Differenzierungsklauseln mit Stichtagsregelung im Tarifvertrag: Zugleich ein Beitrag zum tarifvertraglichen Gleichbehandlungsgrundsatz [1 ed.] 9783428584598, 9783428184590

Der Streit um die Zulässigkeit von Differenzierungsklauseln geht in eine neue Runde: Während sich die Debatte bislang ha

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Differenzierungsklauseln mit Stichtagsregelung im Tarifvertrag: Zugleich ein Beitrag zum tarifvertraglichen Gleichbehandlungsgrundsatz [1 ed.]
 9783428584598, 9783428184590

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Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht Band 370

Differenzierungsklauseln mit Stichtagsregelung im Tarifvertrag Zugleich ein Beitrag zum tarifvertraglichen Gleichbehandlungsgrundsatz

Von

Felix Mayer

Duncker & Humblot · Berlin

FELIX MAYER

Differenzierungsklauseln mit Stichtagsregelung im Tarifvertrag

Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht Herausgegeben von Prof. Dr. Matthias Jacobs, Hamburg Prof. Dr. Rüdiger Krause, Göttingen Prof. Dr. Sebastian Krebber, Freiburg Prof. Dr. Thomas Lobinger, Heidelberg Prof. Dr. Markus Stoffels, Heidelberg Prof. Dr. Raimund Waltermann, Bonn

Band 370

Differenzierungsklauseln mit Stichtagsregelung im Tarifvertrag Zugleich ein Beitrag zum tarifvertraglichen Gleichbehandlungsgrundsatz

Von

Felix Mayer

Duncker & Humblot · Berlin

Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster hat diese Arbeit im Jahre 2020 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

D6 Alle Rechte vorbehalten

© 2022 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Druck: CPI buchbücher.de GmbH, Birkach Printed in Germany ISSN 0582-0227 ISBN 978-3-428-18459-0 (Print) ISBN 978-3-428-58459-8 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Meinen Eltern

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2021 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster als Dissertation angenommen. Gesetzgebung, Rechtsprechung und Literatur sind bis Mitte September 2021 berücksichtigt. Mein Dank gilt an erster Stelle Herrn Professor Dr. Clemens Höpfner, der als Betreuer nicht nur das Thema angestoßen, sondern die Arbeit darüber hinaus als geduldiger und stets interessierter Gesprächspartner mit zahlreichen wertvollen Anregungen vorangebracht hat. Ihm verdanke ich auch die schöne und in jeder Hinsicht bereichernde Zeit an seinen Lehrstühlen in Konstanz und Münster. Ebenfalls bedanken möchte ich mich bei Herrn Professor em. Dr. Heinz-Dietrich Steinmeyer für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Herrn Simon Pschorr schulde ich Dank für das kritische Korrekturlesen sowie für unzählige konstruktive Anmerkungen. Von Herzen gedankt sei auch meinen Kollegen an den Lehrstühlen in Konstanz und Münster, mit denen mich über die gemeinsame Arbeit hinaus eine enge Freundschaft verbindet. Die positive Stimmung und kollegiale Atmosphäre haben wesentlich zur Produktivität und zum Gelingen der Arbeit beigetragen. Zuletzt, aber nicht minder herzlich möchte ich mich bei meinen Eltern Walter und Heidi Mayer bedanken. Durch ihre liebevolle Unterstützung und uneingeschränkte Förderung meiner akademischen Ausbildung haben sie die Anfertigung der vorliegenden Arbeit erst ermöglicht. Ihnen ist sie daher gewidmet. Münster, im September 2021

Felix Mayer

Inhaltsübersicht Teil 1 Einleitung

21

A. Niedrige Organisationsquoten in den Verbänden als elementare Herausforgerung für das aktuelle Tarifvertragsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 B. Globale, regionale und lokale Faktoren für geringe Mitgliederzahlen . . . . . . . . . . . . . 23 C. Individualvertragliche Bezugnahmeregelungen als Brandbeschleuniger des Mitgliederschwundes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 D. Gegensteuerungsversuche von Seiten des Staates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 E. Differenzierungsklauseln als organisationspolitische Antwort auf die Gleichstellungsstrategie vieler Arbeitgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Zulässigkeit tariflicher Differenzierungsklauseln im Spiegel einer jahrzehntelangen Debatte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Kategorisierung und Nomenklatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Rechtliche Bewertung durch BAG und Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . F. Unterscheidung anhand der Mitgliedschaft zu einem bestimmten Zeitpunkt als neue Facette innerhalb der Differenzierungsklauselproblematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Unterschiedliche Behandlung von tarifgebundenen Arbeitnehmern als bekanntes Phänomen in der tarifvertraglichen Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Grundlegende Judikate zu tariflichen Differenzierungsklauseln mit Stichtagsregelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

31 33 34 36 40 40 43 61

G. Taxonomie der unterschiedlichen Arten der Differenzierungsklausel mit Stichtagsregelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 Teil 2 Die Zulässigkeit der unterschiedlichen Arten von tarifvertraglichen Differenzierungsklauseln mit Stichtagsregelung

66

A. Grundlegende Präliminarien für die Prüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 I. Überblick über den strukturellen Aufbau der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 II. Methodische Grundausrichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 B. Differenzierungsklausel mit Stichtag vor Abschluss des Tarifvertrags (Stichtag in der Vergangenheit) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 I. Hermeneutische Analyse und systematische Einordnung in das Gefüge der Differenzierungsklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74

10

Inhaltsübersicht II. Kongruenz zwischen normativer Regelungsbefugnis und konkretem Tarifinhalt . III. Inhaltliche Rechtmäßigkeit von Differenzierungsklauseln mit Stichtag in der Vergangenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Betriebsverfassungsrechtliche Aspekte bei Tarifsozialplänen mit exklusiven Leistungen für bestimmte Gewerkschaftsmitglieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Bezugnahmerechtliche Aspekte bei der individualvertraglichen Weitergabe der tariflichen Sonderleistungen im Außenseiter-Arbeitsverhältnis . . . . . . . . . . . . . . .

C. Differenzierungsklauseln mit individuellen Wartezeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Verstoß gegen die negative Koalitionsfreiheit der Außenseiter . . . . . . . . . . . . . . . II. Verstoß gegen die positive Koalitionsfreiheit der Neumitglieder . . . . . . . . . . . . . . III. Verstoß gegen die Arbeitsvertragsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

86 110 291 297 311 312 313 313 313 322

D. Differenzierungsklauseln mit Stichtag in der Zukunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 Teil 3 Das Verhältnis zwischen Differenzierungsklauseln im Mehrheitstarifvertrag und dem Nachzeichnungsrecht nach § 4a IV S. 1 TVG A. Auslegung im engeren Sinn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Wortlaut des § 4a IV S. 1 TVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Systematischer Zusammenhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Historie des § 4a IV TVG im Lichte des Gesetzgebungsverfahrens . . . . . . . . . . . . IV. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Verfassungskonforme Auslegung von § 4a IV TVG im Fall eines Mehrheitstarifvertrags mit Differenzierungsklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Verfassungskonforme Auslegung als Instrument zur Herstellung und Bewahrung der Einheit der Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Verfassungsmäßigkeit der gesetzlich angeordneten Tarifeinheit bei einem rein formalistisch verstandenen Nachzeichnungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Verfassungsmäßigkeit der gesetzlich angeordneten Tarifeinheit bei einem weit verstandenen Nachzeichnungsrecht mit einer wirtschaftlichen Gleichstellung aller tarifgebundenen Arbeitnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

326 328 328 329 331 339 339 340 343 346 349

C. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 Teil 4 Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse

351

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 410

Inhaltsverzeichnis Teil 1 Einleitung

21

A. Niedrige Organisationsquoten in den Verbänden als elementare Herausforgerung für das aktuelle Tarifvertragsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 B. Globale, regionale und lokale Faktoren für geringe Mitgliederzahlen . . . . . . . . . . . . . 23 C. Individualvertragliche Bezugnahmeregelungen als Brandbeschleuniger des Mitgliederschwundes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 D. Gegensteuerungsversuche von Seiten des Staates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 E. Differenzierungsklauseln als organisationspolitische Antwort auf die Gleichstellungsstrategie vieler Arbeitgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 I. Die Zulässigkeit tariflicher Differenzierungsklauseln im Spiegel einer jahrzehntelangen Debatte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 II. Kategorisierung und Nomenklatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 III. Rechtliche Bewertung durch BAG und Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 F. Unterscheidung anhand der Mitgliedschaft zu einem bestimmten Zeitpunkt als neue Facette innerhalb der Differenzierungsklauselproblematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 I. Unterschiedliche Behandlung von tarifgebundenen Arbeitnehmern als bekanntes Phänomen in der tarifvertraglichen Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 II. Grundlegende Judikate zu tariflichen Differenzierungsklauseln mit Stichtagsregelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 1. Urteil des BAG vom 9. 5. 2007 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 2. Urteil des BAG vom 18. 3. 2009 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 3. Urteile des BAG vom 5. 9. 2012 und 21. 8. 2013 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 4. Urteil des BAG vom 15. 4. 2015 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 a) Tatbestand und Verfahrensgang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 b) Urteilsgründe des BAG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 c) Bestätigung der Rechtsprechung in Folgeentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . 54 5. Beschluss des BVerfG vom 14. 11. 2018 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 6. Schlussfolgerungen aus den Entscheidungen und ihre Bedeutung für die vorliegende Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 a) Eingeschränkte Kommensurabilität der Entscheidungen als Folge unterschiedlicher Sachverhalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58

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Inhaltsverzeichnis b) Etablierung der Differenzierungsklauseln mit Stichtagsregelung als genuin eigenständige Kategorie in der BAG-Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 III. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61

G. Taxonomie der unterschiedlichen Arten der Differenzierungsklausel mit Stichtagsregelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62

Teil 2 Die Zulässigkeit der unterschiedlichen Arten von tarifvertraglichen Differenzierungsklauseln mit Stichtagsregelung

66

A. Grundlegende Präliminarien für die Prüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 I. Überblick über den strukturellen Aufbau der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 II. Methodische Grundausrichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 1. Freiheitlich-privatautonomes Verständnis von Tarifautonomie als argumentatives Fundament der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 2. Konsequenzen für die Darstellungsweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 3. Der ungeklärte Bedeutungsgehalt der „Tarifmacht“ als Belastung für eine einheitliche Terminologie und Struktur bei der Kontrolle von Tarifverträgen

72

B. Differenzierungsklausel mit Stichtag vor Abschluss des Tarifvertrags (Stichtag in der Vergangenheit) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 I. Hermeneutische Analyse und systematische Einordnung in das Gefüge der Differenzierungsklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 1. Position des BAG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 2. Kritik am ausschließlichen Fokus auf die „Binnendifferenzierung“ . . . . . . . . 76 3. Ermittlung des tatsächlichen Regelungszwecks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 a) Wortlaut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 b) Regelungswille der Tarifvertragsparteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 aa) Staffelung nach dem Beitrittszeitpunkt als unselbständige Vorstufe zur Erreichung der Außenseiter-Differenzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 bb) Sonderfall Tarifsozialplan: Einbindung der kritischen Unternehmenssituation in das strategische Kalkül der Tarifvertragsparteien . . . . . . . . 83 c) Ergebnis der Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 d) Auswirkung der konkreten Zweckbestimmung auf die Einordnung der Differenzierungsklausel mit Stichtagsregelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 e) Möglichkeit der Umdeutung einer Differenzierungsklausel mit Stichtag in der Vergangenheit in eine einfache Differenzierungsklausel . . . . . . . . . . . . 85

Inhaltsverzeichnis II. Kongruenz zwischen normativer Regelungsbefugnis und konkretem Tarifinhalt

13 86

1. Faktisch-überschießende Tarifnormwirkung als Überschreitung der normativen Regelungsbefugnis? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 a) Unterscheidung zwischen mittelbaren Auswirkungen des Tarifvertrags auf das Außenseiter-Arbeitsverhältnis und unmittelbarer Usurpation in den tariffreien Bereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 b) Anwendung der entwickelten Prinzipien auf die Differenzierungsklausel mit Stichtag in der Vergangenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 2. Verschleierte Abstrafung der Außenseiter durch die konkrete Ausgestaltung der Differenzierungsklausel mit Stichtagsregelung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 a) Abstrafung der Außenseiter als rechtlich relevantes Motiv . . . . . . . . . . . . . 93 aa) Abstrakte Berücksichtigungsfähigkeit der parteiinternen Motive neben dem gemeinsamen Willen der Tarifvertragsparteien . . . . . . . . . . . . . . . 94 bb) Abstrafung der Außenseiter als bewusstseinsdominantes Motiv beider Tarifvertragsparteien? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 (1) Gewerkschaftsseite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 (2) Arbeitgeberseite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 b) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 4. Sperrwirkung der §§ 111 ff. BetrVG gegenüber tarifvertraglicher Normsetzung bei Betriebsänderungen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 a) Argumente der Befürworter einer Sperrwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 b) Argumente der Gegner einer Sperrwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 c) Kritische Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 d) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 III. Inhaltliche Rechtmäßigkeit von Differenzierungsklauseln mit Stichtag in der Vergangenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 1. Präliminarien zur Überprüfung der konkreten Tarifnorm auf ihre Vereinbarkeit mit Verfassungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 2. Verstoß gegen die negative Koalitionsfreiheit der nicht- oder andersorganisierten Arbeitnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 a) Dogmatische Verankerung der negativen Koalitionsfreiheit . . . . . . . . . . . . 113 b) Eingriff in den Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 aa) Erheblichkeit des Beitrittsdrucks als entscheidender Maßstab . . . . . . . 117 bb) Sozialadäquanz als inhaltliche Leerformel ohne eigenständigen materiellen Bedeutungsgehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 cc) Anwendung der Prinzipien auf die Differenzierungsklausel mit Stichtag in der Vergangenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 (1) Auffassung des BAG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 (2) Eigene Auffassung: Kein Beitrittsdruck bei tariflichen Leistungen mit Stichtag in der Vergangenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122

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Inhaltsverzeichnis dd) Irrelevanz des Leistungsumfangs für die Frage nach dem Beitrittsdruck gegenüber Außenseitern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 ee) Verschlechterung der Verhandlungsposition für die Außenseiter durch Exklusivleistungen in einem Tarifsozialplan als Eingriff . . . . . . . . . . . 124 (1) Keine verfassungsrechtliche Gewährleistung einer Gleichbehandlung zwischen organisierten und nichtorganisierten Arbeitnehmer durch die negative Koalitionsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 (2) Unterschiedliche Lohnniveaus von Gewerkschaftsmitgliedern und Außenseitern als Grundannahme des deutschen Tarifvertragsrechts 128 (3) Keine Übertragung von § 75 I BetrVG auf den Tarifsozialplan . . . 129 (4) Keine generelle, verfassungsrechtlich institutionalisierte Rücksichtnahmepflicht der Tarifvertragsparteien gegenüber Außenseitern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 ff) Kein Eingriff in die negative Koalitionsfreiheit der Außenseiter durch den generalpräventiven Druck angesichts künftiger Sanierungstarifverträge mit Stichtagsklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 3. Verstoß gegen die Aus- bzw. Übertrittsfreiheit durch unmittelbaren Bleibedruck bei hohen Beträgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 4. Verstoß gegen die Aus- bzw. Übertrittsfreiheit durch die Kopplung der tariflichen Leistungen an eine Stichtagsklausel mit überlangen Bleibefristen und Rückzahlungsverpflichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 a) Überlange Bleibefrist als Eingriff? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 b) Überlange Bleibefrist mit Rückzahlungsverpflichtung als Eingriff? . . . . . . 140 c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 5. Verstoß gegen die individuelle positive Koalitionsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . 144 6. Verstoß gegen die Arbeitsvertragsfreiheit der nicht begünstigten Arbeitnehmer 147 a) Ausgangslage und maßgebliche Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 b) Dogmatische Verankerung und Schutzbereich der Arbeitsvertragsfreiheit

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c) Eingriff in die Arbeitsvertragsfreiheit durch die Differenzierungsklausel mit Stichtagsregelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 aa) Tarifliche Regelungen als Belastung für individualvertragliche Abmachungen zwischen nicht tarifgebundenen Arbeitsvertragsparteien . . . . 153 bb) Keine „rechtlich-logische Unmöglichkeit“ einer individualvertraglichen Regelung durch den Tarifvertrag mit Stichtagsklausel . . . . . . . . . 153 cc) Faktische Aussichtslosigkeit einer individualvertraglichen Abmachung als Äquivalent zur „rechtlich-logischen Unmöglichkeit“? . . . . . . . . . . 154 d) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 7. Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 a) Die Bindung der Tarifvertragsparteien an die Grundsätze der Gleichbehandlung bei der tariflichen Normsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157

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b) Notwendigkeit einer dogmatischen Begründung für die Bindung der Tarifvertragsparteien an die Gleichheitsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 aa) Stellungnahmen in Rechtsprechung und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 bb) Eigener Standpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 cc) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 c) Ansätze zur Erklärung einer Bindung der Tarifvertragsparteien an Art. 3 I GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 aa) Der Ansatz einer unmittelbaren Bindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 (1) Delegationstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 (2) Verwandte Erklärungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 bb) Theorie einer immanenten Bindung an Art. 3 I GG als Folge einer Rechtsidentität zwischen individueller Koalitionsfreiheit und Koalitionsvereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 cc) Theorie einer Bindung an die Gleichheitsrechte aufgrund des staatlichen Normgeltungsbefehls in § 4 I TVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 dd) Theorie einer mittelbaren Bindung der Tarifvertragsparteien an Art. 3 I GG infolge des staatlichen Schutzauftrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 (1) Schutzfunktion der Grundrechte im Privat- und Arbeitsrecht . . . . . 167 (2) Neuere Tendenzen des BVerfG im Hinblick auf die Anwendbarkeit des Art. 3 I GG in Privatrechtsverhältnissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 ee) Zweifel an einer Bindung der Tarifvertragsparteien an den allgemeinen Gleichheitssatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 d) Bewertung der präsentierten Modelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 aa) Keine unmittelbare Bindung an Art. 3 I GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 bb) Keine immanente Bindung als Folge einer Rechtsidentität zwischen individueller Koalitionsfreiheit und Koalitionsvereinbarung . . . . . . . . . 176 cc) Keine Bindung als Konsequenz aus dem staatlichen Normgeltungsbefehl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 dd) Keine mittelbare Bindung an Art. 3 I GG über die Schutzpflichtendimension der Grundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 ee) Keine mittelbare Bindung an Art. 3 I GG infolge der privaten Entscheidungsmacht der Tarifvertragsparteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 e) Eigener Ansatz: Bindung an den tarifrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 aa) Kohärenz zwischen tariflicher Normgeltung und dogmatischer Herleitung der Gleichbehandlungskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 bb) Willkürkontrolle als Schutzmechanismus bei Unterwerfung unter private Gestaltungsmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 cc) Gleichbehandlung als Mediatisierung der iustitia distributiva . . . . . . . 192 dd) Dogmatische Grundlagen für die Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes im Arbeitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 (1) Ansatz einer normativen Bindungswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195

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Inhaltsverzeichnis (2) Ansatz einer Rückführung auf ein „überpositives Ideal der Gerechtigkeit“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 (3) Ansatz einer Gleichbehandlungspflicht als Folge der arbeitgeberseitigen Fürsorgepflicht bzw. Pflicht zur Entscheidung nach billigem Ermessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 (4) Ansatz einer Gleichbehandlungspflicht als Folge einer Gemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 (5) Ansatz einer Gleichbehandlungspflicht als Folge einer privatautonomen Entscheidung der Arbeitnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 (6) Abschließende Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 ee) Übertragung auf das Tarifvertragsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 (1) Gleichmäßige privatautonome Legitimation des Tarifinhalts als entscheidender Anknüpfungspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 (a) Verbandsmitglieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 (b) Außenseiter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 (c) Sonderfall: Betriebsnormen im Sinne von § 3 II TVG? . . . . . . 208 (2) Kollektiver Bezug der tariflichen Maßnahme als zwingende Anwendungsvoraussetzung für den Gleichbehandlungsgrundsatz . . . . 209 (3) Beschränkung des Schutzes auf Situationen willkürlicher Schlechterstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 (4) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 f) Inhaltliche Konkretisierung des Prüfungsmaßstabs bei Differenzierungen zwischen Gewerkschaftsmitgliedern im Tarifvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 aa) Vorgehen des BVerfG bei der Feststellung der Kontrolldichte im Rahmen von Art. 3 I GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 bb) Besonderheiten des Rechtfertigungsmaßstabs im Verhältnis der Tarifvertragsparteien zu den einzelnen Verbandsmitgliedern . . . . . . . . . . . . 215 g) Aufgespaltene Regelung materieller Arbeitsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . 218 aa) Geltungsbereichsbeschränkungen in Tarifverträgen . . . . . . . . . . . . . . . 218 bb) Tarifvertragsübergreifende Gleichbehandlungskontrolle . . . . . . . . . . . . 220 cc) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 h) Willkürverbot auch bei schuldrechtlichen Vereinbarungen der Tarifvertragsparteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 aa) Keine materielle Kongruenz von normativer und schuldrechtlicher Regelungsbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 bb) Punktuelle Suspendierung der Angemessenheitsvermutung bei willkürlichen Differenzierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 i) Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen den tarifvertraglichen Gleichbehandlungsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 j) Zwischenergebnis: Bindung an den Gleichbehandlungsgrundsatz mit Willkürprüfung bei tariflichen Differenzierungen unter den tarifgebundenen Arbeitnehmern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229

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k) Anwendung der Prinzipien auf die Differenzierungsklausel mit Stichtag in der Vergangenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 aa) Unterscheidung innerhalb der Gewerkschaftsmitglieder als gleichbehandlungsrelevante Differenzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 bb) Rechtfertigung der Differenzierung anhand eines Stichtags in der Vergangenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 (1) Vorgehensweise bei der Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 (2) Rechtfertigungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 (a) Sanierungssituation als solche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 (b) Koalitionsspezifische Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 (c) Bedürfnis nach kalkulatorischer Sicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . 235 (aa) Bedürfnis nach kalkulatorischer Sicherheit bei einem begrenzten Finanzierungsvolumen im Tarifsozialplan . . . . . . 235 (bb) Bedürfnis nach kalkulatorischer Sicherheit als Rechtfertigungsgrund in anderen Rechtsgebieten . . . . . . . . . . . . . . . . 238 (cc) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 (3) Notwendiger Zusammenhang zwischen dem Kalkulationsinteresse der Tarifvertragsparteien und der Wahl des Stichtags . . . . . . . . . . . 239 (4) Keine objektive Kontrolle der Stichtagslösung auf eine vermeintliche Optimierung des Mitgliederschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 (5) Grenzen der Rechtfertigungsmöglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 (a) Qualitative Beschränkung bezüglich des Leistungsgegenstands auf Abfindungs- und Überbrückungszahlungen . . . . . . . . . . . . 244 (aa) Wiederkehrende Leistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 (bb) Sonderfall: Tariflicher Bestandsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . 248 (cc) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 (b) Vollständige Verteilung des Finanzierungsvolumens durch die Tarifvertragsparteien ohne Rückstellungen für Neumitglieder 251 (c) Notwendigkeit einer finanziellen Entschädigung für die Aufgabe des Sonderkündigungsschutzes auch für Neueinsteiger? 252 (aa) Verlust des Sonderkündigungsschutzes aufgrund normativer Tarifwirkung als zentrales Tatbestandsmerkmal . . . . . . . . . 254 (bb) Konkreter Nachteilsausgleich keine unmittelbare Kompensation für den Verlust des Sonderkündigungsschutzes . . . . 254 (cc) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 l) Ergebnis für diesen Abschnitt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 8. Verstoß gegen §§ 3 I, 4 I TVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 9. Ordnungsfunktion des Tarifvertrags als Schranke für differenzierende Regelungsinhalte? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 a) „Ordnungsfunktion“ als unpräzises Schlagwort zwischen faktischer Ordnungswirkung der Tarifverträge und normativer Ordnungsaufgabe für die Tarifvertragsparteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260

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Inhaltsverzeichnis b) Keine umfassende Rechtsetzungskompetenz der Tarifvertragsparteien über den Mitgliederkreis hinaus auf Grundlage eines vermeintlichen Ordnungsauftrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 c) Normative Pflicht zur Verantwortung und Rücksichtnahme gegenüber der gesamten Belegschaft auf Grundlage der Ordnungsfunktion? . . . . . . . . . . . 266 d) Erfüllung der öffentlichen Ordnungsaufgabe durch die Wahrnehmung gruppenspezifischer Interessen innerhalb der Reichweite der normativen Regelungsbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 e) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 10. Unzulässiges kollusives Zusammenwirken der Tarifvertragsparteien zu Lasten der Außenseiter? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 a) Keine Nichtigkeit des Tarifvertrags gemäß § 138 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . 275 b) Kollusives Zusammenwirken der Koalitionen zum Nachteil des Außenseiters als haftungsbegründende Schädigung im Sinne des § 826 BGB? . . . . . 277 aa) Argumentation des BVerfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 bb) Kein sittenwidriges Verhalten der Tarifvertragsparteien . . . . . . . . . . . . 278 cc) Keine zurechenbare Verknüpfung zwischen Abschluss des Tarifvertrags und tatbestandsmäßigem Schaden bei den Außenseitern . . . . . . . 279 dd) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 11. Exkurs: Verhältnis der tariflichen Differenzierungsklausel mit Stichtag in der Vergangenheit zu nationalen und unionsrechtlichen Kartellvorschriften . . . . . 281 a) Haustarifvertrag als Vereinbarung zwischen „Organisationen, die Arbeitgeber und Arbeitnehmer vertreten“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 b) Tarifvertrag mit Differenzierungsklausel und Stichtagsregelung als „Vereinbarung zur unmittelbaren Verbesserung der Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen“? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 12. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 IV. Betriebsverfassungsrechtliche Aspekte bei Tarifsozialplänen mit exklusiven Leistungen für bestimmte Gewerkschaftsmitglieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 1. Übernahme von Regelungen aus dem Tarifsozialplan als zulässige Vorgehensweise im betrieblichen Sozialplanverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 2. Übernahme von Regelungen aus dem Tarifsozialplan bei gleichzeitiger Besserstellung bestimmter Gewerkschaftsmitglieder in einem parallelen Tarifvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 3. Auswirkungen auf die Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 V. Bezugnahmerechtliche Aspekte bei der individualvertraglichen Weitergabe der tariflichen Sonderleistungen im Außenseiter-Arbeitsverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . 297 1. Die bisherige Auslegungspraxis in Rechtsprechung und Schrifttum bei der arbeitsvertraglichen Bezugnahme auf differenzierende Tarifinhalte . . . . . . . . 297 2. Würdigung und eigene Herangehensweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 a) Im Ausgangspunkt autonome Vertragsauslegung: Ausschließliche Berücksichtigung des übereinstimmenden Willens der Arbeitsvertragsparteien . . . 300

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b) Kontrolle dieser Grundsätze im Hinblick auf die Auslegungspraxis des BAG bei individualvertraglichen Bezugnahmeklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . 302 3. Auslegung der individualvertraglichen Bezugnahmeklausel bei einer tariflichen Differenzierungsklausel mit Stichtag in der Vergangenheit . . . . . . . . . . . 305 4. Keine Kontrolle auf einen Verstoß gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz bei bloßer Bezugnahme auf tarifliche Regelungen im Individualarbeitsverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 a) Sichtweise des BAG und BVerfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 b) Eigener Standpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 5. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 C. Differenzierungsklauseln mit individuellen Wartezeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 I. Verstoß gegen die negative Koalitionsfreiheit der Außenseiter . . . . . . . . . . . . . . . 312 II. Verstoß gegen die positive Koalitionsfreiheit der Neumitglieder . . . . . . . . . . . . . . 313 III. Verstoß gegen die Arbeitsvertragsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 IV. Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 1. Kalkulatorische Sicherheit als ausreichender Sachgrund für eine Ungleichbehandlung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 2. Notwendigkeit eines Sachgrunds selbst bei vermeintlich geringfügigen Ungleichbehandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 a) Vermeidung von Mitnahmeeffekten als Sachgrund? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 b) Konkrete Anforderungen an den Sachgrund „Vermeidung von Mitnahmeeffekten“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 aa) Maximale Höchstfrist der tariflichen Anwartschaftsphase . . . . . . . . . . 319 bb) Konnexität zwischen Leistungshöhe und Mindestmitgliedschaftsdauer? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 c) Ausnahmeregelungen für den laufenden Bezugszeitraum? . . . . . . . . . . . . . 320 V. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322 D. Differenzierungsklauseln mit Stichtag in der Zukunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323

Teil 3 Das Verhältnis zwischen Differenzierungsklauseln im Mehrheitstarifvertrag und dem Nachzeichnungsrecht nach § 4a IV S. 1 TVG

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A. Auslegung im engeren Sinn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 I. Wortlaut des § 4a IV S. 1 TVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 II. Systematischer Zusammenhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 III. Historie des § 4a IV TVG im Lichte des Gesetzgebungsverfahrens . . . . . . . . . . . . 331 1. Die Entstehung und Entwicklung des Nachzeichnungsrechts zum Schutz der Minderheitsgewerkschaft bis zum Regierungsentwurf vom 11. 12. 2014 . . . . . 332

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Inhaltsverzeichnis 2. Entwicklungsstufen des Nachzeichnungsrechts im parlamentarischen Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334 3. Bewertung der historischen Entwicklung im Hinblick auf die Reichweite des Nachzeichnungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 IV. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339

B. Verfassungskonforme Auslegung von § 4a IV TVG im Fall eines Mehrheitstarifvertrags mit Differenzierungsklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 I. Verfassungskonforme Auslegung als Instrument zur Herstellung und Bewahrung der Einheit der Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340 II. Verfassungsmäßigkeit der gesetzlich angeordneten Tarifeinheit bei einem rein formalistisch verstandenen Nachzeichnungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 III. Verfassungsmäßigkeit der gesetzlich angeordneten Tarifeinheit bei einem weit verstandenen Nachzeichnungsrecht mit einer wirtschaftlichen Gleichstellung aller tarifgebundenen Arbeitnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346 IV. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 C. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349

Teil 4 Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse

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Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 410

Teil 1

Einleitung A. Niedrige Organisationsquoten in den Verbänden als elementare Herausforgerung für das aktuelle Tarifvertragsrecht Die Situation der Tarifautonomie in Deutschland ist beunruhigend. Obwohl auch 2018 noch die überwiegende Mehrheit der Arbeitsverhältnisse – 78,8 Prozent in Westdeutschland bzw. 69,2 Prozent in Ostdeutschland – tarifgebunden war oder sich zumindest an einem Tarifvertrag orientierte1, zeigt ein Blick auf die Mitgliederzahlen der Dachverbände, dass insbesondere die DGB-Gewerkschaften vor existenziellen Herausforderungen stehen. Waren kurz nach der Wiedervereinigung im Jahr 1991 noch circa 11,8 Mio.2 Arbeitnehmer Mitglied einer der angegliederten Gewerkschaften, hat sich diese Zahl bis 2020 (5,85 Mio.)3 in etwa halbiert. Zwar konnte der kontinuierliche, bundesweite Abwärtstrend in den vergangenen Jahren annähernd gestoppt werden4, dennoch attestieren die Statistiken der Arbeitnehmerseite eine alarmierend niedrige Organisationsquote. Berücksichtigt man neben den DGBGewerkschaften auch sämtliche weiteren Arbeitnehmerkoalitionen, waren bei der letzten verfügbaren allgemeinen Erhebung im Jahr 2016 nur noch 18,5 Prozent aller aktiv Beschäftigten einer Gewerkschaft angehörig.5 Damit ist der Netto-Organisationsgrad auf Arbeitnehmerseite in den letzten 20 Jahren um etwa ein Drittel gesunken.6 Obgleich ähnlich konkrete Aussagen für die Arbeitgeber mangels belastbarer Daten7 nicht möglich sind, lässt der Grad der Tarifbindung annäherungsweise 1

Ellguth/Kohaut, WSI-Mitteilungen 4/2019, 290 (293); zum Begriff der Tariforientierung siehe nur Berwing, Tariforientierung in Deutschland, passim. 2 https://www.dgb.de/uber-uns/dgb-heute/mitgliederzahlen/1950-1993, zuletzt abgerufen am 17. 9. 2021. 3 https://www.dgb.de/uber-uns/dgb-heute/mitgliederzahlen/2020-2029, zuletzt abgerufen am 17. 9. 2021. 4 Vgl. https://www.dgb.de/uber-uns/dgb-heute/mitgliederzahlen/2010, zuletzt abgerufen am 17. 9. 2021. 5 H. Schneider, IW-Kurzbericht 80/2018, 1 unter Berufung auf die Allgemeine Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften (ALLBUS) aus dem Jahr 2016. 6 H. Schneider, IW-Kurzbericht 80/2018, 1. 7 Vgl. Höpfner, Verfassungsrechtliche Grenzen, S. 1.

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Teil 1: Einleitung

Rückschlüsse auf deren Organisationstendenz zu: Waren 2012 noch 30 Prozent der westdeutschen und 17 Prozent der ostdeutschen Unternehmen an einen Branchentarif gebunden8, belief sich der Anteil im Jahr 2018 nur noch auf 27 Prozent bzw. 17 Prozent.9 Sehr wahrscheinlich dürften einige Arbeitgeber in diesem Zeitraum zu einer OT-Mitgliedschaft umgeschwenkt sein und damit in der Statistik nach wie vor als Verbandsangehörige behandelt werden. Allerdings deutet die degressive Entwicklung in der Bindung an einen Branchentarif darauf hin, dass die Organisationsquote auch auf Arbeitgeberseite jedenfalls in den westdeutschen Bundesländern spürbar zurückgegangen ist. Die strukturelle Schwäche im Mitgliederbestand sowohl im Arbeitnehmer- als auch im Arbeitgeberlager ist dabei als Folgeerscheinung einer auf Freiwilligkeit basierenden Koalitionszugehörigkeit zwar im Ausgangspunkt hinzunehmen,10 zeitigt jedoch ab einem bestimmten Grad Konsequenzen, die unmittelbar an den liberalen Grundfesten der deutschen Arbeitsverfassung rütteln. Das Grundgesetz baut in Art. 9 III GG zentral auf eine leistungsstarke, vitale Tarifautonomie, die wesentlich von den Angehörigen der Verbänden getragen wird.11 Nur wenn ihre Funktionsfähigkeit gesichert und die Gestaltungsmacht der Sozialpartner auf dem Arbeitsmarkt hinreichend spürbar ist, schlägt sich die von der Verfassung vorausgesetzte größere Sachnähe der Tarifvertragsparteien12 in der Breite angemessen nieder und rechtfertigt damit den grundsätzlichen Vorrang tariflicher Vereinbarungsmechanismen gegenüber einer staatlicherseits gelenkten Festsetzung der Arbeitsbedingungen. Werden aber immer weniger Arbeitsverhältnisse von der Normativität eines Tarifvertrags erfasst, droht das verfassungsrechtliche Idealbild vom Vorrang der Tarifautonomie nicht mehr aufrechterhalten werden zu können.13 Die Rückläufigkeit mitgliedschaftlich legitimierter tariflicher Gestaltungsmacht hat vielmehr zur Folge, dass sich der Gesetzgeber zur Wahrung sozialer Mindeststan8

Ellguth/Kohaut, WSI-Mitteilungen 4/2013, 281 (283). Ellguth/Kohaut, WSI-Mitteilungen 4/2019, 290 (292). 10 Noch stärker Rieble, EuZA 2012, 496 (498): Schwindende Organisationsgrade auf beiden Seiten und die daraus resultierende nachlassende Tarifbindung seien „positiv zu billigende Entscheidungen – weil doch Arbeitnehmer und Arbeitgeber selbst am besten wissen müssen, welche Arbeitsbedingungen sie wollen.“. 11 Siehe einstweilen nur Franzen, Stärkung der Tarifautonomie, S. 13; Seiwerth, Gestaltungsfreiheit, S. 455 f.; ders., RdA 2014, 358 ff.; Waltermann, Differenzierungsklauseln, S. 21 ff. 12 BAG v. 15. 4. 2015 – 4 AZR 796/13, AP TVG § 3 Nr. 57 (Rn. 32); BAG v. 25. 1. 2012 – 4 AZR 147/10, AP GG Art. 3 Nr. 324 (Rn. 32); BAG v. 17. 12. 2009 – 6 AZR 665/08, AP TVÜ § 4 Nr. 1 (Rn. 19); vgl. auch BVerfG v. 27. 4. 1999 – 1 BvR 2203/93 u. a., NZA 1999, 992 [II. 1. c) aa) der Gründe]; BVerfG v. 24. 4. 1996 – 1 BvR 712/86, NJW 1997, 513 [C. II. 1. der Gründe]; BVerfG v. 4. 7. 1995 – 1 BvF 2/86 u. a., AP AFG § 116 Nr. 4 [C. I. 1. a) der Gründe]; BVerfG v. 26. 6. 1991 – 1 BvR 779/85, AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 117 [C. I. 1. a) der Gründe]; ErfK/ Franzen, § 1 TVG Rn. 7; JKOS/Krause, § 1 Rn. 21; siehe ebenfalls BT-Drucks. 12/5888, S. 20; BT-Drucks. 14/5741, S. 25 f. 13 Ähnlich Preis/Ulber, FS Kempen, S. 15 (29); vgl. auch die Begründung für das sog. Tarifautonomiestärkungsgesetz, BT-Drucks. 18/1558, S. 26. 9

B. Globale, regionale und lokale Faktoren für geringe Mitgliederzahlen

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dards vermehrt zum Eingreifen verpflichtet sieht. Sichtbares Zeichen und wohl prominentestes Beispiel hierfür ist der seit 2015 geltende gesetzliche Mindestlohn, der mit seiner einseitig zwingenden Lohnfestsetzung in einen ursprünglich genuin tariflichen Aufgabenbereich vordringt und mit den Regelungen zum Schutz der Arbeitnehmer jedenfalls punktuell den Ausfall tariflicher Regelungsmacht kompensieren musste. Gerade im Niedriglohnsektor fehlte den Tarifvertragsparteien eine durch Mitgliedschaft vermittelte Machtbasis, um flächendeckend für ein auskömmliches Lohnminimum zu sorgen.14

B. Globale, regionale und lokale Faktoren für geringe Mitgliederzahlen Zwar kann und muss diese Arbeit keine umfassenden Nachforschungen zu den Ursachen für die niedrigen Organisationsquoten anstellen, dennoch ist es für den Horizont der Untersuchung lohnenswert, sich zumindest überblicksweise mit den möglichen Gründen hierfür auseinanderzusetzen. Eine solche Vorgehensweise verspricht nicht nur einen ungetrübten Blick auf die organisationspolitische „Großwetterlage“, sondern ermöglicht es gleichermaßen, die jeweiligen Regelungen der Tarifvertragsparteien vor einem allgemeineren Hintergrund zu sehen und somit Schlüsse auf das längerfristige strategische Kalkül der Koalitionen zu ziehen. Dabei stellt man allerdings schnell fest, dass sich die aktuelle Krisensituation nicht monokausal auf ein Ereignis oder einen bestimmten Umstand zurückführen lässt. Vielmehr handelt es sich um das Produkt kumulierender Faktoren, die sich gegenseitig bedingen und mitunter sogar verstärken.15 Grob vereinfacht lassen sie sich in globale, regionale und lokale Gründe unterteilen. Beispielsweise verlieren viele DGB-Gewerkschaften im digitalen, globalisierten Zeitalter regelmäßig große Teile ihres angestammten Mitgliederklientels, wenn arbeitsintensive Produktionsschritte unter günstigen Rahmenbedingungen wie etwa dem europäischen Binnenmarktsystem zu geringeren Personalkosten ins Ausland verlagert werden.16 Verbleiben wie häufig neben der Unternehmensführung lediglich die hoch technologisierten Entwicklungsprozesse in Deutschland, tragen insbesondere Gewerkschaften, die nach dem Industrieverbandsprinzip organisiert sind, schwer daran, die entstandenen Verluste im Mitgliederbestand adäquat zu kompensieren. Angesichts des internationalen Wettstreits um Fachkräfte in den hochspezialisierten Berufen sind die Verhandlungsbedingungen für die in Deutschland 14 Vgl. nur BT-Drucks. 18/1558, S. 1; HMB/Engels, Teil 1 Rn. 2; C. Picker, RdA 2014, 25 (27): „Strukturelles Versagen der Tarifautonomie“; Seiwerth, NZA 2014, 708 (709); Spielberger/Schilling, NJW 2014, 2897 (2903); ähnlich bereits Rieble, EuZA 2012, 496 (497 f.). 15 Seiwerth, EuZA 2014, 450 (451); vgl. auch Dribbusch/Birke, Gewerkschaften in Deutschland, S. 11 f.; Lübker/Schulten, Tarifbindung, S. 3. 16 Ähnlich Dribbusch/Birke, Gewerkschaften in Deutschland, S. 11.

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Teil 1: Einleitung

verbleibenden Arbeitnehmer in aller Regel überdurchschnittlich gut, weshalb die Gewerkschaften in diesen Bereichen Schwierigkeiten haben, eine entsprechend hohe Anzahl an Beschäftigten zu organisieren.17 Zusätzlich verstärkt werden diese Einflüsse durch regionale Entwicklungen in der Bundesrepublik Deutschland, die sich fundamental auf vormalige Gewerkschaftshochburgen wie etwa die Automobilindustrie oder den Bergbau auswirken.18 Führt beispielsweise ein politisch verordneter Kohleausstieg zum Arbeitsplatzverlust im Braun- oder Steinkohleabbau, wird damit zwangsläufig auch die zuständige IG BCE geschwächt. Nicht überraschen dürfte vor diesem Hintergrund die Tatsache, dass deren Funktionären viele Forderungen der „Fridays for Future“-Bewegung, insbesondere nach einem vorgezogenen Ausstieg aus dem Kohletagebau, zu weit gehen.19 Auch die IG Metall mahnt im Hinblick auf den drohenden Arbeitsplatzverlust zahlreicher Beschäftigter vor einer überstürzten Umsetzung der Klimaziele auf Kosten der Beschäftigten.20 Doch nicht nur der Strukturwandel in Automobil- bzw. Montanindustrie und die politisch forcierte Hinwendung zu erneuerbaren Energiemodellen ist auf regionaler Ebene allein für die niedrigen Mitgliederzahlen bei den Gewerkschaften verantwortlich. Vielmehr spiegelt sich in diesem Trend auch eine gesamtgesellschaftliche Entwicklung wider, die durch eine stärkere Individualisierung und damit eine gesteigerte Fokussierung auf den eigenen wirtschaftlichen und persönlichen Erfolg gekennzeichnet ist. Besonders einschneidend beobachten lässt sich das allgemeine Phänomen am Rückgang der Kirchenmitgliedschaften21 sowie an der quotal sinkenden Bereitschaft, in Berufs-, Sport- und Freizeitverbänden ein Ehrenamt zu übernehmen.22 Der Sog dieser „Entsolidarisierung“ erfasst mittelbar auch die Gewerkschaften, die auf ein breites überobligatorisches Engagement innerhalb der Arbeitnehmerschaft angewiesen und damit von der zersetzenden Wirkung einer verstärkt individualisierten Berufs- und Lebenswirklichkeit in ähnlicher 17 Fickinger, FAZ v. 2. 4. 2019, S. 16; Seiwerth, RdA 2014, 358 (361); ähnlich die soziologische Auswertung von Biebeler/Lesch, Wirtschaftsdienst 2015, 710 (712 f.). 18 Dribbusch/Birke, Gewerkschaften in Deutschland, S. 11; siehe auch B. Peters, Gewerkschaften, eine bedrohte Art. 19 Vgl. FAZ.NET v. 18. 9. 2019, abrufbar unter https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/mehrwirtschaft/gewerkschaft-gehen-forderungen-von-fridays-for-future-zu-weit-16390124.html, zuletzt abgerufen am 17. 9. 2021. 20 IG Metall, Gemeinsam Druck machen – Für einen sozialen, ökologischen und demokratischen Wandel, S. 1. 21 Ebenso Franzen, Stärkung der Tarifautonomie durch Anreize zum Verbandsbeitritt, S. 14, wenngleich auch die zahlreichen Kirchenaustritte bei beiden großen christlichen Konfessionen nicht pauschal und monokausal auf eine zunehmende „Entsolidarisierung“ der Bevölkerung zurückgeführt werden dürfen. 22 Vgl. auch Zweiter Bericht über die Entwicklung des bürgerschaftlichen Engagements in der Bundesrepublik Deutschland des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hrsg.) v. 30. 3. 2017, BT-Drucks. 18/11800, S. 177 ff.; Gensicke, Freiwilliges Engagement in Deutschland, S. 84 f., insbes. Grafik B12; Krimmer/Priemer, ZiviZ-Survey 2012, S. 42 ff.

B. Globale, regionale und lokale Faktoren für geringe Mitgliederzahlen

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Weise betroffen sind.23 Zudem haben sich immaterielle Narrative wie etwa die „Solidarität innerhalb der Arbeiterschaft“ und der „Klassenkampf gegen das Kapital“ zunehmend abgenutzt und entfalten nicht mehr die gewaltige kollektive Dynamik wie noch zur Hochzeit der Arbeiterbewegung um die Jahrhundertwende. Möglicherweise ist dieser Trend auch ein Teil der Erklärung, weshalb in zahlreichen weiteren europäischen Staaten die Tendenz zu sinkenden Mitgliederzahlen beobachtet werden kann.24 Neben dieser soziokulturellen Entwicklung spielen auf regionaler Ebene drei arbeitsmarktspezifische Faktoren ebenfalls eine gewichtige Rolle. Zum einen hat die Ausweitung des Niedriglohnsektors, in dem die Gewerkschaften traditionell schwach vertreten sind, zu verstärkten gesetzgeberischen Initiativen geführt, die wiederum ihrerseits den Anreiz für eine Verbandsmitgliedschaft mindern oder sogar gänzlich ausschließen.25 Darüber hinaus sorgte der Wandel weg von einer Industriehin zu einer modernen Dienstleistungsgesellschaft für vermehrt dezentralisierte Betriebe mit flacheren Hierarchien.26 Sind sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer – wie in solch kleineren Einheiten üblich – häufig persönlich bekannt, liegt die psychische Hemmschwelle für einen konfrontativen Arbeitskampf und allgemein die Herausbildung einer kollektiven Interessenvertretung auf Arbeitnehmerseite deutlich höher als in der relativen Anonymität eines Massenbetriebs.27 Zum dritten ergab sich insbesondere bei größeren Arbeitgebern wie etwa der Deutschen Bahn oder der Lufthansa von Zeit zu Zeit eine interne Spaltung der organisierten Arbeitnehmerschaft. Während die breit aufgestellten DGB-Gewerkschaften hauptsächlich die Interessen für das Gros der Belegschaft vertreten, haben sich gleichsam als Gegenentwurf hierzu kleine, aber äußerst schlagkräftige Spartengewerkschaften für sog. „Funktionseliten“ und Arbeitnehmer in Schlüsselpositionen herausgebildet28, die eine weitgehend unabhängige Klientelpolitik betreiben und sich sogar teilweise in offener Gegnerschaft zu den „großen“ DGB-Gewerkschaften positionieren. Die Zergliederung in der Gewerkschaftslandschaft ist somit ein weiteres Hindernis für 23

Siehe auch BMAS, Anpacken. Ergebnisbericht Handlungsempfehlungen, S. 25. Vgl. Kempen/Zachert/Wendeling-Schröder, § 3 TVG Rn. 293; ebenfalls mit Blick auf die Tarifmodelle der europäischen Nachbarn und die Möglichkeit einer Übertragung ins deutsche Recht Fornasier, SR 2017, 238 ff. und Seiwerth, EuZA 2014, 450 ff. 25 C. Picker, RdA 2014, 25 (27); Seiwerth, RdA 2014, 358 (359). 26 In diese Richtung auch Dribbusch/Birke, Gewerkschaften in Deutschland, S. 12; Ebbinghaus, Die Mitgliederentwicklung deutscher Gewerkschaften, S. 188 ff.; Lübker/Schulten, Tarifbindung, S. 3. 27 Vgl. Seiwerth, RdA 2014, 358 (361); siehe zudem für den Zusammenhang von Betriebsgröße und Organisationsbereitschaft Biebeler/Lesch, Wirtschaftsdienst 2015, 710 (713 f.); Fickinger, FAZ v. 2. 4. 2019, S. 16; Pyhel, WSI-Mitteilungen 6/2006, 341 (343 ff.). 28 Insbes. Olson, The Logic of Collective Action, S. 48 f., 53 ff. gelingt in seiner sozioökonomischen Analyse der Nachweis, dass die Erfolge kleinerer Gewerkschaften im Wesentlichen auf deren Homogenität, den geringeren Organisationsaufwand, die erleichterten Partizipationsmöglichkeiten und die höhere Identifikation mit den Gruppenzielen zurückzuführen sind; daran anknüpfend Keller, Kooperation oder Konflikt?, S. 8 f. 24

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Teil 1: Einleitung

eine einheitlich koordinierte Interessenverfolgung auf Arbeitnehmerseite, was wiederum der Durchsetzungsfähigkeit der großen Verbände und damit mittelbar deren eigener Attraktivität schadet. Zu den globalen und regionalen Gründen für die niedrigen Organisationsquoten innerhalb der Koalitionen tritt außerdem ein lokal-betrieblicher Faktor, der speziell die tarifgebundenen Unternehmen betrifft. Besonders die Flächentarifverträge werden von vielen Arbeitgebern als zu unflexibel empfunden29, weshalb letztere oftmals eine Ausnahmeregelung in Form einer Öffnungsklausel für sich einfordern.30 Sollten die Gewerkschaften als Verhandlungspartner diesem Ansinnen nicht nachkommen, liegt es nahe, dass die Arbeitgeber aus dem Verband austreten und sich darauf beschränken, Haustarifverträge zu schließen, die stärker auf die individuellen Bedürfnisse des Unternehmens eingehen können.31

C. Individualvertragliche Bezugnahmeregelungen als Brandbeschleuniger des Mitgliederschwundes Der wohl wirkmächtigste Grund für den Niedergang der Mitgliedschaftszahlen in den DGB-Gewerkschaften dürfte allerdings die weit verbreitete Praxis sein, tarifliche Lohnbedingungen über eine individualvertragliche Bezugnahmeklausel und damit auf schuldrechtlichem Weg auch in den Außenseiter-Arbeitsverhältnissen zu gewähren.32 Im Jahr 2018 erhielt auf diese Weise bundesweit etwa die Hälfte aller Arbeitnehmer, auf die der Tarifvertrag nicht bereits normativ Anwendung fand, tarifliche Leistungen oder zumindest Leistungen, die sich am Niveau des Branchentarifs orientierten.33 Gemeinhin wird die Bezugnahme von Tarifverträgen als Ausfluss der individuellen, privatautonomen Gestaltungsmöglichkeiten der Vertragsparteien für zulässig gehalten.34 Die Motive für eine schuldrechtliche Vereinbarung zur Anwendung der Tarifnormen im Arbeitsverhältnis sind vielfältig: Der Arbeitgeber will mit der 29 Vgl. hierzu nur Schlochauer, FS Hromadka, S. 379; Stumpfe, NZA-Beilage 2000, 1 ff.; Winkler, NZA-Beilage 2000, 10 (15 ff.). 30 Vgl. I. Kramer, FAZ v. 11. 10. 2018, S. 20; Gesamtmetall, Geschäftsbericht 2003 – 2005, S. 6; ferner Ellguth/Kohaut, WSI-Mitteilungen 4/2019, 290; Rieble, EuZA 2012, 496 (498). 31 Vgl. Brossardt, Mittelbayerische v. 23. 8. 2019. 32 Nach Preis/Greiner, Der Arbeitsvertrag, II V 40 Rn. 1 gehören Bezugnahmeklauseln zum „Kernbestand jeder arbeitsvertraglichen Regelung“. Vgl. auch Gamillscheg, Band I, S. 730, der § 3 I TVG wegen der weiten Verbeitung der Bezugnahmeklauseln als von der Rechtswirklichkeit „überrollt“ ansieht; ähnlich auch Wiedemann/Oetker, § 3 TVG Rn. 34. 33 Ellguth/Kohaut, WSI-Mitteilungen 4/2019, 290 (291 f.). 34 Vgl. nur BAG v. 23. 3. 2011 – 4 AZR 366/09, AP GG Art. 9 Nr. 147 (Rn. 46); HWK/ Henssler, § 3 TVG Rn. 18; Wiedemann/Oetker, § 3 TVG Rn. 329; E. M. Willemsen, Die arbeitsvertragliche Bezugnahme, S. 46 ff.; vereinzelte, allerdings in der Sache nicht durchgreifende Bedenken bei Herschel, DB 1969, 659 und Schüren, RdA 1988, 138 (148).

C. Individualvertragliche Bezugnahmeregelungen als Brandbeschleuniger

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Klausel als „verkürzte Absprache über den Vertragsinhalt“35 in aller Regel einheitliche Arbeitsbedingungen in seinem Unternehmen herbeiführen und damit die nichtorganisierten Arbeitnehmer auf dieselbe Stufe wie deren organisierten Kollegen stellen.36 Die tariflichen Arbeitsbedingungen müsste er bei einem Gewerkschaftsbeitritt der Außenseiter ohnehin zahlen.37 Mit dieser freiwilligen Anpassung an das tarifliche Lohnniveau kann er diesen Arbeitnehmern zugleich signalisieren, dass ein Gewerkschaftsbeitritt nicht notwendig ist, um an die regelmäßig günstigeren tariflichen Leistungen zu gelangen. Vermittels der Bezugnahmeklauseln werden durch die angestoßene Homogenisierung der Arbeitsverhältnisse in der gesamten Belegschaft mittelbar auch die Gewerkschaften „klein“ gehalten, was sich längerfristig gedacht negativ auf deren soziale Mächtigkeit auswirkt und damit wiederum der Arbeitgeberseite als dem sozialen Gegenspieler zugutekommt.38 Zudem kann der Arbeitgeber bei einer einheitlichen Anwendung der Tarifbedingungen gegenüber allen Arbeitnehmern auf die unzulässige Frage nach der Verbandsmitgliedschaft verzichten.39 Für den Außenseiter-Arbeitnehmer haben Bezugnahmeklauseln den Vorteil, an den regelmäßig besseren Arbeitsbedingungen der Tarifverträge partizipieren zu können, ohne selbst Beiträge entrichten oder Angehöriger eines Verband sein zu müssen, dessen arbeitsmarkt- bzw. gesellschaftspolitische Einstellung er möglicherweise nicht mitträgt und durch seine Mitgliedschaft nicht zusätzlich unterstützen möchte. Neben diesen subjektiven Motiven wird die Verwendung von Bezugnahmeklauseln in Individualarbeitsverhältnissen zur Gleichstellung der Belegschaft de lege lata durch günstige gesetzliche Rahmenbedingungen unterstützt. Beispielsweise kennt das TVG keinen Solidaritätsbeitrag oder ein ähnliches Nutzungsentgelt, das 35 BAG v. 18. 3. 2009 – 4 AZR 64/08, AP TVG § 3 Nr. 41 (Rn. 27); LAG Düsseldorf v. 10. 8. 2011 – 7 Sa 534/11, BeckRS 2011, 77256 [II. 1. der Gründe]; Gamillscheg, Band I, S. 732; D. Gaul, ZTR 1991, 188 (191 f.); Jacobs, Tarifeinheit, S. 182; Reichel, Die arbeitsvertragliche Bezugnahme, S. 9 f.; E. M. Willemsen, Die arbeitsvertragliche Bezugnahme, S. 65; vgl. auch Thüsing/Lambrecht, RdA 2002, 193 (200). 36 ErfK/Franzen, § 3 TVG Rn. 29; HWK/Henssler, § 3 TVG Rn. 16; Wiedemann/Oetker, § 3 TVG Rn. 301 ff.; Gamillscheg, Band I, S. 730 ff; B. Gaul, ZfA 2003, 75 (76 f.); Lobinger/ F. Hartmann, RdA 2010, 235 (237). 37 Giesen, Anm. zu AP BGB § 242 Gleichbehandlung Nr. 220 (2. a.); ders., ZfA 2010, 657 (675). 38 Däubler/Lorenz, § 3 TVG Rn. 217; Kempen/Zachert/Brecht-Heitzmann, § 3 TVG Rn. 162; Löwisch/Rieble, § 3 TVG Rn. 512; Däubler, ZTR 1994, 448 (451); P. Hanau/Kania, FS Schaub, S. 239 (246); Klebeck, SAE 2007, 271; Lobinger/F. Hartmann, RdA 2010, 235 (237); Reichel, Die arbeitsvertragliche Bezugnahme, S. 3; Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn. 1719; Seitz/Werner, NZA 2000, 1257; Stein, AuR 2003, 361; E. M. Willemsen, Die arbeitsvertragliche Bezugnahme, S. 30; gegen eine Überbewertung dieses Arguments jedoch Gamillscheg, Band I, S. 731. 39 BAG v. 4. 9. 1996 – 4 AZR 135/95, AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 5 [II. a) bb) der Gründe]; HWK/Henssler, § 3 TVG Rn. 16; Löwisch/Rieble, § 3 TVG Rn. 512; B. Gaul, ZfA 2003, 75 (77); Lobinger/F. Hartmann, RdA 2010, 235 (237); für eine „untergeordnete Bedeutung“ dieses Motivs dagegen Kempen/Zachert/Brecht-Heitzmann, § 3 TVG Rn. 161.

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Teil 1: Einleitung

die Arbeitsvertragsparteien bei der Übernahme tariflicher Regelungen an die Tarifvertragsparteien als Urheber der kollektivrechtlichen Vorschriften entrichten müssten.40 Darüber hinaus wird der Bezugnahmevorgang nicht von einem wie auch immer gearteten Zustimmungserfordernis seitens der Tarifvertragsparteien abhängig gemacht41, sodass eine Gleichstellung der Außenseiter mit den tarifgebundenen Arbeitnehmern im Betrieb ohne größere organisatorische Hürden erfolgen kann. Anders als noch unter dem Eindruck des § 1 II TVVO werden Arbeitsvertragsparteien, die den Tarifvertrag lediglich in Bezug nehmen, zudem nicht mehr wie „beteiligte Personen“ behandelt, die vom tariflichen Niveau nicht zu Lasten des Arbeitnehmers abweichen dürfen.42 Diese Liberalisierung im TVG verschafft dem Arbeitgeber ein Mehr an Flexibilität, weshalb die arbeitsvertragliche Bezugnahme von Tarifregelungen gerade für ihn grundsätzlich lukrativer ist als eine Herbeiführung des tariflichen Lohnniveaus über eine normative Tarifwirkung. Für die Verbände ihrerseits und insbesondere die Gewerkschaften ergibt sich aus diesen umfassenden Bezugnahmemöglichkeiten im Individualarbeitsverhältnis jedoch ein Dilemma: Der von ihnen erarbeitete Vorsprung zugunsten der tarifgebundenen Arbeitnehmer in Gestalt von günstigeren Arbeitsbedingungen wird ohne eine spezielle Absicherung im Tarifvertrag durch die arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklauseln regelmäßig nivelliert. War die Aussicht auf bessere Arbeitsbedingungen ursprünglich ein starker Impetus für einen Gewerkschaftsbeitritt, verliert dieser Beweggrund zumindest bei einer betriebs- oder sogar unternehmensweiten Vereinheitlichung der Arbeitsverhältnisse durch eine umfassende Gleichstellung der Belegschaft seine Anziehungskraft. Werden Außenseiter ohne weiteres Zutun lediglich wegen ihrer Arbeitnehmerstellung wie Gewerkschaftsmitglieder behandelt, fällt bei ihnen damit ein zentrales Motiv für eine Verbandsangehörigkeit weg. Dieser Umstand senkt auf Arbeitnehmerseite nicht nur unmittelbar die Attraktivität einer Gewerkschaftsmitgliedschaft, sondern dürfte sogar ein Anreizsystem gegen eine Verbandsmitgliedschaft entfalten. In der Gesamtschau wird daher deutlich, welch weitreichende Steuerungsmacht sich beim jeweiligen Arbeitgeber im Falle einer Verwendung von Bezugnahmeklauseln konzentriert.43 Er entscheidet durch die Gestaltung der Vertragsbedingungen faktisch allein, in welchem Umfang die Leistungen aus dem Tarifvertrag auch für Außenseiter geöffnet werden, und reguliert damit gleichzeitig den effektiven Wirkungsgrad des Anreizes, den die Gewerkschaften durch günstigere Arbeitsbedingungen im Tarifvertrag gegenüber den Außenseitern setzen. 40 Waltermann, Differenzierungsklauseln, S. 22; dennoch gab es immer wieder vereinzelte Vorstöße, einen Solidaritätsbeitrag von nichtorganisierten Arbeitnehmern zugunsten der Gewerkschaften zu erheben, wenn tarifliche Regelungen in Bezug genommen werden und die Außenseiter somit an den Errungenschaften der Gewerkschaft kostenfrei partizipieren, siehe dazu Däubler/Heuschmid, § 1 TVG Rn. 1057; Höpfner, ZfA 2020, 178 ff. 41 Anders aber etwa Art. 356b I OR im Schweizerischen Obligationenrecht. 42 Vgl. näher hierzu Höpfner, Tarifgeltung, S. 202 ff., 206 ff.; ders., ZfA 2019, 108 (118 f.). 43 Zutreffend daher Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 31.

D. Gegensteuerungsversuche von Seiten des Staates

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D. Gegensteuerungsversuche von Seiten des Staates Die Konsequenzen dauerhaft niedriger Organisationsquoten auf das deutsche Tarifsystem wurden auch vom Gesetzgeber erkannt und als ernst zu nehmendes Problem für die Arbeitsverfassung der Bundesrepublik eingestuft. Folgerichtig setzte der Koalitionsvertrag vom 12. 3. 2018 die „Stärkung der Tarifbindung“ ausdrücklich auf die tarifpolitische Agenda der 19. Legislaturperiode.44 Die Strategie, an der Tarifbindung selbst anzusetzen, hat sich dabei jedoch erst mit der Zeit durchgesetzt. Besonders während der 18. Legislaturperiode stand noch schwerpunktmäßig die Erweiterung der Tarifnormwirkung und damit die Stärkung des Tarifvertrags in seiner Breite im Vordergrund. Beispielsweise versuchte der Gesetzgeber mit dem sog. Tarifautonomiestärkungsgesetz45, im Wege einer Absenkung der Voraussetzung für Allgemeinverbindlicherklärungen in § 5 TVG n. F. vermehrt Möglichkeiten zu schaffen, Tarifverträge mittels staatlicher Geltungserstreckung auch im AußenseiterArbeitsverhältnis anwenden zu können.46 In der Wissenschaft wurde dieser Schritt allerdings von der überwiegenden Mehrheit als rechtspolitisch verfehlte Maßnahme kritisiert.47 Tatsächlich behandelt der Gesetzgeber mit der erleichterten Erweiterung der Tarifnormwirkung lediglich ein Symptom, das sich aus den niedrigen innerverbandlichen Organisationsquoten ergibt, geht jedoch nicht die eigentliche Wurzel des Problems an.48 Viel eher führt der intendierte ausgeweitete Einsatz von Allgemeinverbindlicherklärungen mittelfristig zur weiteren Erosion einer mitgliedschaftlich verankerten Tarifautonomie, da eine Tarifgeltung ohne notwendigen mitgliedschaftlichen Legitimationsakt jedem Arbeitnehmer den Anreiz zum Beitritt bzw. zur fortgesetzten Mitgliedschaft nimmt.49 Zudem zeigen die abschreckenden 44

„Ein neuer Aufbruch für Europa. Eine neue Dynamik für Deutschland. Ein neuer Zusammenhalt für unser Land. Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD“ v. 12. 3. 2018, S. 51. 45 BGBl. I Nr. 39 (2014), S. 1356. 46 Vgl. hierzu insbes. die Begründung BT-Drucks. 18/1558, S. 1, 26 f.; zu den diskutierten Vorschlägen im Allgemeinen Bepler, Gutachten für den 70. DJT, S. B9 ff.; Preis/Ulber, FS Kempen, S. 15 (29 ff.); Waltermann, RdA 2014, 86 (90 f.). 47 Löwisch/Rieble, § 5 TVG Rn. 9 ff.; Forst, RdA 2015, 25 f.; Franzen, Stärkung der Tarifautonomie, S. 13; ders., SR Sonderausgabe 2017, 14 (22); Giesen, FS Kempen, S. 216 (218); Henssler, RdA 2015, 43 (50 f.); Höpfner, Tarifgeltung, S. 487; ders., RdA 2015, 94 (98); ders., Verfassungsrechtliche Grenzen, S. 3; Junker, ZfA 2016, 81 (90 f.); Lobinger, JZ 2014, 810 ff.; Reichold, NJW 2014, 2534 f.; Rieble, Stärkung der Tarifbindung, S. 74 f.; Seiwerth, RdA 2014, 358; ders., NZA 2014, 708 f.; Spielberger/Schilling, NJW 2014, 2897 (2903); dies., NZA 2014, 414 (419); Waltermann, RdA 2014, 86 (90 f.); ders., RdA 2018, 137 (138); ders., ZfA 2020, 211 (227 ff.); ferner Jöris, ZRP 2014, 124; im Sinne des Gesetzgebers allerdings Däubler, WSIMitteilungen 7/2012, 508 ff.; Deinert, SR Sonderausgabe 2017, 24 (26 f.); in diese Richtung wohl ebenfalls bereits Kirsch, WSI-Mitteilungen 7/2003, 405 ff.; Zachert, WSI-Mitteilungen 7/ 2003, S. 413 ff. 48 So explizit Seiwerth, Gestaltungsfreiheit, S. 456; ders., RdA 2014, 358. 49 Forst, RdA 2015, 25 f.; Greiner, FS v. Hoyningen-Huene, S. 103 (109); Höpfner, Tarifgeltung, S. 487; ders., RdA 2015, 94 (98); Rieble, Stärkung der Tarifbindung, S. 74 f.;

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Teil 1: Einleitung

Erfahrungen mit einer überbordenden Zwangsschlichtung von Tarifkonflikten in der Weimarer Republik50, dass staatlich verordnete Tarifgeltung in einem freiheitlichen Tarifvertragsrecht ein Fremdkörper darstellt, der gegenüber Arbeitnehmern und Arbeitgebern zwangsläufig desintegrierend wirkt.51 Im Ausgangspunkt ist es deshalb begrüßenswert, dass Bundesarbeitsminister Heil (SPD) die Mitgliedschaft als maßgeblichen Eckpfeiler für die „Stärkung der Tarifbindung“ in den Fokus rücken möchte und in diesem Zusammenhang jüngst angekündigt hat, über steuerliche Privilegierungen für organisierte Arbeitnehmer zugunsten von mehr Verbandsmitgliedschaften zu werben.52 Der Gedanke einer staatlichen Bevorzugung tarifgebundener Arbeitnehmer/Arbeitgeber ist dabei nicht neu. Mit § 1 Ib S. 6 AÜG und § 9a VI TzBfG sind bereits Normen geschaffen, die individualvertragliche Bezugnahmeregelungen im Geltungsbereich eines gesetzesabweichenden Tarifvertrags bei tarifdispositiven Vorschriften nicht mehr zulassen und damit nicht tarifgebundene Arbeitsverhältnisse von der möglicherweise erforderlichen individuellen Flexibilität ausschließen. Ein vergleichbares Motiv ist auch bei Tariftreuevorschriften zu beobachten, die Arbeitgeber darauf verpflichten, nach Tarif zu zahlen und tarifvertragliche Bestimmungen einzuhalten. Auf diesem Gebiet plant das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (künftig: BMAS) ebenfalls eine Regelung mit dem Ziel, tarifgebundene Unternehmen, die sich für öffentliche Aufträge des Bundes bewerben, im Wettbewerb gegen Konkurrenten zu schützen, die ihre Leistung nur deswegen günstiger anbieten können, weil sie ihre Arbeitnehmer zu geringeren Lohnkosten und schlechteren Arbeitsbedingungen beschäftigen.53 Trotz der aktuellen legislativen Vorstöße zur Stärkung mitgliedschaftlicher Verbandsstrukturen ist unklar, ob die Privilegierung tarifgebundener Arbeitgeber bzw. Arbeitnehmer von staatlicher Seite aus in verfassungsrechtlich zulässiger Weise gelingen kann. Dies wurde unlängst jedenfalls für die steuerliche Besserstellung Seiwerth, Gestaltungsfreiheit, S. 456; Waltermann, RdA 2018, 137 (138); ähnlich auch Bepler, Gutachten für den 70. DJT, S. B1 (B111); Franzen, SR Sonderausgabe 2017, 14 (22); Giesen, FS Kempen, S. 216 (218); diesen Zusammenhang verkennt Däubler, WSI-Mitteilungen 7/ 2012, 508. 50 Vgl. hierzu Höpfner, Tarifgeltung, S. 101 f.; D. Neumann, RdA 1990, 257 (258). Bereits das Kontrollratsgesetz Nr. 35 v. 20. 8. 1946 ließ die Geltung des Schiedsspruchs aus der staatlichen Zwangsschlichtung nur dann zu, wenn beide Parteien seine Annahme erklärten und dies zuvor vereinbart hatten, siehe hierzu Höpfner, Tarifgeltung, S. 223; Richardi, Arbeitsrecht als Teil freiheitlicher Ordnung, S. 75. 51 Zu Recht BDA, „Zukunftsentwurf“, S. 3 f.; Bauer, FS Moll, S. 33 (43 f.). 52 FAZ v. 19. 9. 2019, S. 15; vgl. auch BMAS, Anpacken. Ergebnisbericht Handlungsempfehlungen, S. 28 f.; anders aber noch Heil (SPD) im Interview mit der Stuttgarter Zeitung am 13. 12. 2018, im Zuge dessen er sich für eine steuerliche Prrivilegierung von tarifgebundenen Unternehmen aussprach (abgedruckt in Stuttgarter Zeitung v. 14. 12. 2018, S. 4); selbst SPD, Sozialstaatskonzept Arbeit – Solidarität – Menschlichkeit forderte unter der Rubrik „Den Wert der Arbeit stärken – Mehr Sozialpartnerschaft und Tarifbindung“ im Februar 2019 noch eine steuerliche Besserstellung tarifgebundener Unternehmen. 53 BMAS, Anpacken. Ergebnisbericht Handlungsempfehlungen, S. 26.

E. Differenzierungsklauseln als Antwort auf die Gleichstellungsstrategie

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tarifgebundener Arbeitgeber54 und den Ausschluss individualvertraglicher Abweichungsmöglichkeiten bei tarifdispositiven Vorschriften55 nachhaltig in Zweifel gezogen, da eine gesetzliche Privilegierung tarifgebundener Arbeitgeber insbesondere gegen das staatliche Neutralitätsgebot im Tarifwettbewerb und den allgemeinen Gleichheitssatz in Art. 3 I GG bzw. ein Ausschluss der Abweichungsmöglichkeit im Individualarbeitsverhältnis bei tarifdispositiven Vorschriften zusätzlich gegen Art. 12 I GG verstoßen würde.

E. Differenzierungsklauseln als organisationspolitische Antwort auf die Gleichstellungsstrategie vieler Arbeitgeber Mit der Einsicht, dass staatliche Steuerungsmöglichkeiten zur Steigerung der verbandlichen Organisationszahlen in ein enges verfassungsrechtliches Korsett geschnürt sind und deshalb über sämtlichen bislang vorgeschlagenen Modellen stets das Damoklesschwert der Verfassungswidrigkeit schwebt, tritt klar zutage, dass die Verbände für die Herausstellung der Attraktivität einer Mitgliedschaft und damit die Akzeptanz eines auf Mitgliedschaft basierenden Tarifvertragssystems als solches in erster Linie selbst verantwortlich sind.56 Proportional zu dieser umfassenden Aufgabe wächst allerdings auch der Erfolgsdruck. Insbesondere die Gewerkschaften haben angesichts der Gleichstellungsstrategie vieler Arbeitgeber Schwierigkeiten, die günstigeren Arbeitsbedingungen im Tarifvertrag als Errungenschaft zu vermarkten, wenn der tariflich erzielte Vorsprung gegenüber den Außenseitern in deren Arbeitsverhältnissen wiederum durch eine Bezugnahmeregelung teilweise oder sogar vollständig ausgeglichen wird. Wie die langfristige Entwicklung der Mitgliederzahlen über die vergangenen Jahrzehnte nahelegt, reichen die weiteren gewerkschaftlichen Angebote, beispielsweise der Rechtsschutz bei arbeitsrechtlichen Streitigkeiten, individuelle Fortbildungsmöglichkeiten oder die Unterstützung aus der Streikkasse bei Arbeitskämpfen in Summe nicht (mehr) aus, um einen signifi-

54 Höpfner, Verfassungsrechtliche Grenzen, S. 4 ff.; jedenfalls im Hinblick auf die steuerliche Privilegierung ausschließlich der Gewerkschaftsmitgliedschaft ebenfalls Franzen, Stärkung der Tarifautonomie, S. 47 ff. 55 Höpfner, Verfassungsrechtliche Grenzen, S. 28 ff.; a. A. Greiner, ZTR 2018, 628 ff.; Ulber, SR 2018, 85 (90 ff.). 56 Löwisch/Rieble, § 5 TVG Rn. 13; Fickinger, FAZ v. 2. 4. 2019, S. 16; Franzen, Stärkung der Tarifautonomie, S. 13 f.; Lobinger, JZ 2014, 810 ff.; Rieble, ZfA 2005, 245 (267): „Die Koalitionsfreiheit ist ein Programm für die (kollektive) Selbsthilfe und gegen die Staatshilfe“; Spielberger/Schilling, NJW 2014, 2897 (2903); Waltermann, ZfA 2020, 211 (216); ähnlich bereits BVerfG v. 4. 7. 1995 – 1 BvF 2/86 u. a., NJW 1996, 185 [C. I. 1. c) der Gründe]; vgl. auch Brossardt, Mittelbayerische v. 23. 8. 2019; kritisch gegenüber der Zukunftsfähigkeit einer Verknüpfung von Tarifbindung und Verbandsmitgliedschaft im deutschen Tarifvertragsrecht P. Hanau, NZA 2012, 825.

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Teil 1: Einleitung

kanten Beitrittsanreiz zu setzen.57 Ohne einen gesonderten finanziellen Mehrwert scheint die Mitgliedschaft in einem tarifschließenden Verband für zahlreiche Beschäftigte ein hohes Maß an Anziehungskraft eingebüßt zu haben.58 Natürlich ist auch den Gewerkschaften diese Interessenlage nicht verborgen geblieben. Gleichsam als Abwehrreaktion gegenüber der Gleichstellungspolitik vieler Arbeitgeber hat sich bei zahlreichen Verbänden das Verlangen herausgebildet, tarifliche Leistungen durch einen besonderen Zuschnitt den eigenen Mitgliedern vorzubehalten. Lassen sich insbesondere monetäre Zusagen im Tarifvertrag exklusiv für die Verbandsangehörigen ausgestalten, wäre in diesem Bereich nicht nur die „Trittbrettfahrerei“ durch Bezugnahmeklauseln unterbunden, sondern würden sich im besten Fall sogar Werbeeffekte zugunsten der Gewerkschaft einstellen, die perspektivisch zur Steigerung der Mitgliederzahlen beitragen könnten.59 Als konkrete Umsetzung dieses organisationspolitsch motivierten Wunsches haben sich in der tariflichen Praxis sog. Differenzierungsklauseln herausgebildet. Im Hinblick auf die Frage, ob damit eine abgeschlossene Kategorie von Tarifgestaltungen beschrieben ist, besteht allerdings keine Einigkeit. Erschwert wird die Diskussion zudem durch das Fehlen einer einheitlichen Terminologie, um die jeweiligen Spielarten näher zu charakterisieren.60 Eine weit verbreitete Auffassung versucht, unter den Oberbegriff der „Differenzierungsklauseln“ all jene Tarifregelungen zu fassen, die die Gewerkschaftsmitgliedschaft zu einem konstitutiven Kriterium erheben und dadurch (bestimmte) tarifliche Leistungen allein den Mitgliedern der Gewerkschaft vorbehalten möchten.61 Dieser induktive Ansatz, der sich am konkreten Regelungszweck und damit der subjektiven Regelungsabsicht der Tarifvertragsparteien orientiert, ist in der Tat der Schlüssel zum richtigen Verständnis. Da Tarifnormen wegen §§ 4 I, 3 I, 1 I TVG ohnehin nur für die tarifgebundenen Arbeitnehmer gelten, erscheint die Erhebung der Gewerkschaftsmitgliedschaft zum Tatbestandsmerkmal für einen tariflichen Anspruch aus einem objektiven Blickwinkel heraus betrachtet als überflüssige Dopplung.62 Im Umkehrschluss wird damit 57

Gamillscheg, Differenzierung, S. 8 f.; S. Neumann, Tarifboni, S. 24; Seiwerth, RdA 2014, 358 (361). 58 Ähnlich Waltermann, Differenzierungsklauseln, S. 21 f.; a. A. aber wohl Preis/Ulber, FS Kempen, S. 15 (34). 59 Vgl. etwa Däubler/Heuschmid, § 1 TVG Rn. 1060; Franzen, Stärkung der Tarifautonomie, S. 21; Kalb, FS Moll, S. 327; S. Neumann, Tarifboni, S. 24 f.; Waltermann, Differenzierungsklauseln, S. 23. 60 Kempen/Zachert/Wendeling-Schröder, § 3 TVG Rn. 296; S. Neumann, Tarifboni, S. 26; vgl. auch Franzen, RdA 2006, 1 (2 ff.). 61 Vgl. ErfK/Franzen, § 1 TVG Rn. 62; Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 2113; Wiedemann/ Jacobs, Einl. TVG Rn. 447; Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 31; S. Neumann, Tarifboni, S. 26; enger aber wohl BAG v. 29. 11. 1967 – GS 1/67, BAGE 20, 175 (199), das nur solche Regelungen als „Differenzierungsklauseln“ qualifizierte, die zusätzlich eine Anreiz-, Ausgleichs- und Entschädigungsfunktion erfüllen. 62 Plakativ S. Neumann, Tarifboni, S. 28, nach dem solche Klauseln ohne eigenständigen Regelungsgehalt „(überflüssige) Gesetzestextwiederholungsklauseln“ wären.

E. Differenzierungsklauseln als Antwort auf die Gleichstellungsstrategie

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jedoch offenbar, dass die explizite Normierung der Gewerkschaftsmitgliedschaft als anspruchsbegründendes Kriterium jedenfalls dann einen eigenständigen Regelungszweck erfüllt, wenn Außenseiter mit den Tarifnormen in Berührung kommen, was insbesondere bei schuldrechtlichen Bezugnahmeregelungen im Individualarbeitsverhältnis oder bei einer Allgemeinverbindlicherklärung nach § 5 TVG der Fall ist.63 Differenzierungsklauseln setzen damit als sinnstiftendes Merkmal stets einen Außenseiterbezug voraus, den der Tarifvertrag selbst aufgrund der beschränkten Regelungsbefugnis nicht auf normativem Weg herbeiführen kann. Die konkrete Zielsetzung besteht bei differenzierenden Tarifbestimmungen somit in dem Anliegen, den Anschluss an das tarifliche Lohnniveau jenseits der tariflichen Normsetzungsbefugnis durch eine besondere Ausgestaltung der Anspruchsvoraussetzungen zu erschweren oder sogar ganz unmöglich zu machen. Der originär eigenständige Bedeutungsgehalt einer Differenzierungsklausel erschließt sich deshalb erst über die faktische Außenseiterwirkung, die mit der speziellen Ausrichtung der Tarifregelung gegenüber nicht- oder andersorganisierten Arbeitnehmern zwangsläufig einhergeht. Diese ontologische Betrachtung über Sinn und Funktion einer Differenzierungsklausel soll auch der nachfolgenden Untersuchung als definitorischer Fixpunkt zugrundegelegt werden.

I. Die Zulässigkeit tariflicher Differenzierungsklauseln im Spiegel einer jahrzehntelangen Debatte Kaum ein Thema des deutschen Tarifvertragsrechts wurde in den vergangenen Jahrzehnten mit größerer Hingabe diskutiert als die Zulässigkeit von tariflichen Differenzierungsklauseln.64 Im Gegensatz zu ähnlich bedeutsamen Problematiken, 63 Höpfner, RdA 2019, 146 (149); Kamanabrou, Anm. zu AP TVG § 3 Nr. 41 (II. 1.); Lunk/ Leder/Seidler, RdA 2015, 399 (400); wohl auch Wiedemann/Wank, § 4 TVG Rn. 606e. 64 Vgl. allein die monografischen Qualifikationsschriften aus jüngerer Zeit, die sich explizit dieser Fragestellung widmen: Bietmann, Differenzierungsklauseln, passim; Borchard, Grenzen tarifvertraglicher Differenzierungsklauseln, passim; Breschendorf, Zweiteilung, passim; Hader, Differenzierung, passim; Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, passim; S. Neumann, Tarifboni, passim; Osteroth, Zulässigkeit tarifvertraglicher Vorteilsregelungen, passim; der nun folgende Überblick über das allgemeine Schrifttum kann die quantitative Fülle der wissenschaftlichen Beiträge, die sich ausschließlich mit der Zulässigkeit von Differenzierungsklauseln beschäftigen, freilich nur andeuten. Siehe statt vieler nur C. Arnold, FS E. Picker, S. 873 ff.; Bauer/C. Arnold, NZA 2005, 1209 ff.; dies., NZA 2009, 1169 ff.; dies., NZA 2011, 945 ff.; Boss, BB 2009, 1238 ff.; Brecht-Heitzmann/Gröls, NZA-RR 2011, 505 ff.; Däubler, BB 2002, 1643 ff.; Franzen, RdA 2006, 1 ff.; Gamillscheg, Differenzierung, passim; ders., NZA 2005, 146 ff.; Giesen, NZA 2004, 1317 ff.; Greiner, DB 2009, 398 ff.; ders./Suhre, NJW 2010, 131 ff.; F. Hartmann/Lobinger, NZA 2010, 421 ff.; Höpfner, RdA 2019, 146 ff.; Jacobs, FS Bauer, S. 479 ff.; Kamanabrou, FS Kreutz, S. 197 ff.; Kempen, FS Bepler, S. 255 ff.; Klebeck, SAE 2008, 97 ff.; Kocher, NZA 2009, 119 ff.; Lelley/D. Becker, BB 2015, 1397 ff.; Leydecker, AuR 2006, 11 ff.; ders. AuR 2009, 338 ff.; ders., AuR 2012, 195 ff.; Lobinger/ F. Hartmann, RdA 2010, 235 ff.; Richardi, NZA 2010, 417 ff.; J. Schubert, ZTR 2011, 579 ff.; Spielberger, NJW 2010, 170 f.; Thüsing/v. Hoff, ZfA 2008, 77 ff.; Ulber/Strauß, DB 2008,

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Teil 1: Einleitung

wie etwa der legitimatorischen Fundierung der tariflichen Normsetzung oder der Grundrechtsbindung der Tarifvertragsparteien, die jeweils hauptsächlich das Verhältnis zwischen Staat und Tarifvertrag bzw. umgekehrt zwischen Tarifvertrag und staatlichen Kontrollmechanismen näher untersuchen, erhalten Differenzierungsklauseln wegen ihres organisationspolitischen Anstrichs gerade in Zeiten besorgniserregend niedriger Mitgliedschaftsquoten eine besondere Tiefendimension. Grob zusammengefasst kursiert der Streit hier um die inzwischen existenziell gewordene Frage, wie weit die Tarifvertragsparteien zur Bewahrung ihrer Attraktivität gehen dürfen. Dabei ist der Wunsch, für die eigenen Mitglieder bessere Arbeitsbedingungen zu erreichen als für die nicht- oder andersorganisierten Arbeitnehmer, um damit die Lukrativität eines Beitritts bzw. eines Verbleibs in der Gewerkschaft deutlich herausstellen zu können, so alt wie das TVG selbst. Trotz der lang anhaltenden Debatte um die Zulässigkeit verschiedener Formen tarifvertraglicher Differenzierungsklauseln hat sich bis heute noch kein allgemein anerkannter Konsens abgezeichnet.65

II. Kategorisierung und Nomenklatur Prototyp und elementare Grundform jeder weiteren Spielart ist die sog. einfache Differenzierungsklausel. Sie zeichnet sich dadurch aus, dass die Gewerkschaftsmitgliedschaft zur konstitutiven Anspruchsvoraussetzung für die Ausschüttung einer Tarifleistung erhoben wird, ohne dass sie dem Arbeitgeber gleichzeitig verwehrt, nicht begünstigte Außenseiter auf individualvertraglichem Weg mit den tarifgebundenen Arbeitnehmern gleichzustellen.66 Wollen die nicht- oder andersorganisierten Arbeitnehmer ebenfalls in den Genuss der Leistungen gelangen, müssen sie entweder der Gewerkschaft beitreten oder mit dem Arbeitgeber in Nachverhandlungen treten, um einen schuldrechtlichen Anspruch auf die tariflichen Vergünstigungen zu erlangen. Freilich erübrigen sich die Überlegungen, wenn die individualvertragliche Bezugnahmeklausel im Außenseiter-Arbeitsverhältnis bereits die Weitergabe auch derjeniger tariflichen Leistungen garantiert, die mit einer einfachen Differenzierungsklausel verbunden werden. Ob das im jeweiligen Fall angenommen werden kann, entscheidet jedoch die Auslegung der konkreten Bezugnahmeklausel.67 Funktional eng verwandt mit der einfachen Differenzierungsklausel, aber in ihrer Wirkung deutlich einschneidender ist die sog. Organisations- und Absperrklausel. 1970 ff.; dies., Anm. zu EzA GG Art. 9 Nr. 104, S. 21 ff.; Waltermann, Differenzierungsklauseln, passim. 65 Vgl. Kempen/Zachert/Wendling-Schröder, § 3 TVG Rn. 296; S. Neumann, Tarifboni, S. 26. 66 Vgl. nur JKOS/Krause, § 1 Rn. 73; Kempen/Zachert/Wendeling-Schröder, § 3 TVG Rn. 298; Waltermann, Differenzierungsklauseln, S. 37. 67 Siehe hierzu unten, Teil 2 B. V.

E. Differenzierungsklauseln als Antwort auf die Gleichstellungsstrategie

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Diese Regelung, die nach der anglo-amerikanischen Parallele auch als closed shop68 bezeichnet wird, stellt bereits die Begründung und den Bestand eines Arbeitsverhältnisses unter den Vorbehalt der Gewerkschaftsmitgliedschaft. Will ein Außenseiter beim Arbeitgeber beschäftigt werden, muss er der tarifschließenden Gewerkschaft beitreten. Derartige Klauseln sind jedoch – ohne bereits ein Urteil über die Zulässigkeit zu fällen – seit dem Zweiten Weltkrieg in der deutschen Tariflandschaft nicht mehr anzutreffen.69 Angesichts der anhaltenden Konjunktur und der Vollbeschäftigung bestand im bundesrepublikanischen Nachkriegsdeutschland zudem kein Bedürfnis für die Vereinbarung solcher Klauseln70, sodass die Gewerkschaften auch mangels eines organisationspolitischen Interesses von derartigen Forderungen absehen konnten. Als akademische Extremfälle für eine Differenzierungsklausel im oben genannten Sinn dienen sie allerdings zur Illustration der weitreichenden Rechtsfolgen, die zumindest in der Theorie durch Differenzierungsklauseln hervorgerufen werden können. Eine abgeschwächte Variante der Organisations- und Absperrklauseln stellen Regelungen zum besonderen Schutz der Gewerkschaftsmitglieder vor betriebsbedingten Kündigungen dar.71 Kraft dieser Tarifklauseln, bei denen sich noch kein schlagwortartiger Name auf Dauer durchsetzen konnte, sollen tarifgebundene Arbeitnehmer in den Genuss von Sonderkündigungsschutz gelangen bzw. soll ihre Kündigung zumindest von einer vorherigen Zustimmung der Gewerkschaft abhängig gemacht werden.72 Anders als die bislang präsentierten Modelle basieren sog. qualifizierte Differenzierungsklauseln auf einem gestuften System. Sie verwenden als Grundlage auf der ersten Stufe ebenfalls eine einfache Differenzierungsklausel, wollen aber zusätzlich auf zweiter Stufe verhindern, dass der Arbeitgeber die tariflichen Vergünstigungen für die Gewerkschaftsmitglieder auch an nicht- oder andersorganisierte Arbeitnehmer weiterreicht. Begrifflich und in ihrer Funktionsweise können diese Klauseln weiter untergliedert werden. Bei sog. Tarifausschlussklauseln wird dem Arbeitgeber ausdrücklich verboten, entsprechende Tarifleistungen auch an die Außenseiter auszukehren.73 Demgegenüber fehlt den sog. Spannensicherungs- bzw. 68 Davon zu unterscheiden ist die sog. union-shop-Regelung, bei der der Arbeitgeber verpflichtet wird, die Nichtmitglieder vor die Wahl zu stellen, innerhalb einer bestimmten Frist beizutreten oder den Arbeitsplatz zu verlieren, vgl. Gamillscheg, Band I, S. 389. 69 Kempen/Zachert/Wendeling-Schröder, § 3 TVG Rn. 297; Gamillscheg, Band I, S. 388; S. Neumann, Tarifboni, S. 27; vgl. hierzu auch die Diskussionen in der 17. Sitzung des Hauptausschusses im Parlamentarischen Rat am 3. 12. 1948, in: Feldkamp, Parlamentarischer Rat, Band 14, Teilband I, S. 521 f. 70 S. Neumann, Tarifboni, S. 27. 71 Wiedemann/Jacobs, Einl. TVG Rn. 460; Franzen, RdA 2006, 1 (5); Gamillscheg, NZA 2005, 146 (150); S. Neumann, Tarifboni, S. 28; angedeutet auch bei Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 692. 72 Vgl. BAG v. 24. 2. 2011 – 2 AZR 830/09, AP KSchG 1969 § 1 Nr. 91; kritisch hierzu Berger, NZA 2015, 208 ff. 73 JKOS/Krause, § 1 Rn. 73; Kempen/Zachert/Wendeling-Schröder, § 3 TVG Rn. 299; Wiedemann/Jacobs, Einl. TVG Rn. 453; Franzen, RdA 2006, 1 (2).

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Teil 1: Einleitung

Abstandsklauseln zwar ein explizites Anpassungsverbot, allerdings wird der Arbeitgeber hier verpflichtet, den alten Abstand zugunsten der Gewerkschaftsmitglieder wiederherzustellen, sobald er die ursprünglich als exklusiv gedachten tariflichen Leistung (teilweise) auch den Außenseitern zukommen lässt.74 Durch diese wirtschaftliche Sanktion soll der Arbeitgeber bereits von vornherein davon abgehalten werden, Außenseiter mit den tarifgebundenen Gewerkschaftsmitgliedern gleichzustellen. Da sich der Arbeitgeber auf dieses Szenario einer „infiniten Erhöhungsspirale“75 in aller Regel nicht einlassen wird, wollen manche bereits so weit gehen und Spannensicherungs- bzw. Abstandsklauseln lediglich als Drohkulisse konzipiert wissen, die in Wahrheit darauf angelegt seien, dass ihre Anwendungsvoraussetzungen regelmäßig nicht eintreten.76

III. Rechtliche Bewertung durch BAG und Schrifttum Nach der Wiederherstellung einer freiheitlichen Tarifautonomie durch Grundgesetz und TVG erlebte die Debatte um die Zulässigkeit von Differenzierungsklauseln in den 1960er-Jahren eine ersten Hochphase77, die in der Entscheidung des Großen Senats des BAG vom 29. 11. 196778 gipfelte. Dem Rechtsstreit lag eine Spannensicherungsklausel zugrunde, die den Mitgliedern der Gewerkschaft Textil/ Bekleidung einen finanziellen Vorsprung in Höhe von 60 DM gegenüber Außenseitern garantieren sollte. Die Richter des Großen Senats sahen allerdings die Vereinbarung derartiger Klauseln nicht mehr von der Tarifmacht der Koalitionen gedeckt.79 Da sie sich im Ergebnis als eine nach allgemeinen Gesetzen unzulässige Beitragserhebung entpuppten und damit im Verhältnis zur Arbeitgeberkoalition die Grenzen des Zumutbaren überschritten, müsse ihnen die Anerkennung verweigert werden.80 Als exklusive Leistung an die organisierten Arbeitnehmer verletzten sie das Gerechtigkeitsempfinden der Außenseiter zwangsläufig.81 Zudem seien die 74

JKOS/Krause, § 1 Rn. 73; Kempen/Zachert/Wendeling-Schröder, § 3 TVG Rn. 301 f.; Franzen, RdA 2006, 1 (2 f.); Waltermann, Differenzierungsklauseln, S. 37. 75 Höpfner, RdA 2019, 146 (150); ähnlich Kalb, FS Moll, S. 327 (334): „einzelvertraglich nicht auflösbare Ungleichstellung“. 76 So jedenfalls F. Hartmann, Grenzen der Tarifautonomie, S. 30 f. (Fn. 58); ders., SAE 2011, 225 (229). 77 Vgl. aus dieser Epoche exemplarisch Biedenkopf, Gutachten für den 46. DJT, S. 97 ff.; Bötticher, BB 1965, 1077; ders., RdA 1966, 401; Gamillscheg, Differenzierung, passim; ders., BB 1967, 45; Herschel, AuR 1966, 193; A. Hueck, Tarifausschlußklausel, passim; Isele, JZ 1966, 585; Mayer-Maly, BB 1965, 829 (830 ff.); ders., BB 1966, 1067; Reuß, AcP 166 (1966), 518 ff.; ders., AuR 1970, 33 ff.; Söllner, AuR 1966, 257 (262); Zöllner, Tarifvertragliche Differenzierungsklauseln, passim. 78 BAG v. 29. 11. 1967 – GS 1/67, BAGE 20, 175 ff. 79 BAG v. 29. 11. 1967 – GS 1/67, BAGE 20, 175 (218 ff.). 80 BAG v. 29. 11. 1967 – GS 1/67, BAGE 20, 175 (218 ff.). 81 BAG v. 29. 11. 1967 – GS 1/67, BAGE 20, 175 (221).

E. Differenzierungsklauseln als Antwort auf die Gleichstellungsstrategie

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Spannensicherungsklauseln wegen Verstoßes gegen die Koalitionsfreiheit der anders- bzw. nichtorganisierten Arbeitnehmer unwirksam.82 Auf diese beiden Arbeitnehmergruppen werde ein sozialinadäquater Druck ausgeübt, den niemand hinzunehmen brauche, selbst wenn die damit verbundene Belästigung verhältnismäßig gering sein sollte.83 Auf die Intensität bzw. den Grad des Drucks komme es dann nicht mehr an.84 Der Große Senat beschränkte dabei das Verdikt nicht auf die ihm konkret vorgelegte Spannensicherungsklausel, sondern weitete es explizit auf „Differenzierungsklauseln jedweder Art“ aus.85 Nachdem sich die Tarifpraxis auf die Entscheidung des Großen Senats eingestellt hatte und die Diskussion um die Zulässigkeit tariflicher Differenzierungsklauseln in der Folgezeit größtenteils zum Erliegen kam86, brandete der Streit um die Jahrtausendwende in unverminderter Härte erneut auf.87 Ursache hierfür waren Meldungen, dass sowohl die IG Metall als auch die IG BCE vermehrt Exklusivleistungen für die bei ihnen organisierten Arbeitnehmer einforderten und sich damit in den Tarifverhandlungen auch teilweise durchsetzen konnten.88 Gerade in jüngerer Zeit versuchten auch ver.di89 und UFO90, über Sonderbezüge ausschließlich für ihre Mitglieder zu verhandeln. Beredtes Zeugnis für eine „Renaissance der Differenzierungsklauseln“91 legten dabei die Urteile des 4. BAG-Senats vom 18. 3. 200992 und 82

BAG v. 29. 11. 1967 – GS 1/67, BAGE 20, 175 (224 ff.). BAG v. 29. 11. 1967 – GS 1/67, BAGE 20, 175 (228). 84 BAG v. 29. 11. 1967 – GS 1/67, BAGE 20, 175 (228). 85 BAG v. 29. 11. 1967 – GS 1/67, BAGE 20, 175 (218). 86 Vgl. BAG v. 21. 3. 1978 – 1 AZR 11/76, AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 62; siehe aber auch Reuß, AuR 1970, 33 und die Abhandlung von Seitenzahl/Zachert/Pütz, Vorteilsregelungen, passim. 87 Aus dieser Epoche vgl. nur Bauer/C. Arnold, NZA 2005, 1209 ff.; Däubler, BB 2002, 1643 ff.; Franzen, RdA 2006, 1 ff.; Gamillscheg, NZA 2005, 146 ff.; Giesen, NZA 2004, 1317 ff.; P. Hanau, FS Hromadka, S. 115 ff.; Kempen, FA 2005, 14 ff.; Klebeck, SAE 2008, 97 ff.; Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, passim; ders., AuR 2006, 11 ff.; Thüsing/ v. Hoff, ZfA 2008, 77 ff.; Ulber/Strauß, DB 2008, 1970 ff.; Zachert, DB 1995, 322 ff.; vgl. auch Bepler, FS 25 Jahre AG Arbeitsrecht, S. 791 (793 f.), der konzediert, dass über die „Uraltrechtsprechung zur Unzulässigkeit von Differenzierungsklauseln“ möglicherweise noch einmal neu nachgedacht werden müsse. 88 FAZ v. 1. 11. 2004, S. 11; DIE WELT, Streiten für Gewerkschafter-Extras, veröffentlicht am 24. 5. 2005; vgl. auch den Sachverhalt zur Entscheidung BAG v. 9. 5. 2007 – 4 AZR 275/06, AP TVG § 3 Verbandszugehörigkeit Nr. 23; Meldungen über Boni für Mitglieder dieser Gewerkschaften auch bei C. Arnold, FS E. Picker, S. 873 (874); Bauer/C. Arnold, NZA 2005, 1209; S. Neumann, S. 22 f. 89 Vgl. den Sachverhalt zur Entscheidungen BAG v. 18. 3. 2009 – 4 AZR 64/08, AP TVG § 3 Nr. 41; Meldungen über Forderungen der ver.di auch bei Bepler, AuR 2010, 234 (241 f.); S. Neumann, Tariboni, S. 23. 90 Vgl. die „Vereinbarung Ausbildungskostenzuschuss und Sachleistung zwischen dem Arbeitgeberverband Luftverkehr e. V. und der Unabhängigen Flugbegleiter Organisation e. V.“ v. 30. 6. 2018. 91 C. Arnold, FS E. Picker, S. 873 (874); Höpfner, RdA 2019, 146 (147); Kalb, jM 2015, 107; Leydecker, AuR 2009, 338 (339); S. Neumann, Tarifboni, S. 21; Zachert, DB 1995, 322; 83

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Teil 1: Einleitung

23. 3. 201193 ab, bei denen sich die Richter trotz der vermeintlich klaren Positionierung des Großen Senats zugunsten eines Verbots „jedweder Art der Differenzierung“ erneut mit der Zulässigkeit von Differenzierungsklauseln beschäftigten mussten. Insbesondere das Urteil vom 18. 3. 2009 setzte sich – allerdings ohne Divergenzvorlage nach § 45 II ArbGG94 – in teils offenen Widerspruch zur Rechtsprechung des Großen Senats und erkannte die Zulässigkeit einfacher Differenzierungsklauseln grundsätzlich an. Das BAG ging hierbei davon aus, dass eine einfache Differenzierungsklausel im Ausgangspunkt keinen strukturellen Druck auf die Außenseiter ausüben könne, weil sie das Außenseiter-Arbeitsverhältnis wegen der fehlenden Tarifbindung gar nicht erfasse.95 Jedoch sei die Schwelle zum Eingriff dann überschritten, wenn die durch die Differenzierungsklausel exklusiv ausgestalteten Leistungen einen Umfang erreichen, der geeignet ist, „einen nach den mit abzuwägenden Interessen unverhältnismäßigen, einem Zwang nahe kommenden Druck auszuüben, von der Entscheidung, keiner Gewerkschaft angehören zu wollen, Abstand zu nehmen.“96 Zwar wird sowohl bei den Instanzgerichten97 als auch in der Literatur98 teilweise noch auf die Art und den Umfang der Leistungen in der einfachen Differenzierungsklausel zurückgegriffen, um die Zulässigkeit des Beitrittsdrucks auf Außenseiter zu bestimmen. Richtigerweise kann es aber aus Sicht der Außenseiter bei einfachen Differenzierungsklauseln auf die Höhe der ausschließlich den Gewerkschaftsmitgliedern vorbehaltenen Leistungen nicht entscheidend ankommen.99 Wegen der nach §§ 3 I, 4 I TVG auf die Verbandsmitglieder beschränkten Reichweite der tariflichen Regelungsbefugnis unterfällt das Außenseiter-Arbeitsverhältnis bereits von vornherein nicht der Tarifbindung. Selbst ohne Differenzierung haben die nicht- oder andersorganisierten Arbeitnehmer keinen normativen ähnlich bereits Kempen, FA 2005, 14; siehe auch Spielberger, ArbRAktuell 2014, 134: „tarifrechtliches Revival“. 92 BAG v. 18. 3. 2009 – 4 AZR 64/08, AP TVG § 3 Nr. 41. 93 BAG v. 23. 3. 2011 – 4 AZR 366/09, AP GG Art. 9 Nr. 147. 94 Zur Begründung siehe BAG v. 18. 3. 2009 – 4 AZR 64/08, AP TVG § 3 Nr. 41 (Rn. 84 ff.); ihr folgend Jacobs, FS Bauer, S. 479 (485); Kamanabrou, Anm. zu AP TVG § 3 Nr. 41 (IV.); ähnlich bereits Dorndorf, AuR 1988, 1 (6); a. A. Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 2129; Giesen, RdA 2014, 78 (81 f.); ders., ZfA 2010, 657 (678 f.); Greiner/Suhre, NJW 2010, 131; wohl auch Bauer/C. Arnold, NZA 2009, 1169 (1172); A. Wisskirchen, FS Buchner, S. 984 (993). 95 BAG v. 18. 3. 2009 – 4 AZR 64/08, AP TVG § 3 Nr. 41 (Rn. 47). 96 BAG v. 18. 3. 2009 – 4 AZR 64/08, AP TVG § 3 Nr. 41 (Rn. 82). 97 LAG Hamm v. 12. 6. 2012 – 14 Sa 1275/11, juris (Rn. 150 ff.). 98 So bspw. HMB/Steffan, Teil 5 (8) Rn. 13: „Ein Monatsgehalt pro Jahr“; Däubler, BB 2002, 1643 (1647): „Das Doppelte des Gewerkschaftsbeitrags“; Kalb, FS Moll, S. 327 (335 f.) und ders., jM 2015, 107 (112): „Ein durchschnittliches Monatsgehalt pro Kalenderjahr“; Zachert, DB 1995, 322 (325): „Maßvolle Differenzierung“, jedoch ohne konkrete Wertangabe. 99 Zutreffend daher Wiedemann/Jacobs, Einl. TVG Rn. 450; Breschendorf, Zweiteilung, S. 107 ff.; Jacobs, FS Bauer, S. 479 (489); Höpfner, RdA 2019, 146 (149); Kamanabrou, FS Kreutz, S. 197 (209); Leydecker, AuR 2006, 11 (14); ders., AuR 2009, 338 (340); S. Neumann, Tarifboni, S. 157 f.; Ulber/Strauß, DB 2008, 1970 (1974).

E. Differenzierungsklauseln als Antwort auf die Gleichstellungsstrategie

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Anspruch auf die entsprechenden Leistungen, sondern können höchstens im Wege einer schuldrechtlichen Vereinbarung im Arbeitsvertrag o. Ä. am Tarifvertrag partizipieren. Legen die Tarifvertragsparteien für bestimmte Leistungen zusätzlich die Gewerkschaftsmitgliedschaft als weitere Tatbestandsvoraussetzung fest, ist das für die Außenseiter schon deshalb grundsätzlich unerheblich, weil insofern lediglich die geltende Rechtslage nachgezeichnet wird.100 Darüber hinaus verbleibt den Vertragsparteien im Außenseiter-Arbeitsverhältnis bei einer einfachen Differenzierungsklausel nach wie vor die Möglichkeit, die Leistungen aus dem Tarifvertrag entsprechend individualvertraglich weiterzureichen. Die Höhe der Leistungen, die durch die Ausgestaltung der Klausel grundsätzlich den Gewerkschaftsmitgliedern vorbehalten sind, kann deshalb bei einfachen Differenzierungsklauseln keine rechtlich relevante Rolle spielen. Anderenfalls müssten beispielsweise auch besonders hohe Tarifentgelte, die wegen §§ 3 I, 4 I TVG nur den tarifgebundenen Arbeitnehmern auf normativer Grundlage zufließen, ebenfalls einer Kontrolle unterzogen werden. Anders als die Entscheidung zwei Jahre zuvor hatte sich der Senat im Urteil vom 23. 3. 2011 mit einer qualifizierten Differenzierungsklausel in Gestalt einer Spannensicherungsklausel zu beschäftigen. Im Einklang mit dem Großen Senat sahen die Richter hier die „von Art. 9 III GG zugewiesene, durch diese Bestimmung aber auch begrenzte Tarifmacht“ durch qualifizierte Differenzierungsklauseln in Form von Spannensicherungsklauseln als überschritten an.101 Den Tarifvertragsparteien fehle die Regelungsbefugnis, ein Verbot der Lohngleichstellung im Außenseiter-Arbeitsverhältnis normativ anzuordnen.102 Zudem sei es dem Arbeitgeber und Außenseiter durch die Vereinbarung „rechtlich-logisch unmöglich“ geworden, auf individualvertraglichem Weg eine Gleichstellung mit den tarifgebundenen Arbeitnehmern herbeizuführen, weswegen zusätzlich ein Eingriff in die Arbeitsvertragsfreiheit von Arbeitgeber und Außenseiter anzunehmen sei.103 Im Ergebnis bestätigte das Urteil vom 23. 3. 2011 damit das Verdikt des Großen Senats im Hinblick auf qualifizierte Differenzierungsklauseln. Sowohl die Entscheidung vom 18. 3. 2009 als auch vom 23. 3. 2011 haben wiederum ein äußerst umfangreiches Echo im Schrifttum hervorgerufen, das das ungebrochene Interesse an einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der rechtlichen Einordnung differenziert ausgestalteter Tarifregelungen eindrucksvoll unterstreicht.104 100 Franzen, RdA 2008, 193 (199); Höpfner, RdA 2019, 146 (152); ähnlich auch Kalb, FS Moll, S. 327 (334). 101 BAG v. 23. 3. 2011 – 4 AZR 366/09, AP GG Art. 9 Nr. 147 (38). 102 BAG v. 23. 3. 2011 – 4 AZR 366/09, AP GG Art. 9 Nr. 147 (38). 103 BAG v. 23. 3. 2011 – 4 AZR 366/09, AP GG Art. 9 Nr. 147 (50 ff.); anders aber die Vorinstanz ArbG Hamburg v. 26. 2. 2009 – 15 Ca 188/08, juris (Rn. 54 f.). 104 Vgl. nur C. Arnold, FS E. Picker, S. 873 ff.; Bauer/C. Arnold, NZA 2009, 1169 ff.; dies., NZA 2011, 945 ff.; Bietmann, Differenzierungsklauseln, passim; Borchard, Grenzen tarifvertraglicher Differenzierungsklauseln, passim; Boss, BB 2009, 1238 ff.; Brecht-Heitzmann/ Gröls, NZA-RR 2011, 505 ff.; Breschendorf, Zweiteilung, passim; Greiner, DB 2009, 398 ff.; ders./Suhre, NJW 2010, 131 ff.; Hader, Differenzierung, passim ff.; F. Hartmann/Lobinger,

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Teil 1: Einleitung

F. Unterscheidung anhand der Mitgliedschaft zu einem bestimmten Zeitpunkt als neue Facette innerhalb der Differenzierungsklauselproblematik Die jahrzehntelange Debatte um die Zulässigkeit tarifvertraglicher Differenzierungsklauseln wurde spätestens zu Beginn der 2000er Jahre um einen weiteren Aspekt bereichert, der eine neue Dimension eröffnete: Ging es bei „herkömmlichen“ Differenzierungsklauseln um die Unterscheidung zwischen tarifgebundenen Arbeitnehmern und Außenseitern, setzt die Differenzierung nach einer Mitgliedschaft zu einem bestimmten Stichtag vordergründig allein bei den tarifgebundenen Arbeitnehmern an. Bei derartigen Klauseln erhalten nur solche Gewerkschaftsmitglieder die „First-class-Leistungen“, die zu einem bestimmten Stichtag beigetreten sind; alle anderen Gewerkschaftsmitglieder gehen leer aus oder müssen sich mit schlechteren Leistungszusagen begnügen. Teilweise wird zusätzlich oder anstatt eines Stichtags auch eine Mindestmitgliedschaftsdauer gefordert, die jeder Gewerkschaftsangehörige erfüllen muss, um an den versprochenen Leistungen zu partizipieren. Anders als bei Stichtagsregelungen, die im Sinne einer Verfallsklausel das Ende eines Zeitraums markieren, in dem der Arbeitnehmer bzw. der Arbeitgeber bestimmte Ansprüche geltend machen muss, geht es damit bei den Differenzierungsklauseln mit Stichtagsregelung um die Frage, ob die Mitgliedschaft zum vorgesehenen Zeitpunkt zulässigerweise zum anspruchsbegründenden Kriterium erhoben werden darf.

I. Unterschiedliche Behandlung von tarifgebundenen Arbeitnehmern als bekanntes Phänomen in der tarifvertraglichen Praxis Die unterschiedliche Behandlung verschiedener Gewerkschaftsmitglieder im Tarifvertrag war allerdings zu diesem Zeitpunkt ebenfalls keine völlig neue Erscheinung. Wie herkömmliche Differenzierungsklauseln kann auch die Unterscheidung zwischen tarifgebundenen Arbeitnehmern auf eine lange und wechselvolle Geschichte zurückblicken. Das betrifft besonders prominent die Entgeltdifferenzierung zwischen den Geschlechtern durch die Bewertung bestimmter „Frau-

NZA 2010, 421 ff.; Höpfner, RdA 2019, 146 ff.; Jacobs, FS Bauer, S. 479 ff.; Kamanabrou, FS Kreutz, S. 197 ff.; dies., Anm. zu AP TVG § 3 Nr. 41; Kempen, FS Bepler, S. 255 ff.; Kocher, NZA 2009, 119 ff.; Leydecker, AuR 2009, 338 ff.; ders., AuR 2012, 195 ff.; Lobinger/ F. Hartmann, RdA 2010, 235 ff.; S. Neumann, Tarifboni, passim; ders., Anm. zu AP GG Art. 9 Nr. 147; Osteroth, Zulässigkeit tarifvertraglicher Vorteilsregelungen, passim; Richardi, NZA 2010, 417 ff.; J. Schubert, ZTR 2011, 579 ff.; Spielberger, NJW 2010, 170 f.; Ulber/Strauß, Anm. zu EzA GG Art. 9 Nr. 104, S. 21 ff.; Waltermann, Differenzierungsklauseln, passim.

F. Unterscheidung anhand der Mitgliedschaft als neue Facette

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enberufe“ und -lohngruppen als sog. „Leichtlohngruppen“.105 Obwohl das BAG bereits im Jahr 1955 neben der umfassenden Gleichberechtigung auch die Lohngleichheit der Geschlechter im Tarifvertrag angemahnt hatte106, sind (mittelbare) Schlechterstellungen zuungunsten der Frauen nicht vollständig aus der tariflichen Regelungspraxis verschwunden. Insbesondere im Nachgang der Wiedervereinigung hat die Altersgrenzenregelung in § 60 BAT-Ost die Gerichte beschäftigt. Hiernach war für Männer ein Renteneintrittsalter von 65 Jahren vorgesehen, während die Beendigung des Arbeitsverhältnisses bei Frauen an die Vollendung des 60. Lebensjahres geknüpft wurde.107 Ähnlich strukturiert sind tarifliche Kündigungsschutzvorschriften, die zwar nicht nach Geschlecht, jedoch nach dem Lebensalter der Mitglieder differenzieren und jüngst durch eine Tarifvereinbarung zwischen der IG Metall und Südwestmetall108 erneut in den öffentlichen Fokus gerückt wurden.109 Die strittige Klausel sieht vor, dass Beschäftigten, die das 53., aber noch nicht das 65. Lebensjahr vollendet haben und dem Betrieb seit mindestens drei Jahren angehören, nur noch aus wichtigem Grund gekündigt werden darf.110 Jüngere Gewerkschaftsmitglieder gelangen demnach trotz möglicherweise längerer Betriebszugehörigkeit nicht in den Genuss des tariflich zugesicherten Kündigungsschutzes. Über Jahrzehnte hinweg war zudem die Unterscheidung zwischen Arbeitern und Angestellten und damit die Differenzierung anhand des konkreten Charakters der Beschäftigung fester Bestandteil zahlreicher tariflichen Regelungen.111 Die Unterscheidungen in diesem Bereich zeigten sich dabei hauptsächlich bei Fragen der Entlohnung, jedoch auch beispielsweise in Bezug auf unterschiedlich lange Grundkündigungsfristen, die die Tarifverträge dem § 622 II BGB a. F. teils wortlautgetreu nachempfunden hatten.112 An dieser Stelle hat das BAG ebenfalls einer pauschalen Differenzierung Einhalt geboten und die Schlechterbehandlung von 105 Vgl. hierzu Däubler/Winter/Zimmer/Heuschmid/Klein, § 1 TVG Rn. 508; Löwisch/ Rieble, § 1 TVG Rn. 871; Gamillscheg, Band I, S. 671; Rieble, RdA 2011, 36 (39); Winter, FS Pfarr, S. 320 (328). 106 BAG v. 15. 1. 1955 – 1 AZR 305/54, NJW 1955, 684; bestätigt in BAG v. 23. 3. 1957 – 1 AZR 329/56, AP GG Art. 3 Nr. 16. 107 BAG v. 12. 10. 1994 – 7 AZR 703/93, AP BAT-O § 60 Nr. 2; LAG Berlin v. 26. 7. 1993 – 15 Sa 52/93, BeckRS 1993, 30928526; ArbG Potsdam v. 21. 4. 1993 – 4 Ca 2600/92, NZA 1993, 1051; vgl. hierzu Belling/C. Hartmann, NZA 1993, 1009. 108 „Manteltarifvertrag für Beschäftigte in der Metall- und Elektroindustrie in Nordwürttemberg/Nordbaden“ zwischen der IG Metall und Südwestmetall v. 14. 6. 2005, wiederinkraftgesetzt rückwirkend zum 1. 1. 2018 durch Vereinbarung v. 6. 2. 2018. 109 Vgl. hierzu Eylert/Sänger, RdA 2010, 24 (39 ff.) sowie Schlachter, Das Verbot der Altersdiskriminierung, passim. 110 Siehe Punkt 4.4 im „Manteltarifvertrag für Beschäftigte in der Metall- und Elektroindustrie in Nordwürttemberg/Nordbaden“ zwischen der IG Metall und Südwestmetall v. 14. 6. 2005, wiederinkraftgesetzt rückwirkend zum 1. 1. 2018 am 6. 2. 2018. 111 Vgl. dazu monografisch für den öffentlichen Dienst P. Hanau/Kania, Ungleichbehandlung, passim; siehe auch Wank, Arbeiter und Angestellte, S. 1, 443. 112 Gamillscheg, Band I, S. 674.

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Teil 1: Einleitung

Arbeitern nur dann gestattet, wenn ein Sachgrund aus der Art der Arbeit selbst die Differenzierung rechtfertigen konnte.113 Jedenfalls nachdem die Vorschrift des § 622 II a. F. für verfassungswidrig erklärt worden war114, bedurften auch die unterschiedlichen Grundkündigungsfristen für Arbeiter und Angestellte in Tarifverträgen einer eigenständigen Rechtfertigung, die bis auf wenige spezifische Ausnahmen nicht gelang.115 Da die Grenzen zwischen Arbeiter und Angestellten durch den Wandel der Arbeitswelt im digitalen Zeitalter darüber hinaus zunehmend verschwammen und die Anknüpfung an die konkrete Arbeitsleistung deshalb immer seltener brauchbare Ergebnisse versprach, wurde die Differenzierung in den Tarifverträgen mehr und mehr zugunsten eines einheitlichen Arbeitnehmer- bzw. Beschäftigtenbegriffs aufgegeben. Damit war es nur eine Frage der Zeit, bis die Unterscheidung zwischen Arbeitern und Angestellten als überwunden und größtenteils redundant bezeichnet werden konnte.116 Sichtbares Zeichen für das Umdenken und die Verschmelzung beider Arbeitnehmergruppen zu einer großen, im Grundsatz einheitlich zu beurteilenden Belegschaft sind die Regelungen im TVöD bzw. TV-L, die anders als die Vorgängervorschriften im BAT von „Beschäftigten“ sprechen und damit die begriffliche Trennung auch im Wortlaut aufgegeben haben.117 Als letztes Beispiel für eine unterschiedlichen Behandlung verschiedender Mitglieder im Tairfvertrag dient die Herausnahme von bestimmten Arbeitnehmergruppen aus dem tariflichen Geltungsbereich. In den 1980er Jahren hatte das BAG mehrfach über Tarifregelungen zu befinden, die jeweils eine ganze Berufsgruppe – im konkreten Fall waren es Lektoren an mehreren westdeutschen Universitäten – vom Geltungsbereich ausschlossen und die betroffenen Arbeitnehmer auf diese Weise trotz ihrer Gewerkschaftsmitgliedschaft nicht an der tariflichen Höhergruppierung partizipieren ließen.118

113 Vgl. dazu BAG v. 19. 4. 2015 – 10 AZR 259/94, AP BGB § 611 Gratifikation Nr. 170; P. Hanau/Kania, ZTR 1994, 487. 114 BVerfG 30. 5. 1990 AP BGB § 622 Nr. 28. 115 Vgl. hierzu nur BAG v. 21. 3. 1991 – 2 AZR 323/84, AP BGB § 622 Nr. 29; BAG v. 21. 3. 1991 – 2 AZR 296/87, AP BGB § 622 Nr. 30; BAG v. 21. 3. 1991 – 2 AZR 616/90, AP BGB § 622 Nr. 31; BAG v. 29. 8. 1991 – 2 AZR 220/91, AP BGB § 622 Nr. 32; Ausnahme bspw. bestätigt für das „Bedürfnis an einer durch Witterung und Saison bedingten flexiblen Personalplanung im produktiven Bereich“ bei Arbeiter der Gartenbaubetriebe in BAG v. 23. 1. 1992 – 2 AZR 389/91, AP BGB § 622 Nr. 35. 116 Vgl. nur ErfK/Preis, § 611a BGB Rn. 115; Hdb StR/Sachs, § 183 Rn. 182; MüHdb ArbR/Temming, § 19 Rn. 4 ff.; Hromadka, RdA 2015, 65; zurückhaltender Kortstock, NZA 2017, 357; allgemein zur Differenzierung Maschmann, Arbeitsverträge, S. 26 et passim. 117 Schaub/Vogelsang, § 12 Rn. 4. 118 BAG v. 24. 4. 1985 – 4 AZR 457/83, AP BAT § 3 Nr. 4, nochmals bestätigt in BAG v. 11. 11. 1987 – 4 AZR 339/87, AP BAT § 3 Nr. 5.

F. Unterscheidung anhand der Mitgliedschaft als neue Facette

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II. Grundlegende Judikate zu tariflichen Differenzierungsklauseln mit Stichtagsregelung Obwohl die Debatte um die Zulässigkeit tarifvertraglicher Differenzierungsklauseln mit Stichtagsregelung im Vergleich zu den eben genannten Beispielen und den herkömmlichen Differenzierungsklauseln eine relativ junge und wissenschaftlich kaum näher betrachtete Fallgestaltung umreißt, kann sie doch ebenfalls mit einigen höchstrichterlichen Urteilen und sogar einem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts aufwarten.119 Die Präsentation der einschlägigen Rechtsprechung soll dabei nicht nur die besondere Aktualität der Thematik demonstrieren und den Einstieg in die rechtliche Bewertung erleichtern. Angesichts der wenig ergiebigen einfachgesetzlichen und verfassungsrechtlichen Vorgaben für die Zulässigkeit von Differenzierungsklauseln und der Bedeutung, die den Gerichten bei der Konturierung der Grenzen, die die Tarifvertragsparteien bei der Vereinbarung derartiger Klausel zu beachten haben, ist sie sogar essentiell für einen erfolgsversprechenden Problemzugriff.120 Dabei sind die Tarifsozialplan-Regelungen im Rahmen der NSNSanierung, über die das BAG erstmals im Jahr 2015 entscheiden musste, aufgrund der etwa 100 Parallelverfahren121 und der medialen Aufmerksamkeit, die der Restrukturierung dieses Unternehmens gewidmet wurde, zwar sicherlich auf die größte Resonanz auch weit über die juristische Fachwelt hinaus gestoßen. Dennoch markieren sowohl die Leitentscheidung des BAG hierzu122 als auch die erfolglose Verfassungsbeschwerde123 gegen ein Folgeurteil weder das grundsätzliche richterliche Plazet für diese Art der Tarifgestaltung, noch kassieren sie – so viel sei an dieser Stelle bereits vorweggenommen – gleichsam als „Superrevisionsentscheidungen“ sämtliche Beurteilungsmaßstäbe, die zur Bewertung dieser vielschichtigen Materie bereits in früheren Urteilen entwickelt wurden. Vielmehr müssen auch diese beiden Judikate im Kontext zu anderen, zeitlich vorangegangenen Urteilen gelesen und verstanden werden. 1. Urteil des BAG vom 9. 5. 2007 Die erste Entscheidung aus jüngerer Vergangenheit, bei der sich das BAG explizit mit einer tarifvertraglichen Stichtagsklausel auseinandersetzen musste, war das

119 Siehe sogleich; anders bspw. das deutlich ältere Phänomen der einfachen bzw. qualifizierten Differenzierungsklauseln, bei dem eine nähere inhaltliche Auseinandersetzung durch das BVerfG noch aussteht, vgl. S. Neumann, Tarifboni, S. 46. Die gegen den Beschluss des Großen Senats aus dem Jahr 1967 erhobene Verfassungsbeschwerde wurde vom BVerfG nicht zur Entscheidung angenommen, BVerfG v. 4. 5. 1971 – 1 BvR 761/67, NJW 1971, 1212. 120 Ähnlich bereits S. Neumann, Tarifboni, S. 34; vgl. auch Kempen, AuR 1980, 193. 121 Zahl bei Helm, NZA 2015, 1437. 122 BAG v. 15. 4. 2015 – 4 AZR 796/13, AP TVG § 3 Nr. 57. 123 BVerfG v. 14. 11. 2018 – 1 BvR 1278/16, AP GG Art. 9 Nr. 153.

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Teil 1: Einleitung

Urteil vom 9. 5. 2007.124 Im zugrunde liegenden „Ergebnisprotokoll“ zwischen der IG BCE und dem Arbeitgeber vom 26. 6. 2003, das zutreffenderweise als Tarifvertrag qualifiziert wurde125, fand sich unter anderem folgende Regelung: „[…] Mit Wirkung ab 1. 10. 2003 wird ein Tarifvertrag über eine monatliche Vergütung von 55 Euro abgeschlossen. Dieser Tarifvertrag gilt nur für Arbeitnehmer, welche seit dem 1. 6. 2003 Mitglied der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie sind und bleiben. Für Arbeitnehmer, die diese Voraussetzungen nicht erfüllen, entfällt die Vergütung bzw. ist eine zu Unrecht bezahlte Vergütung zurückzuzahlen. […]“

Die Kläger, welche als Außenseiter die tariflich zugesicherten Leistungen im Wege der arbeitsvertraglichen Bezugnahme auf den Tarifvertrag bzw. auf der Grundlage einer betrieblichen Übung für sich beanspruchten, hielten den zweiten Satz der hier abgebildeten Klausel für unwirksam. Diese Einschätzung teilte im Wesentlichen auch das BAG. Es sah in der Beschränkung des tariflichen Geltungsbereichs durch die Stichtagsregelung einen Verstoß gegen die „individuelle Koalitionsfreiheit“126, ließ allerdings ausdrücklich offen, ob dem Verdikt gegenüber tariflichen Differenzierungsklauseln, das der Große Senat im Jahr 1967 ausgesprochen hatte, in seiner Pauschalität zu folgen sei.127 Gleichwohl übernahmen die Richter die ablehnende Position des Großen Senats jedenfalls im Hinblick auf die vorliegende „atypische Differenzierungsklausel“, die nicht nur allgemein auf die Mitgliedschaft in der tarifschließenden Gewerkschaft abstelle, sondern auch noch zusätzlich innerhalb der Gewerkschaftsangehörigen nach der Mitgliedschaft zu einem bestimmten Zeitpunkt differenziere.128 Zudem stünde die konkrete Klausel bei einem Gewerkschaftsbeitritt nach dem Stichtag „über die Erwägungen des Großen Senats hinaus im Widerspruch zu § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 TVG“.129 Dort sei nach Auffassung des BAG der Grundsatz normiert, dass die Geltung von Tarifnormen allein vom jeweiligen Mitgliedschaftsbeginn abhänge und daher mit dem Beitritt zum tarifschließenden Verband ein unabdingbarer normativer Anspruch auf den entsprechenden Inhalt des Tarifvertrags gegenüber dem tarifgebundenen Arbeitgeber begründet werde.130 Die Beschränkung des persönlichen Geltungsbereichs durch eine Differenzierung nach der Mitgliedschaft zu einem bestimmten Zeitpunkt sei demnach nicht möglich, da dem Neumitglied anderenfalls der wesentliche Ertrag eines Gewerkschaftsbeitritts verwehrt würde, was wiederum als Beeinträchtigung

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BAG v. 9. 5. 2007 – 4 AZR 275/06, AP TVG § 3 Verbandszugehörigkeit Nr. 23. Vgl. BAG v. 9. 5. 2007 – 4 AZR 275/06, AP TVG § 3 Verbandszugehörigkeit Nr. 23 (Rn. 19 ff.). 126 BAG v. 9. 5. 2007 – 4 AZR 275/06, AP TVG § 3 Verbandszugehörigkeit Nr. 23 (Rn. 29 ff.). 127 BAG v. 9. 5. 2007 – 4 AZR 275/06, AP TVG § 3 Verbandszugehörigkeit Nr. 23 (Rn. 31). 128 BAG v. 9. 5. 2007 – 4 AZR 275/06, AP TVG § 3 Verbandszugehörigkeit Nr. 23 (Rn. 31). 129 BAG v. 9. 5. 2007 – 4 AZR 275/06, AP TVG § 3 Verbandszugehörigkeit Nr. 23 (Rn. 32). 130 BAG v. 9. 5. 2007 – 4 AZR 275/06, AP TVG § 3 Verbandszugehörigkeit Nr. 23 (Rn. 32). 125

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der positiven Koalitionsfreiheit gesehen werden könne.131 Darüber hinaus verdeutlichten die Richter, dass die in §§ 4 I, 3 I TVG geregelten Voraussetzungen und Wirkweisen von Tarifnormen den in personeller Hinsicht umfassenden Geltungsanspruch des Tarifvertrags konturieren, von dem die Tarifvertragsparteien nicht zugunsten oder zu Lasten einiger Mitglieder abweichen dürften. Eine Rechtfertigung für die konkrete Differenzierungsklausel in Form der Anreizbildung zum Gewerkschaftsbeitritt entfalle zudem durch die konkret gewählte Regelungstechnik, da neu eintretende Mitglieder wegen des Stichtags nicht mehr in den Genuss der tariflichen Leistung gelangen könnten.132 Unzulässig sei zudem eine Herangehensweise, die die Auszahlung der monatlichen Vergütung vom Verbleib in der Gewerkschaft abhängig mache, ohne dass im Tarifvertrag ein Fristende genannt wird, nach dem das Ausscheiden ohne materielle Verluste möglich sei. Der 4. Senat sah hierin eine Missachtung der gesetzlichen Regelungen über die Nachbindung und Nachwirkung, § 3 III TVG bzw. § 4 V TVG.133 Ferner entfalte diese Rechtsfolgenanordnung für den Fall des Verbandsaustritts einen unzulässigen Druck zum Verbleib in der Gewerkschaft und verstoße damit gegen die negative Koalitionsfreiheit der tarifgebundenen Mitglieder.134 Betrachtet man die mannigfaltigen Verstöße, die das BAG bei der konkreten Klausel gegen die Koalitionsfreiheit und das einfache Tarifrecht feststellte, scheint den tarifvertraglichen Stichtagsregelungen trotz der Ankündigung des BAG, sich möglicherweise vom pauschalen Verdikt des Großen Senats gegenüber Differenzierungsklauseln distanzieren zu wollen135, gänzlich die rechtliche Grundlage entzogen. Umso mehr überrascht es, dass bereits wenige Jahre später dem BAG erneut eine Differenzierungsklausel mit Stichtagsregelung zur Entscheidung vorgelegt wurde. 2. Urteil des BAG vom 18. 3. 2009136 Obwohl sich der 4. Senat in seiner viel beachteten Entscheidung vom 18. 3. 2009 hauptsächlich mit der Zulässigkeit einer einfachen Differenzierungsklausel beschäftigt hat137, musste er auch über die Wirksamkeit zweier Stichtagsregelungen befinden.138 Der „Tarifvertrag Ausgleich strukturelles Defizit“ (TVAstD) vom 11. 9. 131 Vgl. BAG v. 9. 5. 2007 – 4 AZR 275/06, AP TVG § 3 Verbandszugehörigkeit Nr. 23 (Rn. 32). 132 BAG v. 9. 5. 2007 – 4 AZR 275/06, AP TVG § 3 Verbandszugehörigkeit Nr. 23 (Rn. 33). 133 BAG v. 9. 5. 2007 – 4 AZR 275/06, AP TVG § 3 Verbandszugehörigkeit Nr. 23 (Rn. 34). 134 BAG v. 9. 5. 2007 – 4 AZR 275/06, AP TVG § 3 Verbandszugehörigkeit Nr. 23 (Rn. 35). 135 Jedenfalls einige Stimmen im Schrifttum verstanden das BAG dahingehend, vgl. Franzen, RdA 2008, 304; Klebeck, SAE 2008, 97; Kocher, NZA 2009, 119. 136 BAG v. 18. 3. 2009 – 4 AZR 64/08, AP TVG § 3 Nr. 41. 137 Vgl. BAG v. 18. 3. 2009 – 4 AZR 64/08, AP TVG § 3 Nr. 41 (Rn. 31 ff.). 138 BAG v. 18. 3. 2009 – 4 AZR 64/08, AP TVG § 3 Nr. 41 (Rn. 121 ff.).

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Teil 1: Einleitung

2006 zwischen der ver.di und einem Zusammenschluss mehrerer Unternehmen sah unter anderem vor: „§ 3. Ausgleichszahlung für ver.di-Mitglieder (1) Als Ersatzleistung wegen des Verzichts auf die Sonderzahlungen gem. § 19 des Haustarifvertrags der AWO-Gruppe erhalten die ver.di-Mitglieder der AWO-Gruppe in jedem Geschäftsjahr zum 31. 7. eine Ausgleichszahlung in Höhe von 535 Euro brutto je Vollzeitkraft gemäß tariflicher Wochenarbeitszeit. (2) Teilzeitbeschäftigte erhalten die Ausgleichszahlung anteilig. (3) Diese Ausgleichszahlung erhalten Beschäftigte, die ihre Mitgliedschaft in der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) für die zurückliegenden drei Monate bis zum Auszahlungstag glaubhaft zum 30. 6. nachgewiesen haben. (4) Für das Jahr 2006 ist die Mitgliedschaft für die zurückliegenden drei Monate bis zum Auszahlungstag (30. 9. 2006) glaubhaft zum 31. 8. 2006 nachzuweisen.“

Nachdem die Richter die einfache Differenzierungsklausel in § 3 I TVAstD isoliert für zulässig erachteten, wurde diese Einschätzung vor dem Hintergrund des § 3 III und § 3 IV TVAstD einer erneuten Kontrolle unterzogen. Immerhin verhinderte der dritte Absatz, dass ein Außenseiter bis zum 30. 7. eines beliebigen Jahres beitreten und dabei als „Gewerkschaftsmitglied zum 31. 7.“ im Sinne des § 3 I TVAstD die vollumfängliche Ausgleichszahlung für das jeweilige Geschäftsjahr in Anspruch nehmen und im Anschluss hieran zum nächstmöglichen Zeitpunkt wieder ausscheiden kann. Ein ähnliches Regelungsanliegen verfolgte Absatz 4 für das Geschäftsjahr 2006. Demnach wurden effektiv alle Gewerkschaftsangehörige von der tariflichen Leistung ausgeschlossen, die keine dreimonatige Mitgliedschaft zum Stichtag 31. 8. 2006 nachweisen konnten. Ein spontaner Beitritt in die Gewerkschaft, beispielsweise nach Tarifabschluss am 11. 9. 2006, genügte somit nicht mehr, um die Ausgleichszahlung für das Geschäftsjahr 2006 beanspruchen zu können. Sowohl Absatz 3 als auch Absatz 4 sollten vor diesem Hintergrund mit ihrer dreimonatigen Mindestmitgliedschaftsdauer als konstitutives Tatbestandsmerkmal verhindern, dass ein bisheriger Außenseiter gleich mit dem Tag seines Beitritts den Status eines anspruchsberechtigten Gewerkschaftsmitglieds erwirbt und damit die Ausgleichszahlung einfordern kann. In seinem Urteil vom 18. 3. 2009 billigte das BAG beide Stichtagsregelungen mit den lapidaren Worten: „Bei der zulässigen Vereinbarung der Anspruchsvoraussetzungen einer Gewerkschaftsmitgliedschaft kann eine bestimmte vorherige Mitgliedsdauer ohne Weiteres als differenzierendes Kriterium herangezogen werden.“139 Ob für die Vereinbarung einer Mindestmitgliedschaftsdauer eine zeitliche Höchstgrenze gelte oder ein konkreter Zusammenhang zwischen der Höhe der ausgeschütteten Leistung und der im Tarifvertrag geforderten Mindestdauer der Mitgliedschaft bestehen müsse, wurde vom BAG jedoch nicht näher erörtert. Vielmehr seien die Vertragsparteien eines Haustarifvertrags bei der Bestimmung der Vor139

BAG v. 18. 3. 2009 – 4 AZR 64/08, AP TVG § 3 Nr. 41 (Rn. 123).

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aussetzungen, unter denen Sonderzahlungen geleistet werden, „weitgehend frei“.140 Da für das frisch beigetretene Mitglied zumindest die Möglichkeit eines Leistungserwerbs im kommenden Jahr gewährleistet sei, liege eine andere Konstellation vor als im Fall, den der Senat am 9. 5. 2007 zu entscheiden hatte.141 Die sehr knappe Begründung zur Zulässigkeit der Stichtagsregelungen in § 3 III und § 3 IV TVAstD erstaunt insbesondere unter dem Eindruck der angesprochenen BAG-Entscheidung vom 9. 5. 2007, die zu diesem Zeitpunkt noch keine zwei Jahre alt war und ihrerseits zahlreiche Verstöße „atypischer Differenzierungsklauseln“ gegen das TVG bzw. die Verfassung identifizieren konnte.142 Zwar mögen sich die jeweiligen Fallkonstellationen in ihrer konkreten Ausgestaltung tatsächlich unterscheiden, allerdings wäre eine nähere Auseinandersetzung mit dem vorangegangenen, äußerst restriktiven Urteil angesichts der grundverschiedenen Kernaussagen im Hinblick auf die rechtliche Einordnung von Stichtagsregelungen wünschenswert, wenn nicht sogar zwingend erforderlich gewesen. Durchaus nahe gelegen hätte vor allem die Erörterung der Problematik, ob die Vorschriften in § 3 III und § 3 IV TVAstD möglicherweise als Geltungsbereichsbeschränkung und damit – nach den Maßstäben des Urteils vom 9. 5. 2007 – als Verstoß gegen §§ 3 I, 4 I TVG und die positive Koalitionsfreiheit der neu beigetretenen Mitglieder hätten gewertet werden müssen. 3. Urteile des BAG vom 5. 9. 2012143 und 21. 8. 2013144 Der Gedanke eines weitläufigen Gestaltungsspielraums der Tarifvertragsparteien bei der Vereinbarung von Differenzierungsklauseln mit Stichtagsregelungen, wie er im Urteil vom 18. 3. 2009 erstmals angeklungen ist, wurde vom BAG auch in der Folgezeit wiederholt aufgegriffen. Bereits wenige Monate nach dem Wechsel im Senatsvorsitz am 1. 6. 2012145 bot sich den Richtern die Gelegenheit, sich abermals mit der Zulässigkeit von bestimmten Stichtagskonstellationen auseinanderzusetzen und somit bestimmte Positionen der früheren Senatsbesetzung auf den Prüfstand zu stellen. Gegenstand der Entscheidung vom 5. 9. 2012 war eine Tarifregelung, die die Ausschüttung einer Sonderzahlung an die Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft knüpfte und das entscheidende Tatbestandsmerkmal eigens definierte: „12. Unabhängig von einer möglichen höheren Zahlung nach den Ziffern 4 bis 9 erhalten Mitglieder der Gewerkschaften ver.di sowie NGG in den Jahren 2007 bis 2009 mindestens eine garantierte Jahressonderzahlung in Abhängigkeit zu der am 31. 12. 2006 jeweils gültigen tariflichen Regelung nach folgender Tabelle: (…) 140 141 142 143 144 145

BAG v. 18. 3. 2009 – 4 AZR 64/08, AP TVG § 3 Nr. 41 (Rn. 123). BAG v. 18. 3. 2009 – 4 AZR 64/08, AP TVG § 3 Nr. 41 (Rn. 123). Ähnlich Bauer/C. Arnold, NZA 2009, 1169 (1172). BAG v. 5. 9. 2012 – 4 AZR 696/10, AP TVG § 3 Nr. 53. BAG v. 21. 8. 2013 – 4 AZR 861/11, AP TVG § 3 Nr. 55. Vgl. BAG-Pressemitteilung Nr. 41/12 v. 1. 6. 2012.

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Teil 1: Einleitung 13. Als Gewerkschaftsmitglied gilt, wer spätestens am 6. 3. 2007 in die Gewerkschaft eingetreten ist und dessen Mitgliedschaft am 30. 11. des jeweiligen Wirtschaftsjahres noch besteht und im Anspruchsjahr die Gewerkschaftsmitgliedschaft nicht gekündigt wurde. Für die Jahre 2008 und folgende gilt jeweils der 1. 1. des Jahres als spätestes Eintrittsdatum.“

Auch diese Klausel unterscheidet sich gestalterisch und inhaltlich von der Tarifregelung, über die das BAG 2007 zu befinden hatte. Während dort die fortgesetzte, unbeendete Mitgliedschaft zu einem bestimmten Zeitpunkt vorausgesetzt wurde, um überhaupt irgendeine tarifliche Sonderleistung beanspruchen zu können, statuiert der vorliegende Tarifvertrag für verschiedene Bezugszeiträume gestaffelte Stichtage, an denen die Verbandszugehörigkeit jeweils nachgewiesen werden muss. Selbst wenn ein interessierter Arbeitnehmer zum Geltungsbeginn des Tarifvertrags nicht Mitglied der Gewerkschaft war und damit nicht in den Kreis der unmittelbar Begünstigten fiel, hatte er doch die Gelegenheit, nach einem Beitritt zumindest für die sich anschließenden Kalenderjahre in den Genuss der versprochenen Leistung zu gelangen.146 Damit erinnert die Konstellation an den Tatbestand des Urteils vom 18. 3. 2009, bei dem die Tarifvertragsparteien in § 3 III und § 3 IV TVAstD auf einen vergleichbaren Regelungsmechanismus zurückgriffen.147 Vor diesem Hintergrund erscheint es nur konsequent, wenn sich der Senat in der Entscheidung vom 5. 9. 2012 bei der Begründung der Zulässigkeit im Ausgangspunkt an den entsprechenden Passagen aus dem Urteil vom 18. 3. 2009 orientierte. Demzufolge seien die Tarifvertragsparteien „weitestgehend frei“ in der Bestimmung der Voraussetzungen, unter denen eine Sonderzahlung geleistet werde.148 Das schließe die Möglichkeit mit ein, dass sie ohne Weiteres eine bestimmte vorherige Dauer der Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft als Anspruchsvoraussetzung formulieren und als zulässiges Differenzierungskriterium vereinbaren könnten.149 Bei diesen Ausführungen, die zumindest inhaltlich als Blaupause der Entscheidung vom 18. 3. 2009 gelten können, hat es der Senat allerdings nicht belassen. Neben der Anerkennung eines weiten tariflichen Gestaltungsspielraums traf er eine in dieser Form neuartige, richtungsweisende Unterscheidung, die die weitere Bewertung der Differenzierungsklausel mit Stichtagsregelung nachhaltig beeinflussen sollte. Demnach handele es sich bei der konkreten Regelung „im Entscheidungsfall nicht um eine Differenzierung zwischen Mitgliedern einer Gewerkschaft und ,Unorganisierten‘. Die vorliegende Tarifregelung differenziert vielmehr zwischen verschiedenen Gruppen von Gewerkschaftsmitgliedern. Mitglieder, die vor dem Stichtag in einer der beiden Gewerkschaften waren, werden anders behandelt, als später eingetretene Mitglieder.“150 Im weiteren Fortgang untersuchte der Senat die Klausel auf eine willkürliche Auswahl des Stichtags, welche allerdings bereits dann 146 147 148 149 150

Vgl. auch BAG v. 5. 9. 2012 – 4 AZR 696/10, AP TVG § 3 Nr. 53 (Rn. 32). Siehe oben, Teil 1 F. II. 2. BAG v. 5. 9. 2012 – 4 AZR 696/10, AP TVG § 3 Nr. 53 (Rn. 31). BAG v. 5. 9. 2012 – 4 AZR 696/10, AP TVG § 3 Nr. 53 (Rn. 31). BAG v. 5. 9. 2012 – 4 AZR 696/10, AP TVG § 3 Nr. 53 (Rn. 30).

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abgelehnt werden müsse, wenn ein sachlicher Grund, beispielsweise ein zeitlicher Zusammenhang mit dem Beginn der Tarifauseinandersetzung oder dem Abschluss des Tarifvertrags, nachgewiesen werden könnte.151 Die in der Begründung zum Ausdruck kommende Akzentverschiebung zugunsten einer Willkürkontrolle markiert den Beginn eines neuen Argumentationsmusters, mit der die Problematik rund um die Differenzierungsklauseln mit Stichtagsregelungen in ein anderes Licht gerückt werden sollte. Obwohl das BAG in dieser Entscheidung auch auf Art. 9 III GG zu sprechen kam und einen Verstoß gegen die Koalitionsfreiheit ablehnte152, weil durch den Eintritt in den Verband die jeweilige Leistung für die künftigen Bezugszeiträume in Anspruch genommen werden könne, lag sein Hauptaugenmerk nunmehr eindeutig auf Fragen der Gleichbehandlung zwischen den tarifgebundenen Mitgliedern. Durch die verstärkte Fokussierung auf eine Differenzierung zwischen den unterschiedlichen Gruppen der Gewerkschaftsmitglieder verändert sich zwangsläufig auch die perspektivische Herangehensweise. Galten Stichtagsklauseln noch im Urteil von 2007 als Geltungsbereichsbeschränkungen, die den Ausschluss von Außenseitern von der tariflich zugesicherten Leistung sicherstellen sollten und damit gegen §§ 3 I, 4 I TVG und die „individuelle Koalitionsfreiheit“ verstießen, machte das BAG mit seiner Entscheidung vom 5. 9. 2012 deutlich, die Debatte um die Zulässigkeit künftig hauptsächlich unter dem Aspekt der Gleichbehandlung zwischen den verschiedenen Mitgliedergruppen führen zu wollen. Durch diese Verschiebung zieht sich das BAG zwar nicht expressis verbis von der Inhaltskontrolle zurück. Mit der „bloßen“ Überprüfung, ob der Stichtag willkürlich gewählt wurde, scheint den Tarifvertragsparteien jedoch nunmehr eine Differenzierung in weit größerem Umfang gestattet zu sein als nach den restriktiven Maßstäben des Urteils von 2007. Seine neu gewonnene Sichtweise in Bezug auf die Stichtags-Problematik und insbesondere die Prüfungsdichte bei der Kontrolle bestätigte der 4. Senat im Urteil vom 21. 8. 2013, dem der gleiche Sachverhalt zugrunde lag.153 Obwohl sich die Urteilsbegründung hier wenig überraschend im Wesentlichen an die Ausführungen der Entscheidung vom 5. 9. 2012 anlehnte, findet sich im Urteil vom 21. 8. 2013 eine spezielle Formulierung, die man im Vorgängerurteil noch vergeblich sucht. So stellte das BAG explizit fest, dass die Unterscheidung zwischen verschiedenen Gewerkschaftsmitgliedern unter anderem auch deswegen möglich sei, weil es der Regelungsmacht der Tarifvertragsparteien entspreche, tarifvertragliche Ansprüche differenzierend zu regeln.154 Mit dieser Einschätzung setzte sich der Senat allerdings ohne nähere inhaltliche Auseinandersetzung in Widerspruch zur Entscheidung des Großen Senats von 1967, der seinerseits jedwede Differenzierung im Tarifvertrag als

151 152 153 154

BAG v. 5. 9. 2012 – 4 AZR 696/10, AP TVG § 3 Nr. 53 (Rn. 31). BAG v. 5. 9. 2012 – 4 AZR 696/10, AP TVG § 3 Nr. 53 (Rn. 32). BAG v. 21. 8. 2013 – 4 AZR 861/11, AP TVG § 3 Nr. 55. BAG v. 21. 8. 2013 – 4 AZR 861/11, AP TVG § 3 Nr. 55 (Rn. 22).

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Teil 1: Einleitung

Überschreitung der Tarifmacht einordnete.155 Die unterbliebene neuerliche Vorlage an den Großen Senat trotz divergenter Bewertung lässt dabei den Rückschluss zu, dass das BAG spätestens mit dem Urteil vom 21. 8. 2013 zumindest gedanklich dazu übergangen ist, Stichtagsregelungen nicht mehr als Unterform der herkömmlichen Differenzierungsklauseln einzuordnen, sondern sie aus dem Gesamtkomplex herauslösen und eigenen Maßstäben unterwerfen zu wollen, die sich von den tradierten Kontrollmechanismen für Differenzierungsklauseln teils erheblich unterscheiden. Dieser veränderte Standpunkt zeigt sich insbesondere durch die stärkere Fokussierung auf Gleichbehandlungsaspekte bei der Inhaltskontrolle. Das BAG offenbarte damit, dass es Differenzierungsklauseln mit Stichtagsregelung künftig schwerpunktmäßig als eine Art „In-house-Streitigkeit“ verschiedener Gruppierungen innerhalb derselben Gewerkschaft behandeln möchte, die sich auf Außenseiter nicht in relevanter Weise auswirke und deswegen hauptsächlich anhand des Willkürverbots überprüft werden müsse. 4. Urteil des BAG vom 15. 4. 2015156 a) Tatbestand und Verfahrensgang Den vorläufigen Höhepunkt in der Diskussion um die Zulässigkeit tariflicher Differenzierungsklauseln mit Stichtagsregelung markierte das BAG-Judikat vom 15. 4. 2015. Ausgangspunkt war die Forderung der IG Metall nach zusätzlichen Leistungen für die eigenen Mitglieder, die im Rahmen einer Unternehmenssanierung als Kompensation für die Aufhebung des manteltariflichen Sonderkündigungsschutzes ausgeschüttet werden sollten.157 Die heftige Kritik in der bisweilen emotional geführten Debatte158 entzündete sich dabei an einem Tarifsozialplan, der für Mitglieder, die bereits zu einem gewissen Zeitpunkt der Gewerkschaft beigetreten waren, bessere Abfindungsbedingungen vorsah als für Arbeitnehmer, die sich erst nach dem Stichtag für eine Mitgliedschaft entschieden hatten. Diese Differenzierung innerhalb der gewerkschaftsangehörigen Arbeitnehmer nach dem Beitrittszeitpunkt wurde durch den Abschluss von zwei Tarifverträgen am selben Tag abgesichert. Die erste Vereinbarung – Transfer- und Sozialtarifvertrag (künftig: TS-TV) genannt –, dessen Geltungsbereich alle tarifgebundenen Arbeitnehmer des konkreten Betriebs umfasste, regelte zur Abmilderung der wirtschaftlichen Folgen aus den Restrukturierungsmaßnahmen unter anderem die Einrichtung einer Transfergesellschaft und eine nach Dauer der Betriebszugehörigkeit gestaffelte Abfindung in einer maximalen Höhe von 110.000 Euro für jeden Arbeitnehmer. Zusätzlich enthielt der Tarifvertrag 155

Siehe oben, Teil 1 E. III. BAG v. 15. 4. 2015 – 4 AZR 796/13, AP TVG § 3 Nr. 57. 157 Vgl. BAG v. 15. 4. 2015 – 4 AZR 796/13, AP TVG § 3 Nr. 57 (Rn. 3). 158 So soll Giesen von einer „Riesenschweinerei“ gesprochen haben, vgl. Bovensiepen/ Tibudd, SZ v. 27. 3. 2012, S. 40; ähnlich auch Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 2115, nach denen das Vorgehen der Tarifvertragsparteien „an sittenwidrige Schutzgelderpressung“ grenze. 156

F. Unterscheidung anhand der Mitgliedschaft als neue Facette

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Bestimmungen über die Mindestarbeitsbedingungen bei der Transfergesellschaft. Dort sollten die Beschäftigten ein Entgelt in Höhe von 70 Prozent ihres bisherigen Einkommens erhalten, das wiederum auf Grundlage einer speziellen Quote ermittelt wurde. Eine Betriebsvereinbarung vom selben Tag inkorporierte schließlich diese Normen im Rahmen des Interessenausgleichs, sodass alle Arbeitnehmer des Betriebs entweder bereits normativ aufgrund kongruenter Tarifbindung oder zumindest faktisch wegen der Betriebsvereinbarung von den Tarifregelungen erfasst wurden. Auf die Aufstellung eines gesonderten betrieblichen Sozialplans wurde in der Übereinkunft der Betriebspartner ausdrücklich mit Verweis auf die Regelungen des TSTV verzichtet. Die andere, als „Ergänzungs-Tarifvertrag“ (künftig: ETS-TV) bezeichnete Tarifvereinbarung sah dagegen zusätzlich zur Abfindung aus dem TS-TV eine Sonderzahlung von 10.000 Euro vor. Die maximale Abfindungshöhe war zudem erst bei 120.000 Euro nach oben hin gedeckelt. Darüber hinaus enthielt der ETS-TV die Bestimmung, dass bei der Transfergesellschaft ein Mindesteinkommen von 80 Prozent des bisherigen Arbeitsentgelts gezahlt werden sollte, wobei die Berechnung auf Grundlage derselben Quote wie beim TS.TV erfolgte. Allerdings beschränkte dieser – zweifelsohne günstigere – Tarifvertrag seinen Geltungsbereich auf solche Arbeitnehmer, die bereits zu einem bestimmten Stichtag Mitglied der Gewerkschaft gewesen waren, der zeitlich etwa einen halben Monat vor Tarifabschluss lag. Mitglieder, die sich erst nach dem Stichtag für einen Gewerkschaftsbeitritt entschieden, waren also von den günstigeren Konditionen für die Abfindung bzw. die Berechnung des Gehalts in der Transfergesellschaft ausgeschlossen. Die Klägerin, welche der IG Metall erst nach Ablauf des im Tarifvertrag genannten Stichtags beigetreten war, forderte nunmehr ebenfalls die Sonderzahlung in Höhe von 10.000 Euro sowie eine Bruttomonatsvergütung in der Transfergesellschaft gemäß den großzügigeren Berechnungsgrundlagen des ETS-TV. Nachdem die 25. Kammer des ArbG München das Begehren mit der Begründung ablehnte, dass selbst bei Unwirksamkeit der konkreten Tarifregelung im ETS-TV kein Anspruch bestünde159, fasste die 4. Kammer des LAG München am 25. 7. 2013 erstmals eine Berufungsentscheidung zur konkreten Stichtagsklausel-Konstellation.160 Sie qualifizierte die Regelung im ETS-TV als einfache Differenzierungsklausel mit einem vergangenheitsbezogenen Stichtag zur Bestimmung des persönlichen Geltungsbereichs und erklärte den entsprechenden Tarifvertrag für wirksam.161 Mit der Revision zum BAG verfolgte die Klägerin ihr ursprüngliches Klageziel weiter und ermöglichte damit erstmals eine höchstrichterliche Kontrolle der strittigen Tarifregelung. Die Notwendigkeit eines klarstellenden Urteils durch das BAG wurde in der konkreten Situation zudem durch eine Vielzahl von verschiedenen Rechtsauffassungen verstärkt, die sich inzwischen beim ArbG bzw. LAG München in einigen Parallel159 160 161

ArbG München v. 22. 1. 2013 – 25 Ca 8656/12, n.v. LAG München v. 25. 7. 2013 – 4 Sa 166/13, juris. LAG München v. 25. 7. 2013 – 4 Sa 166/13, juris (Rn. 35 ff.).

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Teil 1: Einleitung

verfahren zur gleichen Problematik abhängig von der jeweiligen Kammer herausbildeten und in ihrer Gesamtheit keinen einheitlichen Bewertungsmaßstab erkennen ließen oder sogar hinsichtlich des Ergebnisses mitunter in zentralen Punkten voneinander abwichen. Beispielsweise sprach die 3. Kammer des ArbG München einem Kläger den Anspruch auf die Leistungen aus dem ETS-TV auf Grundlage des betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes zu162 – eine Einschätzung, die von der 3. Kammer des LAG München in der Berufungsinstanz bestätigt wurde.163 Demgegenüber erblickte die 10. Kammer des LAG München anders als die 4. Kammer des LAG einen Monat zuvor bei der im ETS-TV enthaltenen Differenzierungsklausel mit Stichtagsregelung einen Verstoß gegen §§ 3 I, 4 I TVG sowie gegen die positive und negative Koalitionsfreiheit und stellte sich mit dieser Auffassung zumindest vordergründig in die Tradition der BAG-Entscheidung vom 9. 5. 2007.164 b) Urteilsgründe des BAG Angesichts dieser heterogenen Bewertung innerhalb der Arbeitsgerichtsbarkeit wurde das Grundsatzurteil des BAG mit einiger Spannung erwartet. Mit seiner Entscheidung vom 15. 4. 2015 schlug sich der 4. Senat auf die Seite jener Vorinstanzen, die in Bezug auf die Tarifvereinbarung im ETS-TV keine durchgreifenden Bedenken hatten, und setzte damit seine in mehreren Entscheidungen gewachsene, tendentiell großzügige Rechtsprechung gegenüber tariflichen Stichtagsregelungen fort. Wie schon in den bereits skizzierten Urteilen aus den Jahren 2012 und 2013 wurde den Tarifvertragsparteien ein weiter Gestaltungsspielraum zugestanden. Das schließe „auch die Befugnis zur Vereinbarung von Regelungen ein, die den Betroffenen ungerecht und Außenstehenden nicht zwingend sachgerecht erscheinen mögen“.165 Die Tarifvertragsparteien seien nicht verpflichtet, die jeweils zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Lösung zu wählen, vielmehr genüge es, wenn für die getroffene Regelung ein sachlich vertretbarer Grund vorliege.166 Darüber hinaus müssten Tarifregelungen nach § 1 I TVG auch nicht geeignet sein, an die Stelle einer staatlichen Regelung über Arbeitsbedingungen zu treten und daher keine angemessene und ausgewogene Regelungen für seinen Geltungsbereich enthalten oder Rücksicht auf die Interessen von Außenseitern nehmen.167 Bei der Bestimmung der Voraussetzungen und der Festlegung der Höhe von Leistungen zur Abmilderung wirtschaftlicher und sozialer Nachteile anlässlich einer Betriebsänderung seien die Tarifvertragsparteien weitgehend frei.168 Die Stichtagsregelungen als „Typisierun162 163 164 165 166 167 168

ArbG München v. 20. 12. 2012 – 3 Ca 8890/12, juris (Rn. 33 ff.). LAG München v. 27. 3. 2014 – 3 Sa 127/13, juris. LAG München v. 28. 8. 2013 – 10 Sa 135/13, juris (Rn. 138 ff.). BAG v. 15. 4. 2015 – 4 AZR 796/13, AP TVG § 3 Nr. 57 (Rn. 32). BAG v. 15. 4. 2015 – 4 AZR 796/13, AP TVG § 3 Nr. 57 (Rn. 32). BAG v. 15. 4. 2015 – 4 AZR 796/13, AP TVG § 3 Nr. 57 (Rn. 50 ff.). BAG v. 15. 4. 2015 – 4 AZR 796/13, AP TVG § 3 Nr. 57 (Orientierungssatz Nr. 1).

F. Unterscheidung anhand der Mitgliedschaft als neue Facette

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gen in der Zeit“ ließen sich jedenfalls dann rechtfertigen, wenn sich die Wahl des Stichtags am gegebenen Sachverhalt orientiere und vertretbar erscheine.169 Mit diesen Ausführungen befand sich das BAG zumindest inhaltlich exakt auf der Linie, die es bereits in den Urteilen von 2012 und 2013 vorgezeichnet hatte. Bedeutsames Novum in der Entscheidung vom 15. 4. 2015 war die ausdrückliche Feststellung, dass es sich bei der strittigen Stichtagsregelung nicht um eine einfache Differenzierungsklausel handele, sondern „um eine „Binnendifferenzierung“ zwischen tarifgebundenen Arbeitnehmern, also denjenigen, für die ein Tarifvertrag ohnehin nur Rechtsnormen nach § 1 Abs. 1 TVG treffen kann.“170 Diese Sichtweise wurde zwar in den beiden BAG-Entscheidungen 2012 und 2013 bereits implizit zugrundegelegt, jedoch nicht in dieser Deutlichkeit artikuliert. Mit der Einordnung als „Binnendifferenzierung“ für die konkrete Art der mitgliedschaftsbezogenen Unterscheidung zwischen den Gewerkschaftsangehörigen qualifizierte der 4. Senat die Stichtagsregelung endgültig als eigenständige Kategorie, die allein schon wegen ihrer strukturellen Heterogenität anders zu behandeln scheint als einfache bzw. qualifizierte Differenzierungsklauseln. Mit diesem Argument konnte der Senat zudem die Vorlage an den Großen Senat nach § 45 III ArbGG vermeiden.171 Ob die bereits in früheren Entscheidungen angestoßene und nunmehr explizit vollendete Abkopplung der tariflichen Differenzierungsklausel mit Stichtagsregelung von herkömmlichen Differenzierungsklauseln einer genaueren Überprüfung standhält, wird sich im Laufe der Untersuchung zeigen müssen. Anders als in den Entscheidungen von 2012 und 2013 ging der 4. Senat im Urteil vom 15. 4. 2015 zusätzlich ausdrücklich auf seine noch im Jahr 2007 vertretene Position ein, die Differenzierung anhand einer Stichtagsregelung sei aufgrund der klaren einfachgesetzlichen Anordnung zur Tarifnormwirkung in §§ 3 I, 4 I TVG unzulässig.172 In Abkehr von dieser Rechtsauffassung vertrat er nunmehr die Ansicht, dass durch die Stichtagsklausel lediglich der personelle Geltungsbereich und damit eine tatbestandliche Voraussetzung für eine einmalige tarifliche Leistung anlässlich eines bestimmten Ereignisses festgelegt und gerade nicht die Voraussetzungen für die unmittelbare Tarifgebundenheit relativiert würden.173 Im Gegensatz zu seinem ursprünglichen Standpunkt billigte er damit expressis verbis die Geltungsbereichsbeschränkung, die durch eine Stichtagsregelung hervorgerufen wird, solange sich der gewählte Stichtag an „nachvollziehbaren Kriterien“ orientiere und nicht willkürlich gewählt werde. Da Tarifvereinbarungen unter den Bedingungen eines struktruellen Gleichgewichts vereinbart würden, bestehe überdies kein Raum für die Anwendung des ar169

Vgl. BAG v. 15. 4. 2015 – 4 AZR 796/13, AP TVG § 3 Nr. 57 (Rn. 34). BAG v. 15. 4. 2015 – 4 AZR 796/13, AP TVG § 3 Nr. 57 (Orientierungssatz Nr. 1; Rn. 27). 171 BAG v. 15. 4. 2015 – 4 AZR 796/13, AP TVG § 3 Nr. 57 (Rn. 70). 172 Siehe oben, Teil 1 F. II. 1. 173 BAG v. 15. 4. 2015 – 4 AZR 796/13, AP TVG § 3 Nr. 57 (Rn. 38). 170

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Teil 1: Einleitung

beitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes.174 Auch der in § 75 I BetrVG normierte betriebsverfassungsrechtliche Gleichbehandlungsanspruch könne nicht zugunsten der Klägerin aktiviert werden, nachdem die Betriebspartner in ihren „Interessenausgleich“ lediglich die Regelungen aus dem TS-TV übernommen hatten, die ihrerseits jedoch nicht zwischen den Arbeitnehmern anhand der Gewerkschaftszugehörigkeit unterschieden.175 Nicht näher beschäftigte sich das BAG indes mit der Aufspaltung eines grundsätzlich einheitlichen Sachverhalts auf zwei Tarifverträge und dem Umstand, dass nur die Regelungen eines Tarifvertrags in die Betriebsvereinbarung inkorporiert wurden.176 Mangels ausdrücklicher Hinweise liegt daher der Schluss nahe, dass die Richter einer parallelen Regelung derselben Materie in zwei unterschiedlichen Tarifverträgen nicht ablehnend gegenüberstanden, solange dieser Mechanismus zur Wahrung der Übersichtlichkeit und nicht zur Umgehung zwingender gesetzlicher Vorschriften gewählt wurde. Vor diesem Hintergrund spricht auf den ersten Blick nichts gegen die konkrete konzeptionelle Umsetzung in zwei unterschiedlichen Tarifverträgen, die zeitgleich für verschiedene Personengruppen abgeschlossen werden.177 c) Bestätigung der Rechtsprechung in Folgeentscheidungen Den scheinbar weiten Spielraum für die Tarifvertragsparteien, der durch die Leitentscheidung vom 15. 4. 2015 vorgezeichnet wurde, bestätigte der 4. Senat auch in den Folgeurteilen, die im Rahmen der konkreten Unternehmenssanierung gegen die Differenzierungsklausel mit Stichtagsregelung im ETS-TV angestrengt und vor das BAG gebracht wurden. Dabei folgten die Entscheidungen im Großen und Ganzen demselben Muster178, wobei der Senat nebst dem Verweis auf die Leitentscheidung teilweise die Gelegenheit dazu nutzte, sich mit kritischen Anmerkungen gegenüber der eigenen Sichtweise auseinanderzusetzen. Auf diese Weise war es den Richtern möglich, ihren Standpunkt im konkreten Fall zu präzisieren bzw. klarer herauszustellen. Das betrifft zum einen den häufig in verschiedenen Revisionsbegründungen erhobenen Vorwurf, der Arbeitgeber würde in der Sanierungskonstellation als Sachwalter der Außenseiterinteressen wegfallen, weshalb die Außenseiter durch die 174

BAG v. 15. 4. 2015 – 4 AZR 796/13, AP TVG § 3 Nr. 57 (Rn. 54 ff.). BAG v. 15. 4. 2015 – 4 AZR 796/13, AP TVG § 3 Nr. 57 (Rn. 62 ff.). 176 Besonders kritisch Greiner, NZA 2016, 10 (12, 15): „Trick zur Gesetzesumgehung“; ähnlich ders., FS H. J. Willemsen, S. 159 (162). 177 Beachte aber die tarifvertragsübergreifende Gleichbehandlungskontrolle, vgl. unten, Teil 2 B. III. 7. g) bb). 178 Anstatt vieler nur BAG v. 27. 1. 2016 – 4 AZR 830/13, BeckRS 2016, 68726; BAG v. 13. 4. 2016, 4 AZR 8/14, BeckRS 2016, 73063; BAG v. 6. 7. 2016 – 4 AZR 966/13, BeckRS 2016, 74818; BAG v. 14. 9. 2016 – 4 AZR 996/13, BeckRS 2016, 111080; BAG v. 25. 1. 2017 – 4 AZR 386/14, BeckRS 2017, 150639; BAG v. 17. 5. 2017 – 4 AZR 646/14, BeckRS 2017, 116713. 175

F. Unterscheidung anhand der Mitgliedschaft als neue Facette

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Tarifregelung „billig abgespeist“ würden.179 Das BAG indes hielt dieses Vorbringen für unbegründet. Es sei angesichts der Höhe der im TS-TV geregelten Leistungen „nicht ersichtlich“, dass es zu einer Aufzehrung der zur Verfügung stehenden Mittel durch die beiden Tarifverträge gekommen wäre.180 Jeder Arbeitnehmer hätte eine Abfindung erhalten; die Ungleichbehandlung von Außenseitern und Gewerkschaftsmitgliedern hinsichtlich ihrer Bemessungsgrundlage und Höhe sei jedoch einer Tarifvertragsordnung immanent, die auf die Bildung von Zwangsorganisationen verzichte.181 Gänzlich neuen Begründungsaufwand musste der Senat hingegen auf die Frage verwenden, inwiefern der neu geschaffene § 4a TVG die Wirksamkeit der konkreten Tarifnorm berührte. Dies war u. a. deswegen notwendig geworden, weil das Tarifeinheitsgesetz nur wenige Monate nach der Leitentscheidung vom 15. 4. 2015 in Kraft trat182 und noch nicht klar abzusehen war, inwiefern die neuen Regelungen die Bewertung der Zulässigkeit von differenzierenden Tarifregelungen beeinflussen konnte. Zusätzlich verankerten einige Revisionsbegründungen die Zuweisung einer „programmatisch […] übergreifende[n] Verantwortung für Ordnung und Verteilungsgerechtigkeit im Betrieb“183 an die Tarifvertragsparteien explizit in den neuen Regelungen zur Tarifeinheit. Tarifnormen nach § 1 I TVG müssten daher geeignet sein, an die Stelle einer staatlichen Regelung über Arbeitsbedingungen treten zu können.184 Das BAG schloss sich dieser Auffassung allerdings nicht an. Es ging vielmehr davon aus, dass sich mit der Einführung des Tarifeinheitsgesetzes an der Anknüpfung an die mitgliedschaftliche Struktur in § 3 I TVG nichts geändert habe.185 Tarifvertragsparteien könnten nur für ihre Mitglieder Recht setzen, weshalb sich die Ordnungsfunktion der Tarifverträge nach wie vor nur auf die unmittelbar Tarifgebundenen beschränke.186 Die Einführung des Tarifeinheitsgesetzes und insbesondere die Schaffung des § 4a TVG könne deshalb keine neue rechtliche Bewertung des Sachverhalts herausfordern.

179 Vgl. BAG v. 27. 1. 2016 – 4 AZR 830/13, BeckRS 2016, 68726 (Rn. 18); BAG v. 6. 7. 2016 – 4 AZR 966/13, BeckRS 2016, 74818 (Rn. 25); BAG v. 14. 9. 2016 – 4 AZR 996/13, BeckRS 2016, 111080 (Rn. 20); vgl. auch Greiner, NZA 2016, 10 (14). 180 Vgl. BAG v. 27. 1. 2016 – 4 AZR 830/13, BeckRS 2016, 68726 (Rn. 18); BAG v. 6. 7. 2016 – 4 AZR 966/13, BeckRS 2016, 74818 (Rn. 25); BAG v. 14. 9. 2016 – 4 AZR 996/13, BeckRS 2016, 111080 (Rn. 20); allesamt mit Rekurs auf BAG v. 15. 4. 2015 – 4 AZR 796/13, AP TVG § 3 Nr. 57 (Rn. 67). 181 Siehe die Entscheidungen in Teil 1, Fn. 180. 182 Gesetz zur Tarifeinheit (Tarifeinheitsgesetz) v. 3. 7. 2015, BGBl. I Nr. 28 (2015), S. 1130 f. 183 Vgl. BAG v. 27. 1. 2016 – 4 AZR 830/13, BeckRS 2016, 68726 (Rn. 23); siehe auch Greiner, NZA 2016, 10 (13). 184 Vgl. BAG v. 27. 1. 2016 – 4 AZR 830/13, BeckRS 2016, 68726 (Rn. 21). 185 BAG v. 27. 1. 2016 – 4 AZR 830/13, BeckRS 2016, 68726 (Rn. 22). 186 BAG v. 27. 1. 2016 – 4 AZR 830/13, BeckRS 2016, 68726 (Rn. 23) unter Rückgriff auf BAG v. 7. 7. 2010 – 4 AZR 549/08, AP GG Art. 9 Nr. 140 (Rn. 62, 66, 70); siehe zur Ordnungsfunktion auch unten, Teil 2 B. III. 9.

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Bei Urteilen jüngeren Datums ist der 4. Senat zunehmend dazu übergegangen, auf vorangegangene Entscheidungen zu verweisen. Wiederholt lässt sich der Hinweis ausfindig machen, dass sich die Richter mit der zugrunde liegenden Konstellation bereits auseinandergesetzt hätten und an den dort dargelegten Rechtsauffassungen auch nach nochmaliger Überprüfung festhalten wollen.187 Diese Entwicklung lässt darauf schließen, dass alle noch anhängigen Revisionen gegen die instanzgerichtlichen Entscheidungen und mittelbar gegen die Klausel aus dem ETS-TV zurückgewiesen werden dürften. Der Senat hat damit die entsprechende Regelung aus dem Tarifsozialplan „gehalten“. 5. Beschluss des BVerfG vom 14. 11. 2018188 Mit den zahlreichen Entscheidungen des BAG zum ETS-TV aus der NSN-Sanierung war das letzte Wort in der Sache allerdings noch nicht gesprochen. Vermittels einer Verfassungsbeschwerde gegen das BAG-Urteil vom 27. 1. 2016 wurde auch das BVerfG zumindest mit der Bewertung der verfassungsrechtlichen Implikationen rund um die konkrete Stichtagsklausel betraut. In seiner Begründung rügte der Beschwerdeführer, der selbst keiner Gewerkschaft angehörte und deswegen nicht in den Genuss der tariflichen Leistungen gekommen war, insbesondere einen Verstoß gegen seine negative Koalitionsfreiheit, der durch den generalpräventiven Druck zum Gewerkschaftsbeitritt durch Stichtagsregelungen entstehen würde.189 Zudem hätten die Arbeitsgerichte die Schutzpflicht zugunsten seiner Arbeitsvertragsfreiheit nach Art. 12 I GG verkannt, indem sie den Formularvertrag, der als inhaltlich nicht verhandelbar galt, keiner Inhaltskontrolle unterzogen haben.190 Darüber hinaus monierte der Beschwerdeführer das kollusive Zusammenwirken zwischen den Tarifvertragsparteien und dem Betriebsrat zu Lasten der Außenseiter.191 Das BVerfG nahm die Verfassungsbeschwerde allerdings nicht zur Entscheidung an, da unter anderem der behauptete „generalpräventive Druck“ zum Gewerkschaftsbeitritt nicht weiter belegt werden konnte und daher eine individuelle Zwangswirkung nicht erkennbar war.192 Die Verfassungsrichter adaptierten vielmehr die BAG-Sichtweise samt der Annahme, dass durch die Stichtagsklausel in der konkreten Situation kein höherer Druck erzeugt werde „als derjenige, der sich stets ergibt, wenn individualvertragliche Vereinbarungen hinter den Abreden zurückbleiben, die eine Gewerkschaft im Wege eines Tarifvertrags nur für ihre Mitglieder

187 BAG v. 25. 1. 2017 – 4 AZR 386/14, BeckRS 2017, 150639 (Rn. 16); BAG v. 17. 5. 2017 – 4 AZR 646/14, BeckRS 2017, 116713 (Rn. 15). 188 BVerfG v. 14. 11. 2018 – 1 BvR 1278/16, AP GG Art. 9 Nr. 153. 189 Vgl. BVerfG v. 14. 11. 2018 – 1 BvR 1278/16, AP GG Art. 9 Nr. 153 (Rn. 2). 190 Vgl. BVerfG v. 14. 11. 2018 – 1 BvR 1278/16, AP GG Art. 9 Nr. 153 (Rn. 2). 191 Vgl. BVerfG v. 14. 11. 2018 – 1 BvR 1278/16, AP GG Art. 9 Nr. 153 (Rn. 2). 192 BVerfG v. 14. 11. 2018 – 1 BvR 1278/16, AP GG Art. 9 Nr. 153 (Rn. 3 f.).

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treffen kann“.193 Zudem sei keine Verletzung der Arbeitsvertragsfreiheit anzunehmen. Arbeitsvertragliche Vereinbarungen müssten zwar aufgrund der typischen strukturellen Unterlegenheit des Arbeitnehmers grundsätzlich einer AGB-Kontrolle anhand der §§ 305 ff. BGB unterzogen werden. Den im Wege eines annähernd gleichgewichtigen Aushandelns zustande gekommenen tariflichen Regelungen komme indes eine Richtigkeitsvermutung zu, für die ein objektiver Maßstab, nach dem sich die Richtigkeit besser beurteilen ließe, nicht existiere.194 Es läge nicht nahe, generell davon auszugehen, dass den Grundrechtspositionen von Außenseitern bei tarifvertraglichen Differenzierungen nicht Rechnung getragen würde, da sie regelmäßig über eine Bezugnahme wie Gewerkschaftsmitglieder behandelt werden würden.195 Weil die Außenseiter durch die individualvertragliche Anwendung zentraler Tarifnormen bzw. Betriebsvereinbarungen hinreichend geschützt seien, fehlten im Vortrag des Beschwerdeführers konkrete Anhaltspunkte für den Vorwurf, er würde durch die unterbliebene Anwendung der tariflichen Sonderleistungen, die durch die Stichtagsklausel abgesichert werden, in seinen grundrechtlichen Schutzinteressen verletzt werden.196 Darüber hinaus sei die Differenzierung anhand des Zeitpunkts der Gewerkschaftsmitgliedschaft durch einen Sachgrund gerechtfertigt.197 Diese Unterscheidung sei erforderlich, um verlässlich bestimmen zu können, wer die vereinbarten Leistungen erhalten würde.198 Die Tarifvertragsparteien könnten ohnehin nur Abreden für ihre Mitglieder treffen, weshalb sie schon aufgrund der Tarifautonomie nicht verpflichtet seien, alle Beschäftigten gleichermaßen zu berücksichtigen.199 Auch ein kollusives Zusammenwirken der Tarif- bzw. Betriebsparteien zu Lasten der Außenseiter bei der Verteilung des Sozialplanvolumens könne nicht angenommen werden, da der ganz überwiegende Teil der Belegschaft – auch der Außenseiter – dem Betriebsänderungsmodell zugestimmt hätte.200 Abschließend wehrten die Verfassungsrichter den Vorwurf einer Auszehrung des Gesamtvolumens mit dem Hinweis ab, dass die auf die Mitglieder der Gewerkschaft beschränkten Vergünstigungen kein Ausmaß erreichten, das eine solche Auszehrung befürchten ließe.201 Auf einen Verstoß gegen Art. 3 I GG oder vergleichbare Maßstäbe bei der Ungleichbehandlung von Gewerkschaftsmitgliedern ging das BVerfG – wohl mangels einer entsprechenden Rüge des Beschwerdeführers – nicht näher ein.202 193

BVerfG v. 14. 11. 2018 – 1 BvR 1278/16, AP GG Art. 9 Nr. 153 (Rn. 5) unter Rekurs auf BAG v. 15. 4. 2015 – 4 AZR 796/13, AP TVG § 3 Nr. 57 (Rn. 48). 194 BVerfG v. 14. 11. 2018 – 1 BvR 1278/16, AP GG Art. 9 Nr. 153 (Rn. 7 f.). 195 BVerfG v. 14. 11. 2018 – 1 BvR 1278/16, AP GG Art. 9 Nr. 153 (Rn. 8). 196 BVerfG v. 14. 11. 2018 – 1 BvR 1278/16, AP GG Art. 9 Nr. 153 (Rn. 8 f.). 197 BVerfG v. 14. 11. 2018 – 1 BvR 1278/16, AP GG Art. 9 Nr. 153 (Rn. 10). 198 BVerfG v. 14. 11. 2018 – 1 BvR 1278/16, AP GG Art. 9 Nr. 153 (Rn. 10). 199 BVerfG v. 14. 11. 2018 – 1 BvR 1278/16, AP GG Art. 9 Nr. 153 (Rn. 10). 200 BVerfG v. 14. 11. 2018 – 1 BvR 1278/16, AP GG Art. 9 Nr. 153 (Rn. 11). 201 BVerfG v. 14. 11. 2018 – 1 BvR 1278/16, AP GG Art. 9 Nr. 153 (Rn. 11). 202 Kritisch diesbezüglich Wienbracke, EWiR 2019, 121 (122).

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Teil 1: Einleitung

Insgesamt betrachtet bestätigt der Beschluss des BVerfG größtenteils die Sichtweise des BAG: Einerseits schlossen sich die Verfassungsrichter der Argumentation aus der Leitentscheidung vom 15. 4. 2015 und den Folgeurteilen teilweise explizit an, andererseits erachteten sie das Vorbringen des Beschwerdeführers an bestimmten Stellen als nicht ausreichend, um das Urteil des BAG als verfassungswidrigen Eingriff in eine grundrechtliche Position zu werten. Damit wurde zwar die Verfassungskonformität der Stichtagsklausel in der konkreten Sanierungssituation nicht ausdrücklich festgestellt, allerdings zeigt insbesondere die Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung, dass die Bewertung der verfassungsrechtlichen Fragestellungen durch das BAG nach Ansicht des BVerfG fehlerfrei gelungen ist. 6. Schlussfolgerungen aus den Entscheidungen und ihre Bedeutung für die vorliegende Arbeit Bei einer eingehenderen Analyse, die die präsentierte höchstrichterliche Rechtsprechung nicht nur isoliert, sondern umfassend in ihrem Gesamtzusammenhang bewertet, drängen sich zwei bedeutende Schlussfolgerungen auf: a) Eingeschränkte Kommensurabilität der Entscheidungen als Folge unterschiedlicher Sachverhalte Legt man beispielsweise den Beschluss des Großen Senats des BAG von 1967 und die Entscheidungen seit dem Wechsel im Senatsvorsitz 2012 vergleichend nebeneinander, sticht bei oberflächlicher Betrachtungsweise zunächst ins Auge, dass von dem einstmals umfassenden Verdikt gegenüber sämtlichen Differenzierungsklauseln wenig übriggeblieben ist. Vielmehr gewinnt man jedenfalls bei tariflichen Differenzierungsklauseln mit Stichtagsregelung den Eindruck, dass im Verlauf der Jahrzehnte die ursprünglich sehr restriktive Rechtsprechung schrittweise aufgeweicht und die Hürden für die Zulässigkeit sukzessive abgesenkt worden.203 Diese erste Vermutung erfährt durch eine Synopse der Entscheidung aus dem Jahr 2007 und den Urteilen seit dem Jahr 2012 eine zusätzliche Bestätigung. Gingen die Richter ursprünglich auch bei Differenzierungen innerhalb der Mitglieder von einem Verstoß gegen die „individuelle Koalitionsfreiheit“ und die einfachrechtlichen Vorschriften der §§ 3 I, 4 I TVG, aus, richtete sich das Hauptaugenmerk in den späteren Entscheidungen mit neuer Senatsbesetzung vermehrt auf Fragen der Gleichbehandlung und somit auf Art. 3 I GG bzw. verwandte Prüfungsschemata. In der Tat scheint den Tarifvertragsparteien durch diese grundlegende Änderung der perspektivischen Herangehensweise bei der Differenzierung anhand der Mitgliedschaft zu einem bestimmten Zeitpunkt ein weit größerer Gestaltungsspielraum eröffnet, als es noch

203

Ebenso Kalb, FS Moll, S. 327 (333).

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2007 unter dem Eindruck einer stärkeren Betonung der Koalitionsfreiheit der Fall war. Dieser Schluss erweist sich jedoch bei genauerem Hinsehen als trügerisch. Der gewandelte Problemzugriff in der höchstrichterlichen Rechtsprechung und die zunehmende Fokussierung auf Aspekte der Gleichbehandlung müssen nicht zwingend mit einem erweiterten Spielraum zugunsten der Tarifvertragsparteien einhergehen. Betrachtet man zudem die Tatbestände der Entscheidungen genauer, stellt man fest, dass den Sachverhalten aus den jeweiligen Judikaten nicht dieselbe Tarifregelung, sondern stets verschiedene Fallgestaltungen zugrunde lagen. Während im Urteil vom 9. 5. 2007 über eine Klausel befunden wurde, die die Mitgliedschaft zu einem bestimmten Stichtag und den Verbleib in der Gewerkschaft voraussetzte, um in den Genuss der tariflichen Leistungen zu gelangen, galt dies für die nachfolgenden Entscheidungen zu tarifvertraglichen Stichtagsklausel nicht mehr. In den Urteilen aus den Jahren 2012 und 2013 wurde über eine Klausel befunden, die für unterschiedliche Bezugszeiträume jeweils einen eigenen Stichtag vorsah und deswegen auch Neumitgliedern ermöglichte, zwar nicht innerhalb des aktuellen, aber doch für zukünftige Bezugszeiträume die versprochenen tariflichen Leistungen beanspruchen zu können. Wiederum anders gestaltete sich die Ausgangskonstellation für das Urteil vom 15. 4. 2015. Die Stichtagsregelung aus dem ETS-TV wurde im Rahmen eines Tarifsozialplans vereinbart und ist damit, was den situativen Kontext ihrer Entstehung und die inhaltlichen Regelungsgegenstände betrifft, grundsätzlich anders einzuordnen als solche Differenzierungsklauseln mit Stichtagsregelung, die unabhängig von einer Unternehmenssanierung in die jeweiligen Tarifverträge aufgenommen wurden. Durch den Stichtag in der Vergangenheit wurde es den Neumitgliedern – anders als im Sachverhalt der Entscheidungen von 2012 und 2013 – zudem unmöglich gemacht, durch einen Beitritt zur Gewerkschaft in den Kreis der begünstigten Arbeitnehmer vorzudringen. Sie waren von den Sonderleistungen anlässlich eines einmaligen Ereignisses auch pro futuro jedenfalls auf tarifrechtlicher Grundlage ausgeschlossen. Bereits aus diesem Befund lässt sich eine bedeutsame Erkenntnis gewinnen: Die Entscheidungen aus den Jahren 2007 – 2015 hatten zwar im Kern allesamt eine Differenzierungsklausel mit Stichtagsregelung zum Gegenstand, ergingen allerdings mit Ausnahme der Urteile von 2012 und 2013 zu jeweils unterschiedlichen Tarifgestaltungen. Diese Verschiedenheit gebietet Vorsicht gegenüber vorschnellen Pauschalierungen204 und der Annahme, die Rechtsprechung habe bei der Bewertung der Fallgestaltungen im Laufe der Jahre einen linearen Prozess hin zu einer großzügigen Billigung der Stichtagsregelungen durchlaufen. Zumindest erklärungsbedürftig ist vor diesem Hintergrund der Vorwurf, die Richter des 4. Senats hätten in der Entscheidung vom 15. 4. 2015 „gegen die frühere Senatsbesetzung und gegen den Großen Senat“ optiert.205 Da jedes der bislang präsentierten Urteile nur im Hinblick 204 205

Vgl. auch Helm, NZA 2015, 1437. So jedoch explizit Greiner, jM 2016, 66 (68).

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auf eine bestimmte Spielart der tariflichen Stichtagsregelungen und somit lediglich einen Ausschnitt einer deutlich weiter gefassten Problematik gefällt wurde, sind alle, sind alle vorgestellten Entscheidungen zwingend vor dem Hintergrund der jeweils strittigen Klausel zu verstehen und damit inhaltlich nur eingeschränkt kommensurabel.206 Jedes Urteil hängt in schicksalhafter Weise vom konkreten Sachverhalt ab, der zur Klärung vor die Gerichte gebracht wurde.207 Selbst das BAG stellt teilweise darauf ab, um sich von vorangegangenen Entscheidungen abzugrenzen.208 Soll die Rechtsprechung zur Problematik der tarifvertraglichen Differenzierungsklauseln mit Stichtagsregelung in ihrem vollen Umfang für den weiteren Fortgang der Untersuchung fruchtbar gemacht werden, muss der Blick demnach zwingend zuerst auf die jeweilige Fallgestaltung gerichtet werden, über die die Richter im konkreten Fall befunden haben. Nur wenn man die Unterschiedlichkeit der Stichtagsklauseln in ihrer Vielfalt anerkennt, besteht die Chance, die Entscheidungen hierzu im richtigen Licht zu sehen. Dabei muss man sich allerdings stets vergegenwärtigen, dass die jeweiligen Judikate für sich genommen keine umfassende und abschließende Gesamtschau auf die Zulässigkeit oder Unzulässigkeit tarifvertraglicher Differenzierungsklauseln mit Stichtagsregelung ermöglichen, sondern jeweils nur einen vom konkreten Sachverhalt begrenzten Blick auf die Bewertung bestimmter Klauseln freigeben. b) Etablierung der Differenzierungsklauseln mit Stichtagsregelung als genuin eigenständige Kategorie in der BAG-Rechtsprechung Neben diesem ersten Befund sticht jedoch noch ein weiterer Umstand aus der vergleichenden Zusammenschau der Judikate ins Auge. Unabhängig von den Unterschieden des Einzelfalls scheint mit den beiden Entscheidungen aus den Jahren 2012 und 2013 eine Entwicklung angestoßen, an deren Ende nach der Sichtweise des BAG die Herauslösung der Stichtagsregelungen aus dem heterogenen Gesamtzusammenhang der herkömmlichen Differenzierungsklauseln und die Schaffung einer zumindest nominal eigenständigen Kategorie der „Binnendifferenzierung“ steht.209 Spätestens mit diesen beiden Urteilen zeichnete sich ab, dass das BAG die Unterscheidung zwischen verschiedenen Verbandsangehörigen nicht mehr als einen aty206 Ähnlich auch Kamanabrou, Anm. zu AP TVG § 3 Nr. 41 (III. 1.) und Leydecker, AuR 2009, 338 (339) für Differenzierungsklauseln allgemein. 207 Siehe hierzu Collingwood, Denken, S. 32 f.: „Zunächst beobachtete ich, daß man durch das bloße Studium von gesprochenen oder geschriebenen Aussagen nicht herausfinden kann, was jemand meint, selbst dann nicht, wenn er mit vollkommener Beherrschung der Sprache und mit dem Willen zu größter Wahrhaftigkeit gesprochen oder geschrieben hat. Um seine Meinung herauszufinden, muß man vielmehr ebenso die Frage kennen […], auf die hin das, was er gesagt oder geschrieben hat, als Antwort gedacht war.“. 208 Vgl. nur BAG v. 18. 3. 2009 – 4 AZR 64/08, AP TVG § 3 Nr. 41 (Rn. 123); BAG v. 5. 9. 2012 – 4 AZR 696/10, AP TVG § 3 Nr. 53 (Rn. 32); BAG v. 15. 4. 2015 – 4 AZR 796/13, AP TVG § 3 Nr. 57 (Rn. 70). 209 Siehe oben, Teil 1 F. II. 4. b).

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pischen Unterfall von einfachen Differenzierungsklauseln betrachtet210, der für die Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen neben der reinen Gewerkschaftsangehörigkeit auch eine Mitgliedschaft zu einem bestimmten Zeitpunkt erfordert. Die Richter ordnen die Stichtagsregelungen vielmehr – und seit dem 15. 4. 2015 auch explizit211 – als sog. „Binnendifferenzierung“ ein, bei der es nur noch um die differenzierende Behandlung innerhalb der tarifgebundenen Arbeitnehmer gehe. Dieser Wandlungsprozess im Verständnis von Stichtagsregelungen lässt vermuten, dass auch bei der Bewertung der Zulässigkeit eine Akzentverschiebung stattgefunden hat. Allerdings hat das BAG bislang nicht eindeutig klargestellt, ob mit der semantischen Abkopplung und der Etablierung einer genuin eigenständigen Kategorie gleichsam auch eine Unterwerfung unter andere, abweichende Maßstäbe verbunden ist. Nichtsdestotrotz hatte die veränderte systematische Einordnung für das BAG einen unmittelbaren praktischen Nutzen. Indem die Richter trennscharf zwischen „Binnendifferenzierungen“ einerseits und herkömmlichen Differenzierungsklauseln andererseits unterschieden, konnten sie die ansonsten zwingende Vorlage an den Großen Senat vermeiden.212 Anderenfalls wären sie aufgrund der offensichtlichen Divergenz zu dessen Entscheidung vom 27. 11. 1967 nach § 45 II, III ArbGG verpflichtet gewesen, den Großen Senat als gesetzlichen Richter gemäß Art. 101 I S. 2 GG erneut anzurufen, bevor sie die jeweiligen Differenzierungsklauseln mit Stichtagsregelung als wirksam anerkennen durften.213

III. Zwischenergebnis Damit lässt sich an dieser Stelle ein erstes, freilich noch etwas abstraktes Zwischenergebnis formulieren: Die Zulässigkeit einer bestimmten Differenzierungsklausel mit Stichtagsregelung hängt stets von mehreren Faktoren ab, bei denen sich insbesondere die konkrete Ausgestaltung der Klausel und die jeweilige Einbindung in den situativen Kontext als maßgeblich erweisen. Damit liegt es nahe, dass die Entscheidung vom 15. 4. 2015 trotz ihrer Prominenz nicht den vorläufigen Abschluss einer geradlinigen, eindimensionalen Rechtsprechung markiert, durch die nunmehr sämtliche Ausprägungen der tariflichen Differenzierungsklauseln mit Stichtagsre-

210

So aber jedenfalls Klebeck, SAE 2008, 97 ff.; S. Neumann, Tarifboni, S. 39 f., 212 f. Siehe oben, Teil 1 F. II. 4. b). 212 BAG v. 15. 4. 2015 – 4 AZR 796/13, AP TVG § 3 Nr. 57 (Rn. 70); kritisch diesbezüglich insbes. Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 2129; Greiner, NZA 2016, 10 (15); ders., FS H. J. Willemsen, S. 159 (162, Fn. 20); wohl auch ders., jM 2016, 66 (68). 213 Vgl. BDDH/Düwell, § 45 ArbGG Rn. 41; GMP/Prütting, § 45 ArbGG Rn. 36; NKArbGG/B. Zimmermann, § 45 ArbGG Rn. 27; ferner BVerfG v. 14. 11. 2018 – 1 BvR 1278/16, AP GG Art. 9 Nr. 153 (Rn. 12); BVerfG v. 26. 3. 2014 – 1 BvR 3185/09, NJW 2014, 1874 (Rn. 34); zur verwandten Problematik bei der „Flashmob“-Rechtsprechung siehe Rüthers/ Höpfner, JZ 2010, 261 (264). 211

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Teil 1: Einleitung

gelung in ihrer Gesamtheit abgesegnet wurden.214 Vielmehr trifft auch dieses Urteil nur für eine bestimmte Fallgestaltung eine bindende Aussage, die sich bei genauerem Hinsehen von allen anderen Sachverhalten unterscheidet, über die das BAG zuvor zu befinden hatte. Neben dieser konkreten Konstellation gibt es zudem ein ganzes Bündel an denkbaren weiteren Klauselgestaltungen, die allesamt einer eigenständigen rechtlichen Bewertung unterzogen werden müssen und bei denen sich unreflektierte Verallgemeinerungen verbieten. Zudem hat sich in den vergangenen Jahren zumindest innerhalb der Rechtsprechung ein eigenes Begriffs- und Wesensverständnis von tariflichen Stichtagsregelungen etabliert: Galten diese noch 2007 als Annex zur einfachen Differenzierungsklausel, setzte sich ab 2012 bei den Bundesrichtern die Einschätzung durch, bei den Stichtagsklauseln handele es sich nicht um einfache Differenzierungsklauseln, sondern um eine „Binnendifferenzierung“ zwischen den tarifgebunden Arbeitnehmern, die von den herkömmlichen Arten der Differenzierungsklauseln streng abgegrenzt und isoliert betrachtet werden müssten.

G. Taxonomie der unterschiedlichen Arten der Differenzierungsklausel mit Stichtagsregelung Da die Bezeichnung „Differenzierungsklauseln mit Stichtagsregelung“ vor dem Hintergrund der bisherigen Befunde lediglich als Oberbegriff für eine Vielzahl unterschiedlicher Fallgestaltungen infrage kommt, wird offenbar, dass die Frage nach der Zulässigkeit einzelner Regelungen nicht mit einem pauschalen Ja oder Nein beantwortet werden kann, sondern zentral auch vom konkreten Zuschnitt der Klausel abhängt. Eine erste Herausforderung dieser Arbeit wird es daher sein, die unterschiedlichen denkbaren Spielarten auszumachen und sie in ein systematisches Gesamtgefüge zu integrieren. Möglicherweise lässt sich ein strukturelles Gerüst identifizieren, das allen Differenzierungsklauseln mit Stichtagsregelungen gleichermaßen zugrunde liegt und verallgemeinerungsfähige Aussagen zulässt. Ausgehend von den Fallgestaltungen, die bereits durch die oben genannten BAGEntscheidungen bekannt wurden, kommen folgende Ausformungen in Betracht:215 - Differenzierungsklausel mit Stichtag in der Vergangenheit ohne Bleibefrist:216 Der Stichtag als Anspruchsvoraussetzung für die Leistungen aus dem Tarifvertrag ist in dieser Konstellation zeitlich vor dem Tarifabschluss angesiedelt. Beide 214 Nicht überzeugend daher Ricken, Stichtagsregelungen, S. 18: „Spätetens mit dem Urteil vom 15. 4. 2015 liegt ein klares Votum des Tarifsenats des BAG vor, der grundsätzlich Stichtagsklauseln erlaubt.“. 215 Die folgenden Beispiele beziehen sich dabei auf einen hypothetischen Tarifvertrag, der am 1. 6. 2019 abgeschlossen wurde und in zeitlicher Perspektive vom 1. 7. 2019 aus betrachtet werden soll. 216 Entspricht in Teilen BAG v. 15. 4. 2015 – 4 AZR 796/13, AP TVG § 3 Nr. 57 und BVerfG v. 14. 11. 2018 – 1 BvR 1278/16, AP GG Art. 9 Nr. 153.

G. Taxonomie der Differenzierungsklausel mit Stichtagsregelung

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Ereignisse liegen jedoch bereits in der Vergangenheit, sodass sowohl Außenseiter durch einen Beitritt als auch Gewerkschaftsmitglieder, deren Beitritt jedoch nach dem Stichtag erfolgte, nicht mehr auf normativem Weg in den Genuss der tariflich zugesicherten Leistungen kommen können. Beispiel für eine Klausel: „Dieser Tarifvertrag gilt für Mitarbeiter der X-AG, die bis zum 1. 5. 2019 Mitglied in der Gewerkschaft Y geworden sind.“ - Differenzierungsklausel mit Stichtag in der Vergangenheit und zusätzlicher Bleibefrist:217 Die Ausgangslage ist mit der vorgenannten Konstellation vergleichbar, allerdings tritt als zusätzliche Anspruchsvoraussetzung eine Bleibefrist hinzu. In den Genuss der Leistungen kommen also nur solche Mitglieder, die zum Stichtag Mitglied waren und dies auch in der Zukunft bleiben. Beispiel für eine Klausel: „Dieser Tarifvertrag gilt für Mitarbeiter der X-AG, die bis zum 1. 5. 2019 Mitglied in der Gewerkschaft Y geworden sind und bleiben.“ - Klausel mit Stichtag für jeweils abgeschlossene Zeiträume, die teils auch in der Zukunft liegen:218 Anders als in den bisherigen Beispielsfällen besteht in dieser Konstellation für die Erlangung der tariflichen Zusatzleistungen nicht nur ein bestimmter Stichtag, an dem die Arbeitnehmer Gewerkschaftsmitglied gewesen sein müssen, um überhaupt die entsprechenden Leistungen beanspruchen zu können. Vielmehr ermöglichen regelmäßig – meist jährlich – wiederkehrende Stichtage einen individuellen anspruchsbegründenden Beitritt für die jeweiligen Bezugszeiträume. Dabei liegen die Stichtage für abgeschlossene Zeiträume in der Vergangenheit, für künftige Ausschüttungen dagegen in der Zukunft. Neumitglieder können deshalb nach ihrem Beitritt zwar keine normativ begründeten Ansprüche für vergangenene Abschnitte anmelden. Ihnen wird aber grundsätzlich ermöglicht, zumindest für künftige, nachfolgende Bezugszeiträume in den Genuss der tariflichen Leistungen zu gelangen. Beispiel für eine Klausel: „Als Gewerkschaftsmitglied gilt, wer spätestens am 1. 3. 2018 in die Gewerkschaft eingetreten ist und dessen Mitgliedschaft am 30.11. des jeweiligen Wirtschaftsjahres noch besteht und im Anspruchsjahr die Gewerkschaftsmitgliedschaft nicht gekündigt wurde. Für die Jahre 2019 und folgende gilt jeweils der 1.1. des Jahres als spätestes Eintrittsdatum.” Auf der Basis dieser Sachverhalte lassen sich ergänzend dazu folgende weiteren Konstellationen konstruieren: - Differenzierungsklausel mit Stichtag in der Zukunft: Der maßgebliche Stichtag für den Erhalt der tariflich zugesicherten Leistungen ist zeitlich nach dem Abschluss des Tarifvertrags und damit – legt man den Zeitpunkt des Tarifabschlusses als maßgebliche Perspektive zugrunde – in der Zukunft angesiedelt. Hier können 217 Entspricht in Teilen BAG v. 9. 5. 2007 – 4 AZR 275/06, AP TVG § 3 Verbandszugehörigkeit Nr. 23. 218 Entspricht in Teilen BAG v. 18. 3. 2009 – 4 AZR 64/08, AP TVG § 3 Nr. 41; BAG v. 5. 9. 2012 – 4 AZR 696/10, AP TVG § 3 Nr. 53; BAG v. 21. 8. 2013 – 4 AZR 861/11, AP TVG § 3 Nr. 55.

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Teil 1: Einleitung

auch Außenseiter durch einen rechtzeitigen Gewerkschaftsbeitritt in den Genuss der jeweiligen Leistungen kommen. Beispiel für eine Klausel: „Dieser Tarifvertrag gilt für Mitarbeiter der X-AG, die bis zum 1. 8. 2019 Mitglied in der Gewerkschaft Y geworden sind.“ Neben den bisher genannten Varianten, die jeweils für alle tarifgebundenen Arbeitnehmer gleichermaßen einen fixen Stichtag festgelegt haben, an dem die Mitgliedschaft des einzelnen Arbeitnehmers vorliegen musste, hat sich bei den Verbänden auch die Regelungsstrategie herausgebildet, die eine bestimmte Mindestmitgliedschaftsdauer des Arbeitnehmers für den Erwerb tariflicher Leistungen voraussetzt und damit die Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen von jedem Neumitglied selbst abhängig macht. Nach dem Ablauf einer individuell in Gang zu setzenden Wartefrist219 kann – anders als bei einer Differenzierungsklausel mit Stichtag in der Vergangenheit – theoretisch jeder tarifgebundene Arbeitnehmer in den Genuss der Leistungen gelangen.220 Eine solche Fallgestaltung lag beispielsweise teilweise der BAG-Entscheidung vom 18. 3. 2009 zugrunde: Dort mussten die Arbeitnehmer bis zu einem bestimmten Stichtag eine dreimonatige Gewerkschaftsmitgliedschaft nachweisen, um die Leistungen für den aktuellen Bezugszeitraum beanspruchen zu können (§ 3 III TVAstD).221 Auch in den Tarifverhandlungen der Luftfahrtbranche wurde in jüngerer Zeit zwischen dem Arbeitgeberverband Luftverkehr e. V. und der Flugbegleiter-Gewerkschaft UFO eine Regelung erwogen, die die Auskehrung bestimmter Sachleistungen an die Arbeitnehmer von einer Mindestmigliedschaftsdauer in der Gewerkschaft von drei Monaten abhängig gemacht hätte.222 Bei diesen Tarifregelungen können nicht nur langjährige Gewerkschaftsmitglieder in den Genuss der entsprechenden Vergünstigung kommen, sondern auch bisherige Außenseiter, die nach dem Gewerkschaftsbeitritt und dem Ablauf einer dreimonatigen Wartezeit die normativen Voraussetzungen für die Ausschüttung erfüllen würden. Losgelöst von einer fixen, von den Tarifvertragsparteien vorgegebenen Terminierung des Stichtags wird ein flexibler, individuell abweichender Zeitpunkt für die Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen statuiert, bei dem es elementar von der Entscheidung des Arbeitnehmers abhängt, ob und zu welchem Zeitpunkt genau die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt werden.

219 Eine feste Terminologie für die tarifliche Mindestmitgliedschaftsfrist gibt es nicht. In § 1 I KSchG hat sich allerdings zu einer ähnlichen Problematik der Begriff „Wartefrist“ eingebürgert, sodass sich die Untersuchung teilweise hieran orientiert. 220 Vgl. auch Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 2144. 221 BAG v. 18. 3. 2009 – 4 AZR 64/08, AP TVG § 3 Nr. 41 (Rn. 5). 222 Vgl. die „Vereinbarung Ausbildungskostenzuschuss und Sachleistung zwischen dem Arbeitgeberverband Luftverkehr e. V. und der Unabhängigen Flugbegleiter Organisation e. V.“ v. 30. 6. 2018.

G. Taxonomie der Differenzierungsklausel mit Stichtagsregelung

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- Beispiel für eine Klausel:223 „Dieser Tarifvertrag gilt für Mitarbeiter der X-AG, die ihre Mitgliedschaft in der Gewerkschaft Y für die zurückliegenden drei Monate bis zum Auszahlungstag glaubhaft nachgewiesen haben.“ Gleichsam als Kombination der beiden vorgenannten Varianten wirken zudem Klauseln, die die Ausschüttung tariflicher Leistungen von einer Mitgliedschaftsdauer abhängig machen, die darüber hinaus zu einem bestimmten Zeitpunkt vorliegen muss. - Beispiel für eine Klausel:224 „Für das Jahr 2019 ist die Mitgliedschaft für die zurückliegenden drei Monate bis zum Auszahlungstag (31. 7. 2019) glaubhaft zum 30. 6. 2019 nachzuweisen.“ Ist die Erfüllung der geforderten Mindestmitgliedschaftsdauer bis zum vorgeschriebenen Stichtag für einen Arbeitnehmer (noch) möglich, orientiert sich die Bewertung bei diesen Regelungen sinnvollerweise an den Maßstäben, die jeweils für die Mindestmitgliedschaftsdauer bzw. die Differenzierungsklausel mit Stichtag in der Zukunft angelegt werden. Liegt der Stichtag allerdings entweder in der Vergangenheit oder – wie im Beispielsfall – zeitlich so nah am Abschluss des Tarifvertrags, dass ein beitrittswilliger Außenseiter bis zu diesem Zeitpunkt nicht mehr die geforderte Mindermitgliedschaftsdauer erfüllen kann, handelt es sich für den aktuellen Bezugszeitraum (Geschäftsjahr 2019) faktisch um eine Differenzierungsklausel mit Stichtag in der Vergangenheit, da der Stichtag in der Zukunft auch um den Zeitraum der an ihn angeschlossenen Mindestmitgliedschaftsdauer zurückverlegt hätte werden können. Da somit Neumitglieder für den laufenden Bezugszeitraum ebenfalls ausgeschlossen werden, liegt bei der Bewertung dieses Zeitabschnitts eine parallele Bewertung zur Differenzierungsklausel mit Stichtag in der Vergangenheit nahe.

223

Entspricht in Teilen dem § 3 III TVAstD aus der Entscheidung BAG v. 18. 3. 2009 – 4 AZR 64/08, AP TVG § 3 Nr. 41. 224 Entspricht in Teilen dem § 3 IV TVAstD aus der Entscheidung BAG v. 18. 3. 2009 – 4 AZR 64/08, AP TVG § 3 Nr. 41.

Teil 2

Die Zulässigkeit der unterschiedlichen Arten von tarifvertraglichen Differenzierungsklauseln mit Stichtagsregelung Auf der Grundlage dieser Taxonomie kann nunmehr die Zulässigkeit der unterschiedlichen tariflichen Differenzierungsklauseln mit Stichtagsregelung als Hauptteil im engeren Sinn erörtert werden.

A. Grundlegende Präliminarien für die Prüfung I. Überblick über den strukturellen Aufbau der Untersuchung Wie in den bisherigen Ausführungen schon teilweise nachgewiesen werden konnte, suggeriert die an der chronologischen Abfolge der Urteile orientierte Darstellung der tariflichen Differenzierungsklauseln mit Stichtagsregelung eine lineare, eindimensionale Dynamik der höchstrichterlichen Rechtsprechung hin zu einem großzügigen Kontrollmaßstab, die nur bei unreflektierter Betrachtungsweise zutreffend ist und in mancherlei Hinsicht bereits nachhaltig in Zweifel gezogen werden konnte.1 Es erscheint daher inopportun, bei der Untersuchung, inwiefern die unterschiedlichen Klauseln rechtlichen Anforderungen genügen, dieselbe Herangehensweise zu wählen. Um eine vorgefasste Meinung möglichst zu verhindern und nicht bestimmte Vermutungen als wahr zu unterstellen, die sich nach einer genaueren Untersuchung als falsch oder zumindest als vorschnell entpuppen, bietet es sich daher an, die Problematik rund um die Differenzierungsklausel mit Stichtagsregelung „von hinten“ aufzuziehen und die Erörterung mit der Klausel aus der Entscheidung vom 15. 4. 2015 zu beginnen. Auf der Basis der dort gewonnenen Erkenntnisse soll dann auf alle weiteren Varianten der Differenzierungsklausel mit Stichtagsregelung geblickt werden. Dieser modus operandi hat nicht nur den Vorteil, dass die Stichtagsregelung aus der wohl bekanntesten Entscheidung zunächst in den Mittelpunkt der Untersuchung gerückt wird und dadurch der Einstieg in die rechtliche Bewertung ein Stück weit leichter fällt. In der Entscheidung vom 15. 4. 2015 selbst findet sich zudem eine dezidierte Auseinandersetzung mit der typologischen Struktur einer Differenzie1

Siehe oben, Teil 1 F. II. 6. a).

A. Grundlegende Präliminarien für die Prüfung

67

rungsklausel mit Stichtag in der Vergangenheit und damit eine höchstrichterliche Stellungnahme zum materiellen Nukleus der Problematik, an der sich die weitere Erörterung orientieren kann. Darüber hinaus wirft die Konstellation auch grundsätzliche Fragen zum Verhältnis der Tarifvertragsparteien zu den Außenseitern auf, die eine nähere Erörterung sinnvoll erscheinen lassen, bevor auf verwandte Klauselarten eingegangen wird. Manche wollen sogar so weit gehen und mit dieser Konstellation alle relevanten Fragen des Tarifrechts berührt wissen.2 Im besten Fall können die hierzu entwickelten Befunde an anderer Stelle ebenfalls fruchtbar gemacht werden und für die rechtliche Bewertung aller weiteren Klauseln maßgebliche Vorarbeit leisten. Dennoch darf trotz der positiven Synergieeffekte, die eine solche Herangehensweise verspricht, nicht vernachlässigt werden, dass eine gleichförmige Übertragung der jeweiligen Argumentationsmuster auf andere Differenzierungsklauseln mit Stichtagsregelung nur dann infrage kommt, wenn die konkreten systemischen Unterschiede zwischen den Klauseln hinreichend beleuchtet wurden und einer entsprechenden Anwendung nicht entgegenstehen.

II. Methodische Grundausrichtung Einen sakrosankten Prüfungsaufbau für die Kontrolle von Tarifnormen gibt es nicht. Nach wie vor ist gerade bei tarifvertraglichen Differenzierungsklauseln ein Bewertungsmaßstab verbreitet, der im Wesentlichen nach der Vereinbarkeit der konkreten Vorschrift mit höherrangigem Recht fragt und auf diese Weise Verstöße gegen Verfassungsrecht und einfaches Recht aufdecken möchte.3 Die damit verbundene „Unzulässigkeitsprüfung“4, welche sich an der eines formellen Gesetzes anlehnt, steht ganz in der Tradition der Entscheidung des Großen Senats vom 29. 11. 1967, bei der das umfassende Verdikt gegenüber Differenzierungsklauseln im Grundsatz ebenfalls auf diesen Aufbau gestützt wurde.5 Eine derartige Vorgehensweise sah sich jedoch in jüngerer Vergangenheit berechtigter Kritik ausgesetzt.6 Zum einen droht sie mit ihrem Gleichlauf zur Prüfung formeller Gesetze auszublenden oder zumindest zu vernachlässigen, dass die Tarifvertragsparteien bei der Vereinbarung von Differenzierungsklauseln selbst als Grundrechtsträger agieren.7 Zum 2 Vgl. den Diskussionsbeitrag von Jacobs auf der 8. ZAAR-Tagung in Hamburg am 2. 9. 2016 zum Vortrag von Ricken, Stichtagsregelungen, S. 41; ähnlich auch Meyer, Anm. zu AP TVG § 3 Nr. 57 in seinem Einleitungssatz. 3 Vgl. nur Bietmann, Differenzierungsklauseln, S. 121 ff., 170 ff.; Breschendorf, Zweiteilung der Belegschaft, S. 91 ff., 123 ff.; Gamillscheg, Differenzierung, S. 24 ff., 72 ff.; Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 57 ff., 216 ff.; Zöllner, Differenzierungsklauseln, S. 21 ff., 35 ff. 4 S. Neumann, Tarifboni, S. 49. 5 BAG v. 29. 11. 1967 – GS 1/67, BAGE 20, 175 (218 ff., 224 ff.). 6 Vgl. insbes. S. Neumann, Tarifboni, S. 48 ff.; Waltermann, Differenzierungsklauseln, S. 59 ff.; in der Sache auch Höpfner, RdA 2019, 146 (148 f.). 7 Schnorr, FS Molitor, S. 229 (231); Söllner, NZA 1996, 897 (902).

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Teil 2: Die Zulässigkeit von tarifvertraglichen Differenzierungsklauseln

anderen ist bedenklich, dass dieser Kontrollmechanismus an das vorherrschende Legitimationsverständnis aus den 1960er Jahren anknüpft, während das Tarifvertragsrecht seitdem konsequent weiterentwickelt wurde und sich deshalb die Sichtweisen auf maßgebliche Determinanten wie etwa die Tarifautonomie oder die Koalitionsfreiheit in der Zwischenzeit wesentlich verändert haben. 1. Freiheitlich-privatautonomes Verständnis von Tarifautonomie als argumentatives Fundament der Untersuchung Vermutlich das markanteste Beispiel für ein perspektivisches Umdenken im Tarifrecht ist die Hinwendung zu einem freiheitlich-privatautonomen Verständnis von Tarifautonomie. Besonders eindrücklich zeigt sich die tiefgreifende Neuausrichtung bei der Legitimation der Tarifnormwirkung im Arbeitsverhältnis. Lange Zeit bestand in Rechtsprechung8 und Wissenschaft9 Einvernehmen darüber, dass die Tarifvertragsparteien ihre Rechtsetzungsmacht einer Überlassung oder Bereitstellung hoheitlicher Befugnisse verdanken und somit in der funktionalen Nachfolge staatlicher Regelsetzung im Arbeitsrecht stehen.10 Vor diesem Hintergrund betrachtet bestand für die Tarifvertragsparteien lediglich die Option, delegatarisch geschaffene Regelungsspielräume auszufüllen bzw. ihre Vereinbarung vom Staat als letztverantwortlichen Entscheidungsträger anerkennen zu lassen.11 Der Begriff „Tarifautonomie“ war damit bloße Umschreibung für eine staatlich angeordnete und damit demokratisch legitimierte Fremdbestimmung von Privaten durch andere Private. Diese Einsicht ist jedoch spätestens mit Beginn des neuen Jahrtausends zunehmend erodiert. Zahlreiche prominente Beiträge haben seither versucht, die Tarifautonomie und damit die Legitimation der Tarifnormgeltung im Arbeitsverhältnis auf ein entgegengesetzes Fundament zu gründen.12 Abgesehen von einigen wenigen konzeptionellen Unterschieden sind sich vor allem modernere Erklärungsansätze im Grundsatz einig, dass die Tarifvertragsparteien ihre Rechtsetzungsbefugnis nicht auf eine hoheitliche Ermächtigung stützen, sondern die Legitimation ihrer normativen Regelungsmacht zentral auf der freiwilligen Unterwerfung 8 Erstmals ausdrücklich BAG v. 15. 1. 1955 – 1 AZR 305/54, NJW 1955, 684 (687); bestätigt bspw. durch BAG v. 14. 7. 1961 – 1 AZR 154/60, NJW 1961, 1942 f. 9 Vgl. nur Adomeit, RdA 1967, 297 ff.; ders., Rechtsquellenfragen, S. 136 ff.; Bulla, DB 1980, 103 (104 f.); Gamillscheg, Band I, S. 557 f.; Hofbauer, Rechtscharakter, S. 39 ff.; A. Hueck/Nipperdey, Band II/1, S. 346 ff.; Hans Peters/Ossenbühl, Übertragung, S. 13 ff.; Säcker, AuR 1994, 1 (4 ff.); ders., Gruppenautonomie, S. 265 ff. 10 Lerche, FS Steindorff, S. 897 (906). 11 Im zweitgenannten Sinn insbes. F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 93 ff., 133 f., 181 ff.; Ricken, Autonomie, S. 109 ff.; Röthel, Normkonkretisierung, S. 278 ff.; in diese Richtung auch Cornils, Ausgestaltung, S. 436 ff.; siehe auch den Überblick bei Scholz, Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem, S. 57 ff. (Fn. 54). 12 Vgl. hierzu einstweilen nur die Habilitationsschriften von Bayreuther, Tarifautonomie, passim; F. Hartmann, Negative Tarifvertragsfreiheit, S. 101 ff.; Höpfner, Tarifgeltung, S. 227 ff. und die Dissertationsschrift von C. Arnold, Betriebliche Tarifnormen, S. 180 ff.

A. Grundlegende Präliminarien für die Prüfung

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ihrer Mitglieder basiert.13 Mit dieser mandatarisch konturierten Regelungsmacht sind die Tarifvertragsparteien nicht mehr auf den Staat als legitimationsstiftenden Akteur angewiesen, sondern können ihre Normsetzungsbefugnis unmittelbar auf die fortgesetzte Mitgliedschaft der Verbandsangehörigen selbst zurückführen. Tarifautonomie bedeutet bei dieser Lesart nichts anderes als die selbstbestimmte Regelsetzung der Verbände für die eigenen Mitglieder14, wobei dieser Mechanismus durch Art. 9 III GG als Verfassungsgut geschützt wird.15 Die Wandlung hin zu einem freiheitlich-privatautonomen Verständnis von Tarifautonomie hat sich parallel zum Schrifttum auch in der Rechtsprechung vollzogen16, sodass diese Deutung mit Recht als heutzutage maßgebliche Sichtweise bezeichnet werden kann.17 Das staatliche Mitwirkungserfordernis lässt sich nach dieser vorzugswürdigen Ausrichtung auf die rein ergänzende Rolle im Rahmen der Rechtsgeltungsanordnung in § 4 I TVG zur Durchbrechung der Relativität der Schuldverhältnisse und damit die bloße Rechtsanerkennung reduzieren, während demgegenüber die genuine Rechtsetzung 13 Übereinstimmend, aber mit Unterschieden in der konkreten Ausformung ErfK/Linsenmaier, Art. 9 GG Rn. 55 ff.; Löwisch/Rieble, Grundl. TVG Rn. 31; Breschendorf, Zweiteilung der Belegschaft, S. 31 f.; F. Hartmann, Negative Tarifvertragsfreiheit, S. 101 ff.; Henssler, FS E. Picker, S. 987 (1003 f.); Höpfner, Tarifgeltung, S. 308 ff., 316; Lobinger, JZ 2013, 915 (922); E. Picker, FS 50 Jahre BAG, S. 795 (821 ff.), jeweils m. w. N.; zurückhaltender, insbes. auf rechtsvergleichender Grundlage Bachmann, Private Ordnung, S. 126 ff.; a. A. F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 93 ff., 184 und die in Teil 2, Fn. 9 und 11 Genannten; kritisch insbes. auch Gamillscheg, Band I, S. 565, nachdem die Anknüpfung an der jeweiligen Verbandsmitgliedschaft bei dieser Legitimationslehre „ein Sück juristischer Romantik“ fernab von der sozialen Wirklichkeit sei. 14 Höpfner, Tarifgeltung, S. 230. 15 MD/Scholz, Art. 9 GG Rn. 161 ff. (94. EL Januar 2021), insbes. Rn. 165; ders., RdA 2001, 193 (195); vgl. auch Bayreuther, Tarifautonomie, S. 175 ff. 16 Vgl. nur BAG v. 14. 10. 1997 – 7 AZR 811/96, AP TVG § 1 Tarifverträge: Metallindustrie Nr. 155 [I. 3. b) der Gründe]; BAG v. 25. 2. 1998 – 7 AZR 641/96, AP TVG § 1 Tarifverträge: Luftfahrt Nr. 11 [I. 3. a) der Gründe]; BAG v. 30. 8. 2000 – 4 AZR 563/99, AP TVG § 4 Geltungsbereich Nr. 25 [I. 2. b) der Gründe]; BAG v. 7. 6. 2006 – 4 AZR 316/05, AP BGB § 611 Hausmeister Nr. 15 (Rn. 30); BAG v. 18. 7. 2006 – 1 ABR 36/05, AP TVG § 2 Tarifzuständigkeit Nr. 19 (Rn. 55). 17 Vgl. nur die Rechtsprechung aus jüngerer Zeit BAG v. 27. 6. 2018 – 10 AZR 290/17, AP BGB § 611 Gratifikation Nr. 310 (Rn. 33); BAG v. 15. 4. 2015 – 4 AZR 796/13, AP TVG § 3 Nr. 57 (Rn. 44); BAG v. 7. 7. 2010 – 4 AZR 549/08, AP GG Art. 9 Nr. 140 (Rn. 22); stellvertretend für das Schrifttum neben den in Teil 2, Fn. 13 und 18 genannten Stimmen und ungeachtet der unterschiedlichen dogmatischen Begründungen für eine Tarifautonomie als „kollektiv-ausgeübte Privatautonomie“ Kempen/Zachert/Kempen, Grundl. TVG Rn. 77 f.; Dieterich, FS Richardi, S. 117 (118); ders., FS Schaub, S. 117 (121); ders., FS H. Wiedemann, S. 229 (236 f.); ders., GS Zachert, S. 532 (537 f.); Henssler, ZfA 1998, 1 (21); Junker, ZfA 1996, 383 (392); ders., NZA 1997, 1305 (1306 f.); E. Picker, NZA 2002, 761 (768 f.); ders., Tarifautonomie, S. 42 f.; ders., ZfA 1998, 573 (673 ff.); ders., ZfA 2007, 129 (186); Richardi, ZfA 2003, 655 (656). Gleichsam als hybride Mischform zwischen Delegationstheorie und der Lehre von der mitgliedschaftlichen Legitimation der Tarifnormgeltung verfolgt insbes. Greiner, Rechtsfragen, S. 99; ders., FS v. Hoyningen-Huene, S. 103 (107) ein Modell, das „mal das eine, mal das andere Element stärker hervortreten“ lässt; dagegen berechtigterweise F. Hartmann, Negative Tarifvertragsfreiheit, S. 140 f.; Höpfner, Tarifgeltung, S. 340.

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Teil 2: Die Zulässigkeit von tarifvertraglichen Differenzierungsklauseln

als Kernbestandteil der Tarifautonomie frei von einer hoheitlich geschaffenen Legitimationsgrundlage allein auf der mitgliedschaftlich-mandatarisch begründeten Regelungsmacht der Tarifvertragsparteien beruht.18 Mit diesem Paradigmenwechsel verändert sich zwangsläufig auch die typologische Einordnung des Tarifvertrags. Galt er nach den veralteten Theorien zur Tarifnormgeltung als Äquivalent zur staatlicher Gesetzgebung oder zumindest formal als Regelsetzung unter staatlicher Aufsicht, wird er heute konsequenterweise als Instrument zur Wahrung der Privatautonomie auf dem Arbeitsmarkt begriffen.19 Die freilich hier nur grob skizzierten Eckpunkte verdeutlichen, dass sich die Tarifautonomie als verbindliche Regelsetzung für die Mitglieder in legitimatorischer Hinsicht vollumfänglich und in funktionaler Hinsicht größtenteils von staatlichen Einflüssen emanzipieren konnte. Nicht zuletzt aufgrund dieser Neuausrichtung hat sich für sie die anschauliche Begrifflichkeit einer „kollektiv ausgeübten Privatautonomie“ eingebürgert, der seitdem im Vokabular des Koalitionsrechts fest verankert ist.20 Mit der inhaltlichen Konkretisierung der Tarifautonomie als kollektiv ausgeübter Privatautonomie ist jedoch nicht nur eine definitorische Leerformel oder ein heuristisches Motiv zur Lösung tarifrechtlicher Streitigkeiten beschrieben. Aufgrund der unmittelbaren Auswirkungen auf zahlreiche weitere Bereiche wie etwa die Frage nach der Grundrechts-21 bzw. Gemeinwohlbindung22 der Tarifvertragsparteien, die an die Favorisierung eines freiheitlich-privatautonomen Erklärungsmodells geknüpft 18 Zentral Höpfner, Tarifgeltung, S. 303 ff., insbes. S. 328 ff.; ders., ZfA 2019, 108 (132 ff.); vgl. auch ErfK/I. Schmidt, Einl. GG Rn. 46; Bayreuther, Tarifautonomie, S. 202 f.; Belling, ZfA 1999, 547 (582 ff., 592 ff.); Dieterich, RdA 2001, 112 (116); Giesen, Tarifvertragliche Rechtsgestaltung, S. 170 ff.; Greiner, Rechtsfragen, S. 99 ff.; C. Hartmann, Gleichbehandlung, S. 61; Houben, Rückwirkung, S. 119 f.; Käppler, NZA 1991, 745 (749 f.); Löwisch, RdA 2000, 312 (313); Möstl, JZ 1999, 202 (203 f.); Scholz, RdA 2001, 193 (195); Waltermann, Rechtsetzung, S. 124; ders., FS Söllner, S. 1251 (1263); ders., RdA 2014, 86 (88); ders., ZfA 2000, 53 (67 f., 76 f.); A. Wiedemann, Die Bindung der Tarifnormen an Grundrechte, S. 79, 85; ähnlich bereits Canaris, AcP 184 (1984), 201 (243 f.); Scholz, Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem, S. 58 f. (Fn. 54); siehe hierzu die Kurzformel von Höpfner, Tarifgeltung, S. 340: „Es handelt sich dabei um autonome Rechtsetzung, aber heteronome Rechtsgeltung.“. Rein privatrechtlich erklären die Tarifnormwirkung im Arbeitsverhältnis allerdings u. a. F. Hartmann, Negative Tarifvertragsfreiheit, S. 146 ff.; Heinz, Tarifgeltung ohne Mitgliedschaft, S. 80 ff.; Lobinger, JZ 2013, 915 (919 ff.); Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn. 1194 ff.; ders., ZfA 2000, 5 (12 ff.). 19 Höpfner, Tarifgeltung, S. 229; kritisch demgegenüber insgesamt Däubler, KJ 2014, 372 (373 ff.). 20 Die teilweise in der Literatur entfachte Debatte, ob die Tarifautonomie als kollektiv ausgeübte Privatautonomie oder als kollektiv hergestellte Privatautonomie (so Däubler/Ulber, Einl. TVG Rn. 278; ders., Tarifdispositives Gesetzesrecht, S. 173, 322 f., 455 ff.) aufzufassen ist, zeitigt im Ergebnis keine unterschiedlichen Konsequenzen für den weiteren Fortgang der Untersuchung. Wichtig ist an dieser Stelle allein die Feststellung, dass die Tarifautonomie zentral auf die Privatautonomie der Mitglieder und nicht auf einen staatlichen Legitimationsakt zurückzuführen ist. 21 Siehe unten, Teil 2 B. III. 1. 22 Siehe unten, Teil 2 B. III. 9. c).

A. Grundlegende Präliminarien für die Prüfung

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sind, wird berechtigterweise eingefordert, das Theorem einer kollektiv ausgeübten Privatautonomie zum „materialen Leitprinzip“ des deutschen Koalitions- und Tarifvertragsrechts aufzuwerten.23 Getreu diesem Postulat soll das freiheitlich-privatautonome Verständnis von Tarifautonomie der folgenden Untersuchung als argumentative Basis zugrunde gelegt werden, von der aus jeder weitere materielle Erkenntnisgewinn vorangetrieben wird. Im Gegenzug müssen sich sämtliche inhaltliche Überlegungen, die in der Arbeit als vorzugswürdig anerkannt werden, gedanklich auf die Kurzformel der kollektiv ausgeübten Privatautonomie als maßgebliche Deutung zurückführen lassen können. 2. Konsequenzen für die Darstellungsweise Die tektonische Verschiebung im Verständnis der Tarifautonomie beeinflusst auch den Prüfungsaufbau. Sähe man den Tarifvertrag mit der überkommenen Ansicht als funktionales Pendant zur staatlicher Gesetzgebung, würde es in der Tat Sinn ergeben, ihn wie ein formelles Gesetz zu behandeln und Rechtfertigungsgründe zu suchen, die ausnahmsweise für die Zulässigkeit einer bestimmten Klausel sprechen könnten.24 Legt man allerdings das freiheitlich-privatautonome Verständnis zugrunde, wird deutlich, dass der Abschluss eines Tarifvertrags staatsfrei und wegen der verfassungsrechtlichen Verankerung selbst originäre Grundrechtsausübung ist. Fällt die Vereinbarung bestimmter Klauseln in den Bereich der tariflichen Normsetzungsbefugnis und damit unter den von Art. 9 III GG verfassungsrechtlich garantierten Schutzbereich, kommt den Tarifvertragsparteien ein umfassender Regelungsspielraum zu.25 Innerhalb dieser Grenzen müssen sich im Ausgangspunkt nicht die Tarifvertragsparteien für die Verwendung bestimmter Klauseln verantworten, sondern ist im Gegenteil jedes Verbot als Beschränkung eines grundrechtlich geschützten Gestaltungsprozesses seinerseits rechtfertigungsbedüftig.26 Erkennt man den soeben geschilderten Regel-Ausnahme-Mechanismus als entscheidende Perspektive für die Bewertung der Zulässigkeit an, ist der vorzugswürdige Prüfungsmaßstab bereits schemenhaft vorgezeichnet. Soll die Kontrolle nicht auf eine reine „Unzulässigkeitsprüfung“ beschränkt und damit der Gefahr ausgesetzt 23 Lobinger/F. Hartmann, RdA 2010, 235 (240 f.); ähnlich auch F. Hartmann, Negative Tarifvertragsfreiheit, S. 141. 24 Vgl. etwa BAG v. 29. 11. 1967 – GS 1/67, BAGE 20, 175 (200); selbst nach moderner Tarifrechtsdogmatik immer noch bspw. BAG v. 9. 5. 2007 – 4 AZR 275/06, AP TVG § 3 Verbandszugehörigkeit Nr. 23 (Rn. 33). 25 BAG v. 27. 6. 2018 – 10 AZR 290/17, AP BGB § 611 Gratifikation Nr. 310 (Rn. 36); BAG v. 15. 4. 2015 – 4 AZR 796/13, AP TVG § 3 Nr. 57 (Rn. 31); BAG v. 15. 1. 2015 – 6 AZR 646/13, AP TVÜ § 12 Nr. 8 (Rn. 32). 26 Zutreffend daher LAG Niedersachsen v. 11. 12. 2007 – 5 Sa 914/07, BeckRS 2008, 52390 [B. II. 2. a) der Gründe]; Leydecker, AuR 2009, 338 (340); S. Neumann, Tarifboni, S. 52; Ulber/ Strauß, DB 2008, 1970 ff.; vgl. auch Schnorr, FS Molitor, S. 229 (231); für die entgegengesetzte Auffassung BAG v. 9. 5. 2007 – 4 AZR 275/06, AP TVG § 3 Verbandszugehörigkeit Nr. 23 (Rn. 33).

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Teil 2: Die Zulässigkeit von tarifvertraglichen Differenzierungsklauseln

werden, die Tarifnormen als Produkt eines verfassungsrechtlich abgesicherten Vereinbarungsmechanismus falsch einzuordnen, die grundrechtliche Überformung im schlimmsten Fall sogar gänzlich zu verkennen, erscheint es zwingend, die Frage nach der Reichweite der tariflichen Normsetzungsbefugnis von der inhaltlichen Rechtmäßigkeit der konkreten Vereinbarung zu trennen und separat zu erörtern. Mit dieser Prämisse muss der Fragestellung, ob die jeweilige Tarifnorm mit höherrangigem Recht kompatibel ist, zwangsläufig die Untersuchung vorgelagert werden, ob den Tarifvertragsparteien im konkreten Fall auch die tarifliche Normsetzungsbefugnis zukommt.27 Nur bei diesem zweistufigen Prüfungsaufbau ist hinreichend Gewähr dafür geboten, dass das Verhältnis zwischen der verfassungsrechtlich geschützten Tarifautonomie und der inhaltlichen Tarifnormkontrolle im richtigen Licht betrachtet wird. Darüber hinaus kann diese Herangehensweise prüfungsökonomische Vorzüge aufweisen, die auch der 4. Senat des BAG für sich erkannt hat. Sollte sich herausstellen, dass die fragliche Tarifnorm nicht von der normativen Regelungsbefugnis der Tarifvertragsparteien gedeckt ist, erübrigen sich Ausführungen zu ihrer inhaltlichen Rechtmäßigkeit.28 In diesem Fall ist bereits die Vereinbarung als Tarifnorm nicht möglich, sodass der jeweilige Inhalt keine unmittelbar-zwingenden Auswirkungen auf die Mitglieder zeitigt und höchstens als schuldrechtliche Abmachung zwischen den Tarifvertragsparteien fortbestehen kann. Mit dieser Prämisse lässt sich der hier gewählte Prüfungsaufbau in einem Satz zusammenfassen: Die Tarifnorm ist jeweils dann unwirksam, wenn sie nicht mehr von der normativen Regelungsbefugnis der Tarifvertragsparteien erfasst ist oder mit einfachen und verfassungsrechtlichen Vorgaben in Widerspruch steht. 3. Der ungeklärte Bedeutungsgehalt der „Tarifmacht“ als Belastung für eine einheitliche Terminologie und Struktur bei der Kontrolle von Tarifverträgen Das soeben vorgeschlagene Abschichtungssystem, das die tarifliche Regelungsbefugnis auf der ersten und der inhaltlichen Rechtmäßigkeit der konkreten Tarifnorm auf der zweiten Stufe getrennt erörtert, wird indes von einer Formulierung des Großen Senats in der Entscheidung vom 29. 11. 1967 erneut herausgefordert. Dort hielten die Richter fest, dass Differenzierungsklauseln jedweder Art nicht mehr von der „Tarifmacht“ der Koalitionen gedeckt seien, da sie im Ergebnis eine nach allgemein Gesetzen unzulässige Beitragserhebung enthielten und im Verhältnis zur Arbeitgeberkoalition die Grenze des Zumutbaren verletzten.29 Bei unbefangener Lektüre scheint unter dem Rubrum der „Tarifmacht“ damit nicht nur das Problem der normativen Regelungsbefugnis, sondern vielmehr die gesamte inhaltliche Recht27

So auch BAG v. 23. 3. 2011 – 4 AZR 366/09, AP GG Art. 9 Nr. 147 (Rn. 57); Höpfner, RdA 2019, 146 (148); S. Neumann, Tarifboni, S. 51 ff. 28 BAG v. 23. 3. 2011 – 4 AZR 366/09, AP GG Art. 9 Nr. 147 (Rn. 57); vgl. auch S. Neumann, Tarifboni, S. 51 f. 29 BAG v. 29. 11. 1967 – GS 1/67, BAGE 20, 175 (218 f.).

A. Grundlegende Präliminarien für die Prüfung

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mäßigkeit einer Tarifnorm diskutiert werden zu müssen.30 Die Frage nach der Gültigkeit einer Tarifnorm würde sich dabei letztlich in der Entscheidung zuspitzen, ob die entsprechende Regelung noch von der „Tarifmacht“ gedeckt ist oder nicht. Für die an früherer Stelle ausgearbeitete Notwendigkeit einer Differenzierung zwischen der normativen Regelungsbefugnis einerseits und der inhaltlichen Rechtmäßigkeit andererseits erweist sich dieses extensive Verständnis als erhebliche Belastung, da dies wiederum auf einen einstufigen Prüfungsmaßstab hinauslaufen würde. Mit der Interpretation von „Tarifmacht“ in diesem allumfassenden Sinn überstrapaziert der Große Senat allerdings den Bedeutungsgehalt, der dem Begriff traditionell beigemessen wird. Herkömmlicherweise bezeichnet die Umschreibung den Aufgabenkreis der Koalitionen in Art. 9 III GG31 oder wird synonym für den personellen bzw. materiellen Umfang der normativen Regelungsbefugnis gebraucht.32 Manche benutzen den Begriff teilweise als Äquivalent für die Tarifautonomie33, während wiederum andere terminologisch zwischen den inneren und äußeren Grenzen der Tarifmacht differenzieren und damit nichts anderes als die Grenzen der normativen Regelungsbefugnis einerseits und die inhaltliche Rechtmäßigkeit andererseits meinen.34 Selbst der Große Senat scheint noch in derselben Entscheidung von seiner pauschalen Betrachtungsweise abzurücken und auf ein deutlich eingeschränkteres Verständnis von „Tarifmacht“ umzuschwenken. Etwas später erklärte er: „Den Koalitionen fehlt […] die Tarifmacht, um im Wege der Ausgleichsforderungen die Erfolge der Gewerkschaftsarbeit im Verhältnis zu den Außenseitern zu kommerzialisieren […].“35 Berücksichtigt man den Zusammenhang, in dem diese Feststellung getroffen wurde, deutet vieles darauf hin, dass der Große Senat die „Tarifmacht“ an dieser Stelle ebenfalls lediglich synonym zur personellen Reichweite der tariflichen Regelungsbefugnis und gerade nicht als allumfassendes Rechtmäßigkeitskriterium verstanden hat. Damit ergibt sich der unbefriedigende Befund, dass ein und derselbe Begriff innerhalb weniger Absätze in der gleichen Entscheidung mit jeweils unterschiedlichen Bedeutungen aufgeladen wurde. Zwar ist ein derart extensives Verständnis von 30

Ähnlich Höpfner, RdA 2019, 146 (148). So Jacobs, FS Bauer, S. 479 (486); in diese Richtung auch Gamillscheg, Band I, S. 361. 32 Vgl. nur BAG v. 31. 1. 2018 – 10 AZR 279/16, AP TVG § 2 Tarifzuständigkeit Nr. 25 (Rn. 22); BAG v. 27. 4. 2016 – 5 AZR 229/15, AP EntgeltFG § 4 Nr. 75 (Rn. 32 ff.); BAG v. 15. 4. 2015 – 4 AZR 796/13, AP TVG § 3 Nr. 57 (Orientierungssatz Nr. 3); BAG v. 28. 9. 1983 – 4 AZR 200/83, AP TVG § 1 Tarifverträge: Seniorität Nr. 2; BVerfG v. 24. 5. 1977 – 2 BvL 11/ 74, AP TVG § 5 Nr. 15 [B. II. 2. b) der Gründe]; Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 158; Bötticher, Die gemeinsamen Einrichtungen, S. 107; Franzen, RdA 2006, 1 (6); Höpfner, RdA 2019, 146 (148 ff.); Mayer-Maly, BB 1965, 829 (831 f.); ders., BB 1966, 1067 (1068 f.); Nikisch, RdA 1967, 87 (88); E. Picker, ZfA 1998, 573 (673); Reuß, AuR 1970, 33 ff.; Rieble, ZTR 1993, 54 (55); differenzierter Söllner, NZA-Beilage 2000, 33 ff. 33 Richardi, RdA 1969, 147 (148); wohl auch Zöllner, RdA 1962, 453 ff. 34 Vgl. nur Bötticher, RdA 1966, 401 f.; Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 216; ähnlich bereits Gamillscheg, Band I, S. 332. 35 BAG v. 29. 11. 1967 – GS 1/67, BAGE 20, 175 (219). 31

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Teil 2: Die Zulässigkeit von tarifvertraglichen Differenzierungsklauseln

„Tarifmacht“, wie es der Große Senat im erstgenannten Sinn offenbart hat, bislang die Ausnahme geblieben, doch kann diesem Terminus ein von allen Seiten gleichermaßen anerkannter Aussagegehalt nicht attestiert werden. Auch wenn sich das Verständnis von „Tarifmacht“ in seiner Spielart als Synonym für die personelle Reichweite der tariflichen Regelungsbefugnis ohne größere Schwierigkeiten in das hier vertretene zweistufige Prüfungsmodell integrieren ließe, tritt immer klarer zutage, dass der Begriff angesichts der zahlreichen Deutungen, die mit ihm verbunden werden, einer systematischen Einordnung der Problematik mehr im Weg steht als dass er sie inhaltlich voranbringt.36 Um terminologischen Missverständnissen von Anfang an vorbeugen zu können, sprechen demnach die besseren Gründe dafür, ihn nicht weiter aufzugreifen. Dieser Verzicht lässt sich auch leicht kompensieren, da mit der Bezeichnung bislang nur Phänomene umschrieben wurden, für die auch präzisere, unzweideutige Begrifflichkeiten zur Verfügung stehen.

B. Differenzierungsklausel mit Stichtag vor Abschluss des Tarifvertrags (Stichtag in der Vergangenheit) Mit dieser Marschroute kann die Untersuchung nunmehr bei derjenigen Stichtagsregelung beginnen, die das entscheidende Datum für den Verbandsbeitritt zeitlich vor den Abschluss des Tarifvertrags verlegt und damit eine Differenzierungsklausel mit Stichtag in der Vergangenheit begründet.

I. Hermeneutische Analyse und systematische Einordnung in das Gefüge der Differenzierungsklauseln Dabei ist es lohnenswert, sich zunächst näher mit dem strukturellen Aufbau der Klausel zu befassen. Die juristische Einordnung hängt nicht zuletzt elementar von ihrem Wesen ab: Handelt es sich bei der Regelung lediglich um eine spezielle, atypische Form der Differenzierung zwischen Außenseitern und Gewerkschaftsmitgliedern oder findet tatsächlich gar keine Unterscheidung entlang der Reichweite der normativen Tarifbindung gemäß §§ 3 I, 4 I TVG, sondern nur noch zwischen den Gewerkschaftsmitglieder statt, wie es insbesondere das BAG gerade in seinen jüngeren Entscheidungen vertreten hat?37 Will man sich der Frage nach der Zulässigkeit von tarifvertraglichen Stichtagsklauseln gewinnbringend annähern, ist es deshalb unerlässlich, das Verhältnis dieser Stichtagsregelung zu den einfachen Differenzierungsklauseln näher zu beleuchten. Sollte die Klausel mit dem Kriterium einer „Mitgliedschaft zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Vergangenheit“ demnach als Weiterentwicklung der einfachen Differenzierungsklausel behandelt werden kön36 37

Vgl. S. Neumann, Tarifboni, S. 79 Fn. 143. Siehe oben, Teil 1 F. II. 4. b).

B. Differenzierungsklausel mit Stichtag vor Abschluss des Tarifvertrags

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nen, leisten die diesbezüglich bereits gewonnenen Befunde für die rechtliche Einordnung der Stichtagsregelung wertvolle Dienste. Im Gegenzug ist aber auch denkbar, dass sich eine Übertragung der Grundsätze von der einfachen Differenzierungsklausel auf die Stichtagsregelung angesichts einer abweichend gelagerten Struktur und unterschiedlicher Regelungsabsichten der Tarifvertragsparteien gänzlich verbietet oder zumindest stark rechtfertigungsbedürftig ist. 1. Position des BAG Das BAG hatte in mehreren Entscheidungen Gelegenheit, seiner Position bezüglich der strukturellen Natur der tarifvertraglichen Differenzierungsklauseln mit Stichtag in der Vergangenheit feste Konturen zu verleihen. Während im Urteil vom 9. 5. 2007 noch zurückhaltend darauf abgestellt wurde, dass es sich bei einer Tarifregelung, die eine Leistungsausschüttung unter anderem an die Mitgliedschaft zu einem Stichtag in der Vergangenheit knüpfte, um eine „atypische Differenzierungsklausel“ handele, „die nicht allgemein auf die Mitgliedschaft in der tarifschließenden Gewerkschaft abstellt, sondern auch noch innerhalb der Mitgliedschaft nach einer Stichtagsregelung differenziert“38, erfolgte der vermeintlich entscheidende Durchbruch im Urteil vom 15. 4. 2015. Bereits im ersten Orientierungssatz konstatierte der 4. Senat explizit, dass eine Unterscheidung anhand der Mitgliedschaft zu einem bestimmten Stichtag in der Vergangenheit keine einfache Differenzierungsklausel, sondern vielmehr eine „Binnendifferenzierung“ zwischen tarifgebundenen Arbeitnehmern darstelle.39 Begründet wurde diese Auffassung damit, dass durch die Klausel nicht zwischen Mitgliedern einer Gewerkschaft einerseits und „Unorganisierten“ oder „Außenseitern“ andererseits differenziert werde, sondern zwischen verschiedenen Gruppen von Mitgliedern der Gewerkschaft, für die ein Tarifvertrag ohnehin nur Rechtsnormen nach § 1 I TVG treffen könne.40 Wenn allerdings das BAG mit dieser Entscheidung eine begriffliche und inhaltliche Abkopplung der Stichtagsklausel von der einfachen Differenzierungsklausel und die Schaffung einer neuen Kategorie der „Binnendifferenzierung“41 anstrebte, wurde diese Loslösung der Sache nach im Urteil nicht konsequent fortgeführt.42 Beispielsweise gingen die Bundesrichter davon aus, dass die Mitgliedschaft zu einem bestimmten Stichtag eine „zusätzliche Anspruchsvoraussetzung“43 sei, weshalb die alleinige Mitgliedschaft nicht ausreiche, um einen Anspruch auf die günstigeren

38

BAG v. 9. 5. 2007 – 4 AZR 275/06, AP TVG § 3 Verbandszugehörigkeit Nr. 23 (Rn. 31). BAG v. 15. 4. 2015 – 4 AZR 796/13, AP TVG § 3 Nr. 57 (Orientierungssatz Nr. 1, Rn. 27). 40 BAG v. 15. 4. 2015 – 4 AZR 796/13, AP TVG § 3 Nr. 57 (Orientierungssatz Nr. 1, Rn. 27). 41 BAG v. 15. 4. 2015 – 4 AZR 796/13, AP TVG § 3 Nr. 57 (Rn. 48). 42 So auch Ricken, Stichtagsregelungen, S. 22. 43 Ähnliche Argumentation bereits bei BAG v. 21. 8. 2013 – 4 AZR 861/11, AP TVG § 3 Nr. 55 (Rn. 23 ff.). 39

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Teil 2: Die Zulässigkeit von tarifvertraglichen Differenzierungsklauseln

Sonderleistungen zu erlangen.44 Demnach spricht einiges dafür, dass auch bei der vom BAG so bezeichneten „Binnendifferenzierung“ die bloße Gewerkschaftsmitgliedschaft selbst nach wie vor das grundlegende Tatbestandsmerkmal für den tariflichen Anspruch darstellt und – darauf aufbauend – die Mitgliedschaft zu einem bestimmten Stichtag als kumulatives, zweites Tatbestandsmerkmal hinzutritt. Dies würde wiederum bedeuten, dass auch nach der vermeintlichen klaren Aussage des BAG die Unterscheidung zwischen Außenseitern und Gewerkschaftsmitgliedern im strukturellen Aufbau der Differenzierungsklausel mit Stichtag in der Vergangenheit nach wie vor zwingend enthalten wäre. Unterstützt wird diese Annahme von den Ausführungen des BAG zum Schutz der Außenseiter vor der Auszehrung des finanziellen Verteilungsvolumens durch die Tarifvertragsparteien.45 Bei konsequenter Anwendung der höchstrichterlichen Grundsätze und der dort postulierten strikten Trennung von herkömmlichen Differenzierungsklauseln und „Binnendifferenzierungen“ dürften die Außenseiter bei der Erörterung der Rechtmäßigkeit einer Binnendifferenzierung, also der ausschließlichen Unterscheidung zwischen verschiedenen Gruppen von Gewerkschaftsmitgliedern eigentlich keine Rolle spielen. Ihre Einbeziehung in die Erwägungen des BAG lässt daher die Vermutung zu, dass die lancierte Dichotomie zwischen Binnendifferenzierungsklauseln einerseits und Differenzierungsklauseln mit Außenseiterbezug andererseits zumindest der Sache nach stellenweise aufgeweicht werden musste, um das gefundene Ergebnis angemessen und umfassend begründen zu können.46 Vieles deutet daher darauf hin, dass trotz der terminologisch eindeutigen Festlegung des BAG im Urteil vom 15. 4. 2015 der Sache nach kein trennscharfer Schnitt zwischen herkömmlichen Differenzierungsklauseln und Differenzierungsklauseln mit Stichtag in der Vergangenheit vollzogen wurde, sondern zur Bewertung der vermeintlichen „Binnendifferenzierungsklauseln“ materiell nach wie vor an Argumentationsmuster angeknüpft wird, die von der einfachen Differenzierungsklausel her bekannt sind. 2. Kritik am ausschließlichen Fokus auf die „Binnendifferenzierung“ Auch in der Literatur wird die pauschalierende Herangehensweise des BAG mitsamt der strengen Unterscheidung zwischen Binnendifferenzierungen einerseits und den Differenzierungsklauseln mit Außenseiterbezug47 andererseits mehrheitlich

44

BAG v. 15. 4. 2015 – 4 AZR 796/13, AP TVG § 3 Nr. 57 (Rn. 26). BAG v. 15. 4. 2015 – 4 AZR 796/13, AP TVG § 3 Nr. 57 (Rn. 67); vgl. auch Meyer, Anm. zu AP TVG § 3 Nr. 57 (IV.). 46 Meyer, Anm. zu AP TVG § 3 Nr. 57 (IV.); in diese Richtung auch Däubler/Heuschmid, § 1 TVG Rn. 1073. 47 Der Begriff „Außendifferenzierung“ als Gegenstück zur „Binnendifferenzierung“ wird hier bewusst vermieden, da er den Anschein erwecken könnte, dass analog zur „Binnendifferenzierung“ eine Unterscheidung lediglich zwischen verschiedenen Außenseitergruppen getroffen wird. Das ist aber bei einfachen Differenzierungsklauseln gerade nicht der Fall. 45

B. Differenzierungsklausel mit Stichtag vor Abschluss des Tarifvertrags

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als zu formalistisch abgelehnt.48 Im Gegensatz hierzu betont das Schrifttum überwiegend die inhaltlich-strukturelle Verwandtschaft der Differenzierungsklausel mit Stichtag in der Vergangenheit zur einfachen Differenzierungsklausel.49 Demnach unterscheiden die Differenzierungsklauseln mit Stichtagsregelungen nicht nur innerhalb der Gewerkschaftsangehörigen nach dem Beginn der Mitgliedschaft, sondern über das Merkmal der „Mitgliedschaft“ zudem allgemein zwischen tarifgebundenen und nicht tarifgebundenen Arbeitnehmern.50 Im Schrifttum werden für solche Regelungen aufgrund dieser Anlehnung an die einfache Differenzierungsklausel Bezeichnungen wie „atypische Form der Differenzierungsklausel“51 oder „getarnte Differenzierungsklausel“52 favorisiert. 3. Ermittlung des tatsächlichen Regelungszwecks Die Auseinandersetzung mit dem strukturellen Aufbau der Differenzierungsklausel samt Stichtag in der Vergangenheit und ihrem Verhältnis zu den einfachen Differenzierungsklauseln ist jedoch weit mehr als nur ein terminologisches Glasperlenspiel.53 Vielmehr zeichnet sie den Maßstab vor, an dem sich die jeweilige Klausel juristisch messen lassen muss. Insbesondere wenn die Tarifvertragsparteien auch eine Unterscheidung zwischen tarifgebundenen Arbeitnehmern und Außenseitern treffen wollten, besteht die Gefahr, dass eine exklusiv mitgliederorientierte Sichtweise schutzwürdige Interessen der Außenseiter ausblenden und die Rechtmäßigkeitsprüfung auf eine Gleichbehandlungskontrolle unter Gewerkschaftsangehörigen verkürzen könnte. Um zu verhindern, dass der Bewertung ein verzerrtes Bild zugrunde gelegt wird, gilt es daher den Zweck zu untersuchen, den die Tarifvertragsparteien mit der konkreten Differenzierungsklausel mit Stichtagsregelung tatsächlich verfolgen wollten. Nur wenn die Annahme einer „Binnendifferenzierung“ durch die Auslegung der Regelung gestützt wird, kann die Rechtmäßig48 Berg/Kocher/Schumann/Dierßen, § 3 TVG Rn. 240b; HMB/Steffan, Teil 5 (8) Rn. 13a; HMB/Moll, Teil 12 Rn. 47c; Corzelius, ZTR 2016, 188 (189); Franzen, NZA-Beilage 2017, 66 (70); Greiner, jM 2016, 66 (69); Höpfner, RdA 2019, 146 (151, 152 f.); Kalb, FS Moll, S. 327 (336 f.); Lunk/Leder/Seidler, RdA 2015, 399 (404); Ricken, Stichtagsregelungen, S. 21 ff.; Siegfanz-Strauß, RdA 2015, 266 (268); wohl auch Däubler/Heuschmid, § 1 TVG Rn. 1073; HWK/Henssler, § 1 TVG Rn. 110; Meyer, Anm. zu AP TVG § 3 Nr. 57 (IV.); im Sinne des BAG aber Fitting, § 75 BetrVG Rn. 102c; Ebert, ArbRB 2015, 205 (206 ff.); ausdrücklich offen gelassen von Däubler/Heuschmid, § 1 TVG Rn. 1073. 49 HMB/Steffan, Teil 5 (8) Rn. 13a; HMB/Moll, Teil 12 Rn. 47c; Corzelius, ZTR 2016, 188 (189); Franzen, NZA-Beilage 2017, 66 (70); Greiner, jM 2016, 66 (69); Höpfner, RdA 2019, 146 (151 ff.); Lunk/Leder/Seidler, RdA 2015, 399 (404); Siegfanz-Strauß, RdA 2015, 266 (268); wohl auch: Meyer, Anm. zu AP TVG § 3 Nr. 57 (IV.). 50 Bauer, FS Moll, S. 33 (38); Jacobs, FS Bauer, S. 479 (483). 51 Greiner, NZA 2016, 10; Jacobs, FS Bauer, S. 479 (483); Klebeck, SAE 2008, 97; S. Neumann, Tarifboni, S. 230. Wohl auch: Lunk/Leder/Seidel, RdA 2015, 399 (401 f.; 404). 52 Greiner, jM 2016, 66. 53 In diese Richtung allerdings Ricken, Stichtagsregelungen, S. 23.

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Teil 2: Die Zulässigkeit von tarifvertraglichen Differenzierungsklauseln

keitskontrolle auf die Unterscheidung zwischen zwei verschiedenen Gruppen von Gewerkschaftsmitgliedern beschränkt bleiben. Dem Ansatz des BAG mitsamt seiner propagierten Abkopplung der Binnendifferenzierung von der grundlegenden Idee und Konzeption einfacher Differenzierungsklauseln ist dabei nur teilweise zu folgen. Zwar erwähnt die konkrete Differenzierungsklausel mit Stichtag in der Vergangenheit die Außenseiter nicht und erweckt somit den Eindruck, tatsächlich nur zwischen verschiedenen Gruppen der Gewerkschaftsmitglieder zu differenzieren. Dennoch droht diese rein grammatische, auf den Wortlaut fixierte Sichtweise wesentliche Aspekte der konkreten Situation auszublenden.54 Zu wenig wurde beachtet, ob andere Auslegungsmethoden die Interpretation einer „Binnendifferenzierung“ und damit einer Unterscheidung allein zwischen tarifgebundenen Arbeitnehmern stützen. Besonders im Hinblick auf den zahlenmäßig begrenzten Zirkel privilegierter Personen muss kritisch hinterfragt werden, ob die Tarifvertragsparteien tatsächlich nur zwischen den tarifgebundenen Arbeitnehmern unterscheiden wollen oder ob sie darüber hinaus die Leistungen vermittels einer wie auch immer gearteten Exklusivierung gerade auch den nichtoder andersorganisierten Arbeitnehmern vorenthalten wollen. Für die Ermittlung des tariflichen Normzwecks ist der gewählte Wortlaut zwar der erste Anknüpfungspunkt55, allerdings wird auch bei der Auslegung des normativen Teils von Tarifverträgen regelmäßig auf einen mehrgliedrigen Kanon von Auslegungsmitteln zurückgegriffen.56 Hierzu hat das BAG in einer früheren Entscheidung festgehalten: „Nach ständiger Rechtsprechung des BAG folgt die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrags den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Danach ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Bei nicht eindeutigem Tarifwortlaut ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mit zu berücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist stets auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden können. Lässt dies zweifelsfreie Auslegungsergebnisse nicht zu, dann können die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrags, ggf. auch die praktische Tarifübung ergänzend hinzuziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse ist zu berücksichtigen. Im Zweifel gebührt

54

Auch Greiner, jM 2016, 66 (69). ErfK/Franzen, § 1 TVG Rn. 97; Kempen/Zachert/Brecht-Heitzmann/Zachert, Grundl. TVG Rn. 511; Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 1685; Wiedemann/Wank, § 1 TVG Rn. 969; Kamanabrou, Auslegung, S. 221. 56 ErfK/Franzen, § 1 TVG Rn. 93; Kempen/Zachert/Brecht-Heitzmann/Zachert, Grundl. TVG Rn. 515 ff.; Kamanabrou, RdA 1997, 22 (24 ff.); vgl. dazu auch monografisch dies., Auslegung, passim; Liedmeier, Auslegung, S. 21 ff. 55

B. Differenzierungsklausel mit Stichtag vor Abschluss des Tarifvertrags

79

derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt.“57

a) Wortlaut Ausweislich der Differenzierungsklausel mit Stichtag in der Vergangenheit sollen nur solchen Arbeitnehmer in den Genuss der Sonderleistungen kommen, die der Gewerkschaft zu einem bestimmten Zeitpunkt angehörten. Sowohl Neumitglieder als auch nicht- oder andersorganisierte Arbeitnehmer finden in der Klausel keine ausdrückliche Erwähnung. Damit lässt sich der Wortlaut, der die Mitgliedschaft im tarifschließenden Verband zu einem bestimmten Zeitpunkt zum anspruchsbegründenden Kriterium erhebt, unterschiedlich deuten. Zwar deckt er die Einschätzung des BAG in den Urteilen aus den Jahren 2012, 2013 und 2015, die mit dem Rekurs auf die im Wortlaut zur Sprache gekommene Differenzierung innerhalb der Gewerkschaftsmitglieder strikt zwischen einer einfachen Differenzierungsklausel und der Stichtagsregelung als „Binnendifferenzierung“ zwischen tarifgebundenen Arbeitnehmern unterscheidet. Dementgegen kann der Wortlaut jedoch ebenso in die andere Richtung fruchtbar gemacht werden. Mit der Verwendung des Tatbestandsmerkmals „Mitgliedschaft“ in Verbindung mit dem temporalen, vergangenheitsbezogenen Kriterium „zum Zeitpunkt XY“ ist durch die Sprachfassung des Tarifvertrags auch ein Verständnis umfasst, das in der Stichtagsklausel eine besondere, weiterentwickelte Form der einfachen Differenzierungsklausel erblickt und damit ein Stufenverhältnis zwischen beiden Spielarten kreiert. Nach dieser Lesart wäre die Differenzierungsklausel mit Stichtagsregelung „nicht lediglich“ eine einfache Differenzierungsklausel. Die Auslegung der Tarifnorm anhand des Wortlauts gelangt deshalb zu keinem eindeutigen Ergebnis. b) Regelungswille der Tarifvertragsparteien Zieht man für die sachgerechte Zweckbestimmung neben dem Wortlaut die Regelungsabsichten der Tarifvertragsparteien heran58, zeichnet sich ein deutlicheres Bild ab: Sollen nur bestimmte Altmitglieder der Gewerkschaft an den tariflichen Sonderzahlungen partizipieren, kann daraus der Umkehrschluss gezogen werden, dass alle anderen Arbeitnehmer nicht ohne Weiteres ebenfalls an den entsprechenden Leistungen teilhaben sollen. Die in der Klausel zutage tretende Zielvorstellung der 57

BAG v. 22. 4. 2010 – 6 AZR 962/08, AP TVÜ § 12 Nr. 2 (Rn. 17); vgl. auch BAG v. 19. 6. 2018 – 9 AZR 564/17, AP TVG § 1 Tarifverträge: Metallindustrie Nr. 246 (Rn. 17); BAG v. 19. 9. 2007 – 4 AZR 670/06, AP TVG § 1 Auslegung Nr. 202 (Rn. 30); BAG v. 7. 7. 2004 – 4 AZR 433/03, AP TVG § 1 Tarifverträge: Verkehrsgewerbe Nr. 10 [I. 1. b) aa) der Gründe]; kritisch gegenüber dieser Herangehensweise Däubler/Däubler, Einl. TVG Rn. 600 ff.; Hamacher, FS Moll, S. 219 (220 ff.); Wank, DB 2017, 2290. 58 BAG v. 16. 10. 2002 – 4 AZR 429/01, AP TVG § 1 Tarifverträge: Metallindustrie Nr. 181 [B. II. 1.]; vgl. auch BAG v. 9. 3. 1983 – 4 AZR 61/80, AP TVG § 1 Auslegung Nr. 128; Löwisch/ Rieble, § 1 TVG Rn. 1685.

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Teil 2: Die Zulässigkeit von tarifvertraglichen Differenzierungsklauseln

Tarifvertragsparteien ist vor diesem Hintergrund die Begrenzung des Begünstigtenkreises auf diejenigen Gewerkschaftsangehörigen, die zum angegebenen Stichtag bereits beigetreten waren. Dieses Vorhaben lässt sich wiederum nur dann erfolgreich und nachhaltig verwirklichen, wenn neben den Neumitgliedern auch Außenseiter effektiv von den Vergünstigungen ausgeschlossen werden.59 Werden bereits die Neumitglieder bei den tariflichen Sonderzahlungen nicht berücksichtigt, sollen die Leistungen erst recht solchen Arbeitnehmern vorenthalten bleiben, die bereits die Mitgliedschaft in der tarifschließenden Gewerkschaft ablehnen. Um diesen Zweck erreichen zu können, muss der Klausel daher zwingend Außenseiterwirkung zukommen. Mit der Beschränkung der normativen Regelungsbefugnis auf Mitglieder gemäß §§ 3 I, 4 I TVG tritt aber ein Dilemma zu Tage, das die Tarifvertragsparteien aus eigener Kraft nicht zu überwinden vermögen: Sie können die Außenseiter nicht mit unmittelbarer und zwingender Wirkung von bestimmten Leistungen fernhalten. Der Ausschluss der nicht- oder andersorganisierten Arbeitnehmern von den tariflich zugesicherten Vergünstigungen kann also jedenfalls nicht allein durch normativ wirkende Tarifinhalte bewerkstelligt werden, sondern bedarf zur Umsetzung zusätzlicher Steuerungselemente. aa) Staffelung nach dem Beitrittszeitpunkt als unselbständige Vorstufe zur Erreichung der Außenseiter-Differenzierung Wollen die Tarifvertragsparteien die tariflichen Leistungen auch den nicht tarifgebundenen Arbeitnehmern vorenthalten, sind sie daher von Beginn an darauf angewiesen, sich im Rahmen ihrer normativen Regelungsbefugnis zu bewegen. Zwar können sie für die Außenseiter-Arbeitsverhältnisse keine zwingenden Vorgaben statuieren, allerdings ist es ihnen unbenommen, unerwünschte Mitnahmeeffekte durch eine entsprechende Formulierung in den Tarifverträgen zu erschweren.60 Für einen erfolgsversprechenden Ausschluss der Außenseiter sind die Tarifvertragsparteien somit zwangsläufig auf ein Merkmal angewiesen, das ihrer Regelungsmacht unterfällt, aber von den herkömmlichen Bezugnahmeklauseln möglichst nicht erfasst wird und auf diese Weise die differenzierende Wirkung ins Außenseiter-Arbeitsverhältnis transportiert. Mit der im Wortlaut der Klausel angelegten Differenzierung nach der Dauer der Mitgliedschaft scheint dieses Ziel erreicht. Anders als bei herkömmlichen Differenzierungsklauseln, die zwischen der Gesamtheit der tarifgebundenen Arbeitnehmer einerseits und den Außenseitern andererseits unterschieden, schaffen die Tarifvertragsparteien mit den „Neumitgliedern“ eine dritte Kategorie, durch die bisherigen Außenseitern die Möglichkeit genommen wird, anspruchsbegründend in die

59 So auch Helm, NZA 2015, 1437 (1438); vgl. auch Corzelius, ZTR 2016, 188 (189); Greiner, NZA 2016, 10 (13); Lunk/Leder/Seidler, RdA 2015, 399 (404). 60 Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 2124.

B. Differenzierungsklausel mit Stichtag vor Abschluss des Tarifvertrags

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Gewerkschaft einzutreten.61 Diese zusätzliche Unterscheidung sorgt dafür, dass ein gesicherter, nicht mehr wachsender Kreis von Leistungsberechtigten zumindest auf normativer Grundlage festgelegt wird: Das engere Kriterium „Mitgliedschaft zum Zeitpunkt XY“ setzt das weitere Merkmal „Mitgliedschaft“ denklogisch voraus. Kein Arbeitnehmer kann zu einem bestimmten Zeitpunkt dem tarifschließenden Verband angehört haben, ohne dadurch selbst Mitglied geworden zu sein. Die Tarifvertragsparteien erheben damit en passant bereits die Verbandsangehörigkeit an sich zum grundlegenden konstitutiven Anspruchskriterium.62 Auf diese Weise knüpft die Klausel für die Außenseiterwirkung an eine Voraussetzung an, die als Wesensmerkmal der einfachen Differenzierungsklauseln bekannt ist. Um jedoch gerade in einer Sanierungssituation, bei der die finanziellen Spielräume des Arbeitgebers beschränkt sind, einem unregulierten Anwachsen des Kreises der Anspruchsinhaber durch einen Beitritt der Außenseiter vorzubeugen, können die Tarifvertragsparteien auf dieser ersten Differenzierungsstufe nicht stehen bleiben. Schließlich wird der Arbeitgeber nur deswegen zu finanziellen Zusagen zugunsten der Altmitglieder bereit sein, weil es sich dabei um einen zahlenmäßig begrenzten Kreis an Arbeitnehmern handelt. Die Tarifvertragsparteien müssen damit die entsprechende Leistung zusätzlich von der Mitgliedschaft zu einem bestimmten Zeitpunkt abhängig machen, die all jene Arbeitnehmer aussperrt, die erst nach Ablauf des tariflichen Stichtags Verbandsmitglied geworden sind. Bei diesem zweistufigen Mechanismus führt eine entsprechende Bezugnahme auf den Tarifvertrag in den Arbeitsverträgen – jedenfalls nach der aktuellen Auslegungspraxis des BAG63 – ohne einen speziellen Zusatz dazu, dass die nicht- oder andersorganisierten Arbeitnehmer in die „Holzklasse“ eingeordnet werden, also an den Vorzügen der durch die Stichtagsklausel abgesicherten Regelungen nicht ohne Weiteres teilhaben und selbst durch einen Beitritt nicht in den Genuss der Leistungen gelangen können.64 Die im Wortlaut des Tarifvertrags zur Geltung kommende Differenzierung ausschließlich zwischen verschiedenen Mitgliedergruppen hat also über sein offenkundiges Kriterium, das auf den ersten Blick unmittelbar lediglich zwischen den Gewerkschaftsangehörigen unterscheidet, hinaus manifeste faktische Auswirkungen auf die Rechtsposition aller Außenseiter. Bei genauer Betrachtung entpuppt sich die Differenzierungsklausel mit Stichtag in der Vergangenheit damit als gestufte Form der einfachen Differenzierungsklausel, die die Voraussetzung einer einfachen Differenzierungsklausel mit einem zusätzlichen Merkmal, namentlich der Mitgliedschaft in der Vergangenheit zu einem bestimmten Stichtag, kombiniert. Dieses Ergebnis steht auch nicht im Widerspruch zur sog. „Andeutungstheorie“, die einen wie auch immer gearteten Niederschlag des Regelungswillens im Wortlaut 61

Vgl. hierzu auch Ricken, Stichtagsregelungen, S. 18. Ebenfalls Ricken, Stichtagsregelungen, S. 21. 63 Zur Auslegung der individualvertraglichen Bezugnahmeklauseln auf Differenzierungsklauseln mit Stichtag in der Vergangenheit siehe unten, Teil 2 B. V. 64 Höpfner, RdA 2019, 146 (153). 62

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Teil 2: Die Zulässigkeit von tarifvertraglichen Differenzierungsklauseln

des Tarifvertrags einfordert.65 Zwar kommt dem Tarifwortlaut wegen des Verbots einer tarifersetzenden Auslegung des normativen Teils durch den staatlichen Richter nach der wohl herrschenden Meinung66 eine bedeutendere Rolle zu als dem Gesetzeswortlaut bei der Auslegung hoheitlicher Rechtsnormen.67 Allerdings ist bei Differenzierungsklauseln mit Stichtag in der Vergangenheit selbst nach dieser restriktiveren Maßgabe die Unterscheidung zwischen den Außenseitern und den tarifgebundenen Arbeitnehmern über das Merkmal einer „Mitgliedschaft zu einem bestimmten Zeitpunkt“ ausreichend im Wortlaut des Tarifvertrags verankert. Auf die tatsächliche Relevanz der „Andeutungstheorie“ bei der Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrags kommt es deshalb nicht mehr entscheidend an. Auch die Wortlautauslegung hat gezeigt, dass der Normtext durchaus eine Interpretation unterstützt, die eine einfache Differenzierungsklausel und eine darauf bauende Unterscheidung nach dem Zeitpunkt des Beitritts als zusätzliches Kriterium versteht und damit die Stichtagsklausel als gestufte Differenzierungsklausel mit Außenseiterbezug anerkennt.68 Der Regelungsgehalt dieser Klausel trifft daher über den Mitgliederkreis hinaus reflexartig auch diejenigen Arbeitnehmer, die nicht Mitglied der tarifschließenden Gewerkschaft sind.69 Ob diese faktisch überschießende Geltung des Tarifvertrags in die Außenseiter-Arbeitsverhältnisse hinein zulässig ist oder als unzulässige Usurpation in den tariffreien Bereich und damit als Überschreitung der normativen Regelungsbefugnis gewertet werden muss, kann an dieser Stelle noch dahinstehen.70

65

St. Rspr. des BAG, vgl. nur BAG v. 4. 8. 2016 – 6 AZR 129/15, AP BGB § 611 Kirchendienst Nr. 80 (Rn. 27); BAG v. 27. 2. 2014 – 6 AZR 988/11, AP TVG § 1 Tarifverträge: Arzt Nr. 69 (Rn. 21); ErfK/Franzen, § 1 TVG Rn. 93; HWK/Henssler, § 1 TVG Rn. 78; Löwisch/ Rieble, § 1 TVG Rn. 1676; Creutzfeld, FS Düwell, S. 286 (298 f.). 66 BAG v. 24. 11. 1988 – 6 AZR 243/87, AP BGB § 611 Gratifikation Nr. 127 [II. 1. a) der Gründe] ErfK/Franzen, § 1 TVG Rn. 93; Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 1676; a. A. Kamanabrou, Auslegung, S. 252; Wank, DB 2017, 2290. 67 Zur strengen Andeutungstheorie bei Gesetzen vgl.z. B. BVerfG v. 17. 5. 1960 – 2 BvL 11/ 59 u. a., NJW 1960, 1563 ff.; aus neuerer Zeit etwa VG Braunschweig v. 30. 1. 2006 – 6 B 4/06, BeckRS 2006, 21075 [II. 2. 2.2 der Gründe]; zur sog. „modifizierten Andeutungstheorie“ für die Abgrenzung von Auslegung und Rechtsfortbildung vgl. Herresthal, Rechtsfortbildung, S. 352 f.; Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 143 f.; die „Andeutungstheorie“ im Rahmen staatlicher Gesetzgebung vollumfänglich verwerfend Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, S. 145; ders., DÖV 2006, 820 (822 f.); Rüthers, JZ 2006, 53 (57 f.); Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 734 ff.; mit Verweis auf die Schwierigkeiten, die mit der Andeutungstheorie einhergehen und eine „gesicherte und vorhersehbare Handhabung praktisch nicht möglich“ machen Frieling, Gesetzesmaterialien, S. 74 f.; vgl. monografisch zum Streitstand auch Klatt, Wortlautgrenze, passim. 68 Siehe oben, Teil 2 B. I. 3. a). 69 Lunk/Leder/Seidler, RdA 2015, 399 (404). 70 Siehe dazu sogleich, Teil 2 B. II.

B. Differenzierungsklausel mit Stichtag vor Abschluss des Tarifvertrags

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bb) Sonderfall Tarifsozialplan: Einbindung der kritischen Unternehmenssituation in das strategische Kalkül der Tarifvertragsparteien Allerdings reicht die bloße Differenzierungsklausel mit Stichtag in der Vergangenheit isoliert betrachtet nicht aus, um die Außenseiter dauerhaft vom Zugriff auf die tariflichen Leistungen fernzuhalten. Auf dem Weg hin zu einer nachhaltigen Absperrung des anspruchsberechtigten Arbeitnehmerkreises verbleibt ein Hindernis, das die Tarifvertragsparteien selbst nicht zu beseitigen imstande sind. Zwar haben sie mit einer entsprechenden Formulierung der Klausel dafür gesorgt, dass AußenseiterArbeitnehmer nicht mehr anspruchsbegründend in die Gewerkschaft eintreten bzw. ohne entsprechende Bezugnahmeklauseln nicht auf die tarifliche Bonusleistung zugreifen können. Jedoch ist es dem Arbeitgeber weiterhin unbenommen, diese Arbeitnehmer durch eine individualvertragliche Vereinbarung mit den begünstigten Gewerkschaftsmitgliedern gleichzustellen. Mit dieser Möglichkeit droht der tariflich ausgehandelte Vorteil der Altmitglieder durch ein entsprechendes Arbeitgeberverhalten im Außenseiter-Arbeitsverhältnis wiederum nivelliert zu werden. Zwar versprechen die Spannensicherungs- bzw. Abstandsklauseln in Tarifverträgen naheliegende Lösungsansätze für den Wunsch der Tarifvertragsparteien, ihren Mitgliedern die exklusiven Vorteile zu erhalten. Allerdings steht jedenfalls die höchstrichterliche Rechtsprechung diesen qualifizierten Differenzierungsklauseln seit dem Verdikt des Großen Senats aus dem Jahr 1967 und der BAG-Entscheidung vom 23. 3. 2011 ablehnend gegenüber.71 Der Versuch, den Vorteil für bestimmte Mitglieder auf tarifvertraglicher Ebene durch derartige Klauseln rechtlich abzusichern, ist daher mit einem erheblichen Risiko verbunden. Wollen die Tarifvertragsparteien die Sonderleistungen nur bestimmten Gewerkschaftsmitgliedern vorbehalten, müssen sie neben einer entsprechenden Klauselgestaltung auf ein anderes Instrumentarium zurückgreifen. Insbesondere im Rahmen von Restrukturierungsmaßnahmen kann bei Tarifsozialplänen die wirtschaftlich angespannte Lage des Unternehmens als faktische Unterstützung für die Exklusivierung fungieren. In dieser außerordentlichen Situation wird der Arbeitgeber für gewöhnlich nicht bereit sein, tarifliche Bonuszahlungen, die er nicht schon wegen bereits bestehender Bezugnahmeklauseln an die Außenseiter weitergeben muss, auch den nicht tarifgebundenen Arbeitnehmern zukommen zu lassen. Anders als bei Tarifausschluss- oder Spannensicherungsklauseln können die Tarifvertragsparteien von einer Androhung rechtlicher bzw. wirtschaftlicher Sanktionen im Tarifvertrag Abstand nehmen; der Arbeitgeber wird bei einer Unternehmenssanierung schon aus Kostengründen regelmäßig auf eine Gleichstellung der Außenseiter bzw. Neumitglieder mit den tariflich bevorzugten Altmitgliedern verzichten. An dieser Stelle offenbart sich der neuralgische Punkt der Konstruktion: Nur über die Verquickung der konkreten differenzierenden Formulierung im Tarifvertrag und dem eingeschränkten wirtschaftlichen Spielraum in einer Sanierungssituation auf Arbeitgeberseite lässt sich das von den Tarifvertragsparteien gewünschte Ergebnis 71

Siehe oben, Teil 1 E. III.

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Teil 2: Die Zulässigkeit von tarifvertraglichen Differenzierungsklauseln

einer personalen Begrenzung der anspruchsberechtigten Arbeitnehmer annähernd erreichen.72 Umgekehrt steigt bei einer „gesunden“ Unternehmenslage die Chance für die Außenseiter, dass der Arbeitgeber zur Weitergabe der tariflichen Leistungen auf individualvertraglicher Grundlage bereit sein wird, ohne dass die Tarifvertragsparteien dies verhindern könnten. c) Ergebnis der Auslegung Zwar lässt sich wegen der eingeschränkten tariflichen Regelungsbefugnis lediglich die Unterscheidung zwischen den tarifgebundenen Gewerkschaftsmitgliedern normativ verankern, doch bildet die faktische, bewusst in Kauf genommene Ausstrahlungswirkung anhand der „Mitgliedschaft“ auf die Außenseiter eine eigene Differenzierungsebene, die im Merkmal der „Mitgliedschaft zu einem bestimmten Zeitpunkt“ zwangsläufig mitverwirklicht wird. Zur konkreten Absicherung der tariflichen Vorteile wird deshalb ein Merkmal innerhalb der normativen Regelungsbefugnis gewählt, um insbesondere auch eine Zielgruppe außerhalb davon zu treffen. Damit demonstriert die Auslegung der Differenzierungsklausel mit Stichtag in der Vergangenheit anhand des Willens der Tarifvertragsparteien, dass eine Differenzierung zwischen „Insidern“ und „Outsidern“ ebenso angestrebt, womöglich sogar noch nachdrücklicher verfolgt wird als die Differenzierung innerhalb der Gewerkschaftsangehörigen anhand der Mitgliedschaftsdauer.73 d) Auswirkung der konkreten Zweckbestimmung auf die Einordnung der Differenzierungsklausel mit Stichtagsregelung Damit enthält jede Klausel, die bestimmte Leistungen an die Gewerkschaftsmitgliedschaft zu einem bestimmten Stichtag in der Vergangenheit knüpft, als Minus denklogisch ebenfalls das Merkmal der Mitgliedschaft als konstitutives Anspruchskriterium. Mit der stichtagsbezogenen Differenzierung zwischen zwei verschiedenen Gruppen von Gewerkschaftsmitgliedern wollen die Tarifvertragsparteien nicht nur zwischen den tarifgebundenen Arbeitnehmern unterscheiden. Ihr eigentliches Regelungsziel ist es, insbesondere Außenseiter durch eine entsprechende Formulierung im Tarifvertrag von den Zusatzleistungen fernzuhalten, indem ein anspruchsbegründender Beitritt nicht mehr zugelassen wird. Da den Tarifvertragsparteien für einen umfassenden Ausschluss der individualvertraglichen Bezugnahme im Außenseiter-Arbeitsverhältnis jedoch die normative Regelungsbefugnis fehlt, können sie diesen Wunsch nicht ausdrücklich durch eine Tarifnorm im Sinne des § 1 I TVG verwirklichen. In dieser Konstellation wird zumindest bei Tarifsozialplänen die kritische Unternehmenslage in das strategische Kalkül miteinbezogen: Hier wird der Arbeitgeber aus ökonomischen Gründen zu individuellen Vereinba72 73

So auch Greiner, jM 2016, 66 (69). Vgl. HMB/Steffan, Teil 5 (8) Rn. 13: „sogar eine besonders intensive Differenzierung“.

B. Differenzierungsklausel mit Stichtag vor Abschluss des Tarifvertrags

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rungen mit den Außenseitern betreffend eine Weitergabe der tariflichen Sonderzahlungen nicht bereit sein. Lediglich im Verbund mit der finanziell prekären Situation des Arbeitgebers verleiht die Differenzierungsklausel mit Stichtagsregelung den Tarifvertragsparteien die Möglichkeit, eine Exklusivierung bestimmter Leistungen zugunsten einiger Gewerkschaftsmitglieder annähernd zu komplettieren und dadurch die Außenseiter von diesen Vergünstigungen faktisch auszuschließen. Durch den bewusst angestrebten Außenseiterbezug kann die Differenzierungsklausel mit einem Stichtag in der Vergangenheit entgegen der Rechtsprechung des BAG deshalb nicht als reine Binnendifferenzierung zwischen zwei Gruppen von Gewerkschaftsmitgliedern verstanden werden. Auf der anderen Seite stellt die Klausel aufgrund der erforderlichen Mitgliedschaft zu einem vergangenen Zeitpunkt und der Zielsetzung, den Kreis der anspruchsberechtigten Arbeitnehmer nicht noch durch Beitrittsanreize zusätzlich zu erhöhen, auch keine herkömmliche einfache Differenzierungsklausel dar, wie das BAG zwar richtig feststellt, jedoch ohne im Ergebnis die richtigen Schlüsse zu ziehen. Da indes nicht nur die bloße Mitgliedschaft in der Gewerkschaft, sondern darüber hinaus gleichsam als zweite Stufe die Mitgliedschaft zu einem bestimmten Zeitpunkt als Tatbestandsmerkmal für den tariflichen Anspruch gefordert wird, handelt es sich bei der Stichtagsklausel korrekterweise um ein Plus zur einfachen Differenzierungsklausel und nicht um ein Aliud, wie es der 4. Senat in seinem Urteil vom 15. 4. 2015 entschieden hat. Nach dem hier vertretenen Verständnis ist die Differenzierungsklausel mit Stichtag in der Vergangenheit damit eine besondere, stufenartige Weiterentwicklung der einfachen Differenzierungsklausel. Die Vorlage an den Großen Senat wäre damit angesichts des umfassenden Verdikts im Beschluss vom 29. 11. 1967 gegen „Differenzierungsklauseln jedweder Art“74 zwingend erforderlich gewesen. e) Möglichkeit der Umdeutung einer Differenzierungsklausel mit Stichtag in der Vergangenheit in eine einfache Differenzierungsklausel Mit diesem Befund geht unmittelbar eine Folgefrage einher, die an das Verhältnis beider Klauseln zueinander anknüpft. Soll der Differenzierungsklausel mit Stichtag in der Vergangenheit stets eine einfache Differenzierungsklausel als bauliches Minus zugrunde liegen, müsste in diesem Fall die Möglichkeit nachgewiesen werden können, dass die Stichtagsregelung im Fall einer Teilnichtigkeit – beispielsweise aufgrund eines willkürlich gewählten Stichtags – zumindest theoretisch in eine (zulässige) einfache Differenzierungsklausel umgedeutet werden könnte. Für eine Umdeutung der Stichtagsklausel ist aber zwingende Voraussetzung, dass die Tarifvertragsparteien auch mit einer einfachen Differenzierungsklausel einverstanden wären, wenn sie die Unwirksamkeit des anderen Teils gekannt hätten.75 Nur dann 74

Siehe oben Teil 1, Fn. 85. Instruktiv zur Frage der Restgeltung teilnichtiger Tarifnormen insbes. C. Hartmann, Gleichbehandlung, S. 203 ff.; weiters Wiedemann/Thüsing, § 1 TVG Rn. 328; Gamillscheg, 75

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Teil 2: Die Zulässigkeit von tarifvertraglichen Differenzierungsklauseln

kann zumindest einen Mindestbestand der Klausel vor der umfassenden Nichtigerklärung durch die Gerichte bewahrt werden.76 Dieser Schluss erscheint angesichts der unterschiedlichen funktionalen Zielsetzungen zunächst fernliegend. Während die Tarifvertragsparteien mit der einfachen Differenzierungsklausel u. a. Anreize zum Gewerkschaftsbeitritt setzen wollen, sorgen die Differenzierungsklauseln mit Stichtag in der Vergangenheit demgegenüber für einen geschlossenen, nicht weiter anwachsenden Zirkel an leistungsberechtigten Arbeitnehmern und damit letztlich für die entgegengesetzte Signalwirkung. Dennoch spricht dieser Umstand nicht automatisch gegen einen gemeinsamen Willen der Tarifvertragsparteien zur Umdeutung für den Fall einer unwirksamen Stichtagsregelung. Immerhin verbliebe so durch die einfache Differenzierungsklausel zumindest allen Gewerkschaftsmitgliedern die versprochene Leistung als Vorsprung gegenüber den Außenseitern erhalten, den diese ohne entsprechende Vereinbarung im Arbeitsvertrag oder einen Beitritt in den tarifschließenden Verband nicht auszugleichen vermögen.77 Ob die konkrete Umdeutung jedoch stets mit dem Willen der Tarifvertragsparteien korrespondiert, insbesondere wenn nunmehr auch Außenseiter durch Beitritt in den Genuss der Leistung gelangen könnten, lässt sich pauschal nicht beantworten, sondern bedarf in jedem Einzelfall der eigenständigen Klärung. Jedenfalls sprechen die unterschiedlichen Funktionen der Klauseln nicht a priori gegen eine Umdeutung von einer Differenzierungsklausel mit Stichtag in der Vergangenheit in eine einfache Differenzierungsklausel im herkömmlichen Sinn, sodass eine geltungserhaltende Reduktion zumindest theoretisch denkbar bleibt.

II. Kongruenz zwischen normativer Regelungsbefugnis und konkretem Tarifinhalt Die weitreichenden faktischen Auswirkungen der hier in Rede stehenden Differenzierungsklausel mit Stichtag auf Außenseiter fordern nach dem favorisierten abschichtenden System, das eine Trennung zwischen der normativen Regelungsbefugnis und der inhaltlichen Rechtmäßigkeit der Klausel verfolgt, konsequenterweise eine Auseinandersetzung mit der Frage heraus, ob sich die Tarifvertragsparteien bei der Vereinbarung derartiger Klauseln im zulässigen Bereich ihrer Rechtsetzungskompetenz bewegen oder ihn durch die faktische Außenseiterwirkung überschritten haben. Die Grenzen der tariflichen Regelungsbefugnis umreißt das BVerfG so unmissverständlich wie zutreffend:

Band I, S. 709 f.; kritisch gegenüber der Umdeutung eines Tarifvertrags im Allgemeinen Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 1544. 76 Vgl. auch BAG v. 9. 5. 2007 – 4 AZR 275/06, AP TVG § 3 Verbandszugehörigkeit Nr. 23 (Rn. 38). 77 So auch Franzen, RdA 2008, 304 (307).

B. Differenzierungsklausel mit Stichtag vor Abschluss des Tarifvertrags

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„Die durch Art. 9 Abs. 3 GG gewährleistete Normsetzungsbefugnis der Koalitionen erstreckt sich grundsätzlich nur auf die Mitglieder der tarifvertragschließenden Parteien. Diese Begrenzung […] entspricht der historisch gewachsenen und im Grundgesetz niedergelegten Bedeutung der Koalitionsfreiheit. […] Indem es die Tarifgebundenheit grundsätzlich auf die Mitglieder der Tarifparteien beschränkt, trägt das TVG in seinem § 3 Abs. 1 dem Grundsatz Rechnung, dass der Staat seine Normsetzungsbefugnis nicht in beliebigem Umfang außerstaatlichen Stellen überlassen und den Bürger nicht schrankenlos der normsetzenden Gewalt autonomer Gremien ausliefern darf, die ihm gegenüber nicht demokratisch bzw. mitgliedschaftlich legitimiert sind.“78

1. Faktisch-überschießende Tarifnormwirkung als Überschreitung der normativen Regelungsbefugnis? Eine nähere Auseinandersetzung mit der Reichweite der tariflichen Regelungsbefugnis sucht man in der Entscheidung vom 15. 4. 2015 und den Folgeentscheidungen vergebens. Dieser Umstand nimmt jedoch angesichts der Tatsache, dass der 4. Senat im Fall der vorliegenden Stichtagsklausel lediglich von einer Differenzierung zwischen Verbandsmitgliedern und damit den nach §§ 3 I, 4 I TVG tarifgebundenen Arbeitnehmern ausgeht, nicht Wunder. Mit dem hier erbrachten Nachweis, dass sie jedoch tatsächlich auch Außenseiter in den Blick nimmt und damit über den Mitgliederkreis hinaus faktische, gleichsam überschießende Wirkungen entfaltet79, muss allerdings kontrolliert werden, ob die Klausel noch von der normativen Regelungsbefugnis der Tarifvertragsparteien gedeckt ist. Die auf Mitglieder beschränkte Normsetzungsbefugnis verbietet es, unmittelbar und zwingend auf das Verhältnis des Arbeitgebers zum Außenseiter einzuwirken, das mangels kongruenter Mitgliedschaft beider Vertragsparteien gerade nicht der tariflichen Rechtsetzung unterworfen ist. a) Unterscheidung zwischen mittelbaren Auswirkungen des Tarifvertrags auf das Außenseiter-Arbeitsverhältnis und unmittelbarer Usurpation in den tariffreien Bereich Dabei sind tatsächliche Auswirkungen des Tarifvertrags, die über die mitgliederbasierte Reichweite der normativen Regelungsbefugnis hinausschießen, grundsätzlich nichts Ungewöhnliches.80 Es lassen sich unschwer zahlreiche Konstellationen ausmachen, in denen die Tarifvertragsparteien weit über den eigenen Mitgliederkreis hinaus gestalterische Elemente wahrnehmen und damit ganze Bereiche 78 BVerfG v. 24. 5. 1977 – 2 BvL 11/74, AP TVG § 5 Nr. 15 [B. II. 2. b) der Gründe]; nochmals bekräftigt in BVerfG v. 11. 7. 2006 – 1 BvL 4/00, AP GG Art. 9 Nr. 129 [C. II. 1. b) bb) der Gründe]. 79 Siehe oben, Teil 2 B. I. 3. 80 Vgl. hierzu S. Neumann, Tarifboni, S. 72; vgl. auch bereits Mürau, Tarifliche Sonderleistungen, S. 28 ff.

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Teil 2: Die Zulässigkeit von tarifvertraglichen Differenzierungsklauseln

des Arbeitslebens prägen.81 Beispielsweise gilt der TVöD – entweder bereits kraft kongruenter Tarifbindung oder zumindest auf der Grundlage arbeitsvertraglicher Verweisungsklauseln – beinahe in jedem Arbeitsverhältnis des Öffentlichen Dienstes, das seinem Geltungsbereich unterworfen ist.82 Aufgrund dieser umfassenden Reichweite wird bei ihm sogar bereits von einem „branchenspezifischen Gesetzbuch“83 gesprochen. Auch die Rechtsprechung greift auf den tariflich geregelten Lohn in der betreffenden Branche und Wirtschaftsregion zurück, um bei der Bemessung des auffälligen Missverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung im Arbeitsvertrag einen quantitativen Bezugspunkt für die Anwendung des § 138 BGB zu gewinnen.84 Das wird zwar außerhalb des Anwendungsbereichs des TVöD teilweise kritisch gesehen85, mindert aber nicht die Strahlkraft des Tarifvertrags als Referenzpunkt über seinen normativen Geltungsbereich hinaus, da er aufgrund seines kontradiktorischen Entstehungsprozesses und der faktischen Kartellwirkung86 einen praktikablen „Erstzugriff“87 für die interessengerechte Bemessung einer üblichen Entlohnung ermöglicht. Entscheidendes Merkmal in beiden Konstellationen ist jedoch, dass der Tarifvertrag nicht selbst unmittelbar und zwingend in das jeweilige Außenseiter-Arbeitsverhältnis einwirkt, sondern sein Inhalt erst durch ein vermittelndes Medium in den Bereich jenseits der normativen Regelungsbefugnis transportiert wird. Beim TVöD übernehmen die Bezugnahmeklauseln in den Arbeitsverträgen der Beschäftigten im Öffentlichen Dienst diese Funktion, bei der Bemessung des auffälligen Missverhältnisses von Leistung und Gegenleistung im Rahmen von § 138 BGB die Rechtsprechung der staatlichen Gerichtsbarkeit. Bei den geschilderten Beispielen sind somit entsprechende Anschlusshandlungen Dritter notwendig, um die faktische Wirkung des Tarifvertrags auf die nicht- oder andersorganisierten Arbeitnehmer herbeizuführen. Anders stellt sich die Situation indes beispielsweise bei Tarifausschlussklauseln dar. Dort wird mit dem Verbot für den Arbeitgeber, entsprechende Leistungen an Außenseiter weiterzureichen, unmittelbar im Tarifvertrag auf das Verhältnis zwischen Arbeitgeber und den nicht tarifgebundenen Arbeitnehmern zugegriffen. Da der Tarifvertrag hier selbst abschließende Vorgaben für das Außenseiter-Arbeitsverhältnis enthält, sind bei dieser Regelung keine weiteren Schritte 81 Waltermann, Differenzierungsklauseln, S. 65; vgl. auch Cornils, Ausgestaltung, S. 436 ff. 82 S. Neumann, Tarifboni, S. 72. 83 Wiedemann (7. Aufl.)/H. Wiedemann, Einl. TVG Rn. 14. 84 St. Rspr.: BAG v. 24. 5. 2017 – 5 AZR 251/16, juris (Rn. 39); BAG v. 18. 11. 2015 – 5 AZR 814/14, AP BGB § 138 Nr. 73 (Rn. 21); BAG v. 22. 4. 2009 – 5 AZR 436/08, AP BGB § 138 Nr. 64 (Rn. 13); ErfK/Preis, § 612 BGB Rn. 38; MüKo BGB/Müller-Glöge, § 612 BGB Rn. 30; Schaub/Vogelsang, § 67 Rn. 67; S. Neumann, Tarifboni, S. 72; allgemein ablehnend dagegen Rick, AuR 1960, 369 ff. 85 ArbR BGB/Schliemann, § 612 BGB Rn. 36; HWK/Thüsing, § 612 BGB Rn. 40 ff. 86 ErfK/Franzen, § 1 TVG Rn. 2; Löwisch/Rieble, Grundl. TVG Rn. 44; Höpfner, Tarifgeltung, S. 124 ff. 87 Rieble/C. Picker, ZfA 2014, 153 (165).

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mehr notwendig, um die Wirkung auf dieses Verhältnis zu vervollständigen. Aus diesem Grund nimmt die einhellige Meinung zu Recht an, dass solche Klauseln wegen Überschreitens der tariflichen Regelungsbefugnis nicht als Tarifnorm vereinbart werden können.88 Mit diesem Befund wird offenbar, dass die Unterscheidung zwischen tariflichen Regelungen mit zulässiger Außenseiterwirkung und solchen, die unzulässig in das Außenseiter-Arbeitsverhältnis usurpieren, maßgeblich von der Unmittelbarkeit der konkreten Regelungswirkung abhängt. Trifft eine Klausel verbindliche Regelungen für das Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Außenseiter, ist sie nicht mehr von der tariflichen Normsetzungsbefugnis gedeckt. Enthält der Tarifvertrag jedoch eine Regelung, die nur aufgrund einer Anschlusshandlung Dritter und damit mittelbarfaktisch in das Außenseiter-Arbeitsverhältnis einstrahlt, schadet dieser Umstand im Grunde nicht.89 Zutreffend wird deshalb darauf hingewiesen, dass eine gewisse Außenseiterwirkung der tariflichen Normsetzung notwendige und folgerichtige Konzession an eine Wirtschaftsordnung sei, deren Konzept die Gestaltung der Arbeitsbedingungen im Grundsatz den Tarifvertragsparteien in die Hände legt.90 Die Richtigkeit dieser Sichtweise lässt sich auch aus einer Perspektive untermauern, die maßgeblich an den Koalitionen selbst als verantwortliche Normgeber ansetzt. Zwar kommt den Tarifvertragsparteien mangels mitgliedschaftlicher Legitimation keine originäre normative Zuständigkeit für die Außenseiter zu, doch folgt die Einflussnahme auf diesen Personenkreis unvermeidbar aus einer effektiven Interessenwahrnehmung für die Koalitionsmitglieder.91 Bereits an früherer Stelle wurde aufgezeigt, dass die Vermarktung der Attraktivität und damit die Bewahrung der Akzeptanz des Tarifvertragswesen in erster Linie den Koalitionen selbst aufgetragen ist.92 Nur wenn es ihnen möglich ist, die beschlossenen Tarifinhalte gezielt als Anreizobjekt für Außenseiter einzusetzen und sie auf diese Weise für den Beitritt zum entsprechenden Verband motivieren zu können, hat das auf freiwillige Mitgliedschaft basierte Tarifsystem eine dauerhafte Zukunft. Nicht zuletzt deshalb wird die Werbung für den eigenen Verband als Teil der koalitionären Betätigungsfreiheit und damit als Verfassungsgut in Art. 9 III GG anerkannt.93 Ein Tarifvertragsrecht, das wegen der Beschränkung der normativen Regelungsbefugnis auf die eigenen Mit88 Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 2147; Deinert, RdA 2014, 129 (130); Franzen, RdA 2006, 1 (2); Gamillscheg, Differenzierung, S. 73; Höpfner, RdA 2019, 146 (149); Jacobs, FS Bauer, S. 479 (483 f.); Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 34 f.; S. Neumann, Tarifboni, S. 92 ff.; Waltermann, Differenzierungsklauseln, S. 68. 89 Zur Ausnahme siehe sogleich; kritisch demgegenüber Borchard, Grenzen tarifvertraglicher Differenzierungsklauseln, S. 162 ff. 90 H. Wiedemann, RdA 1969, 321 (329). 91 So ausdrücklich Säcker/Oetker, S. 70; ähnlich Gamillscheg, Differenzierung, S. 95. 92 Siehe oben, Teil 1 D. 93 Zentral BVerfG v. 14. 11. 1995 – 1 BvR 601/92, AP GG Art. 9 Nr. 80; vgl. auch BVerfG v. 26. 5. 1970 – 2 BvR 664/65, NJW 1970, 1635 [B. II. 1. der Gründe]; Däubler/Däubler, Einl. TVG Rn. 91; MD/Scholz, Art. 9 GG Rn. 251 (94. EL Januar 2021); Löwisch/Rieble, Grundl. TVG Rn. 113; Gamillscheg, Band I, S. 247.

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glieder gleichzeitig eine exklusive inhaltliche Fokussierung auf den aktuellen Zirkel der tarifgebundenen Arbeitnehmer vorschriebe, würde damit nicht nur um sich selbst kreisen, sondern wäre angesichts der grundrechtlichen geschützten Option, gezielt Außenseiter anzuwerben, sogar verfassungswidrig. Konsequent ist demnach die Annahme, dass die tarifvertragliche Inhaltsfreiheit der Koalitionen im Bereich der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen prima facie umfassend ausgestaltet, also nicht immanent auf die Arbeitsverhältnisse der Mitglieder begrenzt ist.94 Streng von der Einschätzung zu trennen, an wem sich die Normsetzung ausrichten darf, ist daher die Frage, wer von ihr mit unmittelbarer und zwingender Wirkung betroffen wird. Die Tarifvertragsparteien sind damit im Rahmen ihrer Normsetzungsbefugnis keineswegs zu einer strikt mitgliederbezogenen Regelsetzung verpflichtet, sondern können auch Außenseiter in ihre Organisationspolitik mit einbeziehen. Lediglich die unmittelbare und zwingende Wirkung des Tarifvertrags muss auf die tarifgebundenen Mitglieder der Verbände beschränkt bleiben. Allein aufgrund verschiedener mittelbarer Außenseiterwirkungen verlieren solche Vereinbarungen allerdings nicht ihre Gültigkeit. b) Anwendung der entwickelten Prinzipien auf die Differenzierungsklausel mit Stichtag in der Vergangenheit Werden die soeben entwickelten Maßstäbe auf die hier interessierenden Differenzierungsklauseln mit Stichtagsregelung angewandt, stellt man unschwer fest, dass die Regelung anders als etwa die Tarifausschlussklausel keine verbindlichen Vorgaben für das Außenseiter-Arbeitsverhältnis trifft und damit nicht unmittelbar in die Beziehung des Arbeitgebers zum nicht- oder andersorganisierten Arbeitnehmer usurpiert. Die faktisch „exklusivierende“ Wirkung des Tarifvertrags basiert bei der Differenzierungsklausel mit Stichtag in der Vergangenheit insbesondere im Umfeld eines Tarifsozialplans auf dem Zusammenspiel zwischen der Formulierung an sich und der fehlenden Bereitschaft des Arbeitgebers, allen Außenseitern entsprechende Leistungen auf individualvertraglichem Weg zukommen zu lassen, jedoch gerade nicht ausschließlich und unmittelbar auf der Tarifnorm als solcher.95 Mit der Differenzierung in der Stichtagsregelung ist zwar ein Tatbestand vorgegeben, der die Altmitglieder der Gewerkschaft offenkundig besser und die nicht tarifgebundenen Arbeitnehmer selbst bei einem Beitritt schlechter stellt. Die Klausel verbietet den Außenseitern allerdings nicht, durch entsprechende Verhandlungen mit dem Arbeitgeber eine Weitergabe der tariflichen Leistungen auf individualvertraglichem Weg an sich selbst herbeizuführen. Die Frage, ob das bewusste Ausnutzen der unternehmerischen Schieflage in einer Sanierungssituation zum faktischen Ausschluss einer individualvertraglichen Weitergabe der Tarifleistungen inhaltlich zulässig ist, 94 Vgl. Cornils, Ausgestaltung, S. 438; ähnlich Kempen/Zachert/Wendeling-Schröder, § 3 TVG Rn. 330. 95 Siehe oben, Teil 2 B. I. 3.

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muss beim hier gewählten zweistufigen Prüfungsaufbau erst im zweiten Schritt beantwortet werden. An dieser Stelle genügt allein der Hinweis, dass die Differenzierungsklausel mit Stichtagsregelung keine unmittelbaren, verbindlichen Vorgaben für das Verhältnis des Arbeitgebers zu den nicht- oder andersorganisierten Arbeitnehmern trifft. Damit verlässt sie trotz ihres Außenseiterbezugs nicht den Rahmen der tariflichen Regelungsbefugnis, der den Tarifvertragsparteien gemäß §§ 1 I, 3 I, 4 I TVG zwingend vorgegeben ist. 2. Verschleierte Abstrafung der Außenseiter durch die konkrete Ausgestaltung der Differenzierungsklausel mit Stichtagsregelung? Legt man allein die bisherigen Ausführungen zugrunde, erscheint es für die normative Regelungsbefugnis der Tarifvertragsparteien in der Tat unschädlich, wenn – nochmals: ohne bereits ein Urteil über die inhaltliche Rechtmäßigkeit einer solchen Vorschrift zu fällen – die Benachteiligung der Außenseiter bewusst in Kauf genommen wird.96 Selbst durch einen Tarifvertrag, der sich hauptsächlich zu Lasten der Außenseiter auswirkt, werden die Grenzen der vorgegebenen Gestaltungsspielräume aus §§ 1 I, 4 I TVG eingehalten, wenn hierdurch die Möglichkeit einer individuellen Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Außenseiter nur mittelbar berührt und die Wahrung und Förderung der eigenen Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen nicht vollends in den Hintergrund gedrängt wird. Diese graduell steigende, sich intensivierende Einflussnahme auf das Außenseiter-Arbeitsverhältnis unter dem vermeintlich schützenden Deckmantel der normativen, auf die eigenen Mitglieder beschränkten Regelungsmacht stößt freilich ihrerseits an Grenzen. Aufgrund der funktionalen Zielsetzung der Tarifautonomie als kollektiv ausgeübter Privatautonomie sind solche Regelungsgegenstände von der Normsetzungskompetenz der Tarifvertragsparteien nicht mehr gedeckt, die sich vom verfassungsrechtlichen Idealbild eines autonomen Handelns „in eigenen Angelegenheiten“ zu weit entfernen.97 Art. 9 III GG und seine einfachrechtliche Ausgestaltung im TVG sehen als immanente Grenze der Tarifautonomie eine Rückkopplung des tariflichen Handelns an die Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen der eigenen Mitglieder vor.98 Dies ergibt sich einerseits 96 BVerfG v. 15. 7. 1980 – 1 BvR 24/74 u. a., NJW 1981, 215 [B. II. 2. b) der Gründe]; Bötticher, Die gemeinsamen Einrichtungen, S. 114 f.; Säcker/Oetker, Tarifautonomie, S. 69 f.; Schnorr, JR 1966, 327 (332 f.); im hier vertretenen Sinne auch Säcker/Oetker, Tarifautonomie, S. 69; a. A. Loritz, Tarifautonomie, S. 59 f., allerdings mit der fehlerhaften Prämisse, dass die Wirkung der Tarifnormen auf Außenseiter auf einer nicht bestehenden „Annexkompetenz“ beruhe. 97 Vgl. S. Neumann, Tarifboni, S. 81, mit intensiver Auseinandersetzung zur Frage der personellen Reichweite der Tarifautonomie (S. 65 ff.); auch Säcker/Oetker, S. 70; Schnorr, JR 1966, 327 (332). 98 Vgl. JKOS/Krause, § 1 Rn. 80; Kreiling, Erstreckung, S. 132; S. Neumann, Tarifboni, S. 71.

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bereits aus dem etymologischen Ursprung der Autonomie99 und andererseits aus der Konzeption, die dem Art. 9 III GG zugrunde gelegt wurde: Leitmotiv für die korporatistisch verfasste Arbeitsrechtsordnung war die Überzeugung des Verfassungsgebers, dass sich die Verbände eher an den tatsächlichen Umständen und konkreten Bedürfnissen orientieren und demnach die gegenseitigen Interessen bei abhängiger Beschäftigung angemessener zum Ausgleich bringen können als dies hoheitlichen Regulierungen möglich ist.100 Auf der Grundlage dieses Bekenntnisses zu einer liberal-freiheitlich ausgerichteten Wirtschaftsordnung101 sollen der Schutz des Art. 9 III GG und die Früchte ihrer Arbeit daher in erster Linie den Verbänden und ihren Mitgliedern zugutekommen.102 Zutreffend wird deshalb betont, dass sich der Tarifvertrag aus legitimatorischen Gründen nicht ausschließlich an Außenseiter ausrichten darf,103 da die Einflussnahme auf deren Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen nicht primäre Aufgabe und Bestimmung der Koalitionen ist.104 Die Tarifautonomie erlaubt den Tarifvertragsparteien somit nicht nur die Regelung eigener Angelegenheiten, sondern setzt gleichzeitig bei jeder koalitionsmäßigen Betätigung einen funktionalen Bezug zur eigenen Legitimationsbasis zwingend voraus.105 Dieser Konnex ist indes gestört, wenn die Absicht, die eigenen Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu regeln, gänzlich hinter die Zielsetzung zurücktritt, die nicht- oder andersorganisierten Arbeitnehmer durch einen entsprechend exklusiven Tarifvertrag für ihr Fernbleiben von der Gewerkschaft abzustrafen. Da den Tarifvertragsparteien die Legitimation für ein ausschließlich repressives Handeln zu Lasten der Außenseiter fehlt, läge in dieser Konstellation eine Überschreitung der normativen Regelungsbefugnis vor.106 Die hier betrachtete Tarifregelung wirft die Frage nach dieser konkreten Grenze der normativen Regelungsbefugnis auf, insbesondere wenn sie zusätzlich zeitlich in die sowohl für das Unternehmen als auch die Belegschaft mit teils erheblichen finanziellen Einschränkungen verbundene Sanierungssituation eingebettet ist. Handelt es sich noch um eine Hinnahme von Nachteilen zu Lasten der Außenseiter bei gleichzeitigem Wunsch, in der wirtschaftlich angespannten Lage des Unternehmens die Interessen der Mitglieder zu wahren? Oder vereinbaren die Tarifvertragsparteien viel eher eine Regelung, die sich – getarnt im Gewand einer tariflichen Besserstellung für die Gewerkschafts-

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So auch S. Neumann, Tarifboni, S. 71; vgl. auch Waltermann, Rechtsetzung, S. 55; ders., FS Söllner, S. 1251 (1259); ders., ZfA 2000, 53 (57). 100 Vgl. Teil 1, Fn. 12. 101 MD/Scholz, Art. 9 GG Rn. 155, 158 (94. EL Januar 2021). 102 S. Neumann, Tarifboni, S. 71. 103 Vgl. ErfK/Franzen, § 3 TVG Rn. 17; Breschendorf, Zweiteilung der Belegschaft, S. 43; Kreiling, Erstreckung, S. 132 f.; S. Neumann, Tarifboni, S. 71. 104 JKOS/Krause, § 1 Rn. 80; S. Neumann, Tarifboni, S. 71. 105 Im Ergebnis auch Kreiling, Erstreckung, S. 132 f.; S. Neumann, Tarifboni, S. 71. 106 Vgl. Breschendorf, Zweiteilung der Belegschaft, S. 43; Borchard, Grenzen tarifvertraglicher Differenzierungsklauseln, S. 161 ff.; S. Neumann, Tarifboni, S. 71.

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mitglieder – in Wirklichkeit ausschließlich als gezielt eingesetztes Sanktionsinstrument gegenüber den nicht- oder andersorganisierten Arbeitnehmern entpuppt? a) Abstrafung der Außenseiter als rechtlich relevantes Motiv Besonders innerhalb des Schrifttums wurden nach der Veröffentlichung der BAGEntscheidung vom 15. 4. 2015 Stimmen laut, die den Tarifvertragsparteien vorwarfen, durch eine entsprechende großzügige Regelung zugunsten ausgewählter eigener Mitglieder mitsamt des Stichtags in der Vergangenheit die Außenseiter für ihr Fernbleiben von der Gewerkschaft abstrafen zu wollen.107 Diese Annahme kann sich zunächst auf den bereits ermittelten Regelungszweck der Klausel stützen: Einerseits können die Außenseiter wegen der konkreten Klauselgestaltung nicht mehr anspruchsbegründend in die Gewerkschaft eintreten. Da andererseits auch die wirtschaftlich prekäre Situation beim Arbeitgeber jedenfalls bei Restrukturierungsmaßnahmen die Weitergabe der Leistungen aus dem Tarifvertrag an Außenseiter unwahrscheinlich macht und die Außenseiter damit realistischerweise keine annähernd gleiche Behandlung wie ihre tarifgebundenen Kollegen erhoffen können, liegt bei flüchtiger Betrachtung in der Tat der Verdacht nahe, dass sich Unternehmenssanierungen tatsächlich auf dem Rücken derjeniger Arbeitnehmer abzuspielen drohen, die nicht oder nicht rechtzeitig Mitglied der tarifschließenden Gewerkschaft geworden sind.108 Mit dieser Darstellung ist allerdings noch kein schlüssiger Nachweis bezüglich eines Abstrafungswillens auf Seiten der Tarifvertragsparteien erbracht. Bislang konnte lediglich festgestellt werden, dass nach dem übereinstimmenden Willen der Tarifvertragsparteien ein Regelungszweck der Klausel darin bestehen soll, Außenseiter von der tariflichen Leistung auszuschließen. Dieser Umstand reicht allerdings für sich genommen noch nicht aus, um auf einen gemeinsamen Willen zur Abstrafung der Außenseiter schließen zu können. Der Wunsch nach einer Abstrafung erfordert eine intensivere, graduell stärkere und repressivere Eingriffsqualität der Klausel, die eine vorsätzliche Schlechterbehandlung der Außenseiter zu Maßregelungszwecken umfassen und damit über die reine Absicherung der wirtschaftlichen Vorteile für die Alt-Gewerkschaftsmitglieder hinausreichen muss. Verfolgen die Tarifvertragsparteien jedoch nur das Ziel, den erarbeiteten Vorsprung für die eigenen Mitglieder durch eine entsprechend formulierte Klausel abzusichern, besteht ein hinreichender Konnex zu Art. 9 III GG und damit zur Regelung eigener Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen, der dem Abstrafungsvorwurf entgegensteht.

107 HMB/Steffan, Teil 5 (8) Rn. 13; Greiner, NZA 2016, 10 (15); ders., FS H. J. Willemsen, S. 159 (164); ders., jM 2016, 66 (70); Kalb, FS Moll, S. 327 (337). 108 So Corzelius, ZTR 2016, 188 (190).

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aa) Abstrakte Berücksichtigungsfähigkeit der parteiinternen Motive neben dem gemeinsamen Willen der Tarifvertragsparteien Ob hinter dem unstrittigen gemeinsamen Willen der Tarifvertragsparteien, bestimmte Sonderleistungen einem exklusiven Kreis an Gewerkschaftsmitgliedern vorzuenthalten, gleichsam das übereinstimmende Motiv steht, mit dieser konkreten Ausgestaltung die Außenseiter für ihr Fernbleiben zu sanktionieren, kann ebenfalls nur im Wege der Auslegung ermittelt werden. Die Annäherung an dieses subjektive Kriterium ist indes mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden. Aus diesem Grund wollen manche die einzelnen Motive hinter einer tarifvertraglichen Regelung schon gar nicht berücksichtigen.109 Diese Haltung basiert einerseits auf dem Gedanken der Beliebigkeit, bei der die Wirksamkeit einer Regelung immer davon abhinge, ob sie im juristischen Sinne richtig oder falsch begründet werde.110 Andererseits befürchten manche eine unzulässige Tarifzensur, wenn die Gerichte die Zulässigkeit einer Tarifregelung über die Lauterkeit ihrer Motive definieren würden.111 Trotz der an sich nachvollziehbaren Gründe bleibt diese Kritik allerdings eine Begründung schuldig, wie der Wille der Tarifvertragsparteien ermittelt werden soll und als ein zentrales Auslegungskriterium berücksichtigt werden kann112, wenn die dahinterstehenden Motive vollständig ausgeblendet werden müssen. Zwar ist ihr zuzugeben, dass es sich bei Tarifvertragsverhandlungen um einen kontradiktorischen Prozess handelt, im Zuge dessen zahlreiche intrinsische und extrinsische Faktoren berücksichtigt und unterschiedliche Ansichten miteinander in Einklang gebracht werden müssen.113 Erst bei einer entsprechenden Tarifeinigung tritt dann ein einheitlicher, gemeinsamer Entschluss zu Tage. Dennoch bliebe der Wille der Tarifvertragsparteien oft im Dunkeln und anfällig für Fehldeutungen, wollte man die dahinter stehenden Beweggründe der unterschiedlichen Akteure gänzlich negieren.114 Gleichzeitig darf die Belastbarkeit der Motive jedoch nicht überschätzt werden.115 Mehr noch als dem im Tarifvertrag zur Geltung verholfenen Willen kann man sich ihnen oft nur im Wege unsicherer Spekulation nähern, da die Vertragspartner über die tatsächlichen Beweggründe für eine spezielle Regelung nicht selten Stillschweigen wahren. Darüber hinaus kulminieren im gemeinsamen, parteiübergreifenden Willen der Tarifvertragsparteien als Kompromiss zweier sozialer Gegenspieler meist mehrere unterschiedliche, ja teils diametral entgegenlaufende 109

Hromadka, DB 1992, 1042 (1043); Rieble, ZTR 1993, 54 (56 f.); differenzierend Gamillscheg, Band I, S. 333 f., 361. 110 Hromadka, DB 1992, 1042 (1043). 111 Rieble, ZTR 1993, 54 (56 f.). 112 Vgl. oben, Teil 2 B. I. 3. b). 113 Siehe aus ökonomischer Perspektive Lesch/Vogel/Busshoff/Giza, Stärkung der Tarifbindung, S. 8 f. 114 Gamillscheg, Band I, S. 333. 115 Strenger Gamillscheg, Band I, S. 333: „kein brauchbarer Anhaltspunkt, um Zulässiges von Unzulässigem zu unterscheiden“.

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Motive. Während der Wille als Manifestation der gemeinsamen Überzeugung beider Vertragsparteien ein taugliches Anknüpfungsmerkmal zur Auslegung der Klausel bietet, können die Motive, die den Tarifabschluss auf beiden Seiten befördert haben, ganz unterschiedlich ausfallen. Sieht eine hypothetische Tarifregelung beispielsweise eine Lohnerhöhung für die Beschäftigten um einen bestimmten Prozentsatz vor, ist der gemeinsame Wille der Tarifvertragsparteien zur Erhöhung des Entgelts, wie er im Tarifvertrag zur Sprache kommt, eindeutig erkennbar. Die jeweiligen Motive, die hinter diesem gemeinsamen Willen für den konkreten Tarifinhalt auf beiden Seiten des Tarifvertrags stehen, sind allerdings oftmals unterschiedlich und können von Mal zu Mal variieren. In den meisten Fällen wird der Arbeitgeber Tarifverträge abschließen, um den Betriebsfrieden zu wahren, Arbeitskämpfen vorzubeugen oder ihre Beendigung herbeizuführen.116 Auf Gewerkschaftsseite steht bei Tarifabschlüssen dagegen in der Regel das Leitmotiv im Vordergrund, mittels der Tarifverträge die wirtschaftliche Situation der in ihr organisierten Arbeitnehmer zu verbessern. Selbst dieser relativ schlichte Beispielsfall illustriert damit deutlich, wie sich hinter einem übereinstimmenden Willen eine Vielzahl von heterogenen Motiven auf beiden Seiten des Tarifvertrags verbergen kann. Wegen ihrer Subjektivität sind die Motive einer objektivierten Feststellung kaum zugänglich, sodass sich eine Annäherung oftmals in Mutmaßungen verliert und zudem anfällig für die Aufladung mit tarifpolitischen Ressentiments und vorschnellen Unterstellungen ist. Damit sind sie für den Rechtsanwender beinahe in jede Richtung frei manipulierbar. Anders als dem gemeinsamen, parteiübergreifenden Willen der Tarifvertragsparteien müssen der Justiziabilität und rechtlichen Verwertbarkeit der unterschiedlichen Motive demnach sehr enge Grenzen gesetzt werden. In diesem Zusammenhang drängt sich daher ein Mittelweg auf: Während an den gemeinsamen Willen der Tarifvertragsparteien ohne Einschränkungen angeknüpft werden kann, bedarf es hinsichtlich der Motive einer vorsichtigen Abschichtung. Da die Beweggründe für einen Tarifabschluss mit bestimmtem Inhalt bei Arbeitgeber(verbänden) und Gewerkschaften nur selten kongruieren und darüber hinaus in den meisten Fällen einem Tarifabschluss ein heterogenes Motivbündel auf beiden Seiten zugrunde liegt, dürfen die Motive als eigenständige Auslegungskategorie nur dann berücksichtigt werden, wenn sie bei beiden Tarifvertragsparteien zweifelsfrei als bewusstseinsdominant und somit als für die gemeinsame Willensbildung maßgeblich identifiziert werden können. Ist dies nicht möglich, verbietet sich ein Rückgriff auf die jeweiligen Beweggründe der einzelnen Tarifvertragsparteien. Anderenfalls wäre es durchaus möglich, dass die Gültigkeit einer Tarifnorm tatsächlich von der Gesinnung einer Vertragspartei abhängig gemacht wird. Das wiederum würde die Verantwortung beider Partner für den Tarifvertrag und das

116 Zur Repräsentativität vgl. Lesch/H. Schneider/Vogel, IW-Trends 1/2019, 59 (66), nach denen etwa zwei Drittel von 1.553 befragten Unternehmen in der Metall- und Elektrobranche angaben, dass sie bei Tarifbindung von der Friedenspflicht profitieren und insgesamt weniger erpressbar werden.

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daraus resultierende Gebot richterlicher Zurückhaltung bei der Kontrolle des Tarifvertrags verkennen.117 bb) Abstrafung der Außenseiter als bewusstseinsdominantes Motiv beider Tarifvertragsparteien? Misst man die Differenzierungsklausel mit Stichtag in der Vergangenheit am soeben erarbeiteten Maßstab, muss deshalb im Folgenden untersucht werden, ob beiden Tarifvertragsparteien ihrerseits tatsächlich ein nachhaltiges Interesse an der Sanktionierung von Außenseitern als bewusstseinsdominantes Motiv nachgewiesen werden kann. Da sich die Tarifvertragsparteien nicht ausdrücklich hierzu geäußert haben, kommt dem jeweiligen Selbstverständnis der Koalitionen im Umgang mit Außenseiter-Arbeitnehmern für die Annäherung an eine überzeugende Lösung wesentliche Bedeutung zu. (1) Gewerkschaftsseite Auf Arbeitnehmerseite ist die Beantwortung dieser Frage eng mit dem Dilemma verknüpft, ob den Gewerkschaften eine umfassende Repräsentationsfunktion zugunsten der gesamten Arbeitnehmerschaft zukommt oder ob sie als körperschaftlich strukturierte Verbände lediglich die Interessen ihrer Mitglieder vertreten und kollektiv gebündelt nach außen tragen. Im sog. Stinnes-Legien-Abkommen von 1918118 gingen die Vereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände samt ihrer Mitgliedsverbände und die Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands noch übereinstimmend davon aus, dass die Gewerkschaften „als berufene Vertretung der Arbeiterschaft anerkannt“119 seien. Als Grundlage120 für die kurze Zeit später erlassene Tarifvertragsverordnung (TVVO)121 galten die Inhalte des Abkommens und damit zugleich der ganzheitliche Vertretungsanspruch der Gewerkschaften faktisch während der gesamten Weimarer Republik. Auch nach 1945 war im bundesrepublikanischen Nachkriegsdeutschland die Ansicht einer umfassenden Repräsentationsfunktion der Gewerkschaften zugunsten der gesamten Belegschaft unabhängig von einer Verbandsmitgliedschaft weit verbreitet und wird bis in die heutige Zeit hinein vertreten.122 117

Rieble, ZTR 1993, 54 (56 f.). „Vereinbarung zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden“ v. 15. 11. 1918, Reichsarbeitsblatt, S. 874; siehe hierzu auch Höpfner, ZfA 2019, 108 (111). 119 „Vereinbarung zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden“ v. 15. 11. 1918, Reichsarbeitsblatt, S. 874 (kursive Hervorhebung nicht im Original). 120 Höpfner, Tarifgeltung, S. 97; S. Neumann, Tarifboni, S. 71. 121 Verordnung über Tarifverträge, Arbeiter- und Angestelltenausschüsse und Schlichtung von Arbeitsstreitigkeiten v. 23. 12. 1918, RGBl. II, S. 1456 ff.; vgl. allgemein Höpfner, ZfA 2019, 108 ff.; zur Geschichte der TVVO allgemein Rückert, ZfA 2019, 515 ff. 122 Bötticher, Die gemeinsamen Einrichtungen, S. 113 f., jedoch mit der Prämisse, dass die Koalitionen erkennbar auch für den Außenseiter in Dienst genommen sind; wortgleich ders., 118

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Allerdings muss bezweifelt werden, ob ein umfassender gewerkschaftlicher Repräsentationsanspruch für sämtliche Arbeitnehmer innerhalb der satzungsmäßigen Reichweite allein aus einem historisch gewachsenen Verständnis abgeleitet werden kann. Diese Herangehensweise erscheint insbesondere deswegen angreifbar, weil sich die tatsächliche Grundlage für den beschriebenen ganzheitlichen Ansatz in den letzten Jahrzehnten stark verändert hat. Angesichts der niedrigen Organisationsquote von nicht einmal 20 Prozent123 stellt sich immer deutlicher die Frage, mit welcher legitimatorischen Berechtigung die Gewerkschaften für die „ganze Arbeiterschaft“ sprechen können.124 Auch aus organisationspolitischen Gesichtspunkten erscheint ein umfassender Vertretungsanspruch bei der heute gängigen Bezugnahmepraxis nicht mehr zeitgemäß. Beispielsweise kann vor diesem Hintergrund nicht erklärt werden, welches Interesse die Gewerkschaften an der Vertretung eines Arbeitnehmers haben sollen, der sie und mittelbar ihre Kampfkraft nicht durch Mitgliedschaft aktiv stärkt, aber im Wege arbeitsvertraglicher Bezugnahme auf den Tarifvertrag an den Früchten ihrer Arbeit partizipiert und somit den erstrittenen Vorsprung eines normativen Anspruchs der Mitglieder auf die tariflich zugesagten Leistungen wiederum zu seinen Gunsten nivelliert.125 Das zeigt sich auch im Selbstverständnis der IG Metall bei der Vereinbarung derjenigen Regelung, die Gegenstand der Entscheidung vom 15. 4. 2015 wurde. So wird Horst Lischka, der als Geschäftsführer der IG-Metall München unmittelbar am konkreten Tarifvertrag beteiligt war, folgendermaßen zitiert: „Wir sind unseren Mitgliedern verpflichtet. […] Wenn sich durch unsere Arbeit auch die Bedingungen für andere verbessern, ist das schön. Aber das ist nicht das Ziel einer Gewerkschaft. […] Wir haben monatelang gepredigt, dass dadurch [scil. durch den Beitritt zur IG Metall] ein besseres Ergebnis möglich ist.“126

Freilich haben die Gewerkschaften ein lebhaftes Interesse daran, eine möglichst große Anzahl an Arbeitnehmern in ihren Reihen zu wissen. Dennoch liegt angesichts der kontinuierlich niedrigen Organisationsquoten und insbesondere durch die Aussage des Gewerkschaftsfunktionärs Lischka im konkreten Fall die Annahme näher, dass sich die Gewerkschaften hauptsächlich am Interesse ihrer Mitglieder BB 1965, 1077 (1079); Leventis, Differenzierungsklauseln, S. 76 ff.; Kreiling, Erstreckung, S. 126 ff.; Mürau, Tarifliche Sonderleistungen, S. 28 ff.; v. Nell-Breuning, StZ, Band CLXXI, 5 (9 f.); Schnorr, JR 1966, 327 (329); Waltermann, ZfA 2000, 53 (72 ff.); Weller, ArbuR 1970, 161 (164); H. Wiedemann, RdA 1969, 321 (328 ff.); ders., RdA 2007, 65 (70); Zöllner, Differenzierungsklauseln, S. 49 ff.; wohl auch BVerfG v. 18. 12. 1974 – 1 BvR 430/65, AP GG Art. 9 Nr. 23 [C. II. 3. b) der Gründe]; Säcker/Oetker, Tarifautonomie, S. 67 ff.; ebenfalls Bötticher, Die gemeinsamen Einrichtungen, S. 113 f. für den Fall, dass die Koalitionen erkennbar auch für Außenseiter in Dienst genommen sind. 123 Siehe oben Teil 1, Fn. 5. 124 So insbes. auch Seiwerth, EuZA 2014, 450 (463 ff.); ders., NZA 2014, 708 (709); ders., RdA 2014, 358 (360, 364). 125 So bspw. Helm, NZA 2015, 1437 (1438). 126 Aussage bei Bovensiepen/Tibudd, SZ v. 27. 3. 2012, S. 40; vgl. auch BAG v. 15. 4. 2015 – 4 AZR 796/13, AP TVG § 3 Nr. 57 (Rn. 3).

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Teil 2: Die Zulässigkeit von tarifvertraglichen Differenzierungsklauseln

orientieren und nur dann (auch) für die Außenseiter-Arbeitnehmer eintreten, wenn der Vorteil für die Außenseiter gleichzeitig Nebenfolge der eigenen Tarifpolitik ist.127 Das gilt umso mehr für die Zusammenschlüsse von Funktionseliten oder Arbeitnehmern in Schlüsselpositionen, denen als sog. Sparten- und Berufsgruppengewerkschaften wiederholt – nicht ganz zu Unrecht – vorgeworfen wird, lediglich partikulare Gruppeninteressen ohne Rücksicht auf den Rest der Branche zu vertreten.128 Mit der vorzugswürdigen Strömung innerhalb der Literatur ist deshalb anzunehmen, dass die Gewerkschaften als koalitionärer Zusammenschluss in erster Linie lediglich die Interessen ihrer Mitglieder und gerade nicht diejenigen der Arbeitnehmer in ihrer Gesamtheit vertreten.129 Als Verbände werden die Gewerkschaften durch ihre Mitglieder getragen und schöpfen ihre Verhandlungs- und Kampfstärke aus deren Bereitschaft, sich in der Koalition zu organisieren und zu engagieren. Die Favorisierung einer mitgliederorientierten Sichtweise wurde in jüngerer Vergangenheit auch im Zuge der Entscheidung zum Tarifeinheitsgesetz durch die bundesverfassungsgerichtliche Rechtsprechung angedeutet.130 Teilweise hat auch der BGH „gruppenegoistische Bestrebungen“ der Tarifvertragsparteien erkannt, diese jedoch als nicht schädlich erachtet und einen Anspruch Dritter wegen dieser gruppenbezogenen Aktivitäten abgelehnt.131 Die Beschränkung der gewerkschaftlichen Vertreterfunktion auf die eigenen Mitglieder deckt sich zudem mit den strategischen Überlegungen aus der Tarifpraxis. Eine Gewerkschaft wird im Normalfall daran interessiert sein, Außenseiter-Arbeitnehmer von einem erfolgreichen 127 F. Hartmann, Negative Koalitionsfreiheit, S. 136; Stütze, Kontrolle der Entgelthöhe, S. 334 f.; ähnlich auch Biedenkopf, Grenzen der Tarifautonomie, S. 58 f. 128 So etwa Deinert, NZA 2009, 1176 (1181); Giesen, ZfA 2019, 40 (48 f.); Greiner, NZA 2007, 1023 (1024); Henssler, RdA 2011, 65 (73); ders., RdA 2015, 222 (224); Höpfner, Tarifgeltung, S. 241; Hromadka, NZA 2008, 384 (385); ders./Schmitt-Rolfes, NZA 2010, 687 (690 f.); Rieble, BB 2003, 1227; anders aber wohl Bayreuther, NZA 2013, 1395 (1399), der damit rechnet, dass die Spartengewerkschaften mit dem Tarifeinheitsgesetz vermehrt versuchen werden, möglichst viele Arbeitnehmer für die eigene Koalition gewinnen zu können. 129 Vgl. nur ErfK/Linsenmaier, Art. 9 GG Rn. 57 f.; Bayreuther, Tarifautonomie, S. 91 ff.; Breschendorf, Zweiteilung der Belegschaft, S. 33; Buchner, ZfA 2004, 229 (234); Georgi, Zulässigkeit, S. 54 ff.; Geppert, Allgemeinpolitisches Mandat, S. 134 ff.; F. Hartmann, Negative Tarifvertragsfreiheit, S. 136. Höpfner, Tarifgeltung, S. 241 f.; Kraft, ZfA 1973, 243 (248); Koller, ZfA 1978, 45 (57 ff.); Krämer, Richtigkeitsgewähr, S. 165; E. Picker, NZA 2002, 761 (768 f.); Reuter, ZfA 1978, 1 (21 ff.); Richardi, ZfA 2014, 395 (408); Rieble, ZfA 2004, 1 (9); Schwarze, ZTR 1996, 1; Seiwerth, RdA 2017, 373 (378); ders., ZfA 1998, 573 (599 ff., 603); Söllner, NZA 1996, 897 (906); zurückhaltender, aber wohl ebenfalls Büdenbender, RdA 2000, 193 (202 f.). 130 BVerfG v. 11. 7. 2017 – 1 BvR 1571/15 u. a., AP GG Art. 9 Nr. 151, wenngleich der Senat einschränkend feststellt, dass im Rahmen des § 4a II TVG „insbesondere Beschäftigte in Schlüsselpositionen im Betrieb ihre Forderungen nicht völlig losgelöst von den Interessen der anderen Beteiligten geltend machen können“ (Rn. 160), vgl. bereits zuvor die besondere Fokussierung auf die Mitglieder der Koalition in BVerfG v. 7. 4. 1981 – 2 BvR 446/80, AP GG Art. 9 Nr. 34 [2. der Gründe]; BVerfG v. 15. 7. 1980 – 1 BvR 24/74 u. a., NJW 1981, 215 [B. II. 2. b) der Gründe]; BVerfG v. 28. 4. 1976 – 1 BvR 71/73, AP BetrVG 1972 § 74 Nr. 2 [B. I. der Gründe]; BVerfG v. 6. 5. 1964 – 1 BvR 79/62, NJW 1964, 1267 [B. I. 1. der Gründe]. 131 BGH v. 14. 3. 1978 – VI ZR 68/76, NJW 1978, 2031 [II. 3. Der Gründe].

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lukrativen Tarifvertrag auszuschließen, um im Gegenzug die eigene Attraktivität erhöhen und die Außenseiter mit der Aussicht auf entsprechende Vergünstigungen für eine Verbandsmitgliedschaft gewinnen zu können. Zum selben Ergebnis gelangte auch das BAG im Jahr 2000, als es feststellte: „Der Geltungsbereich, aber auch der sonstige Inhalt von Tarifverträgen wird – im Gegensatz zu Gesetzen – nicht primär durch Allgemeininteressen bestimmt, sondern durch Eigeninteressen der Koalition und ihrer Mitglieder. […] So kann als Ergebnis einer Tarifverhandlung eine Forderung zunächst nur für eine bestimmte Gruppe realisierbar sein, aber nicht für alle denkbar Betroffenen.“132

Zusätzliche Verstärkung erfährt diese Sichtweise durch die flankierende Rechtsprechung des EGMR, der sogar bereits im Wortlaut des Art. 11 I Hs. 2 EMRK eine mitgliederorientierte Interessenvertretung durch die jeweiligen Verbände verankert sehen will.133 Das Bedürfnis nach einer exklusiven Fokussierung auf die Mitgliederinteressen tritt bei einem Tarifsozialplan in noch stärkerem Umfang hervor. Dort kann der Arbeitgeber faktisch nur über ein begrenztes finanzielles Volumen verfügen, das sich im Ausgangspunkt die gesamte Belegschaft nach festgesetzten Kriterien teilen muss. Lässt sich der Kreis der Leistungsberechtigten aber im Wege tarifvertraglicher Exklusivierung deutlich einschränken, kann für bestimmte Gewerkschaftsmitglieder als kleinerer Gruppe von anspruchsberechtigten Arbeitnehmern eine quotal höhere Summe aus dem Topf erzielt werden. Der Wunsch auf Gewerkschaftsseite, solche Personen von den Vergünstigungen auszuschließen, die zur Stärkung der gewerkschaftlichen Position nichts beigetragen haben, verdichtet sich somit im Zuge einer Unternehmenssanierung noch zusätzlich. In dieser Konstellation können die Gewerkschaften zwei organisationspolitische Ziele mit einem Schlag verfolgen: Einerseits sind sie in der Lage, bei einem kleinen Zirkel von anspruchsberechtigten Koalitionsmitgliedern erhöhte Zahlungen für diese Arbeitnehmergruppe auszuhandeln, womit sie gleichzeitig deren Verbandstreue belohnen können. Andererseits nehmen sie in der außerordentlichen Situation der Unternehmenssanierung den Außenseitern durch die bereits umfassend abgeschöpften finanziellen Volumina 132

BAG v. 30. 8. 2000 – 4 AZR 563/99, AP TVG § 4 Geltungsbereich Nr. 25 [I. 2. g) der Gründe]; deutlich zurückhaltender BAG v. 18. 3. 2009 – 4 AZR 64/08, AP TVG § 3 Nr. 41 (Rn. 63). 133 Etwa EGMR v. 2. 10. 2014 – Nr. 10609/10 (Matelly / France), Rn. 55: „Il doit donc être loisible à un syndicat d’intervenir pour la défense des intérêts de ses membres et les adhérents individuels ont droit à ce que leur syndicat soit entendu en vue de la défense de leurs intérêts“ (kursive Hervorhebung nicht im Original). Sinngemäß: „Es darf daher einer Gewerkschaft nicht verwehrt sein, zur Wahrung der Interessen ihrer Mitglieder tätig zu werden. Auf der anderen Seite haben auch die einzelnen Koalitionsmitglieder den Anspruch, dass ihre Gewerkschaft im Hinblick auf die Wahrung der Mitgliederinteressen gehört wird.“, siehe auch bereits EGMR v. 27. 10. 1975 – Nr. 4464/70 (Syndicat national de la Police belge / Belgique), Rn. 37 ff.; EGMR v. 6. 2. 1976 – Nr. 5614/72 (Syndicat suédois des conducteurs de locomotives / Suède), Rn. 39 ff.; EGMR v. 2. 7. 2002 – Nr. 30668/96 u. a. (Wilson, National Union of Journalists and others / UK), Rn. 42.

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faktisch die Möglichkeit, individualvertraglich eine Gleichstellung mit den begünstigten Mitgliedern zu erreichen, was wiederum zwangsläufig in eine Schlechterstellung der nichtorganisierten Belegschaft als mittelbare Folge des Nichteintritts mündet. In der Tat ließe sich die Situation organisationspolitisch ausschlachten und dabei breitenwirksam propagieren: „[D]a seht ihr, was ihr von eurem unsolidarischen Verhalten habt.“134 Die Annahme, dass Außenseiter durch die Differenzierungsklausel mit Stichtagsregelung zumindest mittelbar sanktioniert werden sollen, lässt sich zwar mangels eindeutiger Hinweise für die Gewerkschaftsseite nicht mit vollständiger Sicherheit beweisen, aber gerade im Rahmen einer Unternehmenssanierung durch das Eigenverständnis im Umgang mit Außenseitern auf Grundlage einer mitgliederorientierten Interessenvertretung annäherungsweise begründen.135 (2) Arbeitgeberseite Auf Arbeitgeberseite liegt indes eine andere Einstellung gegenüber Außenseitern nahe. So ist nicht ohne Weiteres einzusehen, weshalb der Arbeitgeber daran interessiert sein sollte, diese Arbeitnehmer für ihr Fernbleiben von der Gewerkschaft abzustrafen. Im Gegenteil liegt dem Arbeitgeber regelmäßig viel daran, durch sein Verhalten keinen übermäßigen Impuls für einen Gewerkschaftsbeitritt zu setzen und auf diese Wiese mittelbar für den sozialen Gegenspieler zu werben.136 Er profitiert vielmehr von einem geringen Organisationsgrad seiner Belegschaft, weil hierdurch die Durchsetzungskraft der Gewerkschaft niedrig gehalten und damit die gegnerische Verhandlungsposition geschwächt wird. Unter diesen Bedingungen kann der Arbeitgeber die Gewerkschaft in Tarifverhandlungen leichter zu Zugeständnissen bewegen. Gibt der Arbeitgeber daher – wie in Standardarbeitsverträgen regelmäßig vereinbart – bestimmte Tarifvergünstigungen an die Außenseiter weiter, geschieht dies mit der Zielsetzung, die nicht- oder andersorganisierten mit den organisierten Arbeitnehmern gleichzustellen, um erstere nicht ohne Not in die Arme der Verbände zu treiben und damit wiederum die Position der Gewerkschaften zu stärken.137 Der Arbeitgeber hat vor diesem Hintergrund ein großes Interesse daran, die Zahl der nichtorganisierten Arbeitnehmer möglichst hoch zu halten. Eine repressive Abstrafung dieser Gruppe für ihr Fernbleiben läuft deshalb der typischen Unternehmensstrategie vieler Arbeitgeber geradezu diametral zuwider. Erklärt sich der Arbeitgeber bei einem Tarifsozialplan zu hohen Zahlungen bereit, die exklusiv zugunsten des überwiegenden Teils der Gewerkschaftsmitglieder ausgeschüttet werden sollen, kann somit nicht ohne Weiteres auf eine grundsätzliche Abkehr von der Strategie einer Gleichstellung der gesamten Belegschaft oder gar 134

Greiner, NZA 2016, 10 (15). Insoweit auch Greiner, NZA 2016, 10 (15). 136 Vgl. Däubler/Däubler, Einl. TVG Rn. 139; E. M. Willemsen, Die arbeitsvertragliche Bezugnahme, S. 29 f.; siehe auch die in Teil 1, Fn. 38 Genannten. 137 Teil 1, Fn. 38. 135

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einen Abstrafungsvorsatz zu Lasten der Außenseiter-Arbeitnehmer geschlossen werden. Bewusstseinsdominant für den Arbeitgeber dürfte bei der Zustimmung zur gewerkschaftlichen Forderung nach einer „Exklusivierung“ tariflicher Sonderleistungen viel eher der Gedanke sein, im Gegenzug die wirtschaftliche Restrukturierung seines Unternehmens nicht gegen den Widerstand einer kampffähigen Gewerkschaft durchführen zu müssen. Denkbar ist vor diesem Hintergrund ebenfalls, dass der Arbeitgeber die Sanierungssituation als willkommenen Anlass nutzt, um die ansonsten notwendige individuelle Gleichstellung der Außenseiter mit den begünstigten Mitgliedern der tarifschließenden Gewerkschaft einmalig auszusetzen. Die exklusiven Leistungen für die Altmitglieder steigern durch die Stichtagsklausel nicht unmittelbar die Attraktivität der Gewerkschaft, sodass Arbeitnehmer, die grundsätzlich zu einem Beitritt tendieren, nicht mit zusätzlichem Kostenaufwand von ihrem Vorhaben abgehalten werden müssen. Auf diesem Weg lassen sich ohne erhöhtes Risiko Gelder einsparen, die wiederum für die Restrukturierung oder andere Vorhaben zur Verfügung stehen. Die punktuelle Aufopferung der Gleichstellungsidee kann daher noch nicht mit der Absicht einer Abstrafung der Außenseiter-Arbeitnehmer gleichgesetzt werden. In den hier aufgezählten Beweggründen des Arbeitgebers lässt sich kein hinreichend stichhaltiger Anhaltspunkt finden, weshalb er an einer Sanktionierung der Außenseiter für ihr bisheriges Fernbleiben von einer Gewerkschaft interessiert sein sollte. b) Zwischenergebnis Zwar umfasst der gemeinsame Wille der Tarifvertragsparteien unter anderem die Übereinkunft, Außenseitern den Zugriff auf die tariflichen Vergünstigungen zu erschweren, dennoch trägt diese Feststellung nicht gleichzeitig den Vorwurf einer gezielten Abstrafung nicht- oder andersorganisierter Arbeitnehmer. Mangels übereinstimmender Bewusstseinsdominanz bei beiden Vertragsparteien schlägt das Abstrafungsmotiv nicht auf den gemeinsamen Willen durch und muss deshalb unberücksichtigt bleiben. Ein weiterer Rekurs auf diesen Beweggrund ist daher nicht möglich. 3. Ergebnis Eine Geltungsbereichsanordnung, die die Anwendbarkeit bestimmter Tarifinhalte und damit die Ausschüttung tariflicher Leistungen von der Gewerkschaftsmitgliedschaft zu einem bestimmten Stichtag in der Vergangenheit abhängig macht, überschreitet trotz der faktisch überschießenden Wirkung auch auf Außenseiter nicht die Grenzen der normativen Regelungsbefugnis. Die Tarifvertragsparteien beachten den wegen Art. 9 III S. 1 GG und § 1 I TVG zwingenden Rahmen und entfernen sich nicht zu weit von ihrer Aufgabe, schwerpunktmäßig die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen für ihre Mitglieder zu regeln. Eventuell vorliegende Missbrauchs- und Abstrafungsmotive, die der Zulässigkeit der Übereinkunft entgegenstünden, können

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bei beiden Tarifvertragsparteien nicht übereinstimmend nachgewiesen werden und müssen daher für den weiteren Fortgang der Untersuchung unberücksichtigt bleiben. 4. Sperrwirkung der §§ 111 ff. BetrVG gegenüber tarifvertraglicher Normsetzung bei Betriebsänderungen? Neben der bislang rein tarifrechtlichen Problematik zur Reichweite der normativen Regelungsbefugnis bei der Vereinbarung einer Klausel mit Außenseiterbezug können kompetenzielle Fragen auch im Überschneidungsbereich von Tarifvertrag und Betriebsvereinbarung auftreten, insbesondere wenn die Regelung von Ausgleichs- und Überbrückungszahlungen durch einen (Tarif-)Sozialplan in Rede steht. So wird mitunter kontrovers diskutiert, ob die §§ 111 ff. BetrVG bei Betriebsänderungen zum Schutz der Betriebsratskompetenzen eine Sperrwirkung gegenüber Tarifverträgen entfalten. Jedenfalls bei Bestehen eines Betriebsrats würde den Tarifvertragsparteien demnach regelmäßig die Normsetzungsbefugnis fehlen, wenn sie als Kompensation für umfassende Einschnitte in die Personalstruktur unter anderem Sonderleistungen an bestimmte Gewerkschaftsangehörige in einem Tarifsozialplan auskehren möchten. a) Argumente der Befürworter einer Sperrwirkung Die Befürworter einer solchen Sperrwirkung138 ziehen sich dabei im Wesentlichen auf drei Argumente zurück: Zum einen sehen sie den Betriebsrat als sachnähere Interessenvertretung, die anders als die Gewerkschaft von allen Arbeitnehmern im Betrieb durch demokratische Wahl legitimiert wurde. Aufgrund seiner Informationsansprüche in wirtschaftlichen Angelegenheiten könne der Betriebsrat die Situation regelmäßig besser einschätzen als die Gewerkschaft. Dieser Wissensvorsprung der Betriebsräte verhelfe den Arbeitnehmern zu passgenaueren und interessengerechteren Lösungen als durch Tarifvertrag.139 Zum anderen befürchten die Anhänger einer Sperrwirkung bei einer umfassenden tariflichen Regelung die Aushöhlung der gesetzlich zwingenden Verfahrensvorschriften bei der Erstellung eines betrieblichen Sozialplans, da ein Tarifsozialplan mit entsprechenden Leistungen für tarifgebundene Arbeitnehmer den Betriebspartnern praktisch keinen finanziellen Spielraum mehr belasse und den Betriebsrat damit faktisch funktionslos

138 Lieb, DB 1999, 2058 (2066); Lobinger, Arbeitskämpfe, S. 79 ff. (Rn. 42 ff.); Meyer, DB 2005, 830 (831 f.); Nicolai, RdA 2006, 33 (34 ff.); dies., SAE 2004, 240 (248 ff.); Rolfs/Clemens, NZA 2004, 410 (416); Schiefer/Worzalla, DB 2006, 46 (47); mit Sympathien hierfür auch Greiner, NZA 2016, 10 (14); wenngleich ders., NZA 2008, 1274 (1276 f.) eine Sperrung bestehender tarifvertraglicher durch betriebsverfassungsrechtliche Regelungskompetenzen noch als „evident systemwidrig“ bezeichnet hat. 139 Nicolai, RdA 2006, 33 (35); Schiefer/Worzalla, DB 2006, 46 (47); ähnlich auch Bauer/ Krieger, NZA 2004, 1019 (1023); G. Müller, AuR 1992, 257 (259 f.).

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stelle.140 Zuletzt erfordere der Schutz der Außenseiter bei einer Betriebsänderung eine strikte Gleichbehandlung aller Arbeitnehmer, für die wegen § 75 I BetrVG nur eine Betriebsvereinbarung ausreichend Gewähr bieten kann. Anderenfalls entstünde innerhalb der Belegschaft ein Verteilungsproblem, da nicht auszuschließen sei, dass sich bestimmte Arbeitnehmer über den Tarifvertrag Sondervorteile verschaffen könnten.141 Nicht einheitlich beantwortet wird innerhalb dieser Meinungsströmung indes die Frage, ob die tarifliche Normsetzungsbefugnis bei Betrieben ohne Betriebsrat bzw. Betrieben, die unter § 112a BetrVG fallen, bestehen bleibt142 oder bei Betriebsänderungen generell ausgeschlossen ist.143 b) Argumente der Gegner einer Sperrwirkung Die Auffassung einer Sperrwirkung der §§ 111 ff. BetrVG gegenüber einer tariflichen Sozialplanregelung konnte sich jedoch nicht nachhaltig durchsetzen. Sowohl das BAG144 als auch die Mehrheit der LAGe145 haben ihr die Gefolgschaft verweigert und lehnen mit der herrschenden Ansicht im Schrifttum146 eine exklusive 140

LAG Hamm v. 31. 5. 2000 – 18a Sa 858/00, NZA-RR 2000, 535 [B. III. 1. a) ee) der Gründe]; Nicolai, RdA 2006, 33 (35 f.); dies., SAE 2004, 240 (249); Rolfs/Clemens, NZA 2004, 410 (416); Schiefer/Worzalla, DB 2006, 46 (47); ähnlich auch Reichold, BB 2004, 2814 (2817 f.). 141 Lobinger, Arbeitskämpfe, S. 82 (Rn. 51); Meyer, DB 2005, 830 (831); Nicolai, RdA 2006, 33 (35). 142 In diese Richtung Nicolai, RdA 2006, 33 (36, Fn. 18). 143 Lobinger, Arbeitskämpfe, S. 89 (Rn. 67); dagegen Löwisch, DB 2005, 554 (558), der darauf hinweist, dass in solchen Betrieben selbst die beschäftigten organisierten Arbeitnehmer ohne jeden kollektivrechtlichen Schutz dastünden. 144 BAG v. 24. 4. 2007 – 1 AZR 252/06, AP TVG § 1 Sozialplan Nr. 2 (Rn. 81 ff.); BAG v. 6. 12. 2006 – 4 AZR 798/05, AP TVG § 1 Sozialplan Nr. 1 (Rn. 30); BAG v. 15. 4. 2015 – 4 AZR 796/13, AP TVG § 3 Nr. 57 (Rn. 64 ff.); nochmals bestätigt in BAG v. 6. 7. 2016 – 4 AZR 966/ 13, BeckRS 2016, 74818 (Rn. 35); BAG v. 14. 9. 2016 – 4 AZR 996/13, BeckRS 2016, 111080 (Rn. 27). 145 LAG Niedersachsen v. 2. 6. 2004 – 7 Sa 819/04, AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 164 [I. 3. der Gründe]; LAG Schleswig-Holstein v. 27. 3. 2003 – 5 Sa 137/03, AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 165 [B. II. 2. der Gründe]; a. A. LAG Hamm v. 31. 5. 2000 – 18a Sa 858/00, NZA-RR 2000, 535 [B. III. 1. a) ee) der Gründe]. 146 BDDH/Spirolke, § 112 BetrVG Rn. 46 ff.; Fitting, §§ 112, 112a BetrVG Rn. 183 ff.; Richardi/Annuß, § 112 BetrVG Rn. 179; Bauer/Krieger, NZA 2004, 1019 (1022 f.); Bayreuther, NZA 2010, 378 (379 f.); Brecht-Heitzmann, NJW 2007, 3617 (3619); Fischinger, Arbeitskämpfe, S. 125 ff.; ders., NZA 2007, 310 (311 f.); Franzen, ZfA 2005, 314 (331 ff.); B. Gaul, RdA 2008, 13 (14); Grau, NJW 2007, 3660; Greiner, NZA 2008, 1274 (1276 f.); ders., jM 2016, 66 (68); Henssler, FS Richardi, S. 553 (556 f.); Hohenstatt/Schramm, DB 2004, 2214 (2217 f.); Krause, Standortsicherung, S. 72 ff.; Kuhn/A. Willemsen, NZA 2012, 593 (596); Kühling/Bertelsmann, NZA 2005, 1017 (1018 ff.); Löwisch, DB 2005, 554 (557 f.); Lunk/ Leder/Seidler, RdA 2015, 399 (403); Olschewski, Standorterhaltung, S. 216 ff.; Paschke/Ritschel, AuR 2007, 110 (111 f.); Reichold, BB 2004, 2814 (2817 f.); Reinartz, Firmentarifvertrag, S. 192 ff.; Ricken, Stichtagsregelungen, S. 31; D. Schneider/Sittard, ZTR 2007, 590 (594);

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Vorrangstellung des betrieblichen Sozialplans im Umfeld einer Betriebsänderung ab. Methodisch mustergültig führt das BAG in grammatischer, systematischer und historischer Hinsicht aus: „Die entsprechende Beschränkung der grundgesetzlich verbürgten Autonomie der Tarifvertragsparteien ist einfach-gesetzlich nicht geregelt. Die Existenz der §§ 111 ff. BetrVG besagt dafür nichts. Die Bestimmungen normieren Inhalt und Umfang des Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats. Sie geben nicht zu erkennen, dass damit Regelungskompetenzen der Tarifvertragsparteien aus Art. 9 Abs. 3 GG, § 1 TVG zurückgedrängt werden sollten. Die Vorschriften des § 2 Abs. 3, § 112 Abs. 1 Satz 4 BetrVG sprechen für das Gegenteil. Sie zeigen, dass dem Gesetzgeber die mögliche Konkurrenz tariflicher und betrieblicher Regelungen, insbesondere im Gegenstandsbereich eines Sozialplans durchaus bewusst war. Gleichwohl wurde das Konkurrenzverhältnis gesetzlich nicht zu Gunsten einer ausschließlichen Zuständigkeit der Betriebsparteien aufgelöst. Zwar hat § 112 Abs. 1 Satz 4 BetrVG die in § 77 Abs. 3 BetrVG zu Gunsten des Tarifvertrags errichtete Sperrwirkung für betriebliche Sozialpläne beseitigt. Das Gesetz geht aber erkennbar von einem möglichen Nebeneinander beider Regelungsbereiche aus. Auch wenn der Gesetzgeber des Jahres 1972 dabei insbesondere an ein Nebeneinander von seinerzeit üblichen tariflichen Rationalisierungsschutzabkommen und betrieblichen Nachteilsausgleichsregelungen gedacht haben dürfte (vgl. BT-Drucks. VI/1786, S. 66, 67), lässt sich der Vorschrift nicht entnehmen, dass möglichen betriebsnäheren tariflichen Nachteilsausgleichsregelungen nicht nur ihre Vorrangstellung nach § 77 Abs. 3 BetrVG entzogen werden, sondern die Mitbestimmung des Betriebsrats insoweit schon eine Regelungskompetenz der Tarifvertragsparteien entfallen lassen sollte.“147

c) Kritische Würdigung In der Tat vermögen die Argumente der Befürworter einer Sperrwirkung nicht zu überzeugen. Das betrifft zunächst den Vorstoß, eine Vorrangstellung des betrieblichen Sozialplans lasse sich aus dem Informationsplus des Betriebsrats gegenüber der Gewerkschaft bei Betriebsänderungen herleiten, weshalb eine sachnähere – schlicht bessere – Interessenwahrnehmung durch den Betriebsrat gewährleistet sei. Ohne belegbare empirische Befunde dürfte die damit angedeutete Informationsasymmetrie zwischen Betriebsrat und Gewerkschaft allerdings nur in der Theorie bestehen.148 Sie setzt einen konfrontativen Dualismus zwischen Gewerkschaft und Betriebsrat voraus, der in den allermeisten Fällen nicht die tatsächlichen Gegebenheiten wiederspiegeln dürfte. De facto liegt wegen der weit verbreiteten personellen Verflechtungen in beiden Arbeitnehmervertretungen und einer koordinierten Zusammenarbeit insbesondere bei Betriebsänderungen149 vielmehr ein ständiger, wechselseitiger Wissenstransfer zwischen Betriebsrat und Gewerkschaft nahe. Gerade Sutschet, ZfA 2005, 581 (612 f.); Thüsing/Ricken, JbArbR 42 (2005), 113 (122 f.); H. J. Willemsen, RdA 2013, 166 (175); Zachert, DB 2001, 1198 (1202). 147 BAG v. 24. 4. 2007 – 1 AZR 252/06, AP TVG § 1 Sozialplan Nr. 2 (Rn. 82 f.). 148 A. A. wohl Krause, Standortsicherung, S. 77, allerdings ebenfalls ohne Nachweise. 149 Bayreuther, NZA 2007, 1017 (1021); Greiner, NZA 2016, 10 (12).

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dieses kooperative Verhältnis der beiden Arbeitnehmervertretungen zueinander insbesondere zum Austausch wesentlicher Informationen entspricht auch der Wertung, die der Betriebsverfassung in § 2 I BetrVG zugrundegelegt wurde.150 Darüber hinaus haben die Gewerkschaften wegen § 46 I S. 1 BetrVG die Möglichkeit, an den Betriebs- oder Abteilungsversammlungen teilzunehmen und sich damit die (zusätzlichen) Informationen zu verschaffen, die für eine adäquate Interessenvertretung notwendig sind.151 Die Annahme eines überlegenen, exklusiv auf Seiten des Betriebsrats gespeicherten Wissens entpuppt sich damit als praxisferne Hypothese. Auch in systematischer Hinsicht ist die Argumentation mit dem vermeintlichen Wissensvorsprung des Betriebsrats angreifbar. Zwar stehen der betrieblichen Arbeitnehmervertretung anders als den Gewerkschaften über das ganze BetrVG verteilt Informationsansprüche zu.152 Da die qualitative Höherwertigkeit der betriebsverfassungsrechtlichen Interessenwahrnehmung im Rahmen von §§ 111 ff. BetrVG nach den Befürwortern einer Sperrwirkung unmittelbar auf eben diesem Wissensvorsprung beruht, müsste nach derselben Logik das Informationsplus des Betriebsrats gegenüber der Gewerkschaft in all den anderen Bereichen, in denen Informationsansprüche des Betriebsrats bestehen, konsequenterweise ebenfalls zu einer Vorrangstellung der Betriebsvereinbarung gegenüber dem Tarifvertrag führen. Derweil zeigen die §§ 77 III, 87 I BetrVG deutlich, dass der Gesetzgeber jedoch vom Gegenteil ausgeht und auf Grundlage eines vermeintlichen, normativ kaum belastbaren Informationsplus seitens des Betriebsrats keine exklusiven Regelungsbefugnisse zu dessen Gunsten festsetzt.153 Verfehlt ist auch das zweite Argument, das bei einer umfassenden tariflichen Sozialplanregelung ein unzulässiges Leerlaufen der Beteiligungsrechte und damit eine „Funktionsentkleidung“ des Betriebsrats befürchtet. Zwar ist ihm zuzugeben, dass die Tarifvertragsparteien die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats nicht einschränken dürfen, sofern nicht das BetrVG eine entsprechende Möglichkeit vorsieht.154 Ebenso kommt den Sozialplanverhandlungen auf betrieblicher Ebene zwangsläufig eine graduell geringere Bedeutung zu, wenn die Gewerkschaften parallel für ihre Mitglieder über denselben Gegenstand auf tariflicher Ebene ver150 Vgl. dazu Fitting, § 2 BetrVG Rn. 47; Richardi/Richardi/Maschmann, § 2 BetrVG Rn. 75; Däubler, Gewerkschaftsrechte, Rn. 76; Richardi, RdA 1972, 8 (11 f.); zurückhaltender Friese, Kollektive Koalitionsfreiheit, S. 59 ff.; Krause, RdA 2009, 129 (140 ff.). 151 Meyer, RdA 1996, 181 (185). 152 Vgl. nur den allgemeinen Informationsanspruch in § 80 II S. 1 BetrVG, die Unterrichtungs- und Beratungsrechte in § 90 I, II BetrVG bei der Gestaltung von Arbeitsplatz, Arbeitsablauf und Arbeitsumgebung, das Informationsrecht bei der Personalplanung nach § 92 I S. 1 BetrVG, das Informationsrecht in wirtschaftlichen Angelegenheiten vermittelt durch den Wirtschaftsausschuss gemäß § 106 II S. 1 BetrVG, etc. 153 Ähnlich auch Franzen, ZfA 2005, 314 (332); Krause, Standortsicherung, S. 77. 154 BAG v. 12. 1. 2011 – 7 ABR 34/09, AP BetrVG 1972 § 99 Eingruppierung Nr. 52 (Rn. 28); BAG v. 21. 10. 2003 – 1 ABR 39/02, AP BetrVG 1972 § 80 Nr. 62 [B. II. 3. b) bb) der Gründe]; Krause, Standortsicherung, S. 73; Lerch/Weinbrenner, NZA 2011, 664; Olschewski, Standorterhaltung, S. 221.

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handeln.155 Mit dieser inhaltlichen Kongruenz auf den verschiedenen Regelungsebenen und der Konkurrenz um die Sozialplanmittel liegt allerdings noch keine verbotene Beschneidung der Betriebsratskompetenzen vor.156 Selbst der Regelungszweck der §§ 111 ff. BetrVG erfordert keinen exklusiven Vorrang des Betriebssozialplans vor einer tariflichen Regelung. Die Vorschriften zum Interessenausgleich bzw. Sozialplan erfüllen keinen Selbstzweck in dem Sinne, dass Arbeitgeber und Betriebsrat zwingend um des Verfahrens willen in Verhandlungen treten müssen, sondern bewahren einen dienenden Charakter. Durch §§ 111 ff. BetrVG sollen allein die Arbeitnehmer geschützt werden, denen durch die Betriebsänderung wirtschaftliche Nachteile entstehen könnten oder bereits entstanden sind.157 Wenn allerdings der Tarifsozialplan Ausgleichs- und Überbrückungszahlungen an die tarifgebundene Belegschaft vorsieht, ist der entsprechende Schutz gegen die wirtschaftlichen Nachteile jedenfalls für diese Arbeitnehmer in einem hinreichenden Umfang gewährleistet. Den §§ 111 ff. BetrVG lässt sich nirgends zugunsten des Betriebsrats das Recht entnehmen, auch im Hinblick auf die tarifgebundenen Arbeitnehmer exklusiv mit dem Arbeitgeber über die Leistungsverteilung verhandeln zu können.158 Viel eher spricht bei Zugrundelegung des Arbeitnehmerschutzes als maßgebliches Telos nichts dagegen, auch die Gewerkschaften mit entsprechenden Arbeitskampfmitteln über Ausgleichs- und Überbrückungsleistungen verhandeln zu lassen. Wenn aber in einem nächsten Schritt behauptet wird, durch einen Tarifsozialplan würde der Dotierungsrahmen beim Arbeitgeber bereits über Gebühr ausgeschöpft, sodass den Betriebsparteien kein ausreichender finanzieller Spielraum verbleibe, so basiert diese Auffassung auf einer fehlerhaften Prämisse. Die §§ 112 f. BetrVG sichern nur den Einigungsprozess hin zu einem Interessenausgleich bzw. Sozialplan und damit das Verfahren als solches, jedoch keinen „Mindestbestand“ an finanziellen Spielräumen, der beim Arbeitgeber für die Betriebspartner zwingend zur Verfügung stehen muss.159 Angesichts des niedrigen Organisationsgrads und der daraus folgenden Prozentual eingeschränkten persönlichen Reichweite des Tarifsozialplans verbleibt im Betrieb zudem ein großer Personenkreis, für den der Betriebsrat mit dem Arbeitgeber über Ausgleichs- und Überbrückungszahlungen exklusiv verhandeln kann. Da im Verhältnis des Sozialplans zur Tarifregelung zudem das Günstigkeitsprinzip gilt160, lassen sich die Leistungen aus dem Tarifsozialplan 155

Olschewski, Standorterhaltung, S. 221. Vgl. auch Bayreuther, NZA 2010, 378 (380), nach dem die Problematik zudem „deutlich überschätzt“ werde. 157 ErfK/Kania, §§ 112, 112a BetrVG Rn. 12; Fitting, § 112 BetrVG Rn. 118; Richardi/ Annuß, § 112 BetrVG Rn. 51; Reuter, Sozialplan, S. 17 ff.; kritischer Lobinger, ZfA 2006, 173 (181 ff.). 158 Ähnlich auch Wolter, RdA 2002, 218 (226), nach dem Tarifsozialplan und Betriebssozialplan einander ergänzen. 159 Vgl. auch Krause, Standortsicherung, S. 73 f., 78. 160 BAG v. 24. 4. 2007 – 1 AZR 252/06, AP TVG § 1 Sozialplan Nr. 2 (Rn. 84); BAG v. 6. 12. 2006 – 4 AZR 798/05, AP TVG § 1 Sozialplan Nr. 1 (Rn. 30); BAG v. 27. 8. 1975 – 4 AZR 434/ 74, AP BetrVG 1972 § 112 Nr. 2; BDDH/Spirolke, § 112 BetrVG Rn. 48; ErfK/Kania, §§ 112, 156

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durch die Vereinbarung der Betriebspartner theoretisch sogar noch übertreffen.161 Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, bei den Gewerkschaftsmitgliedern die Leistungen aus dem Tarifsozialplan bei der Kalkulation der ausgleichspflichtigen Nachteile zu berücksichtigen und dementsprechend eine Anrechnung tariflicher Abfindungsansprüche im Sozialplan vorzusehen.162 Nicht zuletzt deswegen verbleiben den Betriebspartnern auch bei einem parallelen Tarifsozialplan genügend Regelungsspielräume, die einer „Funktionsentkleidung“ des Betriebsrats grundsätzlich entgegenstehen. Vor demselben Hintergrund erweist sich auch die Argumentation der Befürworter mit dem drohenden Verteilungsproblem zu Lasten der Außenseiter-Arbeitnehmer als nicht valide. Diese Ansicht kann zwar beschreiben, warum die Betriebspartner bei einer betriebsweit einheitlichen Lösung an den Gleichbehandlungsgrundsatz gebunden sein müssen. Mit dem Verbot einer sachgrundlosen Differenzierung bei einer Betriebsvereinbarung ist aber lediglich deklaratorisch wiedergegeben, was der Gesetzgeber in § 75 I BetrVG positivrechtlich normiert hat.163 Nicht zu erklären vermag der Ansatz indes, weshalb parallel zur betrieblichen Ebene nicht auch auf tariflicher Ebene eine Regelung bestehen kann, die ihrerseits eigene Vorschriften für die gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmer bereithält und von der Gleichbehandlungspflicht gegenüber Außenseitern entbunden ist.164 Jede Verdrängung der tariflichen Normsetzungsbefugnis innerhalb der von Art. 9 III GG und § 1 I TVG gezogenen Grenzen bedarf als Beschränkung der Tarifautonomie einer gesetzlichen Regelung mit einem Zweck von Verfassung. Ob die Betriebsverfassung dafür geschaffen ist, erscheint insbesondere vor dem Hintergrund des § 2 III BetrVG fraglich.165 Darüber hinaus muss in Zweifel gezogen werden, ob der schlichte Verweis auf eine abstrakte Gefährdungslage bei den Außenseitern ausreicht, um einen vollständigen Ausschluss tariflicher Regelungen im Umfeld einer Betriebsänderung zu rechtfertigen.166 Immerhin droht die freiheitliche Arbeitsverfassung des Grundgesetzes durch eine exklusiv beim Betriebsrat angesiedelte Kompetenz für die Vereinbarung eines Sozialplans zugunsten der betriebsverfassungsrechtlichen Zwangsrepräsentation auf den Kopf gestellt zu werden.167 Anders als die tarifauto112a BetrVG Rn. 13; Fitting, § 112 BetrVG Rn. 183; Richardi/Annuß, § 112 BetrVG Rn. 181; Bayreuther, NZA 2007, 1017 (1021); Greiner, NZA 2008, 1274 (1276); Olschewski, Standorterhaltung, S. 229; Paschke/Ritschel, AuR 2007, 110 (111); Sutschet, ZfA 2005, 581 (612 f.). 161 Franzen, ZfA 2005, 314 (334); Ricken, Stichtagsregelungen, S. 36; ähnlich auch Sutschet, ZfA 2005, 581 (613). 162 So ausdrücklich BAG v. 24. 4. 2007 – 1 AZR 252/06, AP TVG § 1 Sozialplan Nr. 2 (Rn. 85); vgl. auch Fitting, § 112 BetrVG Rn. 183. 163 Vgl. dazu Fitting, § 75 BetrVG Rn. 98 ff.; Richardi/Maschmann, § 75 BetrVG Rn. 29. 164 Olschewski, Standorterhaltung, S. 226. 165 Vgl. Henssler, FS Richardi, S. 553 (557); Olschewski, Standorterhaltung, S. 220; D. Schneider/Sittard, ZTR 2007, 590 (594). 166 Ähnlich auch Franzen, ZfA 2005, 314 (332 f.); Löwisch, DB 2005, 554 (558). 167 Friese, Kollektive Koalitionsfreiheit, S. 405 ff.; Reichold, BB 2004, 2814 (2817).

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nome Regelungsbefugnis für der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen steht die Betriebsautonomie jedoch gerade nicht unter grundrechtlichem Schutz168, woraus regelmäßig eine Regelungsprärogative der Tarifvertragsparteien gefolgert wird.169 Zudem misst die Rechtsprechung der pauschalen Argumentation mit vermeintlichen Nachteilen, die sich aus einer tariflichen Regelung zu Lasten der Außenseiter ergeben sollen, in der Regel keinen Überzeugungswert bei.170 Ob sich aus den Grundrechten der Außenseiter möglicherweise ein Rücksichtnahmegebot zugunsten der nicht- oder andersorganisierten Arbeitnehmer bei der Aufstellung eines Tarifsozialplans ergibt, hat mit dem hier aufgeworfenen Konkurrenzproblem zwischen tariflicher und betriebsverfassungsrechtlicher Ebene nur am Rande zu tun und ist an anderer Stelle vertiefter zu erörtern.171 Tatsächlich sprechen sowohl der Wortlaut als auch die Systematik für ein Nebeneinander von Tarifsozialplan und betrieblichem Sozialplan, selbst wenn auf tariflicher Ebene immense Leistungen exklusiv an die tarifgebundenen Arbeitnehmer ausgeschüttet werden. Zwar besteht wegen §§ 77 III, 87 I BetrVG ein grundsätzlicher Vorrang des Tarifvertrags, welcher gemäß § 112 I S. 4 BetrVG für den Sozialplan beseitigt wird. Diese punktuelle Suspendierung des Tarifvorrangs lässt allerdings keineswegs den Umkehrschluss zu, dass der Gesetzgeber im Bereich der §§ 111 ff. BetrVG einen Primat der Betriebsvereinbarung gegenüber dem Tarifvertrag schaffen wollte.172 Viel eher zeigt die Genese des § 112 I S. 4 BetrVG, dass der Gesetzgeber mit der Erweiterung der Beteiligungsrechte des Betriebsrats173 im Rahmen einer Betriebsänderung keine Beschneidung der Kompetenzen der Tarifvertragsparteien verbinden wollte.174 So wurde die Konkurrenzproblematik zwischen Tarifverträgen und betrieblichen Sozialplänen im Gesetzgebungsverfahren zu den §§ 111 ff. BetrVG erkannt und sowohl im Entwurf der Bundesregierung als auch in der Stellungnahme des Bundesrats aufgegriffen.175 Während der Entwurf der Bundesregierung vorsah, den Sozialplan von den Beschränkungen des § 77 III BetrVG auszunehmen, „um dem Betriebsrat hier eine ausreichende Handlungsfreiheit einzuräumen“176, 168 Giesen, Tarifvertragliche Rechtsgestaltung, S. 459; Thüsing/Ricken, JbArbR 42 (2005), 113 (122); Waltermann, Rechtsetzung, S. 260; zurückhaltender Krause, Standortsicherung, S. 74. 169 So bspw. Krause, Standortsicherung, S. 74; Waltermann, Rechtsetzung, S. 260. 170 BAG v. 24. 4. 2007 – 1 AZR 252/06, AP TVG § 1 Sozialplan Nr. 2 (Rn. 85); auch BAG v. 15. 4. 2015 – 4 AZR 796/13, AP TVG § 3 Nr. 57 (Rn. 67 f.). 171 Siehe unten, Teil 2 B. III. 2. b) ee) (4) und Teil 2 B. III. 9. c). 172 Grau, NJW 2007, 3660; Henssler, FS Richardi, S. 553 (556); D. Schneider/Sittard, ZTR 2007, 590 (594); befremdlich ist insofern die Äußerung von H. J. Willemsen/Stamer, NZA 2007, 413 (414), nach denen der Gesetzgeber „durch Schaffung der Regelungen in §§ 111 ff. BetrVG klar und eindeutig dem betrieblichen Verfahren den Vorzug“ gegeben hätte. 173 Zur geschichtlichen Entwicklung der Mitbestimmungstatbestände siehe etwa Richardi, Arbeitsrecht als Teil freiheitlicher Ordnung, S. 148 ff. 174 So auch Rüthers, RdA 1968, 161 (173). 175 Vgl. hierzu BT-Drucks. VI/1786, S. 54 f. bzw. 66 f. 176 BT-Drucks. VI/1786, S 55.

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plädierte der Bundesrat dafür, den Tarifvorrang nur dann aufzuheben, wenn der Tarifvertrag keine Regelungen enthält, „welche denjenigen des Sozialplans nach Art und Ziel entsprechen“.177 Zweck dieser nur eingeschränkten Aufgabe der tariflichen Vorrangstellung war ausweislich der Begründung des Bundesrats die Verhinderung einer Leistungskumulation, da die personellen Folgen von Rationalisierungsmaßnahmen häufig tariflich geregelt seien.178 Zwar konnte sich letztlich der Vorschlag der Bundesregierung durchsetzen, doch ist damit klargestellt, dass § 112 I S. 4 BetrVG der Vereinbarung der Betriebspartner nur insoweit zur Durchsetzung verhelfen will, wie es für die Gewährleistung eines gleichrangigen Nebeneinanders notwendig ist. Die Aufstellung eines betrieblichen Sozialplans soll auch dann möglich bleiben, wenn bereits eine Regelung mit vergleichbaren Inhalten auf tariflicher Ebene besteht.179 Mit einer Anrechnungsklausel im betrieblichen Sozialplan lässt sich die praktische Gefahr einer doppelten Begünstigung der tarifgebundenen Arbeitnehmer durch Tarifvertrag und betrieblichen Sozialplan zudem eindämmen. Insofern beschränkt sich die Aussage des § 112 I S. 4 BetrVG auf die Anordnung einer ausnahmsweise parallelen Anwendbarkeit beider Regelungsinstrumente180, welche freilich überhaupt nur innerhalb der normativen Reichweite des Tarifvertrags virulent wird. Für eine das Nebeneinander übersteigende Exklusivität des betrieblichen Sozialplanverfahrens gegenüber einer tariflichen Regelung fehlen jedoch belastbare Anhaltspunkte. d) Ergebnis Die §§ 111 ff. BetrVG entfalten keine Sperrwirkung gegenüber einem Tarifsozialplan. Im Umfeld einer Betriebsänderung kann es vielmehr zu einer Koexistenz von Tarifvertrag und betrieblichem Sozialplan kommen. § 112 I S. 4 BetrVG lässt sich nicht zugunsten einer Vorrangstellung für die Betriebspartner deuten. Auch alle anderen Argumente, die von den Befürwortern einer Sperrwirkung vorgebracht werden, vermochten inhaltlich nicht zu überzeugen oder konnten als praxisferne Theorie entlarvt werden. Zudem ließ sich keiner der Auslegungsmethoden entnehmen, dass der Gesetzgeber durch das Sozialplanverfahren der Betriebspartner die tarifliche Regelungsbefugnis bei einer Betriebsänderung derogieren wollte. Mit dem BAG und der herrschenden Meinung ist deshalb eine Sperrwirkung des betrieblichen Sozialplanverfahrens gegenüber der tariflichen Normsetzungsbefugnis abzulehnen. Die Differenzierungsklausel mit Stichtag in der Vergangenheit kann deshalb auch im Rahmen einer Betriebsänderung als Tarifnorm im Sinne der §§ 1 I, 4 I TVG vereinbart werden. 177

BT-Drucks. VI/1786, S. 66. BT-Drucks. VI/1786, S. 66 f. 179 So zu Recht Fischinger, Arbeitskämpfe, S. 129; ders., NZA 2007, 310 (312); Olschewski, Standorterhaltung, S. 219. 180 Hohenstatt/Schramm, DB 2004, 2214 (2217 f.). 178

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III. Inhaltliche Rechtmäßigkeit von Differenzierungsklauseln mit Stichtag in der Vergangenheit Mit der Feststellung, dass die Vereinbarung einer Differenzierungsklausel mit Stichtagsregelung auch im Rahmen einer Unternehmenssanierung von der tariflichen Regelungsbefugnis gedeckt ist, lässt sich allerdings noch kein Urteil über deren inhaltliche Rechtmäßigkeit fällen. Vielmehr muss nunmehr in einem zweiten Schritt erörtert werden, ob diese spezielle Form der Differenzierungsklausel mit verfassungsrechtlichen und einfachrechtlichen Vorgaben in Einklang steht. Sollte die konkrete Tarifnorm gegen höherrangiges Recht verstoßen, ist sie unwirksam. Mangels einfachgesetzlicher Vorgaben, die sich explizit mit der Zulässigkeit von Differenzierungsklauseln beschäftigen, erscheint es sinnvoll, zunächst die Vereinbarkeit mit Verfassungsrecht in den Mittelpunkt zu rücken.181 Diese Vorgehensweise trägt nicht nur dem Umstand Rechnung, dass die tarifautonome Rechtsetzung auf Seiten der Koalitionen selbst Verfassungsrang besitzt und durch seine vorbehaltlose Gewährleistung nur durch kollidierendes Verfassungsrecht, insbesondere die entgegenstehenden Grundrechte Dritter begrenzt werden kann. Zahlreiche einfachrechtliche Schranken, die ebenfalls gegen die Differenzierungsklausel mit einem vergangenheitsbezogenen Stichtag in Ansatz gebracht werden können, erschließen sich zudem erst dann in ihrer Gänze, wenn der jeweilige verfassungsrechtliche Hintergrund bereits beleuchtet wurde. 1. Präliminarien zur Überprüfung der konkreten Tarifnorm auf ihre Vereinbarkeit mit Verfassungsrecht Trotz der großen Bedeutung, die den Grundrechten bei der Konturierung der inhaltlichen Grenzen tarifautonomer Vereinbarungsspielräume zukommt, ist bis heute nicht abschließend geklärt, ob und in welchem Umfang die Tarifvertragsparteien an die Wertungen der Verfassung gebunden sind.182 Das Ausbleiben einer dogmatisch schlüssigen, allgemein akzeptierten Erklärung erweist sich deshalb besonders für die Kontrolle bestimmter Tarifinhalte als schwere Bürde. Grob zusammengefasst resultiert der Streit um die Bindung der Tarifvertragsparteien an Verfassungsrecht aus dem schwierigen Verhältnis von Art. 1 III GG, welcher die Grundrechte im Ausgangspunkt lediglich als Abwehrrechte gegenüber hoheitlicher Macht – und gerade nicht gegenüber privaten Rechtsetzern – ausgestaltet, und der bereits beschriebenen praktischen Notwendigkeit, bei bestimmten Tarifgestaltungen

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Ähnlich auch S. Neumann, Tarifboni, S. 105 f. Waltermann, FS 50 Jahre BAG, S. 913 spricht sogar von einer „rechtswissenschaftlichen Dauerbaustelle“; ebenso F. Hartmann, Negative Tarifvertragsfreiheit, S. 91; gegen eine Überbetonung des Streits dagegen Boemke, FS 50 Jahre BAG, S. 613 (621, 630); Gamillscheg, RdA 2005, 79 (84); zum ausführlichen Streitstand vgl. nur Wiedemann/Jacobs, Einl. TVG Rn. 261 ff. 182

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die materiellen Grenzen der Tarifautonomie unter anderem (auch) durch Grundrechte Dritter abstecken zu müssen. Diese Konfliktsituation wird bei den Freiheitsrechten von der inzwischen weit überwiegenden Auffassung über die Lehre von den Schutzpflichten aufgelöst.183 Letztere basiert zentral auf der Annahme, dass die Gerichte angesichts ihres staatlichen Schutzauftrags dazu verpflichtet sind, bei einer Unterschreitung eines gewissen Mindestschutzniveaus im Tarifvertrag korrigierend zugunsten der Verfassungsgüter Dritter einzugreifen.184 Der Weg über die unmittelbar grundrechtsgebundenen Gerichte, die angesichts ihrer Schutzpflicht bestimmten Tarifnormen die Wirksamkeit versagen müssen, führt somit im Ergebnis zu einer faktisch-mittelbaren Grundrechtsbindung der Tarifvertragsparteien, wie sie das BVerfG für andere Private bereits mehrfach in Ansatz gebracht hat.185 Während das dogmatische Fundament für die Schutzpflichtenlehre bei den Freiheitsrechten größtenteils anerkannt ist und dort heute beinahe ausschließlich um Folgefragen wie etwa die konkrete Kontrolldichte gestritten wird186, bestehen gegenüber der Anwendung der Schutzpflichtendimension bei Art. 3 I GG bereits dem Grunde nach schwerwiegende Bedenken. Die Zweifel speisen sich hauptsächlich aus der elementaren Abhängigkeit dieser Herangehensweise von einem grundrechtlichen Schutzbereich, wobei allerdings vieles darauf hindeutet, dass Art. 3 I GG als allgemeines Gleichheitsrecht über keinen fest umrissenen Schutzbereich verfügt.187 Für den weiteren Fortgang der Arbeit bedeutet dieser Umstand Folgendes: Da eine mittelbare Grundrechtsbindung der Tarifvertragsparteien zumindest bei den Freiheitsrechten über die Schutzpflichtendimension überzeugend hergeleitet wird, kann bei diesen Grundrechten auf eine eingehendere Darstellung verzichtet und die Sichtweise der beinahe einhelligen Auffassung ohne Weiteres als maßgeblich zugrundegelegt werden. Lediglich im Bezug auf Art. 3 I GG muss nach den hier geäußerten Zweifeln eine nähere, ergebnisoffene Auseinandersetzung mit der dogmatischen Begründung einer Bindung der Tarifvertragsparteien an dieses Grundrecht stattfinden.188

183 Vgl. nur BAG v. 27. 6. 2018 – 10 AZR 290/17, AP BGB § 611 Gratifikation Nr. 310 (Rn. 34 f.); BAG v. 26. 4. 2017 – 10 AZR 856/15, AP TVG § 1 Tarifverträge: Bewachungsgewerbe Nr. 29 (Rn. 29); HMB/Engels, Teil 1 Rn. 48; HWK/Henssler, Vor § 1 TVG Rn. 15 ff.; JKOS/Krause, § 1 Rn. 58; Löwisch/Rieble, Grundl. TVG Rn. 234; dies., § 1 TVG Rn. 662 ff.; Bayreuther, Tarifautonomie, S. 236 ff.; kritischer ErfK/Franzen, § 1 TVG Rn. 11; a. A. S. Neumann, S. 113, der aber mit dem Verweis auf die Parität der Tarifvertragsparteien ein falsches Rechtsverhältnis zugrunde legt. 184 Zur genauen Herleitung siehe unten, Teil 2 B. III. 7. c) dd). 185 Vgl. grundlegend BVerfG v. 5. 8. 1994 – 1 BvR 1402/89, NJW 1994, 2749 [2. a) der Gründe]; BVerfG v. 7. 2. 1990 – 1 BvR 26/84, NJW 1990, 1469 [C. I. 3 der Gründe]; Canaris, Grundrechte und Privatrecht, S. 38 f. 186 Vgl. insbes. Wiedemann/Jacobs, Einl. TVG Rn. 314 ff., 366 ff.; Bayreuther, Tarifautonomie, S. 243 ff.; für eine strenge Kontrolle Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 662. 187 Siehe unten, Teil 2 B. III. 7. d) dd). 188 Siehe unten, Teil 2 B. III. 7.

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2. Verstoß gegen die negative Koalitionsfreiheit der nicht- oder andersorganisierten Arbeitnehmer Wie bei allen Tarifgestaltungen, die darauf abzielen, bestimmte Leistungen exklusiv an Gewerkschaftsmitglieder auszukehren, muss auch bei einer Differenzierungsklausel mit Stichtag in der Vergangenheit geklärt werden, ob und inwiefern dadurch auf die Nicht- oder Andersorganisierten in unzulässiger Weise Druck hinsichtlich eines Beitritts in die tarifschließende Gewerkschaft ausgeübt wird. Verbreitet wird zwar für die anderweitig organisierten Arbeitnehmer in diesen Fällen ein Verstoß gegen deren positive Koalitionsfreiheit geprüft189, da deren Schutzbereich auch verhindern solle, dass ein Zwang zum Beitritt in eine andere Gewerkschaft ausgeübt wird.190 Doch ist diese Sichtweise in der hier interessierenden Konstellation streng genommen ungenau. Die andersorganisierten Arbeitnehmer sind nicht deswegen von den exklusiven tariflichen Sonderleistungen ausgeschlossen, weil sie einem anderen Verband angehören, sondern weil sie zum vorgesehenen Stichtag nicht Mitglied in der tarifschließenden Gewerkschaft gewesen sind. Rein funktional gesehen knüpfen damit die Konsequenzen aus der Differenzierungsklausel mit Stichtag in der Vergangenheit bei diesen Arbeitnehmern am selben Grund – dem Fernbleiben von der tarifschließenden Gewerkschaft – an wie bei ihren gänzlich unorganisierten Kollegen. Da zudem keine Aus- und Übertrittsproblematiken mit übermäßig langen Bleibefristen in den Verbandssatzungen angerissen sind191, ist es überzeugender, die Frage des Beitrittsdrucks bei der Exklusivierung bestimmter tariflicher Leistungen für alle Nichtmitglieder unter einem einheitlichen Rubrum zu erörtern. Den verfassungsrechtlichen Rahmen für die Diskussion bildet damit sowohl für die nicht- als auch die andersorganisierten Arbeitnehmer gleichermaßen die negative Koalitionsfreiheit. Sie gewährleistet das Recht, aus einer Koalition auszutreten oder Koalitionen allgemein fernzubleiben.192 189

Vgl. nur BAG v. 29. 11. 1967 – GS 1/67, BAGE 20, 175 (226); ErfK/Franzen, § 1 TVG Rn. 62b; Bauer, FD-ArbR 2007, 225340; ders./C. Arnold, NZA 2005, 1209; Jacobs, FS Bauer, S. 479 (493); Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 193 ff.; S. Neumann, Tarifboni, S. 187 ff. 190 So Jacobs, FS Bauer, S. 479 (493); Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 193. 191 Vgl. dazu und zur Diskussion, ob dadurch die positive oder die negative Seite der Koalitionsfreiheit berührt ist Höpfner, Tarifgeltung, S. 355 f.; für die negative Koalitionsfreiheit BAG v. 1. 12. 2004 – 4 AZR 55/04, AP TVG § 3 Verbandsaustritt Nr. 12; Höpfner, ZfA 2009, 541 (554); Oetker, Anm. zu AP TVG § 3 Verbandsaustritt Nr. 12; Thüsing, NZA 2006, 473 (474). 192 Vgl. nur BVerfG v. 14. 11. 2018 – 1 BvR 1278/16, AP GG Art. 9 Nr. 153 (Rn. 4); BVerfG v. 11. 7. 2017 – 1 BvR 1571/15 u. a., AP GG Art. 9 Nr. 151 (Rn. 130); BVerfG v. 11. 7. 2006 – 1 BvL 4/00, AP GG Art. 9 Nr. 129 [C. II. 1. a) aa)]; BVerfG v. 1. 3. 1979 – 1 BvR 532/77 u. a., AP MitbestG § 1 Nr. 1 [C. II. 2. a)]; BAG v. 29. 7. 2009 – 7 ABR 27/08, AP BetrVG 1972 § 3 Nr. 7 (Rn. 18); ErfK/Linsenmaier, Art. 9 GG Rn. 32; MD/Scholz, Art. 9 GG Rn. 169 (94. EL Januar 2021); Höpfner, Verfassungsrechtliche Grenzen, S. 9; S. Neumann, Tarifboni, S. 120; a. A. Kempen/Zachert/Kempen, Grundl. TVG Rn. 212 ff. unter Rekurs auf Sinzheimer, Grundzüge des Arbeitsrechts, S. 83 f.

B. Differenzierungsklausel mit Stichtag vor Abschluss des Tarifvertrags

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a) Dogmatische Verankerung der negativen Koalitionsfreiheit Während insbesondere im Zuge der EuGH-Rechtsprechung zum Betriebsübergangsrecht vor allem die inhaltliche Reichweite neu diskutiert wird193, ist die Existenz der negativen Koalitionsfreiheit heute unbestritten.194 Trotz dieser einhelligen Auffassung im Ausgangspunkt besteht jedoch nach wie vor kein Konsens darüber, an welcher Stelle des Grundgesetzes sich das Fernbleiberecht als Ausprägung der negativen Koalitionsfreiheit überzeugend verorten lässt. Dabei können drei verschiedene Erklärungsansätze unterschieden werden: Während einige Stimmen den verfassungsrechtlichen Schutz gegen den Zwang zum Koalitionsbeitritt in Art. 2 I GG festmachen195, verorten andere den dogmatischen Anknüpfungspunkt für das Fernbleiberecht wiederum in Art. 9 I GG.196 Beide Meinungsströmungen verblieben allerdings in der Minderheit, da insbesondere die herrschende Meinung in Rechtsprechung197 und Schrifttum198 die negative Koalitionsfreiheit als komplementäres 193 Vgl. Bayreuther, NJW 2017, 2158; Eylert/Schinz, RdA 2017, 140; F. Hartmann, EuZA 2015, 203; Wahlig/Brune, NZA 2018, 221; H. J. Willemsen/Krois/Mehrens, RdA 2018, 151 (154); bzgl. des Beitrittszwangs, der sich im nationalen Recht aus den Entscheidungen EuGH. v. 18. 7. 2013 – C-426/11 (Alemo-Herron) bzw. EuGH v. 27. 4. 2017 – C-680/15 u. a. (Asklepios) für den Erwerber ergeben könnte Lobinger, NZA 2013, 945 (947); Mückl, ZIP 2014, 207 (210); Wißmann/Niklas, NZA 2017, 697 (701); bzgl. der Frage, ob der Erwerber mittels Bezugnahmeklausel an einen Tarifvertrag gebunden werden kann, den er nicht durch Mitgliedschaft legitimiert hat, vgl. EuGH v. 9. 3. 2006 – C-499/04 (Werhof), Rn. 34 f.; den Rekurs auf die negative Koalitionsfreiheit in diesem Fall ablehnend aber BAG v. 18. 4. 2007 – 4 AZR 652/05, AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 53 (Rn. 37). 194 Vgl. BAG v. 18. 3. 2009 – 4 AZR 64/08, AP TVG § 3 Nr. 41 (Rn. 35); auch Däubler/ Heuschmid, § 1 Rn. 1075; F. Hartmann, Negative Tarifvertragsfreiheit, S. 48; S. Neumann, Tarifboni, S. 120 f.; Deinert, RdA 2014, 129 (132). 195 Vor allem Gamillscheg, Band I, S. 385 mit ausführlicher Kritik an der h. M. (S. 381 ff.); aber auch Borchard, Grenzen tarifvertraglicher Differenzierungsklauseln, S. 52 ff.; Georgi, Zulässigkeit, S. 22; Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 110 f.; S. Neumann, Tarifboni, S. 128 ff. m. w. N.; Zachert, DB 1995, 322 (323); wohl auch Schuhmann, Negative Freiheitsrechte, S. 223 ff. 196 Däubler, Mitbestimmung, S. 286 ff.; Däubler/Hege, Koalitionsfreiheit, Rn. 174; Däubler/Mayer-Maly/Däubler, S. 34 ff.; Leventis, Differenzierungsklauseln, S. 48 f.; zurückhaltender Deinert, RdA 2014, 129 (132). 197 Vgl. nur BVerfG v. 14. 11. 2018 – 1 BvR 1278/16, AP GG Art. 9 Nr. 153 (Rn. 4); BVerfG v. 11. 7. 2017 – 1 BvR 1571/15 u. a., AP GG Art. 9 Nr. 151 (Rn. 130); BVerfG v. 11. 7. 2006 – 1 BvL 4/00, AP GG Art. 9 Nr. 129 [C. II. 1. a) aa)]; BVerfG v. 15. 7. 1980 – 1 BvR 24/74 u. a., NJW 1981, 215 [B. II. 2. der Gründe]; BVerfG v. 1. 3. 1979 – 1 BvR 532/77 u. a., AP MitbestG § 1 Nr. 1 [C. II. 2. a)]; offen gelassen durch BVerfG v. 24. 5. 1977 – 2 BvL 11/74, AP TVG § 5 Nr. 15 [B. II. 2. e) der Gründe]; BAG v. 15. 4. 2015 – 4 AZR 796/13, AP TVG § 3 Nr. 57 (Rn. 45); BAG v. 18. 3. 2009 – 4 AZR 64/08, AP TVG § 3 Nr. 41 (Rn. 35); auch LAG München v. 28. 8. 2013 – 10 Sa 135/13, juris (Rn. 150). 198 BDDH/H. Hanau, Art. 9 GG Rn. 33; BeckOK GG/Cornils, Art. 9 GG Rn. 54 (Stand: 15. 8. 2020); ErfK/Linsenmaier, Art. 9 GG Rn. 32; Hdb StR/Scholz, § 175 Rn. 93; Jarass/Pieroth/Jarass, Art. 9 GG Rn. 36; Löwisch/Rieble, Grundl. TVG Rn. 107; MD/Scholz, Art. 9 GG Rn. 169 (94. EL Januar 2021); Sachs/Höfling, Art. 9 GG Rn. 68; Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/ Henneke/Kannengießer, Art. 9 GG Rn. 25; Badura, RdA 1974, 129 (137); Bauer, FS Moll,

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Teil 2: Die Zulässigkeit von tarifvertraglichen Differenzierungsklauseln

Gegenstück zur positiven Koalitionsfreiheit einordnet. Der auf Freiwilligkeit aufbauende Zusammenschluss einer Koalition schließe eine staatlich angeordnete Zwangsmitgliedschaft aus, weswegen die negative Koalitionsfreiheit notwendigerweise ebenfalls in Art. 9 III GG verankert sein müsse.199 Gegen diese Verortung sprechen jedoch prima facie gewichtige historische Argumente.200 Sowohl im Grundsatz- als auch im Hauptausschuss des Parlamentarischen Rats sind lebhafte Debatten darüber entbrannt, ob ein Verbot des Beitrittszwangs ausdrücklich in Art. 9 III GG aufgenommen werden solle oder nicht.201 Insbesondere der Gewerkschaftsrat der Vereinten Zonen befürchtete mit einer Kodifikation des Zwangsverbots die Wiederherstellung des § 153 GewO 1869 und trat mit einer Eingabe den aus seiner Sicht gewerkschaftsfeindlichen Bestrebungen entschieden entgegen.202 Unter diesem Eindruck befürworteten einige Abgeordnete im Grundsatzausschuss die Streichung der betreffenden Passage.203 Nachdem allerdings in dieser Frage keine Einigkeit erzielt werden konnte204, entschloss sich der S. 33; Bayreuther, Tarifautonomie, S. 125, 400; Blom, Tarifausschlußklausel, S. 29 ff.; Greiner, FS H. J. Willemsen, S. 159 (162 ff.); ders., NZA 2016, 10 (12); P. Hanau, JuS 1969, 213 (216 f.); Henssler, ZfA 1994, 487 (498 f.); ders./Höpfner, Kern der negativen Koalitions- und Tarifvertragsfreiheit, S. 11 ff.; Höfling/Rixen, RdA 2007, 360 (361); Höpfner, Tarifgeltung, S. 341 ff.; ders., FS Moll, S. 287 ff.; ders., Verfassungsrechtliche Grenzen, S. 6 ff.; Kalb, FS Moll, S. 327 (329); ders., jM 2015, 107 (110); Kämmerer/Thüsing, Leiharbeit, S. 21; E. Picker, ZfA 1998, 573 (603); Reuter, RdA 1994, 152 (163 f.); ders., RdA 2006, 117 (118 f.); Richardi, ZfA 1970, 85 (90 f.); ders., JZ 2011, 282 (288); Schwarze, Betriebsrat, S. 195 f.; Thüsing/v. Hoff, ZfA 2008, 77 (97); Wagenitz, Personelle Grenzen, S. 42 ff.; Weber, Koalitionsfreiheit, S. 11; H. Wiedemann, SAE 1969, 265 (266 f.); offen gelassen, aber mit Sympathien für Art. 9 III GG Büdenbender, RdA 2000, 193 (201 f.); Greiner, jM 2016, 66 (69); Höfling/ Burkiczak, RdA 2004, 263 (265 ff.); Konzen, NZA 1995, 913 (915); a. A. jedoch Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 59 ff. mit ausführlicher Kritik an der Verortung bei Art. 9 III GG; ders., AuR 2009, 338 (340); S. Neumann, Tariboni, S. 126 ff. Übertrieben wirkt angesichts der zahlreichen anderslautenden Stimmen die Feststellung von Kämmerer/Thüsing, Leiharbeit, S. 21, die „einhellige Ansicht“ verorte die negative Koalitionsfreiheit bei Art. 9 III GG; ähnlich jedoch auch Däubler/Ulber, Einl. TVG Rn. 378, Buchner, ZfA 2004, 229 (233), Fn. 10 und Höpfner, Tarifgeltung, S. 357: „ganz herrschende Auffassung.“; im hier vertretenen, zurückhaltenderen Sinn F. Hartmann, Negative Tarifvertragsfreiheit, S. 52. 199 ErfK/Linsenmaier, Art. 9 GG Rn. 32; Greiner, FS H. J. Willemsen, S. 159 (164); Henssler/Höpfner, Kern der negativen Koalitions- und Tarifvertragsfreiheit, S. 11 ff.; Höpfner, Tarifgeltung, S. 356 f.; ders., Verfassungsrechtliche Grenzen, S. 6 ff. 200 Höfling/Burkiczak, RdA 2004, 263 (265), Fn. 39. 201 Siehe auch die detaillierten Darstellungen bei F. Hartmann, Negative Tarifvertragsfreiheit, S. 53 ff.; Höpfner, Tarifgeltung, S. 342 ff.; Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 69 ff.; S. Neumann, Tarifboni, S. 134 ff. 202 Die entscheidenden Ausschnitte im Wortlaut bei v. Doemming/Füsslein/Matz, JöR Neue Folge Band I (1951), 1 (119), Fn. 13. 203 So die Abg. Eberhard (SPD) und Schrage (CDU), 25. Sitzung des Grundsatzausschusses am 24. 11. 1948; anders jedoch die Abg. v. Mangoldt (CDU) und Heuß (FDP) in derselben Sitzung; wiedergegeben bei v. Doemming/Füsslein/Matz, JöR Neue Folge Band I (1951), 1 (119 f.). 204 Vgl. v. Doemming/Füsslein/Matz, JöR Neue Folge Band I (1951), 1 (120).

B. Differenzierungsklausel mit Stichtag vor Abschluss des Tarifvertrags

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Grundsatzausschuss, dem Hauptausschuss zwei unterschiedliche Ausfertigungen vorzulegen, wobei die erste Variante eine Kodifikation des Verbots enthielt, die zweite wiederum darauf verzichtete.205 Der Hauptausschuss seinerseits entschied sich in erster Lesung mit knapper Mehrheit für die erste Variante und damit zugunsten eines ausdrücklich geregelten Zwangsverbots im Grundgesetz.206 In zweiter Lesung indes schwenkte die Stimmung um und brachte eine deutliche Mehrheit von 12 zu 6 Stimmen zugunsten der zweiten Variante und somit gegen eine ausdrückliche Normierung. Diese revidierte Fassung der zweiten Lesung durchlief nach geringfügiger redaktioneller Bearbeitung die weiteren Lesungen des Hauptausschusses bzw. des Plenums und wurde als Art. 9 III GG Bestandteil des Grundgesetzes.207 Die Entscheidung des Verfassungsgebers zugunsten eines Verzichts auf eine explizite Regelung darf allerdings nicht missinterpretiert werden. Bei den Mitgliedern des Parlamentarischen Rates bestand während der Beratungen Einigkeit in der Einschätzung, dass lediglich freiwillige Zusammenschlüsse den Schutz des Art. 9 III GG genießen könnten.208 Die Abstandnahme von einem kodifizierten Zwangsverbot sollte deshalb nicht dazu führen, dass automatisch auch Verbände unter den Schutz der Verfassung gestellt werden, die das Freiwilligkeitskriterium nicht erfüllen. Bei genauerer Betrachtung lagen dem Verzicht auf eine explizite Regelung des Zwangsverbots andere Motive zugrunde: Manch einer befürchtete eine Überfrachtung des Grundgesetzes mit Einzelfallkasuistik, da insbesondere für öffentlichrechtliche Berufsverbände Sondervorschriften hätten aufgenommen werden müssen.209 Andere wiederum sahen – ganz ähnlich wie der Gewerkschaftsrat der Vereinten Zonen wenige Wochen zuvor – in einem expliziten Zwangsverbot das normative Einfallstor für eine äußerst restriktive Handhabung zu Lasten der Verbände nach dem aus ihrer Sicht abschreckenden Vorbild der Reichsgerichts-Rechtsprechung zu § 153 GewO 1869.210 Teilweise wurde die Freiwilligkeit jedoch auch als Bestandteil des traditionellen Ethos der Gewerkschaften bzw. Arbeitgeberverbände begriffen, wobei zahlreiche Mitglieder des Parlamentarischen Rates keinerlei Veranlassung sahen, „zu bezweifeln, dass das weiter so sein wird.“211

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Vgl. v. Doemming/Füsslein/Matz, JöR Neue Folge Band I (1951), 1 (122). Vgl. v. Doemming/Füsslein/Matz, JöR Neue Folge Band I (1951), 1 (122). 207 Vgl. v. Doemming/Füsslein/Matz, JöR Neue Folge Band I (1951), 1 (123 f.). 208 Vgl. auch Höpfner, Verfassungsrechtliche Grenzen, S. 7. 209 So der Abg. Eberhard (SPD), 44. Sitzung des Hauptausschusses am 19. 1. 1949, in: Feldkamp, Parlamentarischer Rat, Band 14, Teilband II, S. 1381. 210 So der Abg. Eberhard (SPD) und der Vors. Schmid (SPD), 44. Sitzung des Hauptausschusses am 19. 1. 1949, in: Feldkamp, Parlamentarischer Rat, Band 14, Teilband II, S. 1381 bzw. 1384. 211 So der Abg. Eberhard (SPD), 44. Sitzung des Hauptausschusses am 19. 1. 1949, in: Feldkamp, Parlamentarischer Rat, Band 14, Teilband II, S. 1381; ähnlich die Abg. Seebohm (DP), Heuss (FDP) und Kaufmann (CDU), 44. Sitzung des Hauptausschusses am 19. 1. 1949, in: Feldkamp, Parlamentarischer Rat, Band 14, Teilband II, S. 1383 ff. 206

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Teil 2: Die Zulässigkeit von tarifvertraglichen Differenzierungsklauseln

Selbst ohne ausdrückliche Regelung des Zwangsverbots lässt sich damit eindeutig demonstrieren, dass der Verfassungsgeber die Freiwilligkeit eines Zusammenschlusses als fundamentale Basis voraussetzte und demnach zum zwingenden Tatbestandsmerkmal für den Koalitionsbegriff in Art. 9 III GG erhob.212 Wird die Freiwilligkeit damit zutreffenderweise als immanentes, konstitutiv-sinnstiftendes Kriterium für die Koalition anerkannt, erscheint es im Gegenzug nur konsequent, den Schutz gegenüber Maßnahmen, die diese Freiwilligkeit infrage stellen, ebenfalls in Art. 9 III GG zu verankern. Es wäre systematisch nur schwer nachvollziehbar, wenn ein verfassungsrechtliches Instrumentarium, das die Grundbedingung jeder Koalition absichern soll, nicht auch in dieser Vorschrift normiert wird. Die negative Koalitionsfreiheit ist vielmehr integraler Bestandteil des Art. 9 III GG, weil sie nur an diesem Ort sinnvoll in den antinomischen Widerstreit mit der positiven Koalitionsfreiheit treten kann, um das vom Verfassungsgeber zugrundegelegte Verständnis von Freiwilligkeit als maßgebliche Determinante eines jeden koalitionären Zusammenschlusses zu bewahren.213 Zusätzliche Unterstützung erfährt diese Sichtweise auf die nationale Koalitionsfreiheit zudem durch die gleichgelagerte Rechtsprechung des EGMR, welcher parallel zum hier vertretenen Modell das Recht des Arbeitgebers, nicht Mitglied in einer Koalition sein zu müssen, ebenfalls in Art. 11 EMRK verankert.214 Zwar kommt der Menschenrechtskonvention als Teil des Völkerrechts innerhalb der bundesdeutschen Normhierarchie kein Verfassungsrang zu, allerdings hat das BVerfG für den Vertragsstaat Deutschland eine faktische „Leit- und Orientierungswirkung“ der EMRK auch für die Auslegung grundgesetzlicher Bestimmungen mehrfach deutlich herausgestellt.215 Bestätigt wird das beschriebene Zusammenspiel von positiver und negativer Koalitionsfreiheit als Bestandteil einer einheitlichen Regelung auch durch das „Gemeinsame Protokoll über Leitsätze“ zum Staatsvertrag über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der

212

Höpfner, Verfassungsrechtliche Grenzen, S. 7. Vgl. auch Scholz, Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem, S. 64; Höpfner, Verfassungsrechtliche Grenzen, S. 7. 214 EGMR v. 13. 8. 1981 – Nr. 7601/76 und 7806/77 (Young, James and Webster / UK), Rn. 51 ff.; EGMR v. 20. 4. 1993 – Nr. 14327/88 (Gibson / UK), Rn. 29; EGMR v. 30. 6. 1993 – Nr. 16130/90 (Sigurjónsson / Iceland), Rn. 35; EGMR v. 25. 4. 1996 – Nr. 15573/89 (Gustafsson / Sweden), Rn. 45; EGMR v. 11. 1. 2006 – Nr. 52562/99 und 52620/99 (Sørenssen and Rasmussen / Denmark), Rn. 54 ff.; ebenso BAG v. 19. 9. 2007 – 4 AZR 711/06, AP BGB § 613a Nr. 328 (Rn. 33). 215 Siehe etwa jüngst BVerfG v. 12. 6. 2018 – 2 BvR 1738/12 u. a., AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 187 (Rn. 129); vgl. auch BVerfG v. 14. 10. 2004 – 2 BvR 1481/04, NJW 2004, 3407; BVerfG v. 4. 5. 2011 – 2 BvR 2365/09 u. a., NStZ 2011, 450; zur rechtstheoretischen Umsetzung siehe nur Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, S. 361 ff. 213

B. Differenzierungsklausel mit Stichtag vor Abschluss des Tarifvertrags

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Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik216, das in offensichtlicher Anlehnung an Art. 9 III S. 1 GG festhält: „Jedermann hat das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, bestehenden Vereinigungen beizutreten, aus solchen Vereinigungen auszutreten und ihnen fernzubleiben.“217

Selbst wenn man dem Staatsvertrag angesichts seiner umstrittenen Rechtsqualität218 jedwede Verfassungswirkung absprechen möchte, unterstreicht die ausdrückliche Erwähnung der negativen Koalitionsfreiheit neben der positiven Variante, dass die Vertragsparteien das komplementäre, sich gegenseitig bedingende Miteinander beider Spielarten der individuellen Koalitionsfreiheit in Einklang mit der Rechtsprechung des BVerfG als Grundlage für die Arbeitsordnung im wiedervereinigten Deutschland installieren wollten.219 Die weit überwiegenden Gründe sprechen daher dafür, den verfassungsrechtlichen Schutz gegen unzulässigen Beitrittsdruck als negative Kehrseite der positiven Koalitionsfreiheit in Art. 9 III S. 1 GG zu verorten. b) Eingriff in den Schutzbereich aa) Erheblichkeit des Beitrittsdrucks als entscheidender Maßstab Für die Bestimmung, ob ein verfassungsrechtlich relevanter Eingriff in die negative Koalitionsfreiheit vorliegt, stuft die Rechtsprechung herkömmlicherweise graduell nach der Intensität der Außenseiterwirkung ab. Nur wenn die konkrete Norm einen erheblichen, unerträglichen220 Beitrittsdruck aufbaut, der den Außenseiter bei rational-ökonomischer Betrachtungsweise gleichsam in die Gewerkschaft zwingt, liegt nach der Rechtsprechung des BVerfG ein Eingriff in die negative Koalitionsfreiheit der Außenseiter vor.221 Demgegenüber greift ein gewisser Druck, der die Erheblichkeitsschwelle nicht überschreitet, nicht in die negative Koalitionsfreiheit ein und

216 BGBl. II Nr. 20 (1990), S, 537 ff.; Zustimmung in der Bundesrepublik Deutschland durch Gesetz v. 25. 6. 1990, BGBl. II Nr. 20 (1990), S. 518; in der Deutschen Demokratischen Republik durch Gesetz v. 21. 6. 1990, GBl. I, S. 331. 217 BGBl. II Nr. 20 (1990), S. 545. 218 Darauf kann im Rahmen dieser Untersuchung nicht genauer eingegangen werden, vgl. hierzu aber Hdb StR/Badura, § 225 Rn. 9 f.; Stern/Schmidt-Bleibtreu/Stern, S. 3 (43 f.); A. Zimmermann, Staatennachfolge, S. 294 ff. 219 Siehe auch Henssler/Höpfner, Kern der negativen Koalitions- und Tarifvertragsfreiheit, S. 19; Höpfner, Tarifgeltung, S. 358 f. 220 BAG v. 15. 4. 2015 – 4 AZR 796/13, AP TVG § 3 Nr. 57 (Rn. 45); BAG v. 21. 8. 2013 – 4 AZR 861/11, AP TVG § 3 Nr. 55 (Rn. 25). 221 BVerfG v. 15. 7. 1980 – 1 BvR 24/74 u. a., NJW 1981, 215 [B. II. 2. a) der Gründe]; auf die „Fühlbarkeit“ abstellend BVerfG v. 20. 7. 1971 – 1 BvR 13/39, AP ArbGG 1953 § 11 Nr. 34 [B. I. 2. der Gründe].

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Teil 2: Die Zulässigkeit von tarifvertraglichen Differenzierungsklauseln

muss daher von den Außenseitern hingenommen werden.222 Bloße Anreize, die in ihrer Intensität hinter einem erheblichen bzw. unerträglichen Maß zurückbleiben, stellen demnach ebenso wenig einen Eingriff in den Schutzbereich der negativen Koalitionsfreiheit dar wie tarifliche Maßnahmen, denen aufgrund der konkreten Ausgestaltung schon gar keine Druck- oder Anreizwirkung gegenüber Außenseitern zugesprochen werden kann.223 Damit ergibt sich eine einzelfallabhängige Prüfung, deren Maßstab entscheidend auf die Erheblichkeit des Drucks abstellt. Für eine richtige Einordnung dieses rampenartigen Prüfungsansatzes muss allerdings beachtet werden, dass das BVerfG die Erheblichkeit als maßgebliches Kriterium für einen Eingriff in die negative Koalitionsfreiheit äußerst restriktiv versteht und in all seinen bisherigen Entscheidungen stets abgelehnt hat.224 Die Hürden zu einem erheblichen Beitrittsdruck im Sinne der Rechtsprechung und damit für die Überschreitung der Schwelle zum Eingriff in die negative Koalitionsfreiheit sind demnach tendenziell hoch anzusetzen.225 Zwar darf nicht außer Acht gelassen werden, dass sich die BVerfG-Entscheidungen größtenteils mit Regelungen auseinandersetzen mussten, die den Außenseiter-Arbeitnehmern angemessene Arbeitsbedingungen verschaffen wollten und damit auf deren Fernbleiberecht nur reflexhaft und mittelbar-faktisch einwirkten.226 Ob die Erheblichkeit auch dann als konstitutives Merkmal für einen Eingriff in die negative Koalitionsfreiheit heranzuziehen ist, wenn unmittelbar-final in den Schutzbereich eingegriffen wird, ist neuerdings im Zuge der verstärkten legislativen Initiatven zugunsten einer Steigerung der verbandlichen Mitgliederzahlen stark in Zweifel gezogen worden.227 Jedenfalls bei einer Tarifregelung ist wegen der Beschränkung der Rechtsnormwirkung auf die gewerkschaftsangehörigen Arbeitnehmer keine unmittelbare Außenseiterwirkung möglich. Zur Ermittlung, ob von einer Differenzierungsklausel mit Stichtag in der Vergangenheit im Tarifvertrag ein unzulässiger Beitrittsdruck auf die nicht222 BVerfG v. 11. 7. 2006 – 1 BvL 4/00, AP GG Art. 9 Nr. 129 [C. II. 1. a) aa) der Gründe]; BVerfG v. 15. 7. 1980 – 1 BvR 24/74 u. a., NJW 1981, 215 [B. II. 2. a) der Gründe]; vgl. bereits BVerfG v. 19. 10. 1966 – 1 BvL 24/65, NJW 1966, 2305 [C. III. 2. der Gründe]. 223 Vgl. BVerfG v. 11. 7. 2006 – 1 BvL 4/00, AP GG Art. 9 Nr. 129 [B. II. 1. a) aa) der Gründe]; BAG v. 15. 4. 2015 – 4 AZR 796/13, AP TVG § 3 Nr. 57 (Rn. 45). 224 Siehe zu Differenzierungsklauseln mit Stichtagsregelung im Tarifsozialplan BVerfG v. 14. 11. 2018 – 1 BvR 1278/16, AP GG Art. 9 Nr. 153 (Rn. 4 f.); zu den landesrechtlichen Tariftreueregelungen BVerfG v. 11. 7. 2006 – 1 BvL 4/00, AP GG Art. 9 Nr. 129; zur Nachwirkung von Tarifnormen BVerfG v. 3. 7. 2000 – 1 BvR 945/00, AP TVG § 4 Nachwirkung Nr. 36; zur Allgemeinverbindlicherklärung nach § 5 TVG a. F. BVerfG v. 15. 7. 1980 – 1 BvR 24/74 u. a., NJW 1981, 215; BVerfG v. 24. 5. 1977 – 2 BvL 11/74, AP TVG § 5 Nr. 15 [B. II. 2. e) der Gründe]; vgl. auch Höpfner, FS Moll, S. 287 (293 f.); ders., Verfassungsrechtliche Grenzen, S. 8. Rieble, EuZA 2012, 496 (499) spricht sogar von „großer Unlust“ seitens des BVerfG bei der Befassung mit der Koalitionsfreiheit und Tarifautonomie. 225 Allgemein zu den Schwierigkeiten bei der Bestimmung, welcher Druck „erheblich“ ist Höfling/Rixen, RdA 2007, 360 (361); vgl. auch Jacobs, FS Bauer, S. 479 (488): „Mehr Präzision ist vermutlich im Zusammenspiel mit der Bildung von Fallgruppen nicht erreichbar.“. 226 So auch Höpfner, FS Moll, S. 287 (294); ders., Verfassungsrechtliche Grenzen, S. 9. 227 Höpfner, FS Moll, S. 287 (294 ff.); ders., Verfassungsrechtliche Grenzen, S. 9 ff.

B. Differenzierungsklausel mit Stichtag vor Abschluss des Tarifvertrags

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oder andersorganisierten Arbeitnehmer ausgeht, kann deshalb auf die tradierte Erheblichkeitsprüfung des BVerfG zurückgegriffen werden. bb) Sozialadäquanz als inhaltliche Leerformel ohne eigenständigen materiellen Bedeutungsgehalt Einen abweichenden Maßstab verwendete allerdings der Große Senat des BAG in seiner Entscheidung aus dem Jahr 1967. Dort hatte die „Sozialadäquanz“ einer tariflichen Regelung entscheidenden Einfluss auf die Frage, ob ein Eingriff in die negative Koalitionsfreiheit vorliegt oder nicht.228 Die Richter konstatierten in dieser Entscheidung, dass die negative Koalitionsfreiheit „legitimen und sozialadäquaten Druck hinnehmen“ müsse und „deshalb den Schutz aus Art. 9 Abs. 3 einschließlich des Satz 2 nur vor illegalem und sozialinadäquatem Druck“ genieße.229 Vereinbaren die Tarifpartner aber eine Regelung, die den tariflich organisierten Arbeitnehmern automatisch ein Plus gegenüber den Außenseitern gewährt, verletzen sie dadurch gröblich das Gerechtigkeitsempfinden und üben so einen sozial inadäquaten Druck auf den einzelnen Außenseiter aus, was niemand hinzunehmen brauche.230 Auf die Intensität, den Grad des Drucks komme es dann nicht mehr an.231 Die Verwendung der von Nipperdey232 ursprünglich in das Zivilrecht eingeführte Kategorie der „Sozialadäquanz“ als Gradmesser für die Zulässigkeit der Differenzierungsklauseln wurde in der Folge massiv angegriffen. Die Kritiker monierten vor allem, die Begrifflichkeit sei eine Leerformel ohne materiellen Erkenntniswert233 und zu unbestimmt, um an sie irgendwelche Rechtsfolgen zu knüpfen.234 Zudem stieß die Subjektivität des Gerechtigkeitsempfindens, das abhängig vom jeweiligen Entscheidungsträger in besonderer Weise individualisiert ist und daher als allgemeingültiger Maßstab zur Bestimmung der Zulässigkeit nicht infrage kommen kann, auf Ablehnung.235 Nipperdey selbst stellte später klar, dass sich aus dem Begriff der Sozialadäquanz keine Entscheidungsmaximen zur Lösung neu auftauchender In228

BAG v. 18. 3. 2009 – 4 AZR 64/08, AP TVG § 3 Nr. 41 (Rn. 113): „zentrales rechtliches Kriterium“. 229 BAG v. 29. 11. 1967 – GS 1/67, BAGE 20, 175 (226). 230 BAG v. 29. 11. 1967 – GS 1/67, BAGE 20, 175 (228). 231 BAG v. 29. 11. 1967 – GS 1/67, BAGE 20, 175 (228). 232 Nipperdey, NJW 1967, 1985 (1992) als „Breviloquenz für zulässige Verhaltensweisen“ (kursive Hervorhebung im Original). 233 Bietmann, Differenzierungsklausel, S. 105 f.; F. Hartmann/Lobinger, NZA 2010, 421 (422); Hölters, Harmonie, S. 162. 234 Franzen, RdA 2006, 1 (4); Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 130 ff.; Schuhmann, Negative Freiheitsrechte, S. 154 ff.; Seitenzahl/Zachert/Pütz, Vorteilsregelungen, S. 68; Zachert, DB 1995, 322 (323); wohl auch Bauer/C. Arnold, NZA 2005, 1209 (1210 f.); H. Wiedemann, SAE 1969, 265 (267). 235 Vgl. auch Kempen/Zachert/Kempen, Grundl. TVG Rn. 214; Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 132; Radke, AuR 1971, 4 (13 f.); Ritter, JZ 1060, 111 (112); Säcker, Grundprobleme, S. 126 f. (Fn. 315).

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Teil 2: Die Zulässigkeit von tarifvertraglichen Differenzierungsklauseln

teressenkonflikte ableiten ließen.236 Der Große Senat des BAG selbst ersetzte den Begriff der Sozialadäquanz im Streikbeschluss aus dem Jahr 1971 im Arbeitskampfrecht – seinem ursprünglichen Anwendungsbereich237 – durch die Verhältnismäßigkeit.238 Dennoch wurde der Gedanke einer „Sozialadäquanz“ bestimmter Verhaltensweisen oder Regelungsinhalte als Maßstab für die Rechtmäßigkeit vom BAG vereinzelt erneut aufgegriffen.239 Da der Begriff „notgedrungen dem Wandel der Zeiten“ unterliege240, ging sein 4. Senat dazu über, ihn anders zu deuten und dabei quantitative Elemente beizumengen.241 Insbesondere solle es für die Sozialadäquanz einer Differenzierungsklausel auch auf die Höhe der Differenzierung und damit die Intensität des Drucks ankommen, wenn zwischen einem zulässigen Anreiz zum Gewerkschaftsbeitritt und einem unzulässigen Druck unterschieden wird.242 Gleichwohl spricht unter dem Eindruck der bereits angeführten Kritik an der Sozialadäquanz viel dafür, auf das Merkmal vollständig zu verzichten. Nach der Lesart des Großen Senats aus dem Jahr 1967 ist die Sozialadäquanz untrennbar mit der Rechtmäßigkeit einer Vereinbarung verbunden.243 Ein „legitimer“ Druck durch die Klausel ist sozialadäquat, ein „illegaler“ Druck sozialinadäquat. Das Kriterium zeichnet also lediglich diejenige Grenze zwischen zulässigen und unzulässigen Tarifinhalten nach, die bereits durch einfachgesetzliche und verfassungsrechtliche Vorschriften abgesteckt ist.244 Sollte darüber hinaus eine sozialwertige Inhaltskontrolle der Regelung angedacht gewesen sein, fehlte es hierfür jedenfalls an einer entsprechenden normativen Verankerung. Wenn auch bereits Nipperdey als sein Schöpfer davon ausgeht, dass das Kriterium nur eine schlagwortartige Zusammenfassung der zulässigen Verhaltensweisen darstelle und daraus kein eigenständiger Erklärungsgehalt abgeleitet werden könne, muss offen hinterfragt werden, inwiefern dieses Merkmal die Lösungsfindung entscheidend voranbringt. Selbst wenn man wie das BAG in der Entscheidung vom 18. 3. 2009 das Kriterium heranziehen möchte, um die quantitativen Grenzen der zulässigen Differenzierungshöhen auszuloten, ist damit kein Vorsprung gegenüber der modernen Herangehensweise bei der Beurteilung eines Eingriffs in die negative Koalitionsfreiheit verbunden. Der Umfang der 236 A. Hueck/Nipperdey, Band II/2, S. 1002 Fn. 34c) Abschnitt c); Nipperdey, NJW 1967, 1985 (1992), Fn. 62 in Abkehr zur „Hypostasierung des Prinzips zu einem allgemeinen Rechtsprinzip“; grundsätzlich dafür allerdings Bulla, RdA 1962, 6 (14 f.), der das Prinzip jedoch noch nicht für „hinreichend rechtswertig“ hält. 237 Vgl. hierzu nur BAG v. 28. 1. 1955 – GS 1/54, NJW 1955, 882. 238 BAG v. 21. 4. 1971 – GS 1/68, AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 43. 239 Vgl. nur BAG v. 21. 1. 1987 – 4 AZR 486/86, AP GG Art. 9 Nr. 46; BAG v. 18. 3. 2009 – 4 AZR 64/08, AP TVG § 3 Nr. 41 240 BAG v. 18. 3. 2009 – 4 AZR 64/08, AP TVG § 3 Nr. 41 (Rn. 118). 241 So bspw. BAG v. 18. 3. 2009 – 4 AZR 64/08, AP TVG § 3 Nr. 41 (Rn. 118); vgl. auch Leydecker, AuR 2009, 338 (340); ders., AuR 2006, 11 (13). 242 Leydecker, AuR 2009, 338 (340). 243 Ebenfalls BAG v. 18. 3. 2009 – 4 AZR 64/08, AP TVG § 3 Nr. 41 (Rn. 113). 244 So auch Leventis, Differenzierungsklauseln, S. 44.

B. Differenzierungsklausel mit Stichtag vor Abschluss des Tarifvertrags

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Leistungen und ihr Einfluss auf den konkreten Beitrittsdruck kann auch über die Erheblichkeit angemessen berücksichtigt werden. Eine darüber hinausgehende, kontrollierende Funktion der Sozialadäquanz ist aber nicht erkennbar, sodass ihr Nutzen nicht über den Status einer umschreibenden Ausschmückung für die Rechtmäßigkeit einer Tarifgestaltung als solcher hinausreicht.245 Für den dauerhaften Verzicht auf das Kriterium spricht zudem, dass die Entscheidung des Großen Senats aus dem Jahr 1967 zur Zulässigkeit der Differenzierungsklauseln in eine Zeit fiel, zu der das BVerfG die Erheblichkeit als Voraussetzung für den Eingriff in die negative Koalitionsfreiheit noch nicht entwickelt hatte. Erst ab dem Mitbestimmungsurteil im Jahr 1979 bildete sich dort eine Judikatur zur Eingriffsrelevanz bei der negativen Koalitionsfreiheit im Rahmen von Art. 9 III GG heraus.246 Der Große Senat selbst sah sich in seiner Entscheidung 1967 noch auf der Linie der damaligen Rechtsprechung des BVerfG.247 Legt man jedoch die bundesverfassungsgerichtliche Judikatur nach 1979 zugrunde, ist die Argumentation mit dem Kriterium der „Sozialadäquanz“ im Rahmen der negativen Koalitionsfreiheit als „grundrechtsdogmatischer Sonderweg“248 überholt und damit obsolet geworden.249 cc) Anwendung der Prinzipien auf die Differenzierungsklausel mit Stichtag in der Vergangenheit (1) Auffassung des BAG Das BAG vertrat in seinem Urteil vom 15. 4. 2015 die Ansicht, dass durch die Differenzierungsklausel mit Stichtag nicht in die negative Koalitionsfreiheit der Außenseiter eingegriffen werde.250 Das ergebe sich aus dem Umstand, dass die tarifliche Regelungsbefugnis der Tarifvertragsparteien für Rechtsnormen im Sinne des § 1 I TVG von Verfassungs und Gesetzes wegen (§ 3 I TVG) ausschließlich auf ihre Mitglieder beschränkt und daher die normative Wirkung einer Tarifregelung auf Außenseiter ausgeschlossen sei.251 Zudem greife die hier vorliegende Differenzierung weder in die Handlungs- und Vertragsfreiheit des Arbeitgebers noch in die der

245 Vgl. auch Gamillscheg, Band I, S. 360 und ders., NZA 2005, 146 (147): „logischer Zirkel“. 246 Vgl. Hellermann, Negative Seite, S. 27 f.; Höpfner, Tarifgeltung, S. 353 ff. 247 BAG v. 29. 11. 1967 – GS 1/67, BAGE 20, 175 (227) unter Rekurs auf BVerfG v. 19. 10. 1966 – 1 BvL 24/65, NJW 1966, 2305, wenngleich dort der Begriff der Sozialadäquanz nicht erwähnt wird; vgl. auch Höpfner, RdA 2019, 146 (152). 248 Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 144. 249 Höpfner, RdA 2019, 146 (152); siehe zudem Ulber/Strauß, DB 2008, 1970 (1972), die die Rechtsprechung des Großen Senats des BAG 1967 vor dem Hintergrund der neueren bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung als „sachfremd“ bezeichnen. 250 BAG v. 15. 4. 2015 – 4 AZR 796/13, AP TVG § 3 Nr. 57 (Rn. 45 ff.). 251 BAG v. 15. 4. 2015 – 4 AZR 796/13, AP TVG § 3 Nr. 57 (Rn. 47); ähnlich bereits BAG v. 22. 9. 2010 – 4 AZR 117/09, AP GG Art. 9 Nr. 144 (Rn. 27).

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Teil 2: Die Zulässigkeit von tarifvertraglichen Differenzierungsklauseln

Außenseiter ein.252 Da auf diese Weise die Möglichkeit erhalten bleibe, eine individualvertragliche Anpassung an das Niveau der begünstigten Arbeitnehmergruppe zu vereinbaren, gehe von einer solchen Regelung gegenüber Außenseitern kein „höherer Druck“ aus als derjenige, der sich stets ergibt, wenn die individualvertragliche Vereinbarungen hinter denjenigen Regelungen zurückbleiben, die durch Tarifvertrag für die Mitglieder der Tarifvertragsparteien geregelt werden.253 (2) Eigene Auffassung: Kein Beitrittsdruck bei tariflichen Leistungen mit Stichtag in der Vergangenheit Für die richtige Einordnung der BAG-Auffassung muss freilich beachtet werden, dass die Richter in ihrer Entscheidung über die konkrete Klausel von einer reinen Binnendifferenzierung zwischen zwei Gruppen von tarifgebundenen Arbeitnehmern ausgehen. Diese Sichtweise konnte bereits an früherer Stelle im Hinblick auf die Differenzierungsklausel mit Stichtag in der Vergangenheit widerlegt werden.254 Gleichwohl ergibt sich selbst bei Berücksichtigung der faktischen Außenseiterwirkungen der Klausel kein anderes Ergebnis. Mit der Kopplung tariflicher Leistungen an eine Mitgliedschaft zu einem bestimmten Stichtag in der Vergangenheit wird nicht nur kein unzulässiger Beitrittsdruck auf die Außenseiter ausgeübt255, sondern schon überhaupt kein messbarer Anreiz zum Gewerkschaftsbeitritt gesetzt.256 Außenseiter können angesichts der Regelung, die eine Mitgliedschaft zu einem in der Vergangenheit liegenden Stichtag als Tatbestandsmerkmal für den Anspruch voraussetzt, selbst durch einen Beitritt nicht mehr in den privilegierten Kreis der Begünstigten vordringen. Sie würden in diesem Fall „nur noch“ die Leistungen für Neumitglieder erhalten, auf die sie möglicherweise – falls ihr Arbeitsvertrag oder ein betrieblicher Sozialplan die Regelungen an dieser Stelle in Bezug nimmt – ohnehin bereits einen Anspruch haben. Bei einer Differenzierungsklausel mit Stichtag in der Vergangenheit ist damit für die Außenseiter bei einem Gewerkschaftsbeitritt „nichts mehr zu gewinnen“. Anders als bei einfachen und qualifizierten Differenzierungsklauseln signalisiert ihnen hier die Stichtagsregelung, dass selbst eine Entscheidung zugunsten eines Gewerkschaftsbeitritts keine materielle Gleichstellung mit den begünstigten Verbandsangehörigen herbeiführt.257 Allein auf Basis dieser Klausel würde sich daher kein wirtschaftlich denkender Außenseiter-Arbeitnehmer für einen Beitritt in die tarifschließende Gewerkschaft entscheiden, da er selbst im Falle einer frisch erworbenen Mitgliedschaft nicht an den Leistungen für die Altmitglieder der 252

BAG v. 15. 4. 2015 – 4 AZR 796/13, AP TVG § 3 Nr. 57 (Rn. 48). BAG v. 15. 4. 2015 – 4 AZR 796/13, AP TVG § 3 Nr. 57 (Rn. 48). 254 Siehe oben, Teil 2 B. I. 3. 255 So das BAG v. 15. 4. 2015 – 4 AZR 796/13, AP TVG § 3 Nr. 57 (Rn. 45). 256 Däubler/Heuschmid, § 1 TVG Rn. 1074; ErfK/Franzen, § 1 TVG Rn. 62b; Greiner, jM 2016, 66 (69); ders., NZA 2016, 10 (12); Helm, NZA 2015, 1437 (1438); wohl auch Höpfner, RdA 2019, 146 (153); Ricken, Stichtagsregelungen, S. 18, 27; siehe zudem die Entscheidung der Vorinstanz LAG München v. 25. 7. 2013 – 4 Sa 166/13, juris (Rn. 53 ff.). 257 Ähnlich Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 2145. 253

B. Differenzierungsklausel mit Stichtag vor Abschluss des Tarifvertrags

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Gewerkschaft partizipieren kann. Ein Druck, ja selbst ein Anreiz zum Beitritt kann daher durch die Klausel in dieser Konstellation gar nicht erst entstehen. Näherliegend ist vor diesem Hintergrund eher eine Trotzreaktion der Außenseiter, die sie im Sinne eines „Jetzt erst recht nicht!“ von der jeweiligen Gewerkschaft ideologisch und organisationspolitisch weiter entfernt. Auf die Möglichkeit einer Individualvereinbarung zwischen Außenseiter und Arbeitgeber zur Abschwächung des Beitrittsdrucks kommt es angesichts des von Anfang nicht bestehenden Drucks jedenfalls im Rahmen der negativen Koalitionsfreiheit – entgegen der Rechtsprechung des BAG258 – konsequenterweise nicht mehr an.259 Zwar wird teilweise vertreten, die Differenzierungsklausel mit Stichtag in der Vergangenheit greife noch intensiver in das Fernbleiberecht ein als die closed-shopRegelung und verwandte Tarifbestimmungen, weil der Außenseiter bei ihnen nicht mehr autonom entscheiden könne, ob er dem Anreiz folgen und in die Gewerkschaft eintreten möchte.260 Mit dem Verlust dieser Option würde er nicht mehr als „Subjekt einer selbst zu verantwortenden Entscheidung“ ernstgenommen werden.261 Diese Ansicht stellt jedoch nicht nur die Verhältnisse auf den Kopf, sondern offenbart ein sonderbares Verständnis von negativer Koalitionsfreiheit und individueller Autonomie. Auch bei der Stichtagsklausel ist es dem Außenseiter nach wie vor unbenommen, sich für einen Beitritt in die Gewerkschaft zu entscheiden. Zwar gelangt er dann nicht mehr in den Genuss der tariflichen Leistungen, die durch die konkrete Ausgestaltung den Altmitgliedern vorbehalten bleiben. Jedoch ist die Möglichkeit, zu jedem beliebigen Zeitpunkt mit einem materiellen Gewinn der Gewerkschaft beitreten zu können, nicht vom Schutzbereich der negativen Koalitionsfreiheit umfasst. Das Fernbleiberecht schützt als Konsequenz aus dem Freiwilligkeitserfordernis im Koalitionsbegriff lediglich das Recht auf eine freie, echte Auswahl zwischen Mitgliedschaft und fortgesetzter Nichtmitgliedschaft. Diese Entscheidung unabhängig von heteronomen Einflüssen, also ohne Nachteile in die eine oder andere Richtung befürchten zu müssen262, wird bei herkömmlichen Differenzierungsklauseln weit mehr infrage gestellt als bei Tarifverträgen, die die Ausschüttung der Leistung von der Mitgliedschaft zu einem Stichtag in der Vergangenheit abhängig machen. Wenn bei ersteren Klauseln wesentliche Vorteile von der bloßen Mitgliedschaft abhängig gemacht werden, signalisiert das dem Außenseiter: „Sieh her, was dir entgeht bzw. was auf dem Spiel steht, wenn du nicht bei uns mitmachst.“ Aufgrund der teils weitreichenden Konsequenzen, die sich im Fall eines fortgesetzten Fernbleibens ergeben, wird damit eine Drohkulisse inszeniert, die jedenfalls 258

BAG v. 15. 4. 2015 – 4 AZR 796/13, AP TVG § 3 Nr. 57 (Rn. 48). Anders jedoch bei der Frage, ob die Klausel gegen die Arbeitsvertragsfreiheit der nicht begünstigten Arbeitnehmer verstößt, siehe dazu jedoch unten, Teil 2 B. III. 6. 260 HMB/Moll, Teil 12 Rn. 47c; Greiner, FS H. J. Willemsen, S. 159 (163); Kalb, FS Moll, S. 327 (337). 261 Greiner, FS H. J. Willemsen, S. 159 (163), freilich nicht ohne Polemik; ähnlich ders., NZA 2016, 10 (15) und HMB/Moll, Teil 12 Rn. 47c. 262 HWK/Hergenröder, Art. 9 GG Rn. 66. 259

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aus objektiver Perspektive an einer freiwilligen Auswahlentscheidung mehr zweifeln lässt als bei tariflichen Differenzierungen auf Grundlage eines Stichtags in der Vergangenheit, bei denen selbst der unverzügliche Beitritt „nichts mehr bringt“. Fällt die finanzielle Anreizwirkung durch die konkrete Klauselgestaltung vollständig weg, ermöglicht das im Gegenteil sogar eine im Vergleich zu den herkömmlichen Differenzierungsklauseln freiere, von heteronomen monetären Einflüssen unabhängigere Entscheidung pro oder contra Gewerkschaftsbeitritt. dd) Irrelevanz des Leistungsumfangs für die Frage nach dem Beitrittsdruck gegenüber Außenseitern Mit der Entscheidung, dass Differenzierungsklauseln mit Stichtag in der Vergangenheit bereits aufgrund ihrer strukturellen Spezifika keinen Anreiz zum Gewerkschaftsbeitritt auslösen können, wird zugleich offenbar, dass es auf den Umfang der exklusiv an die Altmitglieder ausgekehrten Leistungen jedenfalls vor dem Hintergrund der negativen Koalitionsfreiheit nicht mehr entscheidend ankommen kann.263 Im Gegensatz zu den einfachen Differenzierungsklauseln, bei denen mit wachsendem Leistungsumfang auch der Anreiz für einen Gewerkschaftsbeitritt steigt, jedoch – anders als vom BAG und Teilen des Schrifttums insinuiert264 – zu keinem Zeitpunkt in einen verbotenen Beitrittszwang umschlagen kann265, gilt diese direkte Proportionalität bei Differenzierungsklauseln mit Stichtagsregelungen nicht. Hier dürfte im Gegenteil ein graduell ansteigender Leistungsumfang für die Altmitglieder vielmehr die zunehmende Entfremdung der Außenseiter von der tarifschließenden Gewerkschaft vorantreiben und gerade keine gesteigerte Anreizwirkung zugunsten einer Verbandsmitgliedschaft freisetzen. Wenn schon bei einfachen Differenzierungsklauseln festgestellt wurde, dass es auf die Höhe der exklusiv versprochenen Tarifleistungen nicht entscheidend ankommen kann, muss dies erst recht für Differenzierungsklauseln mit Stichtag in der Vergangenheit gelten, die nur bestimmten Gewerkschaftsmitgliedern eine Leistung zuerkennen möchten. ee) Verschlechterung der Verhandlungsposition für die Außenseiter durch Exklusivleistungen in einem Tarifsozialplan als Eingriff Möglicherweise ergeben sich jedoch bei Tarifsozialplänen Besonderheiten, die zu einer Abänderung der bisherigen Befunde nötigen. Nach teilweise vertretener Ansicht soll es unter anderem vor dem Fernbleiberecht bedenklich sein, „wenn zu Lasten nicht unmittelbar tarifgebundener Arbeitnehmer das objektiv zur Verteilung 263

Wie hier Greiner, NZA 2016, 10 (12); a. A. Kalb, FS Moll, S. 327 (337); ders., jM 2015, 107 (113); Lunk/Leder/Seidler, RdA 2015, 399 (404); Meyer, Anm. zu BAG AP TVG § 3 Nr. 57 [V.]. 264 Vgl. Teil 1, Fn. 96 ff. 265 Siehe oben, Teil 1 E. III.

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stehende Sozialplanvolumen bereits durch die Tarifparteien verteilt würde“.266 Durch die Schröpfung des Vergütungstopfes und das strukturelle Ungleichgewicht bei Verhandlungen würden die Außenseiter faktisch für ihre Nichtmitgliedschaft in der Vergangenheit benachteiligt werden. Ebenso wie das einzelne Gewerkschaftsmitglied gemäß Art. 9 III S. 2 GG, § 612a BGB und andere Vorschriften gegen eine Benachteiligung aufgrund seines Status als Mitglied geschützt wird, müssten auch die Außenseiter gleichsam spiegelbildlich ein ähnliches Schutzniveau auf der Grundlage ihrer negativen Koalitionsfreiheit beanspruchen können.267 Dieser verfassungsrechtliche Schutz sei beeinträchtigt, wenn der Tarifvertrag erhebliche Sonderleistungen exklusiv an altgediente Gewerkschaftsmitglieder auskehrt und damit die Chancen der Außenseiter absenkt, an den Abfindungszahlungen in ähnlichem Maße beteiligt zu werden. Aufgrund der drohenden Ungerechtigkeiten müsse dafür Sorge getragen werden, dass sich einzelne Arbeitnehmer keine Sondervorteile verschafften, die angesichts des begrenzten Gesamtvolumens zwangsläufig zu Lasten anderer Betroffener gingen.268 Vor dem LAG München als Berufungsinstanz für die Entscheidungen im Umfeld der NSN-Sanierung wurde ebenfalls die Frage aufgeworfen, ob es mit der negativen Koalitionsfreiheit der Außenseiter vereinbar sei, wenn Nichtgewerkschaftsmitglieder bei ihren Ansprüchen in der Sanierungssituation mit Abstrichen rechnen müssten, weil Gewerkschaftsmitglieder überproportional aus dem arbeitgeberseitig zur Verfügung gestellten Topf bei den Ausgleichsansprüchen bedient werden.269 Die 10. Kammer des LAG nahm aufgrund des Umfangs der an die tarifgebundenen Mitglieder ausgeschütteten Vorteile einen Verstoß gegen die negative Koalitionsfreiheit an und erklärte die Klausel unter anderem aus diesem Grund und dem Verweis auf die zu erwartende „massive Verschiebung in Tarifverhandlungen bei Sanierungsvorhaben ohne sachliche Rechtfertigung zu Lasten von Nichtgewerkschaftsmitgliedern“270 für unwirksam.271 Entzerrt man die Vorwürfe und analysiert den zugrundeliegenden Gedankengang genauer, können zwei unterschiedliche Argumentationstopoi identifiziert werden, die beide am materiellen Gewährleistungsgehalt des Fernbleiberechts anknüpfen. Im einen geht es um die Frage, inwiefern die Außenseiter auf Basis der negativen Koalitionsfreiheit in Sanierungssituationen eine wirtschaftliche Gleichbehandlung mit den tarifgebundenen Gewerkschaftsmitgliedern einfordern können. Dagegen 266

Meyer, DB 2005, 830 (831). HMB/Steffan, Teil 5 (8) Rn. 13a; Greiner, FS H. J. Willemsen, S. 159 (163); ähnlich auch – jedoch im Zusammenhang der Rechtmäßigkeitsprüfung einer Ministererlaubnis gemäß § 42 GWB – OLG Düsseldorf v. 12. 7. 2016 – VI Kart 3/16, juris (Rn. 81), nach dem der positiven Koalitionsfreiheit keine größere Bedeutung beigemessen werden dürfe als der negativen Koalitionsfreiheit, da Art. 9 III GG „beide Grundfreiheiten gleichermaßen und unterschiedslos“ gewährleiste; a. A. Däubler/Heuschmid, § 1 TVG Rn. 1074. 268 Lobinger, Arbeitskämpfe, S. 82 Rn. 51. 269 LAG München v. 28. 8. 2013 – 10 Sa 135/13, juris (Rn. 150 ff.). 270 LAG München v. 28. 8. 2013 – 10 Sa 135/13, juris (Rn. 153); vgl. auch LAG Hamm v. 12. 6. 2012 – 14 Sa 1275/11, juris (Rn. 152 ff.). 271 LAG München v. 28. 8. 2013 – 10 Sa 135/13, juris (Rn. 150 ff.). 267

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beschäftigt sich der zweite mit der Problematik, ob die Tarifvertragsparteien bei der Aufstellung eines Tarifsozialplans und der dort vorgenommenen Verteilung von Geldern an ihre Mitglieder zur Rücksichtnahme auf die Belange der Außenseiter wegen deren negativer Koalitionsfreiheit verpflichtet sind. Im Gegensatz zur vorangegangenen Debatte, inwiefern die negative Koalitionsfreiheit als Abwehrrecht gegen übermäßigen Beitrittsdruck in Ansatz gebracht werden konnte, geht es an dieser Stelle also um die Frage, ob das Fernbleiberecht zudem ein Benachteiligungsverbot bzw. eine Rücksichtnahmegebot zugunsten der nicht- oder andersorganisierten Arbeitnehmer enthält. Anders gewendet muss dem Verdacht nachgegangen werden, inwiefern durch die Abhängigkeit der tariflichen Leistung von einer Gewerkschaftsmitgliedschaft zu einem vergangenen Stichtag bestimmte Arbeitnehmergruppen in verfassungswidriger Weise wegen ihrer Entscheidung benachteiligt werden, der tarifschließenden Gewerkschaft bislang fern geblieben zu sein. (1) Keine verfassungsrechtliche Gewährleistung einer Gleichbehandlung zwischen organisierten und nichtorganisierten Arbeitnehmer durch die negative Koalitionsfreiheit Die Argumente der Befürworter einer strikten Gleichbehandlung von organisierten und nichtorganisierten Arbeitnehmer bei der Erstellung eines Tarifsozialplans sind auf den ersten Blick bestechend. Treffen die Restrukturierungsmaßnahmen den Betrieb und damit die Belegschaft als Gesamtheit, erscheint es nur natürlich, auch bei entsprechenden finanziellen Leistungen, die die wirtschaftlichen Nachteile aus der Betriebsänderung aufzufangen suchen, gleichsam fortwirkend eine Gleichbehandlung aller Arbeitnehmer zu fordern. Darüber hinaus spricht auch das gleichberechtigte Nebeneinander von positiver und negativer Koalitionsfreiheit, die beide als komplementäre Verfassungsgüter auf einer Stufe stehen und gleichermaßen grundrechtlichen Schutz genießen,272 dafür, bei einer nach Mitgliedschaft differenzierenden Behandlung in einem Tarifsozialplan einen Verstoß gegen die negative Koalitionsfreiheit anzunehmen.273 Zumindest bei tariflichen Abfindungszahlungen in Sanierungssituationen liegt damit die Überlegung nicht fern, den Schutzbereich der negativen Koalitionsfreiheit ausnahmsweise mit Elementen der Gleichbehandlung anzureichern, die allen Arbeitnehmern eine „Chancengleichheit“ bei der betriebs- bzw. unternehmensweiten Ausschüttung von Ausgleichs- und Überbrückungsleistungen einräumt. Trotz all der scheinbar schlagkräftigen Argumente vermag der Gedanke einer strikt paritätischen, gewerkschaftsneutralen Verteilung der Gelder bei der Aufstellung von Tarifsozialplänen als Ausfluss des Nebeneinanders von positiver und negativer Koalitionsfreiheit in rechtlicher Hinsicht nicht zu überzeugen. Er projiziert einen Gleichbehandlungsanspruch in den Schutzbereich der negativen Koalitions-

272 273

Höpfner, Verfassungsrechtliche Grenzen, S. 18. So auch Greiner, FS H. J. Willemsen, S. 159 (164).

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freiheit, der dort nicht angelegt ist.274 Nicht jede, für den Außenseiter ungünstige Auswirkung aus der Tätigkeit der Tarifvertragsparteien stellt einen Eingriff in die negative Koalitionsfreiheit dar.275 Das Fernbleiberecht garantiert dem Außenseiter auf Grundlage des Freiwilligkeitserfordernisses im Koalitionsbegriff nur eine echte Auswahl zwischen dem Beitritt und der fortgesetzten Nichtmitgliedschaft276 und schützt damit lediglich die Unabhängigkeit des Meinungsbildungsprozesses im Vorfeld eines geplanten Beitritts. Entscheidet sich der Arbeitnehmer letztendlich gegen den Schutz in der Koalition, muss er sich auf sein Geschick verlassen, individualvertraglich mit dem Arbeitgeber ein ähnliches Lohnniveau wie die tarifgebundenen Kollegen erzielen zu können. Bleiben aber dann die individuellen Vereinbarungen der Außenseiter mit dem Arbeitgeber hinter den tariflichen Leistungen zugunsten der tarifgebundenen Arbeitnehmer zurück, handelt es sich um eine systemtypische Folgeerscheinung aus der Entscheidung, „es selbst versuchen zu wollen“.277 Möchte sich der Arbeitnehmer dem Risiko, angesichts der strukturellen Unterlegenheit gegenüber seinem Arbeitgeber ein schlechteres Ergebnis als die im Kollektiv auftretenden Gewerkschaftsmitglieder zu erzielen, nicht ungeschützt aussetzen, muss er deshalb dem Verband beitreten.278 Die endgültige Entscheidung zwischen einem Beitritt und einer Fortsetzung der Nichtmitgliedschaft, die mit regelmäßig schlechteren individuellen Verhandlungschancen einhergeht, nimmt das Grundgesetz dem Arbeitnehmer allerdings nicht ab. Die negative Koalitionsfreiheit bewahrt den Außenseiter vor einem unzulässigen Beitrittsdruck; ein Schutz gegen ungünstige Folgeerscheinungen aus der Nichtmitgliedschaft, welche wiederum auf der regelmäßig unterlegenen Verhandlungsposition des Außenseiters gegenüber dem Arbeitgeber basieren, vermag das Fernbleiberecht jedoch nicht zu leisten.279 Vielmehr käme ein derartiger Gleichbehandlungsmechanismus einer paternalistischen Entmündigung des Bürgers nahe, weil letzterer gegenüber den Folgen seiner eigenen Grundrechtsausübung geschützt werden würde. Mangels eines auf Herstellung von Gleichheit ausgerichteten Gehalts kann die negative Koalitionsfreiheit der Außenseiter die Verteilungsentscheidung der Tarifpartner nicht dahingehend korrigieren, dass alle Arbeitnehmer – ob tarifgebunden oder nicht – im Rahmen einer Betriebsänderung über einen tariflichen bzw. betrieblichen Sozialplan gleichwertige Leistung zugesprochen bekommen. Sie vermag 274 275

(92). 276

Vgl. auch Ricken, Stichtagsregelungen, S. 27. HWK/Hergenröder, Art. 9 GG Rn. 67; Kalb, jM 2015, 107 (110); Ulber, SR 2018, 85

Thüsing/v. Hoff, ZfA 2008, 77 (97). BAG v. 15. 4. 2015 – 4 AZR 796/13, AP TVG § 3 Nr. 57 (Rn. 48); auch Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 2127; Jacobs, FS Bauer, S. 479 (489); Kamanabrou, Anm. zu AP TVG § 3 Nr. 57 (I. 3.). 278 Ähnlich Giesen, NZA 2004, 1317 (1317 f.); Ricken, Stichtagsregelungen, S. 27 f. 279 Vgl. auch BAG v. 15. 4. 2015 – 4 AZR 796/13, AP TVG § 3 Nr. 57 (Rn. 46); BAG v. 18. 3. 2009 – 4 AZR 64/08, AP TVG § 3 Nr. 41 (Rn. 54); BAG v. 20. 4. 1999 – 1 ABR 72/98, AP GG Art. 9 Nr. 89 [B. II. 2. b) bb) der Gründe]; ErfK/Linsenmaier, Art. 9 GG Rn. 35; Deinert, RdA 2017, 65 (76). 277

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lediglich vor einem zu großen Beitrittsdruck zu schützen; ein „Recht auf Gleichverteilung von Abfindungen“ und damit die Beimengung von Elementen einer wirtschaftlichen Gleichbehandlung übersteigt jedoch ihren Schutzbereich.280 Nimmt ein bestimmter Tarifvertrag den nicht- oder andersorganisierten Arbeitnehmern die Chance, mit dem Arbeitgeber in erfolgsversprechende Verhandlungen zu treten, ist zwar möglicherweise die Arbeitsvertragsfreiheit im Außenseiter-Arbeitsverhältnis betroffen,281 ein Eingriff in die negative Koalitionsfreiheit liegt jedoch bei dieser Tarifbestimmung nicht vor.282 (2) Unterschiedliche Lohnniveaus von Gewerkschaftsmitgliedern und Außenseitern als Grundannahme des deutschen Tarifvertragsrechts Mit einer derartigen Perspektive verdichten sich die Anzeichen, dass die Zulässigkeit einer unterschiedlichen Behandlung von Mitgliedern und Außenseiter durch den Tarifvertrag trotz verfassungsrechtlicher Gleichstufigkeit von positiver und negativer Koalitionsfreiheit letztlich entscheidend mit dem Freiwilligkeitserfordernis als Wesensmerkmal im Koalitionsbegriff zusammenhängt.283 Zwar verzichtet das deutsche Tarifsystem damit auf Zwangskoalierungen und erlaubt jedem Arbeitnehmer, grundsätzlich frei zwischen Mitgliedschaft und Nichtmitgliedschaft entscheiden zu können. Die negative Koalitionsfreiheit als solche kann auf diese Weise aber lediglich die freie Entscheidung zwischen Mitgliedschaft und Nichtmitgliedschaft garantieren. Vom Schutzbereich gerade nicht mehr umfasst ist daher der Anspruch, als Nichtmitglied wie ein Mitglied behandelt zu werden.284 Diese Aussage ist nach dem auf Mitgliedschaft basierenden Legitimationsmodell im deutschen Tarifrecht auch einfachgesetzlich mit §§ 3 I, 4 I TVG festgeschrieben. Stehen Außenseiter nach Inkrafttreten eines Tarifvertrags schlechter da als die organisierten Arbeitnehmer, handelt es sich um eine kausale, systemische Folgeerscheinung zum eigenen Entschluss, dem tarifschließenden Verband fernzubleiben bzw. aus ihm auszutreten.285 Dieser Umstand ist dem deutschen Tarifsystem aufgrund der Freiwilligkeit der Koalitionsmitgliedschaft immanent286 und daher de lege lata 280

Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 2145. Siehe dazu später, Teil 2 B. III. 6. 282 Zu Recht auch F. Hartmann/Lobinger, NZA 2010, 420 (422 f.). 283 JKOS/Krause, § 1 Rn. 79; Fischinger, NZA 2007, 310 (312). 284 ErfK/Linsenmaier, Art. 9 GG Rn. 35; Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 2145. 285 Das gilt insbes. auch dann, wenn ein betrieblicher Sozialplan oder eine individualvertragliche Bezugnahme im Arbeitsverhältnis eine Gleichstellung mit den begünstigten Gewerkschaftsmitgliedern nicht herbeiführt, vgl. unten, Teil 2 B. IV. und V.; daher unzutreffend Corzelius, ZTR 2016, 188 (189); Greiner, FS H. J. Willemsen, S. 159 (171). 286 BAG v. 15. 4. 2015 – 4 AZR 796/13, AP TVG § 3 Nr. 57 (Rn. 67); BAG v. 18. 3. 2009 – 4 AZR 64/08, AP TVG § 3 Nr. 41 (Rn. 54); Däubler, BB 2002, 1643 (1647); Fischinger, NZA 2007, 310 (312): „Grunddatum des geltenden Tarifvertragsrechts“; Franzen, ZfA 2005, 314 (332); Giesen, NZA 2004, 1317; Greiner, NZA 2016, 10 (13); ders., FS H. J. Willemsen, S. 159 (171); Herrmann, RdA 2016, 63 (64); Lobinger/F. Hartmann, RdA 2010, 235 (239); Löwisch, 281

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nicht korrekturbedürftig. Im Gegenteil würde jeder Versuch, die Tarifvertragsparteien zur Gleichbehandlung von Außenseitern und tarifgebundenen Arbeitnehmern zu verpflichten, zwangsläufig mit der Tarifautonomie und insofern mit Art. 9 III GG in Konflikt geraten.287 (3) Keine Übertragung von § 75 I BetrVG auf den Tarifsozialplan Aus diesem Grund verbietet es sich auch, den betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz aus § 75 I BetrVG analog auf einen Tarifsozialplan anzuwenden, um eine Besserbehandlung bestimmter Gewerkschaftsmitglieder zu verhindern.288 Durch die Vereinbarung von Abfindungs- und Überbrückungszahlungen bei Betriebsänderungen überschneiden sich die Regelungsinhalte eines solchen Tarifvertrags zwar regelmäßig mit denen eines Sozialplans nach § 112 BetrVG, doch reicht diese rein materiale Kongruenz nicht aus, um die Tarifvertragsparteien denselben Bindungen zu unterwerfen, die für die Betriebspartner bei der Aufstellung eines Sozialplans gelten.289 Während letztere als zentrale Organe der Betriebsverfassung die Interessen aller Arbeitnehmer gleichermaßen berücksichtigen müssen, da sämtliche Arbeitnehmer ihrer Regelungsbefugnis bereits qua Betriebszugehörigkeit unterworfen sind, ist die Tarifautonomie als Medium für die Durchsetzung mitgliedschaftlicher Interessen konzipiert und nimmt damit die Ungleichbehandlung von organisierten Arbeitnehmern und Außenseitern als systemimmanente Folgeerscheinung der Freiwilligkeit im Koalitionsbegriff in Kauf. Der Tarifsozialplan bleibt in jederlei Hinsicht Tarifvertrag290 und damit ein im Vergleich zum betrieblichen Sozialplan wesensverschiedenes Instrument für die autonome Wahrnehmung kollektiver Interessen.291 Da Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen auf jeweils unterschiedlichen Legitimationsansätzen beruhen,292 sind beide Regelungsinstrumente im Hinblick auf die Behandlung von Gewerkschaftsmitgliedern und Außenseitern grundverschieden.293 Der jeweilige Kontrollmaßstab kann deshalb nicht identisch sein.294 § 75 I BetrVG als genuin betriebsverfassungsrechtliches Spezifikum, der die DB 2005, 554 (558); Siegfanz-Strauß, RdA 2015, 266 (269); Ulber, SR 2018, 85 (93); vgl. auch Däubler/Heuschmid, § 1 TVG Rn. 1076. 287 Kempen/Zachert/Kempen, Grundl. TVG Rn. 213. 288 Nicht explizit, aber mit erkennbaren Sympathien für eine Übertragung dieser einfachrechtlichen Schranke Greiner, NZA 2016, 10 (12) und Kalb, FS Moll, S. 327 (333). 289 BAG v. 15. 4. 2015 – 4 AZR 796/13, AP TVG § 3 Nr. 57 (Rn. 65); BAG v. 6. 12. 2006 – 4 AZR 798/05, AP TVG § 1 Sozialplan Nr. 1 (Rn. 30); Ricken, Stichtagsregelungen, S. 31. 290 Lunk/Leder/Seidler, RdA 2015, 399 (404). 291 Richardi/Richardi, Einl. Rn. 140; Hohenstatt/Schramm, DB 2004, 2214 (2217); Richardi, Gutachten B für den 61. DJT, S. B9 (B24 ff.). 292 C. Arnold, Betriebliche Tarifnormen, S. 335 f.; F. Hartmann, Negative Tarifvertragsfreiheit, S. 176 f.; Kreutz, Betriebsautonomie, S. 79 ff.; Ricken, Stichtagsregelungen, S. 31; Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn. 1411 ff. 293 Ähnlich ebenfalls Veit, Zuständigkeit, S. 434. 294 Im Ergebnis auch Fitting, § 112 BetrVG Rn. 183; GK BetrVG/Kreutz-Jacobs, § 75 BetrVG Rn. 83; Corzelius, ZTR 2016, 188 (189).

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Gleichbehandlung wie ein Spiegelbild auf die gleichmäßige Regelungsunterworfenheit der gesamten Belegschaft zurückführt und damit Ausfluss der gesetzlichen Zwangskorporation ist, lässt sich nicht auf den Tarifvertrag als Produkt einer mitgliederbasierten Regelsetzung übertragen.295 Im Gegenteil: Das Recht der Tarifvertragsparteien, für ihre eigenen Mitglieder vorteilhafte – oder im Falle einer Sanierung möglichst schonende – Konditionen auszuhandeln, ist ein zentraler Bestandteil der verfassungsrechtlich garantierten kollektiven Koalitionsfreiheit in Art. 9 III GG. (4) Keine generelle, verfassungsrechtlich institutionalisierte Rücksichtnahmepflicht der Tarifvertragsparteien gegenüber Außenseitern Nachdem ein striktes Gleichbehandlungsgebot abzulehnen ist, kann allerdings zumindest darüber nachgedacht werden, die Tarifvertragsparteien auf Grundlage der negativen Koalitionsfreiheit der Außenseiter zur Rücksichtnahme auf deren Belange zu verpflichten, insbesondere wenn in Sanierungssituationen auf Unternehmerseite nur ein begrenztes Finanzierungsvolumen für die Sozialplanleistungen zur Verfügung steht. Damit kommt in abgewandelter Form erneut ein Gedanke zum Tragen, der bereits an früherer Stelle angeklungen ist und mit den Umständen der konkreten Betriebsänderung zusammenhängt. Wenn die Unternehmenssanierung Maßnahmen erforderlich macht, die die Belegschaft als Ganzes betreffen, scheint es bei unbefangener Herangehensweise nicht angemessen, sollten die Tarifvertragsparteien diese prekäre Unternehmenslage ausnutzen können, um ihren Mitgliedern exklusive Vorteile zu sichern. Allerdings sprechen gegen eine Lesart, die aus der negativen Koalitionsfreiheit eine wie auch immer geartete Rücksichtnahmepflicht der Tarifvertragsparteien zugunsten der nicht- oder andersorganisierten Arbeitnehmer zumindest bei Sozialplanleistungen ableiten möchte, ebenfalls gewichtige Gründe. Der offensichtlichste liegt in der fehlenden normativen Verankerung einer solchen Verpflichtung. Damit können die Außenseiter eine Rücksichtnahme auf Basis der negativen Koalitionsfreiheit nur dann einfordern, wenn diese Pflicht als immanente Funktionsgrenze für die Tarifautonomie und deshalb bereits in Art. 9 III GG selbst angelegt ist. In diese Richtung gibt es jedoch weder im Wortlaut des Grundgesetzes noch in den Verhandlungsprotokollen des Parlamentarischen Rats erfolgsversprechende Anhaltspunkte. Vielmehr wurden nicht tarifgebundene Arbeitnehmer und Arbeitgeber in den Verhandlungen des Parlamentarischen Rats teilweise als Behinderung für eine wirkliche Ordnung angesehen.296 „Moralische Anwandlungen wegen irgendeines Außenseiters, der sich den Gegebenheiten nicht fügen will und der deshalb für sich in Anspruch nehmen will, etwas anderes zu machen, sollte man zurückstellen.“297 Ordnung in der Wirtschaft stehe schließlich höher als „Eigensinn 295

In diese Richtung auch Richardi/Maschmann, § 75 BetrVG Rn. 40. So der Abg. Schönfelder (SPD), 44. Sitzung des Hauptausschusses am 19. 1. 1949, in: Feldkamp, Parlamentarischer Rat, Band 14, Teilband II, S. 1383. 297 So der Abg. Schönfelder (SPD), 44. Sitzung des Hauptausschusses am 19. 1. 1949, in: Feldkamp, Parlamentarischer Rat, Band 14, Teilband II, S. 1387. 296

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und Quertreiberei“.298 Zwar wollten andere wiederum den Außenseitern die Möglichkeit und Freiheit belassen, einen „planmäßig organisierten Egoismus“ zu pflegen299 und konnten sich mit der Etablierung eines gewissen Schutzniveaus zugunsten der Außenseiter letztlich durchsetzen.300 Die verfassungsrechtliche Gewährleistung, die den nichtorganisierten Arbeitnehmern eingeräumt wurde, beschränkte sich allerdings stets auf das Verbot von Zwangskoalierungen und damit auf die Freiwilligkeit der Verbandsmitgliedschaft, während eine gesonderte Rücksichtnahmepflicht der Tarifvertragsparteien auf die Belange der Außenseiter soweit ersichtlich zu keinem Zeitpunkt ernsthaft in Erwägung gezogen wurde. Dieses Verständnis entspricht auch der Konzeption, die der Tarifautonomie als Medium für eine mitgliederorientierte Interessenvertretung bislang zugrunde gelegt ist.301 Ein Rücksichtnahmegebot als Funktionsbeschränkung der Koalitionsfreiheit fügt sich nicht nur nicht nahtlos in die Vorstellung einer Tarifautonomie als kollektiv ausgeübter Privatautonomie ein, sondern hinterlässt sogar offene Brüche in der Argumentation.302 Es überträgt vielmehr unzulässigerweise ein Problem der Außenseiter zurück auf die Tarifvertragsparteien. Bereits oben konnte die Systemimmanenz einer Schlechterstellung von Außenseitern gegenüber Gewerkschaftsmitgliedern bei der Auskehrung von tariflichen Leistungen nachgewiesen werden.303 Wenn nunmehr die Tarifvertragsparteien gleichsam mit der Wirksamkeit einer Tarifvertragsklausel dafür haftbar gemacht würden, dass beim Arbeitgeber ausreichend finanzielle Mittel für die Sozialplanleistungen an Außenseiter verbleiben, mit denen die Betriebspartner eine in den Augen der Außenseiter angemessene Verteilungsentscheidung bei den Abfindungen treffen können, verleitet ein wie auch immer geartetes Rücksichtnahmegebot dazu, den Befund einer als systemimmanent wahrgenommenen Ungleichbehandlung zwischen gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmern und ihren nicht tarifgebundenen Kollegen wiederum durch die Hintertüre zu korrigieren. Die Außenseiter wären damit ein entscheidender Faktor bei der Bestimmung der Wirksamkeit von Differenzierungsklauseln mit Stichtag in der Vergangenheit. Führt man diesen Gedanken konsequent zu Ende, würde das Gebot für die Tarifvertragsparteien bedeuten, dass über ihnen zumindest in Restrukturierungssituationen stets das Damoklesschwert einer (teilweise) unzulässigen Tarifregelung schweben würde, wenn sie bei der Aufstellung eines Tarifsozialplans 298 So der Abg. Schönfelder (SPD), 44. Sitzung des Hauptausschusses am 19. 1. 1949, in: Feldkamp, Parlamentarischer Rat, Band 14, Teilband II, S. 1383. 299 So etwa der Abg. Kaufmann (CDU), 44. Sitzung des Hauptausschusses am 19. 1. 1949, in: Feldkamp, Parlamentarischer Rat, Band 14, Teilband II, S. 1386. 300 Vgl. die Ausführungen zur negativen Koalitionsfreiheit als Fernbleiberecht, Teil 2 B. III. 2. a). 301 Kritisch demgegenüber Wiedemann/Thüsing, § 1 TVG Rn. 248. Er sieht darin eine „Hauptschwäche der kollektiven Rechtsetzung, die darauf beruht, dass von ihren Folgen auch Dritte betroffen sind, deren Interessen weder beim Verfahren noch bei der Durchführung wahrgenommen werden.“. 302 In diese Richtung auch Lobinger/F. Hartmann, RdA 2010, 235 (239 ff.). 303 Siehe oben, Teil 2 B. III. 2. b) ee) (2).

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Teil 2: Die Zulässigkeit von tarifvertraglichen Differenzierungsklauseln

zu wenig auf diejenigen Arbeitnehmer achten, die nicht bei ihnen organisiert sind und deren Interessen sie damit grundsätzlich nicht vertreten.304 Abgesehen von den vagen und kaum kontrollfähigen Kriterien, die zwischen einer noch ausreichenden und einer schon in verfassungswidriger Weise vernachlässigten Rücksichtnahme unterscheiden sollen, kann diese Risikoverteilung nicht überzeugen. Der Umstand, dass die Außenseiter möglicherweise weniger Spielraum für ähnlich günstige Arbeitsbedingungen vorfinden als ihre tarifgebundenen Kollegen, ist die zwangsläufige Folgerung aus der Nichtmitgliedschaft in der tarifschließenden Koalition und dem gleichzeitigen Markterfolg der organisierten Arbeitnehmer.305 Wer die Schlechterstellung der Außenseiter bei einer tarifvertraglichen Regelung aber zutreffend als typische Folgeerscheinung des auf freiwillige Mitgliedschaft basierenden Tarifsystems begreift, muss konsequenterweise auch akzeptieren, dass der Tarifautonomie stets „eine Tendenz zur Einigung zu Lasten Dritter und der Allgemeinheit“ innewohnt.306 Aus diesem Grund verfängt auch der an die Tarifvertragsparteien gerichtete Vorwurf nicht, die Vereinbarung von umfangreichen Vorteilen exklusiv für eine bestimmte Gruppe von Gewerkschaftsmitglieder stelle wirtschaftlich einen unzulässigen Vertrag zu Lasten Dritter, namentlich der Außenseiter dar.307 Jede prozentuale Erhöhung der Leistungen an die organisierten Arbeitnehmer führt bei endlichen Ressourcen zu einer proportional geringeren Vermögensmasse, die für die nichtorganisierten Arbeitnehmer zur Verfügung steht. Diese wechselseitige Beziehung mit konkret fassbaren Auswirkungen auf die Außenseiter hat das Grundgesetz aber mit der Anerkennung einer kollektiv ausgeübten Privatautonomie als maßgebliches Verständnis der Tarifautonomie akzeptiert und dem Art. 9 III GG zugrunde gelegt. Da die Tarifvertragsparteien nach der Entscheidung des Verfassungsgebers jedoch nicht als hoheitlich legitimierte Repräsentanten der gesamten Belegschaft konzipiert sind308, liefe eine Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Belange fremder Arbeitnehmer der verfassungsrechtlich garantierten Freiheit zur Wahrnehmung eigener, gruppenspezifischer Interessen geradezu diametral entgegen. Zudem entspricht es den typischen Sachzwängen einer Restrukturierungssituation, dass die Folgeerscheinungen aus der konsequenten Anwendung dieser Grundsätze immer dann akut zu Tage treten, wenn der finanzielle Spielraum des Arbeitgebers merklich eingeschränkt ist und er nur einen limitierten Dotierungsrahmen für die Verteilung von Abfindungsund Überbrückungszahlungen zur Verfügung stellen kann. In diesem Fall sind die 304 So in Bezug auf die ähnlich gelagerte Problematik im Beschluss des Großen Senats des BAG vom 29. 11. 1967 auch Kempen/Zachert/Kempen, Grundl. TVG Rn. 214; Reuß, AuR 1970, 33 (34). 305 Siehe auch Franzen, RdA 2006, 1 (6); Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn. 1690. 306 Reuter, RdA 1994, 152 (161); ders., ZfA 1995, 1 (4); ebenso Höpfner, Tarifgeltung, S. 538; ähnlich auch Ackermann, Kartellrecht und Arbeitsmarkt, S. 19 (Rn. 1); Henssler, ZfA 1998, 1 (21). 307 So aber Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 2115. 308 Siehe oben, Teil 2 B. II. 2. a) bb) (1).

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wirtschaftlichen Konsequenzen aus der Vereinbarung der Tarifvertragsparteien für die Rechtsposition der Außenseiter regelmäßig besonders intensiv spürbar.309 Dennoch kann selbst diese außerordentliche Unternehmenslage keine Angemessenheitskontrolle der tariflichen Verteilungsentscheidung auf Grundlage der negativen Koalitionsfreiheit der Außenseiter herausfordern. Der Unmut von Seiten der Außenseiter über die exklusiven Boni für Altmitglieder der Gewerkschaft mag jedenfalls bei Restrukturierungsmaßnahmen nachvollziehbar sein; nach der geltenden Rechtslage muss die konkrete, für Außenseiter belastende Verteilungsentscheidung der Tarifvertragsparteien indes selbst bei hohen Sonderleistungen für die Verbandsmitglieder als konsequente Folgerung aus der systemtypischen Zweiteilung der Belegschaft im deutschen Tarifrecht hingenommen werden. Die Anreicherung des Schutzbereichs der negativen Koalitionsfreiheit mit einem Rücksichtnahmegebot bei finanziell begrenzten Vergütungstöpfen kann somit ebenfalls nicht überzeugen. Ein wie auch immer gearteter Auffangmechanismus, der eine tarifvertragliche Regelung unwirksam werden lässt, wenn keine „proportionale“ Verteilung von Abfindungszahlungen durch die Betriebspartner mehr garantiert werden kann, ist durch die negative Koalitionsfreiheit nicht gewährleistet. Der Rekurs auf dieses Grundrecht erweist sich daher als unzulässiger Kunstgriff. ff) Kein Eingriff in die negative Koalitionsfreiheit der Außenseiter durch den generalpräventiven Druck angesichts künftiger Sanierungstarifverträge mit Stichtagsklauseln Um dennoch einen Eingriff in die negative Koalitionsfreiheit der Außenseiter in der vorliegenden Konstellation begründen zu können, verweisen einige Stimmen aus dem tarifrechtlichen Schrifttum310 und der Instanzgerichtsbarkeit311 auf die Signalwirkung gegenüber den nicht- oder andersorganisierten Arbeitnehmern, wenn die Auskehrung von hohen Bonuszahlungen ausschließlich an Altmitglieder im Tarifvertrag gebilligt werde. Die Kritik entzündet sich dabei einheitlich an der vermeintlichen generellen Drucksituation, die infolge der Anerkennung eines Tarifvertrags mit exklusiven Leistungen allein für Altmitglieder entstehen würde. Damit werde den Außenseitern vor Augen geführt, dass sie in Zukunft bei Unternehmenssanierungen verstärkt mit entsprechenden Regelungen rechnen müssten.312 Möchten sie in dieser Situation künftig nicht mehr schlechter stehen als ihre tarifgebundenen Kollegen oder den wenig aussichtsreichen Weg über eine Individualvereinbarung mit dem Arbeitgeber beschreiten, seien die Außenseiter gleichsam aus 309

Ricken, Stichtagsregelungen, S. 16. HMB/Moll, Teil 12 Rn. 47c; Greiner, FS H. J. Willemsen, S. 159 (163); ders., NZA 2016, 10 (15); Lunk/Leder/Seidler, RdA 2015, 399 (404); ähnlich auch Meyer, Anm. zu AP TVG § 3 Nr. 57 (V.). 311 LAG München v. 28. 8. 2013 – 10 Sa 135/13, juris (Rn. 153). 312 HMB/Moll, Teil 12 Rn. 47c; Greiner, FS H. J. Willemsen, S. 159 (163); Kalb, FS Moll, S. 327 (337). 310

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Teil 2: Die Zulässigkeit von tarifvertraglichen Differenzierungsklauseln

vorbeugenden, prophylaktischen Gründen gezwungen, Mitglied in der entsprechenden Gewerkschaft zu werden.313 Ähnlich argumentierte auch ein Kläger in der Berufungsinstanz vor dem LAG München: Durch die Stichtagsregelung im Tarifvertrag entstehe für einen wirtschaftlich denkenden Arbeitnehmer nicht nur ein Anreiz, sondern ein faktischer Zwang, bei langfristiger Betrachtungsweise als „Quasi-Versicherung“ gegen den Arbeitsplatzverlust unabhängig von der eigenen Überzeugung in die Gewerkschaft einzutreten.314 Mit dem Hinweis auf künftige Tarifverträge trifft diese Sichtweise einen Aspekt, der in den bisherigen Überlegungen ausgeblendet werden konnte und deshalb noch nicht zur Sprache gekommen ist. Bislang richteten die Ausführungen das Augenmerk stets auf die konkrete tarifliche Regelung, die wesentliche Bonusleistungen an die Gewerkschaftsmitgliedschaft zu einem bestimmten Stichtag in der Vergangenheit knüpft. Bei solchen bereits bestehenden Tarifverträgen mit Stichtag in der Vergangenheit hat der Beitritt zum aktuellen Zeitpunkt gerade keine anspruchsbegründende Wirkung, weshalb ein wie auch immer gearteter Beitrittsdruck nicht messbar ist und ein Verstoß gegen das Zwangsverbot abgelehnt werden muss.315 Weitet man nunmehr jedoch den Beobachtungsrahmen und bezieht auch solche Tarifverträge in die Bewertung mit ein, die künftig einem ähnlichen Muster folgen könnten, scheint sich tatsächlich eine Abänderung der bisherigen rechtlichen Würdigung aufzudrängen. Anders als bei einem exklusiven Blick auf die bereits bestehende Regelung hat der Außenseiter-Arbeitnehmer bei künftigen Tarifverträgen tatsächlich die Möglichkeit, pro futuro eine Schlechterstellung durch einen (rechtzeitigen) Beitritt abzuwenden. Damit wird allerdings auch offenbar, dass es der Außenseiter im Gegensatz zum aktuellen Tarifvertrag mit Stichtagsklausel im Hinblick auf zukünftige Tarifverträge selbst in der Hand hat, ob er nach einem Beitritt an den Vorteilen einer Gewerkschaftsmitgliedschaft partizipieren oder weiterhin auf den kollektiven Schutz verzichten möchte. Angesichts der drohenden immensen wirtschaftlichen Nachteile, die durch künftige Sanierungssituationen auf den Arbeitnehmer zukommen könnten, liegt damit der Schluss nahe, dass sich die originäre Entscheidungsfreiheit des Außenseiters zu einem unzulässigen Beitrittszwang verdichten könnte. Allerdings sprechen gegen diese Sichtweise ebenfalls schwerwiegende Gründe. Immerhin muss der Verweis auf eine abstrakte „Gefährdungslage“ zu Lasten der Außenseiter im Zweifel nachweisen können, dass künftige Sanierungstarifverträge mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit tatsächlich die entsprechenden Differenzierungsklauseln mit Stichtagsregelungen enthalten werden. Anderenfalls sähe sich die Argumentation mit einer generalpräventiven Drucksituation schnell dem Vorwurf ausgesetzt, spekulative Prognosen heranzuziehen und künftige, kaum absehbare Entwicklungen als Fundament der eigenen Meinungsbildung zugrunde zu

313 314 315

Meyer, Anm. zu AP TVG § 3 Nr. 57 (V.). Vgl. LAG München v. 28. 8. 2013 – 10 Sa 135/13, juris (Rn. 58 und 98). Siehe oben, Teil 2 B. III. 2. b) cc).

B. Differenzierungsklausel mit Stichtag vor Abschluss des Tarifvertrags

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legen.316 Für eine verstetigte Verwendung dieser Klauseln fehlen indes belastbare Erfahrungswerte. Die tarifvertragliche Vereinbarung exklusiver Vorteile für solche Gewerkschaftsangehörige, die zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Vergangenheit bereits Mitglied waren, ist bislang sicherlich noch nicht in einem Umfang verbreitet, der als gängiger modus operandi oder gar als eine über Jahrzehnte gewachsenene und standardisierte Vorgehensweise der Tarifvertragsparteien in Restrukturierungssituationen bezeichnet werden könnte. Doch selbst wenn künftig tatsächlich eine verstärkte Verwendung von Differenzierungsklauseln mit Stichtag in der Vergangenheit bei Unternehmenssanierungen beobachtet werden könnte, reicht dieser Befund nicht aus, um einen Beitrittszwang und damit einen Eingriff in die negative Koalitionsfreiheit der Außenseiter bezogen auf die bereits bestehende Tarifregelung zu konstruieren. Dem Außenseiter bleiben auch in Erwartung einer erneuten Unternehmenssanierung zwei realistische Handlungsoptionen: Er kann sich entweder mit der erwartbaren Schlechterstellung gegenüber seinen tarifgebundenen Kollegen abfinden und evtl. auf eine individualvertragliche Weitergabe der tariflichen Leistung durch den Arbeitgeber vertrauen oder kann selbst der Gewerkschaft beitreten und als Mitglied einen originären normativen Anspruch auf die versprochenen Leistungen erlangen. Damit entspricht die Ausgangslage für die Entscheidung, die der Außenseiter in dieser Situation treffen muss, bei wertender Betrachtung derjenigen, die bereits von den einfachen Differenzierungsklauseln bekannt ist. Mit dieser Prämisse lassen sich grundsätzlich sämtliche Erklärungsmuster der dortigen Problematik übertragen und für die hier interessierende Fragestellung in leicht modifizierter Form ebenfalls fruchtbar machen. So ist insbesondere die differenzierende Behandlung zwischen Gewerkschaftsmitgliedern einerseits und Außenseitern andererseits in einem bestehenden Tarifvertrag als systemtypisches Charakteristikum der deutschen Tarifrechtsordnung anerkannt und von den Außenseiter hinzunehmen (§§ 3 I, 4 I TVG).317 Die negative Koalitionsfreiheit kann keinen Schutz gegen die wirtschaftliche Schlechterstellung gewähren, die dem Außenseiter bei fortgesetztem Fernbleiben im Vergleich zu seinen tarifgebundenen Kollegen widerfährt, sobald der Inhalt der individualvertraglichen Vereinbarung mit dem Arbeitgeber hinter dem tariflichen Niveau zurückbleibt.318 Diese Folgerung wirkt zwar angesichts der hohen Summen, die bei Sanierungstarifverträgen für die Altmitglieder im Raum stehen, deutlich gravierender als bei einfachen Differenzierungsklausel. Allerdings konnte bereits im Rahmen der Untersuchung zu den einfachen Differenzierungsklauseln erfolgreich herausgearbeitet werden, dass es nach der lex lata im deutschen Tarifvertragsrecht auf die Höhe des exklusiven Be316 Ähnlich auch BVerfG v. 14. 11. 2018 – 1 BvR 1278/16, AP GG Art. 9 Nr. 153 (Rn. 5): „Der vom Beschwerdeführer behauptete ,generalpräventive Druck‘, einer Gewerkschaft beizutreten, wird nicht weiter belegt“. 317 Siehe die in Teil 2, Fn. 286 Genannten. 318 Vgl. die in Teil 2, Fn. 277 Genannten und BVerfG v. 14. 11. 2018 – 1 BvR 1278/16, AP GG Art. 9 Nr. 153 (Rn. 5).

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Teil 2: Die Zulässigkeit von tarifvertraglichen Differenzierungsklauseln

trags für die Gewerkschaftsmitglieder nicht entscheidend ankommen kann.319 Ein wirtschaftlich denkender Außenseiter wird zwar in Erwartung künftiger Sanierungstarifverträge den Gewerkschaftsbeitritt als verlockende Handlungsoption in Erwägung ziehen, jedoch geht von dieser Ausgangslage in Fortentwicklung der bisher gefundenen Ergebnisse kein größerer Beitrittsdruck aus als von der allgemeinen Differenzierung zwischen Gewerkschaftsmitgliedern und Außenseitern im Tarifvertrag, die beispielsweise einer einfachen Differenzierungsklausel und dem Gesetz zugrunde liegt.320 Für diesen Abschnitt kann daher festgehalten werden: Auch die abstrakte „Gefahr“ weiterer Sanierungstarifverträge mit Stichtagsklausel, die den tarifgebundenen Arbeitnehmern regelmäßig deutlich umfangreichere Leistungen gewähren als eine einfache Differenzierungsklausel, erzeugt bei den Außenseitern keinen rechtserheblichen Beitrittsdruck. Der latente Anreiz zur Gewerkschaftsmitgliedschaft durch exklusive Leistungen ist dem deutschen Tarifvertragssystem wegen §§ 3 I, 4 I TVG immanent. c) Ergebnis Das Fernbleiberecht der nicht- oder andersorganisierten Arbeitnehmer ist durch die konkrete Differenzierungsklausel mit Stichtag im Tarifvertrag nicht betroffen. Zum einen fehlt es bereits an einem messbaren Beitrittsdruck, da Außenseiter nicht mehr anspruchsbegründend in die Gewerkschaft eintreten können. Zum anderen umfasst der Schutzbereich des Fernbleiberechts selbst in der außerordentlichen Situation einer Unternehmenssanierung nicht das Recht, als Nichtmitglied wie ein Mitglied behandelt zu werden. Zudem gibt es kein Gebot für die Tarifvertragsparteien, in angemessener Weise auf die Belange der Außenseiter Rücksicht zu nehmen. Auch die Erwartung künftiger Tarifverträge mit Stichtagsklauseln begründet keinen hinreichenden Beitrittszwang, der als Eingriff in das Fernbleiberecht und damit die negative Koalitionsfreiheit gewertet werden müsste. 3. Verstoß gegen die Aus- bzw. Übertrittsfreiheit durch unmittelbaren Bleibedruck bei hohen Beträgen Vereinzelt wird zudem diskutiert, ob durch hohe Leistungsversprechen in den Differenzierungsklauseln ein unmittelbarer Bleibedruck auf die Mitglieder in der tarifschließenden Gewerkschaft ausgeübt wird.321 Insbesondere bei umfassenden finanziellen Zuwendungen in einem Tarifsozialplan erscheint diese Überlegung nicht fernliegend. Virulent wird damit ein potentieller Verstoß der Differenzie319

Siehe oben, Teil 1 E. III. In hier vertretenen Sinne auch Bauer, FS Moll, S. 33 (38 f.). 321 So bspw. Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 2128, 2144; vgl. auch Breschendorf, Zweiteilung, S. 112. 320

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rungsklausel mit Stichtag gegen die Aus- bzw. Übertrittsfreiheit der entsprechenden Arbeitnehmer, die nicht mehr Mitglied im tarifschließenden Verband sein wollen. Je nachdem, ob sich der Arbeitnehmer ganz aus der organisierten Tarifpolitik zurückziehen oder lediglich in einen anderen Verband überwechseln möchte, kommt dabei die negative Koalitionsfreiheit in Form des Austrittsrechts bzw. die positive Koalitionsfreiheit als Übertrittsrecht in Betracht. Hinsichtlich des Kontrollmaßstabs für die jeweilige Klausel ergeben sich aus den unterschiedlichen Verankerungen jedoch keine Unterschiede, da bei beiden Spielarten der Koalitionsfreiheit gleichermaßen entscheidend ist, ob ein unzulässiger Zwang zum Verbleib in der tarifschließenden Gewerkschaft ausgeübt wird. Allerdings wiederholen sich an dieser Stelle die Erklärungsmuster aus dem spiegelbildlich gelagerten Fall des Beitrittsdrucks auf Außenseiter bei einer einfachen Differenzierungsklausel. Dort wurde ein unzulässiger Beitrittsdruck mit dem Argument abgelehnt, dass Außenseiter bereits wegen §§ 3 I, 4 I TVG nicht in den Genuss der tarifvertraglichen Boni gelangen und es deshalb auf die Höhe der versprochenen Leistungen nicht mehr entscheidend ankommen kann.322 Ähnliche Argumente lassen sich unter umgekehrten Vorzeichen auch in der Konstellation eines aus- bzw. übertrittswilligen Arbeitnehmers fruchtbar machen. Dieser hat nur dann einen Anspruch auf die tariflichen Leistungen, wenn er als Mitglied der tarifschließenden Gewerkschaft die Bindung an den konkreten Tarifvertrag aufrechterhält. Verlässt er indes den tarifschließenden Verband oder wechselt er in eine andere Gewerkschaft, verzichtet er damit jedoch auf die Vorteile, die seine bisherige Organisation für ihn erstritten hat.323 Die Erwartung, auch nach Austritt wie ein Mitglied in der tarifschließenden Gewerkschaft behandelt zu werden, wird jedoch an keiner Stelle geschützt. § 3 III TVG soll lediglich die Tariftreue der Vertragsparteien und gerade nicht die Vorteile einer Mitgliedschaft über den Wegfall der Tarifnormwirkung hinaus sichern.324 Ein Anspruch auf Gleichbehandlung zwischen ausgetretenem Arbeitnehmer und Gewerkschaftsmitglied besteht deshalb maximal bis zu dem Zeitpunkt, an dem der Tarifvertrag und damit die Nachbindung des ausgetretenen Arbeitnehmers gemäß § 3 III TVG endet. Ist der Tarifvertrag in seinem Geltungsbereich bereits a priori auf Verbandsmitglieder beschränkt, fallen Verlust der Mitgliedschaft und Ende der Tarifbindung zudem zeitlich zusammen.325 Die gleichsam fortwirkende Pflicht zur Gleichbehandlung von ausgeschiedenen Arbeitnehmern und Gewerkschaftsmitgliedern ist im TVG indes nicht angelegt.326 Ein 322

Siehe oben, Teil 1 E. III. Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 2128. 324 Däubler/Däubler, § 3 TVG Rn. 79 ff.; ErfK/Franzen, § 3 TVG Rn. 22; Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 2128; dies., § 3 TVG Rn. 246; Büdenbender, NZA 2000, 509 (512 ff.); Höpfner, NJW 2010, 2173 (2174). 325 Zur grundsätzlichen Zulässigkeit einer solchen Gestaltung des tariflichen Geltungsbereichs BAG v. 21. 1. 2015 – 4 AZR 797/13, AP TVG § 3 Verbandszugehörigkeit Nr. 30 (Rn. 63 ff.). 326 Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 2128. 323

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Teil 2: Die Zulässigkeit von tarifvertraglichen Differenzierungsklauseln

entsprechendes Gebot lässt sich auch nicht aus Art. 9 III GG ableiten. Dort wird zwar die Möglichkeit zum Austritt bzw. zum Übertritt in eine andere Gewerkschaft gewährleistet, allerdings ohne die Prämisse, nach dem Statuswechsel eine gleiche Behandlung beanspruchen zu können wie die noch tarifgebundenen Mitglieder.327 Wenn ausgetretene Arbeitnehmer außerhalb der tarifschließenden Gewerkschaft schlechtere Gesamtbedingungen vorfinden als tarifgebundene Mitglieder, offenbaren sich wiederum die typischen Folgeerscheinungen eines Tarifsystems, das in seinem Wesenskern elementar auf die Mitgliedschaft aufbaut. Die unterschiedliche Behandlung von ausgeschiedenen Arbeitnehmern und Gewerkschaftsmitgliedern zeichnet somit auch in dieser Konstellation nur die geltende Rechtslage nach und ist deshalb nicht zu beanstanden. Auf die Höhe der entsprechenden Vergünstigungen kann es deshalb auch bei aus- bzw. übertrittswilligen Arbeitnehmer nicht ankommen.328 Die negative bzw. positive Koalitionsfreiheit dieser Arbeitnehmer ist damit selbst bei erheblichen finanziellen Vorteilen, die die Klausel den Alt-Gewerkschaftsmitgliedern verspricht, nicht verletzt. 4. Verstoß gegen die Aus- bzw. Übertrittsfreiheit durch die Kopplung der tariflichen Leistungen an eine Stichtagsklausel mit überlangen Bleibefristen und Rückzahlungsverpflichtungen Die Situation muss jedoch möglicherweise neu bewertet werden, wenn die Ausschüttung der tariflichen Sonderzuwendungen zusätzlich mit einer Bleibefrist, die in Relation zur Höhe der Exklusivleistungen unverhältnismäßig lang erscheint, oder sogar mit einer Rückzahlungsklausel verbunden wird, die den Arbeitnehmer verpflichtet, bestimmte Teile oder sogar die gesamte tarifliche Leistung im Falle eines Austritts zurückzuerstatten. a) Überlange Bleibefrist als Eingriff? Verlangt der Tarifvertrag in seinen Anspruchsvoraussetzungen, dass das Mitglied fortgesetzt gewerkschaftsangehörig bleiben muss, drängt sich auf den ersten Blick ein Vergleich mit der ähnlich gelagerten Problematik einer Austrittsfrist in den Satzungen der Verbände auf. Für die Arbeitnehmerseite hat der BGH bereits in den 1970er und 1980er-Jahren durch Abwägung der kollektiven Koalitionsfreiheit der Gewerkschaft mit der negativen Koalitionsfreiheit des Mitglieds entschieden, dass Gewerkschaftssatzungen bestimmte Austrittsfristen vorsehen können.329 Die im allgemeinen Vereinsrecht vorgesehene Höchstgrenze von zwei Jahren in § 39 II Hs. 2 BGB verstoße jedoch angesichts der langen Bindungsdauer gegen die negative 327

ErfK/Linsenmaier, Art. 9 GG Rn. 35; Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 2128. So zu Recht auch Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 2128. 329 BGH v. 22. 9. 1980 – II ZR 34/80, AP GG Art. 9 Nr. 33; vgl. auch BGH v. 4. 7. 1977 – II ZR 30/76, AP GG Art. 9 Nr. 25. 328

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Koalitionsfreiheit des austrittswilligen Mitglieds und könne vor dem Hintergrund dieser grundrechtlichen Überformung bei Austritten aus der Gewerkschaft maximal sechs Monate betragen.330 Inzwischen billigt die höchstrichterliche Rechtsprechung im Sinne der wohl herrschenden Meinung im Schrifttum331 auch bei den Satzungen der Arbeitgeberverbände die Begrenzung der Austrittsfrist auf höchstens sechs Monate.332 Trotz der vermeintlichen Verwandtschaft der beiden Fallgestaltungen lassen sich die Aussagen und Erklärungsmuster zu den satzungsmäßigen Austrittsfristen nicht auf überlange Bleibefristen als Anspruchsvoraussetzung für tarifliche Leistungen übertragen. Der Arbeitnehmer wird durch bloße tarifvertragliche Bleibefristen nicht in rechtlich zu beanstandender Weise daran gehindert, der tarifierenden Gewerkschaft den Rücken zu kehren. Zwar muss er in diesem Fall auf die finanzielle Besserstellung verzichten, allerdings wurde bereits an früherer Stelle dargelegt, dass er außerhalb des tarifschließenden Verbands keinen verfassungsrechtlich geschützten Anspruch darauf hat, wie ein privilegiertes Mitglied behandelt zu werden.333 Anderenfalls würde das im deutschen Tarifrechtssystem angelegte Grunddatum unterlaufen, das im Ausgangspunkt auf der regelmäßig unterschiedlichen Behandlung der Gewerkschaftsmitglieder im Verhältnis zu einem vergleichbaren Außenseiter und damit auf der fortgesetzten Mitgliedschaft basiert. Diese Besserbehandlung lässt sich abseits von individualvertraglichen Gleichstellungsklauseln sowieso nur aufrechterhalten, wenn der Arbeitnehmer auch künftig Mitglied bleibt. Im Gegensatz zur verbandsrechtlichen Austrittsfrist, die die Mitglieder zwingend durchlaufen müssen, wollen sie den Verband verlassen, normiert die Bleibefrist in Tarifverträgen lediglich eine Tatbestandsvoraussetzung für den tariflichen Anspruch. Mit der Aussicht auf diesen Bonus setzt sie einen Anreiz zum Verbleib, verhindert oder verzögert den Austritt jedoch nicht. Eine unverhältnismäßig lange Bleibefrist per se kann deshalb noch keinen unzulässigen Bleibedruck auslösen.334

330

BGH v. 22. 9. 1980 – II ZR 34/80, AP GG Art. 9 Nr. 33. HMB/Höpfner, Teil 6 Rn. 38; HWK/Henssler, § 3 TVG Rn. 11; Löwisch/Rieble, § 3 TVG Rn. 136; Bauer/Diller, DB 1993, 1085; v. Bernuth, NJW 2003, 2215; Däubler, NZA 1996, 225 (226); Krauss, DB 1995, 1562; Schöpflin, ZStV 2015, 41 (44); a. A. Däubler/Lorenz, § 3 TVG Rn. 47 und Oetker, ZfA 1998, 41 (61 ff.): sechsmonatige Kündigungsfrist bei Gewerkschaft, einjährige Kündigungsfrist bei Arbeitgeberverbänden; Reitze, NZA 1999, 70 (71): dreimonatige Kündigungsfrist sowohl bei Arbeitgeberverbänden als auch Gewerkschaften; Paschke, JR 2006, 264, allerdings ohne eine konkrete Frist für den Austritt aus dem Arbeitgeberverband zu nennen. 332 BGH v. 29. 7. 2014 – II ZR 243/13, NJW 2014, 3239 (Rn. 26); noch offen gelassen von BAG v. 1. 12. 2004 – 4 AZR 55/04, AP TVG § 3 Verbandsaustritt Nr. 12 [1. b) der Gründe]. 333 Vgl. die in Teil 2, Fn. 284 Genannten. 334 A. A. aber wohl Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 2144. 331

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Teil 2: Die Zulässigkeit von tarifvertraglichen Differenzierungsklauseln

b) Überlange Bleibefrist mit Rückzahlungsverpflichtung als Eingriff? Dieser Befund bedarf jedoch der kritischen Reflexion und gegebenenfalls einer Abänderung, sobald im Tarifvertrag neben überlangen Bleibefristen auch Rückzahlungsklauseln vereinbart sind, kraft derer ein Arbeitnehmer die tariflichen Leistungen ganz oder anteilig nach dem Austritt aus der Gewerkschaft zurückerstatten muss. Insbesondere wenn man sich erneut die Konstellation aus der BAGEntscheidung vom 9. 5. 2007 vergegenwärtigt, bei der die tariflichen Sonderleistungen solchen Arbeitnehmern vorbehalten waren, die Mitglied der IG BCE „sind und bleiben“ und „Arbeitnehmer, die diese Voraussetzung nicht erfüllen, […] eine zu Unrecht bezahlte Vergütung zurückzuzahlen“335 hätten, scheint eine faktische Ewigkeitsbindung an die Gewerkschaft festgeschrieben, will der Arbeitnehmer auch weiterhin die versprochene Summe behalten. Nimmt man den Tarifvertrag beim Wort, müssten selbst Arbeitnehmer, die fünf, zehn oder gar erst zwanzig Jahre nach Tarifabschluss aus der Gewerkschaft austreten, die erhaltene Leistung rückwirkend zurückerstatten. Damit handelt es sich bei diesen Klauseln nicht mehr nur allein um den Ausschluss von einer tariflichen Vergünstigung für die Zukunft, sondern um eine gezielte Sanktion des Arbeitnehmers anlässlich des Austritts aus dem tarifschließenden Verband. In der Literatur besteht bei der Bewertung dieser Tarifgestaltung weitestgehend Einigkeit. Demnach stellen Klauseln, die den Arbeitnehmer zur Rückzahlung bestimmter tariflicher Sondervergütungen verpflichten, Strafzahlungen im organisationspolitischen Interesse der Gewerkschaft dar, die die Austrittsfreiheit unmittelbar beeinträchtigten und deshalb nichtig seien.336 Diese Aussage über einen Tarifvertrag, der „mit der einen Hand gibt, mit der anderen wieder nimmt“, vermag in ihrer Pauschalität jedoch nicht zu überzeugen. Versucht man sich einer Lösung auf unbefangene Art und Weise zu nähern, offenbaren sich auch in der hier strittigen Konstellation Parallelen zu einer bereits bekannten Problematik. Zahlreiche Arbeitsverträge sehen Rückzahlungsklauseln vor, nach denen der Arbeitnehmer Ausbildungskosten, Gratifikationen, o. Ä. zurückerstatten muss, wenn er vor einem bestimmten Zeitpunkt den Arbeitgeber wechseln möchte. Zwar wird die Zulässigkeit dieser Klauseln337 wegen der Einschränkung der freien Wahl des Arbeitsplatzes im Lichte des Art. 12 I GG338 und damit unter einem anderen Grundrecht als die hier in Rede stehenden tarifvertraglichen Rückzahlungsklauseln aus Anlass des Verbandsaustritts diskutiert. Dennoch können die 335

BAG v. 9. 5. 2007 – 4 AZR 275/06, AP TVG § 3 Verbandszugehörigkeit Nr. 23 (Rn. 5). Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 2146; Klebeck, SAE 2008, 97 (101). 337 Siehe hierzu monografisch Lübbersmann, Zulässigkeit arbeitsvertraglicher und tarifvertraglicher Rückzahlungsklauseln, passim. 338 Zur Debatte vgl. nur BAG v. 27. 6. 2018 – 10 AZR 290/17, AP BGB § 611 Gratifikation Nr. 310 (Rn. 43 ff.) BAG v. 23. 4. 1997 – 5 AZR 29/96, AP BGB § 611 Ausbildungsbeihilfe Nr. 25; ErfK/Preis, § 611a BGB Rn. 549; Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 2358; Dorth, RdA 2013, 287; Hennige, NZA-RR 2000, 617; I. Schmidt, NZA 2004, 1002; differenzierter allerdings Meier/Schulz, NZA 1996, 742 (746): abhängig vom Prüfungsgegenstand entweder Art. 12 I GG oder Art. 2 I GG. 336

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Ansätze aus dem Individualarbeitsrecht aufgrund der materiell-inhaltlichen Überschneidungen möglicherweise einen wertvollen Beitrag zur Lösungsfindung für die Parallele auf tariflicher Ebene beim Verlassen der Gewerkschaft beisteuern. In Bezug auf die Rückerstattung der Ausbildungskosten hat sich im Indiviualarbeitsverhältnis durch richterrechtliche Ausgestaltung ein System etabliert, das die Interessen des Arbeitgebers, an den Früchten seiner Investition zu partizipieren, denen des Arbeitnehmers gegenüberstellt und abhängig von der Dauer der Qualifikationsmaßnahme gestufte, unterschiedlich lange Bindungsdauern vorsieht.339 Will der Arbeitnehmer vor Ablauf der jeweiligen Bindungsfrist den Arbeitgeber verlassen, kann er im Arbeitsvertrag zur Rückzahlung der Ausbildungskosten verpflichtet werden. Mit einem ähnlichen, auf Ausgleich der konfligierenden Belange bedachten Vorsatz wurden auch für die Rückzahlung von Gratifikationen durch „die Rechtsprechung Grenzwerte entwickelt, bei deren Überschreitung anzunehmen ist, dass der Arbeitnehmer durch die vereinbarte Rückzahlung in unzulässiger Weise in seiner durch Art. 12 I GG garantierten Berufsausübung behindert wird.“340 Danach können Sondervergütungen mit reinem Entgeltcharakter bzw. Mischcharakter nur pro rata temporis für diejenigen Zeiträume zurückgefordert werden, in denen tatsächlich keine Arbeitsleistung erbracht wurde.341 Im Gegensatz hierzu sind Rückzahlungsklauseln grundsätzlich für solche Sonderzahlungen erlaubt, die in keinem Synallagma zur Arbeitsleistung stehen und damit allein die Betriebstreue des Arbeitnehmers sichern oder honorieren sollen (Jubiläumszahlungen etc.).342 Jedoch besteht auch hier ein Zusammenhang zwischen der Leistungshöhe und der Bindungsdauer. So können Beträge unter 100 Euro bzw. 200 DM wegen des geringen Leistungsumfangs schon a priori nicht an eine Rückzahlungsverpflichtung gekoppelt werden.343 Für Summen zwischen 100 Euro bzw. 200 DM und dem Bruttomonatsverdienst erkennt die Rechtsprechung ein Interesse des Arbeitgebers an der Bindung des Arbeitnehmers bis zum 31.3. des Folgejahres als angemessen an.344 Übersteigt die Sonderleistung das Bruttomonatsgehalt des Arbeitnehmers, erreicht aber noch nicht den Umfang von zwei Bruttomonatsgehältern, darf eine Bindung bis zum 30. 6. des

339 Tabellen bei Dorth, RdA 2013, 287 (294); Hennige, NZA-RR 2000, 617 (624) mit Verweis auf die entsprechenden Entscheidungen. 340 BAG v. 21. 5. 2003 – 10 AZR 390/02, AP BGB § 611 Gratifikation Nr. 250 [II. 2. b) der Gründe]; vgl. auch BAG v. 24. 10. 2007 – 10 AZR 825/06, AP BGB § 307 Nr. 32 (Rn. 24). 341 HK-ArbR/Boemke/Ulrici, Anh. zu §§ 307 – 309 BGB Rn. 49 ff.; ErfK/Preis, § 611a BGB Rn. 548; vgl. auch BAG v. 18. 1. 2012 – 10 AZR 612/10, AP BGB § 611 Gratifikation Nr. 292. 342 APS/Rolfs, § 628 BGB Rn. 9. 343 Vgl. BAG v. 17. 3. 1982 – 5 AZR 1250/79, AP BGB § 611 Gratifikation Nr. 110. 344 BAG v. 10. 5. 1962 – 5 AZR 452/61, AP BGB § 611 Gratifikation Nr. 22; BAG v. 9. 6. 1993 – 10 AZR 529/92, AP BGB § 611 Gratifikation Nr. 150 [II. 2. der Gründe]; BAG v. 21. 5. 2003 – 10 AZR 390/02, AP BGB § 611 Gratifikation Nr. 250 [II. 2. b) der Gründe]; BAG v. 25. 4. 2007 – 10 AZR 634/06, AP BAT § 22, 23 Zuwendungs-TV Nr. 29 (Rn. 25).

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Folgejahres vorgesehen werden.345 Eine noch längere Bindung lässt sich theoretisch ebenfalls rechtfertigen, setzt allerdings voraus, dass eine „eindrucksvolle“ und „beachtliche“ Zuwendung an den Arbeitnehmer erfolgt.346 Diese stufenweise Konkretisierung der Angemessenheit für die Rückzahlung von Gratifikationen im Individualarbeitsverhältnis ist allerdings tarifdispositiv; eine Abweichung von dieser Abstufung bleibt durch Tarifvertrag347 oder auf Grundlage eines Tarifvertrags348 möglich. Selbstverständlich können die Grenzwerte für zulässige Bindungsfristen, die von der Rechtsprechung für das Individualarbeitsverhältnis entwickelt wurden, nicht blindlings auf die Rückforderung von tariflichen Leistungen im Fall eines Austritts aus der Gewerkschaft übertragen werden.349 Insbesondere ist wenig einsichtig, warum die Rückzahlung an den Arbeitgeber erfolgen soll, wenn doch die Gewerkschaft ein Interesse am Verbleib des Mitglieds hat. Die Sicherung der Verbandstreue weist damit bereits strukturell eine andere Dimension auf als die Sicherung der Betriebstreue durch den Arbeitgeber. Dennoch zeigen sich Gemeinsamkeiten, beispielsweise bei der Gegenüberstellung und Gewichtung der widerstreitenden Positionen. Ebenso wie der Arbeitgeber durch arbeitsvertragliche Rückzahlungsklauseln an den Früchten seiner Investitionen partizipieren will, haben die Gewerkschaften ein organisationspolitisches und finanzielles Interesse am Verbleib des Arbeitnehmers. Weshalb lediglich das Interesse des Arbeitnehmers am Verbandsaustritt in die Bewertung einfließen, die entgegengesetzte Belange der Gewerkschaft allerdings vollständig ausgeblendet werden sollen, vermag nicht einzuleuchten. Gerade wenn die soeben präsentierten Grenzwerte aus der Rechtsprechung zu den Rückzahlungsklauseln im Arbeitsvertrag Folgen eines Abwägungsprozesses darstellen, der ein ähnlich gelagertes Spannungsverhältnis auflöst und wegen der typisierten, vom BAG bestätigten Angemessenheit einen annehmbaren Ausgleich bereithält, spricht nichts gegen die Anwendung eines ähnlichen Argumentationsmusters im Verhältnis zwischen der Gewerkschaft und ihrem Mitglied. Legt man diese Prämisse zugrunde, wird zunächst offenbar, dass eine Rückzahlung schon von vornherein lediglich bei solchen tariflichen Leistungen in Be345

BAG v. 24. 10. 2007 – 10 AZR 825/06, AP BGB § 307 Nr. 32 (Rn. 24); BAG v. 27. 10. 1978 – 5 AZR 754/77, AP BGB § 611 Gratifikation Nr. 99. 346 BAG v. 12. 12. 1962 – 5 AZR 324/62, AP BGB § 611 Gratifikation Nr. 25 [II. der Gründe]. 347 BAG v. 27. 6. 2018 – 10 AZR 290/17, AP BGB § 611 Gratifikation Nr. 310 (Rn. 48); vgl. grundlegend BAG v. 23. 2. 1967 – 5 AZR 234/66, AP BGB § 611 Gratifikation Nr. 57; BAG 31. 3. 1966 – 5 AZR 516/65, AP BGB § 611 Gratifikation Nr. 54; ErfK/Preis, § 611a BGB Rn. 549; Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 2359. 348 BAG v. 27. 6. 2018 – 10 AZR 290/17, AP BGB § 611 Gratifikation Nr. 310 (Rn. 29). 349 In diesem Sinne kann auch Wiedemann/Jacobs, Einl. TVG Rn. 487 verstanden werden, wenngleich er wohl nur die Konkretisierung einer individualvertraglichen Rückzahlungsverpflichtung durch Tarifvertrag im Blick hatte.

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tracht kommt, die nicht (teilweise) an das arbeitsvertragliche Synallagma anknüpfen, sondern ausschließlich die „Verbandstreue“ sichern und belohnen wollen.350 Pauschale Rückzahlungsverpflichtungen beim Verlassen der Gewerkschaft, wie sie im Sachverhalt zur BAG-Entscheidung vom 9. 5. 2007 vorgesehen waren und zu einer faktischen Ewigkeitsbindung führen, schränken in diesem Zusammenhang die Ausbzw. Übertrittsfreiheit des Arbeitnehmers ebenso unzulässig ein wie die Rückforderung von Ausgleichs- und Überbrückungszahlungen aus einem Tarifsozialplan. Diese Leistungen wollen den Verlust des Arbeitsplatzes kompensieren, nicht aber die Verbandstreue der Mitglieder belohnen. Darüber hinaus müssen mehrere Ausnahmefälle näher begutachtet werden, auf die der Arbeitnehmer anders als beim von ihm veranlassten Arbeitgeber- oder Gewerkschaftswechsel keinen unmittelbaren Einfluss hat. So kann beispielsweise im Wege einer betrieblichen Neuausrichtung die zuständige Gewerkschaft wechseln. Der weitere Verbleib in einem Verband, der aufgrund seiner satzungsmäßigen Zuständigkeit die Belegschaft im konkreten Betrieb nicht mehr repräsentiert, ist für den Arbeitnehmer unabhängig von der Höhe der Sonderzahlung unzumutbar. In diesem Fall muss er ohne finanzielle Einbußen die Gewerkschaft verlassen dürfen. Ebenfalls überwiegen seine Interessen bei einem Verbandsaustritt infolge eines unverschuldeten Arbeitsplatzverlustes, beispielsweise im Zusammenhang mit einer Betriebsänderung. Findet der Arbeitnehmer keine Anschlussbeschäftigung in derselben Branche, besteht angesichts des Wegfalls des Arbeitsverhältnisses als Anknüpfungspunkt für die Tarifnormwirkung kein schützenswertes Interesse der Gewerkschaft an einer fortgesetzten Mitgliedschaft des Arbeitnehmers. Der weitere Verbleib im Verband allein um des Ablaufs der Bindungsfrist willen ist vor diesem Hintergrund nicht zumutbar und stellt damit unabhängig von der Höhe der ausgeschütteten Leistungen ebenfalls eine unzulässige Einschränkung der Austrittsfreiheit dar. Für die verbleibenden Fälle, in denen eine tarifliche Rückzahlungsverpflichtung noch nicht a priori aufgrund einer der beschriebenen Ausnahmekonstellationen ausscheidet, kann die vorliegende Untersuchung freilich nur andeuten, auf welche Weise das Bleibeinteresse der Gewerkschaft mit der konfligierenden Aus- bzw. Übertrittsfreiheit des Mitglieds in Einklang gebracht werden kann. In Anlehnung an die Rechtsprechung zu individualvertraglichen Rückzahlungsklauseln liegt es nahe, den Ausgleich über bestimmte Wertgrenzen herzustellen. Maßgeblicher Operator zur Bemessung des Treueinteresses auf Gewerkschaftsseite ist dabei der individuelle Mitgliedsbeitrag des Arbeitnehmers. Er stellt den vereinbarten Tarif zwischen Verband und Mitglied dar und valutiert damit das jeweilige ökonomische Bindungsinteresse der Gewerkschaft. Der Rekurs auf die individuelle Beitragsleistung würde im Gegensatz zu starren Wertgrenzen zudem den Umstand berücksichtigen, dass die Rückzahlungsverpflichtung in Höhe von 100 Euro einen Auszubildenden in der Logistikbranche deutlich stärker treffen würde als einen Lufthansa-Piloten mit einem durchschnittlichen Monatseinkommen im fünfstelligen Eurobereich. Vor 350

Vgl. auch Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 2128.

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diesem Hintergrund erscheint es angemessen, für jedes Vielfache der Höhe eines monatlichen Gewerkschaftsbeitrages an tariflicher Leistung jeweils einen Monat Gewerkschaftstreue anzusetzen und eine Rückzahlungsverpflichtung im Tarifvertrag nur dann als wirksam anzuerkennen, wenn das Mitglied dem Verband zeitlich vor Erfüllung dieser Bleibefrist den Rücken kehrt. Jede darüber hinausreichende Bindung an den Verband würde indessen die Aus- und Übertrittsfreiheit des Arbeitnehmers unzulässigerweise verkürzen und aus diesem Grund unwirksam sein. c) Ergebnis Für diesen Abschnitt kann deshalb festgehalten werden: Allein eine Bleibefrist im Tarifvertrag vermag die Aus- bzw. Übertrittsfreiheit eines tarifgebundenen Arbeitnehmers nicht in rechtlich unzulässiger Weise zu berühren. Anders muss die Situation jedoch bewertet werden, wenn die Bleibefrist mit einer Pflicht zur (teilweisen) Rückzahlung der ausgeschütteten Leistungen verknüpft wird. Da jede Rückzahlungsverpflichtung funktional gesehen eine wirtschaftliche Sanktion für den Austritt aus dem tarifschließenden Verband bedeutet, ist eine solche Regelung im Tarifvertrag nur in engen rechtlichen Grenzen möglich. Für deren Konturierung kann zumindest im Ausgangspunkt auf die Rechtsprechung des BAG zur Angemessenheit individualvertraglicher Rückzahlungsklauseln bei Gratifikationen zurückgegriffen werden, wenngleich die Tarifvertragsparteien gerade bei tariflichen Ausgleichs- und Überbrückungsleistungen zusätzliche Ausnahmekonstellationen berücksichtigen müssen, in denen das Interesse des Arbeitnehmers am Behaltendürfen der tariflichen Leistungen absolut vorrangig ist. Bricht der Tarifvertrag mit seiner Rückzahlungsklausel aus diesem Korsett aus und überschreitet die ihm gezogenen Grenzen, ist die konkrete Klausel wegen einer unzulässigen Einengung der Aus- bzw. Übertrittsfreiheit des jeweiligen Arbeitnehmers nichtig. 5. Verstoß gegen die individuelle positive Koalitionsfreiheit Erhebt ein Tarifvertrag die Mitgliedschaft zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Vergangenheit zum zentralen Kriterium für eine Bonuszahlung, werden automatisch all jene Verbandsangehörige von der Leistung ausgeschlossen, die erst nach dem Stichtag der Gewerkschaft beigetreten sind und deshalb die geforderten Tatbestandsvoraussetzungen nicht vollständig erfüllen können. Diesen Umstand nehmen einige Stimmen zum Anlass, den Tarifvertragsparteien einen Eingriff in die positive Koalitionsfreiheit der neu eingetretenen Mitglieder vorzuwerfen.351 Nach gängiger Lesart schützt die in Art. 9 III GG verankerte positive Koalitionsfreiheit das Recht, mit anderen Personen Koalitionen zu bilden bzw. – insofern über den Wortlaut

351 LAG München v. 28. 8. 2013 – 10 Sa 135/13, juris (Rn. 146); HMB/Moll, Teil 12 Rn. 47a ff.; wohl auch Greiner, NZA 2016, 10 (11).

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hinaus352 – einer bestehenden Koalition beizutreten und in ihr zu verbleiben, sowie sich innerhalb und außerhalb des Verbands zur Realisierung der Koalitionszwecke zu betätigen.353 Ein Eingriff in eine dieser geschützten Verhaltensweisen lässt sich durch die Differenzierungsklausel mit Stichtag in der Vergangenheit jedoch nicht feststellen. Sowohl der Verbandsbeitritt als auch die Freiheit zur koalitionsgemäßen Betätigung wurden bzw. werden auch den Neumitgliedern in vollem Umfang ohne Beschränkungen ermöglicht. Nach tradiertem Verständnis wird daher die Erwartung, bei Bonuszahlungen ähnlich wie die altgedienten Verbandskollegen behandelt zu werden, nicht von der positiven Koalitionsfreiheit geschützt.354 Einen anderen Weg beschritt indes der 4. BAG-Senat in seiner Entscheidung aus dem Jahr 2007.355 Demnach könne eine Beeinträchtigung der positiven Koalitionsfreiheit auch dann angenommen werden, wenn dem neu eingetreten Mitglied über die Stichtagsregelung der „wesentliche Ertrag eines Gewerkschaftsbeitritts verwehrt“ werde.356 Denkbar wäre somit, durch eine extensive Auslegung des Art. 9 III GG die Garantie eines differenzierungsfesten Mindestbestands an tariflichen Leistungen in den Schutzbereich der positiven Koalitionsfreiheit hineinzulesen, der allen Mitgliedern gleichermaßen zukommen muss. Zu klären ist demnach, ob das neu eingetretene Mitglied durch den Beitritt auf Grundlage der positiven Koalitionsfreiheit neben dem legitimierenden Zugang zur Tarifgeltung auch die Partizipation an bestimmten Tarifinhalten erwarten und verlangen kann.357 Die Entscheidung in diesem Streitfall zeitigt nicht zu unterschätzende Rechtsfolgen. Gelangte man zu der Einsicht, dass der Schutzbereich auch das Recht auf wesentliche tarifliche Ansprüche – und dann wohl mittelbar eine (partielle) Gleichstellung aller Verbandsmitglieder – umfasst, so müsste konsequenterweise zugunsten der neu eintretenden Mitglieder, die wegen der Stichtagsklausel nicht an den Bonusleistungen teilhaben können, ein Verstoß gegen die positive Koalitionsfreiheit angenommen werden. Der durch die BAG-Entscheidung von 9. 5. 2007 insinuierten weiten Auslegung des Schutzbereiches zur Gewährleistung eines gewissen tariflichen Mindestniveaus für alle Verbandsmitglieder ist jedoch aus mehreren Gründen entgegenzutreten: Zum einen droht durch eine übermäßige Ausdehnung des Art. 9 III GG ein Konflikt mit 352

Vgl. auch Gamillscheg, Band I, S. 210 f. St. Rspr., vgl. nur BVerfG v. 11. 7. 2017 – 1 BvR 1571/15 u. a., AP GG Art. 9 Nr. 151 (Rn. 130); BVerfG v. 1. 3. 1979 – 1 BvR 532/77 u. a., AP MitbestG § 1 Nr. 1 [C. IV. der Gründe]; BVerfG v. 30. 11. 1965 – 2 BvR 54/62, NJW 1966, 491; BAG v. 29. 11. 1967 – GS 1/67, BAGE 20, 175 (210 f.); BDDH/H. Hanau, Art. 9 GG Rn. 32; ErfK/Linsenmaier, Art. 9 GG Rn. 30; Löwisch/Rieble, Grundl. TVG Rn. 107; MD/Scholz, Art. 9 GG Rn. 169 (24. EL Januar 2021); Preis/Greiner, Kollektivarbeitsrecht, Rn. 96; Richardi, Kollektivgewalt und Individualwille, S. 71 f.; Weber, Koalitionsfreiheit, S. 11. 354 Ricken, Stichtagsregelungen, S. 29. 355 BAG v. 9. 5. 2007 – 4 AZR 275/06, AP TVG § 3 Verbandszugehörigkeit Nr. 23. 356 BAG v. 9. 5. 2007 – 4 AZR 275/06, AP TVG § 3 Verbandszugehörigkeit Nr. 23 (Rn. 32); ihm folgend LAG Hamm v. 12. 6. 2012 – 14 Sa 1275/11, juris (Rn. 138). 357 In diese Richtung Greiner, NZA 2016, 10 (11), der darin „das Besondere und Problematische des vorliegenden Sachverhalts“ sieht. 353

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dem Legitimationsmodell des deutschen Tarifrechts. Die fortgesetzte Mitgliedschaft in einem tarifschließenden Verband stellt den zentralen individuellen Beitrag für die Tarifgeltung im Arbeitsverhältnis dar.358 Wenn die Mitgliedschaft bereits im Wege der Ausübung positiver Koalitionsfreiheit erworben wird, nunmehr dem Verbandsangehörigen aber im gleichen Atemzug konzediert würde, dass er missliebige Tarifinhalte unter Rekurs auf dasselbe Grundrecht angreifen könne, verstrickte man sich in logische Widersprüche. Ein Tarifvertrag könnte bei konsequentem Fortdenken dieses Gedankens nämlich nur dann vor Art. 9 III GG bestehen, wenn alle Verbandsmitglieder mit seinem Inhalt einverstanden wären. Dieses Szenario illustriert, dass die positive Koalitionsfreiheit sinnvollerweise nur die mitgliedschaftliche und damit verbandsrechtliche Partizipation an der koalitionären Betätigung ermöglichen kann. Eine Garantie zugunsten eines bestimmten Inhalts – und sei es der „wesentliche Ertrag des Gewerkschaftsbeitritts“ – vermag die positive Koalitionsbereich dagegen nicht zu gewähren.359 Die Beurteilung der Rechtmäßigkeit bestimmter Tarifinhalte, auch im Hinblick auf die Differenzierung zwischen den Verbandsmitgliedern, ist deshalb nicht dem Schutzbereich des Art. 9 III GG zuzuordnen. Zudem droht durch eine weite Auslegung des Schutzbereichs in systematischer Hinsicht eine Verwischung der Grenzen zu den Gleichbehandlungsgrundsätzen, wenn der Tarifvertrag eine unterschiedliche Verteilung der Leistungen festschreibt und einige Mitglieder damit materiell besserstellt als andere. Differenzierungen sind nach dem Vorstellungsbild der Gleichheitsrechte erlaubt, sofern zumindest ein sachlicher Grund zur Rechtfertigung der Unterscheidung ins Feld geführt werden kann. Die positive Koalitionsfreiheit würde jedoch bei einem weiten Verständnis die Gleichbehandlungsgebote mitsamt ihrer speziell ausgeformten Rechtfertigungsdogmatik im Tarifrecht umgehen. Mit dem Gewerkschaftsbeitritt ist nicht schlechthin der Wegfall der Möglichkeit verbunden, durch den Tarifvertrag schlechter behandelt zu werden als andere Verbandsangehörige.360 Ein so weitreichendes Schutzkonzept, das den Gleichbehandlungsgrundsatz faktisch entwertet, kann der positiven Koalitionsfreiheit nicht beigemessen werden.361 Ob bestimmte tarifliche Differenzierungen und somit mittelbar die Bevorzugung, respektive Vernachlässigung individueller Interessen rechtlich Bestand haben, muss exklusiv im Rahmen der Gleichbehandlungspostulate beantwortet werden.362 Für eine Kontrolle anhand der positiven Koalitionsfreiheit des einzelnen Mitglieds bleibt somit in den Konstellationen mit einer Differenzierung innerhalb der Verbandsmitglieder kein Raum.

358 359 360 361 362

Siehe hierzu oben, Teil 2 A. II. 1. So auch Höpfner, RdA 2019, 146 (153). Anders wohl Greiner, NZA 2016, 10 (11). Höpfner, RdA 2019, 146 (153). Siehe hierzu unten, Teil 2 B. III. 7.

B. Differenzierungsklausel mit Stichtag vor Abschluss des Tarifvertrags

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6. Verstoß gegen die Arbeitsvertragsfreiheit der nicht begünstigten Arbeitnehmer Wie bei allen Tarifverträgen, die bestimmte Leistungen von der Mitgliedschaft im tarifschließenden Verband abhängig machen, muss auch bei Differenzierungsklauseln mit Stichtag in der Vergangenheit untersucht werden, ob mit ihnen gegen die Arbeitsvertragsfreiheit derjenigen Arbeitnehmer verstoßen wird, die nicht in den Genuss der tariflichen Leistungen gelangen können.363 Der Streit entzündet sich in diesem Zusammenhang maßgeblich an der Frage, ob die nicht begünstigten Arbeitnehmer trotz der tariflichen Regelungen eine Chance auf eine individualvertragliche Angleichung ihrer Arbeitsbedingungen an das Niveau der begünstigten Verbandsmitglieder haben oder ob ihnen diese Möglichkeit mit der Geltung des entsprechenden Tarifvertrags genommen wurde.364 Zu den unterschiedlichen Arten der Differenzierungsklauseln hat sich in den vergangenen Jahren ein heterogenes Meinungsspektrum herausgebildet. Während die Arbeitsvertragsfreiheit des Arbeitgebers und der nicht begünstigten Arbeitnehmer bei einfachen Differenzierungsklauseln nach einhelliger Auffassung nicht eingeschränkt wird,365 nimmt die wohl herrschende Meinung einen Eingriff an, wenn der Tarifvertrag den Vertragsparteien im Außenseiter-Arbeitsverhältnis die Angleichung der Vertragsbedingungen an die Arbeitsverhältnisse der tarifgebundenen Belegschaft mittels einer Abstands- bzw Spannenklausel oder sogar eines expliziten Verbots verwehrt.366 Konsensfähig nach allen Ansichten dürfte jedoch die Grundannahme sein, dass exklusive Leistungsausschüttungen an Verbandsmitglieder die individualvertraglichen Abmachungen zwischen Arbeitgeber und den einzelnen nicht begünstigten Arbeit363 Vgl. nur Greiner/Suhre, NJW 2010, 131 (132); Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 204 ff.; Martens, AcP 177 (1977), 113 (129 f.); Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn. 1687 ff.; Siegfanz-Strauß, RdA 2015, 266 (269). 364 Vgl. BAG v. 15. 4. 2015 – 4 AZR 796/13, AP TVG § 3 Nr. 57 (Rn. 48); BAG v. 23. 3. 2011 – 4 AZR 366/09, AP GG Art. 9 Nr. 147 (Rn. 43 ff.); BAG v. 18. 3. 2009 – 4 AZR 64/08, AP TVG § 3 Nr. 41 (Rn. 55 ff.). 365 So zutreffend BAG v. 18. 3. 2009 – 4 AZR 64/08, AP TVG § 3 Nr. 41 (Rn. 48); Löwisch/ Rieble, § 1 TVG Rn. 2124; Bietmann, Differenzierungsklauseln, S. 165; Breschendorf, Zweiteilung, S. 120; Franzen, RdA 2008, 193 (199); Jacobs, FS Bauer, S.479 (489); Kamanabrou, Anm. zu AP TVG § 3 Nr. 41 (III. 3.); Kocher, NZA 2009, 119 (123); Leydecker, AuR 2009, 338 (342); ders., Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 206 f.; S. Neumann, Tarifboni, S. 197. 366 Vgl. insbes. zu den qualifizierten Differenzierungsklauseln Bauer/C. Arnold, NZA 2011, 945 (949); dies., NZA 2009, 1169 (1173); Bietmann, Differenzierungsklauseln, S. 165; Breschendorf, Zweiteilung, S. 122; Franzen, RdA 2008, 193 (199); ders., RdA 2006, 1 (6); F. Hartmann/Lobinger, NZA 2010, 421 (422 ff.); Lunk/Leder/Seidler, RdA 2015, 399 (402); für einen Eingriff nur in die Arbeitsvertragsfreiheit des Arbeitgebers bei kollektiven Maßnahmen Leydecker, AuR 2009, 338 (342); S. Neumann, Tarifboni, S. 199; ders., Anm. zu AP GG Art. 9 Nr. 147 (III. 2. c)); siehe dazu auch BAG v. 23. 3. 2011 – 4 AZR 366/09, AP GG Art. 9 Nr. 147 (Rn. 43 ff.); gegen die Annahme eines Eingriffs in die Vertragsfreiheit Däubler/Heuschmid, RdA 2013, 1 (7); Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 170 f., 207; wohl auch Ulber/Strauß, Anm. zu EzA GG Art. 9 Nr. 104, S. 39 f.; zum Meinungsstand Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 2154.

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Teil 2: Die Zulässigkeit von tarifvertraglichen Differenzierungsklauseln

nehmern unter einem ökonomischen Blickwinkel zumindest erschweren.367 Diese prekäre Ausgangssituation für die Vereinbarung einer individualvertraglichen Gleichstellungsabrede wird im Falle einer Unternehmenssanierung noch zusätzlich verschärft. Ob mit der Exklusivierung tariflicher Leistungen zugunsten bestimmter Verbandsmitglieder über eine Differenzierungsklausel mit Stichtag in der Vergangenheit gleichzeitig ein Eingriff in die Arbeitsvertragsfreiheit der nicht begünstigten Arbeitnehmer verbunden ist, muss im Folgenden geklärt werden. a) Ausgangslage und maßgebliche Perspektive Gerade im Umfeld tariflich gestalteter Arbeitsbedingungen kommt der Arbeitsvertragsfreiheit von nicht tarifgebundenen Arbeitgebern und Arbeitnehmern eine zentrale Rolle zu. Zumeist wird ein Verbandsbeitritt bei den Außenseitern mit dem Hintergedanken abgelehnt, auch unabhängig von einer Mitgliedschaft im Wege individualvertraglicher Abmachungen mit dem Arbeitgeber ein ähnliches Ergebnis wie die tarifgebundenen Kollegen erzielen zu können. Vor diesem Hintergrund steht die Arbeitsvertragsfreiheit in einem Komplementärverhältnis zur negativen Koalitionsfreiheit. Das Grundgesetz würde allein mit der freien Auswahlentscheidung zwischen Mitgliedschaft und Nichtmitgliedschaft die Freiwilligkeit des Fernbleibens nur unzureichend schützen, wenn eine Anpassung an das Lohnniveau der tarifgebundenen Arbeitnehmer nicht parallel dazu auf individualvertraglichem Weg vereinbart werden könnte. In diesem Fall würde der Außenseiter fortwährend hinter dem tariflichen Lohnniveau zurückbleiben, wenn nicht der Arbeitsvertrag bereits eine Gleichstellung mit seinen tarifgebundenen Kollegen vorsieht. Zur Vervollkommnung des Schutzkonzepts muss es den Vertragsparteien im Außenseiter-Arbeitsverhältnis deshalb unbenommen bleiben, bilateral eine Vereinbarung zu treffen, die eine Weitergabe der tariflichen Leistungen jenseits einer normativen Tarifgebundenheit vorsieht. Damit sichert die Arbeitsvertragsfreiheit letztlich die Entscheidung ab, auf den Beitritt in die Koalition verzichten und „es selbst versuchen“ zu wollen. In diesem Zusammenhang darf die maßgebliche Perspektive für die verfassungsrechtliche Würdigung nicht aus den Augen verloren werden. Die nachfolgende Kontrolle will nicht primär das bilaterale Verhältnis der Arbeitsvertragsparteien zueinander in den Blick nehmen. Ob in dieser Konstellation gegebenenfalls Mechanismen installiert werden müssen, um den systemtypisch unterlegenen Arbeitnehmer vor der strukturellen Überlegenheit des Arbeitgebers zu schützen368, kann nicht Gegenstand der Überprüfung sein, wenn nach der Vereinbarkeit des Tarif367 Bietmann, Differenzierungsklauseln, S. 164; Kamanabrou, Anm. zu AP TVG § 3 Nr. 41 (III. 3.); Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 204; S. Neumann, Anm. zu AP GG Art. 9 Nr. 147 (III. 2. c)). 368 Dafür spricht viel, vgl. Greiner, FS H. J. Willemsen, S. 159 (167 ff.); ders., NZA 2016, 10 (13); Meyer, Anm. zu AP TVG § 3 Nr. 57 (V.).

B. Differenzierungsklausel mit Stichtag vor Abschluss des Tarifvertrags

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vertrags mit der Arbeitsvertragsfreiheit gefragt wird.369 Im Rahmen dieser Kontrolle geht es zentral um die Problemstellung, ob und inwiefern eine Differenzierungsklausel mit Stichtagsregelung die Chancen einer individualvertraglichen Abmachung zwischen dem Arbeitgeber und einem Arbeitnehmer, der als Außenseiter nicht an den tariflichen Sonderleistungen partizipiert, unzulässig beschränkt. Anders gewendet muss untersucht werden, ob und inwiefern der Tarifvertrag die Möglichkeiten einer individualvertraglichen Abmachung in diesen Arbeitsverhältnissen beeinflusst oder möglicherweise sogar gänzlich vereitelt. Damit ist hier ausschließlich das Verhältnis zwischen den fraglichen Tarifnormen und dem Außenseiter-Arbeitsvertrag von Belang. Freilich fehlt den Tarifvertragsparteien zur Regelungen dieser Arbeitsverhältnisse die normative Einwirkungsbefugnis. Dennoch wurde bereits an früherer Stelle nachgewiesen, dass auch mittelbar-faktische Auswirkungen einer Tarifnorm die Rechtspositionen der nicht tarifgebundenen Arbeitsvertragsparteien nachhaltig beeinflussen können, ohne dass die durch §§ 3 I, 4 I TVG gezogenen Grenzen überschritten werden.370 Insbesondere wenn der Arbeitgeber auf Grundlage eines Tarifvertrags zur Zahlung einer hohen Summe exklusiv an bestimmte Arbeitnehmer verpflichtet wird und dadurch die Chancen eines nicht begünstigten Arbeitnehmers sinken, ebenfalls in den Genuss der versprochenen Leistungen zu gelangen, kann eine unzulässige Beeinflussung und damit ein Verstoß gegen die Arbeitsvertragfreiheit von Arbeitgeber und Außenseiter nicht schlechterdings ausgeschlossen werden. b) Dogmatische Verankerung und Schutzbereich der Arbeitsvertragsfreiheit Ähnlich wie bei der negativen Koalitionsfreiheit herrscht auch bei der Arbeitsvertragsfreiheit keine allgemeine Übereinstimmung im Hinblick auf die Frage, an welcher Stelle des Grundgesetzes ihr Schutz garantiert wird. Die überwiegende Auffassung sieht die Arbeitsvertragsfreiheit als Teil der Berufsfreiheit von Art. 12 I GG umfasst371, während einige anderslautende Stimmen eine Verankerung

369

Insofern nicht eindeutig Greiner, FS H. J. Willemsen, S. 159 (167 ff.). Vgl. oben, Teil 2 B. II. 1. 371 Vgl. nur BVerfG v. 14. 11. 2018 – 1 BvR 1278/16, AP GG Art. 9 Nr. 153 (Rn. 6); BVerfG v. 1. 12. 2010 – 1 BvR 2593/09, AP GG Art. 9 Nr. 146 (Rn. 19); BVerfG v. 11. 7. 2006 – 1 BvL 4/ 00, AP GG Art. 9 Nr. 129 [C. II. 2. a) aa) der Gründe]; Hdb StR/Breuer, § 170 Rn. 89; Jarass/ Pieroth/Jarass, Art. 12 GG Rn. 10 f.; MD/Scholz, Art. 12 GG Rn. 91 (94. EL Januar 2021); MK/ Kämmerer, Art. 12 GG Rn. 54 ff.; Boemke, NZA 1993, 532 (533 ff.); Engels, JZ 2008, 490 (495); Greiner, FS H. J. Willemsen, S. 159 (167 ff.); H. Hanau, RdA 1996, 158 (161); Heinrich, Formale Freiheit, S. 85 ff.; Hejma, Lohngerechtigkeit, S. 263; Henssler/Höpfner, Kern der negativen Koalitions- und Tarifvertragsfreiheit, S. 32; Hergenröder, FS Hadding, S. 81 (84); Höfling, Vertragsfreiheit, S. 17; Höpfner, RdA 2019, 146, (153); ders., Verfassungsrechtliche Grenzen, S. 30 f.; C. Müller, Berufsfreiheit, S. 30 ff.; S. Neumann, Tarifboni, S. 195; Preis, Grundfragen, S. 38; Stütze, Kontrolle der Entgelthöhe, S. 91; offen, aber mit Sympathien für Art. 12 I GG F. Hartmann, Negative Koalitionsfreiheit, S. 73 ff. 370

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Teil 2: Die Zulässigkeit von tarifvertraglichen Differenzierungsklauseln

in Art. 2 I GG bevorzugen372 oder zur näheren Konturierung beide Artikel gemeinsam heranziehen.373 Die Entscheidung für oder gegen eine bestimmte Ansicht hat zwar keine gravierend unterschiedlichen Auswirkungen, da ein möglicher Eingriff nach allen Herangehensweisen einer Rechtfertigung zugänglich ist. Dennoch können an die verfassungsrechtliche Rechtfertigung abhängig von der spezifischen Einordnung der Arbeitsvertragsfreiheit unterschiedliche Anforderungen gestellt werden.374 Es muss deshalb kritisch hinterfragt werden, ob die Abgrenzung zwischen den verschiedenen Möglichkeiten zur Verortung der Arbeitsvertragsfreiheit im wirtschaftlichen Verkehr tatsächlich ohne jedwede praktische Bedeutung ist.375 Die genaue dogmatische Verortung der Arbeitsvertragsfreiheit kann indes im Rahmen dieser Arbeit offen bleiben, wenn die Schwelle zum rechtfertigungsbedürftigen Eingriff im Zusammenhang mit der konkreten Tarifregelung nicht überschritten wird und sich deshalb die Lösungen der vorgebrachten Ansichten nicht unterscheiden. Denn trotz aller Unterschiede im Hinblick auf die dogmatische Verankerung besteht hinsichtlich des inhaltlichen Schutzniveaus bei der Arbeitsvertragsfreiheit Einigkeit. Sie gewährleistet nach einhelliger Auffassung das Recht des Arbeitgebers und des Arbeitnehmers, frei zu entscheiden, ob und mit wem sie ein Arbeitsverhältnis begründen (Abschlussfreiheit) und wie das Arbeitsverhältnis inhaltlich ausgestaltet werden soll (Inhaltsfreiheit).376 Dabei schützt die Inhaltsfreiheit jedoch kein bestimmtes Verhandlungsergebnis377, sondern garantiert lediglich die Zurverfügungstellung und Aufrechterhaltung von rechtlichen Rahmenbedingungen, innerhalb derer ein möglichst vorteilhaftes Ergebnis für beide Parteien erzielt werden kann.378 Zu weitreichend ist daher die Annahme, die Vertragsfreiheit schütze auch vor einem Vertragsschluss Dritter, mit dem gleichzeitig die eigenen Abschluss- und 372 In diese Richtung etwa BVerfG v. 19. 10. 1983 – 2 BvR 298/81, AP BetrAVG § 1 Unterstützungskassen Nr. 2 [C. I. 1. und 2. der Gründe]; BVerfG 23. 4. 1986 – 2 BvR 487/80, AP GG Art. 2 Nr. 28 [B. III. der Gründe]; BVerfG v. 19. 5. 1992 – 1 BvR 126/85, AP GG Art. 5 Abs. 1 Meinungsfreiheit Nr. 12 [B. II. 3. Der Gründe]; Däubler/Heuschmid, RdA 2013, 1 (7); Hölters, Harmonie, S. 164; Kamanabrou, FS Kreutz, S. 197 (203); Leydecker, AuR 2009, 338 (342); Lübbersmann, Zulässigkeit arbeitsvertraglicher und tairfvertraglicher Rückzahlungsklauseln, S. 41; Meyer, Anm. zu AP TVG § 3 Nr. 58 (V.); Zöllner, Differenzierungsklauseln, S. 29; wohl auch Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 204 f. 373 Bietmann, Differenzierungsklauseln, S. 161; Löwisch, ZfA 1996, 293 (295). 374 F. Hartmann, Negative Tarifvertragsfreiheit, S. 77 ff.; Henssler/Höpfner, Kern der negativen Koalitions- und Tarifvertragsfreiheit, S. 32. 375 So aber explizit ErfK/I. Schmidt, Art. 2 GG Rn. 7; in eine ähnliche Richtung auch Däubler/Ulber, Einl. TVG Rn. 320; H. Hanau, Individualautonomie, S. 39 f.; Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 205. 376 Vgl. nur BVerfG v. 1. 12. 2010 – 1 BvR 2593/09, AP GG Art. 9 Nr. 146 (Rn. 19); BVerfG v. 11. 7. 2006 – 1 BvL 4/00, AP GG Art. 9 Nr. 129 [C. II. 2. a) aa) der Gründe]; MD/Scholz, Art. 12 GG Rn. 91 (94. EL Januar 2021); Boemke, NZA 1993, 532 (534 ff.); Höpfner, Verfassungsrechtliche Grenzen, S. 31. 377 Bietmann, Differenzierungsklauseln, S. 136; Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 207. 378 Höpfner, Verfassungsrechtliche Grenzen, S. 31.

B. Differenzierungsklausel mit Stichtag vor Abschluss des Tarifvertrags

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Gestaltungschancen lediglich beeinträchtigt werden.379 Ist ein bestimmtes Gut auf dem Markt nur begrenzt verfügbar, hat der Vertragsschluss mit einer Partei zwingend Auswirkungen auf die Vertragschancen einer ebenfalls interessierten anderen Partei.380 Aus ökonomischer Perspektive verwirklichen sich in einer solchen Situation allerdings bloß die Sachzusammenhänge einer liberalen Marktwirtschaft. Ist der Wettbewerb um ein quantitativ begrenztes Gut gestattet, bedeutet ein unter legalen Voraussetzungen geschlossener Vertrag mit der einen Partei stets, dass die Chancen einer anderen Partei, mit dem Anbieter eine ähnliche Übereinkunft zu erzielen, sinken oder im Extremfall, beispielsweise bei einem Unikat, sogar gänzlich entfallen werden. Die Ausübung der verfassungsrechtlich abgesicherten Freiheit zweier Vertragsparteien führt in diesen Fällen unvermeidbar zur faktischen Beeinträchtigung der Vertragschancen anderer Interessenten.381 Ein daraus resultierender, bloß mittelbarer Zugriff auf ein Vertragsverhalten Dritter wiegt aber weit weniger schwer als der kategorische Ausschluss des Dritten vom Wettbewerb an sich.382 Weder die Arbeitsvertragsfreiheit noch ein anderes Grundrecht verschafft einem Marktteilnehmer das subjektive Recht, dass ihm potentielle Vertragspartner frei von irgendwelchen vertraglichen Bindungen gegenübertreten.383 Dass die Chancen auf einen eigenen Vertragsschluss bei limitiert verfügbaren Gütern sinken werden, wenn der Anbieter zur gleichen Zeit mit einem Dritten handelseinig wird, stellt damit lediglich eine immanente Folge des Wettbewerbs dar und bedarf vor diesem Hintergrund keiner grundsätzlichen Korrektur.384 Die Vertragsfreiheit kann deshalb folgerichtig nicht garantieren, dass begrenzt vorhandene Güter fortlaufend auf dem Markt verfügbar und damit zu jeder Zeit einer gleich lautenden individuellen Abmachung mit sämtlichen Abnehmern gleichermaßen zugänglich bleiben.385 Als problematisch vor dem Hintergrund der Vertragsbzw. Vereinbarungsfreiheit sind deshalb lediglich diejenigen Konstellationen einzustufen, bei denen ein noch verfügbares Gut auf dem Markt nicht mehr Gegenstand einer individualvertraglichen Abmachung sein kann, weil sich der Anbieter und ein 379 So aber Biedenkopf, Gutachten für den 46. DJT, S. 97 (133); Franzen, RdA 2006, 1 (6); ders., RdA 2001, 1 (10); Martens, AcP 177 (1977), 113 (130); Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn. 1693. 380 Siehe auch Berg/Kocher/Schumann/Dierßen, § 3 TVG Rn. 212; Bietmann, Differenzierungsklauseln, S. 138. 381 Bietmann, Differenzierungsklauseln, S. 138; F. Hartmann/Lobinger, NZA 2010, 421 (422); vgl. auch S. Neumann, Tarifboni, S. 104. H. Wiedemann, RdA 1969, 321 (334) bzw. ders., SAE 1969, 265 (268) spricht in diesem Zusammenhang sogar von einem „Vertrag mit Lastwirkung für Dritte“ als Pendant zu den „Verträgen mit Schutzwirkungen für Dritte“. 382 Vgl. Klebeck, SAE 2007, 271 (282). 383 Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn. 889; ähnlich Berg/Kocher/Schumann/ Dierßen, § 3 TVG Rn. 226. 384 Bietmann, Differenzierungsklauseln, S. 138, um „widersinnige Ergebnisse zu vermeiden“; ähnlich auch Hölters, Harmonie, S. 165 f. 385 Ebenso Hölters, Harmonie, S. 166; ähnlich Kempen/Zachert/Wendleing-Schröder, § 3 TVG Rn. 329.

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Teil 2: Die Zulässigkeit von tarifvertraglichen Differenzierungsklauseln

anderer Marktteilnehmer darauf verständigt haben, bestimmte Abnehmer vom Wettbewerb auszuschließen. In diesem Fall läge ein verbotener „Vertrag über den Wettbewerb“ vor386, da die Chancen auf eine vertragliche Abmachung bei einem noch verfügbaren Gut nicht bloß beeinträchtigt, sondern gezielt durchkreuzt und damit „auf null“ reduziert wurden. Ausschließlich im Falle einer vollständigen Vereitelung der individuellen Vereinbarungsmöglichkeit bei noch verfügbaren Gütern kommt deshalb ein Eingriff in die Vertragsfreiheit in Betracht.387 Gegen eine bloße Absenkung der Vertragswahrscheinlichkeit durch den Güterumsatz an andere Teilnehmer im Wettbewerb kann die Vertragsfreiheit in einem marktwirtschaftlichen System indes keinen Schutz gewähren.388 c) Eingriff in die Arbeitsvertragsfreiheit durch die Differenzierungsklausel mit Stichtagsregelung Legt man für die verfassungsrechtliche Einordnung der Stichtagsklausel die soeben dargestellten Maßstäbe zugrunde, muss man sich erneut vor Augen führen, dass die Arbeitsvertragsfreiheit nach dem Grundgesetz nicht die Gleichstellung mit den begünstigten Altmitgliedern als solche, sondern lediglich die Möglichkeit schützt, eine Gleichstellung oder eine anders geartete Anpassung vereinbaren zu können.389 Die finanziellen Mittel als Gegenstand einer individualvertraglichen Vereinbarung sind beim Arbeitgeber nach wie vor potentiell verfügbar. Ein Eingriff in die Arbeitsvertragsfreiheit darf demnach nur dann angenommen werden, wenn die Chancen auf eine Abmachung zwischen den Außenseiter-Arbeitsvertragsparteien durch den Tarifvertrag vollständig auf null reduziert wurden. Lässt der Tarifvertrag jedoch eine individualvertragliche Abmachung mit einer „Vertragschance höher null“ zu, ist der Eingriff nach den bisherigen Ausführungen konsequenterweise zu verneinen. Fokussiert man sich deshalb auf den Erhalt einer wie auch immer ausgestalteten „Restchance“ für eine individualvertragliche Vereinbarung, ist somit allein entscheidend, ob der Tarifvertrag qualitative Hürden für eine individuelle Leistungsauskehrung aufstellt, die die Arbeitsvertragsparteien nicht zu überwinden vermögen. Die Debatte wird deshalb wesentlich von der Frage geprägt, ob die Anpassung an das tarifliche Niveau im nicht tarifgebundenen Individualarbeitsverhältnis „rechtlich-logisch möglich“390 bleibt. Zwar hat das BAG diese Paraphrase 386

F. Hartmann/Lobinger, NZA 2010, 421 (423). Ähnlich bereits Biedenkopf, Gutachten für den 46. DJT, S. 97 (133); H. Wiedemann, SAE 1969, 265 (268); anders aber wohl Hölters, Harmonie, S. 165, der gegen solche Abmachungen bei einer Vielzahl von gleichstarken Konkurrenten „keine Bedenken“ hätte. 388 A. A. die in Teil 2, Fn. 379 Genannten. 389 F. Hartmann/Lobinger, NZA 2010, 421 (423). 390 BAG v. 23. 3. 2011 – 4 AZR 366/09, AP GG Art. 9 Nr. 147 (Rn. 38 et passim); BrechtHeitzmann/Gröls, NZA-RR 2011, 505 (507 ff.); F. Hartmann, SAE 2011, 225 (228 ff.); ders./ Lobinger, NZA 2010, 421 (422 ff.); Siegfanz-Strauß, RdA 2015, 266 (268); kritisch aufgrund der apodiktischen Verwendung des Kriteriums durch das BAG Bauer/C. Arnold, NZA 2011, 945 (947); J. Schubert, ZTR 2011, 579 (583). 387

B. Differenzierungsklausel mit Stichtag vor Abschluss des Tarifvertrags

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im Zusammenhang mit der Reichweite der tariflichen Regelungsbefugnis in die Diskussion eingebracht391, inhaltlich das Merkmal jedoch stets an die Frage geknüpft, ob die individualvertragliche Gleichstellung von nicht begünstigten Arbeitnehmern mit den tariflich begünstigten Arbeitnehmer möglich ist, und damit de facto die Grenze zum Eingriff in die Arbeitsvertragsfreiheit beschrieben. Aus diesem Grund kommt dem Kriterium der „rechtlich-logischen Möglichkeit“ insbesondere bei der Auseinandersetzung rund um die Arbeitsvertragsfreiheit eine zentrale Rolle zu. aa) Tarifliche Regelungen als Belastung für individualvertragliche Abmachungen zwischen nicht tarifgebundenen Arbeitsvertragsparteien Bewertet man die Situation nach diesen Maßstäben und fasst die konkrete „Vertragswahrscheinlichkeit“ ins Auge, muss man konzedieren, dass sich die Ausgangslage für individualvertragliche Abmachungen durch den Markterfolg der organisierten Arbeitnehmer signifikant verschlechtert hat. Der Arbeitgeber wird aufgrund des Tarifvertrags zu umfangreichen finanziellen Leistungen zugunsten der Altmitglieder verpflichtet, was im weiteren Fortgang seine Bereitschaft, auch den nicht begünstigten Arbeitnehmer diese Extrazahlung im Wege arbeitsvertraglicher Regelung zufließen zu lassen, merklich einschränken dürfte. Mit der Tarifregelung sind damit die Chancen auf entsprechende Vergünstigungen oder sogar lediglich eine partielle Anpassung an das Niveau der Alt-Mitglieder unmittelbar kausal gesunken. Potentielle Verhandlungen zur Angleichung zwischen den Arbeitsvertragsparteien im Außenseiter-Arbeitsverhältnis starten deshalb mit einem Malus, der in aller Regel dem faktischen Ausschluss einer Anpassung gleichkommen dürfte. Tarifverträge, die über eine Differenzierungsklausel mit Stichtag in der Vergangenheit insbesondere im Rahmen einer Sanierungssituation große Beträge exklusiv an bestimmte Gewerkschaftsmitglieder auskehren, behindern damit ganz erheblich die Möglichkeit einer individualvertraglichen Angleichung bei den nicht begünstigten Arbeitnehmern. bb) Keine „rechtlich-logische Unmöglichkeit“ einer individualvertraglichen Regelung durch den Tarifvertrag mit Stichtagsklausel Dennoch darf trotz dieser unvorteilhaften Ausgangslage nicht vorschnell ein Eingriff in die Arbeitsvertragsfreiheit der nicht begünstigten Arbeitnehmer und des Arbeitgebers angenommen werden. Nur weil sich die Chancen auf eine individualvertragliche Anpassung verschlechtert haben, bedeutet das per se noch keinen Eingriff in dieses Grundrecht.392 Anders als im Fall von Spannensicherungsklauseln, 391 392

Vgl. auch Leydecker, AuR 2012, 195 (197). So deutlich wie zutreffend Kamanabrou, FS Kreutz, S. 197 (209).

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Teil 2: Die Zulässigkeit von tarifvertraglichen Differenzierungsklauseln

bei denen der Tarifvertrag finanzielle Sanktionen an den Versuch des Arbeitgebers knüpft, auch den nicht begünstigten Arbeitnehmern „etwas zukommen“ zu lassen und deswegen eine infinite Erhöhungsspirale in Gang setzt, die eine Annäherung an das Niveau der begünstigten Arbeitnehmern nicht ermöglicht, verbietet der Tarifvertrag bei der hier interessierenden Differenzierungsklausel mit Stichtag die individualvertragliche Anpassung an das Niveau der bevorzugten Altmitglieder nicht. Eine Vereinbarung zwischen dem Arbeitgeber und den nicht begünstigten Arbeitnehmern ist damit nach wie vor möglich, ohne dass eine wie auch immer geartete Sanktion durch den Tarifvertrag eingreift oder die bereits tariflich begünstigten Arbeitnehmer automatisch erneut bessergestellt werden. Da eine (partielle) Gleichstellung der nicht begünstigten Arbeitnehmer deshalb vom Tarifvertrag in keiner verbindlichen Weise missbilligt wird und deshalb „rechtlich-logisch möglich“ bleibt, kann ein Eingriff in die Arbeitsvertragsfreiheit durch die tarifvertragliche Regelung nach dem entscheidenden Kriterium des BAG nicht angenommen werden. cc) Faktische Aussichtslosigkeit einer individualvertraglichen Abmachung als Äquivalent zur „rechtlich-logischen Unmöglichkeit“? Damit wurde jedoch noch nicht die Frage beantwortet, ob auch der faktische Ausschluss einer individualvertraglichen Abmachung ausnahmsweise als Äquivalent zur „rechtlich-logischen Unmöglichkeit“ einer Gleichstellung herangezogen werden darf, um einen Eingriff in die Arbeitsvertragsfreiheit zu begründen.393 Dieser Gedanke erscheint zunächst schlüssig: Ob eine individualvertragliche Abmachung zur Annäherung an das Leistungsniveau der begünstigten Arbeitnehmer „rechtlichlogisch unmöglich“ oder faktisch ausgeschlossen ist, weil der Arbeitgeber nach den umfangreichen Zugeständnissen an die Altmitglieder auf Grundlage des Tarifvertrags nicht mehr bereit sein wird, auch allen anderen Arbeitnehmern entsprechende Boni zukommen zu lassen, zeitigt für die nicht begünstigte Belegschaft keine spürbaren Unterschiede. Die jeweiligen Aussichten eines nicht tarifgebundenen Arbeitnehmers, mit dem Arbeitgeber in erfolgreiche Verhandlungen zur Weitergabe der exklusiven Tarifboni zu treten, sind in beiden Konstellationen nahezu identisch. Haben sich durch die Vereinbarung der Tarifvertragsparteien seine Chancen auf eine individualvertragliche Abmachung mit dem Arbeitgeber derart verschlechtert, dass realistischerweise von einem aussichtslosen Unterfangen gesprochen werden muss, liegt eine ausnahmsweise äquivalente Behandlung der faktischen zur „rechtlichlogischen Unmöglichkeit“ nahe. Das hehre Versprechen einer umfassend gewährleisteten Vertragsfreiheit droht in der Tat zu einer leeren Worthülse zu verkommen, wenn faktisch „nichts mehr zu holen“ ist. Dennoch missinterpretiert diese Herangehensweise den verfassungsrechtlichen Gewährleistungsgehalt der Arbeitsvertragsfreiheit. Das Grundgesetz sichert bei 393 Ähnlich auch die Terminologie von Greiner, DB 2009, 398 (402) zu schuldrechtlichen Differenzierungsklauseln: „faktischer Übergriff in die Vertragsfreiheit“.

B. Differenzierungsklausel mit Stichtag vor Abschluss des Tarifvertrags

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diesem Verfassungsgut lediglich die Möglichkeit und den Mechanismus einer freien Aushandlung der Vertragsbedingungen zu.394 Dass quantitativ begrenzte Güter, die Gegenstand der individualvertraglichen Vereinbarung werden sollen, jedoch auf dem Markt tatsächlich noch verfügbar sind und die andere Partei auch willens ist, darüber in Verhandlungen zu treten, kann die Arbeitsvertragsfreiheit hingegen nicht garantieren. Erklärt sich der Arbeitgeber zu Verhandlungen zur Anpassung an die begünstigten Arbeitnehmer nicht bereit, weil er bereits auf Grundlage des Tarifvertrags zu hohen Zahlungen an einen Teil der Belegschaft verpflichtet ist, realisiert sich für den nicht begünstigten Arbeitnehmer deshalb allein das Risiko, das stets mit der Erschöpfung begrenzt verfügbarer Wertgegenstände einhergeht. Es ist jeder kollektiven Regelung immanent, dass sie in einem deutlich größeren Umfang Güter verteilt, als es individualvertragliche Abmachungen regelmäßig vermögen. Allein durch die Verteilung großer Geldbeträge durch einen einzigen Tarifvertrag mit umfassenden Bonusleistungen an bestimmte Gewerkschaftsmitglieder werden jedoch die verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen der Abschluss- und Gestaltungsfreiheit auf Seiten der nicht begünstigten Arbeitnehmer nicht angerührt. Die Chancen auf einen entsprechenden Vertrag mit dem Arbeitgeber befinden sich für den verhandlungswilligen Arbeitnehmer gerade bei Unternehmenssanierungen zwar im kaum messbaren Bereich, tatsächlich sind sie aber größer null und deshalb oberhalb des neuralgischen Punktes, der die Schwelle zum Eingriff in die Arbeitsvertragsfreiheit markiert.395 Selbst wenn die Auswirkungen des Tarifvertrags auf die Erfolgsaussichten einer individualvertraglichen Abmachung bei einem faktischen Ausschluss angesichts der bescheidenen ökonomischen Ausgangslage vergleichbar mit der „rechtlich-logischen Unmöglichkeit“ sind, müssen beide Arten der Einschränkung rechtlich unterschiedlich qualifiziert werden. Die faktische Aussichtslosigkeit einer individualvertraglichen Abmachung kann deshalb für die Frage nach einem Eingriff in die Arbeitsvertragsfreiheit keine Rolle spielen. Zur Wahrung der Vorgaben durch die Verfassung genügt es allein, dass die Möglichkeit einer individualvertraglichen Anpassung zugunsten der nicht begünstigten Abreitnehmer zumindest „auf dem Papier“ erhalten bleibt. Wie es um die tatsächlichen Erfolgsaussichten dieser Abmachung bestellt ist, kann deshalb nicht in die Bewertung miteinfließen. Das gilt selbst dann, wenn ein Anpassungsgesuch des Arbeitnehmers an seinen Arbeitgeber angesichts der prekären Ausgangslage de facto illusorisch erscheint. An dieser Stelle wiederholt sich damit ein Erklärungsmuster, das im Rahmen dieser Arbeit bereits mehrfach angeklungen ist. Ein Außenseiter, der auf den Schutz in der Koalition verzichtet, hat keinen Anspruch auf Gleichbehandlung mit den begünstigten Altmitgliedern, insbesondere solange ihm die Möglichkeit belassen wird, mit seinem Arbeitgeber in entsprechende Verhandlungen zu treten. Auf die tatsächlichen Erfolgschancen einer solchen Abmachung kann es dementgegen nicht 394 395

Siehe oben, Teil 2 B. III. 6. b). Ähnlich auch JKOS/Krause, § 1 Rn. 74 für einfache Differenzierungsklauseln.

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Teil 2: Die Zulässigkeit von tarifvertraglichen Differenzierungsklauseln

ankommen. Wer sein Glück im Rennen um die begrenzten Güter wie das finanzielle Volumen des Arbeitgebers außerhalb eines Verbands versucht, muss mit dem Risiko leben, dass denkbare Nachverhandlungen erfolglos verlaufen und der Arbeitgeber sich nicht bereit erklären wird, eine entsprechende Angleichung an das Niveau der begünstigten Arbeitnehmer vorzunehmen.396 Freilich verfängt diese Argumentation bei den Gewerkschaftsmitgliedern nicht, die nach dem Stichtag eingetreten sind. Sie haben sich für den Beitritt und damit für eine kollektive Interessenvertretung entschlossen. Werden sie bei einer tarifvertraglichen Regelung nicht vom Geltungsbereich erfasst, realisiert sich daher ein Risiko, das sie gerade zu vermeiden suchten. Der Schutz gegen eine willkürliche Übervorteilung ihrer Interessen wird jedoch nicht über die Arbeitsvertragsfreiheit, sondern durch den Anspruch auf Gleichbehandlung gewährleistet.397 Solange ihnen die rein hypothetische Möglichkeit einer individualvertraglichen Abmachung erhalten bleibt, kann auch bei ihnen der Eingriff in die Arbeitsvertragsfreiheit nicht angenommen werden. d) Ergebnis Nur wenn die Regelungen eines Tarifvertrags die Angleichung des Leistungsniveaus von begünstigten und nicht begünstigten Arbeitnehmern nicht erlauben, indem sie „rechtlich-logische“ Hürden aufstellen, die eine solche qualitativ unmöglich gestalten, kann ein Eingriff in die Arbeitsvertragsfreiheit der betroffenen Parteien angenommen werden. Erscheint die Angleichung jedoch aus einem ökonomischen Blickwinkel heraus betrachtet „nur“ faktisch unerreichbar, reicht das für die Begründung eines Eingriffs in die Arbeitsvertragsfreiheit nicht aus. Entscheidendes Kriterium ist allein, ob die theoretische Möglichkeit einer individualvertraglichen Abmachung – zu welchem Inhalt auch immer – erhalten bleibt. Eine Differenzierungsklausel mit Stichtag in der Vergangenheit, wie sie beispielsweise der Entscheidung des BAG vom 15. 4. 2015 zugrunde lag, wahrt diese Vorgaben. Vor dem Hintergrund der Arbeitsvertragsfreiheit ist sie deshalb nicht zu beanstanden. 7. Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot Neben den bislang erörterten Freiheitsrechten als verfassungsrechtliche Grenzen für die Ausgestaltung der Tarifverträge spielen gerade bei Differenzierungsklauseln mit Stichtag in der Vergangenheit Aspekte der Gleichbehandlung eine herausragende Rolle. Immerhin rückt das BAG mit seiner Einschätzung, bei solchen Regelungen handele es sich ausschließlich um eine Binnendifferenzierung zwischen den tarifgebundenen Arbeitnehmern398, die Gleichbehandlungsgebote in den Mittelpunkt der Rechtmäßigkeitskontrolle. Obwohl dieser Auffassung hinsichtlich des Charakters 396 397 398

Ebenfalls BAG v. 15. 4. 2015 – 4 AZR 796/13, AP TVG § 3 Nr. 57 (Rn. 48). Siehe sogleich, Teil 2 B. III. 7. BAG v. 15. 4. 2015 – 4 AZR 796/13, AP TVG § 3 Nr. 57 (Orientierungssatz Nr. 1).

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der Stichtagsklauseln nicht gefolgt werden kann399, zeigt die offensichtliche Schlechterbehandlung der Neumitglieder gegenüber den Altmitgliedern im Tarifvertrag, dass der Fokus bei Differenzierungsklauseln mit Stichtag in der Vergangenheit auch auf die Ungleichbehandlung zwischen den Gewerkschaftsangehörigen zu richten ist. Anders als die Unterscheidung zwischen tarifgebundenen Arbeitnehmern und Außenseitern, die systemimmanent ist und deswegen keiner eigenständigen Rechtfertigung bedarf, muss sich die unterschiedliche Behandlung innerhalb der Mitgliederstruktur stets am Gleichbehandlungsgebot messen lassen. a) Die Bindung der Tarifvertragsparteien an die Grundsätze der Gleichbehandlung bei der tariflichen Normsetzung Die Bindung der Tarifvertragsparteien an Art. 3 I GG genießt heute beinahe axiomatischen Status und gilt nach teilweise vertretener Ansicht400 sogar bereits als Gewohnheitsrecht. Bezüglich der genauen dogmatischen Verankerung dieser Bindung konnte indes bis heute kein allumfassender Konsens hergestellt werden,401 da insbesondere die jeweiligen Begründungen einem steten Wandel unterliegen. Während über lange Zeit eine staatsgleiche Bindung als Folge der delegatarisch an die Tarifvertragsparteien übertragenen Regelungsmacht die unumstrittene Lehrmeinung bildete,402 ist diese Einsicht mit dem Aufkeimen der Einsicht, bei der Tarifautonomie handele es viel eher um kollektiv ausgeübte Privatautonomie403, zwangsläufig erodiert. Im Verlauf der Jahrzehnte hat sich eine Vielzahl an unterschiedlichen Auffassungen herausgebildet, die jeweils für sich in Anspruch nehmen, das Phänomen einer Bindung der Tarifpartner an Art. 3 I GG schlüssig erklären zu können. Allerdings sind gerade in jüngerer Vergangenheit auch Stimmen laut geworden, die eine Bindung der Tarifvertragsparteien an dieses Grundrecht rundheraus ablehnen.404 Die vereinzelt anzutreffende Feststellung, die Bindung der Tarifvertragsparteien an den Gleichheitssatz sei „völlig unbestritten“405, zeichnet vor diesem Hintergrund ein zu oberflächliches Bild. Sie suggeriert eine Geschlossenheit innerhalb der Rechtsprechung und Wissenschaft, die in dem umfassenden, ja absoluten Maß nicht festgestellt werden konnte.

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Siehe oben, Teil 2 B. I. H. Wiedemann/Harald Peters, RdA 1997, 100 (101). 401 Instruktiv Wiedemann/Jacobs, Einl. TVG Rn. 262 ff.; Möstl, JZ 1999, 202 (204); H. Wiedemann, NZA 2018, 1587 (1592). 402 Vgl. dazu Dieterich, RdA 2001, 112 (113). 403 Vgl. dazu oben, Teil 2 A. II. 1. 404 Vgl. etwa Wiedemann/Jacobs, Einl. TVG Rn. 346 ff.; Burkiczak, RdA 2007, 17 (20 ff.); kritisch auch BDDH/Frieling, Art. 3 GG Rn. 55 ff. 405 Fell, Verfassungsrechtliche Probleme, S. 182. 400

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b) Notwendigkeit einer dogmatischen Begründung für die Bindung der Tarifvertragsparteien an die Gleichheitsrechte aa) Stellungnahmen in Rechtsprechung und Literatur Dem heterogenen Meinungsbild zum Trotz gingen einige Senate des BAG in den letzten Jahren zusehends dazu über, die Streitfrage um die konkrete Herleitung der verfassungsrechtlichen Bindung der Tarifvertragsparteien an Art. 3 GG offen zu lassen. Insbesondere der 5. Senat prägte in mehreren Entscheidungen die These, dass sich die Prüfungsmaßstäbe in diesem Rahmen bei Annahme einer unmittelbaren oder mittelbaren Bindung nicht unterscheiden.406 Dabei betonte er aber in den jüngeren Entscheidungen stets, dass die Tarifpartner bei ihrer normativen Rechtsetzung „zumindest mittelbar“ an die Wertungen des Grundgesetzes gebunden seien.407 Auch der 3. Senat ließ es explizit unentschieden, „da sich die Prüfungsmaßstäbe nicht unterscheiden“.408 Einen im Ergebnis vergleichbaren Weg hatte bereits zuvor der 6. Senat beschritten: Nach seiner Auffassung habe die Unterscheidung zwischen der unmittelbaren oder der mittelbaren Bindung der Tarifpartner an Art. 3 I GG keinen Einfluss auf den Prüfungsmaßstab.409 Das gelte zudem „unabhängig davon, ob es sich um die Regelung materieller Arbeitsbedingungen oder um solche zur Festlegung des persönlichen Geltungsbereichs eines Tarifvertrags handelt.“410 Im Wortlaut anders, aber mit derselben Konsequenz stufte auch der 9. Senat die dogmatische Herleitung der Bindung der Tarifpartner an Art. 3 GG als „für den Prüfungsmaßstab bedeutungslos“ ein.411 Anders verfuhr hingegen der 4. Senat in seiner Stichtagsklausel-Entscheidung vom 15. 4. 2015. Er ließ die Frage nach der Bindung der Tarifpartner an Art. 3 GG bei ihrer tariflichen Normsetzung nicht offen, sondern schloss sich explizit der These einer mittelbaren Bindung über die Schutzpflichtendimension an.412 Mit der Festlegung auf eine mittelbare Bindung der Tarifvertragsparteien an Art. 3 I GG ist der 406

BAG v. 13. 10. 2010 – 5 AZR 378/09, AP TVG § 1 Tarifverträge: Verkehrsgewerbe Nr. 18 (Rn. 19); bereits schon früher: BAG v. 7. 2. 2007 – 5 AZR 229/06, AP BAT § 71 Nr. 3 (Rn. 21); BAG v. 7. 12. 2005 – 5 AZR 228/05, AP TVG § 1 Tarifverträge: Lufthansa Nr. 34 [I. 3. c) aa) der Gründe]; kritisch hierzu HMB/Engels, Teil 1 Rn. 48. 407 BAG v. 13. 10. 2010 – 5 AZR 378/09, AP TVG § 1 Tarifverträge: Verkehrsgewerbe Nr. 18 (Rn. 19); „jedenfalls eine mittelbare Bindung“ anerkennt BAG v. 7. 2. 2007 – 5 AZR 229/ 06, AP BAT § 71 Nr. 3 (Rn. 21). 408 BAG v. 12. 10. 2004 – 3 AZR 571/03, AP BAT § 3 g Nr. 2 [B. II. 2. der Gründe]. 409 BAG v. 27. 5. 2004 – 6 AZR 129/03, AP TVG § 1 Gleichbehandlung Nr. 5 [B. II. 3. der Gründe]; zurückhaltender wiederum in BAG v. 23. 9. 2010 – 6 AZR 180/09, AP TV-L § 16 Nr. 2 (Rn. 12): Rekurs auf die Schutzpflichtenlehre. 410 BAG v. 27. 5. 2004 – 6 AZR 129/03, AP TVG § 1 Gleichbehandlung Nr. 5 [B. II. 3. der Gründe]. 411 BAG v. 14. 12. 2010 – 9 AZR 686/09, NZA 2011, 760 (Rn. 35); BAG v. 4. 5. 2010 – 9 AZR 184/09, AP BAT-O § 23a Nr. 4 (Rn. 43); BAG v. 16. 8. 2005 – 9 AZR 378/04, AP TVG § 1 Gleichbehandlung Nr. 8 [B. II. 3. a) der Gründe]. 412 BAG v. 15. 4. 2015 – 4 AZR 796/13, AP TVG § 3 Nr. 57 (Rn. 29).

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4. Senat nicht allein. Gerade in jüngeren Entscheidungen etablierte sich auch in anderen Senaten zunehmend die Auffassung, die Arbeitsgerichte seien auf Grundlage der Schutzfunktion der Grundrechte verpflichtet, „Tarifregelungen die Durchsetzung zu verweigern, die zu gleichheits- und sachwidrigen Differenzierungen führen und deshalb Art. 3 I GG verletzen“.413 Ob diese Entscheidungen als ein Zeichen neuerlicher Sensibilisierung des BAGs für die hier in Rede stehende Problematik aufgegriffen werden kann, lässt sich ohne einen eindeutigen Hinweis nicht abschließend bewerten. Sie jedoch auf der anderen Seite als klare Absage an die Positionen der oben genannten Senate zu begreifen, ginge mangels einer ausdrücklicher Auseinandersetzung und Abgrenzung ebenfalls zu weit. Neben der unprätentiösen Einstellung der BAG-Senate ist auch die Zurückhaltung des BVerfG bei dieser verfassungsrechtlichen Problemstellung bemerkenswert. In einer Entscheidung zum Ortszuschlag für gleichgeschlechtliche Partner ging es ebenfalls nicht genauer auf die dogmatischen Fundierung einer Bindung der Tarifvertragsparteien an Art. 3 GG ein, verwies allerdings auch auf die bislang geübte Zurückhaltung in der Frage, wie die Grundrechtsbindung der Tarifvertragsparteien im Allgemeinen verfassungsdogmatisch überzeugend erklärt werden könne.414 Trotz einiger weiterer Möglichkeiten, einen eigenen Standpunkt in der Debatte herauszubilden, steht eine explizite Stellungnahme des BVerfG nach wie vor aus.415 Im Kammerbeschluss vom 14. 11. 2018416, der sich explizit mit der Differenzierungsklausel mit Stichtag in der Vergangenheit beschäftigte, kam das BVerfG – wohl mangels einer expliziten Rüge des Beschwerdeführers – überhaupt nicht auf Art. 3 GG zu sprechen. Ähnlich wie die Rechtsprechung misst auch der überwiegende Teil des Schrifttums der Problemstellung, auf welchem Weg die Tarifvertragsparteien an Art. 3 I GG gebunden seien, keine oder nur geringe Bedeutung zu. Zahlreiche Autoren halten zwar fest, dass es unterschiedliche Begründungsansätze für die Bindung gebe, entscheiden sich aber nicht für ein Modell, sondern lassen die Streitfrage offen.417 413 BAG v. 21. 12. 2017 – 6 AZR 790/16, AP TVÜ § 29a Nr. 1 (Rn. 23); BAG v. 22. 3. 2017 – 4 ABR 54/14, AP TVG § 1 Tarifverträge: Presse Nr. 20 (Rn. 25); BAG v. 14. 9. 2016 – 4 AZR 456/14, AP TVöD § 17 Nr. 4 (Rn. 48); BAG v. 15. 12. 2015 – 9 AZR 611/14, AP BUrlG § 11 Nr. 72 (Rn. 27); BAG v. 16. 10. 2014 – 6 AZR 661/12, AP TVÜ § 8 Nr. 4 (Rn. 26); BAG v. 3. 7. 2014 – 6 AZR 753/12, BeckRS 2014, 72042 (Rn. 42); BAG v. 19. 12. 2013 – 6 AZR 94/12, AP TVUmBw § 7 Nr. 3 (Rn. 43); BAG v. 21. 11. 2013 – 6 AZR 23/12, AP TV-L § 16 Nr. 5 (Rn. 58); BAG v. 27. 1. 2011 – 6 AZR 578/09, AP TVG § 1 Tarifverträge: Versorgungsbetriebe Nr. 2 (Rn. 37). 414 BVerfG v. 21. 5. 1999 – 1 BvR 726/98, BeckRS 1999, 30060572. 415 Vgl. nur BVerfG v. 7. 7. 2009 – 1 BvR 1164/07, NJW 2010, 1439 (Rn. 81); BVerfG v. 25. 11. 2004 – 1 BvR 2459/04, AP BGB § 620 Altersgrenze Nr. 25 [B. II. 1. der Gründe]. 416 BVerfG v. 14. 11. 2018 – 1 BvR 1278/16, AP GG Art. 9 Nr. 153, siehe auch oben, Teil 1 F. II. 5. 417 So bspw. Dieterich, RdA 2005, 177 (179); Gamillscheg, AuR 2001, 226 (227); S. Neumann, Tarifboni, S. 111; Preis/Greiner, Kollektivarbeitsrecht, Rn. 959; ähnlich auch P. Hanau/Thüsing, ZTR 2001, 1 (3); H. Wiedemann, NZA 2018, 1587 (1592).

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Wichtiger sei die Beantwortung der Frage, in welcher Weise der Kontrollmaßstab ausgeformt sei.418 Teilweise wird zwar zugestanden, dass der Streit um die dogmatische Bindung der Tarifvertragsparteien die Gleichheitsrechte einmal zu entscheiden gewesen wäre, jedoch habe er mit der Schaffung des AGG deutlich an Bedeutung verloren.419 Einen von den bisherigen Auffassungen gänzlich verschiedenen Weg hat dagegen eine Meinungsströmung beschritten, die eine Bindung der Tarifvertragsparteien an Art. 3 GG gänzlich ablehnt.420 Wenn den Gleichheitsrechten kein schutzpflichtenrechtlicher Gehalt zukomme und auch eine unmittelbare Bindung an Art. 3 GG verneint werde, müsse wiederum folgerichtig konzediert werden, dass den Gerichten eine Prüfung von Tarifverträgen anhand dieser Maßstäbe nicht zukomme.421 bb) Eigener Standpunkt Die oftmals anzutreffende antiprioritäre Behandlung der Streitfrage422 überrascht nicht zuletzt deshalb, weil sie in keinem Verhältnis zur tatsächlichen Bedeutung der Gleichheitsrechte für die Zulässigkeit bestimmter Tarifinhalte steht. Bereits an früherer Stelle konnte festgehalten werden, dass die Grundrechte wesentliche Faktoren für die Bestimmung der Grenzen der Tarifautonomie darstellen.423 Insbesondere vor diesem Hintergrund muss bezweifelt werden, ob die zurückhaltenden Positionen der Rechtsprechung bzw. des Schrifttums überzeugen und – vielmehr entscheidend – in Zukunft beibehalten werden können. Sollte sich herausstellen, dass keine der vertretenen Auffassungen überzeugend zu erklären vermag, weshalb die Taifvertragsparteien bei der Normsetzung an Art. 3 I GG gebunden sind, muss den Gerichten konsequenterweise die Befugnis zur Kontrolle der Tarifverträge auf Grundlage dieses Grundrechts abgesprochen werden. Spätestens mit dieser kompetenziellen Dimension steht fest, dass es sich bei der Frage nach der Bindung der Tarifvertragsparteien an Art. 3 GG nicht mehr um einen rein akademischen Schlagabtausch handelt424, sondern um eine Streitigkeit, die sich elementar auf die judikativen Entscheidungsbefugnisse auswirkt.425 Eine dogmatische fundierte Her418

Däubler/Ulber, TVG Einl. Rn. 430. Etwa Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 666; Gornik, NZA 2012, 1399 (1404). 420 BDDH/Frieling, Art. 3 GG Rn. 55 ff.; Wiedemann/Jacobs, Einl. TVG Rn. 346 ff.; Burkiczak, RdA 2007, 17 (20 ff.); in diese Richtung auch Kleinebrink, NZA 2019, 1458 (1459 f.). 421 HMB/Engels, Teil 1 Rn. 48; Burkiczak, RdA 2007, 17 (22); ähnlich auch BDDH/ Frieling, Art. 3 GG Rn. 55 ff.; Wiedemann/Jacobs, Einl. TVG Rn. 346 ff.; Jacobs/Frieling, SR 2019, 108 (112 f.); in diese Richtung wohl ebenfalls Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 211 jedenfalls im Hinblick auf den allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 I GG. 422 Symptomatisch hierfür Berg/Kocher/Schumann/Kocher, Grundl. TVG Rn. 122: „Insgesamt spricht viel für eine Bindung an Gleichbehandlungsgrundsätze (Art. 3 GG).“. 423 Siehe oben, Teil 2 B. III. 1. 424 So aber wohl Gornik, NZA 2012, 1399 (1400). 425 In diese Richtung auch Waltermann, Anm. zu AP TVG § 1 Gleichbehandlung Nr. 5 (I.). 419

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leitung der Bindungswirkung hat demnach für die Gerichte maßgebliche Bedeutung für die Frage, ob sie generell und bejahendenfalls in welchem Umfang Gleichheitsverstöße in Tarifverträgen beanstanden können. Die Auffassung, eine dezidierte Auseinandersetzung mit der Problematik könne dahinstehen, weil sich die Prüfungsmaßstäbe nicht unterschieden, ist deshalb nicht nur eine verkürzte Darstellung, sondern setzt bereits als gegeben voraus, dass die Gerichte überhaupt über die Vereinbarkeit der Tarifnorm mit Art. 3 GG befinden dürfen.426 Das Bedürfnis nach einer näheren Untersuchung der Frage, ob und inwiefern die Tarifvertragsparteien an Art. 3 I GG gebunden sind, wird zusätzlich von dem Umstand verstärkt, dass das einfache Recht nur in bestimmten Fallgestaltungen eine normative Schranke für die Gestaltungsmacht der Tarifvertragsparteien bereithält. Sicherlich hat die Schaffung des AGG dazu beigetragen, dass die Beurteilung zahlreicher Streitigkeiten mit gleichheitsrechtlichem Einschlag nunmehr auf Grundlage eines einfachgesetzlichen Kontrollmechanismus erfolgen kann.427 Allerdings ist der Anwendungsbereich dieses Gesetzes a priori auf die sog. verpönten Merkmale des § 1 AGG begrenzt, sodass das Argumentationsmuster bei solchen Konstellationen seinen Dienst versagt, in denen eine Differenzierung jenseits der dort benannten Merkmale vorgenommen wird. Die Gleichheitsproblematik, die durch eine tarifliche Differenzierung anhand der Mitgliedschaft zu einem bestimmten Stichtag in der Vergangenheit hervorgerufen wird, kann damit nicht zufriedenstellend durch das AGG erfasst und beantwortet werden. Mit diesem Defizit wird gleichzeitig offenbar, dass es insbesondere in diesem Bereich wesentlich auf eine Kontrolle der Ungleichbehandlung anhand von anderen Mechanismen ankommt. cc) Zwischenergebnis Aufgrund der weitreichenden kompetenziellen Folgerungen, die mit einer Entscheidung zugunsten oder gegen eine Bindung der Tarifvertragsparteien an Art. 3 I GG einhergeht, kann auf eine präzise und überzeugende dogmatische Herleitung der Bindungswirkung nicht verzichtet werden. Dies gilt umso mehr für tarifliche Unterscheidungen anhand der Gewerkschaftsmitgliedschaft zu einem bestimmten Stichtag, da es für diese Differenzierung im AGG keine Lösung auf der Ebene des einfachen Rechts gibt. Ein „Irgendwie“ der Bindung der Tarifpartner an die Gleichheitsrechte wird der Bedeutung des Art. 3 GG bei der Einordnung eines Tarifinhalts nicht nur nicht gerecht, sondern verdeutlich eine fehlende Sensibilisierung im Hinblick auf die kompetenzielle Dimension der Fragestellung.

426

HMB/Engels, Teil 1 Rn. 48; Burkiczak, RdA 2007, 17 (22). Besonders kritisch zum Verhältnis zwischen Privatrecht und Antidiskriminierungsrecht Hdb StR/Isensee, § 150 Rn. 136 ff. 427

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c) Ansätze zur Erklärung einer Bindung der Tarifvertragsparteien an Art. 3 I GG Für die passgenaue und sachgerechte Justierung der Kontrollmaßstäbe muss demnach die dogmatische Verankerung der Bindung der Tarifvertragsparteien an Art. 3 I GG geklärt werden. Um die überzeugende Begründung streiten zahlreiche Lösungsansätze, die grob in folgende Kategorien eingeteilt werden können: Erstens den Ansatz einer unmittelbaren Bindung der Tarifvertragsparteien an Art. 3 I GG, zweitens den Weg über das Rechtsanerkennungsmodell in § 4 I TVG und drittens den Gedanken einer mittelbaren Geltung des Gleichheitssatzes über die Schutzpflichtendimension der Grundrechte. Zudem lassen sich gerade in neuerer Zeit auch Stimmen ausfindig machen, die eine Bindung an den allgemeinen Gleichheitssatz bezweifeln. Im Folgenden werden die verschiedenen Meinungen kurz skizziert und ihre methodischen Ansätze kritisch hinterfragt. Im Anschluss daran soll ein eigener Problemzugriff entwickelt sowie ein alternatives Lösungskonzept präsentiert werden. aa) Der Ansatz einer unmittelbaren Bindung Vor allem ältere Stimmen sehen die Tarifpartner nach wie vor unmittelbar an Art. 3 I GG gebunden. Dieses Ergebnis wurde im Laufe der Jahrzehnte auf mehreren Wegen begründet, wobei sich die argumentative Untermauerung bei den unterschiedlichen Erklärungsvarianten teils überschneidet. (1) Delegationstheorie Wie bereits aufgezeigt428 war die Bindung der Tarifpartner an die Grundrechte über lange Zeit als eine notwendige Folgerung aus der staatlichen Delegation von tariflichen Normsetzungsbefugnissen anerkannt.429 Dieses Konzept basiert im Ausgangspunkt auf der Annahme, dass sich der Staat mit Regelungen in Fragen des Arbeitsrechts bewusst zurückhält und dabei die Rechtsetzungsmöglichkeit in weiten Bereichen freiwillig an die Tarifvertragsparteien weitergibt.430 Mit diesem partiellen Rückzug einher geht dabei auch die Übertragung der ansonsten originär staatlichen Fähigkeit, normunterworfene Dritte mit unmittelbarer und zwingender Wirkung an bestimmte Vorgaben zu binden, weshalb die Tarifvertragsparteien gleichsam zu Funktionsnachfolgern einer staatlichen Normsetzung erhoben werden.431 Dieser Mechanismus, bei dem ursprünglich staatliche Kompetenzen nur mit den entsprechenden Einschränkungen übertragen werden können, führe zwangsläufig dazu, dass die von den Tarifvertragsparteien vereinbarten Normen ebenfalls zu Gesetzen im 428 429 430 431

Siehe oben, Teil 2 A. II. 1. Vgl. oben Teil 2, Fn. 8. Vgl. dazu nur Engel, Rechtsnatur, S. 48 ff. und die in Teil 2, Fn. 8 f. Genannten. Lerche, FS Steindorff, S. 897 (906).

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Sinne von Art. 1 III GG qualifiziert werden, die sich wie ein Hoheitsakt in vollem Umfang an den Vorgaben des Grundgesetzes messen lassen müssen.432 Mit dieser Auffassung korreliert deshalb auch die Einsicht, dass staatliche Rechtsetzungsmacht nur „belastet“ mit der unmittelbaren Grundrechtsbindung an die Tarifpartner weiter gegeben werden könne.433 (2) Verwandte Erklärungsansätze Der Rekurs auf Art. 1 III GG als argumentatives Fundament für eine gesetzgebergleiche Bindung der Tarifvertragsparteien an die Grundrechte ist im wissenschaftlichen Diskurs bereits in der älteren Literatur scharf kritisiert worden.434 Insbesondere im Zuge der Hinwendung zu einem freiheitlich-privatautonomen Verständnis von Tarifautonomie geriet die Begründung einer Grundrechtsbindung als Folge der Übertragung staatlicher Rechtsetzungsbefugnisse auf die Tarifvertragsparteien immer stärker ins Wanken. Um dennoch eine unmittelbare Bindung an den allgemeinen Gleichheitssatz auf dogmatisch soliden Boden stellen zu können, bildete sich im Laufe der Zeit eine Vielzahl von verwandten Erklärungsansätzen heraus. Diese ersetzen teilweise zentrale Aussagen der Delegationstheorie und knüpfen zur Konstruktion eines tragfähigen Konzepts an andere Merkmale der tariflichen Normsetzung an. Stellenweise entwickeln sie aber auch bestimmte Thesen der Delegationstheorie fort und flankieren auf diese Weise ihren Ansatz einer unmittelbaren Grundrechtsbindung. Beispielsweise machten sich bereits früh Autoren bemerkbar, die zur Begründung einer unmittelbaren Grundrechtsbindung nicht auf die Überlassung staatlicher Rechtsetzungsbefugnisse, sondern auf die „soziale Macht“ der Tarifpartner im Verhältnis zu den Tarifunterworfenen rekurrieren.435 Dabei nimmt die Auffassung Anleihen bei der durch Sinzheimer geprägten „sozialen Selbstbestimmung“ der Verbände436, die als Instrument der Fremdbestimmung die Privatautonomie des Einzelnen begrenze.437 Anders als Sinzheimer438 kommen diese Stimmen aber zu 432 So auch BVerfG v. 15. 7. 1980 – 1 BvR 24/74 u. a., NJW 1981, 215 [B. II. 1. der Gründe]; BAG v. 15. 1. 1955 – 1 AZR 305/54, NJW 1955, 684; ausdrücklich auch Bietmann, Differenzierungsklauseln, S. 121. 433 Vgl. BAG v. 15. 1. 1955 – 1 AZR 305/54, NJW 1955, 684; auch Lerche, FS Steindorff, S. 897 (906). Das entspricht in etwa dem bereits im römischen Recht geltenden Grundsatz Nemo plus iuris ad alium transferre potest, quam ipse habet. (D. 50,17,54 – Ulpian); vgl. auch Formulierung bei Gamillscheg, AcP 164 (1964), 385 (399). 434 Vgl. nur Canaris, AcP 184 (1984), 201 (243 f.); Dieterich, FS Schaub, S. 117 (120); Käppler, NZA 1991, 745 (749); Richardi, Kollektivgewalt und Individualwille, S. 165, 347; Säcker/Oetker, Tarifautonomie, S. 242 f.; Waltermann, FS Söllner, S. 1251 (1274); A. Wiedemann, Die Bindung der Tarifnormen an Grundrechte, S. 29 ff. 435 Gamillscheg, AcP 164 (1964), 385 (407 f.); ders., AuR 2001, 226 (227); ders., Kollektives Arbeitsrecht I, S. 668 f.; Schwarze, ZTR 1996, 1; H. Wiedemann, RdA 1997, 297 (302). 436 Vgl. den Untertitel von Sinzheimer, Arbeitstarifgesetz. 437 Vgl. Sinzheimer, Festgabe 50 Jahre Reichsgericht, Vierter Band (1929), S. 12. 438 Sinzheimer, Arbeitstarifgesetz, S. 24 f.

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dem Ergebnis, dass der Kollektivwille nicht stets vorrangig gegenüber dem Willen des Individuums sei, sondern erkennen, dass im Einwirkungsbereich der Verbände die abstrakte Macht bestehe, grundrechtswidrigen Einfluss auszuüben.439 Um aus der kollektiven Übermacht keine ungerechte Bevormundung zu Lasten der einzelnen Verbandsmitglieder entstehen zu lassen, sei demnach die Bindung an die Grundrechte und somit auch an Art. 3 I GG als schützendes Korrektiv erforderlich. Eine andere Ansicht betont in diesem Zusammenhang stärker die Stellung der unmittelbar und zwingend wirkenden Regelungen des Tarifvertrags als Rechtsnormen im hierarchischen Normgefüge.440 Wie jede autonome Vereinbarung dürfe auch die tarifliche Normsetzung nicht im Widerspruch zu höherrangigem Recht und insbesondere der Grundrechte stehen.441 Einen im Ausgangspunkt anderen, aber im Ergebnis vergleichbaren Weg haben demgegenüber einige BAG-Senate im Anschluss an eine bundesverfassungsgerichtliche Entscheidung zum Grundrechtsschutz für juristische Personen des öffentlichen Rechts442 gewählt. Die Senate erklärten demnach die Bindung an den allgemeinen Gleichheitssatz nicht auf der Basis einer Anknüpfung an den Tarifvertrag als Normenvertrag heraus, sondern sahen bereits in Art. 3 GG selbst einen „Teil der objektiven Werteordnung, die als verfassungsrechtliche Grundentscheidung für alle Bereiche des Rechts Geltung beansprucht“.443 Den Tarifparteien sei mit der Tarifautonomie die Macht verliehen, wie ein Gesetzgeber Rechtsnormen zu schaffen. Deshalb müssten sie sich auch wie der Gesetzgeber an die zentrale Gerechtigkeitsnorm des Art. 3 I GG halten.444 In diesem Zusammenhang gewannen auch Stimmen an Einfluss, die die Tarifpartner in vollem Umfang an den allgemeinen Gleichheitssatz binden wollen, weil es sich beim Gleichheitssatz um ein „fundamentales Rechtsprinzip“ handele, das für jeden Normgeber gelte.445 Die Idee eines umfassend Geltung beanspruchenden Gerechtigkeitssystems greift auch eine weitere 439

Gamillscheg, AcP 164 (1964), 385 (407 f.). Löwisch, SAE 2001, 295 (297); Säcker/Oetker, Tarifautonomie, S. 242 f.; in diese Richtung wohl auch Wisskirchen, Anm. zu AP Tarifverträge: Chemie Nr. 11 (2. c)). 441 Löwisch, RdA 2000, 312 (313 f.); Säcker/Oetker, Tarifautonomie, S. 242 f. 442 BVerfG v. 2. 5. 1967 – 1 BvR 578/63, NJW 1967, 1411, allerdings nicht speziell auf Art. 3 GG bezogen, sondern auf die Anwendung der Grundrechte allgemein; ähnlich Richardi, Kollektivgewalt und Individualwille, S. 165. 443 BAG v. 17. 10. 1995 – 3 AZR 882/94, AP BGB § 242 Gleichbehandlung Nr. 132 [II. 2. c) der Gründe] und BAG v. 28. 3. 1996 – 6 AZR 501/95, AP BeschFG 1985 § 2 Nr. 49 [II. 2. c) aa) der Gründe] in Berufung auf BVerfG v. 2. 5. 1967 – 1 BvR 578/63, NJW 1967, 1411 (1413) [B. II. 3. a) der Gründe]. 444 BAG 20. 6. 1995 AP TVG § 1 Tarifverträge: Chemie Nr. 11 [II. 3. a) der Gründe]; BAG v. 17. 10. 1995 – 3 AZR 882/94, AP BGB § 242 Gleichbehandlung Nr. 132 [II. 2. c) der Gründe]; BAG v. 18. 6. 1997 – 5 AZR 259/96, AP BAT § 3d Nr. 2 [I. 1. der Gründe]. 445 JKOS/Krause, § 1 Rn. 59; Wiedemann (7. Aufl.)/H. Wiedemann, Einl. TVG Rn. 212; in diese Richtung ferner Osteroth, Zulässigkeit tarifvertraglicher Vorteilsregelungen, S. 79 f.; Schlachter, JbArbR 40 (2002), 51 (61); ähnlich auch BAG v. 4. 4. 2000 – 3 AZR 719/98, AP TVG § 1 Gleichbehandlung Nr. 2 [III. 2. der Gründe], der von „fundamentalen Handlungsanleitungen an jeden Normgeber“ spricht. 440

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Strömung innerhalb des Schrifttums auf: Nach deren Dafürhalten müsse sichergestellt werden, dass vergleichbare Sachverhalte auch gleich behandelt würden; die Bindung an den Gleichheitssatz sei jeder „Regelung typischer Sachverhalte durch Normen immanent“.446 bb) Theorie einer immanenten Bindung an Art. 3 I GG als Folge einer Rechtsidentität zwischen individueller Koalitionsfreiheit und Koalitionsvereinbarung Gänzlich anders will dagegen Scholz eine im Ergebnis unmittelbare Bindung der Tarifvertragsparteien an die Grundrechte im Allgemeinen und damit auch an Art. 3 I GG herleiten. Sein Ansatz, der in der Rechtswissenschaft unter dem Begriff der „immanenten Bindung“447 firmiert und für Freiheits- bzw. Gleichheitsrechte gleichermaßen entwickelt wurde, sieht die Koalitionsvereinbarung als Ausübung individualer Freiheiten in gebündelter Form, als „individuale Grundrechtsausübung im status collectivus“.448 Da der Tarifvertrag so dem tarifgebundenen Mitglied nicht mehr gegenüber stehe, sondern vielmehr in ihm sei, können folglich die Grundrechte nicht als externe Schranken des Tarifvertrags aufgegriffen werden.449 Der Tarifautonomie seien also bereits wegen der „rechtliche[n] Identität von individualem Freiheitsrecht und Koalitionsvereinbarung“450 schon a priori durch die Individualgrundrechte der Tarifunterworfenen Grenzen gesetzt, die sie nicht zu überschreiten vermag. „Die Koalitionsvereinbarung darf sich demgemäß nicht über die in ihr verbundenen Individualrechte hinwegsetzen. Sie findet ihre wesensmäßige Funktionsgrenze im Individualrecht. […] Denn so wie die organisierte Verbandsexistenz nicht über die summierte (quantitative) Ausübung bestimmter Individualrechte hinausreicht, so ist auch die Koalitionsvereinbarung in inhaltlicher Weise festgelegt. Ihre immanente Funktionsgrenze ist das im status collectivus ausgeübte Individualgrundrecht.“451

446 Biedenkopf, Grenzen der Tarifautonomie, S. 82; Breschendorf, Zweiteilung der Belegschaft, S. 88; ähnlich H. Wiedemann/Harald Peters, RdA 1997, 100; kritisch dazu aber Richardi, Kollektivgewalt und Individualwille, S. 348. 447 Scholz prägte diesen Begriff maßgeblich selbst mit, indem er die Grenzziehung dem Koalitionsverfahren als „von vornherein immanent“ ansieht, Scholz, Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem, S. 372. 448 Scholz, Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem, S. 370 (kursive Hervorhebung im Original). 449 Scholz, Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem, S. 370. 450 Scholz, Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem, S. 370. 451 Scholz, Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem, S. 372 (kursive Hervorhebung im Original).

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cc) Theorie einer Bindung an die Gleichheitsrechte aufgrund des staatlichen Normgeltungsbefehls in § 4 I TVG Eine andere Herangehensweise wählt demgegenüber ein Meinungsspektrum in der Literatur, das zur Begründung der Grundrechtsbindung an den staatlichen Rechtsanerkennungsbefehl in § 4 I TVG anknüpfen will.452 Nach ihm sei die Bindung zwar nicht als Folge einer staatlichen Delegation von Rechtsetzungskompetenzen aufzugreifen453, jedoch letztlich entscheidend auf den staatlichen Autorisationsakt zurückzuführen, den das TVG im Wege eines Rechtsanerkennungsbefehls ausgestalte.454 Diese Ansicht fußt somit auf dem Gedanken, dass die Tarifpartner als Private im Ausgangspunkt nicht unmittelbar an die Wertungen des Grundgesetzes gebunden werden können, aber auch per se keine zwingenden Vorschriften für Dritte erlassen können. Das TVG erkenne jedoch in bestimmten Fällen die Möglichkeit an, Abmachungen zwischen den Tarifvertragsparteien im Wege eines staatlichen Geltungsbefehls mit normativer Wirkung auszustatten.455 Mit dieser Option, eine private Abmachung zur verbindlichen Rechtsnorm erheben zu lassen, werden aber auch gleichsam die Grenzen der staatlichen Rechtsanerkennung festgelegt.456 Um nicht selbst durch eine pauschale und uneingeschränkte Rechtsgeltungsanordnung in die Grundrechte der Tarifunterworfenen einzugreifen, sei dem Staat nur die Erhebung derjeniger Vereinbarungen zu normativ wirkenden Rechtsätzen erlaubt, die den Wertungen des Grundgesetzes entsprechen.457 § 4 I TVG sei also verfassungskonform in dem Sinne auszulegen, dass er lediglich die grundrechtskonformen Regelungen der Tarifvertragsparteien erfasse und sie zu Rechtsnormen qualifiziere.458 Das verpflichte die Tarifvertragsparteien bereits von Beginn an, grundrechtskonforme Gestaltungen zu wählen, wollen sie ihre Vereinbarungen auf der Grundlage des TVG anerkennen und ihnen somit über das Scharnier des § 4 I TVG unmittelbare und zwingende Wirkung zukommen lassen. Teilweise wird für die Begründung innerhalb dieses Meinungsspektrums sogar die Zurechnung der tariflichen Regelsetzung zum Staat als Folge der Rechtsnormqualifikation in § 4 I TVG favorisiert.459 Konsequenz 452 C. Hartmann, Gleichbehandlung, S. 66 ff.; Schlachter, FS Schaub, S. 651 (655 f.); ähnlich Belling, ZfA 1999, 547 (577 f.); Dieterich, FS H. Wiedemann, S. 229 (237 f.); S. Neumann, Tarifboni, S. 114. 453 C. Hartmann, Gleichbehandlung, S. 67. 454 C. Hartmann, Gleichbehandlung, S. 62 ff.; ähnlich aber auch S. Neumann, Tarifboni, S. 114. 455 Vgl. Engler, Private Regelsetzung, S. 120; C. Hartmann, Tarifboni, S. 62 ff.; Houben, Rückwirkung, S. 117; F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 181 ff.; Waltermann, FS Söllner, S. 1251 (1263). 456 Vgl. F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 522. 457 C. Hartmann, Gleichbehandlung, S. 66 ff.; Richardi, Kollektivgewalt und Individualwille, S. 46; Schlachter, FS Schaub, S. 651 (655 f.); ähnlich Belling, ZfA 1999, 547 (577 f.); Dieterich, FS H. Wiedemann, S. 229 (237 f.); S. Neumann, Tarifboni, S. 114. 458 C. Hartmann, Gleichbehandlung, S. 68 f. 459 Belling, ZfA 1999, 547 (577 ff.).

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dieses Modells ist eine Grundrechtsbindung der Tarifvertragsparteien bei der Normsetzung, die angesichts der postulierten Rasterfunktion für die staatliche Rechtsanerkennung nicht unmittelbar, sondern im Ergebnis quasi-unmittelbar ausgestaltet ist.460 dd) Theorie einer mittelbaren Bindung der Tarifvertragsparteien an Art. 3 I GG infolge des staatlichen Schutzauftrags (1) Schutzfunktion der Grundrechte im Privat- und Arbeitsrecht Neben den bislang rein tarifspezifischen Erklärungsansätzen lässt sich gerade in der modernen Arbeitsrechtswissenschaft eine breite Strömung identifizieren, welche die Bindung der Tarifvertragsparteien an Art. 3 I GG aus der Schutzpflichtendimension der Grundrechte heraus erklären will und damit auf ein Argumentationsmuster zurückgreift, das weit über das Tarifrecht hinaus Geltung beansprucht. Da der Ansatz über die grundrechtliche Schutzfunktion zur Begründung der Bindung der Tarifvertragsparteien an Art. 3 I GG sowohl in der Rechtsprechung der Arbeitsgerichte461 als auch im arbeitsrechtlichen Schrifttum462 eine große Anhängerschaft verzeichnen kann, lässt er sich mit einiger Berechtigung als momentan herrschende Meinung beschreiben. Zunächst unabhängig vom Arbeitsrecht und allgemein für privatrechtliche Verträge entwickelt463, liegt der zentrale Ausgangspunkt hierbei in der Annahme, dass den Grundrechten neben ihrer traditionellen Abwehrfunktion

460 C. Hartmann, Gleichbehandlung, S. 74 spricht selbst jedoch von einer „unmittelbaren Bindung“. Das ist streng genommen unpräzise, denn die unmittelbare Bindung trifft auch nach seinem Dafürhalten nur den Staat. 461 Vgl. nur BAG v. 27. 6. 2018 – 10 AZR 290/17, AP BGB § 611 Gratifikation Nr. 310 (Rn. 35); BAG v. 21. 3. 2018 – 10 AZR 34/17, AP ArbZG § 6 Nr. 17 (Rn. 44); BAG v. 21. 12. 2017 – 6 AZR 790/16, AP TVÜ § 29a Nr. 1 (Rn. 23); BAG v. 22. 3. 2017 – 4 ABR 54/14, AP TVG § 1 Tarifverträge: Presse Nr. 20 (Rn. 25); BAG v. 15. 12. 2015 – 9 AZR 611/14, AP BUrlG § 11 Nr. 72 (Rn. 27); BAG v. 15. 4. 2015 – 4 AZR 796/13, AP TVG § 3 Nr. 57 (Rn. 29); BAG v. 16. 10. 2014 – 6 AZR 661/12, AP TVÜ § 8 Nr. 4 (Rn. 26); BAG v. 3. 7. 2014 – 6 AZR 753/12, BeckRS 2014, 72042 (Rn. 42); BAG v. 19. 12. 2013 – 6 AZR 94/12, AP TVUmBw § 7 Nr. 3 (Rn. 43); BAG v. 21. 11. 2013 – 6 AZR 23/12, AP TV-L § 16 Nr. 5 (Rn. 58); BAG v. 22. 4. 2010 – 6 AZR 966/08, AP GG Art. 3 Nr. 322 (Rn. 26); BAG v. 25. 10. 2007 – 6 AZR 95/07, AP BAT § 34 Nr. 12 (Rn. 23); BAG v. 27. 5. 2004 – 6 AZR 129/03, AP TVG § 1 Gleichbehandlung Nr. 5 [B. II. 1. 2. 3 der Gründe]. 462 ErfK/I. Schmidt, Art. 3 GG Rn. 25; HWK/Henssler, Vor § 1 TVG Rn. 16; Jarass/Pieroth/ Jarass, Art. 3 GG Rn. 79; Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke/Krieger, Art. 3 GG Rn. 12; Breschendorf, Zweiteilung der Belegschaft, S. 84 f., 86 ff.; Giesen, Tarifvertragliche Rechtsgestaltung, S. 246; Kühnast, Regelungsbefugnis, S. 436; Seiwerth, Gestaltungsfreiheit, S. 105 f.; wohl auch Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 663; Dieterich, RdA 2005, 177 (179); Gornik, NZA 2012, 1399 (1404); ablehnend dagegen JKOS/Krause, § 1 Rn. 59; Burkiczak, RdA 2007, 17 (20 ff.); Schwarze, ZTR 1996, 1 (8); Ulber, Tarifdispositives Gesetzesrecht, S. 447 ff. Kritisch gegenüber diesem Modell auch Bayreuther, Tarifautonomie, S. 262 ff. 463 Möstl, JZ 1999, 202 (203).

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gegenüber hoheitlicher Gewalt auch ein objektivrechtlicher Gehalt innewohne.464 Mit dem objektiven Verfassungsgehalt korrespondiere zugleich der Auftrag an alle staatlichen Gewalten, zugunsten des Einzelnen ein bestimmtes Mindestmaß an verfassungsrechtlich verbürgter Freiheit zu sichern.465 Dieses Postulat beschränke sich allerdings nicht auf das Verhältnis zwischen Bürger und staatlicher Gewalt, sondern gelte auch im zivilen Vertragsrecht, das grundsätzlich auf dem Prinzip der Selbstbestimmung beruht, aber die Einstrahlungswirkung der Grundrechte als verfassungsrechtliche Wertentscheidungen zu beachten hat.466 Die einzelnen Privatrechtssubjekte können nach dieser Annahme auch in rein privatrechtlichen Verhältnissen von den staatlichen Organen als unmittelbar Grundrechtsverpflichtete erwarten, dass sie zu ihren Gunsten korrigierend in die Beziehung zwischen Privaten eingreifen, wenn dort die Gewähr der Selbstbestimmung – oder präziser formuliert: eines erträglichen Mindestmaßes an grundrechtlichem Schutz – gefährdet ist.467 Dieses Schutzniveau sei jedenfalls dann unterschritten, wenn einem Vertragsteil eine derart überlegene Verhandlungsposition zukomme, dass dieser den Inhalt der Vereinbarung faktisch einseitig diktieren kann.468 Führt diese strukturelle Unterlegenheit des anderen Vertragsteils im Vertrag zu ungewöhnlichen Belastungen für die unterlegene Partei, so müsse die Zivilrechtsordnung darauf reagieren und Korrekturen ermöglichen.469 Auf der Basis dieser hoheitlichen Betätigungspflicht will die Lehre von den Schutzpflichten für die Bereitstellung eines verfassungsrechtlich gebotenen, un464 Grundlegend BVerfG v. 15. 1. 1958 – 1 BvR 400/57, NJW 1958, 257; F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 523; Waltermann, AP TVG § 1 Gleichbehandlung Nr. 5. Rusteberg, Subjektives Abwehrrecht, S. 92 ff. sieht bei einem Verständnis der Grundrechte als Teil der objektiven Ordnung nicht zu Unrecht einen Perspektivwechsel von der „Mikroebene“ hin zur „Makroebene“ – subjektive Eingriffs- und Schrankenregelungen werden in Belange des Gemeinwohls umgedeutet. 465 Canaris, AcP 184 (1984), 201 (225 ff.); ders., Grundrechte und Privatrecht, S. 38 f.; Ruffert, Vorrang, S. 212, 215 ff.; vgl. auch Lobinger, AcP 216 (2016), 28 (69 f.): Untermaßverbot als „reine Selbstbeschränkung“ gegenüber dem Potenzial, das mit einer objektiven Dimension der Grundrechte als Werteordnung einhergeht. 466 St. Rspr. des BVerfG, vgl. nur BVerfG v. 11. 4. 2018 – 1 BvR 3080/09, NJW 2018, 1667 (Rn. 32); BVerfG v. 19. 4. 2005 – 1 BvR 1644/00 u. a., NJW 2005, 1561 [C. II. 1. a) der Gründe]; BVerfG v. 19. 10. 1993 – 1 BvR 567/89 u. a., NJW 1994, 36 [C. I. der Gründe]; BVerfG v. 23. 4. 2986 – 2 BvR 487/80, NJW 1987, 827 [I. der Gründe]. 467 Vgl. BVerfG v. 5. 8. 1994 – 1 BvR 1402/89, NJW 1994, 2749 (2750) [2. a) der Gründe]; BVerfG v. 7. 2. 1990 – 1 BvR 26/84, NJW 1990, 1469 (1470) [C. I. 3 der Gründe]; Canaris, Grundrechte und Privatrecht, S. 38 f. 468 Grundlegend BVerfG v. 5. 8. 1994 – 1 BvR 1402/89, NJW 1994, 2749 (2750) [2. a) der Gründe]; BVerfG v. 7. 2. 1990 – 1 BvR 26/84, NJW 1990, 1469 (1470) [C. I. 3. der Gründe]; Badura, FS Herschel, S. 21 (34 f.); Hesse; Verfassungsrecht und Privatrecht, S. 37; ders., Grundzüge des Verfassungsrechts, § 11 Rn. 356. 469 BVerfG v. 5. 8. 1994 – 1 BvR 1402/89, NJW 1994, 2749 (2750) [2. a) der Gründe]; dieser Schluss ist nicht selbstverständlich: Nach Preis, RdA 2019, 75 (79 f.) habe das deutsche Privatrecht „[s]elbstverliebt in die dogmatischen Strukturen des Römischen Rechts“ bei der Kompensation struktureller Unterlegenheit lange Zeit versagt.

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verbrüchlichen Schutzniveaus auch im Verhältnis zweier Privater zueinander in erster Linie den Gesetzgeber in die Pflicht nehmen.470 Sollte es jedoch an einer einfachgesetzlichen Ausformung für den individuellen Grundrechtschutz gänzlich fehlen oder dieser nicht durch eine verfassungskonforme Interpretation der vorhandenen Gesetzesmaterie gewährleitet werden können, müsse es den Gerichten als Grundrechtsadressaten verwehrt sein, eine Entscheidung herbeizuführen, die eine festgestellte Unterschreitung des verfassungsrechtlich gebotenen Mindestschutzes zusätzlich perpetuiert.471 In diesem Fall der legislativen Unzulänglichkeit dürften die privaten Grundrechtsträger von den Fachgerichten verlangen, die jeweiligen grundrechtlichen Wertentscheidungen bei der Auslegung und Anwendung des einfachen Gesetzes hinreichend zu berücksichtigen.472 Angesichts der Pflicht zur Effektuierung des Grundrechtsschutzes könnten sich die Gerichte als subsidiär verantwortliche öffentliche Gewalt nicht der Verantwortung entziehen und müssten dasjenige Schutzniveau sichern oder herzustellen, das durch die Verfassung jeweils zwingend vorgeben ist.473 Der Spielraum der staatlichen Gewalten ist dabei im Rahmen der Schutzpflichtendimension regelmäßig größer als in der Abwehrsituation:474 Die verfassungsrechtlich zwingende Schutzpflicht ist bereits dann erfüllt, wenn durch die Regelung ein bestimmtes, von Fall zu Fall variierendes Schutzniveau nicht unterschritten wird.475 Entsprechend großzügiger ist in der Tendenz auch die einzelfallbezogene Kontrolle: Während bei der freiheitsrechtlich determinierten Abwehr staatlicher Gewalt das Übermaßverbot in Form einer Verhältnismäßigkeitsprüfung zur Anwendung kommt, beschränkt sich die Überprüfung in den Konstellationen, bei denen die Unterschreitung verfassungsrechtlicher Schutzpflichten im Raum steht, auf die Kontrolle, ob der Staat bei einem gewissen Gestaltungsspielraum das gebotene Mindestmaß an grundrechtlichem Schutz nicht unterschritten hat.476 Insbesondere 470 BVerfG v. 7. 2. 1990 – 1 BvR 26/84, NJW 1990, 1469 (1470) [C. I. 3. der Gründe]; vgl. auch Wiedemann/Jacobs, Einl. TVG Rn. 336; Burkiczak, RdA 2007, 17 (19); Hermes, NJW 1990, 1764 (1765); Hillgruber, JZ 1996, 118 (123); Höfling/Engels, NJW 2007, 3102 (3103); Möstl, DÖV 1998, 1029; Ruffert, JZ 2009, 389 (391); ders., Vorrang, S. 201 ff. 471 Vgl. BVerfG v. 5. 8. 1994 – 1 BvR 1402/89, NJW 1994, 2749 (2750) [2. a) der Gründe]. 472 St. Rspr. des BVerfG, vgl. nur BVerfG v. 11. 4. 2018 – 1 BvR 3080/09, NJW 2018, 1667 (Rn. 32); BVerfG v. 19. 10. 1993 – 1 BvR 567/89 u. a., NJW 1994, 36 (38) [C. I. der Gründe]; BVerfG v. 7. 2. 1990 – 1 BvR 26/84, NJW 1990, 1469 (1470) [C. I. 3. der Gründe]; „interpretationsleitende Berücksichtigung“ fordert BVerfG v. 19. 4. 2005 – 1 BvR 1644/00 u. a., NJW 2005, 1561 (1565) [C. II. 1. a) der Gründe]; vgl. auch Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 488, 492; Klein, Der Staat 10 (1971), 145 (149). 473 Vgl. etwa BVerfG v. 24. 2. 2015 – 1 BvR 472/14, NJW 2015, 1506 (Rn. 39). 474 Hellgardt, JZ 2018, 901 (905); Temming, Altersdiskriminierung, S. 425 ff.; Ruffert, Schutzpflichten, S. 115. 475 Vgl. Badura, FS Herschel, S. 21 (34 f.); Canaris, AcP 184 (1984), 201 (228). 476 BVerfG v. 7. 2. 1990 – 1 BvR 26/84, NJW 1990, 1469 [C. I. 3. der Gründe]; Böckenförde, Der Staat 29 (1990), 1 (20 f.); Ruffert, Schutzpflichten, S. 115; ders., Vorrang, S. 217 f., demzufolge das Untermaß ein „eingeschränkt relativer Maßstab“ sei; ähnlich auch Alexy,

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bei der Auslegung des Fachrechts korrigiert das BVerfG lediglich solche Auslegungsfehler der Gerichte, „die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung der betroffenen Grundrechte beruhen und auch in ihrer materiellen Bedeutung für den konkreten Rechtsfall von einigem Gewicht sind, insbesondere weil darunter die Abwägung der beiderseitigen Rechtspositionen im Rahmen der privatrechtlichen Regelung leidet“.477 Die Grundrechte gelangen somit in Privatrechtsverhältnissen nur über den Umweg einer Vermittlung durch die hoheitliche Sphäre zur Anwendung, weshalb sich in diesem Bereich der Begriff einer mittelbaren Grundrechtsbindung etabliert hat.478 Überträgt man diese allgemeinen Grundsätze auf das Tarifrecht, muss zunächst geklärt werden, an welches Verhältnis zur Begründung einer Schutzpflicht angeknüpft werden kann. Anders als bei den Individualverträgen, in denen das einzelne Privatrechtssubjekt gegen eine Übervorteilung durch den Vertragspartner während der Festlegung von Vertragsinhalten geschützt werden muss, kann eine strukturelle Imparität der Tarifvertragsparteien im Verhältnis zueinander nicht begründet werden.479 Vielmehr gilt in dieser Beziehung von Verfassungs wegen ein striktes Paritätsgebot, das als zwingende Funktionsbedingung Voraussetzung für die Anerkennung einer Vereinbarung als Tarifnorm ist. In dieser Vertragsbeziehung lässt sich deshalb mangels Ungleichgewichts keine Schutzpflicht aktivieren, die ein hoheitliches Eingreifen legitimieren könnte. Anders ist die Situation allerdings zu bewerten, wenn die Verbandsmitglieder in die Überlegungen einbezogen werden. Im Rahmen des Verhältnisses zwischen den Tarifvertragsparteien und dem einzelnen Mitglied besteht aufgrund der mitgliedschaftlichen Unterwerfung unter die Normsetzungsgewalt der Tarifvertragsparteien die abstrakte Möglichkeit, durch zwingende Regelungen in die Rechtspositionen und damit auch die Grundrechte des Mitglieds eingreifen zu können – freilich nur, sofern keine günstigere individualvertragliche Regelung zugunsten des Arbeitnehmers besteht, § 4 III TVG. Im Zuge dieser Verdichtung einseitiger Gestaltungsmacht bei den Tarifvertragsparteien kann daher in bestimmten Fällen eine Situation entstehen, in der der verfassungsrechtlich gebotene Schutzmechanismus zugunsten des einzelnen Mitglieds aktiviert werden

Theorie der Grundrechte, S. 100: „Abwägungsgebot als die Relativierung der rechtlichen Möglichkeiten“; vgl. zur Spielraumdogmatik ders., VVDStRL 61 (2002), 7 (15 ff.). 477 St. Rspr. des BVerfG, vgl. nur BVerfG v. 11. 4. 2018 – 1 BvR 3080/09, NJW 2018, 1667 (Rn. 34); BVerfG v. 23. 10. 2013 – 1 BvR 1842/11 u. a., NJW 2014, 46 (Rn. 103); BVerfG v. 19. 7. 2011 – 1 BvR 1916/09, NJW 2011, 3428 (Rn. 87); BVerfG v. 19. 4. 2005 – 1 BvR 1644/00 u. a., NJW 2005, 1561 (1565) [C. II. 1. a) der Gründe]. 478 Vgl. Canaris, JuS 1989, 161 (163), der die Schutzgebotsfunktion plastisch als „missing link“ für die Einwirkung der Grundrechte auf das Verhalten der Privatrechtssubjekte bezeichnet; kritisch demgegenüber Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 490 f. und Leisner, Grundrechte, S. 378, nach denen die Theorie der mittelbaren Grundrechtsbindung „letzten Endes immer eine unmittelbare sein wird“; ähnlich auch Klein, Der Staat 10 (1971), 245 (149). 479 BAG v. 21. 5. 2014 – 4 AZR 50/13, AP BGB § 242 Gleichbehandlung Nr. 220; Dieterich, FS Schaub, S. 117 (125); Möstl, JZ 1999, 202 (203); S. Neumann, Tarifboni, S. 113.

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muss.480 Die Gefahr übermäßiger Beeinträchtigungen resultiert im Rahmen der Tarifvertragskontrolle daher anders als bei Individualverträgen nicht aus der Übermacht des jeweiligen Vertragspartners, sondern aus der privatautonom legitimierten Macht Dritter, der sich das Mitglied freiwillig unterworfen hat.481 Steht also durch die konkrete Tarifnorm eine übermäßige Grundrechtsbeeinträchtigung des Verbandsangehörigen zu befürchten, muss untersucht werden, ob das einfache Recht den entstandenen Konflikt zufriedenstellend zu lösen vermag. Erst wenn dieser Schritt den Grundrechten des Mitglieds nicht denjenigen Schutz gewährt, den das Untermaßverbot zwingend vorsieht, sind die Gerichte als staatliche Spruchkörper gehalten, die Interessenkollision dergestalt aufzulösen, dass ein individuelles Mindestschutzniveau gewährleistet wird. Um dieses Ziel zu erreichen, kann ein entsprechender Verstoß unter Umständen bedeuten, dass bestimmte Teile oder womöglich sogar der gesamte Tarifvertrag für unwirksam zu erklären sind. Der Ansatz über die Schutzfunktion der Grundrechte nimmt also keine genuin unmittelbare Grundrechtsbindung der Tarifpartner an, sondern fasst die staatlichen Gewalten ins Auge, die auf Grundlage des objektivrechtlichen Verfassungsgehalts ein bestimmtes Mindestniveau an verfassungsrechtlichen Schutz auch in Privatrechtsverhältnissen zu schaffen bzw. zu bewahren haben. Auf der Basis dieser Verpflichtung werden damit individuell wandelbare Mindeststandards in den Tarifvertrag projiziert, die wiederum in einem bestimmten Umfang die Grundrechte der Tarifunterworfenen schützen. Tarifnormen, die diesen Wertungen nicht entsprechen, sind von staatlicher Seite entweder durch gesetzliche Regelungen zu verbieten oder – insofern nachrangig – von den Gerichten für unwirksam zu erklären. (2) Neuere Tendenzen des BVerfG im Hinblick auf die Anwendbarkeit des Art. 3 I GG in Privatrechtsverhältnissen Die soeben geschilderten Zusammenhänge werden jedoch durch eine jüngere Entscheidung des BVerfG zum privaten Hausrecht jedenfalls im Hinblick auf Art. 3 I GG infrage gestellt.482 In der sog. Stadionverbots-Entscheidung haben sich die Verfassungsrichter klar gegen eine Anwendung des allgemeinen Gleichheitssatzes in Privatrechtsverhältnissen auf Grundlage der Schutzpflichtenlehre positioniert. Demnach enthalte Art. 3 I GG kein objektives Verfassungsprinzip, wonach die Rechtsbeziehungen zwischen Privaten von diesen prinzipiell gleichheitsgerecht zu gestalten wären.483 Das Argumentationsmuster, mit dem ein staatliches Eingreifen zugunsten des unterlegenen Teilnehmers am Privatrechtsverkehr, respektive des tarifgebundenen Arbeitnehmers im Verhältnis zu den Tarifvertragsparteien begründet werden konnte, versage an dieser Stelle seinen Dienst. Jedoch könne sich die 480 Zutreffend daher Seiwerth, Gestaltungsfreiheit, S. 96 ff.; diesen Zusammenhang verkennt Kleinebrink, NZA 2019, 1458 (1459 f.). 481 Ähnlich Möstl, JZ 1999, 202 (203). 482 BVerfG v. 11. 4. 2018 – 1 BvR 3080/09, NJW 2018, 1667. 483 BVerfG v. 11. 4. 2018 – 1 BvR 3080/09, NJW 2018, 1667 (Rn. 40).

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Beachtung gleichheitsrechtlicher Anforderungen aus Art. 3 I GG im Verhältnis zwischen Privaten für „spezifische Konstellationen“ ergeben.484 Demnach finde das Gleichbehandlungsgebot im Wege mittelbarer Drittwirkung bei Veranstaltungen Anwendung, „die aufgrund eigener Entscheidung der Veranstalter einem großen Publikum ohne Ansehen der Person geöffnet werden und der für die Betroffenen in erheblichem Umfang über die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben entscheidet“.485 Indem ein Privater solche Veranstaltungen ins Werk setzt, erwachse ihm „von Verfassungs wegen auch eine besondere rechtliche Verantwortung“.486 Er dürfe seine Entscheidungsmacht nicht dazu nutzen, bestimmte Person ohne sachlichen Grund von einem solchen Ereignis ausschließen.487 Dieser Ansatz in der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung war allerdings nicht komplett neu. Bereits 2011 hatte das BVerfG entschieden, „dass möglicherweise Private – etwa im Wege der mittelbaren Drittwirkung – unbeschadet ihrer eigenen Grundrechte ähnlich oder auch genauso weit durch die Grundrechte in Pflicht genommen werden, insbesondere wenn sie in tatsächlicher Hinsicht in eine vergleichbare Pflichten- oder Garantenstellung hineinwachsen wie traditionell der Staat.“488 Ob sich die Maßstäbe aus der Stadionverbots-Entscheidung auch auf die Tarifvertragsparteien übertragen lassen, ist bislang – soweit ersichtlich – nur in einem Beitrag jüngeren Datums489 erörtert worden. Wenn das BVerfG die Pflicht zur Berücksichtigung des Gleichheitssatzes im Ergebnis an eine privat gewachsene Entscheidungsmacht als Folge einer überlegenen Stellung im Sozialgefüge knüpft, erscheint es indes naheliegend, auch die Tarifvertragsparteien als normsetzende Macht im Verhältnis zum Mitglied entsprechenden Kautelen zu unterwerfen.490 Bei kongruenter Tarifbindung entscheiden die Tarifvertragsparteien in nicht geringem Umfang über die Bedingungen, zu denen abhängige Arbeit geleistet wird. Ob aus dieser besonderen Verantwortung eine Verpflichtung zur Beachtung gleichheitsrechtlicher Anforderungen im Sinne der Stadionverbots-Entscheidung resultiert und damit die Konstruktion des BVerfG insgesamt auch für das Verhältnis der Tarifvertragsparteien zu den Verbandsangehörigen übertragen werden kann, muss an dieser Stelle noch nicht abschließend bewertet werden. Es genügt hier allein der 484 BVerfG v. 11. 4. 2018 – 1 BvR 3080/09, NJW 2018, 1667 (Rn. 41); inhaltlich bestätigt in BVerfG v. 27. 8. 2019 – 1 BvR 879/12, BeckRS 2019, 23504 (Rn. 7). 485 BVerfG v. 11. 4. 2018 – 1 BvR 3080/09, NJW 2018, 1667 (Rn. 41); inhaltlich bestätigt in BVerfG v. 27. 8. 2019 – 1 BvR 879/12, BeckRS 2019, 23504 (Rn. 7). 486 BVerfG v. 11. 4. 2018 – 1 BvR 3080/09, NJW 2018, 1667 (Rn. 41). 487 BVerfG v. 11. 4. 2018 – 1 BvR 3080/09, NJW 2018, 1667 (Rn. 41). 488 BVerfG v. 22. 2. 2011 – 1 BvR 699/06, NJW 2011, 1201 (Rn. 56); ferner BVerfG v. 18. 7. 2015 – 1 BvQ 25/15, NJW 2015, 2485 (Rn. 5); allerdings hat der 1. Senat des BVerfG in BVerfG v. 23. 7. 2019 – 1 BvR 684/14, NZA 2019, 1270 (Rn. 7) erst kürzlich die Frage, inwiefern Art. 3 GG in privatrechtlichen Verhältnissen Anwendung finden könne, bei der Bemessung von Höchstaltersgrenzen für den Eintritt in ein betriebliches Altersvorsorgesystem wiederum explizit offengelassen. 489 Jacobs/Frieling, SR 2019, 108 (113). 490 In diese Richtung auch Jacobs/Frieling, SR 2019, 108 (113).

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Hinweis, dass das BVerfG für die Begründung einer faktischen Bindung an Art. 3 I GG in Privatrechtsverhältnissen jedenfalls für das private Hausrecht einen anderen Weg gewählt hat als über die Schutzfunktion der Grundrechte. ee) Zweifel an einer Bindung der Tarifvertragsparteien an den allgemeinen Gleichheitssatz Gerade in jüngerer Vergangenheit wurden dem vielfältigen Meinungsbild zum Trotz im Schrifttum auch vereinzelte Stimmen laut, die die bisher vorgetragenen Modelle für nicht überzeugend halten und in der Konsequenz zumindest teilweise eine Kontrolle der Tarifverträge anhand des allgemeinen Gleichheitssatzes ablehnen.491 Ähnlich wie das BVerfG in der Standionverbots-Entscheidung negieren sie die materielle Existenz einer objektiven Wertentscheidung, die in Art. 3 I GG zum Ausdruck komme und für die Aktivierung eines staatlichen Schutzauftrags zwingend erforderlich ist: „Anders als die fest umrissenen Freiheitsräume der Abwehrrechte kann das Prinzip der Gleichheit vor dem Gesetz durch Dritte nicht bedroht werden. Ob Art. 3 Abs. 1 GG die objektive Wertentscheidung entnommen werden kann, dass auch Privatleute zur Gleichbehandlung verpflichtet werden sollen, ist deshalb äußerst zweifelhaft.“492

Diese Auffassung der fehlenden Möglichkeit, eine Schutzpflicht aus Art. 3 I GG in rein privatrechtlichen Verhältnissen zu aktivieren, ist in der rechtswissenschaftlichen Dogmatik auch über das Tarifrecht hinaus verbreitet.493 Nach ihr stelle das Gebot der Gleichbehandlung bzw. der Gleichheitsgrundsatz für sich genommen keinen abstrakten Wert dar, sondern erfahre seine Wertigkeit erst mit Blick auf die Ausübung staatlicher Macht.494 Wegen dieses spezifischen Bezuges sei „das allgemeine Gleichheitsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG nicht geeignet, zum allgemeinen Prinzip für das Handeln der Bürger untereinander erhoben und damit zum abstrakten Schutzgut erklärt zu werden.“495 Allerdings konzedieren diese Stimmen im Hinblick auf die Tarifvertragsparteien teilweise, dass es „vor Art. 3 I GG relevant“ sei, wenn der Tarifvertrag zwischen einzelnen Gruppen tarifgebundener Arbeitnehmer diffe-

491

BDDH/Frieling, Art. 3 GG Rn. 55 ff.; HMB/Engels, Teil 1 Rn. 48; Wiedemann/Jacobs, Einl. TVG Rn. 349; Burkiczak, RdA 2007, 17 (20 ff.); Jacobs/Frieling, SR 2019, 108 (112 f.); Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 211. 492 Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 211; ähnlich auch HMB/Engels, Teil 1 Rn. 48; Wiedemann/Jacobs, Einl. TVG Rn. 349; Dieterich, RdA 2001, 112 (117). 493 BDDH/Frieling, Art. 3 GG Rn. 56; MüKo BGB/Thüsing, Einl. AGG Rn. 37; Burkiczak, RdA 2007, 17 (21); Dietlein, Grundrechtliche Schutzpflichten, S. 84; Ruffert, Vorrang, S. 173 ff.; wohl auch JKOS/Krause, § 1 Rn. 59; Sacksofsky, Gleichberechtigung, S. 201. 494 Dietlein, Grundrechtliche Schutzpflichten, S. 84; vgl. auch Looschelders, JZ 2013, 570 (572). 495 Dietlein, Grundrechtliche Schutzpflichten, S. 84; vgl. auch Looschelders, JZ 2013, 570 (572).

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renziere.496 So sollen die Sozialpartner an den allgemeinen Gleichheitssatz nur dann nicht gebunden sein, wenn zwischen tarifgebundenen Arbeitnehmern einerseits und solchen Personen unterschieden werde, die außerhalb des Machtbereichs der Tarifvertragsparteien stehen.497 Mit anderen Worten können sich nach diesem Ansatz tarifgebundene Mitglieder auf eine gleichmäßige Behandlung untereinander berufen, während Außenseiter einen solchen Schutz nicht beanspruchen könnten. Andere wiederum lehnen eine Bindung der Tarifvertragsparteien an Art. 3 I GG vollumfänglich ab.498 Nach ihrem Dafürhalten höbe die Anwendung des allgemeinen Gleichheitssatzes im Privatrechtsverkehr die Freiheit der Privatrechtssubjekte auf und mache das Privatrecht illusorisch.499 Zudem ergebe sich aus dem Wortlaut des Art. 3 I GG, der im Gegensatz zu den Absätzen 2 und 3 die Formulierung „vor dem Gesetz“ verwendet, dass der allgemeine Gleichheitssatz nur vor einer unsachgemäßen Differenzierung durch den Staat schütze.500 Aufgrund dieser Erwägungen könne Art. 3 I GG jedenfalls keine schutzpflichtenrechtliche Wirkung entfalten. Ließe sich die Anwendung des allgemeinen Gleichheitssatzes als Grenze der Tarifautonomie nicht auf andere Weise begründen, müsse konsequent daraus folgen, dass den Gerichten eine Prüfung von Tarifverträgen anhand dieser Maßstäbe nicht zukomme.501 d) Bewertung der präsentierten Modelle Alle bislang vorgestellten Ansätze, die eine Bindung der Tarifvertragsparteien an Art. 3 I GG erklären wollen, können für sich genommen den Geltungsanspruch des verfassungsrechtlichen Gleichheitssatzes auch bei tarifvertraglichen Regelungen nicht umfassend erklären. Es lassen sich bei allen Vorgehensweisen dogmatische Unzulänglichkeiten ausmachen, die die Überzeugungskraft der jeweiligen Modelle mindern oder sogar gänzlich infrage stellen. aa) Keine unmittelbare Bindung an Art. 3 I GG Der Versuch der Delegationstheorie, die Grundrechtsbindung und somit die Geltung von Art. 3 I GG aus einem seitens des Staates überlassenen Freiraum für die Tarifpartner abzuleiten, verkennt die Reichweite des Art. 9 III GG und die Grundausrichtung der Tarifautonomie als kollektiv ausgeübter Privatautonomie.502 Die 496

Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 212. Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 212 f. 498 Wiedemann/Jacobs, Einl. TVG Rn. 349; Burkiczak, RdA 2007, 17 (20 f.); kritisch auch BDDH/Frieling, Art. 3 GG Rn. 56; HMB/Engels, Teil 1 Rn. 48; JKOS/Krause, § 1 Rn. 59. 499 Burkiczak, RdA 2007, 17 (20 f.). 500 Burkiczak, RdA 2007, 17 (21). 501 Burkiczak, RdA 2007, 17 (22). 502 Siehe dazu oben, Teil 2 A. II. 1. 497

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Tarifvertragsparteien bedürfen keiner Abtretung von Freiräumen staatlicherseits503 und handeln demnach auch nicht in Ausübung einer staatlich delegierten Freiheit, sondern nehmen die eigenen Gestaltungsspielräume wahr, deren Nutzung ihnen durch Art. 9 III GG ermöglicht wird.504 Die Grundrechtsbindung, wie sie die Delegationstheorie vorschlägt, basiert demnach auf einem veralteten und inzwischen als verfehlt anerkannten Verständnis von Tarifautonomie. Tarifverträge sind nicht das Produkt einer Gestaltungsmacht, die auf einer hoheitlichen Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen beruht, sondern führen ihre Existenz letztlich entscheidend auf eine privatautonome Betätigung zurück, die von staatlicher Seite aus lediglich mit einem Normgeltungsbefehl versehen wird.505 Versagen muss auch die Argumentationsstruktur, die eine unmittelbare Bindung an Art. 3 I GG auf den Status eines „fundamentalen Rechtsprinzips“ stützen möchte.506 Zu Recht wird vor diesem Hintergrund gefragt, ob nicht auch den Freiheitsrechten die Wesenseigenschaft eines fundamentalen Rechtsprinzips zukommen müsse.507 Unklar ist demnach, was die Gleichheitsrechte zentral von anderen Grundrechten unterscheidet, deren unmittelbare Geltung im Privatrecht nach ganz überwiegender Auffassung abgelehnt wird.508 Es sind keine Anhaltspunkte ersichtlich, angesichts derer eine Vorrangstellung des Art. 3 I GG im grundrechtlichen Gefüge stichhaltig begründet werden könnte. Der Versuch, aufgrund der vermeintlich exponierten Stellung der Gleichheitsrechte eine unmittelbare Grundrechtsbindung der Tarifvertragsparteien bei der Normsetzung herzuleiten, scheitert daher bereits am Nachweis der besonderen Qualität dieses Grundrechts im Vergleich mit den Freiheitsrechten. Nichts anderes kann für die weiteren Erklärungsansätze gelten, die zur Unterstützung der Lehre einer unmittelbaren Bindung der Tarifvertragsparteien herangezogen werden. Sie bleiben allesamt eine Erklärung schuldig, weshalb ausgerechnet die Vereinbarung von Tarifvertragsparteien unmittelbar an den Grundrechten zu messen ist, während der Anwendungsbereich der Grundrechte explizit auf die hoheitliche Gewalt beschränkt ist. Damit setzen sich diese Stimmen mehr oder weniger offen über die Vorgaben des Art. 1 III GG hinweg und erstrecken über einen Kunstgriff den Anwendungsbereich verfassungsrechtlicher Prüfprogramme auf das Verhältnis zwischen Privaten.509 Zwar mag es ein billigenswertes Motiv sein, den Umfang der tariflichen Regelungsbefugnis im Hinblick auf Gleichbehandlungsfragen durch eine unmittelbare Anwendung des Art. 3 I GG zu beschränken und damit 503

Waltermann, FS Söllner, S. 1251 (1258). Dieterich, FS Schaub, S. 117 (120); Engler, Private Regelsetzung, S. 119; Waltermann, RdA 2014, 86 (88). 505 Siehe dazu oben, Teil 2 A. II. 1. 506 Dagegen auch BVerfG v. 11. 4. 2018 – 1 BvR 3080/09, NJW 2018, 1667 (Rn. 40). 507 Fastrich, FS Richardi, S. 127 (133). 508 Fastrich, FS Richardi, S. 127 (133). 509 Vgl. auch HMB/Engels, Teil 1 Rn. 48. 504

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einem vertrauten Prüfungsmaßstab zu unterwerfen. Verfassungsrechtlich zwingende Vorgaben wie Art. 1 III GG dürfen aber für die Erreichung dieses Ziels nicht aufgeopfert werden. Im Gegenteil nötigt die eigene verfassungsrechtliche Verankerung der Tarifautonomie zur erhöhten Vorsicht und stellt jede Beschränkung ihrerseits unter erhöhten Rechtfertigungszwang. Eine Bindung der Tarifpartner an Art. 3 I GG kann auf unmittelbarem Weg wegen Art. 1 III GG nicht überzeugend konstruiert werden. Diesem Erklärungsansatz mit all seinen unterschiedlichen Facetten muss daher die Gefolgschaft verweigert werden. bb) Keine immanente Bindung als Folge einer Rechtsidentität zwischen individueller Koalitionsfreiheit und Koalitionsvereinbarung An der ablehnenden Haltung gegenüber einer unmittelbaren Grundrechtsverpflichtung vermag auch die Lehre von der immanenten Bindung nichts zu ändern. Sie beruht auf der Annahme, die kollektive Koalitionsfreiheit sei nur ein Bündel individueller Freiheiten der Verbandsmitglieder und somit schon a priori wesensmäßig durch deren Grundrechte begrenzt. Eine überzeugende Einordnung dieser Kernaussage scheint in schicksalhafter Weise mit der Frage verwoben zu sein, ob sich die kollektive Koalitionsfreiheit als originäres Grundrecht direkt aus Art. 9 III GG selbst ergibt510 oder lediglich eine Fortsetzung des Individualgrundrechts gegenüber dem Staat auf kollektiver Ebene darstellt und daher nur über Art. 19 III GG in Verbindung mit Art. 9 III GG der jeweiligen Verbandsmitglieder bestehen kann.511 Folgt man der ersten Auffassung, ist bereits begrifflich eine immanente Bindung nicht möglich, da sich die Tarifvertragsparteien in diesem Fall auf ein genuin eigenständiges Grundrecht berufen können, das im Konfliktfall gegen die Individualgrundrechte des Mitglieds in Ansatz gebracht werden kann.512 Der Ausgleich dieses Interessenwiderstreits erfolgt dann im Wege praktischer Konkordanz. Schwieriger gestaltet sich indes die Argumentation, wenn man die immanente 510 So st. Rspr., vgl. nur BVerfG v. 11. 7. 2017 – 1 BvR 1571/15 u. a., AP GG Art. 9 Nr. 151 (Rn. 130); BVerfG v. 27. 4. 1999 – 1 BvR 2203/93, AP GG Art. 9 Nr. 88 [II. 1. a) der Gründe]; BVerfG v. 4. 7. 1995 – 1 BvF 2/86, AP AFG § 116 Nr. 4 [C. I. 1. a) der Gründe]; BeckOK GG/ Cornils, Art. 9 GG Rn. 54 (Stand: 15. 8. 2020); ErfK/Linsenmaier, Art. 9 GG Rn. 39; Jarass/ Pieroth/Jarass, Art. 9 GG Rn. 44; Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke/Kannengießer, Art. 9 GG Rn. 26; Gamillscheg, Band I, S. 179 f.; Maschmann, Tarifautonomie, S. 14 f.; C. Schubert, RdA 2001, 199 (203); Waltermann, FS Söllner, S. 1251 (1260 f.); Ulber/Strauß, DB 2008, 1970; kritisch A. Wiedemann, Die Bindung der Tarifnormen an Grundrechte, S. 50 ff. 511 Löwisch/Rieble, Grundl. TVG Rn. 114; v. Mangoldt/Klein/Starck/Kemper, Art. 9 GG Rn. 139; MD/Scholz, Art. 9 GG Rn. 240 (94. EL Januar 2021); Sachs/Höfling, Art. 9 GG Rn. 70; Burkiczak, Deregulierung, S. 144 ff.; Engels, Verfassung und Arbeitskampfrecht, S. 180 ff.; Rieble, ZfA 2000, 5 (23 f.); Schuhmann, Negative Freiheitsrechte, S. 251 f.; Sittard, Tarifnormerstreckung, S. 86 f.; Wiese, ZfA 2008, 317 (322 ff.). 512 So auch Säcker/Oetker, Tarifautonomie, S. 246; vgl. auch Krüger, Gutachten für den 46. DJT, S. 7 (88): „Es sind eben die Koalitionen auch für ihn [scil. den einzelnen Arbeitnehmer] mehr und anderes als nur die Vertreter seiner Interessen, es ist das Geschöpf über den Schöpfer hinausgewachsen.“.

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Bindung an die Grundrechte als Folge einer mandatarisch begründeten und begrenzten Betätigungsfreiheit der Koalitionen begreifen möchte. In der Tat fragt sich ganz grundsätzlich, woraus sich eine Doppelfunktion der Koalitionsfreiheit auf individueller und kollektiver Ebene ergeben kann. Die Verfassung selbst trifft hierzu keine Aussage, vielmehr spricht der Wortlaut des Art. 9 III GG explizit nur die individuelle Koalitionsfreiheit an.513 Ebenso setzt die Anerkennung einer kollektiven Koalitionsfreiheit bereits rein funktional voraus, dass eine signifikante Anzahl an Mitgliedern von ihrer individuellen Freiheit Gebrauch gemacht haben. Dies legt es nahe, den Ursprung der kollektiven Koalitionsfreiheit in der individuellen Koalitionsfreiheit der jeweiligen Verbandsmitglieder zu verorten und auf diese Weise einen wie auch immer gearteten vermittelnden Konnex zwischen der individuellen und der kollektiven Ebene anzuerkennen. Das ist auch notwendig, wenn man zutreffend davon ausgeht, dass die Koalitionen keinen Selbstzweck erfüllen, sondern lediglich Mittel zum Zweck sind.514 Dem Beitritt bzw. der Mitgliedschaft kommt somit nicht nur bezüglich der Legitimation der Normsetzungsbefugnis gemäß § 3 I TVG, sondern auch für das verfassungsrechtliche Verhältnis zwischen individueller und kollektiver Koalitionsfreiheit eine zentrale Scharnierwirkung zu. Durch die individuale Legitimation wird gleichsam als Reflex die kollektive Ebene der Koalitionsfreiheit „aktiviert“. Wenn daraus aber im Sinne Scholz’ gefolgert werden soll, die Gestaltungsfreiheit der Tarifvertragsparteien sei bereits a priori durch die Mitgliedergrundrechte immanent beschränkt, geht dies zu weit. Zwar honoriert sein Ansatz zutreffend den Beitrag der individuellen Koalitionsfreiheit zur Konturierung der kollektiven Dimension. Letztlich liegt der Schwachpunkt seiner Argumentation aber darin, eine rechtliche Identität zwischen dem Tarifabschluss auf kollektiver Ebene und der individuellen Freiheitsausübung der Mitglieder vorauszusetzen. Hierdurch wird allerdings jedwede Eigenständigkeit der Koalition rundheraus abgelehnt.515 Diese Sichtweise mag jedenfalls dann zutreffende Ergebnisse hervorbringen, wenn alle Koalitionsmitglieder einen einheitlichen Willen verfolgen. Bei heterogenen Vorstellungen der Mitglieder über eine bestimmte Tarifpolitik stößt sie jedoch schnell an ihre Grenzen. Eine Koalition, die gleich einem Sprachrohr lediglich Mitgliederinteressen nach außen transportiert, kann bei unterschiedlichen, teilweise sogar gegensätzlichen Interessengruppen innerhalb des Verbands auf Dauer nicht funktionieren. Vielmehr muss den Koalitionen als Personenzusammenschluss auch eine katalytische Funktion zukommen, deren Aufgabe darin besteht, verbandsintern einen Meinungsbildungsprozess anzustoßen und den Mehrheitsbeschluss ihrer Mitglieder im Anschluss daran einheitlich-gebündelt nach außen zu kommunizieren. Dieser 513 Vgl. auch Sittard, Tarifnormerstreckung, S. 86; ebenso Engels, Verfassung und Arbeitskampfrecht, S. 162 f., wenngleich er konzediert, dass dem Wortlaut „nur schwerlich vorgehalten werden [könne], durch Kargheit oder Weite und Ungenauigkeit geprägt zu sein, noch, dass er textliche Defizite enthalte.“. 514 E. Picker, GS Knobbe-Keuk, S. 879 (894); Wiese, ZfA 2008, 317 (323). 515 Zutreffend C. Hartmann, Gleichbehandlung, S. 55.

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Zweck setzt jedoch zwingend eine institutionelle Trennung zwischen dem Träger des Verbands und den Mitgliedern und damit eine gewisse Selbstständigkeit der Koalition als Institution voraus. Der Ansatz einer immanenten Bindung vermag diese denknotwendige Aufteilung indes nicht zu erklären.516 Die faktische Bindung der Koalition an die Interessen der Mitglieder darf rein funktional gesehen nicht zwingend mit einer Verpflichtung zum Handeln als Mitgliederkollektiv gleichgesetzt werden. Die Koalitionsvereinbarung ist daher keine Ausübung individueller Freiheiten in gebündelter Form, sondern gewissermaßen ein legitimatorisch rückgekoppeltes Aliud zum Individualgrundrecht. Der Konnex zwischen der Koalitionsvereinbarung und den Individualfreiheiten ist daher lockerer ausgestaltet, als es der Ansatz der immanenten Bindung mitsamt seiner Rechtsidentität von individueller und kollektiver Freiheit suggeriert. Das impliziert im Grundsatz auch die Möglichkeit, dass selbst auf Basis der mandatarischen Herangehensweise ein Konflikt zwischen kollektiver Koalitionsfreiheit und den Individualgrundrechten der Mitglieder entstehen kann.517 Vor diesem Hintergrund ist es überzeugend, lediglich die äußere Reichweite des Kollektivrechts an die individuelle Koalitionsfreiheit der Mitglieder zu koppeln. Die kollektive Spielart der Koalitionsfreiheit kann aufgrund der Begrenzung auf Regelungsinhalte des Art. 9 III GG inhaltlich nicht weiter reichen als die individuelle der jeweiligen Mitglieder.518 Neben dieser Begrenzung nach außen hin gibt es jedoch für eine vorzeitige Begrenzung der Regelungsmacht nach innen mangels einer funktionalen Identität zwischen der Koalition und ihren Mitgliedern keinen Platz. cc) Keine Bindung als Konsequenz aus dem staatlichen Normgeltungsbefehl Auf die vermeintliche Rechtsidentität zwischen den Individualgrundrechten der Mitglieder und dem Tarifvertrag als solchen kann das nächste Erklärungsmodell zwar verzichten, ist jedoch bei seinem Versuch, die Tarifvertragsparteien über den staatlichen Geltungsbefehl auf die Beachtung der Grundrechte verpflichten zu wollen, auf ein restriktives Verständnis der Rechtsanerkennung in § 4 I TVG angewiesen. Eine solche Interpretation ist jedoch in der Vorschrift nicht angelegt. Die unmittelbare und zwingende Wirkung kommt deshalb grundsätzlich allen tariflichen Vereinbarungen zu, die den Inhalt, den Abschluss oder die Beendigung von Arbeitsverhältnissen ordnen. Der Wortlaut an sich enthält keine Hinweise auf die Vereinbarkeit mit Verfassungsrecht – insbesondere auch auf eine Vereinbarkeit mit Art. 3 I GG – als weitere Voraussetzung für die Aufwertung einer privatrechtlichen Vereinbarung zwischen den Tarifpartnern zu einer normativen Regelung mit 516

Ebenfalls C. Hartmann, Gleichbehandlung, S. 55. C. Hartmann, Gleichbehandlung, S. 55. 518 Ebenfalls C. Hartmann, Gleichbehandlung, S. 55. Scholz, Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem, S. 372 selbst scheint dieser Begrenzungsfunktion nicht abgeneigt zu sein, wenn er feststellt, dass die „organisierte Verbandsexistenz nicht über die summierte (quantitative) Ausübung bestimmter Individualrechte“ hinausreichen könne. 517

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Rechtswirkung gegenüber Dritten. Näherliegend ist deshalb bereits nach dem Wortlaut diejenige Lesart, nach der der Staat in § 4 I TVG auch gleichheitswidrigen Tarifvereinbarungen zumindest für eine juristische Sekunde lang Normqualität verleiht und die Erörterung ihres weiteren Schicksals, insbesondere ihr Fortbestand vor dem Hintergrund eines möglichen Verstoßes gegen Verfassungsrecht, erst in einem anschließenden Schritt vornimmt und damit in die Phase nach der hoheitlichen Anerkennung verschiebt.519 Diese Einschätzung kann mit einem Verweis auf § 75 I BetrVG untermauert werden. Dort hat der einfache Gesetzgeber eine Schranke für gleichheitswidrige Betriebsvereinbarungen installiert, während er in § 4 I TVG darauf verzichtet und damit den Normgeltungsbefehl weit ausgestaltet hat.520 Vor diesem Hintergrund ist es stark rechtfertigungsbedürftig, führte man nunmehr die Bindung der Tarifvertragsparteien an Gleichheitsrechte auf ein restriktives Verständnis des Normgeltungsbefehls in § 4 I TVG zurück. Selbst wenn man die Vorschrift des § 4 I TVG insoweit teleologisch auf die Aussage zu reduzieren möchte, dass lediglich grundrechtskonformen Vereinbarungen Normqualität verliehen werden solle, gelangt man zu keinem befriedigenden Ergebnis. In diesem Fall erreicht man zwar eine quasi-unmittelbare Grundrechtsbindung, allerdings steht zu befürchten, dass Friktionen zum hier vertretenen Legitimationsmodell tariflicher Normsetzung entstehen, wenn die Bedeutung des § 4 I TVG für die tarifliche Normsetzung überbewertet wird. Nach zutreffender Auffassung ist eine staatliche Mitwirkung bei der Umsetzung der Tarifvereinbarung in die unterworfenen Arbeitsverhältnisse notwendig, doch beschränkt sie sich auf die Durchbrechung der Relativität der Schuldverhältnisse, die eine private Vereinbarung nicht zu leisten vermag.521 Der Inhalt der Vereinbarung als eigentliches Kontrollobjekt einer verfassungsrechtlichen Prüfung entsteht dagegen allein auf privatrechtlicher Grundlage. Wenn deshalb kolportiert wird, die privatrechtliche Vereinbarung sei wegen des hoheitlichen Mitwirkungserfordernisses dem Staat zuzurechnen522, transformiert das eine private Vereinbarung im Ergebnis erneut in einen hoheitlichen Akt. Diese Absorption durch den Staat stuft die Koalitionen wiederum auf den Rang eines staatlicherseits legitimierten Rechtsetzers zurück.523 Mit dem hier vertretenen Autonomiemodell ist dieser Ansatz nicht in Einklang zu bringen.524 Jedoch auch losgelöst von diesem vereinzelt gebliebenen Zurechnungsmodell kann eine Anknüpfung an das hoheitliche Mitwirkungserfordernis zur Begründung der Grundrechtsbindung bei den Tarifvertragsparteien aus vergleichbaren Gründen 519 Ähnlich auch BDDH/Frieling, Art. 3 GG Rn. 59; Wiedemann/Jacobs, Einl. TVG Rn. 346. 520 BDDH/Frieling, Art. 3 GG Rn. 59; Wiedemann/Jacobs, Einl. TVG Rn. 346. 521 Vgl. oben, Teil 2 A. II. 1. 522 Belling, ZfA 1999, 547 (577 ff.). 523 So auch Giesen, Tarifvertragliche Rechtsgestaltung, S. 169 f. 524 Gegen die Zurechnung von Schutzgutverletzungen allgemein Ruffert, Schutzpflichten, S. 111.

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letztlich nicht überzeugend gelingen. Es bewertet die Zulässigkeit privatautonomer Regelungen ausschließlich durch die Brille des Geltungsbefehls und misst somit dem staatlichen Akt eine Bedeutung zu, die den privatrechtlichen (Teil-)Charakter des Tarifvertrags und die mitgliedschaftliche Legitimation als eine Grundlage der Normgeltung gemäß §§ 3 I, 4 I TVG vollständig ausblenden kann. Durch die Beschränkung des Kreises der „rechtsnormfähigen“ Vereinbarungen auf verfassungskonforme Abmachungen sind die Tarifvertragsparteien zwar keine Delegierten mehr im engeren Sinne, werden jedoch durch die Anknüpfung an den staatlichen Autorisationsakt der Sache nach als solche behandelt, wenn sie ihrer Vereinbarung Normqualität und damit Außenwirkung zukommen lassen wollen. Ein Modell, das eine tarifliche Regelsetzung nur innerhalb der Grenzen staatlicher Rechtsetzungsbefugnis gestattet, vollzieht die Trennung zwischen privatautonomer Rechtsetzung und staatlicher Rechtsgeltung nur pro forma. Da diese Lehre den Staat als letztverantwortlichen Legitimationsträger installiert, stellt sie bei wertender Betrachtung lediglich ein funktionales Äquivalent zur staatlichen Delegation tariflicher Normsetzungsbefugnis dar.525 Das postulierte Zusammenspiel von privatautonomer Rechtsetzung und heteronomer Rechtsgeltung besteht in diesem Rahmen nur noch dem Namen nach; in der Sache ist es zugunsten eines delegationsähnlichen Verständnisses der Tarifgeltung aufgegeben.526 Damit projiziert diese Ansicht ohne konkrete Anhaltspunkte Voraussetzungen in den Normgeltungsbefehl des § 4 I TVG, die dort weder im Wortlaut angelegt sind, noch im Wege einer teleologischen Reduktion hineingelesen werden können. Da ein restriktives Verständnis der Vorschrift keinem vertretbaren Auslegungsergebnis entspricht, besteht auch für die verfassungskonforme Auslegung der Vorschrift527 kein Raum.528 Zwar hat der Staat die Möglichkeit geschaffen, bestimmten Vereinbarungen zwischen Privaten unmittelbare und zwingende Wirkung zuzuerkennen, doch geht damit nicht ohne Weiteres die staatliche Verpflichtung oder Berechtigung einher, nur solche Vereinbarungen zu Rechtsnormen im Sinne des § 4 I TVG zu erklären, die höherrangigen Rechtsgrundsätzen entsprechen.529 Insofern verdienen die Worte F. Kirchhofs Zustimmung: „Ein auf Grundrechte verpflichteter Staat ist nicht ohne Weiteres gezwungen, nur weil er selbst an der Normsetzung Privater beteiligt ist, die ihn begrenzenden Regeln auch gegenüber Dritten zur Geltung zu bringen. […] Staatliche Ingerenz durch Erteilung des Geltungsbefehls fordert […] nicht vorbehaltlos eine Anwendung der Grundrechte auf private Rechtsätze.“530 525

Ähnlich C. Arnold, Betriebliche Tarifnormen, S. 225. Im Ergebnis auch C. Arnold, Betriebliche Tarifnormen, S. 225; Giesen, Tarifvertragliche Rechtsgestaltung, S. 170. 527 C. Hartmann, Gleichbehandlung, S. 68 f. 528 Zu den Voraussetzungen einer verfassungskonformen Auslegung siehe einstweilen nur Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, S. 175 ff.; detaillierter unter Teil 3 B. I. 529 Im Ergebnis auch Kühnast, Regelungsbefugnis, S. 91 ff. 530 F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 523 (kursive Hervorhebungen im Original). 526

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Die Zwischenschaltung des staatlichen Mitwirkungsakts als Anknüpfungspunkt ist deshalb kein probates Mittel, um die Grundrechtsbindung der Tarifvertragsparteien stichhaltig zu begründen. dd) Keine mittelbare Bindung an Art. 3 I GG über die Schutzpflichtendimension der Grundrechte Gänzlich neuer Begründungsaufwand muss demgegenüber in der Diskussion mit der Meinungsströmung geleistet werden, die für eine mittelbare Grundrechtsbindung der Tarifvertragsparteien über den Gedanken der Schutzpflichtendimension plädiert und sich der Problematik gleichsam „von der anderen Seite“ nähert. Damit wird zwar im Gegensatz zu den vorgenannten Theorien ein innovatives Erklärungsmodell geboten, das jedoch seinerseits wiederum auf fehlerhaften Annahmen beruht und bestimmte Erscheinungen nicht schlüssig erklären kann.531 Die Vertreter der Schutzpflichtenlehre verdienen im Grundsatz Zustimmung, wenn sie die Geltung der Grundrechte zwischen Privaten nicht auf unmittelbarem, sondern auf einem anderen Weg herbeiführen wollen. Ebenfalls kann der Annahme gefolgt werden, dass zumindest den Freiheitsrechten neben ihrer subjektiven Abwehrfunktion gegenüber staatlicher Gewalt auch ein objektivrechtlicher Gehalt im Sinne einer umfassenden Werteordnung zukomme. Dass der Gesetzgeber oder – bei der Unzulänglichkeit einer materiellen Regelung – das erkennende Gericht aufgrund dieser objektiven Dimension verpflichtet ist, in Ausnahmefällen schützend zugunsten der unterlegenen Partei in das Privatrechtsverhältnis einzugreifen, ist die logische Konsequenz aus diesen Prämissen und kann deshalb ebenso wenig beanstandet werden. Allerdings müssen die Befürworter einer mittelbaren Bindung der Tarifvertragsparteien an Art. 3 I GG über das Schutzpflichtenmodell nachweisen, dass auch diesem Grundrecht tatsächlich ein objektives Verfassungsprinzip entnommen werden kann, über das ein Privater wiederum die Einhaltung eines bestimmten Mindestniveaus an verfassungsrechtlichem Schutz einfordern kann. Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und Teile des tarifrechtlichen Schrifttums, die ihre Überlegungen größtenteils auf solche Zusammenhänge stützen, nehmen ohne weitere Begründung an, dass parallel zu den Freiheitsrechten auch in Art. 3 I GG eine objektive Wertentscheidung festgeschrieben ist, die sich in Form einer Untermaß531 So ebenfalls BDDH/Frieling, Art. 3 GG Rn. 55 ff.; Wiedemann/Jacobs, Einl. TVG Rn. 349; Höpfner, RdA 2019, 146 (155 f.); auch S. Neumann, Tarifboni, S. 113 spricht sich gegen eine mittelbare Grundrechtsbindung aufgrund der Schutzpflichtenlehre aus. Wenn dies allerdings mit dem Hinweis geschieht, zwischen den Tarifvertragsparteien bestehe keine strukturelle Ungleichheit, so ist dem nur bedingt zuzustimmen. Richtig ist, dass die Parität der Tarifvertragsparteien von Verfassungs wegen geboten ist. Jedoch stellt S. Neumann auf das Verhältnis zwischen Gewerkschaft und Arbeitgeber bzw. Arbeitgeberverband ab, um die Schutzpflichtenlehre abzulehnen. Dem kann nicht gefolgt werden, da es die falsche Vertragsbeziehung in den Blick nimmt. Der tarifunterworfene Arbeitnehmer ist gegenüber den Verbänden in der unterlegenen Situation, sodass dieses Verhältnis sehr wohl die Schutzpflichten auslösen könnte, vgl. oben, Teil 2 B. III. 7. c) dd) aa).

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grenze für die Anwendung der Schutzpflichtenlehre im Verhältnis zwischen zwei Privaten fruchtbar machen ließe.532 Entgegen einer verbreiteten Auffassung in der staatsrechtlichen Kommentarliteratur533 kann dem jedoch bei genauerer Betrachtung und nicht gefolgt werden.534 Stellt man allein auf den Wortlaut des Art. 3 I GG ab, so lässt sich die Formulierung „vor dem Gesetz“ bereits so verstehen, dass der Zivilrechtsverkehr nicht vor gleichheitswidrigen Differenzierungen Privater, denen die Handlungsform des Gesetzes versperrt ist, geschützt werden solle.535 Mit der Artikulation einer umfassenden Gleichheit „vor dem Gesetz“ meinte das Grundgesetz vielmehr die gleichmäßige Anwendung der Rechtsnormen ohne Rücksicht auf ständische Privilegien für alle Bürger.536 Die besondere Bezugnahme auf das Gesetz als hoheitliche Handlungsform legt zumindest die Vermutung nahe, dass im Rahmen von Art. 3 I GG lediglich die Abwehrfunktion im Verhältnis Staat – Bürger eröffnet ist. Ein objektivrechtlicher Gehalt, der als Wertentscheidung auch im Privatrecht uneingeschränkt Beachtung beanspruchen kann, scheint daher bereits durch den besonderen Zuschnitt des Wortlauts im Grundgesetz selbst ausgeschlossen.537 Diese Einschätzung wird zudem durch die innere Systematik des Art. 3 GG untermauert. Im Gegensatz zu Art. 3 I GG findet sich in Art. 3 II S. 2 GG ein expliziter Gleichstellungsauftrag an den Staat, woraus wiederum zutreffenderweise abgeleitet wird, dass sich dort eine staatliche Schutzpflicht aktivieren lässt.538 Wenn 532 Exemplarisch hierfür BAG v. 21. 12. 2017 – 6 AZR 790/16, AP TVÜ § 29a Nr. 1 (Rn. 23); BAG v. 22. 3. 2017 – 4 ABR 54/14, AP TVG § 1 Tarifverträge: Presse Nr. 20 (Rn. 25); BAG v. 14. 9. 2016 – 4 AZR 456/14, AP TVöD § 17 Nr. 4 (Rn. 48); BAG v. 15. 12. 2015 – 9 AZR 611/14, AP BUrlG § 11 Nr. 72 (Rn. 27); BAG v. 15. 4. 2015 – 4 AZR 796/13, AP TVG § 3 Nr. 57 (Rn. 29); Temming, Altersdiskriminierung, S. 88 ff. 533 MD/P. Kirchhof, Art. 3 GG Rn. 294 (94. EL Januar 2021); Sachs/Nußberger, Art. 3 GG Rn. 65; Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke/Krieger, Art. 3 GG Rn. 9; wohl auch, allerdings mit Vorbehalten Dreier/Heun, Art. 3 GG Rn. 66 ff. 534 Ebenso BVerfG v. 11. 4. 2018 – 1 BvR 3080/09, NJW 2018, 1667 (Rn. 40); BDDH/ Frieling, Art. 3 GG Rn. 56; BeckOK GG/Kischel, Art. 3 GG Rn. 91 (Stand: 15. 8. 2021); Hdb StR/Isensee, § 191 Rn. 222, 252; MK/Boysen, Art. 3 GG Rn. 49 ff.; v. Mangoldt/Klein/Starck/ Wollenschläger, Art. 3 GG Rn. 174 ff.; MüKo BGB/Thüsing, Einl. AGG Rn. 37; Burkiczak, RdA 2007, 17 (21); Classen, AöR 122 (1997), 65 (92 f.); Dietlein, Grundrechtliche Schutzpflichten, S. 84; Erichsen, Jura 1997, 85 (87); Kleinebrink, NZA 2019, 1458 (1459); Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 211; Ruffert, Vorrang, S. 173 ff.; Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 85 f.; wohl auch JKOS/Krause, § 1 Rn. 59; Ruffert, JuS 2020, 1 (4); Sacksofsky, Gleichberechtigung, S. 201; a. A. Temming, Altersdiskriminierung, S. 88 ff.; Unruh, Schutzpflichten, S. 75 und die in Teil 2, Fn. 533 Genannten. 535 Krings, Grundrechtliche Schutzansprüche, S. 186; in diese Richtung auch Bezzenberger, AcP 196 (1996), 395 (403); Burkiczak, RdA 2007, 17 (21); Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 85. 536 Raab, FS Kreutz, S. 317 (327); vgl. auch Ipsen, Gleichheit, S. 115. 537 So auch BVerfG v. 11. 4. 2018 – 1 BvR 3080/09, NJW 2018, 1667 (Rn. 40); Burkiczak, RdA 2007, 17 (20 ff.). 538 Burkiczak, RdA 2007, 17 (21); Classen, AöR 122 (1997), 65 (92 f.); kritischer Sacksofsky, Gleichberechtigung, S. 347 f.

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beim allgemeinen Gleichheitssatz in Art. 3 I GG eine entsprechende Formulierung fehlt, kann darüber nicht ohne Weiteres hinweggesehen werden. Zwar lässt sich dem wiederum entgegnen, bei den Freiheitsrechten wie bspw. Art. 4 GG suche man ebenso vergeblich einen entsprechenden Passus, während dort ohne Weiteres eine Schutzpflicht angenommen wird.539 Doch zeigt der Verfassungsgeber, dass er im Rahmen von Art. 3 GG die Problematik erkannt und sie jedenfalls für die Gleichberechtigung von Mann und Frau lösen wollte (Art. 3 II GG). Die Bedenken gegen den Bestand eines objektiven Verfassungsprinzips in Art. 3 I GG, das sich auch in einem rein privatrechtlichen Verhältnis in Ansatz bringen lässt, setzen sich beim systemischen Vergleich des allgemeinen Gleichheitssatzes mit anderen Grundrechten fort. Anders als die Freiheitsrechte lässt sich der normative Gehalt von Gleichheit erst aus dem Kontext mit anderen Regelungen, Situationen und Rechtsfolgen exzerpieren.540 Damit verlangt bereits die Ungleichbehandlung als Anknüpfungspunkt für einen Gleichheitsverstoß das In-Bezug-Setzen von verschiedenen Konstellationen.541 Im Umkehrschluss ergibt sich damit, dass es bei Art. 3 I GG im Gegensatz zu den Freiheitsrechten keinen isolierten, objektiv bestimmbaren Schutzbereich geben kann, bei dem sich gleichsam als Spiegelbild zur Eingriffssituation ein gewisses, trennscharf konturiertes Mindestniveau an staatlichem Schutz einfordern lässt.542 Dieselben Unterschiede kehren in gewandelter Form auch auf Rechtsfolgenseite wieder. Während sich die Freiheitsrechte im Kollisionsfall als Optimierungsgebote darstellen, die der Zivilrichter einem schonenden, für beide Seiten angemessenen Ausgleich zuführen muss, würde eine Anwendung des Gleichheitssatzes im Privatrechtsverhältnis zwingend bereits eine Rechtfertigung für das eigene private Handeln einfordern.543 In eine Abwägungsrelation, bei der im Konfliktfall zwischen zwei Schutzbereichen ein unverbrüchliches Mindestniveau für beide Seiten herausgearbeitet werden kann, lässt sich Art. 3 I GG damit nicht setzen.544 Die daraus resultierende Annahme, das allgemeine Gleichheitsrecht könne privatrechtliches Verhalten nicht auf Grundlage einer Schutzpflicht einschränken, verdichtet sich zusätzlich, wenn man die Aufmerksamkeit dem Zusammenspiel von 539 BVerfG v. 26. 3. 2001 – 2 BvR 943/99, NVwZ 2001, 908 [II. 1. a) der Gründe]; BVerfG v. 19. 12. 2000 – 2 BvR 1500/97, NJW 2001, 429; BVerfG v. 16. 5. 1995 – 1 BvR 1087/91, NJW 1995, 2477; BeckOK GG/Germann, Art. 4 GG Rn. 69 (Stand: 15. 8. 2021). 540 Vgl. HdB StR/P. Kirchhof, § 181 Rn. 23; Sachs/Nußberger, Art. 3 GG Rn. 5; Burkiczak, RdA 2007, 17 (20); Dieterich, RdA 2001, 112 (117). 541 v. Mangoldt/Klein/Starck/Wollenschläger, Art. 3 GG Rn. 44; Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke/Krieger, Art. 3 GG Rn. 21: „relationaler Charakter“; ähnlich Dreier/Heun, Art. 3 GG Rn. 19. 542 BAG v. 27. 5. 2004 – 6 AZR 129/03, AP TVG § 1 Gleichbehandlung Nr. 5 [B. II. 3. b) der Gründe]; BDDH/Frieling, Art. 3 GG Rn. 56 (dort mehr); HMB/Engels, Teil 1 Rn. 48; Wiedemann/Jacobs, Einl. TVG Rn. 317; Dieterich, RdA 2001, 112 (117); ders., RdA 2005, 177 (179). 543 Michl, JZ 2018, 910 (915). 544 Michl, JZ 2018, 910 (915).

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individueller Freiheitsentfaltung in Form der Privatautonomie einerseits und der Berücksichtigung des Art. 3 I GG andererseits widmet: In der Wissenschaft wurde bereits der Nachweis erbracht, dass dem Vertragsrecht als normative Ausgestaltung der Privatautonomie bestimmte Verteilungselemente innewohnen.545 Zudem zeigt beispielsweise ein Blick auf das AGG und die richterliche Rechtsfortbildung im Rahmen der Kontrahierungszwänge, dass Konflikte zwischen Freiheit und Gleichheit auftreten können, bei denen es einen formal-absoluten Vorrang zugunsten der Privatautonomie nicht geben und die individuelle Freiheit Aspekte der Gleichbehandlung nicht allumfassend verdrängen oder ausschalten kann.546 Gleichwohl behandeln die soeben genannten einfachrechtlichen Ausformungen jeweils Konstellationen, in denen es um die Anknüpfung an verpönte Merkmale bzw. den Abschluss existenziell notwendiger Verträge ging; sie behalten daher den Charakter einer Ausnahmeregelung.547 Eine über die Beachtung dieser Grenzen hinausreichende Verpflichtung zur gleichmäßigen Behandlung kann sich auch aus Art. 3 I GG nicht ergeben, da sie den Kern der Privatautonomie in Frage stellen und sich damit in offenen Widerspruch mit der freiheitlichen Konzeption des Grundgesetzes setzen würde.548 Die Privatautonomie lebt schon ihrem Wesen nach von willkürlichen Entscheidungen (stat pro ratione voluntas),549 die nicht im nächsten Schritt durch eine objektivierte Geltung des Art. 3 I GG verboten werden dürfen.550 Anderenfalls würde der Sinngehalt des Art. 2 I GG durch eine bestehende Schutzpflicht des Art. 3 I GG infrage gestellt und bei einem weiten Verständnis von Gleichheit in privatrechtlichen Verhältnissen sogar vollständig überlagert werden. Diese Zusammenhänge lassen sich an einem einfachen Beispiel illustrieren: Ein Gebrauchtwagenhändler X kann nicht darauf verpflichtet werden, mit Kunde B einen Vertrag zu exakt denselben Konditionen abzuschließen wie mit Kunde A, der bei ihm vor wenigen Tagen ein vergleichbares Auto erstanden hat. Gleichzeitig hat Kunde C grundsätzlich nicht die Möglichkeit, den Gebrauchtwagenhändler zum Abschluss eines Kaufvertrags über ein wiederum vergleichbares Kfz zu zwingen, selbst wenn er zur Zahlung einer Summe bereit sein sollte, die weit über dem tatsächlichen Wert des Autos liegt. Blendet man begleitende Umstände wie fehlende persönliche Bekanntschaft, Antipathie, etc. aus, so erscheint die Verweigerung des X, ein Auto an C 545 S. Arnold, Vertrag und Verteilung, passim, insbes. S. 108 – 134, 222 f.; Grünberger, Grundstrukturen, S. 29. 546 So auch Grünberger, Personale Gleichheit, S. 810 ff.; ders., Grundstrukturen, S. 29. 547 Zu Recht auch MK/Boysen, Art. 3 GG Rn. 50; Bayreuther, Tarifautonomie, S. 262 f. 548 BGH v. 15. 1. 2013 – XI ZR 22/12, NJW 2013, 1519 (Rn. 27); ähnlich auch Michl, JZ 2018, 910 (915); Ruffert, JuS 2020, 1 (4). 549 Bezzenberger, AcP 196 (1996), 395; Jestaedt, VDDStRL 64 (2004), 298 (333); Looschelders, JZ 2013, 570 (572); Ruffert, Vorrang, S. 175; vgl. auch MüKo BGB/Thüsing, Einl. AGG Rn. 37; allgemein zum Verhältnis von Vertragsfreiheit und Gerechtigkeit siehe auch Canaris, FS Lerche, S. 873 (881 ff.). 550 Hdb StR/Isensee, § 191 Rn. 252; Classen, AöR 122 (1997), 65 (93); Heldt, NVwZ 2018, 818 (819); Reichold, ZfA 2006, 257 (266 f.); Smets, NVwZ 2019, 34 (37); kritischer demgegenüber Szczekalla, Schutzpflichten, S. 338 ff.

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zu verkaufen, im letzten Fall objektiv-wirtschaftlich betrachtet nicht sinnvoll. Dennoch lässt sich aus der willkürlichen Entscheidung gegen einen Verkauf an C kein rechtlicher Vorwurf gegenüber dem Gebrauchtwagenhändler begründen, selbst wenn er dort günstigere Konditionen erlangt hätte als im Geschäft seinerzeit mit A. Das Privatrecht erlaubt es X viel eher, im Rahmen seiner Geschäfte bei vergleichbaren Verkaufsgegenständen willkürlich zwischen möglichen Vertragspartner zu differenzieren, selbst wenn damit zeitgleich eine nicht nachvollziehbare Zurücksetzung weiterer potentieller Vertragspartner im Rechtsverkehr verbunden sein kann. Ließe man jedoch eine Drittwirkung von Art. 3 I GG in Privatrechtsverhältnissen zu, müsste sich der Gebrauchtwagenhändler bei jedem Verkauf zwingend für die eigene Entscheidung rechtfertigen. Die Chance, eine individuelle Abmachung zu treffen, ja überhaupt jeweils seinen Vertragspartner von Fall zu Fall frei auswählen zu können, würde über die Anwendung des Art. 3 I GG im Privatrecht unmöglich gemacht.551 Dies legt den Schluss nahe, dass bereits mit der Anerkennung der Privatautonomie als individuelles Freiheitsrecht zwingend eine Zurückstellung materieller Gleichheit vom Verfassungsgeber hingenommen wurde. Abseits der besonderen Gleichbehandlungsgebote in Art. 3 II und III bzw. den speziellen Ausprägungen auf einfachrechtlicher Ebene hat deshalb ein objektives Verfassungsprinzip, das privatrechtliches Handeln stets einer Willkürkontrolle unterwerfen möchte, in der deutschen Rechtsordnung keinen Platz. Diese entscheidende Feststellung hat Konsequenzen für den Schutzpflichtengehalt bei Art. 3 I GG: Mangels einer objektiven Werteentscheidung kann dieser Vorschrift für das Verhältnis zweier Privater zueinander keine Schutzpflicht entnommen werden.552 Sowohl die Auslegung des Art. 3 I GG als auch die Gegenüberstellung mit der Privatautonomie ergaben, dass diesem Verfassungsgut ein objektivierbarer Wertemaßstab, der für die Einforderung eines gewissen Mindestmaßes an grundrechtlichem Schutz auch für Privatrechtsverhältnisse herangezogen werden könnte, nicht innewohnt. Selbst bei einer willkürlichen Differenzierung verbietet sich deshalb der Rückgriff auf eine wie auch immer geartete Schutzfunktion von Art. 3 I GG. ee) Keine mittelbare Bindung an Art. 3 I GG infolge der privaten Entscheidungsmacht der Tarifvertragsparteien In seiner Stadionverbots-Entscheidung hat sich auch das BVerfG dieser Meinung angeschlossen. In Art. 3 I GG sei demnach kein objektives Verfassungsprinzip verankert, welches eine grundsätzlich gleichheitsgerechte Ausgestaltung der

551

Vgl. auch BGH v. 15. 1. 2013 – XI ZR 22/12, NJW 2013, 1519 (Rn. 27); Raab, FS Kreutz, S. 317 (322 f.) unter Rekurs auf die iustitia distributiva. 552 Für eine Zulassung der Schutzpflicht in Extremsituationen Szczekalla, Schutzpflichten, S. 340. Die von ihm genannten Beispiele (Bereich der Intimsphäre, Arbeitsrecht) dürften aber inzwischen vollständig über das AGG bzw. den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz abgedeckt sein.

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Rechtsbeziehungen zwischen Privaten erfordert.553 Begrüßenswert an diesem Beschluss ist, dass somit der Anwendung des Schutzpflichtenmodells im Rahmen von Art. 3 I GG bei Streitigkeiten in Privatrechtsverhältnissen praktisch der Boden entzogen sein dürfte. Allerdings muss kritisch hinterfragt werden, ob der alternative Ansatz des BVerfG zur Bindung Privater an Art. 3 I GG überzeugen und in das Tarifvertragsrecht ohne Weiteres übertragen werden kann. Sein Konzept basiert zentral auf der Überlegung, dass auch Private infolge einer bestimmten Machtstellung in die Grundrechtsbindung „hineinwachsen“ können.554 Sieht man diese Aussage im Licht des Tarifrechts, positioniert sich das BVerfG damit in die Nähe der Stimmen, die eine Grundrechtsbindung der Tarifvertragsparteien an deren „soziale Macht“ koppeln wollen.555 Ungeachtet der methodologischen Kritik an der Stadionverbots-Entscheidung556 und der kolportierten Missachtung der Gewaltenteilung bei der Ausgestaltung der Privatrechtsordnung557 kann der Rekurs allein auf eine einseitige Machstellung zur Begründung einer Bindung an Art. 3 I GG jedenfalls bei den Tarifvertragsparteien nicht entscheidend fruchtbar gemacht werden.558 Dies ist insbesondere auf den Vergleich mit den „spezifischen Konstellationen“ zurückzuführen, die das BVerfG zur Illustration einer korrekturbedürftigen Machtstellung heranzieht.559 Die Verfassungsrichter nennen dafür „Veranstaltungen, die aufgrund eigener Entscheidung der Veranstalter einem großen Publikum ohne Ansehen der Person geöffnet werden und der für die Betroffenen in erheblichem Umfang über die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben entscheidet“.560 Der Private dürfe seine hieraus resultierende Entscheidungsmacht nicht dazu nutzen, bestimmte Personen ohne sachlichen Grund von einem solchen Ereignis auszuschließen.561 Damit wird klar, dass sich die „spezifischen Konstellationen“, in denen das BVerfG Art. 3 I GG anwenden möchte (Monopol, strukturelles Ungleichgewicht), allesamt dadurch auszeichnen, dass sich bei bestimmten Teilnehmern im Rechtsverkehr ein Eingriffspotenzial in Form von privater Gestaltungsmacht konzentriert hat, das von 553

BVerfG v. 11. 4. 2018 – 1 BvR 3080/09, NJW 2018, 1667 (Rn. 40). Michl, JZ 2018, 910 (914); vgl. bereits vgl. bereits BVerfG v. 18. 7. 2015 – 1 BvQ 25/15, NJW 2015, 2485 (Rn. 5); BVerfG v. 22. 2. 2011 – 1 BvR 699/06, NJW 2011, 1201 (Rn. 56). 555 Siehe oben Teil 2, Fn. 435. 556 Hellgardt, JZ 2018, 901 (902 ff.); Michl, JZ 2018, 910 (916); wohl auch Grünberger/ Washington, JZ 2019, 1104 (1107); im Sinne des BVerfG allerdings Muckel, JA 2018, 553 (556). 557 Vgl. insbes. Michl, JZ 2018, 910 (917 f.); zurückhaltender Hellgardt, JZ 2018, 901 (909); dies ignoriert Wienbracke, EWiR 2018, 495 (496), der allein zielorientiert darauf abstellt, dass in den hiesigen Fällen die „widerstreitenden Grundrechtspositionen angemessen ins Verhältnis gesetzt“ würden. 558 HMB/Engels, Teil 1 Rn. 48; im Sinne des BVerfG allerdings Grünberger, Verfassungsblog 1. 5. 2018, passim. 559 Zur Kritik an diesem Kriterium insbes. Michl, Verfassungsblog 12. 10. 2019, Punkt 5. 560 BVerfG v. 11. 4. 2018 – 1 BvR 3080/09, NJW 2018, 1667 (Rn. 41). 561 BVerfG v. 11. 4. 2018 – 1 BvR 3080/09, NJW 2018, 1667 (Rn. 41). 554

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der Rechtsordnung in diesem Umfang grundsätzlich nicht intendiert war und das es deshalb zu mäßigen gilt. Legt man das Augenmerk hierauf, werden die Unterschiede zwischen den „spezifischen Konstellationen“ und der Machtstellung der Tarifvertragsparteien deutlich. Bei den letzteren ist die Entscheidungsmacht gegenüber den normunterworfenen Arbeitnehmern als systemische Funktionsbedingung gewollt und vom Gesetzgeber ausdrücklich in §§ 3 I, 4 I TVG festgeschrieben. Mit der gesetzlichen Normierung der Einwirkungsmacht liegt eine Konstellation vor, die sich diametral von den „spezifischen Konstellationen“ des BVerfG unterscheidet. Im Rahmen des Tarifrechts wird das Mächteungleichgewicht zwischen den Tarifvertragsparteien und den tarifgebundenen Arbeitnehmern für eine normative Einwirkungsmöglichkeit und damit eine effektive Ausübung der Tarifautonomie explizit vorausgesetzt. Im Gegensatz dazu hat sich bei einem Monopol oder einem strukturellen Übergewicht einer Vertragspartei faktisch eine Situation entwickelt, die von der Privatrechtsordnung als Problem aufgegriffen wird und deshalb die staatlichen Gewalten zur steuernden Eingriffen verpflichtet.562 In diesen Fällen mag die Verfassung tatsächlich mäßigende Korrekturen gegenüber privater Gestaltungsmacht gebieten, die zuerst durch den Gesetzgeber zu leisten sind und nur subsidiär den Gerichten überlassen sein sollen. Beim Mächteungleichgewicht zwischen den Tarifvertragsparteien und dem betroffenen Mitglied kann jedoch angesichts der immanenten Einwirkungsmacht nicht ohne Weiteres von einem Bedürfnis nach verfassungsrechtlich zwingenden Korrekturen ausgegangen werden. Eine kontextabhängige Bindung, die das BVerfG im Rahmen der Ausübung des Hausrechts auf das „Ins-Werk-Setzen“ einer Veranstaltung für einen größeren Publikumsverkehr stützt563, wäre zudem bei den Tarifvertragsparteien angesichts der konzeptionell veranlagten Machtausübung gegenüber ihren Mitgliedern nicht möglich. Vielmehr würde sich aufgrund des steten, weil gerade systemischen Machtgefälles zwischen den Tarifvertragsparteien und den Mitgliedern die ursprünglich als situativ gedachte Bindung an Art. 3 I GG zu einer dauerhaften Pflicht verdichten. Die Mäßigung privater Entscheidungsmacht mutet bei einer ergebnisorientierten Betrachtungsweise zwar per se noch nicht verwerflich an.564 Dieses legitime Ziel allein kann aber die Zweifel, die mit einer Anwendung von Art. 3 I GG im Privatrecht und insbesondere im Verhältnis zwischen den Tarifvertragsparteien und den Unterworfenen bei der tariflichen Normsetzung einhergehen, nicht vollständig entkräften. Selbst wenn man die Beachtung des allgemeinen Gleichheitssatzes in Situationen einseitiger Machtstellungen anmahnte, würde man im Tarifrecht mittels einer Hilfskonstruktion diejenige Gestaltungsbefugnis beschneiden, die der Gesetzgeber in § 4 I TVG wiederum zwingend vorgesehen hat. Die Tarifvertragsparteien würden auf diesem Weg die normative Wirkung ihrer Vereinbarung zum Preis 562 563 564

Vgl. dazu auch Gamillscheg, EzA Nr. 154 zu § 620 BGB, S. 17. BVerfG v. 11. 4. 2018 – 1 BvR 3080/09, NJW 2018, 1667 (Rn. 41). Ruffert, Verfassungsblog 30. 4. 2018, passim.

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Teil 2: Die Zulässigkeit von tarifvertraglichen Differenzierungsklauseln

einer Bindung an Art. 3 I GG „erkaufen“ und wiederum in einen Rang zurückfallen, der faktisch demjenigen eines delegatarisch betrauten Rechtsetzers entspräche. Die Rechtsprechung des BVerfG zum privaten Hausrecht, die eine situative Bindung an Art. 3 I GG über die private Entscheidungsmacht in „spezifischen Konstellationen“ erklärt, kann deshalb trotz des Machtgefälles zwischen den Tarifvertragsparteien und den normunterworfenen Mitgliedern nicht auf die Tarifvertragsparteien übertragen werden. Anders als die „spezifischen Konstellationen“, bei denen das BVerfG die Bindung Privater an Art. 3 I GG akzeptiert, ist das Mächteungleichgewicht im Tarifvertragsrecht gesetzlich intendiert und als solches nicht korrekturbedürftig. e) Eigener Ansatz: Bindung an den tarifrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz Die vorangegangenen Überlegungen haben gezeigt, dass keines der Modelle für sich genommen das Phänomen einer Bindung der Tarifpartner an Art. 3 I GG umfassend und endgültig befriedigend erklären kann. Zutreffend ist daher die Beobachtung, dass es offensichtlich schwer falle, „in das Zivilrecht, das auf ausgleichende und autonome Mechanismen setzt, die spezifische Sicht der Verfassung mit ihrer Konzentration auf Fragen der Machtbegrenzung und Kompetenzverteilung reibungslos zu intergieren“.565 Trotz aller Meinungsvielfalt wurde dennoch deutlich, dass es ein übereinstimmendes Bedürfnis nach einer wie auch immer gearteten Gleichbehandlungskontrolle gibt.566 Darüber hinaus klang bereits an mehreren Stellen die Vermutung an, dass die konkrete Art und Weise der Bindung der Tarifpartner an bestimmte Kontrollmechanismen eng mit der Frage verwoben ist, auf welches Fundament die tarifvertragliche Normsetzung gestellt werden kann und in welcher Beziehung die tarifgebundenen Arbeitnehmer zu den Tarifvertragsparteien tatsächlich stehen.567 Auf diese Eckpfeiler kann nunmehr ein neuer Problemzugriff gegründet werden, der die überzeugenden Ansätze aus den bisher geäußerten Auffassungen extrahiert und in einem schlüssigen Gesamtkonzept vereint aufgehen lässt. aa) Kohärenz zwischen tariflicher Normgeltung und dogmatischer Herleitung der Gleichbehandlungskontrolle Entwickelt man die Lösung plangemäß aus den Grundlagen für die tarifliche Normgeltung, sucht man den Ausgangspunkt bei denjenigen privatautonomen Deutungsvarianten, die zutreffend verdeutlichen, dass weder die privatautonome Rechtsetzung, noch das staatliche Zutun bei der Rechtsgeltung an sich ausreichen,

565

Dieterich, FS H. Wiedemann, S. 229 (230). Ähnlich Jacobs/Frieling, SR 2019, 108 (115 f.); Möstl, JZ 1999, 202 (204). 567 So auch Löwisch/Rieble, Grundl. TVG Rn. 37; F. Hartmann, Negative Tarifvertragsfreiheit, S. 92; Möstl, JZ 1999, 202. 566

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um die Geltung der Tarifnormen abschließend zu erklären.568 Die Lösung kann nur über ein Zusammenspiel von autonomen und heteronomen Begründungsansätzen erfolgen:569 Ohne privatrechtlich zustande gekommenen Vertrag der Tarifpartner gibt es keinen Tarifvertrag und erst recht keine normativ wirkenden Rechtsnormen. Ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung gäbe es zwar einen Vertrag zwischen Gewerkschaften und Arbeitgeber(verbänden), diesem käme aber aufgrund der Relativität der Schuldverhältnisse im Ergebnis keine unmittelbare und zwingende Wirkung für die ihm unterworfenen Arbeitsverhältnisse zu.570 Wenn manche Erklärungswege deshalb isoliert auf den normativen Charakter der Tarifvereinbarung als Basis für die Grundrechtsbindung abstellen, ist diesem Begründungsansatz für sich genommen ebenso wenig Erfolg beschieden wie dem Versuch, eine mittelbare Grundrechtsbindung über die Schutzfunktion oder „spezifische Konstellationen“ und damit die privatrechtliche Einbettung des Tarifvertrags herzuleiten. Eine überzeugende Lösung kann deshalb also weder durch eine exklusive Betrachtung der rein privatrechtlichen Seite des Tarifvertrags noch durch die alleinige Fokussierung auf das normative Element im Tarifvertrag gewonnen werden, sondern muss sich aus dem wie auch immer gearteten Zusammenspiel beider Erklärungsansätze ableiten.571 bb) Willkürkontrolle572 als Schutzmechanismus bei Unterwerfung unter private Gestaltungsmacht Wird diese Parole als Zielvorgabe ausgegeben, ist das Vorhaben nur dann erfolgversprechend, wenn ein geeignetes Scharnier gefunden werden kann, das beide Strömungen in sich zu vereinen vermag. Zunächst muss allerdings der Frage nachgegangen werden, warum überhaupt eine Kontrolle auf die Durchsetzung zumindest zentraler Gerechtigkeitsvorstellungen bei Tarifverträgen in die Wege geleitet werden soll. Anders als beispielsweise bei § 4 I TzBfG und §§ 7, 1 AGG für das Individualarbeitsverhältnis bzw. § 75 I BetrVG oder § 53a AktG für ein Mehrpersonenverhältnis573 fehlt es im Tarifrecht an einer einfachgesetzlichen Regelung, die die Tarifvertragsparteien zur Einhaltung des Gleichbehandlungsgebots zwingt. Gleichwohl zeigt der exemplarische Verweis auf diese Vorschriften, dass der 568

Vgl. oben, die in Teil 2, Fn. 18 Genannten. Ebenso Ulber, Tarifdispositives Gesetzesrecht, S. 453 f.; vgl. die bereits unter Teil 2 A. II. 1. erwähnte Kurzformel von Höpfner, Tarifgeltung, S. 340: Bei der Tarifgeltung handelt es sich um „autonome Rechtsetzung, aber heteronome Rechtsgeltung.“ 570 Vgl. Höpfner, Tarifgeltung, S. 303 ff. 571 In diese Richtung auch Borchard, Grenzen tarifvertraglicher Differenzierungsklauseln, S. 72 ff. 572 Der Begriff der „Willkür“ wird im Folgenden inhaltlich mit dem Fehlen eines Sachgrundes gleichgesetzt. 573 Mehr Beispiele bei Grünberger, Personale Gleichheit, S. 315 ff.; Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 73 ff. 569

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Rechtsordnung der Gedanke nicht fremd ist, konzentrierte private Macht im Hinblick auf die Gleichbehandlung zu mäßigen. Auch jenseits einer gesetzlichen Normierung sind Gleichbehandlungspflichten zwischen Privaten für bestimmte Konstellationen anerkannt. Das gilt zum einen für die willkürfreie Behandlung der Gesellschafter innerhalb einer GbR574, OHG575 oder GmbH576. Zum anderen steht mit dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz auch im Arbeitsrecht ein Instrument zur Verfügung, das den Arbeitgeber unter bestimmten Voraussetzungen zur Einhaltung zentraler Gerechtigkeitsgrundsätze anhält.577 Auf der Grundlage dieses Rechtsinstituts ist ihm nach ständiger Rechtsprechung verboten, einzelne Arbeitnehmer oder Gruppen von Arbeitnehmern bei kollektiven Maßnahmen ohne sachlichen Grund von Begünstigungen auszunehmen oder ihnen Belastungen aufzuerlegen.578 Gewährt der Arbeitgeber Leistungen nach einem erkennbaren und generalisierenden Prinzip, muss er sich daran festhalten lassen und die Leistungen allen Arbeitnehmern gewähren, bei denen die von ihm gesetzten Kriterien zutreffen.579 Vermittels des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes werden damit die Gestaltungsmöglichkeiten des Arbeitgebers bei kollektiven Verteilungsfragen beschnitten und ihre Grenzen justiziabel ausgestaltet.580 Legt man die Anwendungsvoraussetzungen für die ungeschriebenen Gleichbehandlungspflichten aus dem Gesellschafts- und Arbeitsrecht synoptisch nebeneinander, lassen sich unabhängig von den Spezifika der jeweiligen Rechtsgebiete bestimmte Gemeinsamkeiten ausmachen. Die Pflicht zur gleichmäßigen Behandlung zwischen Privaten scheint bei den verschiedenen Instituten jeweils dann zum Tragen zu kommen, wenn ein bestimmter Personenkreis von der Ausübung einer privaten Gestaltungsmacht gleichermaßen betroffen ist. Haben sich also mehrere Personen 574 Henssler/Strohn/Servatius, § 705 BGB Rn. 60; MüKo BGB/Schäfer, § 705 BGB Rn. 244 ff., wenngleich der Grundsatz der gleichmäßigen Behandlung der GbR-Gesellschafter in zahlreichen dispositiven Vorschriften des BGB normiert ist. 575 Baumbach/Hopt/Roth, § 109 HGB Rn. 29; Heidel/Schall/Heidel, § 105 HGB Rn. 240. 576 Lutter/Hommelhoff/Bayer, § 14 GmbHG Rn. 46; Saenger/Inhester/Saenger, § 14 GmbHG Rn. 15. 577 Ruffert, Vorrang, S. 176; zur dogmatischen Herleitung siehe sogleich. 578 Statt vieler nur BAG v. 21. 8. 2007 – 3 AZR 269/06, AP BetrAVG § 1 Gleichbehandlung Nr. 60 (Rn. 20); BAG v. 26. 10. 1994 – 10 AZR 109/93, AP § 611 BGB Gratifikation Nr. 167 [II. 3. der Gründe]; BeckOGK BGB/Maties, § 611a BGB Rn. 1468 (Stand: 1. 8. 2021). 579 Vgl. nur BAG v. 21. 5. 2014 – 4 AZR 50/13, AP BGB § 242 Gleichbehandlung Nr. 220 (Rn. 19); BAG v. 6. 7. 2011 – 4 AZR 596/09, AP BGB § 242 Gleichbehandlung Nr. 214 (Rn. 23); BAG v. 17. 3. 2010 – 5 AZR 168/09, AP BGB § 242 Gleichbehandlung Nr. 211 (Rn. 14); BAG v. 14. 3. 2007 – 5 AZR 420/06, AP BGB § 242 Gleichbehandlung Nr. 204 (Rn. 19); basierend auf BAG v. 25. 1. 1984 – 5 AZR 44/82, AP BGB § 242 Gleichbehandlung Nr. 66 [I. 3. b) der Gründe]; vor diesem Hintergrund nannte H. Wiedemann, FS 50 Jahre BAG, S. 265 (268 f.) diesen Passus „eine zeitlose Formulierung“. 580 BAG v. 3. 9. 2014 – 5 AZR 6/13, AP BGB § 242 Gleichbehandlung Nr. 218 (Rn. 18); BAG v. 25. 1. 2012 – 4 AZR 147/10, AP GG Art. 3 Nr. 324 (Rn. 57).

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dieser Einwirkungsbefugnis ausgeliefert, können sie bei einem kollektiven Tatbestand in bestimmten Fällen zumindest die Beachtung zentraler Gerechtigkeitsvorstellungen verlangen. Es liegt daher die Vermutung nahe, dass mit der Unterwerfung unter einen Entscheidungsträger zugunsten eines übergreifenden Zwecks zumindest ein gewisser Schutz gegenüber willkürlicher Machtausübung korrespondiert.581 Anders gewendet kann in diesen Konstellationen eine private Gestaltungsmacht nicht ohne Weiteres dazu führen, dass die Personen, die von ihr betroffenen sind, nach Gutdünken ungleich behandelt werden dürfen und damit den umfassenden Gestaltungsmöglichkeiten „auf Gedeih und Verderb“ ausgeliefert werden. Die Vermutung einer Kohärenz zwischen privater Gestaltungsmacht und dem Verbot willkürlicher Ungleichbehandlung scheint zunächst widerlegt, wenn man sich die Konstellationen des Zivilrechts vor Augen führt, in denen eine einseitige Gestaltungsmacht nicht mit einer Gleichbehandlungspflicht einhergeht.582 So stellt beispielswiese § 421 S. 1 BGB die Auswahl unter mehreren Schuldnern explizit in das Belieben des Gläubigers. Plastisch lässt sich die umfassende Freiheit trotz einseitiger Gestaltungsmacht auch an einem Erblasser illustrieren, der sein erstes Kind testamentarisch zum Erben bestimmt und das zweite enterbt. Im Bereich der gewillkürten Erbfolge als Abweichung von den gesetzlichen Vorschriften hat sich die umfassende Machtfülle des Erblassers sogar in der Terminologie verfestigt.583 Allein das Vorliegen einer einseitigen Gestaltungsmacht reicht in diesen Fällen gerade nicht aus, um eine Gleichbehandlungspflicht zu begründen.584 Jedoch liegen den genannten Konstellationen aus dem Recht der Gesamtschuld und dem Erbrecht gesetzliche Regelungen zugrunde, die eine willkürliche Entscheidung punktuell legitimieren. Ihre Aussagekraft als Beweis gegen ein ungeschriebenes Willkürverbot bei kollektiven Maßnahmen im Rahmen des Gesellschafts- bzw. Arbeitsrechts ist daher als gering einzustufen. Dieser Befund führt zu einem ersten Zwischenergebnis. Demnach muss die einseitige Gestaltungsmacht zwingende Voraussetzung für die Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes sein; sie allein reicht jedoch noch nicht aus, um den Anspruch auf Gleichbehandlung zu aktivieren.585 Vielmehr muss in allen Konstellationen ein wie auch immer geartetes kollektives Tatbestandsmerkmal hinzutreten, das die Mäßigung einseitiger Gestaltungsmacht durch das Gleichbehandlungsgebot erzwingt.586 Im Gesellschaftsrecht liegt mit dem Gesellschaftsvertrag ein solches Element vor, das eine Unterwerfung des einzelnen Gesellschafters unter die Be581 Ähnlich auch Bauschke, ZTR 1994, 490 (492) für das Arbeitsrecht allgemein, wenngleich er den falschen Schluss zieht und wiederum auf die Grundrechte rekurrieren möchte. 582 Siehe auch Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 71. 583 Vgl. auch Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 71. 584 Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 71. 585 Bachmann, ZHR 170 (2006), 144 (156 f.); H. Hanau, FS Konzen, S. 233 (237 f.); Manfred Wolf, FS Raiser, S. 597 (599). 586 So zutreffend Raab, FS Kreutz, S. 317 (333).

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schlussfassung begründet. Im Rahmen des Arbeitsrechts bildet der Arbeitsvertrag zwischen dem Arbeitgeber und den einzelnen Arbeitnehmern ein entsprechend vermittelndes Medium. Auch im Tarifrecht lässt sich mit der Beitrittserklärung des Mitglieds ein legitimierendes Element identifizieren, das in der Mitgliedschaft fortwirkt und die Unterwerfung unter die Normsetzungsbefugnis der Tarifvertragsparteien begründet, vgl. §§ 3 I, 4 I TVG.587 Sollte daher hinter dem Verbot willkürlicher Differenzierung bei kollektiven Maßnahmen im Rahmen von privat vermittelter Gestaltungsmacht tatsächlich ein grundsätzliches Prinzip stehen, ist zu untersuchen, inwiefern sich die Maßstäbe auch auf Tarifvertragsparteien im Rahmen der tariflichen Normsetzung übertragen lassen. Mit der Bindung an einen privatrechtlich konturierten Gleichbehandlungsgrundsatz wäre dann ein Weg eröffnet, der sowohl auf eine unmittelbare als auch auf eine mittelbare Anwendung des Art. 3 I GG verzichten kann.588 cc) Gleichbehandlung als Mediatisierung der iustitia distributiva Die Gleichbehandlungspflicht dient als „Inbegriff der Gerechtigkeitsidee“589 der Durchsetzung materieller Gerechtigkeitsvorstellungen. Zur genaueren Charakterisierung wird dabei regelmäßig auf die entscheidend von Aristoteles geprägte590 Unterscheidung zwischen zwei unterschiedlichen Formen der Gerechtigkeit zurückgegriffen. Während die später so bezeichnete ausgleichende Gerechtigkeit (auch: Tauschgerechtigkeit oder iustitia commutativa)591 untersucht, inwiefern innerhalb des vertraglichen Verkehrs ein gerechter Ausgleich zustandegekommen ist, soll die austeilende Gerechtigkeit (auch: Verteilungsgerechtigkeit oder iustitia distributiva)592 sicherstellen, dass bei der Zuteilung öffentlicher Leistungen jedem das ihm Zustehende gewährt werde.593 Will man sich der Unterscheidung in deutschrechtlichen Dimensionen nähern, meint die ausgleichende Gerechtigkeit im aristotelischen Modell die Äquivalenz im synallagmatischen Verhältnis der Ver587

Siehe oben, Teil 2 A. II. 1. In diese Richtung bereits Fastrich, FS Richardi, S. 127 (133). Jedenfalls einen verbandsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz will auch Richardi, Kollektivgewalt und Individualwille, S. 350 f. anerkennen. Verletzt ihn eine tarifvertragliche Bestimmung, sei diese aufgrund der Beschränkung der Rechtswirkungen des Tarifvertrags auf die Verbandsangehörigen unwirksam. 589 S. Arnold, Vertrag und Verteilung, S. 96; ähnlich Küttner/Kania, Gleichbehandlung, Rn. 1. 590 S. Arnold, Vertrag und Verteilung, S. 26 f., der der verbreiteten Meinung entgegentritt, Aristoteles sei der Urheber dieser Unterscheidung. 591 Die Begriffe der ausgleichenden Gerechtigkeit, Tauschgerechtigkeit und der iustitia commutativa werden im weiteren Verlauf der Arbeit synonym verwendet. 592 Die Begriffe der austeilenden Gerechtigkeit, Verteilungsgerechtigkeit und der iustitia distributiva werden im weiteren Verlauf der Arbeit synonym verwendet. 593 Aristoteles, Nikomachische Ethik, V 5. 588

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tragsparteien zueinander.594 Nach tradiertem Verständnis soll diese Form der Gerechtigkeit hauptsächlich über die Ausübung der Freiheitsrechte, insbesondere der Privatautonomie, hergestellt werden.595 Demgegenüber zielt die iustitia distributiva auf eine gerechte Verteilung innerhalb eines bestimmten Adressatenkreises. Herkömmlicherweise handelt es sich hierbei also um die Gewährleistung einer Gleichheit im relativen Verhältnis mehrer Personen zueinander. Die Beziehung zwischen der austeilenden Instanz und den Empfängern ist dabei regelmäßig durch Über- und Unterordnung gekennzeichnet.596 Demnach ist die Gerechtigkeit in diesem Zusammenhang dann verwirklicht, wenn die Verteilungsentscheidung die Unterschiede zwischen den Personen angemessen berücksichtigt: „Das Gerechte ist also diese Proportion, das Ungerechte ist, was gegen sie verstößt.“597 Dieses aristotelische Theorem findet sich beinahe unverändert in der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zu Art. 3 I GG wieder: Verfassungsgemäß ist ein hoheitlicher Akt nur dann, wenn Gleiches grundsätzlich gleich und Ungleiches grundsätzlich ungleich behandelt wird.598 Eine Durchbrechung dieses Zusammenhangs bedarf zur Wiederherstellung der gerechten Relation zumindest eines sachlichen Grundes. Bei Maßnahmen im staats- bzw. verwaltungsrechtlichen Subordinationsverhältnis ist eine Anwendung der Verteilungsgerechtigkeit über Art. 3 I GG wegen Art. 1 III GG garantiert. Damit wird indes auch gleichzeitig offenbar, dass der allgemeine Gleichheitssatz in Art. 3 I GG nur eine verfassungsrechtliche Ausprägung der iustitia distributiva ist. Als Unterform von ihr kann er jedoch nicht mit der Verteilungsgerechtigkeit als solcher gleichgesetzt werden.599 Über die an den Staat adressierte Gleichbehandlungspflicht des Art. 3 I GG hinaus kann die iustitia distributiva aber auch in privatrechtlichen Verhältnissen zur Anwendung gelangen. Das Bewusstsein um den Geltungsanspruch der iustitia distributiva im Privatrecht ist dabei in jüngerer Zeit spätestens mit der Schaffung des AGG merklich gestiegen.600 Dabei darf jedoch nicht außer Acht gelassen werden, dass die 594

Raab, FS Kreutz, S. 317 (321 f.). Vgl. auch S. Arnold, Vertrag und Verteilung, S. 191. 596 Möllers, Juristische Methodenlehre, § 1 Rn. 108; Radbruch, Rechtsphilosophie, S. 36; H. Wiedemann, Gleichbehandlungsgebote, S. 8; zur Entwicklung siehe auch S. Arnold, Vertrag und Verteilung, S. 60 f. mit Rückgriff auf die Systematisierung bei Thomas v. Aquin, Recht und Gerechtigkeit, S. 92 f. (II-II, q. 61 a. 1 c.). 597 Aristoteles, Nikomachische Ethik, V 7; ähnlich Thomas v. Aquin, Recht und Gerechtigkeit, S. 93 (II-II, q. 61 a. 1 c.). 598 St. Rspr., vgl. nur BVerfG v. 29. 3. 2017 – 2 BvL 6/11, DStR 2017, 1094 (Rn. 98); BVerfG v. 7. 5. 2013 – 2 BvR 909/06 u. a., NJW 2013, 2257 (Rn. 73); BVerfG v. 19. 6. 2012 – 2 BvR 1397/09, NVwZ 2012, 1304 [C. I. 1. der Gründe]; BVerfG v. 26. 7. 2010 – 2 BvR 2227/08 u. a., NVwZ 2010, 1429 [1. a) der Gründe]; BVerfG v. 7. 7. 2009 – 1 BvR 1164/07, NJW 2010, 1439 [B. I. 1. der Gründe] BVerfG v. 9. 12. 2008 – 2 BvL 1/07 u. a., NJW 2009, 48 [C. I. 1. der Gründe]; BVerfG v. 21. 6. 2006 – 2 BvL 2/99, NJW 2006, 2757 [C. I. 1. Der Gründe]. 599 So auch MüKo BGB/Spinner, § 611a BGB Rn. 1041. 600 Vgl. monografisch insbes. S. Arnold, Vertrag und Verteilung, passim; ferner MüKo BGB/Thüsing, Einl. AGG Rn. 59. Überwunden ist vor diesem Hintergrund die apodiktische 595

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Verteilungsgerechtigkeit kein unmittelbar anwendbares „Super-Gebot“ darstellt, das eine definitive Aussage darüber zu treffen vermag, was im konkreten Fall gerecht und was ungerecht ist.601 Als abstraktes Gerechtigkeitsprinzip bedarf es auch im Rahmen des Privatrechts der Mediatisierung durch Vorschriften oder richterrechtlich geprägte Institute, die ihr in Bezug auf das konkrete Rechtsverhältnis zur Geltung verhelfen.602 Mit dieser Maßgabe wird die iustitia distributiva auch für die vorliegende Untersuchung relevant: Nachdem weder die unmittelbare noch die mittelbare Bindung an Art. 3 I GG überzeugend hergeleitet werden konnte, könnte mit einer tarifspezifischen Form des Gleichbehandlungsgrundsatzes ein Medium gefunden sein, das die Prinzipien der Verteilungsgerechtigkeit auch im Verhältnis der Tarifvertragsparteien gegenüber den tarifgebundenen Mitgliedern zur Anwendung bringt. Bislang wurde – soweit ersichtlich – noch nirgends thematisiert, inwiefern die Tarifvertragsparteien die Maßstäbe der iustitia distributiva in Gestalt eines privatrechtlich ausgeformten Gleichbehandlungsgebots bei der Normsetzung berücksichtigen müssen. Möglicherweise lassen sich jedoch elementare Gedanken vom ähnlich gelagerten arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz entlehnen. Anerkannterweise steht dem einzelnen Arbeitnehmer im Arbeitsrecht jedenfalls bei kollektiven Maßnahmen des Arbeitgebers ein solches Instrument zur Gewährleistung der Verteilungsgerechtigkeit zur Verfügung.603 Lassen sich entsprechende Maßstäbe auf das Verhältnis der Tarifvertragsparteien zu den tarifgebundenen Arbeitnehmern übertragen, wäre auch im Tarifvertragsrecht ein Mechanismus installiert, der die Geltung der Gleichbehandlungsgrundsätze auf dogmatisch überzeugenden Wegen erklären kann. Um gerade die unmittelbar aufgeworfene Frage zufriedenstellend beantworten zu können, müssen demnach zuerst die Begründungsansätze vorgestellt und bewertet werden, die für den Bereich des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes vorgebracht werden (dd)). Im Anschluss daran ist zu erörtern, inwiefern die Fundierung für das Verhältnis zwischen den Tarifvertragsparteien und den Tarifunterworfenen fruchtbar gemacht werden kann (ee)). Von ihr hängt letztlich ab, ob die Maßstäbe des Gleichbehandlungsgrundsatzes als „rechtsethisch selbständige Erscheinungsform der Gerechtigkeit“604 auch auf das Verhältnis zwischen den Tarifvertragsparteien und den tarifgebunden Mitgliedern übertragen werden können.

Einteilung von Radbruch, Rechtsphilosophie, S. 36: „Die ausgleichende Gerechtigkeit ist die Gerechtigkeit des Privatrechts, die austeilende Gerechtigkeit die Gerechtigkeit des öffentlichen Rechts.“. 601 S. Arnold, Vertrag und Verteilung, S. 96; siehe bereits Raiser, JZ 1959, 421 (422). 602 S. Arnold, Vertrag und Verteilung, S. 297 ff. 603 HWK/Thüsing, § 611a BGB Rn. 331. 604 BeckOGK BGB/Maties, § 611a BGB Rn. 1468 (Stand: 1. 8. 2021). Die Begrifflichkeit geht zurück auf G. Hueck, GS Dietz, S. 241 (253 f.), der die austeilende Gerechtigkeit einerseits und die ausgleichende Gerechtigkeit andererseits „nicht als Gegensätze, so doch als selbständige, klar voneinander getrennte Erscheinungsformen der Gerechtigkeit“ begreift.

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dd) Dogmatische Grundlagen für die Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes im Arbeitsrecht Trotz der gewohnheitsrechtlichen Anerkennung des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes605 ist nach wie vor kein umfassender Konsens erzielt worden, auf welchem Weg die Bindung des Arbeitgebers an den Gleichbehandlungsgrundsatz dogmatisch schlüssig erklärt werden kann.606 (1) Ansatz einer normativen Bindungswirkung Einige vereinzelte Stimmen innerhalb der Literatur meinen, dies folge auf Grundlage einer arbeitgeberseitig gesetzten Norm, die für ihn bindend geworden ist und in der Folge zugunsten der Arbeitnehmern anspruchserzeugend wirke.607 Bei diesem Ansatz sucht man indes vergeblich eine Erklärung, wie die einseitige Bindung an selbst gesetztes Recht begründet werden kann. Auch aus normtheoretischer Sicht steht er ferner im Widerspruch zum actus contrarius-Gedanken, der es dem Normgeber unter Beachtung von Vertrauensschutzgesichtspunkten ermöglicht, einmal gesetztes Recht abzuändern oder ganz zu beseitigen.608 Praktisch führte diese Idee zu einer Ewigkeitsbindung des Arbeitgebers, bei dem ihm die effektive Möglichkeit genommen wird, die einmal erreichte Verbindlichkeit einseitig zu durchbrechen.609 Der Auffassung kann deshalb nicht gefolgt werden. (2) Ansatz einer Rückführung auf ein „überpositives Ideal der Gerechtigkeit“ Eine andere Sichtweise will den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz direkt auf ein „überpositives Ideal der Gerechtigkeit“ zurückführen.610 Der Rekurs auf überpositive Ideale als Geltungsgrund für ein Gleichbehandlungsgebot sieht sich jedoch nicht nur dem Vorwurf der beliebigen Wandelbarkeit ausgesetzt611, die einer 605 ErfK/Preis, § 611a BGB Rn. 574; MüKo BGB/Spinner, § 611a BGB Rn. 1041 f.; Boemke, NZA 1993, 532 (536); nicht eindeutig, aber wohl auch Palandt/Weidenkaff, § 611 BGB Rn. 111; Rüthers/Bakker, ZfA 1990, 245 (284); H. Wiedemann, Gleichbehandlungsgebote, S. 10; kritisch dagegen Raab, FS Kreutz, S. 317 (319). 606 Vgl. hierzu auch BeckOGK BGB/Maties, § 611a BGB Rn. 1471 ff. (Stand: 1. 8. 2021); Creutzfeld, JbArbR 52 (2015), 25 (35 ff.); Ruffert, Vorrang, S. 176. 607 Bötticher, RdA 1953, 161 (163); ders., RdA 1957, 317; ähnlich auch Reichold, ZfA 2006, 257 (267). 608 Raab, FS Kreutz, S. 317 (338). 609 Manfred Wolf, FS Raiser, S. 597 (599). 610 BAG v. 3. 9. 2014 – 5 AZR 6/13, AP BGB § 242 Gleichbehandlung Nr. 218 (Rn. 18); ErfK/Preis, § 611a BGB Rn. 574; MüKo BGB/Spinner, § 611a BGB Rn. 1041. 611 Vgl. die Einlassung von Larenz, Methodenlehre (3. Aufl. 1975), S. 472: „In solchen Prinzipien, wie etwa auch in der gewiß noch der Konkretisierung bedürftigen Forderung, ,Treu und Glauben‘ zu wahren, in der Forderung, Gleichartiges gleich zu behandeln und ,ohne Ansehen der Person zu richten‘, kommen doch wohl Rechtsgedanken von überzeitlicher Gültigkeit zum Ausdruck“; ebenso ders., Methodenlehre (6. Aufl. 1991), S. 487. Dessen ungeachtet äußerte sich Larenz, Rechtsperson und subjektives Recht, S. 241 im Jahr 1935 noch

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Verschiebung im verfassungsrechtlichen Kompetenzgefüge zwischen Legislative und Judikative Vorschub leisten würde.612 Bei methodologischer Betrachtung fehlt einem überpositiven Geltungsgrund zudem die Justiziabilität, da die Gerichte gemäß Art. 20 III GG nur an „Gesetz und Recht“ gebunden sind. Zwar wird im Rahmen der verfassungsdogmatischen Auseinandersetzung immer wieder vorgebracht, durch die Bezugnahme auf das „Recht“ in Art. 20 III GG könnten auch überpositive Prinzipien und Ideale wie die Gerechtigkeit oder die Gleichheit herangezogen werden, um Rechtsfortbildung über das Gesetz hinaus betreiben zu können.613 Insbesondere stand einst auch das Bundesverfassungsgericht einem engen Gesetzespositivismus entschieden ablehnend gegenüber.614 Freilich deutet die kumulative Formulierung in Art. 20 III GG eine über die kodifizierten Regelungen verbindliche Rechtsquelle an. Dennoch bleibt nebulös, wie der Begriff des „Rechts“ in Art. 20 III GG inhaltlich zu füllen ist.615 Systematische und historische Erwägungen sprechen indes dagegen, aus dem Begriffspaar „Gesetz und Recht“ auf die Existenz oder gar die richterliche Bindung an überpositives Recht als Rechtsquelle zu schließen. Ließe man sich darauf ein, droht einerseits der offenkundige Widerspruch zu Art. 97 I GG, der den Richter explizit „nur dem Gesetz“ unterwirft.616 Weshalb Art. 20 III GG den Richter weitreichender binden soll als Art. 97 I GG, bedarf deshalb der Begründung. Wenn hierfür bei Art. 20 III GG auf den Begriff der „Staatsfundamentalnorm“ zurückgegriffen wird617, die gegenüber Art. 97 I GG vorrangig sei, fragt sich, weshalb der Verfassungsgeber bei den spezielleren Regelungen zur Rechtsprechung im IX. Kapitel auf einen entsprechenden Zusatz verzichtet hat. Andererseits spricht auch die Entstehungsgeschichte des Art. 20 III GG für eine tautologische Verwendung der Begriffe „Gesetz“ und „Recht“.618 Die verfassungsrechtliche Anerkennung einer Rechtsfortbildung unter Berufung auf ein höheres, überpositives Rechtsprinzip wurde im Parlamentarischen Rat an keiner Stelle in

folgendermaßen: „Rechtsgenosse ist nur, wer Volksgenosse ist; Volksgenosse ist, wer deutschen Blutes ist.“ und „Volksgenosse ist, wer deutschen Blutes ist. Wer außerhalb der Volksgemeinschaft steht, steht auch nicht im Recht, ist auch nicht Rechtsgenosse.“; besonders kritisch hierzu Rüthers, Auslegung, S. 323 ff. m. w. N. 612 Vgl. die überspitzte Überschrift im Beitrag von Rüthers, JZ 2002, 365: „Demokratischer Rechtsstaat oder oligarchischer Richterstaat?“; ähnlich ders., JZ 2006, 958 (959 f.); ders., NJW 2005, 2759. 613 L. Beck, Jura 2018, 330 (332 f.); Hirsch, ZRP 2012, 205 (207 f.); ders., JZ 2007, 853 (854); ders., ZRP 2006, 161; v. Hoyningen-Huene, FS 600-Jahr-Feier Universität Heidelberg, S. 353 (356); Stöhr, Rechtstheorie 45 (2014), 159 (167). 614 BVerfG v. 14. 2. 1973 – 1 BvR 112/65, AP GG Art. 2 Nr. 21; vgl. auch schon BVerfG v. 18. 12. 1953 – 1 BvL 106/53, NJW 1954, 65. 615 Mit Verweis auf den „sibyllinischen“ Charakter der Formel Hillgruber, JZ 2008, 745 (747); Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 711. 616 So auch Hillgruber, JZ 2008, 745 (747); Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, S. 711 f. 617 Hirsch, JZ 2007, 853 (854). 618 Hillgruber, JZ 2008, 745 (747); Höpfner, RdA 2018, 321 (322).

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Erwägung gezogen oder gar gebilligt.619 Die Doppelung der Begrifflichkeiten hat bei Art. 20 III GG Aufnahme gefunden, damit „die Grundlage unseres Grundgesetzes, die Rechtsstaatlichkeit besser ausgedrückt“ werde.620 Ferner verstehe sich die Befolgung des Grundsatzes von der Gesetzmäßigkeit aller Staatsgewalt bei der Rechtsprechung von selbst, „weil die Rechtsprechung nur die Aufgabe hat, die Gesetze anzuwenden und auszulegen“.621 Vor diesem Hintergrund ist es überzeugender, die Bindung an das „Recht“ in Art. 20 III GG als Verweis auf die Verfassung selbst zu verstehen.622 Durch die Bezugnahme auf das kodifizierte Recht kommt auch in der Verfassung ein strenger Rechtspositivismus zum Tragen, der einer funktional unterschiedlichen Auslegung von Art. 20 III GG und Art. 97 I GG entgegensteht. Die Bindung auf Grundlage des Art. 20 III GG kann demnach nicht weiter reichen als diejenige, die in Art. 97 I GG angelegt ist. In einer Rechtsordnung, in der die Wahl der richtigen Methode über die Machtverteilung zwischen Legislative und Judikative entscheidet623, muss daher einer Herangehensweise, die sich zur Begründung eines Mechanismus auf überpositive Ideale oder Rechtsgüter zurückzieht, entschieden entgegengetreten werden. Zwar wurde der Gleichbehandlungsgrundsatz auch im Rahmen dieser Arbeit bereits als Ausfluss eines rechtgebietsübergreifenden Prinzips anerkannt. Mit der hier erteilten Absage an die deduktive Herleitung aus überpositiven Idealen steht diese Feststellung jedoch nicht in Widerspruch, da für eine Geltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes stets eine Verankerung im Rahmen des kodifizierten Rechts eingefordert wird. (3) Ansatz einer Gleichbehandlungspflicht als Folge der arbeitgeberseitigen Fürsorgepflicht bzw. Pflicht zur Entscheidung nach billigem Ermessen Um diese Mediatisierung zu gewährleisten, greift ein weiterer Ansatz auf die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers aus § 241 II BGB im Verhältnis zum einzelnen Arbeitnehmer zurück.624 Diese Herangehensweise kann für sich reklamieren, über die Generalklausel grundrechtliche Wertungen in die inhaltliche Ausfüllung der 619

MD/Hillgruber, Art. 97 GG Rn. 65 (94. EL Januar 2021); ders., JZ 2008, 745 (746 f.). Abg. Dehler (FDP), 4. Sitzung des Hauptausschusses am 17. 11. 1948, in: Feldkamp, Parlamentarischer Rat, Band 14, Teilband I, S. 118. 621 Abg. v. Mangoldt (CDU), 4. Sitzung des Hauptausschusses am 17. 11. 1948, in: Feldkamp, Parlamentarischer Rat, Band 14, Teilband I, S. 118 f. 622 So auch Starck, VVDStRL 34 (1976), 43 (48 f.); ähnlich Roellecke, VVDStRL 34 (1976), 7 (9 f.). 623 Rüthers, Rechtstheorie 40 (2009), 253 (270); Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 706 ff.; vgl. auch Höpfner, RdA 2018, 321; a. A. insbes. Hassemer, Rechtstheorie 39 (2008), 1 (3 ff.); ders, ZRP 2007, 213 (214 f.). 624 Etwa BeckOGK BGB/Maties, § 611a BGB Rn. 1478 (Stand: 1. 8. 2021); in diese Richtung auch bereits RAG v. 19. 1. 1938 – RAG 135/37, ARS 33, 172 (173), dem Zeitgeist entsprechend mit der pathetischen Charakterisierung des Arbeitsverhältnisses „als eines auf Ehre, Treue und Fürsorge beruhenden personenrechtlichen Gemeinschaftsverhältnisses“. 620

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Fürsorgepflicht miteinfließen zu lassen und dadurch flexibel auf unterschiedliche Erscheinungsformen der Differenzierung reagieren zu können.625 Allerdings muss dieser Ansatz das Verhältnis des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes zum Schadensersatzanspruch nach §§ 280 I, 241 II BGB klären. Wenn die Pflicht zur Gleichbehandlung in der Fürsorgepflicht enthalten ist und damit jede sachgrundlose Ungleichbehandlung gleichzeitig eine Verletzung der Fürsorgepflicht nach § 241 II BGB bedeutet, stellt sich die Frage nach der typologischen Selbständigkeit des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes. Ein genuin eigenständiger, verschuldensunabhängiger Gleichbehandlungsanspruch zur Beseitigung der Ungleichbehandlung droht die tatbestandlichen Voraussetzungen des Schadensersatzanspruchs nach § 280 I BGB zu unterlaufen. Zwar werden sich die Ergebnisse kaum unterscheiden, da selbst bei einem Rechtsirrtum des Arbeitgebers in den meisten Fällen zumindest Fahrlässigkeit als Verschuldensmaßstab nach § 276 I BGB anzunehmen ist.626 Doch müsste die Diskussion um die Beseitigung der Ungleichbehandlung konsequenterweise im Rahmen eines Schadensersatzanspruchs (§ 249 I BGB) geführt werden, dagegen nicht auf Grundlage eines selbständigen Anspruchs auf Gleichbehandlung. Durch die Verankerung der Gleichbehandlungspflicht in der Fürsorgepflicht wird die Existenz eines eigenständigen Instrumentariums gerade geleugnet. Zudem rückt der Rekurs auf § 241 II BGB zu sehr das individualvertragliche Verhältnis zwischen Arbeitgeber und einzelnem Arbeitnehmer in den Mittelpunkt und droht, dadurch die kollektive Dimensionierung des Gleichbehandlungsgrundsatzes aus den Augen zu verlieren. Die Fürsorgepflicht dient in erster Linie der Verwirklichung der Austausch- und nicht der Verteilungsgerechtigkeit.627 Jede Ungleichbehandlung zwischen zwei Arbeitnehmern würde damit – selbst ohne einen betriebsweiten, kollektiven Tatbestand – zugleich eine Verletzung der Treuepflicht nach § 241 II BGB bedeuten und damit den Anwendungsbereich der Gleichbehandlungskontrolle enorm erweitern.628 Ähnliches muss für den Ansatz von Söllner629 gelten, der die Beachtung des Gleichbehandlungsgrundsatzes als „Grundforderung des billigen Ermessens im Sinne des § 315 Abs. 1 BGB“ zur Begrenzung der Rechtsgestaltungsmacht des Arbeitgebers ansieht.630 Auch er gewährleistet über die Generalklausel und den dadurch erreichten Einfluss grundrechtlicher Wertungen eine flexible Handhabung. 625

BeckOGK BGB/Maties, § 611a BGB Rn. 1478 (Stand: 1. 8. 2021). Siehe hierzu BeckOGK BGB/Schaub, § 276 BGB Rn. 62 (Stand: 1. 9. 2021); zu den hohen Hürden eines „unverschuldeten Rechtsirrtums“ BAG v. 15. 9. 2011 – 8 AZR 846/09, AP BGB § 280 Nr. 10 (Rn. 42); BGH V. 3. 12. 2007 – II ZR 21/06, BKR 2008, 163 (Rn. 24). 627 Ebenso H. Hanau, FS Konzen, S. 233 (237). 628 H. Hanau, FS Konzen, S. 233 (237). 629 Söllner, Leistungsbestimmung, S. 135 f.; bereits früher mit dem Rekurs auf die einseitige Gestaltungsmacht Raiser, JZ 1959, 421 (422); von der Rechtsprechung teilweise rezipiert BAG v. 22. 12. 1970 – 3 AZR 52/70, AP BGB § 305 Billigkeitskontrolle Nr. 2; BAG v. 21. 12. 1970 – 3 AZR 510/69, AP BGB § 305 Billigkeitskontrolle Nr. 1. 630 MüHdb ArbR/Fischinger, § 14 Rn. 5 ff.; Blomeyer, FS G. Müller, S. 51 (52); G. Hueck, GS Dietz, S. 243 (245 ff.). 626

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Dennoch kann er durch die Anknüpfung an eine Norm, die das Leistungsbestimmungsrecht in einem bilateralen Verhältnis beschreibt, nicht ohne Weiteres den kollektiven Bezug des Gleichbehandlungsgrundsatzes erklären. Darüber hinaus zielt § 315 BGB darauf ab, den Parteien bei fehlender Einigungsbereitschaft oder Ungewissheit über den Inhalt der geschuldeten Leistung bzw. einzelner Leistungsgegenstände die Möglichkeit zu erhalten, den Vertrag noch ohne konkrete Leistungsbestimmung zu schließen.631 Den weitaus häufigsten Anwendungsfall des Gleichbehandlungsgrundsatzes, namentlich die freiwillige Leistungsausschüttung ohne vertragliche Verpflichtung, ist vom Anwendungsbereich der Norm hingegen nicht erfasst. Warum der Arbeitgeber in solchen Fällen an den Gleichbehandlungsgrundsatz gebunden sein soll, vermag der Ansatz nicht zu erklären. (4) Ansatz einer Gleichbehandlungspflicht als Folge einer Gemeinschaft Ein weiterer Vorschlag zur dogmatischen Fundierung des Gleichbehandlungsgrundsatzes stammt von G. Hueck. Er analysiert – wie auch hier teilweise geschehen – die privatrechtlichen Verhältnisse, in denen die Gleichbehandlung relevant wird und versucht, über eine Gesamtschau abstrakt gültige Aussagen zu gewinnen.632 Dabei sieht er die Pflicht zur Gleichbehandlung als Folge eines Zusammenschlusses mehrerer Personen zu einer Gemeinschaft an.633 Da alle im Privatrecht vorkommenden Gleichbehandlungsfälle hiervon gleichermaßen betroffen sind634, beanspruche dieser Grundsatz auch im Arbeitsrecht Geltung. Die Gleichbehandlung sei „ihrer Natur nach ein kollektiver Vorgang. Sie setzt das Nebeneinander mehrerer betroffener oder zu Unrecht nicht betroffener Rechtsverhältnisse voraus und ist daher auf die Vorgänge beschränkt, die sich auf Ebene der Gemeinschaft abspielen, während Einzelbeziehungen zwischen Gemeinschaftsmitgliedern nicht dem Gleichbehandlungsgebot unterliegen.“635 Durch die Fokussierung auf das Gemeinschaftsverhältnis als maßgeblichen Geltungsgrund müsse festgestellt werden, an welche Beziehung im Arbeitsrecht angeknüpft werden könne.636 Während ein solches Gemeinschaftsverhältnis im Tarifrecht durch die Überbetrieblichkeit eindeutig anzunehmen sei637, ergebe sich der Gemeinschaftsbezug im Verhältnis des Arbeitgebers zu seinen Arbeitnehmern aus der weitergehenden persönlichen Bindung des Einzelarbeitsverhältnisses.638

631 BeckOGK BGB/Netzer, § 315 BGB Rn. 3 (Stand: 1. 6. 2021); vgl. auch BeckOK BGB/ Gehrlein, § 315 BGB Rn. 1 ff. (Stand: 1. 8. 2021); MüKo BGB/Würdinger, § 315 BGB Rn. 2. 632 G. Hueck, Gleichmäßige Behandlung, passim 633 G. Hueck, Gleichmäßige Behandlung, S. 127 ff., 152 ff. 634 G. Hueck, Gleichmäßige Behandlung, S. 152. 635 G. Hueck, Gleichmäßige Behandlung, S. 239 f. 636 G. Hueck, Gleichmäßige Behandlung, S. 133 ff. 637 G. Hueck, Gleichmäßige Behandlung, S. 133 f. 638 G. Hueck, Gleichmäßige Behandlung, S. 134 ff.

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G. Hueck verdient Zustimmung, wenn er die Schaffung eines bestimmten kollektiven Tatbestands durch den Arbeitgeber als Voraussetzung für den Gleichbehandlungsanspruch begreift. Dennoch erweist sich das von ihm lancierte Gemeinschaftsmodell als Argumentationsschema, das dem Kern der Problematik nicht entscheidend näher kommt. Es versteht sich von selbst, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz einen wie auch immer gearteten Gemeinschaftsbezug aufweisen muss. Ohne Vergleichspersonen oder -gruppe bliebe eine bestimmte Maßnahme stets auf das Individualverhältnis beschränkt, sodass eine Ungleichbehandlung bereits per definitionem ausscheidet. Schon die Terminologie setzt eine Relation zwischen mindestens zwei vergleichbaren Personen voraus. G. Hueck umschreibt daher lediglich die Konstellationen, in denen Gleichbehandlungsaspekte relevant werden können.639 Er bleibt aber den Nachweis schuldig, inwiefern sich daraus materielle Pflichten ableiten, die die Autonomie des Arbeitgebers begrenzen sollen. Gerade wenn der Arbeitgeber aus eigenem Antrieb betriebsweit Leistungen auskehren möchte, ist ohne eine legitimatorische Begründung nicht unmittelbar einsichtig, warum er dabei die Grundsätze der Gleichbehandlung einhalten muss.640 (5) Ansatz einer Gleichbehandlungspflicht als Folge einer privatautonomen Entscheidung der Arbeitnehmer Eine von den bisherigen Ansichten verschiedene Sichtweise vertritt eine Literaturmeinung, die zur Begründung des Gleichbehandlungsgrundsatzes nicht originär den Arbeitgeber in den Blick nimmt, sondern zentral auf die Arbeitnehmer abstellt.641 Demzufolge könne der Geltungsgrund des Gleichbehandlungsgrundsatzes nur auf Basis einer privatautonomen Entscheidung der Arbeitnehmer in ihrer Gesamtheit erklärt werden. Dabei differenziert sie zwischen dem arbeitgeberseitigen Direktionsrecht nach § 106 GewO und der Auskehrung freiwilliger Leistungen durch den Arbeitgeber.642 Im Rahmen der Gleichbehandlung beim Direktionsrecht liege durch Abschluss des Arbeitsvertrags und die Eingliederung in die Arbeitsorganisation durch alle Arbeitnehmer eine zweckgebundene Ermächtigung an den Arbeitgeber vor, die es ihm erlauben solle, als Konkretisierung der Leistungspflicht des Arbeitnehmers bis zur Grenze der Willkür das Direktionsrecht auszuüben.643 Bezüglich der Ausschüttung freiwilliger Leistungen könne diese Annahme jedoch nicht aufrechterhalten werden, da sie anders als das Weisungsrecht ohne direkte synallagmatische Gegenleistung erfolge. Allerdings schulden die Arbeitnehmer jeweils vergleichbare Leistungen, die der Verwirklichung der unternehmerischen Zweck639

So auch Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 72: „vage[r] Hinweis auf die iustitia distributiva“; kritisch auch Raiser, JZ 1959, 421. 640 Ebenso Raab, FS Kreutz, S. 317 (337). 641 Raab, FS Kreutz, S. 317 ff.; im Ergebnis ähnlich auch MüHdb ArbR/Fischinger, § 14 Rn. 11. 642 Raab, FS Kreutz, S. 317 (324 ff.). 643 Vgl. Raab, FS Kreutz, S. 317 (333).

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setzung dienen.644 Insofern erschiene es befremdlich, wenn der Arbeitgeber im Hinblick auf kollektive Leistungen, die im Zusammenhang mit diesem Arbeitsverhältnis ausgekehrt werden, ohne Sachgrund differenzieren könne.645 Mit der Verpflichtung zu einer Arbeitsleistung, die dem Belegschaftsdurchschnitt entspricht, korrespondiere also redlicherweise die Erwartung, bei Entscheidungen mit einem kollektiven Bezug nicht sachgrundlos schlechter behandelt zu werden. Diesem Ansatz ist zuzustimmen, wenn er in der Summe der jeweiligen privatautonomen Vertragsbeziehungen den maßgeblichen Geltungsgrund für den Gleichbehandlungsgrundsatz sieht. Mit einem Rückgriff auf die gleichmäßige Leistungsverpflichtung der Arbeitnehmer, die sich gleichsam wie bei einem Spiegelbild in einer Pflicht zur gleichmäßigen Behandlung der Belegschaft niederschlägt, ist ein Weg gefunden, der sich nicht nur in der Beschreibung der Anwendungsvoraussetzungen des Gleichbehandlungsgrundsatzes erschöpft, sondern die Bindung der arbeitgeberseitigen Verteilungsmacht bei Leistungsausschüttungen in einem kollektiven Tatbestand auf rechtsgeschäftlicher Ebene plausibel erklären kann. Durch die Anreicherung mit einer Vielzahl von rechtsgeschäftlichen Elementen macht sich das Modell jedoch auch angreifbar. Gerade im Arbeitsrecht sehen sich Erklärungsmuster, die zur Erklärung kollektiver Phänomene wie etwa der betrieblichen Übung auf privatautonome Begründungsansätze zurückgreifen, schnell dem Vorwurf ausgesetzt, den Bestand oder zumindest den Inhalt von Willenserklärungen zu fingieren, um an das gewünschte Ergebnis zu gelangen.646 (6) Abschließende Bewertung Zwar konnte damit eine über alle Zweifel erhabene Begründung, weshalb der Arbeitgeber bei einer Entscheidung mit kollektivem Bezug den Gleichbehandlungsgrundsatz zu beachten hat, nicht gefunden werden.647 Dennoch spricht bei einer umfassenden Würdigung der Konzepte vieles für ein Modell, das die Summe aller privatautonomer Entscheidungen der Arbeitnehmer, im Betrieb mit dem Arbeitgeber zusammenzuarbeiten, maßgeblich mitberücksichtigt. Eine Limitierung der arbeitgeberseitigen Handlungsmöglichkeiten auf rechtsgeschäftlicher Grundlage durch die gebündelten Willensäußerungen der Arbeitnehmer, nur unter der Bedingung der 644

Raab, FS Kreutz, S. 317 (340). Raab, FS Kreutz, S. 317 (340). 646 Vgl. die Kritik zur dogmatischen Begründung der betrieblichen Übung über das Rechtsgeschäftsmodell Henssler, FS 50 Jahre BAG, S. 683 (685 ff.); Hromadka, NZA 1984, 241 (244); H. J. Willemsen, FS Wank, S. 657 (662 f.). Grundsätzliche Kritik an der Methodenehrlichkeit des BAG meldet in diesem Zusammenhang Wank, NZA-Beilage 2011, 126 ff. an; differenzierter dagegen C. Picker, Die betriebliche Übung, S. 46 ff. bzw. 189 ff.; A. Schneider, NZA 2016, 590 (591 ff.). 647 Ebenso MüHdb ArbR/Fischinger, § 14 Rn. 9. Vereinzelt wird der Gedanke aufgegriffen, erst im Zusammenspiel mehrerer Ansätze eine dogmatisch fundierte Lösung für den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz zu erblicken, so bspw. H. Wiedemann, Gleichbehandlungsgebote, S. 10. 645

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Gleichbehandlung mit vergleichbaren Kollegen beschäftigt zu werden, ist der entscheidende Schritt, der die Unterwerfung unter fremdbestimmte Arbeitsbedingungen mit einem Willkürverbot bei kollektiven Tatbeständen zu verknüpfen vermag.648 Dabei ist es freilich illusorisch, für die Begründung der Gleichbehandlungspflicht auf die Willensäußerung eines einzelnen Arbeitnehmers bei Abschluss des Arbeitsvertrags abzustellen. Er wird aufgrund seiner strukturellen Unterlegenheit im Gegensatz zum Arbeitgeber den Vertragsschluss regelmäßig nicht von eigenen Bedingungen abhängig machen können. Durch die Vielzahl der gleich ausgerichteten Arbeitsverhältnisse wird im Betrieb jedoch eine kollektive Dimension geschaffen, die nicht mit dem streng bilateralen Bezug anderer Austauschverträge verglichen werden kann.649 Im Zuge der Eingliederung in eine fremde Betriebsstruktur wandelt sich das zweiseitige Vertragsverhältnis zwangsläufig in ein Verhältnis mit Drittbezug, da nur durch eine kooperierende, synergetische Vorgehensweise der gesamten Belegschaft die betrieblichen Zwecke erfüllt werden können.650 Die Tätigkeit für das Unternehmen bildet für sämtliche Arbeitsverhältnisse gleichermaßen den zentralen Vertragsinhalt. Da sich die Belegschaft somit bereits kraft der Mitarbeit im Unternehmen gesammelt diesem übergeordneten Zweck verschreibt, wird die ansonsten gebotene Trennung der jeweiligen individuellen Vertragsverhältnisse bei Maßnahmen, „die alle angehen“, zugunsten einer kollektiven Dimension aufgeweicht. Dabei werden die einzelnen Arbeitsverhältnisse jedoch nicht in ein betriebsweites Gemeinschaftsverhältnis im Sinne G. Huecks integriert, sondern erfahren durch die gemeinsame Arbeit lediglich einen Gemeinschaftsbezug.651 Gleichsam als Folge dieser Herausführung einzelner Arbeitsverhältnisse aus der isolierten Betrachtung verbietet sich bei Fragen, die jene betriebsweite Dimension aufweisen, eine sachgrundlose Schlechterstellung einzelner Arbeitnehmer oder Arbeitnehmergruppen. In diesem Zusammenhang verbleibt die Erkenntnis, dass es einer gebündelten Erklärung aller im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer in ihrer kollektiven Verbundenheit bedarf, um die Verteilungsentscheidung des Arbeitgebers bei Maßnahmen, die über das individuelle Arbeitsverhältnis hinausreichen, zumindest auf Willkür hin kontrollieren zu können. 648

Ähnlich MüHdb ArbR/Fischinger, § 14 Rn. 11; Blomeyer, FS G. Müller, S. 51 (56 ff.). Deutlich MüHdb ArbR/Fischinger, § 14 Rn. 11. 650 MüHdb ArbR/Fischinger, § 14 Rn. 11; ähnlich bereits RAG v. 19. 1. 1938 – RAG 135/ 37, ARS 33, 172 (175) mit der zeitgeisttypischen Überhöhung der „Betriebsgemeinschaft“ zum Idealbild des „Neuen Arbeitsrechts“: „Insbesondere erschöpft sich die Betriebsgemeinschaft nicht in den Beziehungen der unpersönlichen Gesamtheit der Gefolgschaft zum Betriebsführer, sie wirkt sich gerade auch in dem Verhältnisse des einzelnen Gefolgschaftsmitglieds zu ihm und den anderen Gefolgschaftsmitgliedern aus. So steht das Einzelarbeitsverhältnis nicht außerhalb der den Betrieb umschließenden Gemeinschaft, sondern ist ein Stück dieser Gemeinschaft und empfängt aus ihr Leben und Befruchtung.“. 651 So zutreffend MüHdb ArbR/Fischinger, § 14 Rn. 11 in Rückgriff auf den Solidaritätsbegriff bei Gamillscheg, FS Fechner, S. 135 ff.; a. A. wohl Blomeyer, ZfA 1972, 85 (96 f.), der die Gemeinschaft soziologisch versteht und an sie keinerlei juristische Konsequenzen knüpfen will. 649

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ee) Übertragung auf das Tarifvertragsrecht Selbstverständlich können diese Überlegungen zum arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz nicht blindlings auf das Verhältnis der Tarifvertragsparteien zu ihren Mitgliedern übertragen werden. Insbesondere nötigt die Ausformung der Tarifautonomie als kollektiv ausgeübter Privatautonomie zur Vorsicht, da hier im Gegensatz zum Verhältnis Arbeitgeber – Arbeitnehmer nicht ohne Weiteres von fremdbestimmter Gestaltungsmacht gesprochen werden kann. Nichtsdestotrotz lassen sich zentrale Erwägungen auch für den tarifrechtlichen Bereich fruchtbar machen. Bereits in einem früheren Abschnitt wurde die Feststellung getroffen, dass es auch bei Tarifverträgen einer Kontrolle in einer wie auch immer gearteten Weise bedarf, um die Durchsetzung zumindest zentraler Gerechtigkeitsvorstellungen gewährleisten zu können.652 Allerdings konnte auch aufgezeigt werden, dass der Rekurs auf die normative Macht der Tarifpartner über § 4 I TVG allein nicht ausreicht, um eine Bindung an den Gleichbehandlungsgrundsatz herbeizuführen. Vielmehr kann die unmittelbare und zwingende Wirkung der Tarifnormen als Grundlage für die Gleichbehandlungspflicht nur als Teil einer weiter gefassten Erklärung verstanden werden, die zwangsläufig auch rechtsgeschäftliche Elemente implizieren muss. (1) Gleichmäßige privatautonome Legitimation des Tarifinhalts als entscheidender Anknüpfungspunkt (a) Verbandsmitglieder Versteht man die Tarifgeltung mit der hier vertretenen Auffassung als Folge einer privatautonomen Ermächtigung durch die Mitglieder653, verdeutlichen sich die Ähnlichkeiten zum rechtsgeschäftlichen Problemzugriff im Rahmen des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes. Es liegt in der Hand des einzelnen Arbeitnehmers, ob er einer Gewerkschaft beitritt und bei kongruenter Tarifbindung des Arbeitgebers die Wirkungen der Tarifverträge, die seine Gewerkschaft mit dem Arbeitgeber bzw. dem Arbeitgeberverband geschlossen hat, im eigenen Arbeitsverhältnis legitimieren möchte.654 Zwar mag der Verbandsangehörige über den konkreten Inhalt der aktuellen und insbesondere der künftigen Tarifverträge vor dem Beitritt regelmäßig nicht unterrichtet sein, ja sich vielleicht sogar nicht einmal Gedanken über die tarifpolitische Strategie seines Verbands machen.655 Allerdings weiß er sicher, dass die Zwecksetzung der koalitionären Betätigung vor allem im 652

Siehe oben; vgl. auch Bayreuther, Tarifautonomie, S. 263. Vgl. hierzu oben, Teil 2 A. II. 1. 654 Zur Bedeutung der Legitimation für normative Fragestellungen siehe besonders eindrücklich Bachmann, Private Ordnung, S. 159: „Legitimation ist der Schlüssel zur rechtswissenschaftlichen Bewältigung privater Regelsetzung.“; ähnlich F. Hartmann, Negative Tarifvertragsfreiheit, S. 101 ff. 655 Daran entzündet sich die Kritik von Gamillscheg, Band I, S. 565, nach dem die privatautonome Legitimation tarifvertraglicher Normsetzung die soziale Wirklichkeit missachte und „ein Stück juristischer Romantik“ darstelle. 653

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Abschluss von Tarifverträgen liegt.656 Der Verbandsbeitritt enthält damit stets die abstrakt-generelle Ermächtigung zur tariflichen Normsetzung.657 Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass eine künstliche Aufspaltung des Unterwerfungswillens bezogen auf bestimmte Regelungsbestandteile und damit eine subjektiv-selektive Legitimation lediglich solcher Tarifinhalte, die dem Verbandsmitglied günstig erscheinen, gerade nicht möglich ist.658 Aus diesem Grund werden auch differenzierende Tarifverträge vollumfänglich durch die individuelle Beitrittsentscheidung von allen Verbandsmitgliedern gleichermaßen legitimiert, selbst wenn manche Gewerkschaftsangehörige – wie im Fall der Differenzierungsklausel mit Stichtag in der Vergangenheit – nicht in den Kreis der Begünstigten fallen und deshalb mit der konkreten Regelung kaum einverstanden sein dürften. Die umfassende Legitimierung der tariflichen Normsetzungsbefugnis nach dem Alles-oder-nichts-Prinzip durch die Mitglieder inkludiert auch die Möglichkeit, missliebige, für einzelne Verbandsangehörige nachteilige Tarifregelungen zu vereinbaren. Ist das einzelne Mitglied mit der Interessenvertretung durch seine Gewerkschaft unzufrieden, muss es auf verbandsrechtlichem Weg Veränderungen herbeiführen und entweder versuchen, die innerverbandliche Willensbildung zu seinen Gunsten zu beeinflussen oder den eigenen Austritt in Erwägung ziehen.659 Es erwirbt durch seine Verbandsmitgliedschaft allerdings keinen exklusiven Anspruch auf ein bestimmtes, für ihn vorteilhaftes Handeln seines Verbandes oder sogar der Tarifvertragsparteien in ihrer Gesamtheit.660 Die Legitimation der Normsetzungsbefugnis kann deshalb nicht von den individuellen Motiven des Mitglieds abhängig gemacht werden; entscheidend hierfür ist allein der Beitritt zum bzw. die fortgesetzte Mitgliedschaft im Verband. Dieses Verständnis deckt sich auch mit § 4 I TVG, der für die normative Wirkung der Tarifnormen lediglich die Tarifgebundenheit durch Mitgliedschaft im tarifschließenden Verband voraussetzt. In der jeweiligen individuellen Beitrittserklärung bzw. der bloßen Mitgliedschaft kann deshalb noch kein Element ausgemacht werden, das die Gestaltungsfreiheit der Tarifvertragsparteien in Gleichbehandlungsfragen auf rechtsgeschäftlichem Wege einschränkt. Die Legitimierung der tariflichen Normsetzung erfolgt bei Beitritt grundsätzlich vollumfänglich oder gar nicht (OT-Mitgliedschaft661). 656

Vgl. Bayreuther, Tarifautonomie, S. 196 f. Biedenkopf, Grenzen, S. 61 f.; Höpfner, Tarifgeltung, S. 320; kritisch demgegenüber F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 93 ff., der allerdings unzutreffend davon ausgeht, ein privatautonomer Unterwerfungsakt könne nur dann Geltung beanspruchen, wenn er ausdrücklich erklärt werde. 658 Vgl. auch Höpfner, Tarifgeltung, S. 320; Konzen, FS G. Müller, S. 245 (249); Sandmann, RdA 2002, 73 (79). 659 Zur sozialwissenschaftlichen Komponente einer Teilhabe an der tarifpolitischen Willensbildung siehe Schüren, Legitimation, S. 179 ff. 660 Ricken, Stichtagsregelungen, S. 29. 661 Vgl. hierzu Löwisch/Rieble, § 3 TVG Rn. 58 f.; Bayreuther, BB 2007, 325 f.; Benecke, Regulierung, S. 45 ff.; Besgen, Mitgliedschaft, passim; Buchner, NZA 1994, 2 ff.; ders., NZA 1995, 761 ff.; ders., NZA 2006, 1377 ff.; Melot de Beauregard, Mitgliedschaft, passim; Reuter, 657

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Andererseits haben die bisherigen Erwägungen gezeigt, dass eine pauschale Unterwerfung unter eine Normsetzungsmacht zwangsläufig mit der Gefahr einhergeht, eigene Interessen im Kollektiv nicht hinreichend gewahrt zu wissen. Die Tarifvertragsparteien müssen eine Vielzahl an Anliegen berücksichtigen, die schnell von den Wünschen und Vorstellungen einiger Mitglieder differieren können. Allerdings steht die durch Mitgliedschaft im tarifschließenden Verband begründete Beziehung zwischen den Tarifvertragsparteien und den einzelnen Verbandsangehörigen nicht isoliert im luftleeren Raum. Neben dem Mitglied haben sich noch hunderte, möglicherweise sogar tausende weitere Verbandskollegen der tariflichen Normsetzungsmacht unterworfen. Lässt man bei der Betrachtung die in Arbeitnehmerkreisen bislang kaum vorstellbaren OT-Mitglieder außer Acht, legitimieren sämtliche Verbandsangehörige den Tarifvertrag im gleichen Umfang, da die Ermächtigung – wie soeben erörtert – nicht auf beliebige Inhalte aufgespalten werden kann. Der Legitimationsakt hat daher für alle tarifgebundenen Arbeitnehmer die gleiche Qualität: Kein Mitglied unterwirft sich der tariflichen Normsetzungsmacht mehr bzw. weniger als andere Verbandsangehörige.662 Diese gleichmäßige, multiple Unterwerfung ermöglicht es den Tarifvertragsparteien, eine kollektive Institution aufzubauen und zu führen, die in maßgeblichem Umfang darüber mitbestimmt, zu welchen Bedingungen abhängige Arbeit geleistet wird. Die Zwecksetzung dieser über-individuellen Organisation ist dabei bereits durch das Grundgesetz umrissen: So sieht Art. 9 III S. 1 GG vor, dass der Tarifvertrag zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen beitragen muss. Andere tarifliche Ziele genießen den verfassungsrechtlichen Schutz nicht. Weiter kann sich demnach auch das einzelne Mitglied im Rahmen der mitgliedschaftlichen Legitimation nicht unterwerfen.663 Allerdings sind auch Ungleichbehandlungen, die die thematischen Grenzen des Art. 9 III GG einhalten, nicht unumschränkt zulässig. Durch die Möglichkeit, oberhalb der individualvertraglichen Ebene verbindliche Regelungen für eine Vielzahl von Arbeitsverhältnissen zu erlassen, erfahren die jeweiligen individuellen Unterwerfungsakte notwendigerweise einen Drittbezug. Da die Rechtsnormen des Tarifvertrags wegen § 4 I TVG für alle Tarifgebundenen und somit auch für alle Verbandsmitglieder gleichermaßen gelten, wirkt die Gleichmäßigkeit der mitgliedschaftlichen Legitimationswirkung in der gleichmäßigen Betroffenheit von der Rechtsetzung durch denselben Normgeber fort. Mit diesem Vorgang wird eine Akzessorietät zwischen Legitimation und Normwirkung erzeugt, die die VerRdA 1996, 201 ff.; Schlochauer, FS Hromadka, S. 379 ff.; Thüsing, ZTR 1996, 481 ff.; ders./ Stelljes, ZfA 2005, 527 ff.; zu den Problemen eines Blitzaustritts und Blitzwechsels Heinz, Tarifgeltung ohne Mitgliedschaft, passim und Höpfner, ZfA 2009, 541 ff. 662 Deswegen kann es auch nicht entscheidend darauf ankommen, wie mitgliederstark ein tarifschließender Verband ist. Anders in der Herleitung, aber mit demselben Ergebnis wie hier Bayreuther, Tarifautonomie, S. 195 f. 663 Dieterich, FS Schaub, S. 117 (126 f.); siehe zur Reichweite des Individualgrundrechts als äußerste Grenze für die kollektive Koalitionsfreiheit auch oben, Teil 2 B. III. 7. d) bb).

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bandsmitglieder in ihrer Gesamtheit einem einheitlichen Schicksal unterwirft. Das einzelne Legitimationsverhältnis zwischen Mitglied und Tarifvertragsparteien verlässt in diesem Augenblick die partikulare Ebene und wird in eine kollektive Dimension überführt. Damit ergibt sich eine bedeutsame Parallele zu den Befunden im Arbeitsrecht. Während der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz als Korrektiv gegenüber der arbeitgeberseitigen Gestaltungsmacht auf die gleichmäßige Bereitschaft zur Zusammenarbeit aller Arbeitnehmer im Betrieb zurückzuführen ist, lässt sich im Tarifrecht für denselben Zweck an die gleichmäßige Legitimation der fremdbestimmten Normsetzung anknüpfen.664 Bei diesem Verständnis der Unterwerfungserklärung als zentralem Ankerpunkt für die Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes kann es konsequenterweise keinen Unterschied machen, wie lange ein Mitglied die tarifliche Normsetzungsmacht bereits legitimiert. Durch einen zeitlich späteren Beitritt ändert sich die Qualität des Legitimationsakts nicht. Auch ein Mitglied, das erst wenige Tage im Verband ist, ermächtigt die Tarifvertragsparteien wie ein langjähriger Gewerkschaftsangehöriger gleichermaßen und ist deshalb vollumfassend Teil der kollektiven Struktur. Anderenfalls wäre es auch kaum vorstellbar, wie die Verbände neue Mitglieder gewinnen könnten. Müssten die Neueinsteiger stets damit rechnen, sachgrundlos schlechter als die Altmitglieder behandelt zu werden, ergäbe sich ein Willkürpotential in den Tarifverträgen, dem sich wohl kaum jemand freiwillig aussetzen würde.665 Darüber hinaus wäre nicht rechtssicher festzustellen, ab welchem Zeitpunkt ein Neumitglied den Status eines vollwertigen Mitglieds gewinnt und deshalb nicht mehr schlechter behandelt werden darf. Eine Art Anwartschaftsphase auf die „Vollmitgliedschaft“ gibt es daher bei der Legitimation tariflicher Normsetzungsmacht nicht.666 Davon muss freilich die Möglichkeit unterschieden werden, im Tarifvertrag selbst zwischen tarifgebundenen Mitgliedern zu differenzieren. Diese Frage berührt allerdings den Tarifinhalt als solchen und nicht die Legitimation der tariflichen Normsetzungsbefugnis. Die tarifliche Regelungsmacht gegenüber den Mitgliedern beruht deshalb nicht auf einer grenzenlosen, sondern auf einer bereits von vornherein beschränkten Legitimation. Durch die Vielzahl der gleichförmigen Mitgliedschaften wird ein Drittbezug geschaffen, der willkürliche Maßnahmen bei einem kollektiven Tatbestand verbietet. (b) Außenseiter Knüpft man zur Begründung des tariflichen Gleichbehandlungsgrundsatzes an die gleichmäßige Unterwerfung unter die tarifliche Normsetzungsmacht durch die 664

Ähnlich auch Jacobs/Frieling, SR 2019, 108 (116); Sandmann, RdA 2002, 73 (79). Vgl. auch Dieterich, FS Schaub, S. 117 (128 f.); Schlachter, FS Schaub, S. 651 (657); plastisch Seitenzahl/Zachert/Pütz, Vorteilsregelungen, S. 127: „An-die-Wand-Quetschen“ der Minderheit. 666 Höpfner, Tarifgeltung, S. 318 f. 665

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Verbandsmitglieder an, ist die Annahme zwingend, dass Außenseiter nicht in den Kreis der Personen fallen, die den Schutz durch den Gleichbehandlungsgrundsatz einfordern können.667 Diese Arbeitnehmer haben sich gegen eine Mitgliedschaft entschieden und deshalb nicht der Regelungsmacht der Tarifvertragsparteien unterworfen. Die normative Einwirkung des Tarifvertrags auf das Arbeitsverhältnis basiert zentral auf der privatautonomen Entscheidung, Mitglied in einem tarifschließenden Verband zu sein (vgl. § 3 I TVG). Wer diesen Schritt nicht geht, kann – abgesehen von den Sonderfällen in § 3 II und § 5 TVG – als Nicht- oder Andersorganisierter maximal mittelbar-faktisch von den Wirkungen des konkreten Tarifvertrags betroffen werden. Allein aufgrund dieser rein tatsächlichen Berührung mit der Normsetzungsmacht wird die Person aber gerade nicht Teil jener kollektiven Dimension, die sich auf die multiple, gleichmäßige Legitimation fremdbestimmter Normsetzungsmacht durch die Verbandsmitglieder zurückführen lässt. Wenn aber entscheidend auf den Drittbezug in dieser Dimension für die Begründung des Gleichbehandlungsgrundsatzes abgestellt wird, fehlt bei den Außenseitern der legitimatorische Unterwerfungsakt als konstitutives Tatbestandsmerkmal. Individualvertragliche Bezugnahmeklauseln, die die Anwendung des Tarifvertrags trotz mangelnder Tarifbindung im Arbeitsverhältnis sicherstellen wollen, führen keine vergleichbare Unterwerfung unter die heteronome Normsetzungsbefugnis der Tarifvertragsparteien herbei.668 Sie dienen als „verkürzte Absprache über den Vertragsinhalt“669 nicht der Legitimation fremdbestimmter Normsetzungsbefugnis, sondern gleichen im Gegenteil das Fehlen der normativen Tarifwirkung aus, indem sie die Regelungsinhalte des Tarifvertrags auf schuldrechtlichem Wege in das Arbeitsverhältnis inkorporieren.670 Damit sind Bezugnahmeklauseln ein vertragsgestalterisches Element, das die Inhalte des Tarifvertrags mittelt, aber eine Unterwerfung unter die tarifliche Normsetzungsmacht weder bewirken soll, noch qualitativ substituieren kann.671 Bei diesen individualvertraglichen Abreden fehlt somit der normative Bezug kraft individueller Unterwerfung und damit ein kollektiver Vergleichsrahmen672, der wiederum den Gleichbehandlungsgrundsatz als maßgeblichen Überprüfungsmechanismus aktivieren könnte. Eine Vergleichs- und damit eine Kontrollmöglichkeit anhand des Gleichbehandlungsgrundsatzes besteht also nur so weit, wie die unmittelbare Unterwerfung unter die private Regelungsmacht 667

Ähnlich Ricken, Stichtagsregelungen, S. 24 f. Jacobs, Tarifeinheit, S. 182; a. A. aber wohl v. Hoyningen-Huene, RdA 1974, 138 (146 ff.); zum Streit, ob die Berufung auf den Tarifvertrag nach § 1 II TVVO eine entsprechende Unterwerfung begründete Wiedemann/Oetker, § 3 TVG Rn. 314 ff. 669 Siehe oben Teil 1, Fn. 35. 670 Löwisch/Rieble, § 3 TVG Rn. 575 f.; Bauschke, ZTR 1993, 416 (418); D. Gaul, ZTR 355 (358). 671 St. Rspr., vgl. nur BAG v. 16. 5. 2018 – 4 AZR 209/15, AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 145 (Rn. 31); BAG v. 17. 6. 2015 – 4 AZR 61/14 (A), AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 132 (Rn. 14). 672 Vgl. auch Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 213; im Ergebnis auch Richardi, Kollektivgewalt und Individualwille, S. 350 f. 668

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reicht. Die Tarifpartner müssen daher nur innerhalb ihrer normativen Regelungsbefugnis den Gleichheitssatz beachten.673 Eine aus der gleichmäßigen Legitimation aller Verbandsmitglieder abgeleitete Kontrolle anhand des Gleichbehandlungsgrundsatzes können die Außenseiter daher nicht für sich in Anspruch nehmen. Dieser Schluss wird zudem durch die bereits an früherer Stelle beschriebenen Funktionszusammenhänge des Tarifvertragsrechts belegt. Überantwortet eine Rechtsordnung die Entscheidung über die Mitgliedschaft in einem tarifschließenden Verband der Autonomie des Arbeitnehmers und beschränkt in einem nächsten Schritt die normative Regelungsbefugnis der Tarifvertragsparteien auf die Mitglieder (§§ 3 I, 4 I TVG), lässt sie zwangsläufig eine unterschiedliche Behandlung von Verbandsmitgliedern und Außenseitern zu. Die Differenzierung ist somit als systemimmanent hinzunehmen und bedarf keiner permanenten Rechtfertigung durch die Tarifvertragsparteien.674 Die Möglichkeit, von einer tariflichen Vergünstigung ohne Sachgrund ausgeschlossen zu werden, wurde von den Außenseitern akzeptiert. Sie haben durch ihr Fernbleiben signalisiert, dass sie auf eine kollektive Interessenvertretung verzichten und ihre Belange selbst durchsetzen wollen. Freilich wird dieser Grundsatz wiederum durch einfachgesetzliche bzw. verfassungsrechtliche Vorgaben aufgeweicht. Ein grundsätzliches Gleichbehandlungsgebot von Verbandsmitgliedern und Außenseitern ist jedoch im TVG gerade nicht angelegt. Nähme man dessen ungeachtet an, dass auch Außenseiter im vollen Umfang geschützt seien, wären die Tarifvertragsparteien notwendigerweise zur Beachtung der Interessen von Arbeitnehmern verpflichtet, die die Normsetzungsmacht nicht legitimiert haben.675 (c) Sonderfall: Betriebsnormen im Sinne von § 3 II TVG? Das hier vorgeschlagene Modell zur Begründung eines tariflichen Gleichbehandlungsgrundsatzes als Folge der gleichmäßigen Legitimation aller Verbandsmitglieder scheint jedoch an seine Grenzen zu stoßen, wenn im Rahmen von Betriebsnormen nach § 3 II TVG auch solche Arbeitnehmer normativ von der tariflichen Regelung erfasst werden sollen, die nicht Mitglied in einem tarifschließenden Verband nach § 3 I TVG sind und somit den Tarifinhalt nicht mitgliedschaftlich legitimiert haben. Hintergrund des § 3 II TVG ist die Überzeugung, dass bestimmte Normen nur einheitlich im Betrieb gelten können und daher deren Anwendung nicht von der Mitgliedschaft des Arbeitnehmers im tarifschließenden Verband abhängig gemacht werden kann.676 Nach Auffassung des BAG ist die Qualifizierung einer tariflichen Bestimmung als Betriebsnorm nach § 3 II TVG nur dann gerechtfertigt, wenn die entsprechenden Regelungen „in der sozialen Wirklichkeit aus tatsächlichen

673

Im Ergebnis auch Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 211 ff. Siehe oben, Teil 1 E. III. 675 Ebenso Helm, NZA 2015, 1437 (1438); ähnlich auch Kempen/Zachert/Kempen, Grundl. TVG Rn. 214. 676 ErfK/Franzen, § 3 TVG Rn. 16. 674

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oder rechtlichen Gründen nur einheitlich gelten können“677 und umgekehrt eine individualvertragliche Regelung „wegen evident sachlogischer Unzweckmäßigkeit“678 ausscheide. Die notwendig betriebseinheitliche Geltung ist dabei Grenze der Betriebsnormgeltung.679 Nach genauerer Betrachtung erweist sich jedoch die Frage nach der Begründung der Gleichbehandlungspflicht im Rahmen von Betriebsnormen als Scheinproblem. Bei differenzierenden Tarifinhalten ist die betriebsweit einheitliche Geltung gerade nicht gewollt. Es sollen bewusst Personen bessergestellt werden bzw. andere Personen von einer Vergünstigung ausgeschlossen werden. Eine Tarifregelung, die keine einheitliche Gestaltung im Betrieb intendiert, sondern eine Ungleichbehandlung positiv festschreiben will, kann demnach keine Betriebsnorm im Sinne des § 3 II TVG darstellen. Herkömmliche Differenzierungsklauseln bzw. solche mit Stichtagsregelung und alle weiteren Klauseln, die eine unterschiedliche Behandlung von verschiedenen Arbeitnehmer(gruppen) innerhalb der Belegschaft anstreben, kommen als uneinheitliche Tarifregelung für die Qualifizierung als Betriebsnorm daher schon begriffslogisch nicht infrage.680 Das Problem einer fehlenden mitgliedschaftlichen Legitimation für die Begründung der Gleichbehandlungspflicht stellt sich also in diesem Bereich nicht. (2) Kollektiver Bezug der tariflichen Maßnahme als zwingende Anwendungsvoraussetzung für den Gleichbehandlungsgrundsatz In den Untersuchungen konnte bislang die Tatsache ausgeblendet werden, dass im Rahmen der tariflichen Normsetzung ein kollektiver Bezug der Regelung für die Auslösung der Gleichbehandlungspflicht notwendig ist. Wie schon beim arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz erörtert, eröffnet erst ein Tatbestand, der eine bestimmte Leistung gegenüber einer Vergleichsgruppe auskehrt, den Anwendungsbereich des Gleichbehandlungsgrundsatzes.681 Gleichzeitig müssen solche 677 BAG v. 21. 1. 1987 – 4 AZR 486/86, AP GG Art. 9 Nr. 46; BAG v. 26. 4. 1990 – 1 ABR 84/87, AP GG Art. 9 Nr. 57 [B.V.2. b) der Gründe]; BAG v. 17. 6. 1997 – 1 ABR 3/97, AP TVG § 3 Betriebsnormen Nr. 2 [B. 1. a) der Gründe]; kritisch gegenüber der „Leerformel“ ErfK/ Franzen, § 1 TVG Rn. 47. 678 St. Rspr., vgl. nur BAG v. 26. 1. 2011 – 4 AZR 159/09, AP TVG § 3 Betriebsnormen Nr. 7 (Rn. 24); BAG v. 1. 8. 2001 – 4 AZR 388/09, AP TVG § 3 Betriebsnormen Nr. 5 [I. 2. c) aa) der Gründe]; BAG v. 17. 6. 1997 – 1 ABR 3/97, AP TVG § 3 Betriebsnormen Nr. 2 [B. 1. a) der Gründe]; angesichts der vermeintlichen Unbestimmtheit kritisch Dieterich, FS Däubler, S. 451 ff.; Giesen, Tarifvertragliche Rechtsgestaltung, S. 449 ff. mit der Forderung, nur solche Normen als Betriebsnormen anzuerkennen, die dem Gegenstand nach einem erzwingbaren Mitbestimmungsrecht aus dem BetrVG unterliegen, vgl. auch BeckOK ArbR/Giesen, § 3 TVG Rn. 14 (Stand: 1. 6. 2021). 679 Löwisch/Rieble, § 3 TVG Rn. 222. 680 Das verkennt Kühnast, Regelungsbefugnis, S. 435 f., wenn sie ohne weitere Begründung davon ausgeht, dass differenzierende Regelungen im Tarifvertrag als Betriebsnormen gelten können. 681 H. J. Willemsen, FS Wank, S. 657 (674).

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Fallgestaltungen ausgeschieden werden, die einen rein individualen Bezug haben und damit wiederum nicht auf die kollektive Ebene durchschlagen. Der kollektive Bezug der jeweiligen gestalterischen Maßnahme ist daher auch im Verhältnis der Tarifvertragsparteien zu den tarifgebundenen Mitgliedern zwingende Voraussetzung für die Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes.682 Im Rahmen des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes kann die Abgrenzung zwischen einer Maßnahme mit kollektivem Bezug und einer solchen, die lediglich bestimmte Arbeitsverhältnisse betrifft und daher die Gleichbehandlungspflichten nicht auszulösen vermag, mitunter Schwierigkeiten bereiten. Die Tarifnormsetzung indes unterscheidet sich in diesem Punkt von ihrer Parallele im Arbeitsrecht. Anders als dort fallen der Vertragsarbeitgeber und der verantwortliche Normgeber als Urheber der jeweiligen Gestaltungsentscheidung bei tariflichen Regelungen stets auseinander. Angesichts dieser Aufspaltung sind Fälle mit spezifischem Individualbezug zu einzelnen Mitgliedern schwerlich vorstellbar. Aufgrund der gleichmäßigen Unterwerfung aller Mitglieder unter die Normsetzungsmacht und der daraus folgenden gleichmäßigen Legitimation der Tarifnormsetzung betrifft jede Regelung, die das bilaterale Verhältnis der Tarifvertragsparteien zueinander übersteigt und gemäß § 4 I TVG unmittelbar und zwingend auf die Arbeitsverhältnisse im Geltungsbereich einwirken soll, den Personenkreis der Verbandsmitglieder in seiner Gesamtheit. Damit liegt die Vermutung nahe, dass bei jeder Tarifnorm schon kraft ihrer über-individuellen Ausrichtung ein kollektiver Bezug hergestellt wird, der die Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes begründen kann. Für ein solches Verständnis sprechen auch die pluralischen Formulierungen in § 1 I und § 4 I TVG, die jeweils auf die Wirkung der Rechtsnormen in „Arbeitsverhältnissen“ abstellen. Zudem lässt sich diese Sichtweise durch ein normtheoretisches Argument unterfüttern. Steht den Tarifvertragsparteien gemäß § 4 I TVG offen, mittels normativer Regelungen auf die Rechtsbeziehung der Tarifunterworfenen einzuwirken, ist es ihnen gleichzeitig verwehrt, diese Normativität zur Verabschiedung einer Einzelfallentscheidung auszunutzen. Nur mit der Prämisse einer steten kollektiven Ausrichtung lässt sich auch die ökonomische Kartellfunktion des Tarifvertrags ohne dogmatische Brüche beschreiben, wenn sie einen individuellen Unterbietungswettbewerb um den Mindestinhalt der Arbeitsbedingungen verhindern soll.683 Eine bilaterale Beziehung, wie sie das Arbeitsverhältnis zwischen Arbeitgeber und einzelnem Arbeitnehmer darstellt, ist daher zwischen den Tarifvertragsparteien und dem Mitglied, das nur einem der beiden Verbände angehören kann, schon aus institutionellen Gründen nicht möglich. Mit der Feststellung eines steten, immanenten kollektiven Bezugs bei der tariflichen Normsetzung ist jedoch noch keine Aussage darüber getroffen, ob die Ta682 Ähnlich auch Dieterich, RdA 2001, 112 (117) und Schlachter, Gleichberechtigung, S. 90, die eine „vergleichbare Lage der betroffenen Arbeitnehmer“ als wichtigste Anwendungsvoraussetzung fordert. 683 Vgl. hierzu ErfK/Franzen, § 1 TVG Rn. 2; Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 1088; Höpfner, Tarifgeltung, S. 232.

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rifregelung sachlich nur einzelne Personen betreffen kann. Selbstverständlich können Tarifnormen im Rahmen des geltenden Rechts nur bestimmte Personen oder Personenkreise begünstigen bzw. von einer Vergünstigung ausschließen. Hierbei handelt es sich jedoch um Verteilungsfragen innerhalb der normativen Wirkung des Tarifvertrags und somit innerhalb des kollektiven Bezugs. Bei diesen Fragen sind die Tarifpartner an den Grundsatz der Verteilungsgerechtigkeit, respektive den Gleichbehandlungsgrundsatz als Ausprägung der iustitia distributiva gebunden. Die Konstellation im Tarifrecht stellt damit insofern eine Sondersituation dar: Jede Tarifnorm muss bereits kraft ihres Normstatus eine kollektive Dimension aufweisen, um überhaupt die schuldrechtliche Ebene der sozialpartnerschaftlichen Vereinbarung verlassen zu können. Auf eine entsprechend positive Feststellung des kollektiven Bezugs als Anwendungsvoraussetzung für den Gleichbehandlungsgrundsatz kann daher bei Tarifnormen verzichtet werden. (3) Beschränkung des Schutzes auf Situationen willkürlicher Schlechterstellung Ist damit geklärt, dass die Verteilungsentscheidung der Tarifvertragsparteien im Grundsatz anhand des Gleichbehandlungsgrundsatzes kontrolliert werden kann, gilt es nun der Frage nachzugehen, welche Konstellationen der Ungleichbehandlung seine Anwendung auslösen können. Dabei fällt auf, dass der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz sowohl nach der Rechtsprechung als auch der Lehre lediglich einer willkürlichen Schlechterbehandlung einzelner Arbeitnehmer(gruppen) vorbeugen soll.684 Die sachgrundlose Besserstellung durch den Arbeitgeber dagegen scheint nicht verboten.685 Diese differenzierte rechtliche Einordnung der beiden Arten von Ungleichbehandlung ist jedoch im Telos des Gleichbehandlungsgrundsatzes angelegt. Gegen die Auswirkungen einer arbeitgeberseitigen Verteilungsentscheidung ist der einzelne Arbeitnehmer nur dann auf Schutz angewiesen, wenn er dadurch willkürlich schlechter gestellt wird. Wirkt sich die Entscheidung des Arbeitgebers jedoch zu seinem Vorteil aus und wird er im Vergleich zu seinen Kollegen günstiger behandelt, bedarf die jeweilige Verteilungsentscheidung keiner Korrektur. Freilich haben die im Vergleich zu ihm schlechter gestellten Kollegen ihrerseits die Möglichkeit, die Ungleichbehandlung beseitigen zu lassen, sofern ein kollektiver Bezug der Maßnahme angenommen werden kann. Der Gleichbehandlungsgrundsatz zielt damit nicht auf die Herstellung egalitärer Verhältnisse im Betrieb, sondern soll Auswüchsen der Willkür zum Nachteil bestimmter Arbeitnehmer vorbeugen. Insofern dient er dem gleichen Interesse wie § 612a BGB, welcher ebenfalls nur die Benachteiligung des Arbeitnehmers verbietet. Zutreffend 684 St. Rspr., vgl. nur BAG v. 21. 5. 2014 – 4 AZR 50/13, AP BGB § 242 Gleichbehandlung Nr. 220 (Rn. 19); BAG v. 6. 7. 2011 – 4 AZR 596/09, AP BGB § 242 Gleichbehandlung Nr. 214 (Rn. 23); BAG v. 17. 3. 2010 – 5 AZR 168/09, AP BGB § 242 Gleichbehandlung Nr. 211 (Rn. 15); BeckOGK BGB/Maties, § 611a BGB Rn. 1543 (Stand: 1. 8. 2021); HWK/Thüsing, § 611a BGB Rn. 332; MüHdb ArbR/Fischinger, § 14 Rn. 25; Hunold, DB 1991, 1670; Schlachter, Gleichberechtigung, S. 88; Widmaier, ZTR 1990, 359. 685 Schlachter, Gleichberechtigung, S. 88 f.; Widmaier, ZTR 1990, 359.

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wird vor diesem Hintergrund teilweise darauf hingewiesen, dass der inhaltliche Gewährleistungsgehalt des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes de facto in Richtung eines Benachteiligungsverbots tendiert.686 Diese Maßstäbe lassen sich auch für das Verhältnis der Tarifvertragsparteien zu den Verbandsangehörigen in Ansatz bringen. Eines besonderen Schutzes bedürfen die Mitglieder nicht, wenn sie durch die konkrete Tarifnorm im Vergleich zu ihren Kollegen bessergestellt werden. Die normative Rechtsetzungsmacht der Tarifvertragsparteien, die die Mitglieder im Zuge des jeweiligen Beitritts legitimiert haben, hat sich diesbezüglich für sie – relativ betrachtet – nicht nachteilig ausgewirkt. Gegen eine Besserstellung im Vergleich zu anderen Kollegen wird sich das einzelne Gewerkschaftsmitglied regelmäßig auch nicht zur Wehr setzen wollen. Anders dagegen im Fall einer willkürlichen Schlechterstellung. In dieser Konstellation besteht ein Indiz für eine gravierende Störung der kollektiven Interessenvertretung zum Nachteil einer Minderheit.687 Mit einer solchen schlechterstellenden Regelung entfernen sich die Tarifvertragsparteien vom Prinzip der gleichmäßigen Behandlung, das sich als Spiegelbild aus der fortgesetzten, gleichmäßigen Legitimation einer Normsetzungsmacht ergibt.688 In diesem Fall ist ein kontrollierendes Eingreifen zugunsten der benachteiligten Vereinsmitglieder geboten, indem den Tarifvertragsparteien als Normgeber die Begründungspflicht im Hinblick auf den Nachweis eines sachlichen Grundes für die Schlechterstellung auferlegt wird.689 Der entsprechende Schutzmechanismus wird somit auch im Tarifrecht erst bei sachgrundlosen Benachteiligungen aktiviert. Wie im Arbeitsrecht handelt es sich somit beim tariflichen Gleichbehandlungsgrundsatz faktisch um ein Benachteiligungsverbot. (4) Zwischenergebnis An dieser Stelle kann festgehalten werden: Der ausschlaggebende Anknüpfungspunkt für die Gleichbehandlungspflicht der Tarifpartner ist die gleichmäßige mitgliedschaftliche Legitimation durch die Mitglieder. Aus ihr folgt gleichsam spiegelbildlich, dass die Tarifvertragsparteien die Verbandsangehörigen im Ausgangspunkt gleich behandeln müssen. Die Tarifvertragsparteien werden damit jeweils nur insoweit zu einer differenzierenden Rechtsetzung ermächtigt, solange ein Sachgrund die Unterscheidung rechtfertigt. Da der Schutz gegen willkürliche Differenzierung damit bereits in den multiplen Legitimationsakten angelegt ist und so eine bestimmte Gruppe gegen sachgrundlose Ungleichbehandlungen verteidigt werden soll, handelt es sich um eine Art prophylaktischen Minderheitenschutzes. Bewertet man die Situation alternativ aus normenhierarchischer Perspektive, stammt die Bindung an den Gleichbehandlungsgrundsatz somit nicht „von oben“ im Sinne 686

Hunold, DB 1991, 1670; ders., DB 1984 Beil. Nr. 5, 1 (3); Widmaier, ZTR 1990, 359. So Dieterich, FS Schaub, S. 117 (128 f.). 688 Siehe oben, Teil 2 B. III. 7. e) ee) (1). 689 Ähnliche Argumentation für den Bereich des Gleichbehandlungsgrundsatzes im Recht der Kapitalgesellschaften Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 79. 687

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eines Beachtenmüssens höherrangiger Rechtsgrundsätze, sondern ergibt sich automatisch aus den Begrenzungen durch die Legitimation durch die Mitglieder „von unten“. Eine Regelung, die diese immanenten Grenzen nicht beachtet, übersteigt die mitgliedschaftliche Legitimation und erzeugt damit gegenüber den tarifgebundenen Arbeitnehmern keine Rechtswirkung. Zulässig sind jedoch Unterscheidungen, die sich durch entsprechende Gründe rechtfertigen lassen. Damit soll durch die gleichmäßige Legitimation der Tarifnormwirkung eine Gleichheit erreicht werden, die – ganz im aristotelischen Sinn – auf die Verwirklichung der Proportionalität innerhalb der Vergleichsgruppen Rücksicht nimmt, also eine Differenzierungsmöglichkeit bei Vorliegen eines Sachgrundes innerhalb der Vergleichsgruppen vorsieht. Mit dem Rekurs auf den Legitimationsakt als entscheidenden Anknüpfungspunkt steht aber auch fest, dass sich Nichtmitglieder auf den Schutz durch den Gleichbehandlungsgrundsatz nicht berufen können. f) Inhaltliche Konkretisierung des Prüfungsmaßstabs bei Differenzierungen zwischen Gewerkschaftsmitgliedern im Tarifvertrag Mit diesen Feststellungen ist allerdings noch keine Aussage hinsichtlich der Kontrolldichte getroffen. Als ungeschriebenes Rechtsinstitut kann dem Gleichbehandlungsgrundsatz nicht per se ein Maßstab entnommen werden, der eine zulässige von einer unzulässigen Regelung zu unterscheiden vermag. Aufgrund dieser Unzulänglichkeit muss letztlich auf den Gewährleistungsgehalt des Art. 3 I GG zurückgegriffen werden, um die inhaltliche Reichweite des Gleichbehandlungsgrundsatzes im Privatrecht näher zu konturieren.690 Zwar haben die vorangegangen Überlegungen gezeigt, dass eine Bindung der Tarifvertragsparteien an dieses Grundrecht nicht überzeugend begründet werden kann, dennoch stellen sowohl der Gleichbehandlungsgrundsatz als auch Art. 3 I GG Erscheinungsformen der iustitia distributiva dar und sind daher auf dieselbe „ideengeschichtliche Wurzel“691 zurückzuführen. Mit dem Nachweis einer ideellen und strukturellen Verwandtschaft bietet Art. 3 I GG einen ersten Anhaltspunkt, um den Kontrollmaßstab des Gleichbehandlungsgrundsatzes inhaltlich fassbar zu machen. Diese verfassungsrechtliche Überformung eines Prüfungsmaßstabs für ein privatrechtliches Instruments wird auch vom BAG gebilligt, wenn es anerkennt, dass der allgemeine

690

So jedenfalls für den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz, vgl. nur BAG v. 14. 11. 2017 – 3 AZR 515/16, AP BetrAVG § 1 Gleichbehandlung Nr. 77 (Rn. 21); BAG v. 10. 11. 2015 – 3 AZR 576/14, AP BetrVG § 1 Gleichbehandlung Nr. 76 (Rn. 21); BAG v. 21. 8. 2007 – 3 AZR 269/06, AP BetrAVG § 1 Gleichbehandlung Nr. 60 (Rn. 20). 691 Raab, FS Kreutz, S. 317 (328); wohl auch MüKo BGB/Spinner, § 611a BGB Rn. 1041; Galperin, RdA 1953, 169.

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Gleichbehandlungsgrundsatz inhaltlich durch den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 I GG bestimmt werde.692 aa) Vorgehen des BVerfG bei der Feststellung der Kontrolldichte im Rahmen von Art. 3 I GG Durch die inhaltlichen Anleihen des Gleichbehandlungsgrundsatzes bei Art. 3 I GG kann für die Ermittlung des jeweils anzuwendenden Maßstabs auf eine jahrzehntelange Kasuistik zurückgegriffen werden, die vermehrt auf einzelfallbezogene Kriterien abstellt.693 Anfänglich hielt sich das BVerfG in seiner Rechtsprechung zum allgemeinen Gleichheitssatz merklich zurück und beanstandete nur willkürliche Ungleichbehandlungen. Willkür lag nach der Definition der Verfassungsrichter dann vor, wenn sich „ein vernünftiger, sich aus der Natur der Sache ergebender oder sonstwie sachlich einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung oder Gleichbehandlung nicht finden lässt.“694 Da sich diese Rechtfertigungsprüfung angesichts unterschiedlicher Schweregrade bei den monierten Ungleichbehandlungen bald als zu pauschal herausstellen sollte und deshalb nicht alle Differenzierungen sachgerecht erfassen konnte, etablierten sich in der Folgezeit feingliedrigere Maßstäbe. Insbesondere die vom Ersten Senat in seinem Beschluss vom 7. 10. 1980695 lancierte sog. Neue Formel markierte einen weiteren Meilenstein in der Entwicklung der Prüfungsmaßstäbe für Art. 3 I GG. Die Verfassungsrichter differenzierten letztlich entscheidend danach, ob die hoheitliche Maßnahme anhand sachverhaltsund verhaltensbezogener Kriterien unterscheidet oder der Regelung eine personen(gruppen)bezogene Ungleichbehandlung zugrunde liegt. Im ersten Fall sollte es bei der bereits bekannten Willkürkontrolle bleiben, im zweiten Fall jedoch wurden die Anforderungen an eine Rechtfertigung deutlich erhöht. Art. 3 I GG sei in dieser Konstellation „vor allem dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten.“696 Mit dieser Formulierung wurden damit auch bei Unterscheidungen anhand personen(gruppen)bezogenen Merkmale im Rahmen von Art. 3 I GG wesentliche Elemente der Verhältnismäßigkeitskontrolle beigemengt, die bis dato nur als Schranken-Schranke bei Eingriffen in Freiheitsrechte relevant geworden ist.697 692 Vgl. nur BAG v. 17. 11. 1998 – 1 AZR 147/98, AP BGB § 242 Gleichbehandlung Nr. 162 [III. 1. b) bb) der Gründe]; BAG v. 15. 11. 1994 – 5 AZR 682/93, AP BGB § 242 Gleichbehandlung Nr. 121 [I. 1. der Gründe] und die in Teil 2, Fn. 690 genannten Entscheidungen. 693 Vgl. zur Entwicklung Britz, NJW 2014, 346; Höpfner, Verfassungsrechtliche Grenzen, S. 24 ff.; Huster, Verhältnismäßigkeit, S. 92 ff. 694 Siehe nur BVerfG v. 23. 10. 1951 – 2 BvG 1/51, NJW 1951, 877 [III. 10. a) der Gründe]. 695 BVerfG v. 7. 10. 1980 – 1 BvR 240/79 u. a., NJW 1981, 271. 696 BVerfG v. 7. 10. 1980 – 1 BvR 240/79 u. a., NJW 1981, 271 [II. 1. der Gründe]. 697 Vgl. hierzu ausführlich Huster, JZ 1994, 541 ff.

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Die eben beschriebene bipolare Herangehensweise bei der Auswahl des Prüfungsmaßstabs mitsamt der Frage nach der konkreten Art der Ungleichbehandlung wurde indes auch ihrerseits in den letzten Jahren immer weiter aufgeweicht. Der 1. Senat des BVerfG ist inzwischen sogar dazu übergegangen, alle Ungleichbehandlungen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung zu unterwerfen.698 Der Rechtfertigungsmaßstab verschärfe sich dabei jeweils, wenn die Ungleichbehandlung Kriterien berührt, die eine Nähe zu Art. 3 III GG aufweisen, die Ausübung von Freiheitsrechten betreffen oder an ein Verhalten anknüpfen, das der Betroffene nicht beeinflussen kann.699 Der 2. Senat hat die herkömmliche Kategorisierung zwischen personenbezogenen und anderen Differenzierungsmerkmalen zwar (noch) nicht ausdrücklich aufgegeben700, implementiert aber ebenfalls den dreigliedrigen Kriterienkatalog des 1. Senats zur genaueren Justierung des Rechtfertigungsmaßstabs.701 Die Differenzierung zwischen personenbezogenen und nicht personenbezogenen Ungleichbehandlungen ist damit in gewandelter, abgeschwächter Form weiterhin relevant702, weil sie maßgeblich über die konkrete Kontrolldichte mitentscheidet. Damit ergeben sich aus dem allgemeinen Gleichheitssatz je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen variierende Prüfungsmaßstäbe, die von einem Verbot willkürlicher Behandlung bis hin zur strengen Verhältnismäßigkeitskontrolle reichen können.703 bb) Besonderheiten des Rechtfertigungsmaßstabs im Verhältnis der Tarifvertragsparteien zu den einzelnen Verbandsmitgliedern Diese Maßstäbe zu Art. 3 I GG treffen als materielle Konkretisierung der Gleichbehandlungspflicht wegen der bereits beschriebenen, identischen „ideengeschichtlichen Wurzel“ auch die Kontrolle der Tarifverträge. Bei einer Differenzierung zwischen den Gewerkschaftsmitgliedern muss jedoch zusätzlich berücksichtigt werden, dass es sich bei der tariflichen Normsetzung nicht um eine hoheitliche 698

BVerfG v. 7. 3. 2017 – 1 BvR 1694/13 u. a., NVwZ 2017, 1111 (Rn. 171); BVerfG v. 8. 5. 2013 – 1 BvL 1/08, NJW 2013, 2498 (Rn. 57); BVerfG v. 24. 1. 2012 – 1 BvL 21/11, NVwZ-RR 2012, 257 (Rn. 41); BVerfG v. 21. 6. 2011 – 1 BvR 2035/07, NVwZ 2011, 1316 (Rn. 78). 699 St. Rspr. seit BVerfG v. 26. 1. 1993 – 1 BvL 38/92 u. a., NJW 1993, 1517 [B. I. der Gründe]; vgl. auch BVerfG v. 8. 5. 2013 – 1 BvL 1/08, NJW 2013, 2498 (Rn. 57). 700 Vgl. nur BVerfG v. 19. 6. 2012 – 2 BvR 1397/09, NVwZ 2012, 1304 (Rn. 56). 701 Vgl. nur BVerfG v. 29. 3. 2017 – 2 BvL 6/11, NZG 2017, 828 (Rn. 105); BVerfG v. 19. 6. 2012 – 2 BvR 1397/09, NVwZ 2012, 1304 (Rn. 58). 702 Höpfner, Verfassungsrechtliche Grenzen, S. 26. 703 Inzwischen St. Rspr., vgl. nur BVerfG v. 26. 3. 2019 – 1 BvR 673/17, NJW 2019, 1793 (Rn. 64); BVerfG v. 29. 3. 2017 – 2 BvL 6/11, DStR 2017, 1094 (Rn. 98); BVerfG v. 8. 6. 2016 – 1 BvR 3634/13, AP KSchG 1969 § 17 Nr. 49 (Rn. 16); BVerfG v. 17. 12. 2014 – 1 BvL 21/12, NJW 2015, 303 (Rn. 121 f.); BVerfG v. 19. 6. 2012 – 2 BvR 1397/09, NVwZ 2012, 1304 (Rn. 55); BVerfG v. 24. 1. 2012 – 1 BvL 21/11, NVwZ-RR 2012, 257 (Rn. 41); BVerfG v. 12. 10. 2010 – 1 BvL 13/09, NJW 2011, 1793 (Rn. 45); BVerfG v. 21. 7. 2010 – 1 BvR 611/07 u. a., NJW 2010, 2783 (Rn. 80); BVerfG v. 9. 12. 2008 – 2 BvL 1/07 u. a., NJW 2009, 48 (Rn. 56).

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Teil 2: Die Zulässigkeit von tarifvertraglichen Differenzierungsklauseln

Maßnahme im Sinne des Art. 1 III GG handelt, sondern die Tarifvertragsparteien selbst in Ausübung ihrer grundrechtlich verbürgten Tarifautonomie handeln. Eine unreflektierte Übertragung der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zu Art. 3 I GG auf die Gleichbehandlungspflicht der Tarifvertragsparteien ist damit der ständigen Gefahr ausgesetzt, den Autonomiebereich und damit den verfassungsrechtlichen Gewährleistungsbereich der Tarifvertragsparteien unzulässig einzuengen. Darüber hinaus verkäme bei einer solchen Sichtweise die besondere Sachnähe der Tarifvertragsparteien im Bereich des Arbeits- und Wirtschaftslebens bei der Einschätzung der jeweiligen Bedürfnisse und Gerechtigkeitsvorstellungen der beteiligten Kreise zur Makulatur.704 Einer Anwendung der Rechtsprechung des Art. 3 I GG zur Konkretisierung der Gleichbehandlungspflicht im Tarifvertragsrecht muss daher mit der nötigen Vorsicht begegnet werden. Angesichts der Komplexität im Zusammenspiel von Tarifautonomie und einzelfallbezogener Gleichheitskontrolle gehen auch bei den Senaten des BAG die Vorstellungen über den Prüfungsmaßstab auseinander.705 Während die Tarifverträge teilweise nur auf willkürliche Ungleichbehandlungen hin kontrolliert wurden706, griffen andere Senate wiederum auf die Verhältnismäßigkeitsprüfung im Sinne der Neuen Formel zurück.707 Das unklare Verhältnis zwischen Tarifautonomie und Gleichbehandlungskontrolle und damit das Dilemma im Hinblick auf die anzuwendenden Kontrollmaßstäbe spiegelt sich in der Entscheidung vom 15. 4. 2015 ebenfalls wider. Während die Richter auf der einen Seite bei der Kontrolle des Tarifinhalts vor dem Hintergrund des Art. 3 I GG den Verhältnismäßigkeitsmaßstab bei personenbezogenen Ungleichbehandlungen im Sinne der sog. Neuen Formel in Ansatz bringen wollten708, stellten sie andererseits unter Berücksichtigung der Sachnähe der Tarifvertragsparteien fest, dass es genüge, wenn für die getroffene Regelung ein sachlich vertretbarer Grund vorliege.709 Damit unterwarf der 4. Senat die Differenzierungsklausel mit Stichtagsregelung wiederum faktisch einer Kontrolle auf der Grundlage des Willkürverbots. Die fehlende Einheitlichkeit in der Herangehensweise bei Gleichheitsverstößen ist nicht zuletzt aus Gründen der Rechtssicherheit unbefriedigend. Will man im 704 ErfK/I. Schmidt, Art. 3 GG Rn. 26; Fastrich, FS Richardi, S. 127 (138); vgl. auch BAG v. 15. 4. 2015 – 4 AZR 796/13, AP TVG § 3 Nr. 57 (Rn. 32). 705 Zusammenfassend Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 666. 706 BAG v. 30. 8. 2000 – 4 AZR 563/99, AP TVG § 4 Geltungsbereich Nr. 25 [I. 2 g) der Gründe]; bestätigt durch BAG v. 29. 8. 2001 – 4 AZR 352/00, AP GG Art. 3 Nr. 291 [I. 4. a) der Gründe]; BAG v. 29. 11. 2001 – 4 AZR 762/00, AP GG Art. 3 Nr. 296 [II. 5. a) der Gründe]. 707 BAG v. 18. 10. 2000 – 10 AZR 503/99, AP TVG § 1 Tarifverträge: Bau Nr. 235 [II. 1. der Gründe]; BAG v. 27. 2. 2002 – 9 AZR 38/01, EzA § 4 TVG Luftfahrt Nr. 5 [II. 3. b) bb) (1) der Gründe]; BAG v. 27. 5. 2004 – 6 AZR 129/03, AP TVG § 1 Gleichbehandlung Nr. 5 [B. II. 3. c) cc) der Gründe]. 708 BAG v. 15. 4. 2015 – 4 AZR 796/13, AP TVG § 3 Nr. 57 (Rn. 30). 709 BAG v. 15. 4. 2015 – 4 AZR 796/13, AP TVG § 3 Nr. 57 (Rn. 32); ähnlich bereits BAG v. 11. 12. 2013 – 10 AZR 726/12, AP TVG § 1 Tarifverträge: Einzelhandel Nr. 103 (Rn. 14).

B. Differenzierungsklausel mit Stichtag vor Abschluss des Tarifvertrags

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Spannungsfeld von Tarifautonomie und Gleichbehandlung einen überzeugenden Prüfungsmaßstab herausarbeiten, bietet es sich nach den vorangegangenen Erwägungen an, die gangbaren Möglichkeiten nach teleologischen Gesichtspunkten einzugrenzen. Zwingende Voraussetzung ist dabei, dass beide Positionen in das richtige Verhältnis und damit die Bedeutung sowohl der Gleichbehandlungskontrolle als auch der Tarifautonomie für das Tarifwesen in den Mittelpunkt gerückt werden.710 Als faktisches Benachteiligungsverbot soll der Gleichbehandlungsgrundsatz die sachgrundlose Schlechterstellung bestimmter Verbandsmitglieder im Vergleich zu anderen Kollegen verhindern. Die kollektiv-limitierte Legitimation durch alle Verbandsmitglieder gleichermaßen verbietet somit prima vista lediglich eine Ungleichbehandlung zu Lasten einzelner Mitglieder, die nicht durch einen Sachgrund gerechtfertigt werden kann. Eine angemessene Relation zwischen Ungleichbehandlung und Sachgrund im Sinne einer strengen Verhältnismäßigkeitsprüfung wird dabei nicht gefordert. Nicht zu Unrecht billigt die ständige Rechtsprechung den Tarifvertragsparteien auf Grundlage der von Art. 9 III GG geschützten Tarifautonomie einen weiten Gestaltungsspielraum zu, der sich insbesondere in einer Einschätzungsprärogative im Hinblick auf die tatsächlichen Gegebenheiten und die betroffenen Interessen manifestiert.711 Berücksichtigt man vor diesem Hintergrund, dass bei einer graduell strengeren Kontrolle der Tarifinhalte die Gefahr eines unzulässigen Eingriffs in die Tarifautonomie ansteigt, entspricht nur eine Willkürkontrolle mit ihrem gelockerten Prüfungsmaßstab bei allen denkbaren Ungleichbehandlungen den Vorgaben der Verfassung. Dieser Schritt, der für die Tarifvertragsparteien auf den ersten Blick einen – verglichen mit der staatlichen Legislative – bedeutend weiteren Spielraum einräumt und damit auf der anderen Seite eine geringere Kontrolldichte auch bei personenbezogenen Ungleichbehandlungen vermuten lässt, kann sich jedoch auf systemische Gründe stützen: Zwar sind die Verbandsmitglieder der Rechtsetzung durch die Tarifvertragsparteien in vergleichbarer Hinsicht ausgesetzt wie ein Staatsbürger der hoheitlichen Gewalt, doch ist die normative Regelungsbefugnis der Tarifvertragsparteien anders als die staatlichen Gesetzgebung durch die privatautonom begründete Mitgliedschaft legitimiert. Darüber hinaus besteht zumindest in der Theorie eine größere Mitwirkungsoption im Verband und zumindest bis zum Inkrafttreten des neuen Tarifvertrags die Möglichkeit, durch Austritt von der normativen Tarifwirkung verschont zu bleiben.712 Diese Gründe rechtfertigen eine Reduktion des Prüfungsmaßstabs auf eine bloße Willkürkontrolle bei der tarifvertraglichen Normsetzung –

710 Mit einem Rekurs auf den „Funktionssinn des Art. 9 Abs. 3 GG“ ebenfalls Lerche, FS Steindorff, S. 897 (907). 711 BAG v. 15. 4. 2015 – 4 AZR 796/13, AP TVG § 3 Nr. 57 (Rn. 31); BAG v. 15. 1. 2015 – 6 AZR 646/13, AP TVÜ § 12 Nr. 8 (Rn. 32); BAG v. 20. 9. 2012 – 6 AZR 211/11, AP TVöD § 16 Nr. 2 (Rn. 15); BAG v. 25. 1. 2012 – 4 AZR 147/10, AP GG Art. 3 Nr. 324 (Rn. 31); BAG v. 27. 1. 2011 – 6 AZR 578/09, AP TVG § 1 Tarifverträge: Versorgungsbetriebe Nr. 2 (Rn. 37). 712 Vgl. auch Zachert, AuR 2002, 41 (44).

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Teil 2: Die Zulässigkeit von tarifvertraglichen Differenzierungsklauseln

gleichgültig, ob es sich um eine Differenzierung nach personen(gruppen)bezogenen oder sachbezogenen Kriterien handelt. g) Aufgespaltene Regelung materieller Arbeitsbedingungen Während der Untersuchung in Bezug auf den Kontrollmaßstab wurde bislang implizit die Prämisse zugrunde gelegt, dass die unterschiedlichen materiellen Arbeitsbedingungen im jeweils gleichen Tarifvertrag geregelt werden. Die verschiedenen Behandlungsweisen sollten dann auf Grundlage des Gleichbehandlungsgrundsatzes miteinander in ein Verhältnis gesetzt und auf Verstöße gegen das Willkürverbot überprüft werden. Indessen sind auch Konstellationen denkbar, bei denen die Ungleichbehandlung nicht expressis verbis im selben Tarifvertrag niedergeschrieben ist. Das betrifft zunächst die Regelung einer Geltungsbereichsbeschränkung im Tarifvertrag, die die begünstigenden Normen bereits a priori nur zugunsten bestimmter Mitglieder für anwendbar erklärt. In diesem Fall ist fraglich, ob der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht nur die Rechtsnormen im engeren Sinne nach § 1 I TVG, sondern auch bereits die Festlegung des tariflichen Geltungsbereichs überprüfen kann (dazu aa)). Damit verwandt ist die Frage, ob die Reichweite des Gleichbehandlungsgebots auf jeweils einzelne Tarifverträge beschränkt bleibt oder ob die Kontrolle auch andere Regelungswerke in den Blick nehmen darf. Die Entscheidung vom 15. 4. 2015 hat gezeigt, dass für verschiedene Mitgliedergruppen auch jeweils eigenständige Tarifverträge von denselben Normgebern exisiteren können. Demnach muss untersucht werden, ob der Maßstab des Gleichbehandlungsgrundsatzes auch tarifvertragsübergreifend zur Anwendung gelangen kann und damit die Arbeitsbedingungen aus zwei Tarifwerken miteinander verglichen werden dürfen (dazu bb)). aa) Geltungsbereichsbeschränkungen in Tarifverträgen In den 1980er-Jahren haben insbesondere die Entscheidungen zur Ausgliederung der Lektoren aus dem Geltungsbereich des BAT die Frage nach der Justiziabilität von Geltungsbereichsbeschränkung aufgeworfen. Der 4. Senat des BAG hielt hierbei fest, dass die Herausnahme bestimmter Personenkreise aus dem Geltungsbereich von Tarifverträgen keiner Gleichbehandlungskontrolle unterzogen werden kann.713 Den Tarifpartnern sei es aufgrund der verfassungsrechtlich geschützten Koalitionsfreiheit erlaubt, den Geltungsbereich eines Tarifvertrags ohne inhaltliche Schranken festzulegen, mithin also frei zu bestimmten, wer überhaupt und in welchem Umfang von einer tariflichen Regelung erfasst werden soll.714 Erst die materiellen Arbeitsbe713 BAG v. 24. 4. 1985 – 4 AZR 457/83, AP BAT § 3 Nr. 4, nochmals bestätigt in BAG v. 11. 11. 1987 – 4 AZR 339/87, AP BAT § 3 Nr. 5. 714 Vgl. BAG v. 24. 4. 1985 – 4 AZR 457/83, AP BAT § 3 Nr. 4, nochmals bestätigt in BAG v. 11. 11. 1987 – 4 AZR 339/87, AP BAT § 3 Nr. 5; anders dagegen der 6. Senat, BAG 28. 3. 1996 AP BeschFG § 2 Nr. 49; BAG 27. 5. 2004 AP TVG § 1 Gleichbehandlung Nr. 5.

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dingungen, die im Tarifvertrag getroffen werden, seien an den Gleichheitsgeboten zu messen.715 Diese Rechtsprechung gewinnt für den hier interessierenden Fall an Brisanz. Sollten die Tarifpartner bei der Festlegung des Geltungsbereichs tatsächlich nicht an den Gleichbehandlungsgrundsatz gebunden sein, wäre eine Differenzierung anhand der Mitgliedschaft zu einem bestimmten Zeitpunkt über die Umsetzung in einer tariflichen Geltungsbereichsbestimmung ohne Weiteres möglich. Im Gleichlauf hierzu wäre einem wie auch immer gearteten Kontrollmechanismus die normative Grundlage entzogen. Die höchstrichterliche Billigung der Herausnahme bestimmter Arbeitnehmergruppen aus dem Geltungsbereich eines begünstigenden Tarifvertrags, ohne dass sachliche Gründe die Benachteiligung der ausgenommenen Mitglieder rechtfertigen müssten, wurde bereits unmittelbar nach der Entscheidung kritisiert716 und kann auch nach heutigen Maßstäben nicht überzeugen. Das betrifft zum einen die Prämisse, aus der Koalitionsfreiheit ergebe sich das Recht, ohne inhaltliche Grenzen die Reichweite des Tarifvertrags bestimmen zu können. Wenn damit die Existenz eines elementaren Autonomiekerns insinuiert wird, der jeglichem Kontrollzugriff entzogen wird, ist diese Hypothese inzwischen überkommen.717 Die Koalitionsfreiheit steht nicht isoliert im Raum der Grundrechte und kann auch im Fall einer Kollision verschiedener Verfassungsgüter nicht von vornherein den uneingeschränkten Vorrang im Verhältnis zu anderen Grundrechten beanspruchen, ohne dass eine Abwägung der konfligierenden Grundrechtsinteressen stattfindet.718 Sollten zentrale Bereiche der Koalitionsfreiheit betroffen sein, wird sich Art. 9 III GG bei einer Abwägung gegenüber kollidierenden Verfassungsgütern durchsetzen oder zumindest den Kompromiss der praktischen Konkordanz maßgeblich bestimmen und so das gefundene Ergebnis koalitionsspezifisch „einfärben“. Auf diesem Weg können selbst Bereiche, die für die Ausübung dieses Grundrechts zentral erscheinen, von der Verfassung hinreichend geschützt werden, ohne auf die aus dogmatischer Sicht schwer haltbare absolute Vorrangstellung der Koalitionsfreiheit abstellen zu müssen. 715 BAG v. 24. 4. 1985 – 4 AZR 457/83, AP BAT § 3 Nr. 4; zustimmend Bauschke, Anm. I zu AP BAT § 3 Nr. 4. 716 C. Hartmann, Gleichbehandlung, S. 76 ff.; H. Wiedemann/Lembke, Anm. II zu AP BAT § 3 Nr. 4.; vgl. auch Dieterich, RdA 2005, 177 (180 f.). Kritisch zur parallelen Diskussion um § 2 BeschFG 1985 BAG v. 28. 3. 1996 – 6 AZR 501/95, AP BeschFG 1985 § 2 Nr. 49 [II. 2. c) der Gründe]; P. Hanau, NZA 1984, 345 (346); v. Hoyningen-Huene, NJW 1985, 1801 (1803); Schüren/Kirsten, Anm. zu AP BeschFG 1985 § 2 Nr. 6; vgl. dazu auch Löwisch, BB 1985, 1200 (1203); auch die Rechtsprechung der anderen Senate verfährt inhaltlich anders als der 4. Senat, vgl. nur BAG v. 7. 3. 1995 – 3 AZR 282/94, AP BetrAVG § 1 Gleichbehandlung Nr. 26 [B. II. 2. der Gründe]; BAG v. 18. 6. 1997 – 5 AZR 259/96, AP BAT § 3d Nr. 2. 717 In Richtung eines unantastbaren Gewährleistungsgehalts aber noch BVerfG v. 1. 3. 1979 – 1 BvR 532/77 u. a., AP MitbestG § 1 Nr. 1 [C. IV. 1. der Gründe]; ablehnend Löwisch/Rieble, Grundl. TVG Rn. 129: „nebulöse Programmsätze“. 718 BVerfG v. 11. 7. 2017 – 1 BvR 1571/15 u. a., AP GG Art. 9 Nr. 151 (Rn. 141); BVerfG v. 20. 10. 1981 – 1 BvR 404/78, AP TVG § 2 Nr. 31 [B. I. 1. der Gründe]; BVerfG v. 14. 11. 1995 – 1 BvR 601/92, AP GG Art. 9 Nr. 80 [B. I. 3. der Gründe]; ErfK/Linsenmaier, Art. 9 GG Rn. 48 ff.; Henssler, ZfA 1998, 1 (6).

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Teil 2: Die Zulässigkeit von tarifvertraglichen Differenzierungsklauseln

Die Errichtung eines kernbereichsähnlichen Nukleus im Rahmen von Art. 9 III GG ist somit weder vertretbar noch praktisch notwendig.719 Zum anderen erschließt sich die differenzierende Behandlung von einer Geltungsbereichsregelung und „materiellen Arbeitsbedingungen“ nicht. Bei der Entscheidung, welche Personengruppen vom Tarifvertrag erfasst werden sollen, handelt es sich um die „einschneidendste Regelung der ,materiellen Arbeitsbedingungen‘ überhaupt“.720 Warum dann ausgerechnet die greifbarste Erscheinungsform einer Gruppenbildung im Tarifvertrag nicht überprüfbar sein soll, kann der 4. Senat nicht hinreichend erklären. Zudem läge es in der Hand der Tarifvertragsparteien, bereits im Wege einer feingegliederten Geltungsbereichsbestimmung diejenigen Unterscheidungen vorzunehmen, die sie innerhalb einer Tarifregelung wegen des Willkürverbots nicht treffen können. Die Ungleichbehandlung ließe sich so in den vortatbestandlichen Raum ausgliedern und könnte damit dem Rechtfertigungszwang ausweichen.721 Allein aus diesem Grund kann es nicht entscheidend darauf ankommen, ob eine Tarifregelung als Geltungsbereichsbestimmung oder als „materielle Arbeitsbedingung“ qualifiziert wird. Die Unterscheidung zwischen einer Geltungsbereichsbestimmung und der Regelung materieller Arbeitsbedingungen in Tarifverträgen ist somit nicht nur aus terminologischer Sicht unergiebig, sondern aufgrund der gebotenen einheitlichen Kontrolle sogar obsolet. Sowohl die Auswahl des Geltungsbereichs als auch die spätere Ausgestaltung einzelner Tarifregelungen haben sich vor dem Gleichbehandlungsgrundsatz zu verantworten.722 Diese Überprüfung kann nicht durch eine Beschränkung des tariflichen Geltungsbereichs umgangen werden. bb) Tarifvertragsübergreifende Gleichbehandlungskontrolle Die zwingende Kontrolle von tariflichen Geltungsbereichsbestimmungen anhand des Gleichbehandlungsgrundsatzes muss allerdings dann kritisch hinterfragt werden, wenn die Tarifvertragsparteien für die ausgenommene Personengruppe einen separaten Tarifvertrag abgeschlossen haben. Da dort ein eigenständiges Schutzkonzept verwirklicht wird, erscheint die Herausnahme bestimmter Mitglieder aus dem anderen Tarifvertrag nun angesichts der eigens für diese Gruppe geschaffenen Regelungen nicht mehr so schwerwiegend. Lässt man in dieser Konstellation jedoch nunmehr im Sinne der Lektoren-Entscheidungen eine kontrollfreie Beschränkung des Geltungsbereichs – beispielsweise anhand von tariflichen Stichtagsregelungen – zu, wäre diese Möglichkeit wiederum anfällig für Missbrauch durch die Tarifvertragsparteien. Es bestünde die Gefahr, einen einheitlichen Regelungstatbestand 719 In diese Richtung dann wiederum die Entscheidung zur Herausnahme der Lektoren aus dem Geltungsbereich eines Tarifvertrags BAG v. 27. 5. 2004 – 6 AZR 129/03, AP TVG § 1 Gleichbehandlung Nr. 5 [B. II. 3. b) und c) der Gründe]. 720 C. Hartmann, Gleichbehandlung, S. 77; in der Sache ebenso: H. Wiedemann/Lembke, Anm. II zu AP BAT § 3 Nr. 4. 721 H. Wiedemann/Lembke, Anm. II zu AP BAT § 3 Nr. 4. 722 C. Hartmann, Gleichbehandlung, S. 76; wohl auch Dieterich, RdA 2005, 177 (181).

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künstlich in zwei Tarifverträge aufzuspalten, um eine Differenzierung nach bestimmten Eigenschaften im Mitgliederbestand kontrollfrei durchführen zu können. Zwar wurde bereits im BAG-Urteil vom 15. 4. 2015 angedeutet, dass es den Tarifvertragsparteien grundsätzlich frei steht, einen eigentlich zusammenhängenden, einheitlichen Sachverhalt durch zwei verschiedene Tarifverträge mit unterschiedlichen persönlichen Geltungsbereichen getrennt zu regeln.723 Diese redaktionelle Maßnahme darf allerdings nicht dazu führen, dass der über den Gleichbehandlungsgrundsatz vermittelte Mitgliederschutz durch eine geschickte Ausgestaltung des Geltungsbereichs umgangen werden kann. Sind die beiden Tarifverträge als inhaltlich einheitliche Regelung eines bestimmten Sachverhalts anzusehen, verbietet sich deshalb eine isolierte Beurteilung der jeweiligen Tarifverträge. Der Gleichbehandlungsgrundsatz muss in diesem Fall tarifvertragsübergreifend Anwendung finden.724 Legt man diese Prämisse beispielsweise dem Sachverhalt der Entscheidung vom 15. 4. 2015 zugrunde, können daher weder der TS-TV noch der ETS-TV im Hinblick auf den Gleichbehandlungsgrundsatz getrennt voneinander bewertet werden.725 Da beide Tarifverträge denselben Sachverhalt für unterschiedliche Personengruppen regeln, ist die Frage, ob eine rechtfertigungsbedürftige Ungleichbehandlung bestimmter Mitglieder vorliegt, auf Grundlage einer einheitlichen, tarifvertragsübergreifenden Betrachtungsweise zu beurteilen. cc) Zwischenergebnis Tarifliche Geltungsbereichsbestimmungen unterliegen wie alle anderen Regelungen des Tarifvertrags auch der vollen Kontrolle anhand des tariflichen Gleichbehandlungsgrundsatzes. Selbst wenn für die ausgenommenen Mitglieder in einem separaten Tarifvertrag ein eigenes Konzept verwirklicht wurde, darf dies nicht zu kontrollfreien Räumen führen. Um Schutzlücken zu vermeiden und Umgehungsversuchen durch die Tarifvertragsparteien entgegenzuwirken, kommt in diesem Fall eine tarifvertragsübergreifende Gleichbehandlungskontrolle zur Anwendung. h) Willkürverbot auch bei schuldrechtlichen Vereinbarungen der Tarifvertragsparteien Nach den bisherigen Ausführungen steht damit fest, dass den Tarifvertragsparteien für eine sachgrundlose Differenzierung innerhalb der jeweiligen Mitglieder die normative Regelungsmacht fehlt. Anders als eine unmittelbare Anwendung von Art. 3 I GG oder der Rekurs auf die Schutzpflichtenlehre kann der hier gewählte Ansatz jedoch nicht ohne Weiteres erklären, weshalb die Tarifvertragsparteien auch 723

Vgl. BAG v. 15. 4. 2015 – 4 AZR 796/13, AP TVG § 3 Nr. 57 (Rn. 26 ff.). So auch BAG v. 17. 10. 1995 – 3 AZR 882/94 [II. 2. b) der Gründe] mit Rekurs auf EuGH v. 27. 10. 1993 – C-127/92 (Pamela Enderby), Rn. 22; ErfK/I. Schmidt, Art. 3 GG Rn. 27. 725 Ebenso Greiner, NZA 2016, 10 (15), der allerdings zu weitgehend von einem „Trick zur Gesetzesumgehung“ spricht; ähnlich ders., FS H. J. Willemsen, S. 159 (162). 724

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bei schuldrechtlichen Abreden untereinander an den Gleichbehandlungsgrundsatz gebunden sein sollen und somit willkürliche Schlechterstellungen von bestimmten Verbandsmitgliedern auf individualvertraglicher Ebene zu unterlassen haben. Als rechtsfähige Personen können Arbeitgeber(verband) und Gewerkschaft wie andere Private auch Vereinbarungen treffen, die mangels Normativität nicht unmittelbar und zwingend auf die Arbeitsverhältnisse der Verbandsangehörigen einwirken, sondern gleichsam nur Pflichten im bilateralen Verhältnis der Tarifvertragsparteien zueinander begründen.726 Korrekturbedürftige willkürliche Schlechterstellungen können dabei wegen des Verbots eines Vertrags zu Lasten Dritter bei schuldrechtlichen Abreden nur in Form eines sachgrundlosen Ausschlusses von einer Begünstigung vorkommen, die andere, vergleichbare Gewerkschaftsmitglieder vom Arbeitgeber erhalten sollen.727 Diese vermeintliche Schutzlücke für Differenzierungen auf schuldrechtlicher Ebene droht die Praktikabilität des hier gewählten Modells nachhaltig zu erschüttern. Es liegt nicht fern, dass die Tarifvertragsparteien im Fall einer unzulässigen normativen Tarifvorschrift auf die schuldrechtliche Ebene ausweichen und sich dort zur Durchsetzung einer willkürlichen Schlechterbehandlung von bestimmten Verbandsangehörigen verpflichten. aa) Keine materielle Kongruenz von normativer und schuldrechtlicher Regelungsbefugnis Um dieses Spannungsfeld aufzulösen versuchen zahlreiche Autoren, die normative und schuldrechtliche Regelungsbefugnis der Tarifvertragsparteien miteinander zu synchronisieren.728 Bereits in den 1960er-Jahren ist insbesondere im Zuge der Debatte um die Außenseiterwirkung von Differenzierungsklauseln der Gedanke aufgekommen, dass sowohl die normativen als auch schuldrechtlichen Regelungsbefugnisse zur Vorbeugung von Umgehungsversuchen gleich weit reichen müssten.729 In anderem Zusammenhang wurde etwas später vorgebracht, dass eine funktionale Einheit zwischen beiden Ebenen bestehe, weswegen die Grenzen des normativen Teils auch auf schuldrechtliche Koalitionsverträge zu übertragen seien.730 Zu einem ähnlichen Ergebnis gelangt auch eine Monografie aus jüngerer 726

Grundlegend hierzu Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 1134 ff.; Höpfner, RdA 2020, 129 ff. Vgl. BAG v. 14. 12. 1993 – 1 AZR 550/93, AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 129 [I. 4. a) der Gründe]; JKOS/Krause, § 4 Rn. 160. 728 So etwa Beuthien, ZfA 1983. 141 (159 ff.); Giesen, Grenzen schuldrechtlicher Vereinbarungsmacht, S. 65 ff.; Hertenstein, Die schuldrechtliche Regelungsbefugnis, S. 135 ff.; A. Hueck/Nipperdey, Band II/1, S. 167 f.; Mayer-Maly, BB 1965, 829 (833); ders., BB 1966, 1067 (1069); Richardi, Kollektivgewalt und Individualwille, S. 197 ff. 729 Mayer-Maly, BB 1965, 829 (833); ders., BB 1966, 1067 (1069); Richardi, Kollektivgewalt und Individualwille, S. 197 ff.; a. A. jedoch Clausen, Der schuldrechtliche Teil, S. 36 ff.; Gamillscheg, BB 1967, 45 (52); Musa, BB 1962, 82 (85 f.); wohl auch Zöllner, Tarifvertragliche Differenzierungsklauseln, S. 39 ff.; explizit offengelassen in BAG v. 29. 11. 1967 – GS 1/67, BAGE 20, 175 (194 ff.). 730 Beuthien, ZfA 1983, 141 (159 ff.). 727

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Vergangenheit.731 Sie spricht den Gewerkschaften neben der Tarifautonomie als besonderer Form der kollektiv ausgeübten Privatautonomie bei Verhandlungen mit dem Arbeitgeber(verband) jedwede eigene Privatautonomie ab und beschränkt die schuldrechtliche Regelungsbefugnis damit faktisch auf Vertragsgegenstände, die unter den Schutz des Art. 9 III GG fallen.732 Sämtliche Erklärungsvarianten hätten in der konkreten Situation zur Folge, dass willkürliche Schlechterbehandlungen, für die den Tarifvertragsparteien die normative Regelungsbefugnis fehlt, auch auf schuldrechtlichem Weg nicht in zulässiger Weise vereinbart werden könnten. Die Idee einer materiellen Kongruenz zwischen normativer und schuldrechtlicher Regelungsbefugnis kann jedoch aus mehreren Gründen nicht überzeugen.733 Zum einen regelt der Gesetzgeber mit den Voraussetzungen und Rechtswirkungen eines Normenvertrags im TVG nur ein besonderes Instrumentarium, das den Tarifvertragsparteien zur Verfügung steht.734 Es lässt allerdings an keiner Stelle die Annahme zu, dass sämtliche Abreden zwischen den Tarifvertragsparteien zwingend diesen Vorgaben entsprechen müssen. Das TVG enthält damit lediglich selektive Bestimmungen für eine bestimmte Vertragsform, erhebt jedoch umgekehrt nicht den Anspruch auf Exklusivität und schränkt somit die Reichweite zulässiger schuldrechtlichen Vereinbarungen nicht ein. Darüber hinaus verkennt der Ansatz einer materiellen Kongruenz das Zusammenspiel von Art. 2 I GG und Art. 9 III GG. Eine Verdrängung des regelmäßig subsidiären Grundrechts durch die speziellere Koalitionsfreiheit735 findet nur dann statt, wenn Art. 9 III GG das fragliche Verhalten auch tatsächlich schützt.736 Liegt ein bestimmtes Verhalten jenseits des Schutzbereichs des speziellen Freiheitsrechts, kann Art. 2 I GG in diesem jenseitigen Raum zur Anwendung gelangen.737 Die Koalitionsfreiheit will den Akteuren auf dem Arbeitsmarkt zusätzliche Gestaltungsmittel an die Hand geben, nicht jedoch die allgemeinen Rechte verkürzen.738 Anderenfalls wäre es wenig nachvollziehbar, weshalb tarifunfähige Verbände oder Idealvereine mit dem Unternehmen beispielsweise Vereinbarungen im Hinblick auf den Umweltschutz treffen können, tariffähige Ge731

Hertenstein, DIe schuldrechtliche Regelungsbefugnis, passim. Hertenstein, DIe schuldrechtliche Regelungsbefugnis, S. 135 f.; ähnlich auch Giesen, Grenzen schuldrechtlicher Vereinbarungsmacht, S. 65 ff. 733 So auch ErfK/Franzen, § 1 TVG Rn. 80; Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 1283 f.; Wiedemann/Thüsing, § 1 TVG Rn. 930 f.; A. Beck, Der Sanierungstarifvertrag, S. 160 f.; Creutzfeld, JbArbR 52 (2015), 25 (47); Gamillscheg, Band I, S. 627; Lasson, Kollektivrechtliche Investitionsvereinbarungen, S. 46 ff. 734 Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 1284. 735 Jarass/Pieroth/Jarass, Art. 9 GG Rn. 32; MK/Winkler, Art. 9 GG Rn. 205. 736 Vgl. BVerfG v. 30. 11. 1965 – 2 BvR 54/62, NJW 1966, 491 [B. I. 2. c) der Gründe]; MK/ Kunig/Kämmerer, Art. 2 GG Rn. 156. 737 Dreier/Dreier, Art. 2 I GG Rn. 98; Jarass/Pieroth/Jarass, Art. 2 GG Rn. 2; MD/Di Fabio, Art. 2 GG Rn. 27 (94. EL Januar 2021); Sachs/Rixen, Art. 2 GG Rn. 137; Schmidt-Bleibtreu/ Hofmann/Henneke/Krieger, Art. 2 GG Rn. 79 f. 738 Höpfner, RdA 2020, 129 (137). 732

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Teil 2: Die Zulässigkeit von tarifvertraglichen Differenzierungsklauseln

werkschaften hingegen von dieser Möglichkeit ausgeschlossen wären.739 Zudem bliebe die Frage unbeantwortet, warum sich der Arbeitgeber gegenüber jedermann zu grundsätzlich allem verpflichten kann, nur nicht gegenüber einer Gewerkschaft.740 Die Reichweite der schuldrechtlichen Regelungsbefugnis hängt deshalb nicht entscheidend von der normativen Regelungsbefugnis ab. Jeder Versuch, die auf schuldrechtlicher Ebene entstandene Schutzlücke bei willkürlichen Differenzierungen durch eine verpflichtende materielle Kongruenz zu schließen, ist angesichts dieser Erkenntnisse zum Scheitern verurteilt. bb) Punktuelle Suspendierung der Angemessenheitsvermutung bei willkürlichen Differenzierungen Möglicherweise lässt sich jedoch der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz als Schranke gegenüber der willkürlichen Schlechterbehandlung verschiedener Gewerkschaftsmitglieder bei schuldrechtlichen Koalitionsvereinbarungen in Ansatz bringen. Wie bereits an früherer Stelle erörtert, wird dem Arbeitgeber über dieses Instrumentarium verboten, bestimmte Arbeitnehmer bei Maßnahmen mit kollektivem Bezug sachgrundlos schlechter zu stellen.741 Wenn er aus diesem Grund keine willkürlichen Differenzierungen in den Einzelarbeitsverhältnissen durchführen darf, dann ist eine entsprechende Verpflichtung gegenüber der Gewerkschaft jedenfalls subjektiv nicht erfüllbar und scheitert wegen rechtlicher Unmöglichkeit an § 275 I BGB.742 Ähnliches gilt auch für schuldrechtliche Abreden zwischen dem Arbeitgeberverband und der Gewerkschaft. Zwar ist der Verband nicht unmittelbar an den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz gebunden, allerdings kann er sich ebenfalls nicht wirksam zur Einwirkung auf die beim ihm angeschlossenen Arbeitgeber verpflichten, wenn deren Verhalten einen rechtlich unzulässigen Erfolg herbeiführen würde. Auch in diesem Fall würde bei einer willkürlichen Schlechterstellung wegen § 275 I BGB Unmöglichkeit eintreten. In beiden Konstellationen wurde jedoch bislang unausgesprochen vorausgesetzt, dass der jeweilige Arbeitgeber bei schuldrechtlichen Verträgen mit der Gewerkschaft tatsächlich an den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz gebunden ist und deshalb die vereinbarte Differenzierung aus Rechtsgründen nicht herbeiführen darf. Diese Prämisse muss sich indes erst als zutreffend erweisen. Das BAG hat jedoch der Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes auf schuldrechtliche Verträge tariffähiger Koalitionen im viel beachteten „Opel-Fall“ eine deutliche Absage erteilt: 739 Beispiel bei Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 1284; A. Beck, Der Sanierungstarifvertrag, S. 160. 740 A. Beck, Der Sanierungstarifvertrag, S. 160; Lasson, Kollektivrechtliche Investitionsvereinbarungen, S. 48. 741 Siehe oben, Teil 2 B. III. 7. e) ee) (3). 742 Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 1352; zur Fallgruppe der „rechtlichen Unmöglichkeit“ im Allgemeinen BGH v. 21. 1. 2010 – Xa ZR 175/07, NZG 2010, 310 (Rn. 23); BeckOGK BGB/ Riehm, § 275 BGB Rn. 146 ff. (Stand: 1. 4. 2021); MüKo BGB/Ernst, § 275 BGB Rn. 41 ff.

B. Differenzierungsklausel mit Stichtag vor Abschluss des Tarifvertrags

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„Die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Beachtung des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes besteht […] nicht bei jeder Form privatautonomen Handelns. Werden Rechte und Pflichten für ein Arbeitsverhältnis zwar privatautonom, aber unter den Bedingungen eines strukturellen Gleichgewichts vereinbart, bleibt der Anwendungsbereich des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes verschlossen.“743 „Der Grund, warum Tarifvereinbarungen einer Kontrolle durch den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz entzogen werden, ist nicht deren zwingende, unmittelbare Geltung, sondern die grundsätzliche Angemessenheitsvermutung […], die nicht nur für Tarifverträge, sondern auch für andere Vereinbarungen zwischen Tarifvertragsparteien in gleicher Weise gilt. Insoweit kommt es nicht auf die normative Wirkung von Tarifverträgen an.“744

Für die oben erwogene Begründung eines Willkürverbots bei schuldrechtlichen Vereinbarungen erweist sich diese Rechtsprechung als herber Rückschlag. Allerdings vermag die Argumentation des BAG aus dem „Opel-Fall“ in der dort beschriebenen Pauschalität nicht zu überzeugen.745 Sie geht von einer universal einsetzbaren Angemessenheitsvermutung746 bei Vereinbarungen zwischen tariffähigen Koalitionen aus, die mit diesem absoluten, ja uneingeschränkten Charakter zu weit reicht und deshalb nicht geteilt werden kann. Selbst wenn man die Angemessenheit koalitionärer Vereinbarungen im Hinblick auf die betroffenen Arbeitnehmer als tarifrechtliches Spezifikum nicht grundsätzlich anzweifeln möchte747, sind der persönlichen und sachlichen Reichweite dieser Vermutung Grenzen gesetzt, die bereits im privatautonomen Verständnis von Tarifautonomie ihren Ursprung haben. Der Gedanke der Angemessenheitsvermutung basiert zentral auf der antagonistischen Machtbildung auf Arbeitnehmerseite, mit der die Verbandsmitglieder dem im Individualarbeitsverhältnis typischerweise überlegenen Arbeitgeber als Kollektiv gegenübertreten und in der Gewerkschaft einen Zusammenschluss bilden, der mit dem Arbeitgeber „auf Augenhöhe“ verhandeln kann.748 Die Arbeitnehmerkoalition 743 BAG v. 21. 5. 2014 – 4 AZR 50/13, AP BGB § 242 Gleichbehandlung Nr. 220 (Rn. 28); nochmals bestätigt in BAG v. 15. 4. 2015 – 4 AZR 796/13, AP TVG § 3 Nr. 57 (Rn. 55). 744 BAG v. 21. 5. 2014 – 4 AZR 50/13, AP BGB § 242 Gleichbehandlung Nr. 220 (Rn. 33). 745 Ebenso Giesen, Anm. zu AP BGB § 242 Gleichbehandlung Nr. 220 (2. c.); im Sinne des BAG allerdings Berg/Kocher/Schumann/Dierßen, § 3 TVG Rn. 244a; Creutzfeld, JbArbR 52 (2015), 25 (45 ff.); wohl auch Bauer, ArbRAktuell 2015, 20. 746 Die Begriffe „Angemessenheitsvermutung“ und „Richtigkeitsvermutung“ werden im Rahmen dieser Untersuchung synonym verwendet; grundlegend hierzu Schmidt-Rimpler, AcP 147 (1941), 130 (150 ff.), allerdings zu privatrechtlichen Regelungen im Allgemeinen ohne besonderen Bezug zum Tarifrecht. 747 Kritisch insbes. Berg/Kocher/Schumann/Heilmann, § 1 TVG Rn. 5 unter Rekurs auf veränderte „Paritätsszenarien“ (dies./Berg, Grundl. TVG Rn. 159 ff.); ferner Däubler/Nebe, § 1 TVG Rn. 153 ff.; Löwisch/Rieble, Grundl. TVG Rn. 232 ff.; Ingelfinger, Arbeitsplatzgestaltung, S. 174 ff.; Krämer, Richtigkeitsgewähr, S. 112 ff. 748 Grundsätzlich hierzu BAG v. 21. 5. 2014 – 4 AZR 50/13, AP BGB § 242 Gleichbehandlung Nr. 220 (Rn. 29); BAG v. 19. 6. 2007 – 1 AZR 396/06, AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 173 (Rn. 20); BAG v. 7. 6. 2006 – 4 AZR 316/05, AP BGB § 611 Hausmeister Nr. 15 (Rn. 30); zum verfassungsrechtlichen Hintergrund dieser Verhandlungsparität BVerfG v. 4. 7.

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als tariffähiger Vertragspartner schöpft ihr Potenzial ihrerseits wiederum aus den gebündelten Erklärungen der Mitglieder, die „im Vertrauen auf die Sachgerechtigkeit der Interessenvertretung, die Verhandlungsstärke des Verbands und die Richtigkeitsgewähr des kollektiven Vertragsmechanismus“749 beigetreten sind. Damit wird deutlich, dass der legitimierende Beitrittsakt der Mitglieder gleichsam Grund und Grenze für die Angemessenheitsvermutung koalitionärer Vereinbarungen darstellt.750 Mit dieser Maßgabe lässt sich die Reichweite der Angemessenheitsvermutung vergleichsweise einfach bestimmen. In persönlicher Hinsicht kann die Vermutung allein schon deshalb gegenüber Außenseitern keine entsprechende Wirkung entfalten.751 Diese Arbeitnehmer wollten dem System paritätischen Aushandelns der Arbeitsbedingungen fernbleiben und haben damit nicht zur Gegenmachtbildung auf Gewerkschaftsseite beigetragen. Insbesondere wenn man die Arbeitnehmerkoalition zutreffenderweise als Zusammenschluss versteht, der nicht ein wie auch immer geartetes „gemeinsames Interesse aller Arbeitnehmer“, sondern nur das subjektive Sonderinteresse seiner Angehörigen vertritt,752 fehlt für die Erstreckung der Angemessenheitsvermutung aus den normativen und schuldrechtlichen Vereinbarungen über den Kreis der tarifgebundenen Verbandsangehörigen hinaus das vermittelnde legitimatorische Element. Aber auch inhaltlich lässt sich die Leistungsfähigkeit der Angemessenheitsvermutung über den Legitimationsaspekt definieren. Werden die Tarifvertragsparteien von den Mitgliedern nur zu willkürfreien Unterscheidungen zwischen den Gewerkschaftsangehörigen ermächtigt753, überschreitet jede sachgrundlose Differenzierung die Grenzen, innerhalb derer die Mitglieder zur Gegenmachtbildung bereit waren. Wie bereits gesehen ist die normative Regelung einer solchen Ungleichbehandlung nicht möglich. Mangels einer Synchronisation zwischen normativer und schuldrechtlicher Regelungsbefugnis könnte eine willkürliche Schlechterstellung damit zwar Ge1995 – 1 BvF 2/86 u. a., NJW 1996, 185 [C. I. 1. c) der Gründe]; BVerfG v. 26. 6. 1991 – 1 BvR 779/85, AP GG Arbeitskampf Nr. 117 [C I. 3. b) aa) der Gründe]. 749 ErfK/I. Schmidt, Einl. GG Rn. 46. 750 Vgl. BAG v. 21. 11. 2012 – 4 AZR 27/11, AP TVG § 3 Verbandsaustritt Nr. 16 (Rn. 14): „Gleichlauf von Verantwortung und Betroffenheit“; siehe auch Wiedemann/Jacobs, Einl. TVG Rn. 107. 751 Löwisch/Rieble, Grundl. TVG Rn. 179; Bayreuther, RdA 2003, 81 (83 ff.); Giesen, Anm. zu AP BGB § 242 Gleichbehandlung Nr. 220 (2. c.); Krämer, Richtigkeitsgewähr, S. 164 ff.; Reuter, ZfA 1978, 1 (21 ff.); Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn. 811; in diese Richtung auch Preis/Greiner, Kollektivarbeitsrecht, Rn. 182; a. A. aber wohl BVerfG v. 14. 11. 2018 – 1 BvR 1278/16 (Rn. 8): „Es liegt nicht nahe, generell davon auszugehen, dass den Grundrechtspositionen von „Außenseitern“ bei tarifvertraglichen Differernzierungen nicht Rechnung getragen würde.“ Zur Angemessenheitsvermutung gegenüber Außenseitern bei Differenzierungsklauseln als besonderer Tarifinahlt siehe unten, Teil 2 B. V. 4. b). 752 H. Hanau, RdA 1996, 158 (165); Reuter, ZfA 1978, 1 (23); Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn. 811; ähnlich auch F. Hartmann, Negative Tarifvertragsfreiheit, S. 170: Tarifvertragsparteien als „falsi procuratores“ der Außenseiter. Zur Stellung der Gewerkschaften als Interessenverband siehe oben, Teil 2 B. II. 2. a) bb) (1). 753 Siehe oben, Teil 2 B. III. 7. e) ee).

B. Differenzierungsklausel mit Stichtag vor Abschluss des Tarifvertrags

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genstand einer schuldrechtlichen Vereinbarung der Tarifvertragsparteien werden. Sie läge jedoch außerhalb des Bereichs, der von den Mitgliedern durch den Beitritt legitimiert wurde und partizipiert somit im Hinblick auf den jeweiligen Vertragsinhalt selbst bei tariffähigen Koalitionen nicht an der Angemessenheitsvermutung. In schuldrechtlichen Vereinbarungen kann die Vermutung angesichts ihrer Kopplung an die Reichweite der mitgliedschaftlichen Legitimation nicht weiter gehen als die normative Rechtsetzungsbefugnis der Tarifvertragsparteien. Dieser Mechanismus trägt auch dem Umstand Rechnung, dass anderenfalls dem Missbrauch schuldrechtlicher Vereinbarungsmacht durch die Mitgliedermehrheit in der Gewerkschaft zu Lasten der Minderheit Tür und Tor geöffnet wäre.754 Regelungen, die auf normativer Ebene nicht zulässigerweise getroffen werden dürfen, könnten ohne normatives Korrektiv vollständig in den schuldrechtlichen Bereich verlagert werden. Missliebige Minderheiten innerhalb der Gewerkschaft, beispielsweise Arbeitnehmer, die sich die Mitgliedschaft im Klageweg erstritten haben, würden dann in schuldrechtlichen Abreden ohne justiziable Beanstandung dem Risiko ausgesetzt sein, willkürlich schlechter als ihre Verbandskollegen behandelt zu werden, sodass der grundrechtlicher Anspruch auf gewerkschaftliche Vertretung755 faktisch wertlos wäre. Da sachgrundlose Differenzierungen zwischen den Gewerkschaftsmitgliedern jedoch auf normativer Ebene nicht mehr von der mitgliedschaftlichen Legitimation gedeckt sind, streitet für sie auch auf schuldrechtlicher Ebene keine Angemessenheitsvermutung. Damit steht dem Einsatz des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz in diesem Bereich nichts mehr entgegnen. Verpflichtet sich ein Arbeitgeber gegenüber der Gewerkschaft zu einer solchen willkürlichen Schlechterbehandlung, ist die Erfüllung dieses Versprechens gemäß § 275 I BGB rechtlich unmöglich und damit nicht einklagbar. De facto führt dieser Umstand zu einer Harmonisierung der Prüfungsmaßstäbe. Während die Tarifvertragsparteien auf normativer Ebene an den tarifvertraglichen Gleichbehandlungsgrundsatz gegenüber den normunterworfenen Gewerkschaftsmitgliedern gebunden sind, der willkürliche Behandlungen ausschließt, gilt bei schuldrechtlichen Vereinbarungen zwischen dem Arbeitgeber bzw. seinem Verband und der Gewerkschaft der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz. Beide verfolgen einheitlich das Ziel, willkürliche Schlechterbehandlungen von Gewerkschaftsmitgliedern durch die Tarifvertragsparteien zu vermeiden. i) Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen den tarifvertraglichen Gleichbehandlungsgrundsatz Eine Tarifnorm, die gegen den tarifvertraglichen Gleichbehandlungsgrundsatz verstößt, überschreitet die Grenzen der mitgliedschaftlichen Legitimation und ist 754

In diese Richtung auch Däubler/Ulber, Einl. TVG Rn. 265. Siehe dazu BGH v. 10. 12. 1984 – II ZR 91/84, NJW 1985, 1216; BGH v. 1. 10. 1984 – II ZR 292/83, NJW 1985, 1214; Gamillscheg, Band I, S. 446 ff.; Löwisch/Rieble, § 3 TVG Rn. 110 ff. 755

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Teil 2: Die Zulässigkeit von tarifvertraglichen Differenzierungsklauseln

damit in ihrer konkreten Form gegenüber den Verbandsangehörigen unwirksam.756 Näher zu erörtern ist indes, auf welchem Weg die rechtswidrige Ungleichbehandlung zu beseitigen ist. Im Rahmen des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes befürwortet die Rechtsprechung die Ersetzung des gleichbehandlungswidrigen Kriteriums durch ein gleichbehandlungskonformes Merkmal.757 Das führt regelmäßig zu einer „Anpassung nach oben“, bei der das Niveau des schlechter gestellten Arbeitnehmers an dasjenige der Bessergestellten angeglichen wird.758 Eine pauschale Anwendung dieses Grundsatzes auf gleichbehandlungswidrige Tarifregelungen muss jedoch kritisch hinterfragt werden. Es droht in diesem Fall die Gefahr, eigene Gerechtigkeitsvorstellung an die Stelle des tatsächlichen oder hypothetischen Willens der Tarifvertragsparteien zu setzen und damit bei der ergänzenden Auslegung des Tarifwerks übermäßig zu intervenieren.759 Bei unbewussten Regelungslücken, die als Folge einer unwirksamen Tarifregelung erst nachträglich auftreten, verlangt die ständige Rechtsprechung daher „eindeutige Hinweise darauf […], wie die Tarifvertragsparteien nach ihrem mutmaßlichen Willen die nicht berücksichtigte Fallkonstellation geregelt hätten, wenn sie die Lückenhaftigkeit erkannt hätten.“760 Nach dieser Formel darf das Gericht lediglich dann, wenn die „Anpassung nach oben“ die einzige Möglichkeit zur Beseitigung der rechtswidrigen Ungleichbehandlung ist, aus eigenem Antrieb eine Angleichung an das Niveau der besser gestellten Verbandsmitglieder vornehmen.761 Steht ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz fest, muss also zunächst erforscht werden, ob eine Angleichung an das Niveau der Bessergestellten durch die Streichung des differenzierenden Kriteriums vom Willen der Tarifvertragsparteien umfasst ist. Nur wenn in dieser Konstellation eine „Angleichung nach oben“ die einzige Möglichkeit zur Auflösung des Konflikts ist, kommt dem Gericht die Kompetenz zur eigenständigen Lückenfüllung zu. Besteht indessen ein Spielraum zur Lückenschließung oder ist der Wille der Koalitionen nicht eindeutig zu ermitteln, muss die Neuregelung allein den Tarifvertragsparteien überlassen bleiben.762 756

Vgl. Preis/Greiner, Kollektivarbeitsrechts, Rn. 968; für den Bereich des Art. 3 I GG auch ErfK/I. Schmidt, Art. 3 GG Rn. 26. 757 BAG v. 21. 5. 2014 – 4 AZR 50/13, AP BGB § 242 Gleichbehandlung Nr. 220 (Rn. 23). 758 BAG v. 6. 7. 2011 – 4 AZR 596/09, AP BGB § 242 Gleichbehandlung Nr. 214 (Rn. 23); BeckOGK BGB/Maties, § 611a BGB Rn. 1543 (Stand: 1. 8. 2021); HWK/Thüsing, § 611a BGB Rn. 364; Fuhlrott, ArbRAktuell 2015, 141 (143). 759 Vgl. auch C. Hartmann, Gleichbehandlung, S. 114 ff.; Preis/Greiner, Kollektivarbeitsrechts, Rn. 968. 760 Siehe nur BAG v. 16. 12. 2010 – 6 AZR 423/09, AP KSchG 1969 § 1a Nr. 10 (Rn. 16); BAG v. 24. 9. 2008 – 4 AZR 642/07, AP TVG § 1 Nr. 57 (Rn. 25); vgl. auch BAG v. 18. 3. 2010 – 6 AZR 434/07, AP GG Art. 3 Nr. 321 (Rn. 57); Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 1737; C. Hartmann, Gleichbehandlung, S. 160 f. 761 C. Hartmann, Gleichbehandlung, S. 165. 762 BAG v. 18. 11. 2015 – 4 ABR 24/14, AP TVG § 1 Tarifverträge: DRK Nr. 27 (Rn. 36); BAG v. 12. 12. 2013 – 8 AZR 941/12, AP TVG § 1 Tarifverträge: Banken Nr. 15 (Rn. 19); BAG v. 16. 12. 2010 – 6 AZR 423/09, AP KSchG 1969 § 1a Nr. 10 (Rn. 16); ErfK/Franzen, § 1 TVG Rn. 103, Preis/Greiner, Kollektivarbeitsrecht, Rn. 969.

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j) Zwischenergebnis: Bindung an den Gleichbehandlungsgrundsatz mit Willkürprüfung bei tariflichen Differenzierungen unter den tarifgebundenen Arbeitnehmern Die Tarifvertragsparteien sind bei der Normsetzung weder auf unmittelbare Weise noch durch die Schutzfunktion der Grundrechte oder wegen einer „spezifischen Konstellation“ aus der Stadionverbots-Entscheidung des BVerfG an Art. 3 I GG gebunden. Die fehlende Bindung an dieses Grundrecht darf jedoch nicht als Freibrief zugunsten der Tarifvertragsparteien missverstanden werden, der Differenzierungen in beliebigem Umfang zwischen den Mitgliedern erlaubt. Aufgrund der multiplen, gleichmäßigen Legitimation ihrer Normsetzungsbefugnis durch den Unterwerfungsakt aller Mitglieder wird eine kollektive Dimension geschaffen, die der Ausgangssituation für die Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes im Arbeitsrecht sehr ähnelt. Auch im Tarifvertragsrecht muss daher die Regel gelten, dass ein kollektiver privatautonomer Normunterwerfungsakt nicht zu einer willkürlichen Ausübung der über-individuellen Gestaltungsmacht zu Lasten bestimmter Verbandsmitglieder führen darf. Die Tarifvertragsparteien sind damit durch die kollektiv-beschränkte Legitimation verpflichtet, sachgrundlose Differenzierungen zwischen den Gewerkschaftsmitgliedern zu unterlassen. Auf diese Weise gelten für sie bei Fragen der Gleichbehandlung jenseits der eigens kodifizierten Diskriminierungsverbote diejenigen Schranken, die ihnen durch den kollektiven Unterwerfungsakt der Verbandsmitglieder auferlegt wurden. Diese Begründung der Gleichbehandlungspflicht über den privatrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz hat den Vorteil, dass sie das Zusammenspiel von privatautonomer Legitimation fremder Gestaltungsmacht und gesetzlicher Normwirkung aus § 4 I TVG in ihrem Erklärungsansatz würdigen kann. Damit lässt sich wiederum eine Parallele zur Tarifnormgeltung herstellen, die ebenso auf dem Zusammenspiel von autonomer Rechtsetzung und heteronomer Rechtsgeltung basiert. Zwingend ist vor diesem Hintergrund auch der Schluss, dass sich nicht- oder andersorganisierte Arbeitnehmer mangels einer mitgliedschaftlichen Legitimation dieser Regelungsmacht nicht auf die Einhaltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes berufen können. Da sowohl der allgemeine Gleichheitssatz als auch der privatrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz auf die iustitia distributiva zurückzuführen sind und deshalb in verwandtschaftlicher Beziehung zueinander stehen, kommen grundsätzlich die vom BVerfG konturierten Prüfungsmaßstäbe zu Art. 3 I GG zum Tragen. Bei der Bestimmung der Kontrolldichte ist allerdings aufgrund der verfassungsrechtlich geschützten Tarifautonomie und der unwiderlegbar vermuteten Sachnähe der Tarifvertragsparteien bei allen Formen der Ungleichbehandlung mit Ausnahme der eigens kodifizierten speziellen Diskriminierungsverbote ein weiter Maßstab anzuwenden, der lediglich sachgrundlose Ungleichbehandlungen verbietet und damit dem Willkürverbot bei Art. 3 I GG entspricht. Eine strengere Verhältnismäßigkeit im Sinne einer angemessenen Relation zwischen Unterscheidung und Sachgrund lässt

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sich demnach auch angesichts der Beschränkung des Gleichbehandlungsgebots auf das Verbot willkürlicher Ungleichbehandlungen nicht einfordern. Fehlt ein hinreichend belastbarer Sachgrund, kann die Unterscheidung zwischen den Gewerkschaftsmitgliedern nicht als Tarifnorm vereinbart werden. Ob die Regelung durch Streichung des differenzierenden Kriteriums durch das Gericht aufrecht erhalten bleiben kann, darf aus Respekt vor der Tarifautonomie nicht pauschal entschieden, sondern muss im Einzelfall geprüft werden. Unabhängig hiervon dürfen die Tarifvertragsparteien grundsätzlich willkürliche Schlechterbehandlungen in bilateralen Abreden schuldrechtlich vereinbaren. Eine derartige Übereinkunft partizipiert indes nicht an der tariflichen Angemessenheitvermutung und kann vom Arbeitgeber wegen dessen Bindung an den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz nicht eingehalten werden. Die Erfüllung dieser Koalitionsvereinbarung ist deshalb rechtlich unmöglich, § 275 I BGB. k) Anwendung der Prinzipien auf die Differenzierungsklausel mit Stichtag in der Vergangenheit Legt man die entwickelten Prinzipien als Maßstab für die Bestimmung der Rechtmäßigkeit einer Differenzierungsklausel mit Stichtag in der Vergangenheit zugrunde, ergibt sich folgendes Bild: aa) Unterscheidung innerhalb der Gewerkschaftsmitglieder als gleichbehandlungsrelevante Differenzierung Im Ausgangspunkt statuiert § 3 I TVG die zentrale Bedingung, unter denen ein Gewerkschaftsmitglied in einem bestehenden Arbeitsverhältnis in den Genuss der tariflichen Leistungen gelangt. Dort ist – abseits der Sonderfälle des § 3 II und III TVG sowie der Allgemeinverbindlicherklärung nach § 5 TVG – neben der Tarifbindung des Arbeitgebers die Mitgliedschaft in der tarifschließenden Gewerkschaft als (einziges) konstitutives Merkmal erforderlich.763 Zwar anerkennt § 4 I TVG die Möglichkeit, die Reichweite des Tarifvertrags im Wege einer Geltungsbereichsbeschränkung zu regulieren, doch trifft das einfache Recht mit § 3 I TVG selbst die Entscheidung darüber, wer am Tarifvertrag normativ partizipieren kann. Nach dem Vorstellungsbild des TVG untergliedert sich damit die gesamte Belegschaft bei der Frage der Tarifgebundenheit in zwei Gruppen: In Mitglieder der tarifschließenden Gewerkschaft einerseits und in nicht- oder andersorganisierte Arbeitnehmer andererseits. Diese Differenzierung ist systemisch veranlagt und deshalb nicht rechtfertigungsbedürftig. Verfehlt ist daher die Perspektive, die die Altmitglieder der Gewerkschaft mit den Außenseiter-Arbeitnehmern in Relation setzen und dort nach etwaigen Gleichheitsverstößen suchen möchte.764 Auf die Einhaltung des Gleich763 764

Vgl. nur ErfK/Franzen, § 3 TVG Rn. 18; Löwisch/Rieble, § 3 TVG Rn. 204. So aber Greiner, FS H. J. Willemsen, S. 159 (170 ff.).

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behandlungsgrundsatzes bei der tariflichen Normsetzung können sich nur solche Arbeitnehmer berufen, die selbst die Tarifvertragsparteien zur Normsetzung legitimieren.765 Im Hinblick auf die Außenseiter müssen die Tarifvertragsparteien den Gleichbehandlungsgrundsatz mangels entsprechender mitgliedschaftlicher Legitimation nicht beachten. Differenzieren die Tarifvertragsparteien allerdings nicht mehr nur entlang der Grenze ihrer normativen Regelungsbefugnis, sondern sprechen lediglich denjenigen tarifgebundenen Arbeitnehmern Bonusleistungen zu, die zu einem bestimmten Stichtag in der Vergangenheit bereits Mitglied in der tarifschließenden Gewerkschaft gewesen sind, statuieren sie neben der Gewerkschaftsmitgliedschaft eine zusätzliche Anspruchsvoraussetzung, die nicht jedes Mitglied erfüllen kann.766 Damit unterscheiden sie zusätzlich noch innerhalb der Vergleichsgruppe „Gewerkschaftsmitglieder“ nach dem Zeitpunkt des Beitritts. Da die Verbandsangehörigen nach der Vorstellung des Gesetzgebers jedoch grundsätzlich als homogene Masse anzusehen und deshalb im Ausgangspunkt gleich zu behandeln sind, ist jede ungleiche Behandlung durch die Tarifvertragsparteien und damit auch die tarifliche Differenzierung nach dem Zeitpunkt des Beitritts rechtfertigungsbedürftig. bb) Rechtfertigung der Differenzierung anhand eines Stichtags in der Vergangenheit (1) Vorgehensweise bei der Darstellung Die Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem ist nicht per se verboten. Als Mediatisierung der iustitia distributiva will der Gleichbehandlungsgrundsatz keine formale Gleichheit aller Verbandsangehörigen gewährleisten, sondern eine vernünftige Relation zwischen den unterschiedlichen Personengruppen sicherstellen. Die Ungleichbehandlung zwischen verschiedenen Gewerkschaftsangehörigen kann daher jedenfalls bei einer Differenzierung im Tarifvertrag durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt sein. Dabei wird schnell offenbar, dass die konkrete Stichtagsregelung nicht mit dem Rechtfertigungsgrund für die Ungleichbehandlung verwechselt werden darf. Sie stellt lediglich die textliche Umsetzung der Differenzierung dar, trägt jedoch die Rechtfertigung der Ungleichbehandlung nicht in sich. Bevor man sich also der Frage nähert, ob der Stichtag in der Klausel korrekt gewählt wurde, muss daher denklogisch bereits geklärt sein, ob die konkrete Differenzierung innerhalb der Gewerkschaftsmitglieder als solche in einer wie auch immer gearteten Weise gerechtfertigt werden kann. Sollte dies nicht der Fall sein, erübrigen sich Ausführungen zur konkreten zeitlichen Ansetzung des Stichtags. Verkürzt ist vor diesem Hintergrund die Vorgehensweise des BAG im Urteil vom 15. 4. 2015, das im Rahmen der Rechtfertigung entscheidend darauf abstellt, ob sich „die Wahl des Stichtags am gegebenen Sachverhalt orientiert und vertretbar er765 766

Siehe oben, Teil 2 B. III. 7. e) ee) (1). Siehe oben, Teil 2 B. I. 3.

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scheint“.767 Bei dieser Sichtweise läuft man Gefahr, den tragenden Rechtfertigungsgrund aus den Augen zu verlieren, da die Stichtagsregelung für sich allein genommen die Differenzierung nicht rechtfertigen kann. Zwar sprechen die Richter auch abstrakt rechtfertigende Gründe wie die Berücksichtigung typischer Sachzwänge der kollektiven Vertragsform768 und koalitionsspezifische Interessen769, sowie Gründe der Praktikabilität770 und den Wunsch nach einem bestimmten berechenbaren Kreis von Mitgliedern für den Anspruch auf die Ergänzungsleistung771 an, hinterfragen aber nicht deren Validität. Freilich kommt den Tarifvertragsparteien ein weiter Regelungsspielraum zu, der gerichtlich nur bedingt überprüft werden kann772, jedoch führt die Herangehensweise des BAG dazu, die Bewertung, ob ein Rechtfertigungsgrund vorliegt oder nicht, vollständig in das kontrollfreie Ermessen der Tarifvertragsparteien zu überantworten.773 Damit beschränkt sich die Überprüfung faktisch auf die Frage, ob der Stichtag vertretbar gewählt wurde. Inwiefern dabei der Rechtfertigungsgrund für die Ungleichbehandlung nur vorgeschoben ist, kann bei dieser einstufigen Perspektive jedoch nicht mehr hinreichend auf Plausibilität überprüft werden. Die Zurückhaltung des BAG bei der Kontrolle des sachlichen Grundes für die Differenzierung überrascht umso mehr, als die materielle Rechtfertigung der Ungleichbehandlung nur auf dieser Ebene stattfinden kann und die Richter in ihrer Formel selbst entscheidend auf den „gegebenen Sachverhalt“ abstellen, an dem sich die Wahl des Stichtags orientieren muss. Wenn aber schon der „Sachverhalt“ die Ungleichbehandlung nicht rechtfertigt, kann es auch nicht mehr entscheidend darauf ankommen, ob die Wahl des Stichtags vertretbar erscheint. Für die weitere Erörterung bietet sich daher ein mehrstufiges Prüfungsschema an: Zuerst muss der Frage nachgegangen werden, auf welche Umstände sich die Tarifvertragsparteien stützen können, um die unterschiedliche Behandlung der Gewerkschaftsmitglieder anhand eines Stichtags in der Vergangenheit zu rechtfertigen. Im Anschluss daran ist zu untersuchen, inwiefern die Wahl des Stichtags in Bezug zum rechtfertigenden Grund nachvollziehbar ausgestaltet ist. Abschließend muss kritisch reflektiert werden, ob durch dieses gestufte Modell jedwede Differenzierung anhand einer Stichtagsregelung gerechtfertigt werden kann oder ob den Tarifvertragsparteien trotz ihres weiten Gestaltungsspielraums für bestimmte Konstellationen inhaltliche Grenzen gezogen sind.

767 BAG v. 15. 4. 2015 – 4 AZR 796/13, AP TVG § 3 Nr. 57 (Rn. 34); vgl. auch BAG v. 21. 8. 2013 – 4 AZR 861/11, AP TVG § 3 Nr. 55 (Rn. 22); BAG v. 17. 4. 2013 – 4 AZR 770/11, AP TVÜ § 8 Nr. 1 (Rn. 26). 768 BAG v. 15. 4. 2015 – 4 AZR 796/13, AP TVG § 3 Nr. 57 (Rn. 32). 769 BAG v. 15. 4. 2015 – 4 AZR 796/13, AP TVG § 3 Nr. 57 (Rn. 32, 41). 770 BAG v. 15. 4. 2015 – 4 AZR 796/13, AP TVG § 3 Nr. 57 (Rn. 34). 771 BAG v. 15. 4. 2015 – 4 AZR 796/13, AP TVG § 3 Nr. 57 (Rn. 42). 772 Siehe oben, Teil 2 B. III. 7. f). 773 Ebenso Greiner, NZA 2016, 10 (11).

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(2) Rechtfertigungsgründe Bei dieser Maßgabe für die Kontrolle des Tarifvertrags auf Verstöße gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz kommt der Ermittlung denkbarer Rechtfertigungsgründe auf der ersten Stufe eine elementare Bedeutung zu. Aufgrund der Tarifautonomie können sich die Tarifvertragsparteien zwar auf einen weiten Gestaltungsspielraum berufen, werden jedoch nicht vom erforderlichen Nachweis eines Rechtfertigungsgrundes befreit. Die Überprüfung des Grundes auf seine Validität ist damit vollständig justiziabel. (a) Sanierungssituation als solche Angesichts der zeitlichen und kontextuellen Einbindung des Tarifvertrags in eine Sanierungssituation erscheint es naheliegend, zunächst an diese außerordentliche Lage des Unternehmens anzuknüpfen. Im Zuge einer Restrukturierung werden regelmäßig wirtschaftliche Einsparungen in allen Unternehmensbereichen notwendig, die eine Ungleichbehandlung von Gewerkschaftsmitgliedern rechtfertigen könnten. Dem ist jedoch zu entgegnen, dass die Vermeidung bzw. der Ausgleich wirtschaftlicher Nachteile durch die Restrukturierungsmaßnahmen alle Gewerkschaftsmitglieder gleichermaßen betrifft. Bis zum Abschluss eines neuen Arbeitsvertrages mit einem anderen Arbeitgeber oder zum Erreichen ausreichender Rentenansprüche bedürfen alle Gewerkschaftsmitglieder aufgrund der betriebsweiten Maßnahmen in gleichem Umfang einer finanziellen Absicherung.774 Deshalb ist nicht einsichtig, weshalb gerade die altgedienten Gewerkschaftsmitglieder über die Grundabsicherung für alle Arbeitnehmer hinaus noch finanzielle Zusatzleistungen erhalten und damit besser gestellt werden sollten als die Neueinsteiger.775 Eine Differenzierung allein auf Grundlage der Sanierungssituation würde daher die Neumitglieder willkürlich benachteiligen. Für sich alleine genommen rechtfertigt die Sanierungssituation keine Ungleichbehandlung zwischen den Mitgliedern. (b) Koalitionsspezifische Interessen Die nächste Möglichkeit einer Rechtfertigung besteht darin, koalitionsspezifische Interessen als sachlichen Grund für die Ungleichbehandlung in Ansatz zu bringen.776 Teilweise wird im Schrifttum jedenfalls für die Anreizfunktion einfacher Differenzierungsklauseln ein organisationspolitisches Interesse als Grundlage für eine

774

Meyer, Anm. zu AP TVG § 3 Nr. 57 (IV.). Ricken, Stichtagsregelungen, S. 25 f. 776 Diesen Rechtfertigungsgrund will auch Greiner, NZA 2016, 10 (11) der Rechtsprechung des BAG in den Mund legen. Bei genauer Betrachtung spricht das Urteil vom 15. 4. 2015 jedoch nur von einer Berücksichtigung koalitionsspezifischer Interessen, nicht von einer Geltung als eigenständiger Rechtfertigungsgrund, vgl. BAG v. 15. 4. 2015 – 4 AZR 796/13, AP TVG § 3 Nr. 57 (Rn. 32, 41). 775

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Teil 2: Die Zulässigkeit von tarifvertraglichen Differenzierungsklauseln

Ungleichbehandlung anerkannt.777 Dabei geht es jedoch um die Rechtfertigung einer Differenzierung zwischen Außenseitern und Gewerkschaftsmitgliedern, die bereits im TVG angelegt ist.778 Auf die Bewertung der Differenzierungsklausel mit Stichtag in der Vergangenheit und der damit einhergehenden zusätzlichen Unterscheidung zwischen verschiedenen Gewerkschaftsmitglieder kann dieses Argumentationsmuster jedoch nicht übernommen werden. Gegen die Anerkennung koalitionsspezifischer Interessen als sachlichen Grund für eine Differenzierung zwischen gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmern spricht deren denkbar weiter Anwendungsbereich. Hinter jeder Tarifnorm stehen koalitionsspezifische Erwägungen, die im Rahmen der Tarifverhandlungen miteinander abgewogen werden. Wären bestimmten Passagen in einem Tarifvertrag nicht von entsprechenden koalitionären Interessen getragen, hätten sie wohl kaum Aufnahme in das Vertragswerk gefunden. Letztlich ließe sich mit dieser Begründung jegliche Ungleichbehandlung durch den Tarifvertrag rechtfertigen. Zudem ist dieser Rechtfertigungsgrund anfällig für Missbrauch durch die Tarifvertragsparteien, da er je nach Zweck und Zielrichtung wandelbar ist und mit den jeweils passenden Motiven aufgeladen werden kann. In dieser Abstraktheit sind „koalitionsspezifische Interessen“ daher zu vage, um als aussagekräftiges Kriterium fruchtbar gemacht zu werden und eine trennscharfe Abgrenzung zwischen einer willkürlichen Ungleichbehandlung und einer sachlich gerechtfertigten Differenzierung zu gewährleisten. Freilich ist es aufgrund der verfassungsrechtlichen Einkleidung der tarifautonomen Normsetzung angezeigt, die koalitionsspezifischen Interessen hinreichend in die Erwägung miteinzubeziehen, wenn es um die Bestimmung der Tauglichkeit eines eigenständigen Rechtfertigungsgrundes geht.779 Für sich allein genommen ist das Merkmal jedoch aufgrund des kaum bestimmbaren Inhalts nicht geeignet, eine Ungleichbehandlung zwischen den Gewerkschaftsmitgliedern zu rechtfertigen.780 Zu dieser Linie scheint auch das BAG zu tendieren. Die „Berücksichtigung koalitionsspezifischer Interessen“ wurde in den Stichtagsklauselentscheidungen nicht mehr als eigenständiger Rechtfertigungsgrund angesprochen, sondern jeweils nur innerhalb der Prüfung eines vermeintlichen sachlichen Grundes für die Differenzierung angemahnt.781 777 Kocher, NZA 2009, 119 (121); Seiwerth, RdA 2014, 358 (363); Ulber/Strauß, DB 1970 (1971); zur Berücksichtigungsfähigkeit dieses Motivs für die Differenzierung im Personenkreis allgemein Dieterich, RdA 2001, 112 (118). 778 Siehe oben Teil 2, Fn. 286. 779 Wie hier auch Dieterich, RdA 2001, 112 (118); Franzen, RdA 2006, 1 (8); S. Neumann, Tarifboni, S. 212 f.; a. A. Franzen, RdA 2008, 304 (307); ders., RdA 2005, 241 (245). 780 So auch Kalb, FS Moll, S. 327 (337 f.); Löwisch, SAE 2001, 295 (296); a. A. ohne nähere Begründung Däubler/Heuschmid, § 1 TVG Rn. 1074. 781 BAG v. 15. 4. 2015 – 4 AZR 796/13, AP TVG § 3 Nr. 57 (Rn. 32), bereits früher BAG v. 25. 1. 2012 – 4 AZR 147/10, AP GG Art. 3 Nr. 324 (Rn. 32); BAG v. 27. 5. 2004 – 6 AZR 129/03, AP TVG § 1 Gleichbehandlung Nr. 5 [B. II. 3. c) ee) der Gründe]; BAG v. 30. 8. 2000 – 4 AZR 563/99, AP TVG § 4 Geltungsbereich Nr. 25 [I. 2. g) der Gründe]; anders wohl noch der Große Senat, BAG v. 29. 11. 1967 – GS 1/67, BAGE 20, 175 (223), der die Verbands- und Tarifmacht der Gewerkschaften dort beschränkt sieht, „wo sie die Arbeitgeberseite tarifvertraglich in einem

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(c) Bedürfnis nach kalkulatorischer Sicherheit Anders verhält es sich indes mit dem Bedürfnis der Tarifvertragsparteien, den Kreis an Anspruchsberechtigten berechenbar zu halten, um auf diese Weise klar absehen zu können, wem die Boni bei Ausgleichs- und Überbrückungsleistungen zufließen sollen.782 Um eine Anerkennung als Rechtfertigungsgrund für die Ungleichbehandlung zwischen den Gewerkschaftsmitgliedern erreichen zu können, muss das Interesse an der verlässlichen Bestimmbarkeit in Bezug auf die Anzahl der anspruchsberechtigten Gewerkschaftsmitglieder hinreichend geschützt sein. (aa) Bedürfnis nach kalkulatorischer Sicherheit bei einem begrenzten Finanzierungsvolumen im Tarifsozialplan Die Schutzbedürftigkeit der Tarifvertragsparteien bei der Kalkulation der Tarifleistungen kann sich jedoch nur aus besonderen Umständen ergeben. Allein die Tatsache, dass die Tarifvertragsparteien die Höhe der tariflichen Ansprüche für die Mitglieder konkret beziffern müssen, reicht für ein besonderes Bedürfnis nach kalkulatorischen Sicherheit nicht aus. Insbesondere wenn sich der Arbeitgeber in einer gesunden Wirtschaftslage befindet und der Vergütungstopf für die Arbeitnehmer aus den laufenden Unternehmenserträgen gespeist werden kann, ist nicht ersichtlich, weshalb die Tarifvertragsparteien auf eine kalkulatorische Sicherheit bei der Bestimmung der Leistungshöhe angewiesen wären.783 Da die wirtschaftliche Erfüllbarkeit der tariflichen Ansprüche in dieser Unternehmenssituation garantiert ist, müssen die Tarifvertragsparteien bei der Planung der Leistungsverteilung auf die Anzahl der anspruchsberechtigten tarifgebundenen Arbeitnehmer keine Rücksicht nehmen. Zudem ist ein steter Wechsel im Mitgliederbestand und somit auch dem Kreis der anspruchsberechtigten Arbeitnehmern der Tarifautonomie immanent.784 Speziell die Gewerkschaften haben in aller Regel ein lebhaftes Interesse daran, ihre Organisationsquote und damit die Zahl der normativ anspruchsberechtigten Arbeitnehmer zu vergrößern. Bei einer gesunden Wirtschaftslage des Arbeitgebers besteht daher kein Grund, Neumitglieder in der Gewerkschaft allein aufgrund der besseren Planbarkeit von Leistungen des Tarifvertrags auszuschließen. Ähnliches gilt im Grundsatz auch in einer Sanierungssituation. Dort ist zwar die unternehmerische Finanzlage angeschlagen, doch zeigt der Arbeitgeber mit dem Abschluss von Sanierungsvereinbarungen, dass der jeweilige Betrieb bzw. das jeweilige Unternehmen mittelfristig wieder auf die Beine gestellt werden soll. Da der Arbeitgeber in dieser Situation weiterhin den Vorsatz verfolgt, Gewinne zu generieren, wird auch der Finanzierungspool für die tariflichen Lohnkosten fortwährend aus laufenden Erträgen gespeist. Zwar dürfte in dieser Situation weniger finanzieller wesentlichen und für die Arbeitgeberseite unzumutbaren Umfang in ihre verbandspolitischen Dienste nehmen will.“. 782 BAG v. 15. 4. 2015 – 4 AZR 796/13, AP TVG § 3 Nr. 57 (Rn. 42). 783 Höpfner, RdA 2019, 146 (156). 784 Höpfner, RdA 2019, 146 (156).

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Spielraum für die tariflichen Lohnkosten zur Verfügung stehen als bei einer gesunden Unternehmenslage, dennoch besteht angesichts des sich immer wieder neu füllenden Vergütungstopfes ebenfalls kein hinreichender Sachgrund für eine Differenzierung innerhalb der Gewerkschaftsangehörigen anhand der Mitgliedschaft zu einem bestimmten Stichtag. Im Gegensatz dazu bedarf die Ausnahmesituation der Unternehmensabwicklung einer gesonderten Beurteilung. Hat der Unternehmer die (Teil-)Stilllegung eines Betriebs oder eines Unternehmens verfügt und damit eine Betriebsänderung nach § 111 S. 3 BetrVG herbeigeführt, die mit einem Arbeitsplatzverlust für zahlreiche Beschäftigte verbunden ist, kann bei der Verteilung der tariflichen Abfindungs- und Überbrückungsleistungen schlechterdings noch von einer Situation gesprochen worden, in der es dem Arbeitgeber darum geht, mit den gekündigten Arbeitnehmern unter geänderten Bedingungen weiterhin erwerbswirtschaftlich tätig zu sein. Anders als in der „bloßen“ Sanierungssituation will ein sozialplanähnlicher Tarifvertrag in dieser Situation vielmehr das Ausscheiden der betroffenen Arbeitnehmer sozial verträglich ausgestalten und die Nachteile aus einer konkreten Betriebsänderung ausgleichen oder zumindest abmildern.785 Mit dieser veränderten Unternehmenslage wandelt sich auch der Charakter des Finanzierungsrahmens, der für tarifliche Sonderzahlungen in diesem Bereich vorgesehen ist. Werden die tariflichen Lohnkosten sonst regelmäßig aus den laufenden Erträgen gespeist, steht hier für die Abfindungsund Überbrückungszahlungen im Rahmen des Tarifsozialplans ausnahmsweise nur ein begrenztes Volumen zur Verfügung, das lediglich einmalig bereitgestellt und nach der Auszehrung nicht wieder aufgefüllt wird.786 Mit der vollständigen Verteilung der Gelder ist damit „die Quelle versiegt“, weitere Nachschüsse in den tariflichen Vergütungstopf kommen wegen des abschließenden, endgültigen Charakters des Tarifsozialplans aus betriebswirtschaftlichen Gründen nicht in Betracht. Die Einmaligkeit der Bereitstellung eines Finanzierungsvolumens für Ausgleichs- und Überbrückungszahlungen mitsamt der faktischen Deckelung auf eine bestimmte Summe ist für die Tarifvertragsparteien mit erheblichen Kalkulationsschwierigkeiten verbunden: Vereinbaren sie Leistungen für die einzelnen Gewerkschaftsmitglieder ohne zusätzliche Kriterien wie die Mitgliedschaft zu einem gewissen Stichtag, könnte sich eine vorher realistischerweise kaum bestimmbare Zahl von Außenseitern durch diesen Umstand gerade bei der existenziellen Frage nach einem wirtschaftlichen Ausgleich für den Arbeitsplatzverlust veranlasst sehen, der Gewerkschaft beizutreten, um auf diese Weise in den Genuss eines normativen Anspruchs auf die tariflich zugesicherten Sonderleistungen zu gelangen. Bei der – in diesem Fall naheliegenden – unregulierten Erweiterung des Kreises anspruchsberechtigter Gewerkschaftsmitglieder droht jedoch eine Diskrepanz zwischen den 785

BDDH/Frieling, § 1 TVG Rn. 188; Däubler/Heuschmid/Klein, § 1 TVG Rn. 870 ff.; Düwell/Steffan, § 112a BetrVG Rn. 86; ErfK/Franzen, § 1 TVG Rn. 74; HMB/Moll, Teil 12 Rn. 120 ff. 786 Höpfner, RdA 2019, 146 (156).

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tariflichen Zusagen und der Leistungsfähigkeit des Finanzierungsvolumens, welche sich mit steigender Anwärterzahl zusätzlich verschärft. Der Arbeitgeber sähe sich bei dem erwartbaren, aber quantitativ schwer zu prognostizierenden „Run“ in die Gewerkschaft einem erheblichen Kostenrisiko ausgesetzt, das bei der bereits bestehenden prekären wirtschaftlichen Lage eine erfolgreiche Gesamtsanierung torpedieren könnte.787 Gleichsam als Spiegelbild hierzu entwickelt sich der unkontrollierbare Zustrom an neuen Gewerkschaftsmitgliedern nach Bekanntwerden des Tarifvertrags zu einem Dilemma für die Tarifvertragsparteien: Zwar haben sie sich rechtsverbindlich über die Verteilung eines festgelegten Budgets geeinigt, könnten aber gleichzeitig den Gewerkschaftsmitgliedern beim Abschluss des Sanierungstarifvertrags nicht garantieren, dass diese vollumfänglich an den ausgehandelten und tariflich festgeschriebenen Leistungen partizipieren können, wenn möglicherweise eine weit größere Anzahl an Neueinsteigern „mitessen“ will.788 Die Tarifvertragsparteien wären bei diesem Szenario also trotz eines klar umgrenzten, bezifferbaren Verteilungsbudgets im Unklaren darüber, wie viel sie seriöserweise pro Mitglied veranschlagen können, ohne den Arbeitgeber finanziell zu überfordern. Bei der einmaligen Bereitstellung eines Finanzierungsvolumens für Ausgleichs- und Überbrückungszahlungen haben die Tarifvertragsparteien und insbesondere der Arbeitgeber ein schutzwürdiges Interesse daran, verlässlich bestimmen zu können, auf wie viele Arbeitnehmer letztlich ein bestimmtes Volumen verteilt werden soll.789 Dem lässt sich auch nicht entgegnen, dass die Tarifvertragsparteien besonders in dieser Ausnahmesituation zurückhaltender planen und geringere Sozialplanleistungen für alle Gewerkschaftsmitglieder veranschlagen müssten, um auf diese Weise die Auswirkungen eines Spontanbeitritts einer Vielzahl von Außenseitern angemessen auffangen zu können.790 Zwar wird in der Literatur vereinzelt angemerkt, dass das legitime Ziel einer kalkulierbaren Beschränkung des Volumens auch durch eine einheitliche Ausgestaltung zugunsten aller Gewerkschaftsmitglieder erreicht werden könne.791 Dieses Postulat führt jedoch am eigentlichen Problemkern vorbei und stößt seinerseits auf legitimatorische Widersprüche. Denn auch bei einer zurückhaltenderen, vorsichtigeren Planung der Tarifvertragsparteien lässt sich nicht seriöserweise abschätzen, wie viele Arbeitnehmer durch die exklusiven Sonderleistungen aus dem entsprechenden Tarifsozialplans veranlasst werden, der Gewerkschaft beizutreten. Darüber hinaus würde dieser Ansatz den Tarifvertragsparteien aufgeben, die finanziellen Interessen einer Vielzahl potentiell beitrittswilliger Arbeitnehmer antizipatorisch zu berücksichtigen und sie der eigenen Verteilungsentscheidung zugrunde zu legen. Damit wäre die Wirksamkeit der tariflichen Re787

Ebenso Helm, NZA 2015, 1437 (1438). Vgl. auch BAG v. 15. 4. 2015 – 4 AZR 796/13, AP TVG § 3 Nr. 57 (Rn. 42). 789 Däubler/Heuschmid, § 1 TVG Rn. 1074; Höpfner, RdA 2019, 146 (156); wohl auch Franzen, NZA-Beilage 2017, 66 (70); Ricken, Stichtagsregelungen, S. 26; a. A. Greiner, FS H. J. Willemsen, S. 159 (171 f.). 790 Ricken, Stichtagsregelungen, S. 26. 791 Greiner, jM 2016, 66 (69). 788

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gelungen effektiv von einer Personengruppe abhängig, die die tarifliche Normsetzung bislang nicht durch Mitgliedschaft legitimiert hat.792 Bereits im Rahmen der negativen Koalitionsfreiheit konnte erarbeitet werden, dass sich eine Pflicht der Tarifvertragsparteien zur Rücksichtnahme auf Außenseiter-Arbeitnehmer, die möglicherweise zu einem späteren Zeitpunkt der Gewerkschaft beitreten könnten, de lege lata nicht begründen lässt.793 Dasselbe Erklärungsmuster gilt unverändert auch für den Gleichbehandlungsgrundsatz. Die Bestimmung der konkreten Leistungshöhe muss demnach der Einschätzung durch die Sozialpartner überlassen bleiben. Sie sind dabei nicht verpflichtet, auf die Neumitglieder oder die potentiell beitrittswilligen Außenseiter Rücksicht zu nehmen und vom Abfindungstopf „etwas übrig zu lassen“. (bb) Bedürfnis nach kalkulatorischer Sicherheit als Rechtfertigungsgrund in anderen Rechtsgebieten Regelungen, die an einen Stichtag oder stichtagsähnliche Kriterien knüpfen, um kalkulatorische Sicherheitsinteressen zu bedienen und auf diesem Weg eine Ungleichbehandlung zu rechtfertigen vermögen, sind dem deutschen Recht nicht fremd. Insbesondere zur Parallelproblematik bei der Aufstellung eines betrieblichen Sozialplans hat das BAG bereits vor längerer Zeit ein schützenswertes Interesse auf Seiten der Betriebspartner anerkannt, das ihnen eine Differenzierung anhand eines Stichtags erlaubt, wenn sie die personelle Reichweite eines Sozialplans abschließend bestimmen müssen.794 Darüber hinaus lässt beispielsweise § 10 S. 3 Nr. 4 AGG als Umsetzungsakt des Art. 6 II RL 2000/78/EG die Festsetzung von Altersgrenzen bei der betrieblichen Altersversorgung „für versicherungsmathematische Berechnungen“ zu. Zwar verlangt die nationale Vorschrift in § 10 S. 2 AGG anders als die europäische Regelung795 zusätzlich die Angemessenheit und Erforderlichkeit des Mittels zur Erreichung des Ziels.796 Allerdings erkennt der nationale Gesetzgeber im Ausgangspunkt die Funktionsfähigkeit der betrieblichen Rentensysteme und die Sicherung einer angemessenen Altersversorgung explizit als sachlichen Grund für die Ungleichbehandlung wegen des Alters an.797 § 10 S. 3 Nr. 4 AGG gestattet dem Versorgungsschuldner daher, die Leistungspflichten in Versorgungsordnungen zu begrenzen und damit eine für ihn verlässliche und überschaubare Kalkulations-

792

Ebenso Helm, NZA 2015, 1437 (1438); ähnlich auch Kempen/Zachert/Kempen, Grundl. TVG Rn. 214. 793 Siehe oben, Teil 2 B. III. 2. b) ee) (4). 794 BAG v. 24. 1. 1996 – 10 AZR 155/95, AP BetrVG 1972 § 112 Nr. 98 [2. c) der Gründe]; implizit auch BAG v. 15. 4. 2015 – 4 AZR 796/13, AP TVG § 3 Nr. 57 (Rn. 42). 795 Vgl. dazu die Entscheidungen EuGH v. 24. 11. 2016 – C-443/15 (Parris), Rn. 63 ff.; EuGH v. 16. 6. 2016 – C-159/15 (Lesar), Rn. 17 ff. 796 BAG v. 14. 11. 2017 – 3 AZR 781/16, AP BetrAVG § 1 Hinterbliebenenversorgung Nr. 37 (Rn. 26 f.); Rolfs, NZA 2008, 553 (556). 797 BeckOK ArbR/Roloff, § 10 AGG Rn. 18 (Stand: 1. 6. 2021); ErfK/Schlachter, § 10 AGG Rn. 10; Ahrendt, RdA 2016, 129 (130).

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grundlage zu schaffen.798 Auch in einem jüngeren Urteil zu den Allgemeinen Unfallversicherungs-Bedingungen (AUB) hat der BGH das Kalkulationsinteresse eines Versicherers als schützenswertes Rechtsgut akzeptiert. Auf diese Weise soll der Versicherer davor bewahrt werden, für dauerhafte Spätfolgen eines Unfalls eintreten zu müssen, die sich frühestens ein Jahr nach einem Unfall erstmals zeigten.799 Mit dem Ablauf der Jahresfrist als Stichtag wird er damit aus Gründen der besseren Planbarkeit von der Verpflichtung freigestellt, auch für künftigte, latente, unabsehbare Folgeerscheinungen des Unfalls Rücklagen bereit zu halten. (cc) Zwischenergebnis Aufgrund des einmaligen Charakters der Leistungsausschüttung bei einem sozialplanähnlichen Tarifvertrag müssen die Tarifvertragsparteien bereits vor der Verteilung der Gelder darüber Bescheid wissen, wer in den Genuss der Vergünstigungen kommen soll.800 Da mit einer unbegrenzten Leistungsausschüttung an alle Gewerkschaftsmitglieder ein erhebliches Kostenrisiko für den Arbeitgeber einhergeht und die vollkommene Überforderung des bereit gestellten Finanzierungsvolumens droht, haben die Tarifvertragsparteien in dieser Ausnahmesituation ein legitimes Interesse daran, den Kreis der anspruchsberechtigten Gewerkschaftsmitglieder bereits im Vorhinein zuverlässig bestimmen zu können. Das Bedürfnis nach einer kalkulatorischen Sicherheit ist daher bei einer einmaligen Verteilung von Ausgleichs- und Überbrückungszahlungen im Rahmen einer Betriebsänderung ein belastbarer Sachgrund, der im Ausgangspunkt als Rechtfertigung für die unterschiedliche Behandlung von Alt- und Neugewerkschaftsmitglieder dient. (3) Notwendiger Zusammenhang zwischen dem Kalkulationsinteresse der Tarifvertragsparteien und der Wahl des Stichtags Wenn feststeht, dass eine Ungleichbehandlung der Gewerkschaftsmitglieder unter der Bedingung einer einmaligen Leistungsausschüttung in einem Tarifsozialplan abstrakt gerechtfertigt werden kann, ist damit noch keine Aussage gewonnen, ob die Differenzierung zwischen den Mitgliedern auch im konkreten Fall jeweils sachgerecht umgesetzt wurde. Das Bedürfnis der Tarifvertragsparteien, bei der Ausschüttung bestimmter Leistungen den Kreis der tariflich Anspruchsberechtigten bestimmbar festzulegen, darf nicht als willkommener Anlass für eine Differenzierung auf Grundlage einer willkürlichen Festsetzung des Zeitpunkts für den Stichtag herangezogen werden. Vielmehr muss sich – wie das BAG zutreffend herausstellt – die Wahl des Stichtags am gegebenen Sachverhalt orientieren und vertretbar er798 So explizit BAG v. 11. 12. 2018 – 3 AZR 400/17, AP BetrAVG § 1 Hinterbliebenenversorgung Nr. 42 (Rn. 26); BAG v. 20. 2. 2018 – 3 AZR 43/17, AP BetrAVG § 1 Hinterbliebenenversorgung Nr. 39 (Rn. 26); BAG v. 26. 9. 2017 – 3 AZR 72/16, AP AGG § 10 Nr. 12 (Rn. 49). 799 BGH v. 1. 4. 2015 – IV ZR 104/13, VersR 2015, 617 (Rn. 27). 800 So zu Recht auch BAG v. 15. 4. 2015 – 4 AZR 796/13, AP TVG § 3 Nr. 57 (Rn. 42).

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Teil 2: Die Zulässigkeit von tarifvertraglichen Differenzierungsklauseln

scheinen.801 Dabei ist die Differenzierung anhand eines zeitlichen Kriteriums auch außerhalb des Tarifrechts ein probates Mittel, um verschiedene Interessen nach ihrer Schutzwürdigkeit abzustufen. Beispielsweise muss gemäß § 1 III S. 1 Hs. 1 KSchG die Personalauswahl bei betriebsbedingten Kündigungen unter anderem von der Dauer der Betriebszugehörigkeit und vom Lebensalter abhängig gemacht werden. Der allgemeine Kündigungsschutz selbst ist nach § 1 I KSchG nur auf solche Arbeitnehmer anwendbar, die die Wartezeit von sechs Monaten erfüllt haben. Ein ebenfalls nach Dauer des Arbeitsverhältnisses differenziertes System ist zudem für die Kündigungsfristen nach § 622 II S. 1 BGB vorgesehen. Selbstverständlich ist den Tarifvertragsparteien auf Grundlage ihrer Tarifautonomie bei der Auswahl des konkreten Stichtags eine großzügige Planungsfreiheit zuzugestehen. Wie der einfache Gesetzgeber müssen sie dabei regelmäßig pauschalieren und auf generalisierte Maßstäbe zurückgreifen.802 Ohne eine typisierende Grenzziehung wäre die gewünschte kalkulatorische Sicherheit bei der Ausschüttung zusätzlicher Ausgleichs- und Überbrückungsleistungen nicht zu erreichen.803 Angesichts dieser Fokussierung auf einen fixen Stichtag in der Vergangenheit können sich naturgemäß individuelle Härten ergeben, insbesondere wenn ein Arbeitnehmer zum Zeitpunkt des Tarifabschlusses zwar schon Mitglied war, jedoch erst nach dem tariflichen Stichtag beigetreten ist und damit an den Sonderleistungen nicht partizipieren kann. Diese Nachteile, die durch eine generalisierte Herangehensweise entstehen, dürfen von den Tarifvertragsparteien hingenommen werden, ohne dass dadurch die Wirksamkeit der Regelung infrage stünde. Selbst wenn der Gewerkschaftsbeitritt nur einen Tag nach Ablauf des Stichtags erfolgt und damit die Erfüllung des anspruchsbegründenden Kriteriums denkbar knapp verpasst wurde, sind die damit einhergehenden Zurücksetzungen bei der gebotenen pauschalen Kategorisierung unvermeidbar und müssen hingenommen werden.804 Freilich liegt es in der Hand der Tarifvertragsparteien, individuelle Härten durch eine ausdifferenzierte Tarifgestaltung möglichst zu vermeiden. Allerdings kommt den Tarifvertragsparteien auch an dieser Stelle in Ausübung ihrer autonomen Entscheidungsgewalt ein 801

BAG v. 15. 4. 2015 – 4 AZR 796/13, AP TVG § 3 Nr. 57 (Rn. 34); vgl. auch BAG v. 21. 8. 2013 – 4 AZR 861/11, AP TVG § 3 Nr. 55 (Rn. 22); BAG v. 17. 4. 2013 – 4 AZR 770/11, AP TVÜ § 8 Nr. 1 (Rn. 26); ferner BVerfG v. 27. 2. 2007 – 1 BvL 10/00, NJW 2007, 1577 (Rn. 73).; vgl. zur Parallelproblematik bei staatlichen Maßnahmen Sachs/Nußberger, Art. 3 GG Rn. 113. 802 BAG v. 15. 4. 2015 – 4 AZR 796/13, AP TVG § 3 Nr. 57 (Rn. 34); BAG v. 14. 11. 2012 – 10 AZR 903/11, AP BGB § 611 Gratifikation Nr. 298 (Rn. 19); BAG v. 23. 3. 2011 – 10 AZR 701/09, AP TVG § 1 Tarifverträge: Verkehrsgewerbe Nr. 19 (Rn. 22); BAG v. 25. 6. 2003 – 4 AZR 405/02, AP TVG § 1 Beschäftigungssicherung Nr. 1 [A. II. 2. b) bb) der Gründe]; vgl. grundlegend zur Typisierung bei der Regelung abstrakter Sachverhalte Hdb StR/P. Kirchhof, § 181 Rn. 129 ff. 803 Vgl. BAG v. 8. 12. 2011 – 6 AZR 319/09, AP TVÜ § 6 Nr. 5 (Rn. 43). 804 Vgl. BAG v. 15. 4. 2015 – 4 AZR 796/13, AP TVG § 3 Nr. 57 (Rn. 34); BAG v. 8. 12. 2011 – 6 AZR 319/09, AP TVÜ § 6 Nr. 5 (Rn. 43); siehe ferner die st. Rspr. des BVerfG zur Typisierung bei Art. 3 I GG, vgl. nur BVerfG v. 29. 3. 2017 – 2 BvL 6/11, NZG 2017, 828 (Rn. 106); BVerfG v. 7. 5. 2013 – 2 BvR 909/06 u. a., NJW 2013, 2257 (Rn. 86); BVerfG v. 27. 2. 2007 – 1 BvL 10/00, NJW 2007, 1577 (Rn. 73).

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weiter Beurteilungsspielraum zu. Die Auswahl des konkreten Stichtags kann daher von den Gerichten nur auf Willkür kontrolliert werden. Da außerhalb der Ausnahmesituation eines Tarifsozialplans kein Bedürfnis nach einer Differenzierung der Gewerkschaftsmitglieder aufgrund kalkulatorischer Sicherheitsinteressen besteht, muss der konkrete Stichtag einen wie auch immer gearteten Bezug zur jeweiligen Unternehmensänderung aufweisen können. Bei der genauen Datumsbestimmung für den Stichtag innerhalb dieses zeitlichen Rahmens ist der Beurteilungsspielraum der Tarifvertragsparteien indes stark ausgeprägt. Jede externe Korrektur wäre gleichbedeutend mit einem Eingriff in die Gestaltungsautonomie. Beim ETS-TV folgte die Festlegung des Stichtags (23. 3. 2012 12:00 Uhr) dem Datum, an dem die Verhandlungsergebnisse zwischen Arbeitgeber und IG Metall in einer Versammlung für die Gewerkschaftsmitglieder offengelegt wurden (22. 3. 2012).805 Der Stichtag liegt somit zwischen der Bekanntgabe der geplanten Schließung des Betriebs zu Beginn des Jahres 2012, dem Abschluss der beiden Tarifverträge am 4. 4. 2012 bzw. des Interessenausgleichs zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat und dem Abschluss des dreiseitigen Vertrags zwischen dem ehemaligen Arbeitgeber, der Transfergesellschaft und den Arbeitgebern.806 Ob die Tarifvertragsparteien mit ihrer Festlegung des Stichtags auf den 23. 3. 2012 (12:00 Uhr) eine sinnvolle Wahl getroffen haben oder ob ein Datum in der darauffolgenden Woche, im vorangegangen Monat o. Ä. angemessener gewesen wäre, um die Differenzierung umzusetzen, kann und darf nicht näher kontrolliert werden. Auch bei der Bestimmung des genauen Stichtags während der Zeitspanne einer Betriebsänderung muss die tarifautonome Entscheidungsbefugnis respektiert werden. Lediglich im Falle einer offensichtlich willkürlichen Gestaltung – beispielsweise wenn der Stichtag für die tariflichen Leistungen ohne spezifischen Anlass drei Jahre vor der konkreten Betriebsänderung angesetzt werden würde – könnte über einen fehlenden sachlichen Zusammenhang zwischen dem Stichtag und dem zugrundeliegenden Sachverhalt nachgedacht werden. Weist die konkrete Auswahl des Stichtags im Tarifsozialplan allerdings einen hinreichenden Bezug zur Betriebs- bzw. Unternehmensänderung auf, ist sie nicht zu beanstanden. (4) Keine objektive Kontrolle der Stichtagslösung auf eine vermeintliche Optimierung des Mitgliederschutzes Zwar ist damit geklärt, dass die Tarifvertragsparteien grundsätzlich auf eine Stichtagsregelung zur Begrenzung des anspruchsberechtigten Personenkreises zurückgreifen können, deren konkrete Ausgestaltung und insbesondere die Auswahl des Stichtags im Zusammenhang mit der Unternehmensänderung nicht näher kon805

BAG v. 15. 4. 2015 – 4 AZR 796/13, AP TVG § 3 Nr. 57 (Rn. 4). Mit der Zeitspanne bei der Wahl des Stichtags ist die Rechtsprechung großzügig: BAG v. 5. 9. 2012 – 4 AZR 696/10, AP TVG § 3 Nr. 53 (Rn. 31) lässt beispielsweise einen zeitlichen Zusammenhang „mit dem Beginn der Tarifauseinandersetzung oder dem Abschluss eines Tarifvertrags“ genügen. 806

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Teil 2: Die Zulässigkeit von tarifvertraglichen Differenzierungsklauseln

trolliert werden darf. Möglicherweise fordert eine distanzierte Betrachtungsweise jedoch eine Abänderung dieses Befundes heraus. Wenn sich tatsächlich andere Wege identifizieren lassen, die die Unterscheidung zwischen den Gewerkschaftsmitgliedern auf vermeintlich nachvollziehbarere, schonendere Weise herbeiführen, könnte den Tarifvertragsparteien vorgeworfen werden, diese Mittel außer Acht gelassen zu haben. Dies gilt zu einem für den Alternativvorschlag, die Ausschüttung der tariflichen Sonderleistungen nicht an die Mitgliedschaft zu einem bestimmten Zeitpunkt, sondern an die Betriebstreue der Gewerkschaftsmitglieder zu knüpfen.807 Ein Mitglied, das sein dreißigjähriges Betriebsjubiläum feiern konnte, aber erst kürzlich der Gewerkschaft beigetreten ist, hat in aller Regel einen größeren Bedarf nach Leistungen zum Ausgleich bzw. zur Überbrückung der mit dem Arbeitsplatzverlust verbundenen wirtschaftlichen Nachteile als ein beruflicher Neueinsteiger, der aber zum betreffenden Stichtag bereits Gewerkschaftsmitglied war. Zum anderen würde es von einem objektiven Standpunkt aus ebenfalls nahegelegen, die Auszahlung zusätzlicher Boni von einem individuellen Sonderopfer abhängig zu machen, die in gebündelter Form zur Abwendung der kompletten Betriebsschließung beigetragen haben.808 Vor diesem Hintergrund wäre jedenfalls beim ETS-TV denkbar gewesen, die Zusatzleistungen nur denjenigen Gewerkschaftsmitgliedern zuzusprechen, die auf den manteltarifvertraglichen Sonderkündigungsschutz verzichtet und dadurch ihrerseits einen greifbaren Beitrag zur Gesamtsanierung geleistet haben.809 Auf diese alternativen Herangehensweisen zur differenzierten Verteilung der Gelder unter den Gewerkschaftsmitgliedern kann es jedoch nicht entscheidend ankommen. Räumt man den Tarifvertragsparteien die Möglichkeit ein, die Regelung der Arbeitsbedingungen in eigener Verantwortung wahrzunehmen und billigt ihnen bei Fragen der Gleichbehandlung einen Spielraum zu, der nur die willkürlichen Auswüchse korrigieren soll, verkäme diese Zusage bei einer derart restriktiven Kontrolle zu einem reinen Lippenbekenntnis. Das gilt umso mehr für den Versuch, die vermeintlich sinnvollere, sozialverträglichere – allgemein: die vermeintlich bessere – Variante an die Stelle der tariflichen Entscheidung zu setzen. Grundgedanke und verfassungsrechtlicher Ausgangspunkt der Tarifautonomie ist gerade die Annahme, dass die Tarifvertragsparteien die Zusammenhänge im Arbeits- und Wirtschaftsleben besser einschätzen können als eine staatlich beeinflusste Entgeltund Leistungsfindung.810 Die Frage, welche Vorgehensweise für die konkrete Situation die beste ist, betrifft Wertungsgesichtspunkte, die von Gewerkschaft und Arbeitgeber(verband) einzeln gewichtet und im Rahmen kollektiv ausgeübter Privatautonomie, notfalls im Wege des Arbeitskampfes miteinander in Ausgleich gebracht werden müssen. Die Benennung einer objektiv optimalen Lösung, die an die Stelle der tariflich ausgehandelten Regelung treten und umfassende Anerkennung 807 Zur Betriebstreue als Maßstab für eine Differenzierung BAG v. 15. 1. 2014 – 10 AZR 297/13, AP TVG § 1 Tarifverträge: Metallindustrie Nr. 230 (Rn. 16 ff.). 808 Vgl. BAG v. 15. 4. 2015 – 4 AZR 796/13, AP TVG § 3 Nr. 57 (Rn. 3). 809 Vgl. BAG v. 15. 4. 2015 – 4 AZR 796/13, AP TVG § 3 NR. 57 (Rn. 43). 810 Dieterich, FS Schaub, S. 117 (129); vgl. auch die in Teil 1, Fn. 12 genannten Stimmen.

B. Differenzierungsklausel mit Stichtag vor Abschluss des Tarifvertrags

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beanspruchen könnte, ist daher schon von Verfassungs wegen nicht möglich. Wenn die Tarifvertragsparteien bei die Bestimmung des anspruchsberechtigten Personenkreises nicht auf ein individuelles Sonderopfer, sondern auf eine zeitliche Komponente zurückgreifen, um für ihre Planungen kalkulatorische Sicherheit zu erreichen, ist diese Entscheidung daher von allen Beteiligten und insbesondere von den Gerichten zu respektieren.811 Zu Recht betont das BAG in ständiger Rechtsprechung, dass die Tarifvertragsparteien nicht dazu verpflichtet seien, „die jeweils zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Lösung zu wählen“.812 Das schließe auch die Befugnis zur Vereinbarung von Regelungen ein, die „den Betroffenen ungerecht und Außenstehenden nicht zwingend sachgerecht erscheinen mögen“.813 Dieser Sichtweise ist in doppelter Hinsicht zuzustimmen. Erstens wendet das BAG mit ihr konsequent diejenigen Grundsätze an, die auf Grundlage des Art. 9 III GG für den Ausgleich von Tarifautonomie und Gleichbehandlung bei der tariflichen Normsetzung entwickelt wurden. Der Verhandlungsprozess zweier gleich starker Gegenspieler bringt es notwendigerweise mit sich, bestimmte Interessen oder Wünsche zurückstellen zu müssen und nur nachrangig behandeln zu können. Dass sich die Gewerkschaft durch die differenzierende Regelung in den Augen vieler Beschäftigter möglicherweise in Misskredit bringt und für die weitere Vertretung der Arbeitnehmerinteressen disqualifiziert, ist ein Problem der Außendarstellung und der öffentlichen Kommunikation eigener Entscheidungen.814 Jedenfalls wird mit dieser Kritik keine rechtlich relevante Kategorie eröffnet, die gegen die Lösung der Tarifvertragsparteien über einen Stichtag in der Vergangenheit ins Feld geführt werden könnte. Zweitens vermeidet die Perspektive der Rechtsprechung den Rekurs auf eine vermeintliche intersubjektive oder gar objektive Form der „Gerechtigkeit“, die in einem pluralistischen Verfassungsstaat nicht existieren kann.815 Insbesondere, wenn dessen Arbeitsrechtsordnung korporatistisch verfasst ist und den Tarifvertragsparteien die autonome Regelung zentraler Bereiche im Arbeitsleben überlasst, erscheint der Rekurs auf eine normativ aufgeladene „Gerechtigkeit“ bedenklich. Die Pflicht zur staatlichen Zurückhaltung in Art. 9 III GG demonstriert unmissverständlich, dass der Verfassungsgeber der Ansicht war, die Koalitionen selbst könnten besser als jede hoheitliche Gewalt feststellen, was in der konkreten Situation an811

Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 848. Vgl. nur BAG v. 15. 4. 2015 – 4 AZR 796/13, AP TVG § 3 Nr. 57 (Rn. 32); BAG v. 11. 12. 2013 – 10 AZR 726/12, AP TVG § 1 Tarifverträge: Einzelhandel Nr. 103 (Rn. 14); BAG v. 25. 1. 2012 – 4 AZR 147/10, AP GG Art. 3 Nr. 324 (Rn. 32); BAG v. 30. 10. 2008 – 6 AZR 712/ 07, AP TVÜ § 11 Nr. 1 (Rn. 15); BAG v. 23. 3. 2011 – 10 AZR 701/09, AP TVG § 1 Tarifverträge: Verkehrsgewerbe Nr. 19 (Rn. 21); BAG v. 27. 5. 2004 – 6 AZR 129/03, AP TVG § 1 Gleichbehandlung Nr. 5 [B. II. 3. c) dd) der Gründe]; BAG v. 30. 7. 1992 – 6 AZR 11/92, AP TV Ang Bundespost § 1 Nr. 1 [B. II. 3. b) aa) der Gründe]. 813 BAG v. 15. 4. 2015 – 4 AZR 796/13, AP TVG § 3 Nr. 57 (Rn. 32); BAG v. 25. 1. 2012 – 4 AZR 147/10, AP GG Art. 3 Nr. 324 (Rn. 32). 814 Ähnlich Corzelius, ZTR 2016, 188 (190). 815 Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, S. 63; ders., Tarifgeltung, S. 244 f.; vgl. auch Rüthers, Das Ungerechte an der Gerechtigkeit, S. 172 ff. 812

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Teil 2: Die Zulässigkeit von tarifvertraglichen Differenzierungsklauseln

gemessen – oder zugespitzt formuliert: „gerecht“ – ist.816 Folgerichtig stellt das BVerfG zur Richtigkeitsvermutung der Tarifverträge so eindeutig wie zutreffend fest, dass ein objektiver Maßstab, nach dem sich die Richtigkeit einer tariflichen Regelung besser beurteilen ließe, nicht existiert.817 Konsequenterweise hat auch der einfache Gesetzgeber normative Tarifregelungen durch § 310 IV S. 1 BGB von einer Angemessenheitskontrolle befreit.818 Die Grundentscheidung des Verfassungsgebers für eine größere Sachnähe der Tarifvertragsparteien würde in seinem Kernaspekt desavouiert, wenn deren Vereinbarungen über die Hintertür wiederum einer Gerechtigkeitskontrolle durch die Gerichte unterzogen würden. (5) Grenzen der Rechtfertigungsmöglichkeit Aus der Feststellung, dass die Tarifvertragsparteien in bestimmten Ausnahmefällen an die Mitgliedschaft in der Gewerkschaft zu einem bestimmten Stichtag in der Vergangenheit anknüpfen dürfen, um durch die zeitliche Differenzierung hinreichende Planbarkeit erreichen zu können, resultiert eine Reihe von Folgefragen, die einer Klärung bedürfen: Sie betreffen den Inhalt der exklusiven Leistungen und stellen auf diese Weise den Zusammenhang zwischen der an sich zulässigen Differenzierungsklausel mit Stichtag in der Vergangenheit und der konkreten Leistung her, die ausgewählten Gewerkschaftsmitgliedern vorbehalten bleiben soll. (a) Qualitative Beschränkung bezüglich des Leistungsgegenstands auf Abfindungsund Überbrückungszahlungen Damit ist die erste Problemstellung bereits grob vorgezeichnet. Die Untersuchung muss kontrollieren, ob tatsächlich jeder Tarifinhalt an eine Mitgliedschaft zu einem bestimmten Zeitpunkt gekoppelt werden kann, wenn nur die konkrete Unternehmenslage eine unterschiedliche Behandlung zur besseren Planbarkeit erfordert, oder ob den Tarifvertragsparteien hierfür inhaltliche Grenzen gezogen werden. Für eine umfassende Regelungsbefugnis spricht jedenfalls der Grundsatz, dass die Bestimmung des Leistungsumfangs in die Einschätzungsprärogative der Tarifvertragsparteien fällt und deshalb aus Respekt vor der Tarifautonomie im Ausgangspunkt nicht beanstandet werden kann.819 Es ist Sache der Tarifvertragsparteien zu entscheiden, ob den tarifgebundenen Arbeitnehmern eine Extrazahlung in Höhe von 10.000 Euro, 15.000 Euro oder gar 100.000 Euro zufließen soll. Dieser umfassende Spielraum bei der Ausgestaltung der konkreten Geldsumme besteht grundsätzlich auch im Rahmen einer Betriebsänderung.820 Zu Recht hat das BAG daher die Höhe der Zusatzleistung 816

Vgl. die in Teil 1, Fn. 12 Genannten. BVerfG v. 14. 11. 2018 – 1 BvR 1278/16, AP GG Art. 9 Nr. 153 (Rn. 8); BVerfG v. 11. 7. 2017 – 1 BvR 1571/15 u. a., AP GG Art. 9 Nr. 151 (Rn. 146). 818 Vgl. nur BT-Drucks. 14/6857, S. 54, ErfK/Preis, § 310 BGB Rn. 8. 819 Vgl. BAG v. 16. 5. 2013 – 6 AZR 619/11, AP TVUmBw § 7 Nr. 1 (Rn. 34); BAG v. 24. 6. 2010 – 6 AZR 18/09, AP TVUmBw § 11 Nr. 2 (Rn. 25). 820 BAG v. 15. 4. 2015 – 4 AZR 796/13, AP TVG § 3 Nr. 57 (Rn. 33). 817

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im Urteil vom 15. 4. 2015 nicht näher kontrolliert.821 Damit ist jedoch nicht die Frage beantwortet, ob auch andere Leistungszusagen Gegenstand einer differenzierenden Regelung werden können. Virulent wird die Übertragung der im Wesentlichen freien tariflichen Entscheidungsbefugnis, wenn der Leistungsgegenstand den Bereich einer einmaligen Ausgleichs- und Überbrückungszahlung für die Altmitglieder verlässt und beispielsweise wiederkehrende Leistungen differenziert ausgestaltet oder besondere, nicht unmittelbar finanziell ausgestaltete Leistungen wie etwa Bestandsschutzgarantien in Form eines tariflichen Sonderkündigungsschutzes für die altgedienten Gewerkschaftsmitglieder verspricht. Ob der Rechtfertigung der Ungleichbehandlung auf diesen Gebieten qualitative Grenzen gezogen sind, muss die nun folgende Erörterung zeigen. (aa) Wiederkehrende Leistungen Trotz grundsätzlich umfassender inhaltlicher Gestaltungsfreiheit mahnen die Sachzwänge des Tarifsozialplans bei der Differenzierung innerhalb der Gewerkschaftsmitglieder zur Vorsicht. Rekapituliert man den Grund, der zur Rechtfertigung der Ungleichbehandlung herangezogen wurde, zeigt sich, dass die unterschiedliche Behandlung im Mitgliederbestand nur angesichts des Bedürfnisses nach kalkulatorischer Sicherheit zulässig ist. Dieser Schluss rührte wiederum von dem Gedanken, dass den Tarifvertragsparteien in dieser unternehmerischen Ausnahmesituation nur ein einmalig bereitgestellter Finanzierungsrahmen zur Verfügung stehe, der nicht aus laufenden Beträgen gespeist und deshalb nicht „nachgefüllt“ wird.822 Gleichsam als Kehrseite der Medaille erscheint dann allerdings auch die Annahme zwingend, dass die prekäre Unternehmenslage nicht dazu herangezogen werden darf, um eine fortwährende Ungleichbehandlung zwischen den Gewerkschaftsmitgliedern durch wiederkehrende Leistungen im Tarifvertrag positiv festzuschreiben.823 Wird eine ungleich bessere Bezahlung der Altmitglieder über Monate und sogar Jahre hinweg vereinbart, muss kritisch hinterfragt werden, ob sich das Unternehmen tatsächlich in der Ausnahmesituation befindet, die eine Unterscheidung zwischen den Gewerkschaftsmitgliedern zur Gewährleistung kalkulatorischer Sicherheit rechtfertigt. In aller Regel liegt bei einer Anknüpfung an das arbeitsvertragliche Austauschverhältnis im Tarifvertrag vielmehr die Vermutung nahe, dass es sich nicht mehr um tarifliche Sonderleistungen aus einem einmalig bereit gestellten Finanzierungstopf handelt, sondern um regelmäßige Leistungen aus einem Pool, dessen Volumen immer wieder neu durch laufende Erträge des Arbeitgebers aufgestockt wird. Sollte sich der Verdacht erhärten, besteht für die Tarifvertragsparteien in diesem Fall bei konsequenter Anwendung des bisherigen Befundes tat821 A. A. aber Greiner, jM 2016, 66 (69): „Das BAG scheut eine offene Darstellung seiner erkennbaren Intention, den gewerkschaftlichen Organsiationsgrad durch Zulassung einer entgrenzten Differenzierungsstrategie zu fördern.“; ähnlich auch ders., FS H. J. Willemsen, S. 159 (165); Kalb, FS Moll, S. 327 (331 f.). 822 Siehe oben, Teil 2 B. III. 7. k) bb) (2) (c) (aa). 823 Ähnlich auch Däubler/Heuschmid, § 1 TVG Rn. 1074.

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Teil 2: Die Zulässigkeit von tarifvertraglichen Differenzierungsklauseln

sächlich kein Bedürfnis nach kalkulatorischer Sicherheit. Dies hätte zur Folge, dass die Differenzierung zwischen Alt- und Neumitgliedern bei wiederkehrenden Leistungen wegen Verstoßes gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz unzulässig wäre. Vor dem Hintergrund dieser Zusammenhänge ist wiederkehrenden Zahlungen in einem sozialplanähnlichen Tarifvertrag, der die Gewerkschaftsmitgliedschaft zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Vergangenheit zum anspruchsbegründenden Kriterium erhebt, mit grundsätzlicher Skepsis zu begegnen. Die bipolare Einteilung in zulässige einmalige Sonderleistungen einerseits und unzulässige wiederkehrende Leistungen andererseits greift allerdings zu kurz. Abseits der klaren Fälle läuft diese Kategorisierung Gefahr, einen Teil der wiederkehrenden Leistungen falsch einzuorndnen und auf dieser Weise der Gestaltungsfreiheit der Tarifvertragsparteien nicht gerecht zu werden. So kann es aus Wertungsgesichtspunkten keinen Unterschied machen, ob eine Einmalzahlung punktuell voll ausgeschüttet wird oder die Auszahlung der versprochenen Summe in mehreren Tranchen und damit über einen gewissen Zeitraum gestreckt erfolgt. Legt man diese Prämisse zugrunde, muss folgerichtig danach differenziert werden, ob es sich bei der wiederkehrenden Leistung tatsächlich um laufende Bezüge handelt, wie beispielsweise ein dauerhaft höheres Arbeitsentgelt für langjährige Gewerkschaftsmitglieder oder ob in Wirklichkeit eine im Gesamtpaket einmalige Leistung vorliegt, die nur verteilt auf mehrere Auszahlungszeitpunkte ausgeschüttet wird und nach der vereinbarten Laufzeit ersatzlos endet. Diese Einteilung legt auch das BAG zugrunde, wenn es in der Entscheidung vom 15. 4. 2015 in Anlehnung an betriebliche Sozialpläne824 konstatiert, bei Tarifverträgen mit sozialplanähnlichen Inhalten umfasse der Gestaltungsspielraum der Tarifvertragsparteien auch die Möglichkeit, neben einmaligen Zahlungen auch andere Leistungen wie Überbrückungsgelder zu vereinbaren.825 Damit führen die Richter über Umwege die Rechtsprechung fort, die mit der Entscheidung vom 18. 3. 2009 angestoßen wurde. Dort stand das BAG einer fortlaufenden Differenzierung im Tarifvertrag, die an das arbeitsvertragliche Austauschverhältnis anknüpfte, ablehnend gegenüber,826 während die Ausschüttung von Sonderleistungen grundsätzlich erlaubt blieb. Diese Unterscheidung nach der konkreten Eigenschaft der ausgezahlten Leistung gewinnt demnach auch bei der Differenzierung zwischen den Gewerkschaftsmitgliedern an Relevanz. Werden die tariflichen Ausgleichs- und Überbrückungsgelder aus dem Abfindungstopf in mehreren Raten an die begünstigten Arbeitnehmer ausbezahlt, handelt es sich bei den Leistungen qualitativ um die teilweise Ausschüttung einer ursprünglich einmalig zur Verfügung gestellten Summe. Die tranchenweise Zahlung der Ausgleichs- und Überbrückungsgelder wahrt deshalb in ihrer Gesamtheit nach wie vor den Charakter einer einmaligen Sonderleistung, die durch die Betriebsän824

Dazu BAG v. 9. 12. 2014 – 1 AZR 102/13, AP BetrVG 1972 § 112 Nr. 225 (Rn. 23). BAG v. 15. 4. 2015 – 4 AZR 796/13, AP TVG § 3 Nr. 57 (Rn. 36). 826 BAG v. 18. 3. 2009 – 4 AZR 64/08, AP TVG § 3 Nr. 41 (Rn. 79); kritisch demgegenüber Kamanabrou, Anm. zu AP TVG § 3 Nr. 41 (II. b) bb)); Leydecker, AuR 2009, 338 (340). 825

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derung veranlasst wurde. Damit bleibt sie auch in einem Tarifsozialplan einer Differenzierung zwischen Alt- und Neumitgliedern grundsätzlich zugänglich. Demgegenüber unterfällt eine tarifliche Ausgestaltung, die diese Grenzen bei wertender Betrachtung überschreitet und beispielsweise den Altmitgliedern fortan ein höheres Arbeitsentgelt verschafft, dem Verdikt der Unzulässigkeit. Für eine solche Ungleichbehandlung auf Grundlage des Tarifsozialplans gibt es keine Rechtfertigung. Die richtige Einordnung der Leistungen, die über einen bestimmten Zeitraum wiederkehrend ausgeschüttet werden, gestaltet sich mitunter schwierig. Ein erster Anhaltspunkt für eine in der Gesamtheit einmalige Leistung kann unter anderem ein fest umrissenes zeitliches Korsett sein, in dem die Ausschüttung der Abfindungszahlung wiederholt erfolgen soll. Immerhin kann das Interesse der Tarifvertragsparteien an einer soliden Kalkulationsbasis für den Tarifsozialplan nur dann rechtlichen Schutz beanspruchen, wenn sich klar absehen lässt, wie viel Geld pro tarifgebundenem Arbeitnehmer veranschlagt werden muss. Insbesondere bei den Regelungen zum Übertritt in eine Transfergesellschaft aus Anlass der Betriebsänderung ist diese notwendige Voraussetzung in den meisten Fällen erfüllt. Als arbeitsmarktpolitisches Instrument haben Transfergesellschaften bei betrieblichen Restrukturierungen das Ziel, den Arbeitnehmern anstelle von Abfindungen beschäftigungswirksame Maßnahmen anzubieten.827 Dafür wechseln die Arbeitnehmer zeitweise in sog. betriebsorganisatorisch eigenständige Einheiten (beE), in denen Qualifikationsangebote die Vermittlungschancen steigern sollen.828 Wesentlicher Anreiz bei dieser Vorgehensweise ist die Aussicht auf staatliche Förderung durch Transferkurzarbeitergeld nach § 111 I SGB III bis zu einer Dauer von zwölf Monaten, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind.829 Zusätzlich verfolgen die Transfergesellschaften den Zweck, einerseits den Arbeitnehmer möglichst zeitnah wieder zu einer dauerhaften Beschäftigung auf dem Arbeitsmarkt zu verhelfen830 und andererseits dem Arbeitgeber die Unternehmenssanierung zu ermöglichen.831 Der dadurch ermöglichte sozialverträgliche Personalabbau832 stellt vor diesem Hintergrund eine Alternative zur betriebsbedingten Kündigung mit hoher Abfindungssumme dar.833 Aus diesem Grund spricht viel dafür, auch die Bezüge, die in einem Transferarbeitsverhältnis über einen längeren Zeitraum hinweg gewährt werden, nicht als Leistungen mit Entgeltcharakter, sondern gleichsam als qualitatives Sur827

BT-Drucks. 15/1515, S. 92; Voelzke, NZA 2012, 177 (180). Vgl. ErfK/Rolfs, § 111 SGB III Rn. 1; Grobys/Panzer-Heemeier/Schimmelpfennig/ Sigle, Transfergesellschaft Rn. 3. 829 Näher zum Transferkurzarbeitergeld Stock, Transfergesellschaft, S. 163 ff.; wiederum kritisch gegenüber der staatlichen Förderung jurisPK SGB III/Jenak, § 111 SGB III Rn. 16 (Stand: 18. 12. 2019). 830 Stock, Transfergesellschaft, S. 13. 831 NK-SGB III/Baar/Mutschler, § 111 SGB III Rn. 7. 832 Vgl. LAG Hamburg. v. 7. 9. 2005 – 5 Sa 41/05, juris [II. der Gründe]; Brand/Kühl, § 111 SGB III Rn. 2; ErfK/Rolfs, § 111 SGB III Rn. 1. 833 So auch Voelzke, NZA 2012, 177 (180). 828

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rogat zur Abfindungssumme aufzufassen, die anderenfalls beim Ausscheiden aus dem Unternehmen als Ganzes fällig geworden wäre. Nach Wertungsgesichtspunkten kann es deshalb keinen Unterschied machen, ob die Abfindungssumme gestaffelt während des Transferarbeitsverhältnisses ausbezahlt wird oder ob der tarifgebundene Arbeitnehmer bereits beim Ausscheiden aus dem Unternehmen die versprochene Leistung in ihrer Gesamtheit beanspruchen kann. Auch bei der Ausschüttung der Abfindungssumme in mehreren Tranchen handelt es sich qualitativ um die teilweise Ausschüttung einer einmaligen Gesamtsumme, die von den Tarifvertragsparteien aus Anlass der Betriebsänderung für die tarifgebundenen Arbeitnehmer vereinbart wurde. (bb) Sonderfall: Tariflicher Bestandsschutz Die bisherigen Untersuchungen legen nahe, dass bei einer tariflichen Differenzierungsklausel mit Stichtag aufgrund des sinnbildlichen Vergütungstopfes nur im Hinblick auf geldwerte Leistungen zwischen den Gewerkschaftsmitgliedern unterschieden werden darf. Gleichsam als komplementäres Gegenstück hierzu scheint bei Sachverhalten, die über die Zahlung einer Abfindungs- und Überbrückungsleistung hinausreichen und damit den monetären Bereich verlassen, das Argument eines beschränkten Vergütungstopfes als Fundament für die Rechtfertigung nicht fruchtbar gemacht werden zu können. Diese Überlegung muss sich anhand eines hypothetischen Tarifvertrags verifizieren lassen, der beispielsweise einen tariflichen Sonderkündigungsschutz lediglich für Altmitglieder vorsieht und diesen Vorteil über eine Differenzierungsklausel mit Stichtag in der Vergangenheit im Rahmen einer Unternehmenssanierung absichert. Insbesondere wenn die angekündigte Betriebsänderung mit dem Verlust einer Vielzahl von Arbeitsplätzen verbunden ist, wäre es nicht fernliegend, wenn die Gewerkschaft anstatt der Abfindungszahlungen den Ausspruch von tariflichen Bestandsschutzgarantien in Form eines Sonderkündigungsschutzes für bewährte Gewerkschaftsangehörige einfordert. Mit diesem Leistungsgegenstand eröffnet sich eine völlig neue Dimension. Neben den bislang genannten monetären Leistungszusagen im Tarifsozialplan wird bei der Vereinbarung eines tariflichen Sonderkündigungsschutzes kein bestimmtes Leistungsbündel an ausgewählte Gewerkschaftsmitglieder ausgekehrt, sondern bereits der Bestand ihres Arbeitsverhältnisses als solcher garantiert. Dieser Umstand könnte eine neue rechtliche Bewertung herausfordern.834 Bei einer ersten Annäherung an die Problematik drängen sich zunächst Parallelen zur Debatte um die Zulässigkeit tariflicher „Unkündbarkeitsregelungen“835 auf. Bei 834

Vgl. hierzu auch Ricken, Stichtagsregelungen, S. 37 ff. Richtigerweise handelt es sich nicht um eine Unkündbarkeit im eigentlichen Sinn, sondern „nur“ um eine Vorrangregel, so auch Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 2254. Der Sonderkündigungsschutz führt nicht zu einer vollkommenen Immunisierung des Arbeitsverhältnisses gegenüber betriebsbedingten Kündigungen. Er stellt lediglich sicher, dass erst alle Arbeitnehmer ohne besonderen Kündigungsschutz in die (ursprüngliche) Sozialauswahl einbezogen und vorrangig gekündigt werden. Sind danach aber nach wie vor mehr Arbeitnehmer 835

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diesen Vorschriften erhalten bestimmte, meist ältere oder langjährig beschäftigte Arbeitnehmer einen tariflichen Sonderkündigungsschutz.836 Durch die von § 1 III KSchG abweichende Gewichtung verschiebt sich gleichsam als Reflex hierzu die Sozialauswahl zu Lasten derer, die nicht in den Genuss des tariflichen Sonderkündigungsschutzes kommen.837 Damit erhöht sich das Risiko der „ungeschützten“ Arbeitnehmer, betriebsbedingt gekündigt zu werden, proportional mit der Reichweite des tariflichen Sonderkündigungsschutzes. Zum Ausgleich zwischen der Tarifautonomie einerseits und den sozialen Mindeststandards für die nicht geschützten Arbeitnehmer aus Art. 12 I GG bzw. dem Gleichbehandlungsgrundsatz andererseits hat sich in Anlehnung an § 1 IV KSchG ein Prüfungsmaßstab etabliert, der die Auswahl der Personen, die unter den tariflichen Sonderkündigungsschutz fallen, lediglich auf grobe Fehlerhaftigkeit hin kontrolliert.838 Die Tarifvertragsparteien dürfen den Sonderkündigungsschutz allerdings nicht von beliebigen Kriterien abhängig machen. Bereits im Rahmen von einfachen Differenzierungsklauseln vertritt die Mehrzahl der Literaturstimmen zutreffenderweise die Ansicht, dass über sie kein tariflicher Sonderkündigungsschutz für Gewerkschaftsmitglieder eingeräumt werden dürfe.839 Bei der Anknüpfung an die Gewerkschaftsmitgliedschaft fehlt es an einem Bezug zur konkreten Beschäftigung, der die Schutzwürdigkeit gerade dieses Arbeitsverhältnisses und damit die Herbeschäftigt als Arbeitsplätze vorhanden, können auch eigentlich „unkündbare“ Arbeitnehmer mit Sonderkündigungsschutz außerordentlich wegen betriebsbedingter Gründe gekündigt werden. Auch hier muss eine Sozialauswahl nach § 1 III KSchG stattfinden, vgl. BAG v. 17. 9. 1998 – 2 AZR 419/97, AP BGB § 626 Nr. 148 [II. 5. der Gründe]; BAG v. 5. 2. 1998 – 2 AZR 227/97, AP BGB § 626 Nr. 143 [II. 3. e) der Gründe]. Die „Unkündbarkeitsregelung“ schafft also eine vorrangige Ebene der Sozialauswahl, in die sämtliche kündbaren Arbeitnehmer einbezogen sind, und eine subsidiäre, nachgelagerte Ebene für alle „unkündbaren“ Arbeitnehmer; vgl. hierzu auch Graj, Unkündbarkeitsklauseln, S. 327; Sprenger, BB 2014, 1781 (1783). 836 Vgl. hierzu Eylert/Sänger, RdA 2010, 24 (39 ff.); nach wohl h. M. sind solche Regelungen im Tarifvertrag allerdings nur als Betriebsnorm gemäß § 3 II TVG möglich, siehe hierzu ErfK/Oetker, § 1 KSchG Rn. 352; Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 2236, 2254; Ascheid, RdA 1997, 333 (335); Koch, Standortsicherung, S. 41 f.; Lasson, Kollektivrechtliche Investitionsvereinbarungen, S. 60 ff.; a. A. Däubler/Heuschmid/Klein, § 1 TVG Rn. 897; TB/Mengel/Burg, 5. Kapitel Sonderkündigungsschutz Rn. 3. 837 APS/Kiel, § 1 KSchG Rn. 625; Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 2235; Bütefisch, Sozialauswahl, S. 142; vgl. auch Fuhlrott/Hoppe, BB 2012, 253 (254); Müller; Sozialauswahl, § 5 Rn. 181. 838 BAG v. 20. 6. 2013 – 2 AZR 295/12, AP BGB § 626 Unkündbarkeit Nr. 3 (Rn. 50 ff.); angedeutet bereits in BAG v. 5. 6. 2008 – 2 AZR 907/06, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 179 (Rn. 31); vgl. ferner APS/Kiel, § 1 KSchG Rn. 626 ff.; GMN/R. Zimmermann, § 1 KSchG Rn. 745; Bröhl, Kündigung, S. 216 ff.; Boss, BB 2009, 1238 (1240 f.); die Zulässigkeit einer tariflichen Vorrangregelung gänzlich negierend Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 2254; vorsichtiger Kania/M. Kramer, RdA 1995, 287 (289). 839 JKOS/Krause, § 1 Rn. 71; Boss, BB 2009, 1238 (1241); Franzen, RdA 2006, 1 (4 f.); Gamillscheg, NZA 2005, 146 (150); Greiner, NZA 2016, 10 (11 f.); Lelley/D. Becker, BB 2015, 1397 (1400); mit Hinweis auf die Parallele zu den closed-shop-Regelungen Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 2236; a. A. aber Wiedemann/Jacobs, Einl. TVG Rn. 460.

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ausnahme aus der betriebsweiten Sozialauswahl rechtfertigen könnte. Vor diesem Hintergrund liegt bei Differenzierungsklauseln mit Stichtag in der Vergangenheit erst recht eine grobe Fehlerhaftigkeit bei der Auswahl der Arbeitnehmer vor, wenn sie über die Mitgliedschaft hinaus noch die Mitgliedschaft zu einem bestimmten Zeitpunkt als entscheidendes Merkmal voraussetzen würde. Die Gewerkschaftsmitgliedschaft ist deshalb bereits kein taugliches Kriterium, für das ein tariflicher Sonderkündigungsschutz eingeräumt werden darf. Diese Einschätzung bestätigt sich durch einen Erst-recht-Schluss, der sich aus der Zusammenschau der Gründe ergibt, die eine Differenzierung nach dem Zeitpunkt des Gewerkschaftsbeitritts bzw. der -mitgliedschaft in Tarifsozialplänen unter Gleichbehandlungsgesichtspunkten jedenfalls bei geldwerten Leistungen ermöglicht haben. Dort konnte aufgezeigt werden, dass die Rechtfertigung der Ungleichbehandlung im Wesentlichen kumulativ auf zwei Säulen beruht: Zum einem sind die Ausgleichs- und Überbrückungszahlungen im Tarifsozialplan Teil einer einmaligen Ausschüttung eines bestimmten, limitierten Vergütungsvolumens. Zum anderen werden durch die inhaltliche Begrenzung des Dotierungsrahmens Verteilungskonflikte hervorgerufen, die für eine seriöse Kalkulation einen abgeschlossenen, nicht mehr wachsenden Kreis an Anspruchsberechtigten erfordern. Zwar ließe sich noch nachvollziehbar begründen, dass auch der Ausspruch von Bestandsschutzgarantien Verteilungsfragen berührt. Der Arbeitgeber wird bei seiner Unternehmenssanierung nicht allen, sondern nur gegenüber einem zahlenmäßig begrenzten Arbeitnehmerkreis eine solche Garantie aussprechen können, sodass in der Tat ein gewisses Bedürfnis nach Differenzierung bestünde. Jedoch werden durch die Vereinbarung eines tariflichen Sonderkündigungsschutzes für ausgewählte Mitglieder nicht nur bestimmte Leistungen differenziert ausgestaltet, sondern effektiv bereits der Bestand der Erwerbsgrundlage lediglich einem Teil der Gewerkschaftsmitglieder vorbehalten. Wenn laufende Bezüge in einem Tarifsozialplan nicht nach einer Gewerkschaftsmitgliedschaft zu einem bestimmten Stichtag differenziert ausgestaltet werden können, muss dies erst recht für Maßnahmen gelten, die für diese differenzierende Behandlung das notwendige Fundament bilden. Der Ausspruch tariflichen Sonderkündigungsschutzes bereitet die Ausschüttung von Leistungen vor, die über eine einmalige Auskehrung – auch in wiederkehrender Form – hinausreichen. Selbst wenn das tarifliche Versprechen der Beschäftigungssicherung per se noch keine laufenden Zahlungen betrifft, ist es nach den hier vertretenen Maßstäben zur Unterscheidung zwischen den Gewerkschaftsmitgliedern als Vorbereitungsmaßnahme für eine unzulässige dauerhafte Differenzierung zu qualifizieren. Für diese Art der Differenzierung zwischen den Gewerkschaftsmitgliedern gibt es aber auch bei einem Tarifsozialplan keine Rechtfertigung mehr. Die Kopplung einer tariflichen Bestandsschutzgarantie an eine Gewerkschaftsmitgliedschaft zu einem bestimmten Zeitpunkt ist rechtlich unzulässig. Ein Ausspruch von Sonderkündigungsschutz zugunsten der Altmitglieder, die eine unterschiedliche Behandlung innerhalb dieses Kreises über einen längeren Zeitraum hinweg erlauben würde, ist

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deshalb sowohl aufgrund der Parallele zu den „Unkündbarkeitsregelungen“ als auch auf Basis der bislang aufgestellten Prinzipien nicht möglich. (cc) Zwischenergebnis Die vorstehenden Überlegungen haben ergeben, dass über die Differenzierungsklausel mit Stichtag in der Vergangenheit lediglich geldwerte Leistungen an bestimmte Gewerkschaftsmitglieder ausgekehrt werden können. Zwar entsprechen in aller Regel nur punktuelle Ausgleichs- und Überbrückungszahlungen dem besonderen Kalkulationsinteresse der Tarifvertragsparteien bei der einmaligen Verteilung eines Vergütungstopfes im Tarifsozialplan. Allerdings können diese Leistungen auch in mehreren Schritten und damit von Zeit zu Zeit ausgezahlt werden, ohne den geforderten Charakter einer Einmalleistung zu verlieren. Die Einräumung von Sonderkündigungsschutz zugunsten der Gewerkschaftsmitglieder ist allerdings angesichts des fehlenden Zusammenhangs zwischen der Verbandszugehörigkeit und der Schutzwürdigkeit gerade dieser Arbeitsverhältnisse selbst in einem Tarifsozialplan unzulässig. (b) Vollständige Verteilung des Finanzierungsvolumens durch die Tarifvertragsparteien ohne Rückstellungen für Neumitglieder Kaum näher thematisiert wurde bislang die Frage, ob die Tarifvertragsparteien auch bei einer Differenzierung unter den Gewerkschaftsmitgliedern hinsichtlich der Leistungshöhe eine umfassende Gestaltungsfreiheit besitzen oder ob ihnen hierfür auf Grundlage des Gleichbehandlungsgrundsatzes quantitative Grenzen gezogen sind. Um sich einer Antwort anzunähern, sei als exemplarischer Prüfstein die hypothetische Extremkonstellation angeführt, in der die Tarifvertragsparteien das komplette Volumen des Abfindungstopfes an die altgedienten Mitglieder der Gewerkschaft verteilen und dabei den Neumitgliedern „nichts übrig lassen“. Ruft man sich erneut ins Gedächtnis, dass das BAG in seiner Entscheidung vom 18. 3. 2009 solche Sonderzahlungen in Differenzierungsklauseln für unzulässig erachtete, die eine bestimmte Höhe erreichten840, scheinen quantitative Grenzen jedenfalls nicht von Anfang an fernliegend. Allerdings muss beachtet werden, dass das BAG seinerzeit die Wertgrenze zur Quantifizierung des Beitrittsdrucks zu Lasten der Außenseiter ins Spiel gebracht hat und damit gerade nicht das Verhältnis der Gewerkschaftsmitglieder zueinander betrachtete. Schon an früherer Stelle konnte indes geklärt werden, dass eine Verletzung der negativen Koalitionsfreiheit bei einfachen Differenzierungsklauseln und Differenzierungsklauseln mit Stichtag in der Vergangenheit nicht von der Höhe der versprochenen Leistungen abhängig gemacht werden kann.841

840 841

BAG v. 18. 3. 2009 – 4 AZR 64/08, AP TVG § 3 Nr. 41 (Rn. 79). Siehe oben, Teil 1 E. III. und Teil 2 B. III. 2. b) dd).

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Teil 2: Die Zulässigkeit von tarifvertraglichen Differenzierungsklauseln

Nimmt man die Kernaussagen der Tarifautonomie ernst, muss auch im hier geschilderten Extremfall einer vollständigen Verteilung des Abfindungstopfes allein an ausgewählte Gewerkschaftsmitglieder die Annahme gelten, dass die Tarifvertragsparteien bei der Bestimmung der Höhe der Ausgleichs- und Überbrückungsleistungen tatsächlich umfassende Freiheiten besitzen und ihnen aus diesem Grund keine verpflichtende Rücksichtnahme in Bezug auf die Interessen der frisch beigetretenen Mitglieder auferlegt werden kann. Die Planungssicherheit als entscheidender Rechtfertigungsgrund bei der Differenzierung zwischen Alt- und Neumitgliedern setzt keine gleichförmige finanzielle Absicherung für jeden Verbandsangehörigen gleichermaßen voraus. Da sie zudem nicht von einem bestimmten maximalen Differenzbetrag zwischen Alt- und Neumitglied abhängt und auch keinen Mindestbetrag für die Neueinsteiger zwingend vorsehen muss, können die Leistungen aus dem Tarifsozialplan nach den oben genannten Maßstäben losgelöst von konkreten Wertgrenzen ausgestaltet werden. Damit schließt sich der Kreis zum Schutzniveau der positiven Koalitionsfreiheit: Mit dem Verbandseintritt erwirbt der jeweilige Neueinsteiger lediglich die Partizipation an der Tarifnormwirkung, jedoch gerade nicht den normativen Anspruch auf ähnliche Leistungen wie vergleichbare tarifgebundene Arbeitnehmer.842 Wieder einmal zeigt sich, dass das Neumitglied im Verband nur gegenüber willkürlichen Schlechterbehandlungen geschützt ist. Als Mitglied gibt er seine individuale Autonomie auf und unterwirft sich der Verbandsverfassung und damit gleichzeitig dem im Verbandsrecht geltenden Mehrheitsprinzip.843 Läuft die Gewerkschaftspolitik seinen Interessen und Wünschen zuwider, muss er dem Verband den Rücken kehren. Die Tarifvertragsparteien dürfen somit grundsätzlich „den Topf leer machen“. Die drohenden, wirtschaftlich negativen Folgen für die Neueinsteiger engen das Ermessen der Tarifvertragsparteien grundsätzlich in keinerlei Hinsicht ein, solange diesen Arbeitnehmern die rechtliche Möglichkeit verbleibt, mit dem Arbeitgeber in individuelle Nachverhandlungen zu treten, um eine (partielle) Weitergabe der tariflichen Leistungen auf individualvertraglichem Weg herbeizuführen. (c) Notwendigkeit einer finanziellen Entschädigung für die Aufgabe des Sonderkündigungsschutzes auch für Neueinsteiger? Diese Einsicht wurde jedoch von Teilen des Schrifttums im Rahmen der Debatte um das BAG-Urteil vom 15. 4. 2015 infrage gestellt, soweit es um die Ausgleichszahlungen für den Verlust des manteltariflichen Sonderkündigungsschutzes ging. Wenn bereits die differenzierende Einräumung tariflichen Sonderkündigungsschutzes unzulässig sei,844 dürfe auch nichts anderes für tarifliche Kompensationsleistungen gelten, die im Rahmen der Unternehmenssanierung für den Verzicht auf 842

Siehe oben, Teil 2 B. III. 5. § 32 Abs. 1 S. 3 BGB für die Mitgliederversammlung, § 26 Abs. 2 S. 1 BGB für den Vorstand; vgl. dazu näher Höpfner, Die Tarifgeltung im Arbeitsverhältnis, 2015, S. 316 f. 844 Siehe oben, Teil 2 B. III. 7. k) bb) (5) (a) (bb). 843

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den Sonderkündigungsschutz ausgezahlt werden.845 Vielmehr liege beim actus contrarius der Aufhebung des Sonderkündigungsschutzes eine Gleichbehandlung all derjenigen Arbeitnehmer nahe, deren Arbeitsverhältnis ursprünglich dem Sonderkündigungsschutz unterfielen.846 Da teilweise auch Außenseiter bzw. Neumitglieder durch eine individualvertragliche Bezugnahme am manteltariflichen Bestandsschutz partizipierten,847 seien sie bei Ausgleichsleistungen wie Mitglieder zu behandeln, denen als Kompensation zum Verzicht eine Zusatzleistung eingeräumt wurde. Während bereits an früherer Stelle konstatiert wurde, dass für eine sachgerechte Differenzierung innerhalb der Gewerkschaftsmitglieder nicht zwingend an ein erlittenes Opfer, bspw. in Form eines Verzichts auf den tariflichen Sonderkündigungsschutz angeknüpft werden muss848, geht es bei dieser Diskussion nunmehr um die Frage, ob die Tarifvertragsparteien sicherzustellen haben, dass wenigstens all diejenigen Arbeitnehmer bei entsprechenden Leistungen gleichbehandelt werden, die ursprünglich in den Genuss des Sonderkündigungsschutzes kamen und mit ihrem Verzicht hierauf einen Beitrag zur Restrukturierung des Unternehmens geleistet haben. Auf den ersten Blick wirkt die Argumentation schlüssig: Ein gleiches Schutzniveau vor der Betriebsänderung soll sich in gleichen tariflichen Kompensationsleistungen niederschlagen, wenn dieser Schutz zum Zwecke der Unternehmenssanierung durch einen Tarifvertrag aufgehoben wird. Diese Sichtweise schafft gleichermaßen eine Schicksalsgemeinschaft, in der aus dem vergleichbaren Opfer ein Anspruch auf entsprechend gleichförmige Ersatzmaßnahmen erwachsen soll. Es sei „kaum nachvollziehbar, weshalb die Außenseiter, die mit ihren Sanierungsbeiträgen genauso wie die Gewerkschaftsmitglieder zur Sanierung des Unternehmens beigetragen und damit letztlich die Masse miterwirtschaftet haben, die für den Nachteilsausgleich zur Verfügung steht, für deutliche finanzielle Vorteile der Gewerkschaftsmitglieder herangezogen werden sollen, ohne ihrerseits begünstigt zu werden, wenn diese Situation nur durch einen in der Vergangenheit liegenden Gewerkschaftsbeitritt hätte abgewendet werden können.“849 Die Forderung nach einer fortwährenden Gleichbehandlung von Außenseitern, Neumitgliedern und Altmitgliedern bei einem gemeinsamen Verzicht auf den manteltariflichen Sonderkündigungsschutz muss sich allerdings mit zwei Kritikpunkten auseinandersetzen. Zum einen bürdet sie den Tarifvertragsparteien die Berücksichtigung der finanziellen Ausgleichsinteressen von Außenseiter-Arbeitnehmern auf, deren Sonderkündigungsschutz nicht aufgrund der normativen Anordnung im Tarifvertrag entfallen ist. Zum anderen qualifiziert sie die Ausgleichs- und Überbrückungszahlungen für den 845

Vgl. etwa HMB/Moll, Teil 12 Rn. 47c; Greiner, FS H. J. Willemsen, S. 159 (172); ders., NZA 2016, 10 (11 f.); ähnlich auch Meyer, Anm. zu AP TVG § 3 Nr. 57 (III.). 846 Greiner, FS H. J. Willemsen, S. 159 (172); ders., NZA 2016, 10 (11 f.). 847 Vgl. Meyer, Anm. zu AP TVG § 3 Nr. 57 (III.). 848 Siehe oben, Teil 2 B. III. 7. k) bb) (4). 849 HMB/Moll, Teil 12 (Rn. 47c); ähnlich auch LAG Hamm v. 12. 6. 2012 – 14 Sa 1275/11, juris (Rn. 156).

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Teil 2: Die Zulässigkeit von tarifvertraglichen Differenzierungsklauseln

Arbeitsplatzverlust als unmittelbare Kompensationsmaßnahme für den Verlust des Sonderkündigungsschutzes und verlängert damit die Schicksalsgemeinschaft gleichsam über den eigentlichen actus contrarius hinaus. (aa) Verlust des Sonderkündigungsschutzes aufgrund normativer Tarifwirkung als zentrales Tatbestandsmerkmal Verpflichtete man die Tarifvertragsparteien zu einheitlichen Kompensationsleistungen zugunsten all derjenigen Arbeitnehmer, deren Sonderkündigungsschutz aufgehoben wurde, würden sie jedenfalls in den Außenseiter-Arbeitsverhältnissen für eine Situation haftbar gemacht werden, die sie nicht unmittelbar zu verantworten haben. In diesen Arbeitsverhältnissen fehlt es den Tarifvertragsparteien an der normativen Regelungsbefugnis. Wie der Verzicht auf den tariflichen Sonderkündigungsschutz dort umgesetzt wurde bzw. ob er überhaupt umgesetzt wird, entzieht sich der Regelungsmacht der Tarifvertragsparteien. Zwar erleiden die Außenseiter durch den Wegfall des Sonderkündigungsschutzes praktisch denselben Verlust wie ihre tarifgebundenen Kollegen. Der Grund hierfür liegt bei ihnen jedoch nicht in der Verbandsmitgliedschaft, sondern in der arbeitsvertraglichen Verweisungsklausel und damit in einem Medium außerhalb des tariflichen Verantwortungsbereichs.850 Weshalb die Tarifvertragsparteien vor diesem Hintergrund für Außenseiter gleichermaßen Ersatzzahlungen vorsehen sollen, vermag nicht einzuleuchten. Nichts anderes meint das BAG, wenn es die Ansicht vertritt, die Ziele des tarifautonomen Verhandlungsprozesses und der Inhalt des so gefundenen Verhandlungskompromisses bräuchten sich nicht an bestehenden individuellen Arbeitsvertragsvereinbarungen zu orientieren.851 Die Beantwortung der Frage, ob und wie AußenseiterArbeitnehmer für den Verlust des Sonderkündigungsschutzes entschädigt werden, obliegt nicht den Tarifvertragsparteien. Die richtige Lösung muss somit sinnvollerweise danach differenzieren, ob der Sonderkündigungsschutz im Arbeitsverhältnis aufgrund der normativen Wirkung oder im Wege individualvertraglicher Bezugnahme weggefallen ist. Nur solche Arbeitnehmer, bei denen der Verzicht aufgrund einer normativ wirkenden Tarifregelung eingetreten ist, gehören deshalb zur Gruppe, die überhaupt erst eine gleichmäßige Behandlung bei der Verteilung der Nachteilsausgleichszahlungen durch den Tarifsozialplan einfordern könnte. (bb) Konkreter Nachteilsausgleich keine unmittelbare Kompensation für den Verlust des Sonderkündigungsschutzes Doch selbst bei den Arbeitnehmern, die den Sonderkündigungsschutz allesamt auf Grundlage der normativen Tarifwirkung verloren haben, besteht für die Tarifvertragsparteien keine Verpflichtung, sämtliche Arbeitnehmer an den Abfindungszahlungen durch den Tarifvertrag gleichermaßen teilhaben zu lassen. Das zeigt eine 850

Vergleichbares Argumentationsmuster schon bei BAG v. 18. 3. 2009 – 4 AZR 64/08, AP TVG § 3 Nr. 41 (Rn. 57). 851 BAG, Urt. v. 27. 1. 2016 – 4 AZR 830/13; vgl. ferner BAG v. 15. 4. 2015 – 4 AZR 796/13, AP TVG § 3 Nr. 57 (Rn. 49); BAG v. 18. 3. 2009 – 4 AZR 64/08, AP TVG § 3 Nr. 41 (Rn. 57).

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genauere Betrachtung der Sonderleistungen jedenfalls im Rahmen der NSN-Sanierung. Ausweislich des Tarifvertrags stellen die exklusiv für die Altmitglieder bereitgestellten Leistungen zum Nachteilsausgleich keine Kompensationsmaßnahme für den Wegfall des tariflichen Sonderkündigungsschutzes da, sondern sollen die wirtschaftlichen Folgen auffangen, die sich aus dem Arbeitsplatzverlust ergeben. Ein unmittelbarer Konnex zwischen der Aufgabe des Sonderkündigungsschutzes und den tariflichen Sonderzahlungen besteht deshalb nicht. Zwar werden die Sonderzahlungen an den Arbeitsplatzverlust und damit an ein Ereignis geknüpft, das mit dem erklärten Verzicht auf den Sonderkündigungsschutz in engem Zusammenhang steht. Allerdings können die unterschiedlichen Anlässe nicht gleichgesetzt werden. Der Tarifvertrag sieht kein Tatbestandsmerkmal vor, das den erlittenen Verlust des Sonderkündigungsschutzes zu einem anspruchsbegründenden Kriterium für die Zusatzleistung erhebt.852 Naturgemäß werden viele Altmitglieder ursprünglich unter dem Schutz des manteltariflichen Sonderkündigungsschutzes gestanden und mit dem normativ wirkenden Verzicht tatsächlich einen entsprechenden Beitrag für die Unternehmenssanierung geleistet haben.853 Dennoch merkt selbst die Kritik in Rekurs auf das Urteil an, dass nicht alle Alt-Gewerkschaftsmitglieder, die nunmehr in den Genuss der Zusatzleistung aus dem ETS-TV kommen, ursprünglich in den Genuss des Sonderkündigungsschutzes gelangten.854 Demnach lässt sich eine unbestimmte Anzahl an Begünstigten identifizieren, die kein entsprechendes Opfer erbracht haben, an der Zusatzleistung jedoch trotzdem partizipieren. Diese Einsicht unterstreicht zusätzlich, dass die tariflichen Sonderleistungen im ETS-TV nicht unmittelbar als Kompensation für den Verzicht auf den Sonderkündigungsschutz, sondern vielmehr als wirtschaftliche Ausgleichszahlungen aus Anlass des Arbeitsplatzverlusts zu verstehen sind. Zu Recht betont das BAG in diesem Zusammenhang, dass die Tarifvertragsparteien nicht verpflichtet seien, Zusatzleistungen für die Mitglieder vorzusehen, denen der tarifliche Sonderkündigungsschutz tatsächlich genommen wurde.855 Ein Neumitglied, das den Sonderkündigungsschutz aufgrund seiner Mitgliedschaft in der Gewerkschaft und deshalb aus normativen Gründen verlor, hat demnach bei der Verteilung der Abfindungszahlungen trotz aller damit einhergehenden Härten keinen Anspruch auf die tariflichen Leistungen, wenn sie der Tarifsozialplan nicht als explizite Ausgleichszahlung für den Verzicht auf den tariflichen Sonderkündigungsschutz vorschreibt. Der Rückschluss vom Verlust des Sonderkündigungsschutzes auf eine anschließende gleichmäßige Behandlung bei der Verteilung der Abfindungszahlen ist unzulässig. Nur wenn den Tarifleistungen ein entsprechender unmittelbarer Kompensationscharakter zukommt, kann über eine fortwirkende Beschränkung der tariflichen Gestaltungsfreiheit hin zu einem 852

Vgl. BAG v. 15. 4. 2015 – 4 AZR 796/13, AP TVG § 3 Nr. 57 (Rn. 7). Vgl. Meyer, Anm. zu AP TVG § 3 Nr. 57 (III.). 854 Greiner, NZA 2016, 10 (11); vgl. BAG v. 15. 4. 2015 – 4 AZR 796/13, AP TVG § 3 Nr. 57 (Rn. 43). 855 BAG v. 15. 4. 2015 – 4 AZR 796/13, AP TVG § 3 Nr. 57 (Rn. 43 f.). 853

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Teil 2: Die Zulässigkeit von tarifvertraglichen Differenzierungsklauseln

Gleichbehandlungsgebot aller Arbeitnehmer, die aufgrund der normativen Wirkung des Tarifvertrags ihren Sonderkündigungsschutz verloren haben, nachgedacht werden. (cc) Zwischenergebnis Die Tarifvertragsparteien sind nicht dazu verpflichtet, für all diejenigen Arbeitnehmer gleichmäßige Sonderleistungen vorzusehen, die mit ihrem Verzicht auf den Sonderkündigungsschutz zur Restrukturierung des Unternehmens beigetragen haben. Insbesondere wenn es sich um Außenseiter handelt, ist nicht ersichtlich, weshalb die Tarifvertragsparteien für den Verzicht, der sich aus Gründen außerhalb ihrer Normsetzungsbefugnis ergibt, einstehen müssen. Zudem stellen die Ausgleichs- und Überbrückungszahlungen im Tarifsozialplan keine unmittelbaren Kompensationsleistungen für den Verlust des Sonderkündigungsschutzes da, sondern wollen die wirtschaftlichen Nachteile eines Arbeitsplatzverlusts auffangen. Auch aus diesem Grund kann keine fortgesetzte Gleichbehandlung im Tarifvertrag verlangt werden. l) Ergebnis für diesen Abschnitt Die Möglichkeiten zur Rechtfertigung einer Differenzierung zwischen Gewerkschaftsmitgliedern sind in qualitativer Hinsicht begrenzt. Nach hier vertretener Auffassung können lediglich Ausgleichs- und Überbrückungszahlungen bzw. ihre Surrogate in Tarifsozialplänen an eine Gewerkschaftsmitgliedschaft zu einem Stichtag in der Vergangenheit geknüpft werden, wenn die Tarifvertragsparteien auf eine besondere Kalkulationsbasis angewiesen sind. Für laufende Zahlungen, die an das arbeitsvertragliche Austauschverhältnis anknüpfen, und solche Exklusivzahlungen, die außerhalb eines Tarifsozialplans und damit außerhalb einer Unternehmensänderung vorgenommen werden, ist keine Rechtfertigung für die Ungleichbehandlung der Gewerkschaftsmitglieder möglich, da in diesen Konstellationen das Bedürfnis nach einer kalkulatorischen Sicherheit bei der Bemessung der jeweiligen Leistungshöhe nicht entscheidend hervortritt. In quantitativer Hinsicht stehen den Tarifvertragsparteien dagegen umfassende Freiräume zu. Sie müssen auf Außenseiter keine Rücksicht nehmen und selbst bei einer Aufhebung des manteltariflichen Sonderkündigungsschutzes keine Kompensationsleistungen für diese Gruppe vorsehen. Auch diejenigen Arbeitnehmer, deren Sonderkündigungsschutz auf normativer Grundlage aufgehoben wurde, müssen an den Ausgleichs- und Überbrückungsleistungen nicht beteiligt werden, wenn es sich bei den tariflichen Zahlungen nicht um eine unmittelbare Kompensationsmaßnahme für den Verlust handelt. Abfindungszahlungen knüpfen jedoch regelmäßig am Wegfall des Arbeitsplatzes und nicht am Verlust des Sonderkündigungsschutzes an, sodass diesbezüglich kein hinreichender Zusammenhang besteht, der eine Gleichstellung herausfordern würde.

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8. Verstoß gegen §§ 3 I, 4 I TVG Eng mit der Reichweite der positiven Koalitionsfreiheit auf Seiten der neu eingetretenen Mitglieder verzahnt ist die Frage, ob Differenzierungsklauseln mit Stichtag in der Vergangenheit mit einfachem Tarifrecht kompatibel sind. Diese Problemstellung gewinnt insbesondere durch die BAG-Entscheidung vom 9. 5. 2007 an Brisanz, da die Richter dort entschieden, dass Differenzierungsklauseln, die die Verbandsmitgliedschaft mit einem vergangenheitsbezogenen Stichtag als Voraussetzung für Leistungen aus dem Tarifvertrag statuieren, in Widerspruch zu den §§ 3 I, 4 I TVG stünden.856 Die Geltung von tariflichen Rechtsnormen sei hinsichtlich der Tarifgebundenheit allein von dem Beginn der Mitgliedschaft abhängig, weshalb auch zugunsten der Neumitglieder grundsätzlich ein Anspruch auf die tariflichen Leistungen begründet werde.857 Von diesen Prinzipien weiche der Tarifvertrag mit Stichtagsregelung „allein aus organisationspolitischen Gründen“ ab.858 Dieses Argumentationsmuster hat im Schrifttum einige Kritik hervorgerufen.859 So wird beispielsweise moniert, dass das BAG nicht hinreichend zwischen abstrakter Tarifbindung und konkreter Tarifgeltung unterscheide.860 In der Tat verwässert das Urteil vom 9. 5. 2007 die Unterscheidung zwischen einer grundsätzlich zulässigen Geltungsbereichsbeschränkung und einer unzulässigen Derogation der Voraussetzungen für die Tarifbindung nach §§ 3 I, 4 I TVG.861 Damit verkennt es jedoch die Grundlagen für die konkrete Normwirkung einer Tarifregelung.862 Der Verbandsangehörige hat lediglich die Möglichkeit, durch eine Mitgliedschaft in der tarifschließenden Koalition die Tarifgebundenheit herbeiführen, vgl. § 3 I TVG.863 Ob er allerdings als Mitglied auch vom konkreten Inhalt des Tarifvertrags erfasst wird, liegt außerhalb seiner unmittelbaren Einflussmöglichkeiten. Insbesondere § 4 I S. 1 TVG a. E. demonstriert eindrücklich, dass die Entscheidung über die Reichweite des jeweiligen Tarifvertrags von den Tarifvertragsparteien selbst getroffen wird.864 Für die 856

BAG v. 9. 5. 2007 – 4 AZR 275/06, AP TVG § 3 Verbandszugehörigkeit Nr. 23 (Rn. 32) ihm folgend LAG Hamm v. 12. 6. 2012 – 14 Sa 1275/11, juris (Rn. 138); ebenso LAG München v. 28. 8. 2013 – 10 Sa 135/13, juris (Rn. 146); vgl. auch HMB/Moll, Teil 12 Rn. 47. 857 BAG v. 9. 5. 2007 – 4 AZR 275/06, AP TVG § 3 Verbandszugehörigkeit Nr. 23 (Rn. 32); so auch HMB/Moll, Teil 12 Rn. 47; Kocher, NZA 2009, 119 (121). 858 BAG v. 9. 5. 2007 – 4 AZR 275/06, AP TVG § 3 Verbandszugehörigkeit Nr. 23 (Rn. 32). 859 ErfK/Franzen, § 1 TVG Rn. 62b; Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 2143; Franzen, RdA 2008, 304 (306); Kamanabrou, FS Kreutz, S. 197 (198); Klebeck, SAE 2008, 97 (99 f.); S. Neumann, Tarifboni, S. 230 f. 860 Klebeck, SAE 2008, 97 (100); Ricken, Stichtagsregelungen, S. 32; vgl. auch Löwisch/ Rieble, § 1 TVG Rn. 2143. 861 Vgl. ErfK/Franzen, § 1 TVG Rn. 62b. 862 Siehe dazu detailliert Höpfner, Tarifgeltung, passim. 863 Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 2143; Klebeck, SAE 2008, 97 (100). 864 BAG v. 15. 4. 2015 – 4 AZR 796/13, AP TVG § 3 Nr. 57 (Rn. 31); BAG v. 21. 1. 2015 – 4 AZR 797/13, AP TVG § 3 Verbandszugehörigkeit Nr. 30 (Rn. 63); BAG v. 24. 4. 2007 – 1 AZR 252/06, AP TVG § 1 Sozialplan Nr. 2 (Rn. 57); Klebeck, SAE 2008, 97 (100).

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Teil 2: Die Zulässigkeit von tarifvertraglichen Differenzierungsklauseln

abstrakte Tarifbindung zeichnet daher im Regelfall des § 3 I TVG das einzelne Mitglied verantwortlich, während die materiell-inhaltliche Reichweite des Tarifvertrags exklusiv von den tarifschließenden Parteien bestimmt wird. Selbst die individuelle positive Koalitionsfreiheit des einzelnen Mitglieds verlangt keinen weiterreichenden Schutz.865 Sie umfasst lediglich die Möglichkeit, einem Verband zu dessen satzungsmäßigen Bedingungen beizutreten und damit an der Betätigung der Koalition zu partizipieren. Die durch den Beitritt in einen tarifschließenden Verband herbeigeführte Tarifbindung des Mitglieds gemäß §§ 2 I, 3 I TVG dürfen die Tarifvertragsparteien daher weder beeinträchtigen noch durch tarifvertragliche Regelungen infrage stellen. Die Tarifgebundenheit allein begründet jedoch noch keinen Anspruch, ebenfalls vom Geltungsbereich eines bestimmten Tarifvertrags erfasst zu werden und damit am konkreten Inhalt teilzuhaben.866 Das gilt auch dann, wenn die Tarifvertragsparteien dazu übergehen, den persönlichen Geltungsbereich eines Tarifvertrags mitgliedschaftsbezogen einzugrenzen und damit auch auf der Ebene der Tarifgeltung an das Merkmal anzuknüpfen, das bereits für die Tarifbindung entscheidend war.867 Dieser Schritt wirkt auf den ersten Blick als deklaratorischer Verweis auf § 3 I, 4 I TVG868, hat aber gerade bei Differenzierungsklauseln eigenständige Bedeutung.869 Selbst wenn sich die Tatbestandsvoraussetzungen der abstrakten Tarifbindung und der konkreten Tarifgeltung überschneiden, müssen beide Ebenen gerade wegen der jeweils unterschiedlichen verantwortlichen Akteure strikt auseinandergehalten werden. Die personelle Beschränkung des Geltungsbereichs in einem Tarifvertrag kann damit keine Auswirkungen auf die Tarifbindung der Verbandsangehörigen zeitigen, selbst wenn hierfür an ein mitgliedschaftsbezogenes Kriterium angeknüpft wird. Nichts anderes gilt demnach für einen Tarifvertrag, der die Anwendung seiner zentralen Normen von der Verbandsmitgliedschaft zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Vergangenheit abhängig macht. Mit dieser Eingrenzung des tariflichen Geltungsbereichs durch die Stichtagsklausel wird für das Neumitglied weder der Status eines tarifgebundenen Mitglieds noch die funktionale Unterscheidung des TVG zwischen Tarifgebundenheit und Tarifgeltung infrage gestellt.870 Die Differenzierung innerhalb des Mitgliederbestands wirft bei dieser Sichtweise lediglich Fragen der Gleichbehandlung auf871; Probleme der Tarifbindung einzelner Mitglieder werden dadurch indes nicht angerissen. Vor diesem Hintergrund erscheint es kon865

Siehe oben, Teil 2 B. III. 5. Ricken, Stichtagsregelungen, S. 32. 867 Zur Zulässigkeit einer solchen Regelung ErfK/Franzen, § 4 TVG Rn. 16 f.; vgl. auch BAG v. 21. 1. 2015 – 4 AZR 797/13, AP TVG § 3 Verbandszugehörigkeit Nr. 30 (Rn. 63). 868 ErfK/Franzen, § 4 TVG Rn. 16. 869 Vgl. Teil 1, Fn. 61 ff. 870 Ebenso ErfK/Franzen, § 1 TVG Rn. 62b; ders., RdA 2008, 304 (306); wohl auch Däubler/Heuschmid, § 1 TVG Rn. 1073. 871 ErfK/Franzen, § 4 TVG Rn. 17; Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 2143. 866

B. Differenzierungsklausel mit Stichtag vor Abschluss des Tarifvertrags

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sequent, dass sich die Richter in der Entscheidung vom 15. 4. 2015 nochmals mit der früheren Senatsauffassung aus dem Urteil 9. 5. 2007 auseinandersetzten und sich nunmehr explizit von ihr distanzierten.872 Ein Ansatz, der bei Differenzierungsklauseln mit Stichtag in der Vergangenheit einen Widerspruch zu §§ 3 I, 4 I TVG konstruieren möchte, kann deshalb heutzutage berechtigterweise als überholt betrachtet werden. 9. Ordnungsfunktion des Tarifvertrags als Schranke für differenzierende Regelungsinhalte? Bereits zu einem früheren Zeitpunkt konnte festgestellt werden, dass die Koalitionen als Mitgliederverbände hauptsächlich die Interessen der in ihr organisierten Arbeitnehmer bzw. Arbeitgeber vertreten und dieses Verständnis in Gestalt der kollektiv ausgeübten Privatautonomie sogar zum grundlegenden Prinzip des deutschen Tarifvertragsrechts erhoben wurde.873 Unabhängig davon muss indes die Frage beantwortet werden, ob den Tarifvertragsparteien aus ihrer exponierten Stellung in der korporatistisch verfassten Arbeitsordnung eine besondere Verantwortung erwächst, die einer differenzierenden Behandlung von verschiedenen Arbeitnehmergruppen im Tarifvertrag entgegensteht. So geht der Gesetzgeber beispielsweise in § 1 S. 2 AEntG und neuerdings auch in § 4a I TVG ausdrücklich davon aus, dass den Tarifverträgen unter anderem auch eine „Ordnungsfunktion“ zukäme. Diese spezielle Eigenschaft führt er auf die grundsätzliche Tauglichkeit tariflicher Regelungen zurück, innerbetriebliche Lohn- und Leistungsgerechtigkeit herbeizuführen und auf diesem Weg maßgeblich zur Befriedung des Arbeitslebens beizutragen.874 Auch der 4. Senat des BAG hat in seiner Entscheidung zur Zulässigkeit der einfachen Differenzierungsklauseln im Jahr 2009 „mehrere Anhaltspunkte“ für eine „umfassende sozialpolitische Aufgabenstellung“der Tarifvertragsparteien erblickt.875 Einiges spreche dafür, „dass die Arbeitsverfassung der Bundesrepublik nach ihren rechtlichen Rahmenbedingungen und im Verständnis der Rechtsprechung auf einer umfassenden Regelungsaufgabe der Tarifvertragsparteien aufbaut, die sich auf die Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer richtet, die in demjenigen Ausschnitt des Arbeitslebens beschäftigt sind, für den die Verbände in ihren Satzungen ihre sachliche Zuständigkeit in Anspruch nehmen.“876 Gerade in Krisenzeiten sei „eine angemessene Ausfüllung ihrer sozialpolitischen Ordnungs-

872

BAG v. 15. 4. 2015 – 4 AZR 796/13, AP TVG § 3 Nr. 57 (Rn. 38). Siehe oben, Teil 2 A. II. 1. 874 BT-Drucks. 18/4062, S. 8 und 12. 875 BAG v. 18. 3. 2009 – 4 AZR 64/08, AP TVG § 3 Nr. 41 (Rn. 62 ff.); kritisch dazu F. Hartmann, Negative Koalitionsfreiheit, S. 132; ders., SAE 225, 227; Lobinger/F. Hartmann, RdA 2010, 235 (239 f.); S. Neumann, Anm. zu AP TVG § 3 Nr. 41 (III.); pointiert auch Löwisch/Rieble, Grundl. TVG Rn. 57: „sozialpolitische Schwärmerei extra legem“. 876 BAG v. 18. 3. 2009 – 4 AZR 64/08, AP TVG § 3 Nr. 41 (Rn. 63). 873

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Teil 2: Die Zulässigkeit von tarifvertraglichen Differenzierungsklauseln

aufgabe […] noch wichtiger geworden.“877 Eine Regelung im Tarifsozialplan, die inmitten einer Unternehmenssanierung exklusive Vorteile allein für eine bestimmte Gruppe von Gewerkschaftsmitgliedern vorsieht, scheint dieser Vorstellung allerdings zuwider zu laufen.878 Als weitere Schranke für die Zulässigkeit einer Differenzierungsklauseln mit Stichtagsregelungen kommt hiernach die „Ordnungsfunktion“ von Tarifverträgen in Betracht. a) „Ordnungsfunktion“ als unpräzises Schlagwort zwischen faktischer Ordnungswirkung der Tarifverträge und normativer Ordnungsaufgabe für die Tarifvertragsparteien Bevor auf den vermeintlichen Widerspruch zwischen der „Ordnungsfunktion“ und den Tarifverträgen mit exklusiven Vorteilen für bestimmte Gewerkschaftsmitglieder eingegangen werden kann, muss zunächst die propagierte Ordnungsfunktion näher auf ihren Aussagegehalt untersucht werden. Der Begriff lässt sich auf einen Beitrag von Nipperdey879 zurückführen, nach dem der Tarifvertrag „für die Arbeitsverhältnisse in der Betriebsgemeinschaft eine typische Ordnung“ enthalte, „die der nationalsozialistische Staat durch seine Treuhänder der Arbeit setzt“.880 Aus Respekt vor der „Ordnungsfunktion der gesetzlichen Regeln“ und zum Schutz der Rechtsstellung der Träger der Arbeitsverfassung, die die jeweilige Ordnung erlassen, stelle jede Abweichungsmöglichkeit zugunsten des Arbeitnehmers ein „unsinniges Ergebnis“ dar.881 Das Ordnungsprinzip fungierte damit „in zeittypischer Gleichschaltung“882 als rechtliches Instrumentarium, um günstigere Abmachung der Arbeitsvertragsparteien und damit letztlich das Günstigkeitsprinzip als solches auszuschließen. Von diesem ideologisch belasteten kollektiven Ordnungsprinzip in Gestalt einer Kollisionsnorm hat sich das bundesdeutsche Tarifvertragsrecht inzwischen offensichtlich emanzipiert.883 877

BAG v. 18. 3. 2009 – 4 AZR 64/08, AP TVG § 3 Nr. 41 (Rn. 75); vgl. zur Kritik Rieble, EuZA 2012, 496 (500): „Daran darf man skurril finden, dass der Tarifsenat diese „umfassende Regelungsaufgabe“ zur Rechtfertigung für selektive Differenzierungsklauseln nimmt.“. 878 In diese Richtung auch Greiner, jM 2016, 66 (66 ff.). 879 Nipperdey, FS Lehmann, S. 257 ff. 880 Nipperdey, FS Lehmann, S. 257 (262). 881 Nipperdey, FS Lehmann, S. 257 (262). 882 So Löwisch/Rieble, Grundl. TVG Rn. 48. 883 Vgl. BAG v. 25. 7. 2001 – 1ß AZR 390/00, EzA TVG § 4 Günstigkeitsprinzip Nr. 10 [II. 2. a) cc) der Gründe]; BAG v. 16. 9. 1986 – GS 1/82, AP BetrVG 1972 § 77 Nr. 17 [C. III. der Gründe]; F. Hartmann, Negative Tarifvertragsfreiheit, S. 130 ff.; Höpfner, Tarifgeltung, S. 240; G. Hueck, FS Molitor, S. 203 (223 ff.); Konzen, RdA 1978, 146 (153); Preis/Ulber, NZA 2014, 6 (10); Richardi, Kollektivgewalt und Individualwille, S. 398 ff.; vgl. aber ebenso die fortwirkende Präsenz des Ordnungsgedankens von Nipperdey in der Nachkriegszeit bei BAG v. 4. 2. 1960 – 5 AZR 72/58, AP TVG § 4 Günstigkeitsprinzip Nr. 7; A. Hueck/Nipperdey, Band II/1, S. 586 ff.; Kreis, RdA 1961, 97 (98); Nikisch, DB 1963, 1254 (1255 f.); Siebert, FS Nipperdey, S. 119 ff.; Wlotzke, Günstigkeitsprinzip, S. 40 ff., insbes. S. 45 ff.

B. Differenzierungsklausel mit Stichtag vor Abschluss des Tarifvertrags

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In heutiger Zeit wird unter dem Schlagwort „Ordnungsfunktion“ hauptsächlich die Frage diskutiert, ob den Tarifvertragsparteien aufgrund ihrer zentralen Stellung innerhalb der Arbeitswelt und der elementaren Bedeutung der Tarifverträge aus der Perspektive der Gesamtrechtsordnung eine normative Aufgabe zugewiesen ist, die eine universale Ordnung aller Arbeitsverhältnisse innerhalb der satzungsmäßigen Reichweite erfordert. Im Kern geht es damit nicht mehr um die von Nipperdey ursprünglich angedachte Prinzipienbildung zur Auflösung von Kollisionslagen im Mehrebenensystem des Arbeitsverhältnisses, sondern um die materielle Verantwortung der Tarifvertragsparteien auf dem Arbeitsmarkt.884 Sowohl in der Rechtsprechung als auch in der Literatur wird die Frage nach der Existenz einer Ordnungsfunktion unterschiedlich beantwortet.885 Das BVerfG886 und neuerdings auch der Gesetzgeber im Zuge der Schaffung von § 4a I TVG887 betonen die „Aufgabe der Ordnung und Befriedung des Arbeitslebens“, welche den Koalitionen im öffentlichen Interesse zukomme. Vielfach rekurrieren die Anhänger auch auf Entscheidungen, die von der „sinnvollen Ordnung des Arbeitslebens“ durch die Tarifautonomie als ein Zweck des Tarifvertragsrechts sprechen.888 Dabei besteht jedoch unter 884

So zutreffend Löwisch/Rieble, § 4 TVG Rn. 542. Dafür BVerfG v. 11. 7. 2006 – 1 BvL 4/00, AP GG Art. 9 Nr. 129 [C. II. 2. c) aa) der Gründe]; BAG v. 21. 12. 1982 – 1 AZR 411/80, AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 76 [B. II. 2. c) der Gründe]; HWK/Henssler, Vor § 1 TVG Rn. 11; Badura, AöR 104 (1979), 246 (248 ff.); Gamillscheg, Band I, S. 291 ff.; Henssler, ZfA 1994, 487 (491, 493); Kalb, FS Moll, S. 327 (334 f.); Mayer-Maly, RdA 1966, 201 (205 f.); G. Müller, DB 1975, 205 (207); Rüthers, RdA 1968, 161 (168); Schaub, RdA 1995, 65 (67 f.); C. Schubert, RdA 2001, 199 (204 f.); Waltermann, ZfA 2000, 53 (77 ff.); H. Wiedemann, RdA 1969, 321 (323 ff.); ders., RdA 1997, 297 (298 f.); ZLH/Loritz, S. 475; differenzierter allerdings bspw. Bepler, FS 25 Jahre AG Arbeitsrecht, S. 791 (794) und Ulber, Tarifdispositives Gesetzesrecht, S. 154 ff., der die Ordnungsfunktion der Tarifautonomie von einer Ordnungsaufgabe für die Tarifvertragsparteien abkoppeln möchte (S. 158). 886 Vgl. nur BVerfG v. 1. 12. 2010 – 1 BvR 2593/09, AP GG Art. 9 Nr. 146 (Rn. 23); BVerfG v. 11. 7. 2006 – 1 BvL 4/00, AP GG Art. 9 Nr. 129 [C. II. 2. c) aa) der Gründe]; BVerfG v. 20. 10. 1981 – 1 BvR 404/78, AP TVG § 2 Nr. 31 [B. I. der Gründe]; BVerfG v. 24. 5. 1977 – 2 BvL 11/ 74, AP TVG § 5 Nr. 15 [B. II. 1. b) aa) der Gründe]; vgl. aber auch das Sondervotum der Richter Paulus und Baer in BVerfG v. 11. 7. 2017 – 1 BvR 1571/15 u. a., AP GG Art. 9 Nr. 151 (Sondervotum Rn. 5): „Die Vorstellung einer ,widerspruchsfreien Ordnung der Arbeitsbeziehungen‘ (so die Begründung zum Gesetzentwurf BT-Drs. 18/4062, 1, 8) gehört einer durchaus problematischen Vergangenheit an; Art. 9 Abs. 3 GG ist heute als Freiheitsrecht mit einer spezifischen sozialen Dimension zu verstehen.“. 887 Vgl. BT-Drucks. 18/4062, S. 1. 888 Vgl. erstmals BVerfG v. 18. 11. 1954 – 1 BvR 629/52, NJW 1954, 1881 [B. 2. b) bb) der Gründe]; ferner BVerfG v. 6. 5. 1964 – 1 BvR 79/62, NJW 1964, 1267 [B. II. der Gründe]; BVerfG v. 24. 5. 1977 – 2 BvL 11/74, AP TVG § 5 Nr. 15 [B. II. 1. b) aa) der Gründe]; BVerfG v. 1. 3. 1979 – 1 BvR 532/77 u. a., AP MitbestG § 1 Nr. 1 [C. IV. 1. der Gründe]; BAG v. 25. 9. 1987 – 7 AZR 315/86, AP BeschFG 1985 § 1 Nr. 1 [C. I. 3. b) der Gründe]; BAG v. 9. 6. 1982 – 4 AZR 274/81, AP TVG § 1 Durchführungspflicht Nr. 1; deutlich zurückhaltender jedoch BAG v. 7. 7. 2010 – 4 AZR 549/08, AP GG Art. 9 Nr. 140 (Rn. 66): Ordnungsfunktion nur im Rahmen der wegen §§ 3 I, 4 I TVG auf Mitglieder beschränkten Rechtsetzungsmacht der Tarifvertragsparteien; kritisch gegenüber dem Merkmal einer „sinnvollen Ordnung des Arbeitslebens“ durch Tarifverträge auch Rieble, EuZA 2012, 496 (498). 885

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Teil 2: Die Zulässigkeit von tarifvertraglichen Differenzierungsklauseln

den Befürwortern Uneinigkeit, welche konkrete normativen Folgerungen an die Ordnungsfunktion geknüpft werden kann. Teilweise wird sie lediglich bemüht, um den tatsächlichen, umfassenden Einfluss der Tarifverträge auf die Arbeitswirklichkeit zahlreicher Beschäftigter zu charakterisieren.889 Ganz in diesem Sinn ist auch die Einlassung im Hauptausschusses des Parlamentarischen Rats durch seinen Vorsitzenden Carlo Schmid einzuordnen, der jedenfalls den Gewerkschaften eine Funktion zusprach, „die sehr weit in das Öffentlich-Rechtliche hineingeht. Sie sind unmittelbare Mitträger unseres Gemeinschaftslebens und daher mittelbar und unmittelbar an der Organisation des Wirtschaftsprozesses beteiligt.“890 Trotz der ständigen Rechtsprechung zur Ordnungsaufgabe der Tarifvertragsparteien hat das Postulat einer normativ verstandenen tariflichen Ordnungsfunktion gerade in neuerer Zeit kritischen Widerspruch provoziert. Die wachsende Gegnerschaft891 begründet ihre ablehnende Haltung dabei mit unterschiedlichen Aspekten. Manche werfen der Ordnungsfunktion vor, an die faktisch zentrale Stellung der Tarifvertragsparteien auf dem Arbeitsmarkt normative Aufgaben zu knüpfen, die mit einem freiheitlichen Verständnis der Tarifautonomie als Teil der verfassungsrechtlich verbürgten koalitionären Betätigungsfreiheit nicht zu vereinbaren seien.892 Andere wiederum monieren die universale Reichweite der Ordnungsfunktion in personeller Hinsicht, die mit der bereits festgestellten Vertretung von Gruppeninteressen durch die Verbände nicht mehr korrespondiere, sondern den Tarifvertragsparteien die Berücksichtigung von Außenseiter- bzw. Gemeinwohlbelangen aufzwinge und sie damit für allgemeinpolitische Zwecke einspanne.893 Nach der Durchsetzung des Prinzips einer kollektiv ausgeübten Privatautonomie als maßgebliche Grundlage für das Verständnis der Tarifautonomie weisen wiederum andere Stimmen zudem auf die legitimatorische Inkongruenz zwischen dem universalen

889 Vgl. nur HWK/Henssler, Vor § 1 TVG Rn. 11; Waltermann, ZfA 2000, 53 (77 f.); ders., NZA 1991, 754 (757). 890 Vors. Schmid (SPD), 44. Sitzung des Hauptausschusses am 19. 1. 1949, in: Feldkamp, Parlamentarischer Rat, Band 14, Teilband II, S. 1384; Widerspruch erfolgte in Form eines Zwischenrufs des Abg. Renner (KPD): „Es wäre schön, wenn das wahr wäre“. 891 Löwisch/Rieble, Grundl. TVG Rn. 48 ff.; F. Hartmann, Negative Tarifvertragsfreiheit, S. 130 ff.; Hensche, RdA 1971, 9 (14); Höpfner, Tarifgeltung, S. 233 ff.; Lobinger/F. Hartmann, RdA 2010, 235 (239 ff.); E. Picker, ZfA 1998, 573 (589 ff.); Reuter, ZfA 1995, 1 (36 ff.); Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn. 1307 f.; Reinartz, Firmentarifvertrag, S. 73 f.; Zöllner, DB 1989, 2121 (2122); wohl auch Däubler/Däubler, Einl. TVG Rn. 99; unentschieden ErfK/Franzen, § 1 TVG Rn. 2. 892 Hensche, RdA 1971, 9 (14): „Das Grundgesetz hat mit gutem Grund darauf verzichtet, die mit der Koalitionsfreiheit verbundene Betätigungsfreiheit der Verbände an die Kette rechtlicher Direktiven zu legen“; ähnlich auch JKOS/Krause, § 1 Rn. 27; Kempen/Zachert/ Kempen, Grundl. TVG Rn. 124 f.; Reuter, ZfA 1995, 1 (36 ff.). 893 Vgl. E. Picker, ZfA 1998, 573 (591 ff.); Richardi, ZfA 2003, 655 (662 ff.); ferner Zöllner, DB 1989, 2121 (2122).

B. Differenzierungsklausel mit Stichtag vor Abschluss des Tarifvertrags

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Geltungsanspruch der Ordnungsfunktion und der mandatarisch-begrenzten normativen Regelungsbefugnis der Tarifvertragsparteien hin.894 Will man die Existenz und den Aussagegehalt einer Ordnungsfunktion gewinnbringend diskutieren, offenbart sich nach den bisherigen Ausführungen das Bedürfnis, zwei unterschiedliche Ebenen auseinanderzuhalten. Sinnvollerweise muss die faktische Ordnungswirkung der Tarifverträge von einem normativ verstandenen Ordnungsauftrag, der sich aus der Aufgabenzuweisung „im öffentlichen Interesse“ für die Tarifvertragsparteien ergeben soll, getrennt werden.895 Zweifellos vereinheitlichen Tarifverträge auch unabhängig von einer konkreten Tarifbindung die Arbeitsbedingungen und schaffen sowohl für Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer verlässliche Strukturen für die Gestaltung ihres Arbeitsverhältnisses.896 Ganz in diesem Sinn führt der Gesetzgeber in der Begründung zum Tarifeinheitsgesetz die Verteilungs- und Befriedungsfunktion des Tarifvertrags auf die Ordnungsfunktion zurück.897 Angesichts der normativen Geltung in den tarifgebundenen Arbeitsverhältnissen und der Eigenschaft als Bezugspunkt für individualvertragliche Gestaltungen wird niemand ernsthaft bestreiten können, dass nahezu allen Tarifverträgen, insbesondere den Flächentarifverträgen des öffentlichen Dienstes, eine faktisch ordnende Wirkung zukommt und in vielen Branchen die Bedingungen, zu denen abhängige Arbeit geleistet wird, unabhängig von einer Tarifbindung maßgeblich von den Tarifvertragsparteien bestimmt werden.898 Mit diesem Befund lässt sich jedoch lediglich der gegenwärtige Ist-Zustand auf dem Arbeitsmarkt beschreiben. Gegen die Ordnungsfunktion der Tarifautonomie ist damit nichts einzuwenden, solange sie lediglich als Synonym für die faktisch ordnende Wirkung der Tarifverträge verstanden wird.899 Für die Befürworter einer normativ verstandenen Ordnungsfunktion ergibt sich dadurch jedoch ein Dilemma. Zwar stellt die Rechtsprechung wiederholt die besondere Aufgabe zur Ordnung des Arbeitslebens heraus, welche den Tarifvertragsparteien im öffentlichen Interesse zukomme. Allerdings erstreckt sich die Regelungsbefugnis der Tarifvertragsparteien insbesondere bei einem mandatarisch geprägten Legitimationsverständnis lediglich auf den Kreis der Verbandsmitglieder, vgl. §§ 3 I, 4 I TVG.900 Die personelle Reichweite der Ordnungsaufgabe, die den Tarifvertragsparteien durch die weite Formulierung der Rechtsprechung zuge894 So insbes. F. Hartmann, Negative Tarifvertragsfreiheit, S. 130 ff.; ders., SAE 2011, 225 (227); Höpfner, Tarifgeltung, S. 237 ff.; Lobinger/F. Hartmann, RdA 2010, 235 (239 f.). 895 Für diese Trennung auch Kempen/Zachert/Kempen, Grundl. TVG Rn. 124 f.; Hensche, RdA 1971, 9 (13 ff.); Höpfner, Tarifgeltung, S. 235; Radke, Verhandlungen des 46. DJT, S. D52 f. 896 Däubler/Däubler, Einl. TVG Rn. 99; ErfK/Franzen, § 1 TVG Rn. 2; HWK/Henssler, Vor § 1 TVG Rn. 11. 897 BT-Drucks. 18/4062, S. 12. 898 Bayreuther, Tarifautonomie, S. 114. Höpfner, Tarifgeltung, S. 235 f. 899 In diese Richtung wohl HWK/Henssler, Vor § 1 TVG Rn. 11. 900 BVerfG v. 24. 5. 1977 – 2 BvL 11/74, AP TVG § 5 Nr. 15 [B. II. 2. b) der Gründe].

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schrieben wird, übersteigt damit die personelle Reichweite der gesetzlich vorgegebenen normativen Regelungsbefugnis der Tarifvertragsparteien. Soll die Ordnungsfunktion mit einer verbindlichen Ordnungsaufgabe auf Grundlage des „öffentlichen Interesses“ verknüpft und nicht auf die bloße Umschreibung eines soziofaktischen Phänomens am Arbeitsmarkt reduziert werden, muss sie nachweisen können, dass sie zur Auflösung dieses „offenkundigen Spannungsverhältnisses“901 von Aufgabenbereich und Regelungsbefugnis imstande ist. b) Keine umfassende Rechtsetzungskompetenz der Tarifvertragsparteien über den Mitgliederkreis hinaus auf Grundlage eines vermeintlichen Ordnungsauftrags Versucht man eine Lösung für die unbefriedigende Inkongruenz zwischen dem umfassenden Ordnungsauftrag und einer eingeschränkt-mandatarischer Regelungsbefugnis zu entwickeln, erscheint es naheliegend, den Tarifvertragsparteien ausnahmsweise auch die Bindung der Außenseiter an die tariflichen Festsetzungen zuzugestehen. Auf den ersten Blick erhält dieser Gedanke Unterstützung durch den Gesetzgeber: Ruft man sich erneut die Wortwahl aus der Begründung des Tarifeinheitsgesetzes ins Gedächtnis, erweckt es den Anschein, dass Tarifvertragsparteien aufgrund ihrer überbetrieblichen Stellung regelmäßig in der Lage sein müssten, im Betrieb und darüber hinaus übergreifende Lohngerechtigkeit herstellen zu können.902 Versteht man dies als umfassende verbindliche Aufgabenzuweisung, liegt zur Erfüllung der Ordnungsaufgabe eine Kompetenzerweiterung für die Tarifvertragsparteien zur Ordnung aller Arbeitsverhältnisse in ihrem Einflussbereich nahe. Wie sonst als mittels einer universalen Regelungsbefugnis sollten sie die ihnen zugewiesene umfassende Ordnungsaufgabe angemessen erfüllen können? Mit diesem zweckgebundenen Kompetenztitel wären die Sozialpartner ermächtigt, gleichsam alle am Arbeitsleben beteiligte Personen über den Mitgliederkreis hinaus an die Festsetzungen des Tarifvertrags zu binden, um damit der Zielvorstellung einer universalen Ordnung durch die Tarifverträge in der jeweiligen Branche gerecht werden zu können. Eine Erweiterung der normativen Regelungsbefugnis über den in §§ 3 I, 4 I TVG geschaffenen Rahmen hinaus widerspräche jedoch zentralen Strukturprinzipien des geltenden Tarifvertragsrechts. Selbst das BVerfG, das einerseits eine Ordnungsaufgabe der Tarifvertragsparteien in ständiger Rechtsprechung anerkennt, erteilt andererseits einer Erweiterung der Regelungsbefugnis der Tarifvertragsparteien eine klare Absage. Die Worte aus seiner Entscheidung zur Verfassungsmäßigkeit von Allgemeinverbindlicherklärungen verdienen es, an dieser Stelle erneut zitiert zu werden: 901 Begriff bei F. Hartmann, Negative Tarifvertragsfreiheit, S. 132; inhaltlich ebenso ders., SAE 2011, 225 (227); Höpfner, Tarifgeltung, S. 237; E. Picker, ZfA 1998, 573 (667 ff.). 902 BT-Drucks. 18/4062, insbes. 8 f., 12.

B. Differenzierungsklausel mit Stichtag vor Abschluss des Tarifvertrags

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„Die durch Art. 9 Abs. 3 GG gewährleistete Normsetzungsbefugnis der Koalitionen erstreckt sich grundsätzlich nur auf die Mitglieder der tarifvertragschließenden Parteien. Diese Begrenzung […] entspricht der historisch gewachsenen und im Grundgesetz niedergelegten Bedeutung der Koalitionsfreiheit. […] Indem es die Tarifgebundenheit grundsätzlich auf die Mitglieder der Tarifparteien beschränkt, trägt das TVG in seinem § 3 Abs. 1 dem Grundsatz Rechnung, dass der Staat seine Normsetzungsbefugnis nicht in beliebigem Umfang außerstaatlichen Stellen überlassen und den Bürger nicht schrankenlos der normsetzenden Gewalt autonomer Gremien ausliefern darf, die ihm gegenüber nicht demokratisch bzw. mitgliedschaftlich legitimiert sind.“903

Gegen dieses auf Mitgliedschaft fixierte Modell ließe sich zwar ins Feld führen, dass der Gesetzgeber mit § 3 II TVG und § 5 TVG jeweils Möglichkeiten eröffnete, bei denen die tarifliche Normwirkung über den Kreis der Mitglieder hinaus erstreckt wird. Daraus könne wiederum entnommen werden, dass die Erweiterung der tariflichen Regelungsbefugnis auch gegenüber Nichtmitgliedern dem TVG nicht vollkommen fremd sei. Mit beiden Vorschriften sind jedoch staatliche Geltungsbefehle angesprochen, die die von Verfassung und Gesetzes wegen ausschließlich auf die Mitglieder beschränkte tarifliche Normsetzungsmacht über den Kreis der Mitglieder hinaus erweitern.904 Ob der Tarifvertrag in diesem Fall auch auf die Nichtmitglieder angewandt werden soll, entscheiden damit nicht die Tarifvertragsparteien, sondern demokratisch legitimierte staatliche Organe.905 Die Tarifvertragsparteien können allein aus eigenem Antrieb den normativen Adressatenkreis der von ihnen geschaffenen Regelungen nicht erweitern.906 Das gilt selbst dann, wenn man ihnen eingesteht, im öffentlichen Interesse zu handeln oder gar wie das BAG in der Entscheidung vom 18. 3. 2009 eine umfassende Gestaltungsaufgabe zuweist. Denn mit dieser Feststellung ist noch kein tragfähiger Nachweis vollbracht, der überzeugend begründen kann, auf welche legitimatorische Grundlage die Erweiterung der Normsetzungsbefugnis auch gegenüber Außenseitern gestellt werden kann. Jeder Versuch, von einer Aufgabenzuweisung auf eine Legitimation zur Rechtsetzung gegenüber Außenseitern zu schließen, ist als petitio principii zu entlarven, die aus einem vermeintlichen praktischen Bedürfnis eine rechtliche Befugnis konstruieren möchte.907 Dieser Rückschluss ist allerdings unzulässig, da ansonsten der Weg für eine willkürliche Tarifnormerstreckung frei wäre, die den Außenseiter ohne eigenen Willensakt oder staatlichen Geltungsbefehl allein deshalb an eine Tarifnorm bindet, weil er zufällig innerhalb der satzungsmäßigen Reichweite der Tarifvertragsparteien beschäftigt ist. Darüber hinaus ließe sich mit dem Verweis auf den vermeintlich ordnenden Zweck der Regelung jede Tarifnormerstreckung und damit eine universale normative Geltung des Tarifvertrags begründen. Eine Abweichung vom legi903

BVerfG v. 24. 5. 1977 – 2 BvL 11/74, AP TVG § 5 Nr. 15 [B. II. 2. b) der Gründe]. BVerfG v. 24. 5. 1977 – 2 BvL 11/74, AP TVG § 5 Nr. 15 [B. II. 2. b) der Gründe]. 905 BVerfG v. 24. 5. 1977 – 2 BvL 11/74, AP TVG § 5 Nr. 15 [B. II. 2. b) der Gründe]; vgl. auch Schliemann, ZTR 2000, 198 (204). 906 BAG v. 10. 11. 1982 – 4 AZR 1203/79, AP TVG § 1 Form Nr. 8; Höpfner, Tarifgeltung, S. 237; ähnlich auch Biedenkopf, Grenzen der Tarifautonomie, S. 113. 907 Ähnlich C. Arnold, Betriebliche Tarifnormen, S. 374. 904

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timatorischen Grundprinzip des deutschen Tarifvertragssystems, das die Tarifnormwirkung wegen § 3 I TVG wesentlich auf die freiwillige Mitgliedschaft im Verband zurückführt und Ausnahmen nur in gesetzlich angeordneten Fällen zulässt, kann mit der Formulierung der Rechtsprechung und der Gesetzesbegründung daher nicht verbunden sein.908 Jede Aufgabenzuweisung, die sich aus der „Ordnungsfunktion“ oder der faktischen Ordnungswirkung der Tarifverträge ergibt, ist deshalb bereits aus legitimatorischen Gründen nicht geeignet, den Kreis der tarifgebundenen Arbeitnehmer zu erweitern. Allein aus der zentralen Stellung der Tarifvertragsparteien bei der Ordnung des Arbeitslebens erwächst keine Kompetenz zur Regulierung der gesamten Branche, mit der auch eine verbindliche Rechtsetzungsbefugnis gegenüber Außenseitern verbunden wäre.909 Zu Recht geht daher die ganz herrschende Meinung davon aus, dass weder die Wahrnehmung öffentlicher Interessen noch der Rückzug auf eine faktische Ordnungswirkung der Tarifverträge oder eine Ordnungsaufgabe der Tarifvertragsparteien zu einer Erweiterung der normativen Regelungsbefugnis führen kann.910 c) Normative Pflicht zur Verantwortung und Rücksichtnahme gegenüber der gesamten Belegschaft auf Grundlage der Ordnungsfunktion? Wird die Erweiterung der tariflichen Regelungsbefugnis auf Grundlage der Ordnungsfunktion zutreffenderweise abgelehnt, bleibt zu klären, ob letztere möglicherweise als normative Schranke für bestimmte Tarifinhalte herangezogen werden kann. Immerhin nehmen die Tarifvertragsparteien wegen Art. 9 III GG und der darauf basierenden Rechtsprechung des BVerfG und des BAG eine zentrale Stellung innerhalb der korporatistisch verfassten Arbeitsrechtsordnung ein, die durch die faktische Ordnungswirkung der Tarifverträge über den Mitgliederkreis noch zusätzlich unterstrichen wird. Aus dieser bedeutungsvollen Position für die Arbeitsbedingungen zahlreicher Beschäftigter könnten für die Tarifvertragsparteien bestimmte Pflichten zugunsten der Außenseiter erwachsen.

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So auch Kamanabrou, Erga-Omnes-Wirkung, S. 44. Treffend Löwisch/Rieble, Grundl. TVG Rn. 55: „Sie [scil. Die Tarifparteien] haben keine Befugnis zu Ordnungspolitik zum selbstdefinierten Gemeinwohl.“; Bayreuther, Tarifautonomie, S. 113; F. Hartmann, Negative Koalitionsfreiheit, S. 131; Schwarze, RdA 2001, 208 (209). 910 BAG v. 7. 7. 2010 – 4 AZR 549/08, AP GG Art. 9 Nr. 140 (Rn. 66); JKOS/Krause, § 1 Rn. 28; C. Arnold, Betriebliche Tarifnormen, S. 374 f.; ders., FS E. Picker, S. 873 (883); Dieterich, FS Däubler, S. 451 (457 f.); Giesen, Tarifvertragliche Rechtsgestaltung, S. 200 f.; Gramm, AuR 1961, 353 (356); F. Hartmann, Negative Tarifvertragsfreiheit, S. 130 ff.; Heinz, Tarifgeltung ohne Mitgliedschaft, S. 103 f.; Hertenstein, Die schuldrechtliche Regelungsbefugnis, S. 66; Jacobs, Tarifeinheit, S. 374; Höpfner, Tarifgeltung, S. 237 ff.; Ingelfinger, Arbeitsplatzgestaltung, S. 189 f.; Kamanabrou, Erga-Omnes-Wirkung, S. 44 f.; Richardi, Kollektivgewalt und Individualwille, S. 402 f.; Rieble, RdA 1996, 151 (156 f.); Stahlhacke, RdA 1959, 266 (271 f.); zurückhaltender Ulber, Tarifdispositives Gesetzesrecht, S. 158. 909

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Bis in jüngere Zeit wird unterschiedlich beantwortet, ob mit der faktischen Ordnungswirkung der Tarifverträge gleichsam eine Ordnungsverantwortung der Tarifvertragsparteien im Hinblick auf die Arbeitsbedingungen der Belegschaft korrespondiert, aus der sich wiederum unter anderem eine verpflichtende Rücksichtnahme auf Nichtmitglieder ableiten ließe.911 Insbesondere im älteren Schrifttum lassen sich Stimmen ausfindig machen, die eine ganzheitliche Regelungsverantwortung favorisieren. So wird teilweise vertreten, die Tarifvertragsparteien hätten sich so zu verhalten, als ob sie Recht für alle setzen würden.912 Ganz ähnlich ist auch die Forderung einzustufen, nach der tarifliche Regelungen so ausgestaltet sein müssen, dass sie jederzeit für allgemeinverbindlich gemäß § 5 TVG erklärt werden können.913 Ebenfalls in diese Richtung kann das Vorbringen der Klägerseite gedeutet werden, das der BAG-Entscheidung vom 15. 4. 2015 zugrunde lag. Dort forderte sie ein, dass Tarifvertragsregelungen grundsätzlich geeignet sein müssten, an die Stelle einer staatlichen Regelung über Arbeitsbedingungen zu treten. Aus diesem Grund hätten sie angemessene und ausgewogene Regelungen für ihren Geltungsbereich zu erhalten und Rücksicht auf die Interessen von Außenseitern zu nehmen.914 Diese Maximen für die tarifvertragliche Normsetzung atmen freilich den Geist einer delegatarischen Auffassung der Tarifautonomie und lassen sich damit auf den Gedanken einer staatlichen Subsidiarität bei der Regelung des Arbeitslebens zurückführen.915 Überlasse der Staat den Koalitionen die Rechtsetzungsbefugnis für das Arbeitsleben, gehen damit auch gewisse Pflichten über, die zum arbeitsrechtlichen

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Zum Streitstand siehe bspw. Höpfner, Tarifgeltung, S. 233 ff. Zöllner, Differenzierungsklauseln, S. 49; ähnlich auch Meyer, Anm. zu AP TVG § 3 Nr. 57 (VII.); G. Müller, ArbRdGgw. 17 (1979), 19 (26) und Lobinger, Arbeitskämpfe, S. 82 (Rn. 51), wenngleich letzterer die Brüche in der Argumentation erkennt, wenn man Tarifautonomie als kollektiv ausgeübte Privatautonomie versteht und damit die Mitgliederinteressen in den Mittelpunkt gerückt werden. 913 Bötticher, Die Gemeinsame Einrichtungen, S. 111 ff.; wortgleich ders., BB 1965, 1077 (1078 ff.); ferner ders., Verhandlungen des 46. DJT, S. D80 ff.; Mayer-Maly, BB 1965, 829 (831 f.), die beide eine Unzulässigkeit der Differenzierungsklauseln u. a. aufgrund des Widerspruchs zu diesem Grundgedanken des TVG annehmen; zustimmend jedenfalls für Leistungen aus Gemeinsamen Einrichtungen Thüsing/v. Hoff, ZfA 2008, 77 (101 f.); zumindest „schwierige Rechtsfragen“ bei Differenzierungsklauseln im Umgang mit der Allgemeinverbindlicherklärung erkennt auch Greiner, DB 2009, 388 (400); wohl auch BAG v. 23. 3. 2005 – 4 AZR 203/04, AP TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 29 [I. 1.b) aa) der Gründe]; a. A. aber zutreffend BAG v. 18. 3. 2009 – 4 AZR 64/08, AP TVG § 3 Nr. 41 (Rn. 64); Biedenkopf, Gutachten für den 46. DJT, S. 97 (119 ff.); Bietmann, Differenzierungsklauseln, S. 182 ff.; Dorndorf, AuR 1988, 1 (10 f.); Gamillscheg, Band I, S. 363 f.; ders., Differenzierung, S. 43 f., 92 f.; Herschel, AuR 1966, 193 (194 ff.); Klebeck, SAE 2007, 271 (279); ders., SAE 2008, 97 (98); Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 240 ff.; S. Neumann, Tarifboni, S. 223 ff.: § 5 TVG ist keine Regelungsschranke für differenzierende Tarifverträge. 914 Vgl. BAG v. 15. 4. 2015 – 4 AZR 796/13, AP TVG § 3 Nr. 57 (Rn. 50); ähnlich Kalb, FS Moll, S. 327 (334 ff.). 915 Ähnlich Lobinger/F. Hartmann, RdA 2010, 235 (240). 912

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Teil 2: Die Zulässigkeit von tarifvertraglichen Differenzierungsklauseln

Mindestschutz der Außenseiter auf dem Arbeitsmarkt erforderlich sind.916 Dies sei der Preis, den die Tarifvertragsparteien für die ihnen übertragene Tarifmacht zahlen müssten.917 Mit der Wandlung im Verständnis der Tarifautonomie und der Hinwendung zu einem privatautonomen Erklärungsmodell, das die Tarifvertragsparteien als Normgeber mit mitgliedschaftlich vermittelter Gestaltungsmacht unabhängig von einer staatlichen Delegation sieht, liegt es jedoch nahe, auch die Zuweisung einer ganzheitlichen Regelungsverantwortung der Tarifvertragsparteien als überkommen anzusehen.918 Knüpft man zutreffend an die mandatarisch begründete Tarifnormgeltung an, ist die Tarifautonomie „keine besondere Form der Wahrnehmung von Gemeinwohlbelangen; sie ist vielmehr eine Form der Wahrnehmung von Gruppeninteressen.“919 Die in Art. 9 III GG verortete Freiheit zur interessenorientierten Normgebung widerspricht geradezu diametral der Vorstellung, die Koalitionen seien auf Grundlage des öffentlichen Interesses dazu berufen, die „Ordnung und Befriedung des Arbeitslebens“ aller Arbeitnehmer herbeizuführen.920 Unklar ist damit, weshalb sowohl das BVerfG als auch das BAG stellenweise selbst nach der Etablierung eines freiheitlich-privatautonomen Erklärungsmodells an dieser Formulierung festhalten.921 Beide deuten damit an, dass die Tarifvertragsparteien selbst bei einem gewandelten Verständnis in Bezug auf die legitimatorische Grundlage der Tarifnormsetzung nach wie vor zur Erfüllung eines höheren Zwecks tätig werden, der sie wiederum auf die einheitliche Gestaltung aller Arbeitsverhältnisse im jeweiligen Ausschnitt ihrer satzungsmäßigen Verbandszuständigkeit verpflichtet. Für ein mandatarisch geprägtes, interessenorientiertes Verständnis tarifvertraglicher Normsetzung erweist sich diese Kontinuität in der Rechtsprechung damit als ernst zu nehmende Belastung.922 Die Konfliktsituation, bei der sich mit dem privatautonomen Grundmodell der Tarifautonomie und einer quasi-hoheitlichen Verpflichtung zwei scheinbar unvereinbare Prinzipien gegenüberstehen, lässt sich allerdings zumindest ein Stück weit entschärfen, wenn man die entsprechenden Passagen in den Verfassungsgerichtsentscheidungen näher betrachtet. Durch alle Ausführungen zieht sich gleichsam wie ein roter Faden die Frage, ob das BVerfG die lancierte Ordnungsaufgabe überhaupt mit einer normativen Verbindlichkeit verknüpfen wollte. Zahlreiche einschneidende Rechtsfolgen, die sich aus der konse916 Vgl. Dorndorf, AuR 1988, 1 (10), der sich dieser Meinung jedoch (zutreffenderweise) nicht anschließt. 917 Bötticher, Die Gemeinsamen Einrichtungen, S. 113; wortgleich ders., BB 1965, 1077 (1079); ähnlich auch Zöllner, Differenzierungsklauseln, S. 53 f. 918 In diese Richtung bspw. Dieterich, AuR 2001, 390; Reuter, FS Birk, S. 717 (730). 919 Richardi, ZfA 2003, 655 (664); ähnlich ders., FS Buchner, S. 731 (740); vgl. auch Lobinger/F. Hartmann, RdA 2010, 235 (239 f.). 920 Zutreffend Hdb StR/Scholz, § 175 Rn. 35 f.; Ricken, Stichtagsregelungen, S. 314; Reuter, FS Birk, S. 717 (730). 921 Vgl. nur BVerfG v. 11. 7. 2006 – 1 BvL 4/00, AP GG Art. 9 Nr. 129 [C. II. 2. c) aa) der Gründe]; BAG v. 18. 3. 2009 – 4 AZR 64/08, AP TVG § 3 Nr. 41 (Rn. 63 ff.). 922 So auch F. Hartmann, Negative Tarifvertragsfreiheit, S. 132 f.; Lobinger/F. Hartmann, RdA 2010, 235 (240 f.).

B. Differenzierungsklausel mit Stichtag vor Abschluss des Tarifvertrags

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quenten Anwendung einer normativ verstandenen Ordnungsfunktion ergeben würden, wurden nämlich entweder negiert oder soweit ersichtlich nicht erwogen: Insbesondere steht das BVerfG923 mit der herrschenden Meinung im Schrifttum924 einer Gemeinwohlbindung des Tarifvertrags – jedenfalls außerhalb des Arbeitskampfrechts925 – ablehnend gegenüber, obwohl die Bindung an das Gemeinwohl analog zum Gesetzgeber bei einer Normativierung der Ordnungsaufgabe für die Tarifvertragsparteien durchaus nahegelegen hätte. Ebenfalls wurde bislang in keinem Fall eine Regelungspflicht der Tarifvertragsparteien angenommen, zu der sich eine normativ verstandene tarifliche Ordnungsaufgabe ähnlich der Schutzpflichtendimension im Rahmen staatlicher Gesetzgebung verdichten müsste, wenn bestimmte Mindeststandards in bedenklicher Weise unterschritten würden.926 Richtigerweise 923 BVerfG v. 4. 7. 1995 – 1 BvF 2/86 u. a., NZA 1995, 754 [C. I. 2. c) der Gründe]: Bindung nur des Gesetzgebers an das Gemeinwohl; anders aber noch BVerfG v. 18. 12. 1974 – 1 BvR 430/65, AP GG Art. 9 Nr. 23 [C. II. 3. c) der Gründe]: „Selbstverständlich müssen auch die Gewerkschaften angesichts der Bedeutung ihrer Tätigkeit für die gesamte Wirtschaft und ihres (auch geistigen) Einflusses auf weite Bereiche des öffentlichen Lebens bei allen ihren Aktivitäten das gemeine Wohl berücksichtigen.“ Im erstgenannten Sinn wohl auch BAG v. 29. 1. 1986 – 4 AZR 465/84, AP BAT 1975 § 22, 23 Nr. 115 [9. der Gründe]. 924 JKOS/Krause, § 1 Rn. 27; Kempen/Zachert/Kempen, Grundl. TVG Rn. 227 ff.; v. Mangoldt/Klein/Starck/Kemper, Art. 9 GG Rn. 83; Bialluch, Tarifeinheitsgesetz, S. 42; Biedenkopf, Grenzen der Tarifautonomie, S. 113 ff.; Dieterich, RdA 2002, 1 (10 f.); Gamillscheg, Differenzierung, S. 44; F. Hartmann, Negative Tarifvertragsfreiheit, S. 135 ff.; Herschel, RdA 1986, 1 (2); Höpfner, Tarifgeltung, S. 242; Hromadka, DB 2003, 42 (22); Isensee, Verankerung der Tarifautonomie, S. 177 ff.; Kittner, Anm. zu AP GG Art. 9 Nr. 23; Koop, Tarifvertragssystem, S. 249 ff.; Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 165 ff.; E. Picker, ZfA 1998, 573 (617 f.); Richardi, ZfA 2003, 655 (664); ders., ZfA 1990, 211 (220 f.); Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn. 1274; ders., ZTR 2000, 1 (5); ders., ZfA 2000, 5 (19 f.); ders., ZfA 2004, 1 (9 ff.); Rüthers, GS Dietz, S. 299 (320 f.); Seiwerth, Gestaltungsfreiheit, S. 204 ff.; ders., RdA 2017, 373 (374 ff.); Söllner, AuR 1966, 257 (263); H. Wiedemann, RdA 1997, 297 (302 f.); ders., FS G. Müller, S. 807 (814 f.); sogar noch stärker Löwisch/ Rieble, Grundl. TVG Rn. 236 ff., nach denen die Tarifvertragsparteien schon gar kein Gemeinwohlinteresse sachgerecht vertreten könnten; a. A. allerdings HWK/Henssler, Vor § 1 TVG Rn. 13; Baumann, RdA 1987, 270 (271); Butzer, RdA 1994, 375 (381); Gamillscheg, Band I, S. 317 ff.; G. Müller, ArbRdGgw. 17 (1979), 19 (23 ff.); Rüfner, RdA 1985, 193 ff., jedenfalls für „theoretisch denkbare Extremfälle“; Säcker, Gruppenautonomie und Übermachtkontrolle, S. 277 ff.; Sodan, JZ 1998, 421 (425); Thüsing, FS 50 Jahre BAG, S. 889 (900 ff.); Waltermann, NZA 1991, 754 (759 f.); Zöllner, DB 1989, 2121 (2122 f.); zurückhaltender Badura, AöR 104 (1979), 246 (254); eine justiziable Definition des „Gemeinwohls“ ablehnend Kempen/Zachert/Kempen, Grundl. TVG Rn. 227 ff.; TB/Thüsing, Kap. 1 Rn. 34; Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 220 f.: Die Tarifvertragsparteien formulieren das Gemeinwohl „durch ihr antagonistisches und einigendes Zusammenwirken maßgebend selbst“; ähnlich Hdb StR/ders., § 175 Rn. 35. 925 Vgl. hierzu Hdb StR/Scholz, § 175 Rn. 34. 926 Wie hier ErfK/Linsenmaier, Art. 9 GG Rn. 53; Ulber, Tarifdispositives Gesetzesrecht, S. 156 f.; a. A. Gamillscheg, Band I, S. 293 f., wobei er die Pflicht als Naturalobligation qualifiziert, die nicht eingeklagt werden könne; vgl. auch Böckenförde, NJW 1974, 1529 (1531), der vor dem Hintergrund eines liberalen Grundrechtsverständnisses von einer „Aktualisierungskompetenz“ durch den jeweiligen Grundrechtsträger spricht, die der Staat nicht einfordern kann.

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Teil 2: Die Zulässigkeit von tarifvertraglichen Differenzierungsklauseln

sind die Sozialpartner „keine Nebenlegislative des ganzen Volkes“.927 Den Tarifvertragsparteien kommt wegen Art. 9 III GG zwar ein grundsätzlicher Vorrang gegenüber staatlicher Regelsetzung zu, allerdings unterstreicht Art. 74 I Nr. 12 GG, dass die Normgebungskompetenz im Hinblick auf die Arbeitsbedingungen nicht exklusiv bei den Tarifvertragsparteien angesiedelt ist.928 Die Tarifvertragsparteien können auf dieser Grundlage zwar von staatlicher Seite angehalten werden, ihre Regelungsaufgaben wahrzunehmen929, doch trifft lediglich den hoheitlichen Gesetzgeber als unmittelbar Grundrechtsverpflichteten ein Rechtsverweigerungsverbot. Zur Tarifautonomie wurde daher zutreffenderweise festgehalten: „Als Inhalt eines grundrechtlichen Freiheitsbereichs unterliegt die Ausübung dieser Position, weil und solange die Grundrechte Freiheitsrechte darstellen und nicht in Kompetenzen, d. h. Pflichtstellungen der Grundrechtsträger umgedeutet werden, keiner rechtlich einforderbaren öffentlich-politischen Verantwortlichkeit.“930

Sollten die Tarifvertragsparteien mit der Regelung einmal ausfallen, muss demnach der Staat auf Basis seiner subsidiären Verpflichtung aus der grundrechtlichen Schutzdimension die Regelung der konkreten Angelegenheit übernehmen.931 Damit konnte zwar aufgezeigt werden, dass das BVerfG mit der herrschenden Meinung zwei naheliegende Konsequenzen nicht zieht, die sich bei einem normativen Verständnis der Ordnungsaufgabe beinahe zwingend aufgedrängt hätten. Ein tragfähiger Gegenbeweis für die Aussage, dass bestimmte Rechtsetzungsschranken für die Tarifvertragsparteien nicht auch aus einer wie auch immer gelagerten Ordnungsfunktion abgeleitet werden können, ist mit dieser Feststellung allerdings noch nicht erbracht. Will man die fehlende Normativität der Ordnungsaufgabe dennoch begründen, muss man sich erneut den legitimatorischen und verfassungsrechtlichen Aufbau des Tarifvertragssystems vor Augen führen. Bereits erwähnt wurde, dass die Tarifvertragsparteien mit dem Übergang zu einem privatautonomen Verständnis der Tarifautonomie vom Status eines staatsähnlichen Rechtsetzers oder sogar eines Funktionsnachfolgers entbunden wurden. Legt man in diesem Zusammenhang für die Normsetzung als Koalitionsbetätigung richtigerweise den verfassungsrechtlichen Schutz des Art. 9 III GG zugrunde, wird deutlich, dass jede Beschränkung der normativen Regelungsbefugnis als Eingriff unter Rechtfertigungszwang steht und eine gesetzliche Grundlage bräuchte. Für ein vermeintliches Gebot der Rücksicht927 Rieble, ZfA 2004, 1 (9); ähnlich auch F. Hartmann, Negative Tarifvertragsfreiheit, S. 136; Ulber, Tarifdispositives Gesetzesrecht, S. 159. 928 BVerfG v. 3. 4. 2001 – 1 BvL 32/97, AP BUrlG § 10 Kur Nr. 2 [B. 3. der Gründe]; BVerfG v. 27. 4. 1999 – 1 BvR 2203/93, AP GG Art. 9 Nr. 88 [B. II. 1. c) aa) der Gründe]; Säcker, Gruppenautonomie und Übermachtkontrolle, S. 261; ders./Oetker, Tarifautonomie, S. 94 f. 929 Besonders eindrücklich BAG v. 10. 11. 1982 – 4 AZR 1203/79, AP TVG § 1 Form Nr. 8 [2. der Gründe]. 930 Böckenförde, Der Staat 15 (1976), 457 (471). 931 Däubler/Däubler, Einl. TVG Rn. 103; Badura, AöR 104 (1979), 246 (255); Gamillscheg, Band I, S. 294; ders., Differenzierungsklauseln, S. 44; Höpfner, Tarifgeltung, S. 242; Preis/Ulber, FS Kempen, S. 15 (17).

B. Differenzierungsklausel mit Stichtag vor Abschluss des Tarifvertrags

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nahme auf die Belange der Außenseiter konnte allerdings schon an früherer Stelle nachgewiesen werden, dass es weder einfachrechtlich noch als immanente Begrenzung der Tarifautonomie in Art. 9 III GG verankert ist.932 Vor diesem Hintergrund muss erst recht jede Begründung versagen, die ein Rücksichtnahmegebot allein auf die faktisch zentrale Stellung der Tarifvertragsparteien innerhalb der deutschen Arbeitsrechtsordnung zurückführen möchte. Ähnlich wie im Rahmen der Debatte um die Erweiterung der tariflichen Regelungsbefugnis als Folge der Ordnungsfunktion kann auch hier der induktive Rückschluss von einer faktisch ordnenden Wirkung auf eine normativ verstandene Ordnungsaufgabe nicht gelingen.933 Allein aus der Beobachtung eines soziofaktischen Phänomens auf dem Arbeitsmarkt lassen sich ohne tragfähige Begründung keinerlei verbindliche Rechtssätze als normative Regelungsschranken für die Tarifvertragsparteien herleiten.934 Die Koalitionen können damit nicht verpflichtet werden, die Ordnung des Arbeitslebens in einem ganzheitlichen Sinne wahrzunehmen, der sie zur Berücksichtigung von Außenseiterinteressen verpflichtet.935 Mit diesen Erkenntnissen wird noch einmal deutlich illustriert, dass jede Forderung, die Tarifvertragsparteien zur Rücksichtnahme auf die Belange der Außenseiter zu verpflichten, ohne entsprechende einfachrechtliche oder verfassungsrechtliche Anknüpfung nach dem hier vertretenen Verständnis einer Tarifautonomie als kollektiv ausgeübter Privatautonomie zwangsläufig ins Leere gehen muss. Als Mitgliederverbände können die Tarifvertragsparteien selbst bei einer Unternehmenssanierung nicht für die Wohlfahrt der Außenseiter verantwortlich gemacht werden.936 d) Erfüllung der öffentlichen Ordnungsaufgabe durch die Wahrnehmung gruppenspezifischer Interessen innerhalb der Reichweite der normativen Regelungsbefugnis Wenn also eine Ordnungsaufgabe weder über den Mitgliederkreis hinausreichende Befugnisse zugunsten der Tarifvertragsparteien, noch bestimmte Rücksichtnahmepflichten gegenüber den Außenseitern hervorzurufen vermag, wirft das die Frage auf, ob ihr überhaupt ein eigenständiger und rechtlich verbindlicher Wert im Tarifvertragssystem zugestanden werden kann. Eine solche Annahme lässt nach den bisherigen Ausführungen jedoch nur für diejenigen Arbeitsverhältnisse aufrechterhalten, die der tariflichen Normsetzungsbefugnis unterworfen sind und damit 932

Siehe oben, Teil 2 B. III. 2. b) ee) (4). Siehe oben, Teil 2 B. III. 9. b). 934 So für die Ordnungsfunktion auch Ingelfinger, Arbeitsplatzgestaltung, S. 190. 935 Im Ergebnis auch BAG v. 7. 7. 2010 – 4 AZR 549/08, AP GG Art. 9 Nr. 140 (Rn. 66); Löwisch/Rieble, Grundl. TVG Rn. 236 ff.; Bayreuther, Tarifautonomie, S. 113; Preis/Ulber, FS Kempen, S. 15 (17). 936 Ähnlich BVerfG v. 14. 11. 2018 – 1 BvR 1278/16, AP GG Art. 9 Nr. 153 (Rn. 10); BAG v. 15. 4. 2015 – 4 AZR 796/13, AP TVG § 3 Nr. 57 (Rn. 40 ff.). 933

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Teil 2: Die Zulässigkeit von tarifvertraglichen Differenzierungsklauseln

innerhalb der Reichweite der normativen Regelungskompetenz liegen.937 Dabei ist allerdings jeder verbindlichen Regelung eine ordnende Funktion gegenüber den Personen oder Vertragsbeziehungen immanent, die der Norm unterliegen. Eine vertragliche Ordnungsfunktion gegenüber den tarifgebundenen Mitgliedern ist damit gerade kein genuines Alleinstellungsmerkmal des Tarifvertrags.938 Abgesehen davon bleibt offen, ob sich die mandatarisch geprägte tarifvertragliche Normsetzung im Gruppeninteresse und das von der Rechtsprechung immer wieder neu betonte „öffentliche Interesse an der Ordnung des Arbeitslebens“ tatsächlich so unvereinbar gegenüberstehen, wie es die Formulierungen in den Entscheidungen vermuten lassen. Beispielsweise ist durchaus eine „Konvergenz der Gemeinschaftsund Gruppeninteressen“939 vorstellbar, insbesondere wenn sich die Ziele der Gesamtbelegschaft mit denen der mitgliedschaftlich organisierten Koalitionen überschneiden.940 Teilweise wird sogar die Befriedigung des öffentlichen Interesses an einem funktionsfähigen Arbeitsleben bereits dann angenommen, wenn die Tarifvertragsparteien ihre eigenen Interessen „im Rahmen einer marktmäßigen Gestaltung“ wahrnehmen.941 Die Vertretung allein der Mitgliederinteressen erfülle schon deswegen eine Funktion für die Gesamtordnung, weil zumindest in diesem Bereich staatliche Regelungen substituiert würden.942 In der Tat spricht vieles dafür, eine akzessorische Beziehung zwischen der gruppenspezifischen Interessenwahrnehmung durch die Tarifvertragsparteien und dem „öffentlichen Interesse an der Ordnung des Arbeitslebens“ anzunehmen. Zu Recht wird darauf hingewiesen, dass die durch die tarifvertraglichen Regelungen geschaffene Ordnung „an die freiheitsrechtlichen Gewährleistungen des Koalitionsrechts in dem Sinne gebunden [sei], daß seine Erfüllung von den Koalitionen selbst bzw. ihrer freiheitlichen Funktionsentfaltung abhängt.“943 Die Erfüllung des öffentlichen Interesses folgt damit reflexartig aus der kollektiv privatautonomen Verfolgung von Partikularinteressen durch die Tarifvertragsparteien. Die Bedeutung der Vereinbarung für den gesamten Arbeitsmarkt ist dann systemtypische Folgeerscheinung aus der zentralen Position der Tarifvertragsparteien in der Gesamtrechtsordnung. Ein solches Verständnis deckt sich auch mit dem mandatarisch begründeten Tarifgeltungsmodell des TVG. Der Gesetzgeber erwartet demnach keine über den Mitgliederkreis hinausgehende Re-

937

So auch BAG v. 15. 4. 2015 – 4 AZR 796/13, AP TVG § 3 Nr. 57 (Rn. 52); BAG v. 7. 7. 2010 – 4 AZR 549/08, AP GG Art. 9 Nr. 140 (Rn. 66); Ricken, Stichtagsregelungen, S. 35. 938 Koop, Tarifvertragssystem, S. 281 f. 939 E. Picker, ZfA 1986, 199 (226); zustimmend F. Hartmann, Negative Tarifvertragsfreiheit, S. 136. 940 Vgl. dazu oben, Teil 2 B. II. 2. a) bb) (1). 941 F. Hartmann, Negative Tarifvertragsfreiheit, S. 164; ähnlich auch v. Mangoldt/Klein/ Starck/Kemper, Art. 9 GG Rn. 83; in diese Richtung bereits E. Picker, Warnstreik, S. 174. 942 Schwarze, RdA 2001, 208 (209), Fn. 19. 943 MD/Scholz, Art. 9 GG Rn. 172 (94. EL Januar 2021).

B. Differenzierungsklausel mit Stichtag vor Abschluss des Tarifvertrags

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gelungsverantwortung der Tarifvertragsparteien.944 Ein Tarifvertrag bietet jedoch aufgrund der fachlichen Nähe der Sozialpartner und der zwingenden Verhandlungsparität trotz der partikularistischen Interessenwahrnehmung immer noch am ehesten Gewähr dafür, dass die Arbeitsbeziehungen im jeweiligen Sektor angemessen geregelt sind. Das öffentliche Interesse kann in diesem Fall auch abseits einer normativen Tarifgebundenheit als befriedigt bezeichnet werden, wenn an die Regelungen, deren normative Reichweite zwar begrenzt sein mag, die jedoch von zwei gleich starken Vertragspartner ausgehandelt wurde, nunmehr in vielfältiger Weise angeknüpft werden kann.945 Im Interesse einer „sinnvollen“ Ordnung der Arbeitsbeziehungen wird deshalb eine „autonome“ Ordnung durch die Tarifvertragsparteien gewährleistet.946 e) Zwischenergebnis Den Tarifvertragsparteien kommt in der korporatistisch verfassten deutschen Arbeits- und Wirtschaftsordnung zwar eine zentrale Rolle zu. Bedenken gegen eine normativ aufgeladene Ordnungsfunktion des Tarifvertrags stellen sich jedoch dann ein, wenn mit dem Begriff die Ebene der rein deskriptiven Darstellung eines soziofaktischen Phänomens verlassen wird und aus einer vermeintlichen Ordnungsaufgabe verbindliche Rechtsfolgen für das Verhältnis der Tarifvertragsparteien zu den Außenseitern abgeleitet werden. So lassen sich weder die Erweiterung der tariflichen Normsetzungsbefugnis über den Mitgliederkreis hinaus, noch eine bestimmte Rücksichtnahmepflicht gegenüber Außenseiter-Arbeitnehmer auf die „Ordnungsfunktion“ stützen. Der induktive Rückschluss von der faktischen Ordnungswirkung auf eine wie auch immer geartete normative Ordnungsaufgabe, die den Verbänden gleichsam eine staatsvertretende Funktion zuweist, ist unzulässig. Mit einer privatautonom legitimierten Tarifgeltung und dem Fokus der tariflichen Normsetzung auf die Interessen ihrer Mitglieder ist dieser ganzheitliche Regelungsansatz ebenfalls nicht in Einklang zu bringen. Durch die Beschränkung der tariflichen Regelungsbefugnis auf die Mitglieder und die Rückbindung der Tarifgeltung an eine mitgliedschaftliche Legitimation wird aber zudem offenbar, dass die Tarifvertragsparteien rein legitimatorisch nicht ohne Weiteres in der Lage sind, eine betriebsweite oder gar überbetriebliche Ordnung der Arbeitsbedingungen auf normativem Weg herbeizuführen. Die von der Gesetzesbegründung auf Grundlage der höchstrichterlichen Rechtsprechung durch das BAG bzw. BVerfG propagierte Ordnungsfunktion der Tarifverträge muss daher als rein arbeitsmarktpolitische Zielvorstellung947 verstanden werden, der keine rechtliche Verbindlichkeit beigemessen werden kann. Justiziable Rechtsfolgen lassen sich aus ihr nicht ableiten, 944 So zutreffend v. Mangoldt/Klein/Starck/Kemper, Art. 9 GG Rn. 83; Dieterich, GS Zachert, S. 532 (539). 945 Ähnlich Seiwerth, Gestaltungsfreiheit, S. 206 f. 946 v. Mangoldt/Klein/Starck/Kemper, Art. 9 GG Rn. 83. 947 Vgl. Säcker/Oetker, Tarifautonomie, S. 94: „verfassungsgewünschter Idealzustand“.

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Teil 2: Die Zulässigkeit von tarifvertraglichen Differenzierungsklauseln

vielmehr birgt sie die Gefahr, soziologische Beobachtungen dogmatisch zu überhöhen.948 Für die Bewertung der rechtlichen Zulässigkeit von tarifvertraglichen Differenzierungsklauseln mit Stichtag kann die Ordnungsfunktion demnach keine entscheidende Rolle spielen.

10. Unzulässiges kollusives Zusammenwirken der Tarifvertragsparteien zu Lasten der Außenseiter? Aus dem Schrifttum wurden zur Stichtagsklausel-Entscheidung vom 15. 4. 2015 vereinzelt Stimmen laut, die in der vorliegenden Konstellation einen Fall von Kollusion zu Lasten der Außenseiter annehmen wollen.949 Insbesondere wenn in einer Sanierungssituation auch dem Arbeitgeber viel an einem möglichst abgeschlossenen Zirkel von anspruchsberechtigten Gewerkschaftsmitgliedern gelegen ist und er damit ähnlich gelagerte Interessen wie die Gewerkschaft verfolgt, liegt die Überlegung nicht fern, dass eine entsprechende Tarifeinigung vorsätzlich auf Kosten der Außenseiter getroffen wird. Als einfachgesetzliche Anknüpfungspunkte für diesen Vorwurf der kollusiven Zusammenarbeit kommen sowohl die Nichtigkeitsanordnung in § 138 I BGB als auch ein Anspruch der nicht- oder andersorganisierten Arbeitnehmer nach § 826 BGB in Betracht. Beide Normen setzen tatbestandlich eine kollusive Kooperation der Tarifvertragsparteien zu Lasten der Außenseiter voraus. Dabei bezeichnet der Begriff der Kollusion ganz allgemein das Zusammenwirken zweier Beteiligter, um einen Dritten zu schädigen.950 Im Rahmen der Untersuchung konnte indes bereits an früherer Stelle aufgeklärt werden, dass sich bestimmte tarifliche Regelungen faktisch negativ auf die Rechtsposition der Außenseiter auswirken können.951 Diese Tendenzen sind jedoch bei einem kollektiv-privatautonomen Verständnis von Tarifautonomie nicht verboten und müssen daher als Folge einer mitgliederorientierten Interessenvertretung grundsätzlich hingenommen werden.952 Anders ist die Situation möglicherweise zu bewerten, wenn sich die Tarifvertragsparteien dazu entschließen, die ihnen verliehene Regelungsmacht ganz bewusst zu Lasten der Außenseiter einzusetzen. Angesichts ihrer zentralen Machtposition in der deutschen Arbeitsrechtsordnung und der daraus folgenden tatsächlichen Einwirkungsmöglichkeiten auf die nicht- oder andersorganisierten Arbeitnehmer könnte sich diese Konstellation ab einem gewissen Grad einer bekannten Situation aus dem Recht der Stellvertretung (§§ 164 ff. BGB) annähern. Dort wird eine Kollusion jeweils dann angenommen, wenn der Vertreter oder eine Person 948 Im Ergebnis auch Kamanabrou, Erga-Omnes-Wirkung, S. 44: „Über eine Formel gehen die entsprechenden Formulierungen nicht hinaus.“. 949 Greiner, NZA 2016, 10 (14); ders., FS H. J. Willemsen, S. 159 (169); ders., jM 2016, 66 (69). 950 Creifelds, Rechtwörterbuch, S. 1300 (Sittenwidrigkeit), S. 1599 (Vertretung ohne Vertretungsmacht). 951 Vgl. oben, Teil 2 B. II. 1. 952 Siehe auch die bereits in Teil 2, Fn. 306 Genannten.

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mit ähnlichem Einfluss auf die Rechtspositionen des Vertretenen mit dem Vertragspartner eine Vereinbarung zum Nachteil des Vertretenen trifft.953 a) Keine Nichtigkeit des Tarifvertrags gemäß § 138 BGB Nach der wohl herrschenden Auffassung unterfallen derartige kollusive Vereinbarungen der Sittenwidrigkeit und sind demnach gemäß § 138 BGB nichtig.954 Sollte sich bei den Tarifvertragsparteien der Verdacht eines kollusiven Zusammenwirkens zu Lasten der Außenseiter erhärten, stünde demnach die Nichtigkeit der Tarifnorm im Raum. Allerdings muss die Tragfähigkeit dieser Herangehensweise hinterfragt werden, wenn sie zur Begründung der Nichtigkeit gemäß § 138 I BGB explizit auf eine Konstellation aus dem Recht der Stellvertretung rekurriert. Die Anwendung der §§ 164 ff. BGB auf das Verhältnis der Tarifvertragsparteien zu den Außenseitern wirkt nicht nur kontraintuitiv, sondern offenbart auch deutliche Brüche in der Argumentation. § 164 I BGB als zentrale Norm für die Zurechnung der Willenserklärung zum Geschäftsherrn setzt eine Vertretungsmacht des Vertreters voraus. Eine Vollmachtserteilung des Außenseiters an die Gewerkschaft im Sinne des § 167 I BGB ist jedoch nicht erfolgt. Auch eine Vollmacht kraft Rechtsscheins955, mittels derer die Vereinbarung der Sozialpartner unmittelbar auf die Rechtsstellung des Außenseiters einwirken könnte, kommt angesichts seiner nach außen hin dokumentierten Entscheidung, einer Koalition fernzubleiben und sich der tariflichen Regelungsbefugnis damit nicht zu unterwerfen, nicht in Betracht. Die Gewerkschaft ist daher keine Bevollmächtigte der Außenseiter. Das hat zur Folge, dass der Nachteil, der die Außenseiter tatsächlich trifft, mangels Vertreterstellung mittelbarfaktischer Natur ist und nicht unmittelbar auf die Abmachung der Tarifvertragsparteien zurückgeführt werden kann. Die wirtschaftlich negativen Folgen der Vereinbarung zwischen den Sozialpartnern treffen die nicht- oder andersorganisierten Arbeitnehmer daher lediglich im Sinne einer reflexartigen Konsequenz und gerade nicht unmittelbar, wie es § 164 I BGB voraussetzt. Eine direkte Anwendung der Kollusionsregeln über ein Vertretungsverhältnis ist demnach ausgeschlossen. Zudem muss selbst eine zumindest sinngemäße Anwendung der Regeln über die Stellvertreter-Kollusion in der hiesigen Konstellation ausscheiden: Die besondere 953 Vgl. MüKo BGB/C. Schubert, § 164 BGB Rn. 227; Palandt/Ellenberger, § 164 BGB Rn. 13; Liebers/Schuppner, NZA 2017, 155 (156). 954 BGH v. 28. 1. 2014 – II ZR 371/12, NZG 2014, 389 (Rn. 10); BGH v. 14. 6. 2000 – VIII ZR 218/99, NJW 2000, 2896 [II. 2. der Gründe]; BGH v. 17. 5. 1988 – VI ZR 233/87, NJW 1989, 26 [II. der Gründe]; Palandt/Ellenberger, § 164 BGB Rn. 13; BeckOGK BGB/Huber, § 164 BGB Rn. 86 f. (Stand: 1. 12. 2018); MüKo BGB/C. Schubert, § 164 BGB Rn. 227; Medicus/ Petersen, AT BGB Rn. 966. Teile des Schrifttums befürworten indes eine analoge Anwendung der §§ 177 ff. BGB, vgl. nur PWW/Frensch, § 164 BGB Rn. 69; Lieder, JuS 2014, 681(685 f.); Mock, JuS 2008, 486 (487); für eine Lösung über die Regeln der Anfechtung Vedder, Missbrauch, S. 132 ff. (insbes. S. 138 ff.); ders., JZ 2008, 1077 (1081 f.). 955 Vgl. BeckOK BGB/Schäfer, § 167 BGB Rn. 13 ff. (Stand: 1. 8. 2021); Palandt/Ellenberger, § 172 BGB Rn. 6 ff.

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Teil 2: Die Zulässigkeit von tarifvertraglichen Differenzierungsklauseln

Schutzbedürftigkeit des Geschäftsherrn im Rahmen einer Kollusion rührt neben der Schädigungsabsicht der kontrahierenden Personen auch aus der direkten Einwirkungsmöglichkeit des Vertreters in die Rechtsgüter des Geschäftsherrn, wie sie der Gesetzgeber für die Stellvertretung in § 164 I BGB ausdrücklich angeordnet hat. Dieses sog. Repräsentationsprinzip führt dazu, dass die Rechtsfolgen des Vertreterhandelns unmittelbar in der Person des Vertretenen eintreten.956 Durch diese unbedingte Unmittelbarkeit wird ein Näheverhältnis zwischen Vertreter und Geschäftsherr erzeugt, das letzteren besonders anfällig für schädigende Handlungen des Vertreters macht957 und deshalb schutzbedürftig erscheinen lässt. Einen normativen Anknüpfungspunkt für eine derartige Nähebeziehung zur Begründung des objektiven Tatbestandes einer Kollusion sucht man im Verhältnis der einzelnen Tarifvertragsparteien zum Außenseiter indes vergebens. Der nicht- oder andersorganisierte Arbeitnehmer hat sich gegen einen Beitritt zur tarifschließenden Gewerkschaft entschlossen und damit zu verstehen gegeben, dass er sich gerade nicht der Regelungsgewalt der Tarifvertragsparteien unterwerfen möchte. Für ihn greifen daher die §§ 4 I, 3 I TVG als Anknüpfungspunkt für ein Rechtsverhältnis, das der Stellvertreterkonstellation ähnlich958 ist und eine Übertragung der dort entwickelten Grundsätze zumindest im Ansatz ermöglichen würde, nicht. Es fehlt an einer unmittelbaren Einwirkungsmöglichkeit der Tarifvertragsparteien auf die Rechtsgüter des Außenseiters, an die eine besondere Schutzwürdigkeit geknüpft werden kann. Die Rechtsfolgen einer Stellvertreter-Kollusion (§ 138 BGB) finden daher in diesem Verhältnis weder direkt noch dem Sinn gemäß Anwendung. Damit bleibt die Kontrolle anhand von § 138 BGB zwar theoretisch bei Neumitgliedern möglich, die das geforderte Näheverhältnis eben begründet haben. Allerdings stehen ab dem Zeitpunkt der Unterwerfung unter die Normsetzungsbefugnis der Tarifvertragsparteien spezifisch tarifrechtliche Instrumentarien wie etwa der Gleichbehandlungsgrundsatz zur Verfügung, die die frisch beigetretenen Mitglieder vor einer übermäßigen Benachteiligung durch bestimmte Tarifregelungen schützen sollen.959 Der Rückgriff auf § 138 BGB ist deshalb im Verhältnis der Tarifvertragsparteien zu den Neumitgliedern gesperrt. 956

MüKo BGB/C. Schubert, § 164 BGB Rn. 10 ff.; Palandt/Ellenberger, Einf. v. § 164 BGB Rn. 1 f.; PWW/Frensch, § 164 BGB Rn. 1. 957 Vgl. Liebers/Schuppner, NZA 2017, 155 (156). 958 Insbes. Höpfner, Tarifgeltung, S. 149 ff., 160 ff. gelingt unter Bezugnahme auf die Lehren von Sinzheimer, Arbeitsnormenvertrag, Erster Teil, S. 74 ff. überzeugend der Nachweis, dass die Tarifwirkungen nicht letztlich doch auf eine Stellvertreterkonstellation zurückzuführen sind; so auch Beathalter, Einseitige Gestaltungsmöglichkeiten, S. 32 ff.; anders dagegen insbes. Lotmar, ArchSozG Band XV, 1 (68 ff.); ders., Der Arbeitsvertrag, Band I, S. 796 ff., freilich jedoch noch zeitlich vor der gesetzlichen Geltung der normativen Wirkung bei Tarifvereinbarungen; auf diese Gedanken allerdings aufbauend Adomeit, RdA 1967, 297 (302 ff.); ders., Rechtsquellenfragen im Arbeitsrecht, S. 141, 155 f.; ähnlich auch Katz, Lücken im Arbeitsvertrage, S. 77; von einem „legitimatorisch gleichen Charakter“ bei Mitgliedschaft und Vollmachtserteilung gegenüber dem Vertreter spricht Leitmeier, Nachwirkung, S. 95. 959 Siehe hierzu oben, Teil 2 B. III. 7. e).

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b) Kollusives Zusammenwirken der Koalitionen zum Nachteil des Außenseiters als haftungsbegründende Schädigung im Sinne des § 826 BGB? Aus Sicht der Außenseiter kann zudem noch über einen Schadensersatzanspruch gemäß § 826 BGB nachgedacht werden, der sich auf Rücknahme der entsprechenden schädigenden Regelungen durch die Tarifvertragsparteien oder sogar auf individuelle Vertragsanpassung und damit Gleichbehandlung durch den Arbeitgeber im Individualarbeitsverhältnis richtet.960 Im Gegensatz zu den Kollusionsregeln im Recht der Stellvertretung, die an ein besonderes Näheverhältnis anknüpfen, setzt die Anwendung dieser Vorschrift keine Sonderverbindung zwischen Schädiger und Geschädigtem voraus. Nach den bisherigen Ausführungen erscheint eine vorsätzliche Schädigung der Außenseiter-Arbeitnehmer durch die Vereinbarung einer tarifvertraglichen Differenzierungsklausel mit Stichtag in der Vergangenheit im Zusammenhang mit einer Sanierungssituation zudem auch nicht schlechterdings ausgeschlossen. aa) Argumentation des BVerfG Dennoch wurde die Annahme eines kollusiven Zusammenwirkens der Tarifvertragsparteien zu Lasten der Außenseiter vom BVerfG abgelehnt. Losgelöst von einer verfassungsrechtlichen Argumentation vertraten die Richter den Standpunkt, der ganz überwiegende Teil der vom Ausscheiden betroffenen Arbeitnehmer hätte dem ihnen präsentierten Modell selbst zugestimmt, weshalb gegenüber den Tarifvertragsparteien der Vorwurf eines schädigenden Zusammenwirkens nicht verfange.961 Diese Begründung blendet allerdings vollständig aus, dass es sich bei der unternehmerischen Umstrukturierung ersichtlich um eine Ausnahmesituation handelt, in der die unmittelbare berufliche Existenz der Arbeitnehmer auf dem Spiel steht.962 Wenn sie in diesem Zusammenhang ihre Zustimmung zum konkreten Betriebsänderungsmodell erteilen, wollen sie regelmäßig „retten, was noch zu retten ist“. Das individuelle Einverständnis der Beschäftigten ohne erkennbare, wirtschaftlich vertretbare Alternative kann ein kollusives Zusammenspiel der Tarifvertragsparteien zu Lasten der Außenseiter nicht ausschließen. Im Gegenteil wird bei der Sichtweise des BVerfG nicht ersichtlich, inwiefern die individuelle Zustimmung zum Betriebsän-

960

In diese Richtung auch Lobinger/F. Hartmann, RdA 2010, 235 (238 f.). Rieble/C. Picker, ZfA 2014, 153 (206) weisen zu Recht darauf hin, dass ein Anspruch aus § 826 BGB auf Vertragsanpassung in einem bestehenden Arbeitsverhältnis systemwidrig sei. Damit wäre die Weitergabe der tariflichen Leistungen vom Außenseiter nicht im Wege der Naturalrestitution nach § 249 I BGB in Gestalt einer Vertragsanpassung einzufordern, sondern als Geldersatz gemäß §§ 826, 251 I BGB. Bei einem Haustarifvertrag kann der Arbeitgeber – sollte der Haftungstatbestand erfüllt sein – als Gesamtschuldner auf Grundlage der §§ 830 I, 840 I, 421 S. 1 BGB in Anspruch genommen werden. 961 BVerfG v. 14. 11. 2018 – 1 BvR 1278/16, AP GG Art. 9 Nr. 153 (Rn. 11). 962 So Greiner, FS H. J. Willemsen, S. 159 (167 f.); ders., NZA 2016, 10 (13).

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derungsmodell den Vorwurf des kollusiven Zusammenwirkens der Entscheidungsträger auf tariflicher bzw. betrieblicher Ebene entkräften kann. bb) Kein sittenwidriges Verhalten der Tarifvertragsparteien Da die pauschale Begründung des BVerfG mit den konkreten Umständen des Einzelfalls nicht zu überzeugen vermag, liegt es für eine stichhaltigere Argumentation nahe, zunächst an den Tatbestandsmerkmalen des § 826 BGB selbst anzusetzen. Bei dieser Vorgehensweise stößt man auf zwei zentrale Problemkreise: Zum einen muss untersucht werden, worin genau das tatbestandlich geforderte sittenwidrige Verhalten der Tarifvertragsparteien liegt, zu dem nach der Rechtsprechung eine besondere Verwerflichkeit hinzutreten muss.963 Zum anderen ist eine nähere Begutachtung des Schadens auf Seiten des Außenseiters angezeigt, der insbesondere auf dem verwerflichen Verhalten der Tarifvertragsparteien beruhen muss. Im Rahmen dieser Betrachtung erscheint ein kausaler Zusammenhang zwischen dem Abschluss eines differenzierenden Tarifvertrags als tatbestandliche Handlung und der Schlechterstellung des Außenseiters als konkretes Vermögensopfer zweifelhaft. Obwohl mit dem „Missbrauch wirtschaftlicher Macht“ eine Fallgruppe zur Verfügung stände, die eine gewisse Indizwirkung zu Lasten der Tarifvertragsparteien entfalten könnte964, fällt die Begründung des Vorwurfs an die Tarifvertragsparteien, sittenwidrig, ja sogar verwerflich gehandelt zu haben, indem sie die entsprechende Klausel in ihren Tarifsozialplan aufnahmen, nach den bisherigen Ausführungen nicht leicht. Das ist insbesondere dem Umstand geschuldet, dass die Tarifvertragsparteien bei der Vereinbarung exklusiver Vorteile für eine bestimmte Gruppe von Mitgliedern zumindest auch in eigenen Angelegenheiten965 und somit selbst in Ausübung ihrer tarifautonomen Vereinbarungsbefugnis bzw. – in verfassungsrechtlichen Dimensionen gesprochen – als Träger einer grundrechtlich verbürgten Freiheit handeln. Da der verfassungsrechtlichen Grundwertung bei der Entscheidung, ob ein sittenwidriges Handeln vorliegt, zwangsläufig entscheidende Bedeutung zukommt, lassen diese Zusammenhänge den Vorwurf eines verwerflichen Verhaltens grundsätzlich nicht zu. Im Gegenteil würde damit durch die Hintertür ein Verhalten sanktioniert werden, das die Verfassung den Tarifvertragsparteien erlaubt und sogar unter ihren Schutz stellt. Diese Einsicht legt es nahe, § 826 BGB für den Bereich der tarifvertraglichen Normsetzung im Lichte der Koalitionsfreiheit auszulegen und die Verschlechterung der Außenseiter-Position durch zulässige tarifliche Regelungen schon 963 BGH v. 15. 10. 2013 – VI ZR 124/12, NJW 2014, 1380 (Rn. 8); BGH V. 3. 12. 2013 – XI ZR 295/12, NJW 2014, 1098 (Rn. 23); BGH v. 19. 7. 2004 – II ZR 217/03, NJW 2004, 2668 [III. 2. c) der Gründe]; Palandt/Sprau, § 826 BGB Rn. 4; kritisch dagegen jedenfalls für den Bereich des Kapitalmarktrechts Oechsler, WM 2015, 853 (856). 964 Palandt/Sprau, § 826 BGB Rn. 48 ff.; zurückhaltender angesichts der inzwischen bestehenden kartellrechtlichen Sondervorschriften BeckOGK BGB/Spindler, § 826 BGB Rn. 108 ff. (Stand: 1. 5. 2021); PWW/Schaub, § 826 BGB Rn. 25. 965 Siehe oben, Teil 2 B. II. 1.

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gar nicht als sittenwidriges und damit tatbestandsmäßiges Verhalten zu qualifizieren. Wenn das Grundgesetz die besondere Stellung von Gewerkschaften und Arbeitgeber auf dem Arbeitsmarkt anerkennt und sich die Tarifvertragsparteien im Rahmen dessen bewegen, was Art. 9 III GG mitsamt seiner einfachrechtlichen Ausgestaltung im TVG erlaubt, wäre es geradezu paradox, sie wiederum für derartige Tarifgestaltungen haftbar zu machen. Solange die Tarifvereinbarung den verfassungsrechtlich und einfachgesetzlich konturierten Spielraum nicht verlässt und damit zulässige Inhalte normiert, kann es sich bereits aufgrund der grundrechtlichen Implikation nicht mehr um ein sittenwidriges Ausnutzen einer Machtposition handeln, das zugunsten der Außenseiter über § 826 BGB sanktioniert werden müsste. cc) Keine zurechenbare Verknüpfung zwischen Abschluss des Tarifvertrags und tatbestandsmäßigem Schaden bei den Außenseitern Selbst wenn man dies anders sehen und die Möglichkeit einer sittenwidrigen Schädigung Dritter bei gleichzeitig grundrechtlich gedeckter Vorgehensweise der Tarifvertragsparteien anerkennen möchte, muss ein Schadensersatzanspruch nach § 826 BGB zugunsten der Außenseiter grundsätzlich infrage gestellt werden. Dies gilt insbesondere deshalb, weil nicht offen ersichtlich ist, ob eine Vermögenseinbuße bei den Außenseitern eingetreten ist, die den Tarifvertragsparteien zugerechnet werden könnte. Allein die Feststellung, dass die Tarifvertragsparteien die Verhandlungsposition der Außenseiter durch eine Schröpfung des Verteilungsvolumens nachhaltig geschwächt haben, reicht für die hinreichende Bestimmbarkeit des Schadens auf Seiten der Außenseiter noch nicht aus. Mit Abschluss einer Tarifvereinbarung, die für den Außenseiter keine unmittelbar-normativen Konsequenzen hat, ist noch kein quantifizierbares Vermögensopfer auf Seiten der nicht begünstigten Arbeitnehmer eingetreten. Sieht man die konkrete Einbuße in der beinahe auf null gesunkenen Wahrscheinlichkeit, mit dem Arbeitgeber in erfolgsversprechende Verhandlungen zur Anpassung des Arbeitsvertrags an das Niveau der privilegierten Gewerkschaftsmitglieder zu treten, muss allerdings bezweifelt werden, ob die Erwartung einer Gleichstellung mit den Altmitgliedern durch Weitergabe der Tarifleistungen überhaupt geldwert ausgestaltet ist und damit kommerzialisiert werden kann. Nur wenn eine tatsächlich messbare Vermögenseinbuße vorliegt, kann sie als Schadensposten generell infrage kommen.966 Ein verfestigtes, schützenswertes Vertrauen auf den Erhalt dieser Leistung über einen individualvertraglichen Anspruch hinaus kann bei den Außenseitern jedenfalls in einer Sanierungssituation nicht gebildet werden. Zudem fehlt es auch an der erforderlichen Zurechenbarkeit zwischen dem Abschluss des Tarifvertrags und der enttäuschten Erwartung der Außenseiter-Arbeitnehmer in Form eines Schutzzweckzusammenhangs. Die Außenseiter müssen konzedieren, dass der Umstand, nicht in den Genuss tariflicher Leistungen zu ge966

Vgl. MüKo BGB/Oetker, § 249 BGB Rn. 41.

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langen, in erster Linie auf ihre eigene Entscheidung zurückgeführt werden kann, nicht (mehr) Mitglied in der tarifschließenden Gewerkschaft zu sein. Wenn es ihnen anschließend verwehrt ist, eine Gleichstellung mit den gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmern zu erreichen, weil der Arbeitgeber zur Weitergabe der tariflichen Extraleistungen an die nicht begünstigten Arbeitnehmer nicht bereit sein wird, realisiert sich das typische Risiko, das mit dem Fernbleiben regelmäßig einhergeht.967 Bei dieser Sichtweise wird die ungünstige Ausgangslage der Außenseiter und ihre letztlich enttäuschten Erwartungen nicht originär von den Tarifvertragsparteien hervorgerufen, sondern ist auf den Verzicht auf die tarifliche Interessenvertretung und somit einen eigenen Entschluss der Außenseiter zurückzuführen. Die weitreichenden Folgen dieser Entscheidung werden dann im weiteren Fortgang durch den konkreten Tarifvertrag nur perpetuiert, ohne dass dadurch ein neuer Kausalverlauf angestoßen wird, der eine eigenständige Bewertung herausfordern würde. In haftungsrechtlichen Dimensionen gesprochen lässt sich daher folgendes festhalten: Der Tarifabschluss als denkbarer objektiver Anknüpfungspunkt für eine Haftung der Tarifvertragsparteien löst keinen eigenständigen Kausalverlauf aus, sondern intensiviert nur die Auswirkungen, die sich auf Basis anderer Entscheidungen – im konkreten Fall: das Fernbleiben des Außenseiters von der Gewerkschaft – ergeben. Bei der verpassten Gleichstellung verwirklicht sich demnach vielmehr ein Risiko, das entscheidend aus der Sphäre des Außenseiters selbst stammt.968 Vor dieser Gefahr will § 826 BGB jedoch nicht schützen. Es fehlt daher am erforderlichen Schutzzweckzusammenhang zwischen dem Verhalten der Tarifvertragsparteien und der enttäuschten Erwartung des Außenseiters. dd) Ergebnis Ein Anspruch der Außenseiter gemäß § 826 BGB bei Tarifverträgen mit besonders hohen Exklusivleistungen an (bestimmte) Gewerkschaftsmitglieder besteht nicht. Es ist bereits äußerst zweifelhaft, ob den Tarifvertragsparteien überhaupt ein sittenwidriges Verhalten vorgeworfen werden kann, wenn sie von den umfassenden Möglichkeiten Gebrauch machen, die ihnen das Grundgesetz und das einfache Recht zubilligen. Selbst wenn man an in diesem Punkt anderer Meinung sein sollte, fehlt es jedenfalls an einem tatbestandsmäßigen Schaden, der in zurechenbarer Weise auf das Verhalten der Tarifvertragsparteien zurückgeführt werden könnte. Die Außenseiter können somit keine Schadensersatzansprüche aufgrund des jeweiligen Tarifvertrags geltend machen. Auf die komplexen Folgefragen, wer Gegner dieses Anspruchs sein bzw. wie die konkrete Rechtsfolge ausgestaltet werden könnte, braucht demnach nicht näher eingegangen werden.

967 968

Siehe auch Teil 2, Fn. 277. Vgl. dazu Wandt, Gesetzliche Schuldverhältnisse, § 16 Rn. 131 f.

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11. Exkurs: Verhältnis der tariflichen Differenzierungsklausel mit Stichtag in der Vergangenheit zu nationalen und unionsrechtlichen Kartellvorschriften Bei der Inhaltskontrolle von tariflichen Differenzierungsklauseln führt das Kartellrecht als „ein System von Störungsverboten“969 nach wie vor ein Schattendasein. Nur vereinzelt blicken Autoren auch aus dieser Perspektive auf die Besserstellungen für Gewerkschaftsmitgliedern970, während eine nähere Begutachtung des Verhältnisses zwischen Differenzierungsklauseln mit Stichtag in der Vergangenheit und den nationalen wie unionsrechtlichen Kartellvorschriften bislang – soweit ersichtlich – noch nie stattgefunden hat, obwohl gerade bei der einseitigen Verteilung von Leistungen durch Tarifvertrag mit kartellierender Wirkung eine Überprüfung nicht völlig deplatziert erscheint. Dies mag in bestimmtem Umfang damit zusammenhängen, dass selbst die übergeordnete Frage, ob und unter welchen Umständen Tarifverträge als solche und sonstige Abreden zwischen Arbeitgeber(verbänden) und Gewerkschaften einer Kartellkontrolle unterliegen, Gegenstand einer jahrzehntelangen Debatte ist und bis heute nicht abschließend geklärt werden konnte.971 Allerdings scheint sich insbesondere durch mehrere jüngere Entscheidungen des EuGH im Mehrebenensystem der Kartellvorschriften eine Entwicklung abzuzeichnen, die handhabbare Kriterien für die Bewertung zur Verfügung stellt. Bereits vor Inkrafttreten des AEUV wurde eine Überprüfung von Tarifverträgen, die Regelungen zu den in § 1 I TVG aufgezählten Bereichen treffen, anhand des nationalen Kartellrechts überwiegend abgelehnt: Bei Haustarifverträgen folgt diese Einsicht direkt aus § 1 GWB. Hier fehlt es bereits an der tatbestandlich geforderten „Vereinbarung zwischen Unternehmen“, da die jeweilige Gewerkschaft jedenfalls beim Abschluss von Tarifverträgen nicht als Unternehmerin agiert.972 Anders stellt sich hingegen die Situation bei einem Verbandstarifvertrag dar. Bei ihm erfüllt der verbandsinterne Annahmebeschluss der Arbeitgeberseite regelmäßig die Anwendungsvoraussetzungen für eine Kartellkontrolle.973 Die Rechtswidrigkeit eines Beschlusses schlüge ohne korrigierendes Eingreifen auf die Vereinbarung zwischen 969

Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn. 899. So F. Hartmann/Lobinger, NZA 2010, 421 (423 ff.). 971 Vgl. dazu Höpfner, Tarifgeltung, S. 586. 972 So auch BAG v. 27. 6. 1989 – 1 AZR 404/88, AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 113 [II. 3. c) bb) der Gründe]; ebenfalls Bechtold/Bosch/Bechtold/Bosch, § 1 GWB Rn. 11; Immenga/ Mestmäcker/Zimmer (5. Aufl. 2014), § 1 GWB Rn. 164; Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 1119; Anzinger/Koberski, NZA 1989, 737 (745); Bechtold, RdA 1983, 99; Hendriks, Vereinbarungen, S. 42 f.; ders., ZHR 141 (1977), 1 (3); Krause, Tarifverträge zur Begrenzung der Leiharbeit, S. 103 f.; Poth, Grenzen des Arbeitsrechts, S. 83 ff.; Reichold, FS Reuter, S. 759 (764); Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn. 446; ders., BB 2013, 245 (249); Wessely, Kartellrechtliche Aspekte, S. 94 ff.; a. A. Jäger, Anwendbarkeit, S. 138 ff.; Sölter, Arbeitslosigkeit, S. 188; eine differenzierte Sichtweise für „marktregelnde“ Tarifverträge vertreten Immenga, Grenzen, S. 46 ff. und Kulka, RdA 1988, 337 (338 f.); ders., WuW 1987, 5 (17 f. 973 Hendriks, Vereinbarungen, S.124 ff. Höpfner, Tarifgeltung, S. 557; Immenga, Grenzen, S. 36 ff.; wohl auch Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 1122; C. Schubert, ZfA 2013, 1 (30); a. A. Poth, Grenzen des Arbeitsrechts, S. 86 ff. 970

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Arbeitgeberverband und Gewerkschaft durch974 und hätte eine umfassende Kartellkontrolle zur Folge. Diese Konsequenz widerspräche aber dem verfassungsrechtlichen Leitbild, das den Tarifvertragsparteien zur Verhinderung eines Unterbietungswettbewerbs am Arbeitsmarkt ermöglichen möchte, im Rahmen ihrer Tarifautonomie flächendeckende Mindeststandards festzulegen.975 Um die Privilegierung der Tarifverträge bei der Normierung „klassischer“ tariflicher Regelungsgegenstände wie Arbeitsentgelt, Arbeitszeit u. Ä. zu gewährleisten976 und somit den Vorgaben des Art. 9 III GG zu genügen, muss daher der Tatbestand des § 1 GWB für derartige Bestimmungen teleologisch reduziert werden.977 Vereinbaren die Tarifvertragsparteien folglich eine normative Regelung im Sinne des § 1 I TVG, kann diese Übereinkunft aus kartellrechtlicher Sicht grundsätzlich nicht beanstandet werden. Zunehmend komplexer wurde die Materie indes durch die unmittelbare Geltung der unionsrechtlichen Kartellvorschriften in Art. 101 ff. AEUV und der Verordnung 1/2003 für Sachverhalte, die einen grenzüberschreitenden Bezug aufweisen.978 Mit dieser unionsrechtlichen Überformung können freilich auch die nationalen Kartellvorschriften für rein innerstaatliche Sachverhalte nicht mehr unabhängig von den einschlägigen europäischen Implikationen gelesen werden.979 Vor diesem Hintergrund entschied sich auch der nationale Gesetzgeber, den unionsrechtlichen Einfluss auf das GWB und damit für rein nationale Sachverhalte nachhaltig zu stärken.980 Bereits mehrfach hatte er in jüngerer Vergangenheit den Willen bekundet, eine Harmonisierung mit den unionalen Vorschriften voranzutreiben und auf diese Weise die Regelungen für Fälle ohne zwischenstaatlichen Bezug denen des europäischen Wettbewerbsrechts anzupassen.981 Für nationale Vorschriften zur Umsetzung se-

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Höpfner, Tarifgeltung, S. 558 f. Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 1088; Höpfner, Tarifgeltung, S. 232; Kulka, RdA 1988, 337 (342 f.); vgl. ferner auch die in Teil 1, Fn. 12 Genannten. 976 Mohr/Maik Wolf, JZ 2011, 1091 (1098). 977 Wiedemann/Jacobs, Einl. TVG Rn. 99; Höpfner, Tarifgeltung, S. 559; ähnlich auch Mohr/Maik Wolf, JZ 2011, 1091 (1097): „verfassungs- und EU-primärrechtskonforme Einschränkung des Tatbestandes“; anders aber noch Immenga/Mestmäcker/Zimmer (5. Aufl. 2014), § 1 GWB Rn. 165, der das Tarifrecht als lex specialis zum Kartellrecht sieht. Diese Annahme ist jedoch methodologisch fragwürdig, weil dem Tarifrecht einerseits und dem Kartellrecht andererseits unterschiedliche Regelungskonzepte zugrunde liegen, vgl. Ackermann, Kartellrecht und Arbeitsmarkt, S. 33 (Rn. 21); Krause, Tarifverträge zur Begrenzung der Leiharbeit, S. 110. Da somit der eine Tatbestand den anderen nicht miterfasst, kommt keine Normenkollision zustande, die nach den Regeln der Spezialität aufgelöst werden könnte, vgl. dazu Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, S. 27 f. 978 Vgl. Loewenheim u. a./Meessen/Kersting, Einführung in das europäische und deutsche Kartellrecht Rn. 87. 979 Vgl. auch Höpfner, Tarifgeltung, S. 560 ff. 980 Vgl. Loewenheim u. a./Grave/Nyberg, Vorbemerkung §§ 1 bis 3 GWB, Rn. 4. 981 BT-Drucks. 15/3640, S. 21, vgl. auch BT-Drucks. 17/9852, S. 17. 975

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kundärrechtlicher Richtlinien982 gilt zudem über die Absichtserklärung des deutschen Gesetzgebers hinaus das Gebot richtlinienkonformer Auslegung.983 Im Lichte der zunehmenden Harmonisierung nimmt es nicht Wunder, dass sich der BGH bei der Auslegung des § 1 GWB entscheidend an den unionsrechtlichen Vorgaben orientiert und der „Entscheidungspraxis des EuGH zu Art. 101 AEUV […] bei der Anwendung auf rein innerstaatliche Sachverhalte erhebliches Gewicht“ zumisst.984 Zum Teil wird sogar infrage gestellt, ob die Beurteilung eines rein nationalen Sachverhalts nach § 1 GWB im Grundsatz anders ausfallen kann als nach Art. 101 I AEUV.985 Angesichts dieser Subordination der nationalen Gerichte bzw. Legislativorgane unter das Unionsrecht kommt der Rechtsprechungspraxis des EuGH zu den europäischen Rechtsakten für die Bewertung von Sachverhalten auch ohne grenzüberschreitenden Bezug eine zentrale Bedeutung zu.986 Dies betrifft insbesondere die Sichtweise bezüglich einer kartellrechtlichen Freistellung von Tarifverträgen.987 Das im nationalen Recht beschriebene grundsätzliche Spannungsverhältnis zwischen Tarifautonomie und Kartellkontrolle besteht dabei in gewandelter Form auch auf europäischer Ebene. Dort kollidieren die Vorschriften der Art. 101 ff. AEUV, die einen freien Wettbewerb im Binnenmarkt gewährleisten sollen, mit den Zusicherungen zugunsten der Sozialpartner in Art. 28 GR-Charta bzw. der Art. 151 ff. AEUV. Zusätzlich verschärft wird dieser Konflikt von Art. 152 S. 1 AEUV, der neben der expliziten unionsrechtlichen Anerkennung der Sozialpartner nach der wohl herrschenden Meinung auch einen impliziten Förderungsauftrag988 enthalten soll989 und damit die herausgehobene Stellung der Sozialpartner im unionalen Rechtsgefüge besonders unterstreicht. Damit stehen sich auch auf unionsrechtliche Ebene wiederum zwei gegenläufige Systeme gegenüber, bei denen keines den eindeutigen Vorrang beanspruchen kann. Eine pauschale, uneingeschränkte wettbewerbsrechtliche Kontrolle aller Tarifverträge kollidiert demnach

982 Bspw. § 33a GWB, eingeführt durch das Neunte Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen v. 1. 6. 2017, BGBl. I Nr. 33 (2017), S. 1416 ff., in Umsetzung der Richtlinie 2014/104. 983 Kersting/Podszun/Kersting, Kapitel 7 Rn. 16. 984 BGH v. 7. 12. 2010 – KZR 71/08, GRUR 2011, 641 (Rn. 58); vgl. auch BGH v. 6. 11. 2013 – KZR 61/11, BeckRS 2013, 20508 (Rn. 54). 985 Bechtold/Bosch/Bechtold/Bosch, § 1 GWB Rn. 4. 986 Vgl. Ackermann, Kartellrecht und Arbeitsmarkt, S. 22 f. (Rn. 6 f.); Höpfner, Tarifgeltung, S. 561: „dynamische Verweisung“ auf die hierzu ergehende Rechtsprechung des EuGH. 987 Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 1092. 988 EUArbR/Franzen, Art. 152 AEUV Rn. 2; in diese Richtung auch Schwarze/Becker/ Hatje/Schoo/Rebhahn/Reiner, Art. 152 AEUV Rn. 3; zurückhaltender („lediglich programmatischen Charakter“) Callies/Ruffert/Krebber, Art. 152 AEUV Rn. 1; GHN/Benecke, Art. 152 AEUV Rn. 1; differenziert dagegen BDDH/Maul-Sartori, Art. 152 AEUV Rn. 5. 989 Vgl. dazu Goldmann, EuZA 2015, 509 (510 f.); Höpfner, Tarifgeltung, S. 562.

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ebenso mit europäischem Primärrecht wie eine absolute Immunität jeglicher Kollektivvereinbarung gegenüber den Art. 101 ff. AEUV.990 Innerhalb dieser Gemengelage zwischen Wettbewerbsschutz auf der einen und der Gewährleistung kollektivrechtlicher Freiheiten auf der anderen Seite konnte der EuGH seine Position durch die Entscheidungen zu den Rechtssachen „Albany“991, „Brentjens’“992 und „Drijvende Bokken“993 aus dem Jahr 1999 näher konturieren:994 Dort erkannte er im Ergebnis eine wettbewerbsrechtliche Privilegierung von Tarifverträgen in Form einer Bereichsausnahme für diejenigen Vereinbarungen an, die im Dialog zwischen den Sozialpartnern zustande gekommen sind, in Form eines Tarifvertrags abgeschlossen werden und das Ergebnis von Tarifverhandlungen zwischen Organisationen sind, die Arbeitgeber und Arbeitnehmer vertreten.995 Zudem setzte der EuGH voraus, dass der Tarifinhalt „unmittelbar zur Verbesserung der Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen der erfassten Arbeitnehmer“ beitragen müsse.996 Diese Sichtweise wurde auch in späteren Verfahren bestätigt.997 Aufgrund der beschriebenen Kontinuität in der EuGH-Rechtsprechung wird man die genannten Kriterien mit einiger Berechtigung als gesicherte entscheidungserhebliche Tatbestandsmerkmale für die Bereichsausnahme und damit den tariflichen Vorrang gegenüber einer Kartellkontrolle ansehen können. Legt man diese Maßstäbe einem Tarifvertrag samt Differenzierungsklausel mit Stichtag in der Vergangenheit zugrunde, stößt man auf mehrere Problemfelder: Zum einen ist fraglich, ob auch der Haustarifvertrag zwischen dem Arbeitgeber und der Gewerkschaft in den Anwendungsbereich der Bereichsausnahme fällt. Dies muss vor allem deshalb bezweifelt werden, weil der EuGH eine tarifliche Vereinbarung als 990

Höpfner, Tarifgeltung, S. 583; Mühlbach, Tarifverträge, S. 293; Viol, Anwendbarkeit, S. 332; vgl. auch EuGH v. 21. 9. 1999 – C-67/96 (Albany), Rn. 59; EuGH v. 21. 9. 1999 – C-115/ 97 u. a. (Brentjens’), Rn. 56; EuGH v. 21. 9. 1999 – C-219/97 (Drijvende Bokken), Rn. 46. 991 EuGH v. 21. 9. 1999 – C-67/96 (Albany). 992 EuGH v. 21. 9. 1999 – C-115/97 u. a. (Brentjens’). 993 EuGH v. 21. 9. 1999 – C-219/97 (Drijvende Bokken). 994 Zu allem Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 1090 ff.; Höpfner, Tarifgeltung, S. 559 ff. 995 EuGH v. 21. 9. 1999 – C-67/96 (Albany), Rn. 60, 62; EuGH v. 21. 9. 1999 – C-115/97 u. a. (Brentjens’), Rn. 57 und 59; EuGH v. 21. 9. 1999 – C-219/97 (Drijvende Bokken), Rn. 47 und 49; anders Kordel, Arbeitsmarkt, S. 176 ff., der stets im Wege einer Abwägung durch „eine Art Verhältnismäßigkeitsprüfung“ entscheiden möchte, ob der jeweilige Tarifvertrag durch die wettbewerbsrechtlichen Vorschriften kontrolliert werden kann; dagegen insbes. Ackermann, Kartellrecht und Arbeitsmarkt, S. 33 (Rn. 21). 996 EuGH v. 21. 9. 1999 – C-67/96 (Albany), Rn. 59 f. und 63; EuGH v. 21. 9. 1999 – C-115/ 97 u. a. (Brentjens’), Rn. 56 f. und 60; EuGH v. 21. 9. 1999 – C-219/97 (Drijvende Bokken), Rn. 46 f. und 50; vgl. auch Krause, Tarifverträge zur Begrenzung der Leiharbeit, S. 108; ferner Bechtold, FS Bauer, S. 109 (117 f.); Höpfner, Tarifgeltung, S. 579; Mohr/Maik Wolf, JZ 2011, 1091 (1098). 997 EuGH v. 4. 12. 2014 – C-413/13 (FNV Kunsten Informatie en Media), Rn. 22; EuGH v. 3. 3. 2011 – C-437/09 (AG2R Prévoyance), Rn. 29; EuGH v. 21. 9. 2000 – C-222/98 (van der Woude), Rn. 22; EuGH v. 12. 9. 2000 – C 180/98 (Pavlov), Rn. 67.

B. Differenzierungsklausel mit Stichtag vor Abschluss des Tarifvertrags

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Folge eines Dialogs zwischen Organisationen fordert, die „Arbeitgeber und Arbeitnehmer vertreten“. Zum anderen muss erörtert werden, inwiefern ein Tarifvertrag mit Differenzierungsklausel, die die Mitgliedschaft zu einem bestimmten Zeitpunkt zum anspruchsbegründenden Kriterium erhebt, noch am Tarifprivileg teilhaben kann, wenn die Stichtagsregelung eine bestimmte Arbeitnehmergruppe von der „unmittelbaren Verbesserung der Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen“ gerade ausschließt. Besonders virulent wird dieser Fall, wenn hierdurch bestimmten Gewerkschaftsangehörigen die gesamte tarifliche Leistung vorenthalten wird. a) Haustarifvertrag als Vereinbarung zwischen „Organisationen, die Arbeitgeber und Arbeitnehmer vertreten“ Nimmt man die Formulierung des EuGH beim Wort und versteht die Bereichsausnahme abschließend, fehlt es insbesondere bei Tarifsozialplänen regelmäßig an einer „Organisation, die die Arbeitgeber vertritt“. Wenn solche Vereinbarungen wie häufig als Haustarifvertrag geschlossen werden, tritt der Arbeitgeber selbst als Vertragspartei auf und damit gerade kein Arbeitgeberverband, der als organisierte Interessenvertretung das vom EuGH geforderte Tatbestandsmerkmal erfüllen könnte. Die konsequente Anwendung dieser Grundsätze förderte indes das sonderbare Ergebnis zutage, dass ein Verbandstarifvertrag bei entsprechenden Voraussetzungen von einer Kontrolle ausgenommen wäre, ein Haustarifvertrag mitsamt seiner deutlich geringeren Reichweite und daher weniger einschneidenden Auswirkungen auf den Wettbewerb dagegen von der Bereichsausnahme nicht umfasst wäre. Ein Ausschluss der Haustarifverträge von der Privilegierung würde jedoch ausblenden, dass der EuGH zwar bei der Wahl der Begrifflichkeiten auf Art. 152 ff. AEUV zurückgreift, weshalb auf europäischer Ebene wiederum nur die Zusammenschlüsse von Arbeitgebern bzw. Arbeitnehmern als „Sozialpartner“ anerkannt sind.998 Allerdings ist dem EuGH wegen der Harmonisierungsgrenze in Art. 153 V AEUV verwehrt darüber zu befinden, welchen Akteuren auf nationaler Ebene das Mittel der Kollektivvereinbarung offen steht.999 Die Entscheidung hierüber verbleibt bei den Mitgliedstaaten und bemisst sich nach deren Vorschriften.1000 Für das deutsche Recht erkennt § 2 I TVG explizit den einzelnen Arbeitgeber als tariffähige Partei an und stellt damit den Haustarifvertrag ausdrücklich dem Verbandstarifvertrag gleich.1001 Die Möglichkeit, als Arbeitgeber mit einer Gewerkschaft einen Haustarifvertrag abzuschließen, wird mangels gesetzlicher Sperrregelung auch nicht 998

Vgl. die Mitteilung der Kommission über die Anwendung des Protokolls über die Sozialpolitik an den Rat und an das Europäische Parlament v. 14. 12. 1993, KOM (93) 600 endg., S. 2 und 13; auch Callies/Ruffert/Krebber, Art. 154 AEUV Rn. 19; Streinz/Eichenhofer, Art. 152 AEUV Rn. 6 f. 999 So auch Ackermann, Kartellrecht und Arbeitsmarkt, S. 33 (Rn. 22); Höpfner, Tarifgeltung, S. 573 ff. 1000 Ackermann, Kartellrecht und Arbeitsmarkt, S. 33 (Rn. 22); Serr, Privative Tariftreue, S. 88; vgl. auch Krause, Tarifverträge zur Begrenzung der Leiharbeit, S. 110. 1001 Höpfner, Tarifgeltung, S. 576.

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durch die Bindung an einen Verbandstarifvertrag beschnitten.1002 Auf europäischer Ebene deutet Art. 28 GR-Charta durch die alternative Formulierung ebenfalls an, dass den Arbeitgebern auch unabhängig von ihrer jeweiligen Organisation ein Recht auf Kollektivverhandlungen und Kollektivmaßnahmen zukommt.1003 Die selbständige Verfolgung eigener Interessen losgelöst vom Verband ist demnach selbst dem Unionsrecht nicht fremd. So steht zumindest die Wortwahl des EuGH einer Bereichsausnahme für Haustarifverträge nicht entgegen. Darüber hinaus lassen sich gegen eine Sichtweise, die lediglich den Verbandstarifvertrag als vom Tarifprivileg umfasst ansehen möchte, auch teleologische Gesichtspunkte ins Feld führen. Der EuGH stellte bereits in den Entscheidungen zu den Rechtssachen „Albany“, „Brentjens’“ und „Drijvende Bokken“ fest, dass mit Tarifverträgen „zwangsläufig gewisse den Wettbewerb beschränkende Wirkungen verbunden“ seien.1004 Es widerspräche indes der Logik der EuGH-Rechtsprechung, wenn ein Haustarifvertrag, der geringeren Einfluss auf den Wettbewerb nimmt, im Ergebnis höhere kartellrechtliche Hürden überwinden müsste als ein Verbandstarifvertrag, der unter bestimmten Voraussetzungen bereits a priori von einer Kontrolle ausgenommen ist.1005 Erkennt man mit dem EuGH daher in bestimmten Fällen eine Bereichsausnahme für Verbandstarifverträge an, muss dieses Privileg erst recht für den Haustarifvertrag als weniger einschneidende Vereinbarung für den Wettbewerb gelten. Aus diesem Grund ist de maiore ad minus davon auszugehen, dass die europäische Bereichsausnahme ebenso den Haustarifvertrag erfassen möchte. Der Aussagegehalt der EuGH-Judikate ist somit über ihren Wortlaut hinaus auch auf Tarifverträge zu erstrecken, in denen der Arbeitgeber selbst als Tarifvertragspartei auftritt.1006

1002 BAG v. 10. 12. 2002 – 1 AZR 96/02, AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 162 [B. I. der Gründe]; ErfK/Franzen, § 2 TVG Rn. 21; Löwisch/Rieble, § 2 TVG Rn. 467; Gamillscheg, Band I, S. 524; Jacobs, ZTR 2001, 249 (250 f.); Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn. 1617; a. A. Matthes, FS Schaub, S. 477 (481 ff.); sich ihm anschließend LAG SchleswigHolstein v. 25. 11. 1999 – 4 Sa 584/99, AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 157 [3.2. der Gründe]; unentschieden dagegen Reuter, NZA 2001, 1097 (1098 ff.). 1003 Meyer (4. Aufl.)/Rudolf, Art. 28 GR-Charta Rn. 20; zurückhaltender Meyer/Hölscheidt/Hüpers/Reese, Art. 28 GR-Charta Rn. 32; vgl. auch Sagan, Gemeinschaftsgrundrecht, S. 161 f.; Thüsing/Traut, RdA 2012, 65 (71); a. A. Stern/Sachs/Rixen/Scharl, Art. 28 GR-Charta Rn. 11. 1004 EuGH v. 21. 9. 1999 – C-67/96 (Albany), Rn. 59; EuGH v. 21. 9. 1999 – C-115/97 u. a. (Brentjens’), Rn. 56; EuGH v. 21. 9. 1999 – C-219/97 (Drijvende Bokken), Rn. 46. 1005 Ähnlich auch Däubler/Schiek/Ulber, § 1 TVG Rn. 559. 1006 Ebenso Höpfner, Tarifgeltung, S. 576 f.

B. Differenzierungsklausel mit Stichtag vor Abschluss des Tarifvertrags

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b) Tarifvertrag mit Differenzierungsklausel und Stichtagsregelung als „Vereinbarung zur unmittelbaren Verbesserung der Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen“? Damit ist allerdings für den Haustarifvertrag mitsamt seiner Differenzierungsklausel mit Stichtag in der Vergangenheit noch nichts gewonnen. Bislang beschäftigte sich die Untersuchung allein mit den subjektiv-formalen Voraussetzungen für eine Bereichsausnahme, während die objektiv-materiellen Anforderungen für den Moment zurückgestellt wurden. Will der Tarifvertrag und seine Differenzierungsklausel mit Stichtagsregelung vollumfänglich am Privileg teilhaben, muss er qualitativ als „Vereinbarung zur unmittelbaren Verbesserung der Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen“ eingeordnet werden können. Das ist insbesondere deswegen fraglich, weil der Tarifvertrag mit Stichtag in der Vergangenheit den Neumitgliedern die Sonderleistung vorenthält und damit zumindest für einen Teil der tarifgebundenen Arbeitnehmer keine vergleichbare unmittelbare „Verbesserung“ vorsieht. Anders als die Frage, welche Akteure in den persönlichen Anwendungsbereich der Freistellungsmöglichkeit fallen, geht es bei der Auflösung dieser Konfliktsituation um den materiellen Ausgleich zwischen Art. 101 AEUV und den primärrechtlichen Schutzvorschriften für die Sozialpartner. Damit wird ein Spannungsfeld erzeugt, das – anders als die Frage, wer Tarifvertragspartei sein kann – über eine rein kollektivrechtliche Problemstellung hinausreicht und mit dem Kartellrecht ein Regelungsgebiet tangiert, für das die Union nach Art. 103 AEUV eine umfassende Kompetenz besitzt.1007 Sucht der EuGH in dieser Gemengelage einen Ausgleich, entscheidet er tatsächlich über die Reichweite der Kartellkontrolle und nur mittelbar über die qualitativen Mindestanforderungen an Tarifverträge.1008 Aufgrund der vordergründig kartellrechtlichen Einkleidung der Fragestellung kann die Kompetenzschranke aus Art. 153 V AEUV in dieser Konstellation nicht zur Anwendung gelangen.1009 Eine Rückverweisung ins nationale Recht zur Klärung dieser Problematik kommt deshalb trotz anderslautender Stimmen1010 nicht in Betracht.1011 Vielmehr besitzt der EuGH in diesem Fall selbst die Kompetenz, bindende Vorgaben für die unionsrechtliche Bereichsausnahme bei einer Kartellkontrolle treffen zu können. Ob der konkrete Tarifvertrag am unionsrechtlichen Tarifprivileg teilhaben kann, muss deshalb exklusiv anhand der Determinanten bestimmt werden, die der 1007

Latzel/Serr, EuZW2014, 410 (411). So zutreffend Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 1102; Latzel/Serr, EuZW 2014, 410 (411 f.). 1009 Im Ergebnis auch EUArbR/Franzen, Art. 153 AEUV Rn. 45 f.; a. A. Wessely, Kartellrechtliche Aspekte, S. 88. 1010 Goldmann, EuZA 2015, 509 (516) und Wessely, Kartellrechtliche Aspekte, S. 88 f.; nach denen die Reichweite der Bereichsausnahme allein anhand des mitgliedstaatlichen Rechts bestimmt werden soll; in diese Richtung auch Ackermann, Kartellrecht und Arbeitsmarkt, S. 33; Serr, Privative Tariftreue, S. 87 f. 1011 Wie hier Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 1101 ff.; Höpfner, Tarifgeltung, S. 579 ff.; Latzel/Serr, EuZW 2014, 410 (411). 1008

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Teil 2: Die Zulässigkeit von tarifvertraglichen Differenzierungsklauseln

EuGH für den Ausgleich zwischen dem Recht auf Kollektivvereinbarungen und den Anforderungen an einen funktionierenden innereuropäischen Wettbewerb vorgegeben hat. Verdeutlicht man sich erneut die jeweiligen Zielrichtungen der konfligierenden Interessen, kann es nicht überraschen, dass der EuGH gleichsam als Kompromiss eine kartellrechtliche Freistellung nur solchen Kollektivvereinbarungen zugestehen wollte, die zur Verwirklichung der „sozialpolitischen Ziele“ abgeschlossen werden. Konsequent ist damit die Forderung, dass ein Tarifvertrag „unmittelbar zur Verbesserung der Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen“ beitragen muss.1012 Nichtsdestotrotz wird dieser Zusammenhang bisweilen mit dem Argument bestritten, jede Effektivitätskontrolle führe unweigerlich in die „Tarifzensur“ im Sinne einer unverhältnismäßigen Rechtskontrolle.1013 Eine derartige Begründung birgt jedoch stets die Gefahr, das Spannungsverhältnis zwischen Tarifautonomie und Wettbewerbsrecht einseitig zugunsten einer absoluten Bevorzugung des Tarifvertrags aufzulösen. Freilich sieht Art. 28 GR-Charta das Motiv einer „Verbesserung der Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen“ nicht als Voraussetzung für die Ausübung des Grundrechts vor1014, doch könnten in einer Gemengelage, bei der sich Art. 28 GR-Charta und Art. 101 ff. AEUV gegenüberstehen, die Mechanismen, die zum Schutz des Binnenmarkts installiert wurden, mit dem bloßen Hinweis auf den Status einer sozialpartnerschaftlichen Vereinbarung umgangen werden. Um nicht den Kompromisscharakter zu verlieren, ist eine Rückkopplung der Tarifverträge an eine wie auch immer geartete tatsächliche Verbesserung der Situation für die Arbeitnehmer demnach als logische Folgerung aus dem Ausgleich zwischen Tarifautonomie und Wettbewerbsrecht zwingend erforderlich.1015 Welche Anforderungen indes an das Merkmal der „unmittelbaren Verbesserung“ gestellt werden müssen, ist vom EuGH bislang nicht näher konkretisiert worden. Man wird jedenfalls mit Blick auf die Altmitglieder nicht ernsthaft bestreiten können, dass die Sonderleistungen aus dem Tarifsozialplan als materielle Vorteile zur Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen beitragen. Die eigentliche Komplexität ergibt sich im vorliegenden Fall allerdings aus dem Stichtag in der Vergangenheit, der die Neumitglieder von einer vergleichbaren „Verbesserung“ im eigentlichen Sinne gerade ausschließt. Ob ein solcher Tarifvertrag ebenfalls unter das Merkmal der „unmittelbaren Verbesserung“ subsumiert und in der Folge von einer Kartellkontrolle dispensiert werden kann, muss die anschließende Überlegung untersuchen. 1012

EuGH v. 21. 9. 1999 – C-67/96 (Albany), Rn. 59 f.; EuGH v. 21. 9. 1999 – C-115/97 u. a. (Brentjens’), Rn. 56 f.; EuGH v. 21. 9. 1999 – C-219/97 (Drijvende Bokken), Rn. 46 f. 1013 Latzel/Serr, EuZW 2014, 410 (415). 1014 Es ist bereits umstritten, ob Art. 28 GR-Charta einen eigenständigen Schutzgehalt aufweisen kann. Dafür Jarass, Art. 28 GR-Charta, Rn. 2; Sagan, Gemeinschaftsgrundrecht, passim, insbes. S. 72 ff., 77 ff., 106 ff., 162 ff.; C. Schubert, ZfA 2013, 1 (11 ff.); a. A. Vedder/ Heintschel von Heinegg/Folz, Art. 28 GR-Charta, Rn. 3; Junker, ZfA 2015, 267 (281). 1015 Im Ergebnis auch Höpfner; Tarifgeltung, S. 579 f.; Krause, Tarifverträge zur Begrenzung der Leiharbeit, S. 109.

B. Differenzierungsklausel mit Stichtag vor Abschluss des Tarifvertrags

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Eine befriedigende Lösung hierfür kann jedoch nur auf der Grundlage der primärrechtlichen Vorgaben unter Berücksichtigung und Weiterentwicklung der Rechtsprechung des EuGH gefunden werden. Aus der systematischen Einordnung im Kontext der Art. 151 ff. AEUV bzw. Art. 28 GR-Charta ergibt sich zunächst, dass die festgestellten mittelbaren negativen Konsequenzen der Tarifregelung für die Außenseiter-Arbeitnehmer nicht in die Betrachtung miteinfließen müssen. Da das Unionsrecht wegen Art. 153 V AEUV keine Vorgaben über die Wirkungsweise eines Tarifvertrags geben kann, beschränken sich die Bedingungen des EuGH für eine Bereichsausnahme von vornherein auf die „Verbesserung der Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen“ derjeniger Arbeitnehmer, die nach dem nationalen Recht tarifgebunden sind. Die fehlende „Verbesserung“ der Arbeitsbedingungen für die Außenseiter kann deshalb bei der Betrachtung außer Acht gelassen werden. Mit Hinblick auf die Neumitglieder, die anders als ihre Gewerkschaftskollegen nicht an den Sonderleistungen partizipieren, kulminieren die Vorarbeiten in der Frage, ob ein unmittelbarer, direkt messbarer Vorteil für jeden einzelnen tarifgebundenen Arbeitnehmer erforderlich ist oder ob es ausreicht, wenn die Tarifunterworfenen als eigenständige Gruppe en bloc „besser“ dastehen als zuvor. Folgt man der ersten Deutungsvariante, müsste die Kartellfestigkeit für den Tarifvertrag mit Stichtag in der Vergangenheit verneint werden, da die Arbeitnehmer, die der Gewerkschaft erst nach Ablauf des Stichtags beitreten, nicht mehr an der „unmittelbaren Verbesserung“ teilhaben und sich deshalb ihre Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen durch den Tarifvertrag im Vergleich zum status quo ante nicht verändern. Hiergegen sprechen allerdings zwei Punkte: Zum einen verwendet das Primärrecht in Art. 151 ff. AEUV und Art. 28 GR-Charta die Personengruppe der Arbeitnehmer stets pluralisch und legt daher eine gesamtheitliche Sichtweise nahe, die losgelöst von singulären Einzelinteressen das Wohl und die Verbesserung der Arbeitsbedingungen für das Kollektiv der Arbeitnehmer im Blick hat.1016 Das lässt den Schluss zu, dass auch der EuGH bei der Aufstellung der Kriterien für eine Bereichsausnahme die tarifgebundenen Arbeitnehmer als Gesamtheit zugrunde legt und demzufolge das Merkmal der „Verbesserung“ bezogen auf die Arbeitnehmer in toto versteht. Vor diesem Hintergrund wäre auch der Tarifvertrag mit Stichtag in der Vergangenheit kartellfest, da bei seiner Regelung, die einigen Mitgliedern materielle Vorteile gewährt, für andere jedoch keine Verbesserung mit sich bringt, das Ergebnis für die Gesamtheit der tarifgebundenen Arbeitnehmer nach der Differenzmethode1017 immer noch positiv ist. Bei der gebotenen Gesamtbetrachtung unabhängig von den Einzelschicksalen der tarifgebundenen Mitglieder ergibt sich daher, dass auch ein sozialplanähnlicher Tarifvertrag, der Neumitglieder von zentralen Leistungen ausschließt, mitsamt seiner differenzierenden Klausel noch unter das Merkmal der

1016 1017

So jedenfalls für Art. 28 GR-Charta Meyer/Rudolf, Art. 28 GR-Charta Rn. 20. Höpfner, Tarifgeltung, S. 579.

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„unmittelbaren Verbesserungen der Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen“ subsumiert werden kann. Zum anderen kann an dieser Stelle derselbe Erst-recht-Schluss fruchtbar gemacht werden, der in ähnlicher Form bereits bei der Frage ins Feld geführt wurde, ob ein Haustarifvertrag ebenso wie ein Verbandstarifvertrag am Tarifprivileg teilhaben kann. Das Argumentationsmuster ist vergleichbar: Wenn schon solche Tarifverträge von einer Kartellkontrolle freigestellt sind, die allen tarifgebundenen Arbeitnehmern eine bestimmte Vergünstigung respektive eine „Verbesserung ihrer Beschäftigungsund Arbeitsbedingungen“ versprechen, muss dies erst recht für eine Tarifregelung gelten, die weniger tarifgebundene Arbeitnehmer adressiert und daher geringeren Einfluss auf den Wettbewerb nimmt. Anders gewendet stößt es auf, wenn ein Tarifvertrag, der den Wettbewerb durch seine geringere Reichweite weniger beeinträchtigt, im Ergebnis einer kartellrechtlichen Prüfung unterzogen wird, während eine Vereinbarung, die intensiveren, stärkeren Einfluss auf den Wettbewerb nehmen kann, bereits a priori von einer Kartellkontrolle freigestellt wird. Beim eigentlichen Zielkonflikt zwischen Tarifautonomie und Wettbewerbsrecht verschiebt sich das Moment bei graduell sinkenden Auswirkungen auf den Wettbewerb zugunsten der Tarifvertragsparteien. Ein weiterreichender Schutz des Wettbewerbs ist dann nicht erforderlich, wenn die drohende Beeinträchtigung durch einen differenzierenden Tarifvertrag weniger gewichtig ist als bei einer Tarifvereinbarung, die nach anerkannten Prinzipien bereits kartellfest ist. Eine Kartellkontrolle des differenzierenden Tarifvertrags wäre dann vor dem Hintergrund der kollektivrechtlichen Garantien unter keinem Gesichtspunkt gerechtfertigt. Da der Wettbewerb im Binnenmarkt mit steigendem Differenzierungsgrad im Tarifvertrag proportional weniger gefährdet wird, muss der Geltungsanspruch der Bereichsausnahme aus der EuGH-Rechtsprechung a fortiori auch auf einen Tarifvertrag mit Stichtag in der Vergangenheit erstreckt werden. Die Rechtsprechung des EuGH zur Bereichsausnahme von Tarifverträgen aus der Kartellkontrolle ist somit dahingehend weiterzuentwickeln, dass auch Tarifverträge an ihr teilhaben, die lediglich für bestimmte Arbeitnehmer eine unmittelbare „Verbesserung der Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen“ bereithält, solange das Kollektiv der tarifgebundenen Arbeitnehmer bei der gebotenen Gesamtbetrachtung besser steht. c) Zwischenergebnis Sowohl die Tatsache, dass die meisten Tarifsozialpläne als Haustarifverträge konzipiert sind als auch der teilweise differenzierende Charakter einiger Regelungen, die die Sonderleistungen von der Mitgliedschaft zu einem bestimmten Stichtag in der Vergangenheit abhängig machen, sind für die kartellrechtliche Bewertung des Tarifvertrags unschädlich. Im Gegenteil zeitigen solche Tarifverträge einen graduell schwächeren Einfluss auf den Wettbewerb als „normale“ Tarifverträge, die sowohl nach nationalen als auch unionsrechtlichen Vorschriften von der Kontrolle freigestellt sind. Die Frage, inwiefern die Maßstäbe des EuGH für die Auslegung des GWB

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durch den BGH im rein nationalen Sachverhalt ohne Auslandsberührung bindend sind, muss daher angesichts des inhaltlich gleichen Ergebnisses nicht näher erörtert werden. Das Tarifprivileg umfasst somit auch Tarifverträge, die die Mitgliedschaft in der Gewerkschaft zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Vergangenheit zum anspruchsbegründenden Merkmal erheben. 12. Ergebnis Eine Differenzierungsklausel mit Stichtag in der Vergangenheit ist dann zulässig, wenn sie in einem Tarifsozialplan vereinbart wird, da nur dort die Tarifvertragsparteien ein belastbares Interesse an kalkulatorischer Sicherheit nachweisen können. In allen anderen Fällen verstößt die Klausel gegen den tarifrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz, weil sie Neumitglieder ohne sachlichen Grund schlechter behandelt. Ein Eingriff in die negative Koalitionsfreiheit sowie die Arbeitsvertragsfreiheit im Außenseiter-Arbeitsverhältnis konnte durch die Untersuchung allerdings ebenso wenig festgestellt werden wie ein Verstoß gegen die positive Koalitionsfreiheit der Neumitglieder. Anders als vom BAG noch 2007 entschieden, verstoßen Differenzierungsklauseln mit Stichtag in der Vergangenheit zudem nicht gegen §§ 3 I, 4 I TVG.

IV. Betriebsverfassungsrechtliche Aspekte bei Tarifsozialplänen mit exklusiven Leistungen für bestimmte Gewerkschaftsmitglieder Obwohl damit feststeht, dass eine Differenzierungsklausel mit Stichtag in der Vergangenheit im Tarifsozialplan regelmäßig nicht gegen höherrangiges Recht verstößt, bleibt der Eindruck, insbesondere die Rolle des Betriebsrats noch nicht hinreichend gewürdigt und in die Überlegungen miteinbezogen zu haben. Vergegenwärtigt man sich erneut die Ausgangslage, die dem Urteil vom 15. 4. 2015 zugrunde lag, fällt auf, dass die Sozialplanvereinbarung zwischen den Betriebspartnern einzig darin bestand, die Bestimmungen aus dem TS-TV zu übernehmen und damit diejenigen Tarifregelungen als Ausgleichsmaßnahmen im Sinne des § 112 BetrVG anzuerkennen, die allen Arbeitnehmern ohne Rücksicht auf ihre Gewerkschaftsmitgliedschaft zufließen sollten.1018 Diese offensichtliche Zurückhaltung des Betriebsrats bzw. der Betriebspartner im Allgemeinen wirft dabei zwei unterschiedliche Fragen auf, die dem Betriebsverfassungsrecht zuzuordnen sind und deshalb auf die Wirksamkeit der konkreten Tarifnormen de lege lata nicht durchschlagen können.1019 Zum einen ist zu klären, ob die Betriebspartner im Fall eines Tarifvertrags mit sozialplanähnlichem Inhalt auf die Aufstellung eines genuin eigenständigen Sozial1018

Vgl. BAG v. 15. 4. 2015 – 4 AZR 796/13, AP TVG § 3 Nr. 57 (Rn. 6). Das ignorieren Greiner, NZA 2016, 10 (12, 14); ders., FS H. J. Willemsen, S. 159 (171); ders., jM 2016, 66 (68) und Kalb, FS Moll, S. 327 (333, 337 f.). 1019

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plans verzichten und ausschließlich Regelungen aus dem Tarifsozialplan in ihre Vereinbarung übernehmen dürfen. Bejahendenfalls muss im Anschluss daran untersucht werden, ob dies auch dann gelten kann, wenn die Betriebspartner wissentlich hinnehmen, dass bestimmte Gewerkschaftsmitglieder durch einen anderen, parallel geschlossenen Tarifvertrag zum selben Sachzusammenhang bessergestellt werden sollen als nicht- oder andersorganisierte Arbeitnehmer. 1. Übernahme von Regelungen aus dem Tarifsozialplan als zulässige Vorgehensweise im betrieblichen Sozialplanverfahren Zweck eines betrieblichen Sozialplans ist es ausweislich des § 112 I 2 BetrVG zuvörderst, die wirtschaftlichen Nachteile auszugleichen bzw. abzumildern, die den Arbeitnehmern infolge einer Betriebsänderung entstehen.1020 Bei seiner Aufstellung steht den Betriebspartnern ein weiter Beurteilungs- und Gestaltungsspielraum zu, insbesondere sind sie grundsätzlich frei darüber zu entscheiden, welche Nachteile der betroffenen Arbeitnehmer in welchem Umgang ausgeglichen oder gemildert werden sollen.1021 Dies schließt im Ausgangspunkt auch die Möglichkeit ein, bestimmte Regelungsgegenstände, die bereits in einem Tarifvertrag normiert sind und damit für die tarifgebundenen Arbeitnehmer bereits als zwingende Vorschriften gelten, in den betrieblichen Sozialplan zu übernehmen. Das rein formelle Gegenargument, die jeweiligen Regelungen entstammen der Feder von Normgebern, die durch ihre Eigenschaft als Interessenverbände gruppenegoistische Ziele verfolgen, weshalb es keinen tauglichen Bezugspunkt für einen betrieblichen Sozialplan darstellen könne, verfängt nicht. Mit der Übernahme in den betrieblichen Sozialplan legitimieren die Betriebspartner die konkreten Normen und demonstrieren so, dass sie die tariflich geschaffenen Regelungen als eigene Vorschriften zum Ausgleich bzw. zur Milderung wirtschaftlicher Nachteile anerkennen wollen. Für diesen Vorgang gelten dabei die gleichen Grenzen, die auch für die Vereinbarung genuin eigenständiger Sozialplanregelungen in Ansatz gebracht werden können. Insbesondere dürfen die übernommenen Vorschriften nicht gegen die Grundsätze von Recht und Billigkeit verstoßen und müssen sich ihrerseits am Gleichbehandlungsgebot in § 75 I BetrVG messen lassen.1022 Sollten tatsächlich Tarifnormen übernommen 1020

Rn. 80.

Vgl. auch ErfK/Kania, §§ 112, 112a BetrVG Rn. 12; Richardi/Annuß, § 112 BetrVG

1021 BAG v. 20. 1. 2009 – 1 AZR 740/07, AP BetrVG 1972 § 112 Nr. 198 (Rn. 14); BAG v. 11. 11. 2008 – 1 AZR 475/07, AP BetrVG 1972 § 112 Nr. 196 (Rn. 20); BAG v. 20. 5. 2008 – 1 AZR 203/07, AP BetrVG 1972 § 112 Nr. 192 (Rn. 18); Fitting, § 112 BetrVG Rn. 134 f.; Richardi/Annuß, § 112 BetrVG Rn. 101; zur Kontrolle von Betriebsvereinbarungen allgemein Preis/Ulber, RdA 2013, 211 ff. 1022 BAG v. 19. 2. 2008 – 1 AZR 1004/06, AP BetrVG 1972 § 112 Nr. 191 (Rn. 25); BAG v. 6. 11. 2007 – 1 AZR 960/06, AP BetrVG 1972 § 112 Nr. 190 (Rn. 12); Düwell/Steffan, § 112a BetrVG Rn. 36. Für Richardi/Maschmann, § 75 BetrVG Rn. 1 ist der Gleichbehandlungsgrundsatz in § 75 I BetrVG neben dem Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit in § 2 I BetrVG die „Magna Charta der Betriebsverfassung“.

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werden, die Gewerkschaftsmitglieder bevorzugen, würde dieses Vorgehen mit § 75 I BetrVG in Konflikt geraten. Das BetrVG selbst kennt also eine Kontrollinstanz, die die befürchtete Bevorzugung gewerkschaftlich organisierter Arbeitnehmer als Folge der Übernahme tariflicher Sozialplanregelungen zu verhindern weiß.1023 Überführen die Betriebspartner ausschließlich diskriminierungsfreie Vorschriften, also solche, die nicht nach der Gewerkschaftszugehörigkeit und anderen verpönten Merkmalen differenzieren, ist die Inkorporation damit nicht zu beanstanden, sondern als Ausfluss der Betriebsautonomie hinzunehmen. Das gilt konsequenterweise auch dann, wenn beide Betriebspartner übereinstimmend davon ausgehen, dass neben der Übernahme der tariflichen Vorschriften keine weiteren Regelungen zugunsten der betroffenen Arbeitnehmer in den betrieblichen Sozialplan aufgenommen werden müssen.1024 Die einzelnen Außenseiter haben damit ihrerseits keinen normativen Anspruch gegen die Betriebspartner, bei der Aufstellung eines Sozialplans genuin eigenständige Regelungen unabhängig von einer tariflichen Urheberschaft zu vereinbaren. 2. Übernahme von Regelungen aus dem Tarifsozialplan bei gleichzeitiger Besserstellung bestimmter Gewerkschaftsmitglieder in einem parallelen Tarifvertrag Die Belastbarkeit dieses Ansatzes wird allerdings auf die Probe gestellt, wenn parallel zum Tarifsozialplan, den Betriebsrat und Arbeitgeber als betrieblichen Sozialplan für alle Arbeitnehmer gleichermaßen übernehmen, ein weiterer Tarifvertrag vereinbart wird, der exklusive Sonderleistungen zugunsten bestimmter Gewerkschaftsmitglieder festschreibt und damit diese Arbeitnehmer wiederum über das Niveau des betrieblichen Sozialplans hebt. In der Tat entsteht der Eindruck, die Betriebspartner hätten mit der Übernahme lediglich der Vorschriften aus dem allgemeinen Tarifsozialplan die Bevorzugung der privilegierten Verbandsangehörigen abgesichert und damit gegen § 75 I BetrVG verstoßen.1025 Nach den bisherigen Ausführungen ergibt sich zunächst, dass eine Übernahme von Vorschriften, die bestimmte Gewerkschaftsmitglieder explizit besserstellen, in den betrieblichen Sozialplan an § 75 I BetrVG gescheitert wäre. Gewerkschaftsnahe Betriebsräte können deshalb keine zusätzliche Abfindung für Verbandsmitglieder im Sozialplan vereinbaren.1026 Damit fragt sich jedoch umgekehrt, ob die Betriebspartner ihrerseits aus § 75 I BetrVG verpflichtet sind, für sämtliche Arbeitnehmer 1023 BVerfG v. 14. 11. 2018 – 1 BvR 1278/16, AP GG Art. 9 Nr. 153 (Rn. 8); vor diesem Hintergrund kann die Einschätzung von Greiner, NZA 2016, 10 (12, 14) und ders., jM 2016, 66 (68), die betriebsverfassungsrechtlichen Kontrollmechanismen, insbes. § 75 I BetrVG, würden „ausgeschaltet“, nicht überzeugen. 1024 Bayreuther, NZA 2010, 378 (380). 1025 So der Vorwurf von Corzelius, ZTR 2016, 188 (189); Greiner, NZA 2016, 10 (15); wohl auch Ricken, Stichtagsregelungen, S. 36 f. 1026 Lunk/Leder/Seidler, RdA 2015, 399 (404).

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Teil 2: Die Zulässigkeit von tarifvertraglichen Differenzierungsklauseln

diejenigen Sozialplanleistungen festzuschreiben, die ein Tarifvertrag bereits exklusiv für bestimmte Gewerkschaftsmitglieder geregelt hat. Anders gewendet muss untersucht werden, ob Betriebsrat und Arbeitgeber die tariflich herbeigeführte Besserstellung bestimmter Arbeitnehmer hinnehmen dürfen oder ob sich aus § 75 I BetrVG gleichsam die Verpflichtung ergibt, proaktiv auf eine Nivellierung des jeweiligen Vorsprungs der privilegierten Gewerkschaftsmitglieder und damit auf ein einheitliches Lohnniveau im Betrieb hinzuarbeiten. Teilweise wird eine Handlungspflicht mit dem Argument angenommen, die Betriebspartner würden anderenfalls sehenden Auges eine Besserstellung gewerkschaftlich organisierter Arbeitnehmer anerkennen.1027 Damit verkennt diese Ansicht allerdings die Reichweite des § 75 I BetrVG und überdehnt die Bedeutung der Vorschrift in Bezug auf Regelungen, die von den Tarifvertragsparteien zulässigerweise geschaffen wurden. Denkt man ihre Logik konsequent fort, würde den Betriebspartnern letztendlich aufgegeben werden, stets für eine Art „Allgemeinverbindlichkeit“ der tariflichen Regelungen auf betrieblicher Ebene zu sorgen.1028 Schon diese kontraintuitive Folgerung lässt darauf schließen, dass das BetrVG keine Ausgleichsverpflichtung für den Fall festlegen kann, wenn ein Tarifvertrag exklusive Vorteilsregelungen zugunsten der Gewerkschaftsmitglieder vorsieht. Die Richtigkeit dieser Vermutung kann allerdings auch argumentativ untermauert werden. Dazu bietet es sich zunächst an, frühere Überlegungen zu § 75 I BetrVG weiter auszubauen. So konnte bereits an anderer Stelle nachgewiesen werden, dass eine Übertragung der betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungspflicht auf die Tarifvertragsparteien aufgrund der verschiedenen Legitimationsgrundlagen der Tarifautonomie bzw. Betriebsautonomie nicht möglich ist.1029 Die Ungleichbehandlung zwischen Gewerkschaftsmitgliedern und Außenseitern, die sich aus einem Tarifvertrag ergeben kann, ist nicht per se korrekturbedürftig, sondern entstammt vielmehr einer grundsätzlichen Zweispurigkeit bei der Regelung von Arbeitsbedingungen, die das deutsche Tarifrecht als Konsequenz aus dem Freiwilligkeitserfordernis im Koalitionsbegriff hingenommen hat.1030 Diese Grundentscheidung strahlt auch in alle weiteren Rechtsgebiete, speziell auch das Betriebsverfassungsrecht aus. § 77 III BetrVG zeigt in diesem Zusammenhang deutlich, dass der Gesetzgeber der tarifautonomen und damit interessengeleiteten Festsetzung der Arbeitsbedingungen mitsamt der systemimmanenten Zweiteilung zwischen Gewerkschaftsmitgliedern und Außenseitern den Vorzug gibt.1031 Der Betriebsrat wird dadurch nicht nur von der Aufgabe entbunden, die Rolle einer „beitragsfreien

1027 1028

Rn. 82. 1029 1030 1031

Ricken, Stichtagsregelungen, S. 36. Fitting, § 75 BetrVG Rn. 102; vgl. auch GK BetrVG/Kreutz/Jacobs, § 75 BetrVG Siehe oben, Teil 2 B. 2. b) ee) (3). Siehe oben, Teil 2 B. 2. b) ee) (2) und die in Teil 2, Fn. 286 genannten Stimmen. DKW/Berg, § 75 BetrVG Rn. 92; Fitting, § 75 BetrVG Rn. 102.

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Ersatzgewerkschaft“1032 zugunsten der Außenseiter einzunehmen und als ausgleichender Gegenspieler zur gruppenorientierten tariflichen Normsetzung aufzutreten, sondern ihm werden für ein solches Vorgehen sogar explizit die Hände gebunden. Zwar suspendiert § 112 I S. 4 BetrVG den Tarifvorrang wiederum punktuell für betriebliche Sozialpläne, doch würde eine Verpflichtung, ausgerechnet bei Sozialplänen die tariflichen Leistungen über einen entsprechende Sozialplanregelung auch an sämtliche Außenseiter auszukehren, die inhaltlichen Grenzen des § 112 I S. 4 BetrVG sprengen.1033 Konkret gesprochen: § 112 I S. 4 BetrVG eröffnet einen Regelungsspielraum, erzwingt jedoch keine mit dem Tarifvertrag inhaltsgleiche Regelung auf betrieblicher Ebene. Aus diesem Verhältnis zwischen Tarifvertrag und Betriebsvereinbarung lässt sich daher entnehmen, dass eine unterschiedliche Behandlung zwischen Gewerkschaftsmitgliedern und Außenseitern im Tarifvertrag, die wegen der auf Mitglieder beschränkten Wirkung der Tarifnormen bereits in §§ 3 I, 4 I TVG selbst angelegt ist, keine tatbestandsmäßige Benachteiligung der Außenseiter im Sinne des § 75 I BetrVG darstellen kann.1034 Der betriebsverfassungsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz ist nicht darauf zugeschnitten, solche tariflichen Vergünstigungen für Gewerkschaftsmitglieder auf Betriebsebene wieder auszugleichen, die von den Tarifvertragsparteien zulässigerweise vereinbart werden können. Die Betriebspartner haben damit im Rahmen eines Sozialplanverfahrens aufgrund von § 112 I S. 4 BetrVG zwar die Möglichkeit, ausnahmsweise die nicht begünstigten Arbeitnehmer mit den Gewerkschaftsmitgliedern gleichzustellen. Zu einer Regelungspflicht auf Grundlage des § 75 I BetrVG kann sich diese Option allerdings nicht verdichten. Das bloße passive Hinnehmen einer solchen tariflichen Besserstellung für Gewerkschaftsmitglieder in einem parallelen Tarifvertrag, ohne auf betrieblicher Ebene für eine entsprechende Weitergabe an die Außenseiter zu sorgen, kann deshalb nicht als Verstoß gegen § 75 I BetrVG gewertet werden. Die bloß selektive Übernahme von tariflichen Vorschriften in den betrieblichen Sozialplan ist deshalb aus betriebsverfassungsrechtlicher Perspektive zulässig.

3. Auswirkungen auf die Praxis Die Zurückhaltung der Betriebspartner im Sozialplanverfahren mag verbunden mit den umfassenden finanziellen Sonderleistungen zugunsten bestimmter Gewerkschaftsmitglieder in manchen Situationen nachvollziehbarerweise den Vorwurf 1032 ErfK/Kania, § 77 BetrVG Rn. 43; das Bonmot geht zurück auf P. Hanau, NZA 1993, 817 (821). 1033 Siehe zum Inhalt und der Reichweite von § 112 I S. 4 BetrVG bereits oben, Teil 2 B. II. 4. 1034 Ganz h. M., vgl. nur BAG v. 21. 1. 1987 – 4 AZR 486/86, AP GG Art. 9 Nr. 46; BeckOK ArbR/Werner, § 75 BetrVG Rn. 34 (Stand: 1. 6. 2021); DKW/Berg, § 75 BetrVG Rn. 92 f.; Düwell/Lorenz, § 75 BetrVG Rn. 26; Fitting, § 75 BetrVG Rn. 102; GK BetrVG/Kreutz/Jacobs, § 75 BetrVG Rn. 82, Richardi/Maschmann, § 75 BetrVG Rn. 40.

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eines „konzertierten Vorgehens“ zwischen Betriebsrat, Gewerkschaft und Arbeitgeber begründen.1035 Allein nach geltender Rechtslage kann dieser Umstand für sich genommen jedoch nicht juristisch beanstandet werden. Als extremer Auswuchs koordinierter Zusammenarbeit zwischen den beiden Arbeitnehmervertretungen ist er wohl im Wesentlichen darauf zurückzuführen, dass der Betriebsrat von Sympathisanten oder gar Angehörigen der tarifschließenden Gewerkschaft dominiert wurde und sich diese enge Verflochtenheit wenig überraschend zugunsten der Gewerkschaftsmitglieder ausgewirkt hat.1036 Wollen die Außenseiter eine derartige Kooperation bei künftigen Sozialplanverhandlungen unterbinden, bleibt ihnen de lege lata die Möglichkeit, über die Wahl Einfluss auf die Besetzung des Betriebsrats zu nehmen und sich tatsächlich nur für diejenigen Kandidaten zu entscheiden, die die Übernahme von tariflichen Regelungen kategorisch ablehnen und eigenständige Sozialplanverhandlungen mit dem Arbeitgeber führen wollen. Kommen die Betriebspartner dann nicht überein, entscheidet die Einigungsstelle, vgl. § 112 IV S. 1 BetrVG. Selbstverständlich ist damit allerdings noch nicht garantiert, dass die Außenseiter in jedem Fall die aus ihrer Sicht günstigeren Sozialplanregelungen erhalten als bei der schlichten Übernahme der Normen aus dem Tarifvertrag. Zwar besteht auch de lege ferenda die vermeintlich naheliegende Option, den aufkommenden Loyalitätskonflikt bei gewerkschaftsnahen oder sogar -angehörigen Betriebsräten zumindest im Rahmen von Sozialplanverhandlungen dahingehend aufzulösen, dass solche Personen durch ein gesetzliches Verbot von der Vertretung der gesamten Belegschaft punktuell suspendiert werden. Eine derartige Regelung hätte zumindest dem Grundgedanken nach in § 181 BGB ein entsprechendes Vorbild.1037 Damit dürften letztlich nur diejenigen Betriebsräte an den Verhandlungen teilnehmen, bei denen keine Interessenkollision zu erwarten ist. Jedoch ginge eine derartige Neuregelung – abseits der verfassungsrechtlichen Problemstellungen, die eine solche Anordnung provozieren würde – nicht ohne erhebliche praktische Schwierigkeiten einher. Insbesondere dürfte nur schwer justiziabel sein, wann ein Betriebsrat gewerkschaftsnah genug ist, um ihn angesichts der vermuteten Interessenkollision von der Vertetung aller betriebsangehörigen Arbeitnehmer zu suspendieren. Darüber hinaus wäre ein gesetzliches Verbot in diesem Zusammenhang nicht möglich, ohne das Verhältnis zwischen Gewerkschaft und Betriebsrat von Grund auf neu auszurichten. § 2 I BetrVG normiert für die beiden Arbeitnehmervertretungen das Gebot einer vertrauensvollen Zusammenarbeit, die allerdings in eine verstärkte Konfrontation umschlagen würde, wenn sich lediglich diejenigen Betriebsräte an einem Sozialplanverfahren beteiligen dürften, die in der Vergangenheit ausreichend Distanz zur Gewerkschaft gewahrt haben. Für einen derart „großen Wurf“ in Gestalt einer Neubestimmung der Beziehung zwischen Gewerkschaft und Betriebsrat 1035

Greiner, FS H. J. Willemsen, S. 159 (165); ders., NZA 2016, 10 (12 f.). So auch die naheliegende Diagnose von Greiner, NZA 2016, 10 (12). 1037 Zur Vermeidung von Interessenkonflikten als Normzweck von § 181 BGB nur MüKo BGB/C. Schubert, § 181 BGB Rn. 2 ff.; Palandt/Ellenberger, § 181 BGB Rn. 2. 1036

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dürften aller Voraussicht nach zumindest in den kommenden Jahren die politischen Mehrheiten fehlen.

V. Bezugnahmerechtliche Aspekte bei der individualvertraglichen Weitergabe der tariflichen Sonderleistungen im Außenseiter-Arbeitsverhältnis Nachdem feststeht, dass die Außenseiter bei einer Differenzierungsklausel mit Stichtag in der Vergangenheit nicht mehr anspruchsbegründend in die Gewerkschaft eintreten können und entsprechende Anpassungsgesuche während einer Unternehmenssanierung in aller Regel wenig Erfolg verheißen, erfüllen die möglicherweise bereits bestehenden Bezugnahmeklauseln in den Arbeitsverträgen eine wichtige Funktion. Sollte die Weitergabe der entsprechenden tariflichen Leistungen schon dort individualvertraglich geregelt sein, braucht der Außenseiter nicht mehr mit dem Arbeitgeber in Verhandlungen treten, um sein Ziel, die Ausschüttung der eigentlich exklusiven tariflichen Leistungen an sich zu erlangen, erreichen zu können. Die zahlreichen Motive, die bei Arbeitgeber und Arbeitnehmer hinter einer Bezugnahmeregelung stehen, wurden dabei bereits an früherer Stelle ausgiebig beleuchtet.1038 Insbesondere wenn der Arbeitsvertrag eine dynamische Bezugnahme vorsieht, die die Anwendung der einschlägigen Tarifverträge in ihrer jeweils gültigen Fassung garantiert, scheint es nicht schlechthin ausgeschlossen, dass auch Außenseiter an den tariflichen Sonderleistungen partizipieren können, ohne dass sie nochmals mit dem Arbeitgeber in wenig erfolgsversprechende Nachverhandlungen treten müssen. 1. Die bisherige Auslegungspraxis in Rechtsprechung und Schrifttum bei der arbeitsvertraglichen Bezugnahme auf differenzierende Tarifinhalte Zu Beginn der Überlegungen bietet es deshalb sich an, nochmals kurz die Beziehung zwischen der individualvertraglichen Bezugnahmepraxis und den tariflichen Differenzierungsklauseln zu rekapitulieren. Gerade als Reaktion auf die Gleichstellungsstrategie vieler Arbeitgeber, mit der tarifliche Arbeitsbedingungen über eine umfassende Bezugnahmeregelung auch in den Außenseiter-Arbeitsverhältnissen gewährleistet werden, versuchen die Tarifvertragsparteien, die individualvertragliche Weitergabe von tariflichen Leistungen über einen besonderen Zuschnitt der Anspruchsvoraussetzungen im Tarifvertrag zu erschweren.1039 Nicht zuletzt aus diesem Grund kommt wiederum umgekehrt der qualitativen Reichweite der individualvertraglichen Bezugnahmeklauseln in den Außenseiter-Arbeitsverhältnissen eine zentrale, ja sogar die entscheidende Rolle zu. Haben Arbeitgeber und Arbeitnehmer eine Regelung vereinbart, die die Anwendung der jeweils geltenden 1038 1039

Siehe oben, Teil 1 C. Siehe oben, Teil 1 E.

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Tarifverträge im Arbeitsverhältnis vorsieht, wird an dieser Stelle besonders virulent, ob sich die Vertragsparteien lediglich auf die wortlautgetreue Inkorporation des Tarifvertrags geeinigt haben oder eine umfassende Gleichstellung des Nichtmitglieds mit einem entsprechenden Gewerkschaftsmitglied herbeiführen wollten, das bei einem tarifgebundenen Arbeitgeber bereits auf normativer Grundlage in den Genuss der tariflichen Leistung gelangt. Die korrekte, interessengerechte Auslegung der Regelung im Individualarbeitsvertrag ist damit der Schlüssel für die Lösung aller Bezugnahmeproblematiken.1040 In Rechtsprechung und Schrifttum ergibt sich dabei jedoch ein disparates Bild. Nehmen die Arbeitsvertragsparteien auf einen Tarifvertrag mit Differenzierungsklausel Bezug, soll nach inzwischen mehrfach bestätigter Rechtsprechung des BAG lediglich der Wortlaut des Tarifvertrags inkorporiert, die Gewerkschaftseigenschaft als konstitutives Merkmal für den differenzierend geregelten Anspruch jedoch regelmäßig nicht ersetzt werden.1041 So führt das BAG aus: „In der Rechtsprechung und Literatur wird zwar die Wirkungsweise einer arbeitsvertraglichen Bezugnahme auf einen Tarifvertrag zuweilen dahingehend beschrieben, dass die von einem tarifgebundenen Arbeitgeber verwandte Bezugnahmeklausel die ,Mitgliedschaft des Arbeitnehmers in der Gewerkschaft … ersetzt‘. Dabei handelt es sich jedoch lediglich um eine Illustration der typischen Folgen einer Gewerkschaftsmitgliedschaft im Verhältnis zum tarifgebundenen Arbeitgeber. Einer Verweisungsklausel kann jedoch ohne besondere Anhaltspunkte im Wortlaut keine übereinstimmende Statusbestimmung durch die Arbeitsvertragsparteien unterstellt werden. Erkennbar gewollte Rechtsfolge einer solchen Vereinbarung ist es allein, die Anwendbarkeit der Tarifnormen im Arbeitsverhältnis herbeizuführen, und nicht etwa, dem Arbeitnehmer einen bestimmten Status zu verschaffen oder ihn zu fingieren. […] Eine darüber hinausgehende Wirkungsweise hat eine Verweisungsklausel jedenfalls im vorliegenden Zusammenhang auch dann nicht, wenn sie als sog. Gleichstellungsabrede im Sinne der älteren Rechtsprechung des Senats zu verstehen ist. […] Es geht bei der Annahme einer Gleichstellungsabrede nur darum, den Arbeitgeber, bei dem man als selbst Tarifgebundenem von einer entsprechenden Motivation bei der Vertragsformulierung ausgeht, nicht weitergehend zu binden, als er gegenüber einem an den betreffenden Tarifvertrag gebundenen Arbeitnehmer aus Tarifvertrag oder Tarifwerk normativ berechtigt oder verpflichtet ist. […] Auch eine Gleichstellungsabrede bewirkt demgemäß, wenn nicht etwas anderes im Arbeitsvertrag festgelegt worden ist, nicht, dass der Arbeitgeber durch sie verpflichtet wird, den betreffenden Arbeitnehmer insgesamt, bei der Anwendung der tariflichen Bestimmungen, so zu behandeln, als wäre er Mitglied der tarifschließenden Gewerkschaft.“1042

Die Reaktionen in der Literatur auf diese Entscheidung waren gespalten. Während sich einige Autoren zustimmend äußerten und das Merkmal der Gewerkschaftsmitgliedschaft ohne nähere Anhaltspunkte im Außenseiter-Arbeitsverhältnis 1040

Zentral Lobinger/F. Hartmann, RdA 2010, 235 (237 ff.). Vgl. nur BAG v. 15. 4. 2015 – 4 AZR 796/13, AP TVG § 3 Nr. 57 (Rn. 53); BAG v. 18. 3. 2009 – 4 AZR 64/08, AP TVG § 3 Nr. 41 (Rn. 27 f.). 1042 BAG v. 18. 3. 2009 – 4 AZR 64/08, AP TVG § 3 Nr. 41 (Rn. 27 f.). 1041

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nicht über eine bloße dynamische Bezugnahmeklausel substituieren wollen1043, formierte sich gerade in jüngerer Zeit Widerstand gegen die Vorgehensweise des BAG bei der Auslegung der Klausel und damit auch gegen das gefundene Auslegungsergebnis.1044 Die Kritiker weisen unter anderem darauf hin, dass bei den Bezugnahmeklauseln nicht zwingend eine „Statusverleihung kraft Vereinbarung oder Fiktion“ im Raum stehe, sondern lediglich das schlichte Ziel erreicht werden solle, den Außenseitern dieselben Arbeitsbedingungen wie den gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmern zu verschaffen, wofür es der Verschaffung eines bestimmten mitgliedschaftlichen Status nicht bedürfe.1045 Darüber hinaus blende die Rechtsprechung des BAG aus, dass der Arbeitgeber durch die Vereinbarung einer Bezugnahmeklausel im Außenseiter-Arbeitverhältnis im Regelfall signalisieren wolle, dass sich ein Gewerkschaftsbeitritt nicht lohne und vor diesem Hintergrund ohne weitere Anhaltspunkte für einen gegenteiligen Willen vielmehr davon ausgegangen werden müsse, der Arbeitgeber plane auch bei differenzierenden Tarifverträgen eine vollständige Gleichstellung der Nichtmitglieder mit den tariflich privilegierten organisierten Arbeitnehmern.1046 Zudem beklagen einige Stimmen, dass sich die Auslegung des Individualarbeitsvertrags an den organisationspolitischen Motiven der Verbände orientiere und damit Interessen Dritter berücksichtigt würden, die selbst nicht Vertragspartei sind, wodurch wiederum das Ergebnis der Auslegung im Individualarbeitsvertrag verfälscht werde.1047 2. Würdigung und eigene Herangehensweise Untersucht man die Vorgehensweise des BAG bei der Auslegung einer individualvertraglichen Bezugnahmeklausel genauer, stellt man in der Tat eine bemerkenswerte Inkonsequenz fest. So ergibt sich das gefundene Ergebnis nicht direkt aus den Auslegungsmaximen, die die Bundesrichter als Grundlage für die Ermittlung des parteiübergreifenden Willens heranziehen.

1043

TB/Mengel/Burg, 5. Kapitel Differenzierungsklauseln Rn. 4; Bepler, AuR 2010, 234 (241); Brecht-Heitzmann/Gröls, NZA-RR 2011, 505 (506); Kamanabrou, Anm. zu AP TVG § 3 Nr. 41 (II.); Lunk/Leder/Seidler, RdA 2015, 399 (405 f.); S. Neumann, Tarifboni, S. 234 f.; Schipp, ArbRB 2012, 148 (149 f.); Ulber/Strauß, Anm. zu EzA GG Art. 9 Nr. 104, S. 32 ff. 1044 So bspw. Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 2131; Bauer, FS Moll, S. 33 (37 f.); ders./ C. Arnold, NZA 2009, 1169 (1171); Franzen, FS E. Picker, S. 929 (950 f.); Giesen, Anm. zu AP BGB § 242 Gleichbehandlung Nr. 220 (2. a.); ders., ZfA 2010, 657 (674 f.); Greiner/Suhre, NJW 2010, 131 (132 f.); Höpfner, RdA 2019, 146 (149); Lobinger, JZ 2014, 810 (819); ders./ F. Hartmann, RdA 2010, 235 (236 ff.); in diesem Sinne wohl auch P. Hanau, FS Hromadka, S. 115 (126), allerdings bereits vor der BAG-Entscheidung vom 18. 3. 2009. 1045 Lobinger/F. Hartmann, RdA 2010, 235 (236). 1046 Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 2131; Bauer, FS Moll, S. 33 (37 f.); ders./C. Arnold, NZA 2009, 1169; Lobinger/F. Hartmann, RdA 2010, 235 (236 f.). 1047 Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 2131; Giesen, Anm. zu AP BGB § 242 Gleichbehandlung Nr. 220 (2. a.); Lobinger/F. Hartmann, RdA 2010, 235 (236 f.).

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a) Im Ausgangspunkt autonome Vertragsauslegung: Ausschließliche Berücksichtigung des übereinstimmenden Willens der Arbeitsvertragsparteien Sucht man eine Ursache für die divergierenden Ansichten bei der Auslegung von Vertragsklauseln, die differenzierende Tarifverträge in Bezug nehmen, muss der erste Blick sinnvollerweise auf den Maßstab der Auslegung selbst gerichtet werden. Zwar bekennen sich – soweit ersichtlich – sämtliche Stimmen im Ausgangspunkt zu einer Arbeitsvertragsauslegung anhand der §§ 133, 157 BGB und damit zur Auslegung auf Basis eines objektivierten Maßstabs, der ausschließlich den Willen der Arbeitsvertragsparteien berücksichtigt. Die Praxis hat indes gezeigt, dass diese Verpflichtung auf die exklusive Beachtung des parteiübergreifenden Willens mehrfach aufgeweicht oder sogar offen umgangen wurde. Insbesondere die Tarifvertragsparteien als Urheber der in Bezug genommenen Vorschriften sollen nach der Sichtweise vereinzelter Stimmen das Ergebnis der individualvertraglichen Auslegung ebenfalls beeinflussen können.1048 Beispielsweise entschied die 14. Kammer des LAG Hamm zur Auslegung von Bezugnahmeklauseln in einem Arbeitsverhältnis: „Die Interessen der Parteien [scil. der Arbeitsvertragsparteien] sind nicht alleiniger Maßstab der Auslegung. Die übliche allgemeine Bezugnahmeklausel begründet nur die arbeitsvertragliche Anwendung eines Tarifvertrags, nicht aber die umfassende Behandlung als Gewerkschaftsmitglied […].“1049

Legt man richtigerweise die Prämisse zugrunde, dass die Auslegung die Interessen der Arbeitsvertragsparteien und somit deren „wirklichen Willen“ im Sinne des § 133 BGB erforschen möchte1050, kann jedoch insbesondere die Passage „nicht alleiniger Maßstab der Auslegung“ in seiner kontextuellen Einkleidung nur so verstanden werden, dass die Kammer grundsätzlich auch anderen Subjekten als den Arbeitsvertragsparteien zugesteht, nachhaltigen Einfluss auf das Ergebnis der Auslegung bei einer individualvertraglichen Vereinbarung auszuüben. Gegen eine solche Sichtweise spricht jedoch der Charakter einer individualvertraglichen Abmachung, die damit autonom ausgelegt werden muss.1051 Selbst diejenige Klausel, die als verknüpfendes Element zwischen kollektiver und individualarbeitsvertraglicher Ebene den Inhalt eines bestimmten Tarifvertrags im Arbeitsverhältnis für anwendbar erklärt, folgt als individualvertragliche Klausel aus1048 In diese Richtung LAG Hamm v. 12. 6. 2012 – 14 Sa 1275/11, juris (Rn. 136); Greiner, DB 2008, 398 (399), der auf eine „unmittelbar gestaltende und damit normative Einwirkung auf das Arbeitsverhältnis des Außenseiters“ durch die einfache Differenzierungsklausel rekurriert. 1049 LAG Hamm v. 12. 6. 2012 – 14 Sa 1275/11, juris (Rn. 136). 1050 BAG v. 18. 3. 2009 – 4 AZR 64/08, AP TVG § 3 Nr. 41 (Rn. 17); vgl. auch Palandt/ Ellenberger, § 133 BGB Rn. 7 f. 1051 Ebenso Höpfner, RdA 2019, 146 (149), der die Auffassung des LAG Hamm als „unhaltbar“ bezeichnet (Fn. 45).

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schließlich und uneingeschränkt den Vorgaben aus den §§ 133, 157 BGB.1052 Vom Willen der Vertragsparteien getragen ist daher regelmäßig nur die Auslegung der Klausel als „verkürzte Absprache über den Vertragsinhalt“1053, um den Wortlaut des Tarifvertrags nicht in Gänze übernehmen1054 und bei Änderungen des Tarifvertrages stets umfangreiche neue Arbeitsverträge entwerfen zu müssen.1055 Die Vertragsparteien haben sich jedoch gerade nicht übereinstimmend der Macht der Tarifvertragsparteien unterworfen.1056 Damit wird klar, dass sie eine heteronome Einflussnahme auf ihr Arbeitsverhältnis regelmäßig nicht gelten lassen und über die jeweilige Verbindlichkeit der Tarifnormen im Grundsatz noch selbst befinden wollen. Es würde daher den Willen der Arbeitsvertragsparteien in sein Gegenteil verkehren, wenn die Intentionen der Tarifvertragsparteien gleichsam durch die Hintertür der Bezugnahmeklausel Eingang in die Auslegung des Individualarbeitsvertrags finden und deren Ergebnis in einer wie auch immer gearteten Weise beeinflussen könnten. Gleichwohl steht es den Arbeitsvertragsparteien im Rahmen ihrer privatautonomen Gestaltungsbefugnis frei, die Vertragsauslegung an Drittinteressen auszurichten und somit über diesen Zwischenschritt den Tarifvertragsparteien ein wie auch immer geartetes „Mitspracherecht“ einzuräumen. In einem Außenseiter-Arbeitsverhältnis müssten für diese atypische schuldrechtliche Unterwerfung unter die Entscheidungsgewalt der Tarifvertragsparteien jedoch gewichtige Anhaltspunkte ausfindig gemacht werden können, die in den allermeisten Fällen nicht vorliegen dürften.1057 Der Wille der Tarifvertragsparteien kann als heteronomer Faktor bei einer rein autonomen Auslegung des Arbeitsvertrags somit in aller Regel keine Rolle spielen. Ohne speziellen Zusatz darf also nicht davon ausgegangen werden, dass er bei der Auslegung von Bezugnahmeklauseln berücksichtigt werden soll. Das Arbeitsverhältnis und insbesondere auch die Bezugnahmeklausel werden daher einzig am Vertragszweck der Arbeitsvertragsparteien gemessen, wie er nach einem objektiven Empfängerhorizont ermittelt werden kann.

1052 St. Rspr., vgl. nur BAG v. 30. 8. 2017 – 4 AZR 95/14, AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 139 (Rn. 37); BAG v. 6. 7. 2011 – 4 AZR 706/09, AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 92 (Rn. 21); BAG v. 18. 3. 2009 – 4 AZR 64/08, AP TVG § 3 Nr. 41 (Rn. 17); BAG v. 18. 4. 2007 – 4 AZR 652/05, AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 53 (Rn. 24); Däubler/Kreuder, § 611a BGB Rn. 195; ErfK/Preis, § 611a BGB Rn. 372; Höpfner, RdA 2019, 146 (149); Säcker/Oetker, ZfA 1993, 1 (14). 1053 Siehe oben Teil 1, Fn. 35. 1054 B. Gaul, NZA 1998, 9 (11). 1055 BAG v. 18. 3. 2009 – 4 AZR 64/08, AP TVG § 3 Nr. 41 (Rn. 27); Schaub, ZTR 2000, 259. 1056 So auch Jacobs, Tarifeinheit, S. 182. 1057 Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 2131; zur Auslegung und eingeschränkten Revisibilität nicht-typischer Willenserklärungen siehe BAG v. 17. 5. 2011 – 9 AZR 189/10, AP BUrlG § 7 Nr. 51 (Rn. 26 ff.); BAG v. 1. 12. 2004 – 4 AZR 55/04, AP TVG § 3 Verbandsaustritt Nr. 12 [1. b) aa) der Gründe].

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Teil 2: Die Zulässigkeit von tarifvertraglichen Differenzierungsklauseln

b) Kontrolle dieser Grundsätze im Hinblick auf die Auslegungspraxis des BAG bei individualvertraglichen Bezugnahmeklauseln Dieses argumentative Fundament für die konkrete Auslegung der individualvertraglichen Bezugnahmeklausel erkennt auch das BAG vollumfänglich an1058 und folgt damit im Ausgangspunkt zutreffend dem Konzept einer autonomen Vertragsauslegung ohne Berücksichtigung von Drittinteressen. Allerdings krankt trotz dieser perspektivisch richtigen Herangehensweise der Ergebnisfindungsprozess. Das BAG bleibt insbesondere in den bereits skizzierten Passagen aus seiner Entscheidung vom 18. 3. 20091059 eine Erklärung schuldig, weshalb der Arbeitgeber den nicht tarifgebundenen Arbeitnehmer durch die Bezugnahmeklausel angeblich in allen anderen Bereichen wie einen tarifgebundenen Arbeitnehmer behandeln möchte, lediglich bei Differenzierungsklauseln von dieser grundsätzlichen Gleichstellungspraxis Abstand nehmen sollte.1060 Für diese Abkehr von der Gleichstellungspraxis genügt der bloß subjektive Vorbehalt auf Arbeitgeberseite nicht, vgl. § 116 BGB.1061 Vielmehr erfordert die objektivierte Herangehensweise bei der Auslegung von rechtsgeschäftlichen Erklärungen eindeutige Anhaltspunkte im Arbeitgeberverhalten, die die Erwartung auf Arbeitnehmerseite erschüttern, lediglich punktuell bei der tariflichen Verwendung von Differenzierungsklauseln wie ein nicht tarifgebundenes Mitglied behandelt zu werden. Sollte es an den geforderten Anhaltspunkten fehlen, kommt konsequenterweise nur eine Gleichbehandlung mit den entsprechenden Gewerkschaftsmitgliedern als Auslegungsergebnis infrage. Die Richtigkeit der hier vertretenen Sichtweise tritt klarer zu Tage, wenn man sich erneut die Interessenlage vergegenwärtigt, die für beide Arbeitsvertragsparteien im Außenseiter-Arbeitsverhältnis nach einem objektiven Empfängerhorizont für die Verwendung der Bezugnahmeklausel maßgeblich waren. Der Arbeitgeber wollte die Beitrittsanreize reduzieren, indem er alle tariflichen Leistungen auch an die nicht tarifgebundenen Arbeitnehmer ausschüttet. Reicht er jedoch lediglich diejenigen tariflichen Leistungen weiter, die nicht durch eine Differenzierungsklausel den Gewerkschaftsmitgliedern vorbehalten bleiben, lässt sich sein übergeordnetes Ziel – eine umfassende Gleichstellung der Belegschaft – nicht nachhaltig verfolgen. Darüber hinaus wäre das Signal an die Außenseiter, ein Gewerkschaftsbeitritt aus finanziellen Gründen sei wegen der Gleichstellung auf individualvertraglicher Basis überflüssig, deutlich abgeschwächt und wenig überzeugend, solange der Arbeitgeber auf die Weitergabe der exklusiven Tarifboni verzichtet. Eine nur partielle Anwendung des Tarifvertrags auf Außenseiter-Arbeitsverhältnisse läuft damit in aller Regel 1058 Zu den Maßstäben der Auslegung arbeitsvertraglicher Vereinbarungen in AGB grundlegend BAG v. 19. 5. 2010 – 4 AZR 796/08, AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 76 (Rn. 15); BAG v. 16. 12. 2009 – 5 AZR 888/08, AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 73 (Rn. 12). 1059 Siehe oben Teil 2, Fn. 1042. 1060 So bereits die Kritik von Lobinger/F. Hartmann, RdA 2010, 235 (237). 1061 Vgl. Thüsing/Lambrecht, RdA 2002, 193 (199 f.).

B. Differenzierungsklausel mit Stichtag vor Abschluss des Tarifvertrags

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dem objektivierten Willen des Arbeitgebers zuwider. Er hat damit nach einer Auslegung am objektiven Empfängerhorizont selbst bei Differenzierungsklauseln ein grundsätzliches Interesse an der individualvertraglichen Weitergabe aller tariflicher Leistungen an Außenseiter-Arbeitnehmer. Ohne spezielle Anhaltspunkte im Arbeitgeberverhalten darf der Außenseiter-Arbeitnehmer deshalb davon ausgehen, dass ihn sein Arbeitgeber auch bei differenzierenden Tarifinhalten „wie ein Gewerkschaftsmitglied“ behandeln will.1062 Auf der anderen Seite ist nicht ersichtlich, weshalb der Arbeitnehmer, der über die Bezugnahmeklausel grundsätzlich beitragsfrei an den tariflichen Arbeitsbedingungen beteiligt wird, ausgerechnet bei Leistungen, die nach der Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft differenzieren, auf seinen vertraglich zugesichertes Gleichstellungsrecht verzichten sollte.1063 Im Gegenteil: Es fehlt an einer überzeugenden Begründung, warum er kompensationslos eine Schlechterstellung gegenüber seinen organisierten Kollegen akzeptieren sollte, wenn ihm der Arbeitsvertrag grundsätzlich die vollumfängliche Gleichstellung mit einem tarifgebundenen Arbeitnehmer garantiert. Der Arbeitgeber als Erklärungsempfänger wird daher stets davon ausgehen müssen, dass der Arbeitnehmer an der grundsätzlich geschuldeten Gleichstellung mit einem vergleichbaren Gewerkschaftsmitglied festhalten möchte. Verbleiben nach dem Versuch, das objektive Interesse der Vertragsparteien zu ermitteln, (Rest-)Bedenken, welche konkrete Auslegung der Bezugnahmeklausel zugrunde gelegt werden kann, muss in diesen Situationen zudem jedenfalls bei vorformulierten Arbeitsbedingungen die Zweifelsregelung des § 305c II BGB in Ansatz gebracht werden.1064 Wenn mehrere Auslegungsansätze als gleichermaßen vertretbar bewertet werden können und rechtlich zulässig wären, ist mit der sog. „kundenfreundlichsten Auslegung“ von demjenigen Ergebnis auszugehen, das für den Verwendungsgegner und damit den Arbeitnehmer am günstigsten ist.1065 Auf den Fall der Auslegung der Bezugnahmeklausel in Arbeitsverträgen gemünzt bedeutet dies, dass im Zweifel die Anforderungen an die Arbeitgeberseite wachsen.1066 Ohne weitere Anhaltspunkte muss davon ausgegangen werden, dass die Arbeitsvertragsparteien mit der Bezugnahme eine Behandlung der Außenseiter-Arbeitnehmer etablieren wollten, die ihn ab dem Beginn der individualvertraglichen Bezugnahme so stellt „wie ein Gewerkschaftsmitglied“. 1062

So deutlich wie zutreffend Lobinger/F. Hartmann, RdA 2010, 235 (236 f.). Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 2131. 1064 In diese Richtung auch Bauer, FS Moll, S. 33 (37); ders./C. Arnold, NZA 2009, 1169 (1171); Giesen, ZfA 2010, 657 (675); vgl. dazu BAG v. 20. 8. 2014 – 10 AZR 453/13, AP BGB § 307 Nr. 69 (Rn. 25); BAG v. 19. 3. 2014 – 10 AZR 622/13, AP BGB § 315 Nr. 113 (Rn. 30); BAG v. 25. 8. 2010 – 10 AZR 275/09, AP GewO § 106 Nr. 11 (Rn. 20); HWK/Roloff, § 305c BGB Rn. 8; Palandt/Grüneberg, § 305c BGB Rn. 15; Preis/Greiner, Der Arbeitsvertrag, II V 40 Rn. 42. 1065 BGH v. 29. 4. 2008 – KZR 2/07, NJW 2008, 2172 [II. 4. a) aa) der Gründe]; HWK/ Roloff, § 305c BGB Rn. 9. 1066 Thüsing/Lambrecht, RdA 2002, 193 (200 f.). 1063

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Teil 2: Die Zulässigkeit von tarifvertraglichen Differenzierungsklauseln

Für diesen Abschnitt kann daher festgehalten werden: Mit einer dynamischen Verweisungsklausel schuldet der Arbeitgeber bei Fehlen entgegenstehender Anhaltspunkte grundsätzlich die Behandlung des Außenseiters „gleich einem tarifgebundenen Arbeitnehmer“. Das impliziert, dass er bei allen tariflichen Leistungen ohne Rücksicht auf die konkrete Ausgestaltung der Leistungsanforderungen im Tarifvertrag wie ein vergleichbares Gewerkschaftsmitglied behandelt werden muss. Ohne spezielle Anhaltspunkte darf deshalb nicht von einer punktuellen Suspendierung dieser Gleichstellungsidee ausgegangen werden. Mit dieser Maßgabe ist dann auch nicht von vorrangiger Bedeutung, ob die Arbeitsvertragsparteien tatsächlich eine „Statusverleihung kraft Bezugnahmeklausel“ oder lediglich die Weitergabe der tariflichen Leistungen an die Außenseiter ohne Statusfiktion vereinbaren wollten.1067 Entscheidender Aussagegehalt der Bezugnahmeklausel und damit maßgeblicher Vertragsinhalt für das Arbeitsverhältnis ist bei Ausbleiben entgegenstehender Anhaltspunkte allein, dass der Außenseiter-Arbeitnehmer gleiche Leistungen „wie ein Gewerkschaftsmitglied“ verlangen können soll. Diese Sichtweise wird im Übrigen wohl auch vom BVerfG in seiner Entscheidung zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit von Tarifsozialplänen samt Differenzierungsklausel mit Stichtag in der Vergangenheit geteilt. Dort hielten die Richter explizit fest, dass gewerkschaftsfremde Beschäftigte kraft Bezugnahme regelmäßig „wie Tarifunterworfene“ behandelt würden.1068 In der Tat entspricht diese Gleichbehandlung von Außenseitern und Gewerkschaftsmitgliedern auf Basis der Bezugnahmeklausel am ehesten den objektivierten Interessen der Arbeitsvertragsparteien. Dieses Auslegungsergebnis muss jedenfalls spätestens wegen § 305c II BGB in vorformulierten Arbeitsverträgen zugrunde gelegt werden. Jede Auslegung, die diese Zusammenhänge verkennt, läuft Gefahr, entweder nicht den ausdrücklichen oder hypothetischen Willen der Arbeitsvertragsparteien bei der Verwendung typischer individualvertraglicher Bezugnahmeklauseln zugrunde zu legen oder das subjektive Interesse einer Vertragspartei über Gebühr zu betonen und es zum alleinigen Maßstab der Auslegung einer bilateralen Vereinbarung zu überhöhen. Dadurch droht der Auslegung allerdings trotz an sich richtigen Ausgangsperspektive ein verwässertes Ergebnis und speziell im Fall der Differenzierungklauseln faktisch eine (partielle) Ausrichtung an den Interessen der Tarifvertragsparteien. Ob sich das BAG bei der Auslegung einer Bezugnahmeklausel in der Entscheidung vom 18. 3. 2009 tatsächlich von den organisationspolitischen Motiven der Gewerkschaft leiten ließ1069, kann dahingestellt bleiben. Jedenfalls erfasst der Senat das Grundanliegen der Arbeitsvertragsparteien bei der Vereinbarung einer dynamischen Bezugnahmeklausel als maßgeblichen Faktor für die Auslegung nur unzureichend und kann deshalb den parteiübergreifenden Willen von Arbeitgeber und Außenseiter-Arbeitnehmer nur defizitär ermitteln. 1067

So die zutreffende Analyse bei Lobinger/F. Hartmann, RdA 2010, 235 (236). BVerfG v. 14. 11. 2018 – 1 BvR 1278/16, AP GG Art. 9 Nr. 153 (Rn. 8). 1069 So jedenfalls der Vorwurf von Giesen, Anm. zu AP BGB § 242 Gleichbehandlung Nr. 220 (2. a.). 1068

B. Differenzierungsklausel mit Stichtag vor Abschluss des Tarifvertrags

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3. Auslegung der individualvertraglichen Bezugnahmeklausel bei einer tariflichen Differenzierungsklausel mit Stichtag in der Vergangenheit Zusätzliche Komplexität gewinnt die Auslegungsproblematik bei arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklauseln indes, wenn der Tarifvertrag die Auskehrung bestimmter Leistungen von der Gewerkschaftsmitgliedschaft zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Vergangenheit abhängig macht. Die bisher herausgearbeitete Wirkung der Bezugnahmeklausel, die im Regelfall eine Behandlung des Außenseiters gleich einem Gewerkschaftsmitglied herbeiführt, reicht für die Weitergabe der tariflich zugesicherten Leistungen für sich genommen noch nicht aus. Die bloße Behandlung wie ein Gewerkschaftsmitglied enthält keine Angaben zur zeitlichen Komponente, sodass der Außenseiter allein mit ihr noch nicht automatisch auf eine gemeinsame Stufe mit einem Altmitglied gehoben wird, das die Voraussetzungen der Stichtagsklausel erfüllt. Freilich können aber die Arbeitsvertragsparteien im Außenseiter-Arbeitsvertrag auf Grundlage ihrer privatautonomen Gestaltungsbefugnis ohne Weiteres vorsehen, den nichtorganisierten Arbeitnehmer „wie ein Mitglied, das zu einem bestimmten Zeitpunkt XY bereits Gewerkschaftsmitglied war“ zu behandeln. Eine ausdrückliche Regelung dazu ist in den herkömmlichen Bezugnahmeklauseln allerdings nicht verbreitet und eingedenk der Tatsache, dass zum Zeitpunkt der Vereinbarung ein späterer Tarifabschluss mit einem spezifischen Stichtag noch nicht abzusehen ist, zudem äußerst praxisfern. Möglicherweise lässt sich jedoch die Gleichstellung mit den Altmitgliedern als Fortentwicklung des Gedankens einer Behandlung „wie ein Gewerkschaftsmitglied“ ebenfalls durch Auslegung der Bezugnahmeklausel im Außenseiter-Arbeitsverhältnis entnehmen. Dabei gilt es sich erneut zu vergegenwärtigen, dass für die Auslegung und damit die individualvertragliche Weitergabe der tariflichen Leistungen an die Außenseiter-Arbeitnehmer allein der Wille der Arbeitsvertragsparteien maßgeblich ist, wie er nach dem objektivierten Empfängerhorizont ermittelt werden kann, §§ 133, 157 BGB.1070 Legt man dieses Auslegungsprinzip dem Arbeitsvertrag mit Bezugnahmeklausel zugrunde, kommt insbesondere dem Beginn der individualvertraglich vereinbarten Gleichstellung eine entscheidende Rolle zu: Behandelt der Arbeitgeber den Außenseiter-Arbeitnehmer erst nach dem tariflichen Stichtag wie ein Mitglied – bspw. weil das Arbeitsverhältnis erst danach begründet wurde oder die Bezugnahmeklausel erst danach in das Arbeitsverhältnis implementiert wurde – fehlt es ohne weitere deutliche Anhaltspunkte im Arbeitgeberverhalten an einem zeitdynamischen Element, das auf Arbeitnehmerseite die Erwartung begründen könnte, „wie ein Gewerkschaftsmitglied zum Zeitpunkt des tariflichen Stichtags“ behandelt zu werden. In diesem Fall scheidet eine Weitergabe der tariflichen Exklusivleistungen allein auf Basis der Bezugnahmeklausel aus. Gleiches gilt konsequenterweise für die Konstellation, in der der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zeitlich vor dem tariflichen Stichtag wie ein Gewerkschaftsmitglied behandelt, aber ebenfalls vor dem Eintritt 1070

Siehe oben, Teil 2 V. 2. a).

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Teil 2: Die Zulässigkeit von tarifvertraglichen Differenzierungsklauseln

des tariflichen Stichtags die Gleichstellung aufgibt. Auch hier kann sich auf Arbeitnehmerseite von vornherein kein schützenswertes Vertrauen auf die Weitergabe der tariflichen Exklusivleistungen bilden. Besondere Beachtung verdienen jedoch die Arbeitsverhältnisse, in denen der Arbeitgeber den Arbeitnehmer von einem bestimmten Zeitpunkt an, der vor dem tariflichen Stichtag angesiedelt ist, „wie ein Gewerkschaftsmitglied“ behandelt und die Gleichstellung bislang noch nicht aufgegeben hat. Ohne nähere Anhaltspunkte im Verhalten der Arbeitsvertragsparteien lassen sich in dieser Konstellation zwei unterschiedliche Auslegungsergebnisse begründen: Auf der einen Seite kann die Bezugnahmeklausel so verstanden werden, dass sie nur über die fehlende Gewerkschaftszugehörigkeit hinweghelfen soll, dem Außenseiter also nur diejenigen tariflichen Leistungen weiterreichen will, bei denen die Gewerkschaftsmitgliedschaft kein oder nur alleiniges anspruchsbegründendes Kriterium ist. Nach diesem Verständnis muss der Arbeitgeber den Außenseiter-Arbeitnehmer lediglich als Gewerkschaftsmitglied „der untersten Klasse“ behandeln. Verlangt der Tarifvertrag allerdings die Gewerkschaftsmitgliedschaft zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Vergangenheit als zusätzliches Tatbestandsmerkmal1071, ist nach dieser Auslegungsvariante die individualvertragliche Weitergabe der exklusiven Tarifleistungen nicht geschuldet. Auf der anderen Seite kann die Bezugnahmeklausel jedoch ebenso gut dahingehend ausgelegt werden, dass die Gleichstellung des Außenseiters mit den tarifgebundenen Arbeitnehmern im Regelfall auch zeitdynamisch wirkt und damit die fehlende Gewerkschaftsmitgliedschaft zu einem bestimmten Zeitpunkt überbrücken kann. Immerhin hat der Arbeitgeber dem Außenseiter durch die anhaltende Gleichstellung signalisiert, ihn über den gesamten Zeitraum hinweg wie einen tarifgebundenen Arbeitnehmer behandeln zu wollen. In diesem Fall dürfte der Arbeitnehmer redlicherweise darauf vertrauen, dass ihn der Arbeitgeber wie ein Gewerkschaftsmitglied behandeln wird, das zum Start der Bezugnahmewirkung dem Verband beigetreten ist und deshalb die tariflichen Leistungen für Altmitglieder beanspruchen kann. Dieser Ansatz spielt aus Gründen einer interessengerechten Risikoverteilung den Ball zurück ins Feld des Arbeitgebers. Er muss dasjenige Vertrauen zerstören, das er durch die Verwendung von unspezifischen Bezugnahmeklauseln und damit der Anwendung von Tarifverträgen auf individualvertraglicher Grundlage gesetzt hat. Dem Vertrauen der Außenseiter-Arbeitnehmer, während der gesamten Zeitspanne über so behandelt zu werden wie ein vergleichbares Gewerkschaftsmitglied, das zu Beginn der Bezugnahmewirkung im Außenseiter-Arbeitsverhältnis der Gewerkschaft beigetreten ist, kann demnach nicht von vornherein die Schutzwürdigkeit abgesprochen werden.

1071 So auch BAG v. 15. 4. 2015 – 4 AZR 796/13, AP TVG § 3 Nr. 57 (Rn. 26); BAG v. 21. 8. 2013 – 4 AZR 861/11, AP TVG § 3 Nr. 55 (Rn. 19); BAG v. 5. 9. 2012 – 4 AZR 696/10, AP TVG § 3 Nr. 53 (Rn. 28).

B. Differenzierungsklausel mit Stichtag vor Abschluss des Tarifvertrags

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Fehlen belastbare Anhaltspunkte, die eine Tendenz in eine bestimmte Richtung nahelegen könnten, gelangen somit beide Auslegungsvarianten der Klausel zu unterschiedlichen Ergebnissen. Dabei stellen sie jeweils nicht nur eine sehr naheliegende bzw. eine sehr entfernte Möglichkeit der Klauselauslegung dar, sondern können sich beide auf eine gewisse Plausibilität stützen. Kein Auslegungsergebnis verdient für sich genommen den klaren Vorzug vor dem jeweils anderen. In vom Arbeitgeber vorformulierten und gestellten Arbeitsverhältnissen führt dies nach der oben geschilderten Auswirkung der Zweifelsregelung in § 305c II BGB zu einer Gleichstellung des Außenseiter-Arbeitnehmers mit einem Gewerkschaftsmitglied, das zum Zeitpunkt des Beginns der individualvertraglichen Bezugnahmewirkung in die tarifschließende Gewerkschaft eingetreten ist. Konsequent angewandt birgt dieses Auslegungsergebnis für den Arbeitgeber gerade in größeren Unternehmen ein enormes Kostenrisiko. Bei einer Vielzahl von individualvertraglichen Ansprüchen auf die vermeintlich exklusiven Bonusleistungen aus dem Tarifvertrag droht insbesondere bei finanziell angeschlagenen Unternehmen möglicherweise sogar das Scheitern der Sanierungspläne.1072 Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass die gesetzliche Risikoverteilung in § 305c II BGB die Gefahr lediglich bei nicht eindeutigen Fällen in die Sphäre des Verwenders und damit regelmäßig des Arbeitgebers überantwortet. Der Arbeitgeber kann bereits von vornherein ein zweideutiges Auslegungsergebnis vermeiden, indem er die nicht tarifgebundenen Arbeitnehmer vor Beginn der Bezugnahme darauf aufmerksam macht, dass er die tarifliche Differenzierung auch im Außenseiter-Arbeitsverhältnis umzusetzen beabsichtigt.1073 Hat der Arbeitnehmer – wie beim Dreiseitigen Vertrag im Sachverhalt der Entscheidung vom 15. 4. 20151074 – in das differenzierende Vorgehen des Arbeitgebers eingewilligt, führt dies zu einer Verschiebung des Erklärungshorizonts (§§ 133, 157 BGB) und damit zum Wegfall der Erwartung, als Außenseiter-Arbeitnehmer im konkreten Fall wie ein „First-Class“-Gewerkschaftsmitglied behandelt zu werden. Die Auslegung der Bezugnahmeklausel vor diesem modifizierten Hintergrund ergibt dann regelmäßig eindeutig, dass eine individualvertragliche Weitergabe der differenziert ausgestalteten tariflichen Leistungen nicht (mehr) geschuldet ist. 4. Keine Kontrolle auf einen Verstoß gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz bei bloßer Bezugnahme auf tarifliche Regelungen im Individualarbeitsverhältnis Gelangen bestimmte Arbeitnehmer nach einer Auslegung ihrer individualvertraglichen Bezugnahmeklausel im Gegensatz zu ihren tarifgebundenen Kollegen nicht in den Genuss bestimmter Tarifleistungen, erscheint es zumindest nicht fern1072 1073 1074

Ähnlich auch Kolbe, ZfA 2019, 579 (591). Diesen Zusammenhang verkennt Kolbe, ZfA 2019, 579 (591). Vgl. BAG v. 15. 4. 2015 – 4 AZR 796/13, AP TVG § 3 Nr. 57 (Rn. 8).

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Teil 2: Die Zulässigkeit von tarifvertraglichen Differenzierungsklauseln

liegend, angesichts der unterschiedlichen Behandlung innerhalb der Belegschaft einen Verstoß gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz anzunehmen. Virulent wird dieses Problem insbesondere in Situationen, in denen zwei Tarifverträge als potentielle Anknüpfungspunkte für die individualvertragliche Bezugnahme zur Verfügung stehen. Immerhin erhalten Außenseiter und Neumitglieder jedenfalls dann, wenn ihre Arbeitsverträge lediglich die schlechteren Bedingungen aus dem einen Tarifvertrag in Bezug nehmen, weniger als ihre tarifgebundenen Kollegen, die bereits zu einem bestimmten Stichtag Mitglied in der Gewerkschaft waren und damit regelmäßig die besseren Konditionen aus dem anderen Tarifvertrag beanspruchen können. Zwar sind die Tarifvertragsparteien selbst nicht zur Gleichbehandlung tarifgebundener und nicht tarifgebundener Arbeitnehmer verpflichtet.1075 Allerdings trifft den Arbeitgeber bei kollektiven Maßnahmen eine Verantwortung für sämtliche Betriebsangehörige, die über das Institut des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsanspruchs eingefordert werden kann.1076 Der Vorwurf richtet sich damit in letzter Konsequenz gegen ihn, die unterschiedliche Behandlung der Belegschaft aus dem Tarifvertrag über die Bezugnahmeklauseln in die einzelnen Arbeitsverhältnisse transportiert zu haben und mit dieser Perpetuierung der Differenzierung auf individualvertraglicher Ebene gegen das Gleichbehandlungsgebot verstoßen zu haben.1077 a) Sichtweise des BAG und BVerfG Diesen Anschuldigungen zum Trotz hat das BAG die Anwendung des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes bei einer Bezugnahme auf tariflich geregelte Arbeitsbedingungen verneint. Sollten die Rechte und Pflichten für ein Arbeitsverhältnis zwar privatautonom, aber unter den Bedingungen eines strukturellen Gleichgewichts vereinbart worden sein, bliebe der Anwendungsbereich des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes verschlossen.1078 Insbesondere die Tarifautonomie sei „darauf angelegt, die strukturelle Unterlegenheit der einzelnen Arbeitnehmer beim Abschluss von Arbeitsverträgen durch kollektives Handeln auszugleichen und damit ein annähernd gleichgewichtiges Aushandeln der Vergütungen und Arbeitsbedingungen zu ermöglichen.“1079 Hierdurch würde regelmäßig wieder die Gleichwertigkeit der Verhandlungsmacht hergestellt, weshalb die Ergebnisse kollektiv ausgehandelter Tarifvereinbarungen die Vermutung der Ange-

1075

Siehe oben, Teil 2 V. III. 2. b) ee). Zur dogmatischen Herleitung siehe oben, Teil 2 B. III. 7. e) dd). 1077 Vgl. auch Greiner, jM 2016, 66 (67); ders., FS H. J. Willemsen, S. 159 (168 ff.). 1078 BAG v. 15. 4. 2015 – 4 AZR 796/13, AP TVG § 3 Nr. 57 (Rn. 55); BAG v. 21. 5. 2014 – 4 AZR 50/13, AP BGB § 242 Gleichbehandlung Nr. 220 (Rn. 28 ff.). 1079 BAG v. 21. 5. 2014 – 4 AZR 50/13, AP BGB § 242 Gleichbehandlung Nr. 220 (Rn. 29); BVerfG v. 26. 6. 1991 – 1 BvR 779/85, AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 117 [C. I. 3. b) aa) der Gründe]; BVerfG v. 4. 7. 1995 – 1 BvF 2/86 u. a., NJW 1996, 185 [C. I. 1. c) der Gründe]. 1076

B. Differenzierungsklausel mit Stichtag vor Abschluss des Tarifvertrags

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messenheit für sich hätten.1080 Selbst eine Umsetzung dieser Vorschriften in das Außenseiter-Arbeitsverhältnis über individualvertragliche Bezugnahmeklauseln bedürfte keiner zusätzlichen Kontrolle anhand des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes mehr.1081 Parallel zur Linie des BAG zog auch das BVerfG das Verhandlungsgleichgewicht der Koalitionen heran, um eine strukturelle Unterlegenheit des jeweiligen Arbeitnehmers bei der Anwendung tariflicher Arbeitsbedingungen zu verneinen.1082 Angesichts der Richtigkeitsvermutung und der Annahme, dass den Grundrechtspositionen von Außenseitern bei tarifvertraglichen Differenzierungen grundsätzlich ebenfalls Rechnung getragen würde, bedürfe es keiner gesonderten Kontrolle der Bezugnahmevorschriften im Arbeitsverhältnis, wenn die entscheidenden Regelungen tariflichen Ursprungs seien.1083 b) Eigener Standpunkt Sowohl die Position des BAG als auch die des BVerfG können nur in beschränktem Umfang überzeugen. Bei genauerer Betrachtung trifft ihr Argumentationsmuster lediglich auf bereits tarifgebundene Arbeitnehmer zu. Diese haben sich in der Tat einer Koalition angeschlossen, die dem ansonsten überlegenen Arbeitgeber im Kollektiv entgegentritt und unter den Vorzeichen eines strukturellen Verhandlungsgleichgewichts tarifliche Arbeitsbedingungen für die Normunterworfenen statuiert. Wenn sich diese Arbeitnehmer nicht auf den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz berufen können, ist das eine nachvollziehbare und logische Konsequenz aus der Richtigkeitsvermutung, die tariflichen Verhandlungsergebnissen aufgrund der Parität der Gegenspieler von Verfassungs wegen zumindest für normativ regelbare Tarifinhalte zukommt.1084 Ein derartiger Begründungsstrang versagt allerdings bei Außenseitern seinen Dienst.1085 Diese Arbeitnehmer haben durch ihr Fernbleiben von der Gewerkschaft zu verstehen gegeben, dass sie sich gerade nicht einer Koalition anschließen wollen, die mit dem Arbeitgeber bzw. dessen Verband auf Augenhöhe verhandelt. Bei ihnen fehlt es daher an der mitgliedschaftlichen Unterwerfung unter ein Regelwerk, das zwei gleich starke Kontrahenten miteinander aushandeln. Die Erstreckung der Ange1080

BAG v. 21. 5. 2014 – 4 AZR 50/13, AP BGB § 242 Gleichbehandlung Nr. 220 (Rn. 29), BAG v. 19. 6. 2007 – 1 AZR 396/06, AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 173 (Rn. 20). 1081 BAG v. 15. 4. 2015 – 4 AZR 796/13, AP TVG § 3 Nr. 57 (Rn. 58). 1082 Vgl. nur BVerfG v. 14. 11. 2018 – 1 BvR 1278/16, AP GG Art. 9 Nr. 153 (Rn. 7 f.). 1083 BVerfG v. 14. 11. 2018 – 1 BvR 1278/16, AP GG Art. 9 Nr. 153 (Rn. 8.); vgl. auch Ricken, Stichtagsregelungen, S. 30. 1084 BAG v. 21. 5. 2014 – 4 AZR 50/13, AP BGB § 242 Gleichbehandlung Nr. 220 (Rn. 29); BAG v. 7. 6. 2006 – 4 AZR 316/05, AP BGB § 611 Hausmeister Nr. 15 (Rn. 30); zur Beschränkung der Angemessenheitsvermutung auf normativ regelbare Tarifinhalte siehe oben, Teil 2 B. III. 7. h) bb). 1085 Siehe oben Teil 2, Fn. 751.

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Teil 2: Die Zulässigkeit von tarifvertraglichen Differenzierungsklauseln

messenheitsvermutung aus eben jenem Tarifvertrag auf die Außenseiter scheitert bereits an einer ausreichend gesicherten Legitimationsbasis.1086 Die Richtigkeit dieser ersten Einschätzung wird bei tariflichen Differenzierungsklauseln zudem durch die Beobachtung bestätigt, dass Außenseiter nach dem Willen der Tarifvertragsparteien jeweils diejenigen Leistungen erhalten sollen, die unterhalb des Niveaus liegen, das für die Gewerkschaftsmitglieder vereinbart wurde und für das im Tarifvertrag die Vermutung der Angemessenheit streitet. Zu Recht gehen daher zahlreiche Stimmen in der Literatur davon aus, dass es einem Tarifvertrag mit Differenzierungsklausel in Bezug auf die Außenseiter an der Angemessenheitsvermutung fehle.1087 Ob damit gleichsam im Umkehrschluss angenommen werden kann, dass den schlechteren Arbeitsbedingungen für die Außenseiter eine „Unangemessenheitsvermutung“ zukomme1088, muss in diesem Zusammenhang nicht mehr entschieden werden. Der Ausschluss des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes bei der Bezugnahme auf tarifliche Regelungen kann in jedem Fall bei Außenseitern nicht erfolgreich auf das strukturelle Gleichgewicht von Arbeitgeberund Arbeitnehmerseite bei den Tarifverhandlungen gestützt werden. Dennoch liegt die Rechtsprechung im Ergebnis richtig, wenn sie die Bezugnahmeklausel nicht näher auf einen Verstoß gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz überprüft. Der Außenseiter muss bereits aufgrund der systemimmanenten Unterscheidung zwischen tarifgebundenen und nicht tarifgebundenen Arbeitnehmern damit rechnen, dass seine Vereinbarung mit dem Arbeitgeber hinter dem Niveau zurückbleibt, das die Tarifvertragsparteien für die Gewerkschaftsmitglieder vereinbaren. Sieht die Bezugnahmeklausel in ihrer konkreten Form keine Gleichstellung mit den tarifgebundenen Kollegen vor, realisiert sich damit das Risiko, das mit dem Verzicht auf eine kollektive Interessenvertretung stets einhergeht. Eine unterschiedliche Behandlung zwischen tarifgebundenen und nicht tarifgebundenen Arbeitnehmer ist im deutschen Tarifrecht angelegt und kann deshalb bereits für sich genommen keine Gefährdungslage darstellen, die eine Kontrolle anhand des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes erfordern würde. 5. Ergebnis Die bisherige Auslegungspraxis des BAG bei der individualvertraglichen Bezugnahme auf differenzierende Tarifinhalte widerspricht trotz richtiger perspekti1086

Siehe oben Teil 2, Fn. 751. Giesen, ZfA 2016, 153 (172, 174, 192 Fn. 142); Greiner, FS H. J. Willemsen, S. 159 (169); ders., jM 2016, 66 (67 f.); ders., NZA 2016, 10 (13 f.); Krämer, Richtigkeitsgewähr, S. 164 ff.; Reuter, FS Birk, S. 717 (723); Siegfanz-Strauß, RdA 2015, 266 (269); wohl auch Höpfner, RdA 2019, 146 (154); vgl. allgemein zur Erstreckung der Angemessenheitsvermutung auf Außenseiter ohne expliziten Fokus auf Differenzierungsklauseln die in Teil 2, Fn. 751 Genannten. 1088 So bspw. Greiner, FS H. J. Willemsen, S. 159 (169); ähnlich auch Giesen, Anm. zu AP BGB § 242 Gleichbehandlung Nr. 220 (2. c.). 1087

C. Differenzierungsklauseln mit individuellen Wartezeiten

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vischer Herangehensweise in aller Regel dem objektivierten Willen von Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Anders als vom BAG zugrundegelegt, dürfte ohne gesonderte Anhaltspunkte nur die Behandlung des Arbeitnehmers „wie ein Gewerkschaftsmitglied“ dem objektivierten Interesse der Arbeitsvertragsparteien gerecht werden. Bei der Bezugnahme auf einen Tarifvertrag, der Differenzierungsklauseln mit Stichtag in der Vergangenheit enthält und damit noch zusätzlich innerhalb der Verbandsangehörigen unterscheidet, ist ohne spezifische Anhaltspunkte im Zweifel bei einer kundenfreundlichen Auslegung davon auszugehen, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer ab dem Beginn der Bezugnahmewirkung so behandeln will wie ein Gewerkschaftsmitglied, das zu diesem Zeitpunkt in den Verband eingetreten ist. Um Mehrkosten zu vermeiden, empfiehlt es sich daher auf Arbeitgeberseite, bereits vor Beginn der Bezugnahme klarzustellen, ob und in welchem Umfang eine Gleichstellung mit den Gewerkschaftsmitgliedern intendiert ist. Führt eine Bezugnahme auf den Tarifvertrag dazu, dass insbesondere Außenseiter und Neumitglieder nicht in vollem Umfang an den Leistungen partizipieren, die der Tarifvertrag für bestimmte Altmitglieder der Gewerkschaft vorsieht, kann dieser Umstand nicht die Anwendung des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes provozieren. Dies liegt bei den Neumitgliedern an der von Verfassungs wegen anzuerkennenden Verhandlungsparität zwischen Arbeitgeber und Gewerkschaft, die einen angemessenen Ausgleich der widerstreitenden Interessen im Tarifvertrag vermuten lässt.1089 Zwar kann bei Außenseitern aus Legitimationsgründen nicht auf dieses Begründungsmuster zurückgegriffen werden, allerdings scheitert die Anwendung des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes hier an der systemimmanenten Schlechterstellung der Außenseiter gegenüber den tarifgebundenen Arbeitnehmern bei tariflichen Regelungen. Diese Folgeerscheinung aus der Freiwilligkeit im Koalitionsbegriff bedarf keiner nachträglichen Korrektur auf arbeitsvertraglicher Ebene.

C. Differenzierungsklauseln mit individuellen Wartezeiten Zwar lassen sich einige der Überlegungen, die im Rahmen der Debatte um die inhaltliche Zulässigkeit der Differenzierungsklauseln mit Stichtag in der Vergangenheit angestellt wurden, auch auf die Untersuchung der Differenzierungsklauseln mit individuellen Wartezeiten übertragen. Betrachtet man allerdings die Klauseln genauer, die die Ausschüttung bestimmter Leistungen von einer Gewerkschaftsmitgliedschaft abhängig machen, die zum Zeitpunkt der Antragstellung bei jedem Gewerkschaftsangehörigen einen gewissen Mindestzeitraum lang Bestand haben muss, fällt im Vergleich zum Ausgangsfall jedoch sofort ins Auge, dass theoretisch jeder Arbeitnehmer nach dem Beitritt und dem Ablauf der vorgesehenen Frist in den 1089 Zur Beschränkung der Angemessenheitsvermutung auf normativ regelbare Tarifinhalte siehe oben, Teil 2 B. III. 7. h) bb).

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Teil 2: Die Zulässigkeit von tarifvertraglichen Differenzierungsklauseln

Genuss der versprochenen Leistung gelangen kann. Dabei macht es keinen Unterschied, ob es sich qualitativ um eine einmalige Leistung handelt oder die Partizipation an wiederkehrenden Leistungen versprochen wird. Hiervon abgegrenzt werden muss jedoch die Konstellation, in der die geforderte Mindestmitgliedschaftsdauer nicht mehr durch einen unverzüglichen Beitritt nach Tarifabschluss erfüllt werden kann, weil beispielsweise die Mindestfrist mit einem Stichtag verknüpft wurde, der zeitlich so nah an den Tarifabschluss gerückt wird, dass er von einem Neumitglied nicht mehr innerhalb der Mindestmitgliedschaftsdauer und damit rechtzeitig erreicht werden kann. In diesem Fall hätten die Tarifvertragsparteien den Stichtag auch um den Zeitraum der individuellen Wartefrist vorverlegen können. Fehlt einem Arbeitnehmer die Möglichkeit, durch rechtzeitigen Beitritt in den Kreis der begünstigten Gewerkschaftsmitglieder vorzustoßen, ist die Konstellation – bei wiederkehrenden Leistungen jedenfalls für den aktuellen Bezugszeitraum – vergleichbar mit der einer Differenzierungsklausel mit Stichtag in der Vergangenheit und deshalb den dort geltenden Maßstäben zu unterwerfen.1090 Kann indes jeder Arbeitnehmer nach Ablauf der vorgesehenen Mindestmitgliedschaftsdauer zumindest mit Wirkung für die Zukunft in den Genuss der tariflichen Leistungen gelangen, verschiebt sich für diese Bezugszeiträume konsequenterweise auch der Rahmen für die rechtliche Einschätzung. Ausgehend von den Befunden bei den Differenzierungsklauseln mit Stichtag in der Vergangenheit ergibt sich dabei im Einzelnen folgendes Bild:

I. Verstoß gegen die negative Koalitionsfreiheit der Außenseiter Unabhängig von der konkreten Länge des Zeitraums, den die Tarifvertragsparteien in der Klausel als Bedingung für den Anspruch voraussetzen, kann eine Differenzierungsklausel mit individueller Wartezeit nicht gegen das Grundrecht der negativen Koalitionsfreiheit in Gestalt des Fernbleiberechts der Außenseiter verstoßen. Zwar ist nicht von der Hand zu weisen, dass bei denkbar hohen Beträgen ein gewisser Anreiz für die Außenseiter besteht, durch den Gewerkschaftsbeitritt die Wartefrist in Gang zu setzen, um nach deren Ablauf in den Genuss der Leistungen zu gelangen. Allerdings entspricht dieser Anreiz maximal demjenigen, der auch von einfachen Differenzierungsklauseln ausgeht. Damit können die dortigen Wertungen auch auf Differenzierungsklauseln mit individueller Wartefrist übertragen werden. Dass tarifgebundene Arbeitnehmer regelmäßig besser stehen als ihre nicht tarifgebundenen Kollegen, ist dementsprechend Konsequenz des Freiwilligkeitserfordernisses im Koalitionsbegriff und deswegen per se nicht zu beanstanden.1091 Anders als bei einfachen Differenzierungsklauseln, nach denen das Mitglied unverzüglich nach 1090 1091

Siehe oben, Teil 2 B. Siehe oben, Teil 2 B. III. 2. b) ee) (1).

C. Differenzierungsklauseln mit individuellen Wartezeiten

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Beitritt in den Genuss der Leistung gelangt, muss es bei Klauseln mit einer Mindestmitgliedschaftsdauer erst noch eine Anwartschaftsphase durchlaufen. Im Vergleich zu den einfachen Differenzierungsklauseln reduziert sich damit der Anreiz für einen Beitritt zusätzlich, weil der Verbandsangehörige vor der vollumfänglichen Teilhabe an den tariflichen Leistungen erst noch als „Mitglied zweiter Klasse“ behandelt wird. Ein Verstoß gegen die negative Koalitionsfreiheit der Außenseiter kann deshalb nicht begründet werden.

II. Verstoß gegen die positive Koalitionsfreiheit der Neumitglieder Auch vor dem Hintergrund der positiven Koalitionsfreiheit der Neumitglieder kann an das angeknüpft werden, was bereits zu den Differenzierungsklauseln mit Stichtag in der Vergangenheit erarbeitet wurde: Die positive Koalitionsfreiheit verschafft dem Neumitglied zwar einen legitimierenden Zugang zur Tarifgeltung, jedoch keinen Anspruch auf die Geltung eines Tarifvertrags mit einem bestimmten Inhalt. Wenn kürzlich beigetretene Verbandsmitglieder schlechter behandelt werden als langjährige Gewerkschaftsangehörige handelt es sich um ein Problem des Tarifinhalts. Gegen die Ungleichbehandlung der Gewerkschaftsmitglieder vermittelt die positive Koalitionsfreiheit aber keinen Schutz.1092 Aus diesem Grund kann die positive Koalitionsfreiheit der Neumitglieder nicht betroffen sein.

III. Verstoß gegen die Arbeitsvertragsfreiheit Mit der Normierung einer Mindestmitgliedschaftsdauer als Anspruchsvoraussetzung für den tariflichen Anspruch werden die Möglichkeiten, im Arbeitsverhältnis eine Gleichstellung mit den privilegierten Gewerkschaftsmitgliedern auf individualvertraglichem Weg vorzunehmen, in keiner rechtlich zu beanstandenden Weise eingeschränkt. Die Klausel verstößt deshalb nicht gegen die Arbeitsvertragsfreiheit der betroffenen Parteien.

IV. Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz Mehr Probleme wirft indes die Frage auf, ob durch die Klausel mit individueller Wartezeit gegen den tarifvertraglichen Gleichbehandlungsgrundsatz verstoßen wird. Die unterschiedliche Behandlung von Verbandsangehörigen, die bereits die tariflich vorgesehene Wartezeit erfüllt haben, und solchen, die die geforderte Mindestmitgliedschaftsdauer noch nicht vollständig erreicht haben, stellt eine Ungleichbe1092

Siehe oben, Teil 2 B. III. 5.

314

Teil 2: Die Zulässigkeit von tarifvertraglichen Differenzierungsklauseln

handlung von Verbandsangehörigen durch den Tarifvertrag dar. Die Schlechterbehandlung der tarifgebundenen Arbeitnehmer im Anwartschaftsstadium kann indes gerechtfertigt werden, wenn ein sachlicher Grund für die unterschiedliche Behandlung besteht.1093 Die Rechtsprechung des BAG geht bislang einheitlich davon aus, dass eine bestimmte vorherige Mitgliedschaftsdauer „ohne Weiteres“ als differenzierendes Kriterium bei der Vereinbarung von Anspruchsvoraussetzungen herangezogen werden kann.1094 Auch in der Literatur wird die Verknüpfung einer tariflichen Sonderleistung mit einer bestimmten Mindestmitgliedschaftsdauer für zulässig gehalten, da jedes Gewerkschaftsmitglied dieselbe Erwerbschance habe.1095 Diese Begründung greift allerdings jedenfalls für die Gleichbehandlungskontrolle erkennbar zu kurz. Eine Ungleichbehandlung von Mitgliedern entfällt noch nicht allein deswegen, weil alle tarifgebundenen Arbeitnehmer dieselben Anspruchsvoraussetzungen erfüllen müssen und somit auf kurz oder lang gleichermaßen in den Genuss der tariflichen Leistungen gelangen können. Im Gegenteil bevorzugt die Regelung mit individuellen Wartezeiten ersichtlicherweise Altmitglieder, die durch ihre fortgesetzte Mitgliedschaft bereits das geforderte Merkmal erfüllt haben und damit bereits unmittelbar die versprochenen tariflichen Leistungen einfordern können. Zwar ermöglicht die Tarifregelung auch Neumitgliedern, nach Ablauf der konkreten Wartefrist ebenfalls in den Genuss der tariflichen Leistungen zu gelangen. Da sie aber während der Anwartschaftsphase auf den entsprechenden Bonus verzichten müssen, werden sie in diesem Zeitraum gegenüber einem Altmitglied schlechter gestellt, das die versprochene Leistung bereits in Anspruch nehmen kann. Diese Schlechterstellung bedarf eines sachlichen Grundes. Für die Überprüfungszwecke bietet es sich erneut an, zwischen einem Tarifsozialplan und einem Tarifvertrag im „normalen“ Umfeld zu differenzieren. 1. Kalkulatorische Sicherheit als ausreichender Sachgrund für eine Ungleichbehandlung? Führt man sich die Urteilsgründe aus der BAG-Entscheidung vom 15. 4. 2015 vor Augen, in der die Richter zutreffenderweise das tarifliche Interesse an der kalkulatorischen Sicherheit als Rechtfertigungsgrund für die Ungleichbehandlung anerkannt haben, muss untersucht werden, ob die dort herausgestellten Maßstäbe bruchfrei auf die hier in Rede stehende Klausel mit individueller Wartezeit über1093

Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 2143; zum Maßstab der Kontrolle anhand des Gleichbehandlungsgrundsatzes bei tariflichen Normen siehe oben, Teil 2 B. III. 7. f). 1094 BAG v. 21. 8. 2013 – 4 AZR 861/11, AP TVG § 3 Nr. 55 (Rn. 22); BAG v. 5. 9. 2012 – 4 AZR 696/10, AP TVG § 3 Nr. 53 (Rn. 31); BAG v. 18. 3. 2009 – 4 AZR 64/08, AP TVG § 3 Nr. 41 (Rn. 123). 1095 Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 2144. Der dortige Verweis auf BAG v. 5. 9. 2012 – 4 AZR 696/10, AP TVG § 3 Nr. 53 (Rn. 32) ist allerdings wenig zielführend: Die BAG-Richter kamen in der entsprechenden Passage nicht auf Gleichbehandlungsaspekte zu sprechen, sondern erörterten (und verneinten) einen Verstoß gegen die positive Koalitionsfreiheit durch die Regelung.

C. Differenzierungsklauseln mit individuellen Wartezeiten

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tragen werden können. Bei den Differenzierungsklauseln mit Stichtag in der Vergangenheit, die im Rahmen eines Tarifsozialplans vereinbart wurden, sollte den Tarifvertragsparteien ermöglicht werden, eine genaue Anzahl der bezugsberechtigten Arbeitnehmer bestimmen zu können, bevor „der Kuchen verteilt wird“. Dieses Interesse wurde allerdings nur deshalb als schützenswert anerkannt, weil der sinnbildliche Abfindungstopf für Ausgleichs- und Überbrückungszahlungen bei einem Tarifsozialplan nicht mehr durch laufende Beträge gespeist wird und so dem Inhalt nach begrenzt ist.1096 Legt man diese Prämissen einer Klausel zugrunde, die die Ausschüttung tariflicher Leistungen an die Voraussetzung knüpft, einen bestimmten Zeitraum lang Mitglied der tarifschließenden Gewerkschaft gewesen zu sein, wird schnell ersichtlich, dass durch die individuelle Wartezeit, über deren Beginn jeder Arbeitnehmer durch Beitritt oder fortgesetzte Mitgliedschaft jeweils selbst verfügen kann, ein Interesse an kalkulatorischer Sicherheit bei den Tarifvertragsparteien kaum bedient werden kann. Durch die Vereinbarung der Klausel haben die Tarifvertragsparteien die Entscheidung darüber, welche Gewerkschaftsmitglieder anspruchsberechtigt sein sollen, aus den Händen gegeben und den Arbeitnehmern überlassen. Infolge dieser Dezentralisierung können sie aber nur schwerlich einschätzen, wie viele Arbeitnehmer tatsächlich die Voraussetzungen für einen normativen Anspruch erfüllen werden. Zahlreiche Außenseiter könnten gerade im Fall einer Betriebsänderung ein hohes Leistungsversprechen im Tarifvertrag zum Anlass nehmen, durch einen Beitritt die Wartefrist in Gang zu setzen und nach deren Ablauf in den Genuss der tariflichen Leistung zu gelangen. Das ursprünglich fein austarierte tarifliche Verteilungssystem würde auf diese Art und Weise insbesondere bei einem begrenzten Vergütungstopf empfindlich gestört oder sogar gänzlich aus dem Gleichgewicht gebracht werden. Zwar ist das Interesse der Tarifvertragsparteien an einer soliden Kalkulationsbasis bei sozialplanähnlichen Leistungen schützenswert und dort ein anerkannter Rechtsgrund für die Ungleichbehandlung von Gewerkschaftsangehörigen, doch wählen die Tarifvertragsparteien bei einer Tarifregelung mit individuellen Wartezeiten einen Weg, der die Erreichung dieses Ziels nicht messbar fördert. Die Beschränkung der tariflichen Leistungen auf solche Arbeitnehmer, die eine bestimmte Mitgliedschaftsdauer aufweisen können, trägt nicht spürbar zur besseren Kalkulierbarkeit bei. Tarifvertragliche Klauseln, die allein an das Merkmal einer Mindestmitgliedschaftsdauer anknüpfen, verstoßen deshalb mangels rechtfertigenden Sachgrunds gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz. Auf die Länge des Zeitraums, die das neu beigetretene Mitglied gleichsam als Mitglied zweiter Klasse verbringen muss, bevor es in den Genuss der besonderen Leistungen gelangt, kommt es deshalb an dieser Stelle nicht entscheidend an.

1096

Siehe oben, Teil 2 B. III. 7. k) bb) (2) (c) (aa).

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Teil 2: Die Zulässigkeit von tarifvertraglichen Differenzierungsklauseln

2. Notwendigkeit eines Sachgrunds selbst bei vermeintlich geringfügigen Ungleichbehandlungen Für eine Differenzierung im Mitgliederbestand über individuelle Wartezeiten bedürfen die Tarifvertragsparteien daher anderer Rechtfertigungsgründe. Die Forderung nach einem sachlichen Grund für die Ungleichbehandlung muss selbst bei geringen tariflichen Wartezeiten und damit vergleichsweise kurz andauernder Schlechterstellung der Neumitglieder oder vermeintlich geringen Differenzierungsbeträgen aufrecht erhalten bleiben. Jede unterschiedliche Behandlung innerhalb der Mitgliederschaft stellt eine rechtfertigungsbedürftige Abweichung vom Grundsatz der Gleichbehandlung dar, die die Mitglieder als Spiegelbild ihrer gleichmäßigen Legitimation des Tarifvertrags jedoch erwarten und einfordern dürfen.1097 Während bei den einzelnen Freiheitsrechten die Reichweite für die Grundrechtsausübung erst festgelegt werden muss, bildet bei der Gleichbehandlungskontrolle bereits das In-Bezug-Setzen der verschiedenen Mitglieder zueinander den entsprechenden Vergleichsrahmen. Nur so ist es auch zu erklären, dass bei bestimmten Freiheitsrechten anders als bei den Gleichheitsrechten eine Erheblichkeitsschwelle überschritten sein muss, bevor ein Eingriff in den Schutzbereich angenommen werden kann.1098 Ganz auf dieser Linie nahm das BVerfG in einer Entscheidung zu Art. 3 I GG selbst bei einem strittigen Betrag von wenigen Euro wie selbstverständlich an, dass die Praxis eines kommunalen Freizeitbads, bei den Eintrittspreisen nach Herkunft der Besucher zu differenzieren, am Gleichheitssatz zu messen sei.1099 Auch bei der Gleichstellung der Geschlechter anerkennt das BVerfG inzwischen keine Ausnahmen mehr für Bagatellfälle. Hatte es in seiner Anfangsphase für bestimmte Konstellationen noch eine „gewisse Benachteiligung der Ehefrau“ hingenommen, wenn es sich um eine Grenzsituation handele, „die um ihrer vergleichsweisen Unbeträchtlichkeit willen hinzunehmen ist“1100, so kann diese bundesverfassungsgerichtliche Rechtsprechung heute zu Recht als überholt bezeichnet werden.1101 Eine De-minimis-Regelung im Rahmen des Gleichbehandlungsgrundsatzes, die bei vergleichsweise geringfügigen Ungleichbehandlungen zur Anwendung gelangen könnte, lässt sich daher vor diesem Hintergrund – ganz abgesehen von der schwierigen Eingrenzung der Bagatellfälle – nicht überzeugend begründen. Damit bedarf auch ein vergleichsweise geringer Differenzierungsbetrag 1097

Siehe oben, Teil 2 B. III. 7. e) ee) (1). Soz. B. bei Art. 2 II S. 1 GG BVerwG v. 17. 12. 2013 – 1 WRB 2/12 u. a., NVwZ-RR 2014, 767 (Rn. 44); vgl. bspw. bei der negativen Koalitionsfreiheit, Teil 2, Fn. 221 f. 1099 BVerfG v. 19. 7. 2016 – 2 BvR 470/08, NJW 2016, 3153 (Rn. 22 ff.): Im konkreten Fall erhielten die Einwohner bestimmter Gemeinden einen Preisnachlass von etwa einem Drittel gegenüber dem regulären Eintrittspreis. Kritisch zum Verhältnis zwischen den in Anspruch genommenen Ressourcen und dem im Rede stehenden Eintrittspreis aber F. Becker, NVwZ 2016, 1557 (1559). 1100 Vgl. BVerfG v. 16. 11. 1965 – 1 BvL 21/63, NJW 1966, 340 [B. II. 3. der Gründe]; BVerfG v. 29. 7. 1959 – 1 BvR 205/58 u. a., NJW 1959, 1483 [III. 1. der Gründe]. 1101 So auch BeckOK GG/Kirschel, Art. 3 GG Rn. 185 (Stand: 15. 8. 2021). 1098

C. Differenzierungsklauseln mit individuellen Wartezeiten

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oder ein relativ betrachtet kurzer tariflicher Zeitraum, den der frisch beigetretene Arbeitnehmer in seiner Anwartschaftsphase als „Mitglied zweiter Klasse“ zubringen muss, eines rechtfertigenden Sachgrunds. a) Vermeidung von Mitnahmeeffekten als Sachgrund? Einen denkbaren Anknüpfungspunkt für die Tarifvertragsparteien bei der Suche nach einem tragfähigen Sachgrund für die Differenzierung unter den Gewerkschaftsangehörigen könnte jedoch die Verringerung der Attraktivität von kurzzeitigen Verbandsmitgliedschaften darstellen. Der Lösungsansatz der Tarifvertragsparteien erscheint auf den ersten Blick bestechend klar: Durch die Anwartschaftsphase und die temporäre faktische Stundung oder Reduzierung des regulären tariflichen Anspruchs lässt sich ohne Weiteres verhindern, dass ein Neumitglied direkt nach seinem Beitritt sämtliche Vorteile vollumfänglich in Anspruch nehmen und im Anschluss daran sofort wieder austreten kann. Treffen die Tarifvertragsparteien daher eine Regelung, die die Ausschüttung tariflicher Vorteile von einer bestimmten Mindestmitgliedschaftsdauer abhängig macht, kann die Gefahr von sog. „Mitnahmeeffekten“ durch Arbeitnehmer mit der entsprechenden Einstellung wirksam eingedämmt werden.1102 Bei näherer Betrachtung droht dieser Ansatz indes die Grenzen zwischen der Verbandsebene als solcher und der Verteilungsebene bei der Ausschüttung tariflicher Leistungen innerhalb der gewerkschaftsangehörigen Arbeitnehmer zu verwischen. Tatsächlich betrifft das Phänomen einer kurzzeitigen Mitgliedschaft zur vollumfassenden Abgreifung der Leistungen die erste Ebene und damit die verbandsinterne Mitgliederstruktur. Sollten sich diese Kurzzeitmitgliedschaften als Belastung für die Gewerkschaft bzw. den Arbeitgeberverband erweisen, wäre es deshalb nur konsequent, wenn die Tarifvertragsparteien an der Wurzel des Übels ansetzen und innerverbandlich nach Lösungen suchen. Eine naheliegende Möglichkeit in diesem Zusammenhang wäre die Verlängerung von verbandsinternen Austrittsfristen in den jeweiligen Satzungen, bei denen sowohl Arbeitgeberverbände als auch Gewerkschaften einen Zeitraum von bis zu sechs Monaten festlegen dürfen.1103 Kurzzeitigen Mitgliedschaften zum alleinigen Zweck der sofortigen Mitnahme tariflicher Bonuszahlungen könnte damit bis zu dieser Grenze bereits auf verbandlicher Ebene begegnet werden. Allerdings darf in Anknüpfung an die bereits gewonnenen Erkenntnisse bezüglich des tariflichen Regelungsermessens nicht außer Acht gelassen werden, dass die Tarifvertragsparteien bei der Auswahl ihrer Mittel zur Erreichung ihrer Ziele weitestgehend frei sind. Eine Kontrolle der Entscheidung bezüglich einer vermeintlich objektiv überzeugenderen Vorgehensweise darf und kann daher in aller Regel nicht

1102 1103

Ähnlich Winzer, ArbRAktuell 2013, 188. Siehe oben Teil 2, Fn. 329 ff.

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Teil 2: Die Zulässigkeit von tarifvertraglichen Differenzierungsklauseln

stattfinden.1104 Insbesondere sind die Tarifvertragsparteien nicht darauf angewiesen, den hier favorisierten verbandsrechtlichen Ansatz zu wählen, wenn andere Wege ebenfalls zur Verfügung stehen, um das Ziel der Vermeidung von Mitnahmeeffekten durch kurzzeitige Mitgliedschaften in den Gewerkschaften zu vermeiden. Allerdings muss auch bei der Willkürkontrolle im Rahmen des Gleichbehandlungsgebots überprüft werden, ob ein innerer Zusammenhang zwischen dem Sachgrund als solchem und der konkreten Regelung besteht, die die Differenzierung umsetzen soll. Allein ein grundsätzlich hehres Motiv der Tarifvertragsparteien reicht dafür nicht aus, sondern muss auch durch die tarifliche Regelung konkret verfolgt werden können. Damit unterliegt es der vollen richterlichen Kontrolle, ob der gewählte Ansatz der Tarifvertragsparteien tatsächlich erfolgsversprechend ist oder bereits von vornherein feststeht, dass sich das ausgegebene Ziel überhaupt nicht sachgerecht erreichen lässt. Schnell fällt bei Betrachtung der konkreten Mindestmitgliedschaftsdauer für die Begründung eines tariflichen Anspruchs auf, dass sämtliche Neumitglieder für den betreffenden Zeitraum ausgeschlossen werden. Damit können zwar diejenigen Arbeitnehmer ferngehalten werden, die nur eine kurze Zeit Mitglied werden wollten, um die tariflichen Leistungen abzugreifen. In Bezug auf diese Gewerkschaftsangehörigen lassen sich durch die zwischengeschaltete Anwartschaftsphase tatsächlich Mitnahmeeffekte vermeiden. Allerdings schließt die pauschale Regelung auch solche Arbeitnehmer aus, die redlicherweise an einer dauerhaften oder zumindest längerfristigen Mitgliedschaft interessiert sind. Anders als man es vor dem Hintergrund der vermeintlichen Vermeidung von Mitnahmeeffekten erwarten dürfte, differenziert die Klausel also nicht zwischen Mitgliedern, die die gewerkschaftliche Arbeit fortdauernd unterstützen möchten und solchen, die der einfachen Leistungsausschüttung halber nur an einer kurzfristigen Mitgliedschaft interessiert sind, sondern zwischen Mitgliedern in der Anwartschaftsphase und bereits „vollwertigen“ Mitgliedern. Damit schließt die Klausel für einen bestimmten Zeitraum auch diejenigen Arbeitnehmer aus, denen tatsächlich an einer nachhaltigen Unterstützung der Gewerkschaft gelegen ist. Ob dieses Signal des grundsätzlichen Misstrauens gegenüber Neumitgliedern tarifpolitisch sinnvoll ist, kann – und darf – von den Gerichten nicht abschließend bewertet werden. Insbesondere dürfen die Richter keine eigenen Gerechtigkeitsvorstellungen an die Stelle einer tariflichen Entscheidung setzen und damit die Klausel faktisch einer im Rahmen der Willkürkontrolle nicht angezeigten Billigkeits- oder Verhältnismäßigkeitskontrolle unterziehen.1105 Jedenfalls ist die von den Tarifvertragsparteien gewählte Herangehensweise über individuelle Anwartschaftszeiten nicht schlechthin ungeeignet, Mitnahmeeffekte durch kurzzeitige Mitgliedschaften zu verhindern. Da somit ein belastbarer Sachgrund für die Ungleichbehandlung identifiziert werden kann, ist die Vorgehensweise

1104 1105

Siehe oben, Teil 2 B. III. 7. k) bb) (4). Siehe oben, Teil 2 B. III. 7. k) bb) (4).

C. Differenzierungsklauseln mit individuellen Wartezeiten

319

der Tarifvertragsparteien aus Rücksicht auf ihre tarifautonome Entscheidungsfindung grundsätzlich nicht zu beanstanden. b) Konkrete Anforderungen an den Sachgrund „Vermeidung von Mitnahmeeffekten“ Erkennt man die Rechtfertigung von Mindestmitgliedschaftsdauern zum Zweck der Vermeidung von Mitnahmeeffekten an, ergeben sich jedoch zwei Folgeprobleme: Zum einen fragt sich, ob die Mindestmitgliedschaftsdauer durch eine zeitliche Höchstgrenze gedeckelt ist oder gleichsam ohne Begrenzung nach oben hin vereinbart werden kann. Zum anderen ist zu bedenken, ob ein konkreter Zusammenhang zwischen der Höhe der ausgekehrten Leistungen und der Dauer der Wartezeit bestehen muss. aa) Maximale Höchstfrist der tariflichen Anwartschaftsphase Für die Beantwortung der ersten Frage bietet es sich an, auf die Rechtsprechung des BGH zur Begrenzung der Austrittsfristen in den Verbänden zurückzukommen. In gewandelter Form erweist die Limitierung der verbandlichen Austrittsfrist auf sechs Monate auch bei der Bemessung der maximal zulässigen Dauer für tarifliche Anwartschaftszeiten einen wichtigen Dienst. Bei den verbandlichen Austrittsfristen haben die Richter bereits entschieden, welcher maximale Zeitraum für die Vermeidung von kurzzeitigen Mitgliedschaften in den Verbänden noch als angemessen zu betrachten ist. Die Kopplung von Leistungen an Mindestmitgliedschaftsdauern im Tarifvertrag darf nicht dazu führen, dass die verbandsrechtlich zulässige Höchstgrenze von sechs Monaten für einen Austritt durch überlange Wartezeiten unterlaufen wird. Folgerichtig muss es als unzulässiger Umgehungsversuch durch die Tarifvertragsparteien angesehen werden, wenn die Ausschüttung tariflicher Leistung von einer Mindestmitgliedschaftsdauer abhängig gemacht wird, die die maximal zulässigen sechs Monate aus der Rechtsprechung zur Austrittsfrist bei den Verbänden überschreitet. Wenn nach den Entscheidungen des BGH diese Frist als Ausgleich zwischen negativer Koalitionsfreiheit und Satzungsautonomie als angemessen eingestuft wird, kann zur Vermeidung von Mitnahmeeffekten keine höhere Frist bei tariflichen Anwartschaftsphasen zulässig sein.1106 Auch bei Mindestmitgliedschaftsdauern zur Erlangung eines Anspruchs nach dem Tarifvertrag ist deshalb eine maximale Höchstfrist von sechs Monaten zu beachten.

1106 An dieser Stelle unterschiedet sich die Konstellation von der in Teil 2 B. III. 3. erörterten Frage, ob Differenzierungsklauseln mit überlangen Bleibefristen gegen die negative Koalitionsfreiheit der austrittswilligen Verbandsmitglieder verstoßen. Anders als dort geht es hier allerdings darum, auf welche Weise ein Gleichheitsverstoß gerechtfertigt werden kann, wenn die Tarifvertragsparteien an den Sachgrund „Vermeidung von Mitnahmeeffekten“ durch tarifliche Anwartschaftsphasen anknüpfen.

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Teil 2: Die Zulässigkeit von tarifvertraglichen Differenzierungsklauseln

bb) Konnexität zwischen Leistungshöhe und Mindestmitgliedschaftsdauer? Mit dieser abstrakt gültigen Höchstfrist von sechs Monaten ist allerdings noch keine Aussage bezüglich der Frage getroffen, ob es innerhalb dieses Zeitraums eine Rückkopplung zwischen der Mindestmitgliedschaftsdauer und den konkret versprochenen Beträgen geben muss. So erscheint es auf den ersten Blick unangemessen, die Ausschüttung einer geringfügigen Summe von der maximal möglichen sechsmonatigen Mindestmitgliedschaft in der Gewerkschaft abhängig zu machen. Bei der Bewertung ist allerdings wiederum der weite tarifliche Ermessensspielraum zu berücksichtigen. Fragen der konkreten Angemessenheit einer Regelung bei der Kontrolle anhand des Gleichbehandlungsgrundsatzes können wegen der gerichtlichen Beschränkung auf den Willkürmaßstab von den Gerichten nicht „besser“ beantwortet werden. Vor diesem Hintergrund ist es überzeugend, den Zusammenhang zwischen den konkret versprochenen Leistungen und der Mindestmitgliedschaftsdauer, die der Tarifvertrag hierfür vorsieht, vollumfänglich in den kontrollfreien Gestaltungsspielraum der Tarifvertragsparteien zu überantworten. Sollten tatsächlich bereits geringfügige Beträge von einer sechsmonatigen Mindesmitgliedschaftsdauer abhängig sein, werden sich viele Neumitglieder und Außenseiter ohnehin überlegen, ob sie für diese Summe Mitglied bleiben bzw. werden wollen. Die Herstellung eines angemessenen Zusammenhangs zwischen den versprochenen Leistungen und der konkret vorgesehenen Mindestmitgliedschaftsdauer ist damit richtigerweise eine organisationspolitische Fragestellung, über deren konkrete Ausgestaltung im konkreten Fall die Tarifvertragsparteien bis zur Höchstgrenze von sechs Monaten frei befinden können. c) Ausnahmeregelungen für den laufenden Bezugszeitraum? Schließen die Tarifvertragsparteien während des Jahres einen Tarifvertrag, der die Ausschüttung tariflicher Leistungen im aktuellen Jahr und den darauffolgenden Jahren von einer bestimmten Mindestmitgliedschaftsdauer abhängig macht, werden sie häufig für das bereits angebrochene, laufende Jahr eine Sonderregelung treffen (vgl. § 3 TVAstD, der der BAG-Entscheidung vom 18. 3. 2009 zugrunde lag). Wenn der Tarifvertrag in diesen Fall für das angebrochene Jahr ebenfalls eine Mindestmitgliedschaftsdauer vorsieht, die von jedem Mitglied noch rechtzeitig erfüllt werden kann, weicht die rechtliche Bewertung dieses Bezugszeitraums im Vergleich zu den künftigen, noch nicht angebrochenen Zeiträumen nicht ab. Der bereits laufende Bezugszeitraum unterfällt in diesem Fall den gleichen Maßstäben wie die künftigen Bezugszeiträume auch: Da jeder Arbeitnehmer durch rechtzeitigen Beitritt in den Genuss der Leistungen gelangen kann, ist eine tarifliche Anwartschaftsphase in Form der individuellen Wartezeit jedenfalls zur Vermeidung von Mitnahmeeffekten zulässig. Anders gestaltet sich die Situation indes, wenn im bereits angebrochenen Bezugzeitraum eine Mindestmitgliedschaftsdauer zu einem Stichtag vorgesehen ist, die zum Zeitpunkt des Bekanntwerdens des Tarifvertrags selbst durch einen unverzüglichen Beitritt in die Gewerkschaft nicht mehr erreicht werden kann

C. Differenzierungsklauseln mit individuellen Wartezeiten

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(vgl. § 3 IV TVAstD). Schon bei der Kategorisierung der Stichtagsklauseln wurde eine solche Regelung, die einen beitrittswilligen Arbeitnehmer für den aktuellen Bezugszeitraum von der entsprechenden Leistung ausschließt, einer Differenzierungsklausel mit Stichtag in der Vergangenheit gleichgestellt.1107 Als solche muss sie sich an den hierfür entwickelten Maßstäben messen lassen und kann deshalb außerhalb eines Tarifsozialplans, mit dem ein gesteigertes Kalkulationsinteresse der Tarifvertragsparteien einhergeht, ohne einen eigenen Rechtfertigungsgrund nicht zulässigerweise vereinbart werden kann. Diese isolierte, streng am jeweiligen Bezugszeitraum orientierte Sichtweise muss jedoch in einer Sonderkonstellation hinterfragt werden. Sieht ein Tarifvertrag – wie der aus der Entscheidung vom 18. 3. 2009 bekannte TVAstD – lediglich für das bereits laufende Jahr des Tarifabschlusses einen faktischen Stichtag in der Vergangenheit vor, stellt aber das Gros seiner Leistungen von Jahr zu Jahr allen Mitgliedern nach Ablauf einer individuell in Gang zu setzenden Wartefrist gleichermaßen zur Verfügung, erscheint zumindest für das bereits angebrochene Kalenderjahr eine Ausnahmebehandlung denkbar. Betrachtet man die Verteilung des Gesamtvolumens in diesem Tarifvertrag genauer, liegt der Schwerpunkt eindeutig auf den künftigen Leistungen, die alle Gewerkschaftsangehörigen nach Ablauf ihrer Mindestmitgliedschaftsfrist gleichermaßen in Anspruch nehmen können. Da die Neumitglieder damit effektiv „nur“ die Leistungen für den ersten Bezugszeitraum verpassen, an den weiteren Leistungen jedoch nach der erforderlichen Anwartschaftsphase umfassend partizipieren, könnte ausnahmsweise eine Beurteilung angezeigt sein, die die abweichende Bewertung für den bereits laufenden Bezugszeitraum ausblendet und die gesamte Tarifregelung der einheitlichen Bewertung anhand der (großzügigeren) Richtlinien unterwirft, die für künftige Leistungen mit individueller Wartefrist entwickelt wurden. Gegen die verallgemeinernde Aufweichung der Maßstäbe sprechen jedoch gewichtige Argumente. Zum einen haben es die Tarifvertragsparteien selbst in der Hand, die konkreten Bezugszeiträume ihren Vorstellungen entsprechend durch eine tarifliche Regelung zuzuschneiden. Sie sind für die Ausschüttung annueller Leistungen nicht an das Kalenderjahr gebunden, sondern können auch bei einem Tarifabschluss mitten im Jahr festlegen, zu welchem Datum der erste Bezugszeitraum für eine jährliche Leistung beginnen soll. Aufgrund dieser Flexibilität müssen sie bei der Bestimmung der Anspruchsvoraussetzungen für den ersten Bezugszeitraum nicht zwingend auf einen Stichtag kombiniert mit einer Mindestmitgliedschaftsdauer zurückgreifen, bei denen faktisch nur die Altmitglieder in den Genuss der versprochenen Leistungen gelangen. Viel eher birgt das Zugeständnis an die Tarifvertragsparteien, bei Leistungen im bereits angebrochenen Bezugszeitraum ausnahmsweise auch außerhalb eines Tarifsozialplans faktisch nach der Mitgliedschaft in der Vergangenheit differenzieren zu dürfen, ein erhebliches Missbrauchsrisiko. Eröffnete man ihnen diese Möglichkeit, könnten spitzfindige Verbände auf die Idee 1107

Siehe oben, Teil 1 G.

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Teil 2: Die Zulässigkeit von tarifvertraglichen Differenzierungsklauseln

kommen, den konkreten Tarifvertrag jedes Jahr neu abzuschließen und somit aus der als Übergangslösung gedachten Ausnahmeregelung für den laufenden Bezugszeitraum einen Dauerzustand kreieren. Die Schutzmechanismen, die an früherer Stelle zugunsten der Neumitglieder gegenüber einer sachgrundlosen Ungleichbehandlung durch die Tarifvertragsparteien herausgearbeitet wurden, könnten auf diese Weise dauerhaft umgangen werden. Selbst wenn man sich konzilianter zeigt und den Tarifvertragsparteien bei einem Tarifabschluss unter dem Jahr für das angebrochene, laufende Kalenderjahr zumindest eine vom Datum des Tarifabschlusses abhängige quotale Regelung zubilligt, die wegen der konkreten Ausgestaltung faktisch nur den Altmitgliedern zufließt, vermag dies die Bedenken nicht auszuräumen, sondern zielt sogar an einer effektiven Problemlösung vorbei. Der Vorwurf an die Tarifvertragsparteien bei der Vereinbarung eines Stichtags mit Anwartschaftsphase, der faktisch einem Stichtag in der Vergangenheit nahekommt und damit Neumitglieder für den ersten, bereits angebrochenen Bezugszeitraum von den Tarifleistungen aussperrt, liegt gerade nicht in der Höhe für die exklusive Leistung, sondern in der vereitelten Chance für die Außenseiter, durch einen Beitritt die Voraussetzung für einen tariflichen Anspruch im aktuellen Bezugszeitraum zu erfüllen. Eine Quotenregelung, die einen Zusammenhang zwischen dem Datum des Tarifabschlusses und der konkreten Leistungshöhe im bereits angebrochenen Bezugszeitraum herstellt, kann deshalb als mildere Maßnahme eine Ausnahmeregelung ebenfalls nicht rechtfertigen. Aus diesen Gründen ist eine Sonderbehandlung für den ersten Bezugszeitraum, der wie § 3 IV TVAstD faktisch eine Mitgliedschaft zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Vergangenheit voraussetzt, nicht möglich. Dieser Bezugszeitraum unterfällt deshalb vollumfänglich den Maßstäben, die für eine Differenzierung nach der Mitgliedschaft zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Vergangenheit gelten. Anders als es das BAG mehrfach entschieden hat1108, kann eine vorherige Mitgliedschaftsdauer nicht „ohne Weiteres“ als differenzierendes Kriterium herangezogen werden. Die Zulässigkeit einer solchen Differenzierung ist stets von der konkreten Ausgestaltung der Tarifregelung und der Frage abhängig, ob ein Außenseiter durch einen (rechtzeitigen) Beitritt noch in den Genuss der tariflichen Leistungen gelangen kann.

V. Ergebnis Wollen die Tarifvertragsparteien kurzzeitige Mitgliedschaften verhindern, die allein der spontanen „Leistungsmitnahme“ dienen, können sie im Tarifvertrag eine Mindestmitgliedschaftsdauer für den Anspruch voraussetzen. Zwar kommt die Differenzierung dabei gegenüber allen Neumitgliedern gleichermaßen zum Tragen 1108 BAG v. 18. 3. 2009 – 4 AZR 64/08, AP TVG § 3 Nr. 41 (Rn. 123); teilweise wortgleich bestätigt in BAG v. 5. 9. 2012 – 4 AZR 696/10, AP TVG § 3 Nr. 53 (Rn. 31); BAG v. 21. 8. 2013 – 4 AZR 861/11, AP TVG § 3 Nr. 55 (Rn. 22).

D. Differenzierungsklauseln mit Stichtag in der Zukunft

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und schließt damit auch solche Arbeitnehmer für einen bestimmten Zeitraum von den Leistungen aus, die sich einen längerfristigen Verbleib in der Gewerkschaft vorstellen können. Allerdings lassen sich durch diese pauschale Vorgehensweise tatsächlich Mitnahmeeffekte bei denjenigen Arbeitnehmern vermeiden, die nur eine kurzfristige Mitgliedschaft für den Empfang von punktuellen Leistungen ins Auge gefasst haben. Im Ergebnis werden damit mehr Arbeitnehmer als eigentlich notwendig von den Leistungen ausgeschlossen, jedoch ist die Differenzierung im Mitgliederbestand hinreichend vom Rechtfertigungsgrund einer Vermeidung von Mitnahmeeffekten getragen. Die Entscheidung der Tarifvertragsparteien zugunsten dieser Ausgestaltung ist von den Mitgliedern und den Gerichten zu akzeptieren. Ihnen ist es nicht erlaubt, eine vermeintlich sinnvollere oder angemessenere Lösung für dieses Problem an die Stelle der tariflichen Regelung zu platzieren. Für die Obergrenze des zulässigen Zeitraums der Mindestmitgliedschaftsdauer gilt die Höchstfrist im Rahmen eines Verbandsaustritts entsprechend. Wenn dort in den Verbandssatzungen sechs Monate als zulässige maximale Bindungsdauer zur Vermeidung von Mitnahmeeffekten als angemessen erachtet werden, dürfen die Tarifvertragsparteien diesen Zeitraum nicht durch tarifvertragliche Regelungen einer Mindestmitgliedschaftsdauer umgehen und längere Fristen vereinbaren. Innerhalb dieser sechs Monate als Höchstgrenze sind die Tarifvertragsparteien allerdings vollumfänglich frei. Ein Zusammenhang zwischen den versprochenen Leistungen und der Mindestmitgliedschaftsdauer lässt sich weder einfordern noch vorgeben, sondern liegt im tarifpolitischen Ermessen des Arbeitgebers bzw. seines Verbands und der Gewerkschaft.

D. Differenzierungsklauseln mit Stichtag in der Zukunft Vergleichsweise einfach erscheint die Bewertung der Rechtmäßigkeit von Differenzierungsklauseln, die eine Leistungsausschüttung allein von der Mitgliedschaft zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Zukunft, also nach Abschluss des Tarifvertrags abhängig machen. Anders als bei Stichtagen in der Vergangenheit hat hier jeder Außenseiter zum Zeitpunkt des Tarifabschlusses die Möglichkeit, durch einen (rechtzeitigen) Gewerkschaftsbeitritt das geforderte Tatbestandsmerkmal zu erfüllen und somit in den Kreis der anspruchsberechtigten Arbeitnehmer vorzustoßen. Mit dieser Perspektive ohne weitere Anspruchsvoraussetzungen wie etwa einer bestimmten Mindestmitgliedschaftsdauer entspricht die Ausgangslage derjenigen, die bereits von einfachen Differenzierungsklauseln bekannt ist. Wenn dort als maßgebliches Kriterium zugunsten der Zulässigkeit berechtigterweise vorgebracht wird, die Ungleichbehandlung zwischen tarifgebundenen und nicht tarifgebundenen Arbeitnehmern auf Grundlage eines Tarifvertrags entspreche der lex lata im deutschen Koalitionsrecht, so lässt sich diese Argumentation auch auf die Differenzierungs-

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Teil 2: Die Zulässigkeit von tarifvertraglichen Differenzierungsklauseln

klauseln mit Stichtag in der Zukunft übertragen. Zwar könnte man dem entgegnen, mit einem heranrückenden Stichtag werde den Außenseitern gegenüber deutlicher zum Ausdruck gebracht, dass sie nunmehr der Gewerkschaft beitreten müssten, wollten sie überhaupt noch in den Genuss der tariflichen Sonderleistungen gelangen. Allerdings ist die Drucksituation in dieser Konstellation nicht signifikant höher als bei einfachen Differenzierungsklauseln. Auch bei letzteren kann der zugrunde liegende Tarifvertrag gekündigt werden, auslaufen oder durch eine Neuregelung ersetzt werden, die ihrerseits keine entsprechenden Sonderleistungen für die Verbandsangehörigen mehr bereithält. Selbst in dieser Konstellation ohne ausdrücklich benannte „Deadline“ müssen Außenseiter demnach immer damit rechnen, dass der Beitritt nicht mehr ausreicht, um die ursprünglich versprochenen Leistungen zu erlangen. Das Risiko, ab einem bestimmten Zeitpunkt nicht mehr an der Tarifleistung zu partizipieren, trägt in dieser Situation immer der Arbeitnehmer, der mit dem Gedanken eines Gewerkschaftsbeitritts spielt, die Entscheidung allerdings bislang stets aufgeschoben hat. Die Drohkulisse eines bald eintretenden Stichtags illustriert deshalb lediglich die Dringlichkeit des Verbandsbeitritts, ohne entscheidend auf die Wirksamkeit der Tarifregelung durchzuschlagen. Zudem verbleibt für die Außenseiter bei einer Differenzierungsklausel mit Stichtag in der Zukunft neben dem Verbandsbeitritt immer noch die Möglichkeit einer individualvertraglichen Vereinbarung zur Weitergabe der zu erwartenden Leistungen. Da dem Arbeitgeber die erhöhten Kosten bei einem Verbandsbeitritt des Arbeitnehmers sowieso anfallen würden, wird er sich regelmäßig zu einer Anpassung bereit erklären. Mit der Aussicht auf erfolgsversprechende Nachverhandlungen im Außenseiter-Arbeitsverhältnis sinken die Beitrittsanreize zusätzlich. Ein Eingriff in die negative Koalitionsfreiheit in Gestalt des Fernbleiberechts kann deshalb auch bei diesen Klauseln nicht ausgemacht werden. Mangels Unterscheidung innerhalb des Mitgliederkreises kommt zudem eine Kontrolle anhand des Gleichbehandlungsgrundsatzes nicht in Betracht. Der Vergleich der Ausgangslagen zwischen einer einfachen Differenzierungsklauseln und einer Differenzierungsklausel mit Stichtag in der Zukunft unterstreicht zudem die Überlegenheit des hier vertretenen Ansatzes, Differenzierungsklauseln mit Stichtagsregelung allgemein als Plus zur einfachen Differenzierungsklausel und nicht als deren Aliud zu begreifen.1109 Während das BAG mit dem Verweis auf eine vermeintliche „Binnendifferenzierung“ zwischen tarifgebundenen Arbeitnehmern klarstellen müsste, inwiefern bei einem noch ausstehenden Stichtag innerhalb der Verbandsangehörigen bereits zwischen Neu- und Altmitgliedern unterschieden werden kann, lässt sich nach der hier favorisierten Sichtweise in Bezug auf den strukturellen Aufbau der Stichtagsregelung leicht begründen, weshalb die Klausel mit einem künftigen, noch nicht „scharf gestellten“ Stichtag in der Sache wie eine einfache Differenzierungsklausel zu behandeln ist. Fällt die konkrete Unterscheidung zwischen den Mitgliedern als zweite Differenzierungsstufe weg, weil noch 1109

Siehe oben, Teil 2 B. I. 3.

D. Differenzierungsklauseln mit Stichtag in der Zukunft

325

keine Differenzierung stattfindet, bleibt konsequenterweise nur die Unterscheidung zwischen Gewerkschaftsmitgliedern einerseits und nicht tarifgebundenen Arbeitnehmern andererseits als erste Stufe übrig. Der Versuch des BAG, die Problematik der Stichtagsklauseln abschließend unter dem Begriff der „Binnendifferenzierung“ firmieren zu lassen, greift daher auch aus diesem Grund erkennbar zu kurz. Besondere Aufmerksamkeit verdient allerdings noch die Überlegung, nach welchen Maßstäben ein Tarifvertrag zu bewerten ist, dessen Stichtag zum Zeitpunkt des Tarifabschlusses noch in der Zukunft angesiedelt war, vom jetzigen Standpunkt aus betrachtet jedoch inzwischen verstrichen ist. Ein Mitglied, das erst nach Ablauf des Stichtags der Gewerkschaft beigetreten ist, partizipiert damit nicht an den tariflich zugesicherten Leistungen. In dieser Konstellation drängt sich für die Bewertung der Rechtmäßigkeit zunächst ein Mittelweg auf. Konnte der betreffende Arbeitnehmer nicht rechtzeitig beitreten, weil er beispielsweise bis zum Stichtag noch in einer anderen Branche beschäftigt war, liegt für ihn bei Eintritt in die tarifschließende Gewerkschaft de facto eine Differenzierungsklausel mit Stichtag in der Vergangenheit vor. Die Bewertung der Klausel muss demnach für diesen Arbeitnehmer konsequenterweise dem dort beschriebenen Muster folgen1110, während dieses Vorgehen bei einem Arbeitnehmer, der der Gewerkschaft schon vor dem Stichtag hätte beitreten können, unangemessen erscheint. Das hätte wiederum zur Folge, dass die Rechtmäßigkeitskontrolle einem von Arbeitnehmer zu Arbeitnehmer verschiedenen Maßstab unterworfen wird. Die damit angestoßene individuelle Herangehensweise, die für die Bewertung an den jeweiligen Arbeitnehmer anknüpft, ist jedoch wenig praktikabel, da mit ihr keine objektive Rechtmäßigkeitskontrolle ermöglicht wird. Überzeugender ist daher ein Ansatz, der zwar Elemente aus den vorangegangenen Überlegungen verarbeitet, dabei allerdings eine objektive Perspektive bewahrt. Demnach kann eine Klausel mit Stichtag in der Zukunft nur dann rechtmäßig sein, wenn zum Zeitpunkt des Eintritts des Stichtags – und damit zu Beginn der Ungleichbehandlung – ein Sachgrund vorliegt. Faktisch führt das dazu, dass die Tarifvertragsparteien bereits bei der Vereinbarung der Tarifnorm darauf achten müssen, dass ein Sachgrund für die später eintretende Unterscheidung zwischen Neu- und Altmitgliedern besteht, wollen sie den Tarifvertrag auch über den Ablauf des Stichtags hinaus beibehalten. Im Ergebnis wird daher der Maßstab für die spätere Rechtfertigung der Ungleichbehandlung gleichsam „vorwirkend“ berücksichtigt, jedoch ohne dass im Zeitraum zwischen Tarifabschluss und Eintritt des Stichtags und damit zu Beginn der Differenzierung eine Ungleichbehandlung eintreten und sich ein betroffenes Neu-Mitglied hierauf berufen kann. Ab diesem Zeitpunkt gelten jedoch die gleichen Maßstäbe wie bei einer Differenzierungsklausel mit Stichtag in der Vergangenheit.

1110

Siehe oben, Teil 2 B.

Teil 3

Das Verhältnis zwischen Differenzierungsklauseln im Mehrheitstarifvertrag und dem Nachzeichnungsrecht nach § 4a IV S. 1 TVG Mit Inkrafttreten des § 4a TVG durch das Tarifeinheitsgesetz1 gerieten tarifliche Differenzierungsklauseln unter einem gänzlich anderen Aspekt erneut in den Fokus wissenschaftlicher Auseinandersetzungen.2 Dabei dreht sich die Debatte in dieser Konstellation nicht unmittelbar um die konkrete Zulässigkeit bestimmter Klauselarten3, sondern um das Verhältnis zwischen dem Mehrheitstarifvertrag mit Differenzierungsklausel und dem Nachzeichnungsrecht der Minderheitsgewerkschaft in einem tarifpluralen Betrieb. Zwar kann die Minderheitsgewerkschaft im Fall der Verdrängung ihres Tarifvertrags4 die Nachzeichnung der entsprechenden Normen und damit auch der Differenzierungsklauseln aus dem fremden Tarifwerk verlangen (§ 4a IV S. 1 TVG). Allerdings führt eine rein wortlautgetreue Übernahme der Regelungen in den eigenen Tarifvertrag aus Sicht der nachzeichnungswilligen Gewerkschaft insbesondere dann zu einem unbefriedigenden Ergebnis, wenn der Name der Mehrheitsgewerkschaft explizit in den Anspruchsvoraussetzungen genannt wird. Angesichts des besonderen Zuschnitts der Anspruchsvoraussetzungen auf die Mehrheitsgewerkschaft bzw. deren Mitglieder ist der Minderheitsgewerkschaft mit der bloßen Übernahme der differenzierenden Tarifnorm nicht geholfen: Bei einer unveränderten Implementierung kommen die exklusiven Leistungen aus dem fremden Tarifvertrag nicht bei den Mitgliedern der Minderheitsgewerkschaft an. Dabei spielt es keine Rolle, welche spezifische Art der Differenzierungsklausel im Mehrheitstarifwerk festgesetzt wurde; jede Bevorzugung der Mitgliedschaft in der Mehrheitsgewerkschaft löst die Problemstellung gleichermaßen aus. Bislang wurde – soweit ersichtlich – nur rudimentär ausgelotet, wie sich eine Differenzierungsklausel aus dem Mehrheitstarifwerk mit exklusiven Vorteilen für die Angehörigen dieses Verbands im Fall einer Tarifkollision zum Nachzeich1

Gesetz zur Tarifeinheit (Tarifeinheitsgesetz) v. 3. 7. 2015, BGBl. I Nr. 28 (2015), S. 1130 f. Vgl. nur HWK/Henssler, § 4a TVG Rn. 40; Wiedemann/Jacobs, § 4a TVG Rn. 377 f.; Henssler, RdA 2015, 222 (225); Vielmeier, NZA 2015, 1294 (1296 f.); die Bedeutung dieses Problems negierend jedoch Löwisch/Rieble, § 4a TVG Rn. 214. 3 In diese Richtung jedoch Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 2116. 4 BeckOK ArbR/Giesen, § 4a TVG Rn. 23 (Stand: 1. 6. 2021); Bialluch, Tarifeinheitsgesetz, S. 153; Hohenstatt/Schuster, ZIP 2016, 5 (6); Konzen/Schliemann, RdA 2015, 1 (9 f.); Twardy, RdA 2016, 357 (361). 2

Teil 3: Differenzierungsklauseln und Nachzeichnungsrecht

327

nungsrecht der Minderheitsgewerkschaft verhält.5 Anders als teilweise insinuiert, handelt es sich bei dieser Fragestellung jedoch nicht nur um ein bloßes Scheinproblem.6 Es lassen sich ohne Weiteres Fallgestaltungen konstruieren, in denen der Mehrheitstarifvertrag neben bestimmten Leistungen auch Sondervergünstigungen aus derselben Sachgruppe exklusiv für die eigenen Mitglieder vorsieht (zusätzlicher Urlaubstag, erhöhtes Weihnachtsgeld etc.). In diesem Fall kollidiert ein Minderheitstarifvertrag, der ebenfalls Regelungen zu diesen Bereichen getroffen hat, mit den Normen des Mehrheitstarifs und wird de lege lata gemäß § 4a II S. 2 TVG wegen der inhaltlichen Überschneidung verdrängt. Ob der Minderheitstarif seinerseits Differenzierungsklauseln enthalten hat, spielt dabei für die Tarifkollision und die Verdrängungswirkung keine Rolle. Bei Licht betrachtet geht es damit bei der hier in Rede stehenden Streitfrage um nichts anderes als die inhaltliche Reichweite des Nachzeichnungsrechts. Die denkbaren Lösungsmodelle beschränken sich dabei effektiv auf drei unterschiedliche Deutungsmöglichkeiten des Merkmals „Nachzeichnung“. In der ersten Variante bedeutet „Nachzeichnung“ allein die wortlautgetreue Übernahme der Vorschriften aus dem Mehrheitstarifvertrag ohne die Möglichkeit einer Anpassung der Anspruchsvoraussetzungen für die nachzeichnungswillige Gewerkschaft. Bei diesem rein formalistischen Verständnis können die Verbandsangehörigen der Minderheitsgewerkschaft wegen der fehlenden Anpassungsmöglichkeit nicht an den exklusiven Vorteilen der Mehrheitsgewerkschaft partizipieren. In der zweiten Variante bleibt es der Minderheitsgewerkschaft ausnahmsweise erlaubt, im Falle der Nachzeichnung von Tarifverträgen mit Differenzierungsklauseln den Namen der Mehrheitsgewerkschaft durch den eigenen zu ersetzen. Unter diesen Vorzeichen steht der Minderheitsgewerkschaft gleichsam ein weit verstandenes Nachzeichnungsrecht zu, das sich nicht nur im Recht erschöpft, den Wortlaut aus dem fremden Tarifwerk exakt wiederzugeben, sondern den Angehörigen der Minderheitsgewerkschaft über die Anpassung der Tatbestandsvoraussetzung auch die Möglichkeit verschafft, wirtschaftlich mit den Mitgliedern der Mehrheitsgewerkschaft gleichgestellt zu werden. Gerade bei Differenzierungsklauseln mit Stichtagsregelung im Rahmen eines Tarifsozialplans kann die Entscheidung zugunsten der zweiten Variante für den Angehörigen der Minderheitsgewerkschaft enorme Vorteile mit sich bringen bzw. umgekehrt für den Arbeitgeber eine erhebliche finanzielle Mehrbelastung bedeuten. Die dritte Variante hingegen interpretiert das Nachzeichnungsrecht dahingehend, dass mit ihm keine Differenzierung aus dem Mehrheitstarif in den Tarifvertrag der Minderheitsgewerkschaft ausstrahlen darf.7 Diese Auffassung will das differenzierende Merkmal bei der Übernahme in den Minderheitstarif streichen und damit eine „differenzierungsfreie“ Nachzeichnung ermöglichen. Welche der Lesarten am

5 6 7

Siehe etwa Henssler, RdA 2015, 222 (225); Vielmeier, NZA 2015, 1294 (1296 f.). So aber Löwisch/Rieble, § 4a TVG Rn. 214. In diese Richtung HWK/Henssler, § 4a TVG Rn. 40.

328

Teil 3: Differenzierungsklauseln und Nachzeichnungsrecht

ehesten mit den Vorstellungen des Gesetz- und Verfassungsgebers in Einklang steht und damit zu bevorzugen ist, muss die Auslegung der Vorschrift zeigen.

A. Auslegung im engeren Sinn I. Wortlaut des § 4a IV S. 1 TVG Orientiert man sich streng an der konkreten gesetzlichen Formulierung, erscheint die Lösung vermeintlich klar und eindeutig: Das zusammengesetzte Substantiv „Nachzeichnung“ legt mit dem Präfix „Nach-“ bereits einen reproduzierenden Vorgang in Gestalt eines Kopierens oder Abschreibens der Tarifregelung ohne eigene Zusätze und Modifikationen nahe. Bei dieser formalistischen Lesart erlaubt § 4a IV S. 1 TVG der Minderheitsgewerkschaft im Rahmen der Nachzeichnung lediglich die wortlautidentische Überführung der entsprechenden Passagen aus dem Mehrheitstarifvertrag in das eigene Tarifwerk. Eine Modifikation der Differenzierungsklausel in Gestalt einer Umschreibung kommt nach diesem Verständnis nicht in Betracht.8 In eine ähnliche Richtung deutet auch eine Passage in der Gesetzesbegründung, nach der die Nachzeichnung des Tarifvertrags durch eine andere Gewerkschaft zu „inhaltsgleichen“ Tarifverträgen führen muss.9 Eine Ersetzung des Tatbestandsmerkmerkmals der „Mitgliedschaft in der Gewerkschaft X“ durch dasjenige einer „Mitgliedschaft in der Gewerkschaft Y“ und damit faktisch eine Anpassung der Tatbestandsvoraussetzungen für den eigenen Tarifvertrag wäre nach der rein grammatischen Auslegung damit nur schwer vertretbar. Noch weniger mit dem Wortlaut kompatibel erscheint vor diesem Hintergrund allerdings die Variante, die das differenzierende Kriterium im Mehrheitstarif bei der Übernahme in den Tarifvertrag mit der Minderheitsgewerkschaft einfach streichen will. Das damit beschriebene Verständnis, das die Differenzierungsklauseln nach dem Wortlaut des § 4a IV S. 1 TVG gleichsam „nachzeichnungsfest“ ausgestaltet und damit die Exklusivität der Leistungen an die Mitglieder der Mehrheitsgewerkschaft bewahrt, wird jedoch nicht von allen geteilt. Andere Stimmen verweisen insbesondere auf die fehlende Definition des Nachzeichnens.10 Daraus ergebe sich wiederum, dass der Gesetzgeber gerade nicht das reine, exakte Übernehmen des Mehrheitstarifvertrags gemeint habe.11

8

In diese Richtung ebenfalls Wiedemann/Jacobs, § 4a TVG Rn. 378. BT-Drucks. 18/4062, S. 12; ebenfalls HMB/Greiner, Teil 9 Rn. 142; ders., NZA 2015, 769 (770). 10 Vielmeier, NZA 2015, 1294 (1296). 11 Vielmeier, NZA 2015, 1294 (1296); ähnlich auch Bialluch, Tarifeinheitsgesetz, S. 164. 9

A. Auslegung im engeren Sinn

329

II. Systematischer Zusammenhang Zusätzlichen Auftrieb erhält die soeben genannte Argumentation zugunsten eines deutlich weiteren Verständnisses des Nachzeichnungsrechts, wenn man systematische Gesichtspunkte in die Bewertung mit einbezieht. Vereinzelt wird dabei auf den konkreten Regelungsmechanismus abgestellt: Hätte der Gesetzgeber lediglich die wortlautgetreue Übernahme der Vorschriften in den Minderheitstarifvertrag gewollt, hätte er es sich auch „einfacher machen und schlicht anordnen können, dass der Tarifvertrag der Mehrheitsgewerkschaft auch für die Mitglieder der Minderheitengewerkschaft normativ und zwingend gilt“.12 Vor diesem Hintergrund läge in der Tat ein unnötiger, formalistischer Zwischenschritt vor, wenn das Nachzeichnungsrecht lediglich die exakte Inkorporation der Vorschriften bedeuten würde. Allerdings muss dieser Rückschluss vom konkret gewählten Regelungsmechanismus auf den entsprechenden gesetzgeberischen Willen kritisch hinterfragt werden. Zwar gibt es mit § 3 II TVG und § 5 TVG zwei Regelungen in unmittelbarer Nachbarschaft des § 4a IV TVG, die beide eine Erstreckung der Tarifnormwirkung auf Außenseiter und damit auch die Mitglieder der Minderheitsgewerkschaft vorsehen. Parallel zum Gesetzgebungsverfahren wurde auch von Seiten der Wissenschaft eine Tarifnormerstreckung auf die Angehörigen der Minderheitsgewerkschaft diskutiert.13 Weshalb der Gesetzgeber den vermeintlichen Umweg über das Nachzeichnungsrecht gegangen ist und nicht auf eine Erstreckung der normativen Tarifwirkung des Mehrheitstarifvertrags auf die andersorganisierten Arbeitnehmer zurückgegriffen hat, ergibt sich jedoch nicht aus der Gesetzesbegründung14 und bleibt damit Gegenstand von Spekulationen. Angesichts der strengen Vorgaben des BVerfG bezüglich einer Bindung von nicht- oder andersorganisierten Arbeitnehmern an den Tarifvertrag15 dürfte die Wahl zugunsten eines Nachzeichnungsrechts vermutlich eher dem Umstand geschuldet sein, dass der Gesetzgeber einer Ausweitung der Tarifnormwirkung auf Außenseiter aus legitimatorischen Gründen kritisch gegenüberstand und damit im verfassungsrechtlich hochsensiblen Bereich der Tarifeinheit keine zusätzliche Angriffsfläche bieten wollte.16 Die Annahme, das Nachzeichnungsrecht sei deshalb nicht rein formalistisch zu verstehen, weil der Gesetzgeber von einer Tarifnormer-

12

So Vielmeier, NZA 2015, 1294 (1296). In diese Richtung ging auch der „Gesetzentwurf der Professoreninitiative“ von Bayreuther u. a., Tarifpluralität, S. 44. 13 Vgl. den „Gesetzentwurf der Professoreninitiative“ von Bayreuther u. a., Tarifpluralität, S. 44; Däubler, Gutachten Tarifeinheitsgesetz, S. 7; ders., Ausschussdrucks. 18(11)357(neu), S. 15 (19); mit Sympathien für einen „Systemwechsel“ und eine betriebsweite Erga-OmnesWirkung von Tarifverträgen aber Franzen, Betriebsweite Verbindlichkeit, S. 37 ff.; Kamanabrou, Erga-Omnes-Wirkung, S. 3 ff. 14 Vgl. BT-Drucks. 18/4062, S. 14. 15 Siehe hierzu nur die BVerfG-Entscheidungen zur Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen nach § 5 TVG a. F. BVerfG v. 15. 7. 1980 – 1 BvR 24/74 u. a., NJW 1981, 215; BVerfG v. 24. 5. 1977 – 2 BvL 11/74, AP TVG § 5 Nr. 15. 16 Ebenso Giesen/Kersten, ZfA 2015, 201 (221).

330

Teil 3: Differenzierungsklauseln und Nachzeichnungsrecht

streckung auf Außenseiter Abstand genommen hat, erweist sich vor diesem Hintergrund als wenig tragfähig. Anders ist die Situation indes im Hinblick auf § 4a I TVG zu bewerten. Mit der dortigen plakativen Regelung als Zielvorgabe der Tarifeinheit macht der Gesetzgeber deutlich, dass im Betrieb einheitliche Arbeitsbedingungen auf der Grundlage des Mehrheitstarifvertrags gelten sollen.17 § 4a TVG will ausweislich der Gesetzesbegründung insbesondere Verteilungskonflikten innerhalb der Belegschaft auf der Grundlage von unterschiedlichen Tarifverträgen entgegenwirken.18 Ließe man allerdings nur die rein formale Nachzeichnung und damit lediglich die wortlautidentische Überführung der Normen in das Tarifwerk mit der Minderheitsgewerkschaft zu, bedeutete dies effektiv, dass die Angehörigen der Mehrheitsgewerkschaft um den Betrag aus der Differenzierungsklausel besser stünden als ihre andersorgansierten Kollegen. Im Ergebnis würden somit trotz zweier nach außen hin gleichartiger Tarifverträge wiederum uneinheitliche tarifliche Löhne im Betrieb abhängig von der jeweiligen Gewerkschaftszugehörigkeit gezahlt werden.19 Die Frage, ob und in welchem Umfang einheitliche Arbeitsbedingungen und damit die Zielvorgabe des § 4a I TVG erreicht werden können, würde bei dieser Sichtweise allein in die Entscheidungsgewalt der Tarifvertragsparteien des Mehrheitstarifs überantwortet werden. Von ihnen und der konkreten Ausgestaltung ihres Tarifwerks hinge es letztlich maßgeblich ab, ob die Angehörigen der Minderheitsgewerkschaft vollumfänglich an den tariflichen Leistungen über das Nachzeichnungsrecht partizipieren könnten oder nicht. Mit dieser Prämisse wäre jedoch der missbräuchlichen Ausnutzung dieser gestalterischen Machtposition Tür und Tor geöffnet. Im Extremfall könnten die Tarifvertragsparteien im Mehrheitstarifvertrag sämtliche Leistungen unter den Vorbehalt der Mitgliedschaft in der Mehrheitsgewerkschaft stellen und somit die durch § 4a I TVG intendierte Herstellung einheitlicher Arbeitsbedingungen bei Tarifkollisionen sabotieren. Eine restriktive Auslegung des Nachzeichnungsrechts nach § 4a IV TVG trägt damit stets die Gefahr in sich, dass das Ziel von § 4a I TVG durch eine entsprechende Ausgestaltung des Mehrheitstarifvertrags in sein Gegenteil verkehrt werden kann. Die systematische Nähe zu § 4a I TVG verlangt in diesem Zusammenhang ein Verständnis des Nachzeichnungsrechts, das die Möglichkeit zur Modifikation der Tatbestandsvoraussetzungen bei Differenzierungsklauseln miteinschließt.

17

BT-Drucks. 18/4062, S. 8 f. BT-Drucks. 18/4062, S. 8; BeckOK ArbR/Giesen, § 4a TVG Rn. 10 (Stand: 1. 6. 2021); kritisch demgegenüber Däubler/Bepler/Däubler, Tarifeinheitsrecht, Rn. 40; Löwisch/Rieble, § 4a TVG Rn. 27. 19 Im Ergebnis auch Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 2116; Bialluch, Tarifeinheitsgesetz, S. 161. 18

A. Auslegung im engeren Sinn

331

III. Historie des § 4a IV TVG im Lichte des Gesetzgebungsverfahrens Zieht man zusätzlich die Entstehungsgeschichte des Nachzeichnungsrechts heran, lassen sich möglicherweise Anhaltspunkte ausmachen, die die aus der systematischen Auslegung abgeleiteten Einschätzung zugunsten eines weit verstandenen Nachzeichnungsrechts untermauern. Die Bedeutung der Entstehungsgeschichte für das Auslegungsergebnis wurde vom BVerfG mit der Neuausrichtung in Methodenfragen und der Hinwendung zur sog. „subjektiven Theorie“ in jüngerer Zeit merklich aufgewertet.20 Der Erste Senat hielt hierzu im viel beachteten Beschluss zu § 14 II S. 2 TzBfG mit unzweideutiger Klarheit fest: „Die Beachtung des klar erkennbaren Willens des Gesetzgebers ist Ausdruck demokratischer Verfassungsstaatlichkeit. Dies trägt dem Grundsatz der Gewaltenteilung (Art. 20 II 2 GG) Rechnung. Das Gesetz bezieht seine Geltungskraft aus der demokratischen Legitimation des Gesetzgebers, dessen artikulierter Wille den Inhalt des Gesetzes daher mitbestimmt. Jedenfalls darf der klar erkennbare Wille des Gesetzgebers nicht übergangen oder verfälscht werden. So verwirklicht sich auch die in Art. 20 III GG und Art. 97 I GG vorgegebene Bindung der Gerichte an das ,Gesetz‘, denn dies ist eine Bindung an die im Normtext zum Ausdruck gebrachte demokratische Entscheidung des Gesetzgebers, dessen Erwägungen zumindest teilweise in den Materialien dokumentiert sind.“21

Vor diesem Hintergrund komme den Gesetzesmaterialien „eine nicht unerhebliche Indizwirkung zu“.22 In Betracht zu ziehen seien hier die Begründung des Gesetzentwurfs, der unverändert verabschiedet worden ist, die darauf bezogenen Stellungnahmen von Bundesrat und Bundesregierung und die Stellungnahmen, Beschlussempfehlungen und Berichte der Ausschüsse, da sich in solchen Materialien regelmäßig die im Verfahren als wesentlich erachteten Vorstellungen der am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Organe und Personen fänden.23

20

Vgl. das Sondervotum der Richter Voßkuhle, Osterloh und Di Fabio in BVerfG v. 15. 1. 2009 – 2 BvR 2044/07, NJW 2009, 1469 (Rn. 95 ff.); BVerfG v. 25. 1. 2011 – 1 BvR 918/10, NJW 2011, 836 (insbes. Rn. 53); BVerfG v. 26. 9. 2011 – 2 BvR 2216/06 u. a., NJW 2012, 669 (insbes. Rn. 56); BVerfG v. 11. 7. 2012 – 1 BvR 3142/07 u. a., NJW 2012, 3081 (insbes. Rn. 74 f.); BVerfG v. 23. 5. 2016 – 1 BvR 2230/15 u. a., NJW-RR 2016, 1366 (insbes. Rn. 49); BVerfG v. 6. 6. 2018 – 1 BvL 7/14 u. a., AP TzBfG § 14 Nr. 170; vgl. zum Prozess der Neuausrichtung des BVerfG auch Frieling, Gesetzesmaterialien, S. 86 f.; Höpfner, RdA 2018, 321 (323 f.). 21 BVerfG v. 6. 6. 2018 – 1 BvL 7/14 u. a., AP TzBfG § 14 Nr. 170 (Rn. 75). 22 BVerfG v. 6. 6. 2018 – 1 BvL 7/14 u. a., AP TzBfG § 14 Nr. 170 (Rn. 74). 23 BVerfG v. 6. 6. 2018 – 1 BvL 7/14 u. a., AP TzBfG § 14 Nr. 170 (Rn. 74).

332

Teil 3: Differenzierungsklauseln und Nachzeichnungsrecht

1. Die Entstehung und Entwicklung des Nachzeichnungsrechts zum Schutz der Minderheitsgewerkschaft bis zum Regierungsentwurf vom 11. 12. 2014 Nachdem sich über mehrere Jahre eine Rechtsprechungsänderung weg von der richterrechtlich geschaffenen Tarifeinheit im tarifpluralen Betrieb abgezeichnet hatte24 und das BAG in seiner Entscheidung vom 7. 7. 201025 endgültig hiervon abgerückt war, bildete sich insbesondere mit den Spitzenorganisationen der Arbeitgeberverbände bzw. der Gewerkschaften26 und Teilen der Wissenschaft27 eine einflussreiche Meinungsströmung heraus, die ein Gesetzgebungsverfahren zugunsten der normativen Verankerung der Tarifeinheit nachdrücklich befürwortete. Zwar war in den schemenhaften, grob umrissenen Kodifikationsvorschlägen von BDA und DGB28 noch kein Nachzeichnungsrecht der Minderheitsgewerkschaft ausdrücklich vorgesehen. Allerdings konzedierte bereits das Eckpunkte-Papier der Bundesregierung, das vom BMAS im Juni 2014 vorgestellt wurde und wesentliche Forderungen aus den verschiedenen Initiativen aufgriff, flankierende Verfahrensregelungen zugunsten der Minderheitsgewerkschaft und deren Mitglieder, „um verfassungsrechtlichen Belangen Rechnung zu tragen.“29 Der Gedanke, von Verfassungs wegen einen Ausgleich für die Verdrängung des eigenen Tarifvertrags zu schaffen, wurde dem Nachzeichnungsrecht damit als fundamentale Idee zugrunde gelegt und in der Folgezeit immer stärker präzisiert. Vor diesem Hintergrund war es wenig überraschend, dass die beiden Referentenentwürfe des BMAS vom 28. 10. 2014 bzw. 4. 11. 2014, in denen das Nachzeichnungsrecht zum ersten Mal explizit erwähnt wurde, einen Anspruch mit kompensatorischem Charakter konzipieren wollten, der „den Nachteilen entgegenwirkt, die einer Gewerkschaft im Fall der 24

Vgl. nur BAG v. 27. 1. 2010 – 4 AZR 549/08 (A), AP TVG § 3 Nr. 46; BAG v. 22. 10. 2008 – 4 AZR 784/07, AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 66; für das AEntG bereits BAG v. 18. 10. 2006 – 10 AZR 576/05, AP TVG § 1 Tarifverträge: Bau Nr. 287; siehe auch Punkt 4.6. des Berichts der Monopolkommission zu Fragen der Tarifeinheit v. 30. 6. 2010, abgedruckt in RdA 2010, 315 (316); zur historischen Entwicklung des Tarifeinheitsgesetzes allgemein Bialluch, Tarifeinheitsgesetz, S. 7 ff.; Giesen, ZfA 2019, 40 ff. 25 BAG v. 7. 7. 2010 – 4 AZR 549/08, AP GG Art. 9 Nr. 140. 26 Vgl. BDA/DGB, Gemeinsames Eckpunktepapier v. 4. 6. 2010, siehe auch RdA 2010, 315; vgl. für die Arbeitgeberseite auch den Beitrag von Göhner, FS Bauer, S. 351 ff. Die Zusammenarbeit der beiden Spitzenverbände wurde indes später vom DGB aufgekündigt, vgl. DGBPressemitteilung Nr. 094 v. 7. 6. 2011. 27 Vgl. nur den Vorstoß von Hromadka, NZA 2008, 384 bzw. den sog. „Gesetzentwurf der Professoreninitiative“ von Bayreuther u. a., Tarifpluralität, S. 44 ff.; für lediglich eine arbeitskampfrechtliche Regelung dagegen Henssler, RdA 2011, 65 (71 ff.). 28 BDA/DGB, Gemeinsames Eckpunktepapier v. 4. 6. 2010; für die Vereinbarkeit des Entwurfs mit Art. 9 III GG und Art. 11 EMRK Waas, AuR 2011, 93 ff.; ders., Gutachten Tarifeinheit, passim; in der Tendenz auch Kempen, AuR 2011, 51 ff.; kritisch bis offen ablehnend gegenüber dem Vorstoß allerdings Franzen, FS Bepler, S. 171 (175 ff.); Giesen, ZfA 2011, 1 (8 ff.); Greiner, NZA 2010, 743; Konzen, JZ 2010, 1036 (1037 ff.). 29 BMAS, Eckpunkte für eine gesetzliche Regelung der Tarifeinheit; ähnlich auch der „Gesetzentwurf der Professoreninitiative“ von Bayreuther u. a., Tarifpluralität, S. 44.

A. Auslegung im engeren Sinn

333

Tarifkollision durch den Grundsatz der Tarifeinheit entstehen können.“30 Das Verhältnis zwischen einem Mehrheitstarif mit Differenzierungsklausel und dem Nachzeichnungsrecht der Minderheitsgewerkschaft wurde aber – soweit ersichtlich – bis zu diesem Zeitpunkt ebenfalls noch nicht näher erörtert. Erstmalig nachweislich für die Problematik sensibilisiert wurde die Bundesregierung indes durch die Stellungnahme des DGB zum zweiten Referentenentwurf des BMAS im November 2014.31 Das Positionspapier des Gewerkschaftsbundes enthielt im Hinblick auf das Nachzeichnungsrecht folgende Auszüge: „Problematisch ist in diesem Zusammenhang, dass das Nachzeichnungsrecht der Minderheitsgewerkschaft sich auf alle Regelungsgegenstände des anwendbaren Tarifvertrages bezieht, auch wenn keine oder nur eine teilweise Überschneidung der Regelungsgegenstände vorliegt. Dadurch ist ein Eingriff in die Rechte der Gewerkschaft mit den anwendbaren Rechtsnormen verbunden. Die von ihr unter hohem finanziellem und organisatorischem Aufwand durchgesetzten Rechtsnormen kommen inhaltsgleich auch für Andersorganisierte zur Anwendung. Die Mitglieder der Minderheitsgewerkschaft profitieren somit von Ansprüchen, die diese selbst nicht geregelt und erreicht haben würde (zu denken ist z. B. an Mitgliedervorteilsregelungen).“32

Offenbar gingen die DGB-Funktionäre davon aus, dass der Anspruch aus § 4a IV TVG auch die Nachzeichnung der Differenzierungsklausel in Form der Ersetzung der Gewerkschaftsnamen und damit eine Abänderung der Anspruchsvoraussetzungen im nachgezeichneten Tarifvertrag umfasste. Trotz dieser Eingabe ging der Gesetzgeber im weiteren Fortgang nicht auf das Spannungsverhältnis zwischen dem Mehrheitstarifvertrag mit Differenzierungsklausel und dem Nachzeichnungsrecht der Minderheitsgewerkschaft ein. So enthielt auch die Fassung, die mit Kabinettsbeschluss vom 11. 12. 2014 als Regierungsentwurf in das parlamentarische Verfahren übergeleitet wurde und die Begründung im Hinblick auf das Nachzeichnungsrecht der Minderheitsgewerkschaft aus den Referentenentwürfen nahezu inhaltsgleich übernommen hatte,33 keine Klarstellung von Seiten der Bundesregierung. Ob sie die Konstellation unbewusst übersehen hat oder sie nicht für regelungsbedürftig hielt, wird aus der jeweiligen Begründung nicht klar ersichtlich.

30 Referentenentwurf v. 28. 10. 2014, S. 12; Referentenentwurf v. 4. 11. 2014, S. 13. Über die Verwertbarkeit der Begründung zum Regierungsentwurf wird mitunter heftig gestritten. Wischmeyer, Zwecke im Recht, S. 389 f.; ähnlich auch ders., JZ 2015, 957 (965) sieht den Referentenentwurf mitsamt seiner Begründung als vorgelagertes regierungsinternes Verfahren zum Gesetzentwurf als „für die Auslegung grundsätzlich unbeachtlich“ an. Dem ist jedoch mit der Paktentheorie zu widersprechen, vgl. Fleischer, AcP 211 (2011), 317 (329 ff.); Höpfner, RdA 2018, 321 (326 ff.) mit ausführlicher Kritik am Vorschlag Wischmeyers. 31 DGB, Stellungnahme zum Tarifeinheitsgesetz. 32 DGB, Stellungnahme zum Tarifeinheitsgesetz, S. 6. 33 BR-Drucks. 635/14, S. 4 ff.

334

Teil 3: Differenzierungsklauseln und Nachzeichnungsrecht

2. Entwicklungsstufen des Nachzeichnungsrechts im parlamentarischen Verfahren Nachdem auch der Bundesrat keine Einwände gegen den Vorschlag der Bundesregierung und insbesondere das Nachzeichnungsrecht in der bereits bestehenden Form hatte,34 befasste sich im Folgenden der Bundestag bzw. der Ausschuss für Arbeit und Soziales mit dem Gesetzentwurf. Zwar gab es dort Stimmen, die das Nachzeichnungsrecht als „reine Alibiveranstaltung“35 bezeichneten, auf die sich jede Minderheitsgewerkschaft, die „etwas auf sich hält“, wegen der damit einhergehenden Offenbarung der eigenen Durchsetzungsschwäche aus taktischen Gründen nicht berufen werde.36 Ob das Nachzeichnungsrecht jedoch der Minderheitsgewerkschaft auf der anderen Seite auch die Gelegenheit eröffne, eine Differenzierungsklausel aus dem Mehrheitstarifvertrag auf den eigenen Namen umzuschreiben zu können, wurde allerdings in diesem Gremium ebenfalls nicht ausdrücklich diskutiert. Da sich die Kritik der Oppositionsparteien zudem hauptsächlich an der grundsätzlichen Entscheidung zugunsten einer gesetzlichen Normierung der Tarifeinheit entzündete37, kam das Problem der Reichweite des Nachzeichnungsrechts für die Minderheitsgewerkschaft im parlamentarischen Verfahren nur rudimentär zur Sprache. Zumindest bis zu einem gewissen Grad Aufschluss über den Standpunkt der Bundesregierung in diesem Zusammenhang bietet eine Antwort im Rahmen der Kleinen Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 2. 3. 2015.38 Auf die Frage hin, wie sie die Nachteile aus der Verdrängung zu kompensieren gedenke, wenn nunmehr ein Tarifvertrag nachgezeichnet werden kann, der die Forderung der nachzeichnungswilligen Gewerkschaft in keiner Weise berücksichtigt hat, bezog die Bundesregierung wie folgt Stellung. „Das Nachzeichnungsrecht erlaubt es den Mitgliedern der Minderheitsgewerkschaft, in Fällen der Tarifkollision normativ an dem Tarifabschluss der Mehrheitsgewerkschaft zu partizipieren. Das Nachzeichnungsrecht dient nicht dazu, die Vorstellungen über mögliche Tarifinhalte durchzusetzen.“39 34

BR-Drucks. 635/14. So der Sachverständige Baum, Protokoll 18/41 des Ausschusses für Arbeit und Soziales v. 4. 5. 2015, S. 714. 36 Vgl. etwa Thüsing, Ausschussdrucks. 18(11)357(neu), S. 57 (Nr. 7) oder der Sachverständige Dauderstädt (dbb beamtenbund und tarifunion), Protokoll 18/41 des Ausschusses für Arbeit und Soziales in der Sitzung am 4. 5. 2015, S. 714; ähnlich auch Wiedemann/Jacobs, § 4a TVG Rn. 355 f.; Bepler, JbArbR 53 (2016), 23 (44 f.); Däubler/Bepler/Däubler, Tarifeinheitsrecht, Rn. 182; Greiner, RdA 2015, 36 (39); Melot de Beauregard, DB 2015, 1527 (Fn. 8); Preis, FA 2014, 354 (355 f.); Twardy, RdA 2016, 357 (361). 37 Vgl. insbes. die Kleinen Anfragen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (BT-Drucks. 18/ 3760) und der Fraktion DIE LINKE (BT-Drucks. 18/2790), sowie die Einlassungen in der 1. Lesung am 5. 3. 2015 (Plenarprotokoll 18/91), S. 8629 – 8645 bzw. in der 2. und 3. Lesung am 22. 5. 2015 (Plenarprotokoll 18/107), S. 10229 – 10245. 38 Vgl. BT-Drucks. 18/4156, S. 7 Anfrage 17. 39 BT-Drucks. 18/4156, S. 7 Anfrage 17 (kursive Hervorhebung nicht im Original). 35

A. Auslegung im engeren Sinn

335

Betrachtet man diese Aussage vor dem Hintergrund der hier interessierenden Frage nach der Reichweite des Nachzeichnungsrechts bei einem Mehrheitstarif mit Differenzierungsklausel, klingt in der Antwort ein Verständnis an, das lediglich die wortlautidentische Übernahme der Tarifvorschriften aus dem Mehrheitstarifvertrag favorisiert und gerade nicht auf eine wirtschaftliche Gleichstellung der Angehörigen der Minderheitsgewerkschaft mit denen der Mehrheitsgewerkschaft durch das Nachzeichnungsrecht abzielt. Jedenfalls die Lesart der dritten Auslegungsvariante, die nicht nur den Namen der Gewerkschaft ersetzen, sondern gleich – und insofern deutlich einschneidender – das gesamte Differenzierungsmerkmal streichen möchte, ist von dem eben angeklungenen Verständnis des Nachzeichnungsrechts weit entfernt. Eine präzisere, auf den konkreten Fall der Differenzierungsklausel zugeschnittene Antwort brachte jedoch auch das weitere parlamentarische Verfahren nicht mehr ein. Nach drei Lesungen im Bundestag wurde der Gesetzentwurf der Bundesregierung gegen den heftigen Widerstand der Opposition und die Bedenken von weiten Teilen des rechtswissenschaftlichen Schrifttums40 am 22. 5. 2015 in unveränderter Form vom Bundestag angenommen und trat am 10. 7. 2015 als Tarifeinheitsgesetz in Kraft.41 Durch die Kontinuität im Gesetzgebungsverfahren bezüglich der Begründung des § 4a IV TVG steht das Nachzeichnungsrecht inhaltlich ganz in der Tradition des Ausgleichsgedankens. Auch nach der Gesetzesbegründung besteht der Hauptzweck dieser Vorschrift in der Kompensation der Belastungen, die der Minderheitsgewerkschaft und ihren Mitgliedern durch die Tarifkollision erwachsen. So hält die Gesetzesbegründung größtenteils wortlautidentisch mit den Referentenentwürfen und dem Gesetzentwurf der Bundesregierung fest: „Mit der Einräumung eines Nachzeichnungsrechts soll den Nachteilen entgegengewirkt werden, die einer Gewerkschaft durch die Verdrängung ihres bereits abgeschlossenen Tarifvertrags im Wege der gesetzlichen Tarifeinheit entstanden sind.“42 40 Bayreuther, NZA 2013, 1395 ff.; Bepler, RdA 2015, 194 ff.; Bonanni/Otto, DB 2014, 1683 f.; Däubler, Gutachten Tarifeinheit, passim; Debong/Bruns, ArztR 2015, 145 (148 f.); Di Fabio, Gutachten Tarifeinheit, passim; Greiner, RdA 2015, 36 ff.; B. Gaul, ArbRB 2015, 15 ff.; Henssler, BB 2014, Heft 40, Die Erste Seite; Hofer, ZTR 2015, 185 (188 ff.); Hölscher, ArbRAktuell 2015, 7 ff.; Hopfner, Grundgesetz und gesetzliche Tarifeinheit, passim, insbes. S. 345 ff.; Hromadka, NZA 2014, 1105 ff.; Konzen/Schliemann, RdA 2015, 1 ff.; Löwisch, BB 2014, Heft 48, Die Erste Seite; ders., DB 2015, 1102 f.; Mückl/Koddenbrock, GWR 2015, 6 ff.; Preis, FA 2014, 354 ff.; Rüthers, ZRP 2015, 2 (4 f.); Schliemann, NZA 2014, 1250 ff.; in diese Richtung wohl auch Bayreuther, DB 2010, 2223 ff.; Dieterich, AuR 2011, 46 ff.; Richardi, NZA 2014, 1233 (1235 f.); M. Schneider, Tarifmehrheiten, S. 402 ff.; für den Verstoß des Gesetzentwurfs gegen internationales Recht Schlachter, Vereinbarkeit, passim; a. A. (und damit für die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzentwurfs) allerdings Bauer, DB 2014, 2715 (2716); Giesen/ Kersten, ZfA 2015, 201 ff.; Scholz/Lingemann/Ruttloff, NZA-Beilage 2015, 3 ff.; bereits deutlich früher zugunsten der Verfassungsmäßigkeit Papier/Krönke, ZfA 2011, 807 (820 ff.); Scholz, ZfA 2010, 681 ff.; R. Wolf, FS Düwell, S. 325 (339 f.). 41 Gesetz zur Tarifeinheit (Tarifeinheitsgesetz) v. 3. 7. 2015, BGBl. I Nr. 28 (2015), S. 1130 f. 42 BT-Drucks. 18/4062, S. 9, ähnlich auch S. 14.

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Teil 3: Differenzierungsklauseln und Nachzeichnungsrecht

Konkrete Zielsetzung der Vorschrift ist damit die Verhinderung von tariflosen Zeiträumen bei den Mitgliedern der Minderheitsgewerkschaft für die Dauer der Tarifkollision.43 Bezüglich des konkreten Inhalts des Nachzeichnungsanspruchs bleibt die Gesetzesbegründung aber vage. Demnach ist der Anspruch „auf den Abschluss eines der Rechtsnormen des kollidierenden Tarifvertrags enthaltenden Tarifvertrags gerichtet, soweit sich die Geltungsbereiche und Rechtsnormen der Tarifverträge überschneiden“44, vgl. auch § 4a IV S. 2 TVG a. E. Ob damit lediglich die wortlautgetreue Übernahme der Vorschriften gemeint ist oder der Minderheitsgewerkschaft ein Abänderungsrecht bei Differenzierungsklauseln und damit die Anwendung der Rechtsnormen des kollidierenden Tarifvertrags in deren Sinne zugestanden wird, kann auch mit der Gesetzesbegründung nicht abschließend beantwortet werden. 3. Bewertung der historischen Entwicklung im Hinblick auf die Reichweite des Nachzeichnungsrechts Die vage Gesetzesbegründung im Hinblick auf die inhaltliche Reichweite des Nachzeichnungsanspruchs hält nur wenig ergiebige Anhaltspunkte für die hier interessierende Problematik bereit. Mangels konkreter Vorgaben ist der Rechtsanwender letztlich darauf angewiesen, bestimmte Gedanken und Einlassungen, die im Gesetzgebungsverfahren angeklungen sind, fortzuentwickeln und sie einer schlüssigen Lösung zuzuführen. Dabei lassen sich für beide Auslegungsvarianten Argumente ins Feld führen: Sieht man den teleologischen Schwerpunkt des Nachzeichnungsrechts in der Vermeidung von tariflosen Zeiträumen, sollte mit ihm lediglich ein Auffangmechanismus für die Mitglieder der Minderheitsgewerkschaft geschaffen werden, der sie gegenüber dem Zustand der Tariflosigkeit schützt. Mit dieser Zielsetzung ist der Anspruch aus § 4a IV S. 2 TVG eher als Absicherung „nach unten“ hin und nicht als Anpassungsrecht „nach oben“ aufzufassen, der die Mitglieder der Minderheitsgewerkschaft mit den Angehörigen der Mehrheitsgewerkschaft wirtschaftlich auf eine Stufe stellen möchte. Die Interpretation des Nachzeichnungsrechts in diese Richtung erscheint umso naheliegender, wenn man sich die Kritik an der richterrechtlich geschaffenen Tarifeinheit vor Augen führt.45 Dort wurde unter anderem moniert, dass die Angehörigen der Minderheitsgewerkschaft ohne Nachzeichnungsrecht auf den Status eines nichtorganisierten Arbeitnehmers zurückgeworfen werden würden.46 Versteht man das Tarifeinheitsgesetz als gesetzgeberische Antwort auf die legi43

BT-Drucks. 18/4062, S. 14; ErfK/Franzen, § 4a TVG Rn. 24; Henneberger-Sudjana/ Henneberger, RdA 2016, 326 (333). 44 BT-Drucks. 18/4062, S. 14. 45 Siehe dazu ausführlich Greiner, Rechtsfragen, S. 302 ff. 46 Vgl. Löwisch/Rieble, § 4a TVG Rn. 195; Jacobs, Tarifeinheit, S. 442 ff.; Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn. 1796; ähnlich auch Henssler, RdA 2011, 65 (72).

A. Auslegung im engeren Sinn

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timatorischen und konzeptionellen Schwächen der richterrechtlichen Tarifeinheit, lässt sich mit einiger Berechtigung vertreten, dass mit dem Nachzeichnungsrecht lediglich ein Auffangmechanismus gegenüber tariflosen Zeiträumen, hingegen keine wirtschaftliche Gleichstellung der Angehörigen aus den verschiedenen Gewerkschaften intendiert wurde. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Formulierung in der Gesetzesbegründung, dass „eine hinter dem Überschneidungsbereich zurückbleibende Nachzeichnung des kollidierenden Tarifvertrags nicht zulässig“ sei.47 Im Zusammenhang wird erkennbar, dass diese Passage nicht als Hinweis auf die vollumfängliche Gleichbehandlung mit den Angehörigen der Mehrheitsgewerkschaft gedacht war, sondern einer „Rosinenpickerei“ der Minderheitsgewerkschaft entgegengewirkt werden sollte.48 Anderenfalls wäre es der nachzeichnungswilligen Gewerkschaft möglich, ihre Angehörigen durch eine selektive Nachzeichnung sogar besser zu stellen als die Mitglieder der Mehrheitsgewerkschaft.49 Trotz dieser Anzeichen zugunsten einer formalistischen Deutung des Nachzeichnungsrechts ist die soeben präsentierte Auslegung in Bezug auf den Willen des historischen Gesetzgebers keinesfalls zwingend. Betont man stärker den kompensatorischen Charakter des Nachzeichnungsrechts, erscheint es überzeugender, dass der Gesetzgeber mit der „Vermeidung von tariflosen Zeiträumen“ bei den Angehörigen der Minderheitsgewerkschaft keinen Selbstzweck verfolgen, sondern einen handfesten materiellen Ersatz für die Verdrängung der eigenen Tarifnormen schaffen wollte. Wird der Anspruch aus § 4a IV TVG in diesem Lichte verstanden, ließe sich ebenso gut die Ansicht vertreten, dass der historische Gesetzgeber einer Anpassung der Differenzierungsklausel auf den Namen der Minderheitsgewerkschaft und damit einer Weitergabe der vermeintlich exklusiven Tarifleistungen auch an die Mitglieder der Minderheitsgewerkschaft nicht ablehnend gegenüberstand. Zudem kann zugunsten eines weiten Verständnisses des Nachzeichnungsrechts ein Argument ins Feld geführt werden, das bereits im Rahmen der systematischen Auslegung angeklungen ist. Würde der Gesetzgeber allein die wortlautgetreue Übernahme der Differenzierungsklausel zulassen, wäre ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen den Tarifvertragsparteien des Mehrheitstarifs und der Minderheitsgewerkschaft geschaffen, das weit über das für die Tarifeinheit notwendige Maß hinausreicht. Erstere hätten es selbst in der Hand, den Angehörigen der nachzeichnungswilligen Gewerkschaft durch einen besonderen Zuschnitt der Tatbestandsvoraussetzungen ein Tarifwerk zu hinterlassen, das zwar formal nachgezeichnet werden kann, den Mitgliedern der Minderheitsgewerkschaft jedoch je nach konkreter Ausgestaltung als „leere Worthülse“ faktisch keine oder lediglich geringere Leistungen zuspricht. Damit wären diese Arbeitnehmer zwar formal nicht tariflos gestellt, hätten aber keine Gewähr für einen adäquaten materiellen Ausgleich aus Anlass der Verdrängung des 47

BT-Drucks. 18/4062, S. 14. Berg/Kocher/Schumann/Berg, § 4a TVG Rn. 73; Wiedemann/Jacobs, § 4a TVG Rn. 369. 49 Vgl. BT-Drucks. 18/4062, S. 14, der diese Klarstellung anders als noch die Referentenentwürfe des BMAS v. 28. 10. 2014 bzw. 4. 11. 2014 nunmehr ausdrücklich vorsieht. 48

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Teil 3: Differenzierungsklauseln und Nachzeichnungsrecht

eigenen Tarifvertrags. Mit der Grundidee, das Nachzeichnungsrecht als Anspruch mit kompensatorischem Charakter für die Verdrängung des eigenen Tarifvertrags zu schaffen, wäre dieses Szenario nur schwerlich in Einklang zu bringen. Stellt man demnach konsequenter auf den Gedanken eines materiellen Ausgleichs ab, den der Gesetzgeber mit dem Nachzeichnungsrecht nachweislich verfolgen wollte, kann auch das weite Verständnis des Nachzeichnungsanspruchs als Auslegungsergebnis schlechterdings nicht von der Hand gewiesen werden. Diese Deutung muss sich jedoch noch zwangsläufig mit der konkreten Art und Weise der Nachzeichnung bei den verschiedenen Differenzierungsklauseln beschäftigen. Bei herkömmlichen Gestaltungen wie etwa den einfachen Differenzierungsklauseln, die die tarifgebundenen Arbeitnehmer der Mehrheitsgewerkschaft in ihrer Gesamtheit erfassen und einheitlich begünstigen, ergeben sich dabei keinerlei Anwendungsschwierigkeiten. Mit der Nachzeichnung lassen sich die Angehörigen der Minderheitsgewerkschaft ihren Kollegen der Mehrheitsgewerkschaft gleichstellen. Allerdings verbleibt die Frage, wie bei tarifvertraglichen Differenzierungsklauseln mit Stichtag in der Vergangenheit und verwandten Klauselarten zu verfahren ist, wenn selbst die Gewerkschaftsmitglieder im Mehrheitstarif nicht als homogene Masse behandelt werden. Unterscheidet der Tarifvertrag neben der herkömmlichen Differenzierung zwischen tarifgebundenen Arbeitnehmern und Außenseitern noch zusätzlich zwischen verschiedenen Gruppen von Gewerkschaftsmitgliedern, darf die Nachzeichnung in der Tat nicht dazu führen, dass ein Neumitglied der nachzeichnenden Gewerkschaft plötzlich vollumfänglich einem Altmitglied der Mehrheitsgewerkschaft gleichgestellt wird. Die Nachzeichnung kann damit nur eine wirtschaftliche Gleichstellung mit einem vergleichbaren Arbeitnehmer der Mehrheitsgewerkschaft herbeiführen. Eine Besserstellung von Angehörigen der Minderheitsgewerkschaft ist nach dem insofern eindeutigen Willen des Gesetzgebers gerade nicht beabsichtigt.50 Konsequenterweise ist demnach zu überprüfen, wie das Mitglied der Minderheitsgewerkschaft stünde, wenn er damals nicht der aktuellen, sondern der Mehrheitsgewerkschaft beigetreten wäre. Nur so ist gewährleistet, dass die Minderheit nicht über Gebühr vom Nachzeichnungsrecht ihrer Gewerkschaft profitiert. Äußerst fragwürdig erscheint nunmehr allerdings die dritte Auslegungsvariante. Neben den Schwierigkeiten, eine Streichung der differenzierenden Merkmale noch unter den Begriff der „Nachzeichung“ zu fassen, ist nur schwer vorstellbar, dass der Gesetzgeber bei der Schaffung des § 4a IV TVG ein derart weitreichendes Nachzeichnungsrecht vor Augen hatte. Anders als bei der zweiten Variante, bei der eine Differenzierungsklausel zwar auch auf die Angehörigen der Minderheitsgewerkschaft erweitert werden müsste, jedoch ihren ursprünglich exklusiven Charakter beibehält, wäre sie nach der dritten Auffassung über die Nachzeichnung wegen der zwangsläufigen Öffnung für alle Arbeitnehmer ihres Wesenskerns beraubt. Eine derartige „Entkernung“ allein zum Schutz der Angehörigen der Minderheitsge50

Vgl. BT-Drucks. 18/4062, S. 14.

B. Verfassungskonforme Auslegung von § 4a IV TVG

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werkschaft ist weder zur Kompensation der wirtschaftlichen Nachteile noch zur Vermeidung von tariflosen Zeiträumen notwendig. Sie verändert daher den Charakter des Mehrheitstarifs durch die Nachzeichnung mehr, als es für die Erreichung des Gesetzeszwecks bedürfte. Ein derart weites Nachzeichnungsrecht wollte der Gesetzgeber der Minderheitsgewerkschaft über den § 4a IV TVG jedoch nicht einräumen.

IV. Zwischenergebnis Trotz der Sensibilisierung durch die Eingabe des DGB spricht vieles dafür, dass der Gesetzgeber die Problematik rund um das Spannungsverhältnis zwischen einem Mehrheitstarifvertrag mit Differenzierungsklausel und dem Nachzeichnungsrecht der Minderheitsgewerkschaft nicht gesehen hat oder es zumindest nicht für regelungsbedürftig hielt. Nach der Auslegung von § 4a IV TVG anhand des Wortlauts, der systematischen Stellung und des Gesetzgebungsprozesses kann nicht abschließend bewertet werden, ob die Minderheitsgewerkschaft lediglich den Wortlaut des Mehrheitstarifvertrags ohne Ersetzungsbefugnis übernehmen darf oder im Fall der Tarifkollision den eigenen Namen an die Stelle des Namens der Mehrheitsgewerkschaft setzen und auf diese Weise auch ihren Mitgliedern die exklusiven Leistungen aus dem Mehrheitstarif verschaffen kann. Keine der beiden möglichen Auslegungsoptionen von § 4a IV TVG verdient damit den eindeutigen Vorzug. Lediglich die dritte Lesart, die für eine Streichung der differenzierenden Merkmale im Wege der Nachzeichnung plädiert, muss nach der Auslegung im engeren Sinne verworfen werden.

B. Verfassungskonforme Auslegung von § 4a IV TVG im Fall eines Mehrheitstarifvertrags mit Differenzierungsklausel Das dennoch mehrdeutige Ergebnis der Auslegung im engeren Sinn ist für alle Rechtsanwender unbefriedigend. Um einen Ausweg aus dieser misslichen Lage zu finden, gilt es nun der Frage nachzugehen, ob eine verfassungskonforme Auslegung des § 4a IV TVG zugunsten der nachzeichnungswilligen Gewerkschaft im Fall eines Mehrheitstarifvertrags mit Differenzierungsklausel eine Vorrangentscheidung zugunsten einer der beiden verbliebenen Auslegungsvarianten hervorbringen kann.51 Da jede Verdrängung des eigenen Tarifvertrags einen Eingriff52 in die verfas51

Für eine verfassungskonforme Auslegung des § 4a IV TVG auch HWK/Henssler, § 4a TVG Rn. 40. 52 BAG v. 7. 7. 2010 – 4 AZR 549/08, AP GG Art. 9 Nr. 140 (Rn. 54); Bayreuther, DB 2010, 2223 f.; Bialluch, Tarifeinheitsgesetz, S. 209; Däubler, Gutachten Tarifeinheit, S. 20 f.; Däu-

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Teil 3: Differenzierungsklauseln und Nachzeichnungsrecht

sungsrechtlich geschützte Position der Minderheitsgewerkschaft bedeutet und das Nachzeichnungsrecht die damit einhergehenden Belastungen kompensieren soll,53 müssen sich die beiden unterschiedlichen Auslegungsvarianten zur Reichweite des Nachzeichnungsanspruchs hauptsächlich an den Koalitionsgarantien in Art. 9 III GG messen lassen.

I. Verfassungskonforme Auslegung als Instrument zur Herstellung und Bewahrung der Einheit der Rechtsordnung Eine verfassungskonforme Auslegung ist immer dann angezeigt, wenn von den verfügbaren Deutungen mindestens eine zur Verfassungsmäßigkeit und mindestens eine weitere zur Verfassungswidrigkeit der fraglichen Norm führen würde.54 Es verdienen diejenigen Varianten den Vorzug, die den Wertmaßstäben der Verfassung entsprechen55, während demgegenüber alle verfassungswidrigen Auslegungsergebnisse – und seien sie noch so naheliegend und hermeneutisch vertretbar – verworfen werden müssen.56 Dieser Ausscheidungsmechanismus ergibt sich im Wesentlichen aus der Zusammenschau mehrerer Legitimationsmodelle, die sich gegenseitig bedingen und einander ergänzen. Zum einen erfordert die Integration des einfachen Rechts in den Stufenbau der Rechtsordnung57 aufgrund des „Derogationszusam-

bler/Bepler/Bepler, Tarifeinheitsrecht, Rn. 217 ff.; Debong/Bruns, ArztR 2015, 145 (148); Di Fabio, Gutachten Tarifeinheit, S. 23 f.; Ewer, NJW 2015, 2230 (2231 ff.); Fischer, NZA 2015, 662; Henssler, RdA 2015, 222 (223); Hufen, NZA 2014, 1237 (1238); Jacobs, NZA 2008, 325 (328 f.); Konzen/Schliemann, RdA 2015, 1 (12 f.); Mückl/Koddenbrock, GWR 2015, 6 (7); Preis, FA 2014, 354 (356); Richardi, NZA 2014, 1233 (1235); Sura, ZRP 2018, 171 ff.; wohl auch BVerfG v. 11. 7. 2017 – 1 BvR 1571/15 u. a., AP GG Art. 9 Nr. 151 (Rn. 135): „Beeinträchtigung mit der Wirkung eines Eingriffs“; kritisch gegenüber der Uneindeutigkeit des BVerfG B. Schmidt, Anm. 2 zu AP GG Art. 9 Nr. 151 (III. 1. b); unentschieden, aber mit Sympathien für einen Eingriff ebenfalls Krönke, DÖV 2015, 788 (791); a. A. (Tarifeinheitsregelung als Ausgestaltung des Art. 9 III GG) Giesen, ZfA 2011, 1 (15 ff.); Hromadka, NZA 2008, 384 (386 ff.); Papier/Krönke, ZfA 2011, 807 (825 ff.); Rieble, Gutachten Tarifeinheit, Rn. 130 ff. (insbes. Rn. 177); Scholz/Lingemann/Ruttloff, NZA-Beilage 2015, 3 (20 f.); Waas, Gutachten Tarifeinheit, S. 18 ff. 53 BT-Drucks. 18/4062, S. 9, ähnlich auch S. 14. 54 Vgl. nur. BVerfG v. 22. 3. 2018 – 2 BvR 780/16, NJW 2018, 1935 (Rn. 150); BVerfG v. 14. 10. 2008 – 1 BvR 2310/06, NJW 2009, 209 (Rn. 57); BVerfG v. 8. 3. 1972 – 2 BvR 28/71, NJW 1972, 1123 [B. I. 2. b) der Gründe]; Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, S. 171 f.; ders., RdA 2018, 321 (329); Kuhlen, Die verfassungskonforme Auslegung, S. 1. 55 Vgl. BVerfG v. 22. 3. 2018 – 2 BvR 780/16, NJW 2018, 1935 (Rn. 150); BVerfG v. 8. 3. 1972 – 2 BvR 28/71, NJW 1972, 1123 [B. I. 2. b) der Gründe]; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 763; Wank, Juristische Methodenlehre, S. 277 f. 56 Bettermann, Verfassungskonforme Auslegung, S. 22; Skouris, Teilnichtigkeit, S. 96. 57 Vgl. hierzu grundlegend Kelsen, Allgemeine Staatslehre, S. 233 ff.; ders., Reine Rechtslehre, S. 209 ff., 228 ff.; Merkl, Allgemeines Verwealtungsrecht, S. 172 f.

B. Verfassungskonforme Auslegung von § 4a IV TVG

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menhangs“58 zwischen rangverschiedenen Normen eine Subordination der verschiedenen Interpretationsmöglichkeiten unter die verfassungsmäßigen Wertungen.59 Soll die konkrete Norm in einer bestimmten Auslegungsvariante weiterhin Anwendung finden, muss sie in dieser Deutung zwangsläufig mit der Verfassung vereinbar sein. Zum anderen braucht die Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung im Fall der Verfassungswidrigkeit einer Auslegungsvariante nicht durch die vollständige Verwerfung der rangniederen Norm hergestellt werden, wenn parallel dazu ein Auslegungsergebnis verfügbar ist, das mit der Verfassung in Einklang steht („favor legis“ bzw. Grundsatz der Normerhaltung).60 Damit liegt die besondere Zwecksetzung der verfassungskonformen Auslegung darin, die Regelungsabsicht des Gesetzgebers so weit aufrechtzuerhalten, wie es die Maßstäbe des Grundgesetzes zulassen.61 Faktisch erlaubt sie dem Rechtsanwender, die fragliche Vorschrift nach dem Verständnis einer bestimmten verfassungswidrigen Auslegungsvariante nicht zu berücksichtigen, begrenzt jedoch zugleich den gewonnenen Freiraum insoweit, als dass sie dazu verpflichtet, die einfachgesetzliche Vorschrift in einer anderen, verfassungskonformen Auslegungsvariante nach wie vor anzuwenden.62 Mit diesen Prämissen kann der Auftrag an die verfassungskonformen Auslegung nicht lauten, 58 Begrifflichkeit bei Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, S. 58 in Anlehnung an Merkl, FS Kelsen, S. 252 (279), der die logische Beziehung zwischen dem bedingenden und dem bedingten Akt als „Delegationszusammenhang“ beschreibt; ähnlich auch Bettermann, Verfassungskonforme Auslegung, S. 19, der von der „derogierende[n] Kraft der Verfassung“ als Grundlage für die verfassungskonforme Auslegung sprcht. 59 Bogs, Die verfassungskonforme Auslegung, S. 22 f.; Canaris, FS E. A. Kramer, S. 141 (147 f.); Felix, Einheit der Rechtsordnung, S. 181; Häfelin, FS Huber, S. 241 (242); Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, S. 189 ff.; kritischer Voßkuhle, AöR 125 (2000), 177 (183). 60 BVerfG v. 27. 3. 2012 – 2 BvR 2258/09, NJW 2012, 1784 (Rn. 73); BVerfG v. 4. 5. 2011 – 2 BvR 2365/09 u. a., NJW 2011, 1931 (Rn. 160); Bettermann, Verfassungskonforme Auslegung, S. 25 f.; Canaris, FS E. A. Kramer, S. 141 (148 ff.); Felix, Einheit der Rechtsordnung, S. 180; Häfelin, FS Huber, S. 241 (242 f.); Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, S. 191 ff.; ders., RdA 2018, 321 (329); Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 763; Voßkuhle, AöR 125 (200), 177 (183). 61 BVerfG v. 22. 3. 2018 – 2 BvR 780/16, NJW 2018, 1935 (Rn. 150); BVerfG v. 4. 5. 2011 – 2 BvR 2365/09 u. a., NJW 2011, 1931 (Rn. 160); BVerfG v. 3. 6. 1992 – 2 BvR 1041/88 u. a., NJW 1992, 2947 [C. II. 4. a) der Gründe]; Geis, NVwZ 1992, 1025 (1026 f.); Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, S. 191 ff.; ders., RdA 2018, 321 (329); Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 763; kritisch dagegen Burmeister, Verfassungsorientierung, S. 83 f.; Wank, Juristische Methodenlehre, S. 278. 62 Die „qualitative Teilnichtigerklärung“ eines Gesetzes durch verfassungskonforme Auslegung (vgl. Skouris, Teilnichtigkeit, S. 108 f., Voßkuhle, AöR 125 (2000), 177 (198)) sehen einige Autoren – bspw. Bettermann, Verfassungskonforme Auslegung, S. 31 f.; Burmeister, Verfassungsorientierung, S. 124 f.; Skouris, Teilnichtigkeit, S. 112 f., Voßkuhle, AöR 125 (2000), 177 (195) – kritisch, da den Fachgerichten zugestanden wird, über die Verfassungsmäßigkeit einer Auslegungsvariante zu entscheiden. Damit drohe insbes. das Normverwerfungsmonopol des BVerfG ausgehöhlt zu werden, weshalb als Lösungsvorschlag eine verpflichtende Richtervorlage nach Art. 100 I GG diskutiert wird. Auf eine vertiefte Darstellung der Problematik kann im Rahmen dieser Untersuchung indes nicht weiter eingegangen werden. Vgl. hierzu und zu weiteren denkbaren Ansätzen aber Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, S. 197 ff.; ders., RdA 2018, 321 (329 ff., 335 ff.).

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Teil 3: Differenzierungsklauseln und Nachzeichnungsrecht

das Telos der auslegungsbedürftigen Vorschrift herauszufinden oder näher zu konkretisieren. Als gleichsam nachgelagerter Ausscheidungsmechanismus ist die verfassungskonforme Auslegung ausschließlich darauf bedacht, Widersprüche mit höherrangigem Recht aufzudecken und aufzulösen, die infolge des Interpretationsvorgangs entstanden sind. Sie gehört daher nicht zu den Auslegungsmethoden im engeren Sinn63, sondern stellt eine spezielle Ausprägung der systemkonformen Rechtsanwendung dar, die eine absolute Vorrangentscheidung zwischen den verfassungskonformen und den verfassungswidrigen Auslegungsmöglichkeiten herbeiführen möchte.64 Mit der Vorschaltung der Auslegung im engeren Sinne und der funktionalen Beschränkung der verfassungskonformen Auslegung auf die Ausscheidung verfassungswidriger Auslegungsvarianten wird zudem deutlich, dass ein Normverständnis, das in Widerspruch zum gesetzgeberischen Willen steht, selbst durch die verfassungskonforme Auslegung nicht mehr begründet werden kann.65 In einem solchen Fall wäre die fragliche Norm zwingend verfassungswidrig und vom BVerfG für nichtig zu erklären, da anderenfalls die rechtpolitische Entscheidung des demokratisch legitimierten Gesetzgebers durch das korrigierende Eingreifen der Gerichte desavouiert würde.66 Legt man diese Maßstäbe der hier bestehenden Doppeldeutigkeit im Umgang mit dem Nachzeichnungsrecht bei einem Mehrheitstarifvertrag mit Differenzierungsklausel zugrunde, bedarf es nunmehr der näheren Erörterung, welche der beiden Norminterpretationen mit der Verfassung vereinbar ist und welche sich demgegenüber als verfassungswidrig erweist. Stellt sich jedoch heraus, dass beide Deutungen mit der Verfassung in Einklang stehen bzw. deren Wertungen widersprechen sollten, kann die verfassungskonforme Auslegung als Vorzugsregel nicht in Ansatz gebracht werden. 63 Zutreffend auch Bettermann, Verfassungskonforme Auslegung, S. 20 ff.: „falsa demonstratio“; Häfelin, FS Huber, S. 241 (244); Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, S. 180 ff.; a. A. jedoch Bogs, Die verfassungskonforme Auslegung, S. 26 f.; Canaris, FS E. A. Kramer, S. 141 (154); wohl auch Wank, Auslegung, S. 59 ff. 64 Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, S. 180 ff.; Möllers, Juristische Methodenlehre, § 11 Rn. 50 f.; im Ergebnis auch Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 762a; kritisch demgegenüber allerdings Skouris, Teilnichtigkeit, S. 105 f. 65 Vgl. nur BVerfG v. 22. 3. 2018 – 2 BvR 780/16, NJW 2018, 1935 (Rn. 150); BVerfG v. 27. 3. 2012 – 2 BvR 2258/09, NJW 2012, 1784 (Rn. 73); BVerfG v. 4. 5. 2011 – 2 BvR 2365/09 u. a., NJW 2011, 1931 (Rn. 160); BVerfG v. 14. 10. 2008 – 1 BvR 2310/06, NJW 2009, 209 (Rn. 57); BVerfG v. 11. 1. 2005 – 2 BvR 167/02, NJW 2005, 1923 [II. 1. der Gründe]; BVerfG v. 14. 12. 1999 – 1 BvR 1327/98, NJW 2000, 347 [B. II. 5. der Gründe], wenngleich einige Entscheidungen neben dem Gesetzeszweck auch den Wortlaut als zusätzliche Grenze der verfassungskonformen Auslegung heranziehen. Dem ist aus methodologischer Sicht zu widersprechen, siehe nur Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, S. 166 f.; ders., RdA 2018, 321 (329 f.); hiergegenüber wiederum kritisch Bayreuther, NZA 2018, 905 (907 f.), jedenfalls für den Bereich der richtlinienkonformen Auslegung. 66 Vgl. nur BVerfG v. 27. 3. 2012 – 2 BvR 2258/09, NJW 2012, 1784 (Rn. 73); BVerfG v. 14. 10. 2008 – 1 BvR 2310/06, NJW 2009, 209 (Rn. 57); BVerfG v. 11. 1. 2005 – 2 BvR 167/02, NJW 2005, 1923 [II. 1. der Gründe]; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 764.

B. Verfassungskonforme Auslegung von § 4a IV TVG

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II. Verfassungsmäßigkeit der gesetzlich angeordneten Tarifeinheit bei einem rein formalistisch verstandenen Nachzeichnungsrecht Betrachtet man zunächst die Auslegungsvariante, die rein formalistisch lediglich die wortlautgetreue Übernahme der Differenzierungsklausel in den Minderheitstarifvertrag ohne jegliche Anpassungsmöglichkeit vorsieht, wird schnell deutlich, dass diese Sichtweise bei der nachzeichnungswilligen Gewerkschaft im Rahmen des § 4a IV TVG ein höheres Maß an Abhängigkeit von den Parteien des Mehrheitstarifs hervorruft als die gegenteilige Auffassung.67 Naturgemäß geht mit der Verdrängung der eigenen Tarifnormen stets ein Freiheitsverlust einher, der bis zu einem gewissen Grad für die Herstellung einheitlicher tariflicher Arbeitsbedingungen im Betrieb zwingend notwendig ist. Die Entscheidung zugunsten einer lediglich wortlautidentischen Übernahme der Vorschriften aus dem Mehrheitstarif geht allerdings noch einen Schritt weiter und überstellt das Schicksal und die Höhe der Kompensation für den verdrängten Tarifvertrag in den Verantwortungsbereich der Vertragsparteien aus dem Mehrheitstarif.68 Letztere haben es nunmehr in der Hand, durch eine besondere Ausgestaltung der Leistungen, bspw. eine Auskehrung nur an die Mitglieder der eigenen Gewerkschaft, die Angehörigen der nachzeichnungswilligen Gewerkschaft ohne normatives Korrektiv von den tariflichen Leistungen auszusperren oder ihnen im Gegensatz zu den eigenen Mitgliedern deutlich verminderte Leistungen zur Verfügung zu stellen. Treibt man dieses Szenario auf die Spitze, könnten sogar sämtliche Leistungen zugunsten der eigenen Mitglieder unter den Vorbehalt der Mitgliedschaft in der konkreten Gewerkschaft gestellt werden, wodurch den Angehörigen der nachzeichnungswilligen Gewerkschaft faktisch nur die Nachteile aus dem Mehrheitstarif verblieben. Die damit verbundene Schlechterstellung der Minderheit gegenüber den Angehörigen der Mehrheitsgewerkschaft als Folge der Nachzeichnung stellt jedoch die verfassungsrechtliche Eignung des Nachzeichnungsrechts als kompensatorisches Instrument für die Verdrängung des eigenen Tarifwerks infrage.69 Insbesondere wenn der Umfang der Kompensation einseitig vom konkreten Zuschnitt des Mehrheitstarifs abhängt, drängt sich die fehlende Tauglichkeit des Nachzeichnungsrechts als Ausgleichsmechanismus und damit die Verfassungswidrigkeit dieser Auslegungsvariante geradezu auf. Auf dieser Linie scheint sich auch das BVerfG zu bewegen. In seiner Entscheidung vom 11. 7. 201770 zum Tarifeinheitsgesetz, bei der es bekanntlich von einer Nichtigerklärung absah71, hatte es Gelegenheit, unter anderem auch das hier rele67

Siehe bereits oben, Teil 3 A. II. Siehe oben, Teil 3 A. II. 69 Ähnlich bereits Bialluch, Tarifeinheit, S. 157; deutlich strenger Wiedemann/Jacobs, § 4a TVG Rn. 354 ff., 375, der bereits die Eignung des Nachzeichnungsrechts als ausreichende Kompensation für die Verdrängung des eigenen Tarifvertrags grundsätzlich ablehnt. 70 BVerfG v. 11. 7. 2017 – 1 BvR 1571/15 u. a., AP GG Art. 9 Nr. 151. 71 Kritisch demgegenüber Wiedemann/Jacobs, § 4a TVG Rn. 60; Bepler, AuR 2017, 380 (386 f.); Berg, FS H. J. Willemsen, S. 45 (50 ff.); Franzen, ZTR 2017, 571 ff.; Jacobs/Modi, FS 68

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Teil 3: Differenzierungsklauseln und Nachzeichnungsrecht

vante Verhältnis von Verdrängungswirkung und Nachzeichnungsrecht aus verfassungsrechtlicher Perspektive näher zu beleuchten. Dabei hält es fest: „Die Nachzeichnungsoption in Bezug auf den Mehrheitstarifvertrag aus § 4a Abs. 4 TVG mildert die Belastungswirkungen der Verdrängungsregelungen für die Betroffenen. Die Regelung bedarf, um die Zumutbarkeit der Verdrängungswirkung zu sichern, von Verfassungs wegen einer weiten Auslegung.“72

Aus diesem Grund dürfe das Nachzeichnungsrecht nicht auf den sachlichen Überschneidungsbereich der kollidierenden Tarifverträge beschränkt werden.73 „Der Anspruch auf eine derart asymmetrische Teilnachzeichnung kann den Verlust der verfassungsrechtlich gesicherten Rechtspositionen derjenigen Gewerkschaft, deren Tarifvertrag verdrängt wird, nicht kompensieren.“74

Zwar setzt sich auch das BVerfG in dieser Entscheidung nicht explizit mit dem Verhältnis eines Mehrheitstarifvertrags mit Differenzierungsklausel und dem Nachzeichnungsrecht der Minderheitsgewerkschaft auseinander. Mit dem Verweis auf die drohende „asymmetrische Teilnachzeichnung“ bei einem zu engen Verständnis der Nachzeichnungsoption wird jedoch die inhaltliche Stoßrichtung deutlich. Freilich bezog sich dieses Schlagwort rein kontextual gesehen lediglich auf die formale Frage, ob ausschließlich im Überschneidungsbereich der beiden kollidierenden Tarifverträge nachgezeichnet oder der Mehrheitstarif im Ganzen übernommen werden darf. Auf den ersten Blick ist damit für die hier interessierende materielle Reichweite des Nachzeichnungsrecht bei Differenzierungsklauseln nichts gewonnen. Fruchtbringend sind allerdings die qualitativ-inhaltlichen Folgerungen für das Nachzeichnungsrecht, die die Verfassungsrichter damit verknüpfen. Offenbar erkennt das BVerfG die Nachzeichnungsoption nur dann als ausreichenden Rechtfertigungsgrund für den durch die Verdrängungswirkung entstandenen Eingriff in die Koalitionsfreiheit an, wenn eine voll umfassende Kompensation in Form einer wirtschaftlichen Gleichstellung mit den Angehörigen der Mehrheitsgewerkschaft erzielt werden kann.75 Bleibt die Nachzeichnung indes hinter diesem Niveau zurück, handelt es sich demnach auf Seiten der Minderheitsgewerkschaft um einen unvollständigen Ausgleich für die Verdrängung der eigenen Tarifnorm und damit um einen verfassungswidrigen, weil nicht mehr gerechtfertigten Eingriff in Art. 9 III GG. Ein rein formalistisches Verständnis des Nachzeichnungsrechts in § 4a IV TVG würde damit jedenfalls bei Differenzierungsklauseln im Mehrheitstarifvertrag als unzureichende Kompensation angesehen werden müssen, die den Eingriff in Moll, S. 301 (303); Wienbracke, NJW 2017, 2506 (2508); vgl. auch das Sondervotum der Richter Paulus und Baer in BVerfG v. 11. 7. 2017 – 1 BvR 1571/15 u. a., AP GG Art. 9 Nr. 151 (Sondervotum Rn. 21 ff.), die für eine Nichtigerklärung eintraten. 72 BVerfG v. 11. 7. 2017 – 1 BvR 1571/15 u. a., AP GG Art. 9 Nr. 151 (Rn. 190). 73 BVerfG v. 11. 7. 2017 – 1 BvR 1571/15 u. a., AP GG Art. 9 Nr. 151 (Rn. 192). 74 BVerfG v. 11. 7. 2017 – 1 BvR 1571/15 u. a., AP GG Art. 9 Nr. 151 (Rn. 193). 75 So bereits zuvor auch Hromadka, NZA 2008, 384 (388); Vielmeier, NZA 2015, 1294 (1296 f.).

B. Verfassungskonforme Auslegung von § 4a IV TVG

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Art. 9 III GG durch die gesetzlich angeordnete Verdrängungswirkung in § 4a II TVG nicht rechtfertigen kann. Dieser Eindruck wird an einer anderen Stelle im Tarifeinheitsurteil verstärkt: Das BVerfG verlangt zum Schutz der Minderheitsgewerkschaft bzw. deren Mitglieder und als verfassungsrechtlich zwingenden Ausgleich für die Verdrängung der Tarifnormen ferner „Vorkehrungen, die strukturell darauf hinwirken, dass die Interessen der von der Verdrängung betroffenen Berufsgruppe im Tarifvertrag der Mehrheitsgewerkschaft wirksam berücksichtigt werden.“76 Nur dann könne die diesem Tarifvertrag innewohnende Richtigkeitsvermutung im Rahmen des Nachzeichnungsrechts zur Geltung kommen.77 Der Aufforderung, § 4a TVG bis zum 31. 12. 2018 dahingehend anzupassen, ist der Gesetzgeber zwar formell mit seiner Modifizierung durch das Qualifizierungschancengesetz nachgekommen.78 Bei der Vereinbarung von Differenzierungsklauseln liegt jedoch in Bezug auf die tarifliche Richtigkeitsgewähr eine Sonderkonstellation vor. Regeln die Tarifvertragsparteien die Arbeitsbedingungen innerhalb des tariflichen Geltungsbereichs „zweispurig“79, erhält die Gruppe der andersorganisierten Arbeitnehmer selbst bei einer Nachzeichnung Leistungen unterhalb desjenigen Niveaus, das die Tarifvertragsparteien für die Angehörigen der tarifschließenden Gewerkschaft als angemessen befunden haben. Zu Recht gehen deshalb zahlreiche Stimmen in der Literatur davon aus, dass es jedenfalls einem Tarifvertrag mit Differenzierungsklausel in Bezug auf die Außenseiter an der Angemessenheitsvermutung fehle.80 Wird ein solcher Tarifvertrag allerdings gerade aufgrund seiner konkreten Ausgestaltung von der Angemessenheitsvermutung ausgenommen, kann er bereits a priori keinen angemessenen Ausgleich für die Minderheit aus Anlass der Verdrängung ihres Tarifvertrags bereithalten.81 Da die Angehörigen der Minderheitsgewerkschaft selbst durch eine wortlautgetreue Nachzeichnung nicht „angemessen“ an den Regelungen des Mehrheitstarifs partizipieren, spricht bei differenzierenden Tarifinhalten eine unwiderlegbare Vermutung dafür, dass sich die Nachteile, die mit der Verdrängung des eigenen Tarifwerks einhergehen, nicht ausreichend kompensieren lassen. Der Eingriff in die Koalitionsfreiheit der Minderheitsgewerkschaft bzw. deren Mitglieder kann nach einem derartig formalistischen Verständnis des Nachzeichnungsrechts nicht gerechtfertigt werden. Die Auslegungsvariante, nach der der Mehrheitstarif nur 76

BVerfG v. 11. 7. 2017 – 1 BvR 1571/15 u. a., AP GG Art. 9 Nr. 151 (Rn. 203). BVerfG v. 11. 7. 2017 – 1 BvR 1571/15 u. a., AP GG Art. 9 Nr. 151 (Rn. 203). 78 Siehe Art. 4f des Gesetzes zur Stärkung der Chancen für Qualifizierung und für mehr Schutz in der Arbeitslosenversicherung (Qualifizierungschancengesetz) v. 18. 12. 2018, BGBl. I Nr. 48 (2018), S. 2651 (2656); vgl. auch die Bewertung von Giesen/Rixen, NZA 2019, 577 ff.; zur Kritik an der Umsetzung Jacobs/Modi, FS Moll, S. 301 (307 ff.); Löwisch, RdA 2019, 169 ff. 79 Greiner, FS H. J. Willemsen, S. 159 (169); ders., NZA 2016, 10 (13 f.); Höpfner, RdA 2019, 146 (154). 80 Siehe die in Teil 2, Fn. 751 Genannten. 81 Vgl. auch Bialluch, Tarifeinheitsgesetz, S. 163; Däubler/Bepler/Bepler, Tarifeinheitsrecht, Rn. 206. 77

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Teil 3: Differenzierungsklauseln und Nachzeichnungsrecht

wortlautidentisch übernommen werden darf, verstößt deshalb bei einem Tarifvertrag mit Differenzierungsklausel gegen Art. 9 III GG und ist vor diesem Hintergrund mit der Verfassung nicht in Einklang zu bringen. In dieser Konstellation wäre die Verdrängung des Minderheitstarifvertrags durch § 4a II S. 2 TVG bei Tarifkollisionen im Betrieb verfassungswidrig.

III. Verfassungsmäßigkeit der gesetzlich angeordneten Tarifeinheit bei einem weit verstandenen Nachzeichnungsrecht mit einer wirtschaftlichen Gleichstellung aller tarifgebundenen Arbeitnehmer Die Anwendbarkeit der verfassungskonformen Auslegung und damit eine Normerhaltung des § 4a TVG hängt damit nunmehr entscheidend davon ab, ob die Auffassung, die eine modifizierende Übernahme der Differenzierungsklausel zulässt und damit die Weitergabe der exklusiven Leistungen grundsätzlich ermöglicht, mit der Verfassung vereinbar ist. Für diesen Umstand spricht zunächst ganz elementar, dass sie anders als die gegenteilige Ansicht durch die nominale Anpassung der Tatbestandsvoraussetzung eine wirtschaftliche Gleichstellung aller Gewerkschaftsangehörigen im Betrieb selbst bei Differenzierungsklauseln im Mehrheitstarif herbeiführen kann. Damit ist es auch den Mitgliedern der Minderheitsgewerkschaft grundsätzlich möglich, in den Genuss all derjenigen Leistungen zu gelangen, die der anwendbare Tarifvertrag für die Kollegen der Mehrheitsgewerkschaft vorsieht. Das Risiko für die Mitglieder der Minderheitsgewerkschaft, materiell hinter dem Niveau eines vergleichbaren Angehörigen der Mehrheitsgewerkschaft zurückzubleiben, ist durch die Option, im Rahmen der Nachzeichnung selbst auf differenzierend ausgestaltete Leistungen zugreifen zu können, praktisch auf Null reduziert. Diese Feststellung hat weitreichende Konsequenzen: Angesichts der Möglichkeit einer vollständigen Harmonisierung der tariflichen Arbeitsbedingungen kann in diesem Fall ernsthaft darüber nachgedacht werden, die Angemessenheitsvermutung, die bei differenzierenden Tarifinhalten ursprünglich nur in Bezug auf die Mitglieder der Mehrheitsgewerkschaft gelten kann, ausnahmsweise auf die Angehörigen der nachzeichnenden Gewerkschaft zu erstrecken.82 Zwar sind letztere auch bei diesem weiten Verständnis des § 4a IV TVG nach wie vor von den Leistungen abhängig, die der Mehrheitstarif für die dort tarifgebundenen Gewerkschaftsangehörigen vorsieht. Jedoch wird den Angehörigen der Minderheitsgewerkschaft durch das umfassende Nachzeichnungsrecht eine volle wirtschaftliche Gleichstellung innerhalb der tarifgebundenen Belegschaft in Aussicht gestellt, die nicht mehr einseitig durch einen bestimmten Zuschnitt im Mehrheitstarif vereitelt werden kann. Da durch ein weit verstandenes Nachzeichnungsrecht die Einflussnahmemöglichkeiten der Vertragsparteien im Mehrheitstarif auf die konkreten Leistungen für die Angehörigen der Minderheitsgewerkschaft zurückgedrängt werden, ist die nachzeichnungswillige 82

In diese Richtung bereits Bialluch, Tarifeinheitsgesetz, S. 163.

B. Verfassungskonforme Auslegung von § 4a IV TVG

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Gewerkschaft spürbar unabhängiger und weniger anfällig für die missbräuchliche Ausnutzung der exklusiven Stellung durch die Mehrheitstarifvertragsparteien. Der invasive Charakter der Verdrängungswirkung bei Tarifkollisionen ist bei dieser Sichtweise deutlich abgeschwächt und wird mit der Übernahme eines Tarifwerks aufgewogen, bei dem die Angehörigen der Minderheitsgewerkschaft in gleicher Höhe an den Leistungen partizipieren können wie ihre tarifgebundenen Kollegen aus der Mehrheitsgewerkschaft. Ob die Möglichkeit einer wirtschaftlichen Gleichstellung mit den Angehörigen der Mehrheitsgewerkschaft ausreicht, um die Verdrängung des eigenen Tarifwerks auszugleichen und dadurch den Eingriff in die verfassungsrechtlich geschützte Koalitionsfreiheit zu rechtfertigen, wird indes unterschiedlich beantwortet. Während selbst ein weit auszulegendes Nachzeichnungsrecht teilweise als unzulängliche Kompensation für die Verdrängung des eigenen Tarifvertrags aufgefasst wird83, scheint eine Meinungsströmung in der Literatur84 und insbesondere das BVerfG vom Gegenteil auszugehen.85 Zwar sei die in § 4a IV TVG angelegte „asymmetrische Teilnachzeichnung“ keine ausreichende Kompensation für die Verdrängung des eigenen Tarifvertrags.86 Führt man den hier angeklungenen Gedanken jedoch konsequent zu Ende, spricht mit der postulierten „von Verfassungs wegen weiten Auslegung“87 des Nachzeichnungsanspruchs nichts dagegen, das BVerfG im Umkehrschluss so zu verstehen, dass eine ausreichendes Maß an Kompensation jedenfalls dann gesichert ist, wenn die Nachzeichnung auch im qualitativ-inhaltlich Sinne eine wirtschaftliche Gleichstellung mit den Angehörigen der Mehrheitsgewerkschaft herbeiführt.88 Vor diesem Hintergrund stünde mit dem hier präsentierten weiten Verständnis des Nachzeichnungsrechts ein ausreichender Ausgleich für die Verdrängung des eigenen Tarifwerks zur Verfügung, der bei einer Differenzierungsklausel die Anpassung an den Namen der Minderheitsgewerkschaft erlaubt und damit auf die wirtschaftliche Gleichstellung der Gewerkschaftsmitglieder abzielt. Der Eingriff in die Koalitionsfreiheit durch die Anordnung der Verdrängungswirkung in § 4a II TVG ist damit jedenfalls bei einer wirtschaftlichen Gleichstellung der Gewerkschaftsmitglieder im Rahmen des Nachzeichnungsrechts gerechtfertigt. Mit dieser Argumentation lässt sich zwar der Eingriff in die Koalitionsfreiheit der Minderheitsgewerkschaft bzw. ihrer Mitglieder verfassungsrechtlich rechtfertigen. Damit ist jedoch noch keine abschließende Aussage bezüglich einer vollumfänglichen Verfassungskonformität dieser Auslegungsvariante getroffen. Vergegenwärtigt 83

So Wiedemann/Jacobs, § 4a TVG Rn. 354 ff.; 375. HWK/Henssler, § 4a TVG Rn. 40; wohl auch Vielmeier, NZA 2015, 1294 (1296 f.). 85 BVerfG v. 11. 7. 2017 – 1 BvR 1571/15 u. a., AP GG Art. 9 Nr. 151 (Rn. 199 ff.). 86 BVerfG v. 11. 7. 2017 – 1 BvR 1571/15 u. a., AP GG Art. 9 Nr. 151 (Rn. 192 ff.); zustimmend v. Steinau-Steinrück/Gooren, NZA 2017, 1149 (1154); bereits vor der Entscheidung Däubler/Bepler/Däubler, Tarifeinheitsrecht, Rn. 180; Vielmeier, NZA 2015, 1294 (1296). 87 BVerfG v. 11. 7. 2017 – 1 BvR 1571/15 u. a., AP GG Art. 9 Nr. 151 (Rn. 190). 88 So auch Vielmeier, NZA 2015, 1294 (1296 f.). 84

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Teil 3: Differenzierungsklauseln und Nachzeichnungsrecht

man sich erneut die Stellungnahme der DGB im Gesetzgebungsverfahren zu § 4a TVG, in der moniert wurde, dass Mitglieder der Minderheitsgewerkschaft von Ansprüchen profitieren würden, die diese selbst nicht geregelt und erreicht haben würden89, wird die Frage aufgeworfen, ob ein derart weit verstandenes Nachzeichnungsrecht der Minderheitsgewerkschaft seinerseits mit der kollektiven Koalitionsfreiheit der Parteien des Mehrheitstarifvertrags vereinbar ist. Allerdings ist bereits unklar, welche verfassungsrechtliche Position konkret betroffen sein soll, wenn die Leistungen aus dem Mehrheitstarif durch die Nachzeichnung ihren exklusiven Charakter verlieren. Allein der Umstand, dass die Inhalte des Mehrheitstarifs auch außerhalb von dessen normativer Regelungsreichweite gelten, begründet noch keinen Eingriff in ein verfassungsrechtlich geschütztes Rechtsgut. Keine Tarifvertragspartei darf auf Grundlage ihrer Koalitionsfreiheit erwarten, dass die Exklusivität der Differenzierungsklausel auch jenseits des konkreten Tarifvertrags aufrecht erhalten bleibt. Eine vergleichbare Situation besteht auch bei individualarbeitsvertraglichen Bezugnahmeklauseln, wenn die vermeintlich exklusiven Tarifleistungen auf schuldrechtlichem Weg an die Außenseiter ausgekehrt werden. Selbst wenn die Gewerkschaftsmitglieder hierdurch ihrer exklusiven Vorteile „beraubt“ werden, ist es wenig einsichtig, diesen Vorgang als Verstoß gegen die positive Koalitionsfreiheit der Gewerkschaft, ihrer Mitglieder oder der Tarifvertragsparteien zu qualifizieren.90 Darüber hinaus kann auch der Vorwurf, die Minderheitsgewerkschaft „ernte, wo sie nicht gesät habe“, nicht durchgreifen. Zwar profitiert letztere bei einem weit verstandenen Nachzeichnungsrecht tatsächlich von der Durchsetzungsstärke der Mehrheitsgewerkschaft und kann ihren Mitgliedern Leistungen verschaffen, die sie möglicherweise selbst nicht erreicht hätte.91 Diese umfassende Öffnung des Verhandlungserfolgs der Mehrheitsgewerkschaft zugunsten der Angehörigen der Minderheitsgewerkschaft im Fall einer Tarifkollision ist jedoch im Nachzeichnungsanspruch angelegt und keine Maßnahme, die sich als Freiheitsverkürzung zu Lasten der Mehrheitsgewerkschaft und ihres Tarifpartners vor deren Koalitionsfreiheit rechtfertigen müsste. Im Rahmen von Tarifkollisionen lässt sich zudem in praktischer Hinsicht bei einer Vielzahl von Regelungsgegenständen oft nur schwer beurteilen, welcher Tarifvertrag die günstigeren Bedingungen für die jeweiligen Arbeitnehmer bereithält. Nur weil der konkret verdrängte Tarifvertrag keine Differenzierungsklausel aufwies, kann noch nicht darauf geschlossen werden, dass die Minderheitsgewerkschaft grundsätzlich nicht in der Lage ist, dem Arbeitgeber bzw. dessen Verband eine entsprechende Zusage abzuringen. Zudem wird eine Gewerkschaft, die sich über die Mehrheitsverhältnisse im Betrieb im Klaren ist und weiß, dass der von ihr geschlossene Tarifvertrag im Fall einer Tarifkollision verdrängt würde, bei der Forderung nach bestimmten Tarifinhalten zurückhaltender und eher für Zugeständnisse bereit sein als eine Gewerkschaft, die davon ausgehen kann, 89

DGB, Stellungnahme zum Tarifeinheitsgesetz, S. 6. JKOS/Oetker, § 6 Rn. 208 f.; Löwisch/Rieble, § 3 TVG Rn. 531. 91 Vgl. Däubler/Bepler/Däubler, Tarifeinheitsrecht, Rn. 180; Löwisch/Rieble, § 4a TVG Rn. 209. 90

C. Ergebnis

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dass ihr Tarifwerk mit der Arbeitgeberseite als Mehrheitstarifvertrag im Betrieb zur Anwendung gelangt. Der Vorwurf, durch ein weit verstandenes Nachzeichnungsrecht würden die Angehörigen der Minderheitsgewerkschaft mehr erreichen als es ihnen bei Tarifkonkurrenz möglich wäre, ist deshalb ausschließlich organisationspolitisch motiviert. Verfassungsrechtliche Schutzgüter der Vertragsparteien des Mehrheitstarifs werden indes selbst bei einem weit verstandenen Nachzeichnungsrecht nicht verletzt. Die Auslegungsvariante zugunsten eines weiten Verständnisses des Nachzeichnungsrechts ist deshalb mit dem Grundgesetz vereinbar.

IV. Zwischenergebnis Die Kontrolle beider Auslegungsvarianten anhand der verfassungsrechtlichen Wertmaßstäbe konnte aufzeigen, dass ein formalistisch verstandenes Nachzeichnungsrecht, das allein die wortlautgetreue Übernahme des Mehrheitstarifs gestattet, bei einem Tarifvertrag mit Differenzierungsklausel mangels angemessener Kompensation für die Verdrängungswirkung in § 4a II TVG gegen die Koalitionsfreiheit der Minderheitsgewerkschaft bzw. deren Mitglieder verstößt. Demgegenüber ist die alternative Deutung, nach der die nachzeichnungswillige Gewerkschaft bei Differenzierungsklauseln ihren eigenen Namen anstelle des Namens der Mehrheitsgewerkschaft setzen und auf dieser Weise ihren Mitgliedern die exklusiven Leistungen entsprechend verschaffen kann, als ausreichende Möglichkeit zur Kompensation der Verdrängung anzuerkennen und deshalb mit der Verfassung vereinbar. Damit liegt sowohl eine verfassungswidrige als auch eine verfassungsgemäße Lesart des § 4a IV TVG bei Mehrheitstarifverträgen mit Differenzierungsklauseln vor. Im Zuge der verfassungskonformen Auslegung muss demnach die verfassungswidrige Deutung verworfen werden. Nach diesem Ausscheidungsprozess bleibt damit allein diejenige Auslegungsalternative erhalten, nach der die Angehörigen der Minderheitsgewerkschaft durch ein umfassendes, weit verstandenes Nachzeichnungsrecht wirtschaftlich mit ihren Kollegen der Mehrheitsgewerkschaft gleichgestellt werden können.92

C. Ergebnis Für die nähere Bestimmung des Verhältnisses zwischen einem Mehrheitstarifvertrag mit Differenzierungsklausel und dem Nachzeichnungsrecht der Minderheitsgewerkschaft halten weder § 4a IV TVG noch die Gesetzesmaterialien eindeutige Vorgaben bereit. Vielmehr hat die Auslegung im engeren Sinn ergeben, dass 92 Für dieses Ergebnis auch HWK/Henssler, § 4a TVG Rn. 40; Vielmeier, NZA 2015, 1294 (1296 f.).

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Teil 3: Differenzierungsklauseln und Nachzeichnungsrecht

zwei von drei verschiedenen Interpretationsvarianten denkbar sind. Allerdings ist nur diejenige mit der Verfassung kompatibel, die den Mitgliedern der nachzeichnungswilligen Gewerkschaft eine umfassende wirtschaftliche Gleichstellung mit vergleichbaren Angehörigen der Mehrheitsgewerkschaft als Kompensation für die Verdrängung des eigenen Tarifwerks ermöglicht. § 4a IV TVG darf bei einem Mehrheitstarifvertrag mit Differenzierungsklausel demnach nur nach diesem weiten Verständnis des Nachzeichnungsrechts angewandt werden. Für die Angehörigen der Minderheitsgewerkschaft bedeutet dies, dass sie vollumfänglich an den Leistungen partizipieren, die der Mehrheitstarifvertrag für die Mitglieder der Mehrheitsgewerkschaft vorsieht, selbst wenn die Ausschüttung dieser Leistungen im nachgezeichneten Tarifvertrag ursprünglich an die Mitgliedschaft in der Mehrheitsgewerkschaft geknüpft ist. Der Anspruch aus § 4a IV TVG umfasst in dieser Sonderkonstellation ausnahmsweise die Befugnis, vom Wortlaut des nachgezeichneten Tarifvertrags abzuweichen und den Namen der Mehrheitsgewerkschaft durch den Namen der Minderheitsgewerkschaft zu ersetzen. Allerdings kann die Nachzeichnung insbesondere bei Tarifsozialplänen, die mit einem Stichtag in der Vergangenheit zusätzlich innerhalb der Gewerkschaftsmitglieder differenzieren, nur dazu führen, dass ein Mitglied aus der Minderheitsgewerkschaft einem vergleichbaren Kollegen der Mehrheitsgewerkschaft gleichgestellt wird. Er ist bei einer Tarifkollision so zu behandeln, als wäre er zum Zeitpunkt seines Beitritts in die Minderheitsgewerkschaft Mitglied der Mehrheitsgewerkschaft geworden. Eine Besserstellung kommt hingegen nicht in Betracht.

Teil 4

Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse 1. Die deutschen Gewerkschaften stehen unter Zugzwang. Besonders die Gleichstellungsstrategie vieler Arbeitgeber sorgt neben weiteren Faktoren vor allem bei den arrivierten, großen Arbeitnehmerkoalitionen für einen Attraktivitätsverlust, den andere Vorteile einer Mitgliedschaft, wie etwa eine Rechtsberatung in arbeitsrechtlichen Streitigkeiten, nicht hinreichend zu kompensieren vermögen. Sichtbares Zeichen für diese Entwicklung ist eine niedrige Organisationsquote. Nur noch etwa 18 Prozent der Arbeitnehmer sind gewerkschaftlich organisiert. Zwar setzt der Staat neuerdings mit mehreren Initiativen Anreize für eine stärkere Tarifbindung und höhere Mitgliederzahlen, allerdings erweisen sich die zahlreichen Vorstöße als verfassungsrechtlich angreifbar. Immer deutlicher tritt zutage, dass die Tarifvertragsparteien für die Herausstellung der Attraktivität einer Verbandsmitgliedschaft und damit die Akzeptanz eines auf Mitgliedschaft basierenden Tarifvertragssystems als solches selbst verantwortlich sind. (S. 21 – 31) 2. Differenzierungsklauseln versuchen auf das Gleichstellungsdilemma zu reagieren und bestimmte Tarifleistungen exklusiv für Gewerkschaftsmitglieder zu reservieren. Mit diesen materiellen Boni wollen die Tarifvertragsparteien für die Arbeitnehmer attraktiv werden bzw. auch künftig bleiben. Im Laufe der Zeit hat sich dabei eine ganze Bandbreite an verschiedenen Spielarten herausgebildet. Grundform aller Differenzierungsklauseln ist die einfache Differenzierungsklausel, bei der die Gewerkschaftsmitgliedschaft zum anspruchsbegründenden Merkmal erhoben wird. Eine derartige Vereinbarung zwischen den Tarifvertragsparteien ist unabhängig von der Leistungshöhe zulässig, da sie lediglich die Unterscheidung zwischen tarifgebundenen und nicht tarifgebundenen Arbeitnehmern abbildet, die im deutschen Tarifrecht als systemimmanent vorausgesetzt wird, und eine individualvertragliche Angleichung an das Niveau der Gewerkschaftsmitglieder im Außenseiter-Arbeitsverhältnis nicht verbietet. Qualifizierte Differenzierungsklauseln nehmen dem Arbeitgeber gerade diese Möglichkeit und sind nach der vom BAG angeführten h. M. wegen Überschreitung der tariflichen Regelungsbefugnis bzw. wegen eines Eingriffs in die Arbeitsvertragsfreiheit der Parteien im Außenseiter-Arbeitsverhältnis unzulässig. (S. 31 – 39) 3. Anders als „herkömmliche“ Differenzierungsklauseln, bei denen zwischen Gewerkschaftsmitgliedern und Außenseitern unterschieden wird, sorgen Differenzierungsklauseln mit Stichtagsregelungen auf den ersten Blick nur für eine Unterscheidung ausschließlich zwischen den Angehörigen des tarifschließenden Ver-

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Teil 4: Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse

bands. Zwar hat die Differenzierung innerhalb dieser Arbeitnehmergruppe in der deutschen Tarifvertragspraxis ebenfalls eine lange Tradition, allerdings ist mit dem Unterfall einer Differenzierung nach der Mitgliedschaft zu einem bestimmten Stichtag ein relativ junges Phänomen beschrieben, das erst um die Jahrtausendwende vermehrt aufkam und im Jahr 2007 erstmals auch das BAG beschäftigte. Seitdem sind zahlreiche höchstrichterliche Entscheidungen zu der Thematik ergangen, von denen das Urteil vom 15. 4. 2015 angesichts des medialen Interesses an der NSNSanierung und der bedeutenden Summen im Tarifsozialplan zweifelsohne das bekannteste ist. Obwohl sämtlichen BAG-Entscheidungen zu den Differenzierungsklauseln mit Stichtagsregelung eine ähnliche Problematik zugrunde lag, können die Judikate nur in eingeschränktem Umfang miteinander verglichen werden. Grund dafür sind unterschiedliche Sachverhaltskonstellationen, die einer einheitlichen Bewertung im Weg stehen und Vorsicht vor vorschnellen Pauschalierungen gebieten. In der Bewertung dieser Klauseln durch die Rechtsprechung ist eine Akzentverschiebung erkennbar. Lag das Hauptaugenmerk anfangs auf der Koalitionsfreiheit der Mitglieder bzw. Außenseiter, scheint das BAG neuerdings den Fokus hauptsächlich auf Aspekte der Gleichbehandlung zu richten. Höhe- und vermeintlicher Schlusspunkt dieser Entwicklung ist die explizite Einordnung von Differenzierungsklauseln mit Stichtag in der Vergangenheit als „Binnendifferenzierung“ im Urteil vom 15. 4. 2015. (S. 40 – 65) 4. Die Beschränkung der Untersuchung auf eine reine „Binnendifferenzierung“, also die Unterscheidung allein zwischen tarifgebundenen Arbeitnehmern, greift bei Differenzierungen mit Stichtag in der Vergangenheit jedoch zu kurz. Vielmehr geht es den Tarifvertragsparteien darüber hinaus um einen effektiven Ausschluss der Außenseiter-Arbeitnehmer von den entsprechenden Leistungen, da nur auf diesem Weg die eigentliche Zwecksetzung der Klausel, einen geschlossenen, nicht mehr anwachsenden Kreis an leistungsberechtigten Arbeitnehmern zu generieren, erreicht werden kann. Über das Merkmal der „Mitgliedschaft“ wird also auf erster Stufe bereits zwischen Gewerkschaftsmitgliedern und Außenseitern differenziert. Damit letztere aber nicht anspruchsbegründend der Gewerkschaft beitreten können, wird über der ersten Differenzierungsstufe eine zweite Ebene installiert, die all jene Arbeitnehmer von den Leistungen ausschließt, die erst nach dem Stichtag Mitglied geworden sind. Bei Differenzierungsklauseln mit Stichtag in der Vergangenheit handelt es sich deshalb nicht um eine reine Binnenstreitigkeit im Lager der gewerkschaftsangehörigen Arbeitnehmer, sondern um einen besonderen, gestuften Fall der einfachen Differenzierungsklausel. Das dafür kennzeichnende Merkmal der „Mitgliedschaft“ ist im spezielleren Kriterium der „Mitgliedschaft zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Vergangenheit“ denklogisch enthalten. (S. 74 – 86) 5. Obwohl die Differenzierungsklausel mit Stichtag in der Vergangenheit faktisch-überschießende Auswirkungen auf die Rechtsposition der Außenseiter zeitigt, entfernen sich die Tarifvertragsparteien nicht zu weit von ihrer durch Art. 9 III GG auferlegten Maxime, eigene Angelegenheiten zu regeln. Zumindest diesbezüglich beachten sie damit die Grenzen der normativen Regelungsbefugnis. Der Vorwurf, die

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Tarifvertragsparteien würden die Außenseiter durch diese Klausel für ihr Fernbleiben abstrafen, konnte sich nicht erhärten, da insbesondere auf Arbeitgeberseite nicht ersichtlich wird, inwiefern diese an repressiven Maßnahmen gegenüber Außenseiter interessiert sein sollten. Die Regelungsbefugnis der Tarifvertragsparteien ist zudem nicht durch die §§ 111 ff. BetrVG gesperrt. Ein Tarifsozialplan kann deshalb ohne Weiteres neben einem betrieblichen Sozialplan vereinbart werden. (S. 86 – 109) 6. Tarifliche Differenzierungsklauseln mit Stichtag in der Vergangenheit verstoßen nicht gegen die negative Koalitionsfreiheit, welche als Konsequenz aus dem Freiwilligkeitserfordernis im Koalitionsbegriff ebenfalls in Art. 9 III GG verortet ist. Durch die Klausel wird den Außenseitern signalisiert, dass selbst ein Beitritt für sie zwecklos ist bzw. jedenfalls im Hinblick auf die fraglichen Leistungen „nichts mehr bringt“. Ein messbarer Beitrittsdruck geht angesichts dieser Aussichten von der Klausel nicht aus, weshalb auch die Höhe der exklusiv an Alt-Mitglieder ausgekehrten Gelder für die Bewertung irrelevant ist. Darüber hinaus schützt die negative Koalitionsfreiheit nicht vor einer Verschlechterung der Verhandlungsposition der Außenseiter im Verhältnis zu ihrem Arbeitgeber. Wer seinen Weg abseits der Koalitionen geht, muss damit rechnen, schlechter als ein vergleichbares Gewerkschaftsmitglied behandelt zu werden. Die damit einhergehende Zweiteilung der Belegschaft ist allerdings dem deutschen Tarifsystem immanent und bedarf deshalb keiner Korrektur. Ebenso wenig vermag die „abstrakte Gefahr“ künftiger Sanierungstarifverträge mit Differenzierungsklauseln einen unzulässigen Beitrittsdruck zu begründen. Abgesehen vom noch ausstehenden Nachweis, dass in künftigen Tarifverhandlungen tatsächlich vermehrt Differenzierungsklauseln mit Stichtag in der Vergangenheit vereinbart werden würden, gleicht die Situation hier der Ausgangslage bei einfachen Differenzierungsklauseln, in der sich der Außenseiter entscheiden muss, ob er den Verlockungen eines Verbandsbeitritts nachgibt oder ob er der Gewerkschaft nach wie vor fernbleiben möchte. Diese Entscheidung nimmt das Grundgesetz dem Außenseiter allerdings nicht ab. Ein Verstoß gegen die negative Koalitionsfreiheit kann deshalb auch mit der „abstrakten Gefahr“ nicht überzeugend konstruiert werden. (S. 112 – 136) 7. Eine Differenzierungsklausel mit Stichtag in der Vergangenheit greift auch nicht in die Aus- bzw. Übertrittsfreiheit als Teilgarantie der individuellen Koalitionsfreiheit ein, selbst wenn ein enorm hoher Betrag ausgeschüttet oder die Klausel mit einer Bleibefrist kombiniert werden sollte. Anders ist die Situation indes zu bewerten, wenn neben die Bleibefrist eine konkrete Rückzahlungsverpflichtung tritt, durch die der Arbeitnehmer Leistungen für den Fall zurückerstatten muss, dass er der tarifschließenden Gewerkschaft vor einem bestimmten Zeitpunkt den Rücken kehrt. Bei diesen „Verbandstreueregelungen“ bietet sich für die Rechtmäßigkeitskontrolle ein Maßstab an, der sich grob an den quotalen Regelungen aus der bekannten Parallelproblematik bei Rückzahlungsklauseln im Individualarbeitsverhältnis orientiert. Allerdings müssen für die Rückzahlungsverpflichtung bei tariflichen Leistungen einige Ausnahmekonstellationen beachtet werden. Stets dann, wenn die Gewerkschaft kein ausreichendes Interesse am weiteren Verbleib des Arbeitnehmers

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nachweisen kann, sind Rückzahlungsklauseln als unzulässige Beschränkung der Aus- und Übertrittsfreiheit per se unwirksam. Vermag sie jedoch diesen Nachweis erfolgreich zu führen, sind tarifliche Rückzahlungsklauseln in engen Grenzen zulässig. Für die Valutierung des gewerkschaftlichen „Bleibeinteresses“ kann auf den individuellen Mitgliedsbeitrag des Verbandsangehörigen zurückgegriffen werden. (S. 138 – 144) 8. Neben den bislang erwähnten Facetten der individuellen Koalitionsfreiheit kommt auch ein Verstoß gegen die positive Ausprägung dieses Grundrechts nicht in Betracht. Art. 9 III GG in Gestalt der positiven Koalitionsfreiheit gewährt lediglich das Recht auf Mitgliedschaft in einer tarifschließenden Vereinigung als solcher. Damit beschränkt es sich auf das Recht zum Beitritt und die Möglichkeit zur Partizipation innerhalb des Verbands sowie zur koalitionsgemäßen Betätigung. Die positive Koalitionsfreiheit schützt jedoch im Gegenzug nicht vor einem bestimmten Tarifinhalt. Ein Anspruch auf Gleichstellung mit anderen Verbandsangehörigen oder gar auf die Verhinderung missliebiger Tarifgestaltungen übersteigt den Gewährleistungsgehalt dieses Grundrechts. (S. 144 – 146) 9. Darüber hinaus greifen die Tarifvertragsparteien durch die Klausel auch nicht in die Arbeitsvertragsfreiheit im Verhältnis der nicht begünstigten Arbeitnehmer zu ihrem Arbeitgeber ein. Dieses Grundrecht schützt die Abschluss- und Inhaltsfreiheit der Vertragsparteien und gewährleistet damit die Zurverfügungstellung und Aufrechterhaltung rechtlicher Rahmenbedingungen, innerhalb derer ein möglichst vorteilhaftes Ergebnis für beide Parteien erzielt werden kann. Ein bestimmtes Verhandlungsergebnis an sich wird dadurch jedoch nicht garantiert. Bloße Beeinträchtigungen der Vertragschancen reichen für einen Eingriff deshalb noch nicht aus, vielmehr muss ein bestimmtes Ergebnis den Verhandlungen unzugänglich und damit „rechtlich-logisch unmöglich“ sein. Die Differenzierungsklausel mit Stichtag in der Vergangenheit im Rahmen eines Tarifsozialplans senkt zwar die Chancen des nicht begünstigten Arbeitnehmers merklich ab, mit seinem Arbeitgeber in erfolgreiche Verhandlungen zu treten. Allein die faktische Aussichtslosigkeit von Anpassungsgesuchen darf jedoch nicht mit der „rechtlich-logischen Unmöglichkeit“ einer Vertragsangleichung gleichgesetzt werden. (S. 147 – 156) 10. Auch nach Absage an die Position des BAG, bei Differenzierungsklauseln mit Stichtag in der Vergangenheit handele es sich ausschließlich um eine „Binnendifferenzierung“ zwischen tarifgebundenen Arbeitnehmern, spielen Aspekte der Gleichbehandlung unter den Gewerkschaftsmitgliedern für die Bewertung der Rechtmäßigkeit einer Differenzierungsklausel mit Stichtag in der Vergangenheit eine zentrale Rolle. Zwar gehen weite Teile der Rechtsprechung und des Schrifttums davon aus, dass die Tarifvertragsparteien bei ihrer Normsetzung entweder unmittelbar oder mittelbar an Art. 3 I GG gebunden sind, doch kann diese Sichtweise einer kritischen Überprüfung nicht standhalten. Keines der zur Erklärung vorgebrachten Modelle vermochte die Bindungswirkung überzeugend zu begründen. Vielmehr basiert das an die Tarifvertragsparteien gerichtete Verbot, bestimmte

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Verbandsmitglieder ohne hinreichenden Sachgrund schlechter zu behandeln, auf dem tariflichen Gleichbehandlungsgrundsatz, der wie der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz und Art. 3 I GG eine Ausprägung der iustitia distributiva darstellt. Grundlage für die Bindung an den Gleichbehandlungsgrundsatz sind die rechtsgeschäftlichen Legitimationserklärungen der Koalitionsmitglieder in ihrer gebündelten Form. Durch die Vielzahl der gleich gerichteten Unterwerfungsakte unter eine Rechtsetzungsmacht wird eine über-individuelle Dimension geschaffen, aus der gleichsam spiegelbildlich folgt, dass die Tarifvertragsparteien die Verbandsangehörigen im Grundsatz gleich behandeln müssen. Der Schutz gegen willkürliche Differenzierungen ist bei dieser Sichtweise bereits in der Gleichmäßigkeit der Legitimationsakte angelegt und führt letztlich dazu, dass die Normsetzungsmacht der Tarifvertragsparteien damit bereits a priori auf willkürfreie Differenzierungen innerhalb der Verbandsangehörigen beschränkt ist. Die Bindung an den Gleichbehandlungsgrundsatz ist deshalb nicht „von oben“ im Sinne eines Beachtenmüssens höherrangiger Rechtsgrundsätze verordnet, sondern folgt automatisch aus den legitimatorischen Begrenzungen durch die Mitglieder „von unten“. (S. 156 – 213) 11. Obwohl sich der Gleichbehandlungsgrundsatz inhaltlich an Art. 3 I GG orientiert, dürfen aus Respekt vor der Tarifautonomie nur willkürliche Schlechterstellungen bestimmter Mitglieder beanstandet werden. Eine rampenartige Kontrolle wie bei Art. 3 I GG, die von einer Willkürprüfung bis zu einer strengen ZweckMittel-Relation und damit faktisch einer Verhältnismäßigkeitsprüfung bei personen(gruppen)bezogenen Ungleichbehandlungen reichen kann, verbietet sich demnach bei tariflichen Differenzierungen. Ist ein einheitlicher Regelungstatbestand auf zwei oder noch mehr Tarifverträge aufgespalten, findet eine tarifvertragsübergreifende Gleichbehandlungskontrolle statt. Nur auf diese Weise ist gewährleistet, dass die Tarifvertragsparteien ihre Gestaltungsbefugnis nicht zur Umgehung der Gleichbehandlungskontrolle missbrauchen. (S. 213 – 221) 12. Das Verbot, bestimmte Mitglieder schlechter zu stellen, gilt nicht nur für normative Regelungen, sondern faktisch auch für schuldrechtliche Vereinbarungen zwischen den Tarifvertragsparteien. Zwar bildet die normative Regelungsbefugnis keine Grenze für schuldrechtliche Vertragsinhalte, allerdings partizipieren bilaterale Vereinbarungen, die die Reichweite der normativen Regelungsbefugnis überschreiten, mangels legitimatorischer Grundlage nicht mehr an der Angemessenheitsvermutung. Der Arbeitgeber ist in diesem Fall gegenüber seinen Arbeitnehmern an den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz gebunden. Jede schuldrechtliche Vereinbarung mit der Gewerkschaft, durch die bestimmte Mitglieder schlechter gestellt werden sollen, kann deshalb vom Arbeitgeber aus rechtlichen Gründen nicht umgesetzt werden und ist damit subjektiv unmöglich, § 275 I BGB. Im Hinblick auf die Kontrolle von Ungleichbehandlungen werden damit die Grenzen für normative und schuldrechtliche Regelungen faktisch auf ein Verbot willkürlicher Schlechterbehandlungen harmonisiert. (S. 221 – 227)

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13. Die tarifliche Differenzierung zwischen Alt- und Neumitgliedern anhand eines Stichtags in der Vergangenheit bedarf zur Rechtfertigung eines Sachgrundes. Weder die Sanierungssituation als solche, noch wie auch immer geartete „koalitionsspezifische Interessen“ vermögen hierfür ein tragfähiges Fundament zu bilden. Anders verhält es sich mit dem Interesse an kalkulatorischer Sicherheit. Gerade bei einem Tarifsozialplan müssen die Tarifvertragsparteien möglichst exakt bestimmen können, welcher Arbeitnehmer wie viel erhalten soll. Bei einem Tarifsozialplan, der Ausgleichs- und Überbrückungsleistungen aus Anlass einer Betriebsänderung mit Arbeitsplatzverlusten bereithält, speist sich das arbeitgeberseits bereitgestellte Volumen zudem nicht aus laufenden Einnahmen und steht deshalb nur einmalig zur Verfügung. Lediglich in dieser Konstellation kann eine Differenzierung zwischen Alt- und Neumitgliedern ausnahmsweise gerechtfertigt sein. Dafür muss allerdings auch der Stichtag einen hinreichenden Bezug zum konkreten Sachverhalt aufweisen und die Differenzierung auf die Ausschüttung von Ausgleichs- und Überbrückungszahlungen beschränkt bleiben. Wiederkehrende Leistungen sind erlaubt, sofern sie sich als tranchenweise Ausschüttung der einheitlichen Abfindungszahlung herausstellen. Leistungen, die hingegen im arbeitsrechtlichen Synallagma stehen oder etwa tarifliche Bestandsschutzgarantien enthalten, können hingegen nicht über eine Differenzierungsklausel mit Stichtag in der Vergangenheit ausgekehrt werden. Berücksichtigen die Tarifvertragsparteien diese Vorgaben, steht ihnen bezüglich der Leistungshöhe und damit dem quantitativen Umfang der Ausgleichs- und Überbrückungszahlungen ein weiter Gestaltungsfreiraum zur Verfügung. Auf die Außenseiter müssen sie dabei selbst in einem Tarifsozialplan keine Rücksicht nehmen (S. 230 – 256) 14. Differenzierungsklauseln mit Stichtag in der Vergangenheit stehen auch nicht in Widerspruch zu §§ 3 I, 4 I TVG. Zwar sahen das einige Gerichte im Anschluss an die BAG-Entscheidung vom 9. 5. 2007 anders und forderten ein Gleichlauf zwischen dem Beginn der Tarifbindung und dem Anspruch auf tarifliche Leistungen. Allerdings verwischt diese Sichtweise die Grenzen zwischen Tarifbindung und Tarifgeltung und verkennt, dass die Tarifvertragsparteien mit einer Geltungsbereichsbestimmung nicht die Voraussetzungen für die Tarifbindung derogieren wollen, sondern lediglich den Kreis der anspruchsberechtigten Arbeitnehmer einschränken. Zu dieser Maßnahme sind sie jedoch aufgrund ihrer Tarifautonomie bis zu den Grenzen der Willkür berechtigt. (S. 257 – 259) 15. Eine wie auch immer geartete „Ordnungsfunktion“ des Tarifvertrags taugt nicht als Schranke für differenzierende Regelungsinhalte. Mit diesem Begriff ist lediglich ein soziofaktischer Zustand auf dem Arbeitsmarkt beschrieben, der die tatsächliche Vereinheitlichung vieler Arbeitsverhältnisse durch oder auf Grundlage eines Tarifvertrags näher charakterisiert. Aus der Ordnungsfunktion lassen sich jedenfalls im Hinblick auf die Außenseiter keine normativen Folgerungen ableiten. Weder rechtfertigt sie eine ausnahmsweise über den Mitgliederkreis hinausreichende unmittelbare und zwingende Bindung von Arbeitnehmern an bestimmte Tarifnormen, noch kann aus ihr ein Rücksichtnahmegebot abgeleitet werden, durch das die

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Tarifvertragsparteien verpflichtet wären, auch die Interessen der Außenseiter bei der Verteilung von Leistungen zu beachten. (S. 259 – 274) 16. Selbst bei extrem hohen Leistungszusagen an bestimmte Mitglieder liegt kein unzulässiges kollusives Zusammenwirken der Tarifvertragsparteien zu Lasten der Außenseiter vor. Zum einen ist der interessenorientierten Tarifnormsetzung eine Tendenz zu Lasten der Außenseiter funktional immanent. Zum anderen greift die Nichtigkeitssanktion in § 138 BGB erst dann ein, wenn eine der beiden Vertragsparteien unmittelbare Einflussnahmemöglichkeiten auf die Rechtsgüter des Geschäftsherrn hat. An einer solchen Nähebeziehung scheitert es im Verhältnis der Tarifvertragsparteien zu den Außenseitern. Auch ein deliktischer Anspruch nach § 826 BGB anlässlich einer Kollusion kommt nicht in Betracht. Die Vereinbarungsbefugnis der Tarifvertragsparteien ist – solange sie sich im Rahmen von Art. 9 III GG bewegt – grundrechtlich geschützt. Eine entsprechende Tarifvereinbarung, die sich innerhalb der verfassungsmäßigen Grenzen bewegt, unterfällt deshalb gerade nicht dem Verdikt der Sittenwidrigkeit, sodass es bereits an einer haftungsbegründenden Schädigungshandlung fehlt. Zudem intensiviert ein Tarifabschluss auf Seiten der nicht tarifgebundenen Arbeitnehmer nur die Rechtswirkungen, die sich durch das Fernbleiben zwangsläufig einstellen und löst damit keinen neuen Kausalverlauf aus, der eine Haftung der Tarifvertragsparteien nach § 826 BGB begründen könnte. (S. 274 – 280) 17. Das Verhältnis von Tarifverträgen zu nationalen bzw. unionsrechtlichen Kartellvorschriften ist immer noch nicht abschließend erforscht. Zwar hat der EuGH vor allem in den Rs. „Albany“, „Brentjens’“ und „Drijvende Bokken“ die Rahmenbedingungen festgesetzt, nach denen eine Kartellkontrolle von Tarifverträgen unterbleibt. Auf die Frage, inwieweit Haustarifverträge mit Exklusivleistungen nur für bestimmte Gewerkschaftsmitglieder an diesem Privileg teilhaben, enthalten die EuGH-Entscheidungen indes keine Antwort. Vielmehr müssen für eine tragfähige Lösung die dort genannten Maßstäbe vorsichtig weiterentwickelt werden. Demnach partizipieren auch Haustarifverträge grundsätzlich am Tarifprivileg, da von ihnen geringere Auswirkungen auf den Wettbewerb zu erwarten sind als bei Verbandstarifverträgen. Derselbe Erst-recht-Schluss kann auch bei Tarifverträgen in Ansatz gebracht werden, die zwischen bestimmten Gewerkschaftsmitgliedern unterscheiden. Zwar trägt ein solcher Tarifvertrag für die benachteiligten Mitglieder nicht oder nur in geringerem Umfang „unmittelbar zur Verbesserung der Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen“ bei, allerdings beeinflusst auch ein solcher Tarifvertrag den Wettbewerb weniger spürbar als eine Vereinbarung, die allen Gewerkschaftsmitgliedern gleichermaßen dieselbe Leistung zuspricht. De maiore ad minus muss deshalb auch für einen Tarifvertrag mit Differenzierungsklausel und Stichtag in der Vergangenheit das Tarifprivileg greifen, solange sich zumindest die Arbeitsbedingungen für die tarifgebundenen Arbeitnehmer im Durchschnitt verbessern. (S. 281 – 291)

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18. Die Betriebspartner dürfen in ihren Sozialplan tarifliche Regelungen übernehmen, sind allerdings anders als die Tarifvertragsparteien an § 75 BetrVG gebunden. Die Ausschüttung exklusiver Vorteilen an (bestimmte) Gewerkschaftsmitglieder kann deshalb zwischen den Betriebspartnern nicht wirksam vereinbart werden. Umgekehrt sind sie jedoch nicht verpflichtet, sämtliche Vorteile, die der Tarifvertrag den tarifgebundenen Arbeitnehmern verspricht, auf betrieblicher Ebene auszugleichen und so auch den Außenseitern einen Anspruch auf die entsprechenden Leistungen zu verschaffen. Die deutsche lex lata geht zwar von einer Trennung zwischen tariflicher und betrieblicher Ebene aus, lässt allerdings persönliche Verflechtungen zwischen Gewerkschaft und Betriebsrat zu und akzeptiert damit, dass nicht- oder andersorganisierte Arbeitnehmer unter Umständen gerade im Rahmen eines Sozialplanverfahrens schlechtere Leistungen erhalten als ihre tarifgebundenen Kollegen. (S. 291 – 297) 19. Die bisherige Rechtsprechung des BAG zur Auslegung individualvertraglicher Bezugnahmeregelungen kann besonders im Hinblick auf Differenzierungsklauseln im Tarifvertrag nicht überzeugen. Ohne spezifische Anhaltspunkte ergibt die Auslegung anhand des objektiven Empfängerhorizonts vielmehr richtigerweise, dass der Arbeitgeber bereit ist, den Außenseiter „wie ein Gewerkschaftsmitglied“ zu behandeln. Es ist nicht ersichtlich, weshalb die Arbeitsvertragsparteien bei Differenzierungsklauseln im Tarifvertrag von dieser Gleichstellungspraxis abkehren wollten. Insbesondere kann nicht überzeugend dargelegt werden, warum der Außenseiter auf entsprechende Boni kompensationslos verzichten sollte, wenn ihm sein Arbeitsvertrag die Leistungen aus dem Tarifvertrag verspricht. Bei Differenzierungsklauseln mit Stichtag in der Vergangenheit gestaltet sich die Bewertung zwar graduell komplizierter, allerdings kann auch hier über den objektiven Empfängerhorizont und die Zweifelsregelung in §305c II BGB ein Auslegungsergebnis ermittelt werden, das immer dann zugrundegelegt werden muss, wenn anderslautende Anhaltspunkte fehlen: Unterscheidet der Tarifvertrag zwischen zwei Mitgliedergruppen mittels eines zeitbezogenen Kriteriums, ist beim Außenseiter grundsätzlich auf den Start der Bezugnahme abzustellen. Er muss wie ein vergleichbares Mitglied behandelt werden, das zum Start der Bezugnahmewirkung der Gewerkschaft beigetreten ist. Bei Tarifsozialplänen mit Stichtagsregelungen kann sich diese Auslegung zwar als Kostenfalle für den Arbeitgeber herausstellen. Allerdings trägt er als Verwender der Bezugnahmeklausel auch das Risiko, das sich aus der Zweideutigkeit einer Regelung ergibt. Arbeitgeber sind deshalb gut beraten, den Empfängerhorizont so zu konkretisieren, dass keine unterschiedlichen Auslegungsergebnisse mehr möglich sind. Sollten die Außenseiter indes trotz Bezugnahme des Tarifvertrags in geringerem Umfang partizipieren als die tarifgebundenen Mitglieder, liegt keine Situation vor, die über den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz korrigiert werden könnte. (S. 297 – 311) 20. Differenzierungsklauseln mit individuellen Wartezeiten, die jedes Mitglied durchlaufen muss, um in den Genuss einer bestimmten Leistung zu gelangen, verstoßen weder gegen die negative, noch die positive Koalitionsfreiheit. Insofern kann auf die Begründung verwiesen werden, die bereits bei den Differenzierungsklauseln

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mit Stichtag in der Vergangenheit ins Feld geführt wurde. Wie diese unterscheiden auch Differenzierungsklauseln mit individuellen Wartezeiten für tarifliche Leistungen zwischen Alt- und Neumitgliedern und müssen sich deshalb ebenfalls vor dem tariflichen Gleichbehandlungsgrundsatz verantworten. Ein besonderes Kalkulationsinteresse der Tarifvertragsparteien lässt sich allerdings mit diesen Klauseln nicht nachhaltig verfolgen, da eine kaum absehbare Zahl an Außenseitern mit Aussicht auf die künftige Ausschüttung der versprochenen Leistung in die Gewerkschaft eintreten kann. Jedoch kann die Vermeidung von Mitnahmeeffekten als rechtfertigender Sachgrund für Klauseln mit individuellen Wartezeiten herangezogen werden. In der Tat lassen sich kurzzeitige Mitgliedschaften mit dem alleinigen Zweck, die tariflichen (Sonder-)Leistungen vollumfassend abzugreifen, durch die vorgeschaltete „Anwartschaftsphase“ erfolgreich verhindern. Andererseits darf die tarifliche Wartezeit jedoch nicht zur Umgehung der maximalen verbandlichen Austrittsfrist herangezogen werden. Vor diesem Hintergrund bietet es sich an, die dortige Höchstgrenze von sechs Monaten auch auf Tarifregelungen mit Mindestmitgliedschaftsdauer zu übertragen. Innerhalb dieser sechs Monate sind die Tarifvertragsparteien allerdings aus Respekt vor der Tarifautonomie frei in der Entscheidung, welchen konkreten Zeitraum sie als Mindestfrist ansetzen. Hier besteht kein zwingender Zusammenhang zwischen der Höhe der Leistung und der Dauer der Anwartschaftsphase, die ein Arbeitnehmer mindestens durchlaufen muss, bevor er in den Genuss der versprochenen Leistung gelangen kann. Eine Ausnahmeregelung für den aktuellen Bezugszeitraum, in der bestimmte Kontrollmechanismen noch einmalig ausgesetzt werden können, kommt nicht in Betracht. (S. 311 – 323) 21. Differenzierungsklauseln, deren Stichtag nach Tarifabschluss und damit – von diesem Zeitpunkt aus gesehen – in der Zukunft angesiedelt ist, verdeutlichen dem Außenseiter nur besonders eindrücklich, dass er möglichst schnell der tarifschließenden Gewerkschaft beitreten sollte. Von ihnen geht jedoch kein unzulässiger Beitrittsdruck aus, da die angekündigte Besserstellung der tarifgebundenen Arbeitnehmer im deutschen Tarifsystem angelegt ist und unabhängig vom Leistungsumfang zulässigerweise vereinbart werden kann. Da jedoch auch dieser Stichtag ablaufen und somit die Unterscheidung zwischen den rechtzeitig beigetretenen Gewerkschaftsmitgliedern und allen anderen Arbeitnehmern endgültig petrifiziert werden kann, bietet sich bereits zum Zeitpunkt des Tarifabschlusses eine Sichtweise an, die den Eintritt des Stichtags und damit den Beginn der Differenzierungswirkung berücksichtigt: Es gelten damit die Maßstäbe wie bei einer Differenzierungsklausel mit Stichtag in der Vergangenheit. Die nach Ablauf des Stichtags beigetretenen Arbeitnehmer dürfen nur mit einem Sachgrund von der jeweiligen Leistung ausgeschlossen werden. Die Tarifvertragsparteien sind deshalb gut beraten, auf einen Sachgrund bei der Differenzierung zu achten, wenn sie eine Differenzierungsklausel mit Stichtag in der Zukunft vereinbaren und die Regelung auch über den Stichtag hinaus beibehalten wollen. (S. 323 – 325) 22. Trotz der enormen praktischen Bedeutung noch weitgehend ungeklärt ist das Verhältnis zwischen Differenzierungsklauseln im Mehrheitstarifvertrag und dem

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Nachzeichnungsrecht der Minderheitsgewerkschaft gemäß § 4a IV S. 1 TVG. Die zentrale Frage in diesem Zusammenhang lautet, ob die Minderheitsgewerkschaft im Rahmen der Nachzeichnung den Tarifvertrag samt Differenzierungsklausel von der Mehrheitsgewerkschaft wortlautidentisch übernehmen muss oder ob sie bei Leistungen, die explizit an die Mitgliedschaft in der Mehrheitsgewerkschaft anknüpfen, korrigierend eingreifen und ihren eigenen Namen an die Stelle der Mehrheitsgewerkschaft setzen bzw. das differenzierende Kriterium gänzlich aus dem Tarifvertrag streichen darf. Von der Entscheidung in dieser Angelegenheit hängt maßgeblich ab, ob die Angehörigen der Minderheitsgewerkschaft auch wirtschaftlich vollumfänglich am Mehrheitstarif partizipieren oder nur formal mit ihren dort organisierten Kollegen gleichgestellt sind. (S. 326 – 328) 23. Weder der Wortlaut, noch die Einordnung des § 4a IV S. 1 TVG in den systematischen Gesamtzusammenhang oder die Gesetzesmaterialien lassen einen eindeutigen Schluss darauf zu, wie weit der historische Gesetzgeber das Nachzeichnungsrecht im Hinblick auf Differenzierungsklauseln im Mehrheitstarif verstanden wissen wollte. Zwar lässt sich insbesondere aus der systematischen Nähe zu § 4a I TVG eine gewisse Tendenz zugunsten eines umfassenden Nachzeichnungsrechts und damit einer wirtschaftlichen Gleichstellung der Verbandsangehörigen mit einem jeweils vergleichbaren Angehörigen der Mehrheitsgewerkschaft entnehmen, jedoch ist dieser Ausschlag nicht deutlich genug, um ein unzweifelhaftes Auslegungsergebnis erreichen zu können. Vielmehr verdient nach der Auslegung im engeren Sinn keine der denkbaren Varianten den absoluten Vorzug. Allerdings erhärtete insbesondere die Entstehungsgeschichte des Nachzeichnungsrechts in § 4a IV TVG den Befund, dass ein Verständnis der Vorschrift, wie es diejenige Variante etablieren wollte, die für eine Streichung der differenzierenden Passagen plädiert, kein vertretbares Auslegungsergebnis mehr darstellt, sodass lediglich zwei mögliche Interpretationsweisen verbleiben. Die sich anschließende verfassungskonforme Auslegung des § 4a IV S. 1 TVG konnte dann aufzeigen, dass die formalistische Auslegungsvariante, bei der die Minderheitsgewerkschaft lediglich den Wortlaut der Differenzierungsklausel übernehmen darf, aber ihre Angehörigen folgerichtig von den differenzierend ausgestalteten Tarifleistungen ausgeschlossen werden, mit der Verfassung in Konflikt gerät. Die Verbandsangehörigen der Minderheitsgewerkschaft wären in diesem Fall der Gefahr ausgesetzt, stets schlechtere Leistungen als ihre Kollegen aus der Mehrheitsgewerkschaft und damit keine angemessene Kompensation für den Verlust der normativen Wirkung des eigenen Tarifvertrags zu erhalten. Nur bei einer wirtschaftlichen Gleichstellung aller organisierten Arbeitnehmer nach dem anderen Modell ist gewährleistet, dass die Rechtspositionen der Angehörigen der Minderheitsgewerkschaft nicht durch einen besonderen Zuschnitt des Mehrheitstarifs entwertet werden können und das Nachzeichnungsrecht als Instrument mit kompensatorischem Charakter faktisch leerlaufen kann. § 4a IV S. 1 TVG ist deshalb nur bei einem weit verstandenen Nachzeichnungsrecht verfassungskonform und darf nur mit dieser Interpretation weiterhin angewandt werden. (S. 328 – 350)

Literaturverzeichnis Ackermann, Thomas: Kartellrecht und Arbeitsmarkt: Der Geltungsanspruch der §§ 1 f. GWB, in: Rieble, Volker/Junker, Abbo/Giesen, Richard (Hrsg.): Kartellrecht und Arbeitsmarkt. 6. Ludwigsburger Rechtsgespräch. Ludwigsburg, 27. November 2009, München 2010, S. 17 – 53 (zitiert: Ackermann, Kartellrecht und Arbeitsmarkt). Adomeit, Klaus: Rechtsquellenfragen im Arbeitsrecht, München 1969 (zitiert: Adomeit, Rechtsquellenfragen). — Zur Theorie des Tarifvertrags, in: RdA 1967, 297 – 305. Ahrendt, Martina: Zum Schutz vor Diskriminierungen in der betrieblichen Altersversorgung durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, in: RdA 2016, 129 – 141. Alexy, Robert: Theorie der Grundrechte, 3. Auflage, Frankfurt am Main 1996 (zitiert: Alexy, Theorie der Grundrechte). — Verfassungsrecht und einfaches Recht – Verfassungsgerichtsbarkeit und Fachgerichtsbarkeit, in: VVDStRL 61 (2002), 7 – 33. Anzinger, Rudolf/Koberski, Wolfgang: Das Gesetz zur Einführung eines Dienstleistungsabends und seine Auswirkungen auf individualarbeitsrechtliche, kollektivrechtliche und kartellrechtliche Fragen, in: NZA 1989, 737 – 746. Aquin, Thomas v.: Die deutsche Thomas-Ausgabe: Recht und Gerechtigkeit, II – II 57 – 79, Heidelberg/München 1953 (zitiert: Thomas v. Aquin, Recht und Gerechtigkeit). Aristoteles: Nikomachische Ethik, ins Deutsche übersetzt von Olof Gigon, Düsseldorf/Zürich 2005 (zitiert: Aristoteles, Nikomachische Ethik). Arnold, Christian: Betriebliche Tarifnormen und Außenseiter. Zur Legitimation der tarifvertraglichen Regelungsbefugnis, Berlin 2007 (zitiert: C. Arnold, Betriebliche Tarifnormen). — Differenzierungsklauseln – Legitimatorisch betrachtet, in: Lobinger, Thomas (Hrsg.): Festschrift für Eduard Picker zum 70. Geburtstag am 3. November 2010, Tübingen 2010, S. 873 – 888 (zitiert: C. Arnold, FS E. Picker). Arnold, Stefan: Vertrag und Verteilung. Die Bedeutung der iustitia distributiva im Vertragsrecht, Tübingen 2014 (zitiert: S. Arnold, Vertrag und Verteilung). Ascheid, Reiner: Beschäftigungsförderung durch Einbeziehung kollektivvertraglicher Regelungen in das Kündigungsschutzgesetz, in: RdA 1997, 333 – 343. Ascheid, Reiner/Preis, Ulrich/Schmidt, Ingrid (Hrsg.): Kündigungsschutzrecht. Großkommentar zum gesamten Recht der Beendigung von Arbeitsverhältnissen, 6. Auflage, München 2021 (zitiert: APS/Bearbeiter). Bachmann, Gregor: Der Grundsatz der Gleichbehandlung im Kapitalmarktrecht, in: ZHR 170 (2006), 144 – 177.

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Stichwortverzeichnis Abstandsklausel siehe Differenzierungsklausel Allgemeinverbindlicherklärung 29, 33, 207, 230, 265 ff. Andeutungstheorie 81 f. Angemessenheitsvermutung 224 ff., 310, 345 f. Arbeitsvertragsfreiheit 39, 56 f., 128, 147 ff., 313 Außenseiter-Arbeitsverhältnis 26, 29, 34, 38 f., 80 ff., 128, 147, 153, 254, 297 ff. Auslegung – Verfassungskonforme 169, 180, 339 ff. – von individualvertraglichen Bezugnahmeklauseln 34, 297 ff. – von Tarifverträgen 77 ff. Austrittsfreiheit siehe Koalitionsfreiheit BDA 332 Bestandsschutz durch Tarifvertrag 248 ff. Bezugnahmeklauseln im Arbeitsvertrag 26, 34, 297 ff. Bleibefrist 62 f., 138 ff. Closed-Shop-Regelung siehe Differenzierungsklausel DGB 21 ff., 332 f. Differenzierungsklausel – Abstandsklausel 36, 83 – Atypische 44, 74 f. – Closed-shop-Regelung 35, 123 – Einfache 34 ff., 51 ff., 75 ff., 85 f., 136, 324 – mit individuellen Wartezeiten 311 ff. – mit Stichtag in der Vergangenheit 62, 74 ff., 110 ff., 338 – mit Stichtag in der Zukunft 63, 323 ff. – Qualifizierte 35 f., 39 – Spannensicherungsklausel 37, 39, 83, 153

– Tarifausschlussklausel 90 – Union-shop-Regelung 35 Einfache Differenzierungsklausel siehe Differenzierungsklausel Europäischer Binnenmarkt 23, 283, 290 Funktionseliten

25, 98

Gleichbehandlung 49, 58, 102, 125 f., 156 ff., 242 f., 277, 302, 316, 337, 352 Gleichbehandlungsgrundsatz – Arbeitsrechtlicher 195 ff., 224 ff. – Betriebsverfassungsrechtlicher 102, 129 f., 292 ff. – tarifvertraglicher 188 ff. Großer Senat des BAG 36 ff., 50, 53, 59, 61, 73 f., 85, 119, 121 IG BCE 24, 37, 44, 140 IG Metall 24, 37, 41, 50 f., 97 Individualvertragliche Bezugnahmeklauseln siehe Bezugnahmeklausel Industrieverbandsprinzip 23 Kalkulatorische Sicherheit 235 ff., 314 ff. Kartellkontrolle 281 ff. Koalitionsfreiheit – negative 45, 52, 112 ff.,126 ff., 133 ff., 312 f. – positive 47, 112, 137, 144 ff., 258, 313 Kollusion 274 ff. Mehrheitsgewerkschaft 326 ff. Mehrheitsprinzip im Verband 252 Minderheitsgewerkschaft 326 ff. Minderheitstarifvertrag 326 ff. Mindestlohn 23 Nachzeichnungsrecht

326 ff.

Stichwortverzeichnis Negative Koalitionsfreiheit siehe Koalitionsfreiheit Organisationsquote

21 ff., 97

Positive Koalitionsfreiheit siehe Koalitionsfreiheit Qualifizierte Differenzierungsklausel siehe Differenzierungsklausel Restrukturierung 43, 101, 233, 253 Richtigkeitsgewähr siehe Angemessenheitsvermutung Rückzahlungsklausel 140 ff. Sittenwidrigkeit 275 ff. Sonderkündigungsschutz 35, 242, 248 ff., 255 f. Sozialadäquanz 119 ff. Sozialplan – betriebsverfassungsrechtlicher 102 ff., 129 ff. – tariflicher 102 ff., 129 ff., 126, 143, 235, 239, 241, 247 ff., 278, 288, 291 ff. Spannensicherungsklausel siehe Differenzierungsklausel Südwestmetall 41

411

Tarifausschlussklausel siehe Differenzierungsklausel Tarifautonomie – als Ausfluss von Art. 9 III GG passim, insbes. 67, 215 ff., 242 ff. – als kollektiv ausgeübte Privatautonomie 68 ff., 91, 131, 157, 174, 203, 242 Tarifdispositivität 30 f., 142 Tarifeinheitsgesetz 55, 98, 263 f., 326 ff., 335, 337, 344 Tarifprivileg 285 ff. Tarifsozialplan siehe Sozialplan Tariftreueregelung 30, 137 Übertrittsfreiheit siehe Koalitionsfreiheit UFO 37, 64 Union-shop-Regelung siehe Differenzierungsklausel Unternehmenssanierung 50 ff., 83, 99 f., 110, 130, 135, 148, 247 ff., 271, 297 Verbandstreue 99, 142 f. Verfassungskonforme Auslegung siehe Auslegung Ver.di 37, 46 f. Willkürverbot

215 ff., 221 ff.