte betroffen werden. Die §§ 87 und 96 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen finden keine Anwendung.“858

b) Materiellrechtliche Zuordnung aller Leistungserbringerverhältnisse zum Öffentlichen Recht Während die oben dargestellte Rechtswegentscheidung des Gesetzgebers nur insofern von praktischer Wichtigkeit ist, als daß die Zivilgerichte regelmäßig stärker als Sozialgerichte geneigt sind, kartellrechtliche Verhaltensmaßstäbe gegenüber Krankenkassen durchzusetzen859, kommt der Frage, ob aufgrund des neugefaßten § 69 SGB V die Anwendbarkeit des deutschen Kartellrechts auf Leistungserbringerverhältnisse gänzlich ausgeschlossen ist, eine erhebliche materiellrechtliche Bedeutung zu. Gemäß § 69 S. 1 SGB V werden die Rechtsbeziehungen der Krankenkassen und ihrer Verbände zu Ärzten, Zahnärzten, Psychotherapeuten, Apotheken sowie sonstigen Leistungserbringern und ihren Verbänden (einschließlich der Beschlüsse des Gemeinsamen Bundesausschusses und der Landesausschüsse) abschließend im Vierten Kapitel des Fünften Buches Sozialgesetzbuch geregelt. Die Rechtsbeziehungen der Krankenkassen und ihrer Verbände zu den Krankenhäusern und ihren Verbänden werden ebenfalls abschließend in diesem Kapitel und nach weiteren, ausdrücklich erwähnten Vorschriften geregelt (§ 69 S. 2 SGB V a. F., seit 1.4.2007: § 69 S. 3 SGB V). Für die genannten Rechtsbeziehungen sollen im übrigen die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches entsprechend gelten, soweit sie mit den Aufgaben und Pflichten der Beteiligten nach dem Vierten Kapitel vereinbar sind (§ 69 S. 3 SGB V a. F., seit 1.4.2007: § 69 S. 4 SGB V). Die Regelungen der Sätze 1 bis 3 sollen auch gelten, soweit durch die aufgeführten Rechtsbeziehungen Rechte Dritter betroffen sind (§ 69 S. 4 SGB V a. F., seit 1.4.2007: § 69 S. 5 SGB V860). 857 Art. 1 Nr. 22, Art. 19 S. 2 des Sechsten Gesetzes zu Änderung des Sozialgerichtsgesetzes (6. SGGÄndG) vom 17.8.2001 (BGBl. I 2144). 858 § 96 GWB wurde mittlerweile aufgehoben durch Art. 1 Nr. 60 des Siebten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 7.7.2005 (BGBl. I 1954); die bisherige Regelung wurde zu dem durch dieses Gesetz neugefaßten § 87 GWB gezogen. 859 Vgl. J. Keßler, WRP 2007, 1030 (1034 f.); P. Wigge, NZS 2000, 533. 860 Durch das Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz – GKV-WSG) vom 26.3.2007 (BGBl. I

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2. Kap.: Wettbewerbsrecht im Bereich der sozialen Sicherheit

Diese Gesetzesänderung wird zum Teil dahingehend verstanden, daß die nationalen Wettbewerbsgesetze auf alle Rechtsbeziehungen zwischen Krankenkassen und Leistungserbringern nicht anzuwenden seien.861 Es wird argumentiert, das Gesetz zur Reform der gesetzlichen Krankenversicherung ab dem Jahr 2000 (GKV-Reformgesetz 2000) vom 22.12.1999862 habe alle Leistungserbringerverhältnisse der Krankenkassen, auch soweit von ihnen Drittwirkungen hervorgehen, pauschal dem Öffentlichen Recht zugeordnet, so daß die Anwendbarkeit des deutschen Kartellrechts auf diese Rechtsbeziehungen ausscheide. Denn nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung und ganz überwiegender Ansicht in der Literatur finden die an Unternehmen gerichteten wettbewerblichen Verhaltensmaßstäbe des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (insbesondere §§ 1, 19 ff., 33) als zivilrechtliche Normen keine Anwendung auf öffentlichrechtliche Rechtsbeziehungen.863 Durch die Einbeziehung der Drittbetroffenen gemäß § 69 S. 4 SGB V a. F. (seit 1.4.2007: § 69 S. 5 SGB V864) sei der Doppelqualifikation von Handlungen der Krankenkassen der Boden entzogen worden. Diese Sichtweise steht auch mit den niedergelegten Motiven des historischen Gesetzgebers in Einklang.865 Im übrigen ordne § 69 SGB V den abschlie378) wurde hinter § 69 S. 1 SGB V ein neuer Satz 2 eingefügt, vgl. S. 220 ff. Der Gesetzgeber hat dabei übersehen, die Formulierung des alten Satzes 4 und neuen Satzes 5 anzupassen. Vgl. näher zu diesem Gesetzgebungsverfahren H. Sodan, NJW 2007, 1313 f. 861 BGH, WRP 2006, 747 (748 f.) – Blutdruckmessungen; BSG [3. Senat], BSGE 87, 95 (99); 89, 24 (32 f.); GesR 2005, 409 (410 f.); F. Badtke, WuW 2007, 726 (728 f.); R. Bechtold, in: ders., Kartellgesetz – Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, 2006, § 87 Rn. 13; W. Boecken, NZS 2000, 269 (270 f.); J. Bornkamm, in: Langen/Bunte I § 87 Rn. 13; T. J. Diekmann/N. Wildberger, NZS 2004, 15 f.; dies./ A. von Quast, NZS 2005, 187 (188 f., 192); I. Ebsen, in: E. Wille/M. Albring (Hrsg.), Paradigmenwechsel im Gesundheitswesen durch neue Versorgungsstrukturen?, 2004, 57 (63 ff.); ders., KrV 2004, 95 (96 f.); O. Esch, Rechtsfragen der Erbringung und Vergütung rettungsdienstlicher Leistungen, 2005, S. 288 f.; U. Gassner, VSSR 2000, 121 (128 ff.); M. Geisler/F. Temming, NZS 2005, 125 (126); J. Gundel, EuR 2004, 575 (576); U. Hösch, GewArch. 2003, 453 (454 f.); T. Kingreen, MedR 2004, 188 (192); G. Kirchhoff, SGb 2005, 499 (507), der jedoch meint, § 69 SGB V habe lediglich deklaratorische Wirkung; U. Knispel, NZS 2001, 466 (468 ff.); H. J. Meyer-Lindemann, JR 2002, 284 f.; A. Natz, A&R 2007, 29; P. Peikert/M. Kroel, MedR 2001, 14 (19); W.-H. Roth, GRUR 2007, 645 (648 f.); G. Schneider, in: W. Gitter/G. Wannagat (Hrsg.), Jahrbuch des Sozialrechts, Bd. 26, 2004, 311 (318 ff.). Vgl. auch R. Keßler, WRP 2006, 1283 (1284 ff.); M. Quaas, VSSR 2004, 175 (189 f.). Offengelassen durch BGH, WuW/E DE-R 1139 (1140) – Wiederverwendbare Hilfsmittel. M. Möller, EWiR 2006, 411 (412) ist der Ansicht, die Vorschrift des § 69 SGB V lasse sich praktisch nicht in einer schlüssigen Weise auslegen. 862 BGBl. I 2626, in Kraft getreten am 1.1.2000. 863 Vgl. die Nachweise bei Fn. 490, 861. 864 Siehe Fn. 860. 865 Vgl. BT-Drucks. 14/1245 S. 68 (Gesetzentwurf der Fraktionen SPD und Bündnis 90/Die Grünen): „Wegen dieser Einbindung der Rechtsbeziehungen der Krankenkassen mit den Leistungserbringern sowohl in die Versorgung als auch in die Finanzierung der GKV regelt § 69 Satz 1 als Grundsatznorm des Leistungserbringungsrechts,

F. Exkurs: Anwendbarkeit des deutschen Kartellrechts

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ßenden Charakter der dort aufgezählten Normen ausdrücklich an, und zwar unabhängig von der Zuordnung der Rechtsbeziehungen zum Privatrecht oder Öffentlichen Recht.866 Demgegenüber sieht eine andere Ansicht in der Neufassung des § 69 SGB V und den Einfügungen in § 51 Abs. 2 SGG, § 87 Abs. 1 S. 3 und § 96 S. 2 GWB a. F.867 lediglich eine Rechtswegzuweisung mit der Folge, „daß nunmehr die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit (auch) verpflichtet sind zu prüfen, ob die Auswirkungen des Handelns der Institutionen der gesetzlichen KV [= Krankenversicherung] im Verhältnis zu den Leistungserbringern materiell kartellrechtswidrig sind“.868 „Ziel der Neuregelungen sei allein die Zuweisung des Rechtswegs in diesen Leistungsbereichen zu den Sozialgerichten, während ihnen ein genereller Ausschluss des UWG und des GWB ebenso wie des europäischen Wettbewerbsrechts nicht zu entnehmen sei. Daher seien die Sozialgerichte nunmehr auch verpflichtet zu prüfen, ob die Auswirkungen des Handelns der Institutionen der gesetzlichen Krankenversicherung im Verhältnis zu den Leistungserbringern materiell kartellrechtswidrig seien“.869

daß die dort genannten Rechtsbeziehungen allein sozialversicherungsrechtlicher und nicht privatrechtlicher Natur sind. Dies folgt aus der Vorgabe der abschließenden Regelung dieser Beziehungen in dem Vierten Kapitel des SGB V. Die Krankenkassen und ihre Verbände erfüllen in diesen Rechtsbeziehungen ihren öffentlich-rechtlichen Versorgungsauftrag und handeln deshalb nicht als Unternehmen im Sinne des Privatrechts, einschließlich des Wettbewerbs- und Kartellrechts.“ Die den Rechtsweg betreffenden Änderungen in § 51 SGG und §§ 87, 96 GWB sind erst im weiteren Gesetzgebungsverfahren in die Beschlußempfehlung des Gesundheitsausschusses (BT-Drucks. 14/1977) eingeflossen und werden dort als „klarstellende Folgeregelungen zu der in § 69 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch enthaltenen Grundsatznorm des nunmehr allein öffentlich-rechtlich gestalteten Leistungserbringungsrechts“ bezeichnet, vgl. BT-Drucks. 14/1977 S. 189. 866 Vgl. T. J. Diekmann/N. Wildberger, NZS 2004, 15; G. Kirchhoff, SGb 2005, 499 (507). 867 § 96 GWB wurde mittlerweile aufgehoben durch Art. 1 Nr. 60 des Siebten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 7.7.2005 (BGBl. I 1954); die bisherige Regelung wurde zu dem durch dieses Gesetz neugefaßten § 87 GWB gezogen. 868 BSG [6. Senat], BSGE 86, 223 (229 f.). Vgl. ferner OLG Dresden, NZS 2002, 33; C. Bill, SGb 2000, 359 (360 f.); K. Engelmann, NZS 2000, 213 (220 f.), der aber überraschenderweise auch davon ausgeht, daß die entsprechenden Rechtsbeziehungen aufgrund von § 69 SGB V öffentlich-rechtlicher Natur sind (vgl. a. a. O., S. 219); D. Neumann, WuW 1999, 961 (965 f.); H. Sodan, in: E. Wille/M. Albring (Hrsg.), Paradigmenwechsel im Gesundheitswesen durch neue Versorgungsstrukturen?, 2004, 45 (48 f.); ders./J. Adam, NZS 2006, 113 (114 ff.); H.-D. Steinmeyer, in: Soziale Sicherheit und Wettbewerb, 2001, 101 (118 ff.); wohl auch P. Wigge, NZS 2000, 533 f. Offengelassen durch BGH, WuW/E DE-R 1139 (1140) – Wiederverwendbare Hilfsmittel. 869 OLG Dresden, Urt. v. 23.8.2001 – Az. U 2403/03 (insofern nicht abgedruckt in NZS 2002, 33). Vgl. ferner BSG [6. Senat], BSGE 86, 223 (229 f.).

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2. Kap.: Wettbewerbsrecht im Bereich der sozialen Sicherheit

Teilweise werden gegen einen vollständigen Ausschluß des Kartellrechts auch verfassungsrechtliche Bedenken, insbesondere im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1 GG, geltend gemacht, welche eine verfassungskonforme Auslegung im Sinne einer bloßen Rechtswegzuweisung geböten.870 Ferner wird der Gegenansicht entgegengehalten, dem Gesetzgeber stehe „nicht die Befugnis zu, die Rechtsnatur eines Rechtsverhältnisses, aus dem der Klageanspruch hergeleitet wird, entgegen seiner tatsächlichen Natur gesetzlich festzulegen.“871

Für das Bundeskartellamt erschien die Anwendung des deutschen Kartellrechts weiterhin in solchen Fällen möglich, in denen die Krankenkassen gegenüber ihren Leistungserbringern Vorgehensweisen wählen, die im Vierten Kapitel des Fünften Buches Sozialgesetzbuch nicht vorgesehen sind. Deshalb gelte der Ausschluß des Kartellrechts „nur für solche Handlungen, die in den von § 69 SGB V in Bezug genommenen Bestimmungen des SGB V ausdrücklich vorgesehen seien. Der Vorschrift könne nicht entnommen werden, dass diskriminierende und behindernde Verhaltensweisen, die vollständig außerhalb der in den einschlägigen Bestimmungen des SGB V vorgesehenen Handlungen lägen, der Anwendung des GWB entzogen werden sollten.“872

3. Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung Das Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz – GKV-WSG) vom 26.3.2007873 hat mit Wirkung zum 1.4.2007 in § 69 SGB V einen neuen Satz 2 eingefügt: „Die §§ 19 bis 21 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen gelten entsprechend; dies gilt nicht für Verträge von Krankenkassen oder deren Verbänden mit Leistungserbringern, zu deren Abschluss die Krankenkassen verpflichtet sind und bei deren Nichtzustandekommen eine Schiedsamtsregelung gilt.“

870 Vgl. OLG Dresden, NZS 2002, 33; C. Bill, SGb 2000, 359 (361); D. Neumann, WuW 1999, 961 (965); H. Sodan/J. Adam, NZS 2005, 113 (116 ff.). A. A. H. J. Meyer-Lindemann, JR 2002, 284 (285). 871 P. Wigge, NZS 2000, 533 (534); ders., in: Soziale Sicherheit und Wettbewerb, 2001, 79 (95). A. A. U. Gassner, VSSR 2000, 121 (129); J. Gundel, EuR 2004, 575 (576). 872 BKartA, Ausnahmebereiche des Kartellrechts, 2003, S. 36. In diesem Sinne auch K.-H. Mühlhausen, Der Mitgliederwettbewerb innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung, 2002, S. 59. Ähnlich H.-G. Kamann/P. Gey, Pharma Recht 2006, 255 (260). 873 BGBl. I 378. Siehe näher zu den Änderungen durch das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz M. Bitter, GesR 2007, 152 ff.; R. Richter, DStR 2007, 810 ff.; H. Sodan, NJW 2007, 1313 ff.

F. Exkurs: Anwendbarkeit des deutschen Kartellrechts

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Den Anstoß für diese neue Bestimmung gab ein Vorschlag des Bundesrates im Gesetzgebungsverfahren, welcher generell die entsprechende Anwendbarkeit des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen und sogar auch des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb vorsah.874 Die Bundesregierung stimmte in ihrer Gegenäußerung diesem Vorschlag des Bundesrates nur bezogen auf eine Anwendung der §§ 19 und 20 GWB zu.875 Im Gesundheitsausschuß des Bundestages wurde dann die spätere Gesetzesfassung als Beschlußempfehlung verabschiedet.876 Zur Begründung wird ausgeführt, durch die mit dem GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz erweiterten Fusionsmöglichkeiten der Krankenkassen könnten Krankenkassen in einzelnen Regionen einen hohen Marktanteil erlangen; zur Vermeidung des Mißbrauchs einer eventuell entstehenden marktbeherrschenden Stellung sowie der Diskriminierung der Vertragspartner der Krankenkassen und von Boykotten sei deshalb eine entsprechende Anwendbarkeit der §§ 19 bis 21 GWB angezeigt.877 Der Wortlaut des durch das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz veränderten § 69 SGB V, insbesondere der Sätze 1 und 2, spricht nunmehr deutlich dafür, daß die Verhaltensmaßstäbe des deutschen Kartellrechts im Verhältnis der Krankenkassen zu den Leistungserbringern, auch soweit davon Dritte betroffen sind, unmittelbar keine Anwendung mehr finden; ansonsten müßten ja nicht einzelne Vorschriften, nämlich die §§ 19 bis 21 GWB, in § 69 S. 2 SGB V für entsprechend anwendbar erklärt werden.878 Allerdings ist nunmehr auch klar, daß Mißbrauchs- (§ 19 GWB), Diskriminierung-, Behinderungs- (§ 20 GWB) und Boykottverbot (§ 21 GWB) in den genannten Verhältnissen beachtet werden müssen, weil die Vorschriften wenigstens entsprechend herangezogen werden. Jedoch bleibt im Bereich der Leistungserbringung nach § 69 SGB V das Kartellverbot (§ 1 GWB) unanwendbar.879 Dennoch wirft der in den Gesetzgebungsmaterialien zum Ausdruck gebrachte Wille des Gesetzgebers Fragen auf. Sein Wille ging unzweifelhaft dahin, mit dem GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz den Anwendungsbereich des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen zu erweitern, nämlich den Krankenkassen aufzugeben, wenigstens einige seiner Normen (§§ 19 bis 21) zu beachten. Diese Intention beruhte auf der Annahme, die Vorschriften des deutschen Kartellrechts seien auf Krankenkassen nicht anwendbar. Diese Annahme begründete der Gesetzgeber aber nicht damit, durch das Gesetz zur Reform der gesetzlichen Kran-

874 Vgl. BR-Drucks. 755/1/06 S. 29 f.; BT-Drucks. 16/3950 Anl. 2 S. 15. Siehe auch U. M. Gassner, NZS 2007, 281 (282 f.); A. Natz, A&R 2007, 29 f. 875 Vgl. BT-Drucks. 16/4020 S. 2 f. 876 Vgl. BT-Drucks. 16/4200 S. 29. 877 Vgl. BT-Drucks. 16/4247 S. 35. 878 So auch W.-H. Roth, GRUR 2007, 645 (649). 879 Vgl. auch die Kritik bei A. Natz, A&R 2007, 29.

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2. Kap.: Wettbewerbsrecht im Bereich der sozialen Sicherheit

kenversicherung ab dem Jahr 2000 (GKV-Reformgesetz 2000) vom 22.12. 1999880 wären alle Leistungserbringerverhältnisse der Krankenkassen, auch soweit von ihnen Drittwirkungen hervorgingen, pauschal dem Öffentlichen Recht zugeordnet worden, so daß die Anwendbarkeit des deutschen Kartellrechts auf diese Rechtsbeziehungen ausscheide. Vielmehr ging der Gesetzgeber unter Heranziehung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes zum Unternehmensbegriff der Art. 81 ff. EG fälschlicherweise davon aus, Krankenkassen seien beim Abschluß von Einzelverträgen zur Beschaffung von Gesundheitsleistungen im Rahmen der Leistungserbringung keine Unternehmen im Sinne des deutschen Kartellrechts, weil sie eine soziale Aufgabe wahrnähmen, die auf dem Grundsatz der Solidarität beruhe und ohne Gewinnerzielungsabsicht ausgeübt werde.881 Dabei verkannte der Gesetzgeber aufs gröbste, daß die Kriterien des Europäischen Gerichtshofes für den Unternehmensbegriff des deutschen Kartellrechts noch nie eine Rolle gespielt haben. Vor Inkrafttreten des GKV-Reformgesetzes 2000 wurden Beschaffungsvorgänge von Krankenkassen ohne weiteres von den Kartellgerichten unter die Lupe genommen.882 In § 69 S. 2 SGB V kann daher keine Bestätigung des Gesetzgebers dafür gesehen werden, schon das GKV-Reformgesetz 2000 hätte materiellrechtlich die unmittelbare Anwendbarkeit des deutschen Kartellrechts ausgeschlossen. Vielmehr könnte der Gesetzgeber auch aufgrund einer unzutreffenden Grundannahme mit dem GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz Vorschriften für entsprechend anwendbar erklärt haben, die vor dem 1.4.2007 unmittelbar galten. Wegen des nunmehr eindeutig gegen eine unmittelbare Anwendbarkeit des deutschen Kartellrechts in Leistungserbringerverhältnissen sprechenden Wortlautes bleibt kein Raum mehr für eine Auslegung, welche den Anwendungsbereich des Kartellrechts über den in § 69 S. 2 SGB V vorgesehenen Umfang erstreckt. Ein entgegenstehender Wille des Gesetzgebers wäre unbeachtlich, weil er sich im Wortlaut des Gesetzes nicht einmal ansatzweise niederschlägt.883 Im Falle eines möglicherweise schon durch das GKV-Reformgesetz 2000 bewirkten materiellrechtlichen Totalausschlusses des nationalen Wettbewerbsrechts hätte sich der kartellrechtliche Schutz der Leistungserbringer und möglicher Drittbetroffener gegenüber den Krankenkassen damit erweitert. Im gegenteiligen Falle hätte sich der kartellrechtliche Schutz verengt: Einerseits ist nunmehr § 1 GWB ausgeschlossen, was aber in der Praxis nicht so bedeutend ist, weil die kartellrechtliche Musik im Verhältnis der Krankenkassen zu den Leistungserbringern beim Mißbrauchs- (§ 19 GWB), Diskriminierung-, Behinderungs- (§ 20 GWB) und Boykottverbot (§ 21 GWB) spielt. Andererseits 880

BGBl. I 2626, in Kraft getreten am 1.1.2000. Vgl. BT-Drucks. 16/4247 S. 35. 882 Siehe dazu S. 211 f. Vgl. ferner W. Möschel, JZ 2007, 601 f. 883 Vgl. BVerfGE 1, 299 (312); 62, 1 (45); 86, 59 (64); BVerwGE 110, 363 (269); BVerwG, NVwZ-RR 1996, 429 (430). 881

F. Exkurs: Anwendbarkeit des deutschen Kartellrechts

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bleibt offen, ob die weiterhin zuständigen Sozialgerichte aus der Anordnung einer entsprechenden Anwendbarkeit der §§ 19 bis 21 GWB ein geringeres Schutzniveau ableiten werden. Kartellrechtlich gibt es dafür keine Notwendigkeit, weil ein Mißbrauch im Sinne des § 19 GWB, eine unbillige Behinderung oder eine ohne sachlichen Grund erfolgte Ungleichbehandlung oder Vorteilsgewährung im Sinne des § 20 GWB sowie eine unbillige Beeinträchtigung im Sinne des § 21 GWB immer eine umfassende Interessenabwägung voraussetzen.884 Schließlich sind bei Verstößen gegen die entsprechend anzuwendenden Vorschriften der §§ 19 bis 21 GWB auch keine Untersagungsverfügungen des Bundeskartellamtes sowie kartellrechtliche Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche möglich, da die §§ 32, 33 GWB nicht zu den in § 69 S. 2 SGB V genannten Vorschriften gehören.885 Möglich sind nunmehr aber Staatshaftungsansprüche (z. B. Art. 34 GG, § 839 BGB) der Leistungserbringer oder Drittbetroffener gegenüber den Krankenkassen, da § 69 S. 2 SGB V in Verbindung mit §§ 19 bis 21 GWB drittschützenden Charakter hat. Problematischer wird es, wenn man sich fragt, was eigentlich für das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb gelten soll.886 Daß seine unmittelbare Anwendbarkeit deshalb ausschiede, weil Krankenkassen keine Unternehmen seien, ist jedenfalls ein Trugschluß. Daher hängt seine Anwendbarkeit wiederum doch davon ab, ob entweder das deutsche Wettbewerbsrecht durch die Zuweisung aller Leistungserbringerverhältnisse zum Öffentlichen Recht insgesamt ausgeschaltet worden ist oder falls dies verneint wird, ob die Anordnung der entsprechenden Anwendbarkeit von Vorschriften des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen durch das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz auch dahingehend verstanden werden muß, daß im Umkehrschluß andere Gesetze des deutschen Wettbewerbsrechts überhaupt nicht anzuwenden sind. 4. Geltung des deutschen Kartellrechts außerhalb von Leistungserbringerverhältnissen Es ist zu betonen, daß von den durch § 69 SGB V seit dem Jahr 2000 bewirkten Veränderungen hinsichtlich der Geltung des deutschen Kartellrechts für Krankenkassen allein Leistungserbringerverhältnisse, auch soweit davon Dritte betroffen sind, berührt sind. Außerhalb des Anwendungsbereiches von § 69 884 Vgl. BGH, WuW/E DE-R 303 (305 f.) – Taxi-Krankentransporte; WuW/E DER 839 (841 ff.) – Privater Pflegedienst; BSGE 89, 19 (23); OLG Celle, WuW/E DE-R 433 (434 ff.) – Private Krankenpflege; OLG Dresden, NZS 2002, 33 (36 ff.); OLG Jena, OLG-NL 2000, 82 (84); OLG Schleswig, NJW-RR 1996, 1068 (1070); OLG Stuttgart, WuW/E DE-R 307 (310) – Medizinische Hilfsmittel; LG Leipzig, WuW/E DE-R 603 (604 f.) – Wiederverwendbare Krankenhilfsmittel; K.-P. Schultz, in: Langen/Bunte I § 20 Rn. 121 ff., § 21 Rn. 35 ff. 885 Vgl. auch W. Möschel, JZ 2007, 601 (604); M. Steiner, GesR 2007, 245 (248). 886 Vgl. J. Keßler, WRP 2007, 1030 (1034).

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2. Kap.: Wettbewerbsrecht im Bereich der sozialen Sicherheit

SGB V bleiben die bereits vor dem Jahr 2000 entwickelten Grundsätze unangetastet. Dies gilt insbesondere für die Theorie der Doppelqualifikation hoheitlicher Maßnahmen. Fordert beispielsweise eine Krankenkasse ihre Mitglieder in einem Rundschreiben auf, keine Kraftfahrzeuge einer bestimmten Marke zu erwerben, handelt es sich bei diesem Boykottaufruf um einen Fall, der überhaupt nicht unter die Regelungen des § 69 SGB V fällt. III. Fazit zum deutschen Kartellrecht Für das deutsche Recht ist festzustellen, daß die Debatte um die Reichweite des nationalen Kartellrechts im Bereich der sozialen Sicherheit am Unternehmensbegriff vorbei geführt wird. Vielmehr beruhen Befreiungen von kartellrechtlichen Verhaltensmaßstäben in diesem Bereich auf einer Zuordnung der betreffenden Tätigkeiten oder Rechtsbeziehungen zum Öffentlichen Recht. Offensichtlich wird das Tatbestandsmerkmal des Unternehmens als wenig geeignetes Merkmal angesehen, um für Sozialversicherungsträger kartellrechtliche Ausnahmen zu begründen. Denn schon früh ist von der höchstrichterlichen Rechtsprechung zutreffend erkannt worden, daß sich die Beschaffungstätigkeit von Sozialversicherungsträgern nicht grundlegend von der Tätigkeit privater Versicherungsunternehmen unterscheidet.887 Insofern liegt eine Betätigung im geschäftlichen Verkehr vor, und die Unternehmenseigenschaft ist zu bejahen. Auch im Hinblick auf die Versicherungstätigkeit der Sozialversicherungsträger ist die von Rechtsprechung und Literatur gewählte Umgehung der öffentlich-rechtlichen Sperrwirkungen durch die Konstruktion der Doppelqualifikation hoheitlicher Handlungen nur möglich, wenn man im Ausgangspunkt anerkennt, daß die die Angebotsseite betreffenden Handlungen – sind sie erst einmal ihres öffentlich-rechtlichen Charakters entkleidet – ansonsten die Voraussetzungen des Unternehmenstatbestandes erfüllen. Dementsprechend hat der Bundesgerichtshof in bezug auf eine Krankenkasse zutreffend formuliert: „Angesichts ihrer Teilnahme durch Nachfrage von Pflegeleistungen und als Anbieter von Versicherungen unterfällt sie dem weiten Unternehmensbegriff dieses Gesetzes [GWB], der auch juristische Personen des Öffentlichen Rechts einschließt, soweit sie als Anbieter oder Nachfrager auf dem Markt eine selbständige Tätigkeit bei der Erzeugung oder Verteilung von Waren oder gewerblichen Leistungen ausüben“.888

887

Vgl. BGH, WuW/E BGH 442 (450) – Gummistrümpfe = BGHZ 36, 91 (104). BGH, WuW/E DE-R 839 (840) – Privater Pflegedienst (Hervorhebung durch Verfasser). 888

Drittes Kapitel

Krankenkassen als Unternehmen im Sinne des Europäischen Wettbewerbsrechts Untersuchung auf der Grundlage der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes unter Beachtung der Relativität des Unternehmensbegriffes Das Gemeinschaftsrecht enthält hinsichtlich seiner Wettbewerbsregeln keine Bereichsausnahme für Tätigkeiten auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit.889 Im Ausgangspunkt ist es daher möglich, daß auch Krankenkassen Adressaten des Europäischen Wettbewerbsrechts sein können. Nach dem Wortlaut der Art. 81 ff. EG sind Unternehmen Adressaten des Europäischen Wettbewerbsrechts. Wer das Tatbestandsmerkmal des Unternehmens erfüllt, muß die im EG-Vertrag aufgestellten Wettbewerbsregeln grundsätzlich beachten, sofern die anderweitigen tatbestandsmäßigen Voraussetzungen ebenfalls erfüllt sind und keine rechtfertigende Ausnahme (wie z. B. Art. 86 Abs. 2 EG) eingreift. Unternehmen im Sinne der Art. 81 ff. EG ist nach dem allgemein anerkannten funktionalen Verständnis jede eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einheit.890 Als sogar mit eigener Rechtspersönlichkeit ausgestattete Körperschaften des Öffentlichen Rechts (vgl. § 29 Abs. 1 SGB IV) erfüllen Krankenkassen die Anforderungen an eine gewisse organisatorische Selbständigkeit der Einheit. Entscheidend kann für ihre Normadressateneigenschaft daher nur sein, ob sie auch die zweite Voraussetzung erfüllen, d. h. einer wirtschaftlichen Tätigkeit nachgehen.

A. Prämissen und Vorgehensweise Krankenkassen werden im Bereich der sozialen Sicherheit tätig.891 Für diesen Tätigkeitsbereich hat der Europäische Gerichtshof besondere Kriterien zur Bestimmung der Unternehmenseigenschaft entwickelt. Maßgeblich stellt er darauf ab, ob die Tätigkeit einer mit der Verwaltung eines Systems der sozialen Sicherheit betrauten Einrichtung auf dem Grundsatz der Solidarität beruht. Das 889 890 891

Vgl. S. 138 ff. Vgl. S. 47 f. Siehe näher zum Tätigkeitsbereich „soziale Sicherheit“ S. 136 f.

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3. Kap.: Krankenkassen als Unternehmen

Beruhen auf diesem Grundsatz hängt dabei von bestimmten, vom Gerichtshof herausgearbeiteten Ausgestaltungsmerkmalen der zu beurteilenden Sozialeinrichtung ab.892 Ferner kommt es darauf an, ob sich die Tätigkeit als bloßer Gesetzesvollzug darstellt.893 Bereits oben wurde festgestellt und kritisiert, daß die vom Europäischen Gerichtshof entwickelten Maßstäbe eine auf den Bereich der sozialen Sicherheit begrenzte Sonderrechtsprechung darstellen, welche in tragenden Punkten dem allgemein anerkannten und für andere Tätigkeitsbereiche gültigen funktionalen Unternehmensbegriff widerspricht.894 Trotz der dargelegten Kritik an der Methodik des Europäischen Gerichtshofes kann im Rahmen dieser wissenschaftlichen Arbeit der in gefestigter Rechtsprechung bestätigte und von weiten Teilen der Literatur übernommene Ansatz nicht einfach verworfen und außer acht gelassen werden. Es wäre leichtfertig zu glauben, daß der Europäische Gerichtshof seine vom Grundsatz der Solidarität geprägte Judikatur alsbald vom Ansatz her aufgeben würde. Wenn der Gerichtshof dem Europäischen Wettbewerbsrecht im Bereich der sozialen Sicherheit und speziell im Tätigkeitssektor von Krankenkassen größere Bedeutung zumessen möchte, wird er sich vielmehr zunächst auf dem von ihm bereiteten Boden bewegen. Es ist daher erforderlich, die Reichweite, Grenzen und interpretatorischen Spielräume des hier abgelehnten Ansatzes der Rechtsprechung zu beleuchten und zu untersuchen, ob sogar innerhalb dieses Ansatzes, die Unternehmenseigenschaft von Krankenkassen nicht gänzlich abgelehnt werden darf. Wäre letzteres der Fall, böte auch der abgelehnte, aber herrschende Ansatz die Möglichkeit, wettbewerbsrechtliche Verhaltensmaßstäbe gegenüber Krankenkassen in Zukunft stärker zur Geltung zu bringen, ohne daß es einer kopernikanischen Wende in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes bedürfte. Die folgende Untersuchung steht daher unter der (ersten) Prämisse, daß der wirtschaftliche Charakter einer auf dem Grundsatz der Solidarität beruhenden Tätigkeit im Bereich der sozialen Sicherheit, die sich als Gesetzesvollzug darstellt, zu verneinen ist. Ferner sind auch die vom Europäischen Gerichtshof zur Ausfüllung des Solidaritätsgrundsatzes herangezogenen Merkmale zu übernehmen. Ferner ist mit einer (zweiten) Prämisse davon auszugehen, daß im Bereich der sozialen Sicherheit kein institutioneller Unternehmensbegriff gilt, sondern ein tätigkeitsbezogener895. Dieser allgemeine Grundsatz ist vom Europäischen Gerichtshof für den Bereich der sozialen Sicherheit ausdrücklich weder ange892 Vgl. S. 179 f. sowie zu den maßgeblichen Ausgestaltungsmerkmalen im einzelnen S. 184 ff. 893 Vgl. S. 191 ff. 894 Vgl. S. 198 ff. 895 Siehe zum Tätigkeitsbezug des funktionalen Unternehmensbegriffes S. 67 ff.

B. Berücksichtigung des Unternehmensbegriffes im Recht

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zweifelt noch aufgegeben worden. Zwar spricht die sprachliche Abfassung vieler Urteile des Gerichtshofes für ein institutionelles Verständnis im Bereich der sozialen Sicherheit.896 De jure hält aber auch der Gerichtshof am funktionalen und tätigkeitsbezogenen Unternehmensbegriff fest;897 so hat er zuletzt in der Entscheidung AOK Bundesverband u. a. anerkannt, daß Krankenkassen außerhalb ihrer Aufgaben rein sozialer Art im Rahmen der Verwaltung des deutschen Systems der sozialen Sicherheit Geschäftstätigkeiten ausüben könnten, die keinen sozialen, sondern einen wirtschaftlichen Zweck haben, und Krankenkassen daher insofern Unternehmen sein können.898

B. Berücksichtigung der Relativität des Unternehmensbegriffes bei der Rechtsanwendung Wenn man – wie bereits dargelegt wurde899 – einerseits feststellen kann, daß der tätigkeitsbezogene Unternehmensbegriff auch nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes weiterhin im Bereich sozialer Sicherheit gelten soll, andererseits aber vom Gerichtshof in verschiedenen Entscheidungsbegründungen der Eindruck erweckt wird, er habe unter stillschweigender Aufgabe allgemeingültiger Grundsätze die Unternehmenseigenschaft von sozialen Zwecken dienenden Einrichtungen institutionell beurteilt, ist es notwendig, der Relativität bei der Rechtsanwendung größere Beachtung zu verschaffen. Die Relativität des Unternehmensbegriffes erfüllt eine begrenzende Funktion in zwei Richtungen: Zum einen beschränkt sie die Normadressatenstellung eines Rechtssubjekts bzw. einer Einheit auf die die Unternehmenseigenschaft begründende marktbezogene Tätigkeit, welcher ein ganzes Bündel einzelner Verrichtungen zuzuordnen ist900; zum zweiten begrenzt die Relativität umgekehrt die persönliche Freistellung vom Wettbewerbsrechts auf den Bereich der nichtwirtschaftlichen Aktivitäten.901 Diese zweite Begrenzung gilt es hier hervorzuheben. Im Ausgangspunkt muß auf dieser Grundlage klar sein, daß sich die die Unternehmenseigenschaft von Sozialversicherungsträgern verneinenden Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes auch nur auf den im konkreten Streitfall jeweils einschlägigen oder angesprochenen Tätigkeitsbereich dieser Einrichtungen beziehen können. Eine Aufgabe der Untersuchungen dieses Kapi896

Vgl. S. 200 ff. Vgl. U. M. Gassner, WuW 2004, 1028 (1030, 1034). 898 Vgl. EuGH, Urt. v. 16.3.2004, verb. Rs. C-264/01, C-306/01, C-354/01 und C355/01, Slg. 2004, I-2493 Rn. 58 – AOK Bundesverband u. a.; U. M. Gassner, WuW 2004, 1028 (1033 f.); C. Koenig/C. Engelmann, EuZW 2004, 682 (684). Siehe auch S. 170 ff. 899 Vgl. S. 178 f., 226 f. 900 Vgl. S. 65. 901 Vgl. S. 67 ff. 897

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3. Kap.: Krankenkassen als Unternehmen

tels ist es daher, die in den verschiedenen Entscheidungen einschlägigen Tätigkeitsbereiche zu ermitteln, um daran den Radius der wettbewerbsrechtlichen Freistellung aufzuzeigen. I. Ausgangsproblem Hält man es bei Akzeptanz des relativen Unternehmensbegriffes im Ausgangspunkt für möglich, daß Krankenkassen sowohl rein sozialen (nichtwirtschaftlichen) als auch wirtschaftlichen Tätigkeiten nachgehen können, muß man als zwingende Konsequenz verschiedene Antworten auf die Frage nach ihrer wettbewerbsrechtlichen Normadressateneigenschaft zulassen. Entscheidend ist dann nur zu wissen, welche Antwort im konkreten Fall die richtige ist. Besondere Zuordnungsmethoden oder Entscheidungsregeln sind nicht erforderlich, wenn alle vorzufindenden und denkbaren Verhaltensweisen einer Einheit klar als wirtschaftliche zu qualifizieren sind, weil dann in jedem Fall die Unternehmenseigenschaft zu bejahen ist. Umgekehrt gilt das gleiche: Wenn von vornherein nur nichtwirtschaftliche Betätigungen auszumachen sind, führt dieser Befund zur zwingenden Verneinung der wettbewerbsrechtlichen Normadressateneigenschaft. Sind aber sowohl wirtschaftliche als auch nichtwirtschaftliche Tätigkeiten festzustellen oder denkbar, ist die Normadressateneigenschaft nur partiell zu bejahen oder zu verneinen. Es stellt sich dann vor dem Hintergrund des relativen Unternehmensbegriffes die Frage, nach welchen Zurechnungsmethoden oder Entscheidungsregeln die Normadressateneigenschaft im konkreten Fall zu beantworten ist. Wonach entscheidet sich, ob im konkreten Fall bei der Prüfung des Unternehmenstatbestandes eine nichtwirtschaftliche oder eine wirtschaftliche Tätigkeit der Einheit den Ausschlag gibt? Regelmäßig hatten es Rechtsprechung und Praxis mit Fällen zu tun, bei denen die Einbettung der fraglichen Tätigkeiten und der wettbewerbsbeschränkenden Verhaltensweisen in einen wirtschaftlichen Gesamtzusammenhang auf der Hand lag.902 Ferner gehen die an europäischen Kartellrechtsverfahren beteiligten Unternehmen typischerweise kaum solchen Aktivitäten nach, die nicht in einen wirtschaftlichen Gesamtzusammenhang eingebunden sind.903 Insofern ist es nachzuvollziehen, daß ein Zurechnungsmodell nicht entwickelt wurde. Anders verhält es sich jedoch bei Sozialversicherungsträgern, deren (Haupt-) Aktivitäten als nichtwirtschaftliche qualifiziert wurden, wie beispielsweise bei Krankenkassen. Hier ist es leicht vorstellbar, daß diese Einrichtungen neben

902 Vgl. S. Graf von Wallwitz, Tarifverträge und die Wettbewerbsordnung des EGVertrages, 1997, S. 144. 903 Vgl. D. Neumann, Kartellrechtliche Sanktionierung von Wettbewerbsbeschränkungen im Gesundheitswesen, 2000, S. 126.

B. Berücksichtigung des Unternehmensbegriffes im Recht

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ihren rein sozialen (nichtwirtschaftlichen) Aktivitäten auf benachbarten904 oder völlig anderen Feldern wirtschaftliche Anstrengungen entwickeln, die auch einen beachtenswerten Umfang annehmen können. Mit Gewinnen aus wirtschaftlichen Nebenaktivitäten kann nicht zuletzt die rein soziale Haupttätigkeit querfinanziert bzw. bezuschußt werden. Dann wird aber die Fragestellung virulent, auf welche Tätigkeit bei der Beurteilung der Unternehmenseigenschaft im konkreten wettbewerbsrechtlichen Streitfall abzustellen ist. II. Lösung: Marktbezogene Zurechnung der mutmaßlich wettbewerbsbeschränkenden Verhaltensweise (Zurechnungsmodell) Theoretisch wäre es denkbar, die Unternehmenseigenschaft einer Person oder Einheit generell dann zu bejahen, wenn ihr auch nur eine wirtschaftliche Tätigkeit nachgewiesen werden kann.905 Bei einer solchen Vorgehensweise würde beispielsweise der Güter des privaten Bedarfs einkaufende Einzelkaufmann aufgrund seiner gewerblichen Tätigkeit auch beim privaten Endverbrauch als Adressat der Wettbewerbsregeln angesehen werden. Damit wäre jedoch die gesamte Funktion des relativen Begriffsverständnisses ausgehebelt, welche nämlich gerade darin besteht, den persönlichen Anwendungsbereich der Wettbewerbsregeln auf die die Unternehmenseigenschaft begründende Tätigkeit zu beschränken.906 Zu einer funktionsgerechten Lösung gelangt man durch eine marktbezogene Zurechnung der mutmaßlich wettbewerbsbeschränkenden Verhaltensweise. Allein mit der Feststellung und Kenntnis der verschiedenen wirtschaftlichen und nichtwirtschaftlichen Tätigkeiten einer Einheit kann die Unternehmenseigenschaft derselben im konkreten Fall noch gar nicht beurteilt werden. Ein konkreter Fall ergibt sich nämlich erst über einen weiteren Umstand, der einer wettbewerbsrechtlichen Beurteilung den Bezugspunkt gibt: Dieser Umstand ist die mutmaßlich wettbewerbsbeschränkende Verhaltensweise. Es geht dem Wettbewerbsrecht berücksichtigenden Rechtsanwender gerade darum, ob eine bestimmte Handlung aufgrund wettbewerbsrechtlicher Vorschriften zu unterlassen ist. Die inhaltliche Konkretisierung und Bedeutung der wettbewerbsrechtlichen Vorschriften erfolgt im Einzelfall erst durch eine bestimmte Verhaltensweise, die eine mögliche Wettbewerbsbeschränkung darstellt. 904 Als ein solches benachbartes Tätigkeitsfeld kommt bei Krankenkassen das Anbieten eigener oder das Vermitteln fremder Zusatzkrankenversicherungsverträge in Betracht, siehe S. 280 f., 324 ff. und 331 f. 905 So S. Kontusch, Wettbewerbsrelevantes Verhalten der Krankenkassen im Rahmen des deutschen und europäischen Wettbewerbs-, Kartell- und Verfassungsrechts, 2004, S. 61 ff. 906 Vgl. S. 68, 227 f.

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3. Kap.: Krankenkassen als Unternehmen

Die Unternehmenseigenschaft ist im konkreten Fall zu bejahen, wenn die mutmaßlich wettbewerbsbeschränkende Verhaltensweise dem Bereich wirtschaftlicher Tätigkeit der Einheit, d. h. einem bestimmten Marktverhalten907, zuzurechnen ist.908 Ist die Verhaltensweise dagegen einem nichtwirtschaftlichen Tätigkeitsbereich zuzurechnen, stellt die Einheit in bezug auf den konkreten Streitgegenstand kein Unternehmen dar, und ihr Verhalten ist mangels Normadressatenstellung nicht an den Wettbewerbsregeln zu messen, auch wenn es Wettbewerbsbeschränkungen tatsächlich bewirkt. Diskriminiert beispielsweise der Güter des privaten Bedarfs einkaufende Einzelkaufmann dabei bestimmte Geschäfte, so ist diese Verhaltensweise seinem nichtwirtschaftlichen Tätigkeitsfeld zuzurechnen und im konkreten Fall seine Unternehmenseigenschaft (= Normadressatenstellung) zu verneinen. Letztlich liegt das beschriebene Zurechnungsmodell den Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes unausgesprochen zugrunde. Eine Anerkennung durch den Gerichtshof fand es vor kurzem in der Entscheidung AOK Bundesverband u. a., welche die beschriebene Methodik im Ansatz übernimmt: „Es lässt sich jedoch nicht ausschließen, dass die Krankenkassen [. . .] außerhalb ihrer Aufgaben rein sozialer Art im Rahmen der Verwaltung des deutschen Systems der sozialen Sicherheit Geschäftstätigkeiten ausüben, die keinen sozialen, sondern einen wirtschaftlichen Zweck haben. [. . .] Daher ist zu prüfen, ob die Festsetzung der Festbeträge durch die Kassenverbände zu den von den Krankenkassen wahrgenommenen Aufgaben rein sozialer Art gehört oder ob sie über diesen Rahmen hinausgeht und eine Tätigkeit wirtschaftlicher Art darstellt.“909

Hier wird vom Ansatz her eindeutig anerkannt, daß die mutmaßlich wettbewerbsbeschränkende Verhaltensweise (Festsetzung der Festbeträge) dem wirtschaftlichen oder nichtwirtschaftlichen Bereich der Tätigkeiten von Krankenkassen zugerechnet werden muß.910 Der Europäische Gerichtshof arbeitet jedoch insofern ungenau, als daß er letztlich prüft, ob die Festsetzung von Festbeträgen selbst eine wirtschaftliche Tätigkeit sei. Die Festbetragsfestsetzung stellt aber kein Anbieten oder Nachfragen von Gütern oder Dienstleistungen auf einem Markt dar und kann somit mangels unmittelbaren Marktbezuges keine wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne des Unternehmenstatbestandes sein.911 In ihr liegt vielmehr die (mutmaßlich) wettbewerbsbeschränkende Verhaltensweise, 907 Vgl. zum unmittelbaren Marktbezug der wirtschaftlichen Tätigkeit im Sinne des Unternehmenstatbestandes S. 63 ff. 908 Vgl. auch OLG Düsseldorf, WuW/E DE-R 233 (234) – Inkontinenzhilfen; Pharma Recht 1999, 283 (291); Schlußanträge des Generalanwalts Francis G. Jakobs v. 22.5.2003, verb. Rs. C-264/01, C-306/01, C-354/01 und C-355/01, Slg. 2004, I2493 Tn. 24 – AOK Bundesverband u. a. 909 EuGH, Urt. v. 16.3.2004, verb. Rs. C-264/01, C-306/01, C-354/01 und C-355/ 01, Slg. 2004, I-2493 Rn. 58 f. – AOK Bundesverband u. a. 910 Vgl. C. Koenig/C. Engelmann, EuZW 2004, 682 (684). 911 Vgl. zum Begriff der wirtschaftlichen Tätigkeit und ihrem Marktbezug S. 63 ff.

C. Qualifizierung der verschiedenen Tätigkeiten von Krankenkassen

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hinsichtlich derer zu prüfen gewesen wäre, ob sie einem wirtschaftlichen oder nichtwirtschaftlichen Tätigkeitsbereich zuzurechnen ist.912 Genauer wurde die Notwendigkeit einer Zuordnung der mutmaßlich wettbewerbsbeschränkenden Verhaltensweise zum wirtschaftlichen oder nichtwirtschaftlichen Tätigkeitsbereich einer Person oder Einheit dagegen vom Generalanwalt Francis G. Jakobs angesprochen: „Erstens muss geprüft werden, ob die von den Beklagten vertretenen Krankenkassen Unternehmen sind, wenn sie Krankenversicherungsleistungen erbringen. Wenn ja, ist weiter zu prüfen, ob die Festsetzung von Festbeträgen grundsätzlich in den Bereich der wirtschaftlichen Tätigkeit der Krankenkassen fällt.“913

Ebenso wurde vom Oberlandesgericht Düsseldorf eine derartige Zuordnungsnotwendigkeit formuliert: „Es kommt also darauf an, ob die Mitgliedskassen der Ag. [Antragsgegner: Landesverbände der gesetzlichen Krankenkassen und Verbände der Ersatzkassen] in dem Geschäftsbereich, in dem die Festbetragsfestsetzung relevant ist, als ,Unternehmen‘ i. S. d. Art. 85 Abs. 1 EGV zu qualifizieren sind.“914

Das soeben entwickelte Zurechnungsmodell wird im folgenden dazu dienen, Reichweite und Grenzen der vom Europäischen Gerichtshof durch die Verneinung des Unternehmenstatbestandes geschaffenen Freistellungen vom persönlichen Anwendungsbereich der Wettbewerbsregeln tätigkeitsbezogen zu ermitteln.

C. Qualifizierung der verschiedenen Tätigkeiten von Krankenkassen Wegen der Relativität des Unternehmensbegriffes kann eine Aussage zur Unternehmenseigenschaft von Krankenkassen nur im Hinblick auf eine ausgeübte oder auszuübende (potentielles Unternehmen915) Tätigkeit getroffen werden. Daher ist zu untersuchen, ob die verschiedenen Tätigkeiten von Krankenkassen jeweils sich als wirtschaftliche oder als nichtwirtschaftliche erweisen. Die Ab912 Siehe dazu S. 259 ff.: Die Festbetragsfestsetzung ist eine Einzelverrichtung im Rahmen der angebotsorientierten Krankenversicherungstätigkeit der Krankenkassen. 913 Schlußanträge des Generalanwalts Francis G. Jakobs v. 22.5.2003, verb. Rs. C264/01, C-306/01, C-354/01 und C-355/01, Slg. 2004, I-2493 Tn. 24 – AOK Bundesverband u. a. 914 OLG Düsseldorf, WuW/E DE-R 233 (234) – Inkontinenzhilfen. Die Aussagen des Gerichts sind aber widersprüchlich hinsichtlich der Frage, welche Tätigkeit es als wirtschaftliche zugrunde legt. So heißt es einerseits, „daß es sich bei der hier zu beurteilenden Festbetragsfestsetzung um eine wirtschaftliche Tätigkeit i. S. d. Art. 85 Abs. 1 EGV handelt“ (a. a. O., S. 235), andererseits spricht das Gericht später von einer „Beurteilung, die die Beschaffung der Sach- und Dienstleistungen als wirtschaftliche Tätigkeit [. . .] ansieht“ (a. a. O., S. 237). Siehe auch das Parallelverfahren OLG Düsseldorf, Pharma Recht 1999, 283 (291, 293). 915 Siehe zum Begriff des potentiellen Unternehmens S. 66.

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3. Kap.: Krankenkassen als Unternehmen

grenzung zwischen wirtschaftlicher und nichtwirtschaftlicher Tätigkeit erfolgt in diesem Kapitel – wie eingangs hervorgehoben wurde – auf der Grundlage des Ansatzes, der vom Europäischen Gerichtshof im Bereich der sozialen Sicherheit verfolgt wird; sie richtet sich mithin maßgeblich am Grundsatz der Solidarität aus. Die Unternehmenseigenschaft kann nur durch unmittelbar marktbezogene Tätigkeiten begründet werden; dem Marktauftritt vorgelagerte Tätigkeiten (z. B. Produktion) bleiben außer Betracht.916 Eine Person kann auf einem Markt entweder Anbieter oder Nachfrager sein. Wie bei normalen Unternehmen können auch die Tätigkeiten einer Krankenkasse diesen zwei Grundsegmenten zugeordnet werden: Einerseits werden von einer Krankenkasse Versicherungsleistungen (z. B. Krankenvollversicherung, Zusatzkrankenversicherungen) sowie im Rahmen des Sachleistungsprinzips Gesundheitsleistungen (z. B. ärztliche bzw. zahnärztliche Leistungen, Arznei-, Heil- und Hilfsmittel) angeboten; andererseits fragt eine Krankenkasse Gesundheitsleistungen sowie sonstige Güter oder Dienstleistungen (z. B. Büroräume, -ausstattung, -material und Personal) nach.917 Die angebotsorientierten Versicherungsleistungen betreffen die Austauschbeziehungen zwischen der Krankenkasse und den gegenwärtig Versicherten bzw. potentiellen Neukunden, während sich bei den angebotsorientierten Gesundheitsleistungen Krankenkasse und Versicherte gegenüberstehen. Die Nachfrage nach Gesundheitsleistungen erfolgt gegenüber sog. Leistungserbringern (z. B. Ärzten, Zahnärzten, Krankenhäusern, Apothekern, Psychotherapeuten, Hebammen, Rehabilitationseinrichtungen). Dieses Tätigkeitssegment wird regelmäßig als Leistungserbringung bezeichnet.918 Sonstige Güter oder Dienstleistungen kann eine Krankenkasse naturgemäß von sehr verschiedenen Lieferanten beziehen. I. Nachfragetätigkeiten Krankenkassen fragen Gesundheitsleistungen im Rahmen der Leistungserbringung sowie sonstige Güter und Dienstleistungen nach. 916

Vgl. S. 65 f. Vgl. U. Becker, in: G. Igl (Hrsg.), Das Gesundheitswesen in der Wettbewerbsordnung, 2000, 53; ders., in: Soziale Sicherheit und Wettbewerb, 2001, 7 (12); M. Fuchs, in: G. Igl (Hrsg.), Das Gesundheitswesen in der Wettbewerbsordnung, 2000, 39; U. M. Gassner, WuW 2004, 1028 (1036); R. Giesen, in: Soziale Sicherheit und Wettbewerb, 2001, 123 (128); ders., ZESAR 2004, 151 (153); C. Koenig/C. Engelmann, EuZW 2004, 682 (683); D. Neumann, Kartellrechtliche Sanktionierung von Wettbewerbsbeschränkungen im Gesundheitswesen, 2000, S. 37; R. Pitschas, VSSR 1999, 221 (223); R. P. Schenke, WiVerw 2006, 34 (36 f., 56); G. Skorczyk, in: N. Klusen (Hrsg.), Europäischer Binnenmarkt und Wettbewerb – Zukunftsszenarien für die GKV, 2003, 93 f.; H. Sodan, GesR 2005, 145 (149). 918 Vgl. R. Giesen, in: Soziale Sicherheit und Wettbewerb, 2001, 123 (128). 917

C. Qualifizierung der verschiedenen Tätigkeiten von Krankenkassen

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1. Eigenständige Qualifizierung von Nachfragetätigkeiten? Bei den allgemeinen Grundsätzen zum Unternehmensbegriff wurde bereits dargestellt, daß die europäischen Gerichte, nämlich das Europäische Gericht erster Instanz und der Europäische Gerichtshof, seit kurzem die Rechtsansicht vertreten, der wirtschaftliche oder nichtwirtschaftliche Charakter der späteren Verwendung eines erworbenen Erzeugnisses bestimme zwangsläufig den Charakter der Einkaufstätigkeit.919 Nach diesem aus der Rechtssache FENIN hervorgegangenen Ansatz zur Beurteilung der Unternehmenseigenschaft erübrigt sich eine eigenständige Qualifizierung der Nachfragetätigkeit, weil sich der wirtschaftliche Charakter der Nachfrage allein danach richtet, ob die beschafften Güter und Dienstleistungen angebotsseitig wirtschaftlich verwendet werden. Für die Beurteilung des wirtschaftlichen Charakters der Nachfrage von Krankenkassen nach Gesundheitsleistungen im Rahmen der Leistungserbringung sowie nach sonstigen Gütern und Dienstleistungen kämen dann als maßgebliche angebotsorientierte „Referenztätigkeiten“ einerseits das Anbieten von Versicherungsleistungen an Versicherungsberechtigte einschließlich Pflichtversicherte sowie andererseits das Anbieten von Gesundheitsleistungen an Versicherte (Weiterverteilung) in Betracht.920 Der Ausschluß der Nachfrage als selbständig die Unternehmenseigenschaft begründende Tätigkeit wurde oben aus verschiedenen Gründen abgelehnt; unter anderem wurde auch dargelegt, daß der Ansatz der europäischen Rechtsprechungsorgane zur Bestimmung des wirtschaftlichen Charakters der Nachfragetätigkeiten weitgehend die Relativität des Unternehmensbegriffes in Frage stellt.921 Insofern begründet sich die nachfolgende Prüfung der Frage, ob die Nachfragetätigkeiten der Krankenkassen als solche wirtschaftlichen oder nichtwirtschaftlichen Charakter haben, aus der zweiten Prämisse dieses Kapitels, nämlich aus der Beachtung des tätigkeitsbezogenen, relativen Unternehmensbegriffes im Bereich der sozialen Sicherheit. Darüber hinaus ist die nachfolgende Prüfung deshalb angezeigt, um die Relevanz des aus der Rechtssache FENIN hervorgegangenen und von der Literatur922 weitgehend abgelehnten Ansatzes für die Beurteilung der Unternehmens919 Vgl. EuGH, Urt. v. 11.7.2006, Rs. C-205/03 P, Slg. 2006, I-6295 Rn. 26 – FENIN; EuG, Urt. v. 4.3.2003, Rs. T-319/99, Slg. 2003, II-357 Rn. 36 f. – FENIN; C. Koenig/C. Engelmann, EuZW 2004, 682 (683 ff.). Siehe zu dieser Rechtsprechung die Darstellung auf S. 78 ff. 920 Vgl. zur „Referenztätigkeit“ Anbieten von (unentgeltlichen) medizinischen Leistungen an Mitglieder eines Sozialversicherungsträgers die Schlußanträge des Generalanwalts M. Poiares Maduro v. 10.11.2005, Rs. C-205/03 P, Slg. 2006, I-6295 Tn. 39 ff. – FENIN. 921 Vgl. S. 83 ff. 922 Vgl. BKartA, Ausnahmebereiche des Kartellrechts, 2003, S. 37 f.; V. Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, WettbR EG/1 Art. 81 Abs. 1 EGV Rn. 22 f.; U. M. Gass-

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3. Kap.: Krankenkassen als Unternehmen

eigenschaft von Krankenkassen zu ermitteln. Der FENIN-Ansatz und der entsprechende Meinungsstreit spielen nämlich im Ergebnis dann keine Rolle, wenn aufgrund einer eigenständigen Betrachtung der Nachfragetätigkeiten – mittels der zur Beurteilung der Unternehmenseigenschaft im Bereich der sozialen Sicherheit entwickelten Kriterien – das gleiche Ergebnis erzielt würde wie bei einer allein von der Beurteilung der Angebotstätigkeiten abhängigen Qualifizierung der Nachfrage. 2. Nachfrage nach Gesundheitsleistungen (Leistungserbringung) Unter Leistungserbringung ist die Aufgabe der Krankenkassen zu verstehen, die Ansprüche der Versicherten aus dem Versicherungsverhältnis zu erfüllen.923 Zur Erfüllung dieser Ansprüche fragen Krankenkassen Gesundheitsleistungen bei den Leistungserbringern nach, da die Krankenkassen regelmäßig nicht selbst Gesundheitsleistungen erstellen (dürfen), sondern die Versorgung der Versicherten durch Dritte erfolgt (vgl. § 140 SGB V).924 In der gesetzlichen Krankenversicherung vollzieht sich die Leistungserbringung innerhalb eines Rahmens, an dem Krankenkassen, Versicherte und Leistungserbringer als Beteiligte die Eckpunkte bilden.925 a) Krankenkassen als Nachfrager im Rahmen der Leistungserbringung Die Leistungserbringung richtet sich nach zwei Grundprinzipien, nämlich dem Sachleistungsprinzip und dem Kostenerstattungsprinzip. Welches Prinzip für die Beschaffung einer konkreten Gesundheitsleistung maßgeblich ist, wird durch den Gesetzgeber im Fünften Buch Sozialgesetzbuch festgelegt. Beide Prinzipien stehen in der gesetzlichen Krankenversicherung aber nicht gleichbedeutend nebeneinander: Das Sachleistungsprinzip stellt die in der gesetzlichen Krankenversicherung geltende Leistungsmaxime dar (§ 2 Abs. 2 S. 1 SGB V);926 nur ausnahmsweise kann die Leistungserbringung auf Grundlage ner, WuW 2004, 1028 (1034); M. Helios, EuZW 2003, 288; A. Lober, EWiR 2003, 575 f.; A. Scheffler, EuZW 2006, 601 ff.; H. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze II Vorbem. zu den Artikeln 81 bis 85 EG Rn. 22; S. Storr, LKV 2005, 521 (Fn. 9). 923 Vgl. I. Ebsen, in: Freiheit und Bindung bei der Leistungserbringung im Gesundheitswesen, 1994, 7 (10); A. Kämmer, Kartellrechtliche Grenzen für die Beschränkungen des Wettbewerbs bei der Leistungsbeschaffung im Gesundheitswesen, 2004, S. 27 f. 924 Siehe näher A. S. Bien, Die Einflüsse des europäischen Kartellrechts auf das nationale Gesundheitswesen, 2004, S. 69 f.; M. Plantholz, RsDE Nr. 51 (2002), 48 ff., insb. 51 f., 55 f. 925 Vgl. I. Ebsen, KrV 2004, 95; B. von Maydell, VSSR 1999, 3 (6); M. Plantholz, RsDE Nr. 51 (2002), 48; J. Schmitt, in: B. Schulin (Hrsg.), Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Bd. 1 – Krankenversicherungsrecht, 1994, § 24 Rn. 4 ff. 926 BT-Drucks. 11/2237 S. 157 a. E.

C. Qualifizierung der verschiedenen Tätigkeiten von Krankenkassen

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des Kostenerstattungsprinzips erfolgen (§ 13 Abs. 1 SGB V).927 Weitere Modifikationen hat die Leistungserbringung durch Festbeträge, Festzuschüsse und Mehrkostenregelungen gefunden.928 Sofern die Unternehmenseigenschaft von Krankenkassen nicht generell verneint wird, wird in der Literatur teilweise undifferenziert nach einzelnen Prinzipien und Segmenten der Leistungserbringung vertreten, im Verhältnis zu den Leistungserbringern seien die Krankenkassen Nachfrager der Gesundheitsleistungen; deshalb seien sie aufgrund der dadurch begründeten wirtschaftlichen Tätigkeit im Rahmen der Leistungserbringung Normadressaten des Europäischen Wettbewerbsrechts.929 Im folgenden ist näher zu untersuchen, ob die Krankenkassen bei der Leistungserbringung nach einer im Wettbewerbsrecht maßgeblichen wirtschaftlichen Betrachtungsweise930 tatsächlich selbst – und nicht etwa die Versicherten – als Nachfrager der Gesundheitsleistungen (z. B. ärztliche bzw. zahnärztliche Heilbehandlung, Arznei-, Heil- und Hilfsmittel) anzusehen sind. aa) Sachleistungsprinzip Auf der Grundlage des Sachleistungsprinzips werden die Gesundheitsleistungen der gesetzlichen Krankenversicherung den Versicherten als Sach- und Dienstleistungen zur Verfügung gestellt (vgl. § 2 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 SGB V). Das bedeutet, daß die als Leistungen zugesicherten sächlichen Mittel und persönlichen Dienstleistungen von den Krankenkassen organisiert und ihren Versicherten in Natur zur Verfügung gestellt werden müssen; die Versicherten haben Anspruch auf Deckung des krankheitsbedingten Bedarfs als solchen und müssen daher Gesundheitsleistungen nicht auf eigene Kosten beschaffen und insoweit finanziell in Vorlage treten931.932 Beschafft sich ein Versicherter Ge927 Vgl. A. S. Bien, Die Einflüsse des europäischen Kartellrechts auf das nationale Gesundheitswesen, 2004, S. 67 f.; W. Noftz, in: ders. (Hrsg.), SGB V – Gesetzliche Krankenversicherung, Kommentar, Bd. 2, § 13 Rn. 18 ff. (Stand: März 2007); M. Plantholz, RsDE Nr. 51 (2002), 48 f.; A. Radüge, in: K. Jahn (Begr.)/U. Freudenberg, Sozialgesetzbuch (SGB) für die Praxis. Fünftes Buch (V) – Gesetzliche Krankenversicherung, § 13 Rn. 8 (Stand: 15.1.2004); M. Zipperer, in: U. Orlowski/F. Rau/J. Schermer/J. Wasem/M. Zipperer (Hrsg.), GKV-Kommentar SGB V, § 13 Rn. 14 f. (Stand: Oktober 2006). 928 Siehe dazu S. 239 ff., 253 ff. 929 Vgl. beispielsweise C. Engelmann, Kostendämpfung im Gesundheitswesen und EG-Wettbewerbsrecht, 2002, S. 79; R. Giesen, ZESAR 2004, 151 (153); C. Koenig/C. Engelmann, in: N. Klusen (Hrsg.), Europäischer Binnenmarkt und Wettbewerb – Zukunftsszenarien für die GKV, 2003, 107 (113 f.); S. Storr, ZESAR 2003, 249 (253). 930 Vgl. zur wirtschaftlichen Betrachtungsweise S. 54 ff. 931 Innerhalb des Sachleistungsprinzips sind jedoch Zuzahlungen der Versicherten zu bestimmten Sach- oder Dienstleistungen möglich, vgl. § 61 SGB V. 932 Siehe insbesondere B. J. Harich, Das Sachleistungsprinzip in der Gemeinschaftsrechtsordnung, 2006, S. 21 ff. m. w. N. Vgl. ferner BGHZ 82, 375 (386) – Bril-

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3. Kap.: Krankenkassen als Unternehmen

sundheitsleistungen außerhalb der vom Sachleistungssystem vorgesehenen Wege und Verfahren, dürfen ihm die dabei entstehenden Kosten von seiner Krankenkasse grundsätzlich nicht erstattet werden.933 Auf der Grundlage des Sachleistungsprinzips spielt die finanzielle Leistungsfähigkeit des Versicherten für den einzelnen Leistungserbringer keine Rolle. Gegen Vorlage eines Versicherungsnachweises (z. B. Krankenkassenkarte) erhält der Versicherte die notwendige Gesundheitsleistung.934 Der Leistungserbringer wird letztlich im Auftrag der Krankenkasse gegenüber dem Versicherten tätig und rechnet seine Leistungen mit der Krankenkasse unmittelbar oder mittelbar935 ab936. Sofern das Gesetz eine Zulassung von Leistungserbringern zur Teilnahme an der Versorgung der gesetzlich Versicherten vorsieht,937 ist diese mit einer entsprechenden Verpflichtung der Zugelassenen zur Behandlung bzw. Versorgung der Versicherten verbunden.938 Formal sind es also die Krankenkassen, welche sich bei den Leistungserbringern mit Gesundheitsleistungen eindecken, um sie ihren Versicherten als Sachoder Dienstleistungen zur Verfügung zu stellen. Daher schließen die Krankenkassen bzw. ihre Verbände über die Erbringung der Sach- und Dienstleistungen nach den Vorschriften des Vierten Kapitels des Fünften Buches Sozialgesetzbuch Verträge mit den Leistungserbringern bzw. deren Verbänden (§ 2 Abs. 2 S. 3 SGB V).939 Die durch das Sachleistungsprinzip vermittelte Stellung der len-Selbstabgabestellen; A. S. Bien, Die Einflüsse des europäischen Kartellrechts auf das nationale Gesundheitswesen, 2004, S. 67 f.; W. Boecken, VSSR 2005, 1 (13 f.); I. Heberlein, NVwZ 2001, 773 f.; D. Krauskopf, in: ders. (Hrsg.), Soziale Krankenversicherung – Pflegeversicherung, Bd. 1, § 2 SGB V Rn. 8 (Stand: Dezember 2004); H.-J. Kretschmer, in: W. Boecken/A. Hänlein/J. Kruse/H.-D. Steinmeyer (Hrsg.), Öffentliche und private Sicherung gegen soziale Risiken, 2000, 13 (15 f.); R. Maaß, ZRP 2002, 462 f.; S. Rixen, Sozialrecht als öffentliches Wirtschaftsrecht, 2005, S. 119 ff.; G. G. Sander, VSSR 205, 447 (460); R. P. Schenke, WiVerw 2006, 34 (36); G. Schneider, SGb 2004, 143 (151 f.). 933 R. Wagner, in: D. Krauskopf (Hrsg.), Soziale Krankenversicherung – Pflegeversicherung, Bd. 1, § 13 SGB V Rn. 4 (Stand: Dezember 2004). 934 Vgl. § 15 Abs. 2 SGB V, § 13 Abs. 1 BMV-Ä. 935 Im Rahmen der vertrags(zahn)ärztlichen Versorgung entrichtet die Krankenkasse gemäß § 85 Abs. 1 SGB V nach Maßgabe der Gesamtverträge an die jeweilige Kassenärztliche Vereinigung mit befreiender Wirkung eine Gesamtvergütung für die gesamte vertragsärztliche Versorgung der Mitglieder mit Wohnort im Bezirk der Kassenärztlichen Vereinigung einschließlich der mitversicherten Familienangehörigen; die Kassenärztliche Vereinigung verteilt gemäß § 85 Abs. 4 SGB V die Gesamtvergütungen an die Vertragsärzte. Vgl. dazu R. Luckhaupt, GesR 2004, 266 ff. 936 Vgl. § 18 Abs. 8 BMV-Ä. 937 Vgl. beispielsweise §§ 95 ff. SGB V, § 126 SGB V a. F. 938 Vgl. für die vertragsärztliche Versorgung § 95 Abs. 1, 3 SGB V, § 13 Abs. 7 BMV-Ä. 939 Regelmäßig werden die Verträge zwischen den Krankenkassenverbänden (ab 1.7.2007 meistens Spitzenverband Bund der Krankenkassen) und den Verbänden der verschiedenen Leistungserbringer (z. B. Kassenärztliche Vereinigungen) geschlossen,

C. Qualifizierung der verschiedenen Tätigkeiten von Krankenkassen

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Krankenkassen als formale Nachfrager ermöglicht ihnen, unmittelbaren oder mittelbaren Einfluß auf die Leistungserbringung zu nehmen.940 Tatsächlich wird der Leistungserbringer regelmäßig nicht durch die Krankenkasse selbst, sondern durch den einzelnen Versicherten (z. B. aufgrund der freien Arztwahl gemäß § 76 Abs. 1 S. 1 SGB V) oder andere Leistungserbringer (z. B. Verschreibung eines bestimmten Arzneimittelproduktes durch den Arzt) ausgewählt.941 Man kann sich daher fragen, ob die Krankenkassen bei einer materiellen bzw. wirtschaftlichen Betrachtung gar nicht als Nachfrager anzusehen sind, sondern diejenigen, welche die Auswahl unter mehreren Leistungserbringern treffen. Die Möglichkeit von Versicherten oder bestimmten Leistungserbringern, Dispositionen zu Lasten der Krankenkassen zu treffen, läßt Versicherte oder disponierende Leistungserbringer im Verhältnis zu den Krankenkassen nicht selbst als Nachfrager erscheinen.942 Entscheidend für dieses Ergebnis ist erstens, daß die Vergütungspflicht gegenüber dem vom Versicherten ausgewählten Leistungserbringer allein bei der Krankenkasse liegt. Wer nicht auf eigene Rechnung handelt, kann in einer wirtschaftlichen Betrachtung nur schwerlich als eigenständiger Nachfrager angesehen werden. Zweitens werden die ausgewählten Leistungserbringer gegenüber dem Versicherten nur im Rahmen und in Erfüllung ihrer gegenüber der Krankenkasse bestehenden Verpflichtungen tätig. Maßgeblich für Inhalt sowie Art und Weise der Leistungserbringung bleiben die zwischen den Krankenkassen und den Leistungserbringern (bzw. ihren Verbänden943) geschlossenen Verträge bzw. – sofern vorhanden – die gesetzlichen Bestimmungen. Die Krankenkassen stellen daher im Verhältnis zum Angebot der Leistungserbringer die Marktgegenseite dar.944 vgl. §§ 82 ff., 125, 127, 129 SGB V. Dagegen sind Verträge mit einzelnen Leistungserbringern vorgesehen in §§ 132 ff. SGB V, aber auch in §§ 125, 127 SGB V. 940 Vgl. A. S. Bien, Die Einflüsse des europäischen Kartellrechts auf das nationale Gesundheitswesen, 2004, S. 68 f.; B. J. Harich, Das Sachleistungsprinzip in der Gemeinschaftsrechtsordnung, 2006, S. 25 f.; W. Jaeger, ZWeR 2005, 31 (34); S. Sell, in: AOK Hessen (Hrsg.), Solidarität im Wettbewerb – ein Widerspruch?, 2001, 16 (18). 941 Vgl. W. Jaeger, ZWeR 2005, 31 (33). 942 A. A. P. Axer, NZS 2002, 57 (62); E. Eichenhofer, NZS 2001, 1 (5); ders., in: S. Empter/H. Sodan (Hrsg.), Markt und Regulierung, 2003, 81 (87); V. Neumann, in: G. Igl (Hrsg.), Das Gesundheitswesen in der Wettbewerbsordnung, 2000, 101 (105 ff., insb. 108 f.); D. Oppermann, SozSich 2001, 93 (96 f.). Vgl. auch M. Dreher/M. Kling, Kartell- und Wettbewerbsrecht der Versicherungsunternehmen, 2007, Teil 1 Rn. 454. 943 Siehe Fn. 939. 944 OLG Dresden, NZS 2002, 33 (34) m. w. N.: „Bei einer funktionalen Betrachtungsweise stellen die Versicherten mit ihrem Nachfrageverhalten auf dem medizinischen Sach- und Dienstleistungsmarkt in einem weiteren Sinne lediglich Repräsentanten der Krankenkassen dar“; OLG Düsseldorf, WuW/E DE-R 233 (236) – Inkontinenzhilfen; Pharma Recht 1999, 283 (292); J. Busche, OLG-NL 2000, 84 (85); W. Jaeger, ZWeR 2005, 31 (32 ff.); R. Pitschas, VSSR 1999, 221 (225); H.-P. Schwin-

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3. Kap.: Krankenkassen als Unternehmen

bb) Kostenerstattungsprinzip Das Kostenerstattungsprinzip beruht darauf, daß sich der Versicherte eine Gesundheitsleistung selbst bei einem Leistungserbringer beschafft, insbesondere den ausgewählten Leistungserbringer auch für die erbrachte Gesundheitsleistung vergütet; die dem Versicherten entstandenen Kosten werden ihm anschließend (vollständig oder teilweise) von der Krankenkasse erstattet.945 Nach diesem Grundprinzip arbeitet die private Krankenversicherung;946 in der gesetzlichen Krankenversicherung stellt es dagegen den Ausnahmefall dar (vgl. § 13 Abs. 1 SGB V)947. Das Kostenerstattungsprinzip ist u. a. in Fällen von Auslandsbeschäftigung (§ 17 Abs. 2 SGB V), Inanspruchnahme von Leistungserbringern im europäischen948 Ausland (§ 13 Abs. 4 SGB V), medizinisch notwendiger Krankenbehandlung im nichteuropäischen949 Ausland (§ 18 SGB V), häuslicher Krankenpflege (§ 37 Abs. 4 SGB V), Haushaltshilfe (§ 38 Abs. 4 SGB V) und Unerreichbarkeit von Sachleistungen (§ 13 Abs. 3 SGB V) vorgesehen.950 Aufgrund des Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz – GKV-WSG) vom 26.3. towski, in: E. Bruckenberger/S. Klaue/H.-P. Schwintowski, Krankenhausmärkte zwischen Regulierung und Wettbewerb, 2006, S. 119 ff. sowie S. 122: „Ökonomisch und wettbewerbstheoretisch gesprochen heißt das, dass die Krankenkassen all die Parameter zugunsten und zulasten der Versicherten festlegen, über die die Versicherten auf freien Märkten selbstbestimmt und frei verhandeln würden. Die Krankenkassen nehmen den Versicherten folglich die Marktsouveränität, d. h. der Versicherte erscheint nur noch der äußeren Hülle nach als Nachfrager, ist in Wirklichkeit aber eine fremd-, nämlich krankenkassengesteuerte, Einkaufsmarionette.“ Vgl. B. von Maydell, VSSR 1999, 3 (5 ff.). 945 Vgl. E. Eichenhofer, in: S. Empter/H. Sodan (Hrsg.), Markt und Regulierung, 2003, 81 (93); G. G. Sander, VSSR 2005, 447 (460). 946 B. J. Harich, Das Sachleistungsprinzip in der Gemeinschaftsrechtsordnung, 2006, S. 25; R. List, Das Honorarsystem der vertragsärztlichen Versorgung in der Gesetzlichen Krankenversicherung, 1999, S. 104; B. Baron von Maydell, in: H. Sodan (Hrsg.), Krankenkassenreform und Wettbewerb, 2005, 67 (69); S. Sell, in: AOK Hessen (Hrsg.), Solidarität im Wettbewerb – ein Widerspruch?, 2001, 16 (18 f.). 947 Vgl. A. S. Bien, Die Einflüsse des europäischen Kartellrechts auf das nationale Gesundheitswesen, 2004, S. 68; W. Noftz, in: ders. (Hrsg.), SGB V – Gesetzliche Krankenversicherung, Kommentar, Bd. 2, § 13 Rn. 18 ff. (Stand: März 2007); M. Plantholz, RsDE Nr. 51 (2002), 48; A. Radüge, in: K. Jahn (Begr.)/U. Freudenberg, Sozialgesetzbuch (SGB) für die Praxis. Fünftes Buch (V) – Gesetzliche Krankenversicherung, § 13 Rn. 8 (Stand: 15.1.2004); M. Zipperer, in: U. Orlowski/F. Rau/J. Schermer/ J. Wasem/M. Zipperer (Hrsg.), GKV-Kommentar SGB V, § 13 Rn. 14 f. (Stand: Oktober 2006). 948 Geltungsbereich des EG-Vertrags sowie des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum. 949 Außerhalb des Geltungsbereiches des EG-Vertrags sowie des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum. 950 Siehe im einzelnen zu den Durchbrechungen des Sachleistungsprinzips in der gesetzlichen Krankenversicherung B. J. Harich, Das Sachleistungsprinzip in der Gemeinschaftsrechtsordnung, 2006, S. 31 ff.

