Die betriebliche Mitbestimmung im Arbeitskampf: Zugleich ein Beitrag zum arbeitskampfrechtlichen Paritätsprinzip [1 ed.] 9783428494712, 9783428094714

Die Frage, welche Beteiligungsrechte dem Betriebsrat während der Tarifauseinandersetzung zustehen, ist im Schnittfeld vo

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Die betriebliche Mitbestimmung im Arbeitskampf: Zugleich ein Beitrag zum arbeitskampfrechtlichen Paritätsprinzip [1 ed.]
 9783428494712, 9783428094714

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G U I D O JANSEN

Die betriebliche Mitbestimmung im Arbeitskampf

Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht Band 165

Die betriebliche Mitbestimmung im Arbeitskampf Zugleich ein Beitrag zum arbeitskampfrechtlichen Paritätsprinzip

Von

Guido Jansen

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Jansen, Guido: Die betriebliche Mitbestimmung im Arbeitskampf : zugleich ein Beitrag zum arbeitskampfrechtlichen Paritätsprinzip / von Guido Jansen. - Berlin : Duncker und Humblot, 1999 (Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht ; Bd. 165) Zugl.: Bochum, Univ., Diss., 1997/98 ISBN 3-428-09471-9

Alle Rechte vorbehalten © 1999 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Werner Hildebrand, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0227 ISBN 3-428-09471-9 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 θ

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 1997/1998 von der Juristischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum als Dissertation angenommen. Rechtsprechung und Literatur sind bis Dezember 1997 berücksichtigt. Für die gute Betreuung der Arbeit bedanke ich mich bei Herrn Prof. Dr. Peter-Hubert Naendrup, der stets die Zeit für ein hilfreiches Gespräch fand. Herrn Prof. Dr. Rolf Wank danke ich für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens sowie für eine Vielzahl wertvoller Anregungen. Die Jahre, in denen ich als wissenschaftlicher Mitarbeiter an seinem Lehrstuhl tätig gewesen bin, waren in fachlicher und persönlicher Hinsicht ein großer Gewinn für mich. Mein Dank gilt auch der Friedrich-Ebert-Stiftung. Sie hat die Arbeit durch ein Promotionsstipendium gefördert. Besonderer Dank gebührt meiner Ehefrau Claudia, meinen Eltern und meinen Schwiegereltern, die mich während meiner Ausbildung in vielfaltiger und großherziger Weise unterstützt haben.

Essen, im Januar 1998

Guido Jansen

Inhaltsverzeichnis

1. Kapitel Einleitung A. Gegenstand der Untersuchung

19 19

B. Die betriebliche Mitbestimmung während des Arbeitskampfes im Spannungsfeld von Arbeitgeber-, Belegschafts- und Gewerkschaftsinteressen 20

2. Kapitel Meinungsstand in Rechtsprechung und Schrifttum A. Rechtsprechung I.

24 24

Die Rechtsprechung des BAG

24

1. Der Beschluß des Großen Senats vom 21.4.1971 : Fortbestand des Betriebsratsamtes im Arbeitskampf.

24

2. Der Beschluß vom 26.10.1971 : Einschränkung der betrieblichen Mitbestimmung bei personellen Maßnahmen

25

3. Die Urteile vom 14.2.1978: Einschränkung der betrieblichen Mitbestimmung bei sog. Kampfkündigungen 25 4. Das Urteil vom 6.3.1979: Beteiligung des Betriebsrats bei nicht arbeitskampfbedingten Kündigungen 26 5. Der Beschluß vom 24.4.1979: Einschränkung der betrieblichen Mitbestimmung bei arbeitskampfbedingter Arbeitszeitverlängerung 27 6. Die Beschlüsse vom 22.12.1980: Lohnrisiko und betriebliche Mitbestimmung bei Arbeitszeitverkürzungen im mittelbar kampfbetroffenen Betrieb

28

7. Der Beschluß vom 16.12.1986: Einschränkung der betrieblichen Mitbestimmung bei arbeitskampfbedingter Umgestaltung von Werksausweisen 29 8. Der Beschluß vom 26.1.1988: Auskunftsanspruch hinsichtlich arbeitskampfbedingter Sonderzuwendungen nach Beendigung des Arbeitskampfes 30

8

nsverzeichnis 9. Der Beschluß vom 10.2.1988: Beteiligung des Betriebsrats bei der Durchführung von Lehrgängen für Streikbrecher im Vorfeld des Arbeitskampfes

31

10. Der Beschluß vom 19.2.1991: Beteiligung des Betriebsrats bei Versetzungen von Arbeitnehmern in ein bestreiktes Tochterunternehmen

32

11. Der Beschluß vom 30.8.1994: Streikteilnahme und Gleitzeitregelung in Betriebsvereinbarungen Π.

32

12. Zusammenfassung

33

Die Rechtsprechung der Instanzgerichte

34

B. Schrifttum

35

I.

Wegfall aller Beteiligungsrechte

Π.

Teileinschränkung der Beteiligungsrechte

36

1. Arbeitskampfrechtliche Gesichtspunkte 2. Interessenkollision, Überforderung und Rechtsmißbrauch des Betriebsrats

37 38

3. Betriebsverfassungsrechtliche Gesichtspunkte

38

4. Umfang der Einschränkung ΙΠ. Keine Einschränkung der Beteiligungsrechte

35

39 40

3. Kapitel Die betriebliche Mitbestimmung im Arbeitskampf als Problem einer Rechtsgebietskonkurrenz zwischen Arbeitskampf- und Betriebsverfassungsrecht

41

A. Konkurrenz zwischen Arbeitskampfrecht und Betriebsverfassungsrecht

41

B. Die methodische Behandlung der Rechtsgebietskonkurrenz

43

I.

Gesetzliche Konkurrenzregeln

Π.

Vorranglösung

DI. Angleichung der Rechtsgebiete 1. Zuordnung von Regelungsbereichen

46 47 49 51

a) Rechtsgebietskonkurrenz zwischen Gesellschafts- und Erbrecht

51

b) Rechtsgebietskonkurrenz zwischen Arbeitskampf- und Verbandsrecht

52

2. Schutz des Kenibereichs a) Rechtsgebietskonkurrenz zwischen Zivilprozeß- und materiellem Zivilrecht

53 56

b) Rechtsgebietskonkurrenz zwischen Arbeitskampf- und Schuldrecht... 57 C. Zusammenfassung und weiterer Verlauf der Untersuchung

59

nsverzeichnis

9

4. Kapitel Betriebsverfassungsrechtliche Vorgaben A. § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG I.

61 61

Meinungsstand

61

1. § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG als gesetzliche Konkurrenzregel

61

2. Gegenansicht Π. Auslegung

63 64

1. Wortlaut

66

2. Systematik

67

3. Entstehungsgeschichte

68

4. Sinn und Zweck

72

a) Schutzgegenstände

72

aa) Betriebsfrieden

73

bb) Arbeitsablauf.

75

cc) Betriebsverfassungsrechtliche Verfahrensregelung

76

dd) Zwischenergebnis

77

b) Rechtsfolgen

77

aa) Absolutes Verbot

78

bb) Unterlassungspflicht

79

cc) Abgrenzung zwischen arbeitskampfrelevanten und sonstigen Beteiligungsrechten dd) Zwischenergebnis 5. Auslegungsergebnis B. § 2 Abs. 1 BetrVG I.

Π.

81 83 83 84

Vertrauensvolle Zusammenarbeit als Geschäftsgrundlage der Betriebsverfassung

85

1. Wortlaut

86

2. Systematik

86

3. Entstehungsgeschichte

86

4. Sinn und Zweck

87

a) Die Bedeutung der „vertrauensvollen Zusammenarbeit"

88

b) Folgenbetrachtung

89

5. Konkretisierung durch Fallgruppenbildung

90

6. Ergebnis

93

Vertrauensvolle Zusammenarbeit als Verbot des Rechtsmißbrauchs

93

1. Das Rechtsmißbrauchsverbot als Fallgruppe des § 2 Abs. 1 BetrVG

94

10

nsverzeichnis a) Mißbilligte Rechtsausübung b) Fehlen eines berechtigten Interesses 2. Ergebnis

95 97 100

C. Zusammenfassung

100

5. Kapitel Rangverhältnis zwischen Arbeitskampf- und Betriebsverfassungsrecht? 101 A. Vorrang des Arbeitskampfrechts I.

101

Art. 9 Abs. 3 GG

101

1. Arbeitskampfrecht als Verfassungsrecht

101

2. Verfassungsrechtlicher Schutz von Tarifautonomie und Arbeitskampf.. 103 Π.

3. Kampfparität

104

§ 77 Abs. 3 BetrVG

108

ΙΠ. Arbeitskampf und Betriebsratsamt B. Vorrang des Betriebsverfassungsrechts

111 113

I.

Stellung des Arbeitskampfrechts in der Normenhierarchie

113

Π.

Das Betriebsverfassungsgesetz als abschließende Regelung

118

C. Zusammenfassung

122

6. Kapitel Angleichung von Arbeitskampfrecht und Betriebsverfassungsrecht

123

A. Angleichung durch teleologische Reduktion von Beteiligungsrechten

123

B. Ungeeignete Ansätze

127

I.

Interessenkollision und Oberforderung des Betriebsrats

127

Π.

Gegnerfreiheit und -Unabhängigkeit

129

ΙΠ. Freiheit der Kampfmittelwahl IV. Staatsneutralität C. Angleichung mit Hilfe des Paritätsprinzips

131 132 133

I.

Das Paritätsprinzip als Kernbereich des Arbeitskampfrechts

134

Π.

Konkretisierung des Paritätsprinzips

137

1. Meinungsstand

137

a) Formelle Parität

137

b) Materielle Parität

139

aa) Gesamtparität

139

nsverzeichnis

11

bb) Typisierende Betrachtung

140

c) Die Rechtsprechung des BAG

140

2. Stellungnahme

143

a) Formelle Kampfmittelparität als Ausgangspunkt

144

b) Materielle Parität als Ergänzung

149

aa) Bewertung sozialer Macht

150

( 1 ) Vertragsparität im Zivilrecht

151

(2) Soziale Mächtigkeit im Koalitionsrecht

153

(3) Schlußfolgerungen für die Arbeitskampfparität

156

bb) Bezugspunkt der Paritätsprüfung: konkrete oder abstrakt-generelle Parität 156 cc) Die paritätsrelevanten Faktoren ( 1 ) Teleologischer Bezug zum Tarifsystem

159 161

(2) Keine konkrete Paritätsbewertung

164

(3) Praktikabilität

165

dd) Der Maßstab für die Paritätsbewertung

166

ee) Beweisprobleme

168

c) Zusammenfassung ΙΠ. Betriebliche Mitbestimmung und formelle Kampfmittelparität

169 170

1. Die betriebliche Mitbestimmung als Ungleichbehandlung im Arbeitskampf 170 2. Die mitbestimmungsfreien Arbeitskampfmaßnahmen des Arbeitgebers 174 a) Die Aussperrung

175

b) Die Kampftaktik der Weiterproduktion

176

aa) Allgemeine Merkmale von Arbeitskampfmaßnahmen

177

bb) Kausalitäts-und Finalitätsanforderungen

179

cc) Maßnahmen der Weiterproduktionstaktik als privilegierenswerte Kampfmittel

180

( 1 ) Die Privilegierung von Arbeitskampfmaßnahmen

180

(2) Die arbeitskampfrechtliche Zulässigkeit milderer Mittel als Streik und Aussperrung 182 (3) Maßnahmen der Weiterproduktionstaktik als privilegierte mildere Mittel (4) Die Grenzen der Privilegierung IV. Betriebliche Mitbestimmung und materielle Parität

188 190 192

1. Die betriebliche Mitbestimmung als paritätsrelevanter Faktor

192

2. Paritätsstörung

193

V. Interessenbewertung

195

12

nsverzeichnis 1. Allgemeine Grundsätze

195

2. Interessenkonflikt zwischen Arbeitgeber, Belegschaft und Gewerkschaft bei der betrieblichen Mitbestimmimg im Arbeitskampf

197

a) Beteiligungsfreiheit von Arbeitskampfmaßnahmen

198

b) Modifizierung aufgrund materieller Paritätserwägungen

200

c) Ergebnis

201

VI. Zusammenfassung

201

7. Kapitel Die betriebliche Mitbestimmung im unmittelbar arbeitskampfbetroffenen Betrieb A. Formelle Paritätserwägungen I.

Π.

203 203

Mitbestimmungsfreie Kampfmaßnahmen

203

1. Aussperrungsmaßnahmen

203

a) Aussperrung

203

b) Teilaussperrung

205

c) Aussperrungsnotwendige Maßnahmen

205

2. Kampftaktik der Weiterproduktion

207

a) Verkürzung der Arbeitszeit

207

b) Verlängerung der Arbeitszeit

208

c) Zahlung von Streikbruchprämien

209

d) Berufsbildungsmaßnahmen für Streikbrecher

213

e) Einstellungen und Versetzungen

214

Sonstige Maßnahmen während des Arbeitskampfes

217

1. Kündigungen

218

a) §25 KSchG

219

b) Kampikündigung und Aussperrung

221

c) Kampfkündigungen bei rechtswidrigen Streiks

223

d) Kampfkündigungen gegen Betriebsratsmitglieder

224

2. Kameraüberwachung Streikender

224

3. Kündigung und Vergabe von Werkswohnungen

225

4. Betriebsänderungen

225

ΙΠ. Maßnahmen außerhalb des Arbeitskampfes

227

IV. Informationsrechte des Betriebsrats

228

V. Erweiterung der Beteiligungsrechte durch Betriebsvereinbarungen

229

VI. Notstands- und Erhaltungsarbeiten

230

nsverzeichnis Β. Materielle Paritätserwägungen

13 232

I.

Paritätsstörung zu Lasten der Gewerkschaften

Π.

Paritätsstörung zu Lasten der Arbeitgeberseite

234

1. Grundsätzliche Bedenken

234

2. Einzelne Beteiligungsrechte

235

a) Soziale Angelegenheiten

235

b) Kündigungen

236

c) Wirtschaftliche Angelegenheiten

239

m. Ergebnis

240

C. Besonderheiten bei rechtswidrigen Streiks I.

Π.

233

241

Kampfmaßnahmen gegen rechtswidrige Streiks

242

1. Rechtsschutzmöglichkeiten des Arbeitgebers

243

2. Paritätsprinzip und Hilfsfunktion des Arbeitskampfes

245

a) Rechtswidrige Streiks ohne Tarifziel

246

b) Rechtswidrige Streiks zur Durchsetzung einer Tarifforderung

247

Betriebliche Mitbestimmung bei rechtswidrigen Streiks

D. Zusammenfassung

249 250

8. Kapitel Die betriebliche Mitbestimmung im mittelbar arbeitskampfbetroffenen Betrieb A. Arbeitszeitverkürzungen I.

Das Lohnrisiko im mittelbar kampfbetroffenen Betrieb

252 252 254

1. Rechtsgebietskonkurrenz zwischen Arbeitskampfrecht und Schuldrecht 2. Gesetzliche Konkurrenzregeln

255 257

3. Vorrang arbeitskampfrechtlicher oder schuldrechtlicher Wertungen?.... 2 5 8 4. Angleichung von Arbeitskampfrecht und Schuldrecht

260

a) Sphärentheorie

260

b) Unterscheidung von Betriebs- und Wirtschaftsrisiko

261

c) Teilhabe am Kampfergebnis

262

d) Paritätsprinzip

264

aa) Betriebe innerhalb des umkämpften Tarifgebiets

264

bb) Betriebe außerhalb des umkämpften Tarifgebiets

266

cc) Zur rechtlichen Einordnung des Lohnverweigerungsrechts als Kampfmittel

270

14

nsverzeichnis Π.

Die Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG

272

1. Tatbestandsvoraussetzungen des § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG

272

a) Keine gesetzliche Regelung i. S. des Einleitungssatzes

272

b) Regelungsspielraum

274

c) Verkürzung der betriebsüblichen Arbeitszeit

276

2. Arbeitskampi rechtliche Beschränkungen des Mitbestimmungsrechts.... 278 B. Sonstige Maßnahmen des Arbeitgebers

281

I.

Betriebe innerhalb des Kampfgebiets

281

Π.

Betriebe außerhalb des Kampfgebiets

283

C. Besonderheiten bei rechtswidrigen Streiks

284

D. Zusammenfassung

284

9. Kapitel Rechtsschutzmöglichkeiten der Betriebsparteien

286

A. Rechtsschutzmöglichkeiten des Arbeitgebers

286

B. Rechtsschutzmöglichkeiten des Betriebsrats

288

I.

Anträge im Beschlußverfahren

288

Π.

Einstweilige Verfügung zur Sicherung der Beteiligungsrechte

288

1. Verfügungsanspruch

289

a) § 23 Abs. 3 BetrVG

289

b) Allgemeiner Unterlassungsanspruch

290

2. Verfügungsgrund

292

ΙΠ. Beweisfragen

293

10. Kapitel Ergebnisse

296

Literaturverzeichnis

300

Sachregister

319

Abkürzungsverzeichnis a. Α.

anderer Ansicht

a. a. Ο.

am angegebenen Ort

Abs.

Absatz

AcP

Archiv für die civilistische Praxis (Zeitschrift)

a. E.

am Ende

AFG

Arbeitsförderungsgesetz

AGBG

Gesetz zur Regelung des Rechts der allgemeinen Geschäftsbedingungen

AiB

Arbeitsrecht im Betrieb (Zeitschrift)

Anm.

Anmerkung

AÖR

Archiv des öffentlichen Rechts (Zeitschrift)

AP

Arbeitsrechtliche Praxis

AR-Blattei

Arbeitsrechts-Blattei

ARS

Arbeitsrechtssammlung (vormals Bernsheimer Sammlung)

ArbG

Arbeitsgericht

ArbGG

Arbeitsgerichtsgesetz

Art.

Artikel

AUG

Arbeitnehmerüberlassungsgesetz

Aufl.

Auflage

AuR

Arbeit und Recht (Zeitschrift)

BAG

Bundesarbeitsgericht

BAGE

Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts

BayVBl

Bayerisches Verwaltungsblatt (Zeitschrift)

BB

Betriebs-Berater (Zeitschrift)

16

Abkürzungsverzeichnis

Beschl.

Beschluß

BetrVG

Betriebsverfassungsgesetz

BGB

Bürgerliches Gesetzbuch

BGH

Bundesgerichtshof

Bl.

Blatt

BlStSozArbR

Blätter für Steuerrecht, Sozialversicherung und Arbeitsrecht (Zeitschrift)

BPersVG

Bundespersonalvertretungsgesetz

BSG

Bundessozialgericht

BSGE

Entscheidungen des Bundessozialgerichts

BT-Drucksache

Bundestags-Drucksache

BVerfG

Bundesverfassungsgericht

BVerfGE

Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts

BVerwG

Bundesverwaltungsgericht

BVerwGE

Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts

DB

Der Betrieb (Zeitschrift)

ders.

derselbe

DGB

Deutscher Gewerkschaftsbund

d. h.

das heißt

Diss.

Dissertation

DuR

Demokratie und Recht (Zeitschrift)

DVB1

Deutsches Verwaltungsblatt (Zeitschrift)

DZWiR

Deutsche Zeitschrift für Wirtschaftsrecht

Einl.

Einleitung

EzA

Entscheidungssammlung zum Arbeitsrecht

f.

folgende

FAZ

Frankfurter Allgemeine Zeitung

FeiertagslohnzahlungsG

Gesetz zur Regelung der Lohnzahlung an Feiertagen

ff.

folgend (e)

gem.

gemäß

GewMH

Gewerkschaftliche Monatshefte (Zeitschrift)

GG

Grundgesetz

Abkürzungsverzeichnis

17

GS

Großer Senat

Halbs.

Halbsatz

h. M.

herrschende Meinung

Hrsg.

Herausgeber

IG

Industriegewerkschaft

i. S.

im Sinne

i. V.

in Verbindung

JA

Juristische Arbeitsblätter (Zeitschrift)

JJb

Juristische Jahrbücher

JurA

Juristische Analysen (Zeitschrift)

Jura

Juristische Ausbildung (Zeitschrift)

JuS

Juristische Schulung (Zeitschrift)

JZ

Juristenzeitung

KJ

Kritische Justiz (Zeitschrift)

KSchG

Kündigungschutzgesetz

LAG

Landesarbeitsgericht

m. E.

meines Erachtens

MuSchG

Mutterschutzgesetz

m. w. N.

mit weiteren Nachweisen

NJW

Neue Juristische Wochenschrift (Zeitschrift)

Nr.

Nummer

NW

Nordrhein-Westfalen

NZA

Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht

0.

oben

OVG

Oberverwaltungsgericht

R

Rückseite

RdA

Recht der Arbeit (Zeitschrift)

RGZ

Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen

Rn.

Randnummer

S.

Satz oder Seite

s.

siehe

2 Jansen

18 SAE

Abkürzungs Verzeichnis Sammlung Arbeitsrechtlicher Entscheidungen (Zeitschrift)

SchwbG

Schwerbehindertengesetz

SGB

Sozialgesetzbuch

sog.

sogenamit (e, er, es)

StGB

Strafgesetzbuch

TVG

Tarifvertragsgesetz

Urt.

Urteil

v.

vom

Var.

Variante

VersG

Bundesversammlungsgesetz

vgl.

vergleiche

Vorbem.

Vorbemerkung

VwVfG

Verwaltungsverfahrensgesetz

z. B.

zum Beispiel

ZfA

Zeitschrift für Arbeitsrecht

ZGR

Zeitschrift für Gesellschaftsrecht

ZIP

Zeitschrift für Wirtschaftsrecht

ZPO

Zivilprozeßordnung

ZRP

Zeitschrift für Rechtspolitik

1. Kapitel

Einleitung Α. Gegenstand der Untersuchung Probleme aus dem Bereich des Arbeitskampfrechts sind in Rechtspraxis und Rechtslehre besonders umstritten. Zu einem regelrechten „Dauerbrenner" hat sich die Frage nach der betrieblichen Mitbestimmung im Arbeitskampf entwickelt. 1 Wenngleich das Betriebsverfassungsgesetz hierzu keine ausdrückliche Regelung enthält, sind sich Rechtsprechung und die überwiegende Ansicht im Schrifttum darin einig, daß einzelne Beteiligungsrechte des Betriebsrats während des Arbeitskampfes eingeschränkt werden müssen. Die Begründungen dafür sind ganz verschieden - man stößt hier auf ein eindrucksvolles Beispiel juristischen Erfindungsreichtums. Freilich deutet die Vielzahl unterschiedlicher Begründungsansätze auch darauf hin, daß die Problematik methodisch noch nicht hinreichend geklärt ist. Die Schwierigkeiten entstehen dadurch, daß die Rechtsordnung sowohl im Arbeitskampfrecht als auch im Betriebsverfassungsrecht Vorgaben für die betriebliche Mitbestimmung im Arbeitskampf enthält. Insofern besteht ein Konkurrenzverhältnis zweier Rechtsgebiete. Die Konkurrenz von Rechtsgebieten wird, obschon sie nicht selten auftritt, in der Methodenlehre bislang nur stiefmütterlich behandelt. In der vorliegenden Arbeit sollen daher zunächst einige allgemeine Grundsätze für das Phänomen der Rechtsgebietskonkurrenz aufgestellt werden. Sie dienen als Grundgerüst für die Zuordnung der rechtlich relevanten Gesichtspunkte. Es wird sich im Verlauf der Untersuchung zeigen, daß eine rechtsfortbildende Angleichung von Arbeitskampfrecht und Betriebsverfassungsrecht erforderlich ist. Diese Angleichung muß m. E. auf der Basis der bestehenden Arbeitskampfrechtsordnung erfolgen, die das BAG anhand einiger zentraler Grundsätze 2 richterrechtlich entwickelt hat. Der vorgeschlagene Lösungsansatz beruht auf einer neuen Interpretation des arbeitskampfrechtlichen Paritätsprinzips. Ich betrachte die Kampfparität entgegen der gängigen Auffassung

1 2

Vgl. Kissel, NZA 1990, S. 545, 551: „völlig umstritten". Vgl. dazu Wank,, Festschrift O. R. Kissel, S. 1225 ff.

20

1. Kapitel: Einleitung

nicht allein materiell als tatsächliche Chancengleichheit der Tarifgegner, sondern auch formell als Kampfmittelgleichheit. Wichtig erscheint mir indes, daß man - gerade wenn, wie im Arbeitskampfrecht. klare gesetzliche Vorgaben fehlen - sich bemüht, die beteiligten Interessen umfassend zu berücksichtigen und die Wertungen offenzulegen, aufgrund derer ein bestimmtes Ergebnis erreicht wird. Leider ist das insbesondere in der Diskussion um arbeitskampfrechtliche Fragen nicht selbstverständlich: Juristen können hier nicht immer der Versuchung widerstehen, komplexe Intcresscnkonstellationcn einseitig zu würdigen und Wertungen hinter formaljuristischen Begründungsformeln zu verstecken. Es erscheint deshalb angebracht, vorab die Intcresscnlage zu beleuchten, die dem Streit um die Bctciligungsrcchte im Arbeitskampf zugrunde liegt.

B. Die betriebliche Mitbestimmung während des Arbeitskampfes im Spannungsfeld von Arbeitgeber-, Belegschaftsund Gewerkschaftsinteressen Die Problematik der betrieblichen Mitbestimmung im Arbeitskampf ist dadurch gekennzeichnet. daß die Interessen der kampfbetroffenen Arbeitgeber und die Interessen der Belegschaften sowie der kampfführenden Gewerkschaft kollidieren. Das Interesse der Arbcilgebcrscitc geht dahin, den Tarifkonflikt zu ihren Gunsten zu entscheiden. Die Arbcitgcbcrvcrbände - oder, bei Konflikten um Firmentarife, einzelne Arbeitgeber - werden deshalb möglicherweise zum Kampfmittel der Aussperrung greifen. Sic werden aber auch die Wirkungen des gegnerischen Kampfmittels, des Streiks, durch andere geeignete Maßnahmen auf betrieblicher Ebene vereiteln oder jedenfalls abschwächen wollen. Der Streik zielt darauf ab, die Betriebstätigkeit zum Erliegen zu bringen und dadurch wirtschaftlichen Druck auf den Arbeitgeber auszuüben. Es entspricht daher den Arbeitgcberintcrcsscn, trotz der Arbeitsniederlegung die Produktion fortzusetzen, um den wirtschaftlichen Druck, den die Gegenseite erzeugen will, zu mindern. Insbesondere dann, wenn der Betrieb nur teilweise bestreikt wird, kann der Arbeitgeber versuchen, die Produktion so weit wie möglich aufrechtzuerhalten, indem er beispielsweise einzelne Arbeitnehmer versetzt oder die Verlängerung der Arbeitszeit in einem nicht bestreikten Betriebsteil anordnet. Bei diesen Maßnahmen ist der Betriebsrat gem. §§ 99, 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG zu beteiligen. Hier besteht die Gefahr, daß der Betriebsrat, die Partei der Streikenden ergreifend, das Vorhaben des Arbeitgebers torpediert. Stimmt der Betriebsrat etwa einer Arbeitszeitverlängerung nicht zu. muß die Einigungsslcllc angerufen werden. § 87 Abs. 2 BetrVG. Sofern im Betrieb keine ständige Einigungsstelle i. S. des § 76 Abs. 1 S. 2 BetrVG existiert.

Β. Die betriebliche Mitbestimmung im Spannungsfeld der Interessen

21

kann das Einigungsstellenverfahren die Reaktionsmöglichkeit des Arbeitgebers beeinträchtigen. Das gilt insbesondere für den Fall, daß der Betriebsrat eine Obstruktionspolitik betreibt und nicht bereit ist, sich mit dem Arbeitgeber über die Person des Einigungsstellenvorsitzenden zu verständigen. 3 Der Arbeitgeber müßte dann gem. § 76 Abs. 2 S. 2 BetrVG das Arbeitsgericht anrufen, damit eine Entscheidung der Einigungsstelle ergehen kann. Auch wenn der Betriebsrat nach § 99 Abs. 2 BetrVG kampfbedingten Neueinstellungen oder Versetzungen widerspricht, ist der Arbeitgeber gem. § 99 Abs. 4 BetrVG gezwungen, einen arbeitsgerichtlichen Beschluß herbeizuführen, der die Zustimmung des Betriebsrats ersetzt. Zwar hat der Arbeitgeber die Möglichkeit, vorläufige personelle Maßnahmen gem. § 100 BetrVG durchzuführen. Einer Entscheidung des Arbeitsgerichts bedarf es unter Umständen aber auch in diesem Fall, § 100 Abs. 2 BetrVG. Der Betriebsrat kann somit, wenn er es darauf anlegt, durch den Einsatz der Beteiligungsrechte Abwehrmaßnahmen des Arbeitgebers verzögern und sie dadurch möglicherweise entwerten. Darüber hinaus sind auch andere Arbeitskampfsituationen denkbar, in denen die betriebliche Mitbestimmung dem Betriebsrat die Gelegenheit eröffnet, das KampfVerhalten des Arbeitgebers zu behindern. So ist der Arbeitgeber möglicherweise daran interessiert, bei Arbeitskampfexzessen Beweismittel gegen diejenigen Arbeitnehmer zu erlangen, die an Ausschreitungen teilnehmen. Zu diesem Zweck könnte er bereits vorhandene Kontrolleinrichtungen, wie ζ. B. Fernsehkameras, nutzen oder solche Einrichtungen neu installieren, um die Streikenden zu überwachen. 4 Der Betriebsrat, der hierbei gem. § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG mitzubestimmen hat, ist in der Lage, durch eine Verzögerungstaktik derartige Maßnahmen ins Leere laufen zu lassen. Die Position des Arbeitgebers im Arbeitskampf kann mithin durch die Beteiligungsrechte des Betriebsverfassungsgesetzes beeinträchtigt werden. Bis es zu einer verbindlichen Entscheidung der Einigungsstelle oder des Arbeitsgerichts kommt, ist der Tarifkonflikt bei kurzer Streikdauer wahrscheinlich schon beendet. Das ist arbeitskampfrechtlich bedenklich und spricht dafür, die betriebliche Mitbestimmung während des Arbeitskampfes einzuschränken. Andererseits darf man die Interessen der Belegschaft im arbeitskampfbetroffenen Betrieb nicht außer acht lassen. Wer ihre Belange vertreten will, kann auf die Schutzfünktion der betriebsverfassungsrechtlichen Beteiligungstatbestände5 verweisen. Das Betriebsverfassungsgesetz gewährt dem Betriebsrat als Interessenvertreter der Belegschaft Mitwirkungsbefugnisse bei be3

Jahn, Beteiligung, S. 86 f. Vgl. Wiese, Festschrift H. Hubmann, S. 481,496 f. 5 Dazu etwa Weiss, AuR 1982, S. 265; Wiese, Festschrift O. R. Kissel, S. 1269, 1277 ff. m. umfangreichen w. N. Zur Schutzfunktion von Betriebsvereinbarungen ausführlich Kreutz, Betriebsautonomie, S. 153 ff. 4

22

1. Kapitel: Einleitung

stimmten betrieblichen Entscheidungen. Die absolute Herrschaftsmacht des Arbeitgebers wird eingeschränkt, um Solidarinteressen wahrzunehmen, um das Wohl der Arbeitnehmer zu schützen und zu fördern. 6 Würde man die Beteiligungsrechte während des Arbeitskampfes einschränken, so wäre insoweit die absolute Herrschaft des Arbeitgebers im Betrieb wiederhergestellt. Der Arbeitgeber könnte versuchen, bestimmte Anordnungen nur deshalb im Zeitraum des Arbeitskampfes zu treffen, damit er der betrieblichen Mitbestimmung entgehen kann. 7 Es besteht die Gefahr, daß er, die Gunst der Stunde ausnutzend, weitreichende Maßnahmen, die über den Rahmen legitimer Streikabwehr hinausgehen, auf Kosten der Belegschaft durchsetzt, beispielsweise Betriebsänderungen, Neueinstellungen oder Entlassungen.8 Die arbeitskampfbedingt wachsende Konfrontation zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern vergrößert insofern das Schutzbedürfnis der Belegschaft. Es liegt daher im Interesse der Arbeitnehmer, die Betriebsratstätigkeit während des Arbeitskampfes nicht einzuschränken, sondern so weit wie möglich aufrechtzuerhalten. 9 Die Situation im Arbeitskampf stellt sich demnach folgendermaßen dar: Während arbeitskampfrechtliche Gesichtspunkte eine Beschränkung der Beteiligungsrechte im Interesse des kampfbetroffenen Arbeitgebers nahelegen, vergrößert sich in betriebsverfassungsrechtlicher Hinsicht das Bedürfnis nach der Gegenmacht des Betriebsrats. 10 Dem Arbeitgeber ist betriebsverfassungsrechtlich untersagt, was ihm arbeitskampfrechtlich gestattet ist, nämlich den Arbeitnehmern zu schaden.11 Ein Interessengegensatz tritt aber nicht nur im Verhältnis von Arbeitgeber und Belegschaft, sondern auch im Verhältnis der Tarifgegner zu Tage. Macht die Arbeitgeberseite geltend, die betriebliche Mitbestimmung schmälere ihre Arbeitskampfchancen und müsse daher eingeschränkt werden, so werden die Gewerkschaften entgegnen, eine Beschränkung der Beteiligungsrechte eröffne den Arbeitgebern KampfVorteile durch zusätzliche Möglichkeiten, die Streikwirkungen abzuschwächen und dadurch Druck auszuüben. Insofern berührt die Frage der betrieblichen Mitbestimmung im Arbeitskampf auch arbeitskampfrechtlich relevante Belange der Gewerkschaften. 12 6

Zu diesem Grundgedanken des Betriebsverfassungsgesetzes vgl. etwa v. Hoyningen-Huene, Betriebsverfassungsrecht, § 1 DI 1, S. 6; Wiese in GK-BetrVG, Einleitung Rn. 49; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, § 44 I, S. 443. 7 Vgl. Kraft in GK-BetrVG, § 99 BetrVG Rn. 14. 8 Bieback/Mayer, AuR 1982, S. 169, 173; Reuter, AuR 1973, S. 1, 2, 5. 9 Im Hinblick auf das Schutzbedürfnis der Arbeitnehmer müßten die Mitbestimmungsrechte nach Ansicht von Blanke, AiB 1993, S. 220, 225 und Herbst, AiB 1987, S. 4, 6 nicht eingeschränkt, sondern eher ausgeweitet werden. 10 Reuter, AuR 1973, S. 1,5. 11 So die treffende Formulierung von Patett, Arbeitskampffernwirkungen, S. 482. 12 Jahn, Beteiligung, S. 15.

Β. Die betriebliche Mitbestimmung im Spannungsfeld der Interessen

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Die Arbeitgeberinteressen, die eine Beschränkung der Beteiligungsrechte nahelegen, werden somit in zwei Richtungen begrenzt, nämlich einerseits durch die Interessen der Belegschaft, andererseits durch die Interessen der kampffuhrenden Gewerkschaft. Diese eigenartige Interessenkonstellation beruht auf einer Doppelstellung des Arbeitgebers im Arbeitskampf: Er ist - als Partei eines Firmentarifvertrages oder mittelbar als Angehöriger des Arbeitgeberverbandes - Arbeitskampfjpartei, zugleich aber auch Betriebspartei. Insofern stellt er gleichsam das Bindeglied zwischen den Regelungsmaterien des Arbeitskampfrechts und des Betriebsverfassungsrechts dar, deren Wertungen einander widersprechen. Die rechtliche Problematik besteht zunächst darin, das Verhältnis dieser beiden Rechtsgebiete zueinander abzuklären. Ein Lösungsvorschlag, der konsensfahig sein will, muß sich aber auch im Rahmen einer Folgenkontrolle daran messen lassen, ob er die aufgezeigte Interessenkonstellation angemessen berücksichtigt. 13

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Vgl. auch Bieback/Mayer, AuR 1982, S. 169, 172; Reuter, AuR 1973, S. 1, 5; Rüthers/Henssler, Anm. zu BAG AP Nr. 13 zu § 87 BetrVG Ordnung des Betriebes, Bl. 1077 R, zum BetrVG 1952 Westerbarkey, Rechtsstellung, S. 27 ff.

2. Kapitel

Meinungsstand in Rechtsprechung und Schrifttum A. Rechtsprechung I. Die Rechtsprechung des BAG 1. Der Beschluß des Großen Senats vom 21.4.1971: Fortbestand des Betriebsratsamtes im Arbeitskampf Der Große Senat des BAG entschied in seinem Beschluß vom 21.4.1971 \ der Gedanke der Verhältnismäßigkeit gebiete es, daß Betriebsratsmitglieder nur mit suspendierender Wirkung ausgesperrt werden dürften. Es liege auch im Interesse des Arbeitgebers, wenn der Betriebsrat während der fur das Unternehmen kritischen Zeitspanne des Arbeitskampfes seine Tätigkeit weiter ausüben könne.2 Dieser Beschluß ist vom BVerfG bestätigt worden. 3 Auch das BVerfG betont, der Arbeitgeber sei regelmäßig daran interessiert, daß der Betriebsrat während des Arbeitskampfes funktionsfähig bleibe. Dies erleichtere notwendige Regelungen, z. B. über die Durchfuhrung der erforderlichen Erhaltungsarbeiten.4

1 BAG GS AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf = BAGE 23, S. 292 = SAE 1972, S. 1 = BB 1971, S. 701 = DB 1971, S. 1061. 2 BAG GS AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 312 R. Daß die suspendierende Aussperrung das Betriebsratsamt nicht berührt, hat das BAG zuletzt in AP Nr. 110 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 756 klargestellt. 3 BVerfG AP Nr. 50 zu Art. 9 GG Arbeitskampf = BVerfGE 38, S. 386 = BB 1975, S. 515 = DB 1975, S. 792. 4 BVerfG AP Nr. 50 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 580.

Α. Rechtsprechung

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2. Der Beschluß vom 26.10.1971: Einschränkung der betrieblichen Mitbestimmung bei personellen Maßnahmen In der Folgeentscheidung vom 26.10.19715 führte der 1. Senat des BAG allerdings aus, der Arbeitgeber sei im Falle einer wirksamen lösenden Aussperrung zur Neubesetzung der Arbeitsplätze ohne Beteiligung des Betriebsrats berechtigt. Während des Arbeitskampfes könne der Betriebsrat bei Einstellungen, Versetzungen und Entlassungen nicht mitwirken. Wegen der Konfrontation zwischen Belegschaft und Arbeitgeber sei der Betriebsrat Jedenfalls hinsichtlich derartiger personeller Maßnahmen mit ihren Wirkungen auf das Kampfgeschehen funktionsunfähig". 6

3. Die Urteile vom 14.2.1978: Einschränkung der betrieblichen Mitbestimmung bei sog. Kampßcündigungen Am 14.2.1978 befaßte sich das BAG mit der Beteiligung des Betriebsrats bei Kündigungen, die der Arbeitgeber während eines Arbeitskampfes aussprach. Zuvor war das Gericht in einem Urteil vom 17.12.1976 beiläufig davon ausgegangen, der Betriebsrat sei auch bei sog. Kampfkündigungen, mit denen der Arbeitgeber auf eine rechtswidrige Arbeitsniederlegung reagiert, gem. § 102 BetrVG anzuhören. 7 Demgegenüber entschied das BAG am 14.2.1978, daß die Zustimmung des Betriebsrats nach § 103 Abs. 1 BetrVG 8 ebenso wie die Anhörung des Betriebsrats nach § 102 Abs. 1 BetrVG 9 bei Kampfkündigungen des Arbeitgebers entfalle. Zwar sei der Betriebsrat als Organ im Arbeitskampf nicht allgemein fünktionsunfahig. Die Beteiligungsrechte seien jedoch „arbeitskampfkonform" auszulegen, anderenfalls könnte der arbeitskampfrechtliche Grundsatz der Waffengleichheit beeinträchtigt werden. 10 Der Betriebsrat sei auch überfordert, über eine Zustimmung zur Kündigung eines Betriebsratsmitglieds (§ 103 Abs. 1 BetrVG) zu beschließen11 oder eine Stellungnahme zu außerordentli5 BAG AP Nr. 44 zu Art. 9 GG Arbeitskampf = BAGE 23, S. 484 = SAE 1973, S. 33 = DB 1972, S. 143. 6 BAG AP Nr. 44 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 68 R. 7 BAG AP Nr. 52 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, BL 618 R. 8 BAG AP Nr. 57 zu Art. 9 GG Arbeitskampf = BAGE 30, S. 43 = EzA § 15 KSchGn. F.Nr. 19 = SAE 1980, S. 152 = BB 1978, S. 913 = DB 1978, S. 1231. 9 BAG AP Nr. 58 zu Art. 9 GG Arbeitskampf = BAGE 30, S. 50 = EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 22 = SAE 1980, S. 139 = BB 1978, S. 1115 = DB 1978, S. 1403. 10 BAG AP Nr. 57 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 275 R. 11 BAG AP Nr. 57 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 276.

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2. Kapitel: Meinungsstand in Rechtsprechung und Schrifttum

chen Kündigungen einzelner Arbeitnehmer aus Arbeitskampfgründen (§ 102 Abs. 1 BetrVG) abzugeben.12 Im Hinblick auf die arbeitskainpfbedingte Konfrontation zwischen Arbeitnehmerschaft und Arbeitgeber sei der Betriebsrat rechtlich gehindert, personelle Beteiligungsrechte bei Maßnahmen auszuüben, mit denen der Arbeitgeber auf einen rechtswidrigen Streik antworte. 13 Um aber den Amtsschutz für Betriebsratsmitglieder nach § 103 BetrVG, § 15 Abs. 3 KSchG nicht leerlaufen zu lassen, müsse der Arbeitgeber in entsprechender Anwendung des § 103 Abs. 2 BetrVG alsbald beim Arbeitsgericht beantragen, daß die Zustimmung zur Kündigung eines Betriebsratsmitglieds erteilt werde. 14 Anders sei es jedoch, wenn der Arbeitgeber während des Arbeitskampfes betriebsbedingte ordentliche Kündigungen ausspreche. 15 In diesem Fall müsse der Betriebsrat gem. § 102 Abs. 1 BetrVG angehört werden, da er im Arbeitskampf nicht generell funktionsunfähig sei. 16

4. Das Urteil vom 6.3.1979: Beteiligung des Betriebsrats bei nicht arbeitskampßedingten Kündigungen Auf der gleichen Linie liegt das Urteil vom 6.3.1979. 17 Der Arbeitgeber sprach während des Arbeitskampfes eine verhaltensbedingte Kündigung wegen mangelhafter Arbeitsleistung aus, ohne den Betriebsrat anzuhören. Das BAG hielt diese Kündigung für unwirksam. Die Anhörung des Betriebsrats gem. § 102 Abs. 1 BetrVG, so entschied das Gericht, sei auch während eines Streiks erforderlich, wenn der Arbeitgeber aus anderen als arbeitskampfbedingten Gründen kündige. Eine Einschränkung der Beteiligungsrechte wegen des arbeitskampfrechtlichen Grundsatzes der Waffengleichheit oder wegen Überforderung des Betriebsrats komme nicht in Betracht bei personellen Maßnahmen des Arbeitgebers, die mit der Kampfabwehr nichts zu tun haben und keine Auswirkungen auf das Kampfgeschehen entfalten. 18

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BAG AP Nr. 58 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 281 R. BAG AP Nr. 58 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 281 R. 14 BAG AP Nr. 57 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 276. 15 BAG AP Nr. 60 zu Art. 9 GG Arbeitskampf = BAGE 30, S. 86 = EzA § 102 BetrVG 1972 Nr. 33 = SAE 1980, S. 129 = BB 1978, S. 1064 = DB 1978, S. 1501. 16 BAG AP Nr. 60 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 295. 17 BAG AP Nr. 20 zu § 102 BetrVG 1972 = EzA § 102 BetrVG 1972 Nr. 40 = SAE 1980, S. 221 = BB 1979, S. 1142 = DB 1979, S. 1464. 18 BAG AP Nr. 20 zu § 102 BetrVG 1972, Bl. 199. 13

Α. Rechtsprechung

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5. Der Beschluß vom 24.4.1979: Einschränkung der betrieblichen Mitbestimmung bei arbeitskampßedingter Arbeitszeitverlängerung A m 24.4.1979 hatte das BAG darüber zu befinden, ob der Betriebsrat gem. § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG mitzubestimmen habe, falls der Arbeitgeber, dessen Betrieb von einem Streik betroffen ist, die betriebsübliche Arbeitszeit für arbeitswillige Arbeitnehmer vorübergehend verlängern will. 1 9 Das Gericht war der Ansicht, hier sei das Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG sowohl bei einem rechtmäßigen als auch bei einem rechtswidrigen Streik ausgeschlossen. Für den Fall des rechtmäßigen Streiks hat das BAG seine Entscheidung mit dem Grundsatz der Chancengleichheit der Tarifparteien begründet. Dieser Grundsatz gehöre zu den sachbedingten Voraussetzungen der Tarifautonomie, die durch Art. 9 Abs. 3 GG gewährleistet werde. Die verfassungsrechtlich geschützte Tarifautonomie habe gegenüber den Mitbestimmungsrechten des Betriebsverfassungsgesetzes den Vorrang. Die Rechte des Betriebsrats müßten daher weichen, soweit die Kampffähigkeit des Arbeitgebers beeinträchtigt werden könne. Bei der Anordnung streikbedingter Überstunden entfalle das Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG, da der Betriebsrat sonst eine Abwehrmaßnahme des Arbeitgebers verhindern oder zumindest (bis zur Entscheidung der Einigungsstelle) erheblich hinauszögern könnte. 20 Auch bei einem rechtswidrigen Streik scheide die Beteiligung nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG aus. Der Betriebsrat befinde sich in einer schwer zu bewältigenden Konfliktsituation, wenn er bei Maßnahmen mitzubestimmen hätte, die der Arbeitgeber zur Abwehr eines rechtswidrigen Streiks treffe. Angesichts der Konfrontation zwischen Arbeitgeber und rechtswidrig streikender Belegschaft müßte sich der Betriebsrat für eine der beiden Seiten entscheiden. Er sei überfordert, in dieser Konfliktlage sein Mitbestimmungsrecht sachgemäß auszuüben. Es bestehe die Gefahr, daß der Betriebsrat aus Solidaritätserwägungen die Partei der Streikenden ergreife. 21

19 BAG AP Nr. 63 zu Art. 9 GG Arbeitskampf = BAGE 31, S. 372 = EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 34 = SAE 1979, S. 300 = BB 1979, S. 1348 = DB 1979, S. 1655. 20 BAG AP Nr. 63 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 310 R. 21 BAG AP Nr. 63 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 310 R f.

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2. Kapitel: Meinungsstand in Rechtsprechung und Schrifttum 6. Die Beschlüsse vom 22.12.1980: Lohnrisiko und betriebliche Mitbestimmung bei Arbeitszeitverkürzungen im mittelbar kampßetröffenen Betrieb

Zur Mitbestimmung des Betriebsrats im mittelbar arbeitskampfbetroffenen Betrieb nahm das BAG am 22.12.1980 in zwei Entscheidungen Stellung. 22 Das Gericht vertrat die Auffassung, der Arbeitgeber des mittelbar betroffenen Betriebes sei berechtigt, Lohnzahlung und Beschäftigung zu verweigern, wenn die Fernwirkungen eines Arbeitskampfes das Kräfteverhältnis der kampffuhrenden Parteien zum Nachteil der Arbeitgeber beeinflussen könnten. Dies gelte sowohl fur den Fall, daß die Produktion im mittelbar betroffenen Betrieb wegen Abnahmerückganges wirtschaftlich sinnlos geworden sei, weil ein Abnehmer mit einem Arbeitskampf überzogen werde 23 , als auch dann, wenn die Produktion im mittelbar betroffenen Betrieb aufgrund eines Mangels an Vormaterial aus betriebstechnischen Gründen unmöglich werde, weil ein Zulieferer durch einen Arbeitskampf ausfalle. 24 Unerheblich sei, ob die Produktionsstörung auf einem rechtmäßigen Streik oder einer rechtmäßigen Aussperrung beruhe. 25 Diese arbeitskampfrechtlichen Risikogrundsätze seien den Betriebspartnern rechtlich vorgegeben. Der Arbeitgeber, der nach diesen Grundsätzen keinen Lohn zu zahlen brauche, dürfe die betriebsübliche Arbeitszeit verkürzen, ohne den Betriebsrat hinsichtlich der Voraussetzungen und des Umfanges, also hinsichtlich des „Ob" der Arbeitszeitverkürzung, zu beteiligen. Insofern erfahre das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats aus § 87 Abs. 1 Nr. 2, 3 BetrVG eine Einschränkung. 26 Demgegenüber bleibe die Regelung der Modalitäten, also das „Wie" der Arbeitszeitverkürzung, weiterhin gem. § 87 Abs. 1 Nr. 2, 3 BetrVG mitbestimmungspflichtig, soweit ein Regelungsspielraum bestehe.27 Die Rechtsprechung zur Einschränkung der Beteiligungsrechte im direkt bestreikten Betrieb lasse sich auf diesen Fall nicht übertragen. Im nur mittelbar kampfbetroffenen Betrieb komme es nicht zu der arbeitskampftypischen Konfrontation zwischen Belegschaft und Arbeitgeber. Daher fehle es an einer (den Betriebsrat mögli22

BAG AP Nr. 70, 71 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. BAG AP Nr. 70 zu Art. 9 GG Arbeitskampf = BAGE 34, S. 331 = EzA § 615 BGB Betriebsrisiko Nr. 7 = SAE 1981, S. 197 = BB 1981, S. 609 = DB 1981, S. 321. 24 BAG AP Nr. 71 zu Art. 9 GG Arbeitskampf = BAGE 34, S. 355 = EzA § 615 BGB Betriebsrisiko Nr. 8 = SAE 1981, S. 205 = BB 1981, S. 609 = DB 1981, S. 327. 25 BAG AP Nr. 71 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 594 R, 597 R. 26 BAG AP Nr. 70 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 585, 592 R. 27 BAG AP Nr. 70 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 591 R, AP Nr. 71 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 597. 23

Α. Rechtsprechung

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cherweise überfordernden) Konfliktsituation, die zu einem Wegfall der Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 2, 3 BetrVG führen könne. 28 Die Ausübung des auf die Modalitäten der Arbeitszeitverkürzung beschränkten Mitbestimmungsrechts störe auch nicht die Chancengleichheit der Arbeitskampfjparteien, weil die bloße „Mangelverwaltung" dem Betriebsrat keine Möglichkeit gebe, den Verlauf des Arbeitskampfes zu beeinflussen. 29 Mißbrauche der Betriebsrat sein Mitbestimmungsrecht, um die mitbestimmungsfreie Entscheidung des Arbeitgebers über das „Ob" der Arbeitszeitverkürzung zu blockieren oder zu verzögern, so sei dies rechtswidrig und müsse vom Arbeitgeber mit den Mitteln des Rechts bekämpft werden. 30 Anders stelle sich die Rechtslage dar, wenn Teile der vom Betriebsrat vertretenen Belegschaft selbst streiken: Dann soll die Mitbestimmung des Betriebsrats bei einer vorübergehenden Arbeitszeitverkürzung ganz entfallen. Dieses Ergebnis stützt das BAG auf die Neutralitätspflicht des Betriebsrats gem. § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG. 31 7. Der Beschluß vom 16.12.1986: Einschränkung der betrieblichen Mitbestimmung bei arbeitskampfbedingter Umgestaltung von Werksausweisen Dem Beschluß des BAG vom 16.12.198632 lag folgender Sachverhalt zugrunde: Der verbandsangehörige Arbeitgeber wollte, einem Beschluß des Arbeitgeberverbandes folgend, die gewerblichen Arbeiter des Betriebes, nicht aber die Angestellten aussperren. Um die ausgesperrten gewerblichen von den nicht ausgesperrten angestellten Mitarbeitern unterscheiden zu können, ließ der Arbeitgeber den Werksausweis der Angestellten durch einen Aufkleber besonders kennzeichnen. Das BAG entschied, der Arbeitgeber dürfe diese Maßnahme mitbestimmungsfrei durchführen. Zwar unterliege die Einführung, Ausgestaltung und Nutzung eines Werksausweises nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG der Mitbestimmung des Betriebsrats. Hier diene jedoch die anderweitige Gestaltung des Werksausweises der praktischen Durchführung der Aussperrung. Es handele sich mithin, ebenso wie bei der Aussperrung selbst, um eine Maßnahme des 28 BAG AP Nr. 70 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 593; AP Nr. 71 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 597 R. 29 BAG AP Nr. 70 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, BL 593; AP Nr. 71 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, BL 597 R. 30 BAG AP Nr. 70 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, BL 593. 31 BAG AP Nr. 71 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, BL 594 R. 32 BAG AP Nr. 13 zu § 87 BetrVG 1972 Ordnung des Betriebes = BAGE 54, S. 36 = EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 64 = SAE 1989, S. 243 = NZA 1987, S. 355 = BB 1987, S. 683 = DB 1987, S. 791.

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2. Kapitel: Meinungsstand in Rechtsprechung und Schrifttum

Arbeitskampfes. Die bisherige Rechtsprechung des Senats betreffe Maßnahmen während des Arbeitskampfes. Maßnahmen des Arbeitskampfes seien in keinem Falle mitbestimmungspflichtig. Anderenfalls wäre der Betriebsrat unmittelbar in der Lage, eine Arbeitskampfmaßnahme selbst zu verhindern oder zu verzögern. Die Arbeitgeberseite wäre dann nicht mehr frei in ihrer Entscheidung, ob und wie eine Arbeitskampfmaßnahme durchgeführt werden soll. 33 Es sei auch kein Interesse der Belegschaft an einer Mitgestaltung bei der Kennzeichnung der Werksausweise nicht ausgesperrter Arbeitnehmer ersichtlich. Die Maßnahme berühre keine Belange der Arbeitnehmer, zu deren Wahrnehmung dem Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht eingeräumt werde. 34 8. Der Beschluß vom 26.1.1988: Auskunftsanspruch hinsichtlich arbeitskampfbedingter Sonderzuwendungen nach Beendigung des Arbeitskampfes Am 26.1.1988 hatte das BAG darüber zu befinden, ob dem Betriebsrat nach Beendigung des Arbeitskampfes ein Auskunftsanspruch gem. § 80 Abs. 2 S. 2 BetrVG hinsichtlich arbeitskampfbedingter Sonderzuwendungen des Arbeitgebers (sog. Streikbruchprämien) zusteht.35 Der Betriebsrat interessierte sich für die Vergabekriterien und die Höhe der Zahlungen sowie für den betroffenen Personenkreis. Das BAG hat einen Auskunftsanspruch bejaht. Der Betriebsrat bedürfe der Unterrichtung, um feststellen zu können, ob ihm ein Beteiligungsrecht zustehe. Ein Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG sei im Hinblick auf die ausgezahlte Sonderzuwendung nicht offensichtlich ausgeschlossen.36 § 74 Abs. 2 BetrVG stehe dem Auskunftsanspruch nicht entgegen. Der Betriebsrat ergreife keine Arbeitskampfmaßnahmen gegen den Arbeitgeber, wenn er Auskunft verlange und gegebenenfalls weitere Mitbestimmungsrechte geltend mache. Eine Störung des Arbeitsablaufs oder des Betriebsfriedens sei nicht zu besorgen. 37 Da der Arbeitskampf bereits beendet war, als der Betriebsrat die Auskunft begehrte, könne er im vorliegenden Fall durch die Ausübung von Beteiligungsrechten auch nicht die Kampfparität stören und den Arbeitskampf beeinflussen. 38

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BAG AP Nr. 13 zu § 87 BetrVG 1972 Ordnung des Betriebes, Bl. 1075 R f. BAG AP Nr. 13 zu § 87 BetrVG 1972 Ordnung des Betriebes, Bl. 1076 R. 35 BAG AP Nr. 31 zu § 80 BetrVG 1972 = EzA § 80 BetrVG 1972 Nr. 32 = SAE 1988, S. 328 = NZA 1988, S. 620 = BB 1988, S. 1387 = DB 1988, S. 1551. 36 BAG AP Nr. 31 zu § 80 BetrVG 1972, Bl. 825. 37 BAG AP Nr. 31 zu § 80 BetrVG 1972, Bl. 826 R. 38 BAG AP Nr. 31 zu § 80 BetrVG 1972, Bl. 827. 34

Α. Rechtsprechung

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9. Der Beschluß vom 10.2.1988: Beteiligung des Betriebsrats bei der Durchführung von Lehrgängen für Streikbrecher im Vorfeld des Arbeitskampfes In der Entscheidung des BAG vom 10.2.198839 ging es um Maßnahmen im Vorfeld des Arbeitskampfes. Der Arbeitgeber führte ohne Beteiligung des Betriebsrats Lehrgänge für seine Mitarbeiter durch. Die Lehrgangsteilnehmer sollten im Falle eines Arbeitskampfes die Aufgaben von streikenden Arbeitskollegen in einem anderen Betrieb übernehmen. Nach Ansicht des BAG hätte der Betriebsrat hierbei nach Maßgabe des § 98 Abs. 3 und Abs. 4 BetrVG mitbestimmen müssen. Eine Einschränkung des Beteiligungsrechts entsprechend den Grundsätzen der bisherigen Rechtsprechung komme nicht in Frage. Diese Rechtsprechung gelte nur für unmittelbar arbeitskampfbetroffene Betriebe. 40 Das Mitbestimmungsrecht lasse sich auch nicht mit der Begründung ausschließen, der Betriebsrat sei bei Maßnahmen des Arbeitskampfes in keinem Fall zu beteiligen. Die Durchführung der Lehrgänge sei keine Maßnahme des Arbeitskampfes selbst. Eine solche Maßnahme möge der tatsächliche Einsatz der Lehrgangsteilnehmer auf den Arbeitsplätzen der Streikenden sein, insoweit scheide eine Beteiligung des Betriebsrats gem. § 99 BetrVG aus. Die Lehrgänge dienten jedoch nur der Vorbereitung einer derartigen Arbeitskampfmaßnahme. Dieser Bezug auf eine Kampfmaßnahme reiche zur Beschränkung der Beteiligugungsrechte nicht aus, da eine Vielzahl von Vorbereitungsmaßnahmen des Arbeitgebers denkbar seien. Würde man bei allen Vorbereitungsmaßnahmen die Beteiligung des Betriebsrats entfallen lassen, so liefe das auf eine weitgehende Suspendierung der Betriebsverfassung hinaus. Daher komme eine Einschränkung von Beteiligungsrechten an Vorbereitungshandlungen für Arbeitskampfmaßnahmen nur dann in Betracht, wenn die Freiheit des Arbeitgebers, Kampfmaßnahmen zu ergreifen oder Folgen eines Arbeitskampfes zu begegnen, durch die Beteiligung des Betriebsrats in ihrem Kernbereich beeinträchtigt wäre. Eine solche Beeinträchtigung sei aber im vorliegenden Fall nicht gegeben.41

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BAG AP Nr. 5 zu § 98 BetrVG 1972 = BAGE 57, S. 295 = EzA § 98 BetrVG 1972 Nr. 4 = SAE 1989, S. 30 = NZA 1988, S. 549 = BB 1988, S. 1326 = DB 1988, S. 1325. 40 BAG AP Nr. 5 zu § 98 BetrVG 1972, Bl. 511. 41 BAG AP Nr. 5 zu § 98 BetrVG 1972, Bl. 511 R f.

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2. Kapitel: Meinungsstand in Rechtsprechung und Schrifttum

10. Der Beschluß vom 19.2.1991: Beteiligung des Betriebsrats bei Versetzungen von Arbeitnehmern in ein bestreiktes Tochterunternehmen Eine weitere Entscheidung des BAG zur Problematik der betrieblichen Mitbestimmung im Arbeitskampf erging am 19.2.1992.42 Ein Arbeitgeber setzte ohne den Betriebsrat zu beteiligen - vorübergehend mehrere Arbeitnehmer in einem Tochterunternehmen ein, das bestreikt wurde. Der Betriebsrat machte geltend, hier handele es sich um mitbestimmungspflichtige Versetzungen gem. § 99 BetrVG. Das BAG entschied, arbeitskampfrechtliche Erwägungen seien in diesem Fall nicht geeignet, eine Beschränkung der Beteiligungsrechte zu begründen. Die Beschränkung setze voraus, daß sich der Arbeitgeber selbst im Arbeitskampf befinde. Daran fehle es, da nicht der Betrieb des Arbeitgebers, sondern ein anderes Unternehmen bestreikt werde, das überdies einem anderen fachlichen Tarifbereich als der Arbeitgeber angehöre. 43 Im Ergebnis hat das BAG allerdings ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats verneint, weil keine i. S. des § 95 Abs. 3 S. 1 BetrVG erhebliche Veränderung der Arbeitsumstände vorliege. 44

Streikteilnahme

11. Der Beschluß vom 30.8.1994: und Gleitzeitregelung in Betriebsvereinbarungen

Von Interesse ist schließlich noch der Beschluß vom 30.8.1994, in dem das BAG sich mit der Beteiligung des Betriebsrats bei der Bewältigung von Streikfolgen auseinanderzusetzen hatte. 45 Der Arbeitgeber wollte denjenigen Arbeitnehmern, die an einem Kurzstreik teilnahmen, ein dementsprechend geringeres Arbeitsentgelt auszahlen. Der Betriebsrat war dagegen der Ansicht, der Arbeitgeber müsse die wegen der Streikteilnahme ausgefallene Arbeitszeit von den Gleitzeitguthaben der Arbeitnehmer abziehen. Er berief sich auf eine Betriebsvereinbarung, die für alle unbezahlten Ausfallzeiten ein solches Vorgehen vorschreibe. Das BAG nahm diesen Sachverhalt zum Anlaß, seine Rechtsprechung zur betrieblichen Mitbestimmung im Arbeitskampf zusammenzufassen; das Gericht machte darüber hinaus grundsätzliche Ausführun-

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BAG AP Nr. 26 zu § 95 BetrVG 1972 = BAGE 67, S. 236 = EzA § 95 BetrVG 1972 Nr. 24 = NZA 1991, S. 565 = SAE 1992, S. 304 = BB 1991, S. 1486 = DB 1991, S. 1627. 43 BAG AP Nr. 26 zu § 95 BetrVG 1972, Bl. 50 R f. 44 BAG AP Nr. 26 zu § 95 BetrVG 1972, Bl. 52 R f. 45 BAG AP Nr. 132 zu Art. 9 GG Arbeitskampf = NZA 1995, S. 183 = BB 1995, S. 99 = DB 1995, S. 102.

Α. Rechtsprechung

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gen zur Regelungsbefügnis der Betriebsparteien im Hinblick auf Angelegenheiten mit Arbeitskampfbezug. Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats sei nach der ständigen Rechtsprechung des BAG eingeschränkt bei Vorbereitungshandlungen des Arbeitgebers fur Arbeitskampfmaßnahmen und bei Maßnahmen zur Abwehr von Folgen eines Arbeitskampfes. Dies gelte etwa für folgende Maßnahmen. Anordnung von Überstunden für arbeitswillige Arbeitnehmer während des Streiks, Veränderung der Werksausweise nicht ausgesperrter Arbeitnehmer, arbeitskampfbedingte Einstellungen, Versetzungen und Entlassungen. Voraussetzung für eine Beschränkung der betrieblichen Mitbestimmung sei, daß durch die Beteiligung des Betriebsrats die Freiheit des Arbeitgebers, Arbeitskampfmaßnahmen zu ergreifen oder den Folgen eines Arbeitskampfes zu begegnen, unmittelbar in ihrem Kernbereich beeinträchtigt sei. Dies folge aus dem Grundsatz der Chancengleichheit, der eine Funktionsvoraussetzung der durch Art. 9 Abs. 3 GG garantierten Tarifautonomie darstelle. Keine Einschränkung der Beteiligungsrechte bedürfe es bei Maßnahmen, die zwar während des Kampfgeschehens getroffen werden, aber mit der Kampfabwehr nichts zu tun haben und keine Wirkung auf das Kampfgeschehen entfalten. 46 Diese Grundsätze greifen nach Ansicht des BAG im Streitfall allerdings nicht ein, da der Betriebsrat kein Mitbestimmungsrecht geltend mache, sondern sich auf eine freiwillige Betriebsvereinbarung berufe. Auch für freiwillige Betriebsvereinbarungen zieht das BAG indes eine Grenze. Die Betriebsparteien dürften keine Regelungen treffen, welche die Kampfparität beeinträchtigten. Die von Art. 9 Abs. 3 GG geschützte Chancengleichheit der Tarifvertragsparteien sei der Verfügung durch Betriebsvereinbarungen entzogen. Diese Grenze sei durch die in Frage stehende Gleitzeitregelung nicht überschritten, da die negativen Streikfolgen für die Arbeitnehmer nur verlagert würden. 47 Das BAG hielt jedoch im Ergebnis den Arbeitgeber für berechtigt, das Arbeitsentgelt entsprechend der Streikausfallzeit zu kürzen, denn die Betriebsvereinbarung lasse sich nicht dahin auslegen, daß der Arbeitgeber auch streikbedingte Arbeitsausfalle in den Zeitausgleich einbeziehen müsse.48 12. Zusammenfassung Zusammenfassend läßt sich sagen, daß das BAG um einen Mittelweg bemüht ist. Es vertritt die Auffassung, der Betriebsrat sei während des Arbeitskampfes nicht generell funktionsunfähig. Nach seiner bisherigen Rechtspre46 47 48

BAG AP Nr. 132 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, BL 692. BAG AP Nr. 132 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, BL 692 R. BAG AP Nr. 132 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, BL 693 f.

3 Jansen

2. Kapitel: Meinungsstand in Rechtsprechung und Schrifttum

34

chung sind allerdings die Beteiligungsrechte aus den §§87 Abs. 1 Nr. 1 und 3, 102 Abs. 1, 103 Abs. 1 BetrVG bei arbeitskampfbedingten Maßnahmen einzuschränken, falls ein Betrieb unmittelbar vom Arbeitskampf betroffen ist. Das Gericht hat mehrfach angedeutet, das gleiche solle für die Mitbestimmung gem. § 99 BetrVG im Hinblick auf Einstellungen und Entlassungen gelten, ohne diese Frage bislang ausdrücklich entschieden zu haben. Die Begründungen für diese „arbeitskampfkonforme Auslegung" des Betriebsverfassungsrechts sind unterschiedlich. Das BAG beruft sich auf die Konfrontation zwischen Belegschaft und Arbeitgeber, die zu einer partiellen Funktionsunfähigkeit bzw. Überforderung des Betriebsrats führe, auf den arbeitskampfrechtlichen Grundsatz der Waffengleichheit (Kampfparität) sowie auf die Vorschrift des § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG. In zwei neueren Entscheidungen unterscheidet das Gericht zwischen „Maßnahmen des Arbeitskampfes", die in keinem Fall mitbestimmungspflichtig seien, und „Maßnahmen während des Arbeitskampfes", bei denen eine Einschränkung der Beteiligungsrechte aufgrund der genannten Erwägungen in Betracht komme. Sofern ein Betrieb nur mittelbar vom Arbeitskampf betroffen sei, beschränke sich das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats aus § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG auf die Modalitäten einer arbeitskampfbedingten Arbeitszeitverkürzung, wenn der Arbeitgeber nach den Grundsätzen zur Verteilung des Arbeitskampfrisikos Lohnzahlung und Beschäftigung verweigern dürfe. Der Arbeitgeber könne mitbestimmugsfrei über das „Ob" der Arbeitszeitverkürzung zu entscheiden, da die vom BAG entwickelten arbeitskampfrechtlichen Risikogrundsätze den Betriebspartnern rechtlich vorgegeben seien. Im Vorfeld des Arbeitskampfes sind die Beteiligungsrechte des Betriebsrat nach Ansicht des BAG nur ausnahmsweise einzuschränken, sofern der Arbeitgeber sonst in einem Kernbereich seiner Arbeitskampffreiheit beeinträchtigt wäre. Nach Beendigung des Arbeitskampfes sollen dem Betriebsrat keine Rechte mehr genommen werden.

II. Die Rechtsprechung der Instanzgerichte Die Instanzrechtsprechung hat bislang kontrovers entschieden. Mehrheitlich folgt sie jedoch den Vorgaben des BAG 4 9 , wobei die Gerichte im Bereich des § 99 BetrVG auch Fälle behandeln mußten, zu denen das BAG noch nicht

49

Kritisch gegenüber der BAG-Rechtsprechung zur Arbeitszeitverkürzung im mittelbar arbeitskampfbetroffenen Betrieb aber LAG Bremen, AiB 1989, S. 316 f.; ArbG Bremen, AuR 1986, S. 349. Dem BAG folgen in dieser Frage z. B. LAG Berlin, DB 1986, S. 808 f.; LAG Hamburg, DB 1984, S. 1579 ff.

Β. Schrifttum

35

ausdrücklich Stellung bezogen hat. 50 Als Gründe fur eine arbeitskampfbedingte Einschränkung von Beteiligungsrechten des Betriebsrats werden genannt: der Grundsatz der Kampfparität 51 , die Regelung des § 74 Abs. 2 BetrVG 5 2 , das Verbot des Rechtsmißbrauchs 53 sowie der Interessenkonflikt, dem die Betriebsratsmitglieder dadurch ausgesetzt seien, daß sie einerseits als Arbeitnehmer am Kampfergebnis partizipierten, andererseits als Betriebsratmitglieder zur Neutralität verpflichtet seien.54

B. Schrifttum Das Schrifttum bietet ein buntes Bild. Im wesentlichen lassen sich jedoch drei Meinungsgruppen ausmachen.

I. Wegfall aller Beteiligungsrechte In der älteren Literatur wurde häufig die Auffassung vertreten, der Betriebsrat könne während des Arbeitskampfes keinerlei Beteiligungsrechte geltend machen. 55 In Arbeitskämpfen mit suspendierender Wirkung „ruhe" das Be-

50 So hat das LAG Köln, sich ausdrücklich auf die Rechtsprechung des BAG stützend, das Mitbestimmungsrecht, nicht aber das Anhörungsrecht des Betriebsrates aus § 99 BetrVG beim Einsatz von Streikbrechern verneint, DB 1993, S. 838 f.; ähnlich LAG Frankfurt a. M., DB 1991, S. 707; ArbG Frankfurt a. M., AuR 1991, S. 219; ArbG Lübeck, BB 1989, S. 2041. Demgegenüber soll nach ArbG Frankfurt a. M., AuR 1986, S. 156 f. die Mitbestimmung gem. §§ 99 ff. BetrVG auch bei arbeitskampfbedingten Versetzungen zu beachten sein; in diese Richtung auch ArbG Regensburg, AuR 1987, S. 178. Das ArbG Nürnberg will die Beteiligung nach § 99 BetrVG im mittelbar kampfbetroffenen Betrieb aufrechterhalten, AiB 1993, S. 732. - Das ArbG Hamburg hat dem BVerfG die Frage vorgelegt, ob § 99 Abs. 1 BetrVG auch insoweit mit dem Grundgesetz vereinbar ist, als der Betriebsrat bei arbeitskampfbedingten Einstellungen und Versetzungen uneingeschränkt zu beteiligen ist, BB 1996, S. 1717; das BVerfG hat die Vorlage für unzulässig erklärt, NZA 1997, S. 773. 51 LAG Frankfurt a. M., DB 1978, S. 1357 f.; LAG Berlin, NZA 1986, S. 758, 759 f. ; LAG Köln, DB 1993, S. 838; ArbG Köln, DB 1979, S. 457 ff. 52 ArbG Köln, DB 1979, S. 457 ff.; LAG Frankfurt a. M., DB 1986, S. 178 f. 53 ArbG Elmshorn, BB 1978, S. 962. 54 LAG Frankfurt a. M., DB 1986, S. 178 f. 55 Dietz (4. Aufl. 1967), §22 BetrVG Rn. 32a, §24 BetrVG Rn. 15; Galperin/Siebert (4. Aufl. 1963), §22 BetrVG Rn. 17a; Molitor, BB 1955, S. 454, 455; Neumann-Duesberg, Betriebsverfassungsrecht, S. 146 f.; Siebrecht, Arbeitskampf, S. 101, 178; so zuletzt noch Kraft, ZfA 1973, S. 243, 261 f.; Meisel, Mitwirkung Rn. 24.

36

2. Kapitel: Meinungsstand in Rechtsprechung und Schrifttum

triebsratsamt ebenso wie das Arbeitsverhältnis 56 ; in Arbeitskämpfen mit lösender Wirkung sei es zusammen mit dem Arbeitsverhältnis aufgehoben. 57 Als weitere Begründungen für eine völlige Suspendierung der Beteiligungsrechte sind genannt worden: das „Wesen des Arbeitskampfes" 58, der Grundsatz der Kampfparität 59 sowie eine Interessenkollision und Überforderung des Betriebsrats. 60

II. Teileinschränkung der Beteiligungsrechte Die heute herrschende Meinung in der Rechtslehre befürwortet eine Teileinschränkung der betrieblichen Mitbestimmung im Arbeitskampf. Die Beteiligung des Betriebsrats entfalle nur bei „arbeitskampfrelevanten" 61, „arbeitskampfbedingten" 62, „kampfbezogenen" 63 Maßnahmen des Arbeitgebers; andere wollen „Maßnahmen im Rahmen des Arbeitskampfes" 64 oder „Maßnahmen mit Arbeitskampfwirkung" 65 von der betrieblichen Mitbestimmung ausnehmen. Diese Auffassung wird auf verschiedene, meist kumulativ vorgebrachte Gesichtspunkte gestützt. 66

56

Vgl. Dietz (4. Aufl. 1967), § 22 BetrVG Rn. 32a. Vgl. Molitor, BB 1955, S. 454, 455; ebenso (für lösende Arbeitskampfmaßnahmen) Hueck/Nipperdey/Säcker, Arbeitsrecht Π/2, S. 973, 1186 f.; Nikisch, Arbeitsrecht m, S. 171 f. 58 Galperin/Siebert (4. Aufl. 1963), § 22 BetrVG Rn. 17a. 59 Kraft, ZfA 1973, S. 243, 260; Neumann-Duesberg, Betriebsverfassungsrecht, S. 143. 60 Neumann-Duesberg, Betriebsverfassungsrecht, S. 245, 147. 61 Reuter, AuR 1973, S. 1, 5; Kreutz in GK-BetrVG, § 74 BetrVG Rn. 65; Dütz, Arbeitsrecht, Rn. 683. 62 Brox in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 445; Dietz/Richardi, § 74 BetrVG Rn. 30; Kraft, Festschrift G. Müller, S. 265, 275; Wiese, NZA 1984, S. 378, 380; Wlotzke, § 74 BetrVG Aran. 3 a. 63 Meisel, Anm. zu BAG AP Nr. 20 zu § 102 BetrVG 1972, Bl. 200 R. 64 Brill, DB 1979, S. 403,404. 65 Heinze, DB Beilage 23/1982, S. 6, 8 f. 66 Daher sind etliche Verfasser in den folgenden Fußnoten mehrfach erwähnt. - Eine bemerkenswerte Begründungsvielfalt findet sich etwa bei v. Hoyningen-Huene/ Boemke, Versetzung, S. 225 f. Sie stützen die Beschränkung des § 99 BetrVG während des Arbeitskampfes auf die Neutralitätspflicht des Betriebsrats, die Konfrontation zwischen Arbeitgeber und Belegschaft, das Gebot zur vertrauensvollen Zusammenarbeit, die Staatsneutralität und die Waffengleichheit im Arbeitskampf sowie auf die Freiheit des Arbeitgebers, zu entscheiden, mit welchen Mitteln er auf den Arbeitskampf reagieren will. 57

Β. Schrifttum 1. Arbeitskampfrechtliche

37 Gesichtspunkte

Überwiegend werden Grundsätze des Arbeitskampfrechts herangezogen, um eine Beschränkung der Rechte des Betriebsrats zu begründen. Die Beteiligungsrechte seien „arbeitskampfkonform" auszulegen.67 Viele Stimmen im Schrifttum argumentieren mit dem arbeitskampfrechtlichen Grundsatz der Kampfparität: Sofern ein Beteiligungsrecht geeignet sei, die Kampfparität zwischen den Tarifgegnern zu beeinflussen, müsse es während des Arbeitskampfes eingeschränkt werden. 68 Manche stellen auf die Gegnerfreiheit und -Unabhängigkeit der Tarifparteien ab. Sie dürfe nicht durch eine Beteiligung des Betriebsrats an arbeitskampfbedingten Maßnahmen beeinträchtigt werden. 69 Teilweise wird auch der Gedanke der Staatsneutralität aufgegriffen. Der Staat verletze seine Neutralitätspflicht im Arbeitskampf wenn die Beteiii-

07 Für eine „arbeitskampfkonforme Interpretation" als erster Reuter, AuR 1973, S. 1, 2, 8; ebenso Eich, DB Beilage 9/1979, S. 2; Jene, Kurzarbeit, S. 343; Richardis Festschrift 10 Jahre Deutsche Richterakademie, S. 111, 120 f. 08 Adam, Arbeitskampfrecht, S. 204 ff.; Brox in Brox/Riithers, Arbeitskampfrecht Rn. 441; Buchner, SAE 1973. S. 42, 44; Dietz/Richardi, § 74 BetrVG Rn. 30; DM/Z, DB Beilage 14/1979, S. 13; Ehmann/Schnauder, Anm. zu BAG EzA § 615 BGB Betriebsrisiko Nr. 8, S. 123; Eich, DB Beilage 9/1979, S. 2; Hanau, Amu. zu AR-Blattei D Betriebsverfassung IX, Entscheidung 36; Hess in Hess/Schlochauer/Glaubitz, § 74 BetrVG Rn. 28; Jene, Kurzarbeit, S. 343; Küttner/Schmidt, DB 1988, S. 704; Löwisch, § 74 BetrVG Rn. 8; Löwisch/ Βittner, AR-Blattei SD Arbeitskampf IV Rn. 30; Löwisch/Rumler in Löwisch (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 762 f.; Mayer-Maly, DB 1979, S. 1305, 1312; Meisel, Anm. zu BAG AP Nr. 20 zu § 102 BetrVG 1972, Bl. 200; Otto, NZA 1992, S. 97, 104; Richardi, Anm. zu BAG AP Nr. 44 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 76 R.; ders., Festschrift 10 Jahre Deutsche Richterakademie, S. 111, 120 f.; ders. in Staudinger, Vorbem. zu §§ 611 ff. BGB Rn. 1207; Rüthers/Klosterkemper, Anm. zu BAG AP Nr. 63 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 311 R f.; Rüthers/ Henssler, Anm. zu BAG AP Nr. 13 zu AP Nr. § 87 BetrVG 1972 Ordnung des Betriebes, Bl. 1079; Schaub, Handbuch § 230 ffl 3, S. 1676; Scherer in AR-Lexikon, Friedenspflicht des Betriebsrats Π 1; Schmitt, Interessenkonflikte, S. 144 f.; Scholz/ Konzen, Aussperrung, S. 222 f.; Seiter, RdA 1979, S. 393, 397 f.; ders., SAE 1980, S. 154, 162; Stege/Weinspach, § 74 BetrVG Rn. 6; Steigerwald, Versetzung, S. 167 f.; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht^ 40 VII 1, S. 402 f.; Westerbarkev, Rechtsstellung, S. 38 flf. (zum BetrVG 1952); in diese Richtung auch Kissel, NZA 1990, S. 545, 551; Söllner, Arbeitsrecht, § 21 12, S. 118. 69 Ehmann/Schnauder, Anm. zu BAG EzA § 615 BGB Betriebsrisiko Nr. 8, S. 123; Jene, Kurzarbeit, S. 344; Reuter, AuR 1973, S. 1, 2, 8; Rüthers/Henssler, Anm. zu BAG AP Nr. 13 zu §87 BetrVG 1972 Ordnung des Betriebes, Bl. 1079 R f.; Rüthers/Klosterkemper, Anm. zu BAG AP Nr. 63 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 312; Seiter, Streikrecht, S. 371.

38

2. Kapitel: Meinungsstand in Rechtsprechung und Schrifttum

gungsrechte des Betriebsverfassungsgesetzes würden. 70

einschränkungslos

fortgelten

Einige verweisen darauf, daß die freie Wahl der Kampfmittel nicht durch die Mitbestimmung des Betriebsrats beeinträchtigt werden dürfe. 71 Andere leiten die Beschränkung der betrieblichen Mitbestimmung bei arbeitskampfbedingten Maßnahmen aus dem Vorrang der Verbandsautonomie vor der Betriebsverfassung ab. 72 2. Interessenkollision,

Überforderung

und Rechtsmißbrauch des Betriebsrats

Einige Autoren wollen den Betriebsrat vor einer Interessenkollision schützen, indem sie seine Befugnisse während des Arbeitskampfes einschränken. 73 Auf der gleichen Linie liegt die Ansicht, der Betriebsrat sei überfordert, wenn er im Arbeitskampf bestimmte Beteiligungsrechte wahrzunehmen hätte. 74 Auch mit dem Verbot des Rechtsmißbrauchs wird argumentiert: Mißbrauche der Betriebsrat seine Beteiligungsrechte, um in der Tarifauseinandersetzung Druck auf den Arbeitgeber auszuüben, so verwirke er seine Rechte.75 3. Betriebsverfassungsrechtliche

Gesichtspunkte

Eine große Gruppe im Schrifttum will die Einschränkung der Beteiligungsrechte während des Arbeitskampfes rein betriebsverfassungsrechtlich begründen. Zunehmender Beliebtheit erfreut sich der Versuch, aus § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG eine Schranke für die Ausübung von Beteiligungsrechten abzuleiten: 70

Eich, DB Beilage 9/1979, S. 2; Thiele in GK-BetrVG (3. Bearbeitung 1982), § 74 BetrVG Rn. 42. 71 Dütz, DB Beilage 14/1979, S. 14\Matthes in MünchArbR, § 323 Rn. 16; Thiele in GK-BetrVG (3. Bearbeitung 1982), § 74 BetrVG Rn. 42. 72 Dütz, Arbeitsrecht Rn. 683; Hanau, Anm. zu AR-Blattei D Betriebsverfassung IX, Entscheidung 37; Hanau/Adomeit, Arbeitsrecht Β I 5 b, S. 124; vgl. auch Heinze, Personalplanung Rn. 433; ders., SAE 1980, S. 223, 224 f. 73 Beuthien, Arbeitskampf, S. 54 f.; Hess in Hess/Schlochauer/Glaubitz, § 74 BetrVG Rn. 28; Seiter, Streikrecht, S. 371; ders., SAE 1980, S. 154, 162; ähnlich Dütz, DB Beilage 14/1979, S. 13; Ha, Lohnrisiko, S. 188. 74 Brill, DB 1979, S. 403, 404; Kraft, SAE 1979, S. 303, 304; Meisel, Anm. zu BAG AP Nr. 20 zu § 102 BetrVG 1972, Bl. 200; Rüthers/Klosterkemper, Anm. zu BAG AP Nr. 63 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 312. 75 Küttner/Schmidt, DB 1988, S. 704, 705 f.

Β. Schrifttum

39

Der Betriebsrat dürfe sich als Organ der Betriebsverfassung nicht an Maßnahmen des Arbeitskampfes beteiligen, die der Arbeitgeber im Zusammenhang mit dem Tarifkonflikt treffe. 76 Manche stellen auf § 2 Abs. 1 BetrVG ab. Sofern der Betriebsrat sein Amt nicht mehr unabhängig vom Arbeitskampf zum Wohle des Betriebes ausüben könne, müßten seine Rechte ruhen. 77 Vielfach begegnet man auch dem Hinweis auf die arbeitskampfbedingte Konfrontation zwischen Arbeitgeber und Belegschaft. Diese Konfrontation lasse keinen Raum mehr für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit i. S. der Betriebsverfassung. 78 4. Umfang der Einschränkung So unterschiedlich wie die Begründungen sind auch die Ergebnisse, zu denen die herrschende Lehre - ganz unabhängig vom jeweiligen Ansatz - bei der Frage gelangt, welche Beteiligungsrechte im Arbeitskampf entfallen müssen. Das Meinungsspektrum reicht von einem weitgehenden Ausschluß der Beteiligung 79 über vermittelnde Lösungen 80 bis zu einer nur geringfügigen Einschränkung der betrieblichen Mitbestimmung. 81 76

Boewer in MünchArbR, § 77 Rn. 64; H. W. Dietz, Friedenspflicht, S. 131 ff.; Dütz, Arbeitsrecht Rn. 683; ders., DB Beilage 14/1979, S. 14; Ehmann/Schnauder, Anm. zu BAG EzA § 615 BGB Betriebsrisiko Nr. 8, S. 123; Fitting/Kaiser/Heither/ Engels, §74 BetrVG Rn. 19; Ha, Lohnrisiko, S. 188; Häßler, Beteiligungsrechte, S. 53 ff.; Heinze, Personalplanung, Rn. 156 f., 433 f., 721; ders., SAE 1980, S. 223, 224 f.; ders., DB Beilage 23/1982, passim; Jahnke ZfA 1984, S. 69, 88; Kalb, Arbeitskampfrecht Rn. 224; Kraft, Festschrift G. Müller, S. 265, 270 f.; Kreutz in GKBetrVG, § 74 BetrVG Rn. 63 ff.; Mayer-Maly, BB 1979, S. 1305, 1312; Randerath, Kampfkündigung, S. 55 f.; Schulin in Lieb/v. Stebut/Zöllner, Arbeitskampfrecht, S. 191, 201; Seiter, SAE 1980, 154, 162; Wester/Schlüpers-Oehmen, Arbeitsrecht, S. 26; Wiese, NZA 1984, S. 378, 380 f.; ders., Festschrift H. Hubmann, S. 481, 500; so wohl auch Bieback/Mayer, AuR 1982, S. 169,174 f. 77 Dütz, Arbeitsrecht, Rn. 683; Ehmann/Schnauder, Anm. zu BAG EzA § 615 BGB Betriebsrisiko Nr. 8, S. 123; Heinze, ZfA 1988, S. 53, 86; Konzen, Anm. zu BAG AP Nr. 57-59 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Bl. 803 R; Kraft, SAE 1979, S. 303, 304; Seiter, SAE 1980, 154, 162. 78 Borrmann, DB 1978, S. 1978, 1981; Brill, DB 1979, S. 403, 404; Buchner, DB 1974, S. 530, 534; Eich, DB Beilage 9/1979, S. 2; Galperin/Löwisch, § 74 BetrVG Rn. 13; Hess in Hess/Schlochauer/Glaubitz, § 74 BetrVG Rn. 28; Konzen, Anm. zu BAG AP Nr. 57-59 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 803 R; Löwisch/Rumler in Löwisch (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 764. 79 Etwa Eich, DB Beilage 9/1979, S. 3 ff.; Heinze, DB Beilage 23/1982, S. 13 ff.; Kraft, Festschrift G. Müller, S. 265, 275 ff. 80 Etwa Bieback/Mayer, AuR 1982, S. 169, 172 f., 177 f.; Brox in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht Rn. 445 ff.; Kreutz in GK-BetrVG, § 74 Rn. 65; Richardi, FS 10 Jahre Deutsche Richterakademie, S. 111, 121 ff. 81 Häßler, Beteiligungsrechte, S. 72 ff., 178.

40

2. Kapitel: Meinungsstand in Rechtsprechung und Schrifttum

IIL Keine Einschränkung der Beteiligungsrechte Im arbeitsrechtlichen Schrifttum wird aber auch die Auffassung vertreten, während des Arbeitskampfes bestünden die gesetzlichen Befugnisse des Betriebsrats uneingeschränkt fort. 82 Das Betriebsverfassungsgesetz sehe keine Beschränkung der betrieblichen Mitbestimmung im Arbeitskampf vor. Das richterrechtliche Arbeitskampfrecht könne die gesetzliche Mitbestimmungsordnung der Betriebsverfassung nicht verdrängen. Die Begründungen für eine Suspendierung der Beteiligungsrechte seien allesamt nicht tragfähig, es müsse daher bei der Konzeption des Betriebsverfassungsgesetzes bleiben. 83

82

Berg in Däubler/Kittner/Klebe/Schneider (Hrsg.), § 74 BetrVG Rn. 20; Blanke, AiB 1993, S. 220 f.; Bobke, BIStSozArbR 1980, S. 129, 132 f.; Büchner, Streikarbeit, S. 101 ff.; Heilmann/Wahsner, DuR 1976, S. 374, 410; Herbst, AiB 1987, S. 4, 10; Jahn, Beteiligung, S. 66 ff.; Mayer, AuR 1980, S. 65, 73; ders., BIStSozArbR 1981, S. 353, 357; ders., BB 1990, S. 2482, 2487 f.; Patett, Arbeitskampffernwirkungen, S. 467 ff.; Sandvoss, Mitbestimmungsgespräch 1980, S. 72 ff.; Trittin, DB 1990, S. 322, 324; Weiss, AuR 1982, S. 265, 268; Weiss/Weyand, § 74 BetrVG Rn. 11 f.; Wolter, AuR 1979, S. 333, 335 ff. Prinzipiell ebenso Colneric in Däubler (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 680, die allerdings einseitiges Handeln des Arbeitgebers im Arbeitskampf zulassen will, wenn die Übergehung des Betriebsrats nach § 34 StGB gerechtfertigt wäre. 83 Vgl. Colneric in Däubler (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 664 ff.; Patett, Arbeitskampffernwirkungen, S. 467 ff.; Weiss, AuR 1982, S. 265 ff.; ausführlich Jahn, Beteiligung, S. 66 ff.; 129 ff., 165 ff.

3. Kapitel

Die betriebliche Mitbestimmung im Arbeitskampf als Problem einer Rechtsgebietskonkurrenz zwischen Arbeitskampf- und Betriebsverfassungsrecht A. Konkurrenz zwischen Arbeitskampfrecht und Betriebsverfassungsrecht Wenn der Betriebsrat während eines Arbeitskampfes Beteiligungsrechte geltend macht, so wird seine Rechtsstellung, wie bereits angedeutet1, durch das Aufeinandertreffen zweier Regelungsbereiche gekennzeichnet. Es besteht ein Wertungswiderspruch zwischen Arbeitskampfrecht und Betriebsverfassungsrecht. Das Betriebsverfassungsrecht gewährt dem Betriebsrat Beteiligungsrechte, um die Interessen der Belegschaft zu schützen. Der Arbeitgeber soll nicht einseitig (und möglicherweise willkürlich) Maßnahmen ergreifen können, ohne daß die Arbeitnehmer Gelegenheit erhalten, über den Betriebsrat als Repräsentativorgan ihre Belange geltend zu machen. Damit die Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat trotz der vorhandenen Interessengegensätze einigermaßen reibungslos vonstatten geht, stehen den Rechten des Betriebsrats auch Pflichten gegenüber. Er muß gem. § 2 Abs. 1 BetrVG mit dem Arbeitgeber vertrauensvoll zusammenarbeiten; er darf Arbeitsablauf und Betriebsfrieden nicht stören, § 74 Abs. 2 BetrVG. Insofern gibt die Betriebsverfassung dem Betriebsrat zwar Mitwirkungs- und Mitbestimmungsbefugnisse, die jedenfalls im sozialen Bereich die einseitige Regelungsmacht des Arbeitgebers weitgehend einschränken. Andererseits vollzieht sich die betriebliche Mitbestimmung im Rahmen eines ausgeprägten Harmoniemodells. Diese beiden Aspekte verdeutlichen, daß das Betriebsverfassungsrecht „blind4* ist für die Situation im Arbeitskampf. 2 Denn es erscheint fraglich, ob sich das betriebsverfassungsrechtliche Konzept, die Eingriffe in die Leitungsbefugnis des Arbeitgebers durch Anordnung eines Modells friedlicher Kooperation auszugleichen, während des Arbeitskampfes aufrechterhalten läßt. Zum einen ist 1 2

Vgl. o. 1. Kapitel unter B. Vgl. Patett, ArbeitskampffernWirkungen, S. 482.

42 3. Kapitel: Konkurrenz zwischen Arbeitskampf- und Betriebsverfassungsrecht nicht zu verkennen, daß sich im Arbeitskampf die betriebliche Mitbestimmung für den Arbeitgeber als besonders störend erweist. Zum anderen kann man in dieser Konfliktsituation an der Kooperationswilligkeit beider Seiten zweifeln. Gleichwohl ergeben sich aus dem Betriebsverfassungsrecht zunächst keine Anhaltspunkte dafür, daß die Beteiligungsrechte für die Zeit des Arbeitskampfes in irgendeiner Weise einzuschränken sind.3 Vielmehr erweist sich die Schutzfunktion der betrieblichen Mitbestimmung für die Belegschaft gerade im Arbeitskampf als wichtig, da hier mit einschneidenden Maßnahmen des Arbeitgebers zu rechnen ist. Prallen im Tarifkonflikt Arbeitnehmer- und Arbeitgeberinteressen aufeinander, so bedarf die Belegschaft eines kampfbetroffenen Betriebes in besonderem Maße einer wirksamen Interessenvertretung auf betrieblicher Ebene. Die Zielsetzungen des Betriebsverfassungsrechts sprechen somit dafür, die betriebliche Mitbestimmung während des Arbeitskampfes beizubehalten. Betrachtet man die Problematik rein betriebsverfassungsrechtlich, läßt sich eine Beschränkung der Beteiligungsrechte kaum begründen. Aus der Perspektive des Arbeitskampfrechts 4 stellt sich die Sache freilich ganz anders dar. Das - im wesentlichen nicht gesetzlich, sondern richterrechtlich geregelte - Arbeitskampfrecht soll eine geordnete Auseinandersetzung der sozialen Gegenspieler ermöglichen. Es ist in seiner kollektivrechtlichen Betrachtungsweise ausgerichtet auf die bilateralen Beziehungen zwischen den Arbeitskampfjparteien, die um eine Tarifregelung streiten. 5 In diesem Regelungssystem wirkt die Beteiligung einer dritten Instanz als Fremdkörper. Das gilt insbesondere dann, wenn eine gesetzlich angeordnete Drittbeteiligung nur einen der beiden Kontrahenten belastet. Unabhängig davon, ob der Arbeitgeber beim Kampf um einen Firmentarifvertrag selbst Kampfpartei ist oder ob es sich um einen Konflikt um einen Verbandstarifvertrag handelt, erschwert die Beteiligung des Betriebsrats Abwehrmaßnahmen, die der Arbeitgeber auf betrieblicher Ebene durchführen will. 6 Die betriebliche Mitbestimmung während des Arbeitskampfes könnte die Kampfchancen zugunsten der Gewerkschaften verschieben; ein ungestörter Ablauf des Tarifkonflikts wä3 Ob die Versuche überzeugen können, aus den §§2 Abs. 1, 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG eine Ausübungsschranke für die Beteiligungsrechte abzuleiten, soll im 4. Kapitel ausführlich untersucht werden. Ihrem Wortlaut nach ordnen die Vorschriften jedenfalls keine Einschränkung der betrieblichen Mitbestimmung im Arbeitskampfan. 4 Seitdem sich mit der Entscheidung des Großen Senats des BAG vom 28. 1. 1955 (BAG GS AP Nr. 1 zu Art. 9 GG Arbeitskampf) die kollektivrechtliche Betrachtungsweise des Arbeitskampfes durchgesetzt hat, muß man das Arbeitskampfrecht als eigenständiges Rechtsgebiet mit eigenständigen Wertungen ansehen. Es erfüllt die Aufgabe, die Rechtmäßigkeit von Arbeitskampfmitteln und deren arbeitsrechtliche Folgen festzulegen, vgl. Zöllner/Lontz, Arbeitsrecht, § 39 I, S. 393. 5 Kritisch zum herkömmlichen bipolaren Modell des Arbeitskampfes Richardis JZ 1992, S. 27, 32. 6 Vgl. o. 1. Kapitel unter B.

Β. Die methodische Behandlung der Rechtsgebietskonkurrenz

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re jedenfalls nicht mehr gewährleistet. Im Arbeitskampfrecht ist daher kein Platz für eine Beteiligung des Betriebsrats, es ist „blind" für das Schutzbedürfnis der Belegschaft bei betrieblichen Maßnahmen des Arbeitgebers. 7 Arbeitskampfrechtlichen Wertungen entspräche es, die betriebliche Mitbestimmung während der Tarifauseinandersetzung weitgehend außer Kraft zu setzen. Die Frage ist nun, welche Wertungen gelten sollen: die des Arbeitskampfrechts oder die des Betriebsverfassungsrechts? Das methodische Problem besteht darin, daß sowohl Arbeitskampfrecht als auch Betriebsverfassungsrecht für die Regelung der betrieblichen Situation während des Arbeitskampfes zur Verfügung stehen. Beide Rechtsgebiete „konkurrieren", so könnte man sagen, um die Regelungszuständigkeit. Es handelt sich um den Fall einer Rechtsgebietskonkurrenz. 8 Ein Konkurrenzverhältnis besteht hier nicht lediglich zwischen einzelnen Vorschriften („Normenkonkurrenz"), sondern zwischen ganzen Normbündeln, nämlich zwischen betriebsverfassungsrechtlichen Beteiligungsregeln und arbeitskampfrechtlichen Grundsätzen.

B. Die methodische Behandlung der Rechtsgebietskonkurrenz In Rechtsprechung und Literatur findet man Untersuchungen zur Konkurrenz von Rechtsnonnen9 und zur Konkurrenz von Regelungskomplexen innerhalb desselben Rechtsgebiets.10 Zur methodischen Behandlung der Konkur7

An dieser Stelle zeigt sich einmal mehr, daß es sich beim Arbeitskampfrecht um ein Teilrechtssystem handelt, das sich nicht ohne weiteres in die Gesamtrechtsordnung einpassen läßt; denn der Arbeitskampf beruht auf einer Interessenwahrnehmung durch Zwangsanwendung und widerspricht damit der sonst geltenden Rechtsordnung, vgl. Picker, DB Beilage 16/1986, S. 1; Reuß, JJb 4 (1963/64), S. 163. 8 So zutreffend Rüthers/Henssler, Anm. zu BAG AP Nr. 13 zu § 87 BetrVG 1972 Ordnung des Betriebes, Bl. 1078 R; ähnlich Richardis Festschrift 10 Jahre Deutsche Richterakademie, S. 111, 112. In der Teminologie abweichend Bieback, AuR 1978, S. 82, 92 („Konflikt zwischen Arbeitskampfrecht und Betriebsverfassung"); Bieback/Mayer, AuR 1982, S. 169, 172 („Konflikt zweier Teilrechtsordnungen"); Bobke, BIStSozArbR 1980, S. 129, 133 („Kollision zwischen Arbeitskampfrecht und Betriebsverfassungsrecht"); Jahn, Beteiligung, S. 41 („Konfliktlage von Arbeitskampf und Betriebsverfassung"), S. 43 („Spannungsfeld von Betriebsverfassung und Arbeitskampf 4); Patett, Arbeitskampffernwirkungen, S. 467, 474 ff. („Kollision zwischen Betriebsverfassungsgesetz und Arbeitskampfrecht"); Wank, ZfA 1987, S. 355, 382 („Kollision von Arbeitskampfrecht und Betriebsverfassungsrecht"); Westerbarkey, Rechtsstellung, S. 21 f. („Kollision zweier Rechtskreise"). 9 Z. B. Engisch, Einführung, S. 162 f.; ders., Einheit, S. 46 ff.; Larenz, Methodenlehre, S. 266 f.; Schwacke/Uhlig, Methodik, S. 15 ff. 10 Larenz, Methodenlehre, S. 269 f. weist auf das Konkurrenzverhältnis von Vertrags- und Deliktsrecht im BGB hin. Stellt sich ein Verhalten sowohl als Vertragsver-

44 3. Kapitel: Konkurrenz zwischen Arbeitskampf- und Betriebsverfassungsrecht renz von Rechtsgebieten sind dagegen nur spärliche Stellungnahmen zu finden. Sie befassen sich zumeist mit Spezialproblemen und behandeln das Phänomen der Rechtsgebietskonkurrenz nur am Rande.11 Selten werden allgemeinere Überlegungen zur Rechtsgebietskonkurrenz angestellt.12 Dieser Befund überrascht, denn zahlreiche umstrittene Rechtsfragen sind darauf zurückzufuhren, daß zwei Rechtsgebiete miteinander konkurrieren, ohne daß eine anerkannte Konkurrenzregel besteht.13 Angesichts der bisherigen stiefmütter-

letzung als auch als unerlaubte Handlung dar, so hat der Geschädigte zwei Ersatzansprüche, einen vertraglichen und einen deliktischen aus § 823 BGB. Zu einem Wertungswiderspruch kann es kommen, wenn die Verschuldensanforderungen im Vertragsrecht höher sind als im Deliktsrecht. Eine Beschränkung der vertraglichen Haftung (§§ 521, 599, 690, 708 BGB) muß sich regelmäßig auch auf das Deliktsrecht auswirken. Liegt nur leichte Fahrlässigkeit vor, entfallt daher nicht bloß der vertragliche, sondern auch der deliktische Schadensersatzanspruch; § 823 BGB wird insoweit eingeschränkt. 11 Etwa BVerfG NJW 1993, S. 121 f.; BGH NJW 1991, S. 42 f. (jeweils zur Rechtsgebietskonkurrenz zwischen anwaltlichem Standesrecht und ZPO beim Erlaß eines Versäumnisurteils gegen die anwaltlich vertretene Gegenpartei); Balle, NZA 1997, S. 868 ff.; Zöllner, ZfA 1985, S. 451, 453 ff. (beide zur Konkurrenz von Arbeitsrecht und Urheberrecht im Hinblick auf Urheberrechte des Arbeitnehmers); LAG Rheinland-Pfalz, NZA 1995, S. 800 if.; Buchner, NZA 1995, S. 761 ff.; Otto, NZA 1996, S. 624 ff.; Reuter, RdA 1996, S. 201 ff. (jeweils zur Problematik der Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband ohne Tarifbindung, die auf einer Rechtsgebietskonkurrenz von Verbandsrecht und Tarifrecht beruht); Denck, BB 1986, S. 252, 253 ff.; Isensee, DB 1985, 2681, 2682 ff. (beide zum Verhältnis von Arbeitskampfrecht und Sozialversicherungsrecht im Hinblick auf § 116 AFG); Joch, Mitbestimmungsgesetz; Naendrup, AuR 1977, S. 225 ff., 268 ff. (jeweils zur Konkurrenz von Mitbestimmungsrecht und Gesellschaftsrecht); Martens, JuS 1987, S. 337, 338 (Verhältnis von Arbeitsrecht und bürgerlichem Recht); Reuter, DZWiR 1996, S. 1 ff. (Rechtsgebietskonkurrenz zwischen internationalem Sportverbandsrecht und nationalem Recht); Schulze-Osterloh, AcP 190 (1990), S. 139 ff. (Wechselbeziehung zwischen Zivilrecht und Steuerrecht bei der Auslegung steuerrechtlich motivierter Verträge und zivilrechtlicher Tatbestandsmerkmale in Steuergesetzen); Schwarze, JZ 1996, S. 57 ff. (Verhältnis des deutschen Kartellrechts zum europäischen Gemeinschaftsrecht); Vogel, NJW 1985, S. 2986 ff. (zum Problem der Wertungsdivergenzen zwischen Steuer-, Zivil- und Strafrecht im Zusammenhang mit Parteispendenverfahren); Walker, Arbeitgebererbfolge (Konkurrenz von Arbeitsrecht und Erbrecht bei fehlerhaftem Vollzug der Arbeitgebererbfolge); Waltermann, Festschrift W. Gitter, S. 1039 ff. (Abstimmung von Zivilrecht und Sozialrecht am Beispiel des Schadensregresses der Sozialleistungsträger); Waltermann, RdA 1996, S. 129 ff.; Wank, RdA 1991, 129, 130 f. (jeweils zur Rechtsgebietskonkurrenz zwischen Tarifrecht und Betriebsverfassungsrecht - Abgrenzung der Regelungsbefugnisse von Tarif- und Betriebsparteien); Wernecke, AcP 195 (1995), S. 445 ff. (zur Rechtsstellung öffentlicher Sachen im Konkurrenzverhältnis von bürgerlichem und öffentlichem Recht); Willemsen, Arbeitnehmerschutz, S. 115 ff. (Konkurrenz zwischen Konkursrecht und Betriebsverfassungsrecht bei der Aufstellung eines Sozialplanes im Konkurs). 12 Vgl. aber Engisch, Einheit, S. 61 ff.; Joch, Mitbestimmungsgesetz, S. 63 ff.; Wank, Arbeitnehmer, S. 385 ff. 13 Vgl. o. Fußnote 11 sowie die unter Β ΠΙ genannten Beispiele.

Β. Die methodische Behandlung der Rechtsgebietskonkurrenz

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liehen Behandlung in der Methodenlehre erscheint es notwendig, zunächst einige allgemeine Prinzipien für die Auflösung von Rechtsgebietskonkurrenzen herauszustellen. Zentraler Gesichtspunkt ist dabei die Einheit der Rechtsordnung. 14 Die Annahme, daß die Rechtsordnung nicht in eine Vielzahl zusammenhangloser, ja möglicherweise in sich widersprüchlicher Einzelwertungen zerfallt, gehört zu den selbstverständlichen Voraussetzungen juristischer Methodik. 15 Sie zeigt sich in Gestalt der systematischer Auslegung 16 und in der Frage nach dem Sinnzusammenhang des Gesetzes.17 Der Gedanke der Einheit der Rechtsordnung beruht letztlich auf dem Gleichheitssatz.18 Die Rechtsordnung darf für vergleichbare Lebenssachverhalte nicht unterschiedliche Regeln mit unterschiedlichen Rechtsfolgen bereit stellen. 19 Das entspricht auch dem Gebot der Rechtssicherheit. 20 Wertungswidersprüche zwischen einzelnen Rechtsgebieten, die sich in der Anordnung widersprüchlicher Rechtsfolgen niederschlagen 21, müssen daher aufgelöst werden. Im Ergebnis kommen stets nur zwei Möglichkeiten in Betracht. Entweder: Eines der beteiligten Rechtsgebiete ist vorrangig und verdrängt das andere. Oder: Beide Rechtsgebiete sind gleichrangig - in diesem Fall müssen sie einander angeglichen, „harmonisiert" werden. 22

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Wank, Arbeitnehmer, S. 385 ff.; allgemein dazu Röhl, Rechtslehre, S. 458 ff. Canaris , Systemdenken, S. 13 f., 16 f.; Engisch, Einheit, S. 7 ff.; Fabricius in Fabricius/Naendrup/Schwerdtner, Arbeitsrecht, S. 1, 28; Larenz, Methodenlehre, S. 19 f., 165 ff. m. w. N. 16 Canaris, Systemdenken, S. 14. 17 Larenz, Methodenlehre, S. 487 f. 18 Vgl. Canaris, Systemdenken, S. 16, der zusätzlich auf das Gerechtigkeitsgebot zurückgreift; Pawlowski, Methodenlehre Rn. 156 ff., 475. 19 Gewisse Wertungswidersprüche zwischen einzelnen Teilrechtsordnungen werden sich nicht generell vermeiden lassen, vgl. Larenz, Methodenlehre, S. 335. Naendrup in Fabricius/Naendrup/Schwerdtner, Arbeitsrecht, S. 65, 76 weist darauf hin, daß die vielen, teilweise gewollten Widersprüche und Lücken moderner Sozialordnungsgesetze den Wertpluralismus unserer Zeit widerspiegeln, der auf System Verwerfungen angelegt ist. Wenn aber Wertungswidersprüche zu „Rechtsfolgenwidersprüchen" führen, so besteht Bedarf fiir eine methodengerechte Auflösung des Konfliktes, da stets nur eine Rechtsfolge gelten kann. 20 Canaris, Systemdenken, S. 17 f. 21 Das ist bei der Rechtsgebietskonkurrenz zwischen Arbeitskampfrecht und Betriebsverfassungsrecht der Fall: Betriebsverfassungsrechtlich wird die Weitergeltung der betrieblichen Mitbestimmung im Arbeitskampf angeordnet, arbeitskampfrechtlich liegt dagegen eine Beschränkung nahe. 22 Wank, Arbeitnehmer, S. 386; vgl. auch Willemsen, Arbeitnehmerschutz, S. 118. 15

46 3. Kapitel: Konkurrenz zwischen Arbeitskampf- und Betriebsverfassungsrecht

I. Gesetzliche Konkurrenzregeln Teilweise ergibt sich die Auflösung der Rechtsgebietskonkurrenz aus dem Gesetz selbst. Wenn eines der beteiligten Rechtsgebiete eine Vorschrift enthält, die das Verhältnis der beiden Gebiete ausdrücklich regelt, dann ist der Rechtsanwender daran gebunden. Aus diesem Grund muß man zunächst die konkurrierenden Rechtsgebiete nach einer solchen Vorschrift durchforsten. § 116 AFG (§ 146 SGB III) ist ein Beispiel für eine gesetzliche Konkurrenzregel. Geregelt wird das Konkurrenzverhältnis zwischen Arbeitskampfrecht und Sozialversicherungsrecht. 23 Während des Arbeitskampfes kann es geschehen, daß Arbeitnehmer eines kampfbetroffenen Betriebes entlassen werden oder daß der Arbeitgeber die betriebliche Arbeitszeit vorübergehend verkürzt. Nach den §§ 63 ff., 100 ff. AFG müßte die Bundesanstalt für Arbeit in diesem Fall Kurzarbeiter- bzw. Arbeitslosengeld an die Arbeitnehmer zahlen. Das stellt allerdings einen bedenklichen Eingriff in den Arbeitskampf dar. Dadurch, daß die Arbeitnehmer sozialversicherungsrechtliche Leistungen erhalten, wird die Bundesanstalt für Arbeit in das Arbeitskampfgeschehen eingeschaltet. Sie könnte, indem sie ihre Leistungen einseitig der Arbeitnehmerseite gewährt, die Arbeitskampfchancen der Arbeitgeber schmälern. Arbeitskampfrechtrechtlich betrachtet, ist in dieser Situation die Zahlung von Kurzarbeiter· und Arbeitslosengeld nach dem Arbeitsförderungsgesetz unerwünscht. Somit liegt ein Fall der Rechtsgebietskonkurrenz vor: Arbeitskampfund Sozialversicherungsrecht widersprechen einander. Gäbe es § 70 AFG (§ 174 SGB III) und § 116 AFG nicht, müßte man erhebliche Anstrengungen aufwenden, um dieses Konkurrenzverhältnis aufzulösen. So aber stellt der Gesetzgeber eine (allerdings mit zahlreichen Zweifelsfragen behaftete 24) Konkurrenzregel zu Verfügung. §116 AFG löst die Rechtsgebietskonkurrenz durch eine Angleichung arbeitskampfrechtlicher und sozialversicherungsrechtlicher Wertungen, unter den in § 116 Abs. 2, Abs. 3 AFG genannten Voraussetzungen ruhen die Ansprüche der betroffenen Arbeitnehmer, im übrigen bleiben sie bestehen. Man mag den § 116 AFG für rechtspolitisch mißlungen halten 25 - als Konkurrenzregel ist die Norm gleichwohl bindend und darf nicht durch eigene Wertungen des Rechtsanwenders überspielt werden.

23 Vgl. Säcker, Gruppenparität, S. 85: „Die Norm will gerade Wertungswidersprüche zwischen Arbeitskampfrecht und Sozialrecht vermeiden". 24 Zu Auslegungsproblemen, die sich im Rahmen des § 116 AFG stellen, vgl. BSG, SAE 1993, S.l, 15 ff. 25 Vgl. etwa Zachert, AiB 1994, S. 646 ff.

Β. Die methodische Behandlung der Rechtsgebietskonkurrenz

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Eindeutige gesetzliche Konkurrenzregeln sind indessen selten. 26 Häufig ist es zweifelhaft, ob eine Vorschrift die gesuchte Konkurrenzregel darstellt oder nicht. Antwort auf diese Frage gibt die Auslegung der Norm. Läßt sich dem Gesetz nach Wortlaut, Systematik, Enstehungsgeschichte sowie Sinn und Zweck eine Aussage zum Verhältnis der Rechtsgebiete entnehmen, so bedarf es keiner weiteren Überlegungen mehr. Anderenfalls muß man selbständig das Konkurrenzverhältnis daraufhin untersuchen, ob eine Vorrang- oder eine Angleichungslösung in Betracht kommt.

IL Vorranglösung Die Vorranglösung ist für die Rechtsanwendung wesentlich einfacher zu handhaben als die Angleichungslösung. Die Regeln des vorrangigen Rechtsgebiets verdrängen die Regeln des nachrangigen Gebiets, um einen Angleichungsmaßstab braucht man sich nicht weiter zu bemühen. Es erscheint daher sinnvoll, vorab zu klären, inwiefern ein Rangverhältnis zwischen den konkurrierenden Rechtsgebieten besteht. Problematisch ist, daß es für die Fälle der Rechtsgebietskonkurrenz kaum anerkannte Rangregeln gibt. Zwar existieren für die Konkurrenz von Rechtsnormen (Gesetzeskonkurrenz) solche Regeln 27 , sie sind jedoch nicht ohne weiteres auf Rechtsgebietskonkurrenzen übertragbar. Der Grundsatz, das speziellere Gesetz verdränge das allgemeinere (lex specialis derogat legi generali), paßt nur selten auf Rechtsgebiete.28 Es läßt sich nämlich schlecht begründen, welches von zwei Rechtsgebieten das speziellere ist; die Entscheidung wäre in den meisten Fällen willkürlich und wenig überzeugend. Auch die Regel, das spätere Gesetz sei vorrangig gegenüber dem früheren (lex posterior derogat legi priori), kann nicht ohne weiteres auf Rechtsgebietskonkurrenzen angewandt werden. Der Gesetzgeber mag bei der Neuschaffung eines Rechtsgebiets die Konkurrenzproblematik schlicht übersehen haben, so daß ein Vor-

26 Ein anderes Beispiel ist § 71 Abs. 3 S. 4 BPersVG: Die Vorschrift ordnet im Hinblick auf die Konkurrenz von Haushaltsrecht und Personalvertretungsrecht einen Vorrang des Haushaltsrechts an, den die Einigungsstelle zu beachten hat. 27 Vgl. Bydlinski, Methodenlehre, S. 465, 572 f.; Larenz, Methodenlehre, S. 266 ff.; Zippelius, Methodenlehre, S. 33 f. 28 Ein Spezialitätsverhältnis kann zwischen Sonderordnungsrecht und dem allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht bestehen. So ist das Versammlungsrecht insofern spezieller (und damit gegenüber dem allgemeinen Ordnungsrecht vorrangig), als Eingriffe bei Versammlungen nur unter der Voraussetzung einer unmittelbaren Gefahr nach § 15 VersG zulässig sind, vgl. Ridder/Breitbach/Rühl/Steinmeier, § 15 VersG Rn. 38 m. w. N.; für Maßnahmen im Vorfeld einer aktuellen Versammlung soll jedoch weiterhin das allgemeine Polizei- und Ordnungsrecht gelten, vgl. Dietel/Gintzel/Kniesel, § 15 VersG Rn. 6 m. w. N.

48 3. Kapitel: Konkurrenz zwischen Arbeitskampf- und Betriebsverfassungsrecht rang des neueren Rechtsgebiets zu unbefriedigenden Ergebnissen fuhren würde. Angesichts der Tatsache, daß häufig einzelne Vorschriften eines Rechtsgebiets geändert werden, ist schon die Feststellung kaum zu treffen, welches Gebiet das „spätere" ist. Das gilt insbesondere dann, wenn eines der konkurrierenden Rechtsgebiete nicht gesetzlich, sondern, wie das Arbeitskampfrecht, überwiegend richterrechtlich geregelt ist. Als taugliche Rangregel für die Auflösung von Rechtsgebietskonkurrenzen bleibt somit der allgemein anerkannte Grundsatz, daß höherstufiges Recht niedrigeres Recht verdrängt. 29 So ist das Europarecht vorrangig gegenüber dem nationalem Recht; der Verfassung kommt gegenüber dem einfachen Gesetz Vorrang zu; nach Art. 31 GG geht Bundesrecht jeglicher Rangstufe dem Landesrecht vor. Eine auf Art. 31 GG gestützte Vorranglösung greift beispielsweise bei der Rechtsgebietskonkurrenz zwischen Straßen- und Straßenverkehrsrecht 30 ein. Die Nutzung der öffentlichen Straßen und Wege wird einerseits durch die Vorschriften des Straßenrechts, nämlich das Fernstraßengesetz des Bundes und die Straßengesetze der Länder, andererseits aber auch durch das Straßenverkehrsrecht (StVG, StVO, StVZO) geregelt. Beide Rechtsgebiete können sich wegen des gleichzeitigen Bezugs auf das Objekt „Straße" überschneiden; es kann sein, daß derselbe Sachverhalt von beiden Rechtsgebieten erfaßt wird und daß mit den Mitteln beider Materien auf ihn reagiert werden kann. 31 Konkurrieren dabei landesrechtliches Straßenrecht und bundesrechtliches Straßenverkehrsrecht, dann ist das Bundesrecht nach Art. 31 GG vorrangig. 32 Deshalb sind die Befugnisse der nach Straßenrecht zuständigen Straßenbaubehörde beschränkt. 33 Andererseits reicht der Vorrang des Straßenverkehrsrechts nur soweit, wie der Bund seine Kompetenz nach Art. 74 Nr. 22 GG ausschöpfen wollte. 34 Es gilt der „Vorbehalt des Straßenrechts". Die straßenrechtliche Widmung legt den Nutzungsrahmen fest, den die Straßenverkehrsvorschriften nicht wieder aufheben dürfen. 35

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Vgl. zum Stufenbau der Rechtsordnung etwa Röhl, Rechtslehre, S. 293 ff. Dazu insbesondere Cosson, DÖV 1983, S. 532 ff.; Steiner, JuS 1884, S. 1 ff. 31 Bismark, BayVBl. 1983, S. 456,457 f.; Steiner, JuS 1984, S. 1, 3. 32 Steiner, JuS 1984, S. 1, 8. Bismark, BayVBl. 1983, S. 456, 458 stellt zur Auflösung des Konkurrenzverhältnisses auf die Verkehrsfiinktion der Straße als entscheidendes Kriterium ab und gelangt so gleichfalls zu einem Vorrang des Straßenverkehrsrechts. 33 Vgl. etwa OVG Bremen, DVB1 1962, S. 646; Steiner, JuS 1984, S. 1, 8. 34 BVerwGE 23, S. 325, 328; 56, S. 56, 58; 62, S. 376, 378 f.; Steiner, JuS 1984, S. 1,8. 35 BVerwGE 62, S. 376, 379; Steiner, JuS 1984, S. 1, 4 ff., 8. 30

Β. Die methodische Behandlung der Rechtsgebietskonkurrenz

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Sind zwei Rechtsgebiete aber auf gleicher Rangebene angesiedelt, kann im allgemeinen keines der Gebiete einen Vorrang fur sich beanspruchen. 36 In diesem Fall kommt eine Vorranglösung nur in Betracht, wenn zwingende Gründe dafür sprechen. Zu berücksichtigen sind dabei die Wertungen beider Rechtsgebiete.37

III. Angleichung der Rechtsgebiete Läßt sich nicht überzeugend begründen, warum ein Rechtsgebiet vorrangig sein soll, muß man versuchen, die konkurrierenden Rechtsgebiete einander anzugleichen. Als Ziel ist anzustreben, daß die Wertungen beider Gebiete möglichst umfassend zum Tragen kommen. Wo sich Wertungswidersprüche auftun, muß ein schonender Ausgleich erfolgen. 38 Das entspricht den Grundsätzen, die im Verfassungsrecht zur Auflösung von Grundrechtskollisionen anerkannt sind. 39 Kollidieren zwei Grundrechte oder Verfassungsprinzipien, so erfordert der Grundsatz der Einheit der Verfassung 40 eine verhältnismäßige Abstimmung der betroffenen Rechtsgüter. 41 Die Auflösung der Konfliktlage durch „Herstellung praktischer Konkordanz" 42 zielt darauf ab, beide Grundrechte zu optimaler Wirksamkeit gelangen zu lassen. 43 Als Beispiel sei das Urteil des BVerfG vom 5. Juni 1973 („Lebach") 44 genannt. Dem Urteil lag eine Verfassungsbeschwerde zugrunde, die sich gegen die Ausstrahlung eines Dokumentarspiels über den sog. Soldatenmord von Lebach im ZDF richtete. Der Beschwerdeführer, ein Tatbeteiligter, rügte, daß

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Wank,, RdA 1991, S. 129, 130. Vgl. Rüthers/Henssler, Anm. zu BAG AP Nr. 13 zu § 87 BetrVG Ordnung des Betriebes, Bl. 1078 R. 38 Wank, Arbeitnehmer, S. 386 f.; vgl. auch Joch, Mitbestimungsgesetz, S. 66, 76. 39 Dazu Stern, Staatsrecht m/2, § 81IV 5, S. 550 ff. 40 BVerfGE 1, S. 14, 32; 32, S. 19, 206, 220; 30, S. 173, 193; 32, S. 98, 108; Stern, Staatsrecht ΠΙ/2, § 81 IV 5 d, S. 560 ff., § 82 m 4, S. 653 ff. Es handelt sich dabei um einen Unterfall des allgemeinen Gedankens der Einheit der Rechtsordnung, vgl. F. Müller, Einheit, S. 92. 41 Hesse, Grundzüge Rn. 318. 42 Hesse, Grundzüge Rn. 317. 43 Dazu Larenz, Methodenlehre, S. 407, 412 („Prinzip der geringsünöglichen Einschränkung"), 475 („Optimierungsgebot"); aus dem staatsrechtlichen Schrifttum z. B. Grabitz, AöR 98 (1973), S. 568, 576 ff.; Hesse, Grundzüge Rn. 318; Kirchhof, Festschrift Lerche, S. 133, 136; F. Müller, Einheit, S. 216 ff.; Stern, Staatsrecht m/2, § 84 IV 7 a, S. 835; vgl. auch H. Schneider, Güterabwägung, S. 202 ff., der zu Recht darauf hinweist, daß die Ergebnisse von „Güterabwägung" und „praktischer Konkordanz" identisch sind. 44 BVerfGE 35, S. 202. 37

4 Jansen

50 3. Kapitel: Konkurrenz zwischen Arbeitskampf- und Betriebsverfassungsrecht in dem Fernsehspiel seine Person dargestellt und sein Name erwähnt wurde. Das ZDF berief sich auf Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG, der Beschwerdeführer auf sein Persönlichkeitsrecht gem. Art. 2 Abs. 1 i. V. mit Art. 1 Abs. 1 GG. Das BVerfG führte dazu aus: „Die Lösung dieses Konflikts hat davon auszugehen, daß nach dem Willen der Verfassung beide Verfassungswerte essentielle Bestandteile der freiheitlich demokratischen Ordnung des Grundgesetzes bilden, so daß keiner von ihnen einen grundsätzlichen Vorrang beanspruchen kann. [...] Beide Verfassungswerte müssen daher im Konfliktfall nach Möglichkeit zum Ausgleich gebracht werden; läßt sich dies nicht erreichen, so ist unter Berücksichtigung der falltypischen Gestaltung und der besonderen Umstände des Einzelfalles zu entscheiden, welches Interesse zurückzutreten hat. [...] Weiter ergibt sich [...], daß die erforderliche Abwägung auf der einen Seite die Intensität des Eingriffes in den Persönlichkeitsbereich durch eine Sendung der fraglichen Art berücksichtigen muß; auf der anderen Seite ist das konkrete Interesse, dessen Befriedigung die Sendung dient und zu dienen geeignet ist, zu bewerten und zu prüfen, ob und inwieweit dieses Interesse auch ohne eine Beeinträchtigung - oder eine so weitgehende Beeinträchtigung - des Persönlichkeitsschutzes befriedigt werden kann."4 Was für einander widersprechende Verfassungsvorschriften (im Hinblick auf die Einheit der Verfassung) gilt, läßt sich (im Hinblick auf den allgemeinen Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung) auf Rechtsgebietskonkurrenzen übertragen. Auch hier muß „praktische Konkordanz" hergestellt werden. 46 Ein Unterschied besteht indessen: Wenn die Wertungen ganzer Rechtsgebiete in Konflikt geraten, ist die Zahl der denkbaren Streitfalle regelmäßig viel höher zu veranschlagen als bei einer Normenkollision. Das legt es nahe, bei Rechtsgebietskonkurrenzen nicht auf eine Güterabwägung im Einzelfall zuzusteuern. Vielmehr sollte man versuchen, im Interesse der Rechtssicherheit eine generelle Konkurrenzregel 47 aufzustellen, die als „Faustformel" für alle in Betracht kommenden Konstellationen das Verhältnis der konkurrierenden Rechtsgebiete abklärt. Dabei sind die konfligierenden rechtlichen Wertungen und Interessen zu berücksichtigen. Aufgabe der Konkurrenzregel ist es, sie nach Möglichkeit aufeinander abzustimmen. Die Konkurrenzregel muß sozusagen eine antizipierte, vom Einzelfall losgelöste Interessenabwägung darstellen. Prüfstein für eine geglückte Angleichung der konkurrierenden Rechtsgebiete ist, ob die beteiligten Interessen angemessen zur Geltung kommen. Wie aber kann die „richtige" Konkurrenzregel herausgearbeitet werden? Das hängt im wesentlichen davon ab, welche Rechtsgebiete miteinander kon-

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BVerfGE 35, S. 202, 225 f. Vgl. auch Joch, Mitbestimmungsgesetz, S. 187 ff., 222 f., 281 ff. 47 Vgl. Alexy, Grundrechte, S. 84, der bei Prinzipienkollisionen ein „Kollisionsgesetz" aufstellen will. 46

Β. Die methodische Behandlung der Rechtsgebietskonkurrenz

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kurrieren und welche Wertungsdivergenzen dabei entstehen. Gleichwohl lassen sich einige allgemeine Leitlinien aufstellen und durch Beispiele belegen. 1. Zuordnung von Regelungsbereichen Das Problem der Rechtsgebietskonkurrenz stellt sich, weil zwei Rechtsgebiete nebeneinander auf einen bestimmten Regelungsbereich anwendbar sind und um die Regelungskompetenz für diesen Bereich wetteifern. Angesichts dessen bietet es sich an, den umstrittenen Regelungsbereich zwischen den Rechtsgebieten aufzuteilen. Jedes Rechtsgebiet darf dann einen Teilbereich regeln, so daß es nicht mehr zu Überschneidungen kommt. Durch diese Zuordnung von Regelungsbereichen läßt sich häufig eine interessengerechte Auflösung des Konkurrenzverhältnisses erreichen. Die notwendige Aufteilung kann sich dabei zwanglos aus dem jeweiligen Regelungsgegenstand ergeben, wie die folgenden Beispiele zeigen. a) Rechtsgebietskonkurrenz zwischen Gesellschafts- und Erbrecht Ein Konkurrenzverhältnis zwischen Gesellschaftsrecht und Erbrecht entsteht, wenn der verstorbene Gesellschafter einer Personengesellschaft mehrere Erben hat und der Gesellschaftsvertrag bestimmt, daß die Gesellschaft mit den Erben fortgeführt werden soll (erbrechtliche Nachfolgeklausel). Nach den Vorschriften des Erbrechts wird das Vermögen des Erblassers gem. §§ 1922 Abs. 1, 2032 Abs. 1 BGB gemeinschaftliches Vermögen der Erben als Erbengemeinschaft. Der Gesellschaftsanteil ist danach in das Vermögen der Erbengemeinschaft gelangt - Gesellschafter wäre also die Erbengemeinschaft. Demgegenüber sind aus der Perspektive des Gesellschaftsrechts die Erben als Einzelpersonen Gesellschafter geworden, wie es gesellschaftsvertraglich bestimmt ist. 48 Da sich nicht gut begründen läßt, warum eines der beteiligten Rechtsgebiete vorrangig sein soll, muß eine Angleichung erfolgen. Dabei ist zu bedenken, daß es nicht interessengerecht wäre, die Erbengemeinschaft zur Gesellschafterin zu machen. Denn die Personengesellschaft, ist grundsätzlich auf Dauer angelegt, während die Miterbengemeinschaft leicht aufzuheben ist, § 2042 Abs. 1 BGB. Die Mitglieder der Erbengemeinschaft haften zudem vor der Auseinandersetzung gem. § 2059 BGB nur beschränkt, was mit § 128 HGB bzw. § 421 BGB nicht vereinbar ist. Schließlich ist die Erbengemeinschaft nicht hinreichend verselbständigt, um im Rechtsverkehr als handlungsfähige Einheit aufzutreten (§§ 2038, 2040 BGB). 4 9 Andererseits kann

48 49

Vgl. etwa Kraft/Kreutz, Gesellschaftsrecht, S. 155. Vgl. BGHZ 22, S. 186, 192.

52 3. Kapitel: Konkurrenz zwischen Arbeitskampf- und Betriebsverfassungsrecht sich die Aufteilung des Gesellschaftsanteils nur nach der Erbquote richten. Deshalb erscheint es sinnvoll, das Erbrecht über die Güterordnung und das Gesellschaftsrecht über die Gesellschafterstellung entscheiden zu lassen: Das Erbrecht regelt, wie der Gesellschaftsanteil des Erblassers wertmäßig verteilt wird, das Gesellschaftsrecht regelt, wer Gesellschafter wird. Damit gelangt man zu der Lösung, daß die einzelnen Miterben als Nachfolger des Verstorbenen nach Maßgabe ihrer Erbquote Gesellschafter werden. 50 Auf diese Weise wird sowohl dem Erbrecht als auch dem Gesellschaftsrecht Genüge getan „man gibt dem Kaiser, was des Kaisers ist". 51 b) Rechtsgebietskonkurrenz zwischen Arbeitskampf- und Verbandsrecht Konkurrenzprobleme zwischen Arbeitskampfrecht und Verbandsrecht ergeben sich bei der Beurteilung von Streiks, die ohne satzungsmäßig vorgesehene Urabstimmung durchgeführt werden. In den Satzungen der Gewerkschaften sind bestimmte Verfahrensregeln festgelegt, die beim Arbeitskampf einzuhalten sind. Dazu gehört, daß die Gewerkschaftsmitglieder, die nach dem Beschluß des zuständigen Gewerkschaftsorgans am Streik beteiligt werden sollen, über Beginn und Fortsetzung des Arbeitskampfes abstimmen. 52 Ein Verstoß gegen diese Satzungsbestimmungen fuhrt dazu, daß der Streik aus verbandsrechtlicher Sicht rechtswidrig ist. Arbeitskampfrechtlich spielt es dagegen keine Rolle, ob das Urabstimmungsverfahren eingehalten wurde oder nicht. Ein Verstoß gegen das arbeitskampfrechtliche Verhältnismäßigkeitsprinzip liegt nicht vor. 5 3 Es kann dahinstehen, ob das Verhältnismäßigkeitsprinzip die Gewerkschaften verpflichtet, alle friedlichen Verständigungsmöglichkeiten auszuschöpfen 54, denn die Urabstimmung gehört jedenfalls nicht zu diesen Verständigungsmöglichkeiten. 55 Ein Streik ohne vorherige Urabstimmung verletzt auch nicht das Gebot fairer KampfRihrung; der Arbeitskampfgegner ist in seinem Vertrauen auf eine vorgeschaltete Mitglie50

So die ganz h. M., vgl. etwa BGHZ 22, S. 186, 194; 68, S. 225, 238; 98, S. 48, 50; Baumbach/Duden/H opt, § 139 HGB Anm. 2 A; Kraft/Kreutz, Gesellschaftsrecht, S. 155; Schmidt in Schlegelberger/Geßler, § 139 HGB Rn. 17 m. w. N. Allerdings wird häufig irreführend von einem „Vorrang des Gesellschaftsrechts" gesprochen, richtig dagegen Wank, Arbeitnehmer, S. 386; ders., ZGR 1988, S. 314, 378. 51 Wank, ZGR 1988, S. 314, 378. 52 Vgl. dazu Schlüter in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht Rn. 472 ff. 53 A. A. Hueck/Nipperdey/Säcker, Arbeitsrecht Π/2, S. 1025 f. 54 Dazu BAG GS AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 309 R; AP Nr. 108 a. a. O., Bl. 739 R ff.; Löwisch/Rieble, Arbeitskampfrecht Rn. 57, 334 ff.; Richardi, Festschrift K. Molitor, S. 269, 284 ff.; Rüthers in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht Rn. 201. 55 Rüthers in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht Rn. 203; Schumann in Däubler (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 223; Seiter, Streikrecht, S. 510.

Β. Die methodische Behandlung der Rechtsgebietskonkurrenz

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derbefragung nicht schutzwürdig, sondern muß nach Ablauf der Friedenspflicht mit dem Einsatz von Kampfmitteln rechnen. 56 Die Wertungen des Verbandsrechts und des Arbeitskampfrechts widersprechen sich also. Die Annahme, eines der Rechtsgebiete sei vorrangig, ist zumindest problematisch. Eine Angleichung läßt sich erzielen, indem man zwischen den Rechtsbeziehungen der Gewerkschaft zu ihren Mitgliedern und zu ihrem Arbeitskampfgegner unterscheidet. Die Rechtsbeziehungen zu den Mitgliedern richten sich nach Verbandsrecht. Die Gewerkschaftsmitglieder brauchen den verbandswidrigen Streikaufruf nicht zu befolgen, er ist für sie unverbindlich. Die Gewerkschaftsorgane, die für den Streikaufruf verantwortlich sind, setzen sich den verbandsintern vorgesehenen Sanktionen aus. Demgegenüber bestimmen sich die Rechtsbeziehungen der Gewerkschaft zum Arbeitskampfgegner nach arbeitskampfrechtliche Grundsätzen. Der Streik ist somit nicht schon deshalb rechtswidrig, weil keine Urabstimmung durchgeführt wurde. 57 2. Schutz des Kernbereichs Die Zuteilung von Regelungsbereichen, die eine sachgerechte Auflösung der Rechtsgebietskonkurrenzen ermöglicht, ist nicht immer so unkompliziert wie in den zuvor genannten Beispielsfallen. Häufig findet sich keine auf Anhieb überzeugende „Trennlinie" zwischen den Rechtsgebieten, so daß es schwerfallt, eine Konkurrenzregel aufzustellen. Gleichwohl sollte man im Interesse der Rechtssicherheit nicht auf eine allgemeine Regel verzichten und es bei Einzelfallerwägungen bewenden lassen. Auch für die schwierigeren Fälle läßt sich nämlich eine allgemein anwendbare Methode entwickeln. Ausgangspunkt ist wiederum das Prinzip der praktischen Konkordanz. Es verlangt, wie bereits dargelegt, eine schonende Angleichung der konkurrierenden Rechtsgebiete. Die Wertungen der beteiligten Rechtsgebiete müssen i. S. eines „Optimierungsgebots" möglichst umfassend zur Geltung kommen. 58 Nun ist aber nicht jeder Wertungswiderspruch und jeder Interessenkonflikt der

56

So auch Schlüter in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht Rn. 488. Diese Lösung entspricht der überwiegenden Ansicht, vgl. Kalb, Arbeitskampfrecht Rn. 125 f.; Löwisch/Rieble in Löwisch (Hrsg), Arbeitskampfrecht Rn. 58; Schlüter in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht Rn. 486 ff.; Schumann in Däubler (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 221 ff.; Seiter, Streikrecht, S. 509 ff.; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, § 40 V 4 a cc, S. 417; abweichend Hanau/Adomeit, Arbeitsrecht C ΠΙ 5 d, S. 87; Vorderwülbecke, BB 1987, S. 750 ff. 58 Zum Optimierungsgebot bei Prinzipienwidersprüchen Alexy, Grundrechte, S. 75 ff.; Dreier, NJW 1986, S. 892; ders., Festschrift W. Maihofer, S. 87; Larenz, Methodenlehre, S. 475. 57

54 3. Kapitel: Konkurrenz zwischen Arbeitskampf- und Betriebsverfassungsrecht harmonisierenden Angleichung zugänglich. Es kann vorkommen, daß man sich fur eine Seite zu entscheiden hat, weil ein Interesse nur auf Kosten des anderen durchsetzbar ist. In diesem Fall muß eines der Rechtsgebiete zurücktreten. Seine Wertungen werden (teilweise) außer Kraft gesetzt. Das Gebot des schonenden Ausgleichs verlangt aber, daß nur die geringstmögliche, noch vertretbare Einschränkung vorgenommen wird. Mit anderen Worten: Die Einschränkung muß verhältnismäßig sein. 59 Sie muß geeignet, erforderlich und angemessen sein, um die Wertungen des konkurrierenden Rechtsgebiets durchzusetzen. Das Verhältnismäßigkeitsprinzip verlangt im Rahmen der Angemessenheitsprüfung (Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne) eine Abwägung zwischen Zweck und Mittel, zwischen Eingriff und rechtfertigendem Grund. 60 Je schwerwiegender der Eingriff, desto wichtiger muß der Grund sein. 61 Für die Rechtsgebietskonkurrenz bedeutet das: Je intensiver der Regelungsbereich eines Rechtsgebiets beeinträchtigt wird, desto höher sind die Anforderungen an die Rechtfertigung dafür. 62 Die Wertungen eines Rechtsgebiets dürfen demnach nur soweit zurückgedrängt werden, wie eine Abwägung mit den Wertungen eines anderen Rechtsgebietes dies rechtfertigen kann. Der Sache nach handelt es sich dann um einen Teilvorrang. 63 Die gebotene Abwägung wird einen leichten Eingriff in das „unterlegene" Rechtsgebiet eher gestatten als einen schwerwiegenden. Wächst die Eingriffsintensität, so schrumpfen die Rechtfertigungsmöglichkeiten. 64 Das Rechtsgebiet ist um so resistenter, je weiter es zurückgedrängt wird 6 5 , je mehr also die Angleichung auf einen Vorrang hinausläuft. 59

Vgl. Larenz, Methodenlehre, S. 407,412; Lerche, Übermaß, S. 51, 151. Zum Verhältnismäßigkeitsprinzip als Abwägungsermächtigung vgl. Kirchhof\ Festschrift P. Lerche, S. 133, 135 f.; Stern, Staatsrecht ffl/2, § 84 IV, S. 814 ff. 61 Eingehend dazu Alexy, Grundrechte, S. 145 ff. Auf den Zusammenhang zwischen Intensität und Rechtfertigung eines Eingriffs in grundrechtlich geschützte Positionen weist das BVerfG in der o. g. Lebach-Entscheidung hin, BVerfGE 32, S. 202, 226. Vgl. auch BVerfGE 41, S. 251, 264: „Gesamtabwägung zwischen Schwere des Eingriffs und dem Gewicht und der Dringlichkeit der ihn rechtfertigenden Gründe". Ein anschauliches Beispiel dafür liefert die sog. Stufentheorie, die das BVerfG im Apothekenurteil (BVerfGE 7, S. 377, 405 ff.) zu Art. 12 GG entwickelt hat. Danach sind Beschränkungen, die lediglich die Berufsausübung betreffen, schon dann zulässig, wenn sie im Interesse des Gemeinwohls zwechmäßig erscheinen. Ein Eingriff in die Freiheit der Berufswahl darf dagegen nur stattfinden, um ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut zu schützen. 62 Joch, Mitbestimmungsgesetz, S. 308. 63 Vgl. auch Adam, Arbeitskampfrecht, S. 470 ff.; Willemsen, Arbeitnehmerschutz, S. 118. 64 Für die Abwägung kollidierender Prinzipien formuliert Alexy, Grundrechte, S. 146 folgendes ,Abwägungsgesetz": Je höher der Grad der Nichterfüllung oder Beeinträchtigung des einen Prinzips ist, um so größer muß die Wichtigkeit der Erfüllung des anderen sein. 65 Vgl. Alexy, Grundrechte, S. 271. 60

Β. Die methodische Behandlung der Rechtsgebietskonkurrenz

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Das fuhrt zu der Überlegung, daß sich bestimmte, besonders schwerwiegende Eingriffe in ein Rechtsgebiet nicht mehr rechtfertigen lassen. Der Rechtfertigungsdruck wird dann so groß, daß entgegenstehende Wertungen den Eingriff nicht zu begründen vermögen. Dieser Fall tritt ein, wenn der Kernbereich eines Rechtsgebiets berührt wird. 6 6 Käme es zu einer Beeinträchtigung dieses Bereiches, dann könnte im Ergebnis nicht mehr von Angleichung der konkurrierenden Rechtsgebiete gesprochen werden. Denn eine Angleichung setzt voraus, daß trotz der Einschränkungen, die für eine Harmonisierung notwendig sind, mindestens die grundlegenden Wertungen der beteiligten Rechtsgebiete noch erhalten bleiben. Anderenfalls würde ein Rechtsgebiet über das andere triumphieren; es würde sich nicht um einen „Teir-Vorrang, sondern um einen „Gesamt"-Vorrang handeln. Das Ziel der Angleichung wäre verfehlt. Die Konkurrenzregel, die es aufzustellen gilt, muß mithin stets einen Kernbereich desjenigen Rechtsgebiets wahren, das Einschränkungen hinzunehmen hat. Der Schutz des Kernbereichs stellt sozusagen den Mindestgehalt der Konkurrenzregel dar. Läßt sich ein Kernbereich festlegen, sollte er, solange sich kein überzeugenderer Ansatz findet, zur Aufstellung der Konkurrenzregel genutzt werden. Dies gilt insbesondere dann, wenn Einigkeit darüber besteht, daß bestimmte Grundsätze oder Wertungen zu den schlechthin tragenden eines Rechtsgebiets gehören und insofern einen „Kern" darstellen. 67 Freilich birgt der Kernbereichsgedanke auch Gefahren in sich. Der Rechtsanwender könnte versucht sein, vorschnell alles und jedes dem Kernbereich eines Rechtsgebiets zuzuordnen und dadurch zu Ergebnissen gelangen, die vom eigenen Vorverständnis geprägt und nicht wertungsgerecht sind. Ande66 Hier läßt sich eine Parallele zur Wesensgehaltsgarantie nach Art. 19 Abs. 2 GG ziehen. Grundrechte dürfen zwar um kollidierender Verfassungswerte willen eingeschränkt werden. Ihr Wesensgehalt ist aber - als Kernbereich - unantastbar. Umstritten ist, ob es einen absolut geschützten Kern gibt oder ob Art. 19 Abs. 2 GG lediglich unverhältnismäßige Eingriffe verbietet (vgl. zum Streitstand Stern, Staatsrecht HI/2, § 84 IV, S. 847 ff.; L. Schneider, Wesensgehalt, S. 155 ff.). Auch nach der letztgenannten Ansicht sind freilich Bedingungen denkbar, bei denen mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit ein Grundrechtseingriff stets unzulässig wäre. Die Sicherheit des Schutzes ist dann so hoch, daß unter Bezug auf normale Umstände ein absoluter Schutz vorliegt (zutreffend Alexy, Grundrechte, S. 271 f.). - Der Gedanke des Kernbereichsschutzes stellt auch ein anerkanntes methodisches Hilfsmittel dar, wenn die Festlegung des Schutzbereiches von Grundrechten problematisch ist. Vgl. zum Kernbereich der durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Koalitionsbetätigungsfreiheit BVerfGE 4, S. 96, 106 ff.; 19, S. 303, 321; 28, S. 295, 303 ff.; 50, S. 290, 368 f.; Kemper, Koalitionsfreiheit, S. 138 ff.; abweichend jetzt BVerfG AP Nr. 80 zu Art. 9 GG; zum Kernbereich der Tarifautonomie Meik, Tarifautonomie, passim; zum Kernbereich der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie nach Art. 28 Abs. 2 GG BVerfGE 50, S. 195, 202; BVerwG, NJW 1987, S. 2389,2392; Stern, Staatsrecht I, § 12 Π 4 d, S. 416 f. 67 Hier spielen Argumente des Konsenses eine Rolle, dazu Zippelius, Methodenlehre, S. 21, 52 f.; ders., Rechtsphilosophie, S. 138 ff. Zur Konsensustheorie der Wahrheit Röhl, Rechtslehre, S. 178 ff.

56 3. Kapitel: Konkurrenz zwischen Arbeitskampf- und Betriebsverfassungsrecht rerseits scheint mir der Kernbereichsgedanke der einzig brauchbare zu sein, wenn man, dem Gebot der Rechtssicherheit folgend, in problematischen Fällen eine allgemeine Konkurrenzregel finden will. Der damit verbundenen Gefahr einer willkürlichen Festlegung des Kernbereichs kann durch eine Ergebniskontrolle begegnet werden. Erforderlich ist ein Hin- und Herwandern des Blickes zwischen der (zunächst als Hypothese aufzustellenden) Konkurrenzregel und den Ergebnissen der Rechtsanwendung. Erweisen sich die Ergebnisse, zu denen die Konkurrenzregel fuhrt, unter Berücksichtigung der beteiligten Interessen als unhaltbar, so wurde der Kernbereich fehlerhaft bestimmt. Die formale Zuordnung bestimmter Vorschriften oder Prinzipien zum Rechtsgebietskern darf nicht etwa die erforderliche wertende Abwägung ersetzen. Vielmehr muß die Abwägung der Festlegung des Kernbereichs vorausgehen und sich in ihr widerspiegeln. Die nachfolgenden Beispiele sollen verdeutlichen, wie sich der Kernbereichsgedanke umsetzen läßt. Er fuhrt in problematischen Fällen von Rechtsgebietskonkurrenzen zu Lösungen, die den beteiligten Interessen angemessen Rechnung tragen und mehrheitlich akzeptiert werden. a) Rechtsgebietskonkurrenz zwischen Zivilprozeß- und materiellem Zivilrecht Ein Konkurrenzverhältnis von Zivilprozeßrecht und materiellem Zivilrecht entsteht, wenn ein unrichtiges Urteil rechtskräftig wird. Ein rechtskräftiges Urteil kann grundsätzlich nicht mehr aufgehoben oder abgeändert werden. Die Zivilprozeßordnung gestattet von dieser Regel nur wenige Ausnahmen, nämlich die Wiedereinsetzung gegen die Versäumung von Rechtsmittel- und Einspruchsfristen (§§ 233 ff. ZPO), die Abänderungs- und Nachforderungsklage (§§ 323 f. ZPO) sowie die Wiederaufnahme des Verfahrens durch Nichtigkeits- oder Restitutionsklage (§§ 578 ff. ZPO). In allen übrigen Fällen bleibt auch ein falsches Urteil bestandskräftig und kann gem. § 704 Abs. 1 ZPO vollstreckt werden; im Wege der Vollstreckungsgegenklage darf der Schuldner nur solche materiellen Einwendungen geltend machen, die nach der letzten mündlichen Verhandlung entstanden sind, § 767 Abs. 2 ZPO. Das Zivilprozeßrecht schützt hier Rechtsfrieden und Rechtssicherheit: Jeder Rechtsstreit soll einmal ein für die Parteien verbindliches Ende finden, auch wenn es im Einzelfall zu einer unrichtigen Entscheidung kommt. 68 Die Vollstreckung eines Urteils, das mit zivilrechtlichen Vorschriften nicht übereinstimmt, widerspricht aber dem Gerechtigkeitsgedanken, dem zu dienen das materielle Recht bestimmt ist. Das materielle Recht drängt zur Aufhebung des falschen Urteils. Es liegt also ein Widerspruch zwischen den Wertungen des Zivilprozeßrechts 68

Vgl. BVerfGE 2, S. 389, 403; 54, S. 291, 293; BGHZ 89, S. 120, 121; Thomas/ Putzo, § 322 ZPO Rn. 1.

Β. Die methodische Behandlung der Rechtsgebietskonkurrenz

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(Rechtssicherheit) und des materiellen Rechts (materielle Gerechtigkeit) vor. 6 9 Die Rechtsgebiete sind als einfaches Bundesrecht ranggleich, sowohl Rechtssicherheit wie auch materielle Gerechtigkeit sind prinzipiell schutzwürdige Rechtsgüter. Das legt eine Angleichung nahe. 70 Zwar gelten zunächst die Wertungen des Prozeßrechts, wonach das unrichtige Urteil im Interesse der Rechtssicherheit bestehen bleibt. Ein Kernbereich des materiellen Rechts darf aber nicht angetastet werden. „Die Rechtskraft muß zurücktreten, wenn es mit dem Gerechtigkeitsgedanken schlechthin unvereinbar wäre, daß der Titelgläubiger seine formale Rechtsstellung unter Mißachtung der materiellen Rechtslage zu Lasten des Schuldners ausnutzt." 71 Den resistenten Kernbereich des materiellen Rechts umschreibt § 826 BGB. Unter der Voraussetzung, daß ein rechtskräftiges Urteil unrichtig ist, der Titelgläubiger die Unrichtigkeit kennt - insbesondere, weil er das Urteil arglistig erwirkt („erschlichen") hat - und es dem Gläubiger zugemutet werden kann, die unverdiente Rechtsposition aufzugeben, steht dem Schuldner ein Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB zu. Der Anspruch richtet sich auf Unterlassung der Zwangsvollstreckung und Herausgabe des Titels. 72 Der Kernbereichsgedanke fuhrt somit zu einer Harmonisierung von Zivilprozeßrecht und materiellem Recht über die Konkurrenzregel des § 826 BGB. b) Rechtsgebietskonkurrenz zwischen Arbeitskampf- und Schuldrecht Einen Parallelfall zur Problematik der betrieblichen Mitbestimmung im Arbeitskampf stellt die Frage dar, wer das Lohnrisiko in einem mittelbar arbeitskampfbetroffenen Betrieb tragen muß. 73 Infolge eines Arbeitskampfes bei ei69

Der gleiche Wertungswiderspruch entsteht, sofern nach Durchführung des Mahnverfahrens ein materiell unbegründeter Vollstreckungsbescheid rechtskräftig wird. Dazu Braun, JuS 1992, S. 177 ff .,Hönn, Jura 1989, S. 240 ff. 70 Vgl. Hönn, Jura 1989, S. 240, 242. Für einen Vorrang des Zivilprozeßrechts aber Hartmann in Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Einf. §§ 322-327 ZPO Anm. 6 Β b; Prütting/Weth, Rechtskraftdurchbrechung Rn. 247 ff., die der Meinung sind, die ZPO regele den Konflikt zwischen Rechtssicherheit und materieller Gerechtigkeit abschließend. 71 So der BGH in st. Rspr., vgl. BGHZ 46, S. 130, 132 f.; 50, S. 115, 117 ff.; 103, S. 44, 46; ähnlich schon das Reichsgericht in RGZ 61, S. 359, 365; 78, S. 389, 393: „Die Rechtskraft muß zedieren, wo sie bewußt rechtswidrig zu dem Zweck herbeigeführt ist, dem was nicht recht ist, den Stempel des Rechts zu geben." Im Ergebnis ebenso Grunsky, ZIP 1986, S. 1361 ff.; Kohte, NJW 1985, S. 2217 ff.; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht § 162 m, S. 980 ff.; Vollkommer in Zöller, vor § 322 ZPO Rn. 72 ff. 72 BGHZ 103, S. 44, 47; Mertens in MünchKomm, § 826 BGB Rn. 167 ff.; Thomas/Putzo, § 322 ZPO Rn. 50 f.; Vollkommer in Zöller, vor § 322 ZPO Rn. 72 ff. 73 Auf die Ähnlichkeit beider Problemkreise weist auch Adam, Arbeitskampfrecht, S. 196 f. hin.

58 3. Kapitel: Konkurrenz zwischen Arbeitskampf- und Betriebsverfassungsrecht nem Zulieferer kann die Produktion im mittelbar betroffenen Unternehmen unmöglich, infolge eines Arbeitskampfes bei einem Abnehmer wirtschaftlich sinnlos werden. Behalten die Arbeitnehmer des mittelbar kampfbetroffenen Betriebes gleichwohl ihre Lohnansprüche, wenn die Produktion eingestellt wird? Rein schuldrechtlich betrachtet steht ihnen der Lohn zu. Für Produktionsstörungen im Arbeitsfrieden ist anerkannt, daß der Arbeitgeber das Betriebs- und Wirtschaftsrisiko zu tragen hat. 74 Als Anspruchsgrundlage für die Arbeitnehmer kommt entweder § 615 S. 1 BGB 7 5 oder die „Betriebsrisikolehre" 76 in Betracht. Warum sich daran etwas ändern sollte, wenn die Produktionsstörung auf einem Arbeitskampf beruht, ist schuldrechtlich nicht zu erklären. Aus dem Blickwinkel des Arbeitskampfrechts ist es jedoch bedenklich, der Arbeitgeberseite das Lohnrisiko aufzuerlegen. Die Arbeitnehmer und Arbeitgeber im umkämpften Tarifgebiet sind aufgrund ihres Arbeitskampfverhaltens gleichermaßen verantwortlich für die Folgewirkungen in mittelbar betroffenen Betrieben. Dann aber erscheint es unbillig, einseitig den Arbeitgeber mit diesen Fernwirkungen zu belasten. Die Gewerkschaften könnten versucht sein, dies zu ihrem Vorteil auszunutzen, indem sie, ihre Kampfkasse schonend, den Streik eng auf bestimmte Schlüsselbetriebe begrenzen und dadurch erhebliche Folgewirkungen auslösen, die allein zu Lasten der Arbeitgeber gehen. 77 Nach den Wertungen des Arbeitskampfrechts müssen daher die Arbeitgeber nur den Produktionsausfallschaden tragen, das Lohnrisiko tragen die Arbeitnehmer. 78 Es besteht also eine Rechtsgebietskonkurrenz zwischen Arbeitskampfrecht und Schuldrecht. 79 Räumt man dem Schuldrecht den Vorrang ein, behalten die Arbeitnehmer in mittelbar kampfbetroffenen Betrieben stets ihre Lohnansprüche. 80 Wer das Arbeitskampfrecht als vorrangig ansieht, wird ihnen dagegen

74 Dazu BAG AP Nr. 70 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 587; Linnenkohl/Rauschenberg, AuR 1990, S. 137, 138 ff.; Kalb, Betriebsrisikolehre, S. 90 ff; Putzo in Palandt, § 615 BGB Rn. 21 ff ; Richardi in Staudinger, § 615 BGB Rn. 21 f.; Boeder in MünchHdbArbR, § 77 Rn. 1 ff ; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, § 18 V 1, S. 214 ff, jeweils m. w. N. 75 So z. B. Colneric in Däubler (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 606 ff ; Picker, JZ 1979, S. 285, 292 f.; jetzt auch BAG, NZA 1994, S. 331, 1097. 76 So z. B. BAG AP Nr. 2 zu § 615 BGB Betriebsrisiko, Bl. 249 R. 77 BAG AP Nr. 70 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 589. 78 Vgl. Maver-Maly/Nipperdev, Risikoverteilung, S. 37 f.; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht § 18 V 2, S. 216 ff 79 Zutreffend Wank, Festschrift O. Kissel, S. 1225, 1248 ff ; vgl. auch Adam, Arbeitskampfrecht, S. 118 ff; Kalb, Betriebsrisikolehre, S. 115 f. 80 So etwa Colneric in Däubler (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 630; Mayer, BB 1990, S. 2482, 2484 ff; Trittin, DB 1990, S. 322, 323.

C. Zusammenfassung und weiterer Verlauf der Untersuchung

59

Lohnansprüche stets versagen. 81 Eine Angleichung beider Rechtsgebiete läßt sich dadurch bewerkstelligen, daß in bestimmten Fällen die Arbeitnehmer, in anderen Fällen die Arbeitgeber das Lohnrisiko tragen müssen. Diesen Lösungsweg hat das BAG in seinen Urteilen vom 22.12.1980 beschritten. 82 Als Angleichungsinstrument benutzt das BAG den Grundsatz der Kamfparität, der Chancengleichheit im Tarifkonflikt. Dieser arbeitskampfrechtliche Grundsatz wirke sich nicht nur auf die Ausgestaltung der Kampfmittel, sondern auch auf das Recht der Leistungsstörungen aus. Die Arbeitnehmer sollen das Lohnrisiko tragen, wenn durch die Lohnzahlungspflicht im mittelbar betroffenen Betrieb die Kampfparität zum Nachteil der Arbeitgeber verschoben würde. 83 Im Ergebnis läuft das auf einen Kernbereichsschutz fur das Arbeitskampfrecht hinaus. Prinzipiell gelten auch während des Arbeitskampfes die schuldrechtlichen Wertungen. Sie können jedoch einen resistenten Kernbereich des Arbeitskampfrechts, nämlich das Paritätsprinzip, nicht verdrängen. Insoweit findet eine Reduktion der schuldrechtlichen Gefahrtragungsregeln statt. 84 Die Problematik der Arbeitskampffernwirkungen wird später noch eingehend behandelt. 85 Einstweilen ist festzuhalten, daß das BAG aus dem Grundsatz der Kampfparität eine Konkurrenzregel für das Verhältnis von Arbeitskampf- und Schuldrecht entwickelt und somit das Problem des Lohnrisikos bei mittelbarer Kampfbetroffenheit in das Arbeitskampfsystem eingebaut hat. Möglicherweise läßt sich eine ähnliche Lösung über das Paritätsprinzip auch für die Rechtsgebietskonkurrenz zwischen Arbeitskampf- und Betriebsverfassungsrecht erzielen.

C. Zusammenfassung und weiterer Verlauf der Untersuchung Das „Arbeitsschema" für die Behandlung einer Rechtsgebietskonkurrenz sieht folgendermaßen aus: Zunächst ist festzustellen, ob eine gesetzliche Konkurrenzregel existiert. Ist das nicht der Fall, so muß man überprüfen, ob eines der beteiligten Rechtsgebiete vorrangig ist. Sofern sich keine überzeugenden

81

Z. B. Hueck/Nipperdey/Säcker, Arbeitsrecht Π/2, S. 945 ff.; Rüthers in Brox/ Rüthers, Arbeitskampfrecht Rn. 172 f.; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, §18 V 2 d, S. 218. 82 BAG AP Nr. 70, 71 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. Vgl. o. 2. Kapitel unter A I 6. 83 BAG AP Nr. 70 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 589 ff. Im Ansatz ebenso beispielsweise Dütz, DB Beilage 14/1979, S. 10 ff.; Hanau in Erman, §615 BGB Rn. 57 ff.; Lieb, NZA 1990, S. 289, 292 ff.; Löwisch/Bittner in Löwisch (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 592 ff.; Seiter, DB 1981, S. 578, 580 ff. 84 Vgl. Hanau in Erman, § 615 BGB Rn. 58; Lieb, NZA 1989, S. 289, 291. 85 Vgl. 8. Kapitel unter AI.

60 3. Kapitel: Konkurrenz zwischen Arbeitskampf- und Betriebsverfassungsrecht Gründe für eine Vorranglösung finden lassen, ist eine Angleichung der Rechtsgebiete geboten. Eine Harmonisierung ist teilweise unproblematisch dadurch zu erreichen, daß man einen Regelungsbereich zwischen konkurrierenden Rechtsgebieten aufteilt. Stets gilt aber das Verhältnismäßigkeitsprinzip als Schranke für Eingriffe in die Wertungen eines Rechtsgebiets. Je intensiver der Eingriff, desto höher der Rechtfertigungsbedarf. Läßt sich ein Kernbereich zentraler Wertungen eines Rechtsgebietes umschreiben, so darf die Angleichung der Rechtsgebiete nicht dazu führen, daß dieser Kernbereich verletzt wird. Die Konkurrenzregel zur Angleichung zweier Rechtsgebiete muß in jedem Fall den resistenten Rechtsgebietskern schützen. Diese Erwägungen bestimmen den weiteren Verlauf der Darstellung. Für die Rechtsgebietskonkurrenz zwischen Arbeitskampfrecht und Betriebsverfassungsrecht werden folgende Lösungsmöglichkeiten vorgeschlagen: Wer die Beteiligungsrechte des Betriebsrats im Arbeitskampf im Hinblick auf § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG oder § 2 Abs. 1 BetrVG einschränken w i l l 8 6 , der beruft sich auf betriebsverfassungsgesetzliche Konkurrenzregeln. Ob das Betriebsverfassungsgesetz tatsächlich eine Konkurrenzregel für das Verhältnis von Arbeitskampf- und Betriebsverfassungsrecht enthält, soll im nächsten Kapitel untersucht werden. Auf einen Vorrang des Arbeitskampfrechts läuft die im älteren Schrifttum verbreitete Ansicht hinaus, wonach sämtliche Befügnisse des Betriebsrats im Arbeitskampf entfallen. 87 Diejenigen, die sich gegen jede Beschränkung der betrieblichen Mitbestimmung aussprechen 88, plädieren dagegen für einen Vorrang des Betriebsverfassungsrechts. Um die Frage eines Rangverhältnisses zwischen Arbeitskampf- und Betriebsverfassungsrecht geht es im 5. Kapitel. Die überwiegende Meinung in Rechtsprechung 89 und Literatur 90 stützt sich auf arbeitskampfrechtliche Wertungen und verlangt eine Teileinschränkung der Beteiligungsrechte. Damit wird eine Angleichung von Arbeitskampf- und Betriebsverfassungsrecht angestrebt. Wie sie zweckmäßigerweise zu bewerkstelligen ist, soll uns im 6. Kapitel beschäftigen.

86 87 88 89 90

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

o. 2. Kapitel unter Β Π, Fußnoten 76, 77. o. 2. Kapitel unter Β I, Fußnote 55. o. 2. Kapitel unter Β m, Fußnote 82. o. 2. Kapitel unter A. o. 2. Kapitel unter Β Π, Fußnoten 68-72.

4. Kapitel

Betriebsverfassungsrechtliche Vorgaben A. § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG ist die einzige Vorschrift des Betriebsverfassungsgesetzes, die auf den Arbeitskampf ausdrücklich Bezug nimmt. Sie soll daher - als mögliche Spezialregelung 1 - am Anfang der Untersuchung stehen.

I. Meinungsstand 7. § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG als gesetzliche Konkurrenzregel In letzter Zeit mehren sich die Stimmen, die das Problem der betrieblichen Mitbestimmung im Arbeitskampf allein mit Hilfe des § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG lösen wollen. 2 Aus der Vorschrift ergebe sich die Notwendigkeit, betriebsverfassungsrechtliche Beteiligungsbefugnisse an die veränderte Situation des Arbeitskampfes anzupassen.3 Nach dieser Auffassung stellt § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG eine gesetzliche Konkurrenzregel für das Verhältnis von Arbeitskampfrecht und Betriebsverfassungsrecht dar. Da man jedoch der Norm - je1 Auf das Spezialitätsverhältnis von § 74 Abs. 2 S. 1 zu § 2 Abs. 1 BetrVG weisen Häßler, Beteiligungsrechte, S. 53; Kraft in GK-BetrVG, § 2 BetrVG Rn. 8 und Kreutz, BIStSozArbR 1972, S. 44, 45 zu Recht hin. 2 Vgl. o. 2. Kapitel Fußnote 76; aus der Rechtsprechung BAG AP Nr. 71 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 594 R; LAG Frankfurt a. M., DB 1986, S. 178 ff., ArbG Köln, DB 1979, S. 457 ff. - Das BAG hat freilich schon in seiner Entscheidung vom 16.12.1988 (AP Nr. 13 zu § 87 BetrVG 1972 Ordnung des Betriebes, vgl. o. 2. Kapitel unter A I 7) nicht mehr auf § 74 Abs. 2 BetrVG abgestellt, um eine Beschränkung der Beteiligungsrechte zu begründen. Auch in den Entscheidungen vom 10.2.1988 (AP Nr. 5 zu § 98 BetrVG 1972) und 19.2.1992 (AP Nr. 26 zu § 95 BetrVG 1972) wird die betriebsverfassungsrechtliche Friedenspflicht mit keinem Wort erwähnt (vgl. o. 2. Kapitel unter A I 8 und 9). Es ist daher anzunehmen, daß das BAG diesen Ansatz mittlerweile aufgegeben hat. 3 So Kraft, Festschrift G. Müller, S. 265, 273 f. Im Ergebnis wollen alle Verfechter dieses Ansatzes die Beteiligungsrechte nicht gänzlich, sondern nur teilweise suspendieren.

4. Kapitel: Betriebsverfassungsrechtliche Vorgaben

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denfalls auf den ersten Blick - keine Aussage über die Beteiligungsrechte während des Arbeitskampfes entnehmen kann, bedarf dieser rein betriebsverfassungsrechtliche Ansatz eines gewissen Begründungsaufwandes. Seine Anhänger gehen davon aus, das Arbeitskampfverbot des § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG untersage dem Betriebsrat nicht lediglich die Durchfuhrung betrieblicher Arbeitskämpfe, sondern ordne auch an, daß die Betriebsratsmitglieder nur als Arbeitnehmer und nicht als Amtsträger am Arbeitskampf teilnehmen dürfen. 4 Der Betriebsrat handele aber als Amtsträger, wenn er Beteiligungsrechte geltend mache; daher ergebe sich aus § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG auch das Verbot, durch die Wahrnehmung von Beteiligungsrechten das Verhalten des Arbeitgebers im Arbeitskampf und damit die Auseinandersetzung der Tarifparteien zu beeinflussen. 5 Der Betriebsrat habe sich in Ausübung seiner Tätigkeit arbeitskampfneutral zu verhalten. 6 Die betriebliche Mitbestimmung müsse deshalb entfallen, sofern der Betriebsrat durch die Ausübung seiner Befugnisse auf das Kampfgeschehen einwirken könne.7 Mehrheitlich wird zwischen „unmittelbar arbeitskampfbezogenen" und sonstigen Maßnahmen unterschieden. An Maßnahmen des Arbeitgebers, die „dem Arbeitskampf entspringen und unmittelbar auf ihn einwirken" 8 sei der Betriebsrat nicht zu beteiligen. Bei nicht arbeitskampfbedingten Maßnahmen habe er allerdings weiterhin mitzubestimmen.9 Kreutz vertritt eine leicht abweichende Ansicht: § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG enthalte eine Ausübungsschranke für Beteiligungsrechte, die Arbeitskampfrelevanz gerade gegenüber dem Arbeitgeber haben. Die Arbeitskampfrelevanz sei gegeben, falls auf den arbeitskampfbetroffenen Arbeitgeber ein zusätzlicher Druck ausgeübt werde, der über den Druck hinausgehe, der allgemein von Beteiligungsrechten ausgehe, und falls diese Druckausübung das gewerkschaftliche Kampfziel gegen den Arbeitgeber oder Arbeitgeberverband unterstütze. 10 Häßler hält den Verbotstatbestand des § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG bereits dann für erfüllt, wenn von der Notwendigkeit, den Betriebsrat zu beteiligen, ein zusätzlicher Druck auf den Arbeitgeber ausgehe. Das könne insbesondere bei ei4

Jahnke, ZfA 1984, S. 69, 87; Kraft, Festschrift G. Müller, S. 265, 271. Kraft, Festschrift G. Müller, S. 265, 271. 6 Wiese, NZA 1984, S. 378, 381. 7 Jahnke, ZfA 1984, S. 69, 88; Kraft, Festschrift G. Müller, S. 265, 271; Wiese, NZA 1984, S. 378, 381; ders., Festschrift H. Hubmann, S. 481, 500. 8 So die Formulierung von Glaubitz in Hess/Schlochauer/Glaubitz, § 87 BetrVG Rn. 67; Jahnke, ZfA 1984, S. 69, 88. 9 Jahnke, ZfA 1984, S. 69, 88; Kraft, Festschrift G. Müller, S. 265, 274; Wiese, NZA 1984, S. 378, 381; ders., Festschrift H. Hubmann, S. 481, 500. 10 Kreutz in GK-BetrVG, § 74 BetrVG Rn. 65. 5

Α. § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG

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nem Beteiligungsgegenstand in Betracht kommen, der sich auf das Kampfgeschehen beziehe. Es müßten aber alle Umstände des Einzelfalles berücksichtigt werden. 11 Noch weitergehend meint Heinze, § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG verbiete dem Betriebsrat alle Maßnahmen „mit Arbeitskampfwirkungen" 12 , d. h. alle Maßnahmen, durch die ein zusätzlicher Druck auf den Arbeitgeber ausgeübt werde, der den Betriebsablauf oder Betriebsfrieden abstrakt gefährden könne. 13 Dabei sei unerheblich, ob überhaupt eine Arbeitskampfsituation i. S. des tariflichen Arbeitskampfrechts vorliege. 14 Heinze sieht § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG als Verbotsgesetz gem. § 134 BGB an. 15 Betriebsratsbeschlüsse, die einen nach § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG unzulässigen Druck auf den Arbeitgeber ausüben, seien gem. § 134 BGB nichtig; der Arbeitgeber dürfe in diesem Fall einseitig handeln, ohne den Betriebsrat beteiligen zu müssen.16 Wie man sieht, bestehen innerhalb des Lagers deijenigen, die aus § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG eine Ausübungsschranke für die Beteiligungsrechte des Betriebsrats herleiten wollen, erhebliche Meinungsverschiedenheiten. Das spiegelt sich auch in den Ergebnissen wider, zu denen die einzelnen Autoren gelangen.17 2. Gegenansicht Der Versuch, aus § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG eine Einschränkung der betrieblichen Mitbestimmung herzuleiten, ist im Schrifttum auch auf Kritik gestoßen. 18 Das betriebsverfassungsrechtliche ArbeitskampfVerbot stelle lediglich klar, daß als Mittel der Konfliktlösung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat nur das Einigungsstellenverfahren in Betracht komme, besage aber nichts über die Beteiligungsrechte des Betriebsrats. 19 Zweifelhaft sei schon, ob § 74 Abs. 2 11

Häßler, Beteiligungsrechte, S. 62 ff; ebenso Fitting/Kaiser/Heither/Engels, § 74 BetrVG Rn. 20. 12 Heinze, DB Beilage 23/1982, S. 6. 13 Heinze, DB Beilage 23/1982, S. 6 f., 9. 14 Heinze, DB Beilage 23/1982, S. 7. 15 Heinze, DB Beilage 23/1982, S. 9 f. 16 Heinze, DB Beilage 23/1982, S. 10 ff. 17 Vgl. etwa einerseits die recht weitreichende Beschränkung der betrieblichen Mitbestimmung bei Heinze, DB Beilage 23/1982, S. 13 ff. und Kraft, Festschrift G. Müller, S. 265, 272 ff., andererseits die nur geringfügigen Einschränkungen bei Häßler, Beteiligungsrechte, S. 72 ff., 177 f. 18 Ausführlich Jahn, Beteiligung, S. 196 ff.; Patett, Arbeitskampffernwirkungen, S. 477 ff. 19 Jahn, Beteiligung, S. 198 f.; Richardis Festschrift 10 Jahre Deutsche Richterakademie, S. 111, 114; Weiss, AuR 1982, S. 265.

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4. Kapitel: Betriebsverfassungsrechtliche Vorgaben

S. 1 BetrVG dem Betriebsrat überhaupt eine Neutralitätspflicht bei Arbeitskämpfen auferlege. 20 Jedenfalls ergebe sich aus der Neutralitätspflicht nicht, daß während des Arbeitskampfes die Beteiligungsrechte einzuschränken seien 2 1 ; vielmehr müßten, wenn eine Neutralitätspflicht existiere, auch die Befugnisse aufrechterhalten werden, bei deren Wahrnehmung der Betriebsrat diese Pflicht zu beachten habe. 22 Im übrigen könne man auch umgekehrt aus § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG ableiten, der Arbeitgeber dürfe arbeitskampfbedingte Maßnahmen nicht mitbestimmungsfrei anordnen, weil er damit eine unzulässige, gegen den Betriebsrat gerichtete Kampfmaßnahme durchführe. 23 Da ein „betriebsverfassungsrechtlicher Purismus" 24 der betrieblichen Situation im Arbeitskampf nicht gerecht werde, bedürfe die Suspendierung von Beteiligungsrechten einer besonderen arbeitskampfrechtlichen Begründung 25

IL Auslegung Die Frage, ob § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG wirklich die gesuchte Konkurrenzregel für das problematische Verhältnis von Arbeitskampf- und Betriebsverfassungsrecht enthält, kann nur durch Auslegung der Vorschrift beantwortet werden. Das hergebrachte Verständnis des § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG ist jedenfalls ein anderes. Inhalt der Norm ist danach lediglich ein an Arbeitgeber und Betriebsrat adressiertes Verbot, Träger von gegeneinander gerichteten Arbeitskämpfen zu sein. 26 Kein Betriebspartner darf gegen den anderen Arbeitskampfmaßnahmen ergreifen, um die Regelung einer betriebsverfassungsrechtlichen Streitfrage durchzusetzen; bei Meinungsverschiedenheiten über die betriebliche Mitbestimmung ist es weder dem Arbeitgeber gestattet, zum Mittel der Aussperrung zu greifen, noch darf der Betriebsrat die Belegschaft zu Streik

20

Colneric in Däubler (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 673. Rüthers/Henssler, Anm. zu BAG AP Nr. 13 zu § 87 BetrVG 1972 Ordnung des Betriebes, Bl. 1079. 22 Colneric in Däubler (Hrsg.), Arbeitskampfrecht, Rn. 673; Jahn, Beteiligung, S. 200; Patett, ArbeitskamptTemWirkungen, S. 481. Patett geht sogar noch einen Schritt weiter und meint, aus § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG folge, daß der Betriebsrat einer Arbeitskampfmaßnahme des Arbeitgebers nicht zustimmen dürfe, da diese Zustimmung gegen das Arbeitskampfverbot verstoße und daher pflichtwidrig sei, a. a. ()., S. 481 f. 23 Jahn, Beteiligung, S. 198. 24 Lieb, NZA 1990, S. 377, 383. 25 Kissel , NZA 1989, S. 81, 82. 26 BAG AP Nr. 52 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 617 R. 21

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oder sonstigen Arbeitskampfmaßnahmen aufrufen. 27 § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG ordnet an, daß Streitigkeiten zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat nach der Konzeption des Betriebsverfassungsgesetzes vor der gesetzlich vorgesehenen Einigungsstelle (§§ 76 f. BetrVG) oder vor dem Arbeitsgericht, nicht aber im Wege des Arbeitskampfes ausgetragen werden sollen. Demnach handelt es sich bei dieser Norm um eine Konkretisierung der allgemeinen betrieblichen Friedenspflicht. 28 Insoweit ist man sich über den Regelungsgehalt einig, wenngleich Einzelheiten umstritten sind. Im folgenden geht es darum, inwiefern § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG darüber hinaus eine Regelung über die betriebliche Mitbestimmung während des Arbeitskampfes enthält. Dieses Verständnis des betrieblichen Arbeitskampfverbotes ist relativ neu - bis 1979 wurde die Ansicht, § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG enthalte eine Ausübungsschranke für Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats, von niemandem vertreten. 29 Ob man ihr folgen kann, ist anhand der einzelnen Auslegungsschritte zu untersuchen. 30 Dabei steht die Frage im Mittelpunkt, ob zu den „Maßnahmen des Arbeitskampfes", die § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG den Betriebspartnern verbietet, auch das Geltendmachen von Beteiligungsrechten während des Arbeitskampfes zählt. 31 Denn wenn sich der Vorschrift eine Aussage zu diesem Problem entnehmen läßt, dann doch nur die, daß sie dem Betriebsrat die Wahrnehmung bestimmter Beteiligungsrechte als unzulässige Maßnahme des Arbeitskampfes verbietet.

27 Vgl. Berg in Däubler/Kittner/Klebe/Schneider (Hrsg.), § 74 BetrVG Rn. 12 f., 16; Brox in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht Rn. 408 ff.; Dietz/Richardi, § 74 BetrVG Rn. 14 ff., 23; Fitting/Kaiser/Heither/Engels, § 74 BetrVG Rn. 12; Galperin/Löwisch, § 74 BetrVG Rn. 8, 12; Kreutz in GK-BetrVG, § 74 BetrVG Rn. 36, 43 ff.; Lieb, NZA 1990, S. 377, 383; Schaub, Handbuch, §215 Π 4, S. 1585; Stege/Weinspach, §74 BetrVG Rn. 2 f. 28 Hess in Hess/Schlochauer/Glaubitz, § 74 BetrVG Rn. 29; Kreutz in GK-BetrVG, §74 BetrVG Rn. 29,31. 29 Erste Ansätze bei ArbG Köln, DB 1979, S. 457, 458; Mayer-Maly, BB 1979, S. 1305, 1312; ausführlich dann Kraft, Festschrift G. Müller, S. 265 ff. 30 So zutreffend Häßler, Beteiligungsrechte, S. 54 ff., mit dessen Auslegungsergebnis ich jedoch nicht übereinstimme. 31 Der Hinweis auf die betriebsverfassungsrechtliche Neutralitätspflicht (vgl. Wiese, NZA 1984, S. 378, 381) hilft an dieser Stelle nicht weiter. Denn selbst wenn sich aus § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG eine solche Neutralitätspflicht ergäbe, so wäre doch erst zu klären, wie weit sie reicht; insbesondere, ob sie dem Betriebsrat die Wahrnehmung seiner Beteiligungsbefugnisse im Arbeitskampf untersagt. Das aber läßt sich nur durch Auslegung des § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG beantworten. 5 Jansen

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4. Kapitel: Betriebsverfassungsrechtliche Vorgaben 1. Wortlaut

Schon bei der Wortlautauslegung ergeben sich Bedenken dagegen, daß § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG als Ausübungsschranke für die Beteiligungsrechte angesehen werden kann. Aus der Regelung des ersten Halbsatzes „Maßnahmen des Arbeitskampfes zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat sind unzulässig" soll folgende Aussage herauszulesen sein: „Beteiligungsrechte des Betriebsrats ruhen bei arbeitskampfbedingten Maßnahmen des Arbeitgebers". Vom Wortlaut her ist insbesondere fraglich, weshalb die Wahrnehmung betriebsverfassungsgesetzlich vorgesehener Beteiligungsrechte plötzlich eine unzulässige „Maßnahme des Arbeitskampfes" darstellen kann. 32 Üblicherweise werden als Arbeitskampfmaßnahmen solche angesehen, die Arbeitgeber oder Arbeitnehmer zur Druckausübung durch Störung der Arbeitsbeziehungen ergreifen, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen. 33 Typische Kampfmaßnahmen sind Streik und Ausperrung sowie die kollektive Ausübung von Individualrechten 34 , nicht aber die Ausübung der betrieblichen Mitbestimmung. Dagegen wird eingewandt, Maßnahmen des Arbeitskampfes i. S. des § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG seien nicht gleichbedeutend mit Maßnahmen i. S. des Arbeitskampfrechts; der Maßnahmebegriff sei nicht arbeitskampfrechtlich, sondern betriebsverfassungsrechtlich zu bestimmen.35 § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG verwende den Begriff im gleichen Sinne wie § 35 S. 1 VwVfG. Nach diesem weiten Begriffsverständnis sei nicht nur eine Ausführungshandlung mit Arbeitskampfwirkung gemeint, sondern auch der Entscheidungsvorgang. Als Maßnahme nach § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG komme daher auch ein Betriebsratsbeschluß in Betracht, der im Rahmen betrieblicher Mitbestimmungsbefugnisse getroffen werde, sofern sich der Beschluß auf eine Arbeitskampfhandlung beziehe. 36 Richtig ist, daß man Rechtsbegriffe aus verschiedenen Rechtsgebieten nicht vorschnell gleichsetzen darf, ohne die unterschiedlichen Regelungsgegenstände zu berücksichtigen. Indessen muß sich die Wortlautauslegung an den herkömmlichen Definitionen orientieren 37 , wenngleich die weiteren Auslegungs-

32

Kritisch Colneric in Däubler (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 672; Mayer, AuR 1980, S. 65,73. 33 Das BAG stellt in AP Nr. 2 zu § 1 TVG Friedenspflicht, Bl. 15 zur Begriffsbestimmung auf den allgemeinen Sprachgebrauch ab; dazu auch Brox in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht Rn. 17 ff.; Däubler in Däubler (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 53 ff., 58; Nikisch, Arbeitsrecht Π, S. 78 ff. 34 Vgl. Brox in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht Rn. 25 ff. 35 Heinze, DB Beilage 23/1982, S. 6 ff. 36 Häßler, Beteiligungsrechte, S. 55; Heinze, DB Beilage 23/1982, S. 7. 37 So auch Häßler, Beteiligungsrechte, S. 55.

Α. § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG

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schritte ein anderes Verständnis nahelegen können. 38 Gegen eine rein betriebsverfassungsrechtliche Bestimmung der in § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG genannten Arbeitskampfmaßnahmen spricht der zweite Halbsatz dieser Vorschrift, in dem von „Arbeitskämpfen tariffahiger Parteien" die Rede ist. Hier wird also auf das Arbeitskampfrecht Bezug genommen. Das legt es immerhin nahe, auch die „Maßnahmen des Arbeitskampfes" im ersten Halbsatz in Anlehnung an das Arbeitskampfrecht auszulegen. Nichts deutet demgegenüber darauf hin, daß man den Begriff der Maßnahme in § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG ebenso verstehen müsse wie in § 35 S. 1 VwVfG. Wer sich gegen die Gleichsetzung des arbeitskainpfrechtlichen und des betriebsverfassungsrechtlichen Begriffs der Arbeitskampfmaßnahme ausspricht, der darf konsequenterweise seinerseits nicht einfach ein verwaltungsrechtliches Begriffsverständnis auf das Betriebsverfassungsrecht übertragen. Aber selbst ein weiter, auf § 35 VwVfG gestützter Maßnahmenbegriff spricht nicht zwingend dafür, daß eine Maßnahme des Arbeitskampfes gem. § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG vorliegt, falls der Betriebsrat während der Tarifauseinandersetzung Beteiligungsrechte geltend macht. Das betriebliche Arbeitskampfverbot könnte in diesem Fall ebensogut dahingehend verstanden werden, daß nicht jeder Betriebsratsbeschluß, der in Ausübung eines Beteiligungsrechts ergeht, eine Maßnahme des Arbeitskampfes darstellt, sondern nur ein Beschluß, der auf die Durchführung einer Kampfmaßnahme im arbeitskampfrechtlichen Sinn gerichtet ist, ζ. B. wenn der Betriebsrat die Belegschaft zum Streik oder zur Betriebsbesetzung aufruft. Zwar gibt es nach überwiegender Auffassung in der Methodenlehre keinen eindeutigen Wortlaut, aufgrund dessen die weiteren Auslegungsschritte entbehrlich sind. 39 Gleichwohl läßt sich festhalten, daß der Wortlaut des § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG eher dagegen spricht, aus dieser Norm eine Beschränkung der betrieblichen Mitbestimmung im Arbeitskampf abzuleiten.40 2. Systematik § 74 BetrVG ist die Anfangsvorschrift des vierten Teils des Betriebsverfassungsgesetzes, in dem die „Mitwirkung und Mitbestimmung der Arbeitnehmer" (so die vom Gestzgeber gewählte Überschrift) geregelt ist. Der erste Abschnitt dieses Teils enthält seiner Überschrift zufolge „Allgemeines", d. h. grundsätzliche Regeln über die Zusammenarbeit von Arbeitgeber und Betriebsrat im Rahmen der Betriebsverfassung, vgl. insbesondere die §§ 74, 75, 80 BetrVG. Zum Wesen vorangestellter, allgemeiner Teile von Gesetzen ge38

Vgl. Larenz, Methodenlehre, S. 321 f. Engisch, Einführung, S. 232, Anm. 74a; Esser, Grundsatz, S. 176 ff.; Larenz, Methodenlehre, S. 329; Wank., ZGR 1988, S. 314, 326. 40 So auch Colneric in Däubler (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 673. 39

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4. Kapitel: Betriebsverfassungsrechtliche Vorgaben

hört es, daß sie für alle nachfolgenden Teile gelten.41 Die Vorschriften des ersten Abschnittes enthalten demnach auch Regelungen für die im dritten bis sechsten Abschnitt normierten Beteiligungsrechte. So ist beispielsweise anerkannt, daß für die Normen einer jeden Betriebsvereinbarung das Verbot unterschiedlicher Behandlung aus § 75 Abs. 1 S. 1 BetrVG gilt. 4 2 Seiner systematischen Stellung nach könnte § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG daher durchaus eine Schranke für die Ausübung von Beteiligungsrechten im Arbeitskampf enthalten. 43 Zwingend ist das allerdings nicht. Auch ein an Arbeitgeber und Betriebsrat gerichtetes, die allgemeine Friedenspflicht konkretisierendes Verbot, Arbeitskampfmittel zur Durchsetzung betriebsverfassungsrechtlicher Streitigkeiten einzusetzen, wäre gesetzessystematisch ebenso im ersten, allgemeinen Abschnitt unterzubringen wie eine Ausübungsschranke für Beteiligungsrechte. Die Stellung des ArbeitskampfVerbotes am Anfang des vierten Teils spricht somit nicht unbedingt dafür, daß es über seinen allgemein anerkannten Inhalt hinaus auch noch eine Aussage zum Umfang der betrieblichen Mitbestimmung während des Arbeitskampfes trifft. Der Regelungszusammenhang des § 74 BetrVG jedenfalls kann die These, die Norm enthalte eine Ausübungsschranke für Beteiligungsrechte, nicht stützen. Weder aus § 74 Abs. 2 S. 2 BetrVG (allgemeine Friedenspflicht) noch aus § 74 Abs. 2 S. 3 BetrVG (Verbot parteipolitischer Betätigung) sind bislang in Rechtsprechung und Literatur Rückschlüsse auf die Ausübung von Beteiligungsrechten gezogen worden. Erfaßt werden vielmehr nur solche Handlungen des Arbeitgebers oder des Betriebsrats, die außerhalb des betrieblichen Mitbestimmungsverfahrens liegen. 44 Warum dann § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG eine Regelung zur betrieblichen Mitbestimmung enthalten soll, läßt sich systematisch nicht gut begründen. 3. Entstehungsgeschichte Aufschlußreich ist ein Blick auf die Entstehungsgeschichte des § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG. Die Vorgängervorschrift im Betriebsverfassungsgesetz von 1952 lautete:

41

Häßler, Beteiligungsrechte, S. 57. BAG AP Nr. 4 zu § 1 BetrAVG Gleichberechtigung, Bl. 962 R; Berg in Däubler/Kittner/Klebe/Schneider (Hrsg.), §75 BetrVG Rn. 1; Dietz/Richardi, §75 BetrVG Rn. 1; Kreutz in GK-BetrVG, § 75 BetrVG Rn. 31. 43 Häßler, Beteiligungsrechte, S. 57 meint, die systematische Auslegung spreche ,glicht dagegen". 44 Vgl. dazu Berg in Däubler/Kittner/Klebe/Schneider (Hrsg.), § 74 BetrVG Rn. 24 ff., 32 ff.; Galperin/Löwisch, §74 BetrVG Rn. 15 f., 21 ff; Löwisch, §74 BetrVG Rn. 7 f.; Stege/Weinspach, § 74 BetrVG Rn. 7, 12 ff. 42

Α. § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG

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,Arbeitgeber und Betriebsrat haben alles zu unterlassen, was geeignet ist, die Arbeit und den Frieden im Betrieb zu gefährden. Insbesondere dürfen Arbeitgeber und Betriebsrat keine Maßnahmen des Arbeitskampfes gegeneinander durchführen. Arbeitskämpfe tariffähiger Parteien werden hierdurch nicht berührt." (§49 Abs. 2 BetrVG 1952) Die Formulierung „insbesondere" macht deutlich, daß der zweite Satz eine Konkretisierung des ersten darstellt, das ArbeitskampfVerbot also ein Unterfall der allgemeinen betrieblichen Friedenspflicht ist. Schon dem Betriebsverfassungsgesetz von 1952 war kein ausdrücklicher Hinweis darauf zu entnehmen, daß sich das ArbeitskampfVerbot auf die betriebliche Mitbestimmung auswirken sollte. In der Begründung des Betriebsverfassungsgesetzentwurfes der Bundesregierung vom 31.10.1950 wird das Arbeitskampfverbot erläutert: ,insbesondere dürfen Arbeitgeber wie Betriebsrat keine Maßnahmen des Arbeitskampfes (Streik, Aussperrung, Boykott) im Betrieb gegeneinander durchfuhren." 45 Dem liegt ein arbeitskampfrechtliches Verständnis des Begriffs der Arbeitskampfmaßnahme zugrunde. Die Wahrnehmung von Beteiligungsrechten wird nicht als Maßnahme des Arbeitskampfes angesehen; die Problematik der betrieblichen Mitbestimmung im Arbeitskampf ist in der Entwurfsbegründung nicht erwähnt. Auch im Bericht des Ausschusses fur Arbeit, dem der Gesetzentwurf zugeleitet wurde 46 , findet sich kein Anhaltspunkt für einen Zusammenhang zwischen dem Arbeitskampfverbot und den Beteiligungsrechten während des Arbeitskampfes. Die Maßnahmen des Arbeitskampfes, die § 49 Abs. 2 S. 2 BetrVG 1952 den Betriebspartnern untersagt, werden, ebenso wie im Regierungsentwurf, arbeitskampfrechtlich verstanden: „Streiks und Aussperrungen gegeneinander sind verboten, ohne daß durch dieses Verbot die Arbeitskämpfe tariflahiger Parteien in irgendeiner Weise berührt werden."47 Nach Inkrafttreten des Betriebsverfassungsgesetzes von 1952 sind während der fünfziger und sechziger Jahre in Rechtsprechung und Schrifttum nur vereinzelte Stellungnahmen zum Problem der betrieblichen Mitbestimmung im Arbeitskampf anzutreffen. Vorherrschend war die Ansicht, das Betriebsratsamt ruhe während des Arbeitskampfes, daher könne der Betriebsrat in dieser Zeit keine Beteiligungsrechte geltend machen.48 § 49 Abs. 2 S. 2 BetrVG 1952 wurde, den Gesetzesmaterialien folgend, als Verbot von Streik, Aussperrung

45

BT-Drucksache 1/1546, S. 52. Zur Entstehung des Betriebsverfassungsgesetzes von 1952 vgl. Fitting/Kaiser/ Heither/Engels, Einleitung, S. 67. 47 BT-Drucksache 1/3585, S. 8. 48 Vgl. oben 2. Kapitel unter Β I, Fußnote 55. 46

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4. Kapitel: Betriebsverfassungsrechtliche Vorgaben

und sonstigen wirtschaftlichen Kampfmaßnahmen gedeutet.49 Darüber hinaus hat man aus der Vorschrift eine Neutralitätspflicht des Betriebsrats abgeleitet: Der Betriebsrat müsse sich als Organ jeder Tätigkeit in der Tarifauseinandersetzung enthalten: nur als Arbeitnehmer, nicht jedoch in ihrer Funktion als Amtsträger, sei es den Betriebsratsmitgliedern erlaubt, am Arbeitskampf teilzunehmen. 50 Jedenfalls findet sich zum Betriebsverfassungsgesetz von 1952 keine Stimme, die aus dem Arbeitskampfverbot des § 49 Abs. 2 S. 2 BetrVG eine Beschränkung von Beteiligungsrechten gefolgert hätte. Hat nun der Gesetzgeber des Betriebsverfassungsgesetzes von 1972 das bis dahin geltende Verständnis des betriebsverfassungsrechtlichen Arbeitskampfverbotes übernommen oder wollte er - weitergehend - das ArbeitskampfVerbot auch als Ausübungsschranke für Beteiligungsrechte verstanden wissen? Zwar wurde das ArbeitskampfVerbot im Betriebsverfassungsgesetz von 1972 der allgemeinen Friedenspflicht vorangestellt, deshalb konnte auf die klarstellende Konjunktion „insbesondere" verzichtet werden. Daraus ist aber nicht zu schließen, der Gesetzgeber habe von der überkommenen Deutung des § 49 Abs. 2 S. 2 BetrVG 1952 abweichen wollen. Aus den Gesetzesmaterialien geht im Gegenteil hervor, daß er vom traditionellen Verständnis des Arbeitskampfverbotes ausging. Im Regierungsentwurf zum Betriebsverfassungsgesetz von 1972 heißt es: „§ 74 Abs. 2 und 3 sind § 49 Abs. 1 und 2 des geltenden Rechts nachgebildet. Auch die Friedenspflicht zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber bleibt im Interesse der Sicherung des geordneten Arbeitsablaufs und des Betriebsfriedens bestehen. Dies gilt insbesondere für die Durchführung von Maßnahmen des Arbeitskampfes, die den tariffahigen Parteien vorbehalten bleibt, während die Regelung von Meinungsverschiedenheiten zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber sich in den im Gesetz vorgezeichneten rechtlichen Bahnen zu vollziehen hat."51 Im Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung, der den Gesetzentwurf in 23 Sitzungen beriet 52 , findet man dazu folgende Ausfuhrungen: „Ausgehend vom Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit wird auch die Friedenspflicht zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber im Interesse der Sicherung eines geordneten Arbeitsablaufs und des Betriebsfriedens aufrechterhalten. Aus die-

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Dietz (4. Aufl. 1967), § 49 BetrVG Rn. 13 ff.; Fitting/Kraegeloh/Auffarth (9. Aufl. 1970), §49 BetrVG Rn. 16; Galpêrin/Siebert (4. Aufl. 1963), §49 BetrVG Rn. 18 ff.; Neumann-Duesberg, Betriebsverfassungsrecht, S. 441 f. 50 So Dietz (4. Auflage 1967), § 49 BetrVG Rn. 14; Fitting/Kraegeloh/Auffarth (9. Auflage 1970), § 49 BetrVG Rn. 17; Galperin/Siebert (4. Auflage 1963), § 49 BetrVG Rn. 18, 20 f. 51 BT-Drucksache 6/1786, S. 33, 46. 52 Zur Entstehung des Betriebsverfassungsgesetzes von 1972 vgl. Fitting/ Kaiser/ Heither /Engels, Einleitung, S. 67 f.; Kittfier in Däubler/Kittner/Klebe/Schneider (Hrsg.), Einleitung Rn. 27 ff.

Α. § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG

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sem Grund sind insbesondere Arbeitskampfmaßnahmen, die ausschließlich den Tarifpartnern vorbehalten sind, weiterhin untersagt."53 Die Gesetzesmaterialien wiederholen also den Regelungsgehalt des § 49 Abs. 2 BetrVG 1952, so wie er in der Rechtslehre allgemein verstanden wurde. Demgegenüber gibt es keine Anhaltspunkte dafür, daß sich aus dem Arbeitskampfverbot irgendwelche Auswirkungen auf die betriebliche Mitbestimmung während des Arbeitskampfes ergeben sollten. Ein Hinweis in diese Richtung wäre aber zu erwarten gewesen, falls der Gesetzgeber mit diesem neuen Gedanken von der herkömmlichen Auslegung des Arbeitskampfverbotes hätte abweichen wollen. Vor allem die Ausführungen zu den „Maßnahmen des Arbeitskampfes" machen deutlich, daß die Problematik der Beteiligungsrechte im Arbeitskampf bei der Neufassung des § 74 Abs. 2 BetrVG keine Rolle spielte. „Maßnahmen des Arbeitskampfes" sind nach der Vorstellung des Gesetzgebers solche, deren Durchführung den Tarifparteien vorbehalten ist. Nach dieser arbeitskampfrechtlichen Sicht zählt die Wahrnehmung von Beteiligungsrechten nicht zu den gem. § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG verbotenen Kampfmaßnahmen, denn die Tarifparteien sind für die Wahrnehmung betriebsverfassungsrechtlicher Befügnisse nicht zuständig. Die Auswertung der Gesetzesmaterialien ergibt somit, daß der Wille des Gesetzgebers nicht darauf gerichtet war, § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG zu einer Ausübungsschranke für die Beteiligungsrechte im Arbeitskampf zu machen. Viel spricht im Gegenteil dafür, daß der Gesetzgeber des Betriebsverfassungsgesetzes von 1972 an diese Problematik gar nicht denken konnte. Aus Rechtsprechung und Schrifttum lagen bis dahin kaum differenzierte Stellungnahmen zur Frage der betrieblichen Mitbestimmung während des Arbeitskampfes vor. Bei der Verabschiedung des Betriebsverfassungsgesetzes von 1952 mußte eine ausdrückliche gesetzliche Regelung entbehrlich scheinen, weil damals die individualrechtliche Sicht des Arbeitskampfes vorherrschend war, wonach Streik und Aussperrung mit einer Kündigung des Arbeitsvertrages und damit notwendigerweise auch mit einer Beendigung des Betriebsratsamtes verbunden waren. 54 Die erste höchstrichterliche Entscheidung zum Problemkreis der Rechtsstellung des Betriebsrats im Arbeitskampf stammt aus dem Jahr 1971. Der Große Senat des Bundesarbeitsgerichts entschied am 21.4.1971, Betriebsratsmitglieder dürften nicht lösend ausgesperrt werden 55 ; in der Folgeentscheidung vom 26.10.1971 setzte sich das Bundesarbeitsgericht zum ersten Mal mit der arbeitskampfbedingten Einschränkung von Beteili-

53 54 55

BT-Drucksache 6/2729, S. 10. Vgl. Jahn, Beteiligung, S. 45 f. BAG AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, vgl. o. 2. Kapitel unter A l l .

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4. Kapitel: Betriebsverfassungsrechtliche Vorgaben

gungsrechten auseinander. 56 Das Betriebsverfassungsgesetz wurde am 10.11.1971 in zweiter und dritter Lesung vom Bundestag verabschiedet. Es kann nicht ernsthaft angenommen werden, daß eine vierzehn Tage zuvor ergangene Gerichtsentscheidung den Willen des Gesetzgebers beeinflußt haben könnte. 57 Die historische Auslegung führt daher zu dem Ergebnis, daß der Gesetzgeber sich vom hergebrachten Verständnis des betriebsverfassungsrechtlichen Arbeitskampfverbotes leiten ließ und § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG keine Bedeutung für die betriebliche Mitbestimmung während des Arbeitskampfes zumessen wollte. 4. Sinn und Zweck Entscheidende Bedeutung kommt der teleologischen Auslegung zu, die auf den Gesetzeszweck abstellt. 58 Die Frage ist, ob nach dem Sinn und Zweck des § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG die Ausübung von Beteiligungsrechten während des Arbeitskampfes einzuschränken ist. a) Schutzgegenstände Bei der Ermittlung der ratio legis ist ein Blick in die Gesetzesmaterialien hilfreich. 59 Aus den Materialien des Betriebsverfassungsgesetzes ergeben sich Hinweise darauf, welche Absichten der Gesetzgeber verfolgte, als das betriebsverfassungsrechtliche ArbeitskampfVerbot festgelegt wurde. Das Arbeitskampfverbot besteht danach „ i m Interesse der Sicherung des geordneten Arbeitsablaufs und des Betriebsfriedens" 60; die Beilegung von Meinungsverschiedenheiten müsse sich in den betriebsverfassungsgesetzlich vorgezeichneten Bahnen volllziehen. 61 Schutzgegenstände des § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG

56

2.

BAG AP Nr. 44 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 68 R, vgl. o. 2. Kapitel unter A I

57 So auch Häßler, Beteiligungsrechte, S. 58 f., der allerdings gleichwohl meint, die Entstehungsgeschichte des Betriebsverfassungsgesetzes spreche nicht gegen eine Auslegung des § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG i. S. einer Ausübungsschranke für Beteiligungsrechte im Arbeitskampf. 58 Vgl. Bydlinski, Methodenlehre, S. 565; Larenz, Methodenlehre, S. 344; Säcker in MünchKomm, Einleitung Rn. 128. 59 Bydlinski, Methodenlehre, S. 451; Fikentscher, Methoden ΙΠ, S. 678; Wank, RdA 1987, S. 129, 133. 60 BT-Drucksache 6/1786, S. 33, 46; 6/2729, S. 10. 61 BT-Drucksache 6/1786, S. 33, 46.

Α. § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG

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sind demnach Arbeitsablauf und Betriebsfrieden 62 sowie die Verfahrensregeln des Betriebsverfassungsgesetzes. 63 Es wird auch die Ansicht vertreten, § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG sei als Ausdruck des Paritätsgedankens zu verstehen und schütze das Kampfgleichgewicht der Tarifparteien. 64 Das überzeugt indessen nicht. Zum einen wird der Paritätsgedanke in den Gesetzesmaterialien, die sich mit dem Schutzzweck des ArbeitskampfVerbotes befassen, nicht erwähnt. Zum anderen ist zu beachten, daß § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG nicht allein an den Betriebsrat, sondern an beide Betriebsparteien gerichtet ist. Das läßt sich nur im Hinblick auf betriebliche Belange, nicht jedoch mit arbeitskampfrechtlichen Paritätserwägungen begründen. Aus Gründen der Kampfparität mag man dem Betriebsrat verbieten, Kampfmaßnahmen gegen den Arbeitgeber zu ergreifen, weil der Betriebsrat seine betriebsverfassungsgesetzliche Stellung paritätsstörend mißbrauchen könnte. Inwiefern aber Kampfmaßnahmen, die der Arbeitgeber gegen den Betriebsrat richtet, die Kampfparität verschieben und deshalb betriebsverfassungsgesetzlich verboten werden, ist nicht erklärlich. Diese Erwägungen sprechen entscheidend dagegen, daß die Kampfparität durch das betriebsverfassungsrechtliche ArbeitskampfVerbot geschützt wird. 6 5 Es bleibt daher bei den oben genannten Schutzgegenständen. Zu untersuchen ist, ob sie dadurch beeinträchtigt werden, daß der Betriebsrat während des Arbeitskampfes Beteiligungsrechte wahrnimmt. Nur wenn das der Fall ist, entspricht es der ratio des § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG, die betriebliche Mitbestimmung einzuschränken. aa) Betriebsfrieden Der nebulöse Begriff des Betriebsfriedens, der als Schutzgegenstand des § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG allgemein anerkannt ist, bedarf zunächst näherer Konkretisierung. Ein materielles Verständnis des Betriebsfriedens als Zustand von Harmonie und Eintracht 66 stößt auf Bedenken. Dieser Friedenszustand wäre wohl nur 62

Insoweit allgemein anerkannt, vgl. Brox in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 405; H. W. Dietz, Friedenspflicht, S. 10; Häßler, Beteiligungsrechte, S. 61; Heinze, DB Beilage 23/1982, S. 5; Kreutz in GK-BetrVG, § 74 BetrVG Rn. 32, 43. 63 So auch Brox in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht Rn. 404; Etzel, Betriebsverfassungsrecht Rn. 466; Kreutz in GK-BetrVG, § 74 BetrVG Rn. 32. 64 Kraft, Festschrift G. Müller, S. 265, 274. 65 Im Ergebnis ebenso Häßler, Beteiligungsrechte, S. 59 f.; Wiese, NZA 1984, S. 378, 380. 66 In diese Richtung BAG AP Nr. 73 zu § 626 BGB, Bl. 710 R; Blomeyer., ZfA 1972, S. 85, 117; Kreutz in GK-BetrVG, § 74 BetrVG Rn. 116.

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4. Kapitel: Betriebs verfassungsrechtliche Vorgaben

denkbar, wenn keine Abhängigkeit zwischen Menschen besteht und Freiheit und Gleichheit hergestellt sind. Das Arbeitsverhältnis ist aber durch die persönliche Abhängigkeit der Arbeitnehmer bestimmt, und die Belegschaft ist keine freie Vereinigung, sondern ein Zwangsverband der Beschäftigten. Aufgrund dessen wird sich ein harmonischer, von Einvernehmen geprägter Friedenszustand im Betrieb nicht realisieren lassen.67 Hinzu kommt folgendes: Im Vergleich zu seinem Vorgänger betont das Betriebsverfassungsgesetz von 1972 den Interessengegensatz zwischen Arbeitgeber und dem Betriebsrat als Vertreter der Belegschaft. 68 Die Zusammenarbeit der Betriebsräte mit den Gewerkschaften wurde verstärkt, der Bereich der erzwingbaren Mitbestimmung erweitert, die Zwangsschlichtung durch die Einigungsstelle ausgedehnt.69 Das muß sich auch auf das Verständnis des Betriebsfriedens auswirken. Der Betriebsfrieden i. S. des Betriebsverfassungsgesetzes von 1972 läßt sich nicht materiell, sondern nur formell bestimmen. Gemeint ist eine bestimmte Art und Weise der Austragung von Konflikten. 70 Die Konfliktregelung soll in dem Sinne „friedlich" vonstatten gehen, daß das gesetzlich vorgesehene Verfahren eingehalten wird. 7 1 Der Betriebsrat, der während des Arbeitskampfes seine Beteiligungsrechte geltend macht, handelt demnach nicht „unfriedlich", sofern er das betriebsverfassungsrechtliche Verfahren zur Konfliktregelung befolgt. 72 So gesehen gefährdet vielmehr der Arbeitgeber den Betriebsfrieden, falls er bestimmte Maßnahmen durchfuhren will, ohne den Betriebsrat zu beteiligen. Aber auch dann, wenn man dem formellen Verständnis nicht folgt und den Begriff des Betriebsfriedens materiell als Harmonie im Betrieb auffaßt, ergibt sich kein anderes Ergebnis. Jedenfalls im Arbeitskampf ist ein harmonisches Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Belegschaft - sollte es denn jemals bestanden haben - nicht aufrechtzuerhalten. Der Betriebsfrieden (im materiellen Sinn verstanden) wird nicht erst durch die Ausübung von Beteiligungsrechten

67

So Kohte, AuR 1984, S. 125 unter Berufung auf Kant. Vgl. BT-Drucksache 6/2729, S. 10: „Wenn auch Betriebsrat und Arbeitgeber zur vertrauensvollen Zusammenarbeit zum Wohl des Betriebes und seiner Arbeitnehmer verpflichtet sind, bleibt der natürliche Interessengegensatz zwischen Belegschaft und Arbeitgeber bestehen, der die kollektive Arbeitnehmervertretumg im Betrieb erst rechtfertigt." Dazu auch BiebachMayer, AuR 1982, S. 169, 173; Kreutz, BIStSozArbR 1972, S. 44, 46; Reuter, AuR 1973, S. 1, 2. 69 Vgl. Blomeyer, ZfA 1972, S. 85, 116, der daraufhinweist, daß konsequenterweise die aus § 49 Abs. 2 S. 1 BetrVG 1952 übernommene Friedenspflicht hätte eingeschränkt werden müssen, was sich jedoch politisch nicht durchsetzen ließ. 70 Kohte, AuR 1984, S. 125. 71 Bieback, RdA 1978, S. 82, 96; Dietz/Richardi, BetrVG, § 74 Rn. 46; Gernielmann, Betriebsfrieden, S. 94 ff. 72 Dazu Berg in Däubler/Kittner/Klebe/Schneider (Hrsg.), § 74 BetrVG Rn. 26. 68

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beeinträchtigt, vielmehr ist er schon aufgrund der Tarifauseinandersetzung gestört. Daß der Betriebsrat eine darüber hinausgehende, zusätzliche Friedensstörung bewirkt, indem er seine Rechte wahrnimmt, ist kaum vorstellbar. Mit dem gleichen Recht, mit dem man dem Betriebsrat eine zusätzliche Störung anlastet, könnte sie auch dem Arbeitgeber vorgeworfen werden, wenn er arbeitskampfbedingte Maßnahmen ohne Betriebsratsbeteiligung durchsetzen will. 7 3 Die typischen, in Rechtsprechung und Schrifttum behandelten Fälle 74 einer Störung des Betriebsfriedens sind auch ganz anders gelagert, ζ. B. die Veröffentlichung eines Briefwechsels zwischen den Betriebsparteien 75, die Verbreitung bewußt unwahrer Behauptungen76, einseitige Entfernung einer Veröffentlichung der anderen Betriebspartei 77, Verteilung von Flugblättern gegen den Betriebspartner. 78 Die betriebliche Mitbestimmung während des Arbeitskampfes kann somit den durch § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG geschützten Betriebsfrieden nicht beeinträchtigen. bb) Arbeitsablauf Im Gegensatz zum problematischen Begriff des Betriebsfriedens ist es erfreulich klar, was man unter dem Begriff des Arbeitsablaufs zu verstehen hat: Gemeint ist die tatsächliche Verrichtung der Arbeit gemäß der betrieblichen Gestaltung des Arbeitsprozesses. 79 Nun liegt es aber im Wesen des Arbeitskampfes, daß der Arbeitsprozeß während der Auseinandersetzung gestört wird oder sogar ganz zum Erliegen kommt. Im arbeitskampfbetroffenen Betrieb ist der Arbeitsablauf, den § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG schützen will, ohnehin beeinträchtigt. Denkbar wäre es allerdings, der Vorschrift in diesem Fall die Be73

Jahn, Beteiligung, S. 198. Der Typen vergleich beruht auf dem Gleichbehandlungsgrundsatz (tatsächlich gleichgelagerte oder ähnlich gelagerte Fälle müssen auch gleiche Rechtsfolgen nach sich ziehen) und stellt ein legitimes Auslegungsmittel bei der Erforschung des Gesetzeszwecks dar, vgl. dazu insbesondere Leenen, Typus, S. 80 ff.; ferner Bydlinski, Methodenlehre, S. 548 ff.; Zippelius, Methodenlehre, S. 66 ff. 75 LAG Düsseldorf, BB 1977, S. 294 f.; Fitting/Kaiser/Heither/Engels, §74 BetrVG Rn. 28; Dietz/Richardi, § 74 BetrVG Rn. 46; Kreutz in GK-BetrVG, § 74 BetrVG Rn. 121. 76 Berg in Däubler/Kittner/Klebe/Schneider (Hrsg.), § 74 BetrVG Rn. 25. 77 Fitting/Kaiser/Heither/Engels, § 74 BetrVG Rn. 28; Galperin/Löwisch, § 74 BetrVG Rn. 15; Kreutz in GK-BetrVG, § 74 BetrVG Rn. 121. 78 Fitting/Kaiser/Heither/Engels, § 74 BetrVG Rn. 28. 79 Berg in Däubler/Kittner/Klebe/Schneider (Hrsg.), § 74 BetrVG Rn. 24; Dietz/Richardi, § 74 BetrVG Rn. 45; Kreutz in GK-BetrVG, § 74 BetrVG Rn. 116. 74

76

4. Kapitel: Betriebsverfassungsrechtliche Vorgaben

deutung beizumessen, der Betriebsrat dürfe keine weitergehende Störung des Arbeitsablaufs herbeiführen. Die Frage ist nur, ob eine solche weitergehende Störung auch durch die Ausübung von Beteiligungsrechten hervorgerufen werden kann. Dagegen spricht, daß die betriebliche Mitbestimmung keine direkten Auswirkungen auf den Arbeitsablauf hat. Allerdings könnten sich mittelbare Auswirkungen ergeben, falls der Betriebsrat die erforderliche Zustimmung zu einer Maßnahme verweigert, die der Arbeitgeber vornimmt, um die Produktion trotz des Arbeitskampfes aufrechtzuerhalten. Derartige Maßnahmen kommen vor allem dann in Betracht, wenn der Betrieb nur teilweise bestreikt wird. Der Arbeitgeber kann z. B. versuchen, durch Einstellungen und Versetzungen von Arbeitnehmern (§ 99 BetrVG) oder durch die Verlängerung der Arbeitszeit für Arbeitswillige (§ 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG) die Betriebstätigkeit fortzuführen. Widerspricht der Betriebsrat diesen Maßnahmen, so könnte sich das mittelbar auf den Arbeitsablauf im Betrieb auswirken. Gleichwohl darf nicht verkannt werden, daß die wesentliche Ursache der Störung nicht in der Beteiligung des Betriebsrats liegt, sondern im Arbeitskampfgeschehen. Typische Fälle einer Beeinträchtigung des Arbeitsablaufs sind jedenfalls andere, beispielsweise die Durchführung von Fragebogenaktionen während der Arbeitszeit 80 oder die Aufforderung an die Arbeitnehmer, Weisungen des Arbeitgebers nicht zu befolgen. 81 Damit ist die Wahrnehmung von Beteiligungsrechten kaum zu vergleichen. cc) Betriebsverfassungsrechtliche

Verfahrensregelung

§ 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG soll auch gewährleisten, daß die Betriebsparteien das betriebsverfassungsgesetzlich vorgesehene Verfahren zur Beilegung von Meinungsverschiedenheiten einhalten und nicht durch Kampfmaßnahmen umgehen. Das Gesetz sieht als Verfahrensregelung teilweise die Entscheidung der Einigungsstelle (vgl. § 87 Abs. 2 BetrVG), teilweise die Anrufüng des Arbeitsgerichts vor (vgl. §§ 99 Abs. 4, 103 Abs. 2 BetrVG). Würde man die Beteiligungsrechte des Betriebsrats im Arbeitskampf aber einschränken, dann ergäbe sich für den Arbeitgeber die Möglichkeit, entgegen den betriebsverfassungsrechtlichen Verfahrensregeln bestimmte Anordnungen einseitig durchzusetzen. Der Schutz des betriebsverfassungsrechtlichen Verfahrens spricht somit als Normzweck des § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG dagegen, die betriebliche Mitbestimmung während des Arbeitskampfes einzuschränken.

80 81

BAG AP Nr. 10 zu § 80 BetrVG 1972. Kreutz in GK-BetrVG, § 74 BetrVG Rn. 121.

Α. § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG dd) Zwischenergebnis Eine nähere Betrachtung der Schutzgegenstände des § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG kann die These, die Vorschrift enthalte eine Ausübungsschranke für Beteiligungsrechte im Arbeitskampf, nicht stützen. Der Betriebsfrieden wird durch die betriebliche Mitbestimmung nicht beeinträchtigt; der Schutz des betriebsverfassungsrechtlichen Verfahrens legt es gerade nahe, die Beteiligungsrechte des Betriebsrats aufrechtzuerhalten. Ob der Arbeitsablauf als Schutzgegenstand des § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG für eine Beschränkung der betriebliche Mitbestimmung spricht, erscheint jedenfalls zweifelhaft. b) Rechtsfolgen Aufschluß über Sinn und Zweck einer Norm geben insbesondere ihre Rechtsfolgen. 82 Tatbestand und Rechtsfolge dürfen nicht als isolierte, voneinander unabhängige Bestandteile der Rechtsnorm gesehen werden. Rechtssätze beruhen auf einem Finalprogramm (dem gesetzlichen Regelungszweck), das in ein Konditionalprogramm umgesetzt ist. Tatbestand und Rechtsfolge des Konditionalprogramms müssen das Finalprogramm erfüllen. 83 Insofern besteht ein Sinnzusammenhang zwischen Tatbestand und Rechtsfolge, der bei der teleologischen Auslegung nicht unberücksichtigt bleiben darf. 84 Der Regelungszweck eines Rechtssatzes kommt gerade in seiner Rechtsfolge zum Ausdruck. 85 Untersucht man, ob ein bestimmter Lebenssachverhalt von der ratio einer bestimmten Norm umfaßt wird, so ist danach zu fragen, ob die von der Norm angeordneten Rechtsfolgen „passen". Welche Rechtsfolgen ordnet § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG an? Die Vorschrift sagt zunächst nur, daß Maßnahmen des Arbeitskampfes „unzulässig" sind, ohne die Rechtsfolgen näher zu umschreiben. Deutlich wird jedoch, daß das Arbeitskampfverbot absolut gilt; anders als bei der allgemeinen Friedenspflicht gem. § 74 Abs. 2 S. 2 BetrVG kommt es nicht auf eine konkrete Beeinträchtigung des Arbeitsablaufs oder Betriebsfriedens an. 8 6 Eine nach § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG unzulässige Maßnahme darf keine Betriebspartei durchführen; das ArbeitskampfVerbot stellt also eine Unterlassungspflicht

82

Dazu Wank, Begriffsbildung, S. 87 ff. Wank, Begriffsbildung, S. 93. 84 Germann, Rechtsfindung, S. 88 f.; Nierwetberg, JZ 1983, S. 237, 239; Wank, Begriffsbildung, S. 88 f.; ders., RdA 1987, S. 129, 133. 85 Wank, Begriffsbildung, S. 90. 86 Häßler, Beteiligungsrechte, S. 60; Heinze, DB Beilage 23/1982, S. 5; Kreutz in GK-BetrVG, § 74 BetrVG Rn. 31, 35. 83

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4. Kapitel: Betriebsverfassungsrechtliche Vorgaben

dar 87 - ebenso wie die allgemeine Friedenspflicht, deren Wortlaut insoweit eindeutiger ist. Den Betriebspartnern steht ein Anspruch auf Unterlassung der Arbeitskampfmaßnahme zu, der im arbeitsgerichtlichen Beschlußverfahren gem. §§ 81 ff. ArbGG durchgesetzt werden kann. 88 Außerdem enthält das Betriebsverfassungsgesetz in § 23 Abs. 1 und Abs. 3 Sanktionen für Verstöße gegen das ArbeitskampfVerbot. 89 Daneben sind Schadensersatzansprüche und Kündigungen in Betracht zu ziehen. 90 Teilweise wird auch erwogen, daß ein Betriebsratsbeschluß, der gegen § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG verstößt, gem. § 134 BGB nichtig ist. 91 Im folgenden soll untersucht werden, ob die Rechtsfolgen, die sich aus einer Verletzung des Arbeitskampfverbotes ergeben können, dafür oder dagegen sprechen, § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG als Ausübungsschranke für Beteiligungsrechte im Arbeitskampf zu interpretieren. aa) Absolutes Verbot „Maßnahmen des Arbeitskampfes" sind gem. § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG absolut verboten, eine konkrete Beeinträchtigung betrieblicher Belange ist nicht erforderlich. Aus diesem absoluten Verbot wird vereinzelt abgeleitet, daß der Begriff der Arbeitskampfmaßnahme im Rahmen des § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG weit auszulegen sei. 92 Ich vermag dem nicht zu folgen. § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG stellt sich als Ausnahmeregelung zu § 74 Abs. 2 S. 2 BetrVG dar, weil die Vorschrift alle Arbeitskampfmaßnahmen verbietet, ohne auf eine konkrete Betriebsstörung abzustellen. Ausnahmevorschriften sind aber grundsätzlich eng auszulegen.93 Das Gesetz geht davon aus, daß in den von § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG erfaßten Fällen stets eine Beeinträchtigung betrieblicher Belange vorliegt. 94 Diese gesetzliche Wertung paßt zwar auf die klassischen Kampfmaßnahmen im arbeitskampfrechtlichen Sinne wie zum Beispiel Streik und Aussperrung, die ge87

Häßler, Beteiligungsrechte, S. 66 f. Brox in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht Rn. 422, 427; Kreutz in GK-BetrVG, § 74 BetrVG Rn. 76 if. 89 Vgl. Dietz/Richardi, § 74 BetrVG Rn. 50 f.; Fitting/Kaiser/Heither/Engels, § 74 BetrVG Rn. 65; Kreutz in GK-BetrVG, § 74 BetrVG Rn. 79. 90 Dazu Brox in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht Rn. 417 ff.; H. W. Dietz, Friedenspflicht, S. 56 ff.; Kreutz in GK-BetrVG, § 74 BetrVG Rn. 81 ff. 91 Heinze, DB Beilage 23/1982, S. 9; Kreutz in GK-BetrVG, § 74 BetrVG Rn. 75. 92 So Häßler, Beteiligungsrechte, S. 61; Heinze, DB Beilage 23/1982, S. 6; Kreutz in GK-BetrVG, § 74 BetrVG Rn. 43. 93 Vgl. Larenz, Methodenlehre, S. 355 f.; Säcker in MünchKomm, Einl. Rn. 102. 94 Heinze, DB Beilage 23/1982, S. 6; Kreutz in GK-BetrVG, § 74 BetrVG Rn. 32. 88

Α. § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG

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rade darauf abzielen, die Betriebstätigkeit lahmzulegen, nicht jedoch auf die Wahrnehmung von Beteiligungsrechten. Insofern spricht das absolute Verbot von Arbeitskampfmaßnahmen, das § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG anordnet, gegen eine extensive Auslegung der Norm, wonach auch die Ausübung von Beteiligungsrechten als Maßnahme des Arbeitskampfes aufzufassen wäre. bb) Unterlassungspflicht § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG ordnet an, daß Arbeitgeber und Betriebsrat Arbeitskampfmaßnahmen zu unterlassen haben. Ein Verstoß gegen das Arbeitskampfverbot kann betriebsverfassungsrechtliche oder individualrechtliche Sanktionen nach sich ziehen, ersetzt indessen nicht die erforderliche Einigung der Betriebsparteien. § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG enthält als Rechtsfolge eben nur eine Unterlassungspflicht, keine Handlungspflicht (etwa die Pflicht, einer Maßnahme des Arbeitgebers zuzustimmen). 95 Im Arbeitskampf geht es dem Arbeitgeber jedoch nicht nur darum, daß der Betriebsrat störende Aktivitäten unterläßt, sondern auch und vor allem darum, gewisse Maßnahmen mitbestimmungsfrei durchfuhren zu dürfen. Mit einem bloßen Unterlassungsanspruch ist ihm deshalb nicht gedient. Diejenigen, die aus § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG eine Beschränkung der Beteiligungsrechte ableiten wollen, versuchen hier, rechtsfortbildend 96 zu einem Alleinentscheidungsrecht des Arbeitgebers zu gelangen, indem sie eine Parallele zum Gesellschaftsrecht ziehen. Bei gemeinschaftlicher Geschäftsführung sei anerkannt, daß ein Gesellschafter allein handeln könne, wenn die anderen Gesellschafter pflichtwidrig ihre Zustimmung zu einer Geschäftsfuhrungsmaßnahme verweigern (so im Anwendungsbereich der §§ 709 BGB, 115 Abs. 2 HGB) oder pflichtwidrig Widerspruch erheben (im Anwendungsbereich der §§711 BGB, 115 Abs. 1 HGB). Das lasse sich auf den Fall übertragen, daß der Betriebsrat, gegen das Verbot des § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG verstoßend, seine Zustimmung zu einer Maßnahme des Arbeitgebers verweigere, die während des Arbeitskampfes durchgeführt werden soll. Der Arbeitgeber sei dann befugt, diese Maßnahme einseitig anzuordnen. 97 Dieser Gedankengang überzeugt nicht. Zunächst muß das methodische Vorgehen befremden. Die Vertreter dieses Ansatzes strapazieren den Wortlaut des § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG, um die Wahrnehmung von Beteiligungsrechten unter den Begriff der Maßnahmen des Arbeitskampfes subsumieren zu kön-

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Häßler, Beteiligungsrechte, S. 67. Vgl. H W. Dietz, Friedenspflicht, S. 141; Häßler, Beteiligungsrechte, S. 67 ff. 97 So als erster Heinze, DB Beilage 23/1982, S. 10 ff.; ihm folgend H W. Dietz, Friedenspflicht, S. 139 ff.; Häßler, Beteiligungsrechte, S. 67 f. 96

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4. Kapitel: Betriebsverfassungsrechtliche Vorgaben

nen. Nachdem aber mit viel Mühe darzulegen versucht wird, daß der Tatbestand des § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG das Problem der betrieblichen Mitbestimmung im Arbeitskampf erfasse, stellt man fest, daß die Norm keine für dieses Problem passende Rechtsfolge bereit hält und will dann Rechtsfortbildung betreiben. Das erscheint methodisch unhaltbar. In der juristischen Methodenlehre ist anerkannt, daß der Tatbestand einer Norm erweitert werden kann, um zur gewünschten, von der Norm angeordneten Rechtsfolge zu gelangen (teleologische Extension oder Analogie). 98 Möglich ist es auch, den Anwendungsbereich einer Norm einzuengen, wenn der Tatbestand nach Sinn und Zweck der Vorschrift zu weit gefaßt ist (teleologische Reduktion). 99 Ist jedoch zweifelhaft, ob ein bestimmter Lebenssachverhalt vom Tatbestand einer Norm umfaßt wird und hält das Gesetz auch keine passende Rechtsfolge bereit, so sollte man auf die Anwendung der Norm ganz verzichten. Darüber hinaus ist die Parallele zum Gesellschaftsrecht zumindest problematisch. Die Gesellschafter schließen sich aufgrund eines Vertrages zusammen. Die auf den Gesellschaftszweck gerichtete Vertragsbindung der Gesellschafter rechtfertigt es, Ausnahmen vom Grundsatz der gemeinschaftlichen Geschäftsführung zuzulassen. Die Unbeachtlichkeit einer pflichtwidrig versagten Zustimmung oder eines pflichtwidrigen Widerspruchs durch einen Gesellschafter wird denn auch damit begründet, daß der pflichtwidrig Handelnde gegen seine gesellschaftsrechtliche Treuepflicht verstoße. 100 Dieser vertraglichen Nebenpflicht wird im Gesellschaftsrecht allgemein eine besondere Bedeutung beigemessen.101 Demgegenüber besteht im Betriebsverfassungsrecht keine vertragliche Beziehung zwischen den Betriebsparteien, aus der sich eine besondere „Treuepflicht" ergeben könnte. Gelegentlich wird allerdings vertreten. zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat bestehe ein gesetzliches Schuldverhältnis 102 , das „Betriebsverhältnis". 103 Selbst wenn man dem folgt, so ergibt sich aus diesem Verhältnis doch vor allem die Pflicht, die gesetzlich vorgese-

98

397. 99

Vgl. Bydlinski,

Methodenlehre, S. 473 ff.; Larenz, Methodenlehre, S. 381 ff.,

Vgl. Bydlinski, Methodenlehre, S. 480 f.; Larenz, Methodenlehre, S. 391. BGH NJW 1985, S. 974; WM 1988, S. 968, 970; BGHZ, 98, S. 276, 278 ff.; Baumbach/Duden/H opt, HGB, § 115 Anm. 1 C; Keßler in Staudinger, Vorbem. zu § 705 BGB Rn. 49, § 709 BGB Rn. 33, § 711 BGB Rn. 10; Ulmer in MünchKomm, § 709 BGB Rn. 40 f., § 711 BGB Rn. 11 f.; H. P. Westermann in Erman, § 709 BGB Rn. 35, §711 BGB Rn. 2,4,6. 101 Vgl. nur Keßler in Staudinger, Vorbem. zu § 705 BGB Rn. 38 m. w. N. 102 Heinze, DB Beilage 23/1982, S. 5; ders., ZfA 1988, S. 53, 71 ff.; Ottmann, Rechtsverhältnis, passim. 103 v. Hoyningen-Huene, NZA 1989, S. 121 ff.; ders., RdA 1992, S. 355, 357; ders. in MünchArbR, § 292 Rn. 1 ff. 100

Α. § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG

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henen Kompetenzen und Verfahrensregeln einzuhalten. 104 Gerade von dieser Pflicht will aber der Arbeitgeber sich lösen, falls er im Arbeitskampf ohne Beteiligung des Betriebsrats zu handeln versucht. Die Situation unterscheidet sich damit grundlegend von der gesellschaftsrechtlichen, wo der einseitig handelnde Gesellschafter nicht von seinen vertraglichen Pflichten Abstand nehmen, sondern diese im Gegensatz zu den anderen, sich pflichtwidrig verhaltenden Gesellschaftern realisieren will. cc) Abgrenzung zwischen arbeitskampfrelevanten und sonstigen Beteiligungsrechten Die entscheidende Frage ist jedoch, welche Maßnahmen der Arbeitgeber einseitig durchfuhren darf, oder - von der anderen Seite aus betrachtet - welche Beteiligungsrechte des Betriebsrats als verbotene Maßnahmen des Arbeitskampfes entfallen. 105 Darauf müßte § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG, wenn die Norm eine gesetzliche Konkurrenzregel für das Verhältnis von Arbeitskampfund Betriebsverfassungsrecht enthielte, eine Antwort geben können. Die Versuche, die Vorschrift in dieser Hinsicht zu konkretisieren, können allerdings nicht überzeugen. Häufig wird nicht auf das Beteiligungsrecht abgestellt, das der Betriebsrat geltend macht, sondern auf die jeweilige Maßnahme des Arbeitgebers. Mitbestimmungsfrei seien arbeitskampfbedingte, unmittelbar auf das Kampfgeschehen bezogene Maßnahmen. 106 Abgesehen davon, daß diese Umschreibung noch keine klare Abgrenzung ermöglicht, erscheint der Ansatz auch inkonsequent. Wer aus § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG eine Einschränkung von Beteiligungsbefugnissen ableiten will, der muß wenigstens den Regelungszuschnitt der Norm ernstnehmen. § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG untersagt dem Betriebsrat und dem Arbeitgeber, Maßnahmen des Arbeitskampfes gegeneinander zu ergreifen. Sollte die Vorschrift tatsächlich eine einschränkende Regelung über die betriebliche Mitbestimmung während des Arbeitskampfes enthalten, so ist das nur in Gestalt einer an den Betriebsrat gerichteten Verhaltenspflicht denk-

104 Aus dem „Betriebsverhälüiis" wird ein allgemeiner Anspruch des Betriebsrats auf Unterlassung mitbestimmungswidriger Maßnahmen abgeleitet, vgl. etwa Derleder, AuR 1983, S. 289, 299 ff.; Raab, Rechtsschutz, S. 132 ff. Dazu 9. Kapitel unter Β Π 1 b. 105 Im Lager derjenigen, die aus § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG eine Beschränkung der betriebliche Mitbestimmung im Arbeitskampf ableiten, besteht Einigkeit darüber, daß nicht alle Beteiligungsrechte des Betriebsrats entfallen sollen; vgl. o. unter A l l . 106 Vgl. o. unter A l l , Fußnoten 8 und 9. 6 Jansen

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4. Kapitel: Betriebsverfassungsrechtliche Vorgaben

bar. Es kann daher nicht auf die Maßnahmen des Arbeitgebers, sondern allein auf das Verhalten des Betriebsrats ankommen. 107 Heinze schlägt folgende Abgrenzung vor: Im Arbeitskampf dürfe der Betriebsrat ein Beteiligungsrecht nicht wahrnehmen, falls auf den Arbeitgeber ein unzulässiger Druck ausgeübt werde. 108 Dabei soll die arbeitskampfrechtliche Situation keine Rolle spielen. Maßnahmen, durch die der Betriebsrat auf den Arbeitgeber Druck ausübe, seien - auch außerhalb des Tarifkonflikts - als Maßnahmen mit Arbeitskampfwirkung gem. § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG umfassend verboten. 109 Demnach könnten die Beteiligungsrechte nicht nur im Arbeitskampf eingeschränkt werden, sondern auch im Arbeitsfrieden. 110 Dadurch ließe sich letztlich die gesamte Betriebsverfassung aushebeln; das ArbeitskampfVerbot des § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG würde zu einem Sprengsatz für die betriebliche Mitbestimmungsordnung. Das aber wird niemand ernstlich befürworten wollen. Aus diesem Grund kann die bloße Druckausübung kein geeignetes Abgrenzungskriterium sein. Andere fordern deshalb einen Druck auf den Arbeitgeber, der über den allgemein von Beteiligungsrechten ausgehenden Druck hinausgeht. 111 Problematisch ist freilich,wie man diesen „zusätzlichen Druck" bestimmen kann. Häßler gesteht, daß es schwer falle, eine allgemeingültige Beschreibung des „zusätzlichen Drucks" zu geben, es seien stets alle Umstände des Einzelfalles heranzuziehen. 112 Da eine nähere Konkretisierung nicht erfolgt, bleibt dieser Ansatz bedenklich vage. 113 Den Normtext des § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG läßt man damit jedenfalls weit hinter sich. Insgesamt erweisen sich die bislang vorgebrachten Bemühungen, unter Bezugnahme auf § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG mitbestimmungsfreie von mitbestimmungspflichtigen Anordnungen des Arbeitgebers abzugrenzen, als äußerst

107

Konsequent weisen Häßler, Beteiligungsrechte, S. 62 und Heinze, DB Beilage 23/1982, S. 3 daraufhin, daß die Arbeitskampfrelevanz gem. § 74 Abs. 2 S.l BetrVG eine auf den Betriebsrat bezogene Entscheidung sei. 108 Heinze, DB Beilage 23/1982, S. 8 f.; ebenso H W. Dietz, Friedenspflicht, S. 139 ff. 109 Heinze, DB Beilage 23/1982, S. 6 f. 110 So ausdrücklich Heinze, DB Beilage 23/1982, S. 15. 111 Häßler, Beteiligungsrechte, S. 62 ff.; Kreutz in GK-BetrVG, §74 BetrVG Rn. 65. 112 Häßler, Beteiligungsrechte, S. 63. 113 Das Kriterium des „zusätzlichen Druckes" wird bei der rechtlichen Beurteilung der betrieblichen Situation im Arbeitskampf auch nicht konsequent angewandt, vgl. Häßler, Beteiligungsrechte, S. 100 if. (Verzögerungsmöglichkeiten des Betriebsrats bei arbeitskampfbedingten Arbeitszeitverkürzungen als zusätzlicher Druck), S. 128 (Verzögerungsmöglichkeiten des Betriebsrats bei der Zahlung von Streikbruchprämien sollen keinen zusätzlichen Druck bewirken können).

Α. § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG

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fragwürdig. Die Regelung des Arbeitskampfverbotes ist eben nicht auf eine Beschränkung von Beteiligungsrechten zugeschnitten. dd) Zwischenergebnis Eine Betrachtung der Rechtsfolgen des § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG spricht gegen die Annahme, die Vorschrift enthalte eine Ausübungsschranke für Beteiligungsrechte. Das absolute Verbot der „Maßnahmen des Arbeitskampfes" legt eine restriktive Auslegung nahe. Die Rechtsfolge des Verbots, eine Unterlassungspflicht, gibt für eine Suspendierung der betrieblichen Mitbestimmung nichts her. Der Vorschrift des § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG läßt sich auch keine Abgrenzung zwischen arbeitskampfrelevanten und sonstigen Beteiligungsrechten entnehmen. Es entspricht daher nicht dem Sinn und Zweck des § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG, die Wahrnehmung von Beteiligungsrechten als unzulässige Maßnahme des Arbeitskampfes zu interpretieren. 5. Auslegungsergebnis Die Auslegung des § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG ergibt, daß diese Norm keine Regelung über das Schicksal der Beteiligungsrechte während des Arbeitskampfes enthält. Wortlaut, Entstehungsgeschichte und Gesetzeszweck stehen der Annahme entgegen, das betriebsverfassungsrechtliche ArbeitskampfVerbot stelle die gesuchte gesetzliche Konkurrenzregel für die Rechtsgebietskonkurrenz zwischen Arbeitskampfrecht und Betriebsverfassungsrecht dar. Die Problematik der betrieblichen Mitbestimmung im Arbeitskampf läßt sich nicht in das Prokrustesbett des § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG zwängen. Beteiligungsrechte des Betriebsrats sind keine „Maßnahmen des Arbeitskampfes" gem. § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG. Dieser Begriff ist vielmehr enger, nämlich arbeitskampfrechtlich zu bestimmen: Erfaßt werden Streiks, Aussperrungen und andere Kampfmaßnahmen i. S. des Arbeitskampfrechts, mit denen Arbeitgeber oder Betriebsrat betriebsverfassungsrechtliche Meinungsverschiedenheiten austragen wollen. Entgegen teilweise geäußerter Bedenken 114 wird § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG durch dieses Auslegungsergebnis nicht zu einer überflüssigen Vorschrift. Zwar trifft es zu, daß arbeitskampfrechtliche Maßnahmen im Verhältnis der Betriebsparteien schon deshalb nichtig sind, weil eine betriebsverfassungsrechtliche oder sonstige Rechtsgrundlage fehlt. 115 Über diese Nichtigkeit hinaus ordnet § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG jedoch noch eine Unterlassungspflicht

114 Vgl. Glaubitz in Hess/Schlochauer/Glaubitz § 87 BetrVG Rn. 70; Heinze, DB Beilage 23/1982, S. 8. 115 So Heinze, DB Beilage 23/1982, S. 8.

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4. Kapitel: Betriebsverfassungsrechtliche Vorgaben

an, die gerichtlich durchgesetzt werden kann. 1 1 6 Insofern behält das ArbeitskampfVerbot auch dann seinen Sinn, wenn man es nicht als Ausübungsschranke für Beteiligungsrechte interpretiert. Der Vollständigkeit halber ist hinzuzufügen, daß sich die Einschränkung der betrieblichen Mitbestimmung im Arbeitskampf auch nicht auf eine analoge Anwendung des § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG stützen läßt. Denn die Analogie setzt voraus, daß eine Vorschrift nach ihrem Sinn und Zweck auch auf einen Fall anwendbar ist, der vom Wortlaut nicht umfaßt ist. 1 1 7 Die ratio legis des betriebsverfassungsrechtlichen ArbeitskampfVerbotes spricht indes gerade dagegen, aus § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG eine Beschränkung von Beteiligungsrechten abzuleiten. Aus dem gleichen Grund kann man auch nicht mit dem „Rechtsgedanken" des § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG argumentieren, um dem Betriebsrat während des Arbeitskampfes bestimmte Beteiligungsrechte abzusprechen.

B. § 2 Abs. 1 BetrVG § 2 Abs. 1 BetrVG enthält den Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat. Trotz der mißverständlichen Formulierung wird hier nicht lediglich die betriebliche Wirklichkeit beschrieben. Die Vorschrift stellt vielmehr ein Gebot dar, das sich an die Betriebspartner richtet.118 Schon die systematische Stellung dieser Norm an der Spitze des Gesetzes unterstreicht ihre besondere Bedeutung für das gesamte Betriebsverfassungsrecht. 119 Die Kooperationsmaxime 120 des § 2 Abs. 1 BetrVG ist die grundlegende Regel für die Beziehungen von Arbeitgeber und Betriebsrat. 121 Sie wird auch als oberstes Leitprinzip 1 2 2 oder „magna Charta" 123 der Betriebsverfassung bezeichnet. Angesichts dessen verwundert es nicht, daß sich im Schrifttum Stimmen erheben, die aus § 2 Abs. 1 BetrVG eine Beschränkung

116

Vgl. o. unter Α Π 4 b bb. Larenz, Methodenlehre, S. 381, 391. 118 Dietz/Richardi, § 2 BetrVG Rn. 5; Galperin/Löwisch, § 2 BetrVG Rn. 9; Witt, Kooperationsmaxime, S. 32 m. w. N. 119 Vgl. die amtliche Begründung, BT-Drucksache 6/1786, S. 35; Galperin/Löwisch, § 2 BetrVG Rn. 2; Kraft in GK-BetrVG, § 2 BetrVG Rn. 5. 120 G. Müller, Festschrift W. Herschel, S. 269; Witt, Kooperationsmaxime, S. 15. 121 Dietz/Richardi, § 2 BetrVG Rn. 3; Fitting/Kaiser/Heither/Engels, § 2 BetrVG Rn. 1; Witt, Kooperationsmaxime, S. 39 f. 122 Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, § 44 VII 1, S. 455. 123 Galperin/Löwisch, § 2 BetrVG Rn. 23; Kreutz, BIStSozArbR 1972, S. 44, 45. 117

. § Abs. 1 BetrVG

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von Beteiligungsrechten während des Arbeitskampfes ableiten wollen. 1 2 4 Zwei Argumentationslinien soll im folgenden nachgegangen werden. Die eine beruht auf dem Gedanken, die vertrauensvolle Zusammenarbeit bilde die Geschäftsgrundlage der betrieblichen Mitbestimmung; diese Grundlage entfalle im Arbeitskampf. Die andere Argumentationslinie stellt darauf ab, daß der Betriebsrat rechtsmißbräuchlich handele, wenn er bestimmten Maßnahmen, die der Arbeitgeber im Arbeitskampf anordnen wolle, seine Zustimmung versage; darin liege ein Verstoß gegen § 2 Abs. 1 BetrVG.

L Vertrauensvolle Zusammenarbeit als Geschäftsgrundlage der Betriebsverfassung Um eine Einschränkung der betrieblichen Mitbestimmung zu begründen, wird teilweise auf die Konfrontation im Arbeitskampf verwiesen, die das Kooperationsmodell des § 2 Abs. 1 BetrVG überlagere. 125 In dieser Situation sei nicht zu erwarten, daß der Betriebsrat bei Arbeitgebermaßnahmen, die für die kämpfenden Arbeitnehmer Nachteile mit sich bringen, objektiv bleibe und das Wohl des Betriebes beachte, wie es § 2 Abs. 1 BetrVG verlange. 126 Grundlage für die Beteiligungsrechte des Betriebsrats sei aber die Vorstellung, daß die Betriebspartner die Möglichkeit haben, durch die Mitbestimmung zu einem Interessenausgleich zu gelangen. 127 Da der Betriebsrat seine Pflicht zur Kooperation, zur vertrauensvollen Zusammenarbeit mit dem Arbeitgeber nicht erfüllen könne, entfalle die Basis für die Ausübung der Beteiligungsrechte. 128 Hier klingt deutlich der Gedanke an, die vertrauensvolle Zusammenarbeit gem. § 2 Abs. 1 BetrVG sei als Geschäftsgrundlage der betrieblichen Mitbestimmung anzusehen. 129 Entsprechend den Grundsätzen zum Wegfall der Geschäftsgrundlage soll die betriebliche Mitbestimmung während des Arbeitskampfes teilweise entfallen. 130 Die Überzeugungskraft dieses Gedankenganges hängt entscheidend davon ab, ob das Kooperationsgebot des § 2 Abs. 1 BetrVG tatsächlich die

124

Vgl. o. 2. Kapitel unter Β Π 3, Fußnote 77, 78. Kraft, SAE 1979, S. 304, 305; ders., Festschrift G. Müller, S. 265, 273. 126 Ehmann/Schnauder, Anm. zu BAG EzA § 615 BGB Nr.8, S. 123; Seiter, SAE 1980, S. 154, 162. 127 Konzen, Anm. zu BAG AP Nr. 57-59 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 803 R. 128 Kraft, Festschrift für G. Müller, S. 265, 273. 129 So ausdrücklich Kraft, Festschrift G. Müller, S. 265, 273, der die Einschränkung der Beteiligungsrechte allerdings aus § 74 Abs. 2 S.l BetrVG ableiten will. 130 Kraft, Festschrift G. Müller, S. 265, 273 f. spricht von „Modifizierung und Anpassung der Mitbestimmungsrechte an die veränderte Situation". 125

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4. Kapitel: Betriebsverfassungsrechtliche Vorgaben

„Geschäftsgrundlage" der Beteiligungsrechte darstellt. Diese Frage ist durch Auslegung der Vorschrift zu beantworten. 7. Wortlaut Der Wortlaut des § 2 Abs. 1 BetrVG enthält keinen Hinweis darauf, daß die vertrauensvolle Zusammenarbeit die Geschäftsgrundlage der betrieblichen Mitbestimmung bilden soll. Gegen eine Suspendierung von Beteiligungsrechten während des Arbeitskampfes spricht, daß sich das Kooperationsgebot nicht allein an den Betriebsrat, sondern auch an den Arbeitgeber richtet. Damit ist eine Einschränkung der Beteiligungsrechte im Arbeitskampf unter Berufung auf § 2 Abs. 1 BetrVG. also eine Lösung, die einseitig zu Lasten des Betriebsrats geht, kaum vereinbar. 2. Systematik Hätte das Gesetz eine „Geschäftsgrundlage" für die betriebliche Mitbestimmung vorgesehen, so wäre der systematisch richtige Platz dafür der erste Abschnitt des vierten Teils des Betriebsverfassungsgesetzes gewesen. Allerdings könnte man auch daran denken, die „Geschäftsgrundlage" schon im ersten Teil des Gesetzes unterzubringen, um ihre besondere Bedeutung hervorzuheben. Aus der gesetzessystematischen Stellung des § 2 Abs. 1 BetrVG lassen sich daher keine hinreichend sicheren Rückschlüsse für die Auslegung ziehen. Ebensowenig gibt das Verhältnis von § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG zu § 2 Abs. 1 BetrVG her. § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG ist gegenüber § 2 Abs. 1 BetrVG die speziellere Norm. 1 3 1 Soweit § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG eine eindeutige Regelung enthält, darf nicht auf § 2 Abs. 1 BetrVG zurückgegriffen werden, um diese Regelung zu überspielen. Da aber § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG nichts über das Schicksal der Beteiligungsrechte im Arbeitskampf aussagt132, ist der Rückgriff auf § 2 Abs. 1 BetrVG zulässig. 3. Entstehungsgeschichte Der Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit war bereits in § 49 Abs. 1 BetrVG 1952 enthalten. Diese Vorschrift befand sich am Anfang der Bestimmungen über die Mitwirkung und Mitbestimmung der Arbeitnehmer.

131 132

Vgl. o. Fußnote 1. Vgl. o.unter Α Π 5.

. § Abs. 1 BetrVG

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Wie sich aus den Materialien des Betriebsverfassungsgesetzes von 1972 ergibt, wurde die Kooperationsmaxime wegen ihrer grundsätzlichen Bedeutung an die Spitze des Gesetzes gestellt. 133 Daraus könnte man schließen, der Gesetzgeber habe das Gebot zur vertrauensvollen Zusammenarbeit zur (Geschäfts-) Grundlage für die Wahrnehmung von Beteiligungsrechten machen wollen. Andererseits findet sich in den Gesetzesmaterialien an keiner Stelle ein Anhaltspunkt dafür, daß die Kooperationsfahigkeit oder -Willigkeit des Betriebsrats Voraussetzung für die Ausübung seiner Rechte sein soll. Es fehlt auch an Hinweisen darauf, daß der Gesetzgeber davon ausging, im Arbeitskampf könne der Betriebsrat die Verpflichtung zur vertrauensvollen Zusammenarbeit nicht erfüllen. Hinzu kommt, daß unter der Geltung des Betriebsverfassungsgesetzes von 1952 niemand dafür eintrat, die Beteiligungsbefügnisse des Betriebsrats einzuschränken, falls dieser sich kooperationsunfähig oder -unwillig zeige. Hätte der Gesetzgeber des Betriebsverfassungsgesetzes von 1972 dem Gebot der Zusammenarbeit eine solche Bedeutung beimessen wollen, so wäre zu erwarten gewesen, daß dieses (neue) Verständnis, wenn nicht im Gesetzeswortlaut, so doch in den Gesetzesmaterialien zum Ausdruck gebracht worden wäre. Da das nicht der Fall ist, muß man annehmen, daß der Gesetzgeber nicht beabsichtigte, die Kooperationsmaxime zur Geschäftsgrundlage der betrieblichen Mitbestimmung zu machen. Diese allgemeinen Ausführungen gelten erst recht für die spezielle Situation des Arbeitskampfes. Denn es ist davon auszugehen, daß die Problematik der Beteiligungsrechte des Betriebsrats im Arbeitskampf dem Gesetzgeber 1972 noch gar nicht bekannt war. 1 3 4 Die historische Auslegung spricht somit dagegen, die vertrauensvolle Zusammenarbeit als Geschäftsgrundlage der Beteiligungsrechte aufzufassen. 4. Sinn und Zweck Die teleologische Auslegung des § 2 Abs. 1 BetrVG bereitet Schwierigkeiten. § 2 Abs. 1 BetrVG enthält eine Generalklausel. 135 Aus diesem Grund läßt sich der Normzweck nur recht unbestimmt fassen.

133

BT-Drucksachen 6/1786, S. 35; 6/2729, S. 9. Vgl. o. unter Α Π 3. 135 BAG AP Nr. 1 zu § 67 BetrVG, Bl. 669; AP Nr. 11 zu § 37 BetrVG, Bl. 955 (jeweils zu § 49 Abs. 1 BetrVG 1952); Dietz/Richardi, § 2 BetrVG Rn. 10 f.; Fitting/ Kaiser/He ither/Engels, § 2 BetrVG Rn. 1, 7, 10 f.; Weber, Zusammenarbeit, S. 3 f.; Witt, Kooperationsmaxime, S. 34. 134

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4. Kapitel: Betriebsverfassungsrechtliche Vorgaben a) Die Bedeutung der „vertrauensvollen Zusammenarbeit"

§ 2 Abs. 1 BetrVG verpflichtet die Betriebsparteien, so hat es das BAG formuliert, zu „gegenseitiger Ehrlichkeit und Offenheit". 136 Zwischen Betriebsleitung und Belegschaft soll trotz bestehender Interessengegensätze eine optimale Kommunikation und Kooperation ermöglicht werden. 137 Das Betriebsverfassungsgesetz geht davon aus, daß der Arbeitgeber seine unternehmerischen Interesssen wahrnimmt, während der Betriebsrat die Belange der Belegschaft vertritt. 138 Angesichts dieses Interessenkonflikts ist eine Kooperation nur zu erreichen, wenn die Betriebsparteien einander anerkennen und zu gegenseitiger Rücksichtnahme verpflichtet werden. 139 Die Bedeutung des § 2 Abs. 1 BetrVG liegt mithin im Ausgleich der gegenläufigen Interessen. 140 Aus der Konzeption des Betriebsverfassungsgesetzes ergibt sich, daß der Ausgleich der Interessen durch ständigen Dialog (vgl. §§ 74 Abs. 1, 80 Abs. 2 BetrVG) verwirklicht werden soll; gegebenenfalls muß die Einigungsstelle Meinungsverschiedenheiten schlichten. Das Betriebsverfassungsgesetz hat den Weg einer institutionellen Konfliktregelung durch die paritätisch besetzte Einigungsstelle gewählt. 141 Deshalb kann es im Rahmen der Kooperationsmaxime nicht darum gehen, die „Idee der Partnerschaft" zu realisieren. 142 Insoweit ist der Einwand berechtigt, Vertrauen lasse sich als innere Einstellung nicht erzwingen 143 , für ein „naives" Vertrauen seien die Interessengegensätze zu groß. 144 § 2 Abs. 1 BetrVG fordert indessen kein inneres Vertrauen, sondern ein bestimmtes Verfahren zur Konfliktbereinigung, nämlich eine faire, jede Schikane ausschließende Vorgehensweise im Rahmen der betriebsverfassungsgesetzlichen Vorschriften. 145 136 BAG AP Nr. 3 zu § 23 BetrVG, Bl. 615 R; zustimmend Galperin/Löwisch, § 2 BetrVG Rn. 12; Fitting/Kaiser/Heither/Engels, § 2 BetrVG Rn. 9; Kraft in GKBetrVG, § 2 BetrVG Rn. 12; Trümner in Däubler/Kittner/Klebe/Schneider (Hrsg.), § 2 BetrVG Rn. 5; Witt, Kooperationsmaxime, S. 49. 137 Galperin/Löwisch, § 2 BetrVG Rn. 9. 138 Buchner, DB 1974, S. 530; Witt, Kooperationsmaxime, S. 49. 139 Witt, Kooperationsmaxime, S. 49. 140 Buchner, DB 1974, S. 530; G. Müller, Festschrift W. Herschel, S. 269, 286, 288; Jahnke, Tarifautonomie, S. 92; Witt, Kooperationsmaxime, S. 33. 141 Trümner in Däubler/Kittner/Klebe/Sclmeider (Hrsg.), § 2 BetrVG Rn. 5; Zachert, Mitbestimmungsgespräch 1975, S. 187. 142 Buchner, DB 1974, S. 530, 532. 143 So z. B. Galperin/Löwisch, § 2 BetrVG Rn. 11; G. Müller, Festschrift W. Herschel, S. 269, 287; Sandvoss, Mitbestimmungsgespräch 1977, S. 199, 200. 144 Weber, Zusammenarbeit, S. 26. 145 Buchner, DB 1974, S. 530, 532; Däubler, Mitbestimmung, S. 389; Trümner in Däubler/Kittner/Klebe/Schneider (Hrsg.), § 2 BetrVG Rn. 5; Witt, Kooperationsmaxime, S. 42 f.

Β. § 2 Abs. 1 BetrVG

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Vor diesem Hintergrund wird man eine Beschränkung von Beteiligungsrechten schlecht auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage gem. § 2 Abs. 1 BetrVG stützen können. Denn wer dem Arbeitgeber ein Alleinentscheidungsrecht einräumt, der hebelt gleichzeitig das gesetzlich vorgesehene institutionelle Konfliktlösungsverfahren aus, dessen Sicherung § 2 Abs. 1 BetrVG bezweckt. Bedenklich wäre dieses Ergebnis auch deshalb, weil sich nach allgemeiner Ansicht aus § 2 Abs. 1 BetrVG keine neuen, gesetzlich nicht ausdrücklich vorgesehenen Beteiligungsrechte herleiten lassen. 146 Zutreffend wird in diesem Zusammenhang geltend gemacht, man dürfe die Kooperationsmaxime nicht so konkretisieren, daß sie die gesetzliche Konzeption der betrieblichen Mitbestimmung beiseite dränge. 147 Können aber die Beteiligungsrechte unter Berufung auf § 2 Abs. 1 BetrVG nicht zu Lasten des Arbeitgebers ausgeweitet werden, so muß konsequenterweise auch eine Einschränkung der Beteiligung zugunsten des Arbeitgebers ausscheiden, da sich das Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit gleichermaßen an beide Betriebsparteien richtet. 148 b) Folgenbetrachtung Die Folgenbetrachtung bildet einen legitimen Bestandteil der teleologischen Auslegung. 149 Im Rahmen der Folgenbetrachtung wird danach gefragt, welche Folgen eine bestimmte Auslegungshypothese zeitigt. Sind diese Folgen erwünscht, so spricht das dafür, daß ein Auslegungsergebnis vom Sinn und Zweck der Norm gedeckt ist. Sind sie unerwünscht, so erscheint das Auslegungsergebnis im Hinblick auf die ratio legis bedenklich, da nicht anzunehmen ist, daß das Gesetz eine unsinnige Folge anordnen will. Welche Konsequenzen hätte die Annahme, § 2 Abs. 1 BetrVG erhebe die vertrauensvolle Zusammenarbeit zur Geschäftsgrundlage der Beteiligungsrechte? Sie hätte jedenfalls Folgen, die über die Arbeitskampfsituation hinausreichten. Es besteht nämlich nicht nur im Arbeitskampf Veranlassung, an der Fähigkeit und Bereitschaft des Betriebsrats zur vertrauensvollen Zusammenarbeit zu zweifeln. Auch in anderen Situationen, in denen der Interessengegensatz zwischen Arbeitgeber und Belegschaft besonders deutlich zu Tage tritt,

146

BAG AP Nr. 6 zu § 56 BetrVG Wohlfahrtseinrichtungen, Bl. 434 R; AP Nr. 1 zu § 69 BetrVG, Bl. 237 R (jeweils zu § 49 Abs. 1 BetrVG 1952); Dietz/Richardi, § 2 BetrVG Rn. 11; Fitting/Kaiser/Heither/Engels, §2 BetrVG Rn. 10; Kraft in GKBetrVG, § 2 BetrVG Rn. 12; Kreutz, BIStSozArbR 1972, S. 44, 46; ausführlich Witt, Kooperationsmaxime, S. 89 ff. 147 Dietz/Richardi, § 2 BetrVG Rn. 11; Kreutz, BIStSozArbR 1972, S. 44, 46. 148 So im Ergebnis auch Fitting/Kaiser/Heither/Engels, § 2 BetrVG Rn. 10. 149 Dazu Bydlinski, Methodenlehre, S. 404; Koch/Rüßmann, Begründungslehre, S. 227 ff.; Wank, Begriffsbildung, S. 85 ff.

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4. Kapitel: Betriebsverfassungsrechtliche Vorgaben

z. B. bei Massenentlassungen und Betriebsstillegungen, könnte man daran denken, die Möglichkeit einer Kooperation der Betriebsparteien sei nicht mehr gegeben. Wäre die vertrauensvolle Zusammenarbeit als Geschäftsgrundlage der betrieblichen Mitbestimmung anzusehen, müßten die Beteiligungsrechte des Betriebsrats auch in diesen Fällen ruhen. Es liegt aber auf der Hand, daß dadurch das gesamte System der Betriebsverfassung gesprengt würde. Der Arbeitgeber erhielte seine durch das Betriebsverfassungsgesetz eingeschränkte betriebliche Herrschaft ausgerechnet dann in vollem Umfange zurück, wenn es um Maßnahmen geht, die die Belange der Belegschaft in besonderem Maße berühren. 150 Angesichts dieser Konsequenzen fuhrt die Folgenbetrachtung zu dem Ergebnis, daß es bedenklich wäre, die vertrauensvolle Zusammenarbeit zur Geschäftsgrundlage der betrieblichen Mitbestimmung zu machen. 5. Konkretisierung

durch Fallgruppenbildung

Bei unbestimmten Rechtsbegriffen und Generalklauseln ergeben sich aus dem Wortlaut meistens keine Anhaltspunkte für die Auslegung; häufig sind auch Entstehungsgeschichte und Systematik unergiebig. Wenn, wie auch im Falle des § 2 Abs. 1 BetrVG, der Normzweck ebenfalls nur recht unbestimmt faßbar ist, muß man, um den Anwendungsbereich der Vorschrift zu klären, bestimmte typische Fallgruppen herausarbeiten. 151 Dabei geht es darum, typisierend diejenigen Sachverhaltskonstellationen darzustellen, in denen die Norm ihrer Funktion nach eingreifen soll. Die Fallgruppenbildung im Rahmen des § 2 Abs. 1 BetrVG kann sich an den Fallgruppen des § 242 B G B 1 5 2 orientieren. 153 Schon dem Wortlaut nach verwenden beide Vorschriften ähnliche ethische Begriffe. 154 Auch die systematische Stellung ist vergleichbar: Sowohl § 242 BGB als auch § 2 Abs. 1 BetrVG enthalten Generalklauseln, die an der Spitze des jeweiligen Rechtsge150

Vgl. Weiss, AuR 1982, S. 265, 268. Dazu Haubelt, Konkretisierung, S. 100 ff.; Leenen, Typus, S. 66 f.; Wank, Rechtsfortbildung, S. 145 ff. - Kritisch zur Fallgruppenmethode Weber, Zusammenarbeit, S. 194 ff.; ders., AcP 192 (1992), S. 516 ff., der allerdings seinerseits kein überzeugenderes Konzept zur Konkretisierung von Generalklauseln vorstellt. Gegen Weber zutreffend Beater, AcP 194 (1994), S. 82 ff. 152 Zu den Fallgruppen des § 242 BGB vgl. etwa Larenz, Schuldrecht Allgemeiner Teil, § 10 Π, S. 130 ff.; Roth in MünchKomm, § 242 BGB Rn. 97 ff.; Werner in Erman, § 242 BGB Rn. 44 ff. 153 So Dietz/Richardi, §2 BetrVG Rn. 10; Witt, Kooperationsmaxime, S. 16, 19, 21 ff., 77 ff.; a. A. Weber, Zusammenarbeit, S. 217 f., der jedoch zugesteht, beide Vorschriften seien „weitgehend inhalts- und funktionsgleich" (a. a. O. S. 170). 154 Weber, Zusammenarbeit, S. 156 f.; Witt Kooperationsmaxime, S. 44 f. 151

Β. § 2 Abs. 1 BetrVG

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biets stehen und zahlreiche konkrete Ausprägungen erfahren haben. 155 Schließlich stimmen die Funktionen der Vorschriften weitgehend überein, da beide Normen einen allgemeinen Verhaltensmaßstab aufstellen 156 und ihnen eine Auslegungs-, Ergänzungs-, Begrenzungs- und Korrekturfunktion zugesprochen wird. 1 5 7 § 2 Abs. 1 BetrVG wird daher mit Recht als Spezialregelung 1 5 8 bzw. Konkretisierung 159 des allgemeinen Grundsatzes von Treu und Glauben angesehen. Auf den ersten Blick scheint dieser Befund die Annahme zu stützen, im Arbeitskampf könne gem. § 2 Abs. 1 BetrVG die Geschäftsgrundlage der betrieblichen Mitbestimmung entfallen. Denn der Wegfall der Geschäftsgrundlage gehört zu den anerkannten Fallgruppen des § 242 B G B 1 6 0 - es ist mit Treu und Glauben unvereinbar, wenn ein Vertragsteil auf der Erfüllung der Vertragspflichten besteht, obschon die Geschäftsgrundlage des Vertrages entfallen ist. 1 6 1 Gleichwohl bestehen gegen eine vorschnelle Übertragung dieses Instituts Bedenken. Die Grundsätze des Wegfalls der Geschäftsgrundlage beruhen auf der Idee, daß privatautonome Regelungen korrekturbedürftig sein können. 162 Die Vertragspartner sind möglicherweise von unzutreffenden Vorstellungen ausgegangen. Läßt sich der mit dem Vertrag verfolgte Zweck nicht mehr ereichen, so verliert das Rechtsgeschäft seine Ordnungsfünktion, und es wäre sinnlos, die Beteiligten an ihrer Vereinbarung festzuhalten. 163 Die Beteiligungsrechte des Betriebsrats bestehen jedoch nicht kraft privatautonomer Vereinbarung, sondern kraft der gesetzlichen Regelung des Betriebsverfassungsrechts. Das Verhältnis der beiden Betriebsparteien ist nicht mit einem vertraglichen, sondern allenfalls mit einem gesetzlichen Schuldverhältnis vergleichbar. 164 Auf gesetzliche Schuldverhältnisse sind aber die Grundsätze des Wegfalls der Geschäftsgrundlage nicht anwendbar. 165 Ein Gesetz gilt, solange

155

Witt, Kooperationsmaxime, S. 46 ff. Witt, Kooperationsmaxime, S. 48 ff.; vgl. auch BAG AP Nr. 23 zu § 23 BetrVG 1972, Bl. 741. 157 Weber, Zusammenarbeit, S. 160 ff.; Witt, Kooperationsmaxime, S. 51 ff. 158 v. Hoyningen-Huene in MünchArbR, § 293 Rn. 4; Weber, Zusammenarbeit, S. 175 ff., Witt, Kooperationsmaxime, S. 72 ff. 159 Dietz/Richardi, §2 BetrVG Rn. 10; Sandvoss, Mitbestimmungsgespräch 1977, S. 199,200. 160 Vgl. nur Heinrichs in Palandt, § 242 BGB Rn. 110 ff; Werner in Erman, § 242 BGB Rn. 166 ff. 161 Larenz, Schuldrecht Allgemeiner Teil, § 10 Π d, S. 137 f. 162 Roth in MünchKomm, § 242 BGB Rn. 465,485. 163 Werner in Erman, § 242 BGB Rn. 166. 164 Witt, Kooperationsmaxime, S. 128. Vgl. o. unter Α Π 4 b bb, Fußnoten 102, 103. 165 Allgemeine Ansicht, vgl. OGHZ 2, S. 202, 208; Heinrichs in Palandt, § 242 BGB Rn. 114; Roth in MünchKomm, § 242 BGB Rn. 554 ff.; Schmidt in Staudinger, 156

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4. Kapitel: Betriebsverfassungsrechtliche Vorgaben

es nicht aufgehoben ist. 1 6 6 Zwar mag man es einschränkend auslegen oder mit Hilfe einer teleologischen Reduktion seinen Anwendungsbereich verkleinern. Methodisch unkorrekt ist es indessen, eine gesetzlich angeordnete Rechtsfolge unter Berufung auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage auszuschalten. Richtigerweise wird mit der Geschäftsgrundlage im Bereich der Betriebsverfassung nur da gearbeitet, wo es um die Berichtigung von Betriebsvereinbarungen geht. 167 Hier können, ebenso wie in anderen vertraglichen Schuldverhältnissen, veränderte Umstände ein Anpassungsbedürfnis entstehen lassen, sofern die Betriebsparteien von falschen Vorstellungen ausgingen. 168 Bei den betriebsverfassungsgesetzlich festgelegten Beteiligungsrechten sind dagegen die Grundsätze der Geschäftsgrundlage ihrer Funktion nach nicht anwendbar, die Beteiligungsrechte können nur im Wege der Auslegung oder Rechtsfortbildung eingeschränkt werden. Anderenfalls käme es zu einer richterlichen Korrektur der betriebsverfassungsrechtlichen Mitbestimmungsordnung ohne feste Leitlinien, und zwar nicht nur im Arbeitskampf, sondern auch in anderen Situationen, in denen man an der Kooperationswilligkeit der Betriebsparteien zweifeln könnte, z. B. bei einem Arbeitsplatzabbau infolge von Betriebsänderungen. Darüber hinaus ist, auch wenn man die eben genannten grundsätzlichen Bedenken beiseite läßt, keine gute Begründung dafür ersichtlich, daß die Geschäftsgrundlage der betrieblichen Mitbestimmung im Arbeitskampf entfallt. Selbst wenn die vertrauensvolle Zusammenarbeit gem. § 2 Abs. 1 BetrVG als Geschäftsgrundlage der Betriebsverfassung anzuerkennen wäre, so bleibt doch fraglich, ob der Betriebsrat im Arbeitskampf tatsächlich zur geforderten Kooperation nicht willens oder in der Lage ist. Bevor der Betriebsrat nicht von seinen Beteiligungsrechten Gebrauch gemacht hat, kann man darüber nur spekulieren. Im übrigen: Wie steht es mit der Kooperationsbereitschaft des Arbeitgebers? Es ist nicht einzusehen, warum dem Arbeitgeber ohne weiteres unterstellt werden kann, was dem Betriebsrat abgesprochen wird. Falls aber auch der Arbeitgeber das Gebot des § 2 Abs. 1 BetrVG nicht zu erfüllen imstande ist, dann entfällt die Geschäftsgrundlage der Betriebsverfassung für beide Betriebsparteien. Die Frage ist, welche Rechtsfolge sich daran anschließen soll. Unverständlich wäre es jedenfalls, den Arbeitgeber für seine fehlende

§ 242 BGB Rn. 1108 f.; Volkommer in Jauernig, § 242 BGB Anm. V 1 d; Werner in Erman, § 242 BGB Rn. 171. 166 OGHZ 2, S. 202, 208. 167 BAG AP Nr. 24 zu § 59 BetrVG Bl. 110, 115; AP Nr. 11 zu § 112 BetrVG 1972 Bl. 872; Dietz/Richardi, § 77 BetrVG Rn. 141, 164; Hess in Hess/Schlochauer/ Glaubitz, § 77 BetrVG Rn. 222 f.; Kreutz in GK-BetrVG, § 77 BetrVG Rn. 325; Stege/Weinspach, § 77 BetrVG, Rn. 40; Weber, Zusammenarbeit, S. 169 f.; Witt, Kooperationsmaxime, S. 69 f.; 175 ff. 168 Witt, Kooperationsmaxime, S. 69.

Β. § 2 Abs. 1 BetrVG

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Bereitschaft zur Zusammenarbeit zu belohnen, indem die Beteiligungsrechte des Betriebsrats eingeschränkt werden. Auch insofern erweist sich die Argumentation mit dem Wegfall der Geschäftsgrundlage als problematisch. Nicht überzeugend ist in diesem Zusammenhang schließlich der Hinweis darauf, der Arbeitgeber wolle bei Arbeitskampfmaßnahmen gar nicht zum Wohle des Betriebes handeln, daher sei fur eine Beteiligung des Betriebsrats kein Raum. 1 6 9 Wenn schon deshalb die Geschäftsgrundlage der Beteiligungsrechte entfiele, wäre die gesamte betriebliche Mitbestimmung zur Disposition des Arbeitgebers gestellt - eine offensichtlich unhaltbare Konsequenz. Der Wegfall der Geschäftsgrundlage kommt somit als Fallgruppe im Rahmen des § 2 Abs. 1 BetrVG nur insoweit zum Tragen, als es um die Korrektur von Betriebsvereinbarungen geht. 6. Ergebnis Als Auslegungsergebnis läßt sich festhalten, daß die Annahme, die vertrauensvolle Zusammenarbeit i. S. des § 2 Abs. 1 BetrVG stelle eine Geschäftsgrundlage der Betriebsverfassung dar, die im Arbeitskampf wegfalle, methodisch und sachlich nicht haltbar ist. Gegen diese Annahme sprechen insbesondere Entstehungsgeschichte und ratio des § 2 Abs. 1 BetrVG. Daher muß eine Beschränkung von Beteiligungsrechten unter Berufung auf § 2 Abs. 1 BetrVG in Verbindung mit den Grundsätzen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage ausscheiden.

Π. Vertrauensvolle Zusammenarbeit als Verbot des Rechtsmißbrauchs Gelegentlich wird versucht, die Beteiligungsrechte während des Arbeitskampfes mit dem Hinweis auf das Rechtsmißbrauchsverbot einzuschränken. 170 Als normativer Anknüpfungspunkt hierfür kommt § 2 Abs. 1 BetrVG in Frage: Der Betriebsrat verstößt möglicherweise gegen das Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit, wenn er bestimmten Maßnahmen, die der Arbeitgeber im Arbeitskampf treffen will, rechtsmißbräuchlich seine Zustimmung versagt.

169 So Ehmann/Schnauder, Anm. zu BAG EzA § 615 BGB Betriebsrisiko Nr. 8, S. 123; Reuter, JuS 1979, S. 911,912. 170 Küttner/Schmidt, DB 1988, S. 704, 705.

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4. Kapitel: Betriebsverfassungsrechtliche Vorgaben 1. Das Rechtsmißbrauchsverbot

als Fallgruppe des § 2 Abs. 1 BetrVG

Zunächst ist zu klären, inwiefern sich aus § 2 Abs. 1 BetrVG das Verbot rechtsmißbräuchlichen Verhaltens ableiten läßt. Bereits der Wortlaut der Vorschrift legt eine derartige Deutung nahe - eine „vertrauensvolle" Zusammenarbeit der Betriebsparteien setzt voraus, daß keine Seite rechtsmißbräuchlich handelt. Nach seinem Sinn und Zweck fordert § 2 Abs. 1 BetrVG eine faire, jede Schikane ausschließende Verfahrensweise bei der Austragung von Interessenkonflikten. 171 Das schließt ein rechtsmißbräuchliches Verhalten aus. Vor allem aber gehört das Rechtsmißbrauchsverbot zu den anerkannten Fallgruppen des § 242 BGB. 1 7 2 Die hierzu entwickelten Grundsätze lassen sich auf § 2 Abs. 1 BetrVG übertragen 173 , da die Kooperationsmaxime eine Spezialregelung bzw. Konkretisierung des allgemeinen Prinzips von Treu und Glauben darstellt. 174 Somit findet eine Rechtsausübung, die nach dem Betriebsverfassungsgesetz formal zulässig ist, dort ihre Grenze, wo sie von der Rechtsordnung mißbilligt wird. 1 7 5 Nur so läßt sich eine vertrauensvolle Zusammenarbeit i. S. des § 2 Abs. 1 BetrVG effektiv durchsetzen. 176 Folge einer mißbräuchlichen Rechtsausübung ist im allgemeinen der Verlust des Rechtes. 177 Es stellt sich daher die Frage, wann der Betriebsrat, der im Arbeitskampf Beteiligungsrechte geltend macht, rechtsmißbräuchlich handelt und inwieweit aus diesem Grund seine Befugnisse einzuschränken sind. Dabei muß man zwei verschiedene Fälle des Rechtsmißbrauchs unterscheiden, nämlich die mißbilligte Rechtsausübung und das Fehlen eines berechtigten Interesses.

171

Vgl. O.B 14 a. Vgl. etwa Larenz, Schuldrecht Allgemeiner Teil, § 10 Π b, S. 132; Roth in MünchKomm, § 242 BGB Rn. 104, 255 ff. 173 Dietz/Richardi, §2 BetrVG Rn. 10; Weber, Zusammenarbeit, S. 166 ff.; Witt, Kooperationsmaxime, S. 60 ff.; ders., BB 1986, S. 2194. 174 Vgl. ο. Β I 5. 175 Weber, Zusammenarbeit, S. 168; Witt, Kooperationsmaxime, S. 60. Nach der sog. Innentheorie ist das Verbot, eine formal bestehende Rechtslage zu mißbrauchen, von vornherein jeder Anspruchsnonn immanent, vgl. BGHZ 30, S. 140, 145; Heinrichs in Palandt, § 242 BGB Rn. 13, 38; Roth in MünchKomm, § 242 BGB Rn. 45; Werner in Erman, § 242 BGB Rn. 74. 176 Witt, Kooperationsmaxime, S. 66. 177 Küttner/Schmidt, DB 1988, S. 704, 705; Heinrichs in Palandt, § 242 BGB Rn. 41; Heinze, ZfA 1988, S. 53, 88 f.; Roth in MünchKomm, § 242 BGB Rn. 267. 172

Β. § 2 Abs. 1 BetrVG

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a) Mißbilligte Rechtsausübung Ein Fall des Rechtsmißbrauchs liegt vor, wenn die Wahrnehmung eines Rechts aufgrund äußerer Umstände ihrer Art und Weise nach einen abzulehnenden Mißbrauch darstellt oder wenn die Rechtsausübung lediglich die Benachteiligung der anderen Seite bezweckt. 178 Während des Arbeitskampfes könnte der Betriebsrat seine Beteiligungsrechte mißbrauchen, indem er sie ausnutzt, um auf den Arbeitgeber zusätzlichen Druck auszuüben, mit dem Ziel, dessen Kampfposition zu schwächen. Als Beispiel sei genannt, daß ein Betrieb nur teilweise bestreikt wird, der Arbeitgeber deshalb zur Aufrechterhaltung der Produktion Überstunden anordnen will (§ 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG) und der Betriebsrat dieser Maßnahme mit der Begründung widerspricht, der Arbeitgeber solle keinen Vorteil im Arbeitskampferhalten. Hier scheinen die Voraussetzungen eines Rechtsmißbrauchs gegeben.179 Der Betriebsrat sagt ausdrücklich, daß er sein Beteiligungsrecht nicht ausgeübt hat, um legitime Interessen der Belegschaft wahrzunehmen, sondern um in den Tarifkonflikt einzugreifen und dem Arbeitgeber zu schaden. Gleichwohl bestehen Bedenken gegen die Annahme, der Betriebsrat habe durch sein Verhalten das Beteiligungsrecht verwirkt und der Arbeitgeber sei daher ausnahmsweise befugt, die Überstunden einseitig anzuordnen. 180 Denn die betriebliche Mitbestimmung besteht im Interesse der Belegschaft; ihr soll die Möglichkeit gegeben werden, über den Betriebsrat auf das betriebliche Geschehen einzuwirken. 181 Da das Betriebsverfassungsgesetz kein imperatives Mandat kennt, können die Arbeitnehmer das Verhalten des Betriebsrats kaum beeinflussen. Es erscheint daher unbillig, die Belegschaft für ein Fehlverhalten des Betriebsrats einstehen zu lassen, indem Beteiligungsrechte, die dem Arbeitnehmerschutz dienen, suspendiert werden. 182 Demgegenüber ist der Einwand nicht überzeugend, den Interessen der Arbeitnehmer werde dadurch genügt, daß der Betriebsrat die Gelegenheit hatte, mitzubestimmen; der Mißbrauch des Beteiligungsrechts stamme aus der Sphäre der Arbeitnehmer und müsse deshalb zu deren Lasten gehen. 183 Zum einen beruht diese Argumentation auf einem Sphärendenken, das im Bereich des Arbeitskampfrechts mitt178

Roth in MünchKomm, § 242 BGB Rn. 255, 280 ff. So ArbG Elmshorn, BB 1978, S. 962; Hanau, NZA Beilage 2/1985, S. 3, 9; Küttner/Schmidt, DB 1988, S. 704, 705. Im Ergebnis auch Bengelsdorf, BB 1991, S. 613; H. W. Dietz, Friedenspflicht, S. 15 f.; Jahn, Beteiligung, S. 199 f.; Worzalla, Mitbestimmung, S. 111, die zur Begründung allerdings auf § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG abstellen. 180 Dagegen auch Glaubitz in Hess/Schlochauer/Glaubitz, § 87 BetrVG Rn. 74. 181 Witt, Kooperationsmaxime, S. 139. 182 Witt, Kooperationsmaxime, S. 139; ders., BB 1986, S. 2194, 2195 f. 183 Küttner/Schmidt, DB 1988, S. 704, 705. 179

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4. Kapitel: Betriebsverfassungsrechtliche Vorgaben

lerweile überwunden ist, weil sich die Erkenntnis durchgesetzt hat. daß die Konstruktion einer Arbeitnehmer- bzw. Arbeitgebersphäre letztlich auf eine Fiktion hinausläuft. 184 Zum anderen ist nicht zu verkennen, daß man den Arbeitnehmern kein eigenes Fehlverhalten vorwerfen kann 1 8 5 und daß es dem Sinn der Beteiligungsrechte widerspräche, wenn sie aufgrund eines Fehlverhaltens des Betriebsrats verloren gingen. 186 Ebensowenig, wie der Betriebsrat über die betriebliche Mitbestimmung disponieren darf 187 , kann ein Verhalten des Betriebsrats zum Verlust der Beteiligungsrechte führen. 188 Sprechen aber schon in dem oben genannten „eindeutigen" Beispielsfall die besseren Gründe gegen eine Verwirkung von Beteiligungsrechten unter dem Gesichtspunkt der mißbilligten Rechtsausübung, so muß diese Rechtsfolge erst recht in den (viel wahrscheinlicheren) Sachverhalten ausscheiden, in denen der Betriebsrat sein Verhalten nicht ausdrücklich mit der Arbeitskampfsituation begründet. In der Regel wird der Betriebsrat die arbeitskampfbedingte Anordnung von Überstunden nicht unter Bezugnahme auf den Tarifkonflikt ablehnen, sondern etwa darauf hinweisen, daß den Arbeitnehmern keine Überstunden zugemutet werden können. 189 Diese Begründung ist rechtlich nicht zu beanstanden. Sofern keine Anzeichen dafür vorliegen, daß es sich nur um vorgeschobene Gründe handelt (was der Arbeitgeber beweisen müßte 190 ), kann von einem Rechtsmißbrauch keine Rede sein. 191 Ob die genannten Gründe tatsächlich vorliegen, entscheidet die Einigungsstelle oder das Arbeitsgericht. 192 Der Gesichtspunkt der mißbilligten Rechtsausübung erweist sich folglich als ungeeignet, eine Suspendierung der Beteiligungsrechte im Arbeitskampf zu rechtfertigen. Insoweit kann eine Beschränkung der betrieblichen Mitbestimmung nicht auf § 2 Abs. 1 BetrVG gestützt werden.

184 Jene, Kurzarbeit, S. 348 bezeichnet die Sphärentheorie als Rückfall in lange überwundene Sippenhaftvorstellungen; vgl. auch Kalb, Arbeitskampfrecht Rn. 48; ders., Betriebsrisikolehre, S. 56 ff. 185 Die Arbeitnehmer müssen sich das Verhalten des Betriebsrats nicht nach vertretungsrechtlichen Gesichtspunkten zurechnen lassen, vgl. Küttner/Schmidt, DB 1988, S. 704, 705. 186 Witt, Kooperationsmaxime, S. 139; ders., BB 1986, S. 2194, 2196. 187 Ein Verzicht des Betriebsrats auf seine Beteiligungsrechte ist unzulässig, BAG AP Nr. 10 zu § 113 BetrVG 1972. 188 Witt, Kooperationsmaxime, S. 140; ders., BB 1986, S. 2194, 2196. 189 Küttner/Schmidt, DB 1988, S. 704, 706. Auch Bieback/Mayer, AuR 1982, S. 169, 175 verweisen darauf, daß der Betriebsrat, der im Arbeitskampf die Zustimmung zu einer Maßnahme des Arbeitgebers verweigere, durchaus sachlich berechtigte Gründe haben könne. 190 Küttner/Schmidt, DB 1988, S. 704, 706; Worzalla, Mitbestimmung, S. 113. 191 Bengelsdorf, BB 1991, S. 613; Küttner/Schmidt, DB 1988, S. 704, 706. 192 Bieback/Mayer, AuR 1982, S. 169, 175.

Β. § 2 Abs. 1 BetrVG

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b) Fehlen eines berechtigten Interesses Ein Fall des Rechtsmißbrauchs liegt auch vor, wenn der Handelnde keine schützenswerten Interessen geltend machen kann oder die Interessen des anderen Teils überwiegen. 193 Anders als bei der Fallgruppe der mißbilligten Rechtsausübung liegt liier zwar ein eigenes Interesse des Handelnden vor, jedoch sind die Interessen der Gegenseite vorrangig, so daß die Rechtsausübung den Verpflichteten ganz unbillig benachteiligen würde. 194 Aufgrund der vorzunehmenden Interessenabwägung können Pflichten des Schuldners begrenzt werden, falls sich die Inanspruchnahme als unzumutbar erweist; hierbei ist aber ein strenger Maßstab anzulegen. 195 Diese Grundsätze können unter Umständen auch zu einer Begrenzung der Beteiligungsrechte fuhren. 196 Zu beachten ist allerdings, daß die Beteiligungsrechte, wenngleich sie vom Betriebsrat wahrgenomen werden, im Interesse der Belegschaft bestehen. Die Frage ist also nicht, ob es an einem Interesse des Betriebsrats fehlt, sondern ob die Belegschaft ein berechtigtes Interesse an der betrieblichen Mitbestimmung hat. 1 9 7 Aus der Tatsache, daß das Betriebsverfassungsgesetz zwingende, unverzichtbare Beteiligungsrechte anordnet, ergibt sich, daß ein solches Belegschaftsinteresse grundsätzlich immer besteht; nur ausnahmsweise kann die Beteiligung des Betriebsrats für den Arbeitgeber unzumutbar sein. 198 Eine derartige Ausnahme will die herrschende Meinung im Bereich der Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 BetrVG zulassen, sofern ein „Notfall" vorliegt. 1 9 9 Unter einem Notfall wird eine unvorhergesehene Situation verstanden,

193

Vgl. Roth in MünchKomm, § 242 BGB Rn. 452 ff., 467 ff. Roth in MünchKomm, § 242 BGB Rn. 467. 195 Larenz, Schuldrecht Allgemeiner Teil, § 10 Π c, S. 134. 196 Dazu Witt, Kooperationsmaxime, S. 167 ff.; ders., BB 1986, S. 2194,2197 f. 197 Witt, Kooperationsmaxime, S. 167. 198 Witt, Kooperationsmaxime, S. 167 f. 199 So Dietz/Richardi, § 87 BetrVG Rn. 43; Fitting/Kaiser/Heither/Engels, § 87 BetrVG Rn. 23; Galperiti/Löwisch, § 87 BetrVG Rn. 25; Schaub, Handbuch, § 235 IV 2, S. 1937; Stege/Weinspach, § 87 BetrVG Rn. 13; Wiese in GK-BetrVG, § 87 BetrVG Rn. 145 f. m. w. N. Das BAG hat diese Frage zunächst offengelassen, vgl. BAG AP Nr. 6 zu § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit, Bl. 958 R; AP Nr. 2 zu § 87 BetrVG 1972 Kurzarbeit Bl. 654. In seinem Beschluß vom 19.2.1991 entschied das BAG, der Arbeitgeber dürfe in Notfallen einseitig handeln, um Schaden vom Betrieb oder von den Arbeitnehmern abzuwenden, sofern der Betriebsrat nicht erreichbar sei oder keinen ordnungsgemäßen Beschluß fassen könne, BAG AP Nr. 42 zu § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit, Bl. 34 R. Auch in seinen Entscheidungen zur Mitbestimmung des Betriebsrats bei der Einführung von Kurzarbeit im mittelbar arbeitskampfbetroffenen Betrieb meinte das BAG, es sei für den Arbeitgeber, der „unter dem Druck der Ereig194

7 Jansen

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4. Kapitel: Betriebsverfassungsrechtliche Vorgaben

die sofortiges Handeln verlangt, um Schaden vom Betrieb abzuwenden.200 Im Hinblick auf § 2 Abs. 1 BetrVG 2 0 1 kann hier die Pflicht des Arbeitgebers, den Betriebsrat zu beteiligen, wegen Unzumutbarkeit entfallen, wenn der Betriebsrat nicht erreichbar oder beschlußunfähig ist. 2 0 2 Anders aber, falls lediglich ein „Eilfall" vorliegt: Dann soll eine Einschränkung von Beteiligungsrechten nach herrschender Ansicht nicht in Frage kommen. 203 Diese Unterscheidung zwischen Eil- und Notfällen verdient Zustimmung. 204 Das Betriebsverfassungsgesetz eröffnet in den §§ 100, 115 Abs. 7 Nr. 4 die Möglichkeit vorläufiger Regelungen durch den Arbeitgeber bzw. Kapitän. Das läßt darauf schließen, daß der Gesetzgeber über den Kreis dieser besonderen Maßnahmen hinaus keine Ausnahme von den Beteiligungsrechten des Betriebsrats in sonstigen Eilfällen machen wollte. 2 0 5 Im Gegenteil ist nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG bei der Änderung der betriebsüblichen Arbeitszeit, über die regelmäßig kurzfristig entschieden werden muß, die Mitbestimmung des Betriebsrats gewollt. Gestattete man dem Arbeitgeber in allen Eilfällen einseitige Anordnungen die Rechte des Betriebsrats gerade im wichtigen Bereich der Arbeitszeitregelungen weitgehend ausgehöhlt. 206 Für eine Beschränkung von Beteiligungsrechten bei Eilfallen besteht auch kein Bedürfnis, da die Betriebsparteien für immer wiederkehrende Eilfälle vorsorgliche Regelungen treffen können. 207 Die Befugnisse des Betriebsrats sind daher nur in Notfällen gem. § 2 Abs. 1 BetrVG einzuschränken. nissecc stehe, unzumutbar gewesen, den Betriebsrat zu beteiligen, AP Nr. 70 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 594; AP Nr. 71 a. a. O., Bl. 597 R f. 200 Dzikus, Mitbestimmung, S. 109 f.; Wiese in GK-BetrVG, § 87 BetrVG Rn. 145; Witt, Kooperationsmaxime, S. 169. 201 Auf §2 Abs. 1 BetrVG stützen sich Dzikus, Mitbestimmung, S. 110 f.; Fitting/Kaiser/Heither/Engels, § 87 BetrVG Rn. 23; Wiese in GK-BetrVG, § 87 BetrVG Rn. 146; Witt, Kooperationsmaxime, S. 169 ff.; Worzalla, Mitbestimmung, S. 43. 202 Wiese in GK-BetrVG, § 87 BetrVG Rn. 145; Witt, Kooperationsmaxime, S. 169. 203 BAG AP Nr. 1 zu § 87 BetrVG 1972 Kurzarbeit, Bl. 10 R; AP Nr. 2 zu § 87 BetrVG 1972 Kurzarbeit, Bl. 657 R; AP Nr. 6 zu § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit, Bl. 958 f.; vgl. aus dem Schrifttum etwa Dzikus, Mitbestimmung, S. 52 ff.; Wiese in GKBetrVG, § 87 BetrVG Rn. 139; Witt, Kooperationsmaxime, S. 168 f.; alle m. w. N. Anders etwa Adomeit, BB 1972, S. 53, 55; Brill, BIStSozArbR 1975, S. 177, 179; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, § 47 IV 4, S. 511. 204 A. A. Simitis/Weiss, DB 1973, S. 1240, 1243, die daraufhinweisen, daß sich „der Weg von der Eile in die Not nicht ohne weiteres und für jeden nachzeichnen" lasse, daher soll die betriebliche Mitbestimmung auch in Not- und Eilfallen ausnahmslos zu beachten sein. 205 Säcker, ZfA 1972 (Sonderheft), S. 41, 60; Wiese in GK-BetrVG, § 87 BetrVG Rn. 141. 206 Wiese in GK-BetrVG, § 87 BetrVG Rn. 141. 207 BAG AP Nr. 2 zu § 87 BetrVG 1972 Kurzarbeit, Bl. 657 R; AP Nr. 6 zu § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit, Bl. 958; Wiese in GK-BetrVG, § 87 BetrVG Rn. 142; Witt, Kooperationsmaxime, S. 165 f.

Β. § 2 Abs. 1 BetrVG

99

Stellt nun der Arbeitskampf einen derartigen Notfall dar? Diese Frage wird man verneinen müssen. Regelmäßig werden dem Betrieb aufgrund des Arbeitskampfes keine ernsthaften Schäden drohen, ohne daß der Betriebsrat erreichbar wäre. Jedenfalls könnten Arbeitgeber und Betriebsrat für die doch häufig wiederkehrende Arbeitskampfsituation vorsorgliche Vereinbarungen treffen. 208 Der Arbeitskampf ist deshalb als solcher kein Notfall 2 0 9 , sondern kommt lediglich einem Eilfall gleich, der die betriebliche Mitbestimmung unberührt läßt. 2 1 0 Indessen mögen sich während des Arbeitskampfes Extremsituationen ergeben, in denen ein Alleinentscheidungsrecht des Arbeitgebers notwendig ist, um eine dringende Gefahr abzuwehren. Man denke beispielsweise an Streikexzesse einer aufgebrachten Arbeitnehmerschaft, die sich daran macht, Betriebsanlagen zu zerstören. Solche Ereignisse sind als Notfall zu bewerten, der rasches Handeln erfordert und eine Beteiligung des Betriebsrats für den Arbeitgeber unzumutbar macht. 211 Grund dafür ist jedoch nicht der Tarifkonflikt an sich, sondern die - arbeitskampfuntypische - Gefährdung der Betriebsmittel. Insofern besteht keine Besonderheit zur Rechtslage im Arbeitsfrieden. Demnach ergibt sich aus dem Gesichtspunkt des Alleinentscheidungsrechts bei Notfallen keine grundsätzliche Einschränkung der betrieblichen Mitbestimmung im Arbeitskampf. Auch sonst sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, daß die Fallgruppe des fehlenden Interesses gem. § 2 Abs. 1 BetrVG zu einer Suspendierung von Beteiligungsrechten während des Arbeitskampfes fuhren könnte. Vielmehr ist auch und gerade in der Arbeitskampfsituation ein berechtigtes Interesse der Belegschaft an der Beteiligung des Betriebsrats anzuerkennen. 212

208

H. W. Dietz, Friedenspflicht, S. 70 ff., Jahn, Beteiligung, S. 192. Im Hinblick auf Maßnahmen im Vorfeld des Arbeitskampfes hat auch das BAG den Arbeitgeber auf eine vorsorgliche Beteiligung des Betriebsrates verwiesen, BAG AP Nr. 5 zu § 98 BetrVG 1972, Bl. 511 Rf. 209 So im Ergebnis auch Küttner/Schmidt, DB 1988, S. 704; Patett, Arbeitskampffernwirkungen, S. 450 ff.; Seiter, DB 1981, S. 578, 586. 210 Zutreffend Ja/w, Beteiligung, S. 192. 211 Ähnlich Colneric in Däubler (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 677, die in derartigen Situationen den Rechtsgedanken des § 34 StGB auf das Betriebsverfassungsrecht übertragen und dem Arbeitgeber ausnahmsweise eine Alleinentscheidung zubilligen will. 212 Vgl. o. 1. Kapitel unter Π.

100

4. Kapitel: Betriebsverfassungsrechtliche Vorgaben 2. Ergebnis

§ 2 Abs. 1 BetrVG verbietet dem Betriebsrat, seine Befugnisse rechtsmißbräuchlich wahrzunehmen. Daraus läßt sich jedoch nicht ableiten, daß im Arbeitskampf die betriebliche Mitbestimmung einzuschränken wäre. Der Verlust von Beteiligungsrechten wegen mißbilligter Rechtsausübung stößt selbst dann auf Bedenken, wenn der Betriebsrat durch die Ausübung dieser Rechte offen den Arbeitskampf zu beeinflussen versucht. Versagt er bestimmten Anordnungen des Arbeitgebers die Zustimmung, ohne sich auf die Tarifauseinandersetzung zu beziehen, so liegt schon kein Hinweis auf eine mißbilligte Rechtsausübung vor. Es sind auch keine Gründe dafür ersichtlich, daß wegen des Arbeitskampfes das Interesse der Belegschaft an betrieblicher Mitsprache entfiele. Dieses Interesse ist nur in einem Notfall gegenüber den Arbeitgeberinteressen nachrangig, nämlich wenn es gilt, durch sofortiges Handeln einen Schaden vom Betrieb abzuwenden. Tritt ein solcher Notfall während des Arbeitskampfes ein, dann kann die Beteiligung des Betriebsrats nach § 2 Abs. 1 BetrVG entfallen, soweit sie für den Arbeitgeber unzumutbar ist.

C. Zusammenfassung Die bisherigen Ausführungen haben gezeigt, daß es im Betriebsverfassungsgesetz keine Konkurrenzregel für das Verhältnis von Arbeitskampf- und Betriebsverfassungsrecht gibt. Das Betriebsverfassungsgesetz enthält jedenfalls keine ausdrücklichen Vorgaben für die arbeitskampfrechtlichen Fragestellungen, die sich aus der Doppelrolle des Arbeitgebers ergeben, der im Tarifkonflikt zugleich Arbeitskampfpartei und Betriebspartei ist. Gegen eine rein betriebsverfassungsrechtlich ausgerichtete Lösung dieser Problematik spricht insbesondere, daß sich die arbeitskampfrechtlichen Interessen der Gewerkschaften nicht in ein Regelungswerk integrieren lassen, das allein auf das Verhältnis von Arbeitgeber und Belegschaft zugeschnitten ist. Demnach muß eine eigenständige, vom Betriebsverfassungsgesetz losgelöste Konkurrenzregel entwickelt werden. Zunächst ist zu untersuchen, ob eine Vorranglösung in Betracht kommt.

5. Kapitel

Rangverhältnis zwischen Arbeitskampf- und Betriebsverfassungsrecht? A. Vorrang des Arbeitskampfrechts Wären die Wertungen des Arbeitskampfrechts gegenüber denen des Betriebsverfassungsrechts vorrangig, so müßte die betriebliche Mitbestimmung während des Arbeitskampfes entfallen oder jedenfalls erheblich eingeschränkt werden. Im folgenden geht es darum, ob sich ein genereller Vorrang des Arbeitskampfrechts begründen läßt, der ein solches Ergebnis tragen könnte.1

I. Art. 9 Abs. 3 GG Das Arbeitskampfrecht ist nicht spezialgesetzlich geregelt, es gibt kein „Arbeitskampfgesetz". Deshalb stellt Art. 9 Abs. 3 GG die wichtigste Rechtsgrundlage für den Arbeitskampf dar. Nach überwiegender Auffassung ist der Arbeitskampf als Rechtseinrichtung von Verfassungs wegen geschützt.2 Die Frage ist, wie sich das auf die Stellung des Arbeitskampfrechts in der Rechtsordnung auswirkt. 7. Arbeitskampfrecht

als Verfassungsrecht

Ein Vorrang des Arbeitskampfrechts ergäbe sich, wenn man es in den Rang von Verfassungsrecht heben könnte. So ließe sich die Behauptung aufstellen, das Arbeitskampfrecht sei zwar nur richterrechtlich verfaßt, jedoch als Kon-

1

Zur Vorranglösung bei Rechtsgebietskonkurrenzen vgl. o. 3. Kapitel unter Β Π. Vgl. BVerfGE 84, S. 212, 225; Bertelsmann, Aussperrung, S. 135 f.; Evers, Arbeitskampffreiheit, S. 17; G. Müller, AuR 1972, S. 1, 3; Hueck/Nipperdey/Säcker, Arbeitsrecht Π/2, S. 918; Kalb, RdA 1995, S. 385, 387; Otto in MünchArbR, §277 Rn. 18 ff.; Reuß, AuR 1965, S. 97, 98; Rüthers in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht Rn. 37; Säcker, Koalitionsfreiheit, S. 81 ff.; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, § 40 Π 1 a, S. 406; kritisch Kempen, Koalitionsfreiheit, S. 63 ff.; Seiter, Streikrecht, S. 85 f. 2

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5. Kapitel: Rangerhältnis

kretisierung des Art. 9 Abs. 3 GG anzusehen, weshalb ihm Verfassungsrang zukomme. Diese Gleichsetzung von Arbeitskampf- und Verfassungsrecht begegnet allerdings durchgreifenden Bedenken. Der Verfassung lassen sich keine genauen Vorgaben für die Lösung einzelner arbeitskampfrechtlicher Probleme entnehmen. Sie steckt nur den Rahmen für ein Arbeitskampfsystem ab, innerhalb dessen unterschiedliche Ausgestaltungen denkbar sind. 3 Darum kann nicht jede richterrechtliche Konkretisierung der Arbeitskampfordnung den Rang von Verfassungsrecht einnehmen. Vielmehr muß man zwischen bindenden verfassungsrechtlichen Vorgaben und einfachem Arbeitskampfrecht - das in Ermangelung gesetzlicher Vorgaben richterrechtlich verfaßt ist - unterscheiden. 4 Anderenfalls besteht die Gefahr einer Überstrapazierung 5 und völligen Relativierung 6 der Verfassungsvorschriften. Im Hinblick auf das Konkurrenzverhältnis von Arbeitskampf- und Betriebsverfassungsrecht ist auch folgendes zu bedenken: Hätte der Gesetzgeber das Arbeitskampfrecht einfachgesetzlich normiert, käme ein Vorrang des Arbeitskampfrechts gegenüber dem Betriebsverfassungsrecht nicht in Betracht. Es würden zwei ranggleiche Rechtsgebiete miteinander konkurrieren. Die Tatsache, daß der Gesetzgeber sich der Materie des Arbeitskampfrechts bislang nicht angenommen hat, kann aber schlecht eine rangmäßige Besserstellung des Arbeitskampfrechts begründen. Aus Art. 9 Abs. 3 GG folgt demnach kein Vorrang des gesamten Arbeitskampfrechts vor dem Betriebsverfassungsrecht. Arbeitskampfrecht ist nicht ohne weiteres gleichbedeutend mit Verfassungsrecht. Möglicherweise läßt sich jedoch ein Rangverhältnis daraus herleiten, daß bestimmte Teile des Arbeitskampfrechts Konkretisierungen bzw. Verdeutlichungen 7 verfassungsrechtlicher Vorgaben darstellen, hinter die das Betriebsverfassungsrecht zurücktreten muß.

3 Nach BVerfGE 50, S. 290, 371 enthält Art. 9 Abs. 3 GG keine Garantie des Tarifvertrags· und Arbeitskampfsystems in seiner gegenwärtigen Gestalt. Scholz spricht daher zutreffend von einer „offenen Arbeitsverfassung", DB 1972, S. 1771,1774 f. 4 Dazu wegweisend Lerche, NJW 1987, S. 2465 ff.; Scholz, DB 1972, S. 1771, 1775; ders., Festschrift 25 Jahre BAG, S. 511, 515; vgl. auch Jahn, Beteiligung, S. 176 f.; Jarass, NZA 1990, S. 505 ff.; Schwarze, RdA 1993, S. 264, 265; Wank, Politik, S. 10 ff.; ders., Festschrift O. R. Kissel, S. 1225, 1226 f. 5 Lerche, NJW 1987, S. 2465, 2466. 6 Bieback/Mayer, AuR 1982, S. 169, 171 ,H. W. Dietz, Friedenspflicht, S. 129. 7 Vgl. Lerche, NJW 1987, S. 2465, 2466.

Α. Vorrang des Arbeitskampfrechts 2. Verfassungsrechtlicher

Schutz von Tarifautonomie

103 und Arbeitskampf

Die verfassungsrechtliche Verankerung der Tarifautonomie ist allgemein anerkannt; überwiegend wird von einer institutionellen Garantie der Tarifautonomie in Art. 9 Abs. 3 GG gesprochen.8 Sie ergibt sich aus einer teleologischen Interpretation der Vorschrift. Da die sozialen Gegenspieler beide dasselbe Grundrecht auf Koalitionsbetätigung9 aus Art. 9 Abs. 3 GG in Anspruch nehmen 10 , bedarf es einer sinnvollen Ausgestaltung durch die Rechtsordnung. 11 Sie muß ein funktionsfähiges Tarifsystem zur Verfugung stellen. 12 Dazu gehört auch die Möglichkeit, durch Arbeitskämpfe den Abschluß von Tarifverträgen zu erzwingen. 13 Angesichts dessen könnte man überlegen, ob nicht die Betriebsverfassung dem verfassungsrechtlichen Schutz von Tarifautonomie und Arbeitskampf weichen muß. Tatsächlich hat das BAG einmal den Ausschluß der Beteiligung nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG bei arbeitskampfbedingter Verlängerung der betriebsüblichen Arbeitszeit damit begründet, die verfassungsrechtlich geschützte Tarifautonomie habe gegenüber den Mitbestimmungsrechten des Betriebsverfassungsgesetzes den Vorrang. 14 Im Schrifttum sind teilweise ähnliche Ansätze zu finden. 15

8 Ζ. B. BVerfGE 4, S. 96, 108; 50, S. 290, 368; Rüthers in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht Rn. 85; Evers, Arbeitskampffreiheit, S. 18; Hueck/Nipperdey/Säcker, Arbeitsrecht Π/2, S. 915 ff.; Säcker, Koalitionsfreiheit, S. 33 ff.; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, § 8 IV 4 c, S. 107; ausführlich dazu Kemper, Koalitionsfreiheit, S. 65 ff. 9 Der Schutz des Art. 9 GG gilt dem Wortlaut nach nur der Koalitionsgründung, ist aber nach Sinn und Zweck auch auf die Koalitionsbetätigung auszudehnen, da die Koalitionsgründung sonst nutzlos wäre, vgl. Kemper, Koalitionsfreiheit, S. 137. Nach Ansicht das BVerfG ergibt sich der verfassungsrechtliche Schutz der Koalitionsbetätigungsfreiheit daraus, daß der Vereinigungszweck in den Schutzbereich des Grundrechts aufgenommen wurde, vgl. BVerfGE 4, S. 96, 101 f.; 50, S. 290, 367; 82, S. 212, 224. 10 Die Versuche, Art. 9 Abs. 3 GG als reines Arbeitnehmergrundrecht zu interpretieren (ζ. B. Wohlgemuth , Staatseingriff, S. 72 ff.; Zachert/Metzke/Hamer, Aussperrung, S. 118 ff., 187 ff.) haben sich angesichts der Tatsache, daß die Koalitionsfreiheit für Jedermann" gewährleistet ist, nicht durchsetzen können. 11 BVerfGE 50, S. 290, 368; 84, S. 212, 228; 92, S. 365, 394. 12 BVerfGE 18, S. 18, 26; 38, S. 281, 305; 50, S. 290, 367 ff.; 92, S. 365, 394 f.; Brox in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht Rn. 12; Friauf RdA 1986, S. 188, 192; Scholz/Konzen, Aussperrung, S. 154; Wiedemann/Stumpf Einl. Rn. 35. 13 BVerfGE 84, S. 212, 225; BAG AP Nr. 64 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 913; AP Nr. 84 a. a. O., Bl. 367; Kemper, Koalitionsfreiheit, S. 152 ff.; Rüthers in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht Rn. 128; Säcker, Koalitionsfreiheit, S. 33 ff; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, § 8 IV 4 d, S. 108. 14 BAG AP Nr. 63 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 310 R. 15 Vgl. o. 2. Kapitel unter Β Π, Fußnote 72.

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5. Kapitel: Rangerhältnis

Übersehen wird dabei, daß die Verfassung zwar die Existenz eines Tarifsystems gewährleistet, aber nichts über dessen nähere Ausgestaltung sagt. Das gleiche gilt fur den Arbeitskampf, der ebenfalls nur als Einrichtung, nicht hinsichtlich einzelner Modalitäten geschützt ist. Die betriebliche Mitbestimmung berührt jedoch nicht die Existenz von Arbeitskampf und Tarifautonomie als Normsetzungsverfahren. Bei der Frage, ob die Betriebsverfassung während des Tarifkonfliktes einzuschränken ist, geht es nur darum, wie die Tarif- und Arbeitskampfordnung näher konkretisiert werden soll. Das ist zunächst ein Problem des einfachen Arbeitskampfrechts, nicht des Verfassungsrechts. Die grundgesetzliche Garantie der Tarifautonomie und des Arbeitskampfes fuhrt jedenfalls nicht zwingend zu einer Beschränkung von Beteiligungsrechten. 3. Kampfparität Art. 9 Abs. 3 GG schützt auch die Funktionsfähigkeit des Tarifsystems. 16 Tarifverträge dienen dazu, einen Ausgleich zwischen den entgegengesetzten Interessen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern zu schaffen. 17 Der Interessenausgleich kann nur gelingen, wenn nicht eine Partei der anderen den Vertragsinhalt diktiert, sondern beide Tarifparteien die Möglichkeit haben, den Inhalt des Tarifvertrages mitzugestalten.18 Das Gleichgewicht bei den Tarifverhandlungen gehört somit zu den Voraussetzungen eines funktionierenden Tarifsystems. Das Verhandlungsgleichgewicht hängt aber entscheidend vom Kräfteverhältnis im Arbeitskampf ab. 19 Denn für den Fall, daß sich die sozialen Gegenspieler nicht auf friedlichem Wege einigen, steht der Arbeitskampf als Zwangsmittel zur Verfugung, um einen Tarifabschluß zu forcieren. 20 Die Arbeitskampfchancen müssen daher gleichmäßig verteilt sein, es muß Kampfparität 21 herrschen. Das Paritätsprinzip stellt also eine folgerichtige Konkreti-

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Vgl. o. Fußnote 12. Dazu G. Müller, Arbeitskampf, S. 54 ff. 18 BGH AP Nr. 38 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 106; BAG GS AP Nr. 43 a. a. O., Bl. 310 R; BAG AP Nr. 64 a. a. O., Bl. 914 R; AP Nr. 84 a. a. O., Bl. 366 R; Rüthers in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht Rn. 166; Scholz in Maunz/Dürig/Herzog/ Scholz, Art. 9 GG Rn. 287; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, § 40 X, S. 425. 19 Seiter, Streikrecht, S. 159. 20 Der Arbeitskampf ist lediglich ein „Hilfsinstrument der Tarifautonomie", vgl. BVerfGE 18, S. 18, 30; BAG GS AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 309 R ff.; BAG AP Nr. 64 a. a. O., Bl. 913; AP Nr. 85 a. a. O., Bl. 547; Kemper, Koalitionsfreiheit, S. 152 ff.; Richardis RdA 1986, S. 146, 157; Rüthers in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht Rn. 85 f., 125 f.; Seiter, JA 1979, S. 337, 342. Sympathiearbeitskämpfe sind deshalb unzulässig, BAG AP Nr. 85 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 547; Rüthers in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht Rn. 142 m. w. N. 21 Der Begriff der Parität (lat. „Gleichheit") ist im arbeitskampfrechtlichen Schrifttum allgemein gebräuchlich. Er entstammt dem Staatskirchenrecht (vgl. Evers, 17

Α. Vorrang des Arbeitskampfrechts

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sierung des Art. 9 Abs. 3 GG dar; insofern ist es als Zielvorgabe für die Arbeitskampfrechtsordnung verfassungsrechtlich verankert. 22 Häufig wird versucht, aus dem Paritätsprinzip einen Vorrang des Arbeitskampfrechts vor dem Betriebsverfassungsrecht abzuleiten: Die Beteiligungsrechte des Betriebsverfassungsgesetzes müßten hinter das verfassungsrechtlich garantierte Paritätsprinzip zurücktreten. 23 Dem liegt der Gedanke zugrunde, die betriebliche Mitbestimmung könnte die Arbeitskampfchancen der Arbeitgeberseite schmälern, weil der Betriebsrat die Möglichkeit hätte, wichtige Kampfmaßnahmen des Arbeitgebers zu behindern. 24 Diese Überlegung klingt zunächst plausibel, verliert aber an Überzeugungskraft, wenn man kritisch nachfragt, welche Paritätserwägungen denn wirklich durch Art. 9 Abs. 3 GG verfassungsrechtlich vorgegeben sind. Im Wege teleologischer Interpretation läßt sich aus Art. 9 Abs. 3 GG ableiten, daß nicht nur die Koalitionsgründung, sondern auch die Koalitionsbetätigung geschützt ist (weil anderenfalls die Koalitionsgründungsfreiheit sinnlos wäre). 25 Die klassische Form der Koalitionsbetätigung besteht im Abschluß von Tarifverträgen. 26 Somit schützt Art. 9 Abs. 3 GG auch die Tarifautonomie. Sie kann nur funktionieren, wenn die Chancen beim Aushandeln der Tarifverträge annähernd gleich verteilt sind, insofern gilt das Paritätsprinzip von Verfassungs wegen. An dieser Stelle endet die Kette des verfassungsrechtlich Ableitbaren. Weitere Aussagen lassen sich Art. 9 Abs. 3 GG zur näheren Konkretisierung des Paritätsprinzips, insbesondere zum Einfluß der betrieblichen Mitbestimmung auf die Parität, nicht entnehmen. Aus Art. 9 Abs. 3 GG folgt daher nur, daß es verfassungsrechtlich geboten ist, das Paritätsprinzip bei der Aus-

Arbeitskampffreiheit, S. 32), wo unter konfessioneller Parität Gleichrang und Gleichbehandlung verschiedener religiöser Bekenntnisse und Kirchen verstanden wird. 22 Evers, Arbeitskampffreiheit, S. 31 f.; Heenen, Kampfparität S. 9 ff.; Kalb, Arbeitskampfrecht Rn. 52; Raiser , Aussperrung, S. 64 ff.; Rüthers, Aussperrung, S. 70 ff.; Scholz in Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 9 GG Rn. 287; Scholz/Konzen, Aussperrung, S. 168 ff; Seiter, Streikrecht, S. 170; Wank, Festschrift O. R. Kissel, S. 1225, 1239; Zöllner, Aussperrung, S. 24, 33 f.; a. A. Colneric in Däubler (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 752; Kemper, Koalitionsfreiheit, S. 190; Lerche, Zentralfragen, S. 64 ff; Wolter, AuR 1979, S. 193, 195. 23 Brox in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht Rn 441; Eich, DB Beilage 9/1979, S. 2; Rüthers/Klosterkemper, Anm. zu BAG AP Nr. 63 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 312; Rüthers/Henssler, Anm. zu BAG AP Nr. 13 zu § 87 BetrVG 1972 Betriebliche Ordnung, Bl. 1079; Seiter, RdA 1979, S. 393, 397; ders., SAE 1980, S. 154, 162. 24 Vgl. etwa BAG AP Nr. 63 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 310 R, Brox in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht Rn. 441 ff. 25 Vgl. o. Fußnote 9. 26 BVerfG in ständiger Rechtsprechung seit BVerfGE 4, S. 96, 106; Kemper, Koalitionsfreiheit, S. 137 f.; Säcker, Koalitionsfreiheit, S. 71; Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 265; ders. in Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 9 GG Rn. 299.

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5. Kapitel: Rangerhältnis

gestaltung der Arbeitskampfrechtsordnung zu berücksichtigen. Wie das im einzelnen zu geschehen hat, sagt die Verfasung nicht. Aus Art. 9 Abs. 3 GG ergibt sich also lediglich die Geltung, nicht aber der Inhalt des Paritätsprinzips. 27 Insoweit verhält es sich mit dem Paritätsprinzip ebenso wie mit dem Tarifsystem, das auch lediglich im Hinblick auf seine Existenz, nicht aber im Hinblick auf die nähere Ausgestaltung verfassungsrechtlichen Schutz genießt. Das BVerfG nahm deshalb in seiner Entscheidung vom 26.6.1991, in der es sich mit den vom BAG entwickelten Grundsätzen des Arbeitskampfrechts auseinanderzusetzen hatte 28 , keine volle inhaltliche Überprüfung der Rechtsprechung des BAG zur Arbeitskampfjparität vor. Vielmehr beschränkte es sich darauf, festzustellen, daß eine Beschränkung von Arbeitskampfmaßnahmen durch das Paritätsprinzip mit Art. 9 Abs. 3 GG vereinbar sei 29 ; im übrigen liege die vom BAG vorgenommene konkrete Ausgestaltung des Paritätsprinzips „innerhalb der zulässigen Bandbreite eines rechtlichen Ordnungsrahmens für das Arbeitskampfrecht". 30 Dazu führte das BVerfG aus: „Solange die Arbeitgeber nicht gehindert sind, die zur Herstellung dieses Gleichgewichts erforderlichen Kampfmittel einzusetzen, wird die Koalitionsfreiheit nicht verletzt. Diese kann so ausgestaltet werden, daß ein Verhandlungsübergewicht nach Möglichkeit verhindert wird " 3 1 Daraus wird deutlich, daß nach Ansicht des BVerfG allein das „Ob" des Paritätsprinzips verfassungsrechtlich vorgegeben ist. Das „Wie" ist eine Frage des einfachen Arbeitskampfrechts 32, zu der sich das Grundgesetz nicht äußert. 33

27 Vgl. Bertelsmann, Aussperrung, S. 228; Birk/Konzen/Löwisch/Raiser/Seiter, setz zur Regelung kollektiver Arbeitskonflikte, S. 18; Mayer-Maly, DB 1979, S. 95, 97; Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 265 f.; Wank, Festschrift O. R. Kissel, S. 1225, 1239; Zöllner, Aussperrung, S. 34. 28 BVerfGE 84, S. 212 ff. Das BVerfG hielt die angegriffene Arbeitskampfrechtsprechung des BAG für verfassungsrechtlich unbedenklich. 29 BVerfGE 84, S. 212, 229. 30 BVerfGE 84, S. 212, 230. 31 BVerfGE 84, S. 212, 229 (Hervorhebungen vom Verfasser). 32 Wank, Festschrift O.R. Kissel, S. 1225, 1239. Das BAG scheint der gleichen Meinung zu sein, denn es hat die Tarifparteien aufgefordert, das Paritätsprinzip durch autonome Regelungen zu konkretisieren; tarifliche Arbeitskampfordnungen hätten insoweit Vorrang gegenüber den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen, vgl. BAG AP Nr. 64, 65 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, jeweils Leitsatz 5. Die Annahme, nicht nur das „Ob", sondern auch das „Wie" des Paritätsprinzips sei verfassungsrechtlich vorgegeben, ist mit dieser Aufforderung unvereinbar. 33 Der Inhalt des Paritätsprinzips, der an dieser Stelle dahingestellt bleiben kann, ist denn auch ganz umstritten, dazu ausführlich 6. Kapitel unter C Π.

Ge-

Α. Vorrang des Arbeitskampfrechts

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Dies wird auch durch die Ausfuhrungen im Urteil des BVerfG vom 4.7.1995 34 bestätigt. Das BVerfG mußte sich mit der Verfassungsmäßigkeit des 1986 neugeregelten § 116 AFG befassen und kam zu dem Ergebnis, die Vorschrift sei - bei verfassungskonformer Auslegung - verfassungsrechtlich unbedenklich. Sie verletze insbesondere nicht die Koalitionsfreiheit der Gewerkschaften aus Art. 9 Abs. 3 GG. In diesem Zusammenhang nahm das BVerfG zur Arbeitskampfparität wie folgt Stellung:

„Der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers findet seine Grenze am objektiven Gehalt des Art. 9 Abs. 3 GG. Die Tarifautonomie muß als ein Bereich gewahrt bleiben, in dem die Tarifvertragsparteien ihre Angelegenheiten grundsätzlich selbstverantwortlich und ohne staatliche Einflußnahme regeln können. Ihre Funktionsfahigkeit darf nicht gefährdet werden. Die Koalitionen müssen ihren verfassungsrechtlich anerkannten Zweck, die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen ihrer Mitglieder zu wahren und zu fördern, insbesondere durch den Abschluß von Tarifverträgen erfüllen können. Das Tarifvertragssystem ist darauf angelegt, die strukturelle Unterlegenheit der einzelnen Arbeitnehmer beim Abschluß von Arbeitsverträgen durch kollektives Handeln auszugleichen und damit ein annähernd gleichgewichtiges Aushandeln der Löhne und Arbeitsbedingungen zu ermöglichen. Funktionsfähig ist die Tarifautonomie folglich nur, solange zwischen den Tarifvertragsparteien ein ungefähres Gleichgewicht - Parität - besteht. [...] Konkrete Maßstäbe, nach denen das Kräftegleichgewicht der Tarifvertragsparteien beurteilt werden könnte, lassen sich Art. 9 Abs. 3 GG nicht entnehmen. Die Einzelheiten sind in der arbeitsrechtlichen Literatur stark umstritten. Das BAG stellt in seiner Rechtsprechung zum Arbeitskampf darauf ab, wie sich die Verhandlungsstärke der Gegenspieler beim Aushandeln von Tarifverträgen auswirkt und wie sie durch Arbeitskampfmittel beeinflußt werden kann. Für diese Betrachtungsweise sprechen gute Gründe. [...] Der Gesetzgeber ist allerdings bei der Ausgestaltung der Koalitionsfreiheit nicht daran gebunden. Er kann auch andere Regeln aufstellen, die verhindern sollen, daß eine der Tarifvertragsparteien ein Übergewicht bei Tarifverhandlungen erhält. Verfassungswidrig ist sein Ansatz erst dann, wenn er von vornherein ungeeignet ist, dieses Ziel zu erreichen." 35 Das Paritätsprinzip ist demnach - als Voraussetzung für eine fünktionierende Tarifautonomie - über Art. 9 Abs. 3 GG gewährleistet und vom Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der Rechtsordnung zu beachten. Nähere inhaltliche Vorgaben für die Konkretisierung der Arbeitskampfjparität enthält die Verfassung jedoch nicht. Insoweit besteht ein Gestaltungsspielraum auf der Ebene des einfachen Arbeitskampfrechts. Für die Problematik des Konkurrenzverhältnisses zwischen Arbeitskampfund Betriebsverfassungsrecht folgt daraus: Die betriebliche Mitbestimmung im Arbeitskampf betrifft nicht die verfassungsrechtlich gesicherte Geltung des Paritätsprinzips an sich. Es geht lediglich darum, inwiefern die Kampfparität durch die Betriebsverfassung beeinflußt wird. Das aber beurteilt sich danach, 34 35

BVerfGE 92, S. 365 ff. BVerfGE 92, S. 365, 394 ff. (Hervorhebungen vom Verfasser).

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5. Kapitel: Rangerhältnis

„wie" man den Inhalt des Paritätsprinzips bestimmt, und ist damit Gegenstand des einfachen Arbeitskampfrechts. Das Prinzip der Kampfparität kann deshalb keinen Vorrang des Arbeitskampfrechts vor dem Betriebsverfassungsrecht begründen. Mit dem Gedanken der Kampfparität ist zwar ein möglicher Wertungswiderspruch zwischen Arbeitskampf- und Betriebsverfassungsrecht aufgezeigt, jedoch noch nicht erwiesen, daß die arbeitskampfrechtlichen Wertungen von Verfassungs wegen 36 vorrangig sind.

IL § 77 Abs. 3 BetrVG Sucht man nach einer einfachgesetzlichen Grundlage für einen Vorrang des Arbeitskampfrechts vor dem Betriebsverfassungsrecht, so ist § 77 Abs. 3 BetrVG von Interesse. Die Norm statuiert einen Vorrang des Tarifvertrages vor der Betriebsvereinbarung 37, sie schließt die Anwendung des Günstigkeitsprinzips (§ 4 Abs. 3 TVG) aus. 38 Den Tarifparteien wird insofern eine „Normsetzungsprärogative" 39, eine „Vorrangkompetenz" 40 eingeräumt. Denkbar wäre es, daß sich daraus ein allgemeiner Vorrang der Tarifautonomie gegenüber der Betriebsverfassung ableiten läßt. 41 Dieses Rangverhältnis könnte dann auch zugunsten des Arbeitskampfrechts wirken, weil ja der Arbeitskampf „Hilfsinstrument der Tarifautonomie" 42 ist. So wird teilweise gesagt, § 77 Abs. 3 BetrVG sei nicht nur als Vorrangnorm hinsichtlich des Regelungsziels, sondern auch hinsichtlich der Durchsetzungsmittel - des Arbeitskampfes - anzusehen.43 Andererseits könnte man aus der Zuständigkeitsverteilung des § 77 Abs. 3 BetrVG, wonach die Regelungsmaterie des Betriebsverfassungsgesetzes strikt vom Tarifrecht und vom Arbeitskampfrecht getrennt wird, auch den Schluß ziehen, das Gesetz ordne gerade kein Rangverhältnis an, vielmehr sei 36 Daß man methodisch mit Hilfe des Paritätsprinzips eine Angleichung von Arbeitskampf- und Betriebsverfassungsrecht herbeiführen kann, wird später ausführlich dargelegt, vgl. 6. Kapitel unter C. 37 Vgl. Hess in Hess/Schlochauer/Glaubitz, § 77 BetrVG Rn. 127 m. w. N. 38 Fitting/Kaiser/Heither/Engels, § 77 BetrVG Rn. 86. 39 Säcker, RdA 1967, S. 370, 371. 40 Wiedemann/Stumpf, § 4 TVG Rn. 275. 41 Vgl. Hanau/Adomeit, Arbeitsrecht, Β I 5 b, S. 124; Hanau, Anm. zu AR-Blattei D Betriebsverfassung Entscheidung 37; Heinze, Personalplanung Rn. 433; ders., SAE 1980, S. 223, 224 f. 42 Vgl. o. Fußnote 20. 43 Heinze, Personalplanung Rn. 433; ders., SAE 1980, S. 223, 225. - Ich unterstelle, daß damit nicht nur der Regelungsgehalt des Arbeitskampfverbotes gem. § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG in andere Worte gekleidet, sondern eine weitergehende Aussage zum Verhältnis von Arbeitskampf- und Betriebsverfassungsrecht getroffen werden soll.

Α. Vorrang des Arbeitskampfrechts

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ein Nebeneinander von Tarifautonomie und Betriebsverfassung gewollt. 44 Diese Deutungsvariante scheint mir vorzugswürdig zu sein. Dem Wortlaut nach läßt sich aus § 77 Abs. 3 BetrVG über das Gebiet der Normsetzung hinaus nichts für das Verhältnis von Tarifautonomie und Arbeitskampfrecht zur Betriebsverfassung ableiten; die Vorschrift begrenzt lediglich den Bereich, der durch Betriebsvereinbarungen geregelt werden kann. 45 In systematischer Hinsicht folgt aus § 3 BetrVG, daß die Betriebsverfassung jedenfalls nicht zur Disposition der Tarifjparteien gestellt ist. Wohl dürfen sie die Beteiligungsrechte des Betriebsrats erweitern 46 , eine Verschlechterung des betriebsverfassungsrechtlichen Schutzstandards durch Tarifverträge ist jedoch nicht möglich. 47 Aus den Gesetzesmaterialien ergibt sich, daß § 77 Abs. 3 BetrVG dem „Vorrang der Tarifautonomie" Rechnung tragen soll. 48 Offen bleibt indes, ob damit der Vorrang des Tarifvertrages vor der Betriebsvereinbarung gemeint ist oder ein allgemeiner Vorrang der Tarifautonomie vor der Betriebsverfassung. 49 Im Regierungsentwurf ist weiter die Rede davon, § 77 Abs. 3 BetrVG solle verhindern, „daß der persönliche Geltungsbereich von Tarifverträgen auf einem anderen als dem hierfür vorgesehenen Weg der Allgemeinverbindlicherklärung nach dem TVG ausgedehnt wird." 5 0 Das spricht für die Annahme, der Gesetzgeber habe nur Tarifverträge vor einer Aushöhlung durch Betriebsvereinbarungen schützen wollen. Jedenfalls finden sich in den Materialien keine ausdrücklichen Hinweise auf ein Rangverhältnis zwischen Arbeitskampfrecht und Betriebsverfassungsrecht. Entscheidend ist die teleologische Auslegung. Entspricht ein Vorrang der Tarifautonomie und des Arbeitskampfrechtes vor der Betriebsverfassung der ratio des § 77 Abs. 3 BetrVG? Auf die zuständigkeitsabgrenzende Funktion der Vorschrift wurde schon hingewiesen. § 77 Abs. 3 BetrVG bezweckt zunächst, hinsichtlich desselben Regelungsgegenstandes ein Nebeneinander von tariflicher bzw. tarifüblicher Regelung und Betriebsvereinbarung auszuschließen. Erblickt man den Normzweck ausschließlich darin, die Kompetenzberei-

44

So Heinze, DB Beilage 23/1982, S. 9; Richardi, Festschrift 10 Jahre deutsche Richterakademie, S. 111, 112. Ausführlich gegen einen Vorrang der Tarifautonomie vor der betrieblichen Mitbestimmung Jahnke, Tarifautonomie, S. 135 ff. und passim. 45 Kreutz in GK-BetrVG, § 74 BetrVG Rn. 62 f. 46 BAG AP Nr. 23 zu § 77 BetrVG 1972, Bl. 68 ff; AP Nr. 53 zu § 99 BetrVG 1972, Bl. 1205 ff. 47 Däubler in Däubler/Kittner/Klebe/Schneider (Hrsg.), Einleitung Rn. 75; Galperin/Löwisch, § 87 BetrVG Rn. 15; Wiese in GK-BetrVG, § 87 BetrVG Rn. 5. 48 Regierungsentwurf, BT- Drucksache 6/1786, S. 47. 49 Heyer, Normsetzung, S. 74. 50 BT-Drucksache 6/1786, S. 47.

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5. Kapitel: Rangerhältnis

che von Tarif- und Betriebsparteien voneinander abzugrenzen 51, dann lassen sich aus § 77 Abs. 3 BetrVG keine Schlußfolgerungen auf ein Rangverhältnis zwischen tarifrechtlichen und betriebsverfassungsrechtlichen Wertungen ziehen. Nach der heute überwiegenden Auffassung erschöpft sich der Sinn des § 77 Abs. 3 BetrVG aber nicht in der Abgrenzungsfünktion. Vielmehr bezweckt die Vorschrift den Schutz der Tarifautonomie vor konkurrierenden betrieblichen Regelungen.52 Die Betriebsvereinbarung soll nicht zu einem „Ersatztarifvertrag" für alle Arbeitnehmer einschließlich der Außenseiter werden. 53 Anderenfalls würde die Attraktivität des Tarifvertrages geschmälert und der Anreiz für nicht organisierte Arbeitnehmer zum Gewerkschaftsbeitritt gemindert. Insofern schützt § 77 Abs. 3 BetrVG die Gewerkschaften vor dem Betriebsrat als Konkurrenten. 54 Dieser Schutzgedanke verlangt jedoch nicht nach einem generellen Vorrang des Tarif- und Arbeitskampfrechts vor dem Betriebsverfassungsrecht. Ausreichend ist vielmehr, den Vorrang tariflicher vor betrieblicher Normsetzung zu wahren. Selbst dieser Vorrang gilt nur eingeschränkt für die materiellen und nicht für die formellen Arbeitsbedingungen. 55 Warum sich der - eingeschränkte - Normsetzungsvorrang auf das gesamte Arbeitskampfrecht erstrecken soll, läßt sich aus dem Gesetzeszweck des § 77 Abs. 3 BetrVG nicht begründen. Der Vorschrift ist demnach kein Rangverhältnis zwischen Arbeitskampfrecht und Betriebsverfassungsrecht zu entnehmen.56

51 So Eickelberg, Betriebsvereinbarung, S. 124; Fabricius, Anm. zu BAG AP Nr. 28 zu § 59 BetrVG, Bl. 761 ff. 52 BAG GS AP Nr. 51 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung m. w. N. aus der Rechtsprechung; Dietz/Richardi, § 77 BetrVG Rn. 176; Galperin/Löwisch, § 77 BetrVG Rn. 73 f.; Jahnke, Tarifautonomie, S. 145 f.; Kreutz in GK-BetrVG, § 77 BetrVG Rn. 66; Wank, RdA 1991, S. 129, 136 f.; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, § 46 Π 6, S. 483 f. 53 Dietz/Richardi, § 77 BetrVG Rn. 173. Die Probleme, die das Regelungsmodell des § 77 Abs. 3 BetrVG im Hinblick auf sog. Öffnungsklauseln und den Grundsatz der negativen Koalitionsfreiheit aufwirft, können hier nicht behandelt werden. Vgl. zur aktuell diskutierten „Krise des Flächentarifs" Rieb le, RdA 1996, S. 151, 152 ff.; Waltermann, RdA 1996, S. 129, 136 f.; Zachert, RdA 1996, S. 140, 142 ff. Gegen eine Änderung des § 77 Abs. 3 BetrVG Kempen, AuR 1996, S. 336, 343 f. 54 Heyer, Normsetzung, S. 78; Matthes in MünchArbR, § 318 Rn. 59. 55 Vgl. Dietz/Richardi, §77 BetrVG Rn. 185 ff.; Heisig, Arbeitszeitregelungen, S. 185 ff.; Hess in Hess/Schlochauer/Glaubitz, § 77 BetrVG Rn. 132 f.; Jahnke, Tarifautonomie, S. 142 ff., jeweils mit ausführlicher Argumentation und w. N.; a. A. BAG AP Nr. 1 zu § 77 BetrVG 1972 Tarifvorbehalt; Berg in Däubler/Kittner/Klebe/Schneider (Hrsg.), § 77 BetrVG Rn. 36; Kreutz in GK-BetrVG, § 77 BetrVG Rn. 72 ff. 56 Ebenso Jahnke, ZfA 1984, S. 69, 86.

Α. Vorrang des Arbeitskampfrechts

111

III. Arbeitskampf und Betriebsratsamt In der Literatur zum BetrVG 1952 war die Auffassung verbreitet, das Betriebsratsamt teile im Arbeitskampf das Schicksal des Arbeitsverhältnisses: Sei das Arbeitsverhältnis suspendiert, ruhe auch das Betriebsratsamt; sei das Arbeitsverhältnis aufgelöst, so sei das Betriebsratsamt ebenfalls aufgehoben. 57 Damit wird gerade das vorausgesetzt, was erst noch zu beweisen wäre, nämlich ein Vorrang arbeitskampfrechtlicher Wertungen vor dem Betriebsverfassungsrecht. Es handelt sich um eine petitio principii, denn der behauptete Zusammenhang zwischen Betriebsratsamt und Arbeitsverhältnis im Arbeitskampf ist nicht zu belegen. Beginn und Ende des Betriebsratsamtes sind in den §§ 21, 24 BetrVG geregelt. Den Arbeitskampf sieht das Gesetz jedenfalls nicht ausdrücklich als Beendigungsgrund an. Allerdings könnte man daran denken, die lösende Aussperrung eines Betriebsratsmitglieds als „Beendigung des Arbeitsverhältnisses" gem. § 24 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG anzusehen. Indessen wird die lösende Aussperrung von Betriebsratsmitgliedern seit den hierzu ergangenen Entscheidungen des B A G 5 8 und des BVerfG 59 allgemein für unzulässig gehalten 60 , denn Betriebsratsmitglieder sind durch die Vorschriften der §§ 15 Abs. 1 KSchG, 103 BetrVG in besonderer Weise geschützt. „Die gesetzliche Regelung zeigt, daß der Arbeitgeber grundsätzlich nicht durch einseitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses das Betriebsratsamt beenden kann. Der gesetzgeberische Sinn könnte verfehlt werden, wenn der Arbeitgeber durch lösende Aussperrung die Möglichkeit hätte, das Arbeitsverhältnis mit dem Betriebsratsmitglied zu beenden und auf diese Weise die Zusammensetzung des Betriebsrats zu beeinflussen." 61 Eine Beendigung des Betriebsratsamtes im Wege einer lösenden Aussperrung kommt daher nicht in Betracht. Warum das Amt des Betriebsrats bei Arbeitskämpfen mit suspendierender Wirkung ruhen sollte, läßt sich aus dem Gesetz nicht begründen. Kraft, der sich in einer früheren Stellungnahme für das Ruhen sämtlicher Beteili-

57

Vgl. o. 2. Kapitel unter Β I , Fußnoten 56, 57. BAG GS AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 312 R. 59 BVerfG AP Nr. 50 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 579 R f. 60 Vgl. etwa Berg in Däubler/Kittner/Klebe/Schneider (Hrsg.), § 74 BetrVG Rn. 19; Brox in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht Rn. 622; Fitting/Kaiser/H either/ Engels, § 74 BetrVG Rn. 16; Lömsch/Rieble in Löwisch (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 430; Schlochauer in Hess/Schlochauer/Glaubitz, § 24 BetrVG Rn. 16. 61 BVerfG AP Nr. 50 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 579 R. 58

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5. Kapitel: Rangerhältnis

gungsrechte während des Arbeitskampfes ausgesprochen hat 62 , führt folgende Erwägungen an: Die Wahrung der Arbeitnehmerinteressen im Arbeitskampf sei „ i m Interesse der Kampfparität" Sache der Gewerkschaften, nicht des Betriebsrats; die Unterscheidung zwischen arbeitskampfrelevanten und anderen Beteiligungsrechten sei unberechtigt, da der Betriebsrat das Gebot zur vertrauensvollen Zusammenarbeit nicht erfüllen könne. 63 Daß die Kooperationsmaxime des § 2 Abs. 1 BetrVG nichts über die betriebliche Mitbestimmung im Arbeitskampf aussagt, ist bereits dargelegt worden. 64 Auch der Paritätsgrundsatz rechtfertigt kein vollständiges Ruhen des Betriebsratsamtes. Die Chancengleichheit der Tarifgegner kann nicht durch den Fortbestand des Betriebsratsamtes, sondern nur durch einzelne Beteiligungsrechte beeinträchtigt werden. 65 Schließlich ist auch nicht einzusehen, inwiefern der Schutz der Arbeitnehmerinteressen während des Tarifkonflikts allein in den Händen der Gewerkschaften liegen sollte. Das geltende Recht ordnet ein Nebeneinander von tariflicher und betrieblicher Interessenvertretung an. 66 Die arbeitskampflührende Gewerkschaft kann die Funktion der betrieblichen Mitbestimmung nicht ausfüllen. Ihr stehen keine Beteiligungsbefügnisse an Arbeitgeberentscheidungen zu. Außerdem erfaßt die gewerkschaftliche Interessenvertretung nur die organisierten Arbeitnehmer, nicht jedoch die Außenseiter. 67 Wer das Ruhen des Betriebsratsamtes im Arbeitskampf damit begründen will, daß eine Unterscheidung zwischen arbeitskampfrelevanten und sonstigen Beteiligungsrechten unberechtigt sei, muß sich im übrigen entgegenhalten lassen, daß man aus diesem Gedanken ebensogut folgern kann, die betriebliche Mitbestimmung dürfe während des Arbeitskampfes überhaupt nicht eingeschränkt werden. Der Arbeitskampf hat somit keinen Einfluß auf das Amt des Betriebsrats. 68

62 Kraft, ZfA 1973, S. 243, 259 ff.; vgl. auch Neumann-Duesberg, Betriebsverfassungsrecht, S. 141 ff. Kraft hat diese Ansicht allerdings in SAE 1979, S. 303, 304 aufgegeben. 63 Kraft, ZfA 1973, S. 243, 260 f. 64 Vgl. o. 4. Kapitel unter B. 65 Häßler, Beteiligungsrechte, S. 22. 66 Richardis Festschrift 10 Jahre deutsche Richterakademie, S. 111, 112 f. Nach Jahnke, Tarifautonomie, S. 126 ff. ist Schutzzweck der Tarifautonomie und des ihr zugeordneten Arbeitskampfrechts primär die wirtschaftliche Besserstellung der Arbeitnehmer, während die betriebliche Mitbestimmung in erster Linie die Persönlichkeitsentfaltung der Arbeitnehmer im Betrieb schützen soll. 67 Nach Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, § 8 Π 1, S. 99 sind nur 33 % der aktiven Arbeitnehmer gewerkschaftlich organisiert. 68 Heute allgemein anerkannt, vgl. BAG AP Nr. 43, 57, 58, 60, 70, 71, 110 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; aus dem Schrifttum etwa Dietz/Richardi, § 74 BetrVG Rn. 29; Galperin/Löwisch, § 74 BetrVG Rn. 13; Hess in Hess/Schlochauer/Glaubitz, § 74 BetrVG Rn. 27; Kreutz in GK-BetrVG, § 74 BetrVG Rn. 54, jeweils m. w. N.

Β. Vorrang des Betriebsverfassungsrechts

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Β. Vorrang des Betriebsverfassungsrechts Läßt sich ein Vorrang des Arbeitskampfrechts nicht belegen, so stellt sich als nächstes die Frage, ob das Betriebsverfassungsrecht vorrangig ist. Wäre das der Fall, müßte eine Einschränkung von Beteiligungsrechten im Arbeitskampf ausscheiden. Dieses Ergebnis wird von einer Gruppe im Schrifttum engagiert vertreten. 69

L Stellung des Arbeitskampfrechts in der Normenhierarchie Das Betriebsverfassungsrecht ist gesetzlich normiert. Ein Arbeitskampfgesetz existiert hingegen nicht; das Arbeitskampfrecht ist im wesentlichen richterrechtlich verfaßt. 70 Diese Tatsache heben diejenigen hervor, die dem Betriebsrat während des Arbeitskampfes alle Beteiligungsrechte lassen wollen. Sie sind der Ansicht, Richterrecht könne nicht förmliches Bundesrecht verdrängen. 71 Das ergebe sich aus Art. 20 Abs. 3 GG. 7 2 Die Vorrangstellung des Betriebsverfassungsrechts gegenüber dem Arbeitskampfrecht wird also durch ein Ranggefälle zwischen Richterrecht (Arbeitskampfrecht) und Gesetzesrecht (Betriebsverfassungsrecht) begründet. Umstritten ist, ob Richterrecht überhaupt eine selbständige Rechtsquelle darstellt. 73 Einigkeit besteht aber jedenfalls darüber, daß dem Gesetz ein Geltungsvorrang gegenüber dem Richterrecht zukommt. 74 Der Richter darf selbstverständlich nicht nach Belieben von gesetzlichen Vorgaben abweichen. Das folgt aus der Bindung des Richters an das Gesetz (Art. 97 Abs. 1, 20 Abs. 3 GG) sowie aus dem Prinzip der Gewaltenteilung (Art. 20 Abs. 2 GG), das den Vorrang des demokratisch legi69

Vgl. o. 2. Kapitel unter Β ΠΙ, Fußnote 82. Zu Recht weist das BAG darauf hin, daß seine Arbeitskampfrechtsprechung kein Gewohnheitsrecht erzeugt habe. Die vom BAG entwickelten Grundsätze seien von Anfang an umstritten gewesen, so daß es am notwendigen Rechtsgeltungswillen der betroffenen Arbeitnehmer und Arbeitgeber fehle, vgl. BAG AP Nr. 64 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 916 R; AP Nr. 101 a. a. O., Bl. 377. 71 Bobke, BIStSozArbR 1980, S. 129, 132; Jahn, Beteiligung, S. 166 ff.; Mayer, AuR 1980, S. 65, 69 f.; ders., BB 1990, S. 2482, 2487; Patett, Arbeitskampffernwirkungen, S. 474; Sandvoss, Mitbestimmungsgespräch 1980, S. 72, 74; Wolter, AuR 1979, S. 333, 336. Vgl. auch BiebacWMayer, AuR 1982, S. 169, 170 f.; H. W. Dietz, Friedenspflicht, S. 129, die allerdings eine Teileinschränkung der betrieblichen Mitbestimmung befürworten. 72 BiebacWMayer, AuR 1982, S. 169, 171; Bobke, BIStSozArbR 1980, S. 129, 133; Wolter, AuR 1979, S. 333, 336. 73 Dazu etwa Adomeit, Rechtsquellenfragen, S. 37 ff.; Bydlinski, Methodenlehre, S. 502 ff.; Larenz, Methodenlehre S. 429 ff.; Röhl, Rechtslehre, S. 571 ff. 74 Bydlinski, Methodenlehre, S. 503; Germann, Rechtsfindung, S. 274; Säcker, Koalitionsfreiheit, S. 104. 70

8 Jansen

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5. Kapitel: Rangerhältnis

timierten Gesetzgebers enthält. 75 Gehen deshalb die Wertungen des Betriebsverfassungsrechts dem Arbeitskampfrecht vor? Bedenken ruft schon die Überlegung hervor, warum denn eine gesetzliche Regelung des Arbeitskampfrechts fehlt, so daß der Richter als „Notgesetzgeber" 76 tätig werden muß. Es wäre doch zu erwarten gewesen, daß der Gesetzgeber die Grundlagen des Arbeitskampfes selbst regelt. Art. 9 Abs. 3 GG enthält eine institutionelle Garantie der Tarifautonomie. 77 Im Hinblick darauf hat die Rechtsordnung ein funktionsfähiges Tarifvertragssystem zur Verfugung zu stellen. 78 Dazu gehört auch eine Regelung des Arbeitskampfrechts. 79 Nach der Wesentlichkeitstheorie des BVerfG muß der Gesetzgeber die wesentlichen Bestimmungen selbst treffen. 80 Da die Grundlagen des Arbeitskampfrechts „wesentlich" sind („wesentlich" ist nach Ansicht des BVerfG bereits die Einführung des Sexualkundeunterrichts an staatlichen Schulen 81 ), hätte der Gesetzgeber sie eigentlich normieren müssen.82 Das BVerfG hat ihn allerdings weitgehend von dieser Pflicht entbunden. Das Gericht vertrat in seiner Entscheidung vom 26.6.1991 die Auffassung, die Wesentlichkeitstheorie gelte nur für das Verhältnis zwischen Staat und Bürger; im Arbeitskampf gehe es aber regelmäßig um das Verhältnis der Tarifjparteien als gleichgeordneter Grundrechtsträger. Daher sei das BAG befügt, die Grundsätze des Arbeitskampfrechts selbst zu entwickeln. 83 Die Frage des Streikeinsatzes von Beamten, über die das BVerfG am 2.3.1993 zu entscheiden hatte, betreffe dagegen das Verhältnis von Staat zu Privatrechtssubjekten, hier sei eine gesetzliche Regelung unentbehrlich. Solange sie fehle, sei der - vom BAG gebilligte 84 -

75 Bydlinski, Methodenlehre, S. 503; vgl. zum Verhältnis des Richters zum Gesetzgeber Ipsen, Richterrecht, S. 41 ff., 116 ff; Schneider, DÖV 1975, S. 443 ff; Wank, Rechtsfortbildung, S. 59 ff., 87 ff., 113 ff., 207 ff., 232 ff. 76 Reuß, AuR 1971, S. 353; vgl. auch BAG GS AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 315 R. 77 Vgl. o. unter A12, Fn. 8. 78 Vgl. o.unter A I 2, Fn. 12. 79 Wank, RdA 1989, S. 263, 265. 80 BVerfGE 49, S. 89, 126 f.; 58, S. 257, 268 ff. 81 BVerfGE 47, S. 46, 78 f. 82 Ehmann, NZA 1991, S. 1, 3; Friauf, RdA 1986, S. 188, 192; Kloepfer, NJW 1985, S. 2497, 2498; Otto in MünchArbR, § 277 Rn. 59 ff.; Rüthers, Aussperrung, S. 57; Wank, RdA 1989, S. 263, 264 f. Wie wichtig eine Regelung des Arbeitskampfrechts ist, wird anhand der Schäden deutlich, die durch Arbeitskämpfe entstehen können, vgl. dazu Bohr, Regelungen, S. 319 ff.; Gaudecki, Schadensbegrenzung, S. 2 ff.; Kirchner, RdA 1986, S. 159 f. 83 BVerfGE 84, S. 212, 226 f. 84 BAG AP Nr. 86 zu Art. 9 GG Arbeitskampf.

Β. Vorrang des Betriebsverfassungsrechts

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Beamteneinsatz auf bestreikten Arbeitsplätzen rechtswidrig. 85 Diese Rechtsprechung, nach der die Wesentlichkeitstheorie im Arbeitskampf nur für Beamte gilt, kann allerdings schwerlich überzeugen. 86 Gleichwohl ist für die richtige Einstufung des Arbeitskampfrechts von Interesse, daß das BVerfG dem Gesetzgeber keinen Regelungsauftrag gab, sondern (von der Spezialfrage des Beamteneinsatzes abgesehen) richterrechtliche Grundsätze für ausreichend hielt. Die Entscheidungen des BVerfG sprechen dafür, dem Richterrecht des Arbeitskampfes eine besondere Dignität zuzumessen, zumal sich an der rein richterrechtlichen Ausgestaltung des Arbeitskampfrechts auf absehbare Zeit nichts ändern wird. 8 7 Denn jede Regierung, die ein Arbeitskampfgesetz schaffen wollte, geriete zwischen die Fronten mächtiger pressure-groups. 88 Schon die Neuregelung des § 116 AFG rief massiven Widerstand seitens der Gewerkschaften hervor. 89 Man kann sich vorstellen, welche Reaktionen (nicht nur der Gewerkschaften, sondern auch der Arbeitgeber) beim Erlaß eines ganzen Arbeitskampfgesetzes zu erwarten wären. 90 Überdies sind keine parlamentarischen Mehrheiten für ein solches Vorhaben ersichtlich, da es in beiden großen Volksparteien sowohl arbeitnehmer- als auch arbeitgeberorientierte Flügel gibt, wodurch schon die innerparteiliche Willensbildung erschwert wird. 9 1 Die gesetzgeberische Regelungsabstinenz gegenüber dem Arbeitskampfrecht ist daher entschuldbar. 92 Wir haben also folgende Situation vor uns: Der Gesetzgeber ist aus politischen Gründe nicht in der Lage, sich der Materie des Arbeitskampfrechts anzunehmen. Wegen der erheblichen Auswirkungen von Arbeitskämpfen besteht aber durchaus ein Regelungsbedarf. Deshalb mußte das BAG für den Gesetzgeber tätig werden und die wesentlichen Grundsätze des Arbeitskampfrechts selbst entwickeln. Es handelt sich dabei um „gesetzesvertretendes Richterrecht" 93 , das vom BVerfG akzeptiert wurde. Dabei hat das BVerfG an das Richterrecht des Arbeitskampfes die gleichen

85 BVerfGE 88, S. 103, 116. Das BVerfG hat die schwierige Entscheidung darüber vermieden, ob der Beamteneinsatz gegen das Paritätsprinzip verstößt. 86 Kritisch auch Ehrich, DB 1993, S. 1237, 1238 f.; Isensee, DZWiR 1994, S. 309, 313 f. 87 So die Prognose von Wank, Festschrift O. R. Kissel, S. 1225. 88 Kloepfer, NJW 1985, S. 2497, 2504. 89 Vgl. Benda, RdA 1986, S. 143, 144; Franke/Geraats, DB 1986, S. 965; Friauf, RdA 1986, S. 188, 189, 195, Seiter, RdA 1986, S. 165, 168. 90 Rüthers, NZA 1986, S. 11, 14 prophezeit die „Existenzgefährdung einer Regierung, die das heiße Eisen Arbeitskampf anpackt." 91 Benda, RdA 1986, S. 143, 144. 92 Wank, RdA 1989, S. 263, 267; vgl. auch Kreuz, Verhältnismäßigkeit, S. 64 ff. 93 BAG GS AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 315 R; lpsen, Richterrecht, S. 79 ff.

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5. Kapitel: Rangerhältnis

Maßstäbe angelegt wie an Gesetze.94 Das BVerfG unterscheidet also nicht zwischen gesetzlicher und richterrechtlicher Ausgestaltung des Arbeitskampfrechts, sondern räumt dem BAG die gleiche Gestaltungsmacht wie dem Gesetzgeber ein. Das BAG tritt an die Stelle des eigentlich zuständigen, aber untätigen Bundesgesetzgebers.95 Angesichts dieses Befundes ist es naheliegend, das Arbeitskampfrecht auf die Stufe von einfachem (Bundes-)Gesetzesrecht zu stellen. Das entspricht der Ansicht des BAG. 9 6 Das Gericht geht davon aus, der Arbeitskampf sei als Institution fur die Tarifautonomie vorausgesetzt. Die verfassungsrechtlich im Kern gewährleistete Tarifautonomie werde aber durch das Tarifvertragsgesetz konkretisiert. 97 Das richterrechtliche Arbeitskampfrecht sei aus den Wertentscheidungen des Tarifrechts abzuleiten. Der Rang rechtsfortbildender Grundsatzentscheidungen könne sich nur nach der Rangstufe des Rechts bestimmen, das durch die Rechtsprechung ausgelegt oder ergänzt werde. 98 Richterrecht zum Bundesrecht sei daher als Teil des Bundesrechts anzusehen. Das gelte auch für das Arbeitskampfrecht. 99 Dem wird man zwar nicht in der Begründung (im TarifVertragsgesetz findet sich kein ausdrücklicher Hinweis zum Arbeitskampf 400 ), wohl aber im Ergebnis folgen können. Eine Auslegung des Art. 9 Abs. 3 GG ergibt, daß die Verfassung die Tarifautonomie und den Arbeitskampf als Institutionen schützt; die Tarifautonomie wäre ohne den Arbeitskampf als ultima ratio nicht fünktionsfahig. 101 Wegen dieses Zusammenhanges 102 sind sowohl Tarifrecht wie auch Arbeitskampfrecht gleichermaßen 94

BVerfGE 82, S. 212, 228 f.: „Soweit das Bundesarbeitsgericht selbst die Grundsätze entwickelt hat, an denen es die streitigen Arbeitskampfmaßnahmen mißt, hat das Bundesverfassungsgericht zu prüfen, ob auch der Gesetzgeber solche Rechtssätze nicht ohne Verletzung von Grundrechten der Beschwerdeführerin hätte erlassen können." 95 Kalb, RdA 1995, S. 385, 386; Rüthers, Aussperrung, S. 57 f. Zur Kompetenzerweiterung fur die Gerichte bei Untätigkeit des Gesetzgebers vgl. Kissel , RdA 1994, S. 323, 330; Wank, Rechtsfortbildung, S. 238 ff. 96 BAG AP Nr. 64 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 933; AP Nr. 101 a. a. O., Bl. 379 f. Zustimmend Rüthers, Aussperrung, S. 46 ff., 53 ff; ders., Anm. zu BAG EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 37, S. 424h; Säcker, Koalitionsfreiheit, S. 86; Söllner, RdA 1980, S. 14, 20; Wank, Festschrift O. R. Kissel, S. 1225, 1227; vgl. auch Wenzel, DB 1981, S. 1135, 1136:,Arbeitskampfrecht als verbindlich normiertes Richterrecht"; kritisch etwa Bobke, AuR 1982, S. 41, 45 ff.; Scholz, DB 1972, S. 1771, 1773 f., 1779; Scholz/Konzen, Aussperrung, S. 74 ff. 97 BAG AP Nr. 64 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 928 R f. 98 So auch Fikentscher, Methoden IV, S. 335 f. 99 BAG AP Nr. 64 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 933. 100 Otto in MünchArbR, § 277 Rn. 49; Wank, Festschrift O. R. Kissel, S. 1225, 1227. 101 Vgl. ο. unter A12. 102 Die Funktionszusammenhänge zwischen Tarif- und Arbeitskampfrecht betont auch Rüthers, Anm. zu BAG EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 37, S. 424j.

Β. Vorrang des Betriebsverfassungsrechts

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durchwirkt von den Wertentscheidungen des Art. 9 Abs. 3 GG. Die Tatsache, daß dem Arbeitskampfrecht das Kleid des Gesetzes vorenthalten wurde, ändert daran nichts. Das Arbeitskampfrecht ist sozusagen ein armer Verwandter des Tarifrechts, dem jedoch die gleiche Stellung zukommt. Denn wenn arbeitskampfrechtliche Wertungen stets hinter sämtliche Bestimmungen des Gesetzesrechts zurücktreten müßten, liefe auch die Wertentscheidung des Grundgesetzes zugunsten der Tarifautonomie leer. Hinzu kommt, daß das Richterrecht zum Arbeitskampf nach der Sachlogik des Regelungsgegenstandes bundeseinheitlich gelten muß. Die wichtigste Funktion der Grundsatzentscheidungen des BAG im offenen Raum der Arbeitskampfordnung besteht darin, rechtliche Wertmaßstäbe zur Wahrung der Rechtseinheit in der Bundesrepublik zu schaffen, damit nicht landesrechtliche Zersplitterung um sich greift (das Arbeitskampfrecht gehört gem. Art. 74 Nr. 12 GG zur konkurrierenden Gesetzgebung).103 Der Bundesgesetzgeber hat denn auch seine punktuellen Normierungsansätze 104 am vorgefundenen richterrechtlichen Arbeitskampfrecht ausgerichtet und insoweit die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zumindest mittelbar bestätigt. 105 Daher ist die Feststellung berechtigt, daß das Bundesrecht zum Arbeitskampf nicht je isoliert aus Gesetzesrecht und Richterrecht besteht, sondern aus einer untrennbaren Verknüpfung von Gesetzes- und Richterrecht; beide Materien bilden als Einheit das geltende einfache Arbeitskampfrecht. 106 Das Arbeitskampfrecht gehört demnach weder insgesamt als Konkretisierung des Art. 9 Abs. 3 GG zum Verfassungsrecht noch muß es als Richterrecht stets hinter das Gesetzesrecht zurücktreten. Vielmehr ist eine differenzierte Sichtweise geboten: Das Arbeitskampfrecht besteht teils aus bindenden verfassungsrechtlichen Vorgaben (verfassungsrechtliches Arbeitskampfrecht), teils aus Bundes-Richterrecht (einfaches Arbeitskampfrecht). 107 So wird beispielsweise die Geltung der beiden zentralen Grundsätze des Arbeitskampfrechts von der Verfassung vorgeschrieben: Das Verhältnismäßigkeitsprinzip folgt aus Art. 20 Abs. 3 GG 1 0 8 , das Paritätsprinzip aus Art. 9 Abs. 3 GG. 1 0 9 103

Rüthers, Aussperrung, S. 54 ff.; Säcker, Koalitionsfreiheit, S. 86. Immerhin kommt in etlichen Vorschriften des Bundesrechts zum Ausdruck, daß der Arbeitskampf als grundsätzlich zulässiges Sozialgeschehen anerkannt wird, vgl. § 116 AFG (§ 146 SGB ΙΠ), § 11 Abs. 5 AUG, § 2 Abs. 1 Nr. 2 ArbGG, § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG, § 66 Abs. 2 BPersVG, § 25 KSchG, § 21 Abs. 6 SchwbG. 105 Rüthers, Aussperrung, S. 60. 106 Rüthers, Aussperrung, S. 61. 107 Vgl. o.unter A I I . 108 Dazu BVerfGE 17, S. 306, 313; 19, S. 342, 348 f.; 23, S. 127, 133; 76, S. 1, 50 f.; Kreuz, Verhältnismäßigkeit, S. 35 f.; Stern, Staatsrecht ΙΠ/2, § 84 I 4, S. 769 ff. m. w. N. 109 Vgl. o.unter A13. 104

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5. Kapitel: Rangerhältnis

Wie aber beide Prinzipien zu konkretisieren sind, ist keine Frage des Verfassungsrechts, sondern des einfachen Arbeitskampfrechts. 110 Das einfache Arbeitskampfrecht ist als gesetzesvertretendes Bundes-Richterrecht dem Rang nach Bundesrecht. Im Konkurrenzverhältnis von Arbeitskampf- und Betriebsverfassungsrecht besteht insofern kein Vorrang des Betriebsverfassungsrechts. 111

IL Das Betriebsverfassungsgesetz als abschließende Regelung Wer den Erwägungen zur rangmäßigen Einordnung des Arbeitskampfrechts nicht zustimmen mag, der wird immerhin einräumen müssen, daß dem Betriebsverfassungsrecht nur dann ein Vorrang gegenüber dem Arbeitskampfrecht zukommt, wenn das Betriebsverfassungsgesetz eine positive Aussage über das Schicksal der Beteiligungsrechte im Arbeitskampf enthält. Nur in diesem Fall gibt es überhaupt Gesetzesrecht, das Richterrecht verdrängen könnte. Läßt sich dem Betriebsverfassungsgesetz aber keine Regelung über die betriebliche Mitbestimmung während des Arbeitskampfes entnehmen, ist es also insoweit lückenhaft, besteht Raum fur eine rechtsfortbildende Einschränkung der Beteiligungsrechte. Diejenigen, die eine Einschränkung der betrieblichen Mitbestimmung im Arbeitskampf ablehnen, berufen sich darauf, daß eine dementsprechende Vorschrift im Betriebsverfassungsgesetz fehle. Dem Gesetzgeber sei der Konflikt zwischen Arbeitskampf und Mitbestimmung bewußt gewesen112; er habe das Betriebsverfassungsgesetz in Kenntnis des Arbeitskampfrechts novelliert. 113 Gleichwohl sage das Gesetz nichts über das Ruhen von Beteiligungsrechten während des Arbeitskampfes aus: § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG verbiete nur direkte Kampfmaßnahmen zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat 114 , im übrigen bleibe es bei den abschließenden Regelungen der §§ 23, 24, 100, 115 BetrVG. 1 1 5 Das Betriebsverfassungsgesetz enthalte hinsichtlich der Mitbestimmung im Ar-

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Wank, Festschrift O. R. Kissel, S. 1225, 1233, 1239. So im Ergebnis auch Rüthers/Henssler, Anm. zu BAG AP Nr. 13 zu § 87 BetrVG Ordnung des Betriebes, Bl. 1078 R. 112 Berg in Däubler/Kittner/Klebe/Schneider (Hrsg.), §74 BetrVG Rn. 20; Heilmann/Wahsner, DuR 1976, S. 374, 410, Mayer, BB 1990, S. 2482, 2488. 113 Colneric in Däubler (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 674; Mayer, AuR 1980, S. 65, 72; ders., BIStSozArbR 1981, S. 353, 357. 114 Bieback, RdA 1978, S. 82, 94; Herbst, AiB 1987, S. 4, 7; Mayer, BIStSozArbR 1981, 353, 357; ders., BB 1990, S. 2482, 2488. 115 Bieback, RdA 1978, S. 82, 94, Mayer, AuR 1981, S. 65, 72. 111

Β. Vorrang des Betriebsverfassungsrechts

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beitskampf keine Regelungslücke 116 , vielmehr gehe das Gesetz von einer Fortgeltung der Beteiligungsrechte aus. Folgt man dem, so kommt eine Angleichung von Arbeitskampf- und Betriebsverfassungsrecht nicht in Betracht. Wenn das Betriebsverfassungsgesetz die Problematik aufgreift und sie durch „beredtes Schweigen" zugunsten einer einschränkungslosen Weitergeltung der betrieblichen Mitbestimmung löst, dann ist es als abschließende Regelung vorrangig. Es fragt sich nur, ob das Gesetz wirklich eine dahingehende Aussage über die Beteiligungsrechte im Arbeitskampf trifft. Richtig ist, daß sich im Betriebsverfassungsgesetz keine Vorschrift findet, die bestimmt, daß die Mitwirkungsbefugnisse des Betriebsrats während des Arbeitskampfes beschränkt sind. Die Versuche, aus § 2 Abs. 1 BetrVG oder § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG eine Ausübungsschranke für Beteiligungsrechte abzuleiten, vermögen nicht zu überzeugen. 117 § 77 Abs. 3 BetrVG ordnet keinen allgemeinen Vorrang des Tarif- und Arbeitskampfrechts vor dem Betriebsverfassungsrecht an. 1 1 8 Damit ist indessen noch nicht erwiesen, daß - stillschweigend - die volle Weitergeltung der Beteiligungsrechte gewollt ist. Denn keine Vorschrift des Betriebsverfassungsgesetzes sieht ausdrücklich vor, daß sämtliche Rechte des Betriebsrats im Arbeitskampf bestehen bleiben sollen. Das Gesetz verschweigt sich also in beide Richtungen. Ob es lückenhaft ist oder eine stillschweigende Regelung enthält, bedarf einer genaueren Untersuchung. In systematischer Hinsicht fallt auf, daß es Vorschriften im Betriebsverfassungsgesetz gibt, die in bestimmten Fällen einseitiges Handeln des Arbeitgebers zulassen. § 100 BetrVG ermöglicht dem Arbeitgeber, personelle Maßnahmen vorläufig durchzuführen, auch wenn der Betriebsrat seine nach § 99 BetrVG erforderliche Zustimmung noch nicht erteilt oder bereits verweigert hat. Dem liegt der Gedanke zugrunde, daß es in der Praxis Fälle geben kann, denen das Verfahren nach § 99 BetrVG nicht gerecht wird, ζ. B. wenn wirtschaftliche, arbeits- oder produktionstechnische Maßnahmen sofortige Personalveränderungen erforderlich machen. 119 In § 115 Abs. 7 Nr. 4 BetrVG ist vorgesehen, daß der Kapitän zur Aufrechterhaltung des ordnungsgemäßen Schiffsbetriebs vorläufige Maßnahmen ohne Zustimmung der Bordvertretung treffen kann. Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, daß während einer Schiffsreise keine neutrale Instanz zu erreichen ist, die rechtzeitig eine

116

Bobke, BIStSozArbR 1980, S. 129, 133; Mayer, BIStSozArbR 1981, S. 353, 357; ders., BB 1990, S. 2482, 2488; Wolter, AuR 1979, S. 333, 336 f. 117 Vgl. o. 4. Kapitel. 118 Vgl. o.unter Α Π. 119 BT-Drucksache 6/1786, S. 52; Dietz/Richardi, § 100 BetrVG Rn. 1; Schlochauer in Hess/Schlochauer/Glaubitz, § 100 BetrVG Rn. 1.

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5. Kapitel: Rang Verhältnis

vorläufige Regelung treffen könnte. 120 Das Betriebsverfassungsgesetz enthält somit Bestimmungen, die die betriebliche Mitbestimmung in gewissen Situationen einschränken. Weil eine solche Bestimmung für den Fall des Arbeitskampfes fehlt, könnte man daran denken, sie sei bewußt weggelassen worden, weil der Gesetzgeber keine arbeitskampfbedingte Suspendierung von Beteiligungsrechten gewollt habe. Dagegen spricht jedoch schon die Tatsache, daß auch im Bereich des § 87 BetrVG eine Beschränkung der Mitbestimmung bei Notfallen überwiegend anerkannt ist 1 2 1 , obgleich das Gesetz dies nicht ausdrücklich anordnet. Demnach regelt das Betriebsverfassungsgesetz nicht alle Sachverhalte, in denen die Einschränkung von Beteiligungsrechten geboten ist. Die §§ 100, 115 Abs. 7 Nr. 4 BetrVG erfassen nur die besonderen Fälle einer offenkundig notwendigen Einschränkung. Der Gesetzgeber, der bei der Normierung des § 87 BetrVG die Problematik der Notfalle nicht bedacht hat, könnte auch die Problematik der Mitbestimmung im Arbeitskampf übersehen haben. Diese Vermutung wird durch eine historische Betrachtung gestützt. Das Betriebsverfassungsgesetz ist am 10.11.1971 vom Bundestag verabschiedet worden. A m 26.10.1971 setzte sich das BAG erstmals in knappen Worten 1 2 2 mit den Beteiligungsrechten des Betriebsrats im Arbeitskampf auseinander. Daß der Gesetzgeber diese Entscheidung zur Kenntnis nahm oder daß sie gar seinen Willen beeinflußt hat, ist kaum anzunehmen. Unter der Geltung des Betriebsverfassungsgesetzes von 1952 war aber die Ansicht vorherrschend, das Betriebsratsamt ruhe während des Arbeitskampfes, der Betriebsrat könne deshalb keine Beteiligungsrechte geltend machen. 123 Von daher hatte der Gesetzgeber des Betriebsverfassungsgesetzes überhaupt keine Veranlassung, sich mit dem Problem der betrieblichen Mitbestimmung im Arbeitskampf auseinanderzusetzen. 1 2 4 Zwar ist kurz vor der Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes im Zusammenhang mit der Verabschiedung des Arbeitsförderungsgesetzes von 1969 über das Verhältnis von Arbeitskampfrecht und Arbeitsförderungsrecht diskutiert worden. Dabei ging es um die Frage, ob durch Leistungen der Arbeitsverwaltung die Kampfparität beeinträchtigt werde. 125 Der Gesetzgeber nahm die Vorschrift des § 116 AFG (§ 146 SGB III), die das Ruhen von Leistungsansprüchen im Arbeitskampf regelt, in das Arbeitsförderungsgesetz auf. 120

Dietz/Richardi, § 115 BetrVG Rn. 78. Vgl. o. 4. Kapitel unter Β Π 2 b. 122 BAG AP Nr. 44 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 68 R. 123 Vgl. o. 2. Kapitel unter Β I, Fußnote 55. 124 Vgl. o. 4. Kapitel unter Α Π 3. 125 Colneric in Däubler (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 674, 820 ff.; Mayer, BIStSozArbR 1981, S. 353, 357. 121

Β. Vorrang des Betriebsverfassungsrechts

121

Daraus, daß der Gesetzgeber in Gestalt des § 116 AFG eine Konkurrenzregel für das Verhältnis von Arbeitskampf- und Arbeitsförderungsrecht 126 schuf, kann man jedoch nicht schließen, daß er auch das Konkurrenzverhältnis von Arbeitskampf- und Betriebsverfassungsrecht sah. 127 Es handelt sich um zwei ganz unterschiedlich gelagerte Problemkreise. Die Regelung des § 116 AFG ist vor dem Hintergrund der Frage des Lohnrisikos im Arbeitskampf zu sehen 1 2 8 ; diese Frage beschäftigt Rechtsprechung und Rechtswissenschaft seit über 70 Jahren. 129 Demgegenüber gab es zur betrieblichen Mitbestimmung im Arbeitskampf erst in den siebziger Jahren differenzierte Stellungnahmen. 130 Man muß daher davon ausgehen, daß der Gesetzgeber an die Kollision arbeitskampfrechtlicher und betriebsverfassungsrechtlicher Wertungen nicht gedacht hat. 13 ' Ein Argument gegen ein „beredtes Schweigen" des Betriebsverfassungsgesetzes ergibt sich auch aus der deutlichen Regelungsabstinenz, die der Gesetzgeber gegenüber dem Arbeitskampf an den Tag legt. Das Schicksal der Beteiligungsrechte im Arbeitskampf ist keine rein betriebsverfassungsrechtliche, sondern eine arbeitskampfrechtlich geprägte Problematik. Es wäre ganz erstaunlich, wenn sich der Gesetzgeber ausgerechnet dieser Frage angenommen hätte. 132 Im Bereich des Arbeitskampfrechts wird der Gesetzgeber aus den schon dargelegten Gründen sehr ungern tätig. Wenn er sich nicht dazu entschließt, die arbeitskampfrechtlichen Konflikte in einer gesetzlichen Regelung konkret anzusprechen, wie es in § 116 AFG geschehen ist, so wird man annehmen müssen, daß der Gesetzgeber keine Stellung beziehen wollte. Bei Problemen des Arbeitskampfrechts spricht insofern eine Vermutung dafür, daß

126

Vgl. 0.3. Kapitel unter Β I. So aber Colneric in Däubler (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 674; Mayer, BIStSozArbR 1981, S. 353, 357. 128 Vgl. Seiter, Staatsneutralität, S. 16 ff., 136 ff. 129 RGZ 106, S. 275 ff. (Kieler Straßenbahnkonflikt); RAG ARS 3, S. 116 ff. Zur Entwicklung der Betriebsrisikolehre Colneric in Däubler (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 615 ff.; Ha, Lohnrisiko, S. 15 ff.; ausführlich Patett, Arbeitskampffernwirkungen, S. 140 ff. 130 Der erste umfangreichere Beitrag stammt von Reuter, AuR 1973, S. 1 ff. Das BAG mußte sich erst im Jahre 1978 eingehender mit der Problematik befassen, BAG AP Nr. 57, 58, 60 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 131 Adam, Arbeitskampfrecht, S. 204; Reuter, JuS 1973, S. 284, 289; Säcker, ZfA 1972 (Sonderheft), S.41,49. 132 Selbst der Entwurf eines Arbeitskampfgesetzes, den eine Gruppe von Professoren 1988 vorgelegt hat, enthält in § 32 zur betrieblichen Mitbestimmung im Arbeitskampf nur eine marginale Regelung im Hinblick auf die Beteiligung nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG bei arbeitskampfbedingter Einschränkung der Beschäftigung, vgl. Birk/Konzen/Löwisch/Raiser/Seiter, Gesetz zur Regelung kollektiver Arbeitskonflikte, S. 93 f.; dazu Schulin in Lieb/v. Stebut/Zöllner, Arbeitskampfrecht, S. 191 ff. 127

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5. Kapitel: Rangerhältnis

das Gesetz keine Regelung bereitstellt, sondern lückenhaft ist. 1 3 3 Diese Vermutung für eine Regelungslücke kann im Hinblick auf die Frage der Beteiligungsrechte im Arbeitskampf nicht widerlegt werden. Im Gegenteil: Sie läßt sich durch die genannten systematischen und historischen Erwägungen stüt134 zen. Wenn aber das Betriebsverfassungsgesetz keine Aussage über die betriebliche Mitbestimmung während des Arbeitskampfes enthält, dann ist es nicht als abschließende, arbeitskampfrechtliche Wertungen verdrängende Regelung anzusehen. Vielmehr eröffnet die Regelungslücke im Betriebsverfassungsgesetz die Möglichkeit zur Rechtsfortbildung.

C. Zusammenfassung Es besteht kein Rangverhältnis zwischen Arbeitskampfrecht und Betriebsverfassungsrecht. Beide Rechtsgebiete konkurrieren auf der Ebene des einfachen Bundesrechts miteinander. Das Arbeitskampfrecht läßt sich nicht in den Himmel des Verfassungsrechts heben und auch nicht auf die Stufe nachrangigen Richterrechts zurücksetzen. Die politischen Schwierigkeiten, die der Schaffung eines Arbeitskampfgesetzes entgegenstehen, sowie die Wertentscheidung der Verfassung für eine funktionsfähige Tarifautonomie sprechen dafür, das richterrechtlich verfaßte Arbeitskampfrecht als einfaches Bundesrecht zu qualifizieren. Das Betriebsverfassungsgesetz enthält keine Aussage über das Schicksal der Beteiligungsrechte im Arbeitskampf. Dem Gesetz läßt sich weder entnehmen, daß die betriebliche Mitbestimmung während des Tarifkonflikts Beschränkungen unterliegt, noch, daß sie einschränkungslos weitergelten soll. Die Regelungslücke im Betriebsverfassungsgesetz berechtigt dazu, die Rechtsgebietskonkurrenz zwischen Arbeitskampf- und Betriebsverfassungsrecht im Wege der Rechtsfortbildung aufzulösen.

133 Vgl. Wank, RdA 1989, S. 263, 265: „Wenn irgendwo in der heutigen Rechtsordnung mit Fug von einer Gesetzeslücke die Rede sein kann, dann im Arbeitskampfrecht." 134 Das BVerfG hat in einer neueren Entscheidung ausgeführt, der Gesetzgeber habe sich bei der Normierung des Arbeitskampfrechts zurückgehalten, daher müsse die Weitergeltung der Beteiligungsrechte im Arbeitskampf positiv anhand der Entstehungsgeschichte des Betriebsverfassungsgesetzes belegt werden, BVerfG, NZA 1997, S. 773, 774.

. Kapitel

Angleichung von Arbeitskampfrecht und Betriebsverfassungsrecht A. Angleichung durch teleologische Reduktion von Beteiligungsrechten Die erforderliche Harmonisierung arbeitskampfrechtlicher und betriebsverfassungsrechtlicher Wertungen läßt sich durch eine Teileinschränkung der Beteiligungsrechte im Arbeitskampf erreichen. Diese Lösung entspricht der Rechtsprechung des BAG und der herrschenden Lehre. 1 Es werden allerdings ganz unterschiedliche Vorschläge gemacht, nach welchen Gesichtspunkten die Teileinschränkung erfolgen soll. Wie bereits dargelegt 2, geht es bei bei der Angleichung konkurrierender Rechtsgebiete darum, daß ihre Wertungen möglichst weitgehend zum Tragen kommen. Kein Rechtsgebiet darf einfach „ausgeblendet" werden, die Angleichung muß das Gebot der Verhältnismäßigkeit erfüllen. Für das Verhältnis von Arbeitskampf- und Betriebsverfassungsrecht bedeutet das: Die Beteiligungsrechte des Betriebsrats müssen weichen, soweit sie die Wertungen des Arbeitskampfrechts unangemessen beeinträchtigen. 3 Im übrigen gebietet aber das Schutzbedürfnis der Belegschaft, die betriebliche Mitbestimmung auch während des Arbeitskampfes aufrechtzuerhalten. Die Angleichung vollzieht sich also derart, daß dem Betriebsrat zwar bestimmte Rechte genommen werden, die gesetzlich vorgesehene Beteiligung jedoch im Grundsatz bestehen bleibt. Methodisch handelt es sich dabei um eine teleologische Reduktion der Beteiligungsrechte. 4 Sie enthalten ihrem Wortlaut nach keine Ausnahme für den 1

Vgl. o. 2. Kapitel unter A I , Β Π. Vgl. ο. 3. Kapitel unter Β m. 3 Ähnlich Rüthers/Henssler, Anm. zu BAG AP Nr. 13 zu § 87 BetrVG 1972 Betriebliche Ordnung, Bl. 1078 R. 4 BVerfG, NZA 1997. S. 773, 774: Lieb, NZA 1990, S. 377, 381, 383; Kraft in GK-BetrVG, §99 BetrVG Rn. 18, § 102 BetrVG Rn. 16: vgl. dazu auch Bobke, BIStSozArbR 1980, S. 129, 133. 2

124 6. Kapitel: Angleichung von Arbeitskampfrecht und Betriebsverfassungsrecht Fall des Arbeitskampfes, sind daher zu weit gefaßt und bedürfen einer Beschränkung im Wege der Rechtsfortbildung. Zumindest mißverständlich ist es, wenn das BAG von „arbeitskampfkonformer Auslegung" der Beteiligungsrechte spricht 5 , denn die Grenze der Auslegung ist überschritten, sofern die Rechtsfindung den Rahmen des Wortsinns verläßt. Unabhängig davon, ob man zur Grenzziehung zwischen Auslegung und Rechtsfortbildung auf den umgangssprachlich noch möglichen Wortsinn 6 oder den juristischteleologischen Wortsinn 7 abstellt, liegt bei der Suspendierung von Beteiligungsrechten im Arbeitskampf ein Fall der Rechtsfortbildung vor. Der mögliche Wortsinn der gesetzlichen Beteiligungsrechte wird damit - selbst bei weitestem umgangssprachlichem Verständnis - verlassen. Da in Rechtsprechung und Literatur kein Konsens über Zulässigkeit und Umfang einer arbeitskampforientierten Einschränkung der betrieblichen Mitbestimmung besteht, ist auch die juristisch-teleologische Bedeutung der Beteiligungstatbestände überschritten. An die Zulässigkeit einer rechtsfortbildenden Angleichung von Arbeitskampf- und Betriebsverfassungsrecht sind besondere Anforderungen zu stellen. Die Berechtigung dafür, sich über den Wortlaut des Betriebsverfassungsgesetzes hinwegzusetzen, ergibt sich aus seiner Lückenhaftigkeit. 8 Das Gesetz enthält keine Regelung für die Arbeitskampfsituation, sein Schweigen ist nicht „beredt" in dem Sinne, daß die einschränkungslose Weitergeltung der Beteiligungsrechte gewollt wäre. 9 Im Hinblick auf die Wertungen des Arbeitskampfrechts ist eine Reduktion notwendig. Die Rechtsfortbildung ist geboten, weil sich die Rechtsordnung als widersprüchlich erweisen würde, falls sie die kollidierenden Wertungen zweier Rechtsgebiete nebeneinander gelten ließe 10 - das Prinzip der Einheit der Rechtsordnung 11 verlangt nach einer Beseitigung des Widerspruchs. Der Normalfall einer teleologischen Reduktion besteht darin, daß eine Gesetzesvorschrift, deren Wortlaut zu weit gefaßt ist, mit Rücksicht auf ihren ei-

5 BAG AP Nr. 57 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 275 R im Anschluß an Reuter, AuR 1973, S. 1,2, 8. 6 So Bydlinski, Methodenlehre, S. 441, 467 ff.; Fikentscher, Methoden IV, S. 294; Larenz, Methodenlehre, S. 322. 7 So Wank, ZGR 1988, S. 314, 317 f. 8 Zur Regelungslücke als Voraussetzung für die Rechtsfortbildung Bydlinski, Methodenlehre, S. 472 ff.; Canaris , Lücken, S. 17 ff.; Larenz, Methodenlehre, S. 366; Wank,, ZGR 1988, S. 314, 319 ff. 9 Vgl. o. 5. Kapitel unter Β Π. 10 Vgl. Canaris , Lücken, S. 65 ff. („Kollisionslücken"); Pawlowski, Methodenlehre Rn. 472 ff. („Rechtslücken"). 11 Vgl. o. 3. Kapitel unter B.

Α. Angleichung durch teleologische Reduktion von Beteiligungsrechten

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genen Sinn eingeschränkt wird. 1 2 Anerkannt ist aber auch, daß die teleologische Reduktion einer Vorschrift durch den Zweck einer anderen Norm geboten sein kann. 13 Grundgedanke der teleologischen Reduktion ist stets, daß die Gleichbehandlung der „eigentlich gemeinten" Fallgruppen mit den zwar vom Wortlaut der Norm erfaßten, aber „eigentlich unpassenden" Fallgruppen ungerechtfertigt wäre. 14 Dieser Grundgedanke läßt sich auf die Fälle der Rechtsgebietskonkurrenz übertragen. 15 Hier ist es so, daß die Vorschriften eines Rechtsgebiets auch „unpassende" Fallgruppen regeln wollen, nämlich solche Fallgruppen, die nach den Wertungen des konkurrierenden Rechtsgebiets anders zu behandeln sind. Das kann eine Reduktion notwendig machen. Für die teleologische Reduktion gilt, weil sie ein Fall der Rechtsfortbildung ist, die Notwendigkeitsmaxime 16 - sie darf nur so weit vom geltenden Recht abweichen, wie es notwendig ist, um eine sachgerechte Lösung zu erreichen. Die Beteiligungsrechte des Betriebsverfassungsgesetzes sind daher nur dann einzuschränken, wenn dringende arbeitskampfrechtliche Wertungen es erfordern, insbesondere, wenn ein Kernbereich des Arbeitskampfrechts beeinträchtigt wird. 1 7 Welche Beteiligungsrechte weichen müssen oder, von der anderen Seite aus betrachtet, welche Maßnahmen der Arbeitgeber mitbestimmungsfrei durchführen darf, ist die entscheidende Frage. Um sie zu beantworten, gilt es eine Konkurrenzregel zu entwickeln, die die Grenzen der teleologischen Reduktion festschreibt. Daß es verfehlt wäre, auf die Konkurrenzregel zu verzichten und stattdessen eine Einzelfallbetrachtung vorzunehmen, ist gerade für die Problematik der betrieblichen Mitbestimmung im Arbeitskampf leicht einzusehen. 12

Larenz, Methodenlehre, S. 392 f. führt als Beispiel die teleologische Reduktion des § 181 BGB an: Insichgeschäfte, die dem Vertretenen lediglich einen rechtlichen Vorteil bringen, sind gültig. 13 Bydlinski, Methodenlehre, S. 480; Larenz, Methodenlehre, S. 392; Pawlowski, Methodenlehre Rn. 493 ff. Dazu ausfuhrlich Brandenburg, Reduktion, S. 46 ff. Er nennt als Beispiel die teleologische Reduktion des § 993 Abs. 1, 2. Halbs. BGB für den Fall des Fremdbesitzerexzesses, die aus einem Normkonflikt mit § 823 Abs. 1 BGB folgt. § 993 Abs. 1, 2. Halbs. BGB stellt seinem Wortlaut nach den Fremdbesitzer auch dann von Schadensersatzansprüchen frei, wenn er sein vermeintliches Besitzrecht überschreitet („Exzeß"). Die ratio des § 823 Abs. 1 BGB verlangt dagegen eine Schadensersatzpflicht. Diese Wertung setzt sich gegenüber § 993 Abs. 1,2. Halbs. BGB durch. 14 Bydlinski, Methodenlehre, S. 480; Larenz, Methodenlehre, S. 392. 15 Canaris , Lücken, S. 155 spricht sich für eine Anwendung der teleologischen Reduktion ,glicht nur bei den Einzelbestimmungen des Gesetzes, sondern auch bei den geschriebenen oder ungeschriebenen - normativen Grundsätzen der Rechtsordnung" aus. 16 Vgl. BVerfGE 34, S. 269, 287; 38, S. 386, 396; 56, S. 37, 51 f.; Wank,, ZGR 1988, S. 314, 355; ders., Festschrift O. R. Kissel, S. 1225, 1249. 17 Zum Gedanken des Kernbereichsschutzes vgl. o. 3. Kapitel unter Β DI 2.

126 6. Kapitel: Angleichung von Arbeitskampfrecht und Betriebsverfassungsrecht Die Betriebsparteien könnten kaum voraussehen, ob ein bestimmtes Beteiligungsrecht entfallt oder nicht, ihnen würde es an einer verläßliche Richtlinie für ihr Verhalten mangeln. Die Rechtsanwendung geriete vage, es bestünde die Gefahr, daß subjektive Wertvorstellungen die Entscheidung leiten. Rechtsprechung und Literatur sind deshalb zu Recht bemüht, im Interesse der Rechtssicherheit allgemeine Grundsätze für die Teileinschränkung der Beteiligungsrechte aufzustellen. Überwiegend wird dabei auf Prinzipien zurückgegriffen, die das BAG richterrechtlich zur Gestaltung des Arbeitskampfrechts entwickelt hat. Diese Orientierung an arbeitskampfrechtlichen Prinzipien erscheint sinnvoll. Da ein betriebsverfassungsrechtliches Lösungsmuster nicht zur Verfügung steht, sollte die Angleichung von Arbeitskampf- und Betriebsverfassungsrecht in das Ordnungssystem des Arbeitskampfrechts eingepaßt werden. 18 Dadurch wird sichergestellt, daß sich die im Wege der Rechtsfortbildung zu entwickelnde Konkurrenzregel nicht weiter als nötig von den anerkannten Wertungen der Rechtsordnung entfernt. 19 Die Konkurrenzregel sollte folgende Anforderungen erfüllen: Sie muß erstens zu interessengerechten Ergebnissen führen; sie darf weder die Belange der Arbeitgeber noch die Belange der Arbeitnehmer und der Gewerkschaften mißachten. Sie muß zweitens die Notwendigkeitsmaxime berücksichtigen; die Beteiligungsrechte dürfen nicht weiter zurückgedrängt werden, als es arbeitskampfrechtliche Wertungen verlangen. Drittens muß die Konkurrenzregel Rechtssicherheit bieten, indem sie hinreichend genau zwischen mitbestimmungspflichtigen und mitbestimmungsfreien Maßnahmen unterscheidet. Sie muß viertens - das wäre ihr Minimalinhalt - jedenfalls einen Kernbereich des Arbeitskampfrechts wahren. Daß auch die Wertungen des Betriebsverfassungsrechts geschützt werden, ergibt sich bereits aus der Notwendigkeitsmaxime. An diesen Anforderungen sollen nun die Ansätze gemessen werden, die bislang in Rechtsprechung und Schrifttum vorgeschlagen wurden. Denn es reicht nicht aus, irgendeine Begründung für die Beschränkung der betriebliche Mitbestimmung zu konstruieren. Die Wahl der Konkurrenzregel ist keine bloße Geschmacksfrage, denn nach ihr richtet sich, in welchem Umfang die Rechte des Betriebsrats den Interessen des Arbeitgebers weichen müssen. Insbesondere dann, wenn man - wie es häufig geschieht - die Suspendierung der Beteiligungsrechte auf mehrere, kumulativ vorgebrachte Gründe stützt, besteht die Gefahr einer unangemessen weitreichenden Reduktion der Betriebsverfassung. 18

Vgl. Mayer-Maly, BB 1979, S. 1305, 1312. Zur Systemgerechtigkeit rechtsfortbildender Lückenfüllung vgl. Zippe lius, Methodenlehre, S. 65; zum Gebot sachnaher Lückenschließung Wank, RdA 1987, S. 129, 150 f.; ders., ZGR 1988, S. 314, 337. 19

Β. Ungeeignete Ansätze

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Β. Ungeeignete Ansätze Zunächst sind die Vorschläge auszusondern, welche den Anforderungen nicht genügen, die an eine taugliche Konkurrenzregel zu stellen sind. Wenngleich sie teilweise im Kern berechtigte Erwägungen enthalten, sind sie doch mit Nachteilen behaftet, die sie im Ergebnis als ungeeignet erscheinen lassen.

I. Interessenkollision und Überforderung des Betriebsrats Im Schrifttum wird die Teileinschränkung der betriebliche Mitbestimmung bisweilen darauf gestützt, daß der Betriebsrat in der Arbeitskampfsituation überfordert sei. 20 Der Betriebsrat gerate in eine Interessen- und Pflichtenkollision, wenn er seine Beteiligungsrechte bei Kampfmaßnahmen des Arbeitgebers wahrnehmen müßte. Es bestehe die Gefahr, daß er seine Rechte nicht sachgerecht ausübe, sondern aus Solidaritätserwägungen die Partei der Streikenden ergreife. 21 Das BAG hat diesen Gedanken als „Hilfsbegründung" für den Fall des rechtswidrigen Streiks aufgegriffen. 22 Die Beschränkung der Beteiligungsrechte kleidet sich hier in das Gewand wohlmeinender Fürsorge, wenn der Betriebsrat im Arbeitskampf vor einer Überforderung bewahrt werden soll. Das macht mißtrauisch. Es fragt sich, worin denn die Überforderung des Betriebsrats besteht. Man könnte daran denken, die Arbeitskampfsituation als solche überfordere ihn, weil hier der Interessengegensatz zwischen Arbeitgeber und Belegschaft besonders pointiert in Erscheinung tritt. Dem liegt die Annahme zugrunde, das Mitbestimmungsmodell der Betriebsverfassung versage während des Tarifkonflikts. Das ist jedoch nicht überzeugend. Die Betriebsverfassung muß sich gerade in Konfliktsituationen bewähren, in denen das Schutzbedürfnis der Belegschaft besonders groß ist. Derartige Situationen ergeben sich auch außerhalb des Arbeitskampfes. Mit dem Überforderungsargument ließe sich daher die betriebliche Mitbestimmung in weiten Bereichen aushebeln.23 Außerdem könnte man auch den Arbeitgeber als überfordert ansehen, während des

20

Vgl. o. 2. Kapitel unter Β Π, Fußnoten 73, 74. Rüthers/Klosterkemper, Anm. zu BAG AP Nr. 63 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 312. 22 BAG AP Nr. 57 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 276; AP Nr. 58 a. a. O., Bl. 281 R; AP Nr. 63 a. a. O., Bl. 310 R f.; AP Nr. 20 zu § 102 BetrVG 1972, Bl. 199. 23 Vgl. o. 4. Kapitel unter Β I 4 b. Kritisch auch Brox in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht Rn. 440; Colneric in Däubler (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 667; Häßler, Beteiligungsrechte, S. 26; Patett, Arbeitskampffernwirkungen, S. 483; Wiese, NZA 1981, S. 378, 381. 21

128 6. Kapitel: Angleichung von Arbeitskampfrecht und Betriebsverfassungsrecht Arbeitskampfes einseitige Maßnahmen zu treffen, die sich nachteilig auf die Belegschaft auswirken. 24 Möglicherweise ergibt sich eine Überforderung der Betriebsräte aus einem Konflikt zwischen der Mitgliedschaft im Betriebsrat und der Gewerkschaftsmitgliedschaft. Die Mehrzahl der Betriebsratsmitglieder ist gewerkschaftlich organisiert 25 ; die Gewerkschaften könnten versucht sein, im Arbeitskampf auf die Amtsführung der Betriebsräte Einfluß zu nehmen. 26 Der Rollenkonflikt, dem die Betriebsratsmitglieder insoweit ausgesetzt sind, ergibt sich aber zwangsläufig aus dem dualen System tariflicher und betrieblicher Vetretung von Arbeitnehmerinteressen. Die Vorschrift des § 74 Abs. 3 BetrVG bringt zum Ausdruck, daß das Betriebsverfassungsgesetz dem Betriebsrat zutraut, diesen Rollenkonflikt auszuhalten27, der im übrigen auch außerhalb des Arbeitskampfes auftreten kann. Schließlich wäre zu überlegen, ob die Überforderung der Betriebsratsmitglieder sich daraus ableiten läßt, daß sie als Arbeitnehmer am Ergebnis der Tarifauseinandersetzung teilhaben. 28 Es erscheint indessen bedenklich, sie deshalb für parteilich und überfordert zu halten. Ein Vergleich mit den Befangenheitsregelungen in den Verwaltungsverfahrensgesetzen und den Gemeindeordnungen der Länder zeigt, daß nur solche Personen von der Mitwirkung an einer Entscheidung ausgeschlossen sein sollen, die durch die Entscheidung einen unmittelbaren Vor- oder Nachteil erlangen (§ 20 Abs. 1 VwVfG, § 31 Abs. 1 GO NW). An die Betriebsratsmitglieder wird man keine höheren Anforderungen stellen können. 29 Sie erlangen jedoch durch die Beteiligung an arbeitskampfbedingten Maßnahmen des Arbeitgebers allenfalls insofern einen mittelbaren Vorteil, als die Kampfchancen der Gewerkschaft durch eine Blokkadepolitik des Betriebsrats erhöht werden. Für die Annahme einer Überforderung reicht das nicht aus. Vor- und Nachteile ergeben sich für die Betriebsratsmitglieder aus der betrieblichen Mitbestimmung übrigens auch außerhalb des Arbeitskampfes. So erleiden sie bei der Einführung von Kurzarbeit, die gem. § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG mitbestimmungspflichtig ist, einen Lohnverlust. 30 Gleichwohl ist noch niemand auf den Gedanken gekommen, die Betei24

Brox in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht Rn. 440; Colneric in Däubler (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 667; Weiss, AuR 1982, S. 265, 268. 25 Nach den Zahlen zur wirtschaftlichen Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland, Ausgabe 1991, hrsg. vom Institut der Deutschen Wirtschaft, sind 74,2 % der Betriebsratsmitglieder und 82 % der Betriebsratsvorsitzenden Mitglied in einer Gewerkschaft (zitiert nach Jahn, Beteiligung, S. 15). 26 Vgl. ArbG Elmshorn, BB 1978, S. 962; Seiter, RdA 1979, S. 393, 397. 27 Thiele in GK-BetrVG (3. Bearbeitung 1982), § 74 BetrVG Rn. 41. 28 So LAG Frankfurt a. M., DB 1986, S. 178 f. 29 Häßler, Beteiligungsrechte, S. 27; Schmitt, Interessenkonflikte, S. 248 ff. 30 Häßler, Beteiligungsrechte, S. 27 f.

Β. Ungeeignete Ansätze

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ligung deswegen einzuschränken. Wäre der Betriebsrat überfordert, weil er am Kampfergebnis partizipiert, dann müßte fur den Arbeitgeber das gleiche gelten, denn er ist nicht weniger am Ausgang des Kampfes interessiert. 31 Es ergibt sich eine argumentative Pattsituation. Demnach läßt sich die Überforderung des Betriebsrats nicht schlüssig begründen. Wegen der Vagheit des Begriffs der Überforderung 32 könnte man überdies kaum festlegen, welche Beteiligungsrechte im Arbeitskampf entfallen sollen und welche nicht. Der Ansatz deutet auf eine weitreichende Beschränkung hin 3 3 , die jedoch gegen die Notwendigkeitsmaxime bei der Rechtsfortbildung verstieße. Der Überforderungsgedanke muß daher als Leitlinie für eine rechtsfortbildende Einschränkung der betrieblichen Mitbestimmung ausscheiden. Er taucht auch in der neueren Rechtsprechung des BAG nicht mehr auf. 34

IL Gegnerfreiheit und -Unabhängigkeit Manche wollen eine Beschränkung der betrieblichen Mitbestimmung im Arbeitskampf mit dem Prinzip der Gegnerfreiheit und -Unabhängigkeit rechtfertigen. 35 Es sei zu befürchten, daß der Tarifgegner Einfluß auf die Arbeitskampfstrategie der Arbeitgeberseite nehme, wenn der Betriebsrat an arbeitskampfbedingten Maßnahmen zu beteiligen wäre. 36 Diese Überlegung erscheint zunächst einleuchtend: Hätte der Betriebsrat bei Arbeitskampfmaßnahmen des Arbeitgebers mitzubestimmen, so könnte er dessen Verhalten im Tarifkonflikt zugunsten der kampfführenden Gewerkschaft beeinflussen, insofern wäre die Arbeitgeberseite nicht mehr „gegnerfrei". Gleichwohl begegnet der Lösungsvorschlag Bedenken. Das Prinzip der Gegnerfreiheit und -Unabhängigkeit entstammt dem Koalitionsrecht. Die Arbeitgeber· und Arbeitnehmerkoalitionen sollen die Interessen ihrer Mitglieder wirksam vertreten. Deshalb darf eine Koalition nicht sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer als Mitglieder aufnehmen, sie muß gegnerfrei sein. 37 Da-

31

Weiss, AuR 1982, S. 265, 268. Mayer-Maly, BB 1979, S. 1305, 1312 bezeichnet ihn als „ irrelevantes metajuristisches Kriterium". 33 Für den Wegfall aller Beteiligungsrechte wegen Überforderung des Betriebsrats Neumann-Duesberg, Betriebsverfassungsrecht, S. 145, 147. 34 Vgl. o. 2. Kapitel unter A16 - 11. 35 Vgl. o. 2. Kapitel unter Β Π, Fn. 69. 36 Rüthers/Henssler, Anm. zu BAG AP Nr. 13 zu § 87 BetrVG 1972 Betriebliche Ordnung, Bl. 1079 R f.; vgl. auch Seiter, RdA 1979, S. 393, 297 f.; ders., SAE 1980, S. 159, 162. 37 Wiedemann/Stumpf, § 2 TVG Rn. 145. 32

9 Jansen

130 6. Kapitel: Angleichung von Arbeitskampfrecht und Betriebsverfassungsrecht hinter steht das übergeordnete Prinzip der Gegnerunabhängigkeit. 38 Auch eine formal gegnerfreie Koalition kann Interessen nicht nachdrücklich vertreten, wenn sie etwa finanziell vom Gegenspieler abhängig wäre. Die Gegnerunabhängigkeit erfordert auch, daß die Willensbildung der Koalition nicht unter den Einfluß des gegnerischen Verbandes geraten darf. 39 So verstanden wird jedoch die Gegnerunabhängigkeit der Arbeitgeber durch die betriebliche Mitbestimmung im Arbeitskampf nicht gefährdet. Der Betriebsrat vermag die Willensbildung des kampfbeteiligten Arbeitgebers oder Arbeitgeberverbandes nicht zu beeinflussen; die Arbeitgeber können weiterhin autonom über ihre Arbeitskampfstrategie entscheiden.40 Beteiligt wird der Betriebsrat allerdings an der Durchsetzung dieser Entscheidungen. Hier könnte er sich - sozusagen als verlängerter Arm der Gewerkschaft - auf eine Behinderungs- und Verzögerungstaktik verlegen. In Anbetracht dessen verlangen Rüthers/Henssler, der Grundsatz der Gegnerunabhängigkeit müsse auch die Durchsetzung arbeitskampfstrategischer Entscheidungen erfassen, anderenfalls werde er zu bloßen Leerformel. 41 Dagegen lassen sich indes Einwände vorbringen. Der Grundsatz der Gegnerunabhängigkeit behält seine Bedeutung im Rahmen der Frage, welche Verbände tariffähig sind und Arbeitskämpfe fuhren dürfen 42 ; er wird nicht zur Leerformel, wenn er die ungehinderte Durchsetzung von Arbeitskampfmaßnahmen nicht erfaßt. Rüthers/Henssler wollen ihn mit verkappten Paritätserwägungen ausfüllen: Kann der Arbeitgeber nicht mehr allein bestimmen, ob und wie er Arbeitskampfmaßnahmen durchfuhrt, so ist das im Hinblick auf die Waffengleichheit der Kampfparteien bedenklich. 43 Dann aber sollte man gleich auf das Paritätsprinzip abstellen, anstatt die Gegnerunabhängigkeit über Gebühr zu strapazieren. Das wäre zunächst der Begriffsklarheit dienlich, um die es im Arbeitskampfrecht allzu oft schlecht bestellt ist. An einer Auseinandersetzung mit der Paritätsproblematik ist ohnehin - auch wenn man das Etikett „Gegnerunabhängigkeit" wählt - nicht vorbeizukommen. Denn der Grundsatz der Gegnerunabhängigkeit besagt nichts darüber, welche Maßnahmen der Arbeitgeber gegnerfrei, d. h. mitbestimmungsfrei durchfuhren darf. Sieht man den Betriebsrat als Gegner des Arbeitgebers im Arbeitskampf an (was er wegen § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG eigentlich nicht sein

38

Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, § 8 ffl 5, S. 103. Wiedemann/Stumpf, § 2 TVG Rn. 142 ff. 40 Brox in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht Rn. 440; Colneric in Däubler (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 670; Eich, DB Beilage 9/1979, S. 2; Häßler, Beteiligungsrechte, S. 33; Jahn, Beteiligung, S. 132. 41 Rüthers/Henssler, Anm. zu BAG AP Nr. 13 zu § 87 BetrVG 1987 Betriebliche Ordnung, Bl. 1079 R f. 42 Vgl. dazu Wiedemann/Stumpf.\ § 2 TVG Rn. 49, 141 ff. 43 So auch Rüthers/Henssler, Anm. zu BAG AP Nr. 13 zu § 87 BetrVG 1972 Betriebliche Ordnung, Bl. 1079 R f. 39

Β. Ungeeignete Ansätze

131

kann 44 ), dann ist die Gegnerfreiheit des Arbeitgebers erst mit der völligen Aufhebung der betrieblichen Mitbestimmung gewahrt. 45 Damit wäre jedoch die gebotene Angleichung von Arbeitskampf- und Betriebsverfassungsrecht verfehlt. Die notwendige Unterscheidung zwischen mitbestimmungsfreien und sonstigen Maßnahmen läßt sich nur danach treffen, wie intensiv die Kampfposition des Arbeitgebers durch einzelne Beteiligungsrechte beeinträchtigt wird. Das läuft auf eine Paritätsprüfung hinaus. Ohne sie läßt sich dem Grundsatz der Gegnerunabhängigkeit keine Aussage über das Schicksal der Beteiligungsrechte im Arbeitskampf entnehmen. Daher ist er als Konkurrenzregel nicht geeignet.

ΙΠ. Freiheit der Kampfmittelwahl In der Literatur stellen einige darauf ab, daß die freie Wahl der Kampfmittel nicht durch die betriebliche Mitbestimmung beeinträchtigt werden dürfe. 46 Deshalb sollen Kampfmaßnahmen, die der Arbeitgeber ergreift, mitbestimmungsfrei sein. 47 Eine überzeugende Konkurrenzregel läßt sich aus der Freiheit der Kampfmittelwahl indes nicht ableiten. Denn sie gibt keine Antwort auf die Frage, welche Maßnahmen des Arbeitgebers als mitbestimmungsfreie Kampfmittel anzusehen sind. Problematisch ist nämlich, wie weit die Kampffreiheit des Arbeitgebers reicht. Zwar ist in Rechtsprechung 48 und Schrifttum 49 häufig von einem Grundsatz der freien Kampfmittelwahl die Rede. Damit ist jedoch nicht gemeint, daß die Arbeitskampfparteien selbst bestimmen dürfen, welche Kampfmittel zulässig sind. Selbstverständlich gibt es keinen Rechtssatz, der den Koalitionen erlaubt, im Arbeitskampf etwa zu den „Kampfmitteln" des Sprengstoffanschlags oder der Entfuhrung zu greifen, wenn sie diese Mittel für erforderlich halten. Die Freiheit der Kampfmittelwahl beschränkt sich vielmehr auf die freie Auswahl zwischen mehreren zulässigen Arbeitskampfmitteln. Über die Zulässigkeit entscheidet die Rechts-

44

Vgl. Fitting/Kaiser/Heither/Engels, § 87 BetrVG Rn. 135. So früher Kraft, ZfA 1973, S. 243, 260; Neumann-Duesberg, Betriebsverfassungsrecht, S. 143. 46 Vgl. o. 2. Kapitel unter Β Π, Fußnote 71. 47 Matthes in MünchArbR, § 323 Rn. 16, 20 ff. 48 BAG AP Nr. 1 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 224 R; AP Nr. 6 a. a. O., Bl. 776; AP Nr. 10 a. a. O., Bl. 350 R; AP Nr. 64 a. a. O., Bl. 920. 49 Ζ. B. Bieback in Däubler (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 313; Löwisch/Rieb le in Löwisch (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rii. 46 ff.; Scholz in Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 9 GG Rn. 298 ff.; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, § 40 VI 5, S. 418 f. 45

132 6. Kapitel: Angleichung von Arbeitskampfrecht und Betriebsverfassungsrecht Ordnung. 50 Sie muß den sozialen Gegenspielern Kampfmittel zu Verfügung stellen, die es ermöglichen, Arbeitskämpfe effektiv zu fuhren. Welche Mittel das sind, richtet sich nach dem Paritätsprinzip, das den Kampfrahmen für die Tarifauseinandersetzung festlegt. 51 Es ist der Freiheit der Kampfmittelwahl vorgelagert. Das Arsenal der (möglicherweise mitbestimmungsfreien) Kampfmittel des Arbeitgebers wird demnach durch das Paritätsprinzip bestimmt und nicht durch den Grundsatz der freien Kampfmittelwahl, der sich deshalb nicht als Konkurrenzregel eignet.

IV. Staatsneutralität Im Schrifttum finden sich Stimmen, die eine Teileinschränkung der betrieblichen Mitbestimmung unter dem Gesichtspunkt der Staatsneutralität befürworten.' 2 Das Prinzip der staatlichen Neutralität im Arbeitskampf ist allgemein anerkannt. 53 Der Staat ist danach zu Neutralität gegenüber den Kampfparteien verpflichtet, er darf keine Seite bevorzugen oder benachteiligen. Er muß sich zunächst (im Sinne passiver Neutralität) jedes Eingriffs in den Arbeitskampf enthalten. 54 Eine staatliche Zwangsschlichtung wäre unzulässig 55 ; Arbeitskampfziele dürfen nicht auf ihre Berechtigung hin gerichtlich überprüft werden. 56 Diese passive Staatsneutralität wird durch die betriebliche Mitbestimmung im Arbeitskampf nicht berührt. Allerdings erschöpft sich des Neutralitätsgrundsatz nicht im Gebot staatlicher Nicht-Einmischung. Vielmehr ist der Staat verpflichtet, ein funktionierendes Tarifvertrags- und Arbeitskampfsystem zu schaffen. 57 Dazu gehört die Chancengleichheit im Arbeitskampf. Der Staat muß (im Sinne aktiver Neutralität) Regelungen treffen, die ein ausgeglichenes Verhältnis der Tarifgegner 50 Zutreffend v. Hoyningen-Huene, DB 1989, S. 1466; Otto in MünchArbR, § 277 Rn. 27; Seiter, Streikrecht, S. 142 f.; Wank, RdA 1989, S. 263, 269; ders., Festschrift O. R. Kissel, S. 1225, 1228. 51 BAG AP Nr. 64 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 918 R; AP Nr. 86 a. a. O., Bl. 213 R; Seiter, Streikrecht, S. 172; Wank, Festschrift O. R. Kissel, S. 1225, 1243. Vgl. die nachfolgenden Ausführungen unter C I. 52 Vgl. o. 2. Kapitel unter Β Π, Fn. 70. 53 BAG GS AP Nr. 1 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 224 R; BAG AP Nr. 24 a. a. O., Bl. 670 R; BSGE 40, S. 190, 197; Däubler in Däubler (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 83; Rüthers in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht Rn. 162; Säcker, Gruppenparität, S. 112 ff.; Scholz in Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 9 GG Rn. 283 ff.; Seiter, Streikrecht, S. 173 ff.; Wank, Festschrift O. R. Kissel, S. 1225, 1243 f. 54 Nikisch, Arbeitsrecht Π, S. 110. 55 Scholz in Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 9 GG Rn. 285. 56 Seiter, Streikrecht, S. 176 IT. 57 Vgl. o. 5. Kapitel unter A I 2, Fußnote 12.

C. Angleichung mit Hilfe des Paritätsprinzips

133

gewährleisten. 58 Mit anderen Worten: Er muß die Kampfjparität sichern. 59 Nach dem Grundsatz der aktiven Staatsneutralität könnte er zur Einschränkung der betrieblichen Mitbestimmung während des Arbeitskampfes verpflichtet sein. Voraussetzung dafür ist, daß die Kampfparität durch die Beteiligungsrechte des Betriebsrats gestört wird. Den Bezugspunkt der Staatsneutralität bildet also die Kampfparität, die Neutralitätspflicht des Staates besteht nur um ihretwillen. 60 Das Paritätsprinzip wird nur anders formuliert, nämlich aus der Perspektive des Staates.61 Das spricht dafür, die Angleichung von Arbeitskampfrecht und Betriebsverfassungsrecht direkt auf das Paritätsprinzip zu stützen und den Umweg über die Staatsneutralität zu meiden. Sie liefert keine weiteren eigenständigen Gesichtspunkte für eine Beschränkung von Beteiligungsrechten. 62

C. Angleichung mit Hilfe des Paritätsprinzips Die vorstehenden Ausführungen ließen bereits erkennen, worin der maßgebliche Wertungsgesichtpunkt bei der Angleichung von Arbeitskampfrecht und Betriebsverfassungsrecht besteht: Es geht um die Gleichgewichtslage zwischen den sozialen Gegenspielern während der Tarifauseinandersetzung. Aufgabe des Arbeitskampfrechts ist es, Kampfgleichheit herzustellen und zu bewahren, also die „Parität" 63 der Kontrahenten zu gewährleisten. Im folgenden soll dargelegt werden, wie sich mit Hilfe des arbeitskampfrechtlichen Paritätsprinzips eine interessengerechte Auflösung der Rechtsgebietskonkurrenz zwischen Arbeitskampf- und Betriebsverfassungsrecht erreichen läßt. Über den Gesichtspunkt der Kampfparität können insbesondere auch die gewerkschaftlichen Interessen während des Arbeitskampfes berücksichtigt werden. Grundgedanke ist, daß das Paritätsprinzip als Kernbereich des Arbeitskampfrechts ein gewisses Mindestmaß an arbeitgeberseitiger Handlungsfreiheit im Tarifkonflikt schützt. Die Handlungsmöglichkeiten, die dem Arbeitgeber ar58 BSGE 40, S. 190, 197; Ossenbühl/Richardi, Neutralität, S. 129 f.; Säcker, Gruppenparität, S. 111, 115; Scholz in Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 9 GG Rn. 284; Seiter, Staatsneutralität, S. 5 ff. 59 Scholz in Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 9 GG Rn. 284; Wank, Festschrift O. R. Kissel, S. 1225, 1244. 60 Brox in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht Rn. 440; Säcker, Gruppenparität, S. 115. 61 Däubler in Däubler (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 105s; Raiser , Aussperrung, S. 64; Seiter, Streikrecht, S. 175; Wank,, Festschrift O. R. Kissel, S. 1225, 1244. 62 Brox in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht Rn. 440; Häßler, Beteiligungsrechte, S. 33 f. 63 Zum Begriff vgl. o. 5. Kapitel unter A I 3, Fußnote 21.

134 6. Kapitel: Angleichung von Arbeitskampfrecht und Betriebsverfassungsrecht beitskampfrechtlich zur Führung der Tarifauseinandersetzung eröffnet werden, darf man ihm durch die betriebliche Mitbestimmung nicht wieder nehmen. 64 Alle anderen Maßnahmen des Arbeitgebers bleiben dagegen auch während des Arbeitskampfes mitbestimmungspflichtig, um die Interessen der Belegschaft und der kampfführenden Gewerkschaft zu wahren.

I. Das Paritätsprinzip als Kernbereich des Arbeitskampf rechts Das Paritätsprinzip stellt einen anerkannten Grundsatz des Arbeitskampfrechts dar. Seine Geltung - nicht jedoch sein konkreter Inhalt - ist in Art. 9 Abs. 3 GG verankert. 65 Parität beim Aushandeln des Tarifvertrages ist unabdingbare Voraussetzung für ein fünktionsfähiges Tarifsystem. Weil das Kräfteverhältnis im Arbeitskampf die Verhandlungserfolge der Tarifparteien entscheidend beeinflußt, müssen die Arbeitskampfchancen beider Seiten gleich ausgestaltet sein. Die Rechtsordnung hat den Kampfparteien gleichwertige Mittel zur Verfügung zu stellen, die einen möglichst effektiven Arbeitskampf gewährleisten. Die „richtige" Zuweisung der Arbeitskampfmittel zu bewerkstelligen, ist die Aufgabe des Paritätsprinzips. Es steckt den Rahmen ab, innerhalb dessen sich das Kampfgeschehen abspielt; es entscheidet darüber, welche Kampfmittel generell zulässig sind. 66 Ob eine bestimmte Arbeitskampfmaßnahme rechtmäßig ist oder nicht, beurteilt sich zuallererst danach, ob sie vom Paritätsprinzip gedeckt ist. Insofern ist das Prinzip der Kampfparität dem zweiten tragenden Grundsatz des Arbeitskampfrechts, dem Verhältnismäßigkeitsprinzip 67 , vorgelagert: Ein unter Paritätsgesichtspunkten unzulässiges Kampfmittel ist stets unverhältnismäßig, ohne daß es noch der Verhältnismäßigkeitskontrolle bedarf. 68 Auch das Prinzip der Staatsneutralität erweist sich

64

Vgl. Seiter, Streikrecht, S. 371. Vgl. o. 5. Kapitel unter A I 3. 66 BAG AP Nr. 64 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 918 R; AP Nr. 86 a. a. O., Bl. 214; Belling , NZA 1990, S. 214, 217; Buchner in Lieb/v. Stebut/Zöllner, Arbeitskampfrecht, S. 21, 32 f.; Konzen, AcP 177 (1977), S. 473, 527; Seiter, Streikrecht, S. 172; ders., Arbeitskampfparität, S. 60 f.; Wank, Festschrift O. R. Kissel, S. 1225, 1239. 67 Dazu BAG AP Nr. 1, 43, 64, 65, 81 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; aus dem neueren Schrifttum Czerweny von Ar land, Arbeitskampfmittel; Kreuz, Verhältnismäßigkeit; Wank, Festschrift O. R. Kissel, S. 1225, 1230 ff. 68 Nach dem Verhältnismäßigkeitsprinzip ist die die Rechtmäßigkeit eines (unter dem Gesichtspunkt der Kampfparität generell zulässigen) Kampfmittels im konkreten Arbeitskampf zu beurteilen, vgl. Wank, Festschrift O. R. Kissel, S. 1225, 1243. Die Verhältnismäßigkeitskontrolle darf freilich ihrerseits nicht zu einer Verschiebung des Kräftegleichgewichts - also zu einer Disparität - fuhren. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist gleichsam eingebettet in das Paritätsprinzip, dazu BAG AP Nr. 84 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 369; Buchner in Lieb/v. Stebut/Zöllner, Arbeits65

C. Angleichung mit Hilfe des Paritätsprinzips

135

bei genauerer Betrachtung nur als ein Spiegelbild des Paritätsgrundsatzes, denn Neutralität i. S. von Nichteinmischung des Staates setzt voraus, daß ein Kräftegleichgewicht zwischen den Arbeitskampfparteien besteht.69 Die Tatsache, daß wichtige arbeitskampfrechtliche Prinzipien eng mit dem Paritätsgedanken verwoben sind, unterstreicht die zentrale Bedeutung der Kampfparität für die Arbeitskampfrechtsordnung. Letztlich ist das gesamte Arbeitskampfsystem auf den Gedanken der Parität ausgerichtet. So wird denn auch in Rechtsprechung und Literatur die besondere Stellung des Paritätsprinzips im Arbeitskampfrecht immer wieder hervorgehoben. In seiner Entscheidung vom 12.9.1984 führte das BAG aus: „Die Verhandlungsparität ist der oberste Grundsatz des Arbeitskampfrechts, an dem alle weiteren Grundsätze zu messen sind."70 Im Schrifttum bezeichnet man die Kampfparität als „entscheidenden Grundsatz für das Arbeitskampfrecht" 71 , als „Herzstück des Koalitionswesens" 72 oder als „archimedischen Punkt des Arbeitskampfrechts". 73 Teilweise wird auch vom „alles bestimmenden" 74 , „schlechthin tragenden" 75 Paritätsgrundsatz gesprochen. Trotz aller Streitigkeiten über Einzelheiten des Arbeitskampfsystems besteht weitgehend Einigkeit darüber, daß das Paritätsprinzip als maßgeblicher Bezugsrahmen unentbehrlich ist. 76 kampfrecht, S. 21, 28; Seiter, Streikrecht, S. 172, 180; ders., RdA 1981, S. 65, 75 f., die den Bezugspunkt der Verhältnismäßigkeit in der Kampfparität erblicken, sowie Kreuz, Verhältnismäßigkeit, S. 112, der den Paritätsgrundsatz erst bei der Proportionalitätsprüfung berücksichtigen will. 69 Zur Statsneutralität vgl. o. unter Β IV. 70 BAG AP Nr. 81 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 574. Vgl. auch BAG AP Nr. 84 a. a. O., Bl. 369: „Der Senat bleibt bei den Grundsätzen, die der Große Senat des BAG im Jahre 1971 entwickelt hat. Danach müssen sich alle Rechtsregeln zum Arbeitskampfrecht am Grundsatz des Verhandlungsgleichgewichts und der Kamfparität orientieren." 71 Richardi, NJW 1978, S. 2057, 2061. 72 Raiser , ZRP 1978, S. 201, 203. 73 Däubler in Däubler (Hrsg.), Arbeitskampfrecht, Rn. 1051. 74 Lieb, NZA 1985, S. 265,268. 75 G. Müller, Arbeitskampfrecht, S. 162. 76 Vgl. etwa Adam, Arbeitskampfrecht, S. 426 ff.; Buchner, RdA 1986, S. 7, 12 f.; Göll, Arbeitskampfparität, S. 20 ff.; Glietsch, Arbeitskampfformen, S. 84 f.; Heenen, Kampfparität, S. 1; Kalb, Arbeitskampfrecht Rn. 52, 165 f.; Konzen, AcP 177 (1977), S. 473, 525 f.; Krejci, Aussperrung, S. 53 ff.; G. Müller, Arbeitskampfrecht, S. 162 ff.; Rüthers, Aussperrung, S. 37, 70 ff.; Raiser, Aussperrung, S. 64 ff.; Scholz/Konzen, Aussperrung, S. 168 ff.; Seiter, Streikrecht, S. 156 ff.; Wank, Festschrift O. R. Kissel, S. 1225, 1238 ff.; Zöllner, Aussperrung, S. 30 ff.; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, § 40 X, S. 425 f. - Ablehnend Däubler in Däubler (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 105m ff., der allerdings Art. 9 Abs. 3 GG als reines Arbeitnehmergrundrecht ansieht. Däubler wendet sich gegen die Zulässigkeit der Aussperrung (a. a. O. Rn. 105p), die das BAG

136 6. Kapitel: Angleichung von Arbeitskampfrecht und Betriebsverfassungsrecht Angesichts dessen ist es m. E. gerechtfertigt, das Paritätsprinzip als Kernbereich des Arbeitskampfrechts anzusehen, der nicht durch die Betriebsverfassung beeinträchtigt werden darf. 77 Die Konkurrenzregel für das Verhältnis von Arbeitskampf- und Betriebsverfassungsrecht lautet dann: Die Beteiligungsrechte des Betriebsrats müssen weichen, sofern durch die betriebliche Mitbestimmung das Paritätsprinzip verletzt wird. Die betriebliche Mitbestimmung darf nicht zu einem Eingriff in das Grundverhältnis der Tarifgegner führen. Ihre Beziehungen sind arbeitskampfrechtlich verfaßt, maßgebend ist allein das Paritätsprinzip. Das Betriebsverfassungsgesetz, das zu arbeitskampfrechtlichen Fragen schweigt und insofern lückenhaft ist, kann den zentralen Grundsatz der Kampfparität nicht verdrängen. Für eine am Paritätsprinzip orientierte Angleichung von Arbeitskampf- und Betriebsverfassungsrecht spricht auch ein Seitenblick auf die Rechtsprechung des BAG zu ähnlich gelagerten Problemkreisen. Wenn arbeitskampfrechtliche Wertungen mit den Vorgaben anderer Rechtsgebiete in Widerspruch geraten, zieht das BAG regelmäßig den Gesichtspunkt der Kampfparität zur Auflösung des Konflikts heran. So hat das BAG die Problematik des Lohnrisikos bei Arbeitskampffernwirkungen, die auf einer Rechtsgebietskonkurrenz zwischen Arbeitskampfrecht und Schuldrecht beruht 78 , über das Paritätsprinzip gelöst: Schuldrechtlich begründete Lohnansprüche der Arbeitnehmer entfallen, soweit sie dem Gedanken der Kampfparität zuwiderlaufen. 79 Auch die Lohnzahlungspflicht bei Betriebsversammlungen während des Arbeitskampfes hat das BAG daraufhin überprüft, ob sie mit dem Paritätsprinzip vereinbar ist. 80 Paritätserwägungen spielten ferner eine Rolle, als es um die Frage ging, ob der Arbeitgeber nach § 1 Abs. 1 FeiertagslohnzahlungsG Arbeitsentgelt zahlen muß, wenn die Gewerkschaft den Streik an einem Feiertag unterbricht. 81 Schließlich entschied das BAG anläßlich eines Rechtsstreits um eine Betriebsvereinbarung, die sich mit den Folgen eines Arbeitskampfes befaßte, die Betriebsparteien dürften keine Regelungen treffen, welche die Kampfparität be-

aus dem Paritätsprinzip abgeleitet hat. Die Kritik gilt also letztlich der Konkretisierung des Paritätsprinzips, nicht dem Prinzip an sich. - Kritisch zur Praktikabilität des Paritätsprinzips äußert sich Hensche, RdA 1996, S. 293, 303, der allerdings keinen überzeugenderen Ansatz für die generelle Zuteilung der Arbeitskampfmittel nennt. 77 Zum Gedanken des Kernbereichsschutzes bei der Auflösung von Rechtsgebietskonkurrenzen vgl. o. 3. Kapitel unter Β ΠΙ 2. 78 Vgl. ο. 3. Kapitel unter Β ΠΙ 2 b. 79 BAG AP Nr. 70 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 589 ff. 80 Diese Frage hat das BAG bejaht; der Arbeitgeber bleibt lohnzahlungspflichtig, vgl. BAG AP Nr. 4 zu § 44 BetrVG 1972. 81 Das BAG ist der Ansicht, der Arbeitgeber sei zur Lohnzahlung verpflichtet; eine Verschiebung der Kampfparität liege nicht vor, vgl. BAG AP Nr. 63 zu § 1 FeiertagslohnzahlungsG. Einschränkend aber BAG, NZA 1995, S. 996 f.

C. Angleichung mit Hilfe des Paritätsprinzips

137

einträchtigten. 82 Aus diesen Entscheidungen geht hervor, daß der Paritätsgrundsatz nach Ansicht des BAG einen Bereich arbeitskampfrechtlicher Wertungen beschreibt, der sich gegenüber der Rechtsordnung des Arbeitsfriedens durchsetzt. Die Etikettierung des Paritätsprinzips als Kernbereich des Arbeitskampfrechts stellt freilich nur einen ersten Ansatzpunkt für die Auflösung der Rechtsgebietskonkurrenz zwischen Arbeitskampf- und Betriebsverfassungsrecht dar. Seine Eignung als Konkurrenzregel muß das Paritätsprinzip erst noch unter Beweis stellen. Entscheidend ist, ob sich mit seiner Hilfe hinreichend klare, interessengerechte Ergebnisse erzielen lassen, die den Wertungen beider Rechtsgebiete angemessen Rechnung tragen. Dazu muß zunächst der Inhalt des Paritätsprinzips näher bestimmt werden.

II. Konkretisierung des Paritätsprinzips 1. Meinungsstand Zur Beantwortung der Frage, welche Anforderungen an die Parität im Arbeitskampf zu stellen sind, kommen prinzipiell zwei Möglichkeiten 83 in Betracht. Man könnte darauf abstellen, daß die sozialen Gegenspieler die gleiche rechtliche Ausgangslage vorfinden; Parität wäre danach als Rechtsgleichheit zu verstehen. Man könnte andererseits fordern, den Kampfparteien müßten gleiche tatsächliche Chancen im Arbeitskampf zustehen. Zu berücksichtigen wäre dann auch die Rechtswirklichkeit des Arbeitskampfgeschehens. Beide Ansätze sind vertreten worden. a) Formelle Parität Nach dem formellen Verständnis der Kainpfjparität kommt es nicht auf die tatsächlichen Kräfteverhältnisse im Arbeitskampf an. Entscheidend ist vielmehr, ob den Kontrahenten gleichwertige Kampfmittel zur Verfügung stehen. Deshalb wird im älteren Schrifttum auch von „Waffengleichheit" 84 im Arbeitskampf gesprochen. Im Lager derjenigen, die für ein formelles Paritätsverständnis eintreten, lassen sich drei Meinungsgruppen ausmachen.

82

BAG AP Nr. 132 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. Vgl. Mayer-Maly, Anm. zu BAG AP Nr. 64-66 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 948. 84 Z. B. van Gelder/Böttner, JuS 1969, S. 112, 113; Scheuner in Weber/Scheuner/ Dietz, Koalitionsfreiheit, S. 29, 76; Siebrecht, Arbeitskampf, S. 32. 83

138 6. Kapitel: Angleichung von Arbeitskampfrecht und Betriebsverfassungsrecht Manche verlangen, den Kampfgegnern müßten gleiche Kampfmittel mit gleichen Rechtswirkungen zustehen85; jede Kampfmaßnahme der einen Seite müsse mit einer gleichwertigen Maßnahme der anderen Seite beantwortet werden können. 86 Die Rechtsordnung dürfe die Arbeitskampfmittel der sozialen Gegenspieler nicht ungleich behandeln.87 Unzulässig sei es daher, der einen Seite ein lösendes Kampfmittel (lösende Aussperrung), der anderen dagegen nur ein suspendierendes (Streik) zuzubilligen. 88 Andere wollen die Waffengleichheit beurteilen, indem sie auf die „historische und sozial-praktische Entwicklung" abstellen. Keine Seite dürfe ihres angestammten Kampfmittels beraubt werden. 89 Diese Auffassung ist als „historische Parität" bezeichnet worden. 90 Teilweise wird befürwortet, das Prinzip der Kampfparität als Ergebnis einer gesellschaftlichen Wertentscheidung anzusehen.91 Dem liegt ein „normatives" Verständnis der Parität zugrunde 9 2 Die Zuweisung von Kampfmitteln an die Koalitionen ergebe sich nicht als zwangsläufige Konsequenz ökonomischer Rahmenbedingungen des Arbeitskampfes, sondern aus einer gesellschaftlichen Wertung. 93 Die Rechtsordnung gehe von einer Gleichgewichtslage zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite aus 94 , dazu gehöre das herkömmliche System der Kampfmittel. 95 Diese Ansätze weisen einen gemeinsamen Leitgedanken auf: Die Rechtswirklichkeit des Arbeitskampfgeschehens wird bei der Paritätsbeurteilung ausgeblendet, maßgeblich ist allein die formell-rechtliche Gleichwertigkeit der Kampfmittel.

85

Reuß, JJb 4 (1963/64), S. 163, 167. van Gelder/Böttner, JuS 1969, S. 112, 113; Frey, AuR 1963, S. 301, 304; Säcker, DB 1969, S. 1940, 1942; Scheuner in Weber/Scheuner/Dietz, Koalitionsfreiheit, S. 29, 76, 78. 87 Bötticher, Gleichbehandlung, S. 31, 35; Bulla, Festschrift für Nipperdey, S. 163, 164; Hoeningen BB 1955, S. 704, 706; Nikisch, Arbeitsrecht Π, S. 108; Siebrecht, Arbeitskampf, S. 32. 88 Reuß, AuR 1963, S. 225, 228; ders., AuR 1969, S. 129, 130 f.; a. A. Isele, JuS 1964, S. 41,44. 89 Hueck/Nipperdey/Säcker, Arbeitsrecht Π/2, S. 928. 90 M Wolf, ZfA 1971, S. 152. 91 Mayer-Maly, RdA 1968, S. 432, 433; ders., DB 1979, S. 95, 98; ders., Anm. zu BAG AP Nr. 64-66 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 948; Richardi, NJW 1978, S. 2057, 2061. 92 Mayer-Maly, DB 1979, S. 95, 98. 93 Mayer-Maly, RdA 1968, S. 432, 433 f. 94 Mayer-Maly, DB 1979, S. 95, 98; Richardi, NJW 1978, S. 2057, 2061. 95 Richardi, NJW 1978, S. 2057, 2061. 86

C. Angleichung mit Hilfe des Paritätsprinzips

139

b) Materielle Parität Materielle Parität bedeutet, daß die Arbeitskampfchancen nicht nur formell nach den zur Verfugung stehenden Kampfmitteln, sondern materiell unter Berücksichtigung der tatsächlichen Einflußmöglichkeiten beider Gegenspieler bewertet wird. Die Frage ist, welche Aspekte der sozialen Realität dabei eine Rolle spielen. aa) Gesamtparität Die extreme Gegenposition zur formellen Parität beziehen die Anhänger einer gesamtparitätischen Betrachtungsweise. Sie wollen den tatsächlichen Hintergrund des Arbeitskampfgeschehens umfassend berücksichtigen. 96 In die Paritätsbewertung soll eine Vielzahl von Faktoren einfließen, etwa die finanzielle und personelle Ausstattung der Gegenspieler, das Arbeitsplatzrisiko der Arbeitnehmer, der den Arbeitgebern während des Arbeitskampfes entgehende Gewinn, Lieferhilfeabkommen, Kundenabsprachen, finanzielle Unterstützungsleistungen und Wettbewerbsverbote zugunsten bestreikter Unternehmen („unternehmerische Solidargemeinschaft"), Arbeitskampfklauseln in allgemeinen Geschäftsbedingungen, die Möglichkeit einer Produktion auf Lager oder einer rechtzeitigen Lagerräumung, die zunehmende Flexibilisierung der Arbeitszeiten, technische, arbeits- und unternehmensorganisatorische Rationalisierungsprozesse, die Massenarbeitslosigkeit „mit ihren bekannten, die gesamte Arbeitnehmerschaft lähmenden sozialpsychologischen Folgen", der Einfluß der öffentlichen Meinung. 97 Bei Einbeziehung all dieser Umstände kommen die Verfechter der Gesamtparität übereinstimmend zu dem Ergebnis, die Arbeitnehmer seien gegenüber der Arbeitgeberseite im Nachteil, das Kampfmittel der Aussperrung sei daher unter Paritätsgesichtspunkten nicht erforderlich. 98

96 Däubler, JuS 1972, S. 642, 645; Kittner, GewMH 1973, S. 91, 100 ff.; Weiss, AuR 1974, S. 37, 45 ff; Wohlgemuth , BB 1979, S. 111, 113 f.; ders., Staatseingriff, S. 131 ff.; Wolter, AuR 1979, S. 193, 197 f.; ders. in Däubler (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 886 ff.; Zachert/Metzke/Hamer, Aussperrung, S. 125 ff.; ähnlich Bertelsmann, Aussperrung, S. 244 ff. 97 Vgl. dazu Wolter, AuR 1979, S, 193, 196 ff.; ders. in Däubler (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 888 ff.; Zachert/Metzke/Hamer, Aussperrung, S. 129 ff. 98 So etwa Wohlgemuth, BB 1979, S. 111, 115; Wolter, AuR 1979, S. 193, 199; ders. in Däubler (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 890; Zachert/Metzke/Hamer, Aussperrung, S. 161; vgl. auch Bertelsmann, Aussperrung, S. 328 ff. mit Vorschlägen zur Veränderung des Arbeitskampfsystems.

140 6. Kapitel: Angleichung von Arbeitskampfrecht und Betriebsverfassungsrecht bb) Typisierende

Betrachtung

Nach mittlerweile ganz herrschend gewordener Meinung ist die Kampfparität „abstrakt-materiell" i. S. einer typisierenden Betrachtung zu bestimmen." Man dürfe die Parität zwar nicht völlig losgelöst vom tatsächlichen Kräfteverhältnis der Tarifgegner betrachten. Es sei aber andererseits auch nicht erforderlich, alle denkbaren Einflußfaktoren der Arbeitskampfwirklichkeit auszuwerten. Es komme vielmehr darauf an, daß bei einer längerfristigen, generelltypisierenden Betrachtung 100 ein ungefähres Kräftegleichgewicht zwischen den Kampfparteien bestehe. Dieser Ansatz versucht somit, einen Mittelweg zwischen Gesamtparität und formeller Parität einzuschlagen. Es sollen nicht alle, wohl aber einige Faktoren der tatsächlichen Arbeitskampfsituation berücksichtigt werden. c) Die Rechtsprechung des BAG In der ersten grundlegenden Entscheidung des BAG zum Arbeitskampfrecht finden sich folgende Ausfuhrungen zur Kampfparität: „Die Anerkennung des Arbeitskampfes, das Prinzip der Neutralität und der Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 GG verbieten es dem Staat, d. h. seiner Gesetzgebung, seiner Verwaltung und Rechtsprechung, die Kampfmittel der beiden Seiten ungleich zu behandeln. Es gilt der Grundsatz der Waffengleichheit, der Kampfparität. Im Rahmen der Sozialadäquanz gilt aber auch der Grundsatz der Kampffreiheit, genauer der Freiheit der Wahl der Arbeitskampfmittel. [...] Dabei darf jede Gruppe in den Grenzen des legitimen Kampfes das ihr gemäße, historisch überkommene, der Natur der Sache entsprechende Kampfmittel wählen."101 Das BAG legte damit ein formelles, am Gedanken der Gleichbehandlung orientiertes Paritätsverständnis an den Tag, wobei auch historische Gesichtspunkte herangezogen wurden. Insofern folgte das Gericht den Vorgaben der Rechtsprechung des Reichsgerichts 102 und Reichsarbeitsgerichts. 103 Allerdings 99 Z. B. Büchner, RdA 1986, S. 7, 14; Dütz, Anm. zu LAG Baden-Württemberg EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 27, S. 246h, 246m f.; Eichmanns, RdA 1977, S. 135, 137; Fritz, Lohnrisiko, S. 121, 142; Kalb, Arbeitskampfrecht Rn. 166; Konzen AcP 177 (1977), S. 473, 526 ff.; Krejci, Aussperrung, S. 54 f.; Löwisch, RdA 1980, S. 1, 3 ff.; Otto in MünchArbR, § 275 Rn. 69, 77; Rüthers in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht Rn. 167 f.; Raiser , Aussperrung, S. 70 ff; Scholz/Konzen, Aussperrung, S. 177 ff.; Seiter, Streikrecht, S. 163 f.; Treber, Maßnahmen, S. 408 f.; Wank, Festschrift O. R. Kissel, S. 1225, 1241; Zöllner, Aussperrung, S. 30, 35; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, § 40 X, S. 425. 100 Für eine konkret-materielle Parität plädieren demgegenüber Heenen, Kampfparität, S. 40 ff.; Kempen, AuR 1979, S. 74, 78; M Wolf,\ ZfA 1971, S. 151 ff. 101 BAG AP Nr. 1 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 224 R. 102 RGZ 54, S. 255, 258 f.

C. Angleichung mit Hilfe des Paritätsprinzips

141

vertrat das BAG die Auffassung, der Arbeitgeber sei berechtigt, das Arbeitsverhältnis durch die Aussperrung aufzulösen, während dem Streik nur suspendierende Wirkung zukommen sollte. 104 Das läßt sich mit dem Grundsatz formeller Parität nicht vereinbaren und ist deshalb zu Recht kritisiert worden. 105 Dennoch hielt das BAG zunächst sowohl am formellen Paritätsbegriff 106 als auch an der Zulässigkeit lösender Aussperrungen 107 fest. 1968 erhob der 1. Senat des BAG jedoch Bedenken gegen diese Rechtsprechung und legte dem Großen Senat die Frage vor, ob der Arbeitgeber auf einen gewerkschaftlichen Streik mit einer lösenden Aussperrung antworten dürfe. Seine Vorbehalte stützte der 1. Senat insbesondere auf den Gesichtspunkt der Kampfparität. Durch die lösende Aussperrung werde der Arbeitnehmerseite ein größeres Arbeitskampfrisiko auferlegt als dem Arbeitgeber. 108 Der Große Senat bezog in seinem Beschluß vom 21.4.1971 indes keine eindeutige Stellung zum Paritätsprinzip, sondern stellte nur allgemeine Erwägungen an: „Könnte eine Seite, nämlich die Arbeitnehmerschaft vertreten durch die Gewerkschaft, allein das Kampfgeschehen bestimmen und wäre der Arbeitgeber auf ein Dulden und Durchstehen des Arbeitskampfes beschränkt, so bestünde die Gefahr, daß die Regelung der Arbeitsbedingungen nicht mehr auf einem System freier Vereinbarungen beruht, das Voraussetzung für ein Funktionieren und innerer Grund des Tarifvertragssystems ist. Vorbehaltlich der konkreten, insbesondere auch der wechselnden wirtschaftlichen Situation, die vorgegeben ist, muß im Prinzip sichergestellt sein, daß nicht eine Tarifpartei der anderen von vornherein ihren Willen aufzwingen kann, sondern daß möglichst gleiche Verhandlungschancen bestehen. Auf andere Weise kann die Tarifautonomie unter Ausschluß der staatlichen Zwangsschlichtung nicht funktionieren." 109 Es blieb also offen, inwieweit die tatsächlichen Machtverhältnisse im Arbeitskampf zu würdigen sind. Auf dieser Grundlage kam der Große Senat zu dem Ergebnis, die Aussperrung sei als Kampfmaßnahme der Arbeitgeberseite prinzipiell zulässig; nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit komme ihr aber zunächst nur suspendierende Wirkung zu. 1 1 0 103

RAG ARS 2, S. 122, 125 f.; 7, S. 493, 494. BAG AP Nr. 1 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 225 ff. 105 Vgl. etwa Bertele, Aussperrung, S. 84 ff.; van Gelder, AuR 1969, S. 207; Reuß, AuR 1963, S. 225, 228. Im älteren Schrifttum traten viele Autoren nur deshalb ein formell-rechtliches Paritätsverständnis ein, weil sie mit der Rechtsprechung des BAG zur Zulässigkeit lösender Aussperrungen nicht einverstanden waren. 106 BAG AP Nr. 10 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 350 R. 107 BAG AP Nr. 6 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 775 R f.; AP Nr. 10 a. a. O., Bl. 350 R f.; AP Nr. 11 a. a. O., Bl. 355 f.; AP Nr. 24 a. a. O., Bl. 669 R f. 108 BAG AP Nr. 39 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 153. 109 BAG GS AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 310 R; ähnlich schon BGH AP Nr. 38 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 105, 106. 110 BAG GS AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 310 ff. 104

142 6. Kapitel: Angleichung von Arbeitskampfrecht und Betriebsverfassungsrecht 1980 befaßte sich dann der 1. Senat des BAG eingehend mit dem Inhalt des Paritätsprinzips. Das Gericht lehnte sowohl die formelle als auch die Gesamtparität ab und sprach sich für ein abstrakt-typisierendes Paritätsverständnis aus: „Em funktionierendes Tarifvertragssystem setzt annähernd gleichwertige Verhandlungschancen der sozialen Gegenspieler voraus. Das erforderliche Verhandlungsgleichgewicht läßt sich aber weder formal fingieren noch normativ anordnen, es muß wenigstens in groben Zügen tatsächlich feststellbar sein. [...] Wenn auch die realen Kräfteverhältnisse maßgebend sind, so bedeutet das doch andererseits nicht, daß alle Besonderheiten eines Arbeitskampfes (Kampfziele, wirtschaftliche Lage, Organisationsgrad usw.) berücksichtigt werden müßten. Der Grundsatz der Parität [...] kann nur Kriterien erfassen, die einer typisierenden Betrachtung zugänglich sind. [...] Der innere Zusammenhang des Paritätsprinzips mit der Tarifautonomie spricht nicht nur gegen eine auf den Einzelfall bezogene Betrachtung, sondern ebenso auch gegen eine globale Einbeziehung aller denkbaren Kriterien, die sich in anderen Bereichen auf das Kräfteverhältnis von Arbeitgebern und Arbeitnehmern auswirken mögen."111 Vor dem Hintergrund einer abstrakt-typisierenden Paritätsbeurteilung trat das BAG für die Zulässigkeit suspendierender Abwehraussperrungen ein, wenn die Gewerkschaft sich auf einen Teilstreik beschränke. Durch eine Engführung des Streiks könne die Verbandssolidarität der Arbeitgeber aufgebrochen werden, weil die vom Streik verschonten Unternehmen möglicherweise versuchten, auf Kosten der bestreikten Arbeitgeber Marktanteile zu gewinnen. Die streikbetroffenen Arbeitgeber seien daher im Tarifkonflikt eher zum Einlenken bereit. Insofern würde sich das das Kräfteverhältnis im Arbeitskampf zugunsten der Gewerkschaften verschieben, weshalb die suspendierende Abwehraussperrung zur Ausweitung des Kampfrahmens erforderlich sei. 112 Das BAG hielt in mehreren nachfolgenden Entscheidungen an der abstrakttypisierenden Kampfparität fest. Mit Hilfe dieses Paritätsbegriffes begründete das Gericht, warum der Arbeitgeber eines mittelbar kampfbetroffenen Betriebes keinen Lohn zahlen müsse, wenn die Produktion zum Erliegen komme. 113 Auch den Einsatz von Beamten auf den Arbeitsplätzen streikender Arbeitnehmer hielt das BAG nach Maßgabe seines Paritätsverständnisses für zuläs-

111 BAG AP Nr. 64 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 918 ff.; AP Nr. 65 a. a. O., Bl. 934 R ff. 112 BAG AP Nr. 64 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 921 R ff.; AP Nr. 65 a. a. O., Bl. 937 R ff.; bestätigt durch BAG AP Nr. 84 a. a. O., Bl. 366 R ff. 113 BAG AP Nr. 70, 71 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 114 BAG AP Nr. 86 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; im Ergebnis anders aber BVerfG AP Nr. 126 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, vgl. o. 5. Kapitel unter Β I.

C. Angleichung mit Hilfe des Paritätsprinzips

143

Wie man sieht, ging es bei der Rechtsprechung des BAG zum Paritätsprinzip zunächst um Zulässigkeit und Rechtswirkungen der Defensivaussperrung. Später ist der Paritätsgedanke, in einem abstrakt-typisierenden materiellen Sinne verstanden, darüber hinaus zur Lösung anderer arbeitskampfrechtlicher Probleme herangezogen worden. 115 Die Entscheidungen verdeutlichen die besondere Stellung des Paritätsprinzips im Arbeitskampfrecht. 2. Stellungnahme Abhandlungen über die Arbeitskampfparität füllen ganze Bücher. 116 Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung können nicht alle Detailfragen, sondern nur die wichtigsten Punkte behandelt werden. Weil aber das Problem der betrieblichen Mitbestimmung im Arbeitskampf mit Hilfe des Paritätsprinzips beantwortet werden soll und weil sein genauer Inhalt noch etliche Zweifelsfragen aufwirft, erscheint eine eingehendere Stellungnahme geboten. Betrachtet man die neuere Rechtsprechung zur Arbeitskampfjparität, so kann man den Eindruck gewinnen, daß das BAG den materiellen Paritätsbegriff, für den es sich selbst entschieden hat, nicht sonderlich ernst nimmt. Das Gericht hat bewußt darauf verzichtet, allgemeine Leitlinien zur näheren Bestimmung der abstrakt-typisierenden Parität aufzustellen. 117 Die Paritätserwägungen, die das BAG anstellt, fallen häufig recht knapp und formelhaft aus. 118 Das ist im Schrifttum kritisiert worden. 119 Andererseits finden sich auch in der Literatur nur selten Versuche, den materiellen Paritätsbegriff anhand allge-

115 Die Einschränkung der betrieblichen Mitbestimmung während des Arbeitskampfes hat das BAG schon auf den Paritätsgrundsatz gestützt, bevor es sich für das Konzept abstrakt-typisierender materieller Parität entschied, vgl. BAG AP Nr. 57, 63 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; AP Nr. 20 zu § 102 BetrVG 1972. 116 Vgl. aus neuerer Zeit die Monographien von Heenen, Kampfparität und bilaterales Monopol, 1988, sowie Holle, Inhalt und Begründung des „Grundsatzes der Parität" im Arbeitskampfrecht, Diss. Marburg 1992; vgl. auch die kritische Analyse von Pabst, Der Begriff der Kampfparität in der höchstrichterlichen Rechtsprechung, 1980. 117 Vgl. BAG AP Nr. 64 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 919 R ff.; AP Nr. 70 a.a.O., Bl. 590 R. 118 Etwa BAG AP Nr. 63 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 310 R (zur betrieblichen Mitbestimmung bei Arbeitszeitverlängerungen im Arbeitskampf); AP Nr. 70 a. a. O., Bl. 590 R f. (zum Lohnrisiko bei Arbeitskampffernwirkungen); AP Nr. 86 Bl. 214 R f. (zur Zulässigkeit des Beamteneinsatzes beim Streik im öffentlichen Dienst); AP Nr. 127 a. a. O., Bl. 339 R f. (zur Zulässigkeit der Zahlung von Streikbruchprämien); AP Nr. 4 zu § 44 BetrVG 1972, Bl. 1166 (zur Lohnzahlungspflicht bei Betriebsversammlungen während des Arbeitskampfes); AP Nr. 63 zu § 1 FeiertagslohnfortzahlungsG, Bl. 1202 (zur Feiertagslohnfortzahlung beim unterbrochenen Streik). 119 Etwa Colneric in Däubler (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 631; Trittin, DB 1990, S. 322, 323.

144 6. Kapitel: Angleichung von Arbeitskampfrecht und Betriebsverfassungsrecht meiner Regeln näher zu konkretisieren. 120 Meist ist die Paritätsanalyse rein ergebnisorientiert angelegt 121 , so daß es scheint, der materielle Paritätsbegriff stelle einen Beispielsfall der Regel „ex falso quodlibet sequitur" dar. Angesichts dessen ist ein gewisses Mißtrauen gegen das vorherrschende Paritätsverständnis angebracht. 122 Das Paritätsprinzip bedarf jedenfalls einer tragfahigen dogmatischen Grundlegung, damit es nicht zu einer arbeitskampfrechtlichen Allerweltsbegründung verkommt. 123 Dabei ist vor allem den Gesichtspunkten der Praktikabilität und Rechtssicherheit Rechnung zu tragen. Die Umsetzung des Paritätsprinzips darf weder den Rechtsanwender überfordern noch für die Kampfjparteien unvorhersehbare Ergebnisse hervorbringen. a) Formelle Kampfmittelparität als Ausgangspunkt Der formelle Paritätsbegriff erfreut sich heute keiner großen Anhängerschaft mehr. In der Tat stößt eine rein formelle, die Rechtswirklichkeit des Arbeitskampfes ausblendende Paritätskonzeption auf Bedenken. Sie kann keine Gewähr dafür bieten, daß das Paritätsprinzip seine Aufgabe erfüllt, den sozialen Gegenspielern gleichgewichtige Einflußmöglichkeiten auf die Gestaltung des Tarifvertrages einzuräumen und damit die Funktionsfahigkeit der Tarifautonomie zu sichern. 124 Denn es ist immerhin vorstellbar, daß eine Tarifpartei trotz formell gleichwertiger Kampfmittel eine tatsächliche Machtüberlegenheit erlangt. Man denke sich beispielsweise den Kampf zwischen finanzstarken Arbeitgeberverbänden, deren Mitglieder sich gegen die Streikfolgen durch Streikhilfeabkommen abgesichert haben und zur problemlosen Verlagerung der Produktion in das Ausland in der Lage sind, und Gewerkschaften, deren Kampfkassen leer sind und deren Mitglieder nur einen geringen Teil der in der Branche tätigen Arbeitnehmer ausmachen. In diesem Fall besteht die Gefahr, daß die überlegene Arbeitgeberseite jede Tarifauseinandersetzung 120

Versuche in diese Richtung unternehmen z. B. Bertelsmann, Aussperrung, S. 226 ff; Heenen, Kampfparität, S. 78 ff.; Hensche, RdA 1996, S. 293, 297 ff.; Scholz/Konzen, Aussperrung, S. 174 ff.; Zöllner, Aussperrung, S. 24 ff., die freilich zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen gelangen. 121 Diesen Vorwurf müssen sich insbesondere die Vertreter der Gesamtparität (vgl. o. Fußnote 96) gefallen lassen, deren Ansatz daraufhinauslaufen soll, die Aussperrung generell zu verbieten. 122 Bedenken äußern z. B. Beuthien, Arbeitskampf, S. 35; Eisemann, AuR 1981, S. 357, 366; Hensche, RdA 1996, S. 293, 294, 303; Mayer-Maly, Anm. zu BAG AP Nr. 64-66 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 947 R; ders., Anm. zu BAG AP Nr. 86 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 1001; Zöllner, DB 1985, S. 2450, 2453. 123 Vgl. auch die Kritik von Mayer, BIStSozArbR 1981, S. 353, 355: „Kampfparität als theoretische Allzweckwaffe im Arbeitskampf'. 124 Vgl. Bertelsmann, Aussperrung, S. 229; Wank, Festschrift O. R. Kissel, S. 1225, 1240; Weiss, AuR 1974, S. 37,45 f.; Wolf, ZfA 1971, 152.

C. Angleichung mit Hilfe des Paritätsprinzips

145

rasch gewinnt und den Inhalt der Tarifverträge einseitig bestimmt. Eine sinnvolle Regelung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen in Form eines Interessenausgleichs wäre unter diesen Umständen nicht mehr möglich, die Tarifautonomie hätte ihre Funktion verfehlt. Ist das faktische Kräfteverhältnis der Kampfgegner ernsthaft gestört, so würde eine formelle Gleichbehandlung der Kampfmittel beider Seiten die Chancenungleichheit im Arbeitskampf nur ze1 2S mentieren. Nun mag hiergegen eingewandt werden, das beschworene tatsächliche Machtgefalle sei rein hypothetischer Art und - abgesehen von Evidenzfallen kaum verläßlich feststellbar. Tatsächlich vermittelt das Arbeitskampfgeschehen in der Bundesrepublik bislang nicht den Eindruck, daß es sich um einen „Kampf zwischen Zwerg und Riese" 126 handelt. Gleichwohl: In Anbetracht der überragenden Bedeutung des Paritätsprinzips für die gesamte Arbeitskampfordnung muß man von von einem Paritätskonzept, soll es überzeugend sein, verlangen, daß es jedenfalls auf extreme Veränderungen der realen Arbeitskampfsituation reagieren kann, mögen derartige Veränderungen auch (vorerst) nicht zu besorgen sein. Das Paritätsprinzip muß sich gerade dann bewähren, wenn sich die sozioökonomischen Rahmenbedingungen der Tarifauseinandersetzung massiv zugunsten einer Seite verschieben. Ein rein formelles Paritätsverständnis, das die realen Bedingungen des Arbeitskampfes völlig unberücksichtigt läßt und ausschließlich auf die rechtliche Gleichwertigkeit der Kampfmittel ausgerichtet ist, wird diesen Anforderungen nicht gerecht. 127 Erweist sich deshalb der formelle Paritätsbegriff als völlig unbrauchbar? M. E. lassen sich, ungeachtet der genannten Vorbehalte, dem Prinzip formeller Kampfmittelparität durchaus positive Seiten abgewinnen, sofern man es um eine materielle Paritätsbewertung ergänzt. Für eine formelle Betrachtungsweise spricht zunächst, daß sie einen einfachen und leicht handhabbaren Maßstab zur Bestimmung der Parität bietet. 128 Auch ein materielles Paritätskonzept wird aus Praktikabilitätsgründen auf die Heranziehung formaler Kriterien nicht vollständig verzichten können. So hat das BAG auf der Grundlage eines materiellen Paritätsbegriffes ausgeführt, es sei davon auszugehen, das Tarifgebiet stelle regelmäßig die angemessene Grenze des Kampfgebietes dar; man könne annehmen, daß die Tarifvertragsparteien bei der Festlegung der

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Weiss, AuR 1974, S. 37,45. Zöllner, DB 1985, S. 2450, 2459. So bereits Steindoijf, RdA 1965, S. 253, 256 ff. Wank, Festschrift O. R. Kissel, S. 1225, 1240; Zöllner, Aussperrung, S. 28.

146 6. Kapitel: Angleichung von Arbeitskampfrecht und Betriebsverfassungsrecht Tarifbezirke die Erfordernisse der Verhandlungsparität beachtet hätten. 129 Damit wird eine formale Grenze für den Tarifkonflikt eingeführt, die zwar eigentlich nicht zu einem materiellen Paritätsverständnis paßt 130 , aber wohl im Interesse der Rechtssicherheit unverzichtbar ist. Die formelle Kampfmittelparität beruht auf dem Gedanken, daß die Arbeitskampfgegner rechtlich gleichzustellen sind. Das Gleichbehandlungsgebot ist ein essentieller Bestandteil der Gerechtigkeitsidee. 131 Es findet seinen Ausdruck allgemein in Art. 3 GG, im Hinblick auf die Gleichheit der Koalitionen in der Spezialvorschrift des Art. 9 Abs. 3 GG 1 3 2 , die sowohl für Arbeitnehmerals auch für Arbeitgeberverbände gilt. 1 3 3 Weil der formelle Paritätsbegriff im Gegensatz zur materiellen Betrachtungsweise die schwierige Analyse der Arbeitskampfwirklichkeit vermeidet, gewährleistet er eine Gleichbehandlung, die ohne komplizierte und möglicherweise subjektiv aufgeladene Wertungen auskommt. Die Gefahr, daß derartige Wertungen unausgesprochen in die Paritätsbewertung einfließen, ist bei einem materiellen Paritätsbegriff nie auszuschließen 134 , denn für die materielle (faktische) Chancengleichheit, die sich am Vergleich bestehender Machtverhältnisse orientiert, besteht bislang kein allgemein anerkannter formalisierter Vergleichsmaßstab. 135 Die Anwendung formeller Kriterien garantiert noch am ehesten, daß die Rechtsgewinnung vom jeweiligen persönlichen Vorverständnis unbeeinflußt bleibt und zu mehrheitlich akzeptablen Ergebnissen führt. Das läßt sich durch einen Blick auf den derzeitigen Meinungsstand zum Arbeitskampfrecht belegen. Die einzige Regel, die hier nahezu allgemein anerkannt ist, besagt, daß suspendierender Streik und suspendierende Aussperrung zulässige Kampfmittel darstellen. 136

129

BAG AP Nr. 65 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 940 f. Das Tarifgebiet wird als Grenze des Kampfgebiets auch im Schrifttum allgemein anerkannt, vgl. etwa Kalb, Arbeitskampfrecht Rn. 130; Löwisch/Rieble in Löwisch (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 345; Rüthers in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht Rn. 204; Scholz/Konzen, Aussperrung, S. 250. 130 Kritisch auch Erd, KriÜ 1980, S. 373, 383, 385. 131 Vgl. etwa v. Hoyningen-Huene, Billigkeit, S. 42; Radbruch, Rechtsphilosophie, S. 125 f. 132 Mayer-Maly, RdA 1968, S. 432, 434; Nipperdey/Säcker, BB 1969, S. 321, 323; Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 262 f. 133 Vgl. o. 5. Kapitel A12. 134 Adomeit, NJW 1994, S. 2467, 2468; Heenen, Kampfparität, S. 2; Otto in MünchArbR, § 275 Rn. 77; eingehend Pabst, Kampfparität, S. 159 ff. 135 Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 263. 136 Vgl. etwa Kalb, Arbeitskampfrecht Rn. 89 ff., 164 ff; Löwisch/Rieble in Löwisch (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 222 ff., 245 ff., 275 ff.; Rüthers in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht Rn. 26 ff., 45 ff., 182 ff., alle m. w. N. Gegen die Zulässigkeit der Aussperrung immer noch Wolter in Däubler (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 876 ff., 917.

C. Angleichung mit Hilfe des Paritätsprinzips

147

Sie ergibt sich zwanglos aus einem formellen Paritätsbegriff. 137 Da aber, wo das BAG das Paritätsprinzip materiell auszufüllen versucht hat, sind die Ergebnisse der Rechtsprechung ganz umstritten. Das gilt insbesondere für die Verteilung des Lohnrisikos in mittelbar arbeitskampfbetroffenen Betrieben, die das BAG nach materiellen Paritätserwägungen vornehmen w i l l . 1 3 8 Auch die einseitige Quotierung der Aussperrung 139 ist unter dem Gesichtspunkt formeller Kampfparität zweifelhaft und zu Recht auf Kritik gestoßen.140 Das gleiche gilt für das sog. Abkehrrecht, das ausgesperrten Arbeitnehmern nach Ansicht des BAG zustehen soll. 1 4 1 Auch die Arbeitskampfparteien orientieren sich in der Praxis offenbar an formellen Paritätsvorstellungen und setzen als schärfste Kampfmittel regelmäßig den suspendierenden Streik und die suspendierende Aussperrung ein. Will man nicht die Vorstellung aufgeben, daß Rechtsfindung auch im Bereich des Arbeitskampfrechts konsensfahig sein muß 1 4 2 , so erscheint es ratsam, vom Grundsatz formeller Kampfmittelparität nur aus gewichtigen Gründen abzuweichen. Das läßt sich auf folgende Rechtserwägungen stützen: Art. 9 Abs. 3 GG gewährleistet die Koalitionsfreiheit für Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände. Insofern sind beide Seiten rechtlich gleichgestellt. Art. 9 Abs. 3 GG verlangt als Spezialvorschrift zu Art. 3 G G 1 4 3 zunächst eine rechtliche Gleichbehandlung; die staatliche Arbeitskampfrechtsordnung darf zwischen den Koalitionen nicht willkürlich differenzieren und ihnen von vornherein ungleichwertige

137 Das BAG hat die Zulässigkeit der suspendierenden Abwehraussperrung allerdings erst aus materiellen Paritätserwägungen abgeleitet, AP Nr. 64, 65 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. Dabei wird verkannt, daß sich beide Tarifgegner auf das Grundrecht des Art. 9 Abs. 3 GG berufen können, so daß es nicht angeht, von vornherein unterschiedliche Zulässigkeitsvoraussetzungen für Streiks und Aussperrungen aufzustellen. Kritisch zur Sichtweise des BAG Lieb, Arbeitskampfsystem, S. 9, 14 ff. 138 BAG AP Nr. 70, 71 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. Gegen das BAG insbesondere Beuthien, Arbeitskampf; Fritz, Lohnrisiko; Patett, Arbeitskampffernwirkungen. Ausführlich zu diesem Problemkreis 8. Kapitel unter A I . 139 BAG AP Nr. 65 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 927, 941 R. 140 Vgl etwa Gaudecki, Schadensbegrenzung, S. 96 ff.; Mayer-Maly, Anm. zu BAG AP Nr. 64-66 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 948 R f.; Rüthers, Anm. zu BAG EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 36, 37, S. 424x; Zöllner, DB 1985, S. 2450, 2458 f. Mittlerweile hegt auch das BAG selbst Bedenken gegen seine ,Aussperrungsarithmetik", vgl. BAG AP Nr. 107 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 1519 R. Blanke befürchtet deshalb eine Rückkehr der Rechtsprechung zum formellen Paritätsprinzip, KritJ 1989, S. 194, 201 f.; ders., NZA 1990, S. 209, 213. 141 BAG GS AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 312 f. Kritisch dazu Brox in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht Rn. 319; Kalb, Arbeitskampfrecht Rn. 259; Konzen, AcP 177 (1977), S. 473, 519 f.; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht § 41 IV 3, S. 432. 142 Zur Konsensfahigkeit von Gerechtigkeitsaussagen vgl. Zippelius, Rechtsphilosophie, S. 79 ff., 85 f., 138 ff. 143 Vgl. o. Fußnote 132.

148 6. Kapitel: Angleichung von Arbeitskampfrecht und Betriebsverfassungsrecht Kampfmittel zuweisen. Der freiheitsrechtlichen Dimension des Art. 9 Abs. 3 GG (Koalitionsfreiheit als Abwehrrecht gegenüber dem Staat 144 ) entspricht ein liberales, formell-rechtliches Verständnis von Kampfjparität. Der Staat hat das in gesellschaftlicher Autonomie gebildete Verhältnis zwischen den Koalitionen zu achten; er ist zur Zurückhaltung verpflichtet und darf nicht durch einseitige Belastungen oder Begünstigungen eingreifen. 145 Art. 9 Abs. 3 GG schützt jedoch auch die Funktionsfahigkeit des Tarifvertragssystems. 146 Der Arbeitskampf steht den Koalitionen nicht als Selbstzweck, sondern nur als Mittel zum Ausgleich sonst nicht lösbarer Interessenkonflikte zur Verfugung 1 4 7 , er ist nur ein „Hilfsinstrument zur Sicherung der Tarifautonomie". 148 Im Hinblick auf diese Hilfsfunktion des Arbeitskampfes kann das Ziel, die Funktionsfahigkeit der Tarifautonomie zu sichern, eine rechtliche Ungleichbehandlung der Arbeitskampfparteien aus materiellen Paritätsgesichtspunkten rechtfertigen. Sofern sich die tatsächlichen Kräfteverhältnisse im Tarifkonflikt dauerhaft zugunsten einer Kampfjpartei verschieben und deshalb die Gefahr besteht, daß Tarifverträge nicht ausgehandelt, sondern einseitig diktiert werden, darf und muß die Arbeitskampfrechtsordnung vom Grundsatz formeller Parität abweichen, um die Chancengleichheit wiederherzustellen. Auszugehen ist demnach von formeller Kampfmittelparität, die durch eine materielle Paritätsbewertung zu ergänzen ist. 1 4 9 Diese Betrachtungsweise bietet den Vorteil, daß das Grundgerüst des Arbeitskampfsystems nach einfachen, rechtssatzmäßig formulierbaren formellen Kriterien festgelegt werden kann. Dabei ist von den Kampfmitteln auszugehen, die die Kampfparteien nach der historischen Entwicklung typischerweise einsetzen, nämlich Streik und Aussperrung. Beide Mittel sind über Jahrzehnte hinweg unbeanstandet angewandt worden; sie stellen insofern eine geschichtlich gewachsene „gute Gewohnheit" der Kampfgegner dar. 1 5 0 Die klassischen 144

Dazu etwa Kemper, Koalitionsfreiheit, S. 3 ff. Richardi in Staudinger, Vorbem. zu §§ 611 ff. BGB, Rn. 1255; Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 264; Scholz/Konzen, Aussperrung, S. 175 f. 146 Vgl. o. 5. Kapitel unter A12. 147 BAG GS AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 309 R; AP Nr. 64 a. a. O., Bl. 913. 148 BAG AP Nr. 85 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 547. 149 Ähnliche Überlegungen finden sich ansatzweise bei Hottgenroth, Verhandlungspflicht, S. 126; Kreissl, Arbeitskampf, S. 153 f.; Luckscheiter, Rechtsschutz, S. 23; G. Müller, Arbeitskampf, S. 162; H P. Schneider, RdA 1982, S. 104, 107; Scholz, Koalitionsfreiheit; S. 262 ff.; ders. in Maunz/Dürig^erzog/Scholz, Art. 9 GG Rn. 291; Scholz/Konzen, Aussperrung, S. 175 ff. Auch Bertelsmann, Aussperrung, S. 229 betont, daß formelle Paritätsvorstellungen nur „in ihrer reinen Form, unverbunden mit Teilen anderer Paritätsvorstellungen [...] nicht den Mindestgehalt des ableitbaren Paritätsgebotes erfüllen". 150 Söllner, Festschrift K. Molitor, S. 333, 336. 145

C. Angleichung mit Hilfe des Paritätsprinzips

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Kampfmittel wirken auf das Arbeitsverhältnis ein, ihre Wirkung muß formellrechtlich gleichwertig sein. Eine suspendierende Wirkung von Streik und Aussperrung hat sich bislang als ausreichend erwiesen, um einen effektiven Arbeitskampf zu fuhren; die Zulässigkeit suspendierender Arbeitskampfmittel ist auch ganz überwiegend anerkannt. 151 Das Prinzip formeller Kampfmittelparität erlaubt es den Tarifgegnern daher, den suspendierenden Streik und die suspendierende Aussperrung als Hauptwaffen im Arbeitskampf einzusetzen.152 Insoweit dürfte bereits eine Präjudizienbindung des BAG eingetreten sein. 153 Ob darüber hinaus noch die Kampfmittel des Boykotts 154 und der Massenänderungskündigung 155 generell zuzulassen sind, erscheint angesichts ihrer fehlenden Verankerung in der Arbeitskampfjpraxis zweifelhaft, kann aber an dieser Stelle nicht entschieden werden. Nach formellen Gesichtspunkten müßten diese Kampfmittel jedenfalls nicht nur einer Kampfjpartei, sondern beiden Seiten zur Verfugung stehen. b) Materielle Parität als Ergänzung Eine rein formelle Betrachtungsweise kann die Funktionsfahigkeit des Tarifvertragssystems nicht dauerhaft gewährleisten. Es muß verhindert werden, daß sich die tatsächlichen Machtverhältnisse im Tarifkonflikt dermaßen zugunsten einer Partei verschieben, daß diese den Tarifinhalt diktieren kann. Insofern ist der Grundsatz formeller Kampfmittelparität durch materielle Erwägungen zu ergänzen. Sollte das reale Kräftegleichgewicht ernsthaft gestört sein, ist eine Durchbrechung der formellen Gleichbehandlung im Arbeitskampf gerechtfertigt und geboten. In diesem Fall darf entweder die unterlegene Seite zusätzliche Kampfmittel einsetzen 156 , oder die Arbeitskampfmittel des Stärkeren werden beschränkt. 157

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Vgl. etwa BAG GS AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, BAG AP Nr. 64, 65, 84, 101 a. a. O.; Brox in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht Rn. 288, 313; Kalb, Arbeitskampfrecht Rn. 230, 256; Konzen, AcP 177 (1977), S. 473, 493 ff., 537 ff.; Löwisch/Rieble in Löwisch (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 227 ff., 249 f., 503; Seiter, Streikrecht, S. 230 ff., 323 ff. 152 Nach dem Prinzip formeller Kampfparität kann auch der Einsatz milderer Kampfmittel zulässig sein, vgl. dazu C ΠΙ 2 b cc (2). 153 Dazu Wank, Festschrift O. R. Kissel, S. 1225, 1251. 154 Vgl. Brox in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht Rn. 64 ff.; Konzen, Festschrift K. Molitor, S. 181 ff. 155 Vgl. Brox in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht Rn. 548 ff.; Seiter, Streikrecht, S. 387 ff. 156 Wank, Festschrift O. R. Kissel, S. 1225, 1241. So wird teilweise gefordert, Betriebsbesetzungen und Betriebsblockaden als Kampfmittel der Arbeitnehmer zuzulassen, da die Wirkung des Streiks nicht mehr ausreichend sei, um die Gegenseite effektiv unter Druck zu setzen, vgl. Bieback in Däubler (Hrsg.), Arbeitskampfrecht

150 6. Kapitel: Angleichung von Arbeitskampfrecht und Betriebsverfassungsrecht Die Frage ist, wann ein solcher Eingriff nach dem Prinzip materieller Parität erfolgen muß. aa) Bewertung sozialer Macht Materielle Parität zielt auf die Herstellung faktischer Chancengleichheit in der Tarifauseinandersetzung. Die Arbeitskampfrechtsordnung vermag freilich an der sozialen Wirklichkeit nichts zu ändern. Sie kann auf die vorgefundenen realen Machtverhältnisse nur reagieren, indem sie Arbeitskampfmittel erforderlichenfalls ungleich verteilt. Die Ungleichbehandlung der sozialen Gegenspieler setzt aber voraus, daß eine Störung des Kräfteverhältnisses festgestellt wird. Dazu müssen die sozioökonomischen Rahmenbedingungen untersucht werden, in denen sich der Tarifkonflikt abspielt, und es bedarf einer vergleichenden Analyse der beiderseitigen Einflußmöglichkeiten, Chancen und Risiken. Die materielle Paritätsbetrachtung läuft also auf eine Bewertung sozialer Macht 1 5 8 hinaus. Eine materielle Paritätskonzeption kann nur dann überzeugen, wenn es gelingt, für die Machtmessung bestimmte Verfahrensregeln aufzustellen. Anderenfalls besteht die Gefahr, daß die Anwendung eines materiellen Paritätsbegriffs nur den Vorwand für die subjektiv gewollte Ungleichbehandlung der Arbeitskampfparteien abgibt. Fraglich ist, ob sich in der Rechtsordnung Vorgaben für ein Verfahren zur Bewertung sozialer Macht finden lassen, die auf das Paritätsproblem im Arbeitskampfrecht übertragbar sind.

Rn. 415 ff.; Däubler, Arbeitsrecht I, S. 364 ff.; Zechlin, AuR 1986, S. 289, 292; dagegen Berghaus, Betriebsbesetzung, S. 40 ff., 135; Otto in MünchArbR, § 279 Rn. 63 ff.; Wesch, Arbeitskampfmittel, S. 50 ff., 140 ff, 170 ff, 221; ausführlich dazu Treber, Maßnahmen, S. 429 ff, 461 ff, der „aktiv produktionsbehindernde Maßnahmen" zulassen will, wenn sie die (materielle) Arbeitskampfparität wahren. 157 Um die Arbeitskampfschäden möglichst gering zu halten, wird zur Wiederherstellung der materiellen Kampfparität eher eine Beschränkung als die Zulassung neuer Kampfmittel in Betracht kommen, vgl. die Quotierung der Aussperrung in BAG AP Nr. 64 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 925, die das BAG zwar unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit, aber nach abstrakt-generellen Regeln vorgenommen hat. 158 Der Begriff ist in einem umfassenden, ökonomische Gesichtspunkte einschließenden Sinne zu verstehen, vgl. Hensche, RdA 1996, S. 293, 294 ff. Domdorf.\ AuR 1990, S. 65, 71 f. stellt allein auf die wirtschaftliche Macht ab, die in der Tarifauseinandersetzung entscheidend sei.

C. Angleichung mit Hilfe des Paritätsprinzips

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(1) Vertragsparität im Zivilrecht Da es bei Arbeitskämpfen um den Inhalt eines Tarifvertrages geht, liegt ein Blick auf das Vertragsrecht nahe. 159 In der Tat ist der Paritätsbegriff auch in der zivilrechtlichen Vertragsdogmatik anzutreffen. Hier herrscht allgemein die Vorstellung, daß bei Vertragsverhandlungen widerstreitende Interessen durch gegenseitiges Nachgeben zu einem Kompromiß führen, aus dem sich die Richtigkeitsgewähr des Vertrages ergibt. 160 Nach diesem Verhandlungsmodell kann der Vertrag seine Ordnungsfünktion nur erfüllen, sofern ein gewisses Machtgleichgewicht zwischen den Parteien besteht und somit Vertragsparität 1 6 1 gewährleistet ist. Zur Feststellung, ob das erforderliche Gleichgewicht bei Vertragsschluß bestand, kommen zwei Wege in Betracht: Man kann entweder anhand der tatsächlichen Verhältnisse das Gewicht der Vertragsparteien messen oder den Vertragsinhalt auf seine Richtigkeit hin kontrollieren und daraus eine Ungleichgewichtigkeit herleiten. 162 Im Zivilrecht hat der Gesetzgeber überwiegend den zweiten Weg beschritten. So stellen die §§ 134, 138, 315 BGB, 9-11 AGBG allein auf den Inhalt des Vertrages ab; nur in § 1025 Abs. 2 ZPO wird zusätzlich die „wirtschaftliche oder soziale Überlegenheit" bei Vertragsschluß angesprochen. Über diese gesetzlich geregelten Fälle hinaus findet als Rechtsfortbildung in vielen Bereichen des Vertragsrechts eine richterliche Inhaltskontrolle statt. 163 Bei Tarifverträgen muß eine solche Inhaltskontrolle jedoch ausscheiden.164 Die herrschende Meinung nimmt an, daß sie angesichts der Stärke und Unabhängigkeit der Tarifvertragsparteien regelmäßig eine ausreichende Richtig159

Vgl. Buchner, RdA 1986, S. 7, 14; Rüthers, JurA 1970, S. 85, 105 ff. Grundlegend Schmidt-Rimpler, AcP 147 (1941), S. 130 ff. Vgl. aus neuerer Zeit Coester/Waltjen, AcP 190 (1990), S. 1, 15 f.; Kramer in MünchKomm, vor § 145 BGB Rn. 2 ff.; Preis, AuR 1994, S. 139, 141; umfassend Fastrich, Inhaltskontrolle, S. 29 ff., 51 ff.; Hönn, Vertragsparität, S. 18 ff. Kritisch Adomeit, NJW 1994, S. 2467, 2468. 161 Zu diesem Begriff ausfuhrlich Hönn, Vertragsparität, S. 88 ff. 162 So Zöllner, AcP 176 (1976), S. 221, 237; vgl. auch Hildebrandt, Disparität, S. 73 ff.; Lieb, AcP 178 (1978), S. 196, 222 f. 163 Vgl. etwa Fastnch, Inhaltskontrolle, S. 70 ff.; Limbach, JuS 1985, S. 10 ff. Das BVerfG hat in seiner Entscheidung zur Bürgschaft einkommens- und vermögensloser Angehöriger (BVerfGE 89, S. 214, 234) ausdrücklich klargestellt, daß die Gerichte sich nicht mit der Feststellung „Vertrag ist Vertrag" begnügen dürfen. Vielmehr müssen sie im Hinblick auf Art. 2 Abs. 1 GG klären, ob eine Vertragsregelung die Folge ungleicher Verhandlungsstärke ist. Gegebenenfalls haben sie im Rahmen der Generalklauseln des Zivilrechts korrigierend einzugreifen. 164 BVerfGE 84, S. 212, 231; BAG in ständiger Rechtsprechung, vgl. etwa BAG AP Nr. 142, 143 zu § 242 BGB Ruhegehalt, AP Nr. 32, 36 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag, AP Nr. 1, 3 zu § 1 TVG Verhandlungspflicht; Hildebrandt, Disparität, S. 120 ff.; v. Hoyningen-Huene, Billigkeit, S. 168 ff.; Säcker, Gruppenparität, S. 115; Wiedemann/Stumpf, Einl. Rn. 130; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, § 38 VI, S. 390. 160

152 6. Kapitel: Angleichung von Arbeitskampfrecht und Betriebsverfassungsrecht keitsgewähr bieten. 165 Ein Indiz dafür ist, daß der Gesetzgeber zahlreiche Arbeitnehmerschutzvorschriften tarifdispositiv ausgestaltet hat. 1 6 6 Wollte man die Tarifvereinbarungen gleichwohl einer Inhaltskontrolle unterziehen, so wäre das mit dem Grundsatz der Staatsneutralität 167 nicht zu vereinbaren. Dieser Weg zur Paritätsbewertung im Arbeitskampf ist demnach nicht gangbar. Die andere Möglichkeit, eine Störung der Vertragsparität festzustellen, nämlich durch Messung der tatsächlichen Machtverhältnisse bei Vertragsschluß, wird im vertragsrechtlichen Schrifttum überwiegend skeptisch beurteilt. Es gebe keinen brauchbaren Maßstab, um das Gleichgewicht der Parteien zu messen 168 ; die Machtlage Vertragsschließender sei nicht meßbar 169 ; Macht sei generell ein komplexes Phänomen, das sich nicht durch eine einzelne Größe ausdrücken lasse und daher einer exakten Messung nicht zugänglich sei. 170 Das BVerfG hat die Gerichte zwar aufgefordert, korrigierend einzugreifen, wenn „der Inhalt des Vertrages für eine Seite ungewöhnlich belastend und als Interessenausgleich offensichtlich unangemessen" ist und die Vereinbarung als „eine Folge strukturell ungleicher Verhandlungsstärke" zustande kam. 1 7 1 Offen bleibt jedoch, welche Kriterien ein „strukturelles" Verhandlungsungleichgewicht kennzeichnen. 172 Fastrich hat in seiner umfassenden Abhandlung über die richterliche Inhaltskontrolle im Privatrecht immerhin einige grundsätzliche Ausführungen zur Feststellung fehlender Vertragsparität ge165 BAG AP Nr. 64 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 913, AP Nr. 142 zu § 242 BGB Ruhegehalt, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Tarifverträge: Süßwarenindustrie; Bertelsmann, Aussperrung, S. 226 f.; Fastrich, Inhaltskontrolle, S. 208 f.; Hensche, RdA 1996, S. 293, 301 f.; Scholz in Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 9 GG Rn. 287. - Kritisch Kemper, Koalitionsfreiheit, S. 182 ff., der (zu Unrecht) befürchtet, der Gedanke der Richtigkeitsgewähr von Tarifverträgen enthalte die verklausulierte These eines grundrechtsdominierenden Gemeinwohlvorbehaltes für Art. 9 Abs. 3 GG. Tatsächlich aber ist dieser Gedanke ein Vehikel zur Absicherung eines autonomen Regelungsbereiches der Tarifparteien, insofern bewahrt er gerade den Freiraum, der den Koalitionen nach Art. 9 Abs. 3 GG offensteht. 166 BAG AP Nr. 64 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 913; Fastrich, Inhaltskontrolle, S. 209. 167 Vgl. o.unter Β IV. 168 Zöllner, AcP 176 (1976), S. 221, 237. 169 Bartholomeyczik, AcP 166 (1966), S. 30, 57. 170 Hönn, Vertragsparität, S. 98. Hönn selbst vertritt ein normativ orientiertes Verständnis der Vertragsparität: „Parität ist hiernach die vom positiven Recht den Vertragsparteien eingeräumte Rechtsstellung, welche ihnen einen Interessenausgleich in Selbstbestimmung mit der Chance der Äquivalenz eröffnet" (a. a. O., S. 99). 171 BVerfGE 89, S. 214, 234; zur Inhaltskontrolle von Bürgschaftsverträgen auch BVerfG, NJW 1996, S. 2021. 172 Preis, AuR 1994, S. 139, 141. Wiedemann , JZ 1994, S. 411, 412 f. bemerkt zutreffend, daß es noch Aufgabe von Rechtsprechung und Rechtslehre sei, brauchbare Kriterien zu entwickeln. Kritisch zum „Struktur"-Begriff Adomeit, NJW 1994, S. 2467, 2468.

C. Angleichung mit Hilfe des Paritätsprinzips

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macht. Zunächst verwirft er die Forderung, Parität müsse im konkreten Einzelfall gegeben sein und spricht sich für eine typisierende Betrachtung aus. 173 Eine Einzelfallprüfüng überfordere die Gerichte und führe zu unlösbaren Rechtssicherheitsproblemen, überdies werde die Funktionsfähigkeit der Privatautonomie als Ordnungsprinzip durch die Imparität einzelner Vertragsparteien nicht in Frage gestellt. 174 Daß die Parität nicht nur im Einzelfall, sondern typischerweise fehle, sei allerdings nur in Evidenzfallen anzunehmen, etwa, wenn einer der Kontrahenten eine Monopolstellung bei unentbehrlichen Gütern besitze. 175 Im übrigen müßte man zur Konkretisierung des Paritätsgedankens ein Modell entwickeln, in das „vor allem die machtkompensatorische Wirkung von Markt und Wettbewerb, aber auch sonstige ökonomische, soziologische und psychologische Wirkungszusammenhänge" einzubeziehen seien. 1 7 6 Fastrich merkt an, daß es eine solche Theorie bislang nicht gebe; er bezweifelt, „ob es überhaupt gelingen kann, die komplexen Wirkungszusammenhänge in einer sinnvollen Theorie zu erfassen". 177 Die vertragsrechtlichen Vorgaben zur Messung sozialer Macht sind demnach bescheiden. Immerhin läßt sich aber festhalten, daß eine Paritätsbewertung wenn überhaupt, dann auf der Grundlage einer typisierenden Betrachtungsweise erfolgen soll und daß nur in Evidenzfallen von fehlender Vertragsparität auszugehen sein wird. (2) Soziale Mächtigkeit im Koalitionsrecht Das Stichwort „soziale Macht" kennt der Arbeitsrechtler aus dem Koalitionsrecht. Nach der Rechtsprechung des BAG muß eine Gewerkschaft das Merkmal der „sozialen Mächtigkeit" bzw. „Durchsetzungsfähigkeit" (diese Begriffe benutzt das BAG synonym) erfüllen, um als tariffahig i. S. des § 2

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Fastrich, Inhaltskontrolle, S. 217 ff.; im Ergebnis ebenso Hildebrandt, Disparität, S. 76 ff.; Hönn, Vertragsparität, S. 295 f.; v. Hoyningen-Huene, Billigkeit, S. 134 ff.; Lieb, AcP 178 (1978), S. 196, 212, 221 ff.; Wank, Arbeitnehmer, S. 100. Auch das BVerfG verlangt eine „typisierbare Fallgestaltung, die eine strukturelle Überlegenheit des einen Vertragsteils erkennen läßt", BVerfGE 89, S. 214, 232. 174 Fastrich, Inhaltskontrolle, S. 218. 175 Fastrich, Inhaltskontrolle, S. 220. 176 Fastrich, Inhaltskontrolle, S. 219 f. 177 Fastrich, Inhaltskontrolle, S. 220. Fastrich will deshalb nicht fehlende Vertragsparität, sondern das offenkundige Versagen der Richtigkeitsgewähr zur Voraussetzung einer richterlichen Inhaltskontrolle von Verträgen machen. Maßstab der Beurteilung soll eine objektiv angemessene Regelung desjenigen Vertragstyps sein, dem die betreffenden Verträge angehören (a. a. O. S. 223 ff., so auch Zöllner, AcP 176 (1976), S. 221, 237, 239 ff.). Ansatzpunkt ist mithin der Vertragsinhalt, die Umstände des Vertragsschlusses bleiben außer Betracht.

154 6. Kapitel: Angleichung von Arbeitskampfrecht und Betriebsverfassungsrecht Abs. 1 TVG anerkannt zu werden. 178 Zur Begründung fuhrt das Gericht aus, eine Gewerkschaft müsse so mächtig und leistungsfähig sein, daß der soziale Gegenspieler sich veranlaßt sehe, auf Tarifverhandlungen einzugehen. Anders sei eine sinnvolle tarifVertragliche Ordnung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen nicht zu erreichen. Wäre eine Arbeitnehmervereinigung auf den guten Willen anderer Koalitionen angewiesen, bestünden keine gleichwertigen Verhandlungschancen, die das Zustandekommen eines sozialgerechten Interessenausgleichs ermöglichten. 179 Die Parallele zum Paritätsprinzip liegt auf der Hand: Sowohl die soziale Mächtigkeit als auch das Paritätsprinzip sollen die Funktionsfahigkeit des Tarifvertragssystems gewährleisten. 180 Das Erfordernis sozialer Mächtigkeit verhindert, daß schwache Koalitionen überhaupt wirksame Tarifverträge abschließen können. Das Paritätsprinzip verhindert, daß eine an sich ausreichend mächtige Koalition im Arbeitskampf von einem allzu starken Gegner zu einer einseitig ausgerichteten Tarifvertragsgestaltung gezwungen wird. Daher bietet es sich zur Aufhellung des materiellen Paritätsbegriffs an, einen Blick darauf zu werfen, was im Koalitionsrecht unter sozialer Mächtigkeit verstanden wird, insbesondere, welche Faktoren die Mächtigkeit bestimmen. Bezeichnenderweise wird im arbeitsrechtlichen Schrifttum angezweifelt, daß die soziale Mächtigkeit von Koalitionen überhaupt bestimmbar und justitiabel ist. 1 8 1 Insofern begegnet man der Messung sozialer Macht im Koalitionsrecht mit dem gleichen Mißtrauen wie im Vertragsrecht. Indes gibt es zur Frage der sozialen Mächtigkeit eine gefestigte höchstrichterliche Rechtspre-

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BAG AP Nr. 24 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 427 ff.; AP Nr. 25 zu § 2 TVG, Bl. 218 R; AP Nr. 30 a. a. O., Bl. 702 f.; AP Nr. 34 a. a. O., Bl. 56 R; AP Nr. 36 a. a. O., Bl. 598 f.; AP Nr. 38 a. a. O., Bl. 307 R; AP Nr. 39 a. a. O., Bl. 310 f.; zustimmend Däubler, Tarifvertragsrecht Rn. 51; Dütz, AuR 1976, S. 65 ff.; Rüthers in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht Rn. 132; Löwisch in MünchArbR, § 248 Rn. 8 ff., Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 261; Schräder, Durchsetzungsfahigkeit, S. 86 ff.; vgl. zur Gegenansicht Bruhn, TarifTähigkeit, S. 192 ff.; Hemmen, Durchsetzungsfähigkeit, S. 67 ff., beide mit umfangreichen w. N. - Das BVerfG hat das Erfordernis der sozialen Mächtigkeit in BVerfGE 58, S. 233, 249 gebilligt. Vgl. auch den Vertrag über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik vom 18.5.1990, Gemeinsames Protokoll über Leitsätze, ΙΠ. Sozialunion, unter Nr. 2: „Tariffähige Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände müssen [...] in der Lage sein, durch Ausüben von Druck auf den Tarifpartner zu einem Tarifabschluß zu kommen." 179 BAG AP Nr. 24 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 425, 429; AP Nr. 34 zu § 2 TVG, Bl. 561 R; AP Nr. 36 a. a. O., Bl. 598. 180 Den Zusammenhang zwischen Kampfparität und sozialer Mächtigkeit betonen auch Hemmen, Durchsetzungsfahigkeit, S. 82 ff. und Schräder, Durchsetzungsfahigkeit, S. 166 ff. 181 Vgl. Bruhn, TarifTähigkeit, S. 193 ff.; Kraft, SAE 1978, S. 43, 44; Mayer-Maly, RdA 1979, S. 356, 357 f.; M Wolf ZfA 1971, S. 151, 175; Zöllner, SAE 1969, S. 140.

C. Angleichung mit Hilfe des Paritätsprinzips

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chung, die versucht hat, diesen Begriff näher zu konkretisieren. Das BAG hat eine Liste von Gesichtspunkten aufgestellt, die bei der Beurteilung der sozialen Mächtigkeit zu berücksichtigen sind. Dazu gehören die Mitgliederzahl und -struktur 182 sowie die finanzielle, sachliche und personelle Ausstattung 183 der Koalition. Erforderlich sei auch, daß die Vereinigung eine ausreichende Autorität gegenüber den Mitgliedern und dem Gegenspieler aufweise. 184 Indizielle Bedeutung komme der bisherigen tariflichen Praxis zu, d. h. der Frage, inwieweit die Koalition sich bislang gegenüber ihrem Widersacher behaupten konnte. 185 Damit sind die Kriterien, die zur Machtmessung heranzuziehen sind, immerhin einigermaßen bestimmt festgelegt. 186 Fraglich bleibt jedoch, nach welchem Maßstab man sie bewerten soll. Muß der Rechtsanwender, wenn er die einzelnen Gesichtspunkte ermittelt hat, strenge Anforderungen an die soziale Mächtigkeit stellen oder darf er großzügig urteilen? Weil die Rechtsprechung des BAG darauf keine eindeutige Antwort gibt 1 8 7 , ist sie mit der Begründung angegriffen worden, sie beschränke die Gründung neuer Koalitionen allzu sehr 188 und stelle daher einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Koalitionsfreiheit des Art. 9 Abs. 3 GG dar. 1 8 9 Diese Kritik läßt sich dadurch entkräften, daß man den hohen Stellenwert, den die Koalitionsgründungs- und Betätigungsfreiheit nach Art. 9 Abs. 3 GG genießt, bei der Festlegung des Beurteilungsmaßstabs berücksichtigt, der an die soziale Mächtigkeit angelegt wird. Die Möglichkeit des Abschlusses von Tarifverträgen als maßgebliches Betätigungsfeld für die Koalitionen darf keinesfalls über Gebühr eingeschränkt werden. Schließlich besteht das Erfordernis der sozialen Mächtigkeit nur um der Funktionsfahigkeit der Tarifautonomie willen; die Tarifautonomie aber ist kein Selbstzweck, sondern soll einen sinnvollen Betätigungsrahmen für die Koalitionen schaffen und dadurch gerade der Verwirklichung des subjektiven Rechtes aus Art. 9 Abs. 3 GG dienen. 1 9 0 Die Sicherung der Tarifautonomie kann es nicht rechtfertigen, das 182

BAG AP Nr. 32 zu § 2 TVG, Bl. 1167 R; AP Nr. 38 a. a. O., Bl. 308 R; AP Nr. 39 a. a. Ο.,ΒΙ. 311 R. 183 BAG AP Nr. 32 zu § 2 TVG, Bl. 1167; AP Nr. 38 a. a. O., Bl. 308 R; AP Nr. 39 a. a. Ο.,ΒΙ. 311 R. 184 BAG AP Nr. 38 zu § 2 TVG, Bl. 308 R. 185 BAG AP Nr. 34 zu 3 2 TVG, Bl. 562 f.; AP Nr. 36 a. a. O., Bl. 598 R. 186 Kritisch zu den vom BAG genannten Aspekten aber Hemmen, Durchsetzungsfähigkeit, S. 71 ff. 187 Auch in der Literatur finden sich hierzu, soweit ersichtlich, keine eingehenderen Stellungnahmen. 188 Ζ. B. Kraft, SAE 1978, S. 43, 44; Wiedemann/Stumpf § 2 TVG Rn. 195. 189 Bruhn, TarifTähigkeit, S. 192 ff., 207 f. 190 Vgl. zum Verhältnis von subjektivem Recht auf Koalitionsfreiheit und institutioneller Garantie der Tarifautonomie in Art. 9 Abs. 3 GG ausführlich Kemper, Koalitionsfreiheit, S. 13 ff., 65 ff., 133 ff., 223.

156 6. Kapitel: Angleichung von Arbeitskampfrecht und Betriebsverfassungsrecht subjektive Recht auf Koalitionsfreiheit auszuhebein. M. E. kommt daher nur ein restriktiver Beurteilungsmaßstab für das Fehlen von sozialer Mächtigkeit in Betracht. Hier bietet sich, auch aus Gründen der Praktikabilität und Rechtssicherheit, eine Evidenzkontrolle an: Nur eine Vereinigung, die offensichtlich nicht genügend soziale Macht aufweist, gilt als nicht tariffahig. So verstanden, stellen die Anforderungen an die soziale Mächtigkeit keinen unverhältnismäßigen Eingriff in das Grundrecht des Art. 9 Abs. 3 GG dar, zumal sie nur für den Koalitionsbegriff des § 2 TVG gelten, nicht jedoch für Koalitionen i. S. des Betriebsverfassungsrechts 191 oder des § 11 Abs. 2 ArbGG. 1 9 2 (3) Schlußfolgerungen für die Arbeitskampfparität Die Kontroversen um die Vertragsparität im Zivilrecht und die soziale Mächtigkeit im Koalitionsrecht zeigen, daß der Bewertung sozialer Macht stets eine gewisse Skepsis entgegengebracht wird und daß es gesicherte Verfahrensregeln zur Machtmessung bislang nicht gibt. Die Grundfragen, um die es auch bei einem materiellen Paritätskonzept geht, werden allerdings deutlich. Aus den Stellungnahmen zum Problem der Vertragsparität ergibt sich, daß man vorab klären muß, ob es auf die Parität im Einzelfall ankommt oder ob eine abstrakt-generelle Betrachtung erfolgen soll. Sodann gilt es, den Kreis der paritätsrelevanten Faktoren festzulegen. Dabei sind die Kriterien von Interesse, die das BAG bei der Beurteilung der sozialen Mächtigkeit von Koalitionen berücksichtigen will. Schließlich stellt sich die Frage, nach welchem Maßstab die Arbeitskampfparität zu bewerten ist. Vertragsparität und soziale Mächtigkeit lassen sich jedenfalls wohl nur einer Evidenzkontrolle unterziehen. bb) Bezugspunkt der Paritätsprüfung:

konkrete oder abstrakt-generelle

Parität

Zunächst ist der Bezugspunkt der Paritätsprüfüng zu bestimmen. Ist die konkrete Situation des jeweiligen Arbeitskampfes maßgeblich oder geht es, losgelöst vom einzelnen Tarifkonflikt, um ein generelles Gleichgewicht der sozialen Gegenspieler? M. Wolf hat vorgeschlagen, auf die konkrete Verhandlungssituation der Tarifjparteien abzustellen. 193 Die Kampfparität solle eine gerechte TarifVertragsgestaltung gewährleisten. Dieses Ziel sei durch ein nur generell vorhandenes 191

Vgl. Franz Müller, Gewerkschaflsbegriff, S. 99 ff. Vgl. Wank/Ramrath, NZA 1993, S. 345, 347, 349 ff., die überzeugend gegen einen einheitlichen Begriff der Koalition Stellung nehmen. 193 M. Wolf ZfA 1971, S. 151 ff.; ähnlich Kempen, AuR 1979, S. 74 ff. 192

C. Angleichung mit Hilfe des Paritätsprinzips

157

Gleichgewicht nicht zu erreichen. Da die Rechtsordnung auch im Einzelfall eine ungerechte Tarifregelung nicht hinnehmen dürfe, müsse man untersuchen, ob die Tarifparteien die konkrete Möglichkeit zum gerechten Interessenausgleich hatten. 194 Gegen diesen Ansatz sind aber zu Recht Einwände erhoben worden. 195 Aufgabe des Paritätsprinzips ist es, festzulegen, welche Kampfmittel den Arbeitskampfjparteien zur Verfugung stehen. 196 Im Interesse der Rechtssicherheit sollte man dabei nicht die konkrete Arbeitskampfsituation berücksichtigen, sondern das Arsenal zulässiger Kampfmittel abstrakt-generell bestimmen 197 ; die sozialen Gegenspieler brauchen im Arbeitskampf feste Leitlinien, an denen sie sich orientieren können. Wenn der Staat konkrete Vorund Nachteile der einzelnen Tarifauseinandersetzung korrigieren dürfte (oder sogar müßte), dann wären bedenklich weitgehende Eingriffe in das verfassungsrechtlich garantierte autonome Koalitionsverfahren möglich. 198 Das widerspräche dem Charakter des Art. 9 Abs. 3 GG als Freiheitsrecht und dem daraus folgenden Grundsatz der Staatsneutralität. Gegen das von M. Wolf vertretene Paritätskonzept spricht zudem, daß danach eine umfassende richterliche Inhaltskontrolle des Tarifvertrages notwendig wäre, die aber nach allgemeiner Ansicht 1 9 9 unzulässig ist. Heenen 200 hat versucht, eine konkrete Paritätsbewertung mit dem Hinweis darauf zu rechtfertigen, daß nach der Rechtsprechung des BAG die Kampfparität den Bezugspunkt des Verhältnismäßigkeitsprinzips bilde. Weil aber das Verhältnismäßigkeitsprinzip bestimme, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Kampfmittel im Einzelfall eingesetzt werden dürfe, wolle das BAG das Verhandlungsgleichgewicht im Grunde doch konkret gewährleisten. 201 Dem liegt indes ein Mißverständnis über das Verhältnis von Paritäts- und Verhältnismäßigkeitsprinzip zugrunde. Heenen selbst räumt ein, daß das BAG in der Sache Parität und Verhältnismäßigkeit vermischt 202 , indem es die Kampfparität zum Bezugspunkt der Verhältnismäßigkeitsprüfung macht. Im

194

M. Wolf, ZfA 1971, S. 152, 155 ff. Vgl. etwa die Kritik bei Lieb, RdA 1972, S. 129, 134; Scholz/Konzen, Aussperrung, S. 177 ff.; Seiter, Streikrecht, S. 163 f. 196 Vgl. o. unter C I. 197 BAG AP Nr. 64 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 918 R, 923 R; Seiter, Streikrecht, S. 169 f.; ders., Arbeitskampfparität, S. 60; Konzen, AcP 177 (1977), S. 473, 527; Fritz, Lohnrisiko, S. 120. 198 Kemper, Koalitionsfreiheit, S. 164; Scholz/Konzen, Aussperrung, S. 181. 199 Vgl. o. unter C Π 2 b aa (1), Fußnote 164. 200 Heenen, Kampfparität, S. 42 ff. 201 Heenen, Kampfparität, S. 42 f., der sich auf BAG AP Nr. 64 und 84 zu Art. 9 GG Arbeitskampf stützt. 202 Heenen, Kampfparität, S. 43; ebenso Rüthers in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht Rn. 196; Zöllner, DB 1985, S. 2450, 2457 f. 195

158 6. Kapitel: Angleichung von Arbeitskampfrecht und Betriebsverfassungsrecht Rahmen der Verhältnismäßigkeitskontrolle muß man richtigerweise die zu überprüfende Arbeitskampfmaßnahme in Relation zu dem mit ihr verfolgten Zweck setzen. 203 Dieser Zweck besteht jedoch nicht in der Herstellung von Parität im einzelnen Arbeitskampf. 204 Denn der Einsatz von Kampfmitteln dient dazu, Tarifforderungen durchzusetzen 205, wobei der Gegner zum Nachgeben gezwungen werden soll. Parität ist nicht der Zweck, sondern nur die Folge der Einsatzmöglichkeit von Kampfmitteln. 206 Wenngleich das BAG einerseits ausfuhrt, das Verhältnismäßigkeitsprinzip solle der Sicherung des Verhandlungsgleichgewichts dienen 207 , so hat es andererseits doch unmißverständlich klargestellt, daß dieses Gleichgewicht abstrakt-generell zu bestimmen sei. 208 Man wird das BAG daher so verstehen können, daß das Verhältnismäßigkeitsprinzip die Kampfparität nur mittelbar sichern soll. Im übrigen trennt das BAG Paritäts- und Verhältnismäßigkeitsprinzip säuberlich: Das Paritätsprinzip entscheidet über die generelle Zulässigkeit von Arbeitskampfmitteln, das Verhältnismäßigkeitsprinzip über die Zulässigkeit einer Kampfmaßnahme im Einzelfall. 209 Die Rechtsprechung des BAG zum Verhältnismäßigkeitsprinzip läßt sich somit nicht für eine konkrete, einzelfallbezogene Paritätsbeurteilung ins Feld fuhren. Vielmehr ist eine Betrachtung geboten, die nicht auf die Situation des konkreten Arbeitskampfes abstellt, sondern auf ein generelles, längerfristiges Kräftegleichgewicht der Tarifgegner. 210 Je nach Wirtschaftslage schwankende

203

BAG GS AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 309 R f.; AP Nr. 64 a. a. O., Bl. 922 R; Kemper, Koalitionsfreiheit, S. 159; Kreuz, Verhältnismäßigkeit, S. 98; Wank, Festschrift O. R. Kissel, S. 1225, 1233. 204 So aber BAG AP Nr. 64 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 923; AP Nr. 84 a. a. O., Bl. 369 f.; Seiter, RdA 1981, S. 65, 76. 205 Zutreffend Kreuz, Verhältnismäßigkeit, S. 115 ff.; Wank, Festschrift O. R. Kissel, S. 1225, 1233 ff. 206 Kemper, Koalitionsfreiheit, S. 165. 207 BAG AP Nr. 81 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 573; AP Nr. 84 a. a. O., Bl. 369 f. 208 BAG AP Nr. 64 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 918 R. 209 BAG AP Nr. 84 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 368 R. Vgl. auch BAG AP Nr. 64 a. a. O., wo das Gericht unter A der Gründe das Paritätsprinzip behandelt und zum Ergebnis gelangt, die Aussperrung sei als Reaktion auf eng begrenzte Teilstreiks generell zulässig, und unter Β der Gründe die Aussperrung im konkreten Fall für unverhältnismäßig erklärt. 210 Im Ergebnis befürwortet heute die ganz herrschende Meinung eine abstraktgenerelle Paritätsprüfung, vgl. BAG AP Nr. 64 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 918 R; Bertelsmann, Aussperrung, S. 227 f.; Kalb, Arbeitskampfrecht Rn. 166; Kisker, RdA 1987, S. 194, 199; Konzen, AcP 177 (1977), S. 473, 527; Lieb, RdA 1972, S. 129, 134; Löwisch/Rieble in Löwisch (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 49; Otto in MünchArbR, § 275 Rn. 77; Raiser , Aussperrung, S. 70 ff; Rüthers in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht Rn. 168; Scholz/Konzen, Aussperrung, S. 177 ff.; Seiter, Streikrecht, S. 163 f.;

C. Angleichung mit Hilfe des Paritätsprinzips

159

Kräfteverhältnisse zwischen den Arbeitskampfjparteien sind hinzunehmen, solange nicht eine Seite ein ständiges Übergewicht erlangt. Denn unter marktwirtschaftlichen Bedingungen werden Tarifverträge nach Angebot und Nachfrage abgeschlossen, also nach einem Gesetz, das Schwankungen gerade voraussetzt. 211 Die Funktionsfahigkeit der Tarifautonomie, die das Paritätsprinzip schützen soll, wird nicht dadurch beeinträchtigt, daß im Einzelfall ein Ungleichgewicht im Arbeitskampf besteht. In einem freiheitlichen Tarifverfahren müssen Arbeitskämpfe nicht stets mit einem Remis enden. 212 Tarifautonomie bedeutet auch, daß es Gewinner und Verlierer geben darf, sofern diese Rollen wechseln. 213 Insofern gilt fur die Tarifautonomie nichts anderes als für die Privatautonomie, die ja durch vereinzelte Disparitäten zwischen den Vertragsschließenden auch nicht in Frage gestellt wird. 2 1 4 cc) Die paritätsrelevanten

Faktoren

Wer die Arbeitskampfparität materiell bestimmen will, muß Auskunft darüber geben können, welche Aspekte der sozialen Realität, innerhalb derer sich die Tarifauseinandersetzung abspielt, in die Paritätsbewertung einfließen und welche Aspekte außer Betracht bleiben sollen. Der Rechtanwender kann soziale und ökonomische Daten nicht blindlings umsetzen, sondern nur unter wertender Kontrolle in das Rechtssystem übertragen. 215 Parität ist ein Rechtsbegriff, in den der reale Hintergrund des Tarifkonflikts erst eingebracht werden muß. 2 1 6 Dies vollzieht sich nach rechtlich-normativen, nicht nach rechts-

Treber, Maßnahmen, S. 418 ff.; Wank, Festschrift O. R. Kissel, S. 1225, 1241; Zöllner, Aussperrung, S. 34. 211 Bertelsmann, Aussperrung, S. 328. 212 Vgl. BAG AP Nr. 127 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 339: „Mit der Garantie des Streikrechts ist keine Erfolgsgarantie verbunden. Die Tarifautonomie überläßt es dem freien Spiel der Kräfte, zu welchem Ergebnis Tarifverhandlungen und letztlich auch Arbeitskämpfe führen." Auch im Schrifttum wird zu Recht betont, daß es nicht Aufgabe des Paritätsprinzips ist, eine Pattsituation zwischen den Arbeitskampfparteien herzustellen, etwa Colneric in Däubler (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 630; Scholz/Konzen, Aussperrung, S. 181; Trittin, DB 1990, S. 322, 323; Weiss, AuR 1974, S. 37,45. 213 Belling , NZA 1990, S. 214, 217. 214 Fastrich, Inhaltskontrolle, S. 218 f.; vgl. o. unter C Π 2 b aa (1). 215 Diederichsen, Festschrift für Flume, S. 283, 294; Wank,, Begriffsbildung, S. 80. Zur Unterscheidung von Sein und Sollen als Methodendualismus vgl. etwa Radbruch, Rechtsphilosophie, S. 97 ff. 216 Pabst, Kampfparität, S. 90.

160 6. Kapitel: Angleichung von Arbeitskampfrecht und Betriebsverfassungsrecht tatsächlichen Maßstäben 217 ; die Bewertung der Kampfparität ist eine Rechtsfrage, kein Rechenexempel. Die Auswahl der paritätserheblichen Kriterien darf selbstverständlich nicht beliebig - etwa im Hinblick auf ein gewünschtes Ergebnis - erfolgen. Ein materielles Paritätskonzept hat vielmehr allgemeine Leitlinien zur Festlegung der relevanten Faktoren zu entwickeln. Daran fehlt es bislang. 218 Es lassen sich lediglich zwei Grundströmungen ausmachen: Während die herrschende Meinung eine typisierenden Betrachtungsweise befürwortet und den Kreis der paritätsrelevanten Aspekte eingrenzen w i l l 2 1 9 , soll der tatsächliche Hintergrund des Arbeitskampfgeschehens nach Auffassung der Verfechter einer „Gesamtparität" umfassend berücksichtigt werden. 220 Gegen den Ansatz der „Gesamtparität" hat das BAG zutreffend eingewandt, daß die globale Einbeziehung aller denkbaren Kriterien, die sich auf das Kräfteverhältnis der Arbeitskampfparteien auswirken könnten, den Rechtsanwender überfordere; die vielfaltigen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Gestaltungsmöglichkeiten entzögen sich weitgehend der Erfassung und vergleichenden Bewertung. 221 Letztlich müssen auch diejenigen, die eine „Gesamtparität" verlangen, paritätsunerhebliche Faktoren aussondern. Wenngleich sie die Arbeitskampfwirklichkeit umfassend würdigen wollen, hat beispielsweise noch niemand verlangt, das Wetter als Paritätsfaktor zu berücksichtigen. Offenbar gibt es also Umstände, deren Einbeziehung in die Paritätsbewertung nach allgemeiner Ansicht unsinnig wäre. Zwar wird es angesichts der sich ständig verändernden Arbeitskampfwirklichkeit nicht gelingen, einen abschließenden Katalog von Paritätskriterien zu entwerfen. Zur Konkretisierung der materiellen Paritätsbewertung sind vielmehr allgemeine Richtlinien aufzustellen, um den Kreis der paritätsrelevanten Faktoren einzugrenzen. Im Sinne einer Negativauswahl können dann immerhin diejenigen Gesichtspunkte ausgeschieden werden, die als paritätsunerheblich unberücksichtigt bleiben müssen.

217

Mayer-Maly, RdA 1968, S. 432, 433; ders., DB 1979, S. 95, 98; Richardi, NJW 1978, S. 2057, 2061; Zöllner, Aussperrung, S. 51 f. 218 Dies kritisieren zu Recht Colneric in Däubler (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 631; Heenen, Kampfparität S. 39; Kisker, RdA 1987, S. 194, 199; Trittin, DB 1990, S. 322, 323. 2,9 Vgl. o. unter C Π 1 b bb. 220 Vgl. o. unter C Π 1 b aa. 221 BAG AP Nr. 64 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 919.

C. Angleichung mit Hilfe des Paritätsprinzips

161

(1) Teleologischer Bezug zum Tarifsystem Zur Ausgrenzung der paritätsirrelevanten Faktoren muß man sich zunächst den Zweck des Paritätsprinzips vor Augen fuhren. 222 Er besteht darin, den sozialen Gegenspielern möglichst gleiche Chancen bei der Tarifauseinandersetzung zu sichern und damit die Funktionsfahigkeit der Tarifautonomie zu gewährleisten. 223 Alle Umstände, die für das Kräfteverhältnis der Tarifparteien und ein funktionierendes Tarifsystem ohne Bedeutung sind oder deren Berücksichtigung sinnwidrig wäre, müssen außer Betracht bleiben. Das gilt etwa für den Einfluß der öffentlichen Meinung. 224 Zweifelhaft ist schon, inwieweit das Verhalten der Arbeitskampfgegner überhaupt von der öffentlichen Meinung beeinflußt wird. 2 2 5 Die öffentliche Meinung stellt sich jedenfalls nicht ständig einseitig gegen die Streikenden 226 , sie verurteilt auch die Aussperrung als Mißbrauch wirtschaftlicher Macht. 2 2 7 Davon abgesehen liefe die Berücksichtigung der Berichterstattung über den Arbeitskampf darauf hinaus, die Medien darüber entscheiden zu lassen, wie das Kampfmittelarsenal ausgestaltet wird. Denn im Falle einer unausgewogenen Berichterstattung müßte die Partei, die die öffentliche Meinung gegen sich hat, gegebenenfalls zum Ausgleich stärkere Kampfmittel erhalten. Das führt zu erheblichen Manipulationsmöglichkeiten sowie zu dem befremdlichen Ergebnis, daß die Tarifgegner sich über jede negative Kommentierung ihrer jeweiligen Kampfziele und -taktiken freuen dürfen, da sich ihre arbeitskampfrechtliche Stellung dadurch verbessert. Generell wird man psychologischen und moralischen Druck als paritätsirrelevant ansehen müssen. 228 Unsinnig erscheint es auch, die ökonomische Verteilungssituation 229 und die Eigentumsverhältnisse an den Produktionsmitteln 230 in die Paritätsbewer222 Vgl. Raiser , ZRP 1978, S. 201, 204. Zur teleologischen Begriffsbildung ausführlich Wank, Begriffsbildung, S. 77 ff. 223 Vgl. o. 5. Kapitel unter A I 3. 224 Anders Bertelsmann, Aussperrung, S. 308 ff.; Hensche, RdA 1996, S. 293, 297; Wohlgemuth , BB 1979, S. 111, 115; Wolter, AuR 1979, S. 193, 197; Zachert/Metzke/ Hamer, Aussperrung, S. 152 ff., die die öffentliche Meinung für paritätserheblich halten. 225 Skeptisch Zöllner, Aussperrung, S. 47. 226 So aber offenbar Bertelsmann, Aussperrung, S. 310 ff. 227 Raiser , ZRP 1978, S. 201, 202; Zachert, AuR 1990, S. 81. 228 So auch Heenen, Kampfparität, S. 102 ff. 229 Zachert/Metzke/Hamer, Aussperrung, S. 138. 230 Kittner, GewMH 1973, S. 91, 94 f.; Wolter, AuR 1979, S. 193, 197. Zachert/Metzke/Hamer, Aussperrung, S. 140, 143 f. halten insbesondere die sich aus dem Eigentum ergebenden Entscheidungsbefugnisse der Unternehmer für paritätsrelevant. 11 Jansen

162 6. Kapitel: Angleichung von Arbeitskampfrecht und Betriebsverfassungsrecht tung miteinzubeziehen. Die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie beurteilt sich nicht danach, inwieweit die Gewerkschaften diese Rahmenbedingungen des Wirtschaftssystems zu verändern vermögen. 231 Die Tarifautonomie ist vielmehr in den Bezugsrahmen von Privatkapitalismus und Marktwirtschaft einzupassen.232 Wirtschaftliche Möglichkeiten, die sich für die Arbeitgeber aus dem Eigentum an Produktionsmitteln ergeben, sind nicht mit den Mitteln des Arbeitskampfrechts und des Tarifrechts zu erfassen, sondern über das Mitbestimmungsrecht. 233 Den erforderlichen Bezug zum Arbeitskampf- und Tarifsystem weisen diejenigen Umstände auf, welche die Auswirkungen des Kampfmitteleinsatzes kennzeichnen und die Risiken erkennen lassen, die beide Seiten im Tarifkonflikt tragen müssen (oder vermeiden können). Nur sie können für das Kräfteverhältnis der sozialen Gegenspieler relevant sein. Denn die Bereitschaft der Koalitionen, bei Tarifverhandlungen nachzugeben, hängt vom Durchhaltevermögen der Mitglieder ab. Das wiederum bemißt sich nach den Schäden und Risiken, die aufgrund des Arbeitskampfes entstehen. Wenn die Mitglieder nicht mehr bereit sind, diese Nachteile auf sich zu nehmen, wenn etwa einzelne Unternehmen in Firmentarifverträgen die Forderungen der Gewerkschaft akzeptieren oder wenn auf der anderen Seite Arbeitnehmer wieder zu den alten Tarifbedingungen arbeiten wollen, dann wird die Verhandlungsführung zum Einlenken bereit sein. 234 Es kommt also auf eine Gegenüberstellung der Kampfrisiken von Arbeitgebern und Arbeitnehmern an. 2 3 5 Dabei sind branchenspezifische Besonderheiten zu beachten, denn Arbeitskämpfe werden typischerweise um Branchentarifverträge geführt. 236 Paritätserheblich sind zum einen die Schäden, die die Gewerkschaften durch Streiks hervorrufen können, sowie die Möglichkeiten der Arbeitgeber, diese Schäden zu vermeiden. In die231 Raiser , ZRP 1978, S. 201, 204 und Zachert/Metzke/Hamer, Aussperrung, S. 138 f. bezeichnen den Kampf um die Verteilungsquote der Produktionsmittel als einen politischen Konflikt, für den es keine rechtlichen Bewertungsmaßstäbe gebe. 232 Eisemann, BB 1979, S. 218, 219; Reuter, JuS 1973, S. 284, 287; Zöllner, Aussperrung, S. 31. Insofern muß die Tarifautonomie im Lichte des Art. 14 GG gesehen werden. 233 BAG AP Nr. 64 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 919 R. 234 Seiter, Staatsneutralität, S. 17. 235 Dazu Bertele, Aussperrung, S. 88 ff.; Bertelsmann, Aussperrung, S. 255 ff.; Seiter, Streikrecht, S. 279 ff.; Treber, Maßnahmen, S. 415 f.; 429 ff. Vgl. auch BAG AP Nr. 70 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 590: „Die entscheidende Frage lautet vielmehr, wie die Position der im Kampf befindlichen Gegenspieler beeinflußt wird. Das hängt im wesentlichen davon ab, welche Kampfschäden bei dem Tarifkonflikt zu erwarten und zu berücksichtigen sind." 236 Göll, Arbeitskampfparität, S. 60 ff.; Mayer-Maly, Anm. zu BAG AP Nr. 64-66 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 368; Hensche, RdA 1996, S. 293, 296; Rüthers, ZfA 1987, S. 1, 12 ff.; Seiter, Arbeitskampfparität, S. 61 f.; ders., RdA 1981, S. 65, 74; Treber, Maßnahmen. S. 423 f.

C. Angleichung mit Hilfe des Paritätsprinzips

163

sem Zusammenhang kann sich die Frage stellen, inwieweit das Kampfmittel des Streiks aufgrund neuerer technischer Entwicklungen leerläuft. 237 Zum anderen ist zu berücksichtigen, welche Folgen die Aussperrung für die Arbeitnehmer hat und wie sie sich dagegen wappnen können. Weil es auf das Machtverhältnis zwischen den Arbeitskampfparteien ankommt, sind Schäden Drittbetroflfener nur beachtlich, wenn sie ausnahmsweise die Kampfführung der Tarifgegner beeinflussen können. 238 Um Wertungswidersprüche zu vermeiden, wird man bei der Paritätsprüfüng auch die Kriterien beachten haben, die nach der Rechtsprechung des BAG allgemein für die soziale Mächtigkeit einer Koalition maßgeblich sind. Den Mitgliederbestand der Kampfgegner hat das BAG ausdrücklich als wesentlichen Gesichtspunkt des Kräfteverhältnisses anerkannt. 239 Auch die Ausstattung einer Koalition in organisatorischer und insbesondere in finanzieller Hinsicht 2 4 0 kann einen maßgebenden Einfluß auf den Verlauf des Arbeitskampfes haben. Die rechtlichen Rahmenbedingungen, innerhalb derer sich das Arbeitskampfgeschehen abspielt, sind bei der Paritätsbewertung zu berücksichtigen. 241 Selbstgeschaffene Kampfrisiken müssen jedoch außer Betracht bleiben. Dies gilt etwa für selbstauferlegte einschränkende Bindungen innerhalb der jeweiligen Koalition. Sie sind als Verbandsinterna nicht paritätsrelevant. 242 Indizwirkung für vorhandene Parität läßt sich dem Ergebnis der Tarifabschlüsse entnehmen. 243 Tragen die erkämpften Tarifregelungen - längerfristig

237

Vgl. BAG AP Nr. 111 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 764 R; Wank, Festschrift O. R. Kissel, S. 1225, 1241 f. Teilweise wird gefordert, die Betriebsbesetzung als Kampfmittel zuzulassen, da der Streik wegen des technologischen Wandels nicht mehr hinreichend effektiv sei, vgl. die Nachweise in Fußnote 156. 238 Vgl. etwa Seiter, Staatsneutralität, S. 21 ff. zur Binnendrucktheorie, mit der die Lohnkosten mittelbar arbeitskampfbetroffener Arbeitgeber in die Paritätsbewertung eingeführt werden. Ausführlich dazu 8. Kapitel unter A14 d bb. 239 BAG AP Nr. 65 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 940. Zu den weiteren Kriterien der sozialen Mächtigkeit von Koalitionen vgl. o. unter C Π 2 b aa (2), Fußnoten 182185. 240 Vgl. Heenen, Kampfparität, S. 183 ff., der dafür eintritt, die Aussperrungsbefugnis der Arbeitgeber durch den Umfang der gewerkschaftlichen Streikkasse zu begrenzen. 241 Hensche, RdA 1996, S. 293, 297. 242 BAG AP Nr. 63 zu § 1 FeiertagslohnzahlungsG, Bl. 1202. 243 Grundlegend Göll, Arbeitskampfparität, S. 56 ff.; vgl. auch Scholz/Konzen, Aussperrung, S. 193; Wank, Festschrift O. R. Kissel, S. 1225, 1242. - Kritisch dazu Hensche, RdA 1996, S. 293, 298 f. und Zöllner, DB 1985, S. 2450, 2456, der darauf hinweist, daß sich kein überzeugender Maßstab für die Bewertung der Tarifergebnisse finden lasse. M. E. kommt aber eine Evidenzkontrolle in Frage, vgl. dazu unter C Π 2 b dd. Auch bei der Frage der „sozialen Mächtigkeit" einer Koalition wird die bisherige Tarifpraxis berücksichtigt, vgl. o. unter C Π 2 b aa (2).

164 6. Kapitel: Angleichung von Arbeitskampfrecht und Betriebsverfassungsrecht betrachtet - Kompromißcharakter, so spricht das für ein ausgewogenes Kräfteverhältnis der sozialen Gegenspieler. (2) Keine konkrete Paritätsbewertung Bezugspunkt der Paritätsprüfüng ist nicht der konkrete Arbeitskampf, maßgeblich ist vielmehr ein längerfristiges, generelles Gleichgewicht der Tarifgegner. 244 Man darf die paritätserheblichen Faktoren daher nicht so auswählen, daß im Ergebnis doch eine einzelfallbezogene Paritätsbewertung stattfindet. 2 4 5 Aus diesem Grund spielt es keine Rolle, ob die Arbeitgeber Vorsorgemaßnahmen gegen arbeitskampfbedingte Nachteile getroffen haben, ob z. B. Arbeitskampfklauseln in Verträgen, Streikhilfeabkommen oder Streikversicherungen und Streikfonds 246 bestehen. Das ließe sich nur anhand der konkreten Arbeitskampfsituation beurteilen. Berücksichtigung finden kann nur die abstrakte Möglichkeit, solche Maßnahmen zu ergreifen. 247 Sie steht übrigens nicht nur den Arbeitgebern, sondern auch den Gewerkschaften in Gestalt der Streikunterstützungsleistungen offen. Auch die Konjunkturlage wird sich in der Regel nur auf einzelne Arbeitskämpfe, nicht jedoch auf das generelle Kräfteverhältnis der sozialen Gegenspieler auswirken. 248 Wenn es zutrifft, daß die Arbeitnehmer in konjunkturell schlechten Zeiten aus Angst um ihre Arbeitsplätze nur schwer zum Streik zu

244

Vgl. 0. unter C Π 2 b bb. Vgl. Hensche, RdA 1996, S. 293, 296 f.; Scholz/Konzen, Aussperrung, S. 193 f. 246 Dazu Bertelsmann, Aussperrung, S. 287 ff; Gaudecki, Schadensbegrenzung, S. 7 ff; Zachert/Metzke/Hamer, Aussperrung, S. 134 f. 247 Dabei ist allerdings zu bedenken, daß die Arbeitgeber grundsätzlich als Konkurrenten am Markt auftreten, vgl. BAG AP Nr. 64 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 921 R f. Ob die Vereinbarung von Arbeitskampfhilfeabkommen für die Arbeitgeber ohne weiteres möglich ist, muß daher bezweifelt werden, vgl. Mayer-Maly, RdA 1969, S. 432, 433; Zöllner, Aussperrung, S. 45. Zur wettbewerbsrechtlichen Zulässigkeit derartiger Abkommen Loos, Arbeitskampfhilfeabkommen, S. 26 ff 248 Das BAG hat dazu ausgeführt, die konjunkturelle Lage ändere sich ständig und lasse sich normativ nicht so zuverlässig kennzeichnen, daß sie als Merkmal einer Arbeitskampfordnung dienen könne; sie müsse deshalb als Unwägbarkeit des Arbeitskampfes betrachtet und vernachlässigt werden, AP Nr. 64 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 924 f.; a. A. Hensche, RdA 1996, S. 293, 297; Trittin, DB 1990, S. 322, 323. Μ. E. können nur ganz langfristige wirtschaftliche und arbeitsmarktpolitische Entwicklungstendenzen - die jedoch seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland nicht auszumachen waren - in die Paritätsbewertung einfließen. 245

C. Angleichung mit Hilfe des Paritätsprinzips

165

bewegen sind 2 4 9 , dann muß vice versa gelten, daß sich die Position der Gewerkschaften bei guter Konjunktur verbessert. 250 Regionale Einflüsse mögen sich auf das Arbeitskampfgeschehen auswirken können 251 - aber nur in Einzelfallen, nicht generell. 252 Besondere örtliche Gegebenheiten stellen daher keine paritätsrelevanten Faktoren dar. Ebensowenig kommt es darauf an, ob der Arbeitskampf um einen Firmentarifvertrag oder um einen VerbandstarifVertrag gefuhrt wird. Steht ein einzelner Arbeitgeber einer Gewerkschaft gegenüber, so ist nicht schon deshalb von einer generellen Paritätsstörung zu Lasten der Arbeitgeberseite auszugehen. Dem Arbeitgeber ist es im übrigen unbenommen, sich unter das schützende Dach eines Verbandes zu begeben, falls er sich bei einer Tarifauseinandersetzung im Nachteil sieht. (3) Praktikabilität Die Paritätsbeurteilung muß für den Rechtsanwender praktikabel sein. 253 Teilweise sind die Rechtstatsachen, auf deren Grundlage sich das Arbeitskampfgeschehen abspielt, noch ungeklärt. Die Arbeitsgerichtsbarkeit kann sich das fehlende Tatsachenmaterial nicht immer verläßlich verschaffen, ihr fehlt das dazu notwendige Instrumentarium. 254 Faktoren, die sich nicht oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand ermitteln lassen, brauchen nicht berücksichtigt zu werden. Praktikabilitätsprobleme können insbesondere bei dem Versuch auftreten, in die Paritätsmessung die finanzielle Leistungskraft der Arbeitskampfparteien einzubeziehen. Hier fehlt es weitgehend an gesicherten Zahlen. 255 Die Finanzkraft einzelner Unternehmen ist zwar anhand ihrer Jahresbilanzen annähe-

249 250

1240 f. 251

So Wolter in Däubler (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 888b. Bertelsmann, Aussperrung, S. 304; Wank, Festschrift O. R. Kissel, S. 1225,

Bertelsmann, Aussperrung, S. 307 f. weist zu Recht darauf hin, daß in einem wirtschaftlich wenig erschlossenen Gebiet, das von einem einzelnen Arbeitgeber dominiert wird, andere Arbeitskampfbedingungen herrschen als in einem wirtschaftlichen Ballungszentrum mit vielfaltigen Beschäftigungsmöglichkeiten. 252 So auch Bertelsmann, Aussperrung, S. 307. 253 Zum Aspekt der Praktikabilität Wank,, Begriffsbildung, S. 96. 254 Lerche, NJW 1987, S. 2465, 2467 f.; vgl. auch Wank, Rechtsfortbildung, S. 158 ff. 255 So Gaudecki, Schadensbegrenzung, S. 54; Wohlgemuth, BB 1979, S. 111, 115; vgl. aber Heenen, Kampfparität, S. 187 ff., der jedenfalls die Einnahmen der Gewerkschaften und die sich daraus ergebenden Vermögenszuwächse für annähernd zuverlässig bestimmbar hält.

166 6. Kapitel: Angleichung von Arbeitskampfrecht und Betriebsverfassungsrecht rungsweise zu bestimmen. Den Jahresumsatz oder Jahresgewinn eines Großunternehmens wird man indessen nicht den Jahreseinnahmen einer Gewerkschaft gegenüberstellen können 256 ; Einnahmen- und Ausgabenstrukturen von Unternehmen und Verbänden sind kaum miteinander vergleichbar. 257 dd) Der Maßstab für die Paritätsbewertung Ist der Kreis von paritätsrelevanten Faktoren eingegrenzt, so stellt sich die Frage nach dem Bewertungsmaßstab für die Kampfjparität. Wann kann man noch von einem ausgewogenen Kräfteverhältnis sprechen, wann liegt schon eine Ungleichgewichtslage vor? Entscheidend ist, welche Schwankungsbreite man der materiellen Arbeitskampfparität zubilligen will, wie hoch also die „Erheblichkeitsschwelle" für Paritätsstörungen liegen soll. Je niedriger diese Schwelle liegt, desto eher (und öfter) ist eine Abweichung vom Grundsatz formeller Gleichbehandlung der Kampfparteien geboten: Falls festgestellt wird, daß eine Seite ein tatsächliches Übergewicht erlangt, muß man ihre Arbeitskampfmittel beschränken oder der unterlegenen Partei zusätzliche Kampfmittel bewilligen. 258 Gewichtige Gründe sprechen dafür, einen solchen Eingriff in das System der Arbeitskampfmittel an strenge Voraussetzungen zu binden. Sinn des Paritätsprinzips ist es, die Funktionsfahigkeit der Tarifautonomie zu sichern. 259 Bei den Tarifverhandlungen sollen die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen i. S. eines Interessenausgleichs der sozialen Gegenspieler geregelt werden. Diese Funktion kann das Tarifvertragsystem nicht mehr erfüllen, wenn eine Partei in der Lage ist, den Tarifinhalt einseitig festzulegen. 2 6 0 Bevor es aber zu zu einem Tarifdiktat kommt, muß sich das tatsächliche Kräfteverhältnis ganz massiv zugunsten einer Seite verschieben. Nach dem Sinn des Paritätsprinzips ist somit nur in Extremfällen von einer Paritätsstörung auszugehen. Dagegen ist es nicht Aufgabe des Grundsatzes materieller Parität, zu verhindern, daß sich eine Koalition in der Tarifauseinandersetzung durchsetzt. Arbeitskämpfe müssen nicht immer unentschieden enden; es darf Gewinner und Verlierer geben, solange nicht eine Seite dauerhaft zur unterlegenen wird. 2 6 1 Das verfassungsrechtlich garantierte freiheitlich-autonome Koalitionsverfahren schließt die Chance ein, einen konkreten 256

So aber Wolter, AuR 1979, S. 193, 198 (in Fußnote 28), der damit die Unterlegenheit der Gewerkschaften dartun will. 257 Zöllner, Aussperrung, S. 43. 258 Vgl. o. unter C Π 2 b. 259 Vgl. o. 5. Kapitel unter A I 3. 260 BAG GS AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 310 R. 261 Vgl. o. unter C Π 2 b bb.

C. Angleichung mit Hilfe des Paritätsprinzips

167

Arbeitskampf zu gewinnen. 262 Diese Chance darf den Koalitionen nicht durch eine rigide Paritätskontrolle genommen werden. Auch im Hinblick auf den Aspekt der Rechtssicherheit erscheinen ständige Modifikationen des Systems der Arbeitskampfmittel bedenklich. Nimmt der Staat allzu häufige Eingriffe in das Kampfmittelsystem vor, so widerspricht dies der gebotenen langfristigen und generellen Paritätsbetrachtung. 263 Die Tarifjparteien müssen sich darauf einstellen können, welche Arbeitskampfmaßnahmen sie einsetzen dürfen und welche nicht. 2 6 4 „Grauzonen" sind nach Möglichkeit zu vermeiden. 265 Letztlich ist keiner Seite damit gedient, wenn man vorschnell unter Berufung auf eine nur geringfügige Verschiebung des Kräftegleichgewichts neue Kampfmittel zulassen oder traditionelle Kampfmittel einschränken würde. Eine Verbesserung der Rechtsposition im Arbeitskampf, die einer Tarifvertragspartei wegen einer leichten Disparität gewährt wird, kann sie rasch verlieren, sobald die Machtbalance - nach Ansicht des Rechtsanwenders - wiederhergestellt ist. Darüber hinaus besteht die Gefahr, daß mit dem Hinweis auf zwischenzeitlich eingetretene Veränderungen die gleichen Rechtsfragen bei jedem Arbeitskampf erneut vor die Gerichte gebracht werden, falls auch geringe Schwankungen der tatsächlichen Kräfteverhältnisse paritätserheblich wären. Schließlich ist folgendes zu berücksichtigen: Je geringer die Anforderungen sind, die an eine Paritätsstörung gestellt werden, um so eher ist zu befürchten, daß subjektive Wertungen des Rechtsanwenders unausgesprochen in die Beurteilung einfließen. Das Paritätsprinzip könnte zur wohlfeilen Begründungsfloskel für jedes gewünschte Ergebnis verkommen. Gerade weil der Paritätsbegriff ohnehin mit zahlreichen Problemen und Zweifelsfragen befrachtet ist, sollte man strenge Maßstäbe anlegen und die Kontrolldichte der materiellen Kampfparität einschränken. Richtig erscheint es nach alledem, die materielle Paritätsbewertung i. S. einer Evidenzkontrolle zu handhaben. Nur ein offenkundiges tatsächliches Machtgefalle zwischen den Tarifgegnern kann eine Paritätsstörung begründen und rechtfertigt Modifikationen des Kampfmittelsystems. 266 262

Deshalb plädiert Zöllner nach dem Grundsatz „in dubio pro libertate" für ein weitgehend freies Spiel der Kräfte im Arbeitskampf, DB 1985, S. 2459, 2450. 263 Vgl. o. unter C Π 2 b. 264 Vgl. Trittin, DB 1990, S. 322, 323. 265 Kreuz, Verhältnismäßigkeit, S. 152. 266 So auch Dütz, Anm. zu LAG Baden-Württemberg EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 27, S. 246n; Häßler, Beteiligungsrechte, S. 46; Jahn, Beteiligung, S. 66 f.; Kisker, RdA 1987, S. 194, 199; Löwer in v. Münch/Kunig, Art. 9 GG Rn. 58; Löwisch/Rieble in Löwisch (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 50; Rüthers, JurA 1970, S. 85, 107; ders., Aussperrung, S. 79; Scholz in Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 9 GG Rn. 293 f.; Scholz/Konzen, Aussperrung, S. 180 f.; Wank, Festschrift O. R. Kissel, S. 1225, 1241;

168 6. Kapitel: Angleichung von Arbeitskampfrecht und Betriebsverfassungsrecht Das BAG hat sich hierzu noch nicht eindeutig geäußert. Allerdings lassen einige Entscheidungen erkennen, daß es eine restriktive Paritätskontrolle befürwortet. So heißt es schon im Beschluß des Großen Senats vom 21.4.1971, es müsse lediglich „ i m Prinzip" sichergestellt sein, daß nicht eine Tarifjpartei der anderen „von vornherein" ihren Willen aufzwingen könne, sondern daß „möglichst gleiche" Verhandlungschancen bestehen.267 1980 sagte das Gericht im Rahmen seiner ausführlichen Stellungnahme zum Paritätsbegriff, erforderlich seien „annähernd gleichgewichtige" Verhandlungschancen, die „wenigstens in groben Zügen" tatsächlich feststellbar sein müßten. 268 In der Entscheidung vom 12.3.1985 zum Arbeitskampf in der Druckindustrie vertrat das BAG die Ansicht, die Arbeitskampfordnung dürfe keiner Seite Vorteile zukommen lassen, aus denen ein „nennenswertes" Verhandlungsungleichgewicht entstehen könnte. 269 Den Streikeinsatz von Beamten hielt das BAG für vereinbar mit dem Paritätsprinzip, da der Staat kein „strukturelles Übergewicht gegenüber der Gewerkschaft" erlange. 270 Mehrfach hatte das BAG über Vergütungsansprüche von Arbeitnehmern zu befinden, die während des Arbeitskampfes an Betriebsversammlungen teilnahmen. Das Gericht hat hier zunächst die prinzipielle Paritätsrelevanz der Vergütungsansprüche untersucht und bejaht, dann aber wegen der geringen Höhe der Zahlungspflicht eine Störung der Kampfparität verneint. 271 Auch die Zahlung von Streikbruchprämien ist nach Auffassung des BAG mit dem Paritätsprinzip grundsätzlich vereinbar, da kein „strukturelles Ungleichgewicht" der Tarifjparteien hervorgerufen werde. 2 7 2 Diese Beispiele belegen, daß auch das BAG nicht jede, sondern nur eine erhebliche Verschiebung der Arbeitskampfchancen für paritätsrelevant erachtet. Die Beschränkung der materiellen Paritätsprüfung auf eine Evidenzkontrolle läßt sich daher mit der bisherigen Linie des BAG vereinbaren. ee) Beweisprobleme In prozeßrechtlicher Hinsicht stellt sich die Frage, wer die Beweislast dafür trägt, daß eine Störung der materiellen Kampfjparität eingetreten ist. Dieses

ähnlich LAG Schleswig-Holstein, DB 1979, S. 943 f.; unklar Bertelsmann, Aussperrung, S. 332: einerseits „Disparität nicht erst im Extremfall", andererseits nur Gewährleistung einer „Mindestparität". 267 BAG GS AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 310 R. 268 BAG AP Nr. 64 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 918. 269 BAG AP Nr. 84 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 367. 270 BAG AP Nr. 86 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 215. 271 BAG AP Nr. 4 zu § 44 BetrVG 1972, Bl. 1166; AP Nr. 6 a. a. O., Bl. 1172. 272 BAG AP Nr. 127 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 339.

C. Angleichung mit Hilfe des Paritätsprinzips

169

Problem wird nur selten angesprochen. 273 Es kann sich stellen, wenn eine Arbeitskampfpartei gerichtlich geltend macht, ein Kampfmittel der Gegenseite verstoße gegen das Paritätsprinzip und sei daher rechtswidrig. Dabei geht es nicht allein um die Ermittlung von Tatsachen, die zur Subsumtion unter bestehende Rechtssätze dienen, sondern um Tatsachen, die als Argument für eine Änderung des Richterrechts zum Arbeitskampf herangezogen werden sollen. 2 7 4 Nach allgemeinen Grundsätzen muß diejenige Partei das Beweislastrisiko tragen, die eine Begünstigung für sich anstrebt. 275 Nach dem hier vorgestellten Paritätskonzept ist zunächst vom Prinzip formeller Kampfmittelparität auszugehen. Wer sich auf eine Ausnahme von diesem Grundsatz beruft und arbeitskampfrechtlich besser gestellt werden will, muß Tatsachen vortragen und gegebenenfalls beweisen, die eine evidente Störung des tatsächlichen Machtgleichgewichts belegen. Falls beispielsweise eine Gewerkschaft sich gegen die Zulässigkeit der suspendierenden Aussperrung wendet, so ist sie beweisbelastet für eine Paritätsstörung. Das gleiche gilt, falls die Gewerkschaft geltend macht, sie benötige das zusätzliche Kampfmittel der Betriebsbesetzung zur Wiederherstellung der tatsächlichen Kampfchancen. Im Falle eines non liquet muß es bei einer Verteilung der Kampfmittel nach formellen Paritätsgesichtspunkten bleiben. c) Zusammenfassung Es hat sich gezeigt, daß der von der herrschenden Meinung favorisierte materielle Paritätsbegriff viele Fragen aufwirft, weil allgemein anerkannte Verfahrensregeln zur Bewertung sozialer Macht nicht existieren. Zwar kann das Tarifvertragssystem ohne ein Mindestmaß an tatsächlicher Chancengleichheit im Tarifkonflikt nicht funktionieren. An diese Chancengleichheit kann jedoch nur ein grober Maßstab angelegt werden. Will man nachvollziehbar argumentieren und soll das Ergebnis der Paritätsprüfüng nicht lediglich ein Spiegelbild des jeweiligen Vorverständnisses sein, kommt nur eine Evidenzkontrolle in Frage. Die Brauchbarkeit des materiellen Paritätsbegriffs als Ordnungsprinzip des Arbeitskampfrechts muß daher skeptisch beurteilt werden. 276 Er kann m. E. nur eine Ergänzung normativer, am Gleichbehandlungsgedanken ausgerichteter Erwägungen darstellen. Maßgebend für die Zu273

Vgl. dazu Go//, RdA1980, S. 22, 24; Seiter, RdA 1981, S. 65, 73. Seiter, RdA 1981, S. 65, 73. 275 Göll, RdA 1980, S. 22, 24; Seiter, RdA 1981, S. 65, 73. 276 Vgl. auch Beuthien, Arbeitskampf, S. 35; Dütz, Anm. zu BAG EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 27, S. 73; Eisemann, AuR 1981, S. 357, 366; Hensche, RdA 1996, S. 293, 298 f.; Kisker, RdA 1987, S. 194, 199; Mayer-Maly, Anm. zu BAG AP Nr. 6466 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 947 R; ders., Anm. zu BAG AP Nr. 86 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 1001; Zöllner, DB 1985, S. 2450, 2453. 274

170 6. Kapitel: Angleichung von Arbeitskampfrecht und Betriebsverfassungsrecht teilung von Arbeitskampfmitteln ist zunächst ein formelles Paritätsverständnis, wonach den Kampfparteien rechtlich gleichwertige Waffen zur Verfügung stehen müssen (formelle Kampfmittelparität). Erst wenn das tatsächliche Kräftegleichgewicht offenkundig gestört ist, sind Modifikationen des Arbeitskampfinstrumentariums statthaft (materielle Parität). Diese Konkretisierung des Paritätsprinzips soll keinen radikalen Bruch mit den Vorgaben des BAG darstellen, kann aber vielleicht dazu beitragen, mehr Rechtssicherheit zu erhalten und trotz unsicherer tatsächlicher Grundlagen eine tragfähige Arbeitskampfrechtsordnung zu schaffen.

III. Betriebliehe Mitbestimmung und formelle Kampfmittelparität Nach der hier vertretenen Auffassung weist das Paritätsprinzip sowohl eine formelle als auch eine materielle Dimension auf. Der formelle Aspekt einer rechtlichen Kampfmittelparität bildet den Ausgangspunkt der Paritätsbetrachtung. Im folgenden soll untersucht werden, ob sich daraus nicht ein Lösungsansatz für das Problem der betrieblichen Mitbestimmung im Arbeitskampf ableiten läßt. Die herrschende Meinung hat, dem materiellen Paritätsbegriff verhaftet, stets allein danach gefragt, ob sich das tatsächliche Kräfteverhältnis durch die Beteiligungsrechte des Betriebsrats zum Vorteil der Gewerkschaften verschiebt. 277 Dabei liegt es doch nahe, in der Beteiligung des Betriebsrates an arbeitskampfbezogenen Maßnahmen der Arbeitgeber zunächst eine (rechtliche) Ungleichbehandlung der Kampfjparteien zu sehen. /. Die betriebliche Mitbestimmung als Ungleichbehandlung im Arbeitskampf Nach dem Grundsatz formeller Kampfmittelparität hat die Rechtsordnung die Arbeitskampfmittel der Tarifgegner gleichzubehandeln. Ihnen müssen im Interesse eines fairen Kampfes rechtlich gleichwertige Waffen zu Gebote stehen. Das gilt insbesondere für die Wirkung der Kampfmittel. So liefe es auf eine Ungleichbehandlung hinaus, dem Streik nur suspendierende, der Aussperrung dagegen lösende Wirkung beizumessen.278 Konsequenterweise darf sich der Gleichbehandlungsgedanke aber nicht auf die Wirkungen der Arbeitskampfmittel beschränken. Eine Ungleichbehandlung kann - trotz formell gleicher Rechtswirkungen - auch darin liegen, daß an die Voraussetzungen

277

Vgl. etwa BAG AP Nr. 63 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 310 R; Brill DB 1979, S. 404 f.; Brox in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht Rn. 441, 445 ff.; Eich, DB Beilage 9/1979, S. 3 ff.; Jahn, Beteiligung, S. 85 ff; Rüthers/Henssler, Anm. zu BAG AP Nr. 13 zu § 87 BetrVG Ordnung des Betriebes, Bl. 1079 R ff. 278 Vgl. insbesondere Reuß, AuR 1963, S. 225, 228; ders., AuR 1969, S. 129, 130 f.

C. Angleichung mit Hilfe des Paritätsprinzips

171

für den Kampfmitteleinsatz unterschiedliche Bedingungen geknüpft sind. Die Gewerkschaften würden mit Fug protestieren, falls der Streik an die Genehmigung einer staatlichen Behörde gebunden wäre, die Aussperrung jedoch nicht. Auch dann, wenn die Genehmigung stets erteilt würde, läge eine diskriminierende Ungleichbehandlung vor, für die sich keine sachliche Gründe finden ließen. Eine restriktive Genehmigungspraxis käme gar einer Abschaffüng des Streikrechts gleich. Insofern lassen sich bei den rechtlichen Zulässigkeitsvoraussetzungen der Arbeitskampfmaßnahmen (auf der Tatbestandsseite) ebenso gravierende Eingriffe denken wie bei den Wirkungen der Kampfmaßnahmen (auf der Rechtsfolgenseite). Formelle Kampfmittelparität muß daher auch die Voraussetzungen des Kampfmitteleinsatzes umfassen. Hier liegt m. E. der richtige Ansatzpunkt, um die Problematik der betrieblichen Mitbestimmung im Arbeitskampf zu bewältigen. Die Beteiligung des Betriebsrats während der Tarifauseinandersetzung kann eine Ungleichbehandlung der Kampfjparteien darstellen, soweit die Beteiligungsrechte Arbeitskampfmaßnahmen der Arbeitgeber erfassen. Denn die Gewerkschaften dürfen Kampfmaßnahmen ohne die Mitwirkung einer dritten Instanz durchführen, während die Arbeitgeber den Betriebsrat beteiligen müssen, der ein Interessenvertreter der Arbeitnehmer, also der „Gegenseite" ist. 2 7 9 Diese Ungleichbehandlung läßt sich nicht mehr ohne weiteres durch den Zweck der betriebsverfassungsrechtlichen Mitbestimmungsordnung rechtfertigen, der darin besteht, die Belegschaft vor einseitigen und möglicherweise willkürlichen Eingriffen des Arbeitgebers zu schützen. 280 Im Tarifkonflikt ist es dem Arbeitgeber nämlich erlaubt, den Arbeitnehmern zu schaden 281 , indem er Kampfmittel gegen sie einsetzt. Insofern wird das Schutzbedürfnis der Belegschaft bei Kampfmaßnahmen nicht anerkannt, da arbeitgeberseitige Kampfmaßnahmen sonst generell unzulässig wären. 282 Zulässig sind sie freilich nur in den arbeitskampfrechtlichen Grenzen. Die Schutz- und Schadensbegrenzungsfünktion, die auch während der Tarifauseinandersetzung notwendig ist, übernimmt dann das Arbeitskampfrecht, das den Kreis der erlaubten Kampfmittel festlegt (Paritätsprinzip) und einen exzessiven Kampfmitteleinsatz im Einzelfall untersagt (Verhältnismäßigkeitsprinzip). Schlagwortartig ausgedrückt: Über Arbeitskampfmaßnahmen entscheidet das Arbeitskampfrecht, über sonstige Maßnahmen das Betriebsverfassungsrecht. Maßgeblich ist somit, welche Kampfmaßnahmen dem Arbeitgeber nach den Wertungen des Arbeits-

279 280 281 282

Vgl. Seiter, RdA 1979, S. 393, 399. Vgl. o. 3. Kapitel unter A. Patett, ArbeitskampffernWirkungen, S. 482. Vgl. Bieback/Mayer, AuR 1982, S. 169, 175.

172 6. Kapitel: Angleichung von Arbeitskampfrecht und Betriebsverfassungsrecht kampfrechts zur Verfugung stehen sollen. Sie sind von der betrieblichen Mitbestimmung freizustellen. 283 Der Versuch, die Grenzen der Beteiligungsrechte anhand der zulässigen Kampfmaßnahmen des Arbeitgebers abzustecken, kann sich auf die neuere Rechtsprechung des BAG stützen. Das BAG hat in seinen jüngsten Entscheidungen zur Beteiligung des Betriebsrats im Arbeitskampf einen neuen Lösungsweg beschritten. 284 Das Gericht trennt zwischen „Maßnahmen des Arbeitskampfes", die in keinem Fall mitbestimmungspflichtig seien, und „Maßnahmen während des Arbeitskampfes". 285 Kissel , der bis 1994 Vorsitzender des Ersten Senates und Präsident des BAG war, hat die Grundtendenz des BAG dahingehend beschrieben, daß eine Beschränkung der betrieblichen Mitbestimmung nur da stattfinden werde, wo es unmittelbar um Maßnahmen des Arbeitskampfes oder das unmittelbare Kampfgeschehen gehe; im entfernteren Umfeld komme eine Beschränkung nicht in Betracht. 286 Mit dieser Abstufung bezweckt das BAG, einen Kernbereich der Handlungsfreiheit zu schützen, die das Arbeitskampfrecht dem Arbeitgeber eröffnet. 287 Das paßt gut zur hier vertretenen Ansicht, wonach sich ein Kernbereich des Arbeitskampfrechts gegenüber dem Betriebsverfassungsrecht durchsetzen muß. 288 Als mitbestimmungsfreie „Maßnahme des Arbeitskampfes" erkennt das BAG nicht nur die Aussperrung an. Auch die Kennzeichnung der Werksausweise, um ausgesperrte Arbeitnehmer von nicht ausgesperrten unterscheiden zu können, sei ebenso wie die Aussperrung selbst eine Maßnahme des Arbeitskampfes. 289 Sie dürfe daher ohne Beteiligung des Betriebsrats durchgeführt werden. Obiter dicta hat das BAG erwogen, Einstellungen oder Verset-

283 Bieback/Mayer, AuR 1982, S. 169, 175 ff.,Matthes, MünchArbR, § 323 Rn. 16, 20 ff.; Richardi, Festschrift 10 Jahre Deutsche Richterakademie, S. 111, 120 sprechen sich im Ergebnis für die Suspendierung der betrieblichen Mitbestimmung bei Arbeitskampfmaßnahmen des Arbeitgebers aus; vgl. auch Löwisch/Rumler in Löwisch (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 762: „Der Grundsatz der Kampfparität erfordert, daß der Arbeitgeber über den Einsatz von Kampfmaßnahmen frei und ungehindert von Beteiligungsrechten des Betriebsrats entscheiden kann." 284 BAG AP Nr. 13 zu § 87 BetrVG 1972 Ordnung des Betriebes, AP Nr. 5 zu § 98 BetrVG 1972; vgl. o. 2. Kapitel unter A17, 9. 285 Zustimmend Natzel, SAE 1989, S. 246, 247 f. Ähnlich Wank, ZfA 1987, S. 355, 382: Er unterscheidet „Maßnahmen des Arbeitskampfes" (kein Mitbestimmungsrecht), „Maßnahmen während des Arbeitskampfes" (eingeschränktes Mitbestimmungsrecht) und „Maßnahmen während des Arbeitskampfes in Zusammenhang mit dem Arbeitskampf' (mitbestimmungsfreies „Ob", mitbestimmungspflichtiges „Wie"). 286 Kissel, NZA 1989, S. 81, 83. 287 BAG AP Nr. 5 zu § 98 BetrVG 1972, Bl. 511 R f.; AP Nr. 26 zu § 95 BetrVG 1972, Bl. 50 R f. 288 Vgl. o.unter A, CI. 289 BAG AP Nr. 13 zu § 87 BetrVG Ordnung des Betriebes, Bl. 1075 R.

C. Angleichung mit Hilfe des Paritätsprinzips

173

zungen Arbeitswilliger („Streikbrecher") als Maßnahmen des Arbeitskampfes anzuerkennen. 290 Im Unterschied zu den prinzipiell mitbestimungsfreien „Maßnahmen des Arbeitskampfes" sollen „Maßnahmen während des Arbeitskampfes" nur dann einseitig angeordnet werden können, wenn anderenfalls die Kampfparität gestört sei 291 oder wenn die Freiheit des Arbeitgebers, Kampfmaßnahmen zu ergreifen oder Folgen des Arbeitskampfes abzuwehren, in einem Kernbereich beeinträchtigt wäre. 292 Diese Differenzierung ist vereinzelt kritisiert worden. 293 Es bleibe unklar, aus welchem Rechtsgedanken das BAG den Ausschluß der betriebliche Mitbestimmung bei „Maßnahmen des Arbeitskampfes" herleiten wolle. 2 9 4 In der Tat hat das BAG zur Begründung der Mitbestimmungsfreiheit nur darauf hingewiesen, der Arbeitgeber müsse frei darüber entscheiden dürfen, ob und wie eine Kampfmaßnahme durchzufuhren sei. 295 Wenngleich die Notwendigkeit, Beteiligungsrechte während des Arbeitskampfes zu suspendieren, bei reinen Arbeitskampfmaßnahmen „besonders augenfällig" 296 sein mag, bedarf sie doch eines rechtlichen Fundaments, das über die vom BAG beschworene Entscheidungsfreiheit des Arbeitgebers hinausreicht. Darzulegen ist, inwieweit die Interessen des Arbeitgebers vorrangig sein sollen, wie also der Kreis mitbestimmungsfreier Arbeitskampfmaßnahmen zu bestimmen ist. Zur rechtlichen Absicherung bietet sich der Paritätsgrundsatz an. Entsprechend dem hier vertretenen Paritätskonzept muß eine zweistufige Prüfung erfolgen: Zunächst sind formelle, anschließend materielle Aspekte zu berücksichtigen. Die betriebliche Mitbestimmung entfallt demnach aus formellen Paritätserwägungen, soweit sie eine den Arbeitgeber benachteiligende Ungleichbehandlung der Arbeitskampfmaßnahmen darstellt. Sollen die Beteiligungsrechte des Betriebs-

290 BAG AP Nr. 5 zu § 98 BetrVG 1972, Bl. 511 R f.; AP Nr. 132 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 692. Schon in AP Nr. 44 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 68 R, hatte das BAG beiläufig angemerkt, bei Arbeitgebermaßnahmen wie Einstellungen, Versetzungen und Entlassungen sei der Betriebsrat während des Arbeitskampfes nicht zu beteiligen. 291 BAG AP Nr. 13 zu § 87 BetrVG 1972 Ordnung des Betriebes, Bl. 1075 R; AP Nr. 31 zu § 80 BetrVG 1972, Bl. 827. Dabei geht das BAG offenbar von einem materiellen Paritätsverständnis aus. 292 BAG AP Nr. 5 zu § 98 BetrVG 1972, Bl. 511 R f.; AP Nr. 26 zu § 95 BetrVG 1972, Bl. 50 R f. 293 Vgl. Jahn, Beteiligung, S. 76; Rüthers/Henssler, Anm. zu BAG AP Nr. 13 zu § 87 BetrVG Ordnung des Betriebes, Bl. 1078 f. Im übrigen blieb die neue Linie des BAG im Schrifttum bislang unbeachtet. 294 Rüthers/Henssler, Anm. zu BAG AP Nr. 13 zu § 87 BetrVG Ordnung des Betriebes, Bl. 1078 R. 295 BAG AP Nr. 13 zu § 87 BetrVG 1972 Ordnung des Betriebes, Bl. 1075 R. 296 Rüthers/Henssler, Anm. zu BAG AP Nr. 13 zu § 87 BetrVG Ordnung des Betriebes, Bl. 1078 R.

174 6. Kapitel: Angleichung von Arbeitskampfrecht und Betriebsverfassungsrecht rats darüber hinaus auch bei anderen „Maßnahmen während des Arbeitskampfes 44 eingeschränkt werden, so ist danach zu fragen, ob ohne eine Beschränkung die materielle Parität der Arbeitskampfparteien gestört wäre. Das BAG hat dies zwar häufig in Erwägung gezogen 297 , im Ergebnis aber nur einmal bejaht, nämlich im Hinblick auf die Verlängerung der Arbeitszeit für arbeitswillige Arbeitnehmer in einem streikbetroffenen Betrieb. 298 Diese Entscheidung erging 1979. Im Lichte der neueren Β AG-Rechtsprechung wird man die Arbeitszeitverlängerung allerdings als mitbestimmungsfreie „Maßnahme des Arbeitskampfes" ansehen können, so daß der Rückgriff auf materielle Paritätserwägungen hier nicht erforderlich ist. Ob es überhaupt paritätserhebliche „Maßnahmen während des Arbeitskampfes" gibt, erscheint daher zweifelhaft und soll später untersucht werden. Zunächst gilt es, die beteiligungsfreien Arbeitskampfmaßnahmen näher zu konkretisieren. 2. Die mitbestimmungsfreien

Arbeitskampfmaßnahmen

des Arbeitgebers

Der Arbeitgeber kann während der Tarifauseinandersetzung nicht nur zum Mittel der Aussperrung greifen, sondern eine Vielzahl von Anordnungen treffen, mit denen er auf den Konflikt einwirken will. So kann er beispielsweise, wenn der Betrieb durch den Arbeitskampf noch nicht völlig lahmgelegt ist, arbeitswillige Arbeitnehmer versetzen oder neu einstellen; er kann Überstunden anordnen, um streikbedingte Produktionsausfalle aufzufangen; er kann Arbeitswilligen „Streikbruchprämien" zahlen; er kann Kündigungen gegenüber den Streikenden aussprechen oder sie mit Kameras überwachen; er kann Torkontrollen einführen, um sein Hausrecht gegenüber streikenden und ausgesperrten Arbeitnehmern zu sichern; er kann von der sonst üblichen Form der Lohnauszahlung abweichen, um zu verhindern, daß die Streikenden Arbeitsentgelt erhalten, er kann die Werksmietwohnungen streikbeteiligter Arbeitnehmer kündigen und die Wohnungen an Arbeitswillige vergeben; er kann seinen Betrieb schließlich ganz stillegen, also die Produktion endgültig einstellen. Im Schrifttum finden sich Stimmen, die alle diese Maßnahmen für mitbestimmungsfrei erklären. 299 Aber handelt es sich wirklich durchweg um Arbeitskampfmaßnahmen, bei denen eine Beteiligung des Betriebsrats ausgeschlossen ist? Gewiß: Der Arbeitgeber, der diese Anordnungen durchführen will, wird geltend machen, er reagiere doch nur auf den Arbeitskampf, daran dürfe ihn der Betriebsrat nicht hindern. Aber ebenso gewiß kann es nicht dar-

297 Vgl. BAG AP Nr. 20 zu § 102 BetrVG 1972; AP Nr. 63 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; AP Nr. 31 zu § 80 BetrVG 1972; AP Nr. 5 zu § 98 BetrVG 1972. 298 BAG AP Nr. 63 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 310 R. 299 Vgl. ζ. B. Kraft, Festschrift G. Müller, S. 265, 275 ff. Ausführlich zu den einzelnen Maßnahmen im 7. Kapitel unter A, B.

C. Angleichung mit Hilfe des Paritätsprinzips

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auf ankommen, welche Handlungen der Arbeitgeber als Arbeitskampfmaßnahmen deklariert. Es gibt keinen Grundsatz der Kampfmittelfreiheit in dem Sinne, daß es den Arbeitskampfparteien erlaubt wäre, ihre Kampfmittel frei festzulegen. 300 Man darf dem Arbeitgeber nicht gestatten, im Wege einer Selbstdefinition 301 zu entscheiden, wann der Betriebsrat zu beteiligen ist und wann nicht. Vielmehr muß die Arbeitskampfrechtsordnung bestimmen, welche Kampfmaßnahmen zulässig sind. Das richtet sich nach dem Paritätsprinzip, das seine Eignung als Konkurrenzregel für das Verhältnis von Arbeitskampfund Betriebsverfassungsrecht durch eine hinreichend klare Abgrenzung mitbestimmungsfreier Kampfmaßnahmen von sonstigen (weiterhin mitbestimmungspflichtigen) Maßnahmen unter Beweis stellen muß. a) Die Aussperrung Die Aussperrung als Kampfmittel der Arbeitgeberseite wird mittlerweile nahezu einhellig anerkannt. 302 Das gilt jedenfalls für die suspendierende Abwehraussperrung, mit der die Arbeitgeber auf einen enggeführten Teil- oder Schwerpunktstreik reagieren. 303 Ihre Zulässigkeit begegnet weder unter dem Gesichtspunkt formeller noch unter dem Gesichtspunkt materieller Parität grundsätzlichen Bedenken. 304 Die Arbeitskampfmaßnahme der Aussperrung ist nicht mitbestimmungspflichtig nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG oder nach § 102 BetrVG. 3 0 5 Das er300

Vgl. o. unter Β ΠΙ. Überzeugend zum Verbot der Selbstdefinition bei der Bestimmung der Reichweite grundrechtlich geschützter Freiheiten Isensee, Freiheitsrechte, S. 10, 23 ff. Kann der Normunterworfene selbst den Anwendungsbereich einer Vorschrift bestimmen, fallen also Normgeber und Normadressat zusammen, so verliert die Vorschrift ihren Normcharakter; vgl. zur Struktur der Rechtsnorm etwa Röhl, Rechtslehre, S. 191 ff. 302 Vgl. o. unter C Π 2 a, Fußnote 136. 303 BAG AP Nr. 64, 65, 84, 101 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BVerfGE 84, S. 212 ff. 304 Ausführlich dazu Heenen, Kampfparität, S. 83 ff., 179 ff.; G. Müller, Arbeitskampf, S. 162 ff.; Raiser , Aussperrung, S. 59 ff.; Rüthers, Aussperrung, S. 70 ff.; Scholz/Konzen, Aussperrung, S. 186 ff.; Seiter, Streikrecht, S. 323 ff.; Zöllner, Aussperrung, S. 24 ff.; einschränkend Bertelsmann, Aussperrung, S. 244 ff.; 328 ff. A. A. Wolter in Däubler (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 876 ff.; Zachert/Metzke/Hamer, Aussperrung, S. 125 if., die allerdings von einem abzulehnenden Gesamtparitätskonzept ausgehen. 305 Allgemeine Ansicht, vgl. BAG AP Nr. 13 zu § 87 BetrVG 1972 Ordnung des Betriebes, Bl. 1075 R f.; Borrmann, DB 1978, S. 1978, 1981; Bieback/Mayer, AuR 1982, S. 169, 172, 175; Dietz/Richardi, § 74 BetrVG Rn. 32, § 102 BetrVG Rn. 27; Dütz, DB Beilage 14/1979, S. 13; Fitting/Kaiser/Heither/Engels, § 102 BetrVG Rn. 10a; Häßler, Beteiligungsrechte, S. 47; Jahnke, ZfA 1984, S. 69, 88; Kraft, Festschrift G. Müller, S. 265, 275; Kreutz in GK-BetrVG, § 74 BetrVG Rn. 68; Schlochau301

176 6. Kapitel: Angleichung von Arbeitskampfrecht und Betriebsverfassungsrecht kennen auch diejenigen an, die sich generell gegen eine Suspendierung von Beteiligungsrechten im Arbeitskampf aussprechen. 306 Es läßt sich wohl kaum bezweifeln, daß eine unzulässige rechtliche Ungleichbehandlung vorläge, wenn die Aussperrung an die Beteiligung des Betriebsrats gem. § 87 Abs. 1 BetrVG gebunden, also einem echten Mitbestimmungsrecht unterworfen wäre. Der Grundsatz formeller Kampfmittelparität gebietet daher, die Aussperrung von der betrieblichen Mitbestimmung freizustellen. b) Die Kampftaktik der Weiterproduktion Gibt es neben der Aussperrung noch weitere Kampfmaßnahmen der Arbeitgeberseite, die nicht der Mitbestimmung des Betriebsrats unterliegen? Das BAG hat das für die Veränderung des Werksausweises als aussperrungsnotwendige Maßnahme bejaht 307 und für den Einsatz von Arbeitswilligen auf den Arbeitsplätzen Streikender erwogen 308 , ohne jedoch allgemeinere Ausführungen zur Problematik zu machen. Ein Blick auf die Arbeitskampfpraxis in der Bundesrepublik gibt Veranlassung, dieser Frage nachzugehen. Die Arbeitgeber haben bislang vom Kampfmittel der Aussperrung nur zurückhaltenden Gebrauch gemacht. 309 Andererseits haben sie nicht jede Tarifforderung der Gewerkschaften sofort erfüllt und waren durchaus bereit, Arbeitskämpfe hinzunehmen. 310 Offenbar bestand ihre Arbeitskampfstrategie darin, nicht gleich in Form der Aussperrung zurückzuschlagen, sondern sich auf die Streikabwehr zu beschränken und „durchzuhalten". 311 Maßnahmen, mit denen Arbeitgeber die Folgen eines Streiks abwehren können, sind bereits beispielhaft genannt worden. 312 Im wesentlichen

er in Hess/Schlochauer/Glaubitz, § 102 BetrVG Rn. 9; Schwerdtner, Arbeitsrecht I, S. 100; Seiter, RdA 1979, S. 393, 397 f. 306 Z. B. Borrmann, DB 1978, S. 1978, 1981; Jahn, Beteiligung, S. 95; Patett, ArbeitskampffernWirkungen, S. 472 f. 307 BAG AP Nr. 13 zu § 87 BetrVG 1972 Ordnung des Betriebes, Bl. 1075 R f. 308 BAG AP Nr. 5 zu § 98 BetrVG 1972, Bl. 511 R; AP Nr. 132 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 692. 309 Vgl. dazu Bertelsmann, Aussperrung, S. 82 ff., insbesondere S. 86 f.; Scholz/Konzen, Aussperrung, S. 14 ff. (zu den Arbeitskämpfen in der Druck- und Metallindustrie 1978); Wolter in Däubler (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 851 ff. 310 Vgl. zu Ausgangspositionen und Ergebnissen der Tarifverhandlungen bis 1978 etwa Göll, Arbeitskampfparität, S. 149 ff., 176 ff. 311 Bertele, Aussperrung, S. 89 ff. und Bertelsmann, Aussperrung, S. 286 halten diese Taktik für die entscheidende Waffe der Arbeitgeber im Arbeitskampf. Vgl. auch Löwisch, ZfA 1971, S. 319, 329 ff.; Seiter, Streikrecht, S. 292, 358; Wiedemann , RdA 1969, S. 321,332. 312 Vgl. o. unter C m 2 sowie 1. Kapitel unter B.

C. Angleichung mit Hilfe des Paritätsprinzips

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geht es darum, die Betriebstätigkeit trotz der Arbeitsniederlegung fortzufuhren - etwa durch Neueinstellungen, Versetzungen oder die Verlängerung der Arbeitszeit in nicht kampfbetroffenen Betriebsteilen. Dieses Verhalten wird als „Kampftaktik der Weiterproduktion" bezeichnet. 313 Insbesondere dann, wenn sich ein Unternehmen auf Märkten mit hohem Konkurrenzdruck betätigt, kommt der Weiterproduktion während des Arbeitskampfes hohe Bedeutung zu. Durch die Aufrechterhaltung der betrieblichen Produktion wird vermieden, daß aufgrund der arbeitskampfbedingten Störungen Marktanteile an die Konkurrenz verloren gehen. 314 Auch beim Streik um einen Firmentarifvertrag kann sich der nicht verbandsangehörige Arbeitgeber regelmäßig nur gegen die Arbeitsniederlegung wehren, indem er versucht, die Produktion weiterzufuhren. 315 Sofern es sich nicht um einen Großkonzern handelt, ist die Aussperrung ineffektiv, weil das Beschäftigungs- und Aussperrungspotential des Arbeitgebers zu klein ist, um auf eine große Gewerkschaft Druck auszuüben.316 Zu überlegen ist, ob die Maßnahmen, die die Arbeitgeber im Rahmen der „Kampftaktik der Weiterproduktion" treffen, als echte Arbeitskampfmaßnahmen der Aussperrung gleichzustellen und damit nach dem Prinzip formeller Kampfmittelparität mitbestimmungsfrei sind. aa) Allgemeine Merkmale von Arbeitskampfmaßnahmen Eine Gleichstellung der Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der Produktion mit der Aussperrung setzt voraus, daß die Kampftaktik der Weiterproduktion sich - ebenso wie die Aussperrung - als Arbeitskampfmittel begreifen läßt. Fragt man nach den Merkmalen von Arbeitskampfmaßnahmen, so wird vielfach gesagt, es müsse sich um kollektive Maßnahmen zur Störung der Arbeitsbeziehungen durch Druckausübung handeln. 317 Diese Definition ist aller-

313

So Belling/v. Steinau-Steinrück, DB 1993, S. 534, 536, v. Hoyningen-Huene, DB 1989, S. 1466, 1467; Kalb, Arbeitskampfrecht Rn. 227; Löwisch, ZfA 1971, S. 319, 329 ff; Randerath, Kampfkündigung, S. 44. In diesem Zusammenhang sprechen Belling , NZA 1990, S. 214, 218; Seiter, Streikrecht, S. 292 und Löwisch, RdA 1987, S. 219, 223 f. von der „Taktik der offenen Tür"; so auch BAG, DB 1996, S. 223. 314 Belling , NZA 1990, S. 214, 218; Belling/v. Steinau-Steinrück, DB 1993, S. 534, 536. 315 Bertelsmann, Aussperrung, S. 360; Löwisch, ZfA 1972, S. 319, 336 f.; Löwisch/Rieble in Löwisch (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 401; Seiter, Streikrecht, S. 358 f. 316 Schwarze, RdA 1993, S. 264, 271. 317 Dazu Brox in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht Rn. 17 ff.; Däubler in Däubler (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 50 ff ; Hueck/Nipperdey/Säcker, Arbeitsrecht Π/2, S. 870; Löwisch/Rieble in Löwisch (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 222 ff, 245 ff; Randerath, Kampfkündigung, S. 46; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, § 39 V 1, S. 400. 12 Jansen

178 6. Kapitel: Angleichung von Arbeitskampfrecht und Betriebsverfassungsrecht dings in ihrer Allgemeinheit problematisch, denn entscheidend für den Begriff der Arbeitskampfmaßnahme muß sein, welche Rechtsfolgen sich jeweils an ihn anschließen sollen. 318 Gleichwohl können die genannten Merkmale einen ersten Anhaltspunkt bilden, der jedoch um teleologische Erwägungen zu ergänzen ist. Fest steht zunächst, daß die Kampftaktik der Weiterproduktion geeignet ist, Druck auf den Arbeitskampfgegner auszuüben. Die Streikschäden vermindern sich für den Arbeitgeber, sofern die Produktion auch nur teilweise fortgeführt werden kann. Die Druckwirkung auf die Gewerkschaft besteht darin, daß die Druckwirkung des Streiks gemindert wird 3 1 9 ; unter Umständen bleibt die Arbeitsniederlegung sogar ganz wirkungslos. Spätestens in diesem Falle wird die Zahl der Arbeitswilligen zunehmen und die Streikfront zu bröckeln beginnen. Den Maßnahmen der Weiterproduktionstaktik ist auch die notwendige Kollektivität zu eigen. Sie betreffen nämlich nicht nur einzelne, sondern eine Vielzahl von Arbeitnehmern. Zweifelhaft ist allein, ob eine Störung der arbeitsvertraglichen Beziehungen vorliegt. Während die Aussperrung Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsvertrag suspendiert, entfaltet die Kampftaktik der Weiterproduktion keine derartigen Auswirkungen. Sie ist im Gegenteil gerade auf Entstörung ausgerichtet: Der Arbeitgeber reagiert auf die vom Streik ausgehende Störungswirkung. Weil aber der Streik bereits stört, wird man auf eine „zusätzliche" Störung verzichten können. 320 Die vom Arbeitgeber beabsichtigte Störungsabwehr erscheint angesichts der damit verbundenen Druckwirkung auf die Gegenseite ausreichend, um von einer Kampfmaßnahme sprechen zu können. 321 Nach ihrem Erscheinungsbild ist die Kampftaktik der Weiterproduktion daher mit der Aussperrung vergleichbar. Das spricht für ihre Einordnung als Arbeitskampfmittel. 322 Dem steht nicht entgegen, daß die Maßnahmen im Rahmen einer Weiterproduktionstaktik regelmäßig nicht durch den Arbeitgeberverband, sondern auf betrieblicher Ebene durch den einzelnen Arbeitgeber angeordnet werden. Denn grundsätzlich kann auch der

318 Zur rechtsfolgenorientierten Begriffsbildung vgl. Wank, Begriffsbildung, S. 77 ff., insbesondere S. 90 - 92. 319 So Schwarze, RdA 1993, S. 264, 267 im Hinblick auf Streikbruchprämien. 320 v. Hoyningen-Huene, DB 1989, S. 1466. 321 Schwarze, RdA 1993, S. 264, 267 f.; vgl. auch Wesch, Arbeitskampfmittel, S. 199 ff. 322 Wesch, Arbeitskampfmittel, S. 201 bezeichnet die Produktionsfortführung ausdrücklich als Kampfmittel der Arbeitgeber. Buchner, SAE 1973, S. 42, 44 weist darauf hin, daß das System der Arbeitskampfmittel auch einzelne auf individualrechtlicher Ebene liegende Elemente umfasse; ähnlich Eich, DB Beilage 9/1979, S. 5.

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Einzelunternehmer - sogar als Außenseiter 323 - Träger von Kampfmaßnahmen sein, da er gem. § 2 Abs. 1 TVG tariffähig ist. 3 2 4 bb) Kausalitäts- und Finalitätsanforderungen Teilweise wird verlangt, als (mitbestimmungsfreie) Maßnahmen des Arbeitskampfes nur solche anzuerkennen, die durch den Arbeitskampf bedingt sind 3 2 5 und mit denen der Arbeitgeber auf das Kampfgeschehen einwirken wolle. 3 2 6 Diese Kriterien sollen Arbeitskampfmaßnahmen von anderen Maßnahmen des Arbeitgebers abgrenzen, die ohne Rücksicht auf den Arbeitskampf getroffen werden und mit ihm nichts zu tun haben. 327 Ob die Kausalitäts- und Finalitätsanforderungen diese Unterscheidungsfunktion erfüllen können, ist allerdings zweifelhaft. 328 Abwehrmaßnahmen folgen dem Streik nicht mit naturgesetzlicher Strenge. Vielmehr beruht jede Anordnung, die der Arbeitgeber anläßlich des Arbeitskampfes trifft, auf einem autonomen Willensentschluß. Der Arbeitgeber kann sich aber durch den Streik zu einer Vielzahl ganz unterschiedlicher Maßnahmen veranlaßt sehen, mit denen er auf den Tarifkonflikt einwirken will. Käme es allein darauf an, so wäre praktisch die gesamte Betriebsverfassung zur Disposition des Arbeitgebers gestellt; die erforderliche Angleichung arbeitskampfrechtlicher und betriebsverfassungsrechtlicher Wertungen würde verfehlt. Die Kriterien der Kampfbedingtheit und Kampfbezogenheit taugen daher nicht zur generellen Abgrenzung der Kampfmaßnahmen von den sonstigen Anordnungen des Arbeitgebers. Sie können jedoch dazu dienen, im Einzelfall diejenigen Maßnahmen auszusondern, die zwar grundsätzlich als Kampfmittel in Betracht kommen, in der konkreten Situation aber nicht aus Gründen des Arbeitskampfes durchge323 BVerfGE 84, S. 212, 225; BAG AP Nr. 124 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 184 f.; AP Nr. 137 a. a. O., Bl. 621; zur Rechtsstellung des Außenseiters im Arbeitskampf Häuser, Festschrift O. R. Kissel, S. 297 ff.; Lieb, ebenda, S. 653 ff.; eingehend Thüsing, Außenseiter. 324 BAG GS AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 310 R f.; Otto in MünchArbR, § 278 Rn. 66 ff.; ausführlich Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 135 ff.; Seiter, Streikrecht, S. 87 ft: 325 Zur Kausalität des Arbeitskampfes für den Kampfmitteleinsatz vgl. BAG AP Nr. 63 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 310; AP Nr. 20 zu § 102 BetrVG 1972, Bl. 198 R; AP Nr. 13 zu § 87 BetrVG 1972, Bl. 1075 R; Derleder, Festschrift A. Gnade, S. 427, 433; Jahn, Beteiligung, S. 80; Kraft, SAE 1979, S. 303, 304. 320 Zur Finalität der Arbeitskampfmaßnahme vgl. BAG AP Nr. 44 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 68 R f.; AP Nr. 63 a. a. O., Bl. 310 R; AP Nr. 20 zu § 102 BetrVG 1972, Bl. 199; Jahn, Beteiligung, S. 80; Richardi, Festschrift 10 Jahre deutsche Richterakademie, S. I l l , 122, 124. 327 Vgl. BAG AP Nr. 20 zu § 102 BetrVG 1972, Bl. 199. 328 Skeptisch auch Biebackfofayer, AuR 1982, S. 169, 172 f.

180 6. Kapitel: Angleichung von Arbeitskampfrecht und Betriebsverfassungsrecht führt werden. So sind beispielsweise Neueinstellungen arbeitswilliger Arbeitnehmer generell geeignet, die Weiterproduktion während des Arbeitskampfes zu ermöglichen. Neueinstellungen, die diesem Zweck dienen, tragen somit den Charakter einer Kampfmaßnahme. Denkbar ist allerdings auch, daß der Arbeitgeber während der Tarifauseinandersetzung nur deshalb einen neuen Mitarbeiter einstellt, weil es sich um einen schon lange gesuchten Spezialisten handelt. In diesem Fall liegt keine mitbestimmungsfreie Kampfmaßnahme vor, sofern die Neueinstellung keinerlei Auswirkungen auf die Möglichkeit zur Weiterproduktion hat. Hier besteht kein Grund für eine Einschränkung der betrieblichen Mitbestimmung. Kausalitäts- und Finalitätsaspekte sind demnach notwendige, aber keine hinreichenden Kriterien für mitbestimmungsfreie Maßnahmen zur Sicherung der Weiterproduktion. cc) Maßnahmen der Weiterproduktionstaktik als privilegierenswerte Kampfmittel Ob die Kampftaktik der Weiterproduktion als Mittel des Arbeitskampfes bezeichnet werden kann oder nicht, läuft auf bloße Wortklauberei hinaus, solange man sich nicht klarmacht, welche Rechtsfolgen sich an die begriffliche Einordnung anschließen sollen. Es geht darum, Maßnahmen im Rahmen einer Kampftaktik der Weiterproduktion von der betrieblichen Mitbestimmung freizustellen, sie also in dieser Hinsicht ebenso zu privilegieren wie die Aussperrung. Die entscheidende Frage ist mithin, ob sich diese Privilegierung rechtfertigen läßt. (1) Die Privilegierung von Arbeitskampfmaßnahmen Mit dem Einsatz von Kampfmaßnahmen versuchen die Arbeitskampfparteien, während der Tarifauseinandersetzung Druck auf den Gegner auszuüben, ihn zu schädigen. Die klassischen Mittel, derer sie sich dazu bedienen, sind nach der Rechtsordnung des Arbeitsfriedens verboten. Der Streik stellt, zivilrechtlich betrachtet, einen Bruch des Arbeitsvertrages dar, der schuldrechtliche und deliktische Schadensersatzansprüche auslöst. Das gleiche gilt für die Aussperrung: Der Arbeitgeber begibt sich durch die Nichtannahme der angebotenen Arbeitsleistung in Annahmeverzug und bleibt gem. § 615 BGB zur Lohnzahlung verpflichtet, unter Umständen muß er auch Schadensersatz leisten. Alle diese Rechtsfolgen treten im Falle eines rechtmäßigen Arbeitskampfes nicht ein. Der Sache nach handelt es sich um eine teleologische Reduktion, die üblicherweise damit begründet wird, das Arbeitsverhältnis sei

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durch die Kampfmaßnahmen suspendiert. 329 Die Haftungsregeln des Zivilrechts leben jedoch bei rechtswidrigen Kampfmaßnahmen sofort wieder auf. 3 3 0 Daraus wird deutlich, daß die Wertungen des Zivilrechts von denen des Arbeitskampfrechts überlagert sind. Erweist sich eine Kampfmaßnahme arbeitskampfrechtlich als unstatthaft, so bleibt es bei den Haftungsvorschriften des BGB. Ist die Maßnahme aber nach den Grundsätzen des Arbeitskampfrecht zulässig, dürfen keine zivilrechtlichen Sanktionen an sie geknüpft werden. Das Arbeitskampfrecht bildet eine Sonderrechtsordnung, die den Bruch des „normalen Rechts" legitimiert. 331 Insofern sind zulässige Arbeitskampfmaßnahmen privilegiert. 332 Streik und Aussperrung bedürfen weder einer Kündigung des Arbeitsvertrages 333 noch lösen sie Schadensersatzansprüche aus. Die Aussperrung ist überdies in betriebsverfassungsrechtlicher Hinsicht privilegiert, denn sie unterliegt nicht der Mitbestimmung des Betriebsrats. Arbeitskampfrechtliche Wertungen rechtfertigen das Abweichen von den Regeln des Betriebsverfassungsgesetzes. 334 Die Kampftaktik der Weiterproduktion bedarf im Gegensatz zu den traditionellen Kampfmitteln des Streiks und der Aussperrung keiner Privilegierung in zivilrechtlicher Hinsicht. Die Maßnahmen, die der Arbeitgeber zur Aufrechterhaltung der Produktion trifft, verstoßen nämlich regelmäßig nicht gegen die arbeitsvertraglichen Pflichten oder gegen die Vorschriften des BGB. 3 3 5 Es handelt sich insoweit um eine grundsätzlich zulässige Reaktion des Arbeitgebers auf den Streik. 336 Allerdings sind einzelne Maßnahmen beteiligungspflichtig nach dem Betriebsverfassungsgesetz. Nur im Hinblick auf die betriebliche Mitbestimmung stellt sich die Frage der Privilegierung.

329

Vgl. Brox in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht Rn. 288 f., 314; Dütz, Arbeitsrecht Rn. 669 f.; Hanau/Adomeit, Arbeitsrecht C ΠΙ 7 a, S. 91; Löwisch/Krauß in Löwisch (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 503 ff.; Kalb, Arbeitskampfrecht Rn. 230 f., 256; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, § 41 I, S. 428. 330 Vgl. etwa Brox in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht Rn. 322 ff; Dütz, Arbeitsrecht Rn. 690 ff.; Löwisch/Krauß in Löwisch (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 536 ff. 331 Schwarze, RdA 1993, S. 264, 265. Ehmann, NZA 1991, S. 1 spricht vom Arbeitskampf als „historisch-moralischer Rechtfertigung des Rechtsbruchs". 332 Dazu Kalb, Arbeitskampfrecht Rn. 89 ff.; Seiter, Streikrecht, S. 7 ff., 182 ff., 482 ff. 333 BAG GS AP Nr. 1 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Seiter, Streikrecht, S. 7. 334 Vgl. o. unter C ffl 2 a sowie 7. Kapitel unter A l l a . 335 Allenfalls die Zahlung von Streikbruchprämien könnte gegen § 612a BGB verstoßen, vgl. B. Gaul, NJW 1994, S. 1025, 1027 f.; Rolfs, DB 1994, S. 1237, 1240; Schwarze, RdA 1993, S. 264, 265 f., alle m. w. N. Zu dieser Problematik 7. Kapitel unter A12 c. 336 BAG AP Nr. 86 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 212 R f.; AP Nr. 127 a. a. O., Bl. 339 R f.; AP Nr. 130 a. a. O., Bl. 195; Löwisch, RdA 1987, S. 219, 222 f.

182 6. Kapitel: Angleichung von Arbeitskampfrecht und Betriebsverfassungsrecht (2) Die arbeitskampfrechtliche Zulässigkeit milderer Mittel als Streik und Aussperrung Ausgangspunkt der folgenden Überlegungen ist, daß die Aussperrung - jedenfalls in Gestalt der suspendierenden Abwehraussperrung - eine grundsätzlich zulässige Arbeitskampfmaßnahme der Arbeitgeber darstellt. Ihre Funktion besteht hauptsächlich darin, im Falle eines Schwerpunktstreiks durch die Ausweitung des Kampfrahmens Druck auf die Gegenseite auszuüben. Die Gewerkschaften können versuchen, den streikbedingten Lohnausfall für die Arbeitnehmer und damit auch ihre eigenen Arbeitskampfkosten gering zu halten, indem sie nur einzelne Betriebe oder Betriebsteile zum Streik aufrufen. 337 Hiergegen dürfen sich die Arbeitgeber durch die Aussperrung bislang nicht streikender Arbeitnehmer wehren, um deren Lohnansprüche auszuschließen. 338 Die Ausweitung des Kampfrahmens vergrößert den Druck auf die Gewerkschaften, die in aller Regel satzungsmäßig verpflichtet sind, Lohnersatzleistungen („Streikgeld") an ihre Mitglieder zu erbringen. 339 Weil die Aussperrung auf eine Ausweitung des Arbeitskampfes gerichtet ist, erhöht sie notwendigerweise den Schaden, der infolge der Tarifauseinandersetzung entsteht. 340 Dennoch ist die Aussperrung als Kampfmaßnahme privilegiert. Das legt die Annahme nahe, ein Verhalten, das die Arbeitskampfschäden nicht vergrößert, sondern sie im Gegenteil mindert, müsse erst recht privilegiert werden. Bleiben die schädlichen Folgen dieses Verhaltens hinter der Aussperrung zurück, so handelt es sich ihr gegenüber um ein milderes Mittel. 3 4 1 Die Erwägung, wenn schon ein schwerwiegender Eingriff gestattet wird, sei auch der Einsatz eines milderen Mittels erlaubt, stellt methodisch ein argumentum a maiore ad minus 3 4 2 dar und beruht der Sache nach auf dem allgemeinen Rechtsgedanken der Verhältnismäßigkeit. 343 Im öffentlichen Recht

337 Zu den unterschiedlichen Formen des Streiks Bieback in Däubler (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 313 ff., 432 ff.; Däubler, ebenda, Rn. 59 ff. 338 BAG AP Nr. 64 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 921 ff.; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht § 39 IV 1, S. 398. 339 Rüthers, Aussperrung, S. 105; Seiter, RdA 1981, S. 65, 78. 340 Gaudecki, Schadensbegrenzung, S. 112 f. 341 Vgl. dazu Eich, DB Beilage 9/1979, S. 5; v. Hoyningen-Huene, DB 1989, S. 1466, 1468; Lohtz in Lieb/v. Stebut/Zöllner, Arbeitskampfrecht, S. 117, 141; Oetker, Anm. zu BAG AP Nr. 130 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 193 f.; Rolfs, DB 1994, S. 1237, 1241; Scholz/Konzen, Aussperrung, S. 215; Zöllner, Festschrift E. Bötticher, S. 424,437 f.; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, § 40 VI 5 a, S. 418. 342 Dazu Larenz, Methodenlehre, S. 389 f.; E. Schneider, Logik, S. 120 ff.; Zippelius, Methodenlehre, S. 64. 343 Vgl. zur historischen Entwicklung des Verhältnismäßigkeitsgedankens Wieakker, Festschrift für Fischer, S. 867 ff.

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werden über diesen Erst-recht-Schluß Eingriffsmöglichkeiten der Verwaltung begründet. So enthält § 49 Abs. 2 VwVfG Fälle, in denen die Behörde einen rechtmäßigen begünstigenden Verwaltungsakt widerrufen darf. Liegt einer dieser Fälle vor, so ist die Behörde erst recht (über den Anwendungsbereich des § 48 VwVfG hinaus) befugt, einen rechtswidrigen Verwaltungsakt zurückzunehmen, da der Widerruf eines rechtmäßigen Verwaltungsaktes im Vergleich zur Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes der schwerwiegendere Eingriff ist. 3 4 4 - Unter den Voraussetzungen der §§ 48, 49 VwVfG kann ein Verwaltungsakt ganz aufgehoben werden. Erst recht muß dann eine Teilaufhebung oder nachträgliche Anordnung zulässig sein. 345 - § 15 VersG deckt als Minus zur Auflösung auch die bloße Beschränkung einer Versammlung. 346 - Ein Beispiel aus dem Strafrecht: Das Notwehrrecht des § 32 StGB rechtfertigt jede Handlung, die erforderlich ist, um einen rechtswidrigen Angriff zu brechen. Der Spaziergänger, der überfallen wird, darf daher den Täter mit seinem Schirm bewußtlos schlagen; erst recht darf er mit dem Schirm die Schläge des Angreifers abwehren, mag dieser sich auch dabei verletzen. 347 Der allgemeine Gedanke, daß dort, wo ein intensiver Eingriff zu dulden ist, erst recht ein weniger gravierender zulässig sein muß, läßt sich auf das Arbeitskampfrecht übertragen. Während des Tarifkonflikts haben die Kampfparteien weitreichende Eingriffsmöglichkeiten. Arbeitskämpfe betreffen nicht nur diejenigen, die an der Tarifauseinandersetzung unmittelbar beteiligt sind, sondern auch Dritte sowie die Allgemeinheit. 348 In einer verflochtenen Wirtschaftsstruktur, wie sie in der Bundesrepublik vorherrscht, können Streiks und Aussperrungen rasch ausufernde Folgen mit sich bringen, weil arbeitskampfbetroffene Unternehmen ihre Leistungspflichten nicht mehr zu erfüllen imstande sind. 3 4 9 Trotz der Schäden, die durch den Kampfmitteleinsatz hervorgerufen werden, läßt die Rechtsordnung Arbeitskämpfe im Interesse einer 344

OVG Münster, NJW 1985, S. 281, 282; Sachs in Stelkens/Bonk/Leonhard, § 49 VwVfG Rn. 4 m. w. N. 345 BVerwGE 71, S. 261, 262; Stelkens/Sachs in Stelkens/Bonk/Leonhard, §48 VwVfG Rn. 65 m. w. N. 346 Dietel/Gintzel/Kniesel § 15 VersG Rn. 66 f.; Ridder/Breitbach/Rühl/Steinmeier, § 15 VersG Rn. 296 f., jeweils m. w. N. 347 Nach BGHSt 25, S. 229 ist durch § 32 StGB gedeckt, wer eine schwächere als die ihm zustehende Verteidigungshandlung wählt und dadurch fahrlässig einen Erfolg verursacht, den er auch vorsätzlich hätte herbeiführen dürfen; vgl. auch Lenckner in Schönke/Schröder, § 32 StGB Rn. 35. 348 BVerfGE 18, S. 18, 30; BAG GS AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 309 R; AP Nr. 64 a. a. O., Bl. 922 R. 349 Gaudecki, Schadensbegrenzung, S. 3; Reuter, Festschrift F. Böhm, S. 521, 536; Richardi, Festschrift für Molitor, S. 269, 272. Vgl. zu den wirtschaftlichen Auswirkungen von Streiks die Analyse von Bohr, Regelungen, S. 316 ff.

184 6. Kapitel: Angleichung von Arbeitskampfrecht und Betriebsverfassungsrecht funktionsfähigen Tarifautonomie z u 3 5 0 - jedoch nur in den Grenzen des Arbeitskampfrechts, das in weiten Teilen auf das Ziel der Schadensbegrenzung ausgerichtet ist. 3 5 1 Arbeitskämpfe sind nur zur Erzwingung eines TarifVertragsschlusses 352 und nur im Rahmen der Verhältnismäßigkeit 353 zulässig. Vor allem das Verhältnismäßigkeitsprinzip erfüllt eine schadensbegrenzende Funktion. Sein Geltungsgrund im Arbeitskampfrecht besteht gerade darin, daß die Tarifgegner erhebliche Eingriffe in die Belange der Gegenseite und der Allgemeinheit vornehmen können. 354 Ließe die Rechtsordnung auch unverhältnismäßige Eingriffe zu, würde sie ihre Friedensfünktion verfehlen. 355 Zum Aspekt der Schadensminderung finden sich allerdings auch kritische Stellungnahmen. 356 So wird teilweise verlangt, man solle nicht allein die Kosten, sondern auch die Erträge des Arbeitskampfes berücksichtigen. Sie bestünden darin, daß gerechte Arbeitsbedingungen geschaffen würden. 357 Dagegen ist zunächst einzuwenden, daß man die Frage, wann Arbeitsbedingungen „gerecht" sind, wohl kaum objektiv nachvollziehbar beantworten kann. Abgesehen davon sind ökonomische Schäden und gerechte Arbeitsbedingungen in-

350 BAG GS AP Nr. 1 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 220 R f.; v. HoyningenHuene», DB 1989, S. 1466, 1468 (Arbeitskampf als „notwendiges Obel"). - Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, § 40 VI, S. 402 bemerken dazu, daß Arbeitskämpfe trotz ihrer wirtschaftlich unerwünschten Folgen im Grundsatz positiv zu bewerten seien, sozialpsychologisch könne von ihnen sogar ein „befriedender und stabilitätserhöhender Effekt" ausgehen; ähnlich Däubler in Däubler (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 69 ff., 74. 351 Vgl. Gaudecki, Schadensbegrenzung, S. 25 ff., 84 ff. 352 BAG GS AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 309 R; BAG AP Nr. 64 a. a. O., Bl. 913; AP Nr. 82 a. a. O., Bl. 578, AP Nr. 85 a. a. O., Bl. 547; Kalb, Arbeitskampfrecht Rn. 96 ff; Löwisch/Rieble in Löwisch (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 287 ff; Rüthers in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht Rn. 138 ff.; Seiter, Streikrecht, S. 482 ff.; abweichend Bieback in Däubler (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 367 ff., 402 ff. 353 BAG GS AP Nr. 1 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 220 R, 224 R; BAG GS AP Nr. 43 a. a. O., Bl. 309 R f.; BAG AP Nr. 64 a. a. O., Bl. 922 R ff.; AP Nr. 81 a. a. O., Bl. 573 ff.; AP Nr. 108 a. a. O., Bl. 739 ff; Kalb, Arbeitskampfrecht Rn. 117 ff.; Kreuz, Verhältnismäßigkeit, S. 54 ff.; Löwisch/Rieble in Löwisch (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 334 ff.; Rüthers in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht Rn. 192 ff.; Seiter, Streikrecht, S. 146 ff., 538 ff.; kritisch Schumann in Däubler (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 199 ff. 354 Rüthers in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht Rn. 200; Wank, Festschrift O. R. Kissel, S. 1225, 1232 f.; allgemein zum Geltungsgrund des Verhältnismäßigkeitsprinzips BVerfGE 79, S. 311, 341; 81, S. 310, 338; Kirchhof, Festschrift P. Lerche, S. 134, 144; Ossenbühl, ebenda, S. 151, 155, 158, 160; Seiter, Streikrecht, S. 150 ff. 355 Kreuz, Verhältnismäßigkeit, S. 89. 356 Vgl. etwa Däubler in Däubler (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 69 ff.; Dorndorf, AuR 1990, S. 65, 74 f. 357 Dorndorf, AuR 1990, S. 65, 74 f.

C. Angleichung mit Hilfe des Paritätsprinzips

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kommensurable Größen; „gerechte Arbeitsbedingungen" können nicht gegen wirtschaftliche Einbußen aufgerechnet werden. Letztlich lassen sich wohl keine überzeugenden Argumente gegen die Ausrichtung des Arbeitskampfrechts auf eine Begrenzung der Kampfschäden finden. Dann aber ist es konsequent, den Gesichtspunkt der Schadensminderung nicht erst im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsprinzips, das exzessive Einzelkampfmaßnahmen verbietet 358 , sondern bereits im Rahmen des Paritätsprinzips, also bei der generellen Festlegung der Kampfmittel, zu berücksichtigen. Hier ist nach Möglichkeit ein System abgestufter Kampfmaßnahmen herauszuarbeiten. 359 Denn es wäre doch widersinnig, wenn die Kampfmittel in der konkreten Tarifauseinandersetzung einer strengen Verhältnismäßigkeitsprüfung unterlägen, das Paritätsprinzip hingegen die Arbeitskampfparteien zum Einsatz einschneidender Maßnahmen zwänge. 360 Die Schadensminderungsfunktion des Arbeitskampfrechts spricht demnach dafür, Maßnahmen, die im Vergleich zu Streik und Aussperrung weniger einschneidend sind, in das Kampfmittelsystem zu integrieren. Auf diese Weise läßt sich auch das Paritätsprinzip mit dem Grundsatz der freien Kampfmittelwahl 361 versöhnen. Zwischen beiden Grundsätzen scheint auf den ersten Blick ein Widerspruch zu bestehen: Einerseits dürfen die sozialen Gegenspieler nicht nach Belieben neue Kampfmittel kreieren, vielmehr entscheidet das Paritätsprinzip darüber, welches Waffenarsenal zur Verfügung steht. Andererseits kennt die Arbeitskampfrechtsordnung auch keinen numerus clausus von Kampfmitteln. 362 Richtigerweise ist aber der Grundsatz der freien Kampfmittelwahl nicht i. S. eines Selbstdefmitionsrechts der Tarifparteien aufzufassen, sondern als Wahlfreiheit zwischen mehreren zulässigen Kampfmitteln. 363 Das setzt allerdings voraus, daß überhaupt eine Wahlmöglichkeit besteht, daß es also noch andere Kampfmaßnahmen als Streik und Aussperrung gibt.

358 Vgl. BAG AP Nr. 84 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 368 R; Wank, Festschrift O. R. Kissel, S. 1225, 1242 m. w. Ν. 359 Richardi , NJW 1978, S. 2057,2061 ff.; Seiter, Streikrecht, S. 143 f., 268. 360 Das BAG hat in seinen Ausfuhrungen zur Kampfparität klargestellt, daß Teilstreiks grundsätzlich zulässig seien, weil die Begrenzung des Kampfrahmens als milderes Mittel auch im Interesse der Allgemeinheit erwünscht sei, AP Nr. 64 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 920; ebenso Föhr, DB 1979, S. 1698, 1701; Reuter, Festschrift F. Böhm, S. 521, 545; Scholz/Konzen, Aussperrung, S. 226. 361 Vgl. dazu o. unter Β ΠΙ. 362 BAG AP Nr. 51 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Bl. 610 R; AP Nr. 127 a. a. O., Bl. 339; v. Hoyningen-Huene, DB 1989, S. 1466; Seiter, Streikrecht, S. 142. 363 Vgl. o.unter Β ΙΠ.

186 6. Kapitel: Angleichung von Arbeitskampfrecht und Betriebsverfassungsrecht Insbesondere dann, wenn man, dem B A G 3 6 4 folgend, die Aussperrung nur als Reaktion auf einen eng begrenzten Teilstreik gestatten will, stellt sich die Frage, ob die Arbeitgeber nicht wenigstens versuchen dürfen, durch mildere Maßnahmen die Streikwirkung abzuschwächen. Das BAG hat dies in seiner Entscheidung zum Beamteneinsatz im Arbeitskampf bejaht: Dem Arbeitgeber sei es grundsätzlich erlaubt, einem Streik zu begegnen, indem er durch organisatorische oder sonstige Maßnahmen die Auswirkungen auf seinen Betrieb zu mindern suche; das gelte auch für den Fall, daß dadurch der Erfolg des Arbeitskampfes in Frage gestellt werde. 365 Mildere Mittel für die Arbeitgeberseite sind allgemein solche, denen im Vergleich zur Aussperrung keine zusätzliche kampfausweitende Wirkung zukommt und die keine weiteren Rechtspositionen verletzen. Dazu zählt beispielsweise die Möglichkeit, durch Anschreiben, Aushänge oder Inserate Einfluß auf die Willensbildung der Arbeitnehmer auszuüben. 366 Zulässig ist auch die Einstellung der Lohnzahlung, soweit die Produktion streikbedingt nicht mehr in vollem Umfang fortgeführt wird 3 6 7 ; darf der Arbeitgeber die Lohnzahlung und Beschäftigung im Rahmen der Aussperrung ganz verweigern, so ist er erst recht zu einer Teilverweigerung befugt. 368 Im Rahmen einer Weiterproduktionstaktik wird man die Verlängerung der Arbeitszeit für Arbeitswillige, die Zahlung von Streikbruchprämien, die Durchführung von Lehrgängen für Streikbrecher sowie Neueinstellungen und Versetzungen als gegenüber der Aussperrung mildere Mittel ansehen kön369

nen. Auch der Arbeitnehmerseite stehen Kampfmaßnahmen zur Verfügung, die im Vergleich zum klassischen Arbeitskampfmittel des Streiks als mildere Mittel zulässig sind. Den Gewerkschaften ist ebenso wie den Arbeitgebern erlaubt, die Willensbildung des Gegners im Wege der Meinungsäußerung zu beeinflussen. 370 Ein zulässiges, gegenüber dem Streik milderes Mittel ist auch das Aufstellen von Streikposten, die die Arbeitnehmer zur Arbeitsniederlegung auffordern 371 - freilich nur, sofern nicht die Straftatbestände der Nöti-

364 BAG AP Nr. 64 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 921 R ff; AP Nr. 84 a. a. O., Bl. 367 ff. 365 BAG AP Nr. 86 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 212 R f. 366 Löwisch/Rieble in Löwisch (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 463. 367 BAG AP Nr. 130 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 195; AP Nr. 138 a. a. O., Bl. 625; AP Nr. 139 a. a. O., Bl. 629; BAG, DB 1997, S. 578, 579; Seiter, Streikrecht, S. 305 ff., 314. 368 Oetker, Anm. zu BAG AP Nr. 130 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 193; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, § 40 VI 5 a, S. 418. 369 Dazu sogleich unter C m 2 b cc (3), ausführlich 7. Kapitel unter A12. 370 Löwisch/Rieble in Löwisch (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 463. 371 BAG AP Nr. 34 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 666; AP Nr. 108 a. a. O., Bl. 743.

C. Angleichung mit Hilfe des Paritätsprinzips

187

gung, Beleidigung und Körperverletzung verwirklicht werden, denn in diesem Fall findet eine weitergehende Beeinträchtigung von Rechtspositionen statt als bei einer bloßen Arbeitsverweigerung. 372 Wer die Arbeitsleistung ganz einstellen darf, ist erst recht nicht gehindert, sie teilweise zurückzuhalten. Insbesondere „Überstundenstreik" 373 und „Bummelstreik" bzw. „Dienst nach Vorschrift" 374 kommen als Maßnahmen in Betracht, die regelmäßig 375 weniger einschneidend sind als die vollständige Arbeitsniederlegung. 376 Im Tarifkonflikt in der Druckindustrie 1994 hat die IG Medien unter dem Motto „Wir bestreiken das Putzen" die Arbeitnehmer aufgefordert, verschmutzte Druckmaschinen, die für die Produktion wertlos sind, nicht mehr zu reinigen. 377 Auch hier handelt es sich um eine zulässige Teileinstellung der Arbeitsleistung. Das gleiche gilt für die Verweigerung von Streikarbeit. 378 Allerdings darf der Arbeitgeber sich gegen die genannten Maßnahmen, ebenso wie gegen den Streik

372 Zum Problemkreis des Streikpostenstehens etwa Löwisch/Krauß in Löwisch (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 912 ff.; Söllner, Festschrift K. Molitor, S. 333, 343 f.; Wolter in Däubler (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 266 ff., 280a ff.; Zechlin, AuR 1986, S. 289 ff. 373 Dazu Däubler in Däubler (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 1442 f.; Glietsch, Arbeitskampfformen, S. 127; Seiter, Streikrecht, S. 262 f. 374 Dazu Brox in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht Rn. 28; Däubler in Däubler (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 1457 ff.; Glietsch, Arbeitskampfformen, S. 142 ff.; Kalb, Arbeitskampfrecht Rn. 22; Löwisch/Rieble in Löwisch (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 227; Seiter, Streikrecht, S. 263 ff., 296 ff.; Zöllner, Festschrift E. Bötticher, S. 427, 433 ff.; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, § 40 VI 5 a, S. 418. 375 Loritz in Lieb/v. Stebut/Zöllner, Arbeitskampfrecht, S. 117, 121 weist darauf hin, daß es Fälle geben kann, in denen langsames Arbeiten Schäden verursacht, die bei einer völligen Arbeitsniederlegung nicht entstehen, z. B. bei Produktionen in der chemischen Industrie, wo bestimmte Prozeßschritte in bestimmten Zeitabständen vorzunehmen sind, wenn der Rohstoff nicht unbrauchbar werden soll. Hier ist der Bummelstreik ausnahmsweise unzulässig, weil unverhältnismäßig. 376 Vgl. Däubler in Däubler (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 1441; Otto in MünchArbR, § 279 Rn. 59 ff.; Seiter, Streikrecht, S. 268; Zöllner, Festschrift E. Bötticher, S. 427,436 f. 377 FAZ v. 11.4.1994, S. 17 „Der Tarifkonflikt in der Druckindustrie spitzt sich zu". Im Medienbereich ist auch die Herbeiführung „weißer Flecke" (Verhinderung der Veröffentlichung von Berichten und Kommentaren, die sich auf den Arbeitskampf beziehen) durch nichtStreikende Arbeitnehmer als milderes Mittel gegenüber dem Streik anzusehen, vgl. Löwisch, RdA 1987, S. 219, 222 f. Ein anderes Beispiel für eine teilweise Nichterfüllung der Arbeitspflicht nennt Brox in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht Rn. 28: Der Chor der Bayerischen Staatsoper erschien bei den Münchner Opernfestspielen 1981 zwar auf der Bühne, sang aber nur mit halber Stimme. 378 Dazu BAG AP Nr. 3 zu § 615 BGB Betriebsrisiko; AP Nr. 86 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 213; Colneric in Däubler (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 592 ff ; Löwisch/Rieble in Löwisch (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 470; Manderla, Streikarbeit, S. 119; Rüthers, ZfA 1972, S. 403 ff.; a. A. v. Hoyningen-Huene/Boemke, Versetzung, S. 227 f.

188 6. Kapitel: Angleichung von Arbeitskampfrecht und Betriebsverfassungsrecht in seiner klassischen Form, mit Lohnverweigerung und Aussperrung zur Wehr setzen. 379 Betriebsbesetzungen und Betriebsblockaden sind demgegenüber keine zulässigen milderen Mittel der Arbeitnehmerseite. Durch diese Maßnahmen wird dem Arbeitgeber nicht nur die Arbeitsleistung vorenthalten, sondern es werden darüber hinaus noch weitere Rechtsgüter verletzt, nämlich das Hausrecht des Arbeitgebers und sein Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb. 380 Die Zulassung der im Vergleich zu Streik und Aussperrung milderen Mittel verstößt nicht gegen den Grundsatz formeller Kampfmittelparität. Dagegen spricht schon, daß mildere Mittel beiden Seiten zur Verfugung stehen und insofern keine Ungleichbehandlung i. S. einseitiger Bevorzugung vorliegt. Legt man eine formelle Betrachtung zugrunde, kommt es darauf an, daß beide Seiten Kampfmittel einsetzen können, die sich in ihren rechtlichen Wirkungen entsprechen. Das ist durch die Hauptwaffen des Arbeitskampfes (suspendierender Streik und suspendierende Aussperrung) sichergestellt. Sie markieren die Obergrenze für die Eingriffsmöglichkeiten beider Parteien. Diese Rechtsgleichheit wird durch den Einsatz milderer Mittel nicht beeinträchtigt. Sie sind sozusagen als rechtliches Minus bereits durch die Hauptwaffen mitgarantiert. Gegen ihre Zulässigkeit ließen sich nur materielle Paritätserwägungen anführen. Der Einsatz milderer Mittel könnte trotz formeller Rechtsgleichheit eine faktische Benachteiligung für eine der Kampfparteien bewirken. Darauf wird im Hinblick auf die Kampftaktik der Weiterproduktion später einzugehen 381

sein. Festzuhalten ist an dieser Stelle, daß die Arbeitskampfrechtsordnung nicht nur Streiks und Aussperrungen, sondern grundsätzlich auch mildere Mittel als Kampfmaßnahmen zuläßt. (3) Maßnahmen der Weiterproduktionstaktik als privilegierte mildere Mittel Sind nun Maßnahmen, die der Arbeitgeber im Rahmen einer Weiterproduktionstaktik trifft, um die betriebliche Tätigkeit aufrechtzuerhalten, als privilegierte mildere Mittel anzusehen?

379 Glietsch, Arbeitskampfformen, S. 178 ff.; Seiter, Streikrecht, S. 296 ff; Zöllner, Festschrift E. Bötticher, S. 427, 435; a. A. Däubler in Däubler (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 1452 ff. 380 Vgl. Wesch, Arbeitskampfmittel, S. 28, 172. Produktionsbehindernde Maßnahmen könnten als Kampfmittel der Arbeitnehmer zugelassen werden, wenn eine Störung der materiellen Parität zu Lasten der Arbeitnehmerseite vorläge, dazu Treber, Maßnahmen, S. 429 ff. 3 Vgl. unter C .

C. Angleichung mit Hilfe des Paritätsprinzips

189

Betrachten wir zunächst die Auswirkungen auf Drittbetroflfene des Arbeitskampfes. Während die Aussperrung den Kampfrahmen ausweitet und daher die Arbeitskampfschäden erhöht, wird durch die Aufrechterhaltung der Produktion zumindest teilweise gewährleistet, daß das bestreikte Unternehmen seine Lieferpflichten erfüllt. Die Kampftaktik der Weiterproduktion richtet sich auf Schadensverringerung; sie ist insofern gegenüber Drittbetroffenen ein milderes Mittel als die Aussperrung. Auch die arbeitswilligen Arbeitnehmer eines streikbetroffenen Unternehmens werden es begrüßen, daß der Arbeitgeber, anstatt auszusperren, eine Weiterproduktionstaktik verfolgt. Sie erhalten dadurch die Chance, nicht auf das Arbeitsentgelt verzichten zu müssen. Eine Abwehraussperrung würde sie hingegen ihrer Lohnansprüche berauben. Die Arbeitnehmer handeln freiwillig, wenn sie sich als Streikbrecher betätigen und trotz des Streiks arbeiten gehen; der Arbeitgeber kann sie hierzu nicht zwingen. Vielmehr haben sie jederzeit die Möglichkeit, sich dem Streik anzuschließen oder Streikarbeit zu verweigern. Den Arbeitswilligen gegenüber findet demnach kein so intensiver Eingriff statt, wie sie ihn im Falle einer Aussperrung hinnehmen müßten. 382 Die Streikenden verlieren schon wegen der Arbeitsniederlegung ihren Anspruch auf Entgeltzahlung. 383 Für sie macht es keinen Unterschied, ob der Arbeitgeber aussperrt oder die Produktion fortzuführen versucht. Im Hinblick auf ihre Belange stellt die Kampftaktik der Weiterproduktion jedenfalls keine einschneidendere Maßnahme als die Aussperrung dar. Die Gewerkschaften müssen, wenn eine Aussperrung erfolgt, den ausgesperrten Gewerkschaftsmitgliedern nach Maßgabe ihrer Satzungen Lohnersatzleistungen („Streikgeld") zahlen. Verzichten die Arbeitgeber zugunsten einer Weiterproduktionstaktik auf die Aussperrung, so brauchen die Gewerkschaften diese Zahlungen nicht zu leisten. Daher liegt eine im Vergleich zur Aussperrung weniger belastende Kampfmaßnahme vor. Die Gewerkschaften könnten allerdings geltend machen, die auf Entsolidarisierung der Arbeitnehmerschaft abzielende Kampftaktik der Weiterproduktion sei ein besonders perfides und wirkungsvolles Kampfmittel der Arbeitgeber. Während die Aussperrung das Arbeitnehmerlager zusammenschweiße, werde die Streikfront durch die Weiterproduktionstaktik langsam aufgeweicht, wogegen sich zu wehren die Gewerkschaften kaum imstande seien. Diese Argumentation verläßt indes die formell-rechtliche Ebene und stellt auf eine faktische Benachtei382 Weil Beamte - anders als Arbeitnehmer - weder selbst streiken noch Streikarbeit verweigern dürfen (vgl. BAG AP Nr. 86 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 213 R m. w. N.), muß man daran zweifeln, daß der Beamteneinsatz auf den Arbeitsplätzen Streikender als milderes Mittel anzuerkennen ist; ablehnend auch BVerfGE 88, S. 103, 116 f. 383 Dazu Seiter, Streikrecht, S. 294 f.

190 6. Kapitel: Angleichung von Arbeitskampfrecht und Betriebsverfassungsrecht ligung der Arbeitnehmerseite ab. Sie kann deshalb nur im Rahmen ergänzender materieller Paritätserwägungen berücksichtigt werden. Unter dem Gesichtspunkt formeller Parität bleibt es dabei, daß die Kampftaktik der Weiterproduktion geringere Eingriffe in die Rechtsposition der Gewerkschaften auslöst als die Aussperrung. Die Befürchtung, die Arbeitgeber erhielten dadurch ein zusätzliches Kampfmittel 384 , ist unbegründet. Regelmäßig kann ein Arbeitgeber nicht gleichzeitig im selben Betrieb aussperren und eine Weiterproduktionstaktik verfolgen. Er muß sich vielmehr zwischen beiden Strategien entscheiden. Mit der Kampftaktik der Weiterproduktion wählt der Arbeitgeber nach alledem ein Mittel, das im Verhältnis zur Aussperrung gegenüber Drittbetroffenen, Arbeitswilligen und Gewerkschaften das mildere ist. Diese Entscheidung darf nicht durch die betriebliche Mitbestimmung konterkariert werden. Wenn es (nach einhelliger Ansicht) hinzunehmen ist, daß der Arbeitgeber mitbestimmungsfrei aussperren darf, dann ist nicht einzusehen, warum die milderen Maßnahmen im Rahmen der Weiterproduktionstaktik der Beteiligung des Betriebsrats unterliegen sollten. Insoweit ist eine betriebsverfassungsrechtliche Privilegierung geboten. Abzulehnen ist demgegenüber der Vorschlag, den Arbeitgeber während des Tarifkonflikts weiterhin in vollem Umfang an die betriebliche Mitbestimmung zu binden, ihm aber eine großzügigere Aussperrungsmöglichkeit zu eröffnen. 3 8 5 Dadurch würden die Arbeitskampfschäden vergrößert und dem Arbeitgeber ein Kampfmittel aufgezwungen, das er gar nicht einsetzen will. Mit dem arbeitskampfrechtlichen Gedanken der Schadensminderung und dem Verhältnismäßigkeitsprinzip wäre eine solche Lösung nicht vereinbar. (4) Die Grenzen der Privilegierung Die Überlegung, daß die Kampftaktik der Weiterproduktion als ein im Vergleich zur Aussperrung milderes Mittel arbeitskampfrechtlich zulässig ist, bestimmt zugleich die Grenzen der Privilegierung. Die Weiterproduktionstaktik stellt nur dann ein milderes Mittel dar, wenn der Arbeitgeber, der sie einsetzen will, auch aussperren dürfte. Die Grenzen, denen das Kampfmittel der Aussperrung unterliegt, gelten auch für die Kampftaktik der Weiterproduktion.

384

Jahn, Beteiligung, S. 67 ff. („Arbeitskampfmittel der dritten Art"); Weiss, AuR 1982, S. 265,267. 385 So Jahn, Beteiligung, S. 184; Weiss, AuR 1982, S. 265, 266.

C. Angleichung mit Hilfe des Paritätsprinzips

191

Die Aussperrung ist nur im umkämpften Tarifgebiet zulässig. Arbeitskampfgebiet und umkämpfter Tarifbezirk müssen sich decken. 386 Das folgt notwendig aus der Hilfsfünktion des Arbeitskampfes für das Tarifsystem. 387 Daher kommt die Kampftaktik der Weiterproduktion für Betriebe in Frage, die innerhalb des Kampfgebiets liegen. Außerhalb dieses Bereichs bleibt die betriebliche Mitbestimmung bestehen.388 In zeitlicher Hinsicht ist die Aussperrung nur für die Dauer des Tarifkonflikts erlaubt. Während der Laufzeit eines Tarifvertrages muß sie unterbleiben, da anderenfalls ein Verstoß gegen die tarifliche Friedenspflicht vorläge 389 ; nach dem Ende der Auseinandersetzung darf sie nicht mehr aufrechterhalten werden. Für die Kampftaktik der Weiterproduktion folgt daraus, daß mitbestimmungsfreie Maßnahmen des Arbeitgebers sowohl vor Beginn des Arbeitskampfes 390 als auch nach dessen Beendigung ausscheiden müssen.391 Eine weiterreichende Einschränkung der Beteiligungsrechte käme im Ergebnis einer generellen Suspendierung der betriebliche Mitbestimmung gleich 3 9 2 und würde die erforderliche Angleichung von Arbeitskampf- und Betriebsverfassungsrecht verfehlen. Weil die Aussperrung nur in den Grenzen der Verhältnismäßigkeit zulässig ist 3 9 3 , dürfen auch Maßnahmen, die der Arbeitgeber im Rahmen der Weiterproduktionstaktik anordnet, im Einzelfall nicht unverhältnismäßig sein. 394 Das berührt indes nicht die Frage der Mitbestimmungsfreiheit, die sich nach abstrakt-generellen Paritätserwägungen und nicht nach konkreten Verhältnis-

386

BAG AP Nr. 64 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 924; Bertelsmann, Aussperrung, S. 345; Löwisch, ZfA 1980, S. 437, 440 ff.; Scholz/Konzen, Aussperrung, S. 194 ff. 387 Vgl. o. 5. Kapitel unter A I 3. 388 Im Ergebnis ebenso Jahn, Beteiligung, S. 72. Das BAG will die Beteiligungsrechte des Betriebsrats nur beschränken, sofern sich der Arbeitgeber im Arbeitskampf befinde und der Betrieb unmittelbar arbeitskampfbetroffen sei, vgl. BAG AP Nr. 70 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 593; AP Nr. 5 zu § 98 BetrVG 1972, Bl. 511; AP Nr. 26 zu § 95 BetrVG 1972, Bl. 51. Zur Rechtslage in mittelbar arbeitskampfbetroffenen Betrieben vgl. die Ausführungen im 8. Kapitel. 389 Vgl. dazu Rüthers in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht Rn. 218 ff.; Löwisch/Rieble in Löwisch (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 481 ff. 390 Vgl. BAG AP Nr. 5 zu § 98 BetrVG 1972; in dieser Entscheidung wird dem Betriebsrat das Beteiligungsrecht aus § 98 BetrVG an einer lediglich arbeitskampfvorbereitenden Maßnahme zugestanden. 391 So auch Jahn, Beteiligung, S. 75 f.; Küttner/Schmidt, DB 1988, S. 704. 392 BAG AP Nr. 5 zu § 98 BetrVG 1972, Bl. 511 R. 393 Vgl. BAG AP Nr. 64 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 922 ff.; AP Nr. 84 a. a. O., Bl. 368 ff. 394 Vgl. BAG AP Nr. 127 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 340 f. zur Streikbruchprämie.

192 6. Kapitel: Angleichung von Arbeitskampfrecht und Betriebsverfassungsrecht mäßigkeitserwägungen beurteilt. Im Einzelfall unverhältnismäßige Maßnahmen können nur Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche auslösen. Die betriebsverfassungsrechtliche Privilegierung der Kampftaktik der Weiterproduktion ist somit in räumlicher Hinsicht auf das Kampfgebiet, in zeitlicher Hinsicht auf die Kampfdauer begrenzt. Ihre Einordnung als milderes Mittel setzt außerdem voraus, daß die Maßnahmen, die mit ihr verbunden sind, die Arbeitskampfschäden verringern können. Sie dürfen nicht zu einem Eingriff in Rechtspositionen fuhren, der über die Aussperrungswirkungen hinausgeht. 395

IV. Betriebliche Mitbestimmung und materielle Parität Die formellen Paritätserwägungen müssen durch eine materielle Paritätsprüfung ergänzt werden. Zu untersuchen ist, inwiefern das tatsächliche Kräfteverhältnis der Arbeitskampfjparteien durch die betriebliche Mitbestimmung beeinflußt wird. Dabei sind Überlegungen in zwei Richtungen anzustellen. Zum einen ist denkbar, daß auch dann, wenn der Arbeitgeber mitbestimmungsfrei aussperren oder eine Weiterproduktionstaktik verfolgen darf, die noch verbleibende betriebliche Mitbestimmung zu einer Schlechterstellung der Arbeitgeberseite führt. Es kann aber auch sein, daß sich die tatsächliche Machtbalance durch die Suspendierung der Beteiligungsrechte des Betriebsrats bei Arbeitskampfmaßnahmen zum Nachteil der Gewerkschaften verschiebt. In beiden Fällen wäre eine Korrektur des bisher gefündenen Ergebnisses geboten. L Die betriebliche Mitbestimmung als paritätsrelevanter

Faktor

Zunächst ist zu klären, ob die Beteiligungsrechte des Betriebsrats überhaupt zu berücksichtigen sind, wenn man die tatsächliche Chancengleichheit der Kampfparteien beurteilt. Voraussetzung dafür ist, daß es mit dem teleologischen Bezug der Kampfjparität zum Tarifvertragssystem vereinbar ist, die betriebliche Mitbestimmung in die Paritätsbetrachtung einfließen zu lassen, daß ihre Berücksichtigung nicht auf eine konkrete Bewertung der Parität hinausläuft und daß keine Praktikabilitätserwägungen entgegenstehen.396 Das Betriebsverfassungsgesetz sieht eine Beteiligung des Betriebsrats auch bei Maßnahmen vor, mit denen der Arbeitgeber die Auswirkungen eines

395

sucht.

396

Welche Maßnahmen diese Anforderungen erfüllen, wird im 7. Kapitel unterVgl. o. unter C Π 2 b cc.

C. Angleichung mit Hilfe des Paritätsprinzips

193

Streiks abfangen will. So sind z. B. streikbedingte Arbeitszeitverkürzungen und -Verlängerungen nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG, Versetzungen und Neueinstellungen nach § 99 BetrVG mitbestimmungspflichtig. Der Betriebsrat ist daher in der Lage, Maßnahmen zu blockieren, die der Arbeitgeber zur Abwendung der Streikfolgen trifft. Die Möglichkeiten, die den Tarifparteien offenstehen, um sich gegen Kampfschäden zu schützen, können aber die materielle Kampfparität beeinflussen. 397 Da die Abwehrmöglichkeiten der Arbeitgeberseite jedenfalls teilweise an die betriebliche Mitbestimmung gebunden sind, kommt auch den Beteiligungsrechten des Betriebsrats Paritätsrelevanz zu. Sie gelten als rechtliche Rahmenbedingungen unabhängig vom konkreten Arbeitskampf und fügen sich somit in eine abstrakt-typisierende Paritätsbewertung ein. Der Rechtsanwender kann die Auswirkungen der betrieblichen Mitbestimmung auf die Arbeitskampfchancen der Tarifgegner ohne großen Ermittlungsaufwand untersuchen, denn diese Auswirkungen ergeben sich direkt aus dem Betriebsverfassungsgesetz. Das Erfordernis der Praktikabilität ist damit gewahrt. Die betriebliche Mitbestimmung ist demnach als paritätsrelevanter Faktor anzusehen. 2. Paritätsstörung Bei der Frage, wie die betriebliche Mitbestimmung im Hinblick auf das Chancengleichgewicht im Arbeitskampf zu bewerten ist, prallen zwei gegensätzliche Standpunkte aufeinander. Die herrschende Meinung sieht das Kräfteverhältnis zu Lasten der Arbeitgeberseite gestört, weil der Betriebsrat bei arbeitskampfbedingten Maßnahmen zu beteiligen sei; sie will deshalb die Beteiligungsrechte einschränken. 398 Andere weisen darauf hin, daß die Arbeitgeber zusätzliche Abwehrmöglichkeiten im Arbeitskampf erhielte, falls der Betriebsrat seine Rechte nicht geltend machen könne. Das führe zu einer Paritätsverschiebung zum Nachteil der Arbeitnehmerseite, daher sei eine Suspendierung der betrieblichen Mitbestimmung nicht statthaft. 399 Man sollte meinen, angesichts dieses Argumentationspatts (das übrigens beispielhaft die Schwächen des herrschenden materiellen Paritätskonzepts offenbart) besonders umfangreiche Erwägungen für und wider eine Paritätsstörung zu finden. Das Gegen-

397

Vgl. o.unterCn2bcc( 1). So BAG AP Nr. 63 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 310 R; aus dem Schrifttum insbesondere Brox in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht Rn. 441, 445 ff., Eich, DB Beilage 9/1979, S. 3 ff.; Rüthers/Henssler, Anm. zu BAG AP Nr. 13 zu § 87 BetrVG Ordnung des Betriebes, Bl. 1079 R ff. 399 Herbst, AiB 1987, S. 4, 6; Jahn, Beteiligung, S. 69 f.; vgl. auch Matthes in MünchArbR § 323 Rn. 17. 398

13 Jansen

194 6. Kapitel: Angleichung von Arbeitskampfrecht und Betriebsverfassungsrecht teil ist der Fall. So hat das BAG, als es dem Betriebsrat eine Beteiligung an einer arbeitskampfbedingten Verlängerung der betriebsüblichen Arbeitszeit nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG versagte, sich zwar ausdrücklich auf den Paritätsgrundsatz gestützt, jedoch keinen großen Argumentationsaufwand betrieben. Folgende Erwägungen waren für das Gericht entscheidend: „Wollte man den Arbeitgeber hier an eine Zustimmung des Betriebsrats binden, so könnte der Betriebsrat eine dem Arbeitgeber sonst mögliche Abwehrmaßnahme gegenüber dem Streik verhindern oder zumindest bis zur Herbeiführung einer Entscheidung der Einigungsstelle erheblich hinauszögern. Ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats muß insoweit ausscheiden."400 Freilich können auch knappe Begründungen zutreffend sein, zumal solche, die von einem obersten Bundesgericht stammen. Der kritische Leser muß indessen argwöhnisch werden, wenn komplizierte Probleme mit kurzen Begründungsformeln gelöst werden. 401 Auch die Stellungnahmen im Schrifttum lassen eingehendere Ausführungen zur Paritätsproblematik vermissen. Regelmäßig wird nur darauf abgestellt, der Arbeitgeber gerate in Nachteil, weil der Betriebsrat wichtige Abwehrmaßnahmen behindern oder verzögern könne. 402 Die Gegenposition, wonach die Kampfchancen der Gewerkschaften durch eine Suspendierung von Beteiligungsrechten gemindert werden, hat, soweit ersichtlich, noch niemand näher zu begründen versucht. An dieser Stelle muß man sich in Erinnerung rufen, daß an eine Störung der materiellen Parität strenge Anforderungen zu stellen sind: Nur eine offenkundige Beeinträchtigung des tatsächlichen Kräftegleichgewichts berechtigt dazu, im Arbeitskampf von der prinzipiell gebotenen Gleichbehandlung der Kontrahenten abzuweichen. 403 Ob der Nachweis einer evidenten Paritätsstörung zu Lasten einer der beiden Kampfparteien gelingen kann, erscheint in 400

BAG AP Nr. 63 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 310 R. Die Kürze der Ausführungen dürfte auch darauf zurückzuführen sein, daß diese Entscheidung erging, bevor sich das BAG ausdrücklich zu einem abstrakt-typisierenden materiellen Paritätskonzept bekannte (in BAG AP Nr. 64 a. a. O.). Offenbar hegt das BAG mittlerweile selbst Zweifel daran, ob eine allein auf materiellen Paritätserwägungen fußende Begründung hinreichend tragfahig ist. In seiner neueren Rechtsprechung stellt es jedenfalls nicht auf eine Störung des tatsächlichen Kräfteverhältnisses, sondern auf die rechtliche Beeinträchtigung der Handlungsfreiheit des Arbeitgebers durch die betriebliche Mitbestimmung ab, vgl. o. unter C ΠΙ 2. 401 Die Formelhafligkeit der Paritätserwägungen des BAG wird zu Recht kritisiert, vgl. Bieback/Mayer, AuR 1982, S. 169, 172; Jahn, Beteiligung, S. 66 f.; Wolter, AuR 1979, S. 333, 336. 402 Vgl. Brox in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht Rn. 446 f.; Seiter, RdA 1979, S. 393, 398; am ausführlichsten noch Rüthers/Henssler, Anm. zu BAG AP Nr. 13 zu § 87 BetrVG 1972 Ordnung des Betriebes, Bl. 1080 R f. Gelegentlich hat es den Anschein, als wollten die Autoren mit dem BAG um die kürzeste Begründung wetteifern, z. B. Eich, DB Beilage 9/1979, S. 3 f. 3 Vgl. o. unter C Π 2 b .

C. Angleichung mit Hilfe des Paritätsprinzips

195

Anbetracht des bislang zu verzeichnenden Argumentationsdefizites fraglich. Jedenfalls ist nach dem hier vertretenen zweistufigen Paritätskonzept vorab festzustellen, welche Einschränkungen der betriebliche Mitbestimmung nach formellen Paritätsgesichtspunkten erfolgen 404 , bevor man das gefundene Ergebnis einer Evidenzkontrolle nach Maßgabe materieller Paritätserwägungen 4 0 5 unterzieht.

V. Interessenbewertung Nach den formellen Paritätsbetrachtungen, die wir angestellt haben, entfällt die Beteiligung des Betriebsrats bei Kampfmaßnahmen des Arbeitgebers. Als privilegierenswerte Kampfmittel sind neben der Aussperrung auch die milderen Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der Produktion anzusehen. Das Prinzip materieller Kampfparität kann jedoch eine andere Bewertung gebieten: Die realen Arbeitskampfchancen dürfen sich durch die Einschränkung oder Nichteinschränkung von Beteiligungsrechten nicht in paritätserheblicher Weise verschieben. Damit ist ein Kernbereich arbeitskampfrechtlicher Wertungen abgesteckt, der sich gegenüber betriebsverfassungsrechtlichen Wertungen durchsetzt. Es stellt sich nun die Frage, ob dieses Ergebnis, das ja zunächst nur auf der formaljuristischen Konstruktion des Paritätsprinzips beruht, auch interessengerecht ist. 4 0 6 Bei dem Konflikt um die betriebliche Mitbestimmung im Arbeitskampf kollidieren Interessen auf zwei Ebenen. Auf betrieblicher Ebene stehen sich die Interessen von Arbeitgeber und Belegschaft gegenüber, auf tariflicher Ebene besteht ein Konflikt zwischen Arbeitgeber- und Gewerkschaftsinteressen. 407 Diese Konstellation muß berücksichtigt werden, wenn man den bisher gefundenen Lösungsansatz auf seine Interessengerechtigkeit hin überprüfen will. 7. Allgemeine Grundsätze Die Tätigkeit des Rechtsanwenders, der widerstreitende Interessen zu bewerten hat, erweckt oftmals den Eindruck, als spiele sie sich im Bereich unverbindlicher Billigkeitserwägungen ab und diene allein dem Zweck, ein subjektiv gewolltes Ergebnis zu rechtfertigen. Was man gemeinhin als

404 405 406

182. 407

Vgl. 7. Kapitel unter A. Vgl. 7. Kapitel unter B. Eine Interessenbewertung verlangen auch Bieback/Mayer, Vgl. o. 1. Kapitel unter B.

AuR 1982, S. 169,

196 6. Kapitel: Angleichung von Arbeitskampfrecht und Betriebsverfassungsrecht „Interessenabwägung" 408 bezeichnet, wird zwar überwiegend als legitimer Bestandteil der Rechtsfindung anerkannt. 409 Nur selten finden sich jedoch Überlegungen zu der Frage, nach welchen allgemeinen Grundsätzen dabei zu verfahren ist. Indes lassen sich durchaus Richtlinien aufstellen, die der Interessenbewertung jedenfalls teilweise den Charakter des Subjektiv-Beliebigen nehmen können. Hubmann kommt das Verdienst zu, die maßgeblichen Grundprinzipien der Interessenabwägung herausgearbeitet zu haben. 410 Sie beruhen auf dem Gedanken, den Interessenkonflikt nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsprinzips aufzulösen und - wenn möglich - zu einer praktischkonkordanten Abstimmung zu gelangen. 411 Damit folgt die Interessenbewertung den gleichen Grundsätzen wie die Angleichung konkurrierender Rechtsgebiete. Unterschiedlich sind jedoch die Bezugspunkte: Während es bei der Auflösung einer Rechtsgebietskonkurrenz um eine Angleichung von Rechtsregeln geht (also um den Bereich des „Sollens"), knüpft die Interessenbewertung an den Bereich des Faktischen (des „Seins") an. 4 1 2 Insofern kann die Interessenbewertung im Rahmen einer Folgenbetrachtung Auskunft über die Tauglichkeit einer Konkurrenzregel geben. Zumindest stellt die Interessenbewertung eine zusätzliche Plausibilitätskontrolle für Ergebnisse dar, die im Wege der Rechtsfortbildung gewonnen werden. Nach Hubmann sind folgende Verfahrensschritte durchzuführen: Zunächst ist in jedem Falle zu klären, welche Interessen überhaupt einander gegenüberzustellen sind. Belange, die nach den Vorgaben des Gesetzes nicht schutzwürdig sind, dürfen erst gar nicht berücksichtigt werden. 413 Kollidieren schutzwürdige Interessen, so müssen sie nach Möglichkeit nebeneinander zum Zuge kommen. Es gilt daher das Ausweichprinzip: Sofern eine Partei einen Weg beschreiten kann, der ihre Interessen vollständig wahrt und die Interes-

408

Nach Hubmann, Festschrift L. Schnorr v. Carolsfeld, S. 173, 178, impliziert dieser Begriff einen Kunstgriff der Vernunft: Der Qualitätsunterschied zwischen widerstreitenden Interessen, der nur durch eine Wertung festzustellen ist, wird in einen Quantitätsunterschied umgewandelt. - Weil es sich aber nicht um ein bloßes „Wiegen", sondern um einen Wertungsvorgang handelt, ist die Bezeichnung Interessenbewertung m. E. angemessener. 409 Vgl. Larenz, Methodenlehre, S. 125 ff., 404 ff.; Zippelius, Methodenlehre, S. 54 f., 65; kritisch aber F. Müller, Methodik, S. 65 f. - Hubmann, Festschrift L. Schnorr von Carolsfeld, S. 173, 174 weist daraufhin, daß die Rechtsfindungsmethode der Interessenabwägung auch in ausländischen Rechtsordnungen eine Rolle spielt. 410 Hubmann, AcP 155 (1956), S. 85 ff.; ders., Festschrift L. Schnorr von Carolsfeld, S. 173 ff.; vgl. auch Meyer, Wertungsjurisprudenz, S. 87 ff. 411 Hubmann, AcP 155 (1956), S. 85, 123 ff.; ders., Festschrift L. Schnorr von Carolsfeld, S. 173, 181 ff:, Meyer, Wertungsjurisprudenz, S. 102 ff. 412 Dazu Fikentscher, Methoden ΙΠ, S. 387; Henkel, Rechtsphilosophie, S. 314 ff.; Meyer, Wertungsjurisprudenz, S. 20 ff., 30 f. 413 Hubmann, AcP 155 (1956), S. 85, 97 ff., 103 ff.

C. Angleichung mit Hilfe des Paritätsprinzips

197

sen der Gegenseite nicht verletzt, muß sie diesen Weg wählen. 414 Wenn das nicht möglich ist, stellt sich die Frage, ob es zwischen den beteiligten schutzwürdigen Interessen ein generelles Rangverhältnis gibt, aufgrund dessen man einer Seite den Vorzug geben muß. Läßt sich kein eindeutiger Rangunterschied feststellen, sind die Interessen grundsätzlich gleichwertig. 415 Um zu begründen, warum eine Partei dennoch zurückweichen muß, können die Gesichtspunkte der Interessenidentität, der Interessennähe, der Interessenintensität und der Interessenhäufung herangezogen werden. 416 Für die Problematik der betrieblichen Mitbestimmung im Arbeitskampf ist insbesondere das Prinzip der Interessenhäufung relevant. Die Interessenbewertung muß alle betroffenen Belange berücksichtigen. Stehen sich gleichwertige Interessen gegenüber, so ist demjenigen der Vorzug zu geben, auf dessen Seite ein weiteres hinzutritt. 417 Das Gewicht der jeweils betroffenen Güter und Werte wird gedanklich zusammengezählt, so daß - bildlich gesprochen die Waage zugunsten der schwereren Seite ausschlägt. Hier findet also eine „Abwägung" im engeren Sinne des Wortes statt. Daneben ist das Prinzip der Interessenintensität zu beachten. Es besagt, daß dem Interesse, das durch eine ernsthafte Schädigung bedroht ist, also intensiv betroffen ist, ein größerer Achtungsanspruch gebührt als einem Interesse, das nur unwesentlich angetastet wird. 4 1 8 2. Interessenkonflikt zwischen Arbeitgeber, Belegschaft und Gewerkschaft bei der betrieblichen Mitbestimmung im Arbeitskampf Betrachten wir zunächst das Verhältnis von Arbeitgeber und Belegschaft. Der Arbeitgeber hat ein Interesse daran, während des Tarifkonflikts möglichst frei und ungehindert vom Betriebsrat agieren zu können, um seine Arbeitskampfchancen zu wahren. Die Belegschaft ist demgegenüber daran interessiert, daß der Betriebsrat auch im Arbeitskampf seine Beteiligungsrechte wahrnehmen darf, damit der Arbeitgeber nicht einseitig weitreichende Anordnungen zum Nachteil der Beschäftigten trifft. Beide Interessen erkennt die Rechtsordnung als schutzwürdig an. Der Arbeitgeber kann sich auf die Wer-

414

Hubmann, AcP 155 (1956), S. 85, 124 f. Hubmann, AcP 155 (1956), S. 85, 103. 416 Zu den Abwägungsgesichtspunkten bei der Kollision gleichrangiger Interessen Hubmann, AcP 155 (1956), S. 85, 103 ff; ders., Festschrift L. Schnorr von Carolsfeld, S. 173, 178 ff., Meyer, Wertungsjurisprudenz, S. 105 ff. 417 Hubmann, AcP 155 (1956), S. 85, 107 ff.; ders., Festschrift L. Schnorr von Carolsfeld, S. 173, 187 ff. 418 Hubmann, AcP 155 (1956), S. 85, 114 f.; vgl. auch Meyer, Wertungsjurisprudenz, S. 105 f.: „Wahrscheinlichkeit der Wertverwirklichung" 415

198 6. Kapitel: Angleichung von Arbeitskampfrecht und Betriebsverfassungsrecht tungen des Arbeitskampfrechts berufen, die Belegschaft auf die des Betriebsverfassungsrechts. 419 Zwischen beiden Rechtsgebieten besteht kein formales Rangverhältnis. 420 Sonstige Gesichtspunkte, die dafür sprechen könnten, daß die Belange einer Seite prinzipiell zurückweichen müßten, sind nicht ersichtlich. Vielmehr kann sich der Arbeitgeber zu Recht darauf berufen, die betriebliche Mitbestimmung dürfe nicht zu einer Schmälerung seiner Arbeitskampfchancen führen; andererseits muß die Belegschaft davor geschützt werden, daß der Arbeitgeber im Windschatten des Arbeitskampfes einschneidende Maßnahmen durchführt, die nichts mit dem Tarifkonflikt zu tun haben und in ihrer Wirkung womöglich weit über das Ende des Kampfes hinausreichen. Die Interessen beider Seiten sind damit als grundsätzlich gleichwertig anzusehen. Eine Möglichkeit, nach Maßgabe des Ausweichprinzips die kollidierenden Interessen nebeneinander zur Geltung zu bringen, besteht zwar bei globaler Betrachtung, indem bestimmte Beteiligungsrechte während der Tarifauseinandersetzung aufrechterhalten bleiben, andere dagegen nicht. Geht es aber um darum, ob eine bestimmte Maßnahme des Arbeitgebers mitbestimmungspflichtig ist, so ist kein Ausweichen, keine Harmonisierung möglich - entweder müssen die Interessen des Arbeitgebers oder die Interessen der Belegschaft zurücktreten. Hier stellt sich die Frage, ob sich die Beschränkung der gesetzlich angeordneten Beteiligungsrechte durch überwiegende Interessen des Arbeitgebers rechtfertigen läßt. a) Beteiligungsfreiheit von Arbeitskampfmaßnahmen Nach dem Grundsatz formeller Kampfmittelparität sind Maßnahmen des Arbeitskampfes nicht beteiligungspflichtig. Insoweit werden also die Interessen des Arbeitgebers bevorzugt. Das läßt sich zunächst mit dem Gesichtspunkt der Interessenintensität rechtfertigen. Bei Kampfmaßnahmen ist das Schutzbedürfnis der Belegschaft weniger intensiv, weil diese Maßnahmen zeitlich auf die Dauer des Konflikts beschränkt sind. Die Gefahr, daß der Arbeitgeber weitreichende Anordnungen zum Nachteil der Belegschaft trifft, ist daher gering. Dies gilt insbesondere für Aussperrungsmaßnahmen, die ja regelmäßig nur für einen kurzen Zeitraum durchgeführt werden. Wären solche Kampfmaßnahmen an die Mitbestimmung des Betriebsrats gebunden, so würde dies andererseits eine nachhaltige Beeinträchtigung der Arbeitgeberinteressen darstellen. Kampfmaßnahmen müssen, wenn sie effektiv sein sollen, rasch getroffen werden. Die Durchführung des betrieblichen Mitbestimmungsverfahrens könnte Verzögerungen mit sich bringen, welche die Möglichkeiten des Arbeitgebers schmälern, unmittelbar auf den Arbeitskampf einzuwirken. 419 420

Vgl. o. 3. Kapitel unter A. Vgl. o. 5. Kapitel.

C. Angleichung mit Hilfe des Paritätsprinzips

199

Darin läge eine erhebliche Belastung für den kampfbetroffenen Arbeitgeber. Hinzu kommt, daß die Tarifparteien im Hinblick auf die vom Arbeitgeber angeordneten Kampfmaßnahmen Vereinbarungen zum Schutz der Arbeitnehmer treffen können, sog. Maßregelungsverbote. 421 Insofern werden die Interessen der Belegschaft unabhängig von der Durchführung der betrieblichen Mitbestimmung gewahrt. 422 Ausschlaggebend ist jedoch der Gedanke der Interessenhäufüng. Die Interessen des Arbeitgebers werden im Bereich der Kampfmaßnahmen durch Interessen der Allgemeinheit unterstützt. Im Hinblick auf die Aussperrung ist das Allgemeininteresse an einer funktionierenden Tarifautonomie zu berücksichtigen. Könnte der Betriebsrat die Aussperrung über sein Beteiligungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG blokkieren, so wäre eine gleichgewichtige Tarifauseinandersetzung nicht mehr gewährleistet, denn die Arbeitgeberseite würde ihrer schärfsten Waffe beraubt. Die Arbeitgeber hätten dann kein Kampfmittel, das in seinen Rechtswirkungen dem Streik entspricht und stünden den Tarifforderungen der Gewerkschaft insoweit hilflos gegenüber. Bei Kampfmaßnahmen, die der Arbeitgeber im Rahmen einer Weiterproduktionstaktik ergreift, kann er sich auf das Allgemeininteresse an der Verringerung der Arbeitskampfschäden berufen. Durch die Möglichkeit, die Betriebstätigkeit trotz einer Arbeitsniederlegung fortzuführen, werden die negativen Auswirkungen des Arbeitskampfes auf Dritte abgemildert. Das entspricht der Schadensminderungsfünktion des Arbeitskampfrechts. 423 Aus diesem Grund muß auch die Alternativlösung ausscheiden, zur Sicherung der Arbeitgeberinteressen nicht die betriebliche Mitbestimmung zu beschränken, sondern die Aussperrungsbefügnis auszudehnen. Denn eine großzügigere Dimensionierung der Aussperrung würde zusätzliche Arbeitskampfschäden hervorrufen und die Drittbetroffenen mehr belasten als die Einschränkung der Beteiligungsrechte. Die Mitbestimmungsfreiheit von Kampfmaßnahmen, die aus dem Grundsatz formeller Kampfmittelparität folgt, erweist sich insoweit als interessengerecht.

421

Maßregelungsverbote werden häufig im Falle der Zahlung von Streikbruchprämien vereinbart, was zur Folge haben kann, daß alle Arbeitnehmer - auch diejenigen, die am Streik teilnahmen - einen Anspruch auf die Prämie haben, vgl. BAG AP Nr. 88, 120, 123, 124 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 422 So auch Bieback/Mayer, AuR 1982, S. 169, 175. 423 Vgl. o. unter C m 2 b cc (2).

200 6. Kapitel: Angleichung von Arbeitskampfrecht und Betriebsverfassungsrecht b) Modifizierung aufgrund materieller Paritätserwägungen Erforderlich ist aber auch eine materielle Paritätsprüfung. Sie kann einerseits ergeben, daß sich durch mitbestimmungsfreie Kampfmaßnahmen die tatsächlichen Kräfteverhältnisse im Tarifkonflikt zugunsten der Arbeitgeber verschieben. Dann muß eine Beschränkung von Beteiligungsrechten ausscheiden. Reicht andererseits die Suspendierung der betrieblichen Mitbestimmung bei reinen Kampfmaßnahmen nicht aus, um ein bestehendes Übergewicht der Gewerkschaften auszugleichen, so sind weitergehende Beschränkungen der Beteiligungsrechte notwendig. Hier sind nicht nur Arbeitgeber- und Belegschaftsinteressen, sondern auch die Belange der kampfführenden Gewerkschaft zu berücksichtigen. Die Gewerkschaften haben ein Interesse daran, daß die Arbeitgeberseite keinen Vorteil während des Arbeitskampfes erhält, der zu einem Tarifdiktat fuhrt. In diesem Fall - und nur in diesem Fall - sind Gewerkschaftsinteressen durch die betriebliche Mitbestimmung während des Arbeitskampfes berührt. Es entsteht eine Interessenhäufüng: Gegen eine Beschränkung von Rechten des Betriebsrats spricht das Schutzbedürfnis der Belegschaft und das Interesse der Gewerkschaft an einer effektiven Führung des Arbeitskampfes. Diese Kumulation fuhrt dazu, daß die Interessen des Arbeitgebers zurückweichen müssen. Zwar läßt sich zu seinen Gunsten anfuhren, daß die Interessen der Belegschaft bei reinen Arbeitskampfmaßnahmen nicht intensiv betroffen sind und daß im Hinblick auf die Kampftaktik der Weiterproduktion ein Allgemeininteresse an der Minderung von Arbeitskampfschäden besteht. Diese Gesichtspunkte werden indes überlagert von dem Allgemeininteresse an einer funktionsfähigen Tarifautonomie. Das Tarifsystem, dessen Existenz nach Sinn und Zweck des Art. 9 Abs. 3 GG verfassungsrechtlich garantiert ist 4 2 4 , wäre bedroht, falls sich die realen Kräfteverhältnisse im Arbeitskampf in evidenter Weise zum Nachteil einer Seite verschieben. Das Interesse an einer funktionsfähigen Tarifautonomie steht über allen anderen arbeitskampfrechtlichen Wertungen, denn der Arbeitskampf stellt lediglich ein Hilfsinstrument fur die Tarifautonomie 425 dar. Können die Gewerkschaften sich auf dieses Allgemeininteresse berufen, so kommt eine Beschränkung der Beteiligungsrechte nicht in Frage. Die Sicherung des Tarifsystems kann aber auch für das Interesse des Arbeitgebers an einer Suspendierung der betrieblichen Mitbestimmung sprechen. Stellt sich heraus, daß die materielle Kampfparität trotz der Möglichkeit, mitbestimmungsfreie Kampfmaßnahmen durchzuführen, zu Lasten der Arbeitgeber gestört ist, so überwiegen die Arbeitgeberinteressen an einer weitergehen-

424 425

Vgl. o. 5. Kapitel unter A12. Vgl. o. 5. Kapitel unter A I 3.

C. Angleichung mit Hilfe des Paritätsprinzips

201

den Beschränkung der Beteiligungsrechte. Es kumulieren mehrere schutzwürdige Belange auf Seiten des Arbeitgebers, nämlich sein Interesse daran, während der Tarifauseinandersetzung nicht vom Betriebsrat behindert zu werden, sowie das Allgemeininteresse an einer funktionierenden Tarifautonomie. Demgegenüber muß das Schutzbedürfnis der Belegschaft zurücktreten. Belange der Gewerkschaften sind nicht betroffen; sie können sich nicht gegen die Herstellung gleicher Arbeitskampfchancen wenden. c) Ergebnis Nach alledem ermöglicht das Paritätsprinzip eine angemessene Auflösung des Interessenkonflikts, der dem Problem der betrieblichen Mitbestimmung im Arbeitskampf zugrunde liegt. Soweit schutzwürdige Belange zurücktreten müssen, läßt sich dies durch ein überwiegendes Interesse der Gegenseite rechtfertigen. Insofern besteht keine Veranlassung, an der Tauglichkeit des Paritätsprinzips als Konkurrenzregel für das Verhältnis von Arbeitskampfund Betriebsverfassungsrecht zu zweifeln.

VI. Zusammenfassung Die Rechtsgebietskonkurrenz zwischen Arbeitskampfrecht und Betriebsverfassungsrecht läßt sich mit Hilfe des Paritätsprinzips auflösen. Das Prinzip der Kampfparität stellt den tragenden Grundsatz des Arbeitskampfrechts dar, der einen Kernbereich arbeitskampfrechtlicher Wertungen umschreibt und sich gegenüber den Vorschriften des Betriebsverfassungsrechts durchsetzt. Die Konkurrenzregel lautet: Die betriebliche Mitbestimmung ist einzuschränken, sofern sie das Paritätsprinzip verletzt. Insoweit findet eine teleologische Reduktion der Beteiligungsrechte statt (die aber im übrigen auch während des Arbeitskampfes weitergelten). Das Paritätsprinzip enthält eine formelle und eine materielle Komponente. Nach dem Grundsatz formeller Kampfmittelparität müssen den sozialen Gegenspielern Kampfmittel zur Verfügung stehen, die rechtlich gleichwertig sind. Danach ist es unzulässig, Kampfmaßnahmen der Arbeitgeber an die Beteiligung des Betriebsrats zu binden, während die Gewerkschaften frei über ihre Kampftaktik entscheiden können. Als mitbestimmungsfreie Kampfmaßnahmen der Arbeitgeber sind neben der Aussperrung auch mildere Maßnahmen im Rahmen einer Weiterproduktionstaktik anzusehen. Das Prinzip formeller Kampfmittelparität besagt im Ergebnis, daß privilegierte Kampfmaßnahmen unter das Arbeitskampfrecht fallen und daher nicht beteiligungspflichtig sind, während alle anderen Maßnahmen betriebsverfassungsrechtlich zu beurteilen sind und daher auch während des Tarifkonflikts der betrieblichen Mitbestimmung unterliegen.

202 6. Kapitel: Angleichung von Arbeitskampfrecht und Betriebsverfassungsrecht Diese grundsätzliche Aufteilung der Regelungsbereiche von Arbeitskampfund Betriebsverfassungsrecht kann durch materielle Paritätserwägungen modifiziert werden. Das Prinzip der materiellen Kampfparität gewährleistet, daß die Tarifjparteien im Hinblick auf ihre Kampfmittel nicht nur rechtlich gleichgestellt sind, sondern daß auch ein Mindestmaß an tatsächlicher Chancengleichheit besteht. Keine Seite darf ein evidentes Übergewicht erhalten. Die Beschränkung der betriebliche Mitbestimmung nach formellen Paritätsgrundsätzen darf nicht zu einem offenkundigen Nachteil für die Gewerkschaften fuhren. Andererseits kommt eine weitergehende Suspendierung von Beteiligungsrechten in Betracht, falls die Kampfchancen der Arbeitgeber trotz mitbestimmungsfreier Kampfmaßnahmen in paritätserheblicher Weise geschmälert sind.

7. Kapitel

Die betriebliche Mitbestimmung im unmittelbar arbeitskampfbetroffenen Betrieb A. Formelle Paritätserwägungen Nach dem Grundsatz formeller Kampfmittelparität unterliegen Kampfmaßnahmen des Arbeitgebers nicht der betrieblichen Mitbestimmung. Sie sind von den sonstigen Maßnahmen während des Arbeitskampfes abzugrenzen.

L Mitbestimmungsfreie Kampfmaßnahmen Eine Kampfmaßnahme des Arbeitgebers stellt zunächst die Aussperrung dar. Daneben kommen auch Maßnahmen im Rahmen einer Weiterproduktionstaktik in Betracht, die gegenüber der Aussperrung mildere Mittel sind.1 1. Aussperrungsmaßnahmen a) Aussperrung Die Aussperrung selbst darf der Arbeitgeber ohne Beteiligung des Betriebsrats durchfuhren. Das entspricht zwar allgemeiner Ansicht 2 , ist aber keineswegs selbstverständlich. Immerhin hat der Betriebsrat gem. § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG ein Mitbestimmungsrecht bei „vorübergehender Verkürzung oder Verlängerung der betriebsüblichen Arbeitszeit", und die Aussperrung stellt eine vorübergehende Arbeitszeitverkürzung auf Null dar. 3 Teilweise wird ver1

Vgl. o. 6. Kapitel unter C m 2. Vgl. o. 6. Kapitel unter C ffl 2 a, Fußnoten 305, 306. 3 Dazu Jahn, Beteiligung, S. 95; Jahnke, ZfA 1984, S. 69, 88; Seiter, RdA 1979, S. 393, 397 f. - Das Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG besteht auch, wenn die Arbeit an bestimmten Tagen völlig ausfällt, vgl. BAG AP Nr. 1 zu § 87 BetrVG 1972 Kurzarbeit, AP Nr. 2 a. a. O.; LAG Hamm, DB 1979, S. 1657; Dietz/Richardi, § 87 BetrVG Rn. 242; Galperin/Löwisch, § 87 BetrVG Rn. 107; Stege/ WeinspacK § 87 BetrVG Rn. 73; Wiese in GK-BetrVG, § 87 BetrVG Rn. 335. 2

204

7. Kapitel: Unmittelbar arbeitskampfbetrofener Betrieb

sucht, die Mitbestimmungsfreiheit der Aussperrung im Wege verfassungskonformer Auslegung zu begründen. Da die suspendierende Abwehraussperrung nach dem Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 26.6.19914 unter den Schutz des Art. 9 Abs. 3 GG falle, sei jede Einschränkung von Aussperrungsmaßnahmen verfassungswidrig. 5 Dem Beschluß des Bundesverfassungsgerichts läßt sich aber eine so weitreichende verfassungsrechtliche Gewährleistung der Aussperrung nicht entnehmen. Die suspendierende Abwehraussperrung soll zwar als legitimes Mittel der Koalitionsbetätigung vom Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG erfaßt werden. 6 Das Grundrecht der Koalitionsfreiheit unterliegt jedoch Einschränkungen, die durch Grundrechte Dritter und andere mit Verfassungsrang ausgestattete Rechte gerechtfertigt sind.7 Es gibt daher keine absolute Aussperrungsfreiheit in dem Sinne, daß jede Beschränkung des Aussperrungsrechts verfassungswidrig wäre. Vielmehr steht die Aussperrung nur deshalb unter dem Schutz des Art. 9 Abs. 3 GG, weil sie, insbesondere als Reaktion auf Teilstreiks, ein „unerläßliches Mittel zur Aufrechterhaltung einer funktionierenden Tarifautonomie" 8 ist. Damit gewinnt der Paritätsaspekt ausschlaggebende Bedeutung: Unzulässig ist eine paritätswidrige Beschränkung der Aussperrung. Der richtige Begründungsansatz für einen Ausschluß der betrieblichen Mitbestimmung bei Aussperrungsmaßnahmen liegt im Paritätsprinzip. Schon eine formelle Paritätsbewertung gebietet es, die Aussperrung mitbestimmungsfrei zu stellen. Anderenfalls läge eine unzulässige Ungleichbehandlung der Arbeitskampfmittel vor. 9 Die Gewerkschaften könnten frei über die Durchfuhrung des Streiks entscheiden, während die Aussperrung als Abwehrwaffe der Arbeitgeber an die Zustimmung des Betriebsrats gebunden wäre, der damit Einfluß auf das KampfVerhalten der Arbeitgeberseite nehmen würde. Aber auch materielle Paritätserwägungen sprechen dafür, dem Betriebsrat eine Beteiligung an der Aussperrung zu versagen. Wenn man mit Rechtsprechung und herrschender Lehre davon ausgeht, daß erst durch die Möglichkeit der Aussperrung die Chancengleichheit im Arbeitskampf hergestellt wird 1 0 , dann muß man konsequenterweise den Betriebsrat daran hindern, diese Abwehrmöglichkeit zu vereiteln und dadurch die Kampfchancen der Gewerkschaften zu erhöhen. Wäre der Arbeitgeber verpflichtet, vor der Aussperrung das Mitbestimmungsverfahren nach § 87 BetrVG durchzuführen, so

4

BVerfGE 84, S. 212 ff. So Jahn, Beteiligung, S. 95; ähnlich Häßler, Beteiligungsrechte, S. 47. 6 BVerfGE 84, S. 212, 224 f. 7 BVerfGE 84, S. 212, 228. 8 BVerfGE 84, S. 212,225. 9 Vgl. o. 6. Kapitel unter C m 1, 2 a. 10 Vgl. ο. 6. Kapitel Fußnoten 136, 137, 303, 304. 5

.

r e l l e Paritätserwägungen

205

läge eine evidente Paritätsstörung vor. Der Arbeitgeber müßte die Streikschäden hinnehmen, ohne rechtzeitig Gegenwehr leisten zu können. 11 b) Teilaussperrung Was für die Vollaussperrung gilt, muß (erst recht) für die Teilaussperrung gelten, die lediglich ein milderes Mittel darstellt. Der Arbeitgeber, der die gesamte Belegschaft mitbestimmungsfrei aussperren darf, ist auch befügt, Teile der Belegschaft ohne Beteiligung des Betriebsrats auszusperren. Weil die Aussperrung dem Verhältnismäßigkeitsprinzip unterliegt, kann im Einzelfall die Zahl der Arbeitnehmer, die von der Arbeit ausgeschlossen werden dürfen, begrenzt sein. 12 Unter Umständen ist der Arbeitgeber arbeitskampfrechtlich verpflichtet, keine Vollaussperrung, sondern nur eine Teilaussperrung durchzuführen. Der Betriebsrat darf ihn nicht daran hindern, den Vorgaben des Arbeitskampfrechts zu folgen und ein zulässiges Kampfmittel zu ergreifen. 13 Daher entfällt das Beteiligungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG. c) Aussperrungsnotwendige Maßnahmen Aussperrungsnotwendige Maßnahmen sind die Maßnahmen, die es dem Arbeitgeber ermöglichen, die Aussperrung in der vorgesehenen Art und Weise durchzuführen. Sie werden häufig vom Mitbestimmungsrecht des § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG erfaßt. So hatte das BAG darüber zu befinden, ob ein Arbeitgeber, der nur die gewerblichen Arbeitnehmer, nicht jedoch die Angestellten aussperren wollte, den Werksausweis der Angestellten durch einen Aufkleber kennzeichnen durfte, ohne den Betriebsrat gem. § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG zu beteiligen. Das Gericht entschied, Maßnahmen, die der praktischen Durchführung der Aussperrung dienten, seien ebenso von der Mitbestimmung des Betriebsrats befreit wie die Aussperrung selbst.14 Ich halte das für zutreffend. Dem Arbeitgeber ist nicht damit gedient, daß die Aussperrung nicht nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG mitbestimmungspflich-

11

Zu den Verzögerungsmöglichkeiten des Betriebsrats vgl. ο. 1. Kapitel unter B. Dazu BAG AP Nr. 64 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 924 ff.; AP Nr. 84 a. a. O., Bl. 369 ff. 13 Vgl. auch Richardi, Festschrift 10 Jahre Deutsche Richterakademie, S. 111, 122 f. 14 BAG AP Nr. 13 zu § 87 BetrVG 1972 Ordnung des Betriebes, Bl. 1075 R f., vgl. o. 2. Kapitel unter A I 7. Im Ergebnis ebenso Kreutz in GK-BetrVG, § 74 BetrVG Rn. 68; Lömsch/Rumler in Löwisch (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 762; Rüthers/Henssler, Anm. zu BAG AP Nr. 13 zu § 87 BetrVG Ordnung des Betriebes, Bl. 1080 ff.; Wank, ZfA 1987, S. 355, 382. 12

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7. Kapitel: Unmittelbar arbeitskampfbetroffener Betrieb

tig ist, wenn der Betriebsrat sie durch andere Beteiligungsrechte blockieren kann. Im Ergebnis findet dann doch wieder eine Ungleichbehandlung der Kampfmittel statt. Es macht keinen Unterschied, ob der Betriebsrat an der Entscheidung über eine Kampfmaßnahme oder an ihrer praktischen Umsetzung mitwirkt, sofern der gleiche Verzögerungseffekt eintritt. Geboten ist deshalb, die betriebsverfassungsrechtliche Privilegierung des Kampfmittels der Aussperrung auch auf die notwendigen Durchfuhrungsmaßnahmen auszudehnen. Dafür spricht auch folgende Überlegung: Aussperrungsnotwendige Maßnahmen können insbesondere bei Teilaussperrungen auftreten. Hätte der Betriebsrat bei Anordnungen mitzubestimmen, die der Arbeitgeber trifft, um ausgesperrte von nicht ausgesperrten Arbeitnehmern zu unterscheiden, wäre also die Durchführung der Teilaussperrung an die Beteiligung des Betriebsrats gebunden, so könnte das dazu führen, daß der Arbeitgeber von der Teil- zur Vollaussperrung übergeht. Im Interesse einer Begrenzung der Arbeitskampfschäden sollte man den Arbeitgeber dazu nicht drängen. Gegen die Entscheidung des BAG zu den aussperrungsnotwendigen Maßnahmen ist eingewandt worden, es sei ausreichend, daß der Arbeitgeber gegenüber Ausgesperrten zur Lohnverweigerung berechtigt sei, und zwar auch dann, wenn die ausgesperrten Arbeitnehmer das Betriebsgelände beträten. Insofern sei eine besondere Kennzeichnung des Werksausweises zur Wahrung der Arbeitgeberinteressen nicht erforderlich, das Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG könne daher bestehen bleiben. 15 Darin liegt indes eine unzulässige Verkürzung der Arbeitgeberinteressen. Denn mit der Aussperrung, die das Arbeitsverhältnis suspendiert, macht der Arbeitgeber auch von seinem Hausrecht 16 Gebrauch; die Berechtigung der Arbeitnehmer, das Betriebsgelände zu betreten, entfällt. Die Aussperrungsbefügnis gibt dem Arbeitgeber also nicht nur ein Lohnverweigerungsrecht, sondern auch ein Zutrittsverweigerungsrecht. Gerade im Falle einer Teilaussperrung hat der Arbeitgeber ein schutzwürdiges Interesse daran, daß ausgesperrte Arbeitnehmer keine Streikpropaganda an die Arbeitswilligen herantragen oder gar Betriebseinrichtungen sabotieren. Man muß ihm daher die Möglichkeit geben, durch geeignete (mitbestimmungsfreie) Maßnahmen zu verhindern, daß die Ausgesperrten den Betrieb betreten. Zu diesen Maßnahmen zählt ebenfalls die Einführung von Torkontrollen während des Arbeitskampfes - auch hier entfallt das Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG.

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So Häßler, Beteiligungsrechte, S. 76; Jahn, Beteiligung, S. 99 f. Dazu Wesch, Arbeitskampfmittel, S. 52 ff.

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r e l l e Paritätserwägungen

2. Kampftaktik

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der Weiterproduktion

a) Verkürzung der Arbeitszeit Sind nur einzelne Teile des Betriebes vom Arbeitskampf betroffen, so ist es häufig möglich, in anderen Betriebsteilen die Produktion in vermindertem Umfang fortzuführen. Der Arbeitgeber kann die arbeitswilligen Mitarbeiter noch beschäftigen, aber nicht zur vollen Stundenzahl - etwa, weil notwendiges Vormaterial aus bestreikten Betriebsteilen nicht zur Verfügung steht oder weil die Zahl der Arbeitswilligen zu klein ist. In diesem Fall wird der Arbeitgeber die Arbeitszeit für die nichtStreikenden Arbeitnehmer verkürzen wollen. Nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG steht dem Betriebsrat dabei ein Mitbestimmungsrecht zu. Die Verkürzung der Arbeitszeit im streikbetroffenen Betrieb stellt jedoch ein eigenständiges Kampfmittel der Arbeitgeber dar. 17 Sie wehren sich gegen die Arbeitskampffolgen, indem sie die Arbeitszeit und damit auch die Lohnansprüche arbeitswilliger Mitarbeiter einschränken. Nach der neueren Rechtsprechung des BAG ist der Arbeitgeber nicht verpflichtet, einen bestreikten Betrieb oder Betriebsteil aufrechtzuerhalten; er kann ihn vielmehr für die Dauer des Streiks ganz stillegen mit der Folge, daß auch arbeitswillige Arbeitnehmer ihren Lohnanspruch verlieren. 18 Dann muß es erst recht zulässig sein, die Betriebstätigkeit lediglich zu verringern. Bei dieser Maßnahme tritt deutlich zutage, daß es sich um ein im Verhältnis zur Aussperrung milderes Mittel handelt: Die Aussperrung hat zur Folge, daß Arbeitszeit und Lohn für die Betroffenen auf Null reduziert werden, während bei der Arbeitszeitverkürzung nur eine Teileinschränkung der vertraglichen Leistungspflichten stattfindet. 19 Insofern bestehen Parallelen zwischen der Teilaussper17

Dütz, DB Beilage 14/1979, S. 10 f.; Rüthers/Henssler, Anm. zu BAG AP Nr. 13 zu § 87 BetrVG Ordnung des Betriebes, Bl. 1080 f.; Scholz/Konzen, Aussperrung, S. 222; Seiter, Streikrecht, S. 307 ff.; so im Ergebnis auch BAG AP Nr. 130 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 195; AP Nr. 138 a. a. O., Bl. 625; abweichend jüngst BAG, NZA 1997, S. 393, 394. 18 BAG AP Nr. 130, 135, 138, 139 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG, NZA 1997, S. 393; anders noch BAG AP Nr. 129 a. a. O. Kritisch zur neueren Rechtsprechung des BAG Konzen, Anm. zu BAG AP Nr. 137-139 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 914 f., der aber die generelle Zulässigkeit von im Vergleich zur Aussperrung milderen Arbeitskampfmitteln bejaht, sowie Fischer/Rüthers, Anm. zu BAG EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 115, S. 31 ff., die sich zu Unrecht auf den Standpunkt stellen, die Einschränkung der Betriebstätigkeit während des Arbeitskampfes sei kein Kampfmittel. Zustimmend zur neuen Linie des BAG Hanau, NZA 1996, S. 841, 846 f. unter Hinweis auf das Paritätsprinzip. 19 Vgl. Brox in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht Rn. 455; Konzen, Festschrift 25 Jahre BAG, S. 273, 279; Oetker, Anm. zu BAG AP Nr. 130 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 193 f.; Scholz/Konzen, Aussperrung, S. 215; Seiter, JZ 1979, S. 657, 659.

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7. Kapitel: Unmittelbar arbeitskampfbetroffener Betrieb

rung und der arbeitskampfbedingten Arbeitszeitverkürzung. 20 Beide Maßnahmen sollten deshalb betriebsverfassungsrechtlich nach den gleichen Maßstäben behandelt werden. 21 Wenn der Arbeitgeber mitbestimmungsfrei aussperren darf, muß er auch eine Arbeitszeitverkürzung einseitig anordnen können. 22 Es widerspräche dem Gedanken der Schadensbegrenzung im Arbeitskampfrecht, die Verkürzung der Arbeitszeit an die Beteiligung des Betriebsrats zu binden und den Arbeitgeber dadurch zur kampfausweitenden Aussperrung zu zwingen. 23 b) Verlängerung der Arbeitszeit Durch eine Verlängerung der Arbeitszeit in Betriebsteilen, die nicht vom Arbeitskampf betroffen sind, kann der Arbeitgeber versuchen, die Produktion aufrechtzuerhalten und die Streikschäden aufzufangen. Nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG hat der Betriebsrat bei der Anordnung von Überstunden mitzubestimmen, und zwar unabhängig davon, ob die betroffenen Arbeitnehmer mit der Arbeitszeitverlängerung einverstanden sind oder nicht. 24 Es handelt sich jedoch um eine typische Maßnahme, die der Arbeitgeber ergreift, um eine Weiterproduktionstaktik zu verfolgen. Die Verlängerung der Arbeitszeit ist im Vergleich zur Aussperrung ein milderes Mittel, denn die Arbeitswilligen behalten ihre Lohnansprüche, die sie durch die Aussperrung verlieren würden. Außerdem kann der Arbeitgeber niemanden zur Mehrarbeit zwingen; die Arbeitnehmer haben jederzeit die Möglichkeit, sich dem Streik anzuschließen oder Streikarbeit zu verweigern. Aus diesem Grund ist die An-

20 Manche sehen die arbeitskampfbedingte Verkürzung der Arbeitszeit als Unterfall der Aussperrung an, vgl. Bieback/Mayer, AuR 1982, S. 169, 178; Borrmann, DB 1978, S. 1978, \9%\, Eisemann, AuR 1981, S. 357, 366. 21 Rüthers/Henssler, Anm. zu BAG AP Nr. 13 zu § 87 BetrVG Ordnung des Betriebes, Bl. 1080 R. 22 Im Ergebnis ebenso BAG AP Nr. 71 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 594 R; Bieback/Mayer, AuR 1982, S. 169, 178; Borrmann, DB 1978, S. 1978, 1981; Brox in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht Rn. 455; Eich, DB Beilage 9/1979, S. 4 f.; Galperin/ Löwisch, § 74 Rn. 13b; Häßler, Beteiligungsrechte, S. 119; Kraft, Festschrift G. Müller, S. 265, 277 f.; Lieb, NZA 1990, S. 377, 382; Löwisch/Rumler in Löwisch (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 764; Oetker, Anm. zu BAG AP Nr. 130 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 191; Otto in MünchArbR, § 283 Rn. 18; Richardi, Festschrift 10 Jahre Deutsche Richterakademie, S. 111, 128 f.; Scholz/Konzen, Aussperrung, S. 123; Stege/Weinspach, § 87 BetrVG Rn. 81; Wiese in GK-BetrVG, § 87 BetrVG Rn. 351; ders., NZA 1984, S. 378, 381. - Abweichend Derleder, Festschrift A. Gnade, S. 419, 433. 23 LAG Hamm, DB 1979, S. 1659; Seiter, RdA 1979, S. 393, 399; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, § 18 V 2 a, S. 216. 24 BAG AP Nr. 9, 18, 21 zu § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit.

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Ordnung von Überstunden - im Rahmen des arbeitszeitrechtlich Zulässigen als mitbestimmungsfreie Kampfmaßnahme anzusehen.25 c) Zahlung von Streikbruchprämien Arbeitgeber, die einem Streik trotzen und die betriebliche Produktion fortfuhren wollen, sind daran interessiert, daß möglichst wenige Mitarbeiter die Arbeit niederlegen. Um die Arbeitnehmer zu bewegen, dem gewerkschaftlichen Streikaufruf nicht zu folgen, zahlen Arbeitgeber häufig Sonderzuwendungen an Arbeitswillige aus, sog. Streikbruchprämien. 26 Grundsätzlich kann der Betriebsrat bei solchen Zahlungen ein Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG geltend machen.27 Mit dem Begriff der betrieblichen Lohngestaltung ist das Aufstellen kollektiver, abstrakter Regelungen gemeint, nach denen sich die Entlohnung im Betrieb richtet.28 § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG enthält eine Generalklausel, die dem Betriebsrat ein umfassendes Mitbestimmungsrecht bei der Gestaltung des Arbeitsentgelts einräumt. 29 Zweck der Vorschrift ist es, die betriebliche Lohngerechtigkeit zu sichern. 30 Deshalb sind auch freiwillige Leistungen des Arbeitgebers erfaßt. 31

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Im Ergebnis ebenso BAG AP Nr. 63 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 308, 310 ff.; Bieback/Mayer, AuR 1982, S. 169, 178; Brox in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht Rn. 451; Dietz/Richardi, § 74 BetrVG Rn. 37, § 87 BetrVG Rn. 268; Eich, DB Beilage 9/1979, S. 3 f.; Galperin/Löwisch, § 74 BetrVG Rn. 13b; Glaubitz in Hess/Schlochauer/Glaubitz, § 87 BetrVG Rn. 71; Häßler, Beteiligungsrechte, S. 121; Kraft, Festschrift G. Müller, S. 265, 277; Richardi in Staudinger, Vorbem. zu §§ 611 ff. BGB Rn. 1209; Rüthers/Klosterkemper, Anm. zu BAG AP Nr. 63 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 311 R ff.; Stege/Weinspach, § 87 BetrVG Rn. 80; Wiese in GK-BetrVG, § 87 BetrVG Rn. 351. - Abweichend Fitting/Kaiser/Heither/Engels, § 87 Rn. 140; Küttner/Schmidt, DB 1988, S. 704, 705 f. 26 Zur Terminologie v. Hoyningen-Huene, DB 1989, S. 1466, der zu Recht dafür eintritt, den Zweck der Zahlung beim Namen zu nennen; gegen Euphemismen auch Konzen, SAE 1989, S. 22. 27 Wenngleich es sich dem Namen nach um eine (Streikbruch-)Prämie handelt, besteht kein Mitbestimmungsrecht gem. § 87 Abs. 1 Nr. 11 BetrVG, weil kein Leistungslohn vorliegt, dessen Höhe vom Arbeitnehmer beeinflußbar ist; „Prämien" für die Erfüllung an sich selbstverständlicher Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis werden von § 87 Abs. 1 Nr. 11 BetrVG nicht erfaßt, vgl. Dietz/Richardi, § 87 BetrVG Rn. 561; Fitting/Kaiser/Heither/Engels, § 87 BetrVG Rn. 361. 28 BAG AP Nr. 2, 3 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung; Fitting/Kaiser/H either/ Engels, § 87 BetrVG Rn. 294. 29 BAG AP Nr. 1, 2, 3 zu § 87 BetrVG 1972 Altersversorgung; Dietz/Richardi, § 87 BetrVG Rn. 492. 30 BAG AP Nr. 3 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung; Dietz/Richardi, §87 BetrVG Rn. 493; Fitting/Kaiser/Heither/Engels, § 87 BetrVG Rn. 282; Wiese in GKBetrVG, § 87 BetrVG Rn. 697. 14 Jansen

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7. Kapitel : Unmittelbar arbeitskampfbetroffener Betrieb

Die Freiwilligkeit setzt allerdings der Mitbestimmung Grenzen: Der Arbeitgeber darf über den Zweck der Leistung, den begünstigten Personenkreis und den finanziellen Rahmen frei entscheiden.32 Für die Streikbruchprämie, die ja eine freiwillige finanzielle Leistung darstellt, ergibt sich daraus, daß der Arbeitgeber ihre Höhe und den begünstigten Personenkreis frei festlegen kann. 33 Mitbestimmungspflichtig können nur die Zahlungsmodalitäten und die Verteilung der Mittel sein. 34 Nach dem Prinzip formeller Kampfmittelparität entfallt die Beteiligung des Betriebsrats, wenn die Zahlung einer Streikbruchprämie ein zulässiges Kampfmittel des Arbeitgebers ist. Die Streikbruchprämie dient dazu, streikbereite Arbeitnehmer „abzuwerben", um die Betriebstätigkeit fortzuführen. Sie ist Bestandteil einer Weiterproduktionstaktik. Sofern die Prämie während des Tarifkonfliktes vergeben wird, ist sie als Kampfmaßnahme anzusehen.35 Gegenüber der Aussperrung stellt sie ein milderes Mittel dar, weil die Lohnansprüche der Arbeitnehmer nicht geschmälert, sondern im Gegenteil zusätzliche Leistungen erbracht werden. 36 Die Zahlung von Streikbruchprämien wird daher überwiegend als zulässiges Arbeitskampfmittel bewertet. 37 Einige halten sie jedoch für unzulässig, denn die Zahlung einer Prämie für die Nichtteilnahme am Streik verstoße gegen § 612a BGB, gegen den arbeitsrechtlichen

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BAG AP Nr. 2, 4, 5, 22 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung; Dietz/Richardi, § 87 BetrVG Rn. 519; Glaubitz in Hess/Schlochauer/Glaubitz, § 87 BetrVG Rn. 466; Wiese in GK-BetrVG, § 87 BetrVG Rn. 720 f., 749. 32 BAG AP Nr. 1 zu § 87 BetrvG 1972 Prämie, AP Nr. 10 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung, Dietz/Richardi, § 87 BetrVG Rn. 520; Fitting/Kaiser/Heither/Engels, § 87 BetrVG Rn. 310 ff.; Wiese in GK-BetrVG, § 87 BetrVG Rn. 750 ff. m. w. N. 33 Vgl. BAG AP Nr. 88 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 1102 R. 34 Vgl. allgemein Fitting/Kaiser/Heither/Engels, § 87 BetrVG Rn. 318; Klebe in Däubler/Kittner/Klebe/Schneider (Hrsg.), § 87 BetrVG Rn. 257; ein weitergehendes Mitbestimmungsrecht bei Streikbruchprämien befürworten Colneric in Däubler (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 743k; Häßler, Beteiligungsrechte, S. 127. 35 So auch BAG AP Nr. 127 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 339; v. HoyningenHuene, DB 1989, S. 1466; Konzen, SAE 1989, S. 22, 23; Schwarze, RdA 1993, S. 264, 267 f. - Prämien, die erst nach Beendigung des Tarifkonflikts gezahlt werden, lassen sich dagegen arbeitskampfrechtlich nicht rechtfertigen, vgl. BAG AP Nr. 124 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 185 R; AP Nr. 127 a. a. O., Bl. 338 f.; v. Hoyningen-Huene, DB 1989, S. 1466, 1470; Konzen, SAE 1989, S. 22, 23; Rolfs, DB 1994, S. 1237, 1242; Schwarze, RdA 1993, S. 264, 273; a. A. Löwisch, RdA 1987, S. 219, 223. 36 Belling , NZA 1990, S. 214, 218; v. Hoyningen-Huene, DB 1989, S. 1466, 1468; Rolfs, DB 1994, S. 1237, 1241. 37 BAG AP Nr. 127 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 339 ff.; Belling , NZA 1990, S. 214 ff.; v. Hoyningen-Huene, DB 1989, S. 1466 ff.; Konzen, SAE 1989, S. 22 f.; Lieb, RdA 1988, S. 327, 330; Löwisch, RdA 1987, S. 219, 222 f.; Rolfs, DB 1994, S. 1237 ff.; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, § 39 IV 5, S. 400; differenzierend Β. Gaul, NJW 1994, S. 1025 ff., der auf die objektive Belastung der Streikbrecher abstellt.

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Gleichbehandlungsgrundsatz und gegen Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG. 38 Es werden also individualrechtliche und arbeitskampfrechtliche Bedenken gegen die Streikbruchprämie vorgebracht. Wer Individualarbeitsrecht und Arbeitskampfrecht voneinander trennt und die Streikbruchprämie schon wegen eines Verstoßes gegen individualrechtliche Gleichbehandlungsgebote für unzulässig erachtet 39, der verkennt, daß sich die Rechtmäßigkeit von Kampfmaßnahmen nach arbeitskampfrechtlichen Grundsätzen beurteilt. Ein Kampfmittel, das nicht im Einklang mit individualrechtlichen Vorgaben steht (Streik und Aussperrung als Bruch des Arbeitsvertrages), kann arbeitskampfrechtlich privilegiert sein. 40 Umgekehrt ist es ebensogut denkbar, daß eine Maßnahme, die individualrechtlich zulässig ist, gegen arbeitskampfrechtliche Grundsätze verstößt und daher im Tarifkonflikt unterbleiben muß. 41 Ausschlaggebend für die rechtliche Bewertung der Streikbruchprämie als Maßnahme des Arbeitskampfes ist somit das Arbeitskampfrecht, das einen etwaigen Verstoß gegen individualrechtliche Vorschriften rechtfertigen kann. 42 Ich halte allerdings die individualrechtlichen Einwände gegen die Streikbruchprämie ohnehin für unbegründet. Es liegt kein Verstoß gegen § 612a BGB oder den Gleichbehandlungsgrundsatz vor. Zwar werden die Streikenden i. S. des § 612a BGB benachteiligt und gegenüber den NichtStreikenden ungleich behandelt, wenn sie die Prämie nicht erhalten. 43 Dafür gibt es aber einen rechtfertigenden Sachgrund. Er besteht darin, daß die Zahlung der Streikbruchprämie während des Arbeitskampfes den Zweck verfolgt, die Betriebstätigkeit trotz des Streiks fortzuführen. 44 Die Arbeitgeber haben ein berechtigtes Interesse daran, die Streikwirkungen zu mildern und den Tarifkonflikt möglichst ohne größere Schäden zu überstehen. Dieses Interesse wird durch Art. 9 Abs. 3 GG anerkannt, da auch die koalitionsmäßige Betätigung der Arbeitgeber geschützt ist. Insofern bezweckt die Prämienzahlung nicht nur die Bestrafung der streikenden Arbeitnehmer, sie dient vielmehr legitimen arbeitskampfpolitischen Zielen. Aus diesem Grund verstößt sie auch nicht gegen 38

Richardi in Staudinger, Vorbem. zu § 611 ff. BGB Rn. 1279; Schwarze, RdA 1993, S. 264 ff; Wolter in Däubler (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 280wv ff. 39 So B. Gaul, NJW 1994, S. 1025 ff., 1027 f. 40 Zur Privilegierung von Arbeitskampfmaßnahmen vgl. o. 6. Kapitel unter C ΠΙ 2 b cc(l). 41 Zutreffend Schwarze, RdA 1993, S. 264 f.; ähnlich Belling, NZA 1990, S. 214, 216. 42 So im Ergebnis auch BAG AP Nr. 127 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 339 ff. 43 BAG AP Nr. 124 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 185 f.; Konzen, SAE 1989, S. 22; Schwarze, RdA 1993, S. 264, 265. 44 Belling/v. Steinau-Steinrück, DB 1993, S. 534, 535 f.; v. Hoyningen-Huene, DB 1989, S. 1466, 1468, Rolfs, DB 1994, S. 1237, 1241 f.

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7. Kapitel: Unmittelbar arbeitskampfbetroffener Betrieb

Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG. 4 5 Ein rechtfertigender Sachgrund fur die Gewährung einer Streikbruchprämie soll nach überwiegender Ansicht 46 jedenfalls dann vorliegen, wenn diejenigen, die während des Streiks arbeiten, besonderen Belastungen ausgesetzt waren. 47 In diesem Fall sind auch Zulagen nach Beendigung des Arbeitskampfes statthaft. 48 Entscheidend ist die arbeitskampfrechtliche Beurteilung der Streikbruchprämie. Die Zahlung muß mit dem Prinzip der Kampfjparität vereinbar sein, das den Rahmen für die Tarifauseinandersetzung bildet. 49 Unter formellen Paritätsgesichtspunkten ist die Zahlung von Streikbruchprämien ein Kampfmittel, das im Vergleich zur Aussperrung weniger einschneidend und daher (erst recht) zulässig ist. Dagegen läßt sich nicht einwenden, die Streikbruchprämie habe Kampfwirkungen, die über die Einstellung von Ersatzkräften hinausgingen, weil sie streikbereite Arbeitnehmer der Streikfront entziehe.50 Es mag sein, daß es innerhalb der Kampftaktik der Weiterproduktion unterschiedliche wirksame Maßnahmen gibt; nach dem Prinzip formeller Kampfmittelparität kommt es jedoch nur darauf an, ob Weiterproduktionsmaßnahmen milder sind als die Aussperrung. Daß die materielle Parität verletzt sei, wenn man die Streikbruchprämie als Kampfmittel zuläßt, weil sich dadurch das tatsächliche Kräfteverhältnis der Arbeitskampfparteien zu Lasten der Arbeitnehmer verschiebe, vermochte bislang noch niemand darzulegen. Die Gewerkschaften sind arbeitskampfrechtlich nicht davor geschützt, daß die Solidarität ihrer Mitglieder durch finanzielle Anreize auf die Probe gestellt wird. Den Gewerkschaften steht in Gestalt des Streikgeldes ein Mittel zur Verfügung, das die Streikbereitschaft der Arbeitnehmer fördert und mit der Streikbruchprämie vergleichbar ist. 51 Die Zahlung von Streikbruchprämien wird schon deshalb kaum zu einer evidenten Machtunterlegenheit der Arbeitnehmerseite führen,

45 BAG AP Nr. 127 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 339 f. mit der Bemerkung, ein Verstoß gegen Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG komme in Betracht, wenn der Arbeitgeber die Prämie ausschließlich Gewerkschaftsmitgliedern anbiete. 46 BAG AP Nr. 124 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 186; AP Nr. 127 a. a. O., Bl. 338 R; Belling/v. Steinau-Steinrück, DB 1993, S. 534, 535 f.; B. Gaul, NJW 1994, S. 1025, 1026 f., 1028; Konzen, SAE 1989, S. 22, 24; Löwisch/Krauß in Löwisch (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 570; Otto in MünchArbR, § 280 Rn. 50; Rolfs, DB 1994, S. 1237, 1242; abweichend Schwarze, RdA 1993, S. 264, 269 f.; Wolter in Däubler (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 280xg. 47 Hier stellt sich allerdings die Frage, wann „besondere" Belastungen der Streikbrecher gegeben sind. Dazu Schwarze, RdA 1993, S. 264, 270: „Wer für Schimpf und Schande entlohnt wird, soll sie auch ertragen, und zwar heftiger als üblich." 48 BAG AP Nr. 123 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 179, 180 ff.; AP Nr. 127 a. a. O., Bl. 338 R; Konzen, SAE 1989, S. 22, 24; Rolfs, DB 1994, S. 1237, 1242. 49 Vgl. o. 6. Kapitel unter C I. 50 So Schwarze, RdA 1993, S. 264, 271. 51 Belling, , NZA 1990, S. 214, 219; v. Hoyningen-Huene, DB 1989, S. 1466, 1467.

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r e l l e Paritätserwägungen

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weil sie eine zusätzliche finanzielle Belastung der Arbeitgeber darstellt. Diese Selbstschädigung werden sie regelmäßig nur begrenzt in Kauf nehmen wollen. Im Einzelfall können Prämien zwar unangemessen hoch sein; insoweit ist Raum für eine gerichtliche Überprüfung anhand des arbeitskampfrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprinzips. 52 Eine Paritätsstörung ist aber durch das Kampfmittel der Streikbruchprämie nicht zu besorgen. 53 Demnach ist die Zahlung von Streikbruchprämien eine zulässige Arbeitskampfmaßnahme im Rahmen der Kampftaktik der Weiterproduktion. Als solche unterliegt sie nicht der Mitbestimmung des Betriebsrats gem. § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG. 54 Die Interessen der Streikenden können hier geschützt werden, indem die Tarifparteien nach Beendigung des Arbeitskampfes ein Maßregelungsverbot vereinbaren. Ergibt die Auslegung dieser Vereinbarung, daß freiwillige Leistungen des Arbeitgebers an Streikbrecher generell untersagt sind, so ist eine Prämienzahlung als unzulässige Maßregelung anzusehen. In diesem Fall haben auch die Streikenden einen Anspruch auf die Leistung. 55 d) Berufsbildungsmaßnahmen für Streikbrecher Die Kampftaktik der Weiterproduktion setzt nicht nur voraus, daß sich eine hinreichende Zahl von Arbeitnehmern während der Tarifauseinandersetzung arbeitswillig zeigt. Erforderlich ist auch, daß die Arbeitswilligen genügend qualifiziert sind, um die Aufgaben der streikenden Kollegen zu übernehmen. Wenn qualifizierte Ersatzkräfte nicht zur Verfügung stehen, wird der Arbeitgeber ein Interesse daran haben, kurzfristige Lehrgänge für die Streikbrecher durchzuführen. 56 Der Arbeitgeber kann zwar mitbestimmungsfrei darüber entscheiden, ob er überhaupt berufliche Bildungsmaßnahmen anbietet.57 Über die

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BAG AP Nr. 127 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 340 f. BAG AP Nr. 127 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 339 R f.; Belling , NZA 1990, S. 214, 216 ff.; v. Hoyningen-Huene, DB 1989, S. 1466 f.; Konzen, SAE 1989, S. 22, 23; Rolfs, DB 1994, S. 1237, 1241 f. 54 Ebenso v. Hoyningen-Huene, DB 1989, S. 1466, 1469 f. - Α. A. Colneric in Däubler (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 743k; Häßler, Beteiligungsrechte, S. 128 f.; Jahn, Beteiligung, S. 103 f. 55 BAG AP Nr. 88, 120, 123, 127 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 56 Vgl. Häßler, Beteiligungsrechte, S. 133, Jahn, Beteiligung, S. 117; Schwarze, RdA 1993, S. 264, 270. 57 So Glaubitz in Hess/Schlochauer/Glaubitz, § 98 BetrVG Rn. 7; Kraft, NZA 1990, S. 457, 460; Schneider in Däubler/Kittner/Klebe/Schneider (Hrsg.), §98 BetrVG Rn. 1. Das BAG hat einerseits entschieden, daß der Arbeitgeber nicht zur Durchführung einer Berufsbildungsmaßnahme gezwungen werden könne (AP Nr. 4 zu § 98 BetrG 1972, Bl. 506), andererseits die Frage offen gelassen, inwiefern der Be53

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7. Kapitel: Unmittelbar arbeitskampfbetroffener Betrieb

Modalitäten einer Bildungsmaßnahme hat der Betriebsrat jedoch gem. § 98 BetrVG mitzubestimmen. Sofern der Arbeitgeber während des Arbeitskampfes 58 Lehrgänge durchfuhrt, um Streikbrecher auf ihren Einsatz vorzubereiten, handelt es sich jedoch um eine Kampfmaßnahme im Rahmen der Weiterproduktionstaktik. Sie dient dazu, die Fortführung der Betriebstätigkeit durch arbeitswillige Arbeitnehmer zu ermöglichen und ist wertungsmäßig mit der Zahlung von Streikbruchprämien gleichzustellen. Eine derartige Maßnahme bleibt in ihren Auswirkungen hinter der Eingriffsintensität einer Aussperrung zurück, es handelt sich um ein milderes Mittel. Soweit dagegen vorgebracht wird, die Streikbrecher erhielten unter dem Deckmantel des Arbeitskampfes eine breitere betriebliche Ausbildung 59 , ist das nicht überzeugend. Die Lehrgänge nützen dem Arbeitgeber nur dann, wenn er sie rasch durchführt. Regelmäßig werden ohnehin nur ganz kurzfristige Maßnahmen in Betracht kommen; zudem ist die Mitbestimmung lediglich für den Zeitraum des Arbeitskampfes suspendiert. Daher ist nicht zu befürchten, daß sich das Niveau der betrieblichen Bildung durch einen Lehrgang für Streikbrecher verschiebt. Er unterliegt demnach als privilegierte Kampfmaßnahme nicht der Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 98 BetrVG. 60 e) Einstellungen und Versetzungen Zu den Maßnahmen, die der Arbeitgeber ergreifen kann, wenn er während des Arbeitskampfes eine Weiterproduktionstaktik verfolgt, gehören Einstellungen und Versetzungen arbeitswilliger Arbeitnehmer, die die Aufgaben der Streikenden übernehmen. Nachdem das BAG die Abwehraussperrung an einschränkende Voraussetzungen knüpfte 61 , haben insbesondere arbeitskampfbedingte Einstellungen und Versetzungen als Weiterproduktionsmaßnahmen in den achtziger Jahren an Bedeutung gewonnen.62

triebsrat darüber mitzubestimmen habe, ob eine Maßnahme der Berufsbildung überhaupt durchgeführt werden soll (AP Nr. 5 a. a. O., Bl. 510 R). 58 Bei Maßnahmen vor Begimi des Arbeitskampfes bleibt das Mitbestimmungsrecht aus § 98 BetrVG bestehen, BAG AP Nr. 5 zu § 98 BetrVG 1972. 59 Colneric in Däubler (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 743 f. 60 Ebenso Heinze, DB Beilage 23/1982, S. 17; a. A. Häßler, Beteiligungsrechte, S. 134 ff.; Jahn, Beteiligung, S. 118 f. Im Ergebnis hat sich auch das LAG Berlin, NZA 1986, S. 758, 760 gegen ein Mitbestimmungsrecht aus § 98 BetrVG ausgesprochen; die Entscheidung ist jedoch vom BAG aufgehoben worden, weil es um eine Maßnahme im Vorfeld der Tarifauseinandersetzung ging, BAG AP Nr. 5 zu § 98 BetrVG 1972. 61 BAG AP Nr. 64, 65 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; bestätigt durch BVerfGE 84, S. 212 ff. 62 Jahn, Beteiligung, S. 112.

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r e l l e Paritätserwägungen

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§ 99 BetrVG sieht bei Einstellungen und Versetzungen ein Zustimmungsverweigerungsrecht des Betriebsrats vor (die ebenfalls beteiligungspflichtigen Ein- und Umgruppierungen sind im Arbeitskampf praktisch bedeutungslos63). Unter einer Einstellung i. S. des § 99 Abs. 1 BetrVG versteht man sowohl den Abschluß eines Arbeitsvertrages zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer als auch die tatsächliche Arbeitsaufnahme im Betrieb. 64 Der Betriebsrat ist auch beim Einsatz von Leiharbeitnehmern zu beteiligen, Art. 1 § 14 Abs. 3 AÜG. 6 5 Eine Versetzung liegt gem. § 95 Abs. 3 BetrVG vor, wenn dem Arbeitnehmer ein anderer Arbeitsbereich zugewiesen wird und die Zuweisung entweder länger als einen Monat andauert oder mit einer erheblichen Änderung der Arbeitsumstände verbunden ist. 66 Ob der Arbeitgeber individualrechtlich zur Durchführung der Maßnahme befügt ist, spielt betriebsverfassungsrechtlich keine Rolle; auch eine einvernehmliche Versetzung unterliegt dem Beteiligungsrecht nach § 99 Abs. 1 BetrVG. 67 § 99 BetrVG knüpft somit wichtige Abwehrmaßnahmen, mit denen der Arbeitgeber eine Weiterproduktionstaktik verfolgen kann, an die Beteiligung des Betriebsrats. Darin liegt eine Ungleichbehandlung der Kampfmittel, die mit dem Prinzip formeller Parität nicht vereinbar ist. Es fragt sich, ob deshalb die Mitbestimmung nach § 99 BetrVG im Arbeitskampf ganz entfallen muß oder ob es andere Möglichkeiten gibt, die Ungleichbehandlung zu beseitigen. Einige sind der Ansicht, sachgerechte Ergebnisse ließen sich bereits durch eine restriktive Auslegung des § 99 Abs. 2 BetrVG und durch Anwendung des § 100 BetrVG erzielen. 68 In der Tat wäre die rechtsfortbildende Suspendierung des Beteiligungsrechts aus § 99 BetrVG unzulässig, falls schon eine Auslegung der §§ 99, 100 BetrVG es erlaubte, einen Widerspruch zum arbeitskampf-

63

Häßler, Beteiligungsrechte, S. 139 f. BAG in ständiger Rechtsprechung, AP Nr. 2, 7, 9, 35, 40, 54 zu § 99 BetrVG 1972; Fitting/Kaiser/Heither/Engels, § 99 BetrVG Rn. 10; Kittner in Däubler/ Kittner/Klebe/Schneider (Hrsg.), § 99 BetrVG Rn. 37; Stege/Weinspach, §§99-101 BetrVG Rn. 14. 65 Vgl. dazu Kittner in Däubler/Kittner/Klebe/Schneider (Hrsg.), § 99 BetrVG Rn. 56 ff. 66 Maßgeblich ist die Veränderung des Arbeitsbereiches, eine Änderung der Arbeitsumstände ist grundsätzlich unerheblich, vgl. BAG AP Nr. 25, 26, 28 zu § 95 BetrVG 1972; Wank, Anm. zu BAG EWiR § 95 BetrVG 1/91, S. 129 f. 67 Dietz/Richardi, § 99 BetrVG Rn. 90 ff.; v. Hoyningen-Huene/Boemke, Versetzung, S. 119; Kraft in GK-BetrVG, § 99 BetrVG Rn. 78. 68 ArbG Regensburg, AuR 1987, S. 178; Bieback, RdA 1978, S. 82, 95; Brox in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht Rn. 449; Colneric in Däubler (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 683 ff.; Häßler, Beteiligungsrechte, S. 150 ff; Jahn, Beteiligung, S. 112 ff; Kittner in Däubler/Kittner/Klebe/Schneider (Hrsg.), § 99 BetrVG Rn. 24; Reuter, AuR 1973, S. 1,6 f. 64

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7. Kapitel: Unmittelbar arbeitskampfbetroener Betrieb

rechtlichen Paritätsprinzip zu vermeiden. Die Rechtsfortbildung verstieße dann nämlich gegen die Notwendigkeitsmaxime. 69 Eine restriktive Auslegung der Widerspruchsgründe des § 99 Abs. 2 BetrVG ist indessen wenig hilfreich. Vorgeschlagen wird, die Widerspruchstatbestände folgendermaßen zu „entschärfen": Nachteile, die auf den Arbeitskampf zurückgehen, sollen aus § 99 Abs. 2 Nr. 3 BetrVG auszuklammern sein 70 ; falls der Arbeitgeber für die Dauer des Arbeitskampfes Arbeitsplätze neu besetzen will, soll er nicht verpflichtet sein, eine Stellenausschreibung gem. §§ 93, 99 Abs. 2 Nr. 5 BetrVG durchzuführen. 71 Ungeachtet dessen behält aber der Betriebsrat die Möglichkeit, die Zustimmung zur beabsichtigten personellen Maßnahme zu versagen. 72 Denn der Widerspruch des Betriebsrats ist bereits dann beachtlich, wenn seine Begründung es als möglich erscheinen läßt, daß einer der gesetzlichen Zustimmungsverweigerungsgründe geltend gemacht wird; die Angabe konkreter Tatsachen ist nur im Rahmen der Nummern 3 und 6 des § 99 Abs. 2 BetrVG erforderlich. 73 Der Arbeitgeber darf sich auch über eine zu Unrecht verweigerte Zustimmung nicht einfach hinwegsetzen 74 , sondern muß gem. § 99 Abs. 4 BetrVG beim Arbeitsgericht beantragen, die Zustimmung zu ersetzen. Insofern führt eine einschränkende Auslegung des § 99 Abs. 2 BetrVG zu keiner Veränderung des Beteiligungsverfahrens. Der Widerspruch zum Paritätsprinzip bleibt bestehen. Durch die Anwendung des § 100 BetrVG ergibt sich nichts anderes. Die Vorschrift erlaubt dem Arbeitgeber, vorläufige Maßnahmen ohne Zustimmung des Betriebsrats durchzuführen, falls sie aus sachlichen Gründen dringend erforderlich sind. Bestreitet der Betriebsrat das, so muß sich der Arbeitgeber gem. § 100 Abs. 2 BetrVG an das Arbeitsgericht wenden; er darf die Maßnahme aber bis zu zwei Wochen nach der rechtskräftigen Entscheidung des Gerichts aufrechterhalten, § 100 Abs. 3 BetrVG. Damit hat der Arbeitgeber die Möglichkeit, arbeitskampfbedingte Einstellungen und Versetzungen unter Umständen wochenlang gegen den Widerstand des Betriebsrats durchzufüh-

69 70

Vgl. o. 6. Kapitel unter A. So Brox in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht Rn. 449; Reuter, AuR 1973, S. 1,

6 f.

71

Häßler, Beteiligungsrechte, S. 155. Darauf weisen auch Brox in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht Rn. 449 und Häßler, Beteiligungsrechte, S. 156 hin. 73 BAG AP Nr. 50, 57 zu § 99 BetrVG 1972; Fitting/Kaiser/Heither/Engels, § 99 BetrVG Rn. 59; Kittner in Däubler/Kittner/Klebe/Schneider (Hrsg.), § 99 BetrVG Rn. 169; Schlochauer in Hess/Schlochauer/Glaubitz, § 99 BetrVG Rn. 100. 74 Fitting/Kaiser/Heither/Engels, § 99 BetrVG Rn. 59a; Galperin/Löwisch, § 99 BetrVG Rn. 110; Kittner in Däubler/Kittner/Klebe/Schneider (Hrsg.), §99 BetrVG Rn. 165; Kraft in GK-BetrVG, § 99 BetrVG Rn. 118; Schlochauer in Hess/Schlochauer/Glaubitz, § 99 BetrVG Rn. 100 f. 72

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ren. 75 Bedarf es deswegen keiner Einschränkung des § 99 BetrVG? Zu bedenken ist, daß der Arbeitgeber nach § 100 Abs. 2 S. 3 BetrVG verpflichtet ist, innerhalb von drei Tagen das Arbeitsgericht anzurufen. Die Einhaltung dieser Frist kann dem Arbeitgeber gerade in der Ausnahmesituation des Arbeitskampfes Mühe bereiten. 76 Allein schon die Tatsache, daß der Arbeitgeber gezwungen wird, zur Durchfuhrung einer zulässigen Abwehrmaßnahme ein Gericht anzurufen, stellt eine rechtliche Ungleichbehandlung der Kampfparteien dar. Hinzu kommt, daß die Voraussetzungen des § 100 Abs. 1 S. 1 BetrVG regelmäßig erfüllt sind, wenn der Betrieb vom Arbeitskampf betroffen ist. Das Arbeitsgericht wird dem Antrag des Arbeitgebers also stattgeben müssen. Typischerweise ist aber die Tarifauseinandersetzung beendet, bevor eine rechtskräftige Gerichtsentscheidung ergeht. Das Verfahren nach § 100 BetrVG wird somit „zur leeren Hülse, die allein noch den Zweck hätte, der Durchführung von Arbeitskampfmaßnahmen Hindernisse proceduraler Art in den Weg zu stellen." 77 Aufgrund dessen kann die paritätswidrige Ungleichbehandlung der Arbeitskampfmittel durch eine Anwendung des § 100 BetrVG, die letztlich auf eine überflüssige Förmelei hinausläuft, nicht beseitigt werden. Es ist daher geboten, das Zustimmungsverweigerungsrecht gem. § 99 BetrVG bei Einstellungen und Versetzungen während des Arbeitskampfes zu suspendieren. 78

II. Sonstige Maßnahmen während des Arbeitskampfes Die Maßnahmen, um die es im folgenden geht, bleiben nach dem Prinzip formeller Kampfmittelparität weiterhin mitbestimmungspflichtig. Sie sind nicht als privilegierenswerte Kampfmaßnahmen anzuerkennen, weil sie im 75 Colneric in Däubler (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 691; Jahn, Beteiligung, S. 116. 76 LAG Köln, DB 1993, S. 838 f. 77 LAG Köln, DB 1993, S. 838, 839. 78 Im Ergebnis ebenso LAG Köln, DB 1993, S. 838; ArbG Lübeck, BB 1989, S. 2041; Bieback/Mayer, AuR 1982, S. 169, 177; Brill, DB 1979, S. 403, 404; Dietz/Richardi, §99 BetrVG Rn. 16 ff.; Eich, DB Beilage 9/1979, S. 3; Fitting/Kaiser/Heither/Engels, § 99 BetrVG Rn. 8 ff.; Galperin/Löwisch, § 74 BetrVG Rn. 13a; v. Hoyningen-Hu ene/Boemke, Versetzung, S. 225 f.; Kraft, Festschrift G. Müller, S. 265, 276 f.; ders. in GK-BetrVG, § 99 BetrVG Rn. 15; Richardi, Anm. zu BAG AP Nr. 44 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 76 R.; ders., Festschrift 10 Jahre Deutsche Richterakademie, S. 111, 123 f.; ders. in Staudinger, Vorbem. zu §§ 611 ff. BGB Rn. 1209; Schlochauer in Hess/Schlochauer/Glaubitz, § 99 BetrVG Rn. 12; Stege/Weinspach, §§99-101 BetrVG Rn. 8; Wiese, NZA 1984, S. 378, 381. In diese Richtung auch BAG AP Nr. 44 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 68 R; AP Nr. 5 zu § 98 BetrVG 1972, Bl. 511 R; AP Nr. 132 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 692. - A. A. die in Fußnote 68 Genannten.

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7. Kapitel: Unmittelbar arbeitskampfbetroffener Betrieb

Vergleich zur Aussperrung keine milderen Mittel darstellen. Sie rufen Auswirkungen hervor, die über den Tarifkonflikt hinausreichen und könnten dem Arbeitgeber teilweise erhebliche Mißbrauchsmöglichkeiten eröffnen, wenn sie ohne Beteiligung des Betriebsrats statthaft wären. L Kündigungen Spricht der Arbeitgeber im Zusammenhang mit dem Arbeitskampf Kündigungen aus, so muß man unterschiedliche Fallgestaltungen auseinanderhalten. Eine Kampfmaßnahme liegt nicht vor, wenn der Arbeitgeber zwar während des Arbeitskampfes kündigt, jedoch aus Gründen, die nichts mit dem Tarifkonflikt zu tun haben, z. B. wegen mangelhafter Arbeitsleistung oder Krankheit des Arbeitnehmers. Diese Kündigung ist nicht durch den Arbeitskampf veranlaßt und nicht darauf gerichtet, das Kampfgeschehen zu beeinflussen. Es besteht kein Grund, die Beteiligung des Betriebsrats auszuschließen.79 Das gleiche gilt für Kündigungen nach Beendigung des Arbeitskampfes, die darauf gestützt werden, daß Arbeitsplätze infolge streikbedingter Produktionseinschränkungen oder Rationalisierungen weggefallen sind. Wenngleich der Arbeitskampf für solche Kündigungen ursächlich war, sind sie doch erst nach seinem Ende ausgesprochen worden und können ihn nicht mehr auf ihn einwirken. Es handelt sich daher nicht um Kampfmaßnahmen. 80 Damit verbleiben nur zwei Fallgestaltungen, in denen Kündigungen den Charakter einer Arbeitskampfmaßnahme tragen können, nämlich zum einen, wenn sie als Reaktion auf eine rechtswidrige Arbeitsniederlegung ausgesprochen werden, zum anderen, wenn der Arbeitgeber während der Tarifauseinandersetzung wegen des kampfbedingten Arbeitsausfalls kündigt oder wenn er durch die Kündigung die Arbeitsplätze Streikender für Neueinstellungen freimachen will. Das BAG hat hierzu entschieden, der Betriebsrat sei auch während des Arbeitskampfes bei betriebsbedingten 81 und verhaltensbedingten 82 Kündigungen gem. § 102 Abs. 1 BetrVG anzuhören. Der Arbeitgeber dürfe jedoch als Reaktion auf einen Streik Einstellungen, Versetzungen und Entlas79 So auch BAG AP Nr. 20 zu § 102 BetrVG 1972, Bl. 199; Brox in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht Rn. 310; Dietz/Richardi, § 102 BetrVG Rn. 39; Galperin/Löwisch, § 74 BetrVG Rn. 13a; Kraft in GK-BetrVG, § 102 BetrVG Rn. 17; Schlochauer in Hess/Schlochauer/Glaubitz, § 102 BetrVG Rn. 8; Stege/Weinspach, § 102 BetrVG Rn. 17. 80 Für eine Beteiligungspflicht nach § 102 BetrVG in diesem Fall auch Fitting/Kaiser/Heither/Engels, § 102 BetrVG Rn. 10a; Jahn, Beteiligung, S. 106 f.; Kraft in GK-BetrVG, § 102 BetrVG Rn. 18. 81 BAG AP Nr. 60 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 295. 82 BAG AP Nr. 20 zu § 102 BetrVG 1972, Bl. 199 (Kündigung wegen mangelhafter Arbeitsleistung).

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sungen durchführen, ohne den Betriebsrat zu beteiligen. 83 Bei rechtswidrigen Streiks sollen die Beteiligungsrechte aus den §§ 102, 103 BetrVG entfallen. 84 Auch im Schrifttum sprechen sich viele dafür aus, die betriebliche Mitbestimmung bei „Kampfkündigungen" einzuschränken. 85 Mit dem Grundsatz formeller Kampfmittelparität läßt sich dieses Ergebnis allerdings nicht rechtfertigen. a) § 25 KSchG Man könnte zunächst daran denken, § 25 KSchG schreibe die Zulässigkeit der Kündigung als Arbeitskampfmittel fest. 86 Die Vorschrift ordnet an, daß Kündigungen, die lediglich als Maßnahmen in Arbeitskämpfen ausgesprochen werden, nicht den Anforderungen des Kündigungsschutzgesetzes unterliegen. Möglicherweise sind sie deshalb auch betriebsverfassungsrechtlich zu privilegieren. Gegen diese Annahme sprechen jedoch durchgreifende Argumente. Der Wortlaut des § 25 KSchG geht auf § 6b der Stillegungsverordnung vom 8.12.1920 in der Fassung vom 15.10.1923 zurück. Diese Regelung wurde als § 23 in das Kündigungsschutzgesetz von 1951 übernommen und bei der Neufassung des Kündigungsschutzgesetzes 1969 unverändert beibehalten.87 Sie beruht auf der individuellen Arbeitskampftheorie, die zur damaligen Zeit herrschend war. 88 Nach dieser Theorie mußte ein Arbeitnehmer, der sich an einem Streik beteiligen wollte, zuvor sein Arbeitsverhältnis fristgerecht kündigen, anderenfalls handelte er rechtswidrig. Auch der Arbeitgeber konnte nur - un-

83

692.

BAG AP Nr. 44 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 68 R; AP Nr. 132 a. a. O., Bl.

84 BAG AP Nr. 57 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 275 R ff.; AP Nr. 58 a. a. O., Bl. 281 R. 85 Dietz/Richardi, § 102 BetrVG Rn. 40, § 103 Rn. 19 f.; Eich, DB Beilage 9/1979, S. 3; Fitting/Kaiser/Heither/Engels, §74 BetrVG Rn. 21; Galperin/Löwisch, §74 BetrVG Rn. 13a; Heinze, DB Beilage 23/1982, S. 18; Konzen, Anm. zu BAG AP Nr. 57-59 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 803 R; Kraft, Festschrift G. Müller, S. 265, 275 f.; ders. in GK-BetrVG, § 102 BetrVG Rn. 16 f., § 103 BetrVG Rn. 29; Löwisch/ Rumler in Löwisch (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 763; Randerath, Kampfkündigung, S. 83 ff.; Richardi, Festschrift 10 Jahre Deutsche Richterakademie, S. 111, 121 f.; Schlochauer in Hess/Schlochauer/Glaubitz, § 102 BetrVG Rn. 8, § 103 BetrVG Rn. 2; Wiese, NZA 1988, S. 378, 381. - Α. A. Bieback/Mayer,, AuR 1982, S. 169, 177 f.; Brox in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht Rn. 446 f.; Etzel in GK-KSchG, § 102 BetrVG Rn. 26; Häßler, Beteiligungsrechte, S. 162 ff. 86 So Rüthers, Aussperrung, S. 44; Seiter, Streikrecht, S. 320. 87 Weigernd in GK-KSchG, § 25 KSchG Rn. 1. 88 BAG AP Nr. 101 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 376 R; Weigernd in GKKSchG, § 25 KSchG Rn. 3; Herschel/Löwisch, § 25 KSchG Rn. 1; Kittner/Tnttin, § 25 KSchG Rn. 1.

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7. Kapitel: Unmittelbar arbeitskampfbetroffener Betrieb

ter Einhaltung der Kündigungsfrist - Kampfkündigungen aussprechen, ein Recht zur entfristeten Aussperrung stand ihm nicht zu. 8 9 Um die Waffengleichheit und Staatsneutralität zu gewährleisten, wurden arbeitskampfbedingte Kündigungen in § 23 KSchG 1951 vom allgemeinen Kündigungsschutz freigestellt. 90 Der Große Senat des BAG hat aber schon in seinem Beschluß vom 28.1.1955 die individuelle Arbeitskampftheorie verworfen und sich fur eine kollektivrechtliche Betrachtungsweise ausgesprochen.91 Danach ist die Aussperrung nicht mehr individualrechtlich als Kündigung des Arbeitsverhältnisses, sondern als kollektivrechtliche Kampfmaßnahme zu bewerten. Daß der Gesetzgeber des Kündigungsschutzgesetzes von 1969 neben der richterrechtlich entwickelten Aussperrung dem Arbeitgeber auch noch die Möglichkeit der Kampfkündigung eröffnen wollte, erscheint zweifelhaft. Aus den Materialien des Kündigungsschutzgesetzes von 1969 ergeben sich dafür keine Anhaltspunkte. Die Vorschrift des § 23 KSchG 1951 ist gesetzestechnisch dergestalt in das Kündigungsschutzgesetz von 1969 übernommen worden, daß der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung § 25 KSchG 1969 lediglich neu bekannt gemacht, nicht jedoch neu verkündet hat. Die Neubekanntmachung diente nur dem Zweck, das Gesetzeswerk in übersichtlicher Form zu veröffentlichen; sie läßt nicht den Schluß darauf zu, daß der Gesetzgeber die Kündigung als Arbeitskampfmaßnahme gebilligt hat. 92 Anzunehmen ist vielmehr, daß die Vorschrift des § 25 KSchG nur vorsichtshalber im Kündigungsschutzgesetz von 1969 beibehalten wurde, weil die Rechtslage im Arbeitskampfrecht damals nicht ganz klar war. 93 Denn der 1. Senat des BAG hatte mit Beschluß vom 3.9.1968 dem Großen Senat die Frage vorgelegt, ob an den Grundsätzen der Entscheidung vom 28.1.1955 (die die kollektivrechtliche Sicht des Arbeitskampfes begründete) weiterhin festgehalten werden könne. 94 Der Vorlagebeschluß führte zur Entscheidung des Großen Senates vom 21.4.1971. 95 Spätestens seit dieser Grundsatzentscheidung, in welcher der Große Senat die kollektivrechtliche Arbeitskampftheorie bestätigte, ist der ursprüngliche Regelungsgehalt des § 25 KSchG obsolet geworden. 96

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Dazu Jahn, Beteiligung, S. 20 f. Weigand in GK-KSchG, § 25 KSchG Rn. 3 ff.; Bertelsmann, Aussperrung, S. 147 ff.; Randerath, Kampfkündigung, S. 16 f. 91 BAG GS AP Nr. 1 zu Art. 9 GG Arbeitskampf 92 Randerath, Kampfkündigung, S. 28 f. 93 Beck, AuR 1984, S. 43,45. 94 BAG AP Nr. 39 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 95 BAG GS AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 96 BAG AP Nr. 101 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 376 R; Beck, AuR 1984, S. 43, 45; Weigand in GK-KSchG, § 25 KSchG Rn. 7; Berkowsky in MünchArbR, § 134 Rn. 106 f.; Brox in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht Rn. 311; Colneric in Däubler 90

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Die Funktion, die der Norm ursprünglich zugedacht war, nämlich die Waffengleichheit im Arbeitskampf durch die freie Kündigungsmöglichkeit zu wahren, hat sich heute erübrigt, da die Aussperrung als Arbeitskampfmittel an die Stelle der Kündigung getreten ist. Es handelt sich um einen Anwendungsfall des Satzes „cessante ratione legis cessât lex ipsa". 97 Die Funktion des § 25 KSchG besteht nur noch darin, den gegenständlichen Geltungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes zu begrenzen und klarzustellen, daß das Gesetz nicht - auch nicht entsprechend - auf die Aussperrung anwendbar ist. 98 § 25 KSchG enthält demnach keine gesetzliche Wertentscheidung zugunsten einer mitbestimmungsfreien Kampfkündigung. 99 b) Kampfkündigung und Aussperrung Nach dem Grundsatz formeller Kampfmittelparität ist die Kampfkündigung als privilegierenswerte Arbeitskampfmaßnahme anzusehen, falls sie ein milderes Mittel gegenüber der Aussperrung darstellt. Im Vergleich zur suspendierenden Aussperrung wirkt die Kündigung einschneidender: Während die Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis bei einer suspendierenden Aussperrung nur für die Zeit des Arbeitskampfes ruhen, wird durch die Kündigung das Arbeitsverhältnis endgültig beendet. Sie ließe sich als mildere Kampfmaßnahme allenfalls dann rechtfertigen, wenn der Arbeitgeber auch lösend aussperren dürfte. Gegen die Zulässigkeit lösender Aussperrungen bestehen indes ernste Bedenken. 100 Es ist nicht einzusehen, warum der Streik als Kampfmittel der Arbeitnehmer nur suspendierende, die Aussperrung dagegen lösende Wirkung haben soll. Die Auflösung der Arbeitsverhältnisse entspricht nicht dem Zweck des Arbeitskampfes, eine kollektive Gestaltung der Arbeitsbedingungen durch

(Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 581m; Kittner/Trittin, § 25 KSchG Rn. 1; Säcker, Gruppenparität, S. 69, 124. 97 Vgl. dazu Brandenburg, Reduktion, S. 5 ff.; Bydlinski, Methodenlehre, S. 498 ff.; Larenz, Methodenlehre, S. 351. 98 BAG AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 313 R; Weigand in GK-KSchG, § 25KSchG Rn. 5. 99 Weigand in GK-KSchG, § 25KSchG Rn. 5; Herschel/Lömsch, § 25 KSchG Rn. 2; Kittner/Tnttin, § 25KschG Rn. 2; Randerath, Kampfkündigung, S. 29; vgl. auch BAG AP Nr. 64 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 916 R zur „Kündigungsaussperrung" 100 Die wohl h. M. in der Literatur spricht sich gegen lösende Aussperrungen aus, vgl. Bertelsmann, Aussperrung, S. 357; Kalb, Arbeitskampfrecht Rn. 258; Konzen, AcP 177 (1977), S. 473, 535 f.; Randerath, Kampfkündigung, S. 58 ff.; Rüthers in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht Rn. 205 f.; Scholz/Konzen, Aussperrung, S. 233 ff.; Seiter, Streikrecht, S. 361 ff.; Wolter in Däubler (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 942 ff; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, § 41 ΠΙ, IV, S. 430 ff.

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7. Kapitel: Unmittelbar arbeitskampfbetroffener Betrieb

tarifliche Regelungen herbeizuführen. Tarifregelungen machen nur Sinn, wenn die Arbeitsverhältnisse nach dem Ende des Arbeitskampfes fortgeführt werden. 101 Aussperrungen mit Lösungswirkung sind auch nicht erforderlich, denn die suspendierende Aussperrung reicht als Abwehrwaffe aus, um den Kampfrahmen auszuweiten und insofern Druck auf die Gewerkschaften auszuüben. 102 Im Wege lösender Aussperrungen könnten den Arbeitnehmern langjährig erdiente individuelle Rechte und Anwartschaften verlorengehen; das läuft auf eine Strafexpedition des Arbeitgebers hinaus, für die es keine arbeitskampfrechtliche Rechtfertigung gibt. 1 0 3 Der Große Senat des BAG hielt zwar in seiner Entscheidung vom 21.4.1971 die lösende Aussperrung für ein grundsätzlich zulässiges Kampfmittel, das allerdings nur unter engen Voraussetzungen in Betracht kommen soll. 1 0 4 Mit den Urteilen vom 10.6.1980 hat das BAG jedoch schon die suspendierende Abwehraussperrung strengen Beschränkungen unterworfen. 105 Es muß bezweifelt werden, ob eine lösende Aussperrung nach diesen Vorgaben überhaupt noch praktisch vorstellbar ist. 1 0 6 Bedeutsame Arbeitskämpfe mit Lösungswirkung hat es in der bisherigen Tarifpraxis auch nicht gegeben.107 Aber selbst wenn man die lösende Aussperrung entsprechend den Grundsätzen, die der Große Senat 1971 aufgestellt hat, anerkennen wollte, so wäre eine Kündigung nicht als milderes Mittel anzusehen. Der Arbeitgeber, der lösend ausperrt, ist nach der Rechtsprechung des Großen Senates verpflichtet, die betroffenen Arbeitnehmer nach billigem Ermessen wiedereinzustellen. 108 Diese Pflicht entfallt bei der Kündigung, sie ist insofern für die Arbeitnehmer die einschneidendere Maßnahme. 109 Ließe man sie als Kampfmittel zu, so bestünde die Gefahr, daß der Arbeitgeber - gleichsam im Windschatten des Arbeitskampfes - einen schon lange beabsichtigten Personalabbau aus rein wirtschaftlichen Gründen durchführt. 101

Rüthers in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht Rn. 205. Wolter in Däubler (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 943. 103 Rüthers in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht Rn. 206; Wolter in Däubler (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 944. 104 BAG GS AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 312 R ff.; ähnlich Löwisch/ Rieble in Löwisch (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 401 ff. 105 BAG AP Nr. 64, 65 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 106 Beck, AuR 1984, S. 43, 44; Weigand in GK-KSchG, § 25 KSchG Rn. 13; Kittner/Trittin, § 25 KSchG Rn. 2. 107 Rüthers in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht Rn. 206. Dem Beschluß des Großen Senates vom 21.4.1971 (AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf) lag der gewiß nicht alltägliche Fall von Aussperrungskündigungen zugrunde, die gegenüber Croupiers einer Spielbank erklärt wurden. 108 BAG GS AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 314 f. 109 Vgl. Bieback/Mayer, AuR 1982, S. 169, 177 f.; Herschel/Löwisch, § 25 KSchG Rn. 2. 102

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c) Kampfkündigungen bei rechtswidrigen Streiks Allgemein anerkannt ist, daß der Arbeitgeber im Falle rechtswidriger Streiks Kündigungen aussprechen darf. 110 Es kann an dieser Stelle offen bleiben, ob gegen rechtswidrige Arbeitsniederlegungen überhaupt Kampfmaßnahmen der Arbeitgeberseite zulässig sind. 111 Die Kündigung widerrechtlich streikender Arbeitnehmer ist jedenfalls nicht als Arbeitskampfmittel zu bewerten. Sie stellt vielmehr eine individualrechtliche Sanktion auf das vertragswidrige Verhalten der Arbeitnehmer dar. 1 1 2 Nach Auffassung des BAG hat der Arbeitgeber die Wahl, ob er gegen rechtswidrige Streiks kollektivrechtlich im Wege der Aussperrung oder individualrechtlich im Wege der Kündigung vorgehen w i l l . 1 1 3 Entscheidet er sich für die Kündigung, so bedarf es eines Kündigungsgrundes i. S. des § 626 BGB oder des § 1 KSchG 1 1 4 , unter Umständen auch der vorherigen Abmahnung des Arbeitnehmers. 115 Die Kündigung wird also nicht arbeitskampfrechtlich privilegiert, sondern nach der Rechtsordnung des Arbeitsfriedens behandelt. Das dient der Übersichtlichkeit des Arbeitskampfsystems und ist daher gutzuheißen. 116 Wenn aber die Kündigung, die als Reaktion auf widerrechtliche Streikhandlungen ausgesprochen wird, kein Mittel des Arbeitskampfes ist, so läßt sich ein Ausschluß der betrieblichen Mitbestimmung nicht auf den Grundsatz formeller Kampfmittelparität stützen. Auch das BAG hat in seinen Entscheidungen zur Beteiligung des Betriebsrats bei Kündigungen anläßlich rechtswidriger Streiks nicht auf das Paritätsprinzip, sondern - wenig überzeugend 117 - auf die Überforderung des Betriebsrats abgestellt. 118

110 BAG GS AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 313 R; AP Nr. 52, 57, 58 a. a. O.; Weigand in GK-KSchG, § 25 KSchG Rn. 21 f.; Berkowsky in MünchArbR, § 133 Rn. 132; Brox in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht Rn. 337 ff; Colneric in Däubler (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 1169 ff; Löwisch/Krauß in Löwisch (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 539 ff. 111 Dazu unterC. 112 Vgl. Weigand in GK-KSchG, § 25 KSchG Rn. 27; BiebackMayer,, AuR 1982, S. 169, 176; Herschel/Lömsch, § 25 KSchG Rn. 4; anders Richardi, Festschrift 10 Jahre Deutsche Richterakademie, S. 111, 121. 113 BAG GS AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 313 R; BAG AP Nr. 58 a. a. O., Bl. 279 R. 114 BAG GS AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 313 R. 115 BAG AP Nr. 52 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 617 R. 116 Scholz/Konzen, Aussperrung, S. 237. 117 Zur Kritik des Überforderungsargumentes vgl. o. 6. Kapitel unter Β I. 118 BAG AP Nr. 57 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 276; AP Nr. 58 a. a. O., Bl. 281 R. Das Überforderungsargument widerspricht der Entscheidung vom 25.3.1976, wonach die Zustimmung des Betriebsrats nach § 103 BetrVG auch dann erforderlich ist, wenn alle Betriebsratsmitglieder wegen einer gemeinsam begangenen Pflichtver-

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7. Kapitel: Unmittelbar arbeitskampfbetroffener Betrieb d) Kampfkündigungen gegen Betriebsratsmitglieder

Auch und gerade Kündigungen von betriebsverfassungsrechtlichen Funktionsträgern können nicht als beteiligungsfreie Kampfmaßnahmen anerkannt werden. 119 Gegenüber dieser Personengruppe sind lösende Kampfmittel nach allgemeiner Ansicht unzulässig. 120 Der Arbeitgeber wäre sonst in der Lage, den Betriebsrat in der Arbeitskampfphase völlig auszuschalten121 und den Kündigungsschutz des § 15 KSchG zu umgehen, der auch in der Tarifauseinandersetzung gilt. 1 2 2 Betriebsratsmitglieder können während des Arbeitskampfes nur entlassen werden, wenn sie sich rechtswidrig verhalten; diese Kündigung ist aber, wie bereits dargelegt, nicht als Kampfmittel, sondern als individualrechtliche Maßnahme aufzufassen. Eine Beschränkung des Beteiligungsrechts aus § 103 BetrVG kommt daher nach dem Grundsatz formeller Kampfmittelparität nicht in Betracht. 2. Kameraüberwachung Streikender Während des Arbeitskampfes kann der Arbeitgeber ein Interesse daran haben, Bildaufnahmen von den Streikenden zu machen, um sich Beweismittel für rechtswidrige Handlungen (beispielsweise Betriebsbesetzungen und -blokkaden, Sabotageakte, tätliche Angriffe auf Streikbrecher) zu verschaffen. Möglicherweise kommt ihm auch der psychologische Druck nicht ungelegen, den eine Kameraüberwachung auf streikende Arbeitnehmer ausübt. Wenn der Arbeitgeber zu diesem Zweck Kameras installieren will, ist jedoch das Mitbeletzung fristlos entlassen werden sollen, vgl. Hanau, Anm. zu AR-Blattei D Betriebsverfassung IX, Entscheidung 36. 119 Ebenso Brox in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht Rn. 447; Etzel in GK-KSchG, § 103 BetrVG Rn. 61; Häßler, Beteiligungsrechte, S. 166 f.; Hanau, AR-Blattei Betriebsverfassungsrecht IX, Anm. zu Entsch. 37; Jahn, Beteiligung, S. I l l ; a. A. Dietz/Richardi, § 103 BetrVG Rn. 20; Heinze, DB Beilage 23/1982, S. 18; Kraft, Festschrift G. Müller, S. 265, 276; ders. in GK-BetrVG, § 103 BetrVG Rn. 29; Schlochauer in Hess/Schlochauer/Glaubitz, § 103 BetrVG Rn. 2. Das BAG ist der Ansicht, der Arbeitgeber sei bei arbeitskampfbedingten Kündigungen von Betriebsratsmitgliedern in entsprechender Anwendung des § 103 Abs. 2 BetrVG verpflichtet, die Zustimmung des Betriebsrats durch das Arbeitsgericht ersetzen zu lassen, AP Nr. 57 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 276 f.; so auch Eich, DB Beilage 9/1979, S. 3. 120 BAG GS AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 312 R; Weigand in GKKSchG, § 25 KSchG Rn. 11; Brox in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht Rn. 622; Löwisch/Rieble in Löwisch (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 430; Randerath, Kampfkündigung, S. 57; Seiter, Streikrecht, S. 369; vgl. o. 5. Kapitel unter Α ΠΙ. 121 BAG AP Nr. 57 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Bl. 276; Randerath, Kampfkündigung, S. 57; Seiter, Streikrecht, S. 369. 122 Herschel/Löwisch, § 25 KSchG Rn. 3; Löwisch/Krauß in Löwisch (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 534; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, § 41 V 2, S. 432 f.

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stimmungsrecht des Betriebsrats aus § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG zu beachten. Die Kameraüberwachung stellt keine beteiligungsfreie Arbeitskampfmaßnahme dar. 1 2 3 Sie ist kein milderes Mittel im Vergleich zur Aussperrung, denn durch die Filmaufnahme findet ein zusätzlicher Eingriff in das Persönlichkeitsrecht der Streikenden statt. 3. Kündigung und Vergabe von Werkswohnungen Vereinzelt wird erwogen, das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 9 BetrVG im Arbeitskampf zu suspendieren, falls der Arbeitgeber die Werkswohnungen Streikender kündigen und Wohnungen an Arbeitswillige vergeben w i l l . 1 2 4 Es liegt jedoch keine Arbeitskampfmaßnahme vor, die gegenüber der Aussperrung milder ist. Die Wirkungen der Aussperrung sind auf die Zeit des Arbeitskampfes beschränkt, die Kündigung und Vergabe von Wohnraum wirkt dagegen weit über diesen Zeitraum hinaus. 125 Derartige Maßnahmen verdienen nach formellen Paritätsgrundsätzen keine betriebsverfassungsrechtliche Privilegierung. 4. Betriebsänderungen In der Literatur befürworten einige, bei arbeitskampfbedingten Betriebsänderungen die Beteiligungsrechte aus den §§111, 112 BetrVG einzuschränken. 1 2 6 Das begegnet Bedenken. Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß eine vorübergehende Betriebspause, die häufig als Folge des Arbeitskampfes eintritt, nicht den Tatbestand einer Betriebsänderung i. S. des § 111 BetrVG er-

123 So auch Häßler, Beteiligungsrechte, S. 123 if.; Jahn, Beteiligung, S. 98 f. - A. A. Glaubitz in Hess/Schlochauer/Glaubitz, § 87 BetrVG Rn. 72; Wiese, NZA 1984, S. 378, 381; ders., Festschrift H. Hubmann, S. 481, 500 f. 124 Kraft, Festschrift G. Müller, S. 265, 278. - A. A. Bieback/hiayer, AuR 1982, S. 169, 178; Brox in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht Rn. 466; Galperin/Löwisch, §74 BetrVG Rn. 13b; Häßler, Beteiligungsrechte, S. 123; Jahn, Beteiligung, S. 100 ff.; Löwisch/Rumler in Löwisch (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 769; Reuter, AuR 1973, S. 1,5,8. 125 Herbst, AiB 1987, S. 4, 9; Jahn, Beteiligung, S. 101. 126 Brox in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht Rn. 462; Dietz/Richardi, § 74 BetrVG Rn. 13 f.; Eich, DB Beilage 9/1979, S 4; Fabricius in GK-BetrVG, § 111 BetrVG Rn. 349; Galperin/Löwisch, § 74 BetrVG Rn. 13c; Heinze, DB Beilage 23/1982, S. 19; Kraft, Festschrift G. Müller, S. 265, 278; Löwisch/Rumler in Löwisch (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 766; Reuter, AuR 1973, S. 1, 7. - A. A. Bieback/Mayer, AuR 1982, S. 169, 178; Häßler, Beteiligungsrechte, S. 171 ff.; Jahn, Beteiligung, S. 123 ff. 15 Jansen

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7. Kapitel: Unmittelbar arbeitskampfbetroffener Betrieb

füllt und deshalb nicht der betrieblichen Mitbestimmung unterliegt. 127 § 111 BetrVG erfaßt nur endgültige Maßnahmen. 128 Liegt aber eine tatbestandsmäßige, also endgültige Betriebsänderung vor, so kann sie nicht als beteiligungsfreie Arbeitskampfmaßnahme anerkannt werden. Dagegen spricht schon, daß der Arbeitskampf mit seinen zeitlich begrenzten Auswirkungen im Regelfall nicht die einzige Ursache für die Betriebsänderung darstellt. Vielmehr kommen weitere Faktoren hinzu, wie z. B. die Verteuerung benötigter Rohstoffe und Vormaterialien, verstärkte Konkurrenz, allgemeiner Rückgang der Nachfrage, verminderte Exportchancen aufgrund gestiegener Wechselkurse, fehlerhaftes Management. 129 Deshalb lassen sich „arbeitskampfbedingte" Betriebsänderungen praktisch nicht von „normalen" Betriebsänderungen unterscheiden. 130 Ohne eine einigermaßen klare Abgrenzung besteht jedoch die Gefahr, daß der Arbeitgeber die Tarifauseinandersetzung nur als Grund für Maßnahmen vorschiebt, die bereits seit langem geplant sind. 131 Entscheidend ist, daß sich die Auswirkungen der Betriebsänderung nicht auf den Zeitraum des Arbeitskampfes beschränken. Ihre eigentlichen Folgen treten erst nach seiner Beendigung ein, da die Betriebstätigkeit während des Konflikts ohnehin durch Streik oder Aussperrung gestört ist. 1 3 2 Insofern stellt die Betriebsänderung ein schärferes Mittel als die Aussperrung dar. Dem läßt sich nicht entgegenhalten, daß in einem kampfbetroffenen Betrieb keine Lohnzahlungspflicht bestehe und daher erst recht die Pflicht zur Aufstellung eines Sozialplanes entfallen müsse. 133 Der Sozialplan soll die wirtschaftlichen Nachteile ausgleichen, die dem Arbeitnehmer aufgrund der Betriebsänderung (und nicht des Arbeitskampfes) entstehen, § 112 Abs. 1 S. 2 BetrVG. Diese Nachteile werden regelmäßig erst nach dem Ende des Arbeitskampfes auftreten und gehen über den arbeitskampfbedingten zeitweiligen Verlust von Lohnansprüchen hinaus. Insofern wird den Arbeitnehmern ein zusätzliches Opfer auferlegt, wenn man ihnen Ansprüche aus dem Sozialplan versagt. Das Prinzip formeller Kampfmittelparität kann daher eine Suspendierung der Beteiligungsrechte aus §§ 111, 112 BetrVG nicht rechtfertigen.

127 Colneric in Däubler (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 743; Häßler, Beteiligungsrechte, S. 172; Hess in Hess/Schlochauer/Glaubitz, § 111 BetrVG Rn. 50; Jahn, Beteiligung, S. 120, 125. 128 Dietz/Richardi, § 111 BetrVG Rn. 29; Häßler, Beteiligungsrechte, S. 171; Jahn, Beteiligung, S. 120. 129 Häßler, Beteiligungsrechte, S. 172. 130 Zum Erfordernis der Kausalität zwischen Arbeitskampf und Kampfmaßnahme vgl. o. 6. Kapitel unter C m 2 b bb. 131 Colneric in Däubler (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 742; Jahn, Beteiligung, S. 123 f. 132 Bieback/Mayer, AuR 1982, S. 169, 178. 133 So Reuter, AuR 1973, S. 1, 7.

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III. Maßnahmen außerhalb des Arbeitskampfes Arbeitskampfmaßnahmen sind nur zulässig, solange der Tarifkonflikt andauert. Die Einschränkung von Beteiligungsrechten aufgrund formeller Paritätserwägungen ist auf diesen Zeitraum begrenzt. 134 Weiterhin beteiligungspflichtig sind daher Maßnahmen, die der Arbeitgeber im Vorfeld des Arbeitskampfes treffen will, um sich auf die Auseinandersetzung vorzubereiten. 135 Das hat das BAG im Hinblick auf Lehrgänge, mit denen Streikbrecher auf ihren Einsatz vorbereitet werden sollten, ausdrücklich klargestellt. 136 Zu Recht geht das BAG davon aus, daß es im Ergebnis einer generellen Suspendierung der betrieblichen Mitbestimmung gleichkäme, wenn jede Vorbereitungsmaßnahme beteiligungsfrei wäre. Auch nach Beendigung des Arbeitskampfes sind die Rechte des Betriebsrats keinen Beschränkungen mehr unterworfen. 137 Will der Arbeitgeber Kampfmaßnahmen aufrechterhalten, obgleich der Arbeitskampf abgeschlossen ist, so muß er die erforderliche Beteiligung des Betriebsrats nachholen. 138 Das Schutzbedürfnis der Belegschaft kann hier besonders groß sein, etwa, wenn der Arbeitgeber Streikbrecher weiterbeschäftigt, die er während der Tarifauseinandersetzung eingestellt hat. Es besteht die Gefahr, daß der Arbeitgeber später überzähliges Personal abbauen und bei den Streikteilnehmern damit anfangen könnte. 139 Daher steht dem Betriebsrat in diesem Fall nach dem Ende des Arbeitskampfes das Zustimmungsverweigerungsrecht aus § 99 Abs. 2 Nr. 3 BetrVG zu. Der Betriebsrat hat auch mitzubestimmen, soweit es darum geht, die Folgen des beendeten Arbeitskampfes zu regeln. Dazu zählt beispielsweise die Frage, ob die Kampfteilnahme zu einer Kürzung des Entgelts oder zu einer Belastung des Gleitzeitkontos fuhren soll. 1 4 0

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Vgl. o. 6. Kapitel unter C m 2 b cc (4). So auch Küttner/Schmidt, DB 1988, S. 704. 136 BAG AP Nr. 5 zu § 98 BetrVG 1972, Bl. 511 ff. 137 BAG AP Nr. 31 zu § 80 BetrVG 1972, Bl. 827. 138 Bieback/Mayer, AuR 1982, S. 169, 177; Dietz/Richardi, § 99 BetrVG Rn. 19; Fitting/Kaiser/Heither/Engels, § 74 BetrVG Rn. 21a; Galperin/Löwisch, § 74 BetrVG Rn. 13; Heinze, SAE 1980, S. 223, 225; v. Hoyningen-Huene in MünchArbR, § 293 Rn. 36; Kittner in Däubler/Kittner/Klebe/Schneider (Hrsg.), § 99 BetrVG Rn. 26; Löwisch/Rumler in Löwisch (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 767; Mayer-Maly, BB 1979, S. 1305, 1312. - A. A. //. W. Dietz, Friedenspflicht, S. 144; Kraft, Festschrift G. Müller, S. 265, 283 f. 139 Bieback/Mayer, AuR 1982, S. 169, 177. 140 BAG AP Nr. 132 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; a. A. LAG Schleswig-Holstein, BB 1994, S. 579 f. 135

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7. Kapitel: Unmittelbar arbeitskampfbetroffener Betrieb

IV· Informationsrechte des Betriebsrats Dem Betriebsrat steht nach § 99 Abs. 1 BetrVG ein Unterrichtungsrecht bei Einstellungen und Versetzungen zu; im Hinblick auf Maßnahmen der Berufsbildung kann er ein Beratungsrecht aus § 97 BetrVG geltend machen. Auch die Mitbestimmungstatbestände des § 87 Abs. 1 BetrVG enthalten als „Minus" ein Informationsrecht des Betriebsrats. 141 Ein allgemeines Unterrichtungsrecht ergibt sich für den Betriebsrat jedenfalls aus § 80 Abs. 2 S. 1 BetrVG. Die Frage ist, ob diese Rechte bestehen bleiben, wenn der Arbeitgeber Kampfmaßnahmen durchführt, die nach dem Grundsatz formeller Kampfmittelparität mitbestimmungsfrei sind. Es spricht einiges gegen eine Pflicht des Arbeitgebers, den Betriebsrat über beabsichtigte Kampfmaßnahmen zu unterrichten. 142 Sie liefe auf eine rechtliche Ungleichbehandlung der Arbeitskampfmittel hinaus: Der Arbeitgeber müßte vor dem Kampfmitteleinsatz einen Repräsentanten der Belegschaft, also der Gegenseite, informieren, die Gewerkschaft träfe eine solche Verpflichtung nicht. Diese Ungleichbehandlung läßt sich durch den Schutzzweck des Betriebsverfassungsgesetzes nicht rechtfertigen. Der Betriebsrat hat bei Kampfmaßnahmen kein Mitbestimmungsrecht nach den §§87 Abs. 1, 98, 99 BetrVG. Es wäre eine überflüssige Förmelei, dem Arbeitgeber gleichwohl eine Informationspflicht aufzuerlegen 143 , denn der Betriebsrat kann die Durchführung einer Kampfmaßnahme letztlich nicht verhindern. Für eine Unterrichtung des Betriebsrats während des Arbeitskampfes besteht auch kein dringendes Bedürfnis. Seine Beteiligungsrechte sind nur für den Zeitraum des Tarifkonflikts eingeschränkt, danach leben sie in vollem Umfang wieder auf. Der Arbeitgeber ist dann verpflichtet, dem Betriebsrat die Informationen zu geben, die ihm nach den Vorschriften des Betriebsverfassungsgesetzes zustehen. 144 Nach Beendigung des Arbeitskampfes kann der Betriebsrat auch Informationsrechte im Hinblick auf durchgeführte Kampfmaßnahmen geltend machen. Sollen mitbestimmungspflichtige Maßnahmen nach Beendigung des Arbeitskampfes aufrechterhalten werden, bedarf es der nachträglichen Zustimmung des Betriebsrats. Damit ist dem Schutzbedürfnis der Belegschaft genügt. 141

Heinze, DB Beilage 23/1982, S. 15; vgl. auch Dietz/Richardi, § 87 BetrVG Rn. 44; Wiese in GK-BetrVG, § 87 BetrVG Rn. 118. 142 Vgl. Eich, DB Beilage 9/1979, S. 3; Meisel, Anm. zu BAG AP Nr. 20 zu § 102 BetrVG 1972, Bl. 200 f. - A. A. Berg in Däubler/Kittner/Klebe/Schneider (Hrsg.), § 74 BetrVG Rn. 20; Heinze, DB Beilage 23/1982, S. 15, 17; Jahn, Beteiligung, S. 80, 116 f.; Kreutz in GK-BetrVG, §74 BetrVG Rn. 65; Kraft, ebenda, §99 BetrVG Rn. 15; Löwisch/Bittner, AR-Blattei SD Arbeitskampf IV Rn. 33. 143 Meisel, Anm. zu BAG AP Nr. 20 zu § 102 BetrVG 1972, Bl. 200 R. 144 Vgl. BAG AP Nr. 31 zu § 80 BetrVG 1972 (Auskunft über gezahlte Streikbruchprämien).

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V. Erweiterung der Beteiligungsrechte durch Betriebsvereinbarungen Es kommt vor, daß Arbeitgeber und Betriebsrat Betriebsvereinbarungen abschließen, in denen die Beteiligungsrechte bei bestimmten Angelegenheiten konkret ausgestaltet oder erweitert werden. Solche Betriebsvereinbarungen können sich auf Maßnahmen erstrecken, die nach den vorgenannten Grundsätzen während des Arbeitskampfes mitbestimmungsfrei sind. Denkbar ist ζ. B., daß eine Betriebsordnung besteht, die dem Arbeitgeber untersagt, ohne vorherige Zustimmung des Betriebsrats Torkontrollen oder Werksausweise einzuführen; die Betriebsparteien könnten die Mitbestimmung bei Berufsbildungsmaßnahmen detailliert geregelt und einseitige Maßnahmen des Arbeitgebers ausdrücklich ausgeschlossen haben; möglicherweise ist auch die Vorschrift des § 99 Abs. 2 BetrVG zugunsten eines freien Zustimmungsrechts für den Betriebsrat erweitert worden. 145 In diesen Betriebsvereinbarungen wird nur selten ein Vorbehalt für die Zeit des Arbeitskampfes enthalten sein; regelmäßig machen sich die Parteien über die Situation in der Tarifauseinandersetzung keine Gedanken. Nun könnte sich der Betriebsrat im Arbeitskampf darauf berufen, daß, wenn auch ein gesetzliches Mitbestimmungsrecht bei Kampfmaßnahmen nicht bestehe, der Arbeitgeber doch jedenfalls weiterhin an die Betriebsvereinbarung gebunden sei und den Betriebsrat daher beteiligen müsse. Dem ist nicht zu folgen. Sind die gesetzlichen Beteiligungsrechte bei Kampfmaßnahmen suspendiert, so müssen erst recht erweiterte Befügnisse aus Betriebsvereinbarungen entfallen. Methodisch läßt sich das mit dem Gedanken des Wegfalls der Geschäftsgrundlage begründen, der über § 2 Abs. 1 BetrVG auch auf Betriebsvereinbarungen anwendbar ist. 1 4 6 Die Bestimmungen der Betriebsvereinbarung sind auf die Zeit des Arbeitsfriedens zugeschnitten. Während des Tarifkonflikts müssen sie ruhen, soweit sie dem Paritätsprinzip widersprechen. Dieser Kernbereich des Arbeitskampfrechts ist der Verfügung der Betriebsparteien entzogen; Regelungen, welche die Kampfparität beeinträchtigen, sind unwirksam. 147 Der Betriebsrat kann deshalb aus einer Betriebsvereinbarung im Arbeitskampf keine weitergehenden Rechte herleiten als aus dem Gesetz.

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Für die Zulässigkeit einer solchen Betriebsvereinbarung Kittner in Däubler/Kittner/Klebe/Schneider (Hrsg.), §99 BetrVG Rn. 31 f.; a. A. Schlochauer in Hess/Schlochauer/Glaubitz, § 99 BetrVG Rn. 10 f. 146 Vgl. o. 4. Kapitel unter Β I 5, Fußnote 167. 147 BAG AP Nr. 132 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 692 R; vgl. auch LAG Frankfurt a. M.,DB 1986, S. 178 f.

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7. Kapitel: Unmittelbar arbeitskampfbetroffener Betrieb

VI. Notstands- und Erhaltungsarbeiten Es ist allgemein anerkannt, daß die Arbeitnehmer während des Arbeitskampfes verpflichtet bleiben, Notstands- und Erhaltungsarbeiten (sog. Notarbeiten 148 ) durchzufuhren. 149 Erhaltungsarbeiten sind diejenigen, die erforderlich sind, um die Produktionsanlagen in dem Zustand zu erhalten, in dem sie sich zu Beginn des Arbeitskampfes befanden 150 , dazu zählen insbesondere die Wartung der Werksanlagen und ihre Sicherung vor unbefugten Zugriffen. Notstandsarbeiten sind solche, die vorrangige Rechtsgüter Dritter vor den Folgen des Arbeitskampfes schützen sollen, hierzu gehört insbesondere die Versorgung der Bevölkerung mit Energie, medizinischen Dienstleistungen und lebensnotwendigen Gütern. 151 Die Pflicht, Erhaltungs- und Notstandsarbeiten auszufuhren, ergibt sich für die Arbeitnehmer aus dem Arbeitsvertrag. 152 Davon zu unterscheiden ist die Pflicht der Arbeitskampfparteien, die Ausführung dieser Arbeiten zu ermöglichen. Sie folgt aus dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit, das eine übermäßige Schädigung des Gegners und der Allgemeinheit verbietet. 153 Damit ist auch die Lösung der umstrittenen Frage vorgezeichnet, wer Träger der Notarbeiten ist: Bei Aussperrungen trifft die Regelungspflicht und -befugnis die Arbeitgeber, bei Streiks sind die Gewerkschaften zuständig. 1 5 4 In der Praxis werden auf betrieblicher Ebene regelmäßig Vereinbarun148

Zur Terminologie Oetker, Erhaltungsarbeiten, S. 1 f.; Otto in MünchArbR, § 278 Rn. 139 ff. 149 Vgl. etwa Brox in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht Rn. 290 ff.; Löwisch/Rieble in Löwisch (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 387 ff.; Schumann in Däubler (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 224, jeweils m. w. N. 150 So die Definition in BAG AP Nr. 74 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 638 R. 151 Ausführlich zum Umfang der Erhaltungs- und Notstandsarbeiten Oetker, Erhaltungsarbeiten, S. 3 ff. 152 Brox in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht Rn. 291; Dütz, Arbeitsrecht Rn. 668; Fenn, DB 1982, S. 430,433; Hueck/Nipperdey/Säcker, Arbeitsrecht Π/2, S. 949; Wiese, NZA 1981, S. 378, 381; Schumann in Däubler (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 228; a. A. Oetker, Erhaltungsarbeiten, S. 56 ff. 153 Brox in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht Rn. 291, 349; Kalb, Arbeitskampfrecht Rn. 133; Löwisch/Mikosch, ZfA 1978, S. 153, 159 ff; Löwisch/Rieble in Löwisch (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 387 ff.; Seiter, Streikrecht, S. 270, 533; Wank, Festschrift O. R. Kissel, S. 1225, 1236; kritisch Hohenstatt, Erhaltungsarbeiten, S. 41 ff., der stattdessen auf das Paritätsprinzip abstellen will. 154 So auch Däubler, AuR 1981, S. 257, 263; Hohenstatt, Erhaltungsarbeiten, S. 92 ff., 125 ff., 173; Löwisch/Mikosch, ZfA 1978, S. 153, 165 f.; Löwisch/Rieble in Löwisch (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 393; Oetker, Erhaltungsarbeiten, S. 68 ff.; Wiese, NZA 1984, S. 378, 381; a. A. etwa Bertele, Aussperrung, S. 109 (Gewerkschaft ist stets zuständig); Brox in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht Rn. 293 (Einigung der Kampfparteien erforderlich); Fenn, DB 1982, S. 430, 433 (Arbeitgeber ist stets zuständig). Das BAG hat die Frage offengelassen, AP Nr. 74 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; AP Nr. 129 a. a. O., Bl. 1081 R; AP Nr. 135 a. a. O., Bl. 1315 R.

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r e l l e Paritätserwägungen

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gen zwischen der gewerkschaftlichen Streikleitung und dem Arbeitgeber getroffen, an denen auch der Betriebsrat beteiligt ist. 1 5 5 Fraglich ist indessen, ob dem Betriebsrat im Zusammenhang mit den Notarbeiten zwingende Beteiligungsrechte aus dem Betriebsverfassungsgesetz zustehen. Die Bestimmung, in welchem Umfang die Arbeiten erforderlich sind, ist keine Frage der betrieblichen Ordnung gem. § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG. Es werden (noch) keine Verpflichtungen der Arbeitnehmer begründet, die das Zusammenleben und Zusammenwirken im Betrieb beeinflussen könnten. 156 Auch bei der Auswahl der Arbeitnehmer, die Notstands- und Erhaltungsarbeiten verrichten sollen, kommt eine Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG nicht in Betracht. Weil die Arbeitnehmer vertraglich zur Durchfuhrung dieser Arbeiten verpflichtet sind, geht es lediglich um eine Konkretisierung der Arbeitspflicht, die nicht gem. § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG mitbestimmungspflichtig ist. 1 5 7 In diesen Fällen greift also schon tatbestandlich kein Beteiligungsrecht ein. Anders ist es bei der konkreten Durchfuhrung der Notarbeiten. Hier können sich für den Betriebsrat Beteiligungsrechte ζ. B. aus § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG (Ausstellung von Notarbeiterausweisen), § 99 BetrVG (Einstellung oder Versetzung von Notarbeitern) oder § 102 BetrVG (Kündigung von Notarbeitern) ergeben. Im Hinblick auf die betriebliche Mitbestimmung ist zunächst zwischen Maßnahmen des Arbeitgebers und Maßnahmen der Gewerkschaft zu unterscheiden. Trifft die Gewerkschaft im Rahmen ihrer Regelungsbefugnis bei Streiks Anordnungen über Notarbeiterausweise oder über einen Einsatz von Arbeitnehmern, der den Versetzungstatbestand des § 95 Abs. 3 BetrVG erfüllt, so muß eine Mitbestimmung des Betriebsrats ausscheiden. Es handelt sich nicht um eine Arbeitgebermaßnahme, sondern um eine autonome Entscheidung der Gewerkschaft 158 , die vom Schutzzweck der Beteiligungsrechte nicht erfaßt wird. Anordnungen des Arbeitgebers im Zusammenhang mit Notarbeiten sind jedenfalls mitbestimmungsfrei möglich, wenn sie der Durchführung einer Aussperrung dienen. Sie sind dann als aussperrungsnotwendige Maßnahmen 159 zu bewerten, da eine Aussperrung ohne Sicherstellung der Notarbeiten nicht

155

Schumann in Däubler (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 230. So im Ergebnis auch Hohenstatt, Erhaltungsarbeiten, S. 156; Oetker, Erhaltungsarbeiten, S. 82 f. 157 Vgl. Häßler, Beteiligungsrechte, S. 77 f.; Oetker, Erhaltungsarbeiten, S. 85; Wiese, NZA 1984, S. 378, 382. 158 Häßler, Beteiligungsrechte, S. 77; Oetker, Erhaltungsarbeiten, S. 84. 159 Vgl. o.unter A l l c. 156

232

7. Kapitel: Unmittelbar arbeitskampfbetroffener Betrieb

möglich wäre. Dies gilt für die Gestaltung der Notarbeiterausweise 160 und für erforderliche Versetzungen, aber auch für Neueinstellungen, sofern sich die Arbeitnehmer weigern, den Notdienstanordnungen des Arbeitgebers zu folgen. In diesem Fall liegen echte Arbeitskampfmaßnahmen vor 1 6 1 , die nach formellen Paritätsgesichtspunkten nicht der betrieblichen Mitbestimmung unterliegen. Kampfmaßnahmen kann der Arbeitgeber aber auch dann ergreifen, wenn die Gewerkschaft ihrer Pflicht zur Organisation der Notarbeiten bei einem Streik nicht nachkommt. Steht nach dem Streikaufruf der Gewerkschaft keine hinreichende Zahl von Notarbeitern zur Verfügung, so darf der Arbeitgeber Neueinstellungen ohne Beteiligung des Betriebsrats vornehmen. 162 Wenn der Arbeitgeber mitbestimmungsfrei eine Weiterproduktionstaktik verfolgen darf, muß er erst recht befugt sein, notwendige Erhaltungs- und Notdienstarbeiten einseitig anzuordnen. Kündigungen von Arbeitnehmern, die den Notdienst widerrechtlich verweigern, sind jedoch weiterhin gem. §§ 102, 103 BetrVG mitbestimmungspflichtig. 163 Kündigungen können generell nicht als Kampfmaßnahmen anerkannt werden 164 ; sie haben auch auf die Durchführung der Notarbeiten keinen Einfluß. Im Zusammenhang mit Notdienst- und Erhaltungsarbeiten ist noch anzumerken, daß die Beteiligung des Betriebsrats unter Umständen schon nach § 2 Abs. 1 BetrVG unter dem Gesichtspunkt eines Notfalls 165 entfallen kann.

B. Materielle Paritätserwägungen Die bisherigen Ausführungen beruhten auf dem Prinzip formeller Kampfmittelparität. Danach sind Kampfmaßnahmen des Arbeitgebers mitbestimmungsfrei. Dieses Zwischenergebnis bedarf jedoch möglicherweise einer Korrektur im Hinblick auf das Prinzip materieller Parität. Einerseits ist denkbar, daß sich das Kräftegleichgewicht im Arbeitskampf zu Lasten der Gewerkschaften verschiebt, wenn die Arbeitgeber Kampfmaßnahmen ohne die Beteiligung des Betriebsrats durchführen können. Andererseits ist zu überlegen, ob die betriebliche Mitbestimmung, soweit sie außerhalb der privilegierten Ar-

160

Gegen die Mitbestimmung des Betriebsrats bei Notarbeiterausweisen auch Hohenstatt, Erhaltungsarbeiten, S. 169 ff.; Oetker, Erhaltungsarbeiten, S. 90. 161 Vgl. auch Oetker, Erhaltungsarbeiten, S. 89. 162 Hohenstatt, Erhaltungsarbeiten, S. 167 f. 163 Hohenstatt, Erhaltungsarbeiten, S. 168 f. 164 Vgl. o. unter Α Π 1. 165 Vgl. ο. 4. Kapitel unter Β Π 1 b.

Β. Materielle Paritätserwägungen

233

beitskampfmaßnahmen aufrechterhalten bleibt, die Kampfchancen der Arbeitgeber mindert und insofern eine Paritätsstörung bewirkt. Es sind also Kontrollüberlegungen in zwei Richtungen anzustellen. 166

L Paritätsstörung zu Lasten der Gewerkschaften Die Behauptung, eine Beschränkung der betrieblichen Mitbestimmung führe zu einem Kampfnachteil für die Gewerkschaften, wird zwar bisweilen aufgestellt 167 , jedoch nicht belegt. Es spricht einiges dagegen, daß eine Paritätsstörung vorliegt, falls der Arbeitgeber den (engen) Kreis von Kampfmaßnahmen beteiligungsfrei durchfuhren darf. Zu bedenken ist, daß die betriebliche Mitbestimmung nur einen von mehreren paritätserheblichen Gesichtspunkten darstellt. Die anderen Faktoren der sozialen Realität, in der sich die Tarifauseinandersetzung abspielt, ändern sich durch eine Suspendierung der Beteiligungsrechte nicht. Insbesondere bleibt den Gewerkschaften das Druckmittel des Streiks unverändert erhalten. Die betriebliche Mitbestimmung berührt lediglich einen Nebenbereich; die Schäden, die durch die Hauptkampfmittel Streik und Aussperrung hervorgerufen werden, sind weiterhin bestimmend für den Ausgang des Arbeitskampfes. Ein Vorteil für die Arbeitgeberseite kann sich allein daraus ergeben, daß die Streikabwehr durch mitbestimmungsfreie Kampfmaßnahmen im Rahmen einer Weiterproduktionstaktik effektiver wird. Das setzt allerdings zunächst einmal eine hinreichend große Zahl von Arbeitswilligen voraus, hängt also auch davon ab, wie erfolgreich die Bemühungen der Gewerkschaft sind, die Arbeitnehmer für den Streik zu gewinnen. Auf diese Bemühungen hat aber die betriebliche Mitbestimmung keinen Einfluß. Sie greift erst ein, wenn der Arbeitgeber beispielsweise Neueinstellungen, Versetzungen oder Mehrarbeit für die Arbeitswilligen anordnet. In dieser Situation kann sich die Gewerkschaft aber ohnehin nicht darauf verlassen, daß der Betriebsrat zum Bundesgenossen wird. Er könnte ja - mit Rücksicht auf betriebliche Belange - den Anordnungen des Arbeitgebers auch zustimmen. Jedenfalls darf der Betriebsrat nicht ausschließlich aus arbeitskampfpolitischen Gründen die Kooperation mit dem Arbeitgeber ablehnen. Er verstößt sonst gegen das Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit und riskiert ein Verfahren nach § 23 Abs. 1 BetrVG. 1 6 8 Wegen der in § 2 Abs. 3 BetrVG vorausgesetzten prinzipiellen Trennung von

166

Vgl. o. 6. Kapitel unter C IV. Etwa Herbst, AiB 1987, S. 4, 6; Jahn, Beteiligung, S. 69 f.; Matthes in MünchArbR § 323 Rn. 17; vgl. o. 6. Kapitel unter C IV 2. 168 Vgl. o. 4. Kapitel unter Β Π 1 a. 167

234

7. Kapitel: Unmittelbar arbeitskampfbetroffener Betrieb

Betriebsverfassung und Tarifautonomie 169 kann es letztlich nicht Aufgabe des Betriebsrats sein, durch eine Intervention in den Arbeitskampf das Kräftegleichgewicht der Tarifgegner zu gewährleisten. Hinzuweisen ist auch auf folgendes: Seit dem Ende der siebziger Jahre entspricht es der ständigen Rechtsprechung des BAG und der Instanzgerichte 170 , daß die Beteiligungsrechte im Arbeitskampf einzuschränken sind. Gleichwohl trat in den darauf folgenden Tarifkonflikten keine deutliche Unterlegenheit der Gewerkschaften zutage. Auch die Ergebnisse der Tarifabschlüsse rechtfertigen nicht den Schluß auf eine Machtverschiebung zugunsten der Arbeitgeber. Eine evidente oder auch nur hinreichend erhebliche Paritätsstörung aufgrund der Beschränkung von Beteiligungsrechten bei arbeitgeberseitigen Kampfmaßnahmen läßt sich somit nicht nachweisen.

II. Paritätsstörung zu Lasten der Arbeitgeberseite Eine Paritätsstörung zum Nachteil der Arbeitgeber liegt vor, wenn die Möglichkeit, privilegierte Kampfmaßnahmen mitbestimmungsfrei durchzufuhren, nicht ausreicht, um ihre Arbeitskampfchancen zu wahren. In diesem Fall wäre eine weitergehende Einschränkung der betrieblichen Mitbestimmung geboten. Es ist allerdings fraglich, ob sich dafür eine tragfahige Begründung findet. 7. Grundsätzliche Bedenken Für das Kräfteverhältnis der Arbeitskampfparteien ist entscheidend, welche Schäden die beiderseitigen Kampfmittel hervorrufen können und welche Risiken die Gegner in der Tarifauseinandersetzumg tragen müssen.171 Nach dem Prinzip formeller Kampfmittelparität sind bereits die Beteiligungsrechte neutralisiert, die sich auf typische Kampfhandlungen beziehen. Angesichts dessen ist nicht recht erkennbar, worin eine paritätsstörende Belastung für die Arbeitgeber bestehen soll, falls die übrigen Beteiligungsrechte weitergelten. Selbst wenn man unterstellt, daß auch von diesen Beteiligungsrechten stets ein gewisser Druck auf den Arbeitgeber ausgeht, weil sie seine Handlungsfreiheit beschränken, wird man den Druck jedenfalls nicht als paritätserheblich 169 Dazu Heinze, DB Beilage 23/1982, S. 9; v. Hoyningen-Huene, Betriebsverfassungsrecht, § 5 I, S. 90; Richardi, Festschrift 10 Jahre Deutsche Richterakademie, S. 111, 112 f., 115. 170 Vgl. die Nachweise im 2. Kapitel unter A. 171 Vgl. o. 6. Kapitel unter C Π 2 b cc (1 ).

Β. Materielle Paritätserwägungen

235

werten können. Denn die betriebliche Mitbestimmung ist lediglich einer von mehreren paritätsrelevanten Umständen, die die Rechtswirklichkeit des Arbeitskampfes prägen. Nennenswerte Bedeutung für das Kräfteverhältnis der sozialen Gegenspieler kann den Beteiligungsrechten wohl dann zukommen, wenn die Betriebsräte im gesamten Arbeitskampfgebiet eine Obstruktionspolitik verfolgen. 172 Davon kann jedoch nicht ohne weiteres ausgegangen werden. Vielmehr ist es auch denkbar, daß der Betriebsrat den Maßnahmen zustimmt, die der Arbeitgeber treffen will, insbesondere bei Maßnahmen, die mit dem Arbeitskampf nichts zu tun haben. Aus diesem Grund hat das BAG zu Recht einen Ausschluß der betrieblichen Mitbestimmung im Ergebnis nur bei reinen Arbeitskampfmaßnahmen, nicht dagegen bei sonstigen Maßnahmen während des Arbeitskampfes anerkannt. 173 Auch diejenigen, die im Schrifttum genauere Untersuchungen über die Paritätserheblichkeit von Beteiligungsrechten anstellen, sprechen sich für eine zurückhaltende Beschränkung aus, die im wesentlichen nur Kampfmaßnahmen erfassen soll. 1 7 4 2. Einzelne Beteiligungsrechte Bei der Frage, ob die betriebliche Mitbestimmung im Arbeitskampf zu einer Benachteiligung der Arbeitgeber führt, wird regelmäßig nach einzelnen Beteiligungsrechten unterschieden. Durchmustert man die Befügnisse, die dem Betriebsrat außerhalb der reinen Kampfmaßnahmen des Arbeitgebers zustehen, so ergeben sich Zweifel an einer paritätsstörenden Belastung. a) Soziale Angelegenheiten Die Kameraüberwachung streikender Arbeitnehmer ist keine privilegierte Arbeitskampfmaßnahme, das Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG bleibt bestehen. Darin liegt kein erheblicher Nachteil für den Arbeitgeber. Er kann Kontrolleinrichtungen, deren Einführung der Betriebsrat vor dem Arbeitskampf zugestimmt hat, auch während des Konflikts nutzen; will 172 Jahn, Beteiligung, S. 81 ff.; Patett, Arbeitskampffernwirkungen, S. 473 f. - Für den Kampf um einen Firmentarifvertrag gilt nichts anderes. Bei der Paritätsbewertung spielen die Umstände eines konkreten Arbeitskampfes keine Rolle, es kommt auf eine generell-typisierende Betrachtung an, vgl. o. 6. Kapitel unter C Π 2 b bb, cc (2). 173 Vgl. o. 6. Kapitel unter C m 1. 174 Vgl. insbesondere Brox in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht Rn. 441 ff; Richardii, Festschrift 10 Jahre Deutsche Richterakademie, S. 111, 116, 120 ff., ähnlich, aber weniger ausführlich, Dietz/Richardi, § 74 BetrVG Rn. 31 ff; Löwisch/Rumler in Löwisch (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 762 ff. - Jahn, Beteiligungsrechte, S. 85 ff. vertritt die Auffassung, die Ausübung der Beteiligungsrechte sei generell nicht paritätserheblich i. S. einer Störung der materiellen Parität.

236

7. Kapitel: Unmittelbar arbeitskampfbetroffener Betrieb

der Betriebsrat, daß ein bestehendes Überwachungssystem abgeschaltet wird, so muß er gegebenenfalls die Einigungsstelle anrufen. 175 Der Arbeitgeber hat auch die Möglichkeit, Mitarbeiter anzuweisen, die Streikenden etwa mittels Ferngläsern zu beobachten, wenn er sich Beweismittel bei Arbeitskampfexzessen sichern will; dies unterliegt nicht der Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG. 1 7 6 Soweit ein Mitbestimmungsrecht besteht, kann es bei erheblichen Gefahren für Betriebsanlagen aus dem Gesichtspunkt des Notfalls gem. § 2 Abs. 1 BetrVG entfallen. 177 Im Arbeitskampf bleibt die Kündigung und Vergabe von Werkswohnungen beteiligungspflichtig nach § 87 Abs. 1 Nr. 9 BetrVG. Der Arbeitgeber hätte keinen Vorteil, wenn das Mitbestimmungsrecht suspendiert wäre. Wollte er durch die Kündigung von Wohnungen Streikende bestrafen, so scheitert dies schon daran, daß die gesetzlichen Kündigungsschutzvorschriften für Mieter unabhängig von der betrieblichen Mitbestimmung auch im Arbeitskampf gelten. 1 7 8 Durch die Vergabe von Wohnungen werden sich auch nicht ohne weiteres Streikbrecher gewinnen lassen, denn es ist kaum anzunehmen, daß eine hinreichend hohe Zahl freier Werksmietwohnungen zur Verfügung steht, die für die Arbeitswilligen interessant sind. Die anderen Beteiligungstatbestände aus dem Katalog des § 87 Abs. 1 BetrVG haben keinen Bezug zum Arbeitskampfgeschehen und sind daher nicht paritätsrelevant. Diskutiert wurde, ob der Arbeitgeber ohne Beteiligung des Betriebsrats gem. § 87 Abs. 1 Nr. 4 BetrVG veranlassen darf, daß die Arbeitsentgelte nicht wie üblich durch Überweisung, sondern in bar ausgezahlt werden. Dadurch könne er sicherstellen, daß nur Arbeitswillige, nicht aber die Streikenden Gelder erhielten. 179 Ein Kampfnachteil für den Arbeitgeber liegt jedoch nicht vor, denn streikende Arbeitnehmer haben keinen Lohnanspruch, so daß der Arbeitgeber eine überwiesene Vergütung nach § 812 Abs. 1 S. 1, 1. Var. BGB wegen ungerechtfertigter Bereicherung zurückverlangen kann. 1 8 0 b) Kündigungen Die Paritätsrelevanz der Beteiligungsrechte bei Kündigungen ist fallgruppenweise zu untersuchen. 175 Vgl. Häßler, Beteiligungsrechte, S. 123 f.; Wiese, Festschrift H. Hubmann, S. 481,501 f. 176 Vgl. Fitting/Kaiser/Heither/Engels, § 87 BetrVG Rn. 70, 72. 177 Häßler, Beteiligungsrechte, S. 125; vgl. o. 4. Kapitel unter Β Π 1 b. 178 Vgl. Jahn, Beteiligung, S. 101 f.; Lömsch/Krauß in Löwisch (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 523; Wiese in GK-BetrVG, § 87 BetrVG Rn. 678. 179 So Kraft, Festschrift G. Müller, S. 265, 278. 180 Jahn, Beteiligung, S. 98.

Β. Materielle Paritätserwägungen

237

Spricht der Arbeitgeber im Verlaufe eines rechtmäßigen Arbeitskampfes Kündigungen aus, um die Arbeitsplätze der Streikenden neu zu besetzen, so könnte man daran denken, daß die Beteiligung des Betriebsrats nach § 102 BetrVG eine paritätserhebliche Belastung darstelle. Denn wenn der Betriebsrat einer Kündigung gem. § 102 Abs. 3 BetrVG widerspricht (die angegebenen Widerspruchsgründe brauchen nicht stichhaltig zu sein 181 ), ist der Arbeitgeber nach § 102 Abs. 5 BetrVG verpflichtet, den gekündigten Arbeitnehmer bis zum rechtskräftigen Abschluß des Kündigungsschutzverfahrens weiterzubeschäftigen. Möglicherweise muß der Arbeitgeber dann sowohl der neu eingestellten Ersatzkraft als auch dem Gekündigten Lohn zahlen, obwohl er nicht beide Arbeitskräfte sinnvoll beschäftigen kann. 1 8 2 Gegen eine Paritätsstörung spricht indes, daß der Arbeitgeber sich unter den Voraussetzungen des § 102 Abs. 5 S. 2 BetrVG von seiner Weiterbeschäftigungspflicht entbinden lassen kann. Zudem besteht die Möglichkeit, gekündigte Arbeitnehmer während des Arbeitskampfes auszusperren und damit die Lohnansprüche auch für den Fall zu beseitigen, daß die Gekündigten sich nicht mehr am Streik beteiligen, sondern innerhalb der Kündigungsfrist ihre Arbeitsleistung anbieten. 183 Die belastenden Auswirkungen der Weiterbeschäftigungspflicht treten erst nach Beendigung des Arbeitskampfes ein. Fraglich erscheint schon, ob sie zu diesem Zeitpunkt überhaupt noch die Kampfparität zu beeinflussen vermögen. Jedenfalls kann der Arbeitgeber die Belastungen vermeiden, indem er Ersatzkräfte nur befristet für die Dauer des Arbeitskampfes einstellt. 184 Es ist ohnehin zweifelhaft, ob der Arbeitgeber Streikbrecher dauerhaft weiterbeschäftigen kann. Die Kündigungen streikender Arbeitnehmer, deren Arbeitsplätze neu besetzt wurden, werden vor § 1 KSchG keinen Bestand haben. 185 Regelmäßig

181

Dietz/Richardi, § 102 BetrVG Rn. 158; Etzel in GK-KSchG, § 102 BetrVG Rn. 144; Fitting/Kaiser/Heither/Engels, § 102 BetrVG Rn. 38, 58; Galperin/Löwisch, § 102 BetrVG Rn. 82b; Schlochauer in Hess/Schlochauer/Glaubitz, § 102 BetrVG Rn. 87; abweichend Stege/Weinspach, § 102 Rn. 109. 182 Für eine Suspendierung des Weiterbeschäftigungsanspruchs bei arbeitskampfbedingten Kündigungen Heinze, DB Beilage 1982, S. 18; vgl. auch Brox in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht Rn. 446; Hueck/v. Hoyningen-Huene, § 25 KSchG Rn. 2 f. 183 Bertelsmann, Aussperrung, S. 358 f. 184 BiebacWMayer, AuR 1982, S. 169, Ml, Jahn, Beteiligung, S. 109. 185 Bertelsmann, Aussperrung, S. 360 ff.; Colneric in Däubler (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 581o. - Α. A. Berkowsky in MünchArbR, § 134 Rn. 113 ff, der einen betriebsbedingten Kündigungsgrund wegen Personalüberhanges für gegeben hält. Allerdings wird - selbst wenn ein Kündigungsgrund vorläge - die vorzunehmende Sozialauswahl gem. § 1 Abs. 3 KSchG zugunsten der Streikenden ausfallen, da sie sich auf eine längere Betriebszugehörigkeit berufen können. Das BAG hat entschieden, daß Arbeitnehmer, die die Wartezeit nach § 23 Abs. 1 KSchG noch nicht erfüllt haben (dies dürfte auf die Streikbrecher im Regelfall zutreffen), ohnehin nicht in die Sozialauswahl einzubeziehen sind, BAG AP Nr. 7 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl.

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7. Kapitel: Unmittelbar arbeitskampfbetroffener Betrieb

vereinbaren die Tarifparteien auch Maßregelungsverbote für Streikteilnehmer. Danach ist der Arbeitgeber verpflichtet, Arbeitnehmer, denen aus Anlaß des Arbeitskampfes gekündigt wurde, wieder einzustellen. Nach alledem läßt sich hier für eine Paritätsstörung keine überzeugende Begründung finden. Das gilt auch für die Beteiligung des Betriebsrats bei Entlassungen, die der Arbeitgeber damit begründet, daß aufgrund der wirtschaftlichen Auswirkungen des Tarifkonflikts Arbeitsplätze weggefallen seien. Derartige Kündigungen werden regelmäßig erst nach dem Ende des Arbeitskampfes wirksam, denn der Arbeitgeber ist an die Einhaltung der Kündigungsfrist gebunden. 186 Außerdem muß er bei Massenentlassungen die §§ 17, 18 KSchG beachten.187 Angesichts dessen stellt die Vorschrift des § 102 BetrVG weder im Hinblick die Mitwirkung des Betriebsrats noch im Hinblick auf die Weiterbeschäftigungspflicht eine nennenswerte zusätzliche Belastung des Arbeitgebers dar. 1 8 8 Dagegen spricht auch, daß Kündigungen wegen arbeitskampfbedingter Rationalisierungen in den bisherigen Arbeitskämpfen praktisch keine Rolle gespielt haben. Im Falle eines rechtswidrigen Arbeitskampfes kann der Arbeitgeber versuchen, durch die Entlassung einzelner Arbeitnehmer die anderen Streikenden abzuschrecken und zur Wiederaufnahme der Arbeit zu bewegen. Einige befürchten, das Überraschungsmoment einer solchen Kündigung könne durch die vorherige Anhörung des Betriebsrats nach § 102 BetrVG verlorengehen. 189 Das trifft jedoch nicht zu. Der Arbeitgeber kann den Gekündigten sofort von der Arbeit freistellen, ohne das Ende des Anhörungsverfahrens abzuwarten. 190 Aus der Einleitung des Verfahrens wird für die anderen Arbeitnehmer deutlich, daß es dem Arbeitgeber ernst ist, insofern kann sich die Druckwirkung der Entlassung sogar erhöhen. 191 Da auch der Weiterbeschäftigungsanspruch gem. § 102 Abs. 5 S. 1 BetrVG nur bei ordentlichen Kündigungen eingreift, die Kündigung wegen einer rechtswidrigen Arbeitskampfhandlung aber regelmäßig fristlos erfolgt 192 , ist eine Paritätsstörung nicht gegeben. Es kann da-

186 Vgl. Colneric in Däubler (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 582e, 581g ff.; anders Brox in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht Rn. 310. 187 Löwisch/Krauß in Löwisch (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 534; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, § 41 V 2, S. 432. 188 Jahn, Beteiligung, S. 106 f., 109 f. 189 Meisel, Anm. zu BAG AP Nr. 20 zu § 102 BetrVG 1972, Bl. 200 f.; vgl. auch Patett, Arbeitskampffernwirkungen, S. 471. 190 Konzen, Anm. zu BAG AP Nr. 57-60 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 803 R; Reuter, AuR 1973, S. 1, 8; Schlochauer in Hess/Schlochauer/Glaubitz, § 102 BetrVG Rn. 147. 191 Jahn, Beteiligung, S. 108. 192 Dazu BAG AP Nr. 41 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Weigand in GK-KSchG, § 25 KSchG Rn. 21 f.; Brox in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht Rn. 337 ff; Her-

Β. Materielle Paritätserwägungen

239

her an dieser Stelle dahingestellt bleiben, ob das Paritätsprinzip bei rechtswidrigen Arbeitskämpfen überhaupt anwendbar ist. 1 9 3 Will der Arbeitgeber Betriebsratsmitglieder entlassen, die sich im Arbeitskampf rechtswidrig verhalten haben, so bedarf er der Zustimmung des Betriebsrats nach § 103 BetrVG. Darin liegt kein erheblicher Kampfnachteil. Die mit der Kündigung verbundene Druckwirkung auf die Arbeitnehmer geht durch die Beteiligung des Betriebsrats nicht verloren 194 , denn der Arbeitgeber kann den Gekündigten sogleich freistellen; ein Weiterbeschäftigungsanspruch scheidet aus. Im übrigen ist die Zahl der betrieblichen Funktionsträger, die unter den Anwendungsbereich des § 103 BetrVG fallen, viel zu klein, als daß sie für das Kräftegleichgewicht im Arbeitskampf von Belang sein könnte. 195 Festzuhalten ist mithin, daß die betriebliche Mitbestimmung bei Kündigungen nicht zu einer Verschiebung der Arbeitskampfchancen führt. 1 9 6 c) Wirtschaftliche Angelegenheiten Als Folge des Arbeitskampfes kann es dazu kommen, daß der Arbeitgeber eine Betriebsänderung i. S. des § 111 BetrVG vornimmt. Er muß dann mit dem Betriebsrat über einen Interessenausgleich beraten (§112 Abs. 1 S. 1 BetrVG); der Betriebsrat kann die Aufstellung eines Sozialplanes erzwingen (§ 112 Abs. 1 S. 2, Abs. 3 BetrVG). Mit diesem Verfahren ist keine paritätserhebliche Verzögerung verbunden. Der Arbeitgeber, der seinen Betrieb endgültig stillegen oder einschränken will, muß betriebsbedingte ordentliche Kündigungen aussprechen. Weil er die Kündigungsfristen zu beachten hat, brächte ihm die Suspendierung der betriebliche Mitbestimmung nach den §§ 111, 112 BetrVG kaum Vorteile in zeitlicher Hinsicht. 197 Auswirkungen auf die Kampfparität könnte allenfalls die erzwingbare Aufstellung des Sozialplanes haben, der den Arbeitnehmer finanzielle Ansprüche gewährt. So wird bisweilen darauf hingewiesen, es sei unbillig, wenn die Arbeitnehmer durch den Arschel/Löwisch, § 25 KSchG Rn. 4; Löwisch/Krauß in Löwisch (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 539 ff; Randerath, Kampfkündigung, S. 70 ff. 193 Dazu nachfolgend unter C. 194 Häßler, Beteiligungsrechte, S. 167. 195 Jahn, Beteiligung, S. 111; vgl. auch BVerfG AP Nr. 50 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 579 R. 196 Im Ergebnis ebenso Brox in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht Rn. 446 ff.; Jahn, Beteiligung, S. 105 ff.; Reuter, AuR 1973, S. 1, 8; für eine Beschränkung der Beteiligungsrechte aus den §§ 102, 103 BetrVG BAG AP Nr. 57 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 276 f.; AP Nr. 58 a. a. O., Bl. 281 R, allerdings nicht unter Berufung auf die Kampfparität, sondern auf die „Überforderung" des Betriebsrats. 197 Colneric in Däubler (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 581p; Jahn, Beteiligung, S. 125; anders Brox in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht Rn. 462.

240

7. Kapitel: Unmittelbar arbeitskampfbetroffener Betrieb

beitskampf den Zusammenbruch des Unternehmens verursachten und dafür mit einem Sozialplan belohnt würden. 198 Indessen begibt man sich mit derartigen Billigkeitserwägungen in gefahrliche Nähe zur Sphärentheorie, die im Arbeitskampfrecht mittlerweile überwunden ist. 1 9 9 Die Einigungsstelle kann bei der Festsetzung von Sozialplanleistungen den Umstand berücksichtigen, daß ein Arbeitskampf für die Betriebsänderung ursächlich war; dadurch kann sich das Volumen des Sozialplanes deutlich verringern. 200 Im übrigen haben sozialplanpflichtige Betriebsänderungen in der bisherigen Arbeitskampfjpraxis keine Rolle gespielt. Die Gewerkschaften können kein Interesse daran haben, daß der Arbeitgeber wegen eines Streiks seinen Betrieb aufgibt und Arbeitsplätze vernichtet werden. 201 Die betriebliche Mitbestimmung nach den §§ 111, 112 BetrVG beeinträchtigt daher nicht die materielle Kampfparität. Auch die Unterrichtungs- und Beratungspflichten, die den Arbeitgeber gegenüber dem Wirtschaftsausschuß (§ 106 Abs. 1 S. 2 BetrVG) und gegenüber dem Betriebsrat (§ 111 S. 1 BetrVG) treffen, bewirken keine Verschiebung des Kräftegleichgewichts im Arbeitskampf. 202 Diese Beteiligungsrechte können weder die Handlungsmöglichkeiten des Arbeitgebers beschränken 203 noch die Arbeitskampfschäden zu seinem Nachteil vergrößern. Unbegründet ist die Befürchtung, die Arbeitnehmerseite erhalte auf diesem Weg Informationen über die Kampftaktik der Arbeitgeber. 204 Die Unterrichtungsrechte in wirtschaftlichen Angelegenheiten beziehen sich nicht auf vorübergehende Maßnahmen in der Arbeitskampfsituation. 205

Π Ι Ergebnis Es besteht kein Anlaß, den Grundsatz, daß Kampfmaßnahmen des Arbeitgebers von der betrieblichen Mitbestimmung befreit sind, aufgrund materieller

198

S. 4. 199

4 a. 200

Brox in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht Rn. 462; Eich, DB Beilage 9/1979, BAG AP Nr. 70 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 588 f.; vgl. 8. Kapitel unter A I

Colneric in Däubler (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 743; Häßler, Beteiligungsrechte, S. 173; Heinze, DB Beilage 23/1982, S. 20; Jahn, Beteiligung, S. 127. 201 Jahn, Beteiligung, S. 124 weist in diesem Zusammenhang auf die bislang gut funktionierende Organisation des Notdienstes im Arbeitskampf hin. 202 Für eine Beschränkung dieser Beteiligungsrechte Dietz/Richardi, § 74 BetrVG Rn. 41; Eich, DB Beilage 9/1979, S. 4; Galperin/Löwisch, § 74 BetrVG Rn. 13c; Löwisch/Rumler in Löwisch (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 766. 203 Jahn, Beteiligung, S. 128. 204 So aber Meisel, Anm. zu BAG AP Nr. 20 zu § 102 BetrVG 1972, Bl. 200. 205 Häßler, Beteiligungsrechte, S. 168 f.

C. Besonderheiten bei rechtswidrigen Streiks

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Paritätserwägungen zu korrigieren. Die Teileinschränkung der Beteiligungsrechte fuhrt nicht zu einer paritätserheblichen Belastung für die Gewerkschaften. Ebensowenig läßt sich nachweisen, daß die Rechte des Betriebsrats, die im Arbeitskampf bestehen bleiben, die Kampfchancen der Arbeitgeber schmälern.

C. Besonderheiten bei rechtswidrigen Streiks Die vorangegangenen Ausführungen betrafen den Normalfall des rechtmäßigen Arbeitskampfes. Zu untersuchen ist noch, ob die gleichen Grundsätze auch bei widerrechtlichen Streiks gelten. Diejenigen, die eine Suspendierung der betrieblichen Mitbestimmung auf das Paritätsprinzip stützen, unterscheiden häufig nicht zwischen rechtmäßigen und rechtswidrigen Streiks. 206 Andere sind dagegen der Ansicht, mit Paritätserwägungen ließen sich die Rechte des Betriebsrats im Falle eines rechtswidrigen Streiks nicht einschränken. 207 Auch das BAG hat obiter dicta zur Begründung dafür, daß bei rechtswidrigen Streiks die Beteiligungsrechte zu beschränken seien, nicht den Paritätsgrundsatz, sondern das Argument der Überforderung des Betriebsrats herangezogen. 208 Wird im folgenden von rechtswidrigen Arbeitskämpfen gesprochen, so sind damit nicht die Konflikte gemeint, in denen es zu einzelnen Exzessen kommt. Widerrechtliche Handlungen anläßlich eines Arbeitskampfes machen den

206

Z. B. Buchner, SAE 1973, S. 42, 44; Dietz/Richardi, § 74 BetrVG Rn. 29 ff.; Eich, DB Beilage 9/1979, S. 4 ff; Lömsch/Rumler in Löwisch (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 762 ff.; Richardi, Festschrift 10 Jahre Deutsche Richterakademie, S. 111, 120 ff.; Rüthers/Klosterkemper, Anm. zu BAG AP Nr. 63 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 311 R f. 207 Meisel, Anm. zu BAG AP Nr. 20 zu § 102 BetrVG 1972, Bl. 201 R; Konzen, Anm. zu BAG AP Nr. 57-59 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 803 R; Rüthers/Henssler, Anm. zu BAG AP Nr. 13 zu § 87 BetrVG 1972 Ordnung des Betriebes, Bl. 1079; prinzipiell ebenso Brox in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht Rn. 442 ff., der aber eine Ausnahme für den gewerkschaftlich geführten tariflichen Arbeitskampf machen will. Gegen eine paritätsbezogene Einschränkung der betrieblichen Mitbestimmung bei rechtswidrigen Streiks auch Bieback/Mayer, AuR 1982, S. 169, 176; Colneric in Däubler (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 1200; Jahn, Beteiligung, S. 76 ff.; Kalb, Arbeitskampfrecht Rn. 338; Kraft, SAE 1979, S. 303, 304, Patett, Arbeitskampffernwirkungen, S. 468, 474. 208 BAG AP Nr. 63 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 310 R f., vgl. o. 2. Kapitel unter A15. 16 Jansen

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7. Kapitel: Unmittelbar arbeitskampfbetroffener Betrieb

Kampf als solchen nicht rechtswidrig. Rechtswidrig sind Arbeitskämpfe, wenn sie nicht von tariffahigen Parteien geführt werden (hierunter fallen insbesondere „wilde", nicht gewerkschaftlich organisierte Streiks) 210 , wenn sie kein tariflich regelbares Ziel verfolgen (politische oder Demonstrationsarbeitskämpfe, Arbeitskämpfe um Rechtsstreitigkeiten) 211, wenn es nicht um eine eigene Tarifforderung, sondern um die Unterstützung fremder Tarifkonflikte geht (Sympathiearbeitskämpfe) 212 oder wenn sie gegen die tarifliche Friedenspflicht verstoßen. 213

I. Kampfmaßnahmen gegen rechtswidrige Streiks Die aus dem Paritätsprinzip abgeleitete Konkurrenzregel für das Verhältnis von Arbeitskampf- und Betriebsverfassungsrecht lautet: Kampfmaßnahmen des Arbeitgebers unterliegen nicht der betrieblichen Mitbestimmung. Ob sie auch im Falle widerrechtlicher Streiks gilt, hängt davon ab, ob der Arbeitgeber eine rechtswidrige Arbeitsniederlegung mit (beteiligungsfreien) Kampfmaßnahmen beantworten darf. Das ist umstritten. Manche wollen dem Arbeitgeber ohne weiteres gestatten, sich mit einer Abwehraussperrung gegen rechtswidrige Streiks zu wehren. 214 Er dürfe bei ei-

209

BAG AP Nr. 108 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 734; AP Nr. 111 a.a.O., Bl. 759 R; Löwisch/Rieble in Löwisch (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 284; Seiter, Streikrecht, S. 525 f.; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, § 40 IV 4, S. 412. 210 Vgl. BAG AP Nr. 41 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 839 R; AP Nr. 58 a. a. O., Bl. 277; Kalb, Arbeitskampfrecht Rn. 93, 186; Löwisch/Rieble in Löwisch (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 288 ίϊ., 308 ff.; Rüthers in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht Rn. 132 ff.; a. A. Däubler in Däubler (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 120 ff. 211 Vgl. BAG AP Nr. 58 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 281; AP Nr. 62 a. a. ()., Bl. 298; AP Nr. 82 a. a. O., Bl. 578; Kalb, Arbeitskampfrecht Rn. 108 ff.; Rüthers in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht Rn. 140 ff.; Seiter, Streikrecht, S. 496 ff.; a. A. Schumann in Däubler (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 167 ff., 187 ff. 212 Vgl. BAG AP Nr. 85 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 547; Kalb, Arbeitskampfrecht Rn. 147 ff.; Löwisch/Rieble in Löwisch (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 346 f., 358 ff.; Rüthers in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht Rn. 142 ff.; Scholz/Konzen, Aussperrung, S. 243 ff.; a. A. Bieback in Däubler (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 367 ff. 213 Vgl. BAG AP Nr. 1 zu § 1 TVG Friedenspflicht; AP Nr. 76 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Kalb, Arbeitskampfrecht Rn. 113 ff.; Löwisch/Rieble in Löwisch (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 299 f, 481 ff.; Rüthers in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht Rn. 218 tf.; Schumann in Däubler (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 206 ff.; Seiter, Streikrecht, S. 506 ff. 214 Henniges, Rechtsschutz, S. 82 f.; Hueck/Nipperdey/Säcker, Arbeitsrecht Π/2, S. 953 f.; Konzen, AcP 177 (1977), S. 471, 534; Nikisch, Arbeitsrecht Π, S. 127; Reimann, RdA 1985, S. 34, 39. Einschränkend Löwisch/Rieble in Löwisch (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 441 ff., 447; Schwerdtner, Arbeitsrecht, S. 102 (Abwehraussperrung nur gegen gewerkschaftlich geführte, nicht gegen „wilde" Streiks); Scholz/Kon-

C. Besonderheiten bei rechtswidrigen Streiks

243

nem rechtswidrigen Streik nicht schlechter stehen als bei einem rechtmäßigen. 215 Die Zulässigkeit von Arbeitskampfmitteln könne sich auch aus Notwehrgesichtspunkten ergeben. 216 Zunehmend werden aber Bedenken gegen diese Ansicht laut. 217 Für Streitigkeiten wegen rechtswidriger Arbeitskämpfe seien die Gerichte zuständig. 218 Eine Aussperrung sei daher nicht erforderlich und verstoße gegen das Übermaßverbot. 219 Die Position des BAG ist nicht ganz klar: Zwar hat das Gericht in früheren Entscheidungen die Abwehraussperrung als Reaktion auf rechtswidrige Streiks ausdrücklich zugelassen.220 In seinen neueren Entscheidungen zur Aussperrung 2 2 1 geht es auf diese Frage jedoch nicht mehr ein. Entschieden hat das BAG jedenfalls, daß Rechtsstreitigkeiten nicht Gegenstand des Arbeitskampfes sein dürfen, sondern vor die Gerichte gehören. 222 1. Rechtsschutzmöglichkeiten

des Arbeitgebers

Die entscheidende Frage ist, wie wirksam die Rechtsordnung den Arbeitgeber vor widerrechtlichen Arbeitsniederlegungen schützt. 223 Falls der Arbeitgeber sich mit den Mitteln des Rechts in hinreichendem Maße gegen rechtswidrige Streiks wehren kann, bedarf er der Aussperrung nicht. Eine Aussperrung, die ja kampfausweitend wirkt und die Folgen des rechtswidrigen Streiks auf unbeteiligte Arbeitnehmer ausdehnt, liefe in diesem Fall auf eine unnötige,

zen, Aussperrung, S. 227 ff., 231 (keine Abwehraussperrung bei offensichtlich rechtswidrigen, insbesondere „wilden" Streiks); Rüthers in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht Rn. 217; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, §40 EX 3, S. 424 (keine Abwehraussperrung, wenn der Arbeitgeber dem Streik ebenso wirksam mit der Inanspruchnahme der Gerichte begegnen kann). 2,5 Hueck/Nipperdey/Säcker, Arbeitsrecht Π/2, S. 953. 216 Rüthers in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht Rn. 217. 217 Vgl. Bertelsmann, Aussperrung, S. 175 ff.; Brox in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht Rn. 341; Dütz, DB Beilage 14/1979, S. 3 f.; Kalb, Arbeitskampfrecht Rn. 188 ff; Seiter, Streikrecht, S. 372 ff.; Wolter in Däubler (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 1181. 218 Bertelsmann, Aussperrung, S. 180 f.; Dütz, DB Beilage 13/1979, S. 4. 219 Brox in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht Rn. 341. 220 BAG AP Nr. 6 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 776; AP Nr. 24 a. a. O., Bl. 669 R; BAG GS AP Nr. 43 a. a. O., Bl. 313. 221 BAG AP Nr. 64, 65, 84 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 222 BAG AP Nr. 58 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 281. 223 Den Zusammenhang zwischen effektivem Rechtsschutz und Kampfmitteleinsatz betonen Randerath, Kampfkündigung, S. 62 ff., 73 f.; Rüthers/Henssler, Anm. zu BAG AP Nr. 13 zu § 87 BetrVG Ordnung des Betriebes, Bl. 1079 R; Seiter, Streikrecht, S. 384, 386 f.

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7. Kapitel: Unmittelbar arbeitskampfbetroffener Betrieb

volkswirtschaftlich schädliche Ausuferung des Arbeitskampfes hinaus 224 und wäre als unverhältnismäßige Reaktion anzusehen. Untersuchen wir also zunächst, welche Abwehrmöglichkeiten dem Arbeitgeber auf dem Rechtsweg zustehen. Ein Streik, der arbeitskampfrechtlich unzulässig ist, stellt kein privilegiertes Kampfmittel, sondern einen Bruch des Arbeitsvertrages dar. Der Arbeitgeber kann daher zur außerordentlichen Kündigung nach § 626 BGB berechtigt sein. 225 Die rechtswidrig Streikenden verlieren ihren Lohnanspruch; handeln sie schuldhaft, so stehen dem Arbeitgeber vertragliche und deliktische Schadensersatzansprüche zu, für die die Arbeitnehmer als Gesamtschuldner haften. 2 2 6 Interessanter sind für den Arbeitgeber Schadensersatzansprüche gegen die Gewerkschaft, die einen widerrechtlichen Streik organisiert. Falls der Streik gegen die tarifliche Friedenspflicht verstößt, kommt ein Anspruch aus positiver Forderungsverletzung des Tarifvertrages in Betracht. Außerdem kann sich die Gewerkschaft nach den §§ 823, 826 BGB schadensersatzpflichtig machen. 227 Die Gewerkschaft muß für Handlungen ihrer Organe (z. B. Streikleiter) gem. § 31 BGB einstehen, für Verrichtungsgehilfen (z. B. Streikposten) haftet sie gem. § 831 BGB. 2 2 8 Der Arbeitgeber kann aber auch Unterlassungsansprüche aus den §§ 823, 826, 1004 BGB gegen die Streikenden und die kampflührende Gewerkschaft geltend machen. 229 Bei einem Streik, der nicht gewerkschaftlich organisiert ist, besteht ein Anspruch des Arbeitgebers darauf, daß die Gewerkschaft auf ihre Verbandsmitglieder einwirkt, um die Streikenden von einem unzulässigen Arbeitskampf abzuhalten. 230 224 Rüthers/Henssler, Anm. zu BAG AP Nr. 13 zu § 87 BetrVG Ordnung des Betriebes, Bl. 1079 R. Zum Aspekt der Schadensminderung im Arbeitskampfrecht vgl. o. 6. Kapitel unter C m 2 b cc (2). 225 Dazu BAG AP Nr. 41, 52, 58 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; AP Nr. 78 zu § 626 BGB. 226 Vgl. BAG AP Nr. 32 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 397, 406 R ff.; Kalb, Arbeitskampfrecht Rn. 268 ff.; Löwisch/Krauß in Löwisch (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 545 ff.; abweichend Brox in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht Rn. 330 ff. 227 Vgl. Brox in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht Rn. 367 ff; Kalb, Arbeitskampfrecht Rn. 283 ff.; Löwisch/Krauß in Löwisch (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 670 ff., 681 ff. 228 BAG AP Nr. 108 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 734, 743 R; AP Nr. 111 a. a. O., Bl. 764 R f., Brox in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht Rn. 373 ff. 229 Brox in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht Rn. 329, 576; Otto, SAE 1991, S. 45, 46 ff. Ein Unterlassungsanspruch steht auch dem Arbeitgeberverband zu, vgl. BAG AP Nr. 101 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 230 BAG AP Nr. 1 zu § 1 TVG Friedenspflicht; Brox in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht Rn. 361; Dütz, BB 1980, S. 533, 535 f.; Kalb, Arbeitskampfrecht Rn. 282;

C. Besonderheiten bei rechtswidrigen Streiks

245

Bedeutsam für eine effektive Bekämpfüng widerrechtlicher Streiks ist die Frage, ob der Arbeitgeber für Unterlassungsansprüche vorläufigen Rechtsschutz erlangen kann. Die Zulässigkeit einstweiliger Verfügungen gegen Streiks wird bisweilen angezweifelt oder an einschränkende Voraussetzungen geknüpft. 231 Dagegen sind nach Auffassung des B A G 2 3 2 und der überwiegenden Lehre 233 einstweilige Verfügungen auch im Arbeitskampf statthaft. In der Praxis werden sie jedenfalls regelmäßig erlassen. 234 Angesichts dieser Möglichkeiten erscheint es zweifelhaft, ob der Arbeitgeber auf eine Aussperrung gegen rechtswidrige Streiks angewiesen ist. Entscheidend sind arbeitskampfrechtlichen Wertungen, die sich aus dem Paritätsprinzip ergeben. 2. Paritätsprinzip

und Hilfsfunktion

des Arbeitskampfes

Den Rahmen für den Einsatz von Kampfmaßnahmen im Tarifkonflikt bildet das Paritätsprinzip. Es hat die Aufgabe, den sozialen Gegenspielern Arbeitskampfmittel in die Hand zu geben, die eine gleichgewichtige Tarifauseinandersetzung ermöglichen. Wegen der Hilfsfünktion des Arbeitskampfes für die Tarifautonomie kommen die paritätsherstellenden und -erhaltenden Kampfmaßnahmen der Arbeitsrechtsordnung nur in Betracht, wenn eine tarifliche Regelung erzwungen werden soll. 2 3 5 Bei anderen Konflikten zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern greift das Paritätsprinzip nicht ein. Will Löwisch/Krauß in Löwisch (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 679 f.; Wiedemann/Stumpf § 1 TVG Rn. 327. 231 Hoffmann , AuR 1968, S. 33, 35 ff. hält einstweilige Verfügungen im Arbeitskampf grundsätzlich für unzulässig; nach Henniges, Rechtsschutz, S. 19 ff., 73 ff., 85 f. und Scholz/Konzen, Aussperrung, S. 229 f. dürfen sie nur bei offensichtlicher Rechtswidrigkeit erlassen werden; Colneric in Däubler (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 1346a verlangt, daß dem Arbeitgeber Nachteile drohen, die erheblich über das normale Maß von Streikschäden hinausgehen. 232 Vgl. BAG AP Nr. 62 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 303; dazu Luckscheiter, Rechtsschutz, S. 5 f. 233 Bertelsmann, Aussperrung, S. 181; Brox in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht Rn. 764 ff; Dütz, BB 1980, S. 533 ff.; Heinze, RdA 1986, S. 273, 286; Kalb, Arbeitskampfrecht Rn. 190; Löwisch/Krauß in Löwisch (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 1038 ff.; Seiter, Streikrecht, S. 386 f.; Walker, NZA 1993, S. 769, 774; ausführlich und überzeugend Luckscheiter, Rechtsschutz, S. 112 ff.; Walker, ZfA 1995, S. 185, 191 ff. 234 Vgl. LAG Hamm, NZA 1984, S. 130; LAG Rheinland-Pfalz, NZA 1986, S. 264; LAG Schleswig-Holstein, NZA 1987, S. 322; LAG Hamburg, NZA Beilage 2/1988, S. 27; LAG Niedersachsen, NZA Beilage 2/1988, S. 35. 235 Dazu BVerfGE 18, S. 18, 30; BAG GS AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 309 R ff.; Rüthers in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht Rn. 85 f., 128 f. Vgl. o. 5. Kapitel unter A I 3.

246

7. Kapitel: Unmittelbar arbeitskampfbetroffener Betrieb

man sich von diesem Grundgedanken des Arbeitskampfrechts nicht lösen, so ist bei rechtswidrigen Streiks danach zu unterscheiden, ob mit der Arbeitsniederlegung eine Tarifregelung angestrebt wird oder nicht. a) Rechtswidrige Streiks ohne Tarifziel Kein tarifliches Ziel verfolgen nicht gewerkschaftlich geführte („wilde") Streiks, politische Streiks und Demonstrationsstreiks. Auch Sympathiestreiks zielen nicht auf eine eigene, sondern auf die Unterstützung fremder Tarifforderungen. In diesen Fällen besteht von vornherein nicht die Gefahr, daß der rechtswidrige Streik den Arbeitgeber zu einer nachteiligen Tarifgestaltung zwingen könnte. Daher läßt sich der Kampfmitteleinsatz hier nicht mit Paritätserwägungen rechtfertigen. Vielmehr muß der Arbeitgeber hier auf dem Rechtsweg vorgehen. Weil die Rechtswidrigkeit der gegnerischen Aktion, der es an einem tariflich regelbaren Ziel mangelt, offenkundig ist, verlangt man vom Arbeitgeber nichts Unzumutbares, wenn man ihm ansinnt, auf Kampfmaßnahmen zu verzichten und den Rechtsweg zu beschreiten. Er wird wegen der evidenten Rechtswidrigkeit des Streiks stets eine einstweilige Verfügung erwirken 236 und außerdem die Arbeitsverhältnisse der Streikenden gem. § 626 BGB fristlos kündigen können. 237 Auch ein schadensersatzbegründendes Verschulden ist hier regelmäßig gegeben.238 Eine Abwehraussperrung wäre allenfalls dann in Betracht zu ziehen, wenn der widerrechtliche Streik andauert, obgleich eine einstweilige Verfügung erlassen wurde, und die Arbeitnehmer sich auch von einer Kündigung nicht abschrecken lassen. Aber auch in dieser - fiktiven - Situation läßt sich die Zulässigkeit einer Aussperrung kaum begründen. Der Hinweis darauf, daß sich die Kontrahenten nach wechselseitigem Einsatz ihrer Kampfmittel die Möglichkeit haben, sich auf autonomem Wege zu einigen und eine für beide Seiten akzeptable Konfliktlösung zu erzielen 239 , reicht als Argument nicht aus. Die

236 Ist die materielle Rechtslage i. S. eines Verfügungsanspruchs geklärt, so muß der Verfügungsgrund nicht von besonderem Gewicht sein, vgl. Colneric in Däubler (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 1324, 1332; Isenhardt, Festschrift E. Stahlhacke, S. 195,205. 237 Das BAG gestattet dem Arbeitgeber auch herausgreifende Kündigungen, AP Nr. 41 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 842; kritisch dazu Brox in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht Rn. 339; Colneric in Däubler (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 1173; Kittner, BB 1974, S. 1488 ff. 238 Vgl. BAG AP Nr. 32 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 406 f.; AP Nr. 33 a. a. O., Bl. 414 R f.; AP Nr. 62 a. a. O., Bl. 301 R ff.; Brox in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht Rn. 331, 370; Löwisch/Krauß in Löwisch (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 545 f., 700 f. 239 Henniges, Rechtsschutz, S. 82 f.

C. Besonderheiten bei rechtswidrigen Streiks

247

Rechtsordnung darf nicht zugunsten der Kampfparteien abdanken und es ihnen überlassen, die „Spielregeln" selbst aufzustellen. 240 Näherliegender ist es, auf den Notwehrgedanken (§ 227 BGB, § 32 StGB) abzustellen. Notwehr ist allerdings grundsätzlich nur gegenüber dem Angreifer, nicht jedoch gegenüber Dritten statthaft - und die arbeitswilligen Arbeitnehmer, gegen die sich eine Abwehraussperrung richtet, sind als unbeteiligte Drite anzusehen.241 Ob wegen der besonderen Angriffsrichtung, die dem Streik zu eigen ist, für „Notwehr im Arbeitskampf' eine Ausnahme zu machen ist, erscheint fraglich, kann aber an dieser Stelle nicht vertieft werden. Festzuhalten ist, daß der Arbeitgeber rechtswidrige Streiks, die kein Tarifziel verfolgen, grundsätzlich nicht mit Kampfmaßnahmen beantworten darf. b) Rechtswidrige Streiks zur Durchsetzung einer Tarifforderung Die Gewerkschaften können versuchen, mit rechtswidrigen Streiks bestimmte Tarifziele zu erzwingen. Zu denken ist insbesondere an Arbeitsniederlegungen während eines noch laufenden Tarifvertrages, um die Tarifregelung „nachzubessern". Ein solcher Arbeitskampf verstößt gegen die tarifliche Friedenspflicht und ist daher unzulässig. Ein rechtswidriger Streik um eine Tarifforderung wird auch geführt, wenn eine unzuständige Gewerkschaft den Abschluß eines Tarifvertrages erstreiken w i l l . 2 4 2 Man muß verhindern, daß die Gewerkschaft aus ihrer unerlaubten Vorgehensweise Vorteile ziehen kann und womöglich noch mit einem neuen, für sie günstigen Tarifvertragsabschluß belohnt wird. 2 4 3 Es ist zweifelhaft, ob in diesem Fall die Rechtsschutzmöglichkeiten für den Arbeitgeber ausreichend sind. Legt man an den Erlaß einer einstweiligen Verfügung strengere Maßstäbe, so ist es nicht sicher, daß der Arbeitgeber eine Verfügung zu seinen Gunsten erwirken kann. Denn nach der Rechtsprechung des BAG besteht für Streiks, die eine Gewerkschaft um die Regelung von Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen führt, eine Vermutung der Rechtmäßigkeit. 244 Schwierige Rechtsfra-

240

Vgl. Seiter, Streikrecht, S. 384, 386. Brox in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht Rn. 341; Seiter, Streikrecht, S. 378. 242 Vgl. BAG AP Nr. 78 zu § 626 BGB, Bl. 1366. 243 Abzulehnen ist der Vorschlag, dem Arbeitgeber ein Anfechtungsrecht nach § 123 Abs. 1 BGB einzuräumen, wenn er durch einen rechtswidrigen Streik zum Abschluß des Tarifvertrages gezwungen wurde (so Seiter, Streikrecht, S. 386). Die Anfechtungsmöglichkeit paßt nicht zum Normcharakter des Tarifvertrages und würde eine nicht hinnehmbare Rechtsunsicherheit in das Tarifsystem tragen, vgl. Däubler, Tarifvertragsrecht Rn. 162; Hagemeier/Kempen/Zachert/Zilius, § 4 TVG Rn. 41; G. Müller, Arbeitskampf, S. 251. 244 BAG AP Nr. 47 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, BL 780, 782 R f. 241

248

7. Kapitel: Unmittelbar arbeitskampfbetroffener Betrieb

gen können etwa entstehen, falls die Gewerkschaft sich darauf beruft, sie habe den laufenden Tarifvertrag außerordentlich gekündigt und sei deshalb an die Friedenspflicht nicht mehr gebunden, oder falls die Arbeitgeberseite den Vertrag kündigt und die Gewerkschaft die Fortsetzung des Tarifvertrages kampfweise zu erzwingen versucht. 245 Angesichts dessen wird der Ausgang des gerichtlichen Verfahrens häufig ungewiß sein. 246 Die Unklarheit der Rechtslage wirkt sich auch auf die Kündigungsmöglichkeit und die Schadensersatzansprüche des Arbeitgebers aus. Für einen Schadensersatzanspruch kann das erforderliche Verschulden fehlen, wenn die Inanspruchgenommenen (Gewerkschaft oder Arbeitnehmer) davon ausgehen durften, der Streik sei rechtmäßig. 247 Ein Irrtum des Arbeitnehmers über die Rechtswidrigkeit des Streiks steht unter Umständen auch einer fristlosen Kündigung entgegen. 248 Hinzu kommt, daß auch der Arbeitgeber selbst die Rechtslage nicht ohne weiteres richtig zu beurteilen vermag. Er wird bei gewerkschaftlich geführten Tarifstreiks regelmäßig davon ausgehen, sich mit Kampfmitteln zur Wehr setzen zu dürfen. Es wäre bedenklich, dem unter Entscheidungsdruck stehenden Arbeitgeber das volle Risiko einer Falschbeurteilung aufzubürden. Ließe man gegen rechtswidrige Streiks generell keine Abwehrkampfmittel zu, so hätte der Arbeitgeber, der den Streik irrtümlich für rechtmäßig hält, alle Folgen zu tragen, die sich daraus ergeben, daß er unzulässigerweise Maßnahmen des Arbeitskampfes durchführte. 249 Das liefe im Ergebnis auf eine Privilegierung der rechtswidrig angreifenden Gewerkschaft hinaus. Nach alledem ist der Arbeitgeber gegen gewerkschaftlich organisierte widerrechtliche Tarifstreiks nicht hinreichend geschützt. Es besteht die Gefahr, daß dadurch das Gleichgewichtsverhältnis zwischen den sozialen Gegenspielern gestört wird. Deshalb ist es m. E. vertretbar, ihm für diesen Fall das Recht zum Einsatz von Kampfmaßnahmen einzuräumen. Man muß dem Arbeitgeber jedenfalls dann gestatten, Abwehrkampfmittel einzusetzen, wenn er sich zuvor erfolglos um eine einstweilige Verfügung bemüht hat, mag sich auch im 245 Zur arbeitgeberseitigen Kündigung der Tarifverträge in der Metall- und Elektroindustrie für die Tarifgebeite der neuen Bundesländer im März 1993 vgl. Buchner, NZA 1993, S. 289 ff.; Walker, NZA 1993, S. 769 ff.; Zachert, NZA 1993, S. 299 ff. 246 Vgl. Walker, ZfA 1995, S. 185, 198 ff. Das LAG Köln hat in einer neueren Entscheidung die Auffassung vertreten, daß bei einer schwierigen und ungeklärten Rechtslage die Anforderungen an den Verfügungsgrund erhöht seien, bei einer in hohem Maße zweifelhaften Rechtslage könne keine einstweilige Verfügung ergehen, NZA 1997, S. 327, 330. 247 Vgl. die Nachweise in Fußnoten 226, 227. 248 Vgl. BAG AP Nr. 41 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 841; AP Nr. 58 a. a. O., Bl. 282 f. 249 Brox in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht Rn. 444.

C. Besonderheiten bei rechtswidrigen Streiks

249

Hauptverfahren die Rechtswidrigkeit des Streiks herausstellen. Dauert die Arbeitsniederlegung fort, nachdem der Arbeitgeber eine einstweilige Verfügung erwirkt hat, erweist sich der Rechtsschutz also faktisch als unzureichend, muß der Arbeitgeber ebenfalls die Möglichkeit haben, zur Aussperrung zu greifen. Daß dabei Arbeitnehmer betroffen sind, die bislang nicht am Arbeitskampf beteiligt waren, läßt sich ebenso rechtfertigen wie die Einbeziehung der Außenseiter in den rechtmäßigen Tarifkonflikt. Ein Aussperrungsrecht, das ausschließlich auf die bereits Streikenden beschränkt ist, stellt ein stumpfes Schwert dar und reicht zur Wahrung der Kampfparität nicht aus; zudem genießen regelmäßig auch die nichtStreikenden Arbeitnehmer die Vorteile des Tarifabschlusses. 250

II. Betriebliche Mitbestimmung bei rechtswidrigen Streiks Nach den vorangegangenen Ausführungen bedürfen die allgemeinen Grundsätze, die für die Suspendierung der betriebliche Mitbestimmung im Arbeitskampf gelten, im Falle eines rechtswidrigen Streiks der Modifizierung. Das Paritätsprinzip rechtfertigt eine Beschränkung der Beteiligungsrechte nur bei gewerkschaftlich geführten widerrechtlichen Tarifstreiks. Hier darf der Arbeitgeber jedenfalls dann mit Kampfmaßnahmen reagieren, wenn das angerufene Gericht den Erlaß einer einstweiligen Verfügung abgelehnt hat oder wenn die Verfugung nicht ausreicht, um den Streik zu unterbinden. 251 Aber auch für den Fall, daß der Arbeitgeber, irrtümlich von der Rechtmäßigkeit des Streiks ausgehend, Gerichtsschutz nicht in Anspruch nimmt, spricht viel für die mitbestimmungsfreie Durchführung vom Kampfmaßnahmen. 252 Insoweit ergeben sich also keine Besonderheiten. Bei unzulässigen Arbeitsniederlegungen, mit denen keine Tarifziele verfolgt werden, scheiden indes Kampfmaßnahmen des Arbeitgebers aus. Hier gilt das Paritätsprinzip nicht, die Beteiligungsrechte des Betriebsrats bleiben daher bestehen. Dieses auf den ersten Blick überraschende Ergebnis ist durchaus interessengerecht. Die Belange der Gewerkschaften sind nicht schutzwürdig, sofern sie widerrechtliche Streiks organisieren. Sie setzen sich dadurch selbst ins Unrecht. Auch bei „wilden" Streiks sind keine Interessen der Gewerkschaften ersichtlich, die eine effektive Streikabwehr erfordern oder ihr entgegenstehen 250 BAG (GS) AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 311 f.; Seiter, Streikrecht, S. 343 ff.; Wiedemann , RdA 1969, S. 321, 325 f. 251 So auch Dütz, BB 1980, S. 533, 542 unter Berufung auf den Gedanken der Selbsthilfe. 252 Im Ergebnis ebenso Brox in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht Rn. 444.

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7. Kapitel: Unmittelbar arbeitskampfbetroffener Betrieb

könnten. Das Interessendreieck, das die Frage nach der betriebliche Mitbestimmung im Arbeitskampf im allgemeinen kennzeichnet, reduziert sich somit auf den Interessengegensatz zwischen Arbeitgeber und Belegschaft. Das Schutzbedürfnis der Belegschaft vor einseitigen Maßnahmen des Arbeitgebers besteht unabhängig davon, ob ein Streik rechtmäßig ist oder nicht. Demgegenüber ist ein Interesse des Arbeitgebers, möglichst ungestört vom Betriebsrat auf Arbeitsniederlegungen reagieren zu können, beim rechtswidrigen Streik nur eingeschränkt anzuerkennen. Handelt es sich nämlich um einen Streik ohne Tarifziel, so eröffnet die Rechtsordnung dem Arbeitgeber hinreichende Möglichkeiten, gerichtliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Insofern hat der Betriebsrat gar keine Gelegenheit, die Kampfabwehr des Arbeitgebers zu beeinflussen. Daher ist eine Beschränkung der Beteiligungsrechte zum Schutz der Arbeitgeberinteressen nicht notwendig. Anders ist es dagegen, wenn der rechtswidrige Streik von einer Gewerkschaft gefuhrt wird und dazu dienen soll, Tarifforderungen durchzusetzen. Hier fallt es dem Arbeitgeber schwerer, Rechtsschutz zu erlangen. Er ist daher auf Kampfmaßnahmen angewiesen, will er sich nicht den gewerkschaftlichen Forderungen beugen. Es gilt dasselbe wie beim rechtmäßigen Streik: Die Beteiligung des Betriebsrats an Kampfmaßnahmen des Arbeitgebers stellt eine paritätswidrige Ungleichbehandlung der Arbeitskampfmittel dar. Um die Waffengleichheit zwischen den Kontrahenten zu wahren, darf der Arbeitgeber mitbestimmungsfrei aussperren. Das Allgemeininteresse an einer Minderung der Arbeitskampfschäden spricht überdies dafür, auch Maßnahmen, die der Arbeitgeber im Rahmen einer Weiterproduktionstaktik anordnet, von der betrieblichen Mitbestimmung freizustellen. Ergänzend sei darauf hingewiesen, daß gerade bei rechtswidrigen Arbeitsniederlegungen ein Notfall vorliegen kann, aufgrund dessen die Beteiligung des Betriebsrats für den Arbeitgeber unzumutbar ist, § 2 Abs. 1 BetrVG. Zu denken ist dabei insbesondere an Arbeitskampfexzesse, die eine Gefahr für die betrieblichen Produktionsmittel begründen. 253

D. Zusammenfassung Nach dem Grundsatz formeller Kampfmittelparität sind folgende Maßnahmen des Arbeitgebers im unmittelbar kampfbetroffenen Betrieb während des Arbeitskampfes nicht mitbestimmungspflichtig: Aussperrungen, Teilaussperrungen, aussperrungsnotwendige Maßnahmen sowie Weiterproduktionsmaßnahmen, die gegenüber der Aussperrung mildere Mittel sind. Dazu zählen

53

V g l . o. . Kapitel unter Β

.

D. Zusammenfassung

251

Verkürzungen und Verlängerungen der Arbeitszeit, Einstellungen und Versetzungen Arbeitswilliger, Zahlung von Streikbruchprämien und Durchfuhrung von Lehrgängen für Streikbrecher. Bei diesen Maßnahmen stehen dem Betriebsrat auch keine Informationsrechte zu. Insoweit können sich aus Betriebsvereinbarungen keine weitergehenden Beteiligungsrechte für den Betriebsrat ergeben. Die Suspendierung der betrieblichen Mitbestimmung ist allerdings auf den Zeitraum des Arbeitskampfes beschränkt. Diese Grundsätze werden durch materielle Paritätserwägungen nicht in Frage gestellt. Sie gelten auch bei rechtswidrigen Streiks, mit denen gewerkschaftliche Tarifforderungen durchgesetzt werden sollen, insbesondere dann, wenn der Arbeitgeber sich zuvor vergeblich bemüht hat, auf gerichtlichem Wege effektiven Rechtsschutz zu erlangen.

8. Kapitel

Die betriebliche Mitbestimmung im mittelbar arbeitskampfbetroffenen Betrieb A. Arbeitszeitverkürzungen In einem arbeitsteiligen, verflochtenen Wirtschaftssystem fuhren Arbeitskämpfe häufig auch in Drittunternehmen, die nicht unmittelbar vom Tarifkonflikt betroffen sind, zu Produktionsstörungen. So kann ein Streik in einem Zuliefererbetrieb die Produktion im Betrieb des Abnehmers unmöglich machen, weil es am notwendigen Vormaterial fehlt. Findet der Arbeitskampf im Abnehmerbetrieb statt, wird die Betriebstätigkeit des Zulieferers möglicherweise wirtschaftlich sinnlos, weil die Produkte nicht abgenommen werden. Im ersten Fall hat sich das Betriebsrisiko realisiert, also das Risiko, aufgrund von Störungen die Produktion unterbrechen zu müssen. Im zweiten Fall realisiert sich das Wirtschaftsrisiko, also das Risiko, die Arbeitsleistung wirtschaftlich verwerten zu können. In beiden Fällen kann sich der mittelbar kampfbetroffene Arbeitgeber dazu entschließen, die tägliche Arbeitszeit zu verkürzen oder die Betriebstätigkeit ganz einzustellen. Dabei muß er grundsätzlich das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats aus § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG beachten. Da der Arbeitgeber die Arbeitskraft der Mitarbeiter nicht gewinnbringend einsetzen kann, wird er ihnen während der Betriebsunterbrechung auch keinen Lohn zahlen wollen. Räumt man ihm unter bestimmten Voraussetzungen das Recht zur Lohnverweigerung bei arbeitskampfbedingten Produktionsstörungen ein (Rechtsprechung und herrschende Lehre tun das), so besteht die Gefahr, daß dieses Recht durch die betriebliche Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG vereitelt wird. Denn die Betriebsparteien müssen sich - gegebenenfalls unter Anrufung der Einigungsstelle, § 87 Abs. 2 BetrVG - über eine Arbeitszeitverkürzung einigen; einseitige Anordnungen des Arbeitgebers sind unwirksam und verpflichten ihn dazu, das volle Entgelt weiterzuzahlen, selbst wenn er an sich zur Minderung des Lohnes berechtigt ist. 1

1

Einhaltung von Mitbestimmungskompetenzen als Wirksamkeitsvoraussetzung, vgl. BAG AP Nr. 70 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 594; Fitting/Kaiser/H either/ Engels, § 87 BetrVG Rn. 403; Galperin/Löwisch, § 87 BetrVG Rn. 112; Klebe in Däu-

Α. Arbeitszeitverkürzungen

253

Teilweise wird versucht, diesen Konflikt durch eine Unterscheidung von Regelungen der Arbeitszeit und der Lohnzahlung zu entschärfen. Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats aus § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG beschränke sich auf die Arbeitszeit. Die Frage der Lohnzahlung sei davon streng zu trennen, sie richte sich ausschließlich nach den einschlägigen Vorschriften außerhalb des Betriebsverfassungsrechts. 2 Anderenfalls bestehe nämlich die Gefahr, daß der Arbeitgeber die Last des Betriebs- und Wirtschaftsrisikos über die Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG auf die Arbeitnehmer abwälze. Eine derart einschneidende Rechtsfolge wolle die Betriebsverfassung aber nicht anordnen, die Arbeitnehmer in betriebsratslosen Betrieben dürften nicht besser gestellt werden als in Betrieben mit Betriebsrat. 3 Folgt man dem, so hätte der Betriebsrat hinsichtlich der Lohnzahlungspflicht des Arbeitgebers nicht mitzubestimmen, die Beteiligung nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG hätte im Arbeitskampf gar keinen Einfluß auf ein Lohnverweigerungsrecht des Arbeitgebers. Die Ausklammerung von Entgeltfragen aus dem Tatbestand des § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG läßt sich indes mit dem Hinweis auf entgegenstehende Arbeitnehmerinteressen nicht überzeugend begründen. Richtig ist, daß man zwei Problemkreise auseinanderhalten muß, nämlich einerseits, welche Rechtsgrundlage dem Arbeitgeber für die Verkürzung von Arbeitszeit und Lohn zusteht, andererseits die Mitbestimmung des Betriebsrats. Eine Ermächtigungsgrundlage zur Einführung von Kurzarbeit kann sich für den Arbeitgeber aus dem Arbeitsvertrag, aus einem Tarifvertrag oder, bei arbeitskampfbedingten Betriebsstörungen, aus dem Arbeitskampfrecht ergeben; unter Umständen muß sich der Arbeitgeber die Grundlage durch Änderungskündigungen selbst schaffen. 4 Die Interessen der Arbeitnehmer sind durch die betriebliche Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG zusätzlich geschützt, wenn trotz bestehender Ermächtigungsgrundlage die Anordnung von Kurzarbeit ohne Beteiligung des Betriebsrats unwirksam ist und die Mitarbeiter deshalb ihren Lohnanspruch behalten.5 Sofern keine der vorgenannten Rechtsgrundlagen eingreift, ist streitig, ob Kurzarbeit durch eine Betriebsvereinbarung eingeführt

bler/Kittner/Klebe/Schneider (Hrsg.), § 87 BetrVG Rn. 4; Otto, NZA 1992, S. 97, 112; Stege/Weinspach, § 87 BetrVG Rn. 3; Wiese in GK-BetrVG, § 87 BetrVG Rn. 92, 96 ff. 2 Glaubitz in Hess/Schlochauer/Glaubitz, § 87 BetrVG Rn. 173; Jahnke, ZfA 1984, S. 69, 93 ff.; ähnlich Heinze, DB Beilage 23/1982, S. 14. 3 Jahnke, ZfA 1984, S. 69, 96 f. 4 Jahn, Beteiligung, S. 93; Patett, Arbeitskampffernwirkungen, S. 377 ff.; Waltermann, NZA 1993, S. 679, 684. 5 Jahn, Beteiligung, S. 93 f.

254

8. Kapitel: Mittelbar arbeitskampfbetroffener Betrieb

werden kann. 6 Jedenfalls wird der Betriebsrat eine solche Vereinbarung nicht leichtfertig abschließen, sondern regelmäßig nur zustimmen, um drohende Kündigungen abzuwenden.7 Die Befürchtung, die Mitbestimmung aus § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG wirke sich zum Nachteil der Arbeitnehmer aus, wenn sie sich auch auf das Entgelt erstrecke, ist demnach unbegründet. Die Verkürzung der Arbeitszeit und deren Folgen auf der Lohnseite lassen sich letztlich nicht trennen, weil die Höhe des Einkommens normalerweise vom Umfang der Arbeitsleistung abhängt.8 Eine künstliche Aufspaltung der Beteiligungsbefügnisse in mitbestimmungspflichtige Arbeitszeitregelungen und mitbestimmungsfreie Arbeitsentgeltregelungen ist daher abzulehnen.9 Dann aber bleibt der Arbeitgeber im mittelbar kampfbetroffenen Betrieb lohnzahlungspflichtig, bis er sich mit dem Betriebsrat über eine Arbeitszeitverkürzung geeinigt hat; sein arbeitskampfrechtliches Lohnverweigerungsrecht kann über die betriebliche Mitbestimmung ausgehebelt werden. Arbeitskampfrechtliche und betriebsverfassungsrechtliche Wertungen kollidieren jedoch nur, falls der Arbeitgeber während der Tarifauseinandersetzung befügt ist, die Lohnzahlung zu verweigern. Muß er ohnehin das Lohnrisiko tragen, so besteht kein Grund, die Mitbestimmung des Betriebsrats einzuschränken. Die entscheidende Vorfrage ist somit, wie sich der Arbeitskampf auf die Lohnansprüche streikunbeteiligter Arbeitnehmer auswirkt.

I. Das Lohnrisiko im mittelbar kampfbetroffenen Betrieb Die Literatur zur Verteilung des Lohnrisikos in mittelbar kampfbetroffenen Betrieben ist mittlerweile nahezu unübersehbar geworden. 10 Das BAG hat sich in seinen Urteilen vom 22.12.1980 für eine Risikoverteilung nach dem ar-

6 Dagegen mit beachtlichen Argumenten Brossette, ZfA 1992, S. 379, 411 ff; Waltermann, NZA 1993, S. 679, 681 ff.; anders aber die h. M., die sich vor allem auf Praktikabilitätserwägungen stützen kann, vgl. BAG AP Nr. 4 zu § 615 BGB Kurzarbeit, Bl. 149 R; AP Nr. 70 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 587 f.; Dietz/Richardi, § 87 BetrVG Rn. 269; Fitting/Kaiser/Heither/Engels, § 87 BetrVG Rn. 126; Galperin/Löwisch, § 87 BetrVG Rn. 106, 110; Otto, NZA 1992, S. 97, 108; Wiese in GKBetrVG, § 87 BetrVG Rn. 313. 7 Häßler, Beteiligungsrechte, S. 98. 8 Dietz/Richardi, § 87 BetrVG Rn. 175; Häßler, Beteiligungsrechte, S. 97; Jene, Kurzarbeit, S. 104. 9 So auch Häßler, Beteiligungsrechte, S. 96 ff.; Jahn, Beteiligung, S. 91 ff. 10 Vgl. zum Problemkreis des Lohnrisikos bei Arbeitskampffernwirkungen aus neuerer Zeit die monographischen Werke von Beuthien, Arbeitskampf; Fritz, Lohnrisiko; Ha, Lohnrisiko; Patett, Arbeitskampffernwirkungen; Seiter, Staatsneutralität; Starke, Lohnleistungen. Allgemein zum Verhältnis von Arbeitskampfrecht und Schuldrecht: Adam, Arbeitskampfrecht; Kreissl, Arbeitskampf; Ronge, Auswirkungen.

Α. Arbeitszeitverkürzungen

255

beitskampfrechtlichen Paritätsprinzip ausgesprochen.11 Wegen der interessanten Parallelen zwischen der Verteilung des Lohnrisikos bei Arbeitskampffernwirkungen und der betrieblichen Mitbestimmung im Arbeitskampf (in beiden Fällen kollidieren arbeitskampfrechtliche Wertungen mit den Vorgaben der Rechtsordnung des Arbeitsfriedens) soll die Problematik im folgenden näher beleuchtet werden. 7. Rechtsgebietskonkurrenz

zwischen Arbeitskampfrecht

und Schuldrecht

Der Diskussion um die Lohnansprüche bei mittelbarer Kampfbetroffenheit liegt eine Rechtsgebietskonkurrenz zwischen Arbeitskampf- und Schuldrecht zugrunde. 12 Rein schuldrechtlich gesehen, ergibt sich bei arbeitskampfbedingten Betriebsstörungen ein Entgeltanspruch aus § 615 BGB. 1 3 Daß § 615 BGB eingreift, wird teilweise mit der Begründung bestritten, die Arbeitsleistung trage den Charakter einer absoluten Fixschuld, die mit Ablauf des jeweiligen Arbeitstages unmöglich werde 14 ; Unmöglichkeit und Verzug schlössen sich aber gegenseitig aus. 15 Dieser Einwand, der zur Ausbildung der sog. Betriebs- und Arbeitskampfrisikolehre führte 16 , läßt sich jedoch bei richtiger Auslegung des § 615 BGB nicht halten. Der Wortlaut der Vorschrift schließt ihre Anwendung bei Unmöglichkeit der Arbeitsleistung nicht aus. Vielmehr sieht § 615 S. 2 BGB zugunsten des Arbeitgebers lediglich eine Anrechnung im Hinblick auf anderweitige Beschäftigungsmöglichkeiten vor. Unter systematischen Gesichtspunkten könnte § 297 BGB dagegen sprechen, §615 BGB bei Leistungsunmöglichkeit anzuwenden. In § 297 BGB ist allerdings von „Außerstandesein", nicht von Unmöglichkeit die Rede, eine Gleichsetzung kommt

11

BAG AP Nr. 70, 71 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. Dazu Adam, Arbeitskampfrecht, S. 1 ff., 118 ff.; Kalb, Betriebsrisikolehre, S. 115 f.; Wank, Festschrift O. R. Kissel, S. 1225, 1248 ff. 13 Wegen der gesetzespositiven Wertungsunabhängigkeit dieses Ansatzes wird im neueren Schrifttum mit Recht überwiegend auf § 615 BGB und nicht auf die Betriebsrisikolehre als Anspruchsgrundlage abgestellt, vgl. Boewer in MünchArbR, § 77 Rn. 14 ff; Colneric in Däubler (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 606 ff.; Eisemann, AuR 1981, S. 357, 258 ff.; Hanau in Erman, § 615 BGB Rn. 57; Picker, JZ 1979, S. 285 ff., Richardi in Staudinger, § 615 BGB Rn. 203; Trittin, DB 1990, S. 322, 323; Wank, Arbeitnehmer, S. 70 f.; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, § 18 V 1 c, S. 215; so auch BAG, NZA 1994, S. 331, 1097. 14 BAG AP Nr. 2 zu § 324 BGB; Schaub, Handbuch, § 48 Π 4 a, S. 333 f., Söllner in MünchKomm, § 611 BGB Rn. 15. 15 BAG AP Nr. 20, 29 zu § 615 BGB; Ehmann, NJW 1987, S. 401,405. 16 Vgl. die ausführliche Darstellung bei Patett, Arbeitskampffernwirkungen, S. 132 ff. 12

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8. Kapitel: Mittelbar arbeitskampfbetroffener Betrieb

nicht ohne weiteres in Betracht. 17 Die historische Auslegung ergibt, daß die 1. Kommission den Annahmeverzug allein davon abhängig machen wollte, daß der Arbeitgeber die angebotene Leistung, gleich aus welchem Grunde, nicht annimmt. Die 2. Kommission hielt trotz kontroverser Stellungnahmen an der Fassung des § 615 S. 1 BGB fest, wie sie von der 1. Kommission erarbeitet wurde. 18 § 615 S. 1 BGB sollte danach auch den Fall erfassen, daß dem Arbeitnehmer die Arbeitsleistung aufgrund einer Betriebsstörung unmöglich wird. 1 9 Der Sinn des § 615 BGB besteht darin, den Arbeitnehmer vor Vergütungsausfallen zu schützen.20 Griffe die Vorschrift bei Leistungsunmöglichkeit nicht ein, so hätte sie praktisch keinen Anwendungsbereich, denn Unmöglichkeit wird wegen des Fixschuldcharakters der Arbeitsleistung stets vorliegen. 21 Damit liefe der Schutzzweck der Norm leer. § 615 BGB muß daher auch dann anwendbar sein, wenn die Arbeitsleistung infolge einer Betriebsstörung unmöglich wird. Insoweit handelt es sich um eine Spezialvorschrift zu § 323 BGB. 2 2 Sie regelt die typischen Fälle des Betriebs- und Wirtschaftsrisikos, die von der Rechtsprechung entwickelte Betriebsrisikolehre ist somit überflüssig. 23 Da § 615 BGB nicht darauf abstellt, aus welchem Grund der Arbeitgeber in Annahmeverzug gerät, müßten die Arbeitnehmer auch bei arbeitskampfbedingten Betriebsstörungen ihren Lohnanspruch behalten.24 Betrachtet man das Problem aus der Perspektive des Arbeitskampfrechts, gelangt man demgegenüber zu einem anderen Ergebnis. Arbeitgeber und Arbeitnehmer sind regelmäßig aufgrund ihres ArbeitskampfVerhaltens gleichermaßen verantwortlich für die Auswirkungen des Konflikts. Es ist nicht einzusehen, warum dann allein die Arbeitgeber das Lohnrisiko tragen sollen. Unverständlich erscheint auch, daß die mittelbar kampfbetroffenen Arbeitgeber stärker belastet werden als die unmittelbar betroffenen, die sich durch das 17

Nierwetberg, BB 1982, S. 995, 996 f.; Ronge, Auswirkungen, S. 81. Vgl. Motive, Band Π, S. 68 f.; Protokolle, Band Π, S. 280 ff.; dazu Eisemann, AuR 1981, S. 357, 360; Picker, JZ 1979, S. 285, 292. 19 Picker, JZ 1985, S. 693, 696 ff. 20 Putzo in Palandt, § 615 BGB Rn. 1. 21 Nierwetberg, BB 1982, S. 995 f.; Picker, JZ 1985, S. 693, 701. 22 Wank, Arbeitnehmer, S. 70. 23 Picker, Festschrift O. R. Kissel, S. 813, 853; Wank, Arbeitnehmer, S. 70 f.; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, § 18V1 c, S. 215. - Wank, Übungen, S. 55 macht auf folgendes aufmerksam: Das Reichsgericht (RGZ 106, S. 272, 274) hat sich gegen die Anwendung der Leistungsstörungsregeln ausgesprochen, weil dem Arbeitnehmer kein Recht auf Beschäftigung zustehe und der Arbeitgeber deshalb nicht verpflichtet sei, einen funktionierenden Betrieb bereitzustellen. Heute ist der Anspruch des Arbeitnehmers auf Beschäftigung jedoch allgemein anerkannt, vgl. BAG GS AP Nr. 14 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht. 24 Vgl. Eisemann, AuR 1981, S. 357, 362; Gagel, BB 1984, S. 2006, 2010; Ha, Lohnrisiko, S. 106 f.; Linnenkohl/Rauschenberg, AuR 1990, S. 137, 142 f. 18

Α. Arbeitszeitverkürzungen

257

Kampfmittel der Aussperrung von ihrer Lohnzahlungspflicht befreien können. 25 Nach den Wertungen des Arbeitskampfrechts ist es daher naheliegend, den Arbeitnehmern das Lohnrisiko und den Arbeitgebern den Produktionsausfallschaden aufzuerlegen. 26 Auf das Konkurrenzverhältnis zwischen Arbeitskampf- und Schuldrecht sind die allgemeinen Grundsätze zur Auflösung von Rechtsgebietskonkurrenzen 27 anzuwenden. 2. Gesetzliche Konkurrenzregeln Eine Vorschrift, die das Problem des Lohnrisikos bei Arbeitskampffernwirkungen ausdrücklich regelt, existiert nicht. Allerdings behandeln die §§ 116 Abs. 3, 70, 134 Abs. 4 S. 1 AFG die Frage, inwieweit die Bundesanstalt für Arbeit Lohnersatzleistungen an Arbeitnehmer in mittelbar kampfbetroffenen Betrieben erbringen darf. Möglicherweise gilt die Regelung des § 116 Abs. 3 AFG (§ 146 Abs. 3 SGB III) auch für die individualrechtlichen Lohnansprüche. Danach wäre der Arbeitgeber von der Entgeltzahlungspflicht befreit, wenn den Arbeitnehmern keine Leistungen nach dem AFG zustehen.28 § 116 Abs. 3 AFG enthält jedoch seinem Wortlaut nach lediglich eine sozialrechtliche Folgeregelung. 29 Ob Lohnansprüche der Arbeitnehmer bestehen, ist eine vorrangige Frage, zu der sich die Norm nicht äußert. 30 Die Gesetzesmaterialien zu der am 24.5.1986 in Kraft getretenen Neufassung des § 116 AFG enthalten keinen Hinweis darauf, daß der Gesetzgeber das Problem der Lohnrisikoverteilung regeln wollte. 31 Eine Folgenbetrachtung zeigt, daß es nicht Sinn des § 116 Abs. 3 AFG sein kann, eine Aussage zur Lohnzahlungspflicht im Arbeitskampf zu treffen. Verteilt man das Lohnrisiko nach dieser Vorschrift, gelangt man zu einem befremdlichen Ergebnis: Soweit die Leistungsverbote des § 116 Abs. 3 AFG eingreifen, darf weder Arbeitslosen- noch Kurzarbeitergeld noch Arbeitslosenhilfe gezahlt werden, dementsprechend ruhen auch die Lohnansprüche. Soweit die Leistungsverbote nicht eingreifen, müßte Lohn ge25

BAG AP Nr. 70 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 589. Vgl. Mayer-Maly/Nipperdey, Risikoverteilung, S. 37 f.; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht^ 18 V 2 d , S. 218. 27 Vgl. o. 3. Kapitel unter B. 28 LAG Hamm, DB 1979, S. 216, 218; Adomeit, NJW 1987, S. 33, 34; Richardi, NJW 1978, S. 2057, 2065; ders., Anm. zu BAG AP Nr. 70, 71 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 601 R f.; vgl. auch Otto in MünchArbR, § 283 Rn. 35 ff., 44. 29 Dütz, DB Beilage 14/1979, S. 11; Mayer, BB 1990, S. 2482, 2485; Scholz/Konzen, Aussperrung, S. 213 f. 30 Beuthien, Arbeitskampf, S. 47; Kalb, Betriebsrisikolehre, S. 140; Säcker, Gruppenparität, S. 69 f., 85; Starke, Lohnleistungen, S. 209, 235 ff. 31 Vgl. BT-Drucksache 10/5214; dazu Starke, Lohnleistungen, S. 243 ff. 26

17 Jansen

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8. Kapitel: Mittelbar arbeitskampfbetroffener Betrieb

zahlt werden; weil die Arbeitnehmer ihr Arbeitsentgelt erhalten, ist kein Arbeitslosen· oder Kurzarbeitergeld zu zahlen. Die §§ 70, 116, 134 Abs. 1 S. 1 AFG liefen also leer, weil es keine Fälle mehr gäbe, in denen die Bundesanstalt wegen einer arbeitskampfbedingten Betriebsstörung Lohnersatzleistungen erbringen müßte. 32 § 116 Abs. 3 AFG scheidet daher als gesetzliche Konkurrenzregel für das Verhältnis von Arbeitskampfrecht und Schuldrecht aus. 33 Teilweise wird § 323 BGB als maßgebliche Konkurrenzregel angesehen.34 Die Entgeltzahlungspflicht soll entfallen, weil bei mittelbarer Arbeitskampfbetroffenheit eine risikoneutrale Störung vorliege, die weder dem Arbeitgeber noch den Arbeitnehmern zuzurechnen sei. 35 Dem steht aber entgegen, daß die §§ 323 ff. BGB nicht die zivilrechtliche Grundlage für die Zuweisung des Lohnrisikos darstellen. Vielmehr greift § 615 BGB unabhängig von der Ursache des Annahmeverzuges auch bei Unmöglichkeit der Arbeitsleistung ein. Insoweit werden die §§ 323 ff. BGB durch eine Spezialvorschrift verdrängt. 36 Wollte man § 323 BGB gleichwohl bei arbeitskampfbedingten Betriebsstörungen anwenden und Lohnansprüche generell ausschließen, so liefe das im Ergebnis auf einen Vorrang arbeitskampfrechtlicher Wertungen hinaus, der einer besonderen Begründung bedarf. 37 3. Vorrang arbeitskampfrechtlicher

oder schuldrechtlicher

Wertungen?

Da eine gesetzliche Konkurrenzregel nicht besteht, stellt sich die Frage, ob eine Vorranglösung in Betracht kommt. 38 Gebührte den arbeitskampfrechtlichen Wertungen der Vorrang, müßten die Lohnansprüche der Arbeitnehmer in mittelbar kampfbetroffenen Betrieben entfallen. Wären dagegen die Wertungen des Schuldrechts vorrangig, bliebe es bei der Vorschrift des §615 BGB, wonach die Lohnansprüche bestehen bleiben. Ein Rangverhältnis zwischen Arbeitskampfrecht und Schuldrecht läßt sich allerdings nicht nachweisen. Hier kann im wesentlichen auf die Ausführungen zum Verhältnis von Arbeitskampfrecht und Betriebsverfassungsrecht verwiesen werden. 39 32

Ehmann, Betriebsrisikolehre, S. 96 f. So im Ergebnis auch BAG AP Nr. 70 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 590; ausfuhrlich Starke, Lohnleistungen, S. 193 ff. 34 So Ehmann, Betriebsrisikolehre, S. 104; Mayer-Maly/Nipperdey, Risikoverteilung, S. 40 f.; vgl. auch Beuthien, Arbeitskampf, S. 24 ff., 49 f., 52; Otto in MünchArbR, § 283 Rn. 42. 35 Lieb, NZA 1990, S. 291, 299; ders. in Lieb/v. Stebut/Zöllner, Arbeitskampfrecht, S. 163, 169 ff. 36 Vgl. Wank, Arbeitnehmer, S. 70. 37 Gegen die Anwendung der §§ 323 ff. BGB auch Ha, Lohnrisiko, S. 104 ff. 38 Vgl. o. 3. Kapitel unter Β Π. 39 Vgl. ο. 5. Kapitel. 33

Α. Arbeitszeitverkürzungen

259

Als Begründung fur einen normlogischen Vorrang des Arbeitskampfrechts kommt allein Art. 9 Abs. 3 GG in Betracht. Indessen kann nicht die gesamte richterrechtlich entwickelte Arbeitskampfordnung den Rang von Verfassungsrecht beanspruchen. Man könnte allenfalls an einen Teilvorrang deijenigen arbeitskampfrechtlichen Wertungen denken, die von Art. 9 Abs. 3 GG vorgegeben sind. Verfassungsrechtlich geschützt sind die Tarifautonomie und das Paritätsprinzip. Art. 9 Abs. 3 GG sagt jedoch nichts darüber aus, wie die Tarifautonomie im einzelnen auszugestalten oder wie das Paritätsprinzip zu konkretisieren ist. Das Problem der Arbeitskampffernwirkungen betrifft aber gerade die nähere Ausgestaltung von Tarifautonomie und Kampfparität. Das ist eine Frage des einfachen Arbeitskampfrechts, nicht des Verfassungsrechts. 40 Ein Vorrang des Schuldrechts wird auf die Behauptung gestützt, die richterrechtliche Arbeitskampfordnung könne sich nicht über die gesetzliche Vorschrift des § 615 BGB hinwegsetzen.41 Es spricht jedoch viel dafür, das gesetzesvertretende Richterrecht zum Arbeitskampf als einfaches Bundesrecht anzusehen42, das rangmäßig auf der gleichen Ebene steht wie das Schuldrecht. Jedenfalls enthält das Schuldrecht keine explizite Regelung über die Verteilung des Lohnrisikos im Arbeitskampf. Angesichts der generellen Scheu des Gesetzgebers, sich zu Fragen des Arbeitskampfrechts zu äußern, wird man vielmehr von einer Regelungslücke ausgehen müssen. Die Gesetzesmaterialien schweigen zum Problem der arbeitskampfbedingten Produktionsstörungen. Die Verfasser des BGB hatten auch keine Veranlassung, sich mit diesem Sonderfall zu befassen. Denn nach der damals vorherrschenden individualrechtlichen Arbeitskampftheorie 43 waren die Arbeitgeber schon dadurch vor den Fernwirkungen eines Arbeitskampfes geschützt, daß sie den Arbeitnehmern kurzfristig kündigen konnten. 44 Ist die Vorschrift des § 615 BGB aber insoweit lückenhaft, so kommt im Hinblick auf die Wertungswidersprüche zwischen Arbeitskampf- und Schuldrecht eine rechtsfortbildende teleologische Reduktion in Betracht. 45

40

Vgl. 0.5. Kapitel unter AI. Vgl. Colneric in Däubler (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 630; Linnenkohl/Rauschenberg, AuR 1990, S. 137, 142 ff.; Mayer, BB 1990, S. 2482, 2485; Trittin, DB 1990, S. 322, 323 f. 42 Vgl. o. 5. Kapitel unter Β I. 43 Vgl. o. 7. Kapitel unter Α Π 1 a. 44 Beuthien, Arbeitskampf, S. 27. 45 Beuthien, Arbeitskampf, S. 27; Hanau in Erman, § 615 BGB Rn. 58; Kalb, Festschrift E. Stahlhacke, S. 213, 226 f.; Lieb, NZA 1989, S. 289, 291. 41

260

8. Kapitel: Mittelbar arbeitskampfbetroffener Betrieb 4. Angleichung von Arbeitskampfrecht

und Schuldrecht

Da es für eine Vorranglösung keine überzeugenden Gründe gibt, muß man versuchen, Arbeitskampfrecht und Schuldrecht einander anzugleichen. Es erfolgt eine teleologische Reduktion des § 615 BGB. Das läuft im Ergebnis darauf hinaus, daß die Arbeitgeber in mittelbar kampfbetroffenen Betrieben teils zur Lohnzahlung verpflichtet, teils freigestellt sind. Als Richtschnur für die erforderliche Rechtsfortbildung ist nach einer Konkurrenzregel zu suchen, die darüber Aufschluß gibt, in welchen Fällen die Lohnansprüche bestehen bleiben und wann sie entfallen. Die Konkurrenzregel muß eine interessengerechte und praktikable Abgrenzung ermöglichen. Die Grenzen der Rechtsfortbildung, die sich aus der Notwendigkeitsmaxime ergeben, dürfen nicht überschritten werden. a) Sphärentheorie Um das Lohnrisiko bei Arbeitskampffernwirkungen aufzuteilen, könnte man danach unterscheiden, aus wessen Sphäre die Produktionsstörung stammt. Geht sie auf einen Streik zurück, also auf ein Geschehen aus der „Arbeitnehmersphäre", entfallen die Lohnansprüche. Wird die Störung dagegen durch eine Aussperrung verursacht, dann entstammt sie der „Arbeitgebersphäre" und die Lohnansprüche bleiben bestehen.46 Die Sphärentheorie ist allerdings zunehmend auf Kritik gestoßen.47 Das BAG hat sie 1980 ausdrücklich aufgegeben. 48 In der Tat beruht die Vorstellung von einer sphärenverantwortlichen, solidarischen Gruppe aller Arbeitnehmer oder aller Arbeitgeber auf einer reinen Fiktion. Eine „Zwangssolidarisierung" über alle konkreten Gruppeninteressen hinaus entbehrt jeder tragfahigen Grundlage. 49 Überdies führt die Sphärentheorie zu erheblichen Abgrenzungsschwierigkeiten, die nur um den Preis unbilliger Ergebnisse zu vermeiden sind. So ist es durchaus problematisch, die mittelbaren Folgen einer Abwehraussperrung der Risikosphäre der Arbeitgeber zuzuordnen. Die Abwehraussperrung ist ihrerseits eine Folge des Streiks; insofern setzt die Arbeitnehmerseite jedenfalls eine mittelbare Ursache für die Arbeitskampffernwirkungen. Aber auch der Streik hat eine Vorgeschichte, nämlich gescheiterte Tarifverhandlungen. Deshalb ist auch eine

46

So die frühere Rechtsprechung des BAG, vgl. AP Nr. 3, 4, 5, 14, 15, 28 zu § 615 BGB Betriebsrisiko; Adomeit, NJW 1987, S. 33, 34; Eich, DB Beilage 9/1979, S. 6. 47 Vgl. etwa Bertelsmann, Aussperrung, S. 169 ff.; Kalb, Betriebsrisikolehre, S. 56 ff; Patett, Arbeitskampffernwirkungen, S. 203 ff.; Starke, Lohnleistungen, S. 260 ff. 48 BAG AP Nr. 70 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 588 f. 49 Kalb, Betriebsrisikolehre, S. 64 ff.

Α. Arbeitszeitverkürzungen

261

pauschale Zuweisung aller Streikfolgen an die Arbeitnehmerseite unbefriedigend. 50 Blendet man derartige Kausalitätserwägungen aus und weist das Lohnrisiko kurzerhand der Seite zu, die zuerst Arbeitskampfmittel eingesetzt hat (das wird im Regelfall die Arbeitnehmerseite sein), so wird der Angreifer durch die Sphärenhaftung bestraft, weil er sein legitimes Recht auf Koalitionsbetätigung in Anspruch nimmt. 51 Insgesamt stellt die Sphärentheorie demnach keinen tauglichen Ansatz zur Bewältigung der Rechtsgebietskonkurrenz zwischen Arbeitskampf- und Schuldrecht dar. b) Unterscheidung von Betriebs- und Wirtschaftsrisiko Eine Angleichung von Arbeitskampfrecht und Schuldrecht ließe sich erreichen, indem man zwischen Betriebs- und Wirtschaftsrisiko unterscheidet und das Betriebsrisiko den Arbeitnehmern, das Wirtschaftsrisiko den Arbeitgebern zuweist. 52 Für diese Differenzierung fehlt es indes an einleuchtenden Gründen. 53 Individualrechtlich werden Betriebs- und Wirtschaftsrisiko gleichbehandelt: Der Arbeitgeber muß gem. § 615 BGB das Lohnrisiko tragen. Der Arbeitskampf rechtfertigt keine Unterscheidung der beiden Risiken. Ob ein Unternehmen als Abnehmer oder als Zulieferer vom Arbeitskampf betroffen ist, ob sich also das Betriebs- oder das Wirtschaftsrisiko realisiert, ist teils vom Zufall, teils von kampftaktischen Erwägungen der Gewerkschaften abhängig. Jedenfalls liegt die Ursache für die Störung in beiden Fällen im Arbeitskampfgeschehen, es treten identische wirtschaftliche Folgen ein. 54 Zudem können Abgrenzungsprobleme entstehen, wenn ein Betrieb sowohl Zulieferer als auch Abnehmer von arbeitskampfbetroffenen Betrieben ist, so daß sich beide Risiken realisieren. Aufgrund dessen ist es nicht angebracht, das Lohnrisiko im Arbeitskampf nach Betriebs- und Wirtschaftsrisikofallen zu verteilen.

50

Dazu Kalb, Betriebsrisikolehre, S. 60 f.; Mayer-Maly/Nipperdey, Risikoverteilung, S. 17 ff; Starke, Lohnleistungen, S. 260 ff. 51 Kalb, Betriebsrisikolehre, S. 63 f. 52 Vgl. Picker, JZ 1979, S. 285, 293. 53 So auch BAG AP Nr. 70 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 587, 588; Eisemann, BB 1979, S. 218, 223; Lieb in Lieb/v. Stebut/Zöllner, Arbeitskampfrecht, S. 163, 171; Löwisch/Bittner in Löwisch (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 598; Mayer-Maly, DB 1979, S. 1305, 1307 f.; Seiter, DB 1981, S. 578, 579; Starke, Lohnleistungen, S. 329 ff. 54 Kalb, Betriebsrisikolehre, S. 142 f.; Richardi in Staudinger, § 615 BGB Rn. 239.

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8. Kapitel: Mittelbar arbeitskampfbetroffener Betrieb c) Teilhabe am Kampfergebnis

Ein brauchbarer Ansatz zur Verteilung des Lohnrisikos scheint auf den ersten Blick der Partizipationsgedanke zu sein: Die Arbeitnehmer in mittelbar kampfbetroffenen Betrieben sollen ihre Lohnansprüche verlieren, sofern sie am Ergebnis des Arbeitskampfes teilhaben. 55 Dem liegen letztlich allgemeine Billigkeitserwägungen zugrunde. Diejenigen, die durch den erkämpften Tarifvertrag begünstigt werden, sollen auch die Risiken des Arbeitskampfes tragen. Im Zivilrecht schlägt sich das Prinzip des „cuius commodum, eius periculum" etwa in den Gefahrtragungsvorschriften der §§ 351, 446 f., 644 BGB nieder. 56 Die Anwendung des Partizipationsgedankens bereitet jedoch gewisse Schwierigkeiten. Es ist nämlich problematisch, den Kreis der begünstigten Arbeitnehmer festzulegen, deren Lohnansprüche entfallen sollen. 57 Der nach einem Arbeitskampf abgeschlossene Tarifvertrag gilt nur für den umkämpften Bezirk. Daher ist es naheliegend, allein die Arbeitnehmer in diesem Tarifbezirk als Begünstigte anzusehen.58 Schon das ist nicht ganz unbedenklich, denn gem. §§3 Abs. 1, 4 Abs. 1 TVG gelten die Tarifnormen nur für Gewerkschaftsmitglieder, nicht für Außenseiter. Zwar kommen Tarifregelungen über vertragliche Einbeziehungsklauseln regelmäßig auch den Außenseitern zugute. Der Grund dafür, daß die Arbeitgeber nicht organisierte Arbeitnehmer freiwillig zu tariflichen Arbeitsbedingungen beschäftigen, liegt jedoch häufig darin, den Außenseitern keinen Anreiz zum Gewerkschaftsbeitritt zu geben. Angesichts dessen können sich die Arbeitgeber nicht ohne weiteres darauf berufen, das Streikergebnis strahle faktisch auf alle Beschäftigten aus. 59 Von einer generellen Teilhabe am Kampfergebnis kann jedenfalls dann keine Rede mehr sein, wenn es um eine Tarifforderung geht, die ausschließlich eine bestimmte Arbeitnehmergruppe betrifft, beispielsweise die Gleichstellung von Arbeitern mit Angestellten (wie im schleswig-holsteinischen Metallarbeiterstreik 1956/57) oder Tarifregelungen für Teilzeitkräfte. 60 Erst recht läßt sich außerhalb des umkämpften Tarifbezirks eine Partizipation der Arbeitnehmer am Kampfergebnis, die einen Verlust der Lohnansprüche rechtfertigt, nicht überzeugend begründen. Teilweise wird darauf abge55 Beuthien, Arbeitskampf, S. 19 ff., 65 ff.; Kalb, Betriebsrisikolehre, S. 115 ff.; Seiter, Streikrecht, S. 311; Wiedemann , RdA 1969, S. 321,333; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, § 18 V 2 a, b, S. 216 f.; vgl. auch Otto in MünchArbR, § 283 Rn. 34, 45, 59. 56 Vgl. Ehmann, Betriebsrisikolehre, S. 113. 57 Vgl. Patett, Arbeitskampffernwirkungen, S. 271; Picker, JZ 1979, S. 285, 287. 58 Wiedemann , RdA 1969, S. 321, 333. 59 Bertelsmann, Aussperrung, S. 172 f.; Weiss, AuR 1974, S. 37,42. 60 So auch Beuthien, Arbeitskampf, S. 21, der in diesem Fall hilfsweise den Gesichtspunkt der Kampfparität heranziehen will, um Lohnansprüche auszuschließen.

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stellt, daß ein erkämpftes Tarifergebnis eine Signalwirkung für künftige Tarifabschlüsse haben oder als Modellregelung in anderen Tarifgebieten übernommen werden könne; die betroffenen Arbeitnehmer seien dann Nutznießer eines Stellvertreterarbeitskampfes. 61 Man kann aber zum Zeitpunkt der Tarifauseinandersetzung kaum genau vorhersagen, ob ein Arbeitskampf mit Modellcharakter vorliegt. 62 Anders mag es sein, wenn sich die Tarifgegner vorab über einen Pilotabschluß in einem bestimmten Bezirk einigen. 63 In diesem Fall gilt jedoch, daß nicht nur drittbetroffene Arbeitnehmer, sondern auch Arbeitgeber am Kampfergebnis teilhaben. 64 Sie profitieren davon, daß die Arbeitgeber im Kampfgebiet nicht gleich die Forderungen der Gegenseite erfüllt haben, sondern bereit waren, einen Arbeitskampf zu führen, um der Gewerkschaft einen Kompromiß abzutrotzen. Die drittbetroffenen Arbeitgeber werden - ebenso wie die Arbeitnehmer - insoweit begünstigt, als sie eine Modellregelung übernehmen können, ohne selbst die Risiken eines Arbeitskampfes zu tragen. Hier partizipieren beide Seiten gleichermaßen an den Chancen und Risiken 65 des „Stellvertreterkonflikts". Daher ist es ungerechtfertigt, das Partizipationsargument ausschließlich zu Lasten der Arbeitnehmer zu berücksichtigen. Festzuhalten ist demnach, daß die Konkretisierung des Partizipationsgedankens zahlreiche Probleme aufwirft. Das spricht gegen seine Eignung als Konkurrenzregel für das Verhältnis von Arbeitskampfrecht und Schuldrecht. 66 Eine Verlagerung des Lohnrisikos auf die Arbeitnehmer unter Berufung auf die Teilhabe am Kampfergebnis läßt sich allenfalls im Bereich des umkämpften Tarifgebiets begründen.

61 Beuthien, Arbeitskampf, S. 21 ff.; Kalb, Betriebsrisikolehre, S. 132 ff.; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, § 18 V 2 b, S. 217. 62 Richardi in Staudinger, § 615 BGB Rn. 212; Seiter, Streikrecht, S. 313; Weiss, AuR 1974, S. 37, 42. 63 So ζ. B. in den Tarifverhandlungen des Jahres 1995 für die chemische Industrie, vgl. FAZ v. 12.1.1995, S. 10 „IG Chemie rechnet mit schwieriger Tarifrunde". - Andererseits zeigen die Vorkommnisse anläßlich des Tarifkonflikts in der Metallindustrie 1995 (es sprachen sich viele Stimmen im Arbeitgeberlager gegen die Übernahme der erstreikten bayerischen Pilot-Tarifergebnisse aus), daß selbst Abreden über einen Pilotabschluß nicht zwangsläufig zu einer Partizipation Dritter am Tarifvertrag führen müssen, vgl. FAZ v. 14.3.1995, S. 17 „Die Übernahme des bayerischen Metallabschlusses ist nicht sicher"; FAZ v. 15.3.1995, S. 17 „Keine Mehrheit für den Metallabschluß". 64 Starke, Lohnleistungen, S. 273 f.; Weiss, AuR 1974, S. 37, 43. 65 Linnenkohl/Rauschenberg, AuR 1990, S. 137, 144 weisen zu Recht daraufhin, daß Streiks nicht notwendigerweise tarifliche Verbesserungen für die Arbeitnehmer nach sich ziehen. 66 Ablehnend auch BAG AP Nr. 70 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 588 R f.; Bertelsmann, Aussperrung, S. 171 t l ; Fritz, Lohnrisiko, S. 75 ff.; Linnenkohl/Rauschenberg, AuR 1990, S. 137, 144; Patett, Arbeitskampffernwirkungen, S. 184, 270 ff.; Starke, Lohnleistungen, S. 270 ff.; Weiss, AuR 1974, S. 37, 42 f.

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8. Kapitel: Mittelbar arbeitskampfbetroffener Betrieb d) Paritätsprinzip

Das B A G 6 7 und die herrschende Meinung im Schrifttum 68 wollen eine Angleichung von Arbeitskampf- und Schuldrecht mit Hilfe des Paritätsprinzips vornehmen. Danach entfallen die Lohnansprüche der Arbeitnehmer in mittelbar kampfbetroffenen Betrieben, sofern die Ansprüche paritätsstörend wirken. Diese Konkurrenzregel rechtfertigt sich methodisch daraus, daß das Paritätsprinzip einen Kernbereich arbeitskampfrechtlicher Wertungen darstellt, der sich gegenüber dem Schuldrecht durchsetzt. Insoweit greifen die gleichen Erwägungen ein, die im Hinblick auf das Verhältnis von Arbeitskampfrecht und Betriebsverfassungsrecht angestellt wurden. 69 Zu berücksichtigen sind sowohl formelle als auch materielle Paritätsaspekte. Nach dem Prinzip formeller Kampfmittelparität kann sich der Arbeitgeber von der Entgeltzahlungspflicht lösen, wenn ihm ein Lohnverweigerungsrecht als zulässiges Kampfmittel zusteht. Nach dem materiellen Paritätsprinzip kommt es darauf an, inwiefern sich die Lohnansprüche der Arbeitnehmer in mittelbar kampfbetroffenen Betrieben auf das tatsächliche Kräfteverhältnis im Arbeitskampf auswirken. aa) Betriebe innerhalb des umkämpften Tarifgebiets Ist ein Betrieb vom Arbeitskampf betroffen, der innerhalb des umkämpften Tarifgebiets liegt und unter den fachlichen Geltungsbereich des Tarifvertrages fällt, so folgt aus dem Paritätsprinzip, daß die Arbeitnehmer ihre Lohnansprüche verlieren, falls die Produktion unmöglich oder wirtschaftlich sinnlos wird. Das ergibt sich zunächst aus einer formellen Paritätsbewertung. Die Arbeitgeber dürfen in diesen Betrieben aussperren und sich dadurch - unabhängig vom Vorliegen einer Produktionsstörung - ihrer Lohnzahlungspflicht entledigen. Dann muß es auch möglich sein, die Zahlung des Arbeitsentgelts in den Betrieben oder Betriebsteilen zu verweigern, in denen arbeitskampfbedingte Störungen auftreten. Die Lohnverweigerung stellt sich als ein im Vergleich

67

BAG AP Nr. 70, 71 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG DB 1997, S. 578. Vgl. etwa Dütz, DB Beilage 14/1979, S. 10 ff; Hanau in Erman, § 615 BGB Rn. 57 ff.; Konzen, SAE 1981, S. 209 ff.; Lieb, NZA 1990, S. 289, 293 ff.; Lömsch/Bittner in Löwisch (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 592 ff.; Mayer-Maly, DB 1979, S. 1305, 1309; Rüthers in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht Rn. 169 ff.; Scholz/Konzen, Aussperrung, S. 214 ff.; Seiter, Streikrecht, S. 311; ders., DB 1981, S. 578, 579 f.; ausführlich Adam, Arbeitskampfrecht, S. 416 ff; Ha, Lohnrisiko, S. 115 ff.; Starke, Lohnleistungen, S. 276 ff. 69 Vgl. o. 6. Kapitel unter C I. 68

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zur Aussperrung milderes und daher erst recht zulässiges Mittel dar. 70 Während die Arbeitgeber mit der Aussperrung zu einem Gegenangriff übergehen, der eine Ausweitung des Kampfes zur Folge hat, zielt die schlichte Lohnverweigerung auf Schadensminderung ab, ohne daß der Konflikt verschärft wird. Die Lohnverweigerung behält neben der Aussperrung eine eigenständige Bedeutung. Die betroffenen Arbeitnehmer dürfen, wenn es um die Einhaltung der Aussperrungsquoten 71 oder allgemein um die Verhältnismäßigkeit einer Aussperrung 72 geht, nicht zur Zahl der Ausgesperrten hinzugerechnet werden. 73 Das Lohnverweigerungsrecht ist insbesondere für diejenigen Arbeitgeber interessant, die ihren Betrieb trotz der Arbeitskampffernwirkungen noch teilweise - unter Verkürzung der betriebsüblichen Arbeitszeit - fortführen wollen; das Lohnverweigerungsrecht bildet insofern einen legitimen Bestandteil der Weiterproduktionstaktik. 74 Es ist nicht einzusehen, warum man Arbeitgeber, die sich mit einer Durchhaltetaktik begnügen wollen, zur Aussperrung zwingen sollte. 75 Aus diesem Grund ist die Lehre von der Aussperrungsobliegenheit 76 abzulehnen, nach der sich der Arbeitgeber im Arbeitskampf nur durch die Aussperrung von seiner Lohnzahlungspflicht befreien kann. Sie verkennt, daß es in der Arbeitskampfrechtsordnung keinen numerus clausus der Kampfmittel gibt, sondern der Einsatz milderer Maßnahmen im Rahmen einer Weiterproduktionstaktik zulässig ist. 77 Das Lohnverweigerungsrecht, das sich aus formellen Paritätserwägungen ergibt, widerspricht nicht dem materiellen Paritätsprinzip. Die Arbeitnehmer müssen innerhalb des Kampfgebietes ohnehin mit aussperrungsbedingten Lohneinbußen rechnen. Eine paritätserhebliche Minderung ihrer tatsächlichen Kampfchancen durch ein Lohnverweigerungsrecht des Arbeitgebers ist nicht zu erkennen.

70 Dütz, DB Beilage 14/1979, S. 11; Konzen, AcP 177 (1977), S. 473, 540; MayerMaly, BB 1979, S. 1305, 1310; Scholz/Konzen, Aussperrung, S. 215; Seiter, Streikrecht, S. 308 ff.; Zöllner, Aussperrung, S. 57; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, § 18 V 2 a, S. 216; vgl. auch Linnenkohl/Rauschenberg, AuR 1990, S. 137, 146: Lohnverweigerungsrecht als „kleine Aussperrung". 71 Vgl. BAG AP Nr. 64 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 925. 72 Vgl. BAG AP Nr. 84 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 368 R f. 73 BAG AP Nr. 107 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 1520; Brox in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht Rn. 455. 74 Vgl. o. 7. Kapitel unter A12 a. 75 Seiter, RdA 1979, S. 393, 399. 76 So etwa Eisemann, AuR 1981, S. 357, 365 ff.; Mayer, AuR 1980, S. 65, 67 f.; Weiss, AuR 1974, S. 37, 48; ähnlich Matthes in RGRK, § 615 BGB Rn. 241 ff., der den Lohnanspruch nur in direkt streikbetroffenen Betrieben entfallen lassen will. 77 Vgl. o. 6. Kapitel unter C m 2 b cc (2), (3).

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8. Kapitel: Mittelbar arbeitskampfbetroffener Betrieb

bb) Betriebe außerhalb des umkämpften Tarifgebiets Keine Besonderheiten bestehen, wenn es sich um einen Betrieb handelt, der zwar einem fremden Tarifbezirk angehört, jedoch seinerseits unmittelbar von einem anderen Arbeitskampf betroffen ist. Hier darf der Arbeitgeber aussperren, er ist daher auch zur Lohnverweigerung befugt. Daß die eigentliche Ursache der Produktionsstörung in einem Arbeitskampfgeschehen liegt, das sich in einem fremden Bezirk abspielt, ist insoweit ohne Belang. Wie aber ist die Rechtslage zu beurteilen, falls sich Arbeitskampffernwirkungen auf einen Betrieb erstrecken, der einem anderen Tarifgebiet angehört, das nicht Schauplatz eines Arbeitskampfes ist? Dem Arbeitgeber dieses Betriebes sind Aussperrungen untersagt. Die Aussperrung wäre eine unzulässige Sympathiearbeitskampfmaßnahme. 78 Wegen der Hilfsfunktion des Arbeitskampfes für die Tarifautonomie müssen sich Arbeitskampfgebiet und um· kämpfter Tarifbezirk decken. 79 Darf der Arbeitgeber nicht aussperren, ist auch der Erst-recht-Schluß von der Aussperrung auf das Lohnverweigerungsrecht unmöglich. Vielmehr verbietet das Prinzip formeller Kampfmittelparität den Einsatz aller Kampfmittel - auch des Lohnverweigerungsrechts - außerhalb des umkämpften Tarifgebiets. Eine Verlagerung des Lohnrisikos auf die Arbeitnehmer kommt nur nach den Grundsätzen der materiellen Kampfparität in Betracht. Voraussetzung dafür ist, daß die Belastung der Arbeitgeber mit Lohnansprüchen das Kräftegleichgewicht in der Tarifauseinandersetzung paritätsstörend zugunsten der Gewerkschaft verschiebt. Zunächst stellt sich die Frage, ob das Lohnrisiko der Arbeitgeber in Betrieben außerhalb des Kampfgebiets überhaupt einen paritätsrelevanten Faktor darstellt. Da es sich nicht um ein Risiko handelt, das die Arbeitskampfparteien trifft, ist seine Einbeziehung in die Paritätsbewertung keineswegs selbstverständlich 80 , sie bedarf einer besonderen Begründung. Die Belastungen Außenstehender können nur dann für den Arbeitskampf eine Rolle spielen, wenn die Betroffenen versuchen, auf eine der kampfführenden Parteien Druck auszu-

78 Mittlerweile hält die ganz herrschende Meinung Sympathiearbeitskämpfe fur rechtswidrig, vgl. BAG AP Nr. 85 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 547 ff.; AP Nr. 90 a. a. O., Bl. 1106 R ff., Kalb, Arbeitskampfrecht Rn. 158 ff.; Löwisch/Rieble in Löwisch (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 345 ff; Raiser, Aussperrung, S. 93 f.; Rüthers in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht Rn. 144 ff., 204; Scholz/Konzen, Aussperrung, S. 245 ff.; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, § 41 XI, S. 426; abweichend Seiter, Streikrecht, S. 502 ff. Gegen die Zulässigkeit einer kampfgebietsausweitenden Aussperrung insbesondere Heenen, Kampfparität, S. 198 ff. mit ausführlicher Argumentation. 79 BAG AP Nr. 64 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 924. 80 Kalb, Betriebsrisikolehre, S. 63 ist der Ansicht, daß schädliche Nebenwirkungen von (rechtmäßigen) Arbeitskämpfen grundsätzlich hinzunehmen sind; ebenso Richardi, JZ 1992, S. 27, 32 f. unter Hinweis auf die Institutionalisierung des Arbeitskampfes.

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üben, um die Fernwirkungen des Kampfes zu mindern. Durch eine etwaige Einflußnahme der Außenstehenden wird ihre Belastung den Kampfgegnern vermittelt. So geht die herrschende Meinung davon aus, die mittelbar betroffenen Arbeitgeber, die weiterhin zur Lohnzahlung verpflichtet seien, würden ihre Einflußmöglichkeiten auf die kampfluhrenden Arbeitgeber nutzen und sie zum Einlenken bei den Tarifverhandlungen drängen. 81 Dadurch kann im Arbeitgeberlager ein „Binnendruck" entstehen.82 Das setzt allerdings voraus, daß die Drittbetroffenen in der Lage sind, das Verhalten der kämpfenden Arbeitgeber zu beeinflussen. Anzunehmen ist dies nur, sofern koalitionspolitische oder (insbesondere beim Kampf um Firmentarifverträge) konzernrechtliche Verbindungen bestehen.83 Bloße Vertragsbeziehungen reichen nicht aus, um auf einen hinreichend großen Einfluß schließen zu lassen.84 Paritätsrelevant ist demnach das Lohnrisiko in mittelbar kampfbetroffenen Betrieben, deren Arbeitgeber dem gleichen Verband 85 oder Konzern angehören wie die kämpfenden Arbeitgeber. Die materielle Kampfjparität ist aber erst dann gestört, wenn die Lohnzahlungspflicht und der daraus resultierende Binnendruck das Kräfteverhältnis zwischen den Arbeitskampfparteien evident zugunsten der Gewerkschaften verschiebt. 86 Geboten ist eine typisierende, von den Umständen des einzelnen Tarifkonflikts losgelöste Betrachtungsweise. 87 Es kommt daher für die Feststellung der Paritätsstörung nicht auf die Größe der konkret drittbetroffenen Unternehmen an, sondern allein darauf, ob der Binnendruck generell geeignet ist, die Kampfchancen der Arbeitgeberseite in erheblicher Weise zu schmä-

81

BAG AP Nr. 70 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 590 R f.; Adam, Arbeitskampfrecht, S. 457 ff.; Ha, Lohnrisiko, S. 145 ff.; Löwisch/Bittner in Löwisch (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 619; Seiter, Staatsneutralität, S. 21 ff.; Starke, Lohnleistungen, S. 276 ff.; kritisch dazu Beuthien, Arbeitskampf, S. 35 ff.; Patett, Arbeitskampffernwirkungen, S. 356 ff.; Trittin, DB 1990, S. 322, 323. 82 Konzen, SAE 1981, S. 209, 210; Scholz/Konzen, Aussperrung, S. 218 f. 83 Dazu BAG AP Nr. 70 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 590 R; Boewer in MünchArbR, § 77 Rn. 49 f.; Ha, Lohnrisiko, S. 146 ff; Löwisch/Bittner in Löwisch (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 616 ff; Starke, Lohnleistungen, S. 297 ff. 84 Gegen eine Berücksichtigung vertraglicher Schadensersatzansprüche von drittbetroffenen Arbeitgebern BAG AP Nr. 70 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 590 R; Ha, Lohnrisiko, S. 137 f., 143 ff.; Starke, Lohnleistungen, S. 286 ff., anders Lieb, NZA 1990, S. 289, 296; Rüthers in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht Rn. 173; Seiter, DB 1981, S. 578, 581. 85 Außerhalb des vereinsrechtlichen Einflußbereichs der Fachspitzenverbände müssen aber koalitionspolitische Einflußmöglichkeiten auf die Kampfparteien ausscheiden, vgl. Seiter, Staatsneutralität, S. 142. 86 Vgl. o. 6. Kapitel unter C Π 2 b dd. 7 Vgl. o. 6. Kapitel unter C 2 b .

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8. Kapitel: Mittelbar arbeitskampfbetroffener Betrieb

lern. 88 Dabei ist zu berücksichtigen, daß das Lohnrisiko nur einen von mehreren paritätsrelevanten Faktoren ausmacht. In die Paritätsbewertung müssen jedoch alle Umstände einfließen, die für das Kräfteverhältnis der Kampfparteien von Belang sind. Dazu zählen auch die betrieblichen Anpassungsmöglichkeiten, mit denen die Arbeitgeber arbeitskampfbedingte Produktionsausfallschäden auffangen können. Hier fehlt es noch weitgehend an rechtstatsächlichen Untersuchungen. 89 Erblickt man in der Verteilung des Lohnrisikos einen Faktor, der für die materielle Parität ungeachtet der anderen Kampfümstände schlechthin entscheidend ist, so gerät man in folgendes Dilemma: Wenn die Belastung der drittbetroffenen Arbeitgeber mit Lohnansprüchen zu einem Binnendruck im Arbeitgeberlager führt, dann könnte die Verlagerung des Lohnrisikos auf die Arbeitnehmer ebensogut zu einem Binnendruck im Arbeitnehmerlager führen. 90 Diese Annahme liegt jedenfalls nahe, sofern die betroffenen Arbeitnehmer Mitglieder der kampffiihrenden Gewerkschaft sind und wegen § 116 Abs. 3 AFG (§ 146 Abs. 3 SGB III) keine Lohnersatzleistungen erhalten. 91 Das Binnendruckargument erweist sich insoweit als umkehrbar und führt zu einer Pattsituation bei der Paritätsbewertung. Seiter meint demgegenüber, erst durch einen Binnendruck im Arbeitnehmerlager werde die Kampfparität wiederhergestellt. Die drittbetroffenen Arbeitgeber hätten ohnehin die Last des Produktionsausfalls zu tragen, aufgrund dessen entstehe im Arbeitgeberlager stets ein gewisser Binnendruck. Notwendig sei daher, auch auf Arbeitnehmerseite einen Binnendruck hervorzurufen, indem man den Arbeitnehmern in 88 Auch das BAG hat nicht auf die Unternehmensgröße abgestellt, AP Nr. 70 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 590 R f.; kritisch dazu Patett, Arbeitskampffernwirkungen, S. 363. 89 Vgl. aber Fritz, Lohnrisiko, S. 221 ff., der aufgrund einer empirischen Analyse des Arbeitskampfes in der Metallindustrie 1984 zu dem Ergebnis gelangt, daß die Risiken drittbetroffener Unternehmen nicht zu einer Paritätsstörung führen. Ebenso Patett, Arbeitskampffernwirkungen, S. 5 ff., der die Arbeitskämpfe in der Metallindustrie von Baden-Württemberg 1963, 1971 und 1978 sowie in der Stahlindustrie von Nordrhein-Westfalen, Osnabrück und Bremen 1978/79 untersucht. 90 Colneric in Däubler (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 631; Eisemann, AuR 1981, S. 357, 363; Linnenkohl/Rauschenberg, AuR 1990, S. 137, 145; Patett, Arbeitskampffernwirkungen, S. 360 ff.; Trittin, DB 1990, S. 322, 323. 91 Das BAG hat hierzu lediglich ausgeführt, die mittelbar betroffenen Arbeitnehmer hätten Jedenfalls dann kaum Einfluß auf den Ablauf des Arbeitskampfes, wenn sie außerhalb des Tarifgebiets tätig sind und/oder sogar nicht einmal einer Gewerkschaft angehören", AP Nr. 70 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 588 R. Mittelbar betroffene Arbeitnehmer sollen also den Arbeitskampf nicht beeinflussen können, mittelbar betroffene Arbeitgeber dagegen schon. Auf diesen Widerspruch machen Dütz, Anm. zu BAG EzA § 615 BGB Betriebsrisiko Nr. 8, S. 70 und Patett, Arbeitskampffernwirkungen, S. 361 aufmerksam. Patett vermutet, das BAG sei zum Zeitpunkt dieser Entscheidung davon ausgegangen, die betroffenen Arbeitnehmer außerhalb des umkämpften Tarifgebiets erhielten Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit.

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mittelbar betroffenen Betrieben das Lohnrisiko zuweise.92 Mich überzeugt diese Argumentation nicht. 93 Sie setzt voraus, daß der Binnendruck im Arbeitgeberlager aufgrund des Produktionsausfalls stets genauso stark ist wie der Binnendruck im Arbeitnehmerlager aufgrund des Lohnausfalls. Davon kann man aber auch bei typisierender Betrachtung nicht ausgehen. Denn anders als der Druck, der durch den Wegfall der Lohnansprüche entsteht, unterliegt der mit dem Produktionsausfall verbundene Druck Schwankungen. Er wird um so schwächer, je größere Absatzprobleme ein Unternehmer hat. Die arbeitskampfbedingte Produktionseinstellung kann ihm, wenn er von der Lohnzahlungspflicht befreit wird, unter Umständen sogar sehr gelegen kommen. Soll materielle Kampfparität nicht nur Wille und Vorstellung sein, darf man dies nicht außer acht lassen. Zudem eröffnet ein Lohnverweigerungsrecht außerhalb des umkämpften Tarifgebietes erhebliche Mißbrauchsmöglichkeiten fur den drittbetroffenen Arbeitgeber. 94 Er könnte, insbesondere bei schlechter Auftragslage, eine Produktionsstörung bewußt herbeifuhren, ζ. B. durch unzureichende Lagerhaltung oder Nichtausweichen auf andere Zulieferer. Beruft er sich anschließend darauf, „wegen des Arbeitskampfes" keinen Lohn zahlen zu müssen, schlägt er zwei Fliegen mit einer Klappe, indem er das allgemeine Betriebs- und Wirtschaftsrisiko auf die Arbeitnehmer abwälzt und gleichzeitig Druck auf die kampffiihrende Gewerkschaft ausübt.95 Zwar setzt ein Lohnverweigerungsrecht des Arbeitgebers voraus, daß die Betriebsstörung auf den Arbeitskampf und nicht auf eine unternehmerische Fehldisposition zurückzuführen ist. 96 Es findet aber nur eine eingeschränkte gerichtliche Kontrolle statt: Lediglich bei einem offenkundigen Ermessensmißbrauch des Arbeitgebers bleiben die Lohnansprüche bestehen.97 Das entspricht dem allgemeinen Grundsatz, daß

92

Seiter, Staatsneutralität, S. 16 ff.; ähnlich Lieb, NZA 1990, S. 289, 295. Kritisch auch Heenen, Kampfparität, S. 101. 94 Dazu Unterhinninghofen/Schwitzer, AiB 1990, S. 5 f.; Unterhinninghofen, AiB 1987, S. 27 ff. 95 Fritz, Lohnrisiko, S. 215 ff. stellt aufgrund seiner rechtstatsächlichen Untersuchungen fest, den Arbeitgebern verbleibe ein taktisch verwertbarer Handlungsspielraum, der in der Praxis konsequent genutzt werde. Vgl. auch die von Trittin, DB 1990, S. 322 mitgeteilten Zahlen und Fakten. 96 BAG AP Nr. 70 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 591; Ha, Lohnrisiko, S. 126 ff., Löwisch/Bittner in Löwisch (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 624 ff.; Seiter, DB 1981, S. 578, 582; Starke, Lohnleistungen, S. 341 ff. 97 LAG Hamburg, NZA 1984, S. 404; LAG Berlin, DB 1986, S. 808; Ehmann, Betriebsrisikolehre, S. 140; Löwisch/Bittner in Löwisch (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 635; Seiter, DB 1981, S. 578, 583; ders., Staatsneutralität, S. 143, 275 ff.; Wiese in GK-BetrVG, § 87 BetrVG Rn. 357; a. A. Colneric in Däubler (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 637 ff. Das BAG hat diese Frage offengelassen, AP Nr. 70 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 591. 93

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8. Kapitel: Mittelbar arbeitskampfbetroffener Betrieb

Unternehmerentscheidungen nur daraufhin überprüfbar sind, ob sie offenbar unvernünftig erscheinen; eine weitergehende Kontrolle würde die Gerichte überfordern. 98 Allerdings ist diese Evidenzkontrolle ein stumpfes Schwert, das etwaigen Mißbrauchsabsichten kaum einen Riegel vorzuschieben vermag. Ein kampftaktischer Einsatz der Lohnverweigerung 99 kann innerhalb des Kampfgebiets hingenommen werden, da die Gewerkschaften die Möglichkeit haben, mit einer Ausweitung des Streiks zu reagieren; außerhalb dieses Bereichs fuhrt er zu einer Benachteiligung der Arbeitnehmerseite. Nach alledem bestehen gewichtige Bedenken dagegen, daß die materielle Parität durch Lohnansprüche in mittelbar kampfbetroffenen Betrieben außerhalb des umkämpften Tarifgebiets gestört ist. Ein Lohnverweigerungsrecht kommt daher nur innerhalb des Kampfgebiets in Betracht. 100 cc) Zur rechtlichen Einordnung des Lohnverweigerungsrechts

als Kampfmittel

Die herrschende Meinung will einerseits Lohnansprüche auch jenseits des umkämpften Tarifbezirks entfallen lassen 101 , andererseits soll aber das Tarifgebiet als Grenze des Kampfgebiets anzusehen sein. 102 Damit entsteht ein Wertungswiderspruch 103 , der sich nur durch begriffliche Anstrengungen auflösen läßt. So wird im Schrifttum vorgeschlagen, die Lohnverweigerung nicht als Kampfmittel, sondern als bloßes „Abwehrmittel" 1 0 4 oder als „kampfrecht-

98 Zur freien unternehmerischen Entscheidung bei betriebsbedingten Kündigungen BAG AP Nr. 6, 42 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung; Etzel in GKKSchG, § 1 KSchG Rn. 491 ff.; Schaub, Handbuch, § 131 I 2, S. 1190; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, § 23 V 3, S. 264; vgl. zur gleichfalls eingeschränkten Überprüfung unternehmerischer Entscheidungen im Rahmen der Billigkeitskontrolle des Direktionsrechts Wank, Lean Management, S. 31 f. 99 Auch das BAG schließt nicht aus, daß der Arbeitgeber die Lohnverweigerung kampftaktisch einsetzt, AP Nr. 107 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 1520. 100 Im Ergebnis ebenso Dütz, DB Beilage 14/1979, S. 10 ff.; ders., Anm. zu BAG EzA § 615 BGB Betriebsrisiko Nr. 8, S. 69 ff.; Kittner, Festschrift A. Gnade, S. 415, 417 f.; Gagel, BB 1984, S. 2006, 2009 f.; Schwerdtner, Arbeitsrecht I, S. 100. 101 BAG AP Nr. 70 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 589 ff.; aus dem Schrifttum etwa Ha, Lohnrisiko, S. 132 ff., 148 ff.; Kalb, Betriebsrisikolehre, S. 132 ff.; Lieb, NZA 1990, S. 289, 297; Rüthers in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht Rn. 173; Scholz/Konzen, Aussperrung, S. 215 ff; Seiter, DB 1981, S. 578, 580 f.; Starke, Lohnleistungen, S. 315 ff. 102 BAG AP Nr. 64 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 924; Kalb, Arbeitskampfrecht Rn. 130; Rüthers in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht Rn. 204; Scholz/Konzen, S. 198 f., 250. 103 Dütz, Anm. zu BAG EzA §615 BGB Betriebsrisiko Nr. 8, S. 71; Mayer, BIStSozArbR 1981, S. 353, 354, Patett, Arbeitskampffernwirkungen, S. 370 ff. 104 Ha, Lohnrisiko, S. 180 f.

Α. Arbeitszeitverkürzungen

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lieh strukturiertes Gestaltungsrecht" 105 einzuordnen und es lediglich „in die Nähe der eigentlichen Kampfrechte" zu rücken. 106 Das BAG ist der Ansicht, der die Lohnzahlung verweigernde Arbeitgeber berufe sich auf eine „rechtsvernichtende Einwendung". 107 Diese dem Individualrecht entlehnte Begrifflichkeit paßt nicht zur kollektivrechtlichen Ableitung eines „Lohnverweigerungsrechts" 108 aus dem Paritätsprinzip. Sie ist auch der Sache nach nicht überzeugend. Den Unterschied zwischen der Lohnverweigerung und dem Kampfmittel der Aussperrung erblickt das BAG darin, daß der Arbeitgeber, der im Falle einer arbeitskampfbedingten Betriebsstörung die Lohnzahlung verweigere, keinen kampftaktischen Entscheidungsspielraum besitze. 109 Dem steht entgegen, daß der Arbeitgeber nicht verpflichtet ist, den Lohn zu verweigern. Insofern besteht durchaus ein Entscheidungsspielraum für ihn, der lediglich einer gerichtlichen Evidenzkontrolle unterliegt. 110 Die Lohnverweigerung fuhrt jedenfalls wirtschaftlich zum gleichen Ergebnis wie eine Aussperrung 1 1 1 und damit auch zu einer arbeitskampfrelevanten Druckausübung. Dann aber ist es naheliegend, das Lohnverweigerungsrecht als Kampfmittel anzusehen.112 Als solches ist es freilich nur in den gleichen Grenzen zulässig wie die Aussperrung, nämlich im umkämpften Tarifgebiet. Damit wird die

105 Richardi, Anm. zu BAG AP Nr. 70, 71 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 600 R; ders., Festschrift R. Strasser, S. 451, 459. 106 Lieb, NZA 1990, S. 289, 294; Seiter, DB 1981, S. 578, 579. 107 BAG AP Nr. 107 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 1520; ähnlich Lieb in Lieb/v. Stebut/Zöllner, Arbeitskampfrecht, S. 163, 173: „rechtshemmende Einrede"; vgl. auch Kalb, Festschrift E. Stahlhacke, S. 213, 222; Fischer/Rüthers, Anm. zu BAG EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 115, S. 31 ff., die die Lohnverweigerung dem Leistungsstörungsrecht zuordnen wollen. 108 Diesen Begriff benutzt auch das BAG, AP Nr. 70 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 589 R. 109 BAG AP Nr. 70 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 589 R; so auch Kalb, Betriebsrisikolehre, S. 80 f.; Lieb, Festschrift 25 Jahre BAG, S. 327, 335; Starke, Lohnleistungen, S. 322. Vgl. aber auch BAG AP Nr. 107 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 1520: „Zutreffend ist, daß die arbeitskampfbedingte Lohnverweigerung kampftaktisch eingesetzt werden kann, dann nämlich, wenn die Arbeit der betreffenden Arbeitnehmer trotz arbeitskampfbedingter Betriebsstörungen nicht technisch unmöglich oder wirtschaftlich sinnlos geworden ist." 110 Vgl. o.unter A14 dbb. 111 Dütz, Anm. zu BAG EzA § 615 BGB Betriebsrisiko Nr. 8, S. 72 f. 112 So auch Brox in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht Rn. 455; Dütz, DB Beilage 14/1979, S. 11; Ehmann/Schnauder, Anm zu BAG EzA § 615 BGB Betriebsrisiko Nr. 8, S. 96 f.; Konzen, AcP 177 (1977), S. 473, 538 f.; Linnenkohl/Rauschenberg, AuR 1990, S. 137, 145 f.; Matthes in RGRK, § 615 BGB Rn. 239; Richardi, NJW 1978, S. 2057, 2062; Scholz/Konzen, Aussperrung, S. 215, 219, 222 f.; Schwerdtner, Arbeitsrecht I, S. 97; Seiter, Streikrecht, S. 312; Trittin, DB 1990, S. 322, 324; allgemein zur arbeitskampfbedingten Vertragslösungsbefugnis Kreissl, JZ 1995, S. 695, 703.

272

8. Kapitel: Mittelbar arbeitskampfbetroffener Betrieb

Möglichkeit geschaffen, den Arbeitskampf funktional einem einheitlichen Ordnungssystem zu unterstellen. 113

II. Die Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG Wenn ein Betrieb von Arbeitskampffernwirkungen betroffen ist, wird der Arbeitgeber im Regelfall nicht nur die Arbeitszeit anders verteilen wollen (hinsichtlich der Lage der Arbeitszeit hat der Betriebsrat gem. § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG mitzubestimmen); er ist vielmehr daran interessiert, die Arbeitszeit zu verkürzen, weil er die Arbeitsleistung nicht mehr verwerten kann. Damit ist der Mitbestimmungstatbestand des § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG als Spezialregelung gegenüber § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG 1 1 4 einschlägig. 115 Das Problem, inwieweit der Betriebsrat bei einer Arbeitszeitverkürzung im mittelbar arbeitskampfbetroffenen Betrieb mitzubestimmen hat, stellt sich auf zwei Ebenen. Auf der Ebene des Betriebsverfassungsrechts geht es zunächst um die Frage, ob § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG überhaupt tatbestandlich eingreift. Bejaht man das, so ist weiter zu überlegen, ob das Mitbestimmungsrecht im Hinblick auf die Rechtsgebietskonkurrenz zwischen Arbeitskampf- und Betriebsverfassungsrecht einzuschränken ist. 1. Tatbestandsvoraussetzungen

des § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG

Überwiegend wird dem Betriebsrat das Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG bei Arbeitskampffernwirkungen, die den Arbeitgeber zur Lohnverweigerung berechtigen, schon deshalb versagt, weil es in diesem Fall an den tatbestandlichen Voraussetzungen der Vorschrift fehle. Die hierfür vorgebrachten Gründe sind stark ineinander verschränkt und beruhen letztlich auf dem Gedanken, daß kein Spielraum für die betriebliche Mitbestimmung bestehe, soweit der Arbeitgeber das Lohnrisiko nicht tragen müsse. Dieser rein betriebsverfassungsrechtliche Ansatz ist jedoch angreifbar. a) Keine gesetzliche Regelung i. S. des Einleitungssatzes Der Betriebsrat hat nach dem Einleitungssatz des § 87 Abs. 1 BetrVG nur mitzubestimmen, soweit eine gesetzliche Regelung nicht besteht. Es mag zu113 114 115

602 f.

Dütz, Anm. zu BAG EzA § 615 BGB Betriebsrisiko Nr. 8, S. 69. Fitting/Kaiser/Heither/Engels, § 87 BetrVG Rn. 108. Dazu Richardi, Anm. zu BAG AP Nr. 70, 71 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl.

Α. Arbeitszeitverkürzungen

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nächst verwundern, hier überhaupt ein Problem aufzuwerfen. Die Ausfuhrungen zur Frage des Lohnrisikos bei Arbeitskampffernwirkungen haben gezeigt, daß gerade keine gesetzliche Regelung des Arbeitskampfrisikos vorliegt; vielmehr ist eine rechtsfortbildende Reduktion des § 615 BGB notwendig. Jedoch könnten die vom BAG entwickelten Grundsätze über die Verteilung des Lohnrisikos in drittbetroffenen Betrieben eine gesetzliche Regelung gem. § 87 Abs. 1 BetrVG darstellen. 116 Gegen einen Ausschluß der Mitbestimmung mit dieser Begründung sprechen aber durchgreifende Argumente. Es läßt sich indes nicht schon einwenden, mit „Gesetz" sei eine abstraktgenerelle Regelung gemeint, der Richterspruch sei jedoch als streitentscheidender Rechtsakt individual und konkret. 117 Denn angesichts der gesetzgeberischen Untätigkeit im Bereich des Arbeitskampfrechts wirken die arbeitskampfrechtlichen Grundsätze, die das BAG aufstellt, wie Gesetze; ihnen kommt der Rang von Bundesrecht zu. 1 1 8 Ernst zu nehmen ist hingegen das Argument, nur zwingendes Recht stelle eine gesetzliche Regelung i. S. des § 87 Abs. 1 BetrVG dar; die richterrechtlichen Grundsätze des Arbeitskampfrisikos seien aber dispositiv und könnten daher die Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 BetrVG nicht ausschließen.119 Die Prämisse, wonach die betriebliche Mitbestimmung nur in solchen Angelegenheiten ausgeschlossen ist, die den Betriebsparteien zwingend vorgegeben sind, entspricht der ganz überwiegenden Auffassung, da nachgiebige Vorschriften durch abweichende einzelvertragliche Abreden ausgeschaltet werden können und insofern ein Schutzbedürfnis der Belegschaft besteht. 120 Wer die Arbeitskampfrisikogrundsätze des BAG gleichwohl als mitbestimmungsausschließende gesetzliche Regelungen ansehen will, muß sich auf den Standpunkt stellen,

116 So Dietz/Richardi, § 87 BetrVG Rn. 111, 265; Eich, DB Beilage 9/1979, S. 7, 11; Hanau, BB 1972, S. 499, 500; Lieb, Festschrift 25 Jahre BAG, S. 327, 346; Richardi, Anm. zu BAG AP Nr. 70, 71 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 602 R f.; ähnlich BAG AP Nr. 70 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 592; AP Nr. 107 a. a. O., Bl. 1520. - A. A. Bieback/Mayer, AuR 1982, S. 169, 171 f.; Dütz, DB Beilage 14/1979, S. 13; Fitting/Kaiser/Heither/Engels, §87 BetrVG Rn. 25, 135; Klebe in Däubler/ Kittner/Klebe/Schneider (Hrsg.), § 87 BetrVG Rn. 26; Schaub, Handbuch, § 235 V 1, S. 1938. 117 Scholz/Konzen, Aussperrung, S. 220. 118 So im Ergebnis auch Jahn, Beteiligung, S. 146; Patett, Arbeitskampffernwirkungen, S. 417 f.; Rüthers, Anm. zu BAG EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 36, 37, S. 424g f.; Rüthers/Bakker, Anm. zu BAG EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 74, S. 36; zum gesetzesvertretenden Richterrecht im Arbeitskampf vgl. o. 5. Kapitel unter Β I. 119 Ehmann, Betriebsrisikolehre, S. 72 f.; Jahnke, ZfA 1984, S. 69, 79 ff.; Borrmann, DB 1978, S. 1978, 1979. 120 Vgl. Glaubitz in Hess/Schlochauer/Glaubitz, § 87 BetrVG Rn. 48; Klebe in Däubler/Kittner/Klebe/Schneider (Hrsg.), § 87 BetrVG Rn. 25; Wiese in GK-BetrVG, § 87 BetrVG Rn. 53, alle m. w. N. 18 Jansen

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8. Kapitel: Mittelbar arbeitskampfbetroffener Betrieb

sie seien unabdingbar oder allenfalls tarifdispositiv. 121 Dagegen spricht jedoch, daß die Vorschriften über das Lohnrisiko im Arbeitsfrieden nach allgemeiner Ansicht abdingbar sind. 1 2 2 Wenn der Arbeitgeber „die Last des Betriebs- und Wirtschaftsrisikos mit den Mitteln des Betriebsverfassungsrechts abmildern" kann 1 2 3 , dann muß konsequenterweise auch der Betriebsrat die Möglichkeit haben, die „Last des Lohnrisikos" im Arbeitskampf abzumildern. Aus § 87 Abs. 1 BetrVG läßt sich nämlich nicht entnehmen, daß die Mitbestimmung davon abhängig ist, wer das Lohnrisiko trägt. 124 Geht man mit dem BAG davon aus, dem Arbeitgeber stehe ein Lohnverweigerungsrecht zu, so ist nicht einzusehen, warum er auf dieses Recht nicht verzichten können sollte. 125 Dann aber besteht grundsätzlich auch Raum für eine dementsprechende Vereinbarung mit dem Betriebsrat. Demnach liegt keine gesetzliche Regelung i. S. des § 87 Abs. 1 BetrVG vor, die der Mitbestimmung des Betriebsrats entgegensteht.126 b) Regelungsspielraum In der Literatur wird mitunter die Ansicht vertreten, bei Arbeitskampffernwirkungen fehle es an einem Regelungsspielraum für die Betriebsparteien. Der Arbeitgeber werde nach den Grundsätzen über die Verteilung des Lohnrisikos im Arbeitskampf von seiner Beschäftigungs- und Lohnzahlungspflicht befreit. Es sei eine reine Subsumtionsentscheidung, ob die Voraussetzungen einer Lohnrisikoverlagerung erfüllt seien, diese Rechtsfrage unterliege nicht der betrieblichen Mitbestimmung. 127 Dem liegt ein Gedanke zugrunde, der recht plausibel klingt: Wo der Arbeitgeber nichts zu bestimmen hat, gibt es für den Betriebsrat nichts mitzubestimmen. 128 121

So Eich, DB Beilage 9/1979, S. 7; Lieb, Festschrift 25 Jahre BAG, S. 327, 347; Seiter, RdA 1979, S. 393, 396. 122 Zur Abdingbarkeit der Betriebsrisikolehre vgl. Jahnke, ZfA 1984, S. 69, 80 m. w. N.; zur Abdingbarkeit des § 615 BGB etwa Boewer in MünchArbR, § 77 Rn. 74; Hanau in Erman, § 615 BGB Rn. 4; Schaub in MünchKomm, § 615 BGB Rn. 44. 123 BAG AP Nr. 70 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 587. 124 Jahn, Beteiligung, S. 154. 125 Boewer in MünchArbR, § 77 Rn. 79; Häßler, Beteiligungsrechte, S. 90; Jahn, Beteiligung, S. 153; Patett, Arbeitskampffernwirkungen, S. 424. 126 Im Ergebnis ebenso Ehmann, Betriebsrisikolehre, S. 73; Häßler, Beteiligungsrechte, S. 87 ff.; Jahn, Beteiligung, S. 146 ff.; Jahnke, ZfA 1984, S. 69, 82; Otto in MünchArbR, § 293 Rn. 6. 127 Vgl. Brox in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht Rn. 455; Ehmann, Betriebsrisikolehre, S. 65 f., 70; Ehmann/Schnauder, Anm. zu BAG EzA § 615 BGB Betriebsrisiko Nr. 8, S. 109 ff.; Kraft, Festschrift G. Müller, S. 265, 281; Lieb, NZA 1990, S. 377, 380; Seiter, DB 1981, S. 578, 583. 128 Jahnke, ZfA 1984, S. 69, 82 f.

Α. Arbeitszeitverkürzungen

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Dennoch vermag dieser Ansatz nicht zu überzeugen. Zweifelhaft ist schon die Unterscheidung zwischen mitbestimmungsfreien Rechtsfragen und mitbestimmungspflichtigen Regelungsfragen. Immerhin weist das Betriebsverfassungsgesetz der Einigungsstelle auch Rechtsfragen zu, vgl. etwa §§ 37 Abs. 6, 38 Abs. 2, 109 BetrVG; sie muß zudem regelmäßig über rechtliche Vorfragen entscheiden. 129 Selbst wenn man Rechtsfragen generell der Mitbestimmung des Betriebsrats entziehen wollte, so ist zu bedenken, daß als Rechtsfrage zunächst nur die Verteilung des Lohnrisikos in Betracht kommt. Jedenfalls bei der Umsetzung der arbeitskampfrechtlichen Risikoverteilung in die betriebliche Praxis geht es nicht ausschließlich um Rechts-, sondern auch um Regelungsfragen. Es ist zu entscheiden, wann und wie lange die Arbeitszeit verkürzt werden soll und welche Arbeitnehmer davon betroffen sind. Das BAG führt zutreffend aus, daß bei einem Streit um die Voraussetzungen des Lohnverweigerungsrechts die Gerichte zur Entscheidung berufen seien, weil es sich um Rechtsfragen handele. Aus solchen Entscheidungen ergebe sich jedoch noch keine Arbeitszeitregelung i. S. des § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG. Innerhalb der vorgegebenen Risikogrundsätze verbleibe in der betrieblichen Praxis ein Ermessensspielraum. 130 Nun könnte man allerdings überlegen, ob dieser Ermessensspielraum nicht im Einzelfall auf Null schrumpfen kann. Das ist in den Fällen, in denen sich arbeitskampfbedingt das Wirtschaftsrisiko verwirklicht, weil ein Abnehmer des Betriebes bestreikt wird, jedoch auszuschließen. Hier bestehen stets Handlungsspielräume für den Arbeitgeber. Die Produktion mag zwar wirtschaftlich sinnlos geworden sein, indes tritt der Arbeitsausfall keineswegs mit einer naturgesetzlichen Notwendigkeit ein. 1 3 1 Anders kann es sein, wenn ein Zulieferer bestreikt wird und sich das Betriebsrisiko verwirklicht. Denkbar ist, daß sich - ζ. B. bei einer arbeitskampfbedingten Störung der Stromversorgung („blackout") oder bei schnell verderblichen Rohstoffen und Produkten - die Betriebsstörung ganz unvermittelt und stark auswirkt, so daß sie einer Arbeitszeitregelung durch die Betriebsparteien nicht mehr zugänglich erscheint. 132 Häufig wird aber im Vorfeld einer absehbaren Betriebsstörung eine 129 Bieback/Mayer, AuR 1982, S. 169, 176; Häßler, Beteiligungsrechte, S. 92; Söllner, Festschrift 25 Jahre BAG, S. 605, 606. Einige sprechen deshalb von „rechtskontrollierender Mitbeurteilung", vgl. Bobke, BIStSozArbR 1980, S. 129, 132; Dütz, DB Beilage 14/1979, S. 12; ders., Anm. zu BAG EzA § 615 BGB Betriebsrisiko Nr. 8, S. 75. 130 BAG AP Nr. 70 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 592 f. 131 Fitting/Kaiser/Heither/Engels, §87 BetrVG Rn. 137; Glaubitz in Hess/ Schlochauer/Glaubitz, § 87 BetrVG Rn. 235; Jahn, Beteiligung, S. 153; Jahnke, ZfA 1984, S. 69, 84; Lieb, NZA 1990, S. 377, 380 f. 132 BAG AP Nr. 70 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 591 R; Jahnke, ZfA 1984, S. 83 f.; Lieb, NZA 1990, S. 377, 379 f.; Richardi, Anm. zu BAG AP Nr. 70, 71 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 603 f.

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8. Kapitel: Mittelbar arbeitskampfbetroffener Betrieb

Regelungsmöglichkeit bestehen. In Betracht kommt insbesondere eine „Streckung" der noch vorhandenen Arbeit. 1 3 3 Im Arbeitsfrieden wird jedenfalls auch dann, wenn der Betrieb plötzlich und unerwartet ganz zum Erliegen kommt, eine Arbeitszeitregelung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat für möglich gehalten. 134 Warum das während des Arbeitskampfes anders sein soll, ist nicht einzusehen. 135 Im übrigen wäre es auch unbefriedigend, die Frage der betrieblichen Mitbestimmung danach zu entscheiden, ob sich das Betriebsrisiko (kein Regelungsspielraum) oder das Wirtschaftsrisiko (Regelungsspielraum) realisiert. Denn dies hängt vom Zufall oder von der Kampftaktik der Gewerkschaft ab; dem Arbeitgeber kann in beiden Fällen ein arbeitskampfrechtliches Lohnverweigerungsrecht zustehen. 136 c) Verkürzung der betriebsüblichen Arbeitszeit Der Tatbestand des § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG erfaßt allgemein jede Verringerung der üblichen Arbeitszeit. 137 Einige sind jedoch der Auffassung, die Arbeitszeit ändere sich gar nicht, wenn ein Betrieb nicht mehr weiterproduzieren könne, weil aufgrund eines Arbeitskampfes die notwendigen Vormaterialien ausblieben. In den Betriebsrisikofallen werde lediglich die Arbeitsleistung in der weiterhin verbindlichen Arbeitszeit unmöglich. 138 Hier begegnet uns der Gedanke des fehlenden Regelungsspielraums in anderem Gewände: Das Arbeitsvolumen soll sich gleichsam von selbst verringern, ohne daß es einer Arbeitszeitregelung durch den Arbeitgeber oder die Betriebsparteien bedürfte. Dagegen spricht schon, daß bei Betriebsrisikofallen im Arbeitsfrieden der Tatbestand des § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG generell bejaht wird. 1 3 9 Wer die Ansicht vertritt, im Arbeitskampf liege keine Arbeitszeitregelung i. S. einer Verkürzung vor, muß zudem die absurde Konsequenz hinnehmen, daß die Arbeitnehmer - obwohl sie ihren Lohnanspruch verlieren, wenn der Betrieb innerhalb des Kampfgebiets liegt - weiter verpflichtet bleiben, während der übli-

133 BAG AP Nr. 70 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 591 R; Häßler, Beteiligungsrechte, S. 110 ff. 134 Borrmann, DB 1978, S. 1978, 1980; Colneric in Däubler (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 723; Patett, Arbeitskampffernwirkungen, S. 431. 135 So auch Jahn, Beteiligung, S. 154. 136 Vgl. o. unter A 14 b. 137 Vgl. nur BAG AP Nr. 70 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 591 R f.; Wiese in GKBetrVG, § 87 BetrVG Rn. 267 ff. m. w. N. 138 Kalb, BB 1979, S. 1829, 1830; ders., Arbeitskampfrecht Rn. 318; Lieb, NZA 1990, S. 377, 378 f.; Mayer-Maly, BB 1979, S. 1305, 1310. 139 Dazu BAG AP Nr. 70 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 587 f., 591 f.; Ha, Lohnrisiko, S. 91 ff.

Α. Arbeitszeitverkürzungen

277

chen Arbeitszeit ihre Arbeitsleistung anzubieten. 140 Das kann nicht sein. Wenn aber die Leistungspflicht der Arbeitnehmer entfällt, so verkürzt sich auch ihre rechtsverbindliche Arbeitszeit. 141 Teilweise wird eingewandt, § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG setze eine rechtsgeschäftliche Verkürzung der Arbeitszeit voraus und greife daher nicht ein, falls die Arbeitszeitverkürzung auf den Grundsätzen über die Verteilung des Lohnrisikos im Arbeitskampf beruhe. 142 Die Beschränkung des § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG auf rechtsgeschäftliche Arbeitszeitverkürzungen steht indes nicht im Einklang mit dem Zweck der Vorschrift. Sie soll die Arbeitnehmer vor einer willkürlichen, einseitig am Interesse des Arbeitgebers orientierten Arbeitszeitgestaltung schützen. 143 Das Schutzbedürfnis der Arbeitnehmer besteht aber unabhängig davon, auf welche Rechtsgrundlage der Arbeitgeber die Arbeitszeitverkürzung stützt. Dem läßt sich nicht entgegenhalten, die betroffenen Arbeitnehmer könnten ja Lohnzahlungsklage erheben und so gerichtlich klären lassen, ob der Arbeitgeber zur Verkürzung der Arbeitszeit befugt war. 1 4 4 Denn das Mitbestimmungsrecht bezweckt nicht, fehlenden Rechtsschutz des einzelnen Arbeitnehmers gegenüber Arbeitgeberentscheidungen auszugleichen, sondern dem Betriebsrat an diesen Entscheidungen eine gleichberechtigte Mitsprache zu eröffnen. 145 Würde die Klagemöglichkeit eine Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG ausschließen, so liefe die Vorschrift leer, da die Arbeitnehmer sowohl im Arbeitskampf als auch im Arbeitsfrieden ihre Lohnansprüche einklagen können. Wenn man sich demgegenüber auf den Standpunkt stellt, § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG erfasse nur rechtsgeschäftliche Arbeitszeitverkürzungen, kommt es auf die Rechtsnatur des Lohnverweigerungsrechts an. Ordnet man es als Kampfmittel ein 1 4 6 , so kann man es auf eine Stufe mit dem einseitigen Gestaltungsrecht der Änderungskündigung stellen. 147 Arbeitszeitverkürzungen,

140

Häßler, Beteiligungsrechte, S. 86; Jahn, Beteiligung, S. 150; Patett, Arbeitskampffernwirkungen, S. 410. 141 Jahnke, ZfA 1984, S. 69, 77. 142 LAG Düsseldorf, DB 1980, S. 933; Ehmann, Betriebsrisikolehre, S. 58 ff.; Glaubitz in Hess/Schlochauer/Glaubitz, § 87 BetrVG Rn. 234; Kraft, Festschrift G. Müller, S. 265, 280; Scholz/Konzen, Aussperrung, S. 220 f.; Seiter, RdA 1979, S. 393, 394 f. - A. A. BAG AP Nr. 70 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 592; Dietz/Richardi, § 87 BetrVG Rn. 243; Wiese in GK-BetrVG, § 87 BetrVG Rn. 338. 143 Jahnke, ZfA 1984, S. 69, 102. 144 So aber Kalb, BB 1979, S. 1829, 1830 f.; ders., Arbeitskampfrecht Rn. 319; Seiter, RdA 1979, S. 393, 395. 145 Patett, Arbeitskampffernwirkungen, S. 427 f. 146 Vgl. o.unter A14 dcc. 147 Vgl. Jahnke, ZfA 1984, S. 69, 78 f.

278

. Kapitel:

ittelbar arbeitskampfbetroffener Betrieb

die der Arbeitgeber im Wege einer Änderungskündigung herbeifuhrt, unterliegen jedoch auch der betrieblichen Mitbestimmung. 148 Demnach ist festzuhalten, daß die tatbestandlichen Voraussetzungen des Mitbestimmungsrechts aus § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG bei Arbeitseinschränkungen in mittelbar kampfbetroffenen Betrieben vorliegen. 149 2. Arbeitskampfrechtliche

Beschränkungen des Mitbestimmungsrechts

Rein betriebsverfassungsrechtlich betrachtet, ist der Arbeitgeber stets an die Mitbestimmung des Betriebsrats gem. § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG gebunden, wenn er auf Arbeitskampffernwirkungen mit Produktionseinschränkungen reagieren will. Es stellt sich aber die Frage, inwieweit das Mitbestimmungsrecht im Hinblick auf die gebotene Harmonisierung arbeitskampfrechtlicher und betriebsverfassungsrechtlicher Wertungen einzuschränken ist. Nach dem Grundsatz formeller Kampfmittelparität sind Kampfmaßnahmen des Arbeitgebers von der betrieblichen Mitbestimmung befreit. Weil die Befugnis des Arbeitgebers, innerhalb des umkämpften Tarifgebiets Arbeitszeit und Lohn zu kürzen, als Arbeitskampfmittel zu qualifizieren ist, muß die Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG ausscheiden.150 Das mildere Mittel der Lohnverweigerung ist ebensowenig beteiligungspflichtig wie die Aussperrung, die dem Arbeitgeber im Kampfgebiet gleichfalls zu Gebote steht. 151 Dieses Ergebnis verstößt nicht gegen das materielle Paritätsprinzip. Wenn das Kräftegleichgewicht durch das Lohnverweigerungsrecht innerhalb des umkämpften Tarifgebiets an sich nicht gestört wird 1 5 2 , ist die Suspendierung der betrieblichen Mitbestimmung bei Arbeitszeitverkürzungen in mittelbar kampfbetrofifenen Betrieben genauso unbedenklich wie in direkt arbeitskampfbetroffenen Betrieben. 153 Viele befürworten demgegenüber eine differenzierte Lösung. Die Mitbestimmung soll nur hinsichtlich des „Ob", nicht jedoch hinsichtlich des „Wie" 148

Dietz/Richardi, § 87 BetrVG Rn. 243; Galperin/Löwisch, § 87 BetrvG Rn. 106. Ebenso Häßler, Beteiligungsrechte, S. 84 ff.; Wiese in GK-BetrVG, § 87 BetrVG Rn. 338. 150 Vgl. Ehmann/Schnauder, Anm. zu BAG EzA § 615 BGB Betriebsrisiko Nr. 8, S. 96 f.; Scholz/Konzen, Aussperrung, S. 222 f.; Seiter, RdA 1979, S. 393, 399; für einen Ausschluß der Mitbestimmung im Ergebnis auch LAG Hamm, DB 1979, S. 1657 ff.; Eich, DB Beilage 9/1979, S. 5 ff.; Fritz, Lohnrisiko, S. 284 f.; Glaubitz in Hess/Schlochauer/Glaubitz, § 87 BetrVG Rn. 232 ff; Ha, Lohnrisiko, S. 189 ff.; Konzen, SAE 1981, S. 209, 211; Stege/Weinspach, § 87 BetrVG Rn. 81. 151 So auch Brox in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht Rn. 455. 152 Vgl. o. unter A14 d aa. 153 Vgl. o. 7. Kapitel unter A12 a, Β I. 149

Α. Arbeitszeitverkürzungen

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der Arbeitszeitverkürzung entfallen. Der Arbeitgeber darf danach frei darüber entscheiden, ob er bei Arbeitskampffernwirkungen die Arbeitszeit verkürzen will; die Modalitäten der Arbeitszeitverkürzung bleiben dagegen weiterhin mitbestimmungspflichtig. 154 Das BAG gelangt zu dieser Unterscheidung, weil es davon ausgeht, die Grundsätze über die Verteilung des Lohnrisikos seien den Betriebsparteien „rechtlich vorgegeben" (mitbestimmungsfreies „Ob"), innerhalb dieser Grundsätze verbleibe ihnen aber ein Ermessensspielraum für konkrete Arbeitszeitregelungen (mitbestimmungspflichtiges „Wie"). 1 5 5 Daß das Richterrecht zum Lohnrisiko im Arbeitskampf keine gesetzliche Regelung i. S. des § 87 Abs. 1 darstellt, ist bereits dargelegt worden. 156 Die Unterscheidung zwischen „Ob" und „Wie" der Arbeitszeitverkürzung vermag aber auch der Sache nach nicht zu überzeugen. Beide Seiten sind eng miteinander verknüpft, so daß eine Trennung nicht nur künstlich wirkt, sondern praktisch kaum möglich ist. Bestimmt der Arbeitgeber den Umfang des wegfallenden Arbeitskräftebedarfs, so ist damit häufig schon die Entscheidung darüber verbunden, welche Arbeitnehmer betroffen sind. 157 Ein unlösbares Rechtsrätsel entsteht etwa bei der Frage, ob die Verlegung der Betriebsferien in die Zeit des arbeitskampfbedingten Produktionsausfall das „Ob" oder die Modalitäten der Arbeitszeitverkürzung betrifft. Insofern führt diese Unterscheidung zu einer erheblichen Rechtsunsicherheit; sie überfordert sowohl Rechtsanwender als auch Betriebsparteien. 158 Nicht unbegründet scheint mir auch die Befürchtung zu sein, der Betriebsrat könne durch ein geschicktes Taktieren bei der mitbe-

154 Vgl. aus dem Schrifttum Dütz, DB Beilage 14/1979, S. 14; ders., Anm. zu BAG EzA § 615 BGB Betriebsrisiko Nr. 8, S. 78 f.; Häßler, Beteiligungsrechte, S. 103 ff.; Löwisch/Bittner in Löwisch (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 652 ff; Richardi, Festschrift 10 Jahre Deutsche Richterakademie, S. 111, 126; Wiese in GK-BetrVG, § 87 BetrVG Rn. 355 ff. 155 BAG AP Nr. 70 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 592 f. Dies gilt nach Ansicht des BAG auch innerhalb des Kampfgebiets, AP Nr. 71 a. a. Ο., Bl. 597 f. 156 Vgl. o.unter Α Π l a . 157 Ehmann/Schnauder, Anm. zu BAG EzA §615 BGB Betriebsrisiko Nr. 8, S. 119. 158 Jahn, Beteiligung, S. 157 f.; vgl. etwa aus der Rechtsprechung LAG Hamburg, BB 1984, S. 1488 (bei einseitigem Handeln des Arbeitgebers keine einstweilige Verfügung für den Betriebsrat, weil mitbestimungsfreies „Ob" betroffen), LAG Bremen, DB 1984, S. 1935 f. (einstweilige Verfügung zugunsten des Betriebsrats erlassen); LAG Hamm, NZA 1985, S. 631 (Einigungsstellenspruch über Lohnzahlung wegen Annahmeverzuges bei mittelbarer Kampfbetroffenheit unwirksam, da mitbestimmungsfreies „Ob" betroffen); LAG Baden-Württemberg, DB 1987, S. 1441 f. (Betriebsversammlung bei Arbeitskampffernwirkungen nicht stets unzulässig, im Hinblick auf regelungspflichtige Modalitäten einer Arbeitszeitverkürzung besteht ein berechtigtes Interesse des Betriebsrats, die Belegschaft zu informieren), LAG Bremen, AiB 1989, S. 316 f. (bei Arbeitskampffernwirkungen treten jedenfalls mitbestimmungspflichtige Regelungsfragen auf, z. B. Auswahl der Arbeitnehmer nach sozialen Gesichtspunkten).

280

8. Kapitel: Mittelbar arbeitskampfbetroffener Betrieb

stimmungspflichtigen Regelung der Modalitäten im Ergebnis auch das „Ob" der Arbeitszeitverkürzung zumindest verzögern. 159 Dadurch kann das Lohnverweigerungsrecht des Arbeitgebers weitgehend entwertet werden. Er trägt das Risiko der Fehlbeurteilung von Rechts- und Regelungsfragen, denn eine Arbeitszeitregelung ohne die bei den Modalitäten erforderliche Mitbestimmung des Betriebsrats ist unwirksam, so daß die Lohnzahlungspflicht bestehen bleibt. 1 6 0 Andererseits kann aber der Betriebsrat das Mitbestimmungsrecht, das ihm bezüglich der Modalitäten verbleibt, praktisch nicht gerichtlich durchsetzen, falls der Arbeitgeber einseitig handelt. 161 Das Arbeitsgericht darf dem Arbeitgeber die Arbeitszeitverkürzung nicht im Wege der einstweiligen Verfugung untersagen, denn sonst wäre die mitbestimmungsfreie Entscheidung über das „Ob" betroffen. Das Gericht darf aber auch nicht selbständig über Modalitäten der Arbeitszeitverkürzung entscheiden, weil es damit in das Regelungsermessen der Betriebsparteien oder der Einigungsstelle eingriffe. 162 Insofern wirft die Unterscheidung von „Ob" und „Wie" der Arbeitseinschränkung nicht nur äußerst zweifelhafte Abgrenzungsfragen auf, sie läßt sich auch prozessual nicht umsetzen. 163 Das BAG hat vermutlich die Gefahr gesehen, daß der Arbeitgeber die Befugnis zur Produktionseinschränkung und Lohnverweigerung im mittelbar arbeitskampfbetroffenen Betrieb mißbräuchlich einsetzt; deshalb sollte wohl ein „Mitbestimmungsrest" erhalten bleiben. 164 Ein (kampftaktischer) Mißbrauch des Lohnverweigerungsrechts ist in der Tat nicht auszuschließen. Das kann man aber nicht durch die - auch noch um einen wirksamen Rechtsschutz kupierte - betriebliche Mitbestimmung hinsichtlich der Modalitäten einer Ar-

159

Beuthien, Arbeitskampf, S. 53; Ha, Lohnrisiko, S. 198 f.; Konzen, SAE 1981, S. 211; Otto in MünchArbR, § 283 Rn. 16. 160 BAG AP Nr. 70 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 594; Ehmann/Schnauder, Anm. zu BAG EzA § 615 BGB Betriebsrisiko Nr. 8, S. 120; abweichend Galperin/Löwisch, §87 BetrVG Rn. 112. Zum Umfang des Entgeltzahlungsanspruchs Wiese in GKBetrVG, § 87 BetrVG Rn. 362. 161 Allgemein zu den Rechtsschutzmöglichkeiten des Betriebsrats im 9. Kapitel unter B. 162 LAG Hamburg, BB 1984, S. 1488, 1489; vgl. auch Colneric in Däubler (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 744m; Kalb, Arbeitskampfrecht Rn. 326. - Anders LAG Bremen, DB 1984, S. 1935 f. 163 Gegen die Unterscheidung „Ob"/„Wie" auch Fitting/Kaiser/Heither/Engels, § 87 BetrVG Rn. 138; Linnenkohl/Rauschenberg, AuR 1990, S. 137, 147 ff.; Mayer, BIStSozArbR 1981, S. 353, 357 f.; ders., BB 1990, S. 2482, 2487 f.; Wohlgemuth , Mitbestimmungsgespräch 1981, S. 67, 69, die sich allerdings generell für eine Beibehaltung der Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG bei Arbeitskampffernwirkungen aussprechen, sowie die in Fußnote 150 Genannten, die für einen vollständigen Ausschluß des Mitbestimmungsrechts eintreten. 164 Vgl. auch Otto, RdA 1987, S. 1, 3.

Β. Sonstige Maßnahmen des Arbeitgebers

281

beitszeitverkürzung verhindern, sondern allein durch eine Eingrenzung des Lohnverweigerungsrechts auf das Kampfgebiet. 165 Abschließend sei darauf hingewiesen, daß eine Suspendierung des Mitbestimmungsrechts aus § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG nur in Betracht kommt, soweit dem Arbeitgeber ein Lohnverweigerungsrecht zusteht. In Betrieben, die außerhalb des umkämpften Tarifgebiets liegen, hat der Betriebsrat daher nach der hier vertretenen Auffassung weiterhin in vollem Umfang bei Arbeitszeitverkürzungen mitzubestimmen. Das gleiche gilt fur alle Betriebe, die nicht dem Geltungsbereich eines Tarifvertrages unterfallen, um dessentwillen ein Arbeitskampf gefuhrt wird. 1 6 6 Wichtig ist, daß das Lohnverweigerungsrecht in zeitlicher Hinsicht erst dann eingreift, wenn sich das Betriebs- oder Wirtschaftsrisiko realisiert hat, wenn also die Verwertung der Arbeitsleistung für den Arbeitgeber unmöglich oder unzumutbar geworden ist. Vorsorgemaßnahmen, die der Arbeitgeber trifft, bevor sich der Arbeitskampf aktuell auf die betriebliche Produktion auswirkt, bleiben uneingeschränkt mitbestimmungspflichtig. So ist insbesondere eine „Arbeitsstreckung" durch vorsorgliche Einfuhrung von Kurzarbeit an die Zustimmung des Betriebsrats gem. § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG gebunden. 167

B. Sonstige Maßnahmen des Arbeitgebers I. Betriebe innerhalb des Kampfgebiets Innerhalb des Tarifgebiets darf der Arbeitgeber, wenn sein Betrieb von Arbeitskampffernwirkungen betroffen ist und dem Geltungsbereich des umkämpften Tarifvertrages unterfällt, Kampfmittel ergreifen, die als solche nicht mitbestimmungspflichtig sind. Dazu zählen Aussperrung, Teilaussperrung und aussperrungsnotwendige Maßnahmen; insoweit gilt nichts anderes als im unmittelbar kampfbetroffenen Betrieb. 168

165

Vgl. o.unter A14 dbb. So auch Brox in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht Rn. 458 f.; Ha, Lohnrisiko, S. 201 f.; Kalb, Arbeitskampfrecht Rn. 327; Löwisch/Bittner in Löwisch (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 658; Wiese in GK-BetrVG, § 87 BetrVG Rn. 282; anders Ehmann/ Schnauder, Anm. zu BAG EzA § 615 BGB Betriebsrisiko Nr. 8, S. 105 ff. 167 Brox in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht Rn. 456 f.; Ha, Lohnrisiko, S. 199 f.; Kalb, BB 1979, S. 1829, 1831; ders., Arbeitskampfrecht Rn. 320; Seiter, RdA 1979, S. 393, 400. Nach der Rechtsprechung des BAG steht dem Betriebsrat hier jedenfalls im Hinblick auf das „Wie" ein Mitbestimmungsrecht zu, vgl. AP Nr. 70 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 591 R ff. 168 Vgl. O.7. Kapitel unter A I . 166

282

8. Kapitel: Mittelbar arbeitskampfbetroffener Betrieb

Betriebsverfassungsrechtlich privilegiert sind als mildere Mittel auch diejenigen Maßnahmen, die der Arbeitgeber im Rahmen einer Weiterproduktionstaktik anordnet. Es muß sich allerdings um Maßnahmen handeln, die gewährleisten, daß die Betriebstätigkeit trotz des Arbeitskampfes aufrechterhalten bleibt. 1 6 9 Hier ergeben sich bei mittelbarer Kampfbetroffenheit Besonderheiten. Offenbar scheidet eine Zahlung von Streikbruchprämien (§ 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG) aus. Weil der Betrieb noch gar nicht bestreikt wird, muß der Arbeitgeber keine Mitarbeiter als Streikbrecher zur Produktionsfortführung gewinnen oder Streikbrecher neu einstellen (§ 99 BetrVG). 1 7 0 Aus dem gleichen Grund kann die Durchführung von Lehrgängen für Streikbrecher nicht in Frage kommen (§ 98 BetrVG). Die Verlängerung der betriebsüblichen Arbeitszeit stellt in mittelbar kampfbetroffenen Betrieben regelmäßig keine taugliche Abwehrmaßnahme dar. Sie wird gewöhnlicherweise nur relevant, wenn der Marktanteil auf Kosten eines bestreikten Konkurrenzunternehmens vergrößert werden soll. Dann aber geht es nicht um Streikabwehr, sondern um die Schädigung des Konkurrenten. 171 Deshalb bleibt die Mitbestimmung gem. § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG in diesem Fall bestehen. 172 Etwas anderes kann jedoch gelten, wenn der Arbeitgeber mehrere Betriebe im Kampfgebiet hat, von denen nur einige bestreikt werden. Es ist denkbar, daß der Arbeitgeber durch Arbeitszeitverlängerungen in nicht bestreikten Betrieben die Streikschäden auffangen will. Dieses Verhalten läßt sich als Maßnahme im Rahmen einer Weiterproduktionstaktik, mithin als mitbestimmungsfreie Kampfmaßnahme einordnen. Sie ist im Vergleich zur Aussperrung, die dem Arbeitgeber innerhalb des Kampfgebietes gleichfalls zu Gebote steht, ein milderes Mittel. Gegen die Qualifikation als Kampfmittel spricht nicht, daß die Arbeitszeitverlängerung in einem Betrieb angeordnet wird, der noch nicht vom Arbeitskampf betroffen ist. Denn der Arbeitgeber hätte als Kampfjpartei und Träger der Kampfmaßnahmen jederzeit die Möglichkeit, andere Betriebe in den Arbeitskampf einzubeziehen, indem er die Aussperrung erklärt. Mehrere Betriebe desselben Arbeitgebers sind daher arbeitskampfrechtlich als Einheit anzusehen.

169

Vgl. dazu o. 6. Kapitel unter C m 2 b. Für eine Beibehaltung der Beteiligung gem. § 99 BetrVG bei Neueinstellungen in mittelbar arbeitskampfbetroffenen Betrieben auch Brox in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht Rn. 450; Häßler, Beteiligungsrechte, S. 159 f. 171 Den Mitgliedern der Arbeitgeberverbände ist ein derartiges Verhalten nach den Arbeitskampfrichtlinien untersagt, vgl. Schlüter in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht Rn. 483. 172 Brox in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht Rn. 451; Häßler, Beteiligungsrechte, S. 120; Kalb, Arbeitskampfrecht Rn. 331. 170

Β. Sonstige Maßnahmen des Arbeitgebers

283

Auch Versetzungen sind zulässige Abwehrmittel des Arbeitgebers. Ist er aufgrund von Arbeitskampffernwirkungen zur Einschränkung der Produktion in bestimmten Betriebsteilen gezwungen, so kann er ein Interesse daran haben, die betroffenen Mitarbeiter in andere, nicht kampfbetroffene Betriebsteile zu versetzen. Dadurch wird möglicherweise die Einfuhrung von Kurzarbeit verhindert, so daß die Arbeitnehmer keine Lohnminderung hinnehmen müssen. Insofern handelt es sich um ein milderes und daher betriebsverfassungsrechtlich privilegierenswertes Mittel. Mitbestimmungsfreie Versetzungen kommen darüber hinaus in Frage, falls der Arbeitgeber Mitarbeiter aus Betrieben, die innerhalb des Tarifgebiets bislang nicht direkt vom Arbeitskampf betroffen sind, in Betrieben einsetzen will, die bestreikt werden. Diese Maßnahme ist Bestandteil der Kampftaktik der Weiterproduktion, daher scheidet das Beteiligungsrecht des Betriebsrats gem. § 99 BetrVG sowohl im abgebenden als auch im aufnehmenden Betrieb aus. 173 Im übrigen bleibt in mittelbar betroffenen Betrieben die betriebliche Mitbestimmung bestehen.174 Dieses Ergebnis kann nicht zu einer Störung der materiellen Parität fuhren; insoweit kann auf die Ausführungen zur Rechtslage in unmittelbar kampfbetroffenen Betrieben 175 verwiesen werden.

IL Betriebe außerhalb des Kampfgebiets In Betrieben, die außerhalb umkämpfter Tarifbezirke liegen, dürfen keine Kampfmaßnahmen durchgeführt werden. Der Arbeitgeber ist nicht zur Aussperrung befugt, daher lassen sich auch andere Maßnahmen nicht als mildere Mittel rechtfertigen. Anhaltspunkte dafür, daß die materielle Parität durch die betriebliche Mitbestimmung außerhalb des Kampfgebiets zu Lasten der Arbeitgeber gestört wird, sind nicht ersichtlich. Somit kommt eine Einschränkung der Beteiligungsrechte nach dem Paritätsprinzip nicht in Betracht. 176 Zustimmung verdient daher die Entscheidung des BAG vom 19.2.1992, wonach die Versetzung von Arbeitnehmern aus einem Betrieb außerhalb des Kampf-

173 Vgl. auch Eich, DB Beilage 9/1979, S. 5 f.; Schlochauer in Hess/Schlochauer/ Glaubitz, § 99 BetrVG Rn. 12; Stege/Weinspach, §§ 99-101 BetrVG Rn. 9a. - Α. A. Brox in Brox/RüÜiers, Arbeitskampfrecht Rn. 450; Dietz/Richardi, §99 BetrVG Rn. 18; Häßler, Beteiligungsrechte, S. 159 f.; Kalb, Arbeitskampfrecht Rn. 335. 174 Anders Brox in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht Rn. 463 für die §§ 111 f. BetrVG. 175 Vgl. o. 7. Kapitel unter B. 176 Vgl. auch Eich, DB Beilage 9/1979, S. 6 ff.

284

8. Kapitel: Mittelbar arbeitskampfbetroffener Betrieb

gebiets in einen bestreikten Betrieb, der einem anderen fachlichen Tarifbereich angehört, gem. § 99 BetrVG beteiligungspflichtig ist. 1 7 7

C. Besonderheiten bei rechtswidrigen Streiks Nach der hier vorgestellten Lösung erfolgt eine Suspendierung von Beteiligungsrechten lediglich innerhalb des umkämpften Tarifgebiets. Das Konkurrenzverhältnis zwischen Arbeitskampf- und Betriebsverfassungsrecht wird damit einem einheitlichen arbeitskampfrechtlichen Ordnungsmodell unterstellt. Es besteht daher keine Veranlassung, die Ausfuhrungen zur Rechtslage bei rechtswidrigen Streiks im Hinblick auf mittelbar betroffene Betriebe zu modifizieren. Vielmehr bleibt es dabei, daß mitbestimmungsfreie Kampfmaßnahmen nur in Betracht kommen, sofern die Gewerkschaften rechtswidrige Streiks durchfuhren, um eine Tarifforderung zu erzwingen. 178 Dies gilt für kampfbedingte Versetzungen ebenso wie für Arbeitszeitregelungen. Daß dem mittelbar betroffenen Arbeitgeber im Falle eines rechtswidrigen Streiks nur dann ein Lohnverweigerungsrecht zusteht, wenn der Streik zur Durchsetzung einer Tarifforderung geführt wird, entspricht einer verbreiteten Auffassung. 179

D. Zusammenfassung Liegt ein mittelbar arbeitskampfbetroffener Betrieb innerhalb des Kampfgebiets, darf der Arbeitgeber nach dem Grundsatz formeller Kampfmittelparität die Lohnzahlung verweigern, wenn sich das Betriebs- oder Wirtschaftsrisiko realisiert. In diesem Fall kann er Arbeitszeitverkürzungen mitbestimmungsfrei durchfuhren. Die betriebliche Mitbestimmung ist auch bei Versetzungen und Arbeitszeitverlängerungen zu suspendieren, sofern es sich um Kampfmaßnahmen im Rahmen einer Weiterproduktionstaktik handelt. Außerhalb des

177

BAG AP Nr. 26 zu § 95 BetrVG 1972, vgl. o. 2. Kapitel unter A110. Vgl. o. 7. Kapitel unter C. 179 Ehmann, Betriebsrisikolehre, S. 142 f.; Konzen, AcP 177 (1977), S. 473, 534; Löwisch/Bittner in Löwisch (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 610 ff.; Seiter, Streikrecht, S. 387; ausführlich Ha, Lohnrisiko, S. 175 ff. - A. A. Colneric in Däubler (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 1196 ff.; Dütz, DB Beilage 13/1979, S. 4; Kalb, Betriebsrisikolehre, S. 127 ff., Otto in MünchArbR, § 283 Rn. 81 (kein Lohnverweigerungsrecht bei rechtswidrigen Streiks); Rüthers in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht Rn. 180; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, § 18 V 2 c, S. 217 f. (Lohnverweigerung bei allen rechtswidrigen Streiks). - Das BAG hat diese Frage in AP Nr. 70, 71 zu Art. 9 GG Arbeitskampf offengelassen. 178

D. Zusammenfassung

285

Kampfgebiets ist der Arbeitgeber weder zur Lohnverweigerung noch zu einseitigen Anordnungen berechtigt. Materielle Paritätserwägungen rechtfertigen keine andere Beurteilung. Die gleichen Grundsätze gelten bei Fernwirkungen rechtswidriger Streiks, falls sie zur Durchsetzung einer gewerkschaftlichen Tarifforderung geführt werden.

. Kapitel

Rechtsschutzmöglichkeiten der Betriebsparteien A. Rechtsschutzmöglichkeiten des Arbeitgebers Der Arbeitgeber befindet sich in einer günstigen Situation: Ist seiner Meinung nach der Betriebsrat im Arbeitskampf an einer bestimmten Maßnahme nicht zu beteiligen, wird er sie kurzerhand einseitig anordnen und es dem Betriebsrat überlassen, dagegen vorzugehen. Falls der Arbeitgeber befürchtet, das Arbeitsgericht werde auf Antrag des Betriebsrats eine einstweilige Verfügung zu seinem Nachteil treffen, kann er beim zuständigen Gericht vorbeugend eine Schutzschrift niederlegen. Die Schutzschrift enthält eine Sachverhaltsdarstellung aus der Sicht des Arbeitgebers. Er wird darlegen, daß er wegen des Arbeitskampfes bestimmte Maßnahmen ergriffen hat, die nicht beteiligungspflichtig sind. Mit der Schutzschrift verhindert der Arbeitgeber jedenfalls, daß eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung ergeht. 1 Entsteht zwischen den Betriebsparteien Streit über die Beteiligungspflichtigkeit einer Maßnahme, kann der Arbeitgeber ein Interesse daran haben, die Meinungsverschiedenheit nach Beendigung des Arbeitskampfes im Beschlußverfahren (§ 2 a Abs. 1 Nr. 3 ArbGG) vor dem Arbeitsgericht klären zu lassen. Ihm steht die Möglichkeit offen, eine gerichtliche Entscheidung mittels eines Antrages herbeizuführen, der auf die Feststellung gerichtet ist, daß in der streitigen Angelegenheit ein Beteiligungsrecht des Betriebsrats nicht besteht.2 Erforderlich ist ein Feststellungsinteresse des Arbeitgebers, §§ 80 Abs. 2, 46 Abs. 2 ArbGG, § 256 ZPO. Es besteht nur dann, wenn der Betriebsrat sich eines Mitbestimmungsrechtes ernsthaft berühmt hat. 3 Grundsätzlich fehlt das Feststellungsinteresse bei abgeschlossenen Maßnahmen, die keine Rechtswirkungen mehr entfalten. Ist jedoch zu erwarten, daß sich die Streitfrage bei künftigen Vorgängen gleicher Art wiederum stellen wird, besteht hinsichtlich 1

Vgl. Herbst/Reiter/Schmdele, Beschluß verfahren Rn. 663; Walker, Rechtsschutz Rn. 912, 608 ff.; Muster bei Schaub, Formularsammlung, § 58 IV, S. 451 ff. 2 Zum negativen Feststellungsantrag vgl. Germelmann/Matthes/Prütting, § 81 ArbGG Rn. 9, 16; Wiese in GK-BetrVG, § 87 BetrVG Rn. 908. 3 BAG AP Nr. 7 zu § 81 ArbGG 1979, Bl. 243, 245 ff.

Α. Rechtsschutzmöglichkeiten des Arbeitgebers

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der zukünftigen Streitigkeiten ein Feststellungsinteresse wegen Wiederholungsgefahr. 4 Das wird bei arbeitskampfbedingten Maßnahmen regelmäßig der Fall sein.5 Davon zu unterscheiden sind die Möglichkeiten, gegen Betriebsratsmitglieder vorzugehen, die ihre gesetzlichen Pflichten mißachten und als Amtsträger in den Arbeitskampf eingreifen oder gar zu einem rechtswidrigen Streik aufrufen. Ein solches Verhalten kann eine grobe Pflichtverletzung i. S. des § 23 Abs. 1 BetrVG darstellen 6, die einen Ausschluß einzelner Mitglieder aus dem Betriebsrat rechtfertigt, wenn der Arbeitgeber dies beim Arbeitsgericht beantragt. Trifft der Vorwurf den gesamten Betriebsrat, kann er aufgelöst werden. Die Auflösung bewirkt, daß sämtliche Rechte und Pflichten des Betriebsrats erlöschen. Der Betrieb ist dann bis zur Wahl eines neuen Betriebsrats (§ 13 Abs. 2 Nr. 5 BetrVG) betriebsratslos; weil der gerichtliche Auflösungsbeschluß den Betriebsrat als solchen betrifft, können Ersatzmitglieder nicht gem. § 25 BetrVG nachrücken. 7 Diese Folgen kann der Arbeitgeber aber nicht durch eine einstweilige Verfügung erreichen, durch die dem Betriebsrat schon vor Rechtskraft des arbeitsgerichtlichen Beschlusses die Amtsausübung generell untersagt wird. 8 Wohl kann einem Betriebsratsmitglied bei schwerwiegenden Amtspflichtverletzungen durch einstweilige Verfügung die weitere Ausübung des Amtes untersagt werden, in diesem Fall rückt allerdings ein Ersatzmitglied nach.9 Gegen Betriebsratsmitglieder, die sich pflichtwidrig verhalten, stehen dem Arbeitgeber auch Schadensersatzansprüche zu; unter Umständen ist er zur Kündigung berechtigt. 10

4

BAG AP Nr. 3 zu § 81 ArbGG 1979; Colneric in Däubler (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 745k f.; Germelmann/Matthes/Prütting, § 81 ArbGG Rn. 23 ff. 5 Vgl. BAG AP Nr. 13 zu § 87 BetrVG 1972 Ordnung des Betriebes, Bl. 1075 f., wonach das Rechtsschutzinteresse sich im Hinblick auf zukünftige Arbeitskämpfe ergeben kann, in denen die Streitfrage „mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit wieder auftreten wird". 6 Vgl. Wiese in GK-BetrVG, § 23 BetrVG Rn. 44 m. w. N. 7 Blanke in Däubler/Kittner/Klebe/Schneider (Hrsg.), § 23 BetrVG Rn. 40; Fitting/ Kaiser/He ither/Enge Is, § 23 BetrVG Rn. 42; Schlochauer in Hess/Schlochauer/ Glaubitz, § 23 BetrVG Rn. 52. 8 Dietz/Richardi, § 23 BetrVG Rn. 56; Fitting/Kaiser/Heither/Engels, § 23 BetrVG Rn. 43; Galperin/Löwisch, § 23 BetrVG Rn. 43; Schlochauer in Hess/Schlochauer/ Glaubitz, § 23 BetrVG Rn. 50; Wiese in GK-BetrVG, § 23 BetrVG Rn. 103. 9 Blanke in Däubler/Kittner/Klebe/Schneider (Hrsg.), § 23 BetrVG Rn. 22; Dietz/ Richardi, § 23 BetrVG Rn. 42; Fitting/Kaiser/Heither/Engels, § 23 BetrVG Rn. 26a; Wiese in GK-BetrVG, § 23 BetrVG Rn. 77 m. w. N. 10 Vgl. dazu Brox in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht Rn. 417 ff.; Hess in Hess/ Schlochauer/Glaubitz, §74 BetrVG Rn. 16 ff.; Wiese in GK-BetrVG, §23 BetrVG Rn. 81 ff.

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9. Kapitel: Rechtsschutzmöglichkeiten der Betriebsparteien

B. Rechtsschutzmöglichkeiten des Betriebsrats I. Anträge im Beschlußverfahren Für den Betriebsrat stellt sich die Frage, was er unternehmen kann, wenn er der Ansicht ist, der Arbeitgeber habe ihn im Arbeitskampf zu Unrecht übergangen. Zwar hat der Betriebsrat - ebenso wie der Arbeitgeber - die Möglichkeit, sich mit einem Feststellungsantrag an das Arbeitsgericht zu wenden und klären zu lassen, ob der Arbeitgeber einseitige Anordnungen treffen durfte. 11 Daneben steht dem Betriebsrat bei personellen Maßnahmen ein Antrag nach §101 BetrVG zur Verfugung. 12 Bis das Gericht entscheidet, ist der Arbeitskampf jedoch sehr wahrscheinlich schon beendet, ohne daß der Betriebsrat Gelegenheit hatte, seine Beteiligungsrechte wahrzunehmen. Die gerichtliche Entscheidung im normalen Verfahren kommt daher für den Betriebsrat zu spät. Will er verhindern, daß seine Rechte leerlaufen, muß er sich um vorläufigen Rechtsschutz bemühen.

II. Einstweilige Verfügung zur Sicherung der Beteiligungsrechte Der Betriebsrat wird daran interessiert sein, eine Unterlassungsverfugung 13 zu erwirken, die dem Arbeitgeber die Durchfuhrung einseitiger Maßnahmen verbietet. Der Erlaß einstweiliger Verfügungen ist gem. § 85 Abs. 2 ArbGG auch im Beschluß verfahren zulässig. 14 Zuständig ist das Arbeitsgericht, das über die Hauptsache zu entscheiden hat (§ 85 Abs. 2 S. 2 ArbGG, § 937 Abs. 1 ZPO); eine Notzuständigkeit des Amtsgerichtes gem. § 942 ZPO schei-

11

Dazu Herbst/Reiter/Schindele, Beschluß verfahren Rn. 339 ff. mit zahlreichen Mustern; v. Hoyningen-Huene in MünchArbR, § 292 Rn. 50 ff.; Schlünder, Rechtsfolgen, S. 163 ff. Vgl. zum Feststellungsinteresse o. Fußnote 4. - Zur (großzügigen) Auslegung eines Feststellungsantrages mit Arbeitskampfbezug vgl. BAG AP Nr. 29 zu 95 BetrVG 1972, Bl. 50 f. 12 Vgl. etwa Dietz/Richardi, § 101 BetrVG Rn. 4 ff; Kittner in Däubler/Kittner/ Klebe/Schneider (Hrsg.), § 101 BetrVG Rn. 1 ff., 18 ff.; Matthes, DB 1989, S. 1285, 1288 f.; Schaub, Formularsammlung, § 64 Π 2, S. 468 f. - Wenn die personellen Maßnahmen zwischenzeitlich (nach Beendigung des Arbeitskampfes) aufgehoben wurden, muß der Betriebsrat den Antrag fur erledigt erklären, anderenfalls wird er als unbegründet zurückgewiesen, Matthes, DB 1989, S. 1285, 1289. 13 Zu den Verfügungsarten im Beschlußverfahren Matthes in MünchArbR, § 321 Rn. 24 ff. Die Idee einer einstweiligen Feststellungsverfügung hat sich nicht durchsetzen können, vgl. Dütz, BB 1980, S. 533 f. 14 Dazu Herbst/Reiter/Schindele, Beschlußverfahren Rn. 564 ff., 822 ff.(Muster).

. Rechtsschutzmöglichkeiten des

etebs

289

det aus. 15 Das Gericht erläßt die Verfugung, sofern ein Verfugungsanspruch des Betriebsrats und ein Verfugungsgrund besteht, § 85 Abs. 2 S. 2 ArbGG, §§ 936, 920 Abs. 1 ZPO. Verfugungsanspruch und Verfugungsgrund sind glaubhaft zu machen, § 85 Abs. 2 S. 2 ArbGG, §§ 936, 920 Abs. 2 ZPO. 16 1. Verfügungsanspruch Als Verfugungsanspruch kommt grundsätzlich jeder betriebsverfassungsrechtliche Anspruch des Betriebsrats in Betracht. Im Bereich der betrieblichen Mitbestimmung ist nach überwiegender Auffassung erforderlich, daß der Betriebsrat einen Anspruch auf Unterlassung der Maßnahme gegen den Arbeitgeber hat. 17 a) § 23 Abs. 3 BetrVG Die Vorschrift des § 23 Abs. 3 BetrVG enthält einen ausdrücklich geregelten Unterlassungsanspruch des Betriebsrats. Er kann auch im Wege der einstweiligen Verfügung durchgesetzt werden. 18 Voraussetzung ist aber, daß ein grober Pflichtverstoß des Arbeitgebers vorliegt. Ein Arbeitgeber, der während des Arbeitskampfes die Beteiligungsrechte des Betriebsrats mißachtet (die ja außerhalb reiner Arbeitskampfmaßnahmen weiterbestehen), verletzt seine Pflichten aus dem Betriebsverfassungsgesetz. Fraglich ist indessen, ob es sich um einen groben Verstoß handelt. Der Verstoß muß objektiv erheblich sein, also den Zweck der betrieblichen Mitbe-

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Colneric in Däubler (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 743x ff.; Grunsky, § 85 ArbGG Rn. 17; Schaub, Formularsammlung, § 118 ΠΙ 1, S. 967 f.; Walker, Rechtsschutz Rn. 881. 16 Dazu Herbst/Reiter/Schindele, Beschlußverfahren Rn. 621 ff; Schaub, Formularsammlung, § 118 Π 3, S. 967. 17 Grunsky, § 85 ArbGG Rn. 14; Heinze, RdA 1986, S. 273, 285, 289 if.; Prutting, RdA 1995, S. 257, 260, 262; Schaub, Formularsammlung, § 118 Π 1, S. 965. - Α. Α. GermelmannMatthes/Prütting, § 85 ArbGG Rn. 33 f.; Klebe in Däubler/Kittner/ Klebe/Schneider (Hrsg.), Einleitung Rn. 187, die es für ausreichend halten, daß der Betriebsrat ein Beteiligungsrecht geltend machen kann. 18 Blanke in Däubler/Kittner/Klebe/Schneider (Hrsg.), § 23 BetrVG Rn. 59; Derleder, AuR 1983, S. 289, 298; Heinze, DB Beilage 9/1983, S. 6 ff., 12, 23; Wiese in GKBetrVG, § 23 Rn. 178, alle m. w. N.; vgl. aus der Rechtsprechung LAG Düsseldorf, NZA 1991, S. 29; ArbG Bamberg, NZA 1985, S. 259; ArbG Münster, AiB 1986, S. 236. - Α. A. etwa LAG Rheinland-Pfalz, DB 1986, S. 1629; Fitting/Kaiser/H either/ Engels, § 23 BetrVG Rn. 58; Schlochauer in Hess/Schlochauer/Glaubitz, § 23 BetrVG Rn. 70. 19 Jansen

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9. Kapitel: Rechtsschutzmöglichkeiten der Betriebsparteien

Stimmung besonders schwerwiegend verletzen. 19 Teilweise wird auch die Offensichtlichkeit des Pflichtenverstoßes verlangt. 20 Anerkannt ist, daß die Nichtbeachtung von Beteiligungsrechten, die dem Betriebsrat einhellig in Rechtsprechung und Literatur zugestanden werden, einen groben Verstoß darstellt. 21 Etwas anderes gilt jedoch, wenn der Arbeitgeber in einer schwierigen und ungeklärten Rechtsfrage eine bestimmte Ansicht vertritt, die sich im nachhinein als unzutreffend herausstellt, und aus Rechtsirrtum gegen die Bestimmungen des Betriebsverfassungsgesetzes handelt. 22 Geradezu ein Paradebeispiel für eine schwierige und ungeklärte Rechtsfrage ist das Problem der betrieblichen Mitbestimmung im Arbeitskampf. Das BAG hat es bislang versäumt, den Kreis der Maßnahmen, die der Arbeitgeber während des Tarifkonflikts mitbestimmungsfrei durchführen darf, verbindlich festzulegen. Angesichts der Tatsache, daß in der Literatur auch Ansichten vertreten werden, die auf eine weitgehende Suspendierung der Beteiligungsrechte im Arbeitskampf hinauslaufen 23 , wird man dem Arbeitgeber regelmäßig keinen groben Pflichtenverstoß vorwerfen können, wenn er einseitige Anordnungen trifft. 24 § 23 Abs. 3 BetrVG scheidet daher als Grundlage für einen Verfugungsanspruch in den meisten Fällen aus. b) Allgemeiner Unterlassungsanspruch Ob dem Betriebsrat - über § 23 Abs. 3 BetrVG hinausgehend - ein allgemeiner Unterlassungsanspruch bei mitbestimmungswidrigen Anordnungen des Arbeitgebers zusteht, gehört zu den umstrittensten Themen des Betriebsverfassungsrechts. 19 BAG AP Nr. 41 zu § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit, Bl. 31 R f.; AP Nr. 76 zu § 99 BetrVG 1972, Bl. 82 R, 84 R f.; Blanke in Däubler/Kittner/Klebe/Schneider (Hrsg.), § 23 BetrVG Rn. 52; Dietz/Richardi, § 23 BetrVG Rn. 71; Heinze, DB Beilage 9/1983, S. 11 f.; Wiese in GK-BetrVG, § 23 BetrVG Rn. 159. 20 BAG, DB 1992, S. 2450, 2451; Schlochauer in Hess/Schlochauer/Glaubitz, § 23 BetrVG Rn. 61, 16; Stege/Weinspach, § 23 BetrVG Rn. 15. 21 Vgl. BAG AP Nr. 76 zu § 99 BetrVG 1972, Bl. 85; Blanke in Däubler/Kittner/ Klebe/Schneider (Hrsg.), § 23 BetrVG Rn. 52; Fitting/Kaiser/Heither/Engels, § 23 BetrVG Rn. 49; Schlochauer in Hess/Schlochauer/Glaubitz, § 23 BetrVG Rn. 64. 22 BAG AP Nr. 2 zu § 23 BetrVG 1972, Bl. 774 R f.; AP Nr. 44 zu § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit, Bl. 38 R f.; AP Nr. 76 zu § 99 BetrVG 1972, Bl. 85 R; Fitting/Kaiser/Heither/Engels, § 23 BetrVG Rn. 63; Kittner in Däubler/Kittner/Klebe/ Schneider (Hrsg.), §101 BetrVG Rn. 21; Schlochauer in Hess/Schlochauer/Glaubitz, §23 BetrVG Rn. 65; Wiese in GK-BetrVG, § 23 BetrVG, Rn. 162 m. w. N. aus der Rechtsprechung. - A. A. Blanke in Däubler/Kittner/Klebe/Schneider (Hrsg.), § 23 BetrVG Rn. 56. 23 Vgl. o. 2. Kapitel unter Β Π 4. 24 Vgl. LAG Hamburg, DB 1984, S. 1579, 1581.

. Rechtsschutzmöglichkeiten des e t e b s

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Viele sehen § 23 Abs. 3 BetrVG als abschließende Regelung an, die einen allgemeinen Unterlassungsanspruch des Betriebsrats ausschließe.25 Andere gelangen mit unterschiedlichsten Begründungen zu dem Ergebnis, dem Betriebsrat habe einen Anspruch gegen den Arbeitgeber, einseitige Maßnahmen im Bereich mitbestimmungspflichtiger Angelegenheiten zu unterlassen. 26 Das BAG mußte sich erstaunlicherweise erst 1983 mit diesem Problem befassen. Zuvor hatte das Gericht mehrmals beiläufig angemerkt, der Betriebsrat könne allgemein vom Arbeitgeber verlangen, daß dieser in mitbestimmungspflichtigen Angelegenheiten keine einseitigen Anordnungen zu treffe. 27 Der 1. Senat entschied dann aber, § 23 Abs. 3 BetrVG stelle eine abschließende Regelung dar, die keinen Raum fur weitere Ansprüche des Betriebsrats lasse.28 Nachdem sich der 6. Senat obiter dicta für einen allgemeinen Unterlassungsanspruch ausgesprochen hatte 29 , rückte der 1. Senat vorsichtig von seiner Auffassung ab. 30 Nunmehr hat der 1. Senat des BAG in seinem Beschluß vom 3.5.1994 einen von den Voraussetzungen des § 23 Abs. 3 BetrVG unabhängigen Unterlassungsanspruch anerkannt, sofern Mitbestimmungsrechte aus § 87 BetrVG verletzt werden. 31 Auch im Bereich personeller Einzelmaßnahmen nach § 99 BetrVG komme ein Unterlassungsanspruch in Frage. 32 Die Problematik des allgemeinen Unterlassungsanspruchs kann hier nicht angemessen vertieft werden. Hingewiesen sei jedoch auf folgendes: Wenn § 23 25 So ζ. Β Heinze, DB Beilage 9/1983, S. 14 ff., 22; Schlochauer in Hess/ Schlochauer/Glaubitz, §23 BetrVG Rn. 80 ff; Schlünder, Rechtsfolgen, S. 126 ff.; Stege/Weinspach, §23 BetrVG Rn. 17 ff.; Stroemer, Untersagung, S. 65 ff.; ähnlich Konzen, Leistungspflichten, S. 87 ff.; im Ergebnis ebenso Walker, Rechtsschutz Rn. 840 ff. 26 Blanke in Däubler/Kittner/Klebe/Schneider (Hrsg.), § 23 BetrVG Rn. 68 ff.; Derleder, AuR 1983, S. 289, 299 ff.; Dütz,, DB 1984, S. 115 ff.; Fitting/Kaiser/H either/ Engels, § 23 BetrVG Rn. 99 ff.; Wiese in GK-BetrVG, § 23 BetrVG Rn. 122 ff.; ausführlich/toaA, Rechtsschutz, S. 132 ff. 27 BAG AP Nr. 70 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Bl. 92 R; AP Nr. 27 zu § 37 BetrVG 1972, Bl. 474. 28 BAG AP Nr. 2 zu § 23 BetrVG 1972, Bl. 773, 775 f.; bestätigt durch BAG AP Nr. 19 zu § 80 BetrVG 1972, Bl. 952. 29 BAG AP Nr. 5 zu § 23 BetrVG 1972, Bl. 1322, 1324 f. 30 BAG AP Nr. 18 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung, Bl. 1368. 31 BAG AP Nr. 23 zu § 23 BetrVG 1972; das BAG hat diese Entscheidung jüngst bestätigt, NZA 1997, S. 274, 276 f. Zustimmend Derleder, AuR 1995, S. 13 ff ; Richardi, NZA 1995, S. 8 ff; Prutting, RdA 1995, S. 257, 261; für einen allgemeinen Unterlassungsanspruch auch schon LAG Bremen, DB 1983, S. 1935 f.; LAG Frankfurt a. M.,BB 1984, S. 145. 32 BAG, NZA 1995, S. 488 f. Bei der Durchführung von Betriebsänderungen wird in der Rechtsprechung allerdings ein Unterlassungsanspruch verneint, vgl. ArbG Bonn, NZA 1995, S. 966 f.; ArbG Nürnberg, BB 1996, S. 1723 f.; anders Fitting/Kaiser/ Heither/Engels, § 23 BetrVG Rn. 102.

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9. Kapitel: Rechtsschutzmöglichkeiten der Betriebsparteien

Abs. 3 BetrVG die Ansprüche des Betriebsrats abschließend regelt, dann ist er bei einseitigen Maßnahmen, die der Arbeitgeber während des Arbeitskampfes anordnet, weitgehend schutzlos gestellt. Denn an einem groben Pflichtverstoß i. S. des § 23 Abs. 3 BetrVG wird es regelmäßig fehlen. Damit kann der Arbeitgeber im Tarifkonflikt letztlich frei schalten und walten, ohne daß der Betriebsrat dagegen eine wirksame Rechtsschutzmöglichkeit in der Hand hätte. Die gebotene Angleichung von Arbeitskampf- und Betriebsverfassungsrecht darf aber nicht durch eine prozessuale Hilflosigkeit des Betriebsrats vereitelt werden. Insofern belegt gerade der Konflikt um die betriebliche Mitbestimmung im Arbeitskampf, daß es richtig ist, dem Betriebsrat im Bereich der Mitbestimmung nach § 87 BetrVG einen allgemeinen Unterlassungsanspruch zuzubilligen. Dieser Anspruch läßt sich aus dem Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit gem. § 2 Abs. 1 BetrVG ableiten, der es dem Arbeitgeber gebietet, alles zu unterlassen, was der Wahrnehmung des konkreten Mitbestimmungsrechts entgegensteht33, auch wenn noch kein grober Pflichtenverstoß i. S. des § 23 Abs. 3 BetrVG vorliegt. 2. Verfügungsgrund Für den Verfugungsgrund gelten dieselben Grundsätze wie im Zivilprozeß, § 85 Abs. 2 S. 2 ArbGG, §§ 935, 940 ZPO. Es muß die Gefahr bestehen, daß durch die Veränderung des gegenwärtigen Zustandes die Verwirklichung von Beteiligungsrechten vereitelt wird, oder es muß aus anderen Gründen im streitigen betriebsverfassungsrechtlichen Rechtsverhältnis eine vorläufige Regelung notwendig sein. 34 Die Abgrenzung des § 935 ZPO zu § 940 ZPO ist unscharf und ohne praktische Bedeutung.35 Entscheidend ist, ob die Rechte des Betriebsrats ohne den Erlaß einer einstweiligen Verfügung leerliefen. 36 Das wird bei arbeitskampfbezogenen Maßnahmen des Arbeitgebers, die ihrem Wesen nach vorübergehender Natur sind, regelmäßig der Fall sein. Die Vorschrift des § 101 BetrVG steht einer einstweiligen Verfügung im Bereich personeller Angelegenheiten nicht entgegen. Sie enthält keine abschließende Regelung des vorläufigen Rechtsschutzes. Insbesondere bei kurzfristigen Einstellungen und Versetzungen kann das Mitbestimmungsrecht des

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BAG AP Nr. 23 zu § 23 BetrVG 1972. Vgl. Fitting/Kaiser/Heither/Engels, nach § 1 BetrVG Rn. 57; Herbst/Reiter/ Schindele, Beschlußverfahren Rn. 612; Klebe in Däubler/Kittner/Klebe/Schneider (Hrsg.), Einleitung Rn. 188 ff. 35 Thomas/Putzo, § 935 ZPO Rn. 3. 36 Colneric in Däubler (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 744s; Dütz, DB 1984, S. 115, 122; Klebe in Däubler/Kittner/Klebe/Schneider (Hrsg.), Einleitung Rn. 189. 34

Β. Rechtsschutzmöglichkeiten des Betriebsrats

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Betriebsrats über das Verfahren nach § 101 BetrVG nicht wirkungsvoll gesichert werden. 37 Auch für den Fall, daß der Arbeitgeber eines mittelbar kampfbetroffenen Betriebes einseitig Kurzarbeit anordnet, kann eine einstweilige Verfügung ergehen. Sie scheitert nicht daran, daß die Arbeitnehmer dadurch geschützt sind, daß sie ihre Lohnansprüche behalten, wenn der Arbeitgeber die Arbeitszeit mitbestimmungswidrig verkürzt. 38 Denn es ist zweifelhaft, ob die Arbeitnehmer ihre Lohnansprüche gegen den Arbeitgeber einklagen werden. Überdies beschränkt sich der Schutzzweck des § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG nicht auf die Lohnsicherung, vielmehr soll die Vorschrift die Arbeitnehmer vor einer willkürlichen, einseitig am Arbeitgeberinteresse ausgerichteten Arbeitszeitgestaltung schützen.39 Der Betriebsrat vertritt außerdem das Interesse der gesamten Belegschaft, nicht nur derjenigen, für die Kurzarbeit angeordnet wurde. 40 In der Praxis neigen die Gerichte dazu, bei Anträgen des Betriebsrats, die nicht am Verfugungsanspruch scheitern, auch den Verfugungsgrund zu bejahen. 41

III. Beweisfragen Im Beschlußverfahren gilt der Untersuchungsgrundsatz des § 83 Abs. 1 ArbGG auch im Falle eines Antrages nach § 85 Abs. 2 ArbGG. 42 Das Gericht ist nicht auf das tatsächliche Vorbringen von Arbeitgeber und Betriebsrat beschränkt, sondern - im Rahmen der Anträge - zu einer darüber hinausgehenden Sachaufklärung befugt. Beweisprobleme stellen sich erst dann, wenn sich der Sachverhalt nicht ohne weiteres voll aufklären läßt. Die Frage ist, ob das Arbeitsgericht sich in diesem Fall auf bestimmte Vermutungen stützen kann. Angenommen, der Betriebsrat behauptet, der Arbeitgeber habe eine bestimmte, nach arbeitskampfrechtlichen Gesichtspunkten mitbestimmungs37 Vgl. BAG AP Nr. 7 zu § 23 BetrVG 1972, Bl. 52, 53 R; Colneric in Däubler (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 744g; Fitting/Kaiser/Heither/Engels, § 101 BetrVG Rn. 5a; Kittner in Däubler/Kittner/Klebe/Schneider (Hrsg.), § 101 BetrVG Rn. 19, 26 m. w. N. zur Rechtsprechung. - Α. A. Galperin/Löwisch, § 101 BetrVG Rn. la; Germelmann/Matthes/Prütting, § 85 ArbGG Rn. 39; Grunsky, § 85 ArbGG Rn. 15. 38 So aber LAG Frankfurt a. M., BB 1978, S. 2496; Germelmann/Matthes/Prütting, § 85 ArbGG Rn. 37. 39 Jahnke, ZfA 1984, S. 69, 102; vgl. o. 8. Kapitel unter Α Π 1 c. 40 Klebe in Däubler/Kittner/Klebe/Schneider (Hrsg.), Einleitung Rn. 190. 41 Vgl. Colneric in Däubler (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 744s; Dütz, DB 1984, S. 115, 123; beide m. w. N. 42 Grunsky, § 85 ArbGG Rn. 19.

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9. Kapitel: Rechtsschutzmöglichkeiten der Betriebsparteien

freie Maßnahme (z. B. Anordnung von Kurzarbeit, Einstellungen, Versetzungen) gar nicht mit Rücksicht auf den Arbeitskampf, sondern aus ganz anderen Gründen durchgeführt. 43 Muß das Gericht ermitteln, ob dies zutrifft oder ob es sich um eine „wirkliche" Arbeitskampfmaßnahme handelt? Im Schrifttum wird vereinzelt erwogen, eine Vermutung für das Vorliegen einer Kampfmaßnahme aufzustellen. 44 Ich halte das fur zutreffend. Arbeitskampfmaßnahmen im Rahmen einer Weiterproduktionstaktik sind nämlich, wie wir oben festgestellt haben, nur solche, die sich auf den Zeitraum der Tarifauseinandersetzung beschränken. Bei diesen Maßnahmen ist in entsprechender Anwendung der Grundsätze des Anscheinsbeweises45 davon auszugehen, daß sie eine Reaktion des Arbeitgebers auf den Arbeitskampf darstellen. Typischerweise sind befristete Verkürzungen und Verlängerungen der Arbeitszeit, Einstellungen sowie Versetzungen während des Tarifkonflikts kampfbedingte Abwehrmaßnahmen im direkt streikbetrofifenen Betrieb; für die Zahlung von Streikbruchprämien und Durchführung von Lehrgängen für Streikbrecher ergibt sich das schon aus deren Zweck. Der Betriebsrat, der hier ein Beteiligungsrecht geltend macht, muß also besondere Umstände dartun, die den Schluß darauf zulassen, daß ausnahmsweise keine Kampfmaßnahme vorliegt. Der Arbeitgeber muß lediglich vortragen und gegebenenfalls unter Beweis stellen, daß sein Betrieb vom Arbeitskampf betroffen ist. Das gilt jedoch nur eingeschränkt für Arbeitskampfmaßnahmen in mittelbar arbeitskampfbetroffenen Betrieben. Kampfmaßnahmen sind nur möglich, sofern der Betrieb im Tarifgebiet liegt und dem Geltungsbereich des umkämpften Tarifvertrages unterfallt. Innerhalb dieses Bereichs sind Arbeitszeitverkürzungen bei Arbeitskampffernwirkungen typischerweise rein kampfbedingt. Die Entscheidung des Arbeitgebers, die Arbeitszeit zu verkürzen und sich auf sein kampfrechtliches Lohnverweigerungsrecht zu berufen, unterliegt nach richtiger Ansicht nur einer gerichtlichen Evidenzkontrolle. 46 Dies muß sich im Beschlußverfahren in Gestalt einer entsprechenden Vermutung zugunsten des Arbeitgebers niederschlagen. Voraussetzung ist allerdings, daß die mittelbare Arbeitskampfbetroffenheit des Betriebes feststeht; das Beweislastrisiko dafür trägt nach allgemeinen Grundsätzen der Arbeitgeber.

43 Zu den Kausalitäts- und Finalitätsanforderungen, die an eine Arbeitskampfmaßnahme zu stellen sind, vgl. o. 6. Kapitel unter C ΠΙ 2 b bb. 44 Kraft, Festschrift für G. Müller, S. 265, 275; Küttner/Schmidt, DB 1988, S. 704; Mayer-Maly, BB 1979, S. 1305, 1312. - Α. A. Colneric in Däubler (Hrsg.), Arbeitskampfrecht Rn. 745e; Mayer, BIStSozArbR 1981, S. 353, 357: Beweislast beim Arbeitgeber. 45 Dazu etwa Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht, § 115 m, S. 660 ff.; Thomas/Putzo, § 286 ZPO Rn. 12 ff. 46 Vgl. o. 8. Kapitel unter A14 d bb.

Β. Rechtsschutzmöglichkeiten des Betriebsrats

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Versetzungen, die der Arbeitgeber im mittelbar kampfbetroffenen Betrieb anordnet, sind dagegen keine typischen Folgen von Arbeitskampffernwirkungen. Es ist daher kein Raum für die Vermutung, es handele sich bei den Versetzungen um Kampfmaßnahmen. Vielmehr muß der Arbeitgeber darlegen und beweisen, daß eine Versetzung rein kampfbedingt erfolgte. Die Verlängerung der Arbeitszeit in mittelbar kampfbetroffenen Betrieben kann nur ausnahmsweise als Kampfmaßnahme angesehen werden. 47 Der Arbeitgeber trägt das Beweislastrisiko für die Feststellung, daß ein solcher Ausnahmefall vorliegt; eine Vermutung zu seinen Gunsten muß ausscheiden.

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Vgl. o. 8. Kapitel unter Β I.

10. Kapitel

Ergebnisse Das Problem der betrieblichen Mitbestimmung im Arbeitskampf beruht auf einer Rechtsgebietskonkurrenz zwischen Arbeitskampfrecht und Betriebsverfassungsrecht. Arbeitskampfrechtliche Wertungen drängen auf eine Beschränkung der Beteiligungsrechte, betriebsverfassungsrechtliche Wertungen auf die Beibehaltung der Mitbestimmung. Bei der Auflösung von Rechtsgebietskonkurrenzen sind folgende allgemeine Grundsätze zu beachten: Zunächst ist zu klären, ob eine gesetzliche Vorschrift existiert, die als Konkurrenzregel in Betracht kommt. Ist das nicht der Fall, so stellt sich die Frage des Rangverhältnisses der konkurrierenden Rechtsgebiete. Läßt sich ein Rangverhältnis nachweisen, werden die Wertungen des nachrangigen Rechtsgebiets verdrängt. Wenn aber die Rechtsgebiete gleichrangig sind, ist eine Abstimmung nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsprinzips herbeizuführen. Die Wertungen beider Rechtsgebiete müssen so weit wie möglich nebeneinander zur Geltung kommen. Die Vorschriften eines Rechtsgebietes dürfen nicht weiter zurückgedrängt werden, als es zum Schutz der Wertungen des konkurrierenden Rechtsgebiets erforderlich ist. Eingriffe in den Kernbereich eines Rechtsgebietes sind unstatthaft, da anderenfalls die gebotene Angleichung verfehlt würde. Im Interesse der Rechtssicherheit sollte nach Möglichkeit eine allgemeine Konkurrenzregel aufgestellt werden, mit deren Hilfe sich die Angleichung der Rechtsgebiete vollziehen läßt. Die Konkurrenzregel muß jedenfalls den erforderlichen Kernbereichsschutz gewährleisten. Das Betriebsverfassungsrecht enthält keine Vorschrift über die betriebliche Mitbestimmung im Arbeitskampf. § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG stellt keine gesetzliche Konkurrenzregel für das Verhältnis von Arbeitskampf- und Betriebsverfassungsrecht dar. Wortlaut, Entstehungsgeschichte und ratio der Norm sprechen gegen die Annahme, sie enthalte eine Ausübungsschranke für Beteiligungsrechte während des Tarifkonflikts. Auch das Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit gem. § 2 Abs. 1 BetrVG bildet nicht die gesuchte gesetzliche Konkurrenzregel. Eine fallgruppenorientierte Konkretisierung der Vorschrift ergibt, daß man weder aus dem Gesichtspunkt des Wegfalls der Geschäftsgrundlage noch aus dem Gesichtspunkt des Rechtsmißbrauchs eine ge-

10. Kapitel: Ergebnisse

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nerelle Einschränkung von Beteiligungsrechten im Arbeitskampf ableiten kann. Zwischen Arbeitskampfrecht und Betriebsverfassungsrecht besteht kein Rangverhältnis. Das Arbeitskampfrecht läßt sich nicht über Art. 9 Abs. 3 GG in den Rang von Verfassungsrecht heben. Zwar sind einzelne Bestandteile der Arbeitskampfrechtsordnung verfassungsrechtlich gewährleistet (Tarifautonomie und Paritätsprinzip). Die nähere Ausgestaltung dieser Vorgaben erfolgt jedoch nicht durch die Verfassung selbst, sondern durch das „einfache" Arbeitskampfrecht, das - von punktuellen Normierungsansätzen des Gesetzgebers abgesehen - im wesentlichen auf dem Richterrecht des BAG beruht. Aus der richterrechtlichen Natur des Arbeitskampfrechts ergibt sich andererseits noch kein zwingender Vorrang für das Betriebsverfassungsrecht. Das BAG wird im Bereich des Arbeitskampfrechts stellvertretend für den Gesetzgeber tätig, der aus politischen Gründen bisher nicht in der Lage war, sich dieser Materie anzunehmen, sondern nur das Tarifvertragsrecht normiert hat. Arbeitskampfrecht und Tarifvertragsrecht sind aber der Sache nach eng miteinander verknüpft und gleichermaßen von der Wertentscheidung des Art. 9 Abs. 3 GG zugunsten einer freien Tarifautonomie geprägt. Daher ist es richtig, das Arbeitskampfrecht als einfaches Bundesrecht einzustufen. Das Betriebsverfassungsgesetz enthält keine Vorschrift, die eine Beschränkung der Beteiligungsrechte während der Tarifauseinandersetzung ausdrücklich anordnet. Dem Gesetz ist indessen auch nicht zu entnehmen, daß die Beteiligungsrechte einschränkungslos weitergelten sollen. Vielmehr liegt eine Regelungslücke vor. Die Lückenhaftigkeit des Betriebsverfassungsgesetzes legitimiert eine rechtsfortbildende Einschränkung der Beteiligungsrechte. Da kein Rangverhältnis zwischen Arbeitskampf- und Betriebsverfassungsrecht besteht, ist eine teleologische Reduktion mit dem Ziel einer Angleichung der konkurrierenden Wertungen geboten. Jedenfalls ein Kernbereich des Arbeitskampfrechts muß gegenüber den Bestimmungen des Betriebsverfassungsgesetzes geschützt werden. Diesen Kernbereich bezeichnet das Paritätsprinzip, das anerkanntermaßen den obersten Grundsatz des Arbeitskampfrechts bildet. Das Paritätsprinzip erfüllt die Hauptfunktion des Arbeitskampfrechts, die darin besteht, den sozialen Gegenspielern gleichwertige Chancen bei der Gestaltung von Tarifverträgen zu sichern. Das Paritätsprinzip legt den Kreis der zulässigen Kampfmaßnahmen fest und ist insofern für das Verhältnis der Tarifparteien von schlechthin tragender Bedeutung. Die allgemeine Konkurrenzregel fur das Verhältnis von Arbeitskampfrecht und Betriebsverfassungsrecht lautet demnach: Die betriebliche Mitbestimmung ist einzuschränken, soweit sie dem Paritätsprinzip widerspricht. Das Paritätsprinzip enthält eine formelle und eine materielle Komponente. Die Rechtsordnung muß den Arbeitskampfparteien zunächst operational und

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10. Kapitel: Ergebnisse

instrumental gleichwertige Kampfmittel zur Verfugung stellen. Daraus ergibt sich die Zulässigkeit von Streik und Aussperrung als Hauptwaffen im Arbeitskampf, die sich in ihren rechtlichen Auswirkungen auf die Arbeitsverhältnisse entsprechen. Nach dem Grundsatz formeller Kampfmittelparität ist außerdem der Einsatz milderer Mittel statthaft. Die formelle Gleichstellung der Kampfgegner ist durch eine materielle Paritätsprüfung zu ergänzen. Es muß sichergestellt sein, daß nicht eine Partei ein längerfristiges tatsächliches Machtübergewicht erlangt, das es ihr ermöglicht, trotz formeller Waffengleichheit Arbeitskämpfe stets zu ihren Gunsten zu entscheiden und den Tarifinhalt einseitig festzulegen. Liegt ein offenkundiges Machtgefälle vor, so muß die Kampfmittelzuteilung modifiziert werden. Die betriebliche Mitbestimmung widerspricht dem formellen Paritätsprinzip, soweit sie dazu führt, daß Kampfmittel der sozialen Gegenspieler ungleich behandelt werden. Eine Ungleichbehandlung liegt vor, wenn Kampfmaßnahmen der Arbeitgeber an die Beteiligung des Betriebsrats gebunden sind, während die Gewerkschaften über den Einsatz ihrer Kampfmittel frei entscheiden können. Als Kampfmaßnahmen, die der Arbeitgeber ohne Beteiligung des Betriebsrats durchfuhren darf, kommen neben der Aussperrung auch Maßnahmen im Rahmen einer Weiterproduktionstaktik in Betracht, sofern sie im Vergleich zur Aussperrung mildere Mittel darstellen. Wenn die kampfausweitende Aussperrung betriebsverfassungsrechtlich privilegiert ist, muß dies erst recht für Maßnahmen zur Sicherung der Weiterproduktion gelten, die zu einer Verringerung der Arbeitskampfschäden fuhren. Das Prinzip der materiellen Kampfparität erfordert Kontrollüberlegungen in zwei Richtungen. Einerseits darf die Beschränkung der Beteiligungsrechte bei Kampfmaßnahmen des Arbeitgebers nicht zu einer offenkundigen Benachteiligung der Gewerkschaften führen. Andererseits kann es notwendig sein, die betriebliche Mitbestimmung auch außerhalb der reinen Kampfmaßnahmen einzuschränken, falls sich insoweit eine paritätserhebliche Schlechterstellung der Arbeitgeberseite nachweisen läßt. Im unmittelbar kampfbetroffenen Betrieb sind Kampfmaßnahmen des Arbeitgebers von der Beteiligung des Betriebsrats freizustellen. Aussperrungen und aussperrungsnotwendige Maßnahmen unterliegen nicht der betrieblichen Mitbestimmung. Als mildere Mittel darf der Arbeitgeber, der eine Weiterproduktionstaktik verfolgt, während des Arbeitskampfes auch folgende Maßnahmen einseitig durchfuhren: Verkürzungen und Verlängerungen der betrieblichen Arbeitszeit, Zahlung von Streikbruchprämien, Lehrgänge für Streikbrecher, Neueinstellungen und Versetzungen. Durch diese Einschränkung der Beteiligungsrechte wird die materielle Kampfparität nicht zu Lasten der Gewerkschaften gestört. Eine weitergehende Suspendierung der betrieblichen Mitbestimmung ist nicht erforderlich, denn die Rechte, die dem Betriebsrat verbleiben, können die Kampfchancen der Arbeitgeber nicht paritätserheblich beeinträchtigen.

10. Kapitel: Ergebnisse

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Auch in einem Betrieb, der mittelbar vom Arbeitskampf betroffen ist, kann der Betriebsrat keine Beteiligungsrechte bei Kampfmaßnahmen des Arbeitgebers geltend machen. Kampfmaßnahmen sind allerdings nur zulässig, wenn der Betrieb innerhalb des umkämpften Tarifgebiets liegt. Hier steht dem Arbeitgeber insbesondere ein Lohnverweigerungsrecht zu, sofern die Produktion infolge des Arbeitskampfes unmöglich oder wirtschaftlich sinnlos wird. In diesem Fall ist eine Arbeitszeitverkürzung als mitbestimmungsfreie Maßnahme des Arbeitskampfes anzusehen. Das gleiche gilt für die Versetzung von Mitarbeitern, gegebenenfalls auch für die Verlängerung der Arbeitszeit. Außerhalb des Kampfgebietes dürfen keine Kampfmaßnahmen durchgeführt werden; die betriebliche Mitbestimmung bleibt daher in vollem Umfang bestehen. Dieses Ergebnis wird durch materielle Paritätserwägungen nicht in Frage gestellt. Außerhalb des umkämpften Tarifbezirks läßt sich eine Paritätsstörung durch Arbeitskampffernwirkungen nicht nachweisen. Die vorstehenden Grundsätze gelten bei einem rechtswidrigen Streik nur eingeschränkt. Hier scheiden Kampfmaßnahmen des Arbeitgebers grundsätzlich aus, weil er die Hilfe der Gerichte in Anspruch nehmen kann. Deshalb kommt auch eine Beschränkung der betrieblichen Mitbestimmung nicht in Betracht. Der Arbeitgeber darf jedoch mitbestimmungsfreie Kampfmaßnahmen ergreifen, sofern der Streik von einer Gewerkschaft zur Durchsetzung von Tarifforderungen geführt wird; dies gilt jedenfalls dann, wenn effektiver Gerichtsschutz nicht zu erlangen ist.

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Sachregister Abkehrrecht 147

- Streik 146

Annahmeverzug 256 f.

- Vorbereitung 227

Arbeitgeber

Arbeitskampfparität

- als Kampfpartei 23,179

- abstrakt-generelle 159

- Außenseiter 179

- formelle 137 f.

- Interessen im Arbeitskampf 20 f., 22 f., 198 f.

- Gesamtparität 139

Arbeitskampf - als Hilfsinstrument der Tarifautonomie 104 - Beamteneinsatz 114 f. - Betriebsratsamt 24, 111 f. - Exzeß 241 - mittelbare Folgen 252, 266 f. - verfassungsrechtliche Garantie 103

- historische 138 - Kampfmittelparität 144 ff., 170 ff. - konkrete 157 f. - materielle 139 f., 155 ff. - paritätsrelevante Faktoren 159 ff., 192 - Rechtsprechung des BAG 140 ff. - typisierende Betrachtung 140, 142

Arbeitskampfklauseln 164

- verfassungsrechtliche Vorgaben 104 ff.

Arbeitskampfmittel

Arbeitskampfrecht

- Aussperrung 146, 203 f.

- als Richterrecht 113 ff.

- Finalitätsanforderungen 179

- als eigenständiges Rechtsgebiet 42

- freie Kampfmittelwahl 131, 185

- einfaches 117 f.

- Kausalitätsanforderungen 179

- Kernbereich 134 ff.

- Kampftaktik der Weiterproduktion 176 f.

- Stellung in der Normenhierarchie 113 ff.

- mildere Mittel 182 ff.

- und Verbandsrecht 52 f.

- numerus clausus 185

- und Verfassungsrecht 101 ff.

- Privilegierung 180 f.

Arbeitskampfrichtlinien 282

320 Arbeitskampfschäden 163,183

Beteiligungsrechte

Arbeitsstreckung 276,281

- Mißbrauch 94 ff.

Arbeitszeitverkürzung

- Schutzzweck 21 f.

- als Kampfmittel 207, 278

Betriebsänderung 225 f.

- im mittelbar betroffenen Betrieb 28, 252

Betriebsbesetzung 150, 188

- im unmittelbar betroffenen Betrieb 29, 207 f.

Betriebsblockade 150, 188 Betriebsfrieden 73 f. Betriebsratsamt

- Mitbestimmung des Betriebsrats 208, 235 f., 272 ff

- Ausschluß 287

- "Ob" und "Wie" 278 ff

- im Arbeitskampf 24,111 f.

Arbeitszeitverlängerung

- Endelll

- als Kampfmittel 208

Betriebsrisiko 252, 261

- im mittelbar betroffenen Betrieb 282

Betriebsrisikolehre 58, 255 f. Betriebsstillegung 225 f.

- im unmittelbar betroffenen Betrieb 27, 208

Betriebsverfassungsrecht 41 f.

- Mitbestimmung des Betriebsrats 27, 208 f., 282

Binnendruck 267

Betriebsverhältnis 80 f.

Aussperrung

Boykott 149

- Abwehraussperrung 175, 204, 182

Bummelstreik 187

- gegenüber Betriebsratsmitgliedern 224

Demonstrationsarbeitskampf 242, 246

- lösende 221 f., 224 - Privilegierung 180 f.

Dienst nach Vorschrift 187 Durchhaltetaktik 176 f.

- suspendierende 146, 148, 175

Eilfall 98

aussperrungsnotwendige Maßnahmen 205 f.

Eingruppierung215

Aussperrungsquoten 147,205,265 Berufsbildungsmaßnahmen 213 f. Beschlußverfahren - Beweislastrisiko 293 f.

Einheit der Rechtsordnung 45 Einigungsstelle 20 f. Einstellung - als Kampfmittel 180, 214

- einstweilige Verfugung 288 ff.

- Mitbestimmung des Betriebsrats 215 ff.

- Feststellungsantrag 286, 288

- vorläufige 216 f.

er Einstweilige Verfügung

- von Tarifverträgen 151 f.

- gegen rechtswidrige Kampfmaßnahmen 245 ff.

Interessenabwägung

- im Beschlußverfahren 288 ff. Erst-recht-Schluß 182 f.

321

- allgemeine Grundsätze 195 f. - antizipierte 50 - im Einzelfall 50

faire Kampfführung 52

- Mitbestimmung im Arbeitskampf 197 ff.

Feiertagslohnzahlung 136

Interessenkollision 127 ff.

Fernwirkungen des Arbeitskampfes 252 ff. Finnentarif 165 formelle Parität s. Arbeitskampfparität Freiheit der Kampfmittelwahl 131, 185 Friedenspflicht - betriebliche 64 f., 69 f. - tarifliche 213,242,247

Kameraüberwachung - als Kampfmittel 224 f. - Mitbestimmung 225, 235 f. Kampfkündigung 25, 227 Kampfmittel s. Arbeitskampfmittel Kampfmittelparität s. Arbeitskampfparität Kampfparität s. Arbeitskampfparität Kampfrisiken 162, 266 f.

Generalklausel 87, 90 Gegnerfreiheit 129 f.

Kampftaktik der Weiterproduktion 176 f.

Gegnerunabhängigkeit 130

Kernbereich

Geschäftsgrundlage

- des Arbeitskampfrechts 134 ff

- der betrieblichen Mitbestimmung 85 ff.

- Grundrechte 55

- von Betriebsvereinbarungen 92, 229 Gewerkschaften « und Betriebsräte 128,233 f. - Interessen im Arbeitskampf 22, 200

- Rechtsgebiete 53 ff. Koalitionsfreiheit 105 Konkurrenz - von Normen 43,47 - von Rechtsgebieten 43 ff. Kooperationsmaxime 84 ff.

Informationsrechte des Betriebsrats 30,228 Inhaltskontrolle - von Individual Verträgen 151 ff.

Kündigung im Arbeitskampf - außerordentliche 25 f., 244 - betriebsbedingte 218, 238

322

S

- Betriebsratsmitglieder 25 f., 224, 239 - Mitbestimmung 25 f. - personenbedingte 218

Notarbeiterausweis 231 f. Notfall 97 f., 250 Notwehrrecht bei rechtswidrigen Streiks 247

- verhaltensbedingte 26, 218, 223 - Weiterbeschäftigungspflicht 237 f.

Parität 5. Arbeitskampfparität

Kurzarbeit 253

Paritätsprinzip

Kurzarbeitergeld 257

- als Kernbereich des Arbeitskampfrechts 134 ff.

lösende Aussperrung s. Aussperrung Lohnrisiko 28, 58 f., 254 ff. Lohnverweigerung

- Konkretisierung 137 ff, 144 ff - und Verhältnismäßigkeitsprinzip 134, 158,185, 191

- als Kampfmittel 270 f.

- verfassungsrechtliche Verankerung 104 f.

- außerhalb des Kampfgebiets 266 ff.

Paritätsstörung

- bei rechtswidrigem Streik 284

- Beweislast 169

- innerhalb des Kampfgebiets 264 f.

- durch Lohnzahlungspflicht 267 ff

- Zulässigkeit 264 ff, 269

- Voraussetzungen 166 ff

Lohnzahlung 236

Partizipation 262 politischer Arbeitskampf 242

Machtmessung 150 ff. materielle Parität s. Arbeitskampfparität Massenänderungskündigung 149 Maßregelungsverbot 199, 213, 238

Rechtsgebietskonkurrenz - allgemeine Grundsätze 43 ff - Arbeitskampf- und Betriebsverfassungsrecht 41 ff

Mehrarbeit s. Arbeitszeitverlängerung

- Arbeitskampf- und Schuldrecht 57 f., 255 ff.

Neutralität

- Arbeitskampf- und Verbandsrecht 52 f.

- betriebsverfassungsrechtliche 65 - staatliche s. Staatsneutralität Notarbeiten

- Gesellschafts- und Erbrecht 51 f. - Konkurrenzregel 46, 50, 125 f.

- Mitbestimmung 231 f.

- Zivilprozeßrecht und materielles Recht 56 f.

- Organisation 230

Rechtskraft 56

Sachregister rechtswidriger Arbeitskampf

Streikarbeit 187

- Begriff 241 f.

Streikbrecher

- Folgen 181,244 f.

- Einstellung 214 ff.

- Kündigung 223,244

- Berufsbildungsmaßnahmen 31, 213 f.

- betriebliche Mitbestimmung 249 f., 284

323

Streikbruchprämien

- Schadensersatz 244, 246,248

- im Arbeitskampf 210

Regelungslücke

- nach Beendigung des Arbeitskampfes 210

- als Voraussetzung der Rechtsfortbildung 124 - im Betriebsverfassungsgesetz 118 ff.

- Mitbestimmung des Betriebsrats 30, 210,213 - Zulässigkeit 210 ff.

Regelungsspielraum 274 ff.

Streikgeld 195,212

Richterrecht

Streikposten 186

- Grenzen 113 f.

suspendierende Aussperrung s. Aussperrung

- und Arbeitskampf 114 ff. Richtigkeitsgewähr s. Tarifvertrag

Sympathiearbeitskampf 104,242,246 Tarifautonomie

Schulungsmaßnahmen

- und Arbeitskampf 103

- im Arbeitskampf 213 f. - für Streikbrecher 213

- und betriebliche Mitbestimmung 103 f., 233 f.

- Mitbestimmung 214

- und Betriebsautonomie 108 ff.

Schutzschrift 286

- verfassungsrechtliche Gewährleistung 103

soziale Mächtigkeit 154 ff. Sozialplan 226,239 f. Sphärentheorie 240, 260 f. Staatsneutralität 132

TarifTähigkeit 154, 179 Tarifgebiet als Kampfgrenze 145, 191, 266, 270

Streik

tarifliche Friedenspflicht s. Friedenspflicht

- Privilegierung 180 f.

Tarifvertrag

- rechtswidriger 242 ff.

- Richtigkeitsgewähr 152

- Urabstimmung 52 f.

- und Arbeitskampf 103 f.

- „wilder" 242,246

Tarifvertragsgesetz 116

324

S

Teilaussperrung 205

- Tarifvertrag 104

Teilstreik 182, 186

Versetzung

teleologische Reduktion 123 ff., 259

- im mittelbar betroffenen Betrieb 283

Umgruppierung 215 Unmöglichkeit und Annahmeverzug 255 ff. Unterlassungsanspruch - bei rechtswidrigen Kampfmaßnahmen 244 - bei einseitigen Anordnungen des Arbeitgebers 289 ff.

- im unmittelbar betroffenen Betrieb 32,215 - Mitbestimmung des Betriebsrats 215 ff, 283 - vorläufige 216 f. Vertragskontrolle s. Inhaltskontrolle vertrauensvolle Zusammenarbeit 88, 93 f.

unternehmerische Entscheidung 269 f. Urabstimmung 52 f. Waffengleichheit 138, 140 Verfugungsanspruch - rechtswidriger Arbeitskampf 244 f. - Beschlußverfahren 289 ff Verfugungsgrund - rechtswidriger Arbeitskampf 248 - Beschlußverfahren 292 f. Verhältnismäßigkeitsprinzip 134, 158, 184 f.

Wegfall der Geschäftsgrundlage 90 ff Werksausweis 29 f., 211 Werkswohnungen 225,236 Wesentlichkeitstheorie 114 Wiedereinstellungspflicht 222 wilder Streik - Kündigung 244,246 - Rechtswidrigkeit 242

Verhandlungsgleichgewicht

Wirtschaftsausschuß 240

- Individual vertrag 151 f.

Wirtschaftsrisiko 252, 261