C. Qualifizierung der verschiedenen Tätigkeiten von Krankenkassen

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2007951 könnte die Kostenerstattung im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung zunehmende Bedeutung gewinnen. Die neue Vorschrift des § 53 Abs. 4 SGB V sieht vor, daß eine Krankenkasse in ihrer Satzung vorsehen kann, Mitgliedern Tarife für Kostenerstattung anzubieten. Die Höhe der Kostenerstattung (beispielsweise bis zum 2,3-fachen oder 3,5-fachen952 Satz nach der Gebührenordnung für Ärzte bzw. Zahnärzte) soll die Krankenkasse variabel gestalten dürfen (vgl. § 53 Abs. 4 S. 2 SGB V).953 Vollzieht sich die Beschaffung von Gesundheitsleistungen auf der Grundlage des Kostenerstattungsprinzips, ist der Versicherte selbst Nachfrager und nicht die Krankenkasse. Denn sowohl Auswahl des Leistungserbringers als auch seine Bezahlung954 obliegen in erster Linie dem Versicherten. Der Versicherte hat zwar einen Erstattungsanspruch gegenüber seiner Krankenkasse, zwischen der Krankenkasse und dem Leistungserbringer bestehen aber keine unmittelbaren Rechtsbeziehungen. Im Rahmen des Kostenerstattungsprinzips schuldet die Krankenkasse dem Versicherten nur eine Geldzahlung, nämlich die Kostenerstattung. Die von den Versicherten ausgehende Nachfrage nach Gesundheitsleistungen, welche nach Maßgabe des Kostenerstattungsprinzips zu beschaffen sind, stellt somit keine die Unternehmenseigenschaft von Krankenkassen begründende Tätigkeit dar. Zwar können sich auch im Anwendungsbereich des Kostenerstattungsprinzips Handlungen von Krankenkassen wettbewerbsbeschränkend auf Leistungserbringer auswirken, beispielsweise wenn eine Krankenkasse ihre Versicherten dazu aufruft, einen bestimmten Leistungserbringer zu boykottieren. Die wettbewerbsbeschränkende Verhaltensweise muß dann aber einer eigenen wirtschaftlichen Tätigkeit der Krankenkasse zuzurechnen sein (möglicherweise dem angebotsorientierten Versicherungsgeschäft), um ihr Verhalten am Wettbewerbsrecht messen zu können.955 cc) Festbetragsregelungen Mit dem Gesetz zur Strukturreform im Gesundheitswesen (Gesundheits-Reformgesetz – GRG) vom 20.12.1988956 wurde das Recht der gesetzlichen Krankenversicherung auf eine neue gesetzliche Grundlage gestellt, nämlich das Fünfte Buch Sozialgesetzbuch, in welches die krankenversicherungsrechtlichen 951

BGBl. I 378. Vgl. R. Winkel, SozSich 2007, 110 (112). 953 Vgl. BT-Drucks. 16/3100 S. 108 f. 954 Vgl. B. J. Harich, Das Sachleistungsprinzip in der Gemeinschaftsrechtsordnung, 2006, S. 32. 955 Vgl. W. Jaeger, ZWeR 2005, 31 (53). 956 BGBl. I 2477. 952

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3. Kap.: Krankenkassen als Unternehmen

Vorschriften der Reichsversicherungsordnung überführt wurden.957 Eine in diesem Zusammenhang verwirklichte Neuregelung war die Einführung eines Festbetragssystems für bestimmte Gesundheitsleistungen (Arznei-, Verband- und Hilfsmittel).958 Unterfällt eine Gesundheitsleistung einer Festbetragsregelung und ist ein Festbetrag festgesetzt959 worden, erfüllen die Krankenkassen ihre Leistungspflicht gegenüber den Versicherten mit dem Festbetrag (§ 12 Abs. 2 SGB V). Festbeträge sind Höchstbeträge für die Erstattung von Preisen durch die gesetzlichen Krankenkassen.960 Liegt der Preis einer Leistung über dem Festbetrag, muß der Versicherte die Differenz selbst bezahlen. Es bereitet einige Schwierigkeiten einzuordnen, wer im Rahmen des Festbetragssystems eigentlich Nachfrager der betreffenden Gesundheitsleistungen ist. Es gibt einige Gesichtspunkte, die dafür sprechen, daß es die Versicherten selbst sind, und wiederum andere Gesichtspunkte, welche eher die Krankenkassen als Nachfrager erscheinen lassen. Die Formulierung des Gesetzgebers, daß die Krankenkassen ihre Leistungspflicht mit dem Festbetrag erfüllen (§ 12 Abs. 2 SGB V), deutet auf eine systematische Verwandtschaft des Festbetragssystems mit dem Kostenerstattungsprinzip hin.961 Dieser Eindruck wird ergänzt durch § 31 Abs. 2 S. 1 und § 33 Abs. 7 S. 2 letzter Hs. SGB V (vgl. auch den bis zum 31.3.2007 gültigen § 33 Abs. 2 S. 1 SGB V a. F.), wonach die Krankenkasse für ein Arznei-, Verband- bzw. Hilfsmittel, für das ein Festbetrag festgesetzt worden ist, die Kosten bis zur Höhe dieses Betrages trägt. Die Leistungspflicht der Krankenkasse besteht hier

957

Vgl. BT-Drucks. 11/2237 S. 136. Vgl. BT-Drucks. 11/2237 S. 146, 148. 959 Das Verfahren zur Festsetzung von Festbeträgen ist in der Regel zweistufig. Bei Arzneimitteln bestimmt auf der ersten Stufe der Gemeinsame Bundesausschuß in Richtlinien, für welche Gruppen von Arzneimitteln Festbeträge festgesetzt werden können (§ 35 Abs. 1 S. 1 SGB V). Dagegen bestimmen bei Hilfsmitteln die Spitzenverbände der Krankenkassen gemeinsam und einheitlich Hilfsmittel, für die Festbeträge festgesetzt werden (§ 36 Abs. 1 S. 1 SGB V). Auf der zweiten Stufe setzen die Spitzenverbände der Krankenkassen sowohl für Arznei- als auch für Hilfsmittel gemeinsam und einheitlich den jeweiligen Festbetrag fest (§ 35 Abs. 3 S. 1, § 36 Abs. 2 S. 1 SGB V). Der Festbetrag für eine Arzneimittelgruppe oder ein Hilfsmittel soll den höchsten Abgabepreis des unteren Drittels des Intervalls zwischen dem niedrigsten Preis und dem höchsten Preis nicht übersteigen (§ 35 Abs. 5 S. 4, § 36 Abs. 3 SGB V). Siehe auch H. Sodan, GesR 2005, 145 (147). Vgl. für Verbandmittel § 35 Abs. 3 S. 2, 3 SGB V. 960 Vgl. P. Axer, NZS 2002, 57 (58); R. P. Schenke, WiVerw 2006, 34 (47); P. Wigge, in: Soziale Sicherheit und Wettbewerb, 2001, 79 (83); H. Sodan, GesR 2005, 145 (147). 961 Die Frage, ob Festbeträge Fälle der Kostenerstattung sind, wird auch aufgeworfen – aber im Ergebnis verneint – von B. J. Harich, Das Sachleistungsprinzip in der Gemeinschaftsrechtsordnung, 2006, S. 38 f. 958

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augenscheinlich nicht mehr in einer Sachleistung, sondern allein in einer Geldleistung. Zwar wendet die Krankenkasse die bis zur Höhe des Festbetrages geschuldete Geldleistung dem Versicherten nicht unmittelbar im Rahmen eines späteren Erstattungsverfahrens zu, sondern sie rechnet mit der die Gesundheitsleistung abgebenden Stelle (z. B. Apotheke) ab. Diese Stelle hat die benötigte Leistung entweder kostenlos oder unter Vereinnahmung der Eigenbeteiligung (Differenz zwischen Festbetrag und Preis) zuvor an den Versicherten abgegeben.962 Das zwingt jedoch nicht dazu, von einer Sachleistung der Krankenkasse zu sprechen,963 denn bloßen Abrechnungsmodalitäten kommt keine materielle Bedeutung zu.964 Die direkte Abrechnung zwischen einem Versicherer und einem „Leistungserbringer“ ist in Bereichen der gewerblichen Wirtschaft gang und gäbe. So findet z. B. im Regelfall eine direkte Abrechnung zwischen Kraftfahrzeugkaskoversicherung und Autowerkstatt über den die Selbstbeteiligung des Versicherten übersteigenden Rechnungsbetrag statt. Daß die Krankenkassen im Rahmen des Festbetragssystems nicht mehr zur Beschaffung der erforderlichen Sach- und Dienstleistungen, sondern allein zu einer Geldzahlung verpflichtet sind, läßt sich auch aus den Gesetzgebungsmaterialien entnehmen. In der Begründung zum Entwurf des Gesundheits-Reformgesetzes findet sich in der Einzelbegründung zu § 12 Abs. 2 SGB V der Hinweis: „Eine über den Festbetrag hinausgehende Leistungspflicht besteht auch dann nicht, wenn eine Leistung im Sinne des Absatzes 1 [ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Leistung] durch den Festbetrag im Einzelfall nicht sichergestellt wird.“965

Diese Aspekte sprechen dafür, im Bereich der Geltung des Festbetragssystems die Versicherten – wie beim Kostenerstattungsverfahren – selbst als Nachfrager der betreffenden Gesundheitsleistungen anzusehen. Unterstützt wird diese Sichtweise wiederum von den angesprochenen Gesetzgebungsmaterialien. In der Einzelbegründung zu § 31 Abs. 2 SGB V (Arznei- und Verbandmittel), welche sich näher mit dem Festbetragssystem befaßt, wird ausgeführt: „Die Versicherten werden selbst unmittelbar zum Nachfrager.“966 Für § 33 Abs. 3 SGB V a. F. (Hilfsmittel) – später § 33 Abs. 2 S. 1 SGB V a. F., ähnlich seit 1.4.2007 § 33 Abs. 7 letzter Hs. SGB V – wird auf diese Aussage verwiesen.967 962

Vgl. W. Jaeger, ZWeR 2005, 31 (33). So aber OLG Düsseldorf, WuW/E DE-R 233 (236) – Inkontinenzhilfen; Pharma Recht 1999, 283 (293), welches meint, wegen der direkten Abrechnung sei die Kostenerstattung „ein anderes Verfahren“. 964 Vgl. W. Boecken, VSSR 2005, 1 (15). 965 BT-Drucks. 11/2237 S. 164. So auch K. Höfler, in: Kasseler Kommentar – Sozialversicherungsrecht, Bd. 1, § 12 SGB V Rn. 41 (Stand: April 2002). 966 BT-Drucks. 11/2237 S. 173. 967 BT-Drucks. 11/2237 S. 174. 963

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Rechtsprechung und weite Teile der sozialrechtlichen Literatur gehen dagegen davon aus, daß sich das Festbetragssystem innerhalb des Sachleistungsprinzips verwirklicht.968 So ist nach Ansicht des Bundessozialgerichts der Leistungsanspruch des Versicherten grundsätzlich auch dann im Wege der Sachleistung zu erfüllen, wenn ein Festbetrag für eine bestimmte Gesundheitsleistung festgesetzt worden ist; eine solche Leistung sei dem Versicherten prinzipiell in Natur zur Verfügung zu stellen, wobei er ggf. die erforderliche Zuzahlung zu leisten habe.969 Diese Ansicht beruht wohl auf der Beobachtung, daß für Versicherte, welche eine Leistung beziehen, die nicht mehr als der Festbetrag kostet, keine Unterschiede zum Sachleistungssystem bemerkbar sind. Sie müssen die Leistung nicht selbst finanzieren, weil die abgebende Stelle den Preis in voller Höhe mit der Krankenkasse abrechnen kann. Solange im Arzneimittelsektor zum Festbetrag eine für die Therapie ausreichende Vielfalt an Arzneimitteln erhältlich ist und im Hilfsmittelsektor zum Festbetrag die Versorgung mit ausreichenden, zweckmäßigen und in der Qualität gesicherten Hilfsmitteln gewährleistet ist, wird in der Praxis für die meisten Versicherten keine Veranlassung bestehen, teurere Leistungen in Anspruch zu nehmen, so daß sich für die Versicherten kein Unterschied zum Sachleistungssystem ergibt.970 Damit sich die Leistungserbringung im Festbetragssystem nach außen für den Versicherten weiterhin wie eine Sachleistung darstellt, verlangt das Bundesverfassungsgericht, die Festbeträge nicht zu niedrig festzusetzen: „Sollte sich ergeben, dass Versicherte, die Hilfsmittel benötigen, diese – abgesehen von äußersten und eher zufälligen Ausnahmen – nicht mehr als Sachleistung ohne Eigenbeteiligung beziehen können, weil zu diesen Konditionen die Leistungserbringer mit den Krankenkassen nicht mehr die nach § 2 Abs. 2 Satz 2 SGB V [heute: § 2 Abs. 2 S. 3 SGB V] vorgesehenen Verträge abschließen, wären die Verbände ihren Aufgaben nach den §§ 35, 36 SGB V nicht gesetzeskonform nachgekommen.“971 Daraus leitet das Bundessozialgericht ab, der für ein Hilfsmittel festgesetzte Festbetrag begrenze die Leistungspflicht der Krankenkasse dann 968 Vgl. BVerfGE 106, 275 (309 f.); BSGE 90, 220 (224); OLG Düsseldorf, WuW/ E DE-R 233 (236) – Inkontinenzhilfen; Pharma Recht 1999, 283 (292 f.); SG Dresden, Urt. v. 2.6.2005 – Az. S 18 KR 210/02; G. Dalichau/B. Grüner, SGB V – Krankenversicherung, Kommentar, Bd. 1, § 33 S. 30 (Stand: 1.7.2007); B. J. Harich, Das Sachleistungsprinzip in der Gemeinschaftsrechtsordnung, 2006, S. 39; K. Höfler, in: Kasseler Kommentar – Sozialversicherungsrecht, Bd. 1, § 31 SGB V Rn. 28 (Stand: November 2006), § 33 SGB V Rn. 55 (Stand: Dezember 2004); W. Jaeger, ZWeR 2005, 31 (33); C. Koenig/C. Sander, EuZW 2000, 716 (718); H.-P. Schwintowski, in: E. Bruckenberger/S. Klaue/H.-P. Schwintowski, Krankenhausmärkte zwischen Regulierung und Wettbewerb, 2006, S. 121; R. Wagner, in: D. Krauskopf (Hrsg.), Soziale Krankenversicherung – Pflegeversicherung, Bd. 1, § 31 SGB V Rn. 15 (Stand: Juli 2005). 969 BSGE 90, 220 (224). 970 Vgl. auch die Ausführungen bei OLG Düsseldorf, WuW/E DE-R 233 (236 f.) – Inkontinenzhilfen; Pharma Recht 1999, 283 (292 f.). 971 BVerfGE 106, 275 (310).

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nicht, wenn er für den Ausgleich der konkret vorliegenden Behinderung objektiv nicht ausreichend sei.972 Diese Auslegung widerspricht jedenfalls der oben zitierten Aussage des historischen Gesetzgebers973, wonach eine über den Festbetrag hinausgehende Leistungspflicht auch dann nicht bestehe, wenn eine ausreichende und zweckmäßige Leistung im Einzelfall nicht sichergestellt sei.974 Die Annahme von Rechtsprechung und Literatur, das Festbetragssystem verwirkliche sich im Rahmen des Sachleistungsprinzips, beruht daher im wesentlichen auf der Grundannahme, für die meisten Versicherten gestalte sich die Leistungserbringung augenscheinlich wie im Sachleistungssystem, weil die Festbeträge so hoch festgesetzt würden, daß die Versicherten die Leistung regelmäßig ohne Eigenbeteiligung beziehen könnten (Zuzahlungen im Sinne von § 61 in Verbindung mit § 31 Abs. 3, § 33 Abs. 8 SGB V nicht berücksichtigt).975 Nur mit dem Abstellen auf den im erwünschten Ideal- und Regelfall für den Versicherten kostenlos erfolgenden Bezug der dem Festbetragsregime unterfallenden Gesundheitsleistungen ist nachzuvollziehen, warum eine rechtlich vorgesehene Erfüllung der Leistungspflicht durch den Festbetrag (§ 12 Abs. 2 SGB V), also durch einen Geldbetrag, im Sachleistungssystem verortet wird. Anzumerken ist an dieser Stelle, daß auch im Kostenerstattungssystem der privaten Krankenversicherungsunternehmen direkte Abrechnungsverfahren zwischen Versicherer und Leistungserbringer praktiziert werden, welche faktisch dazu führen, daß der Versicherte eine Leistung kostenlos erhält, solange die Kosten sich im Rahmen der vom Versicherer anerkannten Sätze halten.976 Peter Axer weist zutreffend auf einen weiteren Umstand hin, der die Systemzuordnung in Rechtsprechung und Literatur oftmals bestimmt: „Auf Grund der oftmals auch hinter der Einordnung als Kostenerstattungsleistung stehenden Erwartung und Vorstellung von einem Systemwechsel überrascht es andererseits nicht, dass die Befürworter eines Sachleistungsprinzips, das in der gesetzlichen Krankenversicherung eine lange Tradition besitzt und für das auch gute Gründe gerade im Hinblick auf den Schutz des Versicherten und die Sicherung einer wirtschaftlichen Versorgung sprechen, eine Systemänderung befürchten und sich bemühen, eine Leistung trotz Kostenerstattungselementen weiterhin als Sachleistung zu bezeichnen. Existierende Kostenerstattungselemente werden dann als Abwicklungsmodalitäten angesehen und in ihnen kein übergreifendes Gegenprinzip zur Sachleistung gesehen. Vielmehr soll es sich um bloße Sachleistungssurrogate, modi972 BSGE 90, 220 (224); vgl. auch SG Dresden, Urt. v. 2.6.2005 – Az. S 18 KR 210/02. 973 BT-Drucks. 11/2237 S. 164. 974 Vgl. K. Fastabend/E. Schneider, Das Leistungsrecht der gesetzlichen Krankenversicherung, 2004, Rn. 141. 975 Vgl. die Ausführungen bei OLG Düsseldorf, WuW/E DE-R 233 (236 f.) – Inkontinenzhilfen; Pharma Recht 1999, 283 (292 f.). 976 Vgl. B. J. Harich, Das Sachleistungsprinzip in der Gemeinschaftsrechtsordnung, 2006, S. 32.

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fizierte Sachleistungen oder ,um eine versorgungstechnische Variante des im Grundsatz beibehaltenen Sachleistungsprinzips‘[977] handeln.“978

Das Festbetragssystem der gesetzlichen Krankenversicherung ist somit keineswegs eindeutig als Unterfall des Sachleistungsprinzips zu qualifizieren, in welchem die Krankenkassen Nachfrager der betreffenden Gesundheitsleistungen sind. Gerade deshalb gab es für das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil über die Verfassungsmäßigkeit des Festbetragfestsetzungsverfahrens „Anlass darauf hinzuweisen, dass der Gesetzgeber das Sachleistungsprinzip nicht aufgegeben hat“979. Für die weitere Prüfung, ob die Krankenkassen für die einem festgesetzten Festbetrag unterfallenden Gesundheitsleistungen wettbewerbsrechtlich als Nachfrager anzusehen sind, soll auf die verschiedenen betroffenen Leistungsbereiche genauer eingegangen werden. Da für diese Beurteilung eine wirtschaftliche Betrachtungsweise maßgeblich ist,980 kommt der sozialversicherungsrechtlichen Systemzuordnung eine untergeordnete Bedeutung zu. (1) Hilfsmittel Hilfsmittel sind Gegenstände, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg einer Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen (§ 33 Abs. 1 S. 1 SGB V). Zu diesen Gegenständen gehören beispielsweise Hör- und Sehhilfen, Körperersatzstücke (Prothesen), orthopädische Mittel, Rollstühle, Bandagen und Einlagen.981 Sofern weder technische noch hygienische Bedenken gegen die Verwendung eines gebrauchten Hilfsmittels sprechen, kann die Krankenkasse den Versicherten die erforderlichen Hilfsmittel nach § 33 Abs. 5 S. 1 SGB V auch leihweise überlassen. Solche Hilfsmittel stehen und bleiben folglich im Eigentum der Krankenkassen. Hinsichtlich der Beschaffung von Hilfsmitteln, welche dazu bestimmt sind, den Versicherten nur leihweise überlassen zu werden, sind die Krankenkassen als Nachfrager anzusehen.982 Fraglich ist, wie die Beurteilung für festbetragsunterworfene Hilfsmittel auszusehen hat, welche den Versicherten übereignet werden. Dazu muß die für das Sachleistungssystem charakteristische Einbindung der Leistungserbringer in ein sozialversicherungsrechtliches Zulassungs- und Vertragssystem untersucht werden. Aus der Struktur und dem Grad solcher Verbindungen zwischen Leistungs977

BSG, SozR 3-2500 § 30 SGB V Nr. 3, S. 7. P. Axer, NZS 2006, 225 (231). 979 BVerfGE 106, 275 (309). 980 Vgl. S. 54 ff. 981 R. Wagner, in: D. Krauskopf (Hrsg.), Soziale Krankenversicherung – Pflegeversicherung, Bd. 1, § 33 SGB V Rn. 16 ff. (Stand: Juni 2003). 982 Vgl. OLG Dresden, NZS 2002, 33 (34). 978

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erbringern und Krankenkassen können sich nämlich Hinweise dafür ergeben, daß die Leistungserbringer in Wirklichkeit an die Krankenkassen liefern und insofern unter Mitwirkung des Leistungserbringers dem Versicherten eine Sachleistung der Krankenkasse zur Verfügung gestellt wird. Der Versicherte bliebe dann im Rahmen des Beschaffungsvorganges nur „Repräsentant“ der Krankenkasse.983 (a) Rechtslage bis zum 31.3.2007 Hilfsmittel durften an Versicherte nur von zugelassenen Leistungserbringern abgegeben werden (§ 126 Abs. 1 S. 1 SGB V a. F.).984 Jedoch waren an eine Zulassung keine Voraussetzungen geknüpft, die im besonderen Maße auf eine Nachfragerstellung der Krankenkassen schließen ließen. Zuzulassen war, wer eine ausreichende, zweckmäßige, funktionsgerechte und wirtschaftliche Herstellung, Abgabe und Anpassung der Hilfsmittel gewährleistete und die für die Versorgung der Versicherten geltenden Vereinbarungen anerkannte (§ 126 Abs. 1 S. 2 SGB V a. F.).985 Die „Gemeinsamen Empfehlungen der Spitzenverbände der Krankenkassen gemäß § 126 Abs. 2 SGB V zur einheitlichen Anwendung der Zulassungsbedingungen nach § 126 Abs. 1 SGB V für Leistungserbringer von Hilfsmitteln“986 enthielten daher von den einzelnen Leistungserbringern zu erfüllende fachliche Voraussetzungen sowie Mindestanforderungen an die räumliche und sachliche Ausstattung. Auch im Rahmen der privaten Krankenversicherung werden grundsätzlich keine Kosten erstattet, welche sich für dort Versicherte aus dem Bezug von unzureichenden, unzweckmäßigen, nicht funktionsgerechten oder überteuerten Leistungen ergeben. Daß den Trägern der gesetzlichen Krankenversicherung ein hoheitliches und präventives Mittel zur Verfügung stand, um Nachteile für sich und ihre Versicherten durch unzureichend ausgebildete oder ausgestattete Leistungserbringer zu vermeiden, kann aber keine Auswirkungen auf die Beurteilung der Nachfragerstellung haben. Über die Einzelheiten der Versorgung mit Hilfsmitteln sowie deren Preise schlossen die Landesverbände der Krankenkassen und die Verbände der Ersatzkassen mit Wirkung für ihre Mitgliedskassen Verträge mit Verbänden der Leistungserbringer (§ 127 Abs. 1 S. 1 SGB V a. F.). Ein Hilfsmittelversorgungsvertrag enthielt insbesondere Abgabebestimmungen, welche von den Leistungs-

983

Vgl. OLG Dresden, NZS 2002, 33 (34); J. Busche, OLG-NL 2000, 84 (85). Vgl. W. Boecken, NZS 2000, 269; M. Heinze, in: B. Schulin (Hrsg.), Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Bd. 1 – Krankenversicherungsrecht, 1994, § 40 Rn. 8 f. 985 Vgl. zur Zulassung im Hilfsmittelbereich U. Knispel, NZS 2004, 623 (624 ff.); M. Schulte Westenberg, NZS 2003, 297 ff. 986 Vom 2.5.1991, veröffentlicht im Internet unter: www.ikk.de/ikk/generator/ikk/ service-und-beratung/download/3408.pdf. 984

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3. Kap.: Krankenkassen als Unternehmen

erbringern einzuhalten waren.987 Seit der Neufassung des § 127 SGB V durch das Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKVModernisierungsgesetz – GMG) vom 14.11.2003988 konnten im Bereich der Hilfsmittel, für die ein Festbetrag festgesetzt wurde, die Einzelheiten der Versorgung nicht mehr vertraglich ausgestaltet werden. Derartige Vertragsregelungen waren gemäß § 127 Abs. 1 S. 1 letzter Hs. SGB V a. F. nur dann möglich, „soweit Festbeträge noch nicht festgelegt sind oder nicht festgelegt werden können“. § 127 Abs. 1 S. 2 SGB V a. F. beschränkte vertragliche Regelungen allein auf die Abrechnung der Festbeträge. Mit dieser Rechtsänderung ging eine weitere Neuerung einher: Während sich nach der früheren Rechtslage einzelne Leistungserbringer vertraglich gegenüber den Krankenkassen verpflichten konnten, Hilfsmittel zu Beträgen unterhalb des Festbetrages abzugeben (vgl. § 127 Abs. 2 S. 1 SGB V in der Fassung vor dem GKV-Modernisierungsgesetz), entfiel diese Möglichkeit ab dem 1.1.2004 (vgl. § 127 Abs. 2 S. 1 SGB V a. F.).989 Im Bereich der festbetragsunterworfenen Hilfsmittel hatte der Versicherte daher mehr Verantwortung erhalten: Er wurde von den Leistungserbringern über die für seine Behinderung in Frage kommenden Hilfsmittel informiert und beraten. Unter Berücksichtigung des Festbetrages und der ggf. erforderlichen Eigenbeteiligung suchte sich der Versicherte ein Hilfsmittel aus. Das sozialversicherungsrechtliche Vertragssystem überließ somit dem Versicherten die Auswahlentscheidung. Der für die Rechtsprechung maßgebliche Umstand, nämlich für den Versicherten bestehe zwischen Festbetrags- und Sachleistungssystem kein Unterschied, weil er in beiden Systemen die benötigte Gesundheitsleistung regelmäßig als Sachleistung ohne Eigenbeteiligung erhielte, konnte sich überhaupt nur im unteren Preissegment verwirklichen, denn dort ist der Festbetrag anzusiedeln990. So mußte auch das Bundesverfassungsgericht, welches die Festbetrags-

987 So wird den Leistungserbringern beispielsweise vorgeschrieben sicherzustellen, daß die Versicherten mit funktionsgerechten und technisch sowie qualitativ einwandfreien Hilfsmitteln unverzüglich versorgt werden; ferner müssen die Leistungserbringer die Wirkungsweise des Hilfsmittels erklären, Service einschließlich Reparatur und Ersatzlieferung übernehmen und für die Dauer der Reparatur ein Ersatzhilfsmittel leihweise kostenlos zur Verfügung stellen; auch wird für die Abgabe bestimmter Hilfsmittel eine vorherige Genehmigung der Krankenkasse vorgesehen; vgl. § 5 des Hilfsmittelversorgungsvertrages vom 12.9.2003 zwischen dem Bayerischen Apothekerverband und verschiedenen Landesverbänden der Krankenkassen in Bayern (AOK Bayern, BKK Landesverband Bayern, Bundesknappschaft – Verwaltungsstelle München, Funktioneller Landesverband der Landwirtschaftlichen Krankenkassen und Pflegekassen in Bayern, Innungskrankenkasse Bayern), veröffentlicht im Internet unter: www.aokgesundheitspartner.de/inc_ges/download/dl.php/by/hilfsmittelanbieter/imperia/md/con tent/gesundheitspartner/bayern/hilfsmittel/apotheken-hilfsmittelversorgung/vertrag_011 103.pdf. 988 BGBl. I 2190. 989 Vgl. U. Knispel, GesR 2005, 110 (111).

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regelungen dem Sachleistungsprinzip zuordnet, anerkennen, daß das Sachleistungsprinzip den Versicherten (nur) im unteren Preissegment erhalten bleiben sollte.991 Wurden aber an den Versicherten Hilfsmittel aus dem mittleren oder oberen Preissegment gegen Zahlung einer nicht unwesentlichen Eigenbeteiligung abgegeben, lag eine bewußte Auswahlabwägung und Kaufentscheidung vor. Jedenfalls in solchen Fallkonstellationen war der Versicherte bei wirtschaftlicher Betrachtung selbst Nachfrager und nicht seine Krankenkasse. Aber auch bei dem Erwerb von Hilfsmitteln aus dem unteren Preissegment waren die Versicherten grundsätzlich selbst als Nachfrager anzusehen. Daß der von der Krankenkasse geschuldete Festbetrag ausreichte, um die Gesundheitsleistung zu bezahlen, änderte bei einer wirtschaftlichen Betrachtung nichts daran, daß sich der Versicherte auch hier im Rahmen seines Wahlrechts bewußt für ein günstiges Produkt entschied. Diese Sichtweise deckt sich mit dem Verständnis des historischen Gesetzgebers, welcher mit der Einführung der Festbetragsregelungen die Versicherten selbst zu „unmittelbaren Nachfragern“ erheben wollte.992 (b) Rechtslage seit dem 1.4.2007 Mit dem Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz – GKV-WSG) vom 26.3. 2007993 traten zum 1.4.2007 umfangreiche Änderungen für den Hilfsmittelbereich in Kraft,994 welche dazu führen, daß der Festbetrag nur noch für eine Übergangszeit eine Rolle in diesem Sektor spielen wird. Das bisherige Zulassungssystem (§ 126 SGB V a. F.) für Leistungserbringer von Hilfsmitteln wurde abgeschafft. Nach § 126 Abs. 1 S. 1 SGB V dürfen Hilfsmittel an Versicherte nur auf der Grundlage von Verträgen der Krankenkassen mit Leistungserbringern abgegeben werden. Die bisherigen Zulassungsvoraussetzungen sind nunmehr Voraussetzungen dafür, um Vertragspartner der Krankenkassen werden zu können, wobei die Krankenkassen die Erfüllung der Voraussetzungen sicherstellen müssen (§ 126 Abs. 1 S. 2 SGB V). Die verschiedenen Verträge sind in § 127 Abs. 1 bis 3 SGB V geregelt, wobei zwischen Verträgen im Wege der Ausschreibung (§ 127 Abs. 1 SGB V), Verträgen 990 Vgl. § 36 Abs. 3 in Verbindung mit § 35 Abs. 5 S. 4, 5 SGB V, wonach der Festbetrag einer Produktgruppe den höchsten Abgabepreis des unteren Preisdrittels nicht übersteigen soll. 991 Vgl. BVerfGE 106, 275 (310). 992 Vgl. BT-Drucks. 11/2237 S. 173. 993 BGBl. I 378. Siehe näher zu den Änderungen durch das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz M. Bitter, GesR 2007, 152 ff.; R. Richter, DStR 2007, 810 ff.; H. Sodan, NJW 2007, 1313 ff. 994 Vgl. dazu M. Steiner, GesR 2007, 245 ff.

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3. Kap.: Krankenkassen als Unternehmen

ohne Ausschreibung (§ 127 Abs. 2 SGB V) und Vereinbarungen im Einzelfall (§ 127 Abs. 3 SGB V) zu unterscheiden ist. Verträge im Wege der Ausschreibung gemäß § 127 Abs. 1 SGB V kommen insbesondere bei nicht individuell angefertigten Hilfsmitteln und Versorgungen ohne hohen Dienstleistungsanteil in Betracht, welche also aufgrund standardisierter Parameter für eine Vielzahl von Versicherten beschafft werden können.995 Die Preisvereinbarung wird zwischen Krankenkassen und Leistungserbringern getroffen. Die Wahlfreiheit der Versicherten ist weitgehend ausgeschaltet, weil sie sich über den Ausschreibungsgewinner versorgen müssen (vgl. § 33 Abs. 6 S. 2 SGB V). Nur ausnahmsweise dürfen Versicherte einen anderen Leistungserbringer wählen, wenn ein berechtigtes Interesse besteht; für diesen – in der Praxis wohl eher selten befürworteten – Fall ist eine Tragung der Mehrkosten durch den Versicherten vorgesehen (§ 33 Abs. 6 S. 3 SGB V). Für andere Hilfsmittel, die sich nicht für eine Ausschreibung eignen (vgl. dazu § 127 Abs. 1 S. 4 SGB V), schließen die Krankenkassen mit den Leistungserbringern gemäß § 127 Abs. 2 SGB V Verträge über die Einzelheiten der Versorgung mit Hilfsmitteln, deren Wiedereinsatz, die Qualität der Hilfsmittel, zusätzlich zu erbringende Leistungen, die Anforderungen an die Fortbildung der Leistungserbringer, die Preise und die Abrechnung. Die Versicherten haben nur die Auswahl zwischen Vertragspartnern ihrer Krankenkasse (§ 33 Abs. 6 S. 1 SGB V). Der Preis wird zwischen Krankenkassen und Leistungserbringern ausgehandelt. § 33 Abs. 1 S. 5 SGB V enthält eine Mehrkostenregelung für den Fall, daß Versicherte Hilfsmittel oder zusätzliche Leistungen wählen, die über das notwendige Maß hinausgehen. Sofern für ein erforderliches Hilfsmittel keine Verträge nach § 127 Abs. 1 und 2 SGB V bestehen, trifft die Krankenkasse – in der Regel auf der Grundlage eines Kostenvoranschlages996 – gemäß § 127 Abs. 3 SGB V eine Vereinbarung im Einzelfall mit einem Leistungserbringer. Auch hier gilt die Mehrkostenregelung des § 33 Abs. 1 S. 5 SGB V. In dem auf individuellen Verträgen basierenden neuen Hilfsmittelversorgungssystem haben die Festbeträge keine Bedeutung mehr für die Versicherten. Der gemeinsame und einheitlich festgesetzte Festbetrag stellt bei festbetragsunterworfenen Hilfsmitteln lediglich den zwischen Krankenkassen und Leistungserbringern aushandelbaren Höchstpreis dar (§ 127 Abs. 4 SGB V), hat somit nur eine Bindungsfunktion für die Preisverhandlungen zwischen Krankenkassen und Leistungserbringern. Die auf alle Vertragsformen bezugnehmende Vorschrift des § 127 Abs. 4 SGB V bestätigt zudem, daß nunmehr – im Gegensatz zur

995 996

Vgl. § 127 Abs. 1 S. 4 SGB V; BT-Drucks. 16/4247 S. 46. BT-Drucks. 16/3100 S. 141.

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Rechtslage vor dem 1.4.2007 (vgl. § 127 Abs. 1 S. 2 SGB V a. F.) – die Einzelheiten der Versorgung auch für festbetragsunterworfene Hilfsmittel vertraglich zu regeln sind. Zukünftig sind die Leistungserbringer abhängig vom Abschluß eines Versorgungsvertrages.997 Aus diesem Grunde wurde auch mit dem GKVWettbewerbsstärkungsgesetz die entsprechende Anwendbarkeit der §§ 19 bis 21 GWB in § 69 S. 2 SGB V festgelegt.998 Die Einbindung der Leistungserbringer in das sozialversicherungsrechtliche Vertragssystem hat damit einen Grad erreicht, der den Versicherten im Rahmen des Beschaffungsvorganges nur als Repräsentanten der Krankenkasse erscheinen läßt, wenn er vor Ort bei einem Vertragspartner der Krankenkasse ein konkretes Hilfsmittel nachfragt. § 126 Abs. 2 SGB V enthält eine Übergangsvorschrift, nach welcher diejenigen Leistungserbringer, welche am 31.3.2007 über eine Zulassung nach § 126 SGB V a. F. verfügten, weiterhin bis zum 31.12.2008 zur Versorgung der Versicherten berechtigt sind. Dies gilt jedoch nicht, wenn die Krankenkasse im Wege der Ausschreibung Verträge nach § 127 Abs. 1 SGB V geschlossen hat; hier muß schon jetzt über den Ausschreibungsgewinner bezogen werden (§ 33 Abs. 6 S. 2 SGB V).999 In den anderen Fällen kann sich der Versicherte übergangsweise den Leistungserbringer weiterhin aussuchen (§ 33 Abs. 6 S. 1 SGB V). Bei festbetragsunterworfenen Hilfsmitteln trägt die Krankenkasse in der Übergangszeit beim Bezug über einen gemäß § 126 Abs. 2 SGB V zur Versorgung Berechtigten die Kosten bis zur Höhe des Festbetrages (§ 33 Abs. 7 S. 2 letzter Hs. SGB V). Nur in diesen Übergangsfallkonstellationen hat der Festbetrag im Hilfsmittelbereich noch seine ursprüngliche Bedeutung als Erstattungshöchstbetrag.1000 Die Nachfragerstellung ist hier wie vor dem 1.4.2007 zu beurteilen. (2) Arznei- und Verbandmittel § 35 SGB V sieht Festbeträge für Arznei- und Verbandmittel vor. Gemäß § 31 Abs. 2 S. 1 SGB V trägt die Krankenkasse für ein Arznei- oder Verbandmittel, für das ein Festbetrag festgesetzt ist, die Kosten bis zur Höhe dieses Betrages. Im Ausgangspunkt deutet dies auf ein Kostenerstattungssystem mit Direktabrechnung zwischen abgebender Stelle (Apotheke) und Krankenkasse hin, in welchem die Versicherten selbst Nachfrager der Arznei- oder Verbandmittel sind. Dennoch ist auch hier die für das Sachleistungssystem charakteristi-

997

Vgl. M. Steiner, GesR 2007, 245 (247). Vgl. BT-Drucks. 16/4247 S. 35. 999 Vgl. auch BT-Drucks. 16/3100 S. 103. 1000 Vgl. auch die unterschiedlichen Formulierungen von § 33 Abs. 7 S. 2 letzter Hs. SGB V und § 33 Abs. 1 S. 5, Abs. 6 S. 3 letzter Hs. SGB V. 998

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3. Kap.: Krankenkassen als Unternehmen

sche Einbindung der Leistungserbringer in ein sozialversicherungsrechtliches Zulassungs- und Vertragssystem zu untersuchen.1001 Im Arzneimittelbereich ist die Zulassung von Arzneimittelherstellern und Apotheken nicht sozialversicherungsrechtlich geregelt; sie richtet sich bei Arzneimittelherstellern nach dem Arzneimittelgesetz und bei Apotheken nach dem Apothekengesetz.1002 Apotheken können gesetzlich Versicherte mit Arzneimitteln zu Lasten der Krankenkasse faktisch jedoch nur dann versorgen, wenn der Rahmenvertrag nach § 129 Abs. 2 SGB V zwischen den Spitzenverbänden der Krankenkassen (ab 1.7.2008 dem Spitzenverband Bund1003) und der Spitzenorganisation der Apotheker (Deutscher Apothekerverband e.V.) anerkannt wird.1004 Das Gesetz zur Strukturreform im Gesundheitswesen (Gesundheits-Reformgesetz – GRG) vom 20.12.19881005 hat neben der Einführung von Festbeträgen für Arznei- und Verbandmittel auch eine umfassende Einbindung der Apotheker in die Kostenverantwortung gegenüber der gesetzlichen Krankenversicherung bewirkt.1006 Die Auswahl des von der Apotheke abzugebenden Arzneimittels ist in erheblichem Umfang durch § 129 SGB V sowie den konkretisierenden Rahmenvertrag vorherbestimmt. Der Versicherte selbst hat dabei den geringsten Einfluß auf die Auswahl des für ihn bestimmten Arzneimittels. Sofern der Arzt ein Arzneimittel nur unter seiner Wirkstoffbezeichnung (z. B. Acetylsalicylsäure1007) verordnet hat, muß die Apotheke gemäß § 129 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Buchst. a SGB V ein preisgünstiges Arzneimittel abgeben. Gemäß § 4 Abs. 2 des derzeit gültigen Rahmenvertrages über die Arzneimittelversor-

1001 Siehe zur Bedeutung des sozialversicherungsrechtlichen Zulassungs- und Vertragssystem für die Untersuchung S. 244 f. 1002 Vgl. zu Apotheken H. Sodan, Freie Berufe als Leistungserbringer im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung, 1997, S. 196 f. 1003 § 129 Abs. 2 SGB V n. F. 1004 Eine Abgabe von Arzneimitteln zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung soll ohne Anerkennung des Rahmenvertrages ausgeschlossen sein, vgl. M.-P. Henninger, in: B. Schulin (Hrsg.), Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Bd. 1 – Krankenversicherungsrecht, 1994, § 44 Rn. 27 f. In der Einlösung einer vertragsärztlichen Verordnung bei der Krankenkasse soll daher auch, falls die Apotheke weder einem Mitgliedsverband der Spitzenorganisation (Deutscher Apothekerverband e.V.) angehört noch förmlich dem Rahmenvertrag beigetreten ist, ein konkludenter Beitritt der Apotheke zu dem Rahmenvertrag zu sehen sein; siehe S. Knittel, in: D. Krauskopf (Hrsg.), Soziale Krankenversicherung – Pflegeversicherung, Bd. 2, § 129 SGB V Rn. 9 (Stand: Dezember 1996). Aus dem Wortlaut des § 129 Abs. 3 SGB V ergibt sich das allerdings nicht. 1005 BGBl. I 2477. 1006 Vgl. M.-P. Henninger, in: B. Schulin (Hrsg.), Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Bd. 1 – Krankenversicherungsrecht, 1994, § 44 Rn. 2. 1007 Acetylsalicylsäure und Aspirin dienen hier als bekannter Wirkstoff bzw. bekanntes Produkt der Veranschaulichung. Eine Verordnung zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung ist regelmäßig nach § 34 Abs. 1 S. 1 SGB V ausgeschlossen.

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gung nach § 129 Abs. 2 SGB V1008 stehen nur die drei preisgünstigsten Arzneimittel, welche der Verordnung entsprechen, zur Auswahl des Apothekers. Hat der Arzt ein bestimmtes Produkt (z. B. Aspirin) verordnet und die Ersetzung des mit dem Produktnamen bezeichneten Mittels nicht ausdrücklich ausgeschlossen, ist die Apotheke wiederum gehalten, ein preisgünstiges wirkstoffgleiches Arzneimittel abzugeben (§ 129 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Buchst. b SGB V). Nach der durch das Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz – GKV-WSG) vom 26.3. 20071009 neu eingefügten Regelung des § 129 Abs. 1 S. 3 SGB V ist die Ersetzung mit einem wirkstoffgleichen Arzneimittel vorzunehmen, für das mit einem pharmazeutischen Unternehmer ein Rabattvertrag gemäß § 130a Abs. 8 SGB V geschlossen wurde. Besteht ein solcher Rabattvertrag nicht, richtet sich die Ersetzung wiederum nach dem Rahmenvertrag. Danach stehen hier dem Apotheker gemäß § 4 Abs. 3 des Rahmenvertrages das verordnete Arzneimittel und die drei preisgünstigsten Arzneimittel, die in Wirkstärke und Packungsgröße identisch sowie für den gleichen Indikationsbereich zugelassen sind und die ferner eine gleiche oder austauschbare Darreichungsform besitzen, für die Abgabe zur Auswahl. Das verordnete Mittel darf freilich nur abgegeben werden, wenn es sich im Verhältnis zu den drei anderen noch als preisgünstig erweist.1010 Eine Ausnahme zugunsten von Arzneimitteln, für die ein Festbetrag festgesetzt wurde, ist im Gesetz und im Rahmenvertrag nicht vorgesehen; daher muß sich auch ein preislich im Festbetragsrahmen liegendes verordnetes Arzneimittel dem Preisvergleich mit den drei preisgünstigsten stellen.1011 Dem Versicherten wird in beiden Fällen kein Recht eingeräumt, sich unter Inkaufnahme einer Eigenbeteiligung für das teurere verordnete Arzneimittel zu entscheiden. Nur wenn der Arzt ein bestimmtes Arzneimittelprodukt verordnet und die Ersetzung durch ein wirkstoffgleiches Arzneimittel ausdrücklich ausgeschlossen hat, muß die Apotheke das verordnete Mittel abgeben. Verordnet der Arzt ein Arzneimittel, dessen Preis den Festbetrag überschreitet, hat er den Versicherten über die sich aus seiner Verordnung ergebende Pflicht zur Übernahme der Mehrkosten hinzuweisen (§ 73 Abs. 5 S. 3 SGB V). Nur in diesem Fall dürfte sich realisieren, daß der Versicherte die Differenz zwischen Festbetrag und Arz1008 In der Fassung der Schiedsentscheidung vom 5.4.2004, veröffentlicht im Internet unter: www.gkv.info/gkv/fileadmin/user_upload/Rundschreiben/Rundschreiben_ 2004/Rahmenvertrag_ueber_die_Arzneimittelversorgung_nach_129_Absatz_2_ SGB_V _in_der_Fassung_vom_5._April_2004.pdf. 1009 BGBl. I 378. 1010 Vgl. auch BT-Drucks. 15/1525 S. 122. 1011 A. A. M.-P. Henninger, in: B. Schulin (Hrsg.), Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Bd. 1 – Krankenversicherungsrecht, 1994, § 44 Rn. 7, wonach ein Fertigarzneimittel ohne weiteres als preisgünstig gilt, wenn sein Apothekenabgabepreis den Festbetrag nicht übersteigt. Siehe dazu auch B. Vogelbruch, Festbeträge für Arzneimittel, 1992, S. 70.

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3. Kap.: Krankenkassen als Unternehmen

neimittelpreis, d. h. eine Eigenbeteiligung zu bezahlen hat (Zuzahlungen im Sinne von § 61 in Verbindung mit § 31 Abs. 3 SGB V nicht berücksichtigt). In den anderen Fällen würde nämlich einfach eine Ersetzung durch preisgünstige Arzneimittel erfolgen. Ferner kann auch nur im letzten Fall davon gesprochen werden, daß der Bezug des konkreten Medikamentes auf eine dem Versicherten zuzurechnende Entscheidung zurückzuführen ist. In der Regel dürften jedoch medizinische Erwägungen des Arztes den Ausschlag dafür geben, ein bestimmtes, „teureres“ Arzneimittelprodukt zu verschreiben, denen sich der versicherte Patient unterwirft und deshalb die Eigenbeteiligung in Kauf nimmt. Ferner ist zu beachten, daß die Apotheken den Krankenkassen gemäß § 130 SGB V einen gesetzlich vorgesehenen Rabatt zu gewähren haben. Arzneimittel, für die ein Festbetrag festgesetzt worden ist, sind davon nicht ausgenommen (vgl. § 130 Abs. 2 SGB V). Hinzu kommen von den pharmazeutischen Unternehmern zu tragende Rabatte zugunsten der Krankenkassen, wenn es sich um patentfreie wirkstoffgleiche Arzneimittel handelt, für die es mindestens zwei wirkstoffgleiche Arzneimittel mit unterschiedlichen Warenzeichen gibt (vgl. § 130a Abs. 3b SGB V).1012 Auch diese Gegebenheiten deuten auf eine Nachfragerstellung der Krankenkassen. Die nähere Ausgestaltung des Leistungs- und Leistungserbringungsrechts im Arzneimittelsektor spricht – bei wirtschaftlicher Betrachtung – für eine Beibehaltung des Sachleistungsprinzips, in welchem die Krankenkassen Nachfrager der Gesundheitsleistungen sind.1013 Verbandmittel sind Gegenstände, welche dazu bestimmt sind, oberflächengeschädigte Körperteile zu bedecken oder deren Körperflüssigkeiten aufzusaugen (z. B. Binden, Wund- und Heftpflaster, Kompressen).1014 Seit dem 1.1.1995 stellen Verbandmittel regelmäßig keine Arzneimittel mehr dar, sondern werden vom Gesetz über Medizinprodukte (Medizinproduktegesetz – MPG) vom 2.8. 19941015 erfaßt.1016 Daher fallen die Verbandmittel auch nicht unter § 129 SGB V und den Rahmenvertrag über die Arzneimittelversorgung. Eine dem § 129 SGB V vergleichbare Bindung der Leistungserbringer durch gesetzliche Abgabevorschriften oder Verträge mit den Krankenkassen besteht in diesem Bereich nicht. Aus den oben1017 zur Rechtslage vor dem 1.4.2007 im Hilfsmittelbereich dargelegten Gründen sind die Versicherten daher selbst als Nachfrager der Verbandmittel anzusehen, für die ein Festbetrag festgesetzt worden ist. 1012

Vgl. BT-Drucks. 16/194 S. 10 f. Im Ergebnis so auch A. S. Bien, Die Einflüsse des europäischen Kartellrechts auf das nationale Gesundheitswesen, 2004, S. 167. 1014 Vgl. § 4 Abs. 9 AMG in der bis zum 31.12.1994 geltenden Fassung. 1015 BGBl. I 1963. 1016 Vgl. § 3 Nr. 1 MPG; BR-Drucks. 928/93 S. 104 f. 1017 Siehe S. 244 ff. 1013

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dd) Mehrkostenregelung und Festzuschüsse bei zahnärztlicher Behandlung Im Bereich der ambulanten zahnärztlichen Behandlung existieren für bestimmte Gesundheitsleistungen Sonderregelungen, welche sich von den in anderen Leistungsbereichen geltenden Regelungen stark unterscheiden. Für die Versorgung mit Zahnfüllungen stehen zahnmedizinisch verschiedene plastische1018 und nichtplastische1019 Füllungsmaterialien zur Verfügung.1020 Die medizinisch notwendige sowie ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung mit Zahnfüllungen ist den Versicherten als Sachleistung zur Verfügung zu stellen.1021 Nach den Richtlinien für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche vertragszahnärztliche Versorgung (Behandlungs-Richtlinien) ist für diese Regelversorgung, abhängig vom betroffenen Zahn, oftmals auf den kostengünstigen plastischen Füllwerkstoff Amalgam zurückzugreifen.1022 Amalgamfüllungen werden jedoch wegen ihrer Farbe sowie der aus ihrem Quecksilberanteil resultierenden möglichen Gesundheitsgefahren von vielen Patienten abgelehnt. Deshalb entscheiden sich viele Patienten für alternative Zahnfüllungen, welche aber aufwendiger und kostenintensiver sind.1023 Wählen Versicherte eine über die Behandlungs-Richtlinien hinausgehende und somit nicht notwendige Versorgung, haben sie gemäß § 28 Abs. 2 S. 2 SGB V die Mehrkosten selbst zu tragen. Die Mehrkosten der aufwendigeren Füllungsalternative sowie die allein wegen dieser Alternative notwendigen Leistungen sind privat nach der Gebührenordnung für Zahnärzte berechnungsfähig (§ 87d S. 1 SGB V).1024 In solchen Fällen ist vor Beginn der Behandlung eine schriftliche Vereinbarung zwischen dem Zahnarzt und dem Versicherten zu treffen (§ 28 Abs. 2 S. 4 SGB V). Die Entscheidung für eine über die Regelversorgung hinausgehende Füllungsalternative liegt beim Patienten, der vom Zahnarzt regelmäßig über die ver1018

Z. B. Amalgam, Verbundstoffe (Komposite), Glasionomerzement, Steinzement. Z. B. Inlays aus Gold oder Keramik. 1020 K. Fastabend/E. Schneider, Das Leistungsrecht der gesetzlichen Krankenversicherung, 2004, Rn. 90. 1021 LSG München, Urt. v. 11.12.1997 – Az. L 4 Kr 88/95. 1022 Das ergibt sich aus den Bestimmungen im Abschnitt B III Nr. 4, 5 der Richtlinien des Bundesausschusses der Zahnärzte und Krankenkassen für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche vertragszahnärztliche Versorgung (BehandlungsRichtlinien) vom 04.06.2003 und 24.09.2003 in der ab 01.01.2004 gültigen Fassung (veröffentlicht im Internet unter: www.kzbv.de/rechtsgrund/Richtlinien_V3.pdf). Adhäsiv befestigte Füllungen (= Kunststoffüllungen) sind danach regelmäßig nur im Frontzahnbereich Bestandteil der vertragszahnärztlichen Versorgung. 1023 K. Fastabend/E. Schneider, Das Leistungsrecht der gesetzlichen Krankenversicherung, 2004, Rn. 91. 1024 R. Wagner, in: D. Krauskopf (Hrsg.), Soziale Krankenversicherung – Pflegeversicherung, Bd. 1, § 28 SGB V Rn. 23 (Stand: März 2007). 1019

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schiedenen Füllungsalternativen, ihre jeweiligen Vor- und Nachteile sowie die entsprechenden Mehrkosten informiert wird.1025 Zahnarzt und Patient schließen über die vom Leistungsstandard der gesetzlichen Krankenversicherung abweichende Behandlung eine Vereinbarung. Die finanzielle Leistungsfähigkeit des Patienten spielt für den Zahnarzt eine Rolle, da ihm die oftmals erheblichen Mehrkosten von der Krankenkasse keinesfalls ausgeglichen werden. Bei hochwertigen Inlays, aber auch bereits bei aufwendigen Kunststoffüllungen (beispielsweise im Seitenzahnbereich1026), übersteigen die vom Versicherten zu bezahlenden Mehrkosten bei weitem den von der Krankenkasse aufzubringenden Anteil. Es wäre lebensfremd, von einer Sachleistung der Krankenkasse zu sprechen, wenn der Versicherte (z. B. für Inlays) mehrere hundert Euro bezahlt, während sich die Krankenkasse mit einem Betrag im unteren oder mittleren zweistelligen Bereich beteiligt. Nach der für das Europäische Wettbewerbsrecht maßgeblichen wirtschaftlichen Betrachtung ist deshalb der versicherte Patient im Regelfall selbst als Nachfrager einer solchen vom Leistungsstandard der gesetzlichen Krankenversicherung nicht erfaßten zahnmedizinischen Gesundheitsleistung anzusehen. Sofern man in der Abrechnungsvorschrift des § 28 Abs. 2 S. 3 SGB V eine Zuordnung der gesamten Wahlbehandlung zum Sachleistungsprinzip durch den Gesetzgeber entnähme,1027 wäre diese sozialrechtliche Fiktion des nationalen Rechts für die gemeinschaftsrechtliche Beurteilung der wettbewerbsrechtlichen Nachfragerstellung unbeachtlich.1028 Für die Versorgung mit medizinisch notwendigem Zahnersatz bestimmt § 55 Abs. 1 S. 1 SGB V seit dem 1.1.2005, daß die Versicherten Anspruch auf befundbezogene Festzuschüsse haben. Festzuschüsse sind Geldbeträge, deren genaue Höhe vom Gemeinsamen Bundesausschuß zu ermitteln ist. Die Höhe des Festzuschusses beträgt 50 Prozent der für einen bestimmten Befund im Rahmen der Regelversorgung (Zahnersatz in einfacher Ausführung mit preiswertem Material) für die Krankenkassen durchschnittlich anfallenden Behandlungskosten.1029 Da sich der Festzuschuß nach den statistischen Durchschnittskosten bemißt, kann er im Einzelfall mehr oder weniger als 50 Prozent der tatsächlich im Rahmen einer Regelversorgung anfallenden Kosten abdecken.1030 Der Festzuschuß erhöht sich bei regelmäßiger Zahnpflege und zahnärztlicher Untersuchung auf 60 bzw. 65 Prozent des Durchschnittskostenwertes.1031 Ferner exi1025 Vgl. BSGE 73, 66 (76); K. Höfler, in: Kasseler Kommentar – Sozialversicherungsrecht, Bd. 1, § 28 SGB V Rn. 16 (Stand: Mai 2006). 1026 Vgl. § 87d S. 3 SGB V. 1027 Vgl. K. Höfler, in: Kasseler Kommentar – Sozialversicherungsrecht, Bd. 1, § 28 SGB V Rn. 18 (Stand: Mai 2006). 1028 Siehe auch W. Boecken, VSSR 2005, 1 (15). 1029 § 55 Abs. 1 S. 2 SGB V. 1030 P. Axer, NZS 2006, 225 (226). 1031 § 55 Abs. 1 S. 3 bis 7 SGB V.

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stiert mit § 55 Abs. 4 SGB V eine Mehrkostenregelung für den Fall, daß Versicherte einen über die Regelversorgung hinausgehenden gleichartigen Zahnersatz1032 wählen. Der Festzuschuß bleibt in diesem Fall erhalten, und die Zusatzleistungen sind privat nach der Gebührenordnung für Zahnärzte berechnungsfähig (§ 87d S. 1 SGB V).1033 Der Festzuschuß bleibt sogar dann erhalten, wenn sich der Versicherte für einen andersartigen Zahnersatz1034 entscheidet (§ 55 Abs. 5 SGB V). In einem solchen Fall haben die Krankenkassen den Festzuschuß direkt an den Versicherten auszubezahlen, der wiederum gegenüber seinem Zahnarzt vollständig zahlungspflichtig ist.1035 „Im Rahmen des Festzuschusssystems steht dem Versicherten daher ein Festzuschuss unabhängig davon zu, für welche konkrete zahnprothetische Versorgungsform er sich entscheidet und welche zahnärztlichen und zahntechnischen Leistungen tatsächlich anfallen. [. . .] Damit soll nach dem Willen des Gesetzgebers sichergestellt werden, dass der Versicherte sich für jede medizinisch anerkannte Versorgungsform mit Zahnersatz entscheiden kann, ohne den Anspruch auf Zuschuss durch die gesetzliche Krankenversicherung zu verlieren. Der befundbezogene Festzuschuss dient somit der Wahlfreiheit des Versicherten beim Zahnersatz und ermöglicht Therapiefreiheit.“ 1036

Die Leistungspflicht der Krankenkasse ist bei Zahnersatz auf die Zahlung des entsprechenden Festzuschusses begrenzt (vgl. § 55 Abs. 1 SGB V).1037 Höchst zweifelhaft und fragwürdig sind daher Ansichten in der Literatur, nach denen die Versorgung mit Zahnersatz als Sachleistung erfolge1038.1039 Im Gegensatz zu den Festbeträgen im Arznei-, Verband- und Hilfsmittelbereich1040 können die Versicherten kostengünstigen Zahnersatz im geltenden Festzuschußsystem 1032 Z. B. höherwertiges Metall, Verblendung, zusätzliche Brückenglieder oder zusätzliche und andersartige Verankerungs- bzw. Verbindungselemente; vgl. auch BTDrucks. 15/1525 S. 92. 1033 BT-Drucks. 15/1525 S. 92; P. Axer, NZS 2006, 225 (226); W. Bongen/R. Kremer, NJW 1992, 723 (727). 1034 „Eine von der Regelversorgung abweichende, andersartige Versorgung liegt zum Beispiel vor, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss als Regelversorgung eine Modellgussprothese festgelegt hat, jedoch eine Brückenversorgung vorgenommen wird“ (BT-Drucks. 15/1525 S. 92). 1035 P. Axer, NZS 2006, 225 (228). 1036 P. Axer, NZS 2006, 225 (226). 1037 K. Höfler, in: Kasseler Kommentar – Sozialversicherungsrecht, Bd. 1, § 55 SGB V Rn. 9 (Stand: Juni 2005). 1038 W. Engelhard, in: W. Noftz (Hrsg.), SGB V – Gesetzliche Krankenversicherung, Kommentar, Bd. 2, § 55 Rn. 35 (Stand: April 2006), der von einem „Sachleistungsanspruch eigener Art“ spricht; R. Wagner, in: D. Krauskopf (Hrsg.), Soziale Krankenversicherung – Pflegeversicherung, Bd. 1, § 55 SGB V Rn. 5, 23 (Stand: April 2005), die von einem Sachleistungsanspruch in Form der Kostenerstattung spricht. 1039 So auch P. Axer, NZS 2006, 225 (231); siehe auch das Zitat auf S. 243 f. 1040 Vgl. zur Rechtslage im Hilfsmittelbereich vor und seit dem 1.4.2007 S. 245 ff., 247 ff.

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3. Kap.: Krankenkassen als Unternehmen

überhaupt nicht ohne eine erhebliche Eigenbeteiligung erhalten,1041 so daß sich die Leistungserbringung auch nicht äußerlich als Sachleistung erweist. Die Festzuschüsse sind vielmehr als teilweise Kostenerstattungsleistungen zu begreifen und mit dem Kostenerstattungsprinzip verwandt.1042 Für die wettbewerbsrechtliche Beurteilung der Leistungsbeziehungen würde eine sozialversicherungsrechtliche Zuordnung der Festzuschüsse zum Sachleistungssystem nicht zwingend dazu führen, die Krankenkassen als Nachfrager der Gesundheitsleistungen beim Zahnersatz ansehen zu müssen. In der maßgeblich von tatsächlichen Umständen geleiteten wirtschaftlichen Betrachtung des Wettbewerbsrechts bleiben nämlich sozialrechtliche Rechtskonstruktionen unbeachtlich, wenn sich der Sachverhalt wirtschaftlich anders darstellt.1043 Im Gegensatz zu Zahnfüllungen muß der Versicherte beim Zahnersatz selbst bei Inanspruchnahme von Leistungen im Rahmen der Regelversorgung ca. 35 bis 50 Prozent der Kosten selbst tragen.1044 Wählt er einen über die Regelversorgung hinausgehenden Zahnersatz, treffen ihn aufgrund der Mehrkostenregelung weitere vollständig selbst zu tragende Kosten, die den Gesamtanteil der Krankenkasse schmälern. Die finanzielle Leistungsfähigkeit des Patienten kann dem Zahnarzt in diesem Zusammenhang – in Abkehr vom Sachleistungsprinzip – deshalb nicht unbedeutend sein. Im Bereich des Zahnersatzes stellt sich die Leistungserbringung im wesentlichen so dar, daß der Zahnarzt die medizinisch möglichen Ausführungsarten vorstellt und den Festzuschuß der Krankenkasse nennt. Der Versicherte hat das Recht, den von ihm gewünschten Standard zu wählen. Hier ist daher primär der Patient als Nachfrager des Zahnersatzes anzusehen; ökonomisch kann nicht davon gesprochen werden, daß die Krankenkasse den Zahnersatz einkauft und ihrem Versicherten über den Vertragszahnarzt zur Verfügung stellt.1045

1041

Davon ausgenommen sind Härtefälle gemäß § 55 Abs. 2 SGB V. W. Boecken, VSSR 2005, 1 (14 f.); G. Dalichau/B. Grüner, SGB V – Krankenversicherung, Kommentar, Bd. 1, § 55 S. 11 f. (Stand: 1.6.2006); R. Zuck, in: M. Quaas/R. Zuck, Medizinrecht, 2005, § 29 Rn. 16. 1043 Nach R. Wagner, in: D. Krauskopf (Hrsg.), Soziale Krankenversicherung – Pflegeversicherung, Bd. 1, § 55 SGB V Rn. 23 (Stand: April 2005), soll das Abrechnungssystem den Sachleistungsanspruch belegen. Wettbewerbsrechtlich ist dieser Argumentation nicht zu folgen. 1044 Da dem Versicherten von seiner Krankenkasse ein bestimmter Geldbetrag – und nicht ein bestimmter Prozentsatz der tatsächlich angefallenen erstattungsfähigen Kosten – als Festzuschuß gewährt wird, kann der genaue prozentuale Selbstanteil des Versicherten im Einzelfall variieren. 1045 So im Ergebnis auch BGH, NJW 2000, 3426 (3427 f.) – Zahnersatz aus Manila. 1042

C. Qualifizierung der verschiedenen Tätigkeiten von Krankenkassen

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ee) Zwischenergebnis (Krankenkassen als Nachfrager bei der Leistungserbringung) In der Literatur wird vielfach pauschal die Auffassung vertreten, Krankenkassen seien im Bereich der Leistungserbringung Nachfrager der Gesundheitsleistungen gegenüber den Leistungserbringern. Die voranstehende Untersuchung führt zu dem Ergebnis, daß eine differenzierte Betrachtung des jeweiligen Leistungssegmentes und seiner Besonderheiten erforderlich ist, um die Nachfragerstellung der Krankenkassen zu beurteilen. Denn die Leistungserbringung erfolgt in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht nach einheitlichen Rahmenbedingungen für alle Leistungsbereiche. Die Krankenkassen sind gegenüber den Leistungserbringern als Nachfrager anzusehen, wenn die Leistungserbringung nach dem Sachleistungsprinzip erfolgt. Entscheidend ist aber, ob sich bei einer auf die tatsächlichen Leistungsbeziehungen abstellenden wirtschaftlichen Betrachtungsweise herausstellt, daß eine bestimmte Gesundheitsleistung den Versicherten als Sachleistung zur Verfügung gestellt wird. In diesem Fall beziehen nämlich die Krankenkassen die Gesundheitsleistung für ihre Versicherten. Die rechtliche Einordnung von besonderen Ausgestaltungen im Leistungsrecht (z. B. Festbeträge bzw. Festzuschüsse) als Unterformen des Sachleistungsprinzips durch den Gesetzgeber oder die Rechtsprechung erweist sich dagegen dann als wettbewerbsrechtlich unbeachtlich, wenn nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten eine Gesundheitsleistung dem Versicherten tatsächlich nicht als Sachleistung zur Verfügung gestellt wird. Das kann dann der Fall sein, wenn den Versicherten schon bei Inanspruchnahme der preisgünstigsten Versorgungsalternative eine hohe eigene Kostenbeteiligung trifft bzw. wenn der Versicherte – unter Inkaufnahme einer hohen Eigenbeteiligung – die Auswahl zwischen verschiedenen Ausführungsstandards hat. In diesem Zusammenhang ist auch bedeutsam, ob für den Leistungserbringer die finanzielle Leistungsfähigkeit des Versicherten eine Rolle spielt. Im Anwendungsbereich des dem Sachleistungsprinzip entgegengestellten Kostenerstattungsprinzips sind die Versicherten selbst Nachfrager der entsprechenden Gesundheitsleistungen. b) Leistungserbringung und Grundsatz der Solidarität Beruhten die nachfrageorientierten Tätigkeiten der Krankenkassen im Rahmen der Leistungserbringung auf dem Grundsatz der Solidarität, wäre nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes der wirtschaftlicher Charakter zu verneinen, jedenfalls sofern die Tätigkeiten sich auch als Gesetzesvollzug darstellten1046. Folglich wären die Krankenkassen insoweit nicht den Wettbe1046 Vgl. zur Relation des Erfordernisses eines Gesetzesvollzugs zum Grundsatz der Solidarität S. 192 f.

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3. Kap.: Krankenkassen als Unternehmen

werbsregeln der Art. 81 ff. EG unterworfen. Die Rechtsbeziehungen zwischen Leistungserbringern und Krankenkassen blieben dann vom Europäischen Wettbewerbsrecht unangetastet. aa) Präjudizien Die Unternehmenseigenschaft von mit der Verwaltung eines Systems der sozialen Sicherheit betrauten Einrichtungen war bereits öfter Gegenstand von Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes. Aufgrund des relativen Unternehmensbegriffes (vgl. auch die Prämissen dieses Kapitels1047) kann sich die Bejahung oder Verneinung der Unternehmenseigenschaft im jeweiligen Fall nicht auf alle möglichen, denkbaren, gegenwärtigen und zukünftigen Betätigungen der betreffenden Einrichtung beziehen. Des Gerichtshofes Aussagen können sich nur auf diejenigen Tätigkeiten beziehen, denen die mutmaßlich wettbewerbsbeschränkende Verhaltensweise zuzurechnen ist. Im folgenden ist daher zu untersuchen, ob bereits nachfrageorientierte Tätigkeiten von Sozialversicherungsträgern der Beurteilung der Unternehmenseigenschaft zugrunde lagen, insbesondere hinsichtlich einer solchen Tätigkeit der Unternehmenstatbestand unter Heranziehung des Solidargrundsatzes vom Europäischen Gerichtshof schon einmal verneint wurde. In der Rechtssache Höfner und Elser1048 hatte der Europäische Gerichtshof die Rechtmäßigkeit eines Arbeitsvermittlungsmonopols zugunsten der Bundesanstalt für Arbeit zu beurteilen, da im nationalen Ausgangsrechtsstreit unter Berufung auf § 134 BGB die Nichtigkeit eines mit einem privaten Arbeitsvermittler geschlossenen Vertrages geltend gemacht wurde, um sich der Vergütungszahlung zu entziehen. Streitgegenständlich war hier ein Monopol auf Angebotsseite. Bundesanstalt und privater Vermittler konkurrierten um den Absatz von Vermittlungsdienstleistungen, welche von Unternehmen nachgefragt wurden. In der Rechtssache Poucet und Pistre1049 wandten sich die Kläger des nationalen Ausgangsrechtsstreits gegen Beitragszahlungen, die sie aufgrund ihrer Zwangsmitgliedschaft in Einrichtungen trafen, welchen die Kranken- und Mutterschaftsversicherung bzw. die Altersversicherung für bestimmte Berufsgruppen oblag. Die hier aufgeworfenen wettbewerbsrechtlichen Fragen betrafen ausschließlich die Angebots- bzw. Versicherungsseite der beiden Sozialversicherungsträger. Die Einrichtungen unterbreiteten bestimmte Versicherungsleistun1047

S. 225 ff. EuGH, Urt. v. 23.4.1991, Rs. C-41/90, Slg. 1991, I-1979 – Höfner und Elser; siehe näher zu dieser Rechtssache S. 152 f. 1049 EuGH, Urt. v. 17.2.1993, verb. Rs. C-159/91 und C-160/91, Slg. 1993, I-637 – Poucet und Pistre; siehe näher zu dieser Rechtssache S. 153 ff. 1048

C. Qualifizierung der verschiedenen Tätigkeiten von Krankenkassen

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gen; Zwangsmitgliedschaft und Beitragszahlung sind der angebotsorientierten Versicherungstätigkeit zuzurechnen, denn sie betreffen die Rechtsverhältnisse und Austauschbeziehungen zwischen Sozialversicherungsträger und Versicherten. Ob ein mit der Verwaltung eines Rentengrundsystems mit Pflichtmitgliedschaft betrauter Träger daneben auch noch freiwillige steuerbegünstigte Zusatzrentenversicherungen anbieten darf, war Gegenstand der Entscheidung in der Rechtssache Fédération française des sociétés d’assurance u. a.1050, da private Versicherungsunternehmen sich benachteiligt sahen. Auch diese wettbewerbsrechtliche Fragestellung betraf ausschließlich angebotsorientierte Tätigkeiten. Es ging um die Befugnis des Sozialversicherungsträgers, seine Angebotspalette gegenüber Versicherungsnehmern zu erweitern. Die drei Parallelverfahren zu niederländischen Betriebsrentenfonds1051 (Rechtssachen Albany1052, Brentjens’ Handelsonderneming1053 und Drijvende Bokken1054) sowie die Rechtssachen Pavlov u. a.1055 und Cisal1056 hatten die wettbewerbsrechtliche Zulässigkeit der Zwangsmitgliedschaft bestimmter Personengruppen in verschiedenen Betriebsrentenfonds bzw. im staatlichen Versicherungssystem gegen Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten zum Gegenstand. Die Kläger der Ausgangsverfahren wandten sich gegen ihre auf der Zwangsmitgliedschaft beruhende Beitragspflicht. Zwangsmitgliedschaft und Beitragspflicht sind dem angebotsorientierten Versicherungsgeschäft der verschiedenen Sozialversicherungsträger zuzuordnen. In der Rechtssache AOK Bundesverband u. a.1057 hat der Europäische Gerichtshof die Unternehmenseigenschaft von Krankenkassen verneint, da sie eine rein soziale Aufgabe wahrnähmen, welche auf dem Grundsatz der Solidarität beruhe. Gegenstand des Verfahrens war die Frage, ob Krankenkassen bei der gemeinschaftlichen Festsetzung von einheitlichen Festbeträgen für Arzneimittel gegen das Kartellverbot des Art. 81 EG verstießen. Ein solcher Verstoß wurde

1050 EuGH, Urt. v. 16.11.1995, Rs. C-244/94, Slg. 1995, I-4013 – Fédération française des sociétés d’assurance u. a.; siehe näher zu dieser Rechtssache S. 159 ff. 1051 Siehe näher zu diesen Rechtssachen S. 162 ff. 1052 EuGH, Urt. v. 21.9.1999, Rs. C-67/96, Slg. 1999, I-5751 – Albany. 1053 EuGH, Urt. v. 21.9.1999, verb. Rs. C-115/97 bis C-117/97, Slg. 1999, I-6025 – Brentjens’ Handelsonderneming. 1054 EuGH, Urt. v. 21.9.1999, Rs. C-219/97, Slg. 1999, I-6121 – Drijvende Bokken. 1055 EuGH, Urt. v. 12.9.2000, verb. Rs. C-180/98 bis C-184/98, Slg. 2000, I-6451 – Pavlov u. a.; siehe näher zu dieser Rechtssache S. 165 f. 1056 EuGH, Urt. v. 22.1.2002, Rs. C-218/00, Slg. 2002, I-691 – Cisal; siehe näher zu dieser Rechtssache S. 166 ff. 1057 EuGH, Urt. v. 16.3.2004, verb. Rs. C-264/01, C-306/01, C-354/01 und C-355/ 01, Slg. 2004, I-2493 – AOK Bundesverband u. a.; siehe näher zu dieser Rechtssache S. 170 ff.

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3. Kap.: Krankenkassen als Unternehmen

im nationalen Ausgangsverfahren von Arzneimittelherstellern geltend gemacht, die in den Festbetragsfestsetzungen eine Fixierung des Höchstpreises sahen, zu dem die Krankenkassen Arzneimittel ankauften, denn nur ca. sieben Prozent der Arzneimittel auf dem deutschen Markt, für die ein Festbetrag gelte, würden zu einem über dem Festbetrag liegenden Preis verkauft.1058 Es ist zu klären, ob die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes in dieser Rechtssache in der Kontinuität der voranstehenden Rechtssachen steht, denen letztlich angebotsorientierte Tätigkeiten bei der Beurteilung der Unternehmenseigenschaft zugrunde lagen, oder aber hier erstmals für Nachfragetätigkeiten eines Sozialversicherungsträgers der wirtschaftliche Charakter verneint wurde. Geht eine Einrichtung verschiedenen Tätigkeiten nach, die möglicherweise hinsichtlich ihres wirtschaftlichen Charakters unterschiedlich zu bewerten sind, ist es erforderlich festzustellen, welche Tätigkeit im konkreten Fall für die Beurteilung der Unternehmenseigenschaft maßgeblich ist.1059 Für die bereits ergangene Entscheidung in der Rechtssache AOK Bundesverband u. a. muß erforscht werden, welcher Tätigkeit die Verneinung der Unternehmenseigenschaft galt, da die Würdigungen des Gerichtshofes den Erfordernissen des relativen Unternehmensbegriffes nicht Rechnung tragen und sehr global formuliert sind. Mit den Worten des Oberlandesgerichts Düsseldorf ist der „Geschäftsbereich, in dem die Festbetragsfestsetzung relevant ist“ zu ermitteln.1060 Die Festbetragsfestsetzung kann jedenfalls nicht selbst eine wirtschaftliche Tätigkeit sein, denn es ist zu beachten, daß nur solche Tätigkeiten als wirtschaftliche in Betracht zu ziehen sind, welche als ein Anbieten oder Nachfragen von Gütern bzw. Dienstleistungen auf einem Markt interpretiert werden können, da die Normadressateneigenschaft nur durch Tätigkeiten begründet wird, die einen unmittelbaren Marktbezug besitzen1061. Somit ist nicht jede Einzelverrichtung (z. B. Versenden eines Kaufvertrages) geeignet, wettbewerbsrechtlicher Anknüpfungspunkt für den Unternehmenstatbestand zu sein. Bei Krankenkassen könnte ein Nachfragen nach Gütern oder Dienstleistungen in der Beschaffung der für die Versicherten bestimmten Gesundheitsleistungen gesehen werden. Die von den Krankenkassen gewährleistete Krankenversicherung könnte dagegen als Angebot einer Dienstleistung aufgefaßt werden. Auf welchen dieser Tätigkeitssektoren („Geschäftsbereiche“) sich die Würdigungen des Gerichtshofes in der 1058 Siehe OLG Düsseldorf, Pharma Recht 1999, 283 (297) sowie die Schlußanträge des Generalanwalts Francis G. Jakobs v. 22.5.2003, verb. Rs. C-264/01, C-306/01, C354/01 und C-355/01, Slg. 2004, I-2493 Tn. 10 – AOK Bundesverband u. a. Vgl. auch W. Boecken, in: S. Empter/H. Sodan (Hrsg.), Markt und Regulierung, 2003, 129 (144); C. Koenig/C. Sander, WuW 2000, 975 (977). 1059 Vgl. S. 228 ff. 1060 Vgl. OLG Düsseldorf, WuW/E DE-R 233 (234) – Inkontinenzhilfen; Pharma Recht 1999, 283 (291). 1061 Vgl. S. 63 ff.

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Rechtssache AOK Bundesverband u. a. beziehen, kann durch das oben entwikkelte Zurechnungsmodell1062 geklärt werden. Das der Entscheidung AOK Bundesverband u. a. zugrunde liegende mutmaßlich wettbewerbsbeschränkende Verhalten der Krankenkassen, durch welches sich die im nationalen Ausgangsrechtsstreit klagenden Arzneimittelhersteller beeinträchtigt sahen, ist die gemeinsame Festsetzung von einheitlichen Festbeträgen für bestimmte Arzneimittel. Fraglich ist, ob diese Verhaltensweise dem Bereich der Nachfrage nach Gesundheitsleistungen im Rahmen der Leistungserbringung zuzuordnen ist oder aber dem angebotsorientierten Versicherungsgeschäft der Krankenkassen. Wie bereits oben untersucht wurde, sind die Krankenkassen als Nachfrager der Arzneimittel anzusehen, welche sie den Versicherten nach Maßgabe von § 31 SGB V zur Verfügung stellen.1063 Für eine Zuordnung der Festbetragsfestsetzung zur Nachfrage der Krankenkassen könnte sprechen, daß sich die Festbeträge sehr stark auf die Absatzchancen der Arzneimittelhersteller auswirken, welche als Produzenten bei der Arzneimittelbeschaffung (neben den vertreibenden Apotheken) die Marktgegenseite der Krankenkassen bilden. Nur ein geringer Anteil der festbetragsunterworfenen Arzneimittel kann auf dem deutschen Markt zu einem Preis über dem Festbetrag verkauft werden.1064 Deshalb könnte man zu dem Schluß gelangen, die Krankenkassen setzten mit den Festbeträgen ihren Höchstankaufspreis gegenüber der Anbieterseite einseitig fest.1065 Betrachtet man das Festbetragssystem primär in diesem Kontext, wäre die mutmaßlich wettbewerbsbeschränkende Festbetragsfestsetzung Bestandteil der Nachfragepolitik der Krankenkassen. So wird in der Literatur vielfach vertreten, der Europäische Gerichtshof habe in der Entscheidung AOK Bundesverband u. a. die sich aus seiner bisherigen Rechtsprechung ergebenden Grundsätze auf die Nachfrageseite angewandt und auf die Tätigkeiten der Sozialversicherungsträger im Verhältnis zu den Leistungserbringern übertragen.1066 1062

Siehe dazu S. 229 ff. Siehe S. 249 ff. 1064 Vgl. OLG Düsseldorf, Pharma Recht 1999, 283 (297) sowie die Schlußanträge des Generalanwalts Francis G. Jakobs v. 22.5.2003, verb. Rs. C-264/01, C-306/01, C-354/01 und C-355/01, Slg. 2004, I-2493 Tn. 10 – AOK Bundesverband u. a.; W. Boecken, in: S. Empter/H. Sodan (Hrsg.), Markt und Regulierung, 2003, 139 (144); C. Koenig/C. Sander, WuW 2000, 975 (977); H. Posser/R.-G. Müller, NZS 2004, 178 (182). 1065 So P. Axer, NZS 2002, 57 (61). Vgl. ferner C. Engelmann, Kostendämpfung im Gesundheitswesen und EG-Wettbewerbsrecht, 2002, S. 80; W. Jaeger, ZWeR 2005, 31 (50). C. Koenig/C. Sander, WuW 2000, 975 (977) sprechen von einer mittelbaren Wirkung der Festbetragsfestsetzung; in diesem Sinne auch: OLG Düsseldorf, WuW/E DER 233 (235) – Inkontinenzhilfen; Pharma Recht 1999, 283 (291 f.); A. Hänlein/ J. Kruse, NZS 2000, 165 (173 f.). 1066 Vgl. K.-J. Bieback, RsDE Nr. 56 (2004), 57 (59); J. Gundel, EuR 2004, 575 (581); C. Koenig/C. Engelmann, EuZW 2004, 682 (683 ff.); D. Neumann, EWiR 1063

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3. Kap.: Krankenkassen als Unternehmen

Auf der anderen Seite sprechen eine Reihe von Gesichtspunkten dafür, die Festbetragsfestsetzung dem Versicherungsgeschäft der Krankenkassen zuzuordnen. Festbeträge könnten nämlich dazu dienen, den Umfang des von der Krankenkasse zu gewährleistenden Versicherungsschutzes zu bestimmen.1067 § 12 Abs. 2 SGB V ordnet als für das Festbetragssystem zentrale Vorschrift im allgemeinen an: „Ist für eine Leistung ein Festbetrag festgesetzt, erfüllt die Krankenkasse ihre Leistungspflicht mit dem Festbetrag.“ Die Regelung bezieht sich eindeutig auf die Leistungspflicht der Krankenkasse gegenüber dem Versicherten. Liegt der Preis eines Mittels über dem Festbetrag, ist dessen Beschaffung zu Lasten der Krankenkasse nicht ausgeschlossen, sondern der Versicherte muß die Differenz selbst bezahlen. Der Bezug einer kostenintensiveren Gesundheitsleistung setzt aber in der Regel die Bereitschaft des Versicherten voraus, einen Eigenanteil zu übernehmen. Festbeträge werden daher als Höchstbeträge für die Erstattung von Preisen durch die gesetzlichen Krankenkassen verstanden.1068 Beiden Marktseiten, nämlich der Nachfrage nach Gesundheitsleistungen im Rahmen der Leistungserbringung und dem Angebot von Versicherungsleistungen, scheint der Generalanwalt Francis G. Jakobs die Festbetragsfestsetzung zuzuordnen.1069 Obenstehende Untersuchungen zu den Leistungsbeziehungen im Festbetragssystem ergaben hinsichtlich der Leistungserbringung im Bereich der Arzneimittelversorgung, daß Krankenkassen die von ihren Versicherten benötigten Arzneimittel in der Regel selbst beschaffen und daher als Nachfrager den Apotheken und Herstellern gegenüberstehen.1070 Dieses Ergebnis ist aber kein Argument

2004, 435 (436); D. Riedel, EuZW 2004, 245; F. Ruland, JuS 2005, 212 (214); R. P. Schenke, WiVerw 2006, 34 (58); G. Skorczyk, in: N. Klusen (Hrsg.), Europäischer Binnenmarkt und Wettbewerb – Zukunftsszenarien für die GKV, 2003, 93 (99); H. Sodan, GesR 2005, 145 (149). Siehe auch OLG Düsseldorf, WuW/E DE-R 233 (237 f.) – Inkontinenzhilfen; P. Axer, NZS 2002, 57 (61); T. Kingreen, ZMGR 2005, 163 (167); ders., GesR 2006, 193 (196). 1067 Vgl. K.-P. Adelt, in: J. Kruse/A. Hänlein (Hrsg.), Gesetzliche Krankenversicherung. Lehr- und Praxiskommentar (LPK–SGB V), 2003, § 31 Rn. 3; E. Knappe, in: N. Klusen (Hrsg.), Zuwahlleistungen in der gesetzlichen Krankenversicherung, 2003, 13 (30); U. Knispel, NZS 2000, 379 (382); ders., SozSich 2004, 244 (245). So im Ausgangspunkt auch C. Koenig/C. Sander, WuW 2000, 975 (977), welche in der Bestimmung des Leistungsumfanges die unmittelbare Folge der Festbetragsfestsetzung sehen. 1068 Vgl. P. Axer, NZS 2002, 57 (58); R. P. Schenke, WiVerw 2006, 34 (47); H. Sodan, GesR 2005, 145 (147); P. Wigge, in: Soziale Sicherheit und Wettbewerb, 2001, 79 (83). 1069 Vgl. die Schlußanträge des Generalanwalts Francis G. Jakobs v. 22.5.2003, verb. Rs. C-264/01, C-306/01, C-354/01 und C-355/01, Slg. 2004, I-2493 Tn. 45 – AOK Bundesverband u. a.: „Mit der Festsetzung der Festbeträge legen die Krankenkassen den Höchstpreis fest, zu dem sie ein zentrales Einsatzgut einkaufen; sie legen auch den Umfang der Versicherungsleistungen fest, die sie den Versicherten erbringen“. 1070 Vgl. S. 249 ff.

C. Qualifizierung der verschiedenen Tätigkeiten von Krankenkassen

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dafür, die Festsetzung von Festbeträgen für Arzneimittel der Nachfrageseite des Tätigkeitsspektrums von Krankenkassen zuzuordnen, sondern überhaupt erst die Voraussetzung für eine solche Zuordnungsmöglichkeit. Übten nämlich die Krankenkassen im Arzneimittelsektor selbst keine Nachfrage aus, böte sich für die Zurechnung der (mutmaßlich) wettbewerbsbeschränkenden Festbetragsfestsetzung zu einem unmittelbar marktbezogenen Tätigkeitssektor allein das angebotsorientierte Versicherungsgeschäft an. Festbeträge könnten dann gar nicht als Höchstankaufspreise interpretiert werden. So liegt der Fall beispielsweise bei den festbetragsunterworfenen Verbandmitteln1071, bei den nach dem bis zum 31.3.2007 geltenden Hilfsmittelversorgungssystem beschafften festbetragsunterworfenen Hilfsmitteln1072 sowie bei den nach der Übergangsvorschrift des § 33 Abs. 6, 7 in Verbindung mit § 126 Abs. 2 SGB V bis zum 31.12.2008 beschafften oder zu beschaffenden festbetragsunterworfenen Hilfsmitteln1073. Hier ergaben die obigen Untersuchungen, daß die Versicherten selbst Nachfrager dieser Gesundheitsleistungen sind.1074 Die Festbetragsfestsetzung kann bzw. konnte sich hier von vornherein nur als Bestimmung des gegenüber den Versicherten bestehenden Leistungsumfanges der Krankenkasse erweisen. Als (mutmaßlich) wettbewerbsbeschränkende Maßnahme wäre die Festbetragsfestsetzung allein dem Versicherungsgeschäft der Krankenkassen zuzurechnen, auch wenn die Festbetragshöhe Auswirkungen auf den Eigenanteil der Versicherten und somit auf deren Nachfrageverhalten hat bzw. hatte. Wenn also Krankenkassen keineswegs überall dort, wo Festbetragsregelungen gelten, auch Nachfrager der betreffenden Gesundheitsleistungen sind, spricht diese Erkenntnis bereits gegen eine Zurechnung der Festbetragsfestsetzung zur Nachfrageseite. Es wurde bereits oben festgestellt, daß das Festbetragssystem eine gewisse systematische Verwandtschaft mit dem Kostenerstattungsprinzip besitzt.1075 Die direkte Abrechnung des Leistungserbringers mit der Krankenkasse bis zur Höhe des Festbetrages läßt zwar die Leistungsgewährung im unteren Preissegment äußerlich als Sachleistung erscheinen. Vom Ausgangspunkt schuldet die Krankenkasse dem Versicherten aber eine Geldleistung (vgl. § 12 Abs. 2 SGB V). Daß die Krankenkassen im Bereich der Arzneimittelversorgung dennoch selbst als Nachfrager eingestuft wurden, beruhte in der obigen Untersuchung nicht auf dem Charakter des Festbetragssystems, sondern vielmehr auf den für die Arzneimittelabgabe geltenden besonderen Regelungen des § 129 SGB V.1076 Mit der Fixierung der dem Versicherten im Rahmen des gesetzlichen Krankenversicherungsverhältnisses geschuldeten Leistungshöhe bestimmen die Krankenkas1071 1072 1073 1074 1075 1076

Vgl. S. 252. Vgl. S. 245 ff. Vgl. S. 249. Vgl. S. 244 ff., 252. Siehe S. 240 f. Vgl. S. 249 ff.

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3. Kap.: Krankenkassen als Unternehmen

sen den Umfang des Versicherungsschutzes.1077 Die Leistungserbringer werden durch die Festsetzungen deshalb beeinträchtigt, weil die Versicherten regelmäßig nicht bereit sind, eine Eigenbeteiligung zu bezahlen, wenn ihnen über den gewährleisteten Versicherungsschutz hinausgehende Gesundheitsleistungen angeboten werden.1078 Die verminderten Absatzchancen der Leistungserbringer sind ein unvermeidbarer Reflex der durch die Festbetragsfestsetzungen geänderten Leistungsansprüche der Versicherten, da jede Umgestaltung im Leistungsprogramm der gesetzlichen Krankenversicherung zur Folge hat, daß sich damit auch der Umfang dessen verändert, woran die Leistungserbringer teilhaben.1079 Ähnliche mittelbare Verknüpfungen zwischen der Höhe von Versicherungsleistungen und den Absatzchancen Dritter sind auch in der privaten Versicherungswirtschaft zu beobachten: Ist die Versicherungsprämie für ein bestimmtes Fahrzeug außergewöhnlich hoch, werden dadurch auch die Absatzchancen des betroffenen Automobilherstellers geschmälert. Ebenso ist die Neigung geringer, einen selbstverschuldeten Bagatellschaden (z. B. Kratzer) am eigenen Fahrzeug in einer Fachwerkstatt reparieren zu lassen, wenn eine hohe Selbstbeteiligung in der Vollkaskoversicherung besteht, als wenn die Kosten vollständig übernommen würden. Die Zuordnung der Festbetragsfestsetzungen zum Versicherungsgeschäft wird bestätigt, wenn man ihre versicherungswirtschaftliche Funktion anschaut: „Ziel der Regelung [. . .] ist die Eindämmung eines Phänomens, das in der Versicherungswissenschaft mit dem Begriff des moral hazards (,moralisches Risiko‘) bezeichnet wird. Die Problematik lässt sich auf der Grundlage der Modellannahmen der Ökonomik vergleichsweise einfach erklären. Ausgangspunkt ist das Leitbild des Versicherten als homo oeconomicus, d. h. eines rationalen Nutzenmaximierers. Mit dem Abschluss einer Krankenversicherung und der damit verbundenen Risikoverlagerung auf die Versicherung nimmt für den Versicherten der Anreiz ab, die Höhe der Behandlungskosten durch eigenes kostenbewusstes Verhalten zu begrenzen. Folgen hat dies auch für das Verhalten der Leistungserbringer. Wenn für die Versicherten die Höhe der Behandlungskosten letztlich irrelevant ist, besteht aus Sicht der Leistungsanbieter auch kein Anlass, in einen Preiswettbewerb einzutreten.[1080] Um

1077 Vgl. K.-P. Adelt, in: J. Kruse/A. Hänlein (Hrsg.), Gesetzliche Krankenversicherung. Lehr- und Praxiskommentar (LPK–SGB V), 2003, § 31 Rn. 3. 1078 Vgl. P. Axer, NZS 2002, 57 (62); C. Koenig/C. Sander, WuW 2000, 975 (977). 1079 BVerfGE 106, 275 (301). Vgl. auch C. Koenig/C. Sander, WuW 2000, 975 (977), die von einer mittelbaren Auswirkung sprechen; H.-D. Steinmeyer, in: W. Mummenhoff (Hrsg.), Administrative Restriktionen in der Arzneimittelversorgung, 2002, 36 (45). 1080 Vgl. C. Koenig/C. Sander, WuW 2000, 975 (982, 984), welche davon sprechen, daß Festbeträge einerseits überhaupt erst einen wirksamen Preiswettbewerb auf dem Arzneimittelmarkt innerhalb der vom Sachleistungsprinzip gekennzeichneten gesetzlichen Krankenversicherung ermöglichen; R. List, Das Honorarsystem der vertragsärztlichen Versorgung in der Gesetzlichen Krankenversicherung, 1999, S. 30 f.

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den moral hazard zu begrenzen, werden in der privaten Versicherungswirtschaft häufig Selbstbehalte vereinbart.“1081

Während Selbstbehalte bewirken, daß die Versicherung bis zu einem bestimmten Betrag gar nicht für die Kosten aufkommt, bestimmen Festbeträge umgekehrt den Betrag, bis zum dem die Versicherung maximal eintritt. Mit beiden Instrumenten wird der Umfang des Versicherungsschutzes festgelegt. Daß die Festbetragsfestsetzung in der Literatur oftmals dem Verhältnis der Krankenkassen zu den Leistungserbringern zugeordnet wird,1082 ist wohl in erster Linie darauf zurückzuführen, daß der Blickwinkel durch die Beteiligtenkonstellationen der betreffenden Rechtsstreitigkeiten vorgeprägt worden ist. Wie in der Rechtssache AOK Bundesverband u. a. waren es Arzneimittelhersteller, die sich juristisch gegen Festbetragsregelungen der Krankenkassen zur Wehr gesetzt haben. Sie beklagten sich gerade über diejenigen (mittelbaren) Auswirkungen, die Festbetragsregelungen auf ihre Absatzchancen auch haben. Dagegen würde eine Zuordnung zum Versicherungsgeschäft auf der Hand liegen, wenn Versicherte wegen zu hoher Eigenanteile als Folge zu niedriger Festbeträge gegen die Krankenkassen geklagt oder wenn sich private Krankenversicherungsunternehmen über sehr hohe Festbeträge und das folglich zu attraktive und üppige Angebot der gesetzlichen Krankenkassen beschwert hätten. Es wurde bereits gesagt, daß sich jede Veränderung des Leistungsumfanges der gesetzlichen Krankenversicherung mittelbar auf die Leistungserbringer auswirkt. Für die Zuordnung der mutmaßlich wettbewerbsbeschränkenden Verhaltensweise zu einer Marktseite ist jedoch nicht auf die tatsächlichen Auswirkungen dieser Verhaltensweise abzustellen.1083 Wären die tatsächlichen Auswirkungen maßgeblich, könnte eine nichtwirtschaftliche Tätigkeit wettbewerbsrechtlich sanktioniert werden. Dies widerspräche aber der begrenzenden Funktion des relativen Unternehmensbegriffes. Wirkt sich nämlich eine Handlung aus dem nichtwirtschaftlichen Tätigkeitssektor einer Person oder Einrichtung auf ander1081 R. P. Schenke, WiVerw 2006, 34 (47). Siehe ausführlich zu moral hazard und angebotsinduzierter Nachfrage im Gesundheitswesen aus wirtschaftswissenschaftlicher Sicht R. List, Das Honorarsystem der vertragsärztlichen Versorgung in der Gesetzlichen Krankenversicherung, 1999, S. 28 ff. Vgl. ferner U. Knispel, NZS 2000, 379 (382 f.); ders., SozSich 2004, 244; V. Neumann, in: G. Igl (Hrsg.), Das Gesundheitswesen in der Wettbewerbsordnung, 2000, 101 (105 ff.); I. Spiecker gen. Döhmann, in: A. Schmehl/A. Wallrabenstein (Hrsg.), Steuerungsinstrumente im Recht des Gesundheitswesens, Bd. 1, 2005, 1 (19 ff., 24 ff.); M. H. Werner, RsDE Nr. 61 (2006), 1 (13); BT-Drucks. 11/2237 S. 141 f. 1082 Siehe die Nachweise bei Fn. 1066. 1083 Vgl. U. Knispel, SozSich 2004, 244 (248). Siehe aber D. Neumann, Kartellrechtliche Sanktionierung von Wettbewerbsbeschränkungen im Gesundheitswesen, 2000, S. 126, welche für das deutsche Kartellrecht fordert, (unabhängig von einem eigenen Marktauftritt) die Möglichkeit, das Verhalten Dritter zu beeinflussen, in die Definition des Unternehmensbegriffes aufzunehmen.

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3. Kap.: Krankenkassen als Unternehmen

weitige (wirtschaftliche) Austauschbeziehungen aus, soll gerade keine wettbewerbsrechtliche Kontrolle stattfinden. Mittelbare wettbewerbsbeeinträchtigende Auswirkungen auf einem anderen Markt als demjenigen, dem die wettbewerbsbeeinträchtigende Verhaltensweise zuzurechnen ist, können zwar als Drittmarktbeeinträchtigungen ebenso von den Art. 81 ff. EG erfaßt werden.1084 Dies setzt aber voraus, daß die wettbewerbsbeschränkende Maßnahme überhaupt in einer wirtschaftlichen Betätigung wurzelt. Die Eröffnung wettbewerbsrechtlichen Schutzes gegen Festbetragsfestsetzungen hängt damit vom wirtschaftlichen Charakter der Versicherungstätigkeit der Krankenkassen ab.1085 Es kann somit als Ergebnis festgestellt werden, daß die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes vom 16.3.2004 in der Rechtssache AOK Bundesverband u. a. in der Kontinuität seiner bisherigen Rechtsprechung zur Unternehmenseigenschaft von Sozialversicherungsträgern steht. Die Unternehmenseigenschaft von Krankenkassen war auf Grundlage dieser Rechtsprechung zu verneinen, weil Festbetragsfestsetzungen eine Bestimmung des Leistungsumfanges der gesetzlichen Krankenversicherung darstellen und die angebotsorientierte Versicherungstätigkeit der Krankenkassen nach Ansicht des Europäischen Gerichtshofes auf dem Grundsatz der Solidarität basiert und sich als Gesetzesvollzug erweist. Die mittelbaren wettbewerblichen Auswirkungen der Festbeträge auf die Austauschbeziehungen zwischen Arzneimittelherstellern und Krankenkassen bei der Leistungserbringung rührten somit aus nichtwirtschaftlicher Tätigkeit der Krankenkassen und waren daher nicht Gegenstand wettbewerbsrechtlicher Kontrolle. Der Ansicht, der Europäische Gerichtshof habe in der Entscheidung AOK Bundesverband u. a. die sich aus seiner bisherigen Rechtsprechung ergebenden Grundsätze erstmals auf die Nachfrageseite angewandt1086, ist daher nicht zu folgen. In der Rechtssache FENIN1087 ging es um die Frage, ob die mit der Verwaltung des spanischen Gesundheitswesens betrauten Sozialversicherungsträger ihre marktbeherrschende Stellung dadurch mißbrauchten, daß sie beim Einkauf von 1084 Vgl. A. S. Bien, Die Einflüsse des europäischen Kartellrechts auf das nationale Gesundheitswesen, 2004, S. 168 f.; C. Engelmann, Kostendämpfung im Gesundheitswesen und EG-Wettbewerbsrecht, 2002, S. 106 f. Siehe ferner H.-J. Bunte, in: Langen/ Bunte II Art. 81 [Generelle Prinzipien] Rn. 62; O. Christiansen, Gemeinsame Beschaffung und Wettbewerb, 2003, S. 92 ff.; W.-H. Roth/T. Ackermann, in: FK Art. 81 Abs. 1 EG-Vertrag Grundfragen Rn. 165 (Stand: November 1999) sowie Kommission, Entscheidung v. 24.7.1991, ABl. EG 1992 Nr. L 72/1 Rn. 104 – Tetra Pak II; EuGH, Urt. v. 14.11.1996, Rs. C-333/94 P, Slg. 1996, I-5951 Rn. 25 – Tetra Pak. 1085 Siehe dazu S. 280 ff. 1086 Vgl. K.-J. Bieback, RsDE Nr. 56 (2004), 57 (59); J. Gundel, EuR 2004, 575 (581); C. Koenig/C. Engelmann, EuZW 2004, 682 (683 ff.); D. Neumann, EWiR 2004, 435 (436); D. Riedel, EuZW 2004, 245; F. Ruland, JuS 2005, 212 (214); R. P. Schenke, WiVerw 2006, 34 (58); G. Skorczyk, in: N. Klusen (Hrsg.), Europäischer Binnenmarkt und Wettbewerb – Zukunftsszenarien für die GKV, 2003, 93 (99); H. Sodan, GesR 2005, 145 (149).

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medizinischen Erzeugnissen für Krankenhäuser die Rechnungen ihrer Lieferanten systematisch viel zu spät bezahlten. Es handelt sich hierbei um den einzigen Fall, bei dem die mutmaßlich wettbewerbsbeschränkende Verhaltensweise (Spätzahlung) der Nachfragetätigkeit von Sozialversicherungsträgern zuzurechnen ist. Die Unternehmenseigenschaft richtete sich daher danach, ob das Nachfragen nach medizinischen Erzeugnissen für Krankenhäuser eine wirtschaftliche Tätigkeit der betreffenden Sozialversicherungsträger ist. Die Verneinung des wirtschaftlichen Charakters durch das Europäische Gericht erster Instanz und den Europäischen Gerichtshof beruhte in dieser Rechtssache aber gerade nicht auf einer eigenständigen Qualifizierung der Nachfragetätigkeit durch die europäischen Rechtsprechungsorgane. Vielmehr gingen beide Gerichte unzutreffend1088 davon aus, der wirtschaftliche Charakter der späteren Verwendung (Angebotsseite) der erworbenen Gesundheitsleistungen bestimme zwangsläufig den Charakter der Einkaufstätigkeit.1089 Maßgeblich für die Verneinung der Unternehmenseigenschaft war daher, daß die angebotsorientierte Versicherungstätigkeit der spanischen Sozialversicherungsträger angeblich auf dem Grundsatz der Solidarität beruhe. Deshalb kann aus dieser Entscheidung für die hier zu prüfende Frage, ob die Nachfrage nach Gesundheitsleistungen durch die deutschen gesetzlichen Krankenkassen als solche selbst auf dem Grundsatz der Solidarität beruht und/oder sich als Gesetzesvollzug erweist, nichts hergeleitet werden.1090 bb) Eigene Untersuchung In seiner bisherigen Rechtsprechung hat der Gerichtshof zwar vielfach Tätigkeiten von Sozialversicherungsträgern am Maßstab des Solidaritätsgrundsatzes überprüft. Die vorherige Untersuchung ergab aber, daß bisher immer nur Tätigkeiten der angebotsorientierten Versicherungsseite für die Bejahung oder Verneinung der Unternehmenseigenschaft maßgeblich waren.1091 Es ist daher im folgenden zu untersuchen, ob die Nachfragetätigkeiten der Krankenkassen im Rahmen der Leistungserbringung auf dem Grundsatz der Solidarität beruhen.

1087 EuGH, Urt. v. 11.7.2006, Rs. C-205/03 P, Slg. 2006, I-6295 – FENIN; EuG, Urt. v. 4.3.2003, Rs. T-319/99, Slg. 2003, II-357 – FENIN. Siehe ausführlich zu dieser Rechtssache S. 79 ff. 1088 Siehe zur Ablehnung dieses Ansatzes S. 83 ff. 1089 Vgl. EuGH, Urt. v. 11.7.2006, Rs. C-205/03 P, Slg. 2006, I-6295 Rn. 26 – FENIN; EuG, Urt. v. 4.3.2003, Rs. T-319/99, Slg. 2003, II-357 Rn. 36 f. – FENIN. 1090 Vgl. S. 233 f. zu den Gründen für eine nicht auf die Angebotsseite abstellende, eigenständige Qualifizierung der Nachfragetätigkeiten von Krankenkassen im Rahmen dieser Arbeit. 1091 Siehe S. 258 ff.

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Der Grundsatz der Solidarität wird vom Europäischen Gerichtshof maßgeblich durch folgende Merkmale bestimmt:1092 – Finanzierung des Systems nach dem Umlageverfahren; – keine oder geringe Verknüpfung zwischen Beitragshöhe und Leistungsumfang; – kein oder geringer Zusammenhang zwischen dem durch die Einrichtung getragenen Risiko und der Beitragshöhe; – Pflichtmitgliedschaft1093. Die Aufzählung macht bereits deutlich, daß die Solidaritätskriterien vom Gerichtshof für Versicherungstätigkeiten der verschiedenen Sozialversicherungsträger herausgearbeitet wurden. Bezüglich der Nachfrageseite sind daher Modifizierungen möglich und erforderlich,1094 es sei denn, man folgt dem in der Rechtssache FENIN entwickelten Ansatz1095, nach dem der wirtschaftliche Charakter der Nachfrage allein von der Beurteilung der angebotsorientierten Tätigkeiten abhängt1096. Manche Kriterien könnten auf der Nachfrageseite sogar gegenstandslos sein. Solidarität ist nach dem Verständnis des Europäischen Gerichtshofes in erster Linie mit Umverteilung gleichzusetzen. Die von ihm entwickelten Kriterien zur Konkretisierung des Solidaritätsgrundsatzes sind vor allem solche, welche den Umverteilungsgrad messen, der in einem Tätigkeitssektor vorzufinden ist.1097 Ob die Nachfrage der Krankenkassen nach Gesundheitsleistungen eine unternehmerische Tätigkeit ist, muß daher – auf der Grundlage des zur Angebotsseite entwickelten Solidaritätsverständnisses – danach beantwortet werden, welcher Umverteilungsgrad bei der Leistungserbringung erreicht wird. Zunächst ist zu untersuchen, welche Aspekte im Bereich der Nachfrage Gradmesser der Umverteilung bzw. Solidarität sein können. Für den Angebotssektor wird verlangt, daß keine oder nur eine geringe Verknüpfung zwischen Beitragshöhe und Leistungsumfang besteht und zwischen dem durch den Sozialversicherungsträger getragenen Risiko und der Beitragshöhe kein oder nur ein geringer 1092

Vgl. S. 184 ff. Die Pflichtmitgliedschaft ist nur insofern ein Solidaritätsmerkmal, als daß eine freiwillige Mitgliedschaft für den wirtschaftlichen Charakter der Tätigkeit spricht; vgl. S. 189 sowie die Schlußanträge des Generalanwalts Francis G. Jakobs v. 28.1.1999, Rs. C-67/96, Slg. 1999, I-5751 Tn. 347 – Albany. 1094 Dies verkennt V. Neumann, NZS 2002, 561 (565), welcher die zur angebotsorientierten Versicherungstätigkeit entwickelten Kriterien ohne weiteres auf die Nachfrage nach Gesundheitsleistungen im Rahmen der Leistungserbringung überträgt. 1095 Siehe dazu S. 79 ff. und 233 f. 1096 Vgl. C. Koenig/C. Engelmann, EuZW 2004, 682 (684). Vgl. S. 233 f. zu den Gründen für eine nicht auf die Angebotsseite abstellende, eigenständige Qualifizierung der Nachfragetätigkeiten von Krankenkassen im Rahmen dieser Arbeit. 1097 Vgl. S. 184 ff., 190. 1093

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Zusammenhang vorhanden ist. Diese besonderen Kriterien können zwar nicht unmittelbar auf die Nachfrageseite übertragen werden. Ihnen ist aber der allgemeine Gehalt zu entnehmen, Umverteilung bzw. Solidarität im Sinne des Gerichtshofes zeichnen sich vornehmlich dadurch aus, daß sich die Höhe der für eine empfangene Leistung aufzubringenden Gegenleistung nicht nach dem wirtschaftlichen Wert der empfangenen Leistung richtet, mithin keine Äquivalenz zwischen Leistung und Gegenleistung besteht bzw. angestrebt wird.1098 Dieser Wertzusammenhang kann wiederum auch auf der Nachfrageseite gemessen werden. Das auf der Versicherungsseite weiterhin verlangte Merkmal der Pflichtmitgliedschaft ist für die Nachfrageseite in der Weise zu verstehen und zu übertragen, daß es darauf ankommt, ob sich der einzelne Leistungserbringer einer eventuellen Umverteilung im System der gesetzlichen Krankenversicherung nicht entziehen kann. Nicht auf das Verhältnis der Krankenkassen zu den Leistungserbringern übertragbar ist dagegen das Solidaritätsmerkmal Umlageverfahren, welchem das Kapitaldeckungsverfahren gegenübersteht. Beide Prinzipien betreffen allein die finanzwirtschaftliche Ausgestaltung eines Versicherungssystems, nicht dagegen Beschaffungsvorgänge. Einen deutlichen Hinweis für ein Umverteilungssystem stellt die Entkopplung der Höhe der für eine empfangene Leistung aufzubringenden Gegenleistung vom wirtschaftlichen Wert der empfangenen Leistung dar.1099 Auf der Angebotsseite führt diese Entkopplung beispielsweise dazu, daß ein chronisch Kranker zu denselben Konditionen wie ein Gesunder Versicherungsschutz erhält und daß ein besserverdienender Lediger höhere Krankenversicherungsbeiträge für sich allein bezahlen muß als ein geringverdienender Familienvater, dessen gesamte Familie gemäß § 10 SGB V ohne zusätzliche Beiträge mitversichert ist.1100 Auf der Nachfrageseite stehen den von den Leistungserbringern erbrachten Gesundheitsleistungen die Vergütungen der Krankenkassen als Gegenleistung gegenüber. Vergütungen können den einzelnen Leistungserbringern von den Krankenkassen entweder unmittelbar oder mittelbar zugewendet werden. Gerade in dem für die Gesundheitsversorgung besonders wichtigen Bereich der vertrags- und ver1098

Vgl. A. Wunder, ZESAR 2006, 58 (62). Vgl. A. Wunder, ZESAR 2006, 58 (62). 1100 Das Solidarprinzip wird im Entwurf des Gesetzes zur Strukturreform im Gesundheitswesen (Gesundheits-Reformgesetz – GRG) wie folgt beschrieben: „Wesentliches Kennzeichen der GKV ist das Solidarprinzip. Die Beiträge, die der Versicherte für seinen Krankenversicherungsschutz zu entrichten hat, richten sich nach seiner finanziellen Leistungsfähigkeit; Alter, Geschlecht und das gesundheitliche Risiko des Versicherten sind für die Beitragshöhe unerheblich. Der Anspruch auf die medizinischen Leistungen der GKV ist unabhängig von der Höhe der gezahlten Beiträge. Ausdruck des Solidarprinzips ist auch die beitragsfreie Familienversicherung, insbesondere von Ehegatten und Kindern, sofern diese vom Versicherten unterhalten werden“ (BTDrucks. 11/2237 S. 146). 1099

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3. Kap.: Krankenkassen als Unternehmen

tragszahnärztlichen Versorgung existiert ein mittelbares Vergütungssystem. Eine Krankenkasse entrichtet an die jeweilige Kassenärztliche bzw. Kassenzahnärztliche Vereinigung eine Gesamtvergütung für die gesamte vertragsärztliche bzw. vertragszahnärztliche Versorgung der Mitglieder mit Wohnort im Bezirk der Vereinigung (§ 85 Abs. 1 SGB V). Die Kassenärztliche bzw. Kassenzahnärztliche Vereinigung verteilt die Gesamtvergütungen der Krankenkassen an die Vertragsärzte bzw. Vertragszahnärzte (§ 85 Abs. 4 S. 1 Hs. 1 SGB V). Wirtschaftlich stellt der von einer Kassenärztlichen oder Kassenzahnärztlichen Vereinigung an einen einzelnen Leistungserbringer ausbezahlte Geldbetrag das Entgelt der Krankenkassen für seine gegenüber den gesetzlich Versicherten erbrachten Leistungen dar. In anderen Bereichen kann die Vergütung für eine erbrachte Gesundheitsleistung von den Krankenkassen unmittelbar an den einzelnen Leistungserbringer geleistet werden (vgl. z. B. für Arzneimittel § 130 Abs. 3 SGB V, für Hilfsmittel § 127 Abs. 2 S. 1, Abs. 3 S. 1 SGB V). Die Höhe der Vergütung für einen einzelnen Leistungserbringer richtet sich im System der gesetzlichen Krankenversicherung grundsätzlich nach der von dem Leistungserbringer erbrachten Leistung.1101 Im Bereich der vertrags- und vertragszahnärztlichen Versorgung ist vorgesehen, bei der Verteilung der Gesamtvergütungen durch die Kassenärztliche bzw. Kassenzahnärztliche Vereinigung Art und Umfang der Leistungen der Vertrags(zahn)ärzte zugrunde zu legen (vgl. § 85 Abs. 4 S. 3 Hs. 1 SGB V). Dabei hilft der einheitliche Bewertungsmaßstab, welcher das wertmäßige, in Punkten ausgedrückte Verhältnis der abrechnungsfähigen Leistungen zueinander bestimmt (vgl. § 87 Abs. 2 SGB V). Problematisch war aber, daß die an eine Kassenärztliche bzw. Kassenzahnärztliche Vereinigung von den Krankenkassen zu bezahlende Gesamtvergütung nicht leistungsorientiert berechnet wurde, sondern nach Kopfpauschalen, womit das morbiditätsbedingte Risiko bei den Ärzten bzw. Zahnärzten lag.1102 Mit dem Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz – GKV-WSG) vom 26.3.20071103 wurde die Berechnung der Gesamtvergütung ab dem Jahr 2009 umgestellt. Danach vereinbaren die Kassenärztlichen bzw. Kassenzahnärztlichen Vereinigungen und die Landesverbände der Krankenkassen und die Verbände der Ersatzkassen gemein1101 BSG, SGb 2003, 37 (40), wonach „der Vertragsarzt insgesamt Anspruch auf eine leistungsgerechte Teilhabe an der Gesamtvergütung hat“; V. Neumann, in: G. Igl (Hrsg.), Das Gesundheitswesen in der Wettbewerbsordnung, 2000, 101 (105); G. Schneider, SGb 2004, 143 (151), der im Hinblick auf die schwankenden Punktwerte davon spricht, „dass der Anspruch des einzelnen Vertragsarztes immer nur auf leistungsproportionale Teilhabe zielt“. Siehe auch W. Boecken, in: S. Empter/H. Sodan (Hrsg.), Markt und Regulierung, 2003, 139 (154 ff.), der jedoch die Unvorhersehbarkeit der konkreten Gegenleistungshöhe im Rahmen des vertrags(zahn)ärztlichen Honorarverteilungssystems kritisiert. 1102 Vgl. BT-Drucks. 16/3100 S. 119. 1103 BGBl. I 378.

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sam und einheitlich die Punktwerte (Eurobetrag pro Punkt des einheitlichen Bewertungsmaßstabes), welche zur Vergütung der vertragsärztlichen bzw. vertragszahnärztlichen Leistungen im Folgejahr anzuwenden sind (§ 87a Abs. 2 S. 1 SGB V). Ferner vereinbaren sie aus der Zahl und der Morbiditätsstruktur der Versicherten einen morbiditätsbedingten Behandlungsbedarf für das Folgejahr und berechnen für diesen Bedarf das entsprechende Punktzahlvolumen; das mit den Punktwerten in Euro multiplizierte Punktzahlvolumen ergibt die morbiditätsbedingte Gesamtvergütung (§ 87 Abs. 3 SGB V). Leistungen, die sich aus einem bei der Vereinbarung der morbiditätsbedingten Gesamtvergütung nicht vorhersehbaren Anstieg des morbiditätsbedingten Behandlungsbedarfes ergeben, sind auf der Grundlage des nach § 87a Abs. 2 vereinbarten Punktwertes nachzuvergüten. Zwar unterscheiden sich die Vergütungssysteme je nach Leistungserbringergruppe erheblich, die Vergütung des einzelnen Leistungserbringers orientiert sich jedoch immer grundsätzlich an Art und Umfang der vom ihm erbrachten Gesundheitsleistungen.1104 Das gewollte Bestehen eines solchen Zusammenhanges kommt bereits durch die Verwendung des Begriffes „Vergütung“ im Fünften Buch Sozialgesetzbuch zum Ausdruck.1105 Zweifel könnten dagegen deshalb aufkommen, weil nach Ansicht vieler Leistungserbringer wegen des in § 71 SGB V verankerten Grundsatzes der Beitragssatzstabilität keine auskömmliche Vergütung mehr gewährleistet sei und mit dem Einfrieren der Hauptfinanzierungsquelle der gesetzlichen Krankenversicherung in einigen Bereichen ein extrem niedriges Vergütungsniveau herbeigeführt worden sei.1106 Gemäß § 71 Abs. 1 S. 1 SGB V müssen nämlich die Vertragspartner auf Seiten der Krankenkassen und der Leistungserbringer die Vereinbarungen über die Vergütungen so gestalten, daß Beitragssatzerhöhungen1107 1104 Vgl. beispielsweise Anlage 2 der Vereinbarung über die Versorgung mit Hörsystemen einschließlich der Versorgung von Kindern und Jugendlichen nach § 127 Absatz 1 SGB V [a. F.] vom 1.1.2006 zwischen der AOK Niedersachen und der Bundesinnung der Hörgeräteakustiker, veröffentlicht unter www.aok-gesundheitspartner. de/inc_ges/download/dl.php/nds/hilfsmittelanbieter/imperia/md/content/gesundheitspart ner/niedersachsen/hilfsmittelanbieter/vertraege/rahmenvertrag_hoerhilfen.pdf. Vgl. ferner §§ 3, 8 des Rahmenvertrages über die Arzneimittelversorgung nach § 129 Abs. 2 SGB V zwischen den Spitzenverbänden der Krankenkassen und dem Deutschen Apothekerverband e.V. in der Fassung der Schiedsentscheidung vom 5.4.2004, veröffentlicht im Internet unter: www.gkv.info/gkv/fileadmin/user_upload/Rundschreiben/ Rundschreiben_2004/Rahmenvertrag_ueber_die_Arzneimittelversorgung_nach_129_Ab satz_2_SGB_V_in_der_Fassung_vom_5._April_2004.pdf. 1105 Siehe § 71 SGB V, welcher im die allgemeinen Grundsätze enthaltenen Ersten Abschnitt des Vierten Kapitels verortet ist, das die Beziehungen der Krankenkassen zu den Leistungserbringern regelt. Siehe ferner § 82 Abs. 2 S. 1 SGB V für die vertragsärztliche Versorgung. 1106 Vgl. R. Wimmer, in: H. Sodan (Hrsg.), Finanzielle Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung und Grundrechte der Leistungserbringer, 2004, 45 (46 ff.). 1107 Der Beitragssatz ist ein Prozentsatz der beitragspflichtigen Einnahmen des Versicherten (vgl. § 241 S. 1 SGB V) und bestimmt die Höhe des im Einzelfall zu zahlenden Krankenversicherungsbeitrags.

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ausgeschlossen werden, es sei denn, die notwendige medizinische Versorgung ist auch nach Ausschöpfung von Wirtschaftlichkeitsreserven ohne Beitragssatzerhöhungen nicht zu gewährleisten. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts soll dieser Grundsatz gegenüber anderen Kriterien bei der Festsetzung der Vergütungen vorrangig sein und damit den entscheidenden Gesichtspunkt darstellen.1108 Diese Einwände führen jedoch nicht dazu, daß der grundsätzliche Zusammenhang zwischen Leistung und Gegenleistung bei der Vergütung der Leistungserbringer in der gesetzlichen Krankenversicherung aufgehoben wäre. Der Grundsatz der Beitragssatzstabilität wirft zwar das Problem auf, ob die von den Krankenkassen für die erbrachten Gesundheitsleistungen zu zahlenden Preise ein unangemessen niedriges Niveau erreicht haben. Auch begrenzen Regelungen über die Abstaffelung des Punktwertes (vgl. beispielsweise § 85 Abs. 4 S. 7, Abs. 4b S. 1, § 87b Abs. 2 S. 3) oder die Versagung einer Vergütung überhaupt bei Überschreiten von festgelegten Obergrenzen die Gewinnchancen im System.1109 Deshalb stellen die Vergütungen aber keineswegs eine leistungsunabhängige Alimentation dar; die Vergütungen bleiben – wenn auch auf niedrigem Niveau – leistungsabhängig. Im übrigen besteht nach Ansicht des Bundessozialgerichts zwar kein (subjektiv-rechtlicher) Anspruch auf angemessene Vergütung, wohl aber ein darauf gerichtetes objektiv-rechtliches Gebot.1110 Die Vereinbarung unangemessener Vergütungshöhen wird den Leistungserbringern somit nicht als Solidaritätsbeitrag abverlangt, sie wäre vielmehr rechtswidrig. In der sozial- und verfassungsrechtlichen Literatur wird nahezu einhellig aus verfassungsrechtlichen Gründen sogar ein Anspruch der Leistungserbringer auf angemessene Vergütung bejaht.1111 Die Durchsetzung eines solchen Anspruches wäre in der Praxis allerdings deshalb schwierig, weil zwischen den Partnern der Gesamtverträge1112, manchmal auch zwischen Vertragsarztgruppen und Kassen1108 BSGE 86, 126 (135 ff., 139). A. A. H. Sodan/O. Gast, NZS 1998, 497 ff. Vgl. auch U. Freudenberg, Beitragssatzstabilität in der gesetzlichen Krankenversicherung, 1995, S. 56 ff., 157 f.; H. Sodan, in: ders. (Hrsg.), Finanzielle Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung und Grundrechte der Leistungserbringer, 2004, 9 (13). 1109 W. Boecken, in: S. Empter/H. Sodan (Hrsg.), Markt und Regulierung, 2003, 139 (147). Vgl. auch H. Sodan, Freie Berufe als Leistungserbringer im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung, 1997, S. 281 ff. 1110 BSGE 75, 187 (189 ff.); 77, 279 (288). Vgl. auch R. Maaß, NZS 1998, 13 (15 f.). 1111 Vgl. M. Geisler/F. Temming, NZS 2005, 125 (127 f.); J. Isensee, VSSR 1995, 321 (342, 350) m. w. N.; C. Link/H. de Wall, VSSR 2001, 69 (89); H. Sodan/O. Gast, NZS 1998, 497 (503 f.); R. Maaß, NZS 1998, 13 (20); R. Wimmer, in: H. Sodan (Hrsg.), Finanzielle Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung und Grundrechte der Leistungserbringer, 2004, 45 (48 ff.) m. w. N. Anders aber in der Literatur R. Hess, in: Kasseler Kommentar – Sozialversicherungsrecht, Bd. 1, § 85 SGB V Rn. 62 (Stand: Mai 2003). 1112 Partner der Gesamtverträge sind die Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigungen sowie die für ihren Bezirk zuständigen Landesverbände der Krankenkassen und Verbände der Ersatzkassen (ab 1.7.2008 nur noch die Ersatzkassen selbst), § 83 S. 1

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ärztlichen Vereinigungen, hoch umstritten ist, ob die Angemessenheit nicht mehr gewahrt ist, und oftmals keine verläßlichen Zahlen über die Einkommenslage der einzelnen Leistungserbringer vorliegen.1113 Das gilt gleichermaßen für die Rechtmäßigkeitskontrolle bei Bejahung eines bloß objektiv-rechtlichen Gebotes. Die Leistungsabhängigkeit der Vergütung von Leistungserbringern wird dort deutlicher, wo jede Leistung einzeln vergütet wird (z. B. bei Heil- und Hilfsmitteln)1114. Es läßt sich somit feststellen, daß die Höhe der Gegenleistungen der Krankenkassen an die Leistungserbringer von Art und Umfang der ihnen gegenüber von den Leistungserbringern erbrachten Gesundheitsleistungen abhängig ist. Ein weiteres Unterscheidungszeichen zur Kennzeichnung von Tätigkeiten, die auf dem Grundsatz der Solidarität beruhen, ist die Pflichtmitgliedschaft im Sozialversicherungsträger.1115 Bei freiwilliger Mitgliedschaft könnten sich einzelne dem Umverteilungssystem ohne weiteres entziehen; insbesondere könnten sich diejenigen „entsolidarisieren“, zu deren Lasten die Transferleistungen finanziert werden.1116 Die Freiwilligkeit der Mitgliedschaft ist daher ein Anhaltspunkt für einen niedrigen Umverteilungsgrad, da bei einem hohen Umverteilungsgrad nicht genügend Personen zur Aufbringung der Umverteilungslasten gefunden werden könnten, so daß das System schnell zusammenbräche.1117 Die Leistungserbringer sind rechtlich nicht gezwungen, an der Versorgung der gesetzlich Versicherten teilzunehmen. Daß die Leistungserbringer aus wirtschaftlichen Gründen gezwungen sind, gesetzlich Versicherte zu versorgen, weil ca. 88 Prozent der Bevölkerung in der Bundesrepublik Deutschland der gesetzlichen Krankenversicherung angehören1118, ist allein Ausdruck der marktbeherrschenden Stellung der Krankenkassen bei der Nachfrage nach Gesundheitsleistungen. Auf einen solidarischen Charakter der Nachfragetätigkeit kann aus diesem Umstand nicht geschlossen werden. Es kann nach Überprüfung der vom Europäischen Gerichtshof herausgearbeiteten Unterscheidungsmerkmale daher abschließend festgestellt werden, daß die Austauschbeziehungen zwischen den Krankenkassen und Leistungserbringern

SGB V. In den Gesamtverträgen wird die vertrags(zahn)ärztliche Versorgung einschließlich ihrer Vergütung geregelt, vgl. § 85 SGB V. 1113 Vgl. R. Wimmer, in: H. Sodan (Hrsg.), Finanzielle Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung und Grundrechte der Leistungserbringer, 2004, 45 (47). 1114 Vgl. S. Storr, ZESAR 2003, 249 (257). 1115 Die Pflichtmitgliedschaft ist nur insofern ein Solidaritätsmerkmal, als daß eine freiwillige Mitgliedschaft für den wirtschaftlichen Charakter der Tätigkeit spricht, vgl. S. 189 sowie die Schlußanträge des Generalanwalts Francis G. Jakobs v. 28.1.1999, Rs. C-67/96, Slg. 1999, I-5751 Tn. 347 – Albany. 1116 Vgl. S. 189. 1117 Siehe S. 189. 1118 Vgl. Statistisches Bundesamt, Statistisches Jahrbuch 2006, 2006, S. 45.

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nicht auf dem Grundsatz der Solidarität beruhen.1119 Dies kommt auch gerade dadurch zum Ausdruck, daß die Leistungserbringer das wirtschaftliche Risiko ihrer Betätigung im Gesundheitswesen alleine tragen. Das System der gesetzlichen Krankenversicherung garantiert weder einen Mindestverdienst noch schützt es den einzelnen Leistungserbringer davor, vom Markt verdrängt zu werden und Insolvenz anmelden zu müssen. Eine Teilnahme an der Leistungserbringung trotz mangelnder finanzieller Leistungsfähigkeit ist im Bereich der Nachfrage – anders als eine derartige Einbeziehung in den Versicherungsschutz auf der Angebotsseite – nicht gewährleistet.1120 c) Leistungserbringung und Gesetzesvollzug Neben dem Solidaritätsgrundsatz stellt der Europäische Gerichtshof im Bereich sozialer Sicherheit bei der Abgrenzung zwischen wirtschaftlicher und nichtwirtschaftlicher Tätigkeit auch darauf ab, ob die entscheidenden Marktparameter (Preis, Leistung, Menge) durch den Gesetzgeber festgelegt werden und nicht durch den Sozialversicherungsträger selbst, so daß sich die Tätigkeit mangels eigener Entscheidungsbefugnisse als reiner Gesetzesvollzug darstellt1121. Die bisherigen Entscheidungen des Gerichtshofes bezogen sich auf die Angebotsseite von Sozialversicherungsträgern.1122 Hinsichtlich der Leistungserbringung ist auf die Vergütungshöhe als nachfrageseitigem Preis abzustellen. Die Vergütungen der Leistungserbringer werden im System der gesetzlichen Krankenversicherung grundsätzlich durch Vereinbarungen zwischen den Vertragspartnern auf Seiten der Krankenkassen und der Leistungserbringer festgelegt (vgl. im allgemeinen § 71 Abs. 1 S. 1 SGB V sowie im besonderen beispielsweise § 57 Abs. 1, Abs. 2, § 82 Abs. 2, § 85 Abs. 2 S. 1, Abs. 4, § 87a Abs. 2, Abs. 3, § 111 Abs. 5, § 115b Abs. 1 S. 1 Nr. 2, § 125 Abs. 1 S. 4 Nr. 5, Abs. 2 S. 1, § 127 Abs. 1 bis 3, § 132 Abs. 1 S. 2, § 132a Abs. 1 S. 4 Nr. 6, Abs. 2 S. 1, § 134a Abs. 1 S. 1 SGB V, § 18 Abs. 1, Abs. 2 KHG). Zwar bestehen im einzelnen für die Vergütung der verschiedenen Leistungserbringergruppen (z. B. Vertrags[zahn]ärzte, Krankenhäuser, Apotheken, Rehabilitationseinrichtungen, Leistungserbringer von Heil- und Hilfsmitteln) sehr unterschiedliche und teilweise sehr weitreichende gesetzliche Vorgaben, welche die Vertragspartner einzuhalten haben. Konkrete und bestimmte Vergütungshöhen 1119 Im Ergebnis ebenso A. S. Bien, Die Einflüsse des europäischen Kartellrechts auf das nationale Gesundheitswesen, 2004, S. 70 f., 72, 76, 78; T. Kingreen, MedR 2004, 188 (195). 1120 W. Boecken, in: S. Empter/H. Sodan (Hrsg.), Markt und Regulierung, 2003, 139 (147 f.). 1121 Vgl. dazu C. Engelmann, Kostendämpfung im Gesundheitswesen und EG-Wettbewerbsrecht, 2002, S. 103 ff. 1122 Siehe S. 258 ff.

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werden aber vom Gesetzgeber nicht festgelegt. Er gibt vielmehr einerseits grundlegende Vergütungsmodelle (z. B. pauschalierendes Entgeltsystem [Fallpauschalen] im Krankenhaussektor,1123 Gesamtvergütungssystem im Vertragarztwesen1124), andererseits auch in Einzelheiten gehende Parameter (wie z. B. pauschale Niveauabsenkungen,1125 Berechnungsmethoden,1126 Berücksichtigungsfaktoren,1127 maximale Wachstumspotentiale,1128 Abzugsprozentsätze bei Überschreitung von Regelleistungsvolumina1129 oder Rabatte1130) vor. Jedoch erweist sich die Festlegung der verschiedenen Vergütungen durch die Vertragspartner auch unter Beachtung dieser Vorgaben nicht als reine Rechenaufgabe, deren Ergebnis durch die gesetzlichen Vorgaben schon von vornherein feststeht, sondern es verbleiben zahlreiche Verhandlungsspielräume. Wenn nun die Höhe der von den Krankenkassen zu leistenden Vergütungen nicht durch den Gesetzgeber festgelegt wird, bleibt zu untersuchen, ob vielleicht der Umfang der bei den Leistungserbringern nachzufragenden Gesundheitsleistungen in der Weise durch den Gesetzgeber vorgegeben ist, daß sich die Nachfragetätigkeit der Krankenkassen mangels eigener Entscheidungsbefugnisse als reiner Gesetzesvollzug erweist. Da in diesem Fall keine Geldleistungen im Raum stehen, ist ferner zu untersuchen, wie detailliert der Gesetzgeber den Krankenkassen vorschreibt, in welcher Ausführungsart, Güte und Qualität eine konkrete Gesundheitsleistung zu beschaffen ist (Leistungshöhe). Der Umfang der von den Krankenkassen nachzufragenden Gesundheitsleistungen wird maßgeblich durch den gesetzlich festgelegten Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung beeinflußt.1131 Darunter sind diejenigen Normen zu verstehen, die regeln, welche Leistungen Krankenkassen ihren Versicherten gewähren müssen oder gewähren dürfen. Der Leistungskatalog bildet vor allem die Versicherungsleistungen der gesetzlichen Krankenversicherung ab, kann aber auch die zur Erfüllung von Versicherungsansprüchen zu gewährenden Gesundheitsleistungen umfassen. Das Leistungsprogramm der gesetzlichen Krankenversicherung ist vornehmlich im Dritten Kapitel des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (§§ 11 bis 68 SGB V) verankert. 1123

Vgl. § 17b KHG. Vgl. § 85 Abs. 1 SGB V. 1125 Vgl. § 57 Abs. 2 S. 7, § 85 Abs. 2b SGB V. 1126 Vgl. § 87a Abs. 1, 2 SGB V. 1127 Vgl. § 85 Abs. 3, Abs. 3c, § 57 Abs. 1 S. 5 in Verbindung mit § 85 Abs. 3, § 87 Abs. 2g SGB V. 1128 Vgl. § 85 Abs. 2b S. 2, Abs. 3a, 3b SGB V. 1129 Vgl. § 85 Abs. 4b SGB V. 1130 Vgl. §§ 130, 130a SGB V. 1131 Vgl. zu den materiellen Grenzen und rechtlichen Verfahren der Festlegung eines „GKV-Grundleistungskataloges“ R. Francke, in: N. Klusen/C. Straub (Hrsg.), Bausteine für ein neues Gesundheitswesen, 2003, 190 ff. 1124

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3. Kap.: Krankenkassen als Unternehmen

Bereits oben wurde festgestellt, daß das gegenüber den Versicherten bestehende Leistungsprogramm der gesetzlichen Krankenversicherung (mittelbare) Auswirkungen auf den Umfang dessen hat, woran die Leistungserbringer teilhaben.1132 Die mittelbare Nachfragemengensteuerung über den Leistungskatalog durch gesetzgeberische Leistungsausschlüsse1133 kann hier jedoch nicht relevant sein. Zwar führen Leistungsausschlüsse dazu, daß die Krankenkassen Gesundheitsleistungen, welche zur Erfüllung von Leistungsansprüchen erforderlich gewesen wären, nicht mehr beschaffen müssen. Es geht hier jedoch gerade darum, ob Krankenkassen hinsichtlich derjenigen Gesundheitsleistungen, die sie tatsächlich nachfragen, Unternehmen sind. Relevant ist daher allein, ob der Umfang der zur Erfüllung von gegebenen Leistungsansprüchen zu beschaffenden Gesundheitsleistungen gesetzlich vorgeschrieben ist. Bezüglich des Umfanges der von den Krankenkassen bei den Leistungserbringern nachzufragenden Gesundheitsleistungen bietet sich das gleiche Bild wie bei den Vergütungen: Der Gesetzgeber gibt zwar – bezogen auf bestimmte Leistungserbringersegmente – Mengensteuerungsmodelle vor, die Festlegung konkreter Mengen überläßt er den Krankenkassen und Vertragspartnern.1134 Auf dem besonders bedeutsamen Gebiet der vertragsärztlichen Versorgung gibt er beispielsweise vor, daß arztgruppenbezogene und arztbezogene Regelleistungsvolumina festgelegt werden müssen (vgl. § 85 Abs. 4 S. 7, § 87b Abs. 2 SGB V). Er überläßt es aber dann den Vertragsparteien1135 des Gesamtvertrages, den mit der Zahl und der Morbiditätsstruktur der Versicherten verbundenen Behandlungsbedarf festzulegen (§ 87a Abs. 3 SGB V), sowie dem Bewertungsausschuß1136, diese Leistungsmenge auf die jeweiligen Arztgruppen aufzuteilen (§ 87b Abs. 2 bis 4 SGB V), bzw. der Kassenärztlichen Vereinigung, die Regelleistungsvolumina an den Arzt oder die Arztpraxis zuzuweisen (§ 87b Abs. 5 S. 1 SGB V). Auf dem Gebiet der Arznei-, Verband-, Heil- und Hilfsmittel können die Mengen nicht über Verträge mit den Leistungserbringern dieser Mittel gesteuert werden, weil diese Mittel regelmäßig aufgrund einer Verordnung des behandelnden Arztes abzugeben sind. Zur Steuerung des Verordnungsverhaltens der Ärzte bei Arznei-, Verband- und Heilmitteln hat der Gesetzgeber Arz-

1132

Siehe S. 263 f. sowie BVerfGE 106, 275 (301). Siehe § 34 SGB V für ausgeschlossene Arznei-, Heil- und Hilfsmittel, insbesondere zur Möglichkeit des Verordnungsgebers, bestimmte Mittel durch eine sog. Negativliste aus dem Leistungskatalog auszuschließen. 1134 Vgl. auch G. Igl, MedR 2000, 157 (159), wonach es im ambulanten und stationären Bereich gar keine direkte Festlegung der Leistungsmengen gibt. 1135 Partner der Gesamtverträge sind die Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigungen sowie die für ihren Bezirk zuständigen Landesverbände der Krankenkassen und Verbände der Ersatzkassen (ab 1.7.2008 nur noch die Ersatzkassen selbst), § 83 S. 1 SGB V. 1136 Siehe zur Zusammensetzung § 87 Abs. 3 SGB V. 1133

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nei-1137 und Heilmittelvereinbarungen sowie Richtgrößenvereinbarungen vorgesehen, welche zwischen den Vertragspartnern auf Seiten der Krankenkassen und Vertragsärzte abzuschließen sind (vgl. § 84 SGB V).1138 Die Arznei- und Heilmittelvereinbarungen müssen ein Ausgabenvolumen für alle von den Vertragsärzten nach §§ 31, 32 SGB V veranlaßten Leistungen enthalten (§ 84 Abs. 1 S. 2 Nr. 1, Abs. 8 S. 1 SGB V). In den Richtgrößenvereinbarungen sind arztgruppenspezifische fallbezogene Richtgrößen als Durchschnittswerte festzulegen (§ 84 Abs. 6 S. 1 SGB V). Für den Hilfsmittelbereich sind derartige Budgets und Richtgrößen bislang nicht vorgesehen. Es kann folglich nicht davon gesprochen werden, daß der Gesetzgeber den mengenmäßigen Umfang der von den Krankenkassen zur Erfüllung bestehender Leistungsansprüche nachzufragenden Gesundheitsleistungen selbst festgelegt hat. Für die Leistungshöhe1139 gilt das gleiche: Sie wird vom Gesetzgeber allgemein durch Leistungsgrundsätze vorgegeben. Gemäß § 12 Abs. 1 S. 1 SGB V müssen Leistungen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein, und sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten (vgl. auch § 28 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 Hs. 1 SGB V für die vertragsärztliche und vertragszahnärztliche Versorgung). Qualität und Wirksamkeit der Leistungen haben nach § 2 Abs. 1 S. 3 SGB V dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen. Was aus diesen Grundsätzen im Einzelfall für die Behandlung des Patienten folgt, wie beispielsweise ein konkretes Krankheitsbild therapiert werden kann, überläßt der Gesetzgeber aber dem Gemeinsamen Bundesausschuß1140. Er beschließt die zur Sicherung der ärztlichen Versorgung erforderlichen Richtlinien über die Gewährung für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten (§ 92 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 SGB V). Diese Richtlinien umfassen insbesondere Regelungen über die ärztliche und zahnärztliche Behandlung (§ 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 1, 2 SGB V), die Einführung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden (Nr. 5), die Verordnung von Arznei-, Verband-, Heil- und Hilfsmitteln, Krankenhausbehandlung, häuslicher Krankenpflege und Soziotherapie (Nr. 6), die Verordnung von im Einzelfall gebotenen 1137 Die Arzneimittelvereinbarungen umfassen auch die Versorgung mit Verbandmitteln, vgl. § 84 Abs. 1 S. 1 SGB V. 1138 Siehe P. Wigge, in: Soziale Sicherheit und Wettbewerb, 2001, 79 (84 f.). Vgl. auch K. Engelmann, NZS 2000, 1 (2). 1139 Siehe zum Begriff der Leistungshöhe S. 275. 1140 Der Gemeinsame Bundesausschuß wird gebildet von den Kassenärztlichen Bundesvereinigungen, der Deutschen Krankenhausgesellschaft, den Bundesverbänden der Krankenkassen, der Deutschen Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See und den Verbänden der Ersatzkassen (§ 91 S. 1 SGB V). Ab 1.7.2008 wird der Gemeinsame Bundesausschuß gebildet von den Kassenärztlichen Bundesvereinigungen, der Deutschen Krankenhausgesellschaft und dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen (§ 91 S. 1 SGB V n. F.).

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3. Kap.: Krankenkassen als Unternehmen

Leistungen zur medizinischen Rehabilitation (Nr. 8) sowie über die Verordnung von Krankentransporten (Nr. 12). d) Zwischenergebnis (Qualifizierung von Nachfragetätigkeiten im Rahmen der Leistungserbringung) Ob Nachfragetätigkeiten von Sozialversicherungsträgern zur Erfüllung ihrer sozialen Zwecke wirtschaftlichen Charakter haben und somit geeignet sind, als solche die Unternehmenseigenschaft zu begründen, war bislang nicht Gegenstand von Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes. Bei der die Festsetzung von Festbeträgen für Arzneimittel betreffenden Entscheidung AOK Bundesverband u. a. war für die Beurteilung der Unternehmenseigenschaft maßgeblich, ob das Angebot von Krankenversicherungsleistungen eine wirtschaftliche Tätigkeit darstellt. Auf die Nachfrage nach Arzneimitteln war deshalb nicht abzustellen, weil sich die Festsetzung von Arzneimittelfestbeträgen als Bestimmung des Umfanges des Krankenversicherungsschutzes gegenüber den Versicherten erweist. Auch in der Rechtssache FENIN wurde die Einkaufstätigkeit nicht als solche qualifiziert, sondern ihr wirtschaftlicher Charakter allein von der Beurteilung des Versicherungsangebotes abhängig gemacht. Bisher waren daher immer nur Tätigkeiten auf der angebotsorientierten Versicherungsseite für die Bejahung oder Verneinung der Unternehmenseigenschaft maßgeblich. Auf der Grundlage der vom Europäischen Gerichtshof zur Beurteilung von Tätigkeiten im Bereich der sozialen Sicherheit entwickelten Kriterien war zu prüfen, ob die Nachfrage der Krankenkassen im Rahmen der Leistungserbringung auf dem Grundsatz der Solidarität beruht und/oder sich als bloßer Gesetzesvollzug darstellt. Die für die Angebotsseite vom Europäischen Gerichtshof entwickelten Kriterien zur Beurteilung, ob eine Tätigkeit auf dem Grundsatz der Solidarität beruht, können nicht eins zu eins auf die Nachfrageseite übertragen werden; vielmehr waren Modifizierungen notwendig. Ob die Nachfrage der Krankenkassen nach Gesundheitsleistungen eine unternehmerische Tätigkeit ist, muß – auf der Grundlage des zur Angebotsseite entwickelten Solidaritätsverständnisses – danach beantwortet werden, welcher Umverteilungsgrad bei der Leistungserbringung erreicht wird. Die Untersuchung ergab, daß die Austauschbeziehungen zwischen Krankenkassen und Leistungserbringern nicht von einer Umverteilung geprägt sind und folglich nicht auf dem Solidargrundsatz beruhen. Die Höhe der von den Krankenkassen an die Leistungserbringer zu zahlenden Vergütungen sowie der Umfang der zur Erfüllung bestehender Leistungsansprüche der Versicherten nachzufragenden Gesundheitsleistungen einschließlich ihrer Leistungshöhe (Ausführungsart, Güte und Qualität) sind nicht durch den Gesetzgeber in einer Weise vorgezeichnet, als daß sich die Nachfrage der Kran-

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kenkassen im Rahmen der Leistungserbringung als reiner Gesetzesvollzug darstellte. Vielmehr werden wichtige Entscheidungen im Wege der gesetzlich eingeräumten Selbstverwaltung vorgenommen. Die Untersuchung ergab somit, daß den Krankenkassen bei einer eigenständigen Beurteilung ihrer Nachfragetätigkeiten im Rahmen der Leistungserbringung die Unternehmenseigenschaft im Sinne der Art. 81 ff. EG nicht abgesprochen werden kann. 3. Nachfrage nach sonstigen Gütern und Dienstleistungen Außerhalb der Leistungserbringung fragen Krankenkassen zahlreiche Güter und Dienstleistungen bei Dritten nach. So müssen auch Krankenkassen, wie jedes private Unternehmen, zur Erfüllung ihrer Verwaltungsaufgaben die erforderlichen Sachmittel und Dienstleistungen am Markt gegen Entgelt erwerben. Beispielsweise müssen Büroräume angemietet werden, eine Betriebs- und Geschäftsausstattung (Büromöbel, Dienstfahrzeuge, Computer etc.) sowie unzählige Materialien für die Geschäftsabwicklung beschafft werden. Krankenkassen vergeben ebenso zahlreiche Dienstleistungsaufträge, z. B. an Handwerker, Bauunternehmer und Reinigungsbetriebe. Es handelt sich somit um diejenigen Beschaffungstätigkeiten, die im allgemeinen verwaltungsrechtlichen Schrifttum als fiskalische Hilfsgeschäfte bezeichnet werden.1141 Dies alles vollzieht sich ausschließlich auf der Grundlage privatrechtlicher Verträge; hoheitliche Befugnisse stehen den Krankenkassen in diesem Bereich nicht zu Gebote. Die Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen außerhalb der Leistungserbringung beruht weder auf dem Grundsatz der Solidarität noch stellt sie einen bloßen Gesetzesvollzug dar. Vielmehr vollzieht sie sich nach den gleichen Gesetzmäßigkeiten und Rahmenbedingungen wie bei privaten Unternehmen. Bei einer eigenständigen, d. h. von der Angebotsseite unabhängigen Beurteilung stellt sich diese Nachfrage als eine wirtschaftliche Tätigkeit der Krankenkassen dar, die ihre Unternehmenseigenschaft im Sinne der Art. 81 ff. EG begründet.1142

1141

Vgl. H. Sodan/J. Ziekow, Grundkurs Öffentliches Recht, 2007, § 67 Rn. 21. Vgl. K.-J. Bieback, RsDE Nr. 49 (2001), 1 (11, 13); J. Fante, Die Instrumentalisierung des öffentlichen Beschaffungswesens zur Durchsetzung politischer Ziele, 2004, S. 151 ff.; G. Püttner, Die öffentlichen Unternehmen, 1985, S. 41; W.-H. Roth/T. Ackermann, in: FK Art. 81 Abs. 1 EG-Vertrag Grundfragen Rn. 39 (Stand: November 1999); A. Schäfer, Öffentliche Belange im Auftragswesen und Europarecht, 2003, S. 453 f.; H. Schricker, Wirtschaftliche Tätigkeit der öffentlichen Hand und unlauterer Wettbewerb, 1987, S. 13; vgl. auch C. Engelmann, Kostendämpfung im Gesundheitswesen und EG-Wettbewerbsrecht, 2002, S. 66 f. Speziell zu Krankenkassen U. M. Gassner, VSSR 2000, 121 (138 ff.). A. A. N. Meyer, Die Einbeziehung politischer Zielsetzungen bei der öffentlichen Beschaffung, 2002, S. 132 ff. 1142

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3. Kap.: Krankenkassen als Unternehmen

II. Angebotstätigkeiten Krankenkassen können sowohl Versicherungsleistungen (einschließlich der Vermittlung fremder Versicherungsleistungen) als auch Gesundheitsleistungen anbieten. 1. Angebot von Versicherungsleistungen (Krankenversicherung) Angebotsorientiert betätigen sich die Krankenkassen vornehmlich auf dem Gebiet der Krankenversicherung. In erster Linie gewährleisten Krankenkassen als Träger der gesetzlichen Krankenversicherung eine sog. Krankenvollversicherung, welche einen komplexen Versicherungsschutz beinhaltet, der u. a. Leistungen der ambulanten und stationären Heilbehandlung, Leistungen zur Verhütung und Früherkennung von Krankheiten sowie medizinische und ergänzende Leistungen zur Rehabilitation abdeckt. Der nähere Umfang der zu gewährenden Versicherungsleistungen wird durch den im Dritten Kapitel des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (§§ 11 bis 68 SGB V) verankerten Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung konkretisiert. Die ganz überwiegende Mehrheit der Bevölkerung in der Bundesrepublik Deutschland muß aufgrund gesetzlicher Vorschriften (vgl. §§ 5 ff. SGB V) ihre Krankenvollversicherung von einer Krankenkasse beziehen (Pflichtversicherung).1143 Ein kleiner Bevölkerungsteil hat dagegen die Möglichkeit, sich entweder freiwillig bei einer Krankenkasse zu versichern oder aber eine anderweitige Krankenvollversicherung bei einem privaten Krankenversicherungsunternehmen abzuschließen.1144 1143 Es ist schwierig, den genauen Anteil der Pflichtversicherten zu beziffern, weil verschiedene Sachverhalte unterschiedlich interpretiert werden können: So sind beispielsweise Rentner gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V pflichtversichert, sofern sie der gesetzlichen Krankenversicherung vor Renteneintritt über einen längeren Zeitraum angehörten. Sie können sich aber gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 S. 1 SGB V innerhalb von drei Monaten von der Versicherungspflicht befreien lassen; nach Ablauf dieser Frist müssen sie in der gesetzlichen Krankenversicherung verbleiben. Bei einer entsprechenden Betrachtungsweise könnte man Rentner daher auch zu den „freiwillig“ Versicherten zählen. Ferner gehören – sofern bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind – der gesetzlichen Krankenversicherung auch Personen beitragsfrei gemäß § 10 SGB V an, die selbst nicht versicherungspflichtig sind, aber Familienangehörige von Mitgliedern sind (sog. Familienversicherung). Im Mai 2003 gehörten der gesetzlichen Krankenversicherung 87,9 Prozent der Bevölkerung an; von den gesetzlich Versicherten werden in der Statistik des Statistischen Bundesamtes 56,8 Prozent als Pflichtversicherte, 27,2 Prozent als Familienmitglieder, 23,4 Prozent als Rentner, 5,5 Prozent als freiwillig Versicherte und 0,4 Prozent als sonstige Versicherte ausgewiesen (vgl. Statistisches Bundesamt, Statistisches Jahrbuch 2006, 2006, S. 45). 1144 Im Mai 2003 gehörten 9,7 Prozent der Bevölkerung der privaten Krankenversicherung an, 2,2 Prozent hatten einen sonstigen Versicherungsschutz (z. B. freie Heilfürsorge der Soldaten) und 0,2 Prozent waren überhaupt nicht krankenversichert (vgl.

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Die zunehmende Ausgliederung von Leistungen aus der gesetzlichen Kranken(voll)versicherung führt zu neuen Betätigungsfeldern auf dem benachbarten Gebiet der Zusatzkrankenversicherungen (z. B. Krankentagegeldversicherung, Krankenhaustagegeldversicherung, Entgeltfortzahlungsversicherung, Auslandsreisekrankenversicherung, Versicherungen über Zusatzleistungen wie Einzelbzw. Zweibettzimmer, Chefarztbehandlung, Brillen und Kontaktlinsen). Gemäß § 194 Abs. 1a S. 1 SGB V können Krankenkassen den Abschluß privater Zusatzversicherungsverträge zwischen ihren Versicherten und privaten Krankenversicherungsunternehmen vermitteln. Ferner denken Krankenkassen darüber nach, Zusatzkrankenversicherungen nicht nur zu vermitteln, sondern selbst anzubieten.1145 a) Markt und Wettbewerb als Voraussetzungen wirtschaftlicher Tätigkeit? Bezüglich der Unternehmenseigenschaft von Krankenkassen wird teilweise darauf verwiesen, es existierten in der gesetzlichen Krankenversicherung keine marktmäßigen oder wettbewerblichen Grundstrukturen, weshalb die Anwendbarkeit des Europäischen Wettbewerbsrechts schon von vornherein ausgeschlossen sei.1146 Im folgenden soll untersucht werden, ob das Bestehen eines Marktes und/oder das Vorhandensein von Konkurrenz und Wettbewerb notwendige Voraussetzungen für die Anwendbarkeit der Wettbewerbsregeln sind. Insbesondere könnte nämlich der wirtschaftliche Charakter von solchen Tätigkeiten zu verneinen sein, die sich vollständig außerhalb von marktmäßigen und/oder wettbewerblichen Strukturen abspielen. In diesem Kontext ist ferner zu erörtern, ob die Krankenvollversicherung von den Krankenkassen tatsächlich außerhalb solcher Strukturen angeboten wird. aa) Wirtschaftliche Tätigkeit und Markt Bereits oben wurde bei den allgemeinen Grundsätzen zum Unternehmensbegriff des Europäischen Wettbewerbsrechts festgestellt, daß die Normadressateneigenschaft nicht von einer tatsächlichen oder potentiellen Marktteilnahme geStatistisches Bundesamt, Statistisches Jahrbuch 2006, 2006, S. 45). Siehe Fn. 1143 zum Anteil der freiwillig in der gesetzlichen Krankenversicherung Versicherten. 1145 Vgl. N. Klusen, in: ders./C. Straub (Hrsg.), Bausteine für ein neues Gesundheitswesen, 2003, 167 (179); B. Baron von Maydell, in: GS für M. Heinze, 2005, 584 (588); H. Sodan, GesR 2005, 145 (150). 1146 Vgl. BSGE 91, 263 (265); M. Krajewski, EWS 2004, 256 (264); begrenzt auf den Pflichtversichertenbereich A. S. Bien, Die Einflüsse des europäischen Kartellrechts auf das nationale Gesundheitswesen, 2004, S. 58 ff. sowie R. Giesen, in: Soziale Sicherheit und Wettbewerb, 2001, 123 (129 Fn. 15); bezogen auf die Leistungserbringung V. Neumann, NZS 2002, 561 (564).

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3. Kap.: Krankenkassen als Unternehmen

trennt werden kann. Denn die Gebundenheit einer Person oder Einrichtung an die Wettbewerbsregeln des EG-Vertrags (Art. 81 ff. EG) ist gerade darin begründet, daß die Person oder Einrichtung am Binnenmarkt teilnimmt. Als wirtschaftliche Tätigkeit wurde dementsprechend jedes Verhalten angesehen, welches darin besteht, Güter oder Dienstleistungen auf einem Markt anzubieten oder nachzufragen.1147 Das Erfordernis eines Marktes bestünde auch dann, wenn man der in der Literatur oftmals vorzufindenden Definition folgte, nach der eine wirtschaftliche Tätigkeit jedes Verhalten sei, welches darauf gerichtet ist, Güter oder Dienstleistungen auf einem Markt anzubieten oder nachzufragen1148. Bei der Prüfung der Unternehmenseigenschaft ist jedoch eine genaue Abgrenzung des sachlich, räumlich und ggf. zeitlich relevanten Marktes1149 nicht erforderlich, da es für die Normadressateneigenschaft einer Person oder Einrichtung keine Rolle spielt, auf welchem konkreten Einzelmarkt eine Leistung angeboten oder nachgefragt wird.1150 Auf dieser Grundlage müßten die Krankenkassen die Kranken(voll)versicherung auf einem Markt anbieten, um diese Tätigkeit als eine wirtschaftliche qualifizieren zu können. Es versteht sich von selbst, daß Angebot oder Nachfrage nicht auf einem vollkommenen Markt wirksam werden müssen, denn das Wettbewerbsrecht bezweckt ja gerade, unvollkommene und vermachtete Märkte aufzubrechen und Spielregeln vorzugeben, wenn Marktkräfte dazu neigen, Wettbewerb auszuschalten. Fraglich kann sein, ob gesetzlich auferlegte Benutzungs- und Kontrahierungszwänge oder hier die Versicherungspflicht weiter Teile der Bevölkerung das Vorhandensein eines Marktes im wettbewerbsrechtlichen Sinne ausschließen. Vielfach werden nämlich mit einem marktbezogenen Anbieten oder Nachfragen von Gütern oder Dienstleistungen gewisse Handlungs- und Auswahlmöglichkeiten der Marktteilnehmer assoziiert.1151 Krankenkassen und Pflichtversicherten

1147

Siehe S. 63 ff. sowie für potentielle Unternehmen S. 66. Vgl. dazu S. 63. 1149 Vgl. zur Abgrenzung des sachlich, räumlich und zeitlich relevanten Marktes die Bekanntmachung der Kommission über die Definition des relevanten Marktes im Sinne des Wettbewerbsrechts der Gemeinschaft, ABl. EG 1997 Nr. C 372/5 sowie D. Dirksen, in: Langen/Bunte II Artikel 82 [Mißbrauch einer marktbeherrschenden Stellung] Rn. 17 ff.; W. Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, WettbR EG/1 Art. 82 EGV Rn. 38 ff.; H. Wendland, in: W. Büchner/J. Ehmer/M. Geppert/B. Kerkhoff/H.-J. Piepenbrock/R. Schütz/F. Schuster (Hrsg.), Beck’scher TKG-Kommentar, 2000, Vor § 33 Rn. 23 ff. 1150 Vgl. S. 66 f. 1151 Vgl. A. S. Bien, Die Einflüsse des europäischen Kartellrechts auf das nationale Gesundheitswesen, 2004, S. 58 f. und 62, nach der eine Marktteilnahme Wettbewerb voraussetzt; M. Krajewski, EWS 2004, 256 (264); V. Neumann, in: G. Igl (Hrsg.), Das Gesundheitswesen in der Wettbewerbsordnung, 2000, 101 (103 f.), der bei fehlendem Wettbewerb das Vorhandensein eines Marktes verneint; ders., NZS 2002, 561 (564). 1148

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verbleiben hinsichtlich des Eingehens eines Versicherungsverhältnisses keine Verhandlungsspielräume.1152 Aus Art. 86 Abs. 1 EG kann entnommen werden, daß die Wettbewerbsregeln des EG-Vertrags auch für Unternehmen gelten, denen die Mitgliedstaaten „besondere oder ausschließliche Rechte“ gewährt haben. „Ausschließliche Rechte liegen vor, wenn der Mitgliedstaat bestimmte wirtschaftliche Tätigkeiten einem oder mehreren Unternehmen vorbehält und andere von diesen Tätigkeiten ausschließt.“1153 Die Gewährung von ausschließlichen Rechten im Sinne des Art. 86 Abs. 1 EG geht daher regelmäßig mit der Schaffung eines Monopols einher. Gesetzlich angeordnete monopolistische Strukturen schließen somit nach der inneren Systematik der Wettbewerbsregeln die Unternehmenseigenschaft nicht aus.1154 In Art. 86 Abs. 2 S. 1 EG wird das Finanzmonopol (z. B. Branntwein-, Tabak- oder Zündwarenmonopol) ausdrücklich als Unternehmen anerkannt. Fehlende Handlungs- und Auswahlmöglichkeiten der Nachfrager und Anbieter können dann folglich auch nicht das Vorhandensein eines Marktes im wettbewerbsrechtlichen Sinne in Frage stellen. Die gesetzlich angeordnete Pflichtmitgliedschaft von Arbeitnehmern in niederländischen Betriebsrentenfonds bzw. von Fachärzten in einem Berufsrentenfonds hinderte den Gerichtshof somit nicht, die Unternehmenseigenschaft der jeweiligen Verwaltungseinrichtungen zu bejahen.1155 Wettbewerbsrechtlich sind demzufolge an das Bestehen eines Marktes keine besonderen Anforderungen zu stellen. Ein Markt ist der Ort, an dem Angebot und Nachfrage zusammentreffen; ob sie freiwillig zusammentreffen ist unbeachtlich. Auf dem Markt erfolgt ein Austausch von Gütern oder Dienstleistungen. Das bedeutet zum einen, daß die Güter gegenüber einem anderen Wirtschaftssubjekt angeboten oder nachgefragt werden müssen; interne Vorgänge 1152

Vgl. §§ 5, 176 Abs. 1 S. 2 SGB V. R. Bechtold/W. Bosch/I. Brinker/S. Hirsbrunner, EG-Kartellrecht – Kommentar, 2005, Art. 86 EG Rn. 25 – Hervorhebungen vom Verfasser weggelassen. 1154 Vgl. EuGH, Urt. v. 19.5.1993, Rs. C-320/91, Slg. 1993, I-2533 Rn. 8 – Corbeau (Sammeln, Befördern, Verteilen von Postsendungen); Urt. v. 17.5.1994, Rs. C-18/ 93, Slg. 1994, I-1783 Rn. 39 f. – Corsica Ferries (Lotsendienste im Hafen); Urt. v. 11.12.1997, Rs. C-55/96, Slg. 1997, I-7119 Rn. 23 ff. – Job Centre (Arbeitsvermittlung); Urt. v. 18.6.1998, Rs. C-266/96, Slg. 1998, I-3949 Rn. 39 – Corsica Ferries France (Fest- und Losmacherdienste im Hafen); Urt. v. 21.9.1999, Rs. C-67/96, Slg. 1999, I-5751 Rn. 90 – Albany (Pflichtmitgliedschaft in einem Betriebsrentenfonds); Urt. v. 8.6.2000, Rs. C-258/98, Slg. 2000, I-4217 Rn. 17 – Carra u. a. (Arbeitsvermittlung); Kommission, Entscheidung v. 21.10.1997, ABl. EG 1997 Nr. L 301/27 Rn. 8 – Lotsentarife im Hafen von Genua. 1155 EuGH, Urt. v. 21.9.1999, Rs. C-67/96, Slg. 1999, I-5751 Rn. 87, 90 – Albany; Urt. v. 21.9.1999, verb. Rs. C-115/97 bis C-117/97, Slg. 1999, I-6025 Rn. 87, 90 – Brentjens’ Handelsonderneming; Urt. v. 21.9.1999, Rs. C-219/97, Slg. 1999, I-6121 Rn. 77, 80 – Drijvende Bokken; Urt. v. 12.9.2000, verb. Rs. C-180/98 bis C-184/98, Slg. 2000, I-6451 Rn. 119, 122 – Pavlov u. a. 1153

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3. Kap.: Krankenkassen als Unternehmen

stellen kein Marktgeschehen dar. Bis auf wenige Ausnahmen (z. B. Rundfunkmarkt1156) bedeutet dies ferner, daß grundsätzlich zwei entgegengesetzte Leistungsrichtungen existieren, d. h. im Regelfall einer Leistung eine Gegenleistung (Entgelt) korrespondiert.1157 Diese Voraussetzungen sind für die Kranken(voll)versicherung auch im Pflichtversicherungssystem erfüllt, denn die Versicherungsbeiträge stellen die den Krankenkassen zufließende Gegenleistung der Versicherten dar1158. Dieser Zusammenhang besteht auch weiter fort, wenn ab dem 1.1.2009 die Krankenkassen als Einzugsstellen die Krankenversicherungsbeiträge ihrer Versicherten gemäß § 28i S. 1 SGB IV, § 28k Abs. 1 S. 1 letzter Hs. SGB IV n. F. zunächst an den Gesundheitsfonds (§ 271 SGB V n. F.) weiterleiten müssen, um aus diesem anschließend Zuweisungen nach §§ 266, 270 SGB V n. F. zurückzuerhalten. Die Kranken(voll)versicherung wird daher innerhalb marktmäßiger Strukturen von den Krankenkassen angeboten.1159 bb) Wirtschaftliche Tätigkeit und Wettbewerb Der wirtschaftliche Charakter von Tätigkeiten, die vollständig außerhalb von wettbewerblichen Strukturen, d. h. konkurrenzlos ausgeübt werden, könnte zu verneinen sein. Deshalb soll zunächst die Wettbewerbslage der Krankenkassen im Bereich der Krankenvollversicherung darstellt werden. Danach ist zu untersuchen, ob fehlender Wettbewerb die Unternehmenseigenschaft bzw. die Anwendbarkeit des Europäischen Wettbewerbsrechts ausschließen kann. (1) Wettbewerbslage der Krankenkassen im Bereich der Krankenvollversicherung Die Krankenkassen könnten im Bereich der Krankenvollversicherung sowohl untereinander im Wettbewerb stehen, als auch mit privaten Krankenversicherungsunternehmen um Versicherte konkurrieren. (a) Wettbewerb unter den Krankenkassen (Kassenwettbewerb) Ursprünglich beruhte die Krankenkassenmitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung auf einer festen Zuordnung von Versicherten zu bestimmten Krankenkassen.1160 Hinsichtlich der Kassenzugehörigkeit gab es nur be1156

Siehe dazu S. 75 ff. Vgl. S. 91 ff. 1158 Vgl. D. Stelzer, SozVers 2000, 141 (144). 1159 So im Ergebnis auch W. Gitter/P. Oberender, Möglichkeiten und Grenzen des Wettbewerbs in der Gesetzlichen Krankenversicherung, 1987, S. 42 f.; A. Hänlein, NZS 2003, 617 (619 ff.); H. Sodan, GesR 2005, 145 (149). 1160 B. Schmidt, NJW 2004, 2628. 1157

C. Qualifizierung der verschiedenen Tätigkeiten von Krankenkassen

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schränkte Wahlmöglichkeiten für freiwillig Versicherte (vgl. § 185 SGB V a. F.); ferner konnten Versicherungspflichtige und im einzelnen bestimmte besondere Personengruppen zwischen einer Mitgliedschaft in der zuständigen Primärkasse oder in einer Ersatzkasse wählen, wenn sie dem durch Satzung festgelegten Versichertenkreis der Ersatzkasse angehörten (vgl. §§ 168, 183 Abs. 1 S. 1, § 184 SGB V a. F.). Für die Vielzahl der gesetzlich Versicherten bestand keinerlei Möglichkeit, ihre Krankenkasse zu wählen.1161 Durch das Gesetz zur Sicherung und Strukturverbesserung der gesetzlichen Krankenversicherung (Gesundheitsstrukturgesetz) vom 21.12.19921162 hat der Gesetzgeber ab 1.1. 1996 Mitgliedschaftsbeschränkungen weitgehend aufgehoben.1163 Seitdem können „alle Versicherungspflichtigen und Versicherungsberechtigten zwischen Ortskrankenkassen, allen Ersatzkassen, allen Betriebs- und Innungskrankenkassen, die sich durch Satzungsregelung geöffnet haben, der letzten Krankenkasse oder der Krankenkasse des Ehegatten wählen“1164 (vgl. § 173 Abs. 2 SGB V). Die Mitgliedschaft Versicherungspflichtiger und Versicherungsberechtigter entsteht „nicht mehr durch Zwangszuweisung zu bestimmten Krankenkassen, sondern durch die Ausübung ihres Wahlrechts“1165 (vgl. § 173 Abs. 1 SGB V).1166 Feste Zuordnungen bestehen ausnahmsweise noch für die See-Krankenkasse1167 sowie die landwirtschaftlichen Krankenkassen1168, welche berufsspezifisch ausgerichtet sind. Die Deutsche Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See nimmt seit dem 1.4.2007 am Kassenwettbewerb im Rahmen des Wahlrechts der Versicherten gemäß § 173 Abs. 2 S. 1 Nr. 4a SGB V teil.1169 Eine berufsspezifi-

1161 U. Becker, in: Soziale Sicherheit und Wettbewerb, 2001, 7 (8 f.); N. Klusen, in: ders./C. Straub (Hrsg.), Bausteine für ein neues Gesundheitswesen, 2003, 167 (168). Vgl. zur Rechtslage unter Geltung der Reichsversicherungsordnung W. Gitter/P. Oberender, Möglichkeiten und Grenzen des Wettbewerbs in der Gesetzlichen Krankenversicherung, 1987, S. 46 ff. 1162 BGBl. I 2266. 1163 S. Weber, in: W. Boecken/A. Hänlein/J. Kruse/H.-D. Steinmeyer, Öffentliche und private Sicherung gegen soziale Risiken, 2000, 93 (95 f.). 1164 BT-Drucks. 12/3608 S. 112. Siehe zu den Einflußmöglichkeiten des Arbeitgebers auf die Kassenwahl des versicherten Arbeitnehmers E. Eichenhofer, RdA 2006, 203 ff. Siehe näher zur Wählbarkeit geöffneter Betriebs- und Innungskrankenkassen F. E. Schnapp, NZS 2004, 113 ff. 1165 BT-Drucks. 12/3608 S. 113. 1166 Vgl. zur Ausübung des Wahlrechts § 175 SGB V sowie A. Kokemoor, SGb 2003, 433 (434 ff.); B. Schmidt, NJW 2004, 2628 ff. 1167 Vgl. § 176 SGB V. 1168 Vgl. § 19 des Zweiten Gesetzes über die Krankenversicherung der Landwirte vom 20.12.1988 (BGBl. I 2477). 1169 Vgl. BT-Drucks. 16/3100 S. 157. Die ursprünglich auch für die See-Krankenkasse geplante Öffnung wurde im weiteren Gesetzgebungsverfahren aufgegeben, vgl. BT-Drucks. 16/4200 S. 97.

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3. Kap.: Krankenkassen als Unternehmen

sche Zuordnung (knappschaftliche Krankenversicherung) galt bis dahin auch für diesen Träger der gesetzlichen Krankenversicherung.1170 Mit der Einführung des Kassenwahlrechts war eine Systementscheidung für den Kassenwettbewerb1171 verbunden, da sich die Krankenkassen nun nicht mehr auf eine gesetzliche Mitgliederzuweisung verlassen konnten.1172 Die Krankenkassen verfügen im Wettbewerb untereinander aber nur über eng begrenzte Handlungsspielräume, so daß sich der Kassenwettbewerb um Versicherte auf wenige Wettbewerbsparameter beschränkt.1173 Nur im Randbereich können sich die Krankenkassen hinsichtlich des angebotenen Leistungsumfanges unterscheiden.1174 So sind beispielsweise Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung als häusliche Krankenpflege mögliche Satzungsleistungen (Mehrleistungen).1175 Im großen und ganzen ist der Katalog der Versicherungsleistungen sozialrechtlich festgeschrieben.1176 Eine gewisse Unterscheidung hinsichtlich des Leistungsumfanges wird den Krankenkassen seit dem 1.4.2007 dadurch ermöglicht, daß sie nach § 53 Abs. 4 SGB V Wahl1170 Vgl. auch § 167 S. 1 SGB V a. F. und § 177 Abs. 1 SGB V a. F. in Verbindung mit §§ 133, 273 SGB VI. 1171 Siehe dazu ausführlich K.-H. Mühlhausen, Der Mitgliederwettbewerb innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung, 2002. 1172 Vgl. U. Becker, in: G. Igl (Hrsg.), Das Gesundheitswesen in der Wettbewerbsordnung, 2000, 53 (54 f.); ders., in: Soziale Sicherheit und Wettbewerb, 2001, 7 (9 ff.); G. Haverkate, VSSR 1999, 177 (182); N. Klusen, in: ders./C. Straub (Hrsg.), Bausteine für ein neues Gesundheitswesen, 2003, 167 (168 ff.); H. Köhler, NZS 1998, 153 (154); A. Kokemoor, SGb 2003, 433; K.-H. Mühlhausen, Der Mitgliederwettbewerb innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung, 2002, S. 29; R. P. Schenke, WiVerw 2006, 34 (35); B. Schmidt, NJW 2004, 2628; K.-P. Schultz, NZS 1998, 269 (271); J.-M. von Stackelberg, VSSR 1999, 207; D. Stelzer, SozVers 2000, 141 (150). Siehe auch BT-Drucks. 12/3608 S. 68 f.; D. Neumann, Kartellrechtliche Sanktionierung von Wettbewerbsbeschränkungen im Gesundheitswesen, 2000, S. 38; S. Weber, in: W. Boecken/A. Hänlein/J. Kruse/H.-D. Steinmeyer, Öffentliche und private Sicherung gegen soziale Risiken, 2000, 93 (98). Siehe auch zu den Mitglieder- und Marktanteilverlusten der Allgemeinen Ortskrankenkassen nach Einführung des Kassenwettbewerbs W. Schneider, in: AOK Hessen (Hrsg.), Solidarität im Wettbewerb – ein Widerspruch?, 2001, 33 (36 f.). Vgl. aber auch zu den Wettbewerbsansätzen im vorherigen Recht W. Gitter/P. Oberender, Möglichkeiten und Grenzen des Wettbewerbs in der Gesetzlichen Krankenversicherung, 1987, S. 41 ff. 1173 U. Becker, in: Soziale Sicherheit und Wettbewerb, 2001, 7 (12 f.). 1174 S. Sell, in: AOK Hessen (Hrsg.), Solidarität im Wettbewerb – ein Widerspruch?, 2001, 16 (25). Vgl. auch U. Ramsauer, NZS 2006, 505. 1175 § 37 Abs. 2 S. 4 SGB V. Schutzimpfungen als medizinische Vorsorgeleistungen konnten bis zum 31.3.2007 als Satzungsleistungen angeboten werden (§ 23 Abs. 9 SGB V a. F.) und sind nun Bestandteil des Pflichtleistungskataloges (§ 20d SGB V). 1176 Vgl. BSGE 89, 227 (231), wonach eine Krankenkasse Satzungsleistungen überhaupt nur einführen darf, wenn und soweit sie das Fünfte Buch Sozialgesetzbuch hierzu ausdrücklich ermächtigt; G. Haverkate, VSSR 1999, 177 (186).

C. Qualifizierung der verschiedenen Tätigkeiten von Krankenkassen

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tarife für Kostenerstattung anbieten dürfen. Statt einer Sachleistung erhält der Versicherte in einem solchen Tarif eine Kostenerstattung, deren Höhe (beispielsweise bis zum 2,3-fachen oder 3,5-fachen1177 Satz nach der Gebührenordnung für Ärzte bzw. Zahnärzte) von den Krankenkassen variabel gestaltet werden darf (vgl. § 53 Abs. 4 S. 2 SGB V).1178 Dafür muß der Versicherte aber auch gesonderte Prämien bezahlen, um den finanziellen Mehraufwand seiner Krankenkasse auszugleichen. Jedoch ist hierbei zu beachten, daß die Kostenerstattung allein die Sachleistung ersetzt. Wofür es eine Kostenerstattung gibt, hängt somit weiterhin vom Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung ab, der eben im großen und ganzen sozialrechtlich determiniert bleibt. Der neue Wahltarif nach § 53 Abs. 4 SGB V gibt den Krankenkassen somit nicht die Möglichkeit, sich hinsichtlich der versicherten Risiken und der für eine Kostenerstattung in Frage kommenden Gesundheitsleistungen voneinander zu unterscheiden. Größere Einflußmöglichkeiten haben die Krankenkassen dagegen auf den Beitragssatz, den sie bisher noch selbst festlegen können (§ 241 S. 1 SGB V); deshalb konkurrieren die Krankenkassen hauptsächlich über den Preis um Versicherte.1179 Der Preiswettbewerb besteht im wesentlichen darin, das gesetzliche Leistungsspektrum zu einem möglichst günstigen Preis anzubieten.1180 Durch diesen Wettbewerb sind die Kassen gezwungen, ihre Kostenstrukturen zu optimieren. Der gesetzlich angeordnete Risikostrukturausgleich unter den Krankenkassen (vgl. § 266 SGB V) begrenzt aber die Möglichkeiten einer Krankenkasse, sich preislich von anderen Krankenkassen deutlich abzusetzen.1181 Mit dem Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz – GKV-WSG) vom 26.3.20071182 hat

1177

Vgl. R. Winkel, SozSich 2007, 110 (112). Vgl. BT-Drucks. 16/3100 S. 108 f. 1179 Vgl. E. Knappe, in: W. Schmähl (Hrsg.), Möglichkeiten und Grenzen einer nationalen Sozialpolitik in der Europäischen Union, 2001, 137 (153); A. Kokemoor, SGb 2003, 433; R. Pitschas, in: S. Empter/H. Sodan (Hrsg.), Markt und Regulierung, 2003, 106 (112); U. Ramsauer, NZS 2006, 505; S. Sell, in: AOK Hessen (Hrsg.), Solidarität im Wettbewerb – ein Widerspruch?, 2001, 16 (25); J. Wasem, in: J. W. Pichler (Hrsg.), Pflichtversicherung oder Versicherungspflicht in der Krankenversicherung, 2001, 25 (28 f.). Siehe auch die Schlußanträge des Generalanwalts Francis G. Jakobs v. 22.5. 2003, verb. Rs. C-264/01, C-306/01, C-354/01 und C-355/01, Slg. 2004, I-2493 Tn. 28 – AOK Bundesverband u. a. Siehe ferner S. Weber, in: W. Boecken/A. Hänlein/J. Kruse/H.-D. Steinmeyer, Öffentliche und private Sicherung gegen soziale Risiken, 2000, 93 (99): „Ein wesentliches Motiv für einen Kassenwechsel scheint in den vergangenen Jahren die Höhe des Beitragssatzes gewesen zu sein“. 1180 U. Becker, in: G. Igl (Hrsg.), Das Gesundheitswesen in der Wettbewerbsordnung, 2000, 53 (56). 1181 Vgl. auch H. Sodan/O. Gast, NZS 1999, 265 (270 f.). 1182 BGBl. I 378. 1178

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3. Kap.: Krankenkassen als Unternehmen

der Gesetzgeber die kassenabhängigen Beitragssätze ab dem 1.1.2009 abgeschafft. Der Beitragssatz wird ab diesem Zeitpunkt von der Bundesregierung durch Rechtsverordnung einheitlich für alle Krankenkassen festgelegt (vgl. § 241 Abs. 2, § 243 Abs. 2 S. 1 SGB V n. F.). Die Krankenkassen können dann aber einen kassenindividuellen Zusatzbeitrag erheben, welcher auf ein Prozent der beitragspflichtigen Einnahmen eines Versicherten begrenzt ist (§ 242 SGB V n. F.). In der Literatur wird vertreten, mit diesem neuen Steuerungsinstrument werde den Versicherten die wirtschaftliche Situation ihrer Krankenkasse klarer vor Augen geführt, als dies unterschiedliche Beitragssätze vermochten; das neue Anreizsystem könnte daher in größerem Umfang als bisher die Reaktion eines Kassenwechsels hervorrufen.1183 Weiterhin haben die Krankenkassen bezogen auf die Beiträge verschiedene, gesetzlich eingeräumte Gestaltungsmöglichkeiten. Schon vor dem 1.4.2007 konnten sie in ihren Satzungen für freiwillig Versicherte Tarife mit Beitragsrückgewähr1184 bei Leistungsfreiheit (§ 54 SGB V a. F.) oder Selbstbehalten mit Beitragsminderung (§ 53 SGB V a. F.) vorsehen. Seit dem 1.4.2007 sind solche Tarifmodelle auch für Pflichtversicherte möglich, wobei aufgrund der zukünftig bundeseinheitlichen Beitragssätze eine Beitragsermäßigung technisch über Prämienzahlungen der Krankenkassen erreicht wird (vgl. § 53 Abs. 2, 3 SGB V)1185. Die Prämienzahlung darf im Falle der Leistungsfreiheit jedoch ein Zwölftel der jeweils im Kalenderjahr gezahlten Beiträge nicht überschreiten (§ 53 Abs. 2 S. 2 Hs. 1 SGB V). Im Falle der Inkaufnahme von Selbstbehalten liegt die Grenze im Regelfall bei 20 Prozent der im Kalenderjahr getragenen Beiträge, jedoch nicht mehr als 600 Euro (§ 53 Abs. 8 S. 4 SGB V). Auch können die Krankenkassen einen Bonus (in der Regel Zuzahlungsbefreiungen1186) für gesundheitsbewußtes Verhalten einführen (§ 65a SGB V).1187 Die Prämienzahlungen wirken sich mittelbar auf den für den Versicherungsschutz zu zahlenden Preis aus. Allerdings läßt sich zum einen nicht voraussehen, ob die 1183

Vgl. R. Schlegel, SozSich 2006, 378 (379). Vgl. T. Kingreen, MedR 2004, 188 (190), der in Beitragsrückerstattungsregelungen ein Einfallstor für die Anwendbarkeit des Wettbewerbsrechts sieht, weil sie die solidarische Ausgestaltung der Krankenversicherung in Frage stellten. 1185 Vgl. BT-Drucks. 16/3100 S. 108. 1186 Vgl. BT-Drucks. 15/1170 S. 73. 1187 Diese aufgeführten spezifischen Wettbewerbsinstrumente (Beitragsrückgewähr, Beitragsminderung und Bonus) wurden bereits durch das Zweite Gesetz zur Neuordnung von Selbstverwaltung und Eigenverantwortung in der gesetzlichen Krankenversicherung vom 23.6.1997 (BGBl. I 1520) eingeführt, aber schon mit dem Gesetz zur Stärkung der Solidarität in der gesetzlichen Krankenversicherung vom 19.12.1998 (BGBl. I 3853) wieder abgeschafft. Durch das Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Modernisierungsgesetz – GMG) vom 14.11.2003 (BGBl. I 2190) sind diese Instrumente dann wieder eingeführt worden. Vgl. zu den Wahlmöglichkeiten für Versicherte bei den Leistungen und Beiträgen U. Orlowski/ J. Wasem, Gesundheitsreform 2004, 2003, S. 13 ff. 1184

C. Qualifizierung der verschiedenen Tätigkeiten von Krankenkassen

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Prämienzahlung bzw. Preisminderung im Kalenderjahr tatsächlich realisiert werden kann, denn dies hängt davon ab, ob Leistungsfreiheit eintritt bzw. bei einem Selbstbehalt keine Kosten vom Versicherten selbst getragen werden müssen. Ergänzend findet Wettbewerb unter den Krankenkassen auch über die Parameter Service, Beratung und Qualität statt,1188 welche aber empirisch schwer zu messen und zu vergleichen sind. Zwar läßt sich der Zweck der Einführung eines verstärkten Kassenwettbewerbs durch das 1992 verabschiedete Gesundheitsstrukturgesetz der Gesetzentwurfsbegründung1189 nicht ausdrücklich entnehmen. Rechtsprechung und Literatur erblicken aber den vom Gesetzgeber verfolgten Hauptzweck zutreffend darin, die Effizienz und Effektivität des Sozialversicherungssystems zu erhöhen, insbesondere durch die Ausschöpfung von Rationalisierungsreserven.1190 Ein Wille, die gesetzliche Krankenversicherung insgesamt zu einem marktwirtschaftlichen System umzuformen, kann dem Gesetzgeber sicherlich nicht unterstellt werden.1191 Daran anknüpfend wird in der Literatur vertreten, dem Zweck der Einführung von Wettbewerbselementen komme maßgebliche Bedeutung dafür zu, ob die Wettbewerbsregeln der Art. 81 ff. EG anzuwenden sind. Mache der nationale Gesetzgeber deutlich, daß die Krankenkassen lediglich zu größerer Wirtschaftlichkeit angehalten werden sollen, könne er die Krankenkassen „vor der Anwendung des gemeinschaftlichen Wettbewerbsrechts bewahren“.1192 Da der Wettbewerb unter den Krankenkassen nicht bezwecke, eine optimale Ressourcenallokation herbeizuführen, sei der Kassenwettbewerb gar kein Anbieterwettbewerb.1193 Der Wettbewerb zwischen den Krankenkassen betreffe nur Tätigkeitsfelder, die privaten Unternehmen verschlossen seien, berühre also keine individuellen Freiheitssphären und stelle insofern einen Wettbewerb eigener Art dar, der instrumentalen Charakter habe.1194 Im folgenden wird – nach

1188

Vgl. A. Kokemoor, SGb 2003, 433. BT-Drucks. 12/3608. 1190 Vgl. BSGE 82, 78 (81 f.); 90, 231 (265); U. Becker, in: G. Igl (Hrsg.), Das Gesundheitswesen in der Wettbewerbsordnung, 2000, 53 (54 f.); ders., in: Soziale Sicherheit und Wettbewerb, 2001, 7 (15 f.); A. S. Bien, Die Einflüsse des europäischen Kartellrechts auf das nationale Gesundheitswesen, 2004, S. 58; N. Klusen, in: ders./ C. Straub (Hrsg.), Bausteine für ein neues Gesundheitswesen, 2003, 167 (170 f.); M. Krajewski, EWS 2004, 256 (265). Siehe auch EuGH, Urt. v. 16.3.2004, verb. Rs. C-264/01, C-306/01, C-354/01 und C-355/01, Slg. 2004, I-2493 Rn. 56 – AOK Bundesverband u. a. 1191 Vgl. M. Krajewski, EWS 2004, 256 (265). 1192 Vgl. M. Krajewski, EWS 2004, 256 (265). 1193 A. S. Bien, Die Einflüsse des europäischen Kartellrechts auf das nationale Gesundheitswesen, 2004, S. 58 f. 1194 U. Becker, in: G. Igl (Hrsg.), Das Gesundheitswesen in der Wettbewerbsordnung, 2000, 53 (64, 74 f.); ders., in: Soziale Sicherheit und Wettbewerb, 2001, 7 (18 f.). 1189

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3. Kap.: Krankenkassen als Unternehmen

Darstellung der Wettbewerbslage zwischen Krankenkassen und privaten Krankenversicherungsunternehmen – zu klären sein, ob die vom Gesetzgeber mit dem Kassenwettbewerb verfolgten Zwecke für die Frage der Anwendbarkeit der Wettbewerbsregeln des EG-Vertrags überhaupt eine Rolle spielen. Anzumerken ist hier, daß in Randnummer 56 der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes in der Rechtssache AOK Bundesverband u. a. Aussagen enthalten sind, die leicht in der Weise mißverstanden werden könnten, der Gerichtshof vertrete ebenfalls die Ansicht, aufgrund der vom Gesetzgeber verfolgten Zwecke des Kassenwettbewerbs sei die Unternehmenseigenschaft von Krankenkassen zu verneinen. Tatsächlich wird dort aber nur ausgesagt, der Kassenwettbewerb und seine Ziele änderten nichts daran, die Unternehmenseigenschaft deshalb zu verneinen, weil die Tätigkeit der Krankenkassen auf dem Solidaritätsgrundsatz beruhe.1195 Der Kassenwettbewerb und sein Zweck waren somit für die Qualifizierung der Krankenkassentätigkeit gar nicht ausschlaggebend. (b) Wettbewerb zwischen Krankenkassen und privaten Krankenversicherungsunternehmen Angebotswettbewerb auf einem Markt setzt voraus, daß die verschiedenen angebotenen Produkte oder Dienstleistungen aus Sicht der Nachfrager hinsichtlich ihrer Eigenschaften, Preise und ihres vorgesehenen Verwendungszweckes austauschbar sind. Ist eine solche Austauschbarkeit aus Sicht der Marktgegenseite zu bejahen, gehören die Leistungen demselben sachlich relevanten Markt an.1196 Wettbewerb zwischen Krankenkassen und privaten Krankenversiche1195 EuGH, Urt. v. 16.3.2004, verb. Rs. C-264/01, C-306/01, C-354/01 und C-355/ 01, Slg. 2004, I-2493 Rn. 56 – AOK Bundesverband u. a.: „Der Spielraum, über den die Krankenkassen verfügen, um ihre Beitragssätze festzulegen und einander einen gewissen Wettbewerb um Mitglieder zu liefern, zwingt nicht zu einer anderen Betrachtung. Wie sich nämlich aus den vor dem Gerichtshof abgegebenen Erklärungen ergibt, hat der Gesetzgeber bei den Beiträgen ein Wettbewerbselement eingeführt, um die Krankenkassen zu veranlassen, im Interesse des ordnungsgemäßen Funktionierens des deutschen Systems der sozialen Sicherheit ihre Tätigkeit nach den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit auszuüben, d. h. so effizient und kostengünstig wie möglich. Die Verfolgung dieses Zieles ändert nichts an der Natur der Tätigkeit der Krankenkassen.“ 1196 Kommission, Bekanntmachung über die Definition des relevanten Marktes im Sinne des Wettbewerbsrechts der Gemeinschaft, ABl. EG 1997 Nr. C 372/5 Rn. 7; R. Bechtold/W. Bosch/I. Brinker/S. Hirsbrunner, EG-Kartellrecht – Kommentar, 2005, Art. 81 EG Rn. 66, Art. 82 EG Rn. 5 ff.; D. Dirksen, in: Langen/Bunte II Artikel 82 [Mißbrauch einer marktbeherrschenden Stellung] Rn. 19 f.; T. Kingreen, MedR 2004, 188 (195); W. Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, WettbR EG/1 Art. 82 EGV Rn. 43 ff.; H. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze II Artikel 82 EG Rn. 124; H. Wendland, in: W. Büchner/J. Ehmer/M. Geppert/B. Kerkhoff/H.-J. Piepenbrock/R. Schütz/F. Schuster (Hrsg.), Beck’scher TKG-Kommentar, 2000, Vor § 33 Rn. 23 ff. Siehe auch Fn. 193.

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rungsunternehmen ist somit nur dort denkbar, wo Personen die Möglichkeit besitzen, zwischen der gesetzlichen oder einer privaten Krankenversicherung zu wählen. Eine solche Wahlmöglichkeit besteht einerseits nicht für diejenigen Personen, welche aufgrund der Erfüllung von gesetzlich fixierten Tatbestandsmerkmalen Pflichtversicherte in der gesetzlichen Krankenversicherung sind (vgl. § 5 ff. SGB V) und sich auch nicht auf Antrag von der Versicherungspflicht befreien lassen können (vgl. § 8 SGB V). Zu diesem Personenkreis gehören insbesondere Arbeiter und Angestellte, deren regelmäßiges Jahresarbeitsentgelt die Jahresarbeitsentgeltgrenze des § 6 Abs. 6 SGB V (derzeit 47.700 Euro1197) nicht übersteigt.1198 Andererseits besteht eine Wahlmöglichkeit zwischen gesetzlicher und privater Krankenversicherung ebensowenig für Personen, welche sich bei privaten Krankenversicherungsunternehmen versichern müssen, weil ihnen der Zugang zur gesetzlichen Krankenversicherung versperrt ist. Eine solche Zugangssperre existiert für Personen, die nicht pflichtversichert sind (vgl. § 6 SGB V) und sich auch nicht freiwillig in der gesetzlichen Krankenversicherung versichern dürfen (vgl. § 9 SGB V). Dazu zählen insbesondere Selbständige und Beamte, aber auch Personen, die nach Vollendung des 55. Lebensjahres versicherungspflichtig werden, wenn sie in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Versicherungspflicht nicht gesetzlich versichert waren (§ 6 Abs. 3a S. 1 SGB V).1199 Ein Wettbewerb zwischen Krankenkassen und privaten Krankenversicherungsunternehmen kommt daher nur um solche Personen zustande, die der gesetzlichen Krankenversicherung freiwillig angehören dürfen (vgl. § 9 SGB V), denn sie können sich aussuchen, bei wem sie sich versichern.1200 Darüber hinaus sind u. U. diesem Wettbewerb auch Pflichtversicherte zuzurechnen, die imstande sind, sich auf Antrag von der Versicherungspflicht befreien zu lassen (vgl. § 8 SGB V).1201 Bezogen auf diese Nachfrager sind die Angebote der ge1197 Vgl. § 4 Abs. 1 des Gesetzes über maßgebende Rechengrößen der Sozialversicherung für 2007 (Sozialversicherungs-Rechengrößengesetz 2007) vom 1.12.2006 (BGBl. I 2742, 2746). 1198 § 5 Abs. 1 Nr. 1, § 6 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 6 SGB V. Vgl. zur verfassungsrechtlich zulässigen Höhe der Versicherungspflichtgrenze H. Sodan, NJW 2003, 1761 (1765 f.). 1199 Vgl. M. Fuchs, in: G. Igl (Hrsg.), Das Gesundheitswesen in der Wettbewerbsordnung, 2000, 39 (42 f.). 1200 Vgl. zum Wettbewerb um freiwillig Versicherte A. S. Bien, Die Einflüsse des europäischen Kartellrechts auf das nationale Gesundheitswesen, 2004, S. 61 f.; M. Fuchs, in: G. Igl (Hrsg.), Das Gesundheitswesen in der Wettbewerbsordnung, 2000, 39 (43 ff.); U. Orlowski/J. Wasem, Gesundheitsreform 2004, 2003, S. 21; H. Sodan, NJW 2003, 2581 (2582 f.); ders., GesR 2005, 145 (149). 1201 Bei Rentnern (vgl. Fn. 1143) dürfte jedoch wegen des hohen Preises einer privaten Krankenversicherung keine Austauschbarkeit gegeben sein; vgl. zu Annahme verschiedener Märkte bei stark unterschiedlichen Preisen H. Wendland, in: W. Büchner/J. Ehmer/M. Geppert/B. Kerkhoff/H.-J. Piepenbrock/R. Schütz/F. Schuster (Hrsg.), Beck’scher TKG-Kommentar, 2000, Vor § 33 Rn. 41 f.

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3. Kap.: Krankenkassen als Unternehmen

setzlichen und privaten Krankenversicherung im Bereich der Krankenvollversicherung austauschbar.1202 (2) Schließt die Wettbewerbslage auf dem Krankenvollversicherungsmarkt die Anwendbarkeit des Europäischen Wettbewerbsrechts auf Krankenkassen aus? In der Literatur ist – wie bereits oben dargestellt1203 – die Meinung vorzufinden, der festzustellende Wettbewerb auf dem Sektor der Krankenvollversicherung sei kein „echter“ Wettbewerb.1204 Insbesondere im Hinblick darauf, daß die Krankenkassen ihren Tätigkeitsschwerpunkt bei der Krankenversicherung von Pflichtversicherten haben, wird unter Bezugnahme auf die vom Gesetzgeber verfolgten systemimmanenten Zwecke des Kassenwettbewerbs postuliert, das Wettbewerbsrecht sei auf die Krankenversicherungstätigkeiten der Krankenkassen nicht anwendbar.1205 Die Verneinung der Unternehmenseigenschaft stellt dabei eine Variante dar, die Anwendbarkeit der Wettbewerbsregeln – in diesem Fall den persönlichen Anwendungsbereich – zu bestreiten. Aus Art. 82 Abs. 1 EG ergibt sich, daß die Wettbewerbsregeln des EG-Vertrags auf marktbeherrschende Unternehmen anwendbar sind und solche Unternehmen Normadressaten sind. Die schwerwiegendste Form der Marktbeherrschung ist die sog. Einzelmarktbeherrschung durch ein Monopolunternehmen.

Vgl. zur früheren Rechtslage unter Geltung der Reichsversicherungsordnung W. Gitter/P. Oberender, Möglichkeiten und Grenzen des Wettbewerbs in der Gesetzlichen Krankenversicherung, 1987, S. 43 ff., 49. 1202 Vgl. A. S. Bien, Die Einflüsse des europäischen Kartellrechts auf das nationale Gesundheitswesen, 2004, S. 62; R. Giesen, in: Soziale Sicherheit und Wettbewerb, 2001, 123 (142 f.); W. Gitter/P. Oberender, Möglichkeiten und Grenzen des Wettbewerbs in der Gesetzlichen Krankenversicherung, 1987, S. 42 f.; Schlußanträge des Generalanwalts Francis G. Jakobs v. 22.5.2003, verb. Rs. C-264/01, C-306/01, C-354/01 und C-355/01, Slg. 2004, I-2493 Tn. 41 – AOK Bundesverband u. a.; H.-J. Kretschmer, in: W. Boecken/A. Hänlein/J. Kruse/H.-D. Steinmeyer (Hrsg.), Öffentliche und private Sicherung gegen soziale Risiken, 2000, 13 (16 f.); U. Orlowski/J. Wasem, Gesundheitsreform 2004, 2003, S. 21. 1203 Vgl. S. 289. 1204 Vgl. M. Fuchs, in: G. Igl (Hrsg.), Das Gesundheitswesen in der Wettbewerbsordnung, 2000, 39 (39, 47); W. Jaeger, ZWeR 2005, 31 (35 f.); U. Knispel, NZS 1998, 563 (564); R. Pitschas, VSSR 1999, 221 (223 f.); begrenzt auf den Pflichtversichertenbereich R. Giesen, in: Soziale Sicherheit und Wettbewerb, 2001, 123 (129 Fn. 15) sowie K.-H. Mühlhausen, Der Mitgliederwettbewerb innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung, 2002, S. 23 f. Siehe auch BSGE 82, 78 (81 f.); 90, 231 (265). 1205 U. Knispel, NZS 1998, 563 (564); M. Krajewski, EWS 2004, 256 (264 f.); begrenzt auf den Pflichtversichertenbereich A. S. Bien, Die Einflüsse des europäischen Kartellrechts auf das nationale Gesundheitswesen, 2004, S. 58 ff. sowie R. Giesen, in: Soziale Sicherheit und Wettbewerb, 2001, 123 (129 Fn. 15). Diese Ansicht ausdrücklich ablehnend T. Kingreen, MedR 2004, 188 (189 f.).

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Nach allgemeiner und unbestrittener Ansicht sind Monopolunternehmen Normadressaten des Mißbrauchsverbotes aus Art. 82 EG.1206 Bestätigt wird die Anwendbarkeit der Wettbewerbsregeln auf Monopolunternehmen durch Art. 86 Abs. 1 EG;1207 ferner werden in Art. 86 Abs. 2 EG „Finanzmonopole“ als Normadressaten ausdrücklich erwähnt. Dem Normenbefund kann somit entnommen werden, daß die Wettbewerbsregeln auch bzw. gerade dann anwendbar sind, wenn überhaupt gar kein Wettbewerb existiert, weil nämlich ein Monopolunternehmen den Markt beherrscht. Es kommt dabei auch nicht darauf an, ob es sich um ein gesetzliches, ein staatlich verordnetes oder ein faktisches Monopol handelt.1208 Ein gesetzlich eingeräumtes Monopol ist ein sicherer Beweis dafür, daß der Gesetzgeber Wettbewerb im Tätigkeitsbereich des Monopolunternehmens nicht wünscht. Wenn daher sogar der Wille des Gesetzgebers, Wettbewerb vollständig zu beseitigen, der Anwendbarkeit der Wettbewerbsregeln und der Unternehmenseigenschaft nicht entgegensteht, kommt es erst recht nicht darauf an, ob der Gesetzgeber nur zu bestimmten Zwecken oder aus besonderen Motiven Wettbewerb zugelassen hat.1209 Sind die Wettbewerbsregeln auch auf monopolistischen Märkten anwendbar, sind sie es erst recht auf hoch reglementierten Märkten mit Restwettbewerb. Es kann daher keine Rolle spielen, ob der Kassenwettbewerb ein „echter“ Wettbewerb ist, weil die Wettbewerbsregeln grundsätzlich auch da gelten, wo es überhaupt keinen Wettbewerb mehr gibt. Der Wille eines nationalen Gesetzgebers, in einem bestimmten Wirtschaftssektor keinen bzw. nur beschränkten oder „unechten“ Wettbewerb zu gestatten, kann die gemeinschaftsrechtlichen Wettbewerbsregeln nicht suspendieren. Ansonsten stünde das Europäische Wettbewerbsrecht zur Disposition der Mitgliedstaaten. Daher muß sich aus dem EG-Vertrag selbst ergeben, ob in einem bestimmten Ausnahmebereich Wettbewerb nicht das wirtschaftliche Leitprinzip sein soll (vgl. z. B. Art. 36 Abs. 1, Art. 296 Abs. 1 Buchst. b EG). Das Bestehen einer gemeinschaftsrechtlichen Bereichsausnahme zugunsten der Tätigkeiten von Sozialversicherungsträgern wurde bereits oben untersucht und verneint.1210

1206 Siehe statt aller D. Dirksen, in: Langen/Bunte II Artikel 82 [Mißbrauch einer marktbeherrschenden Stellung] Rn. 39 f.; E. Eichenhofer, NZS 2001, 1 (2); T. W. Wessely, in: FK EG-Vertrag Art. 82 Normadressaten Rn. 103 (Stand: April 2005). 1207 Siehe dazu S. 283. 1208 Vgl. R. Bechtold/W. Bosch/I. Brinker/S. Hirsbrunner, EG-Kartellrecht – Kommentar, 2005, Art. 82 Rn. 22. 1209 Im Ergebnis ebenso T. Kingreen, MedR 2004, 188 (190). 1210 Siehe S. 138 ff.

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b) Krankenversicherung und Grundsatz der Solidarität Nach dem funktionalen Unternehmensbegriff setzt die Unternehmenseigenschaft einer Einrichtung voraus, daß die Einrichtung einer wirtschaftlichen Tätigkeit nachgeht. Der wirtschaftliche Charakter der angebotsorientierten Krankenversicherungstätigkeiten von Krankenkassen wäre auf der Grundlage der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes zu verneinen, wenn diese Tätigkeiten auf dem Grundsatz der Solidarität beruhten (jedenfalls sofern sie sich auch als Gesetzesvollzug darstellten1211). Bezogen auf das Angebot von Krankenversicherungsleistungen kommen verschiedene Tätigkeitssegmente in Betracht, nämlich die Krankenvollversicherung von Pflichtmitgliedern, die Krankenvollversicherung von freiwilligen Mitgliedern sowie das Anbieten von eigenen bzw. Vermitteln von fremden Zusatzkrankenversicherungen. Es ist denkbar, daß der wirtschaftliche Charakter im Hinblick auf die verschiedenen Tätigkeitssegmente unterschiedlich zu beurteilen ist. aa) Präjudizien Wie bereits oben dargestellt wurde, ist die vom Grundsatz der Solidarität bestimmte Abgrenzung zwischen wirtschaftlicher und nichtwirtschaftlicher Tätigkeit vom Europäischen Gerichtshof in bezug auf angebotsorientierte Tätigkeiten von Sozialversicherungsträgern entwickelt worden.1212 Mit dem Urteil in der Rechtssache AOK Bundesverband u. a. vom 16.3.2004 liegt sogar eine Entscheidung des Gerichtshofes vor, in welcher er unmittelbar zur Frage der Unternehmenseigenschaft von Krankenkassen Stellung nimmt und welche sich dabei ebenfalls auf die angebotsorientierte Krankenversicherungstätigkeit bezieht.1213 Der Gerichtshof hat in dieser Entscheidung die Unternehmenseigenschaft von Krankenkassen verneint und festgestellt, „dass die Krankenkassen der gesetzlichen Krankenversicherung in Deutschland [. . .] an der Verwaltung des Systems der sozialen Sicherheit mitwirken. Sie nehmen insoweit eine rein soziale Aufgabe wahr, die auf dem Grundsatz der Solidarität beruht und ohne Gewinnerzielungsabsicht ausgeübt wird.“1214

Die bisherigen Untersuchungen ergaben, daß die Verneinung des Unternehmenstatbestandes in der genannten Entscheidung der Angebotstätigkeit von Krankenkassen galt.1215 Vor dem Hintergrund des relativen Begriffsverständnis1211 Vgl. zur Relation des Erfordernisses eines Gesetzesvollzugs zum Grundsatz der Solidarität S. 192 f. 1212 Vgl. S. 258 ff. 1213 Vgl. S. 259 ff. 1214 EuGH, Urt. v. 16.3.2004, verb. Rs. C-264/01, C-306/01, C-354/01 und C-355/ 01, Slg. 2004, I-2493 Rn. 51 – AOK Bundesverband u. a. 1215 Siehe S. 258 ff.

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ses ist nunmehr aber zusätzlich zu untersuchen, auf welche einzelnen Tätigkeitssegmente im Angebotsbereich sich die Beurteilung des Gerichtshofes bezieht.1216 Es stellt sich die Frage, ob der Unternehmenstatbestand für alle Angebotstätigkeiten der Krankenkassen vom Gerichtshof ausgeschlossen worden ist oder nur für bestimmte. Ganz sicher wird das Segment des Anbietens oder Vermittelns von Zusatzkrankenversicherungen von der Entscheidung gar nicht erfaßt. Dies ergibt sich schon daraus, daß die wettbewerbsbeschränkende Verhaltensweise, nämlich die gemeinschaftliche Festsetzung von einheitlichen Festbeträgen für Arzneimittel, im Bereich der Zusatzkrankenversicherungen gegenstandslos ist. Festbeträge betreffen allein den Leistungsumfang der Krankenvollversicherung. Die Krankenvollversicherung von Pflichtversicherten oder freiwillig Versicherten bildet aber das Haupttätigkeitsfeld der Krankenkassen im Angebotssegment. Die Ausführungen des Gerichtshofes in der Urteilsbegründung zum Beruhen der Versicherungstätigkeit auf dem Grundsatz der Solidarität differenzieren nicht zwischen freiwilliger Versicherung und Pflichtversicherung. Es ist jedoch davon auszugehen, daß die Würdigungen maßgeblich von den Verhältnissen im Bereich der Pflichtversicherung geprägt sind. Denn zum einen ist die Pflichtversicherung der größte Bereich innerhalb der Krankenvollversicherung.1217 Zweitens sind es gerade die Pflichtversicherten, welche der Gesetzgeber in einer typisierenden Betrachtung als Schutzbedürftige ansieht und welche deshalb Bezugssubjekt der solidarischen Ausgestaltung der gesetzlichen Krankenversicherung sind.1218 Schließlich gibt es für das primäre Abstellen des Gerichtshofes auf die Pflichtversicherungsverhältnisse ein Anzeichen in der Urteilsbegründung: Der Gerichtshof prüft lediglich, ob der Kassenwettbewerb dazu 1216 Die Würdigungen des Europäischen Gerichtshofes in dem Urteil AOK Bundesverband u. a. beziehen sich ihrer Formulierung nach nicht auf einen bestimmten Tätigkeitsbereich. Vielmehr lesen sich die Aussagen wie eine generelle Verneinung der wettbewerbsrechtlichen Normadressateneigenschaft der Krankenkassen (vgl. S. 176 ff., 200 ff.). Die Relativität des Unternehmensbegriffes ist jedoch ein im Europäischen Wettbewerbsrecht allgemein anerkannter Grundsatz, der vom Europäischen Gerichtshof für den Bereich der sozialen Sicherheit ausdrücklich weder angezweifelt noch aufgegeben wurde. Rechtliche Würdigungen des Gerichtshofes zur Unternehmenseigenschaft von Sozialversicherungsträgern sind daher begrenzt auf die der Würdigung zugrunde zu legenden Tätigkeiten (vgl. S. 227 f.). Welche Tätigkeit in Zweifelsfällen einer Würdigung zugrunde lag, ist über das oben entwickelte Zurechnungsmodell zu ermitteln (siehe dazu S. 229 ff.). Danach waren die Würdigungen in der Rechtssache AOK Bundesverband u. a. der angebotsorientierten Krankenversicherungstätigkeit zuzuordnen und nicht – wie vielfach in der Literatur angenommen – der nachfrageorientierten Leistungserbringung (vgl. S. 259 ff.). 1217 Vgl. Statistisches Bundesamt, Statistisches Jahrbuch 2006, 2006, S. 45; siehe ferner Fn. 1143. 1218 Vgl. BVerfGE 102, 68 (89 f.); 103, 271 (288); U. Becker, NZS 2001, 281 (283 f.); R. Jaeger, NZS 2003, 225 (230 f.). Siehe auch allgemein zum Zusammenhang zwischen sozialer Schutzbedürftigkeit und Zwangsversicherung R. Schlegel, NZS 2000, 421 (426 f.). Vgl. auch zur Reduzierung des Versichertenkreises auf wirklich sozial Schutzbedürftige H. Sodan, VVDStRL 64 (2005), 144 (155 ff.).

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3. Kap.: Krankenkassen als Unternehmen

zwänge, von einer wirtschaftlichen Tätigkeit auszugehen.1219 Auf den Wettbewerb zwischen Krankenkassen und privaten Krankenversicherungsunternehmen, welcher für die freiwillig Versicherten viel bedeutsamer ist als der Kassenwettbewerb, geht der Gerichtshof gar nicht ein. Es kann somit als Zwischenergebnis festgestellt werden, daß die Unternehmenseigenschaft von Krankenkassen im angebotsorientierten Krankenversicherungsbereich nach den Präjudizien des Gerichtshofes weitgehend zu verneinen wäre. Der Gerichtshof hat bisher aber nicht präjudiziert, ob nach seinen Maßstäben zur Abgrenzung zwischen wirtschaftlicher und nichtwirtschaftlicher Tätigkeit Krankenkassen in den Nebenbereichen (freiwillige Krankenvollversicherung sowie Zusatzkrankenversicherungen) als Unternehmen anzusehen sind. Im einzelnen sind für die verschiedenen Tätigkeitssegmente folgende Fragen zu beantworten: Erstens, hat der Europäische Gerichtshof die von ihm entwickelten Solidaritätsmerkmale bezogen auf die Pflichtversicherung richtig angewandt?1220 Zweitens, haben sich durch die Gesundheitsreform im Jahr 2007 Veränderungen ergeben, die eine andere Beurteilung nahelegen?1221 Drittens, beruht auch die Tätigkeit der Krankenkassen im Segment der freiwilligen Krankenversicherung auf dem Grundsatz der Solidarität?1222 Viertens, stellt das Anbieten von eigenen oder Vermitteln von fremden Zusatzkrankenversicherungen durch die Krankenkassen eine wirtschaftliche Tätigkeit dar?1223 bb) Krankenvollversicherung von Pflichtversicherten Im folgenden wird überprüft, ob der Europäische Gerichtshof jedenfalls für die Haupttätigkeit der Krankenkassen, nämlich die Krankenvollversicherung von Pflichtversicherten, aufgrund der von ihm selbst herausgearbeiteten maßgeblichen Solidaritätsmerkmale zu dem Ergebnis kommen mußte, daß diese Tätigkeit auf dem Grundsatz der Solidarität beruht. Ferner wird untersucht, ob die durch das Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz – GKV-WSG) vom 26.3. 20071224 bewirkten bzw. vorgesehenen Veränderungen nunmehr oder künftig1225 eine andere Beurteilung nahelegen. 1219 Vgl. EuGH, Urt. v. 16.3.2004, verb. Rs. C-264/01, C-306/01, C-354/01 und C-355/01, Slg. 2004, I-2493 Rn. 56 – AOK Bundesverband u. a. 1220 Siehe sogleich im Anschluß. 1221 Siehe S. 300 ff. 1222 Siehe S. 318 ff. 1223 Siehe S. 324 ff., 331 f. 1224 BGBl. I 378. Siehe näher zu den Änderungen durch das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz M. Bitter, GesR 2007, 152 ff.; R. Richter, DStR 2007, 810 ff.; H. Sodan, NJW 2007, 1313 ff. 1225 Viele grundlegende Veränderungen sind noch nicht in Kraft getreten, vgl. Art. 46 GKV-WSG.

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Zur Erinnerung seien hier noch einmal die Merkmale erwähnt, durch die der Grundsatz der Solidarität vom Gerichtshof maßgeblich ausgefüllt wird: – Finanzierung des Systems nach dem Umlageverfahren; – keine oder geringe Verknüpfung zwischen Beitragshöhe und Leistungsumfang; – kein oder geringer Zusammenhang zwischen dem durch die Einrichtung getragenen Risiko und der Beitragshöhe; – Pflichtmitgliedschaft1226. (1) Bisherige Rechtslage Die Finanzmittel der Krankenkassen der gesetzlichen Krankenversicherung werden fast ausschließlich durch Beiträge aufgebracht.1227 Von den Gesamteinnahmen in Höhe von ca. 146 Mrd. Euro im Jahr 2005 entfielen auf Beiträge ca. 140 Mrd. Euro.1228 Der Bund leistete nur einen kleinen Beitrag zur pauschalen Abgeltung von Aufwendungen der Krankenkassen für versicherungsfremde Leistungen (vgl. § 221 Abs. 1 S. 1 SGB V a. F.).1229 Mit den im laufenden Haushaltsjahr vereinnahmten Finanzmitteln werden die im gleichen Haushaltsjahr anfallenden Ausgaben gedeckt. Für die verschiedenen Versicherungsleistungen mußten die Krankenkassen der gesetzlichen Krankenversicherung im Jahr 2005 ca. 135 Mrd. Euro aufwenden; die Verwaltungskosten betrugen ca. 8 Mrd. Euro.1230 Die von den Beitragszahlern erwirtschafteten Finanzmittel werden somit in kurzer Zeit zugunsten der gegenwärtigen Leistungsempfänger verbraucht; ein Kapitalstock zur Deckung zukünftiger Kosten wird von den Krankenkassen nicht gebildet. Seine rechtliche Grundlage findet diese Finanzierungsweise in § 220 Abs. 1 S. 2 SGB V, wonach die Beiträge so zu bemessen sind, daß sie 1226 Die Pflichtmitgliedschaft ist nur insofern ein Solidaritätsmerkmal, als daß eine freiwillige Mitgliedschaft für den wirtschaftlichen Charakter der Tätigkeit spricht; vgl. S. 189 sowie die Schlußanträge des Generalanwalts Francis G. Jakobs v. 28.1.1999, Rs. C-67/96, Slg. 1999, I-5751 Tn. 347 – Albany. 1227 Vgl. H.-J. Kretschmer, in: W. Boecken/A. Hänlein/J. Kruse/H.-D. Steinmeyer (Hrsg.), Öffentliche und private Sicherung gegen soziale Risiken, 2000, 13 (16). 1228 Vgl. die Endgültigen Rechnungsergebnisse der gesetzlichen Krankenversicherung für das Jahr 2005, S. 127 (Angaben inklusive freiwillig Versicherter), veröffentlicht im Internet unter: www.bmg.bund.de/cln_040/nn_601100/SharedDocs/Down load/DE/Datenbanken-Statistiken/Statistiken-Gesundheit/Gesetzliche-Krankenversiche rung/Finanzergebnisse/KJ12005,templateId=raw,property=publicationFile.pdf/KJ12005. pdf. 1229 Für das Jahr 2004 1 Mrd. Euro, für das Jahr 2005 2,5 Mrd. Euro, für das Jahr 2006 4,2 Mrd. Euro und für das Jahr 2007 1,5 Mrd. Euro (gemäß § 221 Abs. 1 S. 1 SGB V nunmehr für das Jahr 2007 2,5 Mrd. Euro). 1230 Vgl. die Endgültigen Rechnungsergebnisse der gesetzlichen Krankenversicherung für das Jahr 2005, S. 136 (Angaben inklusive freiwillig Versicherter), veröffentlicht a. a. O. (Fn. 1228).

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3. Kap.: Krankenkassen als Unternehmen

zusammen mit den sonstigen Einnahmen die im Haushaltsplan vorgesehenen Ausgaben und die vorgeschriebene Auffüllung der Rücklage decken. Die erwähnte Rücklage stellt in keiner Weise einen Kapitalstock dar. Sie darf gemäß § 261 Abs. 2 S. 2 SGB V höchstens einer monatlichen Durchschnittsausgabe entsprechen und dient lediglich dazu, bei Ausgabeschwankungen die Liquidität der Krankenkassen sicherzustellen.1231 Die Finanzierung der Krankenkassen erfolgt somit nach dem finanzwirtschaftlichen Umlageverfahren1232. Höhe und Umfang der Kassenleistungen sind unabhängig von der Beitragshöhe.1233 Jeder Versicherte hat im Rahmen seines Pflichtversicherungsverhältnisses grundsätzlich nur einen Anspruch auf solche Kassenleistungen, wie sie im Bedarfsfall auch jedem anderen Versicherten gewährt werden.1234 Die Leistungspflicht der Krankenkasse orientiert sich ausschließlich am krankheitsbedingten Versorgungsbedarf. Dagegen ist die Höhe des individuellen Krankenkassenbeitrages eines Pflichtversicherten von seiner finanziellen Leistungsfähigkeit abhängig, da sich der Beitrag als Prozentsatz der beitragspflichtigen1235 Einnahmen des Pflichtmitgliedes bemißt (vgl. § 241 S. 1 SGB V).1236 Nach oben ist der Zusammenhang zwischen Einkommen und Beitragshöhe aber durch die Beitragsbemessungsgrenze begrenzt, welche der Jahresarbeitsentgeltgrenze des § 6 Abs. 7 SGB V (derzeit 42.750 Euro1237) entspricht.1238 In Abhängigkeit vom Beitragssatz der jeweiligen Krankenkasse ergibt sich danach ein monatlicher Höchstbeitrag von rund 513 Euro.1239 Da sich der Beitrag allein nach dem Einkommen des Pflichtversicherten richtet, besteht ferner kein Zusammenhang zwischen dem von der Krankenkasse getragenen Morbiditätsrisiko und der Beitragshöhe. Ebensowenig hängt die Pflichtmitgliedschaft als solche davon ab, 1231 Vgl. W. Engelhard, in: B. Schulin (Hrsg.), Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Bd. 1 – Krankenversicherungsrecht, 1994, § 55 Rn. 7; A. Hänlein, in: J. Kruse/ A. Hänlein (Hrsg.), Gesetzliche Krankenversicherung. Lehr- und Praxiskommentar (LPK–SGB V), 2003, §§ 259–263 Rn. 4. 1232 Siehe zum Umlageverfahren S. 186. 1233 H. Adam/K.-D. Henke, in: B. Schulin (Hrsg.), Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Bd. 1 – Krankenversicherungsrecht, 1994, § 4 Rn. 24. 1234 Vgl. H.-J. Kretschmer, in: W. Boecken/A. Hänlein/J. Kruse/H.-D. Steinmeyer (Hrsg.), Öffentliche und private Sicherung gegen soziale Risiken, 2000, 13 (15). 1235 Vgl. zur Bestimmung der beitragspflichtigen Einnahmen der Mitglieder §§ 226 ff. SGB V. 1236 Vgl. B. Schulin, in: ders. (Hrsg.), Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Bd. 1 – Krankenversicherungsrecht, 1994, § 6 Rn. 48 f. 1237 Vgl. § 4 Abs. 2 des Gesetzes über maßgebende Rechengrößen der Sozialversicherung für 2007 (Sozialversicherungs-Rechengrößengesetz 2007) vom 1.12.2006 (BGBl. I 2742, 2746). 1238 Vgl. § 223 Abs. 3 SGB V. 1239 Bei Zugrundelegung eines Beitragssatzes von 13,5 Prozent sowie eines zusätzlichen Beitragssatzes (§ 241a Abs. 1 S. 1 Hs. 1 SGB V) von 0,9 Prozent; Arbeitnehmer- und Arbeitgeberanteil addiert (siehe zur wirtschaftlichen Zurechnung des Arbeitgeberanteils zum Versicherten S. 299 f.).

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welches Morbiditätsrisiko eine Person der Versichertengemeinschaft aufbürdet. Eine den Gesundheitszustand begutachtende Aufnahmeuntersuchung findet demgemäß nicht statt. Daher erhält ein chronisch Kranker zu denselben Konditionen wie ein Gesunder Versicherungsschutz, und ein besserverdienender Lediger muß höhere Krankenversicherungsbeiträge für sich allein bezahlen als ein geringverdienender Familienvater, dessen gesamte Familie gemäß § 10 SGB V ohne zusätzliche Beiträge mitversichert ist.1240 Auf diese Weise realisiert sich, flankiert durch die Pflichtmitgliedschaft, ein hoher Umverteilungsgrad innerhalb des Systems.1241 Fraglich kann sein, ob es neben den vom Gerichtshof entwickelten Merkmalen zusätzlich für eine solidarische Ausprägung der Pflichtversicherung spricht, daß bei dem Großteil der Pflichtversicherten, nämlich den Arbeitnehmern, die Beiträge gemäß § 249 Abs. 1 Hs. 1 SGB V im wesentlichen1242 jeweils zur Hälfte vom pflichtversicherten Arbeitnehmer und seinem Arbeitgeber getragen werden.1243 Die paritätische Beitragsaufbringung durch Arbeitnehmer und Arbeitgeber stellt jedoch bei der im Kartellrecht gebotenen wirtschaftlichen Betrachtungsweise keine weitere Umverteilung dar.1244 Es kann davon ausgegangen werden, daß die sog. Lohnnebenkosten vom Arbeitgeber bereits bei der Fixierung des nominalen Bruttolohnes bzw. Bruttogehaltes berücksichtigt werden. Der Arbeitgeberanteil bei der Krankenversicherung geht für den Arbeitnehmer daher mit einem niedrigeren Tarifabschluß einher. Der Beitragsanteil des Arbeitgebers ist dem Versicherungspflichtigen somit wirtschaftlich zuzurechnen. Diese Sichtweise wird bestätigt durch die Vorschrift des § 257 Abs. 2 SGB V, wonach auch nichtversicherungspflichtige, bei einem privaten Krankenversicherungsunternehmen versicherte Personen von ihrem Arbeitgeber einen Beitragszuschuß erhalten, der sich an dem orientiert, was der Arbeitgeber bei Versiche-

1240 Vgl. auch BT-Drucks. 11/2237 S. 146: „Wesentliches Kennzeichen der GKV ist das Solidarprinzip. Die Beiträge, die der Versicherte für seinen Krankenversicherungsschutz zu entrichten hat, richten sich nach seiner finanziellen Leistungsfähigkeit; Alter, Geschlecht und das gesundheitliche Risiko des Versicherten sind für die Beitragshöhe unerheblich. Der Anspruch auf die medizinischen Leistungen der GKV ist unabhängig von der Höhe der gezahlten Beiträge. Ausdruck des Solidarprinzips ist auch die beitragsfreie Familienversicherung, insbesondere von Ehegatten und Kindern, sofern diese vom Versicherten unterhalten werden.“ 1241 Siehe zu den Umverteilungswirkungen H. Adam/K.-D. Henke, in: B. Schulin (Hrsg.), Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Bd. 1 – Krankenversicherungsrecht, 1994, § 4 Rn. 24 ff. 1242 Den zusätzlichen Beitragssatz nach § 241a Abs. 1 S. 1 Hs. 1 SGB V in Höhe von 0,9 Prozent trägt der versicherungspflichtig Beschäftigte allein (§ 249 Abs. 1 Hs. 2 SGB V). 1243 So beispielsweise J.-M. von Stackelberg, VSSR 1999, 207 (208). Vgl. auch U. Becker, JZ 1997, 534 (535 f.). 1244 Vgl. E. Knappe, in: W. Schmähl (Hrsg.), Möglichkeiten und Grenzen einer nationalen Sozialpolitik in der Europäischen Union, 2001, 137 (157).

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rungspflicht zu zahlen hätte.1245 Die hälftige Finanzierung der Krankenkassenbeiträge durch Arbeitgeber und Arbeitnehmer spielte daher in der Rechtssache AOK Bundesverband u. a. zu Recht weder für den Generalanwalt noch für den Gerichtshof irgendeine Rolle. Abschließend kann auf dieser Grundlage festgestellt werden, daß im Bereich der Pflichtversicherung alle Merkmale erfüllt sind, welche maßgeblich den Grundsatz der Solidarität ausmachen, insbesondere ein hoher Umverteilungsgrad erreicht wird. Der Europäische Gerichtshof mußte daher bei Anwendung seiner bisherigen Rechtsprechungsgrundsätze in der Rechtssache AOK Bundesverband u. a. zu dem Ergebnis kommen, daß die Tätigkeit der Krankenkassen im Kernbereich der gesetzlichen Pflichtversicherung auf dem Grundsatz der Solidarität beruht. (2) Veränderungen durch das Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung vom 26.3.2007 Die im Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz – GKV-WSG) vom 26.3.20071246 vorgesehenen Reformen traten nicht alle bereits am 1.4.2007 in Kraft. Viele bedeutsame Umgestaltungen wurden über verschiedene Zeitstufen vom Gesetzgeber bis zum Jahr 2008 oder 2009 verzögert.1247 Gegenwärtig befinden sich die Krankenkassen daher in einem Übergangszeitraum. Die nachfolgende Untersuchung bezieht sich nicht auf die Rechtslage in einzelnen Phasen des Übergangszeitraumes. Vielmehr wird auf die Gestalt abgestellt, welche die Krankenversicherung nach dem GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz im Jahr 2009 annehmen soll. (a) Finanzierung Mit dem GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz wurde die Finanzierung der Krankenkassen ab 1.1.2009 auf eine neue Grundlage gestellt.1248 Die Beiträge, die dann nach einem bundeseinheitlichen Beitragssatz zu bemessen sind (§ 241 SGB V n. F.), werden zwar weiterhin von den Krankenkassen als sozialversiche1245 Vgl. zu § 257 Abs. 2 SGB V C. Rolfs, Das Versicherungsprinzip im Sozialversicherungsrecht, 2000, S. 40 ff. 1246 BGBl. I 378. Siehe näher zu den Änderungen durch das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz M. Bitter, GesR 2007, 152 ff.; R. Richter, DStR 2007, 810 ff.; H. Sodan, NJW 2007, 1313 ff. 1247 Vgl. Art. 46 Abs. 8, 9, 10 GKV-WSG. 1248 Vgl. BT-Drucks. 16/3100 S. 170; T. Gerlinger, KrV 2007, 86 f. Siehe näher zur Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung nach dem GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz P. Axer, GesR 2007, 193 (194 ff.); H. Sodan, NJW 2007, 1313 (1316 ff.).

C. Qualifizierung der verschiedenen Tätigkeiten von Krankenkassen

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rungsrechtliche Einzugsstellen gemäß § 28i S. 1 SGB IV vereinnahmt. Die Gelder werden aber sogleich gemäß § 28k Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB IV n. F. an einen vom Bundesversicherungsamt als Sondervermögen verwalteten Gesundheitsfonds1249 weitergeleitet. Bei versicherungspflichtig Beschäftigten trägt der Arbeitgeber die Hälfte der Beiträge des Mitglieds aus dem Arbeitsentgelt nach dem um 0,9 Beitragssatzpunkte verminderten allgemeinen Beitragssatz (§ 249 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 SGB V n. F.). Der Arbeitgeberanteil ist aber wie bisher dem Versicherten wirtschaftlich zuzurechnen.1250 Zusätzlich fließen in den Gesundheitsfonds Bundesmittel zur pauschalen Abgeltung der Aufwendungen der Krankenkassen für versicherungsfremde Leistungen (§§ 221, 271 Abs. 1 Nr. 5 SGB V n. F.); diese Mittel erhöhen sich von 2,5 Mrd. Euro im Jahr 2008 ab dem Jahr 2009 um jährlich 1,5 Mrd. Euro bis zu einer jährlichen Gesamtsumme von 14 Mrd. Euro (§ 221 S. 1 SGB V n. F.). Aus dem Gesundheitsfonds erhalten die Krankenkassen alters-, geschlechts- und risikoadjustierte Zuweisungen zur Deckung ihrer Ausgaben. Die Einnahmen des Gesundheitsfonds im Kalenderjahr sind so zu bemessen (insbesondere über die Stellschraube des Beitragssatzes), daß sie die voraussichtlichen Ausgaben des Gesundheitsfonds sowie den Aufbau einer Liquiditätsreserve für den Gesundheitsfonds decken (§ 220 Abs. 1 SGB V n. F.). Die Liquiditätsreserve soll vor allem unterjährige Einnahmeschwankungen des Fonds ausgleichen (§ 271 Abs. 2 S. 1 SGB V n. F.). Aus den Zuweisungen des Fonds (vgl. § 266 SGB V n. F.) müssen die Krankenkassen ihre Ausgaben decken und – wie bisher – zur Sicherstellung ihrer Leistungsfähigkeit eine Rücklage bilden (§ 261 Abs. 1 SGB V). Die Rücklage einer Krankenkasse muß mindestens ein Viertel und darf höchstens das Einfache ihrer durchschnittlichen monatlichen Ausgaben für die gesetzlich oder durch Satzung vorgesehenen Aufgaben sowie für die Verwaltungskosten betragen (§ 261 Abs. 2 SGB V). Reichen die Zuweisungen aus dem Gesundheitsfond nicht aus, um den Finanzbedarf einer Krankenkasse zu decken, muß sie einen kassenindividuellen Zusatzbeitrag von ihren Versicherten erheben, dessen Höhe auf ein Prozent der beitragspflichtigen Einnahmen des Mitglieds begrenzt ist (§ 242 Abs. 1 SGB V n. F.).1251 Erwirtschaftet eine Krankenkasse dagegen einen Überschuß, kann sie diesen durch Prämien an ihre Mitglieder ausschütten, wenn sie gänzlich entschuldet und ihren Verpflichtungen aus § 261 SGB V nachgekommen ist (§ 242 Abs. 2 SGB V n. F.).1252 Die Tätigkeit der Krankenkassen beruht damit auch weiterhin nicht auf dem Kapitaldeckungsverfahren, sondern auf dem Umlageverfahren. Wie bisher wird 1249

Vgl. näher zum Gesundheitsfonds P. Axer, GesR 2007, 193 (195 f.). Vgl. S. 299 f. 1251 Übersteigt der Zusatzbeitrag den Betrag von acht Euro im Monat nicht, kann die Ein-Prozent-Grenze überschritten werden, weil eine Einkommensüberprüfung des Mitgliedes entfällt (§ 242 Abs. 1 S. 3 SGB V n. F.). 1252 Vgl. BT-Drucks. 16/3100 S. 165. 1250

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3. Kap.: Krankenkassen als Unternehmen

ein Kapitalstock nicht erwirtschaftet, und die Rücklagen dienen lediglich dem Ausgleich von kurzfristigen Schwankungen bei den Einnahmen oder Ausgaben. Das Umlageverfahren, nach welchem die im laufenden Geschäftsjahr von einer Einrichtung zu leistenden Auszahlungen durch die im laufenden Geschäftsjahr anfallenden Einnahmen (insbesondere Beiträge) gedeckt werden,1253 wird aber ab 1.1.2009 nicht mehr idealtypisch umgesetzt, weil die Beiträge nicht mehr unmittelbar der Krankenkasse zufließen, sondern zunächst dem Gesundheitsfonds, welcher der einzelnen Krankenkasse Finanzmittel zuweist, deren Höhe nicht vollkommen deckungsgleich mit dem Beitragsaufkommen der eigenen Mitglieder der Krankenkasse zum Gesundheitsfonds ist. Die Umverteilung der gesamten Finanzmittel in kurzer Zeit erfolgt zukünftig auf zwei Stufen, nämlich erstens auf der Ebene des Gesundheitsfonds, der seine Finanzmittel von den Versicherten (einschließlich ihrer Arbeitgeber) und vom Bund erhält und die Mittel an die Krankenkassen umverteilt, und zweitens auf der Ebene der Krankenkassen, die ihre Finanzmittel vom Gesundheitsfonds, im Falle eines kassenindividuellen Zusatzbeitrags auch von den Versicherten, erhalten und die Mittel zur Deckung der Ausgaben einsetzen. Die schrittweise zunehmende Steuerfinanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung gibt Anlaß zu weiteren Überlegungen, welche die Frage nach der solidarischen, d. h. auf Umverteilung beruhenden Ausgestaltung des Finanzsystems der gesetzlichen Krankenversicherung betreffen. Der Gesundheitsfonds erhält vom Bund aus Steuermitteln einen bis zum Jahr 2016 auf den Gesamtbetrag von 14 Mrd. Euro anwachsenden jährlichen Zuschuß zur pauschalen Abgeltung der Aufwendungen der Krankenkassen für versicherungsfremde Leistungen (§ 221 S. 1, § 271 Abs. 1 Nr. 5 SGB V n. F.). Weder im Gesetz noch in der dem Gesetz zugrunde liegenden Entwurfsbegründung wird der Begriff der versicherungsfremden Leistungen definiert oder mitgeteilt, welche Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung als versicherungsfremd anzusehen sind.1254 Allerdings enthält die Entwurfsbegründung einen versteckten Hinweis, daß die beitragsfreie Mitversicherung von Kindern aus dem Bundeshaushalt mitfinanziert werden soll.1255 Im sozialrechtlichen Schrifttum finden sich verschiedene, teilweise gegenläufige Ansätze, den Begriff der versicherungsfrem-

1253

Vgl. zum Umlageverfahren S. 186. Vgl. BT-Drucks. 16/3100 S. 163 sowie bereits früher BT-Drucks. 15/1525 S. 138 f. 1255 Vgl. BT-Drucks. 16/3100 S. 212: „Mit dem Einstieg in eine teilweise Finanzierung von gesamtgesellschaftlichen Aufgaben (beitragsfreie Mitversicherung von Kindern) aus dem Bundeshaushalt entstehen dem Bund [. . .] Mehrausgaben von 1,5 Mrd. Euro in 2008 und rd. 3 Mrd. Euro im Jahr 2009.“ Siehe zu verfassungsrechtlichen Bedenken gegen eine allein auf die Kinder von gesetzlich Versicherten beschränkte Steuerfinanzierung aus Bundesmitteln H. Sodan/M. Schüffner, Staatsmedizin auf dem Prüfstand der Verfassung, 2006, S. 41 ff. 1254

C. Qualifizierung der verschiedenen Tätigkeiten von Krankenkassen

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den Leistungen – oftmals auch als Fremdlasten oder Fremdleistungen bezeichnet – zu konkretisieren.1256 Versicherungsfremde Leistungen können nach der Äquivalenz zwischen gewährten Leistungen und gezahlten Beiträgen bestimmt werden, wobei Abweichungen vom privatwirtschaftlichen Äquivalenzprinzip als versicherungsfremd erscheinen.1257 Danach müßte die pauschale Abgeltung gemäß § 221 SGB V n. F. ein Ausgleich dafür sein, daß die gesetzliche Krankenversicherung von vielen Versicherten keine risikoadäquaten Beiträge verlangen darf. Ein vom Äquivalenzprinzip geprägtes Verständnis des Begriffes der versicherungsfremden Leistungen legt der Gesetzgeber offensichtlich aber nicht zugrunde. Zum einen würde ein solches Verständnis die Sozialversicherung überhaupt als Form der Versicherung in Frage stellen. Zum anderen wäre es aufgrund des steuerlichen Ausgleichs dann auch folgerichtig gewesen, diejenigen Versicherten, welche gemessen an ihrem Risiko bisher viel zu hohe Beiträge bezahlten, zu entlasten, was nicht geschehen ist. Das vom Gesetzgeber zugrunde gelegte Verständnis ist vielmehr ein aufgabenbezogenes. Bestimmte Aufgaben bzw. Leistungsarten der gesetzlichen Krankenversicherung sind danach als versicherungsfremd zu bezeichnen.1258 In der Literatur werden beispielsweise folgende Leistungsbereiche in diesem Zusammenhang genannt: beitragsfreie Familienversicherung, Schwangerschaft, Mutterschaft, künstliche Befruchtung, Sterbegeld1259, Beitragsfreiheit im Erziehungsurlaub, Empfängnisverhütung, Schwangerschaftsabbruch, Sterilisation, Haushaltshilfe und hauswirtschaftliche Versorgung.1260 Letztlich besteht aber keine Einigkeit darüber, wonach ein 1256 Vgl. F. Beske/J. Hübener, Fremdleistungen in der gesetzlichen Krankenversicherung, 1996, S. 19; H. Butzer, Fremdlasten in der Sozialversicherung, 2001, S. 31 ff.; T. Kingreen, ZESAR 2007, 139 (146); P. Kostorz, Versicherungsfremde Leistungen in der Gesetzlichen Krankenversicherung, 1998, S. 125 f.; W. Lamping, ZSR 43 (1997), 52 (53 ff.); W. Leisner, NZS 1996, 97 (98 ff.); Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen, Gesundheitsversorgung und Krankenversicherung 2000, 1995, Tn. 106 f.; A. Selle, in: Institut der deutschen Wirtschaft Köln (Hrsg.), IW-Trends, Quartalshefte zur empirischen Wirtschaftsforschung, 23. Jg. (1996), Heft 1, S. 40 f. 1257 Vgl. F. Hase, Versicherungsprinzip und sozialer Ausgleich, 2000, S. 295 ff.; P. Kostorz, Versicherungsfremde Leistungen in der Gesetzlichen Krankenversicherung, 1998, S. 125; A. Selle, in: Institut der deutschen Wirtschaft Köln (Hrsg.), IW-Trends, Quartalshefte zur empirischen Wirtschaftsforschung, 23. Jg. (1996), Heft 1, S. 40. 1258 Vgl. zu einem solchen Ansatz in der Literatur P. Kostorz, Versicherungsfremde Leistungen in der Gesetzlichen Krankenversicherung, 1998, S. 125; W. Leisner, NZS 1996, 97 (100). 1259 Das Sterbegeld wurde bereits durch das Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Modernisierungsgesetz – GMG) vom 14.11.2003 (BGBl. I 2190) abgeschafft, vgl. BT-Drucks. 15/1525 S. 77. 1260 Vgl. F. Beske/J. Hübener, Fremdleistungen in der gesetzlichen Krankenversicherung, 1996, S. 20; H. Butzer, Fremdlasten in der Sozialversicherung, 2001, S. 66; Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen, Gesundheitsversorgung und Krankenversicherung 2000, 1995, Tn. 107; A. Selle, in: Institut der

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Aufgabenbereich als versicherungsfremd zu qualifizieren ist.1261 Nach Walter Leisner liegt eine Fremdlast vor, „wenn die Leistungen der Sozialversicherung, primär oder gar ausschließlich, Interessen befriedigen sollen, die außerhalb der Solidargemeinschaft der Beitragszahler der Sozialversicherung als solcher liegen“.1262 Andererseits wird darauf abgestellt, ob Leistungen „nicht unmittelbar zur Verhütung, Früherkennung, Behandlung und Heilung von Krankheiten oder zur Linderung von Leiden“1263 dienen bzw. „sich nicht unmittelbar auf Krankheiten und ihre Folgen beziehen“1264, sondern „überwiegend aus gesellschafts-, sozial- und/oder familienpolitischen Gründen der gesetzlichen Krankenversicherung übertragen worden sind und daher nicht als originäre Aufgabe einer gesetzlichen Krankenversicherung bezeichnet werden können“1265. Thorsten Kingreen sieht in den durch das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz bewirkten Veränderungen eine „zunehmende Steuerfinanzierung des Solidarausgleichs in der Krankenversicherung“1266. „Eine solidarische Finanzierung, in der die Umverteilungseffekte nicht durch Beiträge einzelner (nämlich die Besserverdienenden bzw. die Träger der sog. besseren Risiken), sondern aus allgemeinen Quellen finanziert werden, kann von einem privatwirtschaftlich handelnden Versicherungsunternehmen ebenso angeboten werden wie von einer gesetzlichen Krankenkasse und müsste daher als wirtschaftliche Betätigung im Sinne von Art. 81 EGV eingeordnet werden. So könnte ein steuerfinanzierter Solidarausgleich auch privaten Versicherungsunternehmen zugute kommen, die sich gewissermaßen als Gegenleistung zur beitragsfreien Mitversicherung der Kinder verpflichten.“1267

Zunächst ist anzumerken, daß es aufgrund des aufgabenbezogenen Ansatzes des Gesetzgebers naheliegen würde, nur die Fragestellung näher zu beleuchten, ob einzelne Leistungsarten (z. B. versicherungsfremde Leistungen) innerhalb der gesetzlichen Krankenvollversicherung nicht mehr solidarisch, sondern vollständig aus Steuermitteln finanziert werden. Die Krankenvollversicherung stellt aber kein Bündel von Einzelversicherungen dar, bei dem die Unternehmenseigenschaft für jede Einzelversicherung bzw. Leistungsart zu beurteilen wäre, deutschen Wirtschaft Köln (Hrsg.), IW-Trends, Quartalshefte zur empirischen Wirtschaftsforschung, 23. Jg. (1996), Heft 1, S. 41; H. Sodan, Freie Berufe als Leistungserbringer im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung, 1997, S. 337. 1261 Vgl. T. Kingreen, ZESAR 2007, 139 (146). 1262 W. Leisner, NZS 1996, 97 (100) – Hervorhebungen vom Verfasser weggelassen. 1263 F. Beske/J. Hübener, Fremdleistungen in der gesetzlichen Krankenversicherung, 1996, S. 19. 1264 Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen, Gesundheitsversorgung und Krankenversicherung 2000, 1995, Tn. 107. 1265 F. Beske/J. Hübener, Fremdleistungen in der gesetzlichen Krankenversicherung, 1996, S. 19. 1266 T. Kingreen, ZESAR 2007, 139 (146). 1267 T. Kingreen, ZESAR 2007, 139 (146 f.).

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sondern sie bildet wettbewerbsrechtlich eine eigenständige Versicherungstätigkeit ab.1268 Eine isolierte Aussage zu einer einzelnen Leistung ist deshalb nicht angezeigt, weil die Leistung als Teilelement der maßgeblichen Krankenvollversicherungstätigkeit nicht selbständig die Unternehmenseigenschaft der Krankenkasse begründen kann.1269 Ebensowenig kann isoliert auf eine einzelne (versicherungsfremde) Leistung geschaut werden, um eine Aussage für die gesamte Krankenvollversicherungstätigkeit zu treffen. Deshalb ist hinsichtlich des Umverteilungsgrades auf die gesamte Krankenvollversicherungstätigkeit abzustellen. Im übrigen ist es aus den oben genannten Gründen kaum möglich, die Bundesmittel nach § 221 SGB V n. F. einer bestimmten Leistungsart zuzuordnen, weil keine Einigkeit über den Begriff der versicherungsfremden Leistungen herrscht und somit eine Identifizierung der von § 221 S. 1 SGB V n. F. umfaßten Leistungen schwierig ist. Thorsten Kingreens Aussagen zur solidarischen Finanzierung beruhen auf der zutreffenden Annahme, daß sich bei einem gleichbleibenden Leistungskatalog der Umverteilungsgrad innerhalb des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung mit zunehmender Steuerfinanzierung verringert. Dennoch besteht kein Anlaß dazu, schon heute den Abschied von der solidarischen Finanzierung zu vermelden. Gemessen am ausgabenseitigen Gesamtfinanzvolumen der gesetzlichen Krankenversicherung, welches sich im Jahr 2005 auf ca. 144 Mrd. belief1270, stellt der aus Bundesmitteln zu bestreitende Steuerzuschuß in Höhe von jeweils 2,5 Mrd. Euro für 2007 und 2008 sowie 4 Mrd. Euro für 2009 einen sehr geringen Finanzierungsanteil dar. Selbst die bis zum Jahr 2016 nach gegenwärtiger Gesetzeslage stufenweise zu erreichende Zuschußhöhe von 14 Mrd. Euro deckt nicht einmal ein Zehntel der heutigen1271 Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung. Die gesetzliche Krankenversicherung wird somit in naher Zukunft weiterhin fast ausschließlich – und mittelfristig (nach heutiger, oftmals im Krankenversicherungsrecht auch sehr kurzlebiger Rechtslage) zu mehr als 90 Prozent – durch Beiträge finanziert, wobei die Beiträge grundsätzlich einkommensabhängig und risikounabhängig bleiben. Damit bleibt auch die Umverteilung trotz Steuerzuschuß systemtragend. 1268 Beispielsweise stellt auch der Verkauf eines Kraftfahrzeuges ein einheitliches Geschäft dar, welches sich nicht in den Verkauf von Reifen, Türen, Sitzen, eines Motors, Lenkrads usw. aufteilen läßt. 1269 Vgl. auch S. 327 f. 1270 Vgl. die Endgültigen Rechnungsergebnisse der gesetzlichen Krankenversicherung für das Jahr 2005, S. 136 (Angaben inklusive freiwillig Versicherter), veröffentlicht im Internet unter: www.bmg.bund.de/cln_040/nn_601100/SharedDocs/Down load/DE/Datenbanken-Statistiken/Statistiken-Gesundheit/Gesetzliche-Krankenversiche rung/Finanzergebnisse/KJ12005,templateId=raw,property=publicationFile.pdf/KJ12005. pdf. 1271 Allein in Anbetracht der zu erwartenden inflationsbedingten Ausgabensteigerungen wird der prozentuale Anteil des Betrages von 14 Mrd. Euro im Jahr 2016 noch deutlich niedriger ausfallen.

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3. Kap.: Krankenkassen als Unternehmen

(b) Wahltarife Bestimmte nunmehr in § 53 SGB V geregelte Wahltarife geben Anlaß, den Grad der Verknüpfung zwischen Beitragshöhe und Leistungsumfang sowie den Zusammenhang zwischen Risiko und Beitragshöhe im System der gesetzlichen Krankenversicherung zu überprüfen.1272 Gemäß § 53 Abs. 1 SGB V kann eine Krankenkasse in ihrer Satzung vorsehen, daß Mitglieder jeweils für ein Kalenderjahr einen Teil der von der Krankenkasse zu tragenden Kosten übernehmen können (Selbstbehalt), um dafür im Gegenzug eine Prämienzahlung zu erhalten. Die Prämienzahlung darf 20 Prozent der vom Mitglied im Kalenderjahr getragenen Beiträge nicht überschreiten und höchstens 600 Euro jährlich betragen (§ 53 Abs. 8 S. 4 SGB V). § 53 Abs. 2 SGB V ermöglicht der Krankenkasse, in ihrer Satzung einen Wahltarif vorzusehen, nach dem Versicherte eine Prämienzahlung erhalten, wenn sie und ihre nach § 10 SGB V mitversicherten Angehörigen in einem Kalenderjahr keine Leistungen zu Lasten der Krankenkasse in Anspruch genommen haben. Diese Prämie ist auf ein Zwölftel der im Kalenderjahr gezahlten Beiträge begrenzt (§ 53 Abs. 2 S. 2 SGB V). Schließlich ist es den Krankenkassen nach § 53 Abs. 4 SGB V erlaubt, die bereits oben1273 vorgestellten Tarife für Kostenerstattung anzubieten. Die Prämien aus verschiedenen Wahltarifen, einschließlich einer möglichen Prämienzahlung nach § 242 SGB V n. F., dürfen insgesamt nicht mehr als 30 Prozent der vom Mitglied im Kalenderjahr getragenen Beiträge, höchstens 900 Euro betragen (§ 53 Abs. 8 S. 4 SGB V).1274 Mitglieder, deren Beiträge vollständig von Dritten getragen werden (z. B. Empfänger von Arbeitslosengeld), können die beschriebenen Tarife nicht wählen (§ 53 Abs. 9 S. 6 SGB V). Schon vor dem 1.4.2007 konnten die Krankenkassen in ihren Satzungen für freiwillig Versicherte Tarife mit Beitragsrückzahlung bei Leistungsfreiheit (§ 54 SGB V a. F.) oder Selbstbehalten mit Beitragsminderung (§ 53 SGB V a. F.) vorsehen.1275 Diese beiden Wettbewerbsinstrumente wurden bereits durch das 1272 Vgl. zu den neuen Wahltarifen in der Literatur H. Beckschäfer, ErsK 2007, 233 ff.; T. Gerlinger, KrV 2007, 86 (88); T. Isenberg, ErsK 2007, 387; T. Kingreen, ZESAR 2007, 139 (143 ff.); ders., ErsK 2007, 112 f.; R. Winkel, SozSich 2007, 110 ff. Siehe auch das Schreiben des Bundesversicherungsamtes v. 13.3.2007 zur Auslegung bzw. Umsetzung der neuen Bestimmungen, veröffentlicht im Internet unter: www.bva.de/Fachinformationen/Krankenversicherung/Rundschreiben/RS_Wahltarife_ 53_SGB_V.pdf 1273 Vgl. näher S. 286 f. 1274 Vgl. BVA, Schreiben v. 13.3.2007 betreffend Wahltarife, S. 7, veröffentlicht im Internet unter: www.bva.de/Fachinformationen/Krankenversicherung/Rundschreiben/ RS_Wahltarife_53_SGB_V.pdf; H. Beckschäfer, ErsK 2007, 233 (235); T. Kingreen, ZESAR 2007, 139 (143); R. Winkel, SozSich 2007, 110 (112). 1275 Vgl. dazu I. Holldorf/C. Pütz, SGb 2004, 165 ff.

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Zweite Gesetz zur Neuordnung von Selbstverwaltung und Eigenverantwortung in der gesetzlichen Krankenversicherung vom 23.6.19971276 eingeführt, aber nach dem Regierungswechsel mit dem Gesetz zur Stärkung der Solidarität in der gesetzlichen Krankenversicherung vom 19.12.19981277 sogleich wieder abgeschafft. Durch das Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Modernisierungsgesetz – GMG) vom 14.11.20031278 sind diese Instrumente wieder eingeführt worden. Das Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz – GKV-WSG) vom 26.3.20071279 hat diese beiden Wahltarifarten nunmehr auch für Pflichtversicherte geöffnet, wobei Prämienzahlungen Beitragsrückzahlung und Beitragsminderung verfahrenstechnisch ersetzen1280. Bereits zur damaligen Rechtslage vertrat Thorsten Kingreen die Ansicht, derartige Wahltarife stellten die solidarische Ausgestaltung des Versicherungssystems in Frage, da sie die Träger guter Risiken zu Lasten der übrigen Versicherten bevorzugten.1281 (aa) Wahltarif für Kostenerstattung Der Wahltarif für Kostenerstattung (§ 53 Abs. 4 SGB V) ist zunächst dahingehend zu untersuchen, ob er eine Verknüpfung von Beitragshöhe und Leistungsumfang herstellt. Das Beruhen der Tätigkeit eines Sozialversicherungsträgers auf dem Grundsatz der Solidarität setzt voraus, daß ein solcher Zusammenhang nicht oder nur in geringem Ausmaß besteht.1282 Auch beim Wahltarif für Kostenerstattung richtet sich die Beitragshöhe nach dem für alle Versicherten gleichen Beitragssatz sowie dem beitragspflichtigen Einkommen des Versicherten. Wofür es eine Kostenerstattung gibt, hängt ebenfalls von dem für alle Versicherten gleichen Leistungskatalog ab. Die Kostenerstattung ersetzt somit allein eine ansonsten geschuldete Sachleistung der Krankenkasse.1283 Dies spricht gegen eine Verknüpfung von Beitragshöhe und Lei1276

BGBl. I 1520. BGBl. I 3853. 1278 BGBl. I 2190. 1279 BGBl. I 378. 1280 Vgl. BT-Drucks. 16/3100 S. 108. 1281 Vgl. T. Kingreen, MedR 2004, 188 (190). Vgl. dens., ZESAR 2007, 139 (143 ff.); ErsK 2007, 112 f. zur Rechtslage nach dem GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz. Siehe auch T. Gerlinger, KrV 2007, 86 (88): „Die solidarische Umverteilung finanzieller Lasten zwischen gesunden und kranken Versicherten im GKV-System wird durch diese tarifliche Gestaltungsoption eingeschränkt und die Entsolidarisierung unter den GKV-Versicherten vorangetrieben“; T. Isenberg, ErsK 2007, 387: „Immer neue individuelle Beitragsoptionen bereiten den Boden für eine ,Entsolidarisierung‘ durch die Hintertür“. 1282 Vgl. S. 187 f. 1283 Vgl. BVA, Schreiben v. 13.3.2007 betreffend Wahltarife, S. 5, veröffentlicht im Internet unter: www.bva.de/Fachinformationen/Krankenversicherung/Rundschreiben/ 1277

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3. Kap.: Krankenkassen als Unternehmen

stungsumfang, da einkommensbedingt höhere Beiträge zu keinem größeren (primären) Leistungsumfang führen. Allerdings kann die Krankenkasse die Höhe der Kostenerstattung variabel gestalten (§ 53 Abs. 4 S. 2 SGB V). Deshalb muß die Krankenkasse den am Wahltarif interessierten Versicherten nicht nur einen Erstattungssatz anbieten, der den eigenen Kosten der Krankenkasse bei Inanspruchnahme einer Sachleistung entspricht. Die eigenen Kostensätze der Krankenkasse übersteigende Erstattungsversprechen, beispielsweise bis zum 2,3-fachen oder 3,5-fachen Satz nach der Gebührenordnung für Ärzte bzw. Zahnärzte1284, müssen die Versicherten aber durch entsprechend kalkulierte Prämienzahlungen erkaufen.1285 Die Prämie steigt mit der Erstattungshöhe an, weil mit der Erstattungshöhe auch die Mehrkosten der Krankenkasse steigen, welche mit der Prämie gerade ausgeglichen werden sollen (vgl. § 53 Abs. 9 S. 1 Alt. 1 SGB V). Aus dieser Sicht besteht ein gewisser Zusammenhang zwischen Beitragshöhe und Leistungsumfang, denn nach wirtschaftlicher Betrachtung können die speziellen Prämien den Beitragszahlungen hinzugerechnet werden und bilden mit diesen zusammen den Gesamtpreis des Versicherungsschutzes. Jedoch ist die Erstattungshöhe bei einer Gesamtbetrachtung allenfalls ein Nebenaspekt des Leistungsumfanges, da die Kostenerstattung nur eine primäre Sachleistung ersetzt. In erster Linie kommt es darauf an, welche gesundheitlichen Risiken vom Versicherungsschutz gedeckt sind und welche Gesundheitsleistungen bei Verwirklichung eines Krankheitsrisikos vom Krankenversicherungsträger gewährleistet werden. Die beiden letzten Parameter sind aber völlig unabhängig von dem gezahlten Gesamtpreis. Es erscheint geboten, zwei Grundkonstellationen des Wahltarifes für Kostenerstattung zu unterscheiden. Einerseits könnte sich ein Wahltarif darauf beschränken, eine die Sachleistung substituierende Kostenerstattung zum Kostensatz der Krankenkasse ohne zusätzliche Prämie zu bieten. Andererseits könnte mit einem Wahltarif ein weitergehendes Angebot verbunden sein, nämlich über ein die eigenen Kostensätze übersteigendes Erstattungsversprechen der Krankenkasse, für welches der Versicherte eine entsprechend kalkulierte Zusatzprämie bezahlen muß. Eine solche Einzelbetrachtung entspricht der gesetzlichen Trennung von Beitrags- und Prämienzahlung. Jeder Versicherte, auch derjenige mit einem Wahltarif, zahlt zunächst den sich aus Einkommen und Beitragssatz ergebenden Krankenversicherungsbeitrag. Entscheidet er sich für einen WahlRS_Wahltarife_53_SGB_V.pdf. Vgl. ferner H. Beckschäfer, ErsK 2007, 233 (234 f.), insbesondere auch zu möglichen Begehrlichkeiten der Krankenkasse, die substituierbaren Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung möglichst weit zu fassen, um damit Chefarztbehandlung, Zweibett-/Einzelzimmer oder Auslandsreisekrankenversicherung einzuschließen. 1284 Vgl. BT-Drucks. 16/3100 S. 108 f.; R. Winkel, SozSich 2007, 110 (112). 1285 Vgl. BT-Drucks. 16/3100 S. 107 f.

C. Qualifizierung der verschiedenen Tätigkeiten von Krankenkassen

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tarif, der allein eine ansonsten vorgesehene Sachleistung der Krankenkasse durch eine Kostenerstattung der Krankenkasse zum eigenen Kostensatz, d. h. in der Höhe ihrer ersparten Aufwendungen, ersetzt, braucht der Versicherte an die Krankenkasse keine Prämie zu bezahlen. Eine Prämie muß nur zum Ausgleich von Mehraufwendungen bezahlt werden, welche der Krankenkasse dann entstehen, wenn der vereinbarte Kostenerstattungssatz über den eigenen Kostensätzen liegt. Die Prämie kann daher isoliert betrachtet und allein der abrechnungssatzbezogenen Höherversicherung zugeordnet werden. Von der Substitution der Sachleistung ist die Prämie zu trennen, da die Kostenerstattungsalternative auch ohne Prämienzahlung möglich ist. Ein Wahltarif, der mit keiner Prämie verbunden ist, weil die Krankenkasse nur die Höhe ihrer ersparten Kosten dem Versicherten ersetzt, stellt eine bloße Modifizierung des normalen Krankenversicherungsverhältnisses dar. Dieser Wahltarif ist daher nur Bestandteil jener Versicherungstätigkeit im Pflichtversichertenbereich, die nach bisheriger Rechtslage schon als auf dem Grundsatz der Solidarität beruhend qualifiziert wurde. Die abrechnungssatzbezogene Höherversicherung im Wahltarif mit Prämie ist dagegen eine eigenständige entgeltliche Leistung, welche den gesetzlich Versicherten in die Lage versetzt, einen Leistungserbringer wie ein Privatversicherter (oder besser) zu vergüten1286, und die von der „Grundkrankenversicherung“ zu trennen ist.1287 Sie hat den Charakter einer Zusatzkrankenversicherung. Der solidarische Charakter dieser angebotsorientierten Tätigkeit muß gesondert festgestellt werden; keinesfalls nimmt sie einfach an der Qualifizierung der „Grundkrankenversicherungstätigkeit“ teil. Umgekehrt ändert sich durch den Wahltarif nach § 53 Abs. 4 SGB V auch nichts an der bisherigen Qualifizierung der Krankenvollversicherungstätigkeit im Pflichtversichertenbereich. Ob das Anbieten einer abrechnungssatzbezogenen Höherversicherung insofern die Unternehmenseigenschaft einer Krankenkasse begründet, hängt in jedem Einzelfall von der konkreten Ausgestaltung des Wahltarifs ab, für die der Gesetzgeber den Krankenkassen kaum Vorgaben gemacht hat. Die Krankenkassen sind – soweit ersichtlich – bisher noch nicht mit konkreten Wahlangeboten auf den Markt getreten, sondern befinden sich in der Produktentwicklungs- und Kalkulationsphase. Dennoch läßt sich anhand einiger vorhersehbarer Rahmenbedingungen für diese Tarife eine tendenzielle Einschätzung treffen. Da nach der vorstehenden Untersuchung ein Wahltarif für Kostenerstattung mit obligatorischer Prämie den Charakter einer Zusatzkrankenversicherung hat, kann hier auf 1286

Vgl. R. Winkel, SozSich 2007, 110 (112). So hat der Bundesgerichtshof im Hinblick auf die direkte Vergütungsabrechung zwischen einem Krankentransportunternehmen und einer Krankenkasse festgestellt, auch die direkte Abrechnung der Vergütungen könne eine (von dem Nachfragevorgang zu trennende eigenständige) wirtschaftliche Tätigkeit sein, die von der einen Seite nachgesucht und von der anderen gewährt wird; vgl. BGH, WuW/E BGH 2707 (2713 f.) – Einzelkostenabrechnung = BGHZ 114, 218 (229 f.). 1287

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3. Kap.: Krankenkassen als Unternehmen

die das Angebot von Zusatzkrankenversicherungen in Bezug nehmende Untersuchung verwiesen werden (siehe dazu S. 324 ff.). An dieser Stelle sei aber schon soviel gesagt: Der solidarische Charakter einer Tätigkeit bemißt sich auf der Grundlage der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes danach, welcher Umverteilungsgrad in einem System erreicht wird.1288 Ein hoher Umverteilungsgrad kann in einem auf freiwilliger Mitgliedschaft beruhenden System in der Regel nicht realisiert werden, weil die Träger der Umverteilungslast1289 dem System fernblieben und es daher mangels wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit schnell zusammenbräche.1290 Diese Gesetzmäßigkeiten werden auch die Krankenkassen bei der Ausgestaltung von Wahltarifen zu beachten haben, da sich die Wahltarife finanziell selbst tragen müssen (vgl. § 53 Abs. 9 SGB V) und damit eine Quersubventionierung aus dem allgemeinen Haushalt oder anderen Wahltarifen nicht zulässig ist1291. (bb) Selbstbehalte Bei einem Tarif mit Selbstbehalt muß der Versicherte einen Teil der von der Krankenkasse zu tragenden Gesundheitskosten übernehmen (§ 53 Abs. 1 S. 1 SGB V). Dabei sind absolute und relative Selbstbehalte denkbar. Bei einem absoluten Selbstbehalt muß der Versicherte bis zu einem bestimmten Betrag seine gesamten Krankheitskosten innerhalb eines Zeitraumes übernehmen, darüber hinaus tritt die Krankenkasse vollständig ein. Bei relativen Selbstbehalten muß der Versicherte einen prozentualen Anteil seiner Krankheitskosten selbst dekken; die Krankenversicherung beteiligt sich aber mit ihrem Anteil bereits von Anfang an. Ohne eine Kappungsgrenze können bei dieser zweiten Variante sehr hohe und unüberschaubare Kosten auf den Versicherten zukommen.1292 Obwohl nach dem Wortlaut des § 53 Abs. 1 S. 1 SGB V alle in Anspruch genommenen Gesundheitsleistungen auf den Selbstbehalt anzurechnen sind, akzeptiert das Bundesversicherungsamt als nach § 90 Abs. 1 S. 1 SGB IV zuständige Aufsichtsbehörde für die bundesunmittelbaren Krankenkassen auch Satzungsregelungen, die Leistungen der Früherkennung und Prävention nicht anrechnen, um eine Gleichbehandlung mit den Wahltarifen nach § 53 Abs. 2 SGB V zu erreichen.1293 1288

Vgl. S. 184 ff., 190. Bei einer Krankenversicherung gehören dazu Personen mit hohem Einkommen und geringem Morbiditätsrisiko. 1290 Vgl. S. 189. 1291 Vgl. BVA, Schreiben v. 13.3.2007 betreffend Wahltarife, S. 1, veröffentlicht im Internet unter: www.bva.de/Fachinformationen/Krankenversicherung/Rundschreiben/ RS_Wahltarife_53_SGB_V.pdf; H. Beckschäfer, ErsK 2007, 233. 1292 Vgl. T. Kingreen, ZESAR 2007, 139 (143). 1293 Vgl. BVA, Schreiben v. 13.3.2007 betreffend Wahltarife, S. 4 f., veröffentlicht im Internet unter: www.bva.de/Fachinformationen/Krankenversicherung/Rundschreiben/ 1289

C. Qualifizierung der verschiedenen Tätigkeiten von Krankenkassen

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Für die freiwillige Übernahme eines Selbstbehaltes erhalten die Versicherten eine Prämienzahlung der Krankenkasse (§ 53 Abs. 1 S. 2 SGB V). Es entspricht der wirtschaftlichen Logik, daß der Selbstbehalt höher sein muß als die Prämienzahlung, ansonsten könnte sich der Versicherte risikolos besserstellen. Allerdings führt die in § 53 Abs. 8 S. 4 SGB V festgelegte Prämienbegrenzung (20 Prozent der vom Mitglied im Kalenderjahr getragenen Beiträge, jedoch nicht mehr als 600 Euro) dazu, daß auch der möglichen Höhe des Selbstbehaltes wirtschaftliche Grenzen gesetzt sind, da Risikoübernahme durch den Versicherten und Prämienzahlung der Krankenkasse in einem angemessenen Verhältnis stehen müssen, damit Versicherte sich für einen solchen Wahltarif entscheiden.1294 Nach Thorsten Kingreen ermöglichten Selbstbehalte eine Risikoselektion und schwächten damit das Solidarprinzip zugunsten versicherungstechnischer Äquivalenz. Die finanzielle Belastung des einzelnen Versicherten hinge nicht mehr nur von der Leistungsfähigkeit ab, sondern auch von der Wahrscheinlichkeit, innerhalb des vereinbarten Zeitraums krank zu werden. Für alte und/oder kranke Menschen seien daher Selbstbehalte nicht interessant; sie kämen daher auch nicht in den Genuß der vorgesehenen Prämienzahlungen.1295 Selbstbehalte individualisierten daher ein bislang kollektiv versichertes Risiko. An die Stelle solidarischer Finanzierung nach Maßgabe individueller Leistungsfähigkeit trete die Privatfinanzierung nach Maßgabe der Leistungsinanspruchnahme.1296 Mit der Zulassung von Selbstbehalttarifen hat der Gesetzgeber den zuvor gänzlich fehlenden Zusammenhang zwischen individuellem Risiko und Beitrag etwas aufgelockert. Die im Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Modernisierungsgesetz – GMG) vom 14.11.20031297 noch vorgesehene Beitragsminderung ist zwar mit dem Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz – GKV-WSG) vom 26.3.20071298 in eine Prämienzahlung der Krankenkasse umgewandelt worden. Nichtsdestotrotz hat die Prämienzahlung den wirtschaftlichen Zweck, den Versicherungsbeitrag des im Wahltarif Versicherten zu mindern. Daß nunmehr eine Prämienzahlung vorgesehen ist, hat alRS_Wahltarife_53_SGB_V.pdf; H. Beckschäfer, ErsK 2007, 233 (234). Siehe ferner R. Winkel, SozSich 2007, 110 (111). 1294 Vgl. R. Winkel, SozSich 2007, 110 f. Hier findet sich auch eine Übersicht über die Rahmendaten von Selbstbehalttarifen der AOK Bayern und der Techniker Krankenkasse. 1295 T. Kingreen, ZESAR 2007, 139 (144). Vgl. auch dens., MedR 2004, 188 (190); T. Linke, NZS 2003, 126 (128). 1296 T. Kingreen, ErsK 2007, 112. Ähnlich auch T. Gerlinger, KrV 2007, 86 (88); T. Linke, NZS 2003, 126 (128 f.). 1297 BGBl. I 2190. Selbstbehalttarife waren nach diesem Gesetz noch auf freiwillig Versicherte beschränkt, vgl. § 53 SGB V a. F. 1298 BGBl. I 378.

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3. Kap.: Krankenkassen als Unternehmen

lein verfahrenstechnische Gründe, denn die Beiträge können von der Krankenkasse deshalb nicht mehr gemindert werden, weil die Beiträge nach dem Reformkonzept künftig an den neuen Gesundheitsfonds weiterzuleiten sind und diesem zustehen.1299 Wenn die aus Beitrag und Prämienzahlung zusammengesetzte Preisbemessung derzeit nicht mehr vollständig unabhängig vom individuellen Risiko ist, kommt es für das Beruhen einer Tätigkeit auf dem Grundsatz der Solidarität auf das graduelle Ausmaß der Verknüpfung zwischen beiden Größen an.1300 Der Verknüpfungsgrad ist auch im Wahltarif nach § 53 Abs. 1 SGB V sehr klein. Die Prämienzahlung ändert nämlich überhaupt nichts daran, daß allein das Einkommen des Versicherten die entscheidende individuelle Bezugsgröße der Beitragsbemessung bleibt. Der durch das Morbiditätsrisiko mitbestimmte wirtschaftliche Wert1301 der Krankenversicherung spielt keine Rolle für die Hauptpreiskomponente Beitrag. Somit zahlt das gesunde, ledige und einkommensstarke Mitglied auch bei Erhalt der Prämienzahlung weiterhin einen sehr viel höheren Preis für die Absicherung gegen Krankheit im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung als ein krankheitsanfälliger Familienvater mit geringem Einkommen, dessen gesamte Familie nach § 10 SGB V kostenlos mitversichert ist; das erstgenannte Mitglied ist damit weiterhin verpflichtet, einen nennenswerten Umverteilungsbeitrag zu leisten. Ferner ist der Prämienhöchstbetrag auf maximal 600 Euro begrenzt, so daß die risikoabhängige Minuskomponente neben der einkommensabhängigen Gesamtbeitragszahlung geringfügig bleibt. Die den Gesamtpreis im Randbereich verändernde risikoabhängige Minuskomponente kehrt deshalb nicht die Regel um, nach der die vom Versicherten für den Versicherungsschutz aufzubringende Gegenleistung von der individuellen Leistungsfähigkeit des Versicherten abhängt. Im übrigen bleibt es auch für einen Versicherten mit geringem Morbiditätsrisiko fraglich, ob er mit dem Wahltarif eine Preisminderung überhaupt realisieren kann. Möglicherweise wird aufgrund einer Erkrankung der gesamte Selbstbehalt beansprucht, so daß der Versicherte im risikobezogenen Wahltarif sogar insgesamt mehr bezahlt (Differenz zwischen Selbstbehalt und Prämienhöhe) als im normalen Tarif. Schließlich stellt der Selbstbehalttarif auch keinen Paradigmenwechsel dar, weil es auch im bisherigen Solidarsystem schon üblich gewesen ist, Kranken einen „Zusatzbeitrag“ abzuverlangen. Dies geschah und geschieht weiterhin über Zuzahlungen1302 (z. B. sog. Rezept- oder Praxisgebühr) für die tatsächliche Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen.1303 1299

Vgl. BT-Drucks. 16/3100 S. 108 (zu § 53 Abs. 2 SGB V). Siehe S. 188 f., 190. 1301 Der wirtschaftliche Wert des individuellen Krankenversicherungsschutzes ist um so größer, je höher das individuelle Morbiditätsrisiko ist. 1302 Vgl. beispielsweise § 24 Abs. 3, § 28 Abs. 4, § 31 Abs. 3, § 32 Abs. 2, § 33 Abs. 8 in Verbindung mit § 61 SGB V. 1300

C. Qualifizierung der verschiedenen Tätigkeiten von Krankenkassen

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Thorsten Kingreen verkennt, daß der Europäische Gerichtshof für das Beruhen einer Sozialversicherungstätigkeit auf dem Grundsatz der Solidarität nicht verlangt, daß die finanzielle Belastung des einzelnen Versicherten nur von seiner Leistungsfähigkeit abhängt1304. In der Rechtssache Cisal sprach der Gerichtshof einer Einrichtung, welche mit der Tätigkeit der Berufsunfähigkeitsversicherung in Italien betraut war, die Unternehmenseigenschaft ab, obwohl sich die Beiträge nach zehn Risikoklassen für verschiedene Berufsgruppen staffelten.1305 Die Selbstbehalte in ihrer gegenwärtigen Gestalt können den Gerichtshof daher nicht dazu veranlassen, von seiner Beurteilung der Pflichtversicherungstätigkeit von Krankenkassen in der Rechtssache AOK Bundesverband u. a.1306 abzuweichen. (cc) Prämienzahlung bei Leistungsfreiheit Eine weitere Form des Wahltarifes, welche eine Krankenkasse in ihrer Satzung aufnehmen kann, ist in § 53 Abs. 2 SGB V geregelt. Die Krankenkasse kann vorsehen, einem Mitglied, das im Kalenderjahr länger als drei Monate versichert war, eine Prämie zu bezahlen, wenn das Mitglied und seine nach § 10 SGB V mitversicherten Familienangehörigen in dem Kalenderjahr keine Leistungen zu Lasten der Krankenkasse in Anspruch genommen haben (§ 53 Abs. 2 S. 1 SGB V). Vorsorgeuntersuchungen und andere präventive Gesundheitsleistungen bleiben dabei weitgehend unberücksichtigt, ebenso wie Leistungen für Versicherte, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben (§ 53 Abs. 2 S. 3 SGB V). Die Prämienzahlung darf ein Zwölftel der jeweils im Kalenderjahr gezahlten Beiträge nicht überschreiten (§ 53 Abs. 2 S. 2 SGB V).1307 Auch diese Tarifform stellt einen gewissen Zusammenhang zwischen Versicherungsbeitrag und individuellem Risiko her. Durch die nachträgliche Prämienzahlung wird der Gesamtpreis des gesetzlichen Versicherungsschutzes reduziert. Dabei ist die nunmehr vorgesehene Prämienzahlung wirtschaftlich identisch mit der zuvor in § 54 S. 1 SGB V a. F. geregelten Beitragsrückzahlung; die Veränderung hat dieselben verfahrenstechnischen Gründe wie beim Selbstbehalttarif1308. Eine Prämienzahlung wird regelmäßig nur Versicherten mit geringem 1303

Vgl. M. H. Werner, RsDE Nr. 61 (2006), 1 (16, 21). Vgl. T. Kingreen, ZESAR 2007, 139 (144). 1305 Vgl. EuGH, Urt. v. 22.1.2002, Rs. C-218/00, Slg. 2002, I-691 Rn. 38 ff. – Cisal; Schlußanträge des Generalanwalts Francis G. Jakobs v. 13.9.2001, Rs. C-218/00, Slg. 2002, I-691 Tn. 23 – Cisal. Siehe auch E. Jung, in: I. Ebsen (Hrsg.), Europarechtliche Gestaltungsvorgaben für das deutsche Sozialrecht, 2000, 67 (71 ff.). 1306 Vgl. EuGH, Urt. v. 16.3.2004, verb. Rs. C-264/01, C-306/01, C-354/01 und C-355/01, Slg. 2004, I-2493 Rn. 45 ff. – AOK Bundesverband u. a. 1307 Vgl. zur früheren Rechtslage § 54 SGB V a. F. 1308 Vgl. dazu S. 311 f. 1304

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3. Kap.: Krankenkassen als Unternehmen

Morbiditätsrisiko zugute kommen, da bei ihnen eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür besteht, im gesamten Kalenderjahr leistungsfrei zu bleiben. Auch werden es Familienvorstände schwer haben, in den Genuß einer Prämienzahlung zu kommen, da die Leistungsfreiheit sowohl beim Mitglied selbst als auch zugleich bei allen seinen nach § 10 SGB V mitversicherten Angehörigen, die über 18 Jahre alt sind, eintreten muß. Das Risiko, eine Leistung von der Krankenkasse in Anspruch nehmen zu müssen, ist aber um so höher, je mehr Angehörige mitversichert sind. In erster Linie begünstigt der Wahltarif nach § 53 Abs. 2 SGB V somit junge, gesunde, ledige und kinderlose Versicherte, denn sie können mit einer Beitragsminderung rechnen.1309 Thorsten Kingreen vertritt im Hinblick auf diese Zusammenhänge die Ansicht, die Beitragsentlastung für Träger guter Risiken bezahlten letztlich die Personen mit schlechten Risiken oder der Steuerzahler, womit die solidarische Ausgestaltung des gesetzlichen Krankenversicherungssystems insgesamt in Frage gestellt würde.1310 Diese Behauptung ist jedoch unzutreffend. Die Träger schlechter Risiken, sei es aufgrund des eigenen Morbiditätsrisikos oder aufgrund vieler beitragsfrei mitzuversichernder Familienangehöriger, finanzieren im System der gesetzlichen Krankenversicherung in der Regel schon nicht einmal ihre eigenen Krankheitskosten; ansonsten wäre eine Umverteilung ja überflüssig. Es ist daher nicht nachzuvollziehen, wenn Thorsten Kingreen meint, dieser Personenkreis finanziere auch noch die Prämienzahlungen an die leistungsfreien Versicherten im Wahltarif nach § 53 Abs. 2 SGB V. Vielmehr vermindert sich durch die Prämienzahlung nur die Umverteilungslast von Trägern guter Risiken. Da im Falle von Prämienzahlungen bei Leistungsfreiheit nach Maßgabe des § 53 Abs. 2 SGB V die vom Versicherten für den Versicherungsschutz aufzubringende Gegenleistung nicht mehr vollständig risikounabhängig ist, kommt es für die Beurteilung des solidarischen Charakters der Krankenversicherungstätigkeit auf das graduelle Ausmaß der Verknüpfung zwischen individuellem Risiko und Preis/Beitrag an. Der mit den Wahltarifen nach § 53 Abs. 2 SGB V ermöglichte Zusammenhang zwischen beiden Größen ist sehr klein. Zur Begründung sei hier auf die obigen Ausführungen zu den Prämienzahlungen im Falle von Selbstbehalttarifen verwiesen:1311 Letztlich bleibt das individuelle Einkommen des Versicherten die entscheidende Preisbemessungsgröße. Der auf ein Zwölftel der im Kalenderjahr gezahlten Beiträge begrenzte Rückzahlungshöchstbetrag kehrt als risikoabhängige Minuskomponente auch hier nicht die Regel um, nach

1309

Vgl. auch T. Gerlinger, KrV 2007, 86 (88). T. Kingreen, MedR 2004, 188 (190). Vgl. ferner dens., ZESAR, 2007, 139 (145); ErsK 2007, 112 (113). 1311 Vgl. S. 312. 1310

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der die vom Versicherten für den Versicherungsschutz aufzubringende Gegenleistung von der individuellen Leistungsfähigkeit des Versicherten abhängt. (c) Basistarif Ab dem 1.1.2009 sind private Krankenversicherungsunternehmen mit Sitz im Inland gemäß § 12 Abs. 1a S. 1 VAG n. F. verpflichtet, einen branchenweit einheitlichen Basistarif anzubieten, dessen Vertragsleistungen in Art, Umfang und Höhe den Leistungen nach §§ 11 bis 68 SGB V, auf die ein Anspruch besteht, jeweils vergleichbar sind. Der Basistarif muß Varianten für Kinder und Jugendliche sowie Beihilfeberechtigte vorsehen (§ 12 Abs. 1a S. 2 VAG n. F.). Zugang zum Basistarif haben freiwillig in der gesetzlichen Krankenversicherung Versicherte, andere nicht in der gesetzlichen Krankenversicherung versicherungspflichtige Personen, sofern sie nicht schon privatversichert sind, Beihilfeberechtigte sowie Privatversicherte, welche ihren Versicherungsvertrag nach dem 31.12.2008 geschlossen haben (§ 12 Abs. 1b S. 1 VAG n. F.). Der Zugang ist je nach Gruppe von verschiedenen Voraussetzungen abhängig.1312 Die privaten Krankenversicherungsunternehmen trifft hinsichtlich der Zugangsberechtigten ein Kontrahierungszwang (§ 12 Abs. 1b S. 1, 4 VAG n. F.). Die Prämienhöhe für eine Krankenvollversicherung im Basistarif ist unabhängig vom individuellen Morbiditätsrisiko des Versicherten und darf den Höchstbeitrag der gesetzlichen Krankenversicherung nicht überschreiten (§ 12 Abs. 1c S. 1 Hs. 1, § 12g Abs. 1 S. 3 VAG n. F.).1313 Das Gesetz beleiht den Verband der privaten Krankenversicherung damit, Art, Umfang und Höhe der Leistungen im Basistarif festzulegen und stellt den Verband dabei unter die Fachaufsicht des Bundesministeriums der Finanzen (§ 12 Abs. 1d VAG n. F.). Die ärztliche Versorgung der im Basistarif privat Versicherten ist durch die Kassenärztlichen Vereinigungen und die Kassenärztlichen Bundesvereinigungen sicherzustellen (§ 75 Abs. 3a S. 1 SGB V n. F.). Mit dem Basistarif werden wesentliche Elemente der Sozialversicherung (Kontrahierungszwang, einheitliches Leistungspaket, Verbot von Risikozuschlägen und Leistungsausschlüssen, Beitragsbegrenzung) zwangsweise auf die private Versicherungswirtschaft übertragen.1314 Im Gegensatz zur gesetzlichen Krankenversicherung erhalten die privaten Krankenversicherungsunternehmen für die im Basistarif Versicherten aber keine Steuerzuschüsse. Daß die finanzielle Leistungsfähigkeit der Versicherungsunternehmen durch den Basistarif ge1312 Vgl. zu den verschiedenen Zugangsvoraussetzungen im einzelnen § 12 Abs. 1b VAG n. F. sowie im Überblick H. Sodan, NJW 2007, 1313 (1319 f.); ders./M. Schüffner, Staatsmedizin auf dem Prüfstand der Verfassung, 2006, S. 33. 1313 Siehe zum Höchstbeitrag der gesetzlichen Krankenversicherung S. 298. 1314 Vgl. T. Gerlinger, KrV 2007, 86 (87); T. Kingreen, ZESAR 2007, 139 (146); H. Sodan, NJW 2007, 1313 (1320).

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3. Kap.: Krankenkassen als Unternehmen

fährdet sein könnte, hat der Gesetzgeber erkannt und deshalb gemäß § 12g VAG n. F. einen obligatorischen Risikoausgleich vorgesehen. Dennoch ist zu erwarten – und mutmaßlich auch vom Gesetzgeber so gewollt –, daß die privaten Krankenversicherungsunternehmen finanzielle Verluste aus dem Basistarif zu Lasten ihrer regulären Versicherten ausgleichen werden müssen.1315 Der neue Basistarif stößt zwar auf erhebliche verfassungsrechtliche Einwände,1316 er wirkt sich jedoch nicht auf die Beurteilung der wettbewerbsrechtlichen Unternehmenseigenschaft von Krankenkassen aus1317. Zunächst betrifft der Basistarif im Tätigkeitsbereich der Pflichtversicherung überhaupt keine Wettbewerbsverhältnisse zwischen privaten Krankenversicherungsunternehmen und gesetzlichen Krankenkassen, weil Pflichtversicherte nicht in den Basistarif der privaten Krankenversicherung wechseln dürfen.1318 Entscheidend ist jedoch, daß der Basistarif den im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung verwirklichten Umverteilungsgrad nicht verändert. Vielmehr führt er Umverteilungselemente in die private Krankenversicherung ein. Daher drängt sich die Frage auf, ob möglicherweise die privaten Krankenversicherungsunternehmen nicht als Unternehmen im Sinne der Art. 81 ff. EG handeln und damit nicht als Normadressaten des Europäischen Wettbewerbsrechts anzusehen sind, sofern sie Krankenvollversicherungen im Basistarif anbieten. Dieser Frage braucht aber im Rahmen des Untersuchungsgegenstandes dieser Arbeit nicht nachgegangen zu werden. (d) Zusammenfassung und Fazit zum GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz Auch nach Einführung des Gesundheitsfonds ab dem Jahr 2009 wird die gesetzliche Krankenversicherung weiterhin nach dem Umlageverfahren finanziert, welches aber nicht mehr idealtypisch umgesetzt wird, da die Beiträge nicht mehr unmittelbar von den Versicherten an die jeweilige Krankenkasse fließen, sondern zunächst in einen zentralen Umverteilungstopf. Die Steuerfinanzierung führt dazu, daß sich der Umverteilungsgrad innerhalb des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung verringert. Der bisher vorgesehene Umfang der Steuerfinanzierung (vgl. § 221 Abs. 1 S. 1, 2 SGB V) ist aber viel zu gering, um den Umverteilungsgrad spürbar zu senken. Die bisher auf freiwillig Versicherte begrenzten Wahltarife wurden auf Pflichtversicherte ausgedehnt. Mit der Zulassung von Selbstbehalten (§ 53 Abs. 1 1315 Vgl. H. Sodan/M. Schüffner, Staatsmedizin auf dem Prüfstand der Verfassung, 2006, S. 34. 1316 Siehe zu den verfassungsrechtlichen Einwänden ausführlich H. Sodan/M. Schüffner, Staatsmedizin auf dem Prüfstand der Verfassung, 2006, S. 32 ff., 38 ff. 1317 So auch T. Kingreen, ErsK 2007, 112 (113). 1318 Vgl. T. Kingreen, ZESAR 2007, 139 (146).

C. Qualifizierung der verschiedenen Tätigkeiten von Krankenkassen

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SGB V, § 53 SGB V a. F.) und Beitragsrück- bzw. Prämienzahlungen1319 bei Leistungsfreiheit (§ 53 Abs. 2 SGB V, § 54 SGB V a. F.) wurde bereits durch das Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKVModernisierungsgesetz – GMG) vom 14.11.20031320 der zuvor gänzlich fehlende Zusammenhang zwischen individuellem Morbiditätsrisiko und Beitrag etwas aufgelockert. Durch diese beiden Wahltarifformen werden vor allem gesunde Mitglieder begünstigt. Die in beiden Wahltarifen hergestellte Verknüpfung zwischen individuellem Risiko und Preis/Beitrag ist aber sehr klein. Weiterhin hängt die Höhe der für den Versicherungsschutz aufzubringenden Gegenleistung maßgeblich von der individuellen Leistungsfähigkeit des Versicherten, d. h. von seinem Einkommen, ab. Selbstbehalte und Prämienzahlungen bei Leistungsfreiheit können in ihrer gegenwärtigen Gestalt den Gerichtshof nicht dazu veranlassen, von seiner Beurteilung der Pflichtversicherungstätigkeit von Krankenkassen in der Rechtssache AOK Bundesverband u. a. abzuweichen. Differenzierter fällt die Beurteilung des neuen Wahltarifs für Kostenerstattung (§ 53 Abs. 4 SGB V) aus. Ist ein solcher Wahltarif mit keiner Prämie verbunden ist, weil die Krankenkasse nur die Höhe ihrer ersparten Kosten dem Versicherten ersetzt, handelt es sich um eine bloße Modifizierung des normalen Krankenversicherungsverhältnisses. Die abrechnungssatzbezogene Höherversicherung mit Prämie ist dagegen eine eigenständige entgeltliche Leistung der Krankenkasse, welche den gesetzlich Versicherten in die Lage versetzt, einen Leistungserbringer wie ein Privatversicherter (oder besser) zu vergüten und den Charakter einer Zusatzkrankenversicherung trägt. Das Anbieten von freiwilligen Zusatzkrankenversicherungen stellt im Regelfall eine wirtschaftliche Tätigkeit dar, welche den Unternehmenstatbestand der Art. 81 ff. EG begründet. Das Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz – GKV-WSG) vom 26.3.20071321 hat zu einer strukturellen Annäherung von privater und gesetzlicher Krankenversicherung geführt. Risikobezogene Selbstbehalte und Prämienzahlungen bei Leistungsfreiheit, welche nunmehr auch im Kernbereich der Pflichtversicherung angeboten werden dürfen, sind typische Elemente der nach dem Äquivalenzprinzip arbeitenden privaten Krankenversicherung. Dennoch handelt es sich nur um eine partielle Übernahme von privatversicherungsmäßigen Elementen; prägendes Fundament der privaten Krankenversicherung ist aber das Äquivalenzprinzip selbst. Auf der anderen Seite hat der Gesetzgeber die privaten Krankenversicherungsunternehmen gezwungen, mit dem branchenweit einheitlichen 1319 Die Beitragsrückzahlungen wurden mit dem GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz durch Prämienzahlungen der Krankenkasse ersetzt. 1320 BGBl. I 2190. Wahltarife waren nach diesem Gesetz noch auf freiwillig Versicherte beschränkt, vgl. § 53 SGB V a. F. 1321 BGBl. I 378.

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3. Kap.: Krankenkassen als Unternehmen

Basistarif eine Umverteilung innerhalb der privaten Krankenversicherung zu Lasten der Privatversicherten in normalen Tarifen zu betreiben. Diese kompromißhafte Annäherung beider Systeme läßt für beide Partner der Großen Koalition die Option offen, in einer späteren anderen Regierungskonstellation gegensätzliche Pläne umzusetzen, nämlich entweder innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung den Umverteilungsgrad weiter zu reduzieren (z. B. durch eine Kopfpauschale) oder aber die private Krankenvollversicherung im Wege einer Bürgerzwangsversicherung1322 (sog. Bürgerversicherung) abzuschaffen. cc) Krankenvollversicherung von freiwillig Versicherten Neben den Pflichtversicherten gibt es Personen, welche der gesetzlichen Krankenversicherung freiwillig angehören können. Um sie können die Krankenkassen sowohl untereinander als auch mit privaten Krankenversicherungsunternehmen konkurrieren.1323 Zu diesem Kreis zählen zunächst diejenigen Personen, welche nicht versicherungspflichtig sind, aber nach § 9 SGB V der gesetzlichen Krankenversicherung beitreten dürfen.1324 Insofern verwendet der Gesetzgeber selbst die Bezeichnung „freiwillige Versicherung“. Darüber hinaus sind der Gruppe derer, die freiwillig der gesetzlichen Krankenversicherung angehören können, auch solche Personen zuzurechnen, welche zwar versicherungspflichtig sind, aber gemäß § 8 SGB V auf Antrag von der Versicherungspflicht zu befreien sind. Denn auch sie müssen nicht unbedingt bei einer Krankenkasse versichert sein. (1) Freiwillige Versicherung als eigenes Tätigkeitsgebiet Eingangs stellt sich die Frage, ob bezogen auf Pflichtversicherte einerseits und freiwillig Versicherte bzw. Versicherungsberechtigte andererseits zwei verschiedene Tätigkeitssegmente der Krankenkassen innerhalb der Krankenvollversicherung anzunehmen sind, was eine unterschiedliche Beurteilung der Unternehmenseigenschaft ermöglicht, oder aber die Krankenvollversicherung ein einheitliches Tätigkeitsfeld darstellt. Wettbewerbsrechtlich müßte jedenfalls dann von zwei verschiedenen Tätigkeitssegmenten ausgegangen werden, wenn beide Personenkreise nicht dem gleichen Markt zuzurechnen wären. Daß das angebotene „Produkt“, nämlich die Krankenvollversicherung, für beide Gruppen identisch ist, hindert die Annahme verschiedener Märkte nicht. So können im Wettbewerbsrecht auch die verschiedenen Vertriebswege eigenständige Märkte bil1322 Vgl. zur „Bürgerversicherung“ als Bürgerzwangsversicherung H. Sodan, ZRP 2004, 217 ff. 1323 Siehe dazu S. 284 ff., 290 ff. 1324 Dazu gehören in erster Linie Arbeitnehmer mit einem Einkommen über der Pflichtversicherungsgrenze von derzeit 47.700 Euro pro Jahr, vgl. S. 290 f.

C. Qualifizierung der verschiedenen Tätigkeiten von Krankenkassen

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den, obwohl über die Vertriebswege das gleiche Produkt abgesetzt wird und sich nur die Abnehmer unterscheiden.1325 Zum gleichen sachlich relevanten Markt gehören alle Güter oder Dienstleistungen, die hinsichtlich ihrer Eigenschaften, Preise oder ihres vorgesehenen Verwendungszweckes von der Marktgegenseite als austauschbar angesehen werden (Substituierbarkeit).1326 Aus der Sicht eines Pflichtversicherten ist die gesetzliche Krankenvollversicherung nicht durch eine private Krankenvollversicherung austauschbar. Dies gilt umgekehrt ebenso für Personen, welche keinen Zugang zur gesetzlichen Krankenversicherung haben. Dagegen sind die Leistungen der gesetzlichen und privaten Krankenversicherung für eine Person, welche die Möglichkeit besitzt, freiwillig der gesetzlichen Krankenversicherung anzugehören oder aber eine private Krankenversicherung abzuschließen, sehr wohl austauschbar.1327 Da somit grundsätzlich unterschiedliche Austauschmöglichkeiten für Pflichtversicherte und freiwillig Versicherte bzw. Versicherungsberechtigte bestehen, können beide Gruppen nicht einer gemeinsamen Marktgegenseite angehören. Es liegen daher bezogen auf die Krankenvollversicherung von Pflichtversicherten und freiwillig Versicherten unterschiedliche Angebotssegmente vor. (2) Prägung durch den Grundsatz der Solidarität Da Pflichtversicherung und freiwillige Versicherung wettbewerbsrechtlich verschiedene Tätigkeitssegmente darstellen,1328 ist nachfolgend zu untersuchen, ob die Tätigkeit der Krankenkassen im Bereich der freiwilligen Krankenvollversicherung auf dem Grundsatz der Solidarität beruht.

1325 Vgl. R. Bechtold/W. Bosch/I. Brinker/S. Hirsbrunner, EG-Kartellrecht – Kommentar, 2005, Art. 82 EG Rn. 10; W. Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, GWB § 19 Rn. 34 – Getränke; H. Wendland, in: W. Büchner/J. Ehmer/M. Geppert/B. Kerkhoff/ H.-J. Piepenbrock/R. Schütz/F. Schuster (Hrsg.), Beck’scher TKG-Kommentar, 2000, Vor § 33 Rn. 37. 1326 Kommission, Bekanntmachung über die Definition des relevanten Marktes im Sinne des Wettbewerbsrechts der Gemeinschaft, ABl. EG 1997 Nr. C 372/5 Rn. 7; vgl. ferner D. Dirksen, in: Langen/Bunte II Artikel 82 [Mißbrauch einer marktbeherrschenden Stellung] Rn. 19 f.; T. Kingreen, MedR 2004, 188 (195); W. Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, WettbR EG/1 Art. 82 EGV Rn. 43 ff.; H. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze II Artikel 82 EG Rn. 124; H. Wendland, in: W. Büchner/J. Ehmer/ M. Geppert/B. Kerkhoff/H.-J. Piepenbrock/R. Schütz/F. Schuster (Hrsg.), Beck’scher TKG-Kommentar, 2000, Vor § 33 Rn. 23 ff. 1327 Bei Rentnern (vgl. Fn. 1143) dürfte jedoch wegen des hohen Preises einer privaten Krankenversicherung keine Austauschbarkeit gegeben sein; vgl. zu Annahme verschiedener Märkte bei stark unterschiedlichen Preisen H. Wendland, in: W. Büchner/J. Ehmer/M. Geppert/B. Kerkhoff/H.-J. Piepenbrock/R. Schütz/F. Schuster (Hrsg.), Beck’scher TKG-Kommentar, 2000, Vor § 33 Rn. 41 f. 1328 Vgl. S. 318 f.

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3. Kap.: Krankenkassen als Unternehmen

Dazu ist vorab festzustellen, daß die freiwillige Versicherung innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung nicht als eigenständige Sparte geführt wird. Freiwillig Versicherte sind Bestandteil der Gesamtversichertengemeinschaft; eine leistungsrechtliche, organisatorische oder finanzwirtschaftliche Sonderung findet nicht statt. Deshalb gilt hinsichtlich der einzelnen Solidaritätsmerkmale – bis auf das Merkmal der Pflichtmitgliedschaft – im wesentlichen das gleiche, was oben zur Pflichtversicherung dargelegt wurde:1329 Finanzwirtschaftlich ist auch die freiwillige Versicherung gemäß § 220 SGB V nach dem Umlageverfahren organisiert, da die Vorschrift auf die Gesamtfinanzierung der Krankenkasse (bzw. der gesetzlichen Krankenversicherung ab 1.1.2009, § 220 SGB V n. F.) abstellt. Die Beiträge der freiwillig Versicherten in einem Haushaltsjahr werden zur Deckung der Gesamtausgaben der Krankenkasse (bzw. des Gesundheitsfonds ab 1.1.2009) im Haushaltsjahr verwendet.1330 Die Beiträge freiwilliger Mitglieder richten sich nach der individuellen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit (§ 240 Abs. 1 S. 2 SGB V). Nach unten und oben ist der Zusammenhang zwischen Beitragshöhe und wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit jedoch durchbrochen. Freiwillig Versicherte – auch wenn sie ohne Einkommen sind1331 – müssen nämlich einen Mindestbeitrag bezahlen (§ 240 Abs. 4 SGB V), um einen vertretbaren Ausgleich zwischen Leistung und Gegenleistung zu erreichen.1332 Die Mindestbemessungsgrundlage liegt für Mitglieder, die hauptberuflich selbständig erwerbstätig sind, bei Dreivierteln der monatlichen Bezugsgröße1333 (vgl. § 240 Abs. 4 S. 2 SGB V); danach ergibt sich ein monatlicher Mindestbeitrag in Abhängigkeit des Beitragssatzes der jeweiligen Krankenkasse von rund 265 Euro1334. Bei Selbständigen mit Existenzgründungszuschuß liegt die Mindestbemessungsgrundlage bei der Hälfte der monatlichen Bezugsgröße (vgl. § 240 Abs. 4 S. 2 SGB V). Sonstige freiwillig 1329

Vgl. S. 296 ff. Siehe näher S. 297 f., 300 ff. 1331 Vgl. BT-Drucks. 15/1525 S. 139. 1332 Vgl. D. Krauskopf, in: ders. (Hrsg.), Soziale Krankenversicherung – Pflegeversicherung, Bd. 2, § 240 SGB V Rn. 29 (Stand: Januar 2005). 1333 Die Bezugsgröße ist gemäß § 18 Abs. 1 SGB IV das Durchschnittsentgelt der gesetzlichen Rentenversicherung im vorvergangenen Kalenderjahr, aufgerundet auf den nächsthöheren, durch 420 teilbaren Betrag. Das Durchschnittsentgelt der gesetzlichen Rentenversicherung für das Jahr 2005 beträgt 29.202 Euro; danach ergibt sich eine (jährliche) Bezugsgröße von 29.400 Euro, welches einer monatlichen Bezugsgröße von 2.450 Euro entspricht; vgl. § 1 Abs. 1, § 2 Abs. 1 des Gesetzes über maßgebende Rechengrößen der Sozialversicherung für 2007 (Sozialversicherungs-Rechengrößengesetz 2007) vom 1.12.2006 (BGBl. I 2742, 2746). 1334 Bei Zugrundelegung eines Beitragssatzes von 13,5 Prozent sowie eines zusätzlichen Beitragssatzes (§ 241a Abs. 1 S. 1 Hs. 1 SGB V) von 0,9 Prozent. Sofern kein Krankengeldanspruch besteht, ist der ermäßigte Beitragssatz zugrunde zu legen, vgl. § 243 Abs. 1, § 44 Abs. 2 SGB V. 1330

C. Qualifizierung der verschiedenen Tätigkeiten von Krankenkassen

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Versicherte müssen sich eine Mindestbemessungsgrundlage in Höhe von einem Drittel der Bezugsgröße entgegenhalten lassen (vgl. § 240 Abs. 4 S. 1 SGB V), welches in Abhängigkeit des Beitragssatzes der jeweiligen Krankenkasse zu einem monatlichen Mindestbeitrag von rund 118 Euro1335 führt. Nach oben wird der Beitrag durch die Beitragsbemessungsgrenze begrenzt, welche der Jahresarbeitsentgeltgrenze des § 6 Abs. 7 SGB V (derzeit 42.750 Euro1336) entspricht, vgl. § 240 Abs. 2 S. 3 in Verbindung mit § 223 Abs. 3 SGB V. Der monatliche Höchstbeitrag liegt somit für Arbeitnehmer bei rund 513 Euro.1337 Der Leistungsumfang hängt jedoch niemals von der Beitragshöhe ab: Es werden alle Leistungen des gleichfalls für freiwillige Mitglieder maßgeblichen gesetzlichen Leistungskataloges in vollem Umfang auch bei niedrigen Beiträgen gewährt.1338 Umgekehrt vermitteln hohe Beitragszahlungen keinen größeren Leistungsumfang. Die Leistungspflicht der Krankenkasse orientiert sich ausschließlich am krankheitsbedingten Versorgungsbedarf. Aus der Maßgeblichkeit der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit für die Beitragshöhe folgt ferner, daß das individuelle Krankheitsrisiko für die Beitragsgestaltung und den Leistungsanspruch grundsätzlich keine Rolle spielt.1339 Zudem werden auch die Angehörigen freiwillig Versicherter beitragsfrei in die Familienversicherung nach § 10 SGB V mit einbezogen. Der zuvor gänzlich feh1335

Siehe Fn. 1334. Vgl. § 4 Abs. 2 des Gesetzes über maßgebende Rechengrößen der Sozialversicherung für 2007 (Sozialversicherungs-Rechengrößengesetz 2007) vom 1.12.2006 (BGBl. I 2742, 2746). 1337 Siehe Fn. 1334. 1338 Für freiwillig Versicherte kann nach § 44 Abs. 2 SGB V der Anspruch auf Krankengeld durch die Satzung ausgeschlossen werden. Dafür ist der Beitragssatz gemäß § 243 Abs. 1 SGB V entsprechend zu ermäßigen. 1339 Das Morbiditätsrisiko eines Versicherungsberechtigten war nicht immer für das Versicherungsverhältnis in der freiwilligen Krankenversicherung unbeachtlich. So findet sich in einem Lehrbuch zur Sozialversicherung aus dem Jahr 1921 die Feststellung: „Um ein zu starkes Hineindrängen ungünstiger Risiken zu vermeiden, dürfen die Krankenkassen aber für freiwillig Eintretende eine Altersgrenze festsetzen sowie ein Gesundheitszeugnis verlangen“ (A. Manes, Sozialversicherung, 1921, S. 40). Die bis zum 31.12.1988 gültige Vorschrift des § 310 Abs. 2 RVO sah hinsichtlich freiwilliger Kassenmitglieder vor, daß für eine Erkrankung, welche bereits zum Zeitpunkt des Beitrittes bestand, kein Leistungsanspruch gegen die Krankenkasse begründet wird. Gemäß § 310 Abs. 3 RVO durften die Krankenkassen Versicherungsberechtigte, die sich zum Beitritt melden, ärztlich untersuchen lassen. Ferner konnten die Krankenkassen gemäß § 207 RVO in ihren Satzungen bestimmen, daß der Anspruch Versicherungsberechtigter, die der Kasse freiwillig beigetreten sind, erst nach einer Wartezeit von höchstens sechs Wochen entsteht. Mit dem Gesetz zur Strukturreform im Gesundheitswesen (Gesundheits-Reformgesetz – GRG) vom 20.12.1988 (BGBl. I 2477) wurde das Recht der gesetzlichen Krankenversicherung auf eine neue gesetzliche Grundlage gestellt, nämlich das Fünfte Buch Sozialgesetzbuch, wobei sämtliche risikobezogenen Beitragselemente in der freiwilligen Krankenversicherung beseitigt wurden; vgl. M. Fuchs, in: G. Igl (Hrsg.), Das Gesundheitswesen in der Wettbewerbsordnung, 2000, 39 (44 f.). 1336

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3. Kap.: Krankenkassen als Unternehmen

lende Zusammenhang zwischen Risiko und Beitrag wurde mit der Einführung von Wahltarifen1340 für freiwillig Versicherte (§§ 53, 54 SGB V a. F.) durch das Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Modernisierungsgesetz – GMG) vom 14.11.20031341 etwas aufgelockert. Mit dem Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz – GKV-WSG) vom 26.3.20071342 wurden diese Wahltarife auf den Pflichtversicherungsbereich ausgedehnt, so daß sie von den Krankenkassen nunmehr allen gesetzlich Versicherten angeboten werden können.1343 Somit unterscheidet sich die freiwillige Versicherung von der Pflichtversicherung bezogen auf die für den Grundsatz der Solidarität maßgeblichen Gesichtspunkte signifikant allein durch die Freiwilligkeit der Mitgliedschaft. Jedoch ist gerade die Freiwilligkeit der Mitgliedschaft in einer sozialen Zwecken dienenden Einrichtung als Indiz für eine nicht auf dem Grundsatz der Solidarität beruhende Tätigkeit ausgemacht worden.1344 Ein solidarisches System fände nämlich aufgrund seines hohen Umverteilungsgrades nicht genügend Freiwillige, welche bereit sind, die Umverteilungslasten aufzubringen, und das System würde deshalb finanziell schnell zusammenbrechen. Andererseits weist die freiwillige Versicherung ebenfalls diejenigen Ausgestaltungsmerkmale auf, welche oben im Hinblick auf die Pflichtversicherung zur Bejahung eines hohen Umverteilungsgrades führten.1345 Damit liegt das scheinbar ungewöhnliche Phänomen vor, daß Menschen einem Umverteilungssystem freiwillig beitreten wollen, für welches der Gesetzgeber sogar Zugangssperren errichtet hat. Dieses der wirtschaftlichen Logik scheinbar widersprechende Phänomen läßt sich jedoch erklären, wenn man genauer betrachtet, wer in der Regel der gesetzlichen Krankenversicherung freiwillig beitritt. Es handelt sich in erster Linie um Umverteilungsgewinner, welche sich und ihre Familie bei einem privaten Krankenversicherungsunternehmen entweder gar nicht oder nur zu sehr viel höheren Kosten versichern könnten: „Wer kein Krankheitsrisiko aufweist, das in der PKV zu Risikoausschlüssen oder Zuschlägen führen würde, alleinstehend ist, keine Familiengründungsabsicht hat oder aber Ehepartner ohne Kinder werden sich für die unter diesen Voraussetzungen kostengünstigere PKV entscheiden, wenn die Wahlmöglichkeit besteht. Dort jedoch, wo ein Krankheitsrisiko besteht und/oder Krankenversicherungsschutz für 1340

Selbstbehalt und Beitragsrückzahlung bei Leistungsfreiheit. BGBl. I 2190. 1342 BGBl. I 378. 1343 Siehe ausführlich zu den verschiedenen Wahltarifen und ihren Auswirkungen auf den solidarischen Charakter der Krankenvollversicherungstätigkeit S. 306 ff. 1344 Vgl. E. Eichenhofer, in: S. Empter/H. Sodan (Hrsg.), Markt und Regulierung, 2003, 81 (85). Siehe näher S. 189. 1345 Siehe S. 296 ff. 1341

C. Qualifizierung der verschiedenen Tätigkeiten von Krankenkassen

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mehrere Personen zu beschaffen ist, erfolgt der Beitritt zur gesetzlichen Krankenversicherung.“1346

Diese Annahme wird bestätigt, wenn man sich ansieht, wie viele Familienangehörige von Pflichtversicherten und freiwillig Versicherten durchschnittlich beitragsfrei mitversichert sind: Im Jahr 2000 kamen auf 100 pflichtversicherte Mitglieder 48 beitragsfrei mitversicherte Familienangehörige; dagegen waren es bei den freiwillig versicherten Mitgliedern 78 Familienangehörige.1347 Die freiwillige Krankenversicherung kann von den Krankenkassen nur deswegen dauerhaft angeboten werden, weil die freiwillig Versicherten keine eigenständige Solidargemeinschaft bilden, sondern Bestandteil der Gesamtversichertengemeinschaft sind. Innerhalb der Gesamtversichertengemeinschaft müssen die Umverteilungslasten dann vornehmlich von den Pflichtversicherten getragen werden, welche „gute Risiken“ aufweisen und nicht zur privaten Krankenversicherung wechseln dürfen. Die freiwillige Einbeziehung von Personen in die gesetzliche Krankenversicherung basiert auf der Überlegung, daß in der Personengruppe der regelmäßig nicht schutzbedürftigen Versicherungsberechtigten dennoch auch „Schutzbedürftige“ vorhanden sind, welche Schwierigkeiten haben, sich privat zu versichern.1348 Daher soll es ihnen ermöglicht werden, in der gesetzlichen Krankenversicherung Krankenversicherungsschutz unterhalb des Marktpreises zu erhalten. Allerdings ist hier klarzustellen, daß zu den freiwillig Versicherten nicht ausschließlich Umverteilungsgewinner zählen: Zum einen gibt es viele Personen, die aus der Versicherungspflicht herausfallen (z. B. wegen Überschreitung der Pflichtversicherungsgrenze) und trotz geringen Morbiditätsrisikos nicht sofort zur privaten Krankenversicherung wechseln.1349 Ferner scheuen auch viele Menschen einen Wechsel zur kostengünstigeren privaten Krankenversicherung, weil sie deren Prämienentwicklung im Alter und bei Verschlechterung des Gesundheitszustandes fürchten und Angst davor haben, dann nicht mehr zur gesetzlichen Krankenversicherung zurückkehren zu können. Es sei an dieser Stelle noch einmal daran erinnert, daß nach Ansicht des Europäischen Gerichtshofes das Beruhen einer Sozialversicherungstätigkeit auf 1346 M. Fuchs, in: G. Igl (Hrsg.), Das Gesundheitswesen in der Wettbewerbsordnung, 2000, 39 (47). Vgl. auch R. Giesen, in: Soziale Sicherheit und Wettbewerb, 2001, 123 (143 f.); E. Knappe, in: W. Schmähl (Hrsg.), Möglichkeiten und Grenzen einer nationalen Sozialpolitik in der Europäischen Union, 2001, 137 (158); H.-J. Kretschmer, in: W. Boecken/A. Hänlein/J. Kruse/H.-D. Steinmeyer (Hrsg.), Öffentliche und private Sicherung gegen soziale Risiken, 2000, 13 (22, 25); S. Sell, in: AOK Hessen (Hrsg.), Solidarität im Wettbewerb – ein Widerspruch?, 2001, 16 (21 ff.). 1347 S. Sell, in: AOK Hessen (Hrsg.), Solidarität im Wettbewerb – ein Widerspruch?, 2001, 16 (22). 1348 Vgl. BVerfGE 102, 68 (90); M. Fuchs, in: G. Igl (Hrsg.), Das Gesundheitswesen in der Wettbewerbsordnung, 2000, 39 (46); U. Knispel, SozSich 2004, 244 (248). 1349 Seit 2.2.2007 müssen Versicherte wegen der Neuregelung in § 6 Abs. 1 Nr. 1 Hs. 1 SGB V sogar drei Jahre warten, bevor sie in die private Krankenversicherung wechseln dürfen.

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3. Kap.: Krankenkassen als Unternehmen

dem Solidaritätsgrundsatz maßgeblich davon abhängt, welcher Umverteilungsgrad in dem dahinterstehenden Finanzierungssystem erreicht wird.1350 Vornehmlich basiert die Finanzierung der freiwilligen Krankenvollversicherung auf der Umverteilungskraft der Pflichtversicherung, weil die Pflichtversicherten dazu gezwungen werden, mit den freiwillig Versicherten eine Versichertengemeinschaft zu bilden. Die Tätigkeit der freiwilligen Krankenvollversicherung könnte von Privaten in der gleichen Weise nicht finanziert werden.1351 Danach beruht auch die Tätigkeit der Krankenkassen im Segment der freiwilligen Krankenversicherung auf dem Grundsatz der Solidarität. Nach Ansicht von Annika S. Bien führt diese Quersubventionierung von freiwillig Versicherten durch die Beitragskraft der Pflichtversicherten dazu, daß im Rahmen der freiwilligen Krankenversicherung das Solidarprinzip letztlich nicht umfassend umgesetzt werde. Ein solidarischer Ausgleich der Gesundheitsrisiken könne nicht vorgenommen werden, wenn der Zusammensetzung der Versichertengemeinschaft bereits eine Auslese vorangegangen ist. Nur sofern auch Versicherte mit geringen Risiken die Versichertengemeinschaft anreicherten, sei auch eine soziale Umverteilung möglich. Dagegen herrsche im Rahmen der freiwilligen Krankenversicherung ein „Günstigkeitsprinzip“, nach dem sich der Versicherungsberechtigte nur dann für eine Krankenkassenmitgliedschaft entscheide, wenn er von der Umverteilung profitiere. Auf der Basis eines solchen „Negativangebotes“ könne keine Solidargemeinschaft gegründet werden.1352 Fraglich ist, ob diese neben den klassischen Solidaritätsmerkmalen des Europäischen Gerichtshofes stehenden Aspekte den solidarischen Charakter der freiwilligen Krankenvollversicherung ausschließen. Jedenfalls handelt es sich mitnichten um Argumente für eine wirtschaftliche Tätigkeit; vielmehr würden das beschriebene „Günstigkeitsprinzip“ und „Negativangebot“ den wirtschaftlichen Charakter sogar stärker in Frage stellen als den solidarischen. Im übrigen übersieht Annika S. Bien, daß die freiwillig Versicherten gerade keine eigenständige Versichertengemeinschaft bilden. dd) Angebot von Zusatzkrankenversicherungen Die finanziellen Zwänge im System der gesetzlichen Krankenversicherung, welche sich insbesondere durch Kostensteigerungen im Gesundheitswesen, den 1350 Vgl. S. 184 ff., 190. Das im Bereich der sozialen Sicherheit vorzufindende Abstellen des Europäischen Gerichtshofes auf die Art der Finanzierung widerspricht zwar den allgemeinen Grundsätzen zum Unternehmensbegriff (S. 199 f.), ist aber gemäß der Prämisse dieses Kapitels (vgl. S. 225 f.) methodisch nachzuvollziehen. 1351 Vgl. zu diesem Leitgedanken des Europäischen Gerichtshofes bei der Abgrenzung zwischen wirtschaftlicher und nichtwirtschaftlicher Tätigkeit im sozialen Sektor S. 199 f. 1352 A. S. Bien, Die Einflüsse des europäischen Kartellrechts auf das nationale Gesundheitswesen, 2004, S. 63 f.

C. Qualifizierung der verschiedenen Tätigkeiten von Krankenkassen

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Wegfall versicherungspflichtiger Beschäftigungsverhältnisse, die demographische Entwicklung sowie den politischen Wunsch nach Beitragssatzstabilität ständig verschärfen, haben dazu geführt, daß Leistungen aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenvollversicherung herausgenommen wurden (z. B. Sehhilfen für Personen über 18 Jahren1353, nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel1354, Fahrkosten zu einer ambulanten Behandlung1355).1356 Die diskutierten Ausgliederungen von Krankengeld1357 und Zahnersatz1358 wurden bislang nicht umgesetzt bzw. vom Gesetzgeber kurz vor ihrem Wirksamwerden wieder rückgängig gemacht.1359 Darüber hinaus gibt es Gesundheitsleistungen, welche schon ursprünglich nicht Bestandteil des Leistungskataloges waren, aber dennoch von gesetzlich Versicherten auch gerne in Anspruch genommen werden würden (z. B. Chefarztbehandlung, Einbettzimmer). Dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung nicht (mehr) angehörende Leistungen müssen Versicherte selbst bezahlen oder anderweitig versichern.1360 Damit eröffnet sich ein Betätigungsfeld für Zusatzkrankenversicherungen, welche verschiedenartige Leistungen abdecken können, die von der gesetzlichen Krankenvollversicherung nicht umfaßt sind, wie beispielsweise – – – – – –

Wahlarztbehandlung, Ein- oder Zweibettzimmer, Auslandsreisekrankenversicherung, Krankengeld1361, Krankenhaustagegeld, Mehrleistungen im ambulanten Bereich (z. B. Sehhilfen, Zahnbehandlung, Zahnersatz, Heilpraktiker). 1353

Vgl. § 33 Abs. 2 S. 1 SGB V. Vgl. § 34 Abs. 1 S. 1 SGB V. 1355 Vgl. § 60 Abs. 1 S. 3 SGB V. 1356 Vgl. zu den mit dem Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Modernisierungsgesetz – GMG) vom 14.11.2003 (BGBl. I 2190) vorgenommenen Leistungsausschlüssen BT-Drucks. 15/1525 S. 76 f.; T.-C. Hiddemann/ S. Muckel, NJW 2004, 7 (12). 1357 Für freiwillig Versicherte kann bereits nach § 44 Abs. 2 SGB V der Anspruch auf Krankengeld durch die Satzung ausgeschlossen werden. Dafür ist der Beitragssatz gemäß § 243 Abs. 1 SGB V entsprechend zu ermäßigen. 1358 Siehe dazu P. Axer, NZS 2006, 225 (226 f.). 1359 Vgl. H. Sodan, NZS 2005, 145 (150). Siehe weitere Bereiche, für die ein Leistungsausschluß im Gespräch ist, bei R. Francke, in: N. Klusen/C. Straub (Hrsg.), Bausteine für ein neues Gesundheitswesen, 2003, 190. Vgl. auch die Vorschläge zur Herausnahme und Umgestaltung von Leistungen bei F. Beske, Neubestimmung des Leistungskatalogs der Gesetzlichen Krankenversicherung, 2006, S. 68 ff. 1360 N. Klusen, in: ders./C. Straub (Hrsg.), Bausteine für ein neues Gesundheitswesen, 2003, 167 (173). 1361 Bei freiwillig Versicherten kann der Anspruch auf Krankengeld durch die Satzung ausgeschlossen werden, vgl. § 44 Abs. 2 SGB V. 1354

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3. Kap.: Krankenkassen als Unternehmen

Gegenwärtig werden den gesetzlich Versicherten verschiedenartige Zusatzkrankenversicherungen von privaten Krankenversicherungsunternehmen als Ergänzung zur gesetzlichen Krankenvollversicherung angeboten. Bei den Krankenkassen ruft dieses Zusatzgeschäft mit „ihren“ Versicherten Sorgen hervor, da sie im Zusatzversicherungsgeschäft der privaten Krankenversicherungsunternehmen das Einstiegsgeschäft für eine private Vollversicherung sehen, insbesondere Zusatzversicherungen den Zugang der Privaten zu den in der gesetzlichen Krankenversicherung freiwillig Versicherten erleichtern.1362 Krankenkassen befürchten, daß private Krankenversicherungsunternehmen gerade diejenigen freiwillig Versicherten abwerben, welche trotz hohen Einkommens und geringen Morbiditätsrisikos aus verschiedenen Gründen1363 dennoch der gesetzlichen Krankenversicherung angehören. Aus diesen und anderen1364 Erwägungen würden Krankenkassen Zusatzversicherungen gerne selbst anbieten. Wettbewerblich wäre damit die Gefahr verbunden, daß die Krankenkassen wegen ihrer gesetzlich eingeräumten marktbeherrschenden Stellung auf dem Gebiet der Krankenvollversicherung (ca. 88 Prozent der Bevölkerung sind gesetzlich versichert1365) auch erhebliche Wettbewerbsvorteile im Zusatzversicherungsgeschäft gegenüber privaten Konkurrenten hätten, die kein Ergebnis eines Leistungswettbewerbs wären.1366 Derzeit sind die Krankenkassen aufgrund sozialversicherungsrechtlicher Bestimmungen daran gehindert, selbst Zusatzkrankenversicherungen anzubieten; eine Ausnahme stellt aber der seit 1.4.2007 mögliche Wahltarif für Kostenerstattung gemäß § 53 Abs. 4 SGB V dar1367. Gemäß § 30 Abs. 1 SGB IV dürfen die Sozialversicherungsträger, dazu zählen auch Krankenkassen, nur Geschäfte zur Erfüllung ihrer gesetzlich vorgeschriebenen oder zugelassenen Aufgaben führen und ihre Mittel nur für diese Aufgaben sowie die Verwaltungskosten verwenden. § 260 Abs. 1 SGB V bestimmt ergänzend, daß die Betriebsmittel der Krankenkassen nur für die gesetzlich oder durch Satzung1368 1362 Vgl. N. Klusen, in: ders./C. Straub (Hrsg.), Bausteine für ein neues Gesundheitswesen, 2003, 167 (173 f.). 1363 Siehe S. 323. 1364 So wäre es beispielsweise denkbar, mit den Gewinnen aus dem Zusatzkrankenversicherungsgeschäft die Krankenvollversicherung querzusubventionieren oder zu bezuschussen, vgl. auch S. 228 f. 1365 Vgl. Statistisches Bundesamt, Statistisches Jahrbuch 2006, 2006, S. 45 (Stand: Mai 2003). 1366 Vgl. zu den möglichen Wettbewerbsnachteilen der privaten Krankenversicherungsunternehmen im einzelnen B. Baron von Maydell/B. Karl, Das Angebot von Zusatzkrankenversicherung, 2003, S. 87 ff. sowie B. Baron von Maydell, in: GS für M. Heinze, 2005, 584 (592 f.) und H. Sodan, NZS 2005, 145 (150). 1367 Vgl. zum Wahltarif für Kostenerstattung S. 307 ff. 1368 Vgl. BSGE 89, 227 (231), wonach eine Krankenkasse Satzungsleistungen überhaupt nur dann einführen darf, wenn und soweit sie das Fünfte Buch Sozialgesetzbuch hierzu ausdrücklich ermächtigt.

C. Qualifizierung der verschiedenen Tätigkeiten von Krankenkassen

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vorgesehenen Aufgaben, die Verwaltungskosten sowie zur Auffüllung der Rücklage und zur Bildung von Verwaltungsvermögen verwendet werden dürfen. Eine gesetzliche Ermächtigung zur Erstellung eines eigenen Zusatzkrankenversicherungsangebotes besteht derzeit nicht. Der Gesetzgeber hat den Krankenkassen mit der durch das Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Modernisierungsgesetz – GMG) vom 14.11.20031369 eingefügten Vorschrift des § 194 Abs. 1a SGB V lediglich erlaubt, den Abschluß privater Zusatzversicherungsverträge zwischen ihren Versicherten und privaten Krankenversicherungsunternehmen zu vermitteln. Diese gegenwärtige nationale Rechtslage könnte sich aber in Zukunft ändern, so daß es hier angezeigt ist zu untersuchen, ob auch das Anbieten von Zusatzkrankenversicherungen durch die Krankenkassen auf dem Grundsatz der Solidarität beruhen würde. Schließlich hat die Untersuchung zu den Wahltarifen nach § 53 SGB V ergeben, daß der neue Wahltarif für Kostenerstattung (§ 53 Abs. 4 SGB V) mit obligatorischer Prämie im Falle der Höherversicherung (beispielsweise bis zum 2,3-fachen1370 oder 3,5-fachen1371 Satz nach der Gebührenordnung für Ärzte bzw. Zahnärzte) den Charakter einer Zusatzkrankenversicherung hat.1372 Folglich ist der wirtschaftliche Charakter der mit diesem Wahltarif verbundenen Angebotstätigkeit der Krankenkassen nach den für Zusatzkrankenversicherungen geltenden Maßstäben zu beurteilen. Zunächst stellt sich die Frage, wie es zu bewerten ist, wenn eine von der Zusatzversicherung erfaßte Leistung vor ihrer Ausgliederung aus dem Leistungskatalog Bestandteil der gesetzlichen Krankenvollversicherung war, welche ja nach den Maßstäben des Europäischen Gerichtshofes auf dem Grundsatz der Solidarität beruht. Die Krankenvollversicherung stellt jedoch kein Bündel von Einzelversicherungen dar, bei der die Unternehmenseigenschaft für jede Einzelversicherung zu verneinen war, sondern sie bildet wettbewerbsrechtlich eine eigenständige Versicherungstätigkeit, die sich von einer Zusatzversicherungstätigkeit unterscheidet.1373 Dies ergibt sich schon daraus, daß bei der Krankenvollversicherung nicht mehrere Versichertengemeinschaften im Hinblick auf die einzelnen mitversicherten Risiken existieren. Daß eine im Zusatzversicherungsangebot der Krankenkassen enthaltene Leistung vorher Bestandteil der gesetzlichen Krankenvollversicherung war, ist für die Beurteilung des wirtschaftlichen Charakters der entsprechenden Zusatzversicherungstätigkeit daher unbeachtlich. Umgekehrt wird der solidarische Charakter der gesetzlichen Krankenversiche1369

BGBl. I 2190. Vgl. BT-Drucks. 16/3100 S. 108 f. 1371 Vgl. R. Winkel, SozSich 2007, 110 (112). 1372 Vgl. S. 307 ff. 1373 Beispielsweise stellt auch der Verkauf eines Kraftfahrzeuges ein einheitliches Geschäft dar, welches sich nicht in den Verkauf von Reifen, Türen, Sitzen, eines Motors, Lenkrads usw. aufteilen läßt. 1370

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3. Kap.: Krankenkassen als Unternehmen

rung auch nicht durch einzelne Erweiterungen des Leistungskataloges in Frage gestellt. Mit dem Angebot von Zusatzkrankenversicherungen würden Krankenkassen einen sozialen Zweck verfolgen. Die soziale Zwecksetzung ist hier ebenso wie bei der Krankenvollversicherung in der Absicherung gegen Krankheiten und der Gesundheitsvorsorge zu erblicken. Daß es sich nur um Komplementärleistungen zur Grundsicherung handelt, schließt einen sozialen Zweck nicht aus; allerdings reduziert sich mit der abnehmenden medizinischen Notwendigkeit und Dringlichkeit der jeweiligen Behandlungsleistungen auch die soziale Zwecksetzung.1374 Ein sozialer Zweck steht jedoch dem wirtschaftlichen Charakter einer Tätigkeit nicht zwingend entgegen. So hat der Europäische Gerichtshof beispielsweise in den Rechtssachen Fédération française des sociétés d’assurance u. a.1375, Albany1376, Brentjens’ Handelsonderneming1377, Drijvende Bokken1378 und Pavlov u. a.1379 den wirtschaftlichen Charakter von Tätigkeiten mit sozialer Zwecksetzung bejaht. Unter der Prämisse der Maßgeblichkeit der Solidarkriterien des Europäischen Gerichtshofes kommt es für die Beurteilung des solidarischen bzw. nichtwirtschaftlichen Charakters der Zusatzversicherungstätigkeit entscheidend auf die Ausgestaltung der entsprechenden Versicherungen an, insbesondere auf den bei der Finanzierung verwirklichten Umverteilungsgrad.1380 Da Zusatzversicherungen gegenwärtig von den Krankenkassen nicht angeboten werden, kann eine in Einzelheiten gehende Prüfung hier nicht erfolgen. Es läßt sich jedoch der Rahmen abstecken und beurteilen, innerhalb dessen ein Zusatzversicherungsangebot zu realisieren sein würde. Zusatzkrankenversicherungsangebote der Krankenkassen unterlägen der freiwilligen Inanspruchnahme durch die Mitglieder oder Dritte. Die Freiwilligkeit ist hier bereits ein erstes Anzeichen dafür, daß keine auf dem Grundsatz der Solidarität beruhende Tätigkeit vorliegt. Der vom Europäischen Gerichtshof für den solidarischen Charakter einer Sozialversicherungstätigkeit verlangte hohe Umverteilungsgrad innerhalb des dahinterstehenden Finanzierungssystems kann nämlich regelmäßig nur durch eine Zwangsmitgliedschaft erreicht werden, da sich andernfalls die Träger der Umverteilungslast lieber eine günstigere pri1374 R. Giesen, in: N. Klusen (Hrsg.), Zuwahlleistungen in der gesetzlichen Krankenversicherung, 2003, 101 (111 f.). 1375 EuGH, Urt. v. 16.11.1995, Rs. C-244/94, Slg. 1995, I-4013; siehe S. 159 ff. 1376 EuGH, Urt. v. 21.9.1999, Rs. C-67/96, Slg. 1999, I-5751; siehe S. 162 ff. 1377 EuGH, Urt. v. 21.9.1999, verb. Rs. C-115/97 bis C-117/97, Slg. 1999, I-6025; siehe S. 162 ff. 1378 EuGH, Urt. v. 21.9.1999, Rs. C-219/97, Slg. 1999, I-6121; siehe S. 162 ff. 1379 EuGH, Urt. v. 12.9.2000, verb. Rs. C-180/98 bis C-184/98, Slg. 2000, I-6451; siehe S. 165 f. 1380 Vgl. S. 184 ff., 190.

C. Qualifizierung der verschiedenen Tätigkeiten von Krankenkassen

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vatwirtschaftliche Alternative suchen.1381 Ausgeprägte Umverteilungselemente könnten die Krankenkassen daher nur dann bei der freiwilligen Zusatzkrankenversicherung realisieren, wenn die Zusatzversicherten keine wirtschaftlich abgeschlossene Versichertengemeinschaft bildeten, sondern Zusatzleistungen auch aus dem Beitragsaufkommen der gesetzlichen Krankenvollversicherung mitfinanziert werden könnten.1382 Die Zulassung einer solchen Quersubventionierung ist vom Gesetzgeber allerdings nicht zu erwarten, denn sie widerspräche elementar dem mit Leistungsausschlüssen verfolgten Ziel, die gesetzliche Krankenvollversicherung finanziell zu entlasten. Beim Wahltarif für Kostenerstattung hat der Gesetzgeber ausdrücklich eine Quersubventionierung ausgeschlossen und vorgesehen, daß dieser Tarif sich selbst tragen muß (vgl. § 53 Abs. 9 SGB V).1383 Daher ist nicht ersichtlich, wie Krankenkassen Zusatzkrankenversicherungen grundsätzlich anders finanzieren könnten als private Krankenversicherungsunternehmen.1384 Zwar wäre es theoretisch denkbar, daß die Krankenkassen die Beitragshöhe einkommensabhängig ausgestalten, womit sie sich dann auch deutlich von privaten Krankenversicherungsunternehmen unterschieden. Wirtschaftlich dürfte eine solche Beitragsgestaltung ohne Querfinanzierung oder steuerliche Zuschüsse nicht haltbar sein, weil Personen mit höherem Einkommen einer solchen Versicherung fernblieben, während Personen mit geringem Einkommen geradezu angezogen würden. Ferner wird es auch bei den von Krankenkassen angebotenen Zusatzversicherungen einen Zusammenhang zwischen Beitragshöhe und Leistungsumfang geben müssen: Wer nur eine einzelne Zusatzleistung absichern möchte (z. B. Zweibettzimmer) wird grundsätzlich weniger zu bezahlen haben als derjenige, der ein umfangreiches Leistungspaket erwirbt (z. B. Chefarztbehandlung, Einbettzimmer, Sehhilfen, Heilpraktiker, Auslandsreisekrankenversicherung); wer eine Kostenerstattung bis zum 2,3-fachen Satz nach der Gebührenordnung für Ärzte bzw. Zahnärzte erhalten will, muß eine geringere Prämie zahlen als bei einer Kostenerstattung bis zum 3,5fachen Satz. Neben den die Ausgestaltung des Versicherungssystems betreffenden Aspekten ist auch zu erörtern, welche Bedeutung der Umstand für die persönliche Anwendbarkeit der Wettbewerbsregeln gewinnt, daß Zusatzversicherungen einen gesetzlich vorgegebenen Grundsicherungsschutz nur ergänzen. Wenn man 1381 Vgl. S. 189 sowie die Schlußanträge des Generalanwalts Francis G. Jakobs v. 28.1.1999, Rs. C-67/96, Slg. 1999, I-5751 Tn. 347 – Albany. 1382 Siehe die Ausführungen auf S. 322 ff. zur freiwilligen Krankenvollversicherung, bei der trotz freiwilliger Mitgliedschaft eine Umverteilung stattfindet, weil die Finanzierung durch das Beitragsaufkommen der Pflichtversicherten sichergestellt wird. 1383 Vgl. auch BVA, Schreiben v. 13.3.2007 betreffend Wahltarife, S. 1, veröffentlicht im Internet unter: www.bva.de/Fachinformationen/Krankenversicherung/Rund schreiben/RS_Wahltarife_53_SGB_V.pdf; H. Beckschäfer, ErsK 2007, 233. 1384 Vgl. R. Giesen, in: N. Klusen (Hrsg.), Zuwahlleistungen in der gesetzlichen Krankenversicherung, 2003, 101 (113).

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3. Kap.: Krankenkassen als Unternehmen

sich die nicht in den Leistungskatalog einbezogenen Gesundheitsleistungen ansieht, welche in erster Linie Gegenstand des Zusatzversicherungsgeschäftes würden, ist zu erkennen, daß es sich entweder um solche Leistungen handelt, deren medizinische Notwendigkeit – nach Ansicht des Gesetzgebers – nicht gegeben (z. B. Chefarztbehandlung, Einbettzimmer) oder nachgewiesen (z. B. Heilpraktiker) ist, oder aber um Randleistungen, welche für den einzelnen überschaubare Kosten verursachen (z. B. Sehhilfen, Fahrtkosten, nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel). Die Bildung einer Solidargemeinschaft ist zur Absicherung der betreffenden Gesundheitsrisiken nicht erforderlich.1385 Keineswegs werden gesetzlich Versicherte für existenzgefährdende Gesundheitsrisiken auf eine Selbsttragung der Behandlungskosten oder den Abschluß privater Zusatzkrankenversicherungen verwiesen. In der Nichteinbeziehung von Leistungen in den Grundsicherungsschutz des gesetzlichen Leistungskataloges bzw. der Ausgliederung von Leistungen aus jenem ist sozialpolitisch eine Zuordnung zur privaten Verantwortungssphäre zu erblicken.1386 Solche Zuordnungen sind auch für die wettbewerbsrechtliche Würdigung des Europäischen Gerichtshofes relevant. Der Gerichtshof hat die Unternehmenseigenschaft von Sozialversicherungsträgern verneint, wenn sie mit der Grundsicherung in verschiedenen Bereichen (z. B. Krankenversicherung, Altersvorsorge, Unfallversicherung) betraut waren.1387 Dagegen hat er bei ergänzenden Schutzsystemen die Unternehmenseigenschaft bejaht.1388 Es kann somit festgestellt werden, daß Krankenkassen als Anbieter von Zusatzkrankenversicherungen Normadressaten der Wettbewerbsregeln des EG-Vertrags (Art. 81 ff. EG) wären.1389 Das Anbieten eines Wahltarifes für Kostenerstattung mit Prämienzahlung (Höherversicherung) begründet den wettbewerbsrechtlichen Unternehmenstatbestand.

1385

Vgl. B. Baron von Maydell, in: GS für M. Heinze, 2005, 584 (590); H. Sodan, NZS 2005, 145 (150). Siehe auch E. Knappe, in: W. Schmähl (Hrsg.), Möglichkeiten und Grenzen einer nationalen Sozialpolitik in der Europäischen Union, 2001, 137 (162). 1386 Vgl. W. Boecken, in: Individualverantwortung im Sozialversicherungsschutz, 1997, 7 (27); N. Klusen, in: ders./C. Straub (Hrsg.), Bausteine für ein neues Gesundheitswesen, 2003, 167 (173), der von „Privatisierung“ spricht; H. Sodan, NZS 2005, 145 (150). 1387 Vgl. Rechtssache Poucet und Pistre (S. 153 ff.) und Rechtssache Cisal (S. 166 ff.). 1388 Vgl. Rechtssache Fédération française des sociétés d’assurance u. a. (S. 159 ff.) sowie die Rechtssachen Albany, Brentjens’ Handelsonderneming, Drijvende Bokken und Pavlov u. a. (S. 162 ff.). 1389 Im Ergebnis ebenso B. Baron von Maydell/B. Karl, Das Angebot von Zusatzkrankenversicherung, 2003, S. 67 ff.; C. Koenig/C. Engelmann, EuZW 2004, 682 (685 f.); H. Sodan, NZS 2005, 145 (150). Vgl. auch S. Rixen, Sozialrecht als öffentliches Wirtschaftsrecht, 2005, S. 140 f.

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ee) Vermittlung von Zusatzkrankenversicherungen Im folgenden wird untersucht, ob die Vermittlung1390 von Zusatzkrankenversicherungen eine wirtschaftliche Tätigkeit der Krankenkassen darstellt; genaugenommen ist zu prüfen, ob das Anbieten solcher Vermittlungsleistungen gegenüber gesetzlich Versicherten die Unternehmenseigenschaft begründet. Seit dem 1.1.2004 ist es Krankenkassen nämlich erlaubt, den Abschluß privater Zusatzversicherungsverträge zwischen ihren Versicherten und privaten Krankenversicherungsunternehmen zu vermitteln (§ 194 Abs. 1a S. 1 SGB V1391). Beispielhaft und nicht abschließend nennt das Gesetz als mögliche Gegenstände dieser Verträge die Wahlarztbehandlung im Krankenhaus, den Ein- oder Zweibettzuschlag im Krankenhaus sowie eine Auslandsreisekrankenversicherung (§ 194 Abs. 1a S. 2 SGB V). Die einzelnen Krankenkassen sind daher – wie bereits in der Gesetzentwurfsbegründung angeregt1392 – Kooperationsverhältnisse mit bestimmten privaten Krankenversicherungsunternehmen eingegangen, die besondere Angebote für die jeweiligen Mitglieder erstellt haben.1393 Auch hier erheben sich starke wettbewerbsrechtliche Bedenken, da die Krankenkassen leichten Zugang zu den gesetzlich Versicherten haben, die ca. 88 Prozent der Bevölkerung ausmachen1394. Für private Krankenversicherungsunternehmen könnte es daher schwierig werden, Zusatzkrankenversicherungsverträge abzuschließen, wenn sie keine Krankenkasse als Kooperationspartner gewinnen. Ferner stehen die Krankenkassen mit ihrer Vermittlungstätigkeit im Wettbewerb zu privaten Vertriebsmittlern (z. B. Versicherungsmaklern, selbständigen Versicherungsvertretern). Die Tätigkeit der Vermittlung von privaten Zusatzkrankenversicherungen ist nicht Bestandteil der Krankenvollversicherungstätigkeit der Krankenkassen, sondern im Wettbewerbsrecht von letzter Tätigkeit zu trennen. Es handelt sich um eine eigenständige absatzfördernde Tätigkeit, die sich auf einen ganz anderen Markt bezieht, nämlich den Markt für Zusatzkrankenversicherungen. Krankenvollversicherungen und Zusatzkrankenversicherungen sind aus Sicht der Verbraucher nicht gegeneinander substituierbar, da sie einen unterschiedlichen Be-

1390 Siehe zu möglichen Ausgestaltungen der Vermittlungstätigkeit im einzelnen H.-P. Schwintowski, BKK 2003, 608 ff. 1391 Die Neuregelung wurde eingefügt durch das Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Modernisierungsgesetz – GMG) vom 14.11. 2003 (BGBl. I 2190). 1392 Vgl. BT-Drucks. 15/1170 S. 117 sowie 15/1525 S. 138. 1393 Vgl. nur die Kooperationspartner der verschiedenen Allgemeinen Ortskrankenkassen im Internet unter: www.aok.de. Z. B. in Baden-Württemberg die Union Krankenversicherung AG, in Bayern die Versicherungskammer Bayern (Sparkassen-Finanzgruppe), in Berlin die Deutsche Krankenversicherung AG. 1394 Vgl. Statistisches Bundesamt, Statistisches Jahrbuch 2006, 2006, S. 45.

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3. Kap.: Krankenkassen als Unternehmen

darf decken.1395 Im übrigen werden Zusatzkrankenversicherungen regelmäßig von Personen vermittelt, die selbst gar keiner Versicherungstätigkeit nachgehen (z. B. Versicherungsmakler, selbständige Versicherungsvertreter). Daher nimmt die Vermittlungstätigkeit keinesfalls an der wettbewerbsrechtlichen Beurteilung der Krankenvollversicherungstätigkeit teil. Die erst seit dem 1.1.2004 erlaubte Vermittlungstätigkeit der Krankenkassen war auch nicht Gegenstand der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes in der Rechtssache AOK Bundesverband u. a.1396 vom 16.3.2004. Bereits oben wurde das Zusatzkrankenversicherungsgeschäft dem privaten Verantwortungsbereich zugeordnet, da die Bildung einer Solidargemeinschaft zur Absicherung der betreffenden Gesundheitsrisiken nicht erforderlich ist.1397 Bei dieser Zuordnung bleibt es erst recht, wenn allein private Krankenversicherungsunternehmen als Anbieter der Zusatzkrankenversicherungen auftreten, deren Unternehmenseigenschaft überhaupt nicht streitig ist. Wenn das Produkt Zusatzkrankenversicherung danach dem Wirtschaftsverkehr zuzuordnen ist, kann für die vorgelagerte absatzfördernde Vermittlungstätigkeit nichts anderes gelten. Selbst der Gesetzgeber ging davon aus, daß die Krankenkassen unternehmerisch tätig werden, wenn sie private Zusatzkrankenversicherungsverträge vermitteln: „Mit der Regelung [§ 194 Abs. 1a SGB V] wird den Krankenkassen nun die Möglichkeit eingeräumt, mit privaten Krankenversicherungsunternehmen zu kooperieren. Da die Krankenkassen hierbei nicht wie bei den im Vierten Kapitel [des Fünften Buches Sozialgesetzbuch] geregelten Rechtsbeziehungen zu den Leistungserbringern ihren öffentlich-rechtlichen Versorgungsauftrag erfüllen, finden die Vorschriften des Wettbewerbs- und Kartellrechts im Übrigen Anwendung.“1398

c) Krankenversicherung und Gesetzesvollzug Neben dem Grundsatz der Solidarität spielt es in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für die Beurteilung der Unternehmenseigenschaft eines Sozialversicherungsträgers eine Rolle, ob die entscheidenden Marktparameter (Preis und Leistung) durch den Gesetzgeber festgelegt werden oder aber 1395 Vgl. zur Abgrenzung des sachlich, räumlich und zeitlich relevanten Marktes die Bekanntmachung der Kommission über die Definition des relevanten Marktes im Sinne des Wettbewerbsrechts der Gemeinschaft, ABl. EG 1997 Nr. C 372/5 sowie D. Dirksen, in: Langen/Bunte II Artikel 82 [Mißbrauch einer marktbeherrschenden Stellung] Rn. 17 ff.; W. Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, WettbR EG/1 Art. 82 EGV Rn. 38 ff.; H. Wendland, in: W. Büchner/J. Ehmer/M. Geppert/B. Kerkhoff/H.-J. Piepenbrock/R. Schütz/F. Schuster (Hrsg.), Beck’scher TKG-Kommentar, 2000, Vor § 33 Rn. 23 ff. 1396 EuGH, Urt. v. 16.3.2004, verb. Rs. C-264/01, C-306/01, C-354/01 und C-355/ 01, Slg. 2004, I-2493 – AOK Bundesverband u. a. 1397 Siehe S. 329 f. 1398 BT-Drucks. 15/1170 S. 117 sowie 15/1525 S. 138. Vgl. auch S. Rixen, Sozialrecht als öffentliches Wirtschaftsrecht, 2005, S. 140 f.

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durch den Sozialversicherungsträger selbst. Im ersten Fall stellt sich die Tätigkeit für den Gerichtshof nämlich als reiner Gesetzesvollzug dar. aa) Pflichtversicherung und freiwillige Versicherung Bis zum 31.12.2008 wird im Bereich der Pflichtversicherung sowie der freiwilligen Versicherung (Krankenvollversicherung) der Beitragssatz – und damit die Beitragshöhe – noch von den Krankenkassen selbst in der jeweiligen Satzung festgelegt (vgl. § 241 S. 1 SGB V bzw. § 241 Abs. 1 S. 1 SGB V n. F.1399), so daß der Beitragssatz je nach Krankenkasse etwas variiert. Dieser Handlungsspielraum der Krankenkasse ist Grundlage des bereits beschriebenen Kassenwettbewerbs.1400 Trotzdem sind die Krankenkassen bei der Preisgestaltung nicht frei, da die Festlegung der Beitragshöhe gesetzlich vorgezeichnet ist: Der Gesetzgeber gibt zum einen vor, daß sich die Beitragshöhe als prozentualer Satz der gesetzlich definierten beitragspflichtigen Einnahmen bemessen muß (vgl. §§ 241 ff., 226 ff. SGB V). Ferner muß genau derjenige Beitragssatz erhoben werden, welcher zur Deckung der im Haushaltsplan vorgesehenen Ausgaben sowie zur Auffüllung der Rücklage führt (§ 220 Abs. 1 S. 2 SGB V).1401 Daher beruhen die verschiedenen Beitragssätze allein auf den unterschiedlichen Versicherten- und Kostenstrukturen der Krankenkassen und nicht auf einer autonomen Preispolitik. Ab dem 1.1.2009 wird ein für alle Krankenkassen einheitlicher Beitragssatz durch die Bundesregierung per Rechtsverordnung festgesetzt (§ 241 Abs. 1 S. 1, § 243 Abs. 2 S. 1 SGB V n. F.). Die nach dem bundeseinheitlichen Beitragssatz sowie den gesetzlich definierten beitragspflichtigen Einnahmen zu bemessenen Beiträge werden von den Krankenkassen als sozialversicherungsrechtliche Einzugsstellen gemäß § 28i S. 1 SGB IV vereinnahmt und sogleich gemäß § 28k Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB IV n. F. an den vom Bundesversicherungsamt als Sondervermögen verwalteten Gesundheitsfonds1402 weitergeleitet. Aus dem Gesundheitsfonds erhalten die Krankenkassen Zuweisungen nach §§ 266, 270 SGB V n. F. Bis hierhin handelt es sich um einen bloßen Gesetzesvollzug; der Krankenkasse verbleiben nicht einmal mehr formale Entscheidungszuständigkeiten. Soweit der Finanzbedarf einer Krankenkasse durch die Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds und die sonstigen Einnahmen nicht gedeckt werden kann, muß die Krankenkasse in ihrer Satzung bestimmen, daß von ihren Mitgliedern ein Zusatzbeitrag erhoben wird, der auf ein Prozent der beitragspflich1399

In der vom 1.1.2008 bis 31.12.2008 gültigen Fassung. Vgl. S. 284 ff. sowie die Schlußanträge des Generalanwalts Francis G. Jakobs v. 22.5.2003, verb. Rs. C-264/01, C-306/01, C-354/01 und C-355/01, Slg. 2004, I2493 Tn. 38 – AOK Bundesverband u. a. 1401 Siehe auch M. Fuchs, SGb 2005, 65 (69 f.). 1402 Vgl. näher zum Gesundheitsfonds P. Axer, GesR 2007, 193 (195 f.). 1400

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3. Kap.: Krankenkassen als Unternehmen

tigen Einnahmen eines Mitgliedes begrenzt ist1403 (§ 242 Abs. 1 S. 1, 2 SGB V n. F.). Die Festsetzung der Höhe dieses kassenindividuellen Zusatzbeitrages ist auch gesetzlich vorgezeichnet, denn der Zusatzbeitrag muß das Defizit zwischen den Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds und den sonstigen Einnahmen auf der einen Seite sowie den voraussichtlich zu leistenden Ausgaben einschließlich der Auffüllung der Rücklage auf der anderen Seite ausgleichen (vgl. § 242 Abs. 3 S. 1 SGB V n. F.). Ist der voraussichtliche Fehlbetrag bekannt, stellt sich die Ermittlung des Zusatzbeitrags als Rechenaufgabe dar. Die Beiträge stellen jedoch nicht immer die einzige Komponente dar, welche die für den Versicherungsschutz aufzubringende Gegenleistung bestimmt. Der Gesamtpreis kann sich nämlich durch Prämienzahlungen der Krankenkasse an den Versicherten verringern. Solche Prämienzahlungen sind im Falle von Wahltarifen nach § 53 SGB V möglich. Hier bestehen Freiheitsgrade der einzelnen Krankenkassen, welche die Wahltarife und Prämien in ihrer jeweiligen Satzung regeln. Die Prämien stellen von den Krankenkassen zu beeinflussende Minuskomponenten dar, welche den Gesamtpreis für den Versicherungsschutz am oberen Ende etwas reduzieren. Dennoch wirken sich diese Freiheitsgrade nur im Randbereich der Preisbemessung aus. Der Anteil der Minuskomponente ist nämlich im Verhältnis zum gesetzlich bestimmten Beitrag gering, weil die Prämienhöhe nach § 53 Abs. 8 S. 4 SGB V begrenzt ist.1404 Ferner kommen die Wahltarife für viele Versicherte gar nicht in Betracht, so daß überhaupt nur ein Teil der Versicherten von Prämienzahlungen profitiert. Die Versicherungsleistungen der gesetzlichen Krankenversicherung sind vornehmlich im Dritten Kapitel des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (§§ 11 bis 68 SGB V) verankert. Nur in wenigen Randbereichen besteht für die Krankenkassen die Möglichkeit, sich durch Satzungsleistungen (Mehrleistungen) voneinander zu unterscheiden, denn Satzungsleistungen dürfen von einer Krankenkasse überhaupt nur dann eingeführt werden, wenn und soweit das Fünfte Buch Sozialgesetzbuch hierzu ausdrücklich ermächtigt1405. So sind beispielsweise Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung als häusliche Krankenpflege mögliche Satzungsleistungen.1406 Darüber hinaus bestehen nur vereinzelt weitere Wege der Krankenkassen, den Umfang der Versicherungsleistungen selbst zu bestimmen. So stellt die gemeinsame und einheitliche Festbetragsfestsetzung bei Arznei-, Verband- und Hilfsmitteln eine Festlegung des Leistungsumfanges 1403 Übersteigt der Zusatzbeitrag den Betrag von acht Euro im Monat nicht, kann die Ein-Prozent-Grenze überschritten werden, weil eine Einkommensüberprüfung des Mitgliedes entfällt (§ 242 Abs. 1 S. 3 SGB V n. F.). 1404 Siehe S. 306. 1405 Vgl. BSGE 89, 227 (231). 1406 § 37 Abs. 2 S. 4 SGB V. Schutzimpfungen als medizinische Vorsorgeleistungen konnten bis zum 31.3.2007 als Satzungsleistungen angeboten werden (§ 23 Abs. 9 SGB V a. F.) und sind nun Bestandteil des Pflichtleistungskataloges (§ 20d SGB V).

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der gesetzlichen Krankenversicherung dar.1407 Im großen und ganzen ist der Leistungskatalog hinsichtlich seiner Versicherungsleistungen1408 aber sozialrechtlich determiniert. bb) Angebot und Vermittlung von Zusatzkrankenversicherungen Für den Fall, daß der Gesetzgeber es den Krankenkassen künftig erlaubt, eigene Zusatzkrankenversicherungen anzubieten, ist nicht zu erwarten, daß er Beiträge (Prämien) und Leistungsumfänge für die verschiedenen Zusatzkrankenversicherungen selbst festlegen würde. Für den Kostenerstattungswahltarif (§ 53 Abs. 4 SGB V), der den Charakter einer Zusatzkrankenversicherung hat, bestehen keine derartigen gesetzlichen Vorgaben; die Krankenkassen sind auch nicht verpflichtet, einen solchen Wahltarif überhaupt anzubieten. Die bislang gemäß § 194 Abs. 1a S. 1 SGB V erlaubte Vermittlung von fremden Krankenversicherungsangeboten ist nicht näher gesetzlich ausgestaltet. Die Krankenkassen sind nicht einmal dazu verpflichtet, überhaupt einer solchen Vermittlungstätigkeit nachzugehen. Entscheidet sich eine Krankenkasse dafür, obliegt es ihr, das konkrete Vermittlungsprogramm zu bestimmen. d) Zwischenergebnis (Qualifizierung von Angebotstätigkeiten im Rahmen der Krankenversicherung) Es wurde festgestellt, daß die Tätigkeit der Krankenvollversicherung von Pflichtversicherten und von freiwillig Versicherten bzw. Versicherungsberechtigten auf dem Grundsatz der Solidarität beruht. Außerdem sind die marktbezogenen Hauptparameter Beitragshöhe (Preis) und (Versicherungs-)Leistung weitgehend durch den Gesetzgeber vorherbestimmt. Angesichts der eindeutig auf Umverteilung beruhenden Ausgestaltung beider Versicherungsbereiche, insbesondere des dahinterstehenden Finanzierungssystems, und der weitgehenden gesetzgeberischen Vorherbestimmtheit der angebotsseitigen marktbezogenen Hauptparameter ist auf der Grundlage der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes der wirtschaftliche Charakter der Krankenvollversicherungstätigkeit von Krankenkassen zu verneinen. Dabei besteht im Ergebnis auch kein Unterschied zwischen Pflichtversicherung und freiwilliger Versicherung, obwohl die Krankenkassen bei der freiwilligen Versicherung im Wettbewerb mit privaten Krankenversicherungsunternehmen um Versicherte stehen. An dieser Beurteilung hat im Ergebnis auch das Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der

1407

Vgl. dazu S. 261 ff. Vgl. aber zum Angebot von Gesundheitsleistungen durch die Krankenkassen S. 348 ff. 1408

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3. Kap.: Krankenkassen als Unternehmen

gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz – GKVWSG) vom 26.3.20071409 nichts verändert. Das Anbieten eines durch das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz ermöglichten Wahltarifes für Kostenerstattung (§ 53 Abs. 4 SGB V) in Gestalt einer abrechnungssatzbezogenen Höherversicherung mit Prämie stellt dagegen eine wirtschaftliche Tätigkeit der anbietenden Krankenkasse dar, welche die Unternehmenseigenschaft im Sinne des Europäischen Wettbewerbsrechts begründet. Das (bisher nur angedachte) Anbieten weiterer eigener Zusatzkrankenversicherungen würde ebenfalls nicht auf dem Grundsatz der Solidarität beruhen und sich auch nicht als Gesetzesvollzug darstellen. Krankenkassen wären insoweit bereits nach der bisherigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes Unternehmen und Normadressaten des Europäischen Wettbewerbsrechts. Gleiches gilt für die bereits praktizierte Tätigkeit der Vermittlung fremder Zusatzkrankenversicherungen. 2. Angebot von Gesundheitsleistungen Bei der obigen1410 Untersuchung zur Qualifizierung der Nachfragetätigkeiten von Krankenkassen wurde festgestellt, daß Krankenkassen im Rahmen der Leistungserbringung Gesundheitsleistungen (z. B. ärztliche bzw. zahnärztliche Leistungen, Arznei-, Heil- und Hilfsmittel) nachfragen, um diese Leistungen aufgrund des Sachleistungsprinzips (vgl. § 2 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 SGB V) den Versicherten zur Verfügung stellen zu können. Wettbewerbsrechtlich ist jedoch entscheidend, ob sich bei einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise herausstellt, daß die Gesundheitsleistungen den Versicherten tatsächlich als Sachleistung zur Verfügung gestellt werden.1411 Daher sind die Krankenkassen nicht bei allen Gesundheitsleistungen, die von der nationalen Rechtsprechung oder Literatur sozialversicherungsrechtlich dem Sachleistungsprinzip zugerechnet werden, Nachfrager im Sinne des Europäischen Wettbewerbsrechts.1412 Hinsichtlich der Gesundheitsleistungen kann es mit der Qualifizierung der darauf bezogenen Nachfragetätigkeiten der Krankenkassen nicht sein Bewenden haben, denn die Krankenkassen bilden mangels Eigenverwendung regelmäßig nicht den Endpunkt der Leistungskette. Gemäß ihrem Auftrag aus § 2 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 SGB V stellen sie die beschafften Leistungen ihren Versicherten bei Bedarf zur Verfügung. Es liegt auf der Hand, daß Krankenkassen im Rahmen dieser Weiterverteilung der zunächst bei den Leistungserbringern beschafften Gesundheitsleistungen nunmehr selbst Anbieter gegenüber den bedürf1409 1410 1411 1412

BGBl. I 378. Siehe S. 234 ff. Vgl. S. 255 f. Vgl. S. 239 ff.

C. Qualifizierung der verschiedenen Tätigkeiten von Krankenkassen

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tigen Versicherten sind. Deshalb bedarf auch die Tätigkeit des Zurverfügungstellens einer näheren Untersuchung hinsichtlich ihres wirtschaftlichen Charakters. Auf das Zurverfügungstellen von im Rahmen des Sachleistungsprinzips beschafften Leistungen an die Versicherten ist für die Begründung der Unternehmenseigenschaft von Sozialversicherungsträgern bisher weder im deutschen Kartellrecht noch im Europäischen Wettbewerbsrecht abgestellt worden. Dies läßt sich für das deutsche Recht leicht damit erklären, daß die Beziehungen zwischen Sozialversicherungsträgern und Versicherten als öffentlich-rechtliche gelten und deshalb nach ganz herrschender Ansicht nicht von den nationalen wettbewerbsrechtlichen Normen erfaßt werden.1413 Im Europäischen Recht lagen dem Europäischen Gerichtshof einerseits bisher keine Fallgestaltungen vor, bei denen die mutmaßlich wettbewerbsbeschränkende Verhaltensweise eines Sozialversicherungsträgers seiner (auf dem Sachleistungsprinzip beruhenden) Tätigkeit des Zurverfügungstellens von Gesundheitsleistungen zuzurechnen war. Andererseits dürften auch Konstellationen eher ungewöhnlich und selten sein, in denen aus dem Weiterverteilungsverhältnis zwischen Sozialversicherungsträger und Versicherten wettbewerbsrechtliche Fallgestaltungen von europarechtlicher Relevanz erwachsen.1414 Daß die Frage nach dem wirtschaftlichen Charakter des angebotsorientierten Zurverfügungstellens von beschafften Leistungen an die eigenen Versicherten durch einen Sozialversicherungsträger jüngst vom Generalanwalt Miguel Poiares Maduro in die Diskussion geworfen wurde,1415 ist allein auf den von den europäischen Rechtsprechungsorganen in der Rechtssache FENIN1416 vertretenen Ansatz zur Bestimmung des wirtschaftlichen Charakters von Nachfragetätigkeiten zurückzuführen. Ob nämlich eine Nachfragetätigkeit wirtschaftlichen Charakter hat und insofern bei dieser Tätigkeit eine Einheit Normadressatin der Wettbewerbsregeln ist, soll nach diesem (abzulehnenden1417) Ansatz allein da-

1413

Vgl. S. 132 ff. Zum einen handelt es sich bei der Marktgegenseite der Sozialversicherungsträger, nämlich den Versicherten, nicht um Unternehmen. Ferner erbringen die Sozialversicherungsträger ihre Sachleistungen nicht in Konkurrenz zu privaten Unternehmen (Leistungserbringern), da letztere von der Belieferung der Versicherten aufgrund des für die Versicherten obligatorischen Sachleistungsbezuges regelmäßig faktisch ausgeschlossen sind (vgl. S. 341 f.). Dieser wettbewerbsbeschränkende Ausschluß beruht aber nicht auf dem Weiterverteilungsvorgang, sondern auf dem (Pflicht-)Versicherungsverhältnis, welches schon öfter Gegenstand von wettbewerbsrechtlichen Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes gewesen ist (vgl. S. 258 ff.). 1415 Vgl. die Schlußanträge des Generalanwalts M. Poiares Maduro v. 10.11.2005, Rs. C-205/03 P, Slg. 2006, I-6295 Tn. 39 ff. – FENIN. 1416 Vgl. EuG, Urt. v. 4.3.2003, Rs. T-319/99, Slg. 2003, II-357 – FENIN; EuGH, Urt. v. 11.7.2006, Rs. C-205/03 P, Slg. 2006, I-6295 – FENIN. 1417 Siehe ausführlich zur Ablehnung dieser Rechtsprechung S. 78 ff. 1414

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3. Kap.: Krankenkassen als Unternehmen

von abhängen, ob die beschafften Leistungen später wirtschaftlich verwendet werden: „Der wirtschaftliche oder nichtwirtschaftliche Charakter der späteren Verwendung des erworbenen Erzeugnisses bestimmt [. . .] zwangsläufig den Charakter der Einkaufstätigkeit.“1418

Hinter der Untersuchung des wirtschaftlichen oder nichtwirtschaftlichen Charakters des Zurverfügungstellens von beschafften Leistungen an die eigenen Versicherten durch einen Sozialversicherungsträger steht letztlich die Grundidee, über die Qualifizierung der Verwendungstätigkeit als wirtschaftliche auch den Einkauf als wettbewerbsrechtlich relevanten Vorgang zu erfassen. Dieser Grundidee des Generalanwaltes hat der Europäische Gerichtshof in der Rechtssache FENIN keine Absage erteilt, sondern eine Prüfung des wirtschaftlichen Charakters der Tätigkeit des Anbietens von medizinischen Leistungen durch die das spanische Gesundheitssystem verwaltenden Einrichtungen allein aus prozessualen Gründen (verspäteter Prozeßvortrag) abgelehnt.1419 Bezogen auf die deutschen Krankenkassen bedeutet dies: Der wirtschaftliche Charakter ihrer Nachfrage nach Gesundheitsleistungen im Rahmen der Leistungserbringung hängt auf der Grundlage des FENIN-Ansatzes davon ab, ob es sich um eine wirtschaftliche Tätigkeit handelt, wenn die Krankenkassen ihren Versicherten bei Bedarf Gesundheitsleistungen als Sachleistungen gemäß § 2 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 SGB V tatsächlich1420 zur Verfügung stellen. a) Grundvoraussetzungen Als erstes ist zu klären, ob die von den Krankenkassen ausgeübte Tätigkeit des Zurverfügungstellens von bei den Leistungserbringern beschafften Gesundheitsleistungen an die Versicherten überhaupt als eine die Unternehmenseigenschaft begründende wirtschaftliche Tätigkeit in Betracht zu ziehen ist oder vielmehr schon im Ausgangspunkt eine derartige Annahme ausscheidet. Eine wirtschaftliche Tätigkeit besteht im Anbieten von Gütern oder Dienstleistungen auf einem Markt.1421 Gesundheitsleistungen sind zweifellos Güter (z. B. Arznei-, Heil- und Hilfsmittel) oder Dienstleistungen (z. B. ärztliche Heilbehandlung). In allen nicht durch das Sachleistungsprinzip gekennzeichneten Lei1418 EuG, Urt. v. 4.3.2003, Rs. T-319/99, Slg. 2003, II-357 Rn. 36 – FENIN. So auch bestätigt durch EuGH, Urt. v. 11.7.2006, Rs. C-205/03 P, Slg. 2006, I-6295 Rn. 26 – FENIN. Siehe zu dieser Rechtssache ausführlich S. 79 ff. 1419 Vgl. EuGH, Urt. v. 11.7.2006, Rs. C-205/03 P, Slg. 2006, I-6295 Rn. 21 f. – FENIN. 1420 Vgl. zum möglichen Unterschied zwischen einer sozialversicherungsrechtlichen und einer tatsächlichen Sachleistung S. 255 f. 1421 Ob auch die Nachfrage als solche eine wirtschaftliche Tätigkeit begründet (siehe dazu S. 78 ff.), spielt hier keine Rolle.

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stungsbeziehungen korrespondiert eine (nichtwirtschaftliche) Nachfrage der Patienten mit einem wirtschaftlichen Angebot der Leistungserbringer und umgekehrt. Solche direkten Leistungsbeziehungen zwischen Leistungserbringern und Versicherten existieren im Gesundheitswesen vor allem dort, wo entweder kein Versicherungsschutz besteht (einschließlich des Falles, daß eine Gesundheitsleistung nicht Bestandteil des Leistungskataloges einer privaten oder gesetzlichen Krankenversicherung ist) oder aber im Rahmen eines Versicherungsverhältnisses das Kostenerstattungsprinzip1422 gilt. Daß die angebotsorientierte Tätigkeit der Leistungserbringer eine wirtschaftliche Tätigkeit darstellt, ist in Rechtsprechung und Literatur allgemein anerkannt.1423 Im Sachleistungssystem tritt nun die Krankenkasse dazwischen. Sie beschafft als Nachfrager die Gesundheitsleistungen bei den Leistungserbringern für ihre Versicherten. Das Angebot der Leistungserbringer gegenüber den Krankenkassen bleibt für erstere eine wirtschaftliche Tätigkeit. Ob die Leistungserbringer unmittelbar an die Krankenkassen leisten oder unmittelbar an die Versicherten, spielt für die Qualifizierung ihrer Tätigkeit überhaupt keine Rolle. LE (Anbieter)

Gesundheitsleistung

Patient/Versicherter (Nachfrager)

LE Gesundheitsleistung Sozialversicherungs(Anbieter) träger (Nachfrager) Sozialversicherungs- Gesundheitsleistung Patient/Versicherter träger (Nachfrager) (Anbieter) LE = Leistungserbringer

1422

Siehe zum Kostenerstattungsprinzip S. 238 f. Vgl. EuGH, Urt. v. 12.9.2000, verb. Rs. C-180/98 bis C-184/98, Slg. 2000, I6451 Rn. 76 f. – Pavlov u. a.: „In den Ausgangsverfahren erbringen die [. . .] Fachärzte als selbständige Wirtschaftsteilnehmer Dienstleistungen auf einem Markt, nämlich dem der fachärztlichen Dienstleistungen. Sie erhalten von ihren Patienten ein Entgelt für die erbrachten Dienstleistungen und übernehmen die mit der Ausübung ihrer Tätigkeit verbundenen finanziellen Risiken. Die [. . .] selbständigen Fachärzte üben somit eine wirtschaftliche Tätigkeit aus und sind daher Unternehmen im Sinne der Artikel 85, 86 und 90 EG-Vertrag [Art. 81, 82, 86 EG]; an diesem Ergebnis können auch die Komplexität und der technische Charakter ihrer Dienstleistungen sowie der Umstand, dass ihre Berufsausübung Regeln unterliegt, nichts ändern“. Vgl. ferner Kommission, Bericht über den Wettbewerb bei freiberuflichen Leistungen, KOM 2004/83 Rn. 68; V. Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, WettbR EG/1 Art. 81 Abs. 1 EGV Rn. 31; H. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze II Vorbem. zu den Artikeln 81 bis 85 EG Rn. 26. 1423

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3. Kap.: Krankenkassen als Unternehmen

Fraglich ist nun, welche Gründe dafür sprechen sollten, in der Weiterverteilung der beschafften Gesundheitsleistungen durch die Krankenkassen eine Aufhebung des wirtschaftlichen Charakters des auf den „Endverbraucher“ gerichteten Leistungsvorganges zu sehen. aa) Selbständige wettbewerbsrechtliche Qualifizierung? Es ist zunächst zu untersuchen, ob das Anbieten von Gesundheitsleistungen durch die Krankenkassen überhaupt einer selbständigen wettbewerbsrechtlichen Qualifizierung zugänglich ist oder nicht vielmehr als Bestandteil der Versicherungstätigkeit auf dem Gebiet der Pflicht- und freiwilligen Versicherung das „Schicksal“ der Versicherungstätigkeit teilt. Für einen untrennbaren Zusammenhang zwischen beiden Tätigkeiten könnte sprechen, daß sich das Zurverfügungstellen von Gesundheitsleistungen an Versicherte im Bedarfsfall als Pflichterfüllung aus dem gesetzlichen Versicherungsverhältnis darstellt, welches in seiner Ausgestaltung durch den Gesetzgeber im Fünften Buch Sozialgesetzbuch im Regelfall eine Sachleistung beinhaltet (vgl. § 2 Abs. 2 S. 1, § 13 Abs. 1 SGB V). Dennoch ist auf der anderen Seite die Grundverschiedenheit beider Tätigkeiten zu beachten. Das Erbringen von Gesundheitsleistungen ist etwas völlig anderes als das Erstellen eines Versicherungsschutzes gegen Krankheiten. Dies ergibt sich schon daraus, daß außerhalb des Sachleistungsprinzips beide Tätigkeiten von vollkommen verschiedenen Personengruppen bzw. Einrichtungen ausgeübt werden, nämlich einerseits von Ärzten, Hebammen, Apothekern etc. und andererseits von Krankenkassen und Krankenversicherungsunternehmen. Grundsätzlich ist aufgrund der Relativität des Unternehmensbegriffes jede einzelne Tätigkeit gesondert zu beurteilen.1424 Aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes ist bekannt, daß eine gesonderte Beurteilung ausnahmsweise aber dann entfallen muß, wenn eine vor- oder nachgelagerte Tätigkeit zwingender Annex einer anderen Tätigkeit und deshalb keiner eigenständigen Qualifizierung zugänglich ist.1425 Insofern müßte sich das Anbieten von Gesundheitsleistungen als zwingender Annex einer Krankenvollversicherung erweisen. Eine Krankenvollversicherung ist jedoch nicht notwendigerweise mit dem Anbieten von Gesundheitsleistungen durch den Versicherer selbst verbunden. Vielmehr ist im Bereich der Kranken1424 So auch die Schlußanträge des Generalanwalts M. Poiares Maduro v. 10.11. 2005, Rs. C-205/03 P, Slg. 2006, I-6295 Tn. 41 ff. – FENIN. Vgl. zur Relativität des Unternehmensbegriffes S. 67 ff. 1425 Vgl. EuGH, Urt. v. 19.1.1994, Rs. C-364/92, Slg. 1994, I-43 Rn. 28 ff. – SAT Fluggesellschaft/Eurocontrol: In dieser Rechtssache hat der Gerichtshof eine eigenständige Qualifizierung der Tätigkeit des Einziehens von Flugsicherungsgebühren abgelehnt und die Qualifizierung von der Beurteilung der Flugsicherungstätigkeit abhängig gemacht. Vgl. ferner EuGH, Urt. v. 18.3.1997, Rs. C-343/95, Slg. 1997, I-1547 Rn. 24 – Diego Cali & Figli.

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vollversicherung vielfach das Kostenerstattungssystem vorzufinden, welches sogar mit einer vollständigen personellen Trennung zwischen Leistungserbringer und Versicherer verbunden werden kann.1426 Ebensowenig müssen Anbieter von Gesundheitsleistungen (insbesondere Leistungserbringer) zusätzlich und gleichzeitig einer Versicherungstätigkeit nachgehen. Versicherungstätigkeit und Angebot von Gesundheitsleistungen stehen daher als zwei verschiedene Tätigkeitsbereiche nebeneinander und werden parallel ausgeübt. Ihre vertragliche oder gesetzliche Verknüpfung in einzelnen Mitgliedstaaten darf keine Reduzierung des wettbewerbsrechtlichen Schutzes durch Vermengung zu einem die Relativität des Unternehmensbegriffes aufhebenden Gesamttatbestand bewirken. Daher ist es geboten, das Gesundheitsleistungsangebot der Krankenkassen getrennt von ihrer Versicherungstätigkeit auf seinen wirtschaftlichen Charakter zu überprüfen. Auch hier hilft zur letzten Gewißheit ein vergleichender Blick in außerhalb des Sozialsektors gelegene Bereiche: Sähe eine Kfz-Vollkaskoversicherung in ihren Geschäftsbedingungen vor, daß im Falle des Diebstahles eines neuwertigen Fahrzeuges vom Versicherungsunternehmen kein Geld an den Versicherungsnehmer ausgezahlt, sondern ein neues gleichwertiges Ersatzfahrzeug beschafft und übereignet wird, könnte die Tatsache, daß die Übereignung des Ersatzfahrzeuges eine Erfüllung von Verbindlichkeiten aus dem Versicherungsvertrag darstellt, auch nichts daran ändern, Automobillieferung und Kfz-Versicherung als zwei verschiedene Tätigkeitsbereiche zu betrachten. bb) Marktmäßige Strukturen? Eine wirtschaftliche Tätigkeit muß einen unmittelbaren Marktbezug aufweisen; nur ein auf dem Markt zu vollziehender Leistungsaustausch begründet den Unternehmenstatbestand.1427 Zu untersuchen ist daher, ob sich der nach dem Sachleistungsprinzip erfolgende Austausch zwischen Krankenkasse und Versichertem innerhalb marktmäßiger Strukturen vollzieht. Zweifel könnten daraus erwachsen, daß die Krankenkassen mit dem Zurverfügungstellen von Gesundheitsleistungen im Bedarfsfall an die Versicherten nur ihre Verpflichtungen aus dem gesetzlichen Versicherungsverhältnis erfüllen. Die Gesundheitsleistungen werden daher nicht freiwillig von den Krankenkassen erbracht, ebensowenig fragen die Versicherten aufgrund einer eigenen Auswahlentscheidung die ihnen zur Verfügung gestellten Sachleistungen bei den Krankenkassen nach. Bereits oben wurde das Verhältnis zwischen wirtschaftlicher Tätigkeit und Markt erörtert, mit dem Ergebnis, daß fehlende Handlungs- und Auswahlmöglichkeiten 1426 Vgl. nur die seit 1.4.2007 geltende Regelung des § 53 Abs. 4 SGB V, welche auch für die gesetzliche Krankenversicherung dem Versicherten die Möglichkeit eröffnet, im Wahltarif für Kostenerstattung auf Sachleistungen der Krankenkasse zu verzichten. 1427 Vgl. S. 63 ff.

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3. Kap.: Krankenkassen als Unternehmen

der Anbieter und Nachfrager nicht das Vorhandensein eines Marktes im wettbewerbsrechtlichen Sinne in Frage stellen können.1428 Die Wettbewerbsregeln erfassen gerade auch gesetzlich angeordnete monopolistische Austauschstrukturen,1429 die typischerweise durch fehlende Handlungs- und Auswahlmöglichkeiten gekennzeichnet sind. Daß Angebot und Nachfrage durch Gesetz zusammengeführt werden, kann daher dem Ort des Leistungsaustausches nicht den Charakter eines Marktes nehmen. Im übrigen erfolgt auch in jedem Vertragsverhältnis durch den Vertragsabschluß eine wettbewerbsimmanente Beschränkung der Handlungsfreiheit der Beteiligten. Sofern die anbietenden Leistungserbringer gesetzlich Versicherte als Nachfrager unmittelbar mit Gesundheitsleistungen versorgen, liegt unstreitig ein marktmäßiger Leistungsaustausch vor.1430 Daß auch die Versorgung der Versicherten über die Krankenkassen auf einem Markt im wettbewerbsrechtlichen Sinne geschieht, verdeutlicht sich bei Betrachtung der engen Verwandtschaft beider Leistungsvorgänge: Den gesetzlich Versicherten ist es nicht verboten, sich eine benötigte Gesundheitsleistung auch privat zu beschaffen; theoretisch können sie jeden beliebigen, privat liquidierenden Leistungserbringer beauftragen, ihnen gegenüber die benötigte Leistung zu erbringen. Bezogen auf eine bestimmte Gesundheitsleistung ist das Angebot seiner Krankenkasse und das Angebot von privat liquidierenden Leistungserbringern für den nachfragenden Versicherten der Sache nach grundsätzlich austauschbar, womit Krankenkasse und Leistungserbringer nach den Regeln der Marktabgrenzung1431 auf dem gleichen Markt tätig wären. Daß Krankenkassen tatsächlich nicht um den Absatz der vom Sachleistungsprinzip umfaßten Gesundheitsleistungen mit den Leistungserbringern konkurrieren, liegt alleine daran, daß die Versicherten bei Privatbezug über einen Leistungserbringer die Kosten vollständig selbst übernehmen müssen und eine Erstattung durch die Krankenkasse ausscheidet (vgl. § 13 Abs. 1 SGB V), während ihnen die Sachleistung ohne weiteres Entgelt (Zuzahlungen und Eigenanteile ausgenommen) zur Verfügung gestellt wird. Krankenkassen und Leistungserbringer sind daher trotz gleichartiger Leistungen allein deshalb nicht auf dem gleichen Markt tätig, weil bei der Abgrenzung des sachlich relevanten 1428

Siehe S. 281 ff. Vgl. nur Art. 86 Abs. 2 S. 1 EG, wo insbesondere Finanzmonopole (z. B. Branntwein-, Tabak- oder Zündwarenmonopol) ausdrücklich erwähnt werden. 1430 Vgl. die Nachweise bei Fn. 1423. 1431 Vgl. zur Abgrenzung des sachlich, räumlich und zeitlich relevanten Marktes die Bekanntmachung der Kommission über die Definition des relevanten Marktes im Sinne des Wettbewerbsrechts der Gemeinschaft, ABl. EG 1997 Nr. C 372/5 sowie D. Dirksen, in: Langen/Bunte II Artikel 82 [Mißbrauch einer marktbeherrschenden Stellung] Rn. 17 ff.; W. Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, WettbR EG/1 Art. 82 EGV Rn. 38 ff.; H. Wendland, in: W. Büchner/J. Ehmer/M. Geppert/B. Kerkhoff/H.-J. Piepenbrock/R. Schütz/F. Schuster (Hrsg.), Beck’scher TKG-Kommentar, 2000, Vor § 33 Rn. 23 ff. 1429

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Marktes zu berücksichtigen ist, ob Leistungen von der Marktgegenseite auch hinsichtlich ihrer Preise als austauschbar angesehen werden.1432 Wenn vor diesem Hintergrund allein der Umstand, daß die Gesundheitsleistungen wegen des Preises nicht austauschbar sind, es verhindert, Krankenkassen und privat liquidierende Leistungserbringer als Teilnehmer auf dem gleichen wettbewerbsrechtlich relevanten Markt anzusehen, kann für das Anbieten von Gesundheitsleistungen durch die Krankenkassen ein Markt nicht gänzlich verneint werden. b) Wirtschaftliche Tätigkeit Wenn Krankenkassen ihren Versicherten im Bedarfsfall Gesundheitsleistungen anbieten, üben sie eine ähnliche Tätigkeit aus wie privat liquidierende Leistungserbringer (z. B. Ärzte, Zahnärzte, Hebammen, Verkäufer von Arznei-, Heil- und Hilfsmitteln, Krankentransporteure), die gleichartige Leistungen dem Endverbraucher offerieren. Im Regelfall werden sogar die Gesundheitsleistungen der Krankenkassen gar nicht von ihnen selbst erbracht, sondern über zugelassene oder akzeptierte Leistungserbringer, da die Krankenkassen eigene Einrichtungen nur ausnahmsweise betreiben dürfen (vgl. § 140 Abs. 2 SGB V). Daß die Leistungserbringer auf dem Gesundheitsmarkt einer wirtschaftlichen Tätigkeit nachgehen und Normadressaten der Art. 81 ff. EG sind, ist unbestritten und für einzelne auch vom Europäischen Gerichtshof bestätigt worden.1433 Zu untersuchen ist deshalb, ob das Angebot der Krankenkassen sich in einigen Punkten so von dem der Leistungserbringer unterscheidet, daß ihm notwendige Merkmale einer wirtschaftlichen Tätigkeit fehlen. aa) Entgeltlichkeit Es stellt sich zunächst die Frage, ob die Gesundheitsleistungen von den Krankenkassen gegen Entgelt angeboten werden. Eine wirtschaftliche Tätigkeit setzt grundsätzlich einen entgeltlichen Leistungsvorgang voraus, da sie vor allem als Austausch von Gütern oder Dienstleistungen auf einem Markt verstanden wird und sich ein Austausch im Regelfall erst durch das Gegenüberstehen von Leistung und Gegenleistung ergibt.1434 Im Rahmen des Sachleistungsprinzips werden aber die einzelnen Gesundheitsleistungen den Versicherten von ihrer Krankenkasse nicht in Rechnung gestellt. Ein derartiger Leistungskontext veranlaßte 1432 Vgl. die Bekanntmachung der Kommission über die Definition des relevanten Marktes im Sinne des Wettbewerbsrechts der Gemeinschaft, ABl. EG 1997 Nr. C 372/ 5 Rn. 7; D. Dirksen, in: Langen/Bunte II Artikel 82 [Mißbrauch einer marktbeherrschenden Stellung] Rn. 20; W. Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, WettbR EG/1 Art. 82 EGV Rn. 52. 1433 Vgl. die Nachweise bei Fn. 1423. 1434 Vgl. S. 77 f.

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3. Kap.: Krankenkassen als Unternehmen

wohl den Generalanwalt Miguel Poiares Maduro, in seinen Schlußanträgen in der Rechtssache FENIN von einer „Tätigkeit des Anbietens von unentgeltlichen medizinischen Leistungen an die Mitglieder des SNS“ (Verwaltungsträger des spanischen nationalen Gesundheitssystems) zu sprechen.1435 Entgeltlichkeit verlangt allerdings keine unmittelbare Gegenleistung der Leistungsempfänger; vielmehr ist die Entgeltlichkeit eines Leistungsvorganges auch bei indirekten Gegenleistungen zu bejahen. Bereits oben wurde dazu festgestellt, daß eine Einzelleistung ebenso durch Beitragszahlung zu einem Gesamtsystem abgegolten werden kann.1436 Im Sachleistungssystem der gesetzlichen Krankenversicherung ist die Gegenleistung der Versicherten für die von den Krankenkassen im Bedarfsfall zur Verfügung gestellten Gesundheitsleistungen in der Zahlung der Versicherungsbeiträge zu erblicken. Der Versicherungsbeitrag ist nicht allein Gegenleistung für den Krankenversicherungsschutz. Der Krankenversicherungsschutz wird im Geltungsbereich des Sachleistungsprinzips überhaupt erst durch das Zurverfügungstellen von Gesundheitsleistungen gewährleistet. Der Versicherungsbeitrag stellt die Gegenleistung des Versicherten für alle ihm aus dem gesetzlichen Krankenversicherungsverhältnis vermittelten Ansprüche dar.1437 An diesem Ergebnis ändert sich auch nichts, wenn einzelne Personen, die selbst gar keine Versicherungsbeiträge an die Krankenkasse bezahlen, Sachleistungen erhalten. Zum einen ist vorrangig zu prüfen, ob nicht andere Versicherte für diese Kassenleistungen Beiträge bezahlen, beispielsweise bei der Familienversicherung gemäß § 10 SGB V. Zum anderen kommt es wettbewerbsrechtlich allein darauf an, ob die Gesundheitsleistungen im allgemeinen gegen Entgelt zur Verfügung gestellt werden1438. Krankenkassen pflegen Sachleistun-

1435 Vgl. die Schlußanträge des Generalanwalts M. Poiares Maduro v. 10.11.2005, Rs. C-205/03 P, Slg. 2006, I-6295 vor Tn. 39 – FENIN (Hervorhebung durch Verfasser). 1436 Vgl. S. 91 ff. 1437 Die Ausführungen des Generalanwalts M. Poiares Maduro (Schlußanträge v. 10.11.2005, Rs. C-205/03 P, Slg. 2006, I-6295 Tn. 50 – FENIN) zur Entgeltlichkeit gehen jedoch an der wettbewerbsrechtlichen Problemstellung vorbei. Er stellt darauf ab, daß die Leistungserbringer vom SNS eine Gegenleistung erhalten. Dieser Umstand betrifft jedoch allein die Beschaffung der Gesundheitsleistungen durch die Krankenversicherungsträger. Für die Frage, ob das Anbieten von Gesundheitsleistungen an ihre Mitglieder eine wirtschaftliche Tätigkeit der Krankenversicherungsträger ist, hat dieser Umstand aber keine Relevanz. 1438 Vgl. R. Bechtold/W. Bosch/I. Brinker/S. Hirsbrunner, EG-Kartellrecht – Kommentar, 2005, Art. 81 EG Rn. 11; E. Gippini-Fournier, in: U. Loewenheim/K. M. Meessen/A. Riesenkampff (Hrsg.), Kartellrecht, Bd. 1: Europäisches Recht, 2005, Art. 81 Abs. 1 EG Rn. 41; W.-H. Roth/T. Ackermann, in: FK Art. 81 Abs. 1 EG-Vertrag Grundfragen Rn. 17 (Stand: November 1999). Ähnlich C. Benicke, EWS 1997, 373 (376); C. Engelmann, Kostendämpfung im Gesundheitswesen und EG-Wettbewerbsrecht, 2002, S. 66.

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gen im Regelfall nur solchen Personen zur Verfügung zu stellen, für die ein Versicherter Beiträge bezahlt. bb) Grundsatz der Solidarität Im Tätigkeitsbereich von Sozialversicherungsträgern hängt nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes die Unternehmenseigenschaft hauptsächlich davon ab, ob eine Tätigkeit auf dem Grundsatz der Solidarität beruht. Die vom Gerichtshof herangezogenen Solidarmerkmale sind allerdings speziell für angebotsorientierte Versicherungstätigkeiten entwickelt worden1439 und nicht ohne weiteres auf andersartige Tätigkeiten übertragbar. Bereits oben bei der Prüfung des Solidaritätsgrades der Nachfragetätigkeiten von Krankenkassen im Rahmen der Leistungserbringung wurden deshalb Modifizierungen erforderlich.1440 Diesen Zusammenhang hat auch der Generalanwalt Miguel Poiares Maduro erkannt und in der Rechtssache FENIN festgestellt: „Das Kriterium, das der Gerichtshof [. . .] herausgearbeitet hat, eignet sich aber nicht als Grundlage dafür, den Charakter einer Tätigkeit, die in der Erbringung von medizinischen Leistungen besteht, zu bestimmen. Während nämlich der Gerichtshof [bisher in verschiedenen Rechtssachen] prüfte, ob das Bestehen einer Pflichtmitgliedschaft in einer Krankenkasse oder -versicherung mit dem Wettbewerbsrecht der Gemeinschaft vereinbar ist, handelt es sich bei der einzustufenden Tätigkeit unstreitig nicht um eine Pflichtversicherung gegen Krankheit, die das SNS [Verwaltungsträger des spanischen nationalen Gesundheitssystems] auch anbietet, sondern um die Erbringung von medizinischen Leistungen. Daher ist der auf diesem Sektor gegebene Solidaritätsgrad anhand anderer Parameter als der für die Tätigkeit einer Krankenkasse oder -versicherung maßgeblichen zu bestimmen.“1441

Andere Parameter zur Bestimmung des Solidaritätsgrades wurden vom Generalanwalt allerdings nicht herausgearbeitet. Für den Generalanwalt hängt die Entscheidung davon ab, „ob die Nachfrage des Marktes vollständig durch öffentliche Einrichtungen befriedigt wird oder ob auch private Einrichtungen, die Unternehmenscharakter haben, daran mitwirken. [. . .] Das SNS ist offenbar [. . .] befugt, medizinische Leistungen an private Unternehmen zu vergeben. Außerdem ergibt sich aus der Antwort der spanischen Regierung auf die Frage des Gerichts vom 15. Januar 2002, dass ein Teil der medizinischen Leistungen vom privaten Sektor erbracht wird. Die Rechtssache ist daher an das Gericht zurückzuverweisen, damit es die erforderlichen Tatsachenfeststellungen zu der Frage trifft, ob in Spanien der öffentliche und der pri-

1439

Vgl. S. 258 ff., 267 ff. Vgl. S. 267 ff. 1441 Schlußanträge des Generalanwalts M. Poiares Maduro v. 10.11.2005, Rs. C-205/03 P, Slg. 2006, I-6295 Tn. 47 – FENIN. 1440

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3. Kap.: Krankenkassen als Unternehmen

vate Sektor nebeneinander bestehen oder ob bei der Tätigkeit der unentgeltlichen Erbringung von medizinischen Leistungen die Solidarität überwiegt.“1442

Den Aussagen läßt sich leider nicht entnehmen, was der Generalanwalt unter einer Mitwirkung Privater bei der Befriedigung der Nachfrage nach Gesundheitsleistungen versteht. Bezogen auf Deutschland könnte dafür auf sehr unterschiedliche Umstände abgestellt werden: Stellt man auf die Gesamtnachfrage von gesetzlich oder privat Versicherten und Nichtversicherten ab, wird diese in der Tat auch durch Private befriedigt, wenn das Kostenerstattungsprinzip gilt oder die Kosten selbst getragen werden; nach dem Sachleistungsprinzip wird die Nachfrage von gesetzlich Versicherten durch öffentlich-rechtliche Krankenkassen befriedigt. Stellt man allein auf die Nachfragebefriedigung durch die Krankenkassen ab, könnte es für den Generalanwalt bedeutsam sein, daß letztlich die Krankenkassen nur im Ausnahmefall eigene Einrichtungen unterhalten (vgl. § 140 Abs. 2 SGB V) und im Regelfall private Leistungserbringer eingeschaltet werden, welche die Gesundheitsleistungen erbringen (vgl. § 2 Abs. 2 S. 1 SGB V). Denkbar wäre aber auch, daß der Generalanwalt darauf abstellen möchte, ob Krankenkassen und private Leistungserbringer bezogen auf eine bestimmte Gesundheitsleistung nebeneinander an die gesetzlich Versicherten herantreten. Dies wäre in Deutschland nur theoretisch der Fall, denn im Rahmen des Sachleistungsprinzips wird den Versicherten eine benötigte Gesundheitsleistung von den Krankenkassen nicht in Rechnung gestellt, was faktisch/wirtschaftlich einen Bezug über Private ausschließt, da die Versicherten die Kosten dann selbst tragen müßten (vgl. § 13 Abs. 1 SGB V). Für die Untersuchung, ob sich der Grundsatz der Solidarität beim Angebot von Gesundheitsleistungen verwirklicht, ist im Ausgangspunkt zu beachten, daß nach dem Verständnis des Europäischen Gerichtshofes Solidarität in erster Linie mit Umverteilung gleichzusetzen ist und die von ihm für Versicherungstätigkeiten entwickelten Kriterien vor allem solche sind, welche den Umverteilungsgrad messen, der in einem Tätigkeitssektor realisiert wird.1443 Deshalb kommt es entscheidend darauf an, welcher Umverteilungsgrad beim Zurverfügungstellen von Gesundheitsleistungen an Versicherte erreicht wird. Den zur angebotsseitigen Versicherungstätigkeit vom Europäischen Gerichtshof entwickelten konkreten Kriterien wurde bereits oben ein allgemeiner Gehalt entnommen, nämlich Umverteilung bzw. Solidarität im Sinne des Gerichtshofes zeichnen sich vornehmlich dadurch aus, daß sich die Höhe der für eine empfangene Leistung aufzubringenden Gegenleistung nicht nach dem wirtschaftlichen Wert der empfangenen Leistung richtet, mithin keine Äquivalenz zwischen Leistung und Gegenleistung besteht bzw. angestrebt wird.1444 1442 Schlußanträge des Generalanwalts M. Poiares Maduro v. 10.11.2005, Rs. C205/03 P, Slg. 2006, I-6295 Tn. 53 f. – FENIN. 1443 Vgl. S. 184 ff., 190, 267 ff.

C. Qualifizierung der verschiedenen Tätigkeiten von Krankenkassen

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Eine Entkopplung der Höhe der für eine empfangene Leistung aufzubringenden Gegenleistung vom wirtschaftlichen Wert der empfangenen Leistung könnte darin erblickt werden, daß der Bezug von Gesundheitsleistungen im Rahmen des Sachleistungsprinzips für den Versicherten grundsätzlich kostenlos ist, wobei jedoch Zuzahlungen (vgl. beispielsweise § 28 Abs. 4 sowie § 61 in Verbindung mit § 31 Abs. 3, § 32 Abs. 2, § 33 Abs. 8 SGB V) und Eigenanteile (vgl. beispielsweise § 31 Abs. 2 S. 1 SGB V) häufig vorzufinden sind. Wer sehr viele Gesundheitsleistungen von den Krankenkassen in Anspruch nimmt, zahlt – Zuzahlungen und Eigenanteile unberücksichtigt – trotzdem nicht mehr als seinen Versicherungsbeitrag, ebenso wie derjenige, der überhaupt keine einzige Leistung in Anspruch nimmt. Dies könnte auf den ersten Blick als soziale Umverteilung zwischen Gesunden und Kranken interpretiert werden. Bei näherer Betrachtung liegt jedoch keine soziale Umverteilung zwischen Gesunden und Kranken vor. Vielmehr handelt es sich um ein versicherungsimmanentes Phänomen, welches genauso auch bei privaten Versicherungsunternehmen auftritt. Innerhalb jeder Versichertengemeinschaft gibt es einerseits Personen, bei denen sich das versicherte Risiko sehr oft verwirklicht und welche die Versicherung beständig in Anspruch nehmen, und andererseits Personen, welche Leistungen der Versicherung kaum oder gar nicht in Anspruch nehmen, weil bei ihnen kein Schadensfall eintritt. Dies ist in der privaten Krankenversicherung auf der Grundlage des Kostenerstattungsprinzips nicht anders, nur mit dem Unterschied, daß die Leistung der Versicherung hier in der Zahlung eines Geldbetrages besteht. Diese Leistung wird gleichfalls von einigen Privatversicherten sehr oft in Anspruch genommnen, während andere mangels Auftretens von Krankheiten überhaupt keine Leistungen erhalten. Somit spiegelt sich im grundsätzlich kostenfreien Bezug von Gesundheitsleistungen durch Versicherte im Bedarfsfall nur die jeder Versicherung immanente Umverteilung zwischen Schadensanfälligen (Kranken) und Schadensfreien (Gesunden) wider. Sowohl die private als auch gesetzliche Versicherung müssen ohne Wenn und Aber für einen Versicherten einstehen, wenn und so oft sich bei ihm das versicherte Risiko realisiert. Der Unterschied besteht allerdings darin, daß von privaten Krankenversicherungsunternehmen höhere Versicherungsbeiträge gefordert werden, wenn eine größere Inanspruchnahme von Versicherungsleistungen durch einen Versicherten bei Vertragsabschluß vorhersehbar ist, während die Krankenkassen einen risikounabhängigen Beitrag verlangen. Dieser Unterschied, nämlich die fehlende Äquivalenz zwischen Risikoeintrag und Versicherungsbeitrag bei der gesetzlichen Krankenversicherung, betrifft aber die Versicherungstätigkeit und gerade nicht die Tätigkeiten zur Erfüllung bestehender Versicherungsansprüche wie das Zurverfügungstellen von Gesundheitsleistungen.

1444

Vgl. S. 268 ff.

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3. Kap.: Krankenkassen als Unternehmen

cc) Gesetzesvollzug Daß die Krankenkassen Gesundheitsleistungen im Bedarfsfall den Versicherten zur Verfügung stellen, beruht nicht auf ihrer eigenen Entscheidung. Vielmehr ist das Sachleistungsprinzip sozialversicherungsrechtlich als in der gesetzlichen Krankenversicherung geltende Leistungsmaxime im Fünften Buch Sozialgesetzbuch vorgesehen (§ 2 Abs. 1 S. 1 SGB V). Da nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes eine Tätigkeit im Bereich der sozialen Sicherheit, die sich als bloßer Gesetzesvollzug darstellt, die Unternehmenseigenschaft in Frage stellt,1445 ist zu klären, ob das Anbieten von Gesundheitsleistungen durch die Krankenkassen wettbewerbsrechtlich als Gesetzesvollzug zu bewerten ist. Die Annahme eines Gesetzesvollzuges könnte sich zum einen darauf stützen, daß Gesundheitsleistungen von den Krankenkassen zur Erfüllung von Verbindlichkeiten aus einem gesetzlich angeordneten Krankenversicherungsverhältnis zur Verfügung gestellt werden. Die rechtstechnische Konstruktion der Einordnung einer angebotsorientierten Tätigkeit als Erfüllungsgeschäft kann aber für die wettbewerbsrechtliche Normadressatenstellung keinen Ausschlag geben. Ob die Pflicht, eine Tätigkeit auszuüben, sich ohne weiteres aus dem Gesetz selbst ergibt oder als Verbindlichkeit aus einem gesetzlich angeordneten Schuldverhältnis angesehen wird, ist in der Regel eine sublime Interpretationsfrage, deren Beantwortung wirtschaftlich keine Bedeutung hat. Rechtskonstruktive Gesichtspunkte sind grundsätzlich nicht geeignet, die Beantwortung der Frage der Normadressatenstellung in die eine oder andere Richtung zu lenken, da ansonsten die Anwendbarkeit des Wettbewerbsrechts in der Hand der Mitgliedstaaten läge.1446 Vielmehr kommt es darauf an, ob eine Tätigkeit vom Gesetzgeber – auf welche Weise auch immer – so weit vorherbestimmt ist, daß sie sich für den Adressaten der nationalen Regelungen als bloßer Gesetzesvollzug darstellt. Dazu reicht es nicht aus, daß der Gesetzgeber einer Einrichtung allein die Erfüllung bestimmter Aufgaben zur Pflicht macht. So wurde beispielsweise die Vermittlung von Führungskräften der Wirtschaft durch die Bundesanstalt für Arbeit vom Europäischen Gerichtshof als eine wirtschaftliche Tätigkeit angesehen, obwohl die Bundesanstalt nach § 3 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 Nr. 2, §§ 13 ff. AFG a. F. verpflichtet war, diese Tätigkeit als Pflichtaufgabe auszuüben.1447 Ferner ist das 1445 Der Europäische Gerichtshof hat die Unternehmenseigenschaft eines Sozialversicherungsträgers allerdings bisher immer nur dann verneint, wenn sowohl der Grundsatz der Solidarität erfüllt war, als auch eine gesetzgeberische Festlegung der wettbewerblichen Hauptparameter (Preis und Leistung) vorlag, vgl. S. 192 f. 1446 Siehe auch S. 54 ff., 109 ff., 111 f. 1447 Vgl. EuGH, Urt. v. 23.4.1991, Rs. C-41/90, Slg. 1991, I-1979 Rn. 21 ff. – Höfner und Elser. Siehe auch EuGH, Urt. v. 13.12.1997, Rs. C-55/96, Slg. 1997, I-7119 Rn. 26 – Job Centre.

C. Qualifizierung der verschiedenen Tätigkeiten von Krankenkassen

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Erbringen von Postdienstleistungen aufgrund eines gesetzlichen Postmonopols als wirtschaftliche Tätigkeit qualifiziert worden, wobei der Gerichtshof ausdrücklich von der Verpflichtung des Inhabers eines ausschließlichen Rechts, seine im allgemeinen Interesse liegende Aufgabe zu erfüllen, sprach.1448 Schließlich können auch Entscheidungen aufgeführt werden, in denen Einrichtungen der Daseinsvorsorge als Unternehmen angesehen wurden, deren Tätigkeit auf einem gesetzlichen Aufgabenauftrag mit korrespondierender Pflicht zur Aufgabenerfüllung beruhte.1449 Daher kann es hier nicht ausreichend sein, mit § 2 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 SGB V auf die gesetzliche Verpflichtung der Krankenkassen zu verweisen, ihren Versicherten Sachleistungen zur Verfügung zu stellen. Damit sich eine auf einem Markt ausgeübte Tätigkeit als Gesetzesvollzug darstellt, ist eine Festlegung der wettbewerblichen Hauptparameter (Preis und Leistung) durch den Gesetzgeber erforderlich.1450 Die von den Krankenkassen beschafften Gesundheitsleistungen werden nach dem Sachleistungsprinzip den Versicherten im Bedarfsfall grundsätzlich kostenlos zur Verfügung gestellt, wobei Zuzahlungen (vgl. beispielsweise § 28 Abs. 4 sowie § 61 in Verbindung mit § 31 Abs. 3, § 32 Abs. 2, § 33 Abs. 8 SGB V) und Eigenanteile (vgl. beispielsweise § 31 Abs. 2 S. 1 SGB V) hier unberücksichtigt bleiben. Deshalb könnte man auf die Idee kommen, der Gesetzgeber habe den Preis für die Gesundheitsleistungen auf Null festgesetzt. Dabei ist aber zu beachten, daß das Zurverfügungstellen von Gesundheitsleistungen ein auf das Versicherungsverhältnis bezogenes Erfüllungsgeschäft darstellt, weil Gesundheitsleistungen dann in Anspruch genommen werden, wenn sich ein versichertes Risiko verwirklicht. Eine Erfüllungshandlung ist allgemein nicht mit einem eigenen, vom Grundgeschäft gelösten Entgelt verbunden. Deshalb gilt auch hier, was bereits oben zur Entgeltlichkeit festgestellt wurde: Der Versicherungsbeitrag stellt (auch) die Gegenleistung der Versicherten für die von ihnen bezogenen Gesundheitsleistungen dar. Es kommt somit darauf an, ob der Versicherungsbeitrag durch den Gesetzgeber vorherbestimmt ist. Dazu wurde bereits oben festgestellt, daß die Festlegung der Beitragshöhe weitgehend gesetzlich vorgezeichnet ist. Dennoch ist dieser Parameter mehr mit der Versicherungstätigkeit selbst verbunden als mit dem Angebot von Gesundheitsleistungen. Weitere Voraussetzung für die Beurteilung des Anbietens von Gesundheitsleistungen durch die Krankenkassen als Gesetzesvollzug ist eine gesetzliche Fest1448 Vgl. EuGH, Urt. v. 19.5.1993, Rs. C-320/91, Slg. 1993, I-2533 LS 2 und Rn. 8, 17 – Corbeau. 1449 Vgl. EuGH, Urt. v. 11.04.1989, Rs. 66/86, Slg. 1989, 803 Rn. 55 – Ahmed Saeed u. a.; Urt. v. 13.12.1991, Rs. C-18/88, Slg. 1991, I-5941 Rn. 15 f. – RTT/GBInno-BM. 1450 Vgl. S. 191 ff.

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3. Kap.: Krankenkassen als Unternehmen

legung der Leistungsdaten. Oben wurde der Standpunkt vertreten, der Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung ist vornehmlich im Fünften Buch Sozialgesetzbuch festgeschrieben und es bestehen nur wenige Möglichkeiten der Krankenkassen, sich hinsichtlich des angebotenen Leistungsprogramms zu unterscheiden.1451 Dabei ist jedoch zu beachten, daß sich diese Aussage auf die Versicherungsleistungen (versicherte Risiken, Gesundheitsschäden) der gesetzlichen Krankenversicherung bezieht. Welche konkreten Gesundheitsleistungen zur Erfüllung der bestehenden Versicherungsansprüche anzubieten sind, wird vom Gesetzgeber in der Regel gerade nicht festgelegt. Die Konkretisierung eines Versicherungsanspruches auf der Produkt- und Dienstleistungsebene erfolgt grundsätzlich im Rahmen der Selbstverwaltung. § 92 SGB V sieht vor, daß insbesondere der Gemeinsame Bundesausschuß die „erforderlichen Richtlinien über die Gewährung für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten“ beschließt. Dieses Ergebnis steht in Einklang mit der Untersuchung zur Nachfragetätigkeit der Krankenkassen1452. Dieser Einklang ist auch zwingend: Wenn den Krankenkassen durch den Gesetzgeber im einzelnen vorgeschrieben würde, welche konkreten Gesundheitsleistungen sie zur Verfügung zu stellen haben, wäre auch ihre Nachfragetätigkeit dadurch im einzelnen vorgezeichnet. Daher kann die rechtliche Bewertung zum Gesetzesvollzug beim Nachfragen nach Gesundheitsleistungen und beim Anbieten von Gesundheitsleistungen hinsichtlich der gesetzgeberischen Festlegung der Leistungsdaten nicht auseinanderfallen. Das Anbieten von Gesundheitsleistungen durch die Krankenkassen an Versicherte im Bedarfsfall ist somit nicht in der Weise vom Gesetzgeber vorherbestimmt, als daß sich diese Tätigkeit der Krankenkassen als reiner Gesetzesvollzug erweisen würde. c) Zwischenergebnis (Qualifizierung der Tätigkeit des Anbietens von Gesundheitsleistungen) Die Krankenkassen bieten nicht nur Versicherungsleistungen an, sondern auch Gesundheitsleistungen (z. B. ärztliche bzw. zahnärztliche Heilbehandlung, Arznei-, Heil- und Hilfsmittel). Sie stellen nämlich im Rahmen des Sachleistungsprinzips ihren Versicherten Gesundheitsleistungen im Bedarfsfall zur Verfügung, welche bei Leistungserbringern beschafft werden. Auch diese angebotsorientierte Tätigkeit bedarf einer näheren Untersuchung hinsichtlich ihres wirtschaftlichen Charakters. Auf der Grundlage des FENIN-Ansatzes, nach dem der wirtschaftliche Charakter der Nachfrage von der späteren Verwendung der beschaff-

1451 1452

Vgl. S. 334. Siehe dazu S. 274 ff.

C. Qualifizierung der verschiedenen Tätigkeiten von Krankenkassen

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ten Leistungen abhängt, ist diese Untersuchung deshalb bedeutsam, weil von ihrem Ergebnis auch der wirtschaftliche Charakter der Nachfragetätigkeiten im Rahmen der Leistungserbringung abhängt. Das Anbieten von Gesundheitsleistungen durch die Krankenkassen ist selbständig zu qualifizieren und teilt nicht etwa das Schicksal des Versicherungsleistungsangebotes. Insbesondere ist das Angebot von Gesundheitsleistungen im Rahmen des Sachleistungsprinzips kein zwingender Annex der Versicherungstätigkeit auf dem Gebiet der Pflichtversicherung und freiwilligen Versicherung (vgl. auch § 54 Abs. 4 SGB V). Zwar werden die Gesundheitsleistungen dem Versicherten nach dem Sachleistungsprinzip von den Krankenkassen kostenlos (Zuzahlungen und Eigenbeteiligungen ausgenommen) zur Verfügung gestellt, dennoch handelt es sich nicht um eine unentgeltliche Tätigkeit. Die Gegenleistung des Versicherten liegt in der Zahlung seiner Versicherungsbeiträge, welche die Gegenleistung des Versicherten für alle ihm aus dem gesetzlichen Krankenversicherungsverhältnis vermittelten Ansprüche darstellen. Das Anbieten von Gesundheitsleistungen beruht nicht auf dem Grundsatz der Solidarität, da eine soziale Umverteilung nicht stattfindet. Eine Entkopplung der Äquivalenz zwischen Leistung und Gegenleistung kann auch nicht darin erblickt werden, daß der Bezug von Gesundheitsleistungen im Rahmen des Sachleistungsprinzips für den Versicherten kostenlos (Zuzahlungen und Eigenbeteiligungen ausgenommen) ist. Vielmehr handelt es sich um ein versicherungsimmanentes Phänomen, daß sich das versicherte Risiko bei einigen Versicherten gar nicht und bei anderen Versicherten häufig verwirklicht. Im Rahmen eines bestehenden Krankenversicherungsverhältnisses muß der Versicherer so oft für einen Versicherten eintreten, wie sich ein versichertes Risiko realisiert. Dies ist bei privaten Krankenversicherungsunternehmen nicht anders. Schließlich stellt sich die Tätigkeit des Anbietens von Gesundheitsleistungen auch nicht als reiner Gesetzesvollzug dar. Welche konkreten Gesundheitsleistungen zur Erfüllung der bestehenden Versicherungsansprüche von den Krankenkassen zu beschaffen und anzubieten sind, wird vom Gesetzgeber in der Regel nicht selbst festgelegt, sondern der Selbstverwaltung überlassen.

3. Angebotsorientierte Referenztätigkeit für die Qualifizierung der Nachfrage nach sonstigen Gütern und Dienstleistungen? Die Nachfrage nach sonstigen Gütern und Dienstleistungen, d. h. solchen, die keine Gesundheitsleistungen sind (z. B. Büroräume, Dienstfahrzeuge, Betriebsund Geschäftsausstattung, Handwerker-, Bau- und Reinigungsleistungen), ist bei eigenständiger Bewertung eine die Normadressatenstellung begründende wirt-

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3. Kap.: Krankenkassen als Unternehmen

schaftliche Tätigkeit der Krankenkassen.1453 Auf der Grundlage des FENIN-Ansatzes hängt der wirtschaftliche Charakter dieser Tätigkeit aber allein davon ab, ob die beschafften Güter oder Dienstleistungen wirtschaftlich verwendet werden. Während es für die Nachfrage der Krankenkassen nach Gesundheitsleistungen im Rahmen der Leistungserbringung noch einfach war, mit dem Angebot von Gesundheitsleistungen auf der Grundlage des Sachleistungsprinzips eine korrespondierende Verwendung zu finden, bleibt fraglich, welche Tätigkeit von Krankenkassen auf der Angebots-/Verwendungsseite als Referenztätigkeit für die Beurteilung des wirtschaftlichen Charakters der Nachfrage nach sonstigen Gütern und Dienstleistungen in Betracht kommt. Die sonstigen Güter und Dienstleistungen werden regelmäßig nicht weiterverteilt. Sie werden vielmehr zur Unterstützung anderweitiger Tätigkeiten verwendet. Eine genaue Zuordnung der beschafften Leistungen zu bestimmten Aufgaben bzw. Tätigkeiten wird dabei nur sehr selten möglich sein. So können beispielsweise dieselben Büroräume und dieselben Gegenstände der Betriebs- und Geschäftsausstattung sowohl für Verrichtungen im Rahmen der (nichtwirtschaftlichen) Pflichtversicherungstätigkeit als auch für wirtschaftliche Tätigkeiten im Rahmen der Leistungserbringung dienen. Ferner können sich die Verwendungen im Laufe der Zeit verändern; so kann beispielsweise eine neue Abteilung mit anderen Aufgaben in ein Bürogebäude später einziehen, die Ausstattung übernehmen und für andere Zwecke nutzen. Damit wird deutlich, daß es kaum praktikabel ist, die Qualifizierung einer Nachfragetätigkeit davon abhängig zu machen, wie die beschafften Leistungen verwendet werden. Dies gilt schließlich auch deshalb, weil zum Zeitpunkt der Leistungsbeschaffung – und das ist der Zeitpunkt, zu dem eine Einrichtung wissen muß, ob sie das Wettbewerbsrecht zu beachten hat – die Verwendung oftmals noch gar nicht feststeht. Der FENIN-Ansatz ist daher auch wegen seiner praktischen Unbrauchbarkeit abzulehnen. Stellte man darauf ab, ob die beschafften sonstigen Leistungen selbst – ggf. nach Verarbeitung – wiederum angeboten werden, wäre auf der Grundlage des FENIN-Ansatzes die Nachfrage nach sonstigen Gütern und Dienstleistungen mangels Weiterverteilung durch die Krankenkassen zu einem Abnehmer regelmäßig nicht als wirtschaftliche Tätigkeit zu qualifizieren. Eine derartige Befreiung von den Wettbewerbsregeln für den beschriebenen Tätigkeitskreis würde dann auch für private Unternehmen gelten, wenn sie Leistungen nachfragen, die für ihre Unternehmensverwaltung bestimmt sind und folglich keinem Kunden angeboten werden. Wenn eine solch weitgehende Befreiung vermieden werden soll, muß darauf abgestellt werden, ob die beschafften Güter und Dienstleistungen auch zur Unterstützung von wirtschaftlichen Tätigkeiten verwendet werden. Eine eindeutige Zuordnung läßt sich hier, wie oben dargestellt, nicht treffen. 1453

Vgl. S. 279.

D. Fazit

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Jedenfalls dienen die von den Krankenkassen beschafften sonstigen Güter und Dienstleistungen regelmäßig auch dazu, Tätigkeiten zu unterstützen, die mit dem Anbieten von Gesundheitsleistungen nach dem Sachleistungsprinzip (wirtschaftliche Tätigkeit) im Zusammenhang stehen. Dies sollte ausreichen, um eine wirtschaftliche Nachfragetätigkeit zu bejahen.

D. Fazit Zusammenfassend kann festgestellt werden, daß auch auf der Grundlage des vom Europäischen Gerichtshof im Bereich der sozialen Sicherheit vertretenen wettbewerbsrechtlichen Unternehmensbegriffes Krankenkassen in mehreren Tätigkeitsbereichen als Normadressaten des Europäischen Wettbewerbsrechts angesehen werden müssen. Die vielfach als „Totschlagsargument“ ins Feld geführte Behauptung, Krankenkassen seien nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes keine Unternehmen im Sinne des Europäischen Wettbewerbsrechts, ist eine unzulässige Verallgemeinerung. Zu den Tätigkeiten, bei denen Krankenkassen den Unternehmenstatbestand verwirklichen und deshalb die Wettbewerbsregeln zu beachten haben, gehören auf der Angebotsseite das Anbieten eigener und Vermitteln fremder Zusatzkrankenversicherungen sowie das Zurverfügungstellen von Gesundheitsleistungen gegenüber gesetzlich oder freiwillig Versicherten nach dem Sachleistungsprinzip. Das Anbieten eines Wahltarifes für Kostenerstattung (§ 53 Abs. 4 SGB V) in Gestalt einer abrechnungssatzbezogenen Höherversicherung mit Prämie stellt ebenfalls eine wirtschaftliche Tätigkeit der anbietenden Krankenkasse dar, welche die Unternehmenseigenschaft im Sinne des Europäischen Wettbewerbsrechts begründet. Auf der Nachfrageseite sind Krankenkassen Unternehmen im Sinne des Europäischen Wettbewerbsrechts, wenn sie Gesundheitsleistungen bei Leistungserbringern im Rahmen der Leistungserbringung nachfragen. Dieses Ergebnis gilt sowohl bei einer eigenständigen Bewertung dieses Tätigkeitssegmentes als auch bei einer allein von der Beurteilung der korrespondierenden Angebotstätigkeit abhängig gemachten Qualifizierung der Nachfrage auf der Grundlage des in der Rechtssache FENIN verfolgten Ansatzes, denn das Anbieten von Gesundheitsleistungen im Rahmen des Sachleistungsprinzips gegenüber Versicherten, d. h. die Weiterverteilung der beschafften Gesundheitsleistungen, stellt eine wirtschaftliche Tätigkeit dar. Die verschiedenen Beurteilungsansätze wirken sich daher im Ergebnis nicht aus. Für die Nachfrage nach sonstigen Gütern und Dienstleistungen, d. h. solchen, die keine Gesundheitsleistungen sind, gilt folgendes: Eine eigenständige Beurteilung dieses Tätigkeitssegmentes ergibt, daß Krankenkassen hierbei als Unternehmen handeln und die Wettbewerbsregeln zu beachten haben. Auf der Grund-

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3. Kap.: Krankenkassen als Unternehmen

lage des FENIN-Ansatzes fällt es mangels Weiterverteilung der beschafften sonstigen Leistungen durch die Krankenkassen schon schwer, überhaupt eine korrespondierende Angebotstätigkeit zu finden, die für die Nachfrage maßgeblich sein könnte. An diesem Beispiel erweist sich die praktische Unbrauchbarkeit des FENIN-Ansatzes. Daß die von den Krankenkassen beschafften sonstigen Güter und Dienstleistungen regelmäßig jedenfalls auch dazu dienen, Tätigkeiten zu unterstützen, die mit dem Anbieten von Gesundheitsleistungen nach dem Sachleistungsprinzip (wirtschaftliche Tätigkeit) im Zusammenhang stehen, ist aber ausreichend, um eine wirtschaftliche Nachfragetätigkeit auf der Grundlage dieses abzulehnenden Ansatzes zu bejahen. Allerdings ist bei der aktuellen Ausgestaltung des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung in der Bundesrepublik Deutschland nach der für den Bereich der sozialen Sicherheit entwickelten Sonderrechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes eine Anwendung der Wettbewerbsregeln auf den Tätigkeitssektor der Pflichtversicherung und freiwilligen Versicherung ausgeschlossen. Eine Durchsetzung wettbewerbsrechtlicher Verhaltensmaßstäbe des Gemeinschaftsrechts wäre nur möglich, wenn entweder der nationale Gesetzgeber eine grundlegende Systemumgestaltung vornähme oder der Europäische Gerichtshof von seiner Sonderrechtsprechung abrückte und auch die Unternehmenseigenschaft von Einrichtungen, welche mit der Verwaltung eines Systems der sozialen Sicherheit betraut sind, nach allgemeinen Grundsätzen beurteilen würde. Welche dieser verschiedenen nachfrage- und angebotsorientierten Tätigkeiten in einem konkreten Fall für die Beurteilung der Unternehmenseigenschaft der betreffenden Krankenkasse maßgeblich ist, richtet sich nach dem Zurechnungsmodell. Danach ist die mutmaßlich wettbewerbsbeschränkende Verhaltensweise einem Tätigkeitsbereich zuzuordnen. So stellt beispielsweise die Festbetragsfestsetzung eine Festlegung des Versicherungsumfanges dar, was der angebotsorientierten Versicherungstätigkeit im Bereich der Pflichtversicherung und der freiwilligen Versicherung zuzurechnen ist. Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes in der Rechtssache AOK Bundesverband u. a. beruht daher nicht auf einer Beurteilung der Nachfragetätigkeiten von Krankenkassen.

Viertes Kapitel

Zusammenfassung in Leitsätzen Zur Einleitung 1. Die Anbindung an die gesetzlichen Krankenkassen ist für die meisten Gesundheitsleistungserbringer die Grundlage ihrer gesamten beruflichen Existenz. 2. Der Gesichtspunkt des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung spielte für den Gesetzgeber bei seinen Reformbemühungen in den vergangenen Jahren eine immer stärkere Rolle. 3. Im Gegensatz zu den Grundfreiheiten ist das Europäische Wettbewerbsrecht auch dann anzuwenden, wenn Personen oder Unternehmen anderer Mitgliedstaaten konkret nicht an einem Sachverhalt beteiligt sind. Deshalb wurzelt im Europäischen Wettbewerbsrecht sogar ein größeres Veränderungspotential für das deutsche Gesundheitswesen als in den Grundfreiheiten. 4. Die materiellrechtlichen Bestimmungen des Europäischen Wettbewerbsrechts (Art. 81, 82, 86 und 87 EG) unterteilen sich in Wettbewerbsregeln, die sich an Unternehmen richten und andere Wettbewerbsregeln, welche von den Mitgliedstaaten zu beachten sind. Im Rahmen der unternehmensbezogenen Bestimmungen (Art. 81, 82, 86 Abs. 2 EG) kommt dem Tatbestandsmerkmal des Unternehmens die Funktion zu, den persönlichen Anwendungsbereich der vom EG-Vertrag als „Vorschriften für Unternehmen“ (vgl. die Abschnittsüberschrift der Art. 81 bis 86 EG) bezeichneten Wettbewerbsregeln abzustecken. Geltungsbereich und Tragweite des Europäischen Wettbewerbsrechts hängen in erster Linie von der engen oder weiten Auslegung dieses Tatbestandsmerkmales ab. 5. Die unternehmensbezogenen Vorschriften des Art. 81 EG (Kartellverbot) und des Art. 82 EG (Mißbrauchsverbot) greifen nur dann ein, wenn wettbewerbsbeschränkendes Verhalten auf einer selbstbestimmten Entscheidung des Unternehmens beruht. Ist eine konkrete Verhaltensweise dem Unternehmen nicht zuzurechnen, insbesondere wenn wettbewerbswidriges Verhalten durch nationale Rechtsvorschriften geboten wird, kann aber die zugrunde liegende staatliche Maßnahme gemäß Art. 10 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 81, 82 EG oder gemäß Art. 86 Abs. 1 EG mit dem Gemeinschaftsrecht unvereinbar sein. 6. Die Zwischenstaatlichkeitsklausel erfüllt die Funktion, eine vertikale Abgrenzung des Anwendungsbereichs der Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft vom nationalen Wettbewerbsrecht vorzunehmen. Durch eine weite Auslegung

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4. Kap.: Zusammenfassung in Leitsätzen

der Zwischenstaatlichkeitsklausel wird der vertikale Anwendungsbereich der Wettbewerbsregeln weit gefaßt. 7. Daß eine wettbewerbsbeschränkende Handlung im Sinne der Art. 81 oder 82 EG einen zwischenstaatlichen Bezug hat, schließt die Anwendbarkeit des nationalen Wettbewerbsrechts nicht aus. Zum Ersten Kapitel Europäisches Wettbewerbsrecht 8. Die vorgehobene Position der Wettbewerbsregeln kommt gerade dadurch zum Ausdruck, daß die Normen abweichend von der üblichen Regelungssystematik des EG-Vertrags unmittelbar Rechte und Pflichten der Bürger untereinander begründen. Deshalb muß die Zuordnung von Personen oder Einrichtungen zum Kreis derjenigen, deren wettbewerbsbeschränkendes Verhalten mangels Unternehmenseigenschaft grundsätzlich sanktionslos bleibt, Ausnahmecharakter haben. 9. Im Europäischen Wettbewerbsrecht gilt ein funktionaler Unternehmensbegriff. Danach umfaßt der Begriff des Unternehmens jede eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einheit unabhängig von ihrer Rechtsform und der Art ihrer Finanzierung. Der funktionale Unternehmensbegriff ist relativ in dem Sinne, daß eine Einheit hinsichtlich eines Teils ihrer Tätigkeiten als Unternehmen angesehen werden kann, während ihr hinsichtlich anderer Tätigkeiten die Unternehmenseigenschaft abzusprechen ist. Art. 1 des 22. Protokolls zum Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum kann eine Bestätigung des funktionalen Unternehmensbegriffes durch die Vertragsstaaten entnommen werden. 10. Kennzeichnend für funktionale Rechtsbegriffe ist ihr besonders enger Zusammenhang zum Zweck des Gesetzes. Eine funktionale Begriffsbildung ist gegeben, wenn der Begriffsinhalt dazu bestimmt und geeignet ist, den Raum für eine den Gesetzeszweck maßgeblich berücksichtigende Subsumtion zu eröffnen. Stellt sich bei der Subsumtion die Frage, ob ein Lebenssachverhalt von einem Tatbestandsmerkmal erfaßt wird, ist im Zweifelsfall immer der Rückgriff auf die im funktionalen Rechtsbegriff enthaltene Wertung, d. h. den entsprechenden Gesetzeszweck erforderlich. 11. Die Methode der funktionalen Begriffsbildung erweist sich als eine besondere Ausprägung der teleologischen Gesetzesauslegung. 12. Die in den Artikeln 81 bis 89 niedergelegten Wettbewerbsregeln des EGVertrags sind Teil eines mehrstufigen Systems zur Wahrung der Vertragsziele. Wettbewerb und Markt sind Teil eines Systems, welches dazu bestimmt ist, letztlich den Menschen innerhalb der Europäischen Gemeinschaft zu dienen und ihren Wohlstand zu vermehren. Die Vertragsziele stellen die oberste Richt-

4. Kap.: Zusammenfassung in Leitsätzen

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schnur für die Interpretation der Art. 81 bis 89 EG dar. Die Wettbewerbsregeln sind Teil eines zweckgerichteten Systems, aus welchem Hinweise für die Auslegung einzelner Vorschriften gewonnen werden können. 13. Schutzgüter und Schutzsubjekte des Europäischen Wettbewerbsrechts sind der Wettbewerb als Institution, insbesondere der auf einem Markt noch bestehende Restwettbewerb, sowie als Personen die Wettbewerber, ihre Geschäftspartner und die Verbraucher. Ferner wird auch die Allgemeinheit mitgeschützt. 14. Die wirtschaftliche Betrachtungsweise stellt eine Methode zur Absicherung einheitlicher Spielregeln auf dem Gemeinsamen Markt dar. Sie will verhindern, daß formale bzw. formalrechtliche Gesichtspunkte über die Anwendung der Wettbewerbsregeln des EG-Vertrags entscheiden, und trägt dazu bei, die Aushebelung der wettbewerbsrechtlichen Verhaltensmaßstäbe durch Umgehungskonstruktionen der Beteiligten oder mitgliedstaatliche Ausgestaltungen des Rechtsrahmens zu verhindern. 15. Die wirtschaftliche Betrachtungsweise wirkt unterschiedlich auf die Rechtsanwendung ein; sie entfaltet sich im Schnittkreis von Gesetzesauslegung, Subsumtion, Rechtsfortbildung (insbesondere Analogie, aber auch teleologische Reduktion) und Sachverhaltseingrenzung, ohne daß eine eindeutige Zuordnung bzw. Abgrenzung immer möglich ist. 16. Eine funktionale Einengung des Begriffs der wirtschaftlichen Tätigkeit bleibt auf Ausnahmefälle beschränkt. Ein funktionaler Ausnahmebereich wird aus dem inneren Zusammenhang des Wettbewerbsrechts abgeleitet, während sich Bereichsausnahmen aus dem Verhältnis des Wettbewerbsrechts zu anderen Regelungskreisen (z. B. Kompetenzverteilung) ergeben oder auf spezielle Bestimmungen zurückzuführen sind, welche Ergebnis anderweitiger externer Vorgaben (z. B. aus politischen Willensbildungsprozessen) sind. 17. Die Frage der wettbewerbsrechtlichen Normadressateneigenschaft ist nicht von einer Marktteilnahme zu trennen. Eine die Normadressateneigenschaft begründende wirtschaftliche Tätigkeit ist daher nur eine Verhaltensweise mit unmittelbarem Marktbezug. Unter einer wirtschaftlichen Tätigkeit ist danach jedes Verhalten zu verstehen, welches darin besteht, Güter oder Dienstleistungen auf einem Markt anzubieten oder nachzufragen. Bei der Prüfung der Unternehmenseigenschaft ist aber eine genaue Abgrenzung des sachlich, räumlich und ggf. zeitlich relevanten Marktes nicht erforderlich, da es für die Normadressateneigenschaft einer Person oder Einrichtung keine Rolle spielt, auf welchem konkreten Einzelmarkt eine Leistung angeboten oder nachgefragt wird. Bei potentiellen Unternehmen begründet das mögliche künftige Anbieten bzw. Nachfragen die Normadressateneigenschaft. 18. Entgegen der Ansicht des Europäischen Gerichtshofes (vgl. Rechtssache FENIN) begründet das Nachfragen von Gütern oder Dienstleistungen auf einem

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4. Kap.: Zusammenfassung in Leitsätzen

Markt die Unternehmenseigenschaft unabhängig davon, wie die beschafften Güter oder Dienstleistungen später verwendet werden. 19. Ist ein Gut (einschließlich Dienstleistungen) marktfähig im wirtschaftswissenschaftlichen Sinne, ist es ohne weiteres auch marktfähig im wettbewerbsrechtlichen Sinne und damit geeignet, Gegenstand einer wirtschaftlichen Tätigkeit zu sein. Die von Krankenkassen bezogenen und die von ihnen erstellten bzw. erbrachten Güter sind marktfähig im wirtschaftswissenschaftlichen Sinne. Von Krankenkassen werden im wirtschaftswissenschaftlichen Sinne private Güter nachgefragt und angeboten. 20. Zwischen der wettbewerbsbeschränkenden Verhaltensweise im Sinne der Art. 81 und 82 EG und der die Unternehmenseigenschaft begründenden wirtschaftlichen Tätigkeit ist regelmäßig zu unterscheiden. 21. Eine wirtschaftliche Tätigkeit kann ohne Gewinnerzielungsabsicht ausgeübt werden. Fehlende Gewinnerzielungsabsicht kann aber ein Anhaltspunkt dafür sein, das Vorliegen einer wirtschaftlichen Tätigkeit zu hinterfragen und näher zu untersuchen. 22. Grundsätzlich setzt eine wirtschaftliche Tätigkeit Entgeltlichkeit voraus. Bei fehlendem Entgelt im Einzelfall kommt es darauf an, ob eine Ware bzw. Dienstleistung im allgemeinen gegen Entgelt abgegeben oder erbracht wird, wobei auf den gesamten Binnenmarkt abzustellen ist. Entgeltlichkeit kennzeichnet nicht ausnahmslos eine wirtschaftliche Tätigkeit. 23. Die Rechtsform ist sowohl hinsichtlich der Organisation als auch der Handlungsweise der Einheit grundsätzlich unbeachtlich. Unternehmen können sowohl privatrechtlich als auch öffentlich-rechtlich organisierte und handelnde Einrichtungen sein. Dieses umfassende, von Rechtsform und Trägerschaft losgelöste Verständnis der wirtschaftlichen Tätigkeit ist notwendig, um gemeinschaftsweit eine einheitliche Durchsetzung der Wettbewerbsregeln zu gewährleisten. 24. Das Europäische Wettbewerbsrecht gilt auch für die Wirtschaftstätigkeit der öffentlichen Hand. Die an den Zielen des Gemeinsamen Marktes, an der Gewährleistung des freien, grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehrs und der Errichtung eines Systems unverfälschten Wettbewerbs ausgerichtete und somit funktionale Auslegung des Gemeinschaftsrechts führt dazu, daß die Wettbewerbsregeln keine von ihrer Geltung allgemein ausgenommenen Organisationen oder Wirtschaftsbereiche kennen, es sei denn, solche sind im EG-Vertrag ausdrücklich genannt (vgl. Art. 36 Abs. 1, 296 Abs. 1 Buchst. b EG). Das aus der funktionalen Betrachtung gewonnene Ergebnis wird durch den Normenbefund bestätigt. Art. 86 Abs. 1 EG setzt nämlich die Anwendbarkeit der Art. 81 ff. EG auf öffentliche Unternehmen voraus. 25. Die Definition aus der Richtlinie 80/723/EWG (Transparenzrichtlinie) kann zur Konkretisierung des Begriffes des öffentlichen Unternehmens im

4. Kap.: Zusammenfassung in Leitsätzen

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Sinne des Art. 86 Abs. 1 EG herangezogen werden. Der Begriff des öffentlichen Unternehmens im Sinne der Wettbewerbsregeln kann aber auch weiter sein als die in der Transparenzrichtlinie enthaltene Definition. Im Einzelfall ist eine ergänzende funktionale Würdigung unter Berücksichtigung weiterer allgemeiner Grundsätze des Gemeinschaftsrechts (z. B. gleichmäßige Anwendung und Wirksamkeit) vorzunehmen. 26. Es spielt keine Rolle, ob eine von der öffentlichen Hand getragene Wirtschaftseinheit privatrechtlich oder öffentlich-rechtlich organisiert ist oder ob sie eine eigene Rechtspersönlichkeit besitzt. Die wirtschaftlich tätigen Einheiten, welche von der öffentlichen Hand getragen werden, sind somit Unternehmen im Sinne der Art. 81 ff. EG. 27. Die Unternehmenseigenschaft der öffentlichen Hand ist unabhängig davon zu beurteilen, in welche nationalen rechtlichen Handlungsformen die Wirtschaftsaktivitäten eingekleidet sind, insbesondere ob sie sich nach Privatrecht oder Öffentlichem Recht vollziehen. 28. Auf hoheitliche Tätigkeiten sind die unternehmensbezogenen Normen des Europäischen Wettbewerbsrechts nicht anwendbar. Eine Tätigkeit, welche mit der Ausübung hoheitlicher Gewalt einhergeht, kann daher nicht als wirtschaftliche Tätigkeit qualifiziert werden. Was jedoch als hoheitliches Handeln gilt, muß aufgrund einer eigenen gemeinschaftsrechtlichen Begriffsbestimmung ermittelt werden, da andernfalls der Anwendungsbereich der Wettbewerbsregeln zur Disposition der Mitgliedstaaten stünde. Daraus folgt für das gemeinschaftsrechtliche Begriffsverständnis, daß hoheitliches Handeln nach nationalen Maßstäben nicht gleichfalls hoheitliches Handeln im Sinne des EG-Vertrags sein muß. Umgekehrt könnte sich wohl auch ein nach nationalen Maßstäben nichthoheitliches Tun auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene als Ausübung hoheitlicher Befugnisse erweisen. 29. Zunächst setzt hoheitliche Tätigkeit nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes die Wahrnehmung von Aufgaben im Allgemeininteresse voraus; dieses Kriterium besitzt für die Bundesrepublik Deutschland wenig Relevanz, völlig irrelevant ist es bezogen auf deutsche Verhältnisse jedoch nicht. Ein weiteres Merkmal hoheitlicher Tätigkeit sieht der Europäische Gerichtshof darin, daß diese dazu dient, wesentliche Staatsaufgaben zu erledigen bzw. grundlegende Aufgaben der Staatsgewalt zu erfüllen. Wettbewerbsrecht ausschließendes Staatshandeln soll gemeinschaftsrechtlich nur in einem Kernbereich staatlicher Aufgabenerfüllung anerkannt werden. Dazu gehört jedenfalls der gesamte Bereich der präventiven Gefahrenabwehr. Ein weiteres Kennzeichen hoheitlicher Tätigkeit ist, daß sie nicht geeignet ist, im Wettbewerb ausgeübt zu werden, weil Wettbewerb die Aufgabenerfüllung gefährden oder zunichte machen würde. Hoheitliche Tätigkeit weist somit Züge eines natürlichen Monopols auf.

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4. Kap.: Zusammenfassung in Leitsätzen

Deutsches Kartellrecht 30. Funktion und Inhalt des Unternehmenstatbestandes im deutschen Kartellrecht stimmen weitgehend mit dem Gemeinschaftsrecht überein. 31. Es entspricht der langjährigen und ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung und fast einhelligen Auffassung im Schrifttum, daß die Unternehmenseigenschaft im deutschen Kartellrecht auch durch die Nachfrage nach Gütern oder Dienstleistungen als solche – und damit unabhängig von der Verwendungsseite – begründet werden kann. 32. Im Gegensatz zum Europäischen Wettbewerbsrecht sind die für Unternehmen geltenden wettbewerbsrechtlichen Verhaltensregeln des deutschen Kartellrechts nicht unabhängig von der rechtlichen Handlungsform anzuwenden. Als nach herrschender Ansicht auf der Gleichordnungsebene existierende – und damit als privatrechtliche – Normen sind die Verhaltensregeln des deutschen Kartellrechts grundsätzlich nicht auf in öffentlich-rechtlicher Handlungsform ergehende Maßnahmen anzuwenden, es sei denn, von diesen Maßnahmen gehen privatrechtliche Nebenwirkungen aus (Theorie der Doppelqualifikation hoheitlicher Maßnahmen). 33. Auf hoheitliches Handeln ist das deutsche Kartellrecht nach Rechtsprechung und ganz überwiegender Ansicht in der Literatur grundsätzlich nicht anwendbar. Während im Europäischen Wettbewerbsrecht der Begriff der hoheitlichen Tätigkeit sehr eng verstanden wird und auf einen Kernbereich staatlicher (Grund-)Aufgabenwahrnehmung beschränkt bleibt, ist im deutschen Kartellrecht jedes in öffentlich-rechtlicher Rechtsform erfolgende Tätigwerden von den kartellrechtlichen Verhaltensmaßstäben grundsätzlich befreit. Die Nichtanwendbarkeit des deutschen Kartellrechts auf öffentlich-rechtliches Handeln beruht auf der grundsätzlichen Zweiteilung der (deutschen) Rechtsordnung in Öffentliches Recht und Privatrecht. Zum Zweiten Kapitel Europäisches Wettbewerbsrecht 34. Der Normenbefund spricht dafür, daß die Wettbewerbsregeln nur dort ganz oder teilweise unanwendbar sind, wo dies im EG-Vertrag ausdrücklich angeordnet ist. Im EG-Vertrag findet sich keine Vorschrift, welche Tätigkeiten auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit generell von den wettbewerbsrechtlichen Bindungen ausnimmt. 35. Da Grundfreiheiten und Wettbewerbsrecht im Zusammenspiel die Herstellung und Aufrechterhaltung von wirtschaftlicher Freiheit innerhalb des Gemeinsamen Marktes bewirken sollen, kann ohne eine im Vertragstext verankerte

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ausdrückliche Willenskundgabe der Vertragsstaaten keine allein für das Wettbewerbsrecht geltende Bereichsausnahme angenommen werden. 36. Das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung kann eine Reduktion des Anwendungsbereichs einer sachmaterienübergreifenden Gemeinschaftsrechtsnorm nahelegen. Durch eine extensive Auslegung und Anwendung der Wettbewerbsvorschriften besteht die Gefahr der Einmischung der Gemeinschaft in Politikbereiche, deren Ausfüllung nicht in die Hände der Gemeinschaftsorgane gelegt wurde und die deshalb den Mitgliedstaaten vorbehalten sind. 37. Spätestens seit dem Vertrag von Amsterdam, wohl eher bereits seit dem Maastrichter Vertrag, kann nicht mehr davon ausgegangen werden, die Mitgliedstaaten besäßen im Bereich der Sozialpolitik eine Alleinzuständigkeit. Die Gemeinschaft ist heute im EG-Vertrag ausdrücklich als sozialpolitische Akteurin anerkannt. Eine wettbewerbsrechtliche Bereichsausnahme aus kompetenziellen Gründen zugunsten von Tätigkeiten auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit kann daher ausgeschlossen werden. Besonderen sozialpolitischen Belangen ist allein auf der Ebene der Rechtsanwendung Rechnung zu tragen. 38. Der funktionale Unternehmensbegriff bleibt nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes im Ausgangspunkt auch im Tätigkeitsbereich der sozialen Sicherheit maßgeblich. 39. Aus den verschiedenen Entscheidungen zur Unternehmenseigenschaft von Sozialversicherungsträgern läßt sich eindeutig ablesen, daß der Europäische Gerichtshof Merkmale bzw. Eigenschaften der betreffenden Einrichtungen heranzieht, um eine Zuordnung zum wirtschaftlichen oder nichtwirtschaftlichen Sektor vorzunehmen. Dagegen wird in den einzelnen Entscheidungen oftmals nicht deutlich, welche Relevanz einzelne Merkmale oder Eigenschaften für die rechtliche Beurteilung besitzen. Darüber hinaus leiden Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes daran, daß sie eine rechtsstaatlich gebotene Begründungstiefe oftmals vermissen lassen. 40. Die Unternehmenseigenschaft von Sozialversicherungsträgern hängt nach der gegenwärtigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes nicht mehr davon ab, ob die Aufgaben des Sozialversicherungsträgers grundsätzlich auch durch Private erfüllt werden könnten. Dieser Abgrenzungsmaßstab ist stillschweigend aufgegeben worden. 41. Seit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes in der Rechtssache Poucet und Pistre stehen zwei Prüfungspunkte im Mittelpunkt, um die Unternehmenseigenschaft von Sozialversicherungsträgern zu beurteilen, nämlich ob eine mit der Verwaltung eines Systems der sozialen Sicherheit betraute Einrichtung auf dem Grundsatz der Solidarität beruht und durch wen die entscheidenden Wettbewerbsparameter Beitrag (Preis) und Leistung festgelegt werden. Beide Voraussetzungen müssen kumulativ erfüllt sein, um die Unternehmenseigenschaft zu verneinen.

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4. Kap.: Zusammenfassung in Leitsätzen

42. Der Grundsatz der Solidarität wird durch folgende Kriterien ausgefüllt: Finanzierung des Systems nach dem Kapitaldeckungs- oder dem Umlageverfahren, Grad der Verknüpfung zwischen Beitragshöhe und Leistungsumfang, Zusammenhang zwischen dem durch die Einrichtung getragenen Risiko und der Beitragshöhe, Freiwilligkeit der Mitgliedschaft (oder Pflichtmitgliedschaft). Dabei ist für den Europäischen Gerichtshof keines der obigen Kriterien unverzichtbar. Entscheidend kommt es ihm letztlich auf eine Gesamtschau zur Ermittlung des Umverteilungsgrades an. Der Gerichtshof legt somit im Grundsatz der Solidarität ein technisches Verständnis von Solidarität zugrunde, welches Solidarität mit Umverteilung gleichsetzt. Eine inhaltliche bzw. materielle Bestimmung dessen, was unter Solidarität bzw. dem Solidaritätsgrundsatz zu verstehen ist, erfolgt nicht. 43. Neben dem Solidaritätsgrundsatz stellt der Europäische Gerichtshof bei der Abgrenzung zwischen wirtschaftlicher und nichtwirtschaftlicher Tätigkeit darauf ab, ob Beitragshöhe und Leistungsumfang von einem Sozialversicherungsträger selbst oder aber von außen durch den Gesetzgeber festgelegt werden. Preis (Beitragshöhe) und Leistung stellen die marktbezogenen Hauptwettbewerbsparameter dar. Der Ansatz des Europäischen Gerichtshofes weist Parallelen zur Verneinung einer tatbestandlichen Wettbewerbsbeschränkung im Sinne der Art. 81 ff. EG bei staatlich vorgegebenem Verhalten auf. Nicht ausreichend ist es, wenn Beiträge und Leistungen von der Einrichtung nach gesetzlichen Kriterien festgelegt werden und administrativer Genehmigung unterliegen, denn in diesem Fall verbleibt der Einrichtung regelmäßig ein Handlungsspielraum. 44. Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes zur Beurteilung der Unternehmenseigenschaft von Einrichtungen der sozialen Sicherheit ist dadurch gekennzeichnet, daß sie in entscheidenden Punkten mit den zum Unternehmensbegriff entwickelten allgemeinen Grundsätzen nicht in Einklang zu bringen ist, obwohl der Gerichtshof vorgibt, seine Ergebnisse aus eben diesen allgemeinen Grundsätzen abzuleiten. 45. Die vom Grundsatz der Solidarität bestimmte Beurteilung der Unternehmenseigenschaft durch den Europäischen Gerichtshof wird völlig losgelöst von einem konkreten, nach außen gerichteten (Markt-)Verhalten vorgenommen und von Finanzierungsmodalitäten bestimmt. Mit dem vom Gerichtshof im Bereich der sozialen Sicherheit verfolgten Ansatz wird subtil der ausschlaggebende Leitgedanke verschoben: Kam es anfangs (Höfner und Elser) noch darauf an, ob eine Tätigkeit auch von Privaten ausgeübt werden könnte, ist seit Poucet und Pistre entscheidend, ob eine Tätigkeit auch von Privaten in der gleichen Weise finanziert werden könnte. 46. Die Unternehmenseigenschaft von sozialen Zwecken dienenden Einrichtungen wird vom Europäischen Gerichtshof losgelöst von konkreten Tätigkeiten geprüft und nach Maßgabe von Organisationsstrukturen beantwortet. In einer

4. Kap.: Zusammenfassung in Leitsätzen

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Globalbetrachtung findet die Verschiedenheit der Tätigkeiten und Marktauftritte der Einrichtung keinerlei Berücksichtigung. Die Prüfungsmethodik und Würdigungen des Gerichtshofes zur durch den Unternehmenstatbestand vermittelten Normadressateneigenschaft deuten damit im Bereich der sozialen Sicherheit eher auf ein institutionelles Verständnis vom wettbewerbsrechtlichen Unternehmensbegriff hin. 47. Die Abgehobenheit der rechtlichen Würdigung durch den Europäischen Gerichtshof von konkreten Tätigkeiten der zu beurteilenden Einrichtung berücksichtigt im Bereich der sozialen Sicherheit überhaupt nicht die im allgemeinen anerkannte und dem funktionalen Begriffsverständnis immanente Relativität des wettbewerbsrechtlichen Unternehmensbegriffes. 48. Die vom Europäischen Gerichtshof für die Prüfung der Unternehmenseigenschaft herangezogenen Kriterien geben den Mitgliedstaaten ein Höchstmaß an Einfluß darüber, ob die Wettbewerbsregeln auf einen Sozialversicherungsträger Anwendung finden. 49. Schon der Ausgangspunkt des Europäischen Gerichtshofes ist methodisch nicht gesichert. Seine These, eine auf dem Grundsatz der Solidarität beruhende Einrichtung ginge keiner wirtschaftlichen Tätigkeit nach, ist eine Petitio principii. 50. Weder private Unternehmen noch öffentliche Sozialversicherungsträger bieten ein Versicherungssystem an, sondern sie offerieren Kranken-, Rentenoder Berufsunfallversicherungen mit ganz bestimmten Konditionen. Diese verschiedenen Produkte, und nicht das hinter ihnen stehende System, sind die wettbewerbsrechtlich relevanten (Markt-)Leistungen. 51. Der wirtschaftliche Charakter einer Tätigkeit hängt grundsätzlich nicht davon ab, in welchem Maße der Gesetzgeber diese Tätigkeit reglementiert. Es gibt eine Reihe von zweifellos wirtschaftlichen Tätigkeiten, für welche der Gesetzgeber umfangreiche Regelungen erlassen hat und sogar Preis, Leistungsumfang sowie einen Kontrahierungszwang vorschreibt (z. B. Taxigewerbe). 52. Die vom Europäischen Gerichtshof für die Beurteilung der Unternehmenseigenschaft von sozialen Zwecken dienenden Einrichtungen herangezogenen Entscheidungsregeln stellen eine auf den durch klassische Sozialversicherungsträger verwalteten Bereich der sozialen Sicherheit begrenzte Sonderrechtsprechung dar. Es handelt sich deswegen um eine Sonderrechtsprechung, weil die Entscheidungsregeln in tragenden Punkten dem allgemein anerkannten und für alle anderen Tätigkeitsbereiche gültigen funktionalen Verständnis vom wettbewerbsrechtlichen Unternehmenstatbestand widersprechen. Der Charakter einer Sonderrechtsprechung wird besonders dadurch deutlich, daß die vom Europäischen Gerichtshof als Grundsatz der Solidarität bezeichneten Umverteilungsmerkmale überhaupt keine Rolle für die Unternehmenseigenschaft spielen, wenn

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4. Kap.: Zusammenfassung in Leitsätzen

sie außerhalb klassischer Sozialversicherungssysteme bei anderen Einrichtungen (z. B. Postverwaltung) ebenfalls zu verzeichnen sind. 53. Der Zweck des Europäischen Wettbewerbsrechts gebietet es, gerade auch Sozialversicherungsträger wettbewerbsrechtlichen Verhaltensmaßstäben zu unterwerfen, da sie aufgrund ihrer rechtlich abgesicherten und tatsächlich vorhandenen Machtstellung erheblichen Einfluß auf den Wettbewerb in verschiedenen Märkten ausüben können. Deutsches Kartellrecht 54. Das Beschaffungsgeschäft der Sozialversicherungsträger ist seiner Rechtsnatur nach vom gesetzlichen Versicherungsverhältnis zu trennen. 55. Ist mangels öffentlich-rechtlicher Ausgestaltung von einem privatrechtlichen Beschaffungsvorgang auszugehen, hat der Sozialversicherungsträger die Vorschriften des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen zu beachten. 56. Das Versicherungsverhältnis ist regelmäßig in öffentlich-rechtlicher Rechtsform ausgestaltet. Nach ständiger Rechtsprechung und überwiegender Ansicht in der Literatur finden die an Unternehmen gerichteten wettbewerblichen Verhaltensmaßstäbe des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (insbesondere §§ 1, 19 ff., 33) als zivilrechtliche Normen keine Anwendung auf öffentlich-rechtliche Rechtsbeziehungen. 57. Das Gesetz zur Reform der gesetzlichen Krankenversicherung ab dem Jahr 2000 (GKV-Reformgesetz 2000) vom 22.12.1999 bewirkte hinsichtlich des Rechtsweges für kartellrechtliche Streitigkeiten, welche das Verhältnis zwischen Krankenkassen und Leistungserbringern betreffen, eine klare Veränderung der Rechtslage; ob das Gesetz auch materiellrechtlich für derartige Streitigkeiten die Anwendbarkeit des deutschen Kartellrechts gänzlich ausgeschlossen hat, blieb umstritten. 58. Der Wortlaut des durch das Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz – GKVWSG) vom 26.3.2007 veränderten § 69 SGB V, insbesondere der Sätze 1 und 2, spricht nunmehr deutlich dafür, daß die Verhaltensmaßstäbe des deutschen Kartellrechts im Verhältnis der Krankenkassen zu den Leistungserbringern, auch soweit davon Dritte betroffen sind, unmittelbar keine Anwendung mehr finden. 59. Aus der Anordnung einer entsprechenden Anwendbarkeit der §§ 19 bis 21 GWB kann kein geringeres Schutzniveau abgeleitet werden. 60. Möglich sind nunmehr Staatshaftungsansprüche (z. B. Art. 34 GG, § 839 BGB) der Leistungserbringer oder Drittbetroffener gegenüber den Krankenkassen, da § 69 S. 2 SGB V in Verbindung mit §§ 19 bis 21 GWB drittschützenden Charakter hat.

4. Kap.: Zusammenfassung in Leitsätzen

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61. Außerhalb des Anwendungsbereiches von § 69 SGB V (Leistungserbringerverhältnisse) bleiben die bereits vor dem Jahr 2000 entwickelten Grundsätze zur Anwendung des deutschen Kartellrechts unangetastet. Dies gilt insbesondere für die Theorie der Doppelqualifikation hoheitlicher Maßnahmen. 62. Für das deutsche Recht ist festzustellen, daß die Debatte um die Reichweite des nationalen Kartellrechts im Bereich der sozialen Sicherheit am Unternehmensbegriff vorbei geführt wird. Vielmehr beruhen Befreiungen von kartellrechtlichen Verhaltensmaßstäben in diesem Bereich auf einer Zuordnung der betreffenden Tätigkeiten oder Rechtsbeziehungen zum Öffentlichen Recht. Zum Dritten Kapitel 63. Auch im Bereich der sozialen Sicherheit gilt ein tätigkeitsbezogener Unternehmensbegriff. Der allgemeine Grundsatz eines tätigkeitsbezogenen Unternehmensbegriffes ist vom Europäischen Gerichtshof für den Bereich der sozialen Sicherheit ausdrücklich weder angezweifelt noch aufgegeben worden. 64. Die Unternehmenseigenschaft ist in einem konkreten Fall zu bejahen, wenn die mutmaßlich wettbewerbsbeschränkende Verhaltensweise dem Bereich wirtschaftlicher Tätigkeit der Einheit, d. h. einem bestimmten Marktverhalten (Anbieten oder Nachfragen von Gütern oder Dienstleistungen), zuzurechnen ist. Ist die Verhaltensweise dagegen einem nichtwirtschaftlichen Tätigkeitsbereich zuzurechnen, stellt die Einheit in bezug auf den konkreten Streitgegenstand kein Unternehmen dar, und ihr Verhalten ist mangels Normadressatenstellung nicht an den Wettbewerbsregeln zu messen, auch wenn es Wettbewerbsbeschränkungen tatsächlich bewirkt. Nachfragetätigkeiten der Krankenkassen 65. Die durch das Sachleistungsprinzip vermittelte Stellung der Krankenkassen als formale Nachfrager ermöglicht ihnen, unmittelbaren oder mittelbaren Einfluß auf die Leistungserbringung zu nehmen. Die Möglichkeit von Versicherten oder bestimmten Leistungserbringern, Dispositionen zu Lasten der Krankenkassen zu treffen, läßt Versicherte oder disponierende Leistungserbringer im Verhältnis zu den Krankenkassen nicht selbst als Nachfrager erscheinen. Entscheidend für dieses Ergebnis ist erstens, daß die Vergütungspflicht gegenüber dem vom Versicherten ausgewählten Leistungserbringer allein bei der Krankenkasse liegt. Zweitens werden die ausgewählten Leistungserbringer gegenüber dem Versicherten nur im Rahmen und in Erfüllung ihrer gegenüber der Krankenkasse bestehenden Verpflichtungen tätig. Die Krankenkassen stellen daher im Verhältnis zum Angebot der Leistungserbringer die Marktgegenseite dar.

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66. Entscheidend ist, ob sich bei einer auf die tatsächlichen Leistungsbeziehungen abstellenden wirtschaftlichen Betrachtungsweise herausstellt, daß eine bestimmte Gesundheitsleistung den Versicherten als Sachleistung zur Verfügung gestellt wird. In diesem Fall beziehen nämlich die Krankenkassen die Gesundheitsleistung für ihre Versicherten. Die rechtliche Einordnung von besonderen Ausgestaltungen im Leistungsrecht (z. B. Festbeträge bzw. Festzuschüsse) als Unterformen des Sachleistungsprinzips durch den Gesetzgeber oder die sozialgerichtliche Rechtsprechung erweist sich dagegen dann als wettbewerbsrechtlich unbeachtlich, wenn nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten eine Gesundheitsleistung dem Versicherten tatsächlich nicht als Sachleistung zur Verfügung gestellt wird. 67. Vollzieht sich die Beschaffung von Gesundheitsleistungen auf der Grundlage des Kostenerstattungsprinzips, ist der Versicherte selbst Nachfrager und nicht die Krankenkasse. Die von den Versicherten ausgehende Nachfrage nach Gesundheitsleistungen, welche nach Maßgabe des Kostenerstattungsprinzips zu beschaffen sind, stellt somit keine die Unternehmenseigenschaft von Krankenkassen begründende Tätigkeit dar. 68. Die Annahme, das Festbetragssystem verwirkliche sich im Rahmen des Sachleistungsprinzips, beruht im wesentlichen auf der Grundannahme, für die meisten Versicherten gestalte sich die Leistungserbringung augenscheinlich wie im Sachleistungssystem, weil die Festbeträge so hoch festgesetzt würden, daß die Versicherten eine benötigte Leistung regelmäßig ohne Eigenbeteiligung beziehen könnten (Zuzahlungen im Sinne von § 61 in Verbindung mit § 31 Abs. 3, § 33 Abs. 8 SGB V nicht berücksichtigt). 69. Hinsichtlich der Beschaffung von Hilfsmitteln, welche dazu bestimmt sind, den Versicherten nur leihweise überlassen zu werden, sind die Krankenkassen als Nachfrager anzusehen. Nach der bis zum 31.3.2007 geltenden Rechtslage waren die Versicherten selbst als Nachfrager hinsichtlich der Beschaffung von festbetragsunterworfenen Hilfsmitteln anzusehen. Seit dem 1.4.2007 hat die Einbindung der Leistungserbringer in das sozialversicherungsrechtliche Vertragssystem einen Grad erreicht, der den Versicherten im Rahmen des Beschaffungsvorganges nur als Repräsentanten der Krankenkasse erscheinen läßt, wenn er vor Ort bei einem Vertragspartner der Krankenkasse ein konkretes Hilfsmittel nachfragt. In den Übergangsfallkonstellationen ist die Nachfragerstellung wie vor dem 1.4.2007 zu beurteilen, so daß die Versicherten als Nachfrager der festbetragsunterworfenen Hilfsmittel anzusehen sind. 70. Die Auswahl des von der Apotheke abzugebenden Arzneimittels ist in erheblichem Umfang durch § 129 SGB V sowie den konkretisierenden Rahmenvertrag vorherbestimmt. Der Versicherte selbst hat dabei den geringsten Einfluß auf die Auswahl des für ihn bestimmten Arzneimittels. Die nähere Ausgestaltung des Leistungs- und Leistungserbringungsrechts im Arzneimittelsektor

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spricht – bei wirtschaftlicher Betrachtung – für eine Beibehaltung des Sachleistungsprinzips, in welchem die Krankenkassen Nachfrager der Gesundheitsleistungen sind. 71. Die Versicherten sind Nachfrager der Verbandmittel, für die ein Festbetrag festgesetzt worden ist. 72. Bei hochwertigen Inlays, aber auch bereits bei aufwendigen Kunststofffüllungen, übersteigen die vom Versicherten zu bezahlenden Mehrkosten bei weitem den von der Krankenkasse aufzubringenden Anteil. Es wäre lebensfremd, von einer Sachleistung der Krankenkasse zu sprechen, wenn der Versicherte (z. B. für Inlays) mehrere hundert Euro für eine Zahnfüllung bezahlt, während sich die Krankenkasse mit einem Betrag im unteren oder mittleren zweistelligen Bereich beteiligt. Nach der für das Europäische Wettbewerbsrecht maßgeblichen wirtschaftlichen Betrachtung ist deshalb der versicherte Patient im Regelfall selbst als Nachfrager einer vom Leistungsstandard der gesetzlichen Krankenversicherung nicht erfaßten zahnmedizinischen Gesundheitsleistung im Bereich der Zahnfüllungen anzusehen. 73. Im Gegensatz zu den Festbeträgen im Arznei-, Verband- und Hilfsmittelbereich können die Versicherten kostengünstigen Zahnersatz im geltenden Festzuschußsystem überhaupt nicht ohne eine erhebliche Eigenbeteiligung erhalten, so daß sich die Leistungserbringung auch nicht äußerlich als Sachleistung erweist. Die Festzuschüsse sind vielmehr als teilweise Kostenerstattungsleistungen zu begreifen und mit dem Kostenerstattungsprinzip verwandt. Hier ist daher primär der Patient als Nachfrager des Zahnersatzes anzusehen. 74. Wenn Krankenkassen keineswegs überall dort, wo Festbetragsregelungen gelten, auch Nachfrager der betreffenden Gesundheitsleistungen sind, spricht diese Erkenntnis bereits gegen eine Zurechnung der Festbetragsfestsetzung zur Nachfrageseite. Die verminderten Absatzchancen der Leistungserbringer sind ein unvermeidbarer Reflex der durch die Festbetragsfestsetzungen geänderten Leistungsansprüche der Versicherten. Während Selbstbehalte bewirken, daß die Versicherung bis zu einem bestimmten Betrag gar nicht für die Kosten aufkommt, bestimmen Festbeträge umgekehrt den Betrag, bis zum dem die Versicherung maximal eintritt. Mit beiden Instrumenten wird der Umfang des Versicherungsschutzes festgelegt. Die Eröffnung wettbewerbsrechtlichen Schutzes gegen Festbetragsfestsetzungen hängt daher vom wirtschaftlichen Charakter der Versicherungstätigkeit der Krankenkassen ab. 75. Ob die Nachfrage der Krankenkassen nach Gesundheitsleistungen eine unternehmerische Tätigkeit ist, muß – auf der Grundlage des zur Angebotsseite entwickelten Solidaritätsverständnisses – danach beantwortet werden, welcher Umverteilungsgrad bei der Leistungserbringung erreicht wird. 76. Umverteilung bzw. Solidarität im Sinne des Gerichtshofes zeichnen sich vornehmlich dadurch aus, daß sich die Höhe der für eine empfangene Leistung

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aufzubringenden Gegenleistung nicht nach dem wirtschaftlichen Wert der empfangenen Leistung richtet, mithin keine Äquivalenz zwischen Leistung und Gegenleistung besteht bzw. angestrebt wird. 77. Die Höhe der Gegenleistungen der Krankenkassen an die Leistungserbringer ist von Art und Umfang der den Krankenkassen gegenüber von den Leistungserbringern erbrachten Gesundheitsleistungen abhängig. Auch sind die Leistungserbringer rechtlich nicht gezwungen, an der Versorgung der gesetzlich Versicherten teilzunehmen. Daß die Leistungserbringer aus wirtschaftlichen Gründen gezwungen sind, gesetzlich Versicherte zu versorgen, weil ca. 88 Prozent der Bevölkerung in der Bundesrepublik Deutschland der gesetzlichen Krankenversicherung angehören, ist allein Ausdruck der marktbeherrschenden Stellung der Krankenkassen bei der Nachfrage nach Gesundheitsleistungen. Auf einen solidarischen Charakter der Nachfragetätigkeit kann aus diesem Umstand nicht geschlossen werden. Die Austauschbeziehungen zwischen den Krankenkassen und Leistungserbringern beruhen nicht auf dem Grundsatz der Solidarität. 78. Die Höhe der von den Krankenkassen an die Leistungserbringer zu zahlenden Vergütungen sowie der Umfang der zur Erfüllung bestehender Leistungsansprüche der Versicherten nachzufragenden Gesundheitsleistungen einschließlich ihrer Leistungshöhe (Ausführungsart, Güte und Qualität) sind nicht durch den Gesetzgeber in einer Weise vorgezeichnet, als daß sich die Nachfrage der Krankenkassen im Rahmen der Leistungserbringung als reiner Gesetzesvollzug darstellte. Vielmehr werden wichtige Entscheidungen im Wege der gesetzlich eingeräumten Selbstverwaltung getroffen. 79. Krankenkassen sind bei einer eigenständigen, d. h. von der Angebotsseite unabhängigen, Beurteilung ihrer Nachfragetätigkeiten im Rahmen der Leistungserbringung Normadressaten des Europäischen Wettbewerbsrechts. 80. Die Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen außerhalb der Leistungserbringung beruht weder auf dem Grundsatz der Solidarität noch stellt sie einen bloßen Gesetzesvollzug dar. Vielmehr vollzieht sie sich nach den gleichen Gesetzmäßigkeiten und Rahmenbedingungen wie bei privaten Unternehmen. Bei einer eigenständigen, d. h. von der Angebotsseite unabhängigen, Beurteilung stellt sich diese Nachfrage als eine wirtschaftliche Tätigkeit der Krankenkassen dar, die ihre Unternehmenseigenschaft im Sinne der Art. 81 ff. EG begründet. Angebotstätigkeiten der Krankenkassen 81. Die Kranken(voll)versicherung wird innerhalb marktmäßiger Strukturen von den Krankenkassen angeboten. Fehlende Handlungs- und Auswahlmöglichkeiten der Nachfrager und Anbieter können nicht das Vorhandensein eines

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Marktes im wettbewerbsrechtlichen Sinne in Frage stellen. Wettbewerbsrechtlich sind an das Bestehen eines Marktes keine besonderen Anforderungen zu stellen. Ein Markt ist der Ort, an dem Angebot und Nachfrage zusammentreffen; ob sie freiwillig zusammentreffen ist unbeachtlich. 82. Die Krankenkassen verfügen im Wettbewerb untereinander nur über eng begrenzte Handlungsspielräume, so daß sich der Kassenwettbewerb um Versicherte auf wenige Wettbewerbsparameter beschränkt. Mit der Einführung des Kassenwettbewerbs verfolgte der Gesetzgeber den Hauptzweck, die Effizienz und Effektivität des Sozialversicherungssystems zu erhöhen, insbesondere durch die Ausschöpfung von Rationalisierungsreserven. Ein Wille, die gesetzliche Krankenversicherung insgesamt zu einem marktwirtschaftlichen System umzuformen, kann dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden. 83. Wettbewerb zwischen Krankenkassen und privaten Krankenversicherungsunternehmen ist nur dort denkbar, wo Personen die Möglichkeit besitzen, zwischen der gesetzlichen oder einer privaten Krankenversicherung zu wählen. 84. Wenn sogar der Wille des Gesetzgebers, Wettbewerb vollständig zu beseitigen, der Anwendbarkeit der Wettbewerbsregeln und der Unternehmenseigenschaft nicht entgegensteht, kommt es erst recht nicht darauf an, ob der Gesetzgeber nur zu bestimmten Zwecken oder aus besonderen Motiven Wettbewerb zugelassen hat.

(Pflichtversicherung) 85. Die Würdigungen des Europäischen Gerichtshofes in der Rechtssache AOK Bundesverband u. a. sind maßgeblich von den Verhältnissen im Bereich der Pflichtversicherung geprägt. 86. Die paritätische Beitragsaufbringung durch Arbeitnehmer und Arbeitgeber stellt bei der im Kartellrecht gebotenen wirtschaftlichen Betrachtungsweise keine Umverteilung dar. Der Arbeitgeberanteil bei der Krankenversicherung geht für den Arbeitnehmer mit einem niedrigeren Tarifabschluß einher. Der Beitragsanteil des Arbeitgebers ist dem Versicherungspflichtigen daher wirtschaftlich zuzurechnen. 87. Nach der Rechtslage vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz – GKV-WSG) vom 26.3.2007 kann festgestellt werden, daß im Bereich der Pflichtversicherung alle Merkmale erfüllt sind, welche maßgeblich den Grundsatz der Solidarität ausmachen, insbesondere ein hoher Umverteilungsgrad erreicht wird. Der Europäische Gerichtshof mußte daher bei Anwendung seiner bisherigen Rechtsprechungsgrundsätze in der Rechtssache AOK Bundesverband u. a. zu dem Ergebnis kommen, daß die Tätigkeit der Krankenkassen

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im Kernbereich der gesetzlichen Pflichtversicherung auf dem Grundsatz der Solidarität beruht. 88. Die schrittweise zunehmende Steuerfinanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung gibt Anlaß zu Überlegungen, welche die Frage nach der solidarischen, d. h. auf Umverteilung beruhenden Ausgestaltung des Finanzsystems der gesetzlichen Krankenversicherung betreffen. Hinsichtlich des Umverteilungsgrades ist auf die gesamte Krankenvollversicherungstätigkeit abzustellen. Daher kommt es nicht darauf an, ob einzelne Leistungsarten (z. B. versicherungsfremde Leistungen) innerhalb der gesetzlichen Krankenvollversicherung nicht mehr solidarisch, sondern vollständig aus Steuermitteln finanziert werden. Die Krankenvollversicherung stellt kein Bündel von Einzelversicherungen dar, bei dem die Unternehmenseigenschaft für jede Einzelversicherung bzw. Leistungsart zu beurteilen wäre, sondern sie bildet wettbewerbsrechtlich eine eigenständige Versicherungstätigkeit ab. 89. Bei einem gleichbleibenden Leistungskatalog verringert sich der Umverteilungsgrad innerhalb des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung mit zunehmender Steuerfinanzierung. Gemessen am ausgabenseitigen Gesamtfinanzvolumen der gesetzlichen Krankenversicherung stellt der aus Bundesmitteln zu bestreitende Steuerzuschuß einen sehr geringen Finanzierungsanteil dar. Die gesetzliche Krankenversicherung wird somit in naher Zukunft weiterhin fast ausschließlich – und mittelfristig (nach heutiger, oftmals im Krankenversicherungsrecht auch sehr kurzlebiger Rechtslage) zu mehr als 90 Prozent – durch Beiträge finanziert, wobei die Beiträge grundsätzlich einkommensabhängig und risikounabhängig bleiben. Damit bleibt auch die Umverteilung trotz Steuerzuschuß systemtragend. 90. Es erscheint geboten, zwei Grundkonstellationen des Wahltarifes für Kostenerstattung (§ 53 Abs. 4 SGB V) zu unterscheiden. Einerseits könnte sich ein Wahltarif darauf beschränken, eine die Sachleistung substituierende Kostenerstattung zum Kostensatz der Krankenkasse ohne zusätzliche Prämie zu bieten. Andererseits könnte mit einem Wahltarif ein weitergehendes Angebot verbunden sein, nämlich über ein die eigenen Kostensätze übersteigendes Erstattungsversprechen der Krankenkasse, für welches der Versicherte eine entsprechend kalkulierte Zusatzprämie bezahlen muß. Ein Wahltarif, der mit keiner Prämie verbunden ist, weil die Krankenkasse nur die Höhe ihrer ersparten Kosten dem Versicherten ersetzt, stellt eine bloße Modifizierung des normalen Krankenversicherungsverhältnisses dar. Dieser Wahltarif ist daher nur Bestandteil jener Versicherungstätigkeit im Pflichtversichertenbereich, die nach bisheriger Rechtslage schon als auf dem Grundsatz der Solidarität beruhend qualifiziert wurde. Die abrechnungssatzbezogene Höherversicherung im Wahltarif mit Prämie ist dagegen eine eigenständige entgeltliche Leistung, die von der „Grundkrankenversicherung“ zu trennen ist. Sie hat den Charakter einer Zusatzkrankenver-

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sicherung. Der solidarische Charakter dieser angebotsorientierten Tätigkeit muß gesondert festgestellt werden; keinesfalls nimmt sie einfach an der Qualifizierung der „Grundkrankenversicherungstätigkeit“ teil. 91. Das Anbieten eines Wahltarifes für Kostenerstattung mit Prämienzahlung (Höherversicherung) begründet den wettbewerbsrechtlichen Unternehmenstatbestand. 92. Mit der Zulassung von Selbstbehalttarifen (§ 53 Abs. 1 SGB V) hat der Gesetzgeber den zuvor gänzlich fehlenden Zusammenhang zwischen individuellem Risiko und Beitrag etwas aufgelockert. Die den Gesamtpreis im Randbereich verändernde risikoabhängige Minuskomponente kehrt aber nicht die Regel um, nach der die vom Versicherten für den Versicherungsschutz aufzubringende Gegenleistung von der individuellen Leistungsfähigkeit des Versicherten abhängt. Der Selbstbehalttarif stellt keinen Paradigmenwechsel dar, weil es auch im bisherigen Solidarsystem schon üblich gewesen ist, Kranken einen „Zusatzbeitrag“ abzuverlangen. Dies geschah und geschieht weiterhin über Zuzahlungen (z. B. sog. Rezept- oder Praxisgebühr) für die tatsächliche Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen. Die Selbstbehalte in ihrer gegenwärtigen Gestalt können den Europäischen Gerichtshof daher nicht dazu veranlassen, von seiner Beurteilung der Pflichtversicherungstätigkeit von Krankenkassen in der Rechtssache AOK Bundesverband u. a. abzuweichen. 93. Auch beim Wahltarif mit Prämienzahlung bei Leistungsfreiheit (§ 53 Abs. 2 SGB V) wird ein gewisser Zusammenhang zwischen Versicherungsbeitrag und individuellem Risiko hergestellt. In erster Linie begünstigt dieser Wahltarif junge, gesunde, ledige und kinderlose Versicherte, denn sie können mit einer Beitragsminderung rechnen. Der Zusammenhang zwischen beiden Größen ist sehr klein. Ein auf ein Zwölftel der im Kalenderjahr gezahlten Beiträge begrenzter Rückzahlungshöchstbetrag kehrt als risikoabhängige Minuskomponente auch hier nicht die Regel um, nach der die vom Versicherten für den Versicherungsschutz aufzubringende Gegenleistung von der individuellen Leistungsfähigkeit des Versicherten abhängt. 94. Mit dem Basistarif werden wesentliche Elemente der Sozialversicherung zwangsweise auf die private Versicherungswirtschaft übertragen. Er wirkt sich jedoch nicht auf die Beurteilung der wettbewerbsrechtlichen Unternehmenseigenschaft von Krankenkassen aus, da der Basistarif den im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung verwirklichten Umverteilungsgrad nicht verändert. Vielmehr führt er Umverteilungselemente in die private Krankenversicherung ein. 95. Selbstbehalte und Prämienzahlungen bei Leistungsfreiheit können in ihrer gegenwärtigen Gestalt den Europäischen Gerichtshof nicht dazu veranlassen, von seiner Beurteilung der Pflichtversicherungstätigkeit von Krankenkassen in der Rechtssache AOK Bundesverband u. a. abzuweichen.

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(Freiwillige Versicherung) 96. Es liegen bezogen auf die Krankenvollversicherung von Pflichtversicherten und freiwillig Versicherten unterschiedliche Angebotssegmente vor. Da grundsätzlich unterschiedliche Austauschmöglichkeiten für Pflichtversicherte und freiwillig Versicherte bzw. Versicherungsberechtigte bestehen, können beide Gruppen nicht einer gemeinsamen Marktgegenseite der Krankenkassen angehören. 97. Die freiwillige Versicherung unterscheidet sich von der Pflichtversicherung bezogen auf die für den Grundsatz der Solidarität maßgeblichen Gesichtspunkte signifikant allein durch die Freiwilligkeit der Mitgliedschaft. Damit liegt das scheinbar ungewöhnliche Phänomen vor, daß Menschen einem Umverteilungssystem freiwillig beitreten wollen, für welches der Gesetzgeber sogar Zugangssperren errichtet hat. Dieses der wirtschaftlichen Logik scheinbar widersprechende Phänomen läßt sich jedoch erklären, wenn man genauer betrachtet, wer in der Regel der gesetzlichen Krankenversicherung freiwillig beitritt. Es handelt sich in erster Linie um Umverteilungsgewinner. 98. Vornehmlich basiert die Finanzierung der freiwilligen Krankenvollversicherung auf der Umverteilungskraft der Pflichtversicherung. Daher beruht auch die Tätigkeit der Krankenkassen im Segment der freiwilligen Krankenversicherung auf dem Grundsatz der Solidarität. (Zusatzkrankenversicherungen) 99. Derzeit sind die Krankenkassen aufgrund sozialversicherungsrechtlicher Bestimmungen daran gehindert, selbst Zusatzkrankenversicherungen anzubieten; eine Ausnahme stellt aber der seit 1.4.2007 mögliche Wahltarif für Kostenerstattung gemäß § 53 Abs. 4 SGB V dar. 100. Daß eine im Zusatzversicherungsangebot der Krankenkassen enthaltene Leistung früher Bestandteil der gesetzlichen Krankenvollversicherung war, ist für die Beurteilung des wirtschaftlichen Charakters der entsprechenden Zusatzversicherungstätigkeit unbeachtlich. 101. In der Nichteinbeziehung von Leistungen in den Grundsicherungsschutz des gesetzlichen Leistungskataloges bzw. der Ausgliederung von Leistungen aus jenem ist sozialpolitisch eine Zuordnung zur privaten Verantwortungssphäre zu erblicken. Solche Zuordnungen sind auch für die wettbewerbsrechtliche Würdigung des Europäischen Gerichtshofes relevant. 102. Krankenkassen wären als Anbieter von Zusatzkrankenversicherungen Normadressaten der Wettbewerbsregeln des EG-Vertrags (Art. 81 ff. EG). Das bereits heute mögliche Anbieten eines Wahltarifes für Kostenerstattung mit Prämienzahlung (Höherversicherung) gemäß § 53 Abs. 4 SGB V begründet den

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wettbewerbsrechtlichen Unternehmenstatbestand, da dieser Wahltarif den Charakter einer Zusatzkrankenversicherung hat. 103. Die Tätigkeit der Vermittlung von privaten Zusatzkrankenversicherungen ist nicht Bestandteil der Krankenvollversicherungstätigkeit der Krankenkassen, sondern im Wettbewerbsrecht von letzter Tätigkeit zu trennen. Krankenvollversicherungen und Zusatzkrankenversicherungen sind aus Sicht der Verbraucher nicht gegeneinander substituierbar, da sie einen unterschiedlichen Bedarf decken. Daher nimmt die Vermittlungstätigkeit keinesfalls an der wettbewerbsrechtlichen Beurteilung der Krankenvollversicherungstätigkeit teil. 104. Durch die Tätigkeit der Vermittlung von privaten Zusatzkrankenversicherungen wird der Unternehmenstatbestand begründet. (Angebot von Gesundheitsleistungen) 105. Krankenkassen bieten nicht nur Versicherungsleistungen an, sondern auch Gesundheitsleistungen (z. B. ärztliche bzw. zahnärztliche Heilbehandlung, Arznei-, Heil- und Hilfsmittel). Sie stellen nämlich im Rahmen des Sachleistungsprinzips ihren Versicherten Gesundheitsleistungen im Bedarfsfall zur Verfügung, welche bei Leistungserbringern beschafft werden. Der wirtschaftliche Charakter der Nachfrage nach Gesundheitsleistungen im Rahmen der Leistungserbringung hängt auf der Grundlage des FENIN-Ansatzes, der auf die Verwendung der beschafften Güter und Dienstleistungen abstellt, davon ab, ob es sich um eine wirtschaftliche Tätigkeit handelt, wenn die Krankenkassen ihren Versicherten bei Bedarf Gesundheitsleistungen als Sachleistungen gemäß § 2 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 SGB V tatsächlich zur Verfügung stellen. 106. Es ist geboten, das Gesundheitsleistungsangebot der Krankenkassen getrennt von ihrer Versicherungstätigkeit auf seinen wirtschaftlichen Charakter zu überprüfen. 107. Daß Angebot und Nachfrage durch Gesetz zusammengeführt werden, kann dem Ort des Leistungsaustausches nicht den Charakter eines Marktes nehmen. Das Anbieten von Gesundheitsleistungen durch die Krankenkassen vollzieht sich auf einem Markt. 108. Zwar werden die Gesundheitsleistungen dem Versicherten nach dem Sachleistungsprinzip von den Krankenkassen kostenlos (Zuzahlungen und Eigenbeteiligungen ausgenommen) zur Verfügung gestellt, dennoch handelt es sich nicht um eine unentgeltliche Tätigkeit. Die Gegenleistung des Versicherten liegt in der Zahlung seiner Versicherungsbeiträge, welche die Gegenleistung des Versicherten für alle ihm aus dem gesetzlichen Krankenversicherungsverhältnis vermittelten Ansprüche darstellen. 109. Das Anbieten von Gesundheitsleistungen durch die Krankenkassen an Versicherte im Bedarfsfall beruht nicht auf dem Grundsatz der Solidarität, da

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eine soziale Umverteilung nicht stattfindet. Es ist auch nicht in der Weise vom Gesetzgeber vorherbestimmt, als daß sich diese Tätigkeit der Krankenkassen als reiner Gesetzesvollzug erweisen würde. Das Anbieten von Gesundheitsleistungen durch die Krankenkassen an Versicherte im Bedarfsfall stellt daher eine wirtschaftliche Tätigkeit der Krankenkassen dar, welche den Unternehmenstatbestand begründet. Krankenkassen sind insofern Normadressaten des Europäischen Wettbewerbsrechts. 110. Weil das Anbieten von Gesundheitsleistungen durch die Krankenkassen an Versicherte im Bedarfsfall eine wirtschaftliche Tätigkeit darstellt, sind die Krankenkassen auch auf der Grundlage des FENIN-Ansatzes Unternehmen, wenn sie Gesundheitsleistungen im Rahmen der Leistungserbringung nachfragen. Die verschiedenen Beurteilungsansätze wirken sich daher im Ergebnis nicht aus. 111. Es ist kaum praktikabel, die Qualifizierung einer Nachfragetätigkeit davon abhängig zu machen, wie die beschafften Leistungen verwendet werden. Dies gilt schließlich auch deshalb, weil zum Zeitpunkt der Leistungsbeschaffung – und das ist der Zeitpunkt zu dem eine Einrichtung wissen muß, ob sie das Wettbewerbsrecht zu beachten hat – die Verwendung oftmals noch gar nicht feststeht. Der FENIN-Ansatz ist daher auch wegen seiner praktischen Unbrauchbarkeit abzulehnen. 112. Die Nachfrage nach sonstigen Gütern und Dienstleistungen, d. h. solchen, die keine Gesundheitsleistungen sind, wäre auf der Grundlage des FENIN-Ansatzes mangels Weiterverteilung durch die Krankenkassen zu einem Abnehmer regelmäßig nicht als wirtschaftliche Tätigkeit zu qualifizieren, wenn man darauf abstellte, ob die beschafften sonstigen Leistungen selbst (ggf. nach Verarbeitung) von den Krankenkassen wiederum angeboten werden. Es muß aber darauf abgestellt werden, ob die beschafften Güter und Dienstleistungen auch zur Unterstützung von wirtschaftlichen Tätigkeiten verwendet werden. Jedenfalls dienen die von den Krankenkassen beschafften sonstigen Güter und Dienstleistungen regelmäßig auch dazu, Tätigkeiten zu unterstützen, die mit dem Anbieten von Gesundheitsleistungen nach dem Sachleistungsprinzip (wirtschaftliche Tätigkeit) im Zusammenhang stehen. Dies ist ausreichend, um eine wirtschaftliche Nachfragetätigkeit zu bejahen. 113. Zusammenfassend kann festgestellt werden, daß auch auf der Grundlage des vom Europäischen Gerichtshof im Bereich der sozialen Sicherheit vertretenen wettbewerbsrechtlichen Unternehmensbegriffes Krankenkassen in mehreren Tätigkeitsbereichen als Normadressaten des Europäischen Wettbewerbsrechts angesehen werden müssen. Dies trifft insbesondere auf den so wichtigen Bereich der Nachfrage nach Gesundheitsleistungen gegenüber Leistungserbringern zu.

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Sachwortverzeichnis Abkommen über die Sozialpolitik 146 f. Albany 162 ff., 259 Amsterdam, Vertrag von 147 Analogie im Europarecht 57 f. Angebot von Gesundheitsleistungen 336 ff., 350 f. – Entgeltlichkeit 343 ff. – selbständige Qualifizierung 340 f. – Solidarität, Grundsatz der 345 ff. – Wettbewerbsparameter, Festlegung der 348 ff. Angebot von Versicherungsleistungen 280 ff. Anwendungsbereich, persönlicher 33, 127 Anwendungsbereich, sachlicher 33 f., 62, 68, 127, 129 f. AOK Bundesverband u. a. 170 ff., 259 ff. Arbeitsmarkt 59 f., 141 ff., 150 f. Arbeitsvermittlung 93, 118 f. Arzneimittel 249 ff. – Abgaberegelungen 250 ff. – Rahmenvertrag 250 ff. Auslegung – Bindung an Vertragsziele 52 ff. – weite 46, 128 Ausnahmebereiche, ausdrückliche 139 f. Ausnahmebereiche, funktionale 61 f., 138, 208 ff. Austausch (Güter und Dienstleistungen) 72 ff., 77 f., 91 Austauschbarkeit 290 ff., 318 f. Basistarif 315 f. Begriffsbestimmung, gemeinschaftsautonome 114 Begriffsbildung, funktionale 49 ff.

Beitragsaufbringung, paritätische 299 f. Beitragssatz 287 f., 298, 300 f., 320 f., 333 f. Beitragssatzstabilität 271 f. Bereichsausnahme – Abgrenzung 62 f., 138 – Begriff 138 – soziale Sicherheit 138 ff. Tarifverträge 141 ff., 150 f. berufsspezifische Zuordnung (Mitgliedschaft) 31 Betriebskrankenkassen (Begriff) 30 Bodson 115 f. Brentjens’ Handelsonderneming 162 ff., 259 Cisal 166 ff., 259 Corbeau 157 ff. deutsches Kartellrecht – Anwendbarkeit (Bereich soziale Sicherheit) 210 ff., 224 – Anwendbarkeit (Krankenkassen) 214 ff. – Doppelqualifikation, Theorie der 134 f., 212 f., 218, 223 f. – hoheitliche Tätigkeit 132 ff. – Leistungserbringerverhältnisse 217 ff., 220 ff. – neutrales Recht 135 – potentielle Unternehmen 131 – Rechtsweg 214 f., 216 f. – Relativität des Unternehmensbegriffes 130 – Sprachgebrauch 126 f. – Unternehmensbegriff (allgemein) 126 ff.

Sachwortverzeichnis – Unternehmensbegriff (Bereich soziale Sicherheit) 210 ff. – Zweck 128 Diego Cali & Figli 117 f. Doppelqualifikation, Theorie der 134 f., 212 f., 218, 223 f. Drijvende Bokken 162 ff., 259 Drittmarktbeeinträchtigungen 265 f. Einheitliche Europäische Akte (EEA) 145 Einzelermächtigung, Prinzip der begrenzten 143 f. Einzelmarktbeherrschung 292 f. Endverbrauch, privater 61 f. Entgeltlichkeit 78, 91 ff., 343 ff. Entsolidarisierung 189 Ersatzkassen (Begriff) 31 f. Eurocontrol 116 f. Europäisches Wettbewerbsrecht – Anwendungsbereich, persönlicher 33 – Anwendungsbereich, sachlicher 33 f., 62, 68 – Ausnahmebereiche, ausdrückliche 139 f. – Ausnahmebereiche, funktionale 61 f., 138, 208 ff. – Normadressatensystematik 32 ff. – Schutzsubjekte 54 – soziale Sicherheit (Bereich) 136 ff. Europarecht – Analogiebildung/Rechtsfortbildung 57 f. – Bedeutung für Bereich sozialer Sicherheit 24 ff. – Einzelermächtigung, Prinzip der begrenzten 143 f. – Liberalisierungsprozeß 25 f. Fédération française des sociétés d’assurance u. a. 159 ff., 259 FENIN 79 ff., 266 f., 337 f. Festbeträge – Arzneimittelbereich 171 ff., 249 ff.

401

– – – – – – –

Definition 171, 240 Festsetzungsverfahren 172 f. Hilfsmittelbereich 244 ff. Krankenkassen als Nachfrager 239 ff. Marktseitenzuordnung 259 ff. Verbandmittelbereich 249 f., 252 Wettbewerbsparameter, Festlegung der 334 f. Festzuschüsse 254 ff. Finanzierungsart – Bedeutung für Unternehmenseigenschaft 182, 185 ff., 199 f. – Kapitaldeckungsverfahren 185 – Umlageverfahren 186 Flugsicherung 116 f. freiwillige Kankenvollversicherung 318 ff. – eigenständiges Tätigkeitsgebiet 318 f. – Marktabgrenzung 318 f. – Quersubventionierung durch Pflichtversicherte 322 f. – Solidarität, Grundsatz der 319 ff. – Wettbewerbsparameter, Festlegung der 333 ff. funktionale Begriffsbildung 49 ff. funktionaler Unternehmensbegriff 46 ff., 128 ff. Funktionsgebundenheit der Rechtsbegriffe 49 gemeinschaftsautonome Begriffsbestimmung 114 Gesetzesvollzug siehe Wettbewerbsparameter, Festlegung der Gesundheitsfonds 284, 300 f. Gesundheitsleistungen, Angebot von siehe Angebot von Gesundheitsleistungen Gesundheitsleistungen, Nachfrage nach siehe Nachfrage nach Gesundheitsleistungen Gewinnerzielungsabsicht 89 ff., 181 Grundfreiheiten 25 f., 140 f., 149 Güter, öffentliche 73 f.

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Sachwortverzeichnis

Güter, private 73 f. Handlungsform 111 f. Handlungsfreiheit (Verantwortlichkeit des Unternehmens) 34 ff. Hilfsmittel 244 ff. – Begriff 244 – Rechtslage bis zum 31.3.2007 245 ff. – Rechtslage seit dem 1.4.2007 247 ff. – Versorgungsverträge 245 f., 247 f. Höfner und Elser 118 f., 152 f., 183, 258 hoheitliche Tätigkeit 112 ff., 132 ff. – Abgrenzung 114 ff. – Ausnahmebestimmungen 125 – Begriffsbestimmung, gemeinschaftsautonome 114 – Merkmale 120 ff. Innungskrankenkassen (Begriff) 30 Kapitaldeckungsverfahren 185 Kassenwahlrecht 284 ff. Kassenwettbewerb 175 f., 177 f., 182, 284 ff. – Beitragssatz 287 f. – Wahltarife 286 f., 288 f. – Zweck 289 f., 292 f. Kompetenzverteilung (Arbeitsmarktbereich) 150 f. Kompetenzverteilung (Sozialpolitik) 144 ff. Kostenerstattungsprinzip 238 f. – Festzuschüsse 255 f. – Nachfragereigenschaft der Krankenkassen 257 Krankenkasse – Arten 29 ff. – Begriff 27 – Beitragssatz 287 f., 298, 300 f. – Finanzierung 28 f., 297 f., 300 ff., 320 f. – Organisation 28, 31 f. – Rechtsform 27

– Selbstverwaltung 27 f. – Spitzenverband Bund 32 – Unternehmenseigenschaft 225 ff. Krankenkassen, Tätigkeiten von – Marktseiten 232 – Qualifizierung/wirtschaftlicher Charakter siehe Qualifizierung der Tätigkeiten von Krankenkassen Krankenversicherung 280 ff., 335 f. – Basistarif 315 f. – Einzelbetrachtung 304 f. – Festbetragsfestsetzung 262 ff. – freiwillige Vollversicherung siehe freiwillige Krankenvollversicherung – Pflichtversicherung 296 ff. – Präjudizien 294 ff. – Prämienzahlung bei Leistungsfreiheit 313 ff. – Selbstbehalte 310 ff. – Solidarität, Grundsatz der 294 ff. – Tätigkeitssegmente 294 – Vollversicherung 280, 296 ff. – Wahltarife 306 ff. – Wettbewerbsparameter, Festlegung der 332 ff. – Zusatzversicherung 281, 309, 324 ff. Leistungserbringung 234 ff., 350 f. – Arzneimittel 249 ff. – Begriff 234 – Festbetragsregelungen 239 ff. – Festzuschüsse 254 ff. – Hilfsmittel 244 ff. – Insolvenzrisiko 273 f. – Kostenerstattungsprinzip 238 f. – Krankenkassen als Nachfrager siehe Nachfragereigenschaft der Krankenkassen – Mehrkostenregelungen 253 f. – Präjudizien 258 ff. – Sachleistungsprinzip 234 f., 235 ff. – Solidarität, Grundsatz der 257 ff., 267 ff.

Sachwortverzeichnis – Verbandmittel 249 f., 252 – Vergütung der Leistungserbringer 269 ff. – Zahnersatz 254 f. – Zahnfüllungen 253 f. Leistungshöhe (Begriff) 275 Liberalisierungsprozeß durch Europarecht 24, 25 f. Maastricht, Vertrag von 146 Markt 73, 76 f., 281 ff. – Austauschbarkeit 290 f. – Monopole 283 – Sachleistungsprinzip 341 ff. – Voraussetzung wirtschaftlicher Tätigkeit 281 ff. Marktabgrenzung 66 f., 78, 290 f., 318 f. Marktfähigkeit 73 ff. Marktseiten 210 f., 232 Mehrkostenregelungen 253 f. Monopol 292 f. Monopolkontrolle 99 moral hazard 264 f. Nachfrage als wirtschaftliche Tätigkeit 78 ff., 130 f., 233 f., 337 f., 350 f., 351 ff. Nachfrage nach Gesundheitsleistungen 234 ff., 278 f., 337 f., 350 f. Nachfrage nach sonstigen Gütern und Dienstleistungen 279, 351 ff. Nachfragemonopol 86 Nachfragereigenschaft der Krankenkassen 234 ff., 257 – Arzneimittelbereich 249 ff. – Festbetragsregelungen 239 ff. – Festzuschüsse 254 ff. – Hilfsmittelbereich 244 ff. – Kostenerstattungsprinzip 238 f. – Mehrkostenregelungen 253 f. – Sachleistungsprinzip 235 ff. – Verbandmittelbereich 252, 249 f. – Zahnersatz 254 ff.

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– Zahnfüllungen 253 f. neutrales Recht 135 Nizza, Vertrag von 147 Normadressatensystematik 32 ff. öffentliche Hand – Definition 96 f. – eigenwirtschaftliche Betätigung 97 – Gefahren wirtschaftlicher Betätigung 103 ff. – Gründe wirtschaftlicher Betätigung 97 ff. – Unternehmen, öffentliches 107 ff. – Unternehmenseigenschaft 105 ff. – Vorteile, rechtliche 103 f. – Vorteile, tatsächliche 104 f. – wirtschaftliche Betätigung 96 ff., 131 f. Ordnungsaufgaben öffentlicher Unternehmen 100 Ortskrankenkassen (Begriff) 30 paritätische Beitragsaufbringung 299 f. Pavlov u. a. 165 f., 259 Pflichtversicherung – Solidarität, Grundsatz der 296 ff. – Wettbewerbsparameter, Festlegung der 333 ff. Popitz-Kriterium 70 ff. potentielle Unternehmen 66, 131 Poucet und Pistre 153 ff., 258 f. Präjudizien betreffend Krankenversicherung 258 ff., 294 ff. Prämien 301, 306, 308, 311, 334 Prämienzahlung bei Leistungsfreiheit 313 ff. Prämissen 225 ff. Qualifizierung der Tätigkeiten von Krankenkassen 231 ff., 353 f. – Angebot freiwillige Krankenvollversicherung 318 ff., 333 ff., 335 f. – Angebot Gesundheitsleistungen 336 ff., 350 f.

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Sachwortverzeichnis

– Angebot Pflichtversicherung 296 ff., 333 ff., 335 f. – Angebot Zusatzversicherung 324, 335 f. – Angebotstätigkeiten 280 ff., 335 f. – Nachfrage Gesundheitsleistungen 234 ff., 278 f., 337 f., 350 f. – Nachfrage sonstige Leistungen 279, 351 ff. – Nachfragetätigkeiten 232 ff., 350 f., 351 ff. – Vermittlung von Zusatzkrankenversicherungen 331 f., 335 f. – Wahltarif für Kostenerstattung 326 ff., 335 f. Rechtsanwendung – Berücksichtigung der Relativität 227 ff. – einheitliche 53, 54 ff., 95, 109 f., 114, 202 – Würdigung des Gesetzeszwecks 50, 53 f., 61 f. Rechtsform 94 f., 110, 181 f. Rechtsweg 214 f., 216 f. Relativität des Unternehmensbegriffes 67 ff., 87 f., 130, 178 f., 200 ff., 227 ff. Rundfunkmärkte 75 f. Sachleistungsprinzip 235 ff. – Festbetragsregelungen 240 ff. – Leistungsmaxime 234 f. – Mehrkostenregelungen 253 f. – Nachfragereigenschaft der Krankenkassen 257 – Zahnersatz 254 ff. – Zurverfügungstellen als wirtschaftliche Tätigkeit 336 ff., 350 f. SAT Fluggesellschaft/Eurocontrol 116 f. Selbstbehalt 306, 310 ff. Selbstverwaltung der Krankenkassen 27 f.

Sicherheit, soziale siehe soziale Sicherheit Solidarität, Grundsatz der 184 ff., 192 f. – Abweichungen von allgemeinen Grundsätzen 198 ff. – Basistarif 315 f. – Elemente 190 – Finanzierungsverfahren 185 ff., 199 f. – freiwillige Krankenvollversicherung 319 ff. – Freiwilligkeit der Mitgliedschaft 189, 273, 322 ff., 328 f. – Gesundheitsleistungen (Zurverfügungstellung) 345 ff. – Krankenversicherung 294 ff. – Kritik 196 ff. – Literaturansichten 193 ff. – Nachfrage/Leistungserbringung 257 ff., 267 ff. – Pflichtmitgliedschaft 189, 273 – Pflichtversicherung 296 ff. – Präjudizien betreffend Krankenversicherung 294 ff. – Präjudizien betreffend Leistungserbringung 258 ff. – Prämienzahlung bei Leistungsfreiheit 313 ff. – Selbstbehalte 310 ff. – Steuerfinanzierung der GKV 304 f. – Umverteilung 190, 193, 199 f., 268 f., 328 f. – Wahltarif für Kostenerstattung 326 ff. – Wahltarife 306 ff. – Zusammenhang Beitragshöhe/Leistungsumfang 187 f. – Zusammenhang Beitragshöhe/Risiko 188 f. – Zusatzkrankenversicherung 324 ff. soziale Sicherheit – Bereichsausnahme, wettbewerbsrechtliche 138 ff. – funktionaler Ausnahmebereich 208 ff. – Tätigkeitsbereich 136 f. soziale Zwecke 180 f., 328

Sachwortverzeichnis Sozialversicherungsträger – deutsches Kartellrecht 224 – Marktseiten 210 f., 232 Merkmale bzgl. Unternehmenstatbestand 179 Spitzenverband Bund 32 Spürbarkeit der Handelsbeeinträchtigung 40 Staatshaftungsansprüche 223 Tarifverträge 141 ff., 150 f. teleologische Gesetzesauslegung 51 Trittbrettfahrereffekt 74 Umlageverfahren 186 Umverteilung 190, 193, 199 f., 268 f., 322 ff., 328 f. Umverteilungsgewinner 322 ff. Umweltschutzüberwachung 117 f., 122 Unternehmen, öffentliches – Begriff 108 f. – Bevorzugung 36 f. – Geltung der Wettbewerbsregeln 107 ff. – Handlungsform 111 f. – Organisationsform 109 ff. – Rechtsform 110, 181 f. Unternehmen, potentielle 66, 131 Unternehmensbegriff – Arbeitsmarkt 59 f. – deutsches Kartellrecht 126 ff., 128 ff. – EGKS 44, 47 – EuGH-Rechtsprechung 151 ff. – EWR 44 f. – funktionaler 46 ff. – institutioneller 47, 201 – Relativität 67 ff., 178 f., 200 ff., 227 ff. – soziale Sicherheit (Bereich) 136 ff., 207 f., 224 unternehmensbezogene Wettbewerbsregeln 32 f. Unternehmenstatbestand – Auslegung 45 f., 128

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– Endverbrauch, privater 61 f. – Funktion 33, 45, 127 – hoheitliche Tätigkeit siehe hoheitliche Tätigkeit – Marktabgrenzung 66 f., 78 – öffentliche Hand 105 ff. – Präjudizien betreffend Leistungserbringung 258 ff. – Rechtspersönlichkeit 49 – soziale Sicherheit (Bereich) 136 ff., 224 – soziale Zwecke 180 f. – Sozialversicherungsträger (Merkmale) 179 ff. – wirtschaftliche Tätigkeit siehe wirtschaftliche Tätigkeit Verantwortlichkeit des Unternehmens (Handlungsfreiheit) 34 ff. Verbandmittel 249 f., 252 Vergütung der Leistungserbringer 269 ff. Vermittlung von Zusatzkrankenversicherungen 331 f., 335 f. versicherungsfremde Leistungen 297, 301, 302 ff. Versorgungssicherheit 99 f. vertikale Abgrenzung zum nationalen Recht 38 ff. Wahltarif für Kostenerstattung 286 f., 307 ff., 336 – Höherversicherung, abrechnungssatzbezogene 308 ff. – Solidarität, Grundsatz der 326 ff. – Wettbewerbsparameter, Festlegung der 335 Wahltarife 306 ff., 334 – Höchstbeträge 288, 306, 311, 314 f. – Prämienzahlung bei Leistungsfreiheit 313 ff. – Selbstbehalt 306, 310 ff. – Wahltarif für Kostenerstattung siehe Wahltarif für Kostenerstattung

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Wettbewerb – Bedeutung für Grundsatz der Solidarität 204 ff. – Berücksichtigung durch Gesetzgeber 23 f. – Krankenkassen untereinander siehe Kassenwettbewerb – Krankenkassen/PKV 290 ff., 326 – Schutz 52, 205 – unverfälschter 52 f. – Voraussetzung wirtschaftlicher Tätigkeit 284 ff., 292 f. – Wirtschaftlichkeitsinstrument 182 wettbewerbsbeschränkende Verhaltensweise, mutmaßliche 229 ff. Wettbewerbsbeschränkung (Begriff) 35 Wettbewerbsparameter, Festlegung der 191 ff., 206 f., 332 ff., 348 f. – Beiträge 333 f. – freiwillige Krankenvollversicherung 333 ff. – Gesundheitsleistungen (Zurverfügungstellung) 348 ff. – Leistungserbringung 274 ff. – Leistungshöhe 277 – Pflichtversicherung 333 ff. – Umfang der Gesundheitsleistungen 275 ff. – Vergütung der Leistungserbringer 274 f. – Versicherungsleistungen 334 f. – Wahltarif für Kostenerstattung 335 – Zusatzkrankenversicherung 335 Wettbewerbsregeln – unternehmensbezogene 32 f. – Zweck 45, 51 ff. wirtschaftliche Betrachtungsweise 54 ff. wirtschaftliche Tätigkeit 58 ff. – Abgrenzungsmerkmal 59, 129 f. – Abgrenzungsmerkmale, allgemeine 70 ff.

– Abgrenzungsmerkmale, besondere 89 ff. – Begriff 63 ff., 83 ff. – Definition 65 – Entgeltlichkeit 78, 91 ff. – Finanzierung 95 – Gewinnerzielungsabsicht 89 ff., 181 – Marktbezug 64 ff. – maßgebliche Tätigkeit 228 ff. – Merkmale (allgemeine) 69 ff. – Merkmale (im Bereich sozialer Sicherheit) 179 ff. – Modalitäten, innere 65, 77 f., 95, 203 f. – Nachfrage 78 ff., 130 f., 233 f., 337 f. – öffentliche Hand 96 ff., 131 f. – Popitz-Kriterium 70 ff. – Rechtsform 94 f., 110, 181 f. – Solidarität, Grundsatz der siehe Solidarität, Grundsatz der – vorgelagerte Tätigkeiten 65 – Wettbewerbsparameter, Festlegung der siehe Wettbewerbsparameter, Festlegung der Wirtschaftsförderung 101 Wirtschaftsintervention, sozialpolitisch motivierte 102 Zahnfüllungen 253 f. Zurechnungsmodell 229 ff., 260 f., 265 f. Zusatzbeitrag, kassenindividueller 301, 333 f. Zusatzkrankenversicherung 331 f., 324 ff., 335 f. Zweck der Wettbewerbsregeln 45, 51 ff. Zweck des deutschen Kartellrechts 128 Zweifrontentheorie 130 f. Zwischenstaatlichkeitsklausel 38 ff